REPERTORIUM

FÜR

KUNSTWISSENSCHAFT

REDIGIERT

VON

HENRY THODE,

PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT IN HEIDELBERG UND

HUGO VON TSCHUDI,

DIREKTOR DER KÖNIGLICHEN NATIONALGALERIE IN BERLIN

XXXI. Band.

BERLIN W. 35

DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER 1908.

PHOTOMECHANISCHER NACHDRUCK WALTER DE GRUYTER & CO., BERLIN 1968

Archiv -Nr. 8848680

©

1968 by Walter de Gruyter <t Co., vormals 6. J. Gdsohen’sche Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuch- handlung — Georg Reimer Karl J. Trübner Veit & Comp., Berlin 30, Genthlner Straße 13.

Printed in the Netherlands

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, Vorbehalten. Ohne ausdrückliche Geneh- migung des Verlages Ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen

THE J. PAUL GETTY CENIER

LIBRARY

Inhaltsverzeichnis.

Seite

Botticellis Primavera. Von Mela Escherich i

Kleine Beiträge zur älteren Rothenburger Kunstgeschichte. Von Albert Gümbel . ^

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«. Von Dr. Hans

Vollmer 144

Zur Geschichte der altösterreichischen Malerei. Von Wilhelm Suida 37

Ein neues Jugendbildnis Albrecht Dürers. Von Albrecht Weber 42

Zum Holzschnittwerke Jörg Breus d. Ä. Von Heinrich Röttinger 48

Ein unbeschriebener Kupferstich von Marcanton. Paul Kristeller 63

Zu den Grünewald-Studien von Fr. Bock. H. A. Schmid 66

Über zwei Architekturzeichnungen Michelangelos in der Casa Buonarroti in Florenz.

Von Fritz Ewiger tot

Nochmals über einige Zeichnungen alter Meister in Oxfort. Von A. von Beck'erath 108

Zur Kenntnis Giprgiones. Von Wilhelm Schmidt

Malerische Porträts aus dem deutschen Mittelalter vom 8. bis zum Ende des 13.

Jahrhunderts. Nachtrag und Berichtigungen. Von Max Kemmerich . . .120

Ein Bildnis Robert II. de la Marek. Von Hans Jantzen 132

Eine neue archivalische Dürernotiz. Zur Veit-Stoßforschung. Von Albert Gümbel 138

Rembrandtiana. Von Niels Restorff i59

Zu Tizian in Padua. Hadeln 168

Zur Inschrift des »Gothaer Liebespaares«. Mela Escherich 170

Studien zur Treientomalerei. VI. Von Wilhelm Suida 199

Ein Beitrag zu Mathias Grünewald. Von Mela Escherich 215

Der niederländische Bildhauer Wilhelm Vernuken in hessischen Diensten. Von

Carl Scherer 218

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts. Von Fritz Saxl ....... 227, 336

Die Dresdener Correggiomagdalena eine Kopie von Albani? yames von Schmidt 241

Zur Augsburgischen Kunstgeschichte. Wilhelm Schmidt 244

Cranachs Kanonbild vom Jahre 1508. Campbell Dodgson 265

Zu den Lünetten und Stichkappen der Sixtina. Von Dr. Alois Wurm 305

Der Westbau der Ralastkapelle Karls des Großen zu Aachen und seine Einwirkung auf den romanischen Turmbau in Deutschland. Ergänzung, Abänderung und

Abwehr. Von Ernst von Sommerfeld 314

H^nns Scholler, ein deutscher Bildschnitz^ am böhmischen Hofe (1490 iSi?)-

Von Albert Gümbel .323

GrUnewalds Stuppacher Bild und die Mainzer Liebfrauenkirche. Franz Rieffel . 353

Kritische Studien zu Giorgione. Von Georg Gronau 403i 5°3

Martin Hess. Von Carl Gebhardt 437

Zwei Ißuchillustrationen Hans Holbeins des Alteren. Von Curt Glaser 44^

Über die Wunder von Mariazell. Von Wilhelm Schmidt 451

IV

Inhaltsverzeichnis.

Seite

Ein Miniaturpoiträt Albrecht Altdorfers nach dem Leben. Von Hans Hildebrandt 457 Ein russisches Dokument zur Geschiebte von Memlings Jüngstem. Gericht in Danzig.

James v. Schmidt 463

“Zu Werken Alvise Vivarinis. Hadeln 466

Die Flucht nach Ägypten von Rubens. N'iels Rcstorff 470

Beziehungen Donatellos zur altchristlichen Kunst. (Mit drei Textabbildungen). \’^on

Mcla Es eher ich 522

Eine Madonnenstatuette des Veit Stoß im South Kensington Museum. (Mit einer

Textabbildung.) Von Hermann Voss 528

Bemerkungen zu den Münchener Rembrandtzeichnungen. Von Fritz Saxl ... 531

Uber Reproduktionen von Kunstwerken. Von daul Kristeller 538

Zum Oeuvre Paris Bordones. Hadeln 544

Lite ratur.

Joseph Destree. Tapisseries et sculptures Bruxelloises ä l’exposition d’art ancien

Bruxellois 1904. Friedländer 69

Fritz Burger. Francesco Laurana, eine Studie zur italienischen Quattrocentoskulptur.

C. V. Fabriczy 73

Max Geisberg. Die Münsterischen Wiedertäufer und Aldegrever. Friedländer . 78

Julius Janitsch. Das Bildnis Sebastian Brants von Albrecht Dürer. Jaro Springer.

Sebastian Brants Bildnisse. Friedländer 79

Beschreibendes und kritisches Verzeichnis der Werke der hervorragendsten holländischen Maler des XVII. Jahrhunderts. Nach dem Muster von John Smith Cataloque raisonne zusammengestellt von Dr. C. Hofstede de Groot.

1. Band. A. Bredius 81

Dr. Max Geisberg. Die Prachtharnische des Goldschmieds Heinrich Cnoep aus

Münster i. W. E. v. Ubisch 86

Josef Dernjac. Die Wiener Kirchen des XVil. und XVIII. Jahrhunderts. Hugo

Schmerber 172

Victor Roth. Geschichte der deutschen Plastik in Siebenbürgen. Friedländer . 174

Hans Vollmer. Schwäbische Monumentalbrunnen. Edwin Redslob 176

Detlev Freiherr von Hadeln. Die wichtigsten Darstellungsformen des H. Sebastian

in der italienischen Malerei bis zum Ausgang des Quattrocento. Fritz Burger 178 Sidney Colvin. Selected drawings from.old masters in . . . Oxford. Friedländer 179 Engel mann-Hirsch. Nachträge und Berichtigungen zu »Daniel Chodowieckis Sämt- liche Kupferstiche«. W. von Oettingen 185

F. Sarre und E. Mittwoch. Sammlung F. Sarre. O.v. Falke 187

Ludwig Pastor. Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters. IV; F. R. 267 Kunstwissenschaftliche Beiträge August Schmarsow gewidmet. Friedländer . . . 270

Karl Mühlke. Von nordischer Volkskunst. Raspe 273

Manuel d’Art Musulman. O.v.F. 275

Hans Willich. Giacomo Barozzi da Vignola. C. v. Fabriczy 276

Braun, Joseph S. J. Die belgischen Jesuitenkirchen. Ein Beitrag zur Geschichte

des Kampfes zwischen Gotik und Renaissance. Hugo Schmerber .... 279

Karl Goldmann. Die Ravennatischen Sarkophage. 0. Wulff 281

Wilhelm Rolfs. Franz Laurana, Berlin. C. v. Fabriczy 286

Theodor Schreiber. Meisterwerke des städtischen Museums der bildenden Künste

zu Leipzig. Friedländer 292

Inhaltsverzeichnis.

V

Seite

Dr. Ulrich Thieine und Dr. Felix Beqker. Allgemeines Lexikon der bildenden

Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. I. Band. Frtedländer . . . 354

Alois Riegl. Die Entstehung der Barockkunst in Rom. Akademische Vorlesungen.

Aus seinen hinterlassenen Papieren herausgegeben von Arthur Burda und

Max Dvorak. H. W'ölfflin 35^

Italienische Architektur und Skulptur. Jahresübersicht 1906. C. v. Fabriczy . . 357

Paul Schubring. Die Plastik Sienas im Quattrocento. C. v. Fabriczy ..... 384

Hans Börger. Grabdenkmäler im Maingebiet. Friedländer 39 1

Hermann Voß. Der Ursprung des Donaustiles. Ein Stück Entwicklungsgeschichte

deutscher Malerei. Friedländer 39^

Valerian von Loga. Goyas Lithographien und seltene Radierungen. In getreuen Nachbildungen der Originale in Licht- und Kupferdruck hergestellt von

der K. Reichsdruckerei. M. v. Boelin o94

Julius Hofmann. Francisco de Goya. Katalog seines graphischen Werkes.

M. V. Boeh?i

Bernhard Berenson. North Italian Painters of the Renaissance. iV. v. S 476

Pietro Toesca. Masolino da Panicale. IV. v. S 477

Heinrich Alfred Schmid. Die Gemälde und Zeichnungen von Matthias Grüne- wald. F. R. ^

A. Prachoff. Album de l’Exposition retrospective d’objets d’art de 1904 a Saint

Petersbourg. James v. Schmidt 480

A. Muhoz. L’Art Byzantin a FExposition de Grottaferrata. 0. Wulff 54^

Hans Tietze. Österreichische Kunsttopographie. Bezirk Krems. Ernst Diez . . 550

Paul Weber. Baugeschichte der Wartburg. Karl Simon 553

Jan Fastenau. Die romanische Steinplastik in Schwaben. H. Weizsäcker .... 557 Hans von der Gabelentz. Die kirchliche Kunst im italienischen Mittelalter.

Swarzenski

Beiträge zur westfälischen Kunstgeschichte. I. Ferdinand Koch: Die Gröninger.

II. Friedrich Born: Die Beldensnyder. Adolf Brüning 561

Jos. Braun. Die Kirchenbauten der deutschen Jesuiten. Hugo Schmcrber .... 564

Handzeichnungen alter Meister im Städelschen Kunstinstitut. Fri.edländer .... 566

Oswald Sircn. Giottino und seine Stellung in der gleichzeitigen florentinischen

Malerei. Vitzthum 3^8

Pietro d’Achiardi. Sebastiano del Piombo. Ernst A. Benkard Q

Leandro Ozzola. Vita e opere di Salvator Rosa. P. K. 575

Christian Rauch. Die Trauts. Friedländer ...

Rene van Bastelaer. Peter Bruegel Fanden, son ceuvre et son temps. Rosa Schaptre 579 Führer durch die Staats -Sammlung vaterländischer Altertümer m Stuttgart.

//. Weizsäcker 38 t

Richard Stäuber. Die Schedelsche Bibliothek. P. K. 584

Paul Ratonis de Limay. Un amateur Orleanais. Kacsbach 585

W. Wartmann. Les Vitraux Suisses au Musee du Louvre. Falke ........ 586

Franz Wickhoffs Anzeige von »Die malerische Dekoration der San Francesco-

Kirche«. Von Andreas Aubert 49 1

Ausstellung.

Die Ausstellung orientalischer Keramik im Burlington Fine Arts Club zu London,

1907. F. Sarre

94

VI

Inhaltsverzeichnis.

Mitteilungen über neue Forschungen.

Der Burgflecken Coldimancio. C. v. Fabriczy

Meue Urkunden zu Donatellos Arbeiten im Santo von Padua. C. v. Fabriczy Neues über Pietro Torrigiani (1472 1528). C. v. F. . , ,

Die Künstlerfamilie Del Majno (Magno). C. v. ß

Der Bentivogliopalast zu Bologna. C.v.F.

Ergebnisse des VII. Internationalen Kunsthistorischen Kongresses zu Darm Stadt

Nekrolog Karl Aldenhovens. Von Ludwig Scluibler

Erwiderungen.

Replik. Hadeln

Duplik. Fritz Burger

Berichtigung

Seite

189

189

296

297

398

299

191

497

498

100

Botticellis Primavera.

Eine Studie von Mela Escherich.

Die alten Fragen des Verhältnisses der Renaissance zum Altertum drängen sich wohl selten vor einem Bilde so lebhaft auf, wie vor der »Prima- vera« Botticellis. Man war bisher geneigt, die Komposition als eine durch Polizians Vermittlung antiken Dichtern vollkommen entlehnte zu betrachten. Horazens Ode an Venus und die Flora-Zephyrszene aus den Fasten Ovids gaben den Hauptanhalt für die Erklärung des Motivs.

Versenken wir uns aber in den Geist des Kunstwerks, so spricht daraus eine so ganz andere, dem antiken Empfinden so entgegengesetzte Gefühlswelt, daß wir wohl der Frage näher treten dürfen, ob es sich denn hier wirklich um ein antikes Motiv handelt. AntikiSches zeigt sich ja wohl in einigen Äußerlichkeiten, in der Wahl der mythologischen Gestalten, in den Bewegungsmotiven, wie Warburg nachwies. Aber der eigentliche Inhalt der Darstellung ist ein anderer.

Das Werk ist ein Gedächtnisbild, ein Todeskarmen auf die früh verstorbene »innamorata di Giuliano de’ Medici«; vielleicht auch zugleich auf diesen selbst, der ihr schon nach zwei Jahren im Tode folgte. Es Wäre wohl möglich, daß Botticelli von Lorenzo de’ Medici den Auftrag erhielt, das jugendliche Liebespaar in einer Darstellung vereint zu ver- ewigen. Die Schönheit, das ideale Verhältnis, der frühe, am gleichen Jahrestag (26. April 1476 und 78) erfolgte Tod der Beiden trugen genug zur allgemeinen Teilnahme, ja Begeisteruhg für die Liebenden, um die die ritterliche Jugend von Florenz Trauerkleider anlegte, bei. Lorenzo selbst dichtete vier Sonette auf den Tod der Simonetta. Da liegt es nahe, daß er die auch von ihm verehrte Frau und den Bruder durch die Kunst eines Botticelli verklärt wissen wollte.

Botticelli faßte das Motiv als eine Heimkehr der Liebenden in das Reich der Liebe. Die »Nymphe Simonetta«, wie die schöne; zarte Frau oft in den Gesängen Polizians und anderer genannt wird, wandelt nun wieder, der Erde entflohen, im Frühlingshain der Venus, aus dem sie einst gekommen. In ihrem Gefolge erscheinen Flora und der stürmische Zephyr, während wir Merkur, in dem wir Giuliano erkennen, in der Nähe

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

2

Mela Escherich:

der Grazien sehen. Venus’ Reich war vom Frühling verlassen, seit Simo- netta auf der Erde weilte. Nun kehrt Primavera wieder zurück. Dies der äußere Inhalt, wie er der antikischen Galanterie der Renaissance entspricht.

Botticelli nahm dabei Gelegenheit, die Szene in starke Gegensätze aufzuteilen. In den zwei gesonderten Zügen der Venus und der Prima- vera ist das Motiv von Liebe und Frühling behandelt, und in den einzelnen Gestalten auf das zarteste in Empfindungen zerlegt: Merkur Sehnsucht, Grazien Ernst, Gefühl des Wechsels und der Flüchtigkeit, Venus Wehmut, Todesahnung, Primavera Freude, Flora Zephyr Unge- stüm, Übermut. Ein derartiges Sezieren von Stimmungen und Gefühlen lag bereits im Geist der Zeit. Wir werden hier schon auf Lionardos etwa zwanzig Jahre später entstandenes Abendmahl hingewiesen, in dem wir das vollendetste Beispiel für die Aufteilung eines gedanklichen Motives in verschiedene Wirkungsnuancen haben.

Was in Botticellis Gemälde als eigentümlich auffällt, ist die Grup- pierung in zwei parallele Diagonalen. Zwei Züge schreiten neben- einander durch den Orangenhain. Den einen beschließt Venus, den anderen eröffnet Primavera. Dieser »weite Zug, an den man sich noch ein langes, noch nicht sichtbares Frühlingsgefolge anschließend denken könnte, nähert sich in etwas rascherem Tempo, so daß, wollte man die Diagonalen an der Stelle der beiden Hauptgestalten mit einer Linie durchqueren, sich ergeben würde, daß Primavera etwa um Fußeslänge die zögernd schreitende Venus überholt hat.

Nun läßt sich dieses raschere Tempo, das in den folgenden Ge- stalten, der laufenden Flora und dem fliegenden Zephyr, eine lebhafte Steigerung erfährt, wohl aus der froheren Stimmung heraus erklären, die diesen zweiten Zug im Gegensatz zu dem ersten beherrscht. Den Früh- ling allegorisiert Botticelli heiter, durch eine lebhafte, bis ins stürmische sich steigernde Fröhlichkeit, die Liebe dagegen ernst, leidvoll. Langsamer, gehalteneren Schrittes schreitet die Liebe durch das Leben als der rasch hinblühende Frühling.

Aber je länger wir das Bild betrachten, je mehr drängt sich der Gedanke auf, daß die Darstellung einen Doppelsinn birgt. Eine persön- liche Note klingt darin an. Venus und Primavera sind Porträte. In der Primavera darf man mit einiger Sicherheit Simonetta Vespucci erkennen^). Das einzige authentische Bildnis von ihr, welches Piero di Cosimo zugeschrieben wird, ist wohl erst Jahre nach ihrem Tode ent- standen. Doch zeigt sich in diesem Profilbild eine Ähnlichkeit mit der

•) Siehe hierzu Warburg, S. Botticellis » Geburt der Venus« und » Frühling«, 1893.

Botticellis Primavera.

3

Nymphe auf Botticellis »Geburt der Venus«. Diese wieder ähnelt in den Proportionen der Primavera. Ungleich schwerer ist die Bestimmung der Gesichtszüge durch die en-face-Stellung des Kopfes der Primavera. Fand sich bei der Nymphe in der charakteristischen Profillinie von Stirn und Nase noch ein Anhalt, so fällt auch dieser hier weg und man muß sich mit der Ähnlichkeit des überaus fein gezeichneten Mundes begnügen, den zwei Maler wohl nicht in solcher Übereinstimmung gemalt hätten, wenn ihnen nicht ein gemeinsames Vorbild, in einem Bildnis oder der lebenden Persönlichkeit vor Augen gestanden hätte. Man möchte übrigens fast annehmen, Simonettas Schönheit habe mehr in der Lieblichkeit und Beweglichkeit als in der Form der Züge gelegen. Vielleicht war sie im lebhaften Gespräch am schönsten, wo der Wechsel des Ausdrucks ihrem Antlitz fortwährend neue Reize verlieh. Derartige Gesichter erscheinen dann noch dazu in der verschiedenen Auffassung der Künstler jedesmal anders und ihre Identität zu bestimmen fällt schwer. Überdies nahm es wohl auch Botticelli mit der Bildnistreue nffcht allzu genau.

Als eine fester umrissene Persönlichkeit steht die Venus vor uns, die uns sonst noch einige Male als Madonna begegnet. Die besondere Liebe, mit der Botticelli diese Gestalt wiedergibt, läßt ohne Zweifel das Ideal des Meisters in ihr erkennen. Offenbar war sie eine vornehme Frau das verrät ihre hoheitsvolle Erscheinung , die sich an Rang wohl mit der Simonetta messen konnte und die vielleicht in irgend einer Beziehung zum Hause Medici stand. Vielleicht war des Künstlers Liebe und Verehrung zu dieser Frau ein halböffentliches Geheimnis, ein Jahre währendes Spiel anmutiger Verschwiegenheit und Verräterei, jene phan- tastische Art von Minnedienst, für die Dante in seiner »vita nuova« vorbildlich wirkte.

Mit der »vita nuova« gelangen wir auf eine wichtige Spur. Es ist nötig, hier eine Stelle aus ihr anzuführen. Dante hat geträumt, daß Beatrice gestorben sei.

»Nach diesem Traumgesicht geschah es eines Tages, als ich nach- denklich saß, daß ich ein Leben im Herzen empfand, als wäre ich in der Nähe der Herrin. Da erschien mir die Liebe, die von der Seite kam, wo meine Herrin weilte, und es war mir, als spräche sie fröhlich in meinem Herzen: »Ich denke den Tag, wo ich dich erworben, zu segnen und so sollst du tun.« Mein Herz war so fröhlich in mir, daß es mir schien, als ob es nicht mein eigen Herz wäre, um seines neuen Zustandes willen. Nach den Worten, die das Herz mir gesagt, mit der Sprache der Liebe sah ich eine edle Frau von ausgezeichneter Schönheit auf mich zu kommen, die dem Herzen meines ersten Freundes sehr nahe stand. Ihr Name war Johanna. Wegen ihrer Schönheit, wie man glaubte, wurde

I*

4

Mela Escherich:

sie auch Primavera genannt und so gerufen. Hinter sie blickend, sah ich die herrliche Beatrice nahen. Die Frauen gingen dicht an mir vorbei, eine nach der andern, und es war mir, als hörte ich die Liebe in meinem Herzen sprechen: Diese Erste wird nur um ihrer heutigen Erscheinung willen Primavera genannt; ich beeinflußte den, der ihr diesen Namen gegeben, welcher so viel heißt wie prima verä, weil du sie an diesem Tage solltest der Erscheinung Beatricens vorangehen sehen. . . . Unter anderem schien sie mir dann auch noch zu sagen: »Wer den passendsten Namen für jene Beatrice finden wollte, müßte sie Liebe nennen, weil sie mir so ähnlich ist.«

Mehr als alle antiken Dichtungen scheint diese Stelle wesentlich von Einfluß auf die Konzeption der »Primavera« zu sein. Botticelli hätte für eine Darstellung der »innamorata di Giuliano« keine feinere Form finden können als jene Primavera der »vita nuova«. In gleicher Weise wie Dante konnte auch Botticelli von ihr sagen: »eine edle Frau... die dem Herzen meines ersten Freundes sehr nahe stand «. Wen besser aber als einen Medici konnte der Meister seinen ersten Freund nennen?

Was nun die Erscheinung der Venus betrifft, so scheint hier Botticelli indem er ihr den Rang der Beatrice gibt, das Liebesversteckspiel Dantes zu wiederholen. Wie Dante sein Erlebnis in ein Sonett kleidet (vita nuova 24), das er seinem »ersten« Freunde sendet, so malt auch Botticelli sein Bild zu Ehren seines Freundes und Gönners, wagt aber gleich Dante in die Huldigung der Primavera das I.ob seiner »lieben Frau« einzu- flechten.

Danach wäre es sogar möglich, daß nicht Lorenzo, sondern noch Giuliano der Besteller des Bildes war, und wäre hiermit ein Anhaltspunkt für die Datierung gegeben. Das Bild müßte sonach zwischen dem 26. April 1476, dem Todestag Simonettas, und dem 26. April 1478, dem Tag der Ermordung des Giuliano entstanden sein. Der stärkste Hinweis auf Dante findet sich in dem oben geschilderten raschen Voranschreiten der Primavera. Es ist die genaueste Illustration zu den Worten der »vita nuova. « Botticelli hat aus guten Gründen vermieden, die Frauen hintereinander gehen zu lassen: einmal, weil er sich so eine weitaus freiere und anmutigere Gruppenbildung gestatten konnte, zum andern, weil er dadurch keiner vor der andern einen Vorrang zu geben brauchte. Durch die Idee des Döppelzuges wird beiden Erscheinungen die gleiche Würde zu teil, und unser Interesse lenkt sich in gleichem Maße auf beide. Eine Wirkung, die Botticelli offenbar erreichen wollte. Dabei bleibt für den (rechts stehend gedachten) Beschauer die Schilderung Dantes gültig. Während Primavera, die für ihn zuerst sichtbar wird, rasch vorübergeht, gewahrt er, »hinter sie blickend«, die nahende zweite

Botticellis Primavera.

5

Gestalt, welche Liebe heißt. Übereinstimmend auch mit dem Anfang eines andern Danteschen Sonetts:

Mir ist von Frauen eine holde Schar Am Allerheiligentag vorbeigewallt,

Sie sah ich, die der Ersten eine war Und ihr zur Rechten kam die Liebe bald.

Primavera und amore! Die ostentative Gegeneinanderstellung der beiden sich so nahe stehenden Begriffe hat ihre Erklärung gefunden. Von einem persönlichen Gefühl überwältigt, das stürmisch nach künstlerischer Offenbarung drängte, suchte der junge Meister bei dem Großmeister der Liebesanschauung jener Zeit, bei Dante Zuflucht. Kühn und scheu zu- gleich wagte er sich an das in der » vita nuova « gegebene Motiv, das ganz dem quattrocentistischen Geschmack entsprach, und huldigte darin seinem Gönner und seiner Liebe. Gewiß bestimmte ihn dann der Rat Polizians und die von Alberti gegebenen Vorschläge für künstlerische Motive, die Komposition mit mythologischen Gestalten zu erweitern und ihr so einen modisch-antikischen Anstrich zu geben. Doch ist es kaum mehr nötig festzustellen, ob dem Meister bei der Gestalt der Primavera etwa Horazens Juventas vorschwebte. Nachdem die jungentschlafene Simonetta schon als »Frühling« eingeführt ist, wird die Allegorie der »Jugend« überflüssig. Im übrigen ist gerade diese Gestalt so floren- tinisch und zeitgemäß wie nur möglich. Sie entspricht ganz den Nymphen der karnevalistischen Aufzüge, die in Florenz so beliebt waren. Schon finden wir, hier noch maßvoll, den überreichen Blumenschmuck, der später in eine übertriebene Mode ausartet, mit der sich bekanntlich die schönen Floren tinerinnen den Tadel Firenzuolas zugezogen. Auch der über Venus schwebende Amor ist ein echter kleiner Florentiner. Er er- innert in seiner reliefartigen Beinstellung an Donatellos Putten vom Tabernakel des S. Ludwig von Toulouse in Florenz, Or San Michele.

Wir sehen, schon in den Äußerlichkeiten zeigt sich neben dem An- tiken allerlei Zeitgemäßes. Man könnte hier aber immer noch sagen: das Antike fand seine Umwertung in das Quattrocento. Betrachten wird aber den Inhalt der Darstellung, so finden wir, daß hier die Antike ganz zurücktritt. Hier spricht Dante zu uns und, verlassen wir auch das Dantesche Motiv, wenden wir uns von dem Inhalt zu dem Geiste des Werkes, so fühlen wir uns völlig der Antike entrückt. Was da zu uns spricht, ist weit mehr germanisches Wesen, das geheimnisvoll die ganze toskanische Frührenaissance durchweht. Diese Venus hat nur mehr den klassischen Namen; aber sie ist alles andere eher als die siegesbewußte griechische Göttin. Sie ist eine Frau mit bangendem Gemüte, deren zögernder Schritt, deren traurigsüßes Antlitz, deren halb segnende, halb

6

Mela Escherich: Botticellis Primavera.

abwenrende Handbewegung ein tiefernstes Noli me tangere auszudrücken scheinen. Hier klingt Jas Todesmotiv an, das in Deutschland von den Totentanzdarstellungen der Pestjahre bis zu Baidungs und Behams schwermütigen Bildern der Eitelkeit und der Vergänglichkeit sich leise wie etwas Unabweisbares immer wieder in die heitere Kunst drängt. Liebe und Tod! Das echt germanische Problem, das bis in die Gegen- wart herein mit besonderer Liebe von der deutschen Kunst behandelt wird, es ist hier in der Form eines Gedächtnisbildes i n behutsam zurück- haltender Weise berührt. Auch die Gruppe der Grazien ist aus einer ernsten Stimmung heraus empfunden. Das rhythmische Heben und Senken der Arme hat nichts von antiker und überhaupt südlicher Be- wegungslust und Tanzesfreude. Spindel, Schere und Stundenglas würden zu diesen nornenhaften Gestalten passen. In dem scheinbar mäßig raschen Wechsel ihrer müden Gebärden verkörpern sie das stille Hingleiten der schönen Tage.

Das Bild steht wie ein Geheimnis vor uns, in das einzudringen überaus verlockend ist. Die größere Freude aber gewährt es, nachdem wir des Künstlers verschwiegenste Gefühle erlauscht, mit ihm wieder hinauszutreten in das Freiland künstlerischer Selbstentäußerung und staunend zu gewahren, mit welcher Kraft sich der .Meister aus dem Per- sönlichen ins Unpersönliche aufringt.

Das erste Gefühl, das Botticelli bei dem Entwurf beherrscht, war das stürmische Sehnen, das, was ihn ganz erfüllte, die Liebe, zu einer Frau zu offenbaren. Da suchte er bei dem Großmeister idealer Liebe, bei Dante Zuflucht. Und damit erhob sich sein Werk schon zu einem über das engste persönliche Empfinden hinausgehenden, das Gefühl einer ganzen Epoche wiedergebenden Liebeshymnus. Aus den hochgehenden Wogen der Danteschen Liebesidealität aber rang sich etwas Neues empor, das, was erst den eigentlichen Gehalt des Bildes ausmacht die Gegen- überstellung von Frühling und Liebe mit dem schwermütigen Einschlag vc>n Sehnsucht und Todesahnung.

Das ist nicht Dante, ist überhaupt nicht italienisch und noch wenige;r antik. Es ist eine Offenbarung, die über das hinausgeht, was uns der einzelne Künstler zu sagen hat, ist die rückhaltlose ahnungsvolle Hin- gabe an den fatalistischen .Geist der germanischen Weltanschauung, der in der Folge der Zeiten den individualistischen der welschen Renaissance besiegte.

Kleine Beiträge zur älteren Rothenburger Kunstgeschichte.

Von Albert Gümbel, k. Kreisarchivsekretär in Nürnberg.

I.

Zwei ältere Rothenburger Meister.

Das k. Kreisarchiv Nürnberg verwahrt unter seinen aus dem alten reichsstädtischen Archiv von Rothenburg o. T. stammenden Beständen einen Kodex betitelt (auf dem Vorstoßblatt): Contractuum urphedarum aliarumque rerum memorabilium in curia Roteburgensi sub seculiii XIV et XV a Christo nato actarum tomus singularis. Es ist eine die Jahre 1375 *454 umfassende Sammlung von Urfehden, d. h. von Auf- zeichnungen über Personen, welche vom Rate der Stadt Rothenburg wegen irgendwelcher, gegen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ge- richteten Vergehen gefänglich eingezogen und sodann, je nach Lage der Dinge ohne weiteres oder nach Auferlegung einer Buße (sehr oft Ver- bannung aus der Stadt auf eine Reihe von Jahren) gegen das Versprechen, sich an der Stadt für Gefängnis und Strafe nicht rächen zu wollen, ent- lassen worden waren. Eben dieses Gelöbnis, keine Rache zu nehmen, » nimmermer ze anden, ze efern, noch zu rechen « , wie es gewöhnlich heißt, wird als Urfehde bezeichnet.

Diesen gerichtlichen Protokollen entnehmen wir die Aufzeichnungen über zwei ältere Rothenburger Meister, einen Meister Hanns, Schnitzer, und einen Maler, Meister Peter von Ulm. Sie mögen nachstehend im Wortlaute folgen:

I. Meister Hanns schnytzer. Als meister Hanns schnytzer zu gefanknisse kome, umb das er der stat drawte und sprach, man hete im sein Ion und arbeit abgenomen, des er doch nicht firen wolt, noch mecht gelaßen, dorumb swerer stroff wirdig wer an seinem leib, nachdem und sich kontlich was und erfant, das man im nichts schuldig was, doch so sähe der rat an got zuvorderst, barmherzigkeit auch sein alter und

') Akten und Urkunden der Reichsstadt Rothenburg, Rep. 220», Tit. I, D, Nr. i (XXXIII -Vj).

8

Albert Gümbel;

krankheit und ließen in unbeschedigt gefanknuß, doruff er globt und zu den heiligen einen gelerten eit zu got und den heiligen gesworen hat, solch gefanknisse und, was an im beschehen ist, nimmermer zu anden, zu efern, noch zu rechen mit Worten noch mit werken, heimlich noch offenlich, noch das schicken gethon in dhein weise furbas ewiclichen und die artikel, die er vormals gesworen hat; auch zu weissen, was er und sein hausfrau verseczt hat und, ob icht uberblibe, Costlerin [?] dovon zu losen, sp verre es mug gereichen; und ob er und sie hernach über ir hotdurft ichtgewinnen, das an ir schulde zu bezalen on all geverde, als das die frau an eides stat mit im hat gelobt ongeverde. actum feria quarta ante Katherine virginis' (= 24. November) anno etc. (14)34°.

2. Agnes Kesselrings tochter. Als Agnes Kesselrings des schusters tochter etwivil zyt vil spentzerey -hie in der stat mit geistlichen und werntlichen begangen hat, als das offenlich an dem tag gelegen ist, und zuletste zu meister Peter dem moler von Ulm hie in dinst kume und heimlichen mit im zuhielt und im sagt, es wem etlich erber burger hie, die umb sein hausfrau begerten zu buln,, als das derselb meister Peter selbs bekant und auch sein hausfrau davon groß übel ent- standen mocht sein, umb das die genant Agnes wol verschult het den tod oder sust ein schemlich straf an irem leib oder an irem gesicht, dann das der rat ansah got zuvorderst, gnad und barmherzigkeit, auch irer swester und sweger fromkeit und ließen sie den stein tragen und, ee sie den stein trug, swur sie zu got und den heiligen, die Sachen zu swogen und furbas der stat geen vier meil hindan und in den nechsten jar nicht neher zu körnen und darnach aislang bis im [!] das von dem rate erlaubt werdet on all g[everde], actum sabbato ante Martini [= 10. No- vember} anno etc. [14] 36.

II.

Eine Arbeit Riemenschneiders für das Frauenkloster in Rothenburg o. T.

Der Name des Würzburger Bildschnitzers Tilman- Riemenschneider war schon bisher in der Rothenburger Kunstgeschichte nicht unbekannt. Aus den Jahren 1495 1500 1506 hat WebCr^') Notizen der Rech-

nungsbücher der St. Jakobspfarrkirche daselbst veröffentlicht, welche den Marienaltar und den Heilig-Blutaltar dieser Kirche unzweifelhaft dem Meister zuweisen. An diese Zahlungsverrflerke reihen sich zeitlich die vom Verfasser im k. Kreisarchiv Nürnberg aufgefundenen und unten wiedergegebenen Rechnungsposten aus den Kustoreirechnungen des Frauen-

») W^ber, Anton, Leben und Wirken des Bildhauers iDill Rienienschneiders. 1888, Seite 47 ff.

Kleine Beiträge zur älteren Rothenburger Kunstgeschichte.

9

klosters, Predigerordens, zu Rothenburg, aus den Jahren 1507 bis 1509 an, so daß nun eine fast zehnjährige ununterbrochene Tätigkeit Riemen- schneiders für die, Rothenburger Kirchen feststeht. Die Kirche des im 13. Jahrhundert von den Küchenmeistern von Nortenberg gestifteten Klosters besaß vier Altäre, den Katharinen-, Marien-, Corpus-Christi- und Aller- Heiligenaltar 3). Der Neuausstattung des letzteren gilt offenbar die Tätig- keit unseres Meisters. Die Klosterkirche wurde im Jahre 1813 abge- brochen. Wohin die Altäre gewandert sind, konnte nicht festgestellt werden.

Die uns interessierenden Rechnungseinträge sind nun die folgenden:

Kustoreirechnungen des Frauenklosters, Predigerordens, in Rothenburg vom 22. Juli 1507 bis dahin 1508. K. Kreis- archiv,. Rothenburg, Rentamt, Nr. 914, fol. 36^:

Item das Ich verbautt hob dem Schreyner von dem gestwll in der kyrchen zw machen vnnd von dem Newen pwllprett zw machen, Fwrr, leym, Negell vnnd allß vnnd von den vennßtern in der kyrchen zw machen vnnd zw Besser[n] vnnd das ich mayster Thyln vff die newen Taffeil hab geben. Bringt alls an gold 38 fl. 15 sh. in gold.

Item mer hab Ich dem schreiner geben 4 M[allter] korns, der das gestüll hatt gemacht.

Rechnung vom 22. Juli 1508 bis dahin 1509. Ebenda> fol. 38*':

Item das der Rosenkran tz hatt koßt von dem mäler vnd das man darnach verzertt hatt vnd allerlay trentzell pfenig4), die man daründer auß hat gebenn. Bringt an gold 74 fl., an gellt 17 2 dn.

Item das die new Tafell vff aller haylgen altar Goßt hatt vom Schreinen vnd leym, Brytter, negel vnd allerlay an golld 50 fl., an gelltt 50 tfc. 8 sh. I dn.

Item das Crutzifyx vff der Newenn Tafell hatt koßt an gold 6 fl., das hatt man vmb den gardion kaufft.

Item das new gestüll in der kirchenn, da vorrnenn im kör, hat koßt an gold 25 fl., an gelltt n <tb. 2 dn.

Rechnung vom 22. Juli 1509 bis dahin 1510. Ebenda, fol. 40*^ :

Item Mayster Dyl von den Billden Inn der Newen tafell zw machen vnd daruntter verzertt vnd vmb zwen Engell in die newenn tafell vnd dem Schreiner vom heußlein zum orlein zu machen. Bringt als an gold 19 fl. IO sh. in gold, an geht 8 sh.

3) Bensen, Historische Untersuchungen über die ehemalige Reichsstaut Rothen- bm^, Seite 527.

4) D. h. wohl allerlei nach und nach, tropfenweise (vgl. Schmellef, Bayerisches Wörterbuch unter trenzen) zusammenkommehde Ausgaben.

IO

Albert Gümbel:

Item Burckhartt Hettgern, dem Schlosser, an gold 7 fl. 3 ortt vmb Schrauben vnd Eysenn vnd allerlay, das er zu der newen tafell vnd vberal in der kirchen gemachtt hatt, ist drew oder vier Jar zusamen gestannden.

III.

ßestallungsbrief Hanns Müllners als Werkmeister zu Rothen- burg o. T. 1471, 12. November.

Aus dem bekannten, trefflichen Kommentar Theodor von Kerns zu den Nürnberger Jahrbüchern des 15. Jahrhunderts (Chroniken der deut- schen Städte, hrsggb. durch die Hist Kommission bei der K. Akademie der Wissenschaften in München: Die Chroniken der fränkischen Städte, Nürnberg, Bd. IV) und zu Heinrich Deichslers Chronik (ebenda, Bd. V) ist der Name des Rothenburger Werkmeisters Hanns Müllner bekannt, welchen der Nürnberger Rat im Jahre 1484 beim Bau der Barfüßer- (jetzt Museums-)Brücke 5) und 1489 beim Wiederaufbau des durch die Fahrlässigkeit des früheren Baumeisters von St Lorenz, Jakob Grymm, eingestürzten Schwibbogens beim Pegnitzausfluß um Rat und Mithilfe anging. Verfasser konnte dann nachweisen, daß Müllner auch vor An- bringung des bekannten Schreyergrabes am Ostchor der Sebalder Kirche um sein Gutachten angegangen wurde?) und kann heute noch eine weitere archivalische Notiz beibringen, nach welcher im Jahre 1493 nochmals sein Rat wegen desselben Schwibbogens beim Neuen Bau eingeholt wurdet).

So sind wir über die Beziehungen dieses Rothenburger Werkmeisters zu Nürnberg gut unterrichtet, dagegen ist die Frage, welche Bedeutung Müllner für Rothenburg selbst und die Baugeschichte seiner Kirchen und Kapellen zukommt, noch offen. Als archivalischer Beitrag zu einer solchen Untersuchung, welche sich insbesondere wohl mit Müllners et- waigen Beziehungen zum Bau des Westchors und der Türme von St. Jakob zu beschäftigen hätte, sei nachstehend sein am 12. November 1471

5) Vgl. Beilage I und II.

6) Vgl. Hampe, Nürnberger Ratsverlässe Uber Kunst und Künstler, Bd. I, Nr. 398,

7) Rep. f, Kunstw. Bd. 25: Einige neue Notizen über das Adam Kiaftsche Schreyer- grab, Anm, 13.

*) K. Kreisarchiv Nürnberg, Ms. 814. Einlaufverzeichnis des Nürnberger Rates vom 2. 30. Januar 1493: Hanns Müller, Kirchenmeyster zu Rotemburg, ein Brief vnd Ratslag, den Swynpogen (1) auff dem Newenpaw antreffend.

Es möge hier der direkt darunter befindliche, zwar mit unserer Arbeit nicht in Zusammenhang stehende, aber wegen der Persönlichkeit des hierbei genannten Meisters interessierende Eintrag wiedergegeben sein. Er lautet: Meister Heiiuich Kugler, Steyn- metz zu Nordling, ein furderbrief (d. h. Empfehlungsbrief) für Hannsen von Encking, den Zymmerman zu Nordling, bitende Ine hie zu der Stadt peuen zu bestellen.

Kleine Beiträge zur älteren Rothenburger Kunstgeschichte. i j

mit dem Rothenburger Rate abgeschlossener Vertrag9) über seinen Ein* tritt in städtische Dienste wiedergegeben:

Ich Hanns Mullner tue kunt offenlich mit disem briefe, das ich mich mit den fursichtigen, erbaren und weisen burgermaistere und rate der stat zue Rotemburg auff der Tauber, meinen lieben heren, von ge- mainer irer stat und auch Sant Jacobs kirchen mitsampt der anhangenden capeilen gebeue wegen zu irem werkmaister, dhweil und ich zu arbaiten vermag, bestellet und mich mit ine genzlich vertragen habe, inmaßen hernach geschrieben steet, also das ich mit hantgebenden treuen globt und daruff zu got und seinen hailigen gesworen habe, gemainer irer stat und des wirdigen gotzhaus sant Jacobs pfarkirchen daselbst mitsampt den angehorigen capeilen in allen dingen frummen zu furdern und schaden zu warnen nach meinem vermugen und besten verstentnus und darzue die nachvolgenden artikel zu halten getreulich und ungeverlich: item das ich mich weder inner- oder außerhalb irer stat gegen niemand versprechen oder ainche arbait besteen solle on iren oder zu dem min- sten mit der phlegere laub und vergünstigen on geverde, item ich soll auch niemand ainch taglone arbaiten oder von der arbait geen on be- sonder notturft, beue oder anders zu besichten, on der phlegere wissen und willen, es were dann, daß ire baumaistere mich gebrauchen wolten, den soll ich, wann ich von ine gefordert wurde, gehorsam und in allen Sachen, darumb sie mich fragen, getreulich geraten und hilflich sein on geverde. item ich solle den phlegeren und baumaistern nicht mere knecht an die arbait noch lereknechte anstellen oder ainchen Urlauben oder mit smeheworten belaidigen noch aus der hulten oder von der arbait jemand leihen, dann mit der phlegere oder baumaistere wissen und willen on geverde. item ich solle auch von den gebeuen, zu den man holz gebrauchte, dhain holz nemen, noch jemand stain, morter, kalk oder sant geben, dann mit wissen und willen der phlegere oder baumaistere, es wurde dann jemand in beuen benottet, den mag ich von kalk, morter oder sant einen kubel oder vier wol geben, ungeverlich. item ich mitsampt den knechten, die je zu Zeiten, als vorsteet, angestellt werden, sollen eins jeden tags ein gantzs taglone arbaiten und nicht ee abgeen, dann ein höre vor dem nachtausslahen, es were dann an einem veierabent mögen wir einer halben stund und an unserm badtag im sümer ein stünd und im winter ein halb stund ee abgeen ongeverde. item wir sollen auch mornens zu der frue- suppen ein halbe stunde und zu dem abendbrot, so man das im sumer phlicht zu essen, aber ein halbe stunde und zu mittag ein ganze stunde

9) K. Kreisarchiv Nürnberg, Urkunden der Reichsstadt Rothenburg. Tit. XXVIII, Jakobskirche, Nr. i.

12

Albert Gümbel:

und nicht mere haben on geverde. ' item dagegen gibt man mir alle jare, so ich mich arbaitens vermag, von sant Jacob zu voraus zehen reinischer guidein und alle tag, sumer und winter, so ich arbait, zu einem rechten taglone yierundzwainzig pfehnig irer statwerung on geverde. item von der zehen guidein wegen voraus solle ich ob allen gebeuen sein, den knechten und gesellen getreulich zusehen und anrichten, auch allen ge- zeugk mit vlei's uffheben und bewaren getreulich und ungeverlich. ' item mein vörgemelten liebe herren sollen mich uhd mein häusfrauen unge- verlich mit einer behausung fursehen, darinn wir mit aller ufflegung steur, Wachens, grabens uhd anderm gefreiet sein sollen ongeverde. item ob kunftiglich geschehe, das ich leibskrankhait halb unvermögend wurde, den gebeuen vorzustan oder, so ich mit tode abgangen bin und mein hausfraue alsdann unverendert an leibsnarung mangel hette oder gewenne, so sollen uns die vorgerumtem unser herrn nach unserm Verdienern mit einer pfrunde fursehen ongeverlich, es were dann, das ich obgenant Hanns Mullner mit so frevenlicher Verhandlung verwurkte, dadurch si mich nicht lenger haben und Urlauben wolten, das mögen sie tün. also- dann soll ich mich gein allen, die gemainer irer stat vorgemelt verwant, were die siht, mit den ich zu tun hette oder gewunne, umb was sache das were, an freuntlichem rechten vor den vörgemelten mein herren oder iren nachkommen und des reichs richter bei ine benugen lassen und das an dhain ander gerichte oder stete ziehen oder wenden, alles getreulich uhd ungeverlich. zu urkunde han ich mit vleis gebeten die vesten und erbarn Herolten vom Rein und Hansen Arensteiner genant Spoilein, mein lieben junkherrn ^°), das sie ire insigel, ine und allen iren one schaden, gehangen haben an disen briefe, des wir die itzo genanten siegler also geschehen bekennen, der geben ist auf dinstag nach sant Merteins tag etc 1471. (Original. Pergament. Mit zwei anhängenden Siegeln. Auf der Rückseite: Revers Hans Müllers Kirchenmaister sant Jacobs zu

Rothenburg.)

Beilage I.

Die Stadt Nürnberg bittet die Stadt Rothenburg ihr Meister Hanns Müllner zum Bau einer Brücke zu schicken. 1484, 10. Juli (Nürnberger Briefbücher Nr. 39, fol. 24“):

•°) Darnach stammte der Meister aus der Rothenburger Landschaft selbst, denn die hier als Siegler genannten Grundherren waren in der Umgebung ' der Stadt begütert und standen in vielen, bald freundlichen, bald feindlichen Beziehungen zu ihr. Eine Margaretha vom Rein stand seit 3. September 1494 an der Spitze des Erauenklosters in Rothenburg.

Kleine Beiträge zur älteren Rothenburger Kunstgeschichte.

13

Rottemburg aufF der Tawber.

Lieben freunde! wir sein in fürnemen ein prugken in unser stat über ein wasser pauen ze lassen und darzu rats der ding verstendiger leut nit unnotdurftig. nu wirt uns einer genant meister Hanns Müllner, bei euch wonende, als solicher gepeu vor andern verstendig verrümt, demnach wir mit besunderm fleiß freuntlich biten, eur Weisheit wolle demselben meister Hannsen vergennen und auch ine vermugen, sich furderlich her zu uns ze fügen, nns sein underrichtung und gutbedunken zu bemeltem fürnemen zu eröffenen und mitzetailen. das wollen wir umb euer w[eisheit] freuntlich verd[ienen] und gein im gütlich beschulden dat. sabbato post Kiliani 1484.

Beilage IL

Die Stadt Nürnberg dankt Rothenburg für die Entsendung Hanns Müllners. 1484, 15. Juli. (Ebenda, fol. 30“):

Rottemburg auff der Tawber.

iJeben freunde! eurs statmeisters Hannsen Müllners Zusendung, uns durch euch beschehen, haben wir zu sunderm danknemen gevallen von euer Weisheit verstanden und von demselben meister Hannsen zu unserm vorhabenden pau seinen ratschlag und underrichtung dermaß vernomen, das wir getrauen uns die zu solichem pau wol nützlich und ersprißlich sein werde, darumb, wo ir jemant der unsern zu einichem, eurem fürnemen und fug zu geprauchen vermeintet, sol euch des un- gezweifelt alle gepurliche willefarung beschehen, dann euer Weisheit dinst ünd freuntschaft zu beweisen, sein wir genaigt. datum ut supra. (= feria Va divisionis apostolorum 1484).

IV,

Meister Lorenz, Werkmeister der Stadt Rothenburg, Erbauer der Kirche zu Kirchberg (Württemberg) 1519

Im Jahre 1398 verkaufte Ulrich von Hohenlohe »von mechtiger schuld wegen « , wie es in der Urkunde heißt, » damit wir vnd vnser vorbenent Herschaffte von Hohenloch verfallen vnd begriffen warn« an die drei Städte Rothenburg, Schwäbisch^Hall und Dinkelsbühl Burg und Stadt Kirchberg an der Jagst nebst einer Reihe anderer Schlösser, Ämter und Güter um 18000 rheinische Goldgulden 164 Jahre, bis 1562, blieben die drei schwäbischen Reichsstädte im Besitze von Kircb-

“) K. Kreisarchiv Nürnberg, Abschrift in Kirchberget Akten, S. XXXIII **/3, Tomus I, Prod. 25. Diese Kirchberger Akten des k. Kreisarchives, im ganzen 24 Bände, dienten als Grundlage für unsere Darstellung.

14

Albert Gümbel:

berg, das erst im letztgenannten Jahre durch Kauf wieder an Graf Ludwig Casimir von Hohenlohe zurückkam.

Schon in der Urkunde von 1398 wird unter den an die drei Städte mit übergehenden Stücken die »cappellen ze Kirchperg« samt dem Patronatsrecht genannt; sie wird auch als die Kapelle im Schloß oder hinter der Veste bezeichnet. Sie mag sich wohl im Laufe der Zeit als zu klein erwiesen haben, um die Menge der Gläubigen zu fassen, oder ihre Lage mag den Wunsch nach einer Änderung hervor- gerufen haben, kurz, im Jahre 1518 beschlossen die drei Städte den Neubau einer Kirche im Städtchen Kirchberg selbst und erbaten zur Transferirung die Genehmigung des Bischofs von Würzburg, welche ihnen unter der Bedingung erteilt wurde, daß das Chörlein der alten Kapelle stehen bleiben solle Der »Kirchenmeister« von Schwäbisch- Hall wurde mit dem Entwurf zweier Visierungen beauftragt und der kleinere und weniger kostspielige Entwurf, wonach Kirche und Chörlein 64 Schuh lang sein sollen, zur Ausführung bestimmtes). Diese Aus- führung selbst wurde, wie wir dem unten wiedergegebenen Vertrags- entwurf entnehmen, Meister T.orenze4), Werkmeister der Stadt Rothenburg, übertragen oder verdingt. Das Konzept der Verdingsurkunde ist nicht datiert, der Abschluß muß aber in den April des Jahres 1519 fallen denn am 2. Mai des genannten Jahres schickten die drei zur Entgegen- nahme der jährlichen Abrechnung seitens des Kirchberger Vogtes daselbst versammelten Städteboten das Vertragskonzept nach Rothenburg mit dem Ersuchen, den Meister Lorenz anzuhalten, die ausgefertigte und mit zwei Siegeln versehene Urkunde ihnen wieder zukommen zu lassen* *5). Daß der Meister in der Tat mit der Ausführung des Baues beauftragt wurde, ersehen wir aus einigen Notizen unserer Kirchberger Akten, in welchen von Differenzen mit ihm in dieser Hinsicht die Rede ist^^).

Von dieser 1519 erbauten Kirche ist heute nichts mehr vorhanden, sie mußte schon 1620 einem Neubau weichen ’'7).

Nachstehend sei nun das Vertragskonzept**) wiedergegeben; es ist baugeschichtlich nicht ohne Interesse, da es an einem Beispiel zeigt,

**) A. a. O. Tomus VII, Prod. 24.

*3) Prod. 26 und 30.

M) Den Familiennamen vermochte ich bisher nicht festzustellen.

*5) Prod. 78.

>6) Prod. 85.

*7) Vgl. Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Jagst- kreis, Seite 263.

•*) Kirchberger Akten, Tomus I, Product 193. Das irrtümlich auf der Rückseite mit 1450 bezeichnete Aktenstück wurde fälschlich in den, die älteren Kirchberger Ur- kunden und Akten umfassenden Tomus I eingeheftet.

Kleine Beiträge zur älteren Rothenburger RunstgeschicRte.

15

■wie die Tätigkeit des » Architekten « , d. h. des Kirchenmeisters von Schwäbisch-Hall, sich scharf gegen die handwerksmäßige des ausführenden Werkmeisters abgrenzt.

Ich Lorentz . . der stat Rotenburg vff der Tauber steinmetzwerkman, beken offenlich und tue kund allermenicklich mit disem brief, das ich mit den fursichtigen, ersamen und weisen hern, burgermeister und reten der stett Rotenburg vff der Tauber, Schwebischen Hall und Dinckelspuel irs furgenomen kirchbaus halben zu Kirchberg Übereinkommen bin, mich mit inen vereint und, wie nachvolgt, solchen bau zu machen und vol- furen verpflicht hab, verpflicht und verbind mich und meine erben in und mit kraft dits briefs, nemlich also, das ich sol und will inen solch iren kirchenbau, nemlich ein langwerk mit eim turnlin, chor und sacristey, alles von stein und gutem maurwerk, wie sich die notdurft erheischt und zu solchem bau gebürt, zu Kirchberg im stetlin an das ende, da [man] mir anzaigt, mit meiner kunst, arbeit und aller hand- reichung in und uff mein und on iren oder der iren costen volfuren, tun und, inmaßen nachvolgt, volenden, auch meurer, haridreicher und was person ich darzu bedarf, selbs belonen und zum selben meurer und handreicher, im flecken Kirchberg gesessen, vor andern anrichten und sollen die genanten herren nur allein den zeug, stein, kalk, sant, wasser und was materi ich dorzu nodturftig uff die hofstatt schaffen.

Zum ersten sol ich dann langwerk machen, inwendig hol 33 schuch lang bis an fronbogen und 38 schuch weit hole mit zwaien thuren gegen einander und vir venstern, uff jeder seiten zwei, und sollen die seiten- meur 28 schuh hoch sein.

Zum andern sol ich ein turnlin machen und uff den gibel am lang- werk in ein sechs ort 5 schuch weit hole mit vir venstern und einem selbs steinin tach mit tachsimpßen, wie sich g6burt und die notdurft erfordert.

Zum dritten sol ich machen vornen an das langwerk, wie sich ge- zimpt, ein chorlin 24 schuch lang inwendig hole, 22 schuh weit hole, 34 schuh hoch und dorein die gemeinen reyhung zir an gewelb mit 13 schloßsteinen und fünf fenstern.

Und an das chorlin eine sacristey inwendig in die virung lo schuh weit hole mit einem creuzgewelb oder taschen reyhung und 2 fenstern auch einer thur und dasselbig, das es sich in des chors dachung zihe, und die zwen halben gibel der sacristey hinan an das chorlin furen.

Item soll auch dorein drei altar, einen im chor und uff jede seyten in die ecke, als man zum chor herauß get, einen vergrünten, stellen und machen.

Und sollen thur, fenster, ortstein, schreck und tachsimpß auch pfeiler, tach und dergleichen alles von steinwerk gehauen, die fenster mit

j 5 Albert Gümbel :

hole kelen und jedes sein werklich und, wie sich gebürt und ^irript. des und des ganzen baus sol und wil ich sie vor verstendigen werkiehten weren und so sie gewert sein, alsdann haben mir obgenante rheine herren zu dem, das sie mir, wie obstet allen zeug uff die hofstatt schaffen sollen, auch für mein costen, mue, arbeit und alles obgeschriben geredt und versprochen zu geben 230 gülden an muntz, darzu behausung und beholzung im stetlin zu Kirchberg, dweil der bau wert, domit so! und wil ich für das alles ganz genugig entricht und bezalt seih und ich oder mein erben auch nieman von unsern wegen sie, ir nachkommen und^ nieman weiter des baus halben umb keinerlei gab, schenk, ergetzung, hilf oder steur ansuchen, mich auch nit beklagen, das ich mich uberstariden oder einichen nachteil oder schaden leiden oder einbußen muße, dan sie solchs nit leiden, auch mir, mein erben, meiner hausfrauen oder jeman von des bestands oder einicher sach wegen doruß fließen[d] nicht mer schuldig sein weder gelten noch einich schenk, ergetzung oder Weiter- gabe geben sollen noch wollen in kein weiß, das haben sie mit näm- lichen Worten mir an- und ausgedingt und damit mergenante mein herren des alles sicher, nemlich das ich den pau also, wie obstet, ausfuren sol und woll, und ob ich verfur, das es on iren costen und schaden, ich auch,, so an dem pau icht (= irgend etwas), unwerklich oder anders, dan sein sol oder notdurft erheischt, durch sie selbs oder ire verordenten baumeister oder die werkleut funden und erkant wurde, das ich oder meine erben solch alles und jedes uff unsern costen und schaden endern, wenden und machen sollen, doran sie genügig. das auch ich mein erben oder nieman von unsern wegen sie oder ire nachkommen weiter, dan obstet, nimmer anlangen, umb einiche gab bitten oder ansinnen sollen, hon ich inen zu rechten bürgen und selbspflichtigen gesetzt NN und N, also ob inen an obgeschriben geding oder einig hierin begriffen piincten mangel an mir oder mein erben sein, ich oder mein erben dem nit nachkomen, mangel ließen oder inen weiter schad daraus wüchse oder von uns eingefurt wurden, das die gemelten bürgen und ire . erben sie solchs erstaten und entheben, sie die herren sich des alles an inen er- holen und ir hab und guter darumb mit oder one recht angreifen, noten und pfenden sollen imer als lang, vil und gnug, bis inen solcher schaden und alles des, daran sie laut diser Verschreibung mangel und gebrechen hetten, volkummenlich ganz und genzlich on allen iren costen und schaden enthebt, vergnügt und allenthalben schadlos und unclagbar ge- macht sein.

Und wir itzgenanten NN und N, bürgen und selbspflichtigen, be- bekennen auch hieinnen der burgschaft und alles des, so von uns an disen brief geschriben stet, gereden und versprechen auch hiemit bei

Kleine Beiträge zur älteren Rothenburger Kunstgeschichte. i-j

waren und guten treuen also bürgen und selbstpflichtigen zu sein, dem allem getreulich nachzukommen, davor noch wider das alles sol noch mag uns nicht friden, schützen schirmen noch bedecken keinerlei frei- heiten, rechten oder gnaden, dan wir uns für uns, alle unsere erben hie- rinn aller freiheiten, rechten und gnaden und sunderlich der rechten, bürgen zu gut gesetzt, auch der recht, die gemeinen verzige nichtigen, es gee dan ein sonderung mit ernennung der tail vor, gar und genzlich verzigen und begeben haben, verzeihen und begeben uns auch des alles und jedes wißenlich und mit craft ditz briefs. des alles zu warer urkund hab ich gedachter Lorentz . . . auch wir itzgenanten geburgen und selb- pflichtigen mit fleis erbeten die . . .

zwen sollen sigeln.

Repertorium Air Kunstwissenschaft, XXXI.

2

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz

mariae«.

Ein Beitrag zur Kenntnis des Holzschnittes der Dürerschule.

Von Dr. Hans Vollmer.

Zu derselben Stunde als Dürer seinen Marienlebenzyklus schuf, wurde 1505 in Nürnberg Dr. Ulrich Binders »Beschlosssen gart des rosenkranz mariae« gedruckt, ein in zwei starken Bänden und elf Büchern vorliegendes Werk, dessen reicher Holzschnittschatz mit zu den be- deutendsten Erzeugnissen dieser Glanzperiode der deutschen Buch- illustration gehört. Mit zahlreichen, wenn auch vielfach sich wieder- holenden anonymen Holsschnitten vOn verschiedenen Händen ausgestattet, repräsentiert der »Rosenkranz« eine der wichtigsten Urkunden für die Kenntnis des Holzschnittes der frühen Dürerschule.

Wie das Studium der älteren deutschen Buchillustration ja über- haupt noch erst in seinen Anfängen steckt, so haben auch die Illustrationen des »Rosenkranz« die ihnen gebührende Würdigung bisher nicht ge- funden. Wo das Werk erwähnt wird, geschieht das nur oberflächlich und in größerem Zusammenhang; RiefiFel war es, der in einem Aufsatz des Repertoriums (Jahrg. XV, p. 292) zuerst den Versuch einer Be- stimmung der einzelnen an ihm beschäftigt gewesenen Hände unternahm. Schon vor ihm hatte Muther in seinem grundlegenden Werk über die deutsche Bücherillustration , der Gotik und Frührenaissance erkannt, daß der Hauptanteil an den Illustrationen des »Rosenkranz« Schäuflfelein gehöre. Merkwürdigerweise ging Muther bei dieser richtigen Entdeckung von einem Blatte aus, das evidenterweise gerade nicht von Schäuffelein herrührt, sondern, wie Wilhelm Schmidt (Repertorium 1896, XIX, p. 118) zuerst erkannte, nur auf Hans Baidung Grien zurückgeführt werden kann ; es ist fol. 229 R. des zweiten Bandes; wir werden später darauf zurück - kommen. Infolge dieses unrichtigen Ausgangspunktes ist etwa die Hälfte der Mutherschen Zuweisungen an Schäuffelein falsch; aber auch unter der anderen Hälfte sind wenige für diesen Meister charakteristische Blätter ausgewählt. Von den über 200 Schnitten, welche die Signatur Schäuffeleins sozusagen an der Stirn geschrieben tragen, zitiert M. nur

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

2, SO daß eine Übersicht über seine Attributionen ein stark getrübtes Bild ergibt. Für die Masse der übrigen Schnitte des Rosenkranz, die nicht SchäuflFeleins Eigentum sind, schlägt Muther keine weiteren Namen vor. Vielleicht aber hat seine- vorbehaltliche Zuweisung der vier großen Judithdarstellungen des zweiten Bandes an keinen Geringeren als Dürer dazu beigetragen, das Interesse der Forscher auf den »Rosenkranz« hinge- lenkt zu haben und damit die Ursache zu Rieffels wertvollen Mitteilungen geworden zu sein, die zuerst eine im allgemeinen durchaus zu Recht bestehen bleibende Trennung der einzelnen Hände, wenn auch nur in großen Zügen durchgeführt, brachten. Rieffel erkannte unter der Gesamt- heit der Holzschnitte in der Hauptsache das Werk dreier verschiedener Meister: Schäuffeleins, Baidungs und Kulmbachs; die Judithbilder beließ er nach dem Voraufgang Muthers Dürer. Die im »Rosenkranz« ent- haltenen Holzschnitte einer älteren Zeit ließ er bei seinen Untersuchungen unberücksichtigt. Rieffels Attributionen erfuhren in einzelnen Punkten eine berichtigende Kritik durch Wilhelm Schmidt, der vor allem den Namen Dürers, ausgeschaltet wissen wollte und die betreffenden vier Blätter dem Hans von Kulmbach zuerteilte, nachdem bereits Modern (Jahrbuch der Kunstsammlg. des Allerh. Kaiserh. XVII p. 355) hier den Namen Dürers abgelehnt und an seine Stelle den Schäuffeleins gesetzt hatte. Wichtiger aber war, daß Schmidt durch seine Bestimmung von Fol. 229 R. des zM'^eiten Bandes, das von Muther und Rieffel irrtümlicherweise Schäuffelein zuerteilt worden war, auf Bai düng einen festen Ausgangs- punkt für die Bestimmung dieses Meisters schuf. Immerhin waren die Blätter, die Rieffel als Baldungschen Anteil herausgegriffen hatte, in der Hauptsache richtig gewählt, namentlich erkannte er zuerst die schlagenden Übereinstimmungen zwischen der blattgroßen Kreuzigung fol. 201 R. des ersten Bandes und dem 1512 datierten Berliner Kreuzigungsgemälde Baidungs. Dagegen irrte Rieffel bei seinen Attributionen an Kulmbach, dessen Anteil er mit dem Baidungs vermengte, mit Ausnahme des einen richtig von ihm als Hans Süß erkannten dreiteiligen Titelblattes zum ersten Band. Die übrigen von ihm dem Kulmbach gegebenen Schnitte sind Baldung’s Eigentum, wie schon Wilh. Schmidt in bezug auf mehrere Blätter, wenn- gleich ohne Angabe näherer Gründe, feststellte. Mit Rieffels Zuweisungen an Schäuffelein endlich, die auch Schmidt in keinem Punkt beanstandete, wird man sich bis auf das erwähnte fol. 229 R. Bd. II, das Baidung gehört, ohne Ausnahme einverstanden erklären müssen.

Damit wäre in Kürze der Stand der heutigen Forschung über die Illustratoren des »Rosenkranz« bezeichnet. Was darüber publiziert ist, trägt fragmentarischen Charakter, schon weil man immer nur einiges Wenige aus der Gesamtheit der Holzschnitte willkürlich, .systemlos zur

20

Hans Vollmer:

Besprechung herausgegriffen hat. Und doch handelt es sich hier um Fragen recht bedeutender Art; eine zweifelfreie Bestimmung einer Reihe anonymer Holzschnitte auf Namen wie Baidung und Schäuffelejn bleibt immer eine Sache von Belang, hier aber gewinnt das Resultat noch an Interesse, als wir damit Aufschlüsse über die Erstlingsarbeiten beider Meister auf xylographischem Gebiet erhalten; galt doch bisher für das erste von Schäuffeleins Hand illustrierte Buch Binders 1507 in Nürnberg erschienenes »Speculum passionis«, als Baidungs Erstlingswerk die Sechs relativ unbedeutenden, unter starker Anlehnung an Burgkmair gezeichneten Holzschnitte für Geilers 1510 gedrucktes »Buch Granatapfel«. Von Kulmbachs Tätigkeit für den Holzschnitt aber wußte man bisher so gut wie nichts, im »Rosenkranz« haben wir jedenfalls ein Blatt, das ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden kann und den geeigneten Ausgangspunkt für weitere Forschungen auf diesem Gebiete zu bilden berufen ist, Anlaß genug für die folgenden Unter- suchungen, die zum erstenmal eine Sichtung des gesamten Illustrations- matierals des »Rosenkranz« nach stilkritischen Gesichtspunkten syste- matisch durchzuführen versuchen.

Schon ein flüchtiger Überblick über die Illustrationen des »Rosen- kranz« läßt erkennen, daß hier nicht nur verschiedene Hände, sondern auch Meister aus ganz verschiedenen Zeiten tätig waren. Neben flüssigen, mit allen Mitteln der vorgeschrittenen Dürerschen Technik arbeitenden Blättern stehen altertümlich anmutende primitive Kontur- schnitte, die fast auf jede Schraffierung verzichten. Eine stilkritische Untersuchung ergibt, daß die Hauptmasse dieser älteren Blätter von ein und derselben Hand stammt, einem primitiven aber stilsicheren Meister, dessen Anteil sich leicht herausschälen läßt, sobald man einmal seine Eigenart erkannt hat. Fast reine Umrißschnitte, zeichnen sich seine Blätter, ganz allgemein gesagt, durch eine sehr helle Haltung aus, die Zeichnung des Figürlichen ist unbeholfen die Menschen stehen bei ihm selten recht auf festen Füßen die Komposition altertümlich, flächenhaft, orientiert; die Tiefendimension wird ersetzt durch eine Übereinanderschichtung der Dinge auf der Fläche. (Besonders charak- teristisch z. B. auf fol. 168 R. Bd. II, einer Martyriumsszene, wo der Pfeilschütze dem im Vord.ergrund am Feuer beschäftigten Manne direkt auf dem Kopfe zu stehen scheint.) Die stilistische Behandlung dieser Blätter ist eine überaus charakteristische, daher sich durch eine allein nach stilkritischem Gesichtspunkt verfahrende Untersuchung ohne Schwierig- keiten der diesem Anonymus gehörende Anteil umgrenzen läßt. Zunächst die Behandlung des Vegetabilischen; man betrachte Blätter wie die

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

2 I

Kreuzigung fol. 93 Buch I oder den Schmerzensmann fol. 164 R. Buch IX (s. Abb. i). Eine weite Hügellandschaft, deren lebhafte Terrainbewegungen durch schematisch wiederholte, fischblasenartig ge- schweifte Linienformationen bestritten werden, die in haarscharfen Winkeln auslaufen und mit bescheidenen Überschneidungen übereinander an- geordnet sind; Schraffierungen finden sich nur im Vordergrund angewendet für Bezeichnung von Rasenflächen oder Bodenerhebungen (der dreieckige Ausschnitt in einer der beiden unteren Ecken des Blattes stereotyp sich wiederholend) , während Mittel- und Hintergrund nur in Umrißlinien ge- geben sind. Häufig schwe- ben diese Bergzüge der Ferne vollständig in der Luft (wie z. B. auf fol. 5 Buch VI), von einer sukzessiven Entwicklung der Gründe kann man nirgends sprechen. Schon an diesen von Zick-Zack- linien durchfurchten Land- schaften ist unser Ano- nymus sofort wiederzuer- kennen. Neben diesem von ihm stark bevorzug- ten bewegten Landschafts- bilde kommt vereinzelt auch die ruhig durch- gezogen^ Horizontlinie vor, die dann durch einige grobe, ihr parallel geführte Strichlagen begleitet wird (z. B. fol. 168 R. Buch IX). In ähnlich spitzigen Liniaturen sind die Wolkenzüge gezeichnet: knäuelartig in- einander gedrehte, kleinlich und trocken gezeichnete Bänder, die aus einigen spiralförmig ineinander gewundenen parallelen Linienzügen be- stehen, die häufig in langgestreckte spitze Dreiecke ganz analog den Formen der Terrainwellen auslaufen. (Vgl. z. B. den von rechts sich in das Bild hineinschiebenden Wolkenzug auf Abb. i, fol. 9 Buch I usw.) Der Baumschlag wird mit annähernd konvergierend verlaufenden Schraffierungen bestritten; die Behandlung des Laubes ist eine summarische, von dem Versuch, botanische Bestimmbarkeit anzustreben.

Abb. I. Schmerzensmann. Unbekannter Meister. »Beschlossen Gart« Fol. 164R. Buch IX.

Hans Vollmer:

2 2

ist keine Rede; in der Ferne ragt häufig ein schwarzer entlaubter Stamm über das niedere Buschwerk heraus (fol. 123 Buch VIII, fol. 139 Buch VIII). Nur wenn etwa ein Baum einmal in den Vordergrund rückt, tritt wohl auch eine subtilere Behandlung der Laubmassen und des Stammes ein, wie auf fol. 133 Buch VIII, wo dann jedes Blättchen sauber aus- gezeichnet wird, oder auf fol. 168 R. Buch IX, wo ein hohler Stamm mit liebevollem Eingehen auf die Einzelform behandelt ist.

In seinen Interieurdarstellungen ist unser Anonymus an der hellen Haltung seiner Blätter, der damit zusammenhängenden abbre- viatorischen Behandlungsweise des Raumes und an der Art seiner Figurenzeichnung leicht wiederzuerkennen; seine Innenräume entbehren jeglicher Schraffierung der Wände oder des Fußbodens, ebenso ist von einer Bedachung kaum je etwas zu sehen. Weiße, in einer stark betonten Naht aneinander stoßende Flächen sind die abgekürzte Form für einen Innenraum; der einzige Schmuck der kahlen Wände ist ein Fenster mit hohem Rundbogenabschluß oder von langgestreckter Rechtecksform, durch Säulchen in mehrere Felder zerlegt, bisweilen mit bescheidenem Ausblick auf die Landschaft (fol. 301a R. Buch V, fol. 173 Buch III, fol. 165 Buch III, fol. 95 R. Buch II, fol. 223 Buch IV usw.). Ebenso primitiv ist die Zeichnung des figürlichen Teiles; der nackte Körper wird ganz summarisch behandelt, übertriebene Andeutung des Brustkorbansatzes und der Bauchhöhle wiederholt sich schematisch (fol. 164 R. Buch IX Abb. i, fol. 93 Buch I). Auch hier im wesentlichen Beschränkung auf Umriß- zeichnung.; für bekleidete Figuren wird zur Angabe der Draperie ein bescheidenes Maß von Schraffur in Anspruch genommen (fol. 123 Buch VIII, fol. 9, 1 1 Buch I usw.).

Dazu kommen kleine Äußerlichkeiten, die gleichwohl charakteristische Merkmale in sich schließen, wie z. B. die Bildung der Heiligenscheine; Christus ist fast durchgehend mit der altertümlichen Strahlenglorie, in der die drei Lilien stehen, ausgestattet; erscheint er als Halbfigur oder in der von unserem Anonymus bevorzugten fragmentarischen Form als bloßer Kopf (fol. 16 1 R. Buch III, fol. 210 R. Buch IV), so umgeben sein Haupt symmetrisch drei Bündel von je drei Strahlen oder Lilien (fol. 257 Buch IV). Vereinzelt kommt auch der weiße Rundteller als Heiligenschein vor (fol. 223 Buch IV, fol. 223 VIII), nie aber die Schäuffeleinsche Strahlensonne.

In die Nachbarschaft von Namen wie Baidung gesetzt, fordern die Holzschnitte dieses Anonymus um so stärker zur Kritik heraus; sie deuten auf einen mangelhaften Zeichner und phantasiearmen Erfinder, der wenig originelle Bildeinfälle hat und sich oftmals wiederholt; über das Thema des knienden Beters gibt es eine Reihe so ähnlich komponierter Blätter

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

23

von ihm, daß man bei flüchtigem Hinsehen meint, es handle sich über- haupt um dieselbe Konzeption (fol. 161 R. Buch III, fol. 21 1 Buch IV, fol. 227 R. Buch IV, fol. 239 b R. Buch IV usw.); die Szene des Arztes am Bett des Kranken fol. 246 R. Buch IV ist genau so angeordnet wie die letzte Kommunikation fol. 230 R. Buch XI und derartige Wiederholungen mehr.

Alle diese soeben aufgezählten Stilmerkmale kehren gleichmäßig auf einer langen Reihe von Holzschnitten des »Rosenkranz« wieder, deren Übereinstimmung untereinander eine so große ist, daß kein Zweifel darüber sein kann, daß der gesamte Komplex dieser älteren Blätter ein und derselben Hand angehört. Es sind das diejenigen Schnitte, die Muther im Auge hatte, als er gegenüber den »modernen« Blättern von »Bestandteilen einer früheren Zeit« sprach, ohne daß er sich näher hier- über ausgelassen hätte, ebensowenig wie einer der anderen der genannten P'orscher diese Blätter in den Kreis seiner Betrachtung gezogen hat.

Wir geben jetzt die vollständige Liste der diesem Anonymus an- gehörenden Illustrationen, wobei wir nur die meist sehr schlecht ge- schnittenen 35x42 mm kleinen Holzschnitte unberücksichtigt lassen, die in großer Anzahl auf ihn zurückgehen. Die übrigen Blätter haben fast durchgehends die ungefähren Maße 48 x 64 mm; wo ein größeres Format vorliegt, ist dies in unserer Liste besonders angegeben.

Buch I. P'ol. 9. Petrus mit der Madonna.

Fol. II. Madonna mit dem Anbeter.

Fol. 69. Das Flußbild.

Fol. 87. Christus imber.

Fol. 93. (72 X92 mm). Kreuzigung.

Repliken: P'ol. 14 R, 16 und 86 R.

Ob einige von den 12 Sternbildern (Fol. 59 bis 62) dem Anonymus gehören, läßt sich nicht sicher entscheiden. Es tragen im allgemeinen sein Gepräge:

Fol. 59 60a und b, 60 Ra und b, 61a und b,

doch bleibt die Art der Figurenzeichnung auf diesen Blättern, außer auf Fol. 61 b, eine von der unseres Meisters einigermaßen abweichende. Buch II. Fol. 95 R. Die beiden Zecher.

Buch III. Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Repliken:

1 6 1 a. König David, Harfe spielend.

16 iR. Der sich geißelnde König. i63Rb. Der Eremit.

164R. Der Harfenspieler im Gemach.

165. Der harfenspielende König.

Fol. 166 Ra, 168 R, 173, 176, 187, 198a,

199.

24

Hans Vollmer:

Buch IV. Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Fol.

Repliken:

2ioR. Von den sieben Spiegeln.

2 II. Der nackte Anbeter Christi.

2 I I R.

2 12.

215 R (160x250 mm). Die neun Engelschöre. 219R (72 X 92 mm). Der Engel Trost.

223. Von der Anschauung Gottes.

224 Ra. Jesus die Wahrheit.

227 R. Der Anbeter.

232 R. Gott Vater mit dem Kruzifix.

241 R.

245 Ra. Der Anbeter.

246 R. Der Arzt und der Kranke.

Fol. 202 Ra, 239 Rb, 254 R und 257.

Buch V. Fol. 287 R. Die beiden Leser.

Fol. 297 a. Die beiden Kaufleute.

Fol. 298 (72 X 92 mm). Petri wunderbarer Fischzug.

Fol. 301 Ra. Das tanzende Paar.

Repliken: Fol. 258a, 269.

Buch VI. Titelblatt (120 x 160 mm). Drei Teufel, die Gemeinde der Gläubigen verspottend.

Fol. 5. Gabriel im Gespräch mit dem Herrn.

Fol. 50 (72 X 92 mm). Der Teufel versucht Judas.

Das Titelblatt fällt für den ersten Anblick etwas aus dem Rahmen der übrigen Blätter heraus, aber schon ein Vergleich mit Fol. 5 und Fol. 50 dieses Buches beweist die Autorschaft des Anonymus; Draperie und Flugbewegung des Engels gleichen vollkommen der Gabriels auf Fol. 5, die Zeichnung der Teufel mit den phantastisch ge- zackten Flügeln kehrt auf Fol. 50 wieder.

Buch VII. Fol. 84 R. Die Himmelfahrt der heiligen Magdalena.

Fol. 88 a. Der Hinanstieg zu Christo.

Fol. 96 (72 X 92 mm). Der Kruzifixus.

Repliken: Fol. 68 R, 72 und 97.

Buch VIII. Fol. 123 (72 X.92 mm). Christus, Martha und Maria segnend. Fol. 123 R. Der Mann auf dem Bergesgipfel.

Fol. 124. Das Meeresbild.

Fol. 124 R. Der betende Hieronymus.

Fol. 125. Christus und der Bischof.

Fol. 126 R. Der adorierende König.

Fol. 132. Der Holzhacker.

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

25

Fo]. 133. Die Fuchs und Katze jagenden Hunde.

Fol. 133 Rb. Der Hund und der Affe.

Fol. 138. Die zwei das Götzenbild adorierehden Frauen.

Repliken: Fol. 126, 128 R, 133 Ra, 139, 139 R und 143.

Buch IX. Fol. 160 R. Die beiden Gelehrten.

Fol. 164 R (72x92 mm). Der Schmerzensmann.

Fol. 168 R (72x92 mm). Das Martyrium eines Heiligen.

Replik: Fol. i66 R.

Buch X. Fol. 216. Der Mann vor dem versperrten Hause.

Replik: Fol. 226 R.

Buch XI. Fol. 230 R. Die letzte Kommunikation.

Fol. 241 R. Der nackte, im Feuer kniende Beter.

Fol. 254. Christus nach dem Abendmahl.

Fol. 276. Rb. Die zwei Männer vor dem Hause.

Fol. 279 R. Das Opfer Abrahams.

Repliken: Fol. 261 und 296.

Somit entfällt auf diesen Unbekannten, die Repliken abgerechnet, ein Anteil von mindestens 54 Holzschnitten. Außer diesem Komplex enthält der »Rosenkranz« unter seinen älteren Bestandteilen noch ein Blatt, das vielleicht etwas früheren Datums ist, aber jedenfalls einer anderen Hand angehört. Es ist das Prachtstück einer riesengroß zwischen zwei Rosenkranzbetern thronenden Madonna im Rosenhag, Fol. 94 R Bd. I, als Titelblatt zum zweiten Buch benutzt, ein mit außerordentlicher Subtilität gezeichnetes Blatt von strenger Schönheit und ausgesprochen dekorativem Charakter, in Stil und Qualität stark von den Schnitten des Anonymus differierend. Auch hier zwar im wesentlichen bloße Umriß- zeichnung, aber welche Beherrschung des Figürlichen gegenüber den steifen Gliederpuppen dort! Mit allem Archaismus des Stiles verbindet dieser Meister eine merkwürdige Großartigkeit der Zeichnung, die zusammengeht mit einer Idealität der Typen, die Erinnerungen an die zarten Madonnengestalten eines Meister Berthold wachruft (überaus reiz- voll z. B. die Bewegung des Kindes). Wenn das Blatt auch andererseits wieder gewisser Beziehungen zu den Blättern des Anonymus nicht ent- behrt, so sind die Qualitätsdifferenzen doch zu bedeutend, als daß sie sich durch die Geschicklichkeit eines Formschneiders oder den größeren Maßstab des Blattes erklären ließen.

Wer ist nun der unbekannte Zeichner dieser 54 Holzschnitte des »Rosenkranz«? Als ich die ältere Nürnberger Buchillustration daraufhin prüfte, ob sich etwa an irgendeiner Stelle Blätter fänden, die mit diesen

26

Hans Vollmer:

anonymen Rosenkranzschnitten stilistische Übereinstimmungen aufwiesen, fiel mir eine auf den ersten Blick überzeugende Stilverwandtschaft mit einigen der illuminierten Schnitte der 1488 bei Anton Koburger zu Nürnberg gedruckten »Legenda aurea« auf. Man vergleiche den wunder- baren Fischzug Petri im »Rosenkranz« (Fol. 298 Buch V) mit dem analogen Blatt der »Legenda« (Fol. 55). Die Szene ist, soweit die Format- unterschiede das zuließen^ in ganz ähnlicher Weise komponiert, im »Rosen- kranz« nur reduziert in der Figurenzahl, dem kleineren Format entsprechend, und im Gegensinne wiederholt; vor allem aber sind durchschlagend die Übereinstimmungen in der stilistischen Behandlung: dieselbe charakte- ristische Stilisierung der Landschaft mit ihren Bergzügen im Hintergründe durch jene uns von dem Anonymus her bekannten fischblasenartigen Formationen, dieselbe etwas zaghaft unentschiedene Stilisierung des Wassers, Beziehungen genug, um wohl ohne Zögern für beide Schnitte denselben Vorzeichner annehmen zu dürfen.

Führt man diese Vergleiche weiter, so bemerkt man, wie die Be- ziehungen sich häufen. Man vergleiche Fol. 84 R des siebenten Buches des »Rosenkranz« mit der rechten Hälfte von Fol. 72 der »Legenda«; der Vorwurf ist beidemal eine Auffahrt der heiligen Magdalena. Die- selbe summarische Modellierung des nackten Frauenkörpers mit Überein- stimmungen bis in Details hinein (Modellierung der Kniescheibe, des Bauchansatzes usw.); die Heilige präsentiert sich beidemal in genau gleicher Ansicht und schwebt auf beiden Blättern aus einer Art Erd- spalte heraus.

Wenn man sonst den bewegten Zickzacklandschaften des »Rosen- kranz« in der »Legenda« nicht begegnet, so ist nicht zu vergessen, daß auch ein Hauptblatt unseres Anonymus im »Rosenkranz« ein wesentlich anders behandeltes Landschaftsbild zeigt (Fol. 168 R Buch IX), und eben dieses findet sich auf zahlreichen Schnitten der »Legenda« wieder (z. B. Fol. 200: Martyrium des heiligen Qüintinus). Dazu kommen Übereinstimmungen in den Typen; so wiederholt sich die links stehende Frau Fol. 123 Buch VIII des »Rosenkranz« mit gleicher Kopftracht und Frisur in der knienden linken Randfigur Fol. 12 1 R der »Legenda«. Man vergleiche die analoge Modellierung des Nackten Fol. 164 R Buch IX des »Rosen- kranz« und Fol. 27 R der »Legenda«. (Die Begrenzungslinien des Brust- korbes nach oben und unten, gleiche Schlingung des Schamtuches durch die Schenkel hindurch.) Das gespreizte Stehmotiv des Christus des Rosen- kranzblattes ist hier der von einem Vordermann überschnittenen rechten Randfigur gegeben. Oder man vergleiche etwa die Stilisierung des Wolkenzuges auf diesem Blatt des »Rosenkranz« mit der ganz analogen auf Fol. 6 R der »Legenda«.

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

27

Muther hatte die Vermutung ausgesprochen, daß die Illustrationen der »Legenda« wahrscheinlich nicht in Nürnberg, sondern in Köln ent- standen seien, da sie eine große Ähnlichkeit mit denen der be- rühmten, um 1480 bei Heinrich Quentel erschienenen Kölnischen Bibel hätten.

Über den Ursprung der Illustrationen dieser Kölnischen Bibel herrschen bekanntlich die größten Meinungsverschiedenheiten; während die einen (Muther) sie für kölnisch halten, vermuten die anderen in ihnen nürnbergischen Ursprung, wozu den Anlaß die Tatsache gegeben hat, daß die Holzschnitte der Bibel in der 1483 von Koburger in Nürnberg gedruckten deutschen Bibel wieder verwendet worden sind; ja man hielt sogar einen Autornamen, den Michael Wohlgemuts, für sie bereit.

So überzeugend mir nun aber die stilistischen Beziehungen zwischen den Illustrationen des »Rosenkrtmz« und der »Legenda« erscheinen, so v.'enig kann ich eine Stil Verwandtschaft zwischen den Schnitten dieser beiden Bücher einerseits und denen der Kölner Bibel andererseits ent- decken. Die Stilisierung des Wassers und der vegetabilischen Teile hier ist eine durchaus verschiedene von der in der »Legenda« und »Rosen- kranz« geübten. Man vergleiche zwei Blätter, wie den Fischzug Petri (»Rosenkranz» Fol. 298 Buch V) und den Traum Jakobs (Fol. 18 der Nürnberger Bibel) auf ihre Stilisierung des Wassers hin; dort zaghaft hin- gesetzte, dünne, horizontale Strichelung, durch weiße Flächen unter- brochen und hier und da willkürlich durch Kurven abgelöst, hier ein in gleichmäßigem Strich und Stärke konsequent durchgeführtes System von in schlangenartigen Windungen verlaufenden Parallelzügen, das sich nach dem Hintergründe zu ersetzt durch schematisch übereinander ge- schichtete, sich z. T. verdeckende, durch Parallelen bestrittene halbrunde Linienformationen. Unmöglich können solche fundamentalen Differenzen in der stilistischen Behandlung auf Rechnung des Formschneiders gesetzt werden. Und ebenso stark unterscheidet sich die Behandlung des Vege- tabilischen und schließlich auch die des Figürlichen; z. B. kommen die für die Bibelbilder so charakteristischen immer und immer wiederholten, reinlich ausgezeichneten Lorbeerbäume weder in der «Legenda« noch im »Rosenkranz« an irgendeiner Stelle vor.

Wie dem aber auch sei; fest steht, daß unser Anonymus des »Rosenkranz« identisch ist mit dem leider ebenso unbekannten Verfasser der meisten Illustrationen der »Legenda« (Auch hier sind wohl mindestens zwei Hände zu unterscheiden.) Es ist ein Zeitraum von 17 Jahren, der die Herausgabe beider Bücher trennt; sicher aber ist, daß diese frag- lichen Schnitte des »Rosenkranz« ihrer Entstehungszeit nach nicht all- zuweit liegen von denen der »Legenda«; ja, man wäre fast geneigt an-

28

Hans Vollmer:

zunehmen, die Schnitte der »Legenda« seien jüngeren Datums als die 54 Rosenkranzblätter, da sie vielfach, namentlich in der lebendigeren Zeichnung der Figuren, ein vorgeschritteneres Aussehen tragen. Auf keinen Fall aber geht es an, den großen Z^itintervall zwischen der Herausgabe der beiden Bücher etwa auch für die Illustrationen ver- bindlich machen zu wollen.

Nach der Betrachtung dieser älteren Schnitte kommen wir zu den »modernen« Illustratoren, deren Besprechung wir mit Schäuffelein einleiten.

Die stilistische Untersuchung hat auszugehen von der blattgroßen Kreuzigung vor Fol. 65 des siebenten Buches, die zugleich als Titelblatt des »Speculum« verwendet ist und, wenn auch nicl\j; durch Signatur aus- gezeichnet, sich doch so vollkommen in den Zusammenhang der signierten Schäuffelein-Blätter des »Speculum« einreiht, daß ein Zweifel über den Autor nicht bestehen kann; das Blatt ist denn auch schon von Bartsch ohne Anmerkung als Schäuffelein aufgenommen (B. 34). Auf- fallenderweise leugnet Muther gerade angesichts dieses Blattes eine Ver- wandtschaft mit beglaubigten Schäuffeleinschen Arbeiten; Rieffel erkannte es zuerst als das Hauptblatt unter den Schäuffelein - Schnitten des »Rosenkranz«. Es kann als Prüfstein für alle weiteren Zuweisungen dienen.

Muther hatte unter, dem Schäuffeleinschen Anteil u. a. die beiden Schnitte Fol. 182 a Buch III, die Bergpredigt, und Fol. 185 desselben Buches, die Übergabe der Gesetzestafeln an Moses, mit aufgezählt; beide Blätter finden sich auch in der Schäuffelein-Liste Rieffels. In der Tat zeigen diese beiden Arbeiten sowohl untereinander, wie mit der blatt- großen Kreuzigung verglichen derart evidente stilistische Übereinstim- mungen, daß die Identität der Hände ohne weiteres einleuchtet. Man vergleiche nur die Stilisierung des Baumschlages: dieselben dünnen,

hellen Stämmchen, die in Bündeln auftretend das Laub durchdringen. Die Behandlung des Laubes selbst; jene wolligen, rundlichen Formationen von starkem Reliefeindruck, mit fest umschriebenen Konturen und leichter, mit parallelen Häkchen bestrittener Schraffur. (Besonders gut zu studieren an Blättern wie Fol. 185 Buch III, Fol. 90 Buch I, Fol. 178 R Buch IX.) Charakteristisch ist die Absetzung dieser lichten Baum- kronen und einzelner Partien der weißen Stämmchen gegen einen dunkel schraffierten Grund. Ähnlich die Stilisierung der Wolken: nicht die trockenen, gedrehten Bänder des Anonymus, sondern vaporose Gebilde mit rundlich geführtem Umriß, denen durch sparsame Schraffur und Ab- hebung von dunklem Grunde oft etwas Glänzendes, Schimmerndes mit- geteilt ist. (Fol. 185 Buch III, Fol. 157 Buch VIII.)

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

29

Außerdem ist Schäuffelein an zahlreichen kleinen Äußerlich- keiten wiederzuerkennen : die kurzen Proportionierungen seiner meist etwas hastig und unge- schickt sich bewegenden Figuren, der Mangel an Beherrschung der Perspek- tive, sein gleichmäßig wiederkehrender Christus- typus mit der stacheligen Strahlensonne um das Haupt, der Charakter seiner Landschaften mit jenen fernen, hell in der Sonne liegenden Berg- zügen, die in weichen schlaffen Linien den Hori- zont begrenzen, alles das wiederholt sich in späteren, durch Signatur beglaubig- ten Schäufifeleinschen Schnitten in ganz ähn- licher Weise und weicht andererseits von der Art des Anonymus so ent- schieden ab, daß die Möglichkeit einer Ver- wechslung des beider- seitigen Anteiles ausge- schlossen ist; Schäuffe- lein ist nicht nur der Vor- geschrittenere , sondern auch der qualitativ höher Stehende von beiden.

Seine Figurenzeichnung leidet noch vielfach an einer empfindlichen Un- sicherheit, die Schäuffe- lein niemals völlig über- wunden hat, überrascht dann hier und da aber doch wieder durch ihre flotte Behandlung wie etwa auf der Himmelfahrt Mariae, Fol. 58 R des I. Buches, einem Blatte,

!t3

0

:c4

O .

O) >

1-^

o

.a ^ uJ t:

<u

Ü

fi

3 1/1

N O

a 3

< «j

^ U)

5 pq Q ^

30

Hans Vollmer:

das auch kompositioneil durch seine entschiedenen Subordinierungen für das Jahr 1505 immerhin eine bemerkenswerte Leistung bedeutet^) (72 mm br., 92 mm h.).

Die kleineren Blätter, die das Format 48 x 65 mm wiederholen, sind im allgemeinen flüchtiger geschnitten, aber auch hier gibt es nur wenige, bei denen man schwanken kann, ob man sie Schäuffelein zu- erteilen soll oder nicht; ein Vergleich mit Fol. 185 Buch III lehrt z. B. ohne weiteres, daß auch das nächstfolgende Fol, 186 von Schäuffe- lein herrühren muß, obwohl das Blatt qualitativ stark dagegen abfällt; das sind Differenzen, für die man durchaus nur den Formschneider ver- antwortlich machen darf.

Die Interieurdarstellungen Schäuffeleins sind von denen des An- onymus schon an der reicheren Schraffur zu unterscheiden. Man ver- gleiche die Raumbehandlung auf zwei ungefähr inhaltsgleichen Blättern wie Fol. 230 R des XI. Buches (Anonymus) und Fol. 39R des VI. Buches; bei dem Anonymus nichts wie weiße, kahle Flächen, deren Gruppierung zueinander ohne die Verkürzung des bildeinwärts gestellten Bettes gar nicht den Eindruck eines eingeschlossenen Luftvolumens übermitteln würde; bei Schäuffelein Parallelbegleitung der Bettrichtung durch Gesims, Türstutzlinie usw. und Unterstützung des so gewonnenen Raumeindrucks durch Anwendung eines Systems von in verschiedener Richtung laufen- den Schraffierungen. In den kleineren Schnitten ist die Raumbehandlung wohl auch bei ihm oft eine abgekürzte, nur. andeutende wie etwa auf Fol. 265 R Buch XI, wo sich die Figuren analog den Schäufifelein- schen Baumstämmchen hell vom dunklen Grund abheben; aber der Ge- .samthabitus auch solcher Blätter leidet doch nie an jener üden Gleich- förmigkeit der Interieurs des Anonymus, eben dank Jener belebenden malerischen Kontraste von Hell und Dunkel.

Wie schon angedeutet, sind auch Schäuffeleins Zeichnungen für den Rosenkranz von verschiedenen Formschneidern auf den Holzstock gebracht Neben vorzüglich geschnittenen Blättern wie der großen Kreuzigung oder den drei Langblättern des V. Buches, Fol. 277, 278, 279, stehen roh und ungeschickt behandelte wieFol. 258b und c des V. Buches, wo man zuerst meinen möchte, sie stammten von der Hand des

1) Daß der Schnitt nur auf Schäuffelein zurückgehen kann, lehrt schon ein Ver- gleich mit dem Nördlinger Gemälde der Krönung Mariae einerseits, dem signierten Holzschnitt der Ausgießung des heiligen Geistes (B. 50) andererseits. So z. B. wieder- holt sich der für Schäuffelein charakteristische, in allzu stark verkürzter Unteransicht erscheinende aufblickende Kopf des einen der Apostel auf allen drei Darstellungen in ganz derselben Weise; ähnlich auch bei dem berittenen Hauptmann auf der großen Kreuzigung Fol. 65 des II. Bandes.

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

31

Anonymus, der auf derselben Seite Fol. 258 a geliefert hat. Aber ein Blick auf die andere Behandlung der Wolken und die Art der Strichelung des Vordergrundes genügt, die Autorschaft Schäuffeleins festzustellen, ganz abgesehen von sekundären Merkmalen, wie dem für Schäuffelein charakteristischen Christustyp mit dem gleichmäßigen Strahlennimbus, der bei dem Anonymus nie vorkommt.

Daß man es nun bei allen diese stilistischen Eigenschaften aufweisenden Blättern in der Tat mit Schäuffelein selbst zu tun hat und nicht mit einem von dem Meister abhängigen Anonymus wird durch die Qualität der Blätter entschieden, die in den meisten Fällen durchaus auf der Höhe der als Schäuffelein allgemein anerkannten Illustrationen des Spekulum steht. Wenn man für zahlreiche, nament- lich der kleineren Schnitte des Rosenkranz den Meister selbst nicht recht verantwortlich zu machen sich getraut, so darf man nicht vergessen, daß es sich hier einmal um die Erstlingsarbeiten Schäuffeleins für den Holz- schnitt handelt und daß zweitens der kleine Maßstab dem Formschneider naturgemäß größere Schwierigkeiten entgegensetzte, als bei der Über- tragung der blattgroßen Vorlagen für das Spekulum zu überwinden waren. Aber Blätter wie Fol. 157 Buch VIII, Fol. 185 Buch III, P'ol. 171 Buch III, Fol. 90 Buch I und viele andere auch der 48 x 65 mm kleinen Schnitte erreichen durchaus die Qualitäten signierter Schäuffelein-Schnitte aus späterer Zeit, so daß nicht der mindeste Grund vorliegt, an die Stelle des Meisters einen unbekannten Schüler zu setzen.

Hat man sich einmal mit allen Merkmalen des Schäuffeleinschen Stiles vertraut gemacht, so bereitet es keine allzugroßen Schwierigkeiten, seinen Anteil zu sondieren. Von den elf Blättern, die Muther als Schäuffeleinsche Arbeiten aus dem Illustrationswerk des Rosenkranz her- ausgriff, sind fünf sicherlich an Baidung abzugeben, nämlich: Fol. 229 R Bd. II, ein Blatt, auf das wir ausführlich zurückkommen, Fol. 86 aR (nicht 87 wie Muther) Christus als Weltenrichter Fol. 183 R Christus mit Teufel und Sünde Fol. 116 (nicht 16) Der Schmerzensmann, einer der schönsten Baldung-Schnitte im Rosenkranz, und Fol. 262 Die Adoration Christi, sämtlich dem II. Band, angehörend. Der aussätzige Hiob Fol. 117, (nicht 107), Buch II, ist zwar Schäuffeleinsche Arbeit, gehört aber nicht zu den charakteristischen Stücken, während der Sünden- fall (Fol. 152 R Buch III) nur mit stärkstem Vorbehalt Schäuffelein zu- gewiesen werden kann; die Stilisierung des Baumes und der Landschaft ist eine für Schäuffelein mindestens höchst auffallende, wenn Analogien dazu auch nicht ganz fehlen (z. B. Fol. 81 R Buch I), namentlich aber ist die Zeichnung der Figuren eine zu freie und flüssige für ihn. Die von Muther auf Schäuffelein getaufte Kreuztragung, Fol. 94 R des

32

Hans Vollmer:

VII. Buches, frappiert durch den großen Maßstab der Figuren, auch weicht der Christustypus sowie die Behandlung der Landschaft hier von dem bei Schäuffelein Üblichen ab. Auf jeden Fall wäre die Zuweisung auch dieses Blattes an Schäuffelein mit einem Fragezeichen zu versehen ; an Baidung läßt sich nicht denken, eher noch an den jungen Kulmbach. Wir kommen später darauf zurück. Bemerkenswert ist, daß keines dieser letztgenannten acht Blätter von Rieffel in seine Schäuflfelein-Liste der Rosenkranz-Illustrationen mit herübergenommen ist.

Rieffel zählt 17 Schnitte auf, für die er Schäuflfeleins Autorschaft in Anspruch nimmt, ohne mit dieser Zahl irgendwie einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen. Es sind, mit der einen Ausnahme Fol. 229 R Bd. II, wovon bereits die Rede war, sämtlich Blätter, bei denen kein Zweifel über die Richtigkeit ihrer Taufe bestehen kann. Der 160 mm br., 122 mm h. Holzschnitt Fol. 9R des VI. Buches, das Einhorn, das im Schoß der Jungfrau Schutz sucht, wurde von Rieflfel Kulmbach zuerteilt, gehört aber sicherlich Schäuffelein, wenn- gleich zugegeben werden soll, daß das Blatt auf den ersten Anblick für Schäuffelein etwas Befremdendes hat; bei näherer Prüfung aber er- geben sich mannigfache Beziehungen zu Schäufifeleinschen Schnitten; so z. B. kehrt der Rundturm in derselben Gestalt auf FoL 32 R des VI. Buches wieder, das Zahnsims wiederholt sich in derselben Behandlung in der Zahnung des Spiegels auf Fol. 85 a des VII. Buches, das etwas kleinlich behandelte Ziegelmauerwerk hat zahlreiche Analogien bei Schäuffe- lein usw. Andererseits aber fehlen dem Blatt jegliche Stilbeziehungen zu dem blattgroßen Titelschnitt des I. Buches, der, wie mir scheint, mit vollem Recht, von Rieffel für Kulmbach in Anspruch genommen wird.

Die schlecht geschnittene Kreuzannagelung Christi, Fol. 79 Buch VII, von Rieffel Baidung zuerteilt, dürfte wohl doch Schäuffelein gehören; ich gestehe, bei diesem Blatt selbst lange im Zweifel gewesen zu sein, doch scheint mir die enge Verwandtschaft mit dem analogen, von Schäuffe- lein herrührenden Blatt des Spekulum (Fol. 5^ nnehr für diesen Meister zu sprechen ; die Figurenanzahl ist in dem kleinen Rosenkranzschnitt zwar bedeutend auf 4 Personen reduziert, aber Übereinstimmungen wie der beide Male in gleicher Verkürzung am Boden liegende Kruzi- fixus, die fast wörtliche Wiederholung der knienden Schergen im Vorder- grund und des hämmernden zu Häupten Christi machen die Autorschaft Schäuflfeleins doch sehr wahrscheinlich. Selbst ein so nebensächliches Akzessorium wie der dreifüßige Henkeltopf mit dem Nagel darin kehrt auf dem Rosenkranzschnitt in derselben Form, nur an andere Stelle versetzt, wieder.

B

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz inariae«.

33

Wie die Holzschnitte des Anonymus, sind auch viele der Schäufle- leinschen Schnitte mehrmals verwendet; ohne, diese Repliken beträgt die Zahl der Schäuffelein-Schnitte im »Rosenkranz« etwa 200.

Liste der Schäuffeleinschen Holzschnitte des »Rosenkranz«. (Wo die Formntgröße nicht angegeben ist, beträgt sie 48 mm x 64 mm).

Buch I.

Fol. I a R.

Fol. 60 a (?).

Fol. I b R.

Fol. 60 b (?).

Fol. 2.

Fol. 60 a R (r).

Fol. 2 R.

Fol. 60 b R (?).

Fol. 3.

Fol. 6ia(r).

Fol. 3 a R.

Fol. 6iaR(r).

Fol. 3 b R.

Fol. 6ibR(?).

Fol. 6.

Fol. 62 a (r).

Fol. 8.

Fol. 68 R.

Fol. 8 R.

Fol. 70.

Fol. IO (72 mm br., 92 mm h.)

Fol. 70 R.

Fol. I2(„ >5.»)

Fol. 71a.

Fol. 19 a R.

Fol. 7 1 a R.

Fol. 19 b R.

Fol. 79.

Fol. 20a.

Fol. 80.

Fol. 20 b.

Fol. 80 R.

Fol. 20 a R.

Fol. 81 R.

Fol. 20b R (72 mm x 92 mm).

Fol. 82.

Fol. 2 1 R.

Fol. 82 b R.

Fol. 48 R (72 X 92 mm).

Fol. 83.

Fol. 55a („ )•

Fol. 85.

Fol. 58 R ( ).

Fol. 85 R.

Fol. 59a (?).

Fol. 90 b (72 mm X 92 mm).

Fol. 59b (r).

Fol. 90 R.

Fol. 59 R (?).

Repliken: Fol. 9 R, Fol.

Buch II.

Fol. 104 a.

Fol. 150.

Fol. 117 (72 mm X 92 mm).

Repliken: Fol. 95a, Fol.

Ruch III.

Fol. 152 (72 mm X 92 mm).

Fol. 156.

Fol. 152 R(?) (Baidung r)

Fol. 158 R.

Fol. 153 (72 mm X 92 mm).

Fol. 160 a R.

F ol. I54(» n n » «)•

Fol. i6obR.

Fol. 155 („ ).

Fol. 16 ib.

Repertnrium für Kunstwissenchaft, XXXI. 3

3

34

Hans Vollmer:

Fol.

163 a R.

Fol.

188 R.

Fol.

i66b R.

Fol.

189.

Fol.

168.

Fol.

190 (fälschlich: 200 paginiert).

Fol.

171 (72 mm

X

92

mm).

Fol.

194.

Fol.

172b („

«).

Fol.

195-

Fol.

177 („ ,,

V

«)•

Fol.

196.

Fol.

180 R.

Fol.

196 R.

Fol.

181 R.

Fol.

197.

Fol.

182 a (72 mm

X

92

mm).

Fol.

198 R.

Fol.

185.

Fol.

200 R.

Fol.

186.

Repliken: Fol. 160, Fol. 166,

Fol.

187 R.

Fol.

167, Fol. 201.

Fol.

188.

Buch IV.

Fol.

202 (doppeltgeteilt. löommbr., Fol.

226.

120 mm h.).

Fol.

226 R.

Fol.

203.

Fol.

227.

Fol.

203 R.

Fol.

229 R.

Fol.

204 R.

Fol.

232 (?) (Anonymus?).

Fol.

206 (?) (72 X

92

mm).

Fol.

233 R-

Fol.

207.

Fol.

236 R.

Fol.

208.

Fol.

238 R.

Fol.

210.

Fol.

240.

Fol.

212 R.

Fol.

242 R.

Fol.

213.

Fol.

245-

Fol.

213 R.

Fol.

251 R.

Fol.

214.

Fol.

252 R.

Fol.

216.

Repliken: Fol. 228, Fol. 235 R,

Fol.

218.

fol.

238.

Fol.

225 R.

Buch V.

Fol.

258 R.

Fol.

265.

Fol.

260.

Fol.

266a.

Fol.

260 R.

Fol.

266b.

Fol.

261.

Fol.

266 R.

Fol.

261 R.

Fol.

267.

Fol.

262a R.

Fol.

267 R.

Fol.

262b R.

Fol.

269 R.

Fol.

263.

Fol.

270.

Fol.

264.

Fol.

270 R.

Fol.

264 R.

Fol.

271 b.

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

35

Fol.

27 1 R.

Fol. 276 R.

Fol.

272 a.

Fol. 277 (158 mm br., 82 mm h).

Fol.

272 b.

Fol. 278(„ y) „).

Fol.

273-

Fol. 279 ( n » V n n »)•

Fol.

273 R.

Fol. 286 R.

Fol.

274a R.

Repliken: Fol. 258b, Fol. 258c,

Fol.

274b R.

Fol. 259, I^ol. 259 R, Fol. 262, Fol.

Fol.

275 R.

268, Fol. 291a, Fol. 300 R.

Fol.

276.

Buch

VI.

Die beiden

Schnitte

des

linken

Tittelblattes, je 72 x 92 mm.

Fol.

9 R (162 mm br., 122 mm h.).

Fol. 27 R (72 mm x 92 mm).

Fol.

II ( «

?5

yy

«).

Fol. 28 ( 5, » » » )•

Fol.

II R (72 mm X

92 mm).

Fol. 32 R.

Fol.

12 (

7)

r>

« )•

Fol. 33 R ( 5> » 7) » )•

Fol.

14 ( »

r>

w

« )•

Fol. 38 ( ).

Fol.

17 ( «

W

»

yy

).

Fol. 38 R ( ).

Fol.

19 ( «

T}

r>

7i

« •)•

Fol. 39 R ( fl j-

Fol.

20.

Fol. 40 R ( fl ).

Fol.

20 R (

r>

V

).

Fol. 41 (fl fl n n » )•

Fol.

22 R (

W

V

yy

« )•

Repliken: Fol. 15 R, Fol. 23,

Fol.

24 R (

V

n

yy

« ).

Fol. 31 R.

Fol.

26R(?)(„

n

« )■

Buch

VII.

Titelblatt

vor Fol. 65 (blattgroß).

Fol.

79 (?)•

Fol. 113 a.

Fol.

98 (?).

h'ol. 113b.

Fol.

105 R.

Repliken: Fol. 75 R^ Fol. 85a,

Fol.

106.

Fol. 106 R.

Buch

VIII.

Fol. 144 a.

Repliken

Fol.

1 28,

Fol. 129,

Fol, 130, Fol. 131, Fol. 155 R.

Buch

IX.

Fol.

159 R (7

2

mm

X

92 mm).

Fol. 187 b.

Fol.

166.

Fol. i88b (72 mm x 92 mm).

Fol.

167 R (

n

n

yy

« )•

Fol. 193.

Fol.

169 a R (

w

yy

yy

« )•

Repliken: Fol. 157, Fol. 162,

Fol.

178 R (

ri

y>

yy

yy

« )■

Fol. 177 R, Fol. 183, Fol. 185 R,

Fol.

iSi R. ,

Fol. 186.

3'

36

Hans Vollmer:

Buch X.

Fol. 207 R. Fol. 209.

Repliken: Fol. 205, Fol. 212, Fol. 214, Fol. 223 (?).

Buch XI.

Nur Repliken enthaltend: Fol. 232 R, Fol. 239 R, Fol. 246, Fol. 249 (?)> Fol- 251 R, Fol. 252 R, Fol. 257, Fol. 258 R, Fol. 262 R,

Fol. 263 R, Fol. 264 R, Fol. 265 R, Fol. 266 R, Fol. 267 R (?), Fol.

270 R, Fol. 271, Fol. 271 R, Fol. 272, Fol. 275a R, Fol. 275b R,

hol. 277 R, Fol. 280b R, Fol. 288a, Fol. 289 R, Fol. 290 R, Fol. 292,

Fol. 292b R, Fol. 293 und Fol. 296 R.

Fortsetzung folgt.

Zur Geschichte der altösterreichischen Malerei.

Von Wilhelm Suida.

Die nahe Verwandtschaft zwischen den beiden Kreuzigungsbildern von 1449 im Wiener Hofmuseuni und von i457 Grazer Dom ist schon seit längerer Zeit beobachtet worden. Joh. Graus hat, soweit mir bekannt ist, zuerst beide Werke einem Künstler zugeschriebeiD). Die Richtigkeit dieser Beobachtung wäre nun wohl kaum jemals in Zweifel gezogen worden, wenn nicht vermeintliche Künstlersignaturen eine Scheide- wand zwischen den beiden Gemälden aufgerichtet hätten. Es wäre über- flüssig, all die Analogien in Komposition und Einzelfiguren nochmals anzuführeiij die schon Stiassny aufgezählt hat^.) Die natürliche Schluß- folgerung aus solchen Betrachtungen wäre nun gewiß die, daß wir im Grazer Bilde die reifere Lösung des gleichen Problems durch den gleichen Künstler vor uns haben wie im Wiener Bilde. Die formalen Eigen- tümlichkeiten beider Werke und ein Vergleich zwischen ihnen geben aber auch, wie ich glaube, sehr klare Auskunft über die künstlerische Schulung des Malers und die bestimmenden Eindrücke zwischen 1449 1457- L)er Maler ist ein etwas jüngerer Zeitgenosse des Lucas Moser, des Konrad Witz und des Meisters des Tucheraltars und hat von ihnen allen wahr- scheinlich bestimmende Eindrücke empfangen. Allerdings fehlt die Vor- stufe seines Stiles auch in Österreich selbst nicht. Vielleicht dürfen wir den Maler des Altars aus der Armenkapelle in Hallein im Salzburger Museum für den direkten Lehrer unseres Meisters halten 3). Im Wiener Kreuzigungsbilde lassen Typen, wie beispielsweise des Longinus an Moser denken, die Köpfe mit kurzer, etwas aufgestellter Nase (z. B.

*) Kunstchronik 1891, Sp. 591 ff.; Kirchenschmuck 1891, S. 61 f.

>) Altsalzburger Tafelbilder. Jahrbuch der Kunstsammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses. XXIII 1903.

3) Das Mittelbild stellt die Anbetung der hl. drei Könige vor. Auch ein kleines Kreuzigungsbild des beginnenden 15* Jahrhunderts in St. Florian ist hier zu nennen. Eine Parallelgestalt zu unserem Meister in Niederösterreich möchte ich den »Meister der neun Engelchöre« nach der aus Wien stammenden bedeutsamen Bilderfolge in Kloster- neuburg nennen. Von diesem Künstler und Werken, die ihm angehören, soll nächstens die Rede sein.

38

Wilhelm Suida:

Magdalena, der feiste Pharisäer zu Pferde) gemahnen an Witz, dessen Kriegerfiguren vom Baseler Altar auch in den Geharnischten nachklingen. Namentlich die scliaifen Glauzlicliter auf der dunklen Rüstung sind in ganz ähnlicher Weise behandelt.

Ein weiteres Bild unseres Künstlers, das wenig nach 1449 ent- standen sein mag, befindet sich in der Galleria Manfredini des Seminario Patriarcale in Venedig 4). Es stellt den Tod Mariens dar. Maria kniet in dunkelblauem Kleid, von zwei Aposteln gestützt, vor dem Betpult mit aufgeschlagenem Buche. Die anderen Apostel, teils betend, teils kerzenhaltend, umgeben sie. Unten sitzen rechts und links je ein greiser Apostel, ruhig in einem Buche lesend. Das Bild ist gut erhalten. Von gemustertem Goldgrund heben sich das Rot, Ockergelb, Schwarzblau der Gewänder ab. In Typen (vgl. Maria auf beiden Bildern) und Kolorit finden wir zum Wiener Gemälde die größte Verwandtschaft.

Dürfen wir etwa aus dem Umstande, daß das Bild sich heute in Venedig befindet, den Schluß ziehen, dasselbe sei schon seit alters her in Oberitalien gewesen? Zwingend ist dieser Schluß allerdings nicht, aber die Möglichkeit ist vorhanden. Und daß unser Maler nach 1449 in Italien war, berichtet uns unzweideutig das Grazer Kreuzigungsbild. Mag man schon eine gewisse Berührung mit der Kunst Italiens aus der Wiener Tafel herauslesen, eine viel intensivere Einwirkung erfolgt später. Den Fresken Altichieros, wie Eitelberger wollte, kann allerdings unser Meister diese neue Auffassung der menschlichen Gestalt, diese prachtvolle Durchbildung des nackten Körpers, wie sie Christus und die beiden Schächer zeigen, nicht entnommen haben. An Stelle der gotischen Schematisierung im Bilde von 1449 tritt in dem von 1457 eine auf staunenswerter Kenntnis der Natur beruhende Monumentalisierung der menschlichen Gestalt, die nur durch die unmittelbare Einwirkung der florentinischen Quattrocentokunst, speziell auch der Werke Masaccios, erklärt werden kann. Möchte man sich doch auch durch den aus dem Hintergründe heransprengenden Reiter mit erhobenem Arme (auf dem Grazer Bilde ganz rechts) an den grandiosen Geharnischten auf Masaccios Kreuzigung in S. Clemente in Rom erinnert fühlen!

Ist unser Maler an die Probleme des Landschaftlichen noch nicht herangetreten, soweit wir nach den erhaltenen Werken beurteilen können, so war er doch mit Erfolg bestrebt, seinen Kompositionen räumliche Gliederung und Tiefe zu geben. Um die Vertiefung von der Bildfläche nach dem Verschwindungspunkte hin anzudeuten und dadurch seinen mit

4) Die Zugehörigkeit dieses Bildes zur Wiener Kreuzigung habe ich schon vor IO Jahren beobachtet und in meinen Vorlesungen des öfteren hervorgehoben. Erfreu- licherweise finde ich meine Ansicht durch Thode und neuerdings auch Voss bestätigt.

Zur Geschichte der altösterreichischen Malerei.

39

Energie plastisch modellierten Figuren Raum zur Aktion zu schaffen, bedient er sich der Verkürzungen. Das Kreuz Christi rückt er auf dem Wiener Gemälde bildeinwärts durch den davor stehenden verkürzten Reiter. Dadurch gewinnt er vorne eine allerdings nicht sehr tiefe Bühne, auf welcher die wichtigsten Gestalten, Maria mit den heiligen Frauen und Johannes, sowie Longinus sich bewegen und deutlich vor dem Ge- dränge des Hintergrundes vortreten. Im Grazer Bilde gelingt es dem Meister nun nicht nur, den Vordergrund sehr viel weiter und luftiger zu gestalten, sowie der Gruppe um Maria einen weit monumentaleren Charakter zu verleihen, sondern er vermag auch noch dem Mittelgründe hinter den Kreuzen durch all die verkürzten oder in Überschneidung gegebenen Reiter, deren einen ich oben hervorhob, eine recht gute räum- liche Wirkung zu sichern. Erst im Hintergründe namentlich nach den Seiten hin wird dann das Kriegergedränge raumlos.

Aus der Zeit der Grazer Kreuzigung besitzen wir noch zwei weitere Gemälde des Meisters. Die beiden Tafeln mit dem hl. Primus und Hermes im Salzburger Museum 5), Wie mir Herr Kustos Haupolter mitteilte, sind diese beiden sonst sehr selten dargestellten Heiligen die Schutz- patrone von Hofgastein. Ist einmal die Zugehörigkeit zum Grazer Bild ausgesprochen, so bedarf sie keiner näheren Begründung mehr, um zu überzeugen. In Typen, Haltung und Kolorit finden wir volle Über- einstimmung.

Vor Goldgrund sehen wir die untersetzte Gestalt des hl. Hermes in olivgrünem Kleide mit Hermelinsaum; darüber einen weiten roten Mantel mit Hermelinkragen und weißem Futter. Gürtel und Dolch haben eine vorzügliche metallische Wirkung, ohne daß doch Gold und Silber als Barbe angewendet wird. Die Gestalt ist in heftiger Be- wegung dargestellt, en face mit leichter Wendung nach rechts, indes der Kopf der linken Schulter zugedreht ist und daher in scharfem Profil er- scheint. Ein Schriftband erfüllt mannigfach gekräuselt die von der Ge- stalt freigelassenen Ecken des Bildfeldes und überquert die Figur selbst,

5) Diese beiden Gemälde wurden von Stiassny für Spätwerke des Michael Pacher erklärt (Repertorium für Kunstwissenschaft 1902), an denen man wahrnehmen könne, wie sich Pachers Stil nach dem Altar von St. Wolfgang noch weiter entwickelt habe. Das ist um mindestens ßu Jahre gefehlt. Die Erklärung dieses Irrtums mag allerdings in dem Umstande zu suchen sein, daß unser Meister in manchen Dingen als Vorläufer Pachers aufzufassen ist. Eine erfreuliche Bestätigung meiner Ansicht über die künst- lerische Provenienz der Salzburger Tafeln war mir das übereinstimmende Urteil von Fr. Dörnhöffer.

In dem eben erschienenen Buche von Dr. Hermann Voß »Der Ursprung des Donaustiles« (Leipzig 1907) ist auf Seite 67 Anm. die Vermutung ausgesprochen, die Salzburger Tafeln seien von dem Meister der Wiener Kreuzigung gemalt.

40

Wilhelm Suida:

von dieser an der Brust gehalten. Wir lesen darauf die Worte: »Vitam non perdidi sed mutavi in' nomine Domini.« Die entschiedene Gebärde der linken Hand scheint dem Satze größten Nachdruck zu geben.

Das Pendant zum hl. Hermes bildet der hl. Primus. Er steht hochaufgerichtet mit verschränkten Armen, das Haui)t vorgeneigt, die Augen wie in sinnender Beobachtung. Ruhige Standhaftigkeit prägt sich in der Gestalt aus, die mit braunrotem Mantel mit gelbem Saume und lichtgrauem Futter bekleidet ist. Das Spruchband, dessen Inschrift nur noch teilweise leserlich ist (.... imperatoris celestis decretis consensit), umflattert die ruhige Gestalt, die in so wirkungsvollem Kontraste zu ihrem Pendant steht.

Die genannten fünf Werke in Wien, Venedig, Graz und Salzburg haben sich als Arbeiten eines Künstlers erwiesen, in denen sich eine ganz organische Entwicklung des Formalen nachweisen ließ. Fußend auf den Errungenschaften eines Konrad Witz in der Durchbildung der pla- stischen Formen, sucht er das schwierigere Problem der klaren Gruppen- bildnng zu bezwingen und macht darin im Verlaufe weniger Jahre be- deutsame Fortschritte. So weit er sich über die Etappe erhebt, auf der wir bespielsweise den Meister des Imhofifaltars in Nürnberg finden, so wenig tut er doch etwa den Schritt zur porträtartigen Individualisierung wie ihn unter stärkerem oder geringerem Einflüsse der Niederländer die deutschen Maler in der dritten Phase des 15. Jahrhunderts getan haben. Kurz, unseres Meisters Art repräsentiert sehr charakteristisch die zweite Etappe im 15. Jahrhundert.

So tritt uns dieser Maler als eine völlig klare, ihrer kunstgeschicht- lichen Stellung nach präzisierte Persönlichkeit entgegen. Wie lautet aber sein Name? Während wir von manchem der wichtigsten deutschen Künstler des 15. Jahrhunderts keinen Namen kennen, besitzt unser Meister sogar deren zwei. Das Wiener Bild trägt die Aufschrift: »d pfenniug 1449 als ich chun«, und daraus glaubt man den Meister D. Pfenning nennen zu sollen. Auf dem Grazer Dombilde findet man auf dem Schild des Kriegers mit dem Essigschwamm das Wort '>Laib« und an dem Brusthar- nisch des Mannes links vorne steht . . . laib maria. »Laib« für den Namen des Künstlers ansehend, hat nun Job. Graus darauf aufmerksam gemacht, daß ein Maler Konrad I.aib von Eyslingen (Ennslingen bei Nördlingen) 1448 zum Bürger der Stadt Salzburg aufgenommen wurde, und den Meister des Grazer Dombildes danach Konrad Laib genannt.

Sollten wir nun wirklich annehmen, die betrachteten Bilder könnten sich auf zwei Künstler von gleich eminenter Begabung verteilen? Genau die gleichen Probleme, die den älteren Künstler schon beschäftigt, hätte

Zur Geschichte der altösterreichischen Malerei.

41

mit Beibehaltung und organischer Weiterentwicklung den Figurentypen und des Kolorits der jüngere von neuem aufgenommen? Das wäre doch ein ganz singulärer Fall. Da scheint mir eine andere Erklärung näher zu liegen: Die Inschrift des Wiener Bildes enthält ja keinen Künstler- namen, sondern besagt: »den Ffenning (die Gabe) bringe ich dar nach meinen Kräften«; sei es nun, daß es sich hier um die Widmung des Künstlers oder des Bestellers handelte. Auffallend ist dabei allerdings zweierlei: i. die Verwendung des Wortes Pfenning in dieser übertragenen Bedeutung. Nun ist es allerdings bekannt, daß Pfenning, im althoch- deutschen phantinc, mit Pfand zusammenhängt und alles bezeichnen kann, was Pfandwert besitzt, also auch die Gabe, die jemand zum Heile seiner Seele darbringt. 2. Das Fehlen jeglichen Stifterporträts.

Was für meine Annahme spricht, ist äußer den oben angeführten künstlerischen Momenten die Form der Inschrift selbst: vor dem Worte Ptenning steht ein d; ohne Abkürzungspunkt, mit einem kleinen d sollte der Vorname des in Akten absolut nicht nachweisbaren Künstlers Pfenning bezeichnet sein?

Anderseits würde es zu unseren stilkritischen Beobachtungen recht gut stimmen, daß der Künstler, der in Salzburg an den Stil des Moser und W itz anknüpfte, eben ein 1448 zugewanderter Schwabe, Konrad Laib, war, in dessen 1449 zu Salzburg entstandenem Werke die Eindrücke der heimatlichen Kunst so kräftig weiterklingen.

So sicher ich die künstlerische Zugehörigkeit_j;ler Bilder in Venedig und Salzburg zu den beiden Kreuzigungen behaui)ten möchte, so weit bin ich davon entfernt, den Erklärungsversuch des Namens als völlig befriedigend hinzustellen. Es ist nur eine Vermutung, die ich hiermit dem Urteile der Fachgenossen vorlege.

Ein neues Jugendbildnis Albrecht Dürers.

Von Albrecht Weber.

Die Kunstgeschichte bringt den Jugendwcrken Dürers gerade in neuester Zeit viel Interesse entgegen. Sie sucht eingehender, als es sonst der Fall war, die ersten Äußerungen seiner Kunst darzulegen und in den Entwicklungsgang, den diese genommen hat, einzudringen. Seitdem Henry Thode in seinem zum ersten Male die gesamte Nürnberger Kunsttätigkeit vor Dürer umfassenden Werke es unternommen hat, die vielumstrittenen Tafeln der Wolgemutschen Werkstätte aufs neue zu prüfen und dabei auch die fördernden Elemente, denen Dürer seine Ausbildung verdankte, her- vorgehoben hat, hat man immer wieder versucht, die gar zu kargen Zeugnisse Dürerscher Kunst aus der Frühzeit zu vermehren und unter den erhalten gebliebenen Werken der Nürnberger Malerschule nach Spuren seiner Hand zu forschen. In jüngster Zeit hat W. Weisbach sehr be- achtenswerte Schritte dazu getan, wenn auch seine Holzschnittzuschreibungen vorerst Zweifeln begegnen dürften, wie sie ja auch L. Justi im Repertorium für Kunstwissenschaft ausgesprochen hat. Als wirklich unzweifelhafte Werke Dürers aus der frühesten Zeit vor der Wanderschaft sind uns bis jetzt nur einige wenige Zeichnungen, im ganzen fünf Stück, bekannt geworden, darunter das sympathische Selbstbildnis in der Albertina zu Wien vom Jahre 1484. Das Blatt mit den beiden Federzeichnungen in der Erlanger Universitätsbibliothek, von denen die eine nun allgemein als Selbstbildnis anerkannt wird, ist gewiß, wie Weisbach eingehender ausführt, erst während seiner Wanderzeit und kaum vor 1492 entstanden. Dieser Annahme stimmt jetzt auch W. v. Seidlitz, der die Zeichnungen entdeckt und zuerst bekannt gemacht hat, zu. 3) Von den Gemälden galt bis jetzt als das älteste das Porträt seines Vaters vom Jahre 1490 den Uffizien zu Florenz. Wohl führt der Katalog des Germanischen Museums zu Nürn-

•) Thode, Henry, die Malerschule von Nürnberg im XIV. und XV. Jahrhundert in ihrer Entwicklung bis auf Dürer. Heinrich Keller in Frankfurt a. M. 1891.

*) Werner Weisbach, der junge Dürer. Hiersemann. Leipzig 1906.

3) Jahrbuch der königl. preuß. Kunstsammlungen. 28. Band i. Heft. (1907) Woldemar von Seidlitz, Dürers frühe Zeichnungen.

Ein neues Jugendbildnis Albrecht Dürers.

43

berg das Bildnis eines jungen Mannes mit blonden Locken an, das möglicherweise ein Werk Dürers aus seiner Lehrzeit darstellen könnte, doch ist diese Zuweisung stets bezweifelt worden. Wenn ich es in nachfolgenden Zeilen versuche, unter die Jugendwerke Dürers ein neues bisher unbeachtet gebliebenes Bild einzureihen, so geschieht dies, weil ich nach den eingehendsten Untersuchungen immer mehr zu der Über- zeugung gelangt bin, daß wir es hier in der Tat mit einem Frühwerke Dürers zu tun haben, das um so mehr Anspruch auf Beachtung erheben darf, als sich der junge Künstler in ihm selbst dargestellt hat.

In einem Lichtgange der Gemäldegalerie des Germanischen Museums zu Nürnberg hängen zwei Tafeln, die sich einst an dem von Sebald Peringsdörffer für die Augustinerkirche gestifteten, nach ihm in der Kunstgeschichte genannten Altarwerke befanden und welche das Martyrium des heiligen Veit und die Heilung eines Besessenen durch den Heiligen darstellen. Die letztere Tafel, mit welcher wir uns im folgenden zu beschäftigen haben, zeigt uns St. Veit in einem Zimmer, wie er durch Besprechung den von zwei Männern an Armen und Schultern gehaltenen Sohn des Kaisers Diokletian vom Teufel befreit; dieser entweicht durch eines der beiden Fenster. Hinter dem Heiligen sehen wir den Kaiser mit seinem Gefolge, das durch die offene Tür hereindrängt. Im Hinter- gründe links, vor den Fenstern, befindet sich ein Tisch mit einem auf- geschlagenen Buche und einem Weichwassergefäß rechts ist ein Schrank, auf dem wir gotische Prunkgefäße, Becher und Kannen erblicken. Un- mittelbar vor dem Schranke stehen als ziemlich unbeteiligte Zuschauer zwei Gestalten, ein Mann mit einer rundlichen gestickten Haube auf dem Hinterkopfe und ein Jüngling mit langen blonden Haaren, der sich dem ersteren zuwendet. Beide zeigen offenbar Porträtzüge. Wer in dem mit weißem Wamse und rötlichem Krügelchen gegebenen Manne dargestellt ist, wird wohl niemals mit Sicherheit zu sagen sein. Daß wir aber in dem Jünglinge Albrecht Dürer vor uns haben, will ich näher ausführen.

Der junge Dürer zeigt sich uns auf unserem Bilde, wie auf all seinen frühen Selbstbildnissen, im dreiviertel Profil mit leicht nach links geneigtem Haupte in der kleidsamen Tracht seiner Zeit. Den Kopf bedeckt ein zinnoberrotes Barett mit schwarzer Feder. Die blonden Haare fallen in langen Strähnen glatt über den entblößten schlanken Hals und die Schultern herab und sind über die Stirne hereingekämmt. Er trägt ein hellgrünes Wams, dessen gelbe Fütterung durch den Um- schlag sichtbar wird, der sich von den Schultern bis zur Mitte des rosa Tuchgürtels verschmälernd herabzieht. Der Brustlatz ist weiß und mit dünnen schwarzen Querstreifen durchzogen. In der rechten Hand hält er offenbar einen Malstock, von dem jedoch nur der obere Teil sichtbar

44

Albrecht Weber ;

ist. Vom Knken Arme ist nur der Ansatz an der Achsel zu sehen. Der ganze Unterkörper wird verdeckt durch die Gestalt des heiligen Veit

und eines Mannes aus dem Gefolge des Kaisers im Vordergründe. Der Oberkörper ist en face mit leicht nach links gewendetem Kopfe gegeben.

Ein neues Jugendbildnis Albrecht Dürers.

45

Das jugendliche Gesicht zeigt längliches Oval von weicher Fülle mit vollem, leicht gespitztem Munde; die Mundwinkel sind etwas nach ab- wärts gezogen. Da der Hals völlig entblößt ist, läßt sich sehr gut der deutlich ausgeprägte Kehlkopf erkennen. Die Nase ist kräftig und kaum merklich gebogen; die Augen sind wohl bräunlich, sonst aber in der Farbe nicht besonders individualisiert. Das Inkarnat ist, wenn auch weich, doch von gesunder, gebräunter Frische.

Die Ähnlichkeit des Dargestellten auf unserem Bilde mit den be- kannten Selbstbildnissen Dürers aus seinen jungen Jahren ist zu groß, als daß sie geleugnet w’erden könnte. Maßgebend hierfür ist natürlich vor allem das unserem Bilde zeitlich am nächsten liegende Selbstbildnis von 1484 und das Erlanger Porträt sowie das Gemälde von I493 und endlich das Selbstporträt in Madrid von 1498. Bei einem Vergleiche unseres Bildes mit der Zeichnung des Dreizehnjährigen in der Albertina zu Wien kommt die Ähnlichkeit am evidentesten zum Ausdruck. Hier wie dort der volle, üppige Mund, die kräftige, auf unserem Bilde ein wenig mehr spitze Nase, die über die Stirne herabgekämmten Haare. Die weichen, fleischigen Wangen des Kindes haben auf unserer Tafel etwas an Fülle verloren, wodurch das Gesicht mehr, dem Jünglingsalter ja entsprechend, schlanker, länglich ovaler geworden ist. Besonders möchte ich auf den auf beiden Bildnissen deutlich hervortretenden Kehl- kopf aufmerksam machen. Es scheint fast, als ob diese kleine Erhebung am Halse bei Dürer etwas stärker als gewöhnlich ausgebildet gewesen sei, wenn auch nicht in solch deutlicher, geradezu unschöner Weise, wie dies bei seinem Bruder Andreas der Fall gewesen sein muß, wie ein Blick auf die Federzeichnung Dürers von 1514 zeigt, die sich in Wien befindet.

Unser Bildnis mit dem danebenstehenden, schon oben beschriebenen Nachbarkopfe fällt bei näherer Betrachtung vor dem übrigen Bilde be- sonders durch die eingehende, ja liebevolle Art, mit der es der Künstler gemalt hat, auf. Die beiden Köpfe sind von einer Feinheit, wie sie sonst bei den kleinen Köpfen dieser Darstellung nicht üblich ist, und wie ein Vergleich mit den anderen Nebenfiguren, zum Beispiel mit dem zur Türe hereinblickenden Kopfe auf unserem Bilde sehr deutlich zeigt. Sie sind feiner und doch nicht so weichlich und auch nicht so:,hand- werksmäßig gemalt, wie gerade diese ganze Tafel, und eine ähnliche Malweise findet man nur auf den besten Tafeln des bekanntermaßen nicht einheitlich gleichwertig gemalten Altarwerkes.

Über die Entstehungszeit unseres Bildes sind wir ziemlich genau unterrichtet. Die Augustinerkirche, welche Peringsdörifer mit dem besten aus W^olgemuts Werkstatt hervorgegangenen Altarwerke ausstattete, wurde

46

Albrecht Weber:

1488 vollendet. Auf einer anderen Darstellung der Veitslegende, welche sich heute in der Lorenzkirche in Nürnberg befindet und welche stilistisch mit unserer Tafel durchaus übereinstimmt, hat der Mitarbeiter Wolgemuts sein Monogramm R. F. und die Jahreszahl 1487 angebracht. Wir werden demnach wohl nicht fehlgehen, wenn wir als Entstehungszeit unserer Tafel das Ende des Jahres 1487 annehmen. Dürer kam am 30. No- vember i486 zu Wolgemut in die Lehre, war also zur Zeit der Anferti- gung dieses Gemäldes bereits ein Jahr lang in der Werkstatt tätig und ungefähr 16^/2 Jahre alt ein Alter, das mit dem Dargestellten auf unserem Bilde durchaus übereinstimmt. 4) Aus seinen Aufzeichnungen wissen wir, daß er vor seinem Eintritt bei Wolgemut bereits bei seinem Vater das Goldschmiedhandwerk erlernt hatte und schon »säuberlich arbeiten kunnt«. Er verfügte also schon von Anfang an über eine nicht zu unterschätzende Vorbildung. Seine wenigen erhaltenen Zeichnungen aus dieser frühesten Zeit lassen dies auch deutlich erkennen. Daß sich Wolgemut selber mit dem Anlernen des Lehrknaben abgegeben haben wird, ist bei seiner vielseitigen Tätigkeit kaum anzunehmen. Er wird denselben eben einem seiner Gehilfen und Mitarbeiter zu dessen Ver- wendung überwiesen haben. Wahrscheinlich bestand die Art der Arbeit des jungen Dürer, zumal in der ersten Zeit, nur in ganz untergeordneten Dingen und nur ausnahmsweise wird man ihm gestattet haben, Neben- sächliches im Hintergründe von Bildern zu malen nach vorhergegangener Anweisung des Gehilfen. So mag ihm der Mitarbeiter Wolgemuts, dem bei der Ausführung des Altarwerkes diese Darstellung der Veitslegende zugewiesen worden war, auch erlaubt oder aufgetragen haben an der schon ziemlich vollständig' fertigen Tafel seine Kraft zu prüfen und sein in der Werkstatt erworbenes Können zu zeigen. Und es hat gewiß nichts Auffallendes, wenn dann der junge Dürer die Gelegenheit be- nutzte und sich selber in Gesellschaft eines ihm bekannten Mannes aui dem Hintergründe des Bildes darstellte.

Unserer Annahme, daß Dürer dies selbst gemalt habe, spricht nichts entgegen, wohl aber spricht vor allem die viel feinere ich möchte fast sagen persönlichere Art, mit der diese beiden Köpfe ausgeführt

4) Schon aus diesem Grunde ist die Annahme Lehmanns, dem das Porträtmäßige des einen eben uns interessierenden Kopfes bereits aufgefallen war, unhaltbar, der diesen Kopf für ein Bildnis des Meisters R. F. anspricht. Dieser Mitarbeiter Wolgemuts dürfte denn doch kaum mehr ein 16 oder 17 jähriger Jüngling gewesen sein. Daß diese beiden Köpfe nicht von der gleichen Hand gemalt sind, von der die ganze übrige Tafel herrührt, wird bei näherer Prüfung ohne weiteres klar. (cf. Lehmann, Alfred, das Bildnis bei den altdeutschen Meistern bis auf Dürer. Leipzig 1900, Karl W. Hierse- mann S. 169.)

Ein neues Jugendbildnis Albrecht Dürers.

47

sind, sehr dafür. Selbstverständlich dürfen wir bei dem Lehrknaben, der eben erst ein Jahr in der Werkstatt »dient« und bescheiden im Hinter- gründe einer weniger hervortretenden Tafel seine Kunst probieren darf, noch keine stark ausgeprägte Eigenart erwarten. Im allgemeinen schließt sich die Mal weise des jungen Dürer noch ganz der Art an, wie sie in der Werkstatt Wolgemuts ausgeübt wurde. Können die beiden Köpfe deshalb auch keineswegs Anspruch darauf erheben, für eine besonders hervorragende Kunstleistung zu gelten, so sind sie doch für unsere Kenntnis Dürerscher Kunst in ihren Anfängen von nicht geringem Werte. Zugleich bilden diese Porträtköpfe bis jetzt das früheste bekannte Gemälde Dürers überhaupt.

Zum Holzschnittwerke Jörg Breus d. Ä.

Von Heinrich Röttinger.

Über Schnitte Breus haben im letzten Jahrzehnte W. Schmidt im Repertorium XIX (1896), F. Dörnhöffer im Jahrbuche der kunsthisto- rischen Sammlungen des österreichischen Kaiserhauses XVIII (1897) und besonders eingehend Campbell Dodgson im Jahrbuche der preußischen Kunstsammlungen XXI (1900) gehandelt. Sind auch nicht alle von Schmidt und Dodgson getroffenen Zuteilungen zu halten, so läßt doch das für Breu gesicherte Werk seinen Schöpfer als einen Künstler von ausgedehnter Wirksamkeit erkennen. Dodgson hat vorzüglich die Tätig- keit des jugendlichen Meisters für den Holzschnitt in Betracht gezogen. Ich versuche, sein Werk durch den Nachweis einiger Serien seiner letzten Lebenszeit zu bereichern.

Einzelblätter.

I. Das Einreiten Karls V. in Augsburg am 15. Juni 1530. Holzschnittfolge von 4 Blättern. Ohne Text. [Stuttgart, Kupferstich- kabinett.]

a) Ein berittener reichgekleideter Adeliger mit entblößtem Schwerte in der Rechten, hinter ihm ein Herold zu Pferde, um sie herum vier Landsknechte. Der Zug bewegt sich nach rechts. 262X405.

b) Ein Ritter auf bäumendem Rosse, den Marschallstab in der Hand, zurückblickend. Hinter ihm in einer Reihe sechs berittene Armbrust- schützen. 242 X383-

c) Vier berittene Adelige, umgeben von sechs Reisigen, von welchen einer fast ganz verdeckt ist. 266x384.

d) Kaiser Karl V., König Ferdinand, der päpstliche Legat Kardinal Campeggi und ein hoher Herr zu Pferde, von acht Reisigen geleitet. Zwei davon werden nur ganz wenig sichtbar. 237x389.

Das Blatt a (Nachbildung in Breunner-Enkevoerths Kriegsvölkern III, 14, Abb. in Hirths Kulturgeschichtlichem Bilderbuche II, 746) ist auch dem Schnitte nach im Altersstile Breus gehalten, wie er in dessen Belehnung König Ferdinands I. ausgeprägt erscheint. Etwas glatter sind

Zum Holzschnittwerke Jörg Breus d. Ä.

49

im Schnitte die Blätter c und d. Im Blatte b ist die Eigenart Breus durch den Schneider, der in Meldemanns Art geschult war, leicht getrübt.

Die Rückseiten der Blätter a, b und c sind weiß, die des Blattes d zeigt den roten Druck der unteren Hälfte eines Kalenderblattes.

2. Die Verkündigung eines Ablasses. Holzschnitt, auf die Ausmaße 190X273 verschnitten. [Potsdam, Sammlung W. L. Schreiberb

Rechts ein Kardinal und ein ein Tragkreuz haltender Barfüßer- mönch auf Maultieren. Hinter dem Kardinale sitzt ein zur Hälfte weg- geschnittener kleiner Narr, der, die segnende Gebärde des Kardinals paiodierend, ihm einen Gecken sticht. Vpr den Reitern zwei Domherren, von denen der eine ein Holzkreuz mit dem Ablaßbriefe hält, der andere ein Schriftstück verliest. In der Mitte des Bildes sitzt ein Knecht, der Münzen schlägt, links hinter einem Tische ein geldzählender Mann. Vor ihm zwei barhäuptige Bürger, im Hintergründe vier Passantenfiguren.

DrucK mit fetter aber grauer Farbe, die dem Blatte fast das Aus- sehen eines Abklatsches gibt. Die Ränder tragen Spuren eines späteren Versuches, durch Auftrag von schwarzer Druckfarbe Reste von Um- fassungslinien vorzutäuschen. Abb. Deutsches Leben der Vergangenheit!, 95.

In diesem Blatte verspottet Breu, über dessen radikale Gesinnung wir seit dem Erscheinen seiner Augsburger Chronik (Die Chroniken des schwäbischen Städte: Augsburg, VI.) vollkommen unterrichtet sind, den Ablaßhandel. Der Kardinal ist offenbar Campeggi. Daß das, wie es scheint, sehr seltene Blatt von Breu herrührt, erweist etwa ein Vergleich des Kardinals mit dem Manne rechts, des vorlesenden Priesters mit dem Manne links auf dem Pitelschnitte der Propheceien Nr. 25. Die be- fiemdend großen Rundaugen einiger Personen erklären sich aus einem Mißverständnisse des eilfertigen Holzschneiders, der den Breu eigen- tümlichen, den Tränensack bezeichnenden Haken als Begrenzung des Auges auffaßte. Ähnliche Bildungen kommen auf dem Zwingliblatte Ni. 6, im leütsch Cicero Fol. 136 und 138 v, im Konstanzer Konzil des Rychenthal Fol. 29 v, 59, 93 v und öfter vor. Die sonstigen Über- einstimmungen des Schnittes mit denen der beiden letztzitierten Bücher lassen als Entstehungszeit des Spottblattes die Jahre 1530 bis 33 erschließen.

3. Wie der Arme reich und wieder arm wird. Holzschnitt. 183x353. [Oxford, Bodleian Library.]

In zwei übereinander in das architektonische Gerüste einer Loggia eingeordneten, durch Säulchen unterteilten Streifen ist in zwölf Halb- figuren das Schicksal eines reich und wieder arm gewordenen Mannes

') Für die gütige Übersendung des Blattes habe ich Herrn Prof. \V. L. Schreiber in Potsdam bestens zu danken.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

50

Heinrich Röttinger;

dargestellt und durch folgende Beischriften (in 1 ypendruck) erläutert : »Armut macht Demütigkait, Demütgikait (!) macht Fürderung,. Fürderung macht Reichtumb, Reichthub macht Hochfart, Hochfart macht Neyd, Neyd macht Krieg, Krieg macht wider Arm. « Die sehr konfuse Dai- stellung lehnt sich offenbar an Burgkmairs Schnitt »Wie der Arm Reich wirt, Vnd der Reich Arm« (Pass. III, 278, Nr. in) an. Auf der Rückseite ein Holzschnitt, eine Renaissance-Vase darstellend.

Die Kenntnis dieses Blattes verdanke ich Campbell Dodgson.

4. Kandelaberfuß. Holzschnitt des Berliner Kupferstichkahinettes. Er befindet sich auf der Rückseite des Schnittes Burgkmairs B. 32. Abb. J. E. Wessely, Das Ornament und die Kunstindustrie I, 61. Nach Nagler (Monogrammisten III, S. 246, Nr. 50) Hans Burgkmair zugeteilt. Die Urheberschaft Breus erhellt deutlich aus einem Vergleiche des Kandelaberfußes mit den Säulen des Herkules in der Belehnung König Ferdinands I., hg. von A. Essenwein. Frankfurt a. M., 1887.

IllustrierteD rucke. \

5. Luther, Ain Sermon von sant Peter vnd Paul den hayligen zwölf!

hotten. [Augsburg, S. Othmar.] 1522. 4°. [Wien, H.-B. und U.-B.]

Titelumrahmung aus vier Stöcken 170X121, Schriftfeld 105x62. Oben Gottvater, links Adam, rechts Eva, unten Sockel mit römischem Medaillon. Vgl. A. Götze, die hochdeutschen Drucke der Reformatiohs- zeft. Straßburg 1905. Umrahmung Nr. 172.

Wiederholt in den gleichfalls s. 1. et typ. n. erschienenen Erzeug- nissen derselben Offizin: Luther, von dem touben vnd Stumen Marci.

VII. 1522. 4°. [Wien, H.-B.], Luther, Epistel S. Petri. 1523. 4°.

[Olmütz] und Luther, Ain Sermon auf das Euangelion, vonn dem reychen man vn armen Lasaro. Luce. XVI. 1513 [richtig 1523] 4°* [Olmütz.]

Das Berliner Kupferstichkabinett besitzt in einem Ausschnitte eine schlechte Kopie der Umrahmung. Wahrscheinlich ist es dieselbe, die nach Götze S. 116 Hans Schobser in München verwendete.

6. Ulrich Zwingli, Leerbiechlein, wie man die Knaben Christlich vnterweysen vnd erziehen soll, mit kurtzer anzayge eynes gantzen Christ- lichen lebens. [Augsburg, H. Steiner?] 1523. 4°. [Olmütz; Linz, Landes- Archiv.]

Titelschnitt 1 23X1 10. Zwingli, hinter einem Tische sitzend, schenkt das Lehrbüchlein dem frummen Knaben Gerolden Mayer, dem drei Männer mit Geschenken folgen. Portalumrahmung, in den Zwickeln antike Köpfe. Ausgezeichneter Schnitt. Abb. im Jahresberichte des Museums Fran- cisco-Carolinum in Linz, 1903, verkleinert in Steinhausens Mono- graphien VI, 17.

Zum Holzschnittwerke Jörg Breus d. Ä.

51

7. Das Alte Testament Deütsch. Augsburg, Melchior Ramminger, 1523 November 14. fo. [Olmütz Muther, Die ältesten deutschen Bilder-Bibeln Nr, 86.]

Titelumrahmung 250X159, Schriftfeld 112x76. Oben ein Bogen mit zwei Putten, links davon Moses, rechts Israeliten. Seitlich der Säulen Esaias (links) und David (rechts). Unten ein hoher Sockel, in den seitlichen Verkröpfungen Grotesken auf schwarzem Grunde, in der Mitte in zwei Szenen die Schöpfung der Erde und der ersten Menschen.

Auf der letzten Seite des Titelbogens die eherne Schlange (76x52), die mißverständliche Kopie des Signetes Melchior Lotters der Witten- berger Ausgabe von 1523 (Muther, Bilder-Bibeln Nr. 28), welche dem Nachdrucke Rammingers zugrunde lag.

Der Band enthält ferner vier Initialen Breus: Fol. 33 D (Die Ver- klärung auf dem Berge Tabor, 75x53), Fol. 59 U (Das Brandopfer des Lammes, 72x60), Fol. 78 U (Gott spricht zu Moses, 69x60) und Fol. 104 V D (Moses redet zu Israel, 69X60).

Die Titelumrahmung wurde wiederholt in Luthers Haußpostill vber die Sontags, vnd der fürnembsten Fest Euangelia. Augsburg, Val. Othmar. 1547. fo. [Prag, U.-B.]

8. [Johannes Liechtenberger,] Dyse Practica vnnd Prenosti- cation, ist getruckt worden zu Mentz im M:CCCC:XCII. lar : vnd werdt biß man zeit M:D;LXVII:jar . . . [Augsburg, H. Steiner. 1524 oder 1525] fo. [München; Berlin, Kupferstichkabinett; Nürnberg.]

Enthält 46 Schnitte von 45 Stöcken, welche Jörg Breu nach den Illustrationen des am 20. Juli 1492 zu Mainz vollendeten Originales entwarf. Die Schnitte, welche zu den besten der mittleren Zeit des Künstlers gehören, können fast als Neuschöpfungen betrachtet werden. Mit Ausnahme der Schnitte Fol. A2 v und Ae v, welche zirka 190 X 132 messen, haben sie die ungefähren Maße von 123 x 133.

Das Berliner Kupferstichkabinett besitzt eine gleichbetitelte aber 1526 datierte Ausgabe. In der Vorrede heißt es; »Dise Practica ist auft ein newes getruckt vnd gebessert. Auch die vnuolkommen vnd vnuer- stendtlichen Sententz (Auß vrsach ettlicher falschenn, oder außgeblibnen Wörter, so in dem alten Exemplar, nach dem sy vormals getruckt, gewesen) yetzund nach der Lateinischen, zu rechtem verstände widerumb gepracht vnd corrigirt.« Die undatierte Ausgabe ist also die ältere. Der mit denselben Stöcken hergestellte Bilderschmuck beider Ausgaben deckt sich auch nach Zahl und Anordnung, nur sind die Bilder der Ausgabe von 1526 zumeist mit Weiditzschen Leisten umrahmt. Der Drucker ist sicher Heinrich Steiner.

4'

52

Heinrich Röttinger:

Wiederholt wurde die Serie in den drei unter Nr. 25 aufgeführten Ausgaben der Propheceien Liechtenbergers. Da sie Quartformat haben,' mußten die beiden Schnitte großen Formates von der Wiederverwendung ausgeschlossen werden; desgleichen fiel der Schnitt Fol. G5 aus. Von den anderen kleinen büßten viele einzelne Umfassungslinien und selbst Bildteile ein. Der geringere oder größere Grad dieser Verstümmelungen läßt erschließen, daß die 117 Bl. zählende Ausgabe der Propheceien die älteste, die 13 1 zählende die nächstfolgende und die 1549 erschienene die jüngste ist.

Von einzelnen Schnitten finden sich der Fol. F3 v (in verstümmeltem Zustande) als Titelschnitt in des Aristoteles Schrift Das aller edlest vh bewertest Regiment der gesundtheit. Augsburg, H. Steiner, 1530 December 28. 4°. [Im Buchhandel] und der Ausgabe 1532 April 22

desselben Druckers [Maihingen], der Fol. B auf Fol. 119 v und der Fol. ¥2 v auf Fol. 165 v des Polydorus Vergilius, Von den erfyridern der dyngen. Augsburg, H. Steiner. 1537 Januar, fo. [Wien, U.-B. Muther 1112], der Fol. F2 V auf Fol. 147 v, der Fol. C (nach Entfernung des Sternes, der in den Propheceien typographisch ersetzt ist) auf Fol. 140 und der Fol. G5 auf Fol. 140 v des Teütsch Cicero. Augsburg, H. Steiner. 1534- Jänner 20. fo. [Wien, U.-B.]. Der Schnitt Fol. C (im zweiten Zustande) ist abgebildet in Hirths Kulturgeschichtlichem Bilderbuche I, Nr. 480 und im Deutschen Leben der Vergangenheit I, Abb. 740, der Fol. F2 v in Steinhausens Monographien XII, 43, der Fol. H4 in Baers Katalog 500, S. 165, der Fol. B5 v und der D5 v in Hirths Formenschatz 1887, Nr. 133. Ebenda 1883, Nr. 15 1 die Vorlage des Mainzer Urdruckes zu dem Schnitte Bj v.

Georg Lemberger hat 44 der Schnitte in verkleinertem Maßstabe für die Ausgabe Luflfts von 1527: Die weissagunge Johannis Lichten- bergers Deudsch in 4°. [Nürnberg] wiederholt. Vgl. Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst, 1906, S. 7, Anmerkung 2. Ein Vergleich der beiden Serien bezeugt in auffallender Weise die Inferiorität der sächsischen Kunst gegenüber der augsburgischen. Von einer Reihe der Brenschen Illustrationen kenne ich in Ausschnitten kleine wert- lose Kopien (ca. 60 X 100) eines namenlosen Handwerkers, deren Stöcke offenbar in den mir unbekannten späteren Ausgaben des Buches die halb zerstörten Originalstöcke Breus zu ersetzen hatten.

9. [Johann von Schwarzenberg,] Beschwerung der alten Teüfelischen Schlangen mit dem Götlichen wort. [Augsburg, H. Steiner, 1525.] 4°. [München.]

Enthält vier Schnitte: die Schlangenbeschwörung (Titel), den Fels Petri (Fol. B2 v), die Schlüssel Petri (ii) und Christum vor dem Para-

Zum Holzschnittwerke Jörg Breus d. Ä.

53

diesesbaum (44 v). Dieser Druck (61 pag. Blatt) kam als Fragment in den Handel. Der vollständige Druck, als »New. Corrigiert, vnd besser Registeriert« bezeichnet und 1525 datiert [Wien, H.-B.; München; Olmütz (defekt) C. Dodgson, Catalogue of early German and Flemish woodcuts, I, 441, Nr. 5], zählt 142 pag. Blatt und außer den vier oben genannten und einer Wiederholung des Titelschnittes noch sechs weitere Illustra- tionen: eine Beichtszene (62), ein Priester reicht die Hostie (65 v), ein anderer traut ein nacktes Menschenpaar (83), Petrus und die Tiere (99), eine satirische Darstellung der Kirche als Vogelfänger (106) und ein Prädikant katholischen Priestern predigend (132 v). Der vollständige Druck ist also mit zehn Schnitten geschmückt, von denen der letzte 128x95, die andern zirka 96x100 messen. Sie sind sehr getreue Kopien Jörg Breus nach den Schnitten, mit welchen Hans Sebald Beham die gleichbetitelte, von Hans Herrgott in Nürnberg 1525 gedruckte Originalausgabe (Muther 1265) versehen hatte.

Zwei Schnitte wurden im Polydorus Vergilius von 1537 Fol. 6 v und 152 V, vier in der Ausgabe von 1544 Fol. 5 V, in, 115, 120 und 132 v wiederholt. Ferner findet sich der Schnitt Fol. 62 im Teütsch Cicero^) Fol. 139 V, der Fol. 83 in A. v. Eyb, Ob einem Man geziine, zu nemen ein Eeweib oder nit. Augsburg, H. Steiner, 1540. 4°. [Wien, H.-B.l

Fol. H3 V und Nv und als Titelschnitt zu Plutarchs Ein schön herlich Büchlin, einer trewen, vnnd seligen underweisung, wie sich zwey Eeleut gegen einander halten sollen. Augsburg, H. Steiner, 1545 Juni 5. 4°.

[Wien, U.-B.]

IO. Von Fortunato vnd seynem Seckel, Auch Wünschhütlin. Augs- burg, H. Steiner, 1533 Jänner 2. 4°. [Berlin, Kupferstichkabinett.]

Enthält 48 Schnitte von 45 von Jörg Breu gezeichneten Stöcken gedruckt. Der Titelholzschnitt mißt 141X114, die anderen ca. 68x95. Wahrscheinlich sind sie Neubearbeitungen der Schnitte der mir un- bekannten Augsburger Ausgabe von 1509 (Muther 1050). Über die

*) Dieser Druck, den zuerst W. Schmidt (Rep. XIX, 1896, S. 286) unter die Werke Breus stellte, enthält von »diesem Meister 58 Schnitte. Alt sind vier: der eben zitierte aus Schwarzenbergs Buch und drei aus der Prenosticatio Liechtenbergers (vgl. Nr. 8). Vier von besserer Qualität gehören zum Büchlein vom Zutrinken (Muther 1092), 50 von 48 Stöcken zum Memorialbüchlein (Muther 1094). Sie sind als Fortsetzung zu der 42 Schnitte von 41 Stöcken zählenden Reihe Schäufelins gedacht und von ungleicher Güte: vorzüglich der Fol. Ee2, sorgfältig die Fol. 138 V, 139, fremdartig der Fol. 121 V. Die anderen sind gleichmäßig schlecht und schleuderhaft, alle aber sichere Arbeiten Breus und merkwürdig dadurch, daß sie zahlreiche und weitgehende Ent- lehnungen aus Weiditz’ Glücksbuch aufweisen, z. B. 121V, Petrarka (Ausgabe vom 9. Februar 1532) II 41 v; 120 (bis) II 21 v; 123 I 58 v; 127 v II 24 V; 137 II 4 usw. Der Fol. 136 V ist mit 1533 datiert.

54

Heinrich Röttinger:

Steinerschen Ausgaben vgl. Goedekes Grundriß, 2. Aufl., I, 354. Offenbar war schon jene von 1530 mit den Schnitten Breus geziert.

Die Ausgabe: Von Fortunato vh seinem Seckel, Auch Wünsch- hütlin. Augsburg, Hans Zimmermann, 1548. 4°. [München] kopiert

gegenseitig sämtliche Schnitte Breus mit Ausnahme zweier: des Fol. der Ausgabe von 1533, der durch den nochmaligen Abdruck der Kopie von A3 V ersetzt wird und des Fol. B (1533), den eine kleinere und nicht in die Reihe gehörige Turnierdarstellung ersetzt.

Die Schnitte des Fortunat sind eine der schönsten Holzschnittreihen Breus, von großer Glätte und ungemein flott erzählt. Sie gehören nach Stil und Ausführung neben die Schnitte der Prenosticatio Liechtenbergers und werden bald nach der Mitte der zwanziger Jahre entstanden sein. Die Schnitte des Fortunat wurden nur selten wiederverwendet. Der Schnitt Fol. Sv findet sich im Polydorus Vergilius 1537 Fol. 200, 1544 Fol. 163, der Fol. v in Eybs Nr. 9 zitierter Schrift Fol. N v, der Fol. P3 in Avila, Ein nützlich Regiment der gesundtheyt. Augsburg, H. Steiner. 1531 Februar 20. 4°. [Wien, U.-B.] Fol. 64 V, in Steiners spanischer Ausgabe dieses Buches von 1530 [vgl. Nr. 13] Fol. Q. Diese Verwendung bestätigt die Vermutung, daß die Schnitte nicht erst 1533 verfertigt wurden.

Eine Abb. des Titelschnittes in Könneckes Bilderatlas zur Gesch. der deutschen Nationalliteratur, 2. Aufl., S. 114, des Schnittes F'ol. P3 im Deutschen I»€ben der Vergangenheit I, Abb. 739.

11. Ein Hafner, an der Drehscheibe sitzend. 102x115. Tn Polydorus Vergilius, 1537, Fol. 67, und 1544, Fol. 56 v. Wahrscheinlich schon früher etwa als Titelschnitt in einer Anleitung zur Hafnerkunst verwendet. Abb. Steinhausens Monographien VIII, 22.

12. Anthonius Margaritha, Der gantz Jüdisch glaub. Augs- burg, H. Steiner, 1530 März 16. 4°. [Berlin, Kgl. Bibliothek Myther 1073.]

Titelbild 98x107: Gruppe disputierender Juden. Abb. in Stein- hausens Monographien XI, 66.

Am 7. April 1530 war eine neue Ausgabe des Druckes vollendet worden. [Im Buchhandel.]

Der Schnitt wurde Fol. 185 von Boccaccios Werk, Fvrnemste Historien vnd exempel von widerwertige^m Gluck. Augsburg, Steiner, '^545 Februar 27. fo. [München Muther 1127] wiederholt.

13. Luys de Avila, Vanqvete de nobles cavalleros. Augsburg, H. Steiner, »Augusti die vltimo in celeberrimo Augustissimi. Ro. Imper. Caroli V. ac aliorum Germaniae procerü conuetu.« '[1530] 4°. [Wien, H.-B. Muther 895.]

Titelschnitt: Der Schild mit dem kaiserlichen Adler, von der Kette des goldenen Vlieses umschlungen, inmitten der Säulen des Herkules.

Zum Holzschnittwerke Jörg Breus d. A.

55

»Plvs vltra«. [Typen.] Ohne Umfassungslinie. 115x106. Seitlich je eine Leiste Weiditz’. Wiederverwendet in Johann von Eck, Umb den grossen sig Kaiserlicher Maiestat, in Thunis verlihen, Got zu dancken, zwu predig. Augsburg, Alexander Weyssenhorn, 1536. 4°. [Wien, U.-B.]

Der Druck enthält noch zwei weitere Schnitte Breus: der P^ol. Q entstammt dem Fortunatus (vgl. Nr. 10), der Fol. R4 v dem Vartomanus (Dörnhöffer a. a. O., S. 2of. Muther 1320); über die anderen Schnitte vgl. Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 50, S. 83 f.

14. Was die Römisch Königlich Ma. 2C. vnd der Hertzog von Saphoy

an gmeine Aydgnoschafft zu Baden im Ergow zu werben beuolhen haben. Im monat Junio. 1536. [Augsburg,] s. typ. not., [1536.] 4°.

[Wien, U.-B.]

Titelholzschnitt (ohne Einfassungslinie) 69X93: Der kaiserliche

Adler zwischen den Säulen des Herkules. Mit der geschnittenen Legende Plvs Ultre. Wiederverwendet in: Christliche bündtnuß vh Kriegßrüstung Keyser Carls . . ., Bapst Pauli, Der Herrschafft zu Venedig . . ., wider den Türcken, zu Rom beschlossen den 8. Februarij, anno 1538. [Augsburg,] s. typ. not., [1538]. 40. [Wien, U.-B.] Der Schnitt ist wahrscheinlich

älter als die erstangezeigte Verwendung. Der Bedarf an Wappendar- stellungen Karls V. war unter seiner Regierung natürlich groß. Steiner hatte sogar die zwei ehernen Säulen des Salomonischen Tempels (Alt. Test. 1535, ir, Fol. 62V) durch Einschaltung der Devise Plvs Ultra zu Sätilen des Herkules gemacht. (Marjus Aretius, Dialogvs, in quo pro Caesare iura Mediolani . . . leguntur. Aug. Vind., 1530 August 30. 8°.

Fol. Av).

15. Andreas Alciatus, Emblemätum Über. Augsburg, H. Steiner,

1531 Februar 18. 8°. [München.]

Die Titelumrahmung ist von dem Fol. Fj v der Meditationes \Veiditz abgedruckten Stock genommen. Die 98, in anderen Drucken meines Wissens nicht wieder verwendeten Illustrationen des Buches sind von Breu. Es sind teils Hoch-, teils Breitbilder, alle ca. 36x60 messend. Die Leisten neben den ersteren sind zumeist Weiditzsches Gut. Die Schnitte Breus sind im ganzen roh, mitunter (z. B. Fol. D4, D5 v) laufen starke Einflüsse Weiditz’ unter. Der zweite Druck des Emblemätum über, »iam denuo emendatus & recognitus« und am 29. Juli i534 vollendet [Muther 1102], deckt sich illustrativ mit dem ersten. Breus Hand hat in diesen Schnitten Karl Giehlow zuerst erkannt.

Facsimilia der Brenschen Schnitte gab die Holbein Society in den von H. Green besorgten Emblemätum fontes (juatuor, London, 1870.

16. Erziehung, Gebrauch. Lernüg. Arztney in zufelligen vh Natürlichen kranckheitten, aller zahmen, dem menschen gebreuchlichen.

56

Heinrich Röttinger;

vnd geheimen Thier . . . Aiiß Varrone, Plinio, Vergilio, Pallatlio etc. Augsburg, H. Steiner. 1531 März 18. 40. [Im Buchhandel.]

Titeischnitt: Tiere (Schafe, Ochsen, Hirsche), in einer Landschaft nach rechts ziehend. 69X95. Die Leisten des Titelblattes gehören VVeiditz. Wiederholt in B. Platina, Von der Eerliche zimlichen, auch erlaubten Wolust des leibs. Augsburg, H. Steiner. 1542 März 14. fo. [Berlin, Kupferstichkabinett Muther 1121.] Gute Arbeit im Stile der Schnitte des Fortunatus.

17. Zwei Paare geharnischter Krieger. Holzschnitte.

a) Zwei Könige mit bekrönten Helmen. Der linke hält in der linken Hand ein Szepter, in der rechten einen gesenkten Krummsäbel, der rechts in der rechten ein blankes Schwert. Seine linke ist sprechend erhoben. 182X159. Injustinus, Warhafftige Hystorien ... auß Trogo Pompeio gezoge. Augsburg, H. Steiner, 153 1. fo. [Wien, H.-B.; München Muther 1079.] Titelblatt.

b) Der linke Ritter im Profil nach rechts, in der linken Hand das Schwert samt Scheide und Riemen. Der andere, nach rechts gewendet, blickt sich um, die Rechte am Dolche. 176x158. In Herodianus. Augsburg, H. Steiner, 1531 August 19. fo. [Lainz,Rossiana Muther 1078]. Titelblatt.

Die Figuren sind ziemlich getreu nach vier von den Schnitten kopiert, mit welchen Hans Burgkmair 1530 die Pappenheimsche P^amilien- chronik der Grafen von Waldburg versah, und zwar die beiden Gestalten des Blattes a nach Nr. 23 und 29, die des Blattes b nach Nr. 27 und 33 des Münchener Fxemplares. In ihrer von Breu, dessen Urheberschaft mindestens sehr wahrscheinlich ist, getroffenen paarweisen Anordnung gehören die Schnitte ikonographisch in dieselbe Reihe wie Daniel Hopfers Jakob und Fsau und Ninus und Fridericus II (Butsch, Bücherornamentik,

I 20 und 21), welches Alotiv seine künstlerisch feinste Behandlung in Burgkmairs Albuinus und Athanaricus erfahren hat (Butsch, I 22).

Der Schnitt a wurde mit wechselnder Benennung wiederholt im Jiistinus von 1532 [Wien, Albertina], im Thukydides, Von dem Pelo- ponnenser krieg. Augsburg, H. Steiner, 1533 Juni 16. fo. [München Muther 1091], im Plutarchus Teutsch. Augsburg, H. Steiner, 1534 März 7. fo. [Prag, U.-B. Muther 928] im Xenophon, Commentarien vnd beschreibungen von dem leben vfi heerzug Cyri. Augsburg, H. Steiner, 1540 Juli 22. fo. Wien, U.-B. Muther ii 14] und in Bracellus und Jovianus, Ein Schöne Cronica, vom Künigreich Hispania. Augsburg, H. Steiner, 1543 August 23. fo. [München Muther 1124], der b gleichfalls mit wechselnder Be- nennung im Herodianus von 1532 jjuni 13 [Wien, U.-B.], im Thuky- dides und im Dictys Cretensis, Warhafftige Histori vnd beschreibung.

Zum Holzschnittwerke Jörg Breus d. Ä.

57

von dem Troianischen krieg. Augsburg, Steiner, 1540 April 24. fo. [Wien,

18. Justin US, Warhafttige Hysterien, die er auß Trogo Pompeio gezoge. Augsburg, H. Steiner, 1531. fo. [Wien, H.-B.; München Muther 1079; Ausgabe 1532; Wien, Albertina.]

Das Buch enthält 50 Schnitte, von welchen Jörg Breu dem Vater das litelbild (=:Nr. 17a) und der Schnitt Fol. 74 gehören: der Tod des Königes Agathokles. 95 x 156. Der König liegt mit der Krone ge- schmückt auf seinem Sterbebette, zu dessen Seiten seine beiden Söhne stehen. In der Mitte des Bildes die weinende Königin Theogena, an der lüre rechts Gefolge. Zeitkostüme. Der Schnitt wurde für den Justinus neu gearbeitet und im Barlatius (Nr. 22) sowie in V. Stein- meyers Newen . . . Figuren, Frankfurt a. M., 1620, Fol. Bb 4V wieder- holt. Vgl. zu diesem Blatte Nr. 23.

19. Berthold Pirstinger, Theologia germanica. Augsburg, A. Weissenborn, impensis M. Silbereysen, 1531. fo. [Wien, U.-B.]

Titel Umrahmung 233 x 163, Schriftfeld 138 X 95. Oben Gottvater, unten die Muttergottes mit dem Jesuskinde, links vor Nischen Petrus und Rudbertus, rechts Paulus und Augustinus, in den Ecken je ein Kvangelistensymbol in Scheibe.

Wiederholt in: Berthold Pirstinger, Tewtsch Rational über das Ambt heiliger meß. [Augsb., A. Weissenborn] 1535. fo. [Wien, U.-B.]

20. Flavius Vegetius, Ain Büchlein, vönn rechter vnnd warhafifter kirnst der Artzney, Allerlay kranckheyten . . . aller Thyer. Augsburg, H. Steiner, 1532 Februar 23. 4°. [Wien, H.-B.]

Titelschnitt 109 x 112: Ein geharnischter Ritter (Vegetius) inmitten kranken Getieres, Knechten Anweisungen zu dessen Heilung erteilend.

21. Raymundus Lullus, Künstliche eröffnung aller verborgen- heyten vn geheymnussen der natur . . . Augsburg, H. Steiner. 1532 März 21. 40. [Wien, U.-B. Muther 1087.]

Titelschnitt: im Waldesdickicht bespricht sich ein Mann mit einer Nonne, die mit der Linken nach einem im Hintergründe sichtbaren Kloster weist. 113 x 107. Wiederholt im Polydorus Vergilius von 1544, Fol.. 146 V.

22. Marinus Barlatius, Des aller streytparsten vn theüresten bürsten vnd Herrn Georgen Castrioten, genant Scanderbeg . . . Ritter- liche thaten. Augsburg, H. Steiner, 1533 Februar 21. fo. [Wien, H.-B. Muther 1090.]

Von den 106 Schnitten des Druckes gehören 12 von 5 Stöcken dem alten Breu. Einer entstammt dem Vartomanus, Miller 1515 (Muther T020), der sterbende König Fol. 7 dem Justinus (Nr. 18). Neu

58

Heinrich Röttingcr:

erscheinen hier: Fol. 6o: Der Wiederaufbau der Stadt Balesium. 95 ^ ^55* Rechts auf einem Felsen die eingerüsteten Mauern einer Burg, links Blick in eine Landschaft mit einer Stadt, rechts vorn zwei Arbeiter. Wiederholt im Polydorus Vergilius 1537 und 1544. Fol. 70 v: Die Barbari lösen ihre Gefangenen aus. 95 X 155. In einem Zelte empfängt Skanderbeg von einem Türken das Lösegeld; rechts Skanderbegs Krieger, links werden die Barbari ihrer Ketten entledigt. lol. 82: Das türkische Lager vor der Stadt Sfetigrad. loi X 156. Rechts oben die Stadt, um sie das Lager der Türken. Wiederholt im Xenophon 1541 (Muther 1114)-

Diese drei Schnitte, noch um einen Grad schleuderhafter als die zum Justinus und Thukydides gelieferten, tragen von Breus Kunst gerade noch einen Schimmer. Man vergleiche den Fol. 70V mit flüchtiger gearbeiteten Blättern des Rychenthal wie Fol. 30 oder 49 und mit Fol. 133 des Teütsch Cicero.

23. Thukydides, Von dem Peloponnenser krieg. . . Augsburg, H. Steiner, 1533 Juni 16. fo. [München Muther 1091.]

Das Buch zählt 50 Schnitte. 7 von 4 Stöcken gehören dem alten Breu: die beiden Ritterpaare Nr. 17, sodann Fol. 63 V: Belagerung einer Stadt (hier Platea). 93x155. Rechts die Stadt, links das Lager, von dem aus eine Kanone abgefeuert wird. Wiederholt in Dictys Cretensis und Dares Phrygius, Wahrhafftige Histori von dem Troianischen krieg, 1540 April 24 [Wien, H.-B. Muther ii 10 kannte eine Ausgabe 1536], im Xenophon 1541, in Boccaccio, Die Gantz Römisch histori, 1542 Juni 12. fo. [München Muther 1120] Fol. ii v und in Boccaccio, Fvrnemste Historien von widerwertigem Gluck, 1545 Februar 27 [München Muther 1127]. Fol. 67 : 94 X 154. In einem ge'Ä^ölbten Raume unterreden sich zwei bärtige Bür- ger; links vor einem Doppelfenster eine Gruppe von Männern. Zeitkostüme. Wiederholt in Dictys und Dares und in Leonhardus Aretinus, Zwey schöne Auch lustige Historien . . ., der Rhömer krieg, wider die Carthaginenser. 1540 Oktober 7 [Wien, H.-B. Muther 1115]. Dieser Schnitt zeigt die Hand Breus vollkommen deutlich, wodurch auch der Fol. 63 und der im Justinus mit Sicherheit als Arbeiten Breus erwiesen werden. Dem letzt zitierten Blatt vergleiche man z. B. Teütsch Cicero Fol. 137 v.

24. Hieronymus Braunschweyg, Haußapoteck. Zu yedn Leibs gebresten, für den gmainen man, vnnd das arm Landuolck . . . [Augsburg, H. Steiner, nach 1530]. 4°. [Im Buchhandel, defekt.]

Fol. II Schnitt von Jörg Breu 120 X 144. In einem Himmelbette liegt ein bärtiger Kranker. Zu seiner Seite stehen drei Männer. Der eine hat den Hut mit Spielkarten besteckt, der zweite trägt ein großes Warzenglas, der dritte hält ein Blümlein in der Hand. Am Fußende des Bettes ein Mann im Talare.

Zum Holzschnittwerke Jörg Breus d. Ä.

,59

Es gibt noch eine zweite Ausgabe der Haußapoteck (. . . yeden leibs . . .), die ich auch nur aus einem defekten Exemplare des Buch- handels kenne, dem aber Fol. 1 1 fehlt.

25. Propheceien. vnd Weissagungen. Vergangne, Gegenwertige, vnd Künlftige Sachen, Geschieht vnnd Zufall, Hoher vnnd Niderer Stände Als: Doctoris Paracelsi, Johan Liechtenbergers, M. Josephi Grünpeck, Joan. Carionis, der Sibyllen, vnd anderer. [Augsburg. H. Steiner, nach 1530.] 4°. 117BI. [Nürnberg.]

Spätere Ausgaben aus der Offizin Steiners: s. a. 4°, 13 1 Bl. [Wien, Bibliothek J. Wünsch; defekt] und: 1549. 4°, 128 Bl. [Wien, Albertina; Nürnberg.]

Das Buch enthält 33 Schnitte Jörg Breus zur Prenosticatio Para- celsi. Der Titelschnitt mißt 80 X 109, die anderen zirka 68 X 100. Dann folgen in dem unter Nr. 8 konstatierten Ausmaße und Zustande die Brenschen Schnitte der Folio-Ausgabe der Practica Liechtenbergers. Den Beschluß bilden die Bilder von 13 Sibyllen und das der hl. Birgitta. Die Stöcke dieser Serie (mit Ausnahme der hl. Birgitta) waren zuerst verwendet worden in: Offenbarvng Der Sibillen Weissagungen, Mit ‘viel Andere Prophecien künftiger ding. Oppenheim, [I. Köbel], 1516. 4°.

[Nürnberg. Vgl. F. W. E. Roth, Die Buchdruckerei des J. Köbel. Lpzg.j 1889. Nr. 21], dann in dem undatierten Drucke Roth Nr. 18, S. 31 f. [Im Buchhandel]. Von Steiner gelangten die Stöcke später an Chr. Egenolff in Frankfurt a. M., der sie 1531 in Zwölff Sibylle Weissagungen. 4°. [Wien, H.-B.] und mit den Brenschen Schnitten zu Liechtenbergers Pröpheceien zusammen in einem mir aus einem defekten Exemplare der Franziskaner-Bibliothek in St. Pölten bekannten Drücke verwendete. Roth (S. 32) bemerkt nach Dibdin, die Schnitte der Sibyllen seien Kopien italienischer Arbeiten von 1478. Gefertigt wurden sie von demselben unbekannten Künstler, der den Titelschnitt zu des Trithemius Liber Octo questiohü ad Maximilianum Caesarem. Oppenheim, [I. Köbel], imp. Joh. Haselbergs, 1515 Sept. 20. 4°. [Roth Nr. 16] entworfen hatte.

Der Schnitt Fol. 17 wurde im Polydorus Vergilius von 1544 Fol. 148 V wiederholt.

26; Boccaccio, Ein Schöne Cronica oder Hystori buch, von den fürnämlichsten Weybern . . . durch Henricum Steinhöwel in das Teütsch gebracht. Augsburg, H. Steiner, 1541 Juni 8. fo. [München; Berlin, Kupferstichkabinett Muther 930.]

Das Buch enthält 81 Schnitte, von denen 3 (Titelbild, Fol. Ae v und 89) dem Theuerdank entnommene Arbeiten Leonhard Becks sind, einer (Fol. i) von Schäufelin aus Schwarzenbergs Teütsch Cicero stammt. Die restlichen 77 von 75 Stöcken gedruckten Schnitte ca. 69 x 99

6o

Heinrich Röttinger:

gehören Jörg Breu und sind nach der Vorlage der 1479 von A. Sorg in Augsburg gedruckten Ausgabe gearbeitet. Die alten Blätter gaben Breu zumeist nur das Schema, die Nachbildungen sind oft sehr frei und nur selten im Gegensinne, die Geschichte der Europa Fol. 8v ist ganz Breusches Eigentum. Die Stöcke mögen aus den dreißiger Jahren stammen.

Eine illustrativ sich mit der obigen völlig deckende Ausgabe erschien 1543 Februar 3. [Im Buchhandel.]

Zwei Schnitte wurden wiederholt in Albrechts von Eyb unter Nr. g zitierten Schrift Eol. N3 und R, drei in Brunos Historien vnnd Fabeln. Augsburg, H. Steiner, 1541 Deceinber 5. 4°. [Dresden Muther 1119] Fol. 7, 14 V und 18; einer in Boccaccios Römisch histori. Augsburg, H. Steiner, 1542. fo. [Berlin, Kupferstichkabinett Muther 1120] Fol. 16; neun in Boccaccios Nr. 12 herangezogener Schrift Fol. 9, 12, 21 v. 41 V, 54 V, 59 V, 68 V, 159 V und 222 V.

27. Die Histori oder geschieht von der edeln vnnd schönen

Melusina. Augsburg, H. Steiner, 1538. 4°. [Im Buchhandel.

K. Schorbach, Die Historie von der schönen Melusine, Zeitschrift für Bücherfreunde I/i, S. 132 ff., Nr. 14.]

Der Druck enthält 69 Holzschnitte; zwei sind von dem von Weiditz gezeichneten und Fol. K v seines Plautus abgedruckten Stocke genommen, zwei stammen aus dem 15. Jahrhundert. Die andern 65 sind von Jörg Breu entworfen und von 59 verschiedenen Stöcken gedruckt. Das Titel- bild mißt 102 X 108, die anderen 104 x 70. Die Vorlage Breus bildeten die Illustrationen des Druckes J. Bämlers in Augsburg, 1474. Proben dieser abgebildet im Deutschen Leben der Vergangenheit in Bildern I, S. 40.

Die Wiener Hofbibliothek besitzt ferner die mit den Schnitten Breus versehenen Ausgaben von 1539 (Schorbach Nr. 15) und 1543 (Schorbach Nr. 17).

Der Schnitt Fol. I4 (1539) wurde Fol. 53 von Boccaccios Fvr- nemsten Historien vnd exempel von widerwertigem Gluck . . . Augs- burg, H. Steiner, 1545. fo. [München.] wiederholt.

Abb. des Schnittes Fol. E (1539) im Kataloge der Sammlung G. R. V. Emich, Wien, Gilhofer und Ranschburg. 1906. S. 53.

28. Nicolaus von Weil, Translation oder Deütschungen. Augs- burg, H. Steiner, 1536 Februar 18. fo. [Berlin, Kupferstichkabinett. Muther iiii.]

Das Buch enthält 33 Schnitte und zwar von Weiditz aus dem Petrarka (15) und den Offizien (i), von Schäufelin aus dem Teütsch Cicero (i), das Burgkmairsche Glücksrad, das zuerst F. Dörnhöffer in den Kunstgeschichtlichen Anzeigen 1904, S. 61 seinem Urheber zugeteilt hatte, und IO Schnitte des 15. Jahrhunderts. Die übrigen fünf sind von Breu:

Zum Holzschnittwerke Jörg Breus d. Ä,

6i

zwei sind dem Rychenthal (vgl. W. Schmidt in Rep. XXVI, 1903, S. 133) entnommen, neu- die folgenden;

Fol. ae v: Euryolus erblickt zu Siena die Lucrezia 170 x 126. Wiederholt in Brunos Historien (vgl. Nr. 26) Fol. v (zugeschnitten aut 165 X II 4) und in diesem Zustande abgebildet im Deutschen Leben der Vergangenheit I, Abb. 738.

Fol. 66 v: Szene aus dem goldenen Esel des Apulejus. 174 X 122.

Fol. 39 v: An einem Tische sitzen zwei Männer, denen ein Pilger mit einem Sacke naht. Blick ins Freie: derselbe Pilger wird von einer Frau mit einer Ruthe verjagt. 128 x 113. Wiederholt; Polydorus Vergilius 1537 Fol. 192, 1544 Fol. 156V.

Die ersten beiden Schnitte sind Arbeiten aus Breus letzter Zeit und wahrscheinlich für den vorliegenden Druck angefertigt. Interessanter ist der dritte, künstlerisch wertlose Schnitt, der auf den ersten Blick mit Breu nichts zu tun zu haben scheint, aber so ganz zu den Schnitten der Prenosticatio Liechtenbergers stimmt (man beachte die Falten Fol. B.J V, den Baum Be v, die Haare C2 usw.), daß er mit diesen um das Jahr 1525 entstanden sein muß.

29. Johann von Eck, Christenliche jDredig über die Euangelien Augsburg, Alexander Weissenborn, 1530 1534 April, fo. 4 Teile. [Wien, U.-B. Vgl. Muther 1693.]

I. Teil. Das Titelblatt, dem mir vorliegenden Exemplare fehlend, trägt offenbar denselben Schnitt wie die der Teile II und III. »Der Band enthält mit dem folgenden die Initialen und Schnitte Hans Sebald Behams zum Neuen Testament, Pauli 703 fr, und den bezeichneten Schnitt Osten- dorfers Pass. III, 3 II, Nr. 5.

II. Teil. 1530. Titelumrahmung von Leonhard Beck, welche zuerst in Geilers Schiff der Penitenz, Augsburg, H. Othmar, 1514 (Muther 938) verwendet worden war. Die in Teil I begonnene Serie von Schnitten Behams wird fortgesetzt. Das Kardinalswappen am Ende (73x60, ohne Einfassungslinien) ist von Breu.

III. Teil. 1531. Titel wie bei II. Enhält die Schnitte Schäufelins

zu Hans Othmars Heiligenleben von 1513 (Muther 901) und 9 Schnitte Breus 63x87. Acht illustrieren die Geschichte Christi und seiner Mutter (Heimsuchung, Geburt Christi, Beschneidung, Christus die Juden lehrend, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingstfest, Tod Marias), einer das Sakrament des Altares (ein Priester unter einem Baldachine die Hostie tragend). Breus Auferstehung ist eine freie Kopie nach Schäufelin Pass. III, 235 Nr. 139 c. Diese 9 Schnitte wurden in Tomus 3 der pars V, die Schnitte: Christus den Juden predigend, die Auferstehung und das

Pfingstfest in Tomus 2 der pars V der Opera des Eck (Nr. 30) wiederholt.

Ö2

Heinrich Röttinger: Zum Holzschnittwerke Jörg Brcus d. A.

IV. Teil, 1533 1534- Titeleinfassung von Jörg Breu (246x160, Schriftfeld 132x84) von 15 Wappen vor ornamentiertem Rahmen ge- bildet. Abb, in Hirths Formenschatz 1884, 157. Enthält außer der rohen Kopie eines der früher erwähnten Schnitte Behams (vgl. Nr. 30) und einer Kopie nach dem Schnitte Ostendorfers in Teil I acht Schnitte Breus. Einer gehört zu der Serie des Teiles III und stellt die Taufe Christi dar, die anderen sieben behandeln die sieben Sakramente mit Wiederholung des in diese Reihe gehörigen Schnittes des Teiles III.

30. Johann Eck, ^Prima pars opervm . . . contra Lvddervm. Augsburg, Alex. Weissenborn impensis G. Krapff Ingolstadii. 1530- ^o. [Wien, H.-B., U.-B., Schottenstift. Muther 1692.]

Titelumrahmung 242X161, Schriftfeld 71x89. Oben Gottvater in W’olken mit der Kaiser- und der Königskrone, die er über die Medaillon- porträts Kaiser Karls und König Ferdinands hält. Beiderseits Pilaster mit je 15 Wappen, im hohen Sockel 18 weitere.

II. pars. 1531. [Wien, H.-B., U.-B., Schottenstift.]

Titel: Wappen des Kardinallegaten Laurentius de Campegiis. Im roten Überdruck »1531« 103X105.

III. pars, 1533. [Prag, U.-B.]

Titelumrahmung 246x162, Schriftfeld 131x86. Oben im Halb- rund die Himmelsglorie; links Patriarchae, Martyres, Confessores; rechts Prophetae, Martyres, Virgines; unten Viduae, Innocen. pue., in der Mitte Andächtige vor einem Altäre kniend.

IV. pars blieb mir unbekannt.

V. pars. 1533. Tomus i und 2 [Wien, H.-B. und U.-B.; Prag, U.-B.] enthält die Titelumrahmung der pars III und eine Serie mäßiger Kopien nach den Schnitten Hans Sebald Behams zum Leben Jesu, welche Teil I und II der Predigten Ecks *[Nr. 29] enthalten hatte (vgl. Pauli S. 334). Ein Blatt dieser Kopien war gleichzeitig im Teil IV der Predigten Ecks abgedruckt worden. Sodann ein Blatt Schäufelins aus der Serie des Teiles III der Predigten Ecks und Wiederholungen von drei Schnitten Breus aus Teil III der Predigten Ecks. Neu ist hier (Tomus I, Fol. 123) die Fußwaschung von Breu. Tomus 3. 1534. [Wien, H.-B., Schottenstift] enthält eine fremde Umrahmung, die Serie Schäufelins, die den Teil III der Predigten Ecks schmückte, eine der Kopien nach Beham und jene neun Schnitte Breus, welche Teil III der Predigten ent- halten hatte.

Ein unbeschriebener Kupferstich von Marcanton.

In der Kupferstichsammlung des Museums zu Stockholm fand ich vor kurzem unter, den Stichen unbekannter italienischer Meister ein Blatt, oder vielmehr das Fragment eines Blattes, in dem ich mit Be- stimmtheit eine vorzügliche frühe Arbeit Marcantonio Raimondis erkennen zu können glaubte. Das Fragment ist 141 mm hoch und 70 mm breit. Ein zweites Exemplar des Stiches ist mir bisher nirgends begegnet. Leider ist der Gegenstand der Darstellung so beschaffen, daß eine Veröffentlichung selbst in einem wissenschaftlichen Fachblatte nicht angängig erschien. Sogar die Beschreibung muß vor dem dargestellten Motive Halt machen. Der Stock- holmer Stich zeigt die Figur einer stehenden jungen, ganz nackten Frau, deren Körper auf dem rechten Beine ruht, während das linke auf einen ziemlich hohen Steinsockel aufgestellt ist. Wahrscheinlich war die Dar- stellung rechts von der nackten Frau durch eine antike Statue oder Herme, von der wohl das corpus delicti herrührt, vervollständigt. Die Situa- tion wird weniger anstößig erscheinen, wenn man sich die Figur in den bacchischen Kreis versetzt denkt. Es sei hierfür auf die Gruppe der Paniske bei der Pansherme zur Linken in Marcantons Bacchanal (B. 249) hingewiesen. Den Hintergrund bildet eine Landschaft, ein See mit einer bewaldeten Insel. Zwei rechts ansteigende zarte Umrißlinien von Bergen zeigen deutlich, daß das Landschaftsbild sich nach rechts hin fortsetzt. Ein aus unserem Blatte vom Rande rechts bis in den Steinsockel ausgeschnittenes Loch läßt ebenfalls auf eine Verstümmelung des Stiches, der dagegen links, oben und unten bis an die Plattenränder erhalten ist, schließen.

Das zierliche Figürchen der Frau sieht fast aus, als ob es einer Bronzestatuette nachgebildet wäre, die Formen sind aber mit bemerkens- werter Frische und Natürlichkeit, mit großem Reichtum der Modellierung durchgebildet, so daß man eher eine Studie nach der Natur als Vorlage vermuten möchte. Besonders die Bildung des linken gekrümmten Beines deutet mit seinen Zufälligkeiten in der Muskulatur auf unmittelbare Naturanschauung. Die Stellung des rechten Beines vor dem Sockel, auf dem das linke aufgestützt ist, wirkt statisch nicht ganz überzeugend,

64

Paul Kristeller:

auch der rechte Arm ist weniger geglückt, die ganze Gestalt aber mit ihrem bewegten, geschlossenen Kontur, ihrer anmutigen Biegung, den prallen, elastischen Formen und dem lieblichen Köpfchen von großem Reiz. Unter den frühen Arbeiten Marcantons kommen nur wenige dem Stockholmer Fragment an Frische der Formengebung und an Feinheit der technischen Ausführung gleich.

Daß das Bildchen dieses leider so wenig manierlichen Mädchens dem Grabstichel des Bologneser Meisters seine Entstehung verdankt, wird von Kundigen kaum bezweifelt werden. Auf Einzelheiten braucht gar nicht hingewiesen werden, die Vergleichung mit den unten aufgeführten gleichartigen Stichen ist unmittelbar überzeugend. Die Arbeit gehört in die Zeit, in der Marcanton noch unter dem Einflüsse Dürers steht. Die Landschaft zeigt Dürersche Motive und ebenso unverkennbar macht sich in der Technik das Studium der Kupferstiche und Holzschnitte des deutschen Meisters geltend. Unser Stich muß aber zu den letzten gehören, in denen Marcanton Dürersche Hintergründe verwendet und seine Technik nachahmt. Kurze Zeit nach seiner Ankunft in Rom tritt an Dürers Stelle als Fundgrube für Landschaftsmotive und als Vorbild für die Technik Lucas von Leyden. In der 1510 datierten Gruppe der Kletterer nach Michelangelos Karton (B. 487) ist die Landschaft schon nach einem Stiche des Holländers kopiert. Den Übergang verdeutlicht am besten die Dido (B. 187), in der sich wie in der Technik so auch in der Hintergrundslandschaft Elemente aus Stichen Dürers mit Motiven nach Lucas von Leyden vermischen. Mars, Venus und Amor (B. 345) von 1508 zeigen Marcanton technisch noch in der Abhängigkeit von Dürer. Der Stecher muß auch in seinen ersten Arbeiten in Rom, wo er etwa 1509 anlangte, diesem Stile treu geblieben sein. Das beweisen die beiden prächtigen Blätter (B. 248 u. 249) nach einem bacchischen Sarkophagrelief, das sich damals, wie die Inschrift auf dem Stiche besagt, bei S. Marco in Rom befand (jetzt im Museum zu Neapel). Ohne Zweifel sind diese beiden Stiche in Rom entstanden. Marcanton hat den ersten (B. 248), der zu seinen frühesten römischen Arbeiten gehören muß, unmittelbar darauf noch einmal gegenseitig, in einer freieren und breiteren Manier gestochen. Dieses zweite Blatt (B. 249) ist in der Technik noch Dürerisch, aber wesentlich kräftiger und lockerer behandelt als z. B. Mars und Venus und Amor (B. 345) von 1508. In diese Zeit zwischen 1508 und 1510, in die unmittelbare Nähe des zweiten Stiches nach dem Bacchusrelief (B. 249) muß auch das Stockholmer Fragment gesetzt werden, das also zu den frühesten, um 1509 von Marcanton in Rom ausgeführten Arbeiten gerechnet werden kann. In engster stilistischer und technischer Beziehung zu unserer Frauenfigur stehen besonders noch

Ein unbeschriebener Kupferstich von Marcanton.

65

die kauernde Venus mit Amor (B. 313), die einzelne Figur des Kletterers nach Michelangelo (B. 488), die eine Pflanze begießende Frau (B. 383), der Kampf um die Nymphe (B. 279), die Marcaurelstatue (B. 514) und der Apollo (B. 333). In allen diesen Stichen, die man in oder um das Jahr 1509 setzen darf, hat Marcanton die metallische glatte Modellierung, die enge und noch etwas trockene und steife Stichelführung der Zeit von etwa 1506 bis 1508 überwunden und eine kräftigere und zugleich elastischere und freiere Behandlung der Taillen, größere Mannigfaltigkeit der Strichlagen und weichere, farbenreichere Tonübergänge zu erzielen verstanden. Seine nächsten Schritte führen ihn dann durch das Studium der Werke des Lucas von Leyden zu der überaus zarten und duftigen, silbertonigen Technik, in der er seine ersten Werke nach Zeichnungen Raffaels gestochen hat.

Da, wie gesagt, das Stockholmer Blatt sich nicht für die Repro- duktion in einer Zeitschrift eignet, werde ich den öffentlichen Kupfer- stichkabinetten und den Sammlern, die den Wunsch danach aussprechen werden, eine Lichtdrucknachbildung, die die Kunstanstalt von Albert Frisch in Berlin für diesen Zweck anzufertigen die Güte hatte, überreichen.

Paul Kristeller.

Repertorium für Kunstwissenscharc, XXXI.

5

Zu den Grünewald-Studien von Fr. Bock.

In einem längeren Aufsatze, der in der Walhalla, 3. Buch, S. 109 ff., erschienen ist, fügt Franz Bock zu den früheren Behauptungen, die wir auf Grund unserer modernen stilkritischen Methode ablehnen müssen, noch andere, deren Unrichtigkeit schon ein Laie bei genauer Kennt- nis der Tatsachen einsehen muß. Da diese Behauptungen bereits in den Lichtbilderkatalog von Dr. Fr. Stoedtner übergegangen -sind, der Aufsatz auch sonst Lobredner gefunden hat, sei kurz auf einige Fälle hingewiesen.

Die Pietä in Aschaffenburg ist kein Fragment; ich selbst habe freilich früher die Ansicht ausgesprochen, die hier als selbstverständliche Tatsache hingestellt ist, aber die, mit Bock zu reden, »sinnlose Be- hauptung, das Bild sei wirklich so (wie es jetzt ist) als Predella gemalt worden« entspricht den Tatsachen. Am oberen Rande der Holztafel sieht man noch den einst vom Rahmen bedeckten unbemalten Streifen. Damit fällt auch die Vermutung von selbst dahin, daß die beiden Köpfe auf der Vorder- und Rückseite eines Blattes im Berliner Kupferstich- kabinett (in meinem Grünewald-Werk Tafel 44) Studien zu dem verlorenen Oberteil der Pietä seien. Außerdem stellt der eine nach links gerichtete bartlose Kopf keine Madonna dar, sondern einen Mann. Die Gesichts- bildung paßt für einen Mann besser, das, was man von der Tracht am Halse sieht, nur für einen solchen, am auffallendsten stimmt die ganze Erscheinung, namentlich die Haartracht, mit jenem Bildnis einer bartlosen Persönlichkeit in Pest überein, das Dürer zugeschrieben wird und m. W. immer für die Darstellung eines Mannes gegolten hat. Aber wenn auch die Studie eine trauernde ' Madonna, und der singende Engel auf der Rückseite einen um den Leichnam Christi klagenden Engel vorstellen würde, wäre doch kein Grund vorhanden anzunehmen, daß die Studien gerade für ein Gemälde entstanden seien, von dem wir Kunde haben, da man doch annehmen muß, daß die große Mehrzahl von Grünewalds Arbeiten, auch wohl die eine oder andere Pietä, untergegangen oder wenigstens noch unentdeckt in entlegenen Sammlungen zerstreut ist.

Zu den Grünewald-Studien von Fr. Bock.

67

Das Bild im Freiburger Museum ist kein »seitlich beschnittenes Fragment« einer Mitteltafel, sondern ein Altarflügel.** ‘Auch "hier beweist der unbemalte Rand der Tafel die völlige Erhaltung derselben. Wenn Bock ferner behauptet, daß zu der kleinen Figur im Hintergründe des Bildes, in der der römische Patrizier noch einmal dargesteljt ist, sich im Berliner Kupferstichkabinett eine durchgeführte Kreidestudie befinde, so meint er vielleicht jene Zeichnung zu einem fetten älteren Manne, der beide Arme erhebt, entdeckt von Jaro Springer, publiziert in den Berliner Zeichnungen und von mir a. a. O. Taf. 45. Beide Gestalten haben eine für den flüchtigen Blick ähnliche, in Wirklichkeit aber durchaus ver- schiedene Kopfbedeckung, stimmen aber sonst weder in Haltung noch im Ausdruck überein. Die Zeichnung stellt, wie sich aus gleichzeitigen Darstellungen von Dürer und Holbein nachweisen läßt, einen vornehmen Juden, und zwar eher einen Priester als (wie ich früher glaubte) einen Pharisäer dar, und die Handbewegung kehrt fast identisch wieder auf Holbeins d. J. gemalter Passion bei einem der Juden, die Christum vor Kaiphas verklagen.

Auch dafür haben wir nicht die mindesten Anhaltspunkte, daß die Anbetung der Könige auf der Rückseite der Freiburger Tafel ursprünglich anders geplant war und daß eine andere Berliner Zeichnung (a. a. O. Taf. 42) ein Entwurf dafür war. Man erkennt eine Zeichnung als Studie zu einem bestimrnten Bilde meistens daran, daß sie mit diesem Bilde ganz oder teilweise übereinstimmt. Wenn wir also wirklich eine Zeichnung zu einer Anbetung der Könige hätten, wo jede Figur anders angeordnet wäre, so könnten wir nur dann die Vermutung aussprechen, daß sie nicht für eines det untergegangenen Gemälde, sondern für die Anbetung in Freiburg bestimmt sei, wenn doch zum mindesten andere Indizien wie Datum und Format der Hypothese zu Hilfe kämen. Allein die Zeichnung, die Bock für eine Studie zu einer Anbetung der Könige ausgibt, ist undatiert, hat Breitformat und verrät jedenfalls nirgends, daß sie für ein Bild von schmalem Hochformat bestimmt war. Außerdem stellt sie einen jugendlichen König dar, dessen Mantel von zwei Engeln gehalten wird, vor dessen Knien außerdem noch ein Himmelsglobus angedeutet ist. Es kann nur Christus gemeint sein.

Ebensowenig wie das Freiburger Gemälde das Mittelbild des Altars in der Schneekapelle zu Aschaffenburg gewesen sein kann, dürfen die beiden noch heute neben dem Altäre an der Wand befestigten Tafeln mit dem hl. Georg und dem hl. Martin als Flügel bezeichnet werden. Bock denkt -anscheinend an bewegliche Flügel. Solche waren vorhanden. Es läßt sich sogar die Dicke des Rahmens, etwa 4 cm, noch feststellen. Es waren dies der Freiburger Flügel und ein zweiter, der wie neuerdings von

6*

68

H, A. Schmid: Zu den Grünewald-Studien von Fr. Bock.

anderer Seite entdeckt wurde, früh schon durch ein geringeres Gemälde ersetzt worden ist. Der Mittelschrein ist nun aber nicht mehr als 205,5 breit. Der eine Flügel konnte also mit Rahmen nicht breiter als 103 cm sein. Bei dem Georg ist dagegen die Holztafel allein ohne Rahmen 107 cm breit, beim Martin scheint sie noch etwas breiter zu sein, nämlich 113 cm; es sind 103 cm sichtbar. Die Tafel mit dem hl. Georg, die ich habe herausnehmen lassen, ist auch auf der Rückseite unbemalt, und soweit ich beobachten konnte auch die andere. Die beiden Tafeln waren also keine beweglichen Altarflügel. Aber feststehende kann der Altar kaum gehabt haben; der Mittelschrein läßt nicht leicht die Möglichkeit zu, daß irgendwo noch ein zweites Flügelpaar heraus- gestanden hat. Auch waren solche Flügel in den bekannten Beispielen schmäler nicht breiter wie die beweglichen.

In irgendeinem Zusammenhang scheinen allerdings die beiden Tafeln schon ursprünglich mit der Kapelle gestanden zu haben. Sie zeigen zwar, wie deutlich zu sehen ist, Grünewalds Stil nicht, aber was bisher noch nicht bemerkt wurde dieselbe Hand wie die Anbetung der Könige in Freiburg, und die dargestellten Heiligen waren auch Patrone der Kapelle.

Ein unabsichtlicher Irrtum ist dann wohl die Behauptung, daß die Zeichnung der Sammlung Habich sich im Berliner Kupferstichkabinett befinde. Sie ist Eigentum der Kasseler Galerie.

Die angeführten Behauptungen sind freilich für die Kenntnis des deutschen Geisteslebens zur Reformationszeit nicht von Belang. Für das Charakterbild Grünewalds macht es indessen schon etwas aus, ob z>^'ei von den wenigen erhaltenen späteren Kompositionen als vollständig oder als unvollständig erhalten anzusöhen sind oder nicht. Kein gutes Zeugnis stellt aber die lange Folge solcher Behauptungen dem Autor aus. Denn wir sind in der Beurteilung früherer Dinge überall, so gut wie in jeder anderen Wissenschaft, auf die scharfe Beobachtung des erhaltenen Tat- bestandes angewiesen. Es sind denn auch die allgemeinen umstürz- lerischen Ideen des Aufsatzes in der Formulierung von Bock meines Erachtens oft gerade da direkt unrichtig, wo sie dem Anschein nach auf meine eigenen Ausführungen zurückgehen.

H. A. Schmid.

Literaturbericht.

Kunstgeschichte.

Joseph Destree. Tapisseries et sculptures Bruxelloises ä l’exposi- tion d’art ancien Bruxellois 1905. Bruxelles, Librairie Natio- nale d’art et d’histoire G. van Oest & Cie, 1906.

Die Mappe enthält 50 Lichtdrucktafeln, Abbildungen aller bedeuten- den oder historisch wichtigen Stücke, die in Brüssel 1905 ausgestellt waren, und einen sehr ausführlichen Text. Den breitesten Raum nimmt die Bildweberei in Anspruch (34 Tafeln), die eigentliche Monumentalkunst der Niederländer und im besonderen der Stolz Brüssels. Holzbildwerke, einige Altäre und eine Anzahl einzelner Gruppen und Figuren sind auf 1 1 Tafeln reproduziert, die vergleichsweise seltenen Metallgüsse auf 4 Tafeln. Die letzte Tafel bringt mehrere Fayencen Brüsseler Herkunft.

Der Text bietet mehr, als das bescheidene Vorwort ankündigt, mehr als Erläuterungen zu den Abbildungen. Destree stellt den histo- rischen Zusammenhang her, bemüht sich, ein Stück Geschichte der Brüsseler Kunst zu geben. Freilich war dies Ziel schon deshalb nicht ganz zu erreichen, weil die Ausstellung, wie alle derartigen Veran- staltungen, weder vollständiges noch reines Material bot. Was die Webekunst angeht, war die Ausstellung nicht entfernt so reich wie etwa die königliche Sammlung in Madrid, und zum Studium der Skulptur war nicht wesentlich mehr da, als in den öffentlichen Sammlungen Brüssels stets zu finden ist.

Waren alle die ausgestellten Gewebe und Bildwerke Brüsseler Arbeiten? Diese Frage kann in vielen Fällen nicht bestimmt beantwortet werden. Gleich bei den zuerst publizierten, dem Stile nach ältesten, Bild- webereien auf der Ausstellung, den Gegenstücken mit der Verkündigung Mariae und der Anbetung der Könige aus dem Musee des Gobelins bei Paris ist die Herkunft durchaus nicht gesichert (Taf. i). Kompositions- weise und Formensprache stammen von der Kunst Rogers van der Weyden ab; da dieser Meister um die Mitte des 15. Jahrhunderts Maler der Stadt Brüssel war, können die Arbeiten mit einigem Rechte

70

Literaturbericht.

für Brüssel in Anspruch genommen werden. Destrde findet hier den

Stil des Hugo van der Goes nachklingend, damit irrt er aber. Die mageren Körperformen, die lebhaften und eckigen Bewegungen, die schart geschnittenen Typen: alles weist auf Roger, dessen Tafelbilder, wie die Anbetung der Könige in München, die Verkündigungen ebendort und in der Sammlung R. Kann zu Paris die nächsten Verwandten sind.

Man hat in vielen niederländischen Kunststätten im 15. Jahrhundert Bildwebereien ausgeführt, nicht nur in Brüssel. Nur ausnahmsweise ist eine sichere Lokalisierung möglich. Die auf Taf. 3 reproduzierte, dem Musee des Gobelins gehörige Tapisserie, die Aufhebung der Belagerung von Salins, ist. 1501 in Brügge von Jean Sauvage hergestellt worden, wie inschriftlich feststeht (vgl. Gazette d. b. a. 1892 (VIII) p. 496). Die Tafeln 4 6 zeigen das Prachtstück, das einst dem Kardinal Mazarin gehörte, das die Sensation auf der Ausstellung bildete nicht nur wegen der außerordentlichen Dekorationswirkung, sondern auch und mehr noch wegen des dafür gezahlten Rekordpreises. Pierpont Morgan soll 2 000 000 Fr. etwa für diese Tapisserie gegeben haben. Die mit dem größten Auf- wand, mit Seide, Silber und Gold ausgeführte Weberei, mit bescheidener Bordüre und Felderteilung in gotischem Rahmenwerk bietet einen überaus reichen, doch vornehm ruhigen Anblick. Der Meister des Entwurfes, ein schöpferischer, der niederländischen Webekunst Richtung gebender Meister, hat den besonderen Bedingungen dieser Kunstgattung sich siegreich unterworfen. Das Stück vertrat mit wenigen anderen Stücken die sehr kurze Blüte der niederländischen Webekunst. Charakteristisch ist der edle Fall der Gewandungen, die fast über die ganze Fläche gebreitet sind, die Teilung in fünf Felder, ein System, das vielleicht durch die Kompositionsgewohnheit der Klappaltäre zu er- klären ist, und die ausdrucksvollen dunklen Augen in den hellen, schwach modellierten Köpfen. Dem Kostüm und dem Stil nach ist diese himm- lische Apotheose um 1500 entstanden und kann wohl mit anderen Werken zu einer Gruppe vereinigt werden. Der Meister aber ist nicht bekannt. Und daß die Arbeit einer Brüsseler Werkstätte entstammt, ist höchstens w'ahrscheinlich, keineswegs nachweisbar. Destree deutet hier und sonst die Darstellungen mit Sorgfalt und Scharfblick. Zuweilen ist die Erklärung sehr schwierig, da eine gewisse Undeutlichkeit fast zum Stilcharakter dieser Gattung zu gehören scheint. Verwandter Art, aber wesentlich schwächer als der Mazarin-Gobelin ist die Geschichte des verlorenen Sohnes mit höchst kompliziertem allegorischem Apparat, im Besitze des Herrn Löo Nardus (Taf. 7), und der Kampf der Tugenden und Laster, von den Herrn Goldschmidt in Frankfurt a. M. ausgestellt (Taf. 8). Ein herrliches Werk dieser Stilstufe ist die berühmte Tapisserie

Literaturbericht.

71

in der Pariser Sammlung Martin le Roy, die leider in einer ganz miß- lungenen Farbentafel erscheint (Taf. 9). Der Zeichner dieser Darreichung Christi im Tempel, wohl derselbe, der den Mazarin-Teppich entworfen hat, wie auch die zarte Anbetung des Christkindes aus dem Kensington Museum zu London (Taf. ii), steht in der Mitte zwischen Hugo van der Goes und Quinten Matsys, er verbindet die tiefe Empfindung des Älteren mit der fließenden und geschmackvollen Komposition, die dem Jüngeren eigentümlich ist. Zum Glück ist wenigstens ein Teil des Pariser Stücks, das aus Saragossa stammt, auch in einem brauchbaren einfarbigen l.ichtdruck reproduziert. Derber als diese feinsten Erzeug- nisse der niederländischen Webekunst und etwas später entstanden um 1510 sind die auf Taf. 12 abgebildeten Stücke aus dem Mustfe des arts decoratifs (Koll. Spitzer) und aus dem Besitz des Herzogs von Arenberg, Anna selbdritt und das Martyrium des hh Laurentius.

Die auf Taf. 13 in mißlungener farbiger Reproduktion abgebildete Weberei mit der Beweinung Christi, aus dem Musee des arts decoratifs in Brüssel, ist mit ihrer einem italienischen Vorbild (Perugino) ent- lehnten Hauptkomposition eine Kuriosität. Bei Besprechung dieses Werkes trägt Destree eine Vermutung in bezug auf den Autor vor, die er schon an anderer Stelle bekanntgemacht hat. Eine wichtige Urkunde belehrt uns über die Entstehung einer für Löwen 1505 in Brüssel ausgeführten Tapisserie, welche Tapisserie mit der Herkenbald-Legende in das Brüsseler Musee des arts decoratifs gelangt ist. Leider gibt die Urkunde zuviel, nämlich zwei Namen anstatt eines, und kann so oder anders interpretiert werden. Die Herrn A. J. Wauters und Deströe sind zu Resultaten gekommen, die voneinander abweichen. In dem Schriftstücke scheint die Rede zu sein von Jan de Room als von dem Meister, der den Entwurf geliefert habe, und vom Meister Philipp als dem Hersteller des eigentlichen Webekartons. A. J. Wauters hält sich an den ersten Namen und schreibt Jan de Room allerlei andere Tapisserien wegen ihrer Stilverwandtschaft mit dem Herkenbald-Gobelin zu. Destrde dagegen führt Maitre Philippe als einen der schöpferischen Meister in die Ge- schichte der Brüsseler Weberei ein und stützt seine Hypothese dadurch, daß er die Inschrift »Phieliep« auf der Beweinung Christi als Künstler- signatur auffaßt. Mir scheint, die Auffassung, die A. J. Wauters vertritt, hat mehr Berechtigung; der erste Zeichner, Jan de Room, ist eher als der stilbestimmende Autor anzusehen. In dem Maitre Philippe möchte ich übrigens nicht Philipp van Orley sehen, da dieser Bruder Bernaerts so früh um 1505 schwerlich schon tätig gewesen sein kann.

Eine etwas spätere Stufe um 1520 vertraten auf der Ausstellung die auf Taf. 14 und 15 abgebildeten Stücke des Brüsseler Museums,

72

Literaturbericht.

die Taufe Christi in reicher Landschaft, und die Streifen aus der Kathe- drale von Aix (Provence), während die Bathseba am Brunnen ini Brüsseler Stadtbesitz (Taf. i6, 17) noch die ältere, mehr formschöne Art zeigt. Das als Entwurf oder Karton ausgestellte und publizierte Blatt mit einer anderen Bathseba-Komposition (Sir George Donaldson, London; Taf. 18) scheint mir nur eine Kopie nach einer Weberei zu sein.

Eine Tapisserie, deren Entstehungsort (gewiß Brüssel) und Ent- stehungszeit feststeht und die deshalb ein sehr beachtenswertes Monument ist, erscheint auf Taf. 20, die Prozession der Madonna du Sablon. Auf der Vente Spitzer wurde die ganze Folge (oder doch ein Teil davon), die 1518 für Franz von Taxis ausgeführt worden ist, verkauft und zerstreut. Das höchst merkwürdige Stück der Prozession, wo die Statthalterin Margarete mit allen Neffen und Nichten, dabei auch Karl V., zu erblicken ist, kam in das Brüsseler Muse'e des arts decoratifs.

Seit 1525 etwa wird Bernaert van Orley stilbestimmender Zeichner für die Brüsseler Bildweberei. Die Ausstellung war in der glücklichen Lage, ein Stück aus der berühmten Folge der sog. Jagden Maximilians, aus der Original folge, die der I.ouvre besitzt, zeigen zu können, damit eine durch van Mauders Aussage beglaubigte Arbeit Orleys. Das präch- tige Gewebe ist auf’Taf. 21 leider in mißlungener farbiger Abbildung zu sehen. Besonders schön ist die Bordüre, deren reichere Ausgestaltung erst in dieser Zeit beginnt. Da die bekannte Brüsseler Marke (B. B.) eingewebt ist, nimmt man wohl richtig an, daß die Ausführung nach 1528 erfolgt sei. Seit diesem Jahre ward die Stadtmarke regelmäßig angebracht.

Die Brüsseler Herkunft ist durch diese Bezeichnung einer langen Reihe vortrefflicher Stücke gesichert. Orleys Kompositionsstil und Formensprache sind mehr oder weniger deutlich vielen Tapisserien eigen- tümlich. Doch ist’s in den meisten Fällen schwer zu entscheiden, ob dieser Meister oder etwa ein Nachahmer der Zeichner sei, um so schwerer, als bei der Übersetzung, die der Weber vornimmt, der Zeichnung etwas von ihrem Charakter genommen wird.

Verhältnismäßig uninteressant waren auf der Ausstellung die Brüsseler Webereien aus dem 17. Jahrhundert.

Die Holzskulptur war hauptsächlich durch bekannte Altarwerke vertreten, die stets öffentlich in Brüssel zugänglich sind. So war der um 1450 entstandene Passionsaltar aus dem Musee des arts decoratifs (Taf. 35) zu sehen, der Georgsaltar (Taf. 36 f.) von ebendort, der als Schöfpung Jan Borremans (1493) urkundlich beglaubigt ist, und der Pensa-Altar aus dem Stadthause (Taf. 43 ff.), der durch wunderbare Erhaltung sich aus- zeichnet. Diesen Werken war angereiht, abgesehen von einer Menge

Literaturbericht.

73

einzelner Gruppen und Figuren, von denen Destree die besten abbildet (Taf. 45), der Marienaltar aus der Kirche von Lombeek (Taf. 40), eine prunkvolle, virtuosenhafte Leistung von 1520 etwa.

Die wenigen Metallgüsse waren sämtlich von hoher Bedeutung, und die guten Reproduktionen dieser Werke .sind sehr willkommen. Man hatte aus dem Amsterdamer Rijksmuseum zwei Statuetten aus der be- rühmten Folge der Fürstenporträts erhalten (Philippe de Nevers und Maria von Burgund, Taf. 46). Diese Güsse sind von Jacques de Gerines um 1430 ausgeführt wurden in Brüssel (r). Six und ganz kürzlich Schmidt-Degener haben über die unvergleichliche Reihe geschrieben. Schmidt-Degener hat die Entwürfe keinem Geringeren als Jan van Eyck zuerteilt. Auf den Tafeln 47 und 48 ist der großartige Leuchter aus der Kirche von Leau abgebildet, der 1483 von Renier van Thienen ge- gossen worden ist, ein Bildwerk, das durch ungemein kühnen Aufbau und mit seinen ausdrucksvollen Figuren unter den gleichzeitigen nor- dischen Arbeiten nicht seinesgleichen hat. Endlich das von Jacques de Croy gestiftete Votivrelief aus dem Kölner Domschatz, der vergoldete Bronzeguß, mit Renaissancearchitektur, von 1510 etwa, auf der 49. Tafel.

Friedländer.

Skulptur.

Fritz Burger. Francesco Laurana, eine Studie zur italienischen Quattrocentoskulptur. Straßburg, Ed. Heitz 1907. 178 S. gr. 8*^

mit 37 Lichtdrucktafeln und 49 Textabbildungen.

»Vorliegende Arbeit versucht auf stilkritischem Wege das Dunkel zu erhellen, das die fast noch mythische künstlerische Persönlichkeit h’rancesco Lauranas umgibt. An eine abgerundete Monographie war bei einer erstmaligen Zusammenfassung des weitverstreuten Materials nicht zu denken. Trotzdem glaubt die Arbeit das Verdienst für sich in An- spruch nehmen zu dürfen, die Fäden bloßgelegt zu haben, an die eine umfassende spätere Laurana-Monographie sich wird halten müssen.« Mit diesen Worten leitet der Verfasser seine Arbeit ein. Im ersten Kapitel derselben, deren Resultate wir im folgenden rekapitulieren, sucht er die Tätigkeit Domenico Gaginis und seiner Schule in Neapel und Palermo klarzulegen. Als dessen Arbeit erweist er das von uns schon früher (Repertorium XXVIII, 193) für ihn in Anspruch genommene Portal in dem 1453 1457 fertiggestellte;! großen Saal des Castelnuovo, wobei er geneigt ist, die Mithilfe Lauranas (oder eines anderen anonymen Schülers, dessen Talent über dem des Meisters steht) anzunehmen, wie er denn Laurana schon bei der Ausschmückung der Täuferkapelle im Dom zu Genua als Schüler bzw. Mitarbeiter Gaginis einen Anteil zuschreibt.

74

Literaturbericht.

Überzeugend ist ferner die Attribution des Reliefs zweier Ehegatten im Museum zu Palermo, sowie der Statuen einer Temperanda und Prudentia in S. Francesco ebendaselbst an Gagini eine Zuschreibung, die sich auf die Stilanalogie dieser Arbeiten mit den Skulpturen zu Genua gründet.

Das folgende Kapitel handelt von den Skulpturen am Triumph- bogen Alfonsos und dessen Meistern. In einem Teile des Triumphreliefs (der Bläsergruppe, die den Zug eröffnet) sieht Burger die Hand des gleichen Vorzugsschülers Gaginis, dem er schon im Triumphrelief des Castelnuovosaals die analoge Bläsergruppe zugeschrieben hat. Ihm gibt er auch die Temperanda in der oberen Attica des Bogens und (im Ver- ein mit einem dritten, einzig hier am Bogen nachweisbaren Gagini- Schüler) das große Relief an der linken Leibungswand desselben (das Pendant zu dem gegenüber von Isaia da Pisa). Dies letztere soll »nach einem Entwurf Pisanellos, zum mindesten aber unter Verwertung von Motiven^desselben gearbeitet« sein, wofür eine Zeichnung aus dem Kodex Vallardi* als Beleg herbeigezogen wird, deren Zurückführung auf Pisanello uns indes keineswegs überzeugend dünkt. Der Hauptteil des Triumph- reliefs wird (wie auch die übrigen drei Tugenden in der Attica) dem Pietro da Milano belassen, für das rechte Tabernakel desselben mit den Musikanten zu Pferde überzeugend Antonio di Chellino, für das linke weniger überzeugend Dom. Gagini namhaft gemacht’').

Im dritten Kapitel wird der Entwurf des Triumphbogens und seine Geschichte besprochen. Sich auf die bekannte Notiz im Brief P. Sum- montes an M. A. Michiel vom Jahre 1524 stützend (un arco trionfale fatto per mano di Maestro Francesco Schiavone), sieht unser Verfasser in Laurana den entwerfenden und ausführenden Architekten des Bau- werkes. Dazu nimmt er an, er sei mit seinem Lehrer Gagini aus Genua schon Ende 1451 oder 1452 nach Neapel gekommen (S. 53), da da- zumal laut urkundlichem Zeugnis die Aufmauerung der den Bogen flan- kierenden Türme begann. Das ist wenig wahrscheinlich, denn kaum konnten in 3’'/a Jahren die Arbeiten an der Täuferkapelle in Genua be- endet sein; überdies wissen wir, daß Gagini noch am 23. August 1455 die Dekoration einer Kapelle in S. Girolamo zu Genua übernimmt (L. A. Cerretto, J. Gagini Milano 1903, pag. 246), was doch darauf schließen läßt, daß er nicht schon ein paar Jahre vorher Beteiligung an einer

') Wepn Burger an dem cinquecentistischen Ursprung des Giebelabschlusscs am Arco zweifelt, so können wir unsere betreffende Behauptung (Jahrbuch d. pr. Kunst- sammlungen XX, 38 Anm. 3) mit einem neuerlichen Argument stützen: auf der Ab- bildung des Arco auf einer der nach 1511 entstandenen Intarsiatafeln Fra Giovannis da Verona in Montoliveto zu Neapel fehlt noch der genannte Abschluß, während er auf der um 1540 gezeichneten Skizze Fr. da Ollandas (Burger S. 20) schon zu sehen ist.

Literaturbericht,

75

Arbeit von der Bedeutung des Arco in Neapel gefunden hatte. Für die Befähigung Lauranas als Architekt führt nun aber Burger ins Feld, daß er ein Dezennium später die Kapelle Mastrantonio in S. Francesco zu Palermo ausführte, wo er überdies in dem architektonischen Hinter- gründe des eigenhändig gemeißelten Reliefs »ein erstaunlich feines Gefühl für Proportionen« bekundet; daß er ferner auch später im Tabernakel von Saint-Lazare zu Marseille sich als feinfühliger Architekt bewährt und endlich im Kreuztragungsrelief zu Avignon wieder durch dessen treff- liche Hintergrundsarchitektur überrascht. Darüber, daß die Grabschrift Pietros da Milano ihn als Erbauer des Bogens nennt, setzt sich Burger damit hinweg, daß er sie auf den zweiten inneren Bogen und auf die Tätigkeit Pietros in der zweiten Bauperiode nach 1466 (wo der Arco unter seiner alleinigen Leitung vollendet wurde) bezieht. Wie kommt es nun aber so fragen wir daß nicht Laurana, sondern Pietro (nach dem Wortlaut seiner Grabschrift) schon von Alfons I. (also vor 1458) »ob triumphalem Arcis novae Arcum solerter structum« zum Ritter ge- schlagen wird, und er nicht aber Laurana (abgesehen von seiner Et- wähnung in dem bekannten Kompagnieunternehmen mit den anderen Bildhauern) immer wieder in den Rechnungen seit 1455 als »könig- licher Bildhauer« vorkommt? Auch vom chronologischen Standpunkt läßt sich gegen Burgers Aufstellung Einwand erheben. Da Laurana zwischen 1500 und 1502 sagen wir 75 Jahre alt stirbt, so mag er 1451 im Alter von kaum mehr als 25 Jahren gestanden haben. Ist anzunehmen, daß König Alfons ein so bedeutendes Unternehmen gerade in die Hand eines Jünglings gelegt haben werde? Was Burger sodann (S. 61 ff.) über den Einfluß der angeblichen Bauten Lucianos da Laurana in Neapel auf die baukünstlerische Ausbildung seines Neffen (?) Eran- cesco und auf den Stil seiner Bauten vorbringt, wird dadurch gegen- standslos, daß Giuliano da Majano als Schöpfer jener Bauten (die übrigens erst nach 1485 entstanden) nachgewiesen ist (s. unsere Artikel im Beiheft des Jahrbuchs der k. , pr. Kunstsmlgen. XXIV, 162 u. 163). Wenig überzeugend ist endlich die Hypothese, wonach auf Grund der mehr oder weniger zutreffenden Analogien einiger Figuren im Triumph- relief des Arco mit Zeichnungen des Kodex Vallafdi, in denen auf keinen Fall die Hand Pisanellos zu erkennen ist, dem letzteren der (verlören gegangene) Entwurf für den Triumphzug zugeteilt und ihm, »mit Rück- sicht auf die Greifen in den Bogenzwickeln und die sonstigen Anklänge an seine Kunst«, auch ein Einfluß auf die architektonische Gestaltung des Bogens beigemessen wird^).

*) Den »Eneas Pisanus« des von Schulz (IV, 184) abgediuckten Schreibens Königs Alfonso an Pisanello vom 14. Februar 1449, üem Burger einen von Pisancllo

76

Literaturbericht.

Auf -festerem Boden bewegt sich unser Verfasser in den folgenden Abschnitten. Im nächsten Kapitel, der den ersten Aufenthalt Lauranas in Frankremh (1461 1466) umfaßt, macht er uns außer den be- kannten Medaillen (die er ebenso konsequent als irrtümlich in Bronze geschnitten) bezeichnet mit zwei Plaketten, Petrarca und Laura darstellend, bekannt, die er zuerst als Arbeiten seines Helden in An- spruch nimmt. Während die erste sich durch Lebendigkeit auszeichnet, steht die künstlerische Qualität der Lauraplakette viel tiefer (s. z. B. die außerordentlich roh modellierten Hände); auch wird nach ihren stilistischen Eigentümlichkeiten zu urteilen, für sie an Lauranas Autorschaft zu zweifeln sein, wenn wir in ihr nicht gar die geschickte Nachahmung eines modernen Fälschers vor Augen haben, worüber wir uns nach der mangelhaften Abbildung kein LFrteil erlauben können.

Im fünften Kapitel wird Lauranas zweiter Aufenthalt in Italien (1467 1474) besprochen. Für seine sizilischen Arbeiten weist Burger zuerst darauf hin, daß sein Eklektizismus ihn vorzüglich dazu befähigte, dem Verlangen seiner Auftraggeber Genüge su leisten, wenn sie wie uns dies urkundlich überliefert ist vom modernen Künstler ver- langten, daß er »die alten geheiligten Formen, in denen die Kunst besserer Tage nachzitterte«, für seine eigenen Schöpfungen zum Vorbild nehme. Daher der archaistische Einschlag in fast allen seinen Madonnen, deren ihm neuerdings ein Dutzend zugeschrieben werden. Diese mit der Dauer seines Aufenthalts auf der Insel unvereinbare Anzahl erklärt sich, wie Burger richtig ausführt, dadurch, daß der Meister Hilfskräfte be- schäftigte, wie dies auch aus dem ungleichen künstlerischen Wert dieser Schöpfungen erhellt. Betreffs der näheren Details müssen wir auf die Ausführungen des Verfassers verweisen. Ebenso können wir ihm dabei nicht ins einzelne folgen, wie er den Anteil Lauranas an der Kapelle Mastrantonio in S. Francesco zu Palermo von dem seiner Mitarbeiter, deren Burger neben Pietro de Bontate noch einen zweiten nachweist, sondert. Mit Recht macht er darauf aufmerksam, daß die Kapellen- fassade in manchen Teilen auf jene des Täufers in Genua zurückgeht und ferner die Evangelistenreliefs »mehr oder minder treue Nachbildungen der Evangelisten Donatellos in den I-ünetten der Sagrestia verchia von S. Lorenzo darstellen. Laurana muß also, da sich diese Motive an Gaginis Werk in Genua nicht finden, selbst Studien in Florenz gemacht haben«. Wenn er dann aber nach der übrigens ganz oberfläch-

verscliiedencn Künstler vermutet, hat A. Venturi (Gentile da Fabriano e Viitorc Pisancllo, Firenze 1896 p. 59) längst aus der Kunstgescliichte eliminiert, indem er nachwics, daß die betreffende Stelle »sculpture enee Pisani«, nicht aber »sculpture Enec Pisani« zu lesen seil

Literaturbericht.

77

liehen Ähnlichkeit der Architekturhintergründe an den Palermitaner Evangelistenreliefs mit Motiven der Santoreliefs Donatellos die Frage aufwirft, ob Laurana »nicht auch in irgendeiner Ateliergemeinschaft einstmals mit Donatello gestanden habe«, so erscheint zu ihrer Bejahung der angezogene Grund doch zu wenig ausschlaggebend. Überdies ist der Stützpunkt, den Burger (S. loo) für seine Hypothese aus Averulino und Vasari heranzieht, durchaus illusorisch. Denn der erstere zählt an der in Betracht kommenden Stelle seines Traktats alle bekannteren Künstler seiner Zeit darunter im Text voneinander entfernt auch Donatello und »uno di Schiavonia« auf, die er an seinem Idealbau für Fr. Sforza beschäftigen will (!), und die Stelle bei Vasari (II, 385) ist nichts als ein konfuser, in seiner Glaubwürdigkeit längst widerlegter Auszug eben aus Averulino. Überzeugend ist die Zuschreibung der Specialebüste im Pal. Raffadali zu Palermo, sowie der Jünglingsbüste im Museum daselbst an Laurana ; Burger macht sie nicht nur aus stilistischen Gründen, sondern auch durch Prüfung des Urkundenmaterials sehr wahr- scheinlich, hat aber leider sein (S. iio Anm. i gegebenes) Versprechen, das letztere im Anhang mitzuteilen, nicht gehalten. Daß die sog. »Prin- zessinnenbüste« im Museum von Palermo, Eleonore die ältere Tochter Ferdinands L, darstellt (wie unser Verfasser behauptet), findet in ihrer Porträtplakette (bei Dreyfus) die allerdings aus späterer Zeit herrührt nur eine sehr bedingte Stütze. In die Zeit von Lauranas zweitem Neapler Aufenthalt (1473 und 1474) setzt Burger mit Recht die Büsten der Töchter Ferdinands L, Eleonorens und Beatricens (erstere 1450, letztere 1457, nicht 1433, wie Burgers Quelle [Berzewsky, rectius Berze- viczy] irrtümlich angibt, geboren [s. Cronica di Napoli di Notar Giacomo, ediz. 1845, pag. 99]). Auf die schwanken Hypothesen, wonach die Wiener Mädchenbüste »vielleicht eine Bardi darstellt und in Florenz 1475 ent- standen ist«, wollen wir nicht weiter eingehen, auch die Vermutung des Verfassers, es handle sich in den sog. Todtenmasken Lauranas um ein Idealporträt Lauras, auf sich beruhen lassen. In der Madonna der Dom- sakristei zu Neapel aber (abgeb. S. 136) können wir durchaus nichts von Lauranas Weise entdecken. Und endlich sind auch die oberflächlichen Analogien, die für die Attribution der Berliner Tonbüste der hl. Katharina (S. 142) an Laurana allegiert werden, nicht stark genug, um unsere Meinung, daß wir es mit einem Produkt Sieneser Kunst zu tun haben, zu erschütteriii Im letzten Kapitel begleiten wir unsern Meister zu seinem letzten Aufenthalt in Frankreich. Während der Verfasser über das Tabernakel des hl. Lazarus in Marseille und das Grabmal Gossa in Tarascon nichts wesentlich Neues beibringt, weist er im Kreuztragungsrelief zu Avignon zuerst auf die verschiedenen Gehilfen hin, die daran mitgearbeitet haben

78

Literaturbericht.

müssen. In einem davon erkennt er einen der Bildhauer, die das Tabernakel Sixtus IV. für S. Peter in Rom ausgeführt haben, und ver- spricht eine besondere Arbeit über das letztere, die alle dabei auf- tauchenden Fragen klären soll. (Sie ist inzwischen im Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen erschienen). Den Hauptanteil aber weist er franzö- sischen Künstlern zu, indem er annimmt, sie hätten nach einem nur summarischen Modell Lauranas gearbeitet. In der Tat rechtfertigt der Stil der ganzen rechten Hälfte des Reliefs mit Maria und den klagenden Frauen diese Ansicht; hier .sieht Burger bestenfalls nur in einigen Köpfen die Hand des Meisters. » Wie im einzelnen, so ist auch das Ganze die entschieden unglücklichste Leistung Lauranascher Kunst.«

Den stilkritischen Erörterungen des Verfassers, worauf er doch in seiner ganzen Arbeit den Schwerpunkt legt, zu folgen, wird dem Leser durch die sehr minderwertige Qualität vieler der Netzdrucke im Texte erschwert, ja geradezu unmöglich gemacht. Was nutzen Illustrationen wie die Figuren i, 2, 4, 6, ii, 19, 23, 36, 42 und 44? Es ist dies ein Vorwurf, den wir auch gegen andere Hefte des gleichen Unternehmens (zur Kunstgeschichte des Auslandes) erheben müssen. Auch der Text ist nicht frei von vielen sinnstörenden Druckfehlern. An den Verfasser aber erlauben wir uns die Bitte, in der Folge in seinen Zitaten präziser und vollständiger zu sein. Pünktlichkeit in dieser Hinsicht ist Höflich- keit des Autors gegen seine Leser. Was fangen diese mit Angaben an, wie; s. Archivio mediceo f. 85 in der Biblioteca Nationale (!) in Florenz (S. 126); Strozziarchiv der Biblioteca Nazionale (1), Ugolino-Strozzi (statt Ugoccioni-Strozzi); Amsterdamer Bezirksmuseum (? S. 137); Tschudi (statt Tedeschi!) im Archivio storico lombardo (S. 61); Minieri-Riccio (statt N. Barone!) im Archivio stör. p. 1. Prov. Nap. VI, 1881 (statt IX, 1884; S. 126)?

C. V. Fabriezy.

Malerei.

Max Geisberg. Die Münsterischen Wiedertäufer und Aldegrever. Mit 18 Tafeln und 9 Hochätzungen Studien z. Deutsch. Kstg. Heft 76. Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 1907. VIII u. 7 7 S. 1 2 M.

Diese Untersuchungen gelten hauptsächlich der Ikonographie Jans von Leiden, des Königs der Wiedertäufer. Alle gemalten, gestochenen, in Holz geschnittenen Porträts dieses Mannes, mit dem sich die Volks- phantasie beschäftigte, auch die Bildnisse auf Münzen, werden auf- gezählt, geprüft und miteinander verglichen. Der Stammbaum der Bildnisse wird aufgestellt. Heinrich Aldegrever, der Kupferstecher von Soest, der zur Zeit der kurzen Herrlichkeit und des Untergangs der Wieder-

Literaturb ericht.

79

täufer der beste Zeichner in Westfalen war, hat bekanntlich 1536 einen schönen Porträtstich ausgegeben, in dem Jan von Leiden stattlich mit allen Zeichen seiner Würde erscheint. Man hat nicht ohne Grund von diesem Bildnis aus die Legende gesponnen, daß Aldegrever Partei- gänger des ruchlosen Propheten gewesen wäre. Geisberg zerstört diese Legendenbildung und nimmt an, daß Aldegrever den Wiedertäufer erst nach seinem Sturz im Aufträge des Bischofs gezeichnet habe. Wirklich ist dies die einzige Möglichkeit, da ja die Stadt Münster während der kurzen Herrschaft des falschen Propheten (1534/35) fest umschlossen war. Merkwürdig bleibt immerhin, daß Jan von Leiden durchaus nicht wie ein überführter und gefangener Übeltäter, sondern wie ein legitimer Machtinhaber dargestellt ist. Das British Museum besitzt die schöne Vorzeichnung Aldegrevers zu dem Stich, ein Blatt, das bisher nicht beachtet, um so willkommener erscheint, als Zeichnungen des west- fälischen Kupferstechers sehr selten sind (abg. auf Taf. 3).

Geisberg schreibt auch das beste ihm bekannte Holzschnittporträt des Königs, das er nach einem Unikum des British Museums publiziert (Taf. 10), Aldegrever zu. Von diesem Blatte stammen andere Holz- schnitte ab. Direkt oder mittelbar gehen alle Bildnisse des Wieder- täuferkönigs auf Aldegrever zurück.

Als Kunstwerk und als historisches Dokument verurteilt wird mit vollkommenem Recht, das Gemälde im Schweriner Museum, das als Bildnis Jans von Leiden von der Hand Hermanns tom Rink in der Literatur ziemlich viel Beachtung gefunden hat. Dieses auf Grund eines Holzschnittes, gewiß nicht nach dem Leben, gemalte Porträt ist erheblich überschätzt worden, ebenso wie das Gegenstück in der Schweriner Galerie, das Porträt der Gemahlin Jans von Leiden.

Geisberg stellt die Porträts einiger anderer Wiedertäufer-Zelebri- täten zusammen, die Porträts Bernhard Knipperdollings, Bernhard Krech- tings, der Divara von Harlem und der Elisabeth Wantscherer und bietet einen umfangreichen Anhang über die Münzen der Wiedertäufer.

Die numismatische Arbeit scheint er mit derselben Gründlichkeit und demselben Scharfblicke durchgeführt zu haben, wie die jetzt und früher Kupferstichen und Holzschnitten zugewandten Studien.

Friedländer.

Julius Janitsch. Das Bildnis Sebastian Brants von Albrecht Dürer (mit 3 Lichtdrucktafeln u. 2 Abb. im Text) 18 S. Jaro Springer. Sebastian Brants Bildnisse (mit 2 Lichtdrucktafeln u. 3 Abb. im Text) 25 S. Studien z. Deutsch. Kstg. Heft 74, 87, Straßburg, J. H. Ed. Heitz (H^itz & Mündel) 1906. 1907.

8o

Literaturbericht.

Im Jahre i88i wurde für das Berliner Kupferstichkabinett die Porträtzeichnung von Dürers Hand erworben, die unter Nr. 63 in Lipp- manns Dürer -Werk abgebildet ist. Bald darauf kam Julius Janitsch auf den Gedanken,, daß diese Zeichnung den Straßburger Poeten Sebastian Brant darstellte. Die gründlich ausgereifte Entdeckung wird in dem 74. Hefte der Studien zur Deutschen Kunstgeschichte vorgetragen, nach- dem Zeitschriften schon Kunde davon gegeben haben.

Das Profilporträt des Dichters in Holzschnitt aus Reusners »Icones« wird mit der Berliner Zeichnung verglichen. Die Ähnlichkeit erscheint recht groß. Nach dem Stil und der Technik (Silberstift) wird die Zeich- nung in die Zeit der niederländischen Reise gesetzt. Und da Brant sich gleichzeitig mit Dürer 1520 in Antwerpen aufhielt, wie Kalkoff im 28. Bande des Repertoriums (S. 474 ff.) nachgewiesen hat, so wäre alles in schönster Ordnung, wenn nicht Dürers Tagebuch über die Begegnung und Porträtierung mit Schweigen wegginge;

Jaro Springer, der im 87. Hefte der Studien zur Deutschen Kunst- geschichte Janitschs Mitteilungen ergänzt, nimmt, wie Janitsch, eine Lücke im Tagebuch an und datiert die Begegnung des Zeichners mit dem Dichter auf den 8. August 1520. Seine ferneren Ausführungen bereichern die Brant-Ikonographie beträchtlich. Er erinnert daran, daß Dürer den Straßburger Dichter von seiner im Südwesten Deutschlands verlebten Wanderzeit her gekannt, daß er einst das »NarrenschilT« illustriert habe. Auf einen Holzschnitt, den Titel der 1498 zu Basel erschienenen »Nova Carmina«, weist Springer als auf das älteste bekannte Porträt des Dichters hin. Den Kupferstich von Jakob von der Heyden vom Jahre 1631, den Janitsch beiseite gestellt hat, beurteilt Springer wie mir scheint, mit Recht günstiger und sieht darin die Reproduktion eines Brant- Porträts von der Hand Hans Baidung Griens. Ein spätes Porträt des Dichters im Straßburger Bürgermeisteramt (abg. bei Janitsch, Taf. 2) schätzen beide Autoren niedrig ein. Mir scheint, daß auch diesem Bild ein Original von Baidungs Hand zugrunde liegen könne.

Zwei Kopien, von denen die eine in einem Band der Straßburger Universitätsbibliothek eingeklebt ist (Abb. bei Janitsch, Taf. 3), die andere im Besitze Daniel Burckhardts zu Basel sich befindet (Abb. bei Springer, Taf. i), führen, wie Springer nachweist, zu einem vortrefflichen Original aus der Zeit zwischen 1515 und 1520, zu demselben Original, das dem Tobias Stimmer für sein Holzschnittporträt in den »Icones«- Vorgelegen hat. Springers Vermutung, das verschollene Urbild sei ein Werk des jüngeren Hans Holbein gewesen, erscheint glücklich, wird durch den Stilanschein, den die Kopien bieten, und durch mehr äußer- liche Argumente gestützt. Im Münchener Kunsthandel befindet sich zur

Literaturbericht.

8i

Zeit eine dritte Kopie dieses Porträts, die recht gut ist und noch aus dem i6. Jahrhundert stammt.

Schließlich möchte Springer noch einen vierten deutschen Maler zum Porträtisten des Straßburger Dichters machen. Eine Silberstift- zeichnung des älteren Holbein aus der berühmten Reihe im Berliner Kupferstichkabinette (Abb. bei Springer, Taf. 2), das Profilporträt eines älteren mageren leidenden Mannes mit großer scharf gebogener Nase soll Sebastian Brant darstellen. Daß auf der Rückseite dieses Blattes zu lesen ist » Steinmetz von augspurg« fällt gegen die Vermutung nicht stark ins Gewicht. Gelegenheit, den Straßburger in Augsburg zu porträtieren, hatte der ältere Holbein, wie Springer klar macht. Aber: die Ähnlichkeit ist nicht schlagend, und das etwas fanatische Wesen des von dem älteren Holbein gezeichneten Mannes paßt nicht recht zu der Besonnenheit des Dichters, von der alle bekannt gewordenen Bildnisse Zeugnis ablegen. Friedländer.

Beschreibendes und kritisches Verzeichnis der Werke der her- vorragendsten holländischen Maler des XVII. Jahrhunderts. Nach dem Muster von John Smith Catalogue raisonne zu- sammengestellt von Dr. C. Hofstede de Groot. I. Band. Unter Mitwirkung von Dr. W. R. Valentinen Eßlingen, Paul Neff; Paris, F. Kleinberger.

Welcher Galeriedirektor, welcher Sammler, welcher Kunsthistoriker hat nicht Hunderte Male im alten Smith geblättert, gesucht, zuweilen ge- funden, aber wie oft auch das Buch unzufrieden und enttäuscht weg- gelegt! Aber wie viele Bilder sind auch seit 1837 ans Tageslicht gefördert, richtiger bestimmt worden, welche riesige Fortschritte hat die Kunst Wissenschaft seitdem gemacht! Nun, der alte Smith hat für seine Zeit doch ein Außerordentliches geleistet, und nur selten ging er in seinen Bestimmungen fehl; nicht umsonst galt ein bei Smith beschriebenes Bild als ein sicher gutes und echtes.

Wer wagte es aber, dieses Riesenwerk in noch viel riesenmäßigerer Weise neu herauszugeben, resp. ein ähnliches, aber dann möglichst kom- plettes Verzeichnis herauszugeben? Es gehört dazu der Mut, die Aus- dauer, der unerhörte Fleiß eines Hofstede de Groot. Der erste Band des neuen »Smith« liegt wirklich vor uns ein stattlicher Band von 649 Seiten, worin nur sechs Meister behandelt werden Jan Steen, Gabriel Metsu, Dou, deHoogh, Karel Fabritius und der Delfter Vermeer. Von dem ersten werden nicht weniger als ca. 900 Bilder beschrieben! Smith hat deren nur etwa 300.

Repertorium fiir Kunstwissenschaft, XXXI.

6

82

Literaturbericht.

In einem Vorwort, worin der Verfasser sehr richtig betont, wie unvollständig, z. T. fehlerhaft, auch noch eine so umfangreiche Arbeit notwendig bleiben muß verspricht er, anstatt der sieben ausfallenden Maler der französischen und flämischen Schule, sieben große Holländer zu behandeln. Staunen wir nicht, wenn wir sehen, daß man 1837 wohl Wert legte auf ein Verzeichnis von van Huysums Blumenstücken und van der Werfs CEuvr«, aber Frans Hals, Adr. Brouwer, Aert van der Neer, Vermeer van Delft, Fabritius, van de Cappelle und van Goyen ignorierte? Ein merkwürdigeres Zeugnis für Kenntnis und Geschmack vor siebzig Jahren läßt sich kaum denken.

Für diese Künstler ist de Groots Arbeit also ganz neu. Gleich hat er zwei davon in diesem Band behandelt: Vermeer und Fabritius, Meister, deren sehr kleines Qtuvre ihm erlaubten, von ihren sämtlichen Arbeiten zugleich eine Prachtpublikation zu veröffentlichen. Das System des Werkes ist ungefähr dasselbe wie bei Smith. Nur hat de Groot dabei eine viel größere Anzahl alter Kataloge natürlich auch die vielen Hunderte Kataloge nach 1837 konsultiert und erwähnt. Man bedenke dabei wohl, daß dadurch viele Bilder hier genannt werden, die keinen Anspruch auf Echtheit machen können. Zu allen Zeiten hat man in den Auktionskatalogen schwer gesündigt. De Groot sagt denn auch ausdrück- lich, daß er nur als echt andeutet die Bilder, deren Titel und Auf- enthaltsort fett gedruckt sind.

Natürlich sind auch noch etliche so gedruckte Bilder zweifelhaft und einige sogar sicher von anderen Meistern. Bei Jan Steen ist z. B. Nr. 876 ein sicheres Bild von Hannen Hals, dessen Bezeichnung noch unter der falschen Signatur Steens ruht. Auch Nr. 250 ist kein Steen. Das Bildchen, welches ich jetzt besitze, ist J. Kool bezeichnet. Die Figuren erinnern stark an Jan Steen. Aber das sind große Ausnahmen; die mit fettgedruckten Buchstaben genannten Werke kann man als Origi- nale ansehen. Aber ... all die andern? Manches Echte haust darunter, auch manche Kopie und vielleicht manches Bild eines anderen Meisters. Dennoch sind wir dankbar dafür, daß der Verfasser die Mühe nicht ge- scheut hat, auch diese Bilder aufzunehmen, denn für die Kunstwissen- schaft kann es nur nützlich sein. Manches verloren geglaubte Bild mag hierdurch noch wieder zurückzufinden sein. Besonders verdienstvoll sind die knappen Biographien der verschiedenen Maler, wobei ich als ganz vortrefflich die von Jan Steen und von Metsu hervorheben möchte.

Man wird sich vielleicht zuerst nicht so leicht in die vergleichende Tabelle zum Auffinden der Nummern dieses Katalogs hineinarbeiten. Wohl weil die Reihen, worüber Smith, Smith Supplement steht, eigentlich nicht deren Nummern, sondern die de Groots enthalten.

Literaturbericht.

83

Aber wenn man nur genau befolgt was darüber steht, wird es schon ge- lingen.

Praktisch ist die Systematische Übersicht des Inha.ltes bei jedem Meister: Bei Jan Steen, der so vielerlei Vorwürfe gemalt, war das besonders schwierig. Ich staunte etwas, zwei Stilleben erwähnt zu finden, obwohl Steen in seinen Bildern sich ja häufig als großer Stillebenmaler sehen läßt. Ich glaube Nr. 887, ein Bild mit Giftkraut für Ratten und Mäuse, hat wohl einen Verkäufer dieses Gegenstandes dargestellt, und das Stilleben mit Früchten aus der Sammlung Kay (Glasgow), jetzt bei Mr. Hugh P. Lane in London, ist mindestens ebenso zweifelhaft, wie das Monogramm J. S.

Für Besitzer dieses unentbehrlichen Buches erlaube ich mir hier einige Zusätze, hauptsächlich was den Aufenthaltsort betrifft, hinzuzufügen, Nr. 38 befindet sich noch jetzt bei dem Herzog von Arenberg in Brüssel. Nr. 64, Die Gefangennahme Christi, ist einfach eine Kopie nach dem van Dyck des Prado-Museums (von dem es zwei andere echte Exem- plare in England gibt, u. a. bei Lord Methuen). Ich zweifle sehr daran, daß es eine Kopie von Steen ist.

Nr. 67, die sieben Werke der Barmherzigkeit, befindet sich bei Jonkheer de Stuers im Haag und war 1906 in Leiden ausgestellt.

Ein Bild Steens, mit Hagar und dem in der Wüste verdurstenden Ismael, welches kürzlich im Haag im Privatbesitz aufgetaucht ist, ver- misse ich unter den biblischen Bildern. Ebenso zwei Bilder Ste e ns bei Herrn Hubert in Rotterdam, vortreffliche Werke: ein Mann, der einer Frau aus der Bibel vorliest, und eine sehr belebte Ansicht von Leiden, mit einer Brücke und vielen Figuren im Vordergrund. Noch vermisse ich ein ausgezeichnetes Bild bei Sir Cuthbert Quilter in London: ein junger Mann, der mit einer jungen Frau Tric-trac spielt. Hinter ihnen steht ein Mann mit einem Römer in der Hand.

Nr. 76, der Raub der Sabinerinnen, befindet sich jetzt bei Senator Clark in New-York.

Nr. 89, Soo de ouden songen, soo pypen de jongen, befindet sich jetzt in Paris in der Sammlung Heugel !

No. III, das bessere Exemplar dieses schönen Bildes, befindet sich in der Beaumont-Sammlung, jetzt Lord Allondale, I.ondon. Das von de Groot erwähnte Bild könnte eine vortreffliche alte Kopie sein.

Nr. 1 1 2, der Nachtisch, befindet sich in der Sammlung Borges, Paris. Es ist auch ein Werk ersten Ranges.

Nr. 12 1 und 122, die fette und die magere Küche, befinden sich z. Z. bei Herrn A. Lambeaux in Brüssel. Sie waren 1906 bei Fred Müller & Co. in Amsterdam ausgestellt.

6*

84

Literaturbericht.

Nr. 127 und 128 befinden sich im Nachlaß des unlängst ver- storbenen Herrn Edward J. Stanley, Quanlochlodge, Bridgewater, Somerset.

Nr. 147 ist in der Sammlung Johnson, Philadelphia, der eine Reihe prächtiger Steens besitzt.

Ein kleiner, echter Quacksalber, in der Art des Mauritshuisbildes, den de Groot nicht erwähnt, war 1906 bei Wachtier in Berlin.

L. Jansen in Brüssel besitzt einen operierenden Zahnarzt. Viel- leicht Nr. 192 oder 194 de Groot (oder 203).

Nr. 223, die Wahrsagerin, mit Zigeunern, befand sich 1906 bei Messrs Agnew in London.

Captain Haywood Lonsdale, London, besitzt eine Wahrsagerin, welche einer jungen Frau wahrsagt. Diese sitzt am Spinnrocken; vor ihr schläft ihr Kind im Kinderstuhl, in jedem Arme eine Puppe. Dieses Bild suche ich auch vergebens bei de Groot.

Bei den Alchimisten vermisse ich ein echtes, gutes Bild, mit dem- selben Gegenstand, bei Herrn Waller, Heemstede bei Haarlem.

Bei Nr. 234 bemerke ich, daß das Exemplar des gekrönten Re- deryker in meinem Besitz ganz bestimmt ein Original ist und in der Behandlung geistreicher, als das Augsburger Bild. Es ist auch nicht ganz identisch und scheint mir das erstentstandene der ähnlichen Bilder.

Bei der Nr. 247 möchte ich einschalten ein herrliches Bildchen von einem Zeichenlehrer, der einem Knaben, der aufmerksam zusieht, etwas vorzeichnet, im Privatbesitz in Basel.

Nr. 291, eine Schule, befindet sich z. Z. bei Herrn Langton Douglas in London.

Unter den » Pfingstblumen « finde ich nicht das schöne Bild der Sammlung Johnson, Philadelphia. Links ein Bauernhaus mit mehreren Figuren hinter einem Holzverschlag. Davor passiert die » Pfingstblume«, ein bekränztes Mädchen mit einer Art Schleppenträgerin und einem lachenden Jungen, der ein Bukett an einem langen Stock trägt. Links vorn liegt ein Mädchen am Boden, rechts schauen zwei kleine Kinder zu. Es stimmt nicht ganz zu Nr. 312.

Nr. 317, Kinder lehren eine Katze lesen, befand sich 1907 bei Mr. Sulley in London und ist, glaube ich, jetzt in Privatbesitz in Stockholm.

Nr. 381, Gebet vor dem Essen, gehört jetzt Herrn Johnson in Philadelphia.

Nr. 415, der Musikunterricht, befindet sich bei Herrn Heugel in

Paris.

Literaturbericht.

85

Nr. 443 jetzt bei Mr. Widener in Philadelphia. Die Beschreibung stimmt vollständig, das Bild ist echt. Ich weiß nicht, wie es sich mit den Maßen verhält, und alles, was bei de Groot rechts heißt, ist links und umgekehrt.

Eine sehr importante Hochzeit in der Art von Nr. 484 oder 486, aber doch abweichend, besitzt, meine ich, Herr Widener in Philadelphia.

Eine Hochzeit in der Art von Nr. 455 und 484b befand sich 1907 bei Fred. Müller & Co. in Amsterdam. Nr. 484 b ist im Besitz des Grafen van der Burcht in Brüssel.

Nr. 652 ist bei Mr. Yerkes in New-York. (Die berühmte Kirmes von Warmond).

Nr. 655 stimmt ganz überein mit einem höchst bedeutenden Bilde Steens bei Mr. Widener, Philadelphia. Es ist das Bild der Hopeschen Sammlung.

Die Beschreibung von Nr. 594 stimmt ganz überein mit einem Bild bei Comte de Ganay in Paris. Frau von Rothschild in Frankfurt soll kein Bild Steens mehr besitzen.

Nr. 669, wichtige Neuigkeit, befindet sich bei Mr. Davis, Elmley Castle, Pershore.

Ein Bild, welches fast buchstäblich übereinstimmt mit Nr. 725, aber ohne Laute und Korb am Boden und ohne Raucher am Kamin (wohl zwei andere Figuren) besitzt Herr Johnson in Philadelphia. Es war auch bei Messrs. Dowdeswell.

Herr Johnson besitzt gleichfalls Nr. 728, die Kartenspieler bei Kerzenbeleuchtung.

Die berühmten Kegelspieler (Nr. 737) sind in den Besitz von Mr. George Salting übergegangen.

Das andere, schöne Kegelspiel, Nr. 738, hat Herr Johnson in Philadelphia.

Nr. 746, der Hahnenkampf in Hochformat, war 1907 bei Fred Müller & Co. in Amsterdam ausgestellt, gehörte aber glaube ich Mr. Lesser in London.

Bei Nr. 748 möchte ich ausdrücklich bemerken, daß wiederholtes Studium beider Bilder mich überzeugten, daß das Original bei Herrn Delaroff war, die Kopie in Schwerin. Das Delaroffsche Bild kam seitdem in Besitz der Herren P. & D. Colnaghi in London.

Nr. 775 besitzt die Familie des sei. Herrn Moritz Kann in Paris.

Nr. 796 ist m. E. eine gute alte Kopie nach Nr. 819.

Von Nr. 828 kam neulich eine alte Kopie im englischen Kunst- handel vor. Eine Landschaft mit Kanal, Brücke, links Wirtshaus, wovor ein tanzendes Paar, im Vordergründe eine korpulente Frau mit kleinem

86

Literaturbericht,

Kinde und einem Mann, jetzt im Metropolitan-Museum zu New York, kann ich bei de Groot nicht finden, ln diesem Museum befindet sich auch ein sonderbares Bild: ein abgeholtes Bett von Boursse, fast genau wie das Wallacesche Bild, worin Jan Steen drei Figuren malte: hinter dem Bett ein schäkerndes Liebespaar, links eine alte Frau, welche sie stören will. Natürlich gibt’s hier und dort noch Bilder Steens, die nicht in dem de Grootschen Werk stehen; aber im ganzen muß man sagen, daß es von einer seltenen Genauigkeit und Vollständigkeit ist.

Bei den andern Meistern fehlte mir die Zeit, alles genau zu prüfen. Nur will ich erwähnen, daß der Metsu Nr. 153 bei Edmond de Roth- schild in Paris ist, und Nr, 188 c kein Metsu, sondern ein bezeichneter Netscher ist, und als solcher unter Nr. 477 im neuen Katalog von Budapest zu finden ist. Sonderbar ist es, daß de Groot gerade ein Paar sehr wichtige Bilder Metsus unerwähnt läßt, die von besonderer Be- deutung für den Meister sind: die Auslage einer Fischhändlerin mit lebensgroßen Figuren bei dem Earl ot Lonsdale (Lowther Castle) und eine Auslage einer Wildhändlerin, welche 1887 bei Besser in London war (auch fast lebensgroß), beide voll bezeichnet und eingehend von Bode in seinem » Rembrandt und seine Zeitgenossen « gewürdigt.

Auch ein drittes frühes Werk mit zwei halblebensgroßen Figuren, nicht bezeichnet, aber zweifellos echt, welches Warneck in Paris besaß, und ebenfalls von Bode genannt wird, suche ich vergebens bei de Groot.

A. Bredius.

NB. Beinahe hätte ich vergessen, daß der schöne Jan Steen, der Maler selbst mit einem jungen Mädchen und einer alten Frau im Freien sitzend (das Mädchen nimmt ihm Geld aus der Tasche), im Besitz von Herrn Fleischmann in London im Werke fehlt.

Ebenso ein schönes Spätbild, welches man gewöhnlich Jan Steen im Gespräch mit van Goyen nennt. Drei junge Damen stehen dabei; alles geht vor sich in einem eleganten Salon. Früher in Belgien, jetzt im Besitz des Herrn Heugel in Paris.

Kunsthandwerk.

Dr. Max Geisberg. Die Prachtharnische des Goldschmieds Hein- rich Cnoep aus Münster i. W. Mit 14 Tafeln und i Hoch- ätzung. Straßburg 1907, Ed. Heitz.

Waffenfragen von einem außenstehenden Kunsthistoriker behandelt und gefördert zu sehen, ist eine Seltenheit. Dieses Gebiet, dessen eminente Wichtigkeit seit Semper zwar allgemein anerkannt wird, ist trotzdem aus der kunstgeschichtlichen Forschung so gut wie ausgeschieden.

Literaturbericht.

87

Da der Verfasser neue Arbeiten in Aussicht stellt, so möchten wir durch näheres Eingehen auf die hier vorliegende erste Studie das Interesse für dieses Gebiet beleben helfen und zur Klärung einiger Fragen beitragen.

Der Goldschmied Heinrich Knopf (Cnoep) aus Münster i. W. hat längere Zeit in Nürnberg gelebt, ohne dort übrigens Bürgerrecht zu er- halten. Urkundlich hat er an den prachtliebenden Kurfürsten Christian II. von Sachsen 1604 und 1606 zwei Prunkharnische verkauft, was 1873 wieder bekannt wurde. Der reichere der beiden Harnische war im 18. Jahrhundert einem Augsburger Plattner zugeschrieben worden. Da nun über Knopf zunächst nichts weiter bekannt war als dies Kaufgeschäft, so konnte die gleichzeitig aufgeworfene Frage, ob er auch der Verfertiger sei, nicht sicher beantwortet werden. Hierüber ist die Erörterung nicht mehr verstummt, zumal man einen dritten Harnisch in Stockholm, sodann einen vierten und fünften in Weimar und Wien als den Dresdener Stücken ganz nahestehend erklärte. Damit handelt es sich nahezu um die präch- tigsten aller vorhandenen Prunkrüstungen, was viel sagen will. Die durch drei Jahrzehnte geführten Untersuchungen geben ganz typisch ein Bild von der großen Schwierigkeit in der Behandlung des Waffengebiets, die hauptsächlich darin begründet ist, daß diese monumentalen Werke ihre Entstehung der Regel nach mehreren Händen und Werkstätten verdanken.

Der vorliegende Fall war gleich zu Anfang dadurch verdunkelt worden, daß jener zunächst in Frage stehende Harnisch ohne berechtigten Grund auf 1545 70 angesetzt wurde. Durch diese zu frühe Bestimmung rückten Verkäufer und Meister ziemlich weit auseinander. Trotzdem meinte man, Knopf müßte auch der Plattner gewesen sein. Indes war diese Fragestellung unseres Erachtens schief und ist deshalb später und vermutlich auch noch für Geisberg irreführend geworden. Denn bei Prachtstücken solcher Art kommt es durchaus nicht auf die, mit feinen Gebrauchsharnischen verglichen, ganz mindere Plattnerarbeit an, sondern auf die glänzende Verzierung. Genug, man sprach abwechselnd von Knopf dem Händler, dem Plattner oder auch dem Verzieren Daneben wurden andere Namen genannt und verworfen. Veröffentlichungen aus den Archiven von Münster und Nürnberg führten die Goldschmiedfamilie Knopf ein, zuletzt endlich dazugehörig unseren Meister Heinrich Knopf, geboren etwa Anfang der sechziger Jahre. Daraufhin schrieb man ihm die Treibarbeit zu. Indes entstand dadurch neue Verwirrung, weil ein Goldschmied Harnische wohl verzieren, aber nicht, wie hier geschehen, verkaufen durfte, da dies in Nürnberg ausdrücklich den Plattnern zu- kam. Somit wurde Knopf wieder als kaufmänniscner Unterhändler an- gesehen. Zuletzt ist dem Meister, mit unsicherer Begründung freilich.

88

Literaturbericht.

doch wieder die Treibarbeit zugesprochen. Über diese höchst ver- wickelten Verhältnisse und Wandlungen gibt Geisberg Bericht, trägt gedruckte und ungedruckte Quellen zusammen, klärt in ansprechender Weise Mißverständnisse, führt uns den Lebensweg Knopfs vor und hat das Verdienst, die Frage überzeugend so weit geführt zu haben, daß wir in ihm einen Meister, nicht jedoch, wie Geisberg meint, den Meister der Dresdener Harnische annehmen können. Alles das ist etwas schwer und undurchsichtig auseinandergesetzt, die Ergebnisse in diesem Teil der Studie sind aber vortrefflich.

Nicht so günstig steht es dort, wo die eigentliche Kunstforschung einsetzt. Da nun der Autor auf Grund der Ergebnisse Knopf als einen der größten Meister seiner Zeit in die Kunstgeschichte einführt, bleibt die Methode, nach der er zu diesem Standardresultat kommt, näher zu prüfen. Da ergeben sich ganz prinzipielle Einwendungen.

Zunächst werden dem Meister die übrigen drei Harnische sowie eine kleine Zahl anderer Arbeiten auf Grund der Ornamente an den Dresdener Rüstungen zu- oder abgesprochen, und zwar nach Photographien. Das Werk eines Goldschmieds nach dem Ornament festzustellen (wozu übrigens Photos und Lichtdrucke, die bei der Bestimmung von Stichen und Holzschnitten genügen, jedoch für Werke so komplizierter Art und Herstellung wie Waffen keinenfalls geeignet sind), scheint nicht angängig. Da helfen auch keine Vorbehalte, wie Geisberg sie vorsichtig macht. Denn mag ein Goldschmied für seine Treibarbeiten die Zeichnungs- entwürfe auch selbst ausführen können, so ist damit nicht ausgeschlossen, daß er in anderen Fällen nur sein eigentliches Metier, die Treibarbeit nämlich, gemacht hat, wenn ihm bei der fürstlichen Bestellung wie auch heute noch gebräuchlich, der Entwurf für die Verzierung mitgegeben wurde. Andrerseits ist hier freilich gleich zu bemerken, daß das Werk eines Goldschmieds auch auf Grund der Technik der Treibarbeit sehr schwer bestimmbar ist. Die feinen Künste des Treibens und Ziselierens werden mit so zahlreichen und verschiedenen Instrumenten ausgeführt, und diese letzteren können von einem Meister mit künstlerischem Gefühl bei jeder neuen Aufgabe so verschieden gehandhabt werden, daß es sehr schwer sein wird, immer dieselbe Hand zu bestimmen, ganz abgesehen davon, daß bei sO' umfänglichen Werken auch Gesellen mitgeholfen haben. Ohne andere Anhaltspunkte, Archivnachrichten und dergl. ist da absolut nichts anzufangen. Geisberg bestimmt hier aber allein nach der Zeichnung, und da kommt er dann zu dem merkwürdigen Ergebnis, daß die beiden künstlerisch vollendetsten Harnische, nämlich die von Weimar und Wien, von zwei einstigen Nürnberger Gesellen Knopfs herrühren.

Literaturbericht.

89

Die Dresdener Harnische hat er jedoch dem Knopf sichergestellt, an diesen könnte somit die hohe Kunst seines Meisters geprüft werden, was später geschehen soll. Vorher bleibt noch zuzusehen, ob sie denn völlig von Knopf herrühren? Dazu müssen die verschiedenen Arbeiten bei Herstellung einer solchen Prunkrüstung festgestellt werden. Zum ersten wird der Harnisch aus dünnstem, möglichst weichem Eisen geschlagen (Plattnerarbeit; die Marke fehlt auch deshalb, weil in Nürnberg nur gestählte Harnische gestempelt werden durften, eiserne aber nicht. Stock- bauer, Nürnberger Handwerkerrecht); dann wurde der rohe Harnisch mit Treibarbeit überzogen, und hier ist nun der Entwurf für die ornamentale Verzierung und die Ausführung in getriebener Arbeit zu trennen. Da es sich bei dem Verzierungsentwurf für ein so umfängliches und an- spruchsvolles, aus zahllosen Einzelteilen verschiedenster und meist sehr komplizierter Form bestehendes Werk um eine künstlerische Leistung ersten Ranges handeln kann, solche Künstlerentwürfe auch bekannt sind, so kann von vornherein nicht angenommen werden, daß der Goldschmied sie gemacht habe. Herrühren können sie von ihm, doch müßte dies wie etwa bei Knopfs Landsmann Eisenhoit, von dem sich die Ornament- blätter seiner Hand erhalten haben, sicher bewiesen werden. Einen solchen überzeugenden Beweis sehen wir nicht als erbracht an.

Angenommen Jedoch, daß diese Entwürfe von Knopf herrühren, so bleibt zu untersuchen, ob dieselben künstlerisch so hoch stehen, daß sie in Verbindung mit der Treibarbeit diese hohe Note in der Einschätzung des Meisters rechtfertigen.

Damit ist das ornamentale Gebiet selbst zu berühren, das in der vorliegenden Studie nur gestreift ist. Gerühmt wird unter Hinweis auf die sonst vielfach vorhandenen Abbildungen jener Harnische der vor- nehme maßvolle Geschmack und das richtige Verhältnis in der Verzierung, deren Motive die der Zeit wären und im Figürlichen vielfach freie Kopien nach Floris. Zweifellos wirken jene Harnische in ihrer äußeren Er- scheinung wahrhaft prachtvoll, daß aber ein großer Ornamentiker daran gearbeitet hätte, ist zu verneinen. Dies zu erkennen, genügen die Ab- bildungen im Buche freilich nicht, doch haben sie den Vorteil, daß wir, von dem äußeren Glanz, dem kaum zu widerstehen ist, ungeblendet, nur die Zeichnung selbst sehen. Prüfen wir auf Tafel III die Zeichnung des Rückens: in der Mitte die wegen des vorspringenden Rahmeawerks auf einer gegenseitig gewölbten Fläche stilistisch abzulehnende, schwere Rollwerk- kartusche mit dem mindestens nicht schön in das Rund gestellten Herkules; auf dieser Kartusche eine recht gewaltsam und unorganisch gesetzte weib- liche Halbfigur, die mangels an Platz oben direkt an den Rand stößt und deren untere Bandranken, die sich aus dem verkümmerten, kaum erkenn-

90

Literaturbericht.

baren Blätterschurz entwickeln, wieder aus Platzmangel unschön und" unverständlich in die Nähe der Brüste gerückt sind; sodann die Füllung der übrigen Fläche, wo unten zu dicht, seitlich zu lose, alles ohne rechten Zusammenhang um die Mittelkartusche gruppiert ist, um den Raum zu füllen. Weiter auf Tafel IX die Oberschenkeldecke (Diechling), wie dort neben der geflügelten Sirene als Hauptmotiv die Hauptfläche selbst mühsam mit der Ranke gefüllt ist, wobei der Zeichner den oberen Rand des schräg geschnittenen Diechlings keineswegs gleichmäßig zu füllen verstanden hat (man denke sich das alles etwa zehnmal vergrößert). Auch das obere Stück derselben Tafel läßt Gleichgewicht in der Flächen- dekoration wie organische Entwicklung, worauf es doch ankommt, vermissen: unten seitlich zwei durch die reichen figürlichen Darstellungen zu schwere Kartuschen, der obere Teil im Verhältnis dazu viel zu leicht gefüllt; unten in der Mittelachse eine große weibliche Maske, oben mangels anderer Gedanken wiederum eine Maske (hier nur klein und, trotzdem es der Hauptplatz ist, unbedeutend) in einer auch zeitlich späteren Kartusche als es die beiden unteren sind; dazwischen dann eine Vase, deren Fuß aus Platzmangel einfach fortgelassen ist. Das mag alles hingehen, aber hochkünstlerische Flächendekoration liegt hier nicht vor. Man denke an Raphael, Aldegrever oder einen orientalischen Teppich. Wir bilden den in Paris befindlichen, durch die Nachzeichnung freilich stark verwässerten Entwurf für die Harnischbrust in Weimar zum Vergleich ab. Weitere Entwürfe für diese Rüstung sind von Geisberg zwar unter den von Hefner veröffentlichten Zeichnungen zu Prachtrüstungen erkannt worden, und doch kommt er, wie erwähnt, dazu, diesen und den nahe verwandten Wiener Harnisch zwei Gesellen zu überlassen, die Knopf in Nürnberg zurück- gelassen hatte! Die Ornamentation der Dresdener Harnische ist sicher kein Werk eines selbständig schaffenden oder verarbeitenden Künstlers, vielmehr sind die einzelnen Motive ohne große Empfindung, gut und minder, zusammengesetzt, manchmal schlecht gepaust und unverstanden kopiert. Letzteres läßt sich freilich durchschlagend nur an den Harnischen selbst durch Nachgehen des Ornaments erkennen, indes möchten wir auf die Brustkartusche Tafel II hinweisen, die nach einem genagelten Zierschildschen so sklavisch kopiert ist, daß zwei Nagellöcher des Vor- bildes unverstanden mit kopiert wurden und nun in der Treibarbeit leer dastehen ; diese Löcher sind bei scharfem Zusehen auf der Photographie über den kleinen Fruchtbündeln auf den seitlichen Ausläufern der Kartusche erkennbar; sie könnten im Bilde als kleine runde Früchte gelten, sind aber richtige runde Nagellöcher. Ähnliche Entgleisungen sind bei kurzer Prüfung auf diesen Punkt hin mehrfach an den Harnischen fest- gestellt worden.

Literaturbericht.

91

Solche Mängel sind für die äußere Wirkung jener silteerhell und golden in tausend Glanzlichtern strahlenden Rüstungsteile ganz ohne Belang.

Nachzeichnung des Entwurfs für die Prunkrüstung in Weimar.

Französisch, 16. sec., 2. Hälfte.

Indes hier steht die Frage nach einem künstlerisch hochstehenden zeichnerischen Entwurf, auf den hin ein Meister ersten Ranges aufge-

92

Literaturbericht.

Stellt wird. Hat «Knopf ihn gemacht, was ganz gut möglich ist, so hätte er damit hervorragendes Können nicht bewiesen. Bleibt ihm somit das beste am Harnisch, nämlich diese vorzügliche Treibarbeit. Wie viele solcher Arbeiten es nun aber bei uns gegeben hat, davon gibt das Grüne Gewölbe in Dresden eine kleine Vorstellung, und in Italien sind solcher Werke noch viel mehr gewesen. Ihre Meister waren mit wenigen Aus- nahmen einfach vorzügliche Goldschmiede, und diesen muß Knopf zugesellt werden. Deshalb bleibt er doch aller Liebe wert, und das Interesse, welches erfahrungsmäßig gut gemachte Monographien ihrem Gegenstand einbringen, bleibt ihm durch Geisberg gesichert.

Verlieren somit die ornamentalen Entwürfe der Harnische erheblich an Interesse, so müssen dieselben trotzdem noch einen Augenblick näher angesehen werden. Der Autor glaubt dort nämlich das Zeichen Knopfs gefunden zu haben. Zunächst bemerkt er in den Strichornamenten mehrfach ein S, also eine fremde Marke, sodann wiederholt in den Zise- luren H K. Das wäre nun sehr wichtig, indes legt Geisberg keinen Wert darauf, und für uns ist nichts greifbares sichtbar. Dann sagt er weiter, daß man bei dem Suchen nach Knopfs Zeichen zu sehr mit der Lupe gearbeitet und dabei ganz die im Ornament zahlreich vorkommen- den geknüpften Bänder als das zweifellose Zeichen des Meisters über- sehen habe. Selbstverständlich ist dem Autor bekannt, daß das fliegende oder hängende Band mit und ohne Schleifen oder Knoten zu den allge- mein gebräuchlichen Ornamentmotiven gehört, er leitet aber ab Knopf, Knoten, Knüpp und kommt dadurch zu seiner Schlußfolgerung. Unter- stützt sieht er sich durch das der Studie beigegebene Wappen Knopfs, aus zwei Feldern bestehend, oben ein halber Mann, der in den Händen ein shawlartig hängendes Band mit zwei Ösen, »Knüpfe«, hält, unten drei Flammen. Ein solcher Mannesrumpf oder entfernt ähnliches hängendes Band mit Knüpfen kommt, soweit wir sehen, nirgends im Ornament vor, fliegende und festontragende Bänder allerdings in großer Zahl. Als ausschlaggebend werden nun von ihm die zwei uns schon bekannten »Halbfiguren« Tafel III und IX aufgeführt; dort sehen wir die weibliche Halbfigur wieder, welche bewegte und ruhige Bänder ohne Knüpfe hält; hier die geflügelte Sirene mit Fischschwanzbeinen (somit doch keine Halbfigur, wie Geisberg sagt), mit festontragenden, in den Enden flatternden Bändern. Kann dieser Beweis noch sonst irgendwo gelten? Ein Wappenmotiv muß im Ornament treu wiedergegeben oder individuell so gestaltet sein, daß jeder Orientierte es als sprechendes Zeichen Knopfs erkennen kann, es Uneingeweihten aber als abweichend von den sonst üblichen ähnlichen Motiven gleicher Art auffällt. Bezweckt wird doch, ein bestimmtes, wenn auch ganz diskretes persönliches Merkmal

Literaturbericht.

93

zu geben. Der Soldat, der ein Hornsignal gibt, bläst keinen allgemeinen Dur- oder Mollklang, sondern eine ganz bestimmte, originelle Tonfigur, die von allen anderen Tonfiguren abweichen muß, damit sie erkennbar ist. Die Vorliebe, mit der hier Bänder im Ornament verwendet sind, erklärt sich mühelos und natürlich damit, daß sie ein sehr beliebtes Motiv, daß sie für den nicht sehr selbständigen Zeichner eine bequeme Füllung und endlich, daß sie für diese lose Ornamentation ganz unent- behrlich sind, um die nebeneinandergesetzten einzelnen Motive zu ver- binden. Jene Bänder haben auf Knopf sicher keinen Bezug; hat der Zeichner das Band soviel verwendet, so ist ihm das als Zeichen guten Geschmackes anzurechnen, denn das Band ist durch sein geringes Volumen, Duktilität und Durchsichtigkeit fast das einzige und beste Mittel dafür, alle Ornamente beliebig zu überschneiden, ohne ihnen den klaren Linienfluß zu stören. Ohne solche Überschneidungen konnte der Zeichner eben auf den größeren Flächen nicht auskommen, wenn er die locker zusammengestellten Motive zusammenbringen wollte.

Zu erwähnen bleibt schließlich, daß der Autor die bislang geübte Schreibweise Knopf in Cnoep auf Grund der einzig vorhandenen Namens- unterschrift des Meisters geändert hat. Die Archive von Münster schreiben ihn angeblich Knop, Knoop, Knoep, Cnoipff (wonach also die Schreibart Cnöep in den abgedruckten Quellen I und XV auf einem Schreibfehler beruhen muß), die Nürnberger und Dresdener Dokumente ausnahmlos Knopf. Die jetzt vorgenommene Änderung der Schreibweise, mit der es in jenen Zeiten doch niemals genau genommen wurde, scheint nicht praktisch, zumal hier der Name ein abweichendes Druckbild und für die meisten Leser auch einen anderen Klang bekommen hat. Versuche solcher Art, wie z. B. bei Piero della Francesca und in neuester Zeit bei Flötner, haben keine Annahme gefunden.

E. V. Ubisch.

Ausstellungen.

Die Ausstellung orientalischer Keramik im Burlington Fine Arts Club zu London, 1907. Unter der Bezeichnung »Exhibition of the Faience of Persia and the nearer East« hatte der Burlington Fine Arts Club in London während der Frühjahrsmonate des Jahres 1907 eine keramisch-orien- talische Ausstellung veranstaltet. Während man am gleichen Orte im Jahre 1885 noch die verschiedenartigsten Erzeugnisse der islamischen Kunstindustrie vereinigt hatte, hatte man sich diesmal auf persische und vorderasiatische Fayencen beschränkt, ein Zeichen für das seit 22 Jahren vermehrte Interesse der englischen Sammler für die islamische Kunst.

An dieser Stelle ist von mir vor vier Jahren eingehend über die große Pariser Ausstellung muhammedanischer Kunst vom Jahre 1903 berichtet worden, deren Schwerpunkt auf dem Gebiete der Keramik lag, und die unsere Kenntnis der orientalischen Keramik, vor allem der mittelalterlichen Fayencen Syriens und Persiens in ungeahnter Weise vermehrt hatte. Eine gleiche wissenschaftliche Bedeutung konnte die diesjährige Londoner Ausstellung nicht für sich in Anspruch nehmen; sie führte die uns bekannten Gattungen in allerdings ausgesuchten Exem- plaren vor und bot mehr eine Augenweide für den Liebhaber als ein Arbeitsfeld für den Forscher.

Das größte Interesse beanspruchten auch diesmal die persischen und syrischen Fayencen des 13. und 14. Jahrhunderts, deren schönste Stücke aus der bekannten Sammlung von Mr. Ducane Godman in Horsham stammten. Die auf diesem Gebiete einzig dastehende Sammlung ist durch die prächtigen Publikationen von Henry Wallis^) allgemein be- kannt. Eine erwähnenswerte neuere, hier noch nicht veröffentlichte Er- werbung von Mr. Godman war zum ersten Male ausgestellt, eine persische, in Lüsterfarben mit Blumendekor bemalte Flasche, deren Körper von Schriftbändern gleichsam umflochten ist. Diese enthalten folgende hübsche Inschrift in persischer Sprache; »Im Begriff in die Wüste zu gehen und fern von der Geliebten zu sein, schreibe ich diese

•) Repertorium XXVI. S. 521 533.

*) The Godman Collection. 2 Bände. London 1891 u. 1894.

Ausstellungen.

95

Worte hier nieder im Jahre der Flucht 6og (1231 n. Chr.), damit sie eine Erinnerung an mich seien; und ich hoffe, daß die, die in meinen Träumen lebt, Erfrischung finde, wenn sie den Krug an die Lippen setzt. Möge sie dann meine Schriftzüge erkennen und an mich denken und sich erbarmen meiner Liebe. « 3)

Abgesehen von dieser Inschrift, die dem Stück einen gewissen persönlichen Reiz verleiht, ist es als datierte Arbeit von besonderer Wichtigkeit. Von gleichem Interesse für die Geschichte der persischen Keramik waren ein paar ebenfalls mit einem Datum versehene Lüster- fliesen aus den Jahren 1217 und 1260 (Mr. Godman) und die aus Lüster- fliesen zusammengesetzten Gebetsnischen vom Jahre 1264 (Mr. Preece), 1308 (Mr. Salting) und 1310 (Mr. Read). Die mittelalterliche Keramik Syriens war in ihren beiden Gattungen (vgl. Repertorium a. a. O. S. 525) durch hervorragend schöne und charakteristische Exemplare vertreten; dasselbe gilt von den späteren persischen Fayencen aus der zweiten Blüte- zeit im 16. 17. Jahrhundert.

Den am meisten in die Augen fallenden Teil der Ausstellung und ihren Höhepunkt bildete eine einzig dastehende Sammlung von Damaskus- Schüsseln. Mit wenigen Ausnahmen wiederum aus dem Besitze von Mr. Godman. Keine öffentliche Sammlung enthält eine gleich große Anzahl von besonders hervorragenden und intakt erhaltenen Exemplaren dieser Gattung, in der die vorderasiatische Keramik in zeichnerischer und koloristischer Hinsicht Unerreichtes geleistet hat.

Unter den fälschlich Rhodos-Fayencen genannten türkisch-klein- asiatischen Erzeugnissen des 16. 17. Jahrhunderts 4) fielen drei bauchige Kannen in europäischer Silbermontierung auf, von denen eine deutscher Herkunft war, während sich die beiden anderen als Arbeiten eines Londoner Goldschmieds vom Jahre 1592 herausstellten. Auch die Fabrik von Kutahia mit ihrem blauen Arabesken-Ornament auf mattweißem Grunde war durch einige charakteristische Exemplare vertreten.

Mr. Charles H. Read und Mr. Henry Wallis, denen vor allem das Zustandekommen der Ausstellung und die Auswahl der Objekte zu danken ist, haben auch den brauchbaren Katalog 5) verfaßt, und ersterer

3) The Godman Collection. London 1901. Nr. 483. PI. LXXV.

4) Ebenso wie die gleichzeitigen Wandfliesen sind sie an verschiedenen Orten hergestellt worden, z. B. in Nicaea. Dies geht aus einer nur für die charakteristischen türkischen Fayencebecher passenden deutschen Metall inontierung hervor, die die Inschrift trägt: »Zu Nicea Bin ich gemacht und nun gen Halle in Sachsen Bracht anno 1582.« (Katalog der Sammlung Alfred Hauschild. Köln 1898 Nr. iio).

5) Die Lesung der Inschriften haben die Orientalisten vom British Museum Mr. A. G. Ellis und Mr. E. Edwards besorgt. Ein illustrierter Katalog soll auch diesmal vom Burlington Club später herausgegeben werden.

Ausstellungen.

()6

schickt ihm eine ausführliche Einleitung vorauf, die in mehrfacher Hin- sicht von Interesse ist.

Mr. Read führt hier aus, daß die wissenschaftliche Forschung auf dem in Frage kommenden Gebiete mit dem erhöhten Interesse und mit dem stetig wachsenden Auftauchen von neuen und bisher unbekannten Gattungen orientalischer Keramik nicht Schritt gehalten hat. Er klagt mit Recht darüber, daß der Handel fast ausschließlich in den Händen von Orientalen, besonders von Armeniern liegt, deren Angaben über die Herkunft der Ware wenig Glauben beizumessen ist, und die absichtlich die Kenntnis der Fundstätten geheimzuhalten sich bestreben. Der berechtigte Hinweis auf »the innate mendacity of the Oriental nomad who is mostly the purveyor of these relics« hat natürlich in den Kreisen, die sich getroffen fühlten, große Entrüstung hervorgerufen. Ein zweiter Grund, den Mr. Read für den Rückstand der wissenschaftlichen Kenntnis anführt, betrifft den Mangel an irgendeiner wissenschaftlichen Ausgrabung auf altislamischen Kulturstätten. Wohl hat man bei Kairo, auf der Stelle des alten Fostat, innerhalb der letzten 20 bis 30 Jahre eine Menge der wichtigsten keramischen Objekte ans Tageslicht gebracht; ohne daß über die Fundumstände, die einen Schluß über Alter und Herkunft zuließen, etwas verlautet wäre. Hier sowohl wie an anderen Brennpunkten der islamischen Welt, in Raqqa am Euphrat, in Rhages und Sultanabad in Persien ist nie systematisch gegraben, ist bisher nur Schatzgräberei getrieben worden. Daß islamische Ausgrabungen bisher unterblieben und durch den Raubbau an manchen Stellen wahrscheinlich für immer unmöglich gemacht worden sind, dafür trifft die Schuld einzig und allein die Gleichgültigkeit, die an maßgebenden Stellen der mittel- alterlichen Kunst des Orients noch immer entgegengebracht wird. Die islamische Kunst wird der altorientalischen und der griechisch-römischen gegenüber noch nicht für ebenbürtig gehalten. Nirgends in Ägypten und im Gebiet des türkischen Reiches auf islamischem Kulturboden gegraben zu haben, dafür gibt es für keinen der an der Altertumswissen- schaft interessierten Staaten eine Entschuldigung. Anders liegen die Verhältnisse in Persien. Hier hat seit zwölf Jahren Frankreich das alleinige Recht, Ausgrabungen zu veranstalten. Man hat es dem Schah Nasr ad-Din für 50.000 Frs. abgekauft, der auch auf die Funde verzichtet und sich nur »die Wertgegenstände wie Gold, Silber und Edelsteine als spezielles Eigentum« Vorbehalten hat. Eine Folge dieses französischen Privilegs sind die schon seit längerer Zeit von der französischen Regierung unter Leitung von M. de Morgan vorgenommenen Ausgrabungen in Susa, deren hervorragende wissenschaftliche und künstlerische Ergeb- nisse ja allbekannt sind. Die »Mission scientifique en Perse« nimmt

Ausstellungen.

97

das alleinige Recht für sich in Anspruch, archäologische Untersuchungen im Gebiete des persischen Reiches anzustellen, ohne imstande zu sein, ihrem Privilegium den Forderungen der Wissenschaft gegenüber gerecht zu werden. Dazu reichen die materiellen Mittel und auch die verfüg- baren geistigen Kräfte eines Staates nicht aus. Während Frankreich sich auf einen Punkt konzentriert und sich hier, in Susa, für Jahre fest- gelegt hat, muß das gesamte übrige Persien mit seinem reichen Schatz an Denkmälern, die der Erforschung harren, unberührt und der wissen- schaftlichen Untersuchung verschlossen bleiben. Mr. Read macht nun geltend, daß England bei der wissenschaftlichen Erforschung Persiens Frankreich an die Seite treten müsse; gerade jetzt sei für dieses gemein- same Vorgehen der richtige Zeitpunkt gekommen, wo die beiden Länder sich nach langer Entfremdung politisch näher gekommen seien.

Diese Forderung darf von deutscher Seite nicht unwidersprochen bleiben. Falls das französische Sonderabkommen gelegentlich der augen- blicklichen politischen Umwälzungen in Persien, wie wir hoffen, aufge- hoben werden sollte, so darf dies nicht ein neues Privilegium zweier Staaten zur Folge haben. Deutschland und sämtliche anderen Kultur- staaten haben in demselben Maße das Recht wie England, bei einem neuen persischen Ausgrabungsgesetz berücksichtigt zu werden. Aut persischem Boden ist noch so gut wie alles zu tun, und im friedlichen Wettbewerb wird hier jeder Staat ohne den andern zu schädigen oder zu verdrängen ein Feld wissenschaftlicher Betätigung finden können.

F. Sarre.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

7

Bei der Redaktion eingegangene Werke:

Achiardi, Pietro di. Sebastiano del Piombo. Con 73 zincotipie e una fototipia. Roma, Casa Aditrice de L’Arte. L. 15.

Astier, Le Colonel de. La belle Tappisserye du Roi (1532 1797) et les Tentures de Scipion l’Africain. Paris, Honore Champion.

Aubert, Andreas. Die malerische Dekoration d er San Francesco- kirche in Assisi, ein Bei trag zur Lösung der Cimabue- frage. Mit achtzig Abb. in Lichtdruck auf neunundsechzig Tafeln. Leipzig, Karl W. Hiersemann.

Baum, Julius. Die Bauwerke des Elias Holl. Mit 56 Abb. auf 33 Tafeln. Straßburg, J. H. Ed. Heitz. M. 10.

Davidsohn, Robert. Geschichte von Florenz. Zweiter Band : Guelfen und Ghibellinen. Erster Teil: Staufische Kämpfe. Berlin, Ernst Siegfried Mittler & Sohn. M. 13.

Forschungen zur Geschichte von Florenz. Vierter Teil: 13. und 14. Jahrhundert. Berlin, Ernst Siegfried Mittler & Sohn. M. 15.

Die Kunst- und Altertums-Denkmale im Königreich Württem- berg. Dritter Band: Jagstkreis. Erste Hälfte: Oberämter Aalen, Crailsheim, Ellwangen, Geildorf, Gerabronn, Gmünd, Hall. Bearbeitet von Eugen Grad mann. Mit etwa 900 Abb., 4 Licht- drucktafeln und 2 Buchdrucktafeln. Esslingen a. N., Paul NefF.

Fröhlich, Otto. Internationale Bibliographie der Kunstwissen- schaft. Vierter Band, Jahr 1905. Berlin, B. Behr. M. 18.

Gottschewski, G. und G. Gronau. Vasari, Die Lebensbeschrei- bungen der berühmtesten Architekten, Bildhauer und Maler. V. Band: Die oberitalienischen Maler. Übersetzt von G. Gronau. Straßburg, J. H. Ed. Heitz. M. 10.50.

Haendcke, Berthold. Kunstanalysen aus neunzehn Jahrhunderten. Ein Handbuch für die Betrachtung von Kunstwerken. Braunschweig, George Westermann. M. lo.

Bei der Redaktion eingegangene Werke.

99

Hamann, Richard. Der Impressionismus in Leben und Kunst. Mit i6 Abb. und zahlreichen Notenbeispielen. Köln, M. Dumont- Schauberg.

Hammer, Heinrich. Josef Schöpf. Mit allgemeinen Studien über den Stilwandel der Fresko- und Talelmalerei Tirols im i8. Jahrhundert. Mit 22 Tafeln und i Textbild. Innsbruck, Wagnersche Universitätsbuchhandlung.

Heilmeyer, Alexander. Die Plastik seit Beginn des 19. Jahr- hunderts. Mit 41 Abb. Leipzig, G. J. Göschen. M. 0,80.

Kende-Ehrenstein, A. Das Miniatur-Porträt. Mit 16 Tafeln in Licht- druck. Wien und I.eipzig, Halm & Goldmann. M. 3.

Klaiber, Hans. Leonardostudien. Straßburg, J. H. Ed. Heitz.

Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben. Donatello, herausge- geben von Paul Schubring. 277 Abb. Leipzig, Stuttgart, Berlin, Deutsche Verlagsanstalt.

Konstantinova, Alexandra. Die Entwicklung der Madonnentypen bei Leonardo da Vinci. Mit 10 Lichtdrucktafeln. Straßburg, J. H. Ed. Heitz. M. 6.

Martin, W. Galerie Gustav Ritter Hoschek von Mühlheim in Prag. Beschreibendes Verzeichnis der alten Gemälde. Mit 62 Abb. Prag, Druck von »Unie«.

Meumann, E. Einführung in die Ästhetik der Gegenwart. Leipzig, Quelle & Meyer. M. i.

Reininghaus, Hugo von. Entwicklungserscheinungen der modernen Malerei. Mit 47 Abbildungen. München, F. Bruckmann. M. 4.50.

Riegl, Alois. Die Entstehung der Barockkunst in Rom. Aka- demische Vorlesungen. Aus seinen hinterlassenen Papieren heraus- gegeben von Arthur Burda und Max Dvofäk. Wien, Anton Schroll & Co.

Rolfs, Wilhelm. Franz Laurana. 180 Abb. auf 82 Lichtdrucktafeln. Berlin, Richard Bong. M. 36.

Seidlitz, W. v. Kunstmuseen. Vorschlag zur Begründung eines Fürstenmuseums in Dresden. Leipzig, E. A. Seemann. M. 3,50.

Sjöberg, N. Svenska Porträtt i offentliga Samlingar. Utgifven under Medverkan af personhistoriska Samfundet. I. Drottning- holm. II. Gripsholm. Stockholm, Hasse W. Tullberg.

Venturi, Adolfo. La Basilica di Assisi. Con 30 zincotipie tratte de disegni di Gino Venanzi, 6 fototipie et 4 fotoincisioni. Roma, Casa editricte de L’Arte. L. 5.

Waetzoldt, Wilhelm. Die Kunst der Porträts. Mit 80 Bildern. Leipzig, Ferdinand Hirt u. Sohn. M. 12.

lOO

Berichtigung.

Woermann, Karl. Wissenschaftl. Verzeichnis der älteren Ge- mälde der Galerie Weber in Hamburg. Zweite stark vermehrte verbesserte" Auflage. Dresden, Druck Wilhelm Hotfmann A.-G. Zottmann, Ludwig. Zur Kunst der Bassani. Mit 47 Abb. auf 26 Tafeln. Straßburg, J. H. Ed. Heitz. M. 10.

Berichtigung.

In dem Literaturbericht (Band XXX. 6. S. 551/2) über einen Auf- satz von W. Rolfs in der Zeitschr. f. b. Kunst heißt es irrtümlich »die beiden Porträtreliefs unter dem Türbogen« . . . Die Bildnisse des Ni- kolaus Rufolo und seiner Gattin Sigilgaita befinden sich unter dem Aus- bau für das Lesepult der Kanzel.

über zwei Architekturzeichnungen Michelangelos in der Casa Buonarroti in Florenz.

Von Fritz Burger.

A.

Das Außerordentliche in Michelangelos Schöpfungen entsprach seiner innersten Natur. Sie zwang ihn, dort Schwierigkeiten zu suchen, wo man vor ihm kaum irgendwelche sah. In der Skulptur hat diese Eigenheit den Grund zu seiner Größe gelegt, in der Architektur hat sie ihm große Not bereitet. Der junge Feuergeist mußte erst die Mittel kennen lernen, durch die er diese sprödeste der Künste bezwingen konnte, dann hat er freilich auch ihr nicht minder als ihrer gefälligeren Schwester den Stempel seines Wesens aufzudrücken verstanden. Phantasie und Leidenschaft haben ihn dabei auch hier schon frühzeitig von dem geheiligten Boden der Tradition gedrängt und ihm den Blick für die konstruktive Zweckmäßig- keit seiner Ideen getrübt.

Die wenigen aus seiner Jugendzeit nachweisbaren Architektur- zeichnungen, voran zwei Grabkapellen-Grundrisse in der Casa Buonarroti, wissen davon zu erzählen^). Vielleicht die ältesten architektonisch-konstruk- tiven Versuche Michelangelos, lassen sie deutlich erkennen, wie er mit der monumentalen Wirkung zugleich auch eine barock-malerische Gruppierung in ein und demselben Werke zu erreichen strebt. Wie mit den Formen des menschlichen Körpers, so schaltet er hier selbstherrlich mit dem Raume, wobei es ohne Verzerrungen und unnütze Verkleinerungen natürlich nicht abgeht. In dieselbe Zeit der architektonischen Sturm- und Drangperiode gehört auch ein bisher unbeachteter Entwurf (Abb. I) in der Casa Buonarroti, der nicht minder behaftet ist mit allen Schwächen und Eigenheiten des Anfängers.

*) Siehe Burger, Gesch. d. florent. Grabmals, S. 315, Abb. 189 u. 190. Der S. 318, Abb. 191 veröffentlichte Entwurf erscheint mir neuerdings doch zu reif, in der Gesamtdisposition doch zu sicher, um ihn in diese frühe Zeit zu setzen. Vielleicht haben wir hier einen Entwurf für die an St. Peter sich anschließende Kapelle für den König von Frankreich zu erkennen. Siehe Thode, Michelangelo, I, S. 460.

Repertorium für Kun«twissenschaft, XXXI, g

102

Fritz Burger:

Welchen Zweck diese bauliche Anlage, die hier im Grundriß vorliegt, haben sollte, ist nicht ganz leicht festzustellen. Die allgemeinen Dispositionen sind klar: ein griechisches Kreuz mit apsidenförmigen Querarmen, in den Diagonalachsen quadratische Erweiterungen.

Sicher ist zunächst, daß der quadratische Mittelraum als kuppel- überwölbter Hauptraum gedacht ist. Dies wird sowohl durch die leicht sichtbare, um das Mittelquadrat eingezogenen Kreislinie, als auch durch die Nebenräume in den Diagonalachsen bestätigt, die nach der Pfeilerecke des Mittelraumes laufen und nur dazu dienen können, den Schub der Kuppelpfeiler mit aufzunehmen. Die an den vier Seiten sichtbaren rechteckigen Grundrisse können daher nur Stufen sein, die

zu dem überhöhten Mittelraum führen, in dessen Mitte ein Quadrat einen Altar oder ein Grabmal anzudeuten hat. Man sieht leicht, daß der Grundriß verschiedene Seltsamkeiten aufweist, wozu nicht zuletzt die Schwäche der Kuppelpfeiler gehört, die durch die beiden Eckpfeiler in den kleinen Kapellen ausgeglichen werden soll. Auf solche Ideen kann nur ein Anfänger in architektonischen Dingen kommen. Denn abgesehen von den technischen Bedenken geht hierdurch auch der Raum dieser Kapellen in seiner Wirkung ganz verloren. Dazu kommt, daß diese Pfeiler, wie die Einzeichnung der Kreislinie unverkennbar anzeigt, nicht als Mauerpfeiler mit quadratischem Grundriß, sondern als Rundsäulen geplant waren, die die ihnen zugedachte Funktion nicht hätten erfüllen können. Auch ist die Schwäche der Umfassungsmauer auffallend.

Uber zwei Architekturzeichnungen Michelangelos usw.

103

Sie sind schwerlich ohne den Halt eines nebenstehenden größeren Gebäudes zu denken. Daß man hier nun tatsächlich nur ein kleineres Gebäude vor sich hat, läßt sich, abgesehen von der konstruktiven Unmöglichkeit, diesen baulichen Gedanken in größeren Dimensionen zu verwirklichen (etwa als Grabkapelle für Julius II. unter Benutzung des Rossellinoschen Chores) schon durch die aus den beiden Stufen ersichtlichen Maße beweisen. Nimmt man deren Auflager etwa 35 bis 40 cm betragend an, so würden wir eine Maßeinheit von etwa 80 cm erhalten, derzufolge der Mittelraum eine lichte Weite von etwa 4 bis 5 m, die Quadratseiten der Kapellen in den Diagonalachsen etwa 3 bis 4 m lichte Weite hätten, während die der Querarme nur um ein weniges die des Mittelraumes überschreiten würde. Es ist sicherlich eine mißliche Sache, solche Skizzen mit »Zirkel und Richtscheit« zu beurteilen, allein die ungefähren Maße lassen sich doch mit einiger Bestimmtheit auf diese Weise feststellen, und deshalb ist es sicher, daß es sich im vorliegenden Entwurf um eine kleine Gedächtnis- oder Grabkapelle handelt. Die Bestimmung dieser Skizze ist dadurch inso- fern erleichtert, als es sich hier darnach nur um eine der drei baulichen Ideen handeln kann, denen der Gedanke einer Kapelle zugrunde lag: der Grabkapelle Julius II., der der Medici und der des Königs von Frankreich. Letztere war als Kapelle geplant (zweimal in Michelangelos Briefen erwähnt, 25. 5. und 16. 6. 1557), die sich an San Pietro anlehnen sollte, was ja an sich gut zu unserer Skizze passen würde. Allein die Formen derselben, die noch deutlich alle Unsicherheiten und Experimente der Frühzeit erkennen lassen, scheinen mir gegen diese späte Datierung zu sprechen.

Auch an einen Grundrißentwurf für die Mediceerkapelle ist hier kaum zu denken. Wir wissen zwar, daß räumliche Bedenken der Auf- stellung eines der freistehenden Monumente wiederholt entgegentraten und dieses Projekt auch schlißlich zum Scheitern brachten, so daß man vielleicht die Frage aufwerfen könnte, ob der vorliegende Plan nicht eine Erweiterung der vorhandenen älteren Kapelle darstelle. Hierfür scheint nicht nur der Umstand, daß die Pfeiler nach den Quadratseiten hin durch einen schwächer getuschten Maueransatz erweitert sind, so daß man in diesem Mittelbau die durchbrochenen Seiten des alten Teils der Mediceerkapelle sehen könnte, zu sprechen, sondern auch die ganze seltsame Grundrißanlage ließe sich durch die auf das bestehende Mauerwerk zu nehmende Rücksicht erklären. Doch bliebe dann der Standort der hier zu errichtenden 4 oder 6 Grabmäler unklar. Denn der in der Mitte angegebene quadratische Grundriß kann kaum 1,50 m Breite haben und demgemäß für letztere nicht in Betracht kommen, und für die Wand

8*

104

Fritz Burger:

gräber mangeln uns irgendwelche Angaben, es müßte denn sein, daß wir in den durch Fenster erleuchteten Apsiden die dort zu beiden Seiten sichtbaren kleinen Vorprünge hierfür heranzögen. Allein ich gestehe, daß hier das »Außergewöhnliche« schon zu sehr ans Absurde streift, um einer solchen Deutung Raum zu geben. Auch macht die ganze Grund- rißanlage ein in der Mitte stehendes Grabmal wahrscheinlich, da sowohl die die Apsiden flankierenden, als auch die in den Ecken der Kapellen befindlichen Pfeiler als Säulen gedacht waren, so daß der Eintretende sich rings von einer Säulenrotunde umgeben sehen mußte, die nur durch die Nischen in den Querarmen unterbrochen wurde. Dies wie überhaupt der Verzicht auf die räumliche Mitwirkung der Nebenkapellen läßt deutlich die Absicht erkennen, den Mittelraum besonders, d. h. als den Zweck des Ganzen, zu betonen. Es sprechen somit alle Umstände dafür, daß wir hier einen frühen Entwurf für das J uliusgrabmal vor uns haben, dessen Umfassungsmauern sich an einen größeren Bau anzuschließen scheinen, jene Kapelle, von der uns Vasari erzählU), daß sie die Urform des Grabmals des Papstes gewesen sei3), durch deren Modifikationen und Erweiterungen allmählich der Neubau von Sankt Peter ins Werk gesetzt wurde. Dies wird nicht nur durch das Fehlen jeglicher sonst üblicher monumentaler Ausgestaltung des Hauptportals, sondern auch durch die Schwäche der Umfassungsmauern bestätigt, die eben eine Anlehnung an einen größeren Bau bedingen. Danach müßte dieser Entwurf im April des Jahres 1505 entstanden sein4).

B.

In demselben Monat, als Michelangelo den Entwurf und die damit zusammenhängenden Skizzen dem Papste unterbreitet hatte, machte er den Vorschlag, die alten, von Bernardo Rossellino unter Nikolaus V. gelegten Fundamente des Chores von St. Peter derart auszubauenS), daß sie den äußeren Rahmen seines neuen figürlichen Entwurfes für das Denkmal des Papstes bildeten, das in seiner großartigen Anlage eines Raumes bedurfte, wie er damals in Rom kaum zu finden war. Damit war der unabwendbare Konflikt heraufbeschworen, der zum Kampfe mit Bramante führen mußte, einem Kampf, in dem sich Bramante als der

*) Vasari-Milanesi, IV, S. 282.

3) Vasari, VIII, S. 325, und Milanesi, Le lettere di M. Buonarroti, 1875, S. 335 f., 543 ff. Letzterer vom 17. Aug. 1557. Siehe auch Thode, a. a. O. S. 460.

4) Siehe hierüber Geymüller, Die Entwürfe von St. Peter, Wien und Paris, 1875, S. 130 ff. und 177.

5) Vgl. Geymüller, a. a. O. PI. 26, Fig. i.

über zwei Architekturzeichnung-en Michelangelos usw. 105

Stärkere erwiesen hat. Michelangelo räumte das Feld. Freilich der Ehrgeiz des einen oder andern Meisters, der das Interesse des Papstes in erster Linie an sein Werk zu ketten versuchte, war es doch sicherlich nicht allein, der den schrofifen Bruch so rasch, nachdem man kaum über die die Ausführung vorbereitenden Stadien hinausgekommen war, nach sich zog. Die Gründe des Zerwürfnisses werden wohl teilweise darin zu suchen sein, daß Michelangelo für den Chor mit Rücksicht auf den figürlichen Schmuck des Denkmals eine relativ geringe Höhen- und Breiten- ausdehnung wünschte, die mit den gewaltigen Plänen Bramantes nicht in Einklang zu bringen war, und daß Michelangelo in seiner Choranlage

der Form nach etwas Sekundäres sah, was für Bramante ein grundlegender Faktor für eine viel weiter greifende bauliche Idee sein mußte. Vielleicht ist vorliegende Zeichnung das einstige Dokument, das uns aus dieser Zeit des Zwiespaltes erhalten ist, der einzige Entwurf Michelangelos für den Chor von St. Peter unter Benutzung der Grundmauern Rossellinos. Zunächst zeigt die ganze Anlage genau jene für die früheren Entwürfe bis Rafael charakteristische Verteilung der Gewölbegurte, deren zwei den augenscheinlich als Auflager dienenden Säulenansätzen der Seiten nach zu schließen, auch hier die Kuppelpfeiler vc. finden, ein Motiv, das sich, durch eine breite Nische getrennt, vor der Abschlußwand rückwärts nochmals findet, im Gegensatz zu den genannten Anlagen, die hier nur einen Gurt angeben. Schon die symmetrische Vierzahl der

io6

Fritz Burger:

Bogengurte ist auffallend und bekräftigt die Vermutung, daß es sich hier um eine die symmetrische Anlage des Grabmals berücksichtigende Anordnung handelt. Der Grundriß des linken Pfeilers ist in der Gliederung den analogen Entwürfen Giuliano da Sangallos für St. Peter, aber auch den ältesten Plänen Bramantes^) sehr verwandt, mit denen die Zeichnung vor allem den augenfälligen Anschluß an den Chor Rossellinos gemeinsam hat. Dagegen fallen auch hier die apsidenförmigen Abschlüsse der Seiten- wände auf, die diese mit den Pfeilern der Chorrückwand verbinden während Bramante an dieser Stelle einen offenen Durchgang nach dem Kapellenumgang anordnete. Man möchte daher vermuten, daß Michel- angelo derartige malerische Durchblicke des Chors mit der Wirkung seines von vorne nach hinten in geschlossener Silhouette sich aufbauenden Denkmals für unvereinbar hielt. Andrerseits bemerkt man die im Ver- hältnis zu den Diniensionen kleinliche Gliederung der Wände, die ganz im Widerspruch zu Bramantes großzügiger, mit breiten Flächen operierender Profilierung der Entwürfe der späteren Zeit steht. Man wird deshalb auch hier wieder zu der Vermutung gedrängt, daß die Gliederung der Architektur ganz mit Rücksicht auf die Größe der Skulptur etwa analog den Mediceergrabmälern vorgenommen wurde. Es erscheint daher wahr- scheinlich, daß es sich in der vorliegenden, leider sehr fragmentarisch erhaltenen Skizze um einen Entwurf des Chores von St. Peter handelt, und es bliebe nur die Frage übrig, ob dieser im ersten Jahre von Michelangelos römischem Aufenthalt oder während seines zweiten in den Jahren 1512 14 entstanden ist, der Zeit, in der auf den ursprünglichen

Entwurf noch nicht zugunsten eines Wandgrabdenkmals verzichtet worden war. Nach Lage der Dinge aber konnte Michelangelo damals (1512) kaum hoffen, irgend einen Einfluß auf , den immerhin schon fortgeschrittenen Aufbau dieses für ihn wichtigen Bautraktes zu gewinnen. War ja auch nicht er, sondern zunächst Rafael der Fortsetzer des großen Werkes! Doch bleibt die Tatsache verwunderlich, daß wir bei dem größeren Entwürfe vom Jahre 1513 einen Aufstellungsort nicht genannt erhalten. Ob der Chorabschluß unserer Skizze mit Rücksicht auf das Grabdenkmal so auffallend gerade gegeben ist? Immerhin zeigt auch diese Anlage dasSuchende, Tastende eines noch unabgeklärten Wollens. Michelangelo scheint noch ziemlich frei und selbständig zu verfahren, noch wenig durch aufgeführtes Mauerwerk gehemmt zu sein. Unklar bleibt der rückwärtige Chorabschluß, der sich im großen ganzen an die wagrechte hintere Abschlußwand des Rossellinoschen Baues zu halten scheint. Welche Bedeutung die ein- gezeichnete, die Anlage verwirrende kleine Kapelle hat, die natürlich

A. a. O. PI. 20, Fig. 4.

über zwei Architekturzeichnungen Michelangelos usw.

107

nicht in diesem Zusammenhang geplant war, ist nicht zu ermitteln Dagegen könnte das links unten eingezeichnete architektonische System der Aufriß der Pfeilergliederung sein, die aus einer breiteren mittleren und zwei kleineren, durch Säulen getrennten seitlichen Nischen zu be- stehen scheint. Wie diese Skizze, so stellt auch der übrige reiche Schatz von Zeichnungen in der Casa Buonarroti noch manche Fragen an uns, die der Lösung harren.

Nochmals über einige Zeichnungen alter Meister

in Oxford.

Von A. von Beckerath.

Das eben erschienene 6. Heft des von Sidney Colvin herausgegebenen Reproduktionwerkes alter Zeichnungen in Oxford veranlaßt mich noch- mals zu einigen Bemerkungen.

Dieses Heft ist schon das Schlußheft der Publikation, was jeder, der sich für alte Zeichnungen interessiert, mit Bedauern vernehmen wird. Seit fünf Jahren war das Erscheinen eines neuen Heftes ein Fest für den Kunstfreund.

Ein Ersatz dafür wird sich sobald nicht einstellen.

Die Vasari-Gesellschaft ist ja eifrig bemüht, bekannte und un- bekannte alte Zeichnungen in England zu bringen, aber der billige Preis dieser Publikation verbietet eine so musterhafte und exakte Wiedergabe der Zeichnungen, wie sie das Oxforder Werk gebracht hat. Dann ist auch nicht anzunehmen, daß das in Aussicht stehende, zu produzierende Material an Wert und Reichtum dem in Oxford gleichkommen wird, falls nicht das British Museum und Windsor (ersteres kräftiger wie bisher) intervenieren sollten.

Wünschenswert wäre jedenfalls ein Reproduktionswerk aus den Schätzen dieser bedeutendsten englischen Sammlungen alter Hand- zeichnungen, in Art des jetzt beendeten Oxforder Werkes. Die größten und wichtigsten Kunstschätze sollten in der bestmöglichsten Art repro- duziert werden.

Was für Oxford möglich war, sollte doch auch für British Museum und Windsor möglich sein! Dem Schlußheft hat Herr Colvin beigefügt eine Generalintroduktion, dann, nachdem er die publizierten 126 Zeich- nungen nach Schulen in drei Teile geteilt hat, je eine Spezialintroduktion für diese 3 Teile.

Die Generalintroduktion gibt eine historische Übersicht der Ox- forder Sammlungen.

Am Schlüsse dieses Aufsatzes werde ich mir erlauben, einen Auszug daraus zu geben, da die angeführten Tatsachen auf allgemeines Interesse rechnen können.

Nochmals Über einige Zeichnungen alter Meister in Oxford.

109

Es ist kaum ein halbes Jahrhundert verstrichen, daß die vielen Zeichnungen von Michel Angelo und Rafael der berühmten Thomas Law- renceschen Sammlung endlich ihr bleibendes Unterkommen in Oxford fanden. Jahrzehnte lange Anstrengungen, diese Schätze der Nation zu sichern, scheiterten an der totalen Gleichgültigkeit der höchsten und be- rühmtesten Personen und der öffentlichen Institute. Bekanntlich wurde die Lawrencesche Sammlung auch in Berlin angeboten. Nach einigem Zaudern beschloß man, von dem Ankauf abzusehen, und bestellte dafür die Gipsabgüsse der Dioskuren vom Monte Cavallo.

Noch merkwürdiger, ich möchte sagen fabelhaft, ist der Preisunter- schied für diese Kunstschätze zwischen vor 50 Jahren und heute.

Von seinem Verfähren und seinen Maximen bei der Auswahl der produzierten Zeichnungen gibt Herr Colvin in der Generalintroduktion ausführlich Aufschluß.

In den Spezialintroduktionen werden die Eigentümlicjikeiten der betreffenden Schulen, namentlich auch in technischer Beziehung, näher beleuchtet, dann die Attributionen der produzierten Zeichnungen ein- gehend besprochen.

Alle diese interessanten Schriftstücke sind mit größter Sorgfalt una Liebe für die Sache verfaßt und mit der großen Kompetenz, die Herr Colvin sich in diesen Dingen durch seine langjährige Tätigkeit an dem berühmten Institut, dem er vorsteht, erworben hat, und mit voll- endeter Courtoisie gegen abweichende Meinungen! Ein großes Verdienst das nur derjenige recht zu schätzen vermag, der aus Erfahrung weiß, wie verschiedene Ansichten die Gemüter der Kunstfreunde erbittern können. Namentlich allen jüngeren Kunstbeflissenen sei die Lektüre dieser Introduktionen warm empfohlen.

Das 6. Heft enthält Zeichnungen von M. Angelo, Rafael, T. Viti, Dürer, Holbein, N. Manuel, Claude, der Venetianischen und Florentinischen Schule etc., von denen etwa die Hälfte, darunter die bedeutendsten, schon durch frühere Publikationen bekannt waren.

Zu Bemerkungen veranlassen mich die folgenden Zeichnungen:

Nr. 3 Francesco Granacci? Nacktes Modell in der Stellung von Verrochios David. Die Zuschreibung dieser Zeichnung an Granacci wird wohl richtig sein, da Granacci aber erst 1477 geboren ist, kann er um 1490 die Zeichnung nicht schon gAnacht haben, die Entstehung der- selben muß wenigstens um ein Jahrzehnt hinaufgerückt werden.

Der David Verrochios, nach der Tat, steht aufrecht mit gesenktem Schwert und blickt herunter; die Stellung des nackten Jünglings auf der Zeichnung weicht nicht unwesentlich davon ab, er blickt gerade aus, den Kopf vorgestreckt, den Oberkörper leise zurückgebeugt, als ob er den

HO

A. von Beckerath :

Feind erspähen wollte, das Schwert erhoben. Die Supposition Herrn Colvins, daß die Zeichnung nach dem nackten Modell, ungefähr in Stellung von Verrochios David gemacht worden ist, gewinnt dadurch an Wahr- scheinlichkeit.

Nr. 4. Michel Angelo, das Schlangenwunder. Diese berühmte Zeichnung in kleinem, fast miniaturartigem Maaßstab, in Rotstift sehr zart, oft fast wie gehaucht ausgeführt, deshalb in der Reproduktion sehr schwierig, ist vorzüglich gekommen.

Sicherlich für die Sixtina bestimmt, ist dieser Entwurf in der Aus- führung bekanntlich gar nicht berücksichtigt worden.

Nr. 6. Umbrische Schule, Christus betend. Von dem Meister dieser Zeichnung besitzt das Königl. Kupferstichkabinett in Berlin die Zeichnung »eines schwebenden Engels«, reproduziert im 13. Heft Zeich- nungen alter Meister als Schule Peruginos. Die Charakterisierung der Oxforder Zeichnung »genau, sorgsam, trocken ausgeführtes Werk der Umbrischen Schule Peruginos, von keiner besonderen Tiefe oder an- dächtigem Ausdruck«, paßt genau auf die Berliner Zeichnung. Spagna stehen diese Zeichnungen nahe.

Nr. 8. Rafael, Studien.

Ich habe nicht den Mut, diese kindlichen, kleinlichen Zeichnungen Rafael zuzuschreiben. Was können sie für den großen Künstler be- deuten, wenn sie wirklich von ihm wären?

Nr. .9. Rafael, Skizze für eine hl. Familie. Ich glaube auch nicht, daß diese Zeichnung von Rafael ist, möchte sie aber lieber Perugino als Pinturicchio geben. Das Profil der Madonna hat nichts von letzterem, erinnert aber sehr an Perugino, z. B. an die Erythrea im Cambio, an die Madonnen im Mittelbilde des Londoner Bildes aus der Certosa, in der Anbetung im Pal. Pitti.

In der Komposition hat die Zeichnung mit den beiden letzten Bildern ja auch Ähnlichkeit.

Die ausgesprochene Fülle des Oberkörpers der Madonna wird bei Pinturicchio nicht anzutreffen sein.

Die Kinder widersprechen der Attribution an Perugino jeden- falls nicht.

Nr. 12. Rafael, Studien.

Der Kopf eines jungen Mannas rechts kann nicht das Porträt Fra Bartolommeos sein, der 1472 geboren, also 33 Jahre alt war, als Rafael nach Florenz kam.

Ein authentisches Bild des Frate befindet sich in dem großen Konzeptionsbild in den Uffizien vom Jahre 1510.

Nr. 13 und 14. Rafael, Studien zu dem Heliodor-Fresko.

Nochmals Uber einige Zeichnungen alter Meister in Oxford.

1 1 I

Herr Colvin schreibt: »These drawings with their splendid rythme of design and vitality of touch and expression are perhaps the finest extant of the later Roman time of the master. « Ich möchte hinzufügen, diese Zeichnungen gehören zu den großartigsten und lebendigsten Zeich- nungen Rafaels, die wir besitzen.

Nr. 17. Alvise Vivarini, Bildnis eines Venetianers Gentile Bellino. Der Autor dieses schönen, lebendigen Bildnisses ist sicher Bonsignori und nicht Vivarini.

Ich beziehe mich auf die Bildniszeichnungen Bonsignoris in der Albertina, die allgemein anerkannt sind und von denen eine zu dem von Bonsignori bezeichneten und datierten Bilde in der Nationalgalerie gehört, auf die Zeichnung in den Uffizien zu dem Bilde des Vespasiano Gonzaga in Bergamo, auf das im Heft 17 Zeichnungen alter Meister im Königl. Kupferstichkabinett publizierte Brustbild eines jungen Mannes (aus meiner Sammlung), das immer Bonsignori attribuiert war und schlagende Übereinstimmung mit dem Oxforder Bildnis zeigt und gerade die Eigen- tümlichkeiten hat, die Berenson veranlassen, auf Vivarini als Autor zu schließen, ferner auf den Kopf des hl. Sebastian, das effektvolle Bild Bonsignoris im Kaiser Friedrich-Museum. Eine übereinstimmende Ähnlich- keit zwischen einem Profilbildnis auf einer kleinen Medaille wie die des Camelio und einer lebensgroßen Bildniszeichnung en face ist nicht leicht überzeugend nachzuweisen. Im vorliegenden Falle können wir aber davon absehen, da das Selbstbildnis Gentile Bellinis en face im Königl. Kupferstichkabinett existiert.

Als früher in meinem Besitz befindlich, wurde diese Zeichnung in der Berliner Renaissanceausstellung 1898 ausgestellt und damals, nament- lich durch Herrn Dr. Gronau, als Selbstbildnis Gentile Bellinis erkannt. In dem Werk über die Renaissanceausstellung 1899 war die Zeichnung auf Seite 54 abgebildet und auf Seite 53 von Dr. Gronau besprochen. Alle Hauptlinien sind durch feine Nadelstiche durchbohrt, d. h. durch Pausen übertragen worden.

Der verstorbene Dr. Ludwig in Venedig, dem ich eine Photographie der Zeichnung übergab, erklärte dieselbe (nach Maßnahme mit dem Bilde) für den Karton des Selbstbildnisses des Meisters, auf dessen großem Prozessionsbilde vom Jahre 1496 in der Akademie in Venedig.

Im 19. Heft Zeichnungen alter Meister im Königl. Kupferstich- kabinett ist die Zeichnung nun würdig publiziert.

Der bekannte Wettstreit gegen Ende des Quattrocento, der Vivarini und Bellini, verbietet meines Erachtens die Annahme, daß das Haupt der Vivarini das Haupt der Bellini porträtiert haben sollte.

I 12

A. von Beckerath:

Das gerollte Band mit einem Motto auf der Brust des Oxforder Bildnisses wird die Zugehörigkeit dieser Persönlichkeit zu einer Brüder- «schaft bedeuten.

In der Ausstellung von Zeichnungen alter Meister in der ficole des beaux arts 1879 zu Paris war unter »Venetianische Schule« die Bildnis- zeichnung in Lebensgröße eines Mannes ausgestellt, die wohl mit Recht Alvise Vivarini zuzuschreiben ist. Von Braun & Co. unter Nr. 198 photo- graphiert.

An künstlerischer Bedeutung überragt diese Zeichnung weit die Bildniszeichnungen Bonsignoris. Es ist mir nicht bekannt, wo sich diese Zeichnung heute befindet.

Nr. 18. Venetianische Schule, die Jungfrau mit Kind und Engel.

Herr Colvin kann sich nicht entschließen, diese anmutige Zeichnung einem bestimmten Künstler zu attribuieren, und sagt: »The problem of authorship I leave to students.« Wenn es ihm beliebt hätte, würde er in London doch einen ganzen Generalstab von Kennern und Kunst- freunden zur Lösung dieses Problems haben zusammenberufen können.

Ich erlaube mir, Giov. Ant. Pordenone als Autor dieser Zeichnung vorzuschlagen. Der Typus der Madonna ist der von Pordenones Ma- donnen und Frauen und kommt z. B. wieder im Altarbild der Ver- mählung der hl. Katharina, in der Geburt der Jungfrau, beide in Pia- cenza, im prächtigen Hauptbilde im Dom in Cremona und namentlich im Altarbild in Torre bei Pordenone.

Das Haar der Frauen ist in der Mitte gescheitelt und fällt gewellt und breit an beiden Seiten des Gesichts herunter. Kopftücher und ge- flochtene Kiönchen erhöhen das Haupt.

Pordenone war berühmt wegen seiner Putten, deren es unzählige in seinem Oeuvre gibt. Kind und Engel der Zeichnung stimmen damit überein. . Seine Rotstiftzeichnungen sind oft von großem Reiz, sehr ma- lerisch, wenn auch meist flüchtig gezeichnet.

Eine sehr schöne Rotstiftzeichnung war in der Ausstellung 1879 in der ficole des beaux arts in Paris als Palma, welche Herr Charles Ephrussi in einem Bericht über die Ausstellung einen »Palma condensd« nannte.

Morelli, ungerührt von dieser apart schönen Qualifikation, gab die Zeichnung ihrem richtigen Autor, Pordenone.

Das Königl. Kupferstichkabinett besitzt verschiedene Zeichnungen Pordenones. Die Zeichnung rechts von der Madonna, die zur Kompo- sition nicht gehört, halte ich von derselben Hand.

Die verwischte Bezeichnung unten erlaube ich mir wie folgt zu ergänzen; de man de pordenon.

Nr. 21. A. Dürer, Bildnis Hans Burgkmairs.

Nochmals über einige Zeichnungen alter Meister in Oxford.

”3

Schon in Lippmanns Dürer- Werk publiziert, wurde es dort dubi- tativ für ein Porträt Jakob Fuggers gehalten.

Herr Dr. Dörnhöüer hat kürzlich (1903, in den Beiträgen zur Kunst- geschichte, Franz Wickhoff gewidmet) bewiesen, daß es das Porträt Hans Burgkmairs ist. Deshalb und wegen des leidenden Ausdrucks scheint es mir ein sehr interessantes Stück.

Nr. 24. Hans Holbein, der Kelch Jane Seymours.

Eine wundervolle Ornamentzeichnung in Wasserfarben.

Aus der Generalintroduktion Herrn Colvins teile ich im folgenden in Kürze das Wichtigste mit.

Die Kollektionen alter Zeichnungen in Oxford, in den Universitäts- galerien und in der Bibliothek von Christ Church haben zusammen nicht weniger Bedeutung als die im British Museum und in Windsor.

Vor ca. 30 Jahren wurden die bedeutendsten Zeichnungen von Michel Angelo und von Rafael der Lawrencesammlung in den FTniversi- tätsgalerien, von Braun & Co. photographiert, sowie eine kleine Auswahl von Zeichnungen in Christ Church durch den Direktor der New Gallery.

Da mittlerweile die Wichtigkeit und der Reiz des Studiums alter Zeichnungen immer mehr erkannt worden ist, beschlossen die Vorstände der Oxforder Sammlungen alter Zeichnungen, einen weitern Teil ihrer Schätze zu publizieren, und betrauten Herrn Sidney Colvin damit.

Die früheste der Oxforder Sammlungen, die zahlreichste, wenn auch nicht die bedeutendste, wurde Christ Church durch General John Guise vermacht, der 1765 starb.

Die Sammlung in den Universitätsgalerien ist späteren Ursprungs, im Durchschnitt von höherer Qualität, aber kleiner an Zahl, sie kam aus drei Quellen.

Francis Douce, der 1834 starb, vermachte seine Sammlungen der Bodley Bibliothek, 20 Jahre später kamen dieselben nach den Universi- tätsgalerien, sie enthalten vieles zweiten und dritten Ranges, aber auch einiges ersten Ranges.

Die nächste, bedeutendste Erwerbung der Universität waren die Michel Angelo- und Rafaelzeichnungen der Lawrence Collection, oder vielmehr so viel, wie von dieser noch in den Händen von Woodburn zurückgeblieben war, nachdem der König von Holland und andere Ama- teure eine Wahl daraus getroffen hatten.

Es ist bekannt, ’d^ß Sir Thomas Lawrence mit Hülfe der Händler Woodburn in vielen Jahren mit größerem Aufwand als er leisten konnte, alle alten Zeichnungen, die s. Z. auf den Markt kamen, in seinen Besitz brachte.

II4 Beckerath: Nochmals über einige Zeichnungen alter Meister usw.

Als er starb, verfügte er, daß diese unvergleichliche Sammlung zuerst dem König, dann dem British Museum, dann Sir Robert Peel, dann Lord Dudley für die Summe von £ 18000, was weniger war als ein Drittel des damaligen Marktwertes und sicherlich bloß ein Zwanzigstel des heu- tigen Marktwertes, offeriert werden sollte.

Das Anerbieten wurde von allen Obengenannten mit einer Gleich- gültigkeit, die heute unglaublich erscheint, zurückgewiesen. Eine öffent- liche Sammlung wurde darauf proponiert, um die Lawrencesammlung für die National-Galerie anzukaufen; dieselbe fiel auch ins Wasser.

Die Exekutoren des Lawrenceschen Nachlasses verkauften darauf die Sammlung für £ 16000 an die Woodburn, die nach fruchtlosen Ver- handlungen mit öffentlichen Korporationen einzelne Teile öffentlich ver- kauften, die Rafaels und Michel Angeles blieben indessen in ihren Händen. Dem König von Holland erlaubten sie, eine Wahl daraus zu treffen, die aber glücklicherweise mit so wenig Sachkenntnis gemacht wurde, daß sie das Ganze verhältnismäßig nur wenig alterierte.

1840, zehn Jahre nach Lawrences Tode, wurde ein neuer Versuch gemacht, das Übriggebliebene zu behalten und einem öffentlichen Insti- tute zu präsentieren, diesmal der Universität Oxford.

Der geforderte Preis von £ 10000 wurde auf £ 7000 reduziert, 1845 waren die Verhandlungen beendet. Die Universität erhielt 80 an Michel Angelo attribuierte Zeichnungen, und 180 an Rafael attribuierte. Nach heutiger Einsicht reduzieren sich die echten Michel Angeles auf 40 Stück, der echten Rafaels auf 60 Stück. Die anderen Zeichnungen bleiben aber von Bedeutung und Wert.

1855 vermachte Herr Chambers Hall der Universität seine Samm- lungen, an Zahl nicht viele Zeichnungen aber alle in ihrer Art of first rate, darunter 5 Leonardos, 5 Correggios, 7 Rembrandts usw.

Zur Kenntnis Giorgiones.

Von Wilhelm Schmidt.

In den Helbingschen Monatsberichten, II, 1902, S. 426, und III 1903, S. if, habe ich über den Meister von Castelfranco geschrieben. Ich sehe mich veranlaßt, noch einmal hier darauf zurückzukommen, und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil die Artikel in den weitesten Kreisen unbekannt sind, und man keinem Autor zumuten darf, sich über- sehen zu finden, und zweitens, weil ich die Ausführungen bei Helbing vervollständigen und, wie ich wenigstens glaube, nach einer sehr interes- santen Seite hin ergänzen kann. Ich habe bei Helbing Abbildungen freilich sehr ungenügende beigegeben; wenn ich sie hier nicht wieder- bringe, ist es auch kein so großes Unglück, weil heutzutage die Repro- duktionen so weit verbreitet und so leicht zu haben sind, daß den sich dafür Interessierenden nicht schwer fallen kann, genügende Vergleiche an- zustellen, Ich werde mich nach Möglichkeit kurz fassen, denn lange kunstvergleichende Darstellungen nutzen nicht viel, wie es z. B. einem Franzosen, dessen Namen ich vergessen habe, begegnet ist, der lang- mächtig zu beweisen suchte, das Werk des Grünewald in der Münchener Pinakothek Nr. 281, sei nicht von dem Künstler, wo doch die einfache Zusammenstellung der Reproduktionen diese Ansicht widerlegt hätte. Freilich: alles bewirken die Nachbildungen auch nicht, und das letzte Wort behält immer der Vergleich eines Originales selbst mit dem im Kopfe aufgespeicherten Gedächtnisbilde der übrigen.

Für unzweifelhafte Arbeiten Giorgiones muß ich halten:

I. 2. Salomos Urteil, das leider sehr stark in den Figuren be- schädigt ist, und die Probe des kleinen Moses, beide in den Uffizien zu Florenz. Salomos Urteil wird das frühere der beiden sein, doch ist dies schwer sagbar, und das Gegenteil vielleicht auch möglich. Die Trachten weisen schon auf das herannahende Cinquecento und dürften denen der ausgehenden neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts entsprechen.

3. Die Madonna von Castelfranco.

4. Die liegende Venus in Dresden, von Tizian vollendet.

Wilhelm Schmidt:

1 16

5. Die sogenannten morgenländischen Weisen in Wien, von Se- bastiano del Piombo vollendet.

6. Die venezianische Darstellung in der Akademie zu Wien, welche leider schwer gelitten hat. Ich habe mich in den Monatsberichten näher darüber verbreitet und möchte hier nur sagen »jeder Zoll ein Giorgione.«

7. Der »Sturm« im Palazzo Giovanelli zu Venedig.

8. Der Knabe mit dem Pfeil in der kaiserlichen Sammlung zu Wien (Nr. 63 des illustrierten Kataloges von 1907). Über dieses Täfel- chen schwanken die Ansichten sehr. Gustav Ludwig hielt es für die vom Anonimo Morelliano im Jahre 1532 bei Antonio Pasqualino zu Ve- nedig gesehene Tafel. Ich muß gestehen, daß mir persönlich die da- gegen ausgesprochenen Zweifel nicht stichhaltig gering erscheinen; man muß bedenken, daß die Fleischteile des Gesichtes übergangen und die Haare teilweise versunken sind. Eine unschwierige Restauration wäre hier sehr am Platze, denn das überlasierte Gesicht würde eine größere Bestimmtheit und Durchsichtigkeit gewinnen, und das Haar in ungetrübter Schönheit prangen. Im übrigen ist das Ganze noch so zart und zurückhaltend gemalt, daß, wenn man es in die letzte Zeit des Malers versetzt, ich zur Abstreitung keinen Grund sehe. Wie schüchtern ist die rechte Hand, die den Pfeil faßt, dargestellt! Motive dieser Art dienten andern Künstlern, wie Tizian, zu ähnlicher Bildung. Ist ja auch die 1510 gemalte Madonna von Bellini, der doch ein weit älterer Künstler war und von ganz anderen Schroffheiten ausging, kaum weniger weich als der Knabe mit dem Pfeil, der ja vielleicht auch erst im Todesjahre des Meisters, 1510, entstanden war. Doch gebe ich zu, daß ein end- gültiges Urteil über das Bildchen noch nicht gesprochen werden kann und ich lasse mich gerne belehren. Jedenfalls aber ist der Hirtenknabe mit der Flöte in Hamptoncourt, durch dessen braune Schmutzkruste man sich erst hindurchsehen muß, allem Anschein nach mit einer solchen Breite gemalt, daß wir sie auch der letzten Zeit Barbarellis nicht Zu- trauen mögen. Hier scheint mir H. Cooks Hinweis auf den Flötenspieler in Padua, der ja als Torbido nicht zu bezweifeln ist, sehr berechtigt.

Das sind die Originale von Giorgione, soweit ich wenigstens sie kenne. Daß noch andere existieren, bezweifle ich nicht, aber sie müßten dann auch mit Sicherheit nachgewiesen werden können.

Größer ist die Zahl der fälschlich auf den Namen des Malers ge- tauften Werke. Ich lasse sie hier folgen;

Madrid, Prado. Madonna mit den hhl. Antonius und Rochus. ‘Tüher Pordenone genannt, dann von Morelli dem Barbarelli vindiziert, welche Zuschreibung jetzt allgemein angenommen ist. Ich kann das Bild nur für einen Anfangstizian halten; trotz der selbstverständlichen

Zur Kenntnis Giorgiones.

117

Starken Verwandtschaft zu dem Meister von Castelfranco sprengt die Formgebung doch schon die Schranken dieses. Vgl. meine weiteren Aus- führungen im Repertorium 1904, S. 160.

St. Petersburg, Ermitage. Judith. Vermutlich von Catena.

London, Nationalgalerie. Porträt des sogenannten Ariosto. Nicht von Tizian noch Giorgione, sondern von Palma Vecchio, wie dies auch die überwiegende Ansicht ist.

London, Nationalgalerie. Nr. 930, Liebesgarten, Nr. 1123, Venus und Adonis, und Nr. 1695, Landschaft mit Hirten und Nymphen. Alle drei unzweifelhaft von Giovanni Cariani.

London, Nationalgalerie, Nr. 1173, märchenhafte Darstellung, durch Venturi, dem sich andere angeschlossen haben, als Giorgione bestimmt. Leider schlecht erhalten und sehr fleckig. Meiner Ansicht nach von Vincenzo Catena. Von demselben die Anbetung der Hirten, Nr. 1160.

London, bei Herrn Benson. Hl. Familie (abgebildet bei U. Mon- neret de Villars, S. 92). Von Catena.

Paris, Louvre. Das ländliche Konzert. Obwohl allgemein als Giorgione geltend, scheint es mir ein charakteristisches Gemälde von Tizian, nicht lange nach den Paduaner Fresken entstanden. Der Ver- gleich mit den andern Tizians der gleichen Sammlung, Nr. 1578 und 1580, bietet doch, meiner Ansicht nach, genügenden Anhalt zur Be- stimmung, ganz abgesehen von den übrigen Gründen.

Paris, Louvre. Madonna mit Heiligen, Nr. 1135, von Cariani, wie schon Berenson vorgeschlagen hat.

Padua, Pinakothek. Zwei stark übermalte Cassonebildchen mit phantastischen Szenen. Gelten allgemein als Giorgione, doch sind sie für diesen fein und vornehm empfindenden Künstler zu grob. Zweifellos von Cariani.

Venedig, Akademie. Der Seesturm. Sicher von Palma Vecchio. Zu vergleichen meine Ausführungen im Repertorium, 1900, S. 395, in den Helbingschen Monatsberichten, II, 426, und III, 3, ferner CI. Phillips’ überzeugende Darlegungen im Burlington Magazine, Vol. X, 1906 1907, S. 243, und Vol. XI, 1907, S. 118, die nicht übersehen werden dürfen.

Venedig, Kirche S. Rocco. Kreuztragung Christi. Tizian, nicht Giorgione.

Venedig, Seminario patriarcale. Apollo verfolgt die Daphne. Weder von Schiavone, wie Crowe und Cavalcaselle vorschlugen, und wie die Tafel auch im Klassischen Bilderschatz reproduziert ist, noch von Giorgione, an den die meisten denken, sondern von Cariani. Die gleiche Hand des Cariani ist auch in den Paduaner Cassones, in dem. Täfelchen Loth und seine Töchter im Mailänder Castello, Nr. 27, und in Orpheus

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI. q

ii8

Wilhelm Schmidt:

und Eurydike der Galerie Lochis zu Bergamo deutlich genug zu er- kennen.

Budapest, Nationalgalerie. Nr. 140, Bildnis des Antonio Broc- cardo. Von Venturi dem Bernardino Licinio mit Recht beigemessen. Dagegen begreife ich seine Benennung des männlichen Bildnisses, Nr. 178, als Giorgione’ einfach nicht.

Budapest, Nationalgalerie, Nr. 145, der junge Paris und die beiden Hirten. Schlechte Kopie nach Giorgiones Original, das der Anonimo Morelliano 1532 bei Taddeo Contarino gesehen hatte.

Wien, kaiserliche Sammlung. Nr. 21, David. Kopie nach Gior- gione. Ob vielleicht bloß übermaltes Original, entzieht sich meiner Kenntnis, da ich das Bild nicht in der Hand gehabt habe; was man so sieht, deutet auf eine Kopie.

Wien, kaiserliche Sammlung. Nr. 176, Tizian, sogenannte Zigeuner- madonna. Nach Venturi von Barbarelli, was ich mit aller Entschieden- heit ablehnen muß.

Wien, kaiserliche Sammlung. Nr. 167, Tizians Arzt Parma (an- geblich). Crowe & Cavalcaselle finden mit Recht das Bild dem Meister von Cadore » nach dem Pinselvortrage und der Behandlung durchaus unähnlich«. Nach meiner Überzeugung von Palma Vecchio. Ich würde das Bild, das nie als Giorgione gegolten hat, nicht erwähnen, wenn es nicht im Zusammenhang stünde mit andern ehedem oder noch Giorgione be- namsten Werken, welche die gleiche Hand des Palma verraten. So z. B. das neu in die Londoner Nationalgalerie gekommene männliche Porträt, das bei Monneret auf S. 117 abgebildet ist. Ferner mit dem Selbst- bildnis Palmas in München, das Morelli fast unbegreiflicherweise dem ziemlich ordinären Bergamasken Cariani zuschrieb.

Florenz, Uffizien. Bildnis des Maltesers. Charakteristischer Palma Vecchio.

Florenz, Palazzo Pitti. Das Konzert. Von Tizian.

Mailand, Sammlung Crespi. Bildnis der Catharina Cornaro (an- geblich). Zu bedeutend und herrrlich in jeder Form, um es mit Venturi dem härteren und geschmacklosem Bernardino Licinio zuzuschreiben, der ja stark von Palma berührt ist. Sicher nicht von Giorgione, eher noch von Tizian, am wahrscheinlichsten von Palma Vecchio. Die Ver- gleichung mit Bernardino Licinio ist gerade in Mailand leicht anzustellen, wo von ihm in der nämlichen Sammlung zwei unzweifelhafte Arbeiten, hl. Familie und Maria mit dem Kinde und dem kleinen Johannes, exi- stieren. Auch der Bernardino im Castello daselbst, Nr. 28, Frau ein männliches Bildnis haltend, wo er dem Palma ziemlich nahe kommt^ bleibt doch an Feinheit, Weichheit und harmonischer Formauffassung

Zur Kenntnis Giorgiones.

tlO

hinter dem Crespischen Bilde zurück. Palma gehört eben zu den von Giorgione und Tizian im Gedächtnisse der Kunsthistoriker verdunkelten Meistern. Man machte sich aus ein paar hervorstechenden Werken, wie dem Barbaraaltar und den berühmten weiblichen Schönheiten ein Bild zurecht und übersah, daß er auch ein erfindender, mannigfaltigerer Künstler sein konnte. Zur Kenntnis des Meisters gehören auch notwendig das Studium der Nebenfiguren, der Hintergründe und das Studium der altern nach ihm hergestellten Kupferstiche.

Ziehen wir nun das Fazit, so wird man wohl zugestehen müssen, daß Tizian, der ja allerdings von der Kunstweise des Giorgione aufs stärkste berührt worden ist, bereits zu den Lebzeiten des Malers von Castelfranco einen nach größern Zielen strebenden Stil zeigt. Er besaß doch wohl von Hause aus das größere malerische Ingenium und ist bereits in seinen Frühwerken als der fortgeschrittenere Künstlergeist zu bezeichnen.

9'

Malerische Porträts aus dem deutschen Mittelalter vom 8. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts.

Nachtrag und Berichtigungen.

Von Max Kemmerich.

Meiner im XXIX. Bande des Repertorium S. 532 552 erschienenen Zusammenstellung malerischer Porträts aus dem frühen deutschen Mittel- alter lasse ich hier einen Nachtrag folgen, für dessen Zweck und Be- urteilung die in der Einleitung des genannten Aufsatzes aufgestellten Gesichtspunkte maßgebend sind. Das von seiten der Historiker dieser Sammlung entgegengebrachte große Interesse rechtfertigt ihre Vermehrung, die allein vom kunsthistorischen Standpunkte aus für die frühen Jahr- hunderte kaum erforderlich wäre. Denn wer aus Tausenden von Minia- turen Hunderte von Porträts zusammentrug, der besitzt ein Urteil über die Porträtfähigkeit einer Zeit, das nicht modifiziert werden kann durch Erschließung von neuem Material. Hat er aber nicht vermocht sich ein zutreffendes Urteil zu bilden, so wird der Autor gut tun sich selbst und nicht der Lückenhaftigkeit des Materiales die Schuld daran beizu- messen. Anders liegt der Fall, wenn wir durch Auffindung mehrerer Porträts derselben Person wertvolles Vergleichsmaterial erhalten haben, das uns in den Stand setzt den im einzelnen Falle erreichten Grad der Naturwahrheit bezw. Porträtähnlichkeit nachzuprüfen. Daß dies im vor- liegenden Falle wiederholt zutrifft, wird dieser Sammlung einigen Wert verleihen.

Die Ausdehnung des Zeitraumes um ein halbes Jahrhundert bedarf einer Rechtfertigung. Die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts ist eine Zeit des Überganges und des Nebeneinanders des gotischen und romanischen Stiles. Neben Arbeiten, die schon durchaus den Charakter der Folgezeit trägen, besteht die erdrückende Mehrzahl aus solchen, die sich in nichts oder doch fast in nichts von denen der vorigen Periode unterscheiden. Deshalb hier eine Zäsur zu machen, wo der Übergang durchaus fließend ist, scheint nicht angezeigt. Dies der Grund für die Ausdehnung bis 1300, also bis in eine Zeit, in der der neue Stil sich in greifbaren Symptomen dokumentiert.

Malerische Porträts aus dem deutschen Mittelalter usw. l 2 1

Zur Malerei sind hier auch Weberei, Stickerei und Gravierung ge- rechnet, da in diesen Techniken die Fläche dominiert.

Fachgenossen werde ich für eine Bereicherung der Liste besonders dann dankbar sein, wenn es sich um Porträts bereits bekannter Personen» besonders von deutschen Kaisern und Königen handelt. Eine Zusammenstellung alles mir von letzteren bekannten ikonographischen und> literarischen Materiales habeich soeben im XXXIII. Bande des Neuen Archivs der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde S.46 1 5 13 veröffentlicht.

Eine Sammlung der Porträts der folgenden Jahrhunderte ist wegen der erdrückenden Fülle des erhaltenen Materiales nicht beabsichtigt. Auch ohne diese Kärrnerarbeit wird es auf Grund des an großen Zentren Vorhandenen im Verein mit Publikationen nicht allzuschwer fallen, ein Urteil über das Porträt der Gotik und Renaissance zu gewinnen. Wohl aber möchte ich um Bekanntgabe von Porträtdarstellungen der Kaiser mit Einschluß Maximilians I. bitten, da mir Geheimrat Bode die Bearbeitung der Kaiserikonographie im Aufträge des Vereins für Kunstwissenschaft in Aussicht stellte.

Eine Zusammenstellung der mir bekannten plastischen Porträts aus demselben Zeitraum wird im Anhang meiner »Frühmittelalterlichen Porträt- plastik in Deutschland «,^) deren Erscheinen in Kürze bevorsteht, veröffent- licht werden.

8. Jahrhundert

1. Das auf S. 534 meines Aufsatzes genannte Mosaikporträt des Abtes Gilbert gehört erst dem 12. Jahrhundert an.

2. Papst Zacharias (741 752) Wanddekoration in Santa Maria Antiqua in Rom.

9. Jahrhundert

1. Von Karl dem Großen besitzen wir kein malerisches Porträt Vgl. darüber meine »Frühmittelalterliche Porträtmalerei« S. 20 ff. Das so- genannte Porträt im Cod. 2 der Klosterbibl. von St Paul in Kärnten stellt nach K. von Amira, dem sich Robert Eisler »Beschreibendes Verzeichnis der illuminirten Handschriften in Österreich« III. Bd. Kärnten, S. loi anschließt eine Verkündigung Mariä dar. Der sogenannte Karl ist also der Engel, seine Gemahlin aber Maria. Nach liebens- würdiger Mitteilung von Pater St Beissel S. J. ist der David Imperator des Evangeliars von Prüm vielleicht nach Karl gemalt Nachdem Burckhardt-Bode im »Cicerone« 8. Aufl. S. 585 dem transferierten und restaurierten berühmten Mosaik aus dem Triklinium des Lateran »einen Schimmer von Authentizität « zuerkennen will, sei hier dieses Porträt Karls

9 München 1908. Georg W. Callway.

122

Max Kemmerich:

des Großen und Leos III. genannt. Gute farbige Abb. in O. Jägers »Weltgeschichte«, II. Bd. 2. Aufl. Tafel bei S. 74* auch P. Clemen

» Porträtdarsteliungen « S. 40 ff.

2. Ludwig der Fromme trug Vollbart. Vgl. Thegan »Vita Hludovici imperatoris« c. I9. Mon. Germ. SS. 2. S. 594 SQ- Demnach könnte das unter Nr. 2 genannte Bild ihn, falls es wirklich nach Porträt- mäßigkeit strebt, nur in seiner Jugend darstellen.

3. Derselbe auf Fol. 3V des Cod. 223 der Bibliotheque Nationale zu Amiens, Abbildung bei A. Boinet »Notice sur deux manuscrits« in der »Bibliotheque de l’öcole des chartes « LXV. Bd. Taf. 2,

4. Das von Paul Clemen (»Porträtdarstellungen« S. 72, dazu meine »Frühm. Porträtmalerei« S. 24 f.) nach Petavius »In Francorum curia con- silia antiquariae supellectilis portiuncula« (Paris 1610) für Karl den Großen erklärte Porträt aus einem verschollenen Pariser Manuskript stellt bestimmt Karl den Großen nicht dar, da dieser ja nach Clemens eigener Beweisführung keinen Vollbart trug. Hingegen kommt Ludwig der Fromme in Betracht; das Porträt dürfte authentisch sein. De Witt » Les Chroniqueurs de l’histoire de France«, i. Bd., S. 341 reproduziert das Bild mit der irrigen Angabe, es entstamme dem Ms. lat. 5927, der nach dem Katalog von 1744, III. Bd., S. 377 dem ii. Jahrh. angehört und gar keine Miniaturen enthält.

5. Der fränkische Fürst, Bibi. Nat. ms. lat. 1141, ist reprodu- ziert bei Janitschek, »Geschichte der deutschen Malerei«, S. 35, und farbig bei Louandre, »Les arts somptuaires«, i. Bd., Paris 1858, Taf. 29.

6. Rhabanus Maurus, Dedikationsbild auf Fol. 2V des Cod. 223 der Bibi. Nat. zu Amiens, Abb. bei A. Boinet 1. c., Taf. r.

7. Derselbe ebenda Fpl. 35V die Kreuzandacht verrichtend mit Legende »Imago vera mea, quam subter crucem genua flectentem et orantem depinxeram«. Nach Boinet.

8. Derselbe im Cod. lat. 2423 der Bibi. Nat. zu Paris die Kreuz- andacht verrichtend. Nach Boinet. Diese Porträts, sowohl wie die auf S. 536 genannten, sind authentisch, da sie unter den Augen Rhabans angefertigt wurden.

9. Vielleicht ist Gregor IV. auf Fol. 2V des Cod. 223 der Bibi. Nat. zu Amiens der Papst ist mit Rhabanus und einem Diakon dar- gestellt — Porträt. Abb. bei Boinet 1. c. Taf. i.

10. Derselbe. Mosaik im St. Marco in Rom. Farbige Abb. bei G. D. Rossi. Musaici cristiani delle chiese di Roma.«. Taf. 28.

11. Otgar, Erzbischof von Mainz, Dedikationsbild im Cod. lat 652, Fol. I der Hofbibliothek zu Wien. Abb. bei v. Schlosser im Jahrbuch des a. h. Kaiserhauses XIII. Bd.

Malerische Porträts aus dem deutschen Mittelalter usw.

123

12) Schreiber Reginbertus auf Vorsatzblatt des Codex Rei- chenau CIX der großherzoglichen Hof- und Landesbibliothek in Karls- ruhe. Nach gütiger Mitteilung des Herrn Oberbibliothekar Dr. Holder, gemalt zwischen 820 und 842.

13. Graf Vivian mit seinen Mönchen, die jedoch nur bildnismäßig dargestellt sein dürften, in der » Viviansbibel «. Ms. lat. i, Fol. 423 der Bibi. Nat. zu Paris. Vortreffliche farbige Reproduktion bei Bastard »Peintures et ornements des manuscrits« V. Bd., und mangelhafter bei Janitschek, Gesch. d. deutschen Malerei, Tafel bei S. 42.

14. Ein unbärtiger Herrscher im Evangeliar Nr. 309 zu Cambrai. Abb. bei Durieux » Les miniatures des manuscrits de la Biblioth^que de Cambrai« pl. i. Vgl. Beissel »Evangelienbücher«, S. 198. Anm. 2.

15. Subdiakonus Juvevianus in einem Codex der Bibi. Vallicelliana in Rom. Abb. bei Jos. Braun S. J. »Die liturgische Gewandbehandlung im Occident und Orient«. Freiburg 1907 S. 267.

IO. Jahrhundert.

1. Zu den Porträts Otto III. vgl. meine Ausführungen in der »Frühm. Porträtmalerei« S. 63 ff. und meinen Aufsatz »Wie sah Kaiser Otto III. aus?« in der »Christlichen Kunst« III. Bd., S. 20off. Das unter 3 ge- nannte Porträt im Aachener Codex kann auch ein Jugendbild Otto II. sein, da bei der nicht alle Merkmale einer Person wiedergebenden da- maligen Porträtkunst zumal bei Jugendbildern eine einwandfreie Identi- fizierung kaum angängig ist. Die wertvollen Ausführungen des Herrn Bibliothekar Fischer im Zentralblatt für Bibliothekwesen, 24. Jahrgang, 1907, Heft 8/9 (S. 8, Anm. d. Sonderabdrucks), auf die ich in einer eventuellen , 2. Auflage meiner Porträtmalerei des näheren eingehen werde, können mich nicht veranlassen in Nr. 6, dem Josephusporträt, einen ändern Herrscher als Otto III. zu erkennen.

2. und 3. Heto und Adel heit im Cod. 176 der Stiftsbibl. Ein- siedeln, Fol. 2. Mangelhafte Abb. bei Rahn » Gesch. der bildenden Künste in der Schweiz«. S. 299.

4. und 5. Dietrich von Holland und Gemahlin, Widmungs- bilder am Schlüsse des Ms. A. A. 260, T. 32 der kgl. Bibi, im Haag das von beiden, den Eltern des Erzbischofs Egbert von Trier, der Abtei Egmond geschenkt wurde.

6. Nr. 18 und 19 ist falsch und soll heißen: ein Kleriker im Essener Sakramentar D. 3.

7. Schreiberporträt im Wordener Psalter in Berlin. Letztere beiden nach liebensM'ürdiger Mitteilung des Herrn Konservator Prof. Dr. Paul Clemen.

Max Kemmerich:

I 24

8. Prior Eberhart im Cod. 292 der Vadianischen Bibi, in St. Gallen Fol, 175 v.

9. Ein greiser Geistlicher auf dem wohl von Ruotpreht gemalten Widmungsbilde des Perikopenbuches von Poussay. Paris. Bibi. Nat. Ms. lat. 105 14. Wohl auf der Reichenau entstanden. Abb. bei HaselofF, Egbertpsalter, Taf. 53, Nr. i. Text S. 81 ff,

10. Abt Johannes (915 934) von Montecassino, Widmungsbild im dortigen Cod. 175. Färb. Abb. in »Le miniature nei codici Cassi- nesi« 1887, Taf. i*).

11. Ein Herrscherbild im Cod. des Rhabanus Maurus in der Bibi, von Orleans Nr. 145, Fol. i. Porträt? vgl. Katalog.

II. Jahrhundert.

1. Der Kölner Kanoniker Hilinus, Widmungsbild im Evangeliar aus aer Kölner Dombibi., Cod. Colon. XII. (Darmstadt 1951) membr. 2 saec. XI, Fol. 16 b vom Anfang des Jahrhunderts. Abb. bei Vöge »Eine deutsche Malerschule« S. 137.

2. und 3. Die Schreiber Purchardus und Chuonradus ebenda. Fol. 4V.

4. Bischof Engilmarus, Widmungsbild, Fol. 15a des Codex Nr. i. 2,4° membr. saec. XL, Benediktionale der fürstlich Wallersteinschen Bibi. Maihingen bei Nördlingen. Der Bischof ist vielleicht (nach Vöge S. 150) der von Parenzo, der 1037 der Weihe von Altaich beiwohnte. Abb. bei Grupp, »Kulturgeschichte des Mittelalters«, i. Bd. (1893) S. 292.

5. Das auf S. 540 unter Nr. 14 in Zweifel gezogene Porträt Hein- richs III. mit dem folgenden in meiner » Frühm. Porträtmalerei « S. 93 abgebildet ist zwar nicht gut, aber authentisch.

6. Heinrich IV. auf Fol. 2b seines Evangelienbuches in der Dom- bibliothek zu Krakau Abb. Thausing und Rieger in den Mitteilungen der k. k. Zentralkommission N. F. XIII. Bd. 1887, Taf. III V, dürfte, da voll- bärtig, nur Bildnis sein. Heinrich IV. trug nicht, wie Brunner glaubt, eine Zeitlang Vollbart. Heinrich V. (ebenda, Fol. 2b) ist mit schwachem, kastanienbraunem Schnurrbart abgebildet. Nun wissen wir, daß Hein- rich IV. , am Ende seines I.ebens Schnurrbart trug, da die Kaisersiegel ihn so zeigen und sein Schädel noch Schnurrbarthaare aufwies. Vgl. H. Grauert in den Sitzungsberichten der kgl. bayrischen Akademie der Wissenschaften philos.-hist. Da Heinrich V. mit Schnurrbart dargestellt ist, war er also, 1081 geboren z. Z. der Anfertigung des Evan-

•) Die vereinzelte Aufführung nichtdeutscher Porträts soll einen Vergleich der deutschen mit den fremdländischen Erzeugnissen ermöglichen. Vollständigkeit ist ganz und gar nicht erstrebt.

Malerische Porträts aus dem deutschen Mittelalter usw.

125

gelienbuches bereits erwachsen, damit ist eine Datierung der Hs. mit Swarzenski, Regensburger Buchmalerei auf 1092 nicht angängig, ebenso- wenig mit St. Beissel vor 1095. Da Heinrich V. als König bezeichnet ist, kann überhaupt als Terminus post quem nur 1098 in Frage kommen Nun ist es nicht wahrscheinlich, daß man den lebenden Heinrich IV. in einem Werke, das seinem Sohne geschenkt wird, fälschlich mit Vollbart darstellt, wenngleich, zumal auf Münzen, auch beim Landesherrn zu dessen Lebzeiten Bildnisse statt Porträts Vorkommen. Immerhin ist die Wahr- scheinlichkeit größer, daß Heinrich IV. bereits tot und dem Maler nicht von Ansehen bekannt war. Damit erhalten wir als Entstehungszeit die Jahre nach 1106, was wieder mit dem Schnurrbart Heinrichs V., der damals älter als 2 5 jährig war, übereinstimmt. Damit wird Brunners Ver- mutung — »Das deutsche Herrscherbildnis« S. 63 das Werk sei Heinrich gelegentlich des Reichstages von 1 1 10 in Regensburg, also kurz vor seiner Kaiserkrönung überreicht worden, bestätigt. Mithin haben wir es hier mit keinem Porträt Heinrichs IV., wohl aber mit einem solchen Heinrichs V. zu tun.

Der unter Nr. 52 S. 543 genannte König dürfte Heinrich IV. sein.

7. und 8. König Stephan von Ungarn und Königin Gisela auf der von letzterer eigenhändig gestickten » Casula St. Stephani et Gislae Reginae« im Kronschatz zu Ofen. Färb. Abb. bei Fr. Bock » Die Kleinodien des hl. römischen Reiches«, Taf. XVII, Text S. 84 93.

9. Prinzessin Hemma auf Fol. 18 v des Cod. 3008 in Wolfenbüttel. Vortreffliche färb. Abb. bei Heinemann »Die Handschriften der herzgl. Bibi, zu Wolfenbüttel«.

10. Die unter Nr. 27 genannte Abtissin Uta dürfte eine andere sein als die von Nr. 25; sie befindet sich im Cod. Ed. II., 11 der kgl. Bibi, zu Bamberg.

11. Bernward von Hildesheim Nr. 43 S. 542 m. Aufsatzes ist hier nicht porträtmäßig wiedergegeben, da er, wie aus Dannenberg »Die deutschen Münzen der sächsischen und fränkischen Kaiserzeit«, Taf. 31, Nr. 710, 710b und 711 hervorgeht, bartlos war. ' ^uf Münzen kleinerer Territorialherren, die dem Stempelschneider bekannt sein mußten, sind mir Bildnisse nicht bekannt, so daß sie hinsichtlich der Barttracht ikonographischen Wert beanspruchen können. Vgl. darüber meine Aus- führungen in der »Frühmittelalterlichen Porträtplastik«.

12. 15. Die unter Nr. 62 genannten, Äbtissinnen darstellenden Medaillons in der Stiftskirche zu Essen dürften keine Porträts sein, wohl aber vier Äbte bezw. Geistliche in der 1053 vollendeten Luziuskirche in Werden. Zwei vortreffliche färb. Abb. bei Clemen »Die romanischen Wandmalereien des Rheinlandes«, Taf. 5 und 6.

I2Ö

Max Kemmerich:

i6. Eine Nonne auf dem Widmungsbilde des Evangelienbuches aus Weingarten Cod. A. a. 2 1 der Landesbibi, in Fulda. Nach St. Beissel »Evangelienbücher« S. 272.

17. und 18. Abt und Frater Amandus aus dem Gladbacher Codex des Cassian im Stadtarchiv zu Köln. Nach liebenswürdiger Mitteilung von Herrn Prof. P. Clemen.

19. Ein Priester (Guldold?) sein Buch überreichend, in dem an- geblich aus Aachen oder Köln stammenden, am Anfang des Jahrh. ge- malten Evangelienbuch II. a. 6 in der Landesbibi, zu Stuttgart. Widmungs- bild. Nach Beissel »Evangelienbücher« S. 276.

20. Ein Priester, am Fusse einer Initiale kniend, im Cod. 530, Museum Nr. 508 der großherzogl. Bibi, zu Darmstadt. Das Evangelienbuch, aus München-Gladbach stammend, entstand in der zweiten Hälfte des Jahrh. wohl in Köln. Nach Beissel, ebenda, S. 279.

21. Der Paderborner Bischof Heinrich (1107), Gravierung von Frater Rogkerus von Helmershausen auf der Unterseite des Tragaltares im Dom zu Paderborn, c. iioo. Sehr gute Abb. bei Falke und Frau- berger, »Deutsche Schmelzarbeiten des Mittelalters«, Frankfurt a. M., 1904, Taf. II, Text S. 13.

22. und 23. König Eduard der Bekenner von England und Herzog Harald II. von Angeln auf dem Teppich von Bayeux. Gute, auf ein Fünftel verkleinerte farbige Abb. in Helmolts »Weltgeschichte« VI. Bd. bei S. 512.

24. Abt Theobald (1022 1025) von Montecassino, Widmungs- bild in Cod. Nr. 73 in Montecassino. Sehr rohe farbige Federzeichnung. Der Abt ähnelt bis auf die blonde Bartfarbe vollkommen dem hl. Benedikt, dem er die Hs. überreicht. Färb. Abb. in »Le miniature nei codici Cassinesi« ii. Jahrh., Taf. i.

12. Jahrhundert.

I. Heinrich V. ist bestimmt der in Prüfening dargestellte Herrscher Vgl. S. 543 Nr. I. Vergl. ferner Nr. 6 dieser Zusammenstellung auf der vorigen Seite.

2 4. Kaiser Friedrich Barbarossa mit seinen Söhnen König Heinrich VI. und Friedrich in der Handschrift der Historia Welforum Weingartensis Cod. D. ii in Fulda. Die Liebenswürdigkeit der dortigen Bibliothek gestattete mir eine genaue Prüfung der Hs. als deren Resultat ich unzweifelhaft die Gleichzeitigkeit des Werkes fest- stellen konnte. Der Codex enthält Miscellanea großenteils späteren Datums. Da Heinrich VI. 1169 König, 1187 Kaiser wurde, fällt die Entstehung der Hs. in diese Jahre, wahrscheinlich aber vor I184, dem

Malerische Porträts aus dem deutschen Mittelalter usw.

127

Jahre der Schwertleite, da sonst wohl die beiden Knaben mit Schwertern dargestellt worden wären. Das Fuldaer Porträt ist also neben dem Vati- kanischen das zweite authentische Barbarossas. Abb. in meinem Aufsatz »Porträts in deutschen Handschriften des frühen Mittelalters« in der Zeitschrift für Bücherfreunde. 1908. Die erste Abb. in Baumanns Gesch. des Allgäus I. S. 246 ist überaus mangelhaft. Das unter Nr. 33, S. 545 genannte Bild des Kaisers ist plastisch.

5. zu Nr. 22, S. 545: es soll Cod. lat. Monac. 14355 heißen. Rodprecht oder Rupert war nicht Abt von St. Emmeram, sondern von Deutz. Abb. in meiner »Frühm. Porträtmalerei« S. 106 und 107.

6. und 7. Herzog Heinrich der Löwe und Mathilde im Psalter- fragment Lansdowne Ms. 381 des British Museum f. lob zwischen 1175 und 1185 gemalt. Ziemlich mangelhafte Abb. in »British Museum. Reproductions from illuminated manuscripts«. Series i, Taf. XL. London 1907.

8. Graf Meinhard von Sponheim, Titelblatt, Einzelblatt eines Sponheimer Evangeliars von 1129 in der Benediktinerabtei St. Paul im I.avantal, XXIX; 2,5 Abb. bei R. Eisler »Beschreibendes Verzeichnis der illuminirten Handschriften in Österreich«, Kärnten, III. Fig. 76, S. 121,

9. Bernhelmus i. Abt von Sponheim ebenda. Abb. ebenda.

10. Heinrich VI. etwa 50 mal in der Hs. des Peter von Eboli (bei Salerno) in der Stadtbibi, zu Bern. Das Werk wurde von dem dem Kaiser nahestehenden Künstler 1195/96 gemalt und dem Herrscher über- reicht. Hier auch posthume Bilder mit Porträtzügen von Friedrich Barbarossa und Philipp von Schwaben und Konstanze. Vortreffliche Abb. bei G. B. Siragusa »Liber ad honorem Augusti.« Roma 1905!.

11. zu Nr. 69, S. 548: Die Könige in Brauweiler sind zweifellos keine Porträts. Überhaupt sind Könige in frühmittelalterlichen Werken stets als alttestamentliche aufzufassen, wofern aus der Namensbeischrift oder anderen Umständen nicht hervorgeht, daß es sich um Zeitgenossen handelt. Vgl. Dehio in der Zeitschrift f. d. Gesch. d. Oberrheins XXXII. Bd., 190.7, S. 475.

12. Otto von Freising im Kopialbuch 3 c. Cod. 238 des Münchner Reichsarchivs Fol. 122.

13 und 14. Abt Frowin von Engelberg (i 144 78) und Schreiber Ri ebene. Außerordentlich rohe getönte Federzeichnung im 3. Teil von Frowins Bibel in der Stiftsbibi, zu Engelberg, Cod. i, 1/3. 'Vgl. Rahn. Gesch. der bildenden Künste in der Schweiz S. 307.

15. zu Nr. 71 S. 548: Arnold II. und Hadwig sind Bildnisse.

16. Maler oder Abt im Westchor der Abteikirche zu Knecht- stedten. Färb. Abb. bei P. Clemen, Romanische Wandmalereien.

128

Max Kemmerich:

17. Die S. 548, unter Nr. 67 und 68 genannten Porträts Heinriche des Löwen und seiner Gemahlin im Evangelienbuch im Besitze des Herzogs von Cumberland sind mit Nr. 61 und 62 identisch. Vgl. Topographie der histor. und Kunstdenkmäler im Königreich Böhmen. II, i A. Podlaha »Die Bibliothek des Metropolitankapitels« (Prag 1904) S. 51.

17. Magister Hugo im Fuldaer Codex der Universitätsbibi, zu Leyden. Nach liebenswürdiger Mitteilung des Herrn Prof. P. Clemen.

18. Erzbischof Anno von Köln, kolorierte Umrißzeichnung in Hs. Nr. 945 Bl. ib der großhzgl. , Bibi, zu Darmstadt. Nach gütiger Mitteilung des Herrn Bibliothekars Dr. Ad. Schmidt. Beschrieben von F. W. E. Roth im Neuen Archiv der Gesellschaft für ältere d. Geschichts- kunde XXII. Bd., S. 209.

19. und 20. Gevehardus presbyter et monachus und Donator (oder Schreiber) Heinricus de Midi in einem Missale aus Hildesheim im Schloß Stammheim. Nach P. Clemen, Kunstdenkmäler der Rhein- provinz, 5. Bd. 2, S. 146. Schluß des Jahrh.

21. Ein Mönch in der aus Köln stammenden Hs. der Leipziger Stadtbibi. Ms. CLXV Rep. 4°, 58 a, Dedikationsbild Fol. i. Mitte des Jahrh. Abb. bei Bruck » Die Malereien in den Handschriften des Königreichs Sachsen« S. 43.

22. und 23. Ein Bischof und ein Mönch im Ms. 290 der Leipziger Universitätsbibi. Fol. 3. Aus Kloster Pegau in Sachsen. Nach Bruck S. 55.

24. Ein Bischof mit Kirche im mittleren Chorfenster der Kirche zu Hildesheim an der Ahr. Schluß des Jahrh. Nach Oidtmann » Glas- malerei« II. T., I. Bd., S. ,206.

25. und 26. Bischof Walramus (1089 iiii) und Theodoricus (rill 1123) von Naumburg. Glasmalereien im Westchor des dortigen Domes. Nach Oidtmann S. 227.

27. Abt Bartholdus, Titelbild in Federzeichnung in »Exceptiones septem epistolarum canonicarum« im Germanischen Museum zu Nürnberg. Katalog d. M. T. III.

28. Abt Gilbertus von Laach (f 1152), Mosaikporträt und zwar das einzige mir aus dem frühen deutschen Mittelalter bekannte, in Bonn. Abb. bei P. Clemen dessen Liebenswürdigkeit ich die Kenntnis ver- danke — in den Kunstdenkmälern der Rheinprovinz, Stadt und Landkreis Bonn S. 193.

29. Graf Otto von Cappenberg, Propst von 1156— 1171 und Pate Friedrich Barbarossas, auf der silbernen Taufschüssel in Weimar mit einem Erzbischof und 3 anderen Personen und Barbarossa selbst als Täufling, letzterer selbstverständlich ohne Porträtwert. Abb. im

Malerische Porträts aus dem deutschen Mittelalter usw.

1^9

Aufsatz von Rosenberg in der Zeitschrift für christliche Kunst III. Bd., Sp. 369! und 37 if. Vgl. auch N. Archiv d. G. f. alt. d. Geschichts- kunde III. Bd., S. 404 und IV. Bd., S. 271.

30. und 31. Fridericus und Herlivus Prior, Gravierungen auf dem von ersterem in Köln gefertigten daselbst in der Marienkirche in der Schnurgasse befindlichen Reliquienschrein des hl. Mauritius c. 1180. Herlivus mit Tonsur und Schnurrbart! Vortreffliche Abb. bei Falke »Deutsche Schmelzarbeiten« Farbentafel XIII. Text S. 42.

32. Ein Bischof, Gravierung auf dem kupfernen Vortragskreuz in Beckum, Privatbesitz. Abb. in den Kunstdenkmälern von Westfalen, Kreis Beckum Taf. 20.

33. und 34. König Roger II. (geb. 1098, f 1154) und der Stifter Admiral Gregorios, Mosaikporträts in der Kirche La Martorana in Palermo. Abb. bei Venturi »Storia dell’ arte Italiana« II., p. 421, Text p. 406

35. und 36. König Wilhelm II. von Sizilien (1167—1186), Mosaikporträts 2 mal im Dom von Monreale bei Palermo. Letztere 2 Porträts nach Autopsie.

13. Jahrhundert.

I. Friedrich II. vielleicht Porträt in dem bei Baumann »Geschichte des Allgäus« (Kempten 1881) i. Bd., S. 431 zitierten und ebenda schlecht abgebildeten Weissenauer Codex von c. 1232 aus der Vadianischen Bibi, in St. Gallen. Bei der mangelhaften Zitierung war mir eine Identi- fizierung des Codex nach dem Katalog nicht möglich. Vielleicht ist die Weltchronik des Rudolf von Hohenems, Cod. 302, gemeint. Vgh Bartsch »Karl der Große von dem Stricker« (Quedlinburg und Leipzig 1857)

S. XXXVI.

2. Derselbe im Freisinger Kopialbuch 3c des Münchener Reichs- archivs, Codex 238, Fol. i2ib. Wohl nur mit sehr geringem Porträtwert.

3. Philipp von Schwaben im Cod. 2710 der herzogl. Bibi, zu Wolfenbüttel.

4 und 5. Zwei Laien, Glasmalerei aus dem ehemaligen Benedik- tinerkloster Alpirsbach, jetzt im Landesmuseum in Stuttgart. Nach Oidtmann, Gesch. d. Glasmalerei II. Bd., I. T., S. 212.

6. Maler Gerl ach mit Pinsel und Farbentopf. Glasmalerei in Schloß Kappenberg bei Lünen (Nassau). Gute Abb. bei Falke » Deutsche Schmelzarbeiten« T. 118.

7. und 8. Schreiber Vaceradus auf Fol. 137 und 457 der Mater Verborum von 1202 im Böhmischen Landesmuseum in Prag. Mangel- hafte Abb. des 2. Bildes bei Wocel »Miniaturen aus Böhmen« Mit- teilungen der k. k. Zentralkommission 1860, S. 39.

Max Kemmerich:

130

9. 18. In der St. Kunibertkirche in Köln befinden sich nach Oidtmann II. T., I. Bd., S. 205 folgende Porträts von 1248/49: ein männlicher und ein weiblicher Donator im Mittelfenster.

Die beiden Stifter »Marcwae-Cordula« auf der Evangelienseite auf dem unteren Chorfenster.

Die beiden Donatoren »Blida-Ludwidus« auf der Epistelseite

In der südlichen Seitenapsis die hl. Cäcilie mit 3 Donatoren und die hl. Katharina mit einem Priester.

19. 22. In der Sammlung Schnütgen in Köln sind folgende Glas- malereien: »Philipp US -Agnes« und »Theoderus-Gertrudis« Dona- torenbilder. Abb. im Aufsatz von Schnütgen in der Zeitschrift für christ- liche Kunst XX. Bd., 1907, Tafel VI. Text Sp. 161 und 162. Die Malereien sind wohl aus Köln.

23. Ein schwäbischer Graf in der Weissenauer Hs. von c. 1232 in der Vadianischen Bibi, in St. Gallen. Abb. bei Baumann » Gesch. des Allgäus« I. Bd., S. 485. Sehr mangelhaft.

24. und 25 ctian de Berendorp mit Gemahlin Hilde-

gund is. Wandmalereien im Hause Mathiasstr. 4 zu Köln. Abb. beider Donatoren in der Zeitschrift für christl. Kunst. II. Bd. 1889, S. 91. Mitte des Jahrh.

26. und 27. Abt Jakob (1213 57)und Prior Isenbardus Gravie- rungen auf der Rückseite der Kreuzestafel in St. Matthias in Trier. Abb. bei Falke »Deutsche Schmelzarbeiten« Taf. 90, Text S. i23f. Von c. 1220. Sehr gut.

28. 30. Abt Johannes von Mettlach, Benedictus custos und Wilhelmus clericus auf der Rückseite des Kreuzreliquiars in Mettlach, von c. 1220. Abb. bei Falke Taf. 92, Text S. 123 f. Vielleicht ist auch Erzbischof Ekebert ebenda Porträt.

31. 33. Abt Walther II. von Engelberg (f 1276). Nonne Guta und Schreiber Arno in einem Codex der Ordensregel in der Bibi, in Engelberg. Abb. der 3 in die Initiale A gezeichneten Porträts bei Odermatt (Pseudonym für v. Liebenau) »Engelberg im 12. und 13. Jahr- hundert Luzern 1847, Taf. IV, Text S. 94.

34. und 35. Zwei unbekannte Bischöfe. Glasmalereien im herzogl. Museum zu Braunschweig. Nach Oidtmann S. 228

36. 41. in der St. Florentiuskirche zu Nieder-Haslach befinden sich nach Oidtmann S. 234 wozu zuvergleichen F.X. Kraus »Kunst und Altertum in Elsaß -Lothringen « I. S. 119 folgende Porträts auf Glasgemälden: Propst Sigfried (c. 1240) Custos Otto, Rüdiger de Muziche (1286), Burchard von Hermolsheim (c. 1275), Nicolaus viceplebanus und Kanonikus Isedadus aus Rosheim.

Malerische Porträts aus dem deutschen Mittelalter usw.

131

42. Ein Mönch als Donator in der Kathedrale St. Stephan zu Metz, Glasmalerei. Nach Oidtmann S. 235 abgeb. bei Begin »Histoire et ddscription pittoresque de la cath^drale de Metz« 1843, Tafel zu S. 105 und 107 des I. Bandes.

43. Propst Heinrich (1226 1240), Glasmalerei im Chor von Ar- dagger. Nach Oidtmann S. 238.

44. 46. Äbtissin Chunegundis und die Nonnen Willungis und Getruda auf Meßgewändern in Göß bei I.eoben. Mangelhafte Abb. bei Franz Bock in den Mitteilungen der k. k. Zentralkommission 1858 S. 57 und 92.

47. Erzbischof Heinrich III. (Enricus) von Regensburg (1277 1296), Gold- und Seidenstickerei aut der gewebten Retable des Dom- schatzes in Regensburg. Abb. Zeitschrift f. christl. Kunst I. Bd., Taf. XVIII Text Sp. 42 5 ff.

48. und 50. Abt Friedrich von der Leyen (f 1245) und Caesarius, Verfasser des Registrum prumiense im Staatsarchiv zu Coblenz. Abb. von St. Beissel ln der Zeitschrift für christl. Kunst (1906) XIX. Bd., Sp. 47.

51. Eine Nonne als Donatrix auf einem Triptychon im städtischen Museum in Köln, ältestes mir bekanntes Porträt auf einem Tafelbild, c. 1300. Abb. von Schnütgen ebenda III. Bd., 1890, Tafel 15.

52 60. Der Konvent des Petersklosters in Salzburg von 1280, mit Hermanns custos. Im Cod. S. Petri P. Titelblatt. Nach liebenswürdiger Mitteilung des Herrn Abtes Pater Willibald Hauthaler. Abb. in meinem Aufsatz in der Zeitschrift für Bücherfreunde.

61. Elisabeth von Schönau im Codex ihrer Visionen in Wiesbaden

62. Die Mitglieder der Kölner Lupus-Bruderschaft mit dem Capellarius in einer Urkunde dieser Bruderschaft von 1246 im Düsseldorfer

Stadtarchiv. Nach liebenswürdiger Mitteilung des Herrn Prof. P. Clemen

* 41

Hs

VorstehendeZusammenstellungwird mit derzuerst erschienenen in einer ev. 2. Auflage meiner »Frühmittelalterlichen Porträtmalerei« mit den mir bis dahin bekannt gewordenen neuen Porträts abgedruckt werden, so daß der Anhang meines Buches etwa 500 frühmittelalterliche Porträtminiaturen aufweisen wird. Die Liste weiter fortzuführen hat wenig Wert, da das Material hinlänglich umfangreich ist, um ein durchaus zuverlässiges Urteil über die Porträtierungskunst dieser Peripde zu fällen.

Diejenigen Porträts, die ich in irgendeinem Aufsatz abgebildet habe, werden auch in der ev. 2. Aufl. meiner Porträtmalerei enthalten sein, wie schon die i. Auflage eine Reihe der hier nicht besonders aufge- fUhrten Porträts in zum großen Teile erstmaliger Reproduktion enthält.

Ein Bildnis Robert II. de la Marek.

Von Hans Jantzen.

Auf der Leihausstellung in der Londoner Guildhall Sommer 1906 fiel besonders ein bis dahin noch nicht ausgestelltes Stück auf, das aus der Sammlung Charles Weld-Bundell stammt und unberechtigterweise unter dem Namen »Gossaert« geht. Das Bild hat eine eigenartige Be- deutung sowohl in seinen Beziehungen zur Eyckschen Kunst wie in der Darstellung einer bestimmten Persönlichkeit.

Die Maße der Tafel sind 120 X 105 cm^). In der Bildmitte sitzt unter einem Baldachin streng frontal die Madonna in einem weiten roten, die Arme fast völlig verdeckenden Mantel. Ihre linke Hand hält eine Blume, die rechte stützt das sitzende Christuskind, das den Kopf über die Schulter wendet und mit beiden Händen einen Stieglitz greift. Auf jeder Seite der Madonna steht ein Engel, von denen der zur Rechten ein Notenbuch hält, der zur Linken auf einer Maultrommel bläst. Vorn kniet (?) auf den Holzstufen des Thrones links eine hohe männliche Gestalt in einem mit goldenen Lilien geschmückten dunkelblauen Mantel, auf dem Kopfe eine Kronmütze tragend. Um den Hals ist der Orden des hl. Michael gelegt. Die linke Hand faßt ein Zepter, während die rechte sich flach erhebt in einer Art hinweisenden Geste. Gegenüber kniet auf einer Teufelsgestalt die heilige Margarete, die in den geschlossen erhobenen Händen ein Kreuz trägt und auf deren linker Schulter eine Taube sitzt. Besonders auffallend und wie in Gegensatz zu dem stillen Gesicht der Madonna ist unten in die Mitte das mächtige fratzenhafte, die roten Angen aufwärts richtende Haupt des Drachen-Satan vorgereckt.

Waagen, der das Bild gekannt hat, hielt den Dargestellten für einen französischen König, und zwar für Ludwig XII. Er erwähnt indessen eine alte Beschreibung, die zu dem Bilde gehört und die angibt, die Dargestellten seien ein Graf de la Marek mit seiner Frau. (Auch der Katalog der Guildhall -Ausstellung erwähnt diese Beschreibung.) Tat- sächlich führt die Angabe auf den richtigen Weg.

Die Tafel ist reproduziert in dem Illustrated Catalogue of the Exhibition of Works by the Early Flemish Painters. London 1906 (Arnold Fairbains).

*) Waagen, Gust. Friedr., Treasures of Art in Great Britain. London 1854.

Ein Bildnis Robert II. de la Marek.

133

Von den Trägern des Namens de la Marck3), die um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert in Betracht kommen, haben wir fast immer ein Abbild. Ich zähle zunächst diejenigen auf, die für unser Bild nach den Porträtvergleichungen ohne weiteres ausscheiden.

Johann II., Herzog von Cleve und Graf de la Marek, 1458 1521. Abb. auf einer Grabplatte in Cleve.4j

Everard IV. de la Marek, sire d’Arenberg, 1532 f. Bildnis auf einem Glasfenster der Kirche S. Jaques in Lüttichs).

Philipp von Cleve und de la Marek, 1456 1528. Zeichnung der Bibliothek von Arras^). Glasfenster der Kirche S. Martin in Lüttich?). Brüssel, Galerie Nr. 676.

Die übrigen drei de la Marek, die der Zeit nach in Betracht kommen, sind miteinander eng verwandt. Es sind Everard de la Marek, Kardinal und Fürstbischof von Lüttich, sein Bruder Robert II. de la Marek, und dessen Sohn Robert III. de la Marek. Der letzte ist 1492 oder 1493 geboren* *). Von ihm sind zwei Porträts vorhanden, einmal in jugendlichem Alter9), einmal als Marechal de France^°), die bestätigen, daß er nicht in Frage kommen kann.

Anders steht es mit dem Fürstbischof Everard de la Marek. Auf einer Zeichnung der Bibliothek von Arras^^), die den Kardinal wieder- gibt, sehen wir einen Kopf, der offenbar Verwandtschaft mit dem Kopf der Londoner Tafel zeigt. Von vornherein ist es freilich kaum wahr- scheinlich, daß der Fürstbischof von Lüttich sich in einer Tracht dar- stellen ließ, die keinerlei geistliche Insignien zeigt, deren Einzelheiten (Krone, Zepter, Lilien) viel eher auf den hl. Ludwig oder auf einen hohen weltlichen Würdenträger am französischen Hofe schließen lassen. Es bliebe demnach nur der Bruder des Kardinals, Robert II. übrig. Und für ihn sprechen in der Tat alle Umstände. Freilich ist kein Bild von ihm bekannt, das sich zur Vergleichung heranziehen ließe. Aber schon die auffällige Ähnlichkeit mit dem Kardinal Everard macht es wahr- scheinlich, daß es sich auf dem Londoner Bilde um Robert II. de la

3) Vgl. Chestret de Haneffe (Jules de), Histoire de la maison de la Marek, Liege 1898.

4) Aus’m Werth, Kunstdenkmäler etc. I, i S. 17 und VII.

5) John Weale, Divers works of early masters in Christian decoration. Bd. II.

Abb. bei Chestret de Haneffe a. a. O. S. 51.

7) a. a. O. S. 55.

*) a. a. O. S. 170.

9) a. a. O. S. 171.

*°) Lord Ronald Gower, Three hundred french portraits representing Personages of the Courts of Francois I. etc. London 1875, Bild 82.

”) Abb. bei Chestret de Haneffe S. 151.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI. IO

134

Hans Jantzen:

Marek handelt. Die Köpfe beider Brüder lassen sich um so besser vergleichen, als beide bartlos sind. Es ist dieselbe Wölbung, derselbe Schwung der Augenbrauen, die ganz besonders charakteristisch für beide Gesichter sind. Auch der Ausdruck, der in der Umgebung des Auges liegt, hat bei beiden etwas Gleiches. Und ebenso der Schnitt des Mundes in den ein wenig vorgedrängten Lippen und die Partie, die sich von den Mundwinkeln nach der Nase zieht. Ferner die breite Kinn- bildung, die beiden das Hartnäckige und Entschlossene im Gesamtaus- druck verleiht. Die beiden Brüder stehen im Alter nicht weit ausein- ander. Der Kardinal ist 1472 geboren* *^^), Robert II. drei oder vier Jahre früher. i)as Geburtsdatum ist nicht genau bekanntes).

Es kommt nun ein wichtiger Umstand hinzu. Über Robert II. bringt Brantöme, der etwa ein Menschenalter später lebte, die ältesten Nachrichten und zugleich eine höchst lebendige Schilderung dieses Menschen in seiner Vie de Grands Capitaines. Und eben hier findet sich eine Stelle, die es in unserem Zusammenhang zur Gewißheit macht, daß wir auf der Londoner Tafel ein Bildnis des genannten de la Marek haben. Brantöme erzählt nämlich von Robert^4): »H avoit pris pour devise ou patronne sainte Marguerite, que l’on peint avec un dragon ä ses pieds, reprdsentant celuy qui la voulut ddvorer en la prison comme nous lisons en sa vie; et ce dragon reprdsentoit le dyable: et offrant deux chandelles ä ceste saincte, il en vouoit une ä eile et l’aultre ä M. le Dyable avec ces mots; Si Dieu ne me veult ayder, le Diable ne me peut manquer. Devise certes, fort bizarre et estrange.« Man möchte glauben, Brantöme habe bei diesen Worten wirklich an eine bildliche Darstellung gedacht.

Jedenfalls: Der Inhalt des in Rede stehenden Bildes, die Angabe der von Waagen erwähnten Beschreibung, die Ähnlichkeit mit dem Fürstbischof von Lüttich sowie die Erzählung Brantömes machen, zu- sammengenommen, wohl zweifellos, daß die Persönlichkeit auf dem Bilde bei Weld-Blundell Robert II. de la Marek ist. Daß der Drache oder vielmehr M. le Dyable ganz auffällig betont ist, sagt auch Fried- länder^S). Und es erscheint nun auch naheliegend, die Geste, die Robert II. mit der rechten Hand macht, auf den Drachen zu beziehen. Ebenso stimmt zu allem die Zeit der Entstehung der Tafel. Der Dargestellte ist ein Mann von etwa 45 Jahren. Robert ist, wie oben gesagt, etwa

*») Chestret de Haneffe a. a. O. S. 148.

*3) a. a. O. S. 152 ff.

*4) CEuvres complkes de Pierre de Bourdeüle, Seigneur de Brantöme. Paris 1867 Tome III p. 190.

•5) Rep. XXIX S. 580.

Ein Bildnis Robert II. de la Marek.

135

1468 geboren, das Bild müßte also im zweiten Jahrzehnt des i6. Jahr- hunderts gemalt sein. Und das geht wiederum mit Friedländers Be- stimmung zusammen: »Sicher erscheint, daß die Tafel nicht vor 1510 entstanden ist.«

Robert II. ist eine der eigenartigsten unter den rauflustigen Per- sönlichkeiten jener Zeit^^). Als Herr von Sedan w'ar er besonders in den Ardennen gefürchtet und weit und breit bekannt als Robert le Diable. Einige Einzelheiten aus seinem Leben sind für die Geschichte des Bildes von Wichtigkeit. Ich richte mich dabei nach den genauen Ausführungen, die Chestret de Haneffe in seinem erwähnten Buche gibt. Danach finden wir jenen Sprößling aus dem Hause de la Marek schon mit 16 und 17 Jahren sich den Namen eines »grand sanglier des Ardennes« verdienen. Er erscheint stets kriegführend, besonders in den Ländereien von Lüttich, wo er andere Glieder seiner Familie bekämpft. Meistens finden wir ihn an der Spitze der Franzosen, so oft Ludwig XII, seinen Untertanen erlaubte, die Waffen zugunsten des Prinzen von Gueldern gegen Österreich zu ergreifen. Erst der Friede von Cambrai 1508 unterbrach zeitweise diese beständigen Kämpfe.

Zahlreich sind die Beziehungen, die Robert II. zu der Stadt Metz hatte. 1497 trat er in ihren Sold und nahm dort zu wiederholten Malen längeren Aufenthalt. In einem Vertrage, den er am 22. Dezem- ber 1511 mit dem Magistrat von Metz schloß, trägt er den ehren- vollen Titel eines Chevalier de l’ordre du roi. (Gemeint ist der Orden des hl. Ludwig. Der Umstand, daß Robert diesem Orden an- gehörte, erklärt vielleicht die Tracht auf dem Londoner Bilde.), Bei Ludwig XII. stand er in großem Ansehen schon wegen seiner hervor- ragenden Eigenschaften als Soldatenführer. In der Schlacht von Novara 1513 befehligte Robert 6000 Landsknechte, deren Tapferkeit besonders gerühmt wird. Bei dieser Gelegenheit erzählt Brantöme in seiner köst- lichen Weise von der Vaterliete Roberts. Die Schlacht, die für die Ftanzosen so unglücklich verlief, dauerte noch, als man Robert den Teufel mit seinen Mannen die feindlichen Scharen zerteilen sah, um überall zwischen den Gefallenen seine beiden Söhne zu suchen. Endlich ent- deckt er sie einen nach dem andern im jämmerlichsten Zustande, be- deckt mit Wunden, und läßt sie fortführen. »Quel brave p6re!« schreibt Brantöme, und er fügt hinzu »aussi les enfans estoient braves comme luy«.

Mit dem Tode Ludwigs XII. 1515 verlor Robert seine bevorzugte Stellung am französischen Hofe, da Franz I. ihm zunächst nicht wohlgesinnt

>6) Vgl. Bouteiller (E. de) Robert II. de la Marek, M;tz 1865 S. 44 ff., S, 640. M. Goubaux, Essai sur Robert II. de la Marek.

10'

136

Hans Jantzen:

war. Robert entschloß sich daher bald, mit Frankreich ganz zu brechen. Im Jahre 1518 sandte er den Orden vom hl. Michael dem Kanzler zurück und verpflichtete sich, Karl V. zu dienen »envers et contre tous, exceptd la citd de Metz et son ami Franz de Sickingen«. Diese Ver- bindung mit dem Kaiser dauerte freilich nicht lange. Als Robert de la Marek sich durch eine kaiserliche Entscheidung beleidigt fühlte und ihm zugleich vom französischen Hofe glänzende Anerbietungen gemacht wurden, ging er wiederum zu Franz I. über und verpflichtete sich, ihm zu dienen »envers et contre tous sans nul excepter ne reserver encores que ce fust l’Empereur«. Zugleich es ist im Jahre 1521 wurde er wieder in den Orden vom hl. Michael aufgenommen. Von nun an vergeht sein Leben in beständigen Kämpfen, und selbst nach dem Frieden von Madrid 1526 und Cambrai 1529 läßt er keine Gelegenheit vorbei, die Feindseligkeiten gegen den Kaiser zu erneuern. In den letzten Monaten des Jahres 1536 starb Robert II. de la Marek, nachdem er fast während eines halben Jahrhunderts die »Geißel der Niederlande« gewesen war. In der Kirche S. Laurent zu Sedan wurde er begraben.

Für die zeitliche Bestimmung der Londoner Tafel ist die Erwäh- nung des Ordens von Wert. Da Robert mit dem Michael-Orden dar- gestellt ist, so muß das Bild vor 1518 oder nach 1521 gemalt sein. Die oben schon einmal angestellten Erwägungen sprechen für die Zeit vor 1518. Es kommt hinzu, daß Robert in der letzten Regierungszeit Ludwigs XII. offenbar einen Höhepunkt seines Lebens erreicht hat; vielleicht ist ein Ausdruck dessen das bedeutende Altarwerk. Und eine Datierung um 1515 wird annähernd das Richtige treffen.

Nach der Beschreibung, die zu dem Bilde gehört, wäre die Heilige die Gattin Robert II., Catherine de Croy, mit der er seit 1490 oder 1491 vermählt war. Die Richtigkeit dieser Angabe läßt sich nur vermuten, zumal da die Frau auf dem Bilde nicht so ausgesprochen Porträtzüge zeigt wie Robert II.

Als Waagen das Bild sah, erklärte er es für das Werk eines fran- zösischen Künstlers unter dem Einfluß des Mabuse in seiner früheren Periode. Friedländer in seiner Besprechung der Guildhall-Aussellung^7) scheint geneigt, das Werk in den »dunklen Regionen der französischen Kunst« unterzubringen. »Andrerseits verrät die prachtvolle Glut der Färbung, das ausgebildete Helldunkel, vielleicht auch die Zeichnung des Christkindes Schulung an der Kunst Jan van Eycks, im besonderen an der Pala-Madonna.« In der Tat sind die Zusammenhänge mit der Pala-Madonna ganz eigentümlicher Art. Die Londoner Tafel gibt in

>7) Rep. XXIX S. 580.

Ein Bildnis Robert II. de la Marek.

137

der thronenden Madonna eine freie Wiederholung des Eyckschen Vor- bildes, und zwar so, daß einzelne Motive im Gegensinn erscheinen. Am auffälligsten ist dies bei dem Christuskind. Die Beine sind sehr genau im Gegensinn gezeichnet, wobei bemerkenswert ist, daß das Schamtuch über dem Schoß des Kindes fehlt, wie auf der Antwerpener Kopie der Pala-Madonna^*). Der Kopf des Kindes ist bei Eyck nach rechts ge- wandt, auf dem Londoner Bilde nach links; der Stieglitz ist sogar nach unten umgedreht. Die Armhaltung der Madonna ist der des Palabildes sehr ähnlich. Die linke Hand faßt mit Daumen und Zeigefinger die Blume, die rechte kommt unter dem Mantel hervor und stützt das Kind. (Diese rechte Hand ist übrigens auf dem Londoner Bilde von merkwürdig grober Ausführung. Sie sieht aus wie aus Gummi. Die breiten Zwischen- räume zwischen den Fingern sind selbst auf der Reproduktion auffallend.) Hat man diese Dinge verglichen, so erscheint auch die Gesamtanordnung des Londoner Bildes, obwohl durchaus selbständig durchgeführt, doch von der Pala-Madonna beeinflußt. Die Säulen des Palabildes sind von dem späteren Künstler zu großen Pfeilern umgebildet, wie sie das an- gehende 16. Jahrhundert liebte. Aber sie umgeben beide Male in ganz gleicher Weise den Baldachin. Auf das feine Helldunkel, das im Bilde herrscht (die Schatten sind eigentlich zu stark für das stille Licht), hat schon Friedländer aufmerksam gemacht. Schließlich scheint noch die Haltung des hl. Donatian nachzuklingen in der Art, wie Robert de la Marek in das Bild gestellt ist. Die Arme sind ähnlich bewegt. Auch die Farbe des reichen Mantels ist die gleiche.

Es bleibt die Frage nach dem Künstler des Werks. Daß er in Brügge genaue Studien gemacht hat, ist erwiesen. Für die französische Herkunft spricht zunächst die Nationalität des Auftraggebers. Friedländer macht auch aufmerksam auf den Frauentypus »mit der merkwürdig kurzen und stark gestülpten Nase«, der in französischen Skulpturen vorkomme. Ferner erinnert der das Pathetische streifende Ausdruck, den der Kopf Roberts zeigt, an Porträtauffassungen, wie wir sie etwa in dem bekannten Glasgower Bilde »hl. Viktor mit Stifter« finden.

Die Heimat des Robert de la Marek, Sedan, lag ja nicht fern der niederländischen Grenze. Vielleicht ist damit ein Fingerzeig gegeben zur Erklärung dieses Bildes, in welchem auf so eigentümliche Art nieder- ländische und französische Elemente einander durchdringen.

*8) Vgl. Voll, Die Altniederländisclie Malerei von Jan van Eyck bis Memling S. 33.

Eine neue archivalische Dürernotiz. Zur Veit- Stoßforschung.

Von Albert Gümbel, Nürnberg.

I.

Unter den im Kreisarchive Nürnberg befindlichen Rechnungsbelegen zu den Nürnberger Stadtrechnungen für das Jahr 15 ii befinden sich vier Heftchen in Schmalfolio, jedes überschrieben mit: » 1 5 1 1. Inscribenda.« Den Inhalt bilden kurze Rechnungsaufzeichnungen über Ausgaben "und Einnahmen der Nürnberger Stadtrentei (Losungsstube) für den Zeitraum von jeweils zwei bis drei Tagen oder auch bis zu einer ganzen Woche. Diese Rechnungsnotizen dienten offenbar als Gedächtnisbehelfe bei Auf- stellung der nächsten Stadtrechnung und, wenn wir die uns im gleichen Archive erhaltene summarische Stadtrechnung für das Jahr 1511^) auf- schlagen, so finden wir in der Tat eine Reihe von Posten aus den »Inscribenda« wieder^). »Inscribenda« hat also den Sinn; Aufzeichnungen über in die nächste Stadtrechnung »Einzuschreibendes«.

In dem Heftchen nun, welches die »Inscribenda« für die Wochen- tage von Sabbato post divisionem apostolorum (= 19. Juli) bis 2“ (secunda) ante Magdalene (= 21. Juli) 1511 enthält3), findet sich als sechster Eintrag der folgende:

60 fl.4) Albr[echt] Thürer für 2 pild.

•) Jahresregister alte Nr. 9, neu Nr. 5.

*) Jedoch nicht alle. Es erklärt sich dies aus der doppelten Ausfertigung der Nürnberger Stadtrechnungen. Zunächst wurden nämlich alle einzelnen Ausgabe- und Ein- nahmeposten unter den entsprechenden Schlagworten in einem sog. »Kleinen Registerlein« für jedes Jahr zusammengetragen, sod^n aber wurde aus diesem »Kleinen Registerlein« der größeren Übersichtlichkeit halber ein Auszug unter Weglassung aller entbehrlichen Einzelheiten gefertigt und in große, jeweils eine größere Anzahl von Jahren umfassende Folianten »die Großen Register« oder »Jar Register« eingetragen. (Vgl. darüber Sander, Die Reichsstädtische Haushaltung Nürnbergs, Bd. I, Seite 295). Auch der uns hier beschäftigende Eintrag fehlt indem allein uns erhaltenen »J ar Register« , das mit das Jahr 151t enthält, dürfte aber wohl in dem uns nichterhaltenen »Kleinen Register« für das Rechnimgsjahr 15 ii enthalten gewesen sein.

3) K. Kreisarchiv, Stadtrechnungsbelege, Lade 10, II. Bund 1511.

4) Nach heutigem Geldwert etwa 900 M. (Nehmen wir nach Sander, a. a. O. II, S. 918 an, daß ein Simra Korn [= etwas unter i>/a bayerische Scheffel] damals ca. 16 tt.

Eine neue archivalische Dlirernotiz. Zur Veit-Stoßforscliung.

139

Leider mangelt jede weitere Angabe über Art und Bestimntung dieser »pild«5), soviel dürfte aber wohl sicher sein, daß es sich um einen Auftrag des Rates handelt, für welchen Dürer damals die ausgemachte oder entsprechende Bezahlung empfing. Unwillkürlich denkt man an den einzigen »staatlichen« Auftrag, welcher Dürer seit dem Jahre 1510 beschäftigte^): die Ausführung zweier Kaiserbilder für die Heiltumskammer des Schopperschen (später Füterschen) Hauses am Herrenmarkt. Daß Dürer schon seit 1510 sich eingehender mit dieser Aufgabe vertraut machte, beweisen die Handzeichnungen und Entwürfe im Germanischen Museum hier und in der Albertina zu Wien. Vollendet waren die Tafeln mit den Bildnissen Kaiser Karls des Großen und Kaiser Sigmunds im Jahre 1513, in welchem?) der Meister zwischen 16. Februar und 16. März die Summe von 85 fl. i tb. neu 10 Schillinge erhielt.

Halten wir nun an der Vermutung fest, daß die obengenannte Summe von 60 fl. mit dem einzigen uns sonst aus diesen Jahren bekannten Auftrag des Rates in Zusammenhang zu bringen sei, so wären zwei Möglichkeiten denkbar. Erstens: Dürer fertigte noch zwei weitere, diesem Zyklus von Kaiser- gestalten angehörige Gemälde, oder zweitens: er hätte schon im Jahre 1511 eine Anzahlung für die beiden, uns erhaltehen Kaiserbilder erhalten. Letzteres liegt vielleicht näher; der geringe Preis von 85 fl. für diese fiel schon Thausing auf*). Ersteres erscheint wohl weniger wahrscheinlich, da sonst gar keine Überlieferung von weiteren Kaiserbildern spricht9).

alt oder 2 fl. Landswährung kosteten und heute mit ca. 30 M. zu bezahlen sind, so erhalten wir für obige Summe von 60 fl. den Wert von ca. 900 M.)

5) Auch Hampe, Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler usw., Wien 1904, hat keinen hierher gehörigen Eintrag. Dürer wird hier zwar 1511 genannt (Nr. 878), aber nur im Zusammenhang mit einer geplanten Reparatur am Schönen Brunnen. Der betreffende Verlaß lautet: Die geprechen des Schönen prunnen zu besichtigen sind geordent die hernach benannten zwen herren samt maister Petem Vischer, dem Thür er, und andern, der Sachen verstendig, H. Volckmeir. Niclas Haller.

6) Thausing, Dürer, II, S. in.

7) Also nicht 1512, wie Baader, Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs, Nörd- lingen, 1860, Erste Reihe, S. 6 sagt. Der betreffende Eintrag im »Jar Register« für 1513 (das kleine Register ist nicht erhalten) lautet: Die dreytzehend Frag, Burgimagistri her Anthoni Tetzel senior vnd Michel Behaim, Quarta post Invo[cavit] (— 16. Februar) A[nn]o 1513.

Item LXXXV guld[en] i l[ibram] n[ovi] X sh. [= Schillinge] Albrecht Thürer für zwo groß Tafel die pildnuß kayser Carls vnd kayser Sigmunds gestalt zu malen in die heilthums kammer.

Die nächste 14. »Frage« begann mit Quarta post Judica [= 16. März]. Zwischen diese beiden Termine fällt die Auszahlung.

*) Dürer, Band II, Seite 113.

9) Der Ratsverlaß vom 6. Oktober 1526 (Ratsbücher im K. Kreisarchive Nr. 13, Fol. 158b), durch welchen die Verbringung der Heiltumsbilder aus dem Füterschen

140

Albert Gümbel:

Schließlich sei darauf hingewiesen, daß der Ausdruck »pild« auch auf Schnitzwerke oder Medaillen deuten könnte^®).

II.

Im Dezember 1503 war die bekannte Katastrophe über Veit Stoß hereingebrochen: weil er einen angeblichen Schuldbrief Jacob Baners über ca. 1200 fl. angefertigt und mit einem, dem echten nachgebildeten Siegel des angeblichen Gläubigers versehen hatte, war er gefänglich eingezogen und schließlich zur Brandmarkung verurteilt worden. Über den Vollzug

Hause auf das Rathaus angeordnet wurde (nach Abschaffung der Heiltumsweisung), spricht ausdrücklich nur von zwei Tafeln. Der betreffende Erlaß lautet: Item alls in des fueters haus am Marckt, da vor Jarn das heylthuemb innen gezeigt worden, zwo tafelln zweyer keyser[iiche]n bildung, eynem erbern Rath zustenndig, sind, ist verlassen, das soliche tafel zum furderlichsten widerumb zu hannden gepracht vnnd auf das Rat- haus an eyn bequem ort gethan solten werden per den Bawmeister eodem die (= sabato 6. octobris 1526).

*°) Über Dürersche Gemälde und Schnitzwerkc, welche sich im Besitze des Nürnberger Rates befanden und zum Schmucke des Rathauses dienten, vgl. Mummenhoff, Das Rathaus in Nürnberg, Niynberg 1891, Seite 75, und Baader, Beiträge I, Seite 13 und über Baaders Quelle Gümbel: Die englische Mission des Grafen von Arundel in

Nürnberg, Mai und November 1636^ in Archivalische Zeitschrift, hrsgg. vom Kgl. All- gemeinen Reichsarchiv in München, Neue Folge, Bd. XI, Seite 112, Anm. 2. Das von Baader erwähnte, in dem Gutachten des Ratskonsulenten Dr. Oelhafen vom 23. Aug. 1627 Dürer zugeschriebene Schnitzwerk über der RatsstubentUr ist kein anderes als die heute im Germanischen Museum befindliche Schnitzgruppe des »Gerechten Richters« (Abbildung und Schilderung bei Mummenhoff, Seite 57 und 58. Über Stoß’ Urheberschaft vgl. Daun, Veit Stoß, Seite 70, wo gleichfalls AbbUdung, aber mit Schale, die sich zugunsten des Reichen senkt; es dürfte dies nicht richtig sein, sondern die Stellung, der Schale auf der Mummenhoffschen Abbildung, nämlich zugunsten des Armen, entsprechend der für einen Rathaussaal allein in Betracht kommenden Gestalt des »gerechten« Richters, die richtigere sein).

Über den Gebrauch des Wortes »pild« für plastische Kunstwerke aus Holz der Metall vgl. bei Hampe, a. a. O. Nr. 559 (wo wohl Wappen in Halbrelief gemeint sind), 737, 1006. Der Rat gebrauchte, wie wir oben sahen, für die beiden Heiltumsbilder den Ausdruck »Tafel« (vgl. desgl. bei Hampe I, Nr. 1530); ebenso werden die Dürerschen Apostelbilder, welche der Meister 1526 dem Rat schenkte, in dem entsprechenden Stadtrechnungseintrag als »tafel« bezeichnet. Dieser lautet nämlich (Jahresregister Nr. 6): Die acht Frag. Burgimagistri herr Hanns Volckamer vnd Lazarus Holtschuher Quarta post Cruc[is] exaltacionis (= 19. September) [1526]: Item ic [c = centum] XII guld[en] R[einisch] Albrecht dürer für 2 groß tafel, die ein S. Peter vnd S. Johanns, die ander S. Paulus vnd S. Marx kunsstlichen gemalt, die er eim Rat geschenckt hat, da für ime i<= fl. und seinem Weyb XII fl. für ein vererung geben.

item II guld[en] R. des gemelten dürers Diener für ein vererung geben.

Die nächste (9.) Frage beginnt mit Quarta post Galli (= 17. Oktober). Zwischen 19. September und 17. Oktober (genauer 6. Oktober, vgl. unten) fällt also die Auszahlung. In dem Ratsverlaß vom 6. Oktober 1526 (Ratsbücher im K. Kreisarchiv Nr. 13 fol. 158a),

Eine neue archivalische Dürernotiz. Zur Veit-Stoßforschung.

141

der Strafe berichtet die Chronik Heinrich Deichslers”) zum Jahre 1503: item am montag an sant Barbra tag (= 4. Dezember) da prent man den Veit Stoß durch ped packen; und man het nie keinen so lind ge- prent, wann (= denn) er kom sein wol umb 13 hundert güldein (d. h. er kam um 1300 fl.).

Fast wie ein Nachklang zu dieser Bemerkung des Chronisten über eine verhältnismäßig milde Behandlung des Meisters will es uns bedünken, wenn sich noch eine zweite hierher gehörige archivalische Notiz erhalten hat, welche besagt, in welcher Weise der Rat für die Heilung der von dem Henker verursachten Brandwunden sorgte. Unter den oben erwähnten Stadtrechnungsbelegen finden sich auch Nachweise des mit der Be- aufsichtigung und Verköstigung der Gefangenen im »Loch« d. h. dem unter dem Rathaus befindlichen Gefängnis^ betrauten Bediensteten, des sog. Lochhüters, die »Lochhüterzettel« Ein solcher Lochhüterzettel ist uns nun auch für die Tage erhalten, während welcher Stoß im Loch- gefängnis seiner Bestrafung entgegensah*^). Der Lochhüter vermerkt zunächst die Zahl der Verpflegungstage und gemachten Gänge:

Veyt stös maller hot 19 tag. Item veit hot 3 geng.

Es folgen nun weitere Namen von Gefangenen und Aufführungen von Neuanschaffungen, dann schließlich der Vortrag:

It[em] mer 60 dn.^3) dem pader am sant^4), das er hot meyster veyten stös seine Bed packen hot geheilt.

Es wäre aber falsch, darin eine besondere Bevorzugung zu erblicken, auch sonst finden sich genug Nachrichten, daß der humane Rat die Wunden, v/elche seine Justiz dem Verbrecher schlug, wieder heilen ließ.

Unter den unangenehmen Folgen, welche dieser böse Handel für Stoß hatte, war auch die ihm vom Rate auferlegte Beschränkung seiner Bewegungsfreiheit: er durfte ohne Erlaubnis des Rates die Stadt auch

welcher die Entschädigung Dürers für sein Geschenk behandelt, werden die Apostel- bilder »ein tafel mit vier billden« genannt. Vgl. auch Hampe I, Nr. 1529.

Zum Gebrauch des Ausdruckes »pild« sei schließlich noch eine weitere, auf Dürersche Kunstwerke bezügliche Rechnungsnotiz der Nürnberger Jahresregister aus d. J. 1525 wiedergegeben: Jahresregister Nr. 6, Einträge der 14. Frage dh. von Quarta Cinerum (= i.März) bis Quarta post Letare (= 29. März) 1525 . . . Item i <ö). n[ovi] I sh. [= Schilling] Albrechts dürers Diener als er die herren [nämlich vom Rat] etliche Contrafetische pillder sehen ließ. Wir können uns die Sache entweder so vorstellen, daß die Ratsherren den Meister in seinem Hause aufsuchten und der Diener die genannte Summe als Trinkgeld erhielt oder daß dieser die Bilder aufs Rathaus brachte.

”) Chroniken der deutschen Städte, Bd. ii, Seite 667.

•*) K. Kreisarchiv, Stadtrechnungsbelege 7. Lade, 2. Bund (1503).

*3) Also etwa 2 Mark nach unserem Gelde.

‘4) Die Gegend an der Pegnitz heißt jetzt noch so.

142

Albert Gümbel:

auf kurze Zeit nicht verlassen. Von solchen Erlaubniserteilungen hören wir auch wiederholt, so unter dem i8. Juni 1505*5) (um seine Ansprüche gegen Baner geltend zu machen), 7. März und 4. Juni 1506*^), wo Stoß beabsichtigte, die Frankfurter und Nördlinger Messe zu besuchen, und endlich auch am 10. Februar 1507. Der Ratsverlaß von diesem Tage lautet:*?) Veiten Stoßen ist begönnt sich zu konigklicher Mt. zu fügen.

Durch ein im Kreisarchiv Nürnberg befindliches Schreiben des Propstes von St. Sebald, Dr. Erasmus Toppier, an die Nürnberger »Älteren Herren« vom 7. März 1507 ist es uns nun möglich, den Ort zu bezeichnen, wo Stoß höchstwahrscheinlich damals mit dem Könige zusammentraf, es W'ar die Reichsstadt Ulm. Erasmus Toppier, seit 1495 Propst bei St. Sebald in Nürnberg und seit 1496 in Diensten der Stadt, war im Februar des Jahres 1507 an den Hof König Maximilians entsendet worden, um dortselbst die Interessen der Stadt in mehreren wichtigen Angelegenheiten (Streitigkeiten mit Markgraf Friedrich von Brandenburg usw.) zu vertreten. Am 18. Februar 1507 verließ er Nürnberg und traf am 21. in Augsburg ein. Dort erfuhr er, daß der König in Ulm verweile, und begab sich dorthin, hörte aber bei seiner Ankunft (24. Februar), daß Maximilian schon nach Straßburg weiter gezogen sei und von dort rhein- abwärts gehen wolle. Er entschloß sich darauf, dem Hofe so rasch als möglich zu folgen. Über seine Ankunft in Ulm und seine weiteren Absichten berichtet er dem Rate unter dem 24. Februar 1507 aus Ulm und übergab diesen Brief dem heimkehrenden Stoß. Dies geht aus seinem nächsten Bericht an die Älteren Herren aus Hagenau, wo er den König einholte, vom 7. März 1507 hervor. Er schreibt nämlich eingangs dieses Briefes: ich hab e[üer] f[ürsichtigkeit] aus Vlm bei [= durch Ver- mittlung] Veiten Stoßen, euerm burger, geschriben, das ich k[öniglicher] m[ajestät] nacheilen woll des besten ich möge . . .**). Demnach dürfen wir annehmen, daß Stoß, dem am 10. Februar die Erlaubnis zum Besuch des königlichen Hofes gegeben worden war, den von Tirol heraufziehenden Maximilian, der am 21. Februar in Ulm eintraf, dort erwartete, dann seine Geschäfte beim König erledigte und am 24. oder 25. Februar Ulm wieder verließ und nach Nürnberg zurückkehrte. Daß Stoß den König schon vorher tiefer im Württembergischen aufsuchte, scheint weniger

*5) Hampe, Ratverlässe I, Nr. 71 1.

>6) Ebenda Nr. 724 und Nr. 738.

>7) Ebenda Nr. 756.

>8) Der übrige Inhalt des Briefes ist ohne kunstgeschichtliches Interesse. Ver- fasser gedenkt diesen sowie die übrigen Topplerschen Berichte vom königlichen Hofe in balde in der Archivalischen Zeitschrift herausgegeben vom K. Allg. Reichsarchiv in München zu veröffentlichen.

Eine neue archivajische Düremotiz. Zur Veit-Stofiforschung.

M3

wahrscheinlich. Maximilian verweilte nämlich (nach Stälin*9) seit i6. Februar in Justingen (württemb. Oberamt Münsingen) und dann im Kinzigtal, wie es scheint seiner Lieblingsbeschäftigung, der Jagd, obliegend.

In Ulm erlangte Stoß wohl auch jenen Auftrag des Königs, mit welchem sich ein Ratsverlaß vom i8. März 1507“) beschäftigt; darin wird ihm gestattet, eine Meile Wegs im Umkreis der Stadt zu »hanndeln«, »dhweil er seins anzaigens auß nottdurfft kon. Mt. das muß thun«, doch sollte er ohne Wissen des Rates über Nacht nicht auswärts sein.

>9) Aufenthaltsorte K. Maximilians I. seit seiner Alleinherrschaft 1493 bis zu seinem Tode 1513 in Forschungen zur deutschen Geschichte, Bd. I, S. 347 und 647. Hampe, a. a. O. I, Nr. 757.

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz

mariae«.

Ein Beitrag zur Kenntnis des Holzschnittes der Dürerschule.

Von Dr. Hans Vollmer.

(Fortsetzung).

Um den Baldungschen Anteil an den Illustrationen des Rosenkranz zu umgrenzen, ist es zweckmäßig, von der Betrachtung der blattgroßen Kreuzigung Fol. 201 R des I. Bandes (Titelblatt zum IV. Buch) den Ausgang zu nehmen, die zuerst von Rieffel auf Grund der Über- einstimmungen mit dem Berliner Kalvarienberg des Baidung diesem Meister zugesprochen wurde (Wiederholung des Blattes im Speculum Fol. 65); ganz abgesehen von den engen Beziehungen zu diesem sieben Jahre jüngeren Gemälde trägt der Schnitt auch sonst unverkennbar alle Merk- male der Baldungschen Hand. Ein zweites Hauptblatt Baidungs im »Rosenkranz«, das zuerst von Wilhelm Schmidt doch ohne Angabe von Gründen seinem rechtmäßigen Autor zurückgegeben wurde, ist Fol. 229 R des XI. Buches, das Muther und Rieffel irrtümlicherweise Schäuffelein vindiziert hatten (s. Abb. 3). Zahlreiche Beziehungen zu beglau- bigten Holzschnitten und Gemälden Baidungs beweisen die Richtigkeit der Taufe auf Grien. Das Blatt zerfällt in drei getrennte Darstellungen, die nur in inhaltlichem Zusammenhang zueinander stehen: links die Szene des Sündenfalles, in der Mitte der Kruzifixus als das sichtbare Zeichen der Wiederversöhnung Gottes mit der sündigen Menschheit, rechts der Priester mit der Hostie vor dem Altar, dem sichtbaren Gewinn der Er- lösung der Menschheit durch den Kreuzestod Christi. Die linke Hälfte des Schnittes mit der Darstellung des Sündenfalls geht kompositionell vollkommen zusammen mit dem das analoge Thema behandelnden Baldungschen Holzschnitt B. i ; der Adam des Buchschnittes ist jugendlich aufgefaßt im Gegensatz zu dem reifen bärtigen Mann des Einzelblattes^), die plastischen Motive aber sowohl vom Mann wie von der Frau wieder- holen sich fast wörtlich hüben und drüben; das originelle Stehmotiv der Eva mit dem im rechten Winkel vorgestellten einen Bein kommt

*) Später kehrt Baidung wieder zu dem jugendlichen Adam zurück, wie in dem großartigen Blatt B. 2 von 1519, den Typus jetzt gleichzeitig in das Dämonische steigernd, wovon in dem Rosenkranzschnitt noch nichts zu spüren ist.

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

145

auch sonst bei Baidung vor: so auf dem Gemälde des Germanischen Museums mit der Darstellung der »Veritas«, während das üppige Gesicht- oval jeden Baidungkenner an das schöne Baseler Gemälde der Frau mit

dem Tod erinnern wird, deren Kopf in die gleiche Ansicht und Neigung eingestellt ist, und welche auch die charakteristische Drehung im Oberkörper wiederholt. Der Kruzifixus des Buchschnittes geht in Typus und Auffassung mit dem Gekreuzigten des Berliner Bildes zusammen: hier wie dort der heroisierte Triumphator mit den energisch

Abb. 3. Sündenfall, Kruzifix und Abenmahlssakrament. Hans Baidung Grien. »Beschlossen Gart« Fol. 229 R. BuchXI.

146

Hans Vollmer:

aurchgedrückten Knien und der Anspannung aller Muskeln, der die große Neigung des Hauptes als wirksames Kontrastmotiv antwortet; Beziehungen genug, um das Blatt mit Sicherheit für Baidung in Anspruch nehmen zu dürfen.

Von diesen beiden Blättern ausgehend, gewinnen wir einen festen stilistischen Anhaltspunkt für die Herauslösung des Baldungschen Anteiles am Rosenkranz. Außerdem können wir zum Vergleich, namentlich für die kleineren Blätter, die 46 kleinen Holzschnitte Griens zu dem bei Martin Flasch 15 n in Straßburg erschienenen »Hortulus animae« heran- ziehen, die zeitlich den Illustrationen des »Rosenkranz« ja nicht allzu fern stehen.

Auch bei der Übertragung der Baldungschen Zeichnungen auf den Holzstock haben sich mindestens zwei Formschneider in die Arbeit geteilt. Einige Blätter sind recht gut geschnitten und haben sich die Flüssig- keit und Eleganz der Vorzeichnung bewahrt (z. B. Fol. n6 Buch VII der Schmerzensmann, die 35 mm X 42 mm kleinen Passionsdarstellungen des VII. Buches usw.); andere sind von weniger geübter Hand geschnitten, so daß man wohl zuerst in die Versuchung kommen könnte, hinter diesen die Hand eines zweiten Meisters zu erblicken. Während einige der Blätter in außerordentlich feinen Schraffuren ge- schnitten sind, gibt es andere, bei denen nur wenig Schraffierung ange- wendet ist, denen daher dieses durch und durch Gegliederte aller Flächen fehlt (z. B. Fol. 158 Buch III, Christus über Jerusalem weinend, Fol. 159 R Buch III, Christus und die Ehebrecherin usw.). Wiederholte Prü- fungen und Vergleiche aber haben mich fest überzeugt, daß unbe- dingt eine Identität des Vorzeichners für diese zwei Sorten von Blättern angenomitien werden muß und daß diese Differenzen der Behandlung lediglich auf Rechnung der mechanischen Übertragung auf den Stock zu setzen sind. Von Baidung stammt z. B. das zart geschnittene Blatt Fol. 69 Buch VII, die Geburt Christi darstellend; wer noch zweifelt,

braucht das Blatt nur mit dem analogen* Schnitt im Hortulus zu ver-

gleichen; die Stellung der Tierköpfe im Bild ist z. B. eine absolut über- einstimmende. Man vergleiche mit diesem Geburtsblatt nun etwa Fol. 82 R Buch VII, die Darstellung der Tierschöpfung, und man wird sofort die Identität der Herkunft beider Blätter ohne weiteres zugeben, obwohl dieser letztgenannte Holzschnitt in seinem Gesamthabitus ziemlich wesentlich differiert von einem Blatt wie etwa der Schmerzensmann Fol. 116 Buch VII, der doch auf denselben Baidung Grien zurückgeht.

Rieffel hatte Baidung insgesamt 17 Holzschnitte im Rosen- kranz zugewiesen; es waren das die neun Blätter aus der Passion Christi: Fol. 184a R des I. Bandes und Fol. 69 R bis Fol. 82a

des II. Bandes. Ferner die 48 mm X 64 mm große Auferstehung

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

147

Christi aus dem Grabe Fol. 87 R, die Kreuzannagelung Fol. 79, der An- beter des Kruzifixus Fol. 100 R, der Adorator Fol. 120 R, die Züchtigung vor dem König Fol. 73, die Heilung des Tobias Fol. mR und die kleine Anbetung der ehernen Schlange Fol. 117 R, sämtlich dem II. Band angehörig und mit einer einzigen Ausnahme sämtlich Blätter, bei denen kein Zweifel an der Autorschaft Griens bestehen kann; als letztes Blatt endlich di^ bereits mehrfach erwähnte große Kreuzigung Fol. 201 R des I. Bandes. Nur Fol. 79 des VII. Buches dürfte Baidung zu Unrecht vindiziert und wohl richtiger Schäuffelein zuzuweisen sein; wir haben uns oben darüber aus- gelassen. Es soll zugestanden werden, daß dieses Blatt nicht das einzige ist, bei dessen Bestimmung man zwischen beiden Meistern schwanken kann; immerhin trägt die Hauptmasse der Illustrationen der unten auf- gezählten Liste einen so ausgesprochen Baldungschen Charakter, daß ein Zweifel nur in ganz seltenen Fällen Platz finden kann.

Was die Baldungschen Illustrationen ganz allgemein von den Schäufifeleinschen Schnitten unterscheidet, sind kurz gesagt ihre höheren zeichnerischen Qualitäten; Baidung verfügt schon zu dieser Zeit über eine Süße der Linie, für die Schäuffelein zeitlebens unzugänglich geblieben ist.

Wenn man den »Rosenkranz«, von vorne beginnend durchblättert, so stößt man auf Fol. 122 R des II. Buches auf ein Blatt: Christus auf dem Wasser wandelnd, das, so unsicher es auch geschnitten- ist, in der Nachbarschaft Schäuffeleins sofort seine Herkunft von der Hand eines Zeichners ganz anderen Kalibers verrät; welcher Rhythmus in dieser schon durch ihren bloßen Größenmaßstab frappierenden Öhristusfigur, neben der alles Schäuffeleinsche der Art steril^ und bewegungslos erscheint. Wo wäre bei Schäuffelein eine Bewegungskurve vbn der Süße zu finden, wie sie sich durch diese Figur von der zurückgeset^ten Fußspitze bis zum Scheitel hinaüfschleicht! Und wie königlich dieser Wandler (trotz des arg verschnittenen Gesichtes) mit seiner vornehm lässigen Gebärde, neben dem der Christustypus Schäuffeleins provinzial, hausbacken wirkt. Baidung und Schäuffelein sind schwer miteinander ^zu verwechseln. Man vergleiche nur zwei ihrem Inhalt nach vollkommen identische Schnitte wie Fol. 170 Buch III (Baidung) und Fol. 273 Buch V (Schäuffelein); der erste in die Augen springende Unterschied ist das ganz andere Dominieren der Figur bei Baidung, von vornher^n garantiert durch ihre sehr bedeutenden relativen Größenverhältnisse gegenüber den puppen- haften Figürchen des Schäuffelein. Dann ist die Art der Schraffierung eine sehr wesentlich voneinander unterschiedene; Schäuffelein wirkt hart und grob neben der feinen, höchst ökonomisch verwendeten Strichelung der Grienschen Schnitte.

148

Hans Vollmer:

Bedeutend mehr Schwierigkeiten macht es dagegen, den Anteil Baldnngs gegen den des Hans von Kulmbach scharf abzugrenzen. So irrt Rieffel sicherlich, wenn er die drei Spielleute Fol. 281a R des II, Bandes, den Ratschlag Adams Fol. i und den Ratschlag Davids Fol. i R des VI. Buches Kulmbach zuerteilt; alle drei Blätter gehören vielmehr Baidung. Es lassen sich dafür Beweise erbringen. Fol. 281a R: der riiittlere Spielmann hat das originelle Stehmotiv gemein mit der lesenden Frau auf dem Nürnberger Gemälde der Musika: die leise Entlastung des rechten Beines mit der höchst charakteristischen Zusammenklemmung der Oberischenkel bis zu den Knien. Die linke Randfigur des Schnittes hat dasselbe eigentümlich Schwankende des Ganges wie die Wiener »Vanitas«, nur daß bei dem Weib die Oberschenkel fest zusammengepreßt, während sie beim Manne mehr gelöst sind. Ebenso lassen sich Be- ziehungen zu den beiden anderen genannten Buchschnitten nach- weisen. Vor allem aber sind die stilistischen Übereinstimmungen zu den auch von Rieffel als Grienschen Arbeiten anerkannten Schnitten des »Rosenkranz« ausschlaggebend, um so mehr, als jede Verwandtschaft zu dem Kulmbachschen Titelblatt zum I. Buch geleugnet werden muß. Aus denselben Gründen entscheide ich mich auch betreffs der Apostel- folge des XI. Buches, die Rieffel gleichfalls für Kulmbach erklärte (Fol. 285 R bis Fol. 287), mit Wilh. Schmidt für Baidung.

Meine Untersuchungen haben mich zu folgender Liste der Baidung- Schnitte im »Rosenkranz« geführt:

Buch I.

Fol. 87a R (35 mm X 42 mm). Fol. 87b R ( ).

Fol. 91 R (72 92 ).

Fol. 122 R

Fol. 154 R (35 mm X 42 mm)

Fol. 155a R

Fol. 157

Fol. 158

Fol. 159 R

Fol. 162

Fol. 162 R

Fol. 166 R (Replik)

Fol. 169 R

Buch II.

Fol. 144 (35 mm X 42 mm)

Buch III.

Fol. 170

Fol. 172a (35 mm X 42 mm) Fol. 174

Fol. 174 R (35 mm X 42 mm) Fol. 176 R (?)

Fol. 179

Fol. 179 R (35 mm x 42 mm) Fol. 18 1 (?)

Fol. 184a R (35 mm X 42 mm)

\

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

149

Fol. 184b R (35 mm X 42 mm) Fol. 187a (35 mm x 42 mm)

Fol. i86aR(„ „) Fol. 191 (?) (72 92 „)

Buch IV.

Fol. 201 R Titelblatt, blattgroß Fol. 206 R (72 mm X 92 mm) Fol. 207 R (?)

Fol. 209 Fol. 2 18 R Fol. 222 Fol. 231 Fol. 231 R Fol. 234 Fol. 237 Fol. 243 Fol. 243 R Fol. 244 R

Fol. 245b R Fol. 247 Fol. 247 R Fol. 248 Fol. 248 R Fol. 249 Fol. 250 Fol. 250 R Fol. 251 Fol. 253 R Fol. 255

Fol. 256 R (Replik)

Buch V.

Fol. 275

Fol. 293 R (?'!

Fol. 280 (?)

Fol. 294

Fol. 280a R

Fol. 298b (35 mm X 42 mm)

Fol. 281

Fol. 300 a

Fol. 282b

Fol. 300b

Fol. 290 R

Fol. 301 (Replik)

Fol. 291b

Buch

VI.

Fol. I

Fol. IO

Fol. I R

Fol. IO R

Fol. 2 R (Replik)

Fol. 26 R (?) (72 mm X 92 mm)

Fol. 4a R

Fol. 28a, b, c R (je 35 mm X 42 1

Fol. 4b R

Fol. 29 c, d ( n n

Fol. 5 R

Fol. 29 R a, b, c, d, e, f, g

Fol. 6a (35 mm X

42 mm)

(je 35 mm x 42 mm)

Fol. 6b (

» n )

Fol. 30 a, b, c, d, e, f

Fol. 6bR(„

V 5? )

(je 35 mm X 42 mm)

Fol. 6c R (

V n )

Fol. 49 (72 mm X 92 mm)

Fol. 7 a, b, c (je 35 mm x 42 mm)

Fol. 57 R

Fol. 7a, b, c R („

n n r n )

Fol. 58

Fol. 8

Fol. 61

1 1

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

Hans Vollmer:

150

Fol. 65 Fol. 66 (?)

Fol. 66 R (?)

Fol. 67 Fol. 72 R Fol. 73 (?)

Fol. 73 a R (Replik)

Fol. 73b R( )

Fol. 74 ( )

Fol. 74 R Fol. .75 a Fol. 75b Fol. 76a Fol. 76b Fol. 76 R Fol. 77 a, b, c Fol. 77 R a, b, c, d Fol. 78 Fol. 78 R a Fol. 78 R b (?)

Fol. 79 R (Replik)

Fol. 80 (?)

Pol. 80 a R Fol. 81 Fol. 82a Fol. 82 R (72 mm x 92 mm) Fol. 83 Fol. 83 R

Fol. 134 R

Fol. 169b R (Replik)

Fol. 183 R (72 mm X 92 mm)

Nur Repliken enthaltend:

Fol. 229 R (Titelblatt)

Fol. 234

Buch VII.

Fol. 68 a Fol. 68 b Fol. 69

Fol. 69 R (35 mm x 42 mm) Fol. 84 (?)

Fol. 85 b Fol. 85 R

Fol. 86a R (72 mm X 92 mm)

Fol. 86b R(„ yy yy yy )

Fol. 87a Fol. 87 R Fol. 89

Fol. 93 R (7^ mm x 92 mm)

Fol. 100 R

Fol. loi R

Fol. 104

Fol. 107 b R

Fol. mR

Fol. ii2 R (72 mm x 92 mm)

Fol. 115 R

Fol. ri6

Fol. 116 R

Fol. 1 17 R

Fol. 119 (Replik)

Fol. 119 R (Replik^

Fol. 120 Fol. 120 R

Buch VIII.

Fol. 142 R

Buch IX.

Fol. 184 (Replik)

Fol. i88a (32 mm X 45 mm)

Buch X.

Fol. 195, Fol. 203 R, Fol. 210 R.

Buch XL

Fol. 235 R Fol. 243 R (?)

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

151

Fol. 269 R

Fol. 246 R (Replik) Fol. 255 ( )

Fol. 256 ( )

Fol. 262 ( )

Fol. 269 (?)

Fol. 244 R

Fol. 273 R (Replik) Fol. 274

Fol. 276

Fol. 276a R

Fol. 280b

Fol. 280 a R (?)

Fol. 281 a R

Fol. 288b (Replik)

Fol. 288 R

Fol. 289

Fol. 291a R.

Es wurde bereits von den mannigfachen Beziehungen dieser aufge- führten Rosenkranzschnitte zu dem übrigen graphischen und malerischen Werk des Baidung gesprochen ; vielleicht aber ist es nicht überflüssig, die Zahl dieser stilistischen Parallelen noch etwas zu vervollständigen und auch die Zusammengehörigkeit dieser Rosenkranzblätter unter sich durch einige Vergleiche noch stärker zu erhellen. Von den engen Beziehungen zwischen Fol. 229 R Buch XI und dem Adam- und Eva-Schnitte B. i war bereits die Rede; der mit horizontalen Parallelen gleichmäßig zugestrichene Hintergrund des Buchschnittes wiederholt sich bei Baidung auf dem Sündenfall B. 3 ; beide Male stehen Figur und Baum licht auf dunklem Grund. Der Hieronymus, Fol. 66 Buch VII zeigt in der räumlichen An- ordnung die engste Verwandtschaft mit dem analogen Baidungschnitt P. 70; Übereinstimmungen so überzeugender Art, wie sie hier die räum- lichen Relationen des Heiligen zu seinem Tier bieten, können nicht auf Zufall beruhen; auch der merkwürdige Löwentypus mit der in langen Strähnen herabwallenden Hauptmähne und dem nackten glatten Rücken wiederholt sich, während der Typus des kahlköpfigen Alten mit den spärlichen, wirr über den Nacken fallenden Haarsträhnen auf dem Baidung- schnitt B. 34 wiederkehrt. Das mehrmals vorkommende Blatt Fol. 289 Buch XI, die kniende das Kind empfangende Frau, weist Beziehungen zu dem schönen Magdalenenholzschnitt Baidungs P. 71 auf; das wie auf einer Rutschleiter aus den Wolken herniedersausende Kind des Buch- schnittes findet sich im Motiv hier fast wörtlich wiederholt in einem der Engel zu Füßen der aufschwebenden Heiligen, nur daß das Kind im Buchschnitt eine etwas stärker geneigte Lage einnimmt; in der knienden Jungfrau aber wird jeder die leibliche Schwester der das Kreuz um- fassenden Magdalena des Berliner Kalvarienberges wiedererkennen: die- selbe charakteristische Armhaltung mit der leidenschaftlichen Verschlingung der Hände (die rechte Hand der Holzschnitt-Magdalena ist verschnitten), derselbe prachtvolle Fall des breit nach beiden Seiten auf dem Boden

152

Hans Vollmer:

sich auseinanderbreitenden Gewandes. Das Gethsemaneblatt Fol. 162 III (mehrmals wiederholt: 166 R III, 73b R VII), verglichen mit dem analogen Schnitt des Hortulus (Fol, VII) läßt trotz der Verschiedenheit in der Auffassung der Szene im »Rosenkranz« ist Christus der still ergebene Beter, im »Hortulus« der mit erhobenen Armen sich wider den Willen des Vaters auflehnende Dulder doch ohne weiteres auf denselben Verfasser schließen. Der Bau des Bildes mit dem Felsstück rechts, auf dem der Kelch steht, dem Zaun im Hintergrund, durch dessen Tor Judas mit seiner Rotte eintritt, zeigt die größten Übereinstimmungen, der Typus Christi und des langgelockten Johannes ist der gleiche, die Disponierung von Haupt- bnd Nebenfiguren mindestens eine sehr ähnliche in beiden Fällen.

Und so ließen sich noch zahlreiche Beziehungen dieser Art anführen, die den sicheren Beweis für eine umfassende Beteiligung Baidungs an den Illustrationen des Rosenkranz liefern; und zwar ist angesichts der hohen Qualität der Schnitte, wie vorhin bei Schäuffelein, so auch hier nur an den Meister selbst zu denken, nicht etwa an irgendeinen von ihm beeinflußten Unbekannten, der ein zweiter Baidung sein müßte. An diesem Urteil ändert auch nichts die Tatsache, daß die betreffenden Blätter nicht alle auf gleicher Höhe stehen; denn einmal gehört Grien bekanntlich überhaupt zu den ungleichwertigen Zeichnern, und dann ist nie zu vergessen, daß der Holzschnitt ja immer nur die Handschrift des Künstlers getrübt durch das Medium der mechanischen Übertragung auf den Stock zeigt, so daß man sehr vorsichtig sein muß, aus einer Qualitäts- differenz der Schnittte ohne weiteres einen Rückschluß auf eine solche auch der Verzeichnungen zu machen.^

») Ich bekenne, selbst zu Anfang meiner Untersuchungen in diesen Fehler ver- fallen zu sein, und glaubte lange, den Anteil Baidungs auf zwei Namen verteilen zu müssen. Blätter wie Fol. 158 III: Christus über Jerusalem weinend, Fol. 159 R III: Christus und die Ehebrecherin, Fol. 170 III: die Jungfrau mit der Kerze, Fol. 206 R IV : die Kontemplation unter dem Kruzifix, Fol. 207 R IV : die Erschaffung Adams, Fol. 209 IV : der Aufstieg zu Christo, Fol. 222 IV: Jakob ringt mit dem Engel, Fol. 244 R IV : die Almosengeber, Fol. 247 R IV : der Kampf des christ- lichen Ritters mit dem Heiden, Fol. 248 IV: der mißtrauische Kaufmann, Fol. 250 IV: die Mutter, ihr in das Wasser gestürzte Kind rettend, Fol. 251 IV: Christus und der reiche Geizhals, Fol. 256 R IV: der Vater, seinem Sohn die Sternbilder zeigend, Fol. 275 V: Erschaffung der Eva, Fol. 281 V: Christus taufend, Fol. 294 V: die Öl in das Faß gießende Witwe, Fol. 5 R VI: der Engel vor der Kammer der Jungfrau, Fol. 10 R VI: die Verkündigung an Maria, Fol. 49 VI: das Schöpfungs- werk, — Fol. 57 R VI: Judith und der Hohepriester, Fol. 61 VI: Holofernes mit Judith im Zelt, Fol. 68 b VII: Moses, Fol. 75 a VII: Christus und die Toten, Fol. 93 R VII : Christus am Kreuz und der Engel, Fol. loi RVII: die bettelnde Maria, Fol. 104 VII: die Darbringung des Kindes im Tempel, Fol. 107 b R VII:

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

153

Die zahlreichen Fragezeichen, die wir unserer Baldungliste beigeben mußten, zeigen an, daß eine sichere Entscheidung leider nicht immer möglich war, und wir räumen gerne ein, daß mancher dieser mit einem ? ausgestatteten Schnitte zu Unrecht auf Griens Rechnung gesetzt sein mag; die Unterscheidung der einzelnen Hände ist bekanntermaßen gerade auf dem Gebiet des Holzschnittes ein höchst diffiziles Beginnen, bei dem man gar nicht vorsichtig genug sein kann. Zwei sich sehr unähnliche Vorzeichnungen können durch die Übertragung durch ein und denselben Formschneider als Schnitte oft eine verzweifelte Ähnlichkeit bekommen und ebenso umgekehrt. Wer würde z. B. auch nur einen Augenblick zögern, das Landschaftsbild auf Fol. 122 R II in die Liste der Schäuffelein- Arbeiten einzureihen, wenn auf dem Blatte die figürliche Staffage fehlte! Die stilistische Behandlung des landschaftlichen Teiles geht durchaus mit der Schäufifeleinschen Art zusammen. Oder ein Blatt wie die mehr-

Salomon und die Königin von Saba, Fol. 1 12 R VII: Verkündigung, Fol. 276a R XI: Christus in der Vorhölle, u. a. habe ich lange gezögert jenem höchst subtil und delikat aussehenden Meister zuzuerteilen, der Blätter wie die der Passionsfolge des VII. Buches und Ähnliches gefertigt hat, die sich schon von weitem ganz unverkennbar als Bal- dungsche Arbeit zu erkennen geben und im ersten Augenblick recht erheblich durch ihre Feinheit der Schraffur von jenen differieren. Ein immer erneutes Vergleichen aber ließ mich am Ende zu der festen Überzeugung gelangen, daß doch unbedingt eine Identität des Vorzeichners, eben Baidungs, angenommen werden müsse. Es seien einige Gründe dafür angegeben; Fol. i VI, ein Ratschlag Adams, obgleich von Rieffel Kulmbach zu- erteilt, darf als ein geradezu typischer Baidung bezeichnet werden; man vergleiche damit das zweifelhafte Fol. 49 VI, das durch eine fast wörtliche Wiederholung der gelagerten Vordergrundsfigur als auf denselben Autor zurückgehend sich verrät; und nun kann man weiter schließen: ist Fol. 49 VI für Baidung gesichert, so ist es auch Fol. 256 R IV, wo der stilistischen Vergleichungspunkte st> viele sind, daß es wohl nicht nötig ist, sie einzeln aufzuzählen. Ein anderer Fall; Fol. 4 VI, der Erlösungsrat im Himinel, gehört zu den fraglosen Arbeiten Baidungs; die Mosesfigur kehrt wieder auf dem zweifelhaften Blatt Fol. 68 b VII, und so ist ein neues Zentrum gewonnen, von dem aus man weitere Kreise schlagen kann. Der Christus des zweifelhaften Blattes Fol. 75 a VII teilt mit der Frauenfigur des Baseler Gemäldes Griens: »Das Weib und der Tod« das plastische Motiv: dieselbe rhythmische Bewegung, kombiniert mit der Abstellung des linken Fusses und der charakteristischen Drehung im Körper.

Schließlich noch einige besonders markante Beispiele von Übereinstimmungen als hoffentlich überflüssiger Beweis für eine Zusammengehörigkeit der »Baidung- blätter« überhaupt; der Ritter auf der Kampfszene Fol. 247 R IV hat sein sonderbares Standmotiv mit dem geflügelten Beter Fol. 206 R IV gemein, das Haupt Gott-Vaters, Fol. 234 IV kehrt m gleichem Typ, Ansicht und Neigung bei einem der Apostel auf der kleinen Abendmahlsdarstellung Fol. 184 b R IV wieder, das Fahrzeug auf dem Blatt »Von den Tränen der Reue« Fol. 157 III hat dieselbe Form und Gestalt wie das in der Ferne sichtbar werdende Schiff auf Fol. 122 R II mit dem auf den Wogen wandelnden Christus (übrigens auch auf dem Ursulamartyrium im Hortulus (pag. 4) in gleicher Weise wiederkehrend) usw.

154

Hans Vollmer;

mals wiederholte Verkündigung Fol. lo R VI, wo man in der Tat lange Bedenken tragen kann, ob man einen Zeichner vom Range Baidungs für diesen doch recht mittelmäßigen Schnitt verantwortlich machen darf; und doch ist sicher, daß hier (und in vielen ähnlichen Fällen) nur eine Verballhornisierung durch das Messer des Formschneiders anzunehmen ist, der das Vorbild der Zeichnung in einer Weise vergewaltigt hat, daß man den Reiz desselben nur noch ahnen kann; hier ist es das Interieur mit seiner besonderen Raumbehandlung, die das Blatt als Baldung- sche Erfindung kennzeichnet: die Wahl des hohen Standpunktes mit der daraus sich ergebenden starken Aufsicht auf den Fußboden, der in jäher Schräge nach hinten bis zu einer auffallend hoch geführten Horizont- linie ansteigt, stellt ein bei allen Baldungschen Interieurs wiederkehrendes Charakteristikum dar.

Wir kommen nunmehr zu dem dritten großen Namen aus dem Dürer- kreise, der an der Illustrierung des Rosenkranz mitbeschäftigt gewesen ist: Hans von Kulmbach. Kulmbachs Tätigkeit als Vorzeichner

für den Holzschnitt ist bekanntlich ein bisher so gut wie unerforschtes Kapitel der deutschen Kunstgeschichte. Da nicht ein einziger durch Signatur beglaubigter Holzschnitt dieses Meisters existiert, so sind wir bei Prüfung der Frage nach seinem Anteil lediglich auf den Vergleich mit Zeichnungen und Gemälden angewiesen. Rieffel hatte insgesamt 17 Blätter im Rosenkranz auf den Namen Kulmbachs getauft; es waren das folgende Schnitte: i) das blattgroße dreigeteilte Titelblatt zu Buch I, wiederholt auf Fol. 94 Buch I. 2) Fol. 9 R Buch VI (160 mm X 122 mm). 3) Fol. I Buch VI. 4) Fol. I R Buch VI wiederholt auf Fol. 2 R. 5) Fol. 281a R Buch XI, und endlich >die Apostelfolge: Fol. 283 R bis Fol. 287 des XI. Buches. Wilh. Schmidt kritisierte dahin, daß Fol. 281a R XI und die Apostelfolge nicht Kulmbach sondern Baidung zu geben seien; wir haben uns oben mit dieser Umtaufe Schmidts einverstanden erklärt. Zugleich nahm Schmidt aber die von Muther und Rieffel Dürer zuge- schriebenen vier Judithbilder des VI. Buches für Kulmbach in Anspruch, ohne doch für diese Attrihution überzeugende Gründe beibringen zu können. Das Ergebnis meiner Prüfungen ist, daß Rieffel mit seiner Taufe des großen Titelblattes auf den Namen Hans von Süß jedenfalls das Richtige getroffen hat (was auch von Wilh. Schmidt zugegeben wird). Von diesem Blatt ist auszugehen, wenn man den Anteil Kulmbachs zu umgrenzen sucht, (s. Abb. 4.) Zunächst ist evident, daß hier keiner bisher be- sprochenen Meister in Betracht kommen kann. Charakteristisch ist die subtile Auszeichnung der vegetabilischen Details im Vordergründe (die Weinheckei). Das den Mittelgrund einnehmende Baumwerk ist unruhiger und zerzauster

Die Illustratoren des »Beschlossen gart des rosenkranz mariae«.

155

in den Umrißlinien als etwa die Baumkronen SchäufFeleins und mit zahlreichen Schraffuren ausgestattet. Die Proportionierungen der Figuren

sind auffallend gestreckte, fast übertriebene, namentlich bei^ ier Jungfrau, die das vom Himmel herniederschwebende Kind empfängt. Das Ganze

I56

Hans Vollmer:

hat unleugbar von vornherein den Charakter Kulmbachscher Jugend- arbeiten. Versuchen wir indes, einige positive Beziehungen zu Kulmbach- schen Werken aufzudecken: die Maria auf der Darstellung zuoberst (s. Abb. 4) hat in derselben zierlichen und durchaus ungewöhnlichen Art die Hand- gelenke übereinander gekreuzt wie der berittene Mohr auf dem Berliner Dreikönigsbild. In der yordrängenden Frauengestalt der untersten Dar- stellung steckt ein ganz ähnlicher Bewegungsrhythmus wie etwa in der aufschwebenden Apostelfigur auf der Himmelfahrt des Paulus in den Uffizien (dort Schäuffelein genannt); merkwürdig herbe, freudlose Rhyth- men, die sich sehr wesentlich unterscheiden von den süßen Linienthemen Baidungs. Der in eilendei' Bewegung begriffene harfenspielende König der mittleren Szene hat das ganz gleiche Schreitmotiv mit dem auf dem Ballen ruhenden einen Fuß wie der Verkündigungsengel der schönen Berliner Kulmbach-Zeichnung von 1512. Man vergleiche ferner den Typus Gott- Vaters auf der Fester Federzeichnung der Dreieinigkeit von 1514 mit dem unseres Buchschnittes; nicht nur das Allgemeine des Typus wiederholt sich, der wesentlich sowohl von dem Baidungs wie von dem Schäuffeleins abweicht, sondern auch Akzessorien, wie die Form der Krone, der Maschensaum des Mantels (in der Zeichnung Christus gegeben), die Zeichnung der Mantelspange u. Ähnl. Ebenso zeigt der Typus der Maria der oberen Darstellung eine überzeugende Ähnlichkeit mit dem der Maria auf der Berliner Verkündigungszeichnung: dasselbe volle rund- liche Oval, dieselbe Frisur mit den über die Ohren zurückgestrichenen Haarwellen und dem schmalen, von einer Agraffe über der Stirn zu- sammengehaltenen Bande, dieselbe Art, wie die Ärmel aus dem Mantel herauskommen, dieselbe Art des Halsausschnittes ; leider läßt sich die Draperie wegen der Verschiedenheit des plastischen Motives der beiden Figuren nicht vergleichen. Immerhin Beziehungen genug, um die These aufstellen zu dürfen, daß wir in diesem Titelblatt des Rosenkranz in der Tat einen Holzschnitt Kulmbachs vor uns haben, der stilistisch durchaus mit seinen Gemälden und Zeichnungen aus diesen Jahren zusammengeht. Jede weitere Untersuchung über d^e Frage der Betätigung Kulmbachs als Vorzeichner für den Holzschnitt hat von diesem Blatt ihren Ausgang zu nehmen.

Prüfen wir, ob der Rosenkranz weitere Schnitte enthält, die zu diesem Titelblatt in so enger stilistischer Verwandtschaft stehen, daß sie gleichfalls Kulmbach zuerteilt werden dürfen.

Das von Rieffel für Kulmbach in Anspruch genommene Blatt Fol. 9 R Buch VI fällt auf den ersten Blick allerdings aus dem Schäuffelein- CEuvre heraus, stimmt aber auch andererseits stilistisch ganz und gar nicht mit dem Titelblatt überein, wiederholte Prüfungen haben mich

Die Illustratoren des » Beschlossen gart des rosenkranz mariae «.

157

Überzeugt, daß wir es hier nur mit Schäuffelein zu tun haben können wir haben unsere Gründe dafür oben angegeben. Die Apostelfolge und die übrigen drei von Rielfel Kulmbach vindizierten Schnitte entfernen sich schon in der Art ihrer Schraffierung so sehr von dem Charakter des Titelblattes, daß hier unmöglich derselbe Meister in Betracht kommen kann sie rühren vielmehr, wie wir gesehen haben, von Hans Baidung her. Aber es gibt in der Tat eine Reihe von Holzschnitten, die in so nahen Beziehungen zu unserem Titelblatt stehen, daß man sie gleichfalls Kulmbach zuweisen darf. Eine eingehende Revue hat mich zu folgender Liste von Schnitten geführt, für die ich wenn auch mit Vorbehalt Hans von Kulmbach in Anspruch zu nehmen wage.

Buch I. Titelblatt, drfeigeteilt (blattgroß).

Buch II.

Fol. 94 (Replik des l’itelblatts)

Fol. 145 (35 mm X 42 mm)

Buch IV.

Fol. 216 R Christus von 3 Engeln

Fol. 221 R

getragen.

Fol. 225 Christus und die 3 nackten

vF'ol. 217 Gott-Vater und die 3 Engel.

Männer.

vFol. 217 R Die 3 Engel.

Fol. 230 Die Schulstube.

iTol. 220 Der Streit des guten und

Fol. 230 R (Replik)

des bösen Engels.

Fol. 240 R ( )

Fol. 220 R

Fol. 255 ( )

iTol. 221

Buch V.

•/Fol. 284 R Die Vereinigung mit

Fol. 285 (Evidenterweise nicht nur

Christo (sehr charakteristi-

von demselben Vorzeichner,

sches Blatt mit den über-

sondern auch von demselben

trieben gestreckten Figuren-

Formschneider wie Fol.

proportionen).

284 R.)

Buch VI.

Fol. 8 R (Replik) Fol. 26 R (?) Sündenfall (72 mm x 92 mm).

Buch VII.

Fol. 94 R Von der Nachfolge Christi

Fol. I IO

(72 mm X 92 mm)

Fol. HO R Christus am Kreuze.

Fol. 98 Die beiden Männer vor dem

Fol. 1 13 R Die 3 wandelnden Frauen

Kruzifix.

Fol. 1 1 5 Die 4 heiligen Frauen

Fol. 109 R 3 Engel das Kreuz um-

Fol. 12 1 Christus und die mild-

schwebend.

tätigen Frauen

158

Hans Vollmer: Die Illustratoren des »Beschlossen gart usw. «.

Buch VIII.

Fol. 127. Der Engelreigen in den Wolken (ganz ähnliche Flugmotive wie auf Fol. 109 R Buch VII.)

Buch IX. '/Fol. 173 R. Die Krankenpfleger.

Fol. 225 R (Replik)

Buch X.

Fol. 228 (Replik)

Fol. 237 R Die Vereinigung Christo.

Fol. 268 R (Replik)

Fol. 269 ( )

Fol. 275

Buch XI.

mit Fol. 278 Die Verkündigung an die Hirten auf dem Felde.

Fol. 279 Dominus vobiscum.

Fol. 280 a

Fol. 280 b (?) (Baidung ?)

Fol. 291 Christus in der Weinlcelter.

Soweit der Anteil Kulmbachs. Wir machen hier Halt. Es bleibt noch ein und der andere Holzschnitt übrig, der in keiner der von uns aufgestellten vier Listen figuriert, und für den eine fünfte und vielleicht sechste Hand in Betracht käme; so vor allem die 4 Judithbilder des II. Bandes, deren unbekannter Autor sich schon nicht weniger als vier verschiedene Taufen hat gefallen lassen müssen. Wir hoffen die stili- stische Würdigung dieses Restes der Rosenkranz -Blätter gelegentlich später den Lesern darbieten zu dürfen.

Rembrandtiana.

Von Niels Restorff.

Es gilt auch von Rembrandt nur selbstverständlich im umgekehrten Sinne was J. Buisson einst von Bouguereau sagte:

«Le dessin est-il la reproduction de l’apparence courante des choses, telles que les voit le premier venu? M. Bouguereau dessine bien. Est-il la mise en relief de la dominante d’une figure ou d’un morceau, l’eclaircissement et la glorification d’une Intention de la na- ture? M. Bouguereau ne dessine plus.»

Rembrandts Zeichnung strebt die innere Wahrheit der Dinge aus- zudrücken, liebt den nervum rerum bloßzulegen, ist gewissermaßen philo- sophisch. Es liegt ihm fern mit seiner Fähigkeit zu kokettieren oder sie als Selbstzweck statt als Mittel zu benutzen (mag er auch oft launen- haft die Durchführung einer Einzelheit, wie eines Helmes, Schmuckes oder lediglich einer Schnur, bis zum trompe l’oeil treiben). Wo daher gewagte Verkürzungen oder ungewöhnliche Stellungen und Anordnungen in seinen Werken Vorkommen, muß es immer erlaubt sein zu vermuten, daß darin seine schöpferische Einbildungskraft weniger als sein Gedächtnis Anteil habe. Und in solchen Fällen sind seine Quellen wahrscheinlich inter den Italienern zu finden, welche wegen ihrer Beherrschung der Drmalen Komposition weltberühmt waren und ihre Meisterschaft in bözug luf die Perspektive gern zur Schau tragen. So ist, glaube ich, z. B. in Dr. Deymans Anatomie-Vorlesung die Lage des Leichnams, welcher die Stellung seiner Füße mit dem Gesichtspunkt des Beobachters zu ändern scheint, allgemein als von einer Komposition Mantegnas herrührend angenommen.^)

Daher mag in Rembrandts Radierung, Hagars Verstoßung, von 1637 die Stellung der rechten Hand Abrahams auf dem Gemälde desselben

*) Die Brücke zwischen Mantegna und Rembrandt in diesem Falle ist kaum, wie Dr. P. Six in Oud Holland XXIII angibt, durch das Titelkupfer in Vesalius’ Anatomie geschlagen; denn der schrägliegende, weich geformte, weibliche Leichnam hat weit mehr mit z. B. Tizians St. Laurentius als mit Mantegnas Christus zu tun. Eher möchte Rembrandt von der übrigens wenig künstlerischen Vignette in Vesselingii syntagma

i6o

Niels Restorff:

Gegenstandes im Victoria and Albert Museum wiederholt eine Ent- lehnung sein. Die Hand ist gegen den Beobachter hinausgestreckt, die Handfläche zur Erde gewendet, so daß kaum mehr als die Fingerspitzen sichtbar sind, ein Gestus, welchen ich im Süden öfters bemerkt habe, aber mich nicht erinnere je in nordischen Ländern gesehen zu haben.

In Correggios hl. Maria, hl. Franziskus und anderen Heiligen, zu Dresden, hält die Jungfrau ihre Hand genau in der beschriebenen Weise.

Die etwas ähnliche Handstellung, die doch wesentlich mehr von der inneren Seite der Hand und der Finger sehen läßt, auf Mantegnas Vierge de la Victoire, Leonardos Vierge aux rochers und Raphaels Madonna mit dem Kinde und Johannes, zu Berlin, kommt in Rembrandts Werken, auch in seinen frühesten, wie Judas und die Priester, häufig vor. Sein Gebrauch dieser Geberde stammt aber wahrscheinlich von seinen unmittelbaren Vorgängern und älteren Zeitgenossen, denen sie schon recht geläufig ist.

In der heiligen Familie, zu München, findet sich ein anderer Zug, der in Italien seinen Ursprung hat. Die Jungfrau, deren rechter Arm leicht gebeugt ist, faßt mit der Hand die Füße des Kindes, um es ein wenig zu stützen oder zärtlich sie zu liebkosen.

Dieses Motiv, das ein Vorbild wie Raphaels Orlöans-Madonna hat, war bei den italienischen Meistern ein überaus beliebtes, und war es unter den nordischen Bildhauern und Malern auch nicht unbekannt, so hatten doch einerseits die Bilderstürmer gewiß die meisten Madonnen in Holland zu Grunde gerichtet, und war anderseits der Geschmack des 17. Jahrhunderts den altmodischen Kunstwerken zu sehr abgewandt um das Überbleibsel hervorzusuchen. Insofern die erwähnte Stellung bei Isenbrant, Scorel etc. zu finden ist, ist sie beiläufig auch da wahrschein- lich italienischen Einflüssen zuzuschreiben.

Archaische Nachklänge bei Rembrandt.

Die Nachtwache, der Mennonitenprediger Anslo und vielleicht die Staalmeesters haben miteinander eine Eigentümlichkeit gemein, die mög- licherweise als ein Atavismus zu erklären ist. Die unverhältnismäßige Kleinheit sowohl des Leutnants als der Dame und vielleicht des Dieners ist, meine ich, ein Rückschlag der Praxis der alten Zeiten, wonach

anatoniicum zu der betreffenden Verkürzung angeregt worden sein. Dieses Buch, das erst in Padua 1641, dann in vielen Städten erschien (ich kenne nur die Ausgabe Pa- dua 1647) mußte der Maler Tulps und Deymans ohne Zweifel gesehen und durchge blättert haben.

Rembrandtiana.

i6i

Würde, Rang und Bedeutung einer Persönlichkeit sich durch ihre körper- liche Vergrößerung ausdrückte, wogegen die geringeren Personen auf- fallend klein erschienen.

Zur Prüfung dieser Mutmaßung müssen drei Fragen gestellt werden: Wäre es nicht anachronistisch die Möglichkeit von derlei Naivitäten im 17. Jahrhunderte in Holland überhaupt vorauszusetzen? Zweitens: Ist ein solcher Atavismus mit dem Charakter des Schaffens in Rembrandts Werken vereinbar, das heißt, steht er auch anderswo unter dem Einflüsse veralteter Ideale oder Anschauungsweisen? Können wir uns endlich eine Vorstellung von der Veranlassung machen, warum in den genannten Fällen Rembrandt nach der uralten Ausdrucksform zurückgegriffen haben mag?

Betreffend den ersten Punkt darf die Sachlage durch zwei Ge- mälde im Rijksmuseum hinlänglich erklärt werden. In dem einen der- selben — von Moeyaert ist die Verkleinerung der zv/ei weiblichen Mitglieder des Vorstandes des alten Männerspitals in 1640 zu entschieden, um nicht jeden Zweifel daran auszuschließen, daß es sich um irgendeine Absicht und nicht um einen Zufall oder eine Nachlässigkeit handelt. Das andere Bild, Troosts Les inspecteurs du Collegium Medicum 1724^), braucht das erwähnte altmodische Ausdrucksmittel, das auch hier unleugbar ist, im Dienste eines derben Spaßes: Sind doch, derweilen die drei Ärzte groß, breit und imposant sind, die zwei Apotheker demütige Leute, zwischen ihren aufgeblasenen Kollegen eingeklemmt von lächer- lich kleinen Dimensionen.

Die zw'eite Frage scheint mir bejaht werden zu müssen.

Wenn man sich z. B. die Anordnung in den Bildnissen der Pelli- cornes und der Staalmeesters isoliert vergegenwärtigt, erscheint der Fort- schritt von jenen zu diesen schlechthin erstaunlich; werden dagegen Jugendarbeiten wie Josephs Traum, Tobias mit seiner Frau, beide in Berlin, oder Tobias heilt seinen Vater, in Brüssel, mit solchen Spät- werken wie Christus am Brunnen, in Berlin und St. Petersburg, Moses zerschmettert die Gesetztafeln, in Berlin, Haman in Ungnade, in St. Pe- tersburg, usw. zusammengestellt, ist der Rückgang in bezug auf die Komposition unstreitig. Dies ist nicht Schwäche, Alter und Gram zuzu- schreiben, denn gerade unter seinen letzten Arbeiten gibt’s unübertreff- liche Leistungen. Die Sache ist, daß die Unterschiede und Verände- rungen in seiner Kompositionsweise sich nicht als Stadien einer Ent- wicklung auffassen lassen. Einen Augenblick, nachdem er die Lösung

*) In Dr. A. Bredius : Les Chefs d’oeuvre du Mus6e Royal d’Amsterdam repro-

duziert.

IÖ2

Niels Restorff:

einer Schwierigkeit gefunden hat, mag er ihre Anwendung unterbrechen. Es ist, als ob er in den Händen seines von ihm unabhängigen Genies wäre, und dieses Genie nur durch ihn oder auf ihm spielend seiner Kunstausübung direkt Vorstände. Hiermit hängt es zusammen, daß Rembrandt sich bald modern^), bald veraltet, bisweilen in demselben Bilde als beides zeigt.

Diese Behauptungen dürfen mit einigen Beispielen belegt werden.

Auf der Anatomie des Professors Tulp treffen sozusagen die Programme zweier Jahrhunderte zusammen. Die neue Manier ist durch die Aufmerksamkeit gekennzeichnet, mit welcher einige der Zuhörer der Sezierung folgen. Der beiiiahe übertriebene intellektuelle Ausdruck dieser jungen Gelehrten beweist die ungeheure Anspannung, wodurch Rem- brandt diese Neuerung hervorgebracht hat. Damit ist auch im Augen- blick seine schöpferische Energie entleert. Die zwei vordersten Figuren sind durch dieselbe ungeschickte Starrheit und geistige Isolierung wie die Porträts der Schützenstücke des i6. Jahrhunderts charakterisiert, und die Zuhörer in der oberen Reihe betrachten, auch ganz wie im alten Stile, den Beobachter statt Tulps oder des Leichnams.

Ist diese Anatomie in Rembrandts Jugend gemalt, gehört die prachtvolle Familiengruppe zu Braunschweig zu seinen Spätwerken, und hier blickt die Dame weder ihre Angehörigen noch uns an; auch gebricht es ihr an der Veranlassung wie Asnath (in Kassel) oder Han- nah (in London), die ja auch nichts ins Auge fassen, in ahnungsvolle Stimmung und in Betrachtungen über die Bedeutung der gegenwärtigen Vorgänge als Vorstufen der verheißenen Zukunft hingesunken zu sein. Die Tatsache bleibt gleich unerklärlich, mag man sie mit fehlender Tüch- tigkeit zu begründen suchen ungeachtet es gerade die Aufmerksam- keit oder der Blick ist, in dessen frappanter Wiedergabe Rembrandt sich vorzüglich auszeichnet oder darin ein Auftauchen des Zuges sehen, der in den Figuren auf z. B. Geertgen van St. Jans Gemälden häufig, um nicht zu sagen immer, vorkommt 3).

*) Zu Kolmar soll das Portrait der jungen Dame mit dem Schoßhunde, ehe es als von Rembrandt herrührend erkannt war, als ein modernes Gemälde unter den mo- dernen Kunstwerken jahrelang ausgestellt gewesen sein.

3) Dasselbe gilt anscheinend, aber nur anscheinend, vom Noli me tangere in Braunschweig, wo auch Magdalene den Heilcmd nicht anblickt. Die Anordnung ist hier durch und durch von dem darzustellenden Augenblicke abhängig, welchen Rembrandt mit tiefster Überlegung gewählt hat. Magdalene hat eben die Stimme des Herrn wieder- erkannt; um ihn zu sehen, dreht sie sich herum. Sie ist aber dargestellt, ehe diese Bewegung noch ihre Augen in eine Linie mit Christus gebracht hat. Dies ist genau der Moment, wo ihre atemlose Spannung, sehnsuchtsvolle Erwartung und Staunen den Gipfel erreichet!.

Rembrandriana.

163

Eine andere altertümliche Neigung Rembrandts besteht darin, daß er Figuren, welche ihrer Beschäftigung gemäß wenigstens in drei Viertel Profil gezeichnet werden sollten, nicht selten fast ganz von vorne darstellt.

Ein endgültiger Beweis, daß Rembrandt seine Zuflucht zur Ver- kleinerung im altmodischen Sinne nehmen konnte, liegt indessen in der Tatsache, daß er auch Vergrößerungen als Lückenbüßer mehrmals an- gewendet hat. In Claudius Civilis' Verschwörung, zu Stockholm, und in Simsons Hochzeit, zu Dresden, sind die Dimensionen der drei Haupt- personen wegen der Erfordernisse der Komposition oder der Erzählung größer gemacht als sonst der Fall gewesen wäre.

Außerdem zeigt Rembrandt als Landschafter im Aufbau des Terrains öfters Abhängigkeit von der Schule des 16. Jahrhunderts mit ihrer da- mals unumgänglichen Nichtbeachtung des gesetzmäßigen Zusammen- hangs der geologischen Formationen. Zwar gibts in seinen Kompositionen keine fantastische Felsengebilde. Kaum minder natürlich ist doch die Struktur der Erdoberfläche z. B. in der Wunderlandschaft zu Cassel, und völlig abenteuerlich die Herausströmung des , Lichtes quer durch den Berg in der Braunschweiger Landschaft. Um der zauberhaften Poesie willen in dem Werke nehmen wir indessen an diesem Unsinn keinen Anstoß, während es komisch wirkt, wenn ein Durchschnittsmaler wie Roelant Roghman in seinem Gemälde zu Copenhagen dieses Mittel um Abwechslung und Licht ins Dunkel zu bringen, dem Dichter-Maler entlehnt.

Die Kunst Rembrandts hat in der Vergangenheit sehr tiefe Wurzeln und ist dementsprechend mit Schwächen und Irrtümern derselben belastet. Der große Neuerer war wie wohl immer der Fall ist auch ein zäher Bewahrer.

Was schließlich den dritten und letzten Punkt anlangt, springt die Zweckmäßigkeit der erwähnten Verkleinerung in die Augen. Das Gesicht Anslos tut seine geistige Kraft und Seeleneinsicht nicht kund. Diese Bedeutung des beredten Predigers muß daher auf Umwegen angedeutet werden. Rembrandt zeigt ihn im Gespräch mit einer Dame, um auf ihrem Antlitze die Wirkung von Anslos Ansprache an den Tag zu legen. Sie sieht in der Tat ernst ergriffen aus und blickt tief in ihr Inneres

Wie bekannt genug hat Rembrandt hier die Ergebenheit, Ehrfurcht und An- betung eines zärtlich liebenden Weibes unvergleichlich ausgedrückt. Alles ist erwogen, auch die Veranlassung zur Warnung: Noli me tangere I Daß Magdalene, als sie sich herumdreht, ihre rechte Hand dem Kleide Jesu nähert, geschieht nämlich ihrerseits unversehens. Es ist Rembrandt daran gelegen, so viel als nur möglich in Innigkeit auf- zulösen auf Kosten solcher Äußerlichkeiten wie des, Magdalenen oftmals beigemessenen berühren zu wollen.

Niels Restorff;

164

oder ins Unsichtbare hinein. Daß aber diese anziehende Gestalt die weit minder interessante Hauptperson nicht überwiegen möchte, war es Reinbrandt gelegen, sie zu verkleinern.

Auch auf den licht schillernden Leutnant in der Nachtwache war es bequem den Archaismus zu verwenden, um so den vergrößernden Erfolg der leuchtenden Farben aufzuwiegen. 4)

Endlich trägt in den Staalmeesters die schwache (zufällige?) Ver- kleinerung des Dieners dazu bei, den Raum des Zimmers zu vertiefen, das heißt, die Luftumhüllung der Personen, die hier besonders wichtig ist, zu verstärken.

Rembrandt und Tengnagel.

Oud Holland XXI 1903 veröffentlicht einen Aufsatz von W. Del Court und Dr. J. Six: «De Amsterdamsche Schutterstukken» über den Fund im British Museum von einem Buch mit Skizzen nach mehreren Amsterdamschen Gruppenporträts und begleitet den Artikel mit Abbil- dungen von einigen dieser Skizzen. Nr. X von diesen stellt ein Werk von Jan Tengnagel vor, in Amsterdam aufbewahrt. Da ich das Original nicht gesehen und außer dem erwähnten Aufsatz nichts davon weiß, hängt die Richtigkeit der folgenden Bemerkungen davon ab, daß die Skizze das Gemälde ziemlich treu wiedergibt.

Weil nach Del Court und Six Tengnagels Arbeit von etwa 1619 1626 datiert, hat ohne Zweifel Rembrandt sie gesehen* Die folgenden Beobachtungen machen es wahrscheinlich, daß er das Werk sehr wohl gekannt hat.

Von den Personen in der Komposition interessieren uns hier die zwei zu beiden Seiten des hervorragenden Lambert van Twqenhuysen, nämlich Nr. 2 (?) Ryk Hendrikz Staets und Nr. 4 Jan de Marez Danielson. Der erste ladet seine Büchse, die er in schräger Richtung hält; der zweite ist bereit Feuer zu geben, seine Muskete ist nach oben in einem Winkel von etwa 30 Grad gerichtet.

Diese zwei Schützen scheinen Rembrandt vorgeschwebt zu haben, als er die Stellungen der Figuren auf der Nachtwache konzipierte: Der Musketier links von Frans Banning Cocq, welcher ganz in rot gekleidet ist und im Fortschreiten sein Feuerrohr ladet (der Kolben nach rechts gesenkt) entspricht dem ersten Schützen Tengnagels. Die zweite Figur des letzteren, obgleich wesentlich geändert, kommt zweimal auf der Nachtwache vor, einmal rechts vom Haüptmanne und wieder hinter diesem, die eine zum Schießen fertig, die Flinten beider nach rechts gewandt.

4) Sonderbar genug ist die Verkleinerung von van Ruytenberg sowie auch die Vergrößerung der Braut Siinsons nicht gut ausgefallen: er ist zu klein und sie zu groß geworden.

Rembrandtiana.

165

Zwischen den zwei Werken gibt’s noch eine bezeichnende Ähn- lichkeit. Da es immer hervorgehoben wird, daß die Nachtwache durch Bewegung und Lebendigkeit sich von den alten Schützenstücken gründ- lich unterscheidet, verdient es angemerkt zu werden, daß hierzu gerade Tengnagels Komposition den Weg zu bahnen scheint. Auch sie ist an Belebtheit und Handlung reich; von ihren neun Figuren sind nicht weniger als vier so dramatisch mit ihren Waffen beschäftigt, als ob der Feind schon innerhalb Schußweite wäre.

Michelangelo und Rembrandt.

Es ist längst erkannt am spätesten nachdrücklich von C. Neu- mann in »Rembrandt« S. 446 hervorgehoben worden, daß Abrahams Opfer von 1655, 35> unter italienischem Einfluß entstanden ist. Es

scheint mir indessen, daß die Quelle genau angegeben werden kann.

Weniger (obschon auch) in den Einzelformen als in der Haltung, Wucht und Größe, sowie in dem zornigen Ernst der Gestalt ist nämlich der Patriarch in der Radierung ein holländischer Wiederhall von Michel- angelbs Möses. Abrahams ganze Erscheinung weicht deutlich von Rem- brandts gewöhnlicher Auffassung des Erzvaters ab, selbst wenn der win- zige, verkümmerte Abraham, B. 29, außer Betracht gelassen wird.

Andere michelangeleske Anklänge in B. 35 bestätigen diese Ansicht.

Zwar wird Gottes Verbot Isaak zu opfern dem Patriarchen von einem Engel in einer ähnlichen handgreiflichen Weise kundgemacht wie in den Gemälden desselben Vorwurfes zu Petersburg und München. Aber die Beziehung des Kopfes dieses Botschafters zu Abraham erinnert auffallend an Michelangelos Anordnung der Engel und Propheten in der Sixtinischen Kapelle. Besonders in Betracht zu nehmen ist die Gruppe des Jesaias.5)

Daß Rembrandt mit seiner Sammlerwut in bezug auf allerlei Kunstsachen eine Mappe mit Kupferstichen nach Michelangelo besessen hat, könnte, wäre es nicht urkundlich^) gegeben, ohne weiteres voraus- gesetzt werden.

Zweitens. Die Kreuzabnahme von 1654, B. 83 B. 35 ist 1655 datiert verwertet oder kopiert die Beinstellung des toten Christus in Michelangelos Pieta im Gegensinne, also nach einer Zeichnung oder umgekehrtem Stiche. Das Spiegelbild macht jeden Beleg überflüssig.

5) Die erwähnte Veranschaulichung der göttlichen Inspiration ist schon fünf und zwanzig Jahre früher in der kleinen Darstellung im Tempel B. 51 wahrscheinlich im Anschluß an Rubens von Rembrandt benutzt worden. Dieser Umstand tut aber nichts zur Sache.

6) «Een boek, vol vande wercken van Mijchiel Angelo Bonarotti.» Inventar Rembrandts von 1656.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

12

i66

Niels Restorff:

Der Ursprung verrät sich nebenbei durch die ungemein schöne Form- gebung der Beine und ihrer für Rembrandt ungewöhnlich scharfen Um- risse. Was sich in der Bildfläche sonst in sowie auch außerhalb der starken Beleuchtung befindet, ist in der Zeichnung, Modellierung und Auffassung von einem durch und durch verschiedenen Geiste geprägt.

Der interessante Winkel der Extremitäten, der in Michelangelos hieher gehöriger Studie, in der Albertina, sich leicht und natürlich er- klärt, indem der rechte Fuß Christi auf einer höheren horizontalen Unterlage, ruht als der linke, ist in der Radierung dadurch begründet, daß der rechte Fuß noch vom Nagel hochgehalten wird.

Rafael und Rembrandt.

In der Schule von Athen gibt’s eine Figur der gekrönte Zo- roaster, die vornehme Gestalt, die vom Rücken gesehen wird die auf Rembrandt, der das Werk natürlich gut kannte, einen so tiefen Ein- druck gemacht haben muß, daß ihre Arabeske in eine seiner Figuren übergegangen ist. Es ist dies Ismael in Hagars Verstoßung, B. 30.

In ihm wiederholen sich die Bewegung und ihre Richtung, sowie auch die Stellung der Beine. Ismael sowohl als Zoroaster sind von hinten gesehen. Das lange Gewand ist in beiden Fällen um den Hals so ausgeschnitten, daß die Umrißlinien des nackten Halses und Rückens, wo diese Zusammentreffen, scharf hervortreten. Endlich ist es in Rem- brandts Werken das erstemal, daß das Haar- oder Stirnband die Reminiszenz der Krone Zoroasters als ein nicht lediglich weiblicher Schmuck erscheint.

Savoldo und Rembrandt.

Es ist wie schon gezeigt nicht ohne Ausnahme, daß was Rembrandt borgt sich fast ganz birgt. Die eben erwähnte Radierung B. 30 gibt davon wieder in Hagar ein Beispiel ab. Das Vorbild dieser Figur ist nämlich offenbar Savoldos Maria Magdalena.

Diese Hagar mutet uns an wie eine trauernde Dame; ihre Haltung, die übrigens ihrer trüben Lage ganz entspricht, ist anmutig; der Wurf des Tuches ist elegant, mit absichtlicher Absich tlosigkeit arrangiert. Keine rembrandtsche Hagar kommt meines Wisseirs ihr gleich in bezug auf das Aristokratische der Erscheinung. Selbst die rubenssche?) Figur auf Rembrandts Gemälde im Victoria and Albert Museum erweist sich beim Vergleich als ein etwas eckiges Wesen.

Es ist aber nicht nur dieser allgemeine Charakter, den sie ihrem Prototyp entnommen hat. Auch sie hebt die rechte Hand vom

7) »Rembrandtiana«, Repertorium für Kunstwissenschaft XXX. 378.

Rembrandtiana.

167

Bilde auf der Platte sprechend gegen das Gesicht. Das Gewand ist auch hier über Kopf und Hand geschlagen. Keine Hand ist in beiden Kompositionen gezeigt. Beide Gestalten sind ähnlich vornüber nach links gebeugt-.

In Zusammenklang mit der hübsch graziösen Figur hat ihr Rem- brandt den zugefügten Fuß gestaltet; dagegen ist der Plunder, den er sie tragen läßt, kaum mehr als ein Gekritzel, dessen der wirkliche Ur- heber der Gestalt nicht schuldig sein könnte.

Bezeichnend genug ändert Rembrandt Savoldos Figur wesentlich nur in einer Beziehung: während Maria bewunderungsbedürftig uns an- blickt, wird der Kopf Hagars in Profil gesehen.

In betreff der Wahrscheinlichkeit, daß Rembrandt Savoldos Gemälde gesehen habe, verweise ich auf die Notizen dazu in den Verzeichnissen der National Gallery und des Kaiser-Friedrich-Museums.

Es verdient nebenbei gesagt zu werden, daß Sarah, die einzige Figur (Isaak ausgenommen) in B. 30, die Rembrandt völlig aus sich selbst heraus geschaffen hat, unvergleichlich ergötzlicher als die Haupt- personen des Blattes ist. Denn im strengsten Sinne ist selbst ein Rem- brandt nur da Meister, wo er der große einsame, allein er selbst ist. ^Itre maitre c’est ne ressembler ä personne (Burger).

12

Zu Tizian in Padua.

Crowe und Cavalcaselle, sowie jüngere Biographen Tizians er- wähnen untergegangene Fresken an der Fassade des Palazzo Corner zu Padua, die der Meister unter Beistand Domenicos Campagnola ausgeführt haben soll. Diese Nachricht gründet sich ausschließlich auf Notizen, die auf der Rückseite einer Tizian zugeschriebenen Federzeichnung der Akademie zu Düsseldorf zu lesen sind. Der uns interessierende Passus lautet: » . . . per dinari datti a. m. domenico Campagnola p saldo de-

debito che havero con lui io Tictian Vecelli per haueroni aiutatto nell’

Opera che ho fatto in la faciatta di Corner in Pad « Die

Handschrift gehört dem siebzehnten, wenn nicht gar dem achtzehnten Jahrhundert an; Tizian hat diesen Vermerk nicht niedergeschrieben.

Da wir nun aber auch von anderer Seite hören, Tizian habe in Padua mit Domenico Campagnola zusammengearbeitet und zwar in den Scuolen del Santo und del carmine, so ist weiter zu prüfen, ob die

Notiz nicht doch auf eine Tatsache zurückgeht und in ihrer Aussage

selbst richtig ist. Unter Corner haben Crowe und Cavalcaselle den Palast des Alvise Cornaro verstanden, und meines Wissens kommt für Padua auch kein anderes Gebäude in Betracht als dieses, das später in den Besitz der Loredan, dann in den der Giustiniani überging. Von diesem sagt aber ausdrücklich derAnonimo Morelliano (ed. Bassano, p. ii): »La facciata della casa a fresco fu de mano de Jeronimo Padoano«, um dies nochmals gelegentlich der Fresken der zweiten Kapelle rechts in S. Francesco zu wiederholen. Bekanntlich sind diese Aufzeichnungen zu einer Zeit gemacht, wo sowohl Tizian als Girolamo Padovano lebten, die also unbedingten Glauben verdienen. Man könnte aber annehmen, die Fresken Girolamos seien dann später durch solche von Tizians Hand ersetzt worden. Doch auch diese Annahme ist unhaltbar: Vasari, der die Kopie des Falconetto im Hofe des Palastes beschreibt, hätte sich Ti- zians Fresken kaum entgehen lassen; ebensowenig Ridolfi, der eine ganze Reihe von Werken des Meisters in Padua aufzählt. Auch spätere Be- schreibungen der Stadt, wie Rossettis Descrizione v. J. 1765 und Bran- doleses Pitture v. J. 1795 wissen nichts von ihnen. So kommen wir zum

Zu Tizian in Padua, 169

Schlüsse, daß Tizian niemals an der Fassade des Palazzo Cornarc ge- arbeitet hat.

Von der Zeichnung selbst, die mit dem, Tizian bereits aberkannten Bilde der Accademia di San Luca zu Rom in Verbindung steht, ist nur zu sagen, daß sie ein spätes, wertloses Machwerk ist; kein Entwurf, sondern nach dem genannten Bilde angefertigt. Hadeln.

Zur Inschrift des »Gothaer Liebespaares

Die Inschrift des dem Hausbuchmeisterkreise zugehörigen Doppel- bildnisses im Gothaer Museum, hat schon mancherlei Deutungen er- fahren. Es ist eines jener Gespräche von Liebenden, wie sie im 14. und 15. Jahrhundert auf Gemälden, Brauttruhen und dergl. anzubringen Mode waren. Das Verslein bezieht sich auf ein Ereignis, das vielleicht zur Verlobung Anlaß gegeben.

Es lautet:

Sie: Sye hat vch nyt gantz veracht

Dye vch daß schnirlin hat gemacht.

Er: Vn byllich hat sye gedan

want ich han sye genissen lan.

Die Illustration zu den ersten beiden Zeilen gibt das Bild. Des Jünglings Wams ist über der Brust mit einer zierlich gearbeiteten Schnur gehalten, deren eine Quaste das Mädchen in der Hand hält. Schwierig- keit machte vielfach die Auslegung von des Jünglings Antwort. »Ge- nießen lassen« ist eine mittelalterliche Wendung, die unserm zugute kommen lassen entspricht. Wir finden sie schon im Nibelungenlied. Günther sagt bei der Ankunft Siegfrieds (Vers 103 bei Wackernagel)

». . er ist edel und küene

Des sol er geniezen in Bürgenden lant.«

Und ebenso Kriemhilt, da sie Hagen bittet, ihren Gatten zu schützen (V. 836)

Lieber friunt, er Hagene, gedenk et an daz,

Daz ich iu gerne diene und noch nie wart gehaz.

Des läz mich geniezen an minem lieben man. an andrer Stelle heißt es (V. 1998);

Jrinc siner Sterke vil w^nic genöz.

Der Beispiele sind noch mehrere. Immer wird das Wort im selben Sinne angewandt. So auch, um ein Beispiel lapidaren Gebrauchs zu bringen, in der Straßburger Hüttenordnung von 1459 (n^itget. durch HeidelolT, Bauhütte d. Mittelalters). »Item: wer in dieser Ordnung sein will, der soll glauben alle diese Artikel ... es wäre denn, daß der

Zur Inschrift des Gothaer Liebespaares.

171

Kaiser, König, Fürsten, Herrn ... da wider sein wollt mit Gewalt oder mit Recht, . . . . dz sol eime dan gnießen, also daß kein geverde (Ge- fahr) da by sige.«

Die Anwendung genießen, ihm genießen steht also überall für zu- gute kommen. Demgemäß bezieht sich die Antwort des Jünglings wol auf die erste Zeile; »Sie hat Euch nit ganz veracht« und lautet indem Sinne: Das war billig, recht. Es kam ihr auch zugute; (ich ließ es ihr zugute kommen,) indem ich mich ihrer wert erwies. So liegt in dem Vers wohl eine verborgne Anspielung auf eine Tat oder Gelegenheit, durch die es dem jungen Manne gelang, sich die Liebe des Mädchens zu erobern.

Mela Escherich.

Literaturbericht.

Architektur.

Dernjac Josef. Die Wiener Kirchen des XVII. und XVIII. Jahr- hunderts. Sonder- Abdruck aus der Zeitschrift des »Österr. Inge- nieur- und Architekten Vereines« 1906. No. 14 17. Wien, 1906. Alfred Holder. 8°. 87 S., 99 Abb.

Die obige Abhandlung ist aus einem Vortrag entstanden, den der Autor im März 1906 im Wissenschaftlichen Klub in Wien hielt.

Hiedurch ist der im Eilschritt gehaltene Stil der Schrift motiviert, es ist das rasch zu Lichtbildern gesprochene Wort, ohne die Nuancierung des Vortrages in Stimme und Ton, schriftlich wiedergegeben. Das I hema ist verlockend: das politische Zentrum eines großen Kulturge- bietes baukünstlerisch zu isolieren und kritisch zu betrachten ist ohne Zweifel unter gewissen Verhältnissen möglich und fruchtbar. Wien im 17. und 18. Jahrhundert gesondert zu betrachten ist aber freilich schwieriger, als es vielleicht auf den ersten Blick den Anschein hat. Ungeachtet dessen wagte der Verfasser die Aufgabe und beginnt sie ganz systematisch. Er bespricht die Unzulänglichkeit der veralteten Literatur, bringt eine historische Skizze und eifert gegen moderne Restaurierungen und Interventionen von Kunst-Kommissionen. Nun folgt der stilkritische Versuch: aus den Archiven des Stadtbauamtes werden die alten Aufnahmen der Grundrisse von Wiener Barockkirchen herange- holt und in ungefähr chronologischer Reihe vorgeführt. Dann folgen die Fassaden, hauptsächlich nach dem Kupferwerk von Salomon Kleiner, selten nach Photographien; einige wenige Interieurs nach photogra- phischen Aufnahmen bilden den Schluß. Mit historischem Rüstzeug ist der Autor sehr gering ausgestattet; Gurlitts Werk über die Barocke stellt das Hauptkontingent, die seither erschienene Spezialliteratur ist beiseite geschoben. Wie weit dem historischen Exkurs eigene Forschung zu- grunde liegt, ist nicht hervorgehoben. Wer die Unsicherheit in der Da- tierung nordischer Barockbauten kennt, wird den Mangel eines historischen Fundaments peinlich empfinden, und noch mehr gilt dies für das her- beigezogene Vergleichsmaterial aus Italien und Belgien, wo noch größere

Literaturbericlit.

173

Vorsicht nötig ist, als für Wien selbst. Der Verfasser schiebt die Da- tierungsbedenken unbekümmert beiseite und wagt sich an die Aufgabe, die Kirchen Wiens stilkritisch mit den verwandten Schöpfungen euro- päischer Kunst zu vergleichen. Die Dreiteilung des Stoffes nach Grund- riß, Fassade und Innerem, die hier ganz getrennt behandelt werden, ist im allgemeinen wohl durchführbar; immerhin aber geht es doch nicht an, mit einzelnen Teilstücken von Grundrissen, die wie geometrische Fi- guren nebeneinander gestellt sind, so kühne Vergleiche zu ziehen, wie z. B. bei der Parallele zwischen der Leopoldskirche in der Leopoldstadt und S. Agnese in Rom (S. 20). Für die Grundrisse liefert das Haupt- material Italien, vereinzelt nur sind die Niederlande herangezogen. Der Autor strebt danach, von den bekannten italienischen Haupttypen abzu- sehen und minder oft zitierte Kirchen zur Parallele heranzuziehen. Die von ihm zitierten Bauten könnte man sekundäre Werke nennen, da sie ganz ersichtlich auf die gewissen Musterbeispiele zurückgehen. Der Ge- danke des Autors wäre sehr gut, da hiedurch manche kleine Modifi- kationen berücksichtigt werden; allein ist es statthaft, mit Bauten, die gegenwärtig noch ganz flüchtig und unsicher datiert in der Literatur eingeführt sind, stilkritisch zu operieren? Der Hauptwert dieses Abschnittes liegt in der Publikation noch nicht abgebildeter Grundrisse von Wiener Kirchen und, soweit wir bei dem gegenwärtigen Stand der Datierung urteilen können, in der Erkenntnis, daß die nordischen Baumeister um ca. 40 50 Jahre hinter den italienischen Vorbildern nachzogen. Für die Fassaden findet der Verfasser in den ersten Jahren des 17. Jahr- hunderts niederländische Einflüsse. Ein wichtiges Beispiel, die Jesuiten- kirche in Wien, die er mit jener in Brüssel vergleicht, wäre in dieser Beweisführung besser weggeblieben, denn bei den nordischen Jesuiten- kirchen, deren Pläne erst nach Rom zur Begutachtung gesendet wurden, wo demnach mit den verschiedensten Möglichkeiten der Beeinflussung gerechnet werden muß, liegen die Verhältnisse besonders kompliziert. Was der Autor als niederländisch kennzeichnet (S. 43) ist etwas zu all- gemein gehalten, ähnliche Fassadenschemata gibt es wohl auch in Florenz und Oberitalien. Unter den Vergleichen mit Italien zeigt sich als wert- volle Idee der Hinweis auf Alessi und Oberitalien im allgemeinen, sowie auf S. Trinitä in Florenz bei Gelegenheit der Fassade der Paulaner- kirche. (S. 59). Dagegen müßten die Mailänder Bauten und die ober- italienischen überhaupt erst genauer erforscht werden, um für stilkritische Studien über nordische Kirchenbauten verwendet zu werden. Manche Detailbemerkung des Autors in diesem Abschnitt ist anregend, aber vieles ist gesucht; mancher Vergleich hält wohl nur vor der Abbildung stand und würde vor dem Gesamteindruck der Wirklichkeit bedeutungs-

174

Literaturbericht.

los zunichte. Auch von den Fassaden gilt, daß sie im Norden ein Menschenalter nach den südlichen Vorbildern folgen. Leider nur ge- streift ist das Interieur der Kirchen; das so vielfach interessante Studien- gebiet, das die Innendekoration, das Ornament überhaupt, bietet, ist nicht betrachtet. Hugo Schmerber,

Skulptur.

Victor Roth. Geschichte der deutschen Plastik in Sieben-

bürgen. — r Studien zur Deutschen Kunstgeschichte Heft 75. Mit 74 Abbildungen auf 30 Lichtdruck tafeln. Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 1906. XIV. und 178 SS. (12 Mk.)

Der in Groß-Lasslen ansässige Verfasser hat sich ernstlich daran gemacht, die Geschichte der siebenbürgischen Kunst zu schreiben. Ein Band von ihm über die Baukunst dieses Landes ist als Heft 64 der Studien zur deutschen Kunstgeschichte erschienen; der dritte Teil über die Malkunst ist in Vorbereitung. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Kunst wird geboten. Die siebenbürgischen Sachsen zogen ihrer Stammes- art treu deutsche Kunst nach dem Osten. Der Zusammenhang, sei es mit Böhmen, mit Österreich oder mit Franken ist offenbar. Erst im

17. Jahrhundert entwickelte sich namentlich in der Grabplastik, eine beschränkt provinzielle und abgeschlossene Kunstübung. Für uns sind die Monumente, die der Verfasser mit Eifer studiert hat, nur insoweit und insofern von Bedeutung, wie sie als Ableger des deutschen Kunst- baumes erscheinen. Viel ist, wie es scheint, nicht in Siebenbürgen zu finden. Das Land ist kunstarm, ärmer als die Darstellung Roths zu- gesteht. Der typische Fehler der Lokalhistorie, die Überschätzung der

zusammenhanglos auftretenden Kunsterzeugnisse, wird nicht ganz ver- mieden.

Die spärlichen Reste monumentaler Steinskulptur in Mühlbach und Kronstadt aus dem 14. Jahrhundert und vom Anfang des 15. Jahrhunderts sind ganz unerheblich (ich urteile nur nach den Abbildungen, die wir Roth verdanken).

Der erste Ruhmestitel der siebenbürgischen Kunst, wenn anders von siebenbürgischer Kunst gesprochen werden darf, ist; die Bronzegießer Martin und Georg, die den berühmten St. Georg 1373 in Prag geschaffen haben, stammen aus Klausenburg. Der Verfasser tritt energisch und, wie es scheint, mit Recht dafür ein, daß » Clussenberch « (so heißt es in der Prager Inschrift) eben jene siebenbürgische Hauptstadt sei. Georg und Martin sind nämlich Urkundlich in Groß-Wardein nachweisbar, wo sie auch große Bronzewerke (leider untergegangene) ausführten.

Literaturbericht.

175

Ein beachtenswertes Stück ist die Pieta im Museum zu Hermann- stadt, die in Komposition, Stil und Material (Sandstein) nahe verwandt ist den neuerdings öfters besprochenen Gruppen im Kaiser Friedrich- Museum (aus Wien), im Magdeburger Dom und im Breslauer Museum (aus der Elisabethkirche, von 1384) und an vielen anderen Orten. Alle diese Werke sind um 1400 entstanden, vielleicht in Böhmen (vgl. darüber Semrau, Aus Schlesiens Vorzeit in Wort und Bild, Neue Folge, Band IV, 1906, S. 71 ff.) Bei der Beurteilung dieser Skulptur versagt der Ver- fasser leider, da er die hochgotische Gruppe in einem Kapitel bespricht, das » Renaissance « überschrieben ist, als Arbeit eines Ulrich von Kron- stadt aus dem Jahre 1506. Gesetzt, die urkundliche Notiz von 1506 wäre richtig auf die Pietä bezogen, so hätte Ulrich von Kronstadt ein älteres Werk genau kopiert, und seine Arbeit dürfte durchaus nicht als Renaissanceleistung eingeführt werden. Ich halte es aber für fast un- möglich, daß die im Museum bewahrte Skulptur mit der urkundlich ge- nannten identisch sei.

Falsch datiert ist das Ölbergrelief in Stein an der Hermannstädter Stadtpfarrkirche. Der Verfasser schreibt dieses um 1460 entstandene Stück der Schule des Veit Stoß zu.

Der Mühlbacher Altar, der in hohen Tönen gefeiert wird und in der Tat der beste spätgotische geschnitzte Altar im Lande zu sein scheint, wird Veit Stoß selbst zugeschrieben. Mit Unrecht, so weit ich nach den Abbildungen urteilen kann. Freilich ist die Verlockung, das Werk des großen Nürnbergers aus siebenbürgischem Besitze zu bereichern, recht groß, da ein Veit Stoß 1523 als Mitglied der Zunft in Kronstadt bezeugt ist. Roth verteidigt eine unsichere Position, indem er mit lokal- patriotischem Eifer sich dafür einsetzt, daß diese Notiz auf den großen, 1523 schon sehr alten, Meister bezogen werden müsse. Von 1523 ist der Bamberger Altar datiert. Wahrscheinlich ist es gerade nicht, daß Veit Stoß in dieser Zeit der Zunft in Kronstadt angehört habe. Vielleicht war ein Sohn, ein gleichnamiger Verwandter des Nürnbergers, in Sieben- bürgen tätig. Wie dem auch sei, für den Mühlbacher Altar ist aus der Urkunde nichts zu gewinnen, und die Stilkritik allein hat zu ent- scheiden.

Im 17. Jahrhundert ist Elias Nikolai der bekannteste Bildhauer in Siebenbürgen. Seine Schöpfungen das Hauptwerk ist das Grabdenkmal Georg Apaffis im Nationalmuseum zu Budapest werden gründlich be- sprochen. Der trockene, im Ornamentalen zurückgebliebene Stil dieses Meisters erscheint durchaus provinziell. Nikolai war wohl ein Einheimi- scher, wenn nicht der Herkunft, so doch der Ausbildung nach, keinesfalls ein Holländer, wie man vermutet hat.

176

Literaturbericht.

Die aus der Ferne beigesteuerte Arbeit zur Geschichte der deutschen Kunst ist dankbar und mit mildem Urteil zu begrüßen. Gewiß waren die Schwierigkeiten, mit denen der Verfasser zu kämpfen hatte, sehr groß, zumal da ihm sachkundige, mindestens stilkundige Vorarbeiten, ganz man- gelten. Friedländer.

Kunstgeschichtliche Studien veröffentlicht von Dr. Emil Ebering. Heft I: Schwäbische Monumental brunnen von Dr. Hans Vollmer. Berlin igo6. Verlag von E. Ebering.

Der Verfasser tritt mit subjektiven Kunsttheorien an die Betrachtung der in erster Linie doch praktischen Zwecken dienenden Monumente heran. Fast alle Fragen von sachlichem Interesse, die das Thema ge- weckt hätte, sind dabei unbeantwortet geblieben. Wir beschränken uns infolgedessen darauf, den persönlichen Standpunkt des Buches zu kenn- zeichnen.

Die sentimentale Kunstauffassung einer aussterbenden Generation hat Vollmer vom Gemüt aufs Auge übertragen. Aber gerade darum wird sie doppelt gefährlich, indem sie sich nun den Anschein einer Methode zu geben vermag. Den Verfasser interessiert die Betrachtung der Mo- numente nur um des »Sehprozesses« willen, den das »kultiviertere Auge« vor ihnen durchmacht. Dementsprechend bringt er keine ge- schichtliche Entwicklung der schwäbischen Monumentalbrunnen, sondern er legt seiner Disposition formale Gesichtspunkte zu Grunde, die ihm Gelegenheit geben, recht willkürlich aneinander gereihte Einzelbeob- achtungen anzustellen. Als besonders bezeichnendes Beispiel seiner, für den unbefangenen Beurteiler absurden Betrachtungsart führe ich an, was Vollmer über die Rottenburger Brunnenpyramide sagt. Vor dem dreifach ge- gliederten, gotischen Brunnenstock wird sein Auge »zur Synopsis gezwungen«. Bleibt es »in einer Vertikalrichtung hängen, so muß es sich bequemen, Sprünge zu machen, um wieder auf dasselbe Geleise zu kommen, andernfalls wird es gezwungen, Torsionen auszuführen, Operationen, die dem spätgotischen Auge ein Genuß wären, wie sie dem modernen zur Qual werden«. Dem Uracher Marktbrunnen rückt er mit Redensarten wie »Fleckenverteilung«, »Helldunkel«, »pikante Licht- und Schattenverteilung« zu Leibe. Wo er aber die einfachste praktische Beschreibung geben soll, versagt der »methodische Betrachter«. Eine doppelte Entgleisung, wie sie ihm bei der Aufstellung des Ziehbrunnen- »Schemas« unterläuft, zeigt deutlich die Gefahren seines allzu erhabenen Standpunktes: das »Schema des Ziehbrunnens verlangt über dem Re- servoir eine Pumpvorrichtung, um das Wasser aus der Tiefe mittels eines über den Kettenrand laufenden Eimers herauszuschöpfen« !

Literaturbericht.

177

Wie die Einteilung des Stoffes und die Einzelbetrachung, so wird auch die Schreibart durch Vollmers Streben, persönlicher Willkür den Anschein eines Systems zu geben, unnötig kompliziert. Die Disposition seines Kapitels über die Brunnentypen gewinnt er auf mathematischem Wege durch eine Permutation »zwischen Wand- und Freibrunnen einer- seits, Lauf- und Ziehbrunnen andrerseits«. Daß nur drei der gewonnenen Kombinationen für seine Zwecke brauchbar sind, hätte ihn doch von der Unnötigkeit solchen Aufwandes überzeugen können! Ebenso ist für eine wissenschaftliche Methode dadurch nichts gewonnen, daß man statt drei »Trias« sagt, statt Platz »Raumterritorium«, oder daß man mit Worten wie »Verlebendigung«, »Schaubarkeit«, »Verunklärung« die deutsche Sprache bereichert.

Als Gesamteindruck bleibt dem Leser, daß der Verfasser die schlichten schwäbischen Arbeiten zu Turngeräten seiner stillos ange- brachten ästhetisierenden Kunstauffassung macht. Am eingehendsten verweilt er darum bei den Augsburger Prunkbrunnen »der am italienischen Kunstgeist inspirierten Niederländer«. Diese Werke sind ihm »dazu an- getan, einem die Freude an allen nationalen Produkten zu vergällen; die ganze Inferiorität der Formphantasie der germanischen gegenüber der der romanischen Rasse kommt an dieser Stelle zum Ausdruck«. Und doch staunt Vollmer ein andermal, daß die bescheidenen Brunnen der kleinen Städte wie »gewachsen« an ihrem Platze stehen. Warum hat er sein »kultivierteres Auge«, nicht zu Hause gelassen und ist den Gründen nachgegangen, die diesen Eindruck des organisch Gewachsenen bedingen?

Nur im ersten Kapitel ist Vollmer auf derartige praktische Fragen hinreichend eingegangen. . Hier ist er von Camillo Sittes be- kanntem Buch angeregt. Er benutzt geschickt die in Sittes zweitem Kapitel aufgestellten Gesichtspunkte über das Freihalten der Verkehrs- achsen auf öffentlichen Plätzen und reiht ihnen neue, durch kleine Situationsskizzen erläuterte Beispiele an.

Einzig auf diesem Boden einer bescheidenen Unterordnung unter die Zweckfrage kann der Verfasser innerhalb der deutschen Handwerks- kunst zu dem gelangen, dessen er sich so oft rühmt: zu System und Methode. Seine sensible Anfangsschrift ist als durchaus verfehlt zurück- zuweisen. Auch das ungeschickte Register und die sehr verschwommenen Klischees der beigehefteten 32 Tafeln rechtfertigen diese Beurteilung.

Nürnberg. Edwin Redslpb.

178

Literaturbericht.

Malerei,

Die wichtigsten Darstellungsformen des H, Sebastian in der italienischen Malerei bis zum Ausgang des Quattrocento von Detlev Freiherrn von Hadeln. Zur Kunstgeschichte des Auslandes Heft XLVIII. Straßburg 1906.

Man wird bei vorliegender Arbeit vor allem bedauern müssen, daß das Stoffgebiet eine zu große Beschränkung erfahren hat. Man fragt sich vergeblich, warum der Verfasser gerade da abbiicht, wo von Rechts wegen der Schlußstein des ganzen entwicklungsgeschichtlichen Gebäudes zu setzen wäre. v. H. scheint das wohl selbst empfunden zu haben, und er entschuldigt sich damit, daß die Entwicklung der »hauptsächlichsten Stellungsarten zu Beginn des 16. Jahrhunderts ihren Abschluß erreicht habe«. Aber eben diesen Abschluß zu schildern, bleibt uns Hadeln schuldig. Auch handelt ja die Arbeit nicht bloß von den »Stellungsarten«, sondern von den Darstellungsformen des heiligen Sebastian, wozu doch, abgesehen von der ganzen Raumkomposition, auch der Formen- gehalt gehört. Durch die stoffliche Beschränkung hat sich Hadeln gerade die schönste Seite seines Themas entgehen lassen. Daß der Umfang des Materials diese Beschränkung verlangt hätte, wird man bei einer Arbeit von 44 Druckseiten doch wohl kaum behaupten können. Auch wird man sich wundern, daß gerade hier die Interpretation des nackten Körpers und sein Verhältnis zur Antike nicht nur nicht gestreift, sondern kaum ernstlich berührt wurde, H. sieht leider nur seine Aufgabe in einer sachlich knappen Registrierung des Wandels der Stellungen des heiligen Sebastian, wobei man freilich anerkennen muß, daß er sich möglichster historischer Gründlichkeit zu befleißigen sucht. Sein Buch wird deshalb immerhin der Wissenschaft einen Dienst leisten. Aber die Achillesferse des Buches bleibt die künstlerische Analyse. Ab- gesehen davon, daß kaum der Versuch gemacht wird, die an sich glückliche Gruppierung der Darstellungsformen als Gesamtheit zu betrachten und aus ihr die lokale künstlerische Besonderheit zu extrahieren, ist die künstlerische Analyse zumeist unvollständig. Beispielsweise wird bei der dankenswerten und sehr interessanten Gegenüberstellung der Figur Adams von Rizzo am Dogenpalast mit den Sebastiansbildern Liberales da Verona in der Brera und Antoneilos da Messina in Dresden trotz der relativ eingehenden künstlerischen Betrachtungen das malerische Hauptproblem des Gemäldes Antoneilos, die konsequente Durchführung des Schlagschattens, vollkommen übersehen. Liberales Bild unterscheidet sich eben dadurch auch von dem Bilde Antoneilos.

Zuerst gibt v. Hadeln einen guten Überblick über die ältesten Darstellungen des heiligen Sebastians. Die früheste ist die Sebastiansfigur

Literaturbericht.

179

in den Katakomben des Kallisto, wo der Heilige noch unbärtig dar- gestellt ist. Gleichzeitig mit der Entwicklung der Märtyrerakte macht sich auch ein Umschwung in der Darstellung des Heiligen geltend: an Stelle der typisierenden symbolischen Richtung tritt die individualistisch- historische Auffassung. Das einfachste Beispiel hierfür ist die Darstellung des heiligen Sebastian in dem Mosaik von San Pietro in Vincoli, wo der geschichtlichen Intervention des Heiligen entsprechend der Legende in der Komposition Rechnung getragen wird. Von da ab wird auch der Heilige bärtig dargestellt. War er ja Präfekt der ersten Kohorte, den die Soldaten »quasi patrem venerabant«. Die bärtige Darstellung blieb bis ins 15. Jahrhunder hinein üblich, wo an Stelle des bärtigen wieder der bartlose Typus trat, eine Modifikation der Tradition, die im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts eine vollzogene Tatsache war. H. hat es ganz unterlassen, eine Erklärung für diesen Wandel zu suchen, der wohl zunächst ganz allgemein in der Bevorzugung des unbärtigen Gesichtstypus bzw. dem Schönheitsideal der Zeit zu suchen ist. Nicht umsonst hat Donatello bei seiner Sebastiansdarstellung die vorbildliche antike bärtige Marsyasstatue in eine unbärtige Figur zu einer Zeit verwandelt, wo der bärtige Typus noch durchaus geläufig war.

H. gliedert seine Ausführungen über die späteren Darstellungen des heiligen Sebastian in vier Abschnitte: Zuerst werden die wichtigsten Kompositionen der florentinischen Kunst behandelt, sodann der Reihe nach die freilich sehr kurz besprochenen sinesischen und schließlich die umbrischen und oberitalienischen Darstellungsformen.

Abgesehen von dem oben Angedeuteten blieb noch zu bemerken, daß H. über der Behandlung von Detailfragen zu sehr den Blick für das Ganze verliert. Man vermißt größere Gesichtspunkte. Doch ist eine ikonographische Arbeit nie ohne Wert und es ist jedenfalls ein Verdienst H.s, in knapper übersichtlicher Gruppierung eine wichtige Komposition der italienischen Malerei innerhalb eines freilich zu eng begrenzten Zeit- raumes uns vor Augen geführt zu haben. Fritz Burger.

Selected drawings from old masters in the University Galleries and in the library at Christ Church Oxford Part IV, V Chosen and described by Sidney Colvin Oxford Clarendon Press 1905. 1906.

Über die prachtvolle Publikation der Oxforder Zeichnungen habe ich ausführlich berichtet, als mir die drei ersten Lieferungen Vorlagen (Rep. XXVIII S. 531 ff.). Jetzt ist das Werk mit den Mappen 4 und 5, dem Abschlüsse nahe gebracht. Das früher gespendete I>ob trifft auch auf die neuen Teile zu. Bei der hohen Bedeutung des

i8o

Literaturbericht.

hier veröffentlichten künstgeschichtlichen Materials glaube ich ein Ver- zeichnis der Blätter aus den Mappen 4 und 5 geben zu sollen.

1. »Lionardo da Vinci (von oder nach)«. Ein Männerkopf aus der Schlacht von Anghiari, ein Stück aus dem Originalkarton oder eine vorzügliche alte Nachzeichnung in der Originalgröße, der Größe des Lebens und auch in diesem Falle ein verehrungswürdiger Rest des großen verlorenen Werkes. Sidney Colvin neigt dazu, in der bisher unbekannten Zeichnung eine Kopie zu sehen. Sammlungen Richardson, Douce, jetzt University Galleries.

2. Studie oder eher krätig modellierter Karton zu einem Madonnen- bilde von Gianpetrino, nicht im besten Zustand, zweifellos richtig bestimmt und namentlich im Kinderkopf sehr charakteristisch. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

3. Karton zu einem Madonnenbilde mit zwei männlichen Heilgen (Antonius(?) und Hieronymus) von Sodoma, stellenweise bis zum äußersten modelliert, in manchen Partien chaotisch und skizzenhaft. Dieser Entwurf lehrt über die Kunst des großen Sienesen, der hier stark von Lionardo angeregt ist, mehr als die meisten seiner ausgeführten Bilder. Sammlung Chambers Hall, jetzt University Gail.

4. Vier Aktstudien, mit Weißhöhung von Filippino Lippi, ähnlich mehreren Blättern in den Uffizien. Diese Zeichnung und die folgende gehörten zu Vasaris Sammlungen und wurden schon von Vasari Filippino zugeschrieben. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

5. Drei Studien, zwei bekleidete Männer und ein nackter, ganz wie das vorige Blatt und ebenfalls von Vasari Filippino genannt. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

6. Michelangelo. Das in der Literatur seiner Bedeutung ent- sprechend gewürdigte Blatt mit Pferdestudien, das um 1504 anzusetzen ist, weil eine flüchtig skizzierte Kämpfergruppe mit dem Karton zur Pisaner Schlacht zusammzuhängen scheint. Sammlungen Ottley, Lawrence, jetzt University Gail.

7. Michelangelo. Ein Blatt mit verschiedenen Entwürfen, dabei mehrere Male eine Kampfszene, angeblich Simson mit einem Philister,. Sammlungen Buonarroti, Wicar, Lawrence, jetzt University Gail.

8. Porträt Rafaels in ganz jugendlichen Jahren, von anmutiger unschuldiger Erscheinung, in umbrischem Duktus. Sidney Colvin spricht ausführlich über das Blatt und stellt die Alternative: falls Rafael der Dargestellte, kann Rafael nicht der Zeichner sein, da er 15 jährig (in diesem knabenhaften Alter erscheint er) das Blatt nicht so frei und meisterlich ausgeführt haben könne, Timoteo Viti komme dann am ehesten in Betracht. Es erscheine aber zweifelhaft, ob Timoteo Viti

Literaturbericht.

i8i

diese I.eistung zuzutrauen sei, und Sidney Colvin wird geneigt die Arbeit Rafael zurückzugeben und dabei auf die Vorstellung zu verzichten, daß Rafael dargestellt sei. Die Timoteo-Idee stammt von Morelli. Sammlungen Wicar, Ottley, Harman, Woodburn, jetzt University Gail.

9. Rafael. Zarte Silberstiftzeichnung, Entwurf zu einem Abend- mahl. Die Komposition, die Stellungen und Bewegungen der Figuren sind festgestellt. Die Modelle sind mit einer Ausnahme junge Männer, wohl Werkstattgenossen, die weder in den Typen noch im Kostüm den Aposteln entsprechen. Sidney Colvin datiert das Blatt: etwa 1505. Sammlungen Antaldi, Lawrence, jetzt University Gail.

10. Rafael.' Studie in Rötel zu der Kampfszene unter der Apollostatue in der Schule von Athen. Sidney Colvin tritt wohl mit Recht gegen Morelli für die Echtheit dieser Zeichnung ein. Sammlungen Wicar, Ottley, Lawrence, jetzt University Gail.

11. Correggio. Entwurf zu einer Madonnenkomposition, flüchtig bis zur Unverständlichkeit, nach Colvin zu der Madonna mit dem hl. Hieronymus in Dresden (wohl ein Schreibfehler, gemeint ist die Madonna mit dem hl. Georg in Dresden oder die Madonna mit dem hl. Hieronymus in Parma), Mit Sicherheit ist diese »first cloudy notion« mit keinem bekannten Gemälde des Meisters zu verbinden. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

12. Tizian. a) Zwei Figuren in der Landschaft, ziemlich unergiebige Zeichnung. Colvin glaubt den Meister an der Behandlung des Baumes erkennen zu können, b) Auch in dieser heiligen Familie ist das Landschaftliche ausdrucksvoller als die Figuren. Die Komposition der Figuren und ihre Bewegungen sind zum wenigsten nicht charakteristisch für den großen Venezianer. Der Herausgeber scheint dieses Blatt ein wenig zu überschätzen. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

13. Hieronymus Bosch. Zwei Zeichnungen (Vorder- und Rück- seite eines Blattes) mit unbeschreibbaren Spukgestalten, die in der bekannten Manier des Meisters aus menschlichen, tierischen Gliedern, Rüstungs- stücken usw. zusammengefügt sind. Sammlung Douce, jetzt Uni- versity Gail.

14. R e m b r a n d t. a) Flüchtige Studie aus späterer Zeit, der knieende Täufer zu der Radierung der Enthauptung Johannis, b) Christus mit der Samaritanerin am Brunnen, Entwurf aus mittlerer Zeit. Das erste Blatt aus der Douce-Sammlung, das zweite aus der Chambers Hall-Sammlung, beide jetzt University Gail.

15. Rembrandt. Unerklärte reiche Komposition, aus späterer Zeit des Meisters. Sammlung Chambers Hall, jetzt University Gail.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

13

i82

Liteiaturbericht.

i6. R e m b r a h cl t. Typische Landschaftszeichnung. Sammlung Chambers Hall, jetzt University Gail.

^17. Ribera. Sorgfältig und meisterlich, dabei etwas akademisch in Rötel durchgeführte Studie einer alten Frau, einer Parze (?) mit der echten Signatur »Joseph a Ribera Hisp s f.« Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

18. Nicolas Poussin. Römische Ansicht, Blick auf Sta. Maria in Gosmedin, laviert mit durchsichtigen bräunlichen Tönen auf grünlichem Grund. Signiert »N. Poussin«. Der Franzose erscheint hier als Vorgänger Antonio Canales. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

19. Watteau. Studienblatt mit sechs männlichen Figuren in Rötel. Sammlung Douce, jetzt University Gail.

20. Wätteau. Allgorische Komposition, Errettung aus Wasser- gefahr. Interessante Illustration zur Biographie des Meisters. Bei der Rückfahrt von England 1720 hatte der kränkliche Meister bei stürmischer See zu leiden. Sein Freund Julienne erscheint als Retter an der französischen Küste und empfängt den Heimgekehrten. Das Blatt ist von Caylus radiert. Sammlung Douce, jetzt University Gail.

5. Mappe.

vgl. zu dem Inhalt dieser Mappe die kritischen Bemerkungen von

Beckeraths im Repert. (XXX S. 299 ff.)

1. Vittore Pisano. Vorder- und Rückseite eines Studiejiblattes. Auf der einen Seite der bedeutenden, bisher unpublizieiten Zeichnung sind die luxuriös und phantastisch gekleideten Gestalten einer Frau und eines Mannes in Profil farbig dargestellt, die krau eine Vorstudie zu der berühmten Prinzessin im Frösko zu St. Anastasia in Verona. Auf der anderen Seite Studien nach antiken Sarkophagfiguren. Sammlungen Lagoy, Chambers Hall, jetzt University Gail.

2. Leonardo da Vinci, a) Entwurf für das Gemälde der Ver- kündigung in den Uffizien zu Florenz, zu dem Ärmel des Engels. Wie Colvin mit Recht betont, kann aus dieser zweifellos von Leonardo her- rührenden Zeichnung ein gewichtiges Argument in der Debatte über das Gemälde gewonnen werden. Bekanntlich wird das Bild von vielen, aber dürchaus nicht von allen Kritikern (vgl. die Bemerkungen von Becke- raths) Leonardo zugeschrieben. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

b) Studienblatt mit Kampfscenen, Maschinen und schriftlichen Notizen von des Meisters Hand. Sammlungen Ridolfi, Guise, jetzt Christ Church.

3. Prächtig modellierter, ausdrucksvoller Knabenkopf mit Weiß- höhung, mit Recht Lorenzo di Credi zugeschrieben. Sammlung Guise jetzt Christ Church.

Literaturbericht.

183

4. a, b) Zwei meisterhaft, mit Weißhöhung auf gelbbraunem Grund durch- gebildete Köpfe, jeder auf einem besonderen Blatt, aber gewiß von einer Hand. Berenson hat diese Arbeiten Francesco Granacci zugeteilt, Colvin begnügt sich mit der unbestimmten Unterschrift: Schule des Lorenzo di Credi. Sammlungen Ridolfi, Guise, jetzt Christ Church.

5. Frauenkopf in Profil, in allem wesentlichen übereinstimmend mit der sog. bella Simonetta Botticellis, wie sie aus dem großen Bild zu Frankfurt a. M. bekannt ist. Colvin findet die Qualität für den Meister selbst nicht hoch genug und katalogisiert das Blatt: School of Botticelli. Chambers Hall-Sammlung, jetzt University Gail.

6. Rückseite der vorigen Zeichnung, Stehende Pallas mit Helm und Zweig, ähnlich wie in einer besseren Zeichnung der Uffizien, ähnlich wie in einer Bildwirkerei, die E. Münz publiziert hat. Zu vergleichen ist eine kleine vergessene Arbeit Hermann Ulmanns in den Bonner Studien, die V. Kekulö gewidmet sind (1891). Botticelli-Schule.

7. Derbe Nachzeichnung eines Fresko-Stückes von F i 1 i p p i 11 o L i p p i in der Caraffa-Kapelle zu Sta. Maria sopra Minerva in Rom. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

8. Entwurf zu einem Madonnen-Tondo mit 2 weiblichen Heiligen von Raffaelino del Garbo. Es ist sehr erfreulich, daß die prachtvolle Zeichnung, die Berenson in seinem großen Werke publiziert hat, hier wesentlich besser noch einmal reproduzirt wird. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

9. Michelangelo. Vorder- und Rückseite eines Studienblattes.

a) Ein Pferd und zwei Männer, flüchtige Skizze in schwarzer Kreide.

b) Ein männlicher stark bewegter Akt, vom Rücken gesehen, durchge- führte Federzeichnung. Sammlungen Lely, Richardson, Benjamin West, Lawrence, jetzt University Gail.

10. Rafael. Vorder- und Rückseite eines Studienblattes, a) Leichte Skizze zweier Engel mit Wappenschilden, b. Höchst elegante Naturstudie mit vier stehenden jugendlichen Kriegsknechten, Ähnliche Figuren sind in einem der Fresken Pintoricchios in der Bibliothek zu Siena zu finden. Wir werden zu der oft besprochenen Frage geführt, ob Pintoricchio zu seinen Sieneser Gemälden sich Rafaelischer Zeichnungen bedient habe. Colvin folgt MoreLli, indem er die Frage mit nein beantwortet und er- klärt den in unserer Zeichnung offenbaren Zusammenhang mit der Ver- mutung, Rafael und Pintoricchio hätten in Perugia gleichzeitig vor denselben Modellen gearbeitet. Von Beckerath zerhaut den Knoten, in- dem er die Zeichnungen Pintoricchio gibt. Sammlungen Young Ottley, Lawrence, jetzt University Gail.

11. Rafael. Vorder- und Rückseite eines Studienblattes, von unvergleichlicher Meisterschaft, aus mittlerer Zeit, früher römischer Zeit.

13'

184

Literaturbericht.

Mehrere reichbewegte Engel und der Kopf der hl. Katharina für das Gemälde in der Londoner National Gallery auf der einen, die Gestalt der hl. Katharina und anderes auf der anderen Seite. Sammlungen Benjamin West, Dimsdale, Lawrence, jetzt University Gail.

12. Eine Gruppe aus Rafaels Schule von Athen, Silberstiftzeich- nung. Das zarte Blatt, das viele Eigenschaften eines Entwurfs, einer Natur- studie zeigt, wird, wie der Herausgeber auseinandersetzt, durch mehrere nah verwandte und schwächere Zeichnungen kompromittiert, scheint nur von einem sehr begabten Schüler einer Rafael-Zeichnung nachgeschaffen zu sein. Sammlungen Wicar, Ottley, Lawrence, jetzt University Gail.

13. Ein im Freien sitzendes Liebespaar. In der Art Giorgiones, doch zu breit und voll in der Form für diesen Meister. Die Landschaft erinnert, wie Sidney Colvin hervorhebt, an Giulio Campagnolas Stiche. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

14. Drei junge Männer in lebhafter Bewegung und weite Landschaft. Von einem Giorgione-Nachfolger. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

15. Tizian. Entwurf zu einer Darstellung der Bekehrung Pauli. Die Zeichnung wurde von ihrem früheren Besitzer Josiah Gilbert mit dem untergegangenen Gemälde Tizians der Schlacht von Cadore in Ver- bindung gebracht mit Unrecht, wie Colvin nachweist. Sammlungen Lani^re, Richardson, Benjamin West, Wellesley, Gilbert, jetzt University Gail.

16. Hugo van der Goes. Jacob und Rahel. Große und be-

deutende Zeichnung, deren richtige Bestimmung und Veröffentlichung ganz besonders dankenswert ist und das nicht sehr umfängliche »Werk« des großen Meisters erfreulich bereichert. Gewisse Umrißlinien sind etwas nüchtern und hart, wohl infolge nachträglicher Überzeichnung. Sammlung Guise, jetz Christ Church.

17. Rembrandts Werkstatt. Wundervolle Zeichnung aus des Meisters späterer Zeit, mit reichentwickeltem Helldunkel, wie in sehr wenigen Zeichnungen. Sammlungen Utterson, Chambers Hall, jetzt Uni- versity Gail.

18. Dürer. Madonna, mit dem Datum 1514. Mit dieser von

Lippmann unter Nr. 495 veröffentlichten Zeichnung kann ich mich nicht befreunden. Das Faltenwerk ist wenig einheitlich, zum Teil kleinlich, zum Teil unklar, und der Madonnenkopf erscheint leer und süßlich. Sammlung Chambers Hall, jetzt University Gail.

19. Hans von Kulmbach. Der hl. Christoph. Richtig bestimmt und lehrreich, mit schwächlichem, suchendem Strich. Sammlung Guise, jetzt Christ Church.

Literatiirbericht.

185

2 0. Hans von Kulmbach. Orpheus und Euridike. Signiert mit den Initialen des Meisters und 1518, oberflächlicher und wohl etwas jünger als das andere Blatt von dem Meister. Sammlung Chambers Hall, jetzt University Gail.

Friedländer.

Graphische Kunst.

Nachträge und Berichtigungen zu »Daniel Chodowieckis Sämt- liche Kupferstiche beschrieben von Wilhelm Engelmann« . . . Zweite Auflage von Dr. Robert Hirsch. Leipzig, Engelmann, 1906.

Zu dem für jeden Chodowiecki-Sammler schlechthin unentbehrlichen Kataloge, einem Werk von 543 Oktavseiten, das 1857 erschien, hat der Verfasser selbst (1859 im »Archiv für die zeichnenden Künste« und 1860 als Sonderheft) eine große Anzahl von Nachträgen erscheinen lassen, die hauptsächlich auf der Mitarbeit von Dr. Parthey und Dr. Usener beruhten. Seit dieser Zeit hat das Interesse für den Berliner Kleinmeister, als dessen Schüler mehr als einmal Menzel sich bekannt hat, bedeutend zugenommen; viele Spezialisten haben sich auf ihn geworfen und, wenn man früher gefälschte und in Büchern eingefügte Blätter, sowie Kopien und fremde Stiche nach Originalzeichnungen Chodowieckis vermied, so hat man nunmehr sogar begonnen, neben den Zuständen der eigenhändigen Radierungen in besten Exemplaren auch alle jene minder wertvollen Gruppen von Arbeiten, die zu dem Künstler in näherem oder fernerem Verhältnis stehen, sorgfältig aufzuspüren und zu vereinigen. Selbst die Stiche des wenig begabten und wenig originellen Bruders Gottfried Chodowiecki und die Wilhelms, des ebenfalls unbedeutenden Sohnes von Daniel, werden der Vollständigkeit wegen jetzt oft mitgesammelt. Einem solchen »Krokylegmus« der Liebhaber der als Sport betrachtet natürlich seine Berechtigung hat genügten Katalog und Nachträge von Engelmann längst nicht mehr; auf so weit getriebene Akribie der Chodowiecki-Wissen- schaft war von ihm denn doch nicht gerechnet worden. Dem dringenden Bedürfnis mußte indessen Rechnung getragen werden, und so entschloß sich der Verlag, Dr. Robert Hirsch, als genauen Kenner des Materials und geduldig hingebenden Arbeiter von Methode, mit der Ergänzung der »Nachträge und Berichtigungen« in Form einer zweiten, vermehrten Auflage zu betrauen. Wie ernst der Verfasser seine Aufgabe nahm, zeigt schon äußerlich der Umstand, daß aus den 28 Seiten der ersten Auflage jetzt ihrer 148 geworden sind. Es handelt sich allerdings nicht nur um eine Vermehrung der Nachträge zu dem Kataloge des radierten Werkes, sondern auch um die Revision der Literaturangaben, die bis 1905

i86

Literaturbericht.

mit Ausschluß der kürzeren Artikel in Zeitschriften und Sammelwerken

fortgeführt werden, ferner um eine Bereicherung der Rdhe von Chodowiecki-Bildnissen, die von 28 auf 36 gebracht worden sind, und um die Hinzufügung eines Katalogs von anderer Stecher Radierungen nach Zeichnungen Chodowieckis, sowie eines Katalogs der Radierungen von Gottfried und Wilhelm Chodowiecki. Den Registern Engelmanns hat Hirsch noch ein besonderes alphabetisches Verzeichnis der Werke, die von Chodowiecki illustriert worden sind, oder die andere nach seinen Zeichnungen illustrierten, an die Seite gesetzt.

Von einer Arbeit wie der vorliegenden absolute Vollständigkeit, die sie selbst keineswegs sich zuschreibt, zu verlangen, wäre ebenso unge- rechtfertigt als es unmöglich ist, alle Angaben Hirschs auf ihre Richtig- keit nachzuprüfen. Von den Kleinigkeiten, die mir im Durchsehen auffielen seien zum Nutzen derer, die sich dafür interessieren, hier einige angeführt. Zu S. I, Nr. 5, wäre nachzutragen, daß das Werk »Chodowiecki und Lichtenberg« von Focke auch in französischer Sprache erschienen ist.

Ein nicht sehr ähnliches, aber doch wohl authentisches , Portrait, Grisaille-Medaillon lo : 9 cm auf weißem Papier, unbezeichnet, mit der Unterschrift »Daniel Chodowiecki«, das im Kätaloge nicht aufgeführt ist, besitzt Herr Dr. Eduard Brockhaus in Leipzig. Der Künstler ist im Profil nach links dargestellt, mit zwei gerollten Seitenlocken hinter- einander und aufgelöstem Zopf; das Bildchen mag etwa aus dem Jahre 1785 stammen. Der handschriftliche Kommentar Chodowieckis zu Nr. I 252 und 837 947, der von Engelmann benutzt wurde und sich in dessen Nachlaß befindet, hätte bei erneuter Berücksichtigung eine ganze Reihe origineller Angaben geliefert; er scheint dem Verfasser leider entgangen zu sein. Der schlechte Kupferstecher, der bei Nr. 572 erwähnt wird, heißt Morino; zu Nr. 867: Die Wirtin schlägt die Eier zum Kuchen in eine Vertiefung ihres Schlafpelzes. Zu S. 129: Die Be- zeichnung »L. Chodowiecki« ist wohl nicht zu Lotte, sondern eher zu Ludwig zu ergänzen; wenn ich mich nicht täusche, hat Wilhelm Chodowiecki, der ganz gut der Urheber des betreffenden Stiches sein könnte, sich auch Ludwig genannt.

Aber diese und andere Ausstellungen sind Kleinigkeiten, die gegen die Verdienste des Verfassers gar nicht ins Gewicht fällen. Besonders dankenswert ist, neben den Nachträgen zu Chodowieckis eigenhändigem Werk, die Anlage des Katalogs von solchen Stechern, die nach des Meisters Radierungen oder Zeichnungen gestochen häben: er nennt ihrer 123, wobei er von Daniel Berger 222, von Geyser 103, von Schellenberg 61, von Pentzel 57 Nummern auftreibt, und fügt noch 10 1 unbezeichnete Kopien hinzu. Solche Angaben illustrieren deutlich die beispiellose Be-

Literaturbericht.

187

liebtheit Chodowieckis bei seinen Zeitgenossen; gelänge es, auch einen einigermaßen vollständigen Überblick über seine Ölgemälde, Miniaturen, Emaillen und Zeichnungen zu gewinnen, so sähen wir den Kreis seiner Wirkungen auf das Merkwürdigste erweitert, und die Kunstverhältnisse im alten Berlin eigentümlich beleuchtet. IV. v. Oettingen.

K unsthandwerk.

Sammlung F. S a r r e. Erzeugnisse Islamischer Kunst, d eil I : Metall .

Bearbeitet von F. Sarre und E. Mittwoch. Hiersemann, Leipzig 1906.

Die hochgesteigerte Bewertung muslimischer Kunstwerke und die Ausdehnung der Sammeltätigkeit haben in den letzten Jahren einen leb- haften Aufschwung auch der kunstgeschichtlichen Bearbeitung dieses Gebiets mit sich gebracht. Sie war früher lange Zeit dadurch wesentlich behindert, daß die epigraphische Arbeit der Orientalisten und die Forschung der Kunsthistoriker nicht genügend ineinander griffen. Es ist bekannt; was für merkwürdige Ergebnisse dabei gelegentlich zutage gekommen sind; man braucht sich nur des von Riegl veröffentlichten Gebetteppichs zu erinnern, den eine armenische Inschrift dem Jahre 1202 zuwies, während seine spätosmanische Ornamentik dem 18. Jahrhundert angehörte. In Deutschland ist Professor Sarre, nachdem er der muslimischen Kunst- forschung bereits durch die Veröffentlichung der Denkmäler persischer Baukunst einen großen Dienst erwiesen, die Spaltung zwischen epigraphi- scher und kunsthistorischer Arbeit mit bestem Erfolg zu überbrücken bemüht gewesen. Ein großer Schritt auf diesem Weg ist der Katalog seiner, durch die Aufstellung im Kaiser friedrich-Museum allgemein zu- gänglichen Sammlung islamischer Kunstwerke. Der bisher erschienene; mit IO Lichtdrucktafeln und 54 Textbildern ausgestattete erste Teil be- handelt die über 200 Stück umfassende Sammlung der Metallarbeiten. Das inschriftliche Material ist von Dr. Eugen Mittwoch für jedes Stück im besonderen und am Schluß des Buches im Zusammenhang bearbeitet. Es ist Sarre gelungen, auf Grund stilistischer und technischer Unter- suchungen und mit Hilfe der durch die Inschriften gebotenen Aufschlüsse den vielgestaltigen Bestand in zeitlich und landschaftlich begrenzte Gruppen zu ordnen, wie das an anderen Stellen auch Gaston Migeon, Max van Berchem und Stanley Laue Poole unternommen haben. Jeder Gruppe ist eine Kennzeichnung ihrer technischen und ornamentalen Merkmale vorausgeschickt. Darin liegt ein erheblicher Fortschritt der Erkenntnis und die über den besonderen Zweck hinausreichende Be- deutung des Kataloges. Die vornehmste Rolle in der Verzierung mittel- alterlicher Metallgeräte des islamischen Orients spielt wie bekannt die Tauschierung aus Silber, Gold nnd Kupfer auf Erz. Sarre ist geneigt.

i88

Literaturbericht.

die Anfänge dieser Kunst in das 12. Jahrhundert zu setzen, weil die muslimischen Denkmäler nicht weiter zurückreichen. Die ersten Anfänge und Vorstufen liegen aber wohl außerhalb der islamischen Kunst. Ob die in der altägyptischen Metallarbeit meisterhaft geübte Tauschierung (ein Hauptbeispiel unter anderem die Erzfigur einer Königin aus Theben im Louvre) noch bis in die Zeiten des Islam nachgewirkt hat, ist nicht mehr zu erweisen. Wenn man aber der Quelle nachgeht, aus welcher der Islam unmittelbar die Tauschierung empfangen haben kann, so wird man sicherlich die silbertauschierten Erztüren byzantinischer Arbeit aus dem II. Jahrhundert in ünteritalien nicht unbeachtet lassen können und auch die bereits sarazenisch beeinflußte Tür Rogers von Melfi am Boemundgrab in Canosa (nach iiii) in Betracht ziehen müßen.

O. V. F.

Mitteilungen über neue Forschungen.

Der Burgflecken Coldimancio, etwa anderthalb Meilen südwestlich von Assisi gelegen, wird von Prof. A. Bellucci zum Gegenstand einer interessanten kleinen Monographie gemacht (II castello di Coldimancio Perugia, 1906, 36 S. 8°. Sep. Abdruck aus der Monatsschrift Augusta Pe- rusia Jahrg. I Heft 7 u. 8). Die älteste urkundliche Nachricht darüber da- tiert von 1293, aber lange vorher schon bestand er in der Nachbarschaft des ehemaligen römischen Municipiums Urbinum Ortense. Nachdem der Verfasser die Schicksale des seit 1425 den Baglioni gehörigen Kastells kurz geschildert, macht er uns mit den Werken der Kunst bekannt, die sich darin erhalten haben. Vor allem bespricht und reproduziert er eine Freske der Madonna in trono mit den hhl. Sebastian und Rochus in der Kapelle des alten Palazzo del Podestä, aus dem Jahre 1495, ein Werk der Fulignater Malerschule, vielleicht des Pierant. Mezastris. Sodann wendet er sich den Resten der Wandgemälde zu, die sich in der vor den Mauern des Fleckens gelegenen, schon io 18 urkundlich bezeugten Kirche S. Maria del latte erhalten haben. Da ist eine Madonna in trono, die das Kind säugt, umgeben von den hhl. Stefanus und Antonius aus dem Ende des 14. Jahrhunderts; ferner eine Taufe Christi mit sienesischen Anklängen, eine Madonna della Misericordia, mit Antonio Abbate zur Seite, der den knienden Donator der Jungfrau empfiehlt, von unserm Verfasser der Schule von Gubbio (Ottav. Nelli?) zugeschrieben, endlich eine leider nur sehr fragmentarisch erhaltene Madonna mit dem auf ihrem rechten Knie sitzenden Kind, die aus einem Buch in ihrer Rechten liest, der Art Dom. Alfanis nahestehend.

C. V. F.

Neue Urkunden zu Donatellos Arbeiten im Santo von Padua.

Ein glücklicher Fund, den Dr. Vittorio Lazzarini, der verdiente Professor der Paläographie und Diplomatik an der Universität zu Padua unter den Akten des Notars Bevolenta machte, die in eine Abteilung des städtischen Archivs verlegt waren, wohin sie nicht gehörten und deshalb bisher unbeachtet geblieben waren, hat uns die beiden Originalverträge

igo

Mitteilungen über neue Forschungen.

in die Hand gespielt, womit Donatello und seinen Schülern bzw. Ge- hilfen die Ausführung der Reliefs und Statuen für den Altar im Santo übertragen wird. (Nuovi documenti intorno a Donatello e all’ opera del Santo. Estratto dal Nuovo Archivio Veneto 1906 vol. XII parte I.) Ihr Inhalt war bisher nur durch den Auszug bekannt, den davon nach den Rechnungsbüchern der Area del Santo Andrea Gloria in seiner Schrift »Donatello e le sue opere nel tempio di S. Antonio di Padova, 1895« gegeben hatte. Vor allem wird nun durch den Fund Prof. Lazzarinis das Datum, das jene Auszüge tragen, berichtigt: Die Verträge wurden nicht 1446, sondern erst am 29. April und 23. Juni 1447 notariell ab- geschlossen u. z. betraf der erste die zehn Engel und vier Evärigelisten- symbole, der zweite aber die vier großen Relieftafeln und die .Statuen der hhl. Franz und Ludwig. Allerdings hatten die Künstler schon vorher Hand ans Werk gelegt: die zehn Engel, sowie drei der Relieftafeln waren schön gegossen, die Symbole und die beiden Heiligen im Wachsmodell fertig gestellt, nur das vierte Relief, das Wunder des Geizigen, war noch nicht begonnen. Als Bürge, im ersten Vertrag ist Niccolö Nani angeführt, dieselbe Person, die schon seit 1443 an den Arbeiten im Santo in den Rechnungen der Area aber unter dem Namen Giovanni vorkommt. Es scheint also ein Versehen von Seite des Notars vorzuliegen. Wichtig ist, daß wir aus dem ersten Vertrag die bisher unbekannten Vatersnamen zweier Gehilfen Donatellos erfahren: Giovanni da Pisa war der Sohn eines Francesco; Francescos del Valente Vater hieß Antonio. Auch die Person des einzigen paduanischen Gehilfen am Werke, des Malers Niccolö wird nunmehr völlig sicher als mit jener Niccolö Pizzolos identisch festgelegt, des Kompagnons A. Mantegnas bei der Ausmalung der Capp. Ovetari in den Erömitani. Er war der Sohn des »Banditore« (Herold, Ausrufer) Pietro, der auS Villa Ganzerla im Vicentinischen nach Padua eingewandert war. Da er als »Nicolaus pictor« qualifiziert wird, so ist zu vermuten, es habe ihm die Vergoldung der Skulpturwerke obgelegen. Eine bezeich- nete Arbeit Pizzolos ist das Sgraffito der Madonna mit den hhl. Lucia und Rochus auf einem Majolikatöndo des Museo civico von Padua. Lazzarini verspricht übrigens, über ihn und andre PaJuaner Künstler nächstens bisher nicht bekannte urkundliche Mitteilungen zu veröffentlichen.

C. V. A.

Nekrolog Karl Aldenhovens

Von Ludwig Scheibler.

Zunäciist gebe ich den I. ebensbericht, mit Benutzung von Auf- zeichnungen seiner einzigen noch lebenden jüngeren Schwester, Fräulein Anna Aldenhoven in Godesberg, nach seinem Tode geschrieben. Der Vater, Karl Aldenhoven, geb. 1812, war Lehrer der klassischen Sprachen am Gym- nasium zu Rendsburg, als der Sohn, Karl Joh. Friedr., am 25. Nov. 1842 ge- boren wurde. Herbst 1845 zog die Familie nach Ratzeburg, wo der Vater die selbe Stellung einnahm. Außer Karl blieben nur zwei jüngere Schwestern länger am Leben; die Mutter starb Ende 1857; der Vater wurde wegen unheilbarer Erkrankung Herbst 1858 pensioniert. Karl ging 1858 nach Altona und absolvierte 1862 das dortige Gymnasium. Im Frühjahr 1862 bezog er die Universität Jena zum Studium der klassischen Philologie, wo er einer Burschenschaft beitrat. Von den Professoren war Freiherr von Gutschmitt, der eine eigenartige Auffassung der grie- chischen Mythologie hatte, von Einfluß auf A.s bleibende Vorliebe für diese 'Wissenschaft und auf ihre Richtung; noch bis in seine letzte Zeit beschäftigte er sich gern mit diesen Studien, wurde aber durch den Tod verhindert, sie auszuarbeiten. Frühjahr 1863 ging A. zur Bonner Universität; er genoß hier den Vorzug, mit Otto Jahn zu verkehren, einem Jugendfreund seines Vaters. In Bonn trat er auch zuerst der nachantiken Kunstgeschichte näher, als Hörer Anton Springers. Von Frühjahr 1864 an studierte er die obligaten zwei Jahre lang an der Holsteiner Landes- universität Kiel; hier verkehrte er viel im Hause von Klaus Groth. Das Examen für das Lehramt der klassischen Philologie machte er 1866, dagegen kein Doktorexamen, aus Mangel an Mitteln; das war sein erster »unkorrekter« Streich. Trotzdem erhielt er ein Stipendium am archäo- logischen Institut in Rom, wohin er im selben Jahr mit seinem Freunde Friedr. Matz aus Lübeck zog. Der i^Ajährige dortige Aufenthalt ge- hörte später zu seinen schönsten Erinnerungen, und von daher stammt seine bleibende Vorliebe für antike und italienische Kunst. Unter seinen Aufsätzen für das Jahrbuch des Instituts ist hervorzuheben der über eine unbeachtete Figur in Rom, die er als eine griechische Spes aus dem

Ludwig Scheibler:

192

6. Jh. V. C. nachwies. 1869 ging er als Gymnasiallehrer nach Husum; er wurde dort befreundet mit Theod. Storm, dessen Auswahl deutscher Lyriker er zusammenstellen half. Er selbst dichtete auch, doch nur zeitweise, und später bloß bei besonderen Gelegenheiten, öffentlichen wie privaten ; in seinen Gedichten der Husumer Zeit fand Storm » eine gewisse schwerfällige, antike Grazie«. 1871 verließ er sein heimatliches Holstein auf immer, weil er sich mit dem preußischen Schulregiment nicht befreunden konnte, und ging nach Gotha, wo er bis 1890 blieb, zunächst auch als Gymnasiallehrer; dann, aus Gesundheitsrücksichten, vertauschte er dies Amt mit einem an der dortigen Bibliothek. Als 1877 der Neubau des Museums vollendet war und die bisher notdürftig aufgespeicherten Kunst- schätze darin aufzustellen waren, erkannte Herzog Ernst ihn als den richtigen Mann dafür und ernannte ihn 1878 zum Direktor des Museums. Die Aufstellung führte er in musterhafter Weise aus. Bei seinem zwanzig- jährigen Gothaer Aufenthalt fand er dort seine zweite Heimat, durch viele vertraute persönliche Beziehungen, so zu Gustav Frey tag und J. A. Cr owe, von dessen Schriften zur italienischen Malerei er einen Teil übersetzte. Berner machte er damals Studienreisen in Italien, auch zur Revision und Bearbeitung von Bädeckers Reisebüchern betreffs des kunst- geschichtlichen Teils. Vom Jahr 1881 an wandte er sich stark der politischen Tätigkeit zu, veranlaßt durch die Agitation für Theod. Barths Kandidatur für den Reichstag; beide blieben seitdem eng be- freundet. Der Herzog war ihm lange ein wohlwollender und einsichtiger Herr (in dessen Gefolge reiste er nach Paris und Spanien); als dieser ihn zum Hofrat machte, um ihn von der »Wühlerei« abzuhalten, kehrte er sich jedoch nicht daran. Bei der herzoglichen Tafel fand ein Höfling das skandalös, aber ein Freund A.s, Generalsyperintendent Schwarz, erwiderte; »Der Mann ist doch Hofrat, nicht Hoflakai!« Als ein Minister von Bismarcks Gnaden nach Gotha kam, nahm A. die Stelle als Direktor des städtischen Wallraf-Richartz-Museums zu Köln an, so schwer ihm das Verlassen Gothas fiel. Dies geschah Anfang März 1890; er hatte die vielbegehrte Stelle erhalten wegen der erfolgreichen Gothaer Neuaufstellung; denn beim Kölner Museum stand ein teilweiser Umbau bevor, verbunden mit starken Änderungen in der Aufstellung. Auch hier bewährte er sich in der Durchführung dieser Aufgabe wie in wissenschaftlichen Katalogen. Die altkölnischen Bilder, bisher in dunkeln, kleinen Abteilungen mit Seitenlicht untergebracht, kamen großenteils in während seiner Amtstätig- keit gebaute helle Oberlichtsäle; die Abgüsse nach antiker und späterer Plastik wurden stark vermehrt; die Stiche und Zeichnungen erst der Be- sichtigung zugänglich gemacht. Hervorzuheben ist auch der Versuch, durch farbige Gipse die Vielfarbigkeit der antiken Plastik darzustellen

Nekrolog Karl Aldenhovens.

193

(vgl. Nation, 28. Dez. 1895), der bei den Sachverständigen Beifall fand. In Köln war A.s Stellung zu seinen Vorgesetzten weniger angenehm als die in Gotha zum Herzog, doch schlug er sich durch und war hier in seiner politischen Tätigkeit, der er bis zuletzt treu blieb, weniger be- hindert. Während seiner Amtsführung wurden von wichtigen Gemälden erworben: Meister des Marienlebens, Madonna mit St. Bernhard; Meister von St. Severin, zwei Szenen aus der Ursulalegende; Rubens, Argus- bild; Jan Steen, Simsonbild; Claude Lofrain,. Landschaft; Murillo, Portiuncula, teilweise mit Unterstützung von Kölner Privaten. Zwar behagte A. die niederrheinische Menschenart und Kultur weniger als die Thüringer, doch fand auch in Köln sein Sinn für Freund- schaft und anregenden Umgang genügende Nahrung. Spätestens 1903 wurde er Professor, machte aber so wenig Wesen davon, daß ich es erst durch die Todesanzeige erfuhr. Schon in Gotha hatte A. begonnen, durch Vorträge über bildende Kunst Verständnis dafür in weiteren Kreisen zu erwecken; in Köln setzte er das in größerem Maßstabe fort. Zuerst in den vom Oberbürgermeister Becker veranlaßten öffentlichen Vorträgen der städtischen Beamten im Gürzenich; dann, nach Gründung der Handels- hochschule, durch Vorträge und Museumsgänge für diese. Ferner war es ihm eine Lieblingsaufgabe, »an Sonn tag- Vormittagen in Wirtshaussälen vor den Arbeitern populäre Kunstvorträge zu halten, deren lehrreiche Anschaulichkeit in den Köpfen der Besucher wohl für immer haftet; er veranstaltete auf Wunsch der Arbeiterorganisationen auch Museumsgänge« (aus der sozialistischen Rhein. Ztg., 25. Sept. 1907). Durch seine po- litische Tätigkeit hatte er gelernt, wirkungsvoll vor einfachen Leuten zu sprechen, »ohne sich jemals etwas zu vergeben«. Endlich war er einer der geachtetsten Redner in auswärtigen Vortragsvereinen; denn mit gediegenem Inhalt in anregender Form verband er in oratorischer Be- ziehung Musterhaftes: seine Stimme war nicht stark, doch sehr verständ- lich, der Vortrag ruhig, unbefangen und natürlich. Leider entsprach der geistigen Gesundheit A.s von jeher nicht seine körperliche; in den letzten Kölner Jahren verschlimmerte sich diese Kränklichkeit, so daß es im Sommer 1904 zu einer lebensgefährlichen Operation kam, die einen längeren Erholungsaufenthalt bei Rapallo nötig machte. Er verbrachte ihn unter Pflege seiner Haushälterin bei ihm sympathischen Bauersleuten. Dann konnte er seine Amtstätigkeit wieder aufnehmen, wenn auch dauernd geschwächt 1907» 19* Juli, hielt er den letzten Vortrag an der

Handelshochschule, dann ging es rasch bergab; der Tod erfolgte, nach Krankenlager von Mitte August an, am 24. September 1907. Die Leichen- feier im Kölner Wohnhause verlief sehr würdig, indem bei zahlreicher Beteiligung einheimischer und auswärtiger Freunde und Bekannten

194

Ludwig Scheibler:

vier inhaltsvolle Reden gehalten M^urden; zwei längere, von He rin, Schumacher (gedruckt) und vom Kölner evang. Pfarrer Jatho (nicht in seinem Amt, sondern' im Namen der Kölner Freunde), und zwei kürzere von Theod. Barth und Fried. Cauer. Dann ging der Leichen- zug zum Bahnhof, behufs der Feuerbestattung zu Mainz.

Es bleibt noch übrig, etwas über A.s Schriften und seinen Charakter zu sagen. Leider ist er nicht dazu gekommen, seine zahlreichen großen und kleinen Aufsätze gesammelt herauszugeben; hoffentlich geschieht das noch, da sie - in Gehalt und Form zu den besten deutschen Essays gehören; sie bieten »in knappem Rahmen eine Fülle von Gedanken, eine eigenartige Beleuchtung von Tatsachen, eine feine Ironie« (Simch owitz). In den siebziger( Jahren schrieb er manches Kleine, auch literarische Kritiken in Doves Zeitschrift: Im neuen Reich und im Deutschen Literatur- blatt; dann vieles in der »Nation« seiner Freunde Th. Barth und P. Nathan, seit Erscheinen bis zum Eingehen (Herbst 1883 bis Frühjahr 1907)^).

’) Die. Aufsätze in der »Nation« über antike und spätere Kunst sowieAllgemeines zur Kunst zähle ich hier vollständig auf;

1883; Italienische Porträtbüsten in Berlin (6. Oktober); Die Widersprüche der Kunstkritik (Uber eine Zusammenstellung der Beurteilungen einer Berliner Ausstellung, 15, Dezember); 1884: Nekrolog Ludwig Richters (28. Juni); Von der Turiner Ausstellung (12. Juli); Reisegedanken über Michelangelo (23. August); 1885: Ein französischer Sammler (Vermächtnis Davillier im Louvre, i. August); »Aus Italien« (Kritik von Jos. Bayers Buch; 3. Okt); 1886: Der Barockstil in der Archäologie (gegen eine Rede O. Benndorfs in der Wiener Akademie; 24, April); Aus Palermo (22. Mai); Akragas. (12. Juni); Aus Calabrien (26. Juni); Über spanische Malerei (20. und 27. Nov.); 1887: Casa Bartholdy (i. bis 15. Jan.); Ein gutes Bilderbuch (Könneckes Bilderatlas zur deutschen Literatur; 19. Febr.); Houdon in Gotha (2. April); Zur Charakteristik des Kunsthandels (6. Juli); Aus dem Berliner Museum (Skulpturen der ital. Renaissance; 29. Okt.); De gustibus (seine »Ästhetik in nuce«; 24. Dezember); 1888: Rembrandt (7. April); Die Erinnerungen des Grafen Schack (19. Mai); Perugia (4. August); Assisi (22. Sept.); Spoleto (24. Nov. und i. Dez.); 1889: Ravenna (30. März); Das Grimm- Denkmal (gegen das preisgekrönte Modell für Hanau; 8. Juni); Kunstideale; an die Tante des Herrn Helferich (15. Juni; gegen dessen Artikel vom i. Juni; vgl. vom 9. Nov.); Holländische Bildnisse (23. Nov.); 1891 : Religiöse Kunst (neue Ricl\tungen darin; 19. Sept.); 1893 : Griechische Götterideale (zu H. Brunns Werk; 18. Febr.) ; Kunst und Armut (18. März); Über die altkölnische Malerschule (4. und ii.Nov.); Griechische Plastik (zu Furtwänglers Werk; 9. Dez.); 1894: Moderne Kunstgeschichte (zu Muther; 16. Juni); Die Kunst und das Publikum (dessen Verhalten zur neuesten Kunst; 29. Dez.); 1895: Besprechungen kunstgeschichtlicher Werke (Ant. Springer, Alw. Schultz; 14. Dez.); Farbige Gipie (nach Antiken, 28. Dez.); 1896: Die Anfänge der neuen deutschen Kunst (um j8oo, 26. Sept. und 3. Okt.); Ein Kunstgespräch, (über neueste Kunst, zwischen K. Neumann u. »Altmann«; 7. Nov.); 1898: Nekrolog von Karl Gehrts (13. August); 1899: Die moderne Malerei, ein Rückblick (16. und 23. Sept.); 1903: Lorenzo de’ Medici und Savorarola in ihrem Verhältnis zur Kunst (n. und 18. April); 1904; John Rüskin (10. Sept.); 1907: Christliche Antike (zu L. von Sybels Werk über altchristliche Kunst).

Nekrolog Karl Aldenhovens.

195

A.s einziges Buch ist seine Geschichte der Kölner Maler- schule, erschienen 1902; über die Entstehungsgeschichte' kann ich fol- gendes berichten. Wir beide siedelten im Frühjahr 1890 an den Nieder- rhein über, ich nach Bonn. Die Gesellschaft für rheinische Geschichts- kunde hatte schon damals die Absicht, ein großes Tafelwerk zur alten Kölner Malerschule herauszugeben, mit Beigabe eines erklärenden Textes. A. suchte mich zu bewegen, beides zu übernehmen, da ich in meiner Dissertation von 1880 eine Geschichte dieser Schule in Aussicht gestellt hatte und er sich erst in sie hineinarbeiten müsse. Ich entgegnete, daß ich seit dem Abgang von der Berliner Galerie, Frühjahr 1884, mich ganz der Musikgeschichte zugewandt habe, und daß er in seiner Stellung doch die Altkölner gründlich kennen lernen müsse. Wir einigten uns dahin, daß ich nur die Herausgabe des Tafelwerks übernahm, jedoch mit seinem Beirat bei der Auswahl, und er den Text, mit meinem Beirat. So fand ich Gelegenheit, meine Studien zu dieser Schule wenigstens indirekt zu verwerten, sofern das in der Dissertation nicht geschehen war. A. ar- beitete sich nun im Lauf der nächsten Jahre gründlich in die Altkölner hinein, auch auf Reisen; bei unserem guten persönlichen Verhältnis unterhielten wir uns oft über diese Maler und Bilder, besonders als ich wegen des neuen Katalogs der Gemälde in zwei Sommern je einige Wochen in Köln war. Er arbeitete dann allmählich den Text aus, der sich von vornherein zu einer Geschichte dieser Schule erweiterte, und legte ihn mir erst nach völliger Fertigstellung vor; ich machte dann Bemerkungen dazu, die wir weiter besprachen und die er nach Gutdünken benutzte; beim Durchsehen der Druckbogen wiederholte sich dieser Vorgang. Unser Verhältnis hat einige Ähnlichkeit mit dem zwischen Crowe und Caval- caselle: wer Crowe wie A. für bloße Formulierer von ihres Partners An- sichten ausgeben wollte, würde ihnen schweres Unrecht tun; Abweichungen meiner Ansichten sind in den Noten angegeben. In Note 526, die sich auf das Schlußresümee bezieht, hat A. die Art meiner Mitarbeit dar- gelegt. — Freilich ist nicht zu leugnen, daß sein Werk, bei allen Vor- zügen: Sachkenntnis, Gründlichkeit, künstlerisches Urteil, Kenntnis der Kultur der Zeit, geschmackvolle Darstellung, doch etwas von einer Pflicht- arbeit hat. Es läßt merken, daß A.s Vorliebe nicht den deutschen Malern gehörte , die noch ganz im Mittelalter stehen oder an dessen Grenze, sondern der antiken Kunst und der italienischen Renaissance. Damit will ich jedoch nicht die Irrlehre der Klerikalen nachbeten, nur ein mittelalterlich Gesinnter könne jene Künstler richtig würdigen.

A.s meiste kleine Arbeiten über Gegenstände aus seinen Lieblingsgebieten der Kunstgeschichte nennt mein Verzeichnis der Nationartikel; bei ihnen sind auch einige über niederländische und spanische Malerei sowie All-

196

Ludwig Scheibler: Nekrolog Karl Aldenhovens.

gemeines zur Kunst. Auch über die neueste schrieb' er ziemlich oft; er fühlte sich hier als »Altmann« im Gegensatz zu den Neumännern, siehe sein fingiertes Gespräch mit Karl Neumänn (7. Nov. 1896). Jedoch war wohl nicht ganz ohne Nutzen, daß A. es wagte, » als alter Onkel oder Zopf« denen gegenüberzutreten, die jede neue Richtung mitmachen nur der Neuheit wegen, ohne sich sonderlich um die künst- lerische Berechtigung zu kümmern. An Interesse für die Kunst der Gegenwart und an Beifall für bedeutende Werke fehlte es ihm aber nicht, und noch im Mai 1907 sprach er bei Eröffnung der Kölner Kunstausstellung von der Pflicht gegenüber einem neuen Kunstwerk, nicht gleich hoch- mütig abzuweisen, was zuerst fremdartig und unverständlich erscheine.

Über A.s Charakter findet sich Eingehendes in der zu Ende ver- zeichneten Tdteratur, namentlich in den Äußerungen seiner Freunde Th. Barth und H. Schumacher. Alle bezeugen, daß er ein außer- gewöhnlich selbständiger und charakterfester Mann war. Dadurch geriet er mit Gegnern mitunter an einander; anderseits veranlaßte die Be- deutung und der Reiz seiner Persönlichkeit, daß er überall einen großen Kreis von Freunden, Bekannten und Verehrern fand, vom Fürsten bis zum Arbeiter, unter ihnen viele hervorragende Männer und Frauen. Aus, dem letzten Jahr stammt eine gute Marmorbüste A.s vom Kölner Schreiner deren verkleinerte Abgüsse er noch an Freunde schickte.

Literatur.

Kurze Nekrologe: [A. Lindner und Jagenberg] Köln. Volksztg. 1907,

25. Sept.; [Perfall] Köln. Ztg. 25. und 27. Sept.; S. Simchowitz, Frankftr. Ztg.

26. Sept.; f , Rhein. Ztg. 25. Sept., 8. Nov.; Kunst für Alle, 1. Nov.; Die Woche,

Sept. Okt., m. Bildnis. Größeres: Ed. Müller, Rede zum Gedächtnis A.s, Gothaisches Tageblatt, 15. Okt.; Arth. Undner, Kunstchronik, Anfang Okt., Sp. 13 5; Th. Barth, »März«, 2. Okt.-Heft, S. 104 6. Herrn. Schumacher, Gedenkworte an A.s Sarge (6. S., gedr. Bonn, C. Georgi). *

Bei der Redaktion eingegangene Werke:

Burckhardt, Jakob. Die Kultur der Renaissance in Italien,

Zehnte Auflage von Ludwig Geiger. Leipzig, E. A. Seemann. M. 10.50.

Czapek, Rudolf. Grundprobleme der Malerei. Ein Buch für Künstler und Lernende. Leipzig, Klinkhardt & Biermann. M. 3.

Drathen, Justizrat Dr. jur. Das Rechtsschutz des bildenden Künstlers. Leipzig, E. A. Seemann. M. 1.40.

Glaser, Curt. Hans Holbein der Ältere. Mit 69 Abb. auf 48 Licht- drucktafeln. Leipzig, Karl W. Hiersemann. M. 20.

Grisar S. J., Hartmann. Die römische Kapelle Sancta Sanctorum und ihr Schatz. Meine Entdeckungen und Studien in der Palast- kapelle der mittelalterlichen Päpste. Mit einer Abhandlung von M. Dreger über die figurierten Seidenstoffe des Schatzes. Mit 77 Textabb. und 7 zum Teil farbigen Tafeln. Freiburg, Herdersche Verlagshandlung. M. 10.

Kraus, Franz Xaver, Geschichte der christlichen Kunst. Zweiter Band. Die Kunst des Mittelalters und der italienischen Renaissance. Zweite (Schluß-)Abteilung. Italienische Renais- sance. Zweite Hälfte. Fortgesetzt u. herausgegeben von Joseph Sauer. Mit Titelbild in Farbendruck, vielen Abb. im Text u. einem Register zum ganzen Werke. Fr.eiburg i. B., Herdersche Verlags- handlung. M. 19.

Lucka, Emil. Die Phantasie. Eine psychologische Untersuchung. Wien, Braumüller. M. 2.50.

Mayer, August L. Jusepe de Ribera (Lo Spagnoletto). Mit 59 Ab- bild. in Lichtdruck auf 43 Tafeln. Leipzig, Karl W. Hiersemann. M. 24.

Pidoll, Karl von. Aus der Werkstatt eines Künstlers. Erinne- rungen an den Maler Hans von Maröes aus den Jahren 1880 81 und 1884 1885. 1890 als Manuskript gedruckt.

Nachdruck. Erste Auflage. Luxemburg, V. Bück.

Sievers, Johannes. Pieter Aertsen. Ein Beitrag zur Geschichte der niederländischen Kunst im XVI. Jahrhundert. Mit

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

14

198

Bei der Redaktion eingegangene Werke.

35 Abb. auf 32 Lichtdrucktafeln. Leipzig, Karl W. Hiersemann. M. 18.

Springer, Anton. Handbuch der Kunstgeschichte. III. Die Re- naissance in Italien. Achte Auflage, bearbeitet von Adolf Philipp!. Mit 332 Abb. im Text und 20 Farbendrucktafeln. Leipzig, E. A. Seemann, M. 8.

W. Bürgers Kunstkritik. Deutsche Bearbeitung von A. Schmarsow und B. Klemm. I. Neue Bestrebungen der Kunst. Land- schaftsmalerei. Leipzig, Klinkhardt und Biermann. M. 3.

Studien zur Trecentomalerei.

Von Wilhelm Suida.

VI.

Kritische Bemerkungen über: Adoifo Venturi, Storia dell' arte Italiana vol. V. La pittura del Trecento e le sue origini.

Die Malerei des Trecento ist heute so sehr in den Vordergrund des Interesses getreten, daß man ein Buch, das sich als zusammenfassende Darstellung ihrer geschichtlichen Entwicklung ankündigt, sicher mit großer Spannung zur Hand nimmt Wer die reiche Literatur kennt, welche die letzten Jahre über diesen Gegenstand hervorgebracht haben, wird nun allerdings wissen, daß unsere genauere Kenntnis der Trecentokunst noch völlig fragmentarisch ist Manche Schulen sind uns annähernd, manche noch so gut wie gar nicht bekannt Wie die Fäden laufen, die dieses prächtige Gewebe bilden, ist noch gar nicht genügend untersucht einfach deshalb, weil wir die Beschaffenheit all der einzelnen Fäden eben noch nicht kennen. Die Ansichten freilich über Entwicklung der Trecento- kunst die in Jakob Burckhardts Cicerone stehen, dürfen als beseitigt gelten. Die Tatsache und Bedeutung der Entwicklung selbst wird heute niemand mehr leugnen. Aber deren Gang, Etappen, sowie maßgebende Faktoren sind noch recht ungenügend bekannt Gelingt es doch fort- während noch neue Künstlerpersönlichkeiten mit und ohne Namen fest- zustellen, ihre Begabung, Bedeutung und Entwicklung zu erkennen, und zwar nicht etwa belanglose Maler untergeordneten Ranges, sondern be- deutende Individualitäten, die in der Gesamtentwicklung eine Rolle spielen.

Es gehört also ein recht kräftiges Selbstvertrauen dazu, eine Dar- stellung des Gesamtgebietes da schon zu versuchen, wo die Einzelzüge noch so mangelhaft bekannt sind. Viele Partien einer solchen Darstellung können nicht mehr als eine Aneinanderreihung von Details bieten, ein or- ganisches Ganzes konnte Venturis Buch zum Teile schon deshalb nicht werden.

Als Materialsammlung verdient das Buch Beachtung, wenn auch eigentlich Neues kaum geboten wird. Einzelnes kommt dazu, manches sehr wichtige Stück ist geradezu unbegreiflicherweise übersehen. Die folgenden Anmerkungen, die ich zu den einzelnen Kapiteln des Buches

Repertorium (Ur Kunitwiesenechaft, XXXI.

«5

200

Wilhelm Suida:

gebe, sollen nur die Materialsammlung zum Teile ergänzen und deren Sichtung fördern helfen:

Kapitel I. Aufzählung einer großen, fast ermüdenden Zahl von Kruzifixen des 13. Jahrhunderts. Es folgt dann eine Reihe von Ma- donnen des Ducento, was aber Fig. 31 und 32 (umbrische Madonnen des 14. Jahrhunderts, und zwar nicht gerade der allerfrühesten Zeit) hier tun, ist nicht zu ersehen, umsomehr, als nach ihnen erst die Gruppe des Guido da Siena besprochen wird. Gegen Wickhoff, der das Datum 1221 verfochten, stellt sich V. auf Milanesis Standpunkt der Datierung 1271. Seine Gründe, sowie die neuerdings (V. noch unbekannten) von Davidsohn im Repertorium für Kunstwissenschaft 1907 publizierten Do- kumente geben doch der Ansicht Milanesis ein sehr starkes Gewicht. Die Übermalung möchte V. dem Düccio selbst zuschreiben, eine übrigens zu- erst vori Thode geäüßerte Ansicht. Es folgt sodann eine Besprechung zahl- reicher ducentistischer' Tafelbilder, bei denen es aber doch wohl hätte vetsucht werden können, Gruppen zu sondern und Schulen zu charakteri- sieren.

II. Das zweite Kapitel ist der Betrachtung der römischen Malerei des 13. Jahrhunderts gewidmet. Pietro Cavallini, den V. auch für den Aütor. der Fresken in S. Maria Donna Regina .in Neapel hält, Jacopo Torfiti ünd Filippo Rössuti sowie deren Zeitgenossen in Rom werden be- trachtet. Cimabue, dessen Tafelbilder schon, im i. Kapitel erwähnt worden waren, wird jetzt als Freskomaler behandelt. V. hält die Ma- donna in Florenz (Akademie), im Louvre und das Fresko in Assisi (dessen starke Übermalung hätte erwähnt werden können) für Cimabues Werke. Auch in den Fresken im Chor und Querschiff der Ober- kirchö von S. Francesco zu Assisi erkennt V. Cimabues Hand, ganz in Übereinstimmung mit Thode und neuerdings Aubert. Auf Thode geht auch die von V. übernommene Zuteilung der Fresken in einer der Chorkapellen von S. Croce zurück. Wenig Wahrscheinlichkeit haben V.s Hypothesen bezüglich einer Mitwirkung Cimabues an den Mosaiken des Baptisteriums von Florenz und von dessen Autorschaft an den Fresken des Portiküs der alten Peterskirche, die wir einzig aus Zeich- nungen des 17. Jahrhunderts kennen.

Daß von den Zeitgenossen Cimabues eine so markante Persönlich- keit wie Manfredino d’Alberto da Pistoja, von dem beglaubigte Werke von 1290 ünd 1292 in Pistoja und Genua existieren, nicht einmal er- wähnt wird, ist erstaunlich.

Eingehend bespricht V. die Fresken des Langhauses der Oberkirche zu Assjsi. Der Nachweis, daß dieselben aus dem Kreise der römischen Kunst herauswachsen, ist nicht neu. Auf Torriti führt V. das Gewölbe-

Studien zur Trecentomalerei.

201

joch mit den vier Medaillons, auf Rossuti dasjenige mit den vier Kirchenvätern zurück. Die verwickelte Frage der Franzlegende sucht V. durch Be- tonung der stilistischen Unterschiede zwischen den einzelnen Fresken zu entwirren. Ich möchte zu seinen Ausführungen nicht Stellung nehmen, bevor ich dieselben vor den Originalen noch einmal überprüft habe. Es scheint mir, daß V. auf gewisse kleine Züge der Formenbehandlung, die bei der rücksichtslosen Restaurierung der Fresken verwischt oder betont werden konnten, für seine Beweisführung zu viel Gewicht legt. Eine Oberleitung der ganzen Arbeit durch Giotto scheint V. anzunehmen. Doch möchte er als von dem Meister selbst ausgeführt nur Bild i, i6, 19 23 gelten lassen; in dessen Nähe versetzt er noch Bild 5, 13 15, 17 und 24. Bild 2 4 gibt er einem aus der gleichen Schule kommenden aber noch altertümlicheren Künstler, in dem er geneigt ist, Puccio Ca- panna zu vermuten wohl hauptsächlich deshalb, weil sich das Vor- kommen von Szene 4 in sehr ähnlicher Fassung in den mit größter Wahr- scheinlichkeit dem Puccio Capanna zuzuschreibenden Fresken im Chor von S. Francesco zu Pistoja so am bequemsten erklären würde. Einen zweiten Gehilfen Giottos, der besonders nahe Verwandtschaft zur römi- schen Kunst aufweist, und den V. mit Filippo Rossuti identifizieren möchte, findet er in Bild 6 12 und 18. Die vier letzten Bilder endlich, 25 28, gibt V., wie schon mehrere Forscher vor ihm getan haben, dem Meister des Cecilienaltars. Wie anders lautet die Lösung, die Sirdn in seiner wenig vor Venturis Buch erschienenen Giottomonographie vorschlägt! Giotto habe Bild 2 19 eigenhändig ausgeführt, der Cecilienmeister aber Bild I, sodann 26 28. Auffallend ist nur, mit welcher Ruhe das Al- tarbild der Stigmatisation des hl. Franz im Louvre sowohl von V. wie von Sirdn abgelehnt wird. Beide halten es für ein Schulwerk; V. meint, die alte ursprüngliche Signatur sei nur zur Erinnerung daraufgesetzt, daß die Vorbilder der Hauptszene sowie die 3 Predellen täfelchen in den auf Giottos Erfindung zurückgehenden Fresken zu Assisi existieren. Dabei ist aber völlig übersehen, daß es sich weder in der Haupttafel noch in den Pre- dellenszenen um Kopien handelt. Ich möchte alle vier Szenen vielmehr als organische Weiterbildungen der älteren Kompositionen bezeichnen in der Richtung, die uns endlich die späten Fresken der Cappella Bardi kennzeichnen. Schon die Monumentalisierung der Stigmatisations- szene ist charakteristisch. Die Figur des Franciscus wird größer, der Kruzi- fixus zeigt schon etwas von der prachtvollen Durchbildung des gewaltigsten Gekreuzigten, den Giotto malte, desjenigen von S. Felice*). Der nächste und

') Auf die eminente Qualität dieses Werkes habe ich zuerst im Repertorium Bd. XX S. 9 hingewiesen, die Eigenhändigkeit ist seitdem auch von Siren und Venturi an- genommen worden.

15

202

Wilhelm Suida:

für die Epoche letztmögliche Schritt in der Durchbildung dieser Kom- position war der grandiose Kontrapost der Gestalten in dem Fresko über dem Eingang der Cappella Bardi. Bei dem Traume des Papstes Inno- zenz III. ist auf der Louvrepredella die verdeutlichende und ver- bindende Gestalt des hl. Petrus beigefügt, die in Assisi noch fehlt, sodann ist das Stützen der wankenden Lateransbasilika unvergleichlich besser zum Ausdruck gebracht. Steht doch auf dem Fresko Franciscus selbst noch auf dem schräggestellten Sockel der Kirche, erst auf der Predella tritt er von der Seite an dieselbe heran. Durch Vermehrung der Gesimsträger an den verkürzten Seitenteilen des Gemachs erzielt Giotto auf der Predella eine bessere Raumwirkung, als sie im Fresko zu Assisi gegeben war. Das Altarbild aus S. Francesco in Pisa ist also meines Erachtens keines- wegs beiseite zu schieben, sondern es ist sogar ein sehr wichtiger Faktor für die Erkenntnis der formalen Entwicklung Giottos.

Wertvoll ist V.s Hinweis auf das erhaltene Freskofragment aus der Apsis der alten Peterskirche.

Kapitel III. Den Fresken der Cappella Scrovegni in Padua ist eine ausführliche Studie gewidmet. Auch hier geht V. darauf aus, die feinen stilistischen Unterschiede zwischen den einzelnen Bildern festzustellen. Ob bei dem restaurierten Zustande auch dieser Fresken V.s stilkritische Scheidung, die Schlüsse, die er daraus auf eigenhändige und Gehilfen- ausführung zieht, darauf Anspruch machen dürfen, für mehr als subjektive Mutmaßungen zu gelten, lasse ich dahingestellt. Wenn V. zum Beispiel die wundervolle Kreuztragung, die weniger restauriert, im Grunde dabei besser erhalten ist, als viele der übrigen Fresken, für Gehilfenarbeit er- klärt, wenn er die Himmelfahrt teilweise nicht einmal im Entwurf als Arbeit Giottos gelten läßt, so möchte ich dem auf das Entschiedenste wider- sprechen. Von dem Zyklus des Marienlebens in der Apsis der Kapelle ist zwar die Rede, V. hat aber gar nicht erkannt, daß es sich hier um ein wichtiges Werk der romagnolischen Schule handelt, von einem Maler ge- fertigt, dessen Tätigkeit in Padua ich auch noch an Freskenresten im Santo, an den Eingangsbögen zweier Chorkapellen nachweisen zu können glaube.

Die Freskenreste im Kapitelsaal des banto scheidet V. ebenso wie die Deckenbilder in S. Giovanni zu Ravenna aus Giottos CEuvre aus. Im ersten Falle irrt V. meines Erachtens ganz sicher. Unter den Tafel- bildern vermisse ich das Altarbild der Madonna mit einer Heiligen in Halbfigur im Refektorium von S. Croce, das V. gar nicht erwähnt. Das Gemälde ist vernachlässigt) aber nicht schlecht erhalten und zweifel- los eigenhändig von Giotto, dessen Hand Thode darin erkannte, dem auch Sirdn es zuschreibt. Das Mittelstück zeigt nahe Beziehung zu dem

Studien zur Trecentomalerei.

203

Freskobilde der Madonna im Medaillon in der Oberkirche von Assisi. Ein nach Vasari in Ognissanti befindliches Bild des Todes Mariae möchte V. von neuem in dem kleinen Bilde in Chantilly wiedererkennen, eine schon von Anderen geäußerte Vermutung; von Giotto unter Beihilfe von Schülern sei dieses Bild ausgeführt. Das ist ganz unmöglich. Das Bild in Chantilly stammt, wie ich vor kurzem (Rivista d’Arte 1907) nachzuweisen suchte, von dem dem Maso verwandten Meister des Altars von S. Spirito, den V. gar nicht erwähnt. Von Giotto sind aber die Rormen des Bildes durchaus verschieden. Von den Kruzifixen ist dasjenige in S. Felice gewiß das be- deutendste, diejenigen in Padua und doch wohl auch das in Ognissanti kommen dazu, wenn letzteres V, auch als Schülerarbeit aufgefaßt wissen möchte.

Für die nähere Datierung der späteren Arbeiten des Meisters nimmt V. folgende Angaben als Grundlage: die Cappella Bardi nach 1317 (dem Jahre der Kanonisation des hl. Ludwig von Toulouse), später noch die Cappella Peruzzi (eine Auffassung, die bisher alle Forscher teilten, mit Ausnahme von Wulff, der die Peruzzikapelle für früher hält). Um 1320 (laut alter Notiz) das Altarwerk für St. Peter (hier erkennt V. die Hand Giottos namentlich in dem thronenden Petrus und den Heiligenpaaren, der ehemaligen Vorderseite des Altares); vor 1328 endlich, vor der Be- rufung nach Neapel, die Magdalenenkapelle in Assisi. Diese Fresken wären also das späteste uns erhaltene Werk Giottos?

Kapitel IV. Die Schule Giottos.

Ein früher Giottoschüler ist nach V. der Meister der Nikolauskapelle in Assisi, deren Ausmalung gewiß vor 1316 stattfand. V. meint, dieser Maler habe unter Giotto vielleicht schon an der Fra’nzlegende, dann in Padua gearbeitet, hier trete er selbständig auf. Seinen Stil will V. noch in einer Madonna in der Sakristei des Domes von Pisa, die ich nicht in Er- innerung habe, und in einer kleinen Tafel des Bigallo, auf der der hl. Petrus Martyr einer Bruderschaft eine Fahne überreichend dargestellt ist, erkennen. Letzteres Bild scheint mir viel eher sienesischen Stil aufzu- weisen. Einem zweiten Schüler, der ebenfalls anonym bleibt, weist V. eine viel ausgedehntere Tätigkeit zu. Die Fresken des rechten Querschiff- armes der Unterkirche zu Assisi und die Franziskanerallegorien sollen sein Werk sein, als Gehilfe Giottos soll er in Padua und Florenz ge- arbeitet haben, und endlich soll er die Tafeln der Stefanuslegende im Museo Cristiano des Vatikan und die kleine Madonna in Siena, die dem Bernardo Daddi so nahe steht, gemalt haben. Ob hier nicht V. aus der Ähnlichkeit einzelner Typen und Figuren allzu weitgehende Schlüsse zieht? Denn die genannten Fresken in Assisi gelingt es schon V. nicht unter einen Hut zu bringen, er sieht sich zu der gewaltsamen Annahme ge-

204

Wilhelm Suida:

zwungen, ein zweiter Maler, qualitativ besser als unser Anonymus, ja unter allen Schülern Giotto am nächsten kommend, habe dort mitge- arbeitet, an der Geburt Christi zum Beispiel Josef und die Hirten ge- malt, bei der Anbetung der Könige die einzige Figur des alten Königs, die Kreuzigung und den bethlehemitischen Kindermord aber zum größeren Teile. Von dieser Gruppe von Werken läßt V. dann jenen Maler den Ausgang nehmen, der die Gewölbefresken in S. Chiara malte. Diese wären in anderem Zusammenhänge wichtig gewesen wenn nämlich V. es versucht hätte, den einheitlichen Charakter und die Entwicklung der umbrischen Trecentomalerei festzustellen. Den Maler von S. Chiara hat Thode schon viel präziser charakterisiert.

Als dritten frühen Giottoschüler nennt V. den Meister des Cecilienaltars, über dessen Persönlichkeit und Kunstart ich bei früherer Gelegenheit ausführlich gehandelt habe^^). Die von mir besprochenen Werke hat V. auch im wesent- lichen anerkannt, wenn er auch bezüglich des Kruzifixes in S. Quirico bei Florenz sich nicht näher äußert. Den hl. Thomas von Aquino im kleinen Klosterhof von S. Maria Novella habe ich selbst nur mit aller Reserve dem CEuvre des Cecilienmeisters eingereiht und gestehe gerne, daß ich dies längst als verfehlt erkannt habe. Dafür aber bin ich heute in der Lage, das Werk unseres interessanten Künstlers etwas zu bereichern. Den thronenden Johannes Baptista, den ich nach einem alten Stiche schon dem Cecilienmeister zuschrieb, habe ich im Original im Christ Church College in Oxford wieder aufgefunden, Graf Vitzthum nennt mir eine thronende Madonna im Musöe des arts decoratifs im Louvre, die ähnlich derjenigen von Montici sein soll, mir leider nicht deutlich in Er- innerung ist, als weitere Arbeit des Künstlers. Ob er wirklich die letzten Szenen der Franzlegende gemalt hat? Ich kann dies nicht für ausge- macht halten. V. glaubt, in dem Cecilienmeister den Buonamico Buffal- macco gefunden zu haben. Als Stütze für diese Hypothese führe ich an, daß der alte Stich nach dem Johannes in Oxford tatsächlich diesen Namen als Unterschrift trägt, was ich schon im Jahrbuch 1905 er- wähnte, also die Tradition das damals in Florenz befindliche Werk Buffalmacco zuschrieb. Soferne man diesen Namen eben rein als Hypothese annimmt, möchte ich dagegen keine Einwendung machen.

Viel Mühe gibt sich V., den Stefano »scimmia delal natura« wieder auszugraben. Die unvollendete »Gloria«, die Ghiberti von ihm in Assisi erwähnt, will er, wie schon früher, in der Krönung Mariae über der Kanzel der Unterkirche erkennen. Er übersieht dabei ganz, daß von

‘) Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammlungen 1905.

Studien zur Trecentomalerei.

205

dieser »Gloria« ja zwei andere Beschreibungen existieren, eine bei VasariS), welche beweisen, daß Stefanos Fresko eine Kreuzesallegorie war. Für die Krönung Mariae aber und die Szenen der Stanislauslegende halte ich an der Autorschaft Masos fest. Das Kreuzigungsfresko aber im alten Kapitelsaal (Palestra, vgl. Thode, Franz S. 269) ist von anderer Hand.

Auf Puccio Capanna bezieht die Tradition eine Anzahl von Kruzi- fixen, sodann die Szenen aus der Franzlegende und andere Fresken in S. Francesco zu Pistoja. Beglaubigt ist aber für ihn einzig ein von V. merkwürdigerweise gar nicht erwähntes Werk: das Noli-me-tangere in der Cappella Strozzi in S. Trinitä in Florenz; schlecht erhalten muß es doch immer noch zum Ausgangspunkte genommen werden. So vage die künstlerische Persönlichkeit Puccios auch noch ist Sirdn will ihn für den Autor der Jugendgeschichte Christi in der Unterkirche von Assisi halten sicher läßt sich sagen, daß das von V. ihm zuge- schriebene Freskofragment über der Türe in S. Croce, die vom rechten Querschiff nach der Sakristei führt, darstellend den 12 jährigen Christus zwischen den Schriftgelehrten, nicht von Puccio herstammt. Zu deutlich trägt es doch die Merkmale des frühen Stils des Taddeo Gaddi, dem es auch von Siren zugeschrieben wird.

Gründe, die von mir bei früherer Gelegenheit4) erörtert wurden, ver- anlassen V. den Namen Maso für den seit Vasari Giottino genannten Künstler zu akzeptieren. Unvorsichtig ist es, wenn V, den Künstler ohne weiteres Maso di Banco nennt, da drei verschiedene Künstler des Namens Maso in den Dokumenten Vorkommen, Ghiberti aber den Namen des Vaters nicht nennt. Den Ausgangspunkt für Maso bieten die durch Ghiberti für ihn bezeugten Fresken der Silvesterkapelle in S. Croce. Meinen Ausführungen stimmt V. in der Zuschreibung der Glasfenster dieset Kapelle an Maso und in der Festsetzung des frühen Datums (bald nach 1343) im Gegensatz zu Milanesi bei. Daß die Pietä in den Uffizien ein späteres Werk von demselben Künstler sei, wie auch V. annimmt, hat wohl nie jemand bestritten (außer Rintelen, der die Pietä für ober- italienisch um 1400 hält, womit er bewiesen hat, daß er weder die Florentiner noch die Oberitaliener genügend kennt). Wenn V. von den Fresken in der Grabkapelle der Strozzi bei Maria Novella zwar die von mir wahrscheinlich gemachte frühe Entstehung um 1337 annimmt, sie aber einem »seguace« des Maso zuweist, dessen eigene früheste Arbeit nach 1.343 läge, so widerlegt er sich damit selbst. Eine wertvolle Bestätigung

3) Vgl. Thode, Franz von Assisi S. 501 und 551.

4) Repertorium für Kunstwissenschaft 1 905, Studien zur Trecentomalerei II.

2o6

Wilhelm Suida:

meiner Ansicht ist mir die Zustimmung von O. Wulffs). Ein vorzüg- liches kleines Bild, das schon längst von Thode als Werk des Maso er- kannt worden ist, befindet sich in der Universitätssammlung von Würz- burg, die Halbfigur eines Johannes Ev. in gotischem Vierpaß.

V.s Auffassung der historischen Stellung des Pacino di Bonaguida entspricht ungefähr der von mir früher dargelegten. Nur möchte V. eine nähere Beziehung zu Giotto vermuten, und Pacinos Hand geradezu die Heiligengestalten des mit Giottos Namen bezeichneten Altarwerks in Bologna zuschreiben. Hier kann ich nicht beistimmen. Pacinos per- sönliche Eigenart fiel mir dagegen neuerlich in zwei Heiligengestalten (stark übermalt) im Christ Church College in Oxford auf. Wenn V. für den Akademiealtar das Datum 13 ii als ungefär sicher annimmt, so ent- spricht das ganz meiner Ansicht, und ich glaube niemand (außer Rintelen) wird mehr auf 1340 geraten.

V.s Darlegungen über Bernardo Daddi sind im wesentlichen zutreffend. Die stilkritische Abgrenzung seines (Euvre ist meines Erachtens nicht ganz genau. Der von V. nach Schubrings Vorgang wieder eingefügte Altar in Prato gehört zusammen mit einem zweiten fünfteiligen Altarwerk der Galleria Corsini in Florenz einem an Bernardos frühe Art an- knüpfenden Künstler. Schubring hat auch zuerst die Krönung Mariae in der Sammlung Jonides im South Kensington Museum auf Bernardo be- zogen, diese ist aber eine sehr charakteristische Arbeit des Orcagna- schülers von 1365 (den ich früher vielleicht irrigerweise Alegretto Nuti nannte). Die beiden von mir unterschiedenen Schüler des Bernardo, den Meister des Bigallotriptychons und den Meister der Kreuzigungen erwähnt V. kurz in Anmerkung. Bei näherer Prüfung wird sich auch V. wohl einverstanden erklären, ersterpm das Triptychon in Meiningen und die kleinen Bilder der Galerie von Neapel und der Sammlung Sterbini (welch letzteres mir allerdings nur in der Abbildung bekannt ist) zu geben, letzteren aber als Autor des Ältärchens in Siena von 1336 und vielleicht auch desjenigen im Louvre zu akzeptieren; all diese Bilder führt V. noch, wie ich glaube, ohne Recht in Bernardos Liste an. Als sichere vorzügliche Arbeit des Meisters füge ich eine kleine Madonna mit Heiligen und Engeln, ein höchst farbenprächtiges und gut erhaltenes Stück der Sammlung Butler in London hinzu.

Bei der Besprechung der Werke des Taddeo Gaddi vermißt man die drei für ihn so charakteristischen Madonnenaltäre in S. Felicitä in Florenz, in der Sammlung Galli-Dunn und in S. Giovanni Fuorcivitas in Pistoja, deren letzterer, von Thode lange schon als Werk Taddeos er-

5) Repertorium für Kunstwissenschaft 1907.

Studien zur Trecentomalerei.

207

kannt, durch Auffindung des Dokuments von 1353 seine Beglaubigung erhalten hat, also auch wegen des Datums besonders wichtig ist. V.s Angaben sind hier besonders lückenhaft, und es wäre wünschenswert gewesen, auch Taddeos Werk in eine Liste zusammenzustellen. Eine Berück- sichtigung der zahlreichen sicheren Madonnenbilder, deren Reihe von ^^32 7 Baroncellimonument in S. Croce) bis 1355 (Siena) datiert ist, hätte V. auch vor dem Irrtum bewahren müssen, das Devotionsbild der Madonna mit dem Buch in der Domopera zu Florenz wieder Taddeo zu geben. Das florentinische Exemplar von 1334 stammt jedenfalls von dem Meister des Bigallotriptychons, das römische, bei dem ich mangels einer Photographie meinen früheren Eindruck, es sei eine Wiederholung des florentinischen Bildes, momentan nicht nachprüfen kann, halten Siren und V. für eine eigenhändige Arbeit des Bernardo Daddi.

Kap. V. Um eine richtige Vorstellung von dem Gange der Ent- wicklung zu geben, hätte das Kapitel über die Maler Sienas von Duccio bis Ambrogio Lorenzetti seine Stelle vor dem über die florentinischen Maler der Zeit finden müssen. Wie groß der Einfluß der Sienesen auf die- jenigen Meister war, die wir gewöhnlich als eigentliche Schüler Giottos genannt finden, Maso, Bernardo Daddi, besonders auch Taddeo Gaddi, das habe ich an anderer Stelle ausgeführt, und eingehendere Betrachtungen werden immer mehr Beweismaterial dafür liefern. Dennoch behandelt V. die Florentiner ganz unabhängig, und den Sienesen wird er durchaus nicht gerecht. Schon Duccios Bedeutung, sein eigentümlicher Stil, seine künstlerische Tat, bleiben ganz im unklaren, trotzdem hier Wulffs inhalt- reiche Ausführungen zu Rate hätten gezogen werden können. Den An- gaben über Simone Martini schließt sich die Besprechung der Fresken der Incoronata in Neapel an, ohne daß die Autorfrage entschieden würde. Nebst anderen wird nur Roberto Oderisio, dessen Kreuzigung in Eboli sich mit einer kurzen Erwähnung begnügen muß, als möglicher Autor genannt. Mit besonderer Liebe ist Lippo Memmi behandelt Allerdings weicht meine Auffassung hier in wesentlichen Punkten von der V.s ab. Das Fresko der Assunta über der Tür des Camposanto in Pisa kann ich nicht für Lippos Werk halten. Die von Berenson diesem Meister zugeschriebenen Täfelchen in Aix (Verkündigung und Geburt Christi) bin ich geneigt, für französische Arbeiten unter sienesischem Einflüsse, nicht für italienische Werke zu halten (allerdings urteile ich hier nur nach der Photographie). Wenn V. das kleine Triptychon in München für eine Fälschung erklärt, so ist dieser Irrtum durch den stark restaurierten Zu- stand des kleinen Bildchens allerdings erklärlich, es ist aber nichtsdesto- weniger ein Irrtum.

2o8

Wilhelm Suid»;

Bei der frühesten Arbeit des Pietro Lorenzetti, der hl. Humilitas von 1316, erinnert V. mit Recht an den Cecilienmeister, dessen Einfluß hier unverkennbar ist. Nachdem der Leser aus den weiteren beglaubigten Arbeiten, die sich bis zu der von V. merkwürdigerweise wenig günstig beurteilten, meines Erachtens prachtvollen Geburt Mariae von 1342 (Siena Domopera) in chronologisch klarer Reihe gruppieren, genügsam Gelegenheit gehabt, sich von Pietros Stil eine deutliche Vorstellung zu verschaffen, trübt V. dieses Bild durch neuerliche Zuschreibung der manierierten Fresken im linken Querschiff der Unterkirche von Assisi und der damit zusammenhängenden Tafelbilder. Um die Verschieden- heiten in den Details zu erklären, nimmt V. die Mitarbeit eines » Seguace « an. Das Problem wird damit umgangen, keineswegs gelöst. So ver- schwommen werden für V. nun die Umrisse von Pietros Gestalt, daß er auch die Fresken der Servi in Siena dem Künstler zuschreiben möchte. Ich halte demgegenüber an der klaren Ansicht Thodes fest, der die Fresken von Assisi, sowie ein von V. gar nicht erwähntes Tafelbild in Bonn einem von Pietro beeinflußten, aber völlig von ihm verschiedenen Manieristen züschreibt. Ein richtiges Gefühl leitet V., wenn er bei der Budapester Madonna, die Berenson dem CEuvre Pietros angefügt hatte, die Verwandtschaft zu Ambrogio hervorhebt, dessen Werk sie ohne jeden Zweifel ist. Das kleinfigurige Thebaisbild der Uffizien, in dem noch Berenson Pietros Hand erkennen will, läßt V. klugerweise aus dem Spiele. Das Rätsel dieses Bildes löst sich folgendermaßen: es ist eine etwas verkleinerte, aber sonst getreue Kopie eines Originales, dessen eine Hälfte sich im Nationalmuseum von Budapest befindet, wogegen ich die andere Hälfte einstweilen nicht nachweisen kann. Dieses Original ist nun ohne jeden Zweifel von der Hand des Lorenzo Monaco, also min- destens ein halbes Jahrhundert jünger als Pietros Werke.

Auch bei Ambrogio Lorenzetti beschränkt sich V. auf Aufzählung und Beschreibung der Werke. Eine intime Erkenntnis dieses größten Sienesen hätte wohl V. nicht dazu kommen lassen, das Dominikuswunder in Berlin, das ich dem Orcagna zuschreibe, wieder als Ambrogio auf- zuführen.

Hier fügt V. eine Besprechung der Camposantofresken ein. Richtig ist, daß er auf die Erfindung eines Meisters Kreuzigung, Auf- erstehung und Erscheinung Christi, sowie Triumph des Todes, Weltgericht Hölle und Eremitenleben zurückführt. In diesem Künstler will er nun einen Schüler der Lorenzetti »Non senza tecniche sommiglianze con Spinello Aretino« sehen. Was Spinello (dessen früheste sichere Arbeit von 1387 stammt) mit diesen Fresken zu tun haben soll, ist unauf- findbar. V. bedarf auch eines höchst phantastischen Gebäudes der

Studien zur Trecentomalerei.

209

Datierung, um dies chronologisch zu ermöglichen. Und auch das gelingt nicht ganz. Denn er meint, an der Kreuzigung sei des Andrea da Firenze ausführende Hand zu bemerken. Nun sei dieser Künstler 1377 nach Pisa gekommen (um an der Rainerlegende zu malen) und daher seien nach dissem Jahre erst die großen Fresken der Längswand ausgeführt worden. Das ist völlig aus der laift gegriffen. Hatte Supino recht, die Fresken für pisanisch zu erklären und die Ähnlichkeit mit des Francesco Traini Werken hervorzuheben, so scheint mir die unserer heutigen Kenntnis nach richtigste Angabe die Thodes (Repertorium 1888) zu sein, daß ein pisanischer Zeitgenosse Trainis der Schöpfer der großen Fresken sei. Auch Vitzthum kommt in seiner Abhandlung über den Stil der Fresken zu dieser Annahme.

Sehr schlecht kommt bei V. die gesamte sienesische Malerei der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts weg. Daß all diese Maler nicht nur ungeschickte Nachahmer waren, sondern Eigenes gaben und einen gewissen Einfluß ausübten, das hätte V. zum Beispiel aus Sirens Buch über Lorenzo Monaco entnehmen können. Die Detailangaben sind nicht nur höchst lückenhaft, sondern häufig irrig. Es ist gar nicht erwähnt, daß wir von Luca Tome bezeichnete Arbeiten besitzen, dafür ist eine abgebildet, die sicher nicht von ihm ist; die allgemeine Charakteristik des Taddeo di Bartolo müßte genau in ihr Gegenteil verkehrt werden, um einigermaßen zuzutreffen.

Kap. VI. Das Kapitel beginnt mit der Kunst der Söhne des Cione. Nardo erhält als alleiniger Maler der Fresken der Cappella Strozzi den ihm gebührenden Platz. Wenn aber V. alle anderen von mir ein- geführten Werke diesem Meister wieder abspricht, so möchte ich dem- gegenüber sagen, daß ich nicht nur meine alten Attributionen ‘aufrecht halte, sondern in der Lage bin, auch noch ein sehr feines kleines Tafel- bild in der Universitätssammlung von Oxford, darstellend die Geburt Mariae, als ziemlich frühe Arbeit Nardos namhaft zu machen. Die Charakteristik des Andrea Orcagna erscheint mir zutreffend, da auch V. sie auf die von mir zusammengestellten Werke aufbaut. Das von V. noch unter Ambrogio Lorenzetti verzeichnete Dominikuswunder im Kaiser-Friedrich- Museum hätte ich der Liste von Orcagnas CEuvre hinzuzufügen. Auch die von V. akzeptierten Werke, besonders ein Vergleich mit der Madonna in Budapest (ehemals Sammlung Somzee) führen zu dem sicheren Schlüsse, daß die Madonna im Tabernakel von Orsanmichele nicht Orcagnas Werk ist, wie V. nach älterer Zuschreibung von neuem annimmt. Vielmehr scheint mir nach wie vor die von Vitzthum begründete Annahme, Bernardo Daddi sei der Urheber dieser (stark übermalten) Tafel, durchaus zutreffend zu sein.

Bei Besprechung der Schule des Orcagna gibt V. den nützlichen Hinweis auf des Niccolo di Tomaso bezeichneten Altar von 1371 in

2 10

Wilhelm Suida:

S. Antonio Abbate zu Neapel. Gut wäre es gewesen, hier auch die Werke etwas näher zu besprechen, die ich vielleicht irrigerweise einem Alegretto von Florenz zugeschrieben habe, die aber untereinander durch stilistische Merkmale eng verbunden sind, und einen Künstler aus der nächsten Umgebung Orcagnas zum Urheber haben. V. begnügt sich mit kurzer Erwähnung einiger dieser Tafeln bei Besprechung des Alegretto Nutii da Fabriano mit der gewiß richtigen Bemerkung, daß sie von diesem Künstler nicht herrühren ^).

Autor des gesamten Freskenschmucks der spanischen Kapelle ist für V. Andrea da Firenze. Die Arbeit war 1355 schon begonnen, aber noch unvollendet. Ich habe immer den Eindruck gehabt, daß zwei ver- schiedene Maler hier am Werke waren. Cavalcaselles Annahme, die Malereien des Gewölbes seien von Antonio Veneziano, die der Wände von Andrea, scheint mir noch immer zutreffend, wenn es auch ein merk- würdiges Spiel des Schicksals wäre, daß beide Künstler in umgekehrter Folge hier und an den Rainerfresken des Camposanto von Pisa (wo Andrea 1377 die oberen Felder malte, 1384 bis 1386 Antonio die letzten Szenen der Legende hinzufügte,) gemeinsam beteiligt gewesen wären. Von dem Maler der Deckenfresken der spanischen Kapelle befinden sich bisher unbeachtete Freskenreste in der Cappella Davanzati in S. Trinitä zu Florenz (Verkündigung und anderes). Im Camposanto will V. außer den Rainerfresken Andreas Hand auch in Teilen der Kreuzigung finden und stützt darauf vornehmlich seine Annahme, daß erst 1377 und in den folgenden Jahren die berühmtesten Wandgemälde von Pisa entstanden seien. Ich glaube nicht, daß diese Ansicht sich Freunde erwerben wird. Unmittelbar nach seiner Vollendung, 1379, wäre dann das Bild des Inferno schon wieder restauriert worden! Und wir müssen froh sein, daß sich der Akt über diese Restaurierung zufällig erhalten hat, denn sonst würde V. nichts hindern, mit den Fresken bis an das Quattrocento vorzurücken. Meines Erachtens gehört in den Kreis Andreas im Camposanto noch die Assunta über der Türe, die V. Lippo Memmi zuschreiben möchte.

Es folgen Angaben über Angelo Gaddi und Francesco da Volterra. Bei dem ersteren hätte auf die feinen Fresken der Cappella della cintola im Dom von Prato ein größeres Gewicht gelegt werden können; neuer- dings hat O. Wulff in den Kreis des Angelo Gaddi durch Abgrenzung des »Madonnenmeisters« einiges Licht gebracht?). Des Francesco Neri

6) Sir4n hat versucht (kult och konst 1907), diese Bilder unter Orcagna und Nardo aufzuteilen, wodurch aber meiner Ansicht nach nur auf Namen gepfropft wird, was einer kunsthistorisch ganz klaren, vorläufig noch anonymen Persönlichkeit angehört.

7) Zeitschrift für christliche Kunst 1907.

Studien zur Trecentomalerei.

2 1 1

Kunst lernen wir zunächst aus der bezeichneten, gleichwohl aber bei Cr. und Cav. noch nicht erwähnten Madonna der Galerie von Modena kennen*). Eng zusammen hängt damit ein bisher unbeachtetes Gemälde der Madonna zwischen zwei weiblichen Heiligen im Palazzo de’ Priori Z.U Volterra. V. nimmt unbedenklich an, daß von Francesco auch der Freskenzyklus der Hiobslegende im Camposanto von Pisa sei. Ein stil- kritischer Vergleich mit der bezeichneten Madonna in Modena gibt hierfür wenig Stützpunkte. Vasari gibt die Hiobslegende in der ersten Auflage der Vite dem Taddeo Gaddi, in der zweiten Giotto. Nun soll die Hiobslegende erst 1371 am 4. August begonnen worden sein. Die ganze Frage bedarf noch der Klärung. Stilistisch ist die Beziehung der Fresken auf Taddeo Gaddi nacji Vasaris erster Angabe jedenfalls zu rechtfertigen, und Siren schreibt sie dem Taddeo auch wieder zu. Wie er sich mit der Notiz über den Beginn der Arbeit 1371 abfindet (da Taddeo ja schon 1366 starb), kann ich leider aus dem schwedisch geschriebenen Buche über Giotto nicht entnehmen. Francesco Neri erscheint 1368 als Mitglied der Malergilde in Florenz 9). Dem Meister der Hiobslegende stehen jedenfalls die Fresken über dem Abendmahl im Refektorium von S. Croce und das Fresko der Grablegung in der Silvesterkapelle in derselben Kirche äußerst nahe. Siren hat konsequenterweise alle diese Werke dem Taddeo Gaddi selbst gegeben. V. läßt aber die florentinischen Fresken ganz beiseite.

Erst jetzt, nachdem uns ein Umweg zufällig wieder nach Pisa brachte, gedenkt V. der älteren pisanischen Kunst und ihres Hauptmeisters Francesco Traini. Das ist einer der großen Dispositionsfehler des Buches. Traini ist schon 1321 fertiger Meister, er ist jedenfalls der Lehrer des Camposantomeisters , der den Triumph des Todes malte, wir besitzen von ihm bezeichnete Arbeiten, aber V. tut ihn ganz kurz ab und hält ihn keiner Abbildung wert. Ein genaueres Eingehen auf diesen interessanten Künstler hätte V. vor der irrigen Datierung der großen Camposantofresken bewahren können und ihn vielleicht auch darauf geführt, eine Gesamtcharakteristik der pisanischen Trecentomalerei zu versuchen. Über Starnina springt V. nun hinüber zu den Umbrern. Da klafft wieder eine Lücke. Warum sind die wichtigen schönen Fresken aus S. Elisabeta im Museum von Perugia (1330 datiert!) ganz verschwiegen? Bei richtiger Auffassung des Gesamtcharakters der umbrischen Schule

*) Crowe und Cavalcaselle nennen ein anderes authentisches Werk des Francesco in der Kirche von Pugnano bei Regoli (englische Ausgabe besorgt von Douglas und Strong, London 1903, vol. II pg. 166, Anm. 6). Dieses ist mir nicht bekannt, wird auch von V. nicht genannt.

9) Gualandi, Memorie originali pg. 181,

212

Wilhelm Suida:

hätte V. es nicht nötig gehabt, die frühtrecentesken Bilder in Perugia zwangsweise auf sienesische Namen zu pfropfen. Völlig im Irrtum ist V., wenn er vom »Jugendstil« des Alegretto Nutii die Fresken von S. Niccolo in Tolentino herleiten will. Diese sind, wie Vitzthum erkannte, romagnolisch. Aber von diesen Romagnolen, die schon zu Giottos Lebzeiten eine be- deutsame Rolle spielten, deren künstlerische Herrschaft sich in der ersten Hälfte des Trecento über Teile Umbriens sowie über die Emilia, ja bis über die venezianische Terraferma erstreckte (Fresken im Chor der Arena- kapelle zu Padua, in Collalto bei Conegliano), werden von V. erst gegen Mitte des VII. Kapitels recht kursorisch behandelt.

Den Schluß des Kapitels macht V. mit Jacopo de Casentino, Spinello Aretino und Niccolo di Piero Gerini, dem gewiß Unrecht geschieht, wenn nur der Name und gar kein Werk erwähnt wird.

Kap. VII ist den Malerschulen Oberitaliens gewidmet. Den Anfang macht die Lombardei. V. zweifelt, ob die Fresken in Viboldone von 1349 und in Mocchirolo wirklich von Giovanni da Milano herrühren. Er scheint geneigt, einen bedeutenden anonymen Lombarden, über dessen künstlerische Schulung und Vorstufen er aber nichts beibringt, ein- zuschalten, als dessen Gehilfe Giovanni da Milano im Oratorium von Mocchirolo an der Decke gemalt hätte (diese Deckenmalereien sind eben am besten erhalten, daher ist in ihnen Giovannis Eigenart am deutlichsten zu finden). Dem Maler von Mocchirolo will V. dann noch Teile der Deko- ration von S. Stefano in I.entate sul Seveso zuschreiben, eine Ansicht, der ich nicht beistimmen kann. Sehr richtig bemerkt V., daß in diesen Fresken besonders zu Mocchirolo Qualitäten enthalten sind, die bis auf Masolino in der Lombardei nicht wieder zu finden sind.. Diese Be- merkung hat ihr Gegenstück in Schmarsows Beobachtungen über des Giovanni da Milano Werke in Florenz, deren hoher Stil erst durch Masaccio wieder aufgenommen und weitergebildet wird. Meiner Ansicht nach sind aber auch die Fresken in der Lombardei Werke Giovannis. Daß in der Cappella Rinuccini ein Gehilfe die unteren Felder gemalt hat, gibt V. auch zu. Für irrig halte ich V.s Meinung, das Fresko im Kreuz- gang der Carmine sei von Giovanni del Biondo. Über die Zusammen- stellung der Liste der Werke des Giovanni da Milano sind unsere An- sichten nur in wenigen Punkten verschieden. Die Verkündigung in Pisa scheint mir besonders, derselben Darstellung auf dem Altar in Prato verwandt; die kleine Krönung Marias in der Galleria Nazionale in Rom halte ich für eine sichere Arbeit Giovannis, und habe für diese Über- zeugung auch in Sirön einen Bundesgenossen gewonnen. Die kleine Madonna, die ich nach der Reproduktion von Artaud de Montor aufnahm, erscheint mir selbst etwas unsicher, gewiß aber ausscheiden kann ich

Studien zur Trecentomalerei.

213

die auch von V. nicht akzeptierte Madonna, die ehemals bei Bergolli in Modena war, jetzt im Besitze des Freiherrn von Tücher in Wien. Es scheint mir dieses sehr feine Bild der stehenden Madonna von dem Orcagnaschüler (Pseudo-Alegretto) zu sein.

Den Giusto de’ Menabuoi aus Florenz nimmt V. ohne weiteres als Autor der Fresken im Baptisterium von Padua an. Erwähnt hätte werden müssen, daß eine alte Inschrift aber die beiden Pa(5uaner Giovanni und Antonio als Künstler genannt haben soll. Auf dem Wege über die byzantinisierenden Venezianer gelangt nun V. endlich zu den Romagnolen, die er » dififondatori dello Stile fabrianese-giottesco-senese « nennt. Das müßten die reinen Tausendkünstler gewesen sein! Es folgt nun Barnaba da Modena, der offenbar wegen seines altertümlichen Stiles vor seinem viel älteren Landsmann und Lehrer, dem großen Tomaso da Modena besprochen wird. Es ist ein Versehen V.s, wenn er angibt, J. von Schlosser habe die Fresken auf Collalto dem Tomaso zugeschrieben, dieselben sind nur im Zusammenhang mit der älteren Malerei in Treviso zur Besprechung gelangt.

V.s Ausführungen über Alticchiero und Avanzo gehören zu den besten Partien des Buches. Die Eigenart der beiden Künstler wird zutreffend charakterisiert, wenn auch die stilkritische Scheidung der Anteile beider an den erhaltenen Fresken nicht in allen Fällen standhalten sollte. V. tut recht daran, der Heimatstadt der beiden Künstler, Verona, den Ruhm ihrer künstlerischen Tat zu sichern. Nützlich sind V.s Hinweise auf die zahlreichen in Verona noch erhaltenen Trecentoreste, vorzüglich der Nachweis, daß in dem lombardischen Freskenzyklus (von Giovanni da Milano nach meiner Ansicht) die Quelle des Stiles der beiden großen Veronesen zu suchen sei. Daß als zweite Komponente aber die Kunst des Tomaso da Modena hinzukommt, sollte V. nicht in Abrede stellen.

Kap. VIII enthält namentlich in dem Abschnitte über die Miniaturen eine ganze Zahl von nützlichen Hinweisen und guten Beobachtungen. Eine eigentliche Geschichte der Miniaturmalerei im Trecento zu geben, konnte V. natürlich gar nicht beabsichtigen. Als sehr erfreulich darf es gelten, daß die Miniaturen des Codice di S. Giorgio im Archiv der Peters- kirche, die man zuerst Giotto, dann Simone Martini, gelegentlich auch Pietro Lorenzetti zuschreiben wollte, in ihren richtigen kunstgeschicht- ichen Zusammenhang gebracht werden. Vier kleine Bilder weiß V. von dem sienesischen Miniaturisten, der dieses Meisterstück (vor 1343) schuf, noch zu nennen, zwei Passionsszenen bei Mr. Benson in London, zwei zugehörige im Bargello (Sammlung Carrand). Ich bin nun imstande, noch einige weitere Stücke dieses feinsinnigen Malers zu nennen: eine kleine Madonna mit Heiligen im Louvre und ein damit nahe verwandtes

2 14 Wilhelm Suida: Studien zur Trecentomalerei.

Exemplar in der Sakristei von S. Maria del Carmine zu Florenz und als malerisch entzückendstes Werk ein doppelseitig bemaltes Täfelchen der fürstlich Czartoryskischen Sammlung zu Krakau, das auf der einen Seite die Verkündigung, auf der anderen zwei jugendliche Heilige zeigt. V.s Beobachtung erlaubt zugleich auch diese Täfelchen zeitlich zu fixieren, wenigstens im allgemeinen in das zweite Viertel des Trecento.

Wenn wir versuchen wollen, V.s Buch als Ganzes zu beurteilen, so müssen wir von vornherein die Forderung nach einer präzisen Ent- wicklungsgeschichte der Trecentomalerei aufgeben. Eine solche wäre heute noch niemand imstande zu schreiben, es sei denn, daß er durch jahrelange Vorarbeiten und Spezialstudien in diejenigen Gebiete und Schulen, mit denen die bisherige Forschung sich gar nicht oder nur in ungenügender Weise befaßt hat, das nötige Licht gebracht hätte. Kräfte sind noch un- erkannt, die für das Ganze von entscheidender Bedeutung waren. Welche Faktoren im einzelnen die Verhätltnisse der bedeutsamen Lokalschulen zueinander bestimmten, das hier nur anzudeuten, würde zu weit führen. Wir haben in der Detaillierung schon Fortschritte gemacht; Vasari läßt nur die Florentiner gelten, von ihnen die anderen Schulen abhängig sein* Später hat man die selbständige Bedeutung der Römer und Sienesen und für das ausgehende Trecento die der Veronesen erkannt. Die Pisaner, Romagnolen, Umbrer, Lombarden und Modenesen dürften wohl zunächst an Bedeutung für die Gesamtentwicklung stehen. Von ihnen allen sind allein die Romagnolen bisher monographisch behandelt worden, gleich- wohl aber von V. nicht an den ihnen gebührenden Platz gestellt worden.

Sonst hat V. jedoch die neueren Forschungen in ausgiebigster Weise berücksichtigt, die hohe Bedeutung der römischen Kunst des endenden 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts, die er als eigentlichen Nähr- boden der Kunst Giottos bezeichnet, in entsprechender Weise hervor- gehoben, die Diskussion über manche schwierige Fragen aufgenommen und in geschickter Weise weitergeführt, so daß sein Buch anregend und nützlich wirkt Zum Zweck der fördernden Diskussion mußten in obiger Besprechung namentlich solche Punkte hervorgehoben werden, in denen meine Meinung von der V.s ab weicht; meine Kritik soll aber durchaus nicht dem Buche seine Verdienste absprechen, da es als Versuch einer Gesamtdarstellung entschieden einen Fortschritt über Crowe und Cavalcaselle hinaus bedeutet Als endgültige Fassung wird wohl V. selbst sein Buch gar nicht angesehen wissen wollen.

Ein Beitrag zu Mathias Grünewald.

Von Mela Escherich.

Die kleine Betrachtung »Bei unsrer lieben Frau von Stuppach« von Franz Rieffel in der P'rankfurter Zeitung Nr. 70 (Morgenblatt vom IO. März) enthält einen interessanten, leider nur ganz flüchtigen Hinweis auf das Architekturmotiv der Stuppacher Altartafel. Rieffel entdeckt darin die Ähnlichkeit der hier dargestellten Kirche mit der heute nicht mehr vorhandenen Liebfrauenkirche von Mainz. Diese Beobachtung, die sich, wie Rieffel gesteht, nicht einmal auf alte Abbildungen der Kirche stützt (es gibt aber eine solche, ein Aquarell von Joh. Jak. Hoch von 1782, früher im Besitz des Herrn Prälaten Friedrich Schneider), dürfte stimmen, wie ein Vergleich mit dem Isenheimer Altar lehrt. Als mir vor einiger Zeit die Denkschrift für Fr. Schneider, die in dem Aufsatz Baums über die Mainzer Liebfrauenkirche ein altes Bild derselben enthält, in die Hände kam, fiel mir sofort die unabweisbare Beziehung zu dem mystischen Tempel auf der Engelverehrung des Isenheimer Altars auf. Hier wie dort dieselbe seltsame Phantastik, ein gotischer Spiritualismus, der ins Ungemessene geht. Ist bei Grünewald jede Form zur Paraphrase, zum Thema mit Varianten gesteigert und bis ins Extreme durchkomponiert, so scheint der Erbauer der Liebfrauenkirche immerhin ein Künstler von verwandter Eigenart gewesen zu sein, einer Eigenart, die vom Dekorativen bis in den Grundriß hinein ihre Wunderlichkeiten ausspielt. Höchst merkwürdig ist der auf der genannten Abbildung dem südlichen Eckstrebe- pfeilef vorgelegte, mit einer Riesenfiale bekrönte Baldachinbau. Dieser Teil ist es, vor dem man unmittelbar an den Tempel der Isenheimer Tafel erinnert wird.

Da nun Grünewald nach Sandrart lange in Mainz gelebt hat, so ist nichts näherliegend, als daß die lokale Architektur vorbildlich auf ihn wirkte, und die Frage könnte damit abgetan sein. Doch ist sie es noch nicht ganz. Denn mit dem Thema Architektur stoßen uns bei Grünewald sonderbare Zusammenhänge auf. Es ist merkwürdig, daß sie bisher noch nirgends in der Kunstgeschichte bekannt wurden. Ich selbst kann hier nur kurz darauf eingehen, da ich einem Aufsatz, der demnächst in der »Deutschen Rundschau« erscheint, nicht vorgreifen möchte. Es handelt sich dort um eine Studie, die für Grünewalds Vertrautheit mit der Hütten- symbolik einige Nachweise zu bringen sucht. Die Mystik des »Tempels

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI. l6

2i6

Mela Escherich:

Salomonis«, der »Brudersäulen«, sowie der in den Hütten wie bei den Waldensern gepflegte Lichtkult scheint Grünewald bekannt gewesen zu sein. Da die Gebräuche der Waldenser mit denen der von ihnen beein- flußten verschiedenen mittelalterlichen Sekten und Brüderschaften sowie der Bauhütten vielfach Zusammengehen, ist es schwer zu entscheiden, welcher Genossenschaft Grünewald angehört haben mochte. Ehe wir nicht bestimmtes über seine Familie erfahren, bleibt alles in Dunkel gehüllt.

Diesen dunklen Spuren nachzugehen, ist zweifellos von Wichtigkeit. Hier könnten uns Aufschlüsse gegeben werden, die die Kunst dieses rätselhaftesten aller Meister in ein ganz neues Licht rücken würden. Grünewald steht heute zwischen Dürer und der mittelrheinischen Schule auf scharf isoliertem Posten. Man ist so gewohnt, die deutsche Kunst nach gewissen Zentren Nürnberg, Köln, Straßburg etc. abzuzirkeln, daß einem jede andere Linienschiebung verdächtig erscheint. Dennoch dürfte in der Entwicklung der fränkischen und zum Teil rheinfränkischen Kunst eine scharf von Ost nach West führende Richtlinie zu beachten sein. Nicht minder wie für die Schweiz und den Oberrhein Burgund, wie für den Niederrhein die Niederlande, war für Franken im Mittelalter Böhmen von entscheidendem Einfluß, und dieser Einfluß zieht sich besonders den Main herauf. Böhmischen Einfluß finden wir allenthalben in der frühen fränkischen und mittelrheinischen Kunst, und an diese böhmische Linie dürfte auch Grünewald gerückt werden. So viel, was seine Kunst betrifft. Nun wäre es wichtig, auch sonst böhmische Beziehungen bei ihm nachweisen zu können. Ich möchte die Frage aufstellen, ob nicht seine Familie aus Böhmen eingewandert war. In den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts, also der Zeit, wo Mathias Grünewald geboren wurde, wimmelte es in Franken von den »Winkelpredigern vom Böhmerwald«, wie man die auf die Waldenser zurückgehende Sekte der böhmischen Brüder nannte. Grauenvolle Verfolgung wider das »böhmische Gift« waren an der Tagesordnung. Man gab diesen Predigern Spitznamen wie Grubenheimer, Winkeier, Gartenbrüder, weil sie durch die furchtbaren Feindseligkeiten seitens der katholischen Geistlichkeit nicht selten gezwungen waren, bei Mutter Grün Zuflucht zu suchen. Diese Namen blieben in den Familien. Deutet nicht auch Grünewald auf eine solche Herkunft? Nur nebenbei sei bemerkt, daß der Vorname Mathias in Böhmen häufig ist. Nun kommt als nicht unwesentliches Moment hinzu, daß der Erbauer der Liebfrauenkirche ein Böhme ist, Magister Heinricus Lapicida de Boemia, w'ahrscheinlich von Peter von Aspelt selbst aus Böhmen (obwohl Redtenbacher diese Annahme an- zweifelt) berufen. Mit dem großen Kanzler Peter v. Aspelt beginnt in Deutschland die böhmische Politik, und es ist selbstverständlich, daß der

Ein Beitrag zu Mathias Grünewald,

217

Kanzler, der seit 1306 Erzbischof von Mainz war und 13 ii die Lieb- frauenkirche daselbst einweihte, in seinem Erzbistum nicht ungern böhmisches Wesen duldete. Der böhmische Magister Lapicida aber zog sich natürlich auch böhmische Werkleute zum Bau heran. So siedelten sich also böhmische Familien an, blieben, wie es zu gehen pflegt, im Lande, und wie nahe liegt es, zu denken, daß, als später die Wellen der vorreformatorischen Religionsbewegung von Prag herüberschlugen, hier sich wieder Böhme zu Böhme fand. Es hat somit viel Wahrscheinlich- keit für sich, daß Mathias Grünewald einer böhmischen Brüderschaft angehörte und vielleicht durch diese in naher Beziehung zur Bauhütte stand. Sehen wir doch, wenn wir Grünewalds künstlerische Bekenntnisse betrachten, in dem Meister im Gegensatz zu dem ruhig protestierenden Dürer so recht den Typus des P'anatikers, des gehetzten und gereizten Vertreters einer verfolgten Weltanschauung. Erwähnt möge hier nur noch sein, daß sich auf dem Isenheimer Altar auch noch eine weitere An- spielung auf die Kenntnis der Hüttensymbolik befindet, in den Posta- menten, auf denen auf den Altarflügeln die Heiligen Antonius und Sebastian stehen. Sie sind im Achtort komponiert. Das Achtort ist bekanntlich die geheime geometrische Form, die den eigentlichen Schlüssel zur mittelalterlichen Baukunst bietet. Des Mathias Roritzer »Büchlein von der Fialen Gerechtigkeit« von i486 und andere derartige Werke beschäftigen sich eingehend mit dem Problem des Achtorts. Betrachten wir nun besonders das Postament des hl. Sebastian, so sehen wir, daß Grünewald der Achtortkonstruktion, allerdings in recht hilfloser Weise, eine merkwürdige Sorgfalt zugewendet hat. Die Basis bildet ein Quadrat, dem ein zweites übereck gelegt wird, dann folgt in Verjüngung, parallel dem ersten Quadrat ein drittes, und aus den sich nun durch die Kreuzungen der Quadratlinien ergebenden Knotenpunkten ist die Deckplatte im Achturstern konstruiert. Eine Verschiebung der Deckplatte an der rechten Seite stellt sich als eine Betonung der im Riß gemachten Hilfs- linien heraus. Der Meister hat also keineswegs ein Postament nach der Natur oder Phantasie gemalt, sondern zuvor einen Grundriß davon entworfen. Hält man diesen Grundriß daneben, so ergibt sich, daß die darin herrschenden Richtungslinien durch die Pfeile des Heiligen an- gezeigt sind. Nur so erklärt sich, warum der eine Pfeil mit der Spitze nach oben kerzengerade auf dem Boden steht. Er gibt die Vertikale an, der än die Säule gebundene die Diagonale usw. Grünewald hat also offenbar großen Wert darauf gelegt, seine Kenntnisse in diesen Dingen auf eine geheimnisvolle Art Eingeweihten zu verraten, wonach es nahe liegt, anzunehmen, daß er selbst ein Eingeweihter war.

Der niederländische Bildhauer Wilhelm Vernuken in hessischen Diensten.

Von Carl Scherer.

Die nachstehenden Mitteilungen schließen sich inhaltlich denen an, die ich vor Jahren an dieser Stelle (Bd. XXI, H. i) über Hofmaler Landgraf Wilhelms IV. von Hessen gemacht habe; sie wollen wie jene ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Erschöpfung des Gegenstandes zu erheben, lediglich kleine Beiträge zur Geschichte der Kunst und der Künstler in Hessen im i6. Jahrhundert liefern. Eine erhebliche Förderung unseres Wissens auf diesem Gebiete verdanken wir neuerdings der Fest- schrift, mit der uns Drach und Könnecke anläßlich der vierhundertsten Wiederkehr des Geburtstages Philipps des Großmütigen beschenkt haben; sie hat ein überreiches Material durch quellenmäßige Forschung wie durch ästhetisch-stilistische Betrachtung in musterhafter Weise gesichtet und vielfach Zusammenhänge zwischen Künstlern und Werken erst aufgedeckt und dargelegt ^).

Der Name des niederländischen Meisters Wilhelm Vernuken ist dem Kenner rheinischer Kunst nicht fremd, verbindet sich doch für ihn damit das Bild eines der herrlicfisten Denkmäler, welche die Renaissance auf deutschem Boden hinterlassen hat, das der Rathauslaube zu Köln* *). Es ist ein eigener Zufall, daß gerade in denselben Jahren (1570— 7 als dieser Bau entstand, zwei andere niederländische Künstler, Elias Godefroy aus Kameryk und Adam Beaumont, im Chore der gotischen St. Martinskirche zu Kassel ein Grabmonument für den Landgrafen

') Die Bildnisse Philipps des Großmütigen. Marburg 1905* die Zeit des Mittelalters hat Küch: Die Landgrafendenkmäler in der Elisabethkirche zu Marburg (Zeitschrift d. Ver. f. hess. Gesch. N. F. Bd. 26) manches hinzugebracht.

*) S. Firmenich-Richartz: Köln. Künstler in alter und neuer Zeit (Düsseldorf 1895), Sp. 896 99. Eine Würdigung des Bauwerks bei Lübke: Gesch. d. d. Renaiss. Bd. 2, S. 454 ff. Herr Provinzialkonservator Prof. Dr. Clemen und Herr Dr. Renard zu Bonn machten mich gütigst darauf aufmerksam, daß Vernuken (noch unter seinem Vater Henryck) an Schloß Horst (Kreis Dorsten) mitgearbeitet und insbesondere einige Kamine gefertigt hat. Vier von diesen stehen jetzt im Schloß Hugenpoet (Kreis Düsseldorf). S. Clemen; Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz Bd. 3, i, S. 123—25.

Der niederländische Bildhauer Wilhelm Vernuken in hessischen Diensten. 219

Philipp und seine Gemahlin aufführten, das man zu den hervorragendsten Werken der Renaissance in dieser Gattung zählen darf 3).

Hessen war für Künstler damals ein guter Boden, denn Wilhelm IV., der als Fünfunddreißigjähriger dem großen Vater 1567 im Niederfürsten- tum gefolgt war, war ein eifriger Bauherr, der nicht nur vollenden wollte, was unter Philipp begonnen war, sondern sich mit neuen Plänen trug, deren Ausführung ihn in den 25 Jahren seiner Regierung fortgesetzt beschäftigte. Für Baumeister, Bildhauer und Maler gab es da viel zu tun.

Der Landgraf besaß aber auch großes Kunstverständnis und sicheres Urteil und wußte die rechten Kräfte für seine Zwecke zu finden. So wundert es uns nicht, daß er Wilhelm Vernuken, dessen Ruf gewiß längst zu ihm gedrungen war, im Jahre 1577 in seinen Dienst zog, »daß er ihm zu allem, dazu er geschickt, dienen solle, es sey mit Bauen anzu- geben, abzureissen, Visirungen zu stellen, bildhauen, Gips auszuschneiden, Esterich zu schlagen, im Tiraß zu arbeiten« 4). Der Künstler erwarb im Jahre 1589 in Kassel das Bürgerrecht und lebte daselbst noch im Jahre 16045). Ob ein festes Jahreseinkommen mit der Bestallung ver- bunden war, wie es z. B. ein Hofmaler Wilhelms IV., Caspar van der Borcht, hattet), ist unbekannt; es scheint eher, daß der Verdienst von den jeweiligen Aufträgen abhing, die besonderer Vereinbarung unterlagen.

Von Vernukens Tätigkeit in Hessen wußte man bis zum Jahre 1895 nichts; erst die vortreffliche Publikation von Laske und Gerland »Schloß Wilhelmsburg bei Schmalkalden« belehrte uns, welch bedeut- samen Anteil jener gerade an dem künstlerisch wertvollsten Teil des Baues hat, an der Kapelle. Die bauliche Ausführung, die des Fürsten tüchtiger Architekt Christoph Müller leitete, war im Somrner 1586 so weit vorgeschritten, daß die Bildhauerarbeit vergeben werden konnte. Als sich der Landgraf am 15. Juli d. J. in Schmalkalden befand, übertrug

3) S. jetzt Drach-Könnecke a. a. O. S. 99 f. Daß Cambrai gemeint ist, und nicht der Flecken Kameryck im Utrechtschen, wird auch durch Gallands Ausführungen über Jakob Colyn van Cameryk (Gesch. der Holland. Baukunst S. 91 92) wahr- scheinlich. Ein Meister Helias, gewiß identisch mit dem unsrigen, sollte 1562 für den Schloßbau zu Münden, wo er schon früher tätig gewesen war, gedungen werden, um. Alabastersteine zu bearbeiten. (Gütige Mitteilung des Herrn Geheimrats Doebner aus Akten des Staatsarchivs zu Hannover.)

4) Nach einer offenbar der Bestallungsurkunde entnommenen Notiz in Landaus Nachlaß (Landesbibliothek zu Kassel), aus dem überhaupt, soweit nicht andere Quellen genannt sind, im wesentlichen dieser Aufsatz schöpft.

5) S. das Kasseler Bürgerbuch, hrsg. von Gundlach (Zeitschr. d. Ver. f. hess. Gesch. N. F. Suppl. 12) S. 34 und die Kirchenbuchauszüge in Mscr. Hass. fol. 113 (Landesbibi. Kassel).

6) S. Drach-Könnecke a. a. O. S. 34 Anm. i.

220

Carl Scherer:

er auf Grund der vorgelegten Abrisse dem Meister »Die Gallerey inn die Schloß Cappell der Wilhelmsburgk über Schmalkalden zu haven undt mit ihrem Zirath auffs fleissigste zu fertiegenn«. Es wurden dafür looo Gulden ausgeworfen; die Steine sollten bis vor die Werkstatt geliefert werden und ihm »gepurlich spitzerlohn gehandreicht « werden. Kanzel und Altar waren in den Vertrag nicht eingeschlossen, sie blieben besonderer Abmachung Vorbehalten. Wir haben hiernach den inneren Ausbau der Kapelle, die am Himmelfahrtstage 1590 geweiht wurde, mit dem orna- mentalen Schmucke der Pfeiler, der sie verbindenden Bogen und ihrer Schlußsteine mit Sicherheit Vernuken zuzuweisen. Den Altar dürfen wir, auch ohne archivalisches Zeugnis, aus Stilgründen mit aller Wahrscheinlichkeit für ihn beansprucheri und von der Kanzel mag das gleiche gelten.

Die Wilhelmsburg hat, weil sie abseits der lauten Heerstraße in einem entlegenen Winkelchen liegt, sich besser konservieren können als andere Bauten Wilhelms IV., die sich ihr einst ebenbürtig zur Seite stellen konnten, heute aber entweder verschwunden oder im Zeitenlaufe um- gestaltet sind.

Es liegt nahe, anzunehmen, daß Vernuken am Goldenen Saale des Kasseler Schlosses, der mit den in Stein gehauenen Bildern der Land- grafen und ihrer Gemahlinnen von Philipp dem Großmütigen ab geschmückt wurde und um das Jahr 1580 vollendet war, beschäftigt worden ist; nachzuweisen ist seine Tätigkeit am Rotenburger Schloßbau.

Rotenburg an der Fulda war nächst Kassel damals die vornehmste Residenz im Fürstentum Niederhessen; Wilhelm IV. hatte dort im Jahre 1570 Umbauten und Neubauten begonnen, die einen Kostenaufwand von 32 112 fl. verursachten. Ganz besonders glanzvoll wurde der Ost- flügel des Schlosses aufgeführt und ausgestattet; hier lag in der zweiten Wandlung der Hauptsaal, so groß, daß außer dem Prager Saal in Deutschland sich keiner mit ihm an Größe messen konnte?). Man betrat ihn von einem Gange, aus, der sich in Arkaden nach Osten hin, wo der Lust- garten lag, öffnete; die Bogen wurden getragen von sieben jonischen Säulen, die Gallerie war in sauberster Steinmetzenkunst ausgeführt. Diese Arbeiten beschäftigten Vernuken in den Jahren 1577 80, vielleicht hoch länger. Der Landgraf benötigte offenbar in diesen Jahren noch weitere Kräfte, wie ein Schreiben an Jörge Keßler vom 18. Januar 1582 beweist, worin er diesem aufgibt, ihm von Anntorf (Antwerpen) einen oder zwei gute Bildhauer zu schicken, die er »gleich andern unserer Bildhauern gepurlich underhalten lassen wolle«. In Antwerpen hatte der Fürst eben um diese Zeit auch Porträts bei Adrian Key bestellt. (S. Drach-Könnecke a. a. O. S. 52, Sp. 2. Anm. i.) Im August 1590 treffen wir den

7) Winkelmann: Beschreibung der Fürstentümer Hessen und Hersfeld. S. 266.

Der niederländische Bildhauer Wilhelm Vernuken in hessischen Diensten.

22 1

Künstler wiederum in Rotenburg, wo er, unterstützt von seinen Söhnen und Gesellen, die Ausstattung der Kapelle begann und schon gegen Ende des Jahres hin so weit gefördert hatte, daß der Abschluß bevor- stand *). Offenbar hatte die Kirche in der Wilhelmsburg des Landgrafen Beifall in so hohem Maße gefunden, daß er im Rotenburger Schlosse sich ein Gegenstück dazu schaffen wollte.

Die Kapelle schloß sich an die Nordecke des Ostflügels der Anlage (der leider abgetragen ist) im rechten Winkel westwärts an; den Zwischenraum zwischen ihr und dem Westflügel baute erst Landgraf Moritz im Jahre 1607 aus, so daß nunmehr der Bau zum geschlossenen Quadrate wurde. Die Kapelle ist nicht mehr erhalten 9); sie wurde zu Beamtenwohnungen verbaut; ihre Beschreibung gibt der rotenburgische Chronist Lucä in seinem »Edlen Kleinod an der Hessischen Landes- krone oder Vorstellung der Fürstlichen Residentz Rotenburg « i°). Die Kirche wurde durch sechs zweireihige Pfeiler gegliedert, die aus rötlichem Alabaster gehauen, mit Kompositkapitälen gekrönt und mit allerlei Zieraten von weißem Alabaster ausgelegt waren; die Bogen zwischen den Pfeilern waren »verziert mit netten Zierlichkeiten von Alabaster auf die Art gespitzter Diamanten, Engelsköpfe, Sterne, Laubwerk u. dergl.« Die Kanzel befand sich am mittleren Pfeiler der nördlichen Reihe; zu ihr wie zur Empore führte eine Treppe in kunstreicher Alabasterarbeit; unter ihr stand der »Herrentisch«, dessen Platte sechs kleine Säulen trugen. Die starke Anlehnung an die Kapelle der Wilhelmsburg ist unverkennbar.

Den weißen Alabaster wie auch den rotbraunen Marmor für die Roten- burger Arbeiten lieferten die Steinbrüche der Fuldaberge zwischen Rotenburg und Altmorschen, die noch heute teilweise in Betrieb sind. Beim Dorfe Baumbach und bei Connefeld brach man Steine für die Kapelle; aus Connefelder Alabaster sind auch andere Arbeiten der gleichen Zeit, wie das alabasterne Gemach im Kasseler Schlosse und die Grabdenkmäler der Landgrafen Philipp in der Martinskirche zu Kassel, Ludwig in der lutherischen Kirche zu Marburg und Georg in der Hauptkirche zu Darmstadt, hergestellt**).

*) Zur leiblichen Stärkung erhielt der Meister damals auf Befehl des Fürsten täglich ein halb Maß Wein und ein Maß gut Bier aus der Kellerei.

9) Für den katholischen Gottesdienst ist neuerdings in dem gewölbten Unterstocke des Südflügels (der architektonisch am wenigsten Einbuße erlitten hat) eine Kapelle ein- gerichtet worden.

*°) Mscr. Hass. fol. 47 (Landesbibliothek Kassel).

”) Schreiben Wilhelms vom 25. Aug. 1591 (Landau), Winkelmann a. a. O. S. 39 und Nick: Georg I. von Hessen-Darmstadt S. 65. Der Fuldaalabaster hatte hiernach den früher bevorzugten Werraalabaster von Witzenhausen (s. Küch i. d. Ztschr. f. hess. Gesch. Bd. 26, S. i8of.) verdrängt.

22 2

Carl Scherer:

Es würde weiterer Nachforschung Vorbehalten bleiben, ob sich etwa aus Akten und Rechnungen des Königl. Staatsarchivs zu Marburg obige Mitteilungen über Vernukens Tätigkeit in Rotenburg unter Wilhelm IV. ergänzen und erweitern lassen.

Noch während der Meister dort beschäftigt war, hatte ihn sein Fürst mit einem neuen Aufträge betraut. Wilhelm IV. wollte seinem am 20. November 1583 zu Rheinfels verstorbenen jüngsten Bruder Philipp ein Grabdenkmal in der Stiftskirche zu St. Goar errichten lassen. Ein Entwurf Vernukens hatte die Zustimmung des Landgrafen erhalten, das Geding war abgeschlossen, und schon waren die Steine bestellt, da erfuhr der Künstler, daß ‘der Fürst angeblich anderen Sinnes geworden sei und seinen Plan aufgegeben habe. In einem Schreiben, dem man die starke Bekümmernis und Enttäuschung anmerkt, wendete er sich hierauf an seinen Herrn Es lautet:

Durchleuchtiger Hochgebornner Fürst. Ewer fürstlich genadenn seiennmeinn underthenig schuldig unndtgantz willig Dienst zuvor, genediger Herr, E. f. g. werdenn sich genedig zu erinnernn wissenn, daß dieselbigenn mir daß Epitaphium zu Reinfels uff form unndt maß, wie E. f. g. Ich Sollichs abgerißenn, zu machen umb einn Summa geldtes vordingt, darauff auch bevohlenn, die alabaster Steinn alhie brechenn zu laßenn. Weiln aber E. f. g. bawschreiber alhie ChristofFell Koich mich bericht, daß E. f. g. sollich Epitaphium numehr machen zu laßenn nicht bedacht, Hab Ich nicht umbgehenn können, E. f. g. deßwegenn under- thenig zu ersuchenn. Dann weill Ich verhoff, mitt der arbeit Inn der Capellenn, baldt fertig zu werden, were es mir ungelegenn, wann Ich vorgedachte mir verdingte arbeit nicht machenn solte, meine Söhnne unndt gesellenn lenger uf dem halse liegen zu habenn, unndt darbei müßig zu gehenn. Diewill dann der Steine Inn die Zehenn Stucke unndt also die Helfft albereit gebrochenn unndt schadt were, daß Solche Stucken zu scheittenn gehenn unndt verderbenn soltenn. So will E. f. g. Ich hiermitt underthenig gebettenn habenn, dieselbe wollenn sich genedig Jegenn mich erkleren. Ob Ich mitt Verferttigung gedachts Epitaphii bei dißer gutten gelegenheitt fortfahren, unndt wahe Ich dieselbigenn, alhie zu Rottenbergk oder Cassel, machen, oder ob E. f. g. wie der bawschreiber bericht, es nicht gemacht habenn woltten. Alles zu dem ende weil Ich einn armmer gesell, so da keine renten, oder zinßen, davon Ich lebenn unndt mich erhaltenn kondte Undt also nichts mehr habe, denn waß Ich teglich verdiene, daß Ich meine Sohne, So ohne daß alß Jungen

•*) Original in Landaus Kollektaneen ; eigenhändig von Vernuken ist nur die Namensunterschrift. Auf S. 4 Adresse, Eingangsvermerk und Betreff.

Der niederländische Bildhauer Wilhelm Vemuken in hessischen Diensten. 223

gesellenn sich zu versuchen unndt zu wandernn Lüsten tragenn, sambt andernn meinenn gesellen beurlaubenn oder mich widerumb nach anderer arbeit Inn Zeittenn umbsehenn könne, underthenig bittende, dißes mich nicht ungenedig zu verdenckenn. Sondern dieselbigenn alß einn Hoch verstendiger Fürst diße meine gelegenheitt selbstenn Inn gnadenn be- trachtenn unndt zu gemuth fuhrenn wollenn. Tröstlicher zuverleßiger widerantwortt underthenig erwarttende.

Unndt thue E. f. g. hiermitt zu langAveriger bestendiger gutter gesundtheitt undt glückseliger regierung underthenig bevehlenn. Datum Rottenbergk denn 17. 9bis Anno (15)91.

E. F. G. undertheniger schuldiger unndt gantz williger

Wilhelm Vernuken.

Infolge dieses Bittgesuches kam die Angelegenheit von neuem in Fluß, und im Frühjahr wurde die Arbeit an Ort und Stelle begonnen. Vernuken muß sich damals in Geldnöten befunden haben, und da der mit der Rechnungsführung beauftragte Kellerer auf Rheinfels kein Geld herausgab, klagte der Künstler beim Landgrafen, worauf dieser unterm 8. Mai 1592 den Beamten nicht eben sanft an blies *3):

Lieber Getr. Es hatt uns Meister Wilhelm Vernuken der Bildt- hawer zu erkennen geben, daß Du ihm, unangesehen wir Dirs under dato den 13. Aprilis ernstlich bevohlen, uff Verfertigung unsers f. lieben Bruders Landg. Philipßen selig. Begrebnuß die 100 fl so wir darzu ver- ordnet noch nicht vergnüget. Sondern Dich dessen mitt Verwendung, das Dir noch keine Zinse oder Rente fellig wehren, zu entschuldigen under- standen, welchs uns nit wenig befrembdet, dieweil du unsern schriftlichen bevelch gehabtt undt derowegen mitt solcher bezahlung gar keines weges bettest sollen uffhalten, wan Du es gleich under den Juden bettest borgen sollen angesehn wie andere Ambttleute thun, die ufif ezliche Jahr die Ambter mußen verlegen und fro werden wen sie über ezliche Jahr einmahl bezalet werden. Bevehlen Dir derhalben in gnaden und mitt allem ernst, das Du Dir solchs nicht mehr laßen widerfahren. Sondern thust wie Du kanst, daß Du unsern glauben erhaltest. Den ob Gott will, umb hundert fl, 2 oder 3 willen wir unsern glauben nicht gedencken stecken zu lassen. Haltt aber sonst allenthalben gute ordenung.

Der Landgraf führt in dem Schreiben dann weiterhin die Ab- machungen mit dem Künstler auf. Dieser hatte sich verpflichtet, das Denkmal für 900 fl (der fl zu 26 alb.) zu liefern einschließlich der »schwarzen Duttsteine«, die von Köln heraufgeführt wurden und für die ein Vorschuß von 100 fl geleistet worden war. Der Alabaster, der zu

*3) Konzept bei Landau.

224

Carl Scherer:

des Künstlers Verdruß lange unterwegs blieb ^4), wodurch die Arbeit ver- zögert wurde, wurde gestellt. Der Meister erhielt wöchentlich 2 y und weiter i fl Kostgeld, von seinen drei Gesellen bekam jeder wöchentlich 2 fl, der Gipser das gleiche. Meister- und Gesellenlöhne sollten bei der Schlußabrechnung in Abzug gebracht werden, das Kostgeld für den Meister, die Löhne für den Gipser und einen Hüttejungen (wöchentlich I fl und » spizerlohn «) und andere kleine Ausgaben der landgräflichen Kasse zur Last fallen ^5).

In der nördlichen Seitenkapelle der Stiftskirche zu St. Goar steht noch heute das von Vernuken geschaffene Grabmonument Philipps, ihm gegenüber das seiner Gemahlin Anna Elisabeth, einer Tochter des Kur- fürsten Friedrich III. zu Pfalz,‘ dies von unbekannter Hand. Im Anschluß an die begonnene Wiederherstellung der Kirche, wurden in den Jahren 1899 und 1900 die beiden Denkmäler, die im Laufe der Jahrhunderte stark gelitten hatten, unter der besonderen Leitung des Provinzialkonservators gründlich restauriert. Ich gebe die Beschreibung mit den Worten Clemens

Das an der Ostwand befindliche Grabmal des Landgrafen zeigt über einem reichverzierten Unterbau einen kräftig vorspringenden Sarkophag und darüber einen mit einem Giebel abgeschlossenen Aufbau, der in einer Nische die lebensgroße Figur des Verstorbenen birgt. Das Material ist weißer und schwarzer Marmor, Alabaster und Stuck. Der Sockel ist auf den drei freien Seiten mit schönen Renaissancekartouchen geschmückt, die sich in ausgeschnittenes Riemenwerk auflösen, das die ganze Fläche gleichmäßig füllt. In der Mitte eine leere Platte. Dann folgt ein schmaler ornamentierter Fries in Stuck. Der Sarkophag aus Alabaster ist unten wie oben mit gleichmäßigem und symmetrischem Riemenwerk bedeckt. Ein kräftiges Gesims von schwarzem Stuckmarmor hält ihn gewissermaßen zusammen und ist mit dem Sockel durch einzelne Bänder verbunden. An den Verschlußstellen ist das Gesims stark verkröpft und nach unten mit einer in Stuck angefertigten Konsole geschmückt. Der Aufbau, der

>4) Die Zulieferung der Steine, die in Ziegenhain liegen geblieben waren, brachte Wilhelm am ii. Mai in Erinnerung.

*5) Entwurf des Schreibens bei Landau. Ein zweites vom gleichen Tage datiertes Schreiben, ebenfalls an den »Keller« zu Rheinfels, Ludwig Zeller, gerichtet (im Konzept bei Landau), das sich hinsichtlich der Vertragsbestimmungen mit dem obigen berührt, sonst aber lediglich allgemeine Weisungen für die Überwachung der Arbeiten enthält, (»Erstlich soll ehr keinem so nichtt arbeitet oder sein geldt ver- dienett, icht was geldts geben« usw.), ist vermutlich nur ein unverwerteter Entwurf.

*6) S. Berichte über die Tätigkeit der Provinzialkommission für die Denkmalspflege in der Rheinprovinz (I) 1896, S. 52 56 und VI 1901, S. 38 42. Ebendaselbst sind Abbildungen der beiden Monumente im Mäßstab von 20X^3 (Bildgröße) gegeben; für unsere Tafel wurde das Glicht derselben gütigst überlassen. Photo- graphische Aufnahmen im größeren MaQstabe besitzt das Denkmälerarchiv der Rheinprovinz.

2 Carl Scherer: Der niederländische Bildhauer Wilhelm Vernuken usw.

dann über einem niedrigen Untersatz aufsteigt, mit dem Sarkophag durch Voluten verbunden, schließt mit einem kräftigen, weit vorgekragten Gesims ab, über dem sich der flache Giebel erhebt. Unter dem Gesims wieder ein feiner ornamentierter Fries. Auf den Seitenflächen unter einem Muschelornament rechts das mecklenburgische Wappen, links das große sächsische Wappen mit drei Helmen.

Die Zwickel über den Bogen sind durch flache Masken in Stuck belebt. Die tiefe Mittel nische ist von Streifen in weiß-rotem Stuckmarmor eingefaßt und zeigt einen schwarzen Fonds, in dem oberen Abschluß ein Muschelornament mit schwarzen Streifen. Der die Nische vollständig ausfüllende Landgraf ist ganz gerüstet dargestellt, das rechte Spielbein mäßig vorgesetzt. Der schwere Kopf mit ziemlich kahler Stirn und leichtem Vollbart ist leicht nach links gewandt. Die Rüstung ist durch- weg mit einer feinen Zeichnung bedeckt. Die Ornamente sind in den Alabaster eingeschnitten und mit Schwarz ausgefüllt als Nach- ahmung der Ätzungen. Die Rechte hält ein kurzes Szepter.

Die Kapelle ist mit Stuckornamenten geschmückt, die in geome- trischen Mustern und flachem Bandwerk gehalten sind. In jedem der vier Gewölbefelder ist die allegorische Figur einer Kardinaltugend angebracht.

Das Grabmal Philipps hat wie das stark von ihm abweichende Epitaph seiner Gemahlin von jeher hohes Lob gefunden, das es nach Aufbau und Gliederung wie nach der Ausführung des Ornamentalen Und des Figürlichen voll verdient. Man rechnet es zu den schönsten Renaissance-Grabdenkmälern in den Rheinlanden ^7).

Clemen weist darauf hin (a. a. O. VI S. 42), daß sich in dem flachen Bandschmuck des Sarkophags norddeutsche Einflüsse geltend machten. Führt uns nicht auch die Anordnung des Ganzen, die Ver- bindung von Nische und Sarkophag nach dem Norden? Daß die An- regungen von Hans Vredeman de Vries, die auch beim Denkmal Philipps I. zu Kassel unverkennbar sind^* *), auf das Monument in St. Goar eingewirkt haben, bestätigt mir mein Bruder Christian Scherer, der die Ausgabe der » Caenotaphiorum, tumulorum et mortuorum monu- mentorum variae formae« von 1563 einsehen konnte. Ebenso dürfte m. E. eine gewisse Beziehung zur Sepulkralarchitektur Nordbrabants nicht abzuweisen sein *9). War Wilhelm etwa dort geboren oder ausgebildet?

>7) S. auch Lehfeldt: Die Bau- u. Kunstdenkmäler des Regierungsbezirks Koblenz (Düsseldorf 1886) S. 626 31 und die dort verzeichnete Literatur.

’*) Man vergleiche die Tafel XXV bei Drach-Könnecke etwa mit Fig. 59 bei Galland: Geschichte der Holländ. Baukunst (Frankfurt a. M. 1890) S. 148.

*9) S. Galland a. a. O. S. 84 u. 619 20. In dem Wandmonument von Breda sind in gewisser Weise Elemente des Aufbaues des Philippsepitaphs vorgebildet.

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

Von Fritz Saxl.

Die Handzeichnungen eines großen Meisters bieten für den Forscher eine schier unerschöpfliche Fülle interessanten und lehrreichen Materiales; auch tragen sie, wenn man so sagen darf, mitunter wesentlich zum ästhe- tischen Verständnis eines fertigen Werkes bei, indem sie uns den Ent- wicklungsgang der Idee klar erkennen lassen. Um die Person des Meisters zu erfassen, um die Anregungen zu erkennen, die er empfangen, um die Persönlichkeiten herauszufinden, die der Künstler besonders bevorzugt hat, indem er sie als Modelle verwendete, zu all dem gibt es keinen besseren Weg, als ein eingehendes Studium seiner Handzeich- nüngen. Sehr richtig sind die Andeutungen Valentiners über die Hand- zeichnungen Rembrandts^), die besonders über einzelne Personen aus Rembrandts Umgebung genaueren Aufschluß zu geben versuchen. Seit kurzem besitzen wir auch in dem ausgezeichneten Werke Hofstede de Groots einen ausführlichen Katalog der Handzeichnungen Rembrandts, der sich jedoch auf die Katalogisierung beschränkt und beinahe über- haupt nicht weiter auf das Verhältnis zu den übrigen Werken des Meisters eingeht. Zweck der folgenden Bemerkungen soll es nun sein, den Zu- sammenhang der Handzeichnungen niit den Gemälden und Radierungen etwas zu verdeutlichen, und darin, wieweit dies möglich ist, die Ver- wendung von Personen aus Rembrandts nächster Umgebung als Modelle nachzuweisen. Mag dies mir auch nicht genügend gelungen oder mag ich darin allzu weit gegangen sein, so wird es vielleicht doch anderen zum Ansporn, dienen, auf diesem so interessantem Gebiet Neues zutage zu fördern.

I. Bemerkungen zu Lippmann, Handzeichnungen Rembrandts, I. Folge, I. Lieferung.

') Wilhelm R. Valentiner, Rembrandt und seine Umgebung. (Zur Kunstge- schichte des Auslandes, Bd. XXIX) Straßburg 1905.

228

Fritz Saxl:

Zu Nr. I. Selbstporträt. Nach der Radierung B. 338 wohl auch um 1629 entstanden, eher etwas später. Vgl. auch das Selbstporträt (Bode I. 17, bezeichnet 1631) in Budapest, Nationalgalerie.

Zu Nr. 2. Studienblatt mit sieben Figuren. Vgl. B. 165, wahrschein- lich die Bettlerin dasselbe Modell wie die große weibliche Figur der Zeichnung links. Auch wäre es nicht ausgeschlossen, in dem weinenden Kinde den kleinen Rumbartus zu erkennen. Vgl. dazu die Zeichnung »das schreiende Kind« (Lippm. I. i Nr. 9) und die bei Murray in London (Repr. u. a. bei Graul*) Nr. 14) »die junge Frau mit dem Kinde«. Daher um 1635 anzusetzen.

Zu Nr. 3. Eine Gruppe von Bettlern. Studie zu B. 74. Gehört wahrscheinlich der zweiten Redaktion des »Hundertguldenblattes« an, etwa Mitte der vierziger Jahre.

Zu Nr. 5. Kreuzabnahme. Offenbar Studie zur »Kreuzabnahme« (Bode II. 125) in München, daher vor 1633 entstanden.

Zu Nr. 9. Der schreiende Knabe. Zweifelsohne Saskia mit dem kleinen Rumbartus. Entstehungszeit etwa 1636. Vgl. Lippm, I. i. 21.

Zu Nr. IO. Der Philosoph. Vgl. dazu Lippm. I. 4. 168 im Taylor-Museum, Haarlem. Dürfte derselbe Greis sein, wie auf dem »Petrus im Gefängnis« (Bode I. 41) in Brüssel, Prince de Rubemprd de Mdrode, daher um 1631. Denn sowohl die zitierte Zeichnung als das Gemälde tragen diese JahreszahlS).

Zu Nr. 16. Studienblatt mit mehreren Figuren. An dieses Blatt finden wir natürlich sehr viel Anklänge in Rembrandts Werk (vgl. die Gruppe oberhalb der Brüstung in B. 74). Vgl. auch die Figur ganz links in B. 126, die einige Ähnlichkeit mit dem zweiten Mann von rechts in der vordersten Reihe hat. Entstanden wohl um die Mitte der dreißiger Jahre. Es wäre ja, wenn man B. 126, das nach 1645 entstand, heran- ziehen will, möglich, daß Rembrandt um diese Zeit auf die Skizze zurück- gekommen ist.

Zu Nr. 17. Die Geburt Christi. Es wäre vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen, in dem heiligen Joseph den greisen Tobias des Bildes bei Cook in Richrhond (Bode V. 331), bezeichnet 1650, zu erkennen, besonders da Rembrandt sich gerade in dieser Zeit (1646) mit dem Thema der »Geburt Christi« beschäftigt hat (siehe Bode V. 315 in München und V. 316 in London, Nationalgalerie). Auffallende Ähnlich- keit in der Kompositen zeigt auch »der Trauni Josephs« (Bode V. 336) in Budapest, Nationalgalerie, worauf schon von H. de Groot hingewiesen wird.

») Richard Graul, 50 Zeichnungen Rembrandts, Leipzig 1906. 3) Vgl. dazu H. de Groot a. a. O., S. XX.

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

229

Zu Nr. 18. Studienblatt mit neun Figuren. Die weibliche Figur in der Ecke links hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Braut auf «Simsons Hochzeit« (Bode III. 222) in Dresden. Auch der Mann der Skizze, der mit dem Mädchen in der Ecke links zu reden scheint, ist dem Manne, der als der dritte rechts von der Braut auf dem »Simson- bild« sitzt, sehr ähnlich. Jedenfalls gehört die Zeichnung spätestens in die Zeit der »Hochzeit Simsons«.

Zu Nr. 21. Lesende Frau im Armstuhl. Wahrscheinlich ist Saskia dargestellt, trotz der auffallend spitzen Nase. Das Buch jedenfalls erst später von Rembrandt hineingezeichnet. Entstanden um 1638.

Zu Nr. 22. Der Engel erseheint Manoah und seinem Weibe. Ist offenbar nicht Vorstudie zum »Opfer Manoahs« in Dresden (Bode IV. 243), sondern ein früherer Entwurf. Man beachte das Stürmische der Bewegungen, wie auch die ganz auf linearer Basis beruhende Kompo- sition. Bei H. de Groot um 1635 angesetzt.

Zu Nr. 24. Kopie nach Lionardos »Abendmahl«. Bemerkenswert dadurch, daß die Zeichnung mit dem Datum »1635« bezeichnet ist, ihre Verwendung zur »Hochzeit Simsons« jedoch erst um das Jahr 1638 fällt; es wäre denn, daß Rembrandt so lange an dem Gemälde gearbeitet hat, was mir jedoch als nicht wahrscheinlich erscheint. Zu »Simsons Hochzeit« siehe den Aufsatz Höltzels in der »Kunst für Alle«, Jahrgang 1904, Seite III.

Zu Nr. 25. Der barmherzige Samariter. Weist große Ähnlichkeit auf mit dem »Barmherzigen Samariter« (Bode V. 330) bei Jules Porgds in Paris.

Zur Nr. 27. Jakobs Traum. Die beiden Engel haben Ähnlichkeit mit zweien des »Abraham bewirtet die drei Engel« (Bode III. 223) in der Ermitage, jedoch genügt dies wohl nicht zu genauerer Datierung des Blattes. ,Um 1650 52.

Zu Nr. 28. Pyramus und Thisbe. Vielleicht ist das männliche Modell Titus, dann wäre das Blatt, was ja auch mit dem Stil überein- stimmt, um 1655 anzusetzen.

Zu Nr. 29. Das Dargestellte ist offenbar identisch mit dem Greisen- kopf (Bode V. 388) in der Eremitage.

Zu Nr. 31. Haman vor Ahasver. Dürfte in Verbindung zu bringen sein mit Bode VII. 530 in Sinaia, ist aber jedenfalls viel früher als dieses Werk anzusetzen.

Zu Nr. 34. Alte lesende Frau. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Dargestellte Geertje Dircx ist; vergleiche dazu die bei Valentiner a. a. O. S. 40 angeführten anderen Bildnisse Geertjes, besonders auf der »Hanna im Tempel« (Bode V. 325) in London, Earl of Ellesmere, zu

230

Fritz Saxl:

dem die Zeichnung vielleicht als Vorstudie gedient hat. Entstanden daher um 1648.

Zu Nr. 39. Christus in Gethsemane. Dürfte in die Zeit der Radierung B. 75 gehören, ist jedoch wohl selbst keine direkte Studie zu dieser.

Zu Nr. 44. Aktstudie nach einem jungen Manne. Daß wir in dem Dargestellten den jungen Titus zu erkennen haben, erscheint wohl kaum zweifelhaft. Vgl. das Porträt (Bode VI. 45 1) in Kopenhagen. Entstanden um 1656.

Zu Nr. 45. Der Witwer. Da es, wie bemerkt wurde, Rembrandts Selbstporträt als Witwer fst, gehört es -in die Zeit um 1643. Kind

ist der kleine Titus.

Zu Nr. 47. Isaak segnet den Jakob. Das Haltungsmotiv Isaaks ist dasselbe wie auf dem Kasseler Bilde (Bode VI. 404). Die Zeich* nung dürfte ein erster Entwurf zu diesem Werke sein. Entstanden um 1655.

II. Bemerkungen zuLippmann, Handzeichnungen Rembrandts, I. Folge, 2. Lieferung.

Zu Nr. 51. Alter Mann auf dem Totenbette, umringt von seiner Familie 4). Dürfte derselbe alte Mann sein, wie auf dem Opfer Manoahs in Dresden (Bode IV. 243). Etwa um 1640.

Zu Nr. 52. Die Dornenkrönung. Der vorderste Mann rechts mit dem Turban, der uns abgewendet steht, erinnert an den bekannten »Karnevalstürken« der Kreuzabnahme in München (Bode II. 125). Der Christustypus ist dem des »Christus vor Pilatus« in der Nationalgalerie London (Bode III. 214) sehr ähnlich. Der zweite Mann rechts (von der Mitte gezählt) scheint im Anschluß an die Kopien nach indisch-islami- tischen Miniaturen entstanden zu sein. (Siehe den Aufsatz Friedrich Sarres im Jahrbuch der Kgl. preuß. Kunstsammlungen, Band 25.) Vgl. zu dieser Figur besonders die Zeichnung Rembrandts im British Museum nach einer indischen Miniatur (Repr. bei Sarre a. a. O. Seite 146). Auf diesem Blatte hat der Schech ganz rechts große Ähnlichkeit mit dem Manne neben unserem »Karnevalstürken«. Offenbar ist auch die kniende Figur links im Vordergründe im Anschluß an diese Miniaturen entstanden. Eine ganz ähnliche Gestalt nur im Gegensinne findet sich auf der Radierung B. 89 vom Jahre 1654. Interessant ist die Architektur des Hintergrundes, die an Bauten, wie etwa die Kirche »II Redentore« in Venedig erinnert.

4) Nach H. de Groot: David ernennt Salomon.

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

231

Zu Nr. 76. Isaak segnet Esau. Offenbar Studie zum Gemälde in Beiton House (Bode III. 217), da der greise Isaak der Zeichnung das- selbe Modell sein dürfte, wie der des Gemäldes. Entstanden um 1636.

Zu Nr. 78. Studienblatt. Gehört jedenfalls in die Zeit der Ra- dierungen nach Bettlern, etwa um 1633. Der Orientale ist wohl derselbe wie auf dem Porträt eines Türken in München (Bode II. 147), datiert vom Jahre 1633.

Zu Nr. 79. St. Gregor. Der Tisch und die Bücher darauf sind fast genau so wie auf der »Minerva« in Reims (Bode I. 67). Um diese Zeit hat sich Rembrandt überhaupt viel mit dem Thema »Der Gelehrte« be- faßt. Auch jegliches Fehlen einer feineren Auffassung weist auf eine frühe Zeit, etwa i'632. Auch ist es nicht ausgeschlossen, daß dieses Modell dasselbe ist, wie der alte Mann des eben besprochenen Blattes Nr. 78.

Zu Nr. 85. Studienblatt mit sechs Köpfen und drei Skizzen für eine Madonna mit dem Kinde. Zweifellos haben wir in dem Porträt links unten ein Selbstbildnis des Künstlers zu erkennen 5). Vergleiche besonders das des Wallace- Museums, entstanden um das Jahr 1634 (Bode III. 166). Die große Figur in der Mitte zeigt auffallende Ähnlichkeit mit dem sogenannten »Rabbiner« in Chatsworth (Bode III. 199), be- zeichnet 1635. dazu auch die Handzeichnung Lippmann II. 89.

Vielleicht ist es auch derselbe wie auf B. 33, das dann um 1634 ent- standen wäre. Die Maria in der Ecke rechts oben hat vielleicht Ähnlich- keit mit dem »Jungen Mädchen« bei Lanckoronski in Wien (Bode IV. 299). Die Madonna unten in ihrem etwas süßlichen, durchaus nicht Rem- brandtischen Charakter scheint eine freie Kopie nach Raffaels »Madonna della Sedia« zu sein, die Rembrandt noch einmal, das Blatt befindet sich heute im Kupferstichkabinett Dresden^), in wenigen Strichen kopiert hat.

Zu Nr. 87. Weiblicher Akt. Offenbar diente für dieses Blatt, wie auch Valentiner annimmt, Hendrickje als Modell.

Zu Nr. 88. Anbetung der Hirten. Wie schon Michel bemerkt, Studie zur Anbetung der Hirten in der Nationalgalerie, London (Bode V. 316). Valentiner will in dem kleinen Jungen, der den Hund hält> den etwa 5 jährigen Titus erkennen. Darüber gibt leider die Zeichnung uns keinen Aufschluß.

Zu Nr. 89. Studie eines Rabbiners. Schon Michel hat dieses Blatt mit einem anderen Werke Rembrandts in Verbindung bringen

5) Ich glaube nämlich nicht, so verlockend dies auch auf den ersten Blick er- scheint, daß der Kopf in der linken Ecke unten und der darüber nach demselben Modell ist.

Katalog H, de Groot Nr. 210.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI. I ^

232

Fritz Saxl:

wollen, und zwar mit B. 281. Neuerdings wurde es von Richard Graul mit dem »Rabbiner« in Chatsworth (Bode III. 199) in Verbindung ge- bracht, was mir wahrscheinlicher erscheint. Vgl. auch die Bemerkung zu Nr. 85.

Zu Nr. 90. Sitzende alte Dame. Studie zu den Porträts in Lon- don, Lady Wantage und Nationalgalerie (Bode VII. 492 und 493).

Zu Nr. 91. Weiblicher Akt, in dem Valentiner mit Recht Hendrickje erkennt.

Zu Nr. 92. Frau im Fenster. Nach Valentiner ebenfalls Hendrickje.

Zu Nr. 93. Schlafende Frau, sitzend. Nach Valentiner Porträt der Geertje und Studie zur »Hanna im Tempel« in der Bridgewater-Galerie (Bode V. 325).

Zu Nr. 94, Selbstporträt. Zur Zeitbestimmung dürfte das Selbst- porträt in Wien (Bode VI. 424), um 1655 entstanden, heran gezogen werden. Im Hinblick auf solche Selbstporträts dürfte das Wort Kuglers von dem »trotzigen Republikaner Rembrandt« entstanden sein.

Zu Nr. 96. Salomos Urteil. Zu dieser Zeichnung vgl. den Auf- satz Friedrich Sarres im Jahrbuch der Kgl. preuß. Kunstsammlungen, Band 25.

Zu Nr. 98. Diana und Aktäon. Daß wir in der Diana die Ge- stalt Saskias zu erkennen haben, scheint mir festzustehen. Danach ließe sich, auch in Verbindung gebracht mit dem Gemälde »Diana und Aktäon« in Anholt (Bode III. 196), bezeichnet 1635, mit ziemlicher Genauigkeit das Datum der Zeichnung bestimmen. Etwa um dieselbe Zeit, wie die Porträts der Saskia in Kassel und London, Mrs. Joseph (Bode III. 150 und 154), also 1634—1635.

Zu Nr. 99. Kopie nach Lionardos »Abendmahl«. Vgl. meine Bemerkung zur Zeichnung Nr. 24.

Zu Nr. 100. Hagar und Ismael in der Wüste. Titus und Hen- drickje. Man vergleiche ihre Porträts im I.ouvre und bei R. v. Mendels- sohn in Berlin (Bode VI. 457 und 436). Das Blatt dürfte um 1655 entstanden sein. Vgl. auch die Bemerkungen zu Nr. 28.

III. Bemerkungen zu Lippmann, Handzeichnungen Rembrandts, T. Folge, 3. Lieferung.

Zu Nr. loi. Hagar verläßt Abrahams Haus. Interessant ist der Vergleich mit dem »Besuch Marias bei Elisabeth« in London, Herzog von Westminster (Bode IV. 241), bezeichnet 1640. Sowohl die Architektur, als ganz besonders der Hund lassen auf eine sehr nahe Entstehungszeit schließen. Hagar scheint dasselbe Modell zu 'sein, wie die Maria auf der gleichzeitigen »Heiligen Familie« im Louvre (Bode IV. 242).

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

233

Valentiner weist mit Recht darauf hin, daß wir sowohl auf Bode IV. 241 als auch auf dieser Zeichnung den kleinen Rumbartus zu erkennen haben (getauft am 15. Dezember 1635), jedoch erscheint es sowohl nach den obigen Nachweisen als auch nach dem Alter des Jungen unmöglich, mit ihm das Blatt in das Jahr 1636 oder 1637 zu verlegen. Um 1642.

Zu Nr. 102. Grablegung Christi. Offenbar, worauf auch H. de Groot hinweist, hatte Rembrandt zuerst eine Studie einer »Auferweckung des Lazarus « geplant und erst später in diesen Raum eine » Grablegung « hineinkomponiert; diese »Auferweckung« dürfte in Verbindung zu bringen sein mit B. 73, das von Seymour-Haden und anderen Forschern ver- worfen wird, das v. Seidlitz dagegen aufrecht erhält. Auch in Zusammen- hang zu bringen mit der »Auferweckung« bei Yerkes in New York (Bode I. 45), entstanden um 1630. Die Zeichnung um dieselbe Zeit.

Zu Nr. 103. Kreuzabnahme. Studie zum »Christus vom Kreuz genommen« in der Nationalgalerie, London (Bode IV. 245). Rosenberg?) will diese Grautje mit der Radierung B. 82 in Zusammenhang bringen, was, besonders verglichen mit dieser Zeichnung, recht unwahrscheinlich ist.

Zu Nr. 106. Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht. Nach H. de Groot Wiederholung der Zeichnung HdG. 87. Der Jüngling, dessen Gesicht uns ganz zugekehrt ist, ist Titus. Man vergleiche dazu seine Porträts im Wallace Museum und in Wien (Bode VI. 444 und 443). Um i657* *

Zu Nr. 107. Rückkehr aus Ägypten (?). Möglicherweise ist Maria dasselbe Modell, wie die Frau des Manoah auf dem Dresdener »Opfer Manoahs« (Bode IV. 243), wo ihr Profil etwas stilisiert ist. Um 1641.

Zu Nr. 108. Joseph tröstet die Gefangenen. In dem Joseph haben wir mit Bestimmtheit den jungen Titus zu erkennen. Man ziehe zum Vergleich heran den » Christus an der Säule « bei Carstanjen in Berlin (Bode IV. 317)»), Um 1658.

Zu Nr. 109. Mann in Pelzrock und Mütze im Sessel mit einer Frau (?) dahinter. Wahrscheinlich derselbe wie auf B. 259 und dem Greisenporträt bei Lanckoronski in Wien (Bode IV. 298). Um 1641.

Zu Nr. HO. Der Künstler nach einem weiblichen Modell zeichnend Es ist wohl sehr gewagt, wenn Valentiner darin Hendrickje erkennen will.

Zu Nr. III. Drei Studien eines Bettlers mit einer Frau im Hinter- gründe. Diese drei Männer sind Studien nach einem Modell und ver-' wertet in B. 133 vom Jahre 1639. Vielleicht ist die Frau im Hinter- gründe Saskia. Man vergleiche dazu ihr Porträt in Dresden (Bode IV. 264) von 1641. Daher wäre das Blatt um 1638 anzusetzen. H. de Groot

7) Rembrandts Gemälde. Rosenberg bemerkt, daß diese gemalte Studie als Vor- lage für eine Radierung von 1642 gedient hat, offenbar ist damit B. 82 gemeint.

*) Zu diesem Werke vgl. Valentiner a. a. O., Seite 54.

>7’

234

Fritz Saxl:

erkennt jedoch darin dasselbe Modell wie auf B. 138 und setzt es daher schon um 1631 an.

Zu Nr. 114. Maria mit dem Kinde. Die Mariengestalt dürfte nach demselben Modell sein wie auf der »Anbetung der Hirten« in München und London (Bode V. 317, 316) vom Jahre 1646. Besonders charakteristisch sind die Hände. Die Zeichnung selbst ist eine Vorstudie zur »Holzhackerfamilie« in Kassel (Bode IV. 252). In allen dürfen wir aber das Porträt der Hendrickje erblicken, wenn wir mit Valentiner in der »Ehebrecherin vor Christus« bei Weber in Hamburg Bode (V. 338) ihr Porträt erkennen und dieses zum Vergleiche heranziehen. Um 1646.

Zu Nr. 116. Orientalischer Reiter mit einer Lanze. Da die

Komposition in dem Reiterbildnis bei Lord Cowper (Bode V. 366) ver- wendet ist, ist das Blatt wahrscheinlich auch um 1649 entstanden. Um diese Zeit finden sich in B. 40 ähnliche orientalische Motive verwertet.

Zu Nr. II 7. Zwei Negertrommler auf Maultieren. Dürfte um dieselbe Zeit anzusetzen sein, wie die vorhergehende Zeichnung. Um 1649.

Zu Nr. 125a. Porträt eines Jünglings. Da der Dargestellte, wie auch Valentiner feststellt, Titus ist, so hat man die Zeichnung um 1656, etwa in die Zeit des ganz ähnlich angelegten Porträts des Titus in Belvoir-Castle (Bode VI. 446) zu verlegen. Um 1656.

Zu Nr. 125 b. Studienblatt mit einer Frau im Vordergründe, die eine Kirche verläßt. Die stehende weibliche Figur könnte dasselbe Modell sein, wie die jüngere von den beiden Frauen auf dem Gemälde im I-ouvre »Der Engel verläßt Tobias « vom Jahre 1637 (Bode III. 219).

Zu Nr. 126. Der Erzengel Gabriel und Zacharia.s. Die Gestalt des Zacharias könnte nach demselben Modell sein, wie auf dem um 1650 entstandenen Gemälde der FTinitage »Josephs Rock« (Bode V. 340). Für den Engel dürfte Titus Modell gestanden haben. Um 1655.

Zu Nr. 127. Porträtstudie eines sitzenden Mannes. Es ist nicht ausgeschlossen, diesen Kopf auf dem »Siinson bedroht seinen Schwieger- vater« (Bode III. 210) vom Jahre 1635 wiederzuerkennen.

Zu Nr. 128. Der Engel erscheint Manoah und seinem Weibe. Während Lippm. 22 nicht Vorstudie zum Opfer Manoahs in Dresden (Bode IV. 243) ist, dürfte dies von dieser Zeichnung kaum zweifelhaft erscheinen. Auch H. de Groot nimmt dies an. Um 1641.

Zu Nr. 129. Heilung des blinden Tobias. Gehört in die Zeit des zweiten Tobiaszyklus, in dem \yir immer für den jungen Tobias Titus als Modell nachweisen können. Daher auch diese Zeichnung um 1655.

Zu Nr. 130. Frau mit einem Kind am Gängelband. Dürfte die- selbe Frau und dasselbe Kind sein, wie im Hintergründe von B. 194. Um 1645.

Zu einigen Handzeichnungen Renibrandts.

235

Zu No. 13 1. Zwei Studien von Mutter und Kind. Dieselbe Frau, wie auf Lippm. HdG. 25.

Zu Nr. 132. Der Heilige Hieronymus in der Wüste. In Ver- bindung zu bringen mit Lippm. HdG. 40. Siehe die Bemerkung zu diesem Blatte. Um 1638.

Zu Nr. 135. Der Engel erscheint der Hagar in der Wüste. Die Hagar ist dasselbe Modell wie auf dem »Abschied der Hagar« in Newnham-Paddox (Bode V. 334). Nimmt man mit Valentiner an, daß dort Hendrickje Modell stand, so muß man dies auch hier tun, was bei Heranziehung ihres Porträts bei Leon Bonnat (Bode V. 323) nicht unwahrscheinlich ist. Um 1650.

Zu Nr. 137. Ecce Homo. Weist der Alte links neben Christus auf den Hohenpriester bei Lehmann in Paris (Bode I. 42), so ist viel- leicht der Mann ganz vorne mit dem Turban identisch mit dem vor Pilatus knienden, der die Stange hält, auf der Grautje in der National- galerie London »Christus vor Pilatus« (Bode II. 214). Um 1630.

Zu Nr. 139. Der Geograph(?). Die Bezeichnung »der Geograph« dürfte falsch sein, vielmehr ist eine Minerva dargestellt. (Vgl. die »Minerva« in Reims, Bode I. 67). Möglicherweise ist Hendrickje als Modell benutzt, man ziehe ihr Porträt auf der »Ehebrecherin vor Christus« bei Weber in Hamburg (Bode V. 338) heran. Der Globus kommt auch noch später, z. B. auf B. 270 vor. Die Technik der Zeichnung ist ähnlich wie auf dem Selbstporträt HdG. 45. Siehe die Bemerkung zu diesem. Um 1645.

Zu Nr. 140 a. Skizze eines alten Mannes. Derselbe wie der Petrus auf B. 95. Um 1630.

Zu Nr. 140 b. Sitzende alte Frau. Von Michel um 1630 an- gesetzt, von Bode und H. de Groot dagegen wegen der Ähnlichkeit mit dem Porträt der Ermitage Bode IV. 247 erst um 1643 angesetzt, was nach der Ähnlichkeit wahrscheinlicher erscheint.

Zu Nr. 142. Zwei Studien einer sitzenden Frau. Möglicherweise das Modell der Eva auf B. 28. Um 1638.

Zu Nr. 144. Nathan ermahnt David. Der David ist dasselbe Modell wie der Pilatus auf dem » Pilatus sich die Hände waschend « bei Kann in Paris (Bode VII. 532). Um 1655.

Zu Nr. 146. Christus erweckt des Jairus Töchterlein. Jairi Tochter ist derselbe Typus wie die Ehebrecherin auf dem » Christus und die Ehebrecherin« in der Nationalgalerie London (Bode IV. 247). Auch ist der Zusammenhang mit den vielen Studien nach liegenden Frauen aus der Zeit um 1642 deutlich. Der Mann, der zu ihren Füßen kniet, ist identisch mit dem Bettler des Gemäldes zur Linken Christi. In dieselbe

236

Fritz Saxl :

Zeit wie das Gemälde fällt auch die »Auferweckung des Lazarus«, B. 17, die die Christusgestalt dieser Zeichnung beinahe genau im Gegensinne enthält. Um 1642.

Zu Nr. 148 a. Ein alter Mann mit einem Mädchen gehend. Das Mädchen ist vielleicht identisch mit der Samariterin auf B. 71. Um 1634.

Zu Nr. 149. Stehender Jüngling mit langem Haar. Anklänge an diese Studie, in der eine Beeinflussung durch einen Quattrocentisten ge- funden wurde, finden sich in B. 136, B. 261, B. 30, ohne daß man sie direkte Kopien nach dieser Zeichnung nennen könnte. Um 1641.

Zu Nr. 150 a. Liegender Hund. Derselbe Hund findet sich auf Lippm. HdG. 37. Siehe die Bemerkung zu diesem. Um 1641.

Zu Nr. 150 b. Ein liegender Löwe. Wie Vosmaer angibt, war 1642 eine Menagerie in Amsterdam. Um diese Zeit sind nach ihm alle Löwenstudien anzusetzen.

IV. Bemerkungen zu Lippmann, Handzeichnungen Rembrandts, I. Folge, 4. Lieferung.

Zu Nr. 151. Heilige Familie. Die heilige Anna hat große Ähn- lichkeit mit dem Porträt der »Frau mit Buch« in der Ermitage (Bode VI. 478). Vielleicht ist der Knabe im Hintergründe Titus. Man ziehe das Porträt in Wien (Bode VI. 443) zum Vergleich heran. Um 1658.

Zu Nr. 152. Heiliger Hieronymus. Wie schon Michel angibt, Studie zu einem verschollenen »Hieronymus im Gebet«, den wir aus einer Radierung des Jan van Vliet (Bartsch 13) kennen. Es ist jedoch wahr- scheinlich, daß diese Zeichnung nur als Bewegungsstudie anzusehen ist, da, wenn wir der Radierung des van Vliet trauen dürfen, der Kopf nach einem anderen Modell ist, als auf dieser Zeichnung. Der Kopf der Zeichnung scheint eher mit dem heiligen Joseph der »Heiligen Familie« in München (Bode I. 38) identisch zu sein. Um 1630.

Zu Nr. 153. Heilung des Tobias. Der junge Tobias ist derselbe wie auf B. 43. H. de Groot will diese Zeichnung mit der »Heilung des Tobias« in Brüssel (Bode III. 216) vom Jahre 1636 in Verbindung bringen. Aus der auffallenden Ähnlichkeit des jungen Tobias dieser Zeichnung mit dem von B. 43 dürfen wir mit Sicherheit schließen, daß die Zeichnung erst um 1641 anzusetzen ist.

Zu Nr. 154 a. Studie eines alten Mannes, einer Frau und eines Männerkopfes. Der Mann ist fast ganz in die Radierung B. 52 als heiliger Joseph übernommen, was die Echtheit dieser Radierung be- stätigt. Die Frau ist vielleicht die Älte der Radierung B. 350. Um 1635.

Zu Nr. 154 b. Rückkehr des verlorenen Sohnes. In dem ver- lorenen Sohn haben wir den jungen Titus zu erkennen. Ziehe dazu

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

237

Lippin. 108 und Lippm. HdG. 66 heran. Vielleicht derselbe Alte wie auf dem Greisenporträt in Dresden (Bode V. 386). Um 1655.

Zu Nr. 155. Der Engel erscheint Jakob im Tr^um. Wie auf Lippm. 27 dürfte auch hier für den Jakob Titus als Modell gedient haben. Auch hier hat der Engel Ähnlichkeit mit dem in Profil sitzenden auf dem » Abraham bewirtet die drei Engel « in der Ermitage (Bode, III. 223), was die alte Annahme, daß das Bild erst um 1655 entstanden ist, stützen würde. Um 1655.

Zu Nr. 156. Christus am Kreuz. In Zusammenhang zu bringen mit der »Kreuzabnahme« in der Nationalgalerie London (Bode IV. 245); man vergleiche z. B. den links im Vordergrund stehenden Mann mit dem 'l'urban hier und auf der Grautje. Um 1642. Von H. de Groot erst um 1655 angesetzt, welche Datierung nach der Kompositionsähnlichkeit mit der Grautje wohl fallen gelassen werden muß.

Zu Nr. 158. Studie zu einem »Apostel Paulus«. Rembrandt hat dieses Modell sehr häufig verwendet. In Gemälden;

1627 Petrus im Gefängnis, in Stuttgart (Bode I. 2).

1628 Darstellung im Tempel, Weber in Ha,mburg (Bode I. 7).

1629 Apostel Paulus in Nürnberg (Bode I. 3).

1630 Studienkopf eines Greises, in New York, Fabbri.

1630 Apostel Paulus, in Wien (Bode I. 35).

1630 Apostel Paulus, in Paris, Harjes (Bode I. 34).

1630 Jeremias über die Zerstörung Jerusalems trauernd, in Petersburg, Stroganoff (Bode I. 39).

1631 Heiliger Anastasius, in Stockholm (Bode I. 40).

1631 Taufe des Eunuchen, reprod. von van Vliet (Bartsch Nr. 12).

1631 Lot und seine Töchter, reprod. von van Vliet (Bartsch Nr. i).

1632 Studienkopf eines Greises, in Oldenburg (Bode II. 141).

1633 Die »Philosophen« des Louvre (Bode II. 121 und 122).

1640 Zacharias auf dem »Besuch Marias bei Elisabeth«, Herzog von Westminster (Bode IV. 241) (?).

In Radierungen:

Die Zeichnung ist Vorlage für B. 149, das aber nicht von Rembrandt selbst ist. 1630 B. 48.

1630 B. 51.

1630 im Hintergrund von B. 66.

1630 B. 309.

1630 B. 325.

1631 B. 291.

1632 B. 262.

B. 106 von einem Nachahmer Rembrandts.

238

Fritz Saxl:

In Handzeichnungen :

Lippm. 10.

Lippm. 158.

Lippm. 162 a.

Lippm. 168.

Lippm. 187 b.

Lippm. HdG. 6 (für den Homer).

Lippm. HdG. 58a (?) (für den Simeon).

HdG. 31.

HdG. 60 b.

V. Seidlitz und H. d. Groot glauben noch in einigen anderen Werken dieselbe Gestalt zu erkennen, in denen es aber zu unsicher ist.

Zu Nr. 160. Lot und seine Familie von dem Engel aus ^Sodom geleitet. Lot ist derselbe wie der Jakob auf dem Gemälde in London beim Earl of Derby »Josephs Rock« (Bode V. 335). Siehe auch dort denselben Hund wie auf dieser Zeichnung. Um 1650,

Zu Nr. 16 la. Junge Frau im Armstuhl (Saskia). Das Blatt gehört in die Zeit der »Sophonisbe« in Madrid (Bode III. 191). Um 1634. H. de Groot sieht in der Zeichnung eine Skizze zu der 1636 entstandenen Radierung B. 19.

Zu Nr. 162 a. Alter Mann mit Bart. Siehe die Bemerkung zu Lippm. 158. Das Blatt ist Studie zu dem Porträt in Oldenburg (Bode II. X41). Um 1632.

Zu Nr. 162 b. Der ungehorsame Prophet. Jedenfalls vor den Löwenstudien Rembrandts nach der Natur, also vor 1641 entstanden 9). Um 1635.

Zu Nr. 165. Erweckung des Lazarus. Dasselbe Christusmodell findet sich auf dem »Ungläubigen Thomas« in der Ermitage (Bode II. 133). Der Mann, der hier fast in der Mitte sitzt, zu dem Christus sich wendet, ist dasselbe Modell wie der Thomas des Gemäldes. Der Mann, der neben dieser Figur hervorschaut, könnte Rembrandt selbst sein. Man ziehe zum Vergleich das Selbstporträt bei Königswarter in Wien (Bode III. 172) und Lippm. HdG. i heran.

Zu Nr. 167. Rückkehr des verlorenen Sohnes. Der Greis dürfte derselbe sein wie auf dem Porträt im Buckingham Palast (Bode III. 200). Um 1635.

Zu Nr. 168. Philosoph in einem Armstuhl. Siehe die Bemerkung zu Lippm. 158.

Zu Nr. 169. Grablegung Christi. Nach H. de Groot »Nach- ahmung einer italienischen Zeichnung im I.ouvre, dort dem Pierino del

9) Siehe die Bemerkung zu Lippm. 150 b.

Zu einigen Handzeichnungen Reinbrandts.

239

Vaga zugeschrieben«. Lippm. 193 ist eine freie Umarbeitung dieser Skizze. Bezeichnenderweise ist in ihr schon alles spezifisch Italienische, vor allem die große Ruhe, verschwunden.

Zu Nr. 172b. Manoah betend. Offenbar ist der Manoah hier das- selbe Modell wie auf dem »Opfer Manoahs« in Dresden (Bode IV. 243) Um 1641. H. de Groot will in dem Blatt die Illustration zu Apostel- geschichte IX. 40 »Petrus erweckt die Tabitha« erkennen.

Zu Nr. 173b. Studie eines Reiters und mehrerer Personen im Hintergründe. Offenbar Vorstudie zu B. 98, was die Echtheit dieser Radierung, die von Singer angezweifelt wird, bestätigt. Um 1636.

Zu Nr. 174. Juda fordert Jakob auf, Benjamin mitzugeben nach Ägypten. Ein zweiter Entwurf ist Lippm. HdG. 70. Siehe die Be- merkung -zu diesem Blatt. Die Bank im Vordergrund finden wir bei Rerabrandt öfters als Komposi tonsmittel verwendet, z. B. Lippm. 145, Lippm. HdG. 75. Um 1638.

Zu Nr. 175. Aussöhnung Jakobs und Esaus. Möglicherweise ist für den Jakqb Titus als Modell verwendet. Man vergleiche Lippm. 176 und 183, HdG. 68. Um 1655.

Zu Nr. 178. Hagar' am Brunnen auf dem Wege nach Sur. Für Hagar ist sicher Hendrickje verwertet. Man vergleiche den »Traum Josephs« in Berlin (Bode IV. 248), Um 1645.

Zu Nr. 179. Weibliches Porträt. Michel will in dieser Zeichnung ein Porträt Saskias erblicken, während H. de Groot diese Frage offen läßt. Es ist nach der geringen Ähnlichkeit nicht wahrscheinlich, daß wir in der Dargestellten Saskia zu erkennen haben. Eher könnte man an Idsbeth denken, man vergleiche ihr Porträt bei Sulley in London (Bode I. 66). Um 1633.

Zu Nr. i8oa. Schlafender Knabe. Da Studie zu Lippm. 27, in dem auch von Valentiner die Verwendung des Titus für die Gestalt Jakobs angenommen wird, um 1655'.

Zu Nr. 181. Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (?). Wohl irr- tümlich so bezeichnet, da wir es hier offenbar mit einer Studie zu B. 46 zu tun haben. Das beweist besonders die im Vordergrund liegende Kuh, die man unmöglich etwa für ein Maultier halten kann. Um 1652.

Zu Nr. 183. Tobias und der Engel. Der Engel ist dasselbe Modell wie auf der »Vision Daniels« in Berlin (Bode V. 332). Für den Tobias ist nach Valentiner Titus als Modell verwendet. Um 1650.

Zu Nr. 184. Die Beschneidung. Es sieht beinahe so aus, als ob Rembrandt die Mittelgruppe der »Darstellung« im Haag (Bode I. 44) vom Jahre 1631 hier im Gegensinn kopiert hätte. Die Zeichnung dürfte

Fritz Saxl; Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

240

um die Zeit der »Ehebrecherin« in London (Bode IV. 247) entstanden sein. Um 1645.

Zu Nr. 187 b. Bärtiger Greis, sitzend, etwas nach rechts gewendet. Siehe die Bemerkung zu Lippni. 158.

Zu Nr. i88a. Die Heilige Familie. Möglicherweise Hendrickje als Modell verwendet, da nach H. de Groot Maria und das Christuskind von Lippm. 114 entlehnt sind. Siehe die Bemerkung zu diesem. Um 1655.

Zu Nr. i88b. Kind in der Wiege. Vielleicht Titus. Man ver- gleiche Lippm. 45. Um 1644.

Zu Nr. 193. Grablegung Christi. Siehe die Bemerkung zu Lippm. 169. Zu Nr. 194. Nathan ermahnt David. Ein zweiter Entwurf Lippm. 144. Um 1655-

Zu Nr. 196. Studie für die »Staalmeesters«. Vielleicht ist eher anzunehmen, daß wir es hier mit drei Herren aus der »Anatomie des Doktor Deyman« (Bode VI. 450) zu tun haben, da zwar die Stellung mit den drei Herren aus den »Staalmeesters« gleich ist, man aber kaum eine Ähnlichkeit zu finden imstande sein wird. Man vergleiche HdG. 56 (die linke Hälfte der Komposition). Um 1656.

Zu Nr. 199. Kreuzabnahme. Vielleicht auch als Studie zur »Kreuzabnahme« in der Nationalgalerie London (Bode IV. 245). Um 1642.

Zu Nr. 200. Christus und die Jünger. Vielleicht in Verbindung zu bringen mit dem »Christus in Emmaus« in Koj^enhagen (Bode V. 327). Um 1648.

(Fortsetzung folgt.)

Die Dresdener Correggiomagdalena eine Kopie

von Albani?

Eine archivalische Notiz.

Bisher mußte man annehmen, daß Morelli zuerst an der Echtheit der Dresdener Correggiomagdalena gezweifelt habe (Die Werke italienischer Meister etc. 1880, S. 153 i6i; Kunstkritische Studien II, 1891, S. 207(1.). Im 18. Jahrhundert schien der Ruf des Bildes unbestritten gewesen zu sein, bedurfte es doch, wie Woermann (Katalog der Dresdener Gal. 1896 S. 80) berichtet, 1 746 besonderer Anstrengungen seitens der sächsischen Unter- händler, um es mit den übrigen Gemälden der Galerie von Modena zu er- werben. Dennoch muß im 18. Jahrhundert eine Tradition existiert haben, die das Bild für eine Kopie hielt, wie eine Notiz in dem Zweitältesten In- ventar der Gemäldegalerie der Kaiserlichen Ermitage bezeugt. Dieses In- ventar ist auf Befehl Katharinas II. unter Leitung des Grafen Ernst Gustav von Münnich, des Sohnes des berühmten Feldmarschalls Johann Ernst Grafen von Münnich und seiner Gemahlin Anna Dorothea, geb. Freiin von Mengden, in den Jahren 1773 1783 in französischer Sprache abge- faßt worden und führt den Titel: »Catalogue raisonnd des Tableaux qui se trouvent dans les Galeries Sallons et Cabinets du Palais Imperial de St. Pötersbourg commence en 1773 et con- tinue jusqu’en 1783«. Das Original, dessen Vorwort nebst Widmung an die Kaiserin von Münnich selbst unterzeichnet ist, umfaßt zwei außer- ordentlich sauber und zierlich geschriebene, in rotem Maroquin gebundene Bände in Kleinfolio, zu denen noch ein Supplementband von gleichem Äußeren hinzukommt, der den Zuwachs der Galerie von 1783 1785 ver- zeichnet. Von den beiden ersten Bänden existiert noch eine Kopie in gleicher Schrift und gleichem Einbande, die, wie das komplette Original, in der Bibliothek der Gemäldegalerie der Kaiserlichen Ermitage aufbewahrt wird. Im zweiten Bande dieses Inventars findet man nun aufS. 154 sub Nr. 1629 folgendes verzeichnet: »Frangois Albani d’apres le Corr^ge. Une Ma- deleine couchöe lisant dans un livre. C’est une jolie Copie d’apr^s celle de l’Albane qui se trouve ä Dresde dans la Galerie Electorale. Sur cuivre haut 9*/i V. Large 73/^ V.« Das Inventar Münnich benennt stets

242

James von Schmidt:

die größere Dimension hauteur und gibt die Masse in russischen I

Werschck; i Werschok = 4,44492 cm. In die moderne Terminologie ;

und das Metersystem übersetzt, ergäbe sich für das erwähnte Bild die Größe von 34,5 X 42,2 cm, was eine geringfügige Vergrößerung gegen das Original (29 X 39>5 bei Woermann a. a. O.) in jeder Dimension bedeutete. |

Das Bild schied bei der Umwandelung der Ermitage unter Nikolai I.

in den fünfziger Jahren aus der Galerie aus. Es ist dann nach Moskau gelangt und dort verschollen, wie mir Oberkonservator Geheimrat Somow freundlichst mitteilte, der sich seiner von der alten Ermitage her noch lebhaft erinnerte.

Der Wert der zitierten Notiz ist nach dem allgemeinen Charakter des Inventars Münnich zu ermessen. Dieses dürfte nicht besser und nicht schlechter sein, als die Mehrzahl der höfischen Inventare seiner |

Zeit. Es ermangelt durchaus nicht der ergötzlichen, kühnen und schiefen i

ästhetischen und kunstkritischen Urteile, die zum Stile dieser Dokumente des Geschmackes des 18. Jahrhunderts gehören, und ist in seinen Taufen , natürlich eher optimistisch als skeptisch gestimmt. Im allgemeinen spie- gelt es den ästhetischen Geist seiner Zeit, den Kanon ihres Geschmackes j getreulich wieder. Wenn nun Münnich ein nach allen sonstigen Nach- richten anerkanntes Hauptwerk des Correggio ohne alle Umschweife und i

offenbar ganz naiv als Kopie von Albani bezeichnet, so darf der Schluß !

auf die Existenz einer also lautenden guten Tradition zulässig erscheinen. |

Aus eigener Kritik hat Münnich mit seinen anonymen Gehülfen diese Taufe sicherlich nicht geschöpft, in der einschlägigen Literatur wird |

er wohl auch kaum solche Angaben gefunden haben. Ihm kann diese Kunde nur durch Tradition zugegangen sein, für deren Güte der Consensus aller Autoritäten zu Morellis Beweisen den nachträglichen Be- weis liefert. Sollten nicht am Ende auch die Bevollmächtigten des Herzogs Franz III. von Modena von ihr gewußt haben, als sie die großen Schwierigkeiten beim Verkaufe des Bildes erhoben? Ihrer Sache unsicher, ob die sächsischen Unterhändler Ventura Rossi, Zanetti und der Gesandte in Venedig Graf Villio nicht doch die wahre Natur des Bildes durchschauen könnten, haben sie sich vielleicht gegen den Verkauf gesträubt, um es desto sicherer an den Käufer zu bringen. Über den Verkauf der vier echten Correggios der Dresdener Galerie und aller j anderen mitverkauften Meisterwerke, die Woermanns Einleitung zum Kata- '! löge von 1896 S. 10 aufzählt, wird nichts Ähnliches berichtet. Eine Spekulation auf die besonders eifrigen Bemühungen der kurfürstlichen i Kommissare um die Magdalena scheint daher nicht ausgeschlossen.

Ohne mir ein maßgebliches Urteil erlauben zu wollen, darf ich vielleicht die Ansicht äußern, daß mir die Taufe des Dresdener Bildes

f

h.

Die Dresdener Correggiomagdalena eine Kopie von Albani?

243

auf Albani vollkommen zulässig erscheint. Besonders scheint mir der Mantel die für Albani charakteristische Nuance in Blau zu besitzen, und ebenso scheint mir die Relation zwischen Blau und Fleischton durch- aus zu seiner Farbenskala zu stimmen. Da das Dresdener Bild zahl- lose Male kopiert wurde (vgl. Woermann, Katalog 1896, S. 81) und seine originale Vorlage ebenso, u. a. von Cristofano Allori (Woermann a. a. O. nach Baldinucci), so scheint es bei der offenbaren großen Nachfrage nach solchen Kopien leicht möglich, daß auch Francesco Albani eine Kopie des ihm koloristisch durchaus homogenen Originals angefertigt hat.

James von Schmidt.

Zur Augsburgischen Kunstgeschichte.

Herr Dr. Friedrich Roth in München, Verfasser der Augsburger Reformationsgeschichte, 1517 1530, 2. Aufl. München, 1901, sendet mir nachstehende Aufschreibungen zur Veröffentlichung.

Dr. Hieronymus Frösche), geb. 15. September 1527, war von 1557 bis 1567 »freier Advokat« in Augsburg, 1567 1572 Gerichtsschreiber daselbst, 1573 1576 Advokat der Stadt Donau wörth, 1577 1578 Kanzler des Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach, 1579 1586 Advokat der Ritterschaft des Odenwalds, zugleich von 1584 1586 Advokat des Schenken Friedrich VII. von Limpurg, 1587 1602 Advokat der Stadt Augsburg. Er starb 28. November 1602.

Seine Notizen bezüglich Chr. Ambergers lauten:

März bis November 1560 malt Amberger den Hieronymus Fröschel. Das Bild sei an sich schön, aber nicht recht ähnlich. Der Maler sei unlängst »Apoplecticus« geworden, müsse einen »Augenspiegel« tragen.

Den 27. Februar »schickt mir der jung Cristoph Zeilner das schöne Kunstwerk, gra in gra gemalt, wie Gideon die Midianiter und Amalekiter ohne schwerstreich in der nacht geschlagen, hundertundzwaintzig tausend mann (Judic. VII und VIII, Vers 10), welch Kunststück m. Christoph Amberger, der trefflich maler, seinem guten Freund, dem Schweipberger, einem künstlichen Goldschmied, so vor jaren auch ein maler gewest, um 40 thaler, ein Künstler dem andern, gemalt hat.«

In meiner Reformationsgeschichte, Augsburg, III, 300, ist nach der Stadtrechnung von 1545 bemerkt, daß A. für den Rat die »Visirung« der den Stadtsöldnern anzufertigenden Uniformen zu entwerfen hatte.

S. 274 Anm. 65 der Reformationsgeschichte findet sich eine Anekdote, wie der bekannte Caspar Schwenckfeld sich an A. heran- machte, um ihn zu gewinnen. Aus der Art wie Fröschel von Amberger spricht, geht hervor, daß der letztere »evangelisch« war.

Ein anderer Maler, der ein Bild von Fröschel fertigte, ist Wilhelm Reifenstein, Nobilis Stolbergensis, der mit Fröschels Familie entfernt verwandt war. R. schuf ein Kohlenporträt Fröschels im Februar 1571, »in welcher Kunst er gar excellens gewesen, daran im etwas abgeet, weil er jetzt augenspiegel brauchen muß«. Im April 1571 zeichnet R.

Zur Augsburgischen Kunstgeschichte.

245

ein Kohlenbild von Fröschels zweiter Frau Regina und von seinem Bruder Georg. R. starb zu Stolberg a. Harz 19. März i575‘ Fröschel bemerkt dazu: Er starb, »nachdem im sein gesicht gar entgangen: vir pius, sanctus, doctus, artibus pingendi et celandi ad miraculum insignis. . . . Hat (einer) im conterfetten nit lang sitzen noch saur oder ernstlich und an ein steten ort sehen derfen, sonder nur im gewenlichen gesten, jetzt saur sehend oder wie im gefallen«.

Von Fröschels erster Frau fertigte 1561 ein Bild Abraham Delhell, der (Brasch, Epitaphia Augustana, I, S. 146) den 5. November 1598 starb.

Unter dem Januar 1572 schreibt Fröschel: Ende Januar »hab ich alle meine Kindle (vier Knaben, zwei Mädchen) auf verzinte eisenblech controfetten lassen mit Ölfarben durch m. Friderich, ein Niederlender; für eins ein halben gülden betzalt.«

P'röschels Bruder Benedikt war Stadtarzt in Augsburg und im Nebenamt eine Zeitlang in Nürnberg, ließ sich und seine Frau Regina Mair von dem »guten Maler Niclas vom Newen Castell, Frisium«, por- trätiren. Die Notiz darüber steht unter dem August 1566.

Die Chronik des Hieronymus Fröschel gehörte zu den Schätzen des Bodmann-Habelschen Archives, das bis Herbst 1907 im Reichs- archiv zu München aufgestellt war, dann aber von den Erben des letzten Besitzers Wilhelm Conrady in Miltenberg zurückgefordert wurde und jetzt zum Verkauf steht. Sie ist, wie es scheint, stets unbeachtet geblieben, und wurde, bevor sie fortkam, von mir; genau exzerpiert, z. T. abgeschrieben, weil ich ein Lebensbild des Fröschel, der für die Reformationsgeschichte von Bedeutung ist, bieten will. Aus dieser Chronik sind obige Notizen.

Soweit Herr Dr. Roth. Ich selbst bemerke noch dazu, daß unter dem Maler »Delhell« ohne Zweifel der von P. von Stetten, Kunst-, Gewerbe- und Handwerksgeschichte der Reichsstadt Augsburg, 1779, I, 277, genannte niederländische Maler Abraham del Hele zu verstehen ist. Von diesem befanden sich in der Schleisheimer Galerie zwei Gemälde, die im Katalog von 1885 unter den Nummern 230 und 231 aufgeführt sind: Penelope mit ihren Frauen arbeitend, bez. ABRAHAM DEL HELE F. 1565» die sieben freien Künste; beide auf Leinwand und 300 h., 417 br. Dieselben sind seit der Neuordnung der Galerie vor einigen Jahren im Schleisheimer Vorrat. Herr Konservator Bever teilte mir mit, daß nicht 1565 sondern 1563 zu lesen sei. Von diesem Hele glaube ich noch ein Werk gefunden zu haben im Besitze des Grafen Preysing in Moos bei Plattling. Es stellt die hl. Familie mit dem kleinen Johannes und der hl. Elisabeth vor. Maria reicht dem Christkinde einen Löffel mit Milch-

246 Wilhelm Schmidt: Zur Augsburgischen Kunstgeschichte.

mus. Die Figuren sind ebenfalls lebensgroß. Ich glaube nicht, daß diese Bestimmmung auch noch angefochten werden kann.

Unter dem »Niederländischen Maler Friderich«, der 1572 die Kinder des H. Fröschel malte, ist vielleicht Friedrich Sustris zu ver- stehen, der später in bayrischen Diensten als Maler und Architekt eine Rolle gespielt hat.

Zu der Frage, ob dieser Maler Friedrich Sustris sein könne, schreibt mir Dr. E. Bassermann - Jordan : »i573 kommt Sustris,

wie K. Trautmann in Kronseders Lesebuch schreibt, nach Landshut in Bayern. Dort arbeitet er mit Ponzano und anderen zusammen. 1571 Mens. Octb. signiert Ponzano die Fuggerzimmer in Augsburg, deren Architektur mit dem sog. »»italienischen Anbau« der Trausnitz und mit der Grottenhalle in München, die urkundlich Sustris entwarf, fast stil- gleich ist. Es ist deshalb nicht allzu kühn, auch in Augsburg ein Zu^ sammenarbeiten von Sustris und Ponzano anzunehmen. An den Kartons für die dekorativen Malereien der Fuggerzimmer kann Sustris höchstens für die Figuren der Stichkappen und bei den fast ganz zerstörten Ge- mälden im Gewölbespiegel des größeren Zimmers, nicht aber bei den Grotesken, mit beteiligt sein. Daß Sustris die Architektur der Fugger- zimmer entwarf, hat, wie ich höre, kürzlich ein junger Historiker auch aus Akten nachweisen können. Sie können also mit großer Sicherheit annehmen, daß Sustris die bewußten Bilder im Januar 1572 zu Augsburg gemalt hat.«

Der »Maler Niclas vom Newen Castell«, der 1566 den Benedikt Fröschel und dessen Frau malte, ist natürlich Nicolaus von Neufchatel.

Wilhelm Schmidt.

Cranachs Kanonbild vom Jahre 1508.

Daß der von J. Beth im Repertorium, Bd. XXX., S. 501 ff. be- sprochene Holzschnitt Cranachs in dem 1508 von G. Stuchs in Nürnberg gedruckten Missale als Kanonbild vorkommt, hatte ich schon 1900 in meiner Cranachbibliographie*), S. 13, mit Hinweis auf das Exemplar des Britischen Museums erwähnt. Freilich nur mit Vorbehalt, aus zweierlei Gründen. Erstens aus stilistischen, denn der Holzschnitt erschien mir einem bedeutend späteren Entwicklungsstadium der Cranachschen Kunst anzugehören, welche Ansicht auch Flechsig vertrat, wie er mir brieflich mitteilte. Zweitens aus bibliographischen; ich wurde nämlich von einem Kollegen davor gewarnt, die Zugehörigkeit des Kanons zum Missale in diesem Fall als sicher anzunehmen. Ich erklärte rnich schließlich für die Ansicht, der Kanon sei im Londoner Exemplar interpoliert, und zwar vermutlich aus dem mir noch unbekannten Prager Missale von 1522 (Melchior Lotter, Leipzig).

Damals war der zweite Band Proctors noch nicht erschienen. Dieser (Nr. 11079) erkennt aber durch Aufzählung der darin verwendeten Stuchs- schen Typen die Echtheit des ganzen Druckes an. Eine weitere über zeugende Bestätigung der Zugehörigkeit des Cranachschen Holzschnittes zu diesem Drucke hat nun Beth geliefert, indem er ein anderes, dem Londoner vollkommen ähnliches Exemplar im Besitz des Klosters Strahow beschrieben hat Zur Zeit meines letzten Aufenthalts in Prag im Jahre 1903 habe ich diese Bibliothek leider nicht besucht. Nachdem ich die für meine Zwecke wichtigsten Drucke des Nationalmuseums und der Universitätsbibliothek studiert hatte, konnte ich aus Zeitmangel nur noch eine Bibliothek besuchen, entweder die des Klosters Strahow oder die Dombibliothek. Meine Wahl fiel auf die letztgenannte, welche zwar wertvolle Handschriften, aber wenig Bedeutendes an illustrierten Drucken enthält. Das einzige Ergebnis meiner Forschungen in Prag, was Cranach betrifft, war die Entdeckung, daß das in der Universitätsbibliothek be- findliche Missale von 1522 tatsächlich das Cranachsche Kanonbild ent-

•) Bibliotheque de Bibliographies Critiques, publiee par la Socidte des Etüde; Historiqües. Paris, A. Fontemoing, cditeur. Lucas Cranach, par Campbell Dodgson.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI. l8

206

Campbell Dodgson: Cranachs Kanonbild vom Jahre 1508.

hält. Kein komplettes Exemplar der Nürnberger Ausgabe von 1508 stand mir dort zum Vergleich zur Verfügung. Erst kürzlich, durch den Ar- tikel Beths angeregt, schrieb ich an die Direktion der k. k. Universitäts- bibliothek in Prag, um den genauen Sachverhalt festzustellen. Aus di- rektem Vergleich des Strahower Exemplars des Nürnberger Druckes von 1508 mit dem I.eipziger Druck von 1522 ergab es sich, daß der Kanon in jenem aus zehn, in diesem bei mehr gedrängtem Satz aus acht Blättern besteht. Der Kanon in Strahow deckt sich aber vollkommen, wie die Anfangs- und Schlußworte der Seiten beweisen, mit dem des Londoner Exemplars. Die Möglichkeit einer Entlehnung aus dem späteren Missale zur Er- gänzung eines defekten Exemplars des früheren ist daher ausgeschlossen. Trotz aller auf dem anscheinend zu fortgeschrittenen Stil und der von der üblichen Form abweichenden Schlange beruhenden Bedenken, worauf ich nach der ausführlichen Erörterung Beths nicht eingehen will, muß es hinfort als festgestellt gelten, daß das Kanonbild Cranachs, Sch. 30, 1508 in Nürnberg erschien. Das genaue Datum des Druckes, der 8. August, laut der Schlußschrift Bl. 345 v., scheint von Weale, Proctor und Beth übersehen worden zu sein. Weale (S. 125) erwähnt noch ein Exemplar in der Universitätsbibliothek zu Breslau; hier fehlt aber, wie mir Dr. Molsdorf freundlich mitteilt, gerade das Kanonbild.

Campbell Dodgson.

Literaturbericht.

Kunstgeschichte.

Ludwig Pastor. Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters. Vierter Band. Erste Abteilung: Leo X. Vierter Band. Zweite Abteilung: Adrian VI. und Klemens VII. i. 4. Aufl. Freibur^ i. Br., Herdersche Verlagshandlung, 1906, 1907.

Die Gründlichkeit, Reichhaltigkeit und Selbständigkeit, mit der Ludwig Pastor in seinerPapstgeschichte die Abschnitte über Kunst und Kunst- pflegebehandelt, und der neue urkundliche undexegetische Stoff, den er in seiner hervorragenden Quellen- und Literaturkenntnis von überallher herbeizieht rechtfertigen es, wenn in einer P'achzeitschrift über den rein kunstge- schichtlichen Inhalt des vierten Bandes kurz berichtet wird. Im ersten Halbband kommt vor allem der 2. Teil des XI. Kapitels in Betracht: Leo X. als Mäzen der Künste. Raffaels Stanzen, Tapeten und Loggien. Förderung der Kleinkunst. Neubau von St. Peter. Sorge für die Alter- tümer Roms. Was die Stanzen angeht, so verteilt P. Entwurf und Aus- führung der einzelnen Fresken unter Raffael und seine Schüler im wesent- lichen nach Dollmayr. Wie der Papst des Heliodorgemäldes sich aus dem Julius des Entwurfs in die Person des regierenden Herrn, Leo X., gewandelt hat, so nimmt P. das Bild des Zeremonienmeisters als das Bildnis des damals amtierenden, des trocknen Paris de Grassis in Anspruch. Für die Deutung der Bilder des »Leosaals«, der Stanza dell’ Incendio, macht P. besonders viel neue einleuchtende Vorschläge. Die Wahl der Schlacht bei Ostia als Bildgegenstandes wird sehr glücklich mit Leos Kreuzzugs- plänen in Verbindung gebracht (die raffaelische Urheberschaft der Rötel- studie dazu in der Albertina hat übrigens schon Morelli geleugnet), die Beziehung der Krönung Karls des Großen auf die französischen Bemü- hungen um die Kaiserwürde bestritten; denn das Fresko war schon vor- her, 1517, fertig. Die Ansicht Hettners, daß in dem Bild die »unbedingte Überordnung der Kirche über die weltliche Macht « verkündet sei, wird ver- worfen. Vielmehr soll hier aufdie Pflicht des Kaisers als Schirmherrn der Kirche hingewiesen sein ; daher die Inschrift : » Karl der Große, Schutz und Schirm der römischen Kirche«. Daß Karl die Züge Franz’ I. trägt, begründet sich durch die aus dem Bund von 1515 zwischen Leo und Franz er-

268

Literaturbericht.

wachsene Hoffnung des Papstes, an Stelle des unsichern Kaisers werde sich nun der Franzosenkönig als wahrer Schirmvogt der Kirche bewähren. Die Beziehung des Reinigungseides Leos III. zu Leo X. wird zum erstenmal deutlich erklärt durch die Verwertung der Inschrift »Gott, nicht den Menschen steht es zu, über Bischöfe zu urteilen «. Diesen Grundsatz hat nämlich das Laterankonzil Leos X. in der Sitzung vom 19. Dezember 1516 aufgestellt. Die Stillung des Borgobrandes wird auf die Löschung des Kirchenbrandes, nämlich die Beendigung des Pisaner Schismas, bezogen, zugleich aber in der getreuen Darstellung der Fassade von Alt-St. Peter eine Anspielung auf den bevorstehenden Neubau, eine Huldigung des vor kurzem zum Baumeister von St. Peter ernannten Raffael erkannt (unter Zustimmung Strzygowskis). Die Kpnstantinsschlacht wird im Ent- wurf mit Wickholf und gegen Dollmayr dem Raffael zugeschrieben. Auch über die Teppiche, besonders über ihre Entstehungszeit, erhalten wir manche neue Kunde. Ende Juli 1517 ist die Schlüsselübergabe in Brüssel bereits vollendetj der Kardinal Luigi d’Aragona berichtet von ihr. Peter van Aelst besorgt, unter Orleys Aufsicht die Ausführung der Teppiche gegen 1500 Dukaten für das Stück und den Titel eines päpstlichen Hof- lieferanten. Anfang Juli 1519 sieht der venezianische Gesandte drei Teppiche in Rom. Vier andere trafen im Herbst desselben Jahres ein. Später, aber noch zu Leos Lebzeiten, die drei letzten. Nach Leos Tode wurden die Teppiche aus Not versetzt, dann wieder eingelöst und hingen 1527 in derSixtina, als des Connötables Leiche dort aufgebahrt war. P. wendet sich gegen die Annahme Dollmayfs, daß die Kartons zu den Teppichen nach flüchtigen Skizzen Raffaels von Penni angefertigt seien, behauptet einen weitergehenden Anteil Raffaels an der Ausgestaltung der Kartons und meint, außer der Zeichnung zur Berufung Petri (Windsor) seien noch an- dere ausführliche Vorarbeiten Raffaels vorhanden. , »Alles Wesentliche . . . bei dem Fischzug, der Heilung des Lahmen, dem Opfer zu Lystra und der Predigt Pauli « wird mit Strzygowski auf Raffael zurückgeführt; wenn auch namentlich Penni an der »farbigen Ausführung . . . sicher hervor- ragend beteiligt« gewesen sei. Die zweite Teppichreihe, Bilder aus dem Leben Jesu, hat noch Leo X. bestellt. Die dritte, » Giuochi di putti «, hat Raffaels Schüler Tommaso Vincidor von Bologna entworfen (derselbe, der in Antwerpen Dürern und den Dürer porträtiert hat). In der An- ordnung der Teppiche unter die Gemälde der Sixtina folgt P. Stein- mann. Die Londoner Kartons werden aus offenbar gründlicher eigener Anschauung vortrefflich beschrieben und gewürdigt Des weiteren , macht P. auf eine noch nicht bekannte alte Wiedergabe des ursprünglichen Bodenbelags der Sixtina in einem Prachtwerk des Francesco la Vega in der vatikanischen Bibliothek aufmerksam. Was die Loggienfresken an-

Literaturbericht.

269

geht, so sind sie nicht, wie meist angenommen wird, 1518, sondern erst Sommer 1519 vollendet gewesen. Das ist auch zu schließen aus einem Brief des Baldassar Castiglione vom 16. Juni 1519 an die Markgräfin Isabella d’Este. P. weist bei dem traurigen Zustand der Fresken auf die Wichtigkeit alter Kopien (bei la Vega und im Cod. Min. 33 der Wiener Hofbibliothek) hin. Wegen des Inhalts des Transfigurationbildes tritt P. der geistvollen Lö- sung Friedrich Schneiders bei, wonach die Diakone die Märtyrer Felizissimus und Agapitus darstellen, deren Fest (6. August) durch das 1456 von Ka- lixtus III. eingesetzte Fest der Verklärung Christi verdrängt worden ist. Grund der Einsetzung war der Sieg über die Türken in diesem Jahr. Die Türkennot und die Kreuzzugsbestrebungen haben, wie P. nachweist, gerade um die Zeit der Entstehung des Bildes 1517 15^^ den Papst

lebhaft beschäftigt. Den umfangreichen Arbeiten Raffaels gegenüber tritt die Tätigkeit der anderen Maler in dem Rom I^os X. zurück, damit auch die historische Ausbeute. Wichtig ist aber noch ein Fund P.s für die Baugeschichte, nämlich der zweier päpstlichen Breven vom i. August 1514 (Ambrosian. Bibliothek) über Stellung und Gehaltsverhältnisse der Bau- meister von St. Peter, Fra Giocondo da Verona, Raffael und Giuliano da S. Gallo. Der erstere erhielt danach 460, die beiden letzteren je 300 Dukaten jährlich; Giuliano wird nur »operis administer et coadiutor« genannt. Das abschließende Urteil Pastors über den sprichwörtlichen Mediceerpapst läuft mit Recht darauf hinaus, daß er, auch hier Glücks- kind, bei Mit- und Nachwelt den Mäzenatenruhm geerntet hat, der in diesem Maß nur seinem gewaltigen Vorgänger Julius II. gebührte.

Im zweiten Halbband interessiert rein menschlich die tragische Gestalt Adrians VI., dem im Gegensatz zu Leo X. schier alles mißriet, was er angriff, trotz seiner Tüchtigkeit und der Redlichkeit seiner Ab- sichten. Für die Kunst kommt er positiv kaum in Betracht. Er hat sich 1522 oder 1523 von Scorel malen lassen und, was wir als Neues durch P. erfahren, die versetzten raffaelischen Teppiche 1523 eingelöst. Nur ein, aber für ihn charakteristischer Aufwand in Dingen der Kunst ist urkundlich belegt: 1522 bezahlt er Goldschmiede »per fare due angeli e una corona a la nostra donna«. Unter dem wenig sympathischen Kle- mens VII haben die Raffael-Schüler in den Stanzen wieder weiter hantiert. Im September 1524 war nach einem Brief Castigliones der Konstantinsaal vollendet. Dem B. Peruzzi, der von 1527 bis Februar 1532 aus den Rech- nungsbüchern verschwunden ist, wird seine Bestallung als Baumeister von St. Peter durch Breve vom i. Juli 1531 erneuert. Man hat angenommen, er habe vorher eine untergeordnete Stellung in der Bauleitung eingenom- men; aus dem Breve ergibt sich das Gegenteil. F. R.

2^0

Literaturbericht.

Kunstwissenschaftliche Beiträge August Schmarsow gewidmet. Erstes Beiheft der kunstgeschichtlichen Monographien Leipzig 1907 Verlag von Karl W. Hiersemann. 178 S.

Im Jahre 1906 blickte August Schmarsow auf 25 jährige Lehr- tätigkeit zurück. Erst in Göttingen, dann in Breslau, einen Winter in Florenz, endlich in Leipzig hat er Kunstforscher herangebildet. Elf seiner Schüler haben zu dem Jubiläum eine Festschrift dargebracht. Jeder hat eine kunstkritische Arbeit beigesteuert. Die Aufsätze sind dem Thema und der Behandlung nach einander unähnlich. Dennoch zeigt der Band innere Einheitlichkeit, da jeder Autor beim Arbeiten an den Lehrer, seinen Rat und sein Vorbild dankbar gedacht hat.

Einseitigkeit kann man diesem Lehrer gewiß nicht vorwerfen. Nicht nur, daß sein Forschungseifer mehr als einem Abschnitte der Kunsthistorie zugewandt war, er hat auch in ehrgeiziger Unruhe Stand- punkt und Betrachtungsweise gewechselt. Beinahe kann man den Ar- beiten der Schüler ansehen, wann sie in Schmarsows Schule gewesen sind.

Die wissenschaftlichen Arbeiten, die in Sammelbänden von der Art des vorliegenden untergebracht sind, werden oft übersehen, weil der Buchtitel, der allein aus dem Meere der Vergessenheit emporragt, von dem Inhalte der einzelnen Aufsätze nichts verrät. Deshalb ward hier das

Inhaltsverzeichnis wörtlich abgedruckt:

Oskar Wulff-Berlin, Die umgekehrte Perspektive und die

Niedersicht S. i 40

Wilhelm Niemeyer-Düsseldorf, Das Triphorium 41 60

Georg Graf Vitzthum-Oberlössnitz, Eine Miniaturhandschrift

aus Weigelschem Besitz 61 72

Rudolf Kautzsch-Darmstadt, Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Malerei in der ersten Hälfte des 14. Jahr- hunderts 73 94

Max Semrau-Breslau, Donatello und der sogenannte Forzori-

Altar 95 102

Paul Schubring-Berlin, Matteo de Pasti 103 114

James v. Schmidt-St. Petersburg, Pasquale da Carravaggio. 115 128 Aby Warburg-Hamburg, Francesco Sassettis letztwillige

Verfügung 129— 152

Heinrich Weizsäcker-Stuttgart, Der sogenannte Jabachsche

Altar und die Dichtung des Buches Hiob 153 162

Karl Simon-Posen, Zwei Vischersche Grabplatten in der

Provinz Posen 193 169

Wilhelm Pinder- Würzburg, Ein Gruppenbildnis Friedrich

Tischbeins in Leipzig 170 178

Literaturbericht.

271

Man sieht, daß Themata aus Vielen Zeit- und Ortsabschnitten in größerer oder geringerer Breite behandelt sind, und ähnt, daß neben der Stilkritik und ikonographischen Bemühung ein wenig Kulturgeschichte und Ästhetik, eine besondere Art von Ästhetik, zu Worte kommt.

Stilkritische Untersuchungen auf fest umgrenztem Felde mit runden Ergebnissen bieten Graf Vitzthum, Kautzsch, Semrau, James von Schmidt, K. Simon und Binder.

Graf Vitzthum stellt eine Gruppe von Bilderhandschriften aus der Zeit um 1300 zusammen, die, den etwa gleichzeitigen französischen ähn- lich, mit tief eindringender Stilanalyse als niederländische Schöpfungen nachgewiesen werden. Eine aus Weigelschem Besitz kürzlich nach Paris verkaufte Handschrift gab die Anregung zu dieser Untersuchung.

Ein ähnliches Thema nahm Kautzsch vor, indem er mehrere Miniaturenbände, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden sind, gruppierte. Er zeichnet eine Entwicklungslinie. Seine eingehende Charakteristik der Form und der Farbe scheint mir vorbildlich zu sein.

Semrau und v. Schmidt haben seit ihrer Studienzeit der Quattro- cento-Plastik, zu der Schmarsow sie geführt hat, ihr Interesse gewahrt. Semrau schließt seine Donatello- Studie unmittelbar älteren gründ- lichen und ergebnisreichen Forschungen an. Er hat Donatellos Kanzeln in S. Lorenzo einst mit scharfer Kritik zerlegt und macht nun wahr- scheinlich, daß das Forzori-Relief im South Kensington Musöum, das in jüngerer Zeit mit Recht hochgeschätzte Tonrelief mit der Kreuzigung Christi, ein Entwurf Donatellos zu diesen Kanzeln sei. Zum mindesten ist das Werk damit richtig datiert, an die rechte Stelle in der Entwicklung des Meisters gebracht.

Pasquale da Caravaggio, über den v. Schmidt spricht, ist einer jener Marmorbildner, die nach den Vorbildern Minos da Fiesoie in römischen Kirchen Grabdenkmäler und Altäre errichteten. Nachweislich hat er den ehemaligen Hochaltar von S. Maria della Pace geschaffen. Sein »Werk« wird namentlich von dem Andrea Bregnos abgetrennt.

Aus ähnlicher Betrachtungsart wie diese Arbeiten ist die Studie entstanden, die K. Simon zwei Grabdenkmälern in Posen widmet.

W. Binder war besonders glücklich bei der Wahl seines Themas. Er publiziert ein schönes Bild von Friedrich Tischbein und bemüht sich mit Erfolg an die Stelle allgemeiner Vorstellungen von Tischbeinscher Famlilienkunst eine deutlichere Anschauung von den drei Hauptmeistern dieses Namens zu setzen.

Paul Schubrings Beitrag ist von besonderer Bedeutung, aber nicht ganz befriedigend, weil der knappe Raum nicht gestattet, eine stilkritische Hypothese von großer Tragweite überzeugend zu entwickeln. Eine Reihe

272

Literaturbericht.

jener Bildwerke ausgeprägten Stiles in S. Francesco zu Rimini, die man bisher sämtlich für Arbeiten Agostinos di Duccio hielt werden für Matteo de Pasti in Anspruch genommen, der Bauleiter von S. Francesco ge- wesen ist. Hoffentlich hat Schubring bald Gelegenheit die Abgrenzung durchzuführen, jedem der beiden Meister zu geben, was ihm gebührt. Falls er mit seiner Hypothese im Recht ist, sinkt die Bedeutung Agostinos. Nicht er, sondern Matteo war dann der Schöpfer jenes manierierten, aber eigenartigen und anziehenden Stiles, der sich so breit in Rimini entfaltet. Die am besten gesicherten Arbeiten Matteos sind Medaillen, und es fällt auf, daß Schubring nicht durch Nebeneinander- stellen der Medaillen und der Reliefs von Rimini seine These ge- stützt hat.

Weizsäckers Beitrag beschäftigt sich hauptsächlich mit der selt- samen Darstellung der Hiobsgeschichte in Dürers sogenanntem Jabach- Altare. Die bekannten Gruppen in Frankfurt und Köln werden aller- dings bloß mit dem Texte des Hiob-Buches nicht erklärt. Weizsäckers Gedanke, daß kirchliche Spiele, die Ausgestaltung der Hiobsgeschichte auf der Bühne, die genrehaft drastische Darstellung Dürers angeregt habe, ist gewiß glücklich.

Aby Warburg druckt die letztwillige Verfügung Francesco Sassettis aus dem Jahre 1488 ab und spricht eingehend, aus den Urquellen schöpfend, über diesen Florentiner, der den Kunsthistorikern bekannt ist, weil seine schöne Marmorbüste im Bargello steht, und weil Ghirlandaio in seinem Aufträge die Fresken in S. Trinita ausgeführt hat. So oft wird versucht, in den Geist der Maler und Bildner der Quattrocento ein- zudringen, so selten in den Geist ihrer Gönner, in die Gedankenwelt und das Empfindungsleben jener Männer, die mit ihren Wünschen den Inhalt und mittelbar die Form der Kunstschöpfungen bestimmten. War- bufg verwendet in seinem wohlabgerundeten Aufsatze, mit dem »ein- seitig ästhetische Betrachtung historisch reguliert« werden soll, etwas allzu reichlich Ausdrücke aus den Fachsprachen fast aller Wissenschaften.

W. Niemeyer spricht über das Triforium, das ihm »Diagnostiken des Stilphänomens« ist. Er vergleicht die Wandgliederungen vieler fran- zösischer, romanischer und gotischer Kirchen und gibt etwas wie eine Entstehungsgeschichte der Gotik. Schade, daß der Text gar so abstrakt und unsinnlich geraten ist und so fachsprachlich, daß eine Übersetzung ins Deutsche anzuraten wäre.

Der inhaltsreichste Aufsatz steht am Anfänge. Der Verfasser ist Oskar Wulff, der ein Kompositionsmotiv verfolgend, weite Gebiete alt- christlicher, mittelalterlischer und neuerer Kunstübung durcheilt. Er be- ginnt damit, Dürers Allerheiligenbild zu betrachten, wo die Gottheit

Literaturbericht.

273

groß unmittelbar vor uns erscheint, die Erde aber mit der Figur des Malers unten, am Rande, klein, von oben gesehen. Offenbar hat der Meister sich und uns in den Himmel versetzt und die Erde mit halb ge- lungener Vogelperspektive dargestellt. Wulff sucht Vorstufen für diese Kompositionsweise in der italienischen Malerei des Trecento und glaubt, des Schemas noch in byzantinischen und altchristlichen Reliefs habhaft zu werden. Nicht alle Naivitäten des Maßstabs in der primitiven Kunst sind direkt oder mittelbar aus Bemühungen um die Perspektive zu er- klären. Man bildete jede Gestalt so groß, wie der zur Verfügung stehende Raum gestattete, da das Füllen der Fläche Bedürfnis war. Und man bildete die Götter groß, die Menschen klein, die Könige groß, das Volk klein, die Madonna groß, den Stifter klein. Daran hätte der Ver- fasser vielleicht etwas öfter denken sollen. Im ganzen aber ist dieser Beitrag zur Geschichte der Perspektive sehr wertvoll.

Hier wie in anderen Arbeiten des Bandes öffnet sich die Aus- sicht auf eine historisch begründete Ästhetik. Der Lehrer wird vermutlich mit besonderer Genugtuung beobachten, daß er nicht erfolglos von dem Einzelfall auf das Allgemeine gewiesen hat

Friedländer.

Karl Mühlke. Von nordischer Volkskunst. Beiträge zur Erforschung der volkstümlichen Kunst in Skandinavien, Schleswig-Holstein, in den Küstengebieten der Ost- und Nordsee, sowie in Holland. Gesammelte Aufsätze, Mit 336 Textabbildungen. 252 S. Berlin 1906. Wilhelm Ernst & Sohn.

Es ist gewiß ein Verdienst, eine Reihe von inhaltlich verwandten Aufsätzen aus Zeitschriften zu sammeln, um sie damit zu neuem- Leben zu erwecken und ihren Inhalt in weitere Kreise zu tragen. Dabei ist eine Anhäufung von ungleichwertigem Material nicht immer ganz zu verme^en, zumal wenn die Aufsätze unverändert übernommen werden.

Auch in der Zusammenstellung von M. begegnen wir wertvollen und anregenden Forschungen neben wissenschaftlich anfechtbaren Be- schreibungen. In der erstgenannten Gattung ist u. a. die viel angegriffene Abhandlung des verstorbenen Museumsdirektors H. Sauermann über »Frühmittelalterliche Formen am heimischen Hausgerät« zu rechnen, deren Einzelheiten schon weitere Ergebnisse nach sich gezogen haben und ; wie mir mitgeteilt wurde demnächst ausführlich in ihrer Berechtigung bestätigt werden. M. selber hat u. a. die » Streifzüge durch Altholland« verfaßt. Die treffliche Konstruktion und die eigen- artige — unserem modernen Kunstempfinden besonders entgegen- kommende — Schönheit des Dachstuhls im Haager Rittersaal (Abb. 286)

274

Literaturbericht.

erinnert an einen anderen bemerkenswerten Aufsatz (von F. Prieß), der » Reste alter Holzbaukunst aus Hinterpommern und Bornholm « betitelt ist. Das Gebiet der Dachstuhlkonstruktion ist für die Architektur- geschichte noch wenig ausgenützt; es sollte auch in den Inventarisations- werken nicht gänzlich vernachlässigt werden, Selbst wenn sich nur in vereinzelten Fällen Datierungsfragen damit lösen lassen.

Die Aufsätze stehen von einigen kurzen Verweisen und An- merkungen abgesehen wie in den Zeitschriften isoliert; die Reihen- folge, entsprechend der »geschichtlichen und kulturellen Entwicklung der Küstenländer«, ist im großen ganzen belanglos. Um so mehr macht sich das Fehlen eines Schlagwörterverzeichnisses, besonders bei den Aufsätzen, die die schleswig-holsteinische Bauernkunst behandeln, fühlbar.

Der Buchtitel »Von nordischer Volkskunst« läßt eine größere Beschränkung in der Auswahl erwarten, als wir sie tatsächlich antrefifen. Daß der Begriff » nordisch « nicht wie üblich den nordgermanischen Ländern Vorbehalten geblieben ist, wird manchen überraschen. Mit dem Begriffe »Volkskunst«, der schon an und für sich so weit wie nur möglich gefaßt ist, läßt sich für einige der 29 Abhandlungen, z. B. für die » neun guten Helden «, kaum noch ein Zusammenhang finden. Am wenigsten verträgt sich der Aufsatz »Friedrichstadt, eine holländische Stadt in Schleswig-Holstein« mit dem Titel »Volkskunst« und seiner Definition als einem »Niederschlag des Volkstums«, indem Friedrichstadt als auffallend fremdes Glied im Lande gerade den gegenteiligen Typus vorstellt.

Auf die einzelnen Aufsätze kann hier nicht näher eingegangen werden. Die Aufnahme einer Besprechung (!) des neuerschienenen »Führers durch den Danziger Artushof«, der Vorschlag zur »Erhaltung des Nordertores in Flensburg«, das doch abgerissen wurde, und die Abbildungen der Grundrisse des neuerbauten Flensburger Museums erscheinen unnötig im Einklang mit dem Buchtitel.

Die Ausführungen werden sehr gut durch eine reiche Text- illustration ergänzt; nur in einigen Fällen, z. B. im Aufsatze über die » Grabdenkmäler auf dem Kirchhofe in Prerow «, genügen Zeichnungen nicht ganz zur Kontrolle des Gesagten.

Immerhin wird das Buch vielen, die mit ihren Interessen der »Volkskunst« noch ferner stehen, gute Hinweise geben, damit (unter Wahrung der wissenschaftlichen Darstellung) »die Lücken in der Er- kenntnis der Volkskunst unserer Wasserkante durch weiteres Eindringen in ihre Zusammenhänge und ihr Wesen « allmählich ausgefüllt werden.

Raspe.

Literaturbericht.

275

Manuel d’Art Musulman. I. L’architecture, par H. Saladin. II. Les Arts plastiques et industriels, par Gaston Migeon. Paris, A. Picard et Fils, 1907.

Die erneute und vertiefte Bearbeitung der muslimischen Kunst- geschichte hatte zunächst verschiedene Spezialgebiete in Angriff genommen und für die Baukunst, die Keramik des Mittelalters, die Teppiche, die Metallarbeiten und Buchmalereien eine Menge neuer Denkmäler und wich- tiger Ergebnisse herausgebracht. Diese Literatur' ist sehr zerstreut. Eine zusammenfassende Darstellung des gesamten islamischen Kunstschaffens, die über den Stand der heutigen Wissenschaft Aufschluß gibt, war nach- gerade ein Bedürfnis geworden. Diese höchst dankenswerte Aufgabe er- füllt das zweibändige Handbuch der muslimischen Kunst von Saladin und Migeon in ausgezeichneter Weise. Im ersten Band gibt Saladin die Geschichte der Baukunst, nach fünf großen Stilgebieten oder Schulen, der syro-ägyptischen, der afrikanisch-spanischen, d^r persischen, der os- manischen und der indischen, geordnet. Es ist die erste einheitliche Darstellung dieses Stoffes, und obwohl die Vorarbeiten sehr lückenhaft und ungleichwertig waren, bildet das mit 420 Bildern ausgestattete Werk einen zuverlässigen Führer durch die zeitlich und örtlich weit umgrenzten Gebiete. In einem einleitenden Kapitel werden die Quellen der sara- zenischen Kunst, die Einwirkungen der älteren orientalischen, byzantini- schen und spätantiken Kulturen geschildert. Der zweite Band von Migeon umfaßt, neben einer kurzen Geschichte der islamischen Reiche , die plastischen und gewerblichen Künste, einschließlich der Buchmalerei und der Münzen. Die Gefäß- und Baukeramik, die Metallarbeit, Gläser und die Textilkunst sind am ausführlichsten behandelt, wie das die Menge der Denkmäler und die reicher fließenden historischen Quellen mit sich bringen. Bei der Vielseitigkeit des Stoffes ist es nicht möglich, hier auf Einzelheiten einzugehen oder auch nur die wichtigeren unter den Forschungs- ergebnissen Migeons hervorzuheben. Nur eine allgemeine Kennzeichnung des Werks möge hier Platz finden. Es ist die gesamte Literatur, von den mittelalterlichen Quellenschriften bis zu den neuesten Spezialarbeiten in allen ihren Verzweigungen herangezogen und unter vorsichtiger und sachkundiger Abwägung ihres Wertes benützt worden. Damit verbindet sich eine Denkmälerkunde, die kaum ein Stück von historischer Bedeu- tung außer acht gelassen hat. Das Handbuch wird auch hochgespannten Ansprüchen gerecht und bildet eine vortreffliche Grundlage der musli- mischen Kunstforschung. O. v. F.

276

Literaturbericht,

Architektur.

Hans Willich. Giacomo Barozzi da Vignola. Straßburg, Ed. Heitz, 1906. gr. 8: VIII u. 174 S. mit 38 Abbildungen im Text und 22 Tafeln (Heft XLIV zur Kunstgeschichte des Auslandes).

Die vorliegende Biographie des in Werken und Schriften weit über seine Lebenszeit hinaus einflußreichen Meisters ist mit Freuden zu be- grüßen, füllt sie doch eine Lücke der kunsthistorischen Literatur. Zwar besitzen wir die Notizen* Vasaris über ihn (im Leben Taddeo Zucchercos), wir besitzen die Vita des Baglioni und vor allem die ausführlichere Ignazio Dantis; allein sie alle beschränken sich bloß auf die Herzählung der Lebensdaten und Arbeiten, ohne auf die Würdigung der letzteren einzugehen und die Stellung ihres Schöpfers in der Baukunst der Hoch- renaissance zu präzisieren.

Dieser Aufgabe nun sucht das Buch Willichs gerecht zu werden. Im Tatsächlichen stützt sich der Verfasser selbstverständlich auf die Nachrichten seiner Vorgänger, vermag sie aber doch auch durch einige aus bisher unverwerteten Quellen geschöpfte Angaben zu vervollständigen. Dagegen ist die kritische Darlegung des Schaffens Vignolas, wie sie an den in chronologischer Reihenfolge vorgeführten Bauten und Entwürfen des Meisters vorgenommen wird, durchaus selbständiges Eigentum des Verfassers.

Den Grund zu seinen künstlerischen Anschauungen, die er sein ganzes Leben hindurch festhielt, legte Vignola durch seine Tätigkeit in Diensten der nach 1536 gegründeten vitruvianischen Akademie, für die er mehrere Jahre hindurch die Aufnahme der antiken Denkmäler Roms besorgte, hierin die Nachfolge seines Lehrers Peruzzi übernehmend, der in seinen letzten Lebensjahren mit einem großen Werk über die Alter- tümer beschäftigt war und einen Kommentar des Vitruv begonnen hatte. Wenn das großgedachte Unternehmen auch bald stecken blieb, so trug es doch für unsern jungen Meister bleibende Früchte: aus dieser Schule ging er als fertiger Künstler hervor, und die damals erworbene Kenntnis der Antike hat sein berühmtes Lehrbuch gezeitigt, wodurch er so großen Einfluß auf die Architektur der Spätzeit gewann.

Die ersten Arbeiten, worin er seinen künstlerischen Anschauungen Ausdruck geben durfte, waren abgesehen von den in Bologna ausge- führten Bauten, die jene noch nicht so prägnant hervortreten lassen mehrere Kirchen, die er seit 1546 im Gebiet der römischen Provinz er- richtete (S. Cristina im Bolsenersee, S. Tolomeo in Nepi, Madonna del Piano bei Capranica u. a. m.). Er trat damit nicht nur in die materielle Nachfolge des im selben Jahre verstorbenen Antonio Sangallo d. J., sondern folgte auch enge seiner Kunstrichtung, indem er den Stil der klassischen

Literaturbericht.

277

Renaissance, wie er hauptsächlich von dem Genannten verkörpert wurde, beibehielt. Bedeutender war seine Mitwirkung am Ausbau der Villa di Papa Giulio in den Jahren 1551 55. Der Verfasser spricht auf Grund der Überprüfung der im römischen Staatsarchiv vorhandenen Baurechnungen unserm Helden den Hauptanteil daran zu; Vasari hatte wohl auch einen Entwurf geliefert, und Ammanati kommt erst nach dem Tode Julius’ IIL für unwesentliche Ergänzungsarbeiten in Betracht. ^ Für die als Ex voto des Papstes erbaute Kirche S. Andrea in Via Flaminia hebt Willich die Anwendung der elliptischen Kuppel als frühestes Beispiel dieser im Barock so oft wiederholten Wölbeform hervor. Der Meister selbst ist später noch öfters zu ihr zurückgekehrt (S. Anna de’ Palafrenieri, Seitenkapelle im Gesü), indem er sie strenger mit dem übrigen Organismus der Architektur verband. Bei Pal. di Firenze ver- ficht unser Verfasser entgegen der Ansicht Letarouillys die Autor- schaft Vignolas an dem Mitteltrakte, der Hof und Garten trennt, namentlich an dessen Hoffassade, der der Genannte eine Reihe von Inkorrektheiten vorwirft; bei Villa Lante tritt er der Meinung Burck- hardts und Gurlitts bei, die sie beide entschieden für Vignolas Werk erklären. Betreffs der in Rom für die Farnese ausgeführten Bauten (palatinische Villa, Portale an der Cancelleria, Oratorio del Crocefisso, Farnese-Palast) schließt sich Willich den Darlegungen Letarouillys im wesentlichen an; für den letztgenannten Palast verspricht er sich von der Monographie, die von französischer Seite (de Navenne?) vorbereitet wird, endgültige Aufklärung für dessen Baugeschichte. Die bisher dem Vignola zugeschriebene Außenseite der Porta del Popolo weist Wittich auf Grund der Baurechnungen als Werk des Nanni di Baccio Bigio nach.

Eingehende Darstellung erfahren, ihrer Bedeutung im CEuvre des Meisters entsprechend, dessen beide wichtigsten Profanbauten: das Schloß von Caprarola und der Farnese-Palast zu Piacenza. Bezüglich des ersteren wird nachgewiesen, das dessen Grundplan und die Ausführung des Erd- geschosses Peruzzi (um 1530) angehört, der dabei im wesentlichen einem Entwurf Ant.s da Sangallo gefolgt zu sein scheint; Vignola habe so- dann 1559 ^62 unter Teilnahme Franc. Paciottos aus Urbino für die endgültige Feststellung der Pläne den Palast in seinem Hof und Piano nobile erbaut, dessen Vollendung sich aber bis nach seinem Tode hinausgezogen. „Vignola ist es zu danken, daß das Fünfeck Peruzzis, der Rundhof Sangallos, die Wendeltreppe Paciottos zu einer künstlerischen Einheit verschmolzen sind.“ Auch die grandiose Palastanlage zu Piacenza ist nicht durchaus Vignolas Schöpfung. Sie wurde 1560 mit teilweiser Benutzung eines Planes von Paciotto, aber mit wesentlichen Änderungen

278

Literaturbericht.

Vignolas begonnen, und erst nach seinem Tode an der einen Schmal- seite vollendet, während die Vorderseite kaum zu einem Drittel, die Gartenfront wie auch das im Hof projektierte antike Theater gar nicht zur Ausführung gelangte. Eine vom Verfasser auf Grund der Anhalts- punkte, die der Grundplan und der vorhandene Teil des Hofes gewährt, versuchte perspektivische Rekonstruktion der prachtvollen Hofanlage zeigt, wie sie „in weit höherem Maße als der runde Hof in Caprarola eine Brücke bildet, die von den versinkenden Ufern der Renaissance zu den Gestaden der Barockzeit hinüberleitet“.

Wird bei den zwei vorbesprochenen Schöpfungen das bisher aus- schließlich Vignola beigemessene Verdienst ihrer Ausführung zugunsten einiger Vorgänger eingeschränkt, so geben die Untersuchungen Willichs ihm dagegen die alleinige Autorschaft an S. Maria degli Angeli vor Assisi zurück, die seither dem Gal. Alessi zugesprochen war, indem man Vignola nur die Überprüfung seiner Pläne zugestand (Burckhardt, Wölfflin). Unser Verfasser gründet seine Zuteilung vor allem auf die ganz klare Aussage Ign. Dantis, der doch wohl durch seinen Vater Giulio, einen der Nachfolger Vignolas in der Fortführung des Werkes, darüber genau unterrichtet sein mußte. Außerdem aber weist er ge- wisse Übereinstimmungen in Dimensionen und Verhältnissen nach, die sowohl bei S. Maria degli Angeli als auch bei Vignolas berühmtestem Kirchenbau, dem Gesü in Rom Vorkommen.

Dies leitet den Verfasser zur Würdigung der Sakralbauten des Meisters hinüber, die er in seiner letzten Periode in Rom auszuführen hatte. Seine selbständige Tätigkeit an S. Peter zwar schränkt sich auf die Nebenkuppeln ein, die er in andrer Gestalt, als sie von Michelangelo ge- plant waren, aufbaute. Für den Gesü in Perugia ist seine Autorschaft mit der Gal. Alessis strittig, und bei der Fassade von S. Caterina dei Funari kommt als ausführender Architekt Giac. della Porta in Betracht, der überdies ihr Obergeschoß von Vignolas Plane abweichend aufführte. Er durfte auch nach des Meisters Tode die Fassade nach eigenem Ent- wurf vor dessen berühmtesten Kirchenbau, den Gesü in Rom, setzen; was die Hintansetzung des in einem gleichzeitigen Stich erhaltenen Entwurfs von Vignola veranlaßte, bleibt unaufgeklärt. Der Verfasser bespricht ein- gehend sowohl die Peripetien der Ausführung der Kirche, als ihre große Bedeutung für die Sakralbauten der Folgezeit, indem er vermutet, Vignola sei bei der Anlage des Planschemas vielleicht von einigen Skizzen Ant. da Sangallos beeinflußt gewesen, die sich in der Sammlung von Hand- zeichnungen der Uffizi befinden. Immerhin bleibt sein Verdienst bei der Durchbildung im einzelnen aufrecht, namentlich bei der so außer- ordentlich gelungenen Verbindung des Langhauses mit der Kuppel, die

Literaturbericht.

279

für den Charakter des Baues ausschlaggebend wirkt. Den letzten Kirchenbau des Meisters, S. Anna dei Palafrenieri, über dessen kaum begonnener Ausführung er 1573 hinstarb, haben wir oben schon erwähnt. Sowohl in dem mächtigen Triumphbogenmotiv der Fassade und ihren (allerdings erst später aufgesetzten) beiden Glockentürmchen, als in dem Oval des Grundrisses, der Gliederung der Wände durch in enge Nischen gestellte mächtige Säulen, und in ihrem Abschluß in der niedrigen, ge- schlossenen Kuppel tut Vignola entscheidende Schritte zum Barock, wenn auch das Detail fein und zierlicher bleibt, als es dieser Stil verträgt.

Mit einem Kapitel über Vignolas literarische Tätigkeit, seine Per- sönlichkeit und Nachfolger schließt der Verfasser seine verdienstliche Arbeit. F<ibriczy.

Braun, Joseph, S. J. Die belgischen Jesuitenkirchen. Ein Beitrag zur Geschichte desKampfes zwischen Gotik und Renaissance. Freiburg im Breisgau 1907. Herdersche Verlagshandlung. 8 , XII, 208 S., 73 Abb.

Während seit einiger Zeit die deutsche Architektur des 17. und 18. Jahrhunderts öfters zum Gegenstand spezieller Untersuchung gemacht wird, geschieht es selten, daß sich ein Forscher mit der Baukunst dieser Epoche in anderen Ländern eingehender befaßt. Zu diesen seltenen Ar- beiten gehört das vorliegende Werk, das überdies eines der interessante- sten Spezialgebiete jener Zeit behandelt: die belgischen Kirchen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, welche der Jesuitenorden geschaffen hat. Der Autor, selbst Mitglied des Ordens, hat seine Untersuchung aus einem ganz bestimmten äußeren Motiv so eingeschränkt; er will den Begrift » Jesuitenstil «, der sich in der älteren Literatur findet, zerstören. Eigent- lich bietet nun seine Polemik wider den Gebrauch dieses Begriffes nichts Neues; da er aber anläßlich seiner Monographie über Jesuitenbauten sehr eingehende und anschauliche Aufschlüsse über das Verhältnis der Bau- meister zu deri Kollegien des Ordens in Rom bringt, so mag man leicht übersehen, wie viel Bekanntes der Autor zur Stütze seiner Idee bringt.

Man verlangte in Rom keineswegs eine direkte sklavische Kopie der bekannten italienischen Standard works, das wäre nicht opportun ge- wesen; aber man kritisierte scharf und nahm eine weitgehende Ingerenz. Im allgemeinen strebte man nur danach, die bodenständigen nationalen Elemente mit den Forderungen der Ordenskirche in Einklang zu bringen, ohne das eine Moment dem andern vollständig zu opfern; bisweilen mußte dann allerdings eine ganze individuelle künstlerische Leistung beiseite gescho- ben werden. Für die Jesuitenkirche in Antwerpen fand der Autor in der Nationalbibliothek zu Paris drei hochinteressante Entwürfe zu Zentral-

28o

Literaturbericht.

bauten. Es war eine Kuppel mit 20 m Spannung und sieben rund- schließenden Kapellen geplant, ein elliptisch geformter Raum bildet den Übergang zum Chorraum. Dieser Plan II, der um 1613 nach Rom zur Approbation ging, ist somit ein beachtenswerter Vorläufer der Zentral- bauten, wie sie Guarini in Italien erdachte und bisweilen auch als echter Mathematiker klügelnd konstruierte. Sowohl dieser Entwurf, als auch die beiden anderen Pläne, gleichfalls Zentralbauten, fanden in Rom keine Gnade; wir können darin aber einen wichtigen Beleg sehen, daß der Zentralbau im 17. Jahrhundert immer wieder interessierte und als Ideal erstrebt wurde.

Als Baumeister, oder» richtiger als Bauleiter, stellt der Autor eine Reihe von Ordensmitgliedern fest. Einzelne Namen sind neu, andere Persönlichkeiten werden in ihrem Wirken weit klarer geschildert, als es bisher der Fall war; so Peter Huyssens und Franz Aguilon. Ob aber der Autor bei der Darlegung der Tätigkeit dieser Ordensmeister, die nach seinen eigenen Worten nicht immer geschulte Baumeister waren, nicht bisweilen zu weit geht, wenn er jeden Einfluß weltlicher Architekten ablehnt, mag dahingestellt bleiben. So z. B., wenn er die Entwürfe von P. Antonius Losson, von dem er selbst sagt, er sei kein im Zeichnen geschulter Architekt gewesen, gegen jede Einwirkung von Faidherbe ver- teidigt (S. 176). Eine so prinzipielle Frage müßte wohl exakter studiert werden.

Sehr wertvoll sind dagegen seine Bemühungen, die Bauten genau zu datieren und dabei festzustellen, wann man in Belgien die goti- sierende Bauweise gänzlich verlassen hat. (1583 Kollegskirche zu Douai, 1606 jene zu Maastricht zeigen schon barocke Formen, aber erst mit den 20 er Jahren des 17. Jahrhunderts ist alles gotische Element ver- drängt.) Belgiens Jesuitenkirchen zeigen bekanntlich einen so starken Einschlag des gotischen Stils, daß die frühere Forschung nur an Um- bauten älterer Kirchen dachte; indes der Autor nun unzweifelhaft nach- gewiesen hat, daß es es sich tatsächlich um Neubauten handelt. Diese Nachweise sind außerordentlich wertvoll und eröffnen eine netue Einsicht; die analogen Tendenzen, an der Gotik festzuhalten, wie wir sie in England, Deutschland und ganz besonders in Böhmen (bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts) finden, verlieren dadurch das Gepräge des Isolier- ten und gewinnen den Charakter einer Unterströmung in der Baukunst des 17. Jahrhunderts.

Dagegen möchte ich dem Autor entgegentreten, wenn er in diesem Interesse für die Gotik die Ursache erblickt, daß man die schlanken Säulenstellungen in den großen Kirchenbauten des 17. Jahrhunderts in Belgien begünstigte und daneben jeden Einfluß von Italien, besonders

Literaturbericht.

281

von Genua, negiert. Dies heißt den Geist des nordischen Kunstschaffens jener Zeit verkennen, das sich mit allen Kräften an die italienische Baukunst anzuschließen strebte. Auch die isoliertesten Künstler des 17. Jahrhunderts haben nach Italien geblickt, und in Belgien selbst wirkte Rubens machtvoll in dieser Richtung wie kein zweiter in Europa. Ihn hatte die Genueser Baukunst gefangen genommen; ihre Zusammenhänge mit Belgien zu leugnen, ist verfehlt, und unangenehm berührt es, wenn der Verfasser die hervorragende Einflußnahme Rubens’ auf alles künst- lerische Schaffen, also auch auf Jesuitenbauten, zwar leise aber systematisch abwehrt. Auch hier ist wieder einmal die unvermeidliche Gefahr jeder beschränkten Monographie, die großen Zusammenhänge aus dem Auge zu verlieren, nicht umgangen worden. Hugo Schmerber.

Skulptur.

Karl Goldmann. Die Ravennatischen Sarkophage. Straßburg. J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel). 1906. Zur Kunst-Gesch. d. Aus- landes. Heft XL VII.

Nach den feinen, wenngleich nicht ganz einwandfreien stilistischen Analysen, denen Alois Riegl (Spätröm. K.-Industrie S. 99) die ravenna- tischen Sarkophage unterworfen hat, und nachdem Strzygowski (Byz. Denkm. III, S. XIX) sie mit aller Entschiedenheit als abendländischen Ableger der syrischen Plastik angesprochen hat, mußte sich die Bearbeitung dieser Denkmälerklasse als kunstgeschichtliches Problem darstellen, dessen Lösung nur vom Standpunkt weitblickender Überschau über die Ent- wicklüngszusammenhänge der altchristlichen Kunst zu erhoffen war. Erhalten haben wir eine echte Anfängerarbeit, die jeder klärenden Aus- einandersetzung mit jenen Anregungen ausweicht und in der sich der Mangel methodischer Untersuchung und Schlußfolgerung aufs empfind- lichste fühlbar macht. Statt die Beantwortung der Ursprungsfragen erst als reife Frucht sorgfältiger Abwägung des gesamten Tatbestandes zu pflücken, überzeugt sich der Verf. nur allzu schnell, daß die ravennatische Sarkophagplastik eine ebenso selbständige und isolierte Stellung einnehme, wie er das hinsichtlich der Architektur Rivoira nachspricht. Denkmäler aus einem anderen Kunstkreise werden nun kaum noch zum Vergleich herangezogen, vielmehr sucht er auf Grund dieser Voraussetzung eine einheitliche innere » ikonographisch stilistische Entwicklung« der ganzen Klasse aus dem untersuchten Material abzuleiten. Im wesentlichen richtig erscheint das sei zu seinen Gunsten rückhaltlos anerkannt die Scheidung desselben nach Gruppen, soweit es sich um den figürlichen Reliefschmuck handelt. Sie deckt sich in der Hauptsache mit der von

Repertorium für Kunstwissenschaft XXXI.

19

2S2

Literaturbericht.

mir vorlesimgsweise (Winter-Sem. 1905/6) durchgeführten Einteilung bei völlig abweichender Auffassung des Verhältnisses dieser Gruppen zuein- ander. Richtig betont der Verf. auch im allgemeinen den architektonischen Charakter der Sargtypen, aber er verkennt, daß uns zwei in der Wurzel gesonderte Formen vorliegen, von denen jede von Hause aus einer der beiden wichtigsten Gruppen, seiner ersten und dritten, angehört. Die ältere vertritt der Sarkophag des Bischofs Liberius II. (j- 351) in S. Francesco (Garrucci t. 348) und die ebenda befindliche Replik des- selben (Garrucci, t. 347), wie ich den anderen Kürze halber nennen will, ein gröberes jüngeres Beispiel desselben Typus (wenn auch kaum um hundert Jahre, wie Riegl anfiahm) und nicht etwa, wie der Verf. zu glauben scheint, der in ihm das Grabmal Liberius’ III. (f 370) vermutet, eine unmittelbare Nachahmung des ersteren. Das beweist außer der ver- schiedenen Verteilung der Figuren die verständnisvollere Wiedergabe des Traubenornaments in den Zwickeln. Überhaupt steht uns in der Replik die architektonische Grundform eines aus lauter Rundnischen zusammen- gesetzten Arkadensarkophags mit dachförmigem Deckel in vollständigerer Durchbildung vor Augen. Der Verf. ergeht sich nun in hochtraben- den Erörterungen des tiefsinnigen Gedankeninhalts, der dem Relief- schmuck beider Denkmäler zugrunde liegen soll. Auf die ganz un- genügend gestützte Beziehung der Tauben, die am Monogrammkreuz (bzw. am Lorbeerkranz) picken, auf Christus, der des Martyriums (d. h. der Kreuzigung) und Auferstehung teilhaftig werde, brauchen wir uns wohl nicht einzulassen. Aber ebenso subjektiv ist auch die Erklärung des jugendlichen thronenden Christus in den Mittelnischen im Sinne des Imperators, der dann wieder als Wächter des Grabes gedacht sein soll. Nur die Bemerkung, daß auf der (jetzigen) Schauseite des Liberiussarges wohl die Schlüsselübergabe an den in der Nebennische stehenden Petrus dargestellt sei, gewinnt eine gewisse W'ahrscheinlichkeit, da sie an einem jüngeren Sarkophag (Garrucci 346, 2), in der Tat an der Hauptseite mit derselben Komposition als Gegenszene vereint ist, welche die andere Langseite am S. des Liberius schmückt. Diese erweist sich dadurch als die wichtigere Darstellung, daß sie an der Replik, deren Rückseite schmucklos blieb, der ersteren vorgezogen wurde. In beiden Fällen haben wir es mit einem der sogenannten Traditio (mit thronendem Christus), einem typischen Vorwurf römischer und gallischer Säulen- sarkophage, analogen Typus zu tun, nur ist der Empfänger der Schrift- rolle nicht Petrus, sondern Paulus. Und dieser Umstand verdiente einmal aufs nachdrücklichste hervorgehoben zu werden. Denn wenn die typische Komposition der Gesetzesübergabe auf Syrien zurückweist, und zwar, wie ich aus den schon von Baumstark und Strzygowski gegebenen Hinweisen

Literaturbericht.

283

zustimmend folgere, auf Antiochia als Bischofssitz des Petrus, so haben wir es an den ravennatischen Denkmälern sichtlich mit einer bewußten Variante zu tun, in der die Lehrautorität des Heidenapostels dagegen ausgespielt wird. Das weist auf sein Missionsgebiet, das nordwestliche Kleinasien, hin. Wenn G. ferner, statt auf subjektiven Eindrücken seine Deutung aufzubauen, sich lieber gewissenhaft die Frage vorgelegt hätte, wo die nächste Parallele zu diesem breitovalen, vom Gelock umspielten jugendlichen Christusideal zu finden sei, so wäre er vielleicht selbst auf das dem prokonnesischen Kunstkreise angehörende Konstantinopler Christusrelief im Berliner Museum gestoßen, und es hätte sich zu dem ersten das zweite, bestätigende Ergebnis gefügt. Er wäre dann zu einer bedeutsamen Einschränkung der Strzygowskischen These gelangt, daß die ravennatischen Sarkophage im wesentlichen der syrischen Plastik zuzurechnen seien. Den hellenistischen Charakter der Gewandfiguren erkennt er selbst, und mit der Berufung auf den Sarkophag der Klagefrauen war er wenigstens auf der richtigen Fährte. Die Auffassung des Sarkophags als Tempel und später als Nischenbau haben alle kleinasiatischen Sarkophage gemein, sowohl die prokonnesischen, wie die im Abendlande verbreiteten, dem antiochenischen Kreise zuzuteilenden Arkadensarkophage. Der Stamm- typus des Liberiussarkophags darf demnach mit guten Gründen für das nordwestliche Kleinasien in Anspruch genommen werden. War da die »Frage nach dem Entstehungsort« wirklich »eine der undankbarsten«? Wenigstens darf doch. Ravenna nicht gleich mit voller Zuversicht dafür genommen werden. Eine von der vorigen grundverschiedene Richtung tritt uns in der dritten Gruppe des Verf. ebenso klar ausgeprägt entgegen, und zwar am reinsten in den S.S. der Pignatta (Garr. 344) und des Ex- archen Isaak (Garr. 311), denen sich der große Museumssarkophag eng anschließt (und ein weiterer in S, Giovanni), Für diesen Typus und nur für ihn hat Strzygowski bedingungslos Recht. Syrisch ist an ihm schon die (durch Eckpilaster abgefaßte) architektonische Form mit rundgewölbtem Deckel, dem wir z. B. an den jüdischen Königssärgen u. a. m. begegnen. Geradezu auf Palästina weisen die Nebenszenen aus der Marienlegende des Pignattasarkophags zurück, nach Syrien im allgemeinen die Komposition der Magieranbetung, nach dem Orient (in letzter Linie wohl nach Ägypten) der die Füße auf den Löwen und Basilisken setzende Christus, während die ihn umgebenden fruchtbeschwerten Palmen noch unlängst am Por- talschmuck der jüdischen Synagogen (Mittig, d. D. Orient-Ges. 1906) ganz ähnlich nachgewiesen wurden. Daneben haben sich zweimal aus dem ältesten sepulkralen Bilderschatze Daniel und Lazarus er- halten. Daß erst eine selbständige Gedankenentwicklung, die im Relief- schmuck des Sarges die Idee der Erlösung zur Anschauung bringen

19

284

Literaturbericht.

will, die Aufnahme diese Szenen an den ravennatischen Sarkophagen veranlaßt habe, ist willkürliche Auslegung. Zur Bestätigung der oben angeführten ikonographischen Anhaltspunkte bietet endlich der Sarkophag im Museum die typische Repräsentationsszene der Gesetzesübergabe an Petrus. Das jugendliche Christusideal ist fast ausnahmslos (s. u.) das palästinensische mit langem, gescheiteltem, welligem Haar und Nimbus. Einige von diesen Punkten hätten G. bei sorgfältigerer ikonographischer Vergleichung aufstoßen müssen. Leider glaubt er das einzige von ihm herangezogene Denkmal, die Ciboriumssäulen von S. Marco, aufVenturis Autorität gestützt, für ein frühromanisches Werk halten zu müssen. Den eingehenden typologischen Nachweis ihres syrischen Ursprunges bei H. V. d. Gabelentz (Die mittelalt. Plastik Venedigs) übersieht er. Für die Magieranbetung hätte ihm der durch und durch syrisch gefärbte Ambon von Saloniki (Garr 426.) noch nähere Parallelen im Kostüm und vor allem gleichartige Stilmerkmale geliefert. Das » Herausschneiden statt des Bildens « entspricht eben ganz syrischer Reliefauffassung, wenn auch Ähnliches in romanischen Bildwerken Vorkommen mag, wie auch die dem antiken Relieistil fremde isolierende Verteilung der Ge- stalten über die raumhaft aufgefaßte ungeteilte Grundebene (Riegl). Einmal (S. 47) ahnt auch der Verfasser, daß die Stilentwicklung der dritten Gruppe umgekehrt, nämlich abfallend und nicht zum Sarkophag des Exärchen Isaak (»parallel zur Gedankenentwicklung«) ansteigend, verläuft. Aber seine Fehlschlüsse führen ihn zur längst überwundenen Annahme zurück, daß der letztere erst für diesen selbst im Anfang des 7. Jahrhunderts gearbeitet sei. Den durchaus ansprechenden Zeitansatz V. Schultzes für den Pignattasarkophag (Anfang des 5. Jahrhunderts) ver- wirft er und kommt so zur ' paradoxen Folgerung eines neuen Stil- aufschwunges im 7. Jahrhundert. Die Übergangsstufen dazu erkennt er in den Denkmälern seiner zweiten Gruppe. Allein Kunsttypen von so grundverschiedener Eigenart wie der Liberius- und der Pignattasarg ent- stehen nicht durch Transformation auseinander, und jene Zwischenglieder sind solche in einem ganz anderen als im chronologischen Sinne, es sind Mischformen. Der jüngere Stilcharakter ist allen einschlägigen Stücken deutlich aufgeprägt und wird gelegentlich (S. 38) auch vom Verf. bemerkt. Bei der Vermischung der beiden Hauptrichtungen gewinnt die syrische das Übergewicht sowohl in der tektonischen Form wie in der Komposition, ihre realistischere Gestaltenbildung und die Kopftypen sowie die Gewandbehandlung aber erfahren eine Abschwächung oder Umbildung, so daß diese Denkmäler in gewissem Sinne allerdings der »Antike näher stehen« als die dritte Gruppe. Die Umsetzung der Be- rufung Pauli in deren Reliefstil und Kompositionsweise veranschaulicht

Literaturbericht.

285

der von G. noch der ersten Gruppe zugeteilte Sarkophag des Pietro Peccatore (Garr. 349). Der kurzhaarige, rundköpfige, kleinasiatische Jünglingstypus dringt auch in die Lazarusszene des Museumssarkophags ein. In den zur Traditio frei hinzugefügten Nebenfiguren der Ver- storbenen aber kündigt sich hier schon die Hinwendung zur untersetzten und vierschrötigen Gestaltenbildung an, der die zusammenfließenden, bald etwas mehr syrisch, bald etwas mehr hellenistisch gefärbten Typen an den Sarkophagen des Rinaldus (Garr. 345), Barbatianus und Exuperantius (Garr. 336) unterworfen werden. Nur durch ungenaue Auffassung der Berichte Fabris und Rubeus’ (in denen die Porphyrplatte klar vom Marmorsarkophag unterschieden wird) wurde G. verleitet, den letzteren nach dem Todesjahr des Hl. (418) zu datieren. Die Entwicklung muß sich im Laufe des 5.. Jahrhunderts abgespielt haben. Ihren Abschluß bezeichnet z. B. der schon oben angeführte Sarg mit der Doppelszene der Apostelberufung in S. Apollinare in CI. (Garr. 346, 2). Vollzog sich dieser Ausgleich nun wirklich in Ravenna und nur in Ravenna? An- gesichts der Tatsache, daß vielleicht alle ravennatischen Sarkophage, wie man sich immer wieder überzeugen kann, nicht nur aus »griechischem Marmor«, sondern aus demselben Stein wie die Kapitelle, d. h. aus dem schwärzlich gestreiften prokonnesischen Marmor, gearbeitet sind, wird man eher die erste Möglichkeit verneinen als die zweite bejahen dürfen. Ravenna nahm bestenfalls teil an der Stilwandlung, die sich in Byzanz (bzw. in den prokonnesischen Werkstätten) im gleichen Zeitraum unter dem Einfluß zugewanderter syrischer Steinmetzen vollzog. Prokonnesische Meister haben vielleicht auch in Ravenna gearbeitet, aber nicht anders als auf byzantinischem Boden. Ein guter Teil der Särge wird wie die Kapitelle im Zustande der Vollendung eingeführt worden sein. Und darin gipfelt gerade die Bedeutung der ganzen Klasse, daß sie die eklektische Stilbildung der altbyzantinischen Plastik widerspiegelt. Die volle Bestätigung dessen haben wir durch das im pontischen Amaseia für das Berliner Museum erworbene Petrusrelief erhalten (vgl. Strzygowski, Jahrb. d. Kgl. Pr. K.-Samml. 1901, S. 29 und meine Bemerkungen dazu Byz. Zeitschr. 1904, S. 573). Bietet dieses den gleichen Figuren typus, so ist für die isolierende Reliefkomposition inzwischen ein weiteres Beispiel aus Konstantinopel hinzugekommen (Sitz.-Ber. d. K. Gesch. Ges. in Berlin 1906, S. 22). Deutliche Hinweise auf Byzanz wären auch den vom Verf. ganz stiefmütterlich behandelten Sarkophagen mit ornamentalem Schmuck abzugewinnen gewesen. Diese hält er gar für Arbeiten des 7. bis 9. Jahrhunderts, obgleich genau entsprechende Motive an den Figurensarkophagen gegeben sind, z. B. an dem des Barbatianus. Die Weinranke an der (übrigens unrichtig beschriebenen) Rückseite des

286

Literaturbericht.

Apostelsarkophags in S. Apollinare in CI. unterscheidet sich stilistisch in nichts von der Dekoration des ebenda befindlichen Sarges, der nach dem Verf. wieder erst im 7. Jahrhundert für den darin beigesetzten Erzbischof Theodorus gearbeitet sein soll. In dieselbe Zeit setzt er sogar die » edelsten der ornamentalen Sarkophage « in der Gruft der Galla Placidia, während doch die Stilisierung der Lämmer nur die nächstliegende An- nahme bestätigt, daß sie nicht lange nach Vollendung des Baues zur Aufstellung gekommen sind, mögen auch die traditionellen Benennungen, nach Galla P. usw. irrig sein. Angesichts des alsbald um sich greifenden langobardischen Ornaments, dessen Motive und figürliche Typen ja auch in die spätesten ravennatischen Särge eindringen (s. Garrucci), mit denen aber das Flechtband der älteren natürlich nichts zu tun hat, sind das ungeheuerliche stilgeschichtliche Gleichsetzungen. Wenn man aber mit Erstaunen liest, wie G. in dem Juwel der corona thriumphalis das neu

belebte Symbol des »höchsten Wunsches der Seele« nach Erlösung,

das »Ei«, erkennt, steht man betroffen, daß die nachbessernde Hand solche Dinge nicht ausstrich und uns der Schlußhymnus auf das ornamentale Symbol nicht erspart blieb.

Alles in allem, der Verfasser hat sich seine äußerst schwierige Aufgabe gar zu leicht gemacht. Sprachliche Verstöße wie »ziemlich später « oder die » Betrachtung wird interessiert « und sogar fehlerhafte Zitate nach Garrucci liefen dabei mit durch. Das ist um so mehr zu bedauern, als er die stilistischen Grundtatsachen unbefangenen Blickes richtig gesehen hat, und das bleibt eine Leistung, denn die LFnterschiede sind auch gewiegten Forschern entgangen. Um sie richtig zu erklären, fehlte ihm aber die Reife und offenbar auch eine gründliche Schulung. Möge er seinen Gesichtskreis durch rezeptive Arbeit erweitern und sich vor allem von der Herrschaft der Phrase befreien. Dann wird er wertvollere Beiträge zur Geschichte der altchristlichen Kunst zu steuern imstande sein, als wenn er fortfährt, den Faden nur aus sich selbst zu ziehen.

Wilhelm Rolfs. Franz Laurana. Berlin, R. Bong, 1907. XVI und 455 SS. in 40 mit Atlas von 82 Tafeln in Lichtdruck.

Das Leben und Schaffen dieses weit herumgeworfenen Künstlers eingehender Erforschung zu unterziehen, winkt als interessante Aufgabe, interessant vom Standpunkt eines Kulturbildes seiner Zeit nicht minder, wie wegen des Reizes seiner künstlerischen Persönlichkeit und des Um- fangs seines Wirkens nach Art und Örtlichkeit. Seit Courajod und Bode den Meister gleichsam entdeckten, war dies Interesse für ihn in den Kreisen der Forscher und Kunstfreunde wach geblieben und hat nunmehr

Literaturbericht.

287

in den beiden Monographien, die im vergangenen Jahre veröffentlicht wurden, seine ausgiebige literarische Fixierung erhalten. Die erste der- selben konnte der gestellten Aufgabe nicht völlig gerecht werden, trägt sie doch den Stempel ihrer überhasteten Veröffentlichung deutlich zur Schau. Anders steht es mit dem hier vorliegenden Werke, das sich als die reife Frucht vieljähriger Beschäftigung mit dem Gegenstände, ein- gehenden, durchaus autoptischen Studiums und gewissenhaftester Forschung darstellt. Nach Seite des Tatsächlichen wie des Künstlerisch-Stilistischen wird darin der minutiösesten Erörterung Raum gegeben. Jenes wird freilich nicht ohne Zuhilfenahme mancher Hypothese festzustellen gesucht, dieses bis in die geringsten Einzelheiten beschrieben und beleuchtet. Darin scheint uns der Verfasser sichtlich von der Vorliebe für sein Thema ganz eingenommen selbst zu weit gegangen zu sein. Die Geduld des Lesers und mag es der gewissenhafteste sein wird auf eine harte Probe gestellt, wenn ihm die Arbeiten des Helden in Analysen von vielen, vielen Seiten Länge vorgeführt werden (beispiels- weise die Madonna von Sciacca auf zehn, die Battista Sforza-Büste auf neun, die Kreuztragung zu Avignon auf elf Quartseiten). So kommt es, daß das Buch unseres Verfassers einen Umfang erreicht hat, der gestehen wir es uns nur offen der künstlerischen und geschichtlichen Bedeutung seines Helden nicht entspricht. Wie viele Bände müßten, nach solchem Maß gemessen, Donatello zugewiesen werden, von Michelangelo ganz zu schweigen!

Im ersten Kapitel klärt der Verfasser die Fragen nach der Heimat, dem Namen und der Lehrzeit seines Helden nach Möglichkeit auf. Als erstere gilt ihm Zara; in I.aurana sieht er einen richtigen Familiennamen, nicht die vom Geburtsort (La Vrana) hergeholte Benennung (diese oder das dem eigenen Taufnamen beigefügte Patronymikum war doch in Jener Zeit einzig gebräuchlich, von Familiennamen weiß sie noch nichts!); als letzten Lehrmeister Lauranas nimmt er Brunelleschi in Anspruch, nicht allein auf Grund einer Angabe Vasaris (II, 385), die dieser aus Filaretes Traktat freilich betreffs Lauranas irrtümlich übernommen, sondern mehr noch auf Grund seiner Stilverwandtschaft mit dem Brunelleschi-Schüler Domenico Gagini (Filaretes und Vasaris »Domenico del Lago di Lugano«), mit dem er ja viele Jahre in Neapel und Sizilien zusammen arbeitet. Aber Rolfs läßt ihn schon an der Taufkapelle im Dom zu Genua (seit ^144 7) mit Domenico zusammen tätig sein, ja er teilt ihm den baulichen Entwurf dazu direkt zu (S. 30 und 40), für Domenico in erster Reihe die bildnerische Ausschmückung des Werkes in Anspruch nehmend.

Im zweiten Kapitel: »Die Johanniskapelle im Dom zu Genua«

weist unser Verfasser diejenigen Elemente an diesem Bau nach, die auf

288

Literaturbericht.

Brunelleschi zurückführen (Verwandtschaft mit der Fassade der Pazzi- kapelle, Analogien in einzelnen Details), bringt als Stütze für die Autor- schaft Lauranas an dessen Entwurf die Ähnlichkeit der späteren archi- tektonischen Konzeptionen des Meisters (Capp. Mastrantonio, Lazarushalle in Marseille) mit der Täuferkapelle vor, und charakterisiert den Stil der bildnerischen Arbeiten Gaginis an ihr, wagt aber kein Urteil darüber, »wie weit auch I.aurana an letzteren entwerfend, modellierend oder aus- führend beteiligt gewesen sein mag«. Endlich stellt er die kunst- geschichtliche Bedeutung der in Rede stehenden Schöpfung dahin fest, daß sie das erste Denkmal der toskanischen (freilich fügen wir hinzu durch lombardische Elemente stark getrübten) Renaissance in Norditalien sei (dabei sieht Rolfs ab von den noch früheren Arbeiten der Florentiner in Venedig und Castiglione d’Olona).

Der dritte umfänglichste Abschnitt (S. 46 241) ist dem Triumph- bogen Alfonsos in Neapel gewidmet. Unser Verfasser war hier als Erster unter allen Forschern, die sich mit dem Denkmal beschäftigt haben in der Lage, dessen gesamten Skulpturenschmuck von dem Gerüste, das bei Anlaß seiner Wiederherstellung davor aufgeschlagen wurde, aus nächster Nähe zu untersuchen, konnte somit zu präziseren Ergebnissen gelangen, als es seinen Vorgängern möglich war (womit indes nicht gesagt sein soll, daß sie alle als endgültig betrachtet werden können). In Rücksichtnahme auf den uns hier zugemessenen Raum einerseits, andererseits in Anbetracht der Natur der Untersuchungen des Verfs., die sich auf subtile formale Analysen gründen, können wir kaum mehr als ihre Endresultate registrieren. Den Entwurf des Bogens gibt er Laurana, den er schon 1452 aus Genua nach Neapel kommen läßt; Pietro da Milano ist ihm und zwar bloß vom zweiten Geschoß des Baues an (S. II 8) bloß der ausführende Meister. Betreffs Lauranas stützt er sich auf den Summonte- Brief und auf den Stil des Werkes, der »eine in florentinischer Schule entwickelte Typenmischung« auf Grundlage vorbildlicher Benutzung des Bogens zu Pola verrät. Dies seien auf Laurana weisende Kennzeichen; habe er doch das letztere Denkmal aller Wahrscheinlichkeit nach gekannt, in Florenz gearbeitet, und mit Gagini die dortige Renaissance nach Genua verpflanzt, während sich alles dies für Pietro da Milano nicht nachweisen lasse. Beruhen denn aber so fragen wir nicht auch die für Lauranas Autorschaft vorge brachten Gründe außer Summontes Angabe auf mehr oder weniger plausiblen Annahmen? Und warum wird dann Pietro schon 1452 durch Alfons mit größtem Nachdruck von Ragusa reklamiert^), warum er zum

*) Die S. 204 allegierte Scheidung des Ragusaner Petrus de Mediolano von dem roit >455 am Bogen tätig bezeugten Pere Johann sowie von Pere da Milano, der 1458 seit andern Meistern dessen Skulpturen zu vollenden unternimmt, ist u. E. kaum statthaft.

Literaturbericht.

289

Ritter geschlagen (vor 1458) statt Lauranas, dem doch das Hauptver- dienst am Werke zukäme? Warum soll endlich der kaum 25 30jährige Laurana vor dem um mindestens zehn Jahre älteren Pietro mit dem Entwurf betraut worden sein, hatte er doch bisher bestenfalls bloß seine Leistung an der Täuferkapelle für seine Befähigung in die Wag- schale zu legen?

Aber dem Pietro wird, infolge der Zuweisungen des Verfassers auch für den Skulpturenschmuck des Arco an andere Hände, selbst als Bild- hauer alle jene Bedeutung genommen, die ihm nach dem Zeugnis der Dokumente zweifellos zukommt. Es wird ihm aus der ersten Periode seiner Neapler Tätigkeit bis zur Übersiedlung nach Frankreich am Triumphzugsrelief nur der berittene Bläserchor am Vorbau rechts zugeteilt. Die übrigen Teile gehören von links nach rechts gezählt einer römischen (Isaia da Pisa?), einer toskanischen, einer zweiten toskanischen Werkstatt (das Gefolge des Triumphwagens von Dom. da Montemignano), der Werkstatt Lauranas (in der A. dell’ Aquila das Relief des Triumphwagens arbeitet), einer zweiten römischen Werkstatt (die Victoria von Paolo Romano?), endlich die Bläser zu Fuß derjenigen Gaginis an. Für die Nischenstatuen der Attika hat Rolfs die Zuweisungen an eine Neapler Werkstatt (Gerechtigkeit und Klugheit), an eine römische (Stärke von P. Romano?) und an Matteo Pollaiuolo (Mäßigkeit), während die Jünglingsfigur des zweiten Gescho.sses » einem mit lombar- discher Art vertrauten Römer « gegeben, also auch hier überall Pietros Tätigkeit ausgeschlossen wird. Was hat nun also das müssen wir fragen der allen urkundlichen Zeugnissen nach doch eine hervorragende Rolle spielende »lapicida, mestre ymaguiayre, marmolar« während der Jahre 1455 *458 bzw. 1460 am Triumphbogen geschaffen? Denn auch an beiden Laibungsreliefs hält Rolfs (hier mit vollem Rechte) seine Tätigkeit für ausgeschlossen: im linken sieht er eine nach Lauranas Ent- wurf wahrscheinlich von Dino del Reame ausgeführte Arbeit, im rechten ein erst nach 1481 entstandenes Werk Matteo Pollaiuolos, eine Zu- teilung, in der wir dem Verfasser noch weniger als in mancher der vorhergehenden Recht zu geben vermögen.

Das vierte, den ersten Aufenthalt Lauranas in Frankreich behandelnde Kapitel bringt für die während desselben entstandenen Medaillen nichts Neues, es sei denn, daß das Historische ausführlicher als bei Fried- länder und Heiß dargelegt ist. Über eine wenig bedeutende Arbeit des Meisters die Anlage einer Wasserleitung wird auf Grund der vom Abbe Requin aufgefundenen Dokumente berichtet, ohne diese jedoch im Wortlaut mitzuteilen. Es ist zu bedauern, daß nicht bloß in diesem Falle, sondern durchweg unser Verfasser sich mit dem Hinweis

290

Literaturbericbt.

auf das Urkundenmaterial begnügt. Der erschöpfende Charakter der Arbeit hätte erfordert, daß es in einem Anhang vollständig zum Wieder- abdruck gebracht werde; dies um so mehr, da es zum großen Teile an Stellen veröffentlicht ist, die dem cisalpinischen Forscher nicht leicht zur Verfügung stehen.

Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit den 1468 1472 (oder 1473) in Sizilien entstandenen Arbeiten. Hier stehen die Madonnen- statuen und unter ihnen als die früheste, ganz eigenhändig gemeißelte die von Rolfs als Lauranas Werk erkannte im Dom von Sciacca an erster Stelle. Der von italienischen Forschern für ihn angesprochene Altar in S. Margherita daselbst wird überzeugend der Werkstatt Ant. Gaginis zugeteilt, dagegen das Nordportal der gleichen Kirche als gemeinsames Werk Lauranas und Dom. Gaginis glaubhaft gemacht. Dieser schon seit 1460 in Palermo anwesend stand (wie Rolfs nachweist) mit Laurana in » geschäftlicher Gemeinschaft, deren rührige Betriebsleitung aller Wahrscheinlichkeit nach in Domenicos Händen lag und die eine von zahlreichen Landsleuten bevölkerte Werkstatt in Palermo beschäftigte. Dies erklärt die Schwierigkeit, in den Produkten der letzteren stets die Hand der beiden Meister sicher nachzuweisen«. Um nun zu den Madonnenstatuen Lauranas zurückzukehren, so beruht ihr Typus unverkennbar auf pisanischen (Nino Pisano) Vorbildern, »ist aber selbständig genug, um den Anfang einer Entwicklungsreihe zu bezeichnen, die in Sizilien ihren eigenen Weg verfolgt«. Unter diesem Gesichtspunkte werden nun die in Frage kommenden Statuen in Sciacca, Trapani, Palermo (Dom und S. Francesco), Monte Sangiuliano, Noto und Messina sowohl nach historischer als stilistischer Seite ausführlichst behandelt. Als unmittelbare Vorbilder nimmt der Verfasser die selbst hinwieder von pisanischen Mustern beeinflußten Madonnen im Bigallo von Arnoldi und in der Portallünette von S. Maria maggiore zu Florenz in Anspruch. Sodann erfährt die urkundlich als gemeinsame Arbeit des Petrus de Bonitate und Lauranas bezeugte Mastrantonio-Kapelle in S. Francesco zu Palermo genaue Erörterung. Als Arbeit Lauranas ergeben sich dem Verfasser außer dem Entwurf des Ganzen die beiden Relieftafeln des linken Pilasters mit dem Engel (Sockel) und den Heiligen Gregor und Hieronymus; als die Pietro Bontates die Evangelisten, der Engel Gabriel und gewisse Teile des Ornamentschmucks. Alles übrige wird der Gagini-Werkstatt zugeteilt. Endlich wird am Weihwasserbecken im Dom zu Palermo unserm Helden mit Sicherheit nur der Architekturfond des oberen Reliefs, das Werk sonst aber der Gagini-Werkstatt zugewiesen.

In den im sechsten Abschnitt behandelten zweiten Aufenthalt Lauranas zu Neapel (1473 ^474 oder 1475) setzt Rolfs die Ausführung

Literaturbericht.

291

aller jener Frauenbüsten, die des Künstlers Namen zuerst in weiteren Kreisen bekannt und beliebt gemacht haben. Er sieht in sämtlichen sieben Büsten Bildnisse der Prinzessin Beatrix von Aragon, nachherigen Gemahlin des Königs Mathias Corvinus, worin wir ihm betreffs der Büsten im Louvre, im Museum von Palermo und bei Mine. Andrd nicht zu folgen vermögen, uns vielmehr den von Bode ausgedrückten Vorbehalten anschließen (s. Florentiner Bildhauer S. 222 ff.). Übrigens wird die mit besonderer Vorliebe durchgeführte Analyse dieser Kunstwerke dem bestrickenden Reize, den sie besonders auf den naiven Kunstfreund üben, in vollem Maße gerecht. Für die Battista Sforza-Büste im Nationalmuseum zu Florenz kommt der Verfasser zu dem überzeugenden Ergebnis, sie möchte zu Neapel nach der Totenmaske entstanden sein; die Marietta Strozzi- Büste bei Schickler in Paris erklärt er in Übereinstimmung mit Bode für »eine ungeschlachte Fälschung«; über die Madonna am Portal von S. Barbara in Neapel (urk. 1474) endlich, deren Stilcharakter von dem der sizilischen Gottesmutter nicht unwesentlich abweicht, enthält er sich bei ihrem arg mitgenommenen Zustande des Urteils.

Das letzte Kapitel unseres Buches (S. 369 440) begleitet Laurana während seines zweiten Aufenthaltes in Frankreich (1476 1501 oder 1502), der durch die beiden wichtigen Arbeiten der Lazarusloggia in der alten Kirche des Heiligen zu Marseille (1476 81) und des Kreuz- tragungsreliefs in St. Didier zu Avignon (1478 81) als Marksteine der künst- lerischen Tätigkeit seiner letzten Lebensepoche bezeichnet ist. Betreffs der I.oggia ist Rolfs bestrebt, sämtliche architektonischen Einzelformen, die Laurana daran verwendet, auf seine florentiner Schulung zurückzuführen, betont dabei aber seine geringe bauliche Begabung und den Mangel eigener Erfindung. Von dem bildnerischen Schmuck teilt er die Predellenreliefs Laurana zu, die Statue der hl. Magdalena einem stark unter seinem Einflüsse stehendenWerkstattgenossen, die der hl. Martha einem zweiten Genossen, dessen Hand auch in Avignon wieder begegnet; im hl. Lazarus sieht er den Entwurf und Einfluß des Meisters, aber gleichfalls nur Gehilfenhände. Die Mitarbeit Tom. Sumalvitos beschränkt sich bloß auf Dekoratives. Auch bei der Kreuztragung dem Rätsel seines Lebenswerkes und der Tragik seiner Kunst, wie sie unser Autor nennt ist Laurana nach Ansicht von Rolfs nur wenig beteiligt. Der Entwurf des Werkes gehört ihm, außerdem die Ausführung des baulichen Hintergrundes sowie einiger Köpfe, die durch ihre relative Güte hervorragen ; für alles übrige sind Gehilfen verantwortlich, und zwar die Bildner der Statuen der Lazarushalle und andere, die unter frankoflandrischem Einflüsse stehen. »Laurana hatte eine Aufgabe übernommen, der er weder inhaltlich noch formell gewachsen war. Den tragischen Gedanken hätte nur ein Feuer-

292

Literalurbericht.

köpf ersten Ranges konzis zu gestalten, die Darstellung in epischer Breite nur ein Meister im Reliefstil zu bewältigen vermocht. Zur ersteren fehlte Laurana die Kraft, zu letzterer das Können, lebhaft bewegte Gestalten in Lebensgröße zu bilden; so verfiel er in Pathos und leere Pose.« Endlich bespricht Rolfs die »Masken« im Kaiser Friedrich-Museum und in einigen südfranzösischen Sammlungen. Er sieht darin nicht nach der Totenmaske hergestellte Bildnisse einer Un- bekannten, -sondern das der Beatrix von Aragon, und erklärt ihr zahl- reiches Vorkommen daraus, daß sie »Geschäftsmuster seiner Werkstatt« gewesen seien, »die der alternde Meister an Gönner versandte, um sie zu Aufträgen anzuregen «^ Dies erkläre sowohl ihre auf ein Minimum des Materials berechnete Form als ihre flüchtige Arbeit. Zur Stütze dieser Ansicht führt der Verfasser ein Schreiben Michel Colombes an die Erzherzogin Margaretha v. J. 15 ii an, worin der Meister ihr die Über- sendung eines »visage .de sainte Marguerite« als Probe des Materials und der x^rbeit verspricht. Betreffs einiger Laurana sonst noch in Südfrankreich zugeschriebener Werke erkennt Rolfs nur für das Grabmal Gossa in Tarascon die Lieferung des Entwurfs durch ihn, sowie für das Christusköpfchen im Museum zu Avignon seine x\utorschaft an, lehnt letztere aber für alle übrigen mit Recht ab.

Auf einigen Schlußseiten werden dann noch die Resultate der vor- liegenden Arbeit, sowohl das Leben als das CEuvre ihres Helden betreffend, zusammengefaßt. Sie ergeben, » daß Laurana in erster Linie künstlerischer Unternehmer war, der mit einer Schar verschiedenartigster Genossen die mannigfaltigsten Aufträge ausführte. Auf diese Weise erklärt sich die fast proteusartige Verschiedenheit seiner Werke und ihrer Ausführung«.

C. V. Fabriczy,

Malerei.

Meisterwerke des städtischen Museums der bildenden Künste zu Leipzig herausgegeben von Theodor Schreiber. München, F. Bruckmann 1907.

Auf 84 Lichtdrucktafeln entfaltet sich der Inhalt des Leipziger Museums reich und imponierend, das Beste von dem Inhalt oder doch, was der Herausgeber, der das Museum wohl seit 20 Jahren verwaltet, für das Beste hält. Im Vorwort wird kurz die Geschichte des Institutes erzählt. Ein 1837 gegründeter Kunstverein arbeitete der Stadt- verwaltung vor; der lokalpatriotische Kunstsinn einzelneTr Bürger brachte den Grundstock zusammen, ehe der Kommune Pflege und Vermehrung der Sammlungen als eine ihrer Aufgaben zufiel. Aus der Nikolaikirche kamen mehrere altdeutsche Tafeln; Vermächtnisse von Leipziger Sammlern brachten namentlich holländische Gemälde aus dem 17. Jahrhundert hinzu.

Literaturbericht,

293

Diese Eingänge hatten mehr oder weniger Zufallscharakter, sie ver- leihen dem Museum eine bunte Mannigfaltigkeit, die ein Reiz, aber auch eine Not ist. Systematisch ist nur die neuere Malerei gesammelt worden; nur auf diesem Felde hat die Verwaltung eine Art von Plan durchge- führt. Die berühmtesten deutschen Maler des 19. Jahrhunderts hat man gesucht, die sächsischen bevorzugt, und aus dem Umstande, daß Max Klinger trotz vielen Lockungen der Vaterstadt treu geblieben ist, die Ver- pflichtung hergeleitet, die Hauptwerke dieses Meisters, soweit wie möglich, in das Museum aufzunehmen.

Die Tafeln unserer Publikation zeigen relativ wenig von dem Zufalls- besitze des Museums, lassen um so deutlicher die neuere deutsche Malerei, soweit der Bestand es gestattet, in ihrer Entwickelung oder doch in Arbeiten der erfolgreichsten Meister hervortreten. Das Museum zeigt in dieser Publikation mehr Charakter, als es in Wirklichkeit hat.

Als das älteste Tafelbild in der Sammlung erscheint auf der 2. Tafel jener »Schmerzensmann«, den Lichtwark in das »Werk« seines Meisters Francke aufgenommen hat. Das kunstgeschichtlich verehrungswürdige Stück ist hier besser reproduziert als in Nöhrings älterer Publikation, wo es bereits neben dem im Stil und in der Komposition verwandten Bilde der Hamburger Kunsthalle auftritt. Schreibers Text gibt nicht nur katalogisierend alles Notwendige, er bahnt auch den Weg des Ver- ständnisses mit glücklich schildernden und charakterisierenden Worten. Nicht minder erschöpfend ist die Notiz, mit der der Herausgeber die Abbildung des Eyck-Porträts (Tafel 3) begleitet, das mit mehreren anderen Kostbarkeiten von Frau Amalie von Ritzenberg dem Museum geschenkt worden ist. Gegen Voll wird die Autorschaft Jans van Eyck anerkannt. Der Satz: »die Erhaltung ist tadellos« erscheint etwas schroff. Ich würde etwa sagen: die sorgfältige Reinigung hat das Wesentliche der Eyck’schen Arbeit zum Vorschein gebracht; gewisse Härten und Un- ausgeglichenheiten kommen auf Rechnung des Zustandes.

Höchst willkommen ist der ausgezeichnete, fast originalgroße Licht- druck des »Liebeszaubers« (Tafel 4). Dieses Bildchen, das als profanes nordisches Genrestück aus dem 15. Jahrhundert den Kunstforscher und Kulturhistoriker lebhaft fesselt, steht der »Art Jans van Eyck« ganz fern (so katalogisiert Schreiber es, der älteren Literatur folgend), ist nicht rein niederländisch, sondern kölnisch, aus der Zeit um 1480. In der Nachfolge des Meisters des Marienlebens man vergleiche etwa die Krönung Mariae in der Münchener Pinakothek (Nr. 29; diese Tafel ist nicht vom Marienleben-Meister selbst) sind ähnliche Frauentypen zu finden. Die schüchterne Auffassung und die magere Form sind kölnisch. Man sollte endlich aufhören, die bekannte Überlieferung von Eyck’schen Genre-

294

Literaturbericht.

bildern mit diesem Täfelchen zu illustrieren. Das hübsche Madonnen- bild auf der 5. Tafel steht Martin Schongauer, in dessen Nähe es ge- wöhnlich und auch hier gestellt wird, nicht besonders nahe. Es ist auf Eichenholz gemalt und wohl niederdeutsch.

Die Krönung Mariä, gestiftet von Hans Warmuth um 1520 (aus der Nikolaikirche), ist die tüchtige Leistung eines Leipziger Malers, der vielleicht in Cranachs Werkstatt gewesen ist. Von dem älteren Lucas Cranach selbst sind mehrere Tafeln reproduziert: die etwas schwerfällige Dreifaltigkeit, bald nach 1510 gemalt, stellenweise schon recht me- chanisch ausgeführt, nicht vollkommen erhalten, dann die Schmidberg- sche Gedächtnistafel mit dem Sterbenden, von 1518, in der Literatur stark überschätzt, endlich die Quellennymphe aus demselben Jahre, die auf der Versteigerung Schubart für das Leipziger Museum erworben worden ist.

Das Deckelbild zu der Schmidbergschen Gedächtnistafel, eine Kreuzigung mit guten Stifterporträts, datiert von 1522, zeigt einen Stil, der an Cranach, noch mehr aber an Wolf Huber erinnert Schreiber publiziert dieses Bild auf Tafel 8 b, indem er an die Vermutung Röttingers erinnert, Georg Lemberger, der aus Holzschnitten bekannte G L, sei der Autor. Auf Tafel 9 ist die in der Literatur öfters er- wähnte Geißelung Christi von Hans Schäufelein abgebildet.

Eine Anbetung des Christkindes in der Art Mainardis und die sacra conversazione von einem der vielen Bellini-Schüler nehmen sich hier etwas fremdartig aus.

Aus der langen Reihe mittelguter holländischer Gemälde im Leipziger Musesum hat der H^erausgeber , 13 gewählt, sei es daß der Meistername, sei es, daß die Qualität dieses oder jenes Bild empfahl. Von den beiden Rembrandt-Bildem wird das studienhafte Selbstbildnis seit lange hoch geschätzt. Der kleine frühere Männerkopf aus der God- schaldschen Sammlung wirkt daneben etwas kleinlich. Echt und gut erhalten ist aber auch das zweite Stück. Von den kleineren Holländern sind vertreten Jan Steen, Adr. Ostade, Knijf, Wynants, Hondecoeter, Adr. V. d. Velde, Philips Wouwerman, J. D. de Heem und Em. de Witte.

Was an Werken der älteren Malkunst geboten wird, begrüßen wir mit harmloser Dankbarkeit; an die Repräsentation des 19. Jahrhunderts treten wir mit Ansprüchen. Die Publikation wird zu einem Rechen- schaftsbericht der Verwaltung. Die Lehren der großen Berliner Jahr- hundertausstellung sind fast allen deutschen Museen zugute gekommen. Man kennt jetzt einigermaßen die Persönlichkeiten, die Kräfte in der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts. Das Leipziger Museum besitzt reiches Material, wie aus der ordnenden und wählenden Publizierung

Literaturb ericht.

295

offenbar wird. Namentlich die Landschaftsmaler aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind gut vertreten (Calame, Jos. A. Koch, L. Richter, Schirmer, Schleich). Auffällig stimmungsstark, vielleicht mehr in der schwarzen Abbildung als im Original, ist Oliviers Klosterbild. Ge- wisse Berühmtheiten des Museums, wie die Goethebüste Rauchs, Dela- roches Napoleon sind willkommen, weniger die allzu gefälligen Kompo- sitionen von Zimmermann und Scheurenberg. Im Ganzen läßt die Liste der Maler, die zumeist mit glücklich gewählten Schöpfungen auftreten, erkennen, daß die Museumsverwaltung ihre Hauptaufgabe gelöst hat. Ich nenne die Malernamen: Feuerbach, Menzel, Vautier, Gebhardt, Defregger, Uhde, Lenbach, Böcklin, Leibi, Liebermann, Kühl, Zügel, Klinger, Thoma, Greiner und den Bildhauer Hildebrand.

Wenn die Erwerbungen auch keine kühne, dem allgemeinen Ur- teil vorauseilende Initiative verraten, so sind Mißgriffe kaum bemerkbar, und von fast jeder anerkannten Größe ist der Stadt zur rechten Zeit ein repräsentatives Werk gesichert worden. Die Opfer, die man dem großen Landsmanne Max Klinger gebracht hat, gehen über das Übliche hinaus.

Mit ernster Interpretation bemüht sich Schreibers Text um die » blaue Stunde « und um die berühmten Bildwerke Klingers im Leipziger Museum und führt tief ein in die Gedankenarbeit, aus der diese Schöpfungen entstanden sind. Der Archäologe war zu dieser Aufgabe besonders gut vorbereitet Friedländer.

Mitteilungen über neue Forschungen.

Neues über Pietro Torrigiani (1472—1528). Vasari berichtet in der Vita dieses Künstlers, daß er » lavorava di terra molto pulitamente e con assai bella e buona maniera<c und führt einige seiner Arbeiten in Ton an, die er in England und Spanien ausgeführt habe. Über ein weiteres Werk dieser Art, eine Porträtbüste des Bologneser Arztes Baldassare della Torre, die Torrigiani im Jahre 1492 zu modellieren unternahm, werden wir durch das folgende Notariatsregest unterrichtet;

1492 18 agosto. Pietro quondam Torexani de Torexanis de Florentia promette a Baldassare del q. Stefano della Torre, dottore in medicina di fare un busto in terracotta rappresentante il detto maestro Stefano (Archivio notarile di Bologna, Rogiti di Franc. Conti, filza 6a nr. 82).

Vasari erzählt, daß Torrigiani nach dem bekannten Streit mit Michelangelo nach Rom geflohen sei und daselbst an den Arbeiten Beschäftigung gefunden habe, die Alexander VI. (in den Jahren 1493 und 1494) an der Torre Borgia ausführen ließ. Durch unser Regest nun erfahren wir, daß er sich vorerst nach Bologna gewandt habe. Ob er der dort eingegangenen Verpflichtung Genüge geleistet, ist nicht fest- zustellen; eine Büste des Bald, della Torre ist bisher nicht bekannt geworden.

Einer anderen Episode im Leben des turbulenten Künstlers gehört die folgende urkundliche Nachricht an;

1500, die 13. januarii. In nomine Domini Amen. Dicta die et loco presentibus dicto luca et domino christophoro et fratre * testibus. Ibique magister Petrus de turrisanis de florentia promisit ser baldo melchiorris de forosempronio ut sindico loci annuntiate de dicta civitate presenti et acceptanti perficere tabulam confitiendam per eum in ecclesia annuntiate pene ad festum omnium sanctorum vel nativitatis domini nostri proxime venturum designatione figurarum sibi jam data et dictus ser baldus promisit ut sindicus predictus dare eidem pro mercede ipsius ducatos ducentos monete veteris ad rationem XL bononenorum pro ducato et quoad solutionem promisit quolibet mense solvere pro rata dictam quantitatem obligans se vicissim et renuntiavit et promisit et jurans etcet. (Archivio notarile di Fossombrone, atti di Ubaldo Azzi, dal 1496 al 1501 a c. 24ir).

Mitteilungen über neue Forschungen.

297

Wir wissen durch Vasari, daß unser Künstler im Heere Cesare Borgias diente, als dieser 1499 1502 die Tyrannen der Romagna bekriegte. Offenbar führte ihn sein Weg nach Fossombrone, ehe er in Cesares Dienste trat, oder nachdem er sie verlassen hatte. Völlig neu aber ist, daß er hier den Auftrag für die Ausführung eines Altargemäldes übernimmt (unter »tabula« kann wohl nur ein Bild, keine Relieftafel verstan- den werden), und zwar eines solchen von nicht gewöhnlicher Größe, da er dafür mit 200 Golddukaten entlohnt werden soll. Der Künstler getraute sich also, auch als Maler seinen Mann zu stellen! Ob er den Auftrag auch ausgeführt, ist nicht festzustellen; in der Kirche, für die sein Gemälde bestimmt war, S. Annunziata dei Zoccolanti ist kein Werk, das dem Jahre 1500 zugeteilt werden könnte, vorhanden^). Allerdings ist der jetzige Bau an Stelle eines älteren erst 1705 entstanden (das dazugehörige Kloster war schon 1603 umgebaut) und bei jener Gelegen- heit könnte das fragliche Bild verschleppt worden sein, oder seinen Untergang gefunden haben. C. v. F.

Die Künstlerfamilie Del Majno (Magno). Ein glücklicher Fund Gir. Biscaros im Staatsarchiv zu Mailand brachte den Vertrag für die Ausführung des heute noch* an Ort und Stelle vorhandenen Chorgestühls von S. Ambrogio daselbst zutage, womit selbe unterm 16. Oktober 1469 an die drei Holzbildhauer (magistri lignaminis) Lorenzo da Origgio, Giacomo da Turri und »Jacobus de Mayno filius quondam domini Damiani portae Ticinensis parochiae sancti Georgii in pallatio Mediolani « übertragen wird (s. Archivio stör, lombardo, Anno 1905 fase. V°, und unseren Bericht im Repertorium XXX, 463). Während wir über andere Arbeiten der beiden ersteren Meister keine Kunde besitzen, war uns der dritte schon seither bekannt: er hatte als Genosse des Bartolommeo de’ Polli an dem ihm am 13. Nov. 1498 übertragenen Gestühl im Chor der Laienbrüder (conversi) der Certosa von Pavia mitgearbeitet und unterm 14. Juni 1502, nachdem Polli sich von der Arbeit zurückgezogen, die Herstellung der noch fehlenden 46 Sitze übernommen (s. Beltrami, La Certosa di Pavia, Milano 1895 pag. 93). Leider ist das fragliche Gestühl bei Gelegenheit der ersten Sekularisation 1782 durch den damaligen Gouverneur von Mailand, Grafen Wilczek, entfernt, in dessen Wohnung

•) Als einziger Überrest vom Schmucke der alten, 1462 erbauten Kirche ist in das Museo civico zu Fossombrone das schöne Verkündigungsrelief gerettet worden, über das wir im Jahrbuch d. pr. Kunstsammlungen 1898, S. 121 Anm. berichtet und das wir in L’Arte III, 184 abgebildet haben. Das oben .nitgeteilte Dokument hat Can. Augusto Vernarecci, der verdiente Bibliothekar der Comunale von Fossombrone im Jahrgang 1895, S. 52 der Nuova Rivista Miseha zuerst veröffentlicht.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI. 20

298

Mitteilungen über neue Forschungen.

im Pal. Serbelloni zum Schrankwerk der Bibliothek umgewandelt worden und in der Folge auch von dort abhanden gekommen, so daß wir uns von der Arbeit Giac. del Mainos keinen Begriff zu machen vermögen.

Im Vertrag für das fragliche Chorgestühl war unter anderem aus- bedungen, daß im Falle der Meister während dessen Herstellung mit Tode abgehen sollte, dessen Sohn Giovanni Angelo zur Vollendung der Arbeit verpflichtet sei (Beltrami a. a. O.). Diesen nun enthüllt uns ein 1896 veröffentlichtes urkundliches Zeugnis als den Meister, der 1516 1522 den fünf Meter hohen, mit figürlichen und ornamentalen Skulpturen reich ausgestatteten Hochaltar von S. Lorenzo zu Morbegno im Veltlin schnitzte, vielleicht nach einem Entwurf Gaudenzio Ferraris, der urkundlich die Malerei und Vergoldung daran ausführte (s. Arch. stör, dell’ Arte 1896 pag. 307 313). Im fraglichen Dokument wird

unser Künstler als »Magister Joh. Angelus del Magno de Papia nunc habitator Morbenii « bezeichnet. Wenn Pavia als seine Heimat genannt ist, so findet dies darin seine Erklärung, daß er dorther nach Morbegno berufen worden war. Es ist uns nämlich Kunde überliefert von einem reichgeschnitzten Altar, der noch zu Ende des 18. Jahrhunderts im Carmine zu Pavia existierte, das Datum 1517 und die Bezeichnung »Angelo Maino opifice« trug (Fr. Bartoli, Notizia delle pitture ecc. di tutte le piü rinomate cittä d’Italia, Venezia 1777 t. II pag. 9, wo sich eine genaue Beschreibung des seither verlorenen Bildwerks findet). Möglich ist es übrigens auch, daß der Meister oder vielleicht schon sein Vater, seit er mit dem großen Auftrag für die Certosa beschäftigt war sich dauernd in Pavia niedergelassen hatte. Zum mindesten reklamiert ihn für diese Stadt auch ein zweites, kurz nach seinem Tode verfaßtes literarisches Zeugnis. In T. Ambr. degli Albonesi’s Introductio in Chaldaicam linguam .... Pavia, 1539 pag. 183! heißt es nämlich: »Huc (ut caeteros qui marmora tractarunt omittam) accedunt Ticinenses Angelus et Tyburtius fratres statuarii, qui optimo statuario patre Jacob o meliores ita in statuis.... ex ligno effigiandis clari et celebres habiti sunt, ut antiquos superasse credantur .... Illos paulo ante e medio sublatos patria nostra desiderat «. Über Tiburzio, den hier erwähnten Bruder Angeles fehlt jede weitere Nachricht; offenbar arbeitete er in der gemeinsamen Werkstatt, trat aber hinter dem begabteren oder geschäfts- gewandteren Bruder zurück. Auch Lomazzo (Trattato della pittura, Milano 1584 pag. 679) erwähnt »i duoi fratelli de i Maini, Pavesi « unter einer Anzahl anderer Künstler, von denen er ausführlich hatte handeln wollen, wenn es ihm der Raum gestattet haben würde.

C. V. F.

Ergebnisse des VII. Internationalen Kunsthistorischen Kongresses zu Darmstadt.

Der Vorstand der Internationalen Kunsthistorischen Kongresse hat die Ergebnisse der Darmstädter Tagung (23.-26. September 1907) aus den Verhandlungen zusammengestellt:

1. Klar trat die Notwendigkeit hervor, auch in Zukunft internatio- nale kunsthistorische Kongresse abzuhalten (Punkt 10 der Verhandlungen). Denn wenn auch der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft eine Reihe von Aufgaben übernehmen wird, die sonst den Kongressen zufallen würden, bleiben doch, wie sich nach seiner inzwischen erfolgten Begrün- dung ergibt, ihrer noch so viele, daß eine stetige Zusammenarbeit aller Fachgenossen als dringend geboten erscheint. Namentlich gilt dies von allen Aufgaben, die den systematischen Ausbau der Kunstwissenschaft betreffen, und von denen, die nicht einer nationalen Begrenzung unter- liegen.

Von der Begründung einer kunstwissenschaftlichen Gesellschaft (Punkt 5 der Verhandlungen), die auf die Tagesordnung gesetzt worden war, bevor man von der Vorbereitung des Deutschen Vereins Kenntnis erhalten hatte, wurde Abstand genommen. Denn der Verein will das übernehmen, was auch für die Gesellschaft als nächste Aufgabe vorge- sehen war. Mit dem Verein will sich der Kongreß in möglichst naher, ständiger Verbindung halten. Ein freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden Organisationen wurde angebahnt.

2. Als besondere dringende Bedürfnisse der Kunstwissenschaft er- schienen dem Kongreß: Jahresberichte und Bibliographie (Punkt 4 der. Verhandlungen). Während man sich der zweiten gegenüber abwartend verhalten will, weil hier ein privates Unternehmen Hilfe zu bringen sucht, sollen die ersten sobald als möglich ins Leben gerufen werden. Da aber diese Aufgabe auch auf dem Programm des Deutschen Vereins stand, so begnügte man sich vorerst damit, ihm folgende Erwägungen nahezulegen:

20

300 Ergebnisse des VII. Internationalen Kunsthistorischen Kongresses zu Darmstadt.

»Dem Kongreß erscheint es geraten, daß eine Zentrale begründet werde, deren Leiter mit Hilfe von Mitredakteuren die Verteilung der Referate und die Überwachung der gesamten zu leistenden Arbeiten übernimmt. Diese letzteren sollten nach seiner Meinung sich erstrecken nicht’ nur auf die eigentliche Disziplin der Kunst- geschichte (inkl. der alten und orientalischen Kunst), sondern auch auf die Grenzgebiete, als z. B. Ästhetik, soweit sich dieselbe unmittelbar mit Werken der bildenden Kunst beschäftigt. Was den Charakter dieser Jahresberichte betrifft, sollen sie

1. eine kritische zusammenfassende Übersicht der wichtigsten Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung darbieten,

2. in bestimmten, aber nicht nach einem Schema geregelten Terminen erscheinen, über welche die Zentrale mit den Bericht- erstattern besondere Abmachungen zu treffen hätte,

3. sollen die Berichte durch Heranziehung von ausländischen Berichterstattern eine möglichst weitgehende Vervollständigung erhalten, und

4. aus diesem Grund auch in anderen westeuropäischen Welt- sprachen abgefaßt werden dürfen.«

3. Es wurde anerkannt, daß es an einer entsprechend ausgestatteten kunstwissenschaftlichen Zeitschrift in Deutschland fehlt (Punkt 6 der Verhandlungen). Die Zeitschrift, die Ersatz für diesen Mangel bieten soll, ist so auszubauen, daß alle Zweige der Kunstwissenschaft möglichst gleichmäßig berücksichtigt werden und den Anforderungen der Univer- sitätslehrer sowohl wie der Museumsbeamten und der Denkmalpfleger in gleicher Weise Rechnung getragen wird. Man bedarf keiner neuen Bilderzeitschrift, sondern einer wissenschaftlich illustrierten, und man muß sich infolgedessen auch darüber klar sein, daß der Abonnentenkreis einer derartigen Zeitschrift eng begrenzt sein wird und die finanziellen Folgen davon von den Fachgenossen zu tragen sein werden. Da nun das ehedem von dem Kongreß begründete Repertorium für Kunstwissen- schaft einer Ausgestaltung im Sinne der Verhandlungen fähig sein dürfte, wurde der ständige Ausschuß beauftragt, bei den maßgebenden Stellen auf eine derartige Umänderung dieser Zeitschrift hinzuwirken.

4. Betreffs der photographischen Aufnahme deutscher Kunstdenk- mäler (Punkt 7 der Verhandlungen) faßte man folgende Resolution:

»I. Der Korvgreß faßt die ihm vom Schriftführer mitgeteilte Absicht des Deutschen Vereins dahin auf, daß neben d. h. schon vor dem Erscheinen der monumentalen Publikationen billige Auf- nahmen der Denkmäler hergestellt und allgemein zugänglich ge- macht werden sollen.

Ergebnisse des VII. Internationalen Kunsthistorischen Kongresses zu Darmstadt. ^oi

2. Er legt dem Deutschen Vereine nahe, dahin zu wirken, daß durch Unterstützung des Staates oder Vereins eine Firma in den Stand gesetzt wird, solche Aufnahmen auch von den nichtdeutschen, aber in Deutschland befindlichen Denkmälern jederzeit auf Wunsch herzustellen und zu gleichen Bedingungen in den Handel zu- bringen.

3. Nach italienischem Muster dürfte sich empfehlen, in jedem Bundesstaate einen Regierungsphotographen anzustellen, der namentlich solche Dinge aufzunehmen hätte, die weniger ein großes Publikum, als den Fachmann interessieren. Er müßte dauernd von Fachleuten beraten werden. Die Zentrale würde in Berlin sein. Herausgabe eines Kataloges, welcher auch alles zu- sammenfaßt, was im Laufe der Jahre von Gelehrten und Museums- beamten aufgenommen worden ist, würde etwa alle 2 3 Jahre zu veranstalten sein.

Im Zentralbureau zu Berlin möchte man dann, wie das jetzt in Rom der Fall ist, jederzeit für billigen Preis Gesuchtes finden. Anregungen würden im Zentralbureau jederzeit entgegengenommen werden.

4. Der Kongreß behält sich vor, auf seiner nächsten Tagung, falls einer der ersten beiden Punkte sich inzwischen als nicht realisierbar erwiesen hat, eine Kommission zur Beratung solcher Firmen einzusetzen, die auf eigenes Risiko diese Desiderata zu erfüllen sich bemühen werden. Derselben Kommission würde es obliegen, einen Katalog aller wissenschaftlich verwertbaren Auf- nahmen auszuarbeiten. Unter allen Umständen erscheint dem Kongreß die Einrichtung einer Zentrale für die Inventarisierung der gesamten photographischen Hilfsmittel in möglichst naher Zu- kunft unbedingt erforderlich. Diese Zentrale hätte, als dauernde Einrichtung gedacht, auch als Auskunftsstelle zu dienen.«

5. Im übrigen hatte die Aussprache über photographische Aufnahmen noch folgende Ergebnisse:

Soweit die Pigmentdrucke als Studienmaterial verwandt werden müssen, haben sie sich nicht bewährt. Die Museen sollten deswegen den Photographen zur Pflicht machen, außer den Pigmentdrucken noch Silber- drucke von den Aufnahmen der in ihrem Besitz befindlichen Kunstwerke anzufertigen und zu angemessenem Preise zu verkaufen, damit dem Übel- stande wenigstens zum Teil abgeholfen werden kann. Eine entsprechende Aufforderung an die Museumsdirektionen ist in der »Museumskunde« be- reits veröffentlicht worden.

30 2 Ergebnisse des VII. Internationalen Kunsthistorischen Kongresses zu Darmstadt.

Die Denkmalarchive oder, wo diese noch nicht bestehen, die Pro- vinzialmuseen können als Vereinigungsstellen der photographischen Auf- nahmen aus einem bestimmten Gebiete ausgebaut werden, indem ent- weder dorthin die Platten eingeliefert, oder dort die Adressen der Photo- graphen und die immer zu ergänzenden Listen ihrer Aufnahmen aufbe- wahrt werden. Der ganze Bestand an Aufnahmen aus einem bestimmten Gebiet kann, wenn nach Nummern und Gruppen geordnet, dann ohne weiteres von jedem Forscher leicht überblickt werden. Damit würde für die geforderte Zentrale die beste Vorbereitung getroffen werden. Endlich wurde noch auf das neugegründete Organ des Herrn Dr. Hausmann- Straßburg hingewiesen, das bezweckt, die Amateurphotographen in den Dienst der Wissenschaft zu ziehen, und dem eine recht weite Vorbe- reitung durchaus zu wünschen ist.

6. Der Internationalen Ikonographischen Gesellschaft wurde es empfohlen, nationale Gruppen, also auch eine deutsche, zu bilden, als deren Vereinigungspunkt der Kunsthistorische Kongreß zu gelten hätte. Daneben könnte die deutsche Gruppe Anschluß an den Deutschen Verein suchen (Punkt 8 der Verhandlungen).

7. Zur Aufstellung einer Normalfarbentafel wurde eine fünfgliedrige Kommission eingesetzt, da die Schwierigkeit, eine Farbe präzis und all- gemein verständlich zu bezeichnen, anerkannt wurde.

8. Die Schwierigkeit, ohne Zeitverlust freien Eintritt in die deutschen und österreichischen Museen zu erhalten, wurde betont. Der Vorstand des Kongresses soll Schritte zur Beseitigung dieses Übelstandes tun.

9. In den ständigen Ausschuß wurden gewählt: Goldschmidt, Hof- stede de Groot, Kautzsch, Koetschau, Strzygowski, Thode, Warburg. Dieser wählte in den Vorstand: Strzygowski als ersten, Kautzsch als zweiten Vorsitzenden, Koetschau als Schriftführer, Warburg als Schatz- meister.

Cooptiert wurden vom Ausschuß: Aubert-Kristiania, Clemen-Bonn, W. Schmidt-München, Wölfflin-Berlin und später Dvofdk. (Im Dezember legte Strzygowski seint Amt nieder und trat aus dem ständigen Ausschuß aus; für ihn wurde Dvofäk-Wien gewählt und dann in einer am 8. März 1908 in Frankfurt abgehaltenen Sitzung Kautzsch zum ersten, Goldschmidt zum zweiten Vorsitzenden bestimmt.)

10. Der nächste Kongreß wird voraussichtlich 1909 in München stattfinden.

Da der Kongreß seine Aufgaben nur erfüllen kann, wenn er auch in der zwischen zwei Tagungen liegenden Zeit immer an der Arbeit

Ergebnisse des VII. Internationalen Kunsthistorischen Kongresses zu Darmstadt. 303

bleibt, wird darauf hingewiesen, daß der Schriftführer jederzeit bereit ist, Anregungen entgegenzunehmen. Es empfiehlt sich, damit nicht zu warten, bis eine neue Tagung angekündigt wird, damit, wenn irgend möglich, der Stoff für die Verhandlungen möglichst gut vorbereitet werden kann.

Der geschäftsführende Vorstand der Internationalen Kunsthistorischen Kongresse;

Kautzsch. Goldschmidt. Koetschau. Warburg.

Bei der Redaktion eingegangene Werke:

Borinski, Kärl. Die Rätsel Michelangelos. Michelangelo und Dante. Mit 44 Illustrationen auf 29 Tafeln. München, Georg Müller. Davidsohn, Robert. Geschichte von Florenz. Zweiter Band : Gu elfen undGhibellinen. Zweiter Teil; D’ieGuelfenherrschaftundder Sieg des Volkes. Berlin, Ernst Siegfried Mittler & Sohn. M. 13. Kraeger, Prof. Dr. H. Peter Janssen zum Gedächtnis 1844 1908. Rede, gehalten in der Aula der Köhigl. Kunstakademie zu Düssel- dorf, 5. April 1908. Düsseldorf, Julius Bädeker.

Supino, J. B. J. Ricordi di Alessandro Allori. Firenze, Alfani e Venturi.

Supino, J. B. La Tomba di Taddeo Pepoli nella Chiesa di S. Domenico in Bologna. Bologna, Nicola Zanichelli.

Druckfehlerb er ichtigungen:

1. In dem Aufsatz »Rembrandtiana« von Niels Restorff im 2. Heft sind in dem letzten Satz der Anmerkung auf Seite 163 durch Versehen des Setzers zwischen »beigemessenen« und »berühren« die Worte »Im- pulses Jesus« ausgefallen.

2. In Hadelns Notiz »Zu Tizian in Padua« muß es auf Seite 168 in der 5. Zeile von unten statt »Kopie des Falconetto« heißen »Loggia des Falconetto«.

Zu den Lünetten und Stichkappen der Sixtina.

Von Dr. Alois Wurm.

Es schien durch die Forschungen der letzten Zeit eine seltene Übereinstimmung darüber erzielt, daß die Stichkappen und Lünetten der Sixtinischen Kapelle im letzten Arbeitsabschnitt ausgemalt wurden. Das neue Buch von Spahn bringt einen Mißklang in dieses Konzert. Die im Bereich des ersten Drittels der Decke und der Eingangswand liegenden Stichkappen und Lünetten läßt er im ersten auf die genannten Teile sich erstreckenden Arbeitsabschnitt fertiggestellt seini). Nur bezüglich des ersten Lünettenpaares der Seitenwände (Achim und Azor) gibt er die Möglichkeit einer späteren Entstehung zu. Spahn ist nicht Kunsthistoriker, sondern Historiker. Er wünscht darum selbst eine stilkritische Nachprüfung von fachmännischer Seite. Sie soll im folgenden versucht werden. Es sei mit den Lünetten begonnen.

Das Ergebnis ist zunächst für Spahn nicht günstig. Was Wölfflin über den Zusammenhang der Lünetten mit der »flüchtigen Manier der spätesten Deckenbilder« festgestellt hat^), ist nicht mehr zu ändern. Was die Lünettenbilder, und zwar alle ohne Ausnahme, auszeichnet, ist die lockere, malerische, auf die Gesamtwirkung gehende Behandlung. Sie ist im ersten Arbeitsabschnitt unmöglich. Die Entwicklung der Sixtinischen Malerei geht gerade von der plastischen zu dieser malerischen Art3), deren höchste Ausbildung uns eben in den Lünetten entgegentritt.

Trotzdem ist die Sache damit noch nicht erledigt. Es empfiehlt sich, gleich die Zorobabellünette ins Auge zu fassen. Die männliche Figur sitzt da wie auf ein kontrapostisches Kommando: Körper in Seitenansicht, Kopf im rechten Winkel zur Horizontale hereingedreht. Im übrigen herrscht die denkbar größte statuarische Einfachheit: der Oberkörper bildet die Vertikale, die Oberschenkel eine strenge Horizontale,

*) Martin Spahn, Michelangelo und die Sixtinische Kapelle, Berlin 1907, 77 f, 227 f.

») Repert. 1890, 270. Vgl. auch Justi, Michelangelo 1900, 153; Steinmann, Die Sixtinische Kapelle II 1905, 428. Was für die späte Ausführung der Lünetten bezeichnend ist, ist keineswegs die »Flüchtigkeit« in dem Sinne, in dem sie Spahn bekämpft (228).

3) Was Wölfflin (266) und Justi (18 ff.) darüber sagen, ist 2. T. vortreflflich, doch wartet der Gedanke noch auf eine ins einzelne eindringende Durchführung. Spahns Auffassung (227) wird man im ganzen nicht teilen können.

Repertorium fUr Kunstwissenschaft, XXXI.

21

3o6

Alois Wurm:

die Unterschenkel wieder eine Vertikale; entsprechend sind die Falten in scharfen graden Linien und Winkeln gezogen. Das durchgehende Leben, aus dem heraus jedes Glied mit überzeugender Unmittelbarkeit Stellung, Haltung und Ausdruck gewänne, fehlt in hohem Grade. Es darf mit der größten Bestimmtheit behauptet werden, daß diese Figur mit dem Stil der Schöpfungsbilder, des Daniel oder Jeremias, also mit dem Spätstil nicht zusammengeht. In diesem leidet das unmittelbare Leben nicht mehr unter dem Prinzip des Kontrapostes; dieser erzeugt sich vielmehr mit natürlicher Selbstverständlichkeit aus dem Leben der Figur. Die Zeichnung erreicht eine unvergleichliche Größe, Freiheit und malerische Ausdruckskraft. Die Draperie hat ihren weichen stofflichen Charakter voll gewonnen. Die Auffassungsweise der Gestalten hat eine starke Wendung zum Individuellen genommen. Zu diesem Stil bildet der der Zorobabellünette einen starken Gegensatz.

Will man den ganzen Gegensatz dieser beiden Stilarten empfinden, so lasse man den Blick von der Zorobabellünette auf die nach der Türseite zu zunächst folgende Lünette gehen. Sie weist in allem den ausgesprochenen Spätstil auf. An Stelle des strengen, das unmittelbare Leben hemmenden Kontrapostes geht ein Strom einheitlichen Lebens durch die Figur des Mannes. Alles ist dadurch bestimmt. Der Kopf ist hier mit der größten Selbstverständlichkeit hereingedreht, nichts von ' der Gewaltsamkeit der Drehung der Zorobabellünette; die Beine sind nicht nach statuarischen Forderungen, sondern mit bequemer Lässigkeit aufgesetzt; die Draperie ist in großem, welligem Schwung um den Alten herumgezogen, weich und wulstig, und die schmiegende, hängende Tendenz des Wollstoffes ist trefflich charakterisiert. EJazu die große, freie Bewegung der Zeichnung, schließlich auch die ganze Größe der Auffassung der Figur, die mächtige Individualität des Kopfes, die in keinem Vergleich zu der noch ziemlich allgemeinen Art des Mannes der Zorobabellünette steht.

Bei dieser Stilvergleichung ist natürlich von der Art der Ausführung abgesehen worden. Die ist ja zugestandenermaßen gleichmäßig spät! Der Stilunterschied läßt sich also nur durch die Annahme erklären, daß die Kartons für beide Lünetten zu ganz verschiedener Zeit gefertigt worden sind. Der eine (Achim) wurde zweifellos erst nach dem Abschluß sämtlicher Deckenbilder gemacht und ausgeführt. Der andere (Zorobabel) ist in der Frühzeit der Sixtinischen Malerei entstanden, aber erst gegen das Ende auf die Wand übertragen worden4).

4) Es zeugt von gutem, künstlerischem Empfinden, daß Spahn (a. a. O.) den Stil- unterschied der beiden Lünetten herausgefühlt hat. Vor ihm ist m. W. kein Kunsthistoriker darauf gekommen; nur Steinmann zeigt sich angesichts der Zorobabellünette etwas be- unruhigt.

Zu den Lünetten und Stichkappen der Sixtina.

307

Die Entstehungszeit des Zorobabelkartons ist noch etwas genauer zu bestimmen. Er gehört in die unmittelbare Nähe der Delphica. Dieselbe noch vom statuarischen Kontrapost beherrschte Auffassung, der gleiche Mangel eines restlos alles bestimmenden durchgehenden Lebens, dieselbe ziemlich allgemeine Art der TypenS), dieselbe herbe Art der Faltengebung oder Faltenbrechung nur daß eben die Ausführung bei der Delphica unvergleichlich sorgfältiger ist. Schon die Ezechiel-Cumaeagruppe weist einen anderen Charakter auf. Sie bildet den Übergang von der mehr bildhauermäßigen zur breiten malerischen Behandlung.

Die Frau in der Zorobabellünette entstammt der Komposition nach offenbar der gleichen Zeit wie der gegenübersitzende Mann. Gemäß der auch für die ersten Karyatiden- und Atlantenpaare festgestellten Entsprechungs- tendenz ist sie in Haltung und Kontrapost als Pendant zum Manne be- handelt. Zu beachten ist in der Lünette auch die von Steinmann^) beobachtete und von Spahn für seine Idee benutzte ängstliche Respektierung der die Namentafel stützenden Voluten. Spahn ist hier im Recht. Es ist nämlich unmöglich, sich Michelangelo in dieser schüchternen Ver- fassung gegenüber einem so unbedeutenden und wenig hinderlichen Detail zu denken, nachdem er seine Atlanten mit souveräner Rücksichtslosigkeit in die Bronzemedaillons, ja in die Schöpfungsbilder hat einschneiden lassen. Es offenbart sich hier fraglos die Zagheit der Anfangsperiode der Deckenmalerei. Auf diese weist auch die gleichfalls von Steinmann und Spahn erwähnte Unsicherheit in der Bemessung der Größe der Figuren in den beiden Hälften der Lünette. Was die Annahme einer späten Entstehungszeit einigermaßen verständlich macht, ist die flüssige malerische Art der Ausführung. Dem sorgfältigeren Beobachter tritt nun freilich besonders an der Figur der Frau der Gegensatz zwischen zeichnerisch- statuarischer Anlage und breiter malerischer Ausführung als ein innerer Widerspruch entgegen. Man wird die Delphica vorziehen, vor der man das Gefühl hat, sie könnte ohne weiteres in Stein übersetzt werden.

Durchgeht man nun unter dem gewonnenen Gesichtspunkt sämtliche Lünetten, so ergeben sich vier Analoga zur Zorobabellünette: Jakob,

5) Man könnte allerdings dagegen auf Joel verweisen, dessen Kopf wirklich etwas Porträthaftes hat. Allein die Auffassung der Individualität ist hier gegenüber den späteren Köpfen eine äußerliche.

6) Steinmann empfand vor allem auch das Statuarische in der Pose des Mannes. »Man könnte sie sich als einen in Farben ausgeführten Entwurf zum Juliusdenkmal vorstellen.« Er läßt sie zuerst von allen Lünetten ausgeführt werden (445 f). Damit ist das Rätsel nicht gelöst. Auch dies hilft wenig, daß er für die Zeit der Abwesenheit des Papstes 1510 die Entstehung einiger Kartons annimmt (226). Spahn läßt den Künstler an der Zorobabellünette den ersten Pinselstrich tun (77). Das ist unmöglich. Der zugrunde liegende Eindruck des Frühstils aber ist durchaus zutreffend.

3o8

Alois Wurm:

Eleazar, Azor, Josias. In der Jakoblünette weist die statuarische Sitzstellung sowie der noch etwas unfreie Kontrapost zwischen Kopf und Körper der Frau, beim Mann die merkwürdig scharfe Winkelstellung der zwei massigen Ebenen des Oberkörpers und der Oberschenkel, bei beiden die noch nicht ganz flüssige Behandlung der Draperie auf die erste Arbeitsperiode. Doch ist nicht nur der Karton nach dem der Zorobabellünette entstanden, da doch bereits eine Lockerung der Strenge fühlbar ist, sondern es ist auch manches (z.- B. Kopf des Mannes, Kind rechts) vor oder bei der Über- tragung des Kartons von Michelangelo geändert worden. Es ist auch einleuchtend, daß der Meister die alten Kartons trotz der Eile, die er hatte, fertig zu werden, einer leichteren oder ausgiebigeren Überarbeitung unterzog. Es wird ihm manches, besonders wenn es unschwer zu ändern war, nicht mehr genügt haben. Die späte Ausführung ist auch hier überall zu konstatieren^ Etwas ganz Merkwürdiges liegt in der Eleazarlünette vor. In der einen Hälfte ist eine Figur des frühen, in der anderen eine solche des reifsten, freiesten Stils. Gegenüber der strengen Stellung und Haltung der ersten, die bei dem Genremotiv besonders auffallend wirkt, erscheint der Jüngling im anderen Teil des Bogens in allen Gliedern zur vollsten natürlichen Freiheit entbunden. Wie ein leiser, weicher, melodiöser Zug flutet es durch die ganze Gestalt von der leichten Neigung des Kopfes und der lässig niedersinkenden Hand des aufgestützten rechten Armes bis zu dem leicht auf die Kante gesetzten linken und dem in bequemer Lässigkeit frei darübergelegten rechten Bein und der willenlos darauf ruhenden linken Hand das Bild eines ganz von der Stimmung leichter Melancholie hingenommenen Jünglings. Alle die Kontraposte sind hier aus dem natürlichen Leben der Figur entwickelt, die Verkürzung des rechten Beins ist von der Kühnheit und Vollendung der spätesten Zeit, die Zeichnung von hochmalerischem Charakter. Es bedarf wirklich nicht viel Aufmerksamkeit, um zu fühlen, daß ein völlig anderer Geist in dieser Figur steckt als in der gegenübersitzenden?). Michelangelo fand, als er die alten Kartons vornahm, entweder nur die eine Hälfte des Lünetten- bildes vollendet, oder er änderte aus irgendeinem Grund (vielleicht gibt der schöne Jüngling selbst einen Hinweis) den bereits fertigen Karton* *).

7) Es ist merkwürdig, daß dieser frappante Gegensatz noch niemand aufgefallen ist. Auch Spahn gefällt sich hier lieber in geistreich symbolischen Erklärungen (8o).

*) Das Fehlen der Volute beim Jüngling, für das Wölfflin eine nicht voll ge- nügende Erklärung gibt (271), klärt sich nun ebensosehr auf, wie ihr Vorhandensein in der anderen Hälfte. Für diese wurde der alte Karton benutzt, der sie natürlich enthielt; für die andere Hälfte schuf der Meister in der Weise der Spätzeit seiner Malerei eine völlig neue Komposition, wobei er, wie gewöhnlich zu der Zeit, auf die Volute gar keine Rücksicht nahm. Daß die Voluten in der Jakoblünette fehlen, weist gleichfalls auf eine bedeutendere Veränderung des ursprünglichen Kartons.

Zu den Lünetten und Stichkappen der Sixtina. ^09

In den zwei noch übrigen Lünetten (Josias und Azor) sieht man es dem jeweils rechts sitzenden Mann in Stellung, Haltung, Faltengebung ohne Mühe an, daß der dem ersten Arbeitsabschnitt angehörige Karton im wesentlichen benutzt ist. Bei den Frauen und Kindern sind be- deutendere Änderungen anzunehmen. Doch liegt auch hier die ursprüngliche Komposition zugrunde 9). Nach dem Bisherigen bedarf dies keiner ein- gehenden Auseinandersetzung mehr.

Von den fünf besprochenen Lünetten gehören nun zwei (Jakob, Eleazar) der Eingangswand, die übrigen drei (Azor, Josias, Zorobabel) dem Bereich des Sintfluttriptychons an. Trotz der späteren Veränderungen ist festzustellen, daß sie nicht sämtlich unmittelbar hintereinander auf die Kartons gezeichnet sein können. Denn es läßt sich eine gewisse Stilentwicklung beobachten, wie sie auch in den übrigen Teilen des ersten Drittels der Decke (diesem Arbeitsabschnitt gehören alle fünf wohl noch an) zur Erscheinung kommt. Die Zorobabellünette ist zweifellos die zuerst entworfene. Azor und Josias werden die letzten sein. Aus diesem ganzen Befund ergibt sich nun eine wichtige Konsequenz. Es ist folgende: Michelangelo plante ursprünglich, die Wölbung durch Quer- schnitte in große GürteD°) zu zerlegen und diese nacheinander vom Scheitel bis zu den Lünetten inkl. herunter in einem zu malen. Es lag also keineswegs im ersten Plan, die Lünetten bis zum Schlüsse auf- zu.sparen Wäre dies ursprünglich vorgesehen gewesen, wie sollte der Künstler, da er am Anfang der ungeheuren Arbeit steht, da es ihn fieberhaft drängt, vorwärts zu kommen und vom Papst Geld zu erhalten (er klagt noch Ende Januar 1509, daß es nicht recht vorwärts gehen will) sich Zeit genommen haben, für das letzte und unbedeutendste, weil am wenigsten sichtbare Glied des riesenhaften Werkes gleich von Anfang an in der sorgfältigsten Weise die Kartons auszuarbeiten! Wenn er Zeit dazu hatte, mußte er sie für die folgenden Mittelbilder und Sehergestalten fertigstellen. Das hat er aber offenbar nicht getan. Wieviel weniger

9) Auch hier fällt die peinliche Respektierung der Voluten auf. In der Azorlünette z. B. erscheint die Volute als eine Art Lehne für den sitzenden Mann, während in den Lünetten der Spätzeit der Tafelrand selbst diese Funktion übt. In der allerdings gleichfalls späten Achimlünette werden die Voluten (vielleicht mit Rücksicht auf die folgenden und gcgenUberbefindlichen Lünetten) zwar gesetzt, aber vollkommen ignoriert.

•°) Ob es zwei oder drei große Zonen waren, das ist eine Frage, die uns hier nicht berührt, ebensowenig wie die, wie der doppelte Gerüstbau zu fassen ist. Zuletzt hat zu diesen Fragen Stellung genommen Thode im Repert. 1907, 72 fif. und Spahn 227!!.

") Auch im endgültigen Kontrakt mus sich dieser Sachverhalt ausgeprägt haben. Doch will hier nur das stilkritische, nicht das literarische Material zur Frage ins Licht gesetzt sein.

“) Steinmann, Reg. 39.

310

Alois Wurm :

wäre das für die Lünetten anzunehmen. Es muß also die Wendung, die Lünetten erst am Ende des Ganzen auszumalen, erst später eingetreten sein, frühestens gegen den Abschluß des ersten Drittels der Decke.

Die Erörterung führt nun von selbst auf die Stichkappen. Was für die Lünetten gilt, muß a fortiori für die Gewölbekappen gelten. Dem Gang der Freskomalerei nach kamen sie vor den Lünetten zur Ausführung. Man muß also annehmen, daß auch sie in den ersten Plan miteinbezogen, somit nicht auf den Schluß verspart werden sollten. Halten wir uns an die Stichkappen selber, was sie uns zur Frage sagen können,

Spahn setzt die Zorobabelstichkappe an den Anfang, die Josias- stichkappe gegen das Ende des ersten Arbeitsabschnittes, in den er das erste Drittel der Decke sowie die Türwand einbegreift. Einen größeren Zeitunterschied zwischen der Entstehung der Kartons und der Fresken nimmt er auch hier nicht an. Diesmal mit Recht. Wenigstens bei der Josiasstichkappe^3) ist kein Gegensatz zwischen dem Stil der Komposition und dem der Ausführung zu entdecken. Nur ist es nicht möglich, daß die Josiasstichkappe mit dem ersten Drittel der 'Decke entstanden sei. Dafür ist das Bild schon viel zu frei in Haltung und Bewegung. Eben- sowenig, ja noch weniger stimmt die Ausführung zu der Art, wie sie noch die Erythraea aufweist. Sie ist hier schon ganz erheblich mehr ins Malerische gewendet und unterscheidet sich von der folgenden Ezechiasstichkappe in nichts. Gewiß ist aber auch, daß sie nicht zur Zeit der meisten (späten) Lünetten entstanden ist. Es steckt noch eine viel kleinere Art in der Linienführung, im Faltenarrangement, in der Art der Modellierung der einzelnen Teile; es fehlt vor allem die breite, flächige, lockere Art der Malerei, wie sie sogar in der Zorobabellünette trotz der treuen Benutzung des sehr frühen Kartons auf das schlagendste zu spüren ist. Ja, schon die Asa- und Roboamstichkappe hat in Auf- fassung, Linien- und Pinselführung einen erheblich größeren, mehr aufs Ganze gehenden Zug *4). Es ergibt sich also, daß die Josiasstichkappe in einer Zeit mit der Ezechias- und der offenbar gleichzeitigen Ozias- stichkappe fertiggestellt wurde. Mit den beiden letzteren kommt man gegen die Mitte der Decke. Sie können also erst nach Vollendung des

•3) Von der Zorobabelstichkappe, deren Besonderheit Spahn wohl empfunden, aber völlig unzulänglich erklärt hat, soll hier nicht weiter die Rede sein. Ihr Rätsel löst sich wohl nur durch Einführung eines neuen, aber hier abliegenden Gesichtspunktes.

'4) Daß die erste Hälfte der Stichkappen nicht in der Manier der späten Decken- bilder gearbeitet ist, ergibt sich auch aus einem technischen Detail. In ihnen tritt nämlich die tiefe und furiose Art der Einritzung, wie sie die Bilder der zweiten Hälfte (s. z. B. auch die Salmonstichkappe) aufweisen, noch nicht auf. Vorbereitet wird sie in allmählicher Verstärkung allerdings schon von der Erythraea an. Doch ist der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Hälfte in dieser Beziehung sehr deutlich.

Zu den Lünetten und Stichkappen der Sixtina.

311

Sündenfalls, an den sie seitlich stoßen, gemalt worden sein. Das gilt also auch für die Josiasstichkappe. Wir dürfen noch einen Schritt weiter, gehen. Die Frau in der Ezechiasstichkappe zeigt eine Behandlung des Gewandes, namentlich der dünneren Teile, die noch etwas freier erscheint als bei der Cumaea, die in der Folge der Ausführung die Erschaffung der Eva voraussetzt.

Die Sachlage ist also folgende; Michelangelo malte zunächst das Sintfluttriptychon mit den zugehörigen Atlanten und den seitlich anstoßenden zwei Propheten und Sibyllen ^5). Zwischenhinein arbeitete er, gewiß zu einer Zeit, die er zur Ausmalung in der Kapelle nicht brauchen konnte, die fünf Kartons für die ersten Lünetten aus, offenbar in dem Gedanken, daß er sie nach Ausführung der vier Sehergestalten und der Stichkappen sofort auf die Wand malen werde. Da der Stichkappen nur zwei in den Bereich fielen, zudem weniger Arbeit machten, mochte er ihre Zeichnung über die der sechs Lünetten hinaus aufschieben. Allein bevor er die letzte von diesen im Karton fertigmachte, änderte er seinen Plan und beschloß, sie später zu malen. Damit unterblieb auch vorderhand die Kartonzeichnung der zwei Stichkappen. Indessen war die Verschiebung zunächst nur von relativer Dauer. Denn nachdem der Meister die Scheitel- bilder (Sündenfall und Schöpfung der Eva) nebst den zugehörigen Atlanten und den Seherbildem (Ezechiel und Cumaea) weitergeführt hatte, malte er die bis dahin leer gebliebenen Stichkappen der ersten Kapellenhälfte nacheinander aus. Offenbar hatte er sie deshalb autgespart, weil es ihm maltechnisch so bequemer war. Er mußte ja gegenüber diesem eigenartig gekrümmten Teil der Volta die entsprechende Lage und Handhabung finden. Die gewonnene Übung brachte dann eine leichte Anpassung an die übrigen Teile gleicher Konstruktion mit sich. Malte er dazwischen wieder andere Architekturteile aus, so fiel ihm offenbar die erneute Anpassung bedeutend schwerer. Man könnte fragen, warum er aus diesem praktischen Grunde nicht sämtliche Stichkappen der Kapelle nacheinander malte. Es läßt sich nur die Antwort finden, daß er doch daran festhielt, die halbe Wölbung bis herunter zu den Stichkappen und Lünetten (inkl.) vollständig fertig zu malen. Denn zur Zeit, da er die Stichkappen aus- malte, wird er auch im Sinne gehabt haben, den letzten untersten Teil,

*5) Von der Eingangswand sei völlig abgesehen. Sie hat ihre eigenen Probleme. Bemerkt sei nur, daß es sicherlich falsch ist, den Propheten Zacharias als den zuerst ausgeführten zu bezeichnen. (Die Bemerkung Wölfflins (270) ist zu wenig gewürdigt worden.) Auch sind die beiden Eckbilder (Judith und David) nicht zu gleicher Zeit mit dem Zacharias gemalt worden. Doch war die Eingangswand bis auf die Lünetten (exkl.) fertig, bevor die zweite Hälfte der Decke in Angriff genommen wurde. Das bedürfte einer eingehenderen Darlegung. Es muß für jetzt darauf verzichtet werden.

312

Alois Wurm:

die Lünetten, zu vollenden, wofür er ja bereits früher fünf Kartons ge- zeichnet hatte. Tatsächlich ist daraus wieder nichts geworden. Die sämtlichen Lünetten wurden erst nach Vollendung aller Deckenbilder in Angriff genommen. Was der Anlaß zu diesem neuerlichen Aufschub war, darauf läßt sich aus dem Befund der Malereien keine Antwort ge- winnen. Auf die literarischen Quellen soll aber hier nicht eingegangen werden. Nur ein Zeugnis Michelangelos ist nicht zu umgehen, da es die obigen Ergebnisse in Frage zu stellen scheint.

Im ersten Entwurf zum bekannten Briefe an Fatucci^ö) sagt Michelangelo, er habe nach der Rückkehr des Papstes aus Bologna, die am 27. Juni 15 ii erfolgte, mit dem Zeichnen der Kartons «per le teste e per le faccie attorno di detta capella*, di Sisto» begonnen. Das scheint nun nicht damit zu stimmen, daß zu jener Zeit bereits fünf Lünettenkartons fertig dalagen und außerdem die Hälfte der Stichkappen schon ausgemalt war. Allein es ist zunächst unbeweisbar, daß Michelangelo unter dem Begriff der »faccie«, der Seitenwände, notwendig neben den Lünetten auch die Stichkappen verstanden haben muß. Streng genommen sind sie ja gar kein Teil der Längswände, führen vielmehr die an den Fensterstellen höher hinaufgeführte Vertikale der Seitenwände in die große Decken- wölbung über. Wenn es erwiesen wäre, daß die Stichkappen ebenso wie die Lünetten zur Zeit der Rückkehr des Papstes noch unbemalt waren, könnte man sie möglicherweise mit dem Ausdruck »faccie« mit- gemeint finden. Der Sinn eines bestimmten Ausdrucks erfährt seine Erklärung oft ebensosehr durch die Kenntnis der konkreten Umstände, unter denen er gebraucht wurde, als durch den gemeinen Sprachgebrauch der Zeit, der übrigens im einzelnen auch noch nicht genauer untersucht ist. Es läßt sich also höchstens auf dem Tatsachenweg, schwerlich mit philologischen Mitteln ausmachen, ob mit den »faccie« mehr gemeint war als die Lünetten. Was aber die fertigen Kartons betrifft, so kam es für Michelangelo doch nicht darauf an, ob er einige mehr oder weniger zu machen hatte, sondern darauf, daß er damals an den Stirn- und

Seitenwandbildern, die rings um die Kapelle gehen, zeichnete. Zudem ist es mir noch zweifelhaft, ob sich Michelangelo zur Zeit der Ab- fassung des Briefes, d. h. nach einem Dutzend schwieriger Jahre über- haupt noch an die Einzelheit erinnerte, daß er von den Kartons einige früher gezeichnet hatte. Und wenn er sich genau daran

erinnerte, dann wird er auch daran gedacht haben, daß er sie

nicht unwesentlich, z. T. sogar ganz (Eleazar) umgestalten mußte.

Man darf also den philologischen Bureaukratismus einem Michelangelo

*6) Steinmann, Reg. 117.

Zu den Lünetten und Stichkappen der Sixtina.

313

gegenüber nicht zu weit treiben. Von den übrigen literarischen Quellen gibt es keine, die die gewonnenen Ergebnisse irgendwie ernstlich ge- fährden könnte.

Die Ergebnisse dieser Studie sind also kurz folgende: Michelangelo hat in dem Arbeitsabschnitt des ersten Drittels der Deckenmalerei fünf Kartons für die zugehörigen Lünetten gezeichnet, die aber erst (mit den anderen) nach Vollendung aller Scheitelbilder und Sehergestalten aus- geführt wurden. Der Meister hielt jedoch an dem Plan, die Hälfte der gesamten Wölbung mit Lünetten völlig zu Ende zu malen, sehr lange fest. Die vier ersten Stichkappen wurden sogar noch diesem Plan entsprechend ausgeführt. Erst vor Beginn der Ausführung der acht in die erste Hälfte fallenden Lünetten trat die Wendung zum vollen Aufschub ein. Man sieht also, daß die Aufstellungen Spahns, trotzdem ihnen die stilkritische Akribie abgeht, eines gesunden Kerns nicht entbehren.

Der Westbau der Palastkapelle Karls des Großen zu Aachen und seine Einwirkung auf den romanischen Turmbau in Deutschland.

Ergänzung;^ Abänderung und Abwehr.

Von Ernst von Sommerfeld, Oberstleutnant a. D.

Der Aufsatz über den Westbau der Palastkapelle Karls des Großen zu Aachen usw. ist in der Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst einer eingehenden Besprechung unterzogen worden. Eine kurze Erwiderung sei gestattet.

1. Bei der Beschränktheit des Raumes eines Zeitschriften- Aufsatzes sollte diesseits keine allseitige und erschöpfende Behandlung des Stoffes gegeben werden. Die Beschränkung auf einzelne Seiten oder bloße An- regungen erschien selbstverständlich.

2. Zur Entstehungsgeschichte der Kirchtürme.

Das Suchen nach der »Urform« der Kirchtürme lag außerhalb des diesseitigen Planes. Nur zwei Punkte aus der Entstehungsgeschichte derselben sollten laut Überschrift über die beiden Unterabteilungen be- leuchtet werden: der Zeitpunkt des ersten Auftretens der Kirchtürme (in der der diesseitigen Begriffsbestimmung entsprechenden Ausgestaltung) und deren ursprünglicher Zweck.

a) Nur die Zeitstellung der Rotunde von Brescia 612 617 wird auf Grund der italienischen Ü gegenüber der deutschen Forschung^) angegriffen. Die Streichung derselben rückt lediglich das Alter der einverleibten Türme in die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts herunter.

b) Die Frage nach dem ursprünglichen Zweck der Kirchtürme streift das Gebiet der »Urform« nur insoweit, als derselbe etwa aus der Vorstufe mit hinübergenommen war. Mangels einer dahinzielenden Be- hauptung lagen die altchristlichen Kirchen Syriens außerhalb der dies- seitigen Grenzpfähle.

Übrigens findet Dehio nach seiner Bemerkung »die turmartige Über- höhung von Nebenräumen der syrischen Kirchen des 5. und 6. Jahrhunderts

’) Besprechg. S. 52.

’) Repertorium S. 203 Anm. 27.

Der Westbau der Palastkapelle Karls des Großen zu Aachen usw. 315

ist doch etwas wesentlich anderes, als der altchristliche Kampanile des Okzidents« 3), den Ursprung der Kirchtürme nicht dort 4), sondern in einer vom »alten Orient« ausgegängenen Grundbewegung 5). Mochte daher selbst eine allgemeine, nicht näher bestimmbare Anregung aus der Fremde gekommen sein, die Kirchtürme nach der diesseitigen Begriffs- bestimmung bleiben eine spezifische und abgeschlossene Erscheinung des Abendlandes. Ihre abgesonderte Betrachtung erscheint daher angängig.

3. Der Westbau der Aachener Palastkapelle.

a) Die karolingische Ursprünglichkeit des dritten Obergeschosses ist nicht beweislos gelassen^), sondern auf Grund der Mertensschen Forschungen angenommen worden, nach welchen dasselbe in seiner ganzen Ausdehnung und Höhe aus dem »leicht erkennbaren karolingischen Mauerwerk« hergestellt war 7). Abweichend hiervon sind nach den neueren, mir leider erst durch die Besprechung bekannt gewordenen Khoenschen Angaben »karolingisch« nur:

1. im mittleren Hauptbau: auf der Nord- und Südseite die Türen nach den Treppen türmen zu in voller Höhe* *) und auf der Ostseite teil- weise das Mauerwerk, jedoch ohne Öffnungen für Schallfenster 9).

2. in den Treppen türmen: das die Stiegen abschließende Kuppel-

gewölbe unmittelbar Oberhalb der unter »i« genannten Verbindungstüren^°). Eine Nachprüfung der beiden widersprechenden Beobachtungen ist durch den Neubau von 1881 ausgeschlossen. Befremdlich bleibt bei dem Khoenschen Befunde auf der Nord- und Südseite die Erhaltung nur eben der Türgewände ohne danebenstehende Mauerreste. Ferner soll das Gesims zwischen dem 2. und 3. Stockwerk des Mittelbaus zugleich das obere Abschlußgesims der Treppentürme gewesen sein, »da letztere sich bis zu dieser Höhe erhoben« Hier also lag der Fußpunkt

ihrer kegelförmigen Bedachung, deren unterer Teil allerdings auf der

Nord- und Südseite durch das Mauerwerk des Mittelbaus abgeschnitten

war. Wenn anders die Treppentüren nicht teilweise in die freie Luft

3) Bd. I, S, 564, Anm. 3.

4) wie dies Bespr. S. 52 annimmt.

5) Bd. I, S. 565.

6) Bespr. S. 53.

7) Repertorium S. 218, Anm. 97.

*) C. Rhoen, »Die Kapelle der karolingischen Pfalz zu Aachen«. Zeitschrift des Aachener Geschichts Vereins Bd. VIII, S. 23, Fig. 5, >9. Diese Türen sind ausdrücklich in Abschnitt I »Die noch vorhandenen Teile der Pfalzkapelle« aufgeführt.

9) Rhoen S. 42.

10) Rhoen S. 23.

") Rhoen S. 27. Nach Fig. 5 liegt das Gesims eine Kleinigkeit über dem Fußboden des 3. Mittelbaugeschosses.

3i6

Emst von Sommerfeld:

führen sollten, durfte indes die Ausscheidung des Kegels aus der senk- rechten Wand des Mittelbaues erst oberhalb des rundbogigen Tür- sturzes beginnen. In dieser Höhenlage mußte außerdem der Durch- messer des Dachkegels noch das abschließende Kuppelgewölbe der Treppentürme umfassen Unter diesen beiden Bedingungen erhält aber der Dachkegel eine Steilheit und Höhe, die in unversöhnlichem Gegensatz mit der vielbetonten Flachheit der übrigen Dächer steht ^3).

Diese Erwägungen führen also unbedenklich auf die Mertensschen Anschauungen zurück, daß die senkrechten Wandungen der Treppen- türme das Obergeschoß des Mittelbaues begleitet haben vielleicht nur nicht bis zur vollen Höhe.

b) Der Brennpunkt der diesseitigen Ausführungen bestand doch in der Behauptung, daß das karolingische Zeitalter für die Schallöcher der

Glockenstuben keine andere Form als die gekuppelte kannte unter

Abweichung von der Anbringung nach allen vier Richtungen nur bei be- sonderer Zwangslage. Die bisherige gegenteilige Ansicht freistehender Glockenstuben mit lediglich einer großen Bogenöffnung baute sich wenigstens auf der Grundlage des in Aachen tatsächlich erhaltenen Beispiels auf. Wenn nun trotz der Beseitigung dieser tatsächlichen Unterlage bei Rhoen dennoch eine gleichartige Glockenstube »im Sinne der Architektur ergänzt« wird *4), so gewinnt der diesseitige Kampf gegen das nunmehrige reine Phantasiegebilde erst recht seine Bedeutung. Das große Ansehen der Glocken im karolingischen Zeitalter steht außer Fragens). Und da sollten nicht sämtliche zur Weiterverbreitung ihres Klanges in alle vier Winde ausführbaren Maßregeln getroffen worden sein?!

Bei dem Fehlen der Schallöffnungen in der Ostmauer, obwohl hier das Fortpflanzungshindernis des gleich hohen Hauptgebäudes gegenüber- lag, spricht für das gleiche Verhältnis also für undurchbrochenes Mauerwerk auf der Nord- und Ostseite die größere Wahrscheinlich- keit. Allein die Johanniskirche zu Lüttich soll als wortgetreue Kopie der Aachener Palastkapelle vom Ende des lo. Jahrhunderts mit ihren ausschließlich im Norden und Süden angebrachten Schallöffnungen, »allerdings nicht mehr aus der Zeit der ersten Erbauung, aber doch

'») d. h. den lichten Durchmesser des Treppenraumes von 3,78 m (Rhoen S. 23) plus der zum Gewölbeauflager im, karolingischen Zeitalter üblichen Mauerstärke.

>3) z. B. bezüglich des achteckigen Zentralhochraumes Rhoen S. 24—26. Auf der die obigen Bedenken besonders anschaulich machenden Fig. 5 ist der Kegel viel steiler als auf Fig. 3 gezeichnet.

'4) Rhoen S. 26 u. Fig. 3.

‘5) Rhoen S. 41 u. 42 mißt ihrer Bedeutsamkeit sogar die Anlage der beiden seitlichen Treppen statt nur einer bei.

Der Westbau der Palastkapelle Karls des Großen zu Aachen usw. ^17

wohl in Anlehnung an die alten« das Gegenteil annehmbarer machen* *^). Wo bleibt aber der Beweis, daß das derzeitige Obergeschoß ^7), mit •seinen spitzbogigen Schallöffnungen frühestens um 1200, eine »Er- neuerung« **) und nicht vielmehr eine Überhöhung des Ursprungsbaues ist! Warum soll der Gründungsbau bloß in diesem Obergeschoß der zur Abtragung zwingenden Verwitterung oder unpraktischen Gestaltung anheimgefallen sein? Ist schließlich Lüttich eine buchstäbliche, für zu- verlässige Rückschlüsse geeignete Nachbildung, so darf doch die weitere Schlußfolgerung nicht unterdrückt werden, daß das ursprüngliche Aachener Obergeschoß auf der westlichen Frontseite überhaupt keine Bogenöflfnung gehabt habe *9).

c) Die für ein viertes Glockengeschoß im Aachener Mittelbau über einem niedrigen Zwischenstockwerk eingelegte Lanze wird in der Be- sprechung selbst bereits aus der Hand gestellt und als dessen charakteristisches Merkmal die Dreiteilung Vorhalle, Empore, Glockenstube hin- gestellt^®). Wie sollte auch der Aufstieg in das vierte Stockwerk erfolgt sein? Die Treppengehäuse haben über der Türhöhe des 3. Geschosses ihr Schlußgewölbe, und die in der Mauerdicke der alten karolingischen Ostwand beginnende, höher hinaufführende Stiege gehört nicht dem Ursprungsbaue an^-i).

d) So ganz klein waren übrigens die Glocken Karls des Großen nicht, wenn die Forderung des Nebenbuhlers Tancos von allein 100 Pfund Silber zur Mischung der Glockenspeise nicht von vornherein unüber- windlichem Mißtrauen begegnete. Jedenfalls aber waren die Läute- vorrichtungen angesichts der gemeinschaftlichen Kräftevergeudung einer größeren Anzahl Personen*^) recht ungefügig. Der ganze Turmbau geriet also sicherlich in eine zitternde, auch trotz des starken Zwischen- gewölbes unangenehm im Vorraum der Hofloge empfundene Bewegung.

*6) Bespr, S. 54.

•7) Gurlitt »Historische Städtebilder, Lüttich« Taf. i u. 20.

**) Bespr. S. 60.

*9) Ist übrigens das unregelmäßige Bruchsteinmauerwerk in Lüttich so genau untersucht, daß nachträgliche Umänderungen als Ursache für das romanische Kuriosum der Beschränkung der Schallöffnungen auf die beiden Nebenseiten ausgeschlossen sind? Die seitlichen Treppengehäuse sind oben mit einem Rundbogenfriese abgeschlossen. Gurlitt Taf. 20. Der Turmbau wird daher schwerlich schon auf Rechnung Notkers in den Ausgang des 10. Jahrhunderts gesetzt werden können. Vgl. Dehio I S. 618 über das einwandfreie Auftreten des Rundbogenfrieses in Deutschland.

*°) Bespr. S. 54 bzw. 56.

**) Rhoen S. 42 führt sie ausdrücklich unter II »Nicht mehr vorhandene Teile der Palastkapelle« an.

**) Dies geht aus dem Plural: »alii succedentes aliis« hervor. Repert. S. 221, Anm. 108.

3i8

Ernst von Sommerfeld;

Noch eins. Der Zugang zum Obergeschoß führte durch diese Versammlungs- halle. Bei dem ausgeprägten und strengen Hofzeremoniell Karls des Großen würde das hochfahrende kaiserliche Gefolge das unvermeidliche Zusammen- treffen mit dem wenig angesehenen Läutepersonal im besten Falle Kleriker der untersten Grade recht unliebsam empfunden haben.

4. Die Einwirkung des Aachener Westbaus auf die Turmbildung in Deutschland.

a) Aus den gewählten Beispielen geht klar hervor, daß die Kanäle, in welche sich der Aachener Urquell ergoß, nur in ihren Uranfängen bis kurz über das Jahr 1000 hinaus verfolgt werden sollten. Unentschuldbar wäre also nur das Übersehen charakteristischer Bauten innerhalb des behandelten Zeitraumes. Die erschöpfende Verfolgung der Nachbildungen von Aachen konnte dagegen schwerlich die Erzdiözese Köln als den Hauptfundort * *3) hinstellen.

Auch diesseits gilt als charakteristisches Grundmerkmal des Aachener Westbaus die doppelte Dreizahl einerseits der Geschosse wie anderer- seits der Bauteile des dreistöckigen Mittelbaus zwischen seinen gleich- geschossigen Treppengehäusen ^4). Nur sollte auf diesem gemeinsamen Boden der in der Besprechung abgewiesene Versuch einer Zerlegung in verschiedene Unterabteilungen nach Aufgabenverteilung und Höhe gemacht werden. In bezug auf die Höhe liegt der springende Punkt für die Eingliederung in der gleichen oder verschiedenen Anzahl von Stockwerken, wobei Abweichungen im Ansatz der Dachhöhe im mittleren Hauptbau und den seitlichen Nebengehäusen durchaus unerheblich sind. Die bis- herigen Erörterungen haben nun auch für die Treppengehäuse in Aachen das dritte vielleicht nur nicht gleich hoch aufgeführte Stockwerk von neuem erhärtet. Die diesseitige Zergliederung der un- oder abge- änderten Nachbildungen muß also aufrecht erhalten werden *5).

b) Von der diesseitigen Erörterung mußten mithin wegen jüngeren Datums ausgeschlossen bleiben:

I. St. Marien im Kapitol zu Köln, in den unteren Teilen nach der herrschenden Ansicht nicht von Erzbischof Bruno 953 965, sondern

*3) Bespr. S. 62 Schlußabsatz; Über das Ausbreitungsgebiet außer dem Nieder- rhein namentlich Sachsen und Westfalen; Dehio I S. 571 573.

*4) Bespr. S. 56.

*5) Die Besprechung stellt S. 56 die Nachahmungen mit überhöhtem Mittelteil als die unveränderten falls überhaupt von solchen die Rede sein könnte die mit überhöhten Seitengehäusen oder gleich hohen Mittel- und SeitenteUen als die ab- gewandelten hin. Dehio IS. 57* geht in bezug auf die diesseitige Einteilung voran, da erst »in der weiteren Entwickelung« die Überhöhung entweder des mittleren Glocken- hauses oder der Treppentürme erfolgt. Als Nachfolge wesentlich auf betretenem Pfade sollte dieser Abschnitt keineswegs den Kernpunkt der ganzen Arbeit bilden.

Der Westbau der Palastkapelle Karls des Großen zu Aachen usw. 3^9

frühestens aus der Mitte des ii. Jahrhunderts^^). Übrigens durch die Verlegung der Treppengehäuse von den Seiten des Mittelbaus nach rückwärts in das Langhaus hinein, keine »klassische« Nachahmung, sondern eine recht weitgehende Abänderung.

2. Brauweiler nach loöi^T).

3. Münstereifel i. Hälfte saec. ii^* *). Verschmelzung einer erheb- lichen Abwandlung von Aachen mit einem Querhaus-Vierungsturm.

4. Ottmarsheim, Mitte saec. 1 1 ^'9). Zur Einbeziehung von Ottmars- heim und Nymwegen 3°) fehlte aber jeder Grund, da beide Bauten gerade im Westbau das Aachener dreigeteilte Vorbild schon im Grundriß fallen gelassen haben. Der Ottmarsheimer Westturm ist eine nachträgliche Überhöhung der ebenerdigen Vorhalle 3^). Bei einer schlicht rechteckigen einstöckigen Vorhalle ohne Seitenteil läßt sich wohl schwerlich noch von einer Aachener » Reduktion « 32') sprechen.

5. Maestrich, Liebfrauenkirche saec. 12 33).

Zur Bestimmung der Zeitstellung von St. Denys in Lüttich, mit der Umwandlung des Erdgeschosses im Mittelbau aus der Eingangshalle in eine abgeschlossene Westkapelle, fehlen diesseits die erforderlichen Unterlagen 34). Vollends unsicher aber sind die baulichen und zeitlichen Verhältnisse der schon 1587 abgetragenen Salvatorkirche zu Utrecht 35).

»6) Dehio I, S. 156, Taf. 14, 4; Otte S. 88; Dohme, Geschichte der deutschen Baukunst, S. 66. Schon die ausgeprägten Würfelkapitäle zu ebener Erde verbieten die Brunosche Zeitstellung. Dehio I S. 684: »Allen übrigen Bauüberresten (d. h. außer Essen) des 10. Jahrhunderts ist das Würfelkapitäl fremd«. Die flache Schale in Essen, Otte, Fig. 59, ist aber ersichtlich eine Vorform des eigentlichen Würfelkapitäls, wie es schon in St. Marien im Kapitol vorkommt.

»7) Clemen, die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Bd. IV Landkreis Köln S. 25; der Westbau vielleicht sogar erst nach dem Tode des Abtes Wolfhelmus 1065 1091, weil die vita Wolfhelmi S. 21 nur von Ausschmückungen der Kirche, aber nicht von Anbauten berichtet.

**) Clemen, Bd. IV Kreis Rheinbach, S. 87, 92 u. 94; Taf III, IV u. Fig. 32.

*9) Dehio I S. 155, Taf. 41, 3 u. 4; Otte S. 87; Kraus, Kunst u. Altertum in Elsaß-Lothringen, Bd. II S. 498.

30) Dehio I S. 155, Taf. 41, i.

3>) Otte S. 87; Kraus Bd. II, S. 498.

3*) Bespr. S. 58.

33) Dehio Bd. I, S. 572 u. 642.

34) Gurlitt S. 7, Abb. 9 u. Taf 12. Unwahrscheinlich, daß die gleiche Zeit am Ausgang des 10. Jahrhunderts in derselben Stadt das Aachener Vorbild in der St. Johanniskirche (siehe unter c. 2) mit unveränderter und hier mit völlig umgewandelter Zweckbestimmung benutzt haben sollte. Das Würfelkapitäl der Mittelsäule im Erd- geschoß, Gurlitt Abb. 10, weist etwa auf die Mitte des li. Jahrhunderts hin.

35) S. Müller »Die S. Salvatorkirche zu Utrecht«, Westdeutsche Zeitschrift Bd. XVI 1687. Etwas gewagt die Herleitung der seitlichen Treppentürme aus der Zeichnung

320

Emst von Sommerfeld;

c) Von den in der Besprechung aufgeführten Bauten fallen in den diesseits behandelten Zeitraum:

1. St. Pantaleon zu Köln. Als Bau Erzbischofs Bruno, geweiht 980, zweifelhaft, indes vielleicht bald nach 1000 36). Von dem Anklang an Aachen dem Vorbau vor das westliche Querschiff ist lediglich der Kern der Treppengehäuse in zwei Untergeschossen, dagegen keine Spur des Mittelbaus erhalten 37). Somit gibt dieser Bau keinerlei Auf- schluß über Aufgabenverteilung und Höhe.

2. St. Johann zu I.üttich. Frühestens bald nach der Jahrtausend- wende 38). Bei nachträglicher Überhöhung statt Erneuerung des Mittel- baues anfänglich eine unveränderte Nachahmung Aachens mit gleicher Stockwerkszahl im Mittelbau und den aus dem Hintergründe in die Mitte gerückten Rundgehäusen.

d) Entkräftung der Einwendungen gegen die diesseitige Eingliederung :

1. St. Maria zu Mittelzell. Die dichterische Beschreibung selten klar. Schwerlich haben sich St. Michael u. St. Otmar in dieselbe Kapelle ge- teilt, noch unwahrscheinlicher lagen beide Kapellen nebeneinander zu ebener Erde. Also im Mittelbau drei Stockwerke, zwei Kapellen und das Glockenhaus und die gleiche Geschoßzahl in den ausdrücklich als Aufstieg bis zur Glockenstube bezeichneten runden Seitengehäusen.

Der jetzige Westbau nach 104839) zeigt die Treppen vor, also nicht » per utrumque latus « der Apsidenrundung. Bei der Zusammen- drängung auf die Mittelschiffbreite fehlt der Raum für die erforderliche spätere rechtwinklige Ummantelung der ursprünglich runden Treppen- gehäuse, so daß in dem jetzigen Westbau »Grundriß und Kern«4o) der Witigowoschen Anlage nicht , enthalten sein können.

2. Münstermaifeld. Die Lehfeldsche Zeitstellung des Erdgeschosses erst von 110341) gegen die sonstige hundert Jahre ältere findet im Bau- befunde schwerlich Begründung. Kein Zweifel, reicht das ursprüngliche Mauerwerk in den Preppentürmen bis zur Höhe des Zinnenabschlusses 4*)

einer Stiege innerhalb eines nördlich an den Mittelbau anstoßenden Raumes, S. 260 u. Taf. 10, die somit für die Südseite zu ergänzen war. Auf der anderen Grundriß- zeichnung, S. 258 Fig. I, fehlt selbst die nördliche Treppe. Die Aufführung des Turmbaues durch Bischof Baldrik nach der Normannenzerstörung 940 S. 273 u. 282 doch bloße Vermutung; nachträgliche Umbauten von Grund aus z. B. nach Brand 1131 S. 260 keinesfalls ausgeschlossen.

36) Dehio I S. 618 gegen I S. 175, Taf 43, 4 u. 5; Otte S. 124.

37) Dehio I S. 569 und Taf. 60, 2.

3*) Anm. 17 u. 34. Bedauerlicherweise diesseits außer Betracht gelassen.

39) Dehio, Tafel 43, 7 u. 213, 2.

40) Bespr. S. 55.

4‘) Lehfeld, Die Bau- u. Kunstdenkmäler des Reg.-Bezirks Coblenz, S. 418.

4») Bespr. S. 55.

Der Westbau der Palastkapelle Karls des Großen zu Aachen Usw. ^2l

und nicht bloß bis zur Oberkante des III. Geschosses 43), so ist Münster- niaifeld der Unterabteilung B b. statt A einzureihen.

3. Corvey. Bereits anderweitig in die Aachener Familie eingereiht 44).

Der Grundriß des Westbaus natürlich ohne die rückwärtige basilikale Vorkirche zeigt die Aachener Dreiteilung, nur tritt der Mittelbau nicht in seiner ganzen Ausdehnung, sondern nur in Türbreite über die westliche Fluchtlinie hinaus 45). Ausweislich der Einhard-Basilika zu Steinbach-Michelstadt kannte die karolingische Baukurist auch für Basiliken die Vorlage dreigeteilter rechtwinkliger Vorhallen mit vorspringeridem Mittelbau 46). Bei der Umwandlung der Aachener Treppengehäuse aus der runden in die viereckige Form verschmelzen sich bei basilikalen Anlagen beide Grundrisse, so daß also die entsprechenden Nachbildungen auf doppelter Grundlage beruhen. Corvey soll nun auf den Schultern des 943 vollendeten Westbaues von Werden stehen 47). Unter Voraus- setzung der Richtigkeit der Etfmannschen Untersuchungen in den Grund- zügen 4*) bedarf es nur einer Vergleichung des beiderseitigen Bau- programms.

In Werden sollte der Westbau, d. h. »die Treppenhäuser, der zwischen diesen in der Mitte liegende Raum und der Portalbau « 49) der sogenannten Peterskirche einem von zweigeschossigen Seitenschiffen umgebenen Mittelturm vorgelegt werden. Der höhere Bauteil war also die Kirche selbst, der Westbau dagegen die niedrigere Vorlage mit nur je zwei Geschossen in allen Teilen. Umgekehrt lag die Sache in Corvey, wo der Westbau vor der niedrigeren zweigeschossigen basilikalen Vorder- kirche den Flochbau darstellte. Das völlig gleiche Verhältnis lag aber in Aachen vor, wobei die Rolle der basilikalen Vorkirche von der an- stoßenden, mit wagerechter Tonne überdeckten Abteilung des sechszehn-

43) Bock, Bd. III S. 3. Ein ursprüngliches viertes Geschoß im Mittelbau scheint diesseits undenkbar. Warum sollte dies wiederum allein baufällig geworden sein oder wegen unhandlicher Einrichtung seine Weitere Brauchbarkeit eingebüßt haben? Die Rund- gehäuse treten fast vollständig frei aus dem Mittelbau heraus, so daß Abbruch- oder Anbauspuren eigentlich leicht kenntlich oder zu ermitteln sein müßten. Ihr Fehlen würde gegen die Ursprünglickeit des 4. Geschosses der Seitenteile sprechen, da sonst das 4. Obergeschoß des Mittelbaues ganz gleich ob Erneuerung oder Überhöhung nicht im Mauerverbande stehen kann. Im ersten Falle daneben auch noch Abbruchspuren.

44) Dehio I, S. 571.

45) Dehio Tafel 170, 7.

46) Adamy, Die Einhard-Basilika zu Steinbach im Odenwald, S. 2 u. 16 f. Taf. 2 I u. II

47) Bespr. S. 61.

4*) Effmann, Die Karolingisch-Ottonischen Bauten zu Werden, S. i84ff„ Grundriß Fig. 163 165 u. 179, Aufriß Fig 121 u. 180 183.

49) Effmann, S. 194.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

22

^2 2 Ernst von Sommerfeld: Der Westbau der Palastkapelle Karls des Großen usw.

seitigen Umganges übernommen war5o). Mithin wird sich Corvey wohl hier und nicht bei Werden Rat geholt haben.

Spätere Kirchen wie Münstereifel sind sodann selbst mit der Werdener Baulage unstreitig 5*) bei Aachen in die Schule gegangen.

5. Die Entstehung der westlichen Doppeltürme in Deutschland.

Für die Ableitung der Doppeltürme ohne mittleres Glockenhaus unmittelbar von St. Gallen hat die nachträgliche Veröffentlichung über die Grundmauern des Westbaues von Worms aus der Burkhardschen Bauzeit 1008 eine weitere Bestätigung gebracht 5^). Die Einreihung von Gernrode mußte hier und nicht bei den Aachener Nachbildungen erfolgen, weil nach der diesseits versuchten Beweisführung der Gründungs- bau noch keine mittlere Glockenstube besaß 53).

50) Rhoen, S. 20. Fig. i u. 2 q, Fig. 4 u. 5.

5') Clemen, Bd, IV, Kreis Rheinbach, Taf. III u. IV, Fig. 31 u. 32.

5*) Deutsche Bauzeitung 1906, S. 545 u. Abb. i auf S. 543.

53) Repertorium, S. 317. Zeitschrift des Harzvereins 1905 (nicht 1906) S. 276 ff., namentlich S. 286c.

Hanns Scholler, ein deutscher Bildschnitzer am böhmischen Hofe (1490 1517).

Von Albert Gümbel, Nürnberg.

In den Nürnberger Brief büchern, Ratsverlässen, Stadtrechnungen etc. aus den Jahren 1490 1517, also über ein Vierteljahrhundert, erscheint ein zu Prag in Diensten des kunstsinnigen und baulustigen Königs Ladislaus II. von Böhmen und Ungarn tätiger Bildschnitzer er wird auch Maler und Baumeister genannt des Namens Hanns Scholler (Scholl, Scholla), welcher eine so bedeutende Rolle am königlichen Hofe gespielt zu haben scheint, daß eine Sammlung und teilweise Wiedergabe der auf ihn bezüglichen archivalischen Notizen gerechtfertigt erscheint.

Ob Scholler ein geborener Nürnberger war, ergeben unsere Nach- richten nicht mit vollkommner Sicherheit, doch sprechen sowohl seine Verheiratung mit einer Nürnbergerin, wie auch die durch unsere Archi- valien bezeugten engen Beziehungen zur Reichsstadt für eine solche Annahme I).

Erstmals erscheint sein Name in unseren Quellen gelegentlich eines Schreibens, welches er nach Ausweis der Nürnberger Einlaufregister zwischen dem 9. Juni und dem 7. Juli 1490 über die Wahl seines könig- lichen Herrn, eben Ladislaus II., zum König von Ungarn an den Nürn- berger Rat richtete^). Er wird in dem betreffenden Briefregister Meister Hanns, des Königs von Böhmen Maler, genannt Das Schreiben selbst vermochte ich nicht zu finden, auch scheint eine Antwort des Rates nicht ergangen zu sein.

*) In einem Ratsschreiben wird er einmal gebeten, sich als ein guter Nürnberger zu erweisen. Doch geht dies dort wohl eher auf seine politische Stellung (gut Nüm- bergisch gesinnt) als auf seine Herkunft.

>) K. Kreisarchiv Nürnberg, Ms. Nr. 814 fol. 19b: 1490 Burgermeyster Herr

Hanns Tücher vnd Herr Hanns Tetzel. Feria 4a an[te] Corporis ch[risti] Anno do[mini] etc. LXXXX» (= 9. Juni; die nächste Frage beginnt mit dem 7. Juli. Dazwischen fällt das Schreiben).

Ritter vnd knechte vnd andere sondere personen.

Meister Hanns des konigs von Beheim [ein Brief, gestrichen] Moler, ein Brief, die Wale des konigs von Beheim zum konigreich zu Hungern verkündende.

22'

324

Albert Gümbel:

Weitere Nachrichten über ihn erhalten wir sodann gelegentlich eines Nachlaßstreites, in welchem er als Sachwalter seiner Ehefrau Ursula und deren bei ihm in Prag befindlichen Geschwister auftrat. Zu Anfang der 90er Jahre des i5.Jahrh. war ein gewißer Hanns Öselberger in Nürn- berg unter Hinterlassung eines Sohnes und dreier Töchter gestorben. Die Nachlaßregelung verzögerte sich aus nicht deutlich erkennbaren Gründen mehrere Jahre 3). Hierüber beschwerte sich nicht nur Scholler selbst beim Rate in teilweise gereiztem und drohendem Tone, auch eine Reihe vornehmer böhmischer Herren, z. B. schon 1493 Ambrosius Mulfer, ältester Kanzleischreiber des Königs4), Wenischen, Herr von der Weytmull, und Borsybboy, Burggraf von Dohna, unterstützten 5) seine Forderung in Nürnberg. Im Mai 1495 kam Scholler selbst dorthin, aber die Erledi- gung der Angelegenheit, für welche die Öseibergischen Geschwister mit Urkunden vom 24. Oktober 1494 und 12. März 1495^) dem Maler Voll- macht zu ihrer Vertretung gegeben hatten, zog sich bis in den Sommer des letztgenannten Jahres hin. Wir besitzen zwar eine Generalquittung Schobers vom 13. März 14957), in welcher er sich für seine Person und die von ihm vertretenen Geschwister bezüglich aller seiner Forderungen an den Rat und die Öseibergischen Vormünder für befriedigt erklärt, dazu stimmen aber schlecht einige weitere uns bekannte Ratsdekrete und besonders ein » ungünstiges und hitziges « Schreiben Schobers selbst, welches er im Sommer 1495 an den Rat richtete und dessen Vorwürfe und Drohungen dieser am 9. Juli energisch zurückwies ^). Wahrscheinlich hängt auch ein Eintrag in den Nürnberger Stadtrechnungen vom J. 1495, wonach Schober im März dieses Jahres die hohe Summe von 350 fl. als Abfindung für eine » etlichs gekürntsch « (d. h. gediegenes Gold oder Silber in Körnerform) betreffende Forderung an die Stadt erhielt, mit dieser Erbangelegenheit zusammen9).

3) Die hierher gehörigen Ratsdekrete siehe in Beilage I.

4) Nürnberger Einlaufregister (Ms. 814), 1493, 30. Januar— 27. Februar : Ambrosius Mulfer, ko. Ms. zu Hungern vnd Beheim etc. Eltster Cantzelschreiber, zwen brief, Hannsen Oselbergers gelaßen kinde halb.

5) Siehe Beilagen II, a und b.

6) Siehe Beilage III.

7) Beilage IV.

8) Beilage V.

9) Nürnberger Stadtrechnungen, Tomus V, 1495. Dedimus in diser ersten frag (= I. April bis 22. April 1495): Jtem 356 gülden landswerung und 144 tt. n[ovi],

5 Schillinge, ii Haller mits[amt[ den i i 'tt. n. 10 sh. 8 hlr., die marggr[aven] Sigmunds von Brandenburg begengknus am montag nach Reminiscere, anno ut supra beschehen, gecost hat vide das gemain der fürsten begengknusbuchlein und den 350 fl. maister H[ans] Schollen für sein vordrung etlichs gekürntsch an gmaine stat getan, vide in der laden de quolto 5. [Am Rande: H. Scholl.]

Hanns Scholler, ein deutscher Bildschnitzer am böhmischen Hofe (1490 15>7)* 325

Bis zum J. 15 II schweigen nun alle Nachrichten über Scholler, dann aber zeigen die Nürnberger Brief bücher und Stadtrechnungen ihn in lebhaftem Verkehr mit der Reichsstadt. Er fand Gelegenheit, den Nürnbergern in der Frage der böhmischen Lehen, d. h. der im bayerischen Erbfolgekriege durch die Nürnberger eroberten, yon der Krone Böhmen zu Lehen gehenden Flecken und Schlößer (darunter Lauf, Hersbruck, Velden u. a.) und der Feststellung der bei der Lehenserneuerung zu zahlenden Taxen eifrige und erfolgreiche Dienste am böhmischen Hofe zu leisten. Der Rat dankte wiederholt in warmen Ausdrücken für seine Bemühungen und ließ es auch an klingender Anerkennung nicht fehlen, wie die Einträge in den Nürnberger Stadtrechnungen aus den Jahren 1513 1516^*) beweisen.

Ein Brief des Nürnberger Rates vom 2. Februar 1517 ist die letzte Nachricht, welche sich in unseren Archivalien über Scholler findet. Vielleicht folgte er seinem im Jahre 1516 gestorbenen königlichen Herrn schon bald im Tode nach.

Über eine künstlerische Tätigkeit Schollers vermochte ich Nach- richten nicht zu finden. Grueber nennt ihn in seiner der Ladislausschen Periode gewidmeten vierten Abteilung seines großen Werkes über die böhmische Kunst des Mittelalters nicht. Möglicherweise war er bei dem seit 1480 unter Leitung des Benesch von Laun auf dem Hradschin entstehenden Residenzbau *3) als Architekt beschäftigt; er wird ja einmal als des Königs Baumeister bezeichnet und hierzu würde ja stimmen, daß wir ihn in unseren Urkunden als in dem Prager Stadtviertel des Hradschin ansäßig fanden.

Häufiger und später ausschließlich ist aber seine Bezeichnung als Bildschnitzer. Über die Holzschnitzerei der genannten Periode bemerkt

1°) Ich habe die betreffenden Ratsschreiben teils wörtlich, teils in Regesten in der Beilage VI, a— n, gegeben.

") Stadtrechnungen, Band V, Exposita registri 1512. (und teilweise 1513.) »nni. Schenck Fürsten, Herren, Rittern, Knechten etc.

Jtem 32 gülden, damit wir maister Hansn pildschnitzer, des Königs von Beham diener, durch Erasmus Frey verert haben. Recepit herr Jeronimus Ebner. 5^ Fabiani (= 20. Januar) 1513-

Ebenda. Exposita registri 1514. anni. Unter dem gleichen Titel:

Jtem 50 gülden meister Hannsen Scholla (!) zu Prag, so ime auch Hanns Nützel aus bevelch von gemainer stat wegen von seiner willigen dienst[wegen] geschenkt hat.

Ebenda. Exposita registri 1516. anni. Gleicher Titel:

Dedimus 24 gülden landswerung m[aister] Hannsen Schölla in Behaim , durch Hannsen Ebner verert von gmainer stat wegen, laut seiner (d. h. des Ebners) rechnung 2®. post Judica (= 10. März) 1516.

'*) Die Kunst des Mittelalters in Böhmen, Wien 1871 ff. 4 Bände.

*3) A. a. O., S. 71 : Der Vladislav’sche Saal in der Prager Burg.

326

Albert Gümbel :

Grueber, daß Einflüsse von auswärtigen Schulen, namentlich der Nürn- berger Schule, auf diesem Gebiete mit größerer Entschiedenheit hervor- treten als im Baufache ^4); auch die Malerei stand unter überwiegendem Nürnberger Einfluß. Doch nennt Grueber, wie bemerkt, unseren Meister weder unter den Bildschnitzern noch den Malern.

Beilagen.

I.

Jtem Hannsen Öselbergers kinder Vormunden ze sagen, daß sie den mündigen Öselbergers ki^den in beiwesen irer freunde und auch des Tewblers rechnung tun. die Vormund witiben und waisen [sc. sollen hiefür sorgen], act. feria 3a ante Kathedra Petri (= 21. Februar) [1492]. (Ratsbücher im K. Kreisarchiv Nürnberg, Bd. 5, fol. 212a.)

Jtem den Vormunden Öselbergers gelaßener kinder und auch dem Tewbler ze sagen, daz eins rats beger und meinung sei, daz sie in vier Wochen den nechsten desselben Öselbergers erben ein lautere, entliehe und schriftliche rechnung geben auf den gemachten inventari. P. Nützel. Asem Haller [1494]. (Ebenda, Bd. 6, fol. 48 a.)

Jtem den Vormunden Öselbergers kindern ze sagen, daz sie meister Hannsen des pildsnitzers von Beheim hausfrauen überantworten und behendigen, so vil als vir an H. Öselbergers, ires vaters seligen, gelassener habe und gütern nach inhalt des gemachten inventari zugeburt, dann wo sie das nit tun, wo dann derhalb gemeiner stat oder den iren einicher schade oder unrat entsteen wurde, des wolle ein rat zu iren leiben und guten gewarten. Peter Nützel, Ja[cob] Groland, Asem Haller, feria 5 a post Remmiscere (= 27. Februar) [1494]. (Ebenda, Bd. 6, fol. 51b.)

Jtem mit Öselbergers Vormunden ze reden, daz sie ire rechnung zwifachen und sich mit allen dingen ganz darnach schicken, so meister Hanns Scholler körnet, daz sie dann gegenwertig und geschickt sein entlieh rechnung ze tunde. Peter Nützel. act. quinta ipsa die Bonifacii (= 14. Mai) [1494]. (Ebenda No 6, fol. 64 b.)

Meister Hannsen Scholler[s] schreiben den Vormunden Öselbergers kinden furzehalten, stattlich und ernstlich mit ine zu reden, das sie ine des handeis furderlich abhelfen und den kinden tun, das sie inen schuldig sein. act. ut supra (= 2 a post crucis inventionis, 4. Mai 1495). (Ebenda, Bd. 6, fol. 102 b.)

Erteilt mit des Öselbergers vormünden zu schaffen, das sie furderlich volstrecken gegen meister Hannsen Scholler und seinen geschweien, was sie zugesagt haben und zu tund schuldig sein und die handlung den

'4) A. a. 0., S. 119.

Hanns Scholler, ein deutscher Bildschnitzer am böhmischen Hofe (1490 327

hauptleuten zu Behem zu schreiben [ist] Jacob Grolandt [befohlen worden] act. 3 a post dominicam Cantate (= 19. Mai) 1495. (Ebenda, Bd. 6, fol. 105 b.)

II.

a.

Der Rat schreibt an Wenischen, Herrn von der WeytmulD5) in der Schollerschen Erbangelegenheit. 1494, 10. April. (Nürnberger Brief- bücher, Bd. 43, fol. 41a.)

Edler, lieber Herr, eur edelkeit schreiben, antreffend k. mt. zu Hungern und Behem, unsers gnedigsten herren etc. diener und paumeister (!), meister Hannsen Scholler, uns itzo zugesant, haben wir seins inhalts ver- nomen und sagen eur edelkeit günstiger deshalb gepflogner handlung, erpietens und zuschreibens vleißigen dank mit erpietung, das um euer edelkeit mit günstigem willen zu verdienen, und wiewol [wir] bisher durch etlich unser ratsfreunde, zu angeregter Sachen verordnet, bei den Vormündern und der Sachen verwanten guten und getreulichen vleiß haben tun und geprauchen lassen und noch in stetter Übung sind, so haben doch die Sachen noch zu diser zeit ir endschaft nit mögen er- langen; wir wollen aber nochmalen durch gemelte unser ratsfreund vleißige arbeit darinn haben lassen, guter Zuversicht, die Sache werde on verrer rechtvertigung in der guet furderlich vertragen, wo aber das in der guet nit verfenklich sein wolt, wollen wir uns alsdann darinn gepurlich und, als wir verhoffen, unverweislich erzeigen und halten, dann e. e. dinstlich wolgefallen zu beweisen sein wir ze tun mit willen ge- naigt. dat[um] 5 a post Quasimodogeniti [= 10. April] anno etc. [i4]94°.

Adreße; Herrn Wenischen herren von der Weytmull.

b.

Derselbe schreibt an Hanns Scholler in gleicher Angelegenheit. 1494, 7. Mai. (Ebenda, Bd. 43, fol. 53a.)

Lieber Scholler! euer schreiben und begern, antreffend eur eeliechen hausfrauen und ander Hannsen Öselbergers, weilent unsers burgers seligen, gelaßen erben, uns itzo zugesandt, haben wir seins inhalts vernomen, das den Vormündern deseiben Öselbergers erben furgehalten, von den uns antwort ist entstanden, als ir ab eingeschloßner zettel habt zu vernemen, die wir euch in gut zuzeschicken nit verhalten wolten, guter Zuversicht, die sach werde ir endschaft erlangen, dann wir euch guten willen zu be- weisen geneigt sind. dat. 4 a post Walburgis (= 7. Mai) 1494.

Adreße: ko. Mt. Hungern vnd Behem etc. diener Maister Hansen Scholler.

*5) Er war oberster Münzmeister des Königreichs Böhmen und Burggraf auf dem Karlstein.

328

Albert Gümbel;

(Unter dem gleichen Datum wurde in übereinstimmender Weise an die »hauptleut des Königreichs zu Beheim« und an »herren Borsybboy Burggraven vnd herren zu Dana« geschrieben. Ebenda, fol. 54a).

III.

Wir burgermaister und rat auf dem Radschin zu Prag bekennen und tiin künt mit disem offen brive vor allen, die in sehen, hören oder lesen, das für uns körnen ist maister Hanns Scholler, unsers aller- genedigsten herren des konigs zu Hüngern, Behmen etc. diener, und hat furgestellt Hannsen Oselberger, seinen Schwager, Hannsen Oselbergers und Felixen, seiner eelichen hausfrauen seligen, burger zu Nwrmberg, eelichen gelaßen -erben, und hot uns zu erkennen geben, wie er hab sprüch und anforderung zu den fursichtigen, erbern und weisen den burgermaistern und rat der stat Nwrmberg, deßgeleichen zu den ersamen Cristoffen Rothan, Peter Keiner und Johann Wengenmaier doselbst, alle burger zu Nwrmberg, als vormünd des bemelten seines vaters sei. geschefts, von wegen gemelter seines vaters und muter sei. geloßen hab und getanen geschefts, antreffend rechnung und anders, und wann er aber nu zu seinen jaren körnen und des seinen zu haben notturftig were und doch das ander seiner gescheft und Ursachen halber in aigner person nit einbringen noch gedachter seiner anforderung nit ausgewarten möcht, darumben so geb er seinen volkomen gewalt und macht samentlich und sunderlich in der allerpesten und bestendigisten form und maß, [die] inn- oder außerhalb rechtens für aller menigklichs aberkennen am kreftigisten chraft und macht haben sol, kan und mag, dem obgenannten maister Hannsen Scholler, seinem Schwager, solich sein anforderung in seinem namen und von seinen wegen gegen und mit den benanten burgermaistern und rat, auch den obgedachten Vormündern, auch allen, der Sachen und handlung verwant, gütlich oder rechtlich zu handeln und auszeuben, gütlich vertrage mit inen aufzunemen, rechnung zu tün, all sein väterlich und muterlich erbschaft und güter einzenemen und zu seinen handen ze bringen, darum notturftiklich zu quittirn, um siglüng ze biten, auch den gemelten vormünd und andere, der Sachen und handlung verwant, seiner Vormundschaft und aller seiner deshalben ge- pflogner handlung notturftiklich ledig zu geben und zu quittirn und sünst alles anders in seinem namen und von seinen wegen darinn ze handeln, ze tun und ze laßen, das die notturft der Sachen erfordert und er selbst handeln, tün und laßen möcht, ob er persönlich entgegeh were. und was also bemelter sein anwald darinnen handeln, tün und laßen wurd, das wer und soll sein sein guter wille; gerede und gelob auch bei meinen guten und warn treuen an aides stat das stet, vest und unzubrochenlich

Hanns Scholler, ein deutscher Bildschnitzer am böhmischen Hofe (1490 1517). 329

ze halden, darwider nit ze sein, noch tün, noch schaffen getan werden in kein weis noch weg furbas ewigklich. ob auch der gedacht sein an- wald zu solichem, wie vorlaut, ichts mer gewalts notturftig were oder sein wurde, wie volkomen der sein solt ime zu haben erkennt werden möcht, den allen und jeden wol er ime hiemit und in craft des brives, als ob der mit nemlichen und ausgedruckten und geleuterten Worten hirinnen verleibt, jetz alsdann und dann als jetz, on mangel und gebrechen auch gegeben haben, soliches alles zu gewin, Verlust und allem rechten, des zu warer urkünd haben wir obgemelt burgermaister und rat unser statsigill zu ende der geschrift auf disen brive aufdrucken lassen, doch uns, unsern erben und insigil on schaden, der geben ist etc. 1494, des negsten freitags nach der h. iitausend jünkfrauen tag (= 24. Oktober). (Kgl. Kreisarchiv Nürnberg, Urkunden des siebenfarbigen Alphabetes, Rep. 2, c c No 65, VI

Einen Gewaltbrief gleichen Inhalts stellten unter dem 12. März 1495 die Schwestern dieses Hanns Öselberger, Ursula, Hanns Schobers Ehefrau, Klara und Katherina aus. Orig., Papier mit aufgedrücktem guten Siegel der Stadt Prag. (Ebenda.)

IV.

Ich, Hanns Scholler, des allerdurchleuchtigsten, grosmechtigsten fürsten, meines allergenedigsten heim des Königs zu Hungern und Beheim etc. diener: als Hanns Öselberger, mein lieber schwager, Vrsula, mein liebe eeliche hausfraun, Junkfrau Clara und junkfrau Katherina, die ir volkomene jare noch zur zeit nit hat erraicht, mein liebe gesweien, alle eeliche und leipliche geschwistergit, weiland Hannsen Oselbergers und Felitzen, seiner eelichen hausfrauen, burger zu Nwrmberg, meiner lieben sweher und swiger seligen eeliche gelaßen kinder und erben [sprüch und anforderung]*^) zu den fursichtigen, erbern und weisen den burger- maistern und rate der stat Nwrmberg, deßgleichen zu den ersamen Cristoffen Rothan, Peter Keiner und Johann Wengenmair, alle burger doselbst zu Nwrmberg, als vormünden des gemelten ires vaters seligen geschefts, von wegen gemelter irs vaters und mutter gelassner habe und getanen geschefts, antreffend rechnung und anders, gehabt, derhalben sie mir dann die gemelten Hanns Öselberger, mein swager, Vrsula, mein eeliche hausfrauen, und junkfrau Clara, mein geschwei, für sich selbs und auch die obgedachten Katherinen, Ir unmündigs swesterlein, des sie sich gemechtigt, gegen und wider obbenannte burgermäistere und rate und auch die vormünden zu einbringung solcher irer väterlichen und mütter- lichen erbschaft halben gütlicher oder rechtlicher handlung ze pflegen

'6) So etwas ist zu ergänzen; vgl. No III.

330

Albert Gümbel:

macht und gewalt gegeben haben, wie dann das dieselben besigelten gewaltsbrive in lengern werten begreifen, also bekenne ich in chraft und macht solchen gewalts und dits briven für mich die gedachten gewaltgeben und all unser erben, das ich aller und jeder solcher spruch und anvodrung halben von wegen der dreier gewaltgeber obengemelt auf mein ganz und gut benügen gar und genzlich entricht und bezalt und aller ding content gemacht worden bin und das auch der vierdteil, der unmündigen gesweien zugehörig, in Nwrmberg zu meinem wolgefallen und guten willen hinterlegt ist, darum ich die gedachten burgermaister und rat^ die Vormünder obgedacht und alle darunter verwante, sament- lich und sünderlich in der pesten und bestendigisten form und weise des rechten und in chraft und macht oben angezaigter meiner gewalt und dits briefs gar und genzlich quit, ledig und lose sage, derhalben und um das alles zu inen, iren nachkomen und erben samentlich noch sünder- lich einich dag noch vordrüng in oder außerhalb rechtens nicht mer zu haben noch tün noch schaffen getan [werden] in kein weis noch wege, wie das immer erdacht oder furgenomen mocht werden, furbas ewiglich, des zu warer urkund hab ich mit vleis ersucht und gebeten die ersamen und weisen burgermaister und rat zu Brag auf dem Rätschin um ir aigen stat insigel, das sie um meiner bete willen zu ende der geschrift auf disen brive haben furdrucken lassen, doch inen und irem insigel on schaden, geben und gescheen des negsten freytags nach S. Gregorii des h. babstes (= 13, März) etc. 1495. (Ebenda.)

V.

Ko. Mt. Hungern Beheim etc. diener Maister Hannsen Schollen

Lieber Scholler! wir haben eur jungsts schreiben, antreffend etlich unser bürgere, Cristoffen Rothan und sein mitverwanten, weilent Hannsen Oselbergers, unsers burgers, gelaßner erben Vormund, uns zugeschickt, gehört und ob solcher ungünstigen, hitzigen meinung, uns betreffend, etwas befremden empfangen, weren auch des als unverschuldet, nachdem wir uns im handel je und albegen gepurlich und unverweislich haben gehalten und unserm herprachtem wesen nach vorhin von merern und mindern entladen, von euch auch pillich vertragen bliben. wne dem, so haben wir dannoch gemelte eur Schrift denselben unsern bürgern furhalten laßen, die haben darauf laut inligender irer zetteln antwort getan, die habt ir zu vernemen. und so sie nu dem von euch bewilligtem vertrag, durch etlich unser lieben ratsfreund abgeret, seins inhalts bisher gelebt haben und den nach austrag des angefengten rechten der irrigen stuck, den Tewbler seligen berurend, sovil in gepuren wurde, verner volziehen wollen, so sein wir in getrauen, das ir des gesettigt sein und gegen uns

Hanns Scholler, ein deutscher Bildschnitzer am böhmischen Hofe (1490— *5i7)- 331

noch den unsern arges nicht gewarten werdent, auch angesehen, das wir von weilent kaisern und konigen hoch begnadet und gefreiet, das wir für die unsern noch einicher der unsern für den andren nicht pfand- meßig sein sollen, dann wo ir darüber gegen uns oder den unsern einicherlai in ungut furnemen, wurden wir geursacht, unser notturft darinnen zu bedenken und dagegen, als sich gepurt, ze handeln, des wir lieber müßig weren. dat. quinta post Kiliani (= 9. Juli) [iqjps* (Nürn- berger Briefbücher, Bd. 43, fol. 224b.)

Voraus geht im gleichen Briefbuch (fol. 224a) ein Schreiben über- einstimmenden Inhalts an die Hauptleute des Königreichs Böhmen vom gleichen Tage.

VI.

a.

Der Rat dankt Scholler, für seine guten Dienste am böhmischen Hofe und bittet erneut um solche in einer genannten Angelegenheit. 15 II, 28. April. (Nürnberger Briefbücher, Band 66, fol. 213 a.)

Dem Erbern Maister Hannsen Scholler, konigklicher wird zu Hungern vnd Beheim diener.

Unsern grus zuvor, lieber maister Hanns! eur schreiben, uns jtzo neben ainer schrift, uns von den verordenten regenten, herren, reten und ritterschaft des konigreichs Beheim zugesant, haben wir mit eurm anzaigen, die Sachen Burian Rzesitzkys und dann Friedrichen Bolcken berurnd, alles Inhalts vernommen und sein desselben euers Schreibens und gut- willigen anpietens, auch euers vleis und furdrung, so ir hievor samt weilund unserm ratsfreund Hannsen Harßdorffer in unsern Sachen, so sich die bei königlicher wird oder den regenten der cron ereugt, vilfeltig habt gepraucht, sonders vleis dankpar, des Versehens, ir werden euch hinfuro in den obenangezaigten zwaien und andern unsern furfallenden handlungen, wo unser geschickte anwald deßhalben an euch gelangen werden und sonst abermalen gutwillig und, wie ir euch in eurm schreiben gegen uns angepoten haben, erzaigen. das wollen wir um euch mit sonderm vleis beschulden und erkennen, datum montag nach Quasimodo- geniti (= 28. April) 15 ii.

b.

Derselbe dankt Schollen für eine Warnung und bittet um weitere für die Stadt wichtige Nachrichten. 15 n, 27. Mai. (Ebenda, fol. 239b).

Dem Erbern Maister Hannsen Schollen, königlicher wird zu Hungern und Beheim diener.

Liebe: maister Hanns! wir haben euer schreiben und Warnung, so ir an uns, auch unsern burger Hannsen Ebner jtzo habt getan durch anzaigen unsers lieben ratsfreunds Jeronimus Ebners, seins bruders, alles

332

Albert Gümbel :

Inhalts vernomen, finden daraus, das ir sonder naigung tragt uns und unsere furfallende Sachen in der cron mit vleißigem bewachen und furdrung zu bedenken, das komt uns furwar von euch zu hohem dank, ob auch was hienach, das uns zu nutz und vorteil dienen mag, an euch wurde gelangen, das wollet uns, bitten wir sonders vleis, unverspart des potenlons, zu jedemmal berichten, das sein wir urputig mit willen um euch zu beschulden und in billicher erkanntnus nit zu vergeßen. datum montag nach Vrbani 1511.

c.

Derselbe antwortet Schober auf eine Beschwerde über den Diener der Stadt, Johann Gerber. 15 ii, 23. Dezember. (Ebenda, Band 67, fol. 254b.)

Dem Erbern Maister Hannsen Schöler, ko. wird zu Hungern vnd Beheim etc. dienen

Unsern grus zuvor, lieber maister Hanns! uns ist kurzvergangner tag von euch ain schrift zukomen, darin ir euch etlicher reden, so sich unser diener Johann Gerber wider unsern gn[edigen] herrn, den canzler, und euch mit eroftnung etlicher vertrauter gehaimder wort soll gepraucht haben, hoch beswert etc. die haben wir demselben Gerber gar statlich und mit ainem ernst laßen furhalten, aber er ist uns dagegen in antwort begegent, das er von diesen Sachen mit herren Niclaßen von Saher oder jemand anderm sein lebenlang nie geredet oder ichtzit dem gleich zu handeln je gedacht hab und werde ime deshalb von herren Niclausen solcher beswerlicher last unbillich zugelegt; wiß sich des ganz frei und unschuldig; sei auch urpintig (1), darum stillzusteen und bei dem herren canzler, herren Niclasen von Saher, euch oder andern, wo ir das begert, persönlich zu entreden und zu verantworten, als sich gepurt. dhweil ir nun aus desselben Gerbers antwort und underrichtung ein widerwertigs und anders dann ime von herrn Niclausen zugemeßen wirdet, vernemt, so ist an euch unser freuntlich bitt, ir wollet euch enthalten, dise ding an den canzler gelangen [zu] lassen oder, wo solchs bishere beschehen were, ime unsers dieners, des Gerbers, statlich entschuldigung, antwurt und erpieten anzaigen, des verhoffens, er werde des gesettigt sein, dann sollten wir bei gedachtem Gerber ainichen verdacht diser zulag befunden haben, wir wollten uns mit billiger straf sonder Zweifels darinn also erzaigen, das ir und meniglich daraus unser mißfallen und beschwerd sollten empfinden, bitten euch demnach gar gutlichs vleis, ir wollet euch dise reden, daran unsers unzweifenlichen vermutens berurtem Gerber un- gutlich beschicht, wider uns nit bewegen lassen, sonder euch in unsern Sachen wie vor als ain guter Nurmberger und getreuer furderer erzaigen. das sein wir urputtig um euch (wie wir solchs) zu verdienen und mit

Hanns Scholler, ein deutscher Bildschnitzer am böhmischen Hofe (1490 *5*7)- 333

billicher erkenntnus nit unvergleicht zu laßen und [begeren] des euer schriftlich antwort mit disem unserm poten. datum etc. eritags nach Thome 15 ii.

in der eitern namen.

d.

Derselbe dankt Meister Hanns Scholler für seine guten Dienste in den Verhandlungen mit der Krone Böhmen wegen des Schlosses Wilden- fels, bei welchen er soviel Fleiß bewiesen habe, als ob es sich um seine eigenen Angelegenheiten handelte, bittet den Kanzler I.adislaus von Sternberg von seinem Vorhaben, den Nürnbergerp ein Roß zu verehren, abzubringen und ersucht seinen Einfluß zur Erlangung eines weiteren Gnadenbriefes für die Stadt daß nämlich die böhmischen Lehen Nürnbergs für alle Zeiten bei der Krone Bömen bleiben und deren Eigentum nicht an fremde Personen kommen solle geltend zu machen; der Rat werde sich hierfür durch eine »Verehrung« dankbar bezeigen. 1512, 26. Februar. (Ebenda, Band 68, foi. 62 a.)

e.

Derselbe dankt H. Scholler, seinem » sonder guten freund «, für die »getreue naigung«, welche er abermals gegen die Stadt bewiesen, lehnt die durch Johann Gerber übermittelte Aufforderung, dem böhmischen Kanzler eine jährliche Pension zu geben, ab, kündigt das Eintreffen eines für diesen bestimmten Kleinods an und verehrt Sch. selbst 32 fl. Rh. durch Erasmus Frey von Prag. d. mitwoch nach Erhard! (= 1 2. Januar) 1513. (Ebenda, Bd. 70, fol. 24 b.)

Derselbe bittet Scholler dem böhmischen Kanzler ein Geschenk der Stadt zu übergeben. 1513, 10. Mai. (Ebenda, Bd. 70, fol. 157a.)

Dem Erbern Maister Hanns Scholler, ko. wurd zu Hungern vnd Beheim diener.

Lieber maister Hanns 1 wir haben vor disen tagen Erasmen Fryen von Prag zwu silberin fleschen eingeschlagen mit bevelch uch die zu uberantwurten und ist darauf unser giettlich bitt, ir wellet solich clainot, so uch die zugestellt werden, dem wolgebornen herm Laßlaw von Stern- berg, unserm gnedigen herrn, behendigen und sin gnad von unsern wegen damit vereren, mit dem dienstlichen ersuchen, [dasseruns] in gnedigen bevelch und furderung haben ouch unser gnediger herr, wie bisher, sein und beliben wolle, wie wir undertenigklich verhoflfen. das wollen wir um sein gnad dienstlichs vlis und euch mit allem genaigten willen verdienen, dat. eritag nach Exaudi (= 10. Mai) anno etc. [15] 13.

(Am gleichen Tage erging noch ein zweites Schreiben an Scholler (Briefbücher, Bd. 70, fol. 159a), in welchem auf eine Zuschrift desselben

334

Albert Gtimbel:

erwidert und Sch. gebeten wird, die Interessen der Reichsstadt auch ferner am Hofe wahrzunehmen.)

g-

Derselbe bittet Scholler (und Kaspar Nützel) am böhmischen Hofe in der Frage der Lehenstaxen für die böhmischen Lehen der Stadt zu- gunsten Nürnbergs tätig zu sein. Der Kanzler solle eine »Verehrung« von 400 500 fl. erhalten, d. freitags nach Invocavit (= 10. März) 1514. (Ebenda, Bd. 72, fol. 48 b.)

h.

Derselbe dankt Scholler für seine Absicht bei dem nach Ungarn verreisten Kanzler weiter im Interesse der Stadt tätig zu sein und stellt ihm anheim für eine »Verehrung« 1000 Gulden auszugeben. Was er daran erspare, solle auf seine eigene »Verehrung« gelegt werden, d. montag nach Palmarum (= 10. April) 1514. (Ebenda, Bd. 72, fol. 84b.)

i.

Derselbe bittet Scholler sich neben Hanns Nützel in Sachen der Lehenstaxe zugunsten der Stadt weiter zu bemühen. (Auf einem ein- gelegten Zettel wiederholt Anton Tücher der Ae. die Bitte des Rats.) dat. am eritag nach unsers herrn fronleichnamstag [= 20. Juni] 1514. (Ebenda, Bd. 72, fol. 156a.)

k.

Derselbe beauftragt Hanns Nützel, sobald er den Freibrief über die Lehenstaxe erhalte, Meister Hanns Scholler 50 fl. Rh. zu verehren, d. am montag nach sant Jacobs tag [24. Juli] 1514. (Ebenda, Bd. 72, fol. 202b).

l.

Derselbe bittet Scholler. die Mission des Christoph Kreß zu unter- stützen. 1515, 28. Juli. (Ebenda, Bd. 74, fol. 109b.)

Maister Hannsen Scholler, ko. wird zu Hungern vnd Beheim dienen

Lieber maister Hanns! wir haben unserm ratsfreund Cristoffen Kreßen bevolhen bei dem wolgebornen herren Laßlaw herren von Stern- berg, des reichs Behaim obersten canzler, unserm gn[edigen] herren, von wegen der behemischen lehen, die der durchleuchtig, hochgeborn furst, unser gnediger herr marggraf Casmirus bei ko. wird zu Hungern und Behaim auszupitten in arbait steet, zu handeln, dazu wir euer furdrung und hilf notdürftig; dweil uns die in dergleichen Sachen hievor in gutem erschoßen, bitten euch demnach gar gutlichs vleis, ir wollet den- selben unsern ratsfreund in seinem anpringen gutwillig hören, ime darinn hilflich und furderlich erscheinen, inmaßen wir hievor gleicherweise bei euch jedesmals unverdrißlich erfunden hoben und sondern vertrauen zu euch tragen, das wollen wir mit dinstperkeit und genaigten willen gegen euch beschulden und erkennen, d. samstag nach Jacobi (= 2 8. Juli) 1515.

Hanns Scholler, ein deutscher Bildschnitzer am böhmischen Hofe (1490 1517). 335

m.

Derselbe bittet Scholler sich in der Streitsache zwischen Jacob Muffel einer- und Clas Muffel und der Gemeinde Eschenau andererseits wegen Schaftriebs bei den Regenten und dem Kanzler des Königreichs Böhmen zu verwenden, damit die Sache bald zur Entscheidung komme, dat. montag in den h. pfingstfeiertagen (= 12, Mai) 1516. (Ebenda, Bd. 75, fol. 173b.)

n.

Derselbe bittet Scholler die Interessen der Stadt auf dem vom Kanzler in der Streitsache mit Franz Horn, ihrem ungeledigten Bürger nach Prag angesetzten Tag und in den Verhandlungen wegen des Lehen- empfangs (nach dem Tode Königs Ladislaus II. und der Thronbesteigung König Ludwigs) zu vertreten, dat. montag nach Valentini(= 16. Februar) 1 517* (Ebenda, Bd. 76, fol. 139b.)

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

Von Fritz Saxl.

Fortsetzung.

V. Bemerkungen zu Lippmann H. de Groot, Handzeichnungen Rembrandts II. Folge I. Lieferung.

Zu Nr. 2. Liegender Löwe. Siehe die Bemerkung zu Lippm. 150b.

Zu Nr. 6. Homer auf dem Parnaß. Siehe die Bemerkung zu Lippm. 158.

Zu Nr. 7. Joseph erklärt seine Träume. Die Gruppe in der Mitte ist allein wiedergegeben in B. 33, worauf Jordan im Repertorium XVI. zuerst hingewiesen hat. Daher um 1638.

Zu Nr. IO. Knabenbildnis von vorne gesehen. Wenn man mit Valentiner annimmt, daß Lippm. HdG. 71 ein Porträt des Titus ist, so muß dies wohl auch hier angenommen werden. Man ziehe zum Vergleich B. II heran; selbst die Schramme am Kinn fehlt nicht. Um 1648.

Zu Nr. II. Hiob von seinen Freunden besucht. Vielleicht ist der Linkssitzende derselbe, wie der verlorene Sohn auf B. 91. Um 1636.

Zu Nr. 13. Gefangennahme Christi. Vielleicht freie Verwendung von Lippm. HdG. 47. Siehe die Bemerkung zu dieser Zeichnung.

Zu Nr. 17. Mutter mit Kind an der Brust. Dieselbe Frau wie Idppm. HdG. 84.

Zu Nr. 18. Studie zu B. 340. Man hat in dieser Radierung Saskia erblicken wollen, was von Singer zurückgewiesen wird; jedoch gewinnt die aufgestellte Hypothese bei Heranziehung dieser Zeichnung an Wahr- scheinlichkeit. Man vergleiche den Kopf auch mit dem auf dem Doppel- bildnis im Buckingham-Palast (Bode III. 158). Um 1635.

Zu Nr. 19. Der zwölfjährige Christus im Tempel. Eine ähnliche Komposition findet sich auf B. 49, rechts der halb abgeschnittene Mann, im Hintergrund die Leute, die aus einer Vertiefung hervorkommen. Um 1635.

Zu Nr. 20. Susanna und die beiden Alten. Kopie nach Lastmanns Gemälde bei Delaroff in Petersburg^). Ist verwendet in der »Susanna

Siehe zu dieser Zeichnung den Aufsatz Valentiners in der »Zeitschrift für bildende Kunst« im Novemberheft 1907.

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

337

im Bade« vom Jahre 1637 im Haag (Bode III. 193), nicht, wie man ge- wöhnlich annimmt, in der Berliner Susanna (Bode V. 322).

Daß es kein Entwurf zur Berliner Susanna ist, wie H. de Groot angibt, beweist neben dem Stil der Zeichnung der auf die dreißiger Jahre schließen läßt, auch die Architektur des Hinter- grundes, die die der Hager, nicht der Berliner ist. Nach Valentiner 1633 entstanden.

Zu Nr. 21. Die Fußwaschung. Der Petrus ist dasselbe Modell wie der Tobias auf dem Gemälde »Tobias und seine Frau« in Richmond (Bode V. 331). Um 1650.

Zu Nr. 23. Joseph seine Träume deutend. Die Annahme Valen- tiners, in Joseph den 14 jährigen Titus zu erkennen, wird dadurch gestützt, daß wir in dem stehenden Gefangenen wahrscheinlich den Petrus der »Verleugnung Petri« in der Ermitage (Bode VI. 405) zu erkennen haben, die um 1655 anzusetzen ist. Um. 1655.

Zu Nr. 24. Jupiter und Merkur bei Philemon und Baucis, Die Nummern 228 und 245 von Rembrandts Inventar (Zählung naüh H. de Groot) beweisen, daß Rembrandt Stiche nach Rubens besaß. Auch hier scheint eine Anlehnung an die Komposition dieses Meisters in Wien, die das gleiche Thema behandelt, nicht ausgeschlossen. Man vergleiche besonders die echt Rubenssche Gestalt des Jupiter auf Rubens’ Gemälde und die ganz unrembrandtische des Merkur auf unserer Zeichnung, wobei an das Gegenseitige des Stiches zu denken ist.

Zu Nr. 25. Mutter, Großmutter (?), Kind und eine zuschauende Frau. Wohl dieselben drei Frauen wie auf HdG. 19. Die junge Frau dieselbe wie auf Lippm. HdG. 17.

Zu Nr. 27. Liegender Löwe. Siehe die Bemerkung zu Lippm. 150 b.

Zu Nr. 28a. Frau einem Kinde zu trinken gebend. Möglicherweise Rembrandts Mutter; vergleiche das Oldenburger Porträt (Bode I. 77) und B. 348. Um 1632.

Zu Nr. 28b. Studie zu einem Christus. Vielleicht verwertet in B. 72. Um 1642. i

Zu Nr. 29 a. Alter Bettler nach links gewendet. Derselbe Alte wie B. 121. Um 1632.

Zu Nr. 29b. Schlafendes Kind nach links gewendet. Der kleine Titus. Ziehe zum Vergleich heran Lippm. HdG. 71. Um 1645.

Zu Nr. 34. Hagar und Ismael (?). Eher dürfte man die Darstellung Pyramus und Thisbe nennen. Vergleiche Lippmann Nr. 28. Auch hier wieder das männliche Modell wahrscheinlich Titus. Um 1655.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI. 2^

338

Fritz Saxl:

Zu Nr. 35 b. Bettler von links gesehen. Vielleicht Studie zu B. 140. Um 1633.

Zu Nr. 36. Christus findet die Jünger schlafend. Der ganz vorne sitzende Jünger ist derselbe Typus wie der Kranke auf der Zeichnung Lippm. 25, das seinerseits Studie zu dem Gemälde gleichen Inhalts bei Borges in Paris (Bode V. 330) ist. Die Architektur finden wir fast genau auf der »Ruhe auf der Flucht nach Ägypten« (Bode V. 342) in Dublin wieder. Um 1647.

Zu Nr. 37. Abschied des verlorenen Sohnes. Der Hund dürfte der- selbe sein wie auf Lippm. 150a. Der Vater des verlorenen Sohnes ist identisch mit dem alten Tobias auf B. 43. Um 1641.

Zu Nr. 38 b. Junge Frau in fantastischer (alttestamentarischer) Tracht. Vielleicht dieselbe Frau wie auf B. 128. Um 1640.

Zu Nr. 39. Beweinung des Leichnams Christi. Der Joseph von Arimathia ist möglicherweise derselbe wie der barmherzige Samariter auf dem Gemälde im Louvre (Bode V. 328). Um 1648.

Zu Nr. 40. Lesender Mann, kniend nach links. Vielleicht dasselbe Modell wie der Mann, der den Verwundeten trägt auf dem »Barmherzigen Samariter« im Wallace Museum (Bode II. 123). Um 1633.

Zu Nr. 41a. Kinderköpfchen. Vielleicht dasselbe Kind wie auf B. 47. Um 1654.

Zu Nr. 42. Thisbe den toten Pyramus beweinend. Offenbar auch hier wieder Titus. Die drei Zeichnungen Lippm. 28, Lippm. HdG. 34 und 42 scheinen derselben Zeit anzugehören. Um 1655.

Zu Nr. 43. Reiter in reicher Tracht nach links gewendet. Mög- licherweise als Studie für die »Eintracht des Landes« (Bode V. 321) vom Jahre 1648 in Rotterdam entstanden.

Zu Nr. 44. Ein Fürst auf seinem Throne. Nach Sarre (a. a. O. Seite 152) Kaiser Akbar auf dem Thron. Siehe die Bemerkung zu Lippm. HdG. 100.

Zu Nr. 45. Jugendliches Selbstbildnis. Daß Rembrandt mit 23 Jahren eine solche technische Sicherheit gehabt haben soll, wie in diesem Blatte, ist nach den anderen erhaltenen und sicher datierbaren Zeichnungen aus der Zeit um 1630 kaum möglich anzunehmen. Vielleicht darf man vermuten, daß Rembrandt in viel späterer Zeit auf das Selbstporträt im Haag von 1629 (Bode I. 16) zurückgekommen ist und es aus irgend- einem Grunde für sich oder für andere kopiert habe und wir diese Kopie aus viel späterer Zeit vor uns haben. Um 1645.

Zu Nr. 47. Gefangennahme Christi. Vielleicht geht diese Zeich- nung auf eine alt-holländische Darstellung zurück, da sonst bei Rembrandt fast nie Szenen aus dem Neuen Testament mit derartigem Humor darge-

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

339

stellt sind. Auch ist die Auffassung des Riesen Christus und der Zwerge, die ihn gefangen nehmen wollen, anderweitig bei ihm nicht zu belegen.

Zu Nr. 48 a. Studienblatt mit Bettlern. Möglicherweise lag dem unbekannten Stecher von B. 161 eine ähnliche Zeichnung Rembrandts vor wie diese.

Zu Nr. 48b. Studienblatt mit Bettlern. Interessant ist, daß die Alte auf der Radierung B. 185, die allseits verworfen wird, der mitt- leren Figur dieser Zeichnung ganz ähnlich ist. Vielleicht darf man auch hier annehmen, daß dem Nachahmer dieses oder ein ganz ähnliches Blatt Rembrandts in die Hände gekommen ist.

Zu Nr. 49. Sara führt Hagar Abraham zu. Die Zeichnung dürfte in die Zeit fallen, in der sich Rembrandt mehrere Male mit der Geschichte Abrahams und Hagars beschäftigt hat, in die Zeit der »Verstoßung der Hagar« in Newnham-Paddox (Bode V. 334), der Zeichnung »Hagar und Isrnael in der Wüste« (Lippm, 100). In diesen beiden konnten wir die Verwendung der Hendrickje für die Person der Hagar nachweisen. Steht dies fest, so dürfen wir wohl auch hier in der Hagar Hendrickje er- blicken. Dies wird besonders klar, wenn wir ihr Porträt auf dem » Ab- schied der Hagar« zum Vergleich heranziehen. Um 1650.

Zu Nr. 50. Stehender Bettler, Studie zu B. 95. Vielleicht das- selbe Modell, wie der Greis der Kasseler Galerie (Bode I. 32). Um 1630.

VI. Bemerkungen zu Lippmann H. de Groot, Handzeichnungen Rembrandts, II, Folge 2. Lieferung.

Zu Nr. 51. Isaak bringt Jakob das Wildbret. Im Hintergrund Rebekka (?) Der Jakob ist offenbar Titus. Man ziehe zum Vergleich heran Lippm. HdG. 23. Isaak vielleicht derselbe Alte wie der des Dres- dener Greisenbildnisses (Bode V. 386). Um 1655.

Zu Nr. 55. Isaak segnet Jakob. Vergleiche die Bemerkungen zu dem ganz ähnlichen Blatte Lippm. 76. Rebekka könnte dasselbe Modell sein, wie die Alte auf Lippm. 2. Um 1636.

Zu Nr. 57 b. Alter Mann sich auf seinen Stock stützend. Die Studie im Gegensinne verwertet für B. 81 für den Mann im Vorder- gründe links (erste Platte). Um 1633.

Zu Nr. 58 a. Elisa und die Sunamitin. Zu dem Elisa vergleiche Lippm. 158. Die Kniende offenbar Rembrandts Schwester. Man ziehe zum Vergleiche ihr Bildnis in Stockholm (Bode I. 63) vom Jahre 1632 heran. Um 1632.

Zu Nr. 58b. Grablegung Christi. Vielleicht Studie zu B. 83. Um 1654.

Zu Nr. 60. Das Opfer Kains und Abels. Der Abel könnte das- selbe Modell sein wie B. 136 und B. 261. Um 1640.

23^

340

Fritz Saxl:

Zu Nr. 62. Schlafender Löwe mit starken Tauen gebunden. Siehe die Bemerkung zu Lippm. 150b. Um 1642.

Zu Nr. 65. Schlafende Frau im Bett. H. de Groot will in der dargestellten Saskia erblicken, was nicht wahrscheinlich ist. Die An- nahme Valentiners, daß wir in der dargestellten Geertje Dircx zu erkennen haben, beruht sicher auf einem Irrtum. Offenbar ist die dargestellte Hendrickje. Man ziehe zum Vergleich Lippm. HdG. 31 heran. Um 1655.

Zu Nr. 66. Aktstudie eines jungen Mannes auf niedrigem Sitze. Von Valentiner um 1656 1657 angesetzt, wohl nach dem Alter des Titus schon um 1650.

Zu Nr. 67. Mann in einem Lehnsessel. Studie zu B. 265. Um 1640.

Zu Nr. 69 a. Sitzende Frau in der Bibel lesend. Dasselbe Modell wie Lippm. 139. Um 1650.

Zu Nr. 70. Juda fordert Jakob auf, Benjamin mitzugeben nach Ägypten. Dasselbe Thema behandelt in Lippm. 174. Benjamin ist das- selbe Modell wie der Joseph auf B. 37. Jakob dürfte identisch sein mit dem sog. »Rabbiner« in Hampton-Court (Bode III. 201). Um 1638.

Zu Nr. 72. Stehender Bettler nach rechts gewendet. Vielleicht Studie zu B. 164. Um 1630.

Zu Nr. 73. Stehender Bettler mit Pelzmütze. Wohl derselbe wie auf B. 172. Um 1630.

Zu Nr. 75. Christus und der ungläubige Thomas. Um 1640. Rem- brandt richtet sich in dieser Zeit nach einem bestimmten Kompositions- schema. Man ziehe zum Vergleiche Lippm. HdG. 70 heran.

Zu Nr. 76a. Betender Hieronymus. Studie zu B. loi, das von Singer trotz der zweifellos echten Aufschrift und trotz dieser Zeichnung verworfen wird. Um 1632.

Zu Nr. 76b. Nachdenkender Greis und Greis mit einem Globus. Der Mann vor dem Globus ist möglicherweise dasselbe Modell wie der Herr auf dem »Ungetreuen Knecht« im Wallace Museum (Bode V. 339). Auf B. 270, entstanden um 1652, kommt der Globus wieder vor. Um 1650.

Zu Nr. 77. Esther vor Ahasver (Apokryphe Schriften, Stücke in Esther zu Kap. 4, Vers 7 und 13). Der Thron ganz ähnlich dem auf der Grautje bei Bonnat (Bode V. 318), die die Illustration zu Esther Kap. 8, Vers i bildet. Um 1645.

Zu Nr. 80 a. Stehender Greis. Dasselbe Modell, wie der Christus gegenübersitzende Apostel auf dem » Christus in Emmaus « bei Jacque- mart (Bode I. 9). Um 1629. Von H. de Groot erst um 1633 34 an- gesetzt.

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

341

Zu Nr. 80 b. Junge Frau mit breitem Hut und Stock. Der Stecher von B. 108, das Rembrandt sicher mit Unrecht zugeschrieben wurde, hat entweder diese Zeichnung, die selbst wieder vollkommen unrembrandtisch wirkt und eine Kopie Rembrandts nach einem italienischen Vorbilde sein dürfte, vor Augen gehabt oder vielleicht das Vorbild Rembrandts zu dieser Zeichnung. Vielleicht verwendet für die Esther auf Lippm. HdG. 100.

Zu Nr. 81. Der Engel im Hause des Tobias. Offenbar sowohl der Tobias als auch Hanna und der Engel dieselben Modelle wie auf dem »Tobias heilt seinen Vater« in Brüssel (Bode III. 216). Um 1636.

Zu Nr. 82. Die Abreise des jungen Tobias. In Zusammenhang zu bringen mit B. 43, Hanna und Tobias dieselben Modelle wie dort. Um 1641.

Zu Nr. 83. Zwei Frauen mit einem kleinen Kind. Siehe die Be- merkung zu Lippm. HdG. 92.

Zu Nr. 84. Junge Frau mit Schoßkind, den linken Fuß auf eine Stufe setzend. Wohl dieselbe Frau wie auf Lippm. HdG. 17.

Zu Nr. 86. Kuchenbäckerin. Offenbar ein Entwurf zu B. 124, da der stehende Junge hier dasselbe Modell ist, wie der zur Rechten der Alten auf der Radierung. Dasselbe gilt für HdG. 15. Um 1635.

Zu Nr. 88. Der Abschied, des jungen Tobias von seinen Eltern. Es erscheint unmöglich, mit Valentiner anzunehmen, daß wir zugleich auf dieser Zeichnung und auf dem »Gleichnis vom ungetreuen Knecht« im Wallace-Museum (Bode V. 339) den neunjährigen Titus zu erkennen haben. Offenbar müssen wir an der Hand dieser Zeichnung Valentiners Hypothese verwerfen, besonders, wenn man den Entwurf zu dem Gemälde im Wallace-Museum (Lippm. HdG. 78) heranzieht.

Zu Nr. 89. Die Verkündigung an die Hirten. Wohl in Zusammen- hang zu bringen mit der von Singer auf zu wenig verläßlicher Grund- lage verworfenen Radierung B. 44. Ein zweiter Entwurf, in dem das hier nur ganz schwach angedeutete Lichtproblem der Radierung schon ganz vorgebildet erscheint, ist die Zeichnung in München (Kat. H. de Groot Nr. 373). Um 1634. Von H. de Groot erst um 1650 angesetzt.

Zu Nr. 90. Winterlandschaft mit Bauernhäusern. Dürfte in Zu- sammenhang zu bringen sein mit der Kasseler »Winterlandschaft« (Bode V. 343). Man vergleiche besonders die Komposition der rechten Seite, die in beiden Fällen ganz ähnlich ist. Um 1646.

Zu Nr. 91. In Ohnmacht gefallene junge Frau. Offenbar Saskia. Man ziehe zum Vergleiche heran ihr Porträt bei Mrs. Joseph in London (Bode III. 154). Vielleicht Marienstudie für eines der Münchener Passionsbilder. Um 1635.

342

Fritz Saxl:

Zu Nr, 92. Maria das Christuskind einem morgenländischen Weisen zeigend. Offenbar dieselbe Frau und dasselbe Kind wie auf Lippm. HdG. 83. Da unsere Zeichnung, worauf H. de Groot hinweist, Studie zur »Anbetung« im Buckingham-Palast (Bode VI. 406) ist, so ist sie um 1657 entstanden. Valentiner glaubt in der Mariengestalt auf dem Gemälde Hendrickje zu erkennen, was man dann auch in diesen Zeichnungen müßte. Man ziehe die »Flora« bei Lord Spencer (Bode VI. 420) zum Vergleich heran.

Zu Nr. 93. Junger Mann mit warnend erhobener Rechten. Wohl ein Porträt des Jan Six. Besonders ist zum Vergleiche heranzuziehen Lippm. HdG. 53. Um 1647.

Zu Nr. 96. Junge Frau im Wochenbett. Dieselbe Frau wie B. 359. Um 1642.

Zu Nr. 97. Gruppe von fünf Männern auf und neben einem Katheder. (?) Offenbar ist »Hiob von seinen drei Freunden besucht« illustriert, da die Figur oben, wie auch sonst häufig bei Rembrandt, nur hinter einer Ballustrade steht und dem Vorgänge im Vordergründe zu- sieht. So findet sich dieses Kompositionsmittel auf B. 64, B. 65, B. 74, Lippm. HdG. 1 2 usw. Dasselbe Thema behandelt auch Lippm. HdG. II.

Zu Nr. 99. Christus erscheint der Maria Magdalena als Gärtner. Studie zum »Christus als Gärtner« im Buckingham-Palast (Bode III. 221), worauf H. de Groot hinweist, da der Christus dasselbe Modell ist wie auf dem Gemälde; auch die Türme des Hintergrundes sind ähnlich. Man vergleiche auch HdG. 6. Um 1638.

Zu Nr. 100. Mardochai vor Ahasver und Esther. Hier hat Rem- brandt Kopien wie Lippm. HdG. 44 für die Figur des Ahasver verwendet. Über die Figur der Esther siehe die Bemerkung zu Lippm. HdG. 80 b. Jedoch ist es ausgeschlossen die beiden Zeichnungen in dieselbe Zeit zu verlegen. Der Kopf von Lippm. HdG. 44 ist vielleicht für den Potiphar auf dem Gemälde »Joseph wird von Potiphars Weibe verklagt« in Berlin (Bode VI. 402) verwendet. Um 1655.

VII. Bemerkungen zu H. de Groot, Handzeichnungen Rembrandts, III. Folge, I. Lieferung.

Zu Nr. I. Halbfigur eines jungen Mannes. Studie zu dem Porträt eines jungen Mannes bei Henderson in London. Um 1652. Von H. de Groot erst 1660 1665 angesetzt.

Zu Nr. 2. Studie eines jungen Mannes. Möglicherweise Titus. Man vergleiche sein Porträt in Haigh-Hall (Bode VI. 441) vom Jahre wobei jedoch zu bemerken ist, daß es hier Rembrandt mehr um eine Licht- als eine Porträtstudie ankam. Um 1655.

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

343

Zu Nr. 3. Die Namengebung Johannes des Täufers. Zacharias ist dasselbe Modell wie der alte Tobias auf Lippm. HdG. 88, möglicherweise auch derselbe wie Lippm. HdG. 51. Um 1655. Psychologisch interessant ist, daß in dem Jahre, in dem diese Zeichnung entstanden sein dürfte, Rembrandt selbst ein Kind geboren wurde, Kornelia.

Zu Nr. 5. Studienblatt mit zwei Gruppen. Dieselbe Frau wie im Hintergrund von B. 194. Um 1646.

Zu Nr. 12. Mann mit Schnurrbart in Vorderansicht. Nach dieser Zeichnung scheint es unmöglich anzunehmen, daß B. 287 »eine gegen- seitige Kopie von Lievens nach einer eigenen Zeichnung « (Singer) ist. Es wäre zwar möglich, daß B. 287 von der Hand des Lievens ist, von Rembrandt aber gemäß der Aufschrift retuschiert wurde, jedoch sicher nach dieser oder einer ganz ähnlichen Zeichnung Rembrandts und nicht des Lievens, wofür auch die Retusche Rembrandts spricht, da die »Orien- talenköpfe« als Werke Rembrandts in die Welt gingen. Um 1633.

Zu Nr. 13.' Die Ankunft des barmherzigen Samariters. Rembrandt scheint, als er im Jahre 1648 dieses Thema behandelte (Grautje in Berlin und das Gemälde im Louvre [Bode V. 329 und 328]), zuerst die Kom- position ähnlich der des Gemäldes im Wallace Museum (Bode II. 123) vom Jahre 1633^) angelegt zu haben. Ein ähnlicher Vorgang bei Lippm. 184. Siehe die Bemerkung zu diesem. Daß die Zeichnung erst 1648 anzusetzen ist, dafür spricht außer dem Stil die große Ähnlichkeit des Samariters auf der Zeichnung und dem Gemälde im Louvre.

Zu Nr. 14. Judith mit dem Haupt des Holofernes. Eine ähnliche Tracht wie die der Judith findet sich auf B. 71. Um 1634.

Zu Nr. 15. Die Kuchenbäckerin. Siehe die Bemerkung zu Lippm. HdG. 86. Um 1635.

Zu Nr. 19. Zwei Frauen an einer Tür sitzend, eine dritte Person an die Türe gelehnt. Siehe die Bemerkung zu Lippm. HdG. 28 a.

Zu Nr. 21. Die Verspottung Christi. Vielleicht hat Rembrandt auf der Auktion im Februar 1638 (H. de Groot, Die Urkunden über Rembrandt Nr. 56) unter den »printjes van alborduer« auch das Titel- blatt zu der kleinen Passion (Bartsch 16) erworben, das er, worauf schon früher hingewiesen wurde, für die Christusgestalt verwendet hat. Dann wäre die Zeichnung 1638, vielleicht etwas später anzusetzen.

Zu Nr. 24. Die Verstoßung der Hagar. Dürfte in die Zeit der Pfauenstudie in Aynhoe-Park (Bode IV. 239) und der »Heimsuchung« beim Herzog von Westminster (Bode IV. 241) gehören, auf der ein ganz ähnlich verwendeter Pfau vorkommt, ein Motiv, das von Pieter Lastmann entlehnt sein könnte. Vergleiche z. B. das bei Lippm. HdG. 20 heran-

*) Respektive der von B. 90, was für die Echtheit dieser Radierung spricht.

344

Fritz Saxl:

gezogene Gemälde Lastmanns bei Delaroff in Petersburg. Vielleicht ist auch diese Zeichnung im Anschluß an eine Komposition Lastmanns ent- standen. So ist uns in einem Nachstich eine Zeichnung dieses Künstlers erhalten, die dasselbeThema wie Rembrandts Zeichnung behandelt. Um 1640.

Zu Nr. 25. Drei Schweine. Das Blatt gehört jedenfalls wie Lippm. i8ob in die Zeit der Radierung B. 157. Um 1643.

Zu Nr. 27. Junge Frau am Putztisch. Dieses Blatt ist Studie zu der » Jungen Frau am Putztisch « in der Ermitage (Bode V. 400). H. de Groot nimmt an (Repert. Bd. XIL), daß letzteres Gemälde eine eigen- händige Kopie Rembrandts nach dem Doppelporträt im Buckingham- Palast (Bode III, 158) ist; seiner Annahme nach soll Rembrandt, etwa aus Geldnotj das Doppelporträt verkauft und sich nur zur Erinnerung die Figur der Saskia herauskopiert haben. Vielleicht kann uns aber unsere Zeichnung, die im Verhältnis zu dem Gemälde gegensinnig ist, etwas anderes lehren. Der Meister dürfte ein zweites Mal, ohne zu kopieren, vielleicht sogar unbewußt, dieselbe Komposition angewendet haben, was deshalb wahrscheinlich ist, weil Rembrandt bei einer bloßen Kopie doch nicht erwogen hätte, ob er das Modell von links nach rechts oder umgekehrt sitzen lassen solle. Auch hat, wie der bedeutend kräftigere Körper der Zeichnung vermuten läßt, für diese gegensinnige Komposition nicht Saskia, sondern Hendrickje Modell gesessen. Wichtig ist ferner die Verwendung eines ganz neuen Hintergrundes, des in den späten Handzeichnungen häufig auftretenden Kamins und der Umstand, daß der Faltenwurf auf dem späten Porträt zwar dem auf dem Früh- werke ähnlich, jedoch wie in allen Werken der Spätzeit bedeutend ver- einfacht und ohne besondere technische Raffinements ausgeführt ist. Aus dem Gesagten folgt, daß wir nicht mit H. de Groot anzunehmen be- rechtigt sind, daß das Petersburger Bildnis eine Teilkopie des Londoner Doppelporträts ist. Es ergibt sich daraus aber auch, daß wir beide Werke, sowohl das Londoner Doppelporträt, als auch das Petersburger Einzelbildnis, im Oeuvre Rembrandts zu belassen haben und daß man vollends nicht berechtigt ist, wie dies auch schon versucht wurde, das Londoner Bildnis als von fremder Hand angefertigte Kopie des Peters- burgers hinzustellen. Um 1654.

Zu Nr. 28. Interieur mit Wendeltreppe in der Mitte. Dieses Interieur scheint eine Ecke aus Rembrandts Behausung darzustellen, da sie öfters in den Gemälden Rembrandts wiederkehrt, z. B. auf den beiden »Philosophen« des Louvre (Bode II. 1 21 und 122) und dem »Tobias heilt seinen Vater« in Brüssel (Bode III. 216). Um 1635.

Zu Nr. 32. Stehender Mann in ganzer Figur in Schützenkostüm. Vielleicht derselbe wie HdG. i. Siehe die Bemerkung zu diesem Blatte.

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

345

1650 verwendet Rembrandt zweimal, in den Selbstporträts in London, Lady von Rothschild und in Cambridge (Bode V. 346 und 348), den Zweihänder, wie auf diesem Blatte. Um 1650 1655.

Zu Nr. 33. Studienblatt, der Kopf eines Mädchens viermal ge- zeichnet. Das Mädchen ist bestimmt Hendrickje. Man ziehe zum Ver- gleich heran die Studie zur Berliner Susanna bei Bonnat in Paris (Bode V. 323). Möglicherweise ist die Rückansicht des Kopfes verwertet für die stehende Frau mit dem Kinde auf dein Arm in B. 74. Um 1645. Von H. de Groot um 1635 angesetzt.

Zu Nr. 34. Abschied Davids von Jonathan. Für den Jonathan hat Titus Modell gestanden. Vergleiche besonders HdG. 37. Um 1655. Zieht man Lippm. 108 heran, so ist möglicherweise das Blatt noch später anzusetzen.

Zu Nr. 37. Der junge Tobias nimmt den Fisch aus. Wohl, nach dem Alter des Titus zu schließen, nicht vor 1655. Bei Valentiner 1650 bis 1653 angesetzt. Vielleicht erst um 1660 entstanden. Vergleiche das Porträt in Belvoir-Castle (Bode VI. 446) von 1660.

Zu Nr. 39. Der Engel befreit Petrus aus dem Gefängnis. Eine ähnliche gewappnete Figur finden wir auf HdG. 16 und auf dem »Petrus unter den Knechten des Hohenpriesters« bei von der Heydt in Berlin (Bode I. 5). Offenbar bildete diese Rüstung einen Bestandteil der Kostümkammer Rembrandts; vielleicht Nr. 167 des Rembrandtschen Inventares (Zählung H. d. Groot) von 1656, da sonst weder in diesem Inventar noch in dem von Rembrandts Nachlaß sich eine vollständige Rüstung aufgezählt findet.

Zu Nr. 40. Die Findung Mosis. Wohl ein erster Entwurf zu dem Gemälde gleichen Inhaltes in Philadelphia (Bode III. 195)* Um 1635.

Zu Nr. 41. Porträtstudie einer jungen Frau. Dasselbe Mädchen wie auf den Porträts in Senlis (Bode VIII. 588), Köln (Bode V. 374) bei Turner in London (Bode V, 373), die bei Valentiner in der Auf- zählung der Porträts der Hendrickje vielleicht nur übersehen sind, da man nicht die Verwendung Hendrickjes als Modell für die Studie zur Berliner »Susanna im Bade« bei Bonnat in Paris (Bode V. 323) zugeben kann, ohne in dem Kölner und Senliser Bildnis ebenfalls ihr Porträt zu erblicken. Nicht ganz so sicher dagegen erscheint es, ob wir in dem bei Turner und in dieser Zeichnung Hendrickje zu erblicken haben.

Zu Nr. 43. Sitzende Frau mit Kind im Schoß. Dieselbe Mutter mit Kind findet sich auch auf einem Blatt im Dresdner Kupferstich- kabinett (reproduziert von Woermann, Handzeichnungen Alter Meister im Kupferstichkabinett in Dresden, VIII. Lieferung Nr. 318). Um 1655.

346

Fritz Saxl:

Zu Nr. 45. Die Verkündigung an die Hirten. Gehört zu Lippm. HdG. 89. Siehe die Bemerkung zu diesem. Um 1635.

Zu Nr. 46. Daniel in der Löwengrube. Nimmt man mit Valentiner HdG. 10 und HdG. 22 als Porträts des Titus an, so muß man auch hier in dem Daniel Titus erkennen. Man vergleiche auch B. ii. Um 1655.

Zu Nr. 47. Alte Frau mit kleinem Kind in einem Ammenkorb. Die Annahme Valentiners, in der Dargestellten Geertje Dircx zu erkennen, wird dadurch gestützt, daß das Kind offenbar Titus ist. Man ziehe zum Vergleiche Lippm. 45 heran. Siehe die Bemerkung zu diesem. Um 1643.

Zu Nr. 48. Bärtiger Mann mit hoher Mütze im Lehnstuhl einge- schlafen. Möglicherweise derselbe Alte wie der sog. »Rabbiner« bei Yerkes in New York (Bode III. 202). Um 1635.

Zu Nr. 49. Gott und die Engel erscheinen Abraham. Gehört dem Stil nach zu Lippm. HdG. 94. Die besonders merkwürdige kniende Figur besprochen bei HdG. 63. Um 1650.

Zu Nr. 50. Der barmherzige Samariter. Gehört zu Bode V. 328 und 329 im Louvre und in Berlin, die dasselbe Thema behandeln. Siehe die Bemerkung zu HdG. 13. Um 1648.

VIII. Bemerkungen zu H. de Groot, Handzeichnungen Rembrandts III. Folge, 2. Lieferung.

Zu Nr. 51. Die Verkündigung. Für Maria Hendrickje als Modell verwertet Vergleiche ihr Porträt auf der »Anbetung der Könige« im Buckingham-Palast (Bode VI. 406). Um 1657.

Zu Nr. 52. Philosoph. Gehört in die Zeit des Porträts des sog. Jan Sylvius bei Carstanjen in Berlin (Bode IV. 290) von 1645. Viel- leicht dasselbe Modell wie der Joseph auf dem »Traume Josephs“ in Berlin (Bode IV. 228). Um 1645.

Zu Nr. 53. Jupiter und Antiope. Offenbar ist dieses feine Körperchen Hendrickje. Vielleicht ein erster Entwurf zu B. 203, in dem Valentiner auch die Verwendung der Hendrickje als Modell für die Antiope annimmt. Um 1659.

Zu Nr. 56. Zwei stehende Orientalen. Der rechts stehende Orien- tale erinnert an den Potiphar auf dem Gemälde »Joseph wird von Potiphars Weib verklagt« in Berlin (Bode IV. 248), bezeichnet 16553). Die Zeichnung vielleicht um dieselbe Zeit anzusetzen.

3) Auch derselbe wie der Potiphar der neu entdeckten Rembrandtzeichnung in Oldenburg. [Siehe zu dieser den Artikel Waldmanns in den Monatsheften für Kunst- wissenschaft, Mai 1908.] Er ist nicht mit dem Orientalen von Wrmn. 31 1 identisch, wie Waldmann angibt.

Zu einigen Handzeiclinungen Rembrandts.

347

Zu Nr. 58. Sitzender Greis in einer Landschaft. Der Engeltypus ist derselbe, wie der des zweiten Tobiaszyklus, in dem wir für den jungen Tobias nach Valentiner Titus als Modell verwendet finden. Da- her auch diese Zeichnung vielleicht um 1655.

Zu Nr. 60b. Baarhäuptiger Greis, der beide Hände auf ein Buch stützt, links Kopf mit Turban. Zu der Greisenfigur siehe die Bemerkung zu Lippm. 158.

Zu Nr. 61. Vier Männer bei einem Kranken am Boden liegenden Kind. Derselbe Kamin wie hier findet sich auf Lippm. 147 und anderen Zeichnungen Rembrandts häufig. Eine ähnliche Zeichnung befindet sich in Dresden (Kat. H. de Groot 229) »die Auferweckung der Tabitha durch Petrus« (Repr. bei Woermann, Handzeichnungen Alter Meister im Kupferstichkabinett in Dresden Nr. 328). Wie diese Zeichnung um 1655 1660.

Zu Nr. 63. Der wunderbare Fischzug. Eine ganz ähnliche Gestalt, die auf die Knie fällt, findet sich auf B. 87 und B. 89. Um 1650.

Zu Nr. 65. Mucius Scaevola. Diese Zeichnung fällt sicher in die Zeit vor Rembrandts Kopien nach indisch-islamitischen Miniaturen. Das zeigt deutlich die Figur des Porsenna. Vielleicht um 1635, da auch nach dieser Periode Rembrandt immer seltener seine Vorwürfe der Antike entlehnt.

Zu Nr. 69. juda und Thamar. Juda dürfte dasselbe Modell sein wie der Greis auf dem Porträt bei Gould in New York (Bode V. 376). Um 1650.

Zu Nr. 71. Christus wandelt auf dem Meer und ruft Petrus zu sich. Dürfte dem Stil nach zu HdG. 63 gehören. Petrus ist derselbe Typus wie auf der »Verleugnung Petri« in der Ermitage (Bode VI. 405). Um 1655.

Zu Nr. 73. Sitzende Frau, die den Kopf auf die linke Hand stützt. Offenbar Hendrickje. Zum Vergleiche heranzuziehen das Bildnis im Basildon-Park (Bode V. 351). Um 1652.

Zu Nr. 77. Der Judaskuß. Sowohl Christus als Judas sind dem Typus nach identisch mit dem auf den Stock gestützten Mana im Hintergründe von B. 86. Um 1654.

Zu Nr. 79. Entwurf für das Porträt eines Bildhauers. Nach H. de Groot finden wir denselben Helm auf der Sog. »Pallas Athene« in der Ermitage (Bode VI. 419) wieder. Der Jüngling hier ist der- selbe wie auf dem Porträt bei Warneck in Paris (Bode VI. 474)- Um 1657.

348

Fritz Saxl:

Zu Nr. 8oa. Reitergruppe von hinten gesehen. Dieselbe Gruppe wie auf Lippm. 173b. Siehe die Bemerkung zu diesem Blatt. Um 1636.

Zu Nr. 80 b. Junge Frau von links nach rechts am Boden liegend. Dieselbe Frau wie Lippm. HdG. 65. Siehe die Bemerkung zu diesem. Um 1655.

Zu Nr. 81. Zwei stehende Juden, links ein Paar, das sich ent- fernt. Der Linksstehende von den beiden Juden dürfte derselbe sein wie der »Rabbiner« der Budapester Nationalgalerie (Bode IV. 293); der Rechtsstehende ist derselbe wie auf dem Petersburger Greisenporträt (Bode IV. 295). Verwertet in B. 126 für die beiden rechtsgehenden Männer- Um 1645.

Zu Nr. 82. Mars und Venus werden von Vulcan den versammelten Göttern des Olymps gezeigt. Vielleicht findet sich bei Revidierung des Oeuvres von Pieter Lastmann eine Komposition, die für diese Zeichnung vorbildlich war, da ähnlich angelegte Kompositionen Lastmanns und seines Kreises nichts Seltenes sind. Die Anregung zu diesem Thema dürfte Rembrandt jedenfalls von ihm empfangen haben. Um 1635.

Zu Nr. 83. Die Heilung des alten Tobias. In Verbindung zu bringen mit dem »Tobias heilt seinen Vater« in Brüssel (Bode III. 216). Um 1636.

Zu Nr. 85 a. Gruppe von Juden am Eingang des Tempels. Ver- wertet in B. 49. Um 1639.

Zu Nr. 87. Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht. Siehe die Be- merkung zu Lippm. 106. Um 1657.

Zu Nr. 88. Die Aufrichtung des Kreuzes. An dieser Zeichnung erkennt man noch deutlicher als an dem fertigen Gemälde, zu dem nach H. de Groot diese Zeichnung Vorstudie ist, der »Kreuzabnahme« in München (Bode II. 124) den Zusammenhang mit dem Gemälde gleichen Inhalts von Rubens in der Antwerpener Kathedrale. Man be- achte besonders den Mann rechts, der am Seile zieht. Dieser ist zwar von Rubens entlehnt aber dennoch von Rembrandt ganz anders gestaltet worden. Um 1633.

Zu Nr. 89. Studienblatt mit vier Männerköpfen. Der Profilkopf unten ist nach demselben Modell wie der in der Ecke rechts oben stehende Mann auf Lippm. 2. Siehe die Bemerkungen zur Datierung dieses Blattes. Um 1635.

Zu Nr. 93. Boas schüttet seine Gerste in den Schleier Ruths. Dieselben Modelle wie auf dem »Opfer Manoahs« in Dresden (Bode IV. 243)- Vergleiche auch die Bemerkungen zu Lippm. 51. Um 1641.

Zu Nr. 95. Weiblicher Akt. Bei Valentiner in der Aufzählung der Akte nach Hendrickje ausgelassen. Darüber, daß wir es hier mit

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

349

Hendrickje zu tun haben, kann kein Zweifel herrschen. Man ziehe zum Vergleiche das Gemälde im Louvre heran »Venus und Amor« (Bode VI. 439). Um 1660.

Zu Nr. 96. Rabbiner (?) an einem Tisch. Daß wir es hier mit einem »Rabbiner« zu tun haben, wie H. de Groot annimmt, ist unwahr- scheinlich. Der Dargestellte ist ein orientalischer Fürst. Dies wird klar, wenn wir eine Zeichnung des Dresdener Kupferstichkabinettes heran- ziehen (reproduziert bei Lippm. 96), die allerdings von H. de Groot nicht als von Rembrandt selbst anerkannt wird, das »Urteil Salomos«. Dort ist Salomo fast genau so wiedergegeben wie auf unserem Blatte. Einen weiteren wichtigen Gegenbeweis gegen die Ansicht H. de Groots bildet eine Zeichnung Ferdinand Bois im Amsterdamer Kupferstich- kabinett (reproduziert bei E. W. Moes, Handzeichnungen alter Meister im Amsterdamer Kupferstichkabinett, Lieferung 9—10), das, obwohl sicher nach dieser Zeichnung Rembrandts entstanden, einen orien- talischen Fürsten darstellt. Um 1635.

Zu Nr. 97. liegender Löwe, nach rechts. Siehe die Bemerkung zu Lippm. 150b.

Zu Nr. 99. Jael schlägt Sisera den Nagel in den Kopf. Für Jael scheint Titus als Modell gedient zu haben. Um 1655.

Zu Nr. 100. Das Wunder des Propheten Elisa. Elisa ist dasselbe Modell wie der Jakob auf dem Gemälde der Ermitage »Josephs Rock« (Bode V. 340). Um 1650.

Konkordanztabelle der Nummern, unter welchen die in den drei Folgen Lippm., L. HdG. und HdG. reproduzierten Handzeich- nungen Rembrandts im beschreibenden und kritischen Katalog der Hand- zeichnungen Rembrandts von Hofstede de Groot angeführt sind.

Um beispielsweise zu erfahren, wo Lippm. 53 im kritischen Kätalog vorkommt, muß man diejenige Ziffer nachsehen, die in der zweiten mit Lippm. überschriebenen Kolonne an der Stelle steht, an der sich in der ersten Kolonne die Nummer 53 befindet.

Insoweit unter einer Nummer in einer der drei Folgen mehrere Hand- zeichnungen Vorkommen, z. B. L. HdG. 6ia, 6ib, 6ic, ist zur Raumersparung die Unterbezeichnung (a, b, c) vor die entsprechende Nummer des kritischen Kataloges gesetzt worden.

Wo bei einer der reproduzierten Zeichnungen keine Nummer des kritischen Kataloges angegeben ist, ist, nach gütiger Mitteilung H. de Groots, entweder die Zeichnung seiner Ansicht nach nicht von Rembrandt oder die Sammlung, in der sie sich befand, ist zerstreut, wodurch die Zeichnung nicht aufgeführt werden konnte.

350

Fritz Saxl:

Konkordanztabelle.

Lippm.

L. HdG.

HdG.

Lippm.

j L. HdG.

HdG.

I

98

708

632

41

1039

fa 904

2

157

751

632

\b 902

1279

3

56

747

601

42

1056

92

1257

4

170

759

652

43

1053

901

1298

5

72

1236

647

44

1027

930

1297

6

99

1234

61 1

45

1013

895

1266

7

129

1231

664

46

1019

933

1262

8

149

1334

657

47

984

298

1360

9

140

834

607

48

Ja 142

IO

1592

634

1023

|b 316

^358

1 1

75

1548

662

49

1023

288

1345

I 2

171

1554

629

50

1060

233

1350

13

169

1556

605

51

830

1242

777

14

169

1612

599

52

831

1245

783

15

71

1567

643

53

835

1235

780

16

158

1573

595

54

836

1237

785

17

52

1595

816

55

843

1337

781

18

159

1569

769

56

844

1238

19

49

^55^

739

57

845

[a

20

81

45

683

|b 105

779

2 I 22

133

31

1173

1205

697

723

58

846

ja 35 \h 77

782

23

141

1159

761

59

847

18

24

25

65

62

1178

1194

665

749

60

848

16

Ja 784 \b -

26

100

1180

680

fa 965

27

26

I 2o2

803

61

849

jb 166

28

93

[aii93

812

62

Ic 170a

\bi174

850

945

29

102

faii83

791

63

851

763

778

[b 1190

64

837

770

30

89

Ja 1038

Ja 804

65

852

995

621

|b 1046

\b 805

66

853

1026

608

31

36

lOoO

794

67

838

1006

776

32

33

164

66

fai045

\b1052

985

800

806

68

69

854

855

1028 Ja 1009 |b 1 207

672

789

34

131

91

1256

70

856

1160

1095a

35

168

Ja 146

807

71

839

1188

1120

167

|b 108

72

857

1184

1126

36

990

799

73

857

1185

1123

37

38

165

1040

60

Ja 1007

1265

1249

74

840

1 206

ja 1125 \b I I 27

[b 130

75

858

1175

1517

39

40

991

1055

74

117

1277

1251

76

829

Ja 1 176 \b 1 191

1347

Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

351

Lippm.

L. HdG.

HdG.

77

828

1179

1353

78

833

1172

1352

79

832

121 1

1357

80

859

fa 1182

fa 1355

|b I 189

lbi359

81

860

1163

1324

82

fa 842 \b 841

1164

1219

83

861

1195

1215

84

1050

1196

1208

1216 fa 12 26

85

1024

\b 1 2 1 7

86

1033

1198

1230

87

1032

1199

1213

Lippm.

L. HdG.

HdG.

88

988

1263

1362

89

998

1267

1363

90

999

1309

1315 |a 1314

91

1031

1272

|bi307

92

lOI I

1268

1280

93

996

1291

1254

94

994

1 246

1255

95

229

1269

1303

96

1299

1284

97

206

1302

1304

98

240

1270

1305

99

297

1275

1253

100

302

1260

1243

Lippm.

Lippm.

lOI

865

127

1063

153

102

891

128

1546

154

103

890

129

fa 925

130

1597

155

104

\b 963

131

1596

156

105

873

132

346

157

106

868

133

345

158

107

881

134

344

159

108

871

135

342

160

109

923

136

241

161

I IO

939

137

221

III

919

138

197

162

I 12

884

139

251

II3

949

ja 309

163

114^

877

\b 306

164

950

141

165

I 16

929

142

166

II7

924

143

1037

167

II8

948

144

168

II9

894

145

686

169

120

896

146

657

1 70

I 2 I

898

147

694

171

122

966

148

fa 272

172

123

937

\b

124

fa 957 Ib 958

149

ja 827

173

ja 905

150

\b 826

174

125

\b 922

151

682

175

126

875

152

615

176

Lippm.

600 fa 641 |b 604

177

178

179

591

609

659

613

644

584

fa 623 \b 627 fa 624 fb 597 656

757

1319

1327

1318

1322

1321

1320

fa 687 \b 704 fa 710 \h 710 670

693

677

180

181

182

183

184

185

186

187

188

189

190

191

192

193

194

195

196

197

198

199

200

Lippm.

766

666

709

{a 722 b 748 684 685 679

989

1016 1049 fa 1008 |b 997 fa 987 [b I o 1 2 fa 1044 |b 1048 885 533 fa 532 \b 528 76 34

85

lOI

46

70

73

55

352

Fritz Saxl: Zu einigen Handzeichnungen Rembrandts.

Nachträge.

Zu Lippm. 93. Ist für die »Hanna im Tempel« in der Bridge- water Galerie (Bode V. 325) sowie für das Kniestück in der Ermitage (Bode V. 369) Geertje als Modell verwendet, so haben wir sie auch in dem nur mehr in einem Schabblatt von Houston erhaltenen Porträt (reproduziert Bode VIIL Anhang Abb. XVIII) zu erkennen.

Zu Lippm. 158. Bei der Abteilung: In Gemälden sind einzuschalten: 1630 Lesender Eremit im Louvre (Bode VIIL 557), Brustbild eines niederblickenden Greises, reproduziert von van Vliet (Bode, Anhang IX).

Derselbe Kopf kehrt auch in den Werken der Schüler Rembrandts wieder, z. B. auf dem »Segen Isaaks« im Rijksmuseum (Kat. 1904 Nr. 927) von Govaert Flinck.

Grünewalds Stuppacher Bild und die Mainzer Liebfrauenkirche.

In dem Aufsatz »Ein Beitrag zu Mathias Grünewald« (k. i. K. XXXI S. 315 ff.) bespricht Mela Escherich eine Beobachtung, die ich vor einiger Zeit in der Frankfurter Zeitung (1908 Nr. 70, i. Mgbl.) ver- öffentlicht habe. Ich hatte von der Ähnlichkeit des Kirchen-, nament- lich des Portalbaues auf dem Stuppacher Bild mit S. Maria ad gradus in Mainz gesprochen und bedauert, daß mein Urteil sich nur auf Ab- bildungen der Kirche nach 1793 stützen könne. 1793 ist die Kirche nämlich von den Franzo'sen in Brand geschossen worden und blieb als Rumpf stehen, bis sie 1803 abgetragen wurde. Die Verfasserin hält mir eine Abbildung aus 1782, ehemals in des Prälaten Friedrich Schneider Besitz, vor (mitgeteilt auch von Julius Baum in »Die Mainzer Hallen- kirchen«, Schneider-Festbuch 1907.). Das Bild ist mir, wie ich versichern kann, nicht vollkommen unbekannt gewesen. Aber es fördert die Ent- scheidung der Frage, ob Grünewald Motive der Liebfrauenkirche benutzt habe, nicht. Es kommt bloß auf die Abbildungen der Kirche aus der Zeit vor 1715 an. Damals wurden die charakteristischen Stufen des Portals, die sich wohl bis 1715 unverändert erhalten hatten, umgebaut. Von 1715 bis zu ihrer Abtragung dagegen wurde, soviel ich feststellen konnte, nichts Wichtiges mehr an der Kirche gebaut. Die Beschießung in 1793 hat zwar den Turm zerstört und die Kirche ausgebrannt, aber sonst am Gesamtbild, namentlich auch des Portals nichts Wesentliches verändert. Lediglich daß mir Bilder aus der Zeit vor dem Umbau von 1715 unbekannt seien, habe ich in der kleinen Zeitungsnotiz zu sagen gemeint und, wie ich glaubte, auch gesagt.

Franz Rieffel.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

24

Literaturbericht.

Kunstgeschichte.

Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Herausgegeben von Dr. Ulrich Thieme und Dr. Felix Becker. Erster Band. Aa Antonio de Miraguel. Leipzig, Wilhelm Engelmann, 1907.

Die Vorgeschichte dieses Werkes ist nicht unbekannt. In jenen Tagen, da die deutschen Kunsthistoriker sehr stolz waren auf ihre »junge Wissenschaft«, um 1870 beschlossen sie, das veraltete (übrigens heute noch unentbehrliche) Naglersche Kün&tlerlexikon umzuarbeiten, eigentlich ein neues ideales Lexikon herzustellen. Diese neue Ausgabe wurde auf drei Bände gebracht, während die Herausgeber und Mitarbeiter wechselten. 1872 erschien der erste Band, 1878 der zweite, 1885 der dritte. Bei solchem Fortgang hätte die Publikation über 100 Jahre in Anspruch genommen. H. v. Tschudi, der als Mitherausgeber des 3. Bandes gezeichnet hat, versuchte das Unternehmen verständig einzu- schränken, um es lebensfähig zu erhalten. Das Ableben des Verlegers hatte den völligen Stillstand zur Folge. 1895 faßte Ulrich Thieme den Gedanken, die Arbeit wieder aufzunehmen. Nach eingehender Prüfung der Sachlage entschloß er sich von vorn anzufangen, an den abgerissenen Faden nicht anzuknüpfen. Dieser Entschluß war notwendig, weil Thieme, der sich an v. Tschudis Reformgedanken hielt und das wertvolle von Dr. Laban ausgearbeitete Material an Literatur- nachweisen übernahm, einen Plan aufstellte, der von dem ursprünglichen Plan gar zu weit abwich. Die Erfahrung lehrte, daß die Publikation nicht allein an der Unpünktlichkeit der Mitarbeiter, an menschlichen Unzulänglichkeiten aller Art gescheitert war, sondern daß die Anlage prinzipiell fehlerhaft war. Man hatte so wenig erreicht, weil man zu viel gewollt hatte. Man hatte sich, das besondere Wesen und die be- sondere Aufgabe eines Lexikons nicht klar gemacht.

Thieme besaß Takt und Augenmaß genug, um, wie schon v. Tschudi nach den trüben Erfahrungen beabsichtigt hatte, die Arbeit anders ab- zugrenzen. Meyers Lexikon war eine Sammlung von Monographien. Jede Monographie sollte, möglichst von dem besten Spezialisten ver-

Literatürbericht.

355

faßt, das Thema vollkommen erschöpfen, mit einem Verzeichnis aller Arbeiten jedes Meisters (man stelle sich etwa den Rubens-Artikel vor!). Wenn man dieses Lexikon, dessen Erscheinen von den Launen, der Gesundheit und Arbeitsmöglichkeit vieler Kunstforscher abhängig war, wider alle Wahrscheinlichkeit fertiggestellt hätte, wäre es ein Monstrum geworden; beim Erscheinen der letzten Bände wären die ersten veraltet gewesen (wenn nicht infolge des schlechten Papiers schon in Staub zerfallen).

Thiemes Programm, von dem der erste jetzt vorliegende Band eine Vorstellung gibt, wird der speziellen Aufgabe eines Lexikons weit besser gerecht als der ältere Plan. Vollständigkeit der Künstlernamen ist mit aller Energie erstrebt. Auf . Literaturnachweise ist der größte Wert gelegt. Dagegen ist auf abschließende Darstellung, ästhetische Würdigung, auf vollständige Verzeichnisse der Arbeiten verzichtet. Der Text ist viel knapper geworden. Der Aldegrever-Artikel z. B. umTaßte bei Meyer 30 Spalten, hier 5! Die Möglichkeit ist gegeben, die Arbeit im Herausgeberbureau zu fördern. Das Mitarbeiten der Spezialisten (300 Herren werden genannt!) ist gewiß erwünscht, aber die Herausgeber müssen in der Lage sein, sich von jedem Mitarbeiter unter Umständen zu emanzipieren. Hoffentlich bewährt sich die Organisation mit Unter- redakteuren, die für diese oder jene Gruppe von Künstlern verantwort- lich sind.

Zum Lobe des ersten Bandes sei nur gesagt, daß kein vorhandenes Künstlerlexikon,* auch das Meyersche nicht, so inhaltsreich, so über- sichtlich und so korrekt ist. Nach P'ehlern habe ich nicht gefischt. Einem solchen Unternehmen gegenüber auf Einzelheiten hinzuweisen, die man zufällig besser weiß, scheint mir recht läppisch zu sein.

Als einzige Sorge bleibt die Frage, ob das Werk nicht auch jetzt noch zu groß angelegt sei. Mit 600 Seiten reicht der erste Band bis Antonio! Das Bestreben aller Beteiligten muß dahin gehen, das Unter- nehmen zu Ende zu führen. Das Ganze, wenn auch lückenhaft und mit Fehlern, wird unvergleichlich wertvoller sein als der schönste, in den Einzelheiten tadellose Torso. Es handelt sich um einen Index der gesamten Kunstliteratur. Fast alle Mitarbeiter des ersten Bandes haben sich die dringlich nötige Selbstbeschränkung auferlegt und es unterlassen, mit Geist und Auffassung an unpassender Stelle zu glänzen. Viel hätte noch knapper gefaßt werden können, manches an und für sich Gute im Interesse des Ganzen geopfert werden sollen.

Vor allem gilt es den Herausgebern für die gewaltige Arbeits- leistung, die in der vorbereitenden Organisation liegt, zu danken und weitere Kreise in allen Ländern auf das unvergleichliche Nachschlage-

24

356

Literaturbericht.

werk aufmerksam zu machen, damit der Absatz sich lohnend gestalte, der Verleger nicht den Mut verliere. Dann wird das Schmerzenskind der deutschen Kunsthistorie vielleicht doch noch gedeihen.

Friedländer.

Alois Riegl. Die Entstehung der Barockkunst in Rom. Aka- demische Vorlesungen. Aus seinen hinterlassenen Papieren heraus- gegeben von Arthur Burda und Max Dvoräk. Wien, Anton Schroll & Co.

Daß es in der Kunstgeschichte vornehmlich auf das Sehen ankomme, heißt noch nicht, daß man das Denken vermeiden müsse. Die neuere kunstgeschichtliche Literatur ist allerdings so begriffsarm, daß ein Ge- lehrter wie Riegl als weithin sichtbare Ausnahme wirkt. Und insofern ist es gewiß begreiflich, wenn jetzt aus seinem Nachlaß das Heft einer vielgehörten Vorlesung über italienischen Barock veröffentlicht wird. Ob Riegl selbst damit einverstanden gewesen wäre? Es ist doch eine be- denkliche Metamorphose, wenn Kollegnotizen (und seien es auch mehr- fach überarbeitete) plötzlich zum Buch geprägt vor der Welt erscheinen. Die Herausgeber haben sich gewiß alle Mühe gegeben, die »flüchtig hin- geworfenen, ungefeilten Notizen« zum lesbaren Text zusammenzuknüpfen, allein selbst wenn man die Gedankenarbeit als abgeschlossen annehmen könnte, bleibt ein Widerspruch in der Behandlung bestehen: eine Vor- lesung darf wohl demonstrierend von Bild zu Bild weitergehen und durch Wiederholung derselben Beobachtung das Allgemeine gewinnen, gedruckt wirken solche Ausführungen bald ermüdend; selbst wer das Material kennt das Rieglsche Buch enthält gar keine Abbildungen , wünscht mehr Zusammenfassung, Gruppierung, Gliederung in These und Beweis.

Schon die Kapiteleinteilung trägt nicht dazu bei, den Leser rasch zu orientieren. Kap. i: Das Werden des Barockstils behandelt Michelangelo als Plastiker und Maler, Correggio und dann noch Michel- angelos Leistungen im Profanbau (mit einer in usum delphini einge- schobenen Vorgeschichte des florentinisch-römischen Palastbaues), dann folgt unerwartet nach neuem Einteilungsgrund Kap. 2: Der Kirchenbau, wo wesentlich von S. Peter die Rede ist, und dann ein 3. Kap. mit der Überschrift: Die Baukunst von 1550 1630, ein- geleitet durch zwei Betrachtungen über Serlio und über die wechselnde Schätzung der Antike, in der Hauptsache aber die Analyse der Kirchen und Profanbauten des Vignola, Giac. della Porta, Dom. Fontana und Carlo Maderna enthaltend. Daran schließt sich Kap. 4 : Die Skulptur der Gegenreformation, Kap. 5: Die Malerei der Gegenrefor-

Literaturbericht.

357

mation (Die Manieristen und die Bolognesen) und davon wieder ge- trennt als besonderes 6. Kap.: Der Naturalismus (Caravaggio).

Wenn man über eine so irrationelle Disposition des Ganzen sich billig wundert, so ist es weniger merkwürdig, wenn im einzelnen die Beobachtungen in ganz lockerem Nebeneinander vorgebracht sind. Das liegt so in der Natur des demonstrierenden kunsthistorischen Vortrags. Hätte Riegl den Stoff zu literarischer Darstellung bringen wollen, er würde ihn gewiß fester geformt haben. Jetzt finden sich nur stellen- weise Anläufe zu einem strafferen Zusammennehmen der Gesichtspunkte, und es bleibt eine mühsame Sache zu erfahren, wie sich ihm der Ba- rock als Gesamtphänomen dargestellt hat.

Seine Begriffe sind keine prinzipiell neuen, und wo es so scheint, da liegt das Neue mehr im Wort als in der Sache (wie bei der auch anderswoher bekannten Rieglschen Terminologie »taktisch« und »optisch« im Sinne von »plastisch« und »malerisch«), aber er ist ein feiner und sorg- fältiger Analytiker und fördert so doch manche überraschende Beobachtung zutage. Vor allem ist es lehrreich, wie er die Untersuchung gleich auf den Boden der gesamten bildenden Kunst gestellt hat. Das »Warum?« der ganzen Erscheinung bleibt freilich auch auf dieser Basis unbeantwortet.

Alles in allem: Die Publikation dieser Papiere wird denen am schätzbarsten sein, die Riegl als Lehrer gekannt haben, das Buch an sich gehört einer literarischen Zwischengattung an, von der man nicht wünschen kann, daß sie sich vermehre. Es ist keine Geschichtschrei- bung, dazu fehlt ihm abgesehen von der Anlage die suggestive Kraft der Charakteristik von Personen und Sachen, es ist aber auch keine richtige stilanalytische Arbeit, dazu ist es zu wenig systematisch.—

Ich notiere zum Schluß einige auffällige Sprachwidrigkeiten: Gänze (S. Si), Anwert (S. 99), Einbekenntnis (S. 201).

H. Wölfflin.

Architektur und Skulptur.

Italienische Architektur und Skulptur. Jahresübersicht 1906.

L’Arte beginnt ihren IX. Band (1906) mit einem Artikel E.Mauceris über Kunstdenkmäler in einigen abseits gelegenen Orten Siziliens (Monu- menti di Militello, Piazza Armerina ed Aidone, pag. i 18). Militello bewahrt das mit figürlichen Bildwerken reichgeschmückte Portal der Kirche S. Maria della Stella vom Jahre 1506. Der Verfasser sieht in ihnen die Hände der Nachfolger von Dom. Gagini und Franc. Laurana (die Qualität der mitgeteilten Reproduktionen gestattet nicht, sich über diese Attributionen ein Urteil zu bilden). Ferner den Sarkophag von

358

Literaturbericht.

Blasco Barresi (f 1476) und einen großen Presepioaltar in Robbiaarbeit, eine zum großen Teil identische Replik des Altars in S. Chiara zu Borgo Sansepolc.ro. Im Kloster S. Giovanni findet sich ein Marmorrelief des Pietro Speciale, das übereinstimmend von allen, die sich jüngst mit Fr. Laurana näher beschäftigt haben, ihm zugeteilt wird. Aus dem Dom- schatz von Piazza Armerina publiziert Mauceri mehrere quattrocendstische Goldschmiedearbeiten, darunter ein Reliquiar von 1405, noch durchaus gotischen Stils, bez. als Arbeit eines »Simon de Aversa«, endlich aus Aidone einige Baudenkmäler romanischen Stils. Einen zweiten Artikel (pag. 185 192) widmet Mauceri den Denkmälern von Randazzo, das seinen mittelalterlichen Charakter unverfälscht bewahrt hat. Die Schätze seiner Kirchen sind reich an Goldschmiedearbeiten des Quattro- und Cinquecento, die uns die Namen einheimischer Künstler enthüllen, sowie an Werken dekorativer Skulptur (Ciborium in S. Martino, Taufbecken ebendort und in S. Niccolö). Aber auch bedeutende figürliche Bildwerke fehlen nicht: es sei nur auf die sitzende Statue des h. Nikolaus in der ihm geweihten Kirche, einem der charakteristischesten Werke Antonio Gaginis, und auf die Marmorstatue der Madonna in S. Maria di Gesii von einem Nachfolger Lauranas hingewiesen.

P. To es ca (Ciraeli bizantini, pag. 35— 44) publiziert aus dem Dom- schatz von Padua ein der Forschung bisher entgangenes rundes silbernes Tintenfaß mit getriebenen griechischen Göttergestalten ringsum geschmückt, das er dem 9. oder 10. Jahrhundert zuteilt, ferner das bekannte Silberkästchen im Dom von Anagni, das er mit den sogenannten italo- byzantinischen Elfenbeinkästchen aus dem 9. Jahrhundert in Verbindung bringt, jedoch erst dem 13. Jahrhundert zuschreibt

G. Giovannonis Artikel: II chiostro di Sant’Oliva in Cori (pag. io8 bis II 6) macht den 1480 vollendeten Kreuzgang des Augustinerklosters bekannt, das an die genannte Kirche angebaut ist Er zeichnet sich durch den Reichtum der Formen an den Kapitellen seines Obergeschosses aus, der Arbeit des sich an einem davon nennenden Meisters Antonio da Como. Analogien mit den Kapitellen am oberen Stockwerk des hinteren Kreuzganges von S. Francesco zu Assisi legen die Vermutung nahe, der Antonio di Lombardia, der an letzterem beteiligt war, sei mit dem Meister von Cori identisch.

Luisa Ciaccio behandelt in drei längeren Artikeln die früheste Periode der Renaissancebildnerei in Rom (Primo periodo della scoltura romana del Rinascimento, sino a Pio II, pp. 165 184, 345 356 ^ 433 44I-) IiTi ersten werden eine Anzahl Skulpturen, die sich ihren

Stileigentümlichkeiten nach unzweifelhaft als Arbeiten der gleichen Hand enthüllen, vernuitungsweise dem Pellegrino d’Antonio von Viterbo zugeteilt.

Literaturbericht.

359

der urkundlich am Hauptesreliquiar des h. Andreas mitgearbeitet hat und auch mit Antiken Handel getrieben zu haben scheint (Gaye I, 164). Es sind: das bisher dem Isaia da Pisa attribuierte Fragment Nr. 224 in den vatikanischen Grotten, von dem genannten Reliquiar herrührend; eine Relieftafel am Lavabo der Kapelle Sixtus V. in S. M. maggiore; neun Statuen der Tugenden und der Verkündigung für das Grabmal Chiaves in S. Giovanni Laterano gearbeitet (zwei davon jetzt am Grabmal Aquaviva ebendort aufgestellt), sowie die Statue des Kardinals am selben Monument (Averulino hätte bloß den Sarkophag fertig gebracht, als er aus Rom fliehen mußte); ein Sakramentstabernakel in S. Trinitä zu Viterbo (ein Teil davon im Museo civico daselbst); die Statue Eugens IV. an dessen von Isaia gearbeitetem Grabmal, jetzt in S. Salvatore, und endlich das Relief Nr. 204 der vatikanischen Grotten (in welch letzterem die Verfasserin nur die Hand eines Schülers erkennen will). Im zweiten Artikel wird zuerst das Grabmal Nikolaus V. in den Grotten analysiert, die Arbeit eines unbekannten, höchst mittelmäßigen Bildhauers, der zum Teil noch von gotischen Reminiszenzen beeinflußt ist. Sodann werden die Apostelfiguren auch unbekannten Meißels besprochen (zwei in den Grotten, für Überreste vom Grabmal Calixts III. fälschlich gehalten, zwei andere am Altar des h. Hieronymus am Eingang zur Kapelle Sixtus V. in S. M. maggiore) und es wird wahrscheinlich gemacht, daß sie einer Altarumschrankung an- gehört haben, die Calixt III. in der Cappella della Madonna della febbre in S. Peter ausführen ließ. Der dritte Artikel endlich bespricht eine Gruppe von Bildwerken, die offenbar von einem und demselben Künstler herrühren die Verfasserin gibt ihm nach einer seiner Arbeiten den Namen »maestro dei quattro dottori«. Es gehören hierher: die Pietä Nr. 123 der vatikanischen Grotten, die beiden Relieftafeln Nr. 57 eben- dort mit den Gestalten der vier Kirchenväter, die Grabfigur Calixts III. (Nr. 136 der Grotte, fälschlich für Alexander- VI. gehalten), die Statue eines Bischofs in Hochrelief (Nr. 41 der Grotte, vom Grabmal Calixts III.), zwei ähnliche Bischofsstatuen, jetzt in S. Onofrio (wahrscheinlich auch vom selben Denkmal) und die Grabplatte des Roderigo Sanctio (f 1471) in S. M. di Monserrato. Über die^Person des Schöpfers der aufgezählten Skulpturen läßt sich keine Vermutung anstellen. Endlich bestreitet die Verfasserin die Attribution der Statue des h. Markus über dem Portal seiner Kirche an Ant. Averulino, wie uns scheint, mit guten Gründen.

O. H. Giglioli gibt einen ausführlichen Artikel über die aus S. Pier scheraggio stammende Kanzel von S. Leonardo (II pulpito romanico di S. Leonardo in Arcetri presso Firenze, pp. 278 291). Ihrer Ent- stehung nach ist sie zwischen die Kanzel von Groppoli und zwischen jene von S. Bartolomeo in Pistoja zu setzen (sie datieren von 1193 und

360

Literaturbericht.

1250). Die genaue stilistische Analyse ergibt für die Reliefs vier ver- schiedene Meister; von denen derjenige der Kreuzabnahme entschieden der begabteste und fortgeschrittenste war. Zwei Reliefs von der Rückseite der ursprünglich völlig freistehenden Kanzel sind bei der Überführung der letzteren an ihren jetzigen Standort im Jahre 1782 verloren gegangen.

Gius. Gerola macht eine bisher nicht beachtete Arbeit Ant. Averulinos bekannt (Una croce processionale del Filarete, pag. 292 296), urkundlich für die Kathedrale von Bassano 1449 gearbeitet (wo sie sich auch jetzt befindet) und die Namensbezeichnung des Künstlers tragend. Der Holzkern des (in seinem alten Teile 0.49 Meter hohen, 0.37 Meter breiten) Prozessionskreuzes ist von Silberplatten umkleidet, die gravierte Ornamente tragen; auf ihnen sind an den Enden der Kreuzarme und an deren Kreuzung vorne die Gestalt Christi am Kreuze und die Büsten Mariä, Johannis des Ev. und Magdalenas sowie ein Engel, auf der Rückseite in der Mitte die Madonna mit Kind in ganzer Gestalt, um- geben von den Symbolen der Evangelisten, angebracht. Die Figuren zeigen ein feineres Form- und Liniengefühl, als wir es von des Künstlers übrigen Bronzearbeiten her gewohnt sind.

E. Mauceri (L’arte in onore di S. Agata in Catania, pp. 423 bis 432) gibt eine von Abbildungen unterstützte genaue Beschreibung der berühmten Reliquiare der Stadtheiligen im Dom von Catania.

Der Berichterstatter bespricht (p. 442—445) das Tonrelief der Madonna mit Kind, das 1906 aus der Vente Gozzadini fürs Museo nazionale zu Florenz erworben wurde. Er möchte es dem Antonio di Chellino da Pisa zuteilen, für den er außerdem ein ähnliches Madonnenrelief bei Grafen Camerini in Piazzola bei Padua, das Ma- donnenrelief im Tabernakel der Via Pietrapiana in Florenz, und dasjenige in Marmor über dem Seitenschiffsportal des Domes von Siena, endlich vermutungsweise die sogenannte Madonna Saracini (im gleichnamigen Palast zu Siena) in Anspruch nimmt.

Carlo Arü (Gli scultori di Pietrasanta, pp. 463 473) gibt eine Übersicht seiner Studienergebnisse, betreffend die Künstlerfamilien der Pardini, der Riccomanni und der Stagi. Die seinerzeit von Milanesi (Vasari VI, 103 ff.) über die beiden letzteren zusammengestellten Nach- richten erfahren hierdurch manche Bereicherung.

La Rassegna d’arte beginnt ihren sechsten Jahrgang (1906) mit einem Artikel E. Mauceris und S. Agatis (Francesco Laurana in Sicilia, pag. i 8), der uns mit den in Sizilien vorhandenen Arbeiten Laurana§ näher bekannt macht, zum Teil unter Mitteilung bisher

Literaturb ericht.

361

unbekannter Urkunden, die sich auf einige davon beziehen, und die dem Forschereifer Giachino Di Marzos, des greisen Vorstandes der Bibliothek zu Palermo verdankt werden. Da wir in der Besprechung der Monographie von W. Rolfs über den Meister auf dessen künstlerische Tätigkeit an dieser Stelle ausführlich eingegangen sind, halten wir es für überflüssig, hier den Artikel Mauceris zu resümieren, insbesondere einige von dessen zweifelhaften Attributionen zu widerlegen.

A. Pettorelli gibt eine längere Studie über die Kirche S. Antonio del Viennese in der Nähe von Borgo San Donnino (pag. 22 30). Es ist ein anspruchsloser einschiffiger Bau vom Ende des 12. Jahrhunderts, der hundert Jahre darauf eine Verlängerung erfuhr. Fresken, von denen außer dürftigen Spuren nur Zeichnungen vom Beginn des vorigen Jahr- hunderts erhalten sind, schmückten einst seine Wände.

A. Annoni macht uns mit dem Oratorium S. Rocco im Vorstadt- gebiet von Mailand bekannt, einem graziösen Bau aus der Mitte des Cinquecento (pag. 38 40), der in seiner Arkadenvorhalle wie im Innern zwei Fresken Luinis und seiner Söhne birgt.

T. Costa gibt (pag. 56 58) die genaue Beschreibung des Grab- mals Busi von Vincenzo Onofri in der Kirche Madonna del poggio bei Persiceto (Prov. Bologna). Die Arbeit ist den Kunstfreunden seit längerer Zeit bekannt, und der Verfasser weiß nichts Neues über sie beizubringen.

Diego Sant’ Ambrogio bespricht eine Bronzebüste Berninis im Museo Poldi-Pezzoli zu Mailand (pag. 77 79), in der er das Bildnis Ulpiano Volpis aus Como, seit 1613 Erzbischofs von Chieti, erkannt hat. Es ist eine Jugendarbeit des Meisters und zeigt alle Vorzüge seiner Frühperiode.

F. Manzini (pag. 97 102) berichtet über die Dorfkirche von Trebbio im modenesischen Appennin, eine dreischiffige Pfeilerbasilika des 9. oder 10. Jahrhunderts, deren stilgerechte Wiederherstellung dem Eifer des Berichterstatters verdankt wird.

Fr. Malaguzzi-Valeri beschreibt in seinen »Note d’arte valtellinesi « (pag. 124 128 und 137 140) unter anderem einige Altartafeln in Holz- skulptur in den Kirchen von Cepina, Premadio, Oga, Bormio vom Ende des 15. und aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunders, Arbeiten zum Teil deutscher Bildschnitzer, zum Teil von ihnen beeinflußter heimischer Künstler.

E. Mauceri gibt (pag. 129 135) eine reichillustrierte Aufzählung der bedeutendsten Arbeiten Antonello Gaginis, indem er der grund- legenden Monographie De Marzos folgt.

D. Sant’ Ambrogio macht uns mit einem Werke des Bildhauers Giulio da Oggiono bekannt, den wir seit 1538 am Dom zu Mailand

3Ö2

Literaturbericht.

beschäftigt finden (pag. 153 155). Es ist dies das Grabmal des 1552 verstorbenen Massimiliano Stainpa in der Kirche S. M. delle grazie zu Soncino. Der Meister war ein Schüler Agostino Bustis.

A. Balletti gibt die Abbildung eines Grabmalentwurfs von Prospero Clementi aus der Sammlung von Handzeichnungen der Uffizien (pag. 156 bis 158). Er weist nach, daß derselbe als Vorbild für die Monumente des Domherrn Fossa und des Orazio Malaguzzi im Dom zu Reggio gedient habe; das erstere wurde vom Meister selbst, das letztere nach seinem Tode von dessen Schülern ausgeführt.

Fr. Malaguzzi-Valeri reproduziert und bespricht zwei Reliefs in Holzskulptur (Geißelung und Kreuzigung Christi) im Nonnenkloster S. M. del Monte über Varese (pag. 159 160), Werke des ausgehenden Quattrocento, aus der Nachfolge der Mantegazza, namentlich das letztere von bemerkenswerter Kraft des Ausdrucks.

Jahrgang IV (1906) der Rivista d’Arte bringt folgende Beiträge zur italienischen Architektur und Skulptur:

A. Gottschewski (p. 73 88) berichtet ausführlich über seine schöne und bedeutsame Entdeckung von Michelangelos Tonmodell zu einem der Flußgötter, die zu Füßen der Mediceergräber in der alten Sakristei von S. Lorenzo angebracht werden sollten. Da der Verfasser seinen Aufsatz seither in erweiterter Gestalt im ersten Bande des Münchener Jahrbuchs der bildenden Kunst veröffentlicht hat, so verweisen wir auf das weiter unten hierüber Mitgeteilte.

O. H. Giglioli gibt in einer Studie über die Kapelle des Kardinals von Portugal in S. Miniato al monte und über die Malereien Baldovinettis in derselben (p. 89 99) Auszüge aus einem Merkbuch des Klosters (das gegenwärtig im Archiv des Hospitals von S. Maria nuova aufbewahrt wird), wodurch es außer Zweifel gesetzt wird, daß die von Vasari dem Piero Pollaiuolo zugeteilten Fresken am Gewölbe und den Seitenwänden der Kapelle (mit Einschluß der Verkündigung) von Alesso Baldovinetti herrührten.

Der Berichterstatter veröffentlicht (p. 127 131) die Steuer- einbekenntnisse des Bildhauers Pasquino di Matteo da Montepulciano, wie auch ein Dekret der Konsuln der Wollweberzunft, womit der Meister zum Gesanglehrer der Kleriker (Sängerchor) von S. Maria del fiore ernannt wird. Es war bisher nicht bekannt, daß Pasquino auch als Musiker exzellierte.

P. Bacci berichtet (p. 142 147) über ein von ihm in den Magazinen der Accademia delle belle arti zu Florenz aufgefundenes Modell Berninis zu einem Brunnen, den der Meister im Aufträge seines

Literaturbericlit.

363

Gönners Card. Rospigliosi, nachdem er als Clemens IX. 1667 den päpstlichen Thron bestiegen, für dessen ebenfalls von Bernini entworfene glänzende Villa Lo Specchio bei Pistoja auszuführen hatte. Der Brunnen gelangte nach dem zwei Jahre darauf erfolgten Tode des Papstes in den Pal. Strada (jetzt Pal. Antamoro in Via della Panatteria) zu Rom, in dessen Hofe er, allerdings durch eine moderne Restauration zum leil

entstellt, noch heute zu sehen ist.

G. Poggi (p. 156 159) veröffentlicht die schon von Gaye I, 183 teilweise abgedruckten Urkunden, die sich auf die Abschätzung des von Luca della Robbia gearbeiteten Grabmals des Bischofs Fedenghi durch Andrea Cavalcanti beziehen. Ebenso gibt er einige urkundliche Notizen über die Übertragung der Reliefs des Grabmals des h. Gualbert von Ben. da Rovezzano aus dem Kloster S. Salvi in die Opera del Duomo, wo dieselben nur durch die Einsprache der damaligen Capomaestri Fr. da Sangallo und Ammanati davor bewahrt wurden, als Marmorplatten für den Fußboden des Domes verwendet zu werden.

In Arte e Storia, Jahrg. XXV (1906) finden sich die folgenden unseren Gegenstandskreis berührenden Artikel:

N. Bertoglio Pisani (p. i 3) gibt eine Beschreibung des mit figürlichen und ornamentalen Intarsien reichgeschmückten, leider in ver- wahrlostem Zustande befindlichen Chorgestühls der ehemaligen Zister- zienserabtei (jetzt Pfarrkirche) von Morimondo bei Abbiategrasso. Als sein Schöpfer nennt sich Franciscus Giramus Abiacrassinus, als Jahr der Entstehung verzeichnete er 1523.

Fr. Sarlo (p. 52 58) gibt die Geschichte der Kirche S. Maria, des Domes von Trani, ehe über ihr zu Ende des 1 1 . Jahrhunderts die jetzige Kathedrale erbaut wurde.

E. Milano (p. 65— 68) bespricht die romanische Fassade der Kirche S. Pietro in Cheresco (Piemont), den einzig übrigen Rest eines Baues vom Beginn des 12. Jahrhunderts. Sie erhielt dadurch ein eigen- tümliches Aussehen, daß nach der Zerstörung des benachbarten Manzano im Jahre. 1266 die Fragmente der daselbst existierenden, ebenfalls dem Apostelfürsten geweihten Kirche in ihre Außenwand eingemauert wurden.

G. Carrocci gibt (p. 97 100 und 113 117) ^tne generelle Auf- zählung der im Kreuzgang und einigen Räumen des Klosters S. Marco aufgestellten und seit einiger Zeit unter dem Namen » Museo di Firenze antica« dem öffentlich Besuch zugänglich gemachten bildnerischen Schätze, die bei Gelegenheit der Systemisierung der Piazza Vittorio Emanuele und des umliegenden Stadtteiles aus den um den ehemaligen Mercato vecchio gelegenen Kirchen, Palästen und sonstigen Bauten bei deren

364

Literaturbericht.

Niederlegung vor dem völligem Untergange in das genannte Museum gerettet wurden.

D. Santambrogio (p. 117— 122) führt die Gründe an, die sich ihm gegen die Identifikation des von P. Grisar unter den Reliquien der Kapelle Sancta Sanctorum aufgefundenen Goldkreuzes mit dem von Symmachus zu Beginn des 6. Jahrhunderts gestifteten Reliquiar des Kreuzesholzes ergeben haben. Das Hauptargument des Verfassers ist, daß aus so früher Zeit keine Zellenschmelze mit figürlichen Darstellungen (wie deren eme Anzahl an dem fraglichen Kreuze Vorkommen) nach- zuweisen sind.

A. Bellucci (p. 145 148) gibt auf Grund der handschriftlichen Chroniken von Perugia ein Verzeichnis der vornehmsten Familientürme der Stadt, die im Laufe der Jahrhunderte alle demoliert wurden. Interessant ist ein vom Verfasser mitgeteiltes Breve Sixtus IV. an die Prioren der Stadt vom Jahre 1476, worin er alle mit Exkommunikation bedroht, die es sich einfallen lassen sollten, » turres quas in eorum habitationibus habent demoliri facere in non modicum ornamenti ipsius civitatis detrimentum «.

D. Santambrogio (p. 148 15^) beschreibt die in Ruinen liegende Kirche S. Pietro di Vallate im Veltlin, eine Stiftung der Cluniacenser vom Jahre 1078.

Derselbe Verfasser führt (p. 161 163) ^mr Stütze seiner schon früher wiederholt verfochtenen Ansicht, wonach die Kirche S. Ambrogio in Mailand in ihrer heutigen Gestalt eine nach dem Muster von Cluny ausgeführte Anlage der Benediktinermönche vom Anfang des 12. Jahr- hunderts sei (ii 17 1144), die Benediktiner-Abteikirche S. Maria zu Laach an. Sie entspricht in Anlage und konstruktiver Durchführung durchaus der Mailänder Kirche, da auch sie sich die Mutterkirche von Cluny zum Vorbild nahm, die kurz vorher (1084) entstanden war. Der Verf. neigt zur Annahme, auch S. Maria sei wie S. Ambrogio ursprünglich (1093) nach dem älteren Muster der Benediktinerkirchen als Säulenbasilika mit Doppelabsiden begonnen worden und erst bei Wiederaufnahme des Neubaues im Jahre 1112 1138 sei man auf die jetzt dastehende Anlage nach dem Vorbild von Cluny übergegangen, unter Beibehaltung indes auch der westlichen Apsis (die bei S. Ambrogio beim Neubau der Zeit von 1107 1144 verschwand).

G. B. Mannucci (p. 185 187) gibt urkundliche Nachrichten über das Kastell von Spedaletto bei Pienza, das, zu Ende des 12. Jahrhunderts als Pilgerhospiz gegründet, im Laufe der Zeit in das Eigentum des Opsedale della Scala zu Siena überging, das es samt den dazu gehörigen Ländereien noch heute besitzt.

Literaturbericht.

365

In Band XV der Napoli Nobilissima gibt G. Ceci eine durch mehrere Nummern der Zeitschrift gehende Studie »Artisti del XVI. e XVII. secolo«, in der auf urkundlichen Forschungen beruhende Mit- teilungen über die folgenden Bildhauer (neben solchen über eine Reihe von Malern) enthalten sind: Fr.. Cassano, G. Fil. CasUllo, B. Chiarini, Clem. Ciottoli, G. Dom. d’Auria, Ant. und Claudio de Corona, Fel. de Felice und Alfonso de Giorgio. E. Bern ich bespricht die Reste der Kirche S. Maria della Pace in Neapel, einer Gründung Alfonsos I. aus den Jahren 1442—45. Unter den Skulpturfragmenten, die von ihr übrig sind, erwähnt er eine Statue des Erzengels Michael, angeblich eine Nachahmung des h. Georg von Donatello. Mit diesem Jahrgang stellt die genannte Zeitschrift, die während ihres fünfzehnjährigen Be- stehens viel zur Klärung der neapolitanischen Kunstgeschichte beigetragen hat, ihr Erscheinen ein.

Jahrgang XIII (1906) des Bullettino Senese di Storia patria enthält eine eingehende Studie V. Lusinis über die Kirche S. Domenico zu Siena (pag. 263-295)» wodurch die bisher wenig beachtete Bau geschichte dieses frühesten Sakralbaues des Predigerordens zu Siena wesent- lich erhellt wird. Der Bau begann 1225, allein wie er heute dasteht, erhielt er erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts seine Vollendung (geweiht 1578). Ursprünglich war es nur eine Kirche von mäßigen Dimensionen im Vergleich zum heutigen S. Domenico; mit der Stadt zugewandter, rechtwinklig auf die jetzige stehender Fassade und einem Kreuzschiff, das über dem jetzigen Langschiff lag und dessen Ausdehnung ziemlich deckte. Die unansehnlichen Klosterbaulichkeiten lagen anstoßend an das Kreuzschiff gegen den Abhang, Fontebranda zu. Das Querschiff der jetzigen Kirche wurde, nachdem die alte Kirche den Zudrang der Andächtigen nicht mehr zu fassen imstande war, um 1290 begonnen und etwa fünfzig Jahre später vollendet. Dazumal entstand auch der Campanile. Von der alten Kirche hat sich in der heutigen Cappella delle Volte, die bloß vom Kircheninnern zugänglich der Stirnseite des heutj(gen Langschiflfes vorgelagert ist, ein Überrest erhalten. Ur? sprünglich bildete die Kapelle den Abschluß des rechten Querschiffarmes der alten Kirche und diente den weiblichen Aggregierten des Domini- kanerordens (Mantellate di S. Domenico, denen auch die h. Katharina angehörte) zur Verrichtung ihrer Andachten; er wurde deshalb beim Bau des neuen Gotteshauses stehen gelassen. Dieser Umstand erklärt es, warum dies letztere keine Fassade erhielt und warum sein einziger Ein- gang an der linken Wand des Fangschiffes angebracht ward, wo er bis heute besteht. Die Klostergebäude wurden anschließend an die rechte

366

Literaturbericht.

Langseite des neuen Langschiffes errichtet, und an eben diese Seite wurde auch 1466 die neue Kapelle der h. Katharina angebaut, um darin ihre Hauptesreliquie zu bergen. Nach einem Brande vom Jahr 1533 erhielt sie ihre jetzige Gestalt und ihren Schmuck durch die Fresken Sodomas und Franc. Vannis.

A. Liberati gibt einige den Akten der Compagnia di S. Caterina entnommene Notizen betreffs der Ausschmückung ihres unteren Oratoriums. Nachdem 1465 das Haus der Heiligen angekauft war, ging man an die Einrichtung des Betsaals in dessen Erdgeschosse. wurde ein

Legat B. Borghesis zur Anfertigung einer »santa Caterina d’argento« im Wert von 100 Goldgulden bestimmt; es sollte also wohl eine Statue werden. Von ihrem Verbleib fehlt jede Nachricht. 1534 bis 154^ wurde das Oratorium durch Hinzufügung der Xribuna erweitert und mit einem Gestühl geschmückt, dessen Erstellung sich bis über 1565 hinauszog. 1567 übernahm Bart. Neroni die Ausmalung des Raumes, konnte aber nur vier der Eresken ausführen, da er über der Arbeit starb. 159^ bekam Fr. Vanni den Auftrag, eine neue Bahre für die Compagnia zu bemalen; und 1600 schuf derselbe Meister das Ge- mälde der Heiligsprechung Katharinas in der Tribuna des Oratoriums. Endlich versah zur selben Zeit Girolamo di Marco das letztere mit einem neuen Majolikafußboden, womit denn die Ausschmückung - ihren Abschluß fand.

In der Rassegna d’arte Senese (Anno I, 1905 pag. 79ff.), dem Oigan der neugegründeten Societä degli amici dei monumenti, die sich die Pflege der heimischen Kunst und die Erhaltung ihrer Denkmäler zum Ziel gesetzt hat, behandelt V. Lusini die Frage der Zugehörigkeit der Tonstatue des knienden Evangelisten Johannes im Museo dell’ Opera zur Gruppe der Beweinung der Leiche Christi in der Unterkirche der Osservanza bei Siena (D’un gruppo della pietä di Giacomo Cozzarelli e di un s. Giovanni che non ci ha che fare). Angeregt wurde die Erage durch einen Artikel im Florentiner Marzocco (vom 2. Juli 1905) aus der Feder des Marchese P. Misciattelli, der für die Zugehörigkeit eintrat, und die materielle Ergänzung der Gruppe durch die Statue beantragte. Hierauf bemerkt Lusini vor allem, daß der schmerzvoll gefaßte Ausdruck der Statue des Evangelisten durchaus nicht zur dramatischen Bewegtheit der Osservanzagruppe passe. Sodann weist er darauf hin, daß die Gruppe und die Nische, die sie birgt, mit ihrer dekorativen Umrahmung zu gleicher Zeit im Auftrag Pandolfo Petruccis als Schmuck seiner Gruft ent- standen, und kein Grund da sei, warum die Nische für die Aufnahme der gesamten Gruppe zu eng ausgeführt worden wäre, wie es der Eall wäre

Literaturberichl.

367

wenn man den Johannes (und am rechten Ende ihm gegenüber eine zweite Figur, eine Magdalena) als zu ihr gehörig betrachten wollte. Endlich sind die beiden rechtwinkligen Einschnitte an beiden Basen- enden der Gruppe zu klein, um die Johannesfigur mit ihrer Basis (sowie ihr gegenüber am anderen Ende der Gruppe eine zweite kniende Figur) darin einzufügen; der Verfasser hält dafür, daß diese Einschnitte gemacht worden seien, um ein Altargerät, wohl am wahrscheinlichsten Kandelaber davor zu placieren. Der Verfasser hält es für ausgeschlossen, daß die Evangelistenstatue je in der Osservanza gewesen und von dort weggekommen sein könne, da es dort nie an der Sorge für ihre Kunstschätze (die sich noch heute sämtlich an Ort und Stelle befinden) gefehlt habe. An seinen heutigen Aufbewahrungsort gelangte der Johannes aus der Akademie, deren Inventare jedoch nichts über seine Herkunft aufgezeichnet haben. Lusini hält dafür, daß er aus dem Dome stammen könne. Das Inventar desselben von 1482 führt in der Cap. del Crocefisso eine Pietä mit den Figuren der hh. Magdalena und Johannes an; bei der Modernisierung der Kapellen und Altäre des Domes im Jahre 1625 kam an die Stelle dieser Gruppe die (heute noch dort befindliche) Pietä von Mazzuoli, in deren Johannes der Verfasser manche Ähnlichkeit mit demjenigen Cozzarellis erblickt. Könnte so schließt er Mazzuoli sich nicht den letzteren zum Vorbild genommen haben, und könnten wir nicht in ihm einen Überrest jener Pietä der Capp. del Crocefisso sehen? Den Aus- führungen Lusinis entgegnet Misciattelli im 2. Jahrgang der gleichen Zeitschrift (1906, pag. 31 34, Per il gruppo cozzarelliano dell’ Osservanza e per l’antica scoltura senese). Er betont, daß das Fehlen der Ver- goldung an der Nischeneinrahmung beiderseits, bis zur Höhe etwa der knienden Johannesfigur, darauf deutet, daß an diesen Stellen mehr als bloß ein Altargeräte vor der Nische gestanden habe. Daß dies (an einer Seite der Gruppe) höchst wahrscheinlich eben die Johannesstatue der Opera del Duomo gewesen sei, ergibt sich daraus, daß die Profilierung ihrer Basisplatte vollkommen mit derjenigen der Pietägruppe über- einstimmt. Daß endlich auch in der Osservanza nicht immer die nötige Fürsorge gewaltet habe, werde durch die Verstümmelungen, die die Pietägruppe aufweist, dargetan. Diese Einwendungen sucht Lusini in seiner Entgegnung (a. a. O. pag. 53 59) durch die Tatsache zu ent- kräften, daß sich an den Stellen der Nischenpilaster, die gegenwärtig der Vergoldung entbehren, Spuren einer ursprünglich darauf vorhandenen befinden, daß übrigens wenn die bezügliche Argumentation Misciattellis überzeugende Kraft haben solle, die Höhe der ohne Vergoldung gelassenen Pilasterteile das Doppelte der tatsächlich vorhandenen betragen müßte, um der Höhe der Johannesfigur zu entsprechen. Wenn man sich übrigens

368

Literaturbericht.

die letztere an die fragliche Stelle versetzt und in den (übrigens un- zulänglichen) Einschnitt der Basisplatte der Pietä eingefügt denke, so ergebe sich, daß der Evangelist seinen Blick nicht auf die Leiche Christi richte, sondern an ihr vorbei nach außen. Lusini beharrt somit bei der Meinung, daß die Statue einer Gruppe angehört hat, die außer ihr noch die Madonna mit der Leiche Christi im Schoße und die h. Magdalena enthalten haben müsse.

A. Canestrelli (Anno 1906 pag. 6 13, La pieve di S. Quirico in Osenna e la sua antica armatura policroma del tetto al tempö medievale) gibt einige Ergänzungen zu seiner (in der Miscellane d’Arte, Anno I, no. 1 2 veröffentlichten) Monographie der interessanten Hauptkirche von S. Quirico (zwischen Siena und Pienza). Über dem im 18. Jahr- hundert ausgeführten Gewölbe hat er den polychromierten Dachstuhl des Schiffes und des Chorbaues aufgefunden, den er, aus dem Stil seiner Dekoration urteilend, dem Ende des 12. oder Beginn des 13. Jahrhunderts zuteilt. Er beschreibt letztere, die in allem Wesentlichen erhalten ist, eingehend und schließt mit dem Wunsch, der Bau möchte in seiner ursprünglichen Gestalt wiederhergestellt werden. Derselbe Verfasser gibt S. 118 124 eine mit Illustrationen versehene Beschreibung einer zweiten Kirche des gleichen Ortes, S. Maria Assunta. Es ist ein Bau von rechteckigem Grundplan aus der zweiten Hälfte des 1 2. Jahrhunderts, mit einem an der Nordseite hundert Jahre später angebauten Portal, das die größte Ähnlichkeit mit dem Hauptportal der Abtei S. Antimo zeigt, so daß anzunehmen ist, dieses habe als Vorbild gedient.

F. Bargali Petrucci (pag. 18 30, Notizie di un arco romano in Siena del sec. di Gesü Cristo) gibt Nachrichten über den römischen Triumphbogen, der an der Kreuzung der heutigen Via S. Pietro alle Scale und delle Murella stand und von dem laut chronikalischen Berichten zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch Reste aufrecht waren, während er schon 1229 im ganzen niedergelegt wurde. Als Fragment davon hat sich die Victoria in Hochrelief in der Accademia delle belle arti erhalten, die einen der Bogenzwickel schmückte; ihr Fundort stimmt mit der für das Triumphtor bezeugten Örtlichkeit, ihr Stil würde dem Bau das erste Jahrhundert n. Chr. als Entstehungszeit zuweisen. Der Verfasser nimmt als weiteren Überrest des fraglichen Bogens auch das eine der Säulenpostamente in Anspruch, die sich am Eingang der Tautkapelle im Dom zu Siena finden. Richtiger werden ja beide als Arbeiten Federighis bestimmt; doch ist er dabei einem antiken Vorbild gefolgt, dessen Zeich- nung wir in Giul. da Sangallos sienesischem Skizzenbuch (fol. 43 Ü besitzen.

Can. G. B. Mannucci (pag. 63 68 und 100 loi, Notizie sul castello di Corsignano) bespricht unter Mitteilung von Illustrationen den

Literaturbericht.

369

einzigen Überrest des alten Corsignano, jetzt Pienza, der sich in der Kirche S, Vito bis heute vor den Toren der Stadt erhalten hat. Der Verfasser stellt die urkundlichen Nachrichten über ihn sorgfältig zusammen; die früheste bezeugt, daß S. Vito schon rozg bestand. Dem widerspricht nicht der Stil der ornamentalen Umrahmung ihrer beiden Portale (Zick- zackarchivolt am Hauptportal, Szenen der Geburt und der Anbetung am Architrav des Eingangs an der Südseite, wowei die hh. drei Könige zu Pferd dargestellt sind). Das Innere ist 1686 seines ursprünglichen Charakters entkleidet; erhalten ist außer den die drei Schiffe trennenden Pfeilerarkaden auch der offene Dachstuhl über dem mittleren.

C. A. Nicolosi (pag. 125, Un gruppo di Jacopo della Quercia a Bergamo) gibt eine Reproduktion der Büste der Madonna mit Kind in der Galerie von Bergamo, Abteilung Morelli, die dieser (und ihm folgend auch noch jüngst G. Frizzoni) dem berühmten Sieneser Künstler zuschrieb, während sie vielmehr die Arbeit eines der P'lorentiner Ton- bildner ist, die bisher noch unter der Komplexivbenennung des »Meisters der Pellegrinikapelle « begriffen werden.

Im Bullettino di numismatica e di arte della medaglia Anno 1906 pag. 130 146, gibt Domenico Montini unter dem Titel: Giov. Maria Pomedelli, pittore medaglista e incisore del secolo XVIo; eine sorgfältige Monographie über diesen vielseitigen Künstler. Es gelingt ihm, dessen bisher unbekanntes Geburtsjahr auf 1478 festzustellen, sowie daß sein Tod nach 1537 erfolgt sei. Das CEuvre Pomedellos erfährt eingehendere Würdigung als bei den wenigen Autoren, die sich bisher mit ihm beschäftigt haben.

Die Mailänder Zeitschrift II Politecnico, Jahrgang 1906, enthält aus der Feder Diego Sant’ Ambrogios folgende vier Studien: In der ersten (II portale cluniacense di S. Simpliciano in Milano) beschäftigt er sich mit der Deutung der leider sehr verstümmelten Skulpturen am Portal von S. Simpliciano, dem einzigen Überrest der sonst modern rekonstruierten Fassade der zu Ende des ii. und im Beginn des 12. Jahrhunderts neu aufgebauten, ursprünglich von dem h. Bischof, dessen Namen sie trägt, zu Beginn des 5. Jahrhunderts gegründeten Kirche. Die Kapitelle des jederseits vier Säulen zwischen zurück- springenden Mauerecken zeigenden Portals sind (rechts) mit fünf ampel- artige Gefäße tragenden weiblichen Figuren, sowie gegenüber (links) mit einer Prozession von sechs Bischöfen bzw. Märtyrern, die Bücher und Kreuze tragen, geschmückt. Gegenüber den bisherigen ungenügenden, weil zu weit hergeholten Deutungen des P. Allegranza (i 786), C. Annonis

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

25

370

Literaturbericht.

(1856) und neuestens Romussis (Milano nei suoi monumenti), sieht der Verfasser in den weiblichen Figuren der rechten Seite die fünf törichten Jungfrauen. Ihre Darstellung auf Portalen war bekanntlich an romanischen und frühgotischen Bauten Frankreichs sehr beliebt; in der Lombardei hat sie Sant’ Ambrogio schon früher nur am Portal zum Presbyterium der Certosa von Pavia, an dem der Abtei von Viboldone und an der Sopraporte der Südsakristei des Mailänder Domes nachgewiesen. An S. Simpliciano bringt er sie mit dem Umstande in Verbindung, daß der Neubau der Kirche mit der Berufung der seit 1114 an S. Gervasio und Protasio tätigen Cluniazensermönche zur Offiziatur von S. Simpliciano zusammenhing. Die Ersetzung der klugen Jungfrauen an der linken Portalseite durch sechs heilige Personen (ein bisher sonst nirgends beobachteter Fall) weiß der Verfasser nicht genügend zu erklären. Er neigt dazu, in letzteren einige in Mailand besonders verehrte Heilige (Ambrosius, Gervasius, Protasius, Virgilius und Maximus) zu sehen, die ihre Verehrung dem Gründer der Kirche, S. Simplicianus, darbringen.

In seinem zweiten Beitrag (L’arca campionese Pusterla a S. Maria in Castello di Tradate) kommt Sant’ Ambrogio auf ein von ihm im Archivio storico 1904 beschriebenes (s. Repertorium XXIX, 51) Bildwerk zurück, indem er diesmal eine wenn auch nicht zureichende Re- produktion desselben veröffentlicht. Das Monument setzte wie dessen Inschrift besagt der Gründer der Kirche, der Mailänder Domherr Tommaso Pusterla bei Lebzeiten (er starb bald nach 1371). Es besteht aus einer (2.20 Meter langen, 0.80 Meter hohen) Marmortafel, worauf in Relief die Darbringung der Kirche an die Madonna in trono durch Tommaso unter dem Schutz des h. Thomas von Becket und Antonius Eremita im Stil der Campionesen dargestellt ist. Um das Monument der ihm von dessen Begründer zugedachten Bestimmung als Altarancona entsprechend zu gestalten, ist die Relieftafel mit einer Bekrönung von drei Giebeln ausgestattet, auf deren mittlerem ein Christus am Kreuze thront, während zwischen den Giebeln vier Engel mit Weihrauchfässern stehen. Rechts und links von der Altartafel sind in lebensgroßen Statuen Maria und der Verkündigungsengel postiert. Ihrem künstlerischen Werte nach bilden sie den weitaus bedeutendsten Teil des Werkes. Als wahr- scheinlichen Schöpfer macht der Verfasser den Giovanni di Campione namhaft.

Der dritte Aufsatz beschäftigt sich mit den zwei ältesten Cluniazenser- gründungen in der Lombardei, den Dorfkirchen von S. Pietro di Vallate im Veltlin und S. Benedetto di Portesana bei Trezzo im Mailändischen (Le due piü vetuste chiese di sicura data, 1078 e 1088 d’ origine cluniacense). Der Donationsakt zweier Ehegatten vom Jahre 1078 an

I

Literaturbericht.

371

Ländereien zugunsten des Cluniazenserordens für S. Pietro di Vallate, der im vollen Wortlaut erhalten ist, spricht von der Kirche als »edifitium inceptum . . . ad opus ecclesice Cluniacensis«. Sie liegt heute in Ruinen (12 Meter lang, 9 Meter breit); der Verfasser beschreibt eingehend ihre noch bestehenden Reste, die eine Längswand mit Portal, die Apsis und den noch am besten erhaltenen niedrigen Glockenturm zu ihrer Seite. Klosterbauten fehlen gänzlich; solche sind dagegen wenngleich in sehr bescheidener Anlage bei der zweiten der obgenannten Kirchen erhalten. Auch für sie besitzen wir die Gründungs- oder vielmehr Schenkungsurkunde vom Jahre 1088, worin sie als schon aufgebaut genannt wird, so daß ihr Ursprung wohl mit S. Pietro di Vallate gleich- zeitig gewesen sein mag. Dimensionen und Anlage sind denen dieser Kirche analog, nur fehlt der Campanile. Der Klosterbau war bloß für zwei Mönche, den Prior inbegriffen, vorgesehen; außerdem beherbergte er die Laienbrüder (Conversi), die für die Bebauung der geschenkten Grundstücke zu sorgen hatten. Die Wölbung des Kirchenraumes ist seit langem eingestürzt, erhalten sind jedoch die vier Kämpfer zur Auf- nahme der Gewölberippen. Sonach wäre hier eines der ältesten, wenn nicht das älteste Kreuzgewölbe in der Lombardei nachgewiesen. An der Apsis sind Halbsäulen mit rohen Kapitellen und über ihnen ein Rundbogenfries erhalten; dazwischen kleine Rundbogenfenster mit tiefer Laibung. Schon im 13. Jahrhundert wurde das Priorat in eine Kommende umgewandelt. Die obenerwähnten Schenkungsurkunden sind erst neuer- dings durch die vom französischen Unterrichtsministerium unternommene^ Veröffentlichung der »Chartes de Cluny« (seit 1898 im Gange, bisher sind sechs Bände erschienen) bekannt geworden.

Im letzten seiner Beiträge (Nuove notizie archeologiche intorno alla bäsilica di Sant’ Ambrogio) kommt der Verfasser vorerst nochmals auf den Inhalt seines Artikels in der Lega lombarda vom 16. Juli 1905 zurück (s. Repertorium XXX, Übersicht 1905), worin er die Herkunft der Säulen im Hofe des ehemaligen Pal. Talenti di Fiorenza in Via Giuseppe Verdi 4 aus dem Hofe von Bramantes Canonica bei S. Ambrogio nach- gewiesen hat. Während nämlich bisher nur der Verkauf von fünf Kapitellen aus S. Ambrogio an »magnifico domino Girolamo Florentia« durch das Zeugnis des Visitationsprotokolls des h. Karl Borromeus, Erzbischofs von Mailand, vom Jahre 1566 beglaubigt war, ist nunmehr in den jenem Protokolle angeschlossenen Beilagen auch der Notariatsakt zum Vorschein gekommen, womit die neun Säulen, die zum Ausbau des Hofes der Canonica vorbereitet, ja teilweise schon dort aufgestellt waren, eben demselben Hieronymus Florentia für den Hof seines im Bau begriffenen Palastes käuflich abgetreten werden, der schon vorher die fünf Kapitelle

25

372

Literaturbericht.

ZU gleichem Zwecke erworben hatte. Wir haben es indes in den frag- lichen Bauteilen nicht etwa mit Stücken zu tun, die schon von Bramante für die Vollendung des von ihm begonnenen Baues vorbereitet waren, sondern mit solchen, die erst in der ersten Hälfte des i6. Jahrhunderts in solcher Absicht nach dem Muster der Kapitelle des Meisters gearbeitet wurden. Sodann lenkt Sant’ Ambrogio die Aufmerksamkeit auf ein Marmorrelief mit der Figur eines Mönches, das sich im Museum der Villa Castelbarco zu Monastirolo (bei Vaprio) befindet. Laut Inschrift stellt es jenen »Ariberto de Pasiliano« vor, der 1141 das erste Chor- gestühl für S. Ambrogio ausführte (s. Repertorium XXX, Übersicht für 1905). Ob das Werk etwa von einem Grabmal des Mönches, das ihm seine dankbaren Brüder in S. Ambrogio gesetzt, oder das in seinem Geburtsorte Pasiliano, einem Feudum der genannten Kirche, stand, oder endlich in der von ihm in Mailand gestifteten Kirche S. Pietro und Paolo sich befand, herrühre, ist nicht festzustellen. Auf alle Fälle gebührte dem Relief, das alle Merkmale der Kunst des 12. Jahrhunderts trägt, nach der Ansicht unseres Verfassers (der durchaus beizustimmen ist) ein würdigerer Aufbewahrungsort, etwa in S. Ambrogio selb.st oder dem Museum des Sforzakastells. Endlich führt der Verfasser seine im Monitore tecnico vom 5. Aug. 1905 (s. Repertorium XXX, Übersicht für 1905) sowie in Arte e Storia 1906 (s. weiter oben) dargelegte Ansicht über den Einfluß des Cluniazensergrundrißtypus auf die Gestaltung des Grundplans von S. Ambrogio unter Heranziehung der Plangestaltung der Benediktinerabtei zu Laach des weiteren aus.

Auch das Mailänder Tageblatt Lega lombardo enthält einige Artikel Diego Sant’ Ambrogios, die unsere Jahresübersicht berühren. Im ersten vom 25. Februar 1906 faßt der Verfasser seine Einwände zusammen gegen eine Attribution, die Prof. Giulio Carotti in der Nummer vom 26. Dez. 1905 der Illustrazione italiana ausgesprochen hat. Es handelt sich um die Grabplatte einer Frau im Nonnengewande, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in das durch Giuseppe Bossi begründete Museo archeologico der Brera gelangt, jetzt unter Nr. 153 im Saale V des Museums des Sforzakastells ausgestellt ist. Prof. Carotti möchte darin das Grabmal Biancas von Savoyen, der Mutter Giangaleazzo Viscontis, erkennen, die nach testamentarischer Verfügung 1387 in dem von ihr gegründeten Kloster der Clarissen zu Pavia ihre letzte Ruhestätte fand. Als dasselbe zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in Privatbesitz überging, wurde wie die Lokaltradition behauptet das fragliche Grabmal an einen Steinmetzen nach Mailand verkauft. Der nach Carottis Meinung gotisch-französische Stil der Grabplatte des Sforzakastells ver- anlaßt ihn nun zu der obigen Attribution. Ihre in seinem kurzen Artikel

Literaturbericht.

373

versprochene eingehende Begründung hat er jedoch unseres Wissens bisher nicht geliefert. Sant’ Ambrogio bemerkt nun vor allem, daß das Inventar der durch Bossi im Breramuseum vereinigten Skulpturen durchaus Werke anführt, die nachweislich dazumal den Mailänder Kirchen und Klöstern entnommen wurden, und daß die Registrierung unserer Grab- platte im genannten Inventar unter Nr. 1 17 lautet: »Pietra tumulare con figura femminile in bassorilievo d’ ignota persona. Proprietä erariale«. Der letztere Zusatz deute nun darauf, daß auch sie aus irgendeinem durch Aufhebung in Staatsbesitz übergegangenen Nonnenkloster stamme. Denn wäre sie (wie Carotti annimmt) aus Privatbesitz für die neu- begründete Sammlung angekauft worden, so hätte dies im Inventar Er- wähnung gefunden, und es hätte die (dem Erwerber Bossi gewiß nicht unbekannt gebliebene) Provenienz des Stückes, sowie die darauf ver- ewigte erlauchte Persönlichkeit darin jedenfalls ausdrücklich bezeichnet werden müssen. Was ferner die Bekleidung betrifft, so weist der Verfasser darauf hin, daß sie keines der durch die Ordensregel vorgeschriebenen Kennzeichen der Clarissen erkennen läßt, weder die Kapuze über dem Haupte, noch die weit offenen Ärmel, nicht den aus einem Strick bestehenden Gürtel um die Taille, nicht die nackten oder von groben Holzsandalen bekleideten Füße. Auch kein Zeichen der hohen Geburt der Verstorbenen sei zu bemerken; und ein solches wäre doch, wenn auch nicht an der Kleidung, so doch etwa an dem Kissen, das ihr Haupt stützt, oder an irgendeiner Stelle der Umrahmung höchst wahr- scheinlich angebracht worden (wie Analogien an anderen Grabmälern beweisen). Was endlich den künstlerischen Stil des Werkes betrifft, so veranlaßt den Verfasser die durchaus klassische Profilierung des Rahmens der Platte, an der auch nicht die geringste Spur eines gotischen Formen- motivs oder einer solchen Ornamentation bemerkbar ist, es schon dem 15. Jahrhundert zuzuschreiben. Wohl gehört der Stil der Figur selbst noch der Gotik an, allein man weiß, wie weit in das Quattrocento hinein diese in Mailand noch in der Grabmalskulptur in Übung geblieben ist. Andererseits weist dieser Stil keine Analogien mit dem der Campionesen auf, die bis zum Ende des 14. Jahrhunderts daselbst herrrschten und denen die Visconti die Ausführung ihrer Grabmäler anvertrauten (s. ihre Monumente in S. Eustorgio und aus S. Giovanni in Conca). Wenn man diesen letzteren Umstand erwägt, so wird auch die Heranziehung eines französischen Künstlers (wie sie Carotti vermutet) für die Grabplatte Bonas von Savoyen sehr unwahrscheinlich, um so mehr, da ihr Sohn Giangaleazzo das Denkmal seiner 1382 verstorbenen ersten Gemahlin Isabella von Frankreich für S. Pietro in Ciel d’oro zu Pavia auch von heimischen Kräften ausführen Heß.

374

Literaturbericht.

Ein zweiter Artikel desselben Blattes (vom 17. Mai) behandelt das vor einigen Jahren durch Kauf in London in den Besitz des Museums im Sforzakastell gelangte Relief von Agost. Busti mit der Darstellung aus dem Martyrium einer nicht sicher festzustellenden Heiligen und dem Datum 1521 (oder 1531). Der Verfasser möchte darin die Szene sehen, wie die h. Agnes, die ihren Glauben nicht abschwören will, von ihrem römischen Richter zur Einschließung in ein Bordell verurteilt und von, zwei Zuhälterinnen in Empfang genommen wird. Über den Schöpfer des Werkes kann kein Zweifel bestehen, so sehr trägt es die charakteristischen Merkmale der Manier Bustis zur Schau. Dagegen ist über dessen Herkunft nichts zu ermitteln, und die Ansicht des Verfassers, es möchte gleich zweien schon im Museum vorhandenen Reliefs zu dem ehemaligen Denkmal Birago in S. Francesco gehört haben, kann nur als Vermutung, der irgendwelche Begründung fehlt, hingenommen werden.

In einem dritten Artikel vom 26. August bespricht Sant’ Ambrogio Kirche und Kloster von S. Benedetto di Portesana bei Frezzo, eine Grün- dung der Cluniazenser vom Jahre 1088. Da der Artikel nur ein Resümee dessen enthält, was der Verfasser in seiner weiter oben besprochenen Studie in der Zeischrift II Politecnico ausführlich darüber mitgeteilt hat, so können wir auf das dort Gesagte hinweisen.

Zwei weitere Aufsätze unseres unermüdlichen Forschers bringt der Jahrgang 1906 der Rivista di scienze storiche di Pavia. Der eine berichtet über ein Hostientabernakel vom Jahre 1535 in der Kirche S. Maria maggiore in Val Vigezzo. Es hat die beträchtlichen Dimensionen von 1.85 Meter Höhe auf i Meter Breite und zeigt streng architektonischen Aufbau: zwei arabeskierte Pilaster mit Sockel und Gebälke, dazwischen das Sportello für den Hostienbehälter, und darüber in der Lünette, als einzigen figürlichen Schmuck, die aus dem Grabe erstehende Gestalt des Heilands. Außer der Jahreszahl und einer die Bestimmung des Werkes feiernden Inschrift trägt das letztere auch die Künstlerbezeichnung: »Laurentio Arigonio artifice Papiense«. Padre Majocchi, der um die Künstlergeschichte Pavias hochverdiente Direktor des dortigen Museums, hat urkundlich festgestellt, daß ein »Picapietra« dieses Namens, der Sohn eines Johannes de Domodossola, im Jahre 1525 am Dom von Pavia beschäftigt war. Der Meister gibt sich in seinem Werke als Schüler Benedetto Brioscos zu erkennen.

Im zweiten Artikel gibt Sant’ Ambrogio einige urkundliche Notizen über das Cluniazenserpriorat S, Majolo zu Pavia, das älteste in Italien gegründete des Ordens (999); sie sind der weiter oben erwähnten Publikation der »Chartes de Cluny« entnommen. Da sie indes keine

Literaturbericht.

375

künstlerischen Interessen berühren, so glauben wir an dieser Stelle nicht weiter auf sie eingehen zu sollen.

In der Rivista archeologica della Provincia e antica diocesi di Como vom April 1906 veröffentlicht unser Verfasser aus der eben angezogenen Urkundensammlung die Gründungs- bzw. Schenkungs- urkunden der drei ältesten Cluniazenserpriorate der Diözese von Como, desjenigen von S. Pietro di Vallate im Veltlin vom Jahre 1078 (s. weiter oben unter »II Politecnico «), des Priorats S. Nicola di Figina im Terri- torium von Oggiono von 1107 und jenes von S. Giovanni Battista zu Vertemäte in der Provinz Como vom Jahre 1084.

Das Emporium bringt im Juliheft 1906 einen Artikel aus der Feder A. J. Rusconis über den Bildhauer Silvestro Ariscola von Aquila. Mit Unrecht bezeichnet er ihn als »scultore ignorato« und verrät damit, daß ihm weder die Arbeit G. Pansas über den Künstler (s. P.eper- torium XVIII, 59), noch die Angaben bekannt sind, die der Cicerone über ihn in der siebenten und den folgenden Auflagen verzeichnet. Auch weiß der Verfasser über die dort angeführten Arbeiten Silvestros hinaus keine anderen namhaft zu machen. Ein Verdienst seines Artikels sind hingegen die reichlichen und guten Illustrationen der Werke des Meisters (Grabmäler Agnifili und Montorio-Camponeschi, sowie Altar des h. Bernardin).

Im Aprilheft der gleichen Zeitschrift beschäftigt sich ein anonymer Verfasser mit dem Palazzetto di Venezia zu Rom. Um den Prospekt auf das Denkmal Victor Emanuels vom Corso aus offen zu halten, muß der Palast seine jetzige Stelle einem offenen Platz überlassen. Um das graziöse Bauwerk der Nachwelt zu erhalten, ist nach langen Verhandlungen mit dessen Besitzerin, dem österreichischen Staate, seine Wiederaufrichtung aus den bei der Niederlegung gewonnenen Materialien an der ent- gegengesetzten, westlichen Ecke des Palazzo di Venezia beschlossen worden, so daß er zwischen Via del Gesü, Via di S. Marco und Piazza di S. Marco zu liegen kommen wird. Der Artikel ist von guten Illustrationen, namentlich der schönen doppelgeschossigen Hofhalle begleitet.

Über die im Nuovo archivio Veneto Bd. XII (1906) von V. Lazzarini mitgeteilten neuen urkundlichen Daten über die Arbeiten Donatellos und seiner Mitarbeiter im Santo zu Padua wurde im laufenden Jahrgang des Repertoriums besonders berichtet.

In Arte italiana decorativa e industriale Bd. XV, 1906 spricht G. Carocci über die Steinintarsien des Fußbodens im Dom zu

376

Literaturbericht.

Siena unter Vorführung einiger Muster davon; D. Angeli gibt Nach- richten und Nachbildungen der Barockbildwerke figürlichen und dekora- tiven Charakters, die den Gesü in Rom schmücken; N. Campanini macht die Rocca von Scandiano im Modenesischen, den Stammsitz der Familie Bojardo bekannt. Der Aufsatz: II pavimento di Majolica e le tarsie di legno nella Cappella Vaselli in S. Petronio a Bologna gibt den Wiederabdruck einer 1860 von L. Frati, Bibliothekar am Arciginnasio verfaßten Gelegenheitsschrift und zahlreiche Abbildungen der darin behandelten Kunstwerke. Ein ungenannter Verfasser reproduziert in seinem Beitrag: Gli stucchi di Ca’ Rezzonico in Bassano dekorative Details aus der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erbauten Villa Rezzonico bei Bassano; sie verdankt ihre Entstehung einem Nepoten Papst Clemens’ XIII. A. Melani begleitet die reichen Illustrationen seines Aufsatzes: II palazzo e parco di Caserta (von Vanvitelli erbaut) mit kurzem erklärenden Texte; ebenderselbe gibt zu seinem Artikel: Gradinate e Scale kurze Erläuterungen zu den zahlreichen Abbildungen der Anlagen dieser Art, und in A. Annonis Beitrag: II castello del Buon Consiglio in Trento findet dieses Baudenkmal, namentlich dessen durch Kardinal Bernhard Cless erbauter neuerer Teil, auf Grund der durch Dr. Wözl festgestellten urkundlichen Geschichte seiner Entstehung (italienisch mit Zusätzen übertragen von Postinger, veröffentlicht in den Schriften der Accademia degli Agiati zu Rovereto, 1898) eine reich illustrierte Be- leuchtung.

Im Bullettino della Commissione archeologica comu- nale di Roma (Anno XXXIV, 1906) kommt G. Tomasetti in einer Studie über die römischen Genossenschaften (Dei sodalizi in genere e dei m.armorarii romani, pag. 235 269) in ausführlicher Behandlung auch auf die Cosmaten zu sprechen. Außer Bemerkungen über den Ursprung und Charakter ihrer Kunst gibt der Verfasser eine reiche Bibliographie der über den Gegenstand vorliegenden Aufsätze sowie die genealogischen Tabellen der bisher festgestellten sechs Künstlerfamilien, endlich noch eine Liste der Meister, die außer den letzteren stehend

durch Bezeichnungen oder literarische Notizen beglaubigt sind. Zum

Schluß bespricht er die spätere »Universitä dei Marmorarii«, deren Statut vom Jahre 1406 noch irh Archiv der heutigen Genossenschaft bewahrt wird. Sie sind es, denen die aus dem 16. und den folgenden Jahrhunderten stammenden Arbeiten in kostbarster Steinintarsia an den Altären, Taber- nakeln, Grabmälern römischer Kirchen wie an den Wänden der Paläste Roms, bis herab zur ornamentalen Ausschmückung der neuen Apsis von S. Giovanni in Laterano durch Leo XIII. verdankt wird. Glänzende Namen der Künstlerschaft Roms finden sich unter den Mitgliedern der

Literaturbericht.

377

Genossenschaft, wie G. B. Sangallo, Flam. Vacca, Giac. della Porta, Algardi, Bernini, Borromini, Stef. Maderna. Doch hatte sich schon i539 die Genossenschaft der Bildhauer, der die letztgenannten angehören, von derjenigen der Marmorarbeiter losgelöst.

Im Jahrbuch der k. preuß. Kunstsammlungen, Bd. XXVII (1906) findet sich eine Studie des Berichterstatters über ein unbekanntes Jugendwerk Andrea Sansovinos (S. 79 '^05). Es ist dies ein kleines Hostientabernakel der Kirche S. Margherita a Montici bei Florenz, das sich durch Vergleich mit anderen Jugendarbeiten des Meisters als eine Schöpfung seines Meißels erweist. Im weiteren Verlaufe werden Nachrichten (unter Reproduktion der darauf bezüglichen urkundlichen Belege aus dem Archiv der Domopera) über Arbeiten gegeben, die Sansovino für S. Maria del fiore auszuführen sich verpflichtete, die er aber nicht einmal in Angriff nahm. Sodann werden einige irrtüm.liche Angaben Vasaris, betreffend Werke des Meisters in Montesansovino, Battifolle und Lucca richtig gestellt und zum Schluß in einem chrono- logischen Prospekt das bisher über Leben und Werke Sansovinos bekannt Gewordene zusammengestellt. Im A.nhang sind einige bisher nicht ver- öffentlichte urkundliche Belege abgedruckt.

Fritz Burger macht uns mit » Neuaufgefundenen Skulptur- und Architekturfragmenten vom Grabmal Pauls II.« in den vatikanischen Grotten (S. 129 141) bekannt, die er an einem (in späterer Zeit zusammengeflickten) Altar in der Capp. della Pietä in St. Peter zu Rom, sowie in den Grotten auffand. Die ersteren bestehen in einem Gebälk- stücke mit Seraphsköpfen zwischen Palmetten von Mino da Fiesoie, dem reichornamentierten Mittelstücke des Altars, von demselben oder A. Bregno, und dem Wappen des Papstes von zwei Löwen gehalten im Sockel des Altars, von demselben. In den Grotten aber wurden von Burger als zum Grab- mal Pauls II. gehörig agnosziert: zwei Engel in Relief in der Capp. praegnantium, der eine von Mino, der andere von Dalmata, beide von der Attica des Denkmals stammend; ferner sechs kniende Engel, je zur Hälfte von Mino und Dalmata gearbeitet, die nach Ansicht des Verfassers die Mandorla mit Gottvater und Engeln (von Dalmata) gehalten haben müssen, die den obersten Abschluß des Monuments bildete. Auf Grund dieser Funde und ihrer Placierung am letzteren gibt der Verfasser eine Rekonstruktion davon, die von der durch Ciacconius mitgeteilten Ab- bildung nicht unwesentlich abweicht.

Frida Schottmüller berichtet unter Beigabe von bildlichen Reproduktionen über »Zwei neuerworbene Reliefs des Luca della Robbia im Kaiser Friedrichs-Museum« (S. 224 227) eine Madonnenlünette

378

Literaturbericht.

aus englischem Privatbesitz und ein frühes, bemaltes Madonnenrelief in Stucco.

Fritz Burger behandelt in seinem zweiten Beitrag zum Jahrbuch »Isaias da Pisa plastische Werke in Rom« (S. 228 244). Außer den dem Meister seither zugewiesenen Werken nimmt der Verfasser für ihn noch folgende Stücke in Anspruch: das Grabrelief des Giordano Orsini in den vatik., Grotten (Nr. 204), die Madonna praegnantium ebendort, die Statuen der Klugheit und Mäßigkeit, jetzt am Grabmal des 1574 verstorbenen Kardinals Aquaviva in S. Giovanni in Laterano, aber ur- sprünglich für das Grabmal Chiaves ebendaselbst geschaffen, sowie viel- leicht auch die Figur des h. Marcus in einer Nische der genannten Kirche, endlich die Grabplatte Fra Angelicos in S. Maria sopra Minerva und den h. Marcus in der Portallünette seiner Kirche am Pal. di Venezia.

Carl Justi sucht in einer ausführlichen dem Bildhauer Pietro Torrigiani gewidmeten Studie (S. 249—281) der auf Grund von Vasaris parteilicher Darstellung nicht nach Verdienst gewürdigten künstlerischen Persönlichkeit des turbulenten Florentiners zu ihrem Rechte zu verhelfen. Besonders ausführlich, auf Grund urkundlichen Materials sind die in England geschaffenen Monumente Torrigianis behandelt. Entgangen sind dem Verfasser die Nachrichten über dessen Arbeiten in Bologna und Fossombrone (s. unsere Mitteilung über sie im Repertorium XXXI, 296).

Im Beiheft zum Jahrbuch setzt G. Gronau seine auf der Durch- forschung des urbinatischen Fonds im Florentiner Staatsarchiv beruhenden Mitteilungen über die Kunstbestrebungen der Herzoge von Urbino fort (S. I 44). Michelangelo betreffend teilt er einige nicht eben wesentliche Briefauszüge zur Entstehungsgeschichte des Juliusgrabmals mit, ferner solche über ein von dem Meister für Francesco della Rovere verfertigtes kleines Bronzepferd (heute verschollen). In dem Abschnitt über Girol. Genga und den Bau der Villa Imperiale bei Pesaro gibt Gronau reiche Auszüge aus der Korrespondenz Franc, della Roveres mit seiner Gemahlin Eleonora Gonzaga, sowie aus den Berichten Gengas und seiner Mitarbeiter über den Fortgang des Baues, aus denen viele interessante Einzelheiten, wesentlich Neues jedoch nicht zu entnehmen ist. Die Nachrichten beginnen mit 1530 und reichen bis zum Tode Bartolomeos, des Sohnes Girolamos im Jahre 1558.

Der Berichterstatter veröffentlicht chronologische Prospekte zum Leben und den Werken Simones del Pollaiuolo, il Cronaca (S. 45 69) und Nannis di Miniato, detto Fora (S. 70 86): Einige der über diesen vergessenen Scarpellino mitgeteilten Urkundenbelege enthüllen ihn uns als Gehilfen Lucas della Robbia und Donatellos bei deren Arbeiten für S. Maria del fiore.

Literaturbericht.

379

Die Zeitschrift für bildende Kunst N. F. Bd. XVII (1906) enthält folgende uns hier interessierende Artikel:

E. Steinmann, »Die Flußgötter an den Medicigräbern Michelangelos « (S. 39 42), macht zwei kleine Tonniodelle von Tribolo im Museo Nazionale zu Florenz bekannt (auch das Kaiser Friedrich-Museum besitzt deren zwei weitere), die er als wahrscheinliche Repliken nach den großen Tonmodellen in Anspruch nimmt, welche von Michelangelo für die genannten Grabmäler geschaffen worden waren (vgl. hierzu unten den Aufsatz von A. Gottschewski).

B. Patzak, »Die Villa Este in Tivoli« (S. 51 62 und 117 131), gibt eine Beschreibung und Würdigung der berühmten Anlage Pirro Ligorios, und reproduziert dazu eine Reihe von Stichen Venturinis, die einzelne Partien davon darstellen.

O. Egger und H. J. Hermann, »Aus den Kunstsammlungen des Hauses Este in Wien« (S. 84 105) geben unter Beigabe wertvoller Illustrationen eine Übersicht der seit Herbst 1904 der öffentlichen Besichtigung zugänglich gemachten Kunstschätze aus dem Besitz Erz- herzogs Franz Ferdinand von Este. Sie stammen der Mehrzahl nach aus dem Schlosse Catajo bei Padua, sowie auch aus Estensischem Besitz in Modena und bieten sowohl für die antike Skulptur als für die der italienischen Renaissance hervorragendes Interesse.

E. Petersen beschäftigt sich in seiner Studie: »Zu Meisterwerken der Renaissance, Bemerkungen eines Archäologen« (S, 179 187) auch mit zwei Werken Michelangelos, den Medicigräbern und dem David. Bezüglich der ersteren weist er auf die Darstellungen von Sol und Luna in der antiken Skulptur hin (z. B. bei Phidias’ Geburt der Athena am Ostgiebel des Parthenon und der Geburt Aphroditens an der Basis seiner Zeusstatue, in Rom am Giebel des kapitolinischen Jupitertempels, wie auch am Sarkophag Fieschi in S. Lorenzo fuori) und nimmt sie als An- regung für Michelangelos Tag und Nacht in Anspruch. Andere antike Reminiszenzen findet er in den ausgespannten Festons, dem Tropäum und dem sitzenden Besiegten an der Krönung des einen Grabmals, wie sie die Albertinazeichnung zeigt, ferner in den Flußgöttern und den Statuen der Erde und des Himmels in den Seitennischen der gleichen Zeichnung, in der Form der Cassoni, in dem Motiv der Nacht, das einer Leda entlehnt und von der vatikanischen Ariadne beeinflußt erscheint; endlich im ganzen Aufbau der Denkmäler, der an die Anordnung im kapitolinischen Giebel erinnert, wo zuoberst die drei Götter, tiefer unten Morgen und Abend, und zuunterst in den Ecken sitzende und liegende Figuren vorkamen. Zur Davidstatue bemerkt der Verfasser die ungewöhnliche Lage der Schleuder, indem er sie durch die Rücksichtnahme auf das

380

Literaturbericht.

Marmormaterial erklärt, das die freie Herausarbeitung der Schleuder verbot.

A. Gottschewski, »Ein Flußgott Michelangelos« (S. 189 193), gibt Nachricht von seiner Entdeckung eines Bronzetorso nach einem Flußgott des Meisters, im Museo Nazionale zu Florenz, der dem seither vom Verfasser wieder aufgefundenen großen Original-Tonmodell Michelangelos durchaus entspricht (s. unten zum Münchner Jahrbuch). Ferner legt der Verfasser seine Gründe dar, weshalb er in den von Steinmann nachgewiesenen kleinen Bronzen Tribolos (s. oben) nicht Repliken nach Originalen Michelangelos sehen könne.

W. Rolfs, »Die erste sizilianische Madonna Lauranas« (S. 193 195), erkennt in der Madonnenstatue zu Trapani, die Venturi (in Bd. IV seiner Storia dell’ arte italiana, pag. 157, 263) als pisanische Nachahmung aus dem Trecento publiziert hat, eine Arbeit Franc. Lauranas. Ferner gibt er eine Reproduktion der Madonnenstatue im Dom zu Sciacca vom Jahre 1467 und weist nach, daß sie, nicht aber die Statue der h. Margherita in ihrer Kirche (wie E. Mauceri annahm, s. Rassegna d’Arte 1906 pag. i) von Laurana herrühre.

J. Durm, »Das Grabmal Theoderichs in Ravenna« (S. 245 259), gibt eine sehr genaue fachmännische Beschreibung des berühmten Bau- denkmals, die alle bisherigen übertrifFt, und weist es als eine von zentralsyrischen Vorbildern beeinflußte Konzeption nach. Auch die angeblich original-gotischen ornamentalen Details sind nichts als miß- verstandene, roh nachgebildete antike Motive.

Siegfried Webers Antonio Begarelli (S. 274 288) bietet eine chronologisch geordnete Charakterisierung der Arbeiten des Meisters, unter Benutzung dessen, was einheimische Autoren (Malmusi, Tiraboschi, Vedriani) über ihn geschrieben haben. Wesentlich Neues wird von Verfasser nicht beigebracht.

Im neubegründeten Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst (Bd. I, 1906) bespricht W. Bode einige Originalwiederholungen glasierter Madonnenreliefs von Luca della Robbia (S. 28 32). Außer den zwei Reliefs im Friese des einen Imprunetatabemakels, die beide in den Gewandfalten, den Konturen und im Ausdruck Abweichungen zeigen, wonach es zur Gewißheit wird, daß keineswegs das eine durch bloßes Abformen über dem anderen hergestellt wurde, außer diesen beiden Reliefs und den zwei anderen mit der Madonna in der Nische bei Shaw in Boston und im New-Yorker Museum führt Bode unter Beigabe ihrer Abbildungen die vier Reliefs im Bargello, im Berliner Museum, bei E. Benda in Wien und bei Dr. E. Simon in Berlin auf, das letztere das

Literaturbericht.

381

schönste von allen. Sie alle zeigen kleine Abweichungen in allen Einzelheiten, am stärksten gerade in dem, was den Künstler bezeugt, im Ausdruck, in der Empfindung. Daß diese vier Wiederholungen eigen- händige Arbeiten Lucas sind, wird zu allem Überfluß durch den Vergleich mit späteren Repliken bezeugt, die sich deutlich als Werkstattarbeit bekunden (eine solche der Imprunetamadonna im Louvre, eine bessere bei W. V. Dirksen in Berlin). Zum Schluß führt Bode zur Ergänzung der Liste von Lucas Werken mehrere erst jüngst als solche erkannte Stücke auf, vor allem die beiden Neuerwerbungen, des Berliner Museums (s. oben unter Jahrbuch der Kgl. pr. Kunstsammlungen).

E. Bassermann-Jordan, »Der Perseus des Cellini und der Perseus- brunnen des Friedrich Sustris im Grottenhofe der Münchner Residenz« (S. 83 93), erörtert die Komposition des ersteren und meint, daß die Schwierigkeit, den liegenden Medusakörper in voller Entwicklung mit dem stehenden Perseus zur Gruppe zusammenzuschließen, den Kleinplastiker Cellini dazu bestimmte, den ersteren an der Komposition überhaupt nicht teilnehmen zu lassen, sondern lediglich als Statuenbasis zu verwenden. Was der Verfasser sodann über die von Cellini beeinflußte Brunnenfigur des Amsterdamer Künstlers ausführt, kann als über den Rahmen unserer Aufgabe hinausgehend nicht weiter erörtert werden.

Den bedeutendsten Beitrag für den ersten Band des Jahrbuchs liefert indes Ad. Gottschewskis Artikel: »Ein Originalmodell Michel- angelos« (S. 43 64). Es handelt sich um seine Auffindung des Torsos eines Modells von des Meisters eigener Hand für einen der vier Flußgötter, die er zu Füßen der beiden Medicigrabmäler in S. Lorenzo anzubringen beabsichtigte. Den Ausgangspunkt für die Entdeckung bot ein Eintrag im Inventar der mediceischen Kunstschätze vom Jahre 1553, der »un torso di bronzo ritratto da un Fiume di mano di Michelangelo« verzeichnet. Diesen Torso agnoszierte Gottschewski in einer kleinen Bronze des Museo Nazionale (zu der daselbst auch eine ergänzte Bronzekopie aus späterer Zeit vorhanden ist). Sodann glückte es ihm, das Originalmodell Michel- angelos zu dieser Bronze in einem überlebensgroßen Tonmodell auf- zufinden, welches unerkannt früher im Hofe und zuletzt im Aktsaal der Florentiner Akademie der bildenden Künste stand, bis es nunmehr im Davidsaal daselbst seine Aufstellung erhalten hat. Es fanden sich ferner im Staatsarchiv die urkundlichen Belege dafür, daß das fragliche Ton- modell 1583 von Ammanati, der es als ein Werk Michelangelos vom Großherzog Cosimo zum Geschenk erhalten hatte, der Akademie über- wiesen ward, »a benefitio de’ giovani che volevano studiare«. Dem Ein wand, daß der Tontorso nach einem kleineren Originalmodell Michel- angelos hergestellt sein könnte, begegnet der Verfasser mit dem Hinweis,

382

Literaturbericht.

daß er »ein Können zeigt, das nur Michelangelo besaß«, und mit dem Beweis, den er hierfür aus der genauen Analyse des Werkes erbringt. Zum Schluß beantwortet Gottschewski die Frage: »wann und warum hat M. Angelo die Arbeit an den Flußgöttern aufgegeben, und welche Anordnung im Aufbau hat er ihnen zugedacht?« Aus des Meisters Briefen weiß man, daß die fraglichen Statuen auf dem Boden aufgestellt werden sollten; aus einer eigenhändigen Zeichnung im British Museum, im Zusammenhalt mit der jetzigen Gestalt der Mediceergräber folgert der Verfasser, » daß Michelangelo die Flußgötter aufgab, als infolge der Konzeption der jetzigen Gestalt die Mittelnische schmäler wurde, der Sarkophag mit den darauf liegenden Figuren- fast die volle Breite des Aufbaues einnahm und der Raum für die Flüsse am Sockel des Sarkophags verloren ging. Zwei Gemälde in den Magazinen der Galerie von Florenz aus dem 18. Jahrhundert (das eine den h. Lucas als Patron der Akademie, das andere ein Bildnis Michelangelos darstellend) geben Kunde, wie hoch man das Werk einschätzte, da man es darauf mit abbildete. Und noch in einem Inventar vom Jahre 1791 ist die Tradition seines Ursprungs lebendig, indem es darin als »il torso di Michelangelo di stucco scuro sopra un trespolo imperniato « bezeichnet wird.

Das Jahrbuch der Wiener Zentralkommission für Er- forschung und Erhaltung der Kunstdenkmale bringt in seinem dritten Bande (1905) einen Artikel R. Eislers über die Hochzeitstruhen der Gräfin von Görz. Er behandelt darin die zwei bisher wenig beachteten Stuckreliefs im Museum zu Klagenfurt, die von den genannten Truhen stammen und in figurenreichen friesartigen Kompositionen, die an die Reliefs antiker Triumphbogen erinnern, die sogenannte » Ge- rechtigkeit Trajans« nach den Versen Dantes im Purgatorio darstellen. Einer der Cassoni wurde jüngst in der Stiftskirche zu Millstadt in Kärnten wieder aufgefunden (woher auch die Reliefs 1853 in das Klagenfurter Museum gelangten). Er trägt das Wappen der Gonzaga und gehörte laut Ausweis des Heiratsinventars im Archiv zu Inns- bruck — zur Ausstattung Paolas, der Tochter Lodovico Gonzagas, die 1477 an Leonhard Grafen von Tirol und Görz- vermählt ward. Zu der gleichen Ausstattung gehörten auch die beiden Elfenbeinkästen mit Triumphen Petrarcas im Grazer Dom, die dahin auch aus Millstadt gelangten. Der Verfasser setzt die Klagenfurter Reliefs aus stilistischen Gründen nach den Grazer Eifenbeinkästen und glaubt, sie seien nach Entwürfen Mantegnas von Luca Fancelli hergestellt. Er stützt seine Zuschreibung auf die stilistische Übereinstimmung, die namentlich in den Köpfen zwischen ihnen und einem Kaminfriese besteht, der aus der

Literaturb ericht.

383

Gonzagavilla zu Revere ins Museum von Mantua gelangt ist, und den er als authentische Arbeit Fancellis in Anspruch nimmt (auf das von Braghirolli im Archivio stör. lomb. 1876 pag. 613 beigebrachte Zeugnis hin).

In der Revue archeologique (1906, I pag. 56 78 verficht Marcel Reymond (Une fa^ade de Giuliano da Sangallo pour la fagade de San Lorenzo) in ausführlicher Darstellung seinen Vorschlag, einen der sechs Entwürfe Sangallos für die Fassade von S. Lorenzo (es ist Nr. 281 der Sammlung von Handzeichnungen der Uffizien, reproduziert bei Stegmann-Geymüller, Architektur der Renaissance in Toskana, Blatt i zu Giuliano da Sangallo) zur Grundlage für ihren beabsichtigten Ausbau zu nehmen. Der Verfasser hält diesen für denjenigen unter den sechs Entwürfen> der sich am meisten dem Stil Brunelleschis nähert und zugleich den Sangallos am reinsten repräsentiert, frei von jedem Einfluß der Architektur des Cinquecento. Um dies zu beweisen, analysiert Reymond zuerst die Konzeption des fraglichen Projekts im allgemeinen und geht sodann auf dessen Einzelheiten ein, indem er ihren Zusammenhang mit bezw. ihre Entwicklung aus dem archi- tektonischen Credo des großen Begründers der Renaissancebaukunst dar- zutun sucht. Die Faktoren, die er als solche bespricht, sind: der Horizontalismus der Linien, die glatte Wanddurchbildung (im Gegensatz zu Albertis in starkem Relief behandelten Fassaden), die Vermeidung der (Pilaster- bzw. Säulen-) Piedestale, Einfachheit der Portale, gekuppelte Säulen (bei Brunelleschi als gekuppelte Pilaster auftretend), die Balustrade als Abschluß des Hauptgeschosses (Brunelleschis Vorbild dazu am Pal. Pitti), Anwendung der Nischen (nach der Initiative Brunelleschis an den Tribünen und der Laterne des Domes), krönende Statuen (antikes Motiv in der Gotik wieder aufgenommen).

Den Jahrgang 1906 der Monuments et Mdmoires, Fondation Eugene Piot füllt ganz eine Beschreibung der in den letzten Jahren vielgenannten Kapelle des h. Laurentius im ehemaligen Lateranspalaste, und des in ihrem Altar bewahrten kostbaren Reliquienschatzes (Le tresor du Sancta Sanctorum par M. Philippe Lauer, p. 1 146, avec 35 illustrations dans le texte et 18 planches en hdliogravure). Dem Verfasser war es gestattet, die einzelnen Stücke genau zu untersuchen und photographisch aufzunehmen. Der Bericht, den er nun davon ver- öffentlicht, ist weitaus das Genaueste, was wir bisher über diese einzigen Kostbarkeiten besitzen*). Da sie indes dem Gebiete der altchristlichen

9 Seither ist H, Grisars Buch darüber erschienen, Freiburg 1908.

3^4

Literaturbericht.

und frühmittelalterlichen Kunst ^angehören, so sei hier nur summarisch darauf hingewiesen. c. v. Fabriczy.

Paul Schubring. Die Plastik Sienas im Quattrocento. Berlin, G. Grotesche Verlagsbuchhandlung, 1907. VIII u. 256 S. gr. mit 143 Abbildungen.

Wenn auch die Ausstellung altsienesischer Kunst vor drei Jahren insofern die unmittelbare Veranlassung zur Verfassung der vorliegenden Schrift bot, als sie die Kenntnis der heimischen Plastik durch neues, aus dem ehemaligen Territorium der Republik herbeigeschafftes Material bedeutend erweiterte, so geht doch die Beschäftigung ihres Verfassers mit dem Thema weit über den Zeitpunkt der erwähnten Veranstaltung zurück. Seit Jahren hat er sich mit den im allgemeinen nicht ihrer Bedeutung entsprechend beachteten Schätzen der Bildnerei eingehend bekannt gemacht, wie sie sich vielfach in von der Mehrzahl selbst der Fachleute kaum aufgesuchten kleineren Kirchen und Bethäusern Sienas und seiner Provinz verbergen, und bietet uns nun die erste zusammen- fassende Darstellung darüber. Denn so wenig die hohen Verdienste übersehen werden sollen, die sich Bode auch um diese Partie der italienischen Kunstgeschichte erworben (er hat sie zuerst schon in die dritte Auflage des Cicerone eingefügt, seither in den folgenden stetig erweitert, und in seinem vorzüglichen Handbüchlein der italienischen Plastik zusammengefaßt) , so brachte es der beschränkte Raum, über den er gebot, notwendig mit sich, daß er sich über den Gegenstand nicht in gewünschter Ausführlichkeit verbreiten, dessen Bezügen zur Kultur im allgemeinen und zu den übrigen Zweigen der Kunst im besonderen nicht nachgehen, die Zusammenhänge der einzelnen Meister in Hinsicht auf Lehre und Stil nicht durchweg erforschen und aufdecken konnte. Alles dies mußte einer monographischen Behandlung Vorbehalten bleiben, wie sie uns nunmehr in der von ebensoviel Liebe als kritischem Verständnis zeugenden Arbeit Schubrings geboten wird.

Es kann nicht unsere Absicht sein, den Spuren des Verfassers folgend sein Thema vor dem Leser auszubreiten. Wir müssen uns darauf beschränken, diesen auf u. E, besonders wichtige oder gelungene Partien der Darstellung aufmerksam zu machen, sodann unseren in einzelnen Punkten abweichenden, auf langjährige, von besonderer Vor- liebe getragene Beschäftigung mit dem Gegenstände gestützten Ansichten Ausdruck zu geben, endlich auch im Interesse der Sache einige wenige tatsächliche Versehen zu berichtigen.

An die Spitze seines Buches stellt der Verfasser selbstverständlich nachdem er auf die im Vergleich zu Florenz so frühe Entwicklung

Literaturbericht.

385

der Skulptur in Siena unter dem maßgebenden Eingreifen Niccolö und mehr noch Giovanni Pisanos, sowie auf das in der Folge so bedeutsame frühe Auf- treten der Holz- und Tonplastik, des durch seine Polychromie für den eminent malerisch -dekorativen Sinn der Sienesen kongenialsten Zweiges der Bildnerei, hingewiesen den großen Pathetiker aus dem Trecento und ebenso großen Typenbildner einer neuen Epoche Jacopo della Quercia. Gern und durchweg stimmen wir den feinen Apergus zur Würdigung seiner künstlerischen Persönlichkeit bei, die Schubring zumeist in Form geistvoller Antithesen vorbringt. Nur darin können wir ihm nicht folgen, wenn er ihn auch als Holzbildhauer reklamiert; jenes Jugendwerk, auf Grund dessen er dies tut, das Reiterstandbild des Giantedesco, war keine »Holzstatue«, sondern bloß über einem Holzskelett aus Heu und Werg plasmiert und mit einem Überzug von Ton (dem auch andere Be- standteile zugesetzt wurden) versehen. Überdies ist die Arbeit nicht urkundlich beglaubigt; es wird uns von ihr, wie auch von zwei Holz- reliefs für den Dom nur durch Vasaris konfusen und gewiß nicht völlig verläßlichen Bericht Kunde ^).

Der Verfasser spricht von sechs Putten auf den oberen Ecken des Taufbrunnens in S. Giovanni; wir haben bei früheren Besuchen Sienas noch fünf, seit etwa zehn Jahren aber stets nur noch vier an Ort und Stelle gefunden (worauf wir entgegengesetzten Angaben gegenüber wieder- holt hingewiesen): zwei von Turini und zwei von Donatello. Die beiden Holzstatuen der hh. Ambrosius und Antonius Abbas im Besitz von G. Barbaresi zu Siena scheinen uns eher dem Meister der Statuen in S. Martino, als Giov. Turini zuteilbar. Gerade die Merkmale, die Schubring bei ihnen als für Turini charakteristisch hervorhebt: »das starke Anpressen der Arme und das Kurzhalsige« (die Tugenden am Tauf- brunnen sind doch geradezu langhalsig!) finden wir bei den Martino- statuen. Auch bei der Bestimmung der Verkündigungsgruppe in der Chiesa del Santuccio auf Turini kann ich dem Verfasser nicht folgen; ich halte sie nach wie vor (s. Beilage zur Allg. Zeitung vom 16. Februar 1906) für eine Arbeit Goros di Neroccio. Es fehlt ihr das charakteristische »Hammelprofil« von Turinis Tugenden am Taufbrunnen, ihre Faltengebung und Haarbehandlung ist von der seinigen verschieden, die Form der Hände abweichend, wogegen sie in allen diesen Besonderheiten viel besser mit Goros Fortitudo am Taufbrunnen übereinstimmt (man vergleiche ins-

') Der S. IO erwähnte Meister des Holzreliefs in Recanati, Lodovico da Siena, ist identisch mit Lodovico di Magno (Milanesi, Documenti II, 156 und Bullettino Senese 1904 p. 199). Ein zweites späteres Holzrelief der Sieneser Schule ist die Assunta in Montemerano (s. Rassegna d’Arte, 1907 pag. 66).

Repertorium für Kun«twissenschaft XXXI.

26

386

Literaturbericht.

besondere Kopftypus und Haarbehandlung bei ihr und der Annunziata) *). Endlich sehen wir auch in der Holzstatuette des Täufers in der Sakristei des Baptisteriums eher eine Arbeit Goros als Turinis (Mantelfalten, straffe Haltung, Haarlocken!), und nehmen die vom Verfasser ebenfalls ihm zugeteilte Tonmadonna im Rijksmuseum zu Amsterdam (kürzlich von Stef. Bardini erworben) für einen der bisher unter der Kollektivbezeichnung: »Meister der Pellegrini-Kapelle« zusammengefaßten Künstler in Anspruch. Und wenn wir auch dessen Beeinflussung durch Siena zugeben, so können wir doch mit Schubring nicht sehen, »daß sie Turinis Madonna auf dem Sporte llo in S. Giovanni sehr nahe kommt«.

Betreffs der Verkündigungsgruppe aus S. Trinita im Kaiser-Friedrich- Museum geben wir der Bestimmung Bodes auf einen von Ghiberti be- einflußten Florentiner Künstler vor derjenigen unseres Verfassers auf einen Sieneser Bildhauer um 1430 den Vorzug.. Zu den von Bode (Jahrbuch d. pr. Kunstsammlungen 1902 und Nachtrag zum Text des Toskanawerkes) angeführten Gründen möchten wir noch hinzufügen, daß die Gesichtsbildung Gabriels dem klassischen Typus viel näher steht, als es bei irgendeinem Produkt der Bildnerei Sienas aus der fraglichen Epoche der Fall ist, daß ferner die lockere Haarbehandlung in geteilten Löckchen nirgends in Siena Analogien hat, und endlich daß die straffe Haltung des Engels mit dem einen nackt vorgestellten und dem anderen hinter ghibertischen Faltenzügen verhüllten Beine durchaus der selbstbewußten Florentiner Auffassung entspricht, im Gegensatz zu der Timidität, wie sie in den entsprechenden Sieneser Gruppen jener Zeit mehr oder weniger stets zum Ausdruck gelangt.

Ebenso feinsinnige als gerechte Würdigung, die ihm bisher kaum noch zuteil geworden, erfährt in der eingehenden Analyse des Verfassers Vecchiettas Bronzeziborium im Dom 3). Auch damit, daß er das Marmorziborium des Doms von Pienza dem Meister zuteilt, mag Schubring recht haben. Aber wichtiger als dies ist, daß er in der seither dem Francesco di Giorgio gegebenen Predella der Münchener Pinakothek mit dem Eselswunder des h. Antonius (Nr. 1022) auf Grund ihres Vergleichs mit Vecchiettas Freske im Saal der Scala eine Arbeit des Meisters erkannt hat, die zu den perspektivischen Architekturbildern seines eben

») Der »Terribile«, den Gofo 1437 für die Scala liefert, ist nicht ein »Wasser- speier«, sondern ein Rauchfaß (thuribulum) ; vgl. Miscellanea d’Arte I, 68.

3) Wenn hierbei (S. 89 und später S. 130 nochmals) das Bronzeziborium in Fontegiusta als Arbeit Giovannis delle Bombarde v. J. 1430 erwähnt wird, so läuft da eine Verwechslung mit seinem bez, Weihbecken in dieser Kirche unter. Das fragliche Ziborium gehört erst der Wende des Jahrhunderts an; auf Grund wessen es der Cicerone dem Lor. Marrina gibt, wissen wir nicht zu sagen.

Literaturbericht.

3^7

genannten Schülers hinüberleitet. Ein weiteres Verdienst unseres Verfassers ist, daß er nachdrücklicher als es bisher geschehen auf die Be- deutung Vecchiettas als Schulhalter hinweist. Die ganze jüngere Generation der Bildhauer Sienas, die Neroccio, Giov. di Stefano, Franc, di Giorgio (und mittelbar als Schüler der beiden letzteren auch Lor. Marrina und Cozzarelli) erhalten ihre Ausbildung in seinem Atelier. Freilich wandeln sie in der Folge andere Pfade, als die vom Meister gewiesenen.

Für Neroccio, den Maler, weist indes Schubring die Abhängigkeit von Vecchietta schlagend nach, wenn der Schüler auch in der Delikatesse der Behandlung seinen Lehrer weit übertrifft. Das Grabmal Testa- Piccolomini gibt dem Verfasser Veranlassung zu einem kurzen, aber inhaltreichen Exkurs über die Sepulkralskulptur Sienas; genaue Analyse erfährt die jetzt endgültig Neroccio zurückgegebene Predella der Uffizien (mit Fr. di Giorgios Architekturfond), wie im allgemeinen seine malerischen Leistungen 4), Was die Oberschwelle des Portals der Fontegiusta anlangt, so stimme ich dem Verfasser darin bei, daß sie nicht Neroccio angehört (wie bisher ohne urkundliches Zeugnis behauptet wurde). Die Zuteilung an Urbano da Cortona scheint uns auch richtig für die beiden Eckstücke mit den Wappen und den schwebenden Engelputten; das Mittelstück dagegen (Madonna mit zwei anbetenden Engeln) nehmen wir für Giovanni di Stefano in Anspruch. Daß es nicht von Urbano sein kann, lehrt der Vergleich mit seiner ähnlich konzipierten Lünette über dem Eingang zum Oratorium S. Caterina. Für Giovanni spricht das (von Schubring als für ihn charakteristisch hervorgehobene) »Halbfrontale« bei der Madonna, ihr Profil mit der geraden Linie von Stirn zur Nase (beides analog bei der Katharinenbüste am Tabernakel von S. Domenico), die langgezogenen, müden Falten (wie am Berliner Relief Nr. 154 aus S. Francesco), der verkniffene Ausdruck des Kindes, dessen ungewöhnlich tief sitzendes Ohr, Eigentümlichkeiten, denen wir bei anderen Arbeiten dieses Künstlers begegnen. Für die schöne Nikolausstatue in der Kirche der Monagnese (Regie scuole) wissen auch wir keine treffendere Taufe, als auf Neroccio, wenngleich wir das Schwanken des Verfassers dabei begreifen.

Als künstlerische Individualität von ganz eigenem Stempel geht aus der Darstellung unseres Buches Giovanni di Stefano hervor, ein

4) Die Guiden verzeichnen eine Altartafel von unserem Maler in der heutigen Kirche S. Maria Maddalena. Könnte dies nicht das 1484 von den Nonnen des Klosters dieses Namens bestellte Bild sein, das verloren geglaubt wird? Die Dar- stellung stimmt zwar nicht ganz mit dem, was im Vertrag atisbedungen war; aber man weiß ja, daß die Künstler sich nicht immer streng an solche Vorschriften banden. Die Sache lohnte einer genauen Untersuchung.

26*

388

Literaturbericht.

Künstler, der u. E. bisher nicht seinem vollen Werte nach gewürdigt war. Vecchietta viel näher stehend als Neroccio, ist er durchaus nur Bildner, schafft durchaus nur mit den Hilfspiitteln und im Geiste der Plastik, u. z. im Gegensatz zu seinen hier und da gotisch angehauchten Fach- genossen entschieden in Geist und Formen des naturalistischen Quattrocento. Der Verfasser vermehrt sein Oeuvre um folgende neue Stücke: ein Madonnenrelief im Palast von Urbino, die seit der Sieneser Ausstellung viel diskutierte Katharina-Büste bei Palmieri-Nuti, die Stuckbüste der Heiligen in Berlin (Nr. 149) und das Portal der inneren Fassaden wand am Dom zu Siena (dat. 1483). Für die letzteren beiden Arbeiten stimmen wir dem Verfasser bei, nicht so für die beiden ersten. Das urbinatische Relief, das in der architektonischen Umrahmung unleugbare Analogien mit Giovannis Tabernakel in S. Domenico zu Siena aufweist, weicht im Stil des Figürlichen und dies ist doch entscheidend zu sehr von seinen authentischen Schöpfungen ab, ist namentlich auch in der Qualität der Arbeit viel geringer. Dagegen ist dessen Madonna in Motiv und manchen Formeneigentümlichkeiten offenbar von ähnlichen Reliefs Domenico Rossellis beeinflußt (vgl. L’Arte X, 2 18 ff. Fig. 2 und 4), während die Umrahmung das von Desiderio und Bern. Rossellino ge- schaffene Prototyp für Stücke dieser Art nur unwesentlich variiert. Diesem nach will uns scheinen, daß wir in dem fraglichen Relief die Arbeit eines der urbinatischen Gehilfen Rossellis zu sehen haben, und daß bei Giovanni die vage Erinnerung an dasselbe mitgespielt habe, als er das Dömenico-Tabernakel schuf. Für dieses steht das Jahr 1466 keines- wegs fest (der damalige Auftrag betraf ja eine silberne Büste der

Heiligen); in Anbetracht des entwickelteren Stils scheint uns das

Tabernakel in S. Domenico nach dem an Pal. Bianchi (dat. 1477) ent-

standen.

Was die Palmieri- Büste betrifft, so wird ihr florentinischer

Ursprung und ihre Zuteilung an Mino nach den Argumenten, die Schubring dagegen beibringt, nicht weiter behauptet werden können. Unsers Erachtens gehört sie jedoch nicht Giovanni an, sondern Neroccio. Ihrem Ausdruck »wehmütiger Resignation oder befangener Verträumtheit« begegnen wir nirgends bei jenem, dagegen fast immer bei diesem besonders in den Madonnenbildern, die auch in der Haltung durchweg, im Motiv des Kopftuchs viefach unserer Büste nahestehen. Ihr »feines lyrisches Empfinden« entspricht ganz und gar Neroccio; Giovanni ist viel weniger zart, aber realistischer, kräftiger. Die Verschiedenheit des künstlerischen Charakters beider Meister offenbart sich schlagend in der Auffassung ihrer beiden Katharina-Büsten, der in Berlin und im Pal. Palmieri-Nuti. Wir reklamieren für Giovanni überdies (außer der

Literaturbericht.

389

Madonna am Portal von Fontegiusta auf Grund der weiter oben für sie festgestellten Kennzeichen) folgende Stücke: das Madonnenrelief in Marmor im Oberstock von Fontegiusta (Stuccoreplik in Berlin Nr. 51, in Casa Grottanelli u. a.), dasjenige im Kaiser-Friedrich-Museum Nr. 154 aus S. Francesco in Siena und wohl auch das geringere bei Sign. Turchi in Buonconvento, endlich auch die Verkündigungsgruppe in Holz in der Kirche der Monagnese (Regie scuole). Schubring gibt letztere dem Neroccio, allein seine Charakterisierung derselben (S. 126) entspricht vielmehr der Art Giovannis (kennzeichnend ist auch das starke Vor- wölben des Leibes bei beiden Figuren).

Für den Anonymus der Saracini-Madonna und ihre Repliken schlägt der Verfasser den Namen: »Piccolomini-Meister« vor. Wir haben sie hypothetisch Antonio di Chellino gegeben (Repertorium XXIX, 380), sehen aber nur in den Exemplaren des Louvre, des Pal. Saracini und zur Not in dem bei Bardini eigenhändige Arbeiten, in denen bei March. Arconati und bei G. Salomon sowie im Terenzano-Relief die Hand eines, und in der Madonna Schweizer die eines zweiten Nachahmers 5).

Sehr fesselnd ist das künstlerische Charakterbild Franc, di Giorgios gezeichnet; man merkt ihm die besondere Vorliebe des Verfassers an. Auch fügt er dem Werk des Meisters so viel neue Stücke hinzu, wie bei keinem der übrigen Sieneser Künstler. Zuerst wird ihm das (von uns oben für Giovanni di Stefano beanspruchte) Berliner Madonnenrelief aus S. Francesco zugewiesen, u. z. auf Grund der »großen Verwandtschaft« seiner Komposition mit einem Madonnenbild Francescos in Privatbesitz (abgeb. S. 172). Uns scheint diese Verwandtschaft bloß oberflächlich, Formen und Typen beider Werke aber durchaus verschieden. Sodann wird die Pietägruppe in der Krypta der Osservanza (wie der einst dazu- gehörige kniende Johannes im Museo dell’ Opera, und im Zusammen- hänge damit auch die h. Magdalena und der h. Hieronymus in S. Spirito) dem Cozzarelli genommen und Francesco zugeteilt. Nun enthält aber das Geschichtswerk Sig. Tizios, des Zeitgenossen beider Meister, in der (S. 208 mitgeteilten) Notiz über Cozzarelli die Stelle: »Statuas Pandulfi ad Capriolam effinxit« (Capriola ist der Name des Hügels, worauf das Kloster der Osservanza steht), eine Stelle, die nur auf die Pietägruppe bezogen werden kann, da wir einerseits wissen, daß Pandolfo Petrucci sich die Krypta zur Grabstätte erkor (seine Grabplatte ist am Boden noch vorhanden), andererseits aber sonst keine Statuen daselbst

5) Die Attribution der Madonna in trono von 1490 in Monte Oliveto maggiore an Benedetto da Majano erscheint plausibel. Sie hat manche Ähnlichkeit mit der Lünettenmadonna am Altar der hl. Fina in S. Gemignano (um I475)> allerdings weniger Verwandtschaft mit des Meisters späteren Madonnen.

390

Literaturbericht.

vorhanden sind. Solch ausdrücklichem Zeugnis gegenüber wird es wohl bei der seitherigen Autorbezeichnung für die fraglichen Werke bleiben müssen. Noch bedeutsamer ist die Attribution der drei Reliefs der Kreuzabnahme im Carmine zu Venedig, der Geißelung im Universitäts- museum zu Perugia und der sog. Discordia im South-Kensington- Museum an Francesco. Schubring stützt sie auf die Analogie ihrer architektonischen Hintergründe mit denen auf des Künstlers (und Neroccios) Benedict-Predella in den Uffizien. Solche sind ja unleugbar vorhanden; sie scheinen uns aber nicht so enge zu sein, wie es der Verfasser Wort haben will. Auch die anderen Zusammenhänge mit Siena, die er anführt (Vorhandensein einer Replik der Discordia im Pal. Saracini, Übernahme der Prätorengestalten im Peruginer Relief aus Matteo di Giovannis Stragebildern u. a. m.) sind kaum entscheidend. Was das Carmine-Relief betrifft, so glauben wir dessen Entstehung spätestens 1475 nachgewiesen zu haben (s. Beilage der Allg. Zeitung vom 15. Febr. 1906); keineswegs kann es dem Alter des kleinen Guidobaldo nach erst 1478 (oder später) geschaffen sein, als Francesco zuerst in Urbino weilte. Und wie läßt sich der gereifte Stil des Reliefs mit dem der Gemälde Francescos aus dieser Periode vereinigen? Daß nicht alle der für Urbino tätigen Künstler auch dort (wenigstens zeitweilig) seßhaft waren, beweisen die Arbeiten Lucas della Robbia, Desiderios, Rossellinos für Urbino.

Konnten wir unserm Verfasser in seinen bisherigen Neuzuteilungen nicht folgen, so tun wir dies rückhaltlos in den übrigen: der Bronze- büste Gioviano Pontanos im Pal. bianco zu Genua, und dem Herkules im Albertinum zu Dresden. In das Verdienst, die letztere Bronze der Renaissance, speziell der sienesischen, zurückgewonnen zu haben, teilen sich Max Friedländer und unser Verfasser; in dem Bildnis Pontanos aber haben wir wohl nach dem Zeugnis der Unterschrift: »Alfonsi Calabriae Ducis praeceptor« jene Büste zu sehen, die der Fürst in seiner Bücherei aufgestellt hattet).

Auch das Werk Cozzarellis erfährt in unserem Buche eine Revision. Vor allem werden ihm die Tondi an der Decke der Osservanza, die der Cicerone bisher seinem Lehrer Francesco zuteilt, zurückgegeben, u. E. schon aus dem Grunde mit Recht, weil dieser in den Jahren 1485 1497, in denen die Osservanza ausgebaut wurde, sich nie längere Zeit hindurch in Siena aufhielt. Betreffs des h. Christoforus im Louvre, in dem Schubring eine Arbeit Cozzarellis sieht, sind wir anderer Ansicht (s. unsern Artikel in L’Arte X, 222); auch für die weibliche Büste in Berlin

6) G. Invernizzi, II Risorgimento, Milano 1878, pag. 170; Re Alfonso

ebbe il Pontano in tanta stima che se ne fece scolpire il ritratto che teneva nella sua biblioteca.

Literaturbericht.

391

Nr. 153A) möchten wir ihre bisherige Taufe auf Federighi beibehalten (für Cozzarelli ist sie zu hart in der Modellierung, auch ist er als Marmorbildner nicht urkundlich beglaubigt). Dagegen billigen wir durchaus die Zurückgabe des großen Tonreliefs der Assunta in der Capp. del Diavolo, wie auch die Zuweisung der beiden Statuen in S. Lucia an unsern Meister. Zur Vervollständigung seines Oeuvre wäre noch der Cristo morto am Triumphbogen in der Concezione, die Halb- figur der h. Katharina am Portal ihres Oratoriums, sowie die Tonstatue derselben in S. Girolamo und die der hh. Bernardino u. Caterina im Oratorio di S. Bernardino hinzuzufügen.

Die Reihe der Sieneser Bildner schließt Lor. Marrina, für den der Verfasser außer seinen bekannten Arbeiten?) eine bisher unbeachtete Verkündigungsgruppe in Holz im Oratorio della Misericordia in Anspruch nimmt. Die Urkunden berichten von einem Auftrag für eine solche, aber nicht in Holz, sondern in Ton (es sollten nicht Büsten sein, wie S. 230 zu lesen ist, sondern ganze Statuen), und sie berichten ferner, daß die Besteller die Übernahme des fertigen Werkes zurückwiesen. Sollte dies etwa deshalb geschehen sein, weil der Künstler entgegen dem Vertrag eine Holzgruppe geliefert hatte, und wäre uns diese eben in den Statuen der Misericordia erhalten? Stilistisch stünde der Identifizierung nichts entgegen.

C. V. Fabriczy.

Hans Börger. Grabdenkmäler im Main gebiet. Mit 33 Abb. auf 28 Tafeln. Leipzig 1907. Verlag von Karl W. Hiersemann (Kunst- geschichtliche Monographien V). 78 S.

Ein klug gewähltes, scharf umgrenztes Thema wird hier erschöpfend behandelt, eine Gruppe deutscher Bildwerke stilkritisch analysiert mit erheblichem Gewinn für die kunstwissenschaftliche Erkenntnis. Grab- denkmäler, also relativ sicher lokalisierte und datierte Monumente, in langer, ziemlich lückenloser Reihe, aus dem 14. und 15. Jahrhundert in den wichtigsten Kunststätten des fränkischen Landes werden verglichen. Die Stilanalyse ist um so ertragreicher, wie die Aufgabe in der Haupt- I Sache konstant bleibt. Der Verfasser, der sich strenger Wissenschaftlich- keit und knappen Vortrags befleißigt, voreilige Schlußfolgerungen vermeidet, spricht im ersten Abschnitt von der menschlichen Figur, in- dem er damit beginnt, die Grabdenkmäler des 14. Jahrhunderts in Würz-

7) Der S. 225 erwähnte Auftrag der Compagnia di S. Girolamo betrifft die Um- rahmung eines Altars; er ist in der Kirche dieses Namens vorhanden (3. Altar links). Am Altar in Fontegiusta ist die Hand von Marrinas Genossen Cioli im Hochrelief der Pieta deutlich zu erkennen.

392

Literaturbericht.

bürg, Frankfurt und Mainz zu betrachten, und sich dann zu den Monu- menten des 15. Jahrhunderts wendet.

Der zweite Abschnitt ist der Denkmalsform, dem Aufbau, der archi- tektonischen Rahmung gewidmet, der dritte sehr kurze Abschnitt dem Verhältnis der Grabfigur zur Rahmung,

Von den Hauptstätten Würzburg und Mainz abgesehen, werden die Monumente in Frankfurt, Oberwesel, St. Goar, Eberbach, Oppenheim, Bamberg, Aschaffenburg, Bronnbach, Grünsfeld und Lohr in Betracht gezogen.

Eine deutliche Anschauung von der Stilwandlung in der Behandlung des Porträtkopfes, des Körpergerüstes und namentlich des Faltenwurfs ergiebt sich dem Verfasser und wird dem Leser mit ernster Bemühung vermittelt. Die heikele Aufgabe, das gotische Faltenspiel zu beschreiben, ist glänzend gelöst. Im 14. Jahrhundert scheint Würzburg die Führung zu haben, während im 15. der Westen eine reichere Produktion zeitigt und stolzere Monumente hervorbringt von Riemenschneiders Persön- lichkeit, die der Verfasser übrigens zu unterschätzen meint, abgesehen. Wie Otto Büchners Arbeit über die Grabplastik in Nordthüringen (Straß- burg 1902) und noch mehr als dieses Buch ist Börgers Studie ein mustergültiger Beitrag zur Geschichte der deutschen Plastik.

Friedländer.

Malerei.

Hermann Voß. Der Ursprung des Donaustiles. Ein Stück Pmt- wickelungsgeschichte deutscher Malerei. Mit 30 Abb. auf 16 Tafeln und im Text. Leipzig 1907. Verlag von Karl W. Hiersemann. 222 S.

Diese nicht nur quantitativ über das übliche Dissertationsmaß hinausgehende Arbeit ist kein wohl komponiertes Ganze. Man bemerkt, wie der Verfasser während des Arbeitens seinen Plan änderte. Der Buch- titel deckt nicht den ganzen Inhalt, ist sogar ein wenig irreführend, da gerade über den Ursprung des »Donaustils« nicht viel ermittelt wird.

Der Band enthält Studien über die Maler, die in der Donaugegend tätig waren. Ein lebhafter Drang nach allgemeinen Ergebnissen und ein jugendliches Bedürfnis, keine Ansicht unausgesprochen zu lassen, führt den Verfasser oft über die Grenzen des engeren Themas hinaus.

Der erste Teil beschäftigt sich mit Wolf Huber, dem Meister von Passau. Seitdem W. Schmidt die Persönlichkeit dieses Meisters neben die Gestalt Altdorfers gestellt hat, ist das Material an Holzschnitten, Zeichnungen und Bildern von mehreren Seiten bereichert worden. Voß bietet einen charakterisierenden Aufsatz, in dem so ziemlich alles, was wir von Huber kennen und wissen, glücklich verarbeitet ist. Die typische

Literaturbericht.

393

Monographie giebt er nicht. Er verzichtete auf Verzeichnisse der Werke, verzichtete auf Vollständigkeit, vielleicht weil er wußte, daß ein anderer Kunstforscher mit einer Monographie Hubers beschäftigt war. Von Rudolf Riggenbach ist wenige Monate nach dem Voßschen Buch eine Basler Doktordissertation »Der Maler und Zeichner W. H.« erschienen (Basel, Gas.ser & Co., 1907), eine gründliche Arbeit, die das Material an Zeichnungen mit weit größerer Vollständigkeit und mit ebenso sicherem stilkritischem Blick, leider in etwas unübersichtlicher Form, ausbreitet.

Voß hat vor Riggenbach voraus, daß er den Passauer Meister im Zusammenhänge mit den Zeit- und Landsgenossen betrachtet und der kunsthistorischen Gruppe richtig anfügt. Er überschätzt seinen Helden nicht und ordnet ihn dem Regensburger Albrecht Altdorfer unter, kennt (wie Riggenbach) nichts von ihm, was vor 1510 entstanden wäre (Alt- dorfer tritt 1506 in den Lichtkreis der Geschichte, Cranach 1502). Be- merkenswert und neu ist die Bestimmung der beiden figurenreichen Tafeln in den k. k. Hofmuseen zu Wien, der Kreuzaufrichtung und der Kreuzigung. Bei Riggenbach findet man mitgeteilt, daß auch ich diese Bilder dem Passauer, natürlich als Arbeiten seiner Spätzeit, zugeteilt habe. Da Voß selbständig auf diesen Gedanken gekommen ist, wird es damit wohl seine Richtigkeit haben. Wir kennen jetzt schon 8 oder 9 Gemälde von Huber.

Im Anschluß an Huber werden einige kleinere Meister, wie H W G, der einige Landschaften im Holzschnitt veröffentlicht hat, besprochen.

Schlecht orientiert zeigt sich der Verfasser über Feselen, er nimmt an, daß das Schönitz-Porträt von ihm herrühre, ohne zu beachten, daß diese Bestimmung selbst von Bayersdorfer, der auf die Idee gekommen war, und selbst von v. Marcuard, der von dieser Idee ausgehend, seine schöne Publikation angelegt hatte, aufgegeben und von niemandem je angenommen worden ist. Mit diesem Irrtum hängen andere Irrtümer zusammen. Das Bildnis beim Fürsten Liechtenstein, das dem Verfasser viel Kopfzerbrechen gemacht hat, da er richtig bemerkte, daß es stilistisch mit dem Schönitz-Porträt und den vielen ähnlichen Bildnissen zusammen- ginge, rührt nicht von Aldegrever her, trotz dem Monogramme. Was soll der westfälische Kupferstecher in diesem Zusammenhänge? Der Maler des Schönitz-Porträts ist von Peseten scharf zu trennen und am besten »Meister der Holzhausen-Bildnisse« zu nennen, weil er damit einiger- maßen lokalisiert wird.

Der zweite Teil ist so überschrieben wie das ganze Buch, enthält also den Kern. Der Verfasser zeigt hier, weit ausgreifend mit Beredsamkeit und Darstellungsgabe, daß er sich ernste Gedanken über alle Äußerungen der süddeutschen Malkunst gemacht hat. Er spricht von Pfennig, Pacher,

394

Literaturbericht.

Wohlgemut, Multscher, gedenkt der Einwirkungen von den Niederlanden her und von Italien. Die Tendenz aller Erwägungen geht dahin, neben die schwäbische und fränkische Kunstübung eine dritte zu stellen, die schon im 15. Jahrhundert eigenen Charakter zeigt (Pacher) und zu Beginn des 16. Jahrhunderts in den Schöpfungen Altdorfers, Cranachs und Hubers sich breit entfaltet. Veit Stoß, der Stecher M Z und andere Meister werden als stilverwandt geschildert und angefügt.

Gegen diese Konstruktion läßt sich natürlich viel einwenden. Die Grenzen des Kunstkreises sind sehr weit und nicht gerade sehr scharf ge- zogen. Schließlich wird nicht viel mehr von dem Gebäude übrig bleiben als daß gewisse Triebe der süddeutschen Malkunst in der Donaugegend am besten fortkamen, und daß Altdorfer und Cranach (mit seiner Jugendkunst) im Donau tal bis herab nach Wien Anregungen ausgestreut haben. Gerade das, woraut es dem Verfasser ankam (scheinbar, nach dem Buchtitel zu schließen): » der Nachweis der Ahnherrn und Meister zu den uns bekannten Donaumalern in dem Lande selbst«, gerade das ist nicht gelungen. Pacher, von dem Voß am meisten spricht, war doch ein bißchen weit von der Donau entfernt tätig, und deutliche Stilbeziehungen zwischen ihm und Altdorfer etwa weiden nicht aufgedeckt.

Abgesehen von den historischen Konstruktionen und gefährlichen Allgemeinheiten, sind fast alle Beobachtungen, charakterisierenden Be- merkungen, Werturteile, Gruppierungen der Meister wertvoll und treffend. Vortrefflich ist namentlich alles, was über Altdorfer, Cranach, den Meister M Z gesagt wird. Mehrere neue Bestimmungen lassen den Scharfblick ■des Verfassers erkennen.

Aus Altdorfers »Werk« wird der Altar von St. Florian ausgeschieden (aber nicht der ganze Altar; die kleineren Tafeln werden dem Regens- burger gelassen). Damit fällt die Anbetung der Könige in Sigmaringen und der Abschied Christi von den Frauen bei Sir Julius Wernher. Eine ganze Phase der Altdorferschen Kunst wird damit irrtümlich unter- drückt.

Bei der verständnisvollen Betrachtung der Jugendwerke Cranachs hätte der Verfasser die schöne Zeichnung der Schächer in der Albertina einfügen können, die um 1503 entstanden, mehr noch als die merk- würdigen Holzschnitte über den Meister aussagt. Friedländer.

Goyas Lithographien und seltene Radierungen. In getreuen Nachbildungen der Originale i n Licht- und Kupferdruck her- gestellt von der K. Reichsdruckerei. Herausgegeben von Valerian von Loga. Fol. in Mappe. Berlin 1907. G. Grotesche Ver- lagsbuchhandlung.

Literaturbericht.

395

Der Herausgeber hat sich mit dieser Veröffentlichung, die auf 32 Tafeln 26 Radierungen und i8 Lithographien Goyas reproduziert, den Dank aller Verehrer des Künstlers erworben. Goyas graphisches Werk in seinen großen Folgen kennen zu lernen, ist heute, wo Abdrücke der Madrider Calcografia auch in den kleinsten Sammlungen zu finden sind, ja nicht schwer, aber diese oft sehr geringen Drucke vermitteln doch mir eine oberflächliche Kenntnis von Goyas Schwarz-weiß-Kunst. In den selte- nen, ja teilweise nur in je einem Exemplar erhaltenen Blättern, die V, v. Loga hier vorführt, ist es uns vergönnt, in Probedrucken, in unvollendeten oder später verworfenen Arbeiten den Künstler beim Schaffen zu be- obachten, gewissermaßen einen Blick in die Intimität seiner Werkstatt zu werfen, dem Entwicklungsgang seiner Technik von ihren Anfängen bis zu ihrer Vollendung zu folgen.

Das verdanken wir nächst der sachkundigen Auswahl, die den Herausgeber aus den Vorräten der Biblioteca Nacional, des Kupferstich- kabinetts in Berlin u. a. Sammlungen die interessantesten Blätter wählen ließ, ganz wesentlich der vorzüglichen Reproduktion, die in der Reichs- druckerei erfolgte und die alle Feinheiten der Originale in die Licht- und Kupferdrucke hinüberbrachte. Dieses Verdienst gebührt der nie ermüdenden Sorgfalt und der vor keiner technischen Schwierigkeit zurück- schreckenden persönlichen Mühewaltung des Geheimrats Röse.

Der knapp gefaßte Text bringt alles, was über die Blätter beizu- bringen ist. Der Verfasser korrigiert hier seine eigenen früher geäußerten Ansichten, wenn er z. B. die »Lluvia de toros« unter die authentischen Arbeiten Goyas zählt; wir möchten ihm darin nicht folgen, sondern uns lieber dem anschließen, was er über dieses Blatt auf Seite 128 seiner Goya -Monographie gesagt hat, wo er geneigt ist, diese schwache Arbeit dem Eugenio Lucas zuzuschreiben.

Die Ausstattung der Mappe ist vornehm, des Verlages würdig.

M. V. Boehn.

Francisco de Goya. Katalog seines graphischen Werkes von Julius Hofmann. Mit 18 Lichtdrucktafeln. 4°. Wi6n 1907. Gesell- schaft für vervielfältigende Kunst.

Die in Deutschland im Laufe der letzten Jahre so stark in die Breite entwickelte Goya-Literatur hat Dr. Julius Hofmann in Wien durch eine Arbeit bereichert, welche alle, die sich ernstlich mit dem spanischen Meister beschäftigen, längst vermißten: mit einem kritischen Oeüvre- Katalog von Goyas graphischem Werk. Bei einer so mühevollen und so undankbaren Aufgabe ist Autopsie alles, und wenn wir hinzufügen, daß der Verfasser seine Arbeit auf eine eigene wertvolle Sammlung gründete

396

Literaturbericht.

und zum Ausbau das durch Lehrs’ Verdienst an kostbaren Goya-Blättern jetzt so reiche Kupferstichkabinett der Berliner Musen benutzte, so ist eigentlich alles gesagt, was sich an Lob und Tadel des Buches sagen läßt.

Hofmann hat das, was er gesehen hat, sorgfältig beschrieben, aber er hat Dinge von ausschlaggebender Wichtigkeit nicht gesehen: die Sammlungen in Madrid, Paris und London. Das ist ein großer Mangel seines Kataloges, und darum ist mit demselben auch leider noch nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit gesprochen. So steht z. B. seine Annahme einer zweiten Ausgabe der Caprichos ziemlich in der Luft; Vermutungen mögen so wahrscheinlich sein, wie sie wollen, sie bleiben doch nur Vermutungen, und bis nicht Forschungen in den Akten der Calcografia Nacional nachgewiesen haben werden, daß man dort wirklich sofort nach Übernahme der Platten einen zweiten Abzug veranstaltet hat, werden für uns Hofmanns erste und zweite Ausgabe der Caprichos nur eine bilden. Gerade bei den Caprichos ist es höchst bedauerlich, daß Hofmann die Probedrucke derselben in Paris und Madrid nicht selbst sehen konnte. Die gründliche Kennerschaft und die intime Vertrautheit mit dem Gegenstände verraten sich auf jeder Seite des Buches, aber »auch Liebe läßt sich übertreiben« und wer z. B. verbuchen sollte, dtats der Proverbios nach Hofmanns Angabe zu bestimmen, wird bald ein- sehen, daß der Verfasser hier weit über das Ziel hinausgeschossen hat.

Die von Hofmann angewendete Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit sind gewiß nicht hoch genug zu schätzen, aber sie hätten ihn doch vor Vellei täten bewahren sollen, wie derjenigen, daß er bei der Tauromaquia und den Desastres ganze Serien von etats beschreibt, von denen ihm selbst kein einziges Exemplar bekannt ist, und die er nur aufführt, weil sie möglicherweise einmal gefunden werden könnten!

Bedauerlich ist es, daß der Verfasser, der jedem Blatt seinen spanischen Titel mit einer hinzugefügten Verdeutschung gibt, sich ver- sagt hat, bei der Tauromaquia das Gleiche zu tun, hier begnügt er sich mit der Übersetzung, während doch das Inhaltsverzeichnis gute und bezeichnende spanische Titel gibt.

Die überraschenden Jahreszahlen auf einzelnen Lithographien, an deren Echtheit Hofmann noch festhalten möchte, sind von Lehrs und Loga mittlerweile als Fälschungen gekennzeichnet worden; zu dem, was Hofmann sonst über die Lithographien beibringt, vergleiche man die Zusätze und Verbesserungen, die Campbell Dodgson in den Mitteilungen der Wiener Gesellschaft für vervielfältigende Kunst 1907 Nr. 3 gebracht hat.

Von diesen an und für sich vielleicht nicht sehr belangreichen Ausstellungen abgesehen, ist Hofmanns Katalog ein verdienstliches und schätzenswertes Werk, bis auf weiteres jedenfalls das Standardwerk für

Literaturbericht.

397

die Kenntnis von Goyas Graphik. Der Verfasser hat ihm eine prächtige Ausstattung und herrliche Lichtdrucke aus dem Atelier von I. Löwy in Wien gegeben, wir können aber nicht verschweigen, daß ein derartiger typographischer Pomp den Leser auch anspruchsvoll macht; ein mit soviel Schönheit und Geschmack gedruckter Text sollte dann den bekannten spanischen Kunsthistoriker Cean Bermudez nicht mit Konsequenz Ceau Bermudez und Goyas Freund Zapater nicht Zagrater nennen.

M. V. Boehn.

Mitteilungen über neue Forschungen.

Der Bentivogliopalast zu Bologna. Gleichzeitige Nachrichten be- zeugen den Beginn des Baues der berühmten Trutzburg der Herrscher Bolognas im Jahre 1460 durch Sante Bentivoglio, sowie nach seinem schon 1463 erfolgten Tode dessen Vollendung durch seinen Nach- folger Giovanni II. Daß Pagno di Lapo Portigiani, in dessen Händen die Ausführung lag, auch den Entwurf geliefert hatte, ist wahrscheinlich, wenn auch nicht ausdrücklich bezeugt^). Von dem Bauwerk ist nichts übrig, fiel es doch bei der Vertreibung Giov. Bentivoglios im Jahre 15® 7 Volkswut zum Opfer. Nur in den Berichten der

Bologneser Chronisten hat sich sein Andenken erhalten: sie alle feiern ^ mehr oder weniger ausführlich als die prächtige Schöpfung eines der ruhmbegierigsten und reichsten Mäzene jener Zeit. Einer der eingehendsten dieser Berichte, der Feder des Giacomo Zili oder Gigli (1448 bis nach 1513) entstammend, ist erst jüngst bekannt ge- worden. Er findet sich in der den Zeitraum von 1494 bis 1513 um- fassenden handschriftlichen Chronik Giglis in der Universitätsbibliothek von Bologna und wurde durch ihren Vorstand im Anhang einer Studie über ihren Verfasser veröffentlicht^). Da er infolge der Stelle, wo dies ge- schah, wohl nur wenigen der Fachgenossen diesseits der Alpen zu Ge- sicht gekommen sein mag, dünkt es uns nicht überflüssig, ihn hier noch- mals zum Abdruck zu bringen. Er lautet:

Lui (d. h. der Palast) primamente aveva uno spacioso et nobilis- simo portico ornato di pilastri singulari et con la piaza quadratta dinanciS); sopra li quali pilastri posava una belisima fazata de fenestre

>) Vgl. unseren Aufsatz über den Meister im Beiheft zum Jahrbuch der k. preuß. Kunstsammlungen Bd. XXIV, S. 140 141.

*) Lod. Frati, Due cronisti Bolognesi plagiari, in den Atti e Memorie della r. deputazione di storia patria per le provincie di Romagna, III® serie, vol. XXIII. Bologna 1905, pag. 284 300.

3) Es ist der kleine Platz, der sich heute vor dem Teatro comunale in Via di Luigi Zamboni ausdehnt, er trägt noch heute im Volksmund den Namen »il Guasto«, in Erinnerung an die Zerstörung des Bentivogliopalastes, der an der Stelle des Theaters stand.

Mitteilungen über neue Forschungen.

399

e cornisotto (corniciotto) e merlatura molto onorata. Similmente era la porta con uno introito longisimo, pasando per dui cortili et poi arivare in un ziardino che per pulicia e quantitä di fonti e d’altre cose asai representava lo paradiso deliciano (?), lo quäl aveva una lozia (loggia) di belisime figure (Statuen) ornata che risguardava uno prato, dove era posta una belisima fonte d’aqua limpida e chiara che a mara- viglia schaturiva et discendeva in uno belisimo e gran vaso (Bassin), dove erano pesi (pesci) d’ogni sorta in bona quantittä. Oh quanto era bello el vederli a bele schiene (?) andare jacendo (giocando).

Poi nel primo cortile evano lozie di sotto e di sopra, in ogni quadro (lato) con ornatissimi pilastri; et nel secondo cortile una lozia per le artigliarie (Geschütze) deputatta et aveva li corduri (corridoji) di sopra.

Intorno da ogni latto dalla parte dinanci sopra lo portico preditto era una magna e gran salla, che lo suo suffitatto haveva d’auro et de frisi (fregi) molto ornatta si come erano le altre stancie di sopra, et poi altri salotti, et di sopra et di sotto era molto copiosa parimente di camare, e guardachamare, et de scritogli, et oratori (Hauskapelle), et altri sechretti camarini e salvarobe, et de granari anplissimi, in volta Tun sopra l’altro, era incredibilmente achomodatta, talmente che ducente quaranta quatro leti (letti) comodissimamente in epsa si facevano.

De la parte septentrionale aveva uno cortille quadrato e grande che porgeva chiarissimo lume a le chamare circonstante, et masimamente a le camare et guardacamare del Protonotario M. Antt. Galiazo (Benti- voglio, 1472 1525, der dritte Sohn Giovannis II.), le quäle erano l’una sopra l’altra, tute instoriate et depinte per mano de multi singula- rissimi pituri et masime di mano del nostro Franza (Francia) bolognese: le quäle piture erano d’auro copiosamente ornate e talmente che costorno pocho mancho di mille duchati4). Li erano dui forni da cosere (cuocere) il panne (pane) apreso a li granari, et stancie da masteli (Kelterbutten) da bulire lo vino propinque ad una over doe gran- (dissime et oltramodo belisime cantine e conserve de vino. Eravi po

4) Wir wissen, daß der Meister im Bentivogliopalast mehrere Bildnisse imd eine Judith gemalt hat (vgl. Crowe u. Cavalcaselle, d. Ausg. V, 607). Auch Lor. Costa hat dort Fresken aus der Geschichte Trojas ausgeführt. Gozzadini, Memorie per la vita di Giov. II Bentivoglio, Bologna 1839 pag. 237 zitiert darüber folgende Stelle aus Ghirardaccis Historia di Bologna zu dem Jahre 1483: In questo tempo Lorenzo Costa Ferrarese a concorrenza di molti altri pittori famosi nel Palazzo di Ser Giovanni Bentivoglj dipinse alcune stanze, ed una Loggia nel terzo Cortile verso il Borgo della Paglia, dove con grandissima arte effigiö la ruina di Troia, cosa da tutti stimata in questo tempo maravigliosa. Ähnlich Fra L. Alberti, Descrizione di tutta l’ltalia, Venezia 1581, t. IV pag. 163.

400

Mitteilungen über neue Forschungen.

Stande de puli (polli?) e chortilli, et altre sechrete de monidone (municioni), e salvarobe.

Aveva poi da el canto de drieto (nach Borgo della Paglia zu) doe inagne e gran stalle, tutte in volta oltra la principale e mazor de tutte, posta dalla parte dinante, a lo oposito del palazo, mediante la piaza.

Poi da la parte meridiana de lo ditto edificio, mediante la via Castagnoli era situata e posta una nobilissima e magna torre, oltre che la fuse (fosse) sopra modo forte era edandio de nobilissime stände incredibilmente achomodatta. Eravi el loco da la sua monidone et pozo con aqua avantaziatta (vantaggiata). El suo quadrato la sua sumitä superava ogni altra tore, eccepto la Asinela; la quäle sumitate era circondatta de uno amplissimo et ornatissimo balaturo (ballatojo, Ga- lerieumgang), con merli ornati de arme schulpte et dipinte, poste a ciaschun angulo. In mezio (mezzo) de epsa sumitate era uno mirabile e belo toresino, con una bona campana (ein Aufsatz, wie am Turm des Pal. Vecchio in Florenz).

Lo quäl edificio fu fundato al mio tempo l’anno 1459 da M. Santo di Bentivogli et poi finito et stabilito da epso M. Zane (Giovanni) con la mazior parte de li usi (usci, Türen) tarsiati da ogni latto et la cornice e frisi de epsi et de le finestre et de li camini de petra schulpiti et dorati nobilmente. El quäl edificio fu estimato costase a farlo ducati cento- milia (Fra L. Alberti sagt darüber: da ognuno fu stimato che questi edifici non fossero condotti a tal grando con meno di centocinquanta- mila ducati d’oro).

Von dem Äußeren des fraglichen Bauwerks ist uns kein authentisches graphisches Zeugnis aufbewahrt. Gozzadini hat a. a. O. eine Zeichnung desselben veröffentlicht, die der Chronik des Ghiselli entnommen ist jedoch laut der Ansicht des genannten Forschers kaum Anspruch auf Richtigkeit erheben darf, da sie von den Beschreibungen abweicht. Da- gegen stimmt mit diesen eine Zeichnung des Grundplanes, die sich in einem Exemplare des handschriftlichen dritten Bandes von Ghirardaccis Historia di Bologna findet, welches mit dem literarischen Nachlaß des 1906 verstorbenen Lokalforschers Can. L. Brevetani in die erzbischöfliche Bibliothek zu Bologna gelangt ist.

C. V. F.

Bei der Redaktion eingegangene Werke:

Albrecht Dürers schriftlicher Nachlaß. Familienchronik, Gedenkbuch, Tagebuch der niederländischen Reise, Briefe, Reime, Auswahl aus den theoretischen Schriften. Mit neun Zeichnungen und drei Holzschnitten Dürers. Heraus- gegeben von Ernst Heidrich. Geleitwort von Heinrich WÖlf fl in. Berlin, Julius Bard.

Braun S. J., Joseph. Die Kirchen bauten der deutschen Jesu- iten. Ein Beitrag zur Kultur- und Kunstgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. Erster Teil: Die Kirchen der ungeteilten rheinischen und der niederrheinischen Ordensprovinz. Mit 13 Tafeln und 22 Abb. im Text. Freiburg i. B,, Herdersche Verlagshandlung. M. 4,80.

Einzelforschungen über Kunst- und Altertumsgegenstände zu Frankfurt am Main. Im Aufträge der Kommission für Kunst- und Altertumsgegenstände herausgegeben vom Städtischen Hi- storischen Museum. I. Frankfurt a. M., Joseph Baer. M. 12.

Führer durch die Staatssammlung vaterländischer Alter- tümer in Stuttgart. Herausgegeben von der Direktion. Mit einem Grundriß und 48 Tafeln in Ton- und Strichätzung. Eßlingen, Paul Neff. M. 1,20.

Gottschewski, Adolf. Über die Porträts der Caterina Sforza und über den Bildhauer Vincenzo Onofri. Mit 45 Abb. auf 18 Tafeln. Straßburg, J, H. Ed. Heitz. M. 8.

Heisenberg, August. Grabeskirche und Apostelkirche. Zwei Basiliken Konstantins. Untersuchungen zur Kunst und Lite- ratur des ausgehenden Altertums. Erster Teil. Die Grabeskirche in Jerusalem. Mit 14 Tafeln und 14 Figuren im Texte. Zweiter Teil. Die Apostelkirche in Konstantinopel. Mit 10 Tafeln und 3 Figuren im Texte. Leipzig, J. C. Hinrichs. M. 40.

j£lcobsen, Emil. Das Quattrocento in Siena. Studien in der Ge- mäldegalerie der Akademie. Mit 120 Abb. auf 56 Tafeln. Straßburg, J. H. Ed. Heitz. M. 20.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

27

402

Bei der Redaktion eingegangene Werke.

Kallab, Wolfgang. Vasaristudien. Mit einem Lebensbilde des Ver- fassers aus dessen Nachlasse herausgegeben von Julius von Schlosser. Sonderausgabe aus » Quellenschriften für Kunstge- schichte« usw. Wien, Karl Graeser. Leipzig, B. G. Teubner. M. 15. Katalog der öffentlichen Kunstsammlung in Basel. Mit 24 Abb. Basel, Emil Birkhäuser. Fr. i.

Lessing, Theodor. Madonna Sixtina. Ästhetische und religiöse Studien. Mit 6 Farbendruck tafeln und 12 Textabbildungen. Leipzig, E. A. Seemann. M. 3.

Mackowsky, Hans. Michelagniolo. Mit 61 Heliogravüren, Voll- bildern in Tonätzung und Faksimiles. Berlin, Marquardt & Co. M. 18. Michaelis, Adolf. Ein Jahrhundert kunstarchäologischer Entdeckungen. Zweite Auflage. Mit einem Bilde C. T. Newtons. Leipzig, E. A. Seemann.

Micholitsch, Prof. Ad. Die Lotosblume. Eine Studie. Sonderabdruck aus dem XIV. Jahresbericht der n.-ö. Landes-Oberrealschule in Krems. Druck von J. Kehl in Krems.

Münsterberg, Oskar. Japans Kunst. Mit l6i Textabbildungen und 8 Tafeln in Farbendruck. Braunschweig, Georg Westermann. M. 4,50. Poppelreuter, Jos. Kritik der Wiener Genesis. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Untergangs der alten Kunst. Köln, M. Du Mont-Schauberg. M. 2.

Raible, Felix. Der Tabernakel einst und jetzt. Eine historische und liturgische Darstellung der Andacht zur aufbewahrten Eucharestie. Aus dem Nachlaß des Verfassers herausgegeben von D. Engelbert Krebs. Mit I4 Tafeln und 53 Abb. im Text. Freiburg i. B., Herdersche Verlagshandlung.

Schelf 1er, Karl. Die Frau und die Kunst. Berlin, Julius Bard. Siren, Osvald. Giottino und seine Stellung in der gleich- zeitigen Florentinischen Malerei. Leipzig, Klinkhardt und Biermann. M. 9.

Waldmann, E. Die gotischen Skulpturen am Rathaus zu Bremen und ihr Zusammenhang mit Kölnischer Kunst Mit 29 Tafeln. Straßburg, J. H. Ed. Heitz. M. 7.

Wartmann, W. Les Vitraux Suisses au Musee du Louvre. Catalogue critique et raisonnd precedö d’une Introduction historique. Preface de M. Gas ton Migeon. Paris, Librairie centrale d’art et d’archöologie.

Zucker, Markus. Albrecht Dürer in seinen Briefen. Mit 20 Abb. im Text und auf 12 Tafeln. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner.

M. 2.

Kritische Studien zu Giorgione.

Von Georg Gronau.

Vorbemerkung.

Was die Neueren bis vor wenigen Jahrzehnten über Giorgione zu sagen gewußt haben, beruht im wesentlichen auf den zwei Autoren, die als die einzigen Quellen für seine Biographie angesehen worden sind: auf Vasari und Ridolfi, von denen der eine vierzig Jahre nach dem Tode des Malers schrieb, doch mehrere von denjenigen kannte, die ihm nahe gestanden hatten, der andere fast genau hundert Jahre später, als jede direkte, lebendige Tradition längst abgerissen war. Beide haben sie nur eine äußerst mangelhafte und unvollständige Kunde von seinem Beben und seinem Schaffen gehabt.

Die anderen, sei es zeitlich nahestehenden Schriftsteller, wie Borghini, sei es solche der Folgezeit, wie Sandrart und vän Mander, wie die Felibien, de Piles und d’Argenville, dann die Lanzi und Federici, oder endlich de Pontes und Rigollot, haben sich mehr oder minder getreu, mit Hinzufügung allgemeiner Betrachtungen, über deren Richtigkeit sich des öftern streiten läßt, an jene ersten Quellenschriftsteller gehalten.

Mit dem Anschwellen der Literatur hielt andrerseits die Bereicherung des »Werks« (oeuvre) Giorgiones gleichen Schritt. Kein Wunder: jeder fürstliche oder nichtfürstliche Sammler wollte seinen Giorgione nicht missen. Und da echte Bilder nicht aufzutreiben waren, so wurden Bilder der verschiedensten gleichzeitigen Autoren der Palma, Sebastiane, Bonifazio, Cariani, und wie sie heißen zu Giorgiones gemacht, wenn man es nicht vorzog, von einem geschickten lebenden Maler, der sich auf die alte Manier verstand, einen echten Giorgione hersteilen zu lassen. Pietro della Vecchia hatte in diesem Genre einen besonderen Ruf, den man heute angesichts seiner durch grobe Formen und einen sehr branstigen Ton unschwer kenntlichen Bilder nicht leicht begreift*).

In das Chaos dieser Zuschreibungen Ordnung gebracht und es gesichtet, zugleich das wenige Tatsächliche kritisch verwertet zu haben, bleibt eines der vielen unvergänglichen Verdienste von Crowe und

*) Schon der feinsinnige Lanzi hatte bemerkt, seine Gestalten wären giorgionesk »non senza qualche caricatura« (Ediz. 1834, t. III p. 182).

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

28

404

Georg Gronau:

Cavalcaselles Werk*). Hier wurde zuerst die Mehrzahl der Bilder an ihre eigentlichen Urheber zurückgegeben. Es ist damals doch noch nötig gewesen, im einzelnen auszuführen, daß das schöne Idyllenbild der Dresdener Galerie mit Jakob und Rahel nicht dem Meister von Castel- franco gehöre.

So bedeutend diese Leistung gewesen ist, so war ihr Charakter doch wesentlich zerstörend. Giovanni Morelli hingegen, der jene Scharfsichtig- keit für Giorgione besaß, die nur eine tiefgehende Sympathie erklären kann, hat zwar das Lebenswerk des Malers auf eine unglaublich geringe Zahl von Bildern herunter gebracht; er hat aber diesem mehrere uner- kannte Bilder zurückerobern können, unter denen sich zwei Stücke vom höchsten Rang befinden 3). Er durfte es wagen, hier mit einer gewissen Selbstgefälligkeit zu sprechen : kein anderer vor und darf man hin- zufügen — nach ihm hat von Giorgiones Kunst eine so klare und richtige Vorstellung besessen 4).

Man durfte glauben, daß durch die Tätigkeit dieser eminenten Autoren wenigstens die Konturen von Giorgiones künstlerischer Persön* lichkeit unverrückbar festgestellt waren. Die jüngste Vergangenheit aber hat uns eines andern belehrt. Vor allem haben zwei Schriftsteller Adolfo VenturiS) und Herbert Cook^) so viele neue Arbeiten (unserer Ansicht nach zu Unrecht) mit Giorgiones Namen in Verbindung gebracht, daß an Stelle der mühselig hergestellten, gestehen wir zu etwas dürftigen, Ordnung und Klarheit eine buntscheckige Verwirrung getreten ist. Und da es scheint, daß oftmals das Irrige rascher sich verbreitet und um sich greift, als das Wahre, so soll im folgenden eine kritische Nachprüfung des gesicherten Materiales des biographischen, wie des Bestands an Kunstwerken versucht werden. Es wird sich dabei nicht um neue und überraschende Entdeckungen handeln: vielmehr um eine Diskussion des Für und Wider, damit jeder, den diese Fragen interessieren, für sich selbst die Entscheidung zu treffen instand gesetzt werde.

Biographisches.

Die Nachrichten erster Hand, d. h. die urkundlichen, sind äußerst spärlich; sie sind dürftiger, als für irgendeinen andern Künstler jenes

») Deutsche Ausgabe Bd. VI S. 154 218.

3) Die Hauptstelle: Galerien München und Dresden S. 270 293.

4) Von der Entdeckung der Venus spricht Jakob Burckhardt mit ausgesprochenem Sarkasmus (Beiträge S. 425). Und doch ist es eine der Großtaten der Kimsterkenntnis gewesen, der man vielleicht nur die Entdeckung des polykletischen Doryphoros durch Friederichs an die Seite stellen kann.

5) In seinem Werk über die. Galleria Crespi zu Mailand, S. 133 flf.

6) Giorgione. 2, Ed. London 1904 (The great Masters).

Kritische Studien zu Giorgione.

405

Zeitalters. Die Hoifnung auf eine wesentliche Bereicherung unseres Wissens in dieser Hinsicht ist leider gering, seitdem auch die Forschungen Paolettis und Ludwigs im venezianischen Archiv für Giorgione gar nichts zutage gefördert haben.

Wir stellen diese wenigen Nachrichten zunächst in Form von Regesten zusammen.

1507. 14. August. Der Rat der Zehn erteilt dem Vorsteher des Salzamtes, Francesco Venier, den Auftrag, an den Maler Zorzi da Castel- francho zwanzig Dukaten zu zahlen »per far el teller [la tela] da esser posto a la udientia de lo ill.mo consiglio«. Gualandi, Memorie, Serie III S. 88; Lorenzi, Monumenti per servire alla storia del Palazzo Ducale di Venezia, S. 141, Dok. 292.

1508. 24. Januar. Derselbe weist den Vorsteher des Salzamts, Alvise Sanuto, an, dem Maler Zorzi da Castelfrancho fünfundzwanzig Dukaten ausziizahlen » per el teller el fa per l’audientia novissima de Capi di esso Ill.mo Consiglio «. (Gualandi 1. c. f. 89 ; Lorenzi, 1. c., S. 144, Dok. 300.)

1508. 23. Mai. Der Rat weist Alvise Sanuto an, eine Geldsumme an den obersten Bauleiter Zorzi Spavento zu zahlen » per la tenda di la tella facta per la Camera di la audientia nuova« (Lorenzi 1. c. S. 145, Dok. 303).

1508. 8. November. Marco Vidal berichtet im Auftrag der

Signorie an die Vorsteher des Salzamts, sie sollten in der Angelegenheit des Zorzi da Castelfrancho »per el depenzer dil fondego de todeschi« Recht sprechen (Gualandi 1. c. S. 90).

1508. II. Dezember. Die von Giovanni Bellini genannten Maler, Lazaro Bastiani, Vittore Carpaccio und Vittor di Matteo, erscheinen vor den Vorstehern des Salzamts als erwählte Schiedsrichter » a veder quello pol valer la pictura facta sopra la faza davanti del fontego de thodeschi et facta per m.o Zorzi da Castelfrancho « ; sie entscheiden auf die Summe von 150 Dukaten.

Am selben Tage wurden Giorgione mit seiner Zustimmung 130 Dukaten ausbezahlt (Gaye, Carteggio II, 137; Gualandi, 1. c.).

1510. 25. Oktober. Isabella d’Este, Marchesa von Mantua, schreibt

von Mantua an den Kaufmann Taddeo Albano in Venedig: sie höre, daß in dem Nachlaß des Malers Zorzo de Castelfrancho sich »una pictura de una nocte, molto bella et singulare« befände; sie wünsche dieses Bild zu besitzen; er solle sich deshalb mit I.orenzo de Pavia oder einem anderen Kunstverständigen in Verbindung setzen, sich davon überzeugen, ob es ein ausgezeichnetes Stück sei, und dafür sorgen, daß sie das Bild erhalte .... »per dubbio non fusse levata da altii«. (Luzio, Archivio storico deir arte, I, 1888, S. 47.)

28*

40G

Georg Gronau:

1510. 8. November. Taddeo Albano an Isabella d’Este, Venedig.

Er antwortet, daß » detto Zorzi mori piü di fanno da peste « ; er habe mit einigen Freunden, die den Maler gut gekannt haben, gesprochen und erfahren, ein solches Bild fände sich nicht im Nachlaß. Allerdings habe er ein solches für den Messer Thadeo Contarini gemalt, das, wie er er- fährt, nicht sehr vollkommen (perfecta) sei. Ein zweites Bild desselben Gegenstandes habe er für einen gewissen Victorio Beciiaro gemalt, der zurzeit von Venedig abwesend sei, doch werde ihm versichert, das eine, wie das andere würden um keinen Preis zu verkaufen sein » perö che

li hanno fatte fare per volerle godere per loro « ; er bedauert also,

ihren Wunsch nicht erfüllen zu können.

Mit diesen wenigen Dokumenten ist erschöpft, was wir unbesti eitbar Sicheres von Giorgiones Leben wissen.

Bevor wir dazu gehen, diese Dokumente kurz zu erläutern, müssen

wir noch eines weiteren Dokumentes gedenken. Im Jahre 1869 sah

Urbani de Gheltof, Vizedirektor des Museo Correr, bei einem venezianischen Antiquar ein Dokument, welches er kopierte, und das Molmenti 1878 erstmalig zum Abdruck brachte (Bullettino delle Arti, Industrie e Curiositä Veneziane, anno II, Nr. 2 S. 2 2). Es wird erklärt, daß der clarissimo Messer Aluixe di Sesti mir Zorzon da Castelfrancho » quatro quadri in quadrato con le geste di Dauide in bona pictura su teile« in Auftrag ge- geben hat; daß der Besteller die Leinwand zu liefern und den Preis der Bilder zu bestimmen habe, wenn sie fertig und zu seiner Zufriedenheit ausgefallen sind, »entro il presente anno 1508«. Unterschrieben »Io Zorzon de Castel- francho di mia man scrissi la presente in Venetia li 13. febrar 1508«.

Doch begegnet die Echtheit dieses Stücks, das seither verschollen ist, starken Zweifeln, wie Antonio della Rovere zuerst erkannt hat 7). Zwei Momente sprechen gegen dieses »Autograph«: i. daß sich der Maler »Zorzon« nennt, welche Namensform in keinem gleichzeitigen Dokument vorkommt; er heißt sonst stets abwechselnd »Zorzi« oder »Zorzo«, und in eben diesen Formen erscheint der Name bei dem Anonymus des Morelli. 2. das Datum »13. Februar 1508« ist in der modernen Zeitrechnung unbedingt »1509« zu verstehen, da das venezia- nische Jahr mit dem i. März beginnt. Diesen wichtigen Umstand hat der Fälscher übersehen: es ist unmöglich, daß Giorgione geschrieben haben kann, die Bilder sollten innerhalb des laufenden Jahres 1508 voll- endet sein, welches binnen vierzehn Tagen, von dem Vertrag an ge- rechnet, zu Ende ging; er mußte, als Venezianer an die gebräuchliche Rechnung gewöhnt, unbedingt »1509« schreiben. Diese beiden Umstände

7) Arte e Storia XVII (1898) S. 3. Er beliauptet, es sei auf Grund der von Gualandi publizierten Dokumente gefälscht.

Kritische Studien zu Giorgione.

407

zusammen, vorzüglich aber das zweite Argument, zwingen uns, dieses sog. Autogramm aus der Reihe der originalen Stücke auszuscheiden.

Und nun einige Erläuterungen zu den wenigen Dokumenten, die wir besitzen. Die ersten drei beziehen sich auf ein Gemälde auf Lein- wand, das, für den Dogenpalast bestimmt, in diesem den Audienzraum der Capita des Rats der Zehn schmücken sollte. Nicht unwichtig ist das dritte, welches, bisher unbeachtet geblieben, sich ohne Zweifel aut dieses Bild bezieht. Denn der Umstand, daß ein Vorhang dafür bezahlt wurde, beweist, daß es vollendet gewesen ist, und damit wird dann die gelegentlich*) ausgesprochene Vermutung hinfällig, es sei identisch mit dem »Urteil des Salomo« (jetzt bei Mr. Banks, Kingston Lacy, England); denn dieses ist unfertig.

Auffallenderweise erwähnt kein Schriftsteller das Bild im Dogen- palast; vielleicht war der Raum, in dem es hing, nicht leicht zugänglich. So kennen wir nicht einmal den Gegenstand, der darauf zu sehen war. Zugrunde gegangen ist es unzweifelhaft bei dem ersten großen Brande des Dogenpalastes im Jahre 1574.

Die folgenden Dokumente beziehen sich auf die Fresken an der Fassade (wohl nur der nach dem großen Kanal zugewandten Seite la faza davanti) des Fondaco de’ Tedeschi. Der große Brand, der das Kaufhaus der deutschen Nation vernichtete, war in der Nacht des 27. Januar 1505 gewesen; im April 1507 war der Neubau unter Dach gebracht; die Einweihung fand am i. August des folgenden Jahres statt: zu diesem Termin war die Bemalung noch nicht fertig tutavia dentro si va compiendo, et depenzendo di fuora via«)9).

Durch diese Dokumente ist der Endtermin der Arbeit festgelegt, deren Preis durch drei namhafte, von Bellini designierte Maler, nämlich Lazaro Sebastiani, Carpaccio und Vittore di Matteo (identisch mit Vittor Belliniano), festgesetzt wurde. Solche Preisbestimmung durch andere Künstler ist in der Renaissance ziemlich häufig.

Die Fresken sind seit langer Zeit zugrunde gegangen; Vasari spricht nur sehr im allgemeinen über sie, Ridolfi gibt etwas mehr, doch auch nur einen ungefähren Begriff der Figurengruppen ^o). Keiner von denen, die sie verhältnismäßig intakt gesehen, ist auf den Gedanken gekommen, sie zu reproduzieren: nur Zanetti hat im Jahre 1760 drei Figuren gestochen und so für die Nachwelt eine schwache Vorstellung

*) Crowe & Cavalcaselle 1. c. 182 Anm. 35.

9) Sanuto, Diarii Bd. 7 S. 42 u. 597.

>“) Eine Einzelheit hat uns M. A. Michiel in seinen Diarii aufbewahrt. » Questo Zuan Favro e depento sopra il fontego de todeschi sopra il canton che guarda verso San Bortolomio«. Memorie dell’ Istituto Veneto di scienze t. IX, 1860; S. 389. Vgl. auch Arte e Storia VII, S. 98.

Georg Gronau:

408

gerettet. Fraglich ist, ob ein Stich des H. van der Borcht der Friede, eine Frauengestalt mit Kranz und Ölzweig, triumphiert über den Krieg mit der Bezeichnung »Giorgione in.«, ein Stück aus diesen Fresken wiedergibt.

Die beiden Briefe aus der Korrespondenz der Isabella d’Este, jener reichsten Fundgrube für die Geschichte der hochklassischen Kunst, be- sitzen in mehr als einer Hinsicht kapitale Bedeutung. Einmal weil sie uns das sichere Todesjahr Giorgiones überliefert haben, der nicht lange vor dem 25. Oktober 1510 gestorben sein muß, zweitens die Todesursache, die Pest, die eben damals die Lagunenstadt wieder heimsuchte, angeben, und endlich uns Kunde von zwei Bildern Giorgiones erhalten haben. Beide, heißt es, hatten » una nocte « zum Gegenstand ; darunter hat man nach dem aus Korrespondenzen und Inventaren bekannten Sprachgebrauch eine »Geburt Christi« zu verstehen.

Nun ist aber dem Korrespondenten der Marchesa von seinem Ge- währsmann etwas Falsches berichtet worden. Von dem Bild bei Victorio Becharo wissen wir weiter nichts; wohl aber kennen wir den Kunst- besitz des Taddeo Contarini durch die Beschreibung des Anonymus des Morelli vom Jahre 1525. Contarini besaß drei Bilder von Giorgione, aber keines mit dem angeführten Gegenstand: dafür war das eine der Bilder »la tela del paese con el nascimento de Paris, con li due pastori ritti in piede«*°aj. Es ist das Bild, das später Erzherzog Leopold Wilhelm besaß, und das Wickhoff in dem Stiche von T. van Kessel in Teniers’ Theatrum wiedererkannte, von dem ein Fragment (doch nur Kopie) in Budapest zu finden ist. Daß jemand, der es vielleicht längere Zeit nicht gesehen hatte, den Gegenstand verwechselte, ist leicht zu begreifen: er hatte wohl nur die Hirten und das am Boden liegende Kind in der Erinnerung behalten. Damit fallen dann gewisse Kombi- nationen, die man an die zwei Exemplare der » Geburt Christi « hat knüpfen wollen, in sich zusammen*^).

Endlich darf man noch eine Kleinigkeit aus jenen beiden Briefen herauslesen, nämlich die hohe Schätzung, deren sich Giorgione am Ende seiner Laufbahn zu erfreuen hatte. Die Eile, mit der Isabella schreibt, die Furcht, es möchte ihr ein anderer zuvorkommen, endlich die Ver- sicherung des Korrespondenten, jene zwei Bilder würden für keinen Preis zu haben sein, geben uns in dieser Hinsicht die wertvollsten Aufschlüsse.

Das Resultat der Untersuchung der wenigen Urkunden, die wir von Giorgiones Laufbahn besitzen, ist also nicht erfreulich. Es sind

*oa) Notizia d’opere di disegno, ed. G. Frizzoni, S. 167.

•») Cook 1. c, S. 24/5. Auch der Herausgeber jenes Briefwechsels, Luzio, hatte bereits an das Bild in Pest gedacht.

Kritische Studien zu Giorgione.

409

wenige Tatsachen; und diese gehören nur seinen vier letzten Lebens- jahren an. Alles Frühere liegt im Dunkel.

Die Biographie Vasaris.

Die Biographie Giorgiones, die man bei Vasari liest^^), ist überaus dürftig ausgefallen, wenn man die Tatsachen, die sie enthält, ins Auge faßt. Dafür hat sie das unbestreitbare Verdienst, Giorgione den ihm ge- bührenden Platz angewiesen zu haben. So oft auch Vasari in Einzel- heiten und Tatsachen irren mag, so hat er doch im allgemeinen die

Akzente richtig verteilt. Man hat ihm in jener Hinsicht genügend Fehler nachgewiesen; die Forschung hat aber viel seltener an dem Ge- samtbild der italienischen Kunst, wie er es zeichnet, zu ändern gehabt.

Zwischen Leonardo da Vinci und Correggio hat er ihn an die Spitze des dritten Teiles seines Werkes gestellt, der die eigentliche

klassische Zeit behandelt.

Die Biographie Giorgiones in der ersten Ausgabe ist noch ungleich armseliger, als diejenige in der späteren von 1568. Und doch war

Vasari einige Jahre, bevor er sie abfaßte, das einzige Mal in seinem Leben für längere Zeit, in Venedig gewesen. Er hatte sich von

Sebastiano und Tizian Nachrichten verschaffen können. Trotzdem ist das Material an Kunstwerken, das ihm zu Gebot stand, überaus gering. Er spricht, von den Fresken an der Soranzo und am Fondaco ab- gesehen (an welchen er noch nicht die bekannte, echt Vasarische Kritik übt), nur ganz vage von den »molti quadri di Nostre donne ed altri ritratti di naturale«, erwähnt das Bildnis, das Giovanni da Castel Bolognese in Faenza besaß, und das seinen Schwiegervater vorstellte ^ 3), und den kreuztragenden Christus in San Rocco. Dann folgen zwei Bilder, die er später fortgelassen hat: das erste, das Altarbild in San Giovanni Crisostomo, das er dann seinem wahren Urheber, Sebastiano, zurück-

erstattet hat (»tengono tanto della maniera di Giorgione, ch’ eile sono state alcuna volta, da chi non ha molta cognizione delle cose dell’ arte, tenute per di mano di esso Giorgione«, V, 566); das zweite, der »Sturm« in der Scuola di San Marco, erscheint 1568 unter dem künstlerischen Besitz des Palma vecchio (V, 245). Endlich noch die ganz unbestimmten Bemerk- ungen über Arbeiten in Castelfranco und im Trevisanischen, über Bildnisse, über sein Schaffen für In- und Ausland : und das ist alles.

In der Neubearbeitung der Viten ist das Bild etwas reicher: immerhin aber ist es nur eine ganz kleine Zahl von Gemälden, die Vasari aufführt. Über die Fresken hat er ein wenig genauere Angaben;

“) Ed. Milanesi Bd. IV S. 91 100.

*3) Leider ist der Name dieser Persönlichkeit nicht festzustellen. S, die deutsche Vasari- Ausgabe V, S. 62 Anm. 8.

410

Georg Gronau:

er hebt einige Einzelheiten hervor, tadelt aber den künstlerischen Geist des Ganzen. Das Porträt in Faenza ist geblieben, auch der Christus in San Rocco, den er aber, in derselben Ausgabe von 1568, ganz ungescheut auch dem Tizian zuschreibt (»la quäl figura, che hanno molti creduto sia di mano di Giorgione« VII, 437).

Von diesen Werken abgesehen, führt er nicht ein einziges derjenigen Bilder auf, die für uns Giorgiones künstlerische Persönlichkeit bedeuten. Dieser Umstand scheint im ersten Augenblick unerklärlich : er ist in Wahrheit leicht zu verstehen. Es gab, von den Fresken und dem San Rocco-Bilde abgesehen, nur ein Werk Giorgiones an öffentlicher Stelle: es war jenes durch Dokumente uns bekannte Gemälde im Dogenpalast; aber eben dieses scheint Vasari nie zu Gesicht bekommen zu haben. Das einzige große Altarbild von Giorgione hat Vasari nicht gesehen; er hat aber bestimmte Kunde von seiner Tätigkeit in Castelfranco gehabt.

Die überwiegende Mehrzahl der Bilder Giorgiones war für den Privatbesitz gemalt und fand sich in den Palästen des Adels; wir kennen sie aus den Notizen des Anonymus (Michiel), aber Vasari hat sie nie gesehen.

Dagegen führt er nun seinerseits Gemälde in Venedig und Florenz auf, die wir sonst nicht kennen. Drei besaß der Patriarch von Aquileja, Grimani ^4), einen David mit langem Haar, angeblich Giorgiones Selbst- bildnis, einen Soldaten mit rotem Barett, einen Kinderkopf mit flaumig- weichem Haar. jVon diesen Bildern sagt der Anonymus kein Wort: sie sind also wohl erst später (zwischen 1542 und 1566?) in den Grimanischen Besitz gekommen. Keines derselben ist mit Gewißheit zu identifizieren: doch mag man sich von dem an dritter Stelle genannten an das Bildnis des Knaben mit der Hirtenflöte in Hampton-Court erinnern lassen.

Ferner nennt Vasari zwei Bildnisse, bei denen er ausdrücklich die Autopsie betont. Das Bildnis des Dogen Leonardo Loredano sah er bei einer Schaustellung am Himmelsfahrtstage, das Porträt der Catharina Cornaro im Besitz des Messer Giovan Cornaro. Giorgione kann beide Personen wohl gemalt haben; Loredano hat das Dogenamt 1501 1521 bekleidet, die Königin von Cypern starb 1510. Beide Bildnisse aber sind uns nicht bekannt.

Ferner kannte Vasari in Florenz ein Doppelbildnis, das Giovanni Borgherini^S) als jungen Menschen nebst seinem Lehrer darstellte, im

*4) Es läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob Vasari Marino oder Gio- vanni Grimani meint, die nacheinander das Patriarchat innehatten.

>5) Ein Aufenthalt Borgherinis in Venedig wird dadurch wahrscheinlich gemacht, daß er in Donato Gianottis »libro de la republica di Venezia« (Rom 1540) eine der auftretenden Personen ist.

Kritische Studien zu Giorgione.

411

Besitz der Söhne Borgherinis; im Hause des Antonio de’ Nobili das Porträt eines Hauptmannes aus Consalvo Ferrantes Gefolgschaft, gemalt, als der »Gran Capitano« nach Venedig kam, den Dogen Agostino Barbarigo zu besuchen, bei welcher Gelegenheit auch der Feldherr selbst Giorgione saß; dieses besonders herrliche Bild habe er dann mitgenommen ^6).

Auch von diesen Bildern ist uns keines bekannt; auffällig nur ist, daß der noch ganz junge und unbekannte Giorgione einen so ehren- vollen Porträtauftrag erhalten haben soll, und nicht etwa das damalige Haupt der Malerschule, Giovanni Bellini, oder der offizielle Maler der Signorie, Gentile. Ein Bildnis Consalvos ist in der Wiener Porträt- sammlung zu finden*?).

Endlich besaß Vasari selbst ein Porträt Giorgiones, in Öl; es stellte einen Fugger dar; da er es aber in seinem berühmten Buch mit Zeichnungen bewahrte, kann es nur von kleinerem Umfang gewesen sein und ist wohl eher als Skizze zu denken. Es mit dem Münchener Bilde (Nr. 1107) in Verbindung zu bringen, wie lange Zeit geschehen ist, liegt gar kein Anlaß vor; viel eher möchte man durch letzteres an die Beschreibung erinnert werden, die Vasari von dem Selbstbildnis des Palma entwirft (V, 246).

Zum Schluß die Anekdote von dem Wettstreit zwischen Giorgione und den Bildhauern, » zur Zeit, als Verrocchio an seinem Bronzepferd arbeitete«, wobei man sich erinnern wird, daß der Maler bei Meister Andreas Tode etwa zehn Jahre zählte. Also aus diesem Anlaß malt er den nackten Mann, den er mittels geistvoller Spiegelungen von allen Seiten sehen läßt*^). Die echte Künstleranekdote, wie sie zu allen Zeiten erzählt worden ist! Übrigens ist nicht Vasari ihr Erfinder; sie ist bereits in Paolo Pinos »Dialogo di pittura« (Venedig 1548) zu lesen, nur daß nach ihm kein Akt, sondern ein gewappneter Sankt Georg dar- gestellt war, und demzufolge das System der Spiegel etwas verschieden ist. Ein solches Bild ist natürlich nicht bekannt, wohl aber getreulich von allen Skribenten mitgeschleppt worden *9).

Noch armseliger jedoch ist das rein Biographische. Diese wenigen Angaben selbst bedürfen einer kritischen Betrachtung. »Giorgione«

'6) Es ist mir nicht gelungen, irgendeinen Besuch Consalvo Ferrantes in Venedig nachzuweisen.

«7) Die Kopie geht offenbar auf ein sehr schönes venezianisches Porträt in der Art Sebastianos zurück (s. Jahrbuch des A. H. Kaiserhauses XIX, 1898, S. 18).

•*) Das hat dann Lomazzo in einem seiner Sonette behandelt; »Grotteschi«, Milano 1587, S. 97. Ein zweites, ebendort (S. 465) abgedrucktes Sonett, an dessen Schluß der Name Giorgiones vorkommt, bekennt Verf. nicht verstanden zu haben.

»9) Nach Ridolfi, Meraviglie I, 88, besaßen die van Voert (Veerle) in Antwerpen ein ähnliches Stück: die Halbfigur eines nackten Mannes, der sich in einem Brusthamisch spiegelte.

412

Georg Gronau:

heißt es, »wurde zu Castelfranco im Jahre 1478 geboren«; in der Aus- gabe von 1568 kommt die Bemerkung hinzu: »als Giovan Mozenigo Doge war, der Bruder des Dogen Pietro«. Giovanni Mozenigo bekleidete 1478 1485 das Dukat, sein Bruder Pietro war 1474 Doge gewesen. Ich glaube, Vasaris Angabe wird ungefähr das Richtige treffen, obwohl man sich natürlich nicht unbedingt und wörtlich auf die Jahreszahl verlassen darf. Denn da er sich in bezug auf das Datum des Todesjahres irrt, das er auf 15 ii angibt, während wir aus Dokumenten wissen, daß der Maler 15 lO starb, so kann auch die erste Angabe unexakt sein. Immer- hin werden die Jugendfreunde Giorgiones, die Vasari persönlich gut gekannt hat, Tizian und Sebastiane, ihm ungefähr das Richtige hierüber mitgeteilt haben.

Wir lesen weiter, »er sei von ganz niederer Herkunft gewesen« und habe wegen seiner Gestalt und seiner hohen geistigen Gaben im Laufe der Jahre den Namen Giorgione erhalten. Es ist bereits oben bemerkt worden, daß in den wenigen Dokumenten, die wir besitzen, der Maler nur »Zorzi« oder »Zorzo« da Castelfranco genannt wird, daß dieselbe Namensform sich bei dem fast gleichzeitigen Anonymus findet^®). Der Name »Giorgione« findet sich zuerst in der Schreibung »Georgione« bei Pino in dem schon erwähnten »Dialogo di Pittura« (1548); er hat dann durch Vasari allgemeine Gültigkeit erlangt.

Wir müssen nun auf Grund der Dokumente sagen, daß uns der Familienname des Malers nicht bekannt ist. Vermuten aber läßt sich, daß Vasaris Erklärung des Namens ein Irrtum ist, wenn wir finden, daß im Jahre 1460 ein »Johannes dictus Zorzonus de Vitellaco« als in Castelfranco ansässig aufgeführt wird^*). Der Beiname ist demnach dem Maler wahrscheinlich von einem Vorfahren, Großvater oder Vater, über- kommen. Spätere machen aus dem Namen gleich ein Stückchen eines Romanes: »il vient de ce qu’il dtait fanfaron, se disant de noble origine, quoiqu’ il füt de basse naissance« (d’Argenville).

Bemerkt sei beiläufig, daß man den Namen Giorgione gelegentlich als Vornamen findet; ein Giorgione Cornaro fiel 1571 bei Lepanto^^).

Über seinen Lehrer hat Vasari in der zweiten Ausgabe keine präzise Angabe (»fu allevato in Vinezia«), während er in der ersten ihn bei den Bellini lernen läßt (»nello stare co’ Bellini in Venezia«). Doch

*°) Castiglione im ersten Buch des Cortigiano (erste Ausgabe 1528) spricht eben- falls von »Georgio da Castelfranco«. Es ist bemerkenswert, daß schon zu so früher Zeit der Künstler mit Leonardo, Mantegna, Raphael und Michelangplo zusammengestellt wird, und zwar außerhalb von Venedig.

*>) Vgl. meinen Aufsatz im Nuovo Archivio Veneto, t. VII, parte II (1894).

«) Er wird wiederholt in den Briefen des urbinatischen Gesandten Agatone genannt; ebenso bei Sansovino, Venetia citta nobilissima, 1663, S. 149.

Kritische Studien zu Giorgione.

413

sagt er am Schluß der Biographie der Bellini, wenn auch etwas unbestimmt (»dicesi«), er habe bei jenen die Elemente der Kunst erlernt. Dafür hat er jetzt die überraschende Notiz, daß der Anblick einiger Werke Leo- nardos ihn sein Kolorit gelehrt habe. Man muß hierzu bemerken, daß diese ganz chauvinistische Bemerkung für den späten Vasari höchst charakteristisch ist: erst in der Neuauflage seines Buchs tritt die Tendenz hervor, alles Gute, das in Italien künstlerisch geleistet worden, mit Toskana in direkten Zusammenhang zu bringen *3).

Nun ist ja Leonardo tatsächlich vorübergehend in Venedig ge- wesen, als Giorgione etwa zwanzig bis zweiundzwanzig Jahre alt war. Es war zu Anfang des Jahres 1500» damals, als er aus Mailand fortge- gangen war. Sollen wir aber wirklich glauben, daß er Bilder mit sich gehabt hat? Nur von einem Werk wissen wir Positives: Isabella von Estes Porträt, ein Karton. Im venezianischen Privatbesitz, soweit wir ihn aus dem Anonymus kennen, befand sich nur ein kleines Madonnen- bild von ihm: es erscheint bei dem venezianischen Autor in einer der späteren Eintragungen (1543) und mag erst damals nach Venedig gekommen sein *4). Doch wer würde bei einer Betrachtung Gior- gioneschen Kolorits sich je an Leonardo erinnert fühlen? Wir müssen also die Behauptung Vasari, dem pragmatischen Schriftsteller, und seiner Theorie von der Allmacht der Florentiner Kunst auf die Rechnung setzen.

Noch finden wir die Angabe, daß Giorgione 1 5 1 1 gestorben sei, die, wie wir gesehen, falsch ist, und daß die Pest, die er sich bei seiner Ge- liebten geholt, die Ursache seines Todes gewesen. Letztere Angabe ist zum Teil als richtig erwiesen; ob es der Roman, der sich daran knüpft, gleichfalls ist, wissen wir nicht. Die eingestreuten Bemerkungen Vasaris über Giorgiones Neigung zu den Frauen und über sein musikalisches Talent ist man geneigt zu glauben: seine Kunst läßt auf das eine, wie das andere schließen.

Die Biographie von Ridolfi.

Ungleich reicher ist, was der »venezianische Vasari« Ridolfi uns zu berichten weiß. Doch wird man ihm gewiß nicht folgen, ohne jede seiner Angaben gewissenhafter Nachprüfung zu unterziehen. Denn ein Autor, der um mehr als hundertdreißig Jahre nach dem Tode des Mannes, von dem er erzählt, geschrieben hat, muß sich ein Kreuzverhör gefallen lassen, ehe man seinen Angaben Glauben zu schenken berechtigt ist.

Er hat den Vasarischen Text zum großen Teil (besonders gegen den Schluß hin) aufgenommen. An rein Biographischem ist auch er

*3) Dagegen sprachen sich Morelli aus (1. c. S. 277) und Burckhardt, Beiträge S. 412, dafür Crowe und Cavalcaselle (1. c. S. 177/8) und Müntz, Hist, de l’art III, S. 599.

»4) Notizie d’ opere S. 225.

414

Georg Gronau:

natürlich arm; wichtig ist hier, daß er zuerst die Fabel von Giorgiones Herkunft aus dem Hause Barbarella in Castelfranco in die Literatur ein- geführt hat, die dann stets als Tatsache genommen worden und auch jetzt noch in Galeriekatalogen und Handbüchern der Kunstgeschichte zu finden ist. Daneben verzeichnet er doch die Tradition, daß Giorgione aus einer Familie in Vedelago im Trevisanischen entstammt gewesen sei, die durch ein oben angeführtes Dokument eine gewisse Stütze erhält. Neu ist, in biographischer Rücksicht, die Erzählung von des Künstlers Ende, die er mit aller Reserve mitteilt und die nicht verfehlt hat, die Romantischen von Giorgiones späteren Biographen zu entzücken; es ist die Geschichte von dem Raub seiner Geliebten durch seinen Schüler Pietro Luzzo, genannt Zarato (Morto da Feltre), der ihm das Herz bricht.

Um so reicher ist nun das Bild von der künstlerischen Tätigkeit Giorgiones, das er vor uns entrollt. Er als der erste führt sein Haupt- werk in die Literatur ein, das Altarbild in Castelfranco; er kennt den Besteller: Tuzio Costanzo. Er kennt die Schätze des venezianischen Privatbesitzes, darunter die Venus in Casa Marcello. Einen breiteren Raum nehmen die Beschreibungen der großen Fassadendekorationen ein; und wir sind ihm dankbar, daß er uns wenigstens von den darauf dar- gestellten Gegenständen einiges mitgeteilt hat. Nach Ridolfi hätte Giorgione mit der Dekoration seines Hauses am Campo San Silvestro begonnen; noch gegenwärtig sieht man an dem Hause, das er wohl meint^S), ein paar dürftige Farbflecken, die sich aber nicht mehr zum geschlossenen Bilde zusammenfügen

Es würde zu weit führen, sollte an dieser Stelle ein jedes Bild, das Ridolfi erwähnt, besprochen werden. Manche Bilder sind evident spätere Machwerke der Katzenkastrator z. B. , andere erwecken in der Beschreibung Vorstellungen von giorgionesken Bildern, ohne daß man in der Lage ist, die Originale selbst nachprüfen zu können. Mehreres läßt sich als mißverständliche Attribution erweisen: so der tote Christus mit Engeln im Monte di Pietä zu Treviso, seit Ridolfi und auf sein Zeugnis in der gesamten Literatur bis zu Crowe und Cavalcaselle als Hauptwerk aufgeführt, in Wahrheit die Arbeit eines grobknochigen Trevi- saners oder Friulaners vom Schlage des Beccaruzzi; so der s. g. Bravo Plotius von Claudius angefallen , jetzt der Wiener Galerie gehörig, ein Werk des Cariani; das Parisurteil in kleinen Figuren, von dem wir

*5) Man vgl. darüber den Aufsatz von Urbani de Gheltof, La Casa di Giorgione, Bullettino delle Arti, Industrie e Curiositä Veneziane a. II n. 2 (1878).

*6) So schrieb ich auf Grund früher gesammelter Notizen. Bei meinem letzten Aufenthalt in Venedig vermochte ich auch diese dürftigen Reste nicht mehr zu entdecken.

Kritische Studien zu Giorgione.

415

mehrere Wiederholungen kennen^?), und das dem giorgionesken Domenico Campagnola am nächsten steht; das »Urteil Salomos«, damals den Grimani di Sant’ Ermagora gehörig, wohl von Sebastiano; eine Frau in Zigeunertracht, die die Hand auf ein mit verschiedenen Zeichen ge- schmücktes Buch stützt, wiederum in einigen Exemplaren bekannt, eine

Arbeit des jungen Tizians.

Diese Irrtümer Ridolfis, die wir nachweisen können, müssen uns

vorsichtig gegen ihn machen, wo wir ihn zu kontrollieren nicht in der

Lage sind. Vor allem die Liste von Bildern mit ovidischen Gegen- ständen erscheint uns zu reich, obwohl ein uns erhaltenes echtes Stück Apoll und Daphne in der Seminargalerie dabei ist; und die Fabel der Psyche scheint er nur anzuführen, um sein gefälliges Erzähler- talent an diesem Gegenstand zu erweisen.

Der Anonymus des Morelli.

Dafür besitzen wir an dem Verfasser der schmucklos geschriebenen Aufzeichnungen über den Kunstbesitz einiger oberitalienischer Städte, vor- züglich aber die in den Palästen Venedigs aufgehäuften Schätze einen Quellenschriftsteller allerersten Ranges. Marc’ Antonio Michiel hat uns die sehr knappen Beschreibungen von fünfzehn Werken Giorgiones hinter- lassen, die aber zur Identifizierung völlig ausreichen, da sie sehr präzis gehalten sind und den Vorzug haben, das Wesentliche zu betonen. Mehrere der Bilder, die er beschreibt, sind uns erhalten; es sind alles anerkannte Schöpfungen des Meisters: dieses stärkt die Autorität des Mannes, der ein jüngerer Zeitgenosse Giorgiones gewesen ist^^) und offenbar ein ebenso großer Kunstfreund, wie Kunstkenner, zwei Dinge, die gewiß schon zu jener Zeit nicht notwendig in derselben Person ver- einigt waren. Seine Bemerkungen über die von anderen Künstlern voll- endeten Bilder haben deshalb für uns autoritative Bedeutung.

Hervorzuheben ist, wie doch auch seine Liste Giorgionescher Bilder klein ist; das läßt den Rückschluß zu, daß es eben tatsächlich niemals viele Bilder von ihm gegeben hat.

Der Anonymus wurde, wie bekannt, erst im Jahre 1800 an die Öffentlichkeit gebracht; die älteren Autoren haben ihn also nicht benutzen können. Sie haben ausnahmslos ohne Kritik Vasari und Ridolfi ausge- schrieben, und ihre, wie der Späteren Angaben mögen höchstens für die Geschichte des einen oder anderen Gemäldes ein Interesse haben. Die venezianischen Guiden endlich wiederholen sich alle in ihren Angaben,

*7) Larpent, Le jugement de Paris attribue au Giorgione, Christiania 1885.

>8) Marc’ Antonio Michiel, den Cicogna fast sicher als den Verfasser der »Notizia« erwiesen hat, war ca. i486 geboren.

4i6

Georg Gronau:

die auf Sansovino und Boschini zurückgehen; sie sind durchgängig ohne Wert.

II. Giorgiones Bilder.

Es ist unsere Absicht im folgenden erst diejenigen Bilder zusammen- zustellen und mit einigen charakterisierenden Worten zu begleiten, die nach langjähriger Vertrautheit und wiederholter Prüfung als Original- werke Giorgiones (oder Kopien von solchen) erscheinen. Wir befolgen dabei die chronologische Anordnung.

I./II. Die »Prüfung des Moses« und das »Urteil Salomos« in den Uffizien. Die Bilder finden sich 1692 in dem Inventare des Schlosses Imperiale (bei Florenz) genau beschrieben; der Künstlername war damals nicht bekannt (»di maniera antica di mano di . . . .«)^9). Sie hingen von einander getrennt, beide jedoch im Appartement der Gran Duchessa Vittoria. Doch scheinen sie weder (woran man denken könnte) aus der urbina- tischen Erbschaft, noch aus der Sammlung namentlich venezianischer Bilder des Kardinals Leopolde de’ Medici herzustammen, da sie in den betreffenden Inventaren nicht beschrieben sind. 1792 aus Imperiale in die Uffizien gebracht.

Neuerdings sind im Cicerone Zweifel über die Autorschaft geäußert worden; sie seien »ferraresisch«. Hierin liegt die gewiß richtige Be- obachtung, daß einige Maler dieser Schule, u. a. Garofalo und Dosso, sich Bilder Giorgiones sehr genau angesehen und in Einzelheiten nach- geahmt haben.

Diese Bilder sind unzweifelhaft Gegenstücke; die Form der Holz- tafel, die an den Seiten etwas gewölbt ist, beweist es ebenso, wie die Übereinstimmung der Maße. Sie sind aber auch als Gegenstücke kom- poniert. Hier wie dort befindet sich an den Bildrand gerückt ein Thron. Auch farbig sollten sie sich kontrastisch ergänzen.

Der Eindruck der Bilder wird durch eine grobe Restauration ge- schädigt, die bei dem »Urteil Salomos« stärker bemerkbar ist, als bei dem anderen: daher denn die Vermutung ausgesprochen wurde, nur das eine sei Original, das andere Werkstattbild. Der Restaurator hat in ganz sinnloser Weise vorzüglich die Falten mit einer dunklen Sepiafarbe, die etwas lackartig aussieht, überschmiert und ihnen jede Weichheit be- nommen; er hat aber auch viele der Köpfe angetastet und zu lächer- lichen Karrikaturen umgewandelt (z. B. im Mosesbild die äußerste Figur rechter Hand und die -zwei Gestalten, die den Greisen einfassen, der

*9) Florentiner Staatsarchiv, Gkiardaroba Fa. 995 c. 3 b und c. 33. In einem anderen Inventar desselben Schlosses, aus dem 17. Jahrhundert, sind die Bilder als Werke Bellinis aufgeführt. S. Arte e Storia II, 1883, S. 229.

Kritische Studien zu Giorgione.

417

hinter Pharaos Thron steht; die Mehrzahl der Figuren auf dem »Urteil Salomos«),

Dagegen sind auf beiden Bildern die Hintergründe völlig intakt. Sie verraten ein bemerkenswertes Naturstudium, das liebevoll und mit viel stärkerer Einzelbeobachtung, als man es bei irgendeinem Venezianer bis zu der Zeit findet auf die Art der Bäume, das Holz ihres Stammes, ihren Wuchs, ihr Laub eingeht (man beachte den Stamm des über dem Greisen an Pharaos Thron aufragenden Baumes, an dem sich die Rinde stellenweise abschält). Das Laub ist mit sehr feinem, spitzem Pinsel tüpfelnd aufgetragen. Die Hintergrundfiguren werden auf dem Landschaftsgrund leicht mit Sepia konturiert und mit aufgehöhten Lichtern hingesetzt: dies Verfahren ist echt giorgionesk und auf mehreren seiner Bilder wieder zu beobachten.

Die Komposition ist bei allem Reichtum jugendlich-ungewandt. Die Figuren sollen möglichst verschiedene Typen repräsentieren; in Aus- sehen und Tracht weichen sie voneinander ab. Man bemerkt Orientalen neben Männern im venezianischen Zeitkostüm; einige sehen wie deutsche Kaufleute aus: sie erinnern direkt an gezeichnete und gemalte Köpfe von Dürer (z. B. das Bildnis in Hamptoncourt von 1506 und Köpfe auf dem Rosenkranzfest). Sie begleiten das Geschehnis mit sehr primitiven Gesten des Erstaunens. Auch die Gruppierung ist diffus und so ungeschickt, wie nur möglich. Jede Figur scheint für sich gestellt; höchstens zwei sind als Gruppe zusammengefaßt. Am unglücklichsten ist der Henker mit dem Kinde ausgefallen, das er am steifen Arm in der Luft .zappeln läßt.

Das Mosesbild ist in mancher Rücksicht dem Urteil Salomos über- legen: man darf vermuten, es sei als zweites entstanden, wobei dann der Künstler die eben gewonnene Erfahrung sich schon zunutze machen konnte.

Gesetzt den Fall, wir wüßten nichts über diese Bilder, so müßten wir sie ohne Zweifel als Arbeiten eines begabten Anfängers beanspruchen. Er erstickt noch in der Fülle dessen, was er wiedergeben will. Große Schwäche der Komposition im Ganzen neben eminenter Einzelbeobachtung.

Man würde weder bei Bellini, noch Carpaccio die unmittelbaren Parallelen finden. Jener ist in den Bildern, die man zum Vergleich heranziehen könnte, der »Madonna am See« in den Uffizien und den fünf Allegorien der Akademie seiner Kräfte völlig Herr; jene Bilder sind Meisterwerke der Komposition. Das landschaftliche Empfinden ist bei ihm völlig verschieden; er geht auf Beobachten und Festhalten einer Naturstimmung besonders Sonnenuntergang aus, hält sich aber nicht bei den Einzelheiten auf. Das gleiche gilt, wenn auch mit Varianten, von Carpaccio; bei ihm tritt das landschaftliche Detail, das

4i8

Georg Gronau:

er wohl treu beobachtet, nicht so stark man möchte sagen fast gleich- wertig — hervor. Zudem bevorzugt er ganz auffällig die Architektur- gründe; sein silbriges Kolorit ist von der Farbengebung unserer zwei Bilder bemerkenswert verschieden.

Auch würden diese beiden zu jener Zeit, in der die Bilder ent- standen sein müssen 1495 1500 etwa , nicht so auffallende Un- gewandtheiten sich haben zuschulden kommen lassen.

Der älteren Schülergeneration Bellinis wird niemand ernsthaft sie zuschreiben wollen; von den jüngeren kommt eben nur Giorgione darum in Betracht, weil sich zu seinen Bildern vielfache Beziehungen nach- weisen lassen. Wir nennen außer der Behandlung der Landschaft und der Staffagefiguren darin: den mehrfach genannten Greis am Thron Pharaos, der zu dem Alten mit der Tafel auf den drei »Geometern« in Wien in auffälligster Beziehung steht; die physiognomische Verwandt- schaft des älteren der zwei Jünglinge mit den Schalen zu dem »Christus« Loschi (Gardner) ist offenbar, während sein jüngerer Gefährte geradezu das einzige Beweisstück für die Echtheit des Porträts der Berliner Galerie ist. Wäre letzteres ein wenig mehr nach links herüber ins Profil gerückt, so würde die Ähnlichkeit jedem sogleich in die Augen springen. Man beachte ferner die Standmotive, wie mehrfach sich die Figuren halb auf den Fußspitzen erheben; auch dieses ist giorgionesk: so balanziert der »Jüngling« des Giovanellibildes, so steht der eine Hirt aut der »Geburt des Paris«; und in dieser Stellung macht der eine Geometer im Schreiten Halt.

Wer sich nun den Unterschied zwischen der Unerfahrenheit eines Begabten und der Unfähigkeit eines talentlosen Nachahmers greifbar veranschaulichen will, der vergleiche mit diesen die zwei Bilder mit Szenen aus der Kindheitsgeschichte des Paris, die kürzlich auftauchten und jetzt Sir Martin Conv/ay in London gehören (Anfang des 19. Jahrhunderts in der Galeria Albarelli in Verona 3°). Es sind wahre Musterkarten giorgio- nesker Motive; doch nicht eines ist unmittelbar in der Natur erschaut und überzeugend wiedergegeben. Es verlohnt nicht, bei dieser Talent- losigkeit zu verweilen.

II. Bildnis eines Jünglings in Berlin. Bis 1892 im Besitz von Jean Paul Richter. Das früheste uns bekannte Porträt von Giorgione. In der Auffassung von den älteren Bildnissen der venezianischen Schule (Antonello, Bellini) fundamental verschieden. Das Abschneiden etwa in Höhe des Ellenbogen durch eine Balustrade entspricht noch dem

30) Zuerst publiziert durch Herbert Cook im Burlington Magazine No. XX, Vol. VI, Nov. 1904, S. 156; ferner in seinem Buch und in der Monographie von Monneret de Villard. Mir nur durch diese Reproduktionen bekannt.

Kritische Studien zu Giorgione.

419

früheren Geschmack; neu ist der Versuch (der noch mißglückt ist), durch das Motiv der vorn aufgelegten Hand Abstand und Tiefe zu gewinnen. Dieses Motiv macht Schule; es kehrt auf venezianischen Bildern der nächsten Zeit immer wieder. Dieses Zusammentreffen von Altem und

Neuem läßt auf einen jungen Meister schließen; die Farbengebung in ihren äußerst gewählten Nuancen führt ebenso zu Giorgione, wie die formale Beziehung zu dem Jüngling des » Moseswunders «. Das Zeichen auf der Brüstung ist unerklärt.

Völlig identisch mit diesem Porträt ist ein zweites Jünglingsbildnis in der Braunschweiger Galerie (Nr. 452), das mit Giorgione schon einmal in Zusammenhang gebracht worden ist3^). Da dieses aber durch Restau- rationen so verdorben ist, daß nur noch die Konturen (die mit dem Berliner Bild sozusagen kongruent sind) seinen früheren Wert zu erkennen geben, so muß man diese Ruine beiseitelassen.

III. Der »Kreuztragende Christus«, früher im Palazzo Loschi in Vicenza, seit einigen Jahren im Besitz von Mrs. Gardner in Boston. Er steht etwa in der Mitte zwischen den Jünglingsfiguren des Mosesbildes und dem Berliner Bildnis. Mit großer Sorgfalt ausgeführt, ganz im Sinne der durch Antonello beeinflußten venezianischen Feinmalerei; so ist die Träne, die langsam die Backe herabrinnt, in jener miniaturglatten Weise vollendet, die man bei Solario kennt. Möglich ist, daß ein mehr altertümlicher Typus als Vorlage gedient hat, den andere Exemplare (in der Sammlung Lanckoronski in Wien und in Rovigo) vertreten. Der Hauptunterschied liegt darin, daß bei Giorgione der Christus mit weiter geöffnetem Auge aus dem Bild herausschaut, ganz in derselben Art wie bei dem Berliner Bildnis; auch die nicht ganz naturalistische Bildung des oberen Lides korrespondiert hier und dort. Giorgionesk ist ferner, wie sich die Profillinie gegen das dunkle Haar absetzt: man beobachtet dies noch an dem jungen Weib der »Familie«.

Auf dem Bostoner Exemplar ist zur rechten Seite ein breites Stück an die Tafel angesetzt, wodurch das Kreuz zu ungefüge wirkt. Im ursprünglichen Zustand durchschriitt der Rand die linke Schulter etwa in der Mitte.

Das Exemplar, das von dem Venezianer Mario de’ Maria in die Samm- lung des Grafen Lanckoronski in Wien kam, ist offenkundig schwächer 3^); man vergleiche nur die Bildung der Locken auf beiden Bildern.

IV. Die »Geburt des Paris«. Im Jahre 1525 vom Anonymus in der Sammlung des Taddeo Contarini aufgeführt. Später (im 17. Jahr-

3') Von Passavant. S. Raphael, französ. Ausgabe, II, f). 369.

3*) Venturi gibt dagegen dem letzteren Bild den Vorzug (S. Archivio stör, dell’ arte VI, S. 412).

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

29

420

Georg Gronau:

hundert) im Besitz des Erzherzogs Leopold Wilhelm; gestochen von Th. van Kessel. Seither verschollen; die Gruppe der Hirten in einer sehr mittelmäßigen Kopie in der Galerie in Budapest erhalten, die jedoch in Einzelheiten (der Hirt mit dem Stab als gereifter, bärtiger Mann) vom Stich abweicht und zu einer gewissen Vorsicht diesem gegenüber mahnt.

V. Die »Familie des Giorgione«; vom Anonymus im Hause des Gabriel Vendramin gesehen und als »Landschaft mit dem Ungewitter, der Zigeunerin und dem Soldaten« bezeichnet. Dann in der Galerie Manfrin (Katalog von Nicoletti 1872, Nr. 41); jetzt Galerie Giovanelli.

VI. Die » drei Philosophen « ; vom Anonymus gleichfalls bei Taddeo Contarino beschrieben. Aus der Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm in die Wiener Galerie gelangt.

Wir fassen diese drei Bilder zusammen, da über ihre etwa gleich- zeitige Entstehung ein Zweifel nicht bestehen kann. Besonders die » Geburt des Paris« und die »Familie« stehen sich nahe; die »Philosophen« mögen etwas (doch nur um weniges) später entstanden sein. Von der » Geburt des Paris « sagt der Anonymus ausdrücklich: »fu delle sue prime opere « 33). Da er mit solchen Bemerkungen äußerst sparsam ist, und da er, wie wir wissen, das Bild in Händen des ursprünglichen Besitzers sah, so hat seine Ansicht vollwichtige Bedeutung für uns, zumal die stilkritische Unters irhung zu dem gleichen Resultat führen muß. Wir setzen alle drei Bilder in die ersten Jahre des sechzehnten Jahrhunderts, etwa 1500 1504 (als äußerste Grenze).

Die » Geburt des Paris « und die » Familie « sind kompositionell eng verwandt: hier wie dort sind die Figuren an die Seiten gerückt; die Mitte wird durch einen in den Vordergrund einschneidenden, bedeutenden Landschaftsausblick eingenommen. Bei der » Familie « werden die Figuren noch mehr zu einem Akzessorium der Landschaft, welche wie die un- m.ittelbare Veranlassung, als das Moment, das die künstlerische Phantasie entfesselte, erscheint. Sehr richtig setzt daher der Anonymus in seinen Beschreibungen » il paese « voran. Bei den » drei Philosophen « hingegen tritt die Landschaft ein wenig mehr zurück, was der Anonymus wiederum andeutet.

Auffallend ähnlich sind die Gestalten des vorderen Hirten und des Soldaten; sie stützen sich in derselben Weise auf den Stab, der locker in der Hand liegt, um den der Daumen herumgreift, und an dem der Zeigefinger ausgestreckt entlangliegt. Ähnlich ruht, doch noch loser, der Fahnenstock in der Hand des heil. Liberale; man muß auch hier an-

33) Dem’ entspricht auch die von mir auf diese Komposition, bezogene Bemerkung in d em Brief des Albano an Isabella d’Este : » quäl per la Information ho auta non e molto perfecta. « Auch das kann man doch wohl nur auf das Jugendwerk deuten.

Kritische Studien zu Giorgione.

421

nehmen, daß der Stab sich an die Schulter lehnt (vgl. im Gegen- satz dazu etwa, wie Mantegnas heil. Georg den Lanzenschaft fest anpackt).

Daß die » drei Philosophen « in diese frühe Zeit gehören und nicht in Giorgiones letzte Periode, wie man geneigt sein kann anzunehmen, weil das Bild nach dem Zeugnis des Anonymus von Sebastiano vollendet wurde, beweist die schon aufgeführte Beziehung zu den Frühwerken der Uffizien und vorzüglich die Behandlung der Landschaft: es ist hier die gleiche, sehr sorgfältige, fast etwas ängstliche Technik zu beobachten, wie auf den bisher genannten Bildern, die Giorgione später gegen eine größere Freiheit der Mache vertauscht.

Die Landschaft ist vielleicht am großartigsten durch den Stimmungs- inhalt bei der » Familie « : ein dräuendes Wetter zieht über das ruhige Stadtbild hin, ein Blitz flammt auf. Man ist nur allzusehr geneigt, in dem, was den Künstler als malerisches Motiv impressioniert haben mag, den Reflex eines seelischen Erlebnisses zu erblicken, das zwischen den beiden Trägern der Handlung sich abspielt.

Die Qualitäten der Landschaft sind bei der » Geburt des Paris « dem Stich nicht zu entnehmen: sie wird sich aber gewiß im heiteren Morgensonnenlicht ausgebreitet haben. Prachtvoll auf dem » Philosophen «- Bild das Geäste des kahlen Baumes, das Gegengewicht gegen die schwere Masse des Felsens zur Linken. Etwas von solchem Geästei auch auf dem Paris-Bild oberhalb der Hirtengruppe.

Man beachte endlich bei dem jüngeren Orientalen des Wiener Bildes die Handform mit dem stark abgespreizten, im Mittelglied umge- knickten kleinen Finger. Dies ist altertümlich, bellinesk: man findet es noch bei der » Madonna von Castelfranco «, während es später völlig bei Giorgione verschwindet.

VII. Die »Madonna von Castelfranco«. Zunächst müssen ein paar historische Bemerkungen über dieses Bild vorausgeschickt werden. Es wurde im Aufträge der namhaftesten Persönlichkeit in Giorgiones Vater- stadt gemalt, des Condottiere Tuzio Costanzo; das wußte bereits Ridolfi, der auch die Anekdote (eine echte Custodengeschichte) verbreitet, in der Figur des Liberale habe Giorgione sich selbst, in der Figur des h. Franz aber seinen Bruder porträtiert. Dieser Mann, der als der beste Ritter seiner Zeit im Turnier galt, verlor seinen zweitgeborenen Sohn Matteo »formoso di volto e di singolar presenza« nennt ihn Sansovino , der im Krieg in Casentino erkrankte, im Jahre 1504. Der Leichnam des jungen Kriegers wurde von Ravenna, wo er gestorben war, nach Castel- franco überführt und in der Parochialkirche vor dem Sankt-Georgs-Altar oeigesetzl^ » dove «, sagt der Chronist Nadal Melchiori, der seine Chronik

29'

422

Georg Gronau:

Während der Jahre 1724 1738 verfaßte34), »nel suo sepolcro marmoreo si vede il medesimo Mattheo scolpito in habito di guerriero con la seguente inscrizione: Mattheo Constantio Cyprio egregia corporis forma insigni animi virtute immatura morte sublato ob bene gestam militiam Tutius pater Mutii filius carissimo filio pientissime posuit. MDIV Mensis Augusti. « Dieser Grabstein ist jetzt außerhalb der Kirche in die Stadt- mauer eingelassen.

Die von Tuzio Costanzo gegründete Kapelle von Sankt Georg war die erste beim Eingang in die Kirche. Außer dem Altarbild von Giorgione war sie mit Fresken geschmückt, die derselbe Chronist folgendermaßen beschreibt: »Evvi pure la detta Cappella dipinta a fresco, nel mezzo della quäle apparisce il Redentore in atto di benedire, et simboleggiati in quattro altri tondi li Evangelisti, con arabeschi al d’ intorno ad uso di que’ tempi, che dicessi il tutto esser di mano dello stesso Giorgione.« Dieser Freskenschmuck ist mit der Kapelle bei dem Neubau der Kirche die Grundsteinlegung fand am i. Oktober 1723 statt untergegangen. Das Altarbild Giorgiones kam auf Umwegen in den Chor, wo es, hoch aufgehängt, der genaueren Untersuchung entzogen ist.

Schon damals hatte es Restaurationen erfahren. Der letzte Nach- komme des Stifters der Kapelle, ebenfalls Tuzio Costanzo geheißen, mit dem 1678 die Familie ausstarb, hatte vier Jahre vor seinem Tode das besonders im unteren Teile stark beschädigte Altarbild den Händen des Pietro della Vecchia und des Melchiore Melchiori, Vaters des Chronisten, anvertraut, die es herrichteten, ohne selbst Farben anzuwenden. Bereits 1731 aber war es in viel schlimmerem Zustande, als zuvor, und wurde von dem Venezianer Medi restauriert, der aber den St. Georg und die Landschaft linker Hand übermalte. Seither ist es angeblich noch weitere fünf Male restauriert worden, das letzte Mal 1851/2 durch Paolo Fabbris, der nach Selvaticos Gutachten alle neueren Übermalungen entfernt und nur die fehlenden Stücke ergänzt hat 35).

Die Entstehungszeit ist nun durch das Todesjahr des jungen Costanzo nicht unbedingt sichergestellt. Denn es wird uns schwer, anzunehmen, es sei erst nach dem August des Jahres 1504 in Auftrag gegeben worden, weil es in seinen Formen so sehr viele Beziehungen zu den Jugendwerken verrät; mehr aber, weil wir uns nicht vorzustellen vermögen, daß auch ekle außerordentliche Entwicklung sich so rapide vollzieht, als sie sonst

34) Ich benutzte diese in der modernen, diplomatisch getreuen Abschrift, welche im Stadthaus in Castelfranco bewahrt ist. Der folgende Passus auch abgedruckt in Arte e Storia, XX, 1901, S. 13.

35) F. Fapanni, Della Madonna di Giorgione in S. Liberale di Castelfranco e de’ suoi ristauri. Builettino di Arli, Industrie e Curiositä Veneziane a. II (1879) S. 51 ff.

Kritische Studien zu Giorgione.

423

in knapp sechs Jahren Giorgione erlebt hätte. Man vergegenwärtige sich den Abstand von diesem Altarbild bis zur Venus, bis zum » Sturm « 1 Ein Mann von der sozialen Stellung Tuzio Costanzos hat gewiß nicht auf einen besonderen Anlaß gewartet, um seine Kapelle auszuschmticken; der Auftrag kann sehr wohl vor das Jahr 1504 fallen: wir glauben in der Tat, er sei um etwa zwei, wenn nicht mehr Jahre früher erfolgt.

In dem äußeren Schema der Komposition schloß sich Giorgione hier an das Altarbild Bellinis mit dem Dogen Barbarigo von 1488 in Murano an.

Der Tempelbau, den die Meister dieser Schule sonst stets um die Madonna und die Heiligen aufrichteten, ist verschwunden : nur der marmorierte Fußboden und der rote Stoffvorhang, welcher Vordergrund vom Hintergrund (ohne Vermitdung eines mittleren Terrains) scheidet, erinnern an den heiligen Bezirk. Der Thron steht frei gegen Landschaft und Himmel. Völlig neu ist die Höhe des Throns. Bei Bellini und seiner Gefolgschaft ist Maria stets nur mäßig erhöht, so daß der Scheitel- punkt der Heiligen etwa in der Linie ihrer Hüften liegt. Es ist mir nur eine Ausnahme gegenwärtig, wo der Thron zwar nicht eine so außerordentliche Höhe erreicht, wie auf dem Bild von Castelfranco, wohl aber weit über das übliche sich erhebt; ich meine das Bild des Cristoforo Caselli in der Galerie in Parma, jenes Cristoforo da Parma, der unter Bellini an den Bildern des Dogenpalastes mitgearbeitet und eben jenes Bild, wahrscheinlich in Venedig, 1496 1498 für seine Vaterstadt aus- geführt hat. Auch in der Dekoration des Thrones mit dem Stoff hinter der Madonna und dem herunterhängenden Teppich bestehen vage Be- ziehungen.

Alles erinnert in diesem Bild an die Jugendwerke: so der schmale, länglich-ovale Gesichtstypus der Maria an die Frau der »Familie«, Sankt Franziskus etwas an den jüngeren der »Philosophen«. Die Landschaft ist zwar anders komponiert, wie auf den bisher besprochenen Bildern, weil die Aufgabe ein anderes Vorgehen erheischte; aber ihre Elemente sind mit den Frühbildern eng verbunden. Die romantische Belebung durch Ritterfiguren, die von nun an das Lieblingsmotiv der venezianischen Maler wird, ist bereits auf dem Mosesbild der Uffizien angewandt. Das Kind endlich ist noch fast so schwach gezeichnet, wie diejenigen "auf den Uffizienbildern; eine Beobachtung, die einmal mehr bestätigt, wie schwer auch die begabtesten Künstler den Kindeskörper beherrschen lernen.

Neu und eigenartig ist endlich das Arrangement des Gewandes um Mariens Oberleib. Das weiße Tuch liegt locker auf dem Haupt; es fällt so, daß das Oval ihres Kopfes und die schöne Halslinie zu den Schultern hin klar sich zeichnet. Das schlichte Gewand läßt in rundlichem Aus-

424

Georg Gronau:

schnitt den Brustansatz offen und fällt in einfachen Falten hemdartig zur Taille. Hiermit möge man die entsprechende Anordnung auf allen Bildern Bellinis vergleichen: bei ihm ist fast stets außer dem weißen Kopftuch noch der Mantelzipfel über den Kopf gezogen, woraus sich viel kompliziertere Motive ergeben; auf keinem seiner Bilder sieht man mehr, als ein Stück des Halses, niemals dessen volle Bildung und den Übergang in die Horizontale der Schulterlinien.

Wohl aber werden wir das Gleiche sofort bei Giorgiones nächstem Bilde wiederfinden.

VIII. Stehende Judith, in ganzer Figur. Im achtzehnten Jahr- hundert durch Mr. Forest nach Frankreich gebracht, von diesem an Bertin, dann an Crozat verkauft. Gestochen als Raphael im »Cabinet Crozat« (Recueil d’estampes d’apr^s les tableaux etc. Paris 1742 in fol. t. II). Später nach Petersburg verkauft, jetzt in der Ermitage; dort als Moretto. Zuerst von Daniel Penther in Wien auf Giorgione bestimmt, dessen Attribution Morelli angenommen hat.

Entgegen der Meinung solcher kompetenten Beurteiler, die, wie von Tschudi und HarkS^), das Original gesehen haben, bin ich mit Berenson der Ansicht die nur auf dem Studium der Braunschen Photo- graphie beruht , daß es die Kopie eines echten Bildes ist. Zu dieser Meinung veranlassen gewisse auffallende Schwächen der Zeichnung, be- sonders des entblößten Beines, das zwar echt giorgioneske, doch über- triebene Gefältel, die schiefe Struktur des Hauptes.

Daß dieses Bild oder dessen Prototyp in die gleiche Zeit mit der Castelfranco-Madonna oder nur ganz wenig später anzusetzen ist, darüber kann kein Zweifel bestehen. Der Typus des Kopfes scheint von dem- selben Modell hergenommen, die feine, zierliche Bildung von Hals und Schulterlinien ist identisch, wie auch der gleiche rundliche Halsaus- schnitt des hemdartigen Gewandes hier und dort vorkommt. Über die Madonna hin wird man bis zu dem jungen Weibe des Giovanelli- Bildes geführt. Der auffallende farbige Streifen am linken Oberarm

findet sich bei dem Christus ebenfalls. Der vom Bildrand durch- schnittene Baum erinnert an Verwandtes auf der »Geburt des Paris«, dem Wiener »Philosophen «-Bild, dem »Concert Champ6tre«. Echt giorgionesk auch das in knittrige Falten gelegte Gewand (nur scheint mir eben dies zu sehr übertrieben): man achte auf eine bestimmte Form der Falte, die einem Stück des Maltheserordens-Kreuzes gleicht; sie ist typisch für Giorgione und besonders auf dem. »Concert Cham- p6tre« und der »Venus« zu beobachten. Endlich hat die Figur die (durchaus nicht notwendige) Entblößung des Beines bis über das Knie

3^) Repertorium XIX, 1896, S. 424.

Kritische Studien zu Giorgione.

425

hinauf, die durch den sich in das Gewand setzenden Wind motiviert ist, mit mehrerem später folgenden Bildern gemeinsam: man findet sie auf dem » Eurydike « - Bild in Bergamo (gar zweimal) und dem zeitlich verwandten Cassone mit » Apoll und Daphne « hier durch das Laufen verursacht. Natürlich hat der sinnlich-ästhetische Reiz dieser Formen den Künstler veranlaßt, sie zu zeigen.

Man schenke auch der Art, wie Judith das Schwert locker umfaßt, einige Aufmerksamkeit; es ist wieder kein kräftiges Zupacken, kaum das notwendigste Umgreifen, damit es nicht hinfalle. Das benutzt dann Catena in einem ganz von giorgioneskem Geist erfüllten Bilde, der Halbfigur der »Judith« (in Dresden und Venedig, Querini-Stampalia), deren Typus dem Kopf des jungen Weibes der »Familie« abgelauscht ist. Catenas Urheberschaft bezeugt übrigens schon Ridolfi.

IX. » Madonna zwischen Antonius und Rochus « ; in Madrid. Nach Justi kam das Bild als Geschenk des Herzogs Medina de las Torres, Präsidenten des Rats von Neapel, gleichzeitig mit Raphaels »Madonna mit dem Fisch«, an König Philipp IV. Es wurde mit des Königs besten Stücken in der Sakristei des Eskurial durch Velazquez aufgestellt. In der Galerie des Prado als Pordenone. Von Morelli zuerst auf Gior- gione bestimmt, was von den meisten Kennern angenommen worden ist

Es ist eines der äußerst seltenen Altarbilder in Querformat mit ganzen Figuren (bei Halbfiguren ist dieses Format ebenso häufig); ein älteres Beispiel Bellinis Madonna mit dem Dogen Barbarigo in Murano.

Die Madonna zeigt den fast gleichen Typus, wie die Madonna von Castelfranco und die Judith, doch weicher und frauenhafter. Die Halslinie durch die tiefere Beugung des Kopfes (wodurch die Gestalt den entzückenden Ausdruck des Sinnens erhält) verdeckt; wohl aber wiederum der runde Ausschnitt des Gewandes, mit einer gelblich- goldigen Bordüre (wie bei der Judith) eingefaßt. Auch den Antonius dürfte man als Weiterbildung des im heil. Franz zu Castelfranco vor- gebildeten Typus ansprechen. Neu hingegen ist die etwas derbe Bildung des Sanct Rochus.

Koloristisch geht Giorgione hier bedeutend über seine bisherigen Leistungen hinaus. Er hat Nuancen von erlesener Feinheit, wie den weißen, mit grünen und rotön Blumen gemusterten Brokat, der in den oliv- grünen Vorhang eingelassen ist; alles ist voller genommen, ist wärmer, weicher. Man bedenke aber, was bei einem so hochbegabten Genie etwa zwei Jahre ausmachen; gerade in der entscheidenden Zeit der Zwanziger. Außerdem muß in jenen Jahren seine Tätigkeit als Fresken- maler eingesetzt und auf seine Farbengebung und Piaselführung bedeutend eingewirkt haben.

42Ö

Georg Gronau:

Daher bezeichnet das etwa in die Jahre 1505/06 anzusetzende Bild den Beginn der zweiten Stilperiode Giorgiones. Wieviel er in wenigen Jahren gelernt hat, zeigt vor allem det Vergleich des Christ- kindes hier mit dem Kinde der »Castelfranco-Madonna«. Wie frei es sich bewegt und mit blitzenden Augen um sich blickt im betonten Gegen- satz zur magdisch-schüchternen Madonna. Man möchte sagen, daß das Motiv des Kindes von Tizians Pesaro Madonna hier im Keim erscheint. Aber die Putten sind bei Tizian von gröberer Gestalt, fleischiger: mehr animalisch, als (wie hier) intellektuell, wovon gerade die Prado-Galerie in dem schönen Halbfigurenbild Tizians mit St. Ulphus und Dorothea ein treffliches Vergleichsstück darbietet.

X. Bildnis eines Maltheserritters (Jerusalemritters); Uffizien. Stammt aus der Sammlung des Kardinals Leopolde de’ Medici, in dessen Inventar (1675) es beschrieben ist; damals als Tizian 37).

XI. Bildnis einer Unbekannten, Galerie Borghese. Der Katalog Venturis (Nr. 143) macht über die Provenienz keine Angaben. Attri- bution Morellis.

Die Zuschreibung des Borghese-Bildes steht und fällt mit dem Bildnis der Uffizien. Jenes befindet sich in einem ungewöhnlich

üblen Zustand; es ist aufs barbarischste restauriert. Trotzdem halte ich an der Zuschreibung an Giorgione bestimmt fest, in der mich eine stets wiederholte Besichtigung des Originals nur hat bestärken können. Das, ^ was man mit einem Atelierausdruck als die » mise en toile « bezeichnet, ist so verwandt wie möglich. Es ist jedem nur anzuraten, auf denkbar breitester Basis Vergleiche mit zeitgenössischen venezia- nischen Bildern, sei es der älteren, sei es der jüngeren Richtung vor- zunehmen, um sich von der Wahrheit zu überzeugen. Daran hat keine Restauration etwas verändern können. So findet man auf beiden die länglich-ovalen giorgionesken Augen und die etwas harten oberen Augen- lider, auf die öfter hingewiesen ward. Der bei dem Bildnis notwendige Anschluß an die individuelle Form macht das Heranziehen sonstiger stilistischer Argumente unmöglich.

Das Bild der Uffizien ist sehr eingeschlagen, und durch trüben Firnis manche Einzelheit verloren gegangen. Zudem ist die schwere Tönung des Fleisches gewiß nicht ursprünglich. Diese hat Otto Mündler veranlaßt, hier an Pietro della Vecchia zu denken: dieser grobe Irrtum des namhaften Kenners sollte tutti quanti, die sich über diese Fragen äußern, zu größter Vorsicht mahnen! Trefflich erhalten das Stück Hemd mit dem an goldener Schnur hängenden Schmuckstück; hier kann man

37) Florenz, Staatsarchiv, Guardaroba F. 826, No. 10.

Kritische Studien zu Giorgione.

427

Giorgiones körnigen Farbenauftrag in solchen stark belichteten Partien wohl studieren.

Ein Vergleich mit dem Jünglingsporträt in Berlin lehrt den Fort- schritt in seiner Kunst: die Hand, die sich dort kaum hervorwagt und so ungeschickt gezeigt wird, hat hier schon bildmäßig eine wesentliche Funktion. Von jetzt an verschwinden in Venedig die unter Schulterhöhe abgeschnittenen, büstenartigen Porträts und der Abschnitt wird immer weiter nach unten gelegt, bis endlich bei Tizian und Moroni etwa gleichzeitig die ganze Figur auf die Leinwand gebracht wird.

Bezüglich der Datierung dieser beiden Porträts bekenne ich gewisse Verlegenheit; ich weiß sie nicht genauer durch Jahre zu begrenzen. Doch mag die Stelle, an der sie hier stehen, am ehesten das Richtige treffen.

XII. Apoll und Daphne; Venedig, Galerie des Seminario Arcives- covile. Stiftung des Marchese F. Manfredini, 1829.

XIII. Tod der Eurydike; Bergamo, Akademie, Galerie Lochis Nr. 179. Kopie eines verlorenen Originals, zuerst von H. Thode richtig bestimmt.

Das erste der beiden Bilder repräsentiert für uns als einziges Stück die (angeblich große) Gruppe der Cassonetafeln, die Giorgione gemalt hat. Auch das zweite, obschon mehr quadratisch im Format, ist wohl als Schmuck eines Möbels zu denken. Beide Bilder haben die auffallend gleiche Komposition; die Figuren sind ganz an die Ecken gerückt; sie bewegen sich aus dem Bild heraus, statt hinein; den Hauptteil der Tafel nimmt breit die Landschaft ein, ohne daß der Vordergrund irgendwie detailliert beleot und interessant gemacht würde; viel mehr beansprucht eigentlich nur der Hintergrund Interesse und bietet dem Auge Abwechslung. Gemeinsam ist beiden Bildern das Größenverhältnis der Figuren zur Landschaft, daß andere zur dargestellten Fabel gehörige Momente in kleinen Figuren nach der Ferne zu sich abspielen usw.

Technisch erinnert hier manches an die Frühbilder; die Architektur des Hintergrundes bei dem Cassone des Seminario ist auf den Ton des Himmels ganz dünn aufgetragen, die Figuren sind beinahe nur durch die Lichter modelliert. Hingegen ist das Figürliche weniger peinlich und detailliert: nicht sowohl wegen des dekorativen Zwecks, der ein flüchtigeres Arbeiten zuließ, als weil es der vorgeschrittenen Art Giorgiones entspricht Eben diese Mittelstellung zwischen neuer und älterer Malweise entscheidet über die Datierung. Als sehr giorgionesk beachte man, wie die Bäume gegen den Himmel gesehen werden, besonders auf dem Eurydikebild; den Felskontur mit dem Gebüsch am Rand findet man noch auf dem einen von Tizians Paduaner Fresken.

428

Georg Gronau:

Crowe und Cavalcaselle haben das venezianische Cassone dem Schiavone zugeschrieben, während doch Form, Farbe und Technik zu seiner ungleich raffinierteren, pikanteren Art gar nicht passen, sondern unzweifelhaft auf die Anfänge der klassischen venezianischen Malerei hinweisen. Der Gedanke, solch ein Bild könne nach 1510 entstanden sein, ist durchaus abzuweisen.

Wenn ich das Bild in Bergamo nur als Kopie ansehe, so geschieht dies wegen der bedeutenden Schwächen, die mit dem Reiz des Bildes als Ganzem im Widerspruch stehen. Wiederholtes Studium hat mich zu dieser Meinung geführt, der auch Berenson istS^). Morelli scheint das Bild nicht beachtet zu haben.

XIV. Das »Concert champ6tre« im Louvre. Die Geschichte des Bildes läßt sich nur bis zum siebzehnten Jahrhundert zurückverfolgen. Es war ursprünglich in der Galerie des Bankiers Jabach, aus der es Ludwig XIV. erwarb.

Dieses Bild ist das letzte Idyllenbild, das wir von Giorgione besitzen, zugleich das schönste Beispiel der erhaltenen Existenzbilder und Prototyp für die Palma, Bonifazio usw., von allen unerreicht. Die Frau am Brunnen hat Tizian zu der »Venus« der »himmlischen und irdischen Liebe« inspiriert.

Wir werden dieses Werk um das Jahr 1508 ansetzen müssen; eine der im Stich Zanettis erhaltenen weiblichen Figuren von Fondaco de’ Tedeschi gleicht der Frau in bemerkenswertem Grade. Während eine Hauptfigur noch nahe an den Rand gerückt ist, nimmt das Dreiblatt, als geschlossene Gruppe komponiert, die Bildmitte ein; das Landschafts- bild wird passend untergeordnet. Die rechte Ecke bleibt im Vorder- grund unbesetzt und gestattet den Blick auf das Idyll des mit der Herde heimziehenden Hirten.

Für Giorgiones Autorschaft spricht außer früher genannten Be- ziehungen: der Typus der Frau am Brunnen, der weder der Tizians, noch Sebastianos ist der ihn benutzt, aber sofort vergröbert (Venus und Adonis der Uffizien, San Giovanni Crisostomo Bild) , die knitterigen Falten, besonders des Leintuches, auf dem die nackte Frau sitzt, die Handformen, der Jünglingskopf in der Mitte, der in der flaumigen, weichen Behandlung den sofort zu nennenden Bildern eng ver- wandt ist.

XV. »Knabe mit Flöte« in Hampton-Court. Aus der Galerie Karls I. von England 39).

3*) Dieser Ansicht scheint auch Frizzoni zu sein (Le Gallerie dell’ Accademia Carrara in Bergamo, 1907, S. 43).

39) Cf. Claude Phillips, The picture gallery of Charles I, London 1896, S. 87.

Kritische Studien zu Giorgione.

429

XVI. »David mit dem Haupte des Goliath« in der Wiener Galerie. Vielleicht Kopie eines verlorenen Originals, neuerdings für dieses selbst erklärt.

Als das englische Bild, in welchem wiederum Morelli als erster Gior- giones Hand erkannte, durch eine Ausstellung in London in weiteren Kreisen bekannt wurde (1895), ist wiederholt auf den Zusammenhang zwischen diesem und dem Wiener Bild hingewiesen worden. Letzteres wurde, trotzdem gerade dieser Gegenstand als ein von Giorgione behandelter bekannt war, für eine Kopie angesehen, wegen der groben und plumpen Form. Eine neuerliche Reinigung hat aber, wird berichtet, dargetan, daß auch dieses Wiener Bild ein Original von des Meisters Hand ist

Steht die Zusammengehörigkeit beider Bilder fest, so darf man für die zeitliche Ansetzung der Bilder darauf hinweisen, daß sie, wie oben angedeutet wurde, dem Jüngling im Lockenschmuck auf dem »Concert champ^tre« nahe stehen. Andererseits aber gleichen sie in den Proportionen des Kopfes, in der edlen Stilisierung der Form eminent der »Venus« in Dresden. Es ist ganz idealisierte Menschenform: das reine Gleichmaß der Brauen, der breite, langsam sich verjüngende Nasenrücken, der sanft geschwungene Mund mit der ein wenig zu kleinen Unterlippe, die den weichen Schatten nach unten wirft, die reine Ovalform der Wangen, die sich im Kinn vollendet Alles das, was sich hier in klassischer Voll- kommenheit dem Auge darbietet, offenbart doch nur das gleiche Streben das nur besser gelingt , welches schon die früheren Bilder zeigen: in den Frauenköpfen der Familie, der Madonna von Castelfranco und der Judith ist es bereits vorhanden.

Trotzdem sind gegen das Bild in Hampton-Court Zweifel erhoben worden. Selbst der Name Palmas ward genannt, jenes Bergamasken, der seiner glänzenden Malmittel ungeachtet nie imstande gewesen wäre, seiner gröberen Natur diese Zartheit abzugewinnen. Wir können aber hier den stilistischen Gründen die äußere Stütze hinzufügen, die manchen eher als der Augenschein zu überzeugen scheint Michiel kannte im Besitz des Giovanni Ram in Venedig zwei Bilder, die dem Knaben mit der Flöte genau geglichen haben müssen 4°). Das eine war das »Brustbild des Hirtenknaben, der in der Hand eine Frucht hält«, das zweite »das Brustbild eines Knaben, in der Hand einen Pfeil«. Muß man schon bei der Beschreibung dieser Gemälde an das Bild in Hampton-Court denken, so wird man zu diesem angesichts eines zweiten Stückes der Wiener Galerie unmittelbar zurückgeführt, das einen Knaben bis etwas unter die Schulterhöhe mit einem Pfeil in der vom Bildrand doppelt durch- schnittenen Hand darstellt Es ist wohl nur eine spätere Wiederholung

40) S. 208 in der Ausgabe von G. Frizzoni.

430

Georg Gronau:

jenes vom Anonymus beschriebenen Bildes, bei der man an den ge- schickten Varotari denken könnte 4^). Ein diesem eng verwandtes Bild der Dresdener Galerie (Nr. 526) legt diese Vermutung nahe. Trotz aller durch die spätere Kopie bedingten Unterschiede ist die giorgioneske Form auch hier nicht zu verkennen; die gleiche Intention hat das eine wie das andere Bild und hat mit Benutzung des gleichen Modells auch den David geschaffen. Erinnern wir uns auch an dieser Stelle, daß Vasari ein solches Bild beim Patriarchen Grimani gesehen hat: paßt seine Beschreibung des Knaben mit dem weichen, flaumigen Lockenschmuck nicht vortrefflich auf ein solches Stück? Vielleicht eines dieser noch erhaltenen Bilder, vielleicht ein weiteres, jetzt nicht nachweisbares Exemplar hat ein nordischer Meister auf jenem interessanten Bilde der Braunschweiger Galerie angebracht, das in buntem Gemisch Figuren von venezianischen und deutschen Meistern zu einer Komposition vereinigt hat 42).

XVII, Bildnis eines jungen Mannes, in Budapest. Aus der Galerie des Patriarchen von Venedig, Ladislaus Pyrker.

Es trägt in nicht sehr festen Charakteren eine Aufschrift, nach welcher der Dargestellte der Dichter Antonio Broccardo, Sohn des nam- haften Arztes Marin Broccardo, wäre. Dieser zählte bei Giorgiones Tod etwa neun Jahre; entweder ist also das Porträt nicht von dem

Meister, oder es stellt einen anderen dar. Nun bleibt aber die Sachlage unverändert, wenn wir Giorgiones Namen aufgeben; denn das Bildnis kann seinem Stil nach unmöglich ein Jahrzehnt später entstanden

sein. In den zwanziger Jahren, in die es fallen müßte, hatte man

-eine andere Auffassung von der Wiedergabe des Menschen. Neuer- dings hat Venturi auf einen älteren Antonio Broccardo hingewiesen 43); auch er Sohn eines Marino. Ob dieser aber nun 1508 etwa zwanzig Jahre oder wenig mehr zählte, ist nach den wenigen Angaben nicht zu sagen.

Die Inschrift aber weckt Zweifel durch ihre wenig klare, nicht skulpturale Form; das ist schon von anderen beobachtet und ausgesprochen worden. Man könnte sich wohl denken, daß eine spätere Zeit aus dem Bildnis etwas herauslas, was zu des Dichters Antonio Broccardo Art

41) Ich habe dieses Bild seit längerer Zeit nicht mehr gesehen, muß^ mich daher öiit einiger Reserve äußern.

4») Nr. 76. »Nachahmer Breughels.« Man erkennt leicht Entlehnungen von Bordone, Veronese, Tizian, Dürer (das Berliner Jünglings- oder Mädchenbildnis), Cranach usw. Das Bild verlohnte wohl ein sorgfältiges Studium, da es für die Geschichte der hier reproduzierten Kunstwerke wertvollen Aufschluß geben könnte. Der »Giorgione«- Kopf links zwischen Venus und Apollo. Rejiroduziert von Bruckmann.

43) L’Aite III, 1900, S. 224. Nach gütiger privater Mitteilung von Dr. Jacobs sind Venturis Angaben nicht stichhaltig.

Kritische Studien zu Giorgione.

431

und Schicksal paßte, und daß erst die Inschrift das Porträt zu seinem Konterfei gemacht hat.

Viel ansprechender scheint mir eine Vermutung des Bibliothekars Dr. Jacobs in Berlin: er weist auf das von einem Kranz umgebene, in der Mitte angebrachte Zeichen hin, das mit leicht verständlicher Symbolik auf »Treviso« deutet; der Hut mit dem V birgt den Namen des Dar- gestellten: Vettor (oder Vincenzo) Cappello. Allerdings führt die Vene- zianer Patrizierfamilie den Hut in etwas abweichender Form43a).

Als Bild von Giorgione wurde es zuerst von Thausing43'’) be- stimmt, dessen Ansicht Morelli acceptierte, ist aber andererseits in Zweifel gezogen worden. Nun muß wenigstens zugestanden werden, daß es in höchstem Grade »giorgionesk« ist; und was eine auf dem Sentiment des Bildes basierende Empfindung nahe legt, wird durch die Untersuchung der morphologischen Details bestätigt: ich

verweise wiederum auf die mandelförmig länglichen Augen, die betonte Bildung der Lider, die Zeichnung des Mundes. Berücksichtigt man, daß der Anschluß an das gegebene Modell den Künstler von dem ihm eigenen Stil etwas entfernt, so erscheint die persönliche Weise doch auch hier sich deutlich genug zu offenbaren.

Besonders der Vergleich mit dem Berliner Bildnis stellt die Be- nennung (nach meiner, von anderen geteilten Ansicht) sicher: dies

ist um so mehr bemerkenswert, als gewiß beide durch den Abstand von mehreren (etwa acht Jahren), von einander getrennt sein dürften. Denn vergleicht man zurückblickend die sämtlichen Porträts von Gior- gione, die oben besprochen wurden, mit diesem, so ist hier die Tendenz der Belebung am freiesten entfaltet. Hfer hat die Hand schon eine dramatische Geste bekommen; sie unterstützt wesentlich den Ausdruck des Kopfes: es findet eine Mitteilung von seiten des Dargestellten an die Außenwelt statt.

Dieser künstlerisch so ungemein fruchtbare Gedanke wird dann von anderen (Lotto vorzüglich) aufgegriffen; er bereichert die Bildnis- malerei um neue und höchst bedeutsame Darstellungsmittel.

Ein Vergleich mit anderen zeitgenössischen Bildnissen wird ak Gegenprobe der Zuschreibung an Giorgione ratsam sein.

XVIII. Schlafende Venus, in Dresden. Dieses Bild sah Michiel im Hause des Jeronimo Marcello44): er erwähnt, daß der darauf vorhandene Cupido und die Landschaft von Tizian vollendet worden sind. Aus

43a) Eine kurze Nachforschung, die Comm. Malagola im venezianischen Archiv für mich anstellen ließ, gab bezüglich der Person vorläufig nichts Schlüssiges.

43**) Wiener Kunstbriefe, Leipzig 1884, S. 3i3ff.

44) S. 169.

432

Georg Gronau:

Ridolfis Beschreibung 45) weiß man, daß der Cupido ein Vögelchen in der Hand hielt. Noch 1650 bei derselben venezianischen Familie (Boschini); 1722 zuerst in Dresden nachweisbar 46). Hier wurde bei einer Restauration der Cupido als »zu schadhaft« durch Übermalung entfernt.

Der Höhepunkt von Giorgiones Schaffen; von jener absoluten, aut der Harmonie von Intention und Können beruhenden Vollkommenheit, die in der JCunstentwicklung eines Volkes, wie des Individuums nur kürzeste Dauer hat und haben kann. Für die Beliebtheit des Bildes sprechen zahlreiche, mehr oder minder freie Repliken in Malerei und im Stich, von denen auffallenderweise keine einzige einen der Beschreibung entsprechenden Cupido enthält. Auch der kleine Cupido in der Wiener Akademie, der einen Ausschnitt der Landschaft der Dresdener Venus zeigt, kann kaum als Kopie des zugrunde gegangenen Stücks ange- sehen werden47).

Dem Kopftypus der Venus entspricht bereits die Bildung der Frau des Giovanelli - Bildes, die Madonna von Castelfranco, die Judith: es sind die gleichen Formen, wie auf den Knabenbildern in Hampton-Court und in Wien, nur hier zur vollkommensten Reinheit fortgebildet. Die gleichmäßige Schwingung der Brauen könnte mit dem Zirkel geschlagen sein; die Linien des Nasenbeines, der sanfte Schwung der Nase und des Mundes, das Oval sucht man reiner und edler in der ganzen italienischen Kunst vergeblich. Ebenso ist die Bildung der Körperformen vollkommen, dabei von jeder akademischen Stilisierung frei. Der schönen Linie opfert der Künstler etwas von dem Naturalismus, der sonst doch in so geläuterter Form hier zutage tritt: der ganz gerade ausgestreckte Fuß widerspricht dem ruhigen Schlafen der Frau. Die Spitze des rechten Fußes war offenbar ursprünglich sichtbar; auch sie muß bei der Restauration verschwunden sein.

Echt giorgioneske Elemente in der Landschaft sind die Felskulisse zur linken und die Hügellinie, die den Vordergrund begrenzt. Fast durchgängig hat Giorgione mit deutlich betonten Linien die Bühne, wo sich die Figuren bewegen, gegen die Landschaft abgesetzt. Auf die hier besonders charakteristischen Gewandfalten wurde schon früher hin- gewiesen.

Die Landschaft, deren lineare Gestaltung vielleicht von Giorgione angedeutet hinterlassen worden war, ist im übrigen rein tizianisch; dieser

45) S. 83 der Originalausgabe.

46) Vgl. Th. von Frimmel, Blätter für Gemäldekunde I, 1904, S. 13.

47) Herbert Cook, Burlington Magazine, X, Nr. 44, Nov. 1906, S. 102, gibt diesen dem Tizian.

Kritische Studien lu Giorgione.

433

hat einzelne Elemente in anderen, etwa gleichzeitigen Bildern mehrfach verwendet.

XIX. Nymphe und Satyr, im Palazzo Pitti. Auch dieses Bild war 1692 in dem Schloß Imperiale im Besitz der Gran Duchessa Vittoria: »dissero di mano del Giorgionj«, sagt das Inventar 4»). Morelli hat es in die Liste seiner echten Bilder aufgenommen, während von Venturi die Zuschreibung an Dosso Dossi herrührt, dessei.. Namen das Bild jetzt in der Galerie führt.

Das Bild ist wovon man sich überzeugen kann, wenn man es bei gutem Licht sieht in sehr schlechtem Zustand; stellenweise sehr verrieben und grob restauriert. Der schwere, rötliche Fleischton ist nicht ursprünglich. Trotzdem sprechen die Einzelheiten m. E. mehr für den Venezianer, als den Ferraresen. Die Form des Kopfes, die Proportionen der einzelnen Teile desselben entsprechen durchaus dem Ideal des Meisters in seiner letzten Periode: besonders der Venus ist die Nymphe wesensverwandt, bei der Verschiedenheit, wie sie stofflich bedingt ist49). Die gut erhaltene Partie des Schmuckstücks am Kettchen, die Art, wie das goldige Gelb körnig aufgesetzt ist, ist evident giorgioneske Mache. Auch die kraftvollen Farben entsprechen dem Geschmack von Giorgiones letzten Jahren. Der Vergleich dieses Bildes mit dem einzigen Stück von Dosso, das man ernsthaft heranziehen kann, nämlich dem einen der Sechsecke in der Galerie zu Modena 5°), scheint mir eher den Unterschied, als das Gemeinsame erkennen zu lassen. Bei Dosso sind die Formen sofort mächtiger und gröber (mit den entsprechenden Proportionen).

Hingegen würden wir den grotesken Satyr mit Giorgiones Art nicht in Einklang zu bringen wissen und daran Anstoß nehmen, diese derbe Figur und die stark flutende, dramatisierte Bewegung in diesem Bilde mit seiner feinen, dem Heftigen fernen Art in Zusammenhang zu bringen, wenn nicht noch zwei gleichzeitige Bilder von ihm die gleiche Tendenz nach dem Dramatischen hin offenbarten.

XX. Kreuztragender Christus mit drei Häschern, in der Kirche San Rocco in Venedig. Von Vasari in der ersten AusgabeS») dem Giorgione zugeschrieben, in der zweiten sowohl diesem, wie (mit nach- träglicher Korrektur) dem Tizian. Auf die ältere und für uns weit be-

4*) Florenz, Staatsarchiv, Guardaroba Fa. 995, c. 97 b. Vgl. Arte e Storia II, 1883, S. 286. Damit ist die Identifizierung Venturis mit einem Bilde Dosso Dossis in der Galerie Kaiser Rudolfs II. widerlegt (s. Repertorium VIII, 1885, S. 12).

49) Das hat auch Burckhardt empfunden: Beiträge S. 4141 vgl. S. 425 der schöne Ausspruch: »hier würden wir sonst erfahren, welchen herrlichen, lachenden Blick die Schöne des Giorgione [d. h. die Venus] hatte, wenn sie die Augen aufschlug«.

5®) Photo. Anderson Nr. 10148.

5«) S. 580.

434

Georg Gronau:

deutsamere Beglaubigung durch den Anonymus wies zuerst A. della Rovere hinS^). Michiel53) beschreibt im Hause des Antonio Pasqualino: »den Kopf (das Brustbild) des heiligen Jakobus mit dem Pilgerstab, von der Hand des Zorzi da Castelfrancho oder aber einem seiner Schüler kopiert nach dem Christus von San Rocco«. Und auch später noch war das Bild mit Giorgiones Namen verknüpft. Wie aus einem Briefe des Fulvio Orsini an den Kardinal Farnese von 1579 hervorgeht, unter- handelte dieser damals über den Ankauf einer Replik des Bildes, die dem Kardinal Lomellini in Rom gehörte und von dessen Bruder für hohen Preis in Venedig erstanden worden war; das Bild ging damals unter Giorgiones Namen 54). Im Mai 1594 lieferte Alessandro Allori an die großherzogliche Guardaroba in Florenz ein: »dua quadri in tavola di Cristo che porta la Croce in mezo a tre farisei ritratti da quello di Giorgione.«S5)

Das Bild kam wenige Jahre nach seiner Entstehung in den Ruf der Wundertätigkeit; die vielen Gaben, die es der Bruderschaft von San Rocco einbrachte, haben den Neubau von Kirche und Scuola ermöglicht. Marin Sanuto berichtet darüber in seinem Diarium (t. 29, p. 469): »Non voglio restar di scriver il gran concorso a la chiesia di S. Rocco al pre- sente, per una imagine di Cristo, vien tirato da zudei, ^ a uno altar, quäl ä fato e fa molti miracoli, adeo ogni zorno vi va assaissima zente, si trova assa elemosine con le quäl si farä la scuola bellissima, etiam vi d la Stazion« (20. Dezember 1520). Es gibt Reproduktionen aus der Zeit in Marmor (Museo Correr und Santa Maria dei Miracoli) und einen 1520 datierten, sehr groben Holzschnitt.

Das Bild ist jetzt in schlechtem Zustand; es hat die Farbe fast verloren und ist stellenweise so stark eingeschlagen, daß der Kopf des dritten Pharisäers, der hinter Christus unterhalb des emporgerichteten Kreuzes sich befindet, nur noch schwer erkennbar ist. Doch ist er außer durch die genannten Reproduktionen durch die Zeichnung in Van Dycks Skizzenbuch beglaubigtst).

Daß wir hier ein Werk aus Giorgiones letzter Zeit vor uns haben, beweist die dramatische Behandlung des Stoffes und die kühne, freie Form. Die Hände des Greisen packen den Strick fest an im Gegen- satz zu dem lockeren Fassen, das wir an frühen Bildern wiederholt

5») Arte e Storia, XXI, 1902, S. 9.

53) S. 149.

54) Atti e Memorie d. R. Deputazione di Storia patria per le prov. dell’ Emilia N. S. IV, p. II, 1880, S. 59. Ich verdanke diesen Hinweis Dr. P. Kristeller.

55) Fa. 173 a. c. 32. Nach freundlicher Mitteilung von Dr. H. Geisenheimer.

56) Herausgegeben von Lionel Cust, London 1902, PI. VIII.

Kritische Studien zu Giorgione.

435

hervorhoben. Die linke Hand dieses Mannes hat kräftig betonte Knöchel, wie die Hände des Knaben in Hainpton-Court und der Frau am Brunnen auf dem »Concert champetre«. Typen, wie die zwei Pharisäer links, besonders der im verlorenen Profil gesehene Kopf mit dem hämischen Schürzen der Lippen, sind neu bei Giorgione und überraschen uns. Dagegen ist der Christus echt giorgionesk; die Bildung der Stirn, die spitz nach dem Scheitel hin sich wölbt, die Form der Augen und der Brauen, Lider und Mund erinnern an frühe und späte Werke. Hier darf man auf die meisten zuvor besprochenen Bilder, einerlei ob ideali- sierte Typen, ob Bildnisse, hinweisen, die die gleiche Eigentümlichkeit der Stirnbildung zeigen; dagegen dann als charakteristisch verschieden die Abgrenzung der Haare gegen die Stirn und vorzüglich der Scheitel auf Bildnissen, die wir Tizian zuschreiben müssen. Ein dem Christus in der vornehmen Auffassung (denn der Christus in San Rocco ist ein vornehmer Mann, der als ein solcher leidet) so eng verwandtes Bild, wie der s. g. Ariost der National Gallery, weicht hier ebenso ab, wie er sich mit tizianischen Bildern in Übereinstimmung befindet.

XXL Der »Sturm«, in der Akademie in Venedig. Das Bild, das eine Szene aus der Legende vom heiligen Markus zum Gegenstand hat, der Heilige, zusammen mit Sankt Georg und Theodor (Todaro) be- kämpft das Schiff mit den Dämonen, die Venedig bedräuen war be- stimmt für die Scuola grande di San Marco, als Teil des von der älteren Generation ausgeführten Zyklus. Vasari schreibt es in der ersten Aus- gabe 57) dem Giorgione, in der zweiten dem Palma zu, ebenso auch San* sovino, der jedoch hinzusetzt, daß es andere als Werk des Paris Bordone

ausgeben. 58)

Die erste Ansicht Vasaris hat heutzutage neue Verteidiger gefunden in Wilhelm Schmidt und Claude Phillips59). Hingegen hat Wickhoff sich bestimmt für Paris Bordone ausgesprochen, unter Berufung auf ein Dokument, das er freilich selbst nicht auffinden zu können einräumt^). Gelegentlich von mir angestellte Forschungen im venezianischen Staats- archiv blieben ohne Resultat^*).

Nun ist gewiß richtig, daß Paris Bordone an diesem Bild tätig gewesen ist. Das hat schon vor langer Zeit Zanotto erkannt, und er bereits erklärte die Barke mit den Heiligen für Bordones Werk: zweifel- los mit Recht. Auch sonst wird man diesem einen bestimmten Anteil an der Ausführung zuerkennen.

57) S. 558.

5*) Venetia .... descritta, Ausgabe von 1663, S. 286.

59) Vgl. die Literaturangaben Repertorium XXXI, 1908, S. 117.

60) Kunstgesch. Anzeigen I, 1904* S. 27.

61) Repertorium XXIV, 1901, S. 407.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

30

436

Georg Gronau: Kritische Studien zu Giorgione.

Was aber unmöglich von Paris herrühren kann, ist die Erfindung des Ganzen und das vordere Stück 6^). Denn die Gaben des Trevisaners sind uns genugsam bekannt; durch zahlreiche Bilder aus allen seinen Perioden besitzen wir eine klare Vorstellung von seinem ideellen und materiellen Können. Und nimmt man selbst seine besten frühen Leistungen, den giorgionesken, schönen Sankt Georg im Vatikan oder sein Hauptbild in der venezianischen Akademie: eine solche hochdramatische, bewegte Szene, das großartigste Stück venezianischer Phantastik, das wir besitzen, hat der stets etwas nüchterne, unbedeutende Bordone nicht er- finden können. Das sind Dinge, die eigentlich undiskutierbar sind; man sollte meinen, in dieser Rücksicht müsse man allgemein desselben Urteils sein: die Tatsachen lehren das Gegenteil.

Ist unsere zuvor dargelegte Ansicht richtig, daß Giorgione in seiner allerletzten Zeit eine ausgesprochene Tendenz aufs Dramatische hin hat, die durch zwei Bilder bezeugt wird, finden wir in jenen Typen, die durch betonte Häßlichkeit dem Edeln zur Folie dienen sollen, so kann uns ein solcher Ausbruch nicht überraschen. Der Künstler, der schon als Anfänger die Stimmungslandschaft der Familie geschaffen hatte, war wohl imstande ungefähr acht Jahre später das Bild mit den Dämonen zu entwerfen, wo die Natur dämonischer wirkt, als die Ge- stalten. Wie hatte der Stoff, der von draußen hereingetragene, auf seine Gaben befruchtend wirken müssen 1

Der »Sturm« ist das letzte künstlerische Dokument einer unermüd- lich sich erneuenden Künstlernatur; eine durch den Tod (wie so manch’ anderes seiner Bilder) unterbrochene Arbeit: hochdramatisch endet, der so heiter idyllisch begonnen.

6») Das haben auch die Biographen Bordones eingeräumt. S. Bailo und Biscaro, P. Bordone, Treviso 1900, S, 35 (vgl. S. 176).

(Fortsetzung im nächsten Heft.)

Martin Hess.

Von Carl Gebhardt.

Am 2 1. März 1509 schrieb Albrecht Dürer an den Frankfurter Kaufherrn Jacob Heller, dfer ihn des öfteren um die Lieferung des von ihm bestellten großen Altarwerks gedrängt hatte: »und ist mein grosse Hoffnung ihr werdet ein gefallen darob haben, ich glaub auch es mag vielleicht etlichen Kunstreichen nit gefallen, die ain Baum -Tafel dafür nemben, darnach frag ich nit, mein Lob begehr ich allein vnder den Verstendigen zu haben, vnd so euchs Merten Hess loben wirdt, so mögt ihr desto besser glauben daran haben, ihr mögt auch vnder etlichen gesellen fragen, die sie gesehen haben, werden euch wol berich- ten, wie sie gestalt sey, vnd so ihr sie secht vnd euch nit gefiel will ich Selbsten die Taffel behalten « (Cornill, Jacob Heller und Albrecht Dürer, Neujahrsblatt des Vereins für Geschichte und Altertumskunde, Frankfurt am Main 1871, S. 26 f.). Bei der Übersendung des Altarwerks schreibt Dürer am 28. August 1509 an Jacob Heller: »geth fleissig da- mit vmb den ihr werdet selbst von euern mallern und frembden hören wie sie gemacht sey, vnd griest mir euern Maller Marthin Hessen« (Cornill, a. a. O. S. 30). Wieder denkt also Dürer an Martin Hess wenn er von denen spricht, die sein Werk in Frankfurt begutachten sollen. Wer ist nun dieser von Dürer so hoch geschätzte Künstler gewesen ?

Das Interesse, das die Kunstwissenschaft an der Person des Martin Hess nimmt, ist kein bloß archivalisches. Schon zweimal ist der Name des Meisters mit einer Gruppe bedeutsamer Werke in Verbindung ge- bracht worden.

In seinem Aufsatz über die Malerei am Mittelrhein im 15. Jahrhun- dert (Jahrbuch der Kgl. preuß. Kunstsammlungen XXI, 1900, S. 120) wirft Thpde die Frage auf, ob der von Dürer genannte Künstler, zu jener Zeit wohl der bedeutendste Maler in Frankfurt, nicht vielleicht der Hausbuch-Meister gewesen sei. »Daß der Meister des Hausbuchs 1509 noch am Leben war, ist durchaus denkbar; daß er in Frankfurt a. M. gearbeitet hat, beweist die vom Stecher V»" nach ihm angefer-

30'

438

Carl Gebhardt:

tigte Kopie des Wappens der Familien von Rohrbach und Holzhausen, Sollte nicht unser Künstler, dessen Beziehungen zu Dürer wir ja kennen, Martin Hess geheißen haben?« In seinem Buche über die illustrierten Historienbücher des 15. Jahrhunderts (Straßburg 1903, S. i6iff.) hat Leo Baer auf die Formschnitte der 1492 in Mainz erschienenen Chro- nik der Sachsen hingewiesen. Schon Kaemmerer hatte (Jahrbuch der Kgl. preuß. Kunstsammlungen XVII, 1896, S, 155) auf die Verwandt- schaft dieser schönen Schnitte mit dem Hausbuch-Meister aufmerksam gemacht, und Baer erblickt in diesem vereinzelt dastehenden Werk ge- radezu eine Arbeit seiner Hand. Nun sind einzelne dieser Formschnitte mit einem l) signiert und Baer hat, der Vermutung Thodes sich an- schließend, die Hypothese aufgestellt, daß dieser Meister j) und damit der Hausbuch -Meister kein anderer sei als der von Dürer gerühmte Martin Hess.

Auch wenn nicht die Möglichkeit lockte, die Persönlichkeit des großen mittelrheinischen Künstlers festzustellen, scheint es doch der Mühe wert, einmal die Archivalien nach jenem Martin Hess zu befragen. Was ich über ihn im Frankfurter städtischen Archive finden konnte, ist Folgendes.

Im Bürgerbuch V, das die Namen der von 1500 bis 1539 als Bürger aufgenommenen enthält, steht unter dem Jahre 1508 dieser Ein- trag (fo. 56 verso):

Martin Heß Visere reins Burgers Son Juravit den Burger eidt vff Freitag nach Margarethe Anno dm XVc Octavo vff der bede dedit i t[ornes] Inzuschriben^).

Sodann findet sich in der Steuerliste der Oberstadt von 1509 (Beth buche der Oberstat Franckenfort vom Jore XVc vnd IX, fo. 17 verso) unter der Häusergruppe »Ann Stoltzenberg widder an« folgender Eintrag :

Mertin Hesß Visierer vnnd dedit VIII ß [Schilling].

*) Als Sohn eines Bürgers hatte er nicht das beträchtlich höhere Bürgergeld, sondern nur eine geringe Einschreibegebühr zu bezahlen. Ich möchte hierzu bemerken, daß in Frankfurt jeder, ob Eingeborener oder Zugewanderter, um Bürger zu werden, besonders in die Bürgerliste aufgenommen werden und den Bürgereid leisten mußte. Anders ist es, wie ich mich jetzt überzeugt habe, in Nürnberg: dort war der Sohn eines Bürgers eo ipso Bürger. Indem ich die Frankfurter Verhältnisse auf Nürnberg übertrug, glaubte ich den Maler Hans Peurl auch in den Nürnberger Bürgerlisten konstatieren zu müssen und habe ihn darum mit dem zugewanderten Bildschnitzer Hans Peurl identifiziert (vgl. Rep. f. Kunstwiss. XXX, 1907, S. 310), was ich jetzt nicht mehr aufrecht erhalte. Ob Schongauer überhaupt nicht Bürger von Colmar gewesen ist, wie Bach meinte (Rep. f. Kunstwiss. XXII, 1899, S. 113) und wie ich ebenfalls annahm, würde demnach erst durch eine Prüfung des in Colmar maßgebenden Rechtes festzu- stellen sein.

Martin Hess.

439

Sin Mutter by Ime dedit martini [am ii. November] xx vnd dan XI h[eller] von II fl [Gulden] II huner zinß den arnß- burgern Item X h von II fl den p[re]diger hern Item II h von IX ß zinß Inn Heyner hoff^-).

Der gleiche Eintrag findet sich in der Steuerliste der Oberstadt von 1510 (Beth buch der Oberstat Franckenfort vom Jore XVc vnd X, fo. 14 verso) bei der gleichen Häusergruppe »An Stoltzenberg Widder an : «

Mertin Hesß Visierer vnnd dedit der Richters) VIII

Sin mutter by Ime dedit der Richter xx ^ vnd dan XI h von II fl II hüner zinß den arnßburgern Item X h von II fl den Predigern Item ll h von IX ^ In Heyner Hoff.

Einen anderen Eintrag über Martin Hess konnte ich im Frankfurter Archiv nicht finden. Leider sind die angeführten Steuerlisten, (abgesehen von dem Beedbuch der Unterstadt von 1508 und den entsprechenden Beedbüchern der Unterstadt von 1509 und 1510) die einzigen, die sich aus der fraglichen Zeit in Frankfurt erhalten haben. In dem Beedbuch von 1499, dem letzten, das wir vor dieser Lücke in den Steuerlisten noch besitzen, findet sich kein Hinweis auf Martin Hess; in dem von 1556, dem ersten nach der Lücke findet sich keine Spur mehr von ihm.

Gleichwohl genügen auch diese wenigen Nachrichten, um die Frage nach seiner Persönlichkeit wenigstens in negativem Sinne zur Entschei- dung zu bringen. Mit dem Meister des Hausbuchs kann er jedenfalls nicht identisch sein. Denn wenn es selbst denkbar wäre, daß der Haus- buch-Meister noch am Ende seines Lebens nach Frankfurt übergesiedelt wäre, so ist es doch ausgeschlossen, daß damals noch die Mutter des Meisters gelebt haben könnte. Offenbar handelt es sich um einen jün- geren Künstler, der sich 1508 nach der Wanderschaft in seiner Vater- stadt niederließ und dortselbst noch Angehörige vorfand.

Ich darf hier vielleicht einschalten, daß meiner Überzeugung nach nicht nur der Name Martin Hess, sondern auch die Stadt Frankfurt nicht be- rufen sein wird, in der Hausbuch-Meisier-Frage die Rolle zu spielen, die man ihr wohl zugedacht hat. Ich habe die Urkunden des Frankfurter Archivs mit dem Wunsche durchgesehen, es möchte sich ein Künstler finden, der zeitlich und vielleicht auch irgendwie in seiner Stellung die Vermutung nahelegen könnte, daß er mit dem Hausbuch-Meister identisch

*) Zu Einschät7,ungszwecken ließ die Stadt feststellen, wie stark die Grundstücke belastet seien. Diese Abgaben an Geld und Naturalien (Hühnern), die hier neben den städtischen Steuern erscheinen, bedeuten also Hypothekenzinsen. (N^ch freundlicher Mitteilung von Herrn Archivdirektor Professor Dr. Jung.)

3) Darunter sind hier Exekutiv- (Steuer-) Beamte zu verstehen.

440

Carl Gebhardt:

Wäre. Diese Bemühungen sind vollkommen erfolglos geblieben. Auch jener Altarflügel, den Direktor Lauffer so glücklich war in Frankfurt aufzufinden und über den er kürzlich (Hessenkunst 1908) berichtet hat, der Jetzt nach erfolgreicher Restaurierung im Frankfurter städtischen Museum ausgestellt ist und der der Art des Hausbuch-Meisters unzweifelhaft sehr nahe steht, auch er beweist nur, daß in Frankfurt, dem Sammelpunkt verschiedenartigster Kunstweisen, auch Jener bedeutende Hausbuch - Meister- Schüler einmal gewesen ist, von dessen Hand sich der Crucifixus in Darm- stadt, die Geburt in Schleißheim und die mit dem Frankfurter Werke aufs genaueste übereinstimmenden Engel in Basel erhalten haben.

Dennoch vermögen uns die Urkunden über Martin Hess mehr zu geben als eine bloß negative Erkenntnis. Zunächst erfahren wir aus ihnen sein eigentliches Arbeitsgebiet: er war Visieren Die Wörterbücher, die ich befragen konnte, geben über die Bedeutung dieses Wortes keinen hinreichenden Aufschluß. (Visierer = Eicher, Eichmeister, wie Lexers Mittelhochdeutsches Wörterbuch hat, kann wohl kaum gemeint sein.) Nun bedeutet visieren, so wie auch Dürer das Wort gebraucht, soviel als Zeichnungen, Aufrisse machen; unter Visierer dürfen wir uns dem- nach wohl einen Kupferstecher oder einen Zeichner für den Holzschnitt vorstellen.

Außer den Dürerschen Briefen gibt es noch eine Stelle, die eines Hess als eines in Frankfurt angesehenen Künstlers Erwähnung tut, und ich möchte diese Stelle doch anführen, um so eher, als ich anfänglich geneigt war, sie mit Martin Hess in Verbindung zu bringen. Diese Stelle findet sich im 2. Teil von Lersners Chronica der Stadt Franckfurth (Frankfurt 1734) in einem Anhang (»Appendix Von Berühmten Leuthen, So theils hier gebohren, gelebt, gestorben etc. « S. 237); sie lautet:

. . . Hess: Ein sehr berühmter Glassschneider. f.

Dieser Hess hat mit unserm Martin Hess nichts zu tun. Es han- delt sich um einen Künstler des 17. Jahrhunderts, wie trotz des fehlen- den Todesdatums schon die zeitliche Einordnung bei Lersner vermuten läßt; wir finden ihn auch im Bürgerbuch IX (fo. 147 verso):

Hanß Heß, aus Schleusing in der Herrschafft Henneberg, Glaß- schneider, und Susanna uxor, Juravit ille die 22. Aprilis 1646.

Daß Martin Hess nicht nur Kupferstecher oder Zeichner für den Holzschnitt gewesen, ist zweifellos. Dürer bezeichnet ihn als Maler und möchte rein malerische Fragen seinem Urteil unterbreitet sehen. Wie mag er mit Hess bekannt geworden sein? Daß es etwa auf Dürers Wanderschaft im Anfang der 90 er Jahre in Frankfurt geschehen sei, ist

Martin Hess.

441

nicht anzunehmen, denn 1499 ist Hess dort noch nicht als ausübender Künstler ansässig, offenbar hat er sich erst 1508 dort niedergelassen. Viel wahrscheinlicher, daß die Begegnung in Nürnberg stattgefunden hat. Die Bekanntschaft war aber nicht nur eine persönliche, Dürer hat die Kunst des Hess gekannt und geschätzt. Wir dürfen also annehmen, daß dieser auch in Nürnberg gearbeitet hat. Da er nun als selbständiger Meister dort nicht nachweisbar ist, so liegt die Vermutung nahe, daß er in Dürers Werkstatt selbst eine Zeitlang tätig war und daß der Meister in diesem Verhältnis das Talent des Schülers schätzen lernte. Jedenfalls muß er in diesem Falle die Werkstatt verlassen haben, ehe Dürer Hel- lers Altarwerk in Angriff nahm; denn Dürer unterscheidet in seinem Briefe den Hess, der die Tafel sehen und beurteilen soll, von den Ge- sellen, d. h. von den Nürnberger Freunden, die sie gesehen haben und dem besorgten Mäcen von ihrer Schönheit erzählen werden. Nun hat aber Dürer das Altarwerk noch im anderen Jahre in Angriff genommen, nachdem er von seiner venezianischen Reise zurückgekehrt war (1508). Ist Martin Hess, wie wir mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, ein Schüler Dürers gewesen, so war er ein Schüler aus der Zeit vor der großen venezianischen Reise. Die Frage nach seiner Persönlichkeit dürfen wir jetzt dahin beantworten: Martin Hess war geborener Frankfurter, Maler und zugleich Kupferstecher oderHolz- schn ittzeichner, hat sich 1508 als Bürger in Frankfurt niedergelassen und ist höchstwahrscheinlich im Anfang des Jahrhunderts Schüler Dürers gewesen.

Auf welche Zeit sich Hessens Tätigkeit in Frankfurt erstreckte, läßt sich nicht angeben, da ja der Terminus ne ultra 1556 einen sehr weiten Spielraum gewährt. Als Dürer 1520 Frankfurt besuchte, schrieb er in sein Tagebuch: »Darnach kamen wir gen Franckfurth und zeiget aber mein Zol Brieff, da Hess man mich fahren, und ich verzehret 6 Weiss Pfenning und anderthalben Heller, und den Buben 2 Weiss Pfen- ning, und zu Nachts verzehret 6 Weiss Pfenning. Auch schenket mir Jacob Heller den Wein, in die Herberg, und ich hab mich verdiengt mit meinem Guth, von Franckfurth gen Mentz zu fahren umb i fl. und zween Weiss pf. . . . Also fuhr ich im Frühschiff von Franckfurth am Sontag gen Mentz.« (Cornill, a. a. O. S. 39 f.) Dürer hat sich also einen ganzen Tag und zwei Nächte in Frankfurt aufgehalten (vom 21. bis 23. Juli). Da er nun seine Begegnungen mit Künstlern mehr vom Standpunkt des Rechnungsbuches als des Tagebuches aus verzeichnet (er berichtet gleich darauf von Mainz, was er von den dortigen Künst- lern zum Geschenk erhielt), so sind wir nicht gerade gezwungen, aus seinem Schweigen zu schließen, daß er Martin Hess damals nicht wie-r

442

Carl Gebhardt:

dergesehen habe. Auch Jacob Heller dürfte er an dem Tage, den er in Frankfurt zubrachte, besucht haben.

Ist es möglich, den Namen des Meisters mit erhaltenen Werken in Verbindung zu bringen? Ich glaube, diese Frage bejahen zu dürfen. Weizsäcker hat (Repert. f. Kunstwiss. XXV, 1902, S. 82 88) nach Bay- ersdorfers Vorgang im Anschluß an das bekannte Holzhausen- Porträt in Frankfurt eine kleine Gruppe von Werken zusammengestellt, die von der Hand des gleichen Künstlers herrühren. Es sind dies außer dem Porträt im Besitze des Freiherrn von Holzhausen auf der Öde in Frank- furt die Darstellung im Tempel im Frankfurter historischen Museum, die Anbetung der Könige und die Steinigung des Stephanus in der Mainzer städtischen Galerie und ein Christus in der Kelter in der Gum- bertuskirche zu Ansbach4). (von Tschudi hat diesen Bildern in einer Be- merkung noch eine Madonna zwischen Engeln mit knienden Stiftern, damals im Besitze des Kunsthändlers Carrer zu Venedig, beigefügt). Kein Zweifel, daß es sich hier um einen unmittelbaren Schüler Dürers handelt; geht doch das Ansbacher Bild auf einen Entwurf Dürers selbst zurück. Dieser Schüler kann aber, nach seinem Stil zu urteilen, nur in der Zeit, die der großen venezianischen Reise voraufging, in Dürers Werkstatt gelernt haben. Gerade so sicher scheint es aber, daß er in Frank- furt tätig war, ja daß wir wohl in Frankfurt seinen Wohnsitz zu suchen haben. Schon Weizsäcker hat bei jenen Werken an den von Dürer ge- rühmten Martin Hess gedacht, aber er lehnt es ausdrücklich ab, eine bestimmte Hypothese aufzustellen: »auch die Frankfurter Archivalien schweigen von ihm «. Die Frankfurter Archivalien haben nunmehr ge- sprochen, und ihre Aussage kann uns wohl berechtigen, jene Hypothese aufzustellen, daß der Meister des Holzhausenschen Bildnisses identisch ist mit dem Maler Martin Hess. Was sich aus jenen Werken erschließen läßt, stimmt aufs genaueste überein mit dem, was wir aus den Urkunden erschlossen haben. Jene Möglichkeit wäre freilich nicht gegeben, wenn die Frage Bayersdorfers (im Text der Publikation der photographischen Gesellschaft, 2. Jahrgang, 1896), ob der Meister der Frankfurter Darstellung nicht auch die Flügel des Hellerschen Altars ge- malt habe, in bejahendem Sinne zu beantworten wäre. Eine genauere Untersuchung zeigt aber, daß die Malweise der beiden Werke doch so verschieden ist, daß wir an die gleiche Hand nicht denken dürfen.

4) Das Holzhausen-Porträt ist publiziert von Thode im Jahrbuch der Kgl. preuß. Kunstsammlungen XIV, 1893) der Mainzer Altar von Rieflfel im Repert. f. Kunstwissen- schaft XV, 1892, die Frankfurter Darstellung im Tempel von Bayersdorfer im zweiten Jahrgang der Kunsthistorischen Gesellschaft für photographische Publikationen, 1896, Taf. 21.

I

Martin Hess.

443

Freilich, zur nötigen Sicherheit fehlt der Hypothese noch eins: der Stil des Frankfurter Meisters müßte sich auch in Kupferstichen oder Holz- schnitten nachweisen lassen. Dies ist mir bisher noch nicht gelungen; in den Schnitten des »Beschlossenen Gart des rosenkrantz Marie«, die Rieffel (Repert. f. Kunstwiss. XV, 1892, S. 293 f.) dem Meister zuweist, (den er damals noch mit dem jungen Hans Baidung- identifizierte,) vermag ich seine Hand nicht zu erkennen. Es sind, wie^Rieffels scharfer Blick zuerst richtig sah, Jugendwerke Hans Baidungs. ,

Der Name, den Weizsäcker dem Frankfurter Meister gegeben, ist neuerdings zweideutig geworden. Außer jenem Bilde, das zuerst die Aufmerksamkeit auf den Künstler gelenkt, befinden sich im Holz- hausenschen Besitze noch fünf weitere Familienporträts, die zwischen 1535 und 1540 datiert sind. Sie stammen von “einem Maler, den Herr von Marcuard in seiner kleinen Schrift »Das Bildnis des Hans von Schönitz und der Maler Melchior Feselen« (München 1896) in die Kunst- geschichte eingeführt hat. Weitere Werke dieses Meisters sind außer dem im Besitz des Herrn von Marcuard befindlichen Porträt des Schönitz das Porträt des Georg Weiss in der Münchener Pinakothek und eines Un- bekannten (vermutlich ebenfalls eines Holzhausen) in Brüssel sowie das Porträt einer Stralbergerin in Straßburg. Der Meister kommt aus der Regensburger Schule und steht dem Feselen nahe. In seiner Besprechung des Marcuardschen Buches (Repert. f. Kunstw. XIX, 1896, S. 479 483) hat Weizsäcker einem der Kunst dieses Meister verwandten Porträt, das schon Marcuard angeführt hat und das signiert ist (im Besitz von Frau von Günderode, Höchst an der Nidder), zwei weitere Werke mit der gleichen Signatur im Palazzo Torrigiani in Florenz hinzugefügt. Diese Signatur besteht aus einem V mit zwei gegeneinander gekehrten C, ver- mutlich also C. V. C. Die gleiche Signatur tragen nun zwei durch die Exhibition of early german art des Burlington Fine Arts Club bekannt gewordene Porträts in der National Gallery of Ireland, deren eines den Frankfurter Patrizier Heinrich Knoblauch, das andere eine Katherina Knoblauchin darstellt (das erste ist 1529, das zweite ist 1532 datiert, Abb. im Illustrated Catalogue der Ausstellung). Diese Porträts sind nun im Katalog dem von Marcuard festgestellten Meister, wie es scheint mit vollem Rechte, zugeschrieben, der hier Master of the Holzhausen Portraits genannt wird. Wir haben nunmehr einen Meister des Holzhausenschen Bildnisses und einen Meister der Holzhausenschen Bildnisse. Eine Ver- wechslung dieser beiden Meister war vorauszusehen; sie ist bereits ein- getreten. In seiner Polemik gegen Voss (Monatshefte für Kunstwissen- schaft I, 1908, S. 425) wirft Stiassny diesem vor: »So reiht er zwar richtig Melchior Feselen unter seine (Wolf Hubers) Gefolgsleute, wirft ihn

444

Carl Gebhardt:

aber mit dem ausgezeichneten Maler der Holzhausen-Bildnisse, wahr- scheinlich einem in Frankfurt tätig gewesenen Dürer- schüler, zusammen.« Indem er die Verwechslung Feselens mit dem Meister der Holzhausen-Bildnisse tadelt, (deren Identität Weizsäcker sehr wohl für möglich hielt,) begeht Stiassny selbst die Verwechslung, zwei Meister zusammenzuwerfen, die gar nichts miteinander zu tun haben, die ganz verschiedenen Schulen angehören und durch eine Generation von einander getrennt sind. Um solche Verwechslungen zu verhüten, schlage ich vor, den Meister des Holzhausen-Bildnisses fortan den Frank- furter Dürer-Schüler (Martin Hess) zu nennen, den Meister der Holzhausen-Bildnisse aber den Monogrammisten DVC.

Dem Frankfurter Dürer-Schüler ist in jüngster Zeit mit Recht ein Werk noch zugewiesen worden, ein Altarflügel mit der Legende des hl. Jacobus im Münchener National-Museum (Katalog der Ge- mälde des National-Museums Nr. 383). Die Tafel, die eben von Sessig restauriert wird, ist um fast ein Drittel ihrer Größe beschnitten und im Vordergrund stark übermalt gewesen. Sie steht dem Frankfurter Werke in der Art ihrer Umrahmung und in der Typenbildung, dem Mainzer in ihrer Landschaftsdarstellung außerordentlich nahe. Vermutungsweise möchte ich dem Künstler noch ein weiteres Werk zuschreiben, das bisher ruhelos von einem Meister zum anderen gewandert ist: die rätselhafte Kreuzes findung im Germanischen Museum. Koelitz (Hans Süss von Kulmbach, S. 37) gibt sie dem Hans von Kulmbach, Thode (Malerschüle von Nürnberg, S. 216) dem Meister des Heilsbronner Hoch- altares, Rieffel (Zeitschrift für bild. Kunst, N. F. XIII, 1902, S. 2 to f.) dem Wolf Traut, Rauch (Die Trauts, S. 34) dem Hans Traut. Das Bild ist sehr übermalt, so daß man von Farbengebung und Malweise bei der Be- stimmung völlig absehen muß. Die Frauentypen lassen jene von Barbari herkommiende italiänische Süße vermissen, die für die Frauen Hans von Kulmbachs charakteristisch ist. Der Meister des Heilsbronner Hochaltares scheint mir doch altertümlich befangener zu sein, während mir gegen Wolf Traut entschieden die Proportionen der Gestalten zu sprechen scheinen. Von Hans Traut aber kenne ich außer der Erlanger Zeichnung noch kein Werk, das ihm mit Sicherheit zuzuweisen wäre, und gerade diese Zeichnung läßt doch in ihm einen viel altertümlicheren Künstler vermuten. Dagegen scheinen mir die Typen völlig die des Frankfurter Dürer-Schülers zu sein. Der Patriarch oder Kaiser des Nürnberger Bildes gleicht dem mittleren König der Mainzer Anbetung und erinnert an den Priester der Frankfurter Darstellung, der Auferweckte im Vordergründe erinnert an den Mann rechts auf dem Frankfurter Bild, der zweite Auferweckte an den Juden der Steinigung Stephani, der zweite Zuschauer von rechts auf der Kreuz-

Martin Hess.

445

findung an den Mann im Hintergründe der Darstellung im Tempel; die Kaiserin gleicht der Frau mit den Tauben in Frankfurt, ihre Begleiterin zu äußerst links der anderen Frau, die hinter jener sichtbar wird. Ist meine Vermutung richtig und die Nürnberger Kreuzfindung stammt wirklich von dem Frankfurter Meister, so dürfte sie wohl, in gleicher Weise wie das Ansbacher Bild, dafür zeugen, daß der Künstler in Nürnberg selbst einmal tätig gewesen ist, und damit würde sie auch jener Vermutung über die Persönlichkeit des Martin Hess zur Stütze dienen.

Zwei Buchillustrationen Hans Holbeins des Älteren.

Von Curt Glaser.

(Mit einer Textabbildung.)

Im Jahre 15 n erschien bei Johannes Otmar in Augsburg ein Büchlein, betitelt »Ubertini Pusculi Brixieh duo libri Symonidos«. Den ersten Teil des Inhalts bildet ein Gedicht in lateinischer Sprache über die vielberufene Ermordung des Knaben Simon in Trient durch die Juden im Jahre 1475. Auf dieses Ereignis beziehen sich die vier Holz- schnitte, die das Buch enthält. Das Titelblatt (h. 9 cm, b. 7,6 cm) zeigt den Knaben criumphierend mit der Siegesfahne in der Linken auf dem Rücken des am Boden liegenden Juden stehend. Der zweite Holzschnitt (p. 4 V. h. 8 cm, b. 9 cm) stellt die Ermordung selbst dar, der dritte (p. 6 V. h. 8,1 cm, b. 9,1 cm) den auf dem Sarkophag liegenden toten Knaben, endlich das Schlußblatt (h. 16,2 cm, b. 9,2 cm) nochmals den Knaben triumphierend über einem Juden, die Unterschrift lautet: beatus Simon.

Die vier Illustrationen ordnen sich von selbst deutlich in zwei Gruppen. Titel- und Schlußblatt gehören trotz mancher Unterschiede im einzelnen stilistisch enger zueinander, sicher von einer Hand sind das zweite und dritte Bild. Nur diese interessieren uns hier. Muther’'), der den Druck beschreibt, erwähnt nur drei Holzschnitte (er hat Nr. 3 über- sehen) und sagt: „Der zweite Holzschnitt, der aus einem viel älteren Buche genommen ist, zeigt die Mordtat selbst." Da Muther seine An- gabe nicht näher präzisiert, ist anzunehmen, daß sie nur als Urteil über den Stil des Holzschnittes zu gelten hat, dem die zwei anderen be- schriebenen — den letzten nennt Muther » sehr bedeutend und dem ersten ähnlich « entgegengestellt werden.

In der Tat ist der Eindruck dieses zweiten Holzschnittes mit der Darstellung der Mordtat ein sehr eigenartiger und durchaus ungewöhnlicher. Ganz im Gegensatz zu den sauberen, aber außerordentlich leblosen Schraffierungen des Titelblattes, ist die Strichführung hier scheinbar

*) Die deutsche BUcherillustration der Gotik und Frührenaissance. München 1884. Nr. 980.

Zwei Buchillustrationen Hans Holbeins des Älteren.

447

regellos und unsystematisch, der Schnitt kann dem flüchtigen Blick als rohe, derbe Arbeit erscheinen, und man vermag zu begreifen, daß ein rasches Urteil den Holzstock für ein altertümliches Werk erklären wollte. Aber hat man sich einmal in das Blatt hineingesehen, so wird die Regel- I losigkeit zur Freiheit einer mit malerischen Wirkungsmitteln rechnenden I Federzeichnung, und man bemerkt, wenn man den Linien genau nachgeht, daß auch der Schnitt keineswegs roh ist, sondern daß der Schneider bis auf wenige Entgleisungen den Intentionen des Zeichners mit besonderem Geschick zu folgen wußte. Jeder Grad der Linienstärke ist sicher getroffen, und der Charakter der Zeichnung, die nicht Konturen zieht, sondern malerisch mit Flecken arbeitet, ist getreu wiedergegeben. Der Grund ist schwarz, und wie im Relief heben sich die hellen Figuren von ihm ab. Die Darstellung selbst ist rein zentral angeordnet. Der Knabe steht in der Mitte, die Arme in Kreuzesform ausgebreitet. Über ihm erhebt sich die Gestalt eines der Juden, der die Tuchschlinge um den Hals des Knaben mit beiden Händen hochhält. Rechts und links stehen zwei andere, die die Arme fassen und mit Messern stechen, unten wieder zwei, die sich am Unterleib des Knaben zu schaffen machen und den freibleibenden Raum jederseits zwischen diesem und seinen beiden stehenden Peinigern füllen. In kreuzweiser Entsprechung ist links der stehende Mann nach vorn genommen, der kniende zurückgeschoben, rechts der kniende nach vorn, der stehende zurück. Den unteren Ab- schluß bildet eine Tischplatte, auf der in der Mitte eine Schüssel steht, in die das Blut des Knaben fließt. Den Raum über den Köpfen der Figuren füllen zwei in der Mitte sich treffende Ranken im Renaissance- geschmack, die seitlich jede in einen geflügelten Engelkopf auslaufen. Die Engel sind als Zuschauer des Vorganges charakterisiert. Das fast

genau quadratische Bildchen wird durch die Rahmung zum liegenden

Rechteck erweitert, indem jederseits ein Streifen angefügt ist, der als einwärts weisende Seitenwand zu interpretieren ist. Um das Ganze ist sodann ein Rahmen gelegt, der Einfassungen florentinischer Buchholz- schnitte nachgebildet erscheint, schmale Bänder mit einfacher Verzierung, die w^eiß aus schwarzem Grunde ausgespart ist. Das Motiv ist in jedem der vier Streifen ein anderes. (Auch dafür gibt es Analogien im florentinischen Buchholzschnitt.)

Innerhalb der augsburgischen Buchillustration nimmt unser Blatt eine eigene Stelle ein. Es läßt sich (mit Ausnahme der folgehden

Illustration im Simonbuche) kein weiterer Holzschnitt namhaft machen, der ihm stilistisch gleich wäre oder auf denselben Urheber hinwiese.

Auch wird durch die Haltung des Blattes selbst dieser Charakter des einmaligen bestätigt, denn der Zeichner erweist sich mit den Gewöhn-

448

Curt Glaser:

heiten des Holzschnittes keineswegs vertraut, und sucht man seinen Namen, so wird man darum weniger an diejenigen zu denken haben, die sich berufsmäßig mit dem Holzschnitt beschäftigten, als vielmehr an einen der Maler Augsburgs. Um so mehr gewinnt es an Interesse, seiner Persön- lichkeit nachzugehen, denn die sehr bedeutende Zeichnung läßt auf einen der auch uns noch bekannten Meister als Urheber schließen. In der Tat kommt nach meiner Meinung kein geringerer als der ältere Holbein in Frage. Verschiedene Umstände führen auf ihn. Einmal die rein zentrale und reliefmäßige Komposition auf dunklem Grunde, die ihre genaue Analogie in den auch zeitlich am nächsten stehenden Flügeln des

Augsburger Katharinenaltars von 1512, etwa dem Petrusmartyrium findet. Sodann der obere Abschluß mit der im Renaissancegeschmack erfundenen Ranke, die in jeder Einzelheit, in der Art der lappig breiten Kelchblätter, der Führung der wulstigen Stengel mit ihren Abschnürungen, den Rosettenblüten und Beerenfrüchten sowie der Endigung in menschliche Bildungen, genaueste Entsprechungen in Holbeins Ornamentenschatz, und zwar die nächsten wieder in den Tafeln von 1512 findet. (Der Hauptteil der Ranke, der große Blattkelch, findet sich in dem Ornament der Flügelaußenseiten fast identisch wiederholt, ebenso die Art der Bindung

») Abgebildet aur Tafel 39 meines Buches über Hans Holbein den Älteren. Leipzig 1908.

Zwei Buchillustrationen Hans Holbeins des Älteren.

449

der Ranken in der Mitte.) Endlich sei auf die trotz der Kleinheit noch immer charakteristischen Typen hingewiesen, die allerdings mehr in die voraufgehende Zeit zurückführen, deren Verwandte man in den Werken vom Kaisheimer Altar bis zur Paulusbasilika und den Allerheiligen- zeichnungen zu suchen hat.

Das Angeführte wird genügen, Holbeins Autorschaft zu erweisen. Die sicherlich aus florentinischen Drucken übernommene Art der Rahmung gewinnt nun ein besonderes Interesse, da sie Holbeins Bekanntschaft mit diesen Erzeugnissen italienischer Kunst erweist.

Mit dem zweiten fällt auch der dritte Holzschnitt des Büchleins Holbein zu. Die Gesamtanlage ist genau die gleiche. Die Art der Rahmung stimmt überein. (Der äußere Rahmen wird hier nur durch vier Parallellinien bestritten.) Die Ranken, die den oberen Abschluß bilden, sind nahezu wörtlich wiederholt. Vor dem schwarzen Grunde steht hier der Sarkophag mit einer Decke, auf der der ermordete Knabe liegt, darüber ein Wolkenkranz, aus dem eine Strahlenglorie bricht. Die

stilistische Haltung stimmt in jeder Hinsicht mit der des vorigen Holz- schnittes überein, doch steht das Blatt an Bedeutung zurück.

Über eine Reihe anderer Fragen, die sich anschließen, wie die nach dem Schneider der Holzstöcke, der Herkunft des Titel- und Schlußbildes, vor allem aber nach der Bedeutung der Blätter im Rahmen der augs- burgischen Buchillustration überhaupt, soll in einem weiteren Zusammen- hänge gehandelt werden. An dieser Stelle mag nur noch die Gelegenheit benutzt sein, zwei fernere Nachträge zum Thema des älteren Holbein zu geben. Herr Dr. Giehlow machte mich auf einen Brief des Humanisten Veit Bild, Mönch bei St. Ulrich in Augsburg, aufmerksam, dessen Inhalt in den Regesten Alfred Schröders 3) folgendermaßen wiedergegeben ist: „1509 Juli 20. Für Supprior Sig. Zimmermann an Prior von Hirsau: Holbein könne den Auftrag für Kloster Hirsau in diesem Jahre nicht ausführen wegen Überhäufung mit Arbeit, sei aber bereit, im folgenden Jahr demselben nachzukommen, vorausgesetzt, daß er alle Vorbereitungen dazu im Kloster Hirsau treffen dürfe.“ Der Brief beansprucht ein besonderes Interesse, weil er bezeugt, daß es gerade in der Zeit, aus der uns am wenigsten von Holbeins Tätigkeit erhalten blieb, dem Meister an Arbeit und Aufträgen keineswegs fehlte. Ob der Hirsauer Auftrag zur Ausführung gelangte, ist nicht bekannt. Im einzelnen ist noch wichtig, daß berichtet wird, Holbein wolle alle Vorbereitungen zur Arbeit im Kloster Hirsau selbst treffen. Denn man wird daraus schließen dürfen, daß auch andere große Aufträge wie etwa der Kaisheimer und der

3) Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben und Neuburg. XX. Jahrgang. Augsburg 1893.

Curt Glaser: Zwei Buchillustrationen Hans Holbeins des Älteren.

Frankfurter Altar an Ort und Stelle ausgeführt wurden, was für Frankfurt ja auch durch andere Beweismittel schon wahrscheinlich gemacht werden konnte. Für die Frage nach den Reisen der Künstler überhaupt dürfte dieser Punkt über den einzelnen Fall hinaus auch eine allgemeine Bedeutung beanspruchen.

Zum Schluß eine Berichtigung. Auf Holbeins Schwartzepitaph vom Jahre 1508 ist nicht der im Jahre 1478 verstorbene Bürgermeister Ulrich Schwartz dargestellt, sondern dessen gleichnamiger Sohn mit seiner reichen Nachkommenschaft. Georg Habich hat dies in seinem Aufsatz über Hans Schwartz (Jahrb. der kgl. preuß. Kunstsamml. XXVII, S. 31. 1906) an einer Stelle, die mir bei Abfassung meiner Holbeinmonographie entgangen war, unter Bezugnahme auf eine Mitteilung Buffs ausgeführt. (Kunstchronik, XXII, Sp. 7 II, 1882.) Die Zahl der im Bilde dargestellten Ehefrauen (3) und Kinder (31) stimmt nur zu dem jüngeren Schwartz, der im Jahre 1519 7ojährig starb, also 1508 ungefähr 59 Jahre zählte. Ich bin nun in der Lage, für diese Annahme einen weiteren Beweis beizubringen. Das Berliner Kupferstichkabinett besitzt nämlich einen in vieler Hinsicht interessanten Gfeschlechtertanz der Familie Schwartz (Deckfarbenmalerei auf Papier) vom Jahre 1522, auf dem auch der verstorbene Vater erscheint, mit der Beischrift: VLRICH SWARTZ * EI VATER

36 KINDER MORT0 * EST * 1519. Der Widerspruch in der Angabe der Kinderzahl mit der des bei Buff abgedruckten Epitaphs bleibt noch zu lösen. Wichtig ist aber, daß zu dem Kopf dieses Ulrich Schwartz eine genaue Vorzeichnung erhalten ist. Das Blatt befindet sich im Louvre unter dem Namen Holbeins des Älteren. In meinem Verzeichnis ist es als Nii 147 aufgeführt, obwohl mir die Zuweisung an Holbein durchaus nicht einwandfrei erschien. Meine Zweifel sind durch die neue Bestimmung -der Persönlichkeit des Dargestellten nur noch stärker geworden. Sicher ist aber, daß der » alt Ulrich Schwartz « der Zeichnung kein anderer sein kann als der Stifter des Holbeinschen Bildes. Das faltenreiche Gesicht mit den kleinen Augen und dem stark entwickelten Doppelkinn ist unverkennbar. Nach dem Alter des Dargestellten zu schließen, ist die Zeichnung später angefertigt als Holbeins Bild, ja vielleicht deuten die geschlossenen Augen darauf, daß es sich um eine Aufnahme auf dem Totenbett handelt. Dann wäre Holbeins Autorschaft an dem Blatt mit Sicherheit auszuschließen, da der Künstler 1519 nicht mehr in Augsburg weilte. Jedenfalls aber ergibt die Zeichnung zusammen mit dem Berliner Geschlechtertanz, zu dem sie unmittelbar gehört, eine einwandfreie Bestimmung der Persönlichkeit des Ulrich Schwartz auf Holbeins Epitaphbild vom Jahre 1508.

über die »Wunder von Mariazell«.

Von Wilhelm Schmidt.

(Mit zwei Textabbildungen.)

Über den Feldkirch-Passauer Maler Wolfgang Huber sind neuerdings zwei Arbeiten erschienen. Die eine von Hermann Voss, »Der Ursprung des Donaustiles« (Leipzig, Hiersemann, 1907), behandelt allerdings den Künstler nicht selbständig, sondern als eine wichtige Persönlichkeit im Verein mit andern Künstlern seiner Zeit und Richtung. Die zweite, die mir in Behandlungsweise und kunstgeschichtlicher Anschauung näher steht, ist eine Doktordissertation von Rudolf Riggenbach (Basel 1907); diese beschäftigt sich speziell mit Huber.

Beide Arbeiten kommen auf die Jahreszahl 1502 zurück, welche ich auf einem Blatte der Bester Nationalgalerie, wenn auch mit innerem Widerstreben, glaubte lesen zu sollen. Sie schlagen dafür die Lesart 1512 vor. In der Tat glaube ich jetzt selbst an die Richtigkeit der letztern. Es läßt sich ja nicht leugnen, daß man in erster Linie 1502 lesen würden wie auch der frühere Direktor franz von Pulszky, der mit mir die Sammlung durchsah, gelesen hatte. Da das erste verwandte Blatt 1510 gezeichnet ist, und von da an sich die Jahreszahlen mehren, so ist die anscheinende Bezeichnung 1502 nur einem neckischen Zu- falle zu danken. Nach Riggenbach wäre die erste Jahreszahl Hubers 1505, die sich auf einer Federzeichnung bei Herrn Prof. E. Ehlers in Göttingen findet. Ich kenne das Original nicht, doch hatte der Besitzer die Liebens- würdigkeit, mir eine Photographie zu schicken. Danach finde ich nicht den geringsten Zusammenhang mit dem spätem Huberj dieser müßte sich eben vollkommen geändert haben, was man nur mit Widerstreben annehmen wird. Die Bezeichnung W. H. wäre demnach falsch. Der Zeichner weist Verwandtschaft mit der Dürerschen Schule auf und scheint gewisse Bezie- hungen zu den frühen Arbeiten des H. Schäufelein zu haben. Auch bei Wechtlin findet man Ähnlichkeiten. In der Münchener Graphischen Sammlung liegt unter Schäufelein ein hl. Franciscus, ein Scheibenriß, der unstreitig in der Behandlung starke Verwandtschaft hat.

Indem ich also mit der Lesung der Jahreszahl 1512 den beiden ge- schätzten Forschern zustimme, weiche ich um so entschiedener von ihrer stil- kritischen Beurteilung der »Wunder von Mariazell« ab, die ich im Repertorium XVI, S. 254, dem Meister vonPassau zugeteilt hatte. Fr. Lippmann schrieb mir damals von Berlin einen Brief, in dem er mir seine Übereinstimmung erklärte.

Rciicrtoriuin für Kunstwissenschaft, XXXI. 3*

452

Wilhelm Schmidt:

Voss und Riggenbach stimmen freilich in ihrer Anschauung über die Folge unter sich auch nicht überein.

Riggenbach (S. 42) meint, der Gesamtcharakter sei ein von Huber »total verschiedener«. Huber liebe einen weiten, offenen Raum, der

Zeichner dieser Blätter fülle ihn massig aus. Und dieser, Huber ent- gegengesetzte Stil gehe überall durch, die Architektur sei schwer und die Gestalten breit und klotzig. Allerdings gibt Riggenbach zu: »Die Vor- liebe für Landschaft haben Huber und der unbekannte Meister gemein- sam. Einzelheiten sind sogar zum Verwechseln ähnlich.« Nun muß

über die >Wunder von Mariazell«.

453

man bedenken, daß Huber bei diesen Vorstellungen sozusagen eine gebundene »Marschroute« hatte. Die Sujets beruhen ohne Zweifel von Hause aus auf bereits vorhandenen sogenannten Votivtäfelchen und viel- leicht auch andern Abbildungen, und Huber mußte, auch wenn er ohne

Vorlagen ganz frei erfand, das Bestreben haben, die betreffenden Vorfälle möglichst deutlich und groß zu charakterisieren und nicht etwa einen weiten und offenen Raum als die Hauptsache zu schildern. Selbstver- ständlich hat er die vorhandenen Darstellungen in seinen Stil umgesetzt und seiner charakteristischen Vorliebe für Landschaft, die Riggenbach

31

4:54

Wilhelm Schmidt;

mit Recht betont, nach Möglichkeit gefrönt. Daß die Formauffassüng der Gestalten eine von Huber Verschiedene sei, kann ich durchaus nicht geben. Zur Veranschaulichung hierfür bringe ich zwei Faksimiles, die allerdings von der reichen Fülle der Beweismittel nur einen dürftigen Begriff geben. Die erste Abb. ist ein Ausschnitt aus den Wundern von Maria- zell, die zweite einer aus dem Baseler Holzschnitte mit den 3 Lands- knechten; die Formauffassung mit diesen und ebenso mit der Zeichnung von 1515 bei Lanna in Prag (Handzeichnungswerk der Albertina Nr. 1321) ist durchaus identisch. Desgleichen der Kriegsknecht »Martin Wildeman«, der sich in Breunners Kfiegsvölkern III. Abt. Nr. 15 nachgebildet findet und den ich im. Repertorium XVII, 366, für einen Huber erklärt hatte. Der »Wildeman« weicht in der Behandlung etwas von den andern ab; ob dies nun aus einem andern Zeichnungsmaterial des Künstlers oder durch einen andern Formschneider zu erklären ist, wüßte ich nicht zu sagen. Ich würde mich nicht erstaunen, wenn jemand im Hinblicke darauf den Martin, der zudem nicht bezeichnet ist, wenn auch mit Un- recht, von den andern Landsknechtsdarstellungen trennte und einen verwandten äber doch verschiedenen Künstler daraus konstruierte. Man muß eben bei allen Holzschnitten mit der Tatsache verschiedener Xylo- graphen rechnen, und Hans Vollmer (Repertorium XXXI, S. 153), sagt mit Recht: »Die Unterscheidung der einzelnen Hände ist bekanntermaßen gerade auf dem Gebiete des Holzschnittes ein höchst diffiziles Beginnen, bei dem man gar nicht vorsichtig genug sein kann. Zwei sich unähn- liche Vorzeichnungen können durch die Übertragung durch ein und den- selben Formschneider als Schnitte oft eine verzweifelte Ähnlichkeit be- kommen und umgekehrt. « Die längern Proportionen des von Campbell Dodgson, Burlington Magazine X, S. 57, abgebildeten Landsknechtsblattes bei Mr. Huth in London, weichen von den mehr untersetzten, »breiten und klotzigen « Gestalten der Baseler Landsknechte ab. Riggenbach meint, die Baseler müßten später entstanden sein, als die. Londoner, die 1515 datiert sind. Das ist möglich, aber nicht ganz sicher, weil das Baseler Blatt in jedem Betracht mit der Landsknechtszeichnung bei Lanna in Prag übereinstimmt, welche gleichfalls die Jahreszahl 1515 trägt. Voss charakterisiert den Baseler Schnitt als von »merkwürdig lokerer Hand- habung dieser Technik, die im allgemeinen der malerischen Tendenz so wenig günstig ist«. Diese Beobachtung ist unbestreitbar, aber nun möchte ich jeden fragen, ob man die Landsknechtsdarstellungen, wenn sie nicht durch Bezeichnung oder auch bloß durch Jahreszahl^ wie bei dem Huthschen Blatte, gesichert sind, und wenn die verbindenden Glieder mit andern Werken Hubers, was ja der Fall sein könnte, fehlen, für Ar- beiten unsers Wolfgang hielte, Hand aufs Herz! ich selbst würde wohl

über die »Wunder von Mariazell«.

455

kaum an den Meister des Feldkircher Altares und der bei Bartsch ver- zeichneten Holzschnitte gedacht, sie nur als von einem verwandten Meister haben herrühren lassen, und andern Forschern dürfte es vielleicht nicht besser gehen. Man sieht daraus, wie vorsichtig man mit dem Zuteilen an angeblich verschiedene Künstler sein muß, und wie gefährlich es ist, aus gewissen allgemeinen vorgefaßten Prinzipien heraus zu sagen, das und das kann er nicht gemacht haben, das und das übersteigt seine Fassungs- kraft, stimmt nicht mit seinem Stile, wo sonst alle Indizien passen. Huber war nichts weniger als ein großer Künstler, mit den Körperproportionen haperte es bei ihm, und die gegenseitige geschickte Beziehung bewegter Gestalten war überhaupt seine Schattenseite; es geht durchaus nicht an, aus ein paar Darstellungen heraus, die dem herkömmlichen Kreise ent- nommen sind, ihm eine Folge abzusprechen, wo er eine eigentümliche und öfter lebhaft bewegte dramatische Darstellung zu bewältigen hatte. Bei Huber sind eben die verbindenden Glieder zu den »Wundem von Mariazell« die Landsknechtsblätter, und diese sind in Formauffassung und Zeichnung bis ins Innerste getränkt von dem gleichen Geiste. Nur eine Hand konnte diese Zeichnung entwerfen, und vielleicht, aber nicht so sicher, sind sie von demselben Formschneider ausgeführt. Man ver- gleiche z. B. in den beigegebenen Abbildungen die gleiche Kopf- bildung, Augen und Nase, das gleiche Stehen, die gleichen Proportionen und die gleiche landschaftliche Empfindung. Und bei allen die durch- aus identische Führung des zeichnenden Stiftes: die wilde malerische Manier, in der Landschaft, die massigen Figuren, die geraden Schatten- striche im Boden und alles andere, was man nur durch das Bildliche vergleichen, nicht durch Beschreibung ersehen kann. Man verfolge nur einmal bis ins kleinste Detail die Art der Strichelführung; das ist nur aus einer Hand entsprungen. Auf einem Blatte, der Türkenschlacht des Königs Ludwigs II. von Ungarn, findet sich oben links der Buchstabe M, der den Zeichner oder den Formschneider des Blattes bedeuten kann. Es gibt ja tatsächlich einen zeitgenössischen Formschneider, welcher M signirte, und an diesen müßte man in erster Linie denken, falls jene Darstellung wirklich von Huber herrührte; ich bin jedoch der Meinung von Voss, daß das Blatt von einer fremden Hand gezeichnet sei, also für die Frage, ob Huber der Autor der »Wunder,« gar nicht in Betracht kommt. Es ist vermutlich etwas später eingeschoben, und der Urheber scheint mir, wenn auch mit Huber verwandt, doch noch mehr mit Alt- dorfer zusammenzuhängen.

Voss seinerseits zieht für die »Wunder« den älteren Bruder des Wolfgangs, einen Bildhauer, heran und meint, sie seien als Produkt der Werkstätte der beiden zu betrachten, sie lehnten sich im allgemeinen

456

Wilhelm Schmidt: Über die »Wunder von Mariazell«.

Stil an den Bildhauer an und verwendeten für die Landschaften Vorlagen oder dergleichen des Malers Wolf. Der Stil sei überhaupt ein weit primitiverer, geradezu archaistischer. Mir kommt diese Erklärung zu künstlich, zu erklügelt vor, ich leugne durchaus, daß der Verfertiger seinem Denken nach mehr » Plastiker « war, und glaube erst recht nicht im Vergleiche mit andern Werken Wolfgangs an eine primitivere Kunst. Dann müßten ja vor allem auch die im Stile vollkommen gleichen Lands- knechte einen primitivere Kunstweise zur Schau tragen! Mit diesen Mitteln kommen wir nicht weiter. Der Einfluß der doch wahrhaftig nicht auf Augsburg beschränkten italienischen Renaissance, der in der Bildung der Figuren (z. B. Madonna usw.) aber auch in architektonischen Mo- tiven zutage tritt, läßt ganz und gar nicht an einen besondem Archais- mus denken. Vgl. z. B. auch die Renaissancearchitektur auf Nie. Kirberg ers Zeichnung der Enthauptung Johannes des Täufers von 1519 in der Albertina (Nr. 417). Voss hat ja das Verdienst, mit Nachdruck auf den Bruder Bildhauer aufmerksam gemacht zu haben; wie es aber mit seinen Zu- schreibungen klappt, das traue ich mir bis jetzt nicht zu beurteilen, und es dürfte darüber noch viel Wasser die 111 und die Donau hin- unterfließen. Geben wir also dem braven Wolfgang sein vom maleri- schen Standpunkte aufgefaßtes und aus einem Gusse bestehendes Werk zurück!

Ein Miniaturporträt Albrecht Altdorfers nach dem Leben.

Von Dr. Hans Hildebrandt, München.

Mit 2 Textabbildungen.

Aus Anlaß meiner Doktordissertation über »Die Architektur bei Albrecht Altdorfer«, welche inzwischen in Buchform erschienen ist, wandte ich mich an das Stadtbauamt Regensburg, um verschiedene Aus- künfte zu erhalten. Herr Stadtbauassessor Dr. Schmidt hatte die große Güte, Forschungen im Archiv für mich anzustellen, und machte mich auf eine Miniatur aufmerksam, auf welcher er das Wappen Albrecht Alt- dorfers entdeckt hatte. Bei eingehender Besichtigung stellte sich heraus, daß das wertvolle und trefflich erhaltene Blatt genug des kunstge- schichtlich Wertvollen birgt, um eine genaue Beschreibung zu lohnen.

Dargestellt ist, wie das Buch selbst, dessen erste Seite die Miniatur füllt, das »Freiheitsbuch der Stadt Regensburg«, in feierlichster Sitzung des inneren Rates von dem Doktor der Rechte, Hiltner, übergeben wird. In die reich mit Gold grundierte Umrahmung sind die Wappen der i6 Ratsherrn (einschließlich des Bürgermeisters) sowie, von jenen nach Gebühr gesondert, die des Ratschreibers und des Doktors der Rechte ein- getragen. Da jede der drei für die Ratsherrnwappen vorbehaltenen Seiten genau ebensoviele Wappen aufweist, als auf der ihr gleichge- richteten Bank Stadträte sitzen, ist es nicht schwer, die einzelnen Persön- lichkeiten zu bestimmen. So ergibt sich durch Zählung ob von links oder von rechts, bleibt sich gleich, daß Albrecht Altdorfer, seit 1526 Mitglied des inneren Rats und Stadtbaumeister von Regens- burg, als der Vierte nach hinten auf der linken Bank seinen Platz hat. Und diese Entdeckung bedeutet keine Enttäuschung: vornehmer in der Haltung, gewählter in der Kleidung denn seine Genossen stellt sich uns der Meister vor, eine ernste, sympathische Erscheinung. Aber wie ganz anders, als wir bisher gewohnt waren ihn uns zu denken! Da kein Selbstbildnis noch irgend ein Porträt des Malers, aufgenommen durch einen Zeitgenossen, auf uns gekommen, mußte man wohl oder übel einem Stiche Kilians Glauben schenken (abgebildet in Sandrarts Academia). In diesem Brustbild erscheint Altdorfer als hagerer Mann, mit kräftiger,

•) Verlag Heitz u. Mündel in Straßburg.

«GEORCl *■ a kVAlGARTNii

H- MAn ILVJ jMaHtlNOlR.

Hans Hildebrandt:

OJtORO

fmAJL'TMKS

Ein Miniaturporträt Albrecht Altdorfers nach dem Leben.

459

stark gebogener Nase, herabhängendem Schnurrbart und langem, wallen- dem Vollbart. Gerade diese Frisur mußte stutzig machen: Sie ist typisch für Kilians Zeitalter, nicht aber für Aldorfers Generation. Tatsächlich würde man hinter dem »Albrecht Altdorfer« in Sandrarts Chronik weit eher einen Astrologen oder Alchymisten als den liebenswürdigen Maler des deutschen Waldes suchen. Die Regensburger Miniatur, 1535, drei Jahre vor des Meisters Tod gefertigt, zeigt einen völlig anderen Menschen : ziemlich groß, doch durchaus nicht mager, mit breitem energischem Kopf, gerader Nase, die als unmittelbare Fortsetzung der Stirnlinie erscheint, und ohne jeden Bart. Das Haar, welches als schmaler Streif unter dem schwarzen Barett hervorlugt, ist dunkelblond soweit bei der Kleinheit der Miniatur (der ganze Kopf hat knapp einen halben Zenti- meter Höhe) ein Schluß auf solche Einzelheiten erlaubt scheint. Mit ganz besonderer Sorgfalt ist die Kleidung behandelt, und auf den ersten Blick erkennt man, daß dieser Mann wohlhabend, von feinem. Geschmack war und etwas auf sein Äußeres gab. Unter dem schwarzen, mit gelbem Pelz gefütterten Mantel tritt am Halse das gefältete Hemd hervor. Eine goldene Kette legt sich darüber. Die enganliegenden Strümpfe sind hell- gelb, die Schuhe schwarz. In der Hand hält Altdorfer ein Paar brauner Handschuhe. Er sitzt ruhig, mit übergeschlagenen Beinen, und scheint mehr mit sich selbst als mit dem Vorgang vor seinen Augen beschäftigt.

Nun zu des Meisters Wappen, über welches wie über alle übrigen der volle Namen gesetzt ist. Der Schild ist nach unten abgerundet. Diagonallinien zerschneiden ihn in vier Teile. Das eine Paar gegen- überliegender Seiten ist rot, das andere weiß (silbern) gehalten. Inner- halb eines Kreises, um den Schnittpunkt der Diagonalen gezogen, werden die Farben versetzt. Die vier herzförmigen Blätter, der Mittel- blume tragen dieselbe Farben Verteilung wie die äußersten Flächen. Dieses Wappen ist in Siebmachers Wappenbuch von 1605 (Band V, Nr. 226) mit der Beischrift »Altdorfer« abgebildet. Außerdem erwähnt es Neumann in den Altdorfer gewidmeten Zeilen (Meyers Allg. Künstler- lexikon, Band I) als in einer alten Handschrift von dem Regensburger Kunsthändler Börner gesehen. Da Friedländer bei seinen Forschungen für seine ausgezeichnete Altdorfer-Biographie diese Handschrift nicht auf- finden könnte, schien ihm ein anderes Wappen besser bezeugt, und er bezweifelte die Echtheit des oben beschriebenen. Das von ihm für gültig erklärte eignet der Landshut-Regensburger Patrizierfamilie . Alt- dorfer und, soll auf des Meisters Grabstein gemeißelt gewesen sein. Ob sich der Maler auch dieses Wappens bedient hat, lasseich dahingestellt. Ganz gewiß aber hat er das in Siebmachers Wappenbuch dargestellte geführt. Denn die alte Handschrift, von der Neumann schreibt, kann

Hans Hildebrandt:

460

nur das Freiheitsbuch der Stadt Regensburg gewesen sein. Und die Miniatur des Titelblatts ist noch zu des Meisters Lebzeiten gefertigt worden.

Mit Bildnis und Wappen Altdorfers ist die Bedeutung der Miniatur noch nicht erschöpft. Gleichwie er eine möglichst vollkommene Porträt-

ähnlichkeit der dargestellten Personen erstrebte, hat der Maler auch eine photographisch treue Wiedergabe des »Blauen Saales« gewollt und erreicht und nicht den mindesten Versuch einer Idealisierung des fast ärmlich schmucklosen Raumes gemacht, in dem die Regensburger Stadt- väter alle wichtigen Geschäfte der freien Reichsstadt berieten. Decken

Ein Miniaturporträt Albrecht Altdorfers nach dem Leben. 461

und Wände zeigen einfachste Bretterverschalung. Um so mehr fallen die wenigen Prunkstücke in die Augen. Zunächst im Hintergrund eine Renaissancetür. Sie gibt die reinsten Formen des oberitalienischen Stils vom Beginn des 16. Jahrhunderts und verdient ein Meisterwerk genannt zu werden. Ich kann auf meine oben angeführte Arbeit über die Architektur bei Albrecht Altdorfer verweisen, wo sich eine genaue Schilderung der Tür nebst dem Nachweise findet, daß sie der Baumeister- tätigkeit unseres Malers die Entstehung dankt. Hier nur soviel, daß sie der Auffassung, welche der Regensburger durch persönliche Anschauung sich von dem italienischen Stil gebildet, in jeder Einzelheit entspricht, und daß er alle seine Lieblings-Renaissancemotive bei ihr verwertet hat. Leider ist uns dieses Werk des Stadtbaumeisters nur in einer Miniatur erhalten. Schon Anfang des 17. Jahrhunderts war sie beseitigt, wie eine zweite Miniatur im Besitze des Regensburger Stadtarchivs (von 1627) beweist. Die auf dieser abgebildeten prunkvollen Spätrenaissancetüren sind z. T. noch heute im »blauen Saal« erhalten.

Rechts und links von der Tür hängt je ein dunKles Barett. Sie wirken fast als Wandzier, so dürftig ist der Raum, welchem nur ein ein- ziger Bildschmuck eignet: Ein großes, quadratisches Gemälde, Christus als Weltenrichter, von Maria und Johannes angebetet. Bei Altdorfers Stellung als Kunstdiktator seiner Vaterstadt kann es nicht überraschen, wenn der Magistrat ein Bild seines hochbegabten Mitglieds als Wand- schmuck wählte. Wahrscheinlich haben wir ein verloren gegangenes Original Altdorfers in dieser Miniaturabbildung vor uns. Den Beweis erbringt der kleine, vorletzte Holzschnitt aus der Folge »Von der Sünde und Erlösung des Menschengeschlechts usw.« (B. 39). Genau die nämliche Komposition, nur daß sie im Gemälde wesentlich vereinfacht, rhythmischer in den Linien gehalten und veredelt worden. Christus, eine hochaufgereckte Gestalt, nur mit einem wallenden (roten) Mantel be- kleidet, thront auf dem Regenbögen, der nach den unteren Ecken zu, also diagonal, verläuft. Seine Füße ruhen auf der Weltkugel, die in Wolken schwebt. Maria (in blaueih Mantel), Johannes (in gelbbraunem Gewand), knien rechts und links, schließen die Komposition nach unten ab und rahmen gleichzeitig das Mittelfeld ein. Zwischen ihnen breitet sich eine sonnige, grüne Landschaft Auf dem Holzschnitt werden neben Maria und Johannes dem Rande zu noch mehrere Engel sichtbar. Diese Anordnung war viel zu gedrängt, weshalb der Maler die Figuren- zahl verminderte und an Stelle des hohen Rechtecks eine fast quadratische Bildfläche setzte. Im oberen Drittel füllen zwei posaunenblasende Engel (in gedämpft rötlichen Gewändern) die Ecken. Von Christi Haupt gehen Lilie und Schwert aus auch unser Meister hat sich von diesem un-

462

Hans Hildebrandt: Ein Miniaturporträt Alb recht Altdorfers usw.

malerischen, rein literarischen Motiv der nordischen Kunst nicht loszu- sagen verstanden. Wenn diese Komposition auch auf das seit alters her übliche Schema zurückgeht, so ist die Übereinstimmung zwischen Schnitt und Bild doch so vollständig, sind alle Unterschiede aus der Änderung des Formats und der gründlicheren formalen Durcharbeitung so restlos zu erklären, daß ein Zweifel an Altdorfers Urheberschaft kaum möglich. Selbstverständlich müßte das Gemälde nach der ungefähr um 1515 anzusetzendeij Holzschnittfolge entstanden sein.

Wer mag der Miniaturist gewesen sein, dem wir dies Kleinod danken? Sicher ein hervorragender Meister seines Fachs, was ja in Regensburg, der Heimat Furthmeyrs, nicht zu verwundern. Die Malerei ist überaus sorgsam, doch ohne Härte, hat prächtigsten Farbenglanz, und die umrahmenden Ornamente sind von köstlicher Anmut. Man hat in Regensburg schon an Altdorfer selbst gedacht. Aber der Meister hat die perspektivischen Gesetze noch weit souveräner beherrscht als der Miniaturist. Ich möchte eine freilich unbeweisbare andere Vermutung äußern. In dem kunstvollen Aufbau über der Tür bildet eine Rundscheibe mit dem Monogramm |M| die Mitte. Daß die Tür an derselben Stelle in Wirklichkeit den Namen ihres Baumeisters getragen habe, ist ausge- schlossen, weil selbst die bescheidenste Bezeichnung des Architekten an Bauten der damaligen Zeit fast niemals vorkommt. Stellt es ein von dem Magistrat gewünschtes Buchstabensymbol dar? Ich wüßte nicht, welches. Eher glaube ich, daß der Miniaturist, stolz auf sein gelungenes Werk, sich gestattet hat, an Stelle des ornamentalen oder plastischen Schmucks, welcher in der Rundscheihe angebracht war, seinen eigenen Namen ein- zusetzen. Dieser Fall wäre nicht vereinzelt. Vielleicht dürfen wir dann Hans Müelich, den in späteren Jahren von Bayerns Herzog so hochgeschätzten Miniatur- und Porträtmaler, als Verfertiger des Blattes nennen. Müelich w^ar im Jahre 1536 ein Zwanziger. Da er sich be- sonders in der Miniaturmalerei hervortat, und da die frühesten von ihm be- kannten Bilder in Regensburg auftauchten, mag er seine Lehrjahre recht wohl in jener Stadt zugebracht haben, in welcher die Kleinmalerei ge- pflegt und geübt wurde wie nirgends sonst in Deutschland zu Anfang des 16. Jahrhunders. Freilich: Keines der von ihm gewiß verwerteten Monogramme stimmt mit unserem genau überein. Da indessen der Gebrauch von fünf verschiedenen Monogrammen verbürgt, mag man ihm leicht auch noch ein sechstes Zutrauen. Im übrigen ist ziemlich uner- heblich, ob Hans Müelich oder ein anderer Regensburger die Ratssitzung vom Jahre 1535 geschildert. Genug, daß er zu den Tüchtigsten seines Faches zählte, und daß er das eirizig bekannte Bildnis Albrecht Altdorfers uns überliefert hat, das seine Züge nach dem Leben wiedergibt.

Ein russisches Dokument zur Geschichte von Memlings Jüngstem Gericht in Danzig.

Seit dem glorreichen Auftreten Paul Benekes und des Peter von Danzig in der Kunstgeschichte anno Domini 1473 hat Memlings Jüngstes Gericht in den verschiedensten Welthändeln bis 1815 einschließlich eine Rolle zu spielen gehabt, auch während des Nordischen Krieges, im Jahre 1717. Durch die beispiellose Zähigkeit, mit der die Bürgerschaft von Danzig stets ihr Stadtheiligtum verteidigt hat, wußte sie auch damals sich gegen die Ansprüche Peters des Großen zii wehren. In der Literatur fand ich nur einen undeutlichen Hinweis auf die Absichten des Zaren, das Bild an sich zu bringen : in Springers deutscher Ausgabe von Crowe und Cavalcaselles Geschichte der Altniederländischen Malerei (S. 285, Anm. i). Eine Reihe Details gibt nun ein russisches Dokument, das ich mir erlaube hier in deutscher Übersetzung wiederzugeben. Vorher aber einige Worte des Vorbehaltes und der Entschuldigung.

Wer der eigentliche Entdecker des Textes gewesen ist, vermag ich nicht zu sagen. Etwa im Jahre 1902 fanden wir beim Durchstöbern eines Schreibtisches in den Arbeitsräumen der Ermitage eine Abschrift mit dem Hinweis auf die weiter unten zu nennende gedruckte Quelle. Die Handschrift des Abschreibers blieb uns unbekannt; nach einigen äußeren Anzeichen kann ich nur vermuten, daß die Abschrift aus den Zeiten stammt, da der rastlose Forscher Baron Edmund Bruiningk (f 1885) an der Spitze der Ermitagegalerie stand. Die Abschrift war mir aus den Augen gekommen, bis ich sie im Frühling d. J. im Schreibtische meines verstorbenen Freundes und Chefs Alexander Neuströjew wieder auffand und nunmehr eile ich diesen Fund zu veröffentlichen, selbst auf die Gefahr hin bereits Bekanntes in unvollkommenerer Form zu bringen. Mir liegt ein russischer Text vor, der vielleicht nur eine Übersetzung aus dem Deutschen ist. Dieser hypostasierte Originaltext ist vielleicht in einem Danziger Archive vor- handen, vielleicht sogar schon publiziert. Da ich in der kunsthistori- schen Literatur keinen Hinweis darauf finde, glaube ich an dieser Stelle das Stück veröffentlichen zu dürfen.

Die erwähnte Abschrift gab eine gedruckte Quelle an, in der am allerwenigsten kunsthistorisch bemerkenswerte Aktenstücke gesucht werden

464

James v. Schmidt:

dürften: die »Pölnoje Ssobränije Sakonow Rossiiskoi Impdrii« (»Vollständige Sammlung der Gesetze des Russischen Kaiserreiches«) die alle seit 1678 in Rußland mit Gesetzkraft erlassenen Bestimmungen enthält und nicht mit dem geltenden Gesetzeskodex, dem »Sswod Sakönow« verwechselt werden darf. In dem fünften Bande der vollständigen Sammlung (St. Peters- burg 1830) ist auf S. 514 unter dem 8. Oktober 1717 (julianischen Stiles) sub Nr. 3108 folgendes Aktenstück abgedruckt:

»Deklaration der Stadt Danzig. Über die Weigerung,

dem Russischen Kaiser das Andachtsbild des Jüngsten Ge- richtes abzutreten.«

» Dieweil es dem Erlauchten Fürsten und Herrn Wassili Dolgorukow, von Seiner Groß-Zarischen Majestät Allerhöchst eingesetztem General und Ritter der Orden vom Elefanten und vom Weißen Adler usw. genehm war, nach der Abreise Seiner Groß-Zarischen Majestät aus Gdansk und nach Abschluß des Vertrages zwischen Seiner Groß-Zarischen Majestät und der Stadt Gdansk und nachfolgender Ratifikation, Namens Aller- höchst gedachter Seiner Groß-Zarischen Majestät dem hochwohllöblicheii Rate besagter Stadt zu verkünden; daß Seiner Groß-Zarischen Majestät das in der Pfarrkirche zu St. Marien befindliche Andachtsbild des Jüng- sten Gerichts besonders gefallen habe, und darum dem obbedachten Erlauchten Fürsten durch einen Brief aus Stutthof der Befehl gegeben sei, selbiges zu fordern, der alsdann auch etliche Konferenzen mit den für den beschlossenen Vertrag ernannten Räten gehabt hat: und von diesen unter anderem vorgestellt wurde, daß diese unerwartete Forderung von solcher Art sei, auf welche die Stadt in keiner Weise eingehen könne, weil es frech wäre eine Sache, die vor dreihundert Jahren der Kirche geweiht und in deren ruhigem Besitz verblieben wäre, zu verkaufen oder wegzu- geben. Jedoch, da obbesagter Erlauchter Fürst dessen ungeachtet aufs neue eine schriftliche Forderung getan hat und eine ebenfalls schriftliche Erläuterung verlangt hat; so wird hiedurch mit würdigstgebührender Hochachtung auf solches Antwort erteilt: daß der hochwohllöbliche Rat der Stadt Gdansk nichts anderes tun kann, als auf obbedachte Gründe zu verweisen und sich ganz auf Seine Hochfürstliche Erlaucht zu verlassen, daß er dieses genehmigen wird.«

Bei der Übersetzung habe ich mich genau an den unmöglichen Satzbau des Originals mit allen Anakoluthen und sonstigen stilistischen Ungeheuerlichkeiten gehalten und im übrigen versucht, die russischen Archaismen des Kanzleistils durch entsprechende deutsche Wendungen wiederzugeben. In sprachlicher Beziehung ist noch ein interessantes Moment hervorzuheben: der Gebrauch der Form des Stadtnamens »Gdansk«, der im heutigen Sprachgebrauch durch die germanisierte Form Danzig verdrängt ist.

Ein russisches Dokument zur Geschichte von Memlings Jüngstem Gericht in Danzig. 465

Offenbar ist dieses Aktenstück als Beilage zur Konvention zwischen Peter dem Großen und der Stadt Danzig vom 19/30. September 1717 betrachtet worden, die gleichfalls im V. Bande der Polnoje Ssobränije Sakonow sub 3104, wenige Seiten vor der Deklaration abgedruckt ist. Der Artikel 6 der Konvention befreit die Stadt von jeder Kontribution und »von allen anderen Lasten, welchen Namen sie auch führen mögen« und Artikel 7 lautet in deutscher Übersetzung: »Die Stadt Gdansk wird von allen Ansprüchen und Forderungen, welche im Namen Seiner Groß- Zarischen Majestät in dem Falle, daß etwas in früherer Zeit unternommen oder erlassen worden ist, nach einiger Zeit erneuert würden oder unter irgendeinem Vorwände erdacht oder erneuert werden könnten, hiemit und alles in allem befreit und bewahrt.« Offenbar wurden diese Artikel beim Protest des Danziger Rates berücksichtigt und die Deklaration als Er- gänzung der Konventionsakte angesehen, sonst wäre ihre Aufnahme in die Sammlung der Gesetze nicht zu erklären. Politische Kombinationen mögen Peter den Großen veranlaßt haben gegen die Hansastadt rücksichts- voll zu sein, lag ihm, wie aus dem Tenor der Konvention hervorgeht, doch vor allem daran, den Handelsverkehr Danzigs mit Schweden und Polen zu vernichten, da er eine Art Kontinentalsperre gegen Schweden an- strebte. Bemerkenswert bleibt es, daß Memlings Gemälde auf den großen Willensmenschen, dem das Kriegs- und mechanische Handwerk lieber waren als alle Kunst, solch einen starken Eindruck gemacht hat.

James v, Schmidt.

Zu Werken Alvise Vivarinis.

Alvise Vivarinis großes Altarbild in der Frarikirche zu Venedig ist bekanntlich nach dem Tode Alvises durch Basaiti vollendet worden. Dieses Wissen kommt uns von einem durchaus glaubwürdigen Dokument, von einem auf dem Bilde angebrachten Inschriftszettel. Die Inschrift lautet: »Quod Vivarine tua fatali sorte nequisti | marrus basitus nobile prompsit opus. «

Bereits Crowe und Cavelcaselle (V. p. 65) haben versucht, das Eigentum beider Maler festzustellen. Dem Alvise geben sie den Entwurf zum Ganzen und von der Ausführung die Krönung Mariae, oben unter dem Bogenabschluß, ferner den thronenden Ambrosius und die ihn flankierenden jungen Ritter, schließlich » einen der beiden Bischöfe und einen Mönch aus der nächsten Umgebung des Thrones«. (Damit ist Gregor und der nur bis zum Hals sichtbare Heilige gemeint.) Die Aus- führung der übrigen Teile soll Basaiti gehören.

Berenson (Lotto, p. 82) geht weiter. Ihm scheinen die beiden Heiligen des Vordergrundes, Sebastian und Hieronymus, so wenig im Zusammenhang mit der Gesamtkomposition zu stehen, daß er sie für eigenmächtige Zutaten Basaitis halten möchte. Die Ansicht hat Anklang gefunden, so bei Jacobsen (Repertorium XXII p. 3517.) und scheinbar auch bei L. Venturi (Le origini della pittura veneziana. p. 247).

Da es sich um. ein Werk handelt, das in der Geschichte des venezianischen Altarbildes einen sehr vornehmen Platz zu beanspruchen hat, soll auf die prekäre Anteilfrage nochmals eingegangen werden. Selbst auf die Gefahr hin, daß wir nicht viel weiter kommen, als bis zu Crowe und Cavelcaselle zurück.

Während der augenblicklichen Restauration der Kirche ist unser Bild mit den anderen Gemälden der Frari in S. Tomä untergebracht und dort einer Untersuchung leichter zugänglich, als an seinem eigentlichen Orte, der Capella de’ Milanesi.

Es sei erlaubt, sich zunächst über die Ausführung ?u äußern und erst dann auf das Primäre, auf den Entwurf einzugehen. Ganz deutlich lassen sich zwei Hände in dem Bilde unterscheiden. Eine breiter und flüssiger auftragende, weichere und geübtere und eine andere, deren

Zu Werken Alvise Viarinis.

467

Auftrag von zäher, spröder Trockenheit, deren Konturen von so über- triebener Schärfe sind, daß die Einzelformen unverbunden, wie aus- geschnitten nebeneinander stehen. Ein Vergleich mit anderen Spätwerken Alvises, wie dem Auferstandenen in S. Giovanni in Bragora, der S. Giustina bei Bagati Valsecchi in Mailand, der Madonna mit vier Heiligen des Kaiser-Friedrich-Museums, und andererseits mit Basaitis »Berufung der Söhne Zebedaei« v. J. 1510 (Venedig, Akademie), sowie einigen früheren Arbeiten, den Halbfigurenbildern im Museo Correr, dem Museo civico zu Padua und der Pinakothek zu München lehrt, daß die weichere Hand Alvise, die härtere Basaiti gehört. Demnach hat Alvise folgende Figuren allein ausgeführt: Ambrosius, den jugendlichen, Schwert haltenden Ritter zu seiner Rechten, Gregor, Augustin und den Kopf des zwischen ihnen sichtbar werdenden Heiligen (wahrscheinlich Franziskus), schließlich Sebastian links vorn. Bei den meisten anderen fällt die Entscheidung schwer, wie weit sie von Alvise begonnen, von Basaiti übergangen sind, wie weit die Ausführung ganz in der Hand dieses gelegen hat. Zweifel- los hat Basaiti die Rüstung des Ritters zur Linken des Hauptheiligen gemalt. In ganz gleicher, fein strichelnder Manier ist der Panzer des H. Georg auf dem bezeichneten Frühwerk Basaitis im Museo civico zu Padua behandelt. Besonders kenntlich ist dann weiter Basaitis Hand in dem musizierenden Engel rechts unten und schließlich im Hieronymus. Die Krönung Mariae hoch oben entzieht sich einer genaueren Unter- suchung. Soweit man bei der großen Entfernung urteilen kann, hat auch hier Basaiti stark mitgewirkt. Es mag befremdlich erscheinen, daß Alvise so wenig planmäßig bei seiner Arbeit vorgegangen sein soll, sprungweise bald hier, bald dort eine Partie in Angriff nehmend. Viel- leicht, daß er den nahen Tod herankommen fühlte und wenigstens die wichtigsten Teile noch selbst erledigen wollte, nach denen dann ein Schüler das übrige fertigstellen konnte.

Nun zu der viel wichtigeren Frage : Hat Alvise das Bild so, wie wir es heute sehen, entworfen oder hat Basaiti, wie behauptet wurde, die beiden isoliert im Vordergründe stehenden Heiligen, Sebastian und Hieronymus, eigenmächtig hinzugefügt? Da die Ausführung der Sebastianfigur bereits als Arbeit Alvises erkannt wurde, ist die Frage eigentlich schon beantwortet. Das Bild bietet aber so bereitwillig weitere Argumente an, die zur völligen Entkräftung jener Behauptung angehört werden mögen.

In den Kreidegrund der Tafel ist die Vorzeichung für die Treppe, an deren Fuß unsere Heiligen stehen, eingeritzt. Diese eingeritzten Horizontalen setzen am Kontur der Figuren ab. Man nahm also bereits bei der Vorzeichung auf die beiden Vorderfiguren Rücksicht.

Repertorium ftir Kunstwissenschaft, XXXI.

32

468

Hadeln:

Zu offenbar sind dann die Heiligen hinter Sebastian und Hieronymus diesen als Folie dienstbar gemacht, als daß man glauben könnte, jene seien anfangs als selbständige Teile geplant gewesen.

Ferner: Das Bild ist von den in Venedig angesessenen Mailändern gestiftet: Der Steinsockel, auf dem der Rahmen ruht, trägt die Inschrift: »Colegii mediolanen aere divi cultui instit MDIII «^)

Nun gilt der hl. Sebastian für einen Mailänder und genießt bei seinen Landsleuten besondere Verehrung. Hieronymus macht andererseits die Vierzahl der Kirchenväter vollzählig. Weder der Mailänder Sebastian, noch Hieronymus, der dritte der heiligen Kollegen des Ambrosius wird in dem zwischen Alvise und den Mailändern geschlossenen Auftragspakt gefehlt haben.

Schließlich scheint uns, daß in den beiden Vorderfiguren gerade ein Teil der großen Vorzüge des Bildes ruht. In ihnen als Kompositions- pfeiler, als Faktoren der Raumwirkung und, soweit die Ausführung vom Meister ist, als besonders reizvolle Einzelheit. Es gibt wenig venezianische, quattrocentistische Akte, die sich mit dem Sebastian messep können. Basaiti hat auf seinem Münchener Halbfigurenbild den Oberkörper des Heiligen zu kopieren versucht. Der Kontur ist fast identisch. Aber die ondulierende Feinheit der Linie Alvises hat sich unnachahmlich gezeigt ^).

Zusammenfassend stellen wir folgende Behauptung auf: Alvise hat das Bild so, wie wir es heute sehen, entworfen. Denn gegen eine spätere Hinzufügung der beiden einzelnen Vorderfiguren sprechen äußere, materielle und ästhetische Gründe. Die Ausführung stammt von Alvise und Basaiti.

Die nahen Beziehungen zwischen zwei Madonnenbildern Alvises, der des Wiener Hofmuseums vom Jahre 1489 und der undatierten und unbezeichneten, (aber allgemein anerkannten) in der Sakristei des Reden- tore sind bekannt. Nun hat man geglaubt, mit Hilfe des Wiener Bildes dasjenige im Redentore annähernd datieren zu können: Als das voll- kommenere soll es das spätere, 1491 1492 entstanden sein 3).

Die Bilder weichen einmal in der Farbengebung voneinander ab. Dann zeigt das Wiener Exemplar die Madonna in ganzer Figur, das im Redentore ist dagegen nur Kniestück, so daß zwei musizierende Putti, die in Wien auf den Stufen vor dem Throne sit'en, hier auf eine vorn ab- schließende Brüstung placiert wurden. Im übrigen herrscht weitgehendste

>) Der Altar war Bereits Ü J. 1421 geweiht worden und zwar dem H. Ambrosius und dem Täufer, laut Inschrift, mitgeteilt durch Soravia, Le chiese di Venezia, II p. 112.

») Daß im Gegensatz zum Sebastian der Hieronymus von Basaiti ausgeführt ist, zeigen u. a. so charakteristische Merkmale wie die konvexen Ausbiegungen am Schien- bein, die kurzen, plumpen Füße. Man vergleiche den gerade das Boot verlassenden Alten auf der »Berufung« v. J. 1510.

3) Berehson, Lotto p. 76.

Zu Werken Alvise Vivarinis.

469

Übereinstimmung. Nicht nur, daß Mutter und Kind und die Putti beide Male in genau gleicher Haltung gegeben sind. Eine Menge nebensächlicher Einzelheiten im Arrangement des Mantels, in der Fältelung des Halstuches, in der Lage des Kissens haben beide Bilder gemeinsam. Nur, daß alles, was an der Redentore-Madonna fein und lebendig, in Wien platt, müde, schematisch ist. Diese Qualitätsdifferenz läßt sich aber nicht so, wie geschehen, deuten. Die Redentore-Madonna ist nicht die reifere Redaktion eines älteren Werkes, sie ist die ursprüngliche, eigenhändige Fassung. Das Wiener Bild dagegen, das alle Kopistenschwächen deutlich zur Schau trägt, eine veränderte Werkstattsreplik. Trotz seiner Signatur.

Diese Madonna, wahrscheinlich ehemals Mittelstück eines mehr- gliederigen Altarwerks, ist aus Dalmatien nach Wien gekommen. Öfters kann man die Beobachtung machen, daß venezianische Künstler die Ausführung zu exportierender Werke Gehilfen überlassen haben. Ältere Arbeiten des Meisters dienten dann als Vorbild. So offenbar auch hier. Die Meistersignatur, die übrigens bisweilen im Vertrage ausdrücklich ausbedungen wurde 4), erhielten diese Bilder dennoch, oder vielleicht gerade deshalb.

Wenn man 1489, das Entstehungsjahr der Wiener Madonna, für eine Datierung derjenigen im Redentore heranziehen will, so kann dieses Jahr nur als terminus ante benutzt werden.

4) z. B. Vertrag zwischen Paolo Verones und S. Giovanni in Xenodochio zu Cividale. Maniago, Belle arti friulane p, 394 f.

Hadeht.

32'

Die Flucht nach Ägypten von Rubens.

Ein Täfelchen, 0,40 H. und 0,53 L., bezeichnet »P. P. Rubens 1614«, ein schönes und genetisch sehr interessantes Werk, ist jetzt in Kassel, war aber wie so viele andere europäische Kunstschätze eine Zeit- lang im Louvre zu Hause.

Maria, die jungfräuliche Hauptperson, ist ebenso natürlich wie anziehend. Sie nimmt eine zwanglose und festkonstruierte Stellung ein, die an kontrapostischer Mannigfaltigkeit reich und der Situation vor- züglich entsprechend ist. Vom Geräusch eines fernen Reiters, eines Soldaten des Herodes*), erregt, biegt sie instinktmäßig ihren Arm, gleich- sam um das Kind zu schützen; ihre Gemütsruhe ist aber ungestört: sie weiß sich ja in der Hut Gottes stehend. Zwischen dem Ungestüm der Welt nach rechts und den Engeln nach links nimmt sie, wie es der mediatrici terrae et coeli gebührt, die Stelle in der Mitte ein. Auch ihr Gewand ist wie eine Vermittelung zwischen Josephs grober Kutte und der Draperie oder heroischen Nacktheit der Engel.

Diese liebliche Erscheinung von der nur die Hand dem Meister mißlungen ist rührt als Komposition von mehreren Künstlern her. Raffaels Madonna della Sedia und Michael Angeles Maria mit Jesus und Johannes nebst verschiedenen Figuren in der Sixtinischen Kapelle geben schon der Anlage nach die Positur. Diese Werke hat Rubens gewiß gekannt und studiert; auch mögen sie ihm hier mittelbar zustatten gekommen sein; das direkte Vorbild dieser Gestalt ist aber da zu finden wo er die Idee seiner Aufrichtung des Kreuzes, im Dome zu Antwerpen, empfangen hat, nämlich in der Scuola di San Rocco zu Venedig.

In ihrer ganzen Anordnung, wie sie hoch auf dem schräg nach links hinausschreitenden Esel sitzt, ist die Jungfrau fast ein Wiederhall der Maria in Tintorettos Flucht nach Ägypten daselbst mit nur zwei Abweichungen. Sie sitzt mit dem linken, Tintorettos Madonna mit dem rechten Bein über den Esel geschlagen, und es ist ihr rechter, in

‘) Ursprünglich harte das Bild ohne Zweifel zwei Reiter wie Marinus’ Stich nach einer andern Version derselben Komposition von Rubens; ein Stück ist nämlich von der Tafel abgesägt worden.

Die Flucht nach Ägypten von Rubens.

471

Tintorettos Gemälde der linke Arm, der vom Gewände verborgen wird. Die geringe Bedeutung dieser Verschiedenheiten geht daraus hervor, daß in der in Marinus’ umgekehrtem Stich*) bewahrten Version 3) die Bein- stellung wie in Tintorettos Komposition ist, und betreffend den zweiten Punkt daß Rubens’ mehr dramatisch bewegte Auffassung des Vorwurfes zur Folge hatte, daß Marie den linken Arm hervorhält, um den in ihrem rechten schlafenden Sohn zu schützen.

Der Esel, der in Tintorettos Fresco Ruskin, in Stones of Venice, begeistert hat, ist auch von Rubens durchaus treffend charakterisiert worden.

Die Führung des Tieres hat der letzte nicht wie der Italiener dem Joseph sondern zwei Engeln anvertraut. Betrachten wir einmal diese.

Der eine flattert vor Marie, den Weg weisend; seine kühne Ver- kürzung ist bekannt genug von Michael Angeles knienden Soldaten in Marc Antonios Stich nach den Badenden Kriegern sowohl als von einem der Seligen im jüngsten Gericht desselben. Daß die ungeheuren Gestalten des riesigen Florentiners in kleinen Nebenfiguren eines Staffeleibildchens wiederauftreten, kann uns nicht befremden; Rubens hatte sie ja sozusagen auswendig gelernt, wie seine Taufe Christi zu Antwerpen zeigt. Wir brauchen aber nicht bis zum eigentlichen Urheber der Gestalt zu gehen, um dem Ursprung des Rubenschen Engels auf die Spur zu kommen. Auch Tintoretto hat die von Michael Angelo erfundene Stellung benutzt. Es verdient besondere Beachtung, daß sie in seiner Anbetung der heiligen Könige in der Scuola di San Rocco vorkommt.

Daß dies nicht auf einem zufälligen Zusammentreffen beruht, geht daraus hervor, daß in Marinus’ Stich, welcher hier von unserm Gemälde bedeutend abweicht, indem er die schwebende Gestalt mit zwei Engeln ersetzt, auch diese eine unleugbare Affinität mit gewissen Figuren in Tintorettos Dekorationen der Scuola di San Rocco aufweisen. Während die gewaltsame Geberde des Engels, der über der Ankunft des Soldaten Lärm macht, an den zornigen Christus im jüngsten Gericht in der

») In Max Rooses L’Oeuvre de Rubens abgebildet.

3) Smith beschreibt das Gemälde, das die Vorlage dazu gewesen ist, folgender- maßen: The Flight into Egypt by night. The Virgin, with the infant Saviour in her arms, is mounted on an ass, led by an angel ; another angel soars over their heads, bearing a lighted torch; and St. John follows behind. A masterly finished study, igin. by 24m. Panel. Engraved by Marinus; and in reverse by Galle. Now [das heißt ungefähr 1830] in the collection of Sir Abraham Hume, Bart. A similar composition occurs in the Louvre [die später zu erwähnen ist], i ft. 7 üy 2 ft. P.

Leider kann man sich nicht ohne Vorbehalt auf diese Mitteilung verlassen. Sagt er doch später rUcksichtlich des hier besprochenen Rubens zu Kassel: This is doubtless the picture from which C. Galle und Marinus engraved their prints, als ob er die oben angeführte Erklärung zu berichtigen wünschte. Zudem gibt er zwei als die Zahl der im Kasseler Bilde schwebenden Engel an.

472

Niels Restorff:

Sixtinischen Kapelle erinnert und der fackeltragende Engel Reminiszenzen von mehreren michelangelesken Schöpfungen, u. a. dem knienden Soldaten, verkörpert, finden sich mehr oder minder deutlich beide Stellungen in Tintorettos Wunder der ehernen Schlange, in der Auf- erstehung Christi und in der Anbetung der Hirten.

Im Kasseler Gemälde wird das Tier von einem Engel geleitet, der wie Tintorettos Joseph angebracht ist. Er vereint Kraft mit Sorgsamkeit und Zuverlässigkeit. Langsam hervorschreitend beugt er sich, um zu untersuchen, ob es der rechte Pfad ist und der Grund sich fest und sicher bewährt. Dieser Führer ist zu Raffael zurückzuverfolgen, sein Typus ist der gleiche wie z. B. der verworfene Bewerber, der den Stab auf , seinem Knie zerbricht oder, genauer, der Bote, der in der Schule von Athen eine mächtige Pergamentrolle eilig herbeibringt. (In Marinus’ Stich, wo diese Gestalt nur oberflächlich verändert ist, obgleich der Effekt ästhetisch ein ganz anderer ist, nähert er sich der letztgenannten Figur Raffaels wie eine Kopie dem Original.) Eine ähnlich komponierte Person kommt in der Taufe Christi vor in derselben Fundstätte rubensscher Motive in der Scuola di San Rocco. In Wahrheit nicht ohne Grund notiert der Katalog des Rotterdamer Museums von 1859 unter Rubens: Studie d’apr^s Tintoretto, was Burger folgendergestalt kommentiert : quant ä ce

rapprochement du Tintoret, eite tout seul comme un des formateurs de Rubens, il est ä la fois tr^s-original et tr^s-juste.

Was nun den Charakter der Malerei betrifft, fällt es auf, daß Rubens hier weit mehr als gewöhnlich auf Einzelheiten und sorgfältig durch- geführte Vollendung Gewicht legt; auch sind die Dimensionen ausnahms- weise klein. Doch steht weder in bezug auf Größe noch auf technische Behandlung das Werk vereinzelt da; die damit gleichartigen, z. B. die Beweinung, 0,40 H. und 0,54 B., zu Wien, entstammen derselben Zeit und sind bekanntermaßen in ihrer Eigenart dem Einflüsse von Adam Elsheimer zuzuschreiben. Dies ist in unserem Falle besonders deutlich, wo die Beleuchtung im wesentlichen und die Landschaft annähernd dieselben sind wie in Elsheimers Flucht nach Ägypten, 0,31 H. und 0,42 B., zu München, einem Gemälde, nach welchem Goudts Stich 1613, das heißt, kurz vor Rubens’ Bild datiert ist. »Rubens avait dans sa Collection quatre tableaux d’Elsheimer, auquel il semble avoir songe en peignant sa Fuite en Egypte . . (Burger). Offenbar ist es hier Rubens wie Goethe gegangen, wenn dieser nach dem Lesen von »Louise« sich dazu angeregt fühlte, auch so was zu machen; und ganz wie Goethe der Idylle in Hermann und Dorothea einen dramatischen Hintergrund kriegerischer Begebenheiten hinzufügte, während Voss’ Gedicht einen solchen gänzlich entbehrt, gibt Rubens dem von Elsheimer friedlich-

Die Flucht nach Ägypten von Rubens.

473

gemütlich aufgefaßten Vorwurf eine Wendung zum historischen Drama. 4)

Es gibt eine Flucht nach Ägypten, wo die Figurkomposition die des Kasseler Bildes wiederholt, während die Landschaft sich mit der- jenigen auf der Flucht nach Ägypten von Elsheimer zu München fast deckt. Smith, der dieses Gemälde unter den Werken Rubens’ an- führt, gibt dessen Dimensionen als 2 ft. 4 und 3 ft. 4 und dessen Wertschätzung von den Sachkundigen des Louvre in 1816 als

12000 frcs.

Die Bäume im Gegensatz zu Elsheimers einförmigen Kuppel- silhouetten bekunden die etwas flamboyante Neigung Rubens’ und seiner Schule, die Figuren aber eine ängstliche und dürftige Mache. Von der schwachen Zeichnung, die besonders im Joseph und in der gemeinen Vereinfachung der wogenden Mannigfaltigkeit seines Mantels verglichen mit demselben Gewände im Kasseler Gemälde an den Tag kommt, liegt es nahe zu folgern, daß der Maler in Figuren weniger geschickt als in Landschaften gewesen ist. So viel scheint die Photographie zu lehren. Das Original habe ich nicht gesehen.

Max Rooses und E. Michel sehen für ausgemacht an, daß diese Arbeit eine Kopie ist, und die Autoritäten des Louvre bestätigen dieses LFrteil, indem sie das Bild in das Magazin verwiesen haben.

Wie verhält sich nun dieses Gemälde zu Rubens’ Kasseler und zu Elsheimers Münchener Werk? Hierauf läßt sich recht natürlich antworten, daß ein Antwerpener Maler in seiner Kopie von Elsheimers Komposition Rubens’ Figurenmotive untergeschoben hat. Es bekräftigen sich nämlich die in dieser Vermutung liegenden drei Voraussetzungen, daß schon im 17. Jahrhundert beide sowohl Rubens’ als Elsheimers Kompositionen wohlbekannt waren, zweitens daß die Figuren des deutschen Meisters mit der Landschaft verglichen als minderwertig angesehen waren, und endlich daß die grobe Willkürlichkeit eines solchen Umtausches nur unserer Zeit anstößig vorkommt.

4) Die Flucht nach Ägypten von Domenico Feti zu Wien, 63 H. und 82 L., hat denselben Zug und dazu die nämlichen zwei winzigen Reiter wie in Rubens’ Bild. Damit ist ein etwaiger Zusammenhang zwischen den zwei Kompositionen gegeben. Aber welcher? Weder der Umstand, daß Feti ein beliebter Maler des Kardinales Fernando war, des späteren Herzoges von Mantua (1612—1626) und jüngeren Sohnes von Vincenzo Gonzaga, dem Gönner Rubens’ (1600—1608), noch Erzherzog Leopold Wilhelms Besitz von Fetis Flucht nach Ägypten, noch Ossenbechs Stich danach, von Teniers herausgegeben, scheint mir auf die Spur führen zu können. Daß das Verzeichnis der Sammlung des Erzherzogs von 1659 das Werk als von Johann Lies gemalt angibt, mag sich vielleicht als ein brauchbarer Fingerzeig erweisen.

474

Niels Restorff:

Die erste Voraussetzung ist dadurch gerechtfertigt, daß es noch eine ganze Reihe von Abbildungen und Repliken der zwei Kompositionen, zu Innsbruck, Wien usw., gibt.

Zweitens. Während Elsheimers Figurenmotive, soviel ich weiß, von keinem Künstler adoptiert worden sind, begegnet uns seine Landschaft in Rubens’ Flucht nach Ägypten, in Rembrandts Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, zu Dublins), 0,34 H. und 0,48 L., und in einer Landschaft mit Figuren (No. 265), 0,23 H. und 0,30 L., in Stockholm. Eben die Möglichkeit mag sich vielleicht nicht unhaltbar erweisen, daß diese Landschaft mit der großen Verbreitung der Diagonalansicht bei den holländischen Malern in Verbindung steht. Dr. Johanna de Jonghes Erklärung der Entstehung der Terraindiagonale (Die holländische Land- schaftsmalerei p. 93) scheint mir nicht von Belang zu sein.

Drittens. In der großen Antwerpener Wiederholung der Beweinung Christi von Rubens ist, wie bekannt, die Landschaft eine (von einer andern Hand herrührende) Vergrößerung der Landschaft des Originals zu Wien. Ebenso hat Rembrandt einige Figuren in Hercules Seghers’ (von Elsheimer entlehnte) Landschaft hineinradiert. Eine völlige Analogie mit unserem Falle bietet die Freiheit dar, mit der Marc Antonio in seinem Stich nach Michel Angeles Badenden Soldaten die ländliche Szene von Lucas van Leyden hergenommen hat.

Die scheinbar herrschende Vorstellung von dem Verhältnis zwischen dem Pariser Gemälde und den besprochenen Kompositionen von Rubens und Elsheimer ist indessen eine ganz andere und von Max Rooses An- sicht mehr oder weniger bestimmt.

Max Rooses argumentiert folgendermaßen, in I.’Oeuvre de Rubens 1886 II p. 238; Das Bild im Louvre ist zu geringfügig, um vom großen Antwerpener gemalt zu sein. Es ist schlechterdings eine Kopie, dessen Original nicht existiert und nirgends erwähnt worden ist. Da aber die Landschaft und die Nebensachen sich in Elsheimers Flucht nach Ägypten wiederfinden, ist auch das verschollene Original als eine Arbeit des letzteren anzusehen. Zu Kassel hängt eine andere, etwas verkürzte Kopie von Rubens gemacht. Daß dieser mehrere von Elsheimers Kompositionen kopiert hat, fügt der Verfasser hinzu, ohne sie doch namhaft zu machen.

Wenn diese zugleich willkürliche und unnötige Hypothese nur als eine bloße Möglichkeit gelten will, läßt sich selbst dann dagegen ein-

5) Es ist nicht das einzige Mal, daß ein Elsheimersches Bildchen sowohl Rubens als Rembrandt inspiriert hat. .Sein hübsches Gemälde zu Dresden »Jupiter und Mercur von Philemon und Baucis empfangen« hat in Rubens’ Gestaltung desselben Gegenstandes, zu Wien, unzweifelhafte Spuren, wie Max Rooses gezeigt hat, nachgelassen und zugleich wie von Bode nachgewiesen Rembrandts Jupiter und Mercur in der Sammlung Jerkes zu New York als Vorbild gedient.

Die Flucht nach Ägypten von Rubens.

475

wenden, was aus dem Dasein der Rubensschen Komposition in zwei Versionen (was Max Rooses zu berücksichtigen ganz unterläßt) zu folgern sein kann. Denn sollte zum Beispiel sich die Marinussche Komposition älter als die Kasseler bewähren, könnte Max Rooses Erklärung kaum aut Erwägung Anspruch machen^). Aber in »Rubens« p. i88 schreibt er: Rubens y [das heißt: in dem Kasseler Gemälde] a imite un des petits tableaux d’Adam Elsheimfer qui traitent le meme sujet .... Le Louvre poss^de en outre une copie faite d’apr^s un des tableautins d’Elsheimer; eile ne diff^re que par certains details du tableau de Cassel et l’on attribue ä tort ä Rubens.“ Die Worte »une copie faite d’apr^s un des tableautins d’Elsheimer« (welche übrigens zur Substituierung von »copie« statt »imitd« im vorhergehenden Satz führen müßten) enthalten gerade heraus eine Erschleichung, einen Versuch, die Hypothese durch eine Verfälschung der Sachlage zu stützen. Außerdem überrascht es psychologisch, daß eben der Biograph und eifriger Bewunderer von Rubens ein schönes, sorgfältig bezeichnetes Bild ohne zwingende Gründe zu einer Kopie degradieren und dem großen Antwerpener wesentlich absprechen will.

Es scheint das Geschick dieses Gemäldes zu sein, in der Literatur sonderbar behandelt zu werden.

Im Schweriner Museum hängt eine Flucht nach Ägypten von Dietrich, bezeichnet und datiert 1752, ein recht hübsches Stück, das an das Kasseler Bild von Rubens erinnern mag; auch sein Kolorit entbehrt weder Kraft, Tiefe noch Glanz. Gleichwohl ist es ein bißchen unerwartet ästhetisch, ebenso wie historisch , wenn die Gemälde-Inventare des französischen Kaiserreiches von 1810 Rubens’ Kasseler Werk »pasticcio de Dietrich« nennen.

6) Vergleichen wir die zwei Versionen. Der Komposition des Stiches ge- bricht es an Einfachheit, an Gleichgewicht und Geschlossenheit, sie ist etwas überladen und melodramatisch, kommt daher Tintorettos Geschmack und Stil näher als die andere^ deren Baugerüst fest zusammengezimmert ist. Daß die eine der anderen vorzuziehen ist, beweist doch nichts in bezug auf die Zeit der Entstehung; auch ist es in Betracht zu ziehen, daß die alten Stiche nach Rubens’ Werken die fehlenden Farben und die be- deutendere Größe oft durch eine Ausführlichkeit und Nachdrücklichkeit zu ersetzen suchen, die sie leicht der Dekoration und dem Gepränge preisgeben. Jedenfalls braucht der Stich seine Vorlage keineswegs genau wiederzugeben. Es gibt aber in der Komposition des Stiches Züge, die sie unstreitig mehr als die andere dem Tintorettoschen Vorbilde nähern, z. B. die Weise, in der Marie auf dem Tier sitzt.

Für die umgekehrte Zeitfolge spricht die Tatsache, daß die Komposition des Stiches Rubens mehr ähnlich sieht als die des Gemäldes. Wenn nämlich die Inspiration, die ihm Elsheimer vorläufig eingeflößt hatte, abnehmend oder gar verschwunden war, und er Anlaß hatte sich mit der Komposition wieder zu beschäftigen, war es natürlich, daß sich seine Eigenart kräftiger geltend machte, während die Spuren der fremden Einflüsse sich verwischten.

Resultat des Vergleiches = o.

A^ie/s Restorff.

Literaturbericht.

Kunstgeschichte,

Bernhard Berenson. North Italian Painters of the Renaissance.

New York und London, G. P. Putnams Sons, 1907. 6 Sh.

Das Buch, welches B.s Übersichten über die Renaissancemalerei Italiens abschließt, befriedigt weniger als die vorhergehenden Teile, weil hier zu Verschiedenartiges behandelt wird, als daß es unter wenige große Gesichtspunkte gebracht werden könnte. Gleich am Anfang der Gegen- satz zwischen dem durch Frankreich (d. h, die Vlamen) beeinflußten Pisanello in Verona und dem an der Antike sich nährenden Mantegna in Padua, aus dem die ältere ferraresische Schule hervorgeht. Dann die wesentlich auf verschiedene fremde Einflüsse sich aufbauende Mailänder Schule mit Foppa, Bramente, Leonardo als Führern, deren jeder noch ein Rätsel für die Kunstgeschichte darstellt. Endlich die Seicentisten in Brescia und Ferrara, die bereits ganz über die Frührenaissance hinaus- gewachsen sind.

Am schlechtesten kommen die Mailänder weg, denen Prettiness, also Zierlichkeit, als allgemeines Kennzeichen zugesprochen wird, während solches doch nur für die spät-leonardosche Schule zutreifen würde, die hier aber ganz nebensächlich berührt wird. Die Behandlung der älteren einheimischen Meister fördert unsere Kenntnis kaum weiter. Wenn der mehr als sechzehnjährige erste Aufenthalt Leonardos in Mailand als mehr oder weniger ergebnislos (S. 106) geschildert wird, so hängt das damit zusammen, daß seine ungeheure Leistung, mit der er überhaupt erst die Hochrenaissance schuf, sein Abendmahl, hier kaum Beachtung findet. Weiterhin auch damit, daß von seinen Schülern dieser Zeit selbst wenn man von dem schwachen Ambrogio de Predis absieht keine überzeugenden Charakteristiken gegeben werden. Mit einer gewissen Emphase erklärt der Verf., daß er nach fünfzehnjähriger Beschäftigung mit Bernardino de’ Conti doch wieder zu Morelli zurückgekehrt sei. Der soll also vor seinen bekannten Bildnissen die Bilder, die sich um die Pala Sforzesca der Brera gruppieren, dazu aber auch die schöne Madonna

Literaturbericht.

477

Boltraffios in Pest gemalt haben, von dem schwachen Bild des Seminars in Venedig ganz abgesehen. Boltraffio aber wird dafür die Dame mit dem Wiesel in der Samml. Czartoriski und das Fresko von S. Onofrio in Rom ganz willkürlich zugeschrieben. Daß Francesco Napoletano in dieser Reihe fehlt, ist zu beklagen.

Der Wissenschaft wie den Kunstfreunden wäre ein besserer Dienst erwiesen worden, wenn die Verzeichnisse der Werke, die mehr als die Hälfte des Bandes einnehmen, bei solcher Unsicherheit der Zuschreibungen sich auf die mehr oder weniger feststehenden Stücke beschränkt hätten. Jetzt wird es wieder unnötige Arbeit machen, all die Fragezeichen aus der Welt zu schaffen. IV. v. S.

Pietro Toesca. Masolino da Panicale. Con 76 ill. e 2 tav. Bergamo, Istituto italiano d’arti grafiche. 1908. L. 6. 50.

Die Vorführung der sämtlichen Werke Masolinos in guten Nach- bildungen, darunter vor allem sämtlicher Fresken in der Kirche wie im Baptisterium von Castiglione d’ Olona, ist sehr dankenswert. Der Text wägt die geschichtlichen Daten ruhig ab, bekundet aber zugleich auch eine große Wärme für die künstlerischen Eigenschaften des Meisters, so daß Vasari durchaus gerechtfertigt erscheint, wenn er Masolino wegen des Kolorits seiner Fresken preist. Denkt man an die französisch-vlämischen Einflüsse, die sich seit dem zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts in der italienischen Malerei bekunden (in den Fresken der Brüder Sanseverino von 1417 in Urbino, der Anbetung der Könige von Gentile da Fabriano, dann bei Pisanello), und zieht man den Jugendstil Fra Angelicos in Er- wägung, so kann man die damalige neue Strömung verfolgen, zugleich aber auch erkennen, weshalb sie durch das gewaltige Eingreifen des formbegabten Masaccio so bald zum Stillstand gebracht wurde.

Da wir in unserer Kenntnis Starninas noch gar nicht weiter gekommen sind, so wissen wir auch nichts über die Anfänge Masolinos (geb. 1383)^). Sein frühestes Werk sind die um 1423 entstandenen fünf Gewölbefresken in der Kollegiatkirche von Castiglione mit Darstellungen aus dem Leben der Maria, die hier sämtlich zum erstenmal abgebildet sind, leider ohne daß die Bezeichung auf der Geburt Christi wiedergegeben wäre^). 1424 malte er in Empoli (siehe Rivista d’ Arte III, 46, hier nicht erwähnt) jene Fresken, deren Reste Schmarsow im 7. Jahrgang der Kunsthistorischen

‘) In der Angabe, daß er an der zweiten Baptisteriumtür Ghibertis gearbeitet habe, irrt der Verf. (siehe Vasari).

*) Daß gleich zwei Hebammen darauf dargestellt sein sollten, erscheint doch als des Guten zu viel. Es ist nur eine kniende Frau (?) zu sehen, die ein Engel auf das Neugeborene hinweist; oder sollte nicht die kniende Gestalt der Kardinal Brenda sein?

478

Literaturbericht.

Gesellschaft (1901) als Arbeiten Masaccios veröffentlicht hat3). In diesem und dem folgenden Jahre 1425 wird er dann die Fresken im Carmine zu Florenz gemalt haben, von denen nur ein Teil bis auf uns gekommen ist. Als Masolino 1426 nach Ungarn ging, beendigte Masaccio sein Werk und ging dann nach Rom, wo er 1428 starb. Um 1430 wird Masolino die Fresken in S. Clemente zu Rom gemalt haben, die man hier auf ihre Übereinstimmung mit seinen übrigen Werken gut prüfen kann 4); von 1435 endlich sind die Fresken des Baptisteriums in Castiglione datiert, die übrigens recht sorglos hergestellt sind, da nur die Köpfe reines Fresko zeigen. Damals mag er auch im kleineren Saal des Palazzo Castiglione die Felslandschaft wie auch jenen Fries ausgeführt haben, der ein paar anmutige Köpfe zeigt. fV. v. S.

Die Gemälde und Zeichnungen von Matthias Grünewald her- ausgegeben von Heinrich Alfred Schmid, o. ö. Professor der Kunst- geschichte an der K. K. Deutschen Universität Prag. Erster Teil. 62 Lichtdrucktafeln in Mappe. Verlag von W. Heinrich, Straßburg i. E.

Etliche Jahre haben wir auf das Werk gewartet, dessen Bilderteil wir heut begrüßen; gewartet zuletzt mit Ungeduld, dann mit einer gewissen Ergebung. Daß H. A. Schmid uns eine reife Frucht vorsetzen werde, darüber bestand kein Zweifel. Die Gewissenhaftigkeit, Umsicht und Be- sonnenheit des Forschers war ebenso erprobt, wie seine Denkmäler- und Sachkenntnis und sein kritischer Blick. Da wir heute erst dem Abbildungs- stoff gegenüber stehen, beschränkt sich diese Anzeige auf Berichterstattung und auf ein Urteil über das Außengerüst. 62 Tafeln geben die Gemälde Grünewalds, auch einige Werkstatts- und apokryphe Bilder und seine Zeich- nungen wieder, nämlich : die Kreuzigung in Basel, die heiligen Cyriakus und Laurentius in Frankfurt, den Isenheimer Altar mit den dazu gehörigen Holzschnitzereien, das Freiburger Dreikönigsaltars-Bruchstück, die Karls- ruher Kreuzigung und Kreuztragung, die Beweinung Christi in Aschaffen- burg, die heiligen Mauritius und Erasmus in München, den Sadelerschen Kupferstich nach der verschollenen Kreuzigung, die Erlösungsallegorie in Aachen. (Das Stuppacher Bild wird in den Textband aufgenommen werden.) Dann als fälschlich zugeschriebene Bilder: Die Auferstehung in Basel, drei Stücke des Darmstädter Dominikusaltars, die Versuchung

3) Die Angabe des Verf., daß Berenson diese Fresken 1902 entdeckt habe, kann demnach nicht stimmen. Toesca (S. 38) gibt übrigens bei der Pieta eine Mitwirkung Masaccios als möglich zu.

4) Mit dem Verf. anzunehmen, daß die beiden Tafeln im Neapeler Museum aus einem früheren Aufenthalt in Rom stammen könnten, erscheint nicht nötig; damit in Zusammenhang werden auch zwei Bildchen des Todes der Maria und einer Kreuzigung im Mus. Crist. des Vatikans gebracht.

Literaturbericht.

479

des hl. Antonius in Köln, das jüngste Gericht in Nürnberg. Endlich die Zeichnungen : den Gekreuzigten in Basel, die vier Blätter (mit sechs Zeich- nungen) in Berlin, das Erlanger Selbstbildnis, das Blatt der Sammlung Ehlers in Göttingen, die betende Frau in Oxford, die ehedem Dürern, durch Friedländer aber dem Grünewald zugeteilte lachende Frau in Paris und die Heiligengestalt der Albertina. Dem Format des Werkes ent- sprechen die ansehnlichen Größenverhältnisse der Abbildungen. Die Zeichnungen sind in der Größe des Urbildes, zahlreiche Ausschnitte aus den Gemälden in einhalb, dreiviertel und bis zur vollen Größe des Ur- bilds wiedergegeben. Der äußere Tatbestand, zumal der Zeichnungen, wird knapp und erschöpfend mitgeteilt (z. B. »Nr. 46 Erlangen. Nach Sand- rart Bildnis Grünewalds. Die Urheberschaft Grünewalds nicht ganz sicher. Gelbes Papier, Federz. getuscht und weiß gehöht. Ursprünglich das Bildnis vielleicht in schw. Kreide ausgeführt«). Die photographischen Aufnahmen hat fast alle, die Lichtdrucke zu einem großen Teil Manias 8z: Co. in Straßburg hergestellt, mehrere Lichtdrucke rühren von Alb. Frisch in Berlin her. Sie sind durchweg gut, manche erstaunlich gut geraten und verschaffen trotz ihrer Einfarbigkeit selbst dem, der nur einige Bilder Grünewalds aus eigner Anschauung kennt, einen gewissen Begriff von dem farbigen Urbild, dem Grünewaldkenner aber ein kaum versagendes Studien- material, sogar für einzelne technische Fragen. An der äußeren Erscheinung dieses ersten Teiles wüßte ich also nichts auszustellen, nur zu loben. Über die iBegrenzung des Bilderstoffs läßt sich erst auf Grund des Text- bandes sprechen. Denn hierin positiv und negativ und in der Anordnung der Bilder, die der von Schmid angenommenen zeitlichen Entstehungsreihe folgt, tritt schon ein noch nicht zu beurteilendes Ergebnis seiner Forschungen zutage. So, wenn er die Darmstädter Bilder, von denen er wenigstens zwei dem Grünewald früher vermutungsweise zu- geschrieben hatte (Rep. f. K. 1892 S. 23 und Festbuch zur Eröffnung des Historischen Museums in Basel 1894 S. 88), jetzt endgültig unter die Apokryphen versetzt. Den Berichterstatter hat die Darmstädter Bilder- gruppe seit mehr als einem Vierteljahrhundert beschäftigt. Er hat sie anfangs als Mittelglied zwischen Schongauer und Grünewald, nicht aber als Werk Grünewalds selbst angesehen und sie auch in diesem Sinn in einem Aufsatz (Rep. f. K. 1892 S. 303) erwähnt, unmittelbar nachdem Schmid sie besprochen hatte. Später hielt er Grünewalds Mitarbeiter- schaft daran für wahrscheinlich (Zeitsch. f. ehr. K. 1897 S. 107). Ich möchte dies hier deshalb einschieben, weil Röttinger in seinem » Wechtlin « meint, daß ich » einer Andeutung H. A. Schmids folgend « die Bilder für Grünewald in Anspruch genommen hätte. Das ist nicht der Fall, wie die ausgeführten Tatsachen zeigen. (Noch weniger als diese Bilder habe

480

Literaturbericht.

ich die Tafeln in Alt St. Peter in Straßburg je » Grünewald zugeteilt «, wie Röttinger glaubt, im Gegenteil a. a. O. S. iio ausdrücklich von ihnen gesagt: »Das ist nur sicher, daß die Autorschaft Grünewalds selbst hier nicht in Frage kommt«) Wenn Röttinger die Parmstädter Bilder als Werke Wechtlins bestimmt, so scheint er recht zu haben, wie ich ihm denn mit einigen Vorbehalten überhaupt darin zustimme, daß er die von mir zum erstenmal zusammengestellte, vorher verschiedenen anderen, nament- lich Dürer, von mir aber dem jungen Grünewald zugeschriebene Gruppe von Gemälden, Holzschnitten, auch einem und dem andern Kupferstich, im wesentlichen dem Wechtlin beimißt*). Nach längerem Schwanken habe ich von Grünewald den Weg über Dürer zurück zu seinen Mitarbeitern Straßburger Schulung gefunden und versuche schon seit einigen Jahren diese Gruppe mit einigen anderen Stücken zuerst unter Wechtlin und andere unbenannte Maler, dann (dank Röttingers Weidiz-Buch) nament- lich auch den jungen Weidiz aufzuteilen.

Dem Textband des »Grünewald« muß man nun mit verdoppelter Spannung entgegensehen. Die schon vorher gehegte und nicht unbegründete Hoffnung, daß er sich zu einem klassischen Buch der kunstwissenschaft- lichen Literatur gestalten werde, ist heute, wo Schmid ihm als Vorläufer ein so vorbildliches Denkmälerwerk vorausgeschickt hat, um einige Grade fester begründet. p.

A. Prachoff. Album de l’Exposition retrospec tive d’objets d’art de 1904 ä Saint Petersbourg sous le Haut Patronage de Sa Majestö ITmpöratrice Alexandra Fdodorovna au profit des blessds de la guerre. Saint -Pdtersbourg igo8. Gr. in 4°. (In Kommission bei M. O. Wolff in St. Petersburg.) 19 Tafeln in Photo- gravüre und 138 Abb. in Lichtdruck XIV + 278 + XXXV Seiten. Preis: 30 Rbl. (ca. 80 Francs).

Als Julius Lessing bei seinem letzten Besuche in Petersburg Ab- schied nahm, faßte er seine Eindrücke in die Worte zusammen: »Peters- burg ist auf meinem Arbeitsgebiet durch die kaiserlichen und privaten Schätze eine der ersten Kunststädte der Welt und davon weiß man bei uns nichts!« Im Frühjahr 19^4 hätte sich die Fachwelt" von der Richtigkeit dieser Worte auf der Historischen Ausstellung von Kunstgegen- ständen, die im Stieglitz-Museum veranstaltete wurde, überzeugen können. Nach Qualität und Quantität hätte die dort ausgestellte Elite unseres Besitzes an altem Kunstgewerbe die Ausstellung zu einem Ereignis in der Welt der Kunstfreunde und Kunstwissenschaftler machen müssen,

*) Es wundert mich, daß er an den drei Grisaillen des Heller-Altars ohne einen Blick vorbeigegangen ist.

Literaturb ericht.

481

doch leider war nichts geschehen, um die Fachwelt der Sammler und Gelehrten auf sie rechtzeitig aufmerksam zu machen. Der Konnex zwischen unseren Amateuren und der wissenschaftlichen Fachwelt, den wir nunmehr durch die Zeitschrift »Staryje Gody« zu schaffen bestrebt sind, war damals noch gar nicht vorhanden. So ging diese Veranstaltung unbemerkt vorüber. Nach dem Ausweis des 4* Bandes der Internationalen Biographie für Kunstwissenschaft ist in der Fachpresse nur ein einziger Artikel in Anlaß der Ausstellung, erschienen und auch dieser beschäftigte sich mit ganz bekannten Stücken, die die Ausstellung Wiener Sammlern mit dem Fürsten von und zu Liechtenstein, dem Grafen Hans Wilczek und Dr. Albert Figdor an der Spitze zu danken hatte’'). Nun bleibt als Niederschlag der Ausstellung nur das Album übrig, auf dessen Erscheinen vier Jahre gewartet werden mußte. Ein Bericht über das Album möge hier den Bericht über die Ausstellung ersetzen.

Obgleich durchaus nicht Spezialist auf dem zu betretenden Gebiete, berichte ich hier über die Ausstellung, gestützt durch sach- kundigsten Rat, besonders seitens der Oberkonservators der Petersgalerie der Kaiserlichen Ermitage Baron Armin Fölkersam, dem ich auch an dieser Stelle für die reiche Förderung beim Studium der Ausstellung meinen wärmsten Dank ausspreche.

Vom Reichtum und Niveau der Ausstellung konnte der Kundige durch einen Blick auf die Liste der Aussteller ein Bild gewinnen. Seine Majestät der Kaiser hatte geruht, die Hergabe einiger Glanzstücke der Silber- und der Porzellankammer des Winterpalastes zu genehmigen. Ihre Majestäten die Kaiserinnen hatten wertvolle Stücke aus Höchstihrem Privatbesitze gesandt. Von den Schätzen im Privatbesitz der Großfürstlichen Herrschaften seien nur die ausgewählten Stücke aus der Silbersammlung S. K. H. des Großfürsten Alexius Alexandrowitsch, die Miniaturensammlung S. K. H. des Großfürsten Nikolaus Michailowitsch und die Prachtmöbel aus dem S. K. H. dem Großfürsten Konstantin Konstantinowitsch ge- hörigen Palais zu Pawlowsk genannt, da die Fülle der Namen und Dinge hier aus Raumrücksicht eine detaillierte Aufzählung verbietet. Hervor- ragend waren die Stücke, die die Hohe Präsidentin des Ausstellungskomitees I. H. die Frau Prinzessin Helene von Sachsen-Altenburg, geb. Prinzessin von Mecklenburg -Strelitz, sowie ihre Brüder die Herzöge Georg Alexander und Karl Michael von Mecklenburg-Strelitz an Porzellan, Bronze, Möbeln und Spitzen hergeliehen hatten. Familiengut der Beauharnais hatten die Herzöge von Leuchtenberg ausgestellt. In unübersehbarer Fülle drängten sich die Namen unserer Aristokratie, deren jeder ein Programm be-

1) A. Walch er von Molthein, Wiener Sammlungen auf der Ausstellung älterer Kunst in St. Petersburg. Kunstwelt I 1905.

482

Literaturbericht.

deutet: wie Fürst Jussupow, Fürst Gagarin, Fürst Dolgorukow, Oberhof- meister I. A. Wsewoloshskoi, Graf Orlow-Dawydow, Graf Scheremetew, Graf Keller, Gräfin Schuwalow, General Durnowö, Fürstin Kantakusin, Gräfin Mussin-Puschkin und neben ihnen unsere professionellen Sammler von Kunst und Altertum wie Akademiker M, P. Botkin u. a. Die Moskauer Sammler bildeten geschlossen eine Sektion der Ausstellung, in der die russischen Altertümer der Sammlung Schtschukin besonders hervorragten. Aus Kiew hatte die Sammlung Chanenko beigesteuert und besonders fiel die Beteiligung aus Polen in die Augen, von wo namentlich Fürst Sanguszko und Graf Broel-Plater kostbare Stücke gesandt hatten.

Die genannten Namen besagen allein, daß das Material in jeder Be- -ziehung erstklassig war: echt, gut, schön und von unzweifelhaftester Tradition. Nur verschwindend weniges konnte nicht auf alle diese vier Prädikate Anspruch erheben ; FälschungsschnfÜBer hätten hier wenig Freude erlebt. In historischer Beziehung war die Ausstellung ebenfalls sehr vielseitig, es fehlte weder an antiken noch an mittelalterlichen Stücken, noch an byzantinischen und russischen. Italienische und nordische Renaissance war in allen Richtungen vertreten bis ins Zeitalter des Barock, doch die wahre Signatur gaben der Ausstellung die Stil- perioden: Rdgence Louis XV. —7- Louis XVI. Ernpire. Hier war nun eine allseitige Vertretung von höchster Qualität des kunstgewerblich so ungeheuer produktiven XVIII. Jahrhunderts vorhanden. Das Album ignoriert leider diesen charakteristischen Zug der Ausstellung und rubriziert den Stoff statt nach Stilperioden nach Material und Technik, was seinem Zwecke, das Andenken der Ausstellung zu bewahren, durchaus schädlich ist und die Übersichtlichkeit des Albums in keiner Weise fördert. Z. B. ist durch die Trennung der Miniaturen von den Boites und Tabati^res Zusammen- gehöriges versplittert und in der Abteilung Bronzen Heterogenes vereinigt worden.

Ausstellung und Album in einem Zuge zu besprechen begegnet einer merkwürdigen Schwierigkeit: der russische und französische- Texte gehen häufig in ihren Angaben auseinander. Der literarische Teil, durch den in beiden Sprachen der Professor ord. emer. der Universität St. Petersburg Adrian Prachow verantwortlich zeichnet, muß nach anderen Gesichts- punkten kritisiert werden, als der illustrative, der uns die Ausstellung vor Augen führt. Da der bleibende Wert des Albums durchaus auf den Abbildungen beruht, kann ich über den Text mit einer allgemeinen Charakteristik hinweggehen und des weiteren ihn nur' beiläufig streifen. Kurioserweise stellt sich heraus, daß die französische Übersetzung des Textes in ihren Angaben viel korrekter ist als das russische Original. In den Staryje Gody (1907, Novemberheft S. 594!.) hat Baron N. Wrangell

Literaturbericht. 483

eine ergötzliche Konfrontation der beiden Texte angestellt, der ich folgende Proben entnehme:

S. 12 wird russisch über die Entstehung der St.-Porchairegefäße nichts gesagt, dagegen weiß der französische Text S. 13 darüber natür- lich vortrefflich Bescheid; die französischen Angaben (S. 37) über die Service Neratow und Wsewoloshskoi fehlen im russischen Texte, ebenso die Nachrichten über Thomire (S. 107); dagegen spricht der russische Text über Arbeiten von Pigalle im Besitze der Gräfin SchuWalow und in Pawlowsk, während der französische über sie schweigt. Sehr charakte- ristisch sind die Diskrepanzen beiderTexte bei der Besprechung eines Cassone der Sammlung Dr. Alb. Figdor in Wien, über die der französische Über- setzer sich als besser orientiert erweist als der russische Autor. Auch verschweigt Prachow, daß der hl. Georg im Silberschatze der Schwarzen Häupter von Riga eine Arbeit von Berndt Heinemann ist, was der französische Übersetzer wohl weiß; die beiden Herren gehen sogar über das Datum der Entstehung auseinander (S. X17 und 124). Den hl. Mau- ritius desselben Schatzes schreibt Prachow (S. 126) Hans Mennhardt zu, obgleich die Figur 1651 entstanden ist, elf Jahre nach Mennhardts Tod, wie der französische Text (S. 119) berichtet. In der Abteilung Waffen nimmt der russische Text viertehalb Seiten ein, der französische nur eine, dazu ohne einen Hinweis auf die beigegebenen Illustrationen. »Unzweifelhaft«, schließt Baron Wrangell seine Konfrontation, »haben dieses Buch zwei Autoren verfaßt, welche ihre Texte bei der Drucklegung nicht einmal kollationiert haben. Jeder von ihnen schrieb das, was er wußte, und der französische »Übersetzer« erscheint kompetenter als der »Autor«.

Bis vor kurzem blieb es rätselhaft, woher die Verbesserungen im französischen Texte kamen, bis man erfuhr, daß der verstorbene Henri Bouchot in Person die Übersetzung revidiert hätte. Möge es erlaubt sein dem Andenken des Frühvollendeten hier ein Wort der Dankbarkeit zu widmen für die Verdienste, die er sich dadurch um die Ausstellung, die er nicht gesehen hat, erwarb. Bouchots Aufgabe war eine Revision des Textes auf Stilistik und Terminologie, die substantiellen Verbesserungen sind daher besonders dankenswert. Berücksichtigt muß werden, daß Bouchot doch in hohem Grade von Prachows Originaltext abhängig bleiben mußte, da er die Ausstellung eben nicht gesehen hatte; Vorsicht ist darum auch bei Benutzung des französischen Textes angebracht.

Im illustrativen Teile, Tafeln sowohl als Textabbildungen, hat unsere bewährte Kunstdruckerei Golicke und Wilborg wieder ihr Bestes geleistet, soweit sie nicht in vereinzelten Fällen durch schlechte Vor- lagen in Photographie oder Aquarell in ihren Leistungen geschädigt wurde.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI. 33

484

Literaturbericht.

Bei der Behandlung des eigentlichen Stoffes muß ich nolens volens der Anordnung des Albums folgen, wobei ich von einer vollständigen Aufzählung der Objekte natürlich von vorneherein Abstand nehme und bei meiner Auswahl den kunstwissenschaftlichen Ineditis den Vorzug gebe. Daher erwähne ich aus Raumrücksichten im folgenden manches Schöne und Interessante, wie z. B. die Sendungen aus Wien oder den Silber- schatz der Schwarzen Häupter zu Riga, trotz seiner großen Bedeutung für die Ausstellung nicht, weil es der Forschung anderweitig in Wort und Bild bereits zugänglich gemacht worden ist.

Die erste Abteilung des Albums T o n war e ist wenig ergiebig an Neuem. Auch das sehr feine Salzfaß von Saint-Porchaire (Bes. Gräfin Schuwalow; Abb. 3 S. ii) war schon früher in den Tresors d’Art en Russie ab- gebildet (1902 S. 282). Clodion ist mit drei Abbildungen (4 6) etwas sehr reichlich vertreten, wofür wir die vorzüglichen Wedg- woods der Ausstellung vermissen, gegen die wir auch gern den offenbar falschen Steingutkrug (Abb. 7, S. 17) eingetauscht hätten. Mit den drei Abteilungen Porzellan und Konsorten nähern wir uns einer Glanzseite der Ausstellung. Meine Ungeduld läßt mich hier gleich S^vres und eine Sensation ersten Ranges nennen: das berühmte türkis- blaue Service der Kaiserin Katharina von 1778, aus der Kaiserlichen Porzellankammer (Tafel II), dessen Hauptstücke hier zu sehen waren. Einzelheiten der Entstehungsgeschichte des Services gibt der franz. Text S. 2 9 ff. Ist dieses Service (nach franz. Text a. a. O.) das früheste S^vres Louis XVI, so wurde die höchste Blüte von S^vresrokoko durch das »Grüne Service« der Kaiserlichen Porzellankammer vertreten, von dem unbegreiflicherweise kein einziges Stück im Album abgebildet ist. Über die Art und Weise, wie sich der Stilwechsel in S^vres vollzog, gibt ein ebenfalls türkisblaues Service im Besitze der Grafen Scheremetew Aufschluß. Urkundlich sind seine 520 Stücke in

zwei Partien entstanden 1767 70 und 1788 91; auf der Abb. 9 (S. 29) sind Proben beider Stilgattungen zu sehen. Den späteren

Teilen stilistisch nahe verwandt erschien das entzückende von Castel bemalte Teeservice im Besitze von I. A. Wssewoloshskoi von 1780 (Abb. II, S. 31). Die Schale mit Deckelkrug in »rose Dubarry« des Grafen Orlow Dawydow ist auf Abb. 10 (S. 30) leider ziemlich unge- nießbar. Sehr fein sind die Stücke eines Dubarry-Service der Sammlung Neratow (Abb. 12, S. 33).

Nach S^vres Meißen. Die Texte besprechen die Geschichte und die Marken von Meißen, geben aber über die einschlägigen Ausstellungs- objekte so verworrene Auskünfte, daß sogar die eigene Erinnerung bei der Lektüre unklar zu werden an fängt.

Literaturbericht.

485

Die Schilderung des ausgestellten Vieux-Saxe hätte unbedingt ihren Ausgang nehmen müssen von der Replik von Kändlers einziger be- bezeichneter Arbeit der triumphierenden Amphitrite (im Besitze des Herzogs Karl Michael von Mecklenburg, Abb. 18 S. 51), die gleich der zuge- hörigen Bacchusgruppe K. W. signiert ist. Statt der mythologisch- allegorischen Erläuterung des Inhaltes des aus 36 Teilen bestehenden Tafelaufsatzes wäre hier eine eingehende stilistische Analyse am Platz gewesen nebst einer genauen Vergleichung des ausgestellten Exemplares aus Oranienbaum mit dem Dresdener, das den Eckstein für alle Aus- einandersetzungen über Kandier bildet. Dazu hätte es noch der Reproduktion aller im Dresdener Exemplar fehlenden Stücke aus Oranienbaum bedurft, die gerade in den Abbildungen (i6 19, S. 47, 49, 51, 53) übergangen worden sind. Für die Hypothese des

französischen Textes, daß das ausgestellte Exemplar eine Kopie von Acier sei, fehlen die nötigen Argumente. Tafel III gibt einen wunderbaren Tafelaufsatz wieder, der dem Herzog Georg Alexander von Mecklenburg gehört. Das Schutzblatt der Tafel versichert uns mit kühner Gewißheit: »commande par le Roi de Dänemark en l’honneur du traite de paix avec la Suöde et la Nov^ge«, obgleich Norwegen bekanntlich bis 1814 dänische Provinz war. Der französische Text äußert sich über den Schöpfer dieses Aufsatzes (S. 55) sehr diplomatisch, der russische dagegen bezeichnet ihn mit Eleganz als Kändlers Arbeit auf Grund einer Ähnlichkeit von Typen. Ferner sind von den Meißener Sachen die Proben des Andreasservices aus der Zeit Katharinas II (Abb. 14, S. 43) und des frühen Jägerservices, das gewiß noch von Elisabeth I bestellt wurde, (Abb. 15, S. 45) zu erwähnen. Von den übrigen europäischen Manufakturen, von denen nicht sehr zahlreiche, aber hübsche Proben zu sehen waren, bringt das Album nur eine Frankenthaler Gruppe im Besitze von I. A. Wsewoloshskoi. Die Replik der Berliner Apotheose Katharinas aus dem Besitze des Herrn von Derwies wird mit Recht nur flüchtig erwähnt, da sie den 40 er Jahren des XIX. Jahrh. angehören dürfte. Eine besondere Gruppe bildet das russische Porzellan, dessen Geschichte auf S. 67 85 erzählt wird. Neben der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur, die heute noch existiert, trat die Manufaktur Gardner, gegründet vor, bestä- tigt im Jahre 1767, hervor. Beispiele der bald von S^vres, bald von Meißen abhängigen Arbeiten beider Fabriken biefen die Abbildungen 24 31 und die (dank der groben ^quarellvorlagen) unbrauchbare farbige Tafel IV.

Unter den Arbeiten in Metall spielten die Bronzen in der Physiogno- mie der Ausstellunng keine bestimmende Rolle, soweit sie selbständige Kleinplastiken waren; am interessantesten erscheint von den abgebildeten Stücken die veränderte Kopie des Turiner schlafenden Amor (Bes.:

33'

486

Literaturbericht.

Fürst Belosselski-Beloserski, Abb. 35, S. 97). Dagegen waren die ent- zückendsten Stücke in angewandter Kunst zu sehen: z. B. eine Ihrer Majestät der Kaiserin Alexandra Feodorowna gehörige Uhr von Caffieri mit Meißener Püppchen (Tafel V) und die prachtvolle Uhr mit dem Porträtmedaillon Katharinas II (Tafel VIII. Bes.: Mme. Miätlew) sowie die chinoisierenden Feuerböcke aus Oranienbaum (Tafel VI. Bes.: I. H. die Prinzessin Helene von Sachsen-Altenburg). Sehr schöne Stücke in Bronze aus Pawlowsk im Besitze S. K. H. des Großfürsten Konstantin Konstantinowitsch sind in Abteilung Möbel (Tafel XVII) verschlagen.

In der Abteilung Silber kamen Werke des XVIII. und vom Anfänge des XIX. Jahrhunderts als Glanzstücke der Ausstellung zu besonderer Geltung. Da wußte man nun nicht, ob man dem Tafelaufsatz der Kaiserin Elisabeth von Thomas Germain (Abb. 49, S. 127; S. 56, 145) oder dem von Claude Ballin (1722 26; Tafel X, Bes.: Graf S. D. Scheremetew), mehr Aufmerksamkeit schenken sollte, wenn man nicht bereits ganz von den Arbeiten für die Kaiserin Josephine absorbiert war, der prachtvollen Toilette von Odiot (der Spiegel daraus Tafel XI) und dem Teeservice von Biennais (Abb. 66, S. 167; Bes. beider Herzog Georg N. von Leuchtenberg). Eine sehr reiche Auswahl von silbernem Tischgerät hatte S. K.H. der Großfürst Alexius Alexandrowitsch ausgestellt (Abb. 55, 58 61), denen sich eine Suppenschüssel von Charvel aus der Kaiserlichen Silber- kammer (Abb. 63, S. 159) und Muster des gräflich Scheremetewschen Services (Soupiere Abb. 64, S. 16 r) anschlossen. Im gleichen Besitz be- findet sich eine stilhistorisch sehr merkwürdige Garnitur russischen Ursprungs, die ein barbärisiertes Rokoko zur Schau trägt (Abb. 65, S. 163).

Bei dem Abschnitt Email macht sich die Einteilung des Materials nach Stoff und Technik besonders unliebsam bemerkbar. Das Teeservice der Gräfin L. A. Mussin-Puschkin (Abb. 78, S. 195, Augsburg) kann kunsthistorisch nur im Zusammenhang mit dem Porzellan untergebracht werden, denn stilistisch steht es mit dem mittelalterlichen Zellen- und Grubenemail ebensowenig im Zusammenhänge wie mit dem Maleremail von Limoges. Von dieser letzten Art bringt das Album auf Tafel XIV die rätselvolle Platte im Besitze der Gräfin Schuwalow, die ich seiner Zeit (Tresors d’art en Russie 1906, ungenügende Abbildung) als Jean Penicaud II publiziert habe. Das Monogramm »J. P.«, ist auf keiner Reproduktion zu sehen, weil es in Gold auf schwarzem Grunde steht. Das Merk- würdige an dieser Platte ist, daß die Gestalten en relief getrieben sind. Unikum? Von den mittelalterlichen Schmelzarbeiten verdienten vor allem die Platten im Besitz M. P. Botkins (Tafel XIII, farbig in guter Aus- führung), von den russischen das Muttergottesbild General Durnowös (Tafel XII, weniger gut) alle Beachtung.

Literaturbericht.

487

Über die Arbeiten in Gold einen Überblick zu gewinnen, war auf der Ausstellung durch die Fülle des Gebotenen außerordentlich schwer. Es entzieht sich mir hier die Möglichkeit, im Referat mehr als zufällig herausgegriffene Proben namhaft zu machen, um so mehr als die historisch- kritische Bearbeitung des Materials im einzelnen erst ganz kürzlich be- gonnen hat. Für sie sind zwei eben erschienene Werke von Baron A. Fölkersam besonders wichtig: das »Alpabetische Verzeichnis der Gold- und Silberschmiede in St. Petersburg 1714 1814« und der kri- tische Katalog der Kaiserlichen Silberkammer, der nicht in den Handel kommt. In diesen beiden Werken ist die dokumentarische und stil- kritische Basis für die weitere Bearbeitung der Geschichte der Edel- schmiedekunst in St. Petersburg zu finden, mag es sich um Erzeugnisse von russischen Werkstätten oder Importgut handeln. Man kann diese Sachen nur topographisch rubrizieren, weil die kosmopolitische Physio- gnomie der Stadt eine ganz eigentümliche internationale Mischung in Künstlerschaft und Kunstkonsum bedingt hat. Da tauchen in der ständigen Wechselwirkung schöpferische Kräfte ungeahnten Kalibers auf, wie z. B. J. P. Ador, der Franzose, der 1770 1785 in Petersburg gearbeitet und für den Hof und die Aristokratie eine große Menge erst- klassiger Arbeiten geliefert hat, unter denen die Ihrer Majestät der Kaiserin Alexandra Feodorowna gehörige Vase (Abb. 98, S. 215), eine andere Vase und eine Tabatiere mit Emailbildern von Kaestner im Besitz des Grafen Orlow-Dawydow besonders zu nennen . sind 2'). (Abb. 94, 96, S. 213, 215). Fürst Jussupow hatte eine höchst originelle Uhr von dem Engländer J. Cox ausgestellt (Abb. 88, S. 207 und Tafel XV; Replik in der Ermitage, siehe Tresors d’art en Russie 1902 Taf. 140), und eine Reihe wundervoller Dosen (Abb. 85, loi, 102). Aus der reichen Sammlung des Generaladjutanten P. P. Durnowö waren sehr kostbare Stücke zu sehen; ich nenne nur die Stockkrücke in Sphinxform (Abb. 89, S. 209) und viele Tabatieren (Abb. 92, Meissonier, 99 Roncel, 103, 104). Über die sub 103 abgebildete Vase sind der russische und französische Text wieder einmal verschiedener Ansicht. Sie trägt nämlich die Aufschrift: »Deb^che pour le Cabinet de Sa Majestd Annde 1710«, und der russische Text findet keinen Ausweg aus dem Dilemma, eine reine Louis XVI- Arbeit 1710 datiert zu finden, es sei denn daß dafür 1770 zu lesen wäre (S. 218) und schreibt die Dose beinahe Claude Nicolas Delanay zu. Der französische Text dagegen erkennt richtig, daß die Tabatidre den Namen des 1705 zu Lüttich geborenen Vlamen Gerard Debdche, eines

*) Abbildungen von den in der Kostbarkeitengalerie der Kaiserlichen Ermitage befindlichen Arbeiten Adors sind zu finden in Baron Fölkersams zit. Alph. Verzeichnis S. 3. Ferner Abb. zu dess. Verf. Artikel Storyje Gody I, 1907. S. 7 12.

488

Literaturbericht.

vorzüglichen Meisters trägt, und der Übersetzer ist sogar fast imstande, diese Dose mit einer vom Könige für 3000 Livres bestellten zu identifizieren.

Die Abteilungen Stein und Holz kann ich übergehen, da sie an wesentlichen Stücken nur bereits bekannte ausländische Sachen brachten, und wende mich daher den Möbeln zu, die unverständlicherweise eine besondere Abteilung bilden, obgleich sie doch bei dem nun ein- mal geltenden Materialprinzip entweder unter Bronze, Stein oder Holz zu rubrizieren gewesen wären. Damit ist den wunderbaren Stücken, die unter dieser Kategorie untergebracht wurden, Gewalt angetan worden. Der Schreibtisch der Kaiserin Katharina mit der Uhr von Ferd. Berthoud (Tafel VII eingeschoben zwischen XVI und XVII bei S. 232!!, die Uhr besprochen russ. S. 108, franz. S. 10 1 unter Bronze, der Tisch russ. S. 232, franz. 229 unter Möbel!!) ist ebenso deplaciert an dieser Stelle wie die Glanzstücke aus Pawlowsk, die mit einem Tisch von Thomire auf der vortrefflichen Tafel XVII vereinigt sind. Leider wird der Text gegen Ende des Albums immer knapper und damit die positive Orientierung über die Dinge immer schwieriger. So gern man auch die ästhetisierende Rhetorik, die sich in den ersten Abschnitten des russischen Textes besonders unliebsam bemerkbar macht, hier vermißt, entbehrt man doch sehr stark hier die Berichterstattung über den vor- handenen Tatbestand.

In dem Kapitel Elfenbein wird das byzantinische Triptychon mit den 40 Märtyrern der gräflich Schuwalowschen Sammlung (Abb. 116, S. 237), eine Variante des Berliner Exemplars (Bode-v.Tschudi Bild- werke d. ehr. Epoche i888, S. 120, Taf. 57; Voege 1900, S. 8), angeführt und abgebildet, ohne daß der eingehenden Besprechung die I. I. Smirnow ihm gewidmet hat (Les. Tresors d’art en Russie 1902 S. 285 293 zu Tafel 12 1), Erwähnung geschieht. Einigermaßen schwierig ist es eine prächtige Pagode des Fürsten Jussupow auf- zufinden; die Tafel XV ist wieder außer der Ordnung bei S. 242 eingeschaltet (zwischen XVII und XVIII) und auf ihr ist ganz unten das sehr erfreuliche Stückchen, das übrigens ganz ernsthaft als »Buddha mit siamesischer Krone« (Text russ. S. 242, franz. 239) einge- führt wird, in Miniaturwiedergabe zu sehen. Dem Elfenbein folgen die Fächer, wohl deshalb, weil das Unwichtigste an ihnen Elfenbein zu sein pflegt.

Mit den Miniaturen, Tabatieren und Boites, soweit die beiden letzten Malereien tragen, gehören diese zarten Erzeugnisse des späten ancien regime zusammen, aber sie gehören nicht zwischen »Elfenbein« und »Zinn und Eisen« hinein, zumal ein Hauptstück von ihnen, im Besitz I. K. H. der Großfürstin Elisabeth Feodorowna (Abb. 119, S. 241) nicht ein

Literaturb ericht.

489

Skelett aus Elfenbein, sondern aus Perlmutter besitzt. Ein anderer schöner Fächer (Bes. E. D. Wsewoloshskaja, Abb. 118, S. 241) wäre besser unter Spitzen rubriziert worden. Die humorvolle Satire auf die Teilung Polens nach Moreau le Jeune, mit entzückend geschnitztem Griffe (Abb. 120, S. 243, Bes.: Gräfin Schuwalow) hat außer diesem Griffe von sekundärer Bedeutung auch wenig mit »Elfenbein« zu tun.

Die nächste Abteilung Zinn und Eisen ist textlich und illustrativ geringfügig, wie denn auch diese Spezialitäten keine besonders hervor- ragende Seite der Ausstellung darstellten. Unter den wenigen abge- bildeten Gegenständen befindet sich auch der Tischbrunnen der Gräfin Schuwalow, den Demiani (F. Briot, C. Enderlein und das Edelzinn S. 27) als Fälschung erkannt hat3). Um über den Abschnitt Waffen zu referieren, sind die Texte zu knapp und die Abbildungen zu gering an Quantität. Anders stände es mit den Miniaturen, die den nächsten Abschnitt umfassen, dennoch verbietet sich auch in bezug auf sie ein näheres Eingehen an dieser Stelle. Einmal sind sie höchst unkritisch be- handelt und zweitens findet ihr Gros Aufnahme in dem Werke S. K. H. des Großfürsten Nikolaus Michailowitsch »Portraits russes du XVIID et du XIXe siöcles«. In Anlaß dieses Werkes wird hoffentlich eine kompetentere Kraft als Ref. des Näheren auf sie zu sprechen kommen. Stiefmütter- lich ist auch die Abteilung Gewebe und Geflechte behandelt worden. Tafel XVIII gibt zwar einen 1621 vom Hetman Chodkiewicz erbeuteten persischen Teppich (Bes.: Fürst Sanguszko) wieder, aber leider fehlt jede Abbildung von den Proben alter turkmenischer Teppichwirkerei, aus den zur Ausstellung gelangten Sammlungen Baron Fölkersam und N. Burdjukow. Auch bei den Spitzen muß über mangelhafte Auswahl für die Reproduktion geklagt werden. So hoher Qualität auch die Proben, Point d’Alengon der Fürstin M. K. Golizyn (Abb. 137, S. 209) und Point d’Argenton der Gräfin Stenbock-Fermor (Abb. 138, S. 270) sind, so geben sie doch keinen Eindruck von dem, was auf der Ausstellung vorhanden war, besonders in der reichen Kollektion I. H. der Prinzessin Helene von Sachsen-Altenburg.

Zurückblickend muß ich wiederholen, daß es eine schwer zu lösende Aufgabe ist, über die Ausstellung und ihr Album gleichzeitig zu referieren. Der mehr als erstklassige Charakter der Ausstellung hätte zu einer Aus-

3) Als ich einen Teil der Sammlung Schuwalow in den Tresors d’art en Russie 1902 herausgab, ist dieser Brunnen auf S. 298 abgebildet worden; im Texte habe ich mich S. 275 und 303 für ihn überflüssig enthusiasmiert, nur habe ich ihn nie für einen Briot gehalten. (Die Anmerkung auf S. 303 stammt unterschriftlich von der Redaktion. Die Angaben des franz. Textes der Tresors (S. XXIV) habe ich ebensowenig zu ver- antworten.)

490

Literaturbericht.

drucksweise verführen können, die den Referenten in den Verdacht allzu- großen Lokalpatriotismus bringen könnte, da seinen Lesern die Kontrolle durch Autopsie fehlen würde. Diesen Mangel kann das Album in seinem text- lichen Teile nicht ersetzen, besonders bei seiner bereits besprochenen Zwie- spältigkeit und der besseren Sachkenntnis des französischen »Übersetzers«. Der illustrative Teil des Albums dagegen kann, soll und muß zur Erschließung unserer heimischen Kunstschätze für die internationale Erforschung beitragen. Der stattliche Band möge hinfort Mittel für alle Interessenten sein, die pessimistische, aber vollständig richtige Äußerung Julius Lessings, die ich an den Anfang dieser Zeilen stellte, in ihr Gegenteil zu verkehren ! Möge man doch draußen auch durch das Album Notiz davon nehmen, was Petersburg als Kunstkadt bedeutet! James v. Schmidt.

Franz Wickhoffs Anzeige

von einem neuen Buch »Die malerische Dekoration der San Francesco-Kirche in Assisi, ein Beitrag zur Lösung der Cima- bue-Frage«.

Um den Autor und sein »Verfahren« zu charakterisieren, läßt Wickhoff die » Cimabue-Frage « liegen und setzt »eine ältere Arbeit von ihm « auf die Tagesordnung, nämlich » seine Untersuchung über den Dornauszieher, weil dieses Kunstwerk den Freunden und Kennern der Kunst allgemeiner bekannt ist als die alten Fresken in Assisi, die nur bei einem beschränkten Kreis von Betrachtern die rechte Würdigung finden «.

Man muß zwar Wickhoff dankbar sein, daß er jetzt die Auf- merksamkeit auf die 8 Jahre alte Abhandlung *) über »den Dorn- auszieher auf dem Kapitol und die Kunstarchäologie« gelenkt hat, weil diese Untersuchung übersehene oder noch nicht genügend an- erkannte Entwicklungsgesetze hervorhebt, die noch wichtiger und weit- greifender für die Kunstforschung sind als die Cimabue-Frage.

Immerhin. Das Verfahren des Redaktors der »Kunstgeschichtlichen Anzeigen« bleibt befremdend.

Die Sache liegt aber für die Eingeweihten » des beschränkten Kreises«, vollständig offen da. Die Sache ist nämlich diese:

Der Beitrag zur Lösung der Cimabue-Frage ist von Anfang bis zum Schluß eine Widerlegung sowohl von Wickhoffs kunstgeschichtlicher Wertschätzung der künstlerisch und kunstgeschichtlich hoch bedeutenden Freskenreste, die Chor und Querschiff der Oberkirche in Assisi schmücken, wie von Wickhoffs Bestimmung ihres Ursprungs und ihrer Zeit.

In seiner Untersuchung » über die Zeit des Guido von Siena *) «, wo Wickhoff den Cimabue erledigt, hat er behauptet, die Ausführung dieser Fresken wie auch die Entstehungszeit der Madonna (Cimabues) aus S. Trinita in der Akademie zu Florenz sei »um 1253 durch 'die Übereinstimmung mit dem Kruzifix in St. Chiara (in Assisi) feszustellen «.

>) In »Zeitschrift für bild. Kunst.« Neue Folge 12. Jahrgang, Leipzig und Berlin 1901, S. 40 ff. u. 65 ff. Bei E. A. Seemann auch als Sonderdruck zu haben.

») In den Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung. X. Band, Innsbruck 1889, S. 245 ff.

492

Andreas Aubert:

Auf dieses Kruzifix und auf dieses allein baut Wickhoff seine apodiktische Zeitbestimmung der Freskenreste. Ohne bemerkt zu haben, daß die Aufschrift, die es trägt, von Cavalcaselle in der italienischen Ausgabe seines Werkes vom Jahre 1875 schon vollständig wiedergegeben ist, kommt er, die Aufschrift unvollständig entziffernd, durch eine unhaltbare Stilanalyse (in der er Thode folgt) und durch eine ebenso unhaltbare Zeitbestimmung des Kruzifixes zu seinem verhängnis- vollen Schluß, der eine Zeitlang die Cimabue-Frage auf ein totes Gleis einzulenken drohte. Wickhoff erwähnt weiter den Kirchenkomplex der S. Francesco-Kirche ausdrücklich als »vollendet« im Einweihungs- jahr 1253, und dies, obwohl der Papst Innocenz IV. in einem Brief an den leitenden Baumeister oder vielleicht an den Bauherrn 3) der Kirche Frater Philippus de Campbello noch in demselben Sommer darüber klagt, daß die Kirche noch nicht so vollendet sei, wie es einem so ehrwürdigen Gebäude gezieme, und daher Erlaubnis erteilt, auf den Altären der Kirche Geldopfer für den Bau zu sammeln, um die Kirche I. »durch edlen Bau zu vollenden« und sie 2. »mit hervorragenden Arbeiten zu schmücken «.

In seiner Abhandlung über die Zeit des Guido von Siena nimmt Wickhoff in folgenden Worten für immer von Cimabue Abschied: Dem »Cimabue bleibt also der Johannes, und nichts als Johannes (in der Apsismosaik im Dom zu Pisa). Wie der nun . . . zaghaft und mit ergebener Duldermiene oben steht in der himmlischen Herrlichkeit, als wäre ein zierliches Männchen aus den kleinen griechischen Tafeln immer größer und größer geworden, bis er sich vor sich selber fürchtet, zeigt er uns das Ende einer Kunst in ihrer Erschöpfung, und seinen Meister nicht als Begründer einer neuen Richtung, sondern als den sanften Carlino Dolce einer absterbenden«

Es darf wohl für Wickhoff überraschend gewirkt haben, diesen Johannes (von 1300) nun in den Tafeln des neuen Buches dem Johannes auf dem großen Kreuzigungsfresko in der Oberkirche zu Assisi als einen Zwillingbruder gegenübergestellt zu sehen. Nicht weniger befremdend war es ihm vielleicht, für diese mächtige dekorative Monumentalmalerei, .die dem Naturalismus des Giotto vorausgeht, Bewunderung zu finden bei einem Modernen (der schon 1884 in Paris, nach einem zweijährigen Studium der französischer! Kunst der Gegenwart, eine volle Würdigung Manets und Monets schrieb), und der sich, wie Wickhoff selbst, auch

3) Wickhoff macht darauf aufmerksam, daß Frater Philippus Vorstand der Bau- behörde, nicht der Baumeister der Kirche war. Der Verfasser folgt hier, ohne selb- ständige Quellenstudien, Thode.

Franz Wickhoffs Anzeige.

493

einen Schüler der Morellischen Methode 4) nennen darf. Eine Dialektik des Gedankens und des Kunstgefühls, die in ihren Sympathien zugleich Manets revolutionären Naturalismus und die herbe mittelalterliche Stil- kunst Cimabues umfassen kann, möchte überhaupt Wickhoff unverständlich sein. Der hervorragende Kunstverfasser mit dem anregenden und weit umspannenden Geist, hat sich doch, wie es scheint, mit so vielen anderen Kunstforschern und Künstlern unserer Zeit in hypermoderner Einseitigkeit in den impressionistischen Naturalismus zu sehr verrannt (siehe z. B. auch seine bedeutende und interessante Einleitung zur Wiener-Genesis von 1895) um recht empfinden zu können, daß die leitende Kunst der Gegenwart das heißt die Zukunftskunst schon seit einer halben Generation weitherzigere Kunstansichten errungen hat und sich wieder mit klarerem Bewußtsein nach den idealen und den monumentalen Aufgaben sehnt, wie denn auch eben mehrere der vorzüglichsten Künstler unserer Zeit die Bewunderung für Cimabues Fresken in Assisi teilen.

Es zeigt sich, daß es entschieden richtig war, die Behandlung der Cimabue-Frage mit einem Kapitel über die künstlerische Wertschätzung 5) einzuleiten. Zuguterletzt ist die künstlerische Wertschätzung und das an- geborne und ausgebildete künstlerische Gefühl das am tiefsten entschei- dende und das am schärfsten unterscheidende, nicht nur wenn es sich um die Stellung^) zur Cimabue-Frage handelt, sondern auch zu dem kapito- linischen Dornauszieher?), mit dem Wickhoff jetzt die Diskussion trübt

4) Die Methode, die der Verfasser benutzt »die. Methode der zwei parallelen Linien« ist zuletzt nur die detektive Methode Morellis, ergänzt durch eine ebenso bewußte Beobachtung aller dekorativ-monumentalen und ornamentalen Züge. (Vgl. Zeit- schrift f. bild. Kunst, Jahrg. X, S. iSsfF.).

5) Das Kapitel ist schon 1899 in der Zeitschrift für bild. Kunst Jahrg. X S. 185 ff. veröffentlicht worden.

Wie dies aufzufassen ist, wird durch ein paar Zitate einleuchtender werden. In dem Buche über die »Cimabue-Frage« S. 18 heißt es: »Ungleich wichtiger aber, als einen Künstlernamen zu kennen, wäre es für die Kunstgeschichte, wenn sie die Tatsache buchen könnte, daß die italienische Malerei unmittelbar vor dem bahnbrechenden Auf- treten Giottos Kräfte gehabt hat und Formen der Schönheit, die wir in Giottos Kunst ^icht finden. Ob der große Unbekannte (in Assisi) Cimabue hieß, oder ob er einen andern Namen getragen hat, wird im Verhältnis zu dieser großen Tatsache eine relativ untergeordnete Frage sein«. Und das Buch klingt in folgenden Satz aus: »..was Giottos Jahrhundert an Leben gewinnt, hat Cimabues Jahrhundert vor ihm voraus an monumentaler Größe.«

7) Wickhoff »verwahrt sich feierlich« dagegen, daß man ihm die Auffassung zutraue, die kapitolinische Bronze wäre ein Werk der römischen Reichskunst. Von dieser Bronzefigur, die wie über lebendige Form gegossen aussieht und nicht einen einzigen Zug hat von der zarten Jugendfrische der frühgriechischen Kunst, sagt Wickhoff noch jetzt (1908): »niemals hielt ich den Domauszieher des Kapitols für etwas anderes als für eine originale Figur des 5. Jahrhunderts vor Christus«.

494

Andreas Aubert;

WickhofF fängt seine Anzeige so an: »Der Autor nennt es mein großes Verdienst, durch eine eingehende und feine Kritik Vasaris und seiner Quellen wie über neuere Kunstforscher und ihre Hypothesen die Untersuchung wieder auf sicheren Grund geführt zu haben«. Ich sei »zu Rumohrs Methode zurückgekehrt, alles auf das eigene Stilgepräge der Kunstwerke und auf sichere Aktenstücke und Inschriften zu bauen«.

»Nun nimmt es einen Wunder, wenn der Autor auf alle Geschichten über Cimabue, die Vasari entnommen wurden, und deren Bildung ich aufzuzeigen versucht hatte, wieder zurückkommt «.

Man darf fragen: hat Wickhoff das Buch gelesen? Hoffentlich nur durchblättert Nicht eine der Vasarischen Geschichten ist vom Autor benutzt worden, kein einziges Mal wurde Vasari von ihm in dem Verfahren zugunsten des Cimabue zitiert. Dante freilich, Vasari nie!

Der Autor der » Cimabue-Frage « bekennt sich überhaupt nicht nur in der Theorie zu Rumohrs Methode; er hat sich aufs gewissenhafteste bemüht, ihr auch in der Praxis zu folgen, immer Hypothese von Tatsache unterscheidend (vgl. die Einleitung). Inwiefern dasselbe von Wickhoff gesagt werden kann, wäre vielleicht fraglicher*).

Eine eigentümliche Verstimmung gibt sich überall und auf die verschiedensten Weisen in Wickhoffs Anzeige kund. Nicht nur die unschuldigen » alten Photographien von Carloforti «, deren Bedeutung der Verfasser in der Einleitung vorgehoben hat, müssen Vorhalten, sondern zuletzt auch der heilige Franz.

Tausende und wieder Tausende von Pilgern, nicht alle religiöser Gesinnung, sind ergriffen worden von der Stimmung der Unterkirche in Assisi, wo der tägliche Gottesdienst über dem Grabe des heiligen Franz gefeiert wird. Diese Stimmung hat der Verfasser geschildert, wo von der ältesten Malerei der Kirche wohl Giunta Pisanos 9) Werk die Rede ist: wie die Strenge des Bauwerkes durch die Schönheit gemildert wird. Diese Schilderung charakterisiert Wickhoff mit folgenden Worten: »die . . . sentimentalen Phrasen finden sich nicht allzu oft, wirken aber dann um so häßlicher, weil sie mit Unrecht den Ernst der Arbeit verdächtig machen. Z. B. »zu diesem Eindruck (der Stimmung) trägt die alte Malerei ebenso bei wie das Orgelgebraus, die Kirchenhymnen und die

*) Man braucht nur zwei Seiten weiter zu blättern, in der Anzeige über »A. Venturi, Storia dell’arte Italiana V.«, um eine neue charakteristische Probe seiner sub- jektiv-apodiktischen Art zu finden: »Die Fresken aus dem Leben des Francesco in der Oberkirche von Assisi«, behauptet er, seien »reife Werke der von Giotto begründeten Kunst, nach Giottos Tode ausgeführt etwa um 1350«. Eine moderne methodische Stil- analyse setzt diese Fresken in engstem Zusammenhang mit dem Doktorengewölbe etwa um 1300 (vgl. die »Cimabue-Frage« S. 63 ff.).

9) Vgl. die »Cimabue-Frage« S. 84 Anm.

Franz Wickhoffs Anzeige.

495

Sonnenstrahlen. Der Geist des Bauwerkes ist verwandt mit der milden, reinen, schönheitsliebenden Seele des S. Franciscus«. »Es wäre gut, wenn uns einmal jemand auf die Quelle hinwiese, wo von der schönheitsliebenden Seele des hl. Franciscus die Rede ist«.

Wenn wir nun Wickhoff il cantico del sole nennen, der in seiner Art sublim ist durch die Einfalt seiner allumfassenden Liebe?

Man drückt nur mit klaren Worten aus, was Wickhoff schon selbst mit seiner verblüffenden Frage andeutet, wenn ' man sagt: kämen die Franzlegende und il cantico del sole in die Retorte Wickhoffs unter die Analyse seiner negativen Kritik, dann würde aus il cantico del sole nichts, aus dem ganzen heiligen Franz höchstens ein homunculus, ein Männchen wie der sanfte Carlino Dolce-Cimabue.

Für die neueste Geschichtsforschung steht die Sache freilich anders.

Durch seine Untersuchung über » S. Francesco e la sua leggenda « (Padova e Verona Fratelli Drucker 1906) hat Nino Tamassia sich zum Ziel gesetzt, die Darstellung des Tornas da Celano zu zerstückeln, um eine Rekonstruktion der wahren Franzgestalt zu ermöglichen; seine Unter- suchung schließt er so: »Zerrissen von der Kritik hindern die nebeligen Bilder des Celaners uns nicht, den wahren Franz zu erkennen«.

»Von einem blühenden Hügel, wie von einem mystischen Licht umhüllt, läßt der Heilige seine milden schwarzen Augen auf den Scharen ruhen ... Er redet, und seine sanfte Stimme ist eine inbrünstige Hymne an den Gott des Friedens und der Liebe. Der Rhythmus der Lieder, die er in seiner munteren Jugend gehört, begleitet die harmonischen Wellen seiner Worte . .

»War es der Nazarener, der in dem Jahrhundert der Heresie die Bergpredigt wiederholte?«

»Diese fromme Gestalt (des heiligen Franz, »der die Poesie des Universums*®) so freudig fühlte«) führt Tornas da Celano behutsam von den freien Hügeln, die die Sonne und die ewige Hoffnung umstrahlen, in den Schatten der Klosterzelle neben dem heiligen Benedikt. «

Über die Authentizität des Sonnengesangs spricht Tamassia sich nicht direkt aus, er meint aber, daß Franz, der einer reichen Familie angehörte, der von eleganten Gewohnheiten war, und der sich durch Waffendienst zu verfeinern (ingentilire) versucht hatte, ohne Zweifel die französische Heldendichtung in der Originalsprache, die eben die Sprache der aristokratischen Gesellschaft war, gekannt habe. Aus einer solchen Jugendliebe, die bei Franz nach seiner Bekehrung nur das Ideal der Heldentaten wechselte, meint Tamassia den »ritterlichen« Charakter des Ordens erklären zu können, »insofern man mit diesem Worte sagen

»0) Die Parenthese hier von Seite 43 hinübergeführt.

496

Andreas Aubert: Franz Wickhoffs Anzeige.

will, daß der Heilige seine Beredsamkeit aus der eigentümlichen Ver- schmelzung des religiösen und des künstlerischen Gefühls schöpft. Und wie Franz, dem die Pietät der Nachfolger gewisse Hymnen**) zuschreibt, singt, so singen auch in dem Versmaß des Meisters die Gefährten.«

Die Authentizität des cantico del sole ist seit der zweiten Hälfte des i8, Jahrhunderts oft und stark bestritten worden. Wie bekannt, ist das Gedicht erst Generationen nach dem Tode des S. Francesco nieder- geschrieben -worden, und die Frage wegen der Autorschaft des heiligen Franz gehört somit der Traditionsforschung an.

In Norwegen beschäftigt sich eben ein hervorragender Traditions- forscher Moltke Moe (ausgespr. Mo) mit der Frage. Als Herausgeber des mittelalterlichen Visionsgedichts »Draumkväde« (Traumlied), das im Munde unserer Bergbauern noch lebt, und in Zusammenhang mit dem altisländischen »Sölarljöd« (Sonnenlied) steht, mußte er auch der Frage nach der Herkunft des cantico del sole nachgehen. In einem aus- führlichen Brief schreibt er, daß er seinerseits zum folgenden Schlüße ge- kommen sei, die Grundlage des cantico del sole sei ohne Zweifel echt und stamme von Francesco selbst. » Daß der Sonnengesang bis in die Tage des Francesco zurückgeht, beweisen schon der Titel (wie auch mehrere Einzelheiten), die in den isländischen Sölarljöd hinübergegangen sind . .

»Das Gedicht hat nicht nur dadurch gelitten, daß es in so vielen Generationen von Mund zu Mund gegangen ist, sondern es hat auch verschiedene mehr oder weniger pietätvolle Bearbeitungen durch jüngere Dichter erfahren und allein in diesen Bearbeitungen liegt es uns vor. Indessen zeigt es sich, daß der Gedankengang, und zu einem nicht unerheblichen Teil auch die Darstellung, den allermeisten der Be- arbeitungen gemeinsam sind. Dies Gemeinsame läßt sich somit als dem ursprünglichen Originalgedicht angehörig erweisen. Und mehrere neuere Forscher *i) haben gute Versuche gemacht, das Gedicht kritisch zu rekon- struieren . .

Weil eine Antwort mir in diesem Fall eine Pflicht zu sein schien, habe ich den Widerwillen gegen persönliche Polemik überwunden.

Dresden-Blasewitz, 24. September 1908. Andreas Aubert.

In einer Note wird hier, S. 164, auf della Giovanna, Sabatier, Götz, Thode hin gewiesen.

'*) » Am besten vielleicht Monaci in seiner Crestomazia italiana dei primi secoli I (1889) S. 29ff. Ebenso Teza in »II Propugnatore Nuova Seria und Böhmer in »Romanischen Studien I.«

Eine Entgegnung.

Es ist nicht üblich, daß der Verfasser einer Erstlingsarbeit sich gegen die Kritik auflehnt, die seine Arbeit in einer Fachzeitschrift findet; gegen eine Kritik, die in ihrer Gerechtigkeit dem Verfasser, wenn nötig, Bitteres sagt. Ich kenne heute selbst gut genug gewisse Schwächen der eigenen, vor fast zwei Jahren im Druck erschienenen Anfängerarbeit i), um ein solches Urteil bescheiden über mich ergehen zu lassen, könnte ich die Überzeugung gewinnen, der Rezensent, Herr Burger, hätte dem zu rezensierenden Buche die billige Aufmerksamkeit geschenkt^).

Ich greife zwei Stellen aus der Kritik des Herrn Burger heraus, die genügend zeigen werden, mit welcher Sorgfalt er den Pflichten eines Rezensenten nachkommt.

Burger: »Die künstlerische Analyse ist meist unvollständig. Bei- spielsweise wird bei der dankenswerten und sehr interessanten Gegenüber- stellung der Figur des Adams von Rizzo am Dogenpalast mit den Sebastianbildern Liberales da Verona in der Brera und Antonellos da Messina in Dresden trotz der relativ eingehenden künstlerischen Be- trachtungen das malerische Hauptproblem des Gemäldes Antonellos, die konsequente Durchführung des Schlagschattens vollkommen übersehen. Liberales Bild unterscheidet sich eben dadurch auch von dem Bilde Antonellos. «

Ich hatte über Antonellos Bild u. a. folgendes (pag. 36.) gesagt: ». . . Antonello hat dann das Licht so einfallen lassen, daß der Wirkung der Körperwendung parallele Gegensätze von beleuchteter und beschatteter Seite entstanden. Licht und Schatten sind zu selbständigen Werten ge- worden. Sie dienen nicht mehr nur der Modellierung der physischen Formen, sondern sind jetzt die eigentlichen kontrastschaffenden Elemente. Das Verhältnis wird nun ein umgekehrtes. Man läßt den Körper sich wenden, nicht um ein statuarisches Motiv, sondern um Massen von Hell und Dunkel zu geben. Ich hatte gehofft, durch eine Gegenüberstellung

«) Die wichtigsten Darstellungsformen Jes H. Sebastian in der ilalienischen Malerei bis zum Ausgang des Ouattrocento. Straßburg, 1906.

») F. Burger, Rep. XXXI, Heft 2.

498

Eine Entgegnung.

dieses Sebastian des Antonello mit denen des Liberale die Bedeutung des Dresdener Bildes .... in ein helleres Licht zu rücken usf.«

Nebenbei sei gesagt, daß mit der Beobachtung der »konsequenten Durchführung des Schlagschattens « nicht sehr tief in das » malerische Hauptproblem des Gemäldes Antonellos« eingedrungen ist.

Zu einem andern Burgerschen Satze wird ein Kommentar nötig sein. Herr Burger referiert: »Das einfachste ^ (warum nicht das älteste, wie ich gesagt hatte?) Beispiel hierfür ist die Darstellung des heiligen Sebastian in dem Mosaik von San Pietro in Vincoli, wo der geschicht- lichen Intervention des Heiligen entsprechend der Legende in der Kom- position Rechnung getragen wird.« Ich fürchte, niemand, der jenes Mosaik eine stehende' Figur, bärtig und in der Tracht eines byzan- tinischen Kriegers kennt, wird verstehen, inwiefern »der geschicht- lichen Intervention entsprechend der Legende in der Komposition Rechnung getragen wurde.« Des Rätsels Lösung: Auf p. if. hatte ich gesagt, daß ungefähr gleichzeitig mit der Entstehung der episodenreichen Märtyrerakten in der bildlichen Darstellung ein Umschwung vom Sym- bolischen der früheren Epoche zum Porträtistisch-individualisierenden eingetreten sei. Das früheste Spezimen dieser neuen Richtung sei das Mosaik in S. Pietro in Vincoli, das dann weiter merkwürdig wäre als Monument der ersten » geschichtlichen « Intervention des Heiligen, namentlich bei der von Paulus Diaconus berichteten Epidemie V. J. 680. Dann habe ich auf p. ii eine Darstellung jener Pest V. J. 680, Fresko eines Pollajuolischülers, ebenfalls in S. Pietro in Vincoli erwähnt. Der Rezensent hat das Mosaik des 7. Jahrhunderts mit dem Fresko des 15. Jahrhunderts zusammengeworfen.

Wirklich gelesen hat der Rezensent die Sätze meines kurzen Vor- wortes. Hier ist seine Kritik von eindringender Gründlichkeit. Nichts, was ich hier zur Begründung der zeitlichen und stofflichen Begrenzung des Themas gesagt hatte, läßt er gelten. Er fordert, daß ich die Sebastiandarstellungen auch zum Vorwand hätte nehmen sollen, »Raum- komposition« und »Formengehalt« entwicklungsgeschichtlich zu unter- suchen. Also die Entwicklung der Darstellung eines dreidimensionalen Raumes, der Landschaft, der architektonischen Umgebung, der Inter- pretation des menschlichen Körpers, der Beziehung zur Antike und der- gleichen mehr. Ich habe diese Fragen nur berührt, wo sie im Interesse der eigentlichen Aufgabe (der Untersuchung der Stellungsarten) lagen. (Herr Burger sagt: » Nicht nur nicht gestreift, sondern kaum ernstlich be- rührt.« — Merkwürdige Antithese!)

Auch die Zeitgrenze soll von mir willkürlich gezogen sein. Ich glaubte gefunden zu haben, daß die hauptsächlichsten Stellungsarten zu

Eine Entgegnung.

499

Beginn des i6. Jahrhunderts ihren Abschluß erreichen. »Aber eben diesen Abschluß zu schildern, bleibt uns Hadeln schuldig!« ruft der Rezensent aus. Ich bitte ihn^ mir diejenigen Sebastiani zu nennen, die er dabei im Kopfe hatte. Außer einigen venezianischen Bildern (Tizian, Lotto, Pordenone usw.), die ich zu weiterem Beleg des auf p. 43 Gesagten hätte heranziehen können, wird er wohl kaum wichtige, einen Abschluß bedeutende Monumente anführen können. (Künstler wie Ridolfo Ghirlandajo und Andrea del Sarto sind von mir genannt.) Er mag Correggios » Madonna di S. Sebastiano « neben die von mir aut T. VII abgebildeten ferraresisch-bolognesischen Sebastiani legen um sich an diesem einen Beispiel klar zu machen, daß hier kein Abschluß, sondern etwas absolut Neues gegeben wurde.

Auch »den Umfang des Materials« läßt Herr Burger nicht als »Entschuldigung« für die Begrenzung des Themas gelten. Er mißt die Abhandlung, und es kommen nur kümmerliche 44 Druckseiten heraus. Von dem »Katalog« von 15 weiteren Seiten kleinen Druckes hat der Rezensent keine Notiz genommen. Hier hatte ich 289 (da nun einmal gezählt wird) Sebastiani mit Literatur- und historischen Nachweisen, so gut ich es vermochte, knapp zusammengestellt. Das war das umfang- reiche Material. Mit ihm hätte ich wirklich auch ein sehr viel dickeres Buch auf den Markt bringen können.

Schließlich noch eins. Der Rezensent tadelt die übertriebene Be- handlung von Detailfragen und den Mangel an großen Gesichtspunkten. Ich glaube, daß eine ikonographische Arbeit varnehmlich in der Be- handlung von Detailfragen besteht, und daß » große Gesichtspunkte « solche Untersuchung wenig fördern, namentlich, wenn sie von der Güte der von Herrn Burger (z. B. » das Schönheitsideal der Zeit«) empfohlenen sind. Hadeln.

Duplik.

Die Entgegnung Herrn v. Hadelns muß ich in doppelter Hinsicht bedauern, einmal weil sie mir gänzlich unmotiviert erscheint, und dann, weil mich Herr v. Hadeln zwingt, das, was ich in meiner durchaus wohl- wollenden Kritik seines Buches nur angedeutet habe, jetzt um so schärfer zu betonen. Es ist ja wohl möglich, daß es Leute gibt, die die Ent- wicklung der Darstellungsformen des hl. Sebastians von der altchristlichen Zeit bis zu dem Ausgang des Quattrocento in ganz Italien auf 56 Seiten schildern könnten. Dazu gehört aber doch wohl eine erheblich größere Erfahrung und Umsicht «in der Gruppierung des Stoffes, als sie der Verf. besaß. H.s Arbeit ist ein Torso und stellt im besten Falle teil- weise das Fundament dar, auf dem sich solch eine interessante ikono-

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI. 34

500

Eine Entgegnung.

graphische Studie aufbauen könnte. Die Wissenschaft hat daher auch kein Interesse daran, daß hier mit Ausführlichkeit Satz für Satz der Ent- gegnung behandelt wird, um so weniger als das Repertorium nicht der Platz ist, jemanden über die Elementarbegriffe der Kunstwissenschaft zu belehren. Es genügt hier, den ersten Punkt der »Entgegnung« heraus- zugreifen, um diese zu charakterisieren. Meiner Behauptung, die konse- quente Durchführung des Schlagschattens bei Besprechung des Gemäldes von Antonello da Messina sei von Hadeln übersehen worden, stellt er den Wortlaut des Textes gegenüber, um zu beweisen, daß meine Kritik nur oberflächlich gewesen sei. Allein bewiesen wird nur, daß diese doch sehr gerechtfertigt war, insofern Hadeln noch heute, 2 Jahre nach Herausgabe seines Jugendwerkes, den Selbstschatten nicht von dem Schlagschatten zu unterscheiden weiß. Denn abgesehen davon, daß in der etwas konfusen Terminologie des Herrn v. Hadeln das Wort Schlagschatten nicht zu finden ist, kann hier unter den Begriffen »Modellierung der physischen Form« und »kontrastschaffenden« Ele- menten doch nur der Selbstschatten gemeint sein, um so mehr als H. in dem ergänzenden Nachsatz von »Massen von Hell und Dunkel« spricht. Was der Schlagschatten als malerisches Problem und im Dienst von Körper- und Raumdarstellung bedeutet, wird Herr v. Hadeln sicher noch lernen, ebenso wie er in den Begriff »Schönheitsideal der Zeit« jedenfalls noch eindringen wird. Dann wird ihm auch wohl klar werden, daß man in einem Buch über die Geschichte der Darstellungs formen des hl. Sebastians neben Raumkomposition u. a. auch den Formengehalt zu berücksichtigen hat, und daß nicht bloß die »Stellungsarten« zu behan- deln sind, sondern auch die in der Darstellung des Nackten sich mani- festierende Formensprache nicht übergangen werden dai-f. Auch die Rolle, die die Antike als Vorbild für die künstlerische Behandlung des Nackten wie für kompositionelle Motive (Donatello, Giov. Bellini u. a.) spielte, wäre hier zu schildern gewesen. Ich habe aber nicht gesagt, daß diese Dinge den »Vor- wand« für die »Ikonographie« des hl. Sebastian abgeben sollten. Hier den Ausgleich zu schaffen ist Sache des Verfassers und der ... Übung! Die merkwürdige Antithese war übrigens durch den entsprechenden Text Hadelns bedingt Die kleine Ironie scheint er nicht bemerkt zu haben. Selbstverständlich sind »Detailuntersuchungen« dajs Primäre. Aber ich habe nicht gesagt, daß Herr v. Hadeln hier des Guten zuviel getan hätte, im Gegenteil habe ich (siehe -Schlagschatten) doch auf die Un- zulänglichkeit der Arbeit auch in dieser Hinsicht gewiesen. Man muß unterscheiden und dann verbinden sagt poethe. Der »Nachweis«, daß die Entwicklung der Darstellungsformen des hl. Sebastians ihren »Ab- schluß « gefunden habe, hat v. Hadeln wohl des Abschlusses seines Buches

Eine Entgegnung.

501

wegen erbringen zu müssen geglaubt! In einem Atem zu behaupten, hier würden die Darstellungsformen ihren Abschluß erreichen, und dann zu sagen, es bilde sich hier etwas absolut Neues, ist ein Nonsens, um so mehr als v. Hadeln bereits am Ende des Quattrocento das Werden dieses »Neuen« zum Teil schildert. Aber eben der Mangel an »höheren Ge- sichtspunkten« hat eine interessante Synthese verhindert. Aber selbst ohne diese hätte Herr v. Hadeln sehen müssen, daß der hl. Sebastian von Paolo Veronese (?) in Wien, der von Tintoretto in der Scuola S. Rocco, um nur einige von den »einigen« zu nennen, in grandioser Weise zum Abschluß bringen, was als Neues in Gemälden wie Carlo Crivellis Sebastian-Darstellung auf der Predelle des großen Altarbildes, Nr. 724 der Londoner National Gallery, nicht etwa bloß sich vorbereitet, sondern mit aller Entschie- denheit zum Ausdruck gelangt (den Andrea del Sarto nur zu nennen, ist entschieden auch zu wenig). Das zu schildern müßte man ein neues Buch schreiben, wozu die fleißige Sammlung des Rohmaterials, das Herr V. Hadeln im Anhang bringt, sicherlich manchen guten Dienst erweisen wird. Ich habe die Arbeit ausdrücklich eine »fleißige Sammlung des Materials« genannt und damit doch wohl genügend den »Katalog« ge- würdigt. Daß ich aber von dem Buche nicht so viel Aufhebens habe machen können wie der Verf., der »Entgegnung« nach zu schließen, gewünscht hätte, ist nicht meine Schuld. Fritz Burger.

Berichtigung.

Zur Besprechung des Buches R. Mühlke »Von nordischer Volkskunst« (Repertor. f. Kunstw. XXXI, Heft 3) teilt mir Herr Geh. Baurat Mühlke mit, daß das Nordertor in Flensburg noch nicht abgerissen wurde, daß vielmehr Aussicht zu seiner Erhaltung besteht. Raspe.

Bei der Redaktion eingegangene Werke:

Cornelius, Hans. Die Elementargesetze der bildenden Kunst. Grundlagen einer praktischen Ästhetik. Mit 240 Abb. im Text und 13 Tafeln. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner.

Endel, August. Die Schönheit der großen Stadt. Stuttgart, Strecker & Schröder. M. 1,60.

Hahr, August. Die Architektenfamilie Fahr. Eine für die Renaissancekunst Schlesiens, Mecklenburgs und Schwe- dens bedeutende Künstlerfamilie. Mit 46 Abb. im Text. Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 97. Straßburg, Heitz. M. 7.

Hess, Wilhelm. Johann Georg Nesstfell. E i n B ei trag z ur G e- schichte des Kunsthandwerkes . . . in den ehemaligen Hochstiften Würzburg und Bamberg. Mit I4 Abb. im Text und 13 Lichtdrucktafeln. Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 98. Straßburg, Heitz. M. 8.

Hildebrandt, Hans. Die Architektur bei Albrecht Altdorfer. Mit 23 Abb, auf 17 Lichtdrucktafeln. Studien zur deutschen Kunst- geschichte, Heft 99. Straßburg, Heitz. M. 8.

Jacobi, Franz. Studien zur Geschichte der bayerischen Mi- niatur des X I V. Ja h r h u n d e r ts. Mit 14 Abb. auf sieben Licht- drucktafeln. Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 102. Straß- burg, Heitz. M. 4.

Ozzola, Leandro. Vita e opere di Salvator Rosa pittore, poeta, incisore. Mit 41 Abb. auf 21 Tafeln. Zur Kunstge- schichte des Auslandes, Heft 60. Straßburg, Heitz.

Rothes, W^alter. Anfänge und Entwicklungsgänge der alt- umbrischen Malerschulen, insbesondere ihre Bezie- hungen zur frühsienesischen Kunst. Mit 46 Abb. auf 25 Lichtdrucktafeln. Zur Kunstgeschichte des Auslandes, Heft 61. Straß- burg, Heitz.

Schreiber, W. L., u. Paul Heitz. Die deutschen »Accipies« und Magister cum Discipulis-Holzschnitte als Hilfsmittel zur Inkunabel-Bestimmung. Mit 77 Abb. Studien zur deut- schen Kunstgeschichte, Heft 100. Straßburg, Heitz. M. 10.

Zimmermann, Ernst. Die Erfindung und Frühzeit des Meißner Porzellans. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Keramik. Mit einer Farbentafel und in Abb. im Text. Berlin, Georg Reimer. M. 20.

Kritische Studien zu Giorgione.

Von Georg Gronau.

(Schluß.)

So armselig die Zahl der Arbeiten ist, die man Giorgione selbst noch heute zuschreiben kann, so scheint sie dennoch auszureichen, eine deutliche und exakte Vorstellung seiner künstlerischen Formation zu gestatten. Es ist nicht zu bezweifeln, daß sich diese Arbeiten über seine ganze Laufbahn hin (war diese doch kurz genug bemessen!) ver- teilen, daß fast jedes seiner Schaffensjahre mit einem oder zwei Werken belegt ist, die Perioden sich präzise abzeichnen und doch auch wieder miteinander verbinden lassen. Man könnte etwa deren drei annehmen: die erste umfaßt die Jugendwerke bis zur Madonna von Castelfranco und der Judith einschließlich; die zweite zeigt die lyrischen Fähigkeiten des Künstlers in ihrer Vollendung; die letzte eröffnet den Ausblick auf neues dramatisches Streben, das nur durch drei Werke, doch mit Deutlichkeit hervortritt, und das, wer weiß zu welchen Höhen geführt haben würde, hätte das Schicksal nicht dem Vorwärtseilenden Halt geboten.

Bevor ich nun dazu übergehe, einiges über Bilder zu sagen, die man dem Giorgione m. E. fälschlich zuschreibt, soll die Frage wenigstens gestreift werden, deren Behandlung man an dieser Stelle billig erwarten darf: wem Giorgione seine künstlerische Erziehung zu verdanken hat. Sie ist deshalb so schwierig zu beantworten, weil die persönliche Eigenart in dieser Individualität so groß ist, daß sie sofort, in seinen ersten Ver- suchen schon, sich laut geltend macht und die fremden Einflüsse über- tönt. In dieser Hinsicht, in der Stärke der Begabung, gleicht Giorgione mehr dem Correggio, bei dem die eigene Art so viel stärker ist als die Elemente Mantegnascher oder Costascher Kunst, die er in sich aufnimmt, oder dem Michel Angelo, an dem man nichts von seinen Lehrern Bertoldo oder Ghirlandajo spürt, als etwa Raphael oder Tizian, den lange zwischen fremden Einflüssen Schwankenden. Jene scheinen wie Fertige ins Schaffen hineinzutreten, diese sich langsam erst auf ihre Individualität zu besinnen.

Was Giorgione in dem beschränkten Heimatsort an Kunst gesehen haben kann, sind höchstens versprengte Ausläufer bellinesker oder mura-

Repertorium fiir Kunstwissenschaft, XXXI.

35

504

Georg Gronau:

nesischer Kunst gewesen. Einige Bilder an öffentlichen Orten schreibt der Chronist Nadal Melchiori dem Giovanni Bellini zu; in der Kirche der Serviten befanden sich zwei Altarbilder des Andrea da Murano, das eine 1495 datiert, also möglicherweise zu einer Zeit dort aufgestellt, als Giorgione bereits in Venedig war.

Ist damals, etwa 1490 1495, oin begabter Knabe in die Haupt- stadt gekommen, so spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß er in das Atelier des Giovanni Bellini geführt worden ist. Denn es bot, von der Bedeutung des Meisters abgesehen, rein äußerlich die besten Chancen; diese Werkstatt hatte sich die namhaftesten Aufträge des Staats, der Kirche gesichert, und eine große Schülerzahl arbeitete nach den Kom- positionen des Meisters für den schwunghaften Handel mit Madonnen- bildern.

Trotzdem, muß man gestehen, ist der Einfluß Giovannis, den man in den Bildern Giorgiones mit dem Finger berühren kann, gering. Ich vermöchte kaum ein Detail anzugeben, als etwa gelegentlich die Hand- form mit dem abgespreizten kleinen Finger und das leuchtend warme Kolorit. Fast, möchte man behaupten, ist das Schulverhältnis eher durch das Reflexlicht, das Giorgiones Kunst auf die Art des alternden Bellini wirft (wie oft beachtet, z. B. an dem Altarbild von San Zaccaria), zu konstatieren.

Dahingegen scheint Giorgione durch einen anderen, jüngeren Mann starke Eindrücke erfahren zu haben, durch Victore Carpaccio. Gerade in den Jahren, in denen der Knabe zum Jüngling rei*'i, entstehen die ersten und schönsten Bilder dieses Meisters: 1495 beginnt er die Bilder aus dem Ursula-Cyklus. Mit dem Reiz des Gegenständlichen, der Liebenswürdigkeit des Erzählertones müssen sie auf einen Anfänger den stärksten Eindruck gemacht haben; diesen spiegeln die Erstlingswerke Giorgiones, die zwei Tafeln der Uffizien, deutlich wieder. Er sucht in der abwechselnden Fülle der Gestalten das Vorbild nachzuahmen; vielerlei geschieht; die fremdesten Gestalten treten, durcheinander gemischt und gehäuft, auf. Die Verwandtschaft wird noch deutlicher, geht man auf die einzelnen Figuren ein; die grazile Schlankheit, die etwas übertrieben ist, hat Giorgione bei Carpaccio gelernt. Mehr noch : er scheint geradezu Studienblätter- des Meisters gekannt zu haben. Auf Zeichnungen Car- paccios kommen Jünglingsfiguren vor (hierauf hat Berenson zuerst und allein aufmerksam gemacht), zu denen die Jünglinge mit den Schalen, die sie dem kleinen Moses hinreichen, auffallende stilistische Verwandt- schaft zeigen ^3).

Aber auch dieser Einfluß des Carpaccio verschwindet rasch und völlig; er ist auch nie so stark, daß er die Eigenart des Künstlers

^3) Vgl. Molmenti-Ludwig, Carpaccio. .S. 229 und 286.

Kritische Studien zu Giorgione.

505

irgendwie in Schatten stellte. Koloristisch vor allem hat Giorgione von jenem nichts angenommen.

Sein Hauptmeister war allezeit die Natur, in der er Neues im Kleinen und Großen erblickte. Die Eigenart, die er mitbrachte, zersetzte die fremden Einflüsse und prägte seinen Werken von vornherein ihren Stempel auf.

Über einige namhafte, dem Giorgione zugeschriebene Bilder.

Männliches Bildnis, im Besitz von Colonel Kemp. Früher in der Galerie Doetsch. Es stellt einen Mann um die vierziger Jahre dar in Halbfigur, der in der Hand einen Beutel fest gepackt hat und scharf seitlich auf den Beschauer blickt. Links ein Fenster, durch das man ein Stück von Venedig sieht. Von Berenson64) als Kopie nach Giorgione angesehen, neuerdings von Herbert Cook als Original. Eine hervorragende Leistung der Porträtmalerei, scharf charakterisierend; konzentrierte Wieder- gabe einer Shylocknatur, Zweifellos ein großartiges Bild, welches, wenn von Giorgione, uns neue Züge seiner rmchen Natur offenbart. Aber die Verschiedenheit von allem, was wir sonst von ihm kennen, verbietet mir vorläufig (ich kenne das Original nicht), ihn als Autor des Bildes an- zuerkennen ^5). XT 1

Allegorie; die Huldigung vor einem Dichter (?). London, National Gallery Nr. 1173. Von allen dem Meister fälschlich zugeschriebenen Bildern ihm am nächsten stehend, d. h. von einem Künstler, der jede Einzelheit dem Vorbild entlehnt. Faltengebung, Formbehandlung, Technik sind gioi- gionesk. Doch ist das Giorgioneske hierin, soweit es lern- und nach- ahmbar war; die natürlichen Fähigkeiten des Malers aber liegen unter Giorgiones Niveau. Sehr charakteristisch die schematische Locken- behandlung der Figuren (glatt anliegendes Haar etwa bis zum Ende des Schädelknochens, dann auf den Hals fallende gedrehte Metallocken); un- lebendig und, so zu sagen, über einen Leisten gemacht, ist das Busch- werk. Immerhin ist es ein interessantes Stück, aus Giorgiones unmittelbarer

Gefolgschaft.

Stehender Sankt Liberale. London, National Gallery Nr. 269. Kleine Wiederholung der Figur des Castelfranco-Bildes, mit einigen Ver- änderungen, deren wichtigste die ist, daß der Helm fehlt. Es hat mehrere Repliken dieser Figur gegeben: aus dem Grunde, weil ^man später darin das Bildnis des 1510 bei Ravenna gefallenen Gaston de Foix gesehen hat. So gab es eine große Kopie von Philippe de Cham-

64) Study and criticism of Italian art, I, S. 82.

65) Ich verweise hier auf ein stUistisch verwandtes Porträt, im Besitz von Frl. Petersen in Kopenhagen. Mir nur bekannt durch die Abbildung in Klassiker der Kunst, V. Rubens. 2. Aufl. 1906 S. 460,

35’

5o6

Georg Gronau:

paigne, ursprünglich für die Sammlung von Bildnissen berühmter Männer des Kardinals Richelieu gemalt, dann im Palais Royal, später aus der Galerie d’Orl^ans in den Besitz Lord CarJisle’s gekommen 66); eine Kopie von Bourdon verkaufte Jabach an den Duc de Liancourt6?); ein solches Bild erscheint bei der Vente du Prince de Conti 177768); auch in der Galerie Czartoryski ist ein solcher Gaston de Foix. Eines dieser Porträts des gefeierten jungen Helden ist vielleicht auch das Londoner Bild; ein gefälliges Werk von der Hand eines geschmackvollen Venezianers, wohl des sechzehnten Jahrhunderts.

Das Horoskop, in der Dresdener Galerie. Als Original von Giorgione wohl allgemein preisgegeben, von verschiedenen jedoch als Kopie eines veriorenen Bildes des Meisters angesehen 69). Tatsächlich eine Kompo- sition in seinem Geiste; selbst in der nicht erfreulichen, schweren Farbe und den schwachen Details erkennt man noch ein Werk aus der freudigsten Zeit venezianischer Malerei. Doch führen, glaube ich, die Formen auf einen geringeren Meister jener Epoche, dessen Bilder sehr oft die Ehre hatten, zu Giorgiones aufzurücken: auf Bernardino Licinio. Es müßte ein Jugendwerk des später akademisch schwachen Malers sein.

Zwei Cassonetafeln mit Szenen aus dem Mythus des Adonis, in der Galerie von Padua Nr. 416/7. Von Venturi7o) dem Giorgione zu- geschrieben, ebenso von Herbert Cook. Flüchtige, koloristisch sehr gefällige Arbeiten, wie sie ein geschickter »Cassoner« in Venedig an- fertigte, als Giorgiones Manier Mode war. Trotz der sehr pikanten Mache unter der Qualität des Meisters, von dem wir ja doch eigen- händige,^ zu dekorativem Zweck gefertigte Stücke besitzen, aus denen man ersieht, wie sorgsam er auch diese behandelte.

Zwei Tafeln mit mythologischen Gegenständen, davon eines Leda mit dem Schwan; ebenfalls in Padua, Nr. 42/371). Vielleicht dazu gehörig: Jugend und Alter, früher in Budapest (Phot. Braun 22714). Diese stehen dem Giorgione lungleich näher, als die zuvor genannten, wurden aber von Venturi übersehen und auch von Cook nur flüchtig gestreift. Es sind Werke eines Malers, der sich Giorgiones Technik sehr genau angesehen hat; sie ahmen diese getreulich und ängstlich nach. Dabei sind sie schwach in der Zeichnung. Die miniaturartige Behand- lung der Paduaner Bildchen - das Budapester Stück kenne ich nur in

66) Grav6 par Frangois Gaibert. S. Waagen, Künstler und Kunstwerke I, S. 501.

67) Nach den Aufzeichnungen de Briennes, Gaz. d. B.-Arts i. April 1905, S. 352. 6*) Ch. Blanc, Tresor de la Curiositd, I, S. 375.

69) So Morelli und neuerdings auch Frizzoni (Rassegna d’arte VII, 1907, S. 152). 7°) Archivio stör, delf arte VI, 1893, S. 412.

7*) Neuerdings von Alinari photographiert (Nr. 19454).

Kritische Studien zu Giorgione.

507

der Photographie erinnert mich stets an die Beschreibung von zwei kleinen Bildern, welche der Anonymus im Besitz von Bembo sah 7»), und die Kopien des Giulio Campagnola nach Giorgione und Diana waren. Auch die giorgionesken Elemente in seinen Stichen würden sehr gut zu diesen Werken passen. Da bisher aber kein sicheres Bild des vielseitigen Campagnola bekannt geworden ist, das als Vergleichsobjekt dienen könnte, so muß es bei dem Vorschlag sein Bewenden haben. Jedenfalls ver- dienen die genannten Bildchen mehr Aufmerksamkeit, als ihnen bisher geschenkt worden ist.

Die Ehebrecherin vor Christus; in der Galerie in Glasgow. Diese prächtige, ungemein farbenreiche Komposition muß frühzeitig einen großen Ruf besessen haben, da mehrere Wiederholungen mit Vari- anten — Vorkommen (Bergamo, Galerie Carrara Nr. 126; London, Sir Charles Turner, in diesen Tagen in Berlin verkauft; Venedig, Mr. Eugene Benson), von denen aber keine das Glasgower Bild erreicht. Von einem Meister, der Giorgione studiert hat, doch nicht unwesentlich später ist, als er und von ungleich derberer Anlage. In welche Periode Giorgiones sollte man das Bild wohl setzen? Wo fände man auch nur für eine der Typen in seinen Originalwerken die Parallelen 73)? In der venezianischen Provinz muß man den Maler des Glasgower Bildes suchen, das bei der Ausstellung in London (Winter Exhibition 1892/3) allgemein enttäuschte. Weder J. P. Richters Attribution » Campagnola «74), noch die Berensons75) »Sebastiane« kann ich akzeptieren. Indem ich vor einem so bedeutenden Stück, wie es das Glasgower Bild gewiß ist, freimütig meine Inkompetenz einräume, will ich mich damit trösten, daß es einem Kenner des siebzehnten Jahrhunderts angesichts eines anderen Exemplars nicht besser erging. Der Maler Livio Meus schrieb darüber an Giro Ferri (1672): »Ciascheduno . . . lo stimerä bonissimo quadro e si conosce benissimo che questo quadro ^ stato fatto nel medesimo tempo di quando fioriva la migliore scuola del colorito veneziano. E se prima al buio dubitavo del Palma vecchio, ora al lume l’escludo aifatto, e senza dubbio; poich^ il tocco del pennello, ed il forte colorito pare dello Schiavone; ma per l’altre particolaritä che ci trovo, piuttosto lo giudico di Giorgione; e se non d di Giorgione, lo stimo di Tiziano. Se non sarä giudicato originale, dico che non puö essere, se non stato

7*) S. 51.

73) Es ist etwa so, als wollte man noch heutigen Tages fortfahren, die Arbeiten des Cesare da Sesto Leonardo zuzuschreiben.

74) Kunstchronik vom 23. März 1893.

75) Florentine drawings, I, S. 233. Früher sprach sich Berenson bestimmt für Cariani aus.

go8 Georg Gronau:

copiato sotto i lor occhi, e che poi un de’ due maestri di lor propria mano 1’ abbiano rivisto, e passatovi sopra col lor pennello« ?6).

Das Urteil Salomos, im Besitz von Mr. Banks, Kingston Lacy, England (mir nur aus Abbildungen bekannt). Zu Ridolfis77) Zeiten in Casa Grimani di Santo Ermacora; Rumohr sah es bei dem Grafen Mare- scalchi in Bologna78). Eines der schönsten Bilder, die unter dem Ein- drücke Giorgionescher Kunst entstanden sind; die Komposition zeichnet sich durch klaren Aufbau und gute Verteilung der Figuren aus, die in ihren Empfindungen aufs deutlichste charakterisiert sind. Wer würde einen Moment zweifeln, welche der beiden Frauen die echte Mutter ist? Alles dieses zugestanden, muß man doch auch dieses Bild dem Giorgione absprechen. Allein die Proportionen der Köpfe reichen hin, hier einen anderen Künstler zu erkennen: diese gedrungenen Rundköpfe sind von den oval länglichen Köpfen des Meisters von Castelfranco doch ganz und gar verschieden. So kennen wir die Typen der Frauen nicht bei ihm und ebensowenig eine so bedeutende, gut durchgeführte Architektur. In dem Kreise derer, die Giorgione nahe gestanden haben, kann aber ernsthaft nur Sebastiano in Betracht kommen, dessen Hand Berenson in diesem Bild erkannt hat79). Sebastianos Anfänge liegen noch so gut wie völlig im Dunkeln. Seine Entwicklung beginnt erst gegen 1 5 lo für uns Klar- heit zu gewinnen, kurz bevor er nach Rom übersiedelt. Das Bild in San Giovanni Chrisostomo läßt sich wohl mit dem Urteil Salomos in Einklang bringen, ohne daß den Lehren des Augenscheins Gewalt getan wird. Beiläufig bemerkt rührt aus derselben Zeit Sebastianos die Gruppe von Federzeichnungen, meist Köpfe darstellend, her, welche man in ver- schiedenen Sammlungen unter Giorgiones Namen findet.

Wir lassen jetzt einige Gruppen von Bildern folgen, die je einem bestimmten Maler gehören.

Vincenzo Catena (?).

Anbetung der Hirten, London, Lord Allendale (früher Mr. Beau- mont*®). Gute, alte Wiederholung in der Galerie in Wien. Eine Zeich- nung zur Mittelgruppe, Pinsel auf blauem Papier, in Windsor.

Heilige Familie, London, Sammlung Benson.

Anbetung der Könige, London, National Gallery Nr. 1160. Früher Sammlung Miles in Leigh Court. Predellentafel.

76) Bottari, Raccolta di lettere, Rom 1757, II, S. 50.

77) S. 84.

7*) Italien. Forschungen III, S. 104.

79) S. o. Anm. 75.

80) Jetzt reproduziert in The Arundel Club Portfolio 1907.

Kritische Studien zu Giorgione.

509

Der enge Zusammenhang dieser drei Bilder ist auch von anderen beobachtet worden. Von Berenson werden alle dem Catena zugeschrieben, welcher, der etwas älteren Generation angehörend, doch von Giorgione so stark beeinflußt wird, daß Hauptbilder von ihm geradezu jenem zu- geschrieben worden sind, wie z. B. lange Zeit die Madonna mit dem anbetenden Ritter in der National Gallery. In der Tat ist der enge Zu- sammenhang der Gruppe mit einem Werk, wie etwa der Anbetung der Hirten im Besitz von Lord Brownlow*^) nicht zu bestreiten. Trotzdem habe ich das Gefühl, hier einem etwas verschiedenen Temperament, einem Angehörigen der jüngeren Generation gegenüberzustehen. Er ist ein zierlicher, eleganter Künstler, der auswählenden Geschmack besitzt; große Stücke aber würden ihm bei seiner Veranlagung nicht gelingen. Ein solches größeres Stück, glaube ich, hängt in der venezianischen Akademie, eine Madonna mit Heiligen in Halbfiguren (Nr. 70; Photo Anderson Nr. 12920). Hier sieht man neben Verwandtschaft der Formen, Farben, Gewandbehandlung, wie ungleich schwächer sich seine Gaben präsentieren. Man darf die Gruppe nicht allzu früh ansetzen: das Jahr 1500, das öfter genannt worden, ist zu früh gegriffen, wie schon das Landschaftliche in diesen Bildern beweist.

Es ist in diesem Zusammenhang von sekundärer Bedeutung, daß sich der Name des Künstlers der genannten drei Bilder nicht mit un- bedingter Gewißheit feststellen läßt. Sie bilden zusammen eine Gruppe, und in welche Periode in Giorgiones Laufbahn sollte diese wohl gehören?

Palma vecchio.

Bildnisse des Francesco Querini und der Paola Priuli, Gattin des Vorhergenannten; beide in der Galerie des Familienpalastes zu Venedig. Das weibliche Bildnis in unvollendetem Zustande.

Ein dem männlichen Porträt wesensverwandtes Stück gehört der Berliner Galerie an (Nr. 174). Man müßte auch dieses somit unbedingt Giorgione zuschreiben. Höchst charakteristisch für Palma ist die etwas breite, sozusagen gequetschte Form der Gesichter, dann die knochenlosen, fleischigen Hände: diese Schwächen bei wunderbar weicher, verschmol- zener, ambrafarbener Malerei. Die Anordnung des Porträts, die Behand- lung des Hintergrundes finden in echten Werken Giorgiones keine Parallele; wohl aber darf man zum Beweise für Palmas Autorschaft noch gewisse Stifterporträts auf den wohlbekannten Palmaschen Sante Conversazioni heranziehen: ich führe hier namentlich das glänzende Stück in der Neapler Galerie an.

>) Abb. Berenson, Study and criticism I, S. 132.

Georg Gronau:

510

Diejenigen aber, die für die zwei Bildnisse der Querini an Giorgione als Maler festhalten, verkennen nicht nur deren doch unschwer heraus- lesende stilistische Eigenschaften, sie lassen auch außer acht, daß sie unanfechtbar zeitgenössisch beglaubigt sind. Palma vecchio scheint von der Familie Querini besonders bevorzugt worden zu sein; das Inventar seines Nachlasses gibt darüber Aufschluß. In diesem finden sich denn auch unsere beiden Bildnisse aufgeführt* *^).

Bildnis eines vornehmen Mannes, London, National Gallery Nr. 636. Früher irrtümlich als ein Bildnis Ariosts angesehen. Es mag nicht leicht gewesen sein, den Urheber des Bildes zu bestimmen; nun aber Crowe und Cavalcaselle seit langem den richtigen Namen, den des Palma,^ genannt hatten, begreift man schwer, daß nicht jeder dieser Zuschreibung zustimmt. Denn es ist ja hier alles typisch für die Art des Bergamasken. Als Anordnung der Gestalt im Bildraum, als Arrangement ist es das männliche Gegenstück zu dem Frauenbildnis in Berlin (Nr. 197 A). Die etwas weichliche, idealisierende Art, die schöne Pose, der unvergleichliche Schmelz der Malerei (worin Palma fast der erste Rang in Venedig gebührt) sind ebenso typisch für diesen, wie sie von der Art jedwedes andern der zeitgenössischen Maler abweichen. Wie primitiv fast präsentieren sich Giorgiones Bildnisse neben diesem Glanzstück dekorativen Geschmacks!

Nun ist neuerdings noch ein männliches Bildnis durch Herbert Cook bekannt gemacht worden (Sammlung R. Benson, London) *3); man darf es wie einen Bruder jenes andern betrachten, so groß ist die Ähn- lichkeit, in der sich eben die Eigenart eines Künstlers ausspricht: die über das Individuelle des Darzustellenden hinausgehende, sie frei behan- delnde Stilisierung und die bildmäßige Anordnung.

Tizian.

Daß die Gruppe der Bilder, die dem Giorgione zugeschrieben worden sind, dagegen seinem begabtesten Altersgefährten angehören, be- sonders groß ist, darf nicht verwundern: denn der Einfluß des rascher sich Entwickelnden hat vorübergehend die Eigenart Tizians nahezu erstickt.

Männliches Bildnis, früher Ariost genannt, in der National Gallery in London. 1639 in der Galerie des Alfonso Lopez in Amsterdam, später in Cobham Hall. Bei keinem Bilde dieser Gruppe ist die neuerlich lebhaft verteidigte Zuschreibung an Giorgione so begreiflich, wie bei diesem. Ein Vergleieh mit dem Christus in San Rocco zeigt schlagende

**) Jetzt bei Ludwig, im Beiheft z. Jahrb. d. preuß. Kunstslgn. XXIV, 1903» S. 77 und 79.

*3) L’Arte IX, 1906, S. 144.

Kritische Studien zu Giorgione.

5”

Gemeinschaft der künstlerischen Intention: und doch, wie es mir vorkommt, feine Unterschiede, die man nicht übersehen kann. Namentlich die Form der Augen (hier rundlicher, , bei Giorgione stets auffallend mandelförmig) und das runde Abgrenzen der Stirn gegen das Haar (statt des spitzen Verlaufens zum Scheitel) weisen auf einen andern, genauer auf diesen andern, Tizian, hin. Auch scheint mir in dem ungemein glücklichen Arrangement sich eine andere Künstlerindividualität zu verraten, die eben schon einen Schritt über Giorgione hinaustut. Würden schon diese Unterschiede die Wagschale zugunsten Tizians beeinflussen, so muß die Inschrift an der Brüstung (trotz des Pentimentes TV) für diesen den Ausschlag geben. Die schönen Kapitalbuchstaben sind echt und alt, das ist nicht zu bestreiten; durch den Stich von R. Persyn wird bewiesen, daß die Signatur schon 1639 darauf zu lesen war.

Herbert Cook bestreitet dieses nicht; er geht sogar noch weiter: wir hätten hier, meint er, jenes Bildnis eines jungen Barbarigo vor uns, von dem Vasari spricht*4), und bei dem er ausdrücklich hervorhebt, daß man es für ein Werk Giorgiones halten würde, wenn Tizian nicht auf dem dunkeln Hintergründe (in ombra) seinen Namen angebracht hätte. Daraus sieht man, argumentiert Cook, daß wir eine sehr alte Fälschung vor uns haben: schon zu Vasaris Zeiten stand der Name darauf; dieser ließ sich dadurch täuschen und sah ein echtes Werk Giorgiones für ein solches von Tizian an.

Hier scheint mir, methodisch gesprochen, ein bedenkliches Ver- fahren eingeschlagen. Vasari hat jenes Bildnis doch nur bei den Bar- barigos selbst sehen können, oder er hat von einem anderen, der es dort in Augenschein genommen, die Nachricht erhalten, wenn nicht gar Tizian selbst sein Gewährsmann gewesen ist. Und die Barbarigos der auf jenem Bild dargestellte war vielleicht selbst noch am Leben sollen nicht gewußt haben, wie sich die Geschichte verhielt? Nein: wenn wir so argumentieren wollen, wie es Herbert Cook hier tut, dann läßt sich eben alles beweisen und alles abstreiten; dann dürfen wir keinem unserer Quellenschriftsteller mehr Glauben schenken.

Überdies kann aber das Londoner Bild jenes, das Vasari im Auge hatte, nicht sein. Denn hier wurde man dadurch getäuscht, daß einem die Inschrift zunächst entging ; sie war auf den Hintergrund gemalt (was ja überaus häufig ist; manchmal sind solche Inschriften in der Tat kaum zu erkennen); das beweist Vasaris Ausdrucksweise. Hätte die Überraschung, die er ausdrückt, wohl irgend welchen Sinn gehabt, wenn das erste, worauf, wie bei dem Londoner Bild, des Beschauers Auge

*4) In der Biographie Tizians; VII, S. 428. Ich glaube nicht, daß man Vasaris Worte anders interpretieren kann, als es oben geschieht.

512

Georg Gronau:

fällt, die Inschrift mit Tizians Namen ist? Vasari hätte unbedingt sagen müssen: wenn Tizians Namen nicht ,in sul parapetto' zu lesen war. So ist denn dieser Beweis nicht stichhaltig.

Der Fall steht demnach so, daß wir hier ein Bildnis vor uns haben, das sowohl dem Giorgione, wie auch dem Tizian angehören könnte. Die stilistische Untersuchung spricht eher für den letzteren; die Inschrift gibt unbedingt für ihn den Ausschlag. Es liegt kein, nicht der geringste Grund vor, eine andere Entscheidung zu treffen* *5).

Weibliches Bildnis, genannt die ,Slavonierin‘, in der Sammlung Crespi in Mailand. Bereits im 17. Jahrhundert, wo es den Martinengos gehörte, als Tizians Werk bekannt*^).

Herbert Cook führt aus, daß wir in diesem Bildnis jenes Porträt der Catharina Cornaro zu erkennen haben, welches Vasari im Besitz des Giorgio Cornaro gesehen hat. Man kann prinzipiell nicht bestreiten, daß Giorgione jene berühmte Frau gemalt haben kann; liegt doch Asolo, der ihr von der venezianischen Signorie zugewiesene Herrensitz, nur wenige Meilen von Castelfranco entfernt, und treffen wir doch im Hofdienst bei der Ex-Königin jenen Tuzio Costanzo an, der Giorgiones Gönner war*7). Nur arrangiert Cook die Dinge so, wie sie ihm bequem liegen, unterläßt es aber, die Gegenprobe vorzunehmen. Ihm dient als Vergleichsobjekt für die Feststellung der Persönlichkeit eine Büste in der Sammlung des Grafen Pourtal^s, die doch auch nur auf die Cornaro getauft worden ist**): und selbst Büste und Bild stellen nicht unbedingt sicher die gleiche Persönlichkeit dar. Aber Catarina Cornaro war im Jahr 1500, als Giorgione sie frühestens gemalt haben könnte, bereits sechsundvierzig Jahre alt; unser Bildnis muß dem Stil nach nun noch etwa acht bis zehn Jahre später fallen und stellt doch eine Frau von höchstens dreißig Jahren vor. Wie die echte Cornaro aussah, lehren uns ihre beiden authentischen Bildnisse von Gentile Bellini: sie war fett, das Fleisch welk, die Züge häßlich und verschwommen; in keinem Zug ist auch nur die leiseste Übereinstimmung mit unserem Porträt zu entdecken. Soll endlich die eitle Frau, die in ihren Briefen sich als »giä regina di Cipro« unterschreibt, sich im schlichten Kleid ohne Schmuck haben malen

*5) Man vergleiche hier die Äußerungen anderer englischer Forscher über das Bild: von Claude Phillips in The Art Journal N. Ser. 44, 1905, S. i; von Roger Fry in Burlington Magazine Nr. XX, Nov. 1904, S. 137 (vgl. ebendort Nr. XXIII, Febr. 1905, S. 412).

*6) Venturi, Galleria Crespi in Milano, 1900, S. i32flf.

*7) Sanuto, Diarii I, 765.

**) Jahrbuch d. preuß. Kunstslgn. IV, 1883, S. 143. Nach dem Datum der Büste 1505 müßte die Dargestellte über fünfzig Jahre sein!

Kritische Studien zu Giorgione.

513

lassen? Sie, die auf den Bildnissen Gentiles mit Perlen- und Goldketten behängen ist, und das Krönchen auf dem Haupt trägt? Nimmermehr.

Ist also dieser Identitätsbeweis als mißglückt anzusehen, so können wir dazu übergehen, das Bild selbst weiter zu befragen. Es gehört in jene Periode, in der Tizian ganz giorgionesk malt: daher man wohl schwanken kann über die Zuteilung. Nun gibt es aber bei Tizian die naheliegend- sten Vergleichsstücke: einmal die Frau auf dem einen Paduaner Fresko von 1511 (also ziemlich genau der Zeit, der unser Porträt angehören muß) Antonius läßt das Kind , für seine Mutter zeugen ; absolut schlagend aber ist, das hat allein Monneret' de Villard erkannt, jene schöne Schwarzkreidezeichnung der Uffizien, die, könnte man annehmen, nach dem gleichen Modell gefertigt worden ist *9). Man vergleiche nur einen Augenblick Kinnpartie, die Linie des kurzen, vollen Halses, den Schulteransatz; man darf hier von Identität sprechen. Und diese Zeich- nung führt uns unbedingt in den Formen zu gleichzeitigen Madonnen Tizians; abgesehen davon, daß sie die freie Handschrift dieses Meisters, keinen Augenblick verkennbar, zeigt.

Fügt man schließlich hinzu, daß die Inschrift, die nach neuerer Untersuchung TIT. V. zu lesen ist, nach Cavenaghis Angabe unbedingt authentisch ist9°), so schließt sich der Kreis völlig: das Bild der Galerie Crespi ist eine Arbeit aus Tizians am meisten giorgionesker Periode, um 1510—1512.

Adolfo Venturi hat dies sei noch im Vorbeigehen angemerkt das Bildnis dem Bernardino Licinio zugeschrieben. Die Bilder, die er zum Vergleich heranzieht, beweisen jeder kann sich leicht davon überzeugen evident, daß das Gegenteil des Behaupteten richtig ist, und daß Licinio der Maler dieses Bildnisses nicht sein kann.

Sibylle, im Besitz des Cavaliere Sorio in Marostica (bei Treviso)9°a) Dieses schöne Bild haben Crowe und Cavalcaselle unter den Werken des Giorgione aufgeführt; die neuere Literatur hat es übergangen. Es muß eine gefeierte Komposition gewesen sein, da Repliken (der Beschreibung nach) existiert haben. Ridolfi kannte ein solches Bild im Besitz des Gio. Battista Sanuto9*). In der Galerie Giustiniani war ebenfalls eine solche Sibylle 9a). Sie ist sozusagen eine Schwester jener Frau in Mtin-

*9) Abb. in seiner Monographie (Bergamo 1904), S. 48. Er schreibt sie eben- falls, und ganz logisch, dem Giorgione zu.

9°) Vgl. Rassegna d’arte I, 1901, S. 41.

9°a) Eine ungenügende lithographische Reproduktion findet man in der kleinen Schrift von Fr. Zanotto, La Sibilla Delfica quadro di G. Barbarelli. Venedig, 1856.

90 S. 83.

9O C. P. Landen, Annales du Musee. Galerie Giustiniani. Paris 1812. PI. 61, 4.

514

Georg Gronau:

eben, die als Vanitas von Tizian dargestellt ist; auch diese trug früher Giorgiones Namen. Allein die stilisierte Handform mit dem weit aus- einander gespreizten Zeige- und Mittelfinger ist für die frühe Periode Tizians typisch, worüber an anderer Stelle von mir der Beweis erbracht worden ist.

Novellenszene; eine ohnmächtige Frau in den Armen eines Mannes; im Hintergründe eine männliche Figur. Exemplare in Buckingham Pa- lace93) und in Casa Buonarotti in Florenz (mir ist nur dieses letztere bekannt). Es ist ein typisches Beispiel für das, was die spätere Zeit, als mangels der Kenntnis der sicheren Werke Giorgiones seine Konturen an Schärfe verloren, sich unter seiner Kunst vorstellte. Doch geht das Bild formal evident über ihn hinaus; er hat solche Typen nicht malen können. Auf Tizian führt die ganz charakteristische Gewandbehandlung, besonders bei dem Ärmel der Frau, für die man in gleichzeitigen Ma- donnen Tizians die Analoga leicht findet. Das reiche, volle Bauschen prächtiger Stoffe hat Giorgione so noch nicht gemalt.

Männliches Bildnis, im Besitz der Hon. Mrs. Meynell Ingram, Temple Newsam, England (mir nur in der Reproduktion bekannt). Dieses höchst ansprechende, lebendige Bild zeigt wieder sehr charakteristisch die nächste Stufe der Porträtauffassung, die auf Giorgione folgte. Ar- rangement im Ganzen, wie Formengebung im Einzelnen (Augen, Falten!) weichen von den Bildnissen jenes ebenso ab, wie sie schlagend mit zwei anderen Bildnissen übereinstimmen: dem s. g. Parma der Wiener Galerie und dem »Boccaccio-Alessandro de’ Medici« in Hampton-Court. Hier hat die gleiche Individualität stilisierend das Modell behandelt; so verschieden die Dargestellten an und tür sich sind, so gemeinsam ist die Porträtauf- fassung bei allen dreien. Man unterziehe die Zeichnung der Wangenlinie, die Stellung der Nase zu ihr, die Verkürzung des Mundes einer sorg- fältig vergleichenden Betrachtung. In Tizians Werk findet man auf dem schon genannten Paduaner Fresko eine Analogie zum »Parma«: in jene Periode von Tizians Schaffen gehören die drei Bildnisse (oder nur wenig später), das Jünglingsbildnis in Temple Newsam wohl als frühestes der Reihe.

Das Konzert, im Palazzo Pitti. Von Kardinal Leopoldo de’ Medici 1652 mit der Galerie des Paolo del Sera in Venedig erworben; schon damals als Giorgione berühmt94). Zuerst von Morelli auf Tizian be-

93) Jetzt allgemein zugänglich durch die schöne Reproduktion im Burlington Magazine IX, Nr. 38, May 1906, S. 71. Ridolfi S. 153 führt die Komposition unter den Arbeiten Tizians auf. Das Buckingham-Palace-Bild ist weder von Giorgione, noch von Tizian.

94) Von Ridolfi S, 81 und Boschini (Carta del navegar S. 364) als solcher beschrieben.

Kritische Studien zu Giorgione.

515

Stimmt, dessen Attribution von den meisten Forschern akzeptiert worden ist. Ein ziemlich breiter Streifen ist oben wahrscheinlich schon im 17. Jahrhundert angestückt; bei dieser Gelegenheit wurde der Federbusch des Jünglings etwas vergrößert.

Nach meinem, stets sich erneuernden Eindruck kann das Bild nicht in einern Zuge gemalt worden sein. Es hat ältere, fast altertümliche, und wesentlich jüngere Bestandteile. Das Früheste ist der primitive Jünglingskopf, der ganz giorgionesk und zwar wie die Frühbilder des Meisters ist; der Augustiner in der Mitte ist tizianisch und zwar um 1512 1515, so wie wir Tizian in zwei Bildnissen des Louvre kennen; der. andere Mönch hält zwischen beiden die Mitte, steht etwas näher zu dem Jünglingskopf.

In Erkennung solcher Verschiedenheit ist in Künstlerkreisen wohl geäußert worden, jener Kopf der linken Ecke habe nicht ursprünglich dazu gehört, sei eine spätere Zutat. Dem widerspricht der Stil, welcher im Gegenteil hier altertümlich ist; außerdem muß die Komposition von vornherein auf die drei Figuren angelegt gewesen sein, denn der Um- stand, daß der sitzende Mönch in der Mitte in derselben Scheitelhöhe wie seine Begleiter, dargestellt ist, ist nur aus dem bewußt angewandten Prinzip der Isokephalie zu erklären.

Was die Hauptfigur anlangt, so kann für denjenigen, der tizianische Technik sorgfältig studiert und genau im Kopfe hat, kein Zweifel bestehen: es ist Tizians Hand, die so modelliert, die so die Lichter gesetzt hat. Und derselbe hat auch an dem Kopf des älteren Geistlichen gearbeitet; auf ihn gehen gewisse letzte Drucker zurück, sind aber auf einen älteren Bestandteil aufgesetzt. Technisch ist wiederum der Jünglingskopf das früheste und wenigst bedeutende Stück.

Es verhält sich m. E. mit diesem Bilde demnach so, daß eine früher angelegte, in einigen Teilen vollendete Komposition nicht un- wesentlich später wieder vorgenommen und beendet wurde. Ich halte es für ebenso möglich, daß Tizian hier, wie in andern Fällen, ein von Giorgione (doch in dessen früheren Jahren) angefangenes Stück fertig gemacht hat, als daß er ein von ihm selbst herrührendes Jugendwerk aus irgend einem Grunde noch einmal vornahm. Zu einem definitiven Urteil zu gelangen, wird hier wohl dauernd versagt bleiben: bis auf die eine Tatsache, daß der zentrale Kopf, der den Ruhm des Bildes bedeutet, Tizians und keines anderen Werk ist95).

95) Dieses Bild hat in neuerer Zeit vielfache Kritik erfahren. S. Schmerber, Helbings Monatsberichte III, 1903, S. 200. Freiherr von Hadeln, Sitzungsberichte der kunstgesch. Gesellschaft IX, 1907, S. 52; V. Wallerstein, Süddeutsche Monatshefte IV, 12, Dezember 1907, S. 686. P. Schubring (Sitzungsber. d. kunstgesch. Gesellschaft VlIL,

Georg Gronau:

516

Exkurs über die Stoffe bei Giorgione.

In einem vor 13 Jahren erschienenen Aufsatz »Giorgiones Bilder zu römischen Heldengedichten« hat Franz Wickhoif für mehrere der ge- feiertsten Darstellungen venezianischer Malerei diejenigen antiken Schrift- quellen nachzuweisen gesucht, aus denen Giorgione und Tizian die An- regung hergenommen hätten 9^).

Nicht ohne verwunderte Ausrufe ist es dabei abgegangen, gerichtet an diejenigen »Kunstfreunde, denen es gar nicht in den Sinn kommt zu fragen, wie sich der Geist des Künstlers zu den Stoffen stellt, die er darstellen wollte, wie er die Stoffe in sich verarbeitet, bezwingt und von seiner Individualität neu gemodelt dem Beschauer vor Augen bringt«.

Vor kurzem ist Wickhoff auf diese Frage zurückgekommen97) und hat es als »Schusterästhetik« verworfen, wenn man sich um den Stoff eines Kunstwerks scheinbar nicht bekümmert und die künstlerischen Probleme anderswo sucht. Er bezeichnet eine solche Auffassung als durchaus modern und hält es für unwissenschaftlich, sie mit der alten, in seinem Sinne realistischen Kunst zu verknüpfen. Böcklin wird dafür verantwortlich gemacht, in das schöne Idyll einer Kunst, die sich an be- stimmte, klar bezeichnete Stoffe hielt, Unklarheit und Unbestimmtheit gebracht zu haben: ein Ritter, der durch eine Landschaft reitet usw., das würde den Alten ebenso fern gelegen haben, wie es den modernen Engländern und Franzosen fern läge.

Die Deutungen, die Wickhoff vorschlägt, passen freilich niemals ganz genau zu den Bildern. »Wenn wir Figur für Figur in diesem Bilde Evander und Aeneas interpretieren wollten, sagt er, .... würden wir von seinem Inhalt nur weiter abgeführt werden; denn Giorgione hat Virgil nicht gelesen, und dem Manne, der dieses Bild bestellt hatte, brauchte, was es bedeute, nicht breit ausgedeutscht zu werden.« Und ebenso gibt er bei dem Bild von Adrastus und Hypsipyle zu: »wieder nicht ein genauer Anschluß an die Worte des Dichters, sondern was dieser zu poetischer Wirkung gestaltet hatte, zuerst in ihre Komponenten aufgelöst, und diese dann .... zu bildartiger Wirkung in einer Stimmungs- landschaft vereinigt«.

In dieser Weise sind, nach Wickhoffs Ansicht, Giorgiones Idyllen- bilder und verwandte Schöpfungen entstanden. Eine antike Legende befruchtet die Phantasie des Künstlers, der ihr die malerisch und formal verwertbaren Elemente entnimmt und diese ausgestaltet.

1907, S. 45) findet hier das Porträt des Johannes Spinelus, Erfinders des nach ihm ge- nannten Instruments.

96) Jahrb. d. preuß. Kunstslgn. XVII, 1895, S. 34.

97) Kunstgesch. Anzeigen, I, 1904, S. 115.

Kritische Studien zu Giorgione.

517

Diese Theorie halte ich für bis zu einem gewissen Grade nach- weisbar falsch.

Unser Hauptzeuge für die venezianische Kunst, der Anonymus des Morelli, aller Wahrscheinlichkeit nach der Patrizier Marc Antonio Michiel, mag uns belehren.

Dessen Aufzeichnungen können doch nur entweder vor den Bildern selber oder unter dem unmittelbaren Eindruck der eben gesehenen ent- standen sein. Würde nicht die einfache Überlegung es uns sagen müssen, daß Michiel die in den Privathäusern befindlichen Kunstschätze nur unter Führung der Besitzer habe kennen lernen können, so müßten uns zahl- reiche bestimmte Angaben, die er macht, darauf bringen: so, wenn er von älteren Porträts weiß, wen sie darstellen, oder angibt, wo ein Stück erworben wurde, oder, daß ein Bild von dem einen Meister begonnen, von einem anderen vollendet worden. Solche Angaben erhäl man nur von dem kundigen Besitzer, der die Stücke ^mm Ahnen vermacht erhielt, sie im Handel oder vom Künstler selbst erwarb.

Sollen wir nun wirklich annehmen, wo doch Michiel in vielen Fällen den mythologischen Gegenstand beicim’^t bezeichnet, daß er das heißt also auch : sein Gewährsmann, der Besitzer in anderen Fällen nicht gewußt hat, was dort an der Wand hing? Würden mehrere Gene- rationen vorübergegangen sein, so konnte sich die Überlieferung verwischt haben; aber drei oder vier Lustren nach dem Tod des Meisters, von dem die Bilder herrührten? Das ist völlig unglaublich.

In dem einen Fall hat Wickhoff, es muß wenigstens kurz bemerkt werden, um seine Annahme zu stützen, ein kleines Fechterkunststück gebraucht. »Im Hause des Messer Taddeo Contarini sah .... Michiel, sagt er, zwei Bilder Giorgiones, die eine große Gouachemalerei des Savoldo98) . . . rechts und links flankierten«; rechts wäre das Bild, jetzt in Wien, zu sehen gewesen; »der Gegenstand des ersten links war nicht zu verkennen; es stellte die Unterwelt mit Aeneas und Anchises dar«.

Michiel hat nur ganz ausnahmsweise Angaben beigegeben, an welchem Platze sich Bilder befanden. Bei seinen Aufzeichnungen über die Bilder Contarinis ist nicht die Spur eines solchen Hinweises; kein Mensch wüßte jetzt zu sagen, ob die Werke, die er aufführt, auch nur in einem Raum gehangen haben.

In diesem speziellen Fall aber .läßt es sich wahrscheinlich machen, daß jene Bilder Giorgiones keine Gegenstücke waren. Von dem Bilde des Romanino, sowie dem Unterweltsbild des Giorgione sagt Michiel ausdrücklich »la tela grande«, und vielleicht waren diese zwei Bilder

9*) lies: Romaninos.

Georg Gronau:

518

denn wirklich ungeiähre Gegenstücke. Dagegen sagt er von jenem anderen Giorgionebild »la tela a oglio delli tre Filosofi« usw., und eben dieses Darüberhinweggehen beweist, es war ein Bild mittlerer Größe (wie es wirklich das Wiener Bild ist); kein Bild großen Formates, wie das sog. Pendant,

Damit aber wird eine Voraussetzung für Wickhoffs Deutung hin- fällig. —

Die »Geometer« und das Bild im Palazzo Giovanelli sind aber durchaus nicht die einzigen Werke, bei denen Michiel den Gegenstand nicht anzugeben gewußt hat. Von den vierzehn Bildere von oder nach Giorgione, von denen er spricht (ich lasse die späteren Zusätze zum Anonymus fort), waren vier Heiligenbilder, eines ein Porträt, von den übrigen hat er drei Mythologien ihrem Gegenstand nach bezeichnet; die sechs übrigen aber sind: der Kopf des Knaben, der einen Pfeil in der Hand hält, die drei Philosophen in der Landschaft, der bewaffnete Soldat, Kopf eines Hirten, in der Hand eine Frucht, Knabe mit einem Pfeil und die Landschaft mit dem Sturm, der Zigeunerin und dem Soldaten.

Es ist also nicht eine vereinzelte Erscheinung, die man durch un- genügende Kenntnis Michiels erklären könnte; vielmehr war die Mehrzahl der Bilder Giorgiones, soweit sie nicht heilige Stoffe behandelten, von jener Mlgemeinen LFnbestimmtheit, aus der Wickhofif Böcklin einen Vor- wurf macht. Wenn aber die Besitzer jener Bilder, wir dürfen gewiß vor- aussetzen, die ersten Besitzer, sich damit begnügten, an der Wand die Landschaft mit den Philosophen, einen Knaben mit Pfeil oder Apfel oder die Landschaft mit Soldaten und Zigeunerin hängen zu haben könnte es uns dann nicht auch genug sein?

Diese Beobachtung beschränkt sich durchaus nicht auf Giorgione Ein Teil der Bilder Palmas, die Michiel anführt, sind mit keinem mytho- logischen Namen bestimmt bezeichnet. Das berühmte Dresdener Bild war »el quadro delle tre donne retratte dal naturale insino al cinto«, kein Familienporträt, keine sonst bestimmt charakterisierten Frauen, sondern ein reines Existenzbild. Ein anderes Bild desselben Palma stellte eine Junge und eine Alte dar, wieder ein anderes eine »Ninfa«. Bei Andrea Odoni hing, von Savoldo gemalt, »la Nuda grande destesa« ; später hätte man es Venus genannt und diesen Namen würde es auch gegenwärtig führen, wie denn Tizians, für Herzog Guidobaldo gemaltes Bild von dem Käufer nur als >^donna nuda« bezeichnet wird und erst seit dem siebzehnten Jahrhundert als »Venus« erscheint.

Von dieser unbestimmten Art, was den Stoff a'nlangt, waren denn auch die Fresken Giorgiones am Fondaco. Vasari versichert uns, er habe ihren Inhalt nicht verstanden, und kein Mensch in Venedig habe

Kritische Studien zu Giorgione.

519

sie ihm deuten können. Sie stellten eben nicht, wie man dergleichen Aufgaben in Rom z. B. würde behandelt haben, einen Gegenstand der antiken oder neueren Geschichte dar; es w'tien vielmehr »nur« schön gemalte Gestalten über die Felder hin verteilt’; Bew«güngsmotive, farbige Anordnung dem gegebenen Raum angepaßt. Der fundamentale Unter- schied zwischen der venezianischen Malerei und der Malerei im übrigen Italien tritt gerade hier greifbar hervor: es ist der zwischen illustrativer und dekorativer Kunst.

Dem gleichen Geist entsprangen Schöpfungen, wie Giorgiones » Concert champetre«, von Herbert Cook so glücklich als » Pastoralsym- phonie « bezeichnet, und jene zahlreichen Halbfigurenbilder Tizians, des Bordone, Palmas und anderer, die man »Konzert« oder »Lebensalter« oder wie sonst bezeichnen mag, deren künstlerischer Zweck aber einzig und allein war, schöne Gebilde in gefälligen Posen auf einer Tafel zu vereinigen, ohne daß der Maler von einem antiken Schriftsteller sich die Rechtfertigung herholte. Solange Bilder dieser Art es ist eine ganze Gruppe nicht anders zu fassen sind, wie als Existenzbilder, und die Frage nach dem Stofflichen hier als müßig erscheinen wird, wird man sich auch berechtigt halten dürfen, es bei Michiels Erläuterungen der Giorgioneschen Bilder bewenden zu lassen.

Wohl wäre es erfreulich, hätten wir ein direktes und einwandfreies literarisches Zeugnis sonst, die Richtigkeit der vorgetragenen Ansicht zu erhärten. Aber es liegt im Charakter unserer besten Quellen, der Dokumente, daß sie fast immer nur die äußeren Momente, unter denen ein Kunstwerk entstand, festgehalten haben, die inneren dagegen ver- schweigen. Nie erfahren wir in dieser Zeit etwas vom Verhältnis des Künstlers zur Natur, von den Momenten, die seine Phantasie befruchten, nie etwas von seinem künstlerischen Streben, den Zielen, die er sich steckt. Bei Giorgione wissen wir vielleicht noch einiges weniger, als bei anderen.

Aber ein besonders glücklicher Zufall hat uns aus der gleichen Zeit und demselben Milieu ein paar verstreute Bemerkungen aufbewahrt, den Meister betreffend, der damals noch unbestritten als das Haupt der vene- zianischen Schule galt99). Isabella d’ Este begehrte zu den Bildern, die Mantegna für ihr Studiolo gemalt hatte, nun auch ein Werk seines berühmten Schwagers zu besitzen. Nach ihrer Gewohnheit wurde das Thema (la storia), wohl, wie in anderen Fällen, nach einem im wesent-

99) Man findet die im folgenden erwähnten Dokumente namentlich bei Braghirolli, Archivio Veneto XIII, P. II, 1877, S. 37ofif. und bei Cian im Giomale storico d. lette- ratura italiana IX, 1887, S. 103 flf. Einzelne Stücke bei Gaye II, S. 76 und d’Arcc II, S. 60.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

36

520

Georg Gronau:

liehen gelehrten Programm ausgearbeitet, dem Meister zugesandt. Giovanni Bellini übernahm zwar die Aufgabe zunächst, machte aber bald allerhand Ausflüchte. Man könnte nicht sagen, wie ungern er sie macht, schreibt der Korrespondent im Juni iSoi: »Dise che in questa istoria non pole fare chosa che stia bene non che abia del buon, e falla tanto male volentieri quanto dir si posi. « Er gibt daher den Rat, dem Maler Frei- heit in der Wahl des Stoffes zu lassen. Die Marchesa erklärt sich damit einverstanden, macht aber eine Einschränkung: »pur chel dipinga qualche historia o fabula antiqua aut de sua inventione ne finga una che repre- senti cosa antiqua et de bello significato «. Eine »bella fantasiä« wird ihr denn auch versprochen, aber das Werk rückt nicht vom Fleck. Ein Jahr später enthüllt der Korrespondent der Fürstin das Geheimnis: »lui non b omo per fare istorie, e ne da la parola de fare, ma non fa niente«. Er hatte deshalb einen ihm befreundeten Poeten um einen leichten Stoff gebeten, aber auch der schien nicht zuzusagen. Endlich entschloß sich Bellini, der auf das angezahlte Geld nicht verzichten mochte, eine »fanta- sia a suo modo« zu malen: es war das alte Thema der »Anbetung des Kindes mit Heiligen «, und die Phantasie des Schöpfers beschränkte sich auf die Ausgestaltung der landschaftlichen Ferne.

Aber Isabella gab sich noch nicht zufrieden, und als sie einst der ihr und dem Maler nahe stehende Pietro Bembo besucht und im Studiolo die bereits fertigen » antikischen « Bilder gesehen hatte, beauftragte sie den Prälaten mit der Erfindung eines Gemäldes : » di fare una inventione a modo suo, che satisfatia al Bellino .... et di vario et elegante si- ficato«. Darauf antwortet Bembo am ii. Januar 1506 in äußerst charakteristischer Weise: »La invenzione che mi scrive V. S. che io

truovi al disegno, bisognerä che 1’ accomodi alla fantasia di lui che 1ha da fare: il quäle ha piacere che molto signati termini non si diano al suo Stile, USO come dice di sempre vagare a sua voglia nelle pitture che quanto ä in lui possano sodisfare a chi le mira. « Trotzdem hier alle Bedingungen erfüllt schienen, daß des Meisters Wünsche respektiert würden, ist das von Isabella begehrte Werk nie gemalt worden.

Ziehen wir die Schlüsse aus diesen Briefen, so finden wir hier einen Künstler ganz im modernen Sinn schaffen; er will seine Freiheit, nicht die Einzwängung seiner natürlichen Anlagen in die literarischen Vorschriften der vornehmen Bestellerin. Er erweist sich hier in unserem Sinn mehr als Künstler, wie die anderen, die sich der Isabella fügten: Mantegna, Costa und Perugino; und wer könnte angesichts der gequälten Bilder des Studio, jetzt im Louvre, bestreiten, daß er recht gehabt hat?

Es begegnet uns hier zum erstenmal nachweislich ein neues Ele- ment in der Geschichte des künstlerischen Schaffens, eines der wesent-

Kritische Studien zu Giorgione.

521

liebsten und fruchtbarsten, die es gegeben hat, und die jenes im Lauf der Jahrhunderte völlig transformiert haben. In der Umgebung dieses Mannes war Giorgione aufgewachsen, bei dem nach allem, was wir aus seinen Werken herauslesen, das persönliche Wollen sich leidenschaftlich dokumentierte. Wenn bei irgend einem, so müssen wir bei ihm voraus- setzen, daß seine Werke völlig aus seinem Innern herausgeboren wurden. Wohl möglich, ja wahrscheinlich ist, daß ihm die Fabeln der Alten bekannt waren, eher vielleicht durch illustrierte Bücher oder Erzählungen klassisch Belesener, als durch eigene Lektüre; wie alles, was seiner An- lage gemäß war, befruchteten sie seine Phantasie; aber das Verhältnis ist nach meiner Auffassung nicht notwendig so, daß er bewußt daran ging, eine bestimmte Fabel illustrieren zu wollen; er tat es nur gelegentlich und wohl namentlich bei dekorativem Zweck bestimmten Bildern (»Apoll und Daphne«, »Tod der Eurydice «). In den meisten Fällen und gerade bei den wichtigsten Bildern scheint der Natureindruck das Mächtige und Entscheidende zu sein; die Figuren sind wie ein Akzessorium, wie die Träger des Stimmungsgehaltes jenes.

Diese Fragen lassen sich natürlich nicht schlüssig erweisen. Nehmen wir aber zusammen, daß erstens Wickhoffs Deutungen in keinem Falle überzeugende Kraft besitzen, daß zweitens die von ihm erklärten Bilder von einem hochgebildeten Zeitgenossen Giorgiones anders gefaßt wurden, daß zu dritt der größte venezianische Maler der älteren Generation schon das Recht der eigenen Phantasie geltend macht, so werden wir uns berechtigt halten dürfen, auch Giorgiones Bilder zum Teil als freie Phantasieschöpfungen zu betrachten.

Und nur wenn wir dies tun, wird es uns möglich zu begreifen, warum Giorgione in Venedig so bewundert worden ist, warum man so eifrig nach seinen Bildern begehrte, und warum Vasari ihn an den An- fang einer neuen Epoche der Kunst neben Leonardo und Correggio gestellt hat. Die Zahl seiner Bilder war gering; die öffentlichen Arbeiten beschränkten sich fast auf die Fondacofresken, das meiste waren Stücke kleinen Formates; nichts also, was an und für sich diese fast sofort erkannte Schätzung begreiflich machte: um so weniger, als die Technik noch wesentlich die des Bellini-Ateliers bleibt, obschon Giorgione neue koloristische Feinheiten hat, auf die kein anderer vor ihm verfallen war. Nur weil er die intime Natur seinen Zeitgenossen enthüllte und in der eigensten poetischen Auffassung diese und die Menschen verband, galt er dem eigenen Geschlecht und der Nachwelt als Bahnbrecher. Giorgiones Auftreten bedeutet den Sieg der künstlerischen Phantasie im modernen Sinn.

36*

Beziehungen Donatellos zur altchristlichen Kunst.

Von Mela Escherich.

(Mit drei Textabbildungen.)

Bei Donatello ist es charakteristisch, wie beständig antike und christliche Kunstanschauung Zusammentreffen. Sie gelangen dabei zu keinem Widerstreit, sondern zu einer engen Vereinigung, und es ist eine der reizvollsten Aufgaben beim Studium Donatellos, diese fortwährenden Umarmungen und Lösungen klassischen und christlichen Wesens zu beob- achten. Sie bilden im Werk des Meisters keine Entwicklungsphase, sondern eine dauernde Erscheinung, weshalb sie auch gerade in seiner reifsten Zeit am stärksten auftreten. Man denke an das Verkündigungs- tabernakel in San Croce. Mit ihm stehen wir so recht vor dem Typus der Quattrocentokunst, der eben in der Mischung von Antike und Mittel- alter besteht. Diese Mischungen haben ihre ungleichen Gradstärken. Beispiele davon finden wir in zwei Hauptwerken des Meisters, in der Domkanzel von Prato und der Florentiner Domcantarina.

Die Idee zu den beiden Werken entstand, wie ich im folgenden nachzuweiseh versuchen möchte, 1432/33 in Rom, und zwar in den Kata- komben.

Die Katakomben waren damals verlassene Räume, für die sich nie- mand interessierte. Das Augenmerk der Zeit richtete sich auf die Trümmer des Cäsarenprunkes; aber es scheint doch wohl, daß der Entdeckertrieb des Künstlers Donatello in diese einsamen, vergessenen Kultstätten geführt.

Er fand hier Werke einer großen Spätzeit. Er sah den sogenannten konstantinischen Sarkophag (Abb. i), sah jenen des Junius Bassus (Abb. 2), Werke des vornehmen kunstfrohen Roms des IV. Jahr- hunderts, in denen die klassische Kunst langsam ausflutet. Werke des Verfalls, aber eines großzügigen Verfalls, in dessen sich lösende Gesetz- mäßigkeit ein neuer Geist mit einem neuen Rhythmus einzudringen sucht. Wie bedeutsam mußte diese Sprache für den sinnend davorstehenden Quattrocentisten sein! Die Frucht solcher Wanderungen war die Klärung des Verhältnisses zwischen Renaissance und Antike.

Wenn wir mit den beiden ebengenannten Sarkophagen die Kanzel - brüstung des Domes von Prato und die Florentiner Domcantarina

Beziehungen Donatellos zur altchristliclien Kunst.

523

vergleichen, so drängt sich uns unabweisbar die Vermutung auf, daß Donatello die Sarkophage gekannt und eingehend studiert hat. Die Idee der Szenengliederung durch Säulen ist keine altchristliche. Sie war auf römischen Sarkophagen allgemein und dürfte in ihrem Ursprung wohl auf die Triglyphengliederung des dorischen Frieses zurückführen. Aber neu mußte .sie auf Donatello wirken als Rahmen der Heilsgeschichte. Gleichsam ihn aufmerksam machend, daß diese uralte Form wunderbar geeignet sei. Neues darin zu verkünden. Auf dem konstantinischen Sarko- phag sehen wir in durch Säulen abgeteilten Szenen von je zwei nur im Mittelbilde drei Figuren eine Verherrlichung des Osteropfers wieder- gegeben. Christus thronend auf der in Halbfigur dargestellten Erde, zu den Seiten' Apostel und Prophetenpaare, die äußersten Gruppen: Abraham den Sohn opfernd und Pilatus, sich die Hände waschend. Auf dem

Abb. I.

Sarkophag des Bassus erscheinen in zwei Reihen Bilder aus dem alten Testament, der Passion und Apostelgeschichte. Es scheint, daß schon diese frühchristlichen Künstler den epischen Gehalt der christlichen Stoffe erfaßten und so durch die in Kapitel leicht gegliederte und dennoch fortlaufende Erzählungsform der Säulenreliefs den Grund zu jener Darstellungsweise legten, die wir im späten Mittelalter in der deutschen Tafelmalerei eine so bedeutende Rolle spielen sehen. Hier tritt an Stelle der Säulen und des gelegentlich angewendeten Archi- travs das geschnitzte gotische Gehäuse. Wie unmittelbar sich die Gotik mit dem antiken Motiv auch zeitlich berührt, sehen wir in der kölnischen Kunst, wo sich das architektonische Tafelbild (Clarenaltar) aus dem Schema der Reliquienschreine entwickelt, jenem Zweig der lokalen Email- kunst, in dem sich bis zu seinem Ende die klassische Formensprache erhielt und wo wir gerade das Motiv der Säulengliederung häufig haben.

524

Mela Escherich;

Donatello wußte natürlich nichts von der deutschen Altarmalerei, die zu seiner Zeit die Reihenerzählung schon ziemlich entwickelt hatte. Wäre ihm der Clarenaltar bekannt gewesen, so hätte es ihn gewiß über- rascht, hier dasselbe Schema der doppelten Bilderreihe zu finden wie auf dem Sarkophag des Bassus! Aber auch für den Italiener haben die alt- christlichen Reliefs etwas, was eine Beziehung zuließ zwischen ihrer und seiner Zeit. Brauchen wir die Neigung zur Rahmenerzählung doch nicht bloß in der deutschen Malerei zu suchen. Gleichzeitig und wenig früher schon findet sie sich in der italienischen Novelle.

Donatello kam gewiß auch diese Beziehung zu seiner Zeit nicht

ins Bewußtsein. Kaum wird er den Faden von den konstantinischen Grabdenkmälern zu Boccaccio gefunden haben. Wir aber dürfen die parallelen Erscheinungen des Mittelalters in Kunst und Literatur wohl als Grundlagen herbeiziehen, auf denen Donatello das Motiv weiterführte.

Was ihn an dem konstantinischen Sarkophag zunächst künstlerisch reizte, war das Heraustreten und -greifen der Personen aus der Fluchtlinie des Reliefs. Der altchristliche Künstler führt seine Figuren gleichsam vor den Szenenraum. Er läßt sie zwischen den Säulen herausgehen und mit den Händen um diese herumgreifen. Vielleicht gaben ihm, wie den mittel- alterlichen Künstlern die Mysterienspiele, theatralische Aufführungen die Anregung dazu. Jedenfalls hat die naturalistische Art, wie er sich an dem Problem versucht, etwas Dekadentes. Donatello nun faßte mit der

Beziehungen Donatellos zur altchristlichen Kunst.

525

reicheren Rhythmik des Quattrocentisten und Florentiners das Motiv sofort streng stilistisch auf. Die erste Frucht des neuen Eindrucks ist das kleine Tabernakel in St. Peter in der Capelia della Sagrestia dei Beneficiati. Statt der Säulen sehen wir Pilaster, um die sich Putten gruppieren, die neugierig in die Szene hineinblicken. Das Herumtreten und -greifen ist bei Donatello schon ein Drängen geworden. Aber der der rohe Naturalismus des Vorbildes löste sich hier in strengster Gesetz- mäßigkeit, die sogleich zu neuen Ergebnissen führt. »An die Pilaster schmiegen sich die jugendlichen Leiber fast in der vollen Körperlichkeit bewegten Lebens, und die Art, wie sie sich dabei mit ihren Flügeln in und um die Ecken drängen, steigert auch die Raumwirkung des architektonischen Gehäuses. Dabei bleibt das Ganze trotz der Formenfülle ein echtes Reliefbild mit feiner Abstufung von ganz vollen zu ganz flachen Formen: ein mustergültiges Beispiel dafür, wie weit der Plastiker gehen darf, ohne die Grenzen seiner Kunst zu überschreiten und sich in die Banalitäten ,lebender Bilder' zu verlieren. « (A. G. Meyer, Donatellomonographie.)

Im Mai 1433 kehrt Donatello nach Florenz zurück, und schon im Juli erhält er von der Dombaubehörde den Auftrag, die eine Sänger- tribüne mit Reliefs zu schmücken. Die Sarkophage liegen ihm noch im Sinn. Aber nun kommt er auf die Idee, das Motiv umzukehren, die Figuren hinter den Säulen herumzuführen. Dadurch ergibt sich nun wieder ein neues Resultat. Die einzelnen Gruppen fließen in eine einzige zusammen. Ein Schema, dem das Motiv des Reigens aufs anmutigste zu Hilfe kommt. Und als nun im folgenden Jahre ein ähnlicher Auftrag an den Meister ergeht, die Ausführung der Kanzel am Dom zu Prato, da faßt Donatello das Motiv wieder variierend. Er löst die Kette der tanzenden Putten auf, fügt wieder Gruppen für sich, streng voneinander geschieden durch Pilaster. So stellt er, dankbar verratend, woher die Idee stamme, die alte Ordnung wieder her; aber freilich nur, um zu zeigen, wie mächtig er sie mit neuem Leben zu füllen wußte. Die Glie- derung hindert uns nicht den ganzen Kinderzug als ein fortlaufendes Motiv zu empfinden. »Die Doppelpilaster .... sind nur die Pausen zwischen den Strophen eines einzigen Liedes«. (Meyer.) Ein mächtiger Fortschritt gegenüber der Reliefkunst des altchristlichen Meisters!

Im folgenden Jahrzehnt sehen wir Donatello noch einmal eingehend mit dem Motiv der vor die Front gerückten Figur beschäftigt, in den 1446 48 entstandenen vier Reliefdarstellungen aus der Legende des hl. Antonius am Hochaltar in Padua. Aber nun hat das Motiv eine völlige Umwertung erfahren. Der Meister, stets schon mit perspek- tivischen Lösungen beschäftigt, komponiert jetzt alles in die Tiefe hinein.

Mela Escherich:

526

So bringt er die um die Mauern und Pilaster drängenden Gestalten in eine Flächenlinie mit den übrigen, indem er die Mauern und Pilaster etwas zurücksetzt. Jetzt erst dürfen wir den » Einfluß « von den Sarko- phagen als völlig verarbeitet und in Donatellos Kunst aufgegangen be- trachten.

Ein letztes Mal begegnen wir dann noch dem Motiv in dem Altars- werk, den Reliefs für die Bronzekanzeln in San Lorenzo, wo, völlig außer der Szene, Figuren vor den Eckpilastern angeordnet sind. In seiner besten Zeit hätte der Meister das nicht getan. Hier löst sich eben schon die plastische Kraft, die ein halbes Jahrhundert die Welt in Staunen gesetzt..

Abb. 3.

Wir müssen uns nun fragen : ist es berechtigt anzunehmen, daß Donatello diese Anregungen gerade aus den Katakomben holte? Gab es nicht auch im übrigen Rom genug klassische Kunst, wo sich vielleicht dieselben Motive boten? Daß das Motiv der Säulengliederung sich nicht selten auf antiken Sarkophagen findet, ist bekannt; aber wir haben keinen bestimmten Anhaltspunkt, ob und wann Donatello solche Sarkophage sah. Das damalige Rom erfreute sich noch nicht des Denkmalschutzes, den es unter Julius II. und Leo X. genoß, und es blieb dem Zufall überlassen, was einsame, die Trümmer durchstöbernde Künstler auffanden. Von den Katakombenbesuchen dagegen haben wir einen bestimmten Beweis in einem Putto der Domkanzel von Prato, der sich als eine teilweise Kopie einer Relieffigur aus den Katakomben ergibt. Es handelt sich um eine Agape, ebenfalls aus dem 4. Jahrhundert stammend, vielleicht

Beziehungen Donatellos zur altchristlichen Kunst,

527

das Abendmahl in Emmaus darstellend. (Abb. 3.) Auf dieser erscheint links ein nackter Putto. Vergleichen wir ihn mit dem zweiten Putto auf dem an die Westfront stoßenden Relief der Domkanzel, so sehen wir, daß hier Parallelen herrschen, die doch wohl keine zufälligen sind. Donatello hat zwar die Stellung der Arme und des Kopfes verändert und dem Körper ein langes durchsichtiges Gewand übergeworfen, aber die Mo- dellierung des Körpers und die eigenartige Stellung der Beine weist unmittelbar auf den Agapenputto. Donatello ging aber auch hier um- bildend vorwärts. Er mochte nicht sklavisch kopieren. Nahm nur An- regungen. So läßt er seinen Putto das rechte Füßchen in der Sohle ein wenig heben, spreizt auch das linke Bein etwas auswärts, mit einem Wort, zwingt die ganze Gestalt energisch in seinen Rhythmus, der ein stürmisch brausender ist, während das Vorbild nicht über eine gewisse Plumpheit hinauskommt. In diesem Putto haben wir vielleicht den Schlüssel zu der ganzen Idee des Puttenreigens. Donatello fand die heitere Gestalt in der ernsten Umgebung der Katakomben. Heimgekehrt von solchen Wanderungen, verband sich ihm in einer Ideenassoziation das lachende Kind mit dem architektonischen Motiv der Sarkophage und im frohen Gegenspiel zu den ernsten Gesamteindrücken der »Roma sotterranea« schuf seine Künstlerkraft jene unvergleichlichen Werke, die der Inbegriff befreiter Freude und schäumenden Lebensübermutes sind.

Eine Madonnenstatuette des Veit Stoß im South Kensington Museum.

Von Hermann Voss.

(Mit I Abbildung.)

Die nebenstehend abgebildete Madonna wird vom Katalog des South Kensington Museums so beschrieben:

Box wood; the Virgin holding the Infant Saviour in her arms, and placing her foot upon the crescent moon. In the style of Martin Schon- gauer. H. in.

Ich glaube nicht, daß der Hinweis auf Schongauer etwas Richtiges trifft. Die etwaigen Ähnlichkeiten sind nur ganz allgemeiner Art; der Gewandwurf aber ist ein durchaus anderer, er ist knitteriger und un- ruhiger. Auch fragt man sich vergebens, in welchem Verhältnis der Stecher und Maler zu einem Schnitzwerke stehen könnte.

Wenn ich die außerordentlich fein durchgeführte, technisch voll- endete Statuette vielmehr dem Veit Stoß zuweisen möchte, könnte dem eigentlich nur das Format entgegengestellt werden: der Meister hat so feine, zierliche Püppchen kaum geschnitzt. Höchstens die von Daun publizierten Reliefs im Bayerischen Nationalmuseum bieten Verwandtes. Dafür zeigt aber der künstlerische Stil bis in jede Einzelheit die Eigen- tümlichkeiten des Nürnberger Meisters. Der Madonnentypus mit der enormen Stirn, der nach unten zugespitzten Kopfform, den geschlitzten Augen, dem lächelnden Mündchen und dem vorspringenden Kinn gleicht jenem der Madonna vom Stoßhaus, die jetzt im Germanischen Museum auf bewahrt wird; an die gleiche Statue gemahnt die technische Behand- lung der Haare, Haltung und Typus des Kindes sowie die ausgeschwun- gene Linie des Körpers Mariä und die hierzu gestimmte Neigung ihres Kopfes. Da die Nürnberger Statue ein monumentales Werk ist, sind diese Ähnlichkeiten nur noch um so beweisender.

Zur Drapierung des Mantels bieten ein paar spätere Arbeiten des Künstlers besonders schlagende Analogien, so die Maria der Sebalder Kreuzigungsgruppe, der s. Z. von mir publizierte h. Rochus in der Annun- ziata zu Florenz u. a. m. Die Faltenmotive des rechten Ärmels der Maria

Veit Stoß, Madonnenstatuette, London, South Kennington Museum.

530

Hermann Voss: Eine Madonnenstatuette des Veit Stoß usw.

und ihre große, langfingerige Hand sind weitere charakteristische Stoß- sche Motive.

Das »Werk« des Nürnberger Meisters, sp reich es jetzt nach der monumentalen Seite hin erscheint, hat wohl für die kleineren Arbeiten noch manche Lücken aufzuweisen jedenfalls ist das, was bisher an solchen Dingen bekannt wurde, noch nicht sehr ansehnlich : die hier veröffentlichte Madonnenstatuette vertritt nicht nur eine bisher unbekannte Gattung in Stoß’ Oeuvre, sondern läßt auf weitere derartige Arbeiten hoffen. Zumal in der letzten Periode seines Schaffens, in der auch unsere Figur offenbar entstanden ist, mag der Meister sich der Kleinplastik zugewandt haben; und es ist keine Frage, daß die glatte, saubere Behandlungsweise dieser letzten Zeit des Künstlers vor allem den Skulpturen kleineren Formates zugute gekommen ist. Die hervor- ragende Qualität der Londoner Statuette legt ein beredtes Zeugnis dafür ab.

Bemerkungen zu den Münchener Rembrandtzeichnungen.

Von Fritz Saxl.

Schon seit längerer Zeit beschäftigt sich die Rembrandtforschung mit der Echtheitsfrage der Münchener Zeichnungen. Dennoch fehlt es leider heute noch an ausreichenden Vorarbeiten zu diesem schwierigen Thema. Selbst über die Provenienz dieser so merkwürdig großen Sammlung von Handzeichnungen Rembrandts sind wir nicht unter- richtet. Und doch wäre dies gerade hier ganz besonders notwendig. Wir haben nämlich in München unter dem Namen des Meisters fünferlei Zeichnungen vor uns: i. Echte Rembrandtzeichnungen, 2. Von fremder Hand übergangene oder ergänzte, 3. Falsifikate, 4. Schüler- arbeiten und 5. Werke anderer Meister. Ein großer Teil ist von späterer Hand falsch bezeichnet, und zwar sowohl zweifellos echte als zweifellos falsche Zeichnungen. Wer aber war der Mann, der dies getan, wie kam diese Unmenge von Zeichnungen Rembrandts in Wittelbachschen- Besitz? Das sind Fragen, auf die heute zu antworten infolge des Mangels von archivalischen Vorarbeiten noch nicht möglich ist. Hofstede de Groot hat in seinem kritischen Katalog der Handzeichnungen Rembrandts von den fünf Münchener Mappen etwa zwei als echt aufgenommen, aber auch von diesen beiden Mappen bezeichnet er noch immer eine stattliche Anzahl von Blättern als zweifelhaft.

Die Bemerkungen, die hier folgen, sollen nur ein kleiner Beitrag sein zur Echtheitsfrage der Münchener Rembrandtzeichnungen. Es sind Bemerkungen, die sich mir beim Studium aufdrängten und die für eine genaue Durchforschung der Frage vielleicht manchen Anhaltspunkt bieten dürften.

Zu Hdg. 364. Jakob und der blutige Rock. Merkwürdigerweise ist eine bis ins Detail gehende schwarze Kreide-Vorzeichnung durchzu- sehen. Ganz versteckt an der Kiste im Vordergrund ist eine sonderbare Signatur R R angebracht, allerdings in anderer Technik als das übrige Blatt.

Zu Hdg. 365. Die Frau des Potiphar verklagt Joseph bei ihrem Gatten. Das Blatt ist wohl wie Inv. 1426 (siehe die Bemerkung zu Hdg. 380) nur eine Fälschung nach einem Original Rembrandts.

532

Fritz Saxl:

Zu Hdg. 366. Joseph und seine Brüder. Von diesem Blatt kann man fast jede Figur in beglaubigten Werken Rembrandts nachweisen. Der Reiter links kehrt häufig wieder z. B. in Lippm. 173b, in B. 98, die Stellung des Reiters mit dem Mann davor, nur im Gegensinn, könnte aus B. 40 direkt herauskopiert sein, die beiden rechts knienden Gestalten sind offenbar aus einer Zeichnung »Manoah und sein Weib« genommen, der links zu Boden Geworfene erinnert stark an B. 40, der links mit dem Rücken gegen den Beschauer Gewendete stammt wohl aus B. 94 usw. Die Komposition erinnert im ganzen an Blätter wie B. 67. Wieder- holungen im solchen Maße finden wir bei Rembrandt meines Wissens nie^). Vielleicht haben wir hier eine Zeichnung Salomon Könincks vor uns. Vergleiche das »Urteil Salomons« im British Museum.

Zu Hdg. 368. Der bejahrte David, auf der Harfe spielend. Gehört offenbar in die Zeit von Lippm. 144 und 194, als Rembrandt sich mit dem David-Thema beschäftigte. Um 1655.

Zu Hdg. 370. Ein eingeschlafener Greis (der alte Tobias?). Aus der Zeit des zweiten Tobias-Zyklus. Um 1655.

Zu Hdg. 373. Die Verkündigung an die Hirten. Vergleiche meine Bemerkungen zu Lippm. Hdg. 89 im 3. Heft des Repertoriums 1908.

Zu Hdg. 376. Die Beschneidung. Zeigt auffallende Ähnlichkeit mit Lippm. 19, das wiederum in sehr vielen Punkten mit der frühen Radierung B. 48 übereinstimmt; so finden sich in beiden Blättern der lange Mantel des Hohenpriesters, der links Kniende, über der Haupt- gruppe ein stehender Mann usw. Lippm. 19 dürfte jedoch bedeutend später anzusetzen sein, als B. 48; ebenso die Münchener Zeichnung. Ganz anders komponiert ist z. B. Wrmn. 294. (Kat. Hdg. 211).

Zu Hdg. 377. Die Beschneidung. In Verbindung zu bringen mit der »Beschneidung« in Althorp House (Bode VII. 5 1 8) von 1661. Dafür spricht, daß sowohl auf dem Gemälde als auch auf der Zeichnung die Figuren wenn auch in etwas anderer Weise sehr klar pyramiden- förmig angeordnet sind. Um i66o.

Zu Hdg. 378. Die Darstellung im Tempel. In Verbindung zu bringen mit B. 49, vielleicht ein erster Entwurf dazu; so stimmt die Gestalt der Maria schon ganz mit der der Radierung überein. Auf Lippm. 184 kehrt der Simeon genau so wieder, wie auf unserer Zeich- nung. Um 1639.

Zu Hdg. 380. Die Anbetung der Könige. Wenn man dieses Blatt mit Inv. 1426 (Die Anbetung der Könige) vergleicht, offenbar einer

*) Das einzige Werk, wo dies der Fall ist, ist die nicht ganz gesicherte »Rück - kehr des verlorenen Sohnes« in der Eremitage (Bode VII, 533).

Bemerkungen zu den Münchener Rembrandtzeichnungen.

533

Kopie nach unserem Blatt, so wird es sehr wahrscheinlich, daß wir hier ein Original Rembrandts vor uns haben.

Zu Hdg. 381, Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Der stehende Mann erinnert sehr stark an den stehenden Mann auf B, 64 (nur im Gegensinn); überhaupt dürfte das Ganze von einem Schüler Rembrandts oder einem Fälscher sein, dem B. 64 vorlag, und der mit, dem Stil der Hand- zeichnungen des Meisters vertraut war. Wohl von demselben Zeichner ist Hdg. 385 und Inv. 1633.

Zu Hdg. 384. Gruppe von neun stehenden Schriitgelehrten und die Ehebrecherin. Genaue Kopie nach der Gruppe rechts von Christus auf dem Gemälde »Christus und die Ehebrecherin« in London. Daß das Blatt nur Kopie ist und nicht ein Entwurf von Rembrandts Hand, das beweisen die »Säcke«, die als angedeutete Menschen hingestellt sind. Solche »Säcke« finden sich bei Rembrandt nicht.

Zu Hdg. 385. Christus bei Maria und Martha. Meines Wissens wurden noch nie Schriftzüge neben Christus (A?) bemerkt, die, ebenso wie die meisten anderen gefälschten Signaturen der Münchener Rem- brandtzeichnungen, in demselben Material und derselben Technik wie das übrige Blatt angebracht ist. Was dieses »A« zu bedeuten hat, ist ganz unklar. Siehe auch die Bemerkung zu Hdg. 381.

Zu Hdg. 393. Der auferstandene Christus erscheint den Jüngern. In Verbindung zu bringen mit Lippm. Hdg. 75. Siehe meine Be- merkung zu diesem Blatte im 4. Heft des Repertoriums 1908. Um 1640.

Zu Hdg. 395. Die Taufe des Kämmerers. Das Pferd ist in der- selben Technik wie das sehr zweifelhafte Blatt 507, möglicherweise sind beide Blätter von einem Nachahmer in Anlehnung an B. 98 gefälscht.

Zu Hdg. 397. Der Tod der Maria (?). Von H. de Groot irrtümlich als »Tod der Maria« bezeichnet. Offenbar ist die »Geburt Mariae« illustriert. Im Bett liegt die Wöchnerin, rechts hält eine Frau das neu- geborene Kind. Möglicherweise sollte das Blatt später zu einem »Tode der Maria« umgearbeit werden. Ein ähnlicher Vorgang ist bei Lippm. 102 zu beobachten.

Zu Hdg. 401. Frau mit Schleier auf dem Kopf. Die Gestalt ist sehr ähnlich der Frau des Potiphar auf dem sehr zweifelhaften Blatt Hdg. 365. Siehe die Bemerkung zu diesem Blatt. Wohl von demselben Fälscher.

Zu Hdg. 404. Junges Mädchen lesend. Offenbar ist von diesem Blatt nur die Gestalt echt. Totenkopf und Kruzifix, die auch mit anderer Tinte gezeichnet sind, stammen von anderer Hand.

Zu Hdg. 406. Szene in der Unterwelt. Zeigt ganz den Stil Pieter Lastmanns, wie er sich uns z. B. in dem Nachstich des Carl

534

Fritz Saxl:

Ludwig Stieglitz nach einer Zeichnung I.astmanns zeigt. Offenbar war das Münchener Blatt Vorzeichnung zu einem Stich, da der vorschreitende Mann statt der rechten die linke Hand vorstreckt. Auch das Sujet ge- hört dem Kreise Lastmanns an.

Zu Hdg. 417. Junge Frau im Bett. (Saskia). Nach dem Aus- sehen Saskias wohl erst um 1641, nicht 1636, wie H. de Groot angibt. Auch bei diesem Blatt scheint wie bei Hdg. 404 und 497 nur die Figur eigenhändig zu sein. Die Schraffierung rechts ist schwerlich Original.

Zu Hdg. 418. Junge Frau im Bett. Es ist wohl kaum möglich, mit H. de Groot in der Dargestellten Saskia zu erblicken. Auf keinem der von ihr erhaltenen Bilder hat sie eine so ausgesprochen klobige Nase wie hier.

Zu Hdg. 420. Männliche Halbfigur. Entweder ein Entwurf von Rembrandt selbst zu B. 270 oder eine Kopie von fremder Hand nach einem solchen.

Zu Hdg. 431. Sitzender Rabbiner. Das Blatt ist wohl von einem Schüler Rembrandts, etwa Ferdinand Bol.

Zu Hdg. 434. Knabe, mit langen Locken, barhaupt. Ein Bildnis des Titus. Vergleiche Lippm. 183. Um 1652.

Zu Hdg. 440. Gefangener an einen Pfahl gebunden. Kopie nach Hdg. 804; daher hat die Bezeichnung des Blattes zu lauten: Frau an einem Galgen hängend.

Zu Hdg. 443. Frau mit großer Haube. Dieses Blatt, Hdg. 444 und 458 sind Studien nach derselben Person, alle drei aber kaum von Rembrandt. Hdg. 443 und 444 dürften einmal ein Blatt gebildet haben.

Zu Hdg. 444. Siehe die Bemerkung zu dem vorhergehenden Blatt.

Zu Hdg. 450. Sitzende Gestalt. Dieselbe Person wie Hdg. 472. Daher muß auch dieses Blatt als »zweifelhaft« bezeichnet werden, wenn man mit H. de Groot Hdg. 450 so bezeichnet.

Zu Hdg. 459. Frau (?) in langem Kleid. Ein ganz ähnliches Blatt ist Hdg. 230. Reproduziert bei Wrmn. Nr. 310.

Zu Hdg. 472. Mann in Vorderansicht, mit breitkrämpigem Hut. Siehe die Bemerkung zu Hdg. 450.

Zu Hdg. 475. Zwei stehende Männer. Die Darstellung gehört in den Kreis des Stechers von B. 108, vielleicht F. Böl.

Zu Hdg. 478. Zwei vorwärts schreitende Priester. Dem Stil nach in Verbindung zu bringen mit dem »David vor Saul die Harfe spielend« in Frankfurt (Bode I. 46). Um 1630.

Zu Hdg. 489. Zwei Studien eines Kindes. Dieses Blatt ist zweifellos echt. Dasselbe Kind findet sich auf Hdg. 490. Diese Kinder- zeichnungen dürften dagegen von einem Fälscher stammen, dem Hdg.

Bemerkungen zu den Münchener Rembrandtzeichnungen.

535

489 vorlag. Sie bringen immerfort denselben Kopf wie Hdg. 489, nur viel schwächer und zaghafter, die einzelnen Köpfe sind dann durch geistloses Gekritzel verbunden. Möglicherweise sind auch hier die Köpfe echt, das Gekritzel sowie die Hand links oben, was auch mit anderer Tinte gezeichnet ist, sicher gefälscht.

Zu Hdg. 490. Vier Studien eines Wickelkindes. Siehe die Be- merkung zu dem vorhergehenden Blatt.

Zu Hdg. 494. Gruppe von acht Personen. Auch bei diesem Blatt sieht man, ebenso wie bei Hdg. 364, eine Vorzeichnung mit schwarzer Kreide durch. Das macht das ohnehin nicht sehr echt aussehende Blatt noch unsicherer.

Zu Hdg. 497. Frau von rechts nach links im Bett liegend. Gehört in die Zeit von B. 369, vielleicht etwas später. Der Vordergrund von späterer Hand hinzugefügt. Um 1635.

Zu Hdg. 498. Aktstudie einer Frau. Dieses Blatt sowie Hdg. 500 sind möglicherweise nur in späterer Zeit übergangen worden. Sie zeigen auffallend viele Korrekturen. Auch di Umgebung stammt von fremder Hand.

Zu Hdg. 499. Aktstudie einer Frau. Wohl von demselben, der die Signatur gefälscht und Hdg. 504 übergangen ha-t, in Anlehnung an echte Zeichnungen Rembrandts hergestellt.

Zu Hdg. 500. Weibliche Aktstudie. Siehe die Bemerkung zu

Hdg. 498.

Zu Hdg. 501. Weibliche Aktstudie. Nach demselben Modell wie Hdg. 503. Auf der Rückseite von Hdg. 503 befinden sich zwei Vor- studien zu Hdg. 501. Trotzdem ist Hdg. 501 Remb. f. 164., Hdg. 503

Rembrandt f. 1630 bezeichnet. Das beweist, daß, wenn die Zeichnungen nicht von Rembrandt selbst sind, sie sicher nicht von demjenigen stammen, der die Signaturen darauf gesetzt hat. Denn ein Fälscher, der sich bewußt ist, daß Hdg. 501 und 503 dieselbe Person darstellen, wird schwerlich das eine Blatt 164., das andere 1630 bezeichnen.

Zu Hdg. 503. Weibliche Aktstudie. Siehe die Bemerkung zu

Hdg. 501.

Zu Hdg. 504. Weibliche Aktstudie. Von dem Blatt ist höchstens die Gestalt echt und auch diese von späterer Hand stark übergangen. Siehe auch die Bemerkung zu Hdg. 499.

Zu Hdg. 505. Liegender Löwe. Es ist sehr wahrscheinlich, ohne daß ich in der Lage wäre, es zu beweisen, daß dieses Blatt nur eine Kopie nach einer der vielen Löwenstudien Rembrandts ist.

Zu Hdg. 506. Sitzender Löwe. Von diesem Blatt gilt dasselbe wie von dem vorhergehenden.

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI.

37

53Ö

F ritz Saxl :

Zu Hdg. 508. Schwimmende Enten. Der Fälscher ist so raffiniert, daß er den Namen des Meisters einmal, wie hier z. B. mit dt, ein anderes Mal, z. B. auf Hdg. 503, mit einfachem t schreibt.

Zu Hdg. 513. Studie nach einem Sessel oder Thron. Rechts von dem Thron sind, ähnlich wie auf Hdg. 364 und Hdg. 385, Schrift- zeichen, man möchte beinahe sagen, absichtlich versteckt angebracht. Von Rembrandts Hand sind sie nicht.

Zu Inv. 1398. Christus und die Samariterin. Kopie nach B. 70.

Zu Inv. 1445. Flucht nach Ägypten. Die Zeichnung gehört ent- weder Lastmann selbst oder seiner Schule an.

Zu Inv. 1453. Die Taufe des Eunuchen. Kopie nach der »Taufe des Eunuchen« von Rembrandt, erhalten in der Reproduktion von van Vliet (Bode VIII. Nachtrag Abb. I).

Zu Inv. 1465. Jahrmarktsszene. Manches läßt an Lastmanns Schule denken.

Zu Inv. 1471. Verstoßung der Hagar. Offenbar lag dem Fälscher Lippm. 101 oder ein ähnliches Blatt Rembrandts vor.

Zur Inv. 1481. Männlicher Akt, Rückenansicht. Gehört zu der Gruppe von Akten, Hdg. 498 501, 503 und 504.

Zu Inv. 1485. Verstoßung der Hagar. Diesem Blatt dürfte eine echte Zeichnung zugrunde liegen. Dafür spricht die ganze Anlage, die der von B. 30 ähnlich ist, und der Hund, der in den Werken der Zeit, der das Blatt angehören müßte, häufig wiederkehrt.

Zu Inv. 1535. Jakobs Traum. Es ist erstaunlich, was der Fälscher sich für Kenntnis echter Blätter verschafft haben muß. Hier haben wir eine Kopie von Lippm. 27 vor uns.

Zu Inv. 1575. Ein eingeschlafener Wächter. Hier zeigt sich wiederum wie bei Hdg. 364 und 494 eine bis ins Detail gehende K reide-Vorzeichnung.

Zu Inv. 1617. Die Ehebrecherin vor Christus. Kopie nach dem »Christus und die Ehebrecherin« in der National Gallery in London (Bode IV. 247). Uon demselben Fälscher wie Hdg. 384. Siehe die Bemerkung zu diesem Blatt.

Zu Inv. 1619. Simeon im Tempel. Etwas veränderte Kopie nach dem »Simeon im Tempel« im Haag (Bode I. 44).

Zu Inv. 1620. Weiblicher Kopf, nach unten blickend. Eine

Fälschung im Anschluß an Blätter wie B. 351.

Zu Inv. 1626. Studie zu einer Anbetung der Könige. Von

demselben Fälscher, der die Studie zur »Anbetung der Hirten« gefälscht hat. Auch dieses Blatt ist nach einer Zeichnung Rem- brandts.

Bemerkungen zu den Münchener Rembrandtzeichnungen,

537

Zu Inv. 1633. Betender Greis. Auch für diese Zeichnung hat ein echtes Blatt als Vorlage gedient. Siehe die Bemerkung zu Hdg. 381.

Zu Inv. 1637. Der heilige Hieronymus. Kopie nach B. 10 1.

Zu Inv. 1638. Der heilige Hieronymus. Ebenfalls Kopie nach B. loi.

Zu Inv. 1643. Greisenkopf, nach unten blickend. Derselbe Greis wie auf dem »Opfer Abrahams« in München. Das Blatt stammt aus der Schule Rembrandts.

Zu Inv. 1646. Frau mit Früchtekorb am Kopf. Gehört wohl in die flämische Schule.

Zu Inv. 1665. Sitzende Frau. Von demselben Fälscher wie Hdg. 467.

Zu Inv. 1687. Jupiter bei Philemon und Baucis. Kopie nach dem Gemälde in New York, Sammlung Yerkes (Bode VI, 407).

Zu Inv. 1722. Heiliger Hieronymus. Auch hier wiederum die

durchgehende Kreidevorzeichnung.

Zu Inv. 1770. Fürst vor einem Tische sitzend, auf dem ein Buch liegt. Möglicherweise von Ferdinand Bol. Vergleiche dessen von E. W. Moes*) (Blatt 12) reproduzierte Zeichnung im Amsterdamer Kupfer- stichkabinett.

>) E. W. Moes, Handzeichnungen alter Meister im Amsterdamer Kupferstichkabinett.

37'

über Reproduktionen von Kunstwerken.

Von Paul Kristeller.

Von den Leistungen und Fortschritten der modernen Reproduktions- technik wird überall gar viel Rühmens gemacht. Bei aller Anerkennung für viele vorzügliche Arbeiten wird man aber doch nicht unterlassen dürfen, auf zahlreiche Mängel und Mißbräuche hinzuweisen, die gerade in der letzten Zeit im Betriebe der Reproduktion von Kunstwerken zutage ge- treten sind. Es scheint mir geboten, zur Vorsicht bei der Verwendung der neuesten Reproduktionsverfahren zu mahnen und zu einer eingehenden Betrachtung des Gegenstandes anzuregen. Wenn auf diesem Gebiete vieles nicht so ist, wie es sein sollte und sein könnte, so liegt, meiner Erfahrung nach, die Schuld weniger an den Technikern der Repro- duktion als vielmehr an den übertriebenen und oft unverständigen An- forderungen, die von verschiedenen Seiten an sie gestellt werden. Man scheint manchmal fast über der Reproduktion das Original vergessen zu wollen und in bedenklicher Weise über die Grenzen, die der mecha- nischen Nachbildung von Kunstwerken gesteckt sind, hinauszudrängen. Man fordert nur zu häufig an Qualität und an Qantität mehr als möglich ist und als der gesunden Entwickelung und den vernünftigen Zwecken der Reproduktion zuträglich sein kann.

Die rein ästhetische Seite der Sache, die ernst genug ist, soll hier außer Betracht bleiben. Wenn man der mit Hilfe der Photographie und des Druckes hergestellten Nachbildung in der Wirkung ihren Charakter als mechanische Reproduktion zu nehmen sucht, indem man sie in Äußerlichkeiten dem Original anzunähern, ihr durch bildmäßige Ein- rahmung den Anschein eines wirklichen Kunstwerkes zu geben sich be- müht, so ist das eine bedauerliche Stilwidrigkeit und Geschmacklosigkeit, die ebenso wie die massenhafte Darbietung von schlechten kleinen Rasterätzungen den Respekt vor dem Kunstwerke selber mindert und eingehender, sich vertiefender Betrachtung des Einzelnen hinderlich ist, die man aber mit ohnmächtigem Ärger zu beobach|ten sich begnügen muß. Wo aber solche unkünstlerischen und geschäftsmäßigen Betriebs- gawohnheiten die Zuverlässigkeit der Hilfsmittel unserer kunstgeschicht- lichen Forschung zu bedrohen beginnen, da sind die Vertreter der

über Reproduktionen von Kunstwerken.

539

Wissenschaft und die Hüter der Kunstschätze wohl imstande und ver- pflichtet, durch energische Zurückweisung Abhilfe zu schaffen.

Leider sind die meisten Kunsthistoriker in technischen Fragen der Reproduktion, die sie doch so nahe berühren, von einer unbegreiflichen Unerfahrenheit und Gleichgültigkeit. In den Galerien lassen sie Photo- graphie-Unternehmer schalten, in ihren Büchern den Verleger. Repro- duktionen wie die Bruckmannschen und Hanfstänglschen sogenannten Pigmentdrucke, die alle Formengrenzen durch die Weichlichkeit der Töne verwischen, alle Lichtkontraste zerstören und die transparenten Tiefen in undurchsichtige Nebelmassen verwandeln, dürften von den Galeriever- waltungen überhaupt nicht geduldet werden. Dem Photographen, dem die Erlaubnis zu Aufnahmen in den Sammlungen gegeben wird, müßte die Verpflichtung auferlegt werden, nur gute, direkt von der nicht retou- chierten Platte hergestellte photographische Abzüge, Lichtdrucke oder Heliogravüren in den Handel zu bringen. Den Entstellungen, die die meisten Bilder unserer Galerien durch die Restauratoren erlitten haben, sollte man nicht in der Reproduktion noch die der photographischen Retouche hinzufügen. Hier hat man also einen Hebel in der Hand, den man kräftig wirken lassen kann.

Die »höheren« Ansprüche, die Autoren und Verleger an die Re- produktion zu stellen pflegen, gehen leider meist nach einer Seite hin, von der, der Treue der Abbildung die größte Gefahr droht. Der Ver- leger will zu billigem Preise viel und wenigstens dem Anscheine nach Vollendetes. Die Wünsche der Autoren, die das Original im Sinne haben, lassen sich vom Techniker meist nur durch gewaltsame Eingriffe in die mechanischen Aktionen der Apparate erfüllen, durch Retouchen am Negativ, Stichelarbeit auf der Druckplatte usw. Wer seine Abbildungen » schön « haben will, wird, dafür meist auf die Treue, wenigstens auf die volle Treue verzichten müssen. Man sollte nie vergessen, daß die Reproduktion mit Mitteln arbeitet, die grundverschieden sind von denen, die der Künstler bei der Herstellung seines Werkes verwandt hat; daß die Entwicklung der Reproduktionstechnik nur in der Ausbildung der ihr eigentünjlichen Fähigkeiten, in der Steigerung der Differenzierung der Linien und Töne liegen kann. Um das zu erreichen, sollte man jeder Reproduktionstechnik ihren eigenen Charakter lassen. Gegen dieses Gesetz wird aber sehr viel gesündigt, indem man die Aktion der speziellen Technik stqrt, ihr mit Gewalt fremdartige Wirkungen abzu- gewinnen sucht und des Effektes halber verschiedene , technische Prozesse willkürlich kombiniert. Durch täuschende »Aufmachung« möchte man minderwertige Reproduktionen als in einem kostspieligeren Verfahren ausgeführt erscheinen lassen. Elende Pigmentdrucke sollen wie Kohle- drucke wirken^ Lichtdrucke werden mit Plattenrand versehen, um als

540

Paul Kristeller:

Heliogravüren ausgegeben werden zu können. Autotypien und ähnliche für Hochdruck bestimmte, also zusammen mit dem Text druckbare Platten werden auf Untersatzpapiere meist noch dazu von den greu- lichsten Farben aufgelegt wie Einzeldrucke (z. B. Heliogravüren), deren Kostbarkeit eine solche individuelle Behandlung rechtfertigt. Zinkätzungen nach Statuen und einzelnen Figuren aus Bildern werden oft dadurch geschädigt, daß man sie shilouettiert. Den Vorteil, den dunklen, lastenden Hintergrund in der Textillustration zu vermeiden, bezahlt man allzu teuer damit, daß die Umrisse durch das Ausschneiden alteriert werden, eckig und zerrissen wirken und das Ganze sich auf dem Papier nun ganz hart absetzt.

Wie man in den mathematischen Wissenschaften bei jeder Be- obachtung und Berechnung die Fehlerquellen und -möglichkeiten genau festzustellen sucht, so sollte man auch in der Reproduktion nach Kunst- werken die charakteristischen Abweichungen des Bildes auf der Platte vom Bilde im Auge möglichst genau und sicher zu bestimmen streben. Es wäre ohne Zweifel ein großer Vorteil für unsere Studien, wenn der Abstand der Nachbildungen von den Originalen in jeder Hinsicht konstant wäre. Photographien desselben tüchtigen Photographen lassen den auf- merksamen Benutzer aus Vergleichungen einzelner Photographien mit ihren Originalen schließlich ein gewisses Augenmaß gewinnen für das Verhältnis von Photographien ihm unbekannter Werke zu ihren Originalen. Gleich- mäßigkeit der Herstellungsart und der Qualität der Nachbildungen wird sich natürlich nicht erzielen lassen, aber man sollte doch die Schwierigkeiten, die aus diesen Schwankungen sich ergeben, nicht ohne Not steigern. Man sollte z. B. in der Druckfarbe eher nach Einheitlichkeit streben als auf kapriziöse, pikante Farbennuancen hinarbeiten. Ähnliches gilt vom Maßverhältnis der Abbildung zum Original. Bei Nachbildungen von Gemälden und Statuen wird freilich eine auch nur annähernde Einheit- lichkeit der Maßverhältnisse selbst in einem und demselben Buche nicht zu erreichen sein, wohl aber für Werke kleinen Maßstabes, für Kleinplastik, Miniaturen und dergl. Unbedingt notwendig und fast immer durchführbar ist die Reproduktion in Originalgröße für Zeichnungen, Holzschnitte und Kupferstiche. Durch die Veränderung der Abmessungen wird hier das Verhältnis der Linien zueinander und die Wirkung des Ganzen so von Grund aus verändert, daß wesentlich verkleinerte Nachbildungen nach solchen Werken nur einen ganz geringen Wert behalten. Hier ist ein erreichbarer Wunsch, auf dessen Erfüllung nie verzichtet werden sollte.

Beschränkung auf das Mögliche und Verzicht auf Wirkungen, die die Technik nicht freiwillig hergibt, muß sich zum obersten Grundsätze machen, wer zuverlässige Nachbildungen erlangen will. Vor allem sollte

über Reproduktionen von Kunstwerken.

541

man sich klar machen, daß eine Reproduktion, die auf dem Wege des Umdruckes nach einer photographischen Aufnahme hergestellt ist, nie mehr geben kann als das Negativ. Jedes Mehr muß durch Eingriff der mehr oder weniger geschickten Hand des Retoucheurs hervorgebracht werden. Dann sollte derjenige, der gute, d. h. klare und scharfe Licht- drucke oder Heliogravüren wünscht, nie vergessen, daß jede Übertragung die Fehler der ersten Aufnahme verstärkt und neue hinzufügt, daß eine Photographie nach einer Photographie die Formen verschwommener und unplastischer, die Tondifferenzen matter widergibt als eine Aufnahme unmittelbar nach dem Original. Das ist eigentlich so selbsverständlich, daß es kaum gesagt zu werden brauchte; und doch glaubt mancher nach Photographien brauchbare Lichtdrucke erhalten zu können. Eine im Erscheinen begriffene, nicht billige Publikation der Zeichnungen Michelangelos z. B. beruht auschließlich oder fast ausschließlich auf dieser verwerflichen Methode, Lichtdrucke nach Photographien o.^t gar nach alten, halb verblaßten herstellen zu lassen.

Die Photographie hat wohl Fortschritte gemacht, aber nicht solche, wie man sie vor 20 30 Jahren erhofft hatte, und vor allem werden die erreichten Verbesserungen nicht genügend ausgebeutet. Die nötige Sorgfalt sowohl in der Herstellung des Materials wie in der Ausführung der Platten und der Abzüge wird nur zu häufig außer acht gelassen. Mit der Haltbarkeit der meisten photographischen Papiere z. B. ist es geradezu traurig bestellt. Öffentliche Sammlungen sollten nur Silber- drucke oder Albuminabzüge anschaffen. Alte, vor 30 Jahren hergestellte Photographien sind nicht selten wesentlich besser als das, was die meisten photographischen Verlagsanstalten heute dem Publikum anbieten. Man kann es deshalb nur mit Freuden begrüßen, daß die vorzüglichen italienischen Photographen Anderson und Alinari ihre Tätigkeit jetzt auch auf das Ausland ausdehnen und durch ihre Konkurrenz die deutschen Anstalten zu einem Systemwechsel zwingen werden. Für wissenschaftliche Publikationen von Gemälden ist Lichtdruck nach ganz klaren und scharfen, unretouchierten Negativen die einzig wirklich zuverlässige Reproduktions- methode. Für Holzschnitte und Kupferstiche sind daneben auch Strich- oder Kornätzung in Zink oder Kupfer und Heliogravüre verwendbar.

Der Farbenlichtdruck hat neuerdings recht ansehnliche, in ihrer Art vorzügliche Leistungen aufzuweisen und läßt weitere Fortschritte er- hoffen. Für wissenschaftliche Zwecke ist er aber nur mit der größten Vorsicht und Zurückhaltung zu benutzen. Es sei hier nur auf die Farbenlichtdrucke nach Zeichnungen hingewiesen, von denen auch die kostspieligsten und mit der größten Sorgfalt und Geschicklichkeit ausge- führten so wesentliche Abweichungen der Farbentöne von den Originalen zeigen, daß man nur von einer Ähnlichkeit, nicht aber von einer genauen

542

Paul Kristeller:

Wiedergabe ihrer Farbenwirkungen sprechen darf. Man tut meist besser, sich mit einfarbigen Lichtdrucken zu begnügen und die trockene Wahr- heit der anmutigeren Täuschung vorzuziehen.

Geradezu ein Hohn auf unsere hochgepriesenen mechanischen Re- produktionsmethoden ist das jetzt häufig beliebte Verfahren der Hand- kolorierung. Damit sind wir also glücklich wieder auf die Gepflogen- heiten der »Kartenmaler« des 15. Jahrhunderts zurückgekommen. Nur daß diese bescheidenen Leute mit naivem Geschmack selbständig arbeitend oft die reizvollsten Kunstwerke hervorgebracht haben, während die erbärmlich entlohnten, meist weiblichen Hände, die heute mit der Kolorierung von oft sogar stark verkleinerten Lichtdrucken oder Zinko- typien beschäftigt werden, in Hast mit wenigen Farbenflecken die delikatesten Schöpfungen großer Meister nachahmen sollen. Derartige Arbeit sollte, wenigstens von Fachleuten, nicht geduldet werden. Noch schlimmer verfährt eine andere Methode, die in letzter Zeit für zahlreiche Reproduktionen alter kolorierter Holzschnitte verwendet worden ist. Um der Kolorierung willen, die in der flüchtigen, hier beliebten Handarbeit künstlerisch und als Nachbildung minimalen Wert hat, wird die Treue in der Wiedergabe der Linien fast vollständig geopfert. Um im Abdruck den Papierton für die Kolorierung frei zu erhalten, werden die Farbenflächen auf dem Negativ durch Retouchen gedeckt, eine Arbeit, bei der, mag sie noch so sorgfältig ausgeführt werden, die Ränder der lanien notwendigerweise verletzt und abgeschliffen werden müssen. Der eigentümliche Charakter der alten Holzschnittlinie wird dadurch so stark alteriert, daß man oft argwöhnen möchte, Nachbilaungen von modernen Fälschungen vor sich zu haben, bis man sich durch die Vergleichung mit den Originalen oder mit Photographien davon überzeugt hat, daß der fremdartige Eindruck durch gewalttätige Retouchen hervorgebracht worden ist. Solchen Halbheiten sind die Nachbildungen, die unsere fleißigen Vorgänger nach Durchzeichnungen in Holzschnitt, Kupferstich oder Lithographie anfertigen ließen, am Ende noch vorzuziehen, weil sie meist inehr Sorgfalt und Liebe zeigen, als man heute . aufzuwenden pflegt, und vor allem weil sie weniger anspruchsvoll auftreten und den Benutzer also weniger der Gefahr des Irrtums aussetzen als moderne Reproduktionen der geschilderten Art. Die von Paul Heitz in Straßburg herausgegebenen, nach obigem Rezept ausgeführten handkolorierten Holzschnittnach- bildungen sind künstlerisch und wissenschaftlich so gut wie wertlos, ja irreführend und schädigend. Ich bedaure lebhaft und aufrichtig, daß ich ^egen eine Reihe von Veröffentlichungen dieses liebenswürdigen und in vieler Hinsicht verdienten Verlegers eine so harte Kritik richten muß, jm Interesse der Sache glaube ich aber meine Warnung nicht unter- drücken zu dürfen. Es wäre im höchsten Grade bedauernswert, wenn

über Reproduktionen von Kunstwerken.

543

Heitz die prachtvollen Münchener und Nürnberger Holzschnitte, die er, wie ich gehört habe, jetzt zu publizieren beabsichtigt, ebenfalls in so absolut unzuverlässiger Form reproduzieren wollte. Schlechte Publikationen haben außer den ihnen selber anhaftenden Fehlern auch die üble Folge, daß sie gute für längere Zeit verhindern oder wenigstens wesentlich erschweren.

Im allgemeinen wird man sich bei der Betrachtung der Abbildungen in unseren neuesten kunstgeschichtlichen Büchern des Eindruckes kaum erwehren können, daß durch die Masse der Erzeugung die Qualität der Ausführung und des Druckes der Reproduktionen eine wesentliche Ein- buße erlitten habe. Die Hauptschuld tragen wohl die Verleger, aber auch die Autoren könnten, wenn sie mit größerer Sachkenntnis und Aufmerksamkeit die Arbeit beobachten wollten, viele Mißbräuche bei der Herstellung und Verwendung der Reproduktionen verhindern. Der Verleger muß naturgemäß auf die geschäftliche Seite den größeren Nach- druck legen, der Kunstforscher sollte demgegenüber den wissenschaft- lichen Standpunkt mit mehr Nachdruck vertreten, weniger auf die Masse der Abbildungen, als auf ihre Vorzüglichkeit und auf genügend große Abmessungen Wert legen, auf bestechende Wirkungen verzichten, aber auf der Anwendung von ganz zuverlässigen Methoden der Reproduktion energisch bestehen.

In Bezug auf die Publikation der Zeichnungen Michel agniolos schreibt mir der Verleger Herr Julius Bard in Berlin;

» Für die Reproduktion der Handzeichnungen des Michelagniolo Buonarroti sind, soweit technisch einwandfreie Photogräphieen vorhanden sind, solche verwandt worden und der weitaus größte Teil der Blätter wurde nach den Originalen füt diese Publikation neu, zumeist zum ersten Male aufgenommen.

In 2 Fällen (Casa Buonarroti, Florenz, University Press bzw. Christ- church, Oxford) standen der Überlassung von Negativen die Bestimmüngen der betreffenden Sammlung entgegen. In allen übrigen Fällen dienten der Reproduktion der neu aufgenommenen Blätter die Negative selbst zur Vorlage. Es sind bis jetzt insgesamt etwa 190 Aufnahmen für dieses Werk gemacht worden, und zwar:

Casa Buonarroti, Florenz, durch Fratelli Alinari; Uffizien, Florenz, durch A. Reali; British Museum, London, durch Donald Macbeth, London; Windsor Castle, durch Donald Macbeth, London; Louvre, Paris durch A. Giraudon. Außer diesen Blättern sind des weiteren Aufnahmen gemacht; in der Albertina zu Wien, in der Accademia zu Venedig und schließlich in Sammlungen von Privaten in England, Spanien, Frankreich und Holland.«

Zum Oeuvre Paris Bordones.

Im Jahre 1900, zur vierhundertsten Wiederkehr des Geburtstages Paris Bordones, haben zwei seiner trevisanischen Landsleute eine wertvolle Arbeit über den Maler veröffentlicht^). Neben einer langen Reihe größtenteils hier zum ersten Male publizierter Dokumente wurde ein kritischer Katalog von 12 1 Bildern gegeben. Es mag erlaubt sein, diesen drei weitere hinzuzufügen; zwei, die erst nach 1900 in öffentliche Samm- lungen gelangten; ein drittes, das zweifellos Paris gehört, aber bisher nicht als sein Eigentum erkannt wurde.

Als Geschenk von Mrs. M. A. Wood kam 1901 die Halbfigur eines »Segnenden Christus« von Bordone in die Londoner National Gallery. Derartige Darstellungen des »Cristo in maestä« waren seit alters in Venedig sehr beliebt. Paris hat öfters solche gemalt. Das Mauritshuis im Haag besitzt ein signiertes Exemplar, ein anderes, unbezeichnetes die Casa Rasi zu Ravenna. Christus in der traditionellen Tracht, dem roten Gewände und blauem Überwurf, erhebt segnend die Rechte; die linke hält ein Schriftband mit den Worten: »Ego sum lux mundi«.

Wichtiger für die Kenntnis Bordones ist ein seit wenigen Jahren in der Galerie Liechtenstein zu Wien aufgestelltes Porträt eines Mannes. Wichtig, weil es datiert und dies Datum das früheste der wenigen ist, die wir haben. Datiert ist sonst nur das auch signierte Porträt des Hieronymus Krofft im Louvre, nämlich 1540, und das nicht bezeichnete» aber von Frizzoni mit Recht Paris zugeschriebene Bildnis eines älteren Herrn in Augsburg, 1548. Diesen beiden gesellt sich nun als ältestes das Wiener Bild bei. Es trägt die Jahreszahl M.D. XXXII. und die Altersangabe des Dargestellten : 37/AETATIS ANNOR. Das Bildnis ist zw'ar ebenfalls nicht bezeichnet, aber die für Paris charakteristische Be- handlung der Fleischteile beweist allein, daß die Benennung, die es in Wien erhalten hat, die richtige ist.

Man möchte in diesem nach links gewandten Kniestück kaum den Tizianschüler in engerem Sinne erkennen. Die technischen Eigentümlich- keiten zeigen sich bei dem hier zweiunddreißigjährigen Künstler bereits

•) L. Bailo e G. Biscaro, Deila vita e delle opere di Paris Bordon. Treviso 1900. Besprochen von G. Gronau in Repertorium XXIV (1901). S. 404 ff.

Zum Oeuvre Paris Bordones.

545

völlig ausgebildet. Auch die Auffassung ist von der des Meisters ver- schieden. Tizian gab denen, die ihm saßen, etwas Reserviertes und eine Spur von Pose. Paris ist hier schlichter und wärmer. Er zeigt mehr von der Psyche.

Das dritte Bild, das nunmehr für Paris reklamiert werden soll, befindet sich unter der Benennung Bonifazio Veronese beim Fürsten Giovanelli in Venedig. Dargestellt ist die »Trunkenheit Noahs«. Der Malgrund ist Holz, klein, breiter, denn hoch. Bordone ist besonders deutlich an der übertrieben hervorgehobenen Muskulatur der entblößten Extremitäten und an dem giftigen Blaugrün des Buschwerks kenntlich.

Auf einem der besten Bildnisgruppen Bordones wurde ferner die etwas versteckte Signatur aufgefunden. Das Familienporträt beim Herzog von Devonshire in Chatsworth ist links auf der Tischdecke folgender- maßen bezeichnet: »O. PARIDIS BORDON.«

Schließlich mag vermerkt werden, daß das von Bailo und Biscaro bei Mrs. Cohen in London erwähnte »Bildnis einer Dame« mit den anderen Bildern dieser Sammlung als Geschenk in den Besitz der National Gallery überging.

Hadeln.

Literaturbericht.

A. Munoz, L’Art Byzantin ä I’Expösition de Grottaferrata.

Rome 1906. Danesi. 195 SS. m. 146 Abb. und 3 Tafeln.

Die von A. Munoz in größtenteils guten Zinkätzungen veröffent- lichte Auslese der wichtigsten s. Z. in Grottaferrata ausgestellten Kunst- werke hat uns von einer Reihe unpublizierter oder in verschiedenen Prachtwerken zerstreuter Denkmäler sehr willkommene Abbildungen in die Hand gegeben. Aber man wird dem italienischen Mitforscher auch lafü Dank wissen, daß er als einer der Leiter der Ausstellung nicht versäumt hat, die von ihm bei dieser Gelegenheit gesammelten Beobach- tungen zusämmenzufassen. Nicht allzuoft sieht man sich zu Einwendungen gegen sein ruhiges Urteil veranlaßt. Der ausführlichste erste Abschnitt ist den Heiligenbildern gewidmet, von denen die Ausstellung einen an- sehnlichen Bestand und manches interessante Stück darbot. Vorangestellt sind gleichsam zur Illustration des Zusammenhanges der italienischen mit der byzantinischen Malerei zwei frühtrecentische Täfelchen. Das eine aus der Sammlung Sterbini (Fig. i) rührt jedenfalls von einem Duccionachahmer vom Schlage des Meisters der Madonna in Crevole her (vgl. Repertorium 1906 S. 473) und gibt einen deutlichen Beleg dafür, wie solche unselbständigen Zeitgenossen neben einem schon vom Hauche der Gotik berührten Madonnentypus noch die typischen Heiligen- gestalten der griechischen Tafelmalerei (schwerlich der Miniatur) mit- schleppen. Das zweite Madonnenbildchen (Fig. 2) aus der römisch giottesken Richtung hingegen hat kaum noch etwas mit dieser gemein. Über ihren Ursprung aus der spätantiken Porträtdarstellung und über ihre Entwicklung auf byzantinischem sowie auf russischem Boden gibt der Verfasser wohl die ausführlichste, wenngleich durchgehends aus zweiter Hand geschöpfte Gesamtübersicht, die wir in nichtrussischer Sprache besitzen. Für Rußland ist inzwischen die schärfere Sonderung der Schulen und verschiedenen Richtungen in der grundlegenden Publi- kation von Lichatschew in Angriff genommen worden, während für die spätere griechische Ikonenmalerei noch sehr viel zu tun bleibt. Auch Munoz Bestimmungen verraten hier eine gewisse Unsicherheit, und einzelne der von ihm in so dankenswerter Weise aus dem italienischen

Literaturbericht.

547

Kunstbesitz hervorgezogenen Tafeln glaube ich abweichend datieren zu müssen. Wenn z. B. die hübsche Ikone der Geburt Christi aus der Sainml. Sterbini (Fig. i8) mit ihren noch an die Mosaiken der Kachrije Djami erinnernden schlanken Figürchen anscheinend mit Recht - vom Verf. ins XV. Jahrhundert gesetzt wird, so kann auch das liturgische Blatt der Vaticana (Fig. 32 und 33) mit dem Pfingstbilde und einer im strengen Stil der mittelalterlichen Titelminiaturen gehaltenen Porträtfigur eines Abtes zwischen zwei vornehmen Jünglingen kaum jünger sein. Daß eine Tafel des XVII. Jahrhunderts in Petersburg die nächste Parallele für die Entwicklungsstufe des ikonographischen Typus bietet, beweist noch nicht die gleichzeitige Entstehung des ersteren. Für älter noch halte ich nach der Reproduktion die vatikanische Doppelikone (Fig. ig) des hl. Ephraim und Antonius, und zwar für eine Arbeit des XIV. und nicht des XVI. Jahrhunderts. Um ganz sichere Zeitbestimmungen zu gewinnen, wird jedoch erst das gesamte Material der späteren byzanti- nischen Heiligenbildmalerei ebenfalls systematisch durchgearbeitet werden müssen. Die einheitliche, wenngleich langsame Stilwandlung würd uns dann trotz der Übermacht der Tradition in dieser Epigonenkunst klar werden. Ihr Hauptinteresse liegt freilich, wie Munoz betont, im reli- giössymbolischen Gedankenausdruck, aber ist es für die kunstwissen- schaftliche Forschung eine so undankbare und bedeutungslose Aufgabe, den fortschreitenden Erstickungsprozeß der optischen durch die gedanken- haften Elemente zu verfolgen? Ein lehrreicheres Beispiel gibt es dafür nicht. Wie früh die Wortallegorie Platz greift, zeigt z. B. das Beil an der Wurzel des Baumes (Matth. III, 10) in den Ikonen des Täufers, das Munoz irrigerweise für das Henkerbeil hält. Es findet sich schon im. Menologium Vaticanum. Vom künstlerischen Gesichtspunkt beanspruchen in dieser Entwicklung die mitunter fast krampfhaften Bemühungen, durch Anleh- nung an abendländische Vorbilder die Darstellungsmittel zu steigern, weniger Beachtung , ob der merkwürdige Stil eines TheodorosPulaki (XVII. /XVIII. Jahrhundert?) wirklich aus der Benutzung Dürerscher Stiche zu erklären ist, müßte noch nachgeprüft werden, als die bis in die spätesten Denkmäler sich vererbende und bereichernde dekorative Ausgestaltung der Bildfläche. Bei aller Figurenhäufung und ganz konventionellen Raum- andeutung bleibt die Komposition immer übersichtlich (vgl. Fig. 43 47). Unter den Miniaturen war die rein byzantinische Buchmalerei in Grottaferrata nur durch den eignen Bücherschatz des Klosters, darunter vor allem zwei Evangeliare vertreten. Die wichtigere Handschrift bewahrt als einziges Bild die Gestalt des sinnenden Marcus (Fig. 53), und zwar in einer von den typischen Evangelistenbildern der anderen (Fig. 49 5 2) wesentlich verschiedenen Auffassung. Munoz erkennt in der einfachen

548

Literaturbericht.

Bogenumrahmung mit Zickzackband, über der ein Vogel sitzt, wohl durchaus zutreffend Elemente einer syrischen Vorlage, während die Faltengebung deutlich die Umstilisierung durch eine byzantinische Hand des XI. XII. (schwerlich des XIII. Jahrhunderts) verrät. Solche vom gewöhnlichen griechischen Miniaturenstil mehr oder weniger abweichende Malereien kommen jedoch auch auf dem Athos vor (vgl. BuCavr. Xpovtxa, 1899, S.i, Taf. IV VIII), und ich sehe daher keinen Grund, die Handschrift für eine unteritalische Arbeit aus einem Basilianer-Kloster zu erklären. Die orientalischen Einflüsse, welche M. selbst in einer wenigstens zum Teil zweifellos aus Unteritalien herrührenden Gruppe von Denkmälern nachweist, haben dort ihren Niederschlag in einem ganz anderen Stil ge- funden. Und von diesen Handschriften scheint wenigstens das Evangeliar der Bibi. Casanatense (Nr. 165) nach Munoz den Basilianern zugeschrieben werden zu müssen. Nach Monte Cassino können freilich syrische Buch- malereien sehr wohl auch ohne deren Vermittlung gelangt sein. Gleich- viel, — aus den Flechtbandmotiven und Tierfiguren eines daselbst befind- lichen griechisch-lateinischen Codex der Doctrina Dorothei (XII. Jahrh.) blickt unverkennbar eine Vorlage hindurch, welche mit gewissen von Kondakow publizierten sinaitischen Miniaturhandschriften die allernächste Verwandschaft verrät. Ähnliche Züge weist anscheinend auch ein Bene- diktinerbreviar (XI. Jahrh.) der Bibi. Chigi (C. VI, 177) auf. Aber wenn die Zeichnung schon hier entschieden mehr abendländisch gefärbt ist, so beherrscht in zwei lateinischen Evangeliaren (Lat. 3741) der Vaticana (aus Grottaferrata) und der Ambrosiana (D. 67 sup.) romanisches Stil- gepräge so sehr die Figurenbildung mit den großen Extremitäten und eckigen Bewegungsmotiven, das Linienspiel der Gewandung und teilweise sogar die Komposition (vgl. Fig. 61), daß ihre engere Zusammengehörig- keit mit jenen cassinensischen Arbeiten recht zweifelhaft erscheint. Die allen gemeinsame Laviertechnik reicht zur Begründung eines solchen Zu- sammenhanges nicht aus, denn sie kommt in Italien auch in Handschriften langobardischer Tradition allgemein zur Anwendung und hat sich gewiß nicht erst vom Süden her verbreitet. Die These von dem Ursprung der unteritalischen Buchmalerei aus syrischer Wurzel bedarf in jedem Falle einer wesentlichen Einschränkung, da neben den unmittelbaren Einflüssen des Orients sichtlich auch andere Komponenten in dieselbe eingegangen sind, die bereits solche Elemente enthielten, zumal wenn die von Munoz zusammengestellten Denkmäler wirklich eine geschlossene Gruppe bilden. Der richtige Kern bleibt noch aus diesem Abschnitt herauszu- schälen, obgleich er wohl der bedeutsamste des Buches ist. An die Elfenbeinschnitzereien der Ausstellung knüpfen sich verschiedene Einzel- fragen der Lokalisation und Datierung. Munoz hebt die Stilverwandt-

Literaturbericht.

549

Schaft der altchristlichen Pyxis der Vaticana (Fig. 66 69) mit dem fünf- teiligen Dyptychon von Murano hervor, scheint mir hingegen dem Um- stande, daß sie auch zu verschiedenen anderen Pyxiden enge Beziehungen hat, nicht genügend Rechnung getragen zu haben. Er wäre sonst mit mir (Sitz.-Ber. d. k. gesch. Ges. Berlin 1906. S. 19 ff.) zum unabweislichen Schluß gekommen, daß keines dieser Denkmäler der koptischen Kunst zuzurechnen, der Sitz der Schule vielmehr in Syrien zu suchen ist. Von den mittelbyzantinischen Tafeln sind das figurenreiche Triptychon der Vaticana (Fig. 70 und 71) und das einfachere der Casanatense (Fig. 72 bis 74) mit Unrecht von Linas und Molinier für Nachbildungen aus dem

XV. Jahrhundert erklärt worden. Mufioz fordert sie für das X./XI. -Jahr- hundert zurück, und ich kann mich nur darin mit ihm nicht einverstanden erklären, daß er das erstere für jünger hält. Entscheidend ist nicht die größere Übereinstimmung der Figurenanordnung des zweiten mit dem Triptychon d’Harbaville, sondern in erster Linie der Gewandstil. Zwischen beiden besteht ungefähr derselbe stilistische Unterschied wie zwischen der streng linearen Faltenbildung des Pariser Stückes, das wohl allgemein noch ins X. Jahrhundert gesetzt wird, und der weicheren und stoff- licheren, wenngleich in den Motiven noch übereinstimmenden Behandlung der Krönungstafel Romanos II. aus der Bibi. Nationale. Der Konstantinos der Inschrift des Triptychon der Casanatense dürfte demnach als Kon- stantinos IX oder X anzusehen sein. Zu spät (nämlich ins XII. Jahrh.) datiert Munoz m. E. hingegen das vatikanische Täfelchen mit der Geburt Christi (Fig. 76), das wegen seiner von Graeven erkannten engen Stil- verwandtschaft mit den besten Elfenbeinkästen mit Sternornament min- destens noch in den Anfang des XI. Jahrhunderts gehört, sowie auch die etwa gleichzeitige Majestas Christi (Fig. 77), eine dem Diptychon von Rambona in der Vaticana anzureihende Arbeit langobardischer Tradition. Unter den russischen Panagienschalen scheint mir die mittelgroße (Fig. 81 und 82) etwas älter zu sein als die übrigen und vielleicht noch dem

XVI. Jahrhundert zu entstammen. Bei den Specksteinreliefs bleibt der byzantinische Ursprung eines kleinen Medaillons, das Christus zwischen knienden Pilgern darstellt, sehr zweifelhaft. Ihre Tracht erinnert zu sehr an die Pasten, welche auf die Fahrt nach S. Jago de Compostella Bezug haben. Neben den wenig bemerkenswerten koptischen Textilien verdiente die byzantinische Nadelmalerei mit der rituellen Abendmahls- darstellung von Castell’ Arquato die ihr zu Teil gewordene Würdigung sowohl wegen ihrer ikonographischen Bedeutung als auch, weil sie durch das sicher beglaubigte Datum 1312 der Weihung einen der wenigen chronologischen Anhaltspunkte bietet. Der Figurenstil ent- spricht sehr wohl der Entwicklungsstufe der gleichzeitigen Malerei

550

Literaturbericht.

(Kachrije-Djami), während die Technik schon ganz mit derjenigen der, verbreiteten Arbeiten des XV.— XVII. Jahrhunderts übereinstimint. So bleibt z. B. auch nach Munoz das Datum i6i8 auf dem oft für älter gehaltenen Omophorion von Grottaferrata zu Recht bestehen. Diese wenigen stilgeschichtlichen, Bemerkungen möchte ich seinen Erläuterungen hinzufügen, während ich für die bedeutsamen ikonographischen Aufschlüsse, die der Ausstellung abzugewinnen waren, auf die überaus belehrende Besprechung der letzteren durch Baumstark in der Röm. Quartalschrift von 1905 verweisen kann.

Berlin. O. Wulff.

Österreichische Kunsttopographie. Bd. I, Die Denkmale des politi- schen Bezirkes Krems in Niederösterreich. Mit einem Beiheft: Die Sammlungen des Schlosses Grafenegg. Bearbeitet von Dr. Hans Tietze, mit Beiträgen von Prof. Dr. M. Hörnes und Dr. M. Nistler. (i Karte, 29 Tafeln, 480 Abbildungen im Text 4°. XXIV u. 610 S. Wien, Anton Schroll, 1907; Pr. 35 K. (mit Beiheft 40 K.).

Die Organisierte Inangriffnahme der kunsttopographischen Bearbeitung von Österreichs Kimstdenkmalen hat relativ spät eingesetzt. Während diese für den Denkmalkultus und die Kunstgeschichte gleich wichtige Arbeit in andern Ländern schon, zu Ende geführt oder sehr weit vor- geschritten ist, erschien der erste Band der Österreichischen Kunsttopo- graphie erst vor Jahresfrist. Seine großzügige, durchaus auf modernen Prinzipien fußende Anlage aber, durch die alle bisherigen Arbeiten auf diesem Gebiet weit übertroffen werden, rechtfertigt das lange Zögern voll- ständig. Die Vorarbeiten beweisen, mit welchem Ernst man an diese Aufgabe herantrat, die man nicht beginnen wollte, bevor man sich über Zweck und Ziel der modernen Denkmalpflege gründlichst aus- einandergesetzt hatte. Alois Riegl, der die seltene Gabe besaß, jedes wissenschaftliche Problem, das er sich , stellte, in einer von Grund aus neuen, tiefsinnig-originellen Art zu lösen und so die Kunstwissenschaft in einer bisher kaum erhörten Art zu befruchten, hat in seinem »Entwurf einer gesetzlichen Organisation der Denkmalpflege in Öster- reich« (Wien 1903) die Frage des Denkmalkultus in unserer Zeit in einer Weise beantwortet, die in Zukunft auch auf die Denkmalpflege in andern Ländern reformierend wirken dürfte. Seine Propagierung des »Alterswerts«, demzufolge jedes Objekt schon durch sein Alter allein zum Denkmal wird (60 Jahre wurden als untere Altersgrenze vorgeschlagen), als oberstes Einteilungsprinzip für jede Inventarisierung weist der Denk- malpflege völlig neue Bahnen.

Literaturbericht.

55»

Bis zu diesem Grad von Objeictivität gegenüber allen von Zeit- und Modeströtnungen getragenen einseitigen Gefühlswerten konnten wir uns aber erst im Beginn des XX. Jahrhunderts emporschwingen. Und aus diesem Grund haften der Denkmalpflege des XIX. Jahrhunderts noch Mängel an, die allerorts eine Revision notwendig erscheinen lassen werden. In der Einleitung zum vorliegenden Band, der gewissermaßen als Muster einer modernen Kunsttopographie gedacht ist, sucht Prof. Max Dvorak Klarheit über Aufgabe und Ziele der Kunsttopographie zu schaffen, was angesichts der »chaotischen Verschiedenheit der Meinungen über den Zweck und erwünschten Inhalt der Denkmalinventare « vor allem not- wendig war. Im Gegensatz zu dem Zweck administrativer Denkmal- inventare sieht er »die wichtigste Aufgabe eines für die Öffent- lichkeit bestimmten Kunstinventars in der Katalogisierung der Denkmale eines bestimmten Gebietes aufGrund ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Kunst und Geschichte der territorialen künstlerischen Kultur«. Eine Beurteilung der Bedeutung der inven- tarisierten Denkmale für die Geschichte der Kunst im allgemeinen und des inventarisierten Gebietes insbesondere kann aber nur durch eine jedes- malige kunstgeschichtliche Untersuchung gewonnen werden. Diese muß zuerst die möglichst exakte Bestimmung der Entstehungszeit und Provenienz der einzelnen Denkmale auf Grund des archivalischen Materials anstreben, um daran die eigentliche stilgeschichtliche Untersuchung an- zuschließen, die durch Heranziehung und Vergleichung aller verwandten gleichzeitigen Objekte eines engeren oder weiteren Gebiets zu einer rich- tigen chronologischen und stilistischen Bestimmung der einzelnen Denk- male gelangen soll. Diese der Kunsttopographie zugrunde gelegte stil- geschichtliche Untersuchung deckt sich insofern mit dem eigentlichen Zweck der Kunsttopographie selbst, als die zusammengehörigen Denkmale die Entwicklungsstadien der territorialen Kunst darstellen und die künstlerischen Elemente des Gebietes bilden, deren Erforschung und Bekanntmachung die ideale Mission der Kunsttopographien ist. Um die alphabetische Reihenfolge nicht aufgeben zu müssen und die kunstgeschichtlichen Zusammenhänge doch zu einem übersichtlichen Ganzen schließen zu können, wurden die allgemeinen Resultate der dem Band zugrunde liegenden Forscherarbeit, in einer kunstgeschichtlichen Übersicht vereinigt, dem alphabetischen Teil vorausgestellt. Von dieser kunst- geschichtlichen Übersicht bearbeitete Professor M. Hörn es die Prähisto- rischen Denkmale, M.Nistler die Römischen Denkmale und Hans Tietze die Denkmale der Kunst des Mittelalters und der Neuzeit.

Dem Rahmen dieser Zeitschrift entsprechend sei ein kurzes Referat über die Ergebnisse des letzten Abschnitts gegeben, dessen Denkmal-

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI. 38

552

Literaturbericht.

bestand zudem den weitaus größten Teil der Kunsttopographie ausmacht. Daß diese Ergebnisse in einem an den fruchtbaren Rebenufern der Donau gelegenen Bezirk, den die großen westöstlichen Heer- und Handelsstraßen seit den ältesten Zeiten durchkreuzten und wo berühmte Klöster seit dem frühen Mittelalter anregende Kulturzentren bildeten, reich sind, braucht kaum gesagt zu werden. Trotz der ungeheuren Verwüstungen durch Elementarereignisse und Kriege sind noch einige romanische und gotische Denkmale von allgemeiner historischer Bedeutung erhalten, wovon hier nur die aus dem Beginn des XIII. Jh. stammenden "Wandmalereien im Passauer Hof in Krems mit Darstellungen aus dem Kreise der Aeso- pischen Fabeln und der Physiologus-Illustrationen erwähnt seien. Der gotische Baustil zeitigte besonders in der Wachau und in Krems und Imbach interessante Kirchenanlagen und herrschte bis an das Ende des XVI. Jh., wo er von der Barocke abgelöst wird. Die Renaissance wurde nie bodenständig, wenn ihr auch einige bedeutende Denkmale, wie das wahrscheinlich von Alexander Colin stammende Freigrab des Hans Georg von Kuefstein in der Wallfahrtskirche Maria Laach zu verdanken sind. Auch die Maler der Donauschule sind nur spärlich vertreten. Mit der Vorbereitung der Gegenreformation erstarkte das künstlerische Leben wieder, und der Grund zur reichen Blüte der Barockkunst wurde gelegt. Cyprianus Biasino baut in Göttweig die erste Barockkirche Österreichs, indem er die 1580 niedergebrannte gotische mit Beibehaltung des alten Grund- risses, dem modernen Formstil entsprechend wieder aufbaut und so die Barocke als direkte Fortsetzung der Gotik einführt. Aber auch ohne diese materielle Grundlage baut er die Kirche in Krems in Fortsetzung der gotischen Grundrißtradition. Die allzu verbreitete Anschauung, daß die süddeutsche Barocke nur als » Jesuitenstil « in Anlehnung an die Bauten Vignolas bestanden habe, wird durch diese Beispiele, denen sich viele andere gesellen dürften, hinfällig. Die großzügige neue Kloster- anlage in Göttweig von Hildebrand, dem berühmten Konkurrenten des Fischer von Erlach, ferner die herrliche Barockkirche und das Kloster in Dürnstein von Prandauer, dem Erbauer der Stiftskirchen von Melk und Herzogenburg, seien als hervorragendste Beispiele aus dieser durch Denkmale am reichsten vertretenen Zeit genannt. Von Barockmalern finden sich Werke von Altomonte, I. R. Byß, Troger und in größter Anzahl von Johann Martin Schmidt, dem bekannten Kremser Schmidt, dessen Altarbilder zu den liebenswürdigsten und hinreißendsten Werken der gesamten ßarockkunst gezählt werden müssen. Damit ist nur das Allerwichtigste erwähnt. Auf die reichen Sammlungen und Interieurs des Stiftes Göttweig z. B., sowie des Schlosses Grafenegg oder etwa die reiz- vollen Formen der zahlreichen Bildstöcke, Pestsäulen usw., die als die

Literaturbericht.

553

bodenständigsten und volkstümlichsten Kunstdenkmale von oft bedeutender künstlerischer Ausführung den Lokalhistoriker besonders fesseln, und deren eminenter Stimmungswert sie wichtiger als manches Kunstwerk von allgemeiner Bedeutung erscheinen läßt, kann hier nicht eingegangen werden.

Tietze hat die schwierige und überaus mühsame Aufgabe, die Masse der vorhandenen Denkmale zu einem übersichtlich geordneten Ganzen zu vereinen, in dem jede Ortschaft für sich wieder in ihrer hi- storischen Entstehung als Einzelindividuum skizziert erscheint, und daraus das historische Fazit zu ziehen, in glänzender Weise bewältigt. Als wünschenswerte Neuerung für die folgenden Bände erscheint mir nur ein Abbildungsnachweis in der kunstgeschichtlichen Übersicht und eine möglichst lückenlose Abbildung gerade derjenigen Denkmale, die in dieser Übersicht als historisch bemerkenswert genannt und be- sprochen sind.

Ernst Diez.

Paul Weber. Baugeschichte der Wartburg. Sonder-Abdruck aus: Die Wartburg . . . dargestellt in Monographien . . . und bearbeitet vom Herausgeber Max Baumgärtel Berlin, Hist. Verl. Baumgärtel 1907.

Von dem monumentalen Werke über die Wartburg muß auch im Repertorium aus dem Grunde besondere Notiz genommen werden, weil in einem größeren Abschnitt, der als Sonderdruck vorliegt, die Bäu- geschichte der Burg eine ausführliche Darlegung erfährt, die für die Geschichte speziell des romanischen Profanbaues von grundlegender Be- deutung wird. Der romanische Palas der Burg nimmt ja eine ganz einzigartige Stellung dadurch ein, daß er niemals einer gewaltsamen Zerstörung ausgesetzt gewesen, und daß auch die Wiederherstellung verhältnismäßig schonend vorgenommen worden ist. So ist er auch heute noch das wichtigste Zeugnis des romanischen Wohnhaus. Zu dem reichen Denkmalbestande, den das Landgrafenhaus und weiterhin die übrigen Bauten der Burg schon an sich repräsentieren, treten urkundliche Zeug- nisse: Rechnungsbücher und Bauakten, die ohne allzugroße Lücken bis zum Jahre 1448 hinaufreichen. Durch genaueste Kenntnis des Denkmäler- bestandes nicht weniger als der urkundlichen Nachrichten ist es nun Weber gelungen, ein überaus anschauliches und überzeugendes Bild der Baugeschichte der ganzen Burg zu geben.

Zweifellos ist die Anlage der Burg das Werk Ludwigs des Sprin- gers, der auch als Erbauer des Landgrafenhauses immer noch hie und

38*

554

Literaturbericht.

da herumspukt. Davon kann natürlich keine Rede sein. Nur der bis ans Ende des i8. Jahrhunderts im wesentlichen erhalten gewesene Berg- fried ging Vielleicht auf die erste Anlage Ludwigs zurück; möglicher- weise auch die Anlage der selbständig für sich stehenden Burgkapelle. Daß wir es im Landgrafenhause mit einer Schöpfung des spätroma- nischen Stils zu tun haben, ist nicht zu bezweifeln, aber über die genauere Datierung herrschten Zweifel. Ref. selbst hatte in seinen » Studien zum romanischen Wohnbau« (Straßburg 1902), die von Weber nur noch in den Anmerkungen verwendet werden konnten, mit anderen an Landgraf Hermann I. gedacht, besonders mit Beziehung auf das ursprünglich offenbar nicht geplante zweite Obergeschoß. An diesem Punkte setzt nun zunächst die exakte Arbeit des Fachhistorikers ein, und die gemeinsame Arbeit von Runst- und Fachhistoriker führt zu den schönsten Resultaten. K. Wenck macht in seiner (bereits 1898 geschriebenen) »ältesten Geschichte der Wartburg von den Anfängen bis auf die Zeiten Hermanns I.« darauf aufmerksam, daß von n 13—12 27 die Grafen von Wartberg als Vasallen des Landgrafen auf der Wartburg gesessen haben also herrschaftliche Beamte, Burggrafen. Es scheint verv/underlich, warum die Landgrafen, wenn die Wartburg ihr bevorzugter Sitz war, besondere Burggrafen neben sich gehabt haben sollen. Und diese Annahme, daß die Wartburg den Landgrafen bereits im 12. Jahrhundert als Lieblingssitz diente, ist unbewiesen und unwahr- scheinlich. Dagegen deutet alles darauf hinauf Einzelnes kann nicht näher eingegangen werden daß Hermann 'I. und wohl auch schon Ludwig III. in Eisenach Hof gehalten haben. Nur von der Stadt Eisenach ist überall die Rede; ihr, die bis auf seine Zeit in den gleich- zeitigen Quellen kaum genannt wurde, wendet Hermann I. seine entschie- denste Fürsorge zu. Noch 12 ii erscheint die Wartburg nur als eine Festung, die Hermann aufsucht, um sich vor seinen Feinden zu retten. Auch Ludwig IV. und die h. Elisabet werden erst von 1224 an in den gleichzeitigen Quellen mit der Wartburg in Beziehung gebracht, so daß vor dieser Zeit eine landgräfliche Hofhaltung auf ihr nicht bestanden haben wird. In diesem Jahre vollzieht Elisabet auf. der Wartburg ihre zweite Niederkunft; die erste war auf Schloß Kreuzburg an der Werra erfolgt. Der Biograph ihres Gemahls, Kaplan Bertold, erklärt dies näher: »Zur Milderung der Schmerzen ihrer Niederkunft bot die Wartburg Be- quemlichkeiten.« So muß also um diese Zeit eine durchgreifende Um- änderung mit der Wartburg vor sich gegangen sein: aus der Festung wurde ein Wohn.sitz des landgräflichen Hauses. Alle Erzählungen von der auf der Wartburg verlebten Jugend Elisabets, vom Sängerkrieg auf der Wartburg können gegenüber den geschichtlicb bezeugten Tatsachen nicht bestehen. Gerade aber dieses Sagengestrüpp hatte bisher von

Literaturberichl.

555

einer kritischen Nachprüfung an der Hand der gleichzeitigen geschicht- lichen Quellen abgehalten.

Und das Ergebnis der stilkritischen Durcharbeitung des Baues selbst ist dasselbe. Zunächst stellt Weber fest, daß die äußere Erscheinung des Palas auf den Ausgang des 12. und die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts deutet.

Weiter betont er die überaus reiche Mannigfaltigkeit der Formen und Motive, die trotzdem deutlich bezeuge, daß »all diese Zierstücke in einem zusammenhängenden Zeitraum von nicht allzu weiter Ausdehnung geschaffen worden sind.« Dasselbe hat auch Ref. bereits (a. a. O. S. 196) ausgesprochen. Es ist nicht wunderbar, daß im Erdgeschoß noch manches Altertümliche, wie in dem Profil der Säulenbasen, so in dem Figürlichen und der Technik der Kapitelle begegnet. So erklärt sich aber auch, daß man mehrfach den unteren Geschossen ein höheres Alter zugeschrieben hat. Und Schwierigkeiten bleiben immerhin. Wenn Weber auf das Motiv des auf einem Ringe aufsitzenden Kämpfers besonders aufmerksam macht ein Ausdrucksmittel, das »nur der reifste romanische Stil auf der Höhe des Reichtums seiner Ausdrucksmittel« habe entwickeln können und beweise, daß auch das Erdgeschoß der spätesten romanischen Epoche angehöre so muß doch gesagt werden, daß sich dies selbe Motiv bereits in Schwarzrheindorf, also um die Mitte des 12. Jahrhunderts findet. Auch die Kaiserpfalz in Gelnhausen ist nur mit Vorsicht als Vergleichs- material zu benutzen; sie ist nicht nur das Denkmal einer anderen pror vinziellen Richtung, sondern wie Ref. nachgewiesen zu haben glaubt (vgl. diese Zeitschrift Jhrg. 1904, S. 133) von Frankreich her stark beeinflußt jedenfalls von allen anderen deutschen Pfalzenbauten vollständig ab- weichend.

Das letztlich Ausschlaggebende für unsere Stellung zur Datierung ist eben doch der mit höchster Wahrscheinlichkeit geglückte Beweis des Historikers, daß vor 1224 kaum eine Hofhaltung auf der Wartburg be* standen haben kann. Als Erbauer käme danach nur Landgraf Hermann (1190— 1217) und Ludwig IV. der Heilige (1217 1224) in Betracht. Aus historischen Gründen kommt Weber dazu, den Beginn des Baues in die Jahre 1205 1210 zu verlegen. Daß ursprünglich nur das erste Obergeschoß geplant war, ist sicher; doch ist es wahrscheinlich, daß auch das zweite Obergeschoß noch von Hermann begonnen worden ist. Den Grund dafür sucht Weber feinsinnig in dem zweifellos besonders in seinen letzten Jahren als pathologisch zu bezeichnenden Geistes- zustände des Landgrafen. Das Begonnene hat dann Ludwig IV. zu Ende geführt; sparsamer und mit künstlerisch nicht auf der Höhe des Übrigen stehenden Kräften. Das wird im einzelnen in ganz ausgezeichneter

556

Literaturbericht.

Weise beleuchtet. Etwa 1223 wird der Bau vollendet gewesen sein, so daß ihn die h. Elisabet beziehen konnte. Dami^ sind die Daten über die Erbauung der Wartburg auf eine neue und zuverlässige Basis gestellt.

Im einzelnen führt Weber den Nachweis, daß sich der ur- sprüngliche Zugang an der Nordseite des Palas befand und zwar bis zur Zeit Friedrichs des Freidigen, der das neue Landgrafenhaus direkt an die Nordseite anbaute und dafür an der Fassade einen Treppenturm errichtete, dessen spitzbogige Türen im ersten und zweiten Obergeschoß noch in Zeichnungen der Bauakten von 1840 erhalten waren.

Auch sonst ergeben sich zahlreiche neue Resultate. In der jetzigen »Hofküche« ist mit großer Wahrscheinlichkeit das Schlafzimmer des herrschaftlichen Paares zu sehen.

Die Kapelle ist ja zweifellos noch romanisch, und die Annahme hat viel für sich, daß sie noch vor 1224 entstanden ist Durch den großen Saal im zweiten Obergeschoß war der des ersten sowieso halb überflüssig. Und für die h. Elisabet mußte eine Kapelle nahe ihren Wohnräumen von besonderer Wichtigkeit sein.

Daß die heutige Rekonstruktion des großen Saales unbefriedigend ist, wird allgemein zugegeben: sehr wohl läßt sich denken, daß das Dach ursprünglich, wie Weber denkt, auf der Zwischenwand, nicht der West-, der Fassadenwand aufgelegen hat, und die vorgelagerte Galerie ein selb- ständiger Teil mit Wehrgang und Zinnenkranz war. »Wandmalereien« waren hier gewiß nicht angebracht, wohl aber Deckenmalereien, auf die sich der Bericht Joh. Rothes über den Brand von 1317 allein beziehen läßt.

Von sonstigen Einzelheiten ist interessant die von E. Martin ge- gebene Deutung des Tympanons über dem Eingangsportal. Es ist der im » Wolfdietrich « erzählte Tod des Königs Ortnit, der auszieht, sein Land von einem furchtbaren Drachen zu befreien, dabei aber trotz der Warnung in tiefen Schlaf verfällt. Im Schlaf wird er dann von dem Drachen überrascht. Das Relief, früher am Wachturme angebracht als eine an dieser Stelle sehr passende Mahnung zur Wachsamkeit, wäre in- teressant als Zeugnis für die Volkstümlichkeit des Epos. Noch inter- essanter wäre es, wenn sich dieser volkstümliche Stoff auch an den Por- talen der Kirchen zu Altenstadt und Straubing verwendet nachweisen ließe (vgl. die Studien a, a. O. S. 173).

Das zweite, einzig erhaltene Relief, Simson mit dem Löwen, ist vielleicht der letzte Rest der Burgkapelle.

Die folgenden Abschnitte über die weitere wechselreiche Geschichte und Baugeschichte der Burg in all ihren sonstigen Anlagen bis zum Ausgange des Mittelalters, ihre Umwandlung in ein Festungsschloß im

Literaturbericht.

557

i6. u. 17. Jahrhundert, endlich die Geschichte des Verfalls im 18. und der Wiederherstellung interessieren hier natürlich weniger.

Die Illustration ist überaus reichhaltig und sorgfältig und bringt außer allem irgendwie wichtigem Erhaltenen in Gesamt- und Einzelauf- nahmen zahlreiche Pläne, Aufnahmen aus den Bauakten, Zeichnungen bis ins 19. Jahrhundert hinein. Eine Regestentafel faßt die Hauptdaten übersichtlich zusammen.

Eine vorbildliche, vornehme Publikation, zu der die kunstgeschicht- liche Forschung sich Glück wünschen kann. Daß infolge des sehr unbe- quem hohen Formats zuweilen der Wunsch nach einem Fernrohr zur Be- wältigung des Textes wach wird, soll nicht verschwiegen werden.

Frankfurt a. M. Karl Simon.

Jan Fastenau, Die romanische Steinplastik in Schwaben. Mit

82 Abbildungen. Esslingen a. N., Paul Neffs Verlag (Max Schreiber).

1907. VI und 91 Seiten.

Es ist ein verhältnismäßig eng umschriebenes Gebiet, dessen Bear- beitung sich der Verfasser zur Aufgabe gemacht hat, und es steht unter den für die Geschichte der romanischen Bildhauerkunst in Deutschland wichtigen Gebieten nicht in der vordersten Reihe. Erst in späteren Stilperioden hat der schwäbische Kunstgeist seine volle schöpferische Kraft entfaltet: Spätgotik und Renaissance bilden zusammen das klassische Zeitalter der schwäbischen Kunst, und erst in diesen vor- gerückten Zeitabschnitten hat sie die hervorragende Stellung erlangt, die ihr in der Geschichte der deutschen Kunst des Mittelalters und der neueren Zeiten zukommt. Dagegen vermögen in der romanischen Periode von der Baukunst abgesehen die Erzeugnisse schwäbischer Kunst- übung, einschließlich der Plastik, im Durchschnitt keine höhere als eine vorwiegend provinziale Geltung für sich in Anspruch zu nehmen.

Die schwäbische Landschaft ist trotzdem keineswegs arm an roma- nischen Bildhauerwerken. Wenn es hier auch an Proben einer monu- mentalen Großplastik gebricht, wie sie innerhalb des Rahmens romanischer Bauformen in Franken, wie in Ober- und Niedersachsen zu finden sind, so sind doch Beispiele einer gleichzeitig geübten tüchtigen Steinbild- hauerkunst im Zusammenhänge architektonischer Aufgaben auch auf schwäbischem Boden in größerer Anzahl nachweisbar, und die Werke eben dieser dekorativen Steinplastik sind es, auf deren Sammlung und Sichtung der Verfasser sein Augenmerk gerichtet hat. Ich glaube nicht, daß ihm ein namhafter Gegenstand unter denen, die hierhergehören, ent- gangen ist; im Gegenteil haben in seiner Arbeit neben den bekannten eindrucksvolleren Schöpfungen auch kleinere und selbst kleinste Kunst-

558

Literaturbericht.

gebilde die ihnen gebührende Beachtung gefunden. Nicht minder ist der Fleiß zu loben, mit dem die Beschreibung der einzelnen Werke nach ihrer örtlichen Lage und ihrem sachlichen Inhalt gegeben ist. Wem es um die Kenntnis dieser besonderen Denkmälergruppe zu tun ist, dem ist hier ein ergiebiger und übersichtlicher Führer an die Hand gegeben.

Weniger kann ich mich mit der geschichtlich-kritischen Behandlung des Gegenstandes einverstanden erklären. Ich will nicht sagen, daß diese Seite der Sache vom Verfasser ganz außer acht gelassen sei. Es begegnen dem Leser hin und wieder neben der bloßen gegenständlichen Beschreibung oder Deutung die Ansätze auch zu einer Analyse der P'orm und den aus ihr sich ergebenden wissenschaftlichen Schlußfolgerungen. So, wenn die üppig wuchernde ornamentale Ausstattung der Kapelle von Murrhardt mit ver- wandten Erscheinungen im benachbarten Mainfranken zusammengehalten oder wenn die häufig wiederkehrende Ausfüllung der Rundbogenfriese mit figürlichen oder sonstigen Zierformen als eine Eigentümlichkeit des spezifisch schwäbischen dekorativen Stiles nachgewiesen wird u. a. m. Allein man vermißt doch ungern neben solchen vereinzelten Beobachtungen eine systematische Darstellung des Ganzen und mit ihr die Aufstellung oder die Beantwortung einer Reihe von weiteren Fragen, die das Thema stellt. Ich möchte dafür nur ein Beispiel statt vieler anführen. Für die aus dem 1 1. Jahrhundert stammenden Kirchenbauten des Hirsauer Bene- diktinerklosters, die den Ausgangspunkt einer einflußreichen und weitaus- gebreiteten geistlichen Bauschule gebildet haben, sind durch Dehio und V. Bezold wie durch Paulus bestimmte vorbildliche Anregungen nachge- wiesen, die mit der Ordensregel der Cluniazenser von Burgund nach Hirsau verpflanzt worden sind. Wie verhalten sich nun die plastischen Bildwerke, die sich da und dort an den Werken dieser Hirsauer Schule finden oder auf sie zurückzuführen sind, zu jenen epochemachenden Schöpfungen dekorativer Plastik, mit denen zu gleicher Zeit die unter dem Einfluß von Cluny stehenden burgundischen Abteikirchen ausge- stattet worden sind? Ein Werk etwa, wie das mit dem Salvator Mundi und seinen dienenden Engeln nebst zwei Donatoren geschmückte Tym- panon der eng mit Hirsau zusammenhängenden Kirche von Alpirsbach im württembergischen Schwarzwald ist an stilistischer Durchbildung bedeutend genug, um eine solche Fragestellung nicht als unbegründet oder nebensächlich erscheinen zu lassen, vollends im Angesicht der Tatsache, daß sich auch in frühgotischer Zeit französische Einflüsse wiederholt gerade im Westen des schwäbischen Kunstgebietes in der Steinplastik geltend machen. Und ferner, ganz für sich allein betrachtet, was für eine Kunstfertigkeit ist es, die in dem Reliefbilde jenes Bogenfeldes wie auch weiterhin an den skulpierten Kapitälen und Säulenbasen des Langhauses im Innern der

Literaturbericht.

559

Alpirsbacher Kirche hervortritt: ist es eine aus zweiter Hand empfangene und teilweise zur Manier erstarrte Kunstform, deren ursprüngliches inneres Leben vielleicht schon Jahrhunderte zuvor erloschen gewesen ist, oder sehen wir richtiger darin den Ausdruck einer zwar robusten, aber doch jugendfrischen autochthonen Kraft vorwiegen, so wie sie etwa auch in dem merkwürdigen Freudenstädter Taufbecken, das ja nach allgemeiner Annahme ebenfalls aus dem Kunstkreise von Hirsau stammt, oder an dem zuletzt genannten Orte selbst in jenem wuchtigen Figurenfriese wirksam ist, den der allein noch erhaltene nordwestliche Turm der jüngeren Klosterkirche aufweist? Nur nebenbei sei bemerkt, daß der Verfasser es sich mit der bildlichen Auslegung dieses Frieses doch wohl allzuschwer gemacht hat. Ich sehe, wie auch andere Beurteiler, in der Mehrzahl der l'iergestalten, die sich in dem Friese mit den Steinmetzen- bildnissen und den Löwen begegnen freilich sind sie arg von Wetter- und Brandschaden mitgenommen weder Antilopen noch auch Symbole des der Sinnenlust erliegenden Menschen, sondern nichts als Hirsche, deren Verwendung, wenn man sie nicht ohne weiteres aus alt- christlicher Überlieferung ableiten will, sich ebenso einfach aus dem Namen des Ortes erklären läßt; den Hirsch hat ja die Abtei auch später als redendes Bild in ihr Wappen aufgenommen. Vielleicht entschließt sich der Verfasser, in einer späteren, ausführlicheren Studie auch auf die erwähnten und andere Fragen der eigentlichen geschichtlichen Betrach- tung näher einzugehen. Er wird damit den Dank, den wir ihm heute schulden, noch wesentlich zu vermehren imstande sein.

H. Weizsäcker.

Hans von der Gabelentz, Die kirchliche Kunst im italienischen Mittelalter. Ihre Beziehungen zu Kultur und Glaubenslehre. Straßburg, J. H. Ed. Heitz, 1907. (Zur Kunstgeschichte des Auslandes. Heft 55.)

»Was die darstellende Kunst des Mittelalters grundsätzlich von der antiken Kunst sowohl wie von der modernen unterscheidet, ist das, daß sie nicht um ihrer selbst willen besteht, vielmehr in erster Linie Vermitt- lerin der religiösen Ideen ist. Nicht die Ästhetik schreibt ihr ihre Ge- setze vor, sondern die Kirche, und nicht in der Ausbildung schöner Formen allein sieht sie ihre Vollkommenheit, sondern in der Erziehung des Menschen zum Glauben.« Ich glaube nicht, daß diese Sätze, mit denen Verf. seine Arbeit beginnt und die dem Buche gleichsam als Legitimation dienen sollen, richtig sind. Aber es ist richtig, daß es in dem besonderen Wesen der mittelalterlichen Kunst begründet liegt, wenn man sich ihr in einer ganz anderen Weise, als es sonst möglich ist, von

560

Literaturbericht.

der inhaltlichen Seite nähern kann, und daß deshalb ikonographische Untersuchungen für diese Epoche nicht nur berechtigt, sondern in mancher Hinsicht notwendig sind. Den Inhalt der Arbeit G.s bildet aber nicht eigentlich eine Ikonographie der einzelnen Darstellungsgegen- stände, sondern eine Geschichte und Charakteristik der wichtigsten Stoff- gebiete als solcher. Es ist eine Geschichte des Bilderkreises der kirchlichen Kunst des Mittelalters in Italien, mit besonderer Berücksich- tigung der literarischen Quellen.

Die besten Arbeiten dieser Gattung hat die französische Kunst- archäologie geliefert; es sei besonders an Emile Mäles L’art röligieux en France erinnert. Eine spezielle Darstellung der italienischen Kunst des Mittelalters unter diesem Gesichtspunkte existierte dagegen noch nicht. Das Studium der französischen Kunst mußte zu allen derartigen For- schungen besonders locken, da das kirchliche Wissen und Denken des Mittelalters in Frankreich seine höchste Ausbildung gefunden hat; Italien bietet dagegen die einzige Möglichkeit, die kirchliche Kunst in ununter- brochener Tradition bis zu den Anfängen altchristlicher Kunst zurückzu- verfolgen. Neben dieser offenbaren Wirkung der altchristlichen Tradition wäre es für Italien besonders interessant zu konstatieren, welchen Einfluß die byzantinische Kunst, deren Einwirkungen auf den Stil und die ikono- graphische Ausgestaltung einzelner Szenen ja bekannt sind, gerade auch auf die Entwicklung des kirchlichen Stoffgebietes in seiner Totalität aus- geübt hat. Das Fehlen einer Geschichte des byzantinischen Bilderkreises im besonderen Hinblick auf die großen Bilderzyklen und Folgen ist gerade bei der Lektüre des Buches von G. besonders fühlbar.

G.s Buch ist mit großen Kenntnissen und strenger Sachlichkeit ge- schrieben ; es ist in jeder Beziehung zuverlässig, und tatsächliche Irrtümer sind kaum anzutreffen. (Zu p. 187, die Darstellung der hlgn. drei Mütter ist nicht identisch mit der sog. hlgn. Sippe.) Die Denkmälerkenntnis ist eine erschöpfende, und auch die literarischen Zeugnisse sind ergiebig und nicht nur auf das nächstliegende beschränkt. Am interessantesten sind die Abschnitte, in denen Kunst und Literatur in enge Parallele gerückt werden. Im übrigen aber leidet das Buch durch die Art der Darstellung, die sich allzusehr mit dem Ziel einer referierenden Tatsachenchronik bescheidet. Wäre dem Buche wenigstens ein resümierendes systematisches Kapitel beigegeben, das dem Leser die Frucht einer so mühsamen Arbeit böte, tunlichst in der greifbaren Gestalt abgerundeter Urteile am lieb- sten eines Urteils über die Verschiedenheit der Ausgestaltung, die der kirchliche Bilderstoff im Lande der klassischen Kunst gegenüber dem klassischen Lande der kirchlichen Gelehrsamkeit erfuhr. Das Buch dürfte sich durch seine positiven Qualitäten in erster Linie eignen als brauch-

Literaturbericht.

561

bare, praktische und zuverlässige Einführung in den Wissensstoff, der für ein ernsthaftes Studium der mittelalterlichen Kunst notwendig ist. Es wird aber auch sonst als Nachschlagewerk und Materialsammlung von Nutzen sein.

Swarzenski.

Beiträge zur Westfälischen Kunstgeschichte. Herausgegeben von Hermann Ehrenberg, Heft i. Ferdinand Koch, Die Gröninger Ein Beitrag zur Geschichte der Westfälischen Plastik in der Zeit der Spätrenaissance und des Barocks. Heft 2. Friedrich Born, Die Belden- snyder. Ein Beitrag zur Kenntnis der Westfälischen Steinplastik im sechzehnten Jahrhundert. Coppenrathsche Buchhandlung. Münster (Westf.) 1905.

Die Reihe dieser Veröffentlichungen, die der Erforschung eines bis- lang stark vernachlässigten Kunstgebietes gewidmet sind und für deren Zustandekommen sowohl dem Herausgeber wie dem Verleger besonderer Dank gebührt, wird mit einem stattlichen mit 31 Tafeln versehenen Band eingeleitet. Er ist den Schöpfern jener zahlreichen Altäre, Grabmäler, Epitaphien usw. gewidmet, mit denen die breiten Pfeiler und Wände der mittelalterlichen Dome in Münster, Paderborn, Minden und Osnabrück behängen sind, einer Künstlerfamilie, die durch anderthalb Jahrhunderte hindurch die westfälische Plastik beherrscht hat Der älteste, Heinrich Gröninger (ca. 1560 1631), hat fast ausschließlich für den Paderborner Dom gearbeitet, -Gerhard (1582 1652), Johann Mauritz (gestorben 1707) und Johann Wilhelm Gröninger (1675 1732) waren hauptsächlich in Münster tätig. Ihnen schließen sich einige geringere, zum Teil ver- schwägerte Bildhauer an: Hans Lacke, Johann Kross, Wilhelm Spannagel, W. H. Kocks und der sonderartige Adam Stenelt, der in Osnabrück lebte. Ihr bevorzugtes Material ist der feinkörnige Baumberger Stein, ein kalkiger Sandstein, der von einem niedrigen, im Süden von Münster gelegenen Höhenzuge gewonnen wird und dessen leichte Bearbeitung solche Vir- tuosenstücke wie das Dorgelo-Epitaph (Taf. X) gestattet

Auf Grund archivalischer und stilkritischer Forschungen gelingt es Koch, den Hauptbestand der plastischen Arbeiten jener Zeit auf die ge- nannten Künstler zu verteilen, und es beeinträchtigt kaum den Wert der sorgfältigen und fleißigen Arbeit, wenn man gerade nicht unbedingt in allen seinen Zuschreibungen dem Verfasser Folge leistet wie bei der Zuweisung des Westerholt- und des Huichtebruch-Epitaphs im Dom und der beiden diesen verwandten Kerckerinck- und Hausmann -Epitaphien in der Überwasserkirche zu Münster an Gerhard Gröninger. Ihre nüchternen, leblosen und eckigen Figuren haben mit dem geschmeidigen,

5Ö2

Literaturbericht.

in gefälligen Linien komponierten Gestalten dieses temperamentvollen Künstlers nichts gemein, ebensowenig wie m. E. die Figuren der auf S. 8 6 ff. erwähnten Holzreliefs im Besitz des Landesmuseums zu Münster.

Außer den von Koch aufgeführten Werken werden von ihm selbst nachträglich noch mehrere jetzt im Landesmuseum befindliche Arbeiten: vier Reliefs (»Kreuztragung«, »Christus vor' dem hohen Rat«, »Auf- erstehung« und Martyrium der h. Katharina) dem Gerhard, ein Kruzifixus und ein Ecc'e homo dem Johann Mauritz und ein Antonius v. Padua dem Johann Wüh. Gröninger zugeschrieben. Hinzufügen möchte ich noch an Werken im Stile Gerhards: einen reichen Kamin im Rom- bergschen Schloß zu Buldern, zwei Rundreliefs in der Kirche zu Hiddings und eine Gruppe »Begegnung Mariä und Elisabeths« in einem Heiligenhäuschen bei Freckenhorst.

Kann die Arbeit von Koch im wesentlichen als abschließend be- zeichnet werden, so bedarf dagegen die Untersuchung Borns über die Beldensnyder noch sehr der Ergänzung. Freilich das Werk des ziemlich un- bedeutenden Johann Beldensnyder, der nach Vertreibung der Wieder- täufer (1535) den münsterischen Dom mit einem neuen Lettner, Haupt- altar, Sakramentshäuschen und mehreren Epitaphien schmückte, auch in Osnabrück tätig war und das Schloß in Burgsteinfurt mit einem schönen Erker versah, ist wohl vollständig zusammengestellt. Einige seiner Arbeiten sind inzwischen im Landesmuseum untergebracht. Bei der Auf- deckung der alten Polychromie fanden sich auf dem Relief mit der Anbetung der Könige (Tafel XV b) oberhalb der Figuren zwischen den Pilastern in Tempera gemalte Engel, Hirten und Begleiter der Könige. Die beiden Vasen in Relief über den Löwenmasken und die Rosetten neben den Wappen sind als spätere Zutaten entfernt worden.

Dem vorzugsweise im i. Drittel des 16. Jahrhunderts tätigen Meister, als dessen Hauptwerke Born den Einzug Christi in Jerusalem, der ehemals den Westgiebel des Domes zu Münster schmückte, und die Vinnenberger Altartafeln nennt, und dem er außerdem noch einige kleinere Werke, Epitaphien im Kreuzgange und Vikarienkirchhofe des münsterischen Domes und einige Bildwerke in der Kirche zu Herzfeld (Kr. Beckum) zuweist, wird der Verfasser weder in seiner Bedeutung noch im Umfang seiner Tätigkeit gerecht. Von ihm, den Born ohne hinlänglichen Beweis Henrik Beldensnyder nennt, ist zunächst die aus überlebensgroßen Freifiguren bestehende Kreuzigungsgruppe im Landesmuseum zu nennen, die nebst anderen zahlreichen Skulpturen von den Wiedertäufern zer- schlagen und zur Verstärkung der Kreuzschanze benutzt, Winter 1897/8 von Max Geisberg wieder aufgefunden und Sommer 1907 vom Bericht- erstatter zusammengesetzt worden ist. Ferner arbeitete er für das

Literaturbericht.

563

Zisterzienserkloster Marienfeld (bei Gütersloh) einen Lettner der Ende des 18. Jahrhunderts zerstört worden ist. Die noch vorhandenen 0,69 m hohen sitzenden Apostelfiguren, die denselben schmückten, zeigen eine Größe der Auffassung und ausdrucksvolle Charakterisierung wie wenige Werke dieser Zeit. Unter dem Lettner stand ein Altar mit der Passionsgeschichte und ein anderer mit der Legende des Einsiedlers Antonius (Sub doxali in medio altarium S. Crucis et S. Anthonij affixa tabula... Chronik von Marienfeld von Hermann Hartmann 1715). Der Passionsaltars steht jetzt im nördlichen Querschifif, die Hauptteile des Antoniusaltar sind aus dem Besitz zweier Landwirte in der Nähe von Marienfeld für das Landesmuseum erworben worden.

Auch in Osnabrück lassen sich zahlreiche Werke seiner Hand nach- weisen: acht lebensgroße, stehende Apostel im Chorumgange des Domes, nach dem Wappen der Stifter 1515 20 gearbeitet, neun stehende Apostel und ein Christus in halber Lebensgröße in der Schatzkammer des Domes, eine große Kreuzigungsgruppe an der »kleinen Kirche« neben dem Dom und zwei große Holzaltäre, der Margaretenaltar im Dom und der Hoch- altar der Johanneskirche von 1512, denen beide die Flügel fehlen. Außer verschiedenen kleineren Arbeiten sind noch von Werken auf westiälischen Boden die Reste eines großen Steinaltars (Krönung Mariä, Wurzel Jesie, Baum mit den 12 Aposteln usw.) im Museum in Wiedenbrück zu nennen.

Bei den engen Beziehungen, die Lübeck im Mittelalter mit West- falen verband, kann es nicht Wunder nehmen, auch dort Werke des Meisters zu finden, den Altar mit der Kreuzigung in der Brömerenkapelle in der Jakobikirche und die vier Reliefs mit Passionsszenen an der Rückwand der Chorschranken der Marienkirche, die 1584 restauriert worden sind, so daß die Inschrift des Meisters etwas verwischt ist. Da diese Werke in Baumberger Stein ausgeführt sind, erscheint ihr west- fälischer Ursprung wahrscheinlich.

Unter den allen diesen Arbeiten gemeinsamen Merkmalen ist ins- besondere hervorzuheben: der schwermütige bekümmerte Ausdruck der asketischen Köpfe mit ihren eingesunkenen Wangen, der selbst die Gesichter der Schergen sorgenvoll nachdenklich macht und als trüber Ernst das »Hosianna« des Volkes im Einzuge Christi (Taf. I) fast einem »Kreuzige!« ähnlich erscheinen läßt, die schlichte ungekünstelte Art der Bewegung und Haltung der Figuren, die frei ist von schnörkelhaften, nicht im Motiv selbt begründeten Gebärden, und im Zusammenhang damit die ruhige maßvolle Behandlung des Faltenwurfs, die jeden spielerischen Effekt verschmäht. Mag man den Meister Henri c Beldensnyder oder anders nennen, jedenfalls verdient er es, in die Reihe der besten deutschen Bildner, seiner Zeit gestellt zu werden. Adolf Brüning.

564

Literaturbericht.

Jos. Braun, S. I.: Die Kirchenbauten der deutschen Jesuiten. Ein Beitrag zur Kultur- und Kunstgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. Erster Teil: Die Kirchen der ungeteilten rheinischen und der nieder- rheinischen Ordensprovinz. Mit 13 Tafeln und 22 Abbildungen im Text (XII, 276 S.). Freiburg 1908.

Der Verfasser hat sehr schnell sein Versprechen erfüllt und seinem Buche über die belgischen Jesuitenkirchen den ersten Band eines größeren Werkes »Die Kirchenbauten der deutschen Jesuiten« folgen lassen. Die Art der Behandlung ist die gleiche wie in der früheren Arbeit: der Autor hat das handschriftliche Material sehr sorgfältig gesammelt und schildert auf dieser Basis jede einzelne Kirche, wobei er sich nicht auf das rein Architektonische beschränkt, sondern auch die Innenausstattung berücksichtigt, soweit sie künstlerische Bedeutung zeigt. Es sind exakte Inventarisierungen, ohne daß aber dabei subjektive Empfindungen ganz fehlen. Kunsthistorische Gesichtspunkte interessieren den Autor wohl ganz besonders, aber man fühlt an den weiten Exkursen über feierliche Grundsteinlegungen, Konsekrationen und Spenden, daß er auch an all den Persönlichkeiten, die an den Kirchenbauten direkt oder indirekt teilgenommen haben, ein warmes Interesse hegt. Um die Geschichte der Kirchen rankt sich ungezwungen eine Geschichte des Ordens und aller jener, die ihm nahe gestanden sind.

Das umfangreiche Studienmaterial erforderte eine systematische Abgrenzung, die der Autor dadurch vollzieht, daß er die Entwicklung des Ordens ia Deutschland betrachtet. Ursprünglich waren für die Länder jenseits der Alpen zwei Ordensprovinzen, die niederdeutsche und die oberdeutsche, errichtet worden. Die niederdeutsche wurde 1564 in eine belgische und eine rheinische *) Provinz geschieden; wegen Zunahme der Niederlassungen wurde aber die letztere 1626 abermals getrennt, in eine niederrheinische*) und eine oberrheinische Provinz. Wenn nun der Verfasser die ungeteilte rheinische und die niederrheinische Ordensprovinz zusammenfaßt, so hat ihn auch ein kunstgeschichtliches Motiv bei dieser Disposition geleitet. Die Auffassung der Baukunst ist in diesen Gebieten eine einheitliche: die Jesuitenkirchen zeigen nämlich durch das ganze 17. Jahrhundert hindurch mit wenigen Ausnahmen ein gotisches Gepräge; es sind zwar die verschiedensten Modifikationen, bald stärkere, bald geringere Anlehnungen an den vom Süden her in ganz Deutschland eindringenden Stil vorhanden, aber das mittelalterliche Ele- ment dominiert. Während so einerseits die traditionelle Bauweise zähe

•) Sie umfaßte: Rheinland, Westfalen, Niedersachsen, Pfalz, Elsaß, Franken, Hessen und das Mainzer Gebiet (Braun, S. i).

») Sie umfaßte: Rheinland, Westfalen und Niedersachsen (Braun, S. 1).

Literaturbericht.

565

weiter lebt, zeigt sich doch in vielen Details ein merkliches Näherrücken an die neue Baukunst und nicht selten, besonders im xA.nfang, wird einem mittelalterlich empfundenen Kirchenbau ein ganzer Bauteil in vollständig heterogener Ausführung angeklebt. (Portal an der Kirche des hl. Johannes d. T. zu Koblenz.) Noch merkwürdiger wird die Gesamtwirkung durch die innere Ausstattung, da die Altäre voll dem Zuge der Zeit folgen. Die Über- gänge von der Gotik zur Bauweise des ausgehenden 16. und ij. Jahr- hunderts sorgfältig aufgewiesen zu haben, ist eine wertvolle Tat des Autors. Uns fesselt aber weit mehr das souveräne Schalten der Archi- tekten jener Tage mit den heterogensten Bauformen, denn in diesem Zug tritt uns voll das Kunstempfinden des 17. Jahrhunderts entgegen.

In dem Festhalten an der Gotik mü.ssen wir wie schon in der Besprechung der ersten Arbeit des Autors dargelegt wurde eine große allgemeine mitteleuropäische Strömung erkennen. Immerhin lohnt es sich zu fragen, woher das kompakte Auftreten gerade in diesen Gebieten? Die Erscheinung ist keineswegs durch eine absichtliche retrospektive Bau- tendenz bedingt, sondern die Erklärung liegt in der Individualität der Meister: es sind einfache Menschen, die zwar nicht ganz unberührt von der Kunstentwicklung blieben, aber im wesentlichen doch an der Tradition der heimischen Scholle festhielten 3). Meister, wie Johann Roßkott, der die Kollegskirche zu Münster baute, oder Christoph Wämser, der Archi- tekt der Kölner und wohl auch der Molsheimer Kollegskirche 4), dürften kaum über ihren engen Heimatskreis hinaus zu Ansehen gelangt sein. Bisweilen kamen Pläne von auswärts; so fand der Autor für die Maria Himmelfahrtskirche zu Köln Pläne in der Pariser Sammlung von Entwürfen zu Jesuitenbauten, die nach der Bezeichnung (Idea Bavarica) aus Bayern stammen, aber sie gelangten nicht zur Ausführung. Auch die interessanten Entwürfe des Antonio Petrini für die Kirche des hl. Franz Xaver zu Paderborn blieben auf dem Papier; hier waren aber nicht künstlerische, sondern materielle Ursachen entscheidend.

In Rom, wohin die Pläne nach der Ordensregel gesandt wurden, mag man wohl bisweilen erstaunt gewesen sein, es wurden zwar kleine Veränderungen in einzelnen Fällen vorgenommen, aber an der heimischen Stilauffassung ernstlich zu rütteln lag eigentlich kein zwingender Grund vor, da es sich meistens um Langhäuser handelte, bei denen das Mittelschiff über die Seitenschiffe dominierte. Ganz verlassen wurden die Bahnen der Gotik in der piederrheinischen Ordensprovinz erst im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts (S. 3). Unter den von Braun angeführten Kirchen ist

3) »Die Architekten, welche die Pläne entwarfen, gehörten, ganz anders wie in den belgischen Ordensprovinzen, meist nicht dem Orden an« . . . Braun S. 6.

4) Braun S. 6.

566

Literaturbericht.

jene der Unbefleckten Empfängnis zu Büren kunsthistorisch die interessan- teste. Ein Zentralbau, in dessen Fassade, obgleich erst 1757 beendet, noch der römische Typus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auftritt, während sich um das Hauptportal schon eine Rokokoumrahmung zeigt (S. 241).

Neben der Lösung rein architektonischer Fragen beschäftigt sich der Verfasser auch in weitem Maß mit der Innendekoration. Er bringt Daten über Stukkaturen, Fresken, Hochaltäre, Skulpturen und stellt so weit als möglich auch auf diesem Gebiete die Meister fest. In einem Anhang über stilistische Eigentümlichkeiten der Jesuitenkirchen überhaupt versucht er auch einen Beitrag zur Geschichte des Ornaments, speziell des Knorpelornarhents, zu liefern. Für den Kunsthistoriker hat der Autor vor allem gearbeitet: seine eminent sachlichen und stets die sicherste historische Basis suchenden Ausführungen bilden ein Spezialwerk, über welches ein die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts zusammenfassender Autor nicht hinweggehen wird können, aber auch der Kulturhistoriker findet in diesem Buch manche Anregung.

Hugo Schmerber.

Handzeichnungen alter Meister im Städelschen Kunstinstitut, heraus- gegeben von der Direktion, Originaltreue Lichtdrucke der Hofkunst anstalt Albert Frisch. Frankfurt a. M. 1908, Selbstverlag des Städelschen Kunstinstituts.

Von dem Bestand an Zeichnungen alter Meister in den öffent- lichen Sammlungen ist ein erheblicher Teil in den letzten Jahrzehnten photomechanisch reproduziert worden. In Deutschland sind nicht nur Mappenwerke mit den Blättern der Kabinette von Berlin, München und Dresden erschienen, selbst kleine Sammlungen wie Leipzig und Köln, haben ihre besten Zeichnungen in Abbildungen herausgegeben. Der Kunstforscher bedauert allerdings, daß gewöhnlich nur diese kostspieligen Mappen erscheinen, und nicht die Möglichkeit geboten wird, wie in Florenz und Paris, Photogramme einzelner Blätter zu erhalten. In München wird diese Möglichkeit allerdings geboten.

Jetzt liegen der Prospekt und die erste Mappe aus Frankfurt vor. Das Städelsche Kunstinstitut unternimmt es, eine Auswahl seiner Zeichnungen alter Meister herauszugeben. Als Kupferstichkabinett wie als Gemälde- galerie steht die Frankfurter Sammlung den drei großen deutschen Museen quantitativ, aber nicht qualitativ nach. Die Sammlung der Zeichnungen ist nicht sehr groß, enthält aber viel Gutes und manches Außerordentliche. Einige Frankfurter Zeichnungen sind in das große Werk, das die Direktion der Albertina herausgibt, aufgenommen worden.

Literaturbericht.

567

Eine ältere Ausgabe der Frankfurter Blätter von Nöhring in Llibeck ist ziemlich verschollen. Publiziert sollen jetzt 100 Blätter werden, in IO Lieferungen. Jede Lieferung kostet 16 Mk, Die im Selbstverläge des Städelschen Institutes erscheinende Veröffentlichung ist wesentlich billiger als die technisch gleichwertigen Publikationen. Die Lichtdrucke sind von der rühmlich bekannten Firma Frisch in Berlin ausgeführt, werden mit Druck von mehreren Platten allen Eigentümlichkeiten der Originale gerecht, bieten vollkommene Faksimiles, ähnlich wie die kürzlich herausgekommenen Nachbildungen der Oxforder und der Amster- damer Zeichnungen. Man hat selbst im Papier die Nachbildung dem Original angepaßt, z. B. in der vorliegenden ersten Lieferung eine Silber- stiftzeichnung des älteren Holbeins auf Papier mit hohem Glanze gedruckt.

Der Prospekt nennt keinen Herausgeber. Vermutlich wird die Auswahl von dem tatenfrohen Direktor des Städelschen Instituts Swarzenski getroffen. Die Gewähr, daß die Interessen der Kunst- forscher dabei berücksichtigt werden, und daß ein vorsichtig siebender Geschmack alles Zweifelhafte und Minderwertige ausschließt, ist gewiß gegeben.

Der Inhalt der ersten Lieferung ist glücklich gewählt.

Von Dürer finden wir das berühmte, bei Lippmann publizierte Blatt mit den beiden weiblichen Kostümfiguren, eine Zeichnung, die wohl 1495 entstanden ist. Die eine Frau scheint in Venedig nach der Natur aüfgenommen zu sein. Vielleicht ist das Blatt etwas später in Nürnberg mit Hilfe einer venezianischen Studie ausgeführt. Zum ersten Male ver- öffentlicht, so viel ich weiß, wird das zweite Blatt, das unter Dürers Namen erscheint, der Entwurf zu einem Glasfenster, mit dem hl. Georg. Diese Zeichnung wurde in der Versteigerung der Mitchell-Sammlung (Nr. 3ä) als »Dürer« angeboten, fand nicht allgemeine Anerkennung und wurde verhältnismäßig billig für das Städelsche Institut erworben. Die Veröffentlichung des schönen Blattes, das etwa 1500 entstanden ist, er- scheint um so dankenswerter, wie die Fragen, die sich an diese Zeichnung und eine Reihe stilverwandter Holzschnitte hängen, noch nicht beant- wortet und in der mächtig angeschwollenen Literatur eher verwirrt als der Lösung näher gebracht worden sind. Die Silberstiftzeichnung vom älteren Holbein mit vier Studienköpfen ist in der vortrefflichen Holbein- Monographie von Gurt Glaser (Leipzig, Hiersemann) unter Nr. 98 kata- logisiert. Hier findet man angegeben, in welchem Verhältnis das Blatt zu einer anderen in Frankfurt bewahrten Zeichnung, dem Entwurf zu einem Allerheiligenbilde, steht.

Vom alten Pieter Bruegel eine sehr interessante Federzeichnung in der bekannten rein zeichnerischen, vielfach punktierenden Manier,

Repertorium fiir Kunstwissenschaft, XXXI.

39

568

Literaturbericht.

zwei Rabbiner darstellend, Nr. 73 in dem Katalog der Bruegel-Zeich- nnngen von Renö van Bastelaer. Die Frankfurter Sammlung ist reich an Bruegel-Zeichnungen. Hoffentlich bringt die Publikation noch mehr davon, zum Ruhme des noch immer unterschätzten Meisters.

Das große, recht fade Porträt von Hendr. Goltzius, datiert 1588, das ganz vortrefflich mit seinen Farben wiedergegeben ist, hätte vielleicht fortbleiben können. Sehr willkommen ist dagegen die schöne Zeichnung van Dycks, die Vorlage für den Stich in der »Ikonographie« (Wib. 318, Adam de Coster). Wie hoch stehen solche Zeichnungen des Meisters über den kleinen Ölbildern, die als Vorlagen für die Ikonographie ange- fertigt wurden!

Von Rembrandt wird eine vortreffliche und allgemein anerkannte, in Hofstede de Groots Katalog beschriebene Zeichnung publiziert, zwei Männer beim Zerlegen von Schweinen. Die Skizze stammt aus der früheren oder doch mittleren Zeit des Meisters.

Von italienischen Namen: Francesco Bonsignori und Domenico Campagnola. Von dem zweiten eines jener nicht seltenen Landschafts- blätter, hier als Staffage zwei Männer mit einem Globus, dem Bonsignori zugeschrieben ein grandioser, in starker Verkürzung gesehener jugend- licher Männerkopf. Ich weiß nicht, auf wessen Autorität die Zuschreibung steht. Morelli und Berenson scheinen das Blatt nicht zu erwähnen. Die Zeichnungen, die sonst unter Bonsignoris Namen gehen, sind etwas härter und strenger. Schließlich ist die französische Kunst durch eine Zeichnung von Fragonard vertreten. Trotz der Plumpheit des Darge- stellten ist mit licht und leicht tuschender Behandlung viele Anmut über das Blatt gebreitet.

Mit lebhaftem Interesse wird man nach dieser Probe den Fortgang des Werkes verfolgen. Friedländer.

Oswald Siren, Giottino und seine Stellung in der gleichzeitigen florentinischen Malerei. Kunstwissenschaftliche Studien Band I, Leipzig, Klinckhardt und Biermann 1908. 108 S. und 35 Abb. in

Autotypie auf Tafeln.

Wie das 14. Jahrhundert historisch ein Übergangsgebiet ist, so steht die Methode seiner Erforschung schwankend zwischen zwei Extremen. Lange blieb diese sonderbarste Epoche fast unbeachtet. Die Spezialisten für Mittelalter drangen höchstens bis ca. 1330 vor, bis zu Giotto und Giovanni Pisano, bis zum Ende der wirklich schöpferischen Zeit des gotischen Stils in den Ländern nördlich der Alpen. Die Renaissance- forscher gingen nur zaghaft bis gegen das Jahr 1400 zurück. Dazwischen lag ein neutraler Pufferstaat, und es war von Bedeutung, welche Partei

Literaturbericht,

569

ihn endlich annektieren würde. Die zuletzt genannte hat sich dazu er- mannt, resolut die Grenzen der Renaissance bis 1300 vorgeschoben. Nun mußte das Neuland urbar gemacht werden. Man tat es mit den Maximen, die sich im Stammland bewährt hatten. Das Trecento wurde der an Früh- und Hochrenaissance ausgebildeten Methode unterworfen. Die Folgen sind oft verhängnisvoll gewesen. Zur Gruppierung der Werke, zur Aufstellung entwicklungsgeschichtlicher Reihen brauchte man Namen, lebendige Persönlichkeiten. Die mit der Stilkritik Hand in Hand gehende Urkundenforschung und Quellenkritik bot sie in Hülle und Fülle; nur die Brücken waren zu schlagen; schnell sind sie allerorten errichtet worden! Wären die » Mittelaltrer « die ersten gewesen, das Bild des Trecento wäre heute nicht halb so lebendig aber vielleicht klarer. Statt der bald unübersehbaren Menge fester Punkte, um die sich höchst schwankende Kreise ziehen, hätten wir wenige große, durchlaufende, sicher gezogene (freilich durch viel unbezeichneten Grund getrennte) Linien gewonnen und sähen deutlicher in die letzten Probleme der Stilentwick- lung hinein.

Ich schicke diese Bemerkungen voraus, weil Sirens Buch grade methodisch, methode-geschichtlich so interessant ist. Hier kreuzen sich mittelalterliche und Renaissancemaximen. Sirdn strebt darnach, anonyme oder homonyme Werke auf eine greifbare Person zu beziehen. Am Ende aber liegt ihm viel weniger an dieser Person, als an der entwicklungs- geschichtlichen Einordnung der »Gruppe«. Der zweite Teil des Titels enthält das Entscheidende. »Giottino« hätte ruhig in Anführungsstriche gestellt werden können. Er bleibt der Schatten, der er war. Aber die Fresken der Sylvesterkapelle sind fester und m. E. richtiger in die Ent- wicklung der florentinischen Malerei hineingestellt worden, als je zuvor.

Daß eine Aufzählung und Kritik der schriftlichen Quellen voraus- geht, ist bei der besonderen Lage selbstverständlich. Vielleicht wäre es angesichts ihrer Verworrenheit gut gewesen, ein Schema aufzustellen, um die Attributionen an Maso, Giottino und Giotto di maestro Stefano end- lich einmal in übersichtlichem Bilde vorzuführen. So etwas wirkt stets aufklärend und hätte vielleicht manchem Leser Mut gemacht, die schrift- liche Tradition weniger ernst zu nehmen. Das Kapitel endet mit einem Fragezeichen; man könnte im allgemeinen Vasaris Darstellung des ca. 1324 anhebenden Lebenslaufs annehmen aber wie steht es mit Ghi- bertis Zuschreibung der Sylvesterkapelle an den unmittelbar nach Giotto arbeitenden Maso?

Und nun wird die Person vergessen, und die Kapitel 2 5 bringen die stilkritische Sichtung bezw. Aufstellung der Gruppe. Wer Sirdns kühlen, wenn auch hie und da starrköpfigen Ernst kennt, weiß, daß er

39*

570

Literaturbericht.

hier gediegene Arbeit finden wird: klares Sehen, kluge, freilich oft vor- eilige Schlüsse. Die Auseinandersetzung mit den (doch schon recht weit vorgedrungenen) Vorarbeitern (Thode, Schubring, Suida) ist ebenso ein- gehend, wie die Heranziehung aller in Frage kommenden Denkmäler. Zunächst werden die Krönung Mariä und die zwei Bilder der Stanislaus- legende in S. Francesco zu Assisi behandelt, wenig kritisch im Grunde; die Zuschreibung an den Meister der Sylvesterkapelle wird stillschweigend acceptiert. Neu ist die Hinzufügung einer Madonna mit vier Heiligen in S. Chiara zu Assisi: nach der Abbildung durchaus einleuchtend; ebenso die Analyse der darin sich kreuzenden sienesischen und florentinischen Stilelemente und die Ausführungen über Ambrogio Lorenzettis Einfluß auf Florenz (wobei aber doch wohl eine Wechselwirkung anzunehmen ist). I.eiser Widerspruch regt sich, wenn in einer hier eingefügten längeren Anmerkung Schatten zitiert werden: über die Zuschreibungen an Turino Vanni ein Urteil abzugeben, fehlt es mir zurzeit an Material inter- essant wäre es, wenn in ihm wirklich der Maler der Fresken in der Cap. Albornoz zu Assisi gefunden wäre (ihre Verwandtschaft mit Bruno di Giovannis Ursula in Pisa ist unleugbar). Aber Buffalmaco? Es bleibt doch nur eine vage Kombination und die völlige Identifizierung von S. Paolo a Ripa Campo Santo Madonna H. Home scheint mir trotz offenbarer Zusammenhänge sehr gewagt. Ähnlich steht es, wenn die Nicolausfresken in Assisi dem Stefano zugewiesen werden. Kommen wir wirklich weiter mit solchen Behauptungen, die jeder glauben und jeder bestreiten darf? Das Raisonnement mit der Pisaner Assunta ist verfehlt: sie gehört schon in Orcagnas Regionen (vergl. z. B. Krönung Mariä aus Orcagnas Kreis, Gent Nr. 121).

Mit den Kreuzigungen in S. Rufino und im Kapitelsaal von S. Francesco zu Assisi bilden die oben erwähnten Fresken » eine geschlossene Gruppe, die sich durch vollständige stilistische Homogenität auszeichnet « und entschieden gegen die Florentiner Stücke der »Gruppe« absticht. Zu diesen längst bekannten Arbeiten werden in Kap. 3— -5 neu hinzu- gefügt: drei verdorbene Fresken in der Nähe der Strozzikapelle in S. Maria Novella (?), das Triptychon der Coli. Sterbini (scheint nach der Abbildung durchaus nicht zwingend), die durch die Rahmung auffallende Kreuzigung bei Roger Fry, ein Altar in Halbfiguren der Coli. Corsi in Florenz (sehr schwächlich in den Gesichtern), ein Flügelaltärchen in High- nam Court. Leider muß ich diesen mir nur aus den doch recht un- zulänglichen Abbildungen bekannten Bildern gegenüber auf ein bestimmtes Urteil verzichten; daß die Zuschreibung einer Menge kleiner Tafelbilder an den bisher wesentlich als Monumental mal er bekannten » Giottino « von weittragender Bedeutung ist zugleich aber instinktiven Verdacht er-

Literaturbericht.

571

regt, wird jeder Kenner zugeben. Hingegen möchte ich im Gegensatz zu Suida dem Verf. beistimmen, wenn er die leider nur noch schatten- haften Fresken im Kapitelsaal von S. Spirito zu Florenz als Erster in die Gruppe einstellt und zu ihrer (und der Sylvesterfresken) Datierung die wenigstens allgemein mit hierher gehörigen Fresken des Cap. Davanzati in S. Trinitä, gestiftet 1363, heranzieht. Nur rächt sich hier die methodische Inkonsequenz mit aller Schärfe; denn die Beweisführung hätte sich viel zwingender gestalten lassen, w’enn Sirön die Sylvester- fresken hätte heranziehen dürfen! Das verbot er sich selbst: Aufgabe war die Aufstellung der Sylvester-» Gruppe«; durchgeführt wird sie als Biographie »Giottinos«; da kommen die Sylvesterfresken an das Ende, während sie als die methodische Grundlage an den Anfang gehörten und man so frei mit ihnen hätte operieren können!

Nun kommen sie überhaupt etwas zu kurz; ich wende nichts gegen ihre Analyse ein, aber unwillkürlich verlieren sie etwas von ihrer zen- tralen Stellung wie denn überhaupt der Zusammenhang der Ent- wicklung nicht klar herausgearbeitet wird, eben weil an die Stelle der durch wirkenden Kraft die bei ihrer Ungreifbarkeit doch nur im allge- meinsten einigende Person tritt. Bezüglich der Datierung greift Sir^n gewiß mit Recht auf Milanesi zurück und nimmt den 1367 gestorbenen Andrea Bardi als Stifter an. Wenn er hier seine Ansicht eingehend gegenüber Suida motiviert, so tut er die gegen die Pietä der Uffizien er- hobenen Einwendungen etwas kurz ab. Es sind doch nicht nur die Bueh- stabentypen, die einen an Oberitalien denken lassen, sondern gan^e Motive wie die Stifter mit ihren Heiligen, Gesichtstypen und Kolorit; daß Sirön selbst einmal an Giovanni da Milano denken muß, ist be- zeichnend. Zugegeben, daß das Bild dem »Giottino« gehört, so hätte der oberitalienische Charakter genau geprüft und erklärt werden müssen. Daß die ganze toskanische Malerei des Trecento nur aus dem Wechsel- spiel zwischen Florenz und Siena besteht, ist heute doch nicht mehr auf- recht zq ä^tlten.

Nun soll »Giottino«, d. h. die Summe der hier zusammengestellten Werke in die Entwicklung der florentiner Malerei eingeordnet werden. Etwas abrupt wird ihm gleich der Platz in der » sienesisch-malerischen Kunstrichtung « angewiesen. Man versteht das erst, wenn im nächsten Kapitel dieser Richtung die »Malerplastiker« enfgegehgestellt werden »der Vollständigkeit halber«, anders ausgedrückt, um die Gelegenheit zu be- nutzen, einige Ansichten über Orcagna und seine Brüder und über Spinello (hier sehr mit Recht dicht an Orcagna gerückt, vgl. meinen Aufsatz in L’ Arte 1906, S. 199 ff.) mit unterzubringen. Es fehlt auch hier die Einheit, der Wuchs, der Instinkt für das Spiel der Kräfte, deren

572

Literaturbericht.

Wirken einem erst am Mittelalter klar wird. Die Kunstgeschichte ist doch keine Aneinanderreihung von Kapiteln ä la Crowe und Cavalca- selle. Also, ohne hier auf das Einzelne einzugehen:: der eigentliche Zweck, »Giottino« in die Entwicklung hineinzustellen und ihn aus ihr zu erklären, ist nicht erreicht. Aber erst wenn das geschieht, wird man mit voller Sicherheit die Datierung und auf Grund dieser die An- knüpfung der Gruppe an eine aus den Schriftquellen bekannte Künstler- persönlichkeit: wagen dürfen.

Vitzthum.

Pietro d’Achiardi. Sebastiane del Piombo. Roma, casa editrice de r»Arte«. 1908.

Ein Buch über Sebastiane del Piombo ist sicher nicht nur für den Kreis der Fachleute ein Bedürfnis gewesen. Es ist ganz eigenartig, wie der Künstler, der Zeitgenosse der jeweils Größten wie in Venedig so auch später in Rom, einem gewissen Vergessen anheim gefallen ist. In dem hier zur Besprechung stehenden Buche versucht d’Achiardi in einem ersten Kapitel (La Personalitä artistica de Sebastiane) den Gründen für obengenannte Tatsache nachzugehen. Die außergewöhnliche Anpassungs- fähigkeit des Künstlers an die großen Potenzen seiner Zeit, mit denen er in Berührung kommt, bewahrte ihn vor selbständiger Mittelmäßigkeit, rückt ihn aber zugleich unter die Zahl der Zweitklassigen, Vergewaltigten. Daher die fast unvereinbare Verschiedenheit der stilistischen Epochen, in deren Verlauf wir denselben Künstler erst einer lyrischen Stimmungs- malerei (Giorgione), dann einer dramatischen Monumentalkunst (Michel- angelo) sich hingeben sehen. D’Achiardi führt diese Charakteristik aus und spricht noch über den Unterschied von Sebastianos Eklektizismus, von derh der Carracci Schule, den er dahin präzisiert, daß jene den Akademismus hochkommen ließen, dieser nur eine Assimilation.skunst verbunden mit Naturstudium übt.

Dies ist das Einleitungskapitel. Persönlich geschrieben, gibt es zudem von dem Charakter des Künstlers ein klares übersichtliches Bild. Dann folgt eine Besprechung der einzelnen Werke, der sich in einem Anhang eine Art Catalogue raisonnd der Zeichnungen und eine Zusammen- stellung der nach Meinung des Verfassers unechten und verlorenen Bilder anschließt. Es liegt nicht in meiner Absicht, das Buch des italienischen Autors irgendwie schlecht zu machen, aber es befinden sich in der Folge der Bilderbesprechungen so schwere Irrtümer, daß sie im Interesse der Forschung berichtigt zu werden, einen Anspruch haben. Es sei mir gestattet, in kurzer Form der Behauptung ohne Beweise katalogähnlich meine eigenen Gegenresultate und Erweiterungen des

Literaturb ericht.

573

Oeuvres, soweit ich bis jetzt sie bereits fest in Händen habe, anzufügen; sie entbehreri, da ich mich selbst seit Jahren mit Sebastiane del Piombo speziell beschäftige, keiner Begründung. Ihr Fehlen bedeutet nur ein Zugeständnis an den beschränkten Raum.

pag. 23: Venedig, Lady Layard, Beweinung Christi.

D’Achiardi rechnet dieses Bild als echtes Frühwerk Sebastianos aus seiner Lehrzeit unter Giovanni Bellini.

Dagegen: Die Inschrift, die als Beweis angeführt wird, ist eine Fälschung, und zudem gehört das Werk einem mittelmäßigen Nachfolger aus dem Kreise Cimas.

pag.. 29: Stuttgart, Gemälde-Galerie, Pietä Nr. 430.

Von d’Achiardi ebenfalls als echtes Frühwerk angenommen.

Dagegen: Das Bild hat mit Sebastiane ebensowenig zu tun wie das vorhergehende. Produkt des Bellini-Ateliers, unbekannten Urhebers.

pag. 33: Venedig, S. Bartolommeo in rialto, Vier Orgeltüren.

Von d’Achiardi alle vier als echt angenommen; nicht datiert.

Dagegen: Entstehung fast sicher durch alte Aufzeichnung um 1507 8 zu datieren. Nur zwei Orgeltüren ohne Zwang mit dem, was wir von Sebastianos Stil kennen, zu vereinigen; die anderen beiden wären besser aus der Zahl der unbestrittenen Werke zu streichen.

Auf Grund eigener Forschung sind hinzuzufügen:

Oldenburg, Augusteum, Der sog. Eifersüchtige.

Sicheres Werk Sebastianos aus seiner venezianischen Frühzeit.

pag. 95: P^iris, Coli, von Rothschild, Der Violinspieler.

Nach d’Achiardi 1512 13 gemalt.

Dagegen: Die letzten III Striche der Jahreszahl sind sicher später hinzugefügt, so daß das Bild zwanglos 1515 zu datieren ist.

pag. 102: London, Duke of Grafton, Ferry Carondelet.

Von d’Achiardi 1512 14 datiert.

Dagegen: Auf Grund der Inschrift und historischer I.ebensdaten des Dargestellten in die Jahre 1510 12 zu setzen.

Auf Grund eigener Forschung sind hinzuzufügen:

I. London, Buckingham Palace, The I.overs. Florenz, Casa Buonarotti, The Lovers.

Rezensent gedenkt nicht zu entscheiden, welches der beiden Exemplare den Vorzug der Echtheit besitzt, obwohl ihm dasjenige in

574

Literaturbericht.

Florenz zuverlässiger zu sein scheint. Wie nach einem Porträtstich Bonasones sich nachweisen läßt, ist das Bild wohl ein Porträt Raffaels, von Sebastiane vor 1515 gemalt.

2. London, Coli. Benson, Männliches Porträt.

Ein zweifellos echtes Werk Sebastianos unmittelbarer Verwandt- schaft mit dem männlichen Porträtkniestück in der Budapester National- Galerie.

pag. II 6. Der von d’Achiardi mit dem Datum 1512 erwähnte Brief Sebastianos an Michelangelo ist aus dem Jahre 1520 und bezieht sich auf die Ausmalung des Konstantinsaales,

pag. 121: Viterbo, Museo municipale, Pietä.

D’Achiardi datiert das Bild 1514 17.

Dagegen: Nach den Forschungen des Cav. Pinzi 1525 anzusetzen.

pag. i29ff. London, National Gallery, Auferweckung des Lazarus.

Es ist eine schwere Lücke der Betrachtung d’Achiardis, daß Karl Freys »Briefe an Michelangelo«, die genauesten Aufschluß über Beginn und Fortgang der Arbeit geben, nicht berücksichtigt worden sind.

pag. 149: London, National Gallery, Madonna und Stifter.

Nach d’Achiardi soll das Bild ungefähr 1520 fallen.

Dagegen: Die auffallende Mischung venezianischer und michel- angelesker Elemente, wie sie das Bild zeigt, verlegt seine Entstehung allein schon früher. Zudem ist es nach Berensons Borgherini-Hypothese, bei d’Achiardi nur in einer Anmerkung erwähnt, die aber sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich hat, in die Jahre 1516 17 zu datieren.

155- Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum, Die sog. Dorothea.

Nach d’Achiardi 1519 20 gemalt.

Dagegen: Stilistische Gründe augenfälligster Art scheinen es in den Jahren 1512 15 entstanden sein zu lassen.

pag. 158: Rom, S. Pietro in montorio, Fresken der Capella Borgherini.

Nach d’Achiardi 1525 vollendet.

Dagegen: In dem Briefwechsel des Lionardo Sellajp mit Michel- angelo wird der Anfang der Arbeit 1516 gemeldet. Hat Vasari recht mit seiner Behauptung, daß Sebastiane 6 Jahre zur Erledigung dieses Auftrages brauchte, so fällt seine Vollendung in das Jahr 1522.

Literaturbericht.

575

pag. 189: Neapel, Museo nazionale, Papst Hadrian VI.

D’Achiardi wenigstens gibt dem Porträt diesen Titel. Es stellt aber Clemens VII. ohne Bart dar, wie eine Vergleichung mit dem Stich von D. Hopfer B. 83 beweist und ist 1523 26 gemalt.

Soweit ist es dem Rezensenten möglich gewesen, die beiläufigen Irrtümer des Verfassers herauszugreifen und richtig zu stellen. Die noch in dem Buche folgenden Kapitel vollenden die Aufzählung der Werke Sebastianos der Zeit vor dem Sacco di Roma, des zweiten venezianischen Aufenthaltes 1527 29 und der nunmehr folgenden Spätzeit. Es laufen d’Achiardi immer wieder Irrtümer unter, wie die Annahme, daß das Porträt des Kardinal Enckenfort verloren sei, obgleich Berenson es in der Kollektion Erskine zu Linlathen N. B. erwähnt. Auch in den folgenden Kapiteln, in dem Katalog der Handzeichnungen und der Auf- zählung der unechten Werke Sebastianos würden sich bei einem näheren Eingehen Meinungsverschiedenheiten wahrscheinlich heraussteilen. Kurz bemerkt sei nur, daß d’Achiardi unter den unechten Werken unseres Meisters den Tod des Adonis in den Uffizien aufführt,' der m. A. nach als ein wohlgesichertes Werk der ersten römischen Zeit gelten mag

(1514—15)*

Wenn ich in dieser Besprechung manches an dem Buche d’Achiardis nicht habe loben können, so ist es doch, mag es selbst die Kritik heraus- fordern, geeignet, das Studium dieses interessanten Meisters und die Er- kenntnis, des Problems seines Erscheinens zu fördern.

Ernst A. Benkard.

Leandro Ozzola. Vita e opere di Salvator Rosa. Pittore,

Poeta, Incisore. Con poesie e documenti inediti. Con 41 illustrazioni in 21 tavole. Zur Kunstgeschichte des Ausländes. Heft 60. Straßburg, J. H. Ed. Heitz. 1908.

Mit Salvator i^o.sa hat sich in neuerer Zeit die Literaturgeschichte eifriger und eingehender beschäftigt als die Kunstforschung, obwohl der talentvolle und lebhafte Neapolitaner als Maler doch ungleich bedeutender ist denn als Poet. Einer so originellen Persönlichkeit, die in ihrer Kunst ganz selbständig und als Repräsentant einer bestimmten Gattung dasteht, die zugleich im gesellschaftlichen Leben ihrer Zeit eine hervor- stechende und dabei typische Erscheinung ist, hätte man wohl eine stärkere Anziehungskraft auf Kunstforscher und Milieuschild erer Zutrauen mögen. Ein umfangreiches Werk an Gerriälden, Zeichnungen und Radierungen, zahlreiche poetische Arbeiten, zeitgenössische Nachrichten und eine große Anzahl von Briefen liefern Material genug, aus dem sich ohne große Schwierigkeiten die Gestalt des Künstlers und des Menschen

576

Literaturbericht.

anschaulich machen ließe. Ein rundes, klares Bild, wie man es von dem bizarren Meister zu sehen wünschte, bietet das verdienstliche Buch Ozzolas nun eigentlich nicht. Die breit ausgesponnene, an Wieder- holungen wie an Lücken reiche Darstellung macht mehr den Eindruck chronologisch geordneter Notizen als einer aus der lebendigen An- schauung der ganzen künstlerischen Erscheinung und ihrer Umgebung fließenden, zusammenhängenden Schilderung. Die Aufzählung der Werke hält eine üble Mitte zwischen einer in die Darstellung der Entwickelung verwobenen Besprechung der einzelnen Gemälde und einem einfachen Verzeichnis, das man in einer zum Nachschlagen und zur Orientierung brauchbaren Form dann am Ende doch wieder schmerzlich vermißt.

Abgesehen von dieser mangelnden Tektonik der Komposition und von der wenig ansprechenden Form der Darstellung hat das Buch Ozzolas aber seine großen Vorzüge. Es bringt viel, wenigstens der Kunstforschung neues Material herbei und hebt eine Reihe für das Ver- ständnis der Entwickelung und des Kunstcharakters Rosas wesentlicher Momente hervor. Es bietet ferner eine sorgfältige Chronologie seines Lebens und genaue Angaben über viele einzelne Werke von Wichtigkeit. Sein lebhaftes Interesse für den Künstler hat dem Verf. den Blick für die Schwächen Rosas keineswegs getrübt Seine Kritik des Menschen und des Künstlers scheint ganz unparteiisch und .streng zu sein. Er sucht weder seine Vorzüge zu übertreiben noch seine Fehler zu beschönigen. Fast krankhafte Eitelkeit und ein brennender Ehrgeiz sind die treibenden Leidenschaften Salvatores, der mit allen Mitteln seine P.erson in den Vordergrund des öffentlichen Lebens zu drängen sucht und immer von sich reden zu machen bestrebt ist. Sein gesicherter Ruhm als glänzender Meister der Schlachtendarstellung, als unübertrefflicher Landschafter scheint ihm gering. Gegen seine natürliche Begabung, herbster Kritik zum Trotze, ja durch sie gerade noch mehr angestachelt, strebt er un- ablässig nach Anerkennung als Klassizist, als Meister der großfigurigen Historienmalerei. Eigensinnig weigert er sich, Aufträge für Schlachten- bilder und Landschaften mit kleinen Figuren auszuführen, und müht sich vergeblich, den, oft mit Hilfe gelehrter Freunde, aus der Literatur her- ausgefischten, noch unbenutzten Gegenständen der alten Geschichte in großen Gemälden künstlerisches Leben zu geben. Wie von uns heute ist Rosa auch von seinen Zeitgenossen trotzdem wesentlich als Land- schafter geschätzt worden, als der Schöpfer einer besonderen Art wilder Waldromantik, als geistreicher und temperamentvoller Schilderer des kriegerischen Lebens. Er selber, der nach der Legende an dem Auf- stande des Masaniello tätigen Anteil genommen und lange unter Kriegern und Briganten gelebt haben soll, hat sich in Wirklichkeit vielmehr in

Literaturbericht.

577

der Pose des vornehmen Herrn, des, literarisch Hochgebildeten, des strengen, weltverachtenden Philosophen gefallen.

Der Verf. hat, wie es scheint, von Werken Rosas außerhalb Italiens nur wenig gesehen, so daß er häufig nur nach Abbildungen zu urteilen gezwungen ist. Besonders seine Unkenntnis der reichen Schätze in England ist zu beklagen.. Aus englischem Besitze hat erst kürzlich das Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin eine prächtige, charakteristische Waldlandschaft mit Kriegern erworben. Auch an alten Stichen nach Gemälden Rosas ließe sich sicher weit mehr Zusammentragen, als das, wie es scheint, vom Verf. allein benutzte Kupferstichkabinett in Rom bieten kann. Der Katalog der Gemälde Rosas ganz zu schweigen von den Zeichnungen wird daher auf die hier erwünschte Voll- ständigkeit keinen Anspruch machen dürfen. Ob die Zuverlässigkeit der kritischen Urteile des Verf. der Bestimmtheit, mit der sie vorgetragen werden, entspricht, wird erst die Nachprüfung des Buches im einzelnen beim Gebrauche lehren können. Die dem Buche beigegebenen 41 Licht- drucke sind im Formate zu klein und an Qualität zu gering, um wesent- liche Dienste für das Studium leisten zu können. P. K.

Christian Rauch. Die Trauts. Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 79. Mit 30 Tafeln. Straßburg, I. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 1907, VIII + 36 *4" 1 14 SS.

Der Band besteht aus zwei Teilen, von denen jeder für sich paginiert ist. Der erste, kürzere Teil beschäftigt sich mit Hans, der zweite mit Wolf Traut. Was über den älteren Meister, den Vater, bekannt war und feststeht, ist kärglich. Der Verfasser bietet viel Neues, freilich Problematisches, indem er, ausgehend Von dem einzigen, einigermaßen beglaubigten Werke dieses Meisters, der Sebastianszeichnung in Erlangen, eine Gruppe yon Gemälden für ihn in Anspruch nimmt. 1477 wurde Hans Traut in Nürnberg Bürger, er scheint aus Speier gekommen zu sein und starb 1516. Wieder muß Wohlgemut herhalten. Von der Erlanger Zeichnung führt ein Weg zu der Sebastianstafel im Peringdörffer- .Altar. Der Verf. polemisiert gegen Thode, der Neudörfers Bericht beiseite lassend, diesen Altar seinem Wilhelm Pleydenwurff gegeben habe, und tut genau das, was Thode getan hat, da er die Arbeit von Wolgemut auf Hans Traut hinüberschiebt. Wohl läßt er Traut als einen der Gesellen Wohlgemuts arbeiten und hält so an der Überlieferung fest. . Dies aber hat Thode auch getan und mit besserem Recht, weil ein Zusammenarbeiten Wohl- gemuts mit Hans Pleydenwurff nachweisbar ist, ein Zusammenarbeiten Wohlgemuts mit Hans Traut aber nicht.

578

Literaturbericht.

Wahrscheinlich ist es nicht, daß der 1477 als Bürger in Nürnberg eingetragene Hans Traut 1487 Geselle bei Wohlgemut gewesen sei, möglich immerhin. Wenn der Verf. zur Begründung seiner Aufstellung mittelrheinische Kunstart (Traut kam aus Speier) im Peringsdörffer-Altar und in anderen Bildern, die er stilkritisch angliedert, zu erkennen glaubt, so kann ich diese Beobachtung nicht bestätigen. Die mittelrheinische Art, die dem Verf. vorschwebt, ist die Art des Hausbuch-Meisters. Sollte Hans Traut vor 1477 (ehe er nach Nürnberg kam) von der Kunst des Hausbuch-Meisters berührt worden sein ? Mir scheint, was wir vom Haus- buch-Meister kennen, ist nach 1477 entstanden. Bleibt zur Unterstützung der Hypothese nur die Erlanger Zeichnung und etwas anderes, was beachtenswert scheint. Der Verf. stellt eine Reihe von Bildern aus der Wohlgemut-Gruppe in zeitlicher Folge mit scharfem Blick für Stileigentümlichkeiten zusammen. Das älteste Werk ist der Peringsdörffer-Altar, es folgen mehrere minder bedeutende Altarflügel in der Lorenzer Kirche und der Dreikönigsaltar in Heilsbronn. In dem letzten, schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts entstandenen, Werke glaubt der Verf. die Mitarbeit Wolf Trauts bemerken zu können. Wolf Traut, der Sohn, ist eine leidlich scharf umschriebene Persönlichkeit, dessen Stil aus mehreren inschriftlich beglaubigten Arbeiten bekannt geworden ist. Wenn nun die Kunst jenes Wohl- gemut-Gesellen in die Kunst Wolf Trauts sichtbarlich mündet, so ist damit eine Art Stütze für die Hans-Traut-Hypothese gewonnen, »da glaubhaft ist, daß Wolf Traut in der Werkstatt seines Vaters be- gonnen habe.

Die schwächste Stelle in der Argumentation scheint mir die Kritik des Peringdörfferschen Altars zu sein. Hier hätte der Verfasser weit mehr ins Einzelne gehen und den Anteil Trauts von dem Wohlgemuts scharf abtrennen müssen. Ich weiß nicht, ob diese Trennung möglich sei. Der Verf. aber mußte von seinem Standpunkte gerade hier eine besonders ertragreiche Aufgabe erblicken. Er durfte hoffen, nicht nur der Persönlichkeit Trauts, sondern auch der Persönlichkeit Wohl- gemuts habhaft zu werden.

Weit leichter war die Aufgabe des zweiten Teiles. Die erfolg- reichen Ermittlungen, die namentlich Wilhelm Schmidt und Campbell Dodgson zu danken sind, boten eine sichere Grundlage. Die eng um- grenzte Begabung Wolf T.rauts ist in den inschriftlich beglaubigten Arbeiten, dem Artelshofener Altar und den Holzschnitten im Halleschen Heiltumsbuch offenbar. Ein stattliches »Werk« Holzschnite und Bilder hat sich nach und nach zusammengefunden. Der Verf. reiht alles sorgfältig in historischer Folge aneinander. Einige Hinzufügungen gelingen ihm.

Literaturbericht.

579

Wolf Traut kam etwa 1478 als ein Sohn des Hans Traut in Nürnberg zur Welt, lernte vermutlich bei dem Vater und, wie der Verf. glaubt, auch bei Dürer. Schon 1520 starb er.

Der Verf. glaubt abgrenzen zu können, was Wolf Traut bald nach 1500 in Dürers Werkstatt ausgeführt habe und erkennt die Hand des Gesellen in einigen Blättern der »quatuar libri amorum« von Conrad Celtes und in mehreren anderen etwas gleichzeitigen Illustrationen.

Als erste Leistung Trauts auf dem Felde der Malerei führt er die 4 Flügel der Karlsruher Galerie ein, die mit Hans von Kulmbach in Ver- bindung gebracht worden sind, mit übermäßig hohen, recht manierierten Gestalten. Ich halte für eine Arbeit derselben Hand die Tafel mit den Nothelfern im Kloster Lichtenthal bei Baden-Baden (Photogr. von Gustav Salzer in Baden).

Die Holzschnitte Trauts hat Dodgson übersichtlich zusammen- gestellt im Catalogue of early German . . . woodcuts in the British Museum vol. I London 1903 und in den Mitteilungen f. vervielf. Kunst Wien 1906 S. 49 ff.

Der Verfasser folgt Dodgson, aber nicht ohne Kritik, und bietet einige Nachträge. Mehr Neues bietet der Katalog der Gemälde. Der Verf. hat eifrig und mit sicherem Blicks Trauts Arbeiten in Nürnberg und Heilsbronn herausgesucht. Der Meister pflegte einen recht handwerklichen Be- trieb und bleibt gewöhnlichunterdemQualitätsniveaudesArtelshofener Altars.

Das hübsche und eigenartige kleine Bild, das aus Neapel stamm i und auf der Ausstellung deutscher Kunst im Burlington Fine Arts Club in London 1906 ausgestellt war vorn ist ein junges Mädchen darge- stellt, die einen Kranz bindet, auf der Rückseite das Brustbild eines jungen Mannes hat C. Dodgson mit Traut in Beziehung gebracht. Der Verf. stimmt zu und bildet die Vorderseite ab. Seine Zustimmung fällt aber nicht schwer in die Wage, weil er nur eine Photographie ge- sehen und die sehr interessante Rückseite nicht beachtet hat. Mir scheint diese Tafel so fein und originell empfunden und komponiert, daß ich zögere, in Wolf Traut den Autor zu sehen.

Sehr viel von dem Verf. nicht beachtetes Material liegt in Nürnberger Glasmalereien. Friedländer.

Rene van Bastelaer, Georges H. de Loo. Peter Bruegel Fan eien son Oeuvre et son temps. fitude historique suivie des catalogues raisonnds de son oeuvre dessine et grave et d’un catalogue raisonne de son oeuvre peint. Bruxelles, G. van Oest & Cie. 1907.

Über Pieter Bruegel d. ä., mit dem sich die Forschung erst in den letzten Jahren eingehend zu beschäftigen begonnen hat, liegt seit

Literaturbericht.

580

1907 Rend van Bastelaers und Georges H. de Loos umfangreiches, vor- züglich ausgestattetes Werk abgeschlossen vor; die ersten Lieferungen stammen aus dem Jahre 1904. Verdanken wir Bastelaer den Lebens- abriß des Künstlers, ein Bild seiner Zeit, das zum erstenmal chronologisch geordnete Verzeichnis der Zeichnungen es enthält 105 Nummern, ohne auf absolute Vollständigkeit Anspruch zu erheben und der nach Bruegel gestochenen Blätter, so hat Loo sich darauf beschränkt den Catalogue raisonne von Bruegels gemaltem CEuvre zusammenzustellen und anhangsweise die Nachahmer und Nachfolger des Meisters wie Peter Baltens, Merten van Cleve, Peter van der Borcht, Frans und Jan Ver- beeck usw. zu behandeln. Er verzeichnet 34 erhaltene Bilder Bruegels, während Romdahls Liste 36 enthält; dabei hat Loo fünf Bilder aufge- genommen, die Romdahl nicht kennt u. zw.

1. »Fenaison« beim Prinzen von Lobkowitz auf Schloß Raudnitz,

2. T^te de lansquenet, Musde Fahre Montpellier,

Mauvais berger

, , ® . . } Sammlung Johnson Philadelphia,

4. Noce dans un Interieur j

5. Danse de la marine bei Mr Spiridon, Paris.

Nach den Reproduktionen ist an diesen Bildern, die sich Bruegels Werk organisch einreihen, nicht zu zweifeln. Dagegen scheiden als Ori- ginalwerke aus die Nr. i, 2, 6, 12, 36 und die doppelt aufgeführte Nr. 19 (mit Nr. 18 identisch) des Romdahlschen Verzeichnisses.

Der Wert des Bruegel - Buches die Schreibung Bruegel (ohne h) entgegen dem allgemeinen Brauch wurde angenommen, da der Künstler bekanntlich seit 1559 seinen Namen so geschrieben hat beruht jedoch nicht nur auf den mit großer Sorgfalt bearbeiteten Verzeichnissen der vorhandenen und literarisch überlieferten Werke. Zum erstenmal ist der Versuch gemacht, die wenigen von van Mander überlieferten Lebensdaten und die vorhandenen Werke zu einem Ganzen zu verknüpfen, aus dem die Entwicklung des Künstlers resultiert und die inneren Wandlungen, die er durchgemacht hat, Wandlungen, die sich in Stoff und Form klar dokumentieren. In wenigen großen Zügen wird das Bild dieses größten unter den Realisten, der seine Zeichnungen mit dem stolzen Vermerk »naer ’t Leven« versehen hat, entworfen, und die Zeit wird lebendig, die ihm den Rohstoff für seine Sittenbilder geliefert hat. Bastelaer unter- sucht Bruegels Verhältnis zu seinen Vorgängern, und bei den scharfum- rissenen, meisterhaften Analysen einzelner Bilder empfindet man, daß auch für den Verfasser, unbeschadet des wissenschaftlichen Rüstzeugs, das

•) Alex. L. Romdahl: Brueghel d. ä. und sein Kunstschaffen. Jahrb. der Kunsth. Slgen d. Allerh. Kaiserhauses Bd. XXV. Heft 3.

Literaturbericht. 581

Bekenntnis gilt, mit dem Cldment sein Gericault-Buch eingeleitet hat: » C’est en tremblant que j’ai dcrit cette etude. «

Vermißt wird ein Register, das den Gebrauch dieses umfangreichen Werkes wesentlich erleichtert hätte. Auch vermag ich nach eingehender Untersuchung das schöne Bild des von seiner Frau heimgeleiteten Trunken- boldes (Nr. C 14 des Kataloges) bei Mme. Grisar in Antwerpen nicht aus der Liste der Originalwerke Bruegels zu streichen. Pol de Mont*), der cs seinerzeit als solches veröffentlicht hat, hat in jüngster Zeit nach mündlicher Mitteilung Bedenken gegen die eigenhändige Aus führung Bruegels. Die Liste der nach Bruegels Zeichnung Christus und die Ehebrecherin ausgeführten Grisaillen läßt sich um ein weiteres Exemplar in Hamburger Privatbesitz (Dr. Sänger) vergrößern.

Rosa Schapire.

Führer durch die Staats-Sammlung vaterländischer Altertümer in Stuttgart. Herausgegeben von der Direktion. Mit 48 Tafeln in Ton- und Strichätzung. Eßlingen a. N., Paul Neff Verlag, 1908. IX, 136 S. 8°.

In neuer, dritter Auflage ist der Führer durch die Sammlung vaterländischer Altertümer in Stuttgart erschienen : ein gleich bemerkens- w'ertes Zeugnis sowohl für die unermüdliche organisatorische Tätigkeit der Sammlungsdirektion wie für den Wert der kultur- und kunstgeschicht- lichen Besitztümer, die ihrer Verwaltung unterstellt sind.

Hervorgegangen aus den Beständen des ehemaligen Kunstkabinetts der württembergischen Herzöge und seit dem 19. Jahrhundert erweitert durch Einzelankäufe wie durch die Erwerbung ganzer Sammlungen (Samm- lung des württemb. Altertumsvereins 1889) reiht sich das Stuttgarter Altertümer-Museum im wesentlichen der Kategorie der sogenannten Historischen Museen ein. Wenn aber die Bedeutung dieser Art von öffentlichen Sammlungen mit den wachsenden Aufgaben von Denkmal- pflege und Heimatschutz in stetem Zunehmen begriffen ist, und wenn an dieser erfreulichen Bewegung auch unsere Württembergische Staats- sammlung vollauf beteiligt ist, so muß doch ausgesprochen werden, daß diese Sammlung sowohl in Laien- wie in Fachkreisen noch nicht in dem Maße bekannt ist, das ihrem Inhalt entspricht. Schuld daran ist wohl nicht am wenigsten der erdrückende Platzmangel, an dem sie seit Jahren leidet. Sie ist im Erdgeschoß der Kgl. Landesbibliothek untergebracht, so gut es in den wenigen Sälen, die da zur Verfügung stehen, gehen will, während sie umfangreich genug wäre, um ein eigenes

’) Pol de Mont : Pieter Brueghel dit le vieux l’homme et son oeuvre. H. Klein- raann & Cie., Haarlem.

582

Literaturbericht.

Haus ZU füllen, und selbst so geräumige Lokalitäten nicht zu groß für sie wären, wie die Gebäulichkeiten des ehemaligen Dominikanerklosters oder die des Kgl. Alten Schlosses, die gelegentlich schon für ihre Unter- bringung in Vorschlag gebracht worden sind. Von den prähistorischen Funden ausgehend, die auf württembergischem Boden mit zu den ältesten bekannten Spuren menschlicher Ansiedelungen zurückführen, dann die keltische und die römisch-germanische Vorzeit einschließend, erstreckt sich das Gebiet der Sammlung über Mittelalter und Renaissance bis zur Schwelle der heutigen Zeit; sie umfaßt mit den kulturgeschichtlichen Objekten auch alle Zweige der angewandten Künste, sie geht aber auch mit verschiedenen ihrer Abteilungen Unmittelbar in den Bereich der hohen Kunst über, so namentlich mit der wertvollen Sieglinschen Stiftung Alexandrinischer Altertümer und der kirchlich-mittelalterlichen Abteilung, die in ihren auserlesenen Beispielen altschwäbischer Altarkunst entschieden die bedeutendste Sammlung von schwäbischen Bildhauer -Werken in sich schließt, die es gibt.

Der von der Direktion herausgegebene Führer durch dieses viel- gestaltige Ganze erscheint in der vorliegenden Auflage in heubearbeiteter und erweiterter Gestalt. Schon die älteren Auflagen überschritten an zahlreichen Stellen in Form von eingestreuten sachkundigen Erläuterungen den engeren Zuschnitt eines bloß registrierenden Sammlungsführers. Diese Zutaten sind jetzt noch wesentlich vermehrt und zu orientierenden Ein- leitungen ausgestaltet, die trotz ihrer Knappheit ausgiebigste Belehrung vermitteln. Muster einer klar und sachlich durchgeführten und auf sichrer Beherrschung des Materials beruhenden Darstellung sind in der Hinsicht die ersten acht, den vorgeschichtlichen, griechischen und römisch- germanischen Abteilungen gewidmeten Abschnitte, die auf der Grundlage des ursprünglichen, von dem Sammlungsdirektor Professor Dr. Gradmann verfaßten Textes durch den wissenschaftlichen Assistenten Dr. Goessler ihren weiteren Ausbau erhalten haben. Sie genießen zugleich den Vor- zug, daß sich in ihrer Bearbeitung eine gewisse Kontinuität des stoff- lichen Zusammenhanges erreichen ließ, ein Vorteil, der den übrigen Sammlungsabteilungen ihrer Natur nach nicht in gleichem Maße zugute kommt. Hier mußten die gegenständlich getrennten Gebiete der Kera- mik, der Schmiede-, Zinngießer-, Schreinerarbeiten u. a. m. getrennt be- handelt werden, wie sie auch in der Aufstellung, die sie gefunden haben, in kleinere, getrennte Komplexe zerfallen. Größere, in sich geschlossene Einheiten bilden nur die Bestandteile der ehemaligen Kunst- kammer und ebenso die schon erwähnte reiche Sammlung der kirchlichen Kunstaltertümor. Für diese Abteilungen ist denn auch in dem Führer die Kommentierung des Einzelnen noch nicht in demselben erschöpfenden Um-

Literaturbericht.

583

fange durchgefühlt, wie in den der Prähistorie und der Antike einge- räumten Abschnitten, eine Aufgabe, die vielleicht später unter günstigeren Vorbedingungen leichter zu verwirklichen sein wird. Dagegen sind schon jetzt zwei für das heimische Kunstleben besonders wichtige Kapitel, das Ludwigsburger Porzellan, das in einzigartiger Auswahl vorhanden ist, und die altschwäbische Maler- und Bildhauerkunst mit Je einer besonderen Einleitung aus der Feder von Dr. Julius Baum bedacht worden. Beide Gebiete sind, dem Stande der neuesten Forschung entsprechend, vortreff- lich geschildert; eigene Anschauung und eigenes Urteil stempeln auch diese Arbeit zu einer wissenschaftlichen Leistung von selbständigem Werte.

Dem rührigen Verlage von Paul Neff in Eßlingen, der die dritte Auflage des Führers herauszugeben übernommen hat, ist es zu danken, daß auch das äußere Gewand des Buches nicht zu kurz gekommen ist, sondern durch seine gediegene Form dem Inhalt entspricht. Vermißt habe ich nur, was die Buchausstattung an langt, die hübschen Feder- zeichnungen von Max Bach, mit denen die zweite Auflage illustriert war und für deren Fortfall die an sich willkommene Beigabe einer größeren Zahl von photomechanischen Reproduktionen doch nicht ganz entschädigt. Tch glaube, die Bedeutung, welche die Kunst des Photographen für unsere Fachwissenschaft hat, nicht zu unterschätzen, aber wo es sich, wie im gegebenen Falle, lediglich um illustrative Zwecke und nicht um Unterlagen eines exakten vergleichenden Studiums handelt, bin ich ketzerisch genug, einer wirklich guten Zeichnung gleichen Rang, wo nicht den Vorrang vor einer auf mechanischem Wege gewonnenen Abbildung zu geben. Es ist wahr, daß ein Zeichner sich auch einmal verzeichnen kann, aber ist der Photograph etwa besser daran? Ich hätte nicht den Mut, das in allen Fällen zu bejahen, ja ich muß sogar sagen, schlimmere Entstellungen der Form, als sie zuweilen aus dem seelenlosen Mechanismus des photo- graphischen Apparates hervorgehen, habe ich nie gesehen. Kurz, da ist oft die Hand eines mit Hingebung und mit Verständnis arbeitenden Künstlers in weit höherem Maße ihres Erfolges gewiß, vollends, wie gesagt, "bei Buchillustrationen, bei denen es sich darum handelt, auf engerem Raum, mit wenig Mitteln ein zugleich korrektes und anschauliches Er- scheinungsbild zu liefern. Ich weiß wohl, nicht jeder Künstler ist dazu imstande. Es handelt sich hier um eine Vertrauenssache, die besondere P^igenschaften voraussetzt. Allein die erwähnten Bachschen Federzeich- nungen gehören tatsächlich zum Besten, was es in ihrer Art gibt, und das nicht nur um der Treffsicherheit willen, mit der sie ihren Gegenstand wiedergeben, sondern auch durch den besonderen Reiz des Vortrags, mit dem das schwierige Material leicht und fließend gehandhabt ist. So darf denn wohl die Bitte ausgesprochen werden, die sich zunächst an den

Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXI. 4^

5^4

Literaturbericht.

Herrn Verleger wendet, es möchten, wenn wieder einmal eine Auflage erscheint, neben den neuen Tonätzungen auch jene älteren 'l’extbilder wiederkehren. Sie werden dem Leser wie bisher nützlich und erfreulich und dem Buche eine Zierde sein.

H. Weizsäcker.

Richardstauber. Die Schedelsche Bibliothek. Ein Beitrag zur Ge- schichte der Ausbreitung der italienischen Renaissance, des deut- schen Humanismus und der medizinischen Literatur. Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Dr. Otto Hartig, Assistent an der Kgl. Hof- und Staatsbibliothek. (Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte, VI. Band, 2. und 3. Heft.) Gr. (XXII und 278). Freiburg 1908, Herdersche Verlagsbuchhandlung.

Genaue Nachrichten über Hartman Schedel und über seine be- rühmte Bibliothek sind für die Kunstforschung kaum weniger interessant und wichtig als für die Literaturgeschichte. Man darf den Nürnberger Arzt und Geschichtschreiber nicht nur als einen der ersten Vertreter des italienischen Humanismus in Deutschland, sondern vielleicht auch als einen der ältesten uns bekannten deutschen Kunstsamniler betrachten. Wenn auch für ihn selber die Zeichnungen, Kupferstiche und Holz- schnitte, die er seine Bücher einzufügen liebte, die wir heute als kost- bare und seltene Reste alter Kunst schätzen, wesentlich ein gegenständ- liches Interesse gehabt haben mögen, so läßt doch schon seine Vorliebe für bildliche Darstellungen und die Sorgfalt, mit der er seine Schätze an Handschriften und Drucken ausschmücken und einbinden ließ, auf einen gewissen Kunstsinn, jedenfalls auf starke bibliophile Neigungen im höheren ästhetischen Sinne schließen. Der Humanismus schätzte ja überhaupt Kunstwerke vornehmlich als Vermittler der Gegenstände der alten Sage und Geschichte. Das zeigt recht deutlich z. B. eine Stelle in Dürers Brief an Pirckheimer vom 18. August 1506. »Item der Historien halben sieh ich nix Besonders, das die Walchen machen, das sunders lustig in Euer Studiren wär. Es ist inner das und das ein. Ihr wißt selber mehr weder sie molen. « Schedel selber war noch dazu eine sehr wenig selbständige, eine wesentlich rezeptive und reprodu- zierende Natur. Der bescheidene Mann wird wohl auch für die Illustrierung seiner »Weltchronik« kaum eigene, höhere Ansprüche geltend gemacht, sondern die Sache dem Verleger und den Künstlern überlassen haben. Das läßt sich freilich vor der Hand noch nicht feststellen, eben- sowenig wie wir uns eine Vorstellung machen können von seinem Anteil

Literaturbericht.

585

an den Illustrationen zu Conrad Celtes’ Libri quattuor amorum (1502), mit deren Besorgung ihn der Verfasser beauftragt hatte. Aus einem ein- gehenderen Studium der Bibliothek Schedels wird sich vielleicht über die Beziehungen des Historiographen zur bildenden Kunst manche Be- lehrung gewinnen lassen. Ebenso darf man wohl hoffen, daß eine sorg- fältige Durchsicht der Bände auch für die genauere Kenntnis der einge- klebten Kunstblätter, für ihre zeitliche und örtliche Entstehung, nicht fruchtlos sein werde. Die Arbeit Stäubers über die Geschichte der Schedelschen Bibliothek wird sicher dabei die besten Dienste leisten. Die Entstehungsgeschichte der Schedelschen Sammlung ist hier in an- sprechender und lehrreicher Weise in die Erzählung seines Lebens ver- woben. Durch sorgfältige Verzeichnisse am Schlüsse ist für die Über- sichtlichkeit und leichte Benutzbarkeit des Buches Sorge getragen worden. Was sich von dem ursprünglichen Bestände der Sammlung, die be- kanntlich zum größten Teil in der Hof- und Staatsbibliothek zu München bewahrt wird, bisher an verschiedenen Orten hat nachweisen lassen, hat der Verf. hier gewissenhaft zusammengetragen, so daß man aus der Schilderung und aus den Verzeichnissen ein anschauliches Bild von der Entstehung und dem Wachstum der Schedelschen Bibliothek erhält. Durch die Kenntnis ihres ursprünglichen Charakters und ihrer Zusammen- setzung wird sie für uns ein Kulturmonument aus jener Zeit von nicht geringer Bedeutung. Interessant ist z. B. auch, wie der Übergang von den Handschriften, die nach der Gewohnheit der Humanisten der Be- sitzer meist selber angefertigt hatte, zu den gedruckten Büchern, deren Besorgung damals oft mit käuni geringeren Schwierigkeiten und Mühen verbunden war, in Schedels Sammlertätigkeit zur Geltung kommt. Eine Reihe bisher unbekannter Urkunden und Briefe und neuerer Forschungs- resultate über das Leben Hartmans und seines älteren Vetters und Vor- bildes Herman Schedel erhöhen nicht unbeträchtlich den Wert der sorg- fältigen Studie. P. K.

Paul Ratonis de Limay. Un amateur Orleanais au XVIII. siede Aignan - Th omas Desfriches (1715 1800) sa vie, son oeuvre, ses collections, sa correspondance, lettres du Duc de Cha- bot, de Goch in, Descamps usw. Ouvrage orne de 15 phototypies hors texte et d’une heliogravure, suivi d’un essai de Catalogue de l’oeuvre peint, dessine et grave de Desfriches par Andre Jany Paris, H. Champion. 1907. (207 Seiten Text und 31 Seiten Vorwort, Preis 20 Frs.)

586

Literaturbericht.

Ein sympathischer Akt der Pietät mehr als ein kritisch historisches Werk, gibt das Buch einen Einblick in ein gut bürgerliches Milieu Frank- reichs im i8. Jahrhundert. Desfriches war im Hauptberuf Kaufmann. Was beim Anblick irgend einer der reproduzierten Zeichnungen sofort deutlich wird, bestätigt der Verfasser, indem er (S. i6) sagt: »II etudie de tr^s pr^s les maitres hollandais, il dessine d’apres leurs tableaux, et nom- bre de ses dessins prdsentent de grandes ressemblances avec ceux de Van Goyen et de J. Ruysdael. « Zur Vertiefung unserer Kenntnis der fränzö- sischen Kunstentwicklung im i8. Jahrhundert bietet das Buch wenig. Und daß ein natürlich formales Empfinden den Franzosen auszeichnet, braucht kaum erst durch ein so umfangreiches und teures Buch über einen Dilettanten belegt zu werden. Druck und Ausstattung sind mustergültig.

Kaesbach.

W. Wartmann. Les Vitraux Suisses au Musee du I^ouvre. Cata- logue critique etraisonne. Paris, Ancienne Maison Morel, Ch. Eggi- mann Succ. 1908.

Die Glasmalerei ist noch immer das Stiefkind der Kunstgeschichte, insbesondere in Deutschland. Die letzten Jahre haben zwar in den Tafelwerken von Bruck über die Glasgemälde des Elsaß und von Haseloff über die Marburger Fenster wertvolle Arbeiten gebracht, die an Stelle der früher vorherrschenden technischen Behandlung die kunstgeschicht- liche gesetzt haben. Aber wir sind noch weit entfernt von einer Sammlung der weit verstreuten und oft schwierig aufzunehmenden Denkmäler in brauchbaren Abbildungen, die als Grundlage weiterer Forschung kaum zu entbehren ist. Die Schweiz ist infolge ihres enger begrenzten und leichter übersehbaren Bestandes mittelalterlicher Glasgemälde in viel besserer Lage, als Deutschland und Frankreich. Nach zahlreichen Vor- arbeiten ist nun die kirchliche Glasmalerei des Landes bis zum Aus- gang des Mittelalters zusammenhängend in erschöpfender Weise von Hans Lehmann (in den Mitteilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich) behandelt worden, so daß für diesen Abschnitt kaum etwas zu wünschen übrig bleibt. Was aber die eigentlich nationale Kunst der Schweiz betrifft, die kleinen Scheiben der Renaissance, so steht auch dort noch die Sammlung und Ordnung des Materials im Vordergrund. Dazu ist der Katalog der Schweizerscheiben im Louvre ein sehr will- kommener und dankenswerter Beitrag. Die 43 Schweizerscheiben des Louvre sind dem Katalog in guten Lichtdrucken beigegeben; die aus- führlichen Einzelbeschreibungen holen alles heraus, was die Sammlung

I,iteraturbericht.

587

an geschichtlicher Aufklärung bieten kann. Diesem umfangreichsten Teil geht eine kurze Geschichte der Glasmalerei in der Schweiz voraus, die für das Mittelalter notwendigerweise an die Arbeit H. Lehmanns sich anschließt und zugleich die Entstehung der Eidgenossenschaft über- sichtlich darstellt. Das Kapitel über die Renaissancescheiben bespricht alles, was zum Verständnis dieser Kunstwerke nötig ist: die Sitte der Scheibenschenkungen, die namhaftesten Schulen, die Technik und die Stilentwicklung. Man sagt nicht zu viel, wenn man das Werk Wart- manns als das Muster eines Spezialkataloges bezeichnet.

Falke.

Bei der Redaktion eingegangene Werke:

Brockhaus, Heinrich. Michelangelo und die Medicikapelle. Mit 35 Abb. Leipzig, Brockhaus. M. 6.

Caw, James L. Scottish painting past and present (1620 bis 1908). Edinburgh, T. C. u. E. C. Jack.

Duval, Mathias. Grundriß der Anatomie für Künstler. Deutsche Bearbeitung von Ernst Gaupp. 3. Aufl. Stuttgart, Fer- dinand Enke.

Eichler, Ferdinand. Diedeutsche BibeldesErasmus Strat- terinderUnivcrsitäts-BibliothekzuGraz. Leipzig, Otto Harassowitz.

Gollubew, Victor. Die Skizzenbücher Jacopo Bellinis. II. Teil (das Buch in Paris). Brüssel, G. van Oest & Co.

Holtzinger, Heinrich. Altchristliche und byzantinische Baukunst. Handbuch der Achitektur II. Teil, 3. Bd., i. Heft 3. Aufl. Leipzig, Alfred Kröner. M. 15.

Kaufmann, Paul. Joh. Martin Niederee, ein rheinisches Künstlerbild. Straßburg, Heitz.

Kekule von Stradonitz, Reinhard. DieVorstellungenvon grie- chischer Kunst und ihre Wandlung im 19. Jahr- hundert. Rede beim Rektoratsantritt, 1901. Berlin, Georg Reimer. M. 0,80.

Krapf, Anton. Das Problem der Bindung. Straßburg, Heitz. M. 3,50.

Künstle, Karl. Die Legende der drei Lebenden und der dreiTotenundderTotentanz. Freiburg i. Br., Herdersche Verlagsbuchhandlung. M. 7.

Lill, Georg. Hans Fugger (1531 1598) unddieKunst. Studien zur Fugger-Geschichte, 2. Heft. Leipzig, Dunker & Humblot.

Noack, Ferdinand. Ovalhaus und Palast inKreta. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des Hauses. Leipzig, B. G. Teubner. M. 2,40

Ostendorf, Friedrich. Die Geschichte des Dachwerks. Leipzig u. Berlin, B. G. Teubner. M. 28.

Bei der Redaktion eingegangene Werke.

589

Ozzola, Leandro. L’arte alla cortedi Alessandro VII. Roma, a cura della R. Societä. Romana di Storia patria.

Roöses, Max. Die Meister der Malerei und ihre Werke.

Leipzig, Wilhelm Weidner. 12 Lieferungen zu je i M.

Sitte, Alfred. Kunsthistorische Regesten aus den Haus- haltungsbüchernderGütergemeinschaftderGeiz- hofler und des Reichspfennigmeisters Zacharias Geizhofier 1576 1610. Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft loi. Straßburg, Heitz. M. 3.

Veth, Jan. RembrandtsLebenundKunst. Leipzig, E. A. See- mann.

Wendel, Georg. Der Schönheitsbegriff in der bildenden Kunst. Straßburg, Heitz. M. 1,50.

Berühmte Kunststätten. Leipzig, E. A. Seemann.

Max Osborn. Berlin. M. 4.

Eugen Petersen. Athen. M. 4.

Wilhelm Heumann. Riga und Reval. M. 3.

Hermann Schmitz. Soest. M. 3.

Walter Goetz. Assisi M. 3.