LÜBKE- HAUPT GESCHICHTE DER RENAISSANCE IN DEUTSCHLAND ^

GESCHICHTE

DER

NEUEREN BAUKUNST

VON

JACOB BURCKHARDT, WILHELM LÜBKE, ALBRECHT HAUPT, CORNELIUS GURLITT, OTTO SCHUBERT UND PAUL KLOPFER

ZWEITER BAND:

GESCHICHTE DER RENAISSANCE IN DEUTSCHLAND

ERSTER BAND

VON

WILHELM LÜBKE

DRITTE AUFLAGE

ESZLINGEN a. N. PAUL NEFE VERLAG (MAX SCHREIBER) 1914

GESCHICHTE

DER

RENAISSANCE IN DEUTSCHLAND

VON

WILHELM LÜBKE

ERSTER BAND DRITTE AUFLAGE

NEU BEARBEITET VON

PROFESSOR DR. ALBRECHT HAUPT

KÖNIGL. BAURA.T ZU HANNOVER MIT 328 ABBILDUNGEN IM TEXT

ESZLINGEN a. N. PAUL NEEF VERLAG (MAX SCHREIBER) 1914

Greiner & Pfeiffer, Kgl. Hofbuchdrucker, Stuttgart

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Aus dem Vorwort zur ersten Auflage

Die Darstellung der deutschen Renaissance ist in noch viel höherem Sinne als die der französischen ein erster Versuch zu nennen. Während dort seit den Tagen Du Cerceaus ein reiches Material in trefflichen archi- tektonischen Aufnahmen vorlag, welches der Autopsie als unterstützende Grundlage dienen konnte, war für die deutsche Eenaissance so gut wie nichts an Vorarbeiten vorhanden.

Es galt zunächst das weit hingestreckte Gebiet, das von der Mosel bis zum Niemen, von der Eider bis zur Save sich ausdehnt, wandernd zu durchforschen, die Monumente, auf welche meistens noch keine kundige Hand hingewiesen hatte, zu entdecken und zu studieren, um das Material zu einer übersichtlichen Darstellung zu gewinnen. Fast überall habe ich diese auf eigene Anschauung gestellt und hoife dadurch wenigstens der Behandlung eine prinzipiell gleichartige Basis gegeben zu haben. Weit schwieriger noch war es, für die unentbehrlichen Abbildungen den Stoff herbeizuschaffen. So ist das Werk zustande gekommen, welches dem Publikum hiermit übergeben wird.

Es handelt sich um die Schilderung einer Monumentenwelt, welche bis jetzt so gut wie unbekannt war. Mit dem 16. Jahrhundert, jener großen Epoche, in welcher für uns die neue Zeit geboren, Gewissens- freiheit und das Eecht der Forschung auf allen Gebieten des Geistes er- kämpft wird, hat die Geschichtschreibung sich in glänzender Weise be- schäftigt. Aber immer noch fehlte uns bis jetzt eine Darstellung der Architektur jener Epoche, und selbst unter den Architekten begnügte man sich meist damit, vom Schloß zu Heidelberg zu reden und das übrige als eine wenig bedeutende verworrene Masse beiseitezuschieben.

Diesem Vorurteil soll meine Darstellung, wie ich hoffe, ein Ende machen. Wer das reiche Kulturleben des damaligen Deutschland kennt, weiß, daß solche Verhältnisse stets auch in der Architektur zu einem charakteristischen Ausdruck kommen. Kaum ist der Kampf gegen das geisterknechtende Rom zum vorläufigen Abschluß gebracht, die Gewissens- freiheit erfochten, so strebt das deutsche Volksgemüt, seinem idealen Drange wieder in künstlerischen AVerken volles Genüge zu tun. Das neubegründete Fürstentum, das teils der Förderung der Reformation, teils dem Bekämpfen derselben seine Macht verdankt, spricht dieselbe in prächtigen Schöpfungen

VIII

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage

aus. Mit ihm wetteifert das durch Handel, Gewerbtätigkeit und höhere Bildung hervorragende Bürgertum, um auch seinem Leben einen ent- sprechenden Ausdruck zu schaffen. Die humanistische Bildung der Zeit, die Begeisterung für das klassische Altertum kommt dabei zur frischen Erscheinung; aber indem sich dieselbe mit den Erfordernissen heimischer Sitte und Überlieferung, mit den klimatischen Bedingungen und Volks- anschauungen in Ausgleich setzt, entsteht jene anziehende Mischung, welche in den Werken jener Zeit sich als lebensvoller, naturnotwendiger Eeflex der wirklichen Verhältnisse so charaktervoll zu erkennen gibt. AVerden daher jene Schöpfungen vor dem strengen Maßstabe einer abstrakten Ästhetik nicht tadelfrei ausgehen, so sind sie doch als Kulturäußerungen einer schaffensfrohen, kräftigen Zeit von hohem Interesse und auch künst- lerisch von einem nicht gering zu schätzenden Werte. Was in der langen friedlichen Epoche von ca. 1520 bis zum Ausbruch des unseligen Dreißig- jährigen Krieges in Deutschland an Werken der Architektur und der be- gleitenden Dekoration entstanden ist, bildet ein großes Gesamtdenkmal der Kunst und der Kulturgeschichte, welches ich hier, wenngleich mit un- zureichenden Mitteln, aber mit freudigem Dransetzen aller meiner Kräfte versucht habe darzustellen. Die deutsche Nation, die neuerdings so hohe Ehre errungen und sich die lange schmerzlich entbehrte Einheit und ge- schlossene Macht nach außen endlich erkämpft hat, möge dieses künst- lerische Spiegelbild aus einer Zeit, die ebenfalls durch große Kämpfe um Erneuerung des gesamten Lebens bewegt ward, freundlich hinnehmen. Vielleicht daß sie, wie ein verständnisvoller Freund sich äußert, dabei inne wird, was für ein bedeutendes Kapitel vergangenen Ruhmes sie bis jetzt fast gänzlich übersehen hat.

Stuttgart, im April 1873

W. Lübke

Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage

Seitdem die Geschichte der deutschen Renaissance erschienen ist, hat die von mir gewünschte und dringend befürwortete Lokalforschung fast überall sich des Stoffes in dankenswerter Weise bemächtigt und eine Fülle neuen Materiales zutage gefördert. Da inzwischen die erste Auflage auf die Neige ging, so bot sich mir dadurch eine willkommene Gelegenheit, das Buch einer Umarbeitung zu unterziehen, bei welcher nicht bloß fremde, sondern auch fortgesetzte eigene Spezialforschung in ihren Ergebnissen Berücksichtigung fanden. So ist denn das Bild nach allen Seiten hin reicher und lebensvoller geworden, auch durch eine Anzahl neuer Abbil- dungen konnte der unmittelbaren Anschauung Rechnung getragen werden.

Sodann hat das kunstgewerbliche Kapitel beträchtliche Erweiterung erfahren und auch durch reichliche Illustration an Anschaulichkeit ge- wonnen. Hierdurch dürfte eine wesentliche Verbesserung der neuen Auf- lage zu erkennen sein.

Noch ein Wort über die praktische Bedeutung der deutschen Renais- sance für die Gegenwart. Bekanntlich haben viele Architekten in den verschiedensten Gegenden des Vaterlandes mit Eifer sich der gleichsam neuentdeckten Formenwelt bemächtigt und dieselbe in einer stattlichen Zahl von Neubauten zur Verwendung gebracht.

Namhafte Meister haben Treffliches darin geleistet und den Beweis geliefert, daß dieser Stil künstlerisch wertvoll und lebensvoll ist. Denn vor allen Dingen liegt in ihm ein Element echt nationaler Anschauung, Sitte und Kultur, und er spricht in seinen besten Werken unsere deutsche Art mit einer Frische, anheimelnder Wärme und Lebendigkeit aus, die wahrlich nicht gering anzuschlagen ist. Suchen wir ihn also zu verstehen und auf seine originelle Schönheit hin zu studieren: dann werden wir für unser nationales Wesen in ihm einen erwünschten Ausdruck gewinnen.

Juli 1881

W. Lübke

Vorwort zur dritten Auflage

Wenige Worte nur. Bei der Neuauflage des Lübkeschen Werkes galt es, das alte Buch in seinen Grundlinien und seinen Vorzügen bei- zubehalten, doch das Veraltete wie das inzwischen als unrichtig Erkannte zu beseitigen und die Ergebnisse der Forschung, die auch seit der zweiten Auflage des Buches wieder um ein Erhebliches fortgeschritten ist, ein- zufügen, sowie die noch vorhandenen Lücken auszufüllen.

Die Eigenart des Buches, die in der örtlichen Anordnung der Bau- denkmäler sich am deutlichsten ausspricht, läßt sich durch die einmal ge- gebenen starken örtlichen Unterschiede in der deutschen Renaissance nicht nur erklären, findet vielmehr darin eine vollgültige Begründung. Die all- gemein gehaltenen ersten Kapitel gewähren anderseits die erwünschte Übersicht. So habe ich daran nichts ändern wollen; ebenso sind zahlreiche von den ausgezeichneten Holzschnitten Baldingers, die den Glanz der früheren Auflagen ausmachten, und einige andere beibehalten, sonst hat neues photographisches Material die veralteten Bilder ersetzt und die ge- bliebenen vervollständigt.

So hoffe ich, entspricht das Buch in seiner neuen Gestalt den An- sprüchen, die unsere Zeit zu stellen berechtigt ist, ohne daß das, was an ihm dauernd wertvoll war, beeinträchtigt ist.

Ausdrücklich sei noch darauf hingewiesen, daß unser Buch seine Er- gänzung findet in dem vortrefflichen Tafelwerk: Baudenkmäler deut- scher Renaissance von K. E. 0. Fritsch (Berlin, E. Wasmuth), auf das häufig hat verwiesen werden müssen ; ferner in den inzwischen mächtig gewachsenen Verzeichnissen der deutschen Kunst- und Baudenkmäler. Eine sehr gute systematische Behandlung hat der Gegenstand gefunden in G. V. Bezolds : Baukunst der Renaissance in Deutschland, Holland, Belgien und Dänemark, 2. Aufl., Leipzig 1908. Der älteren hochverdienstlichen Materialiensammlung in den reichen Bänden der „Deutschen Renaissance" von E. A. Seemann in Leipzig sei als der ersten wirklichen Grundlage dieser Arbeiten ebenfalls rühmend gedacht. Dem Schlesischen Museum der bildenden Künste in Breslau sage ich für die gütige Überlassung photographischer Vorlagen aus dem „Bilder werk schlesischer Kunstdenk- mäler" an dieser Stelle besonderen Dank. Nicht minder den zahlreichen Helfern beim Neubau des Bilderschatzes, die alle einzeln nicht genannt werden können.

Hannover, im September 1913

Albrecht Haupt

Inhaltsverzeichnis

Erstes Buch

Seite

I. Kapitel. Die Eenaissance des deutsclien Geistes 1

II. Kapitel. Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern 35

III. Kapitel. Die Renaissance im Kunstgewerbe 75

IV. Kapitel. Die Theoretiker 128

V. Kapitel. Gesamtbild der deutschen Renaissance 152

Zweites Buch

Die Bauwerke

VI. Kapitel. Die deutsche Schweiz 212

Basel und die Westschweiz 214

Luzern 226

Stein a. Rh 232

Schaff hausen 235

Zürich 236

NäfeLs und Bocken 241

Winterthur und Umgebung 242

VII. Kapitel. Die oberrheinischen Gebiete 245

Ober-Elsaß 245

Unter-Elsaß 252

Das südliche Baden 258

Heiligenberg 272

VIII. Kapitel. Die pfälzischen Lande 277

Die Oberpfalz 278

Regensburg 280

Die neue Pfalz 281

Heidelberg 286

IX. Kapitel. Schwaben 305

Fürstliche Bauten 307

Heinrich Schickhardt 323

Stuttgart 331

Die Reichsstädte 347

Ulm 358

Augsburg 368

Elias Holl 379

XII Inhaltsverzeichnis

Seite

X. Kapitel. Franken 390

Eheinfranken und Südhessen 390

Das südliche Hessen 408

ünterfranken 425

Würzburg 430

Schweinfurt 488

Mittelfranken . 441

Rothenburg- ob der Tauber 453

Nürnberg 463

Oberfranken 482

Druckberichtigung 490

Portal ehemals in der Kanzleistraßc zu Stuttgart

ERSTES BUCH

Erstes Kapitel

Die Renaissance des deutschen Geistes

T . "0 Jahrhundert, die Geister erwachen, die Studien blühen- es ist einf^ Lust zu leben!" Mit diesem Jubelruf begrüßt Ulrich von Hutten das Zeitalter der Renaissance in Deutschland. Und in der Tat: eine gewaltigere Epoche ti er Erregung, volhger Neugestaltung hat das deutsche Volk nimmer gesehen d1 Mit elalter, das in Italien schon seit dem Beginn des 15. Jahrhunde'r der neuen Zeit gewichen war hatte sich im Norden, .umal in Deutschland, noch hundert Jahre langer zu erhalten vermocht. Allerdings war auch hier die ^anze Ze erfüllt von dem manmchfachen Streben, mit den alten Vorurteilen und ETnrfch tungen aufzuräumen, an Stelle der verknöcherten Vorstellungen des Mittekl ers seiner dumpfen Dogmengläubigkeit, seiner vertrockneten Scholastik 2 lebens frischen Anschauungen emer neuen Zeit, das Studium des klassischen Altertums !. .m I u der Menschenwelt zu setzen: aber noch zu

machtig hielt, so morsch er auch sein mochte, der tausendfältig verschbngene Bau des mittelalterhchen Staats- und Kirchenwesens zusammen. Als es endheb in Deutschland gelang, ihn in Trümmer zu schlagen, sollte dies denn auch t rade hier vollständiger, durchgreifender geschehen^ al irgend anderswo f7 1 bestimmt, daß Italien die Welt klassische? Formens^hönhl neu enWeX Deutschland aber war es vorbehalten, zu den letzten Quellen geist^n Leb hinabsteigeiKl zu neuer Auffassung des religiösen Wesens und dfmft zur Um gestaltung des ganzen Daseins durchzudringen

Während nun die romanischen Völker - Italien und Frankreich sowie Spanien - nicht imstande sind, von der kirchhchen Wiedergeburt Deutsch rds sich die großen Ergebnisse anzueignen, ist es umgekehrt DeuLhland beschi^^^^^^^^^ von der künstlerischen Neugestaltung Italiens durchgreifende Ekflüsse aufzu nehmen und daraus eine neue Kunst zu entwickeln, in der das Ich n' '::^f^^r^'^r^}^'^T'^^' 5- Bund ergeht. AberÄf-"

V, V, j " ^ iviaiL öuien ßuna eingeht. Aber die Anf

nähme der Renaissance und ihre selbständige Verarbeitung nimmt in Deutsclüand einen anderen Weg als in Italien und Frankreich. Während in Italien die Kunst eme gememsame Angelegenheit der ganzen Nation ist, so daß alle Stände aUe Lebenskreise daran schaffend und fördernd teilnehmen/während in Frankreich d ! Verbreitung des Neuen in erster Linie eine Sache des bofes bleib? und durch d e Fürsten herbeigeführt und gepflegt wird, geht sie in Deutschland ausschlTeßlich aus den Kreisen der Künstler nkn

aus den K,.»i»„„ 1 17- .T , ' * ° """iscniana aussch ießl ob fZy r V f, ä's» aus dem Bürgertume hervor. Von da aus

fre l ch weiß sie a I mählich das ganze Dasein' mit durchdringender Kraft zu er- fassen und zu erfüllen. Es spiegeln sich aber in diesen Verhfltnissen mit merk-

1. UD Ii e- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl.

2 1. Buch I. Kapitel Die Eenaissance des deutschen Geistes

würdiger Schärfe die staatlichen und gesellschaftlichen Zustände, die wir nun zunächst zu beleuchten haben.

Der Grund'^edanke des Mittelalters war die Theokratie, die \ erwirklichung eines Gottesreiches auf Erden". Aber die Verwirklichung dieser Idee mußte an der Macht der tatsächlichen Verhältnisse scheitern, und nur so viel blieb als Er- gebnis, daß eine auf die Dauer unerträgliche Hierarchie sich erhob und mit der weltlichen Gewalt in unaufhörliche Kämpfe geriet. Aus alledem entwickeln sich mit Notwendigkeit Zustünde so verworrener Art, daß die fortschreitende freiere Entfaltung des Lebens nicht ferner mit ihnen bestehen konnte. Man mußte zu einfacheren, klareren Verhältnissen kommen. So sehen wir in fast allen Ländern Europas ge^en Ausgang des Mittelalters die Staaten sich politisch aufraffen, ihre Kraft in ein^mächtiges Königtum zusammenfassen. Während in Spanien Ferdinand und Isabella die Vereinigung der zwei Königreiche vollbringen, während m Frank- reich seit Ludwig XI. die monarchische Konzentration mit steigendem Erfolge durcho-eführt wird, während endlich England durch die rücksichtslose Energie des ersten Tudor zu einer ähnlichen Umwandlung gelangt, muß Deutschland Jahr- hunderte hindurch vergebhch sich mit dem Ringen nach staatlicher Einheit ab- mühen Schon im Ausgange des Mittelalters war die Macht der Vasallen dem Kaisertum so hoch über den Kopf gewachsen, daß ein Niederzwingen jener unter die Reichsc^ewalt kaum noch möglich erschien. Seit das Zepter m die Hände der Habsburger gelangte, mußten die zentrifugalen Kräfte sich nur noch ver- stärken Denn mit ihnen 'kam ein Herrscherhaus auf den Thron, dessen höchstes Streben war, seine Hausmacht zu vergrößern; da aber der überwiegende Teil seiner Besitzungen außerdeutsch war, so trennte eine immer breitere Kluft das Sinnen und Denken der Kaiser von Leben und Bedürfnissen der Nation. Die auswärtigen Einwirkungen ließen die Träger der deutschen Krone nicht zur Ruhe kommen, und je weniger sie des höchsten heimischen Amtes walteten, um so kräftiger erhob und befestigte sich die territoriale Macht der einzelnen Reichs- fürsten bis zu völliger Unabhängigkeit. Daß aber solche Zustände nicht dazu angetan waren, eine folgenreiche Förderung höherer Kultur zu begünstigen. Hegt

klar zutage. ... u

Noch ein anderes kam hinzu. Als das tief empörte deutsche Gemüt sich von dem schnöden Spiel, das von Rom aus mit dem Heiligsten getrieben wurde, loszusagen begann, da hätte ein deutsch gesinnter Kaiser die gapze Flut dieses Stromes zusammenfassen, in ein breites nationales Bett leiten und der deutschen Nation die Freiheit von Rom und die Einheit der religiösen Anschauung im Schöße einer allgemeinen deutschen Nationalkirche geben können. Der spanisch erzogene Karl V., der vom deutschen Wesen nichts verstand, nicht einmal die Sprache, war nicht der Mann für eine solche Aufgabe. So wurde durch die femd- liche Stellung, die das Kaisertum gegen die religiöse Bewegung einnahm und behauptete, nur die Selbständigkeit der Fürsten erhöht, denn in dem Maße, m welchem sie die Reformation förderten, kräftigten sie die eigene Macht. So kam Deutschland zum Dualismus, zur Zerrissenheit, nicht wie man wohl behauptet, durch die Reformation, sondern durch die Starrheit der Kaiser, welche sich dem tiefsten Herzensbedürfnis der Nation entgegenstemmten, sich zu Schergen der römischen Hierarchie erniedrigte und in der Folge durch blutige Gewaltmaßregeln in den österreichischen Landen die religiöse Bewegung erstickten.

Die Folge dieser Verhältnisse war des Reiches fortdauernde Unsicherheit im Innern, zunehmende Ohnmacht nach außen. Damals begann jene Reihenfolge schmerzlicher Beraubungen, für die es erst vor vierzig Jahren dem deutschen Schwerte gelang, die späte Sühne zu erringen. Wenn wir heute aus gehobener Seele auf jene Jahrhunderte schmachvoller Schwäche zurückblicken, so können

Politische und religiöse Zustände

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wir im Bewußtsein der endlich gewonnenen Einheit und Macht mit ruhigerem Gemüte auch der Segnungen gedenken, die trotz immer traurigeren Verfalles Gesamtdeutschlands doch auch jene Zeit gerade durch die Reformation und die Hand in Hand mit ihr entwickelte Fürstengewalt gewann. Die Pflege der geisti- gen hiteressen, von den habsburgischen Kaisern preisgegeben, fand ihre Zu- flucht in den zahlreichen kleineren Mittelpunkten der Einzelgebiete, sowohl in den Residenzen der Fürsten, als in den noch immer durch Handel und Gewerbe blühenden Reichstädten. Die Fürstenmacht hat in Deutschland die geistige Be- wegung nicht hervorgerufen noch weiter geführt, aber sie hat zum größten Teile sie richtig gewürdigt und dann auch eifrig gefördert.

Schon an Sicherheit gewann der innere Zustand Deutschlands durch Festi- gung der örtlichen Herrschaft in den einzelnen Ländern. Allerdings war die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts immer noch erfüllt von schweren Kämpfen. Nicht bloß der Bauernkrieg mit seinem furchtbaren Elend und seiner entsetz- lichen Unterdrückung, auch die Gegensätze zwischen den Anhängern der neuen Lehre und dem Kaiser, die ebenfalls erst auf dem Schlachtfelde ausgetragen werden mußten, hemmten für längere Zeit stetige Entfaltung friedlicher Kultur. Welche Geißel aber die mit äußerster Roheit geführten Kriege waren, welch bös- artige Untaten besonders durch die spanischen Truppen Karls V. verübt wurden, davon wimmelt es an Zeugnissen in den Berichten jener Zeit. Wir wollen nur an die unbefangenen Schilderungen Sastrows erinnern, deren kühler Ton uns beweist, wie man damals das Ungeheuerlichste fast als selbstverständlich be- trachtete, i) Erst nach dem schmalkaldischen Kriege und mit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) fängt Deutschland an aufzuatmen, sich von den Wirrsalen des Kampfes zu erholen. Von da können wir eine stets steigende Zunahme der öffentlichen Sicherheit gewahren, obwohl es auch jetzt nicht ganz an Wege- lagerern und Stegreifrittern aller Art fehlte. Hans von Schweinichen weiß auf den verworrenen Irrfahrten mit seinem Herrn, Herzog Heinrich XI. von Lieg- nitz, überall von wohlgebauten Schlössern mit Wall und Graben zu erzählen, auf denen die Besitzer eine Anzahl Soldaten halten „wegen der Einfälle".^) Er selbst, der leichtlebige Junker, lehnt zwar gelegentlich die Einladung zur Teilnahme an einem Überfall auf der Landstraße ab, drückt aber ein Auge dabei zu und gestattet stillschweigend, daß seine beiden Knechte sich daran beteiligen.^) Auch sonst hat er von solchen Streichen zu berichten, ohne daß ihm ein starkes Bedenken käme.') Selbst ein Fürst des Reiches, Herzog Friedrich von Württemberg, muß sich noch 1592 auf seiner Reise nach England in Ost- friesland gegen einen Überfall von Freibeutern verteidigen und erlangt nur durch Vorweisen eines Geleitsbriefes des Landgrafen von Hessen seine Freiheit.") Trotz solcher vereinzelter Fälle verbreiteten sich doch in der zweiten Hälfte des Jahr- hunderts Recht und Ordnung im Lande, und erfreute sich Deutschland vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges eines hohen Zustandes von Gedeihen, der sich in Entfaltung eines glänzenden Kultur- lebens aussprach. Zeugnis dessen ist vor allem die Baukunst: denn abgesehen von vereinzelten früheren Werken begmat die Bautätigkeit der Renaissance in Deutschland erst^gegenj^50 und währt in reicher Mannigfaltigkeit fort bis zu'

1) Bartholomäi Sastrowen Herkommen, Geburt und Lauf seines ganzen Lebens, herausg. V. Mohnike. (Greifswald, 1823. 3 Bde.) IL 14, 32, 33, 34 etc.

2) Hans V. Schweinichens Selbstbiographie, ed. Büschlng (Breslau 1830, ff. 3 Bde.) L 247.

3) Hans V. Schweinichen, I. 249.

4) Ebd. L 270.

•'') Herzog Friedrich von Württembergs Badenfahrt, beschr. von Rathgeb, „durch M. Er- hardum Cellium, poetischen und historischen Professoren bei Hocher Schul zu Tübingen" ediert (Tüb. 1604) Bl. 6.

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1. Buch I. Kapitel Die Eenaissance des deutschen Geistes

jenem unseligen Kriege, in dessen Verlaufe und unter dessen traurigen Folge- erscheinungen sie langsam erlischt, wie eine Flamme ohne Nahrung.

Als in der abendländischen Welt sich das Sehnen nach Befreiung von mittelalterlichem Geistesdruck mächtig zu regen begann, war es die wieder- entdeckte Herrhchkeit des klassischen Altertums, in der der erwachende Geist sein Verjüngungsbad fand. Ein wunderbarer Lenzeshauch weht durch die ganze Zeit, ein Frühling erblüht mit aller seiner Fülle, wenn auch mit verheerenden Stürmen. All dies gewaltige Ringen und Regen läßt sich im letzten Grunde darauf zurückführen, daß das Individuum sein Recht, seinen Anspruch auf Frei- heit des Denkens und Empfindens geltend machte. Daher wurde das Auftreten des Humanismus zugleich das Zeichen zum Kampf gegen die Allgewalt der Kirche. In Italien, wo dieser Kriegszug seine Teilnehmer aus allen Klassen der Gesellschaft erhielt, wo das Banner der freien Wissenschaft nicht bloß bürger- hche Gelehrte, sondern den Adel, die Fürsten, den Statthalter Christi um sich versammelte, gewann die literarische Bewegung einen überwiegend formalen, zu- gleich aber in sitthcher und religiöser Hinsicht einen mehr zerstörenden als auf- bauenden Charakter. In Eleganz der Form, in Anmut, durchsichtiger Klarheit der Rede mit den Alten zu wetteifern, war das erste Ziel. Zugleich aber füllten die antiken Anschauungen, denen man sich im naiven Glauben, das Werk der römischen Vorfahren in gleichem. Geiste fortsetzen zu können, unbekümmert hingab, die Geister auf religiösem Gebiet mit fressendem Skeptizismus, dem durch die Sitten- losigkeit der höchsten kirchlichen Würdenträger Nahrung gegeben wurde. i) Es entstand eine Frivolität der Gesinnung, die in einer Literatur von unglaubhcher Zügellosigkeit ihren Ausdruck gefunden hat. Nicht bloß Poggio, Beccadelli, Filelfo und unzählige andere, selbst ein Papst Pius IL, Äneas Sylvius steht in den Reihen der Spötter.^) So verHef in Italien die mit hoher Begeisterung begonnene humanistische Bewegung zum Teil in einem verpesteten ^mpf^ und man muß dem gegenüber die ganze Herrlichkeit der bildenHenKünste sich vor Augen stellen, um das Große und Schöne der neuen Richtung ungestört zu empfinden.

Anders in Deutschland. Viel später kommt hier die Bewegung zum Aus- druck, angeregt und vermittelt durch Italien. Aber sie fällt mit der Erfindung der Buchdruckerkunst zusammen, und durch diesen großen Fortschritt hebt Deutschland das Privilegium der Bildung für die vornehmen, begüterten Stände auf und teilt das lebendige Wort des Geistes, den Strom antiker Weisheit und Schönheit allen ohne Unterschied mit. Aus dem Bürger- und Bauernstande drängen sich die Jünglinge aller Orten zu den Wissenschaften; zahlreiche Schulen entstehen, und die kaum noch eben Schüler waren, ergreifen mit Eifer das Lehramt und verbreiten den Geist der Alten an Tausende. Bis ins fernste Alpen- tal dringt die Kunde von der wiederentdeckten Wissenschaft und treibt den armen Hirtenbuben Thomas Platter zur Wanderung in die unbekannte Ferne, um auf mühsalvollem Wege durch Deutschland als arg geplagter fahrender Schüler sich die Kenntnis der Alten zu erwerben. Nicht ohne Rührung liest man in seiner Lebensbeschreibung, wie er mit seinem Gefährten durch Schwaben, Franken und Thüringen bis nach Breslau und nach Polen hinein „den Schulen nachzieht", wie er Hunger und Frost, Krankheit und Elend erduldet und dabei noch für den übermütigen Begleiter betteln, gelegentlich mit Lebensgefahr wohl auch eine Gans stehlen muß. Immer hält ihn der Trieb zum Lernen aufrecht. Und später in Basel, wie er sich zu einem Seiler verdingt, um kümmerUch sein Leben zu

1) Sastrows Ausdruck, die römischen Prälaten hielten ihre Keuschheit wie der Hund die Fasten, ist bekanntlich keine Übertreibung. B. Sastrows Leben a. a. 0. I. 345.

2) Über diese Verhältnisse vgl. G.Voigt, die Wiederbelebung des klassischen Altertums (Berlin 1859) S. 459 f£.

Wissenschaftliche Studien

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fristen, dabei aber die losen Blätter eines ihm geschenkten Plautus beim Seil- drehen in den Werg steckt, um während der Arbeit zu lesen, nicht ohne Be- sorgnis vor übler Behandlung seitens des Lehrherrn/) Kaum minder mühevoll war die Jugend des trefflichen Konrad Pellicanus, der sogar das Hebräische ohne alle Anleitung aus einer Handschrift der Propheten erlernte, den, um den Schwäch- lichen zu schonen, sein Freund Paulus Scriptoris ihm auf den Schultern von Mainz nach Tübingen getragen hatte. Und wie glücklich ist er, in Ulm eine hebräische Grammatik im Besitz eines Beamten zu finden, welche dieser ihm ab- zuschreiben gestattet!')

So schwer diese Kenntnisse errungen wurden, so viel harte Arbeit, Ent- behrung und Entsagung an ihren Besitz gesetzt werden mußte, so ernst war nun die Anwendung des Errungenen. Der tiefe Drang nach Wahrheit, der einen Grundzug der deutschen Volksseele bildet, trieb vor allem dazu, die überlieferten Glaubenslehren zu prüfen; die morahsche Versunkenheit des Klerus, die groben Mißbräuche der Kirche, der kurzsichtige Starrsinn Roms gaben den Ausschlag, und die Bewegung, aus der sittHchen Tiefe des deutschen Gemütes hervor- gegangen, gewann eine Macht, der nichts widerstehen zu können schien. Das religiöse Gefühl gelangte zu jener Vertiefung, die schon im 14. Jahrhundert von den Gottesfreunden am Rhein angestrebt worden war; der Gedanke vollzog seine Befreiung, und erst auf diesem Boden erwuchs eine Wissenschaft, die in Wahr- heit solchen Namen verdiente. Die Theologie hat bald die Geschichtsforschung zur Folge; die Jurisprudenz schließt sich daran, und selbst städtische Obrigkeiten fördern diese Studien, wie denn der Rat von Nürnberg 1528 Haloander für die Herausgabe der Pandekten ansehnhch unterstützt,^} der Magistrat von Augs- burg 1548 eine Anzahl griechischer Manuskripte von Korfu um tausend Gold- gulden ankauft.') Ganz neu wird auch die Medizin begründet, seit Vesal 1543 in Basel zum erstenmal ein Werk über die Anatomie des menschlichen Körpers herausgibt, Konrad Gessner bald darauf in Zürich seine Zoologie veröffentlicht. Ebenso bricht Georg Agricola in der Mineralkunde, Mercator durch seine Karten für die Erdkunde, Kopernikus endhch und nach ihm Kepler auch für die Er- forschung des Weltalls eine neue Bahn. In der ganzen Welt erreicht schon da- mals die deutsche Wissenschaft hohen Ruhm, also daß, wie Stumpff in seiner Schweizer Chronik sagt,*) „die Teutschen mit hochgelehrten Leuten andere Nationen übertreffen". Nur der großen Tat der Reformation verdanken wir eine moderne Wissenschaft, verdanken wir die Vertiefung des geistigen, die Läuterung des sittlichen Lebens. Wohin dagegen die romanischen Völker durch ihr Ab- lehnen der reformatorischen Bewegung gekommen sind, das tritt heute immer noch klar zutage.

Aber neben der wissenschaftlichen Literatur erwacht eine volkstümhche Dichtung, die in der durch Luthers Bibelübersetzung kraftvoll ausgebildeten Muttersprache ihren Ausdruck zu schaffen sucht. Allerdings kommt es nicht so bald zu Meisterschöpfungen, bei denen Inhalt und Form auf gleicher Höhe ständen. Selbst bei den begabtesten Geistern der Zeit fühlt man ein mühsames Ringen mit der Sprache, die noch hart und ungelenk ist und aller Geschmeidig- keit entbehrt. Und wo ein geistvoller Sprachkünstler wie Fischart seiner un-

1) Thomas Platter und Felix Platter, herausgegeben von A. Feuchter (Basel 1840) S. 14 tf. 53 fg.

2) Pellicanus Chronik, vgl. Neujahrsbl. der Züricher Stadtbibl. 1871 S. 5.

3) Ranke, Deutsche Gesch. V. 369, wo die wissenschaftliche Bewegung eingehender ge- schildert wird.

Des Grafen Wolrad von Waldeck Tagebuch während des Reichstags zu Augsburg 1548 herausg. von Troi5. (Eibl, des lit. Ver. LIX.) S. 129.

-■5) Schweizer Chronik von 1548, Bd. I., Bl. 23.

Q 1. Buch I. Kapitel Die Renaissance des deutschen Geistes

gebundenen Laune in den kühnsten Wortbildungen den Zügel schießen läßt, können wir zwar wohl die sprudelnde Fülle der Erfindung bestaunen, allem das Verzwickte, Barocke, Überladene seines Stils, manchen späteren Ausschwei- fungen unsrer Renaissance-Architektur nicht unähnlich, läßt uns nirgend zu einem

reinen Genüsse kommen. , ^, . ■,

Aber noch tiefer Hegen die Gründe, die eine volle Blüte der Poesie ver- hindern Das Pathos, welches die ganze Zeit bewegt, richtet sich nicht auf poetisches Erfassen, sondern auf verständiges Begreifen der Wirkhchkeit. Durch die große Erfindung der Buchdruckerkunst war plötzlich der Nation em unüber- sehbarer Wissensstoff zugeführt worden. Die Literatur des klassischen Altertums stand dabei in erster Linie; der durch den Humanismus geweckte Drang nach Erkenntnis des Menschen und der Natur machte sich, wie wir eben sahen, m einer wissenschaftUchen Tätigkeit Luft, die alle Zweige des Erkennens umfaßte, am meisten aber auf religiösem Gebiet zu freier Forschung hindrängte. So kam es, daß der Trieb nach Erkenntnis und Belehrung alles beherrschte, und daß selbst die Poesie in diesen Dienst hineingezogen wurde. Das Didaktische und Moralische überwiegt daher und verbindet sich mit einer stark ausgesprochenen polemischen Richtung, die in den Kämpfen für und gegen die Reformation zum schärfsten Ausdruck kam. Die derbe Sitte der Zeit begünstigte dabei eine Heftigkeit, ja selbst Roheit des Ausdrucks, die in einer ganzen grobiamschen Literatur sich Luft machte. Wir verstehen diese Richtung des damahgen Geistes- lebens, welcher selbst die hervorragendsten Männer ihren Tribut zollten, völlig nur dann, wenn wir uns der aligemeinen Ungeschlachtheit der Sitten ennnern, die sich in allen Ständen gleichmäßig erkennen läßt. Entscheidend war es, daß auch in den höheren Kreisen die feine höfische Art der früheren Zeit ver- schwunden war, und daß der Adel ein bedauerliches Beispiel geistiger und sittlicher Roheit gab. Wohl suchten die bürgerhchen Kreise durch eme gewisse strenge Ehrbarkeit sich von jenen zu unterscheiden, aber daraus gewann das Leben keinen poetischen Gehalt, sondern eher eine hausbackene Nüchternheit und Phihsterhaftigkeit, die sich nirgend so breit machte als da, wo man eigent- hch poetisch sein wollte, im Meistersang. Hier finden wir den letzten Auslaufer mittelalterlichen Dichtung, aber aus dem ritterlich Schwungvollen in spießburger- Hche Trockenheit übertragen, die sich in ihrer handwerklichen Verschnorkelung besonders poetisch dünkt.

Man darf sagen, daß fast in der ganzen deutschen Dichtung der Zeit, mit alleiniger Ausnahme des Volksliedes und des Kirchenliedes, nicht das Gemüt dichtet, sondern der Verstand reimt, nicht der Ausdruck der Empfindung und die frei geborene Schönheit, sondern nur irgend eine lehrhafte, moralische oder auch polemische Absicht das Ziel dieser Poesie bildet. Man muß nur die unter den Auspizien Kaiser Maximilians L erschienenen Prachtwerke des Teuerdank und des Weiskunig lesen, um zu erkennen, wie nüchterne Allegorie sich gespreizt und seelenlos in die Form des Ritterromans ergossen hat. Wie hoch steht bei diesen Werken der Anteil der bildenden Kunst in den trefflichen Illustrationen über der schalen Breitspurigkeit des Textes! i •, i

Weit glücklicher bewegt sich die Zeit in jenen S^lji^äftken und derb satiEiadien Dichtungen, wie Sebastian Brandts Narrenschiff, Thomas Murners fcenbTschwörung. Geuchmatt, Schelmenzunft, in Rollenhagens Froschmeuseler, namentlich aber in Fischarts Werken, wo wir trotz vielfach ungeschlachter Derbheit der Form, trotz zotiger und knotiger Häßlichkeit durch den scharfen BHck für die Äußerungen des Lebens, durch die satirische Kraft in der Schilde- rung und Bekämpfung menschlicher Torheiten, Gebrechen und Laster gefesselt werden. Hier sieht man, wie in dieser von leidenschaftlichen Kämpfen und

Dichtkunst

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Gegensätzen erfüllten Zeit der Mensch und sein Gebaren ausschließlich den Gegen- stand der Darstellung bildet und sein Bild mit einer Beobachtungsgabe von un- erschöpflichem Reichtum vor uns entrollt wird. Wir begreifen, daß diese ge- harnischte Zeit keine Muße fand für den zarten Ausdruck lyrischer Stimmungen, für das schwärmerische Sichversenken in die Schönheiten der Natur, die in der Ritterdichtung des Mittelalters sich so anmutvoll ausspricht. Wir begreifen ferner, daß Deutschland keine Dichtung hervorbringen konnte wie Ariosts rasender Roland, in welchem der Sybaritismus der feinsten Kultur italienischer Renaissance sich zu bezaubernder Üppigkeit entfaltet.

Und doch sollte es auch dieser Zeit nicht ganz an echten Blüten deutscher Dichtung fehlen. Nicht bloß das Kirchenlied, von dem großen Reformator und seinen Nachfolgern mit Eifer gepflegt, dringt erquickend in alle Kreise des Lebens : nicht bloß die Volksdichtung ergießt sich mit breitem Strom in unzähligen Liedern, oft derb, ja roh im Ausdruck, aber voll gesunder, urwüchsiger Kraft: auch die dramatische Poesie nimmt einen frischen Anlauf und weiß ihren kernigen Inhalt in freiem Zuge zu gestalten. An der Schwelle der Epoche steht der treuherzige Hans Sachs mit seinen zu wenig gekannten und gewürdigten Werken, in denen die deutsche Volksnatur mit unerschöpflicher Fülle sich offenbart. Ihren Ab- schluß bildet Herzog Heinrich Julius von Braunschweig, einer der treffhchsten Fürsten der Zeit, mit seinen Schauspielen, ^) in denen offenbar Blick und frische Auffassung des Lebens mit einem freien Humor sich verbinden. Selbst den Volksdialekt weiß er schon mit Erfolg für einzelne Personen charakteristisch zu verwerten. So quillt in tausend Bächen ein reiches nationales Leben, das sich in einer Literatur voll originaler Triebkraft, wenn auch ohne die Eleganz und Formenanmut des Südens, Bahn bricht.-)

So unleugbar der Einfluß der Reformation auf die literarische, wissen- schaftliche und dichterische Bewegung war, so hat man oft ihr Auftreten als verderblich für die bildenden Künste bezeichnet. Bei genauerem Untersuchen ergibt sich jedoch bald, daß diese Anschauung eine oberflächliche ist. Zwar der kirchlichen Kunst tat die neue Lehre zunächst erheblichen Abbruch, nicht bloß weil sie der Darstellung einen großen Teil ihres Stoffgebietes entzog, sondern weil sie grundsätzlich die Gottesverehrung verinnerlichen, den Kultus von äußeren Zeichen und Symbolen befreien wollte. Daß aber grundsätzlich die reformatorische Geistesrichtung dem künstlerischen Schaffen auch auf religiösem Gebiet nicht feindlich war, beweist vor allem Dürer, dessen begeisterte Verehrung für den kühnen Reformator einen so schönen Ausdruck in der bekannten Stelle seines niederländischen Reisetagebuchs gefunden hat, ^) und der in seinen zahlreichen biblischen Darstellungen, nicht am wenigsten in den Bildern aus dem Leben der Maria, dem rehgiösen Gefühl einen ergreifenden und tiefgewaltigen Ausdruck zu geben wußte. Nicht weniger bezeugen die Altarbilder, mit denen Luthers Freund Lukas Cranach die Stadtkirchen zu Wittenberg und zu Weimar ge- schmückt hat, daß die Reformation einer bedeutsamen kirchlichen Kunst nicht im Wege stand; denn diese großartigen Werke sind vöHig im reformatorischen Geiste gedacht und ausgeführt. Vergessen wir dabei nicht, daß die ganze Kunst

1) Die Schauspiele des Herzogs Heinricli Julius von Braunschweig, herausg. von Holland. (Eibl, des lit. Ver. XXXVI.)

~) Eine trelfliche Charakteristik der deutschen Poesie jener Zeit in C. Grüneisens Niklas Manuel (Stuttgart 1837) S. 33—50. Vgl. auch in größerem Umfange das Einleitungskapitel zu C. Lemckes Geschichte der deutschen Dichtung (Leipzig 1871). Sodann ganz besonders die gediegene, von künstlerischem Geiste getragene Darstellung im dritten Buch von 0. Roquettes Geschichte der deutschen Dichtung von den ältesten Denkmälern bis auf die Neuzeit. IH. Aufl. S. 169-280. (Stuttgart 1879.)

3) F. Leitschuh, Albrecht Dürers Tagebuch, Leipzig 1884, S. 82.

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1. Buch I. Kapitel Die Renaissance des deutschen Geistes

der Renaissance in erster Linie eine profane ist, daß sie vor allem das wirkliche Leben zu verschönern, zu verherrlichen sucht, und daß sie, selbst wo sie kirch- liche Stoffe zugrunde legt, als letztes Ziel doch stets die verklärte Menschen- gestalt, den Glanz und die Schönheit des irdischen Lebens im Auge behält. Diese Richtung hat die Reformation nicht hervorgerufen, eher sie durch Vertiefung des religiösen Lebens etwas eingeschränkt; andererseits aber zugleich fördernd auf die Kunst eingewirkt, indem sie das Heilige schärfer vom Profanen trennte und den Zug zur Lebenswahrheit und Weltwirklichkeit in größerer Reinheit her- vortreten ließ.

Am wenigsten waren die deutschen Reformatoren der Kunst irgendwie abgeneigt. Luther, mit scharfem Geistesauge in das Herz der Dinge schauend, hegte einen warmen Sinn für alles Schöne. Seine Freude an der Musik, die selbstschöpferische Förderung des Kirchenliedes und Gemeindegesanges verbindet sich bei ihm mit klarer Einsicht in das Schaffen der bildenden Künste, vor allem der Malerei. Er „achtet es nicht für böse", gute Gemälde mit begleitenden Sprüchen in Stuben und Kammern zu malen; ja er wünscht einmal, daß „alle fürnehmliche Geschichten der ganzen Bibha in ein Büchlein gemalt werden, das dann eine wahre Laienbibel wäre".M Von Dürer weiß er zu erzählen, dieser habe zu äußern gepflegt, „er hätte keine Lust an Bildern, die mit viel Farben gemalet, sondern die da aufs einfältigste und fein schlicht gemacht wären". ^) Aber auch für die italienische Malerei hat er einen offenen Blick, da er rühmt, „wie geschickt und sinnreich die welschen Maler seien, denn sie könnten der Natur so meisterlich und eigentlich nachfolgen, daß sie nicht allein die rechte natürliche Farbe und Gestalt geben, sondern auch die Gebärde, als lebten und bewegten sie sich". Und er setzt hinzu: „Flandern folget und ahmet ihnen et- licher Maßen nach, denn die Niederländer, sonderlich die Fläminger, sind ver- schmitzte und listige Köpfe", Auch Melanchlhon, der bei seinem Aufenthalt in Nürnberg befreundet mit Dürer wurde, gibt in seinen Schriften, namentlich in den Briefen, wiederholt Zeugnis von einem lebendigen Interesse am künst- lerischen Schaffen. An mehreren Stellen äußert er sich über den „berühmten Maler und vortrefflichen Mann" in einer Weise, die auf intimeren Gedanken- austausch schließen läßt. Dürer habe, so berichtet er ziemlich übereinstimmend mit jenem Ausspruch Luthers, sich dahin ausgelassen, daß er als Jüngling die bunten, farbenreichen Gemälde, die phantastischen und ungeheuren Gestalten geliebt; in reiferen Jahren sei er davon abgekommen und habe die Natur als seine Lehrmeisterin erkannt, sehe nun aber, wie schwer sie zu erreichen sei".*) Auch spricht Melanchthon selbst ein treffendes Urteil über Dürer aus, wenn er sagt, seine Werke seien „alle großartig und glänzend, aber die späteren seien weniger herb und gleichsam milder".*^)

Auffallend ist dagegen, wie_wenig die literarische und wissenschaftliche y Bewegung bei den Humanisten sich um die bildenden Künste kümmert. Während die italienische" Literatur erfüllt ist mit Zeugnissen davon, mit welch regem Interesse und lebendigem Verständnis die Kreise der Gebildeten, namentlich auch die literarischen Wortführer die Kunst betrachten, suchen wir in der gesamten reichen humanistischen Literatur Deutschlands vergeblich nach bedeutsameren Äußerungen verwandter Art. Hier fühlt man so recht den Gegensatz des italie-

1) Luthers sämtliche AVerke. Erlanger Ausg. 63. 391 fg.

2) Ebenda, 62, 348.

3) Ebenda, 62, 338.

Melanchthon Epist. passim in Strobels Miscellaneen (Nürnberg 1781) "VI. 210 fg. ^) Melanchthon Epist. passim in Strobels Miscellaneen (Nürnberg 1781) YI. 210 fg. „Dure- rianae picturae grandes et splendidae omnes, sed posteriores minus regidae et quasi blandiores."

Eeformation, Humanisten und die Kunst

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nischen zum deutschen Humanismus. Dort, wo die Fülle sinnlicher Anschauung, wo der im ganzen Volke verbreitete Schönheitssinn die glanzvolle Wiederbelebung des klassischen Altertums auch nach der künstlerischen Seite mächtig hervor- treibt, ist es allgemeines Bedürfnis, an der Welt von neuen Schöpfungen höchster Schönheit teilzunehmen. In Deutschland gewinnt der Humanismus teils ein polemisches, teils ein abstrakt gelehrtes Gepräge. Die ernsten Kämpfe, aus denen die Geistestat der Reformation und die Begründung der modernen Wissenschaft geboren ward, ließen der Phantasie kaum Zeit für das harmlose Spiel mit schönen Formen. Wurde ja die Kunst selbst aufs nachdrückhchste als Verbündete mit in den Kampf hineingezogen; haben doch Meister wie Niklas Manuel, Hans Holbein, Lukas Cranach (um nur einige der hervorragenderen zu nennen) die Waffen der künstlerischen Satire gegen das Papsttum geschwungen. Aber alles dies wurzelt in Interessen, welche außerhalb der Sphäre der reinen Kunst hegen. In einer Epoche und einem Lande, wo alles Partei nehmen mußte in den er- schütternden Kämpfen, aus denen eine neue Zeit hervorgehen sollte, fand die Kunst als solche kaum eine Stätte.

Prüft man die Schriften der deutschen Humanisten, so ist man erstaunt über die dürftige Ausbeute, die sie für künstlerische Anschauungen gewähren. Wohl steht Erasmus yon Rotterdam in nahen Beziehungen zu Holbein, und die Zeichnungen, welche dieser für das „Lob der Narrheit" geliefert, sind ein anziehendes Denkmal dieses Verhältnisses. Auch wissen wir ja, daß der be- rühmte Gelehrte den jungen Künstler, als dieser sich nach England aufmachte, an seinen Freund Thomas Morus empfohlen hat. In einem andern Empfehlungs- brief an Petrus Ägidius in Antwerpen nennt er Holbein „einen ausgezeichneten Künstler", der sein Bildnis gemalt habe und nun nach England gehe, um einige Goldstücke zusammenzuscharren: denn „hier frieren die Künste", setzt er hinzu. Daß aber Erasmus tieferen Anteil am künstlerischen Schafifen genommen hätte, steht nicht zu vermuten. Ihm kommt es hauptsächHch darauf an, sein Porträt durch trefifliche Künstler auf die Nachwelt zu bringen, und das ist auch der Punkt, um welchen sich in seinen Briefen an Willibald Pirckheimer die Be- ziehungen auf Dürer drehen. So schreibt er: „Ich wünsche unserem Dürer von Herzen Glück. Er ist ein würdiger Künstler, der nie sterben wird. In Brüssel hatte er angefangen, mich zu malen: hätte er es doch vollendet!"^) Wiederholt kommt er auf diesen Wunsch zurück: „Von Dürer möchte ich gemalt sein, wie sollte ich's nicht wünschen von solchem Künstler?"^) Wiederholt nennt er ihn einen Apelles oder den „Ersten in der Kunst des Apelles", trägt seinem Freunde Grüße an ihn auf.^) Als ihm endlich sein dringend nahe gelegter Wunsch er- füllt wird, ist er voll Dank: „ich überlege, wie ich Dürer meinen Dank bezeugen soll: würdig ist er unsterblichen Andenkens".*) Aber wie wenig das Wirken des großen Künstlers den großen Egoisten innerlich berührte, offenbart sich in den kurzen kalten Worten, die er bei der Nachricht von dessen Tode ausspricht: „Wozu soll man Dürers Tod beklagen, da wir alle sterbhch sind? Seine Grab- schrift ist ihm in meinem Buche bereitet", °) Damit ist Dürer für ihn abgetan.

Bei dieser oberflächlichen, mehr aus Eitelkeit und Ruhmsucht zusammen- gewebten Beziehung zu der Kunst des großen Meisters nimmt es dann nicht wunder, daß wir auch in den übrigen Schriften des berühmten Gelehrten Hin- weisen auf die Kunst fast gar nicht begegnen. So findet man in den Kolloquien,

1) Desid. Erasmi Rot. epistolae. (Lugd. Bat. 1706) p. 721 B.

2) Ibid. p. 847 D. E.

3) Ibid. p. 848, 887 E. ■1) Ibid. p. 944 E.

Erasmi Ep. p. 1075 E.

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1. Buch I. Kapitel Die Renaissance des deutschen Geistes

wo doch die verschiedensten menschlichen Verhältnisse und Tätigkeiten berühirt werden, keine Spur einer Beziehung auf bildende Kunst. In seinem ..Lob der Narrheit", wo man dergleichen noch eher erwarten sollte, charakterisiert er z. B. die verschiedenen Nationen: „Die Briten rühmen sich, sagt er, ihrer Musik, ^) düe Franzosen brüsten sich als an der Spitze der Zivihsation stehend, ^) die Pariser sind stolz auf ihre theologische Wissenschaft, die Italiener ragen hervor durch ihre schöne Literatur und Beredsamkeit". Daß die Itahener schon damals Künst- ler besaßen, deren Werke die Bewunderung aller Zeiten sein werden, währemd ihre Literatur aus jener Epoche fast nur noch von Gelehrten gelesen wird, komnnt ihm nicht von fern in den Sinn. Als bloße Phrase ist die Erwähnung vo)n Apelles und Zeuxis anzusehen ; ^) auch bei Aufzählung der „artium professores" kennt er nur „Schauspieler, Sänger, Redner, Dichter", keinen Baumeister, MaleT, Bildhauer.^) Keine Frage: Erasmus steht in Würdigung der bildenden Künstler noch ganz auf dem Standpunkt des germanischen Mittelalters, das diese Kreise einfach als handwerkliche betrachtete. Daß Italien schon lange den einzelnen hervorragenden Architekten, Bildhauer, Maler als freien Künstler betrachtete; daß auch in Deutschland Männer wie Holbein, Dürer und andere eben dabei waren, die engen Zunftschranken des früheren Kunstbetriebes glanzvoll z;u durchbrechen, und aus geistlosem Handwerksschlendrian die Malerei zur geist- und seelenvollen Kunst zu erheben, davon hat Erasmus keine Ahnung. Auch wo er gelegentlich in seinen Briefen einer rhetorischen Wendung zuliebe von der Kunst redet, tut er es wie der Blinde von der Farbe. Was er z. B. in einem Briefe an Budäus^) von der Bedeutung der Schatten in der Malerei sagt, ist ebenso flach und phrasenhaft, wie die Äußerung über den Wert des härteren Materials in der Bildhauerei in einem Briefe an Leo X.®) Wie viel wahrer, frischer, anteilvoller sind die gescheiten Worte, welche wir bei Luther und Melanchthon fanden!

Ein näheres, menschlich innigeres Verhältnis ist das, in welchem Pirckheimer zu Dürer steht. In dem Briefe an Johann Tscherte, ^) in welchem eFTen Tod Dürers beklagt und Frau Agnes beschuldigt, durch ihr keifendes argwöhnisches Wesen sein Leben verbittert und verkürzt zu haben, sagt er : „Ich hab wahrlich an Albrechten der besten Freunde einen, so ich auf Erden gehabt, verloren, und dauert mich nichts höher, denn daß er so eines hartseligen Todes verstorben ist". In Dürers Briefen von Venedig, die zweiundzwanzig Jahre früher an Pirck- heimer gerichtet wurden, sehen wir das freundschaftliche Verhältnis schon fest begründet; aber auch hier sind es nicht künstlerische Dinge, die verhandelt werden, obwohl Dürer manches derart berichtet und besonders von seinen Ar- beiten erzählt. Pirckheimers Interesse ist mehr auf andere Sachen gestellt; der Freund muß ihm allerlei Aufträge besorgen: venezianische Gläser, Ringe mit Edelsteinen, Teppiche, Kranichfedern auf das Barett zu stecken, soll er ihm kaufen, auch sich erkundigen, ob nicht neue Ausgaben griechischer Autoren er- schienen sind. Daß Pirckheimer auch mit dem Freunde sich in Disputationen über Kunst einließ, wobei er Dinge vorbrachte, die der Maler als undarstellbar bezeichnen und zurückweisen mußte, ersehen wir aus einem Worte Melanchthons,

1) Erasm. Stult. laiis. Basil. 1676 p. 102. Dies Lob der englischen Musikbegabung klingt uns heute sehr wunderlich.

2) Wörtlich: „morum civilitatem sibi sumunt."

3) Ibid. p. 109.

4) Ibid. pag. 101.

5) Epistolae p. 173 E. '5) Ibid p. 150 B.

") Cam])es Reliquien S. 162 ff.

8) Campes Rel. S. 15, 16, 17, 19, 23 etc.

Humanisten

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der dabei bemerkt: dies erinnere ihn an einen Tübinger Doktor, welcher seinen Zuhörern die Transsubstantiation mit Kreide an die Tafel zu zeichnen gepflegt habe, i) Pirckheimers Kunstverständnis ist also sicherlich weder sehr fein noch besonders tief gewesen; aber eine lebendige Freude an künstlerischen Schöpfungen muß er doch gehabt haben, sonst schriebe Albrecht Dürer nicht an ihn von Venedig aus, nach Vollendung seines Altarbildes : ^) „Item wist daz mein tafel sagt sy wolt ein Dukaten drum geben daz irs secht sy sey gut vnd schön von Farben". Dennoch ging diese Teilnahme bei dem reichen Patrizier nicht so weit, daß sie sich zu wirkUcher Kunsthebe gesteigert hätte. Wohl ließ er sich's ge- fallen, daß sein Freund ihm allerlei arbeitete und gar auch schenkte; aber kein einziges bedeutenderes Gemälde scheint er je bei ihm bestellt zu haben, und sein Nachlaß enthält wohl antike Münzen, Bronzen und ähnhche plastische Gegenstände, aber keine Schöpfung neuerer Kunst, kein Hauptwerk des großen Meisters, der ihn durch seine treue Anhänglichkeit ehrte. ^)

Tätigeren Anteil an den Schöpfungen der bildenden Kunst nahm ohne Frage der gelehrte Peutinger in Augsburg, dem für Kaiser Maximihan die Vermittelung in dessen verschiedenen literarisch-artistischen Unternehmungen bei den dortigen Künstlern oblag.

Am meisten Interesse an den Werken der bildenden Kunst bezeugt ohne Zweifel Wimpheling, der in seinem 1505 in Straßburg erschienenen „Epitome rerum Germlnicarum" mit seltenem Eifer die Vorzüge der Deutschen schildert. Der Zweck seines Buches ist überhaupt, wie er in der Vorrede betont, ein patriotischer: er will den Deutschen die Kenntnis ihrer Geschichte und Alter- tümer vermitteln, die Taten ihrer Kaiser, Ruhm, Begabung, Kriege und Siege der Nation, sowie ihre Erfindungsgabe in den Künsten erzählen, wie er denn auch mit zahlreichen historischen Belegen nachweist, daß das Elsaß, daß die Städte Straßburg und Schlettstadt von je her „seit Octavians Zeiten nach Suetons Zeugnissen" von Deutschen bewohnt worden seien. Wir erfahren, daß es dort schon damals manche gab, die sich den Franzosen zuneigten, denen dann der patriotische Mann seine deutsche Gesinnung entschieden gegenüber- stellt. So ist es denn auch kein Wunder, wenn er, nachdem er die Erfindung der Kanonen und der Buchdruckerkunst durch die Deutschen gerühmt, im 66. und 67. Kapitel von ihrer Architektur, Malerei und Plastik spricht und sie in diesen Künsten allen andern Völkern überlegen nennt. Bei der Architektur stützt er sich auf das Zeugnis des Äneas Silvius, der die Deutschen darin wie in der Mathematik allen Nationen voranstehend finde. Außer zahlreichen anderen Bei- spielen führt er vor allem das Straßburger Münster und seinen Turm an, der durch sein Maßwerk („caelatura"), seine Statuen und anderen Bildschmuck wohl alle übrigen Gebäude Europas übertreffe, wie er auch an riesiger Höhe alles überrage. Angesichts dieses Werkes müßten selbst Skopas, Phidias, Ktesiphon (?), Archimedes sich überwunden erklären, müßten selbst die Ägyptischen Pyramiden und der Diantentempel von Ephesus zurückstehen. In der Malerei aber würden die Bilder Israels des Deutschen £Alemanni, er meint sicher Israel von Meckenem) in ganz EÜropa~begehrt und von den Malern hochgeschätzt. Ebenso sei^JI.atlÜl- Schön von Kolmar. ein so ausgezeichneter Meister gewesen, daß seine gemalten Tafeln nach Italien, Spanien, Frankreich, England „und anderen Gegenden der Welt" ausgeführt würden, und daß überallher die Künstler kämen, um seine in der Martinskirche und bei den Franziskanern zu Kolmar vorhandenen Bilder zu kopieren. Denn nach dem Urteil tüchtiger Maler gebe es in dieser Kunst nichts

1) Strobels Miscellaneen, VI. 212 fg.

2) Campes Reliquien S. 27.

3) Vgl. hierüber A. von Eye, Dürers Leben p. 482 fg.

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1. Buch I. Kapitel Die Kenaissance des deutschen Geistes

Eleganteres, nichts Liebenswürdigeres als seine Werke. Sein Schüler Albrecht £ürer aber sei augenblicklich der vorzüglichste Meister, dessen Tafeln von den Händlern nach Italien ausgeführt würden, wo sie bei den trefflichsten Künstlern so hoch angesehen seien, wie die Werke des Parrhasios und Apelles. Auch Jghannes Hirtz von Straßburg dürfe nicht vergessen werden, der zu seiner Zeit die vorzüglichen Gemälde geschaffen habe, welche man noch in seiner Vaterstadt und an anderen Orten sehe. Endlich zum Lobe der Plastik übergehend, spricht er bezeichnend genug nur von der kunstreichen Töpferei, deren Erzeugnisse wegen ihrer Mannigfaltigkeit und Schönheit sicher selbst „von Koroebus, dem Erfinder dieser Kunst", gerühmt werden würden. Es ist dies jedenfalls die aus- führlichste Erwähnung, welche die deutsche Kunst in der gleichzeitigen Literatur gefunden hat.

Aber bei alledem ist es doch auffallend, wie wenig bei den Gelehrten der Zeit der bildenden Künste gedacht wird. Allerdings, dieses geringe Interesse an den Werken der bildenden Kunst, welches sich so auffallend von der durch alle Stände verbreiteten Teilnahme bei den Itahenern unterscheidet, beruht auf einem Gegensatze zwischen beiden Nationen, der schon im Mittelalter hervortritt. Wohl finden wir schon in früher Epoche auch in Deutschland allgemeinen Anteil an den Schöpfungen der kirchlichen Kunst; vornehm und gering, alt und jung, Ritter und Bürger wetteifert in tätigem Handanlegen bei den großen Bauunter- nehmungen, und es ist nicht vereinzelt, wenn bei dem Bau der Kirche zu Walkenried ein Bürger von Goslar den Wagen, auf welchem er eine Fuhre Steine herbeigebracht hat, samt den Pferden der Kirche als Geschenk zurückläßt und sogar in seinem Eifer noch die Peitsche hinzufügt, um nichts für sich zu behalten. Doch alle diese Handlungen und tausend ähnliche haben nur einen religiösen Beweggrund, keinen künstlerischen. Dagegen spricht sich in Italien in den zahlreichen preisenden Künstler-Inschriften ein ästhetisches Interesse un- verkennbar schon im frühen Mittelalter aus. Auch die allgemeine Begeisterung, mit der in Florenz die vollendete Altartafel Gimabues i) und in Siena die des Duccio^j von der ganzen Stadtgenossenschaft und der Klerisei in feierlicher Pro- zession aus der Werkstatt des Meisters abgeholt wird, läßt eine erregte Freude an der künstlerischen Tat nicht verkennen. In Deutschland wüßten wir nichts Ähnliches dagegen aufzuführen, denn wenn z. B. in Stolles Erfurtischer Chronik von den Feierlichkeiten berichtet wird, mit welchen man dort den Guß der großen Domglocke durch die Priesterschaft einweiht, so ist darin wieder nur ein kirch- Kcher Akt zu erkennen. Und wo hätten wir in Deutschland eine Künstler- Inschrift wie jene, welche Guido von Siena auf sein großes Madonnenbild in San Domenico setzte mit dem anziehenden Geständnis, daß er dies Werk „in angenehmen Tagen" gemalt habe.-*) Ganz anders lautet, was wir unsererseits etwa gegenüber zu stellen hätten, jener Klageruf, welchen der wackere Lukas Moser von Weil im Jahre 1431 auf seinem Altarschrein in der Kirche zu Tiefen- bronn ausstößt: „Schrie Kunst schrie und klag dich ser. Din begert jecz Niemen mer. So o we". Wohl dürfen wir darin mehr als die in allen Zeiten land- läufigen Klagen über künstlerische Lebensnot vermuten, wenn wir sehen, daß fast hundert Jahre später kein Geringerer als Dürer einen ähnlichen Schmerzens- schrei von Venedig aus erschallen läßt: „0 wie wird mich daheim nach der Sunnen frieren; hie bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer". Und in einem

1) Vasari ed. Lemonn. L, 225.

2) Vasari, II., 166. Not. 3.

3) Konr. Stolle, thüring. Erfurt. Chrou. herausg. v. Hesse (Eibl. d. lit. Ver. XXXII) S. 186. ^) „Me Guido de Senis diebus depinxit amenis".

ö) Campes Reliqu. S. 30 fg. Neuer Abdruck von A. v. Eye in v. Zahns Jahrbüchern IV.

Mangel an Kunstsinn

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Briefe an den Rat zu Nürnberg sagt er ausdrücklich, daß er in dreißig Jahren seiner Vaterstadt mehr umsonst denn um Geld gedient und nicht für fünfhundert Gulden Arbeit erhalten habe, während die Herren zu Venedig ihm zweihundert Dukaten und später der Rat zu Antwerpen dreihundert Phihppsgulden Jahrgehalt geboten habe, wenn er dort bleiben wolle, i) Gewiß ein vollgültiger Beweis, wie wenig die größten deutschen Künstler damals auf lohnende Anerkennung rechnen konnten. Ja selbst Holbein, obwohl die Stadt Basel ihn ehrenvoll behandelte und mit ansehnlichen Aufträgen bedachte, zog es vor, minder an die Heimat ge- fesselt als Dürer, reichlicheren Erwerb draußen in der enghschen Fremde zu suchen. Wie tief die Kunst in Deutschland damals in handwerklichen Schlendrian versunken war, wie schwer es den großen Meistern werden mußte, sie daraus zu befreien und zu höherer Geltung zu erheben, erkennen wir auch aus dem Vertrage, welchen der Magistrat von Schwabach 1507 mit Michael Wohlgemuth wegen des Hochaltars in der dortigen Sladtkirche abschloß. ^) Der Meister muß sich darin verpflichten, „wo die Tafel an einem oder mer Orten ungestalt wurd", so lange daran zu ändern, bis sie von einer beiderseits ernannten Kom- mission für „wolgestalt" erkannt wird, „wo aber die Tafel dermassen so großen Ungestalt gewinnt, der nit zu ändern were, so soll er soliche Tafeln selbs be- halten und das gegebene Gelt on Abgang und schaden widergeben". So hand- werklich wurden damals diese Dinge betrieben.

So wenig indes im Anfang dieser Epoche die Künstler selbst in den großen Städten Aufmunterung fanden, so sehr die Unruhen der Zeit und der Kampf der Reformation mit ihren Gegnern das allgemeine Interesse aufsogen, so wurden doch etwa seit der Mitte des 16. Jahrhunderts die Städte gerade die Hauptstätten der Entwickelung der Renaissance. Sie war einmal in erster Linie die Kunst des heitern Lebensgenusses, die Kunst einer in allgemeiner Bildung mächtig fortschreitenden Zeit; sie war es in Deutschland weit ausschließlicher und ent- schiedener als in dem kathohsch gebliebenen Italien. Und in der Tat, das Leben der deutschen Städte begünstigte sie nach dieser Seite bald in hervorragender Weise. Gerade den Städten kam die neue Ordnung der Dinge vorzugsweise zugute. Sie hatten ihre Selbständigkeit nicht bloß zu wahren, sondern meistens sogar zu steigern gewußt. Die Gewerbetätigkeit blühte wie nie zuvor. Die Handwerke, fußend auf der technischen Sicherheit und Gediegenheit, die sie im Mittelalter durch die innige Verbindung mit der Architektur gewonnen und durch den strengen Zunftverband bewahrt hatten, nahmen teil an dem Aufschwünge der Künste. Die Befreiung des Individuums führte auch hier zu erhöhter Bedeutung der selbständigen Arbeit des Einzelnen. Die Schöpfung des Handwerkers, in der gotischen Epoche mehr als jemals der herkömmlichen Übung unterworfen, ge- winnt jetzt das Gepräge eigenartiger Künstlerkraft, selbst auf die nicht immer vermiedene Gefahr, ins WunderHche, Barocke, Kapriziöse auszuarten. Zugleich treibt die Entfaltung der Wissenschaft zu einer Menge technischer und mechanischer Erfindungen, die freihch bisweilen in künsthche Spielereien sich verlieren. Nicht bloß allerlei Automaten, verwickelte Uhrwerke, Kunstschränke mit überraschenden Geheimnissen, sondern selbst Probleme wie die Herstellung des Perpetuum mobile beschäftigen manchen kunstreichen Meister. Besonders diejenigen Gewerbe, welche für die prächtige Ausstattung der Wohnung und der Menschengestalt selbst ar- beiten, erfreuen sich glänzender Pflege. So namentHch die Goldschmiedekunst, mit der sich Emaillierung und die Arbeit in edlen Steinen verbindet. Kaum hat je eine andere Zeit größere Üppigkeit in Schmucksachen, kostbaren Geräten

1) Campes Reliqu. S. 59 ff.

2) Meusels neue Miscell. artistischen Inhalts St. IV., S. 476 fg.

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1. Buch I. Kapitel T)ie Renaissance des deutschen Geistes

und Gefäßen, Möbeln und andern Dingen des Hausrates und der Ausstattung getrieben.

Hand in Hand mit dieser Entwickelung der Gewerbe geht die Ausbreitung des Handels. Während Frankreich damals im wesentlichen von den Nachbar- ländern abhängig bleibt, ergreifen die deutschen Städte mit Tatkraft jede Ge- legenheit, ihren Handel nicht bloß nach Italien und über Italien hinaus bis zum Orient zu erstrecken, sondern sich ebenso durch Frankreich mit dem Mittelmeer und durch die Niederlande mit Westindien in Verkehr zu setzen. ') Zugleich fand über Emden eine Verbindung mit England statt, während über Leipzig, Breslau und Prag der Verkehr nach dem Norden und Osten, nach Rußland und Polen seinen Weg suchte. Augsburg und Nürnberg, daneben auch Ulm bilden den Mittelpunkt des süddeutschen Handels, der bis tief nach Ungarn hinein selbst über Wien lange Zeit das Übergewicht behauptet. Jeden sich neu eröffnenden Weg weiß der deutsche Handel für sich zu erschließen und bis gegen das Ende dieser Kunstzeit sich in seiner Bedeutung zu behaupten. Oftmals wurden nicht bloß die deutschen Kaiser, sondern auch die Könige von Frankreich und Spanien Schuldner der deutschen Kaufleute, wofür den letzteren mancherlei Handels- privilegien bewilligt wurden. Die großartige Bedeutung von Häusern wie der Fugger und der Welser zu Augsburg ist wellbekannt. Von der Rührigkeit des Strebens und der Vielseitigkeit der Beziehungen gibt u. a. des Ulmer Kaufherrn Ott Rulands Handlungsbuch schon im 15. Jahrhundert ein anziehendes Bild. ^) Welche Schicksalswechsel in diesen Kreisen namentlich der überseeische Handel manchmal mit sich führte, erfahren wir aus der lebendigen Schilderung Schweinichens von dem Kaufmann in Wolgast, der durch die Heimkehr seines schon verloren geglaubten Schiffes vom drohenden Untergang gerettet wird. Allerdings wurde der Handelsverkehr in Deutschland selbst noch vielfach ge- hemmt durch die schlimme Kleinstaaterei, die mit völliger Verkennung volks- wirtschaftlicher Grundsätze nur dem eigenen Beutel zuliebe die Land- und Wasserstraßen mit Zöllen und Stapelrechten beschwerte. Ein ergötzliches Bild von der Quälerei, mit der diese Verhältnisse selbst die große Verkehrsader des Rheins belästigten, aber auch zugleich, wie man sich durch Privilegien und Freibriefe dagegen zu schützen suchte, gibt das Tagebuch von Dürers Reise nach den Niederlanden, wo es alle Augenblicke heißt: „Do zeigte ich mein Zoll- brief, do ließ man mich zollfrei fahren". Eine noch ärgere Plage waren aller- dings die Ritter vom Stegreif, die auch jetzt noch genug Unsicherheit ins Land brachten. Doch haben wir schon gesehen, daß diese Plage immer mehr abnahm, je mehr die Macht der einzelnen Landesfürsten sich befestigte und zu geordneter Verwaltung durchdrang.

Man darf wohl sagen, daß diese weiten Handelsverbindungen zur Ent- wickelung des Geistes der Nation nicht minder beigetragen haben, als die Arbeit des Gelehrten in der Stille des Studierzimmers und auf dem Lehrstuhl. Der Trieb in die Ferne, dem germanischen Gemüte so tief eingepflanzt, wurde durch den Handel zunächst genährt, nahm aber unmittelbar eine wertvollere Richtung an. Der wissenschaftliche Zug der Zeit, der tiefe Drang nach Durchforschung und Erkenntnis der Welt spricht sich schon früh selbst in solchen abenteuerlichen Unternehmungen, wie des Müncheners Schildberger aus, der im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts Asien durchwanderte; oder in der Fahrt des Straubingers Ulrich Schmiedel, der 1534 auf einem Nürnberger Schiffe von Gadix nach Brasilien fuhr und nach zwanzigjähriger Abwesenheit eine Beschreibung seiner Reise

1) über alle diese Verhältnisse vgl. Joh. Falke, Gesch. d. deutschen Handels Bd. II. 13 ff,, 40 fg., 59, 61 etc.

2) Herausg. von Dr. Haßler in der Bibl. des literar. Ver. Bd. I.

Handelsbeziehungen und Reisen

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herausgab. In diese Reihe gehören auch die Reisen des Hans Ulrich Krafft, der 1573 über Marseille nach Syrien reiste, dort in türkische Gefangenschaft fiel und in anziehender Weise seine Beobachtungen über Land und Volk niedergelegt hat.^)

Die größte Anziehungskraft behauptet freilich auch jetzt Italien, und nicht gering ist der Einfluß, den die Reisen dorthin schon damals auf die Weltbildung und den Schönheitssinn der Deutschen gewonnen haben. Dafür liegt uns ein anschauliches Beispiel in dem Reisebericht des Ulmers Samuel Kiechel ^) vor, der, nachdem er vorher schon Frankreich und Paris besucht hatte, im Jahre 1585 eine fünfjährige Reise durch Deutschland, nach England und Italien bis Sizilien ausführte. Überall zeigt er ein offenes Auge für die Eigentümlichkeiten der fremden Länder und Städte und geht ihren Merkwürdigkeiten eifrig nach, wobei er sich oft dem Gefolge vornehmer Herren einzuschmuggeln weiß, wenn es gilt, schwer zugängliche Kostbarkeiten zu sehen, wie im Schatz von San Marco zu Venedig und in der Peterskirche zu Rom. Was ihm dabei als bemerkenswert auffällt, ist ebenso bezeichnend für seinen geistigen Bereich, wie das, was er übergeht. So beachtet er zu Prag ^) die herrliche Brücke mit ihren vielen Jochen und im Hradschin den gewaltigen „ohne Pfeiler gewölbten Saal". Auch das „schöne Lusthaus" daselbst (er meint das zierhche Renaissancewerk des Belvedere) ist seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen. In Dresden notiert er die schöne Brücke, die breiten Straßen, die aus Stein erbauten Häuser. Letztere mußten wohl dem an den Fachwerkbau seiner Heimat gewöhnten Ulmer imponieren. Nach England gelangt, bewundert er sodann in der Westminster-Abtei die Grab- mäler, „zum Teil von weißem Marmor, andere von Alabaster, künstlich und zierlich von ganzen Personen gehauen".^) Besonders interessant ist sein Bericht vom Londoner Theater, dessen Einrichtung mit den Logenreihen sein Staunen erregt. Nach Deutschland zurückgekehrt, berichtet er in Köln von dem nicht ausgebauten Dom, in Münster fallen ihm die Arkaden der Straßen auf, die er als weitgereister Mann mit denen zu Padua und Bologna vergleicht. °) In Italien ist es zuerst Venedig, dessen Pracht ihn in Erstaunen setzt. Die Markuskirche schildert er als „zierlich und stattlich erbauen, inwendig die Mauern, Pfeiler, wie auch das Pflaster von schönem Marmor, oben das Gewöib mit schönen alten mosaischen Geschichten zierlich gemalet und neben umher mit Gold verkleibt".") Der Ratssaal im herzoglichen Palast hat „treffliche kunstreiche gemalte Historien gleich als were es lebendig". Über dem Portal der Markuskirche bemerkt er die „vier schönen kunstreichen gegossen Pferdt von Metall, alle in gleicher Größe, aber jedes auf eine andere Manier, sehr zierlich und wohl gemacht". In Rom endlich sind es vor allem die antiken Bauwerke, die seine Aufmerksamkeit er- regen. Von der Peterskirche fügt er hinzu: „was das neie Gebey anlangt, da solches volviert und zum Ende gebracht, wird es ein so herrlich und stattlich Werk, dero gleichen weit nicht zu sehen". ^)

Uns fällt bei alledem am stärksten auf, daß er für die Werke eines Raffael, Michelangelo kein Auge hat, ja daß die ganze große Entwickelung der Renaissancekunst für ihn nicht vorhanden scheint. Aber auch darin steht er nicht vereinzelt. Als Luther 1510 seine Pilgerfahrt nach Rom machte, waren dort eben die beiden größten Maler der christlichen Zeit im Wetteifer bemüht,

1) Hans Ulrich Kraffts Reise und Gefangenschaft, herausg. von Haßler. Eibl. d. lit. Ver. Bd. LXI.

^) Die Reisen des Samuel Kiechel, herausg. von Haßler, Eibl. d. lit. Ver. Bd. 86.

3) A. a. 0. S. 3.

4) A. a. 0. S. 23.

5) A. a. 0. S. 46.

6) A. a. 0. S. 153. A. a. 0. S. 167.

16 1. Buch I. Kapitel Die Kenaissance des deutscheu Geistes

den Vatikan mit ihren unsterblichen Werken zu schmücken. Während heute sellbst der oberflächlichste Reisende, der nach Anleitung der modernen Reisehandbücher die Kunst betreibt, mit Rom in 14 Tagen fertig zu werden, doch- mindestens einmal die Stanzen und die Sixtinische Kapelle durchwandert, haben wir keine Andeutung, daß Luther, der doch ein offenes Auge für die Dinge besaß, von all den Schöpfungen der neuern Kunst Notiz genommen hätte. Sechs Jahre später (1516) besuchte Pellicanus Rom; aber auch dieser, so lebendiges Interesse er an Denkmälern der Kunst nimmt, berührt nicht mit einem Worte die Gemälde der Sixtinischen Kapelle, obwohl er dort einer päpstlichen Vesper beiwohnte. Gern hätte er „die Trümmer der ältesten Bauwerke und Bäder gesehen", aber er durfte nicht frei ausgehen und war nicht sicher vor Räubern, i) Dagegen er- wähnt er die hundert und zehn Marmorstufen, welche zu Araceli hinaufführen, und bewundert die Aussicht von oben. Auch die schöne Kirche Santa Mairia del Popolo fällt ihm auf; in der Lateransbasilika sieht er noch die prächtigen Säulenreihen und merkt sich den Kreuzgang und die Taufkapelle. Wie gut er beobachtet, bezeugen seine Worte über die Kathedrale von Siena „mit Gemähden und Bildern an den Wänden und musivischer Arbeit auf dem Fußboden und mit den Namen und Bildern aller Päpste" : eine schönere Kirche habe er nie gesehen.-) Solche Berichte aus fremden Ländern, die sich häuften urld in weitere Kreise verbreiteten, mußten mächtig auf die Bildung der Städte zurückwirken. Der durch Handel und Gewerbe gewonnene Reichtum steigerte die Lebenslust Und Genußsucht der Zeit, so daß bereits im 15. Jahrhundert die Üppigkeit deutscher Städte fremden Besuchern auffiel. Äneas Sylvius schon rühmt die reiche Ausstattung der Bürgerhäuser in Basel,'') die große und volkreiche Stadt Braunschweig*) mit ihren glänzenden Häusern, den trefflichen Straßen, den weiten, reich geschmückten Kirchen. Am eingehendsten aber schildert er das lebenslustige Wien.^) Geräumig und reichgeziert sind die Häuser der Bürger, von Quadern solide aufgeführt, die Türen meistens mit Eisen beschlagen, die Fenster, was als großer Luxus galt, mit Glasscheiben, weite Höfe mit gewölbten Gängen, überall Singvögel, im Innern reicher und schöner Hausrat, hoch und stattlich die Fassaden, innen und außen die Häuser bemalt: man glaubt in Fürstenwohnungen zu kommen. Ungeheuer sind die Weinkeller, stark wird ge- trunken, dem Bauch ist das Volk ergeben, verpraßt am Sonntag, was es die Woche verdient. Was er von dem üppigen Treiben der Weiber berichtet, pal^t zum übrigen.

Derb, ja manchmal roh äußert sich die Weltlust der Zeit, aber im Laufe des 16. Jahrhunderts veredelt sie sich allmählich durch die Pflege der Kunst. Zur Zeit Luthers kann man in Süddeutschland die Zunahme einer feinern Kultur schon bemerken. Der Reformator selbst lobt Schwaben und Bayernland wegen der guten Aufnahme und freundlichen Bewirtung, die man dort finde; auch in Hessen und Meißen gehe es noch an; aber in Sachsen seien die Menschen gar unfreundlich und unhöflich.^) In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts findet Michel de Montaigne,') „daß in den deutschen und schweizerischen Städten die Straßen und öffentlichen Plätze, die Wohnungen samt ihrem Hausrat, ihren

1) Pellicanus Chronik, vgl. Neujahrsbl. der Züricher Stadthibl. 1871. S. 11.

2) A. a. 0. S. 8.

3) Wurstisen, Cliron. der Stadt Basel p. 662.

4) Än. Sylv. Piccol. opera. (Basel 1571 fol ) p. 424.

5) Ibid. p. 718 sqq.

6) Luthers sämtliche Werke. Erlanger Aiisg. Bd. 62, S. 422.

M. de Montaigne, Journal de voyage en Italic, par la Suisse et l'Allemagne en 1580 et 1581. (Paris 1775) VoL I. p. 35, 44, 90, 92, 156, 135: „les graces des villes d'Allemaigne" : 133: Gesamturteil über Deutschland.

Kunstfreunde ^7

Tafeln und Tafelgeschirren weit schöner und sauberer sind als in Frankreich" In der Tat liegt es im Charakter des Nordens, namentlich des deutschen, daß man das Haus ganz anders betrachtet und künstlerisch behandelt, als der Südländer das seinige. Bei uns ist in dem rauheren Klima das Haus in dem größeren Teil des Jahres die Zuflucht aller, der Mittelpunkt des Famihen- lebens, der Geselligkeit und wird deshalb zum warmen, anheimelnden Sitz gemütlichen Verkehrs ausgebildet, während der Italiener seinen Bau zu einem monumentalen Kunstwerke stempelt und das Haus nach Kräften zum Palast erhebt. Von der prächtigen und doch zugleich wohnlichen Ausstattuno- da- maliger Bürgerhäuser sind uns nur Bruchstücke erhalten, aber in den Schilde- rungen der Zeitgenossen tritt ein farbenreiches Gesamtbild uns vor Auo-en Uber den verschwenderischen Hausrat beklagt sich schon Luther, wenn'' er ausruft: „Wozu dienet doch so viel zinnen Gefäß? es ist mir ein überflüssicrer Unrat, ja Verderb. Türken, Tartaren, ItaUener und Walen brauchen solches mcht, denn nur zur Notdurft. Allein wir Deutschen prangen damit. Das wissen die Fugger und Frankfurtischen Messen wohl, wie wir das unserige vernarrn und verschleudern."

Von dem Glänze der Fugger schreibt um 1531 Beatus Rhenanus- Welch eine Pracht ist nicht in Anton Fug^rs Haus; es ist an den meisten Orten ge- wölbt und mit marmornen Säulen unterstützt. Was soll ich von den weitläufigen und zierhchen Zimmern, den Stuben, Sälen und dem Kabinette des Herrn sefbst sagen, das sowohl wegen des vergoldeten Gebälkes als der übrigen Zierraten und der nicht gemeinen Zierlichkeit seines Bettes das allerschönste isf? Es stößt daran eine dem heiligen Sebastian geweihte Kapelle, mit Stühlen, die aus dem kostbarsten Holze sehr künsthch gemacht sind. Alles aber zieren vortreffHche Malereien von außen und innen. Raymund Fuggers Haus ist gleichfalls köstlich und hat auf allen Seiten die angenehmste Aussicht in Gärten. Was erzeuo-et Italien für Pflanzen, die nicht darin anzutreffen wären, was findet man darin für Lusthauser, Blumenbeete, Bäume, Springbrunnen, die mit Erzbildern der Götter geziert smd! Was für ein prächtiges Bad ist in diesem Teil des Hauses' Mir gefielen die königUch französischen Gärten zu Blois und Tours nicht so gut Nachdem wir ins Haus hinaufgegangen, beobachteten wir sehr breite Stuben' weitläufige Säle und Zimmer, die mit Kaminen, aber auf sehr zierliche Weise' versehen waren. Alle Türen gehen aufeinander bis in die Mitte des Hauses so daß man immer von einem Zimmer ins andere kommt. Hier sahen wir 'die trefflichsten Gemälde. Jedoch noch mehr rührten uns, nachdem wir ins obere Stockwerk gekommen, so viele und große Denkmale des Altertums, daß ich glaube, man wird in Itahen selbst nicht mehrere bei einem Manne finden In emem Zimmer di6 ehernen und gegossenen Bilder und die Münzen, im anderen die steinernen, einige von kolossaler Größe. Man erzählte uns, diese Denkmale des Altertums seien fast aus allen Teilen der Welt, vornehmlich aus Griechenland und Sizilien mit großen Kosten zusammengebracht. Raymund ist selbst kein ungelehrter Herr, von edler Seele."

Auch Graf Wolrad von Waldeck, der 1548 auf dem Reichstag zu Augs- burg war, weiß^) gar manches von dem Glanz der dortigen Patrizierhäuser "zu berichten. Von Anton Fuggers Haus sagt er: es könnte eine königliche Woh- nung sein. Er rühmt die Kamine aus Marmor, „wenn auch nicht aus Parischem, so doch von Eichstätter"; die Vertäfelung der Wände aus verschiedenen Holzarten die vergoldeten oder goldähnlich gemalten Decken, die bunten Labyrinthe von

1) Sämtliche Werke. Erl. Ausg. Bd. 62. S. 407.

2) Des Grafen Wolrad v. Waldeck Tagebuch, herausg. von Troß. Bibl. d. Ht. Ver. Bd. 59. Lübke- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 2

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1. Bucli I. Kapitel Die Renaissance des deutschen Geistes

einffele-ter Arbeit auf den Fußböden.^) Ebenso preist er das Haus Johann Georg FuLers und den Garten mit seinen schönen Spaziergängen und einem Garten- haus an welchem die Stadt Augsburg und eine Sonnenuhr gemalt ist, em Werk, wie 'von Apelles oder Zeuxis gemalt.^) Auch andere Patriziergärten gereichen den Fürsten und Herren des Reichstages zu großer ErgötzUchkeit, so der des Konsuls Herbrod mit Rasenbänken, gewundenen Wegen,«) Fischteichen und Spring- brunnen Weinspalieren und Obstbäumen. Das Gartenhaus ist mit Kaiserbildnissen ausgemalt ÄhnUche Gärten besitzen Veit Wittich, wo einmal em Fest für die vornehmen Herren veranstaltet wird, und Jakob Adler, dessen Garten einem adonidischen" ähnUch genannt wird.*) Ebenso berichtet Sastrow^) von den "zierlichen, mit sonderlicher Kunst zugerichteten Gärten", in welchen der ge- fangene Kurfürst von Sachsen sich zu ergehen hebt.

^ Besonders ergötzHch ist die Schilderung, welche fast dreißig Jahre spater Hans von Schweinichen «) von dem Hause eines Fugger entwirft. Das Bankett zu welchem sein Herr, Herzog Heinrich von Liegnitz, von dem reichen Kauf- mann eingeladen war, erschien dem Berichterstatter von wahrhaft kaiserlich Pracht Das Mahl war in einem Saal zugerichtet, m dem man mehr Gold als Farbe sah Der Boden war von Marmorstein und so glatt, als wenn man auf dem Eise -in-e. Es war ein Kredenztisch aufgeschlagen durch den ganzen Saal, war mit lauter Trinkgeschirren besetzt und mit merkwürdigen schonen V LüaniscTen SLern. Nun gab Herr Fugger seiner fürstUcheri_ Gnaden emen Wmkomm ein künstUches Schiff von venetianischem Glas. Wie ich es vom rchenkrck nehme und über den Saal gehe, gleite ich in meinen neuen Schuhen aus faUe mitten im Saale auf den Rücken und gieße mir den Wem auf den Hals das neue rotdamastische Kleid, welches ich an hatte gmg mir ganz zu Schande aber auch das schöne Schiff zerbrach in tausend Stücke. Es geschah fedoch o'hne meine Schuld, denn ich hatte weder gegessen noch getrunken. Als ch später einen Rausch bekam, stand ich fester und fiel hernach kein einziges im Tanze nicht. Der Herr Fugger führte ^^ä.nn seu.ej.r^^^^ Gnaden im Hause spazieren, einem gewaltig großen Hause, so daß ^e™^^^^^^ Kaiser auf dem Reichstage mit seinem ganzen Hofe darm Raum gehabt hat. Auch M de Montaigne, der auf seiner Reise 1580 nach Augsburg kam, rühmt ^e Schönheit der Stadt, besonders aber den Palast der Fugger mi semen präch- tigen Sälen ') sowie ihre Gärten mit den Springbrunnen und Lusthausern. Als Sndere ü pigkeit wird es schon -m Grafen Waldeck den Augs^^^^^^^^^^^ anj?erechnet daß sie täghch baden, und der Herr von Buswi, überstailmeisier L Katers meint, die oberdeutschen Frauen müßten weniger sauber_ sein als t Sant'isThen'und niederdeutschen, die nur ein- oder zweimal im Jahre baden ') Daß aber jene Pracht des Bürgerhauses auch m Niederdeutschland ge- legentlich gefunden wurde, erfahren wir^) aus dena Bericht ^^er ein Bank^^^^^^ eiSem Kölner Kaufmann, wo man den Gästen neben dem Saale die Garderobe zei^mH dem an zwei Wänden von unten bis an die Decke reichenden, auf

1) A. a. 0. p. 205. . , ^

2) A. a. 0. p. 84 : „opus profecto vel Apelle vel Zeuxide dignum.

3) A a. 0. p. 49: „daedaleis ambulacris."

4) a'. a'. 0. p. 103 : „adonideis hortis iion multo dissimiles."

5) B. Sastrow, II. 47.

jamais veues."

8) Tagebuch, p. 222.

9) Zimmerische Chronik III. 238.

Kleiderpraclit

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30000 Gulden geschätzten Silbergeschirr: wie dann „die Kölner sonderlich mit dem Silbergeschirr prangen".

In Wahrheit steigen der Luxus und die Üppigkeit in den Bürgerkreisen auf einen hohen Grad, und selbst die Reformation vermag dagegen mit aller Sittenstrenge nicht durchzudringen. Schon in der Tracht kommt nach Form und Farbe eine bunte Phantastik zutage, deren ausschweifendste Neuerungen von den zügellosen Landsknechten ausgingen. Welcher Art diese wilden Ge- sellen waren, wie sie in Deutschland der ganzen Zeit ihren besonderen Stempel aufdrücken, ist aus unzähligen Werken der zeichnenden Künste, sowie aus der volkstümlichen Literatur genugsam zu erkennen. Nur beispielsweise wollen wir an die Sammlung der „50 teutschen Landsknechte", von Jobst de Negker*) nach Rissen Burgkmairs, Ambergers und Jörg Brews geschnitten, erinnern, wo schon die Namen Mang Eigennutz, Basti Machenstreit, Enderle Seltenfried, Florian Löschenbrand, Jäckel Frißumsonst, Merten LiederHch, Uh Suchentrunk, Stoffel Allwegvoll usw. bezeichnend sind. Damit stimmen die verwegenen durchwetterten Gestalten in ihrer herausfordernden Haltung und dem über alle Maßen phantastisch überladenen Kostüm. Letzteres ist, wie auch der beigegebene Text hervorhebt, so „seltsam, daß keiner wie der andere ist", und daß die Vorrede über die „närrisch zerschnittenen Tücher" sich in Spott ergießt, und daß jeder sich immerfort anders kleiden wolle:

„Drumb spott sein manche Nation, Was er muß für ein Schneider han."

Die vielfach geschlitzten, übermäßig weiten Jacken mit den bauschenden Ärmeln, die noch ausschweifenderen ebenfalls geschlitzten Beinkleider, die als Pluderhosen den Zorn der Sittenprediger erregten, dazu die buntesten Farben, bei denen selbst das Mi-parti noch vorkommt, das alles gibt den damaligen Menschen ein un- glaublich phantastisches, abenteuerliches Gepräge. Wohl sollte dies durch das Reichsgesetz vom Jahre 1530 eingeschränkt werden, wohl eiferten die einzelnen Obrigkeiten durch Verordnungen und Strafen gegen diesen Luxus, wohl war in ernstern Bürgerkreisen eine maßvollere Auffassung der Tracht anzutreffen; wie weit aber doch immer noch der Spielraum bHeb, ersieht man aus einer Verord- nung des Braunschweiger Rates um 1579, der seinen Bürgern zu einem Paar Hosen zwölf Ellen Seide gestattet. Auch Schweinichen weiß von solcher Üppig- keit manches zu berichten, wie er denn^) auf einer Hochzeit vom Jahre 1593 die Pracht unaussprechlich findet, „denn der Teufel der Hoffahrt war gar allda ausgeflogen, daß auch des Bräutigams Kutschenknechte zwei Samtröcke über- einander anhatten, die Braut aber ließ sich den Schwanz am Rocke durch einen kleinen Jungen allzeit nachtragen, welches dieser Orten unerhört gewesen". Überladung der Tracht war sogar eigenthch deutsch, denn obwohl seit den vierziger Jahren der Einfluß der spanischen und französischen Kleidermoden sich auszubreiten begann, bheb doch genug von dem eigentümKch deutschen Charakter der Tracht, so daß deutsche Reisende, wenn sie nach Italien gingen, sich itahe- nische^), und wenn sie zurückkehrten, auf der Grenze wieder deutsche Kleider machen ließen. In alledem läßt sich der Nachhall der im späten Mittelalter überschäumenden derben Lebenslust nicht verkennen, die zuerst durch die Gärung der neuen Zeit eher gesteigert als gedämpft wurde, bis im weitern Verlaufe die Reformation auch hier tiefer eingriff und den Sinn der Menschen umgestaltete.

1) Wien, 1590, herausg. von David de Negker.

2) H. V. SchAveinichen, III. 23.

3) Sastrow, I. 307.

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1. Buch I. Kapitel Die Kenaissance des deutschen Geistes

Man erkennt diesen Vorgang auch aus anderen Merkmalen, wie denn gegen die Frauenhäuser sich aUmählich eine nachdrückliche Strömung erhob, die den Magistraten der Reichsstädte die Unterdrückung derselben abdrang.i)

Aber diese üppige Lebenslust gewann durch die gerade in bürgerlichen Kreisen mächtig um sich greifende Bildung, durch den Verkehr mit Gelehrten und Künstlern allmählich ein edleres Gepräge. Seit der Mitte des Jahrhunderts wetteifert man in den Städten in Aufführung prächtiger Bürgerhäuser, die außen und innen mit allen Mitteln einer hoch entwickelten Kunst geschmückt werden.^) Dazu kommen Bibliotheken, Kunstsammlungen, Antikenkabinette, und wenn auch der erwachende Sammeltrieb noch vielfach durch Liebhaberei an Seltenheiten bedingt war, so ging aus dieser Wurzel doch zugleich ein edlerer Kunstsinn hervor. Für solche bürgerhche Kreise wurden vorzugsweise die kostbaren Blätter des Grabstichels und des Schneidemessers, die prächtig mit Holzschnitten aus- gestatteten literarischen Erzeugnisse, die besten Gemälde unserer großen Meister geschaffen. Für Jakob Heller in Frankfurt malt Dürer eines seiner vorzügUchsten Bilder; die Hauptwerke eines Adam Krafft und Peter Vischer sind von Nürn- berger Bürgern gestiftet worden, wie auch Hans Holbein seine Darmstädter Madonna für den Bürgermeister Meyer gemalt hat. Welche Kunstschätze man in reichen Bürgerhäusern antraf, wissen wir nicht minder aus vielen Zeugnissen. So berichtet u. a. Hans v. Schweinichen:'') „Herr Fugger hat in einem Türmlein seiner fürstlichen Gnaden einen Schatz von Ketten, Kleinodien und Edelsteinen gewiesen, auch von seltsamen Münzen und Goldstücken, die eines Kopfesgröße hatten, so daß er selbst sagte, er wäre über eine Million an Golde wert." Da- neben kommt freiUch auch der Sinn für merkwürdige Naturerzeugnisse und Seltenheiten zur Geltung, wie denn besonders eine Sammelwut auf stattliche Hirschgeweihe bestand. In Dürers Briefen an Pirckheimer spielen solche eine große Rolle, und letzterer nimmt es der Witwe seines Freundes sehr übel, daß sie ein prachtvolles „Gehurn" aus dem Nachlaß ihres Mannes vertrödelt habe, statt es ihm anzubieten.*)

Gegenüber diesem regen Treiben in bürgerhchen Kreisen ist es auffallend, wie wenig der Adel am geistigen Leben der Zeit sich beteihgt. Am Anfang der Epoche steht Ulrich von Hutten, an ihrem Ende der begabte Herzog Julius von Braunschweig als vereinzelte Vertreter einer höhern literarischen Tätigkeit aus diesen Schichten der Gesellschaft da. Der rohe Zustand, in welchem Äneas Sylvins im 15. Jahrhundert den Adel und die Fürsten Deutschlands gefunden hatte, erhält sich trotz Humanismus und Reformation noch bis ans Ende dieser Zeit. Daß es noch Adlige gab, die des Lesens und Schreibens unkundig waren, erfahren wir unter anderem durch Sastrow.'^) Auch hierin konnte die neue Zeit nur langsam die Überreste mittelalterHcher Roheit überwinden. Ja wenn man einem Ausspruch der Zimmerischen Chronik trauen will, so hätte sich das Haupt- laster der Deutschen, das starke Trinken, erst im Laufe dieser Zeit so unmäßig gesteigert, denn es heißt dort einmal:") „vor Jahren, ehe das gräulich Saufen aufgekommen". Dies war indes seit alter Zeit die Klippe für die deutsche Kultur, und wenn wir die massenhaften Berichte darüber bei den Zeitgenossen ins Auge fassen, so ist der Eindruck ein überwältigender. Nirgends vielleicht tritt diese Seite des Lebens so deutlich ins Licht, wie in den Schilderungen

1) So z. B. in Ulm, vgl. Jäger, Schwab. Städtewesen. I. Bd. Ulm.

2) Man vgl. namentlich die Schilderungen bei M. de Montaigne, a. a. 0. I. p. 35, 44, 90 etc.

3) A. a. 0. I. 157.

4) Campes Reliquien, S. 164.

5) A. a. 0. III. S. 29.

6) Zimm. Chron. III. 76.

Unbildung des Adels

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Schweimchens. Mit der Gewissenhaftigkeit eines guten Haushalters hat er während seines ganzen Lebens alle mehr oder minder „starke Räusche", die er sich getrunken, in seinem Tagebuch verzeichnet, so daß sich ohne große Mühe eine Statistik darüber anfertigen ließe. Daß er erst im Zustande des Rausches fest auf seinen Füßen stand, haben wir schon erfahren; aber in allen Lebenslagen, selbst in bedenklichen Momenten kommt ihm ein tüchtiger Rausch zustalten, wie damals, als man ihm bei Straßburg den Weg über die Rheinbrücke verlegen wollte, er aber im Rausche mit seinem Pferde kühn über die in der Brücke aufgerissene Lücke hinsprengt und das Weite sucht/) Von der Lebensweise in seinen Kreisen gibt er ein gewiß nicht übertriebenes Bild, wenn er berichtet:^) „des Morgens, wenn man aus dem Bette aufgestan- den, ist das Essen auf dem Tisch gestanden und gesoffen worden bis zur rechten Mahlzeit, von da wieder bis zur Abendmahlzeit. Welcher nun reif war, der fiel abe". Selbst das Fieber trinkt er sich in gutem Wein weg,=') muß aber schon mit 40 Jahren an häufig wiederkehrender Gicht die bösen Folgen seiner Lebensweise empfindlich büßen, wie er denn selbst einmal*) offen ge- steht: „Ob das starke Trinken mir aber zur Seligkeit und Gesundheit gereichet, stelle ich an seinen Ort."

Man merkt aus allem, daß der deutsche Adel die Zeiten des Raubrittertums mit all ihrer Roheit noch nicht ganz überwunden hat, wie wir ja schon früher gesehen haben, daß auch Schweinichen nicht zu streng dachte über Wegelagerung und ähnliche Kraftstücke. Was er von seiner eigenen Erziehung berichtet, stimmt gut zu allem übrigen. Als Knabe kommt er zeitig zum Dorfschreiber und be- fleißigt sich^) „des Lesens, Schreibens und anderer adeligen Tugenden". Einen höheren Grad von Bildung sehen wir ihn nirgends erwerben, und doch genügen seine Kenntnisse, um ihn bei einer guten Naturanlage, klarem und redlichem Sinn zu einem geschätzten Diener seines Herrn zu machen. In den zahlreichen Händeln und Wirrsalen desselben bewährt er sich als treuen, wohlgelittenen Diener, trotz aller „Fuchsschwänze" bei Hofe, die, wie er sagt«), an Fürstenhöfen „stets groß und gemein" sind. Einen besonders feinen und zarten Ton können wir ohnehin beim damaligen deutschen Hofleben nicht voraussetzen, wenn wir er- fahren, mit wie wenig schmeichelhaftem Namen man die Hofdamen bezeichnet.') Im übrigen ist Schweinichen nicht bloß Hofmann, sondern er verwaltet als schlichter Landedelmann sein Gut mit Umsicht und haushälterischem Sinn. Dennoch zieht das Hofleben und der Dienst seines Fürsten ihn immer wieder an, und er wird nicht müde in der Schilderung dieser uns heute seltsam be- dünkenden Zustände. So erfahren wir, daß er zuerst als Page zu Herzog Fried- rich III. nach Liegnitz kommt, welcher, da er „eine gute Zeit her ein trefifHch böses Leben geführet, auch noch davon nicht abstehen wollte", 1551 seines Herzog- tums entsetzt wurde. ^) Mit einem andern Junker und dem jungen Herzog wurde er zusammen erzogen, wobei es freilich nicht eben streng herging. „Wir mußten mehrenteils, so erzählt er,«) wenn Ihro fürstlichen Gnaden einen Rausch hatten, im Zimmer hegen, denn Ihro fürstlichen Gnaden gingen nicht gerne zu Bette, wenn sie berauscht waren. Sie waren damals in der Kustodia gottesfürchtig; abends oder morgens, sie waren voll oder nüchtern, beteten sie fleißig, alles in Latein." Daß der Herzog auf seinen Sohn Heinrich, der ihn gefangen hielt, nicht

^) Schweinichen, I. 182.

2) Ebenda, II. 291.

3) Ebenda, III. 27.

4) Ebenda, 1. 64.

5) Ebenda, I. 36.

6) Schweinichen, I. 347.

7) Zimm. Chron. I. 553, III. 53. Schweinichen, Bd. L p. X.

9j Ebenda, I. 29.

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1. Buch I. Kapitel Die Renaissance des deutschen Geistes

gut zu sprechen war, begreift man leicht. Wenn aber der junge Herzog seinen Vater besuchte, „stellten Ihro fürstlichen Gnaden der alte Herr alles beiseit und trank einen guten Rausch mit ihm".i) Wie niedrig damals in diesen Kreisen die sittUche Bildung war, ersieht man mit Staunen an der rohen Behandlung, welche die Frauen der höchsten Stände sich gefallen ließen. Daß überall frischweg „gebuhlt" wird, wo es schöne adUge Jungfrauen gab, könnte man noch aus der ungebrochenen Lebenslust der Zeit erklären, obwohl es dabei nicht selten etwas derb zuging, wie bei der übermütigen Tanzszene im Mecklenburgischen, ^) wo Schweinicherl sich übrigens mit seinem „Saufen" einen großen Namen macht. Aber wenn der Herzog bei einem Wortwechsel seiner Gemahlin eine solche „Maulschelle schlägt", daß sie ein blaues Auge davon bekommt, so wird diese Brutalität nur noch übertroffen durch den sonderbar naiven Begütigungsvorschlag, welchen Schweinichen der Fürstin machen darf.') Nicht minder verletzend aber sind die Szenen bei der Rückkehr des Herzogs von seinen Streifzügen. Daß die hohe Dame sich dann doch bereit finden läßt, mit ihren Töchtern für ihren Ge- mahl auf den Bettel^) auszuziehen, beweist, wie wenig empfindhch ihr Ehr- gefühl ist.

Das wunderlichste Bild gewährt aber immer der Herzog selbst, der mit fünfundvierzig Personen und zweiunddreißig Rossen einen abenteuerlichen Zug durch ganz Deutschland unternimmt, um überall bei Stadtbehörden, Fürsten, Edelleuten und Klöstern um Geld anzuhalten. Seine unsinnigen Darlehensgesuche werden begreiflicherweise überall abgeschlagen, aber man gibt ihm gerne, um ihn und sein Gefolge nur los zu werden, ein Geldgeschenk, das er denn auch ohne Bedenken annimmt. Es ist ein vollständiger Brandschatzungszug, den der schamlose Fürst durch ganz Deutschland ausführt, und Schweinichen muß sich's gefallen lassen, bis nach Utrecht um Geld ausgeschickt zu werden. Wie sie trotz all dieser Verlegenheiten überall in Saus und Braus leben, wie sie z. B. zu Köln ihr tolles Treiben selbst in einem Nonnenkloster fortsetzen, grenzt ans Un- glaubliche.') So weit geht einmal der Herzog in seiner Tollheit, daß er allen Ernstes seinen Getreuen an die Königin von England schicken^ will, um ihr, ob- wohl er schon verheiratet war, seine Hand anzutragen und sie darauf hm um ein Darlehen von fünfzigtausend Kronen zu bitten.«') Wenn mit der Bodenlosig- keit dieses Charakters uns etwas aussöhnen kann, so ist es die Festigkeit seiner religiösen Überzeugung. Denn trotz aller Geldschwierigkeiten, trotzdem, daß er sich gezwungen sieht, bis nach Antwerpen zu schicken, um seine Kleinodien zu versetzen, läßt er den päpsthchen Legaten, der ihn durch Geld zum Glaubens- wechsel verleiten will, mit gebührender Grobheit abfallen. Ebenso entschieden wird in Liegnitz der Superintendent Leonhard Kränzheim abgesetzt, weil er im Verdacht des Kalvinismus steht, und eine Sturmpetition, zu seinen Gunsten von dreihundert Weibern gegen das Schloß unternommen, wird mit landesherrlicher Autorität zur Ruhe verwiesen.')

Wohl steht die Roheit des Liegnitzer Fürstengeschlechts im 16. Jahrhundert in Deutschland unübertroffen da; allein, was wir aus andern Gegenden er- fahren, klingt häufig nicht viel tröstlicher. Schweinichen erzählt selbst,') daß sie auf ihrer Reise fast überall mit unmäßigen Trinkgelagen bewirtet werden und z. B. beim Pfalzgrafen Friedrich „die ganze Zeit mit Saufen, Fressen und Tanzen zugebracht, denn es überaus ein wunderlicher Herr gewesen, der nichts

1) Schweinichen, I. 31. ^ 2) Ebenda, I. 77. ' 3) Ebenda, I. 124, 126.

4) Ebenda, II. 29.

yö) Schweinichen, I. 217.

6) Ebenda, I. 226.

7) Ebenda, III. 31.

8) Ebenda, III. 55.

Schwelgerei und Derbheit

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konnte als saufen". Auch der Herzog von Braunschweig ist ein „toller Herr" gewesen und hat ihn am ersten Abend „totsaufen" wollen/) Kein Wunder, daß unter solchen Voraussetzungen die Feste in der Regel eine tumultuarische Form annahmen, und nicht selten unter den edlen Junkern die Lustigkeit mit rohen Prügelszenen endigte. Die Schwelgerei namentlich auf den Hochzeiten ging über alles Maß, und erstaunlich sind die Angaben über das, was an Speise und Trank verzehrt wurde. Daneben wußte man höchstens noch in übertriebener Kleiderpracht Aufwand zu machen, wie denn auf der Hochzeit des Jüngern Herzogs von Liegnitz ^) das mit Gold und Silber gestickte Brautkleid über 1500 Taler kostete. Der Aufwand der ganzen Hochzeit behef sich auf 14000 Taler, und daran hatte die Kunst nicht den geringsten Anteil, wenn man nicht die 500 Taler für das Feuerwerk dahin rechnen will. Selbst bei Leichenbegängnissen verlangte der rohe Sinn der Zeit unmäßige Gelage, so daß Graf Gottfried Werner von Zimmern verordnet, es sollen bei seiner Leiche „keine Gonvivia oder Banketten" gehalten werden, damit sich weder Priester noch andere seines Absterbens „von wegen der Atz" erfreuen möchten. Aber „dieweil es ein solch altes Herkommen", hat man das Mahl doch angerichtet.^)

Der peinlichste Zug im Leben der höheren Stände ist die tiefe Stufe sitt- licher Bildung, auf welcher großenteils das weibHche Geschlecht erscheint. Was sich eine Fürstin von Liegnitz bieten ließ, haben wir schon gesehen. Welche Ausgelassenheit die jungen Fürsten auf dem Reichstage zu Augsburg sich gegen die fürstUchen und gräf heben Fräulein, mit denen sie sich auf köstliche Teppiche an die Erde zu legen pflegten, herausnehmen durften, erzählt Sastrow.*) Dort erfahren wir auch, wie das Sittenverderbnis aus diesen Kreisen in das Bürgertum eindrang, wie die Tochter eines Arztes von den Fürsten sich grobe Zweideutig- keiten sagen läßt,^) „dazu sie fein liebhch und freundlich gelächelt, und hielten also Haus, daß der Teufel darüber lachen mochte". Überaus reich an bedenk- Hchen Zügen dieser Art ist die Zimmerische Chronik. Wenn ein Fräulein von Löwenstein mit dem Bäcker ihres Vaters durchgeht,'') wenn Herzog Heinrich von Braunschweig mit seiner Gemahlin nicht gar dezent verkehrt,^) wenn wir von anderer Seite erfahren,«) daß die Schwester des Markgrafen Joachim von Branden- burg mit einem Falkenier fortläuft, wenn von einer Gräfin von Zollern nicht sehr Säuberhches erzählt wird^) und auch eine Äbtissin von Reischach sich nicht eben anständig aufführt, lO) so sind das Kleinigkeiten gegen die alles Maß über- steigenden Exzesse, welche von der Gemahlin Herzog Albrechts von Österreich i^) sowie von der Herzogin von Rochlitz,i^) des Landgrafen Philipp von Hessen Schwester, erzählt werden. Was ferner einer ehrbaren Matrone von Augsburg in den Mund gelegt wird,!^) was man von dem Haushalt des Ritters von Meersburg, i^) von der Gräfin Gilli, Kaiser Sigismunds Witwe, erfährt, i^^) klingt eben auch nicht erbauhch und läßt den Ausruf des Chronisten über die große Leichtfertigkeit, die in der Welt herrsche, i«) begreifen. Dennoch liegt in alledem mehr eine Roheit der Sitten, aus ungezügelter Naturkraft hervorgegangen, während Frankreich und Italien schon lange das Bild raffinierter Lasterhaftigkeit darbieten. Auch wird von den Zeitgenossen nicht verhehlt, wie sehr die Spanier zum Verderb der

1) Schweinicheii, III. 86.

2) Ebenda, III. 77 ff.

3) Zimm. Chron. IV. 265.

4) Barth. Sastrow, II. 90. ^) Ebenda, II. 89.

ö) Zimm. Chron. II. 195.

7) Ebenda, II. 439.

8) Sastrow, I. 87.

Zimm. Chron. III. 482. ^10) Ebenda, III. 521.

11) Ebenda, I. 435.

12) Ebenda, I. 437 fg.

13) Ebenda, III. 385. . l-l) Ebenda, III. 236.

15) Ebenda, III. 383.

16) Ebenda, II. 128.

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1. Buch I. Kapitel Die Renaissance des deutschen Geistes

Sitten beigetragen haben/) Doppelt wohltuend ist es, wenn man daneben doch auch Beispiele weiblicher Sitte und Tugend wahrnimmt, wie denn der lustige Hans von Schweinichen in seinen beiden Ehen solche darbietet. Auch die Zimmerische Chronik weiß das Lob eines solchen Loses zu preisen und läßt durch Berthold von Flersheim, einen „weisen viel erlebten Mann" eine Lobrede auf „einfachen Hausstand und hebe Hausfrauen, hübsch und fromm, auch jugend- licher und gefälliger Sitten" aussprechen.^)

Im Laufe der Zeit dringt nun auch in diese Kreise, wenn schon langsam, die fortgeschrittene Bildung mit ihren Segnungen ein und läßt die alte Roheit nach und nach verschwinden. Hier geht aber die Bewegung nicht vom niedern Adel aus, sondern von den Fürsten. Namentlich unter dem Einfluß der Reformation bildet sich ein streng, aber auch mild auftretender landesväterHcher Sinn, das Kirchen- und Schulwesen wird geordnet, die Verwaltung geregelt, eine tätige Polizei sorgt für Aufrechterhaltung der Ruhe und des Landfriedens. An den Höfen gewinnt allmählich eine edlere Sitte Platz, Wissenschaft und Kunst verbreiten auch hier ihren Einfluß, ein Sammeleifer erwacht, der sich bald von bloßen Merkwürdigkeiten auf antike Münzen und Steine, auf Gemälde und Schnitzwerke überträgt. Das ganze Leben der Höfe wird dadurch allmählich veredelt, und an die Stelle der rohen Schwelgereien treten Feste, bei denen es immer noch üppig genug hergeht, aber zugleich doch ein künstlerischer Zug sich bemerklich macht. Solcher Art ist das glänzende Fest bei der Taufe eines Prinzen am Hofe zu Stuttgart im Jahre 1596, von welchem uns FeHx Platter eine anziehende Schilde- rung hinterlassen hat.'') Das Ritterspiel wird durch einen prächtigen Maskenzug eingeleitet, bei welchem fünf Kamele die Embleme der Erdkugel und paarweise Vertreter der vier Weltteile zur Schau tragen. Der Herzog selbst reitet in antiker Rüstung einher, oder um mit den Worten des Chronisten zu reden „im Harnisch auf heidnische Weiß, so von Malern mit Gold wunderreich geziert, der Anzug also daß man meint die Schenkel wären nackend gleich wie die Arme". Im Zuge des Markgrafen Georg Friedrich sind die Schilde mit römischen Historien und Sprüchen bemalt. Ein anderer Zug führt das Bild des Janus, wieder ein anderer den Cupido nebst Juno, Pallas, Venus, alle zu Roß, in blauem Taft, langen Röcken und Ärmeln, schön mit Gold verbrämt. Auch die sieben Planeten treten auf, wie es endlich an Mohren und Türken nicht fehlt. Vergoldete Becher und Kränze werden ausgeteilt. Dem Ringelrennen schließt sich zum allgemeinen Ergötzen ein Kübelturnier an, wobei die Parteien, das Gesicht durch einen wattierten, auf das Haupt gesetzten Kübel geschützt, gegeneinander kämpfen. Daß es nicht gar zu zahm hergehe, dafür sorgte am andern Tage eine Fechtübung im Schloßhofe, wobei der Herzog verlangt, es müsse Blut fließen, welcher harmlose Wunsch dadurch in Erfüllung geht, daß mehrere Ver- wundungen vorkommen und einem der Kämpfenden ein Auge ausgeschlagen wird. Von einer andern Festhchkeit des württembergischen Hofes, die 1609 bei Gelegenheit der Vermählung des Herzogs Johann Friedrich mit Barbara Sophia von Brandenburg stattfand, haben wir einen mit aller pedantischen Umständ- lichkeit jener Zeit abgefaßten und mit Kupfern erläuterten Bericht.') Überhaupt bildet sich bald eine ganze Literatur solcher Beschreibungen von fürsthchen Bei- lagern und anderen Festen.

1) Sastrow 1. 241. Zimm. Chron. III. 385, 335, 338, 340, wo die „verderbten kainnutzigen" Sitten des franz. Hofes geschildert werden. Vgl. dazu III. 342 fg.

2) Zimm. Chron. III. 479.

3) Thomas und Felix Platter, S. 19fi ff.

4) Wahrhafte historische Beschreibung der fürstlichen Hochzeit etc. durch M. Johann Öttinger. Stuttg. 1610. f.

Leben an den Höfen

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Nicht minder glänzend ging- es am pfälzischen Hofe zu. Freilich spielte dabei wie überall in Deutschland das mächtige Essen und noch mehr das un- mäßige Trinken eine Hauptrolle. Manches derart wird uns von der verschwende- rischen Hofhaltung Friedrichs II. berichtet; i) doch hält die derbe Sinnlichkeit der Zeit, so roh oft ihre Äußerungen sind, die raffinierte LiederKchkeit des französischen und der itahenischen Höfe noch fern. Festliche Aufzüge von großer Pracht, Maskeraden, Ringelrennen und Fußturniere bildeten auch bei der Vermählung des Pfalzgrafen Philipp Ludwig zu Neuburg mit Anna von Jülich im Jahre 1574 das Programm der Feste, deren Gastmähler nicht minder ausschweifend waren als alles übrige. Ergötzlich ist dabei, wie die theologische Richtung der Zeit einen Bund mit der Kochkunst eingeht, um auch den kulinarischen Genüssen ihre Weihe zu geben.^) Denn zu dem Festmahle hatte der Mundkoch des Herzogs Albrecht von Bayern, Peter Kaiser, dreizehn Schaugerichte geliefert, in welchen man Pauli Bekehrung, die Gesetzgebung auf dem Sinai und andere bibUsche Ge- schichten dargestellt sah. Dazu kamen die Gestalten mehrerer Tugenden, nament- Hch der Mäßigkeit, die bei einem Mahle, das vom Morgen bis zum Abend währte, wohl kaum noch anders vertreten war. Unter Friedrichs IV. glänzender Regierung steigerte sich diese verschwenderische Festlust zu noch prunkvollerer Überladung.'') Den Übergang zu feinerer höfischer Sitte bildete dann Friedrich V., der durch seine Verbindung mit der engUschen Prinzessin Elisabeth, Tochter Jakobs I., und seinem Aufenthalt am Hofe des Herzogs von Bouillon zu Sedan ausländische Bildung kennen gelernt hatte.*)

Allmählich erwacht denn auch in diesen Kreisen der Sinn für höhere Inter- essen, namentlich für künstlerische. Manches derart berichtet die Zimmerische Chronik. Wir lesen von einer schönen Elfenbeintafel, daran Geschichten aus der Tafelrunde „des gar alten Werks" gegraben sind.') Graf Gottfried Werner läßt sich in Nürnberg für St. Martin zu Möskirch ein messingen Grabmahl gießen mit Schild und Helm, auch großen Messingleuchtern, obwohl man ihm geraten habe, es lieber aus Marmor arbeiten zu lassen. Die Nürnberger hätten darüber gespottet, obschon es doch ein ansehnliches Werk sei.'') Derselbe Herr läßt sich in Nürnberg große elfenbeinerne Kompasse machen, auch eine Glocke von drei- hundert Zentnern daselbst für seine Kirche gießen.') Graf Werner läßt eine schöne Truhe machen von geschnitzter Arbeit^) „des alten Werkes, gar artlich, darin auch zwei Wappen". Von „schönen Antiquitäten" wird ferner erzählt, die im Schloß zu Zimbern verbrannt seien.'-") Graf Wilhelm Werner man sieht, es ist ein kunstliebendes Geschlecht zeigt dem Kaiser Ferdinand seine antiken Kunstschätze und erhält darauf von diesem Antiquitäten, die König Max ge- sammelt, darunter auch Hirschgeweihe. ^O) Von einem geschickten Stempelschneider namens Gumprian, einem „wunderbaren künstlichen Gesellen", welchen Graf Johann Werner der Ältere sich gehalten habe, weiß die Chronik manches zu erzählen. 11) Ebenso beklagt der Chronist, daß im Schmalkaldischen Kriege durch die Spanier „die schönen künstlichen Gemälde des Meisters Laux Kronen"

1) Vgl. Häußer, Gesch. der rhein. Pfalz. II. Ausg. I. 623 ff.

2) Ebenda, II. 81 ff.

3) Vgl. Häußer, Gesch. der rhein. Pfalz. II. Ausg. II. 81 ff.

4) Ebenda, II. 263 ff.

5) Zimm. Chron. II. 195.

6) Ebenda, IV. 252. Ebenda, IV. 253.

8) Ebenda, III. 386.

9) Ebenda, I. 64.

10) Ebenda, III. 428, IV. 64.

11) Ebenda, I. 491.

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1. Buch I. Kapitel Die Renaissance des deutschen Geistes

(Lukas Granach) im Schloß zu Torgau zerstört worden seien, weil sie die Ver- gleichung Christi und des Papstes enthielten. „Schad umb die große Kunst", setzt er hinzu, i)

Aber anziehender als alles dieses sind die Spuren eines lebhaft erwachten Sinnes für die Denkmäler der deutschen Vorzeit. Nirgends vielleicht finden wir bei uns so früh literarische Zeugnisse einer solchen Gesinnung. Namentlich bewundert Graf Frohen Christoph die Denkmäler von Trier,^) „dergleichen in Rom oder sonst in unsern Landen nit zu finden". Auch in Lüttich wird der Palast, welchen der Bischof von der Mark „ganz kaiserlichen erbauet hat", betrachtet.^) In der Lambertuskirche daselbst habe er mehr Kleinode und Schätze gefunden, als er in St. Peter zu Rom gesehen. Das Amphitheater in Bourges wird dem Kolosseum an Größe fast gleichgestellt.*) In der Kirche zu Alpirsbach^) bewundert der Chronist „die großen und hohen aus einem Stück erbauten Säulen". Am be- merkenswertesten ist die Stelle, wo des Grafen Wilhelm Werner Besuch bei den Altertümern und mächtigen Gebäuden in Sponheim und Trier ^) geschildert wird. Keine Stadt in Europa, meint der Chronist, könne sich altershalber und wegen edelster Gebäude und Reliquien mit Trier vergleichen, und, setzt er hinzu, „ist schimpflich zu hören, daß wir Deutsche die fremden Gehau und Stätt loben, auch ob ihrem Alter und Singularitäten uns verwundern, und wissen von den unsern, die gleichwohl die andern übertreffen, nichts zu sagen, haben die nie gesehen, achten auch deren nit".

Solch offner Blick, der freilich in diesem Falle in patriotischer Wärme fast zu weit geht, ist nur das Ergebnis einer freieren, durch Kenntnis fremder Länder gewonnenen Anschauung. Es lohnt der Mühe, an einigen Beispielen nachzuweisen, wie die Reiselust, die wir in bürgerHchen Kreisen Deutschlands so stark und früh entwickelt fanden, etwa seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in den höhern Ständen sich gestaltet hat. Beginnen wir mit den Fahrten des schwäbischen Ritters Georg von Ehingen um 1455, so finden wir noch ganz ausschließlich die Interessen eines fahrenden Ritters aus dem Mittelalter ver- treten. Alles dreht sich um Hofleben, Rittertaten, Turnier und Kampf. Nur einmal bei der Stadt Ceuta in Spanien finden wir eine flüchtige Notiz von künstlerischem Interesse. Der Dom daselbst sei ein schöner, großer heidnischer Tempel gewesen.^)

Ganz andern Eindruck macht schon die Reise des böhmischen Ritters Leo von Rozmital, der in den Jahren 1465 bis 1476 die Abendlande durchzog und über dessen Erlebnisse uns zwei Berichte aus der Feder seiner Begleiter vor- liegen, von Gabriel Tetzel in deutscher, von Ssassek in böhmischer Sprache, letztere durch Pawlowski ins Lateinische übersetzt.^) Auch hier spielen die ritterlichen und daneben die religiösen Interessen noch eine große Rolle. Nicht bloß die Fürstenhöfe, sondern auch die Wallfahrtsorte mit ihren Gnadenbildern werden besucht; daneben aber vergißt man nicht die Merkwürdigkeiten zu be- schauen und besonders von prächtigen, kunstreichen Bauten Nachricht zu geben. In Nimes wird das große und zierHche Amphitheater betrachtet;") in Anjou

1) Zimm. Chron. IV. 19.

2) Ebenda, IV. 66, 381.

3) Ebenda, IV, 386.

4) Ebenda, III. 228.

5) Ebenda, I. 100.

6) Ebenda, IV. 67.

Georg von Ehingen, Reisen. Eibl. d. lit. Ver. Bd. I. p. 21.

8) Reisen des Ritters Leo von Rozmital. Eibl. d. lit. Ver. VII. Bd.

9) Ebenda, p. 113: „amphitheatrum amplum et elegans, in quo templum magnifice exornatum erat."

Reisen, der Vornehmen

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fällt den Reisenden das alte Herzogschloß mit seinen 22 Türmen auf,i) dabei der prachtvolle Zwinger mit Löwen, Leoparden, Straußen und Steinböcken; so- dann das Grabmal des Königs von Sizilien und seiner Gemahlin mit ihren Statuen aus weißem Marmor. In Spanien bewundern sie vor allem die herrhche Kathedrale von Burgos, und darin ein Altar- Antependium^) „von schöner Malerei und künst- lich getriebenem Werke", eine „schöne Statue der Madonna, ganz von Silber und vergoldet". Auch die beiden zierlich aus Stein erbauten Turmhelme ent- gehen ihnen nicht; an dem dritten Turme, offenbar dem auf dem Kreuzschiff befind- lichen, wird eben noch gearbeitet. In Segovia begeistert sie gleichfalls die mächtige Kathedrale, auch hier sehen sie ein Antependium von Gold und Silber, der Chor aber ist mit Bildwerken in Stein so schön geschmückt, daß wenige Künstler „selbst in Holz" sie so ausführen könnten.^) Einen so schönen Kreuz- gang hätten sie nirgends gefunden; sogleich wird aber hinzugefügt, daß sie später doch schönere kennen gelernt. In seiner Mitte sei ein Garten mit Zypressen und andern Bäumen. Auf der Burg sei ein herrhcher Palast, in Gold, Silber und Azur ausgemalt, die Fußböden von Alabaster, zwei Säulengänge aus demselben Stein, 34 Bilder der spanischen Könige ringsum, die ihnen aus purem Golde bedünken. Fünf Gemächer aus Alabaster aufgeführt und mit Gold überschmückt, das Schlafgemach des Königs mit einer Decke von reinem Golde, die Teppiche des Bettes ebenfalls aus Gold gewebt. In Toledo*) bemerken sie in der Kirche drei große Meßbücher mit prächtigen Initialen und Miniaturen: „Man meint auch, es sei der köstlichst Maler gewest, als er in der Welt gelebt habe". In Guadalupe fällt ihnen ein goldener Kelch von besonderer Größe mit Edelsteinen, sowie eine goldene Monstranz ebenfalls mit Gemmen auf, so schwer und groß, daß einer sie nicht zu heben vermag.^) Ebendort auch auf dem Hauptaltar ein Madonnen- bild, „und das hat St. Lukas gemalt, ist sehr ein lieblich ernstlich Bild den Menschen zu schauen".

Auch in England finden sie Beachtenswertes, namentlich gestehen sie, nirgends schönere Kirchen gesehen zu haben, innen aufs reichste geschmückt, außen, was ihnen auffällt, ganz mit Blei bedeckt. In Reading rühmen sie ein Antependium und eine Statue der Madonna, dergleichen sie nirgends gesehen und wohl auch nicht sehen würden, wenn sie bis ans Ende der Welt reisten. ') Aber schon in Andower bemerken sie eine Alabasterstatue der Jungfrau, die ebenfalls sehr schön ist. Auch in Salisbury finden sie herrliche Bildwerke,®) namentlich eine Madonna mit dem Kinde, von den Drei Königen verehrt, ein heihges Grab mit dem auferstehenden Christus, dem Engel und den schlafenden Wächtern, „ein köstlich Werk von geschnitzten Bildern, war alles so meisterlich zugerichtet, als lebet's". Ebenso wird die kunstreiche Bauweise des der Kathedrale an- gefügten Turmes gepriesen.

In den Niederlanden ist es Brüssel mit seinem großartigen Rathaus, was sie hervorheben. Von dem schön erbauten Turme genießen sie eine weite Aus- sicht; im Atrium sehen sie herrliche Gemälde, wie man sie nur irgend in der Welt finden kann. Den alten Herzog von Burgund treffen sie in seinem Palaste

1) Reisen des Ritters Leo von Rozmital. Eibl. d. lit. Ver, VII. Bd. p. 53.

2) Reisen des Ritters Leo von Rozmital, p. 64 : „tabula altari praetensa, pulcherrime depiota et artificiosissimo opere caelata."

3) Leo von Rozmital, p. 69.

4) Ebenda, p. 187.

5) Ebenda, p. 185.

6) Ebenda, p. 46. '') Ebenda, p. 45.

8) Ebenda, p. 46, 158.

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1. Buch I. Kapitel Die Eenaissance des deutschen Geistes

im Atrium sitzend, auf einem Sessel, um welchen rings alles mit golddurch- wirkten Teppichen bedeckt ist. Kein Monarch der Christenheit habe einen glänzenderen, prachtvolleren Hof.i) Nichts entgeht der Aufmerksamkeit der Reisenden: in Wiener Neustadt beschauen sie nicht bloß das Grabmal, welches der Kaiser sich hat erbauen lassen, mit dem dasselbe schließenden Stein, der elfhundert Goldgulden koste, sondern auch die Glocke mit eingeschmelzten Goldlinien. ^)

Ihre Wanderung führt sie auch nach Oberitalien, wo sie zunächst in Verona den Palast Theodorichs anstaunen mit seinen Ungeheuern Steinen, seinen Treppen, den gewaltigen Fensterbögen mit ihren hohen Bänken, den aus riesigen Quadern errichteten Mauern.^) Weit ausführlicher noch beschreiben sie das Kastell von Mailand, das ganz aus Quadern und weißem Marmor erbaut ist, mit seinem weiten Hofe, dessen Größe auf 120 Schritte und 25 Fuß angegeben wird. Im Schlosse ist eine schöne Kirche, aber noch nicht ganz vollendet, wie denn auch sonst noch fortgebaut wird. Vom Dome wird berichtet,'') es sei „die kostenlichste Kirche, von Marbelstein-Bildwerk durchgraben und ganz damit aufgebaut". Und weiter heißt es: „in der Stadt ist das allerkostlichste Schloß von Gebäuen unter der Erden, das ich mein, daß in der Christenheit sei". „Wir sahen auch ein köstlich Haus, hatten des Kosmann de Medici Kaufleut inne".^) Offenbar ist von dem Palaste, welchen der Medizeer durch Michelozzo erbauen ließ, die Rede. In S. Ambrogio fällt ihnen ein „heidnisches Götterbild" auf. In Venedig endlich bewundern sie nicht bloß die herrliche Markuskirche mit ihren Kostbarkeiten und den goldenen Rossen über dem Portal, deren Zahl etwas ungenau auf drei an- gegeben wird,"), sondern ergehen sich mit Vorliebe in der Schilderung eines Palastes, welchen ein Kaufmann aus Alexandria dem Herzog von Mailand ab- gekauft habe.^) Der Preis des erst angefangenen Gebäudes sei 74000 Goldstücke gewesen. Der Kaufmann habe ihn dann ausbauen und so prächtig schmücken lassen, daß man nirgends ein schöneres Gebäude finden könne. Der Portikus sei ganz aus weißem Alabaster errichtet, im Schlafzimmer des Hausherrn seien die Fußböden aus demselben Material, die Teppiche in Silber gewirkt, die Decke reich vergoldet. Das Bett habe zwei mit Perlen gestickte Kissen und ein eben- falls mit Perlen und Edelsteinen geschmücktes Kopfkissen; der Betthimmel sei so prachtvoll gewebt, daß er 24000 Dukaten koste. Das Atrium, in welchem eine Heizvorrichtung, habe allein 13000 Dukaten gekostet. Der Hausherr, welcher mit seiner schönen Gemahlin, von einer Spazierfahrt heimkommend, die Fremden antrifft, läßt sie aufs artigste mit Wein und Konfekt in silbernen Schüsseln und goldenem Becher bewirten.

Im 16. Jahrhundert steigert sich dies Interesse zusehends, und wir haben schon in der Zimmerischen Chronik zahlreiche Spuren lebendigen Eingehens nicht bloß auf fremde Kunstwerke, sondern auch auf vaterländische Denkmäler wahr- genommen. Auch beim Grafen Waldeck, der uns über die Patrizierhäuser Augs- burgs berichtet hat, finden wir manche Spur regen Anteils an den Werken der Kunst. Von einem Waffenschmiede des Kaisers, Johann Colmann, weiß er uns zu erzählen;®) bei dem Goldschmied Otto von Köln betrachtet er dessen Diamant- schleiferei, sowie einen kostbaren, vergoldeten Harnisch; bei einem geschickten Ziseleur und Erzgießer macht er einen Besuch und meint, daß derselbe seines- gleichen in Deutschland nicht habe;") er sieht dort auch eine kunstreiche Uhr

1) Leo von Rozmital, p. 23 25. 6) Leo von Eozmital, p. 124 fg.

2) Ebenda, p. 133. ^) Ebenda, p. 129.

3) Ebenda, p. 123. 8) Tagebuch, p. 49.

4) Ebenda, p. 118. 9) Ebenda, p. 86.

5) Ebenda, p. 193.

Eeisen des Herzogs Friedrich von Württemberg

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für den Kaiser; im Kreuzgang des Doms beschreibt er ein Gemälde der Ambitio/) Selbst Schweinichen entzieht sich nicht ganz solchen Studien, so wenig auch bei den tollen Irrfahrten seines Herrn und bei den fortwährenden starken Räuschen im ganzen an Zeit dafür abfällt. Doch versäumt er in Dresden nicht, die Festung, die Zeughäuser, Ställe und die Kunslkammer zu besuchen, findet aber nur Raum zu der dürftigen Notiz, daß er dort viel wunderbare und seltsame Sachen ge- sehen.') Etwas lebendiger drückt er sich über das prachtvolle kurfürsthche Grabdenkmal im Dom zu Freiberg aus, wo er sich über solche Kunst doch ver- wundert.

Es war die Zeit, wo die Fürsten in Deutschland anfingen zu wetteifern in prächtiger Erbauung und Ausstattung ihrer Schlösser sowohl wie ihrer Grab- mäler; wo sie von den verschiedenen, in der stillen Arbeit eines halben Jahr- hunderts hochentwickelten Künsten verschwenderischen Gebrauch machten. Besonders stark wird die Geschickhchkeit der Goldschmiede in Anspruch ge- nommen, reiche Schmucksachen, Pokale und andere Kleinode herzustellen, welche die beliebtesten Gegenstände wechselseitiger Verehrung waren. Auch von solchen Dingen weiß Schweinichen manches zu berichten und von man- chem Fürsten erhält er zwar nicht das im Auftrage seines Herrn verlangte Dar- lehen, wohl aber zum Trost das geprägte Bildnis des hohen Herrn, bisweilen an goldener Kette.^)

Edler sind die Beweggründe, welche Ritter Johann Jakob Breunig von Buchenbach veranlaßten, sechs Jahre lang die Welt zu durchziehen,') wobei er sich nicht bloß auf Frankreich, England und Italien beschränkte, sondern 1579 eine große Reise nach Griechenland und der Türkei, nach Ägypten, Arabien, Syrien und Palästina unternahm, wie er selbst angibt") „aus sonderer Begier und Lust weit und fern entlegene Länder, auch derselbigen Einwohner, Leben, Religion, Sitten und Gebräuche zu erfahren, auch nicht weniger wegen der großen An- mutung und Zuneigung, so ich nach dem heiligen Lande (doch ohne Superstition) jederzeit gehabt und getragen". Sein Herr Herzog Friedrich von Württemberg schickt den weitgereisten Mann 1595 nach England, um von der Königin die Aufnahme in den Hosenband-Orden zu erlangen. Interessant für uns ist, daß er dort am Hofe der Elisabeth einen deutschen Juwelier von Lindau Johann Spiel- mann findet, der in hohem Ansehen steht und von der Königin nobihtiert und mit Landgütern begabt wird.'') Breunigs Geschäfte bei Hofe gestatten ihm nicht, die ihm ohnehin von seiner frühern Reise her bekannten Merkwürdigkeiten in Augenschein zu nehmen; er überläßt dies vielmehr seinen Begleitern. Nur vom Lustgarten der Königin notiert er gelegentlich, daß derselbe dem zu Stuttgart bei weitem nicht zu vergleichen sei.') Beachtenswert ist noch, daß er außer Bluthunden, Pferden, Handschuhen und Strümpfen dem Herzoge auch „ethche Abrisse der Kamine" mitbringen soll.*)

Ausgiebiger sind die Berichte, welche derselbe Herzog Friedrich von seinen eigenen Reisen nach England und ItaHen hat aufzeichnen lassen. Die englische Reise, 1592 ausgeführt, ist uns durch den Kammersekretär Jakob Rathgeb be-

1) Leo von Rozmital, p. 99.

2) Schweinichen, III. 53.

3) Ebenda, z. B. III. 23, 56 etc.

4) Reisen des Ritters Joh. Jak. Breunig, herausg. von Schloßberger. Bibl. d. lit. V( Band 81.

5) Vorrede zu seiner Orient. Reise. Straßburg 1612. Reise etc., p. 18.

Ebenda, p. 35. 8) Ebenda, p. 49.

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1. Buch I. Kapitel Die Eenaissance des deutschen Geistes

schrieben. Wie unsicher damals im nördlichen Deutschland selbst für emen Fürsten die Wege waren, haben wir schon erfahren. In England angelangt, ver- säumt der Herzog nicht, die Merkwürdigkeiten in Augenschein zu nehmen. In Westminster bewundert er die Kapelle Heinrichs VII., die „mit gehauenen Sternen so zierlich und künstlich gewölbt, daß ihresgleichen nicht bald zu finden".^) Nicht minder die Grabmäler im Chor der Kirche, „ganz überguldet und aufs zierlichste gemacht". Bei der prächtigen Schloßkapelle zu Windsor fällt den Reisenden das flache, ebene Dach auf, und es zeugt von aufmerksamer Beobachtung, daß hinzu- gesetzt wird:') „Wie gemeinigUch alle Kirchen dieses Königreichs haben". Das Schloß ist ganz aus Quadern mit einem großen viereckigen Hof, in dessen Mitte ein künstlicher, hoher Springbrunnen aus Blei. Das schönste und herrlichste aller Schlösser, „wie es wohl auch in andern Königreichen nicht gefunden wird", ist Hamptoncourt, zwar nur von Ziegelsteinen errichtet, aber von außerordent- licher Ausdehnung, mit zehn großen Höfen, im vordem ein Springbrunnen mit Vexiervorrichtungen, dabei ein Ziergarten mit künstlichen Gewächsen. Im Schloß alle Zimmer mit köstlichen Tapeten von Gold und Seiden, im Audienzsaal der Königin Tapisserie von Gold, Perlen und Edelsteinen, ein Tischteppich im Wert von 50000 Kronen; ebenso reich der Thron. ^) Ferner Säle mit kösthchen Ge- mälden, Schreibtischen von Perlmutter, Orgeln und anderen Instrumenten. Auch ein Schloß, dem „großen Rentmeister von England" gehörend, zeigt fürstliche Pracht. Bewunderung findet namenthch der große Saal, dessen zierliche Decke ohne Säulen frei schwebt, 60 Fuß lang, etUche 30 Fuß breit.*) In andern Ge- mächern und Galerien werden ebenfalls Teppiche, Gemälde, emgelegte Tische betrachtet. Etliche Säle haben sehr kunstreiche Decken von Schremwerk, mit Farben und Gold geschmückt. Hier ist sogar die Abbildung einer solchen Decke beigefügt.

Weit wertvoller für uns ist aber die italienische Reise des Herzogs, 1599 (j.V^^aä unternommen, doppelt interessant, weil ein Künstler, der Baumeister Heinrich '1^ 1^1^ Schickhardt, die Beschreibung geliefert hat. Ganz heimlich geht der Herzog mit wenig Begleitern, unter welchen Schickhardt, zu Roß auf die Fahrt, um m völligem Inkognito die Herrlichkeiten Italiens zu genießen. Aus den Aufzeich- nungen, so kurz sie auch sind, spricht unverkennbar ein künstlerisch gebildeter Architekt. Bezeichnend ist z. B. seine Ansicht über den schiefen Turm zu Pisa,^) dessen Neigung er, wie später bei den Türmen von Bologna, ganz ver- ständig aus dem zufälligen ungleichen Setzen des Fundaments erklärt, während dem klassisch gebildeten Architekten die Laune mittelalterlicher Baumeister, die nachher die schiefe Stellung der Türme mit Bewußtsein beibehalten hat, begreif- licherweise nicht einleuchten will. Ein Zeichen derselben modernen Anschauung ist es, wenn er in Rom die alte Peterskirche nicht gelten läßt, obgleich etliche schöne Altäre darin, während er den neuen Bau über die Maßen rühmt.^) In der Lateransbasilika fallen ihm, wie in anderen römischen Kirchen, die geschnitz- ten und vergoldeten Holzdecken auf, in Maria Maggiore die prachtvolle Kapelle Sixtus des Fünften. Besonders aber preist er im Vatikan die vielen schönen Säle und herrlichen Gemächer, desgleichen „eine sehr schöne Kapelle, ^ m welcher neben anderen Gemälden auch das Jüngste Gericht von dem kunstreichen Maler

1) Badenfahrt Herzog Friedrichs, Bl. 12.

2) Ebenda, Bl. 15.

3) Ebenda, Bl. 16.

4) Ebenda, Bl. 31.

5) Ital. Reise, Bl. 23.

6) Ebenda, Bl. 25.

7) Ebenda, Bl. 28.

Italienische Keiseberichte

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Michaelo Angelo gemalet." Das einzige Mal, daß wir in solchen Reiseberichten y den Namen eines der großen itahenischen Künstler finden; aber auch hier von Raffael keine Spur, während Michel Angelos Ruhm schon damals über die Alpen gedrungen war. In der Vatikanischen Bibliothek bewundert er den großen pracht- vollen Saal und sieht „Schriften der alten Autoren, als Giceronis, Virgilii, Ovidii, welche sie selbst mit eigenen Händen geschrieben haben sollen". Von Bildwerken rühmt er den Laokoon, besonders aber im Palast des Herzogs von Florenz (Villa ^ Medici) ein „nackend Mannsbild von weißem Marmel, i) nicht gar lebensgroß, ^ wetzet knieend ein Messer", von ihm „für der besten Kunstwerke eins gehalten, so in ganz Rom zu finden sind". Außerdem erwähnt er die Dioskuren und auf dem Kapitol den Mark Aurel.' . \

Auf der Rückreise nehmen sie den Weg über Loreto, dessen prächtige Kirche mit Recht gepriesen wird;-) in Pesaro finden sie beim Herzog von Urbino deutsche Künstler;^) in Bologna, dessen Universität „zumeist von Teutschen be- sucht wird", erhalten sie trotz des Inkognitos musikalische Ständchen; in S. Domenico bewundern sie das Grab des Heiligen,^) „einen schönen Altar von Marmelstein und Alabaster", In Florenz verkehrt Schickhardt mehrfach mit Giovanni da Bologna, der ihm selbst die von ihm erbaute Kapelle zeigt/) Leb- hafte Freude haben sie sodann in Vicenza an den großartigen Bauten Palladios, obwohl dessen Name nicht genannt wird. Der Rathaussaal daselbst wird mit dem von Padua verglichen, und dieser wieder mit dem ihm ähnhchen Saal des neuen Lusthauses zu Stuttgart.'') In S. Antonio fällt ihnen die herrliche Marmor- skulptur in der Kapelle des Heiligen auf; das Reiterbild Gattamelatas finden sie dem des Mark Aurel „nicht sehr ungleich". In lustiger Fahrt auf der mit Fahr- zeugen belebten Brenta, deren Ufer mit herrlichen Landhäusern geschmückt sind, gelangen sie endlich nach Venedig. Hier reißt ihn die Pracht der Bauwerke aus dem ruhigen Ton des Berichterstatters zu entzückten Ausrufen fort; doch widmet er in aller HerrHchkeit des Südens auch dem Gemälde Albrecht Dürers seine >< Aufmerksamkeit. Auf der Rückreise fesselt sie in Innsbrack das Grabmal Kaiser Maximilians und der Künstler der zierlichen Rehefs, Alexander Colins, wird ge- >^ priesen.^) Doch schenken sie auch dem goldenen Dacherl einen freundhchen Blick.

Besondere Erwähnung verdient es hier, daß nicht wenige Exemplare dieses Reisebuches deuthche Zeichen davon tragen, daß sie später als Reiseführer ge- dient haben, was aus handschriftlichen Eintragungen und auch Richtigstellungen deutlich hervorgeht. Spricht dies doch von einem immer wachsenden Reisever^ kehr der kunstfreundlichen Kreise nach Italien, bei dem solche von Künstlern geschriebene Reisebücher geradezu die Stelle des heutigen Baedekers vertraten. Die Natur dieser Bücher aber verbürgt es, daß es den Benutzern hier in der Tat auf den Wegweiser zur itahenischen Kunst ankam.

Noch viel deutlicher treten diese dauernden Beziehungen Süddeutschlands als Vermittlers zur italienischen Kunst im Leben und in den Werken eines spä- teren Künstlers, Josef Furttenbachs d. Ä., Stadtbaumeisters von Ulm, hervor.

Seine Leichenpredigt ^) erzählt: nach vollendetem Schul- Unterricht, „da er das 14. Jahr erreichet, wurde er in Italien verschickt, da er dann ersthchen in

1) Ital. Reise, Bl. 30.

2) Ebenda, Bl. 40.

3) Ebenda, Bl. 43.

4) Ebenda, Bl. 47.

5) Ebenda, Bl. 54.

6) Ebenda, Bl. 75.

7) Ebenda, Bl. 91.

8) Josef Eurtteubaohs des Eltesten des Raths und Bauherrns allhie in Ulm . . . Leich- versamlung, durcli M. Johann Roth. Äugsb. 1667. S. 38. 45.

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1. Buch I. Kapitel Die Renaissance des deutschen Geistes

der großen hochansehnlichen Hauptstatt der Lombardia, zu Mayland, zwey Jahr verharret, daselbsten er die Italianische Sprach erlernet, hernach aber sich in die weitberühmte Hoch-Adeliche

Haupt-Statt der Liguria, zu Genoua, siben Jahr lang begeben, und endlichen gleicher gestalt, in der

Haupt-Statt der Toscana in Florentz, auch ein Jahr lang seine Wohnung hatte, dergestalt, daß er in allem zehen Jahr, in den besagten welschen Landen gewesen, . . sich vieler schöner Mannhaften und hochnutzlichen Künsten zu er- lernen, beflissen, . . . nicht änderst, als wie ein im Land geborener Gittadino, in guten Namen gehalten gewesen". Ferner: „Anno 1620, als unser Herr Seelig ItaUen verließe, und wiederumb in der fr. Reichs-Statt Leutkirch (seiner Vater- stadt) käme, daselbst etwas auszuruhen, beneben das viel gesehene und erlernte, in guter Ordnung zu beschreiben, sowolen eine Landcarte über seine getanen Reisen aufzuweissen, welches dann . . in den Druck ist verfertiget worden, da- zumalen wurde er nach Ulm beruffen."

Man sieht hier, Italien war geradezu zur Hochschule für süddeutsche Archi- tekten geworden. Und das genannte Werklein des Künstlers: Newes Itinerarium Italiae . . durch Josephum Furttenbach, Ulm 1627, wird nicht nur schon auf dem Titel als ein Buch für den Reisenden bezeichnet, „sein Reiß durch die herrhchste namhaffteste Örter Itahae wohl zu bestellen", sondern es wird ihm auch ganz „eygenthch beschrieben, was allda . . denckwürdig zu sehen", wobei natürlich auf die „Gebäwe" besondere Rücksicht genommen ist.

Die 30 Kupfer geben freilich vorwiegend fortifikatorische Dinge, Hafen- anlagen, technische Instrumente, Schiffe u. dgl, aber auch allerlei Künstlerisches, so Fassade und Grundriß des Palazzo Gambiaso zu Genua, einige Theater- dekorationen, eine Gartenloggia mit Muschel-Ausstattung und ähnliches.

Der Text enthält aber in der Tat einige vollkommen durchgearbeitete Reise- wege, so den ersten, der über Oberitalien bis nach Nizza, einen zweiten, der über die Riviera nach Florenz geht, dann folgt der Weg Siena, Rom, Ancona, Fano, Ravenna, Bologna, Ferrara, zuletzt aber über Genua, Turin, Brescia, Mantua, Venedig und über Bozen, Innsbruck nach Hause.

Überall wird hier vor allem der architektonischen Sehenswürdigkeiten, wenn auch kurz, gedacht, zugleich der Kunst- und Raritätenkammern; von den Städten wird Florenz, Rom, Venedig und vor allem Genua eine längere Beschreibung gewidmet.

Das Buch, das bis in den großen Krieg hineinreicht, bestätigt, wie stark die Verbindung zwischen Deutschland und Italien geworden war. Wunder nimmt es allerdings, wie selbst in jener Spätzeit die deutsche Baukunst sich immer noch einen hohen Grad nationaler Selbständigkeit bewahrte, die auch in den zahlreichen Arbeiten Furttenbachs immer wieder hervortritt.

Wir sehen, vom Anfang bis zum Ende der Epoche sind die Einflüsse ItaUens in Deutschland nachzuweisen, unverkennbar an Macht und Vielseitigkeit immer mehr zunehmend, in alle Kreise allmählich eindringend ; die Wanderungen der Künstler beginnen gleich in ihrem Anfang. Von Dürer selbst wissen wir aus seinen eigenen Berichten, wie er nach Venedig geht, freilich mehr die deutsche Kunst dort zur Anerkennung bringend, als dem fremden Einflüsse sich beugend. Dennoch ist auch in seinen Werken seit dem italienischen Aufenthalt die Einwirkung dortiger Kunst nicht zu verkennen. Wie er überall zu lernen sucht, sehen wir bei seiner Reise nach Bologna, wohin er sich begibt, weil ihn jemand in „heimlicher Per- spektive" zu unterrichten versprochen hat. Die fortschreitenden Spuren des italie- nischen Einflusses in der deutschen Kunst, aber auch die Selbständigkeit, welche letztere trotzdem zu bewahren weiß, werden wir später zu beobachten haben.

Das Fürstentum

Außer den küns lerischen Kreisen waren es indessen noch zahlreiche andere Beziehungen zum Süden, die seine Einflüsse nach allen Seiten verbreiteten In erster Lmie wirkt hier der ausgedehnte Verkehr, in welchem der deutsche Handel immerdar mit Italien stand, Augsburg und Nürnberg, zugleich die Vororte der damaligen deutschen Kunst, allen andern voran. Dazu kamen die Scharen von deutschen Studenten, die fortwährend nach Itahen zogen, um auf dessen hoch berühmten Hochschulen ihren Studien obzuliegen. M^it interesL ver Igt noch jetzt der deutsche Wanderer ihre Spuren in den Hallenhöfen der Universitäten von Padua und Bologna, wo unter den Namen und Wappen der einstigen Studenten die deutschen emen erheblichen Teil der prächtigen Dekoration ausmachen End" ich zieht es auch den Adel, meistens freihch im Gefolge seiner Fürsten nach Itahen hinem, und das Ergebnis ist feinere Sitte, freierer Weltbhck h^eHn teil an allem geistigen Schaffen, namenthch für die Kunst. Der niedere Adel selbst kann freihch diesen seltener betätigen, denn seine Mittel sind gering und wenn er nicht auf dem Lande verbauern will, muß er froh sein, im Hofdienst im Heere oder m der Verwaltung Verwendung zu finden «omienst,

Wir haben oben und bisher den starken Unterschied betont, der zwischen der neuen Kunstübung in unserm Vaterlande und der in Italien, wie in Frank reich bestehen bleibt, - derart, daß man die Architektur jene Zeti in Itain als die Architektur der Paläste, die in Frankreich die der großen und kälten Schlosser bezeichnen möchte, während die deutsche am ehesten als die des B^^er- hauses bezeichnet werden darf Trotzdem ist Deutschland keineswegs so ganz arm an großen Architekturwerken, die dem Streben der deutschen Fürstenhäuser Ihre Entstehung verdanken, auch ihrerseits ihre Baugedanken in der Sptche |er neuen Zeit auszusprechen. opracne aer

Ebensowenig hat es an größeren und kleineren Fürstenhöfen gefehlt die ich nach dem Vorbild der Medizeerhöfe und der Kreise der Este, Gonzaga und anderer Furstengeschlechter kunstliebend und kunstfördernd als edle Pflanz- und Pflegestatten des neuen Geschmackes erwiesen

Schon in der Frühzeit off-enbarte sich das glänzend, wenn auch weniger im äußeren Wesen, das ja oben in seiner etwas wilden Art geschildert ist alffn greifbaren Werken hervortretend. i^aimeri ist, als in

_ Es ist dem deutschen Fürstentum in der Tat durch die früher verbreitete^ Meinung, es habe sich der neuen Kunst gegenüber gleichgültig oder gl ab"^ verhalten, starkes Unrecht geschehen. Heute, wo wir die im Laufe des 16 Jahr hunderts und der ersten Jahrzehnte des 17. entstandenen fürstl chen Bauwerk; zu ubersehen vermögen, sind wir erstaunt über die Fülle, über I reiche Ket^e solcher Kunstwerke die unser Vaterland schmückt, deren äußerer Glanz wohf den der franzosischen Werke dieser Art im ganzen nicht erreicht, deren hebeniwürdte und malerische echt deutsche Art uns hierfür reichen Ersatz gewäh t Tnd S m allgemeinen kerne chateaux von prachtvoller, regelmäßiger und echt repräsen tativer Anlage, so smd es dafür ins Höhere und Prächtige frhobene gerEer"

it otL™rtL hT^^^"' ^"^"^^ - reicher lüho^^^^^^^^^^

IT/ Tu . "^^^ zwangloser Aufeinanderfolge und Neben-

emanderstellung besteht, in der ein Geschlecht nach dem andern seinen male rischen, edelbürgerhchen Palast neben die älteren gesetzt hlt ZlT^n!^ auch künstlerisch bedeutenden Kranze stattlicher Befest gun^en uTge en undm" Türmen reich geschmückt. - Solcher Bauwerke gibt es un^zähhge^ vom Heidd berger Schlosse der pfälzischen Kurfürsten an bis zur Plassenbuf'' der Branden burger Markgrafen oder dem Torgauer Schlosse Hartenfels der Sachsenherzö^^^^ angedeutet T ^^'^^^^ hervorragender Fürsten se htr n'u"

Lüf. 'h Württembergischen Herzögen Ulrich, Christoph,

l.ubke-Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 3

1. Buch I. Kapitel Die Renaissance des deutschen Geistes

Ludwig und Friedrich, den badischen Markgrafen Phiüpp II. und Ernst Friedrich, den Pfälzer Kurfürste; Friedrich IL, Ottheinrich, Friedrich IV. und V bis zurn Herzoge Johann Albrecht zu Schwerin und Wismar, dem Herzoge Albrecht 1. zu

^'"%'n7ntM trTm Laufe des 16. Jahrhunderts fügte sich so ein kunst- liebendes vielbauendes Fürstenhaus zum andern, - noch die Zeit vor dem Dreißig- ähr'en Kriege sah wahrhaft kunstprächtige Fürstenhöfe m den Hauptstädten ers ehen und Residenzen erwachsen, die den glänzendsten im Süden nichts nach- gaben Das Erstaunhchste auf diesem Gebiete bietet uns München und der Kur- fürst MaxtmiUan L, der gefürchtetste Krieger der katholischen Liga, dessen Res deSu nur in der Re^gia zu Mantua des Federigo Gonzaga em Gegens uck L7et dessen Künstlerschar eine unübersehbare Reihe von besten Namen umfaßt, ^cht wenige kleinere Höfe folgten ihm hierin nach; als Beispiel im engsten Rahmet sef der des Fürsten Ernst von Schaumburg genanrit, dessen Kunstler- koirie zu Bückeburg und Umgegend das künstlerisch Prunkvollste schuf, was vor dem Dre» Kriege' il Deutschland erwuchs, eine Wunderblume von

'^""etge^geL^^^^^^^^ ^st zu gedenken; vor allem des

großen Kardinals Albrecht von Brandenburg, der von Ha le bis nach Mamz die SacMvollsten Werke großer und kleiner Kunst erstehen ließ ; dessen etwas ge- walttätiges Leben überall vom Glänze der Kunst vergoldet ist. -

Vom Kaisertum war eine durchgreifende Förderung der Künste nicht zu e - warten Maximilian I. ist wohl der, der die Kunst der Früh-Renaissance mit Teil- nahme begLet hat; auch bei ihm aber beschränkte sich dies auf jene bekannten Holz"chni?twerke und auf sein prachtvolles Grabmal zu Innsbruck. In allen semen Unternehmungen spürt man freilich entschieden den Hauch der neueii Zeit.

Der Enkel des letzten Ritters, Karl V., hat leider für Deutschland nichts Rechtes übrig gehabt, was sich denn auch darin aussprach, daß er seine kunst- ferischen Wünsche fast ausschheßlich in Spanien zur Tat werden ließ. War er doch mehr Spanier als irgend etwas sonst, wenn er auch m den Niederlanden geboren war ' sein herrlicher Alhambrapalast zeigt deuthch, welcher Abgrund seine Anschauungen auf diesem Gebiete von denen des Nordens trennte.

Sefn kluger Sohn Ferdinand I. dagegen pflegte nicht nur die Kunst im nordischen Vaterlande, sondern hinterließ, hauptsächhch in Prag, eme Reihe her- vorragender Bau- und Kunstwerke; allerdings haftet auch ihnen wenig Nordische In smd sie vielmehr vorwiegend italienisch gefühlte und geformte Prachtwerke meist ausländischer Künstler. ^ ... . .

dL Kaiser Rudolf II. und Maximilian II. aber schufen m .hrer e.gent- lichen Residenzstadt Prag wirkliche neue von einer »f bildenden Künstlern bevölkerte Musenhbfe, die das zutreffende Spiegelbild des künrilerisehen Zustandes jener Tage darstellten. Und »f« besonders Niederlandern und Italienern, waren auch treffliche deutsche Ma e und Bildhauer am Kaiserhofe in größerer Zahl gewaltig tatig - ist schmerrch zu sehen, wie die Vorboten und der Einbruch des furchtbarsten aUerKriege eine wahrhaft berauschende Blüte im Bereiche des ganzen Vale - landes plMzlich knickte und welken ließ. Zahlreiche Hoffnungen sanken damals dXin aber, was geschaffen war, ist so überreich an Schönheit und von so echt deutscher Eigenart, daß wir auch darauf mit berechtigtem nationalen Stolze

schauen toten. Furstentume ist es also neben dem kernigen, hochgebildeten Bürgertume vorbehalten gewesen, die neue Kunst in bedeutungsvollen Werken zum Ausdruck zu bringen. Wie das im einzelnen geschehen, haben wir spater

Fürsten als Mäzene

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zu betrachten, aber nochmals ist hervorzuheben, daß im Gegensatz zu der durch den Hof und seine Einflüsse fast ausschließlich beherrschten Kunst in Frank- reich wir in Deutschland zwar nicht großartige Monumente finden, in denen sich die Macht eines einheithch geschlossenen Königtums verkörpert, daß uns dafür in emer fast unabsehbaren Reihe von Leistungen bescheideneren Maßstabes die ganze reiche Mannigfaltigkeit entgegentritt, die ein Vorzug unseres Volkstums ist.

Zweites Kapitel

Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

Wenn es irgendwo klar wird, wie das Mittelalter sich so vollständig überlebt hatte, so ist dies bei der Betrachtung der ersten rein künstlerischen Schöpfungen unserer neuen Epoche der Fall. In dem Kampfe des neuen Stiles mit den Formen der mittelalterlichen Kunst erkennen wir den Gegensatz zweier entgegengesetzter WeUanschauungen. Das Mittelalter hatte den^pfel seines Schaffens im gotischen Stil gefunden. Dieser war seiner ganzen Natur nach nur auf den Kirchenbau gerichtet, mußte deshalb einer Zeit, die ausschheßhch kirchlich gesinnt war, zum höchsten Ausdruck ihres Wollens und Könnens verhelfen. Wenn ein so 'tiefer Kenner und Freund des Mittelalters wie Schnaase i) vom gotischen Stil sagt, daß er gleich anfangs für weltliche Zwecke nicht wohl geeignet war, so dürfen wir das einfach unterschreiben. Wohl hat das Mittelalter auch seine Rathäuser und Gildehallen, seine Schlösser und Burgen, seine städtischen Wohngebäude charaktervoll in dieser Formenwelt ausgeprägt; aber eine allzu starke kirchhche Färbung verbindet sich damit, als daß sie den Eindruck welthch behaglichen Daseins gewähren könnten. Am wenigsten aber den einer humanistisch-klassischen Lebensauffassung, wie sie damals erstrebt wurde. ^^Schon^seit dem 14. Jahrhundert^ I wo das Bürgertum mächtig aufblüht, die Städte inlReTchtum und Bildung die Lebenslust sich überall kräftig regt, beginnt die innerliche Umformung des gotischen Stiles ais ein notwendiger Widerschein dieser Bewegung; seine efgent-" liehe Rolle war ausgespielt; eine andere Zeit mit neuen Gedanken verlangte neue Gestaltung. Wie diese zuerst in Italien durch das Studium der antiken Denk- mäler schon seit dem 14. Jahrhundert vorbereitet wurde, bis sie um 1420 zum Durchbruch kam, ist bekannt.

Während jene Neuwerdung sich im Süden vollzog, brach der Norden nicht minder entschieden, wenn auch in anderer Richtung, mit den Überlieferungen des Mittelalters. Hubert van Eyck gehört sicherhch zu den größten Pfadfindern der Kunstgeschichte; seine neue Art, die Natur streng zu studieren und die mensch- liche Gestalt mit ihrer landschaftlichen und architektonischen Umgebung lebens- voll hinzustellen, sie aus der schablonenhaften Form und vom Goldgrunde des Mittelalters zu befreien, ist ein ebenso kühner Bruch, wie die Taten eines Bru- nellesco, Ghiberti, Donatello es irgend waren. Ging doch das ganze Streben der Zeit dahin, aus dem traumhaften Idealismus und der dürren Scholastik des Mittelalters zur Wahrheit, zur lebensvollen Weltwirkhchkeit durchzudringen. Hier war es die Natur, dort in erster Linie die Antike, aus der die Kunst sich ver- jüngen sollte.

1) Zeitschrift für bild. Kunst IV. 304, in der Besprechung von Lübkes Gesch. der französ. Renaissance.

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1. Buch II. Kapitel Anfänge der Kenaissance bei Malern und Bildhauern

Wie diese Naturwahrheit im Norden sich mit reißender Schnelligkeit zu- nächst in der Malerei und Plastik verbreitete, aus Flandern bald über alle Ge- biete Deutschlands drang, so mußte die neue Kunst auch in scharfen Gegensatz zu der abgelebten gotischen Architektur treten. Diese war völlig m den Bann einer höchst handwerklichen Üliung gekommen und gefiel sich, von den Händen wackerer, aber etwas spießbürgerhcher Werkmeister gepflegt, in gesuchten, namentlich konstruktiven Bravourstücken, wie z. B. dem Turmhelm des Straß- burger Münsters, oder in Spielereien mit einförmig abgeleierten Maßwerkformen. Man mußte bald überall fühlen, daß dieser Stil hinter den Forderungen, welche „hy I die neue Zeit aufstellte, unrettbar zurückgeblieben war. Zwar Jnstete er noch l n I fast ein Jahrhundert sein Dasein, denn nichts klebt so zäh am Althergebrachten,

als das ergraute Handwerk. Wir können uns "daher nicht wundern, wenn wir bis ins 16. Jahrhundert den gotischen Stil in Deutschland herrschend finden, ja wenn er in manchen Einzelheiten sich sogar noch bis ins 17. Jahrhundert zu er- halten weiß. Aber ebenso begreiflich ist es auch, daß bei den zahlreichen Be- rührungen Deutschlands mit Italien, den Kriegszügen der Kaiser, den Handels- verbindungen, den wissenschaftlichen Beziehungen, die dort so glänzend entfaltete neue Baukunst bald auf Deutschland zu wirken begann. Es hätte sogar viel früher geschehen müssen, wenn die Bewegung in den künstlerischen Kreisen nicht an den politischen und rehgiösen Verhältnissen ein Hemmnis gefunden hätte. Denn daß die bildende Kunst seit van Eyck mit der Gotik auf gespanntem Fuße stand, läßt sich leicht aus den zahlreichen Gemälden der Zeit erkennen. Obwohl die Maler in ihrem architektonischen Beiwerk und ihren Hintergründen im all- gemeinen die gotischen Formen noch nicht ganz verschmähen, so scheint außer anderem der Spitzbogen ihnen unbequem zu sein, denn fast ohne Ausnahme ge- brauchen sie an seiner Stelle den Rundbogen. Daher ist es kein Wunder, daß wir die Renaissance in Deutschland schon seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts ' , bei Malern und Bildhauern, in Gemälden, Holzschnitten, Kupferstichen, m Grab-

, mälern und anderen plastischen Werken sich reich entfalten sehen, während die ' .'^''}.J- architektonischen Schöpfungen des neuen Stiles erst gegen die Mitte des Jahr- , hunderts ihren Anfang nehmen.

" Unter den Kunstwerken dieser Epoche ist vielleicht keins, das den Uber-

gang aus der alten in die neue Zeit so vielseitig veranschaulicht, wie die Chronik von Hartmann Schedel vom Jahre 1493. Sie ist nicht bloß eins der kostbarsten Druckwerke, bietet in ihrem Texte nicht nur die merkwürdigsten Aufschlüsse über die Anschauungen jener Zeit, sondern gewährt namentUch in dem unabseh- baren Reichtum ihrer von Michael Wolgemut und Wilhelm Pleydenwurff" ent- worfenen Holzschnitt-Illustrationen einen Maßstab für die damaligen Anforde- rungen an die zeichnende Kunst. Während die figürlichen Darstellungen sich m dem von der flandrischen Schule ausgegangenen ReaUsmus der Auffassung be- wegen hält sich das Ornamentale noch meist innerhalb der Grenze des gotischen I Stiles und nur gelegenthch, so gleich auf dem ersten Blatte mit der imposanten

r > Jr Darstellung des thronenden Salvators, in den mutwiUigen Kinderfigürchen, welche

1 das gotisch gezeichnete Laubwerk der Umrahmung anmutig durchbrechen, er- fn\ii>^ ' I kennen wir Einflüsse der Renaissance. Es sind echt italienische Putti.

' Am wichtigsten für uns sind aber die vielen Städtebilder, mit denen das

Werk geschmückt ist. Schon in dem Streben nach geographischer und topo- graphischer Darstellung, die sich hier mit der Geschichtserzählung verbmdet, spricht sich der wissenschafthche Trieb der Zeit unverkennbar aus; m der Auffassung und Ausführung dagegen Hegen noch Mittelalter und neue Zeit im Kampfe. Zunächst ist anzumerken, daß die gotischen Formen zwar oft ange- deutet, aber niemals streng durchgeführt, niemals mit dem Spitzbogen charakteri-

Hartmann Schedels Chronik

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siert sind. Dies trifft mit dem zusammen, was wir schon als hervortretende Eigen- tümlichkeit bei den Gemälden der flandrischen Schule erkannt haben. In der Tat ist mit großer Konsequenz an Portalen und Fenstern, an den Schallöffnungen der Türme und den Friesen und Gesimsen der Halbkreis aufgenommen, und selbst da, wo die großen mehrteiligen Fenster bestimmt auf den gotischen Stil weisen, ist der Rundbogen gewählt. Eine Sitte, die zur festgestellten Norm geworden ist und sich— SBt&st noch bis in die viel genaueren Darstellungen eines Merian. also bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts, verfolgen läßt. In der Vorliebe für den Rundbogen begegnet sich also der Norden mit der Renaissance des Südens. Um so auffallender daher, daß zweimal, und zwar in freier künstlerischer Er- findung, der Spitzbogen dennoch angewendet ist: das eine Mal auf Blatt 7 an der Pforte des Paradieses, diesmal mit allen Ausschweifungen der späten Gotik, das andere Mal bei der idealen Darstellung des Salomonischen Tempels auf Blatt 66 B. Daß in der Abbildung der Städte, mögen sie nun antik oder modern sein, mögen sie Deutschland oder Italien, Griechenland oder dem Orient ange- hören, die herkömmlichen Formen des Mittelalters zur Verwendung kommen, kann uns nicht wundernehmen, denn es geschieht in demselben naiven Sinne, der das ganze 15. Jahrhundert hindurch in Italien wie im Norden die Kunst be- herrscht und keinen Widersinn darin empfindet, antike Götter und Helden oder biblische Gestalten in die Kleider der eigenen Zeit zu stecken. Daneben aber macht sich durchgängig schon ein Einfluß der italienischen Renaissance geltend, vor allem in den überaus zahlreichen Zentral- und Kuppelbauten, sowie in den, kuppelartigen Abschlüssen der Türme.

In anderer Hinsicht aber tritt die mittelalterliche Anschauung mit ihrer Gleichgültigkeit gegen das Reale, ihrem Hange zu phantastischer Willkür ganz unvermittelt in behaglicher Breite hervor. Wenn Ninive, Damaskus, Babylon, Athen, Nizäa sich ganz wie deutsche Städte des Mittelalters darstellen, so wundern wir uns darüber nicht ; eher, wenn manche Holzstöcke sich haben gefallen lassen müssen, wiederholt abgedruckt und mit verschiedenen Städtenamen versehen zu werden, i) Nicht mehr Anspruch auf Wahrheit können die Darstellungen der ver- schiedenen Ordensklöster machen, denn das Kluniazenserkloster auf Bl. 173 ist genau dasselbe wie das der Vallumbroser auf Bl. 190, der Kreuzträger auf Bl. 207, der Prediger auf Bl. 209 und noch mehrerer anderer. Eine zweite Abbildung gilt gleichmäßig für die Benediktiner, die Augustiner, die Zisterzienser, die Tempel- herren, die Zölestiner, die Rhodeserritter und noch einige andere, eine dritte ist den Karthäusern, den Olivetanern und anderen zugeteilt.

Aber neben diesen wenig bedeutenden Bildern gibt es doch eine Anzahl von solchen, in denen das Streben der Zeit nach zuverlässigem Abbilde der Wirk- lichkeit sich ausspricht, und denen offenbar mehr oder minder genaue Auf- nahmen an Ort und Stelle zugrunde hegen. Dies sind meistens große Blätter, die den Raum von zwei gegenüberstehenden Seiten in Anspruch nehmen. Dahin gehören zunächst in Deutschland vor allen Nürnberg (Bl. 100), das mit seiner türmereichen Stadtmauer, seinen beiden Hauptkirchen und der stattlichen Burg einen prächtigen AnbHck gewährt; Erfurt (Bl. 155), dessen Dom mit der hohen Treppe und den drei Türmen sowie der gegenüberliegenden Severikirche man leicht erkennt; Würzburg (Bl. 160) mit seinem großartigen Schloß und dem vier- türmigen Dome samt den drei romanischen Apsiden; Bamberg (BL 175), welches

^) Dies naive Verfaliren läßt sich noch bis tief ins 16. Jahrhundert verfolgen. Stumpff s Schweizer Chronik (Zürich, 1548 in 3 Bdn. foL), eines der vorzüglichsten Holzschnittwerke der Zeit, verwendet für die Belagerung zu Florenz (I. Bd. 74) und von Neapel (I. Bl. 82) den- selben Holzstock, ebenso für Rom (I. 116), Damiette (I. 247), Tournai (I. 188). Dagegen erfreuen sich wenigstens die Städte der Schweiz einer charakteristischen, im ganzen richtigen Darstellung.

1. Buch II. Kapitel Anfänge der Eenaissance bei Malern und Bildhauern

nicht bloß durch den imposanten Dom und die Lage des Michaelklosters charak- terisiert wird, sondern bei dessen oberer Pfarrkirche auch der Chor mit seinem Umgang samt Strebebögen und Pfeilern ganz richtig wiedergegeben ist. Eben- so ist Köln (Bl. 91) an seinem Bayenturm und dem noch im Ausbau begriffenen Chor des Domes wohl zu erkennen; Straßburg (Bl. 140) ist vor allem an dem gewaltigen Münster, dessen Turm hoch in den Text der Seite hineingreift, zu erkennen; man sieht deuthch die prachtvolle Rose der Fassade, aber auch den Turm auf dem Querschiff mit seiner da noch vorhandenen Spitze. In Basel (Bl. 244) erkennt man besonders die Münsterterrasse, steil über deni Rhein auf- ragend; an dem nordwesthchen Turm wird eben noch gebaut; auf der Rhein- brücke macht sich die jetzt verschwundene kleine Kapelle bemerkHch. Auch Ulm (Bl. 191) mit dem unvollendeten Turmkoloß seines Münsters und mit reichem Gemäldeschmuck am Turme des Haupttores gegen die Donau ist wohl zu er- kennen; ebenso München mit dem hohen Dach und den helmlosen Türmen semer Frauenkirche sowie dem malerischen Isartor ; endlich Wien (Bl. 99), wo nicht bloß der Stephansturm, sondern auch St. Marien am Gestade mit dem originellen Turmbau genügende Anhaltspunkte geben. i)

Aber auch einige der großen italienischen Städte erfreuen sich einer im ganzen richtigen und charakteristischen Darstellung. So zunächst Venedig (Bl. 44), wo man nicht bloß die Piazzetta mit den beiden Säulen, den Dogenpalast mit seinen oberen und unteren Arkaden, die Markuskirche mit ihren hohen Kuppeln, sondern selbst die eigentümUch geschweiften Giebel des venezianischen Stiles, die offenen Loggien und die Balkone der Palastfassaden, ja sogar die auffallende Form der Kaminschlote mit Verständnis wiedergegeben sieht. Ebenso charakte- ristisch ist Florenz aufgefaßt: der Dom mit seiner gewaltigen, ganz vollendeten Kuppel, das Baptisterium und der Glockenturm, der mächtige Palazzo Vecchio mit der nicht zu verkennenden Gestalt seines Turmes, dann aber auch die An- nunziata mit ihrer hohen Ghorrotunde, ja sogar S. Maria Novella mit den großen Schnecken der Fassade ist wiedergegeben. Nicht minder interessant ist die große Darstellung von Rom (Bl. 58). An der rechten Seite bildet die Grenze die Porta del Popolo, darüber die großartige Form der Engelsburg, noch weiter oben am Horizont das Belvedere, noch nicht mit dem Vatikan verbunden; der päpstHche Palast selbst noch ganz in mittelalterhcher Form, daneben die alte Petersbasihka mit ihrer Vorhalle und mächtigen Fassade, weiter die Tiberinsel mit ihren Kirchen, dann die Säule Mark Aurels und dicht dabei die große Kuppel des Pantheons; den Abschluß zur Linken bildet ein Teil des Kolosseums, dahinter der Janus- und der Vestatempel; im Vordergrund sieht man noch auf Monte Gavallo eine naive Darstellung der Dioskuren mit ihren Rossen. Auch der be- gleitende Text hebt die wichtigsten Altertümer mit Verständnis heraus, schließt aber mit der Klage über die Verwüstung der Denkmäler durch die Römer, die in kurzer Frist das ganze edle Altertum zerstören müsse.

Man sieht, welche Städte und Denkmäler damals die Menschen am meisten beschäftigten, wie vieles andere ihnen dagegen gleichgültig war. Wohl stimmt es damit überein, daß wir auch von Jerusalem eine in den Hauptpunkten zu-

1) Wie hoch die Schedeische Chronik in allen diesen Punkten über der Masse der gleich- zeitigen Erscheinungen steht, erkennt man u. a. in der um ein Lustrum später yeröirentlichten Kölner Chronik von 1499. Dort ist nur Köln im wesentlichen richtig wiedergegeben; die übri- gen Städte sind in kindlicher Abbreviatur, ohne charakteristische Züge, ohne alle architektoni- schen oder gar landschaftlichen Ansprüche dargestellt. Auch ist überhaupt mit wenigen, überall wiederholten Holzstöcken die ganze Illustration, und zwar in ziemlich roher Ausführung be- stritten. Wie nachsichtig man selbst bei hochentwickelter Kunst gegen dies häufige Verwenden derselben Abbildung noch war, beweist die Chronika der Hungarn (Wien 1534) mit ihren oft wiederholten trefflichen Holzschnittbildern.

Hans Burgkmairs Gemälde

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treffende Darstellung- finden (Bl. 48), daß aber besonders Konstantinopel mit Vor- liebe behandelt ist. Auf Blatt 130 findet sich eine große Darstellung der Stadt, auf welcher die Sophienkirche mit ihrer Kuppel und mehreren in der Nähe er- richteten Säulen hervorragt. Dieses Bild ist dann um die Hälfte verkleinert auf Blatt 249 und 214 zweimal wiederholt. Endlich findet sich auf Blatt 257 eine Darstellung der alten Monumente, unter denen außer der Sophienkirche der Kuppel- bau von St. Johann dem Täufer, der kaiserliche Palast mit seinen Gärten, der Hippodrom mit seinen beiden Obelisken hervorragen.

Sahen wir in diesem bedeutenden Werk zwar einzelne Keime einer neuen Richtung, Spuren des Einflusses von Italien, aber noch vielfach gebunden und gehemmt durch mittelalterliche Anschauung, wie sie den aus der altern Schule hervorgegangenen Künstlern eigen war, so tritt nun mit dem Beginn des 16. Jahr- hunderts ein neues Geschlecht von Künstlern auf den Schauplatz, das seine Anregungen direkt aus ItaHen holt und der Renaissance den Eingang in die deutsche Kunst bahnt. ^) Der Augsburger Schule scheint hier der Zeit nach der Vorrang zu gebühren. Die zahlreichen Handelsverbindungen mit Oberitalien, namentlich Venedig, führten von selbst auf diesen Weg; die Lebenslust der üppigen Kaufmannsstadt begünstigte die Aufnahme der neuen heitern Formen- welt. Hans Burgkmair, geboren 1472, ist einer der ersten, welche die Kunst des Südens nach Deutschland verpflanzen. In der Regel wird von ihm gesagt, er habe seit seinem Aufenthalt in Venedig 1508 „seine Manier geändert". Allein seine Werke beweisen, daß er die Renaissance schon vorher gekannt hat, sei es, daß er schon einmal im Süden war, sei es, daß er aus itaHenischen Stichen und Gemälden gelernt hatte. Schon auf seinem mit 1501 bezeichneten Gemälde : Die Basilika von St. Peter") aus dem Kreuzgange des Katharinenklosters zu Augsburg tritt diese Beziehung klar zutage. Die Darstellung der Peterskirche zeigt uns eine Basilikenfront in klarsten Renaissanceformen von einem über- raschenden Ernste insbesondere des Mittelgiebels mit dreibogiger Halle auf Pilastern; auch das zarte weiße Marmorportal des Seitenschiffes ist höchst be- zeichnend. Hier muß eine Erinnerung an die Westseite des römischen Vorbildes und ihre Renaissance-Loggia unverkennbar vorliegen. Es ist wohl das früheste Auftreten einer Renaissancearchitektur in Deutschland, wenigstens ist mir kein früheres Denkmal bekannt. Noch entschiedener kommt die neue Kunstweise zum Ausdruck bei dem prächtigen Throne, den wir auf dem Mittelbilde einer aus demselben Kloster stammenden Altartafel in der Galerie zu Augsburg vom Jahre 1507 bemerken (Abb. 1). Die Einfassung ist noch gotisch, und auch auf den Flügelbildern sieht man gotische Bogenstellungen gemalt. Dagegen hat der Künstler den Thron, der Christus und Maria trägt, mit einer Rücklehne von geöffneten, auf kleinen korinthischen Pfeilern ruhenden und von größeren korin- thischen Pilastern eingefaßten Arkaden ausgestattet. Auf den Kapitälen der Pi- laster knien Engel, ausgespannte Teppiche haltend ; den Abschluß der Balustrade bilden Delphine, die in freiem Rankenwerk enden. Von geradezu venezianischem Liebreiz, auch in der Farbe, sind die musizierenden Engel, die ganz offenbar auf G. Bellinis immer wiederkehrende Engelorchester zurückgehen, wie denn auch der Charakter der Renaissancerückwand auf Venedig weist.

Auffallend ist schon an diesem Bilde, wie weit die Renaissanceformen an ornamentaler Fülle und Pracht den dekorativen Elementen einer vertrockneten Gotik überlegen erscheinen. Dennoch wendet der Künstler beide Stile neben-

1) Eeiche Anschauungen für das Folgende bietet G. Hirth in seiner „Renaissance" (2 Bde. München 1877 f.) und seinem „Pormenschatz" (ebenda, seit 1879 erscheinend).

2) B. Riehl, Augsburg. Leipzig 1903. Abb. 66 und 68.

40 1- Buch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

einander an, und gleiches bleibt fortan für längere Zeit das Verfahren aller deutschen Meister. Sie stehen damit im geraden Gegensatze zu ihren italienischen Zeit- genossen. Schon die Spätgotik hatte diese Richtung begünstigt, denn seit das strenge bauliche System des Mittelalters sich gelockert hatte, war selbst mit den eigentlichen Grundelementen der Konstruktion, namentlich mit den Gewölbe- rippen, ein willkürhches ornamentales Spiel getrieben worden. Diese Richtung mußte sich noch steigern, sobald man die Formen einer fremden Architektur kennen lernte. In ItaUen hatten die Meister der Renaissance die letzten An- klänge an das Mittelalter bald überwunden und waren zu einem Stil durch- gedrungen, dessen ungemischte Schönheit ein klassischer Ausdruck des hohen künstlerischen, damals die Nation erfüUenden Sinnes ist. Ganz anders in Deutschland. Die wilde Gärung, durch die sich bis tief ins 16. Jahrhundert das Streben der neuen Zeit gegen die Überheferungen des Mittelalters durchzu- kämpfen hatte, ließen ein so reines, so allgemeines Schönheitsgefühl nicht auf- kommen. Alle nordischen Schöpfungen der Zeit tragen mehr oder minder das zwiespältige Wesen ihrer Zeit an der Stirn. Stilreinheit, höchste Läuterung der Form dürfen wir daher hier nirgends erwarten; wohl aber wieder eine Kraft und Lebensfülle, die, unbekümmert um all diese Gegensätze, das schein- bar Widerstrebende mit frischem Sinne aufgreift und mit jugendhcher Gestal- tungslust in charaktervollen Schöpfungen ausprägt. In diesem Sinne verfuhren alle unsere alten Künstler, und in diesem Sinne müssen ihre Arbeiten gewürdigt werden.

Um zunächst noch einen Augenblick bei Burgkmair stehen zu bleiben, so besitzt das Germanische Museum zu Nürnberg seit kurzem ein sehr bedeutendes Bild vom Jahre 1509, auf dem er die Madonna mit dem Kind, in einer präch- tigen Nische thronend, umgeben von üppig blühendem Rosengebüsch, in einer südlichen Landschaft dargestellt hat. Hier ist der letzte Rest gotischer ÜberHefe- rung von der glänzendsten Renaissance aufgezehrt. Auch in dem tiefen Farben- ton und der vornehmen Anmut der Madonna erkennt man den Einfluß der Vene- zianer, namentlich eines Giambellini und Gima, und nur das übel gezeichnete häßliche Ghristuskind erinnert an so manche gleichzeitige nordische Gebilde. Viel- leicht noch deutlicher offenbart sich dieses Streben nach dem Süden in Burgk- mairs herrlichem Johannes auf Patmos (München), wo der Apostel im üppigsten Palmenwalde, in wunderbar in Abendschatten getauchter südlicher Landschaft durch die himmhsche Erscheinung Maria über den Wolken überrascht wird. Es ist da des trefflichen Schongauerschen Kupferstichs nicht zu vergessen, auf dem dieser sonst so nordische Künstler seine heihge Famihe auf der Flucht ebenfalls durch einen prächtigen Palmenwald führt. Auch Hans Baidung hat dies später mit gleicher Pracht gemalt.

Zu entschiedenster Renaissancearchitektur bekennt sich Burgkmair auf der Außenseite des Kreuzigungsaltars von 1519. Da treten Kaiser Heinrich II. und St. Georg in einer völlig durchgebildeten Kuppelhalle mit Oberlicht, deren Einzel- heiten bereits auf Bramantesche Bauwerke in Mailand weisen, dem Beschauer auf das würdigste entgegen.^)

Weiterhin bieten Burgkmairs zahlreiche Zeichnungen für den Holzschnitt Beispiele genug dafür, wie frei er mit den architektonischen Formen umspringt, so weit in der Regel diese flüchtig hingeworfenen Kompositionen auch hinter dem architektonischen Ernst der eben erwähnten Gemälde zurückbleiben. Zahl- reiche Belege finden wir in der großen Reihenfolge der österreichischen Heiligen. Deutlich tritt uns darin die Vorliebe der Zeit für architektonische Einrahmungen

1) B. Riehl, Augsburg. Abb. 70.

Hans Burg'kmairs Holzschnitte

41

I

und Hintergründe, für gerätliche und kostümliche Beiwerke entgegen. Man liebte es, in solchen Dingen reiches Wissen, flüssige Erfindungsgabe darzulegen. Die Szenen werden meist in offene oder geschlossene Hallen verlegt, oder die Landschaft wird mit prächtigen Gebäuden geschmückt ; an reichen Thronsesseln, an Geräten und Gefäßen aller Art ist kein Mangel. In Burgkmairs oben er- wähnten Blättern sind die Renaissanceformen meistens nur von ungefähr, aufs

1. Buch II. Kapitel Anfänge der Eenaissance bei Malern und Bildhauern

Geratewohl angegeben. Man vergleiche z. B. die dorisierenden Säulen auf BL 3 (der hl. Adalbert), die ähnhch behandelten, aber ebenfalls etwas zweifelhaften auf Bl. 10 (hl. Ansbert) oder auf Bl. 12 (St. Ediltruda). Nicht minder willkürlich wird man sie auf Bl. 37, 89, 49, 67, 71 finden. Oder man betrachte die korinthi- sierenden Säulen mit der hl. Amalberga : die Füße geschweift mit doppelter Gur- tung, der Torus beinahe gotisch oder vielmehr spätromanisch mit doppelter Aus- kehlung, das Kapitell mit einem gezackten Blatt auf jeder Ecke, dazwischen eine Maske. Neben dem Gotischen kommt unserm Meister auch das Romanische noch oft in den Weg. Auf Bl. 25 (S. Dentalin) sieht man eine Säulengalerie mit Würfelkapitellen. Die Säulenschäfte bildet man am liebsten mit starker Aus- bauchung, bekleidet mit Laubwerk, fast pflanzenartig. So auf dem ebenerwähnten Blatt und auf Bl. 16 (S. Bonifaz), wie auf vielen anderen. Diese willkürlichen Architekturgebilde werden dann ohne Scheu unmittelbar mit gotisch profiherten Bögen und Gewölben verbunden; so auf Bl. 13 (S. Bathilde) oder auf Bl. 86 und manchen andern. Wie das Laubwerk oft zwischen dem krausen spätgotischen Blatt und dem Akanthus der Renaissance schwankt, sieht man z. B. auf Bl. 15 und 96 ; daß der Meister indes die neue Formenwelt, wo es ihm darauf ankommt, mit ihrem ganzen Reichtum wohl zur Geltung zu bringen weiß, erkennt man an dem Wandfries mit Masken und Rankenwerk auf Bl. 109 (S. Ulrich) und mehr noch an der hübschen Chornische auf Bl. III (S. Wenzeslaus). Ähnhche Studien lassen sich im Weiskunig und den übrigen Arbeiten Burgkmairs machen. Auch die zahlreichen Blätter Burgkmairs im Triumphzuge des Kaisers Max atmen überall den Geist der Renaissance. Aus dem Weiskunig bringen wir im folgenden Kapitel die Abbildung eines reich ausgestatteten Gemaches, während Abb. 2 nach einem Holzschnitt vom Jahre 1508 den Kaiser Max zu Pferde in voller Rüstung vorführt. Die prächtige korinthische Pfeilerhalle mit Verkröpfungen in dem klassisch durchgebildeten Gebälk, der gleich den Pfeilerschäften mit eleganten Ornamenten geschmückt ist, zeigt, wie sehr der Künstler sich schon damals die Formenwelt der Renaissance zu eigen gemacht hatte, und wie es ihm Be- dürfnis war, bei jeder Gelegenheit Zeugnis davon zu geben. Zum Treff hchsten gehört das meisterhafte Holzschnittblatt vom Jahre 1510 (Bartsch VII, 40), auf dem der Tod wie ein Bandit aus dem Hinterhalte einen jungen Ritter nieder- wirft, während das schöne Weib, das den Unseligen verlockt hat, schreiend sich zur Flucht wendet. Es ist eine ganz aus venezianischen Anschauungen hervor- gewachsene Komposition : das enge Gäßchen, von hohen Palästen mit prächtigem Renaissanceportal eingeschlossen, hinten ein Kanal mit einer still vorbeigleitenden Gondel ; selbst die Form des Kamins auf dem nächsten Dache erinnert an Venedig. Von höchstem Reiz in der Behandlung einer echten feinen Renaissancearchitektur mit herrlichem Säulendurchbhck ist das Blatt Madonna mit dem Kinde (Bl. 12), das, obwohl offenbar noch der früheren Zeit Burgkmairs zugehörig, die volle Meisterschaft in Handhabung völhg reiner Renaissanceformen erweist.^)

Unter den Augsburger Künstlern, welche die neue Formenwelt wahrschein- lich durch Burgkmair kennen lernten, stehen die Mitglieder der Familie Holbein obenan. Der alte Hans Holbein hat in seinen Bildern noch vielfach der Gotik gehuldigt. So besonders auf dem Bilde von Sta. Maria Maggiore vom Jahre 1499, einem seiner Hauptwerke.^) Aber schon an den vielbesprochenen Altartafeln ^) der Augsburger Galerie, die man jetzt dem Vater Holbein zurückgeben muß, nach-

1) C. V. Lützow, Geschichte des deutschen Kupferstichs und Holzschnitts, Berlin 1851, p. 134, 55.

2) B. Riehl, a. a. 0. Abb. 61.

3) E. Heidrich, Die altdeutsche Malerei, Jena 1909, Abb. 182, 183.

Hans Holbein der Ältere

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dem eine gefälschte Inschrift sie längere Zeit dem Sohne zugeeignet hatte, sieht man in der Einfassung goldene Renaissanceranken mit geflügelten Genien, die in Blumenhörner blasen. Noch freiere und edlere Ausbildung hat die Renaissance

44 1- Buch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

auf dem herrlichen Sebastiansaltar der Münchener Pinakothek^) gewonnen; vielleicht ist er als gemeinsames Werk des älteren Hans Holbein und seines Bruders Sigmund zu betrachten.

Ob das herrliche Gemälde: Der Brunnen des Lebens, im Besitze des Königs von Portugal, bezeichnet: Joannes Holbein fecit 1519 (Abb. 3), dem älteren oder

dem jüngeren Hol- bein angehört, was immer noch nicht entschieden ist, bleibt für uns hier unerheblich, da das ganze Gemälde nebst seiner pracht- vollen, einzig da- stehenden Hinter- grundarchitektur noch ziemlich auf dem Standpunkte des ersteren und der gleichzeitigen Augsburger Kunst, insbesondere Flett- ners und Dauhers, steht. ^) Jedenfalls schwelgt der Künst- ler dieses Bildes in einer wunder- baren Welt von Formen, Farben und Architektur der jugendfrische- sten Renaissance.

Der erste Mei- ster, der von An- fang an vollstän- dig mit dem Mit- telalter bricht und sich vöUig dem neuen Stile zuwen- det, ist Hans Hol- hein der Jüngere. In seinen Werken begegnen wir kaum

irgendwo mehr den Formen der Gotik, mit Ausnahme etwa bei Gewölben; dagegen bringt er mit VorUebe Architekturdetails und Ornamente der Renais- sance an. Aber das bleibt bei ihm nicht, wie bei den meisten seiner Zeit- genossen und Landsleute, ein bloßes Spiel, er versenkt sich vielmehr tief in das Wesen der neuen Kunstweise, so daß sein ganzes Schaffen von ihr erfüllt

Abb. 3 Der Brunnen des Lebens von Hans Holbein d. Ä. (Nach Glaser, Holbein d. Ä.)

1) Marggraffs Katalog der Pinakothek. Säle Nr. 16—18. Heidrich, a. a. 0. Abb. 185, 186.

2) Artur Seemann, Der Brunnen des Lebens von H. Holbein. In Ztschr. für bild. Kunst, N. F. XIV, Heft 8.

46 1- Buch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

und durchdrungen erscheint. Da diese Stellung des großen Meisters heute völlig anerkannt ist, bedarf es nur noch kurzer Andeutung, i) Zunächst ist Holbein einer der ersten, welche den neuen Stil in monumentalen Werken zur Anwendung gebracht haben. Seine Fassadenmalereien, soweit sie uns aus Entwürfen und Nachbildungen bekannt sind, bezeugen, mit welch genialer Freiheit er diese Gattung von Darstellungen ausgebildet hat. Das ganze 16. Jahrhundert bleibt in den alemannischen Gebieten am Oberrhein, in der Schweiz wie im oberen Elsaß hierin von ihm abhängig. Wir glauben ihm für dort die erste Anwendung und Feststellung dieser Art von Wanddekoration zu- schreiben zu dürfen. Wenigstens ist uns keine ältere derartige Arbeit bekannt, als die Bemalung des Hertensteinhauses zu Luzern, die Holbein 1517 18 aus- führte. Das Haus zum weißen Adler in Stein a. Rhein, dem Charakter und Stil nach die älteste, wird nicht vor 1520 gesetzt. Die Holbeinsche Fassaden- malerei weicht in wesentlichen Punkten von dem ab, was Italien auf diesem Felde geleistet hat; die dort empfangenen Eindrücke werden in freier Weise, nach den ganz besonderen Bedingungen der Aufgabe, und auch im nordischen Charakter umgestaltet. In Oberdeutschland war die Mehrzahl der bürgerlichen Wohnhäuser (wie noch jetzt gewöhnlich), ohne höhere architektonische Ansprüche, häufig sogar in Fachwerk, zumeist aber in Putzbau ausgeführt. Höchstens für das Rahmenwerk der Fenster und Türen wandte man Haustein an. Auch in der Einteilung zeigen diese Fassaden alle Zwanglosigkeit der damaligen Bau- weise, indem sie ohne Rücksicht auf Symmetrie die Öffnungen ganz unregel- mäßig nach Willkür und Bequemlichkeit in malerischer Art verteilen. Aber die Form- und Farbenlust der Zeit begnügte sich nicht immer damit: sie suchte nach einem Ausweg, und sie fand ihn in der Malerei. Dem Maler wurde die Aufgabe zuteil, die Fassaden mit heiteren und ernsten Geschichten, meist aus dem klassischen Altertume, zu schmücken, und durch eine darübergespannte freie Architektur die Unregelmäßigkeit der Anlage zu verdecken. Zur Ausführung solcher Arbeiten gehörte also außer dem, was man sonst vom Maler zu ver- langen pflegt, ein entwickelter architektonischer Sinn, Verständnis der Bauformen, Geschick in ihrer Verwendung und Verbindung. Hier kam den damaligen Künst- lern ihre Vielseitigkeit zustatten, ja bei den vorzüglichsten, vor allen bei einem Meister wie Holbein, kann man von Universalität sprechen. Was den heutigen Malern bei zunehmender Einseitigkeit der Ausbildung fast' völlig fehlt, das be- sitzt dieser in vollstem Maße. Zunächst nimmt er, wie beim Hertenstein- schen Hause in Luzern^), die Fassade als eine Teppichfläche, die er in schick- licher Gliederung mit den Schöpfungen seiner Phantasie bekleidet; im Haupt- bilde aber sorgt er für einen architektonischen Hintergrund, der, als prächtige Kuppelhalle mit Nische auf Säulen sich öffnend, dem Ganzen zum bedeutsamen Mittelpunkte dient. Am freiesten entwickelt sich der Stil des Meisters und am groß- artigsten seine architektonische Auffassung am ehemaligen Haus zum Tanz in Basel ''), zu dem uns der Entwurf in einzelnen Stücken im Museum daselbst und im Kupferstichkabinett zu Berlin (Abb. 4 ist eine Rekonstruktion) erhalten ist. Wir geben zwei Beispiele, um das Verfahren des Künstlers zu veranschau- lichen. Will man seine geniale Erfindung voll würdigen, so muß man sich ver- gegenwärtigen, daß er in beiden Fällen nichts vorfand, als die wenigen ganz unregelmäßigen Fensteröffnungen, die weder richtig neben- noch übereinander an-

1) Janitschek, Gesch. der deutschen Malerei, Berlin 1890, p. 442. Vor allem : Schneeli, Renaissance in der Schweiz, München 1876, p. 100 112.

2) Woltmann, Holbein und seine Zeit. I, 217 ff. (II. Aufl. I, 138 ff.) Schneeli, a. a. 0., Taf. XV.

3) Ebenda, I, 289 ff. (II. Aufl. I, 149 ff.)

Holbeins Fassadenmalerei

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gebracht sind. Über diese wirft er nun ganz frei ein architektonisches Gerüst, in prachtvollem Aufbau uns einen Phantasiepalast vor Augen zaubernd mit liehen Wölbungen und Arkaden, mit perspektivisch vorspringenden Säulen- und Pfeilerstellungen, mit reichlichem Schmuck von Statuen und anderem Bild- werk, mit frei komponierten Bekrönungen und ornamentalen Friesen (Abb. 5). Auch jene durchbrochenen Galerien auf Konsolen kommen vor, mit Figuren aus dem Leben bevölkert, die den täuschenden Ein- druck der Wirk- Uchkeit erhöhen. Man muß gestehen, daß hier gleichsam aus dem Nichts, mit den bescheide- nen Mitteln dekora- tiver Malerei ein Ganzes von fest- lichster Pracht hin- gezaubert ist. Die Baseler Sammlung besitzt noch eine Anzahl ähnlicher Entwürfe, in denen gleiche Mannigfal- tigkeit und Leich- tigkeit der Erfin- dung unerschöpf- lich zur Erschei- nung kommt. ^) Und

doch waren dies nur untergeordnete Arbeiten, nicht gerade hochstehend in der Schätzung der Zeitgenossen, so daß der Rat von Basel in seiner Be- stallung vom 16. Oktober 1538 eingesteht, des Meisters Kunst und Arbeit sei weit mehr wert, als daß sie „an alte Mauern und Häuser vergeudet werden solle". Wenn in demselben Schreiben seine Kenntnis der Bauangelegenheiten gerühmt wird, so zeigt eine weitere Umschau über seine Werke, wie gerecht- fertigt dies Lob war.

Vor allem sind hier die zahlreichen Entwürfe zu Glasgemälden zu er- wähnen; von ihnen besitzt namentlich das Baseler Museum eine ganze Reihen- folge. Zu den schönsten gehören die berühmten Blätter der Passion ^) (Abb. 6). Holbein gibt jeder Szene einen architektonischen Rahmen in freiester Verwen- dung aller Arten von meisterlich gehandhabten Renaissanceformen. Kräftige Pfeiler wechseln mit Säulen, bei denen die ausgebauchte Form des Schaftes vor- herrscht. Pflanzenornament, lustiges Rankenwerk, Masken und Medaillons, spie- lende Kinder mit Frucht- und Blumenschnüren sind reichhch verwendet. Die Formen sind durchweg derb, sogar übertrieben; aber mit Recht hat Woltmann darauf hingewiesen, daß gerade darin die notwendige Rücksichtnahme auf die

Abb. 5 Fassadenzeiehnung von Hans Holbein d. J.

1) Die Fassade des Hauses zum Greifenstein (Schneeli, Taf. XX), die Woltmann (I, 288) ebenfalls Holbein zuschreibt, verrät entschieden die Hand eines geringeren Zeitgenossen; nicht minder die im Louvre aufbevs^ahrte prächtige eines höchst begabten, doch jüngeren Malers (Schneeli, Taf. XXI).

2) In Hirths Fornienschatz I, Nr. 141, 176, 188, 248.

48 1- Blich II. Kapitel Anfänge der Eenaissance bei Malern und Bildhauern

Abb. 6 Entwurf für ein Glasgemälde von Hans Holbein d. J.

Bedürfnisse der Glasmalerei zu erkennen ist. Denn diese verlangt kräftige Umrisse und reichen Wechsel in der Gruppe, damit eine wirkungsvolle Zusammenstellung kontrastierender Farben ermöglicht werde. Deshalb sind auch Athleten und Karya- tiden, Friese mit figürlichen Darstellungen, kurz alle dekorativen Elemente des

Holbeins Renaissanceformen

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neuen Stils zu Hilfe genommen. Aus diesen Anfängen gelangte die Schweizer Glas- malerei im weiteren Verlaufe des 16. Jahrhunderts zu jener Pracht, von der noch jetzt so viele köstliche Werke in Ratssälen, Zunftstuben und Schützenhäusern wie Museen Zeugnis ablegen, i) Eine der frühesten dieser Reihenfolgen ist die im Groß- ratssaal zu Basel von 1519 und 1520, zum Teil nach Zeichnungen von Holhein, Urs Graf und Ni- klas Manuel aus- geführt. Letztere beiden Meister ge- hören zu denen, die neben Holbein die Renaissance zu- erst dort einbürger- ten. Ein Beispiel Holbeinscher Kom- position zu Glas- gemälden, jetzt im

Kupferstichkabi- nett zu Berlin befindlich, geben wir nach der Origi- nalzeichnung (Abb. 7). An den schlan- ken, den Pfeilern vorgesetzten Dop- pelsäulen erkennt man, wie willkür- lich sogar Holbein damals noch die neuen Formen be- handelte, und wie manche mittelal- terliche, selbst ro- manische Anklänge dabei einfließen. Zeigt sich der Mei- ster überall von dem Bestreben er- füllt, die Formen

des neuen Stiles, wo es irgend möglich war, anzubringen, so sieht man doch in der Frühzeit häufig, sogar auf den Bildnissen Jakob Meyers und seiner Gattin vom Jahre 1516^), Säulen von wunderlicher Form, in denen die Renaissance noch recht unsicher auftritt. Auch das Laubwerk am Architrav, die Wölbung mit ihren Rosetten, mit einem Wort, das ganze architektonische Gerüst zeugt dort von ge- ringem Verständnis. Es ist das am wenigsten Entwickelte in dieser Hinsicht, was wir von Holbein besitzen. Aus der Gestalt seiner Architekturformen, die in den Entwürfen zu Glasgemälden, namentlich in den Passionsbildern, so viel freier und

Abb. 7 Entwurf zu einem Glasgemälde von Hans Holbein d. J.

1) Vgl. die Abhandlung über die Schweizer Glasgemälde in Lübkes Kunsthistorischen Studien. Stuttgart 1866. Die Schweizer Glasmalereien der Renaissance sind heute zu einem der allergeschätztesten Gegenstände der Kunstliebhaberei geworden, ja werden von vielen Seiten geradezu als der Höhepunkt der Glasmalerei überhaupt betrachtet.

2) Abb. bei Weltmann, I, S. 232. (II. Aufl. I, 130 if.)

L üb ke- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 4

50 1- Buch II. Kapitel Anfänge der Kenaissance bei Malern und Bildhauern

sicherer gehandhabt sind, läßt sich aber vermuten, daß er seitdem in Ober- italien gewesen sein wird. Zwar wissen wir zu wenig über die Art, wie die damaligen deutschen Meister studierten; manches werden sie aus italienischen

Abb. 8 Entwurf zu einem Kamin von Hans Holbein d. J.

Kunstwerken, die den Weg über die Alpen fanden, insbesondere aus Kupfer- stichen sich angeeignet haben; am Hertensteinschen Hause hat Holbein Man- tegnas Triumphzug des Cäsar verwertet; dennoch muß man aus einer solchen Vertrautheit mit den Formen der Renaissance, wie Holbein sie bald an den Tag

Holbeins Entwürfe für das Kunstgewerbe

51

legt, auf eine Anwesenheit in Italien schließen, wenn auch die Übertragung der südlichen Formen auch durch lehrende Genossen, durch Studienblätter anderer befördert worden sein wird. Gleichwohl bleibt in der Mehrzahl der Werke aus Holbeins früherer Baseler Epoche das Gesamtverhältnis ein gedrücktes, und es gibt sich darin der Einfluß nordischer Gewohnheiten, die Sitte niedriger Wohn- räume, wie sie Deutschland und der Schweiz eigen war, kund. Auch die Kom- position der Darmstädter Madonna ist nicht frei von ähnlichen Mängeln. Daß der Meister übrigens in seinen Altarbildern mit weiser Mäßigung in Anwendung von architektonischem Beiwerk verfährt, beweist eben jene Madonna des Bürger- meisters Meyer und noch mehr das Solo- thurner Bild.

Wie aber Holbein sich im Laufe der Zeit im Verständnis der Architekturformen entwickelte, erkennt man an den späteren Arbeiten. Der Erasmus im Gehäus, der den Titel zur Gesamtausgabe der Werke dieses Gelehrten bildet und sicher vor 1540 ent- standen ist, zeigt nicht bloß schlanke Ver- hältnisse, eleganten Aufbau des Ganzen, son- dern im einzelnen sogar schon Formen des beginnenden Kartuschenstils. Reiner und edler als dieses Werk, ja wohl ohne Frage eine der vollendetsten architektonischen Schöp- fungen der gesamten deutschen Renaissance, ist der Entwurf zu einem Kamin, wahrschein- lich für ein Schloß Heinrichs VIII. bestimmt, im British Museum.^) In Form eines Triumphbogens angelegt, in vollendet schö- nen Verhältnissen durchgeführt, mit köstlichen Ornamenten und Bildwerken geschmückt, ver- bindet dies Prachtwerk die heitere Dekora- tionslust der Frühjenaissance mit der reifen Schönheit des entwickelten Stils, ohne eine Beimischung barocker und manierierter Ele- ^bb. 9 Becher von Hans Hoibcin d. j. mente, wie sie die Architektur auf dem vor- her besprochenen Blatte doch schon zeigt.

Hier ist ungefähr dieselbe Höhe erreicht, welche ein Andrea Sansovino ein- nimmt (Abb. 8).

Noch viel fruchtbarer ist die Tätigkeit, die Holbein den verschiedenen Zweigen des Kunstgewerbes gewidmet hat. Wie er zur Förderung der Glasmalerei beigetragen, sahen wir bereits. Nicht minder einflußreich war schon in seiner ersten Baseler Zeit sein Wirken für den Holzschnitt. In zahlreichen Büchertiteln, in Randverzierungen, in Signeten für die* Buchdrucker (Abb. 14), wie in eigentlichen Buchillustrationen, überall quillt ein reicher Strom von Zier- architektur und Ornamentik in den Formen der Renaissance. Holbein hand- habt das Ornament in demselben Sinne, wie alle großen Meister jener Zeit: es soll nur schmücken, nicht nebenbei noch etwas bedeuten. Und das ist das einzig Richtige. Läuft auch Willkür in Auswahl und Zusammenstellung der Motive mit unter, so dürfen wir nicht vergessen, daß das Ornament nur ein heiteres Spiel sein will. Zwingt man ihm allerlei tiefere Beziehungen, symbo-

1) Photogr., herausgeg. vom South Kensington Miiseum.

52 1- Buch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

lische Bedeutung auf, so raubt man ihm die künstlerische Freiheit und be- schwert es mit einem Ballast, der für seine zarten Glieder zu lastend wird. Nur das tektonisch Widersinnige ist hier falsch; im übrigen ist völlige Frei- heit am Platze.

Zu den schönsten Arbeiten Holbeins gehören die Entwürfe für Gefäße aller Art, von einfachen Kannen und Bechern bis zu reichen Pokalen und ganzen Tafelaufsätzen. Das Baseler Museum besitzt einen Schatz solcher Zeich- nungen, von denen wir zwei Beispiele geben. In dem einfachen Becher (Abb. 9) erkennt man die sichere Hand des Meisters, der aus dem Notwendigen das Schöne mit Freiheit zu entwickeln weiß ; der schlanke Aufbau, der feine und doch mar- kige Umriß, die wirksame Gliederung und das passend angebrachte Ornament

stempeln dies Werk zu einem mustergültigen. Wie lebendig wirkt im Gegensatz dazu der prächtige Pokal (Abb. 10), dessen Umriß mit figürlichen Ornamenten reicher belebt und seiner Bestimmung gemäß ausgebildet ist! Zum Schönsten dieser Art gehören einige von Wenzel Hollar gestochene Blätter; an Reichtum aber übertrifft alle andern der Ent- wurf für den Festbecher der Jane Seymour in der Bodleianischen Bibliothek zu Oxford (Abb. 11) 1). Hier ist der größte Reichtum der Formenwelt einer durchgebildeten Re- naissance mit vollendeter Schönheit des Auf- baues und der Gliederung verbunden, diesem Werke das Gepräge klassischer Vollendung verleihend. In drei Abteilungen strebt der Fuß, mit Laubgewinden, Festons, Engelköpfen und Masken, umspielt von Delphinen, ,.in lebendiger Triebkraft empor, welche in dem stark betonten Überfall mit dem Rankenwerk und den niederhangenden Perlen anmutig ausatmet, den Druck von oben und die elastische Tätigkeit verkörpernd". Kräftig setzt dagegen der Bauch des Gefäßes an, mit Bossierungen und teils plastischem Orna- ment, teils flachem oder farbigem Schmuck geziert, durch Medaillons mit römischen Im- belebt. Edelsteine und die mit dem Liebes- des Königs und seiner Gemahlin, H und J,

Abb. 10 Pokal von Hans Holbein d. J.

peratoren, Kriegern und Frauen knoten umschlungenen Initialen schmücken den unteren und oberen Saum ; an dessen oberem Abschluß best man die Devise der Jane Sej^mour „bound to obey and to serve" (zu Dienst und Gehorsam verbunden). Den Deckel endlich schmücken köstliche, auf ihren Trom- peten von Blumenstengeln blasende Meerjungfern; die Krönung bildet ein über- mütiges Paar von Eroten, die das Wappen mit der Königskrone halten. Hier sieht man zugleich, wie der Künstler durch Anwendung von Gold, Perlen, edlen Steinen und Schmelz jene farbige Wirkung erstrebte, in welcher die damalige Goldschmiedekunst mit Recht einen Vorzug ihrer Werke suchte. Auch die präch- tige Uhr im British Museum gehört in diese Reihe. ^)

1) In Photographien herausgegeben vom South Kensington Museum.

2) Woltmann II, 311. (II. Aufl. I, 443.) Hirths Tormenschatz I, Nr. 149.

Holbeins Entwürfe für das Kunstgewerbe

53

Nicht minder geistreich sind die Entwürfe für Waffen, namentUch für Dolch- scheiden, an denen die Phantasie des Meisters sich in mancherlei figürhchen Kom- positionen zu ergehen hebte. Wir geben nach Woltmann eine dieser Scheiden aus der Bibliothek zu Bernburg (Abb. 12). In drei Stockwerken einer zier- lichen Renaissance sieht man zuerst die Venus, mit Eselsohren nach Art der Narren bekleidet, eine Fackel emporhaltend, wäh- rend zu ihren Füßen der kleine Amor mit der Binde vor den Augen sitzt und seine Pfeile versendet. Darüber in ofifener Halle mit einem Springbrunnen Thisbe, sich am Leichnam ihres Pyramus erstechend, und end- lich in der obersten Abteilung das Urteil des Paris. Bemerkenswert ist, wie der Künstler mit richtigem Gefühl den architektonischen Aufbau nach oben zwar breiter, aber immer leichter und luftiger sich entfalten läßt. Eine andere Dolchscheide besitzt das Schinkel- museum zu Berlin, mit der sinnreichen Darstellung eines Totentanzes, wobei die Komposition der Länge nach, bloß durch ein Querband geteilt, angeordnet ist.*) Über mehrere andere Entwürfe zu Dolchscheiden und Griffen gibt Woltmann Auskunft.^) Wir teilen unter Abb. 13 noch einen dieser köst- lichsten von Holbein auf den Holzstock ge- zeichneten Entwürfe mit. In der oberen Ab- teilung sieht man die kühn bewegte Kom- position einer Venus mit der Fackel, daneben den übermütigen Amor, der eben einen Pfeil abzuschießen im Begriff steht. Gefesselte Kinder in anmutigen Gruppen füllen die an- deren Teile, ein geflügelter Engelkopf bildet den unteren Abschluß. Aber weit über diese Gebiete hinaus erstreckt Holbein seine Tätig- keit für das Kunstgewerbe, und überall be- gegnen wir derselben geistreichen Erfindung, derselben künstlerischen Anwendung der Re- naissanceforraen. So sieht man in einem Skizzenbuch des British Museum und in einem andern der Baseler Sammlung

köstliche Entwürfe zu kleinen Schmuckgegenständen, zu Medaillen, Spangen und Agraffen, selbst zu Schnüren, Knöpfen, Quasten, Bordüren und Stickereien, ferner für Büchereinbände, Handspiegel, Kamm und Pinsel, für Ohrgehänge, Halsketten, Armbänder und Gürtel.^) Es ist eine Welt voll köstlicher Erfindung, und gewiß hat keiner von unsern Meistern so sehr gestrebt, die ganze Wirklichkeit mit dem Hauch der Schönheit zu durchdringen, wie Holbein.

Abi). 11 Festhoclier der Jane Scymour von Hans Holbein d. J. Oxford

1) Woltmann II, 102. Gestochen v. Otto ; danach photogr. in Weltmanns Holbein-Album (Berlin bei G. Schauer).

2) Ilolbein und seine Zeit IT, S. 299 ff. (II. Aufl. I, 435.)

3) Der Inhalt des Londoner Skizzenbuchs, herausgegeben vom South Kensington Museum, derjenige des Londoner und des Baseler Buches in Hirths „Pormenschatz''.

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1. Buch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

Abb. 12 Dolchscheide von Hans Holbein d. J. Bernbiir

bei irgendwo lassen.

einen

Von des Künst- lers Arbeiten für den Buchdruck, den zahl- reichen, nach seinen Zeichnungen g eschnit- tenen Stöcken für Buchtitel , Drucker- oder Verlegerzeichen (von diesen geben wir das ausgezeichnete Signet des Froschauer, Abb. 14) u. dgl. ist schon flüchtig gespro- chen. Doch soll hier nicht unterlassen wer- den, nochmals auf den Reichtum dieser zahl- reichen Kleinkunst- werke an Formen und Ideen des neuen Stiles hinzuweisen. Buch- schmuck aller Art man denke an das Kinder-, das Toten- tanz-Alphabet, die zahllosen Fuß- und Randleisten, die wun- dervollen Buchtitel hat Holbein in einer Fülle entstehen lassen, wie kein Zweiter ; seine

Totentanzbildchen, köstlichste Kleinode des feinsten Holz- schnitts, seine bibli- schen und historischen Illustrationen sind Höhepunkte. Selbst den Metallschnitt, den ein Meister H. F. für ihn auf das trefflichste ausführte, benützte er für diese Zwecke. Und in allen diesen kleinen Schöpfungen betätigt er sich als großer Renaissance- meister, dem nichts Mittelalterliches mehr anhaftet , ohne da- unverkennbaren ganz persönlichen

Abb. 13 Dolchscheide von Hans Holbein d. J.

Stil

vermissen zu

Die Familie Hopfer

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War der Sinn für die Renaissance in Deutschland zuerst von Augsburg ausgegangen, so entwickelte sich dort die neue Richtung alsbald zu großer dekorativer Pracht. Wir können dies auch an den Arbeiten des Grabstichels er- kennen, namentUch sind die Werke der Familie Hopfer bezeichnend dafür. Die verschiedenen Träger dieses Namens, das Famihenhaupt Daniel und seine Brüder Hieronymus^ Lambert und C. B. Hopf er sind freilich keine Erfinder; sie haben aber in einer sehr großen Zahl von Radierungen, nach anderen deutschen, wie nach itahenischen Meistern, eine höchst wichtige Reihe von Vorbildern für Maler, Architekten, Ornamentiker und andere gehefert, die sich einer großen Verbrei- tung erfreuten und die neue Formenwelt der Renaissance allgemein zugänghch machten. Von ihnen kommt hier am meisten Daniel in Frage, i) Vom Jahre 1518 datiert das große Tabernakel (B. 21), das in drei Stockwerken mit offenen Bogenhallen sich aufbaut, unten mit der heihgen Sippschaft, darüber mit dem Ge- kreuzigten und zuletzt mit der Himmel- fahrt Christi. Es ist eins der üppigsten Werke früher deutscher Renaissance, voll Freiheit und Phantasiefülle. ^) Die Original-Zeichnung des unteren Stock- werks in größerem Maßstabe und schö- ner als der ausgeführte Stich besitzt das Museum zu Basel. Weit schwerere, plumpere Formen zeigt das große altar- artige Tabernakel desselben Stechers (B. Nr. 20), dessen Formen direkt auf Venedig, ja speziell auf die Scuola di San Marco hinweisen. Unter den übri- gen Arbeiten Hopfers sind namentlich die Nummern 7, 13, 19, 25, 26, 34, 39, 44, 45, 96, 99 und 109 beachtenswert. In Hirths Renaissance Taf. 34 findet sich ein Beispiel (B. 7) von der üppigen Überladung, aber zugleich von der großen dekorativen Pracht seiner Arbeiten. In einer kuppelgewölbten Kapelle sieht man die Ehebrecherin, in stummer Ergebung ihr Urteil vom Herrn erwartend, während zu beiden Seiten aufgeregte und empörte Gruppen von Pharisäern sich zeigen. Der Prunk der Architektur, die an Pilastern, Gebälken und Bogenfriesen von Or- namenten im ausgebildeten Stil der italienischen Frührenaissance strotzt, ist dem Künstler offenbar die Hauptsache gewesen. Die Bekrönung des vorderen Bogens durch Masken, Sirenen und Putten ist besonders von phantastischer Wirkung.

Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis zur itahenischen Renaissance bei Albrecht Dürer. Sein Wesen ist weniger auf frisches, unbekümmertes Erfassen des Lebens, als auf grüblerisches Versenken und gedankenvollen Tiefsinn an- gelegt. Auch er lernt zeitig die neue italienische Kunst kennen und weiß sie

1) Über die Hopfer vgl. A. Haupt, Peter Flettners Herkommen und Jugendarbeit. (Jahrb. d. kgl. Pr. Kunstsammlungen 1901, Heft II., III.) E. Eyssen, Daniel Hopfer, Heidelberg 1904.

2) Ob die Inschrift; ,Ecce opus fecit Philippus Adler patricius MDXVIII" auf einen Künstler oder auf den Stifter des Werkes geht, ist meines Wissens noch nicht ausgemacht. Daß es übrigens unter den Augsburger Patriziern ausübende Künstler gab, wissen wir ja.

Abb. 14 Signet Froscliauers von Hans Holbein d. J.

56 1- Buch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

wohl zu schätzen. Schon bei seinem Aufenthalt in Venedig im Jahre 1506 er- kennt er den Gegensatz seiner Kunst zu der dortigen, ist sich aber auch seines eigenen Wertes wohl bewußt. Treuherzig berichtet er seinem Freunde Pirck- heimer, daß die welschen Maler ihm feind seien und seine Erfindungen zu ihren Gemälden benutzen, nachher aber über seine Kunstwerke schelten, sie seien „nicht antikischer Art" und deshalb nicht gut.') Dürer strebt weniger als Holbein, sich mit der Formenwelt der italienischen Renaissance durchaus vertraut zu machen ; da gegen fahndet er überall auf theoretische Belehrung, und wo er diese gewinnen kann, da scheut er keine Mühe, kein Opfer. Nach Bologna reitet er, weil ihm jemand versprochen hat, ihn dort „in heimlicher Perspektive" zu unterrichten.^) Von Meister Jacopo de' Barbari, den er als einen „guten lieblichen Maler" verehrt, bemüht er sich auf alle Weise, aber zu seinem Kummer vergebhch, die Lehre von den Verhältnissen des menschlichen Körpers gründlich zu erfahren. So groß ist sein Verlangen danach, daß er sagt, er hätte Heber die Meinung jenes Meisters kennen lernen wollen, als ein neues Königreich.^) Wie schwer es dem trefflichen Manne geworden ist, die Kunst wissenschaftlich zu ergründen, liest man nicht ohne Rührung in seinen eigenen Geständnissen. Für die Befreiung der Kunst aus den Fesseln des Mittelalters, für die Herbeiführung einer neuen Zeit hat er schon deshalb mindestens ebenso Durchgreifendes gewirkt wie Holbein, weil er im Vaterlande bUeb und von Nürnberg aus fast auf alle gleichzeitigen Künstler Deutschlands den größten Einfluß gewann. Über seine theoretischen Bestrebungen wird an anderem Orte zu reden sein; hier gilt es zunächst festzustellen, wie weit er die Formen der Renaissance sich zu eigen gemacht und zur Anwendung gebracht hat.

Man sieht bald, daß Dürer nicht in dem Grade wie Holbein das Bedürfnis hat, seine Erfindungen mit architektonischen Einfassungen und Hintergründen auszustatten; er liebt es weit mehr, sie in landschaftliche Umgebungen zu ver- legen. Der Reiz dieser Hintergründe ist aber so groß, es spricht sich in ihnen die Innigkeit deutscher Naturempfindung in so hohem Grade aus, daß sie für sich einen selbständigen Wert behaupten, und daß der Meister gewissermaßen als der Vater der nordischen Landschaftsmalerei gelten kann. Wo er dagegen architektonische Einfassungen gibt, da sind diese in der Regel von einfachster Anlage, sehr häufig, ja überwiegend noch mit dem etwas dürren und krausen gotischen Laub- und Astwerk ausgestattet. So sieht man es namentlich in der Holzschnittfolge des Lebens der Maria, z. B. auf dem Blatte der Beschneidung (B. 86) und dem der Vermählung (B. 82). Freilich wendet er nur den Rund- bogen an, bringt auch mit Vorhebe Säulenstellungen, die sicherlich von ihm als Renaissanceformen gemeint sind, wie sie denn wiederholt mit antikisierendem Gebälk, z. B. auf der Darbringung im Tempel (B. 88) verbunden sind. Aber eben auf diesem Blatte erkennt man an den Details, namentlich an den Säulenbasen und Kapitalen, wie wenig der Meister daran denkt, die antiken Formen genau wiederzugeben. Ja die naturalistische Art der Spätgotik sitzt ihm so tief im Blute, daß er im letzteren Falle die Kapitelle mit purem Weinlaub umhüllt. Diese Blätter tragen aber die Jahreszahl 1509, sind also mehrere Jahre nach seinem Aufenthalte in Venedig entstanden. Auch in der großen Holzschnittpassion vom Jahre 1510 herrscht derselbe phantastische Geschmack auf den wenigen Blättern, die architektonischen Hintergrund haben, namentlich auf jenem, wo der Schmerzensmann dem Volke durch Pilatus vorgestellt wird. Diese scheinbare

1) Campes Reliquien S. 13.

2) Ebenda, S. 30.

3) A. V. Zahn, Die Dürer liandschriften des Britischen Museums, in den Jahrb. für Kunst- wissenschaft. I. S. 14.

Dürers Verhältnis zur Eenaissance ' 57

Rückständigkeit hängt aber mit den positiven Eigenschaften unseres großen Meisters so innig zusammen, daß sie geradezu aus ihnen herzuleiten ist.

Abb. 15 Aus der Ehrenpforte Kaiser Maximilians von Albrecht Dürer

Dürer geht mit solchem Ernst und solcher Tiefe auf seinen Gegenstand ein, daß er alles abweist, was nicht unmittelbar damit zusammenhängt oder gar störend einwirken könnte; er verschmäht Reichtum der Ausstattung in Architektur, Gewändern und sonstigem Beiwerk, weil die Freude an solchen Dingen ihn von der Hauptsache ablenken und die Kraft der Empfindung abschwächen würde; er greift gerade in jenen Werken, deren Wirkung auf das Volk be- rechnet ist, zu den volkstümlichen Formen der spätmittelalterlichen Kunst, deren Ausdrucksweise seinen Zeitgenossen und Landsleuten am verständlichsten war. Wo es aber gilt, allen Reichtum der Ornamentik zu entfalten, da lernen wir Dürers architektonische Phantasie am besten kennen. So zumeist in der Ehren- pforte des Kaisers MaximiUan, welche die Jahreszahl 1515 trägt. (Abb. 15.) Hier läßt der Meister seinem Genius die Zügel schießen und beweist in dem unab- ;sehbaren Reichtum der Durchführung die unerschöpfliche Fülle seiner Erfindung. Die Grundformen des Aufbaues folgen der Renaissance, auch im einzelnen gibt ;sich viel frei Antikisierendes zu erkennen; aber alles ist durchsetzt mit dem naturalistischen Laubwerk der spätgotischen Kunst, und nicht leicht wird man eine Schöpfung finden, in welcher mit solcher unbekümmerten Naivität sich beide Gegensätze vermischt, doch kaum verschmolzen zeigen. Unter Abb. 16 fügen wir eine der originellen Krönungen hinzu, die in ihrem Mittelfelde die Zeichen des goldenen Vließes enthält, von einem seltsamen Ast- und Rankenwerk um- rahmt, das zu beiden Seiten weinlaubumsponnene Kandelaber von phantastischer Form hervortreibt, in der Mitte aber in einem noch üppigeren, zwei Widder tragenden Aufsatz endet; über allem triumphiert der kleine blinde Gott mit Köcher, Bogen und Pfeilen. Trompeteblasende Genien hocken auf den nach gotischer Weise gebildeten Krabben, die aus dem Astwerk reichlich hervorwachsen. Man kann nicht leicht etwas Geistreicheres von ornamentaler Erfindung sehen,

58 1- Buch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

Abi). 16 AuH der Ehrenpforte Kaiser Maximilians von Albreeht Dürer

nicht leicht eine originellere Mischung von spätgotischen und naturalistischen Motiven mit Elementen der Renaissance. Dieselbe Richtung schlägt der Meister im Triumphwagen des Kaisers vom Jahre 1522 ein. Doch ist hier im ganzen die Renaissance etwas treuer festgehalten, namentlich in den Miniaturdarstellungen der Hofbibliothek zu Wien und des Stifts St. Florian.^) Hier tragen gekuppelte Säulen von frei korinthisierender Form mit willkürlich geschweiften Schäften den streng architektonisch behandelten Baldachin des Kaisers. Auf der ersten Skizze dagegen, in der Albertina zu Wien,^) wächst er in phantastisch geschweiften Linien, die fast an die Prachtkarossen der Rokokozeit erinnern, aus dem Grunde des Wagens empor und hat eine dementsprechend freier geschwungene Form. So sehr nun auch alles mit Renaissancedetails ausgestattet ist, so spürt man namentlich im vegetativen Ornament, obwohl dasselbe hauptsächlich die Akanthus- form zeigt, immer noch Hinneigung zum spätgotischen Laubwerk. Wir geben unter Abb. 17 das Hauptblatt des erstaunlich reichen Holzschnittes des Triumph- wagens, der wie kaum ein anderes Werk die unerschöpfliche Phantasie des Meisters, aber auch seinen im Laufe der Jahre geläuterten Formensinn bezeugt. Man betrachte nur alle einzelnen Teile, besonders die Räder des Wagens sowie die Seitenwange desselben mit dem aus ihr sich kühn emporschwingenden Bal- dachin, aber auch die prächtigen und geschmackvollen Teppiche und Kissen,

1) Letztere veröifentlicht von M. Thausing in seinem Aufsatze über den Triumphziig im XIII. Bande der Mitt. der Zentr. Komm, in Wien.

2) Abbild, in Thausings Aufs. a. a. 0.

Dürers Eenaissauce

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besonders den Ornat des Kaisers, Dalmatika, Zepter und Krone, und man wird den Geschmack bewundern, mit welchem alles dies ausgeführt ist. Des Meisters

Abb. 17 Triumphwagen des Kaisers Maximilian von Albrecht Dürer

späterer Zeit gehört auch der vorzügliche Holzschnitt mit dem Brustbilde des Kaisers Max an. Auch hier führt an den einfassenden Säulen bereits eine echt Augsburgische Renaissance in dem dekorierenden Laubwerke, besonders aber in den Delphin-Kapitellen, ihr reizvolles Spiel auf; doch fehlen echt Dürersche Motive, z. B. in dem Weinlaub am unteren Teile des Schaftes, nicht völhg.

Daß der Meister, wo es ihm darauf ankam, die antiken Formen besser zu beherrschen wußte, erkennen wir aus jener herrlichen Handzeichnung des Baseler Museums vom Jahre 1509: die Madonna mit dem Kinde, von Engeln umspielt, in einer prachtvollen Halle mit korinthischen Säulen. Die Verhältnisse sind hier ebenso vornehm und großartig, wie das Detail von geistreicher Feinheit. Doch auch hier hat er gotische Reminiszenzen, z. B. die naturalistisch zusammengebogenen Äste an dem etwas wunderlich komponierten Architrav, sich nicht ganz versagen mögen. Ähnlich verhält sich's mit dem in Holz geschnitzten herrlichen Rahmen des jetzt im Belvedere zu Wien befindlichen Dreifaltigkeitsbildes vom Jahre 1511, ehemals im Landauer Brüderhaus, nunmehr im Germanischen Museum zu Nürnberg auf- bewahrt. Die zierlichen, zum Teil der Gotik, mehr der Renaissance angehörenden Formen deuten unverkennbar auf einen Entwurf von des Meisters eigener Hand.

Wie eifrig Dürer dem Studium der Antike, namentlich an der Hand Vitruvs, sich hingab, wissen wir aus manchen Stellen seiner theoretischen Schriften, namentlich aus der „Unterweisung der Messung mit Zirkel und Richtscheit", auch aus der großen Anzahl von Entwürfen und Zeichnungen architektonischen und perspektivischen Inhalts, größtenteils Vorstudien zu diesem Werk, jetzt im

60 1- Buch II. Kapitel Anfänge der Eenaissance bei Malern und Bildhauern

British Museum. Manches darunter hat er offenbar in Itahen gesammelt, wie denn mehrere Blätter Beischriften in italienischer Sprache haben. Antike Säulenkapitäle und andere Details kommen mehrfach darin vor.

Auch für das Kunstgewerbe hat Dürer einiges gezeichnet, i) obwohl er dabei weder die Universalität noch die Fruchtbarkeit Holbeins besitzt. Auch für Gold- schmiedearbeit findet sich noch manches unter seinen Zeichnungen, so in Hannover, Technische Hochschule, drei reizvolle Zeichnungen zu Broschen mit Ast- und Laubwerk. Bekannt sind die sechs prächtigen „Knoten", weiße Schnurver- schlingungen auf schwarzem Grunde, die Dürer nach ähnlichen Versuchen

Lionardos in Holzschnitt herausgab. Anderes für das Kunstgewerbe in der reichen Sammlung von Handzeichnun- gen, welche die Bibliothek in Dresden bewahrt. Auf einem Blatte (XVI) sieht man sechs leicht und geistreich ent- worfene gotische Pokale, dabei mehrere Doppelpokale. Wie rasch und sicher sie hingeworfen sind, erkennt man aus jedem Federstrich und aus den bei- geschriebenen, offenbar für den Besteller bestimmten Worten: „Morgen will ich ihrer mehr machen." Während hier die gotische Naturalistik noch völHg herrscht, sind auf anderen Blättern die antiken Formen zur Anwendung gebracht; so auf Blatt XVII, wo eine Vase mit Deckel in reichem Renaissancestil, mit fünfmal variiertem Fuß sich findet. Aber auch hier will der Meister im Ornament, namentlich dem Laubfries der oberen Hohlkehle, sich nicht ganz vom goti- schen Naturalismus freimachen. Stren- ger ist der Entwurf einer Vase mit Deckel auf Blatt XXXVII, allein man fühlt dem Ganzen die Mühe an und möchte es kaum für eine Dürersche Zeichnung halten. Die vollendete Schönheit und Freiheit im Aufbau, im Zug der Linien und im Ornament, die Holbein in seinen derartigen Arbeiten zeigt, finden wir bei Dürer nur da, wo er sich ganz der gotischen Form hingibt. Sie ist ihm zur andern Natur geworden und kommt ihm selbst in rein antiken Kompositionen, wie in den Säulen und dem Kapitell auf Blatt XXXVI, immer wieder in den Weg. Dieselben Wahrnehmungen wird man an den zahl- reichen ähnhchen Entwürfen machen, die namenthch in der Albertina zu Wien und der Ambraser Sammlung daselbst bewahrt werden. Der in Abb. 18 mitgeteilte Entwurf zu einer Degenscheide samt Griff in der Albertina dagegen ist von einer Grazie und Feinheit und mit seinen zahlreichen Varianten so er- füllt vom Geiste der Renaissance, daß man trotz des deutlich am unteren hier fortgelassenen Ende angebrachten Dürerschen Monogramms versucht sein möchte, an Aldegrever zu denken. So erkennen wir in Dürer am klarsten die Gärung, welche das künstlerische Bewußtsein der Zeit durchzumachen hatte, den lang-

1) Albrecht Dürers Einfluß auf das Kunstgewerbe. Vortrag von R. Bergaii, Nürn- berg 1871.

Die Kleinmeister

61

andauernden Kampf der neuen Anschauung mit den Traditionen des Mittelalters, während Holbein sich sogleich als Sohn der neuen Zeit fühlt und sich schnell für ihre Formen entscheidet.

Inzwischen wird die Strömung der Renaissance immer mächtiger, und die Lust am reizenden Spiel ihrer Formenwelt verbreitet sich unter den deutschen Künstlern bald so allgemein, daß die Gemälde, Kupferstiche und Holzschnitte etwa_seil^_152P von Details dieser Art wahrhaft über- strömen. Was insBeson(J^r6''Hie' sogenannten Kleinmeister, Alde- g^^ever, Altdorfer, Pencz^ die bei- den Bekam und eine große Reihe von Anonymen, unter denen die Monogrammisten J. B., J. G. und der Meister mit den Pferdeköpfen hervorragen, für die Verbreitung der neuen Ornamentik geleistet haben, ist außerordenthch. In mancher Hinsicht kann man die zahllosen wunderfeinen Kupfer- stiche dieser Künstler, die or- namentale und architektonische Einzelheiten der Frührenaissance in vollendetster Art darstellen, als die tatsächlich wirksamsten Verbreiter dieser Formenwelt an- sehen, da sie in Tausenden von Abdrücken in Ateliers und Werk- stätten eindrangen. Auch Jakob Binck ist in diesem Zusammen- hange nicht zu vergessen. Vieles darunter gehört ohne Frage zum Schönsten dieser Art. So die drei berühmten Dolche des Heinrich Äldegrever von Soest, wovon wir den oberen Teil des mit der Jahreszahl 1539 und dem Monogramm des Künstlers bezeichneten unter Abb. 19 mit- teilen. Die Ornamentik bewegt

isich, ganz im Geiste der lau-

Itersten Renaissance, ausschließ-

jlich im Figürlichen und Vege-

Itativen, das in geistreicher

Weise vermischt und voll reizender Abwechslung behandelt ist. Der Löwen- irachen am Griff, die Hundeköpfe am Knauf, die Tritonen und andere phan- itastische Wesen, die Genien mit dem Kaisermedaillon, das alles zeugt von

vollendeter Beherrschung der gesamten Formenwelt. Im Vegetativen kommt jjenes der deutschen Renaissance eigene Laubwerk zur Geltung, das von (einer Umbildung des Akanthus ausgeht und dann in eine dem Ahornblatt (Oder auch dem des Weißdorns am nächsten verwandte Form sich um-

Abb. 19 Dolchgriff von H. Äldegrever

62 !• Buch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

wandelt. 1) Daran reihen sich manche Blätter des Holzschnitts, und von diesen will ich nur einiges aus der durch A. v. Derschau veröffentlichten Sammlung hervorheben, weil sie mehrere Hauptwerke enthält. Eins der größten Prachtstücke ist das kolossale Blatt der Verkündigung, bezeichnet mit E. XII, 37 Zoll hoch, 26 Zoll breit. Man hat den Blick in einen schönen Saal, dessen kassettierte Decke mit durchgebildetem Gebälk auf eleganten kannelierten Säulen ruht: das Ganze in vollendet ausgebildeter Renaissance. Das Blatt D. 18 gibt ein Bild von den großartigen architektonischen Phantasien, in denen die damahge Zeit zu

Abi). 20 Abendmahl von Hans Sclüiuftelein

schwelgen liebte: eine mächtige Kuppelkirche mit offener Vorhalle, die sich zur Rechten noch weiter fortsetzt, dabei ein Glockenturm, ebenfalls mit Kuppeldach geschlossen. Auch das Blatt von Cranach, Huß und Luther, wie sie dem Kur- fürsten Johann Friedrich und seiner Familie das Abendmahl reichen, zeigt auf dem Altar einen Renaissancebrunnen mit zwei Schalen, einen Kruzitixus tragend, aus dessen Wunden das Blut in den Springbrunnen fällt. Eine prächtige Halle mit Tonnengewölben auf korinthischen Säulen, in der Mitte eine flache Decke mit runder Öffnung, gibt Erliard Schön auf dem Blatte der schlechten Gerechtigkeits- pflege. Die volle Freiheit einer reichentwickelten Renaissance entfaltet sodann Ältdorfer in der Komposition eines prächtigen Altars in der beliebten Anordnung

1) Die geistvollen Ornamente Aldegrevers sind auf 20 Tafeln in klaren Lichtdruck-Nach- bildungen von Obernetter bei H. Manz in München erschienen. Unter ihnen finden sich nicht nur reine Ornamentskompositionen, sondern auch kunstgewerbliche ; insbesondere sind Dolche und Schwerter schon oben genannt. Aber auch noch andere Dinge hat er in den Kreis seiner Erfindung gezogen, unter denen besonders allerlei Eßbestecke und dergleichen durch wunder- volle Gestaltung hervorragen. Als die allerfeinsten Künstler dieses Gebietes dürfen wir die beiden niederdeutschen : G. J. und den Meister mit den Pferdeköpfen ansehen ; ihre hinreißenden Ornamente sind an Zartheit wie Vollendung der Form unübertroffen.

Peter Flettner

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Al)b. 21 Querfüllung von H. S. Beham unter Flettners Einfluß

eines römischen Triumphbogens. Zum Allerschönsten gehört das gewaltige Abend- mahl von Hans Schäuffelein, 27 Zoll hoch, 39 Zoll breit; davon teilen wir unter Abb. 20 eine verkleinerte Nachbildung mit. Man hat den Blick in einen glänzen- den Saal mit reichgeschmückter Kassettendecke. Rundbogenstellungen teilen den Raum, auf kurzen, korinthisierenden Säulen ruhend; diese sitzen ihrerseits auf hohen Sockeln auf. Auf solchen Blättern ist die deutsche Renaissance zu jenem vornehmen Raumgefühl durchgedrungen, das ihr in Wirklichkeit durch die herkömmliche Enge und Niedrigkeit der Räume versagt blieb. Auch Hans Sebald Beham, der geschickte Ornamentmeister (Abb. 21), gibt bei dem ebenfalls sehr großen Blatte mit der Geschichte des verlorenen Sohnes die Ansicht eines prächtigen Saales, des- sen Architektur anmutig, aber bei weitem nicht so streng durchgebildet ist. Die ionischen Säu- len haben geschweifte Schäfte, zu den Posta- raenten sind hockende Satyrn verwendet. Ähn- lich der „Jungbrunnen", den wir in Abb. 22 nach einer Kopie des Th. de Bry geben.

Auch die schönen Innenräume, die Hieronymus Rodler in seiner weiter unten zu besprechenden Perspektive 1531 als Beispiele gibt, gehören hierher.

Eine der stärksten führenden Künstler-Persönlichkeiten jener Zeit, der große, vielgestaltige Peter Flettner, meist Flötner genannt (f zu Nürnberg 1546), tritt neuerdings aus dem Schatten, der seine Gestalt verdeckte, deuthcher hervor. Wohl von Geburt Schweizer, hat er bis gegen 1518 in Augsburg, insbesondere bei der Ausstattung der Fuggergrabkapelle , gewirkt, und dann nach viel- facher Wanderschaft sich in Ansbach, dann 1522 endlich in Nürnberg nieder- gelassen. Er war eine Art Universalkünstler; zunächst hauptsächUch Kunst- tischler und Holzbildhauer, dann aber Zeichner, Illustrator und Architekt, Me- dailleur und vor allem Bildner von Kleinpiakelten. Die zahlreichen Holzschnitte, die von seinem Können Zeugnis geben, lassen uns in ihm denjenigen deutschen Künstler erkennen, der in die formale Seite der Renaissance wohl am stärksten eingedrungen war, der bei Burgkmair und in Norditalien seine ersten An- regungen empfing, die er durch unablässiges Studium bis zum Ende seines Lebens weiter bildete. Nochmaliger Aufenthalt in Italien und vielleicht auch in Frankreich ließ ihn zu einer völligen Beherrschung der architektonischen wie dekorativen Seite der frühen Renaissance gelangen, so daß er durch seine vor- bildlichen Arbeiten einen außerordentlichen Einfluß auf die aufstrebende Generation der deutschen Künstler zu gewinnen vermochte. Selbst Holbein dürfte in jungen Jahren, da er an der von Flettner entworfenen Orgel für das Fugger-Mausoleum zu Augsburg tätig war, diese Einwirkung erfahren haben und ihm manches danken.

Bekannt ist Flettner vor allem durch seine Holzschnitte') (vgl. Abb. 96 ff.), die sich auf architektonische und dekorative Arbeiten in Stein, Holz, Metall, auf architektonische und ornamentale Einzelheiten, auf Mobiliar und Goldschmiede- arbeit erstrecken. Auch ein großer Triumphbogen für den festlichen Einzug

1) J. Reimers, Peter Flötner nach seinen Handzeichnxingen und Holzschnitten. Mün- chen 1890.

Karls V. von 1541 in Nürnberg stammt im Entwurf von ihm. Seine bei Wyßen- bach in Zürich 1548 erschienenen Mauresken sind in der ganzen Welt berühmt geworden. Wir geben einiges davon, was von seiner verschiedenartigen Tätigkeit zeugt. Nicht unerwähnt aber darf es bleiben, daß Flettner auch als Architekt eine führende Rolle spielte. Der Hirschvogelsaal zu Nürnberg ist auf dem Gebiete unserer Renaissance-Baukunst eine der reifsten und feinsten Leistungen, die der Künstler im Jahre 1534 mit der ganzen Innenausstattung schuf, und zu der die spätere Zeit nur wenig hinzugefügt hat. Aber schon 1533 war das direkt daneben stehende Tucherschlößchen entstanden, an dem eine Reihe von Bau- und Ausstattungsteilen sicher ebenfalls dem Meister angehören.^) Es ist ungemein wahrscheinüch, daß auch der gesamte Entwurf des Gebäudes, das sich merk- würdigerweise der französischen Spätgotik anschließt, ebenfalls auf Flettner zurückzuführen sein wird. ^) Im folgenden Jahrzehnt aber knüpfte er enge künstlerische Beziehungen zu dem pfälzischen Kurhause, insbesondere zu Friedrich IL, an. Und damals bis zu seinem Tode schuf er zahlreiche Kompo- sitionen für diesen kunstsinnigen Fürsten. Nicht nur als Medailleur, sondern auch als dekorativer Bildhauer, insbesondere jedoch als Architekt war er für ihn tätig, und es ist die Gewißheit nicht abzuweisen, daß er zunächst für die Aus- stattung des Schlosses zu Neumarkt (Kamin im Nationalmuseum zu München, Wappen, Erker u. dgl.), dann aber für Heidelberg tätig war. (Kamin im Rup- rechtbau.) Der Entwurf des gläsernen Saalbaus in diesem berühmten Schlosse schreibe ich, wie dessen innere Ausgestaltung, unserem Künstler zu.^) Zuletzt aber auch den ersten Entwurf zum Otto-Heinrichsbau*) selber, der bereits von Friedrich II. geplant und begonnen war. Otto Heinrich führte ihn zehn Jahre später mit Hilfe des Vlamen Alexander Colins zu Ende unter Benutzung des fertigen Unterbaus und zahlreicher bereits vorhandener Bildhauerarbeiten. Aber der Hauptentwurf stammte sicherhch von dem deutschen Meister und leuchtet heute noch siegreich durch die in mancher Hinsicht nicht zum Bessern umgestaltete gegenwärtige Erscheinung hindurch.

Auch anderer Beziehungen Flettners ist nicht zu vergessen. So hat er schon 1526 den schönsten deutschen Brunnen, den Marktbrunnen zu Mainz, geschaffen,

1) Über diese und andere Werke des Meisters siehe: K. Lange, Peter Flötner, ein Bahn- brecher der deutschen Renaissance. Berlin 1897.

2) Hierüber, wie über Flettners künstlerische Jugend: A. Haupt, Peter Flettners Her- kommen und Jugendarbeit (Jahrb. d. kgl. preuß. Kunstsammlungen 1905. III. IV.)

3) Vergl. A. Haupt, Zur Baugeschichte des Heidelberger Schlosses, Frankfurt a. M. 1902. S. 72 if.

4) A. Haupt, Peter Flettner, der erste Meister des Otto-Heinrichbaus zu Heidelberg. Leipzig 1904.

Gemälde mit Renaissance-Architektur

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und zwar für den großen Kardinal Albrecht von Brandenburg, der jede erreichbare künstlerische Kraft in seinen Bereich zu ziehen suchte. Vermutlich stammt denn auch von Flettner der Entwurf zu dem herrhchen Mainzer Grabmal dieses Kirchen- fürsten, das sich in jeder Hinsicht der Art des Heidelberger Kamins anschheßt.

Die stärksten Beziehungen des Künstlers zu diesen Fürsten fallen aber gerade in das Todesjahr des Künstlers, 1546, vor allem die großen Heidelberger Arbeiten, so daß die Verwirklichung dieser Arbeiten naturgemäß meist in andere Hände gelangen mußte; auch das Mainzer Grabmal. Sie sprechen aber deutlich dafür, wie sehr bereits Flettner damals Schule gemacht hatte, und wie tüchtige Künstler seinen Spuren folgten.

Auch in Basel finden sich Arbeiten, die Beziehung zu Flettner zu haben scheinen. So verschiedene Brunnen, unter denen der berühmte Dudelsackpfeifer (die Figur nach einem Dürerschen Stich) am meisten den Stempel Flettnerscher Zierkunst trägt.

Als letztes Dokument seiner weitreichenden Beziehungen und seines ge- waltigen Einflusses sei der Umstand noch erwähnt, daß gerade auch im letzten Lebensjahre der Straßburger Arzt Rivius (Walter Ryft) sich an Flettner wandte, damit er für ihn seine deutsche Ausgabe des Vitruv mit den notwendigen Illu- strationen in Holzschnitt versehe. Das Werk erschien erst zwei Jahre nach Flettners Tode, ist aber das beredteste Zeugnis dafür, daß der Straßburger Gelehrte in den ganzen süddeutschen Landen als Verständigen dieser Kunst und Lehrer der neuen Architektur-Wissenschaft keinen Besseren zu finden wußte, als den alten Nürn- berger Meister, nachdem man ihn neuerdings wieder als den Schöpfer jener so wichtigen Holzschnitte erkannt hat.

Bei den Gemälden der Zeit kommt noch der Glanz der Farbe und des Goldes hinzu, um die Renaissanceformen zur höchsten Pracht zu steigern. Un- erschöpflich ist auf ihnen die Erfindungslust in der Darstellung schmuckvoller Waffen und Rüstungen, zierHcher Geräte aller Art, reich ausgestatteter Kleider lund Schmucksachen. Die Architektur geht dabei nicht leer aus. Für sie wendet <die Malerei nicht bloß den ganzen Formenvorrat der Antike und der Renaissance ;an, sondern sie fügt den Reiz einer üppigen Farbengebung hinzu, indem sie ]mit dem Schimmer bunten Marmors den Glanz der Bronze und des Goldes ver- lbindet. Ein Muster dieser Art ist das Bild von Altdorfer in der Pinakothek zu IMüncheni) vom Jahre 1526, Bathseba im Bade darstellend. Es ist erstaunhch, iin welche Unkosten der Künstler sich stürzt, um den einfachenVorgang in Szene ;zu setzen. Man sieht ein ungeheures Schloß mit Türmen, Kuppelbau und offenen IHallen, alles in buntem Gestein, die Kapitelle von Gold. Eine große, marmor- fgepflasterte Terrasse mit Springbrunnen umgibt das Ganze. Prachttreppen führen Ihinauf und münden auf elegante Portale. An den Arkaden sind die hängenden .'Schlußsteine der Doppelbögen ganz in venezianischer Manier gehalten; auf Venedig deutet auch die Anwendung bunten Marmors und von Vergoldungen. Ohne Frage war es die phantastisch reiche Architektur der nahegelegenen Lagunenstadt, cdie auf die damahgen deutschen Künstler am stärksten einwirkte. Die strengere IRenaissance von Florenz und Rom hätte ihrer Lust an bunten Farben und Formen Aweniger zugesagt. Immerhin wurde es aber für die Entwicklung der deutschen IRenaissance entscheidend, daß die oberitalienische Frührenaissance in ihrem diekorativen Hange zunächst mehr auf prächtige Einzelheiten, als auf ein strenges System bedacht war. Wie gleiche Richtung bei allen Meistern der Zeit in Ober- dieutschland, am Niederrhein und in Flandern sich allgemein verbreitet, ist genug- sam bekannt. Besonders die Pinakothek in München, aber auch jede andere größere

1) VII Cabin. Nr. 138.

L üb ke -Haupt, Eenaissance in Deutschland I 3. Aufl.

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1. Buch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

Sammlung bietet Beispiele zur Genüge. Ich will nur auf die Dürerschüler, die Beham, Martin Schaffner, von Niederdeutschen auf den Meister vom Tode der Maria, Bartholomäus de Bruyn, von Niederländern auf Bernhard von Orley, Lanzelot Blondeel, Jan von Mabuse hinweisen. Von den oberdeutschen Meistern mögen als weniger beachtete Beispiele die vorzüglichen Gemälde von Bartel Beham in der fürstlichen Galerie zu Donaueschingen Erwähnung finden. Namentlich gehört hierher der kösthche, kleine Flügelaltar vom Jahre 1536'), auf dessen Flügeln man Gottfried Werner Graf von Zimmern mit seiner Gemahlin vor einem prächtigen Renaissancebogen knien sieht. Phantastische Marmorsäulen, deren geschweifter Schaft aus einer hohen, kesselartigen Basis hervorkommt, mit wul- stigem Hals und wunderlichem Pflanzenkapitäl tragen den Marmorbau, der reiche Vergoldung zeigt. Dahinter erhebt sich ein Prachtgebäude auf roten Marmor- säulen, mit einem Altar, dessen Balustrade mit Kaisermedaillons geschmückt ist. Darüber steigt ein freier Kuppelbau mit vier Pfeilern empor. Die Formen sind also hier in schon vorgeschrittener Zeit noch sehr willkürlich und unklar ge- handhabt. Dagegen hat das wundervolle Bild des Meisters, „Die Kreuzesfindung" in München von 1530, bereits die vollste Pracht der entwickelten Renaissance und zeigt mit seinen herrlichen Gewändern und dem einrahmenden Kranze völhg klassisch gebildeter Renaissancebauten den Meister geradezu als einen Vorläufer Paul Veroneses.

Gleichzeitig mit der Malerei wendet sich auch die Plastik dem neuen Stile zu. Gerade an einem unsrer bedeutendsten Meister, an Peter Vischer, läßt sich der Umschwung der Anschauungen deuthch nachweisen. Sein Grab- denkmal des Erzbischofs Ernst im Dom zu Magdeburg vom Jahre 1495 steht noch vöUig auf dem Boden der Gotik, und zwar hat der Meister diesen Stil bis ins einzelne und kleinste bewundernswürdig durchgeführt. Das Laubwerk an den zahlreichen Wappen, die Maßwerkfelder des Unterbaus, die durchbrochenen Baldachine für die Statuetten der Apostel, die Ornamente des Bischofsstabes und der Mitra, endlich der durchbrochene Baldachin mit gekrümmter Spitze, der sich über dem Haupte des Verstorbenen wölbt, sind Wunder gotischer Ornamentik. Dieses Hauptwerk seiner früheren Epoche sollte Peter Vischer durch die berühmte Schöpfung seiner reifen Jahre völlig in den Schatten stellen. Ich raeine selbst- verständlich das von 1508 bis 1519 ausgeführte Sebaldusgrab in St. Sebald zu Nürnberg (Abb. 23). Es ist ein Werk der Frührenaissance, wie wir so eigentümlich in Deutschland kein zweites besitzen, denn es zeigt eine ganz vollständige Verschmelzung der Formen des neuen Stiles mit denen der Gotik, ja sogar der romanischen Epoche. Gotisch ist der Aufbau des Ganzen gedacht, gotisch sind die feingegliederten, schlanken Pfeiler mit ihren Spitzbögen, die Strebewerke der drei krönenden Baldachine. Diese selbst aber entsprechen den Kuppelbauten romanischer Zeit, und auch die Zackenfriese, welche die Bögen einfassen, sind diesem Stil entlehnt. Alles übrige gehört aber der Renaissance: die reich gegliederten Füße der schlanken Säulchen, die kandelaberartigen, zwischen den Pfeilern aufstrebenden Stützen des Oberbaues, vor allem die Welt antiker Gestalten, Sirenen, Delphine, Tritonen und wie sie alle heißen, besonders zur Belebung der unteren Teile sinnvoll verwendet. Je länger man das geist- volle Werk bis ins einzelne studiert, desto höher steigt die Bewunderung. Welche Anmut in der Gliederung, welche Feinheit in der Profilierung! Wie uner- schöpfhch dabei die Mannigfaltigkeit der immer neu variierten Motive! Keines der zahlreichen Säulchen, der Postamente, der Kapitelle gleicht dem andern, und doch sind die Verschiedenheiten so fein, daß sie die Gesamtwirkung nicht stören,

1) A. Woltmann., Verzeichn. der Gemälde d. fürstl. Fürstenbergisclien Samml. z. D. Nr. 76—78.

Peter Vischers Kenaissance

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sondern nur bereichern. Und wo bei anderen Schöpfungen die gestaltende Kraft erlahmt oder sich zufrieden gibt, da erwacht hier erst recht die sich nimmer genügende Phantasie des Meisters und belebt selbst die feinsten Gliederungen noch mit Ornamen- ten von so zarter Erhebung, daß sie nur wie ein Hauch die Oberfläche über- fliegen, jede klein- ste Stelle mit köst- lichem Leben er- füllend. Selbst in der Frührenais- sance Italiens wird man vergeblich nach einem Werke von solcher Voll- endung bis ins kleinste sich um- schauen ; höchstens die Fenster der Fassade an der Ger- tosa bei Pavia bil- den als Marmor- arbeit ein Gegen- stück zu diesem Wunderwerk der Erzplastik. Mit ei- nem Wort: es ist die geistvollste und anmutigste Schöp- fung, welche die

Frührenaissance diesseits der Alpen hervorgebracht hat. Bekanntlich soll einer der Söhne des Meisters, Hermann^ in Italien gewesen sein und von dort manche Visierun- gen mitgebracht haben.

^v^^|Auch sein herrliches , leider verschwundenes

Bronzegitter im Rathaussaale zu Nürnberg, das er ohne Zweifel mit Hilfe Peter Flettners entwarf (Abb. 24), ist als ein ganz hervorragendes reines Renaissance- werk hier anzuführen.

Ausgeprägter, aber in sehr schlichter Art, tritt die Renaissance in dem Tucherschen Grabrelief des Doms zu Regensburg vom Jahre 1521 hervor. Ein- fach auch der Renaissancerahmen an dem schönen Denkmal Kurfürst Friedrichs

Abb. '23 Sebalduserrab zu Nürnberg von Peter Vischer

68 !• Bich II. Kapitel Anfänge der Eenaissance bei Malern und Bildhauern

des Weisen in der Schloßkirche zu Wittenberg, bezeichnet 1527. Nicht von gleicher Bedeutung sind ferner die Ornamente der Einfassung am Denkmal des Kardinals Albrecht von Brandenburg in der Stiftskirche zu Aschaffenburg, bezeichnet 1525. Dagegen gehört zum Schönsten dieser Art der Baldachin über dem Grabe der hl. Margareta in derselben Kirche, ein Werk der Vischerschen Gießhütte vom Jahre 1536. Besonders elegant sind die flach auf dunkelgeätztem Grunde hervortretenden Ornamente der vier schön gegliederten Bronzepfeiler, welche die Decke tragen, die zierlichen Sirenen an den Kapitellen, die höchst geist- reich behandelten Gravierungen an der ebenfalls bronzenen Decke, Engel mit den Leidenswerkzeugen in reichen Blumengewinden, letztere ganz im Dürerschen Stil.

Abb. 24 Gitter im Rathaussaale zu Nürnberg von P. Yischer und P. Plettuer

Von außerordentlicher Pracht muß endlich jenes Gitter gewesen sein, welches von P. Vischer für die Fuggersche Grabkapelle in St. Annen zu Augsburg ge- arbeitet, zuletzt aber im Rathaussaal zu Nürnberg aufgestellt wurde.') Als im Anfang unseres Jahrhunderts Nürnberg an die Krone Bayern fiel, hatte die neue Regierung nichts Eiligeres zu tun, als das herrliche Werk als überflüssig abbrechen und verkaufen zu lassen. Der Meister hatte in diesem seit 1513 entstandenen und nachmals durch seinen Sohn Hans vollendeten Werke siÖlTer manches von den Studien verwendet, welche sein ältester Sohn Hermann in Italien gesammelt hatte. Auch der letzte Anklang an mittelalterliche Formbildung ist darin abgestreift. Das Werk besteht aus einem System korinthischer reichgeschmückter Säulen, deren Zwischenräume durch zierlich durchbrochene Vergitterungen ausgefüllt wurden. Drei Portale, mit Bogenfeldern und Giebeln abgeschlossen, im streng antikisie- renden Renaissancestil durchgeführt, bildeten die Öffnungen. Alle wichtigeren Teile, namentlich die Pilasterschäfte, Portalbekrönungen und Friese waren aufs prächtigste mit Laubwerk und figürlichem Schmucke belebt; Abbildung 24 gibt eine Vorstellung davon. Phantastische Fabelwesen, Genien, Sirenen, Tritone u. dgl. waren reichlich verwendet ; das Herrlichste aber war ein Fries mit der Darstellung eines Kentaurenkampfes voll geistreicher Lebendigkeit. Es erscheint übrigens

1) Abbildungen nach Zeichnungen in dem von Lübke herausgegebenen Praehtwerk über P. Vischer, Nürnberg bei Soldan. Vgl. auch: E. Mummenholf, Das Rathaus zu Nürnberg, da- selbst 1891, S. 97 ff. Aus letzterem Werke unsere Abb. 24.

Pankraz Labenwolf

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ziemlich gewiß, daß der ur- sprüngliche Entwurf sowohl, als auch die Angaben für die Umgestaltung des herr- lichen Werkes, das doch erst dem großen Saale zu Nürn- berg eingegliedert werden mußte, von dem großen Peter Flettner herrührten. Dieser war bis etwa 1518 in Augsburg an der Ausstat- tung der Fuggerkapelle tätig gewesen und tauchte 1522 wieder in Nürnberg auf; das unvollendete Gitter wurde 1530 vom Nürnberger Rate erworben und 1536 40 ganz fertiggestellt/)

Auch bei anderen Wer- ken der Vischerschen Werk- statt läßt sich Flettners Ein- wirkung oder Mitwirkung deutlich erkennen. So schon an dem zierlichen Bronzekan- delaber im Berliner Museum, vor allem aber den Bronze- Grabplatten der Fürsten- kapelle am Meißener Dom. Etwas später (1550) goß Pankraz Lahenwolf den zier- lichen Springbrunnen im Hofe des Rathauses zu Nürnberg, der ebenfalls .auf Flettnersche Einwirkung zurückgeht. Aus seinem Becken steigt eine schlanke fSäule auf, deren Kapitell einen Knaben mit einer Fahne trägt. Auch der reiz- volle Brunnen im Hofe der mähen Universität zu Altorf Iträgt echt Flettnersche Züge. JEin glänzendes Werk lieferte i-sodann Labenwolf in der (Grabplatte des 1554 ver- fstorbenen Grafen Werner von ^Zimmern in der Kirche zu IMöskirch.

1) Vgl. A. Haupt, Peter lElettners Herkommen ti. Jugend- tarbeit. Im Jahrb. der Kgl. Preuß. IKunstsammlungen 1905, III. IV.

Abb. 25 Denkmal Uriels von Gemmingen Im Dome zu Mainz

70 1. Buch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

Während die Erzarbeit durch den Vorgang P. Vischers rasch und entschieden dem neuen Stile zugeführt wird, verharrt die Steinskulptur wie die volkstümliche Holzschnitzerei bis tief ins 16. Jahrhundert bei den Formen der Gotik. Die Haupt- meister dieser Kunstzweige, Jörg Syrlin von Ulm, Veit Stoß und Adam Kraft bleiben unentwegt in den Bahnen des Mittelalters, wenn auch die eingelegten farbigen Holzornamente (Intarsien) an den berühmten Ghorstühlen Syrlins im Münster zu Ulm auf italienische Einflüsse deuten. Nirgends können wir hier, wie bei

der Bronzeplastik, den durchgreifenden Ein- fluß eines bahnbre- chendenMeisters nach- weisen. — Auch Til- man Riemenschneider von Würzburg bleibt in der Mehrzahl seiner Werke dem gotischen Stile treu. Erst an dem großartigen Grab- denkmal des Bischofs Lorenz von Bibra (f 1519) im Dom zu Würzburg macht er einen noch schüchter- nen doch wertvollen Versuch mit Renais- sanceformen, die dar- auf deuten, daß er den neuen Stil eben nur vom Hörensagen kannte. Ein anderer gleichzeitiger Meister, Loyen Hering aus Eich- stätt, zeigt an dem Marmordenkmal des Bischofs Georg von Limburg im Dom zu Bamberg (f 1522) sich schon besser ver- traut mit den Formen der Renaissance. Den- selben Meister finden wir wieder an zahl- reichen reizvollen Grabmälern der frühen Renaissance in Bayern, vorwiegend im roten Alpenmarmor ausgeführt; insbesondere in seiner Vaterstadt^); sodann an dem ausgezeichneten Denkmal des Herzogs Erich L von Kalenberg in der Kirche zu Münden a. d. Weser; auch an dem Epitaph der Margarete von Eitz und ihres Sohnes Georg in der Karmeliterkirche von Boppard von 1519. An den Grab- mälern dringt überhaupt der neue Stil jetzt am raschesten vor und bürgert sich durch seine Anmut und glänzende Pracht überall ein. Bemerkenswert ist das als seltene Ausnahme in Holz geschnitzte Denkmal des 1519 verstorbenen Grafen

Abb. 26 Denkmäler der Grafen von Württemberg

in der Stiftskirche zu Stuttgart (Nach: Fritsch, Denkmäler deutscher Eenaissance)

1) Vgl. Eichstätts Kunst, München 1901.

Grabdenkmäler

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Heinrich von Württemberg im Goldenen Saale des Schlosses zu Urach. Den Über- gang von der Gotik zur Renaissance vertritt zuerst das ausgezeichnete Denkmal Uriels von Gemmingen im Dom zu Mainz (Abb. 25) vom Jahre 1514, fortgeschrittener das Epitaph der Frau Elisabeth von Gutenstein und ihres Gemahls vom Jahre 1520 in der Stiftskirche zu Oberwesel. Die Gestalten stehen in Nischen mit gotischem Maßwerk in den Bögen, die aber auf korinthisierenden Säulchen ruhen. Den ent- wickelten Renaissancestil zeigt dann in derselben Kirche ein Epitaph vom Jahre 1523; noch freier und in elegantester Ausbildung ein Grabstein vom Jahre 1550. Ahnlich das große Wandgrab des Johann von Eitz und seiner Gemahlin in der

Abb. 27 Denkmäler der Herzöge von Preußen im Dome zu Königsberg i. Pr. (Aufnahme der Kgl. Meßbildanstalt, Berlin)

Karmeliterkirche zu Boppard vom Jahre 1548, dessen architektonische Ein- rahmung geistreich erfunden und elegant durchgeführt ist. Ein prächtiges Renais- "^M^ sancemonument vom Jahre 1550 besitzt die Kirche zu Lorch am Rhein in dem ' (/

Grabstein des Ritters Johann Hilchen des Jüngeren, der 1548 starb. ^T^^f

Der Rheingau, auch die Maingegenden, bergen in ihren Kirchen überhaupt eine solche Fülle von feinen Denkmälern aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, die die Kunstgeschichte noch nicht gewürdigt und gruppiert hat, daß wir da auf eine ganze Reihe trefflicher Künstler schließen dürfen. Genannt seien nur die schönen Grabmäler zu Eltville, Geisenheim, dann zu St ein heim a. Main (Denkmal

72 1- Buch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

des Frowin von Hutten, 1547), zu Lohr der Grafen von Rieneck, die wundervollen Denkmäler an den Pfeilern der Aschaffenburger Stiftskirche.

Im Dom zu Trier ist schon das Denkmal des Erzbischofs Richard von Greifenklau (1527), mehr noch das des Erzbischofs Johann von Metzenhausen (1540) in feinsten Renaissanceformen durchgeführt. Im Dom zu Mainz glänzt der neue Stil in dem oben genannten Grabmal des Kardinals Albrecht von Brandenburg (1545)^), mit dem dann die prachtvolle Reihe der Denkmäler seiner Nachfolger eine herr-

oft mit der ganzen FamiHe, darstellt. Besonders sind es die Chöre der Kirchen, die mit solchen Werken gefüllt werden und als große Gesamtstätten der Plastik und Dekoration dieser Zeit oft höchst bedeutend wirken. Die Kirche zu Wert- heim bietet uns in dieser Art im Chor ein wahres Denkmalmuseum seiner alten Grafen. Es beginnt die Reihenfolge mit dem Epitaph des Grafen Georg (f 1530). Es zeigt einfache Formen der Frührenaissance, nur Pilaster als Einrahmung, aber mit elegantem Ornament bedeckt. Über den Wappen, die mit schönem Laub- werk das Ganze krönen, kommt die Verehrung des klassischen Altertums in dem Kopf des Attiüus Regulas zum Ausdruck. Das zweite Monument, dem Grafen Michael errichtet, nach Inschrift] ichem Zeugnis durch einen Meister Christoph 1543 ausgeführt, ist jenem ersten in der Anordnung verwandt; aber alles er- scheint hier reichlicher, derber im Ausdruck. Statt der Pilaster sieht man zwei ganz in Figuren und Laubwerk aufgelöste Halbsäulen, auch die Wappen sind mit üppigem Ornament eingefaßt. Prächtiger entfaltet sich das Grabmal Graf Michaels III. mit seiner Gemahlin Katharina von Stolberg und deren zweitem Ge-

liche Kette bildet. Der Gräber-

Abb. 28 Denkmäler der Grafen v. Hahn in Basedow

luxus nimmt in dieser Zeit immer größere Dimensio- nen an, und be- sonders sind es die adehgen Fami- lien, welche darin wetteifern. Die zwei Hauptformen des Grabmals wer- den mit gleicher Vorliebe gepflegt : das Wandgrab, wel- ches, von einer rei- chen und kräftigen Architektur ein- gerahmt, die Ge- stalten der Ver- storbenen stehend oder kniend vor- führt ; und das Frei- grab, welches sie auf prachtvoll ge- schmücktem Sar- kophage liegend, aber auch kniend.

^) Vgl. über diese Grabmäler der Zeit u. a. Lübke, Gescliiclite der Plastik, 2. Aufl., S. 652 if.

Grabdenkmäler

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mahl Graf Philipp von Eberstein, von Johann von Trarbach (f 1586) aus Simmern gearbeitet. Zwei korinthische Säulen mit zierlichen Ornamenten am untern Teile des Schaftes bilden die Einfassung. Die Pilaster der drei Nischen sind ganz mit Wappen bedeckt, die Friese mit eleganten Blumenranken und lebendig bewegten Figuren. Ein großer durchbrochener Aufsatz auf schlanken korinthischen Säulen krönt den Unterbau dieses Prachtwerks, das in Kalkstein mit reicher Anwendung von Vergoldung ausgeführt ist. Viel weniger gezügelt sind dagegen die großen Epitaphien des Grafen Georg von Isenburg und seiner Gemahlin Barbara (f 1600), so- wie das des Grafen Ludwig von Stolberg und seiner Gemahlin Walburg von Wied (t 1578). Völlig be- malt und vergoldet, bietet namentlich das letztere Denkmal ein lehrreiches Beispiel von den üppigen Phan- tastereien des begin- nenden Schnörkelstils. Den höchsten Glanz entfaltet das pompöse Freigrab, welches die Mitte des Chores ein- nimmt und gleich den letzgenannten in Mar- mor ausgeführt ist. Die Gestalten der Ver- storbenen ruhen auf einer mit malerischen Reliefs geschmückten Tumba, über welcher auf acht Säulen ein Baldachin sich aus- breitet. Zwischen den Säulen hängen Frucht- gewinde herab, von Eisendrähten gehalten bar geworden sind

Abb. 29 Kanzel im Dome zu Trier

welche durch teilweise Zerstörung der Bekleidung sicht- Das Ganze ist von üppigster Pracht, aber arg beschädigt. Eine bekannte Reihe solcher Denkmäler bewahrt der Chor der Stiftskirche zu Pforzheim in den Gräbern der Markgrafen von Baden-Durlach. Wir nennen das Grabmal des Markgrafen KarP) (f 1677) mit seinen beiden Gemahlinnen Kuni- gunde (f 1558) und Anna (f 1586). So steif die Figuren sind, so vortreffHch gestaltet sich die umrahmende Architektur in ihrem Aufbau und der fein abge- stuften plastischen Dekoration, in der selbst die wenigen barocken Elemente maßvoll und echt künstlerisch behandelt sind. Die schönen Grabmäler badischer Markgrafen in der Stiftskirche zu Baden seien hier als ähnhch erwähnt. Eine

1) Nach den unter Bäum er ausgeführten Aufnahmen der Bauschule am Stuttgarter Polytechnikum auf Holz gezeichnet von Baldinger.

74 1- Bi^ch II. Kapitel Anfänge der Renaissance bei Malern und Bildhauern

andere Reihe von Prachtgräbern sind diejenigen der württembergischen Fürsten im Chor der Stiftskirche zu Tübingen. Es sind sämtlich Freigräber auf die Form des Sarkophags zurückgreifend, aber dieser ist in mehreren Fällen Gegenstand einer reichen architektonischen Ausbildung geworden. So namenthch das pracht- vollste dieser Denkmale, ganz aus weißem Marmor gearbeitet, für Lud- wig den Frommen, Herzog Chri- stophs jüngeren Sohn (f 1593) er- richtet. Von ähnlicher Anordnung und fast ebenso reich das Grabmal seiner Gemahlin Dorothea Ursula (t 1583).

Ganz anderer Art ist das große Gesamtdenkmal, welches seit 1574 Herzog Ludwig von Württemberg seinen Vorfahren in der Stiftskirche zu Stuttgart errichten ließ (Abb.

26) . Es sind elf ritterliche Gestal- ten in Nischen von einer reichen und eleganten Architektur eingefaßt, längs der Nordseite des Chores sich reihend. Das Architektonische und Ornamentale dieser in Sandstein meisterlich ausgeführten Arbeiten ist von hoher Vollendung.

Die Zahl solcher Werke in Deutschland ist eine unübersehbare. Die Hauptkirchen in den Residenzen unserer Fürsten oder auch seit Jahr- hunderten dafür bestimmten Grab- kirchen bildeten einst eine mäch- tige Reihe von Mausoleen, von denen noch eine sehr große Zahl sich im alten Zustande befinden. Auch für den Norden, von Königsberg (Abb.

27) , Schwerin und Doberan bis nach Jever, Emden, gilt das gleiche. Selbst manche Dorfkirche so Basedow ia Mecklenburg (Abb. 28) zeugt von der Kunstliebe wie der Fami- lientreue des deutschen Adels.

Einzelne ganz hervorragende Leistungen sind aber noch zu er- wähnen. So die prachtvolle Grab- stätte der Kurfürsten von Sachsen im Chor des Domes zu F reib erg. Das Moritzdenkmal ist ein mächtiger Sar- kophag von schwarzem Marmor, mit Statuetten und Reliefs von weißem Marmor geschmückt. Oben darauf acht eherne Greifen, welche den Deckel tragen, auf dem die Alabasterfigur des Verstorbenen kniet. Die Arbeit rührt aber, wie so viele Werke dieser Art in Deutschland, insbesondere in und nach der Mitte des 16. Jahr- hunderts, so das Otto Heinrichs zu Heidelberg, Philipps des Großmütigen zu Kassel, Edo Wiemkens zu Jever, Friedrichs I. zu Schleswig, der preußischen Herzöge zu

Abb. 30 Taufbecken in der Stiftskirche zu Bückeburg

Grabdenkmäler

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Königsberg, von niederländischen Künstlern her, welche das Denkmal 1588 94 vollendeten. Die pompöse Marmorarchitektur aber, welche die ganzen Ghorwände umkleidet und die vergoldeten Erzbilder sächsischer Fürsten und Fürstinnen um- schließt, wurde von Italienern ausgeführt. Das Ganze ist so imposant, daß es sogar den lustigen Hans von Schweinichen zu einer Notiz in seinem Tagebuche ver- anlaßte. Nicht minder prachtvoll, aber mehr auf selbständige Plastik berechnet, ist das Grabmonument des Kaisers Max in der Hofkirche zu Innsbruck; seine Ausführung hat seit 1509 bis in die siebziger Jahre gewährt. Die letzten großen Denkmäler, aus dieser Epoche, sind das Monument für Kaiser Ludwig in der Frauenkirche zu München, 1622 vollendet, und das noch großartigere des Fürsten Ernst von Schaumburg, das in dem siebeneckigen Kuppelbau des Nossen i hinter dem Chor der Kirche zu Stadthagen eine herrliche Stätte fand.

Was den Kirchen an anderen glänzenden Werken der Stein- und Bronze- plastik erwuchs, ist kaum minder bedeutsam. Kanzeln, oft von außerordenthchem Reichtum, so in Trier (Abb. 29), im Dom zu Magdeburg und in der Kilians- kirche zu Heilbronn; Altaraufbauten, die sich manchmal zu Denkmälern der Stifter ausgestalten, wie der in der Elisabethkirche zu Koburg, oder die merk- würdige Altar- und Denkmalanlage zu Lau enstein i. S.; Taufbecken, darunter manches Wunderwerk feinster Formengestaltung, so das einzig schöne bronzene des Adriaen de Vries in der Kirche zu Bückeburg (Abb. 30); Tabernakel, von denen wir des großen, in Sandstein ausgeführten Tabernakels in der Kirche zu Weil der Stadt gedenken, inschriftlich von Görg Miler (Müller) aus Stuttgart 1611 ausgeführt, eines Werkes von stattlicher Anlage und noch maßvoller Form- behandlung, nur im FigürUchen stark manieriert im Stile der Nachfolger Michel- angelos; prachtvolle Lettner, wie der im Dom zu Hildesheim; alles dies und noch so vieles andere erzählt von dem hohen Stande, den auch die Bildhauerei in jener glänzenden Zeit erklommen.

Drittes Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

Noch größere Bedeutung als in den eigentlichen bildenden Künsten gewinnt der neue Stil in dem weiten Gebiete des Kunsthandwerks, ja man darf sagen, daß hier die deutsche Renaissance eine Fülle und Lebenskraft erreicht hat, in der sie die der übrigen Länder übertrifft, i) Was zur Ausstattung der Wohnräume, was im engeren und weiteren Sinne zum Kostüm gehört, erfreute sich in Deutschland einer um so lebendigeren Pflege, als hier der Sinn für häushches Behagen vor- zugsweise ausgebildet war, von der Lebenslust und Prachtliebe der Zeit aber zur höchsten Üppigkeit gebracht wurde. Jede Art von technischer Kunstfertigkeit hatte aus dem Mittelalter eine gediegene Tradition an Handgeschick ererbt, die nun erst durch den Einfluß der Renaissance zur vollen Virtuosität sich steigerte. Daß die großen Meister der Kunst, ein Dürer, Holbein und andere es nicht ver-

1) Auf dem Gebiete des deutschen Kunstgewerbes der Renaissance sind seit einem Menschenalter ansehnliche Publikationen in großer Fülle erschienen. Ich hebe daraus hervor: die reiche Kapelle in der Residenz zu München, von Zettl er; die kaiserliche Schatzkammer zu Wien und die Waifensammlung daselbst, von Leitner; das Grüne Gewölbe in Dresden, von Grässe; die Schatzkammer in München, von Dr. v. Schauß. Sehr vieles findet sich in den zahlreichen Zeitschriften des Kunsthandwerks, in G. Hirths Formenschatz der Renaissance (München 1877 f.) und im Formenschatz (ebenda seit 1879). Vieles Wertvolle in Ortweins deutscher Renaissance. Anderes wird am gegebenen Orte aufgeführt werden.

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1. Buch III. Kapitel Die Renaissance im Kurstgewerbe

schmähten, dem Kunst- gewerbe Vorbilder zu schaffen, haben wir schon gesehen. So wurde die glänzende Formenwelt der Renaissance in diese Kreise hinübergeleitet. Allerdings bedurfte es auch hier einer länge- ren Übergangszeit, denn nichts haftet so zähe am Hergebrachten, Altüber- lieferten, als das Hand- werk. Deshalb wirken in diesen Regionen die goti- schen Formen noch lange nach mit ihren schema- tischen Maßwerken und ihrem naturalistischen Laubornament. Erst seit der Mitte des 16. Jahr- hunderts etwa wendet man sich auch hier, an- geregt durch bahnbre- chende Künstler, dem neuen Stile zu: aber bis ans Ende der Epoche mischt sich immer noch manches Mittelalterliche dabei ein. Besonders stecken Naturalistik und Phantastik auch hierbei den deutschen Meistern während dieser ganzen Zeit tief im Blute, so daß viel Barockes und Willkürliches bei ihren Schöpfungen mit ein- fließt. Gleichwohl neh- men diese großenteils durch Mannigfaltigkeit der Erfindung, Gediegen- heit der Arbeit, echt künstlerischen Sinn in der Verwendung und Ver- bindung der Stoffe, mei- sterliche Gewandtheit in der Bearbeitung jeglichen Materials eine hohe Stel- lung ein. Eine erschöp- fende Geschichte des

deutschen Kunsthandwerks der Renaissance ist immer noch nicht geschrieben,

Abb. 31 Chorstiihle der Klosterkirche zu Danzis

Plastische Kleinkunst

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obwohl sie zu den interessantesten Aufgaben der Forschung gehört. In dem Rahmen der gegenwärtigen Darstellung haben wir aber zunächst nur die Entwicklung der künstlerischen Formen ins Auge zu fassen, i)

Es sind größtenteils die plastischen Kleinkünste, die hier in Betracht kommen; um jedes Mißverständnis auszuschließen, muß aber sogleich bemerkt werden, daß das abstrakte, auf die bloße Form gerichtete Wesen, das die Ästhetik noch immer meist dem Skuipturwerk zu- schreibt, in jener Epoche wie in jeder frühern großen Kunst- ära unbekannt ist. Der Reiz der Farbe gehört dazu so wesentlich zu allen Erscheinungen des Lebens, daß auch eine lebensvolle Pla- stik seiner weder im Altertum, noch im Mittelalter und der Renaissance wenig- stens der deutschen hat entraten mögen. Wie die deutschen Skulpturwerke fast ausnahmslos bis ins 17. Jahrhundert Far- ben- und Goldschmuck nicht entbehren, so tragen insbesondere die Werke der Klein- künste, des Kunst- gewerbes das Gepräge einer reichen Poly- chromie (Abb. 32, 33, 34). In die allererste Linie treten hier die Arbeiten in Holz. Wie der Germane über- haupt, so steht der Deutsche seit den Ju- gendtagen seines Da- seins mit dem Holze in allerinnigster Verbindung. Dies Material hat auf jede ; seiner Existenzformen einen maßgebenden Einfluß geübt; und da die Bauweise 'der Germanen von Ursprung her eine Holzbaukunst war, und Nachwirkungen I davon heute noch fühlbar und Reste überall sichtbar sind, so trägt die gesamte

Eine fleißige Zusammenstellung bietet H. Weiß im III. Bde. seiner Kostümkunde. jLief. 5 10. Dazu Fr. Trautmann, Kunst und Kunstgewerbe vom frühesten Mittelalter bis :Ende des 18. Jahrhunderts. Nördlingen 1869. Musterhafte bildliche Darstellung in den Publi- Ikationen v. H e fn e r- A 1 1 e n e c k s , besonders den Gerätschaften des Mittelalters und der Renaissance und der Kunstkammer des Pürsten von Hohenzollern in Sigmaringen. Ge- ;schichte des deutscheu Kunstgewerbes von Jakob Falke. Berlin 1888. Lehnert, Illustrierte Geschichte des deutschen Kunstgewerbes. Berlin 1908 '09.

Abb. 32 Orgel der Stephanskirche zu Tangermünde

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1. Buch III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

formende und bildende Kunst, insbesondere auch die Archi- tektur und die Dekoration, solche Art bis heutzutage. Der Zimmermann wie der Tischler haben hier von jeher bestim- mend und formenbildend ge- wirkt. — Man vergegenwärtige sich nur das alte deutsche Wohn- haus und seine Räume! Ge- radezu alles: Wände, Decken, Möbel, Türen etwa nur mit Ausnahme des Ofens besteht von jeher aus Holz; nicht min- der das Geräte bis zur Holz- schüssel und dem Holzlöffel.

Aber auch für die Kirche und ihre Bedürfnisse gilt ähn- liches. Nicht bloß die zahl- reichen Holzschnitzaltäre, die Kanzeln, die Bühnen, die Or- geln, die Epitaphien u. dgl. m., sondern namentlich auch die Chorstühle gaben der Holz- schnitzerei reiche Gelegenheit zur Entfaltung. Mit der Renais- sance dringt auch die in Italien heimische eingelegte Arbeit (In- tarsia) bei uns ein, ordnet sich aber meistens der Plastik unter. Bis tief ins 16. Jahrhundert bleibt bei all diesen Werken die Gotik lebendig. Erst nach 1550 zeigt sich auch hier die Renaissance, bald aber schon mit barocken Elementen ge- mischt und später häufig in arger Überladung. Ein präch- tiges Beispiel der letzten Zeit gebe ich in Abb. 31 aus der Klosterkirche zu D a n z i g. Ist hier die Architektur fast ganz in phantastisches Bildwerk auf- gelöst, so bieten die späten Ghor- stühle in der Spitalkirche zu Ulm (Abb. 247) noch ein Bei- spiel edler Dekoräflöri und maß- voller Gliederung. Ihnen schon verwandt ist das herrliche Ghorgestühl in der Michaelshofkirche zu München, das sich jedoch durch größere Mannigfaltig- keit in den Motiven der Ornamentik auszeichnet. Noch strenger sind die Ghor- stühle im Kapitelsaale des Doms zu Mainz ^); bei ihnen beschränkt sich der 1) Herausgegeben vonM. Nohl undW. Bogler mit Text von W. Lübke. Glogau, 1863. Fol.

Abb. 33 Eintaphium zu Rostock

Gestühle Holzdecken

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Schmuck auf die Untersätze der kannelierten ionischen und die Lehnen und Wangen der Sitze.

Eine ausgezeichnete frühe Arbeit ist das wundervolle Gestühl des Münsters zu Bern, noch aus dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts; kaum minder fein Tie höchst eleganten aus den dreißiger Jahren in der Stadtkirche zu Wimpfen a. B., beide Werke vermutlich Peter Flettner zuzuschreiben. Das glän- zendste dieser Art, das Ghorgestühl der Fugger- kapelle zu Augsburg, ist leider vor hundert Jahren blöde zerstört worden ; auch es war ein Werk des genannten großen Künstlers.

Prächtige Ghor- stühle aus der besten Zeit besitzt die Klosterkirche zu Wettingen in der Schweiz. (Abb. 162.)

Auch an Orgeln hat sich die neue Kunst glän- zend bewährt; sie beginnt mit der zu Konstanz, etwa 1519, und gibt bis tief ins 17. Jahrhundert prächtige Leistungen, be- sonders in Norddeutsch- land. So mag in Tanger- münde die Orgel der Stephanskirche ein gutes Beispiel sein (Abb. 32). Von der Pracht der Epi- taphien der eingebauten Lettner geben Abb. 33 u. 34 einen Begriff.

Mit aller Energie wirft sich aber diese Technik auf die Aus- stattung der Wohn- räume. Zunächst sind es die Wände und Decken

der Zimmer, welche in gediegenster Weise mit hölzernem Täfelwerk ausgestattet werden. Für die Decken hatte das Mittelalter an den einfachsten Grundzügen der Konstruktion festgehalten und die Balken samt ihren Stützen und den Kopfbändern durch freies Schnitzwerk ausgezeichnet. Diese Sitte erhält sich auch während der Epoche der Renaissance, nur daß die Formen zum Teil der Antike entlehnt werden. Ein schönes Beispiel dieser Art bietet der Vorsaal im Rathaus zu Rothenburg ob der Tauber, das kraftvollste aber der mächtige Vorsaal des Rathauses zu Schwein furt. Bald indes dringt auch hier der antikisierende Stil durch, und die Decken werden nunmehr entweder auch ferner als Balkendecken behandelt, aber mit Renaissanceformen bekleidet oder, was das beliebtere ist, sie werden mit einem reichen Kassettenwerk geschmückt, dem die konstruktive Grund-

Abb. 34 Lettner aus der Ägidienkirche zu Lübeck

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1. Buch III. Kapitel Die Eenaissance im Kunstgewerbe

läge nur als leichter Anhalt dient. Durch feinere oder kräftigere Profilierung, durch reichere oder einfachere Ornamentik stufen sich diese Decken nach dem verschiedenen Charakter der Räume in charakteristischer Weise ab. Unerschöpflich ist dabei namentlich die Mannigfaltigkeit der Einteilung und Ghederung, insofern die verschiedensten geometrischen Figuren, vom einfachen Quadrat und der Raute bis zum Polygon und dem Stern und zur vielfältigsten Felderdecke dabei zur Verwendung und oft zu reizvoller Verbindung kommen. Als einfaches, aber ge- schmackvolles Beispiel diene der in Abb. 147 dargestellte Plafond aus dem Schloß Ambras bei Innsbruck, in klarer Einteilung, künstlerischer Ghederung und Ge- schmack seiner eingelegten Ornamente (Intarsien) von höchster Einheit. Zur größten Pracht erheben sich solche Decken, wenn außer reichster Bildhauerei und Vergoldung auch noch die Einfügung farbiger Gemälde hinzutritt. Die fein- sten Werke dieser Art, von wahrhaft berauschender Wirkung, mögen die eine herrliche Decke im Pellerhaus zu Nürnberg (Abb. 35) und die im Roten Saale

Abb. 35 Saal im Pcllerhaus zu Kürnberg

des Danziger Rathauses (Abb. 148) sein, die an Schönheit wohl von keinem Werke dieser Art irgendwo übertroffen werden; als die prächtigste kann wohl die Decke des Goldenen Saales im Augsburger Rathaus betrachtet werden. Hand in Hand damit geht die Ausstattung der Wandflächen, wo diese nicht etwa mit Teppichen bekleidet werden. Ein System von Pilastern oder Halbsäulen, ja an hervorragenden Punkten von frei, selbst paarweise heraustretenden Säulen mit verkröpftem Ge- bälk gliedert die Wände und verbindet sich manchmal nicht bloß mit plastischer

Täfelungen Holzdecken g]^

Dekoration, sondern auch mit farbig eingelegten Ornamenten. Vornehmste Pracht bietet das in Abb. 178 dargestellte Zimmer aus dem Alten Seidenhof zu Zürich, jetzt im Kunstgewerbemuseum daselbst aufgestellt. Durch schöne Intarsien zeich- nete sich das Zimmer im Haffnerschen Hause zu Rothenburg aus; davon gibt Abb. 36 eine Anschauung. Es ist jenes eigentümlich geschwungene und geschweifte.

Abb. 36 Aus dem Haffiiei-schen Hause zu Rothenburg o. T.

von jeder Naturnachahmung freie Ornament, das sich als ursprünglich maurisch zu erkennen gibt und von den Damaszierungen der Waffen, den Verzierungen der Teppiche, den zarten Lederpressungen der Bucheinbände des Orients in die Formenwelt der deutschen Renaissance als neues Element eindringt. Glä:nzenden Intarsienschmuck, mit plastischer Dekoration vermischt, findet man in dem Getäfel und der Decke eines Saales auf der Veste bei Koburg. Eine der schönsten Decken der Epoche, durch plastischen Schmuck und farbige Intarsien belebt, hat der obere Saal der Residenz in Landshut.^) Nicht minder reich die ähnlich behandelte im Saale des Gemeindehauses zu Näfels. Mehrere ausge- zeichnete Arbeiten derselben Art in einem jetzt als Gewerbemuseum dienenden Patirizierhause, dem Ehingerhof zu Ulm.^) Anderes der Art in einzelnen Bürger- häu.sern zu Nürnberg, Danzig, Lübeck usw.; von beispielloser Üppigkeit aber die geschnitzte Wendeltreppe samt Portalen und Täfelung der Güldenkammer, freiMch schon sehr barock, von Lüder von Bentheim, im Rathaus zu Bremen^), sowie das geradezu ausschweifende Schnitzwerk von Albert von Soest im Ratssaal zu Lüneburg (Abb. 37). Eine der allerschönsten Decken, völlig plastisch belebt,

1) Abbildung in Ortweins Deutscher Renaissance.

2) Abbildung in Ortweins Deutscher Eenaissance.

3) Aufnahmen in Ortweins Deutscher Eenaissance, Abteilung Bremen. Lübke-Haupt, Renaissance in Deutsellland I 3. Aufl. 6

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1. Buch III. Kapitel Die Eenaissance im Kunstgewerbe

ganz in Gold und Farben gefaßt, im Saale des Schlosses zu Heiligenberg vom Jahre 1584 (Abb. 204). Mehrere treffliche Stücke sieht man im National- museum zu München, namentlich den großen Plafond aus dem Schlosse zu Dachau, und das köstliche kleine Zimmer aus dem ehemaligen Fuggerschloß zu

Donauwörth vom Jahre 1546. Die schönste Täfe- lung derfrühen deutschen Renaissance lieferte so- dann von 1544 52 Jo- hann Kupper in dem prachtvollen Getäfel des Kapitelsaales beim Dom in Münster (Abb. 38), ein Werk, das in seinen Ornamenten den edel- sten Stil der Frühzeit in besonders reiner und prachtvoller Ausbildung zeigt. ') Das reichste dieser Art mögen die Lübecker Täfelungen des Fredenhagenschen Zimmers im Hause der Kaufleute (Abb. 39) und der Kriegsstube im Rat- hause, sowie die des Saales im Pellerhause zu Nürnberg (Abb. 35) sein; die unerhörte Pracht in der Gestaltung dieser Werke durch vorgestellte einfache und doppelte Säulen, üppigste Archi- tekturen in den vertief- ten Feldern, durch In- tarsien und Schnitzerei aller dafür nur verfüg- baren Teile, in Lübeck durch die Einfügung von zarten Alabaster-Reliefs und reichen figürlichen Schmuckes stellt hierin einen Höhepunkt dar, der kaum mehr über- schritten werden kann.

Neben solchen großen Prachtstücken bringt die Kunsttischlerei alle jene in ihr Gebiet fallenden Gegenstände, die zum Mobiliar der damaligen Bürgerhäuser und Schlösser gehören, in reichster und mannigfaltigster Weise hervor. Wo es irgend angeht, verwendet sie dabei nicht bloß die verschiedenen einheimischen und fremden Holzarten, sondern sie bedient sich auch der durch den überseeischen Handel herbei-

Abb. 37 Tür der Ratsstube im Kathause zu Lüneburg

1) Aufgenommen von Eincklake in Ortweins Deutscher Renaissance, Abteilung Münster.

Täfelungen Kunstschränke

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geführten kostbaren Stoffe, namentlich des Ebenholzes und Elfenbeins ; auch Perl- mutter, Schildpatt, Lapislazuli und andere seltene Steine werden zur Ausstattung herbeigezogen und verleihen den Werken jener Zeit reiche, doch vornehmste Farben- pracht. Noch am einfachsten gestalten sich in der Regel die großen Sehr änke für Kleider, die Truhen für Leinenzeug, die Büfetts und Kredenzen. Während das Mittelalter bei diesen Gegenständen wie überall das konstruktive Gefüge betont und sich mit einem geschnitzten Flächenornament, sei es Maßwerk, sei es Vege- tabilisches begnügt, führt freilich die Renaissance im Norden ihre Schränke und Kasten schon als vollständige kleine Bauwerke auf mit richtigen Pilaster- und Säulenstellungen ein- gerahmt und selbst mit Portalbildungen. Wo das in maßvol- ler Weise geschieht, entstehen oft treff- liche Schöpfungen; so der edel behandelte Schrank vom Jahre 1541 (Abb. 40), der wieder den Meister P. Flettner zum Schöpfer haben dürfte, sicher unter seinem direk- ten Einflüsse entstand, der schlichten mittel- alterlichen Aufbau in Verbindung mit ele- ganten Renaissance- Ornamenten zeigt. ^) Die Mehrzahl der deutschen Schränke geht jedoch bald auf völlige Nachbildung des steinernen Säulen- baues ein, und dabei strebt in der Regel der derbere Sinn der Zeit nach überkräftigem Hervorheben des Einzelnen, so daß die Gliederung oft eine Üppigkeit erhält, die nicht im Verhältnis zum Ganzen steht. Auch ist nicht zu verkennen, daß in dem Aufbau und in der Behandlung die Rücksicht auf die Bedingungen des Materials oft aus den Augen gelassen und dem Holz sogar eine falsche Stein architektur aufgezwungen wird, welche sich nur aus dem Gesichtspunkte einer freilich oft originellen und reizvollen Wirkung verteidigen läßt. Am meisten entfernen sich diese Werke von dem struktiv Rich- tigen, wenn beim Öffnen des Schrankes diese ganze Säulenarchitektur sich mit in Bewegung setzt, ja einzelne ihrer Glieder wohl gar sich in zwei Hälften zer- teilen. Wohl aber legen diese Werke von der Gediegenheit und Solidität der Arbeit wie von fachlicher Meisterschaft ein glänzendes Zeugnis ab, und die Art, wie die einzelnen Glieder, Profile, Ornamente dem Holzstil angepaßt sind, zeugt von künstlerischer Einsicht. Nicht bloß in den meisten öffentlichen Sammlungen,

') A. Ortwein, Deutsche Renaissance. Leipzig 1871. Fol. Taf. 6 ii. 14. Mehrere andere Beispiele ebenda, Abteilung Köln; ein sehr schönes in der Abteilung Hannover aus dem Besitz der Familie des verstorbenen Baurats Oppler.

Abb. 38 Täfelung aus dem Kapitelsaalc des Domes zu Münster /J^'y'

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sondern auch im Privatbesitz trifft man noch eine Menge solcher Arbeiten (Abb. 41, 42).

Ähnliche Wandlungen gehen mit den Truhen vor sich, dem bekannten nicht minder notwendigen und beliebten Gegenstande der häuslichen Ausstattung. Auch sie erhalten in der Frühzeit einen meist flach behandelten Schmuck durch Ornamente figürlicher oder vegetativer Art. Zahlreiche schöne Beispiele davon in unseren Kunstgewerbemuseen. Bald indes dringt auch hier die von Italien aus- gehende Intarsia ein, zugleich gewinnen diese Möbel durch ein System archi-

Abb. 39 Täfelung aus dem Fredenhagensclien Zimmer zu Lübeck

tektonischer Gliederungen ebenfalls den Charakter kleiner Gebäude. Was die Stühle und Sessel betrifft, so verharren sie anfangs noch bei der mittelalter- lichen Konstruktion und Formbildung, werden bald aber an Füßen und Rück- lehnen reich und oft originell mit Laubwerk und Figürlichem geschnitzt. Bei den bequemeren Armsesseln kommt bald der Tapezier mit seinen Polsterungen und Kissen überwiegend zur Geltung.

Einen höheren Anlauf nimmt die Kunsttischlerei, wo es gilt, Prachtgegen- stände zu schaffen, und gerade dieses Gebiet haben die damaligen Meister mit großer Vorhebe und mit wahrer Virtuosität gepflegt. So besitzen wir noch einzelne Bettladen aus jener Zeit, in denen die Pracht der Ausstattung mit dem feinen Geschmack in der Ausführung wetteifert. Eine sehr schöne, jetzt im National- museum zu München, ist die der Pfalzgräfin Susanna, Gemahlin Otto Heinrichs

Truhen Prachtbetten

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von der Pfalz, aus dem Schlosse zu Ansbach, ganz aus Ebenholz gearbeitet, an den Enden barock geschweift, alles mit köstlichen Ornamenten in Elfenbein be- deckt; mit ihnen wechseln, um Monotonie zu vermeiden, schwarze Ornamente auf weißem Elfenbeingrund. Eine andere Bettlade im Goldenen Saale des Schlosses zu Urach, mit eleganter eingelegter Arbeit, namentlich am Bett-

Abb. 40 Schrank der Frühreiiaissance aus Nürnberg

himmel; eine höchst reizvolle auf der Löwenburg bei Kassel, einst dem Land- grafen Moritz gehörig. Ein zierlicher Entwurf zu einer Bettstatt ist unter Abb. 43 aus den Schätzen alter Handzeichnungen des Museums zu Basel mitgeteilt. Hier herrscht noch der heitere Geist der Frührenaissance, wie Holbein sie aus- geprägt hatte; namentlich sind die vier Pfosten, welche den Betthimmel tragen, als graziöse Kandelabersäulen geschmackvoll gebildet. Die schönsten Beispiele dieser Art aber bieten uns die wundervollen Holzschnitte P. Flettners: Pracht- betten, wie er sie ohne Zweifel auch wirklich ausführte, in meisterhafter Zeich- nung. — Ein herrliches Werk ist die Prachtbettlade Abb. 44 im Nürnberger Museum.

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Besondere Vorliebe hatte die Zeit für die sogenannten Kunstschränke, die auf prachtvollen Tischen aufgestellt in ihren zahlreichen, teils geheimnisvoll versteckten Fächern und Schubladen zur Aufbewahrung von allerlei Kostbar- keiten und Raritäten bestimmt, oft aber auch lediglich als Schreibtische dienend und als solche ausdrückUch bezeichnet, durch allen erdenklichen Aufwand an prachtvollem Material und sinnreicher Arbeit selbst einen hohen Wert gewinnen. Während man in Italien sie überwiegend mit kostbaren Steinen, Mosaiken in pietra dura und Perlmutter inkrustierte und bisweilen dazu Miniaturgemälde

fügte, bedient man sich in Deutschland meist ein- gelegter Elfenbeinarbeit und läßt damit allerlei zierliche, in Silber ge- triebene, zum Teil ver- goldete Ornamente wech- seln. Die Gesamtform dieser Schränke bildet einen Aufsatz in Ge- stalt kleiner, palastartiger Prachtbauten, reich ge- gliedert in mehreren Stockwerken durch ver- zierte Säulen, Karyatiden und Atlanten in Hermen- form auf geschmückten Postamenten, dazwischen Statuetten und Reliefs in reichen Rahmen, das Ganze bekrönt von durch- brochenen Balustraden, auf deren Ecken Posta- mente mit Statuetten vor- treten. Der Mittelbau ist öfter eingezogen, stets aber mit einem Pracht- portal und darüber wohl mit einer offenen Loggia auf Säulen ausgestattet. Im Nationalmuseum zu

München sieht man mehrere schöne Werke dieser Art mit eingelegter Holz- mosaik in mannigfacher Ausstattung. Einer der reichsten ist ganz in Elfenbein aufgebaut, mit zierlicher Goldfassung, die aber großenteils durch eine spätere derbere in Rokokoformen verdrängt ist. Auf den einzelnen Flächen sind in Silberplatten Schmelzornamente eingelassen, an Feinheit des Stils und Farben- schönheit unvergleichlich. Papageien und andere Vögel, sowie phantastische Wesen aller Art wiegen sich in Blumenranken von herrlicher Farbenpracht. Der Schrank ist von Christoßh Angermaier aus Weilheim 1590 1601 gearbeitet, die Schmelzarbeit vom Goldschmied Tktvid Attenstättei- ausgeführt. Ein anderer Elfen- beinschrank daselbst ist an den Flächen und in den Hauptgliedern ganz mit Lapis- lazuli ausgestattet. Augsburg war der berühmteste Entstehungsort solcher Pracht- schreine. Man sieht an diesen Beispielen schon, wie Kunsttischler, Bildschnitzer, Steinschneider und Goldschmied zu gemeinsamer hoher Leistuns: sich vereiniio-ten.

Abb. 41 Einseleortc Kredenz

Kunstschränke

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Mehrere treffliche Werke dieser Art finden wir im Kunstgewerbe-Museum zu Berlin. So ein kleinerer Schrank aus Ebenholz, auf dessen schwarzem Grunde Felder von Lapislazuli mit vergoldeten Silberornamenten angebracht sind; das glänzendste Werk dieser Art aber ist der so- genannte pommersche Kunstschrank, der in sich eine Vereinigung aller verschie- denen Techniken der Zeit darstellt. Im Auf- trage Herzog Philipps IL von Pommern in Augsburg angefertigt und im Jahre 1616 vollendet, besteht er im wesentHchen aus Ebenholz, das jedoch durch die Anbringung zahlreicher Edelsteine, sowie silbergetrie- bener Figuren und Rehefs, Gravierungen in Silber und buntfarbiger Emailornamente zn größter Pracht gesteigert ist. Das Innere ist mit Malereien aller Art ausge- stattet, sämtliche Schubfächer aber mit den verschiedensten Silbergeräten zum Haus- gebrauch, mit mathematischen Instrumenten und dergleichen ausgefüllt. Zum Pracht- vollsten gehört ein Brettspiel aus Ebenholz mit silbergravierten Ornamenten von geist- reicher Erfindung und Ausführung. Das Ganze, ein Wunder mechanischer Geschick- lichkeit und künstlerischer Vollendung, wurde unter der Leitung des Patriziers PhiUpp Hainhofer durch den berühmten Kunsttischler Vlrich Paumgartner unter Mitwirken einer großen Anzahl anderer Künstler (die alte Beschreibung nennt deren nicht weniger als 24) ausgeführt.

Ähnliche Werke, wenngleich keins von so verschwenderischer Pracht, sieht man auch sonst in öffentlichen Samm- lungen. So im Historischen Museum zu Dresden einen Schrank aus Ebenholz, äußerst reich mit silbervergoldeten Flach- reliefs und farbenschimmernden Emails geschmückt; zwei andere ebendort von

Hans ScMeferstein in Dresden gegen Ende des 16. Jahrhunderts gearbeitet, mit herrlichen eingelegten Elfenbeinfiguren und Ornamenten, in wohlberechnetem Wechsel teils weiß auf schwarzem, teils schwarz auf weißem Grunde. Sodann ein Schmuckschränkchen, um dieselbe Zeit von Kellerthaler in Dresden aus- geführt, gleichfalls in glänzendem Ebenholz mit zum Teil vergoldeten Silber- ornamenten. Dahin gehört ferner der Arbeitstisch der Kurfürstin Anna, 1548 in Nürnberg gefertigt, äußerst sinnreich mit vielen teils versteckten Fächern, die in erschöpfendem Umfange alle Gerätschaften enthalten, deren man irgend zur Pflege des Leibes, sowie zu ernstem und heiterem Zeitvertreib sich bedienen mag. Selbst ein Klavier ist nicht vergessen. Weiter sieht man dort eins der schönsten Damen- bretter der Zeit, der Rahmen durchbrochene Goldarbeit mit Edelsteinen, die Felder in Silber, abwechselnd vergoldet, eingelegt mit eleganten Mellen, die Damensteine mit zierlichen Bildnissen fürstlicher Personen, in fein ziselierte Rahmen gefaßt.

Abb. 42 Rheinischer Stollcnschrank

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Nicht minder wertvoll im Nationalmuseum zu München ist ein kostbares Schach- brett von Elfenbein, mit Perlmutter und Metallornamenten eingelegt; am Rande Jagd- und Kampfszenen, sowie Gruppierungen von Waffen in trefflicher Zeich- nung. Dazu Brettsteine mit fürstlichen Bildnissen in zierlichster Arbeit. Der Bolz- kasten Herzog Wilhelms IV., in derselben Sammlung, aus Nußbaumholz mit ein- gelegten Elfenbeinornamenten, ist hier zu nennen. Die Verfeinerung des Innern dieser Kabinette steigt immer höher. Tiefe Architekturen mit Spiegeln im Hinter- grund, mit funkelnden Kristallsäulen, mit silbernen und goldenen Gebälken, mit prachtvollen Intarsien der Fußböden, mit Figuren, Blumen, Vasen, Bäumen aus

Edelmetall, ja mit klei- nen, künstlichen Spring- brunnen, deren Wasser wohl aus Bergkristall, wohl aber auch aus Wohl- gerüchen bestand, geben geradezu märchen- und zauberhaft wirkende Ein- drücke.

An diese kunst- vollen Tischlerarbeiten schließt sich die Elfen- beinschnitzerei und die Goldschmiede- kunst, die beide schon bei jenen Werken in ver- schwenderischer Weise zur Verwendung kamen, aber auch für sich selb- ständig auftreten. Be- sonders wird die Tätig- keit des Goldschmieds von jener Zeit in einem Umfange verlangt, wie kaum eine andere Epoche ihn jemals gekannt hat. Einerseits beansprucht die Kirche, insbesondere

die katholische, immer noch reichen Altarschmuck aus edelstem Stoff und auf das reichste geschmückt. Der Schatz der reichen Kapelle in München be- sitzt von solchen geradezu wunderbar vollendeten Werken, in denen Silber und Gold, Edelsteine, Perlen und farbiges Email sich zu zauberhafter Wir- kung vereinigen, eine ganz unvergleichliche Fülle. Anderseits aber bedarf die genußfrohe Zeit einen außerordentlichen Vorrat von Prunk- und Trink- geschirren, wie anderen Gefäßen aller Art. Die größten Künstler, Dürer, Holbein, Flettner, verschmähen es nicht, Entwürfe für solche Gefäße zu machen. Wir fanden, daß diese bei Dürer noch zwischen Gotik und Renais- sance schwanken, während Holbein dem neuen Stil mit Entschiedenheit hul- digt. Auch unter den zahlreichen Goldschmiedsrissen im Baseler Museum, ein Beispiel unter Abb. 45, die zum großen Teil von Peter Flettner aus dessen Jugendzeit herrühren dürften, finden sich manche der Auffassung des großen Meisters sehr nahe stehende. Flettner hat später in Holzschnitt noch eine Reihe solcher ganz hervorragend schöner Entwürfe veröffent-

Abb. 43 Bettentwurf zu Basel

Goldschmiedearbeiten Trinkgeschirre

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licht.^) Die klare Schönheit der Form, die vollendete Erfüllung des tektonisch Zweckmäßigen in den Zeichnungen dieser Meister hätten den deutschen Gold- schmieden wohl den richtigsten Weg weisen können. Zumal da sich noch zahl- reiche Nachfolger fanden, zum Teil reine Goldschmiede, die in prächtigen Ent- würfen die schönsten Vorbilder für die Werkstätten schufen. Da waren die Helfer Wenzel Jamnitzers, insbesondere der „Meister von 1551" (wohl Mathias Zündt), Virgil Solls und zahlreiche andere tätig, da gaben dann Paul Vlyndt, Georg Wechter, Bernhard Zan und verschiedene anonyme Meister ihre Ideen in Kupferstichen oder auch in Punzmanier heraus , prachtvolle Werke, deren schöner Umriß und reicher Zierat , wenn auch langsam in die For- men der späten Zeit

übergehend, einen wahrhaft vornehmen Goldschmiedestil at- men. Aber allzu stark war die Neigung zum Seltsamen, Phantasti- schen, Gekünstelten, zu lebhaft regte sich wieder der aus der Spätgotik vererbte Naturalismus, und so überbieten sich die damaligen Meister in den wunderlichsten Erfindungen. In Ge- stalt von Brunnen und Dreifüßen , von Burgen, Schiffen und dergleichen, wie schon das Mittelalter geliebt hatte , selbst auch von Damen im auf- gebauschten Reifrock,

wurden auch jetzt mit Vorliebe die Gefäße hergestellt. Der Pokal, mit dem Hans v. Schweinichen, wie er erzählt, auf dem Fuggerschen Bankett das Un- glück hatte, zu fallen, war in Form eines Schiffes, freilich von venezianischem Glase ausgeführt, es existieren aber auch nicht wenige solche Gefäße in Schiffs- form aus Gold und Silber. Außerdem liebte man schöne große Muscheln, nament- lich den Nautilus mit seinem Perlmutterglanz, den man reich gravierte und in zierlich getriebener Fassung und Henkeln auf ein reiches Fußgestell setzte. Häufig aber sind diese Gefäße, Kelche, Pokale, Humpen und Kannen mit und ohne Deckel, seien sie in Zinn und Kupfer oder auch in edlen Metallen aus- geführt, doch durch treffliche Gesaratform, fein gegliederte Profilierung und ange-

Abb. 44 Prachtbett im Gei'manischen Museum zu Nürnbers

1) J. Reimers, Peter Flötner nach seinen Handzeichnungen und Holzschnitten, Mün- chen 1890.

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messenen Schmuck muster- gültige Beweise von dem freien, künstlerischen Sinne, der in dem damaligen Kunst- handwerk lebte. Fuß, Kuppe und Deckel werden selb- ständig ausgebildet und in wohlabgewogenem Verhält- nis durchgeführt: der Fuß entweder hoch und durch scharf markierte, plastische Gliederung in freiem Rhyth- mus entwickelt, oder kürzer und einfacher, doch nicht minder energisch profiliert. Die Kuppe einfach in Becher- form gerade aufsteigend,

Abb. 46 Deutscher Pokal

Abb. 45 Pokal entwurf Basel

den Knopf oder auch ei- nem Figürchen bekrönt^) (Abb. 46, 47, 48). Sehr beliebt war die Form des Doppelpokals , dessen Hälften aufeinander ge- setzt wurden, so daß die obere den Deckel bildete. Neben den Pokalen sind die mit festen Deckeln versehenen Trinkkannen oder „Seidel" häufig (Abb. 49) mit breitem Standfuß, nach oben ver- jüngt, aber auch gerade aufsteigend , ebenfalls mit meist getriebenen Ornamenten reich belebt. Später, insbesondere im 17. Jahrhundert, liebte

1) Ein schöner, silberner Becher ans der städtischen Sammlnng im Rathause zu Nürnberg publiziert von A. Ortwein a. a. 0. Bl. 9.

nur mit Bildwerk ge- schmückt oder ge- buckelt, gerieft, mit vielen ein- und aus- wärts gebogenen Flä- chen, das Ganze wie- der mit getriebenen oder gravierten Orna- menten, mit Niellen, farbigen Emails und selbst mit Edelsteinen verziert. Der Deckel zumeist flach, aber mit freiem Ornament geschmückt und von einem oft graziös in Blumenform endigen-

Abb. 47 Deutscher Pokal

Goldschmiedearbeiten Prunkgefäße

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man es, den Körper des Humpens aus Elfenbein mit prächtig geschnitzten Reliefs herzustellen und nur mit Fuß, Deckel und Henkel aus edlem Metall zu versehen.

Abb. 48 Aus dem Lüiieburger Ratssilber

Unermeßlich ist der Schmuck, mit welchem man alle diese Geräte aus- stattete. Das ganze Reich der Mythologie und Allegorie wurde in Kontribution gesetzt, und dazu noch reichstes Ornament, zuletzt sogar üppiger Pflanzenschmuck gefügt. Dies vegetabilische Element aber fällt immer wieder gern in den Natu- ralismus zurück, wobei freilich die Virtuosität der Künstler in subtilster Aus- arbeitung der edlen Metalle sich bewundernswürdig zeigt. Doch nicht bloß im freien Treiben und Ziselieren und in geistreicher Gravierung besteht der Glanz dieser Arbeiten, sondern sie erhalten durch reiche Anwendung buntfarbiger Scbmelzmalerei die höchste koloristische Wirkung, wozu endlich noch das Feuer der verschiedenen Edelsteine sich gesellt. Vielleicht das Glanzvollste unter den erhaltenen Werken ist der berühmte Tafelaufsatz von Wenzel Jamnitzer (1508 bis 1585), ehemals im Besitz des Herrn Merkel in Nürnberg, neuerdings im Be- sitze der Familie Rothschild (Abb. 50). Aus einem naturalistisch behandelten Uniterbau von Felsen, die mit Gräsern, Kräutern und Blumen bedeckt sind, zwischen deinen man Schildkröten, Eidechsen, Schnecken und allerlei zierliche Insekten be- merkt, erhebt sich die Gestalt der Mutter Erde als Karyatide, auf dem Haupte eine Vase mit den zierhchsten Blumen und Kräutern tragend. Darüber steigt einte weitausladende Schale, von Genien unterstützt und ebenfalls mit buntem

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Blumenwerk, mit Schlangen und Eidechsen bekrönt, empor. Aus ihrer oberen Mitte endlich wächst ein elegantes Gefäß mit einem hochaufragenden Strauß von Lilien, Glockenblumen und anderen mit wunderbarer Zierlichkeit ausgeführten Pflanzen. Bei diesem Werke findet man bestätigt, was Neudörfer von Wenzel und seinem Bruder Albrecht berichtet: *) „Sie arbeiten beede von Silber und Gold, haben der Perspektiv und Maßwerk einen großen Verstand, schneiden beede Wappen und Siegel in Silber, Stein und Eisen, sie schmelzen die schönsten Farben von Glas, und haben das Silber-Ezen am höchsten gebracht. Was sie

aber von Tierlein, Würmlein, Kräutlein und Schmecken (Blumensträußen) von Silber gießen, auch die silbernen Gefäß damit zieren, das ist vorhin nicht erhöret worden." Wohl kann man aus einem strengeren Kunstgesetz heraus manches in diesen Ar- beiten zu naturalistisch finden; dennoch ist in ihnen mehr künstlerisches Verständnis und freier Schwung der Phantasie vorhan- den, als in gar vielen streng tektonischen Schöpfungen.^)

Die Zahl der Goldschmiede in Deutsch- land war außerordentlich groß. Wenn sich an Wenzel Jamnitzer sein Bruder Albrecht, sein Neffe Christoph, dann Hans Pezolt und andere anschlössen, wenn in Augsburg und München große und bekannte Meister ihre Kunst zu immer neuen Leistungen sporn- ten, so ist es doch hier nicht möglich, darüber mehr zu sagen, als daß die Silber- und Goldschmiedekunst in der Renaissance- zeit in Deutschland geradezu in jeder an- sehnlicheren Stadt blühte und tüchtigste Meister hervorbrachte, im fernen Osten wie im Norden und Westen. Jede Stadt und jeder Fürst besaß einen Gold- und Silber- schatz, aus dem Geschenke gemacht wur- den. Spätere Not hat sie alle eingeschmol- zen; das berühmte Ratssilber Lüneburgs hat sich ausnahmsweise bis in die Gegen- wart gerettet und zeugt davon, daß die norddeutschen Meister den Vergleich mit den fränkischen und schwäbischen nicht zu scheuen hatten.

Ein erst in neuer Zeit wieder entdeckter, höchst hervorragender Künstler dieser Art (wie viele mögen noch im Schatten schlummern!) ist der glänzende Anton Eisenhoidt aus Warburg. Seine Ausbildung vollendete er in Rom und er- rang dort jene hohe Meisterschaft namentlich im Figürlichen, die seinen Werken den Wert freier Kunstschöpfungen verleiht. Um 1588 arbeitete er für Kaspar von Fürstenberg, den Bruder des Fürstbischofs von Paderborn, jene prachtvollen Silberwerke, die sich noch jetzt im Besitz der Familie im Schloß zu Herd-

Abb. 49 Kanne im Museum zu Schwerin

1) J. Neudörffers Nachrichten von den vornehmsten Künstlern etc. (Nürnberg 1828.) S. 33 fg.

2) Vgl. E. Bergan, Wenzel Jamnitzers Entwürfe zu Prachtgefäßen in Silber und Gold. Berlin, P. Bette.

Goldschmiede Jamnitzer, Eisenhoidt

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ringen bei Arnsberg befinden (galvanoplasti- sche Nachbildungen im

Kunstgewerbemuseum zu Berlin).!) Es sind die prachtvollen silber- nen Buchdeckel zu einem Kölner Missale und einem

Pontificale Romanum (Abb. 51), ein großartiger Kelch, ein herrlich auf- gebautes und reichge- schmücktes Kruzifix, so- wie Weihwasserkessel (Abb. 52) und Spreng- wedel. In Schönheit der Gliederung , Reichtum und Adel der figürlichen und sonstigen orna- mentalen Beiwerke, ge- schmackvoller Verwen- dung von Vergoldung, Perlen und edlen Steinen müssen diese Arbeiten zu den herrlichsten Lei- stungen deutschen Kunst- gewerbes gezählt wer- den. Ihre Ornamentik bewegt sich mit ihrem Laubwerk, ihren Ranken und Blumen, ihren Mas- ken und mannigfachen phantastischen Wesen, ihren Kartuschen und anderen Gebilden im Stil unserer Spätrenaissance; barocke Behandlung ist wenig zu spüren, da- gegen sind in über- raschender Weise selbst gotische Elemente mit feinem Verständnis der Form hinzugezogen. Die technische Arbeit zeugt von höchster Meister- schaft. — Zu prachtvol- len Bucheinbänden wird

1) Vgl. Julius Lessings schöne Publikation: Die Sil- berarbeiten von A. Eisen- hoidt aus Warburg. Berlin 1880. Fol.

Abb. 50 Tafelaufsatz von Wenzel Jamnitzer

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überhaupt nicht selten die Kunst des Goldschmiedes herbeigezogen; so an dem Geschlechisbuche der Freiherren von Tucher in Nürnberg; sein Holzdeckel ist mit schwarzem Samt überzogen, mit silbernen Krampen, Eckbeschlägen und einem prächtigen, von sechs geflügelten Engelköpfchen umgebenen Mittelstück geschmückt. Das Mittelstück mit dem Gekreuzigten sowie die Eckbeschläge mit Gestalten von Tugenden werden von durchbrochenen Ornamenten von ebenso geschmackvoller Erfindung wie meisterlicher Ausführung umrahmt.

Die Ornamentmei- ster jener Epoche, Paul Vlyndt (Abb. 53), Georg Wechter und viele an- dere haben hierfür die prächtigstenVorbilder ge- schaffen.

Aber die Tätigkeit des Goldschmiedes er- streckte sich auch über die Gebiete des Schmuckes, und zwar nicht bloß der schmückenden Geräte im engeren Sinne; vielmehr wurde die ganze Kleidung zum Gegenstand präch- tiger Ausstattung. Nicht allein die Ringe, Ketten und Gürtel, die Spangen und Agraffen gaben An- laß zu künstlerischer Be- handlung, sondern auch die Röcke, Mäntel, Ba- rette und Hüte wurden oft reich mit Zieraten bedeckt, zu deren Er- findung selbst Meister wie Holbein Kopf und Hand zu bieten nicht verschmähten. Schöne Beispiele besitzt das Na- tionalmuseum zu Mün- chen, namentlich jene

Abb. 51 Buchdeckel von Anton Eiseiilioidt SchmUckgegenstände,

welche aus der Pfalz- Neuburgischen Fürsten- gruft zu Lauingen stammen. Es sind goldene Halsketten mit reichen Gehängen, Knöpfe mit Emailornamenten, kleinere Armketten, Nadeln und Ringe, Kleider- besatz und Agraffen, alles in fein durchbrochener Arbeit mit herrlichem Email- schmuck ausgestattet. Ferner Frauengürtel in Silber- und Goldfiligran, mit ineinanderverschlungenen Ringen meisterhaft gearbeitet, dazu Medaillen als Ge- hänge, alles mit reichem Schmelzwerk. Endlich Männerschmuck, besonders silberne Ketten und Dolche mit treff lich ziselierten Scheiden. Eine der reichsten Sammlungen von Prachtgegenständen aller Art findet sich in der k. Schatz- kammer der Residenz zu München. Nicht minder merkwürdig ist das gemalte

Goldschmiedearbeiten Schmuck

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Inventar dieser Kostbarkeiten, ausgeführt von der Hand Hans Muelichs, schon deshalb von hohem Wert, weil so manches der dargestellten Prachtstücke längst verschwunden ist. Die Gegenstände sind auf Pergament mit deckenden Farben und Gold meisterlich ausgeführt. Dazu gehört noch eine Reihenfolge von Ent- würfen jenes Münchener Meisters zu Pokalen und Schmucksachen aller Art. Muelich ist darin der eigenthche Nachfolger Hans Holbeins; seine Arbeiten zeichnen sich durch schwungvollen Umriß, eleganten Aufbau und treffliche Verwertung figürlichen Beiwerks aus.

Abb. 52 Weihwasserkessel von Anton Eisenhoidt

Um einige Anschauung von dem Reichtum und dem Geschmack solcher Schmucksachen zu geben, fügen wir in Abb. 55 verschiedene Beispiele muster- gültiger Werke dieser Art bei. Das oberste Mittelstück ist eine Agraffe aus dem Museum zu Kassel, feine Emailarbeit mit zwei Rubinen und zwei Smaragden geschmückt, in der Mitte St. Georg, den Drachen tötend. Daneben zwei Rosetten aus derselben Sammlung, ebenfalls emailliert, mit einem Rubin und Smaragd in der Mitte. Darunter eine goldene Kette von zierlicher Arbeit, mit Email, Rubinen und Perlen reich geschmückt. Augsburger Arbeit aus dem 16. Jahrhundert, im Besitze des Fürsten von Fugger-Babenhausen. Das mit Perlen und Rubinen ge- schmückte Gehänge zeigt einen Amor. Das Mittelstück der Abbildung ist ein Scjhützenkleinod im Besitze der Stadt Leipzig, aus dem 17. Jahrhundert, aus

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emailliertem Golde, mit Perlen und tafelförmigen Diamanten geschmückt. Rechts sieht man einen Armbrustschützen nach einer Scheibe zielen, deren Mittelpunkt ein Edelstein bildet, in der Mitte eine kranzspendende Dame in Reifrock und tellerförmigem Kragen. Die beiden prächtigen Gehänge endlich, unten links ein Pferd von einem Löwen angefallen enthaltend, rechts mit einem Kentauren ge- schmückt, einst im Besitze des Prinzen Karl von Preußen, sind wiederum Gold- arbeiten, aufs reichste mit Schmelz, Perlen und Edelsteinen geschmückt. Abb. 55 bringt zwei silberne Frauengürtel, von hoher Schönheit der Arbeit. Endlich Abb. 54

Abb. 53 Pokalentwurf von Paul Vlyndt Abb. 54 Behang von Hans Collaert

ein Entwurf von Hans Collaert zu einem Geschmeide in Form eines Kreuzes, wo- bei die Ornamente entweder auf Niello oder, wie es in dieser Zeit das Üblichere ist, auf Email berechnet sind. Eine große Zahl von Künstlern des Kupferstichs haben sich auch in Deutschland des Schmuckes angenommen. So vor allem Virgil Solis (Abb. 56).

Ferner ist an den Stoß - und Hiebwaffen der Zeit, die neben den Trink- gefäßen in Deutschland den vornehmsten Gegenstand der Liebhaberei bildeten, die künstlerische Ausstattung mit jeder Art von Goldschmiedarbeit, aber auch mit Elfenbeinschnitzereien und eingelegten Ornamenten eine wahrhaft bewunderns- werte; andere davon sind, besonders an Handgriffen und Körben, auf das er- staunlichste und feinste aus reinem Eisen geschnitten. Köstliche Beispiele sieht man in der Ambraser Sammlung zu Wien, einiges im Nationalmuseum zu München, in größter Fülle und Auswahl aber im Historischen Museum zu Dresden.^) Schon die reiche Mannigfaltigkeit der Form beweist die Vorliebe

1) Vgl. die schöne photogr. Publikation von Hanfstaengl.

Waffen 97

Abb. 55 Verschiedenes Geschmeide

für diese Gegenstände. Neben dem Ritterschwert und dem gewaltigen Zweihänder kommt bald der zierliche Stoßdegen auf; dazu der Dolch, der besonders zu reicher Ausstattung Anlaß gab. Für den Griff und die Scheide solcher Waffen, die in erster Linie zum Prunk getragen wurden, verwendete man jede Art kunstreicher Ausstattung und jedes kostbare Material, meistens in höchst geschmackvoller Lübke-Haupt, Eenaissance in Deutscliland I 3. Aufl. 7

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1. Buch III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

Weise. Aber auch die gewöhnlicheren Angriffswaffen, die mannigfach gestalteten Spieße, meist mit breiten, messerförmigen Klingen, die Partisanen und Hellebarden, endlich die Streithämmer, Kolben und Äxte werden künstlerisch geschmückt. Wenigstens bedeckt man ihre Stahlflächen mit damaszierten oder geätzten Orna- menten, die oft zum Schönsten gehören, was die Flächendekoration dieser Zeit

aufzuweisen hat (Abb, 57),

wie mit aufgehämmertem (tauschiertem) Silber- und Goldschmucke.

Gleiche Liebe ließ man den Handfeuerwaffen ange- deihen, von der schwerfäl- ligen Bombarde und Mus- kete bis zur beweglichen Pistole und der Jagdbüchse. Hier entspricht der feinen Ornamentation des Rohres eine nicht minder reiche Ausstattung der Schäfte und Kolben mit erhabener Schnitzerei oder eingelegten Perlmutter- und Elfenbein- figuren, auch mit Gold- und Silberzieraten. So bieten diese Waffen einen Überblick über das, was die verschie- densten Kunstgewerbe der Zeit zu leisten vermochten Daran schließt die nicht minder ruhmvolle Arbeit der Harnischmacher oder Platt- ner. Was anPrachtrüstungeni in öffentlichen Sammlungen! noch erhalten ist, zeigt uns; eine Tätigkeit auf diesemi Gebiete von wahrhaft un- glaublicher Vielseitigkeit.. Gegenüber der Einfachheiit mittelalterlicher Rüstungen wird gerade hier offenbar, welche -Umgestaltung durch die Renaissance in die Ausstattung dieser Dinge kam. Erst jetzt werden die Rüstungen Gegenstand wirklich künstlerischer Durchbildung. Man wetteifert in neuen Erfindungen, unra dem Metall den höchsten Glanz zu verleihen. Wichtig wurde namentlich das inn Anfang des 16. Jahrhunderts in Nürnberg erfundene Ätzen in Metall, sodann die Tauschierarbeit, bei der man Flachornamente aus Gold oder Silber einschlägt,. Mit diesen Hilfsmitteln, zu denen die Gravierung und Vergoldung, das Treiben,, Bohren und Schneiden des Metalls sich gesellte, wurden die Rüstungen, besonders die zu bloßem Prunk gemachten Stücke, unter dem Einfluß der Renaissance wahre Wunderwerke künstlerischer Vollendung. Die Ornamente, mögen sie in schmalen Bändern die einzelnen Teile einfassen oder in freiem Erguß über die ganzem Flächen sich ausbreiten, mögen sie als flache Zeichnung eingelegt oder in er- habener Arbeit getrieben sein, sind stets von mustergültiger Schönheit. Das

Abb. 56 Entwürfe zu Schmucksachen von Virgil Solis

Waffen und Rüstungen

99

Abb. 57 Partisane und Hellebarden

ganze ornamentale Gebiet der Renaissance hat hier Verwendung gefunden: Akan- thus- und andere Blumenranken, gemischt mit Masken, phantastischen Bildungen, Schlangen, Vögeln, Insekten und anderem Getier, dann wieder Gruppen von Waffen zu Trophäen geordnet, aber auch historische Kompositionen, Schlachtenszenen, Mythologisches in reicher Abwechslung erheben diese Werke oft zum Range hoher Kunstschöpfungen. Seit 1550 etwa mischt sich darin das spätere Ornament der Schnörkel, Kartuschen und Voluten ein, das in seiner derberen Weise freihch

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1. Buch III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

manchmal zu Überladung führt und jene feinere Ornamentik zuletzt verdrängt. Ganz herrlich ist eine Anzahl von Prachtrüstungen in der Ambraser Sammlung zu Wien und im Historischen Museum zu Dresden, hier besonders die Rüstung Kurfürst Christians II. von Desiderius Colmann in Augsburg gearbeitet. Im Na- tionalmuseum zu München ist bemerkenswert die Rüstung des Erzbischofs von Salzburg, Wolf Dietrich von Raitenau (f 1617). Aus dem vertieften, dunkel- gekörnten Grunde heben sich die Ornamente, Figuren, Waffenstücke in Gold hervor, aber sämtlich flach gearbeitet, eine besonders wirksame Arbeit der Tauschierung. Zum Schönsten der ganzen Zeit gehört auch der Schild im Kensington-Museum zu London, im Jahre 1552 von Georg Sigmann in Augsburg ausgeführt. Er

Abb. 58 Entwürfe zu Rüstungen

enthält in erhaben getriebener Arbeit in der Mitte ein Medusenhaupt, ringsum Szenen eines römischen Sieges mit Opfern und dergleichen in vollendet freiem Stil, maßvoll und klar in der Ornamentik. Solche Werke pflegte man früher ohne weiteres dem Benvenuto Gellini und andern Itahenern zuzuschreiben; jetzt wissen wir, daß die besten deutschen Meister den berühmtesten italienischen auf diesem Felde völlig ebenbürtig waren, daß z. B. Jörg Seusenhofer von Inns- bruck durch Franz I. an den französischen Hof gerufen wurde, um für den König und die französischen Großen Rüstungen auszuführen.^) Auch die Entwürfe zu Rüstungen, wahrscheinHch Arbeiten Hans Muelichs (Abb. 58, 59), die Hefner-Alten- eck im Kupferstichkabinett zu München aufgefunden hat^), tragen meistens die Embleme Franz' I, und Heinrichs II., Hefern also einen neuen Beweis von der Geltung, welche die deutschen Harnischmacher im Auslande besaßen. Die be- rühmteste Wafifensammlung Europas, die Armeria real in Madrid, ist dessen leuch-

1) D. Scliönherr im Archiv f. Gesch. und Altertumskunde Tirols. 1864. I. S. 84 tf.

2) Photographisch publiziert von Hefner v. Alteneck. München. Pol. Danach die Abb. 58. 59.

Eisenarbeiten

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tendes Zeugnis. Weitaus die Mehrzahl der dort ausgestellten Prachtrüstungen entstammen deutschen Händen.

An diese Prachtwerke mögen sich die derberen Arbeiten der Eisenschmiede und Schlosser reihen, oft genug durch höchste technische Vollendung und sinnreiche Erfindung als wirkliche Kunstwerke zu schätzen.^) Die Ausstattung des Hauses und seiner Umgebung kommt hier zunächst in Betracht. Schlösser und Türbe- schläge (Abb. 60), sowie Türgriffe (Abb. 61) er- freuen sich reicher Durch- bildung und werden in ihren Flächen häufig durch eingegrabene und geätzte Ornamente, bis- weilen selbst durch Ver- goldung und Tauschier- arbeit geschmückt. Oft wiegt in diesen Ornamen- ten ein phantastisches Spiel mit allerlei Figür- lichem vor; in anderen Fällen wird durch einfache lineare Muster wie in Abb. 62 eine stilvolle Schönheit erreicht. Wie prachtvoll sich durch solche reiche Beschläge, durch die künstlerische Ausbildung derSchlösser, Hespenund Bänder die Haustüren dar- stellen, wie in ihrer Ge- samterscheinung Kraft und Reichtum sich verbin- den, davon geben wir in Abb. 318 von der Türe des

Pellerhauses zu Nürnberg ein Beispiel. Die Eisenarbeit hatte im Mittelalter selbst während der Herrschaft der Gotik sich am meisten dem Despotismus der architek- tonischen Form zu entziehen gewußt und ihre Gebilde in freier Ornamentik gestaltet. Dennoch war sie nicht ganz frei von der Spielerei mit Maßwerk geblieben, und ihr Pflanzenornament trug das Gepräge des spätgotischen Naturalismus. Derbe Kraft, handwerkliche Gediegenheit ist aber allen jenen Schöpfungen eigen. Die Renais- sance entwickelt nun die Tätigkeit des Eisenschmiedes zu freier künstlerischer Höhe. Zunächst wo es gilt, Flächen zu dekorieren, geschieht dies oft mit dem ganzen Zauber der Ornamentik dieses Stiles, Hervorragend glänzt die Erfindung und Kunst- fertigkeit der Meister in Herstellung der schmiedeeisernen Gitter, wie man sie an Portalen und Fenstern, besonders häufig an dem über der Haustüre, bei Garten- eingängen oder Brunneneinfassungen, endlich in den Kirchen zum Abschluß der

Abb. 59 Entwürfe zu Rüstungen

1) Vgl. die musterhaften Aufnahmen in Hefner-Alteneoks Eisenwerken etc. Frank- furt 1862. Dazu treffliche in Fr. Otto Schulzes Kunstschmiedearbeiten (Leipzig 1877); vgl. auch Deutsche Schmiedewerke von Raschdorff und Walter (Berlin).

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1. Buch III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

Kapellen und.des Cho- res oder auch zur Einfassung des Tauf- steins verlangte. An diesen Arbeiten hat die Schmiedekunst eigen- artige Meisterstücke an Schönheit und Pracht geschaffen.

Das Prinzip der Arbeit besteht darin, runde Stäbe, durch- einander durchge- steckt, in mannig- fachen Verschlingun- gen so miteinander zu verbinden, daß das Ganze ein festes Ge- flechte bildet. Vor allem spielt hierbei jenes Durchstecken zweierEisen eine wich- tige Rolle, indem das eine warm gemacht, gestaucht und dann gelocht wird, um das andere durch die Öff- nung ziehen zu kön- nen. Dadurch wird ein geradezu unlös- barer Zusammenhang des Ganzen erzielt. Diese Technik, die man vorher nur bei vierkantigen Eisen- stäben und zwar aus- schließlich nur in geradlinigen Durch- schneidungen ange- wendet hatte, ist eine wahre Geduldsprobe für den ausführenden Meister, weil das Werk in seinem Zusammen- hange jedesmal wie- der ins Feuer gebracht und glühend gemacht werden muß. Aber gerade im Schaffen und Überwinden sol- cher Schwierigkeiten suchten unsere alten

Arbeiten des Schlossers

103

Kunsthandwerker ihren Stolz, und trotz aller Zerstörungen ist noch immer ein un- übersehbarer Reichtum an Meisterwerken dieser Technik überall in deutschen Landen zu finden. Die konstruktiven Gesichtspunkte bilden immer die Grundlage und sind stets so berücksichtigt, daß diese Werke an festem Zusammenhang ihres- gleichen suchen. Daneben aber herrscht ein bewundernswürdiger Reichtum der Erfindung, zunächst in den mannigfaltigsten Formen der Linienführung. Man zieht die Stäbe wie ein Rankenwerk in spiralförmigen Windungen und läßt kleine Seitenäste wie Zweige daraus hervorgehen, die ebensoviele Querverbindungen bilden, nicht bloß den Eindruck bereichernd, sondern auch die Festigkeit vermehrend. Sodann verwendet man die Stäbe häufig so, daß man sie wie Schreibschnörkel in regelmäßiger Wiederkehr sich übers Kreuz durchschneiden läßt und mit solchen kalligraphischen Linien oft den Mittelpunkt eines Gitters auszeichnet (Abb. 63). Die Krönung der einzelnen frei heraustretenden Glieder wird stets durch präch- tige Blumen gebildet, bei denen der Kern immer aus einem spiralförmig ver- schlungenen Eisen- draht besteht, um den sich in zierlichem Spiel kleinere Ranken grup- pieren. Daneben er- halten die untergeord- neten Endungen oft ein freies Blattwerk, gezackt nach Art des Efeus und des Wein- laubs, oder in ein- facherer Lanzettform. Endlich verlangt aber auch die Phantastik der Zeit ihr Recht, und sie übt es da- durch aus, daß sie selt- same Fratzen, Men- schen- oder Tierköpfe und wunderliche Ge-

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Abb. 62 Türklopfer

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1. Bach III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

Abb. 63 Fenstergitter aus Freibera

stalten aller Art aus den Ranken hervorwachsen läßt. Diese figür- lichen Beiwerke erhalten dann durch kräftige Einkerbunger. eine noch markigere Charak- teristik, und schließlich wird das ganze Gitter farbig gefaßt oder wenigstens dunkel angestrichen, an Blumen, Blättern und andern ornamentalen Zutaten aber ver- goldet. Wir nennen als Beispiel ein schönes, aber noch ziemlich einfaches Gitter aus Aulen- dorf in Württemberg, ein spä- teres treffliches aus dem Rat- haus zu Nürnberg, vor allem aber die schönen Gitter, welche sämtliche Kapellen des Doms zu Freising abschließen. Ein Ganzes von unvergleichlicher Pracht. Die herrlichen Kapellen- gitter der Frauenkirche zu München sind modernem Restaurationsvandalismus zum Opfer gefallen. Hervorragend ist das Gitter mit reichen, in Eisen geschnit- tenen Kandelaberpfosten dazwischen, welches das Denkmal des Kaisers Max zu Innsbruck in der Hofkirche, treffhch das ähnhche, das im Dom zu Prag das Grabmal Karls IV. umgibt. Ein anderes vom Jahre 1599 umschließt den Doppel- altar in der Kirche zu St. Wolfgang in Oberösterreich. i) Reiche Arbeiten sind ferner vor den Kapellen des Doms zu Konstanz (Abb. 64), am Westchor des Doms zu Augsburg, an mehreren Chor- kapellen daselbst, hier sogar mit den späten Bezeichnungen 1691 1709, ja noch jünger die prachtvollen Eisengitter vor dem Chor und dem Sakra- mentshäuschen im Münster zu Ulm, 1713 und 1737 von Johann Vitus Banz gearbeitet. Sie sind ein merkwürdiger Be- weis von der zähen Ausdauer, mit welcher gerade die Kunst- schlosser an alten Überliefe- rungen und Formen festhalten. Die Zahl der Beispiele ist heute noch unübersehbar, von denen

^) über österreichische Eisen- arbeiten vgl. den gediegenen, mit zahlreichen trefflichen Illustratio- nen ausgestatteten Aufsatz von H. Riewel in den Mitt. der Zentr.- Komm. 1870. XV. S. 39 ff.

Abb. G4 Kapellengitter vom Dome'zu Konstanz

Gitter

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in der Hof kirche in Luzern an bis zu dem Taufsteingitter in der Brüderkirche zu Braunschweig und schönen Arbeiten in Lüneburg und Lübeck; von solchen an im Rheinlande bis zu denen im Osten von Deutschland. Der Norden ist darin ebenso reich als der Süden. Nicht minder häufig ist die Anwendung solcher Gitter zu profanen Zwecken. Ein vor- zügliches Beispiel das Prachtgitter, wel- ches den Augustusbrunnen zu Augs- burg, ein anderes, das den schönen Brunnen zu Nürnberg umgibt. Auch zu eigentlichen Brunneneinfassungen im engeren Sinne verwendete man das Schmiedeeisen, indem man die Brunnen- öffnung mit steinerner Brüstung ver- sah, und über dieser ein Gerüst aus Eisen zum Aufhängen der Rolle für die Zieheimer anbrachte, dieses Gerüst dann aber mit reichem Gitterwerk bekleidete. Ein noch verhältnismäßig einfaches, dreiseitig aufgebautes, vom Jahre 1564, ehemals zu Neunkirchen in Nieder- österreich, jetzt auf Schloß Stix en- stein aufgestellt; ein ungleich reicheres zu Bruck an der Mur vom Jahre 1626 (Bd. II, Abb. 38), und noch manche andere in Österreich und Steiermark (Abb. 65). i) Ein besonders schöner Brunnen zu Neiße.^) Auf die zahlreichen Gitter an den Fenstern und Türen von Privat- häusern hier einzugehen, würde zu weit führen. Ausgezeichnete Fenster- gitter an dem späteren Flügel des Rat- hauses zu Würzburg (Abb. 68).

Ähnliche Arbeit verwendete man sodann mit Vorliebe an den Schildern derWirtshäuser, Zunftstuben oderWerk- stätten der verschiedenen Handwerker. Man schmückte die Stangen, an denen die Gitter aufgehängt wurden, mit ver- schlungenen Ranken, besonders sol- chen, die das Dreieck zwischen den eisernen Trägern ausfüllen. So manche in Rothenburg o. d. Tauber und an anderen Orten. Ebendahin gehören die eisernen Träger, welche die aus Kupfer

oder Eisenblech getriebenen phantastischen Wasserspeier der Renaissancezeit stützen (Bd. II, Abb. 26). Hervorragend schön eine solche Stütze am Friedrichsbau zu Heidelberg. Ein treffhches Beispiel vom Landhause zu Graz, ein anderes vom Alten Schloß zu Stuttgart ist in den Mitteilungen der Zentralkommission ab- gebildet.^) Ähnliche kommen überall an alten Schlössern und Bürgerhäusern vor.

1) Vgl. den Aufsatz in den Mitt. der Zentr.-Komm. XV. Fig. 46.

2) Abb. bei Fritscli, Denkmäler deutscher Renaissance.

3) A. a. 0. Fig. 85 und 8fi.

Abb. 65 Brunnen Im Schloß Grafenegg (Oberösterreich) (Nach Phot. 0. Schmidt, V^ien)

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1. Buch III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

Abb. 66 Wandleuchter

Sodann finden wir reich verzierte Träger oder Gehäuse an den Haus- glocken, welche man über der Haustüre draußen anzubringen liebte. Beispiele der Art in Nürn- berg, Ischl, Hallstadt, Steyr^) usw. Auch sonst hat die Schmiedekunst das Innere und Äußere der Häuser mit trefflichen Schöpfungen ausgestattet und durch diese wesentlich zu dem heitern Charakter der Renaissance- gebäude beigetragen. Ich erinnere da an die Leuchter und Licht- ständer mancherlei Art (Abb. 66 und 67)2), ^jig Bettgestelle ='), die Wetterfahnen (Beispiele in Kapi- tel XVII aus Hameln) und Kreuze, endlich die zierlichen, kleinen Kästchen, deren Flächen durch

geätzte Ornamente auf dunklem, gekörntem, mit hellen Punkten ganz durch- setztem Grunde sich prächtig abheben.*) Um von der reichen Mannigfaltigkeit und dem edlen Geschmack, der in diesen Arbeiten herrscht, eine Anschauung zu geben, bringen wir in Abb. 69 und 70 zwei Beispiele, von denen das erstere durch das der deutschen Renaissance besonders eigene Blattwerk, jenes weich- geschwungene Laub- und Rankengewinde ausgefüllt wird; in lebendiger Weise wird die Wirkung des Mittelfeldes durcli die kleineren und zierHcheren Ranken der Einfassung gehoben. Das zweite Beispiel, aus dem Nationalmuseum in München, zeigt dagegen die Anwendung maurischer Ornamente, die in kräf- tigen, breiten Bändern die Haupteinteilung der Flächen bewirken, während klei- nere Ranken desselben Stils die Flächen füllen. In anderen Fällen wird auch

Figürliches und Phantastisches in die Orna- mentik verwebt. Das feine Stilgefühl in der Raumausfüllung und Gliederung hebt diese Werke auf die Höhe künstlerischer Vollendung.

Mit alledem sind die verschiedenen Richtungen der Metallarbeit dieser Zeit lange nicht erschöpft. Vom kleinsten bis zum größ- ten Geräte des Lebens wird jeder Gegenstand durch die Kunst geadelt, und selbst das be- scheidenste Material gewinnt durch die Be- handlung erhöhten Wert. Daß gerade in Deutschland man mit Vorliebe das Tafel- geschirr aus edlem Metall, oder wenigstens aus Kupfer und besonders aus Zinn anzu- fertigen liebte, haben wir früher bereits ge- sehen. Schon Luther klagt über die bei den

Abb. 67 Standleuchter

1) A. a. 0. Fig. 80—82.

2) A. a. 0. Fig. 67—79.

3) A. a. 0. Fig. 94.

^) Schöne Beispiele dieser Art in Hefner-Alten- ecks Eisenwerken, besonders Taf. 2. 42. 47.

Abb. 68 Fenstergitter vom Rathause Abb. 69 Deckel eines Eisenlcästchens im Bayer. National-

za Würzburg museum, München

Abb. 70 Deckel eines Eisenkästchens im Bayer. Nationalmuseum, München

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1. Buch III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

Deutschen mit derlei Gerät getriebene Verschwendung. Im weiteren Verlau des Jahrhunderts bilden die mit kostbarem Geschirr beladenen Kredenzen einen Gegenstand des Ehrgeizes. Große Platten, Schüsseln und Schalen, Teller und Näpfe, sowie Konfektträger und Kühlgefäße prangen in den mannigfaltigsten Formen und werden mit getriebenen oder flachen gravierten Ornamenten und figürlichen Darstellungen in klassischem Stil bedeckt. Auch Löffel und Messer, sowie die erst langsam in Gebrauch kommenden Gabeln werden beliebte Gegen- stände für die erfindungsreiche Tätigkeit des Gold- und Silberschmiedes. In- teressante Beispiele im Nationalmuseum zu München und in anderen Samm-

Abb. 71 Zinnplatte mit Kanne von Kaspar Enderlein

lungen. Besonders zierlich sind die noch zahlreich vorhandenen Geschirre in Zinn; die künstlerische Arbeit adelt hier den Stoff, indem sie die Flächen durch erhabenes Ornament, vorzüglich aber durch Medaillons mit bildlichen Darstellungen belebt. Treffhch stihsiert sind namentlich die Teller, die man in den meisten Altertumssammlungen und auch im Privatbesitz noch in großer Zahl antrifft. Hier hat der Nürnberger Meister Kaspar Enderlein ganz Hervor- ragendes geleistet (Abb. 71), wenn auch zum Teil vermutlich in Nachahmung der vortrefflichen Arbeiten des Frangois Briot aus Besangen. Doch bleibt des Eigenen noch genug übrig. Auch hier spielt das orientalische Ornament viel- fach verschlungener Bänder eine große Rolle; für die Flächendekoration wird dann mancherlei Laub- und Rankenwerk hinzugefügt, oder man greift zu figür- lichen Darstellungen, zu Medaillons mit Kaiserbildnissen u. dgl. Überall erfreut die Kraft der Erfindungsgabe und die geistreiche Art, wie der gegebene Raum ausgefüllt und künstlerisch belebt wird.

Uhren

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Dahingehören ferner die hauptsächlich in Augs- burg und Nürnberg ver- fertigten Standuhren. Hier fand der Sinn der damaligen Meister Anlaß, das Werk nicht bloß durch allerlei künstliche Ein- richtungen und necki- sches Spiel mit Figuren auszustatten, die außer den Tagesstunden das Jahr, den Monat, den Lauf der Gestirne anzuzeigen haben,sondern auch durch die ganze künstlerische Anordnung und Aus- schmückung hervorzu- heben. Die Gesamtform ist bei diesen Werken gewöhnlich eine archi- tektonische, so daß in kleinem Maßstab irgend ein Bauwerk mit Säulen und Gebälk nachgebildet wird. Am beliebtesten sind Nachahmungen von Kuppelbauten, in denen ja überall das höchste ar- chitektonische Ideal die- ser Zeit sich verkörpert. Einige Beispiele sieht man im Nationalmuseum zu München; besonders lehrreich aber sind die Reihen solcher Uhren in unseren Kunstgewerbe- museen, auch im Histo- rischen Museum zu D r e s- den. Eine große astro- nomische Uhr, 1568 nach Angaben Augusts I. ge- arbeitet, zeigt quadrati- schen Aufbau, in zwei Geschossen mit doppelten Säulenstellungen, unten dorischen, oben korinthi- schen, besetzt, von einem kuppelartigen Aufbau be- krönt, das Ganze vergol- det, abwechselnd mit sil- bernen und silbervergol-

r

Abb. 72 Standuhr aus Bronze

IIQ I.Buch III. Kapitel Die Kenaissance im Kunstgewerbe

deten Figürchen und Reliefs und mit Emailornamenten an den Einfassungen, den Postamenten und anderen passenden Stellen geschmückt. Andere kleinere Uhren sind ebenfalls als elegante Kuppelbauten ausgebildet. Dagegen zeigt die 1591 von Paul Schuster in Nürnberg verfertigte eine noch in gotisierender Form schlank durchgeführte Spitze, in sehr origineller Weise aufgebaut und mit Renaissance- details geschmückt. Ein elegantes Werk dieser Art ist die in Abb. 72 dargestellte

Bronze-Standuhr im Pri- vatbesitz, ein Werk aus der Mitte des 17. Jahr- hunderts, ausgeführt von Benedikt Fürstenfelder zu München. Der Aufbau ist von besonderer Zierlich- keit und erhält durch die freigetriebenen Ranken und Figürchen, welche den Kern umspielen, ein gesteigertes Leben. Inder Flächendekoration wech- seln in wirksamer Weise gravierte, durchbrochene und getriebene Orna- mente.

Unabsehbar ist noch jetzt der Reichtum an Werken in Bronze und Messing für die mannig- fachsten Zwecke des Le- bens, besonders auch für kirchliche Bedürfnisse.

Abb. 73 Bronze-Kronleuchter aus Lübeck besitzen fast alle be-

deutenderen Gotteshäu- ser Deutschlands eine

reiche Zahl jener schöngeformten Kronleuchter, die mit ihren schöngeschwungenen Armen und der charaktervollen Gliederung und Belebung der einzelnen Teile den Raum aufs prächtigste füllen (Abb. 73). Dazu gesellen sich meist Wand- leuchter, die nach demselben künstlerischen Prinzip gestaltet sind. Selbst in kleinen unscheinbaren Kirchen trifft man oft wertvolle Werke dieser Art. Seltener sind Standleuchter und Kandelaber, die meist auf italienische Vorbilder zurück- gehen, doch mögen die schönen edel durchgebildeten der Michaelskirche in München (Abb. 74), wahrscheinlich nach Entwürfen Peter Candits ausgeführt, hervorgehoben werden. Prachtvolle Messinggitter nach niederländischer Art ver- schließen im Norden oft Kapellen und Chor; eins der gediegensten und opu- lentesten Beispiele in der Marienkirche zu Lübeck.

Wie eine prächtige Ausstattung sich über alle Gebiete des Bedarfs erstreckte, beweist u. a. der Umstand, daß selbst die Pferdezäume in künstlerischer Weise behandelt wurden. In Seutters „Bißbuch" (Augsburg 1584) finden sich nicht weniger als 200 Abbildungen, welche zeigen, wie elegant in der Form wie durch getriebene und gravierte Ornamente auch solche Dinge gestaltet zu werden pflegten.

Es gewährt uns eine besonders klare Vorstellung von dem mächtigen künst- lerischen Bedürfnis jener Zeit, ferner die Tatsache, daß sogar das grobe Feld- geschütz Gegenstand ornamentaler Behandlung und sorgfältigster Durchbildung

Geschützgießerei Töpferei

III

wurde. Selbst Meister wie Albrecht Dürer ließen sich herbei, auch diesem Ge- biete ernsthafte Studien zu widmen und für die Geschütze nicht bloß die zweck- mäßigste Konstruktion, sondern auch die eleganteste Form und Ausstattung zu ersinnen.*) Wie andere Zeughäuser, birgt das Berliner wahre Prachtstücke dieser Art. Aus anderen noch erhaltenen Beispielen hebe ich die Reihe schöner Ge- schützrohre heraus, die vor dem Zeughaus in Augsburg aufgestellt ist und sich nicht bloß durch ebenso markige als feine Profilierung, sondern auch durch schöne Ornamente und passenden figürlichen Schmuck auszeichnet. Was kann z. B. sinnreicher sein, als wenn der Schlund solcher Geschützrohre als geöffneter Löwenrachen charakterisiert wird!

Zu den wichtigsten Zweigen des Kunstgewerbes gehört ferner die Töpferei (Hafnerei). Doch nimmt Deutschland hier nicht ganz die hohe Stellung ein, die ItaUen durch seine Majoliken und Frankreich durch seine Fayencen behauptet. Vielmehr begnügt man sich, auf dem im Mittelalter be- tretenen Wege fortzufahren und bei der Fabrikation von Steingut und von hartem Steinzeug stehen zu bleiben. Aber in der Ausbildung der Gesamtform und in der Or- namentation gewinnt die Re- naissance etwa seit der Mitte des 16. Jahrhunderts auch hier bestimmenden Einfluß.^) Während das vornehmere Geschirr überwiegend von Metall hergestellt wird, er- halten die gewöhnlichen Ge- fäße des Lebens ihr Gepräge durch den Töpfer. Die Ge- fäße aus hartem Steinzeug, die eine Spezialität des Tei- les von Nordwestdeutschland bilden, das von der Lahn und dem Rheine ab bis nach Lim- burg sich erstreckte, sind entweder weiß, hellgrau oder gelblich, hellbraun, leder- farben, teilweise oder ganz glasiert, oder endlich mit hellblauem Anflug und dun- kelblauen Zeichnungen bei durchgängiger Glasur. Letz- tere sind vorzugsweise pla-

1) Vgl. die vom Germ. Mus. in Nürnberg herausgegebene Ge- schichte der Peuerwaifen.

2) Eine gute Übersicht bietet Fr. Jaennickes Grundriß der Keramik. Stuttgart 1879. S. 397—454.

Abb. 74 Bronze- Kandelaber in der Michaolskirche zu München

112 1. Buch III. Kapitel Die Eenaissance im Kunstgewerbe

stisch ausgebildet, mit kräftigen, scharfen Profilierungen und mit aufgepreßten Ornamenten, die meistens Figürliches und Vegetatives mischen. Diese Gefäße, Krüge, Kannen und Becher, gehören zu den stilvollsten Schöpfungen jener Zeit. Zweckvoll in der Gesamtform, energisch in der Profilierung, angemessen in der Austeilung der Ornamente, sind sie wahre Muster einer sinnigen Gefäßbildnerei (Abb. 75, 76, 77). Die Hauptstätten der Anfertigung in Deutschland befanden sich am Niederrhein, namentUch zu Siegburg, Grenzhausen, Raeren und zu Frechen bei Köln. Die Abbbildungen geben Beispiele der bekannten Siegburger Henkel- kannen mit Deckel und Ausgußröhre, die in allen Teilen geschmackvoll dekoriert sind und nicht minder durch charakteristischen Aufbau und trefflich gegliederte

Gesamtform anziehen, der Siegburger schlan- ken „Schnellen", der schöngeformten, bauchigen Krüge von Frechen und Raeren. Glücklicher Wechsel rein geometrischer, linearer Orna- mente, Rauten und Riefelungen mit Ranken, Blumen, wie frei figürlichen Darstellungen tritt hier besonders ansprechend hervor. In Kreußen bei Bayreuth wurde ein dunkelbraunes oder schwarzes, ebenfalls hartes Fabrikat erzeugt, das man reich zu bemalen, selbst zu ver- golden liebte. Die bekannten Apostelkrüge von dort sind in aller Welt verbreitet; ganz ungemein häufig, wie in den Landsknecht- krügen, kleidet die launige Phantastik der Zeit das Gefäß in eine halbmenschliche Gestalt. Sogenannte „Bartmänner", d. h. Darstellungen eines bärtigen Kopfes am Halse dieser Krüge, kommen unter Steinzeug-Steingutkrügen eben- falls öfters vor.

Noch eine besondere Art der Töpferei hat sich besonderen Ruhmes erfreut, und ihre nicht häufigen Arbeiten sind heute besonders hoch geschätzt: die der sogenannten Hirschvogel- krüge. Äugustin Hirsch(Hirs-)vogel aus Nürn- berg, der sich als Ofenmacher großes Ansehen erwarb, soll diese sehr hübsch gefärbten, meist höchst stattlichen Krüge gefertigt haben. Sie sind vorwiegend tiefblaugrundig, mit aufgesetzten farbigen Reliefs in Rundbogen, die mit gelben Rundstäben eingefaßt sind, nicht gerade sehr fein, doch höchst malerisch und kräftig in der Erscheinung. Wahrscheinlich haben sie mit dem genannten Meister wenig zu tun; jedenfalls sind an anderen Orten, so in Villingen, in Annaberg ganz ähnliche Gefäße gemacht worden.

Die fortschreitende Herstellung modischer, weißglasierter Fayence mit Blau- malerei hat diese und andere Zweige der Töpferei bei uns langsam verdrängt und ersetzt.

Besondere Bedeutung gewann die Hafnerei indes unmittelbar für die Aus- stattung der Gebäude durch die Anfertigung von Fliesen und Kacheln mit farbiger Glasur, die man zur Bekleidung der Fußböden, zum Teil auch der Wände, vor allem aber zum Aufbau der Öfen verwendete. Dies alles war zwar schon im Mittelalter geschehen, die Renaissance aber brachte auch hier einen reicheren Kreis von Anschauungen und gesteigerte Freiheit in Verwendung der Formen. Die glasierten Kachelöfen gehören in Deutschland und der deutschen Schweiz ganz wesentlich zur Ausstattung der Wohnräume und dienen ihnen mit ihren

Abb. 77 Kreußener Krüge und anderes Steinzeug Lübke -Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl.

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1. Buch III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

reichen Farben zum behaglichsten Schmuck. Der Ofen besteht meist aus einem breiteren Unterbau auf oft plastisch gestalteten Füßen und dem schmaleren Ober- bau (Abb. 78). Der ganze Aufbau wird architektonisch durchgebildet, mit kräf- tigen Fuß- und Deckgesimsen versehen, wobei die reichen Formen der Antike mit Eierstab, Kj-matien und dergleichen Anwendung finden. Hermen und Karya- tiden, auch wohl Pilaster betonen die vertikale Gliederung; die einzelnen Felder werden gern als mit figürlichen Reliefs geschmückte Bogennischen gebildet. End- lich pflegt ein kunstreich durchbrochener Kranz verschlungener Ornamente und Figuren das Ganze zu krönen. Sind die meisten Werke dieser Art mit einer grünen oder braunen, andere mit einer minder erfreulichen schwarzen Glasur überzogen, so finden wir oftmals auch die ganzen Öfen im vojlsten Farbenschmuck

durchgeführt. Ein Bei- spiel, an dem die ar- chitektonische Form noch einfach und streng, die Dekoration maßvoll den Haupt- linien untergeordnet geblieben ist, bietet unter Abb. 78 der Ofen des H. H. Graf aus Winterthur. Treffliche Beispiele, teils voll- ständig, teils in Bruch- stücken, bewahrt das Germanische Museum zu Nürnberg. Be- rühmt sind die in Ge- samtform und Durch- führung meisterlich gestalteten Prachtöfen auf der Burg zuNürn- berg, die man meist dem obengenannten Äugiistin Hirschvogel zuschreibt. Einiges im Nationalmuseum zu München. Ein schö- nes Exemplar, in- schriftlich von Georg Vesst, Hafner in Kreu- ßen, der um 1600 lebte, gearbeitet, im Heu- beckschen Hause zu Nürnberg.!) Von großer Pracht ein Ofen auf der Veste zu Ko- burg. Mehrere schöne,

Abb. 78 Ofen vou H. H. Grat in Winterthur

1) Abgeb. V. A. Ort- wein in seiner D. Renaiss. I. Heft. Taf. 6.

Öfen

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grünglasierte Öfen, aber mit blau- ornamentierten Einsatzstücken auf weißem Grunde, sieht man in der Trausnitz bei Landshut. i) Von der höchsten Pracht der Form sind zuletzt die großen schwarzglasierten Öfen in den vier Eckzimmern des Rathauses zu Augsburg^) (Abb. 79). Hier ist indes alles, wie unsere Ab- bildung zeigt, schon mit den üppigen Formen des beginnenden Barockstils durchsetzt, während das plastische Beiwerk die Architektur überwuchert. Empfindlich berühren die auf dem Bauch rutschenden Figuren, die als Füße einen Ofen stützen. Auch sind im Aufbau die architektonischen Gheder zu sehr dem Steinbau nach- gebildet, während die früheren Öfen sich dadurch auszeichnen, daß sie die architektonische Form den Be- dingungen des Materials trefflich anzupassen verstehen.

Im übrigen bleibt in der Mehr- zahl dieser Werke gesunder tek- tonischer Sinn und echt künstle- rische Behandlung lebendig. Schon die Abwechslung zwischen den streng baulichen Gliedern, dem vegetabi- lischen oder gemischten Ornament und den selbständigen figürlichen Szenen ist von großem Reiz. Von der Behandlung des Ornaments mag ein Fries von einem Ofen des Ger- manischen Museums in Nürnberg (Abb. 80) eine Anschauung geben. Die figürlichen Darstellungen um- fassen biblische und profane Ge- schichte, Mythologie und mit be- sonderer Vorliebe Allegorisches. Ge- stalten des römischen Altertums, deutsche Kaiserbilder, Apostel und andere Heihge, die Jahreszeiten, die Weltteile, die Sinne, die Elemente, aber auch mancherlei Szenen aus dem wirklichen Leben, auch erotischer Art, findet man an diesen Öfen; mit

1) Vgl. Ortweins Eenaissance. Abt. Landshut.

2) Zwei davon abgebildet in den Arohit. Studien, herausg. vom Arch. Verein am Polytechn, in Stuttgart. Heft 9. Bl. 4.

Abb. 79 Ofen im Rathause zu Aufirsburg

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1. Buch III. Kapitel Die Eenaissance im Kunstgewerbe

einem Worte, alles was die Zeit irgend geistig bewegt. Selbst kleine Architektur- stücke sind gelegentlich angebracht, wie die beigegebenen Proben von einem Ofen im Germanischen Museum zu Nürnberg beweisen. In Abb. 81 ist es ein kleiner Kuppelbau, die Lieblingsidee der Zeit, in den wir blicken. Er zeigt sich in den kräftigen Formen ausgebildeter Renaissance durchgeführt. Über die Ga- lerie, die den Raum abschließt, beugt sich eine menschliche Gestalt und schaut einem Kinde zu, das von einem Leitriemen gehalten am Boden hockt. Auch die kleine Darstellung in Abb. 82 läßt uns einen Blick in einen stattlichen Re- naissanceraum tun, der mit einem kassettierten Tonnengewölbe bedeckt ist. Eine Galerie mit niedriger Balustrade umgibt auf drei Seiten den Raum und durch die Bogenstellung im Hintergrunde fällt der Blick auf eine Treppe, nach dem Obergeschoß.

Abb. 80 Kachel eines Nürnberger Ofens

Besonders vielseitig und lang andauernd haben die Alpenländer ^) die Ofen- fabrikation gepflegt. Noch jetzt ist eine große Zahl von kunstreichen Öfen dort erhalten, namentlich sind es die nordöstlichen Teile der Schweiz, kaum minder das benachbarte T i r 0 1 , die sich darin auszeichnen. Der Hauptsitz der Schweizer Industrie war Winterthur, wo die Familie Pfau und neben ihr die Erhart eine Anzahl geschickter Hafnermeister und Ofenmaler lieferte. Auch hier beginnen die Ofen mit einfarbiger Glasur, und zwar, wie es scheint, ausschließlich grüner. Solcher Art sind die beiden Öfen auf der Mörsburg bei Winterthur und der schöne in dem Herrenhause zu Wülflingen. Die Dekoration gestaltet sich reich, die Gliederungen sind elegant profiliert, die Pilaster und Friese mit Masken, Muschel- werk, Blumenranken und Arabesken geschmückt. An dem Ofen zu Wülflingen kommen barock phantastische Hermen dazu, und die Reliefbilder geben biblische Darstellungen und genrehafte Liebesszenen. Alles das bewegt sich noch in den Formen des 16. Jahrhunderts, obwohl der Ofen das Datum 1645 trägt; ein Be- weis, wie lange in der Schweiz die Traditionen der früheren Renaissance fest- gehalten wurden. Hier ist der Aufbau meistens polygon, sechs- oder achteckig, das Gesamtverhältnis schlank. In der Regel wird nun neben dem Ofen in der Ecke

1) In meiner Abhandlung über die alten Öfen der Schweiz, namentlich im Kanton Zürich (in den Mitt. der Ant. Gesellsch. in Zürich, Bd. XV, Heft 4, mit Abb., wieder abgedruckt in meinen kunsthist. Studien, Stuttgart 1869) habe ich Beiträge zu einer Geschichte der Öfen ge- geben. Dazu die im Kap. VI zitierten neueren Werke. Für Deutschland fehlt es leider noch an einer solchen Arbeit.

Öfen

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Abb. 81 Ofenkachel aus Nürnberg

des Zimmers ein bequemer Sitz mit Rücken- und Armlehne ebenfalls aus glasierten Kacheln aufgebaut, zu dem man über mehrere Stufen hinaufsteigt; zuweilen findet sich auf beiden Seiten des Ofens ein doppelter Sitz. Diese Sessel, für die betagten Eltern bestimmt, gestalteten sich um so behaglicher, als ihr Körper gleichfalls vom Ofen aus er- wärmt wurde, oder gar eine selbständige Heizung hatte. Die glasierten Fliesen, welche auch diese Sitze bedecken, setzen sich dann meistens an den Wänden noch weiter fort.

Sehr bald tritt an Stelle des ein- farbig grünglasierten Ofens mit seiner ausschließHch plastischen Durchbildung der vielfarbige mit überwiegend ge- maltem Schmucke. Anstatt der grünen Bleiglasur erhalten die jetzt größer ge- wordenen Kacheln einen milchweißen Emailgrund, Ornamente wie als Hinter- grund für Bilder bestimmt. Ein leuchtendes, doch mildes Blau gewinnt die Über- hand und bildet die Grundlage der Zeichnung. Daneben findet man in erster Linie Gelb oder Orange und Grün, weiter auch Violett und Schwarz. Die Farben werden dünn und leichtflüssig aufgetragen, die Behandlung hat einen flotten, kecken Zug. Der Eindruck dieser Werke ist reich und heiter, bei aller Pracht harmonisch und klar. Die Öfen behalten ihre volle Polychromie bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts; dann werden sie matter und vereinfachen die Farben- skala, bis im 18. Jahrhundert nur noch Blau auf weißem Grunde zurückbleibt. Zugunsten der Wirkung der Malerei wird nun die plastische Behandlung der

Flächen ganz zurückgedrängt, auch die architektonische Glie- derung auf das notwendigste be- schränkt, wobei wieder ein vor- treffliches Stilgefühl die ein- fachen Meister dieser Werke lei- tet. Der bildliche Inhalt gewinnt an Fülle und Bedeutung. Zu den biblischen, mythologischen, alle- gorischen und sittenbildlichenDar- stellungen gesellen sich Szenen aus der Schweizer Geschichte, und das reiche Bildwerk wird durch redselige Inschriften in Ver- sen noch weiter ausgesponnen.

Ein Beispiel von dem Stil der Tiroler Werke von einem in Velthurns befindlichen Ofen ist unter Abb. 83 beigefügt. Wei- ter unten in Abb. 178 das pracht- Abb. 82 Ofenkachel aus Nürnberg voUste der uns bekanntgeworde-

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1. Buch III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

nen Werke, den Ofen des Alten Seidenhofes in Zürich, mit doppeltem Sitz. Da mag man sich eine Vorstellung bilden von der gediegenen Pracht, zu der solch ein farbenreicher Ofen mit dem dunklen Ton der holzgetäfelten Wände und der reichgeschnitzten Decke, mit dem Farbenschimmer gemalter Wappen oder vaterländischer Geschichten in den Glasfenstern zusammenwirkt. Der Ofen trägt die Jahreszahl 1620 und das Monogramm L. P., das wohl auf einen Pfau von Winterthur zu deuten ist. Zu den früheren gehört ein zum Teil noch mit grün- glasierten Kacheln ausgestatteter Ofen vom Jahre 1607 im Schloß Elgg bei Winterthur. Ein anderer ebendort ist 1668 von Hans Heinrich Graf ausgeführt, ebenfalls unter Verwendung älterer, grünglasierter Kacheln.

Einer der schönsten Öfen, durch besonders schwungvolle Ornamente und

kräftige Polychromie aus- gezeichnet, ist der im Haus zum Balusterbaum in Winterthur vom Jahre 1610. Hier herrscht namentlich ein echter Arabeskenstil der Zeich- nung, der mit feinent- wickelten Ranken, Blu- men und Vögeln, mit Mas- ken und aufgerolltem Rahmenwerk trefflich zu wirken weiß. Die Pas- sionsblumen in den Ran- ken am Sitz gehören zum Schönsten, was irgendwo an Öfen vorkommt. Denn sehr bald drang in die Ofenmalerei eine natu- ralistische Behandlung, die dem Arabeskenstil ein Ende machte. Von feiner DurchführungisteinOfen im Hause zum wilden Mann in Zürich, der zum erstenmal die Hel- dentaten der Schweizer Vorzeit in Bildern dar- stellt. Einen Ofen vom Jahre 1636 besitzt das Haus zum Lorbeerbaum in Winterthur. Erträgt das Monogramm D. P., welches auf Meister Da- vid Pfau zu deuten sein wird. Zu den größten und prachtvollsten dieser Art gehören diebeiden, im Ge- meindehaus zu Näfels befindlichen, die um 1646 AM). 83 Ofen aus Schloß Veithurns entstanden sind.

Glasarbeiten

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Aber auch im übrigen Deutschland, nicht nur an jenen berühmten Haupt- stätten, sondern ein wenig überall, wo sich nur geeignetes Material vorfand, wurde die Ofenfabrikation gepflegt, so in Cleve, JüUch, Lüneburg u. a. a. 0. meist in eigenartiger Weise. Davon gibt Abb. 84, das reizende Sitzungszimmer in Füch- tings Hof zu Lübeck mit seinem Lüneburger Ofen eine Idee.

Abb. 84 Sitzungszimmer in Füclitings Hof zu Lübeck

Nicht in gleichem Umfange, doch immer mit ansehnlichem Erfolge wird nun auch die Glasmach er ei betrieben; meist zur Herstellung von Trinkgläsern und Bechern, die im Wetteifer mit metallenen und tönernen Geschirren immer mehr in Gebrauch kommen. Von der Feinheit der venezianischen Gläser aus den Werkstätten von Murano sind die deutschen freilich noch recht entfernt. Weder an Klarheit und Gleichmäßigkeit des Materials, noch an Meisterschaft in der Behandlung desselben können sie mit jenen wetteifern. Die eleganten, graziösen Formen der ganz edlen venezianischen Gläser, die Fähigkeit, in der ge- wagtesten und zartesten Ausspinnung der Glasfäden die besonderen Eigenschaften des Stoffes auf die äußerste Probe zu stellen, sind unerreicht gebheben. Man begnügte sich jedoch nicht damit, diese köstlichen Geräte auf dem Wege des Handels sich zu verschaffen, sondern man ahmte sie in zahlreichen Werkstätten oft recht geschickt nach; neuerdings sind so manche „venezianische" Gläser als deutsche oder böhmische erkannt. Was die deutschen Künstler aber eigenes schufen, schlug von vornherein einen entgegengesetzten Weg ein. Das Fabrikat ist derber, gleichsam volkstümlicher, die Masse erscheint mindestens etwas grünlich oder ganz grün, die Gesamtform ist schlicht, ohne feineren plastischen Reiz in der Bewegung des Umrisses ; dagegen verleiht man dem Gefäße durch farbige Dar-

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1. Buch III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

Stellungen in kräftigen Schmelzfarben reichen Schmuck. Die überall vorwiegende Bestimmung der deutschen Gläser, wirklich zum Trinken zu dienen, bestimmt die einfache, vorwiegend gerade Form, insbesondere der Paßgläser. Doch sind auch andere, wie die bekannte der „Römer" (Abb. 85), sehr beliebt. Diese einfachen Glasgestalten wurden aber dafür, wie bemerkt, auf das reichste bemalt, mit Adlern, Wappen, allerlei Gestalten, wie den deutschen Kurfürsten u. dgl. Haben die Male- reien auch selten höhere künstlerische Bedeutung, so ist ihnen dafür eine kraft- volle und farbenprächtige, harmonische Gesamtwirkung eigen. Ihre Beliebtheit und Verbreitung war sehr groß (Abb. 85 u. 86). Auch mit dem Diamant geritzte Gläser sind nicht selten; später bürgert sich das weiße geschliffene Kristallglas ein; oft mit wahren Prachtleistungen.

Abb. 85 Deutsche Gläser

Die eigentliche Glasmalerei hat ihr Hauptfeld natürlich in der Herstellung farbiger Fenster. Daß Hans Holhein einer der ersten war, der die Formen der Renaissance in solchen zur Anwendung brachte, haben wir schon gesehen. Unter Abb. 6 u. 7 teilten wir Entwürfe von ihm zu gemalten Fenstern mit. Hervorragend sind die Glasfenster nach seinen Entwürfen für St. Blasien (Abb. 87). Vor allem war es in der Folge die Schweiz, die diesen Zweig der künstlerischen Technik während des ganzen 16, Jahrhunderts, noch ins 17., selbst ins 18. hinaus, mit großem Eifer pflegte. Aber auch in Süddeutschland und am Rheine erlosch diese Kunst noch lange nicht; nicht minder blühte sie in Norddeutschland, wenn auch in bescheidener Art, bis tief ins 18. Jahrhundert. Unter den Einflüssen der reformatorischen Be- wegung zog sich freilich diese schöne Kunst fast ganz aus dem Dienste der Kirche zurück: sie wurde fortan profan und schmückte die Rathäuser, die Schützen- säle, die Zunftstuben und die Wohnungen in Stadt und Land mit ihren heiteren Werken. Gewöhnlich ist es ein Wappen, das den Mittelpunkt bildet, aber man gibt dem Ganzen eine architektonische Umrahmung, zu der die reichen Formen

Glasmalerei

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der Renaissance mit Pfeilern und Säulen, mit Hermen, Atlanten und Karyatiden, mit figürlichen Friesen und allerlei plastischem Beiwerk sich treiflich eignen. Die Schweizer Scheiben vor allem zeigen die Art der gleichzeitigen Miniaturmalerei, die Lichter werden herausradiert, wie es die Glastechnik verlangt ; die allerreichste Farbenpracht erstrebt, was die Erfindung jener Zeit, die verschiedensten Farben auf eine weiße Scheibe aufmalen und einbrennen zu können, sowie die des aus- zuschleifenden Überfangglases, erst in erwünschtem Maße ermöglichte. Das Ein- setzen in der Masse gefärbter Glasstücke wurde auf ganz große und wichtige Partien beschränkt.

Abb. 86 Emaillierte Gläser

Mit diesen Mitteln ermöglichte sich nun die allerreichste Komposition aut oben angedeuteter Grundlage eines mit Architektur, Figuren oder Ornament ein- gefaßten Mittelstücks, meist also eines Wappens. In Bogenzwickeln und Attiken, auf Postamenten und an andern passenden Stellen werden weitere kleine figürliche Kompositionen hinzugefügt. Der ganze Gesichtskreis der Zeit mit bibUschen Historien, antiker Mythologie und Geschichte, Allegorie, Szenen des wirkHchen Lebens, spiegelt sich in diesen Werken. In der Schweiz kommen selbst die vater- ländische Geschichte und die teils sagenhaften Heldentaten der Vorzeit, wie auf

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1. Bach III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

den Öfen, auch auf den Glas- fenstern gern zutage. Der kleine Umfang dieser „Schei- ben", die nur einen Teil des Fensters zu füllen pflegen, drängte auf eine Feinheit der Behandlung, die geradezu als Kabinettmalerei zu bezeich- nen ist. Es genügt hier, auf einige wichtige, noch vorhan- dene Denkmäler zu verwei- sen.^) Im Anfang steht der schon erwähnte Zyklus im Großratsaale des Rathauses zu Basel von 1519 und 1520. Sodann die großartige Reihen- folge im Kreuzgang der Kloster- kirche Wettingen, welche von 1520 bis 1623 reicht, also ein ganzes Jahrhundert der Entwicklung darstellt. Von 1564 bis 1580 datieren die zum Teil sehr schönen Schei- ben im Schützenhause zu Basel. Ein Zyklus aus dem Kloster Rathausen, 1592-1621 entstanden, befindet sich bei Herrn Kaufmann Meyer in S t . Gallen. Zwei Reihenfolgen aus der besten Zeit besitzt die Stadt Stein am Rhein. Im Zunfthaus zum Kleeblatt sieht man vierzehn trelfliche Schei- ben vom Jahre 1542; eine trägt das Datum 1607. Sie enthal- ten die Wappen der Schweizer- kantone in schöner Ausfüh- rung. Achtzehn Scheiben, meh - rere von 1516 und 1517, die meisten von 1542 und 1543, eine von 1590 ebendort im Schützenhaus. Die frühesten zeigen eine noch unklare Re- naissance in zum Teil unbe- hilflichen Formen, so daß man

1) Vgl. Die alten Glasgemälde der Schweiz. Zürich 1866. Mit Zu- sätzen abgedr. in Lübkes Kunst- histor. Studien. Stuttgart 1869. Dazu: Die Glasgemälde im Klosteii' Abb. 87 Glasfenster aus St. Blasien Wettingen. Mitt. der Ant.Gesellsch..

in Zürich. Bd. XIV, Heft 5.

Glasmalerei

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auch hier auf das überall wiederkehrende Datum des ersten Eindringens der neuen Formen stößt. Die Schweizer Museen besitzen eine große Menge der herrUchsten Arbeiten, insbesondere das Züricher! Auch Schwaben erweist sich neuerdings als eine Pflegestätte dieser Kunst, freilich stark in Anlehnung an die Schweizer Malereien. In Deutschland war die Sitte des Schmückens der Glasfenster der öffentlichen wie der Privatgebäude noch Jahrhunderte lang im Schwange. Die Fenster der Zunftstuben wie der Rathaussäle, überhaupt aller Repräsentatiöns- räume waren mit gemalten Einzelscheiben oder auch mit großen und reichen or- namentalen und heraldischen Kompositionen geschmückt. Die Sitte erstreckte sich bis in die Bauernhäuser, zu gewissen Festen, Einzug, Hochzeit und dergleichen farbige Schmuckscheiben zu schenken, und so prangten einst gar manche Dielenfen- ster, z. B. der Lüneburger oder der Osnabrücker Ge- gend, im reichsten Glänze solcher Geschenke. Grau in Grau mit Silbergelb herrscht allerdings seit dem 16. Jahr- hundert bei diesen Malereien vor. Als Beispiel will ich nur die reizvollen Reste erwäh- nen, die die Fenster des Dach- raumes des Rathauses zu Emden noch heute schmük- ken, Überbleibsel einer ein- stigen Groteskenmalerei, die im Stile der Floris sich über die ganzen Flächen breitete.

Im Kirchenbau tritt die Glasmalerei während dieser Epoche unter dem Einflüsse der Reformation immer mehr zurück. Wo sie indes noch zur Verwendung kommt, nimmt sie ebenfalls bald die Motive der Renaissance auf. Anstatt in den engen goti- schen Nischen mit spitzen Wimpergen und Fialen breiten sich die Figuren unter antikisierenden Baldachinen aus. Die ganze Pracht des neuen Stils entfaltet sich in der architektonischen Umrahmung der Gruppen. Die breitere Anlage des Rah- mens wurde schon durch die immer mehr hervortretende Tendenz nach größeren figürlichen Kompositionen bedingt; doch mußte die kirchUche Glasmalerei auf diesem Wege in einen Wetteifer mit der Ölmalerei gelangen, der ihr Stilgesetz schädigte und schließlich zerstörte. Was in den kleinen Größenverhältnissen der profanen Glasscheiben zulässig, ja zu einem neuen Mittel der Ausbildung geworden war, mußte bei kirchhchen Werken sich als falsch erweisen. Eins der frühesten Beispiele vom Auftreten der Renaissance in kirchhchen Glasbildern bietet das Schlußfenster des Chors in der Oberen Pfarrkirche St. Marien zu Ingolstadt, eine treffhche Arbeit vom Jahre 1527, die Madonna von Engeln verehrt, in reichem

Abb. 88 Glasfenster in der Peterskirche zn Köln

124 1- Buch III. Kapitel Die Renaissance im Kunstgewerbe

Renaissancerahmen. In der untern Abteilung knien die Herzöge Wilhelm und Ludwig von Bayern als Stifter. Zu den schönsten und frühesten Denkmälern dieser Art gehören die mit der Jahreszahl 1530 bezeichneten Glasgemälde der Peterskirche zu Köln (Abb. 88). Die Chorfenster sind völlig mit Heiligenlegenden ausgemalt, im Schiff enthalten die Fenster in der mittleren Abteilung Figuren von Heiligen, während die Seitenfelder mit Gelbornamenten der edelsten Früh- renaissance eingefaßt sind; dazu haben die kleinen Dreieckflächen zwischen den Butzenscheiben ein leuchtend farbiges Glas, so daß das Ganze eine herrliche Wirkung macht. Man wird nicht leicht für ähnliche Aufgaben in diesem Stil schönere Vorbilder finden. Abb. 86 gibt ein Beispiel von der freien Einfassung der Figuren. Überhaupt hat gerade in der Kölner Gegend eine feine kirchliche Glasmalerei in der Zeit der frühen Renaissance geblüht, deren Arbeiten noch bis zum Schlüsse des Jahrhunderts reichen. Allerdings überwiegt dabei die Grisaille mit starker Verwendung des Silbergelbs.

In der späteren Zeit, je mehr der Einfluß der strengeren Renaissance Italiens sich Bahn bricht, tritt die Glasmalerei mehr und mehr zurück. Doch erscheint sie immer wieder einmal, wie in der Kapelle der Residenz zu München, freilich in einem rein dekorativen Charakter. Ich gebe in Abb. 89 ein Beispiel von den

in prächtigen satten Farben auf hellem Grunde ausgeführten Ornamenten, in deren Charakter die Zeit des beginnenden 17. Jahrhunderts sich trotz gewisser naturalistischer Elemente mit großer Schönheit ausspricht.

Auch haben wir noch einen Blick auf die textilen Künste zu werfen, die in dieser Zeit im Wetteifer mit der gesamten künstle- rischen Bewegung Meisterschöpfungen hervor- brachten. Flandern war es vor allem, wo die Wandteppich-Wirkerei sich auf ihren Gipfel erhob. Selbst die berühmten Komposi- tionen Raffaels für die Sixtinische Kapelle des Vatikans wurden auf den Stühlen zu Arras aus- geführt. Diese Kunst suchte in der vollen Anwendung und reichsten Abstufung der far- bigen Wolle und Seide unter Herbeiziehen des Goldes die monumentale Malerei zu überbieten. Auch nordische, namentlich flandrische Meister wurden zahlreich mit Entwürfen für solche Ar- beiten beauftragt. In allen Ländern wetteiferten die vornehmen und besitzenden Stände in der Anwendung kostbarer Wirkereien, mit denen die Wände bedeckt zu werden pflegten. Es hat sich im Laufe der fortschreitenden Untersuchungen denn gezeigt, daß die Höfe der Renaissance überall danach strebten, solche Teppichwirker- Werkstätten für sich selber einzurichten, und wenn sie auch rasch wieder verschwanden, so gab es doch einst zahlreiche deutsche Hautelisse- Wirkereien, von Mecklenburg bis nach Bayern hinein, deren Reste in den alten Schlössern noch hie und da vorhanden sind. Eine reiche Auswahl namenthch im Nationalmuseum zu München. Wie Tep- piche, Wandstoffe, Vorhänge samt den für die Sitzbänke bestimmten Kissen den

Teppiche und Stickereien

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Räumen den Charakter weichen Behagens verliehen, zeigt die in Abb. 90 beige- fügte Darstellung aus Hans Burgkmairs Weißkunig. Obwohl solcher Luxus haupt- sächlich von Italien und Flandern, von Spanien und Frankreich ausging, während man in Deutschland und der Schweiz an der Wand die Holztäfelung bevorzugte, beginnt seit der Mitte des 16. Jahrhunderts auch hier die Anwendung der eigent- lichen Teppiche, insbesondere auch solcher aus dem Orient, sich einzubürgern. Noch 1550 be- richtet Aloysius von Orelli^), daß er in Zürich nur in zwei Häusern Teppiche gese- hen, und auch diese seien aus Mailand gekom- men. Vieles der- art findet man auf den Gemäl- den der Zeit, so den unter Abb. 91

dargestellten Teppich auf ei- nem Bildnis von Georg Pencz im Museum zu Ber- lin. Ich erinnere auch an den schönen orienta- lischen Teppich

auf Holbeins Darmstädter Ma- donna. Solche Vorbilder fanden übrigens viele Nachahmung.

Die Stick e- r e i , im Mittel- alter vorzüglich

in den Nonnenklöstern getrieben, wird jetzt in steigendem Maße für weltliche Zwecke verwendet. In München z. B. wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahr- hunderts die Teppichstickerei für den Hof durch eine Reihe von geschickten Künstlern geübt, und aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts berichtet Neu- dörffer von dem Nürnberger Sticker Bernhard Müllner, daß er ein sehr ge- schickter Meister gewesen. Außer Bilder-Teppichen stickte man namentlich Kissen und Polster für Stühle und Bänke, denn eine Zeitlang herrschte noch die mittelalterliche Sitte einfacher Holzmöbel, die man dann mit Kissen be- legte. Im weitern Verlaufe der Epoche kommen aber auch Polstermöbel auf, bei denen das hölzerne Gestell für den Sitz, die Rücken- und Armlehnen mit Polstern überzogen und mit reicher Stickerei bedeckt wurden. Prächtige Möbel dieser Art sieht man im Schloß zuWeikersheim. Bankpolster, Kissen und

Abb. 90 Holzschnitt aus dem Weißkunig von Hans Burgkmair

1) Aloysius von Orelli, ein biographischer Versuch von S. von O(relli). Zürich 1797.

126 1- Buch III. Kapitel Die Eenaissance im Kunstgewerbe

Faulbett schildert Hans Sachs in seinem Gedicht über den Hausrat, unter den „bei dreihundert Stücken, so ungefährlich in ein jedes Haus gehören". Selbst das Bett wird oft mit prächtig gestickten Kissen und Polstern ausgestattet, ob- wohl im allgemeinen Deutschland in diesem Luxus hinter Italien und Frankreich

zurückbleibt, und Michel de Mon- taigne den deutschen Betten kein besonderes Lob zu singen weiß.

Die verschiedenen Techniken der Stickerei haben in jener Zeit rege Förderung erfahren, von der Weißstickerei mit ihren zarten Nadelarbeiten in Relief- und Platt- stich mit Durchbrechungen, bis zur Filet-Guipure und der reinen ge- nähten Spitze, welcher Kunstgat- tung sich die geklöppelte Spitze nahe anschließt. Unsere Museen geben von der Höhe dieser Kunst- gewerbezweige eine bedeutende Anschauung.

Dann die Buntstickerei, an- gefangen von dem Kreuzstich auf Weiß. Wer kennt nicht die wunder- schönen Muster Hans Siehmachers für farbigen Kreuzstich, die zahl- reiche Nachfolger fanden!

Vorzüglich wendet man aber die Stickerei an den Gewändern an, in denen gerade Deutschland große Pracht entfaltet. Zahlreiche Beispiele dafür sehen wir auf den Porträts der Zeit, aber auch die deutschen Kleinmeister sind nach dem Vorgange Dürers und Holbeiiis unermüdlich tätig, Stickmuster für solche Zwecke zu erfinden. Während aber in den Wandteppichen der Zeit durch den Wetteifer mit der Malerei das Prinzip einer naturalistischen Darstellung mit Abstufung von Schatten und Licht vor- herrscht, macht sich hier meist eine völlig stilgemäße Flächendekoration geltend in Anlehnung an die prächtigen orientalischen Arbeiten, insbesondere auch die herrlichen Stoffe, die damals in Mengen nach dem Okzident gelangten. Auf diesem Wege war ja der Süden, insbesondere Italien, vorangegangen. Ihre Muster zeigen meist Verschlingungen von breiteren Bändern und Streifen, in deren Lücken sich feine Linien mit laubartigen Ausladungen schmiegen : unerschöpflich in der Mannigfaltigkeit der Erfindung, unübertreffHch in edler und klarer Ausfüllung des Raumes. Andere bestehen aus feinen Stricken, die vielfach verschlungen und verknotet, nach demselben Prinzip eine lebendig bewegte Flächendekoration bilden. Ich erinnere an die bekannten „Knoten" Dürers. Prachtgewänder dieser Zeit im Nationalmuseum zu München: der Mantel Herzog Wilhelms V., den er bei seiner Vermählung mit Renata von Lothringen 1568 getragen: schwarzer Samt, besetzt mit doppelten gestickten Borten von schön stilisierten silbernen und goldenen Blumen, meist in Palmettenform. Etwas später die Jagdtasche Kurfürst Maxi- milians I., von grünem Samt, mit dicken Ranken in Gold und Silber, das Laub-

Abb. 91 Teppich im M'aseum zu Berlin

Lederarbeiten

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werk ebenfalls schön stilisiert, noch nicht naturalistisch. Die Wirkung reicherer Stoffe trat hiermit in Wettbewerb ; die edleren davon wurden naturgemäß meist aus Italien, der Bezugsquelle für Brokate, gepreßte Sammete und ähnliche Pracht- stoffe jeden- falls aus dem Süden, aber

auch dem Orient bezo- gen. Die deut- sche Webe- kunst be- schränkte sich da auf die ein- facheren Ar- beiten. Die Porträts, ins- besondere die der Frühzeit, ja selbst die

Grabmäler zeugen aber von dem ge- waltigen Luxus, der vor allem in den Gewändern in dieser Hin- sicht getrie- ben wurde. Einen schön behandelten Gewandsaum eines Wafifen- rocks von den Statuen würt- tembergischer Grafen in der Stiftskirche zu Stuttgart gibt Abb. 92,

ebenfalls orientalische Stilisierung zeigend.

Noch gehört hierher die Arbeit in gepreßtem und gepunztem Leder, die man allmählich für allerlei Zwecke, für Stuhlbezüge wie Polsterbezüge und Wandbekleidungen in Aufnahme brachte. Diese orientalische Technik war von Italien, besonders von Venedig, aber auch von Spanien (Gorduan) nach Norden ge- wandert und bürgerte sich nach und nach in Deutschland ein. Auf farbigen Grund liebte man goldene Blumen, aber auch regelmäßige Bandmuster zu drucken, für die in dieser Epoche überwiegend eine architektonische Stilisierung und strenge Zeichnung ohne naturalistische Schattenwirkung beibehalten wurde. Besonders

Abb. 92 Gewandsaum an einer Statue in der Stiftskirche zu Stuttgart

Abb. 93 Bordüre an einem Bucheinband in der Rathausbibliothek zu Schwab. Hall

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1. Buch IV. Kapitel Die Theoretiker

i

reiche Verwendung fand die Lederarbeit bei den Büch er ein bänden. Zur Zeit der Reformation überwog noch der Schweinslederband mit scharf und tief einge- preßten Mustern, Bordüren, Wappen, Porträts von Reformatoren oder anderen her- vorragenden Persönlichkeiten; seit der Mitte des 16. Jahrhunderts kommt aber die orientalische Arabeske auf, die in Eck- und Mittelstücken meist mit Gold in weißes, auch wohl in rotes oder braunes Leder gepreßt den Einbänden jener Zeit ein unvergleichlich prächtiges Gepräge verleiht. Von dem feinen Geschmack dieser Ornamentik, von der glücklichen Verbindung mannigfach verschlungener Bänder mit leichten, in geschwungenes Blattwerk auslaufenden Ranken gibt Abb. 94 und 95 aus dem Germanischen Museum zu Nürnberg eine Anschauung, während

der Charakter des Blattwerkes in beson- ders schön stilisier- ten Blumenranken an Abb. 93 aus der Rat- hausbibliothek zu Schwäbisch Hall ersichtlich wird. An- derseits dringt aus Italien über Frank- reich eine neue, pracht- volle Art der Buch- einbände auch nach dem Norden : Blind- und Golddruck von geraden und geboge- nen Bändern in reichen Schlingmustern mit eingeprägtem Ornament dazwischen, vorwiegend auf braunem oder schwarzem Kalbleder. Öfters sind diese Muster auch noch farbig „emailliert", d. h. mit Lack- farben ausgemalt und mit reichen Wappenprägungen geschmückt. Besonders aus Sachsen besitzen wir da Arbeiten, die neben den edelsten französischen Grolierbänden sehr wohl bestehen können.

So zeigt sich das Kleinste wie das Größte von derselben künstlerischen Strömung ergriffen.

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Abb. 94 Buchdeckelpressung

Abb. 95 Buchdeckelpressun^

Viertes Kapitel

Die Theoretiker

Mit Unrecht würde man das Wesen der Renaissance zu treffen glauben, wenn man es als ein bloßes Streben nach neuen Formen bezeichnete. Vielmehr geht das tiefere Ringen der Zeit darauf hinaus, die Kunst aus allzu handwerk- licher Übung zu befreien und auf wissenschaftlichen Grund zu stellen. In Italien wurde diese wissenschaftliche Richtung dadurch außerordentlich gefördert, daßi künstlerisches Interesse alle Lebenskreise durchdrang, und die Gelehrten und Lite- raten sich schöngeistigen Untersuchungen mit Eifer hingaben. Dazu kam, daß; die italienischen Künstler oft aus höheren Lebenskreisen hervorgingen und über-

Dürer

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haupt an der literarischen Bildung ihrer Zeit teilnahmen. Männer wie Lionardo da Vinci und Leon Battista Alberti gehören ebensosehr dem wissenschaftlichen wie dem künstlerischen Leben ihrer Nation an.

Das war in Deutschland anders. Der Künstler wurde hier allgemein noch als Handwerker betrachtet und erhob sich in der Regel nicht über die Kreise des niederen bürgerlichen Lebens, aus denen er hervorgegangen war. Sagt doch Dürer in seinen Briefen an Pirckheimer i), es werde seinem berühmten und hoch- geehrten Freunde eine Schande sein, „cum pultron de pentor", wie er in seinem wunderbaren Italienisch hinzufügt, zu verkehren. Und doch war gerade Dürer der Mann, welcher die ganze Hoheit und geistige Kraft seines Wesens daran- setzte, diese Schranken zu durchbrechen und durch unablässige Studien und Unter- suchungen die Kunst von der Unwissenheit zu erlösen und ihre Wissenschaft zu sichern. Wie er überall ausschaut nach solchen, von denen er Belehrung zu er- halten hofft, haben wir wiederholt gesehen. Den Vitruv muß er zeitig zu Gesicht bekommen haben, denn wir wissen aus seinen eigenen Mitteilungen, wie er darin gelesen und seine ersten Vorstellungen von den Verhältnissen des menschlichen Körpers aus ihm geschöpft hat.^) Eine lateinische Ausgabe des Euklid besaß er ebenfalls ; sie befindet sich gegenwärtig in der Bibliothek zu Wolfenbüttel. Die Resultate seines Nachdenkens und die Erfahrungen seines gesamten Lebens be- absichtigte der Meister in einem umfassenden theoretischen Werke niederzulegen, von dem nur ein Teil zur Ausführung gelangt ist: die „Unterweisung der Mes- sung mit Zirkel und Richtscheit" und die „Vier Bücher von menschlicher Pro- portion". Dazu kommt noch sein Werk über den Festungsbau, das ebenfalls von seinen vielseitigen Studien zeugt, für unsere Betrachtung jedoch von unter- geordnetem Werte ist. Wie gewissenhaft er die Vorbereitungen zu diesen großen Arbeiten betrieb, sieht man nicht bloß aus der Masse von Handzeichnungen und Entwürfen, hauptsächlich in der Bibliothek zu Dresden und im British Museum, sondern auch aus den zahlreichen handschriftlichen Verbesserungen zu den ver- schiedenen Abschnitten dieser Werke. Dürers Kunstanschauung wird, so große Achtung vor der Antike und den italienischen Meistern er auch hat, vorwiegend bedingt durch die reichen Erfahrungen seines eigenen Lebens und Schaffens. Die feinste und liebevollste Beobachtung der Natur verbindet sich bei ihm mit einem grüblerischen Tiefsinn, der auf den Grund der Erscheinungen zu dringen sucht. Da wir der gelehrten Arbeit A. von Zahns ^) so gut wie erschöpfende Aufschlüsse über des Meisters Kunstlehre verdanken, so genügt es hier, das für den vorliegenden Zweck Erforderliche kurz herauszuheben.

Die tiefste Ehrfurcht vor der Natur ist es vor allem, wodurch Dürers An- schauung sich als ein Ergebnis der neuen Zeit bewährt. Wie er darüber oft ge- klagt, daß er in jungen Jahren dem Bunten und Phantastischen über Gebühr nachgegangen sei und erst spät die Erkenntnis von der einfachen Wahrheit und Schönheit der Natur gewonnen habe, erfuhren wir schon durch eine Mitteilung Melanchthons. Die Natur gilt ihm bei reiferer Erkenntnis als das höchste Vor- bild. „Denn", sagt er einmal in seinem Proportionswerk, „wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur; wer sie heraus kann reißen, der hat sie. Aber je ge- nauer dein Werk dem Leben gemäß ist in seiner Gestalt, desto besser erscheint dein Werk, und dies ist wahr, darum nimm dir nimmermehr vor, daß du etwas besser mögest oder wollest machen, als es Gott seiner erschaffenen Natur zu wirken Kraft gegeben hat, denn dein Vermögen ist kraftlos gegen Gottes Schafifen".*)

1) Dürers Reliquien von Campe. S. 29.

2) A. V. Zahns Aufsatz im I. Band der Jahrbücher für Kunstwissensehaft S. 14.

3) Dürers Kunstlehre und seinVerhältnis zur Renaissance von Dr. A.v. Zahn. Leipzig 1866.

4) Proportion (Nürnberg 1528) III. B. T. Illb.

Lübke- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 9

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1. Buch IV. Kapitel Die Theoretiker

Es ist also ein tief religiöses Gefühl, das ihn zur Bewunderung der Natur als eines Göttlichen hintreibt. Er fährt dann fort: „Daraus ist beschlossen, daß kein Mensch aus eigenen Sinnen nimmermehr kein schöneres Bildnis machen kann (als die Natur), es sei denn, daß er durch viel Nachbilden sein Gemüt voll- gefaßt habe, das ist dann nicht mehr Eigenes genannt, sondern überkommene und gelernte Kunst geworden, die sich besamet, erwächst und ihres Geschlechtes Frucht bringt. Daraus wird der versammelte heimliche Schatz des Herzens offenbar durch das Werk und die neue Kreatur, die einer in seinem Herzen schafft in der Gestalt eines Dinges." Schöner und höher ist nie von dem Schafifen des Künstlers geredet worden, treffender nie die aus der Fülle der Er- scheinungen gewonnene Gestaltenwelt des Künstlers wie hier als „heimlicher Schatz des Herzens" bezeichnet worden. So sagt er auch an einer andern Stelle: ^) „ein guter Maler ist inwendig voller Figur" ; aber wiederholt betont er auch, daß „der Verstand des Menschen kann selten fassen das Schöne in Kreaturen recht nach- zubilden, und wir in den sichtbaren Kreaturen doch eine solche übermäßige Schönheit finden, also daß solche unserer keiner kann vollkommen in sein Werk bringen". Weiter ist ihm aber auch nicht entgangen, wie schwer es sei, das wahre Schöne aus den mannigfaltigen Erscheinungen der Natur zu erkennen, wie schwankend der Geschmack und das Urteil der Menschen sei, und in der an Pirckheimer gerichteten Vorrede zur Unterweisung beklagt er, daß man bisher in deutschen Landen nur nach hergebrachter Handwerksübung, oder um mit Dürers eigenen Worten zu reden, „aus einem täglichen Brauch" die Kunst der Malerei gelehrt habe, so daß er also mit aller Schärfe an die Stelle des zu- fäüigen Schaffens das Arbeiten nach festen wissenschaftHchen Gründen setzen will. Mit einer Kraft, die an ein berühmtes Wort Lessings erinnert, spricht er sodann seinen Durst nach Wahrheit in den schönen Worten aus:") „Ich weiß, daß die Begierde der Menschen mag aller zeitlichen Dinge durch Überfluß also sehr gesättigt werden, daß man dessen verdrossen wird, allein ausgenommen viel zu wissen, dessen wird niemand ganz verdrossen, denn es ist uns von Natur eingegossen, daß wir gern viel wüßten, dadurch zu erkennen eine rechte Wahr- heit aller Dinge."

Diesen tieferen Grund glaubt er nun in der Geometrie zu erkennen, und gibt deshalb seine Unterweisungen mit steter Rücksicht auf Größen- und Zahlen - Verhältnisse, indem er auf rechte Proportion und rechtes Maß dringt. Hier ist es für uns von besonderem Wert, seine Auffassung der Architektur, wie sie ina dritten Buch der Unterweisung hervortritt, ins Auge zu fassen. Dürer steht in diesen Dingen ebenso geteilt da wie alle seine nordischen Zeitgenossen : einerseit s fußt er auf den überall noch in Kraft befindlichen Überlieferungen des Mittelalters, anderseits sucht er sich an Vitruv anzulehnen, dessen Verständnis freihch durclii die Anschauung der Zeit selbst wesentlich bedingt wurde. Als Beispiele gibt e r ebensowohl antikisierende Säulen, wie spätgotische Pfeiler und Gewölbe. S(o bringt er für die, welche „große Liebe haben zu seltsamen Reihungen in dem Gewölben zu schließen, von Wohlstands wegen", einmal ein kompliziertes Netz - gewölbe, eine Form, an welcher die deutschen Baumeister noch bis ins 17. Jahr- hundert mit Vorliebe festhielten, wie z. B. die Kirche in Freudenstadt beweist. Überall geht er beim Aufriß seiner Figuren auf geometrischen Grund zurück. Merkwürdig ist dabei die Stelle, in der er unsern echt deutschen Hang zu individueller, ja eigenwilliger Selbständigkeit betont, indem er sagt: 3) „So iclh aber jetzt vornehme, eine Säule oder zwei lehren zu machen für die jungen Ge-

1) Nürnberger Vorreden. Fragment im Arch. für die Z.-K. 1858. S. 24.

2) Nürnberger Vorreden-Fragment.

3) Unterweisung B. III. G. Illb.

Dürer

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seilen sich darin zu üben, so bedenke ich der Deutschen Gemüt, denn gewöhnlich y alle die etwas Neues bauen wollen, wollten auch gern eine neue Fatzon dazu haben, die zuvor nie gesehen wäre." In der Aufzeichnung dieser Säule treibt er das Zurückführen auf geometrische Grundlinien bis zum äußersten und glaubt damit offenbar etwas Unübertreffliches geleistet zu haben. Den Hang zu will- kürlicher Freiheit der Erfindung erkennt man auch an den von ihm gegebenen Kapitellen, denn obwohl er dabei die Antike im Auge hat, mischt er die einzelnen Ornamente in ungebundenster Weise und fordert auf, „etwas von schönen Dingen als von Laubwerk, Tierhäuptern, Vögeln und allerlei Dingen, die nach dem Gemüt derer sind, die solches arbeiten", daran anzubringen. Auch solle jeder streben, etwas Weiteres und Fremdes zu finden, denn wenn auch der hochberühmte Vitruvius und andere gesucht und gute Dinge gefunden hätten, so sei damit nicht aufgehoben, daß nichts anderes, das auch gut sei, möge gefunden werden". Es bedurfte in der Tat einer solchen Mahnung nicht, da die Neigung zu Ver- änderungen und Willkürlichkeiten im höchsten Maße unter den damahgen deutschen Künstlern verbreitet war,

EigentümHch genug sind die Entwürfe zu drei Gedächtnissäulen, bei denen es sich um eine gewonnene Schlacht, einen Sieg über aufständische Bauern und den Tod eines Trunkenboldes handelt. Hier zeigt sich überall, wie völlig der große Meister außerstande ist, sich aus den Banden des Naturalismus zu befreien und zu den architektonischen Grundsätzen der Renaissance durchzudringen. Am meisten davon finden wir noch in dem ersten dieser Denkmäler, obwohl er die Säule hier aus einem aufgerichteten Geschützrohr bestehen läßt und auf die Ecken des Postaments Pulvertonnen und Geschützkugeln stellt. Das Äußerste in diesem seltsamen Naturahsmus leistet er jedoch in dem Denkmale eines Sieges über die aufrührerischen Bauern. Die sehr gut gezeichneten Gruppen gefesselten Viehes, v auf der untersten Stufe der Basis, „Kühe, Schafe, Schweine und allerlei" kann ^ man sich noch gefallen lassen. Aber auf die Ecken des Unterteils rät er Körbe mit Käse, Butter, Eiern, Zwiebeln und Kräutern, „oder was dir einfällt" zu stellen. Auf diesen Unterbau setzt er allen Ernstes einen Haferkasten und stürzt darüber einen Kessel, darauf stellt er einen Käsenapf, der mit einem starken Teller zu- gedeckt wird. Auf den Teller dann ein Butterfaß, auf dieses wieder einen Milch- krug. Dieser trägt eine Korngarbe, in die Schaufeln, Hauen, Hacken, Mist- gabeln, Dreschflegel und „dergleichen" eingebunden sind. Darüber folgt ein Hühnerkorb und auf diesen ein Schmalzhafen, darauf sitzt ein trauernder Bauer, den Rücken mit einem Schwert durchstochen. Seltsam genug nimmt sich's aus, mit welchem Ernst der Meister dabei die Verhältnisse von Käsenäpfen, Butter- fässern und dergleichen feststellt. Auch das Grabdenkmal eines Trunkenbolds erscheint nicht minder wunderlich, denn auf das Postament stellt er eine Bier- tonne, unter einem Brettspiel, darauf eine Schüssel, über die eine zweite gestürzt ist, mit der Angabe: „darin wird Fresserei sein". Auf den Boden der oberen Schüssel stellt er „einen weiten niederträchtigen Bierkrug, mit zwei Handhaben", deckt ihn mit einem Teller zu und stützt darauf ein hohes, umgekehrtes Bierglas; endlich bildet ein Korb mit Brot, Käse und Butter den Abschluß dieses wunder- baren Denkmals. Der hohe Aussichtsturm, den er ferner zeigt, besitzt weder architektonische Gliederung noch besondere Verhältnisse und ist offenbar aus einer Erinnerung an den Markusturm zu Venedig hervorgegangen, nur daß er eine parabolische Kuppel als Bekrönung trägt. Wie Dürer die geometrischen Ver- hältnisse überall nachzuweisen und anzuwenden bemüht war, sieht man zuletzt auf den folgenden Blättern, wo er die Buchstaben, namenthch die Majuskeln des lateinischen und die Minuskeln des deutschen Alphabets nach Zahlenverhültnissen aus geometrischen Figuren und Zirkelschlägen zu konstruieren sucht.

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Die übrigen Teile von Dürers Kunstlehre sind hier nicht weiter zu ver- folgen; dagegen ist es für unsern Zweck von Wert, zu untersuchen, welchen Gang die Kunsttheorie in Deutschland nach Dürers Tode genommen hat. Schon in der Perspektive, welche der fürstlich Simmernsche Sekretär Ilieromjmus Rodler 1531 unter dem Titel „Ein schön nützlich Büchlin und Underweisung der Kunst des Messens" herausgab, ist die Rücksicht auf architektonisches Schaffen und die Verwendung von Renaissanceformen überwiegend. In der Vorrede erklärt er seine Absicht, an Stelle der schwer verständlichen Dürerschen Bücher, welche nur „für die, so eines großen Verstands, vielleicht dienlich", eine verständhchere Darstellung „schlechter und begreifHcher" darzubieten. In der Tat geht er ein- fach praktisch zu Werke und bringt eine Reihe von Beispielen, um an ihnen die perspektivische Erscheinung und Darstellung nachzuweisen. So im vierten Kapitel eine Halle mit vorgesetzten korinthisierenden Säulen, worauf er dann die per- spektivische Zeichnung der Säulen und Fenster, der Gebälkdecke und des Fuß- bodens, letzteren mit rautenförmigen und runden Friesen behandelt. Weiter geht er zu den Einzelheiten, den Gesimsen, Säulenfüßen und dergleichen über, und bringt dann im neunten Kapitel die vollständige Darstellung eines Wohnzimmers mit Tisch und Bank, Ofen, „Tresur" usw. Sind hierin die Elemente mittel- alterlicher Kunst noch überwiegend, so zeigt die nächste Darstellung an schlanken Säulen des Betthimmels die Formen der Renaissance. Auch in den folgen- "x; den Straßenprospekten mischen sich gotische Elemente mit antikisierendem Detail. Von sehr unbestimmter Renaissance sind die Säulen auf der prächtigen Kirchen - halle im zehnten Kapitel, wo Säulenreihen mit antikem Gebälk, aber mit frei phantastischem Laubwerk sich vor den Wänden hinziehen, die Überdeckung der Halle aus rundbogigen, aber gotisch profilierten Kreuzgewölben auf Konsolen mit antikem Profil besteht. Eine vollausgebildete Renaissance zeigt sich in der folgen- den zweischiffigen Halle mit doppelten Kreuzgewölben, die keine mittelalterlichen Rippen mehr haben, sondern mit ihren Kanten auf breitvorspringenden Gesimsen aufsetzen. In der Mitte ruhen die Gewölbe auf schlanken Säulen; ihnen hat der Zeichner kein Postament gegeben, um den Raum nicht unnötig einzuengen. Da- gegen sind an beiden Wänden kurze Säulen auf stark vorspringenden Untersätzen angebracht, freilich noch weniger als die Mittelsäulen einer strengen Renaissance entsprechend. Denn die geschweiften Schäfte kommen aus großen Blätterhülsen hervor, so der ganzen Form etwas Pflanzenhaftes gebend; ebenso bestehen ihre Kapitelle aus ähnUchen umgebogenen Blättern, in welche der Schaft ohne weiteres verläuft. So wenig alle diese Formen mit der Antike etwas zu tun haben, so gewiß müssen wir sie im Sinne der alten Meister als Renaissance ansehen. Die- selbe noch ziemlich unklare Auffassung begegnet uns auf den folgenden Blättern : so auf der Zeichnung mit dem Altarerker, eingefaßt von schlanken Pilastern mit dunklen Flachornamenten auf dem vertieften Grunde ; auf der Außenansicht eines Schlosses, dessen Seitenflügel in zwei Geschossen wieder mit äußerst phantasti- schen Säulen geghedert ist, usw. Überall sieht man eine steigende Lust zur An- wendung von Renaissanceformen, die aber gleichwohl von einer wirklichen Kennt- nis der Renaisance noch weit entfernt sind.

Während man so auf dem abgelegenen Hunsrück ganz von ungefähr im . unklaren tappte, gab nicht lange darauf in Nürnberg der Straßburger Arzt Walter

Ry ff unter dem lateinischen Namen D. Gualtherus Rivius seine umfang- V reichen Werke heraus, 1547 das Buch: „Der fürnembsten notwendigsten der ganzen

Architektur angehörigen mathematischen und mechanischen Künsten eygentlicher H Bericht" und 1548 den „Vitruvius teutsch". Ersteres erlebte bereits 1558 eine zweite Auflage, letzterer wurde 1575 und 1614 in Basel von neuem gedruckt, i)

:j n' 0 Vom Vitruv liegen mir diese drei Ausgaben vor; von der Perspektive nur die erste.

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Rivius

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Ein ganz selbständiges Verdienst ist diesen Arbeiten des fleißigen Arztes und Mathematikers, die er „in müßigen Zeiten zu sonderlicher Ergetzung und Re- creation" verfaßte, allerdings nicht zuzusprechen. Seinen Vitruv übersetzt er nach der 1521 zu Como erschienenen italienischen Ausgabe und dem Kommentar des Bramanteschülers Gesariano, den er auch in der Vorrede nennt; in seiner Perspektive bearbeitet er ebenfalls italienische Vorgänger, besonders Leon Battista Alberti, selbst seine Holzschnitte sind Nachbildungen nach solchen bei Gesariano und in des Polifilo Hypnerotomachia. Doch darf man keineswegs an sklavische Kopien denken. Eine Vergleichung mit jenen Vorgängern beweist für die Holz- schnitte eine ziemlich freie und in den meisten Fällen verbesserte Nachbildung der Originale. Aus Polifilo ^) sind nur einige nebensächliche, unbedeutende Illustra- tionen entlehnt: die vier kleinen Vignetten bei Rivius Bl. Vlllb und IX a (Polif. P4 und Q4), das Bildchen mit dem römischen Opfer Bl. GL Villa (Polif. Q4) und die Darstellungen künstUch geformter Zierbäume Bl. GGXXXlIa (Polif. T. 3, 5, 6).

Um so weiter gehen die Entlehnungen aus Gesarianos Vitruv von 1521. Rivius ist im wesentlichen seinem Vorgänger überall gefolgt. Wenige von den Abbildungen der italienischen Ausgabe hat er verschmäht ; dagegen sind manche neue Figuren hinzugekommen. Im ganzen zähle ich 61 neue, 110 aus Gesariano entnommene Illustrationen. Aber auch die letzteren sind wie gesagt nicht schlecht- hin kopiert ; sie zeigen Änderungen, die zugleich Verbesserungen sind ; zwar nicht in sachlicher, wohl aber in formaler Hinsicht. Durchweg steht nämlich der Holz- schnitt bei Rivius auf einer höheren Stufe der Ausbildung. Bei Gesariano ahmt er die Unvollkommenheiten des frühen italienischen Metallschnittes nach: be- sonders die für den Holzschnitt allzu dichten, monotonen, meist etwas starren Strichlagen. Dazu kommen schwarz gelassene Gründe, in der Regel Unklarheit in die Darstellung bringend. Dagegen ist der Holzschnitt bei Rivius meisterhaft in der Technik, überall klar und durchsichtig, dabei mit Schatten und Licht volle Modellierung der Gestalten gewährend. Aber auch die Zeichnung ist bei Rivius eleganter, vollendeter, wie man nicht bloß da sieht, wo Figürliches vor- kommt, sondern auch in allem rein Ornamentalen. So sind z. B. die mehrfach dargestellten Kapitelle weit schöner in der Form und feiner in den Ornamenten als bei Gesariano. Die freien figürlichen Kompositionen, wie das goldene Zeitalter und die Bauversuche der ersten Menschen, stehen bei Rivius in jeder Hinsicht über dem italienischen Vorbilde, das hier übrigens völlig verlassen ist. Die eigentlich architektonischen Vorlagen sind mit größter Treue nachgebildet, aber in den Darstellungsmitteln freier und reicher; dagegen weichen solche Illustra- tionen, in denen der Phantasie mehr Spielraum gegeben ist, oft in charakte- ristischer Weise von dem Vorbilde ab, und zwar so, daß man die inzwischen fortgeschrittene architektonische Anschauung herausfühlt. Höchst bezeichnend in dieser Hinsicht ist die Abbildung der Stadt Halikarnaß mit dem Mausoleum. Hier ist in der italienischen Ausgabe ein kleiner polygoner Tempel im Vordergrunde angebracht, an dessen Stelle bei Rivius aber ein Rundbau nach dem Muster von Bramantes Tempietto gesetzt ist.

Der Sachverhalt wurde in dem Augenblick verständlich, wo Reimers auf zweien der Holzschnitte das Monogramm des Künstlers auffand, der Rivius die Holzschnitte lieferte: die Buchstaben P. F. Der große Nürnberger Künstler Peter Flettner hat unter mehr oder minder freier Benutzung des Gesariani dem Straßburger Theoretiker die Zeichnungen zu seiner Vitruvausgabe wie zu seinen anderen theoretischen Werken gefertigt und selber in Holz geschnitten. So erklärt sich ihre hervorragende Vortretf lichkeit, die in mehr als einem Drittel völlig neuer

1) Ich habe die Ausgabe von 1499 vor mir.

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1. Buch IV. Kapitel Die Theoretiker

Darstellungen ganz besonders deutlich und völlig selbständig hervortritt. Das Buch erschien ja in Nürnberg.

Größere Abhängigkeit herrscht im Text, nur daß auch hier Rivius bei aller Weitschweifigkeit doch im Vergleich zu seinem Vorgänger kurz und bündig erscheint, der einen unglaublichen Ballast der unnützesten Gelehrsamkeit auskramt. Dagegen zeigt sich Rivius viel praktischer, wählt überall nach den Bedürfnissen seines besonderen Publikums aus und weiß sich der Fassungsgabe des Laien anzubequemen. Wie gering man auch das selbständige Verdienst dieser Arbeiten bewerten mag, dennoch müssen sie eine bedeutende Wirkung ausgeübt haben, denn mit ihnen entsteht in Deutschland überhaupt erst eine Art wirkhchen Ver- hältnisses zu der Antike und damit zur Renaissance. Zum erstenmal tritt hier an den deutschen Architekten, der bis dahin ein schlichter mittelalterlicher Stein- metz gewesen war, die Forderung einer allgemeineren Bildung heran. Der Baumeister soll einen Eifer entwickeln „aus embsiger Mühe, gleichwie die hefftigen Bulen von solchen Gedanken weder Rast noch Ruhe haben". i) Der Architekt müsse, so heißt es in dem aus Würzburg vom 16. Februar 1548 datierten Vorwort, Latein, auch wohl Griechisch, womöglich dann andere neuere Sprachen lernen^), „dieweil in keiner barbarischen frembden Sprachen bisher weniger guter Schrift und Bücher denn in der teutschen Sprach von neu erfundenen Künsten ausgangen sindt, ausge- X nommen des weit berühmpten künsthchen Albrecht Dürers Bücher". Wie damals schon Dürers Ruhm verbreitet war, ersehen wir aus einer andern Stelle, wo von Apelles die Rede ist, und der Verfasser fortfährt:^) „Aber was bedürfen wir dieser Zeit die Bestetigung der Exempel mit der Kunst des Apelles, dieweil wir einen solchen trefflichen künstlichen Maler auch in Teutschland bei unserer Zeit gehabt, der on Zweififel als ich gentzlichen getrau dem Apelle in der Kunst überlegen, dann welcher kunstreich Maler in dieser Zeit verwundert sich nicht hoch und größlichen der Kunst Albrecht Dürers? in allen Landen und auch von fremder Nation in Sonderheit hoch berümbt, als dem der Preis der gantzen Kunst on alle Hindernus gegeben wird." Sodann folgt die charakteristisch deutsche Anschauung, daß Dürer dem Apelles weit überlegen gewesen sei, weil dieser „zu seiner kunst ein behülfif der färben haben müssen, welche aber der Dürer, wiewohl er des Malens und Verteilung oder anlegen der färben eben alsowohl bericht gewesen, doch in seinen kunststucken nit bedörflft, dann er allein mit schwartzen Linien und strichlein alles das, so im furkommen, on allen behilff der färben dermaßen lebhatft und künstlichen gerißen vnd gestochen für äugen gestelt, das solches also künsthcher vnd wo man es mit färben zieren wolt, gantz und gar versudlen vnd verderben wurd". Überhaupt zeigt unser Autor ein warmes Herz für die vaterländische Kunst, wie er denn wiederholt beklagt^), daß „nit allein dieser zeit treffliche künstner nit allein kein gebührliche ehr erlangen, sondern etwa ihr täglich brot nit darbey haben mögen, das den Teutschen Fürsten kein geringe schandt". Auch bei diesem Anlaß fließt er wieder vom Preis Albrecht Dürers über. Und wo er von antiken Wandgemälden spricht, verfehlt er nie zu be- merken:'^) „Solche alte gewohnheit sollte auch billig von den Fürsten und Herren noch dieser zeit gehalten werden, fürnehmlichen in den schönen gewaltigen Palästen und Fürstenhöfen, darmit etwan irer großer sieg tapfferheit und mann- lichkeit anzuzeigen und fürzubilden der jugent, auch fürnemlichen irer nach- kommen zu augenscheinlichem exempel und starker anreitzung."

^) Vitruvius 1548. Bl. XXX b.

2) ib. Bl. Villa.

3) Vitrivius 1548. Bl. XXI b.

4) ib. Bl. XCIVb. ib. Bl. XIII b.

Rivius

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Im übrigen ist die Auffassung unseres Autors durch die seiner italienischen Vorgänger beherrscht, und seine Schriften bezeichnen offenbar den Moment, wo die italienische Behandlung der antiken Formen in Deutschland eindringt. Von Sympathie für die Kunst des Mittelalters ist wenig mehr zu spüren. Eine Aus- nahme macht er nur mit dem Dom zu Mailand, von dem er (nach Gesariano) Grundriß, Aufriß, Durchschnitt und Details in Abbildung mitteilt. Auch weiß er, daß der Bau von Deutschen ausgeführt worden (XXVII b). Doch tadelt er an einer andern Stelle (XLVIa), daß dort „aus irrthumb von unverstandenen baumeistern ein recht achteketer Thum auff ein gefiert Gewelb verordnet worden sei". An der Gertosa von Pavia rügt er (XGIXa) den Mangel von Proportion und Symmetrie. Alles dies freiUch nach seinem Vorgänger. Dagegen rühmt er selbständig die Wendeltreppe im Münster zu Straßburg (GGLXVIa), und am Unter- bau eines antiken Tempels bringt er (nach Gesariano) ohne Bedenken spitzbogige Öffnungen (GXVa). Diese wenigen Ausnahmen lassen jedoch seine Begeisterung für die Antike und für die großen italienischen Meister um so heller hervortreten. Was zunächst die architektonischen Einzelheiten betrifft, so sind sie korrekt nach dem Muster der Italiener wiedergegeben. Bezeichnend sind hier namentlich die korinthischen Kapitelle, die er in großer Mannigfaltigkeit nach den freieren Formen der italienischen Renaissance (und zwar zum Teil schöner als Gesariano) darstellt. Auch eine Anzahl antikisierender Gefäße in sehr eleganten Formen bringt er bei, diese übrigens ganz unabhängig von seinem Vorbilde. Er rät sodann (XXXI b), die Ordnungen nicht zu vermischen, obwohl solches auch bei den Alten zuweilen geschehen sei, wie z. B. am Marcellustheater, „wo in die dorischen Kornizen Tonische Denticuli gesetzt seien". Doch spukt auch bei ihm die Neuerungssucht der Zeit in mancherlei Vorschlägen (XVII b) zu „Verenderung der Bossen, so ein verständiger Baumeister weiter nach seinem Gefallen in mancherlei Werk bringen möge". Hier gibt er dann viel Phantastisches und einzelne schon recht barocke Dinge. So die vorgekröpften Gebälke, die auf „karyatischen Weibern und Matronen" ^ in reich gestickten Gewändern mit Troddeln an den herabhängenden Zipfeln ruhen, darüber nochmals Halbfiguren, die das obere Gebälk tragen. Oder er läßt das Gesimse von knienden Kriegern „in antikischer Tracht" emporhalten, und meint damit die persische Halle der Lazedämonier getroffen zu haben, „wie dann solche mit großer Fürsichtigkeit und sonderer Listigkeit und scharpffem Bedacht von den alten Baumeistern gemacht worden". Dies alles freiUch nach seinem V italienischen Vorbild. Ziemlich barocke Dinge bringt er unter den „künsthchen Säulen von Bildwerk, wie solche dieser Zeit bei den Welschen in Brauch" : Hermen, zum Teil nach unten eingewickelt wie in Windeln') oder in einen Baumstamm aus-,w laufend, mit türkischem Turban und Troddelmantel, oder mit zwei weibhchen Ober- V körpern, welche die Arme übereinanderschlagen. Diese Dinge sind aber nicht aus \ Gesariano entlehnt, gehören vielmehr fast ganz Peter Flettner an. Nicht unerwähnt soll es hier bleiben, daß ein gewisser französischer Zug diesen Gestalten anhaftet.\

Was Rivius von italienischen Künstlernamen kennt, hat er aus Gesariano. Außer Michelangelo, „der noch dieser Zeit bei Leben", nennt er (XGIXb) nur lom- bardische Meister: „Johannes Ghristophorus von Rom, Ghristophorus Gobbo und Augustinus Busto, beyde von Meylandt, Tullio Lombarder zu Venedig, Bartolome Clement zu Reggio und der kunstreich Gontrafactor zu Meylandt, Johannes An- tonius Bolterpho (Boltraffio), Marcus de Oglona, Bernhardus Triviolanus, Bartolo- meus, oder Bramantes genannt (Bramantino), Bernhardinus de Lupino (Luini) und dßr allerkünstlichst Maler zu Venedig, Tuttian genannt." Den Tizian hat er aus Eigenem hinzugefügt, denn Gesariano nennt ihn nicht. Von Bramantes Ruhm

1) Nach Agostino Veneziano.

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weiß er wiederholt zu erzählen, von Bustos Grabmal des Gaston ebenfalls. Auch rühmt er die Sakristei von S. Satiro zu Mailand als ein trelf hches Werk Bramantes. Noch sonst weist er auf Bauten zu Mailand, einmal auch auf die Spitäler zi Florenz, Siena und Rom hin. Ebenso erwähnt er die alten musivischen Fuß- böden in Rom, Ravenna und San Marco zu Venedig.

Was er von Anlage und Gesamtform antiker Gebäude vorbringt, ist be- greiflicherweise nach den Anschauungen der italienischen Renaissance, und zwar durchweg nach Gesariano gegeben. So die Grundformen des griechischen Tempels ^ ganz nach dem Schema mehrschiffiger Kirchen der ausgebildeten Renaissance, mit Kreuzgewölben, auch wohl Kuppeln, bisweilen selbst mit komplizierten Ge- wölbformen, wie z. B. beim Pseudodipteros. Von offenen Säulenhallen um die Tempel hat er gleich seinem Vorgänger keine Vorstellung. Überall sind es nach dem Muster christlicher Kirchen geschlossene Mauern mit kräftigen Strebe- pfeilern, die den Bau umgeben. Beim Dipteros und Hypaethros zeichnet er dann zweischiffige Umgänge auf Pfeilern, ebenso läßt er im Innern die Gewölbe meist auf viereckigen Pfeilern ruhen. Nur dem Peripteros gibt er Säulen, die aber bloß im Innern angebracht sind, wo sie ein längliches Mittelschiff von vier Gewölbjochen von den ringsum geführten Seitenschiffen abgrenzen. Dabei sind nach dem Vorbilde romanischer Kirchen je zwei Arkaden durch gemein- samen Bogen zusammengefaßt und zu einem Gewölbejoch verbunden. Auch bei den Fassaden dieser Tempel schwebt ihm das Äußere italienischer Renais- sancekirchen vor. Sein Prostylos und Amphiprostylos sind mit ionischen Pilastern bekleidet, über welchen die entsprechenden Gebälke und Gesimse samt Giebel aufsteigen. Im mittleren Interkolumnium ist das Portal, beim Amphiprostylos darüber ein Rundfenster, in den Seitenfeldern sind schlanke Fenster mit geradem Sturz und Giebel angebracht. Dazu kommt im Giebelfelde noch ein Rundfenster. Der Amphiprostylos unterscheidet sich sodann hauptsächlich durch eine runde Kuppel mit Laterne, die über der Mitte aufsteigt. Beide Tempel sind nämlich als kleine Zentralbauten angelegt, und die Ghorapsis, das eine Mal halbrund, das andre Mal rechtwinkehg, ist durch eine Mauer als gesonderter Raum abgetrennt. Wir haben hier ungefähr jenes Ideal eines Zentralbaues der Renaissance, wie es in der Madonna di San Biagio bei Montepulciano Gestalt gewonnen hat. Beim Antentempel gibt er für die Fassade als Variante einen schlanken Hochbau von zwei korinthischen Pilastergeschossen, das breitere Erdgeschoß mit Schnecke oder Halbgiebel abgeschlossen. Einen reich entwickelten Hochbau ähnlicher Art bringt er dann beim Pseudodipteros vor, die Schnecken und Giebel seltsamerweise mit liegenden Drachen und Hirschen bekrönt. Wie sehr die Baumeister der Renais- sance überzeugt waren, in ihren Kirchen die antiken Tempel neu zu schaffen, leuchtet dabei aus alledem deutlich hervor. Im Norden hinderte glücklicherweise mittelalterliche Überlieferung noch lange Zeit an einer ähnlichen Auffassung. Wie ernsthaft man es, in der Theorie wenigstens, damit nahm, ersehen wir aus der Stelle, wo er den Architekten nicht bloß ermahnt, daß er, „so er der Sym- metrie behend und wohl erfahren sein wolle, sich der geometrischen Messung heftig üben müsse", sondern auch nach Vitruv die Unterschiede der Tempel nach verschiedenen Gottheiten, besonders männlichen und weiblichen einschärft. Namenthch meint er (XXXI a), „daß Göttinnen und zarte Jungfrauen mit solchen zierlichen Gebäuen zu verehren seien, so fast artlichen und wohlgeschmückt

und gezieret, daß solcher zarten Göttinn in Wollust hofirt werde".

Daß für häushche Anlagen wieder die itahenische Renaissance nach Gesariano ihre Vorbilder leihen muß, ist selbstverständlich. Das Rathaus (GLXIIb) „nach der alten griechischen und itaUenischen Manier" zeigt sich im Erdgeschoß mit Bogenhallen, darüber mit gekuppelten Fenstern zwischen Pilastern, das Haupt-

Rivius

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gesimse gekrönt mit Voluten, Statuen und Türmchen, als ein aus venezianischen Anschauungen geschöpfter Bau. In der Fassade der Basilika zu Fano (GLXIIIIa) wird man ebenfalls die Einflüsse Oberitaliens, namentlich Veronas und Mailands, erkennen. Als Atrium tuscanicum (GGa) gibt er einen jener kleineren Florentiner Palasthöfe, deren vorspringende Dächer auf hölzernen oder steinernen Konsolen ruhen. Ein ähnhcher Hof „nach korinthischer Manier" steht auf der Stufe des Palazzo Gondi oder Strozzi und zeigt eine Halle von korinthischen Säulen, die aber nicht mit Bögen, sondern mit Architraven verbunden sind. Dieselbe Anord- nung, jedoch statt mit Säulen, mit korinthischen Pfeilern, schUeßtsich daran. Eine Bogenhalle auf Pfeilern, darüber ein Geschoß mit gekuppelten Fenstern auf Mittel- säulen, wie es die florentinische Frührenaissance durchgängig liebt, folgt darauf. Das Gesimse ist hier nach mittelalterhcher Weise, etwa wie am Palazzo di Venezia zu Rom, aus großem Bogenfries mit Zinnenkranz gebildet. Ein kleiner Kuppel- turm in der Mitte kommt hier und an andern Orten vor. Den ausgebildeten Floren- tiner Palasthof mit gewölbten Hallen auf Säulen im Erdgeschoß und mit flach- gedeckter Loggia, deren Arkaden auf Pfeilern ruhen, etwa nach dem Vorbilde des Palazzo Riccardi, finden wir ebenfalls (GGIIb). Als weitere Beispiele werden dann im Text mehrere Mailänder Bauten angeführt. Um die antiken Öci zu erklären (GGVIIa), gibt Rivius die Abbildung zweier großen Prachtgebäude im Gharakter von Spitälern, unten mächtige korinthische Säulenarkaden mit geradem Gebälk, oben teils einfache, teils gekuppelte Fenster zwischen Pflastern, in der Mitte der Fassade ein hoher Giebelaufsatz mit großen Seitenvoluten. Das andere Beispiel hat Bogen- hallen im Erdgeschoß und einen achteckigen Kuppelturm mit Laterne. Sehr originell ist, wie Rivius sich, abermals im Anschluß an Gesariano, den Turm des Andronicus Gyrrhestes denkt (XLVIa). Es ist ein hoher achteckiger Bau mit fünf sich verjüngenden Geschossen, oben durch spitzes Pyramidendach bekrönt. Auf dem Vorsprung des Erdgeschosses sind Gruppen ruhender Löwen angebracht. Jedes folgende Stockwerk ist von Pflastern eingefaßt und hat allerlei figürlichen Schmuck. Am ersten sieht man eine Engelgestalt mit Schwert und Schild; am zweiten, wo Delphine und Drachen auf den Ecken lagern, ist im Mittelfelde das Gerippe des Todes und ein nacktes Weib mit dem Zifferblatt einer Uhr dargestellt, auf das der Tod eben schlagen will. Im folgenden Felde sieht man sogar eine Madonna mit dem Kinde, während auf den Ecken posaunende Engel stehen. Im letzten Stock- werk endlich sind mehrere Glocken aufgehängt, und auf der Spitze des Daches liegt als Windfahne ein blasender Triton auf dem Bauche. Die ganze Komposition ist offenbar mit einiger Freiheit den italienischen Glockentürmen nachgebildet.

Noch kurioser ist die Vorsteflung, welche wir (LXXXIIla) vom Palast des „großmechtigen Königs Mausoli" erhalten, dem „zu mehrer Zier von seiner Haus- frawen der Königin Artemisia ein kostbarlich Grab zugericht worden". Er legt dasselbe, wieder nach Gesariano, als Quadrat mit Kreuzgewölben an, läßt es sich aber zu einem griechischen Kreuz erweitern. Wie ein Zentralbau der Renaissance baut es sich mit Pflastern und giebelbekrönten Fenstern auf, mit kleinen Kuppeln über den Kreuzarmen. Große Voluten schwingen sich zu dem hohen Mittelbau empor, auf dessen Plattform ein spreizbeiniger Kriegsgott in voller Rüstung mit Fahne und Schild steht. Daneben dehnt sich die Stadt aus mit mittelalter- lichen Toren und zinnengekrönten Mauern, einem hübschen Renaissancebrunnen und dem königUchen Palast mit Türmen und Erkern, Bogenfriesen und Zinnen- kranz. Überall tritt die Vorliebe für Kuppelbauten in mannigfaltigster Weise hervor. Der Tempel der Venus ist ein Quadrat mit vier Nischen und einer flachen Kuppel; der Tempel Merkurs ist dem Tempietto Bramantes ähnlich^), nur mit dorischen

1) Und zwar ist dies, wie wir oben sahen, eine Neuerung des deutschen Autors. Gesariano hat sie nicht.

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1. Buch IV. Kapitel Die Theoretiker

Halbsäulen statt der Säulen, ohne Obergeschoß wunderlicherweise mit großen Spitzbogenfenstern. Noch ausgiebiger spricht sich die Vorliebe für Kuppel in einer großen Darstellung eines Hafenplatzes (GXGIa) aus, wo nicht bloß das Kastell mit seinen fünf Türmen, sondern auch der Tempel des Merkir und selbst die beiden Warttürme am Eingange des Hafens mit Kuppeln be- deckt sind. Dies wieder nach Gesariano. Endlich zeigen sogar die phantastischen Figuren, in welche die Zierbäume der Gärten verwandelt sind (GGXXXIIa), den Einfluß der italienischen Kunst, denn dieser, wenn auch, übrigens nicht voa Flettner herrührende Holzschnitt ist, in veränderder Gruppierung, aus der Hypne- rotomachia entnommen.

Gleiche Anschauungen wie hier begegnen uns in dem zweiten umfangreichen Werke, das der gelehrte und schreibselige Arzt ein Jahr vorher erscheinen ließ, „der fürnemsten notwendigsten . . . der gantzen architektur angehörigen mathematischen und mechanischen künsten eygentlichem Bericht". Auch dies Werk ist von P. Flettner mit schönen Illustrationen versehen. Es enthält so ziemhch eine vollständige Kunstlehre für die damalige Zeit, wobei sich der Autor wieder auf die Italiener, besonders auf Leon Battista Alberti stützt. Das erste Buch handelt speziell von der Perspektive oder, wie der Verfasser sich ausdrückt, „vom rechten, gewissen geometrischen Grund und geometrischer Messung". Ein großer Teil der Figuren, besonders der architektonischen Dar- stellungen, ist uns aus dem Vitruv bekannt, so die Details der Säulen, der Mai- länder Dom, die antiken Atrien usw. Der Text beginnt mit der Definition des Punktes (Bl. I), der „das allerkleinest, reinest und subtilest Stüpflflein oder Ge- merk ist, so man im Sinn verstehen oder merken mag". Überall kommt er auf die „wunderbarliche Art, Eygenschafft und Gerechtigkeit des Girkels" zurück (Bl. XVIII) und gibt z. B. höchst umständlich Anleitung, wie man mit einer Un- masse von geometrischen Linien aus einem Ei einen antiken Pokal machen könne, wie es „selbst vom weitberümpten kunstreichen Albrecht Dürer nicht angezeigt worden". Sodann bringt er noch mehr Beispiele, solche Gefäße mit unzählig vielen Zirkelschlägen zu zeichnen, fügt indes (Bl. XIX b) hinzu: „wolltestu aber solche Gefeß vast niederträchtig und baucheter machen, magstu die Proportz solcher Form aus dem Zirkel allein nehmen". In der Tat geht er in diesen Dingen noch über Dürer hinaus, und es ist ein bemerkenswerter Zug der Zeit, wie man (allerdings nach römischem Vorgange) bemüht ist, gerade solche Formen, die aus dem freien Zuge der Hand hervorgehen müssen, auf geometrische Formeln und Zirkelschläge zurückzuführen. Namentlich in Deutschland fiel man dabei immer wieder in jene geometrischen Spielereien zurück, welche die Maßwerke des gotischen Stils schließlich so ganz beherrschten. In den rein planimetrischen Aufgaben, deren er eine Menge bringt, schließt sich Rivius durchaus an Euklid an.

Das zweite Buch ist der „geometrischen Büxenmeisterei" gewidmet. Er entwickelt die Gesetze der Artillerie, des Schießens mit direktem und mit in- direktem Schuß durch viele hübschgeschnittene Beispiele. Die Zeichnungen sind vortrefflich, jedes Geschütz ist nach der echt künstlerischen Sitte der Zeit mit eleganten Ornamenten geschmückt. Daran schließt sich die Abhandlung „von Erbauung und Befestigung der Städt, Schlösser und Flecken ... in Form eines freundlichen Gesprächs eines erfahrenen vitruvianischen Architecti und eines jungen angehenden Baumeisters". Die Schrift gibt an wortreicher Breitspurigkeit den übrigen Arbeiten des Autors nichts nach. Der junge Künstler bittet mit weitschweifigen Komplimenten den alten um seine Unterweisung, weil er „nach der Lehr Piatonis und Ghristi" seinem Vaterlande nützen wolle. Der Alte gibt ihm dann nicht minder umständlich auf seine Fragen Antwort, warnt ihn aber vor der Größe der Aufgabe, das Amt eines Baumeisters oder wahrhaftigen

Rivius

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Architecti zu übernehmen, denn es sei keine leichte Sache „bei der wunderbar- lichen Scharffsinnigkeit der jetzigen Welt, so alle Ding untersteht auf das Höchst zu bringen und zu überkünstlen" (Bl. Ib). Beide gehen stets auf die italie- nischen Vorbilder zurück. Der Gegensatz der nunmehr aufkommenden klassisch gebildeten Architekten mit den einfachen Meistern der früheren Zeit spricht sich mehrfach aus. So heißt es (Bl. Illa) z. B.: „Unsere gemeine Werkmeister und Steinmetzen sind solches grobes Verstandes, daß sie diese Dinge nicht begreifen und machen können."

Das dritte Buch handelt „Vom echten Grund und fürnehmsten Punkten recht künstlichen Malens". Nach den Anweisungen zum bequemen Zeichnen, die auf sehr einfache, praktische Handgriffe hinauslaufen, folgen Vorschriften, wie die Farben nebeneinander zu setzen seien. Dabei werden die Maler getadelt, die das Gold zu häufig brauchen; die Rahmen dagegen solle man mit gutem Gold und Silber zieren (XIII a). Mathematik und Geometrie müsse der Maler gründUch verstehen, Historie und Poeten lesen, auch die Gelehrten befragen (XIV a). Der „kunstreiche Maler" Phidias habe von dem Poeten Homeros gelernt, „in was Herrhchkeit und Majestät er den Abgott Jupiter malen solle". SchheßUch verweist er auf die Natur als die beste Lehrmeisterin. nicht in dem hohen Sinne, den wir bei Dürer fanden, sondern in dem nüchternen Eklektizismus, welcher meint, überall die schönsten Glieder zu einem Ganzen zusammenstoppeln zu können.

Der zweite Teil dieses Buches handelt von der Skulptur, wobei der Verfasser in ähnUcher Weise verfährt. Kurios ist die Forderung (XVIII b), daß der Bildhauer „kein karger Filz sein solle", sondern „ziemlich liberal und freigebig wie Donatello, der namhaftige Künstler, gewesen sei, der stets einen offenen Kasten mit Geld bei sich stehen hatte". Bei seinen Vorschlägen, „wie die Bilder Gäsaris, Herculis, Scipionis etc. zu machen seien", will ich nicht weiter verweilen, nur daß er auf strenge Naturwahrheit dringt und die Forderung stellt, der fleißige Sculptor solle kein Schmeichler sein „oder Fuchsschwänz verkaufen", ein Bild schöner zu machen als es in Wirkhchkeit sei (XIX a). Vor allem soll auch der Bildhauer Mathematik verstehen, denn „wer ohne Verstand der mathematischen Kunst seine Kasten und Truhen voll habe von allerlei Kunst, von Gybs, Pley, gestochenem Ding, Possie- rungen, Visierungen u. dgl. und sich dessen in seinen Werken bediene, den erachte er nicht für einen rechten Künstler, sondern vergleiche ihn einem ungelehrten Dorfprädikanten, der aus viel Postillen und Evangelienbüchlein hie und da ein Stück ausklaube" (XXa). An diese Abteilung schließt sich „der ganzen Physiog- nomia kurzer Auszug". Alle Glieder des menschhchen Körpers, Augen, Nase, Mund, Wangen, Kinn, Ohren, Hals, Genick usw. seien bei den verschiedenen Charakteren anders gebildet. Folgen weitläufige Übersetzungen aus Virgil und anderen Dichtern. Weiter kramt der kluge Doktor aus, was er von italienischen Bildhauern weiß. Außer einigen Oberitalienern, worunter Tulho und sein Sohn Antonio (Lombardo) und Gristoforo Gobbo, der aber den Fehler habe, daß er alle Glieder „in Herculi Stärke" mache, ferner Caspar von Mailand, der den herrlichen Bau des Rathauses zu Brixen ausgeführt habe, nennt er auch Benedetto da Majano und Michelangelo, Andrea Sansovino und Francesco Rustici, dann als Erzgießer Lorenzo Ghiberti („Laurentius Gion") mit den „beiden kunstreichen Porten des Tempels Marlis", wie er sagt (XL Via). Vor allen preist er aber Donatello, der „über die Maßen ein namhafter Bildhauer gewesen und mehr kunstreiche Ar- beit hinterlassen, als alle die andern, in Holz, Metall, Stein und Marbel". Auch dessen Schüler Andrea Verrocchio („ Averochius") rühmt er sehr (XLVIIa). So- dann geht er zum Lobe der Stadt Florenz über, welche die Mutter aller künst- hchen Handwerke und guten Künste sei und in Deutschland nur an Nürnberg ihresgleichen habe.

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1. Buch IV. Kapitel Die Theoretiker

Der zeitlich am nächsten stehende und wohl allerwichtigste Theoretiker der Renaissance ist aber Hans Blum von Lohr^) Dieser außerordentlich geschickte und klare, formverständige Architekt muß, wie gewisse Einzelheiten seiner Ar- 1 1 beit deutHch anzeigen, aus dem Kreise P. Flettners stammen, dürfte sogar ein Schüler dieses Meisters sein. Und er ist der allererste, der eine richtige Säulen- ordnung genau nach vorgeschriebenen Zahlenverhältnissen, die er im einzelnen einschreibt, in ganz großem Maßstabe systematisch und zusammenhängend darstellt, ^ da sein einziger Vorgänger, Serlio, gerade diese Einzelheiten nur ganz bruch- stückweise und verzettelt gebracht hatte. Blum ist hier sogar der Vorläufer der großen Theoretiker Vignola, Gataneo, Palladio, die man fälschlich als die ältesten Vertreter der systematischen Behandlung der Säulenordnung an sich betrachtet. Im Jahre 1550 veröffentlichte er das ausgezeichnete Werk : „Von den fünff Sülen grundtlicher Bericht und deren eigentliche Contrafeyung nach Symmetrischer uszteilung der Architektur". Es erschien bei Ghristoffel Froschauer zu Zürich, wohin der Meister damals offenbar gezogen war. Charakteristisch ist dabei die Vorrede, in der Meister Blum erklärt, er habe lange gehofft, andere verständige Meister würden die Kunst der fünf Säulen im Druck ausgehen lassen. Das sei nicht geschehen, und so habe er diesen großen und köstlichen Schatz nicht länger können verhalten.

Zum Schlüsse sagte er, die Säulenordnungen seien bereits zu Rom und Venedig und in ganz Italien gebraucht worden, aber erst „innerhalb acht jaren nach Deutschland kommen", und auch die zu Rom und Venedig hätten nie solcher Kunst so einen gewissen Grund gehabt, als jetzt in den Säulen (von Blum) an- gezeigt werde. Wer nun, wenn nicht Blum damit die aber erst 1549 er- schienene Übersetzung des P. Goeck von Alost vom 4. Buch des Serlio damit meint, acht Jahre vorher in Deutschland ihm den gewissen Grund gezeigt haben mag, ^ muß dahingestellt bleiben; vermuten könnte man auch, daß es gerade P. Flettner . gewesen sein möchte, der etwa damals begann, den Gesarianischen Vitruv für Rivius zu bearbeiten. -

Jedenfalls ist das Blumsche Säulensystem eine große Tat. Vielleicht die folgenreichste, die seit vierhundert Jahren in der Lehre von der architektonischen Formenlehre geleistet ist; in dieser Art völlig neu und sofort in einer so voll- endeten Form, daß diese noch heute dem Unterricht in den Säulenordnungen ohne Bedenken zugrunde gelegt werden könnte. Vignolas Verdienst wird dem- gegenüber klein.

Daß die Holzschnitte zugleich Meisterwerke in ihrer Art sind, ganz vor- trefflich gezeichnet und klar geschnitten, erhöht die Freude an der Leistung, wie auch typographisch dies Buch und das folgende eine Freude für den Kenner bildet.

Etliche Jahre darauf ließ der Meister dem System auch das Detail folgen in dem schönen Hefte: „ein kunstreych Buch von allerley antiquiteten, so zum verstand der fünflf Seulen der Architektur gehörend". Hier gibt er nun vielerlei Profile mit ihrem Schmuck, Kapitelle, Gesimse aller Art, Konsolen usw. und eine Menge anderer Einzelheiten; zuletzt aber die Anweisung, wie zwei Ordnungen übereinandergestellt werden müssen ; alles mit Zahlenangaben ganz genau. Dies Heft ist nicht minder trefflich durchgeführt und zeigt einen die Formen der Renaissancebaukunst völlig und souverän beherrschenden Künstler.

Mit diesen beiden Werken scheint ein drittes zusammenzuhängen: Archi- tectura antiqua, das ist: Wahrhaffte und eigenthche Gontrafacturen ethch alter und schönen gebeuwen; 18 Kompositionen in freier Renaissance von Kuppel-

1) Vergl. E. y. May, Hans Blum von Lohr a. M., ein Bautlieoretiker der Renaissance. Straßburg- 1910.

Hans Blum Die Perspektiviker

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bauten, Triumphbögen, Palästen und Kirchen, die sehr wohl auf Blum zurück- gehen können. Da dies Buch stets mit den beiden anderen zusammen erscheint, wobei das Monogramm des R. und J. Wyßenbach öfters auf den Blättern vor- kommt, so ist es sehr wohl möglich, daß diese eine Reihe von Idealzeichnungen des Meisters auf Holz gezeichnet und geschnitten haben. Stil und Darstellungs- weise spricht nicht da- gegen. — Die Kompo- sitionen sind in der Tat von großer Geschick- lichkeit und teilweiser Schönheil; freilich reine Idealzeichnung ohne jede Beziehung zur Ausfüh- rung, — ausgenommen der große Triumphbogen B. 5, Pass. 13, der die Porta dei Borsari in Ve- rona darzustellen scheint. Jedenfalls aber haben wir hier eine Reihe von Architekturen im Geiste des Blum, die stark für die Wirkung seiner Kunst zeugen. Daß J. A.duGer-

ceau einiges davon nach- gg Mauresken von Peter Flettner

gestochen hat, spricht ebenfalls dafür.

Im weiteren Verlaufe des 16. Jahrhunderts steigert sich die Lust und das Bedürfnis nach theoretischen Schriften. Besonders ist es die Perspektive, die sich seit Dürer einer stets erneuten Behandlung erfreut, ohne daß jedoch wesentlich neue Gesichtspunkte dabei hervortreten. Arbeiten, wie die von Schön, Hirschvogel, Stoer, Jamnitzer, Lencker, Fuhrmann, Lautensack und anderen^) können wir für unsern Zweck daher übergehen. Auch was über die der ganzen Zeit sehr am Herzen liegende Befestigungskunst erschienen ist, wie z. B. Daniel Speckies (Specklin) Architektura von Festungen (Straßburg 1589), dem Herzog Julius von Braunschweig gewidmet, dürfen wir füglich beiseite lassen. Ebenso sind die anatomischen Werke, unter denen wohl das wichtigste die Anatomie Vesals ist, 1551 in Nürnberg in deutscher Übertragung von Johann Baumann herausgegeben, für uns von minderer Bedeutung ; wichtiger dagegen die architektonischen Musterblätter, die namentlich gegen Ausgang des Jahrhunderts den Einfluß einer gesteigerten Baulust erkennen lassen. Wie eine Zeitlang die kunstreichen Meister neben dem neuen Stil noch die gotische Bauweise pflegten, erkennt man z. B. an den zwei Handzeichnungen Augustin Hirschvogels im Königl. Kupferstichkabinett zu Dresden, die wohl für eine Fortsetzung seiner Perspektive bestimmt waren. Die eine gewährt einen BHck in eine fünfschiffige gotische Hallenkirche mit Kapellenreihen und einer Kuppel über dem Querschiff, Das andere Blatt enthält eine Lösung ungefähr derselben

1) E r h. Schön, Unterweisung der Proportion und Stellung der Bossen. Nürnberg 1542. Hirschvogel, Geometrie, ebend. 1543. Lorenz Stoer, Perspektive, ebend. 1567. Jam- nitzer, Perspektive, ebend. 1568. Hans L e n ck er, Perspektive, ebejjd. 1571. V a 1. Fuhr- mann, Geometrie und Perspektive, ebend. 1599. Heinrich Lauten sack, Goldschmied und Maler, deß Circkelß vnd Richtscheyts, auch der Perspectiua . . . vnderweisung. Prankfurt a. M. 1618.

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1. Buch IV. Kapitel Die Theoretiker

Aufgabe in den Formen einer durchgebildeten Renaissance: einen prachtvoller, dreischiffigen Pfeilerbau mit Kapellenreihen und einer Kuppel auf dem Kreu2- schiff, im Langhaus reichdekorierte Kreuzgewölbe, in den Kapellen kassettierte Tonnen. Seine Gewandtheit in den Formen des neuen Stils hat derselbe Meister außerdem in den bekannten Stichen für Goldschmiede genugsam bewährt. Sie enthalten auf 16 Blättern eine reiche Auswahl von Arabesken, Masken, Satyr.i

und anderen phantastischen ar- tiken Gebilden, dazu Dreifüße, Dolchscheiden, Gefäße und Degen- griffe.

Hier ist denn vor allem der Holzschnitte P. Flettners zu ge- denken, die oben erwähnt sind; seiner Ornamente, Goldschmiede- arbeiten, Möbel und Architekturer., von denen wir in Abb. 96—101 eine Auswahl geben ; sodann aller der Goldschmiede und Ornamer;- tiker, die in den Fußstapfen des großen Flettner wandeln. Seine berühmten Mauresken, die J. Geß- ner in Zürich zur reicheren Aus- schmückung des Stradaschen Buches Imperatorum Romanorum . . . imagines 1559 verwandte, wo sie auf den Rückseiten der Kaiser- porlräts abgedruckt sind, nach- dem sie bereits Rud. Wyßenbach 1549 gesondert herausgegeben hatte, sind bereits erwähnt. Frü- here Zweifel an Flettners Autor- schaft hat die Vergleichung mit den P. F. bezeichneten Becherent- würfen beseitigt.

Ihm folgte eine große Zahl von Nürnberger Ornamentikern; insbesondere scheint bereits Augustin Hirschvogel in seinen oben genannten Stichen, die er 1543—44 einzeln erscheinen ließ, von Flettner stark beeinflußt. Ganz besonders der Nürnberger Virgil SoUs. Sein Werk ist ein außerordentlich großes; er ist „der fruchtbarste und vielgestaltigte aller deutschen Ornamenliker des 16. Jahr- hunderts" (Lichtwark). Vor allem hat er sich dem Ornament und der Maureske zugewandt. Seine Büchlein: Etlicher guter Conterfectischer Laubwerk Art; Morischer und Türkischer . . art Züglein; Zugbüchlein von newem gemacht und vieles andere beschäftigt sich vorwiegend damit; zahlreiche Entwürfe für Gold- schmiedearbeiten folgen, insbesondere für Becher. Architektonische Einzelheiten, Portale, Säulen, römische Ruinen treten in mannigfachster Auffassung hinzu. Der Meister von 1551, der die herrliche Folge von Gefäßen herausgab, wahr- scheinlich Mathias Zündt, steht mit Solls völlig unter dem Einflüsse der Flett- nerschen Vorbilder, insbesondere der Gefäße bei Rivius.

Auch der „Kunst büc her" ist hier nicht zu vergessen, deren schon seit Beginn unserer Epoche vielerlei erschienen. Sie enthielten sowohl Einzelgebiete, wie das des Hans Brosamer, der ein „new Kunstbüchlein von mancherlei schönen Trinckgeschirren" schon etwa 1535 erscheinen ließ, wie allgemeinere Stoffsamm-

Abb. 97 Ornament von Petoi- Flettner

Kunst- und Modelbücher

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langen, so das des H. S. Bekam ^)_, das alle möglichen figürlichen Hilfsmittel für den Maler, aber auch schöne Ornamente auf schwarzem Grunde und einiges für das Kunstgewerbe, so die Glasmalerei, bietet. Insbesondere ist von Bedeutung das des Heinrich Vogtherr ^ das unter dem Titel: „eyn fremds und wunderbars Kunstbüchlein" (auch lateinisch) 1538 in Straßburg erschien. Darin finden sich außer Köpfen mit den mannigfachsten Bedeckungen Hände und Füße in den verschiedensten Stellungen, sodann Waf- fen, Rüstungsteile, Helme, Schilde, Kapi- telle, Säulenfüße, Kandelaber u. dgl. m. aus allen möglichen Ecken zusammen- getragen. Insbesondere sind die Kapi- telle von meist höchst phantastischer Art, etwa der Augsburger Frühzeit sich nähernd. Immerhin eine Fülle neuer Motive und Anregung bietend. Zuletzt, gegen Ende des Jahrhunderts, gab auch Jost Ammann ein ähnliches Büchlein heraus, das sich aber vorwiegend auf Figürliches beschränkt.

Nicht minder wichtig sind die eben- falls frühzeitig erscheinenden „Model- bücher", von denen sicher einst viel mehr existierten, als uns erhalten sind. Das früheste bekannte ist das des Peter Quentel!, das 1527 zu Köln herauskam. Wie alle will es Vorbilder für Sticke- reien, Spitzen u. dgl. geben. Es enthält : Muster für Kreuzstich, gewirkte Bänder, Ornamentranken noch halb gotisch oder naturalistisch, Renaissancefüllungen, ein gotisches Alphabet, Minuskeln und An- tiquaschrift. Nach 1530 erschien das ,,Modelbuch aller Art" bei Christ. Egenolff zu Frankfurt, 1534 das des ScJiartzeiu- herger und des Heinrich Steyner zu Augs- burg und noch verschiedene jüngere bis zu dem berühmten des H. Sihmacher und dem der Helena Fürst um den Schluß des Jahrhunderts, diese in Nürnberg. Wenn sich alle diese kleinen Werke zunächst nur auf die Stickerei bezogen, so brach- ten sie doch reiche Kenntnis der neuen Zierformen gerade in die Familien.

Haben vorher die Maler und Architekten sich der Theorie nachdrücklich angenommen, so treten gegen das Ende des Jahrhunderts plötzlich die Tischler hier auf den Plan. Es muß das in der Natur der künstlerischen Entwicklung liegen, die immer mehr auf Reichtum der inneren Ausstattung der Gebäude hin- drängt. Dafür kamen denn hauptsächUch die Holzarbeiten in Betracht, und die eigentümliche stilistische Richtung der Deutschen Renaissance ist in dieser Zeit hauptsächlich durch die Einwirkung der Tischlerei bestimmt. Da standen Täfelungen, Decken, Türen, Treppen, Möbel aller Art, dann die gesamte Aus-

'S!

Abb. 98 Pokalenlwurf von Peter Flettner

1) Kunst- und Lehrbüohlein Malen und Reißen zu lernen.

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stattung der Kirchen vom Gestühl bis zur Orgel und dem Altar in Frage, und die Schärfe und Eleganz der Profile und Gesimse, die Eigenart des Flachorna- ments wie so vieles andere übertrug sich von selber in die Formen der Bau- kunst. Wir können hier nur einen kurzen Überblick geben über den außer- ordentlichen Reichtum an solchen Büchern, die meist von den Säulenordnungen ausgehend ihre Ausbildung für das Material und die Technik des Holzes und ihre Anwendung zur Ausgestaltung der in Frage kommenden Innenarbeiten be- handeln.

Von besonderer Vornehmheit ist die Sammlung, die ^mch „Georgen Hemsen, Hoftischler und Bürger in Wien" 1583 bei Stephan Kreutzer herausgegeben

behenden Weg mitgetheilt, dergleichen er ohne Ruhm zu melden vorhin bei keinem andern gesehen habe". Demnach empfiehlt er seine Sachen „zum Ein- legen, Malen, von dem Hobel zu machen, in Lusthäusern, Sälen und andern Orten zierlich und lieblich zu gebrauchen". Es sind perspektivisch gegebene Decken, trefflich gestochen, gut komponiert, in der Mitte stets eine figürliche Darstellung. Die Barockformen sind noch sehr mäßig, das Ganze strenger und schlichter als die meisten Schöpfungen der Zeit. Dabei ist die Perspektive mit großer Sicher- heit gehandhabt.

Eine außerordentlich reiche solche Literatur aber erblüht an den Ufern des Rheins, von Straßburg bis nach Köln. Da sei zuerst genannt das schöne ge- meinsame Werk der beiden Schreiner zu Straßburg Veit Eck und Jakoh Guckeysen : „Etlicher architektischer Portalen, Epitaphien, Gaminen und Schweyffen, allen Steinmetzen und Schreinern auch andern dieser kunst liebenden etc.", von 1596. Das trefflich radierte Buch enthält auf 24 Tafeln die bezeichneten Gegenstände im besten Geschmack jener Zeit von kraftvoller, oft auch sehr eleganter Ge- staltung; darunter wertvolle Arbeiten, von denen das Portal Taf. 5, 19, die beiden

Abb. 99 Bettentwurf von Peter Flettner

wurde. Sie trägt den Titel: „Künstlicher und zierlicher neuer vor nie gesehener fünfzig per- spectivischer Stuck oder Boden aus rechtem Grund und Art des Zirkels, Win- kelmaas und Richtscheidt mit rechter Schattirung Tag und Nachts, allen Malern, Tischlern und denen so sich des Bauens gebrauchen sehr nützlich und dienstlich, mit son- derm Fleiß in Kupfer ge- ätzt". Er versichert, er habe „nicht mit andrer Vögel Federn zu fliegen begehrt, sondern mit sei- ner von Gott gegebenen Kunst, Fleiß und Nach- trachtung dies Werk zu- gerichtet". Denn Gott habe ihm „in seinem hohen und unruhigen Alter so wunderbaren künstlichen

Deutsche Tischler Ebelmann Krammer ^^45

Abb. 100 P. Flettner, Triumphbogen für den Einzug Karls V. in Nürnberg

schönen Kamine (Tafel 17, 18), besonders genannt seien. Zum Schlüsse fünf Tafeln mit guten Mustern eingelegter Ornamente.

Auf ähnlichen Wegen wandelt Joh. Jak. Ebelmann von Speyer, der in Köln bei J. Bussemacher verschiedene Werke dieser Art erscheinen Heß. Vor allem: Architectura „Kunstbuch, darinnen allerhand Portalen, Reißbetten und Epita- phien" elc. 1599. Andere Werke dieser Art folgten, die verschiedene Gegen- stände, so Holzdecken, Phantasiearchitekturen u. dgl. enthielten; auch ein Heft mit sechs Blatt Truhen; ein ferneres mit „allerlei Schreinwerk". Seine Formen- welt ist aber schon vergröbert und barocker Art zuneigend (Abb. 102).

Von Bedeutung ist der „Dischler" und spätere „Ihrer röm. Kays. Maj. Leib- trabanten Guardi Pfeiffer Gabriel Krammer aus Zürich, von dem der genannte Kölner mehrere Werke verlegte. Vor allem die 1599 zuerst erschienene „Archi- tectura von den fünff Säulen sambt ihren Ornamenten und Zierden" etc., die 1606 in Prag bei Marco Sadeler, 1610 nochmals in Köln neu aufgelegt, große Verbrei- tung fand. Das Buch, das 28 Tafeln umfaßt, ist als eine ganz vortreffliche Leistung zu bezeichnen und enthält die Säulenordnungen in gediegenster, echt tischlermäßiger Durcharbeitung mit zahlreichen Beispielen ihrer Nutzanwendung, vor allem an Türen, dann reiche Details, selbst Ornamente gediegener und feiner Form. Wilder ist sein letztes Werk, sein „Schweiffbüchlein" von 1611, das 1612 nach seinem Tode herauskam, eine Sammlung stark geschweifter Einzel- heiten und Ornamente aller Art. Seiner Architectura folgend gab liutgerus Kase- mann (Kaßmann) 1615 im gleichen Verlag sein Archilectura-Lehr-Seiulen-Bochg etc." heraus, das den Einzug wirklich ganz barocker Elemente in die Tischlerei kennzeichnet. Der Plan ist ähnlich wie bei Krammer, alles Ornament, aber be-

Lübke- Haupt, Renaissance in Deutschland 1 3. Aufl. 10

IV. Kapitel Die Theoretiker

Abb. 101 Große Tür von Peter Flettner

reits dem sogenannten Knorpel- stil, jener weichlichen Ausartung des 17. Jahrhunderts, sich zu- neigend, die Architektur auf das willkürlichste gebrochen, gekröpft, zerspalten. Spätere Werke des gleichen Verfassers zeigen größere Mäßigung und Reife bei ähnlicher Grundlage.

Was sich aber von solcher Literatur jetzt noch anknüpft, bie- tet das unerfreuliche Bild eines formal immer tiefer sinkenden und verwildernden Handwerks. Der Dreißigjährige Krieg mit sei- nen Schrecken macht sich hier in verwüstendster Weise geltend; es bleibt sogar eri-taunlich, daß noch so lange immer so viel ge- sundes, künstlerisches Streben sich aufrecht erhalten konnte, wie es sich immerhin auch in diesen späten Kompositionen zeigt. Das Charakteristischste davon wird wohl des Tischlers Friedrich Un- teutsch aus Frankfurt „Neues Zier- ralenbüchlein" sein, das in Nürn- berg bei P. Fürst gegen die Mitte des Jahrhunderts in zwei Abtei- lungen von je 50 Tafeln erschien; später folgte auch noch ein An- hang (Abb. 103). Dies nebst zahl- reichen Nachstichen beweist die starke Nachfrage nach solchen Mustern. Es sind hauptsächlich Ornamente in dem bezeichneten Knorpel- oder Bretzel-Stil, rein willkürliche Erfindungen einer ganz ungeregelten Phantasie, mit ge- quetschten und herausgequollenen Schneckenlinien, offenbar eine Ver- weichlichung des vorhergehenden Kartusche- Werks. Sodann auch allerlei Möbel und andere Gegen- stände, wie Kanzeln, Altäre u.dgl., wie sie der Tischler gebrauchte. Sim. Cammermeyer und G. C. Eras- mus in Nürnberg, G. Pfann^ Leuth- ner vom Grund und andere folgten dieser Richtung in ihren Kupfer- stichen noch bis Ende des 17. Jahr- hunderts. —

Jos. Furttenbach

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Auch sonst ist die Literatur jener Jahrhunderte ergiebig für die Technik. Als Beispiel sei das Werk des Frankfurter Zimmermanns Johann Wilhehn aus der Mitte des 17. Jahrhunderts genannt: „Architectura civihs, d. i. Beschreibung und Vorreißung unterschiedlicher vornehmer Dach und anderer zur Baukunst förderlichen Werke". Es enthält zahlreiche vori reff hebe und kühne Dachkon- struktionen für Säle, Kirchen, Türme (darunter viele „welsche" Hauben), Treppen, allerlei mechanische Hilfsmittel, so Krane, Zugbrücken, das 42. Blatt des ersten Bandes, dann die Innen- ansicht der neuen Kirche in Hanau mit ihrer küh- nen Deckenkonstruktion. Im zweiten Teile werden ähnliche Gegenstände ge- bracht, — darunter als Tafel 18 und 19 plötzlich richtige gotische Maßwerk- brüstungen und Balken- Verschränkungen, wie sie die Renaissance allerdings noch lange gebrauchte; wir sehen hier also den Zim- mermann des 17. Jahrhun- derts noch ganz im mit- telalterlichen Herkommen stehen.

Das 17. Jahrhundert ist überhaupt nach Kräften immer noch erstaunlich tätig geblieben. Ein auf- rechter, wackerer Baumei- ster jener schweren Zeiten tritt uns in dem bereits früher erwähnten Joseph Furttenhach d. A. entgegen, der von 1621—67 als Stadt- baumeister zu Ulm „neben seinen Statt-Ämptern und Geschäften, so hat er seine, wiewolen noch wenig übrig gehabte Zeit, allein in

Frühen- und Spat- Stunden, nicht vergeblich hinstreichen lassen, . . . Eilff Bücher von allerhand Mannhafiften und hochnutzUchen Künsten . . . selber inventirt ..." Diese beziehen sich auf alles mögliche in der Baukunst. So „Architectura civilis (1628) auf 1) Paläste mit dero Thiergärten, Grotten sodann gemeine Wohnungen etc., 2) Kirchen, Kapellen etc., 3) Spitäler, Lazarette und Gottesäcker. Architectura navalis (1629) von dem Schiffsgebäu. Architectura privata (darin sein eigenes Haus mit Garten) Architectura universalis, d. i. von Kriegs-, Statt- und Wasser- gebäuwen Architectura recreationis (1640) von allerhand erfrewlichen civilischen Gebäwen, zuletzt 1663: Mannhaffter Kunstspiegel, allerhand mathematisch und mechanisch hochnützlicher Delectationen. Dies die Hauptwerke, deren Titel schon zeigen, wie sich der alte Meister um so gut als alles bemühte, was dem Techniker wie dem Architekten damals von Bedeutung war. Alle diese Werke

Abb. 102 Aus allerlei Schreinwerk von J. J. Ebelmann

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sind durch Kupfertafeln auf das reichste erläutert, wenn auch überall die Rauheit und Not der Zeit durchblickt.

Sein jung verstorbener Sohn, Joseph Furttenbach d. J., hat 1649—67 eben- falls zehn kleinere Büch- lein ausgehen lassen, in denen er sich mit Kir- chengebäw, Schulstuben, Mayer-Hoffs-Gebäw, Ge- werb - Stattgebäw, Paß- Verwahrung, Sonnen- uhren, Hochzeithaus-Ge- bäw, Garten-Palästlin, Ho- spital-Gebäw, Gottesacker u. dgl. beschäftigt; be- achtenswerte Dokumenten des treuen und streben- den technischen Wesens jener Zeit.

Alle Zeitgenossen über- trifft an Üppigkeit der Er- findung und rauschender Phantasie der Straßburger Baumeister und Maler Wendel Dietterlein, der seinerzeit in hohem An- sehen stand und durch Herzog Ludwig von Würt- temberg nach Stuttgart berufen wurde, wo er 1591 sein bekanntes Werk über die Säulenordnungen her- ausgab. Der Titel lautet :

„Architectura und Austheilung der fünf Seuln, das erst Buch." Es enthält 40 eigenhändig von ihm mit kecker Hand radierte Blätter in Folio. In der Wid- mung sagt er, Herzog Ludwig habe ihn neben andern zur Erbauung des neuen, weitberühmten Lusthauses berufen; ehe er aber nach seiner Heimat Straßburg zurückkehre, wolle er „die mancherlei Arten und Manier der Ornamenten und Zier, welche zu den fünf Säulenordnungen gehörten, darstellen, damit jedermann sie nach dem Unterschied derselben verändert und mit Lieblichkeit zu ge- brauchen wisse". Denn die richtige symmetrische Austeilung der fünf Säulen werde wenig mehr observiert, da ein jeder nach Gutdünken mit wunderbarlicher und übelständlicher Konfusion und Vermischung der unterschiedenen Arten eine neue Manier fingiert habe. Man könne aber nicht immer ,.auf einer Geigen liegen", sondern müsse vielmehr die Lieblichkeit aus der Variation und mannig- faltiger Veränderung suchen. So geht er nun die fünf Säulenordnungen durch und gibt für jede einzelne in den Postamenten, den Säulenschäften, Basen, Kapitellen, Friesen, Gesimsen und Konsolen eine solche Mannigfaltigkeit von

Abb. 103 Aus dem Zierratenbüchlein von Friedrich Unteutsch

Wendel Dietterlein

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Motiven, daß man auf den ersten Blick eine absolute Willkürherrschaft zu sehen glaubt, bis man zur Erkenntnis kommt, daß doch ein bestimmtes Gesetz dem Ganzen zugrunde liegt, das die Gestaltung des Einzelnen je nach dem Charakter der verschiedenen Ordnungen beherrscht. Gleichwohl ist nie Üppigeres erdacht worden, und während man die überströmende Fülle der Erfindungsgabe anerkennen muß, wird man zugleich durch die Erwägung beruhigt, daß der Verfasser Fassaden- maler, daß also an eine plastische Verwirklichung dieser ausschweifenden Phan- tasien nicht gedacht war. Besonders ungebunden bewegt sich seine Formen- Erfindung in den Pilaster-Hermen, die er jeder Säulenordnung beigibt. Bei der toskanischen, die er im Sinne der Zeit mit einem groben Bauern vergleicht, zeigt der Pilaster wirkhch die Gestalt eines Bauern, der aber mit Schurzfell, Winter- kappe, Fäustlingen und schließHch mit einer hölzernen Weinbütte so umkleidet ist, daß nur die Füße mit ihren Holzschuhen und der Kopf, der als Kapitell ein Handfaß trägt, herausschauen. Um eine Anschauung von seiner Kompositions- weise zu geben, fügen wir unter Abb. 106 eine seiner charakteristischen Er- findungen bei: ein System ionischen Stiles mit reichgeschmückten Säulen, schlanken Karyatiden, vorgekröpften Gebälken, Krönungen und Gesimsen, zwi- schen Fenstern gemalt. Wir werden diese und das übrige eben nur richtig auf- fassen, wenn wir uns immer und immer wieder sagen, daß Dietterlein Fas- sadenmaler war, daß diese Erfindungen im ganzen wie im einzelnen dafür bestimmt waren, auf glatte Flächen gemalt, nicht aber plastisch ausgeführt zu werden. Dann erst

werden wir den Künstler fe^^ fetF^

verstehen und sein hohes Verdienst, wie seine Lei- stung, richtig schätzen ler- nen. Vergegenwärtige man sich doch die herrliche Be- malung des Hauses zum Tanz von Holbein in Pla- stik ausgeführt, nicht gemalt, so wird man ver- stehen, worum es sich hier handelte. Und die präch- tige Erfindung und durch- aus richtige Wirkung einer Hausbemalung, wie sie in Abb. 104, 106 gegeben ist, kann nur noch unsere Be- wunderungerwecken. Aber auch die Einzelformen wer- den als bloße Vorbilder für Malerei ganz anders er- scheinen, als wenn man sie sozusagen ernst nimmt, d. h. sie plastisch verwirklicht denkt, wie bisher alle Be- urteiler.

Doch findet sich bei ihm eine Fülle auch für andere, nicht nur für Maler,

ansprechender und brauch- Abb. 104 Aus der Architektura von Wendel Dietterlein

150

1. Buch IV. Kapitel Die Theoretiker

barer Ideen und Erfindungen. Der fleißige Dietterlein ließ im folgenden Jahre eine Fortsetzung seines Werkes erscheinen, die Portale, Türen, Fenster, Brunnen und Epitaphien behandelt. Das ganze Werk erfreute sich solchen Beifalls, daß es schon 1598 zu Nürnberg in vermehrter und verbesserter Auflage erschien; diese umfaßt 209 Blätter und enthält nun allerdings, was irgend die üppigste Phantasie ersinnen mochte. Keine noch so ausschweifende Form, die sich hier nicht bereits verwendet fände. Das Überschneiden, Ausbiegen, Abbrechen, Durch- ziehen aller erdenklichen Formen, das Verknüpfen von Vegetabilischem, Fi- gürlichem, von geschweif- ten und geschnörkelten Li- nien jeder Art hat hier sei- nen Gipfelpunkt erreicht (Abb. 105). Aus einem Her- menpfeiler wachsen plötz- lich Hirschfüße heraus, während ein ganzesHirsch- haupt mit Geweihen, von einem Jagdhorn begleitet, als Kapitell dient. Daß ein anderes Mal (Blatt 75) ein feister Koch als Atlant verwendet ist, auf dem Kopf zwei Schüsseln, am Gürtel zwei Bündel von Schnepfen und ein Küchen- messer, in der Hand einen Schöpflöffel, kann uns nicht wundernehmen, da hier offenbar die Bemalung eines Küchenbaus gemeint ist. Die sinnige Konse- quenz des Künstlers bringt am Friese gekreuzte Koch- löffel, am Gesimse Wild-

Abb. 105 Aus der Architektura von Wendel Dietterlein SChweinsköpfe, Und dar-

über als Bekrönung eine Gruppe von Hasen, Rehen,

nebst Küchenkesseln, einen Bratspieß mit Würsten und endlich eine spärlich be- kleidete Dame, die sich als Geres geriert. Auf einem andern Blatt (73), das im Gegensatz zu dem kulinarischen Charakter des vorigen einen kriegerischen hat, etwa für ein Zeughaus bestimmt, sind statt der Säulen Mörser angebracht, die Attika trägt Geschütze mit ihren Lafetten, Pulvertonnen und Kugelhaufen. Wunderbar, wie sich die Phantasie Dietterleins durch die fünf Ordnungen zu steigern weiß und doch überall eine völlige Einheit der Ornamentik festhält. Nur in der Kom- posita genügen ihm die Renaissanceformen nicht mehr, und es ist interessant zu sehen, wie er nun zu naturalistischem Maß- und Astwerk geradezu spätgotischer Art zurückkehrt, um bei Kompositionen wie auf Blatt 196, 197, 202 und 203 den Aus- druck höchster Pracht zuwege zu bringen. Offenbar ist er hier von Dürer beeinflußt.

Dietterleins Werk ist in gänzlicher Verkennung seiner Absicht und seines Zweckes oft als ein wahrer Hexensabbat bezeichnet worden, jedoch durchaus mit

Wendel Dietterlein 151

Abb. 106 Aus der Architektura von Wendel Dietterlein

Unrecht. Es ist nur die neugeschaffene, höchst malerische Welt der deutschen Renaissance, die sich hier ohne jede Grenze, wie sie sonst die Ausführungs- mögUchkeit bietet, in dem Geiste eines ungeheuer phantasievollen Malers spiegelt. Wenn man bedenkt, welchen Aufgebotes von Formen- und Farbenkraft es bedarf, um auf glatter Hausfläche zwischen den Fenstern mit einer benachbarten, stark

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

plastischen Steinarchitektur zu wett- eifern, und wie bald selbst die stärk- ste solcher Wirkungen verblaßt, so wird man erst erkennen, wie hier, fast durch ein Jahrhundert von ihm getrennt, ein wahrer Geistes- schüler Holbeins in der Art seiner Zeit das auszusprechen wußte, was dieser früher in seiner Weise bereits ebenso energisch und phantasievoll zum Ausdruck gebracht hatte.

Es ist außerdem für die Wür- digung Dietterleins die Tatsache wichtig, daß er in Straßburg zu einer Zeit wirkte und größten Ein- fluß gewann, wo dort gerade die besten Baukünstler tätig waren und sich zum Höchsten entwickelten; Hans Schoch und Georg Ridinger, die als Architekten die Vertreter des stärksten architektonischen Aus- druckes wurden, und zu deren Lei- stungen die des phantasiefrohen Malers die notwendige Ergänzung bilden. Selbst der stärkste Archi- tekt Niedersachsens jener Zeit, Paul Franke, stand sein ganzes Leben lang sichtbarlich unter dem Einfluß des Straßburger Malers, ohne daß das den Ernst seiner baukünstlerischen Leistung beeinträchtigt hätte.

Auch der höchst begabte Maler Wilhelm Dilich erfuhr diesen Einfluß auf das nachhaltigste. Seine Peribologia seu muniendorum locorum ratio Frankfurt 1641 zeigt ihn nicht nur in ihren acht reizenden grotesken Titelblättern (Abb. 107), sondern in den schönen Entwürfen zu Festungstoren, die er auf seinen Kupfern in verschiedenster Art vorschlägt, und diese Dietterleinschen Gedanken in DiUchscher Form haben lange und erheblich auf die Gestaltung unserer Festungs- tore eingewirkt. So in Würzburg, Trier, Braunau.

Abb. 107 Titelblatt von Wilhelm Dilich

Fünftes Kapitel

Gesamtbild der deutschen Renaissance

Ehe wir zur Betrachtung der einzelnen Denkmäler schreiten, suchen wir ein Gesamtbild der deutschen Renaissance zu gewinnen, denn erst aus dem Ganzen vermögen wir die Stellung und Bedeutung des Teils zu erkennen. Ihre richtige Beleuchtung erhält aber die deutsche Renaissance aus dem Vergleich mit der italienischen und französischen. Die Stellung des deutschen Volkes zu den beiden anderen Hauptkulturvölkern im Zentrum Europas ist entscheidend für den Gang der künstlerischen Entwicklung in Architektur, Plastik und Malerei gewesen.

Deutschlands Verhältnis zur italienischen Renaissance

153

Außerdem ist für den Norden der gewaltige Einfluß der Niederlande zu berück- sichtigen. Wie jedes dieser Völker sich zu den großen Richtungen, in denen die Zeiten sich bewegen, gestellt hat, ist von durchschlagender Wichtigkeit.

In der Renaissance stehen die nordischen Nationen als empfangende der italienischen gegenüber. Die antike Kunst, so wie Italien sie auffaßte und für seine nationalen Bedürfnisse umgestaltete, bleibt für alle übrigen Völker das Vorbild. Sie entlehnen also aus zweiter Hand, und darin besteht ihre gemeinsame Stellung gegenüber Italien. Aber damit ist auch das Gemeinsame unter ihnen erschöpft. In der Auffassung und Durchführung des Überlieferten stellen sich alsbald große Unterschiede, selbst Gegensätze heraus. In Deutschland wie in Frankreich war das Mittelalter zu Anfang des 16. Jahrhunderts keineswegs ab- getan. Es lebte mit seinen Einrichtungen und seinen Formen, im Herzen der nordischen Völker festgewurzelt, noch eine gute Weile fort. Besonders im Schoß der Städte fand es durch das Bürgertum fortdauernde Pflege. Die Formenwelt des spätgotischen Stils hing mit dem handwerklichen Geiste, der damals die ganze Kunstübung durchdrang, innig zusammen. Die verbreiteten Maßwerkspielereien befriedigten den namentlich in Deutschland stets vorhandenen Hang nach geometrischen Künsteleien; der erwachende Realismus fand seinen Ausdruck in dem naturalistisch gewordenen Laubwerk des Stils. Kein Wunder, daß man, nament- lich beim Kirchenbau, noch lange, ähnhch wie in Frankreich, an den gotischen Konstruktionen und Formen festhielt, und daß bis über die Mitte des Jahrhunderts hinaus gotische Kirchen gebaut wurden. Aber auch der Profanbau verharrt noch in weitem Umfange bei dem Alten, und selbst im 17. Jahrhundert lassen sich noch gotische Einzelheiten, namentlich Portale, nachweisen.')

Später, als selbst in Frankreich, tritt in Deutschland die monumentale Renaissance auf. Nicht als ob man mit dem neuen Stil überhaupt so lange un- bekannt geblieben wäre. Die Verbindungen Süddeutschlands mit Italien waren viel inniger, als die Frankreichs. Nicht bloß ein reger Handelsverkehr wurde von Augsburg, Nürnberg und anderen Städten mit Oberitalien unterhalten, auch die wissenschaftliche Verbindung der humanistischen Kreise mit Italien war eine überaus lebendige. So kommt es denn, daß wir in Zeichnungen und Stichen, Gemälden und Bildwerken ungefähr seit 1500 die Renaissance in Deutschland immer mehr Eingang finden sehen. Aber auf die Gestaltung der baulichen Unternehmungen hatten diese Studien zunächst noch keinen Einfluß. Während in Frankreich mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts durch die Vorliebe des Hofes die Renaissance aus Italien eingeführt wird und alsbald in prächtigen Bauten zu Herrschaft gelangt, verhindern in Deutschland, wie wir gesehen haben, die Unruhen der Zeit, die Kämpfe um die Durchführung der Reformation fast bis gegen die Milte des Jahrhunderts eine Neugestaltung der Architektur. Nur ver- vereinzelt und sporadisch treten die ersten Spuren der Renaissance auf. So ist in Wien das Hausportal des Federlhofs vom Jahre 1497 ein allerdings noch sehr schwächlicher Versuch in den Formen des neuen Stils. Zu den frühesten Werken unserer Renaissance gehört das Eingangstor der Burg Breuberg im hessischen Odenwalde, welches ein mit 1499 bezeichnetes Wappen der Grafen von Wertheim in einer antikisierenden Pilasterstellung aufweist. Vom Jahre 1500 datiert ein Sakramentshäuschen mit prachtvollem Eisengitter hinter dem Hochaltar der Stephanskirche zu Mainz, zu dem dann 1509 vier säulenartige Kandelaber hinzugefügt wurden. Im Dom daselbst treten zuerst am Grab- mal des Erzbischofs Uriel von Gemmingen (1514) die Formen des neuen Stils

1) Beispiele in Lübke, Gesch. der Archit. IV. Aufl. S. 583. Über die spätgot. Bauten über- haupt vergl. Kugler, Gesch. d. Bauk. Bd. III passim.

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Eenaissance

deutlich erkennbar auf. Besonders bedeutsam sind die sehr feinen und klaren Arbeiten an der Fuggerkapelle zu Augsburg, die seit 1509 bis gegen 1519 dauerten, und für die Dürer und Burgkmair, Holbein, Flettner, wie die Dauher beschäftigt waren. Daran schließen sich mehrere kirchliche Werke, allerdings noch in starker Beimischung gotischer Elemente. So die Neupfarre in Regensburg vom Jahre 1519 mit rundbogigen Maßwerkfenstern, die von Rahmenpilastern eingefaßt werden; so die prachtvollen Fenster im Domkreuzgange daselbst; so der stattliche Turm der Kilianskirche in Heilbronn, 1513 begonnen und in einem prächtigen Gemisch von Gotik und Renaissance, ja selbst noch von romanischen Elementen durchgeführt, das den deutlichsten Beweis von der künstlerischen Gärung jener Tage liefert.

Zum ersten Male tritt in Deutschland der neue Stil in ganz reiner Form am Portal der Salvatorkapelle zu Wien vom .Jahce 1515 auf. Wenige Jahre später (1517) entstand das elegante Portal der Domsakristei in Breslau. In Anna- berg sind der 1518 22 geschaffene Altar des Augsburgers Dauher, sowie ver-

schiedene Ausstattungsteile der Kirche in klarer Renaissance zu erwähnen. 15"2Q1'^\

entstand auch der schöne Hallenhof der Residenz zu Freising mit seinen phan- tasievollen, wenn auch noch sehr unsicheren Renaissancesäulen. Das Portal am Stadthaus zu Breslau von 1521 scheint durch die Mischung mit spät- gotischen Formen als deutsches Werk bezeugt, die Fenster dagegen werden von Italienern geschaffen sein. Vom Jahre 1524 datiert das elegante Portal am Arsenal zu Wiener-Neustadt, sicher ebenfalls von italienischen Händen aus- geführt.

Fortan tritt der neue Stil in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre so vielfach und an so verschiedenen Orten in Deutschland hervor, daß eine all- gemeinere Aufnahme desselben durch einheimische Meister nicht mehr zu be- zweifeln steht. In Trier bringt das Jahr 1525 das glänzende Denkmal des Erzbischofs Richard von Greiffenklau, in Mainz errichtet Kardmal Albrecht von Brandenburg 1526 den originellen Marktbrunnen; in demselben Jahre stattet dieser kunstliebende Kirchenfürst den Dom zu Halle mit der reichgeschmückten Kanzel aus, nachdem er schon 1523—25 die schönen Statuen und Portale desselben Bauwerks gestiftet hatte. Nun bemächtigt sich auch das Bürgertum der neuen Formen; in Görlitz finden wir ein Privattiaus im Stil der Renaissance von 1526. Breslau schheßt sich mit mehreren Bauten an; das Kapitelhaus des Doms trägt das Datum 1527; aus dem folgenden Jahre 1528 stammt das zierliche Portal im Rathaus und das ähnliche an der Krone. Ein Kirchenportal aus demselben Jahre finden wir sodann zu Klausenburg.

Mit diesen auf verschiedenen Punkten gleichzeitig zusammentreffenden Versuchen hat sich die Renaissance in Deutschland eingebürgert. Mit dem Be- ginn der dreißiger Jahre wagt sie sich, genugsam erstarkt, an die Ausführung größerer Werke. Es ist vor allem das deutsche Fürstentum, welches nunmehr mächtig in die Bewegung eingreift und ihr in prachtvollen Schloßbauten größere Aufgaben stellt. Sicher und lebensvoll breitet der neue Stil seine zierlichen Formen schon seit 1530 an dem Georgsbau des Schlosses zu Dresden aus, wie denn vom sächsischen Fürstenhofe nunmehr eine energische Förderung der Renais- sance sich vorbereitet. Denn mit 1532 sind die frühesten Arbeiten an dem Schlosse zu Torgau bezeichnet, und 1533 lesen wir an dem eleganten Treppenbau zu Dessau. Von demselben Jahre datiert der energische Portalbau des Schlosses zu Liegnitz, der freilich als Werk welscher Künstler angesehen wird. Die gleichzeitigen und folgenden schönen Werke der Görlitzer Richtung finden ihren Höhepunkt in dem herrlichen Rathauseingange daselbst; ihre Vorbilder sind frei- lich großenteils in Frankreich zu suchen. Der Torgauer Schule dagegen gehören

Entwicklungsgang der deutschen Eenaissance

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die freilich nur in spärlichen Überresten erhaltenen Teile des seit 1538 aufgeführten Schlosses von Berlin.

Unterdes war man auch in Süddeutschland nicht müßig gewesen, hatte aber mehr als im Norden sich noch auf itaHenische Kräfte gestützt. Das elegante Schloß zu Spital in Kärnten, das um 1530 entstanden sein wird, ist durchaus italienischen Ursprungs. Dasselbe gilt vom Belvedere zu Prag, das seit 1536 errichtet wurde. Ebenso waren es italienische Künstler, welche seit 1536 die Residenz in Landshut aufführten und mit Fresken und Stukkaturen im Sinne der römischen Schule schmückten. Dagegen sind die freilich nicht so erheblichen Bauten am Schloß zu Tübingen, vom Jahre 1537, von Einheimischen in völlig deutschem Gepräge durchgeführt.

Inzwischen treten die bürgerlichen Kreise der Renaissance näher. Besonders früh geschieht es im Elsaß, wo das Rathaus zu Oberehnheim mit 1523 be- zeichnet ist, das von Ensisheim die Jahrzahl 1535, und ein freskengeschmücktes Haus in Colmar das Datum 1538 trägt. In Nürnberg gehört das Tucherhaus von 1533 zu den frühesten dieser Werke, in denen die Renaissance noch stark mit gotischen Reminiszenzen durchsetzt ist. Ein Meisterstück edler und ver- ständnisvoller, stark italienischer Auffassung des neuen Stils bildet dagegen der Saal im Hirschvogelhause vom Jahre 1534. Nicht minder vollendet ist jener Vor- bau mit Balkon und Treppe, welchen die Stadt Görlitz 1537 ihrem Rathause , S /^xr vorlegen ließ.

Das folgende Dezennium bringt uns nur wenige neue Daten; aber es ge- hören dahin die Bauten, mit denen Kurfürst Friedrich II. seit 1545 das Schloß zu Heidelberg schmückt, sowie die gleichzeitig unter Otto Heinrich aus- geführten Teile des Schlosses zu Neuburg. Sodann entsteht seit 1547 der großartige innere Hof des Schlosses zu Dresden mit seinen vier prachtvollen Stiegenhäusern und seiner Loggia, französischem Vorbild folgend, von einem deutschen Meister unter Beihilfe italienischer Werkleute errichtet. Eine zum Teil italienische Arbeit ist das seit 1547 entstandene Piastenschloß zu Brieg, an dessen Portalbau von 1552 die Üppigkeit oberitalienischer Dekoration ihren Triumph feiert, während in anderen Teilen, insbesondere auch der Anlage, fran- zösischer Einfluß sich geltend macht. Itahener sind es dann, die 1550 das Rat- haus zu Posen mit seiner stattlichen Doppelhalle schmücken.

Mit Macht beginnt sodann etwa seit der Mitte des Jahrhunderts die Renais- sance sich allerorten in Deutschland einzubürgern. Seit dem Augsburger Reli- gionsfrieden (1555) war Ruhe im Reich geworden. Die Wirren waren beigelegt, und mit Ausnahme der Exekution gegen Johann Friedrich den Mittleren (1567) und des Kölnischen Krieges wegen Gebhard Truchseß (1584) erfreute sich das Land einer Ruhe, die erst durch den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges ein Ende fand. In diesen sechzig Jahren eines fast ununterbrochenen Friedens, wo Handel und Verkehr blühte, ein neues, geistiges Leben sich überall regte, entwickelte sich nun eine wirkhche deutsche Renaissance in ihrer ganzen Fülle und originalen Kraft. Hätte Deutschland einen dominierenden Königshof besessen, wie Frank- reich, so würde der Gang seiner Renaissance ebenso einfach übersichtlich sein wie dort. In der französischen ghedern sich die Epochen nach den Regierungs- zeiten der einzelnen Könige. In Deutschland ist die Bewegung eine viel mannig- faltigere, kompliziertere. Aus tausend verborgenen Quellen ringt sie sich ans Licht; oft ist kaum nachzuspüren, aus welchen geheimen Kanälen diese ihre Nahrung erhalten. Aber mit einem Male brechen sie überall mit Lenzesgewalt aus dem auftauenden Erdreich hervor, suchen sich ihren Weg, vereinigen sich auch wohl hie und da zu einem größeren Fluß, geben aber nirgends ihre individuelle Selbständigkeit soweit auf, daß sie in das Bett eines einzigen, alles beherrschenden

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

Stromes zusammenflössen. Das Gesamtbild des deutschen Kulturlebens besteht vielmehr auch jetzt aus einer Anzahl gesonderter provinzieller Gebilde, die fast bis zum Eigensinn ihre Originalität und Selbständigkeit behaupten. Deshalb recht- fertigt es sich, wenn wir an die Stelle der historischen hier die topographische Schilderung treten lassen.

Von besonderer Wichtigkeit ist es, sich klar zu machen, aus wie verschieden- artigen Anregungen die deutsche Renaissance ihre Nahrung empfängt. Es sind die drei großen Kulturgebiete Italiens, Frankreichs und der Niederlande, die dabei in Betracht kommen. Während die katholischen Fürstenhöfe, namentlich in Bayern und Österreich, sich den italienischen Anschauungen hingeben und vielfach eine durch Italiener importierte fremdländische Renaissance pflegen (wir erinnern nur an die Residenzen in Landshut und München und das Belvedere in Prag), zeigen die protestantischen Fürstenhöfe, durch die politische Verbindung mit Frankreich bestimmt, besonders der schlesische, sächsische, brandenburgische, württembergische, pfälzische eine gewisse Hinneigung zu der Auffassung der französischen Renaissance, deren Schlössern sie z. B. die prächtigen durch- brochenen Wendeltreppen, wie zu Dresden, Torgau, Dessau, im alten Schlosse zu Berlin u. a. entnehmen. Die norddeutschen Handelsstädte endlich, von Bremen bis Lübeck und Danzig, schließen sich, durch den Seeverkehr mit den Nieder- landen verbunden, der dortigen Renaissance an, der sie den mit Hausteinformen gemischten Backsteinbau und das Gepräge einer anfangs nüchtern verständigen, später schwülstig barocken Formenbehandlung entlehnen. Trotz dieser Einflüsse gestaltet indes Deutschland seine Bauten in durchaus origineller Weise, indem es die fremden Motive nach eigenem Bedürfnis und selbständigem Stilgefühl eigen- artig umbildet. Nur die von italienischen, niederländischen und fremden Künst- lern aufgeführten Werke machen davon eine Ausnahme. Bei so vielgestaltigem Schaffen kann aber überhaupt von einer ganz einheitlichen und gleichartigen Durchbildung nicht die Rede sein.

Ist in der Tat von einer konsequent zum Ziel fortschreitenden Entwick- lung bei der deutschen Renaissance nicht zu sprechen, so lassen sich doch zeit- lich verschiedene Stadien in der Behandlung des Stiles unterscheiden. Die ersteE poche umfaßt die frühesten Versuche, die neue Bauweise auf deutschem Boden einzubürgern. Soweit diese ins Gebiet der zeichnenden Künste fallen, haben wir ihrer im zweiten Kapitel gedacht. Für die architektonische Betrachtung bleiben die wenigen Denkmäler übrig, welche etwa zwischen 1520 und 1550 ent- standen sind. Ihr künstlerischer Charakter fußt auf einer naiven Aneignung der Frührenaissance Oberitaliens, namentlich Venedigs oder der französischen Art. Das Dekorative waltet naturgemäß, wie ja auch beim Vorbilde, vor, und zwar mit dem leichten, zierhchen Schmucke eines überwiegend vegetativen Ornaments, durchwebt mit Kandelabern, Trophäen, Schildern, Masken und allerlei Figürlichem! Wo indes nicht ausnahmsweise Fremde mitgewirkt haben, bleiben diese Formen an Feinheit der Zeichnung, Anmut der Bewegung und Zierlichkeit der Behand- lung meist merklich hinter den welschen zurück. Besonders gilt dies auch vom Figürlichen, das den deutschen Steinmetzen selten gelingt. Die selbständigen GUeder der Architektur, namentlich die Säulen mit ihrem Zubehör, werden meist ohne genaueres Verständnis unsicher und schwankend gehandhabt. Daneben spielt das Gotische in Gliederungen und Details, an Tür- und Fenstergewänden, Treppen und dergleichen immer noch eine große Rolle.

Dafür tritt jedoch eine gewisse frische Derbheit und Fülle, ein malerisches Sich-Drängen und Kreuzen, kurz eine neue nordische Nüance ein, die den deutschen Arbeiten jener Frühzeit wieder einen besonderen Reiz verleiht. Ein Holbeinischer Zug liegt über sehr vielen Werken dieser Art. Einige davon seien genannt: der

Epochen in der deutschen Renaissance

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Georgenbau am Schlosse in Dresden, das Schloß zu Torgau, die Eingangspartie am Rathause zu Görlitz, der gläserne Saalbau zu Heidelberg; seinem ganzen Charakter nach gehört auch noch das Alte Schloß zu Stuttgart hierher.

Die zweite Phase der Entwicklung beginnt um die Mitte des Jahr- hunderts. Man hat inzwischen durch die mehr und mehr verbreiteten Lehrbücher die antiken Formen genauer kennen gelernt und weiß sie richtiger anzuwenden. Die schwankende Unsicherheit tritt zurück, und man würde nunmehr eine Er- scheinung, analog der italienischen Hochrenaissance, erwarten dürfen, oder wenig- stens eine Entwicklung, wie sie in Frankreich gegen Ausgang der Regierung Franz' I. und im Beginn Heinrichs II. sich gestaltete. Aber es fehlten die Voraussetzungen dazu in Deutschland, es fehlten namentlich bedeutende ton- angebende, führende Meister, und so suchte sich jeder in seiner Weise in dem Chaos verschiedener Formen zurechtzufinden. Neben den Elementen der klas- sischen Architektur und den Überbleibseln der Gotik stellen sich zugleich die frühen Vorboten des beginnenden Kartuschestils ein. Dies alles bedingt eine Mischung, die nicht immer glücklich ausfällt, gleichwohl aber doch in einigen Meisterschöpfungen, wie dem Olto-Heinrichsbau zu Heidel b er g, dem Schloßhof zu Dresden, dem Hof der Plassenburg, dem des Offenbacher Schlosses, dem Fürstenhof zu Wismar, dem Piastenschloß zu Brieg, der Bogenhalle am Rathause zu Köln sich bedeutsam ausgeprägt hat.

Diese Stilentwicklung geht dann unmerklich in eine andere über, die man als dritte Stufe der deutschen Renaissance bezeichnen kann. In ihr ge- winnt alles den kraftvollsten und entschiedensten Ausdruck; die Formen häufen und drängen sich nicht selten, allerlei Barockes und Willkürliches mischt sich ein, besonders verläßt die Ornamentik das Vegetabilische der früheren Zeit und wendet sich geometrischen Formen und einer Mischung von flachen, aufgerollten und stark zerschnittenen Leder- oder Metallverzierungen und richtigem Roll- werk zu.

Die Architekturformen werden bewußt derb und malerisch, doch mit voll- endetem Verständnis und völligster Herrschaft gehandhabt, kurz, wir stehen hier vor dem stärksten Aufschwünge rein architektonischer Richtung in unserer nationalen Renaissance. Es ist jene Kunst, die sich vor allem an Straßburg anschließt, wo ein Johannes Schock den Neuen Bau, dann von da aus das Schloß zu Gottesau und den Friedrichsbau zu Heidelberg, ein Georg Ridinger das Schloß zu Aschaffenburg und zu Mainz geschaffen haben; in deren Verlauf das größte Meisterwerk erstehen konnte, das schmachvoll zerstörte Stuttgarter neue Lusthaus des Georg Behr; auch die Bauwerke des Paul Franke, die Marien- kirche zu Wolfenbüttel, die Universität zu Helmstedt, zuletzt die herrlichen Bückeburger Arbeiten gehören hierher.

Dies sind die eigentlichen Hauptwerke unserer nationalen Renaissance, macht- volle und folgerichtig entwickelte Leistungen unseres nationalen Wollens und Kön- nens ; sie bilden einen Höhepunkt, von dem die letzte Zeit langsam wieder herab- stieg. Das Eindringen wirklich barocker Einzelheiten, der ganz verweichlicht formlosen Knorpel-Kartusche, das Zerfließen der bewußten Kraft in ein unsicheres, bloßes, schwächliches Fühlen, nimmt den Werken aus der Zeit des unglück- seligsten aller Kriege die Bedeutung einer Entwicklungsstufe, wenn auch manche stattliche und bedeutende städtische Bauwerke des Nordens, so das Bremer Rathaus und Gewerbehaus, das Leibnizhaus zu Hannover, noch von dem un- besiegbaren nationalen Kunstgefühl der Deutschen auch in den schlimmsten Zeiten reden.

Die interessante, bis jetzt in ihrer ganzen Kraft und Tiefe noch immer wenig gewürdigte Wandlung des künstlerischen Vermögens der Nation hängt

158 1- Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

innig zusammen mit der einerseits durch das klassische Altertum, anderseits durch die Reformation herbeigeführten Umgestaltung der Lebensanschauungen, die zum erstenmal im Norden das Aufblühen einer eigentlichen Profankunst hervorrief. Dazu kommen fördernde Verhältnisse äußerer Art: in den Städten ein durch Handel und Gewerbtätigkeit reich gewordenes Bürgertum, das für seine gesteigerten und verfeinerten Lebensbedürfnisse im Bau und der glänzenden Ausstattung prächtiger Wohnhäuser einen Ausdruck fand, zugleich kurz vor dem Zusammensturz der alten städtischen Macht und Herrlichkeit diese noch einmal in großartigen Rathäusern und anderen öffentlichen Bauten verkörperte. Daneben das moderne Fürstentum, damals eben zu selbständiger Bedeutung er- starkt, voll Eifer, nicht bloß sein höfisches Leben der feiner gewordenen Sitte und einer allgemeineren Bildung anzupassen, sondern auch den Begriff der modernen Fürstengewalt in staatlichen Neugestaltungen, in Recht und Verwaltung, in Kirche und Schule festzustellen und dies ganze vielseitige Streben durch Anlage glänzender Schlösser, Lusthäuser und Gärten, aber auch durch Gebäude für Ver- waltung, für Schule und Kirche zum kräftigen Ausdruck zu bringen. Im Ver- laufe der Entwickelung schließt sich dann der Landadel diesen Bestrebungen wett- eifernd an und verwandelt seine mittelalterlichen Burgen in stattliche, schön ge- schmückte Herrensitze. Rechnen wir dazu die unabsehbare Zahl von Grab- denkmälern jeglicher Art, die der rehgiöse Sinn in eigentümhchem Bunde mit der gesteigerten Wertschätzung der PersönKchkeit überall hervorbringt, endlich die nicht geringe Reihe von Werken kirchlich dekorativer Kunst, von Kanzeln, Altären, Lettnern, Sakramentsgehäusen, Orgeln u. dgl, die immer noch verlangt und ausgeführt wurden, so haben wir eine Erscheinung von kaum übertroffener Mannigfaltigkeit. Erst indem wir diese Welt von Schöpfungen erkennen und wür- digen, bemächtigen wir uns eines unentbehrlichen Materials für das Verständnis der großen Kulturbewegung des 16. Jahrhunderts.

Aber auch die rein ästhetische Seite des Gegenstandes darf nicht unter- schätzt werden. In schulmäßiger Auffassung sind wir immer noch geneigt, aus dem Gesichtspunkt sogenannter Stilstrenge zu urteilen. Wir merken nicht, daß es gar oft nur künstlerische Impotenz ist, die in formeller äußerer Korrektheit einen Deckmantel für ihre Anmut sucht. Korrekt sind nun die Werke unserer deutschen Renaissance noch weit weniger als die der französischen; auch von Stilreinheit kann kaum die Rede sein, wo der ganze Verlauf der Entwickelung darin besteht, daß sich die mittelalterliche Überlieferung mit der antiken Formen- welt, daß sich die heimische Sitte des Nordens mit der Kunst des Südens in Aus- gleich setzte. Wer aber das Wesentliche in den künstlerischen Schöpfungen zu erkennen weiß, der wird durch die Fülle von origineller Kraft, ja manchmal durch naive Genialität in dieser Welt von Kunstwerken überrascht und lebhaft ergriffen sein, um so mehr, als diese höchsten malerischen Reizes voll und auch nach malerischen Gesichtspunkten erwachsen ist. Da ist nirgends ein schablonen- haftes Kopieren, überall individuelle Freiheit, Frische der Erfindung, lebensvolle Konzeption, Kraft der Ausführung. Alles aber beruht auf dem soliden Grunde eines gesund entwickelten, künstlerisch fühlenden Handwerks, das bis in die letzten Teile der Ausstattung sich in seiner ganzen Tüchtigkeit offenbart und den Werken dieser Kunst einen beneidenswerten Hauch von UrsprüngHchkeit und Anmut ver- leiht. Wo solche Vorzüge eine Welt von Kunstschöpfungen auszeichnen , mag sich auch das Formgepräge innerhalb der Schranken einer durch Zeit und nationalen Bildungsstand bedingten Auffassung bewegen, die nicht mehr die unsrige sein kann, da ziemt es sich für uns wohl, den großen, wesentlichen Zügen einer solchen lebensvollen Richtung in gebührender Selbstbescheidung gerecht zu werden.

Einzelbildung Die Säulen

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Um nun im einzelnen den Charakter der deutschen Renaissance zu schildern, haben wir mit der Behandlung des Details zu beginnen. Was zunächst den Säulenbau betrifft, so gibt es nirgends größere Mannigfaltigkeit, als die deutsche Renaissance sie bietet. Namentlich in den Gemälden, Zeichnungen und Holzschnitten aus den ersten drei Jahrzehnten des Jahr- hunderts wimmelt es von den Gestal- tungen eines fast unübersehbaren For- menreichtums. Indes ist dies alles so voll Willkür, daß es sich einer planmäßigen Zergliederung ent- zieht; nur soviel ist gewiß, daß die Mei- ster alle diese oft gar wunderlich angeta- nen Formen für wirk- liche Renaissance hielten. Manches aus diesen Formenspielen drang freilich in die monumentale Archi- tektur ein; so na- mentlich jene Gestal- tung der Säule, die auch die französische Frührenaissancenoch mehr als die südliche liebt, die Bildung der Stütze in Kandelaber- form. Sie setzt den Schaft aus allerlei Ge- fäßformen zusammen und bekleidet ihn mit Blättern und ande- ren Zieraten, Gerade diese Gestaltungen in Verbindung mit zar- ten Rahmenpilastern und reichem orna- mentalen Schmucke ergeben oft die reiz- vollsten Schöpfun- gen. Das äußere Portal des Georgbaues am Dresdener (1530), der Erker am Torgauer Schlosse (Abb. 108) sind bezeichnende Beispiele. Nicht minder der herrliche Eingang mit Treppe am Rathause zu Görlitz, eines der zierlichsten Werke unserer Frührenaissance.

Von diesen jugendfrischen Arbeiten wenden wir uns zu jenen, welche mit größerer Sicherheit die Formen der Renaissance zur Erscheinung bringen. Im ganzen

Abb. 108 Erker im Schlosse zu Torgau

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

ist auch bei diesen ein starker Hang zu stark malerischer und ornamentaler Be- handlung vorwiegend. Besonders gilt das von den bei Portalen und an andern ausgezeichneten Stellen, z. B. bei Grabmälern, an Brunnen usw. zur Verwendung gekommenen Säulen. Man gibt in der Regel dem unteren Drittel des Schaftes,

das durch einen meist schma- len , manchmal breiteren und besonders verzierten Ring begrenzt wird, reiches, plastisches Ornament, aus dem dann wohl Löwenköpfe in der Mitte vorspringen. Der obere Schaftteil ist meist kanneliert, auch wohl ganz mit flachem Ornament be- deckt; selten glatt. Die Schwellung ist, in der Früh- zeit besonders, meist stark betont; kurz man strebt bei solchen doch stets an be- sonders auffallenden Stellen stehenden Stützen nach leb- haftestem und wirksamstem, plastischem Ausdruck. Ein gutes Beispiel bietet das Portal des Kanzleigebäudes in Überlingen (Abb. 109), wo der untere Teil des Schaftes fast die Hälfte der Säulenhöhe bildet und aus dem Löwenrachen Laub- festons niederhängen. Die Kapitelle sind hier in frei korinthisierender Weise mit einer einzigen Blattreihe behandelt. Das Postament, das solchen Säulen fast nie- mals fehlt, zeigt kräftige Löwenköpfe, die mit ihren Ringen im Rachen an die beliebte Form der Türklopfer erinnern. Sehr elegante Säulen dieser Art auch am äußern Portal des Schlosses zu Tübingen. Die Zeit der entwickelten Renais- sance um die Wende des Jahrhunderts bevorzugt die

ionische Säulenordnung, deren scharf vorgezogene Kapitell-Schnecken trefflich zu dem scharfen Ornament- und Schnörkelwerk der gleichzeitigen Ornamentik passen, wendet sich aber auch gern den einfacheren Ordnungen, namentlich der dorisch-toskanischen zu. Charakteristisch ist das Portal des englischen Hauses zu Dan zig.

Abb. 109 Portal des Kaiizleigebäudes zu Überlingen

EinzelbUdung- Die Säulen

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Abb. 110 Säule aus dem Alten Schloß zu Stuttgart

Man liebt dabei eine sehr ausdrucksvoll-derbe Detaillierung und kräftige Schwellung und Verjüngung. Die Arbeiten der Straßburger Schule, so beson- ders die Schloßbauten in Heidelberg und Asch äf- fen bürg, zeigen dies schwellende Kraftgefühl, diesen stärksten Ausdruckswillen in der Einzelbildung in ganz hervorragendem Maße.

In anderer Weise wird die Säule da behandelt, wo sie eine ernsthaftere Aufgabe zu erfüllen hat, be- sonders also bei den Bogenreihen, wie sie namentlich in Schloßhöfen vorkommen. Da sie sich hier der ge- ringen Stockwerkhöhe nordiscBer Gebäude anbequemen muß, so wird sie stämmig und gedrungen bei freier Umgestaltung der antiken Verhältnisse. Gerade da- durch aber gewinnt sie oft den Charakter einer eigen- tümlichen, kraftvollen Schönheit, die mehr wie ein Ergebnis der freien Phantasie, als des Zwanges er- scheint. So in trefflicher Weise im Hofe des Alten Schlosses zu Stuttgart (Abb. III), Hier sind in drei Geschossen Säulen mit korinthischen Kapitellen angewandt, die Schäfte mit kräftigem Ring versehen, der in den beiden oberen Geschossen sich mit dem Gesimse der Balustrade verbindet. Die Schäfte sind frei kanneliert, im Erdgeschoß haben die Kannelüren eine eigentümliche, öfter vorkommende Füllung, welche einer Flöte nachgeahmt ist. Der untere Teil des Schaf- tes hat in diesem Geschoß kleine Kannelüren, in den oberen Stockwerken dagegen ist er schräg gerippt. Von diesen Details, sowie von der Behandlung der Balustrade geben Abb. HO u. III eine Anschauung. Ganz offenbar ist hier aber eine Nachwirkung der gerade in kon- struktiven Einzelheiten so interessanten spätesten Gotik zu spüren, deren Art sich in Bögen und Gewölben noch deutlich zu erkennen gibt. Noch derber ist die Behandlung der Säulen im alten Münzhof zu München, den wir in Band II Abb. 10 mitteilen. Dort haben die beiden unteren Geschosse ionische Säulen von ungewöhnlicher Derb- heit, dem Charakter des Baues wohl ent- sprechend. Von Schloß- höfen mit Säulenar- kaden ist sodann noch der im Piastenschloß zu Brieg zu erwäh- nen, der gedrückte, weitgespannte Bögen auf sehr kurzen ioni- schen Säulen zeigt. Diese Art wiederholt sich in mehreren Schloßbauten Schle- siens, die unter dem Einflüsse der Pahr-

Schen Schule stehen, Abb. in Aus dem Alten Schloß zu Stuttgart

Lübke-Haupt, Eenaissance in Deutschland I 3. Auil. 11

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

ganz besonders deutlich aber in der prächtigen Halle des Güstrower Schlosses, die ja auch ein Fahr, Franzisktis, erbaut hat.

EndUch sind noch jene Fälle zu nennen, wo die Säule vereinzelt zur An- wendung kommt, namenthch bei Brunnen und Gedenksäulen usw. Hier tritt sie selbständig auf und wird frei nach dem Schönheitsgefühl des Künstlers gestaltet. So an dem schönen Spahlentorbrunnen zu Basel (Abb. 157) und an einem Brunnen zu Gmünd (Abb. 112), wo die geschweifte Form des Schaftes an die Frührenais- sance erinnert. So an dem originellen Kindlifresserbrunnen in Bern (Abb. 113), einem prächtigen Beispiel freier und lebensvoller Formbehandlung, wie an den zahllosen und reizvollen Brunnensäulen der Frühzeit in der Schweiz überhaupt,

von Basel und Zü- rich an bis nach Solothurn und Frei- burg. So an dem Brunnen zu R o- thenburg, wo sie, bereits der Spät- zeit und ihren här- teren Formen an- gehörig, doch von eleganter Gesamt- form und maleri- scher Wirkung ist. Streng klassisch dagegen ist die Ma- riensäule in Mün- chen behandelt. Ganz selbständig die Kolossalsäule an der alten Kanz- lei in Stuttgart, welche eine Wen- deltreppe birgt und jetzt einen vergol- deten Merkur nach Giovanni da Bo- logna trägt. Sie ist

von Wendel Dietterlein entworfen und zeigt die geniale Freiheit dieses Künstlers, vor allem in der dem großen Maßstabe so trefflich angemessenen, völlig neuen Behandlung des Kapitells, die uns unwillkürlich zum Vergleiche mit den vielen Monumentsäulen der Empirezeit im Stil der Vendomesäulen drängt. Dieser Ver- gleich fällt unbedingt zugunsten der Stuttgarter Leistung aus (Abb. 114).

Die Behandlung der Pilaster schließt sich in der Regel derjenigen der entsprechenden Säulenordnungen an. Sie zeigt gleiches Streben nach Ausdruck und Plastik. Häufig kannehert man sie, aber ebenso oft werden sie mit einem Rahmen umgeben, und die Flächen erhalten Ornamente von Blättern und Blumen, in deren Rankenwerk sich Figürliches und selbst allerlei Embleme mischen. Beispiele bietet die Fassade des Otto-Heinrichsbaues zu Heidelberg. Diese Rahmenteilung ist häufig eine reichere, mit Rauten oder Dreiecken, Kreisen und Halbkreisen mitten und an den Enden; offenbare Erinnerung an die eingelegten Marmorscheiben der Venezianer. Gegen Ausgang der Epoche tritt die Rustika an Säulen und Pilastern häufiger auf, wie schon am Erdgeschosse des Otto-Heinrichs-

Abb. 112 Brunnen zu Schwab. Gmünd

Einzelbildung Die Pilaster

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baues zu Heidelberg; oft nur als Durchdringung des Schaftes mit einzelnen Quadern, rauh oder glatt, oder mit Spitzen und Pyramiden; eckig vorspringend am herrlichen Portal des Zeughauses der Plassenburg, flachrund und als Wol- ken und Gewürm erscheinend am Zeughause zu Wolfenbüttel, mit Mustern, Sternen u. dgl. im Norden, be- sonders an der Weser (Hameln, Bremen), bis nach Mecklenburg hin. Gewöhnlich aber be- kleidet man das untere Drittel des Pilasterschaftes ähnlich wie die Säulen mit Ornament, das dann überwiegend die Form von Flachornament und Metall- beschlägen annimmt. So am Friedrichsbau zu Heidelberg und an einem Hause zu Dan- zig, wo sogar Trophäen und andere Embleme angebracht sind. Das Barockste ist, wenn plötzlich in der Mitte des Schaf- tes sich ein Teil desselben vom Grunde zu lösen beginnt und in starker Ausbauchung vor- springt, um sich dann voluten- artig dem Schafte wieder an- zuschließen. Dies finden wir an Pflastern wie an Halbsäulen der Kapelle von Liebenstein. Daneben macht besonders die Spätzeit ungemein starken Ge- brauch von Hermen und Karya- tiden, jener höchst interessan- ten und malerischen Stützen- form, deren scharfe und cha- rakteristische Erscheinung dem Wesen der auf das Malerische gerichteten deutschen Renais- sance so recht gleichartig ist. Diesen Gestaltungen sind von den Theoretikern, Dietterlein und anderen, von jeher aus- gedehnte Darstellungen gewid- met worden, die eine kleine Formenwelt für sich bedeuten. Es ist einleuchtend, wie lebhaft gerade im Kontrast mit den ernsteren und strengeren Stützformen der Säulen und Pflaster diese Art der Stützen wirken mußte, die statt nach oben, nach unten und zwar stark verjüngt einer menschlichen tragenden Gestalt im Umrisse ähnhch, unterhalb des Kapitefls und Halses einen stärkeren Teil besitzt, der m aUerlei Weise charakterisiert ist, sei es mit Spitzquadern, mit Gehängen oder anderer Plastik, sei es auch in vorgewölbter Form. Menschliche Körperteile, zunächst Köpfe, dann Brust, Arme und Leib, setzen sich an die Stelle der rein architektonischen Glieder, so langsam den IJbergang bfldend zu der übrigens in Deutschland recht seltenen reinen Karyatide. Das hervorragendste Beispiel der

Abb. 113 Kindlifresserbrunnen zu Bern

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

Anwendung der letzteren mag das herrliche Portal des Otto-Heinrichsbaues zu Heidelberg sein.

Das Streben durchzieht eben die ganze deutsche Renaissance, alle tragenden Teile möglichst lebhaft zu gestalten, nicht minder auch das architektonische Zu- behör der Säulenordnung, also Sockel, Gebälk, vor allem da, wo diese Teile vereinzelt auftreten, wie an Portalen, Denkmälern u. dgl. Das ist ja überhaupt die Regel, denn ganze Fassaden mit Pilaster- oder gar Säulenghederungen bilden im Norden eine seltene Ausnahme, schon wegen der geringeren Mittel und des bürgerlichen Wesens, das den deutschen Norden gegenüber dem aristokratischeren und reicheren Süden und Westen charakterisiert. Zudem legt der Südländer und

Säule, bedingt aber eine um so klarere und einfachere Gestaltung des Einzelnen. Die deutsche Renaissance, die nur eine Anwendung von Säulen vorzugsweise zur Einfassung von Portalen und ähnhchen Zwecken kannte, war im Gegensatz dazu gehalten, das Vereinzelte um so interessanter und lebendiger zu gestalten. Eine Brunnensäule gestattet selbst eine geradezu extravagante Durchbildung, eine Halle von zwanzig Säulen verlangt glatte Schäfte und einfachste Bildung.

Das gilt um so mehr, als der Norden seine Architekturstücke, Portale, Erker, Wappen u. dgl. vorwiegend als malerische stärkstbetonte Prunkstücke auf glattem Fassadengrunde ausbildet, die nur nach Grundsätzen des Gegensatzes und der Eurhythmie, höchst selten aber der Symmetrie verteilt und angeordnet wurden. Die Kleinheit der Bauwerke, die Enge der Straßen, die nordische wech- selnde Beleuchtung, in der Sonnenschein mit Sturm und Trübe wechselt, die kUmatischen Anforderungen überhaupt, nicht minder aber die Rauheit und Grobe der Baustoffe, des Eichenholzes und Sandsteins gegenüber dem Marmor des Südens, drängten an sich zu einer derben, knorrigen, malerischen Behandlung und zu einer architektonischen Richtung, die von vornherein auf die großen, klaren, symmetrischen und klassisches Wesen anstrebenden strenggeghederten südlichen

Abb. 114 Von der alten Kanzlei zu Stuttgart

auch der Franzose von jeher einen bedeutenden Wert auf öffentliche und Weit Wirkung sei- ner Architekturen gegenüber der in- tim-behaglichen, auf das Innere ge- richteten Art des

Deutschen. So konnte die Säulen- fassade des an- tiken Tempels wie die großgestaltete Straßen- und Platz- architektur der ita- lienischen Renais- sance,konnten Säu- lenhallen und ähn- liches nur im Sü- den entstehen. Die vielfache Wieder- holung des Einzel- motivs, z. B. der

Einzelbildung Pfeiler Bögen

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Baumassen verzichten mußte, um sich im Gegenteil der Mittel stark geteilter Baukörper, lebhaftester Umrisse, malerischer Gegensätze auch im Baustoffe, und pikanter Gestaltung des Einzelnen zu bedienen. Dazu kam denn die natürliche Farbe des Sandsteins und der Backsteine, des Putzes, auch des bemalten, des Fachwerks und anderer Holzteile, der Schiefer-, Ziegel- und Metallbekleidung ge- fährdeter Teile von selbst zur Geltung.

Aus denselben Gründen tritt, wo ein Hallenbau einmal beabsichtigt war, wie bei Höfen, der selbständige Pfeilerbau gern an die Stelle der Bögen auf Säulen. Eins der prächtigsten Beispiele bietet die Plassen- burg, wo die ganzen Pfeiler samt den übrigen Flächen mit Reliefornamenten in verschwen- derischer Fülle bedeckt sind. Ganz ausgezeichnet in jeder Hin- sicht und von prachtvollster Wir- kung ist der Hof des Peller- hauses zu Nürnberg, dessen herrliche Hallen, von Erkervor- bauten öfters durchbrochen, nur oben einen Anklang an südliche Bogenarchitekturen versuchen, doch auch das noch in völliger Freiheit der Verhältnisse und mit stets wieder hindurchbre- chender Erinnerung an das Mit- telalter. Weit mehr italienisch ist der schöne Hof in der Traus- nitz bei Landshut, endlich in fast konsequenter Durchführung einer strengeren italienischen Renaissance der Rathaushof zu Nürnberg.

Die Behandlung des Bo- gens, mag er mit Säulen oder Pfeilern verbunden werden, bleibt in vielem die ererbte, und zwar erkennt man hier am meisten den Zwiespalt zwischen Mittel- alter und neuer Zeit. Nicht bloß, daß Spitzbogen und Flachbogen, letzterer besonders begünstigt durch die Niedrig- keit der Stockwerke, sich neben den oft sehr tief aufgesetzten Rundbogen drängt: auch die Gliederung trägt vielfach noch den Charakter der Gotik. Der Bogen wird abgefast und ausgekehlt, wie im Schloßhofe zu Stuttgart (Abb. HO), wo der Stichbogen unmittelbar auf die Deckplatte des Säulenkapitells stößt. In anderen Fällen, wie an der Rathaushalle zu Köln, tritt noch der Spitzbogen auf, und zwar hier sogar in antikisierender Gliederung. In der Brunnenhalle des Lusthauses zu Stuttgart (Abb. 150) waren die Hauptgurtbögen, auf gedrungenen toskanischen Säulen ruhend, rechtwinklig in antikisierender Weise profiliert ; die Rippen des Netzgewölbes aber völUg gotisch. Die Antike gewinnt jedoch bei der Bogenbehandlung langsam mit ihren rechtwinkhgen architravierten Formen das Übergewicht, sei es, daß man bloß das Profil wirken läßt, wie es meistenteils

Abb. 115 Hauseingang aus Biberacli

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissauce

der Fall ist, oder daß man auch den Bogen völlig mit Ornamenten bekleidet, wie auf der Plassenburg (Abb. 325).

Von den Einzelbauteilen, aus denen der deutsche Baukünstler sein Bau- werk zusammensetzt, ist eines der am meisten in den Vorder- grund tretenden das Portal, die künstlerisch stark ausgebildete und betonte Haustüre, deren Um- rahmung, wie oben dargelegt, eine ganz besondere liebevolle Durchbildung erfuhr, und zwar weit mehr, als irgendwo auf der Welt um jene Zeit.

Dieser Teil des Hauses nimmt natürlich an den Wandlungen teil, welche die Bildung der Stützen, Gebälke, Bogen und anderer Ein- zelheiten bis zum Ornament durch- macht. Portale, die mit geradem Sturz versehen sind, gehören zu den Ausnahmen und sind in der Regel nur bei kleineren Öff- nungen, wie in dem Hausportal zu Biberach (Abb. 115), zur Anwendunggekommen. Die Regel ist auch in der deutschen Renais- sance der Rundbogen, obgleich bisweilen, wie am Rathaus zu Mülhausen, der Spitzbogen oder auch wohl, wie an dem ori- ginellen Privathaus zu K o 1 m a r (Abb. 186), der Flachbogen vor- kommt. Wo diese dem Mittel- alter entlehnten Formen auftreten, bringen sie auch die mittelalter- liche Profiüerung mit abgefasten und ausgekehlten Ecken mit sich, wie an dem eben erwähnten Bei- spiel. Die Hohlkehle ruht dann unten meist auf einer kleinen Schnecke oder einer Profilwie- derkehr oder Schräge, oder sie läuft am Kämpfer unvermittelt in das rechtwinklige Profil des Pfostens aus. Ein reizvolles Bei- spiel der frühen Renaissance mit Kandelabersäulchen und mannig- fach gekröpften und durchein- ander dringenden Gesimsen finden wir in Abb. 116 vom Jahre 1534, das gerade auf der Grenze des neuen Stiles steht. Ähnliche Anklänge an das Mittelalter zeigen sich noch bis tief ins 17. Jahrhundert. Nach der Mitte des Jahrhunderls dringt aber auch hier die strengere Auffassung der Renaissance mehr und mehr

Abb. 116 Eingang der ehemaligen Bürgerschule zu Zerbst (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Eenaissanee)

Einzelbildung Portale

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durch, und nicht bloß in der antiken Gliederung des Einzelnen, sondern auch in der Umkleidung und Umrahmung des Portals treten die Säulenordnungen in größe- rer oder geringerer Vollständigkeit auf. Das Portal wird zum unteren Prunkstück der Fassade und nähert sich im Aufbau von selbst dem antiken Triumphbogen, dessen spätester und glänzendster Nachfolger es bleibt. Beginnt die reichere Ge- staltung in der Ein- fassung des Bogens mit Pilastern, Säulen oder auch Hermen, selbst Karyatiden, die ein bekrönendes Ge- bälk tragen, so ver- doppeln sich diese Ele- mente rasch, ja ver- vielfältigen sich und treten frei vor das Ganze (Abb. 11 7). Eine kräftige, geschmückte Konsole bezeichnet den Schlußstein des Bogens, Ornamente ve- getabilischer oder fi- gürlicher Art schmük- ken die Zwickel und die Flächen der Archi- volte sowie des Frie- ses. Für die obere Bekrönung begnügt man sich zuerst mit einem geraden Gesims oder Giebel; später je- doch wird dieser oft in barocker Weise durch- brochen, wie an dem oben in Abb. 109 er- wähnten Portal zu Überlingen, oder besonders wo ein Fen- stersystem oder ein Aufsatz z. B. mit Wap- pen mit dem Portal ver- bunden werden soll es wird ein attikenartiger Aufbau mit Pilastern und Seitenschnecken und nicht selten mit reicher Bekrönung, wie an jenem Portal hinzugefügt. Mit dieser Anordnung kommt man bei bürgerlichen Wohnhäusern wie bei fürstlichen Schlössern, bei Rat- häusern wie bei Kirchen und Kapellen aus. Bei Fahrtoren tritt aber wohl die Aus- nahme ein, daß dem Haupttor ein kleineres für Fußgänger zur Seite gegeben wird, vielleicht unter Einfluß des französischen Schloßbaues. Es findet sich solche An- ordnung im Alten Schloß zu Stuttgart, an den Schlössern zu Tübingen und zu Liegnitz, und in reichster Weise durchgeführt am Piastenschloß zu Brieg, von dem wir unter Abb. 118 eine Abbildung beifügen, die den herrlichen Eindruck dieser reichsten Komposition der Frührenaissance in ihrem ganzen Umfange ge-

Abb. 117 Eingänge der Universität zu Helmstedt (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

währt. Wie im Ausgang der Epoche auch der Portalbau strenger und einfacher wird, und man reiche plastische Wirkung zugunsten eines höheren, architek- tonischen Ernstes zurückstellt, beweist das Portal der Residenz in München.

Das größte Prunkstück dieser Art wenigstens in der Komposition dürfte das wundervolle, triumphierende Portal des Zeughauses derPlassenburg sein,

das nicht nur an den Seiten doppelte Systeme vortretender Rustikasäu- len hintereinander und starke Figurenaufsätze, sondern in französischer Art als Bekrönung sogar eine mächtige Nische mit der Reiterfigur des Mark- grafen-Erbauers aufweist. Die Derbheit dieser spä- teren Prunkarchitektur besonders sprechend am Portal des Gewerbehauses zu Bremen (Abb. 119).

Die Behandlung der Fenster hat manche Verwandtschaft mit der der Portale, zeigt aber noch größere Mannigfal- tigkeit in Vermischung mittelalterlicher Formen mit solchen des neuen Stils. Abgesehen von den noch ganz gotischen Spitzbogenfenstern an kirchlichen Gebäuden, wie an der Kapelle zu Liebenstein und der Kirche zu Freuden- stadt, sowie der soge- nannten Vorhangbogen, wie sie der Erker des Schlosses zu Torgau zeigt, kommen Rund- bogen, Flachbogen und gerader Sturz gleich- mäßig vor. Auch hier

sind zuerst die mittelalterUchen Profile beliebt: Auskehlung und Abfasung, nach unten wie bei den Portalen durch kleine Voluten oder einfache Abschrägung ge- endigt. Dann die Profile manchmal mit antiken Gliederungen, Eierstäben, Zahn- schnitten, — die Schrägen auch mit Ornamenten geschmückt. In Sachsen und Thüringen umgibt man diese gotisierende Profilierung öfters mit architravähn- licher Einfassung. Ganz antike Einfassung mit Architravprofilen doch mit Wieder- kehr unten zeigt dann das Piastenschloß zu Brieg (Abb, 118), wo eine Um- rahmung von Pilastern mit Gebälk und Gesims hinzugefügt ist. Meistens sind die Fenster einfache Öffnungen, in denen die kleinen in Blei gefaßten Scheiben,

Abb. 118 Tor des Piastenschlosses zu Bries:

Einzelbildung Fenster

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die während der ganzen Epoche in Übung bheben, durch hölzerne Rahmen gehalten werden. Bei stattlicheren Anlagen wird aber das Fenster durch Steinpfosten, auch Kreuzpfosten, geteilt, manchmal drei und vier Öffnungen nebeneinander enthaltend, deren mittlere meist höher sind, wie häufig in B a s e 1. Der Teilungspfosten er- hält nicht selten beson- deren Schmuck, so von Hermen oder Karyatiden, wie am Otto-Heinrichs- bau zu Heidelberg, oder in mannigfach va- riierter Pilasterform, wie am Friedrichsbau daselbst oder am Schloß Gottesa u. Dies setzt natürlich voraus, daß ein Gebälk mit Gesims das Fenster bekrönt, das denn auch seitlich durch Stüt- zen eingefaßt ist. Flach- oder Rundgiebel, auch gebrochene Giebel sind als oberer Abschluß ver- breitet; selbst freie, pla- stische Bekrönung, wie am Otto -Heinrichsbau, kommt vor, freilich nach bologneser Vorbild. Rich- tige Kreuzstäbe in den Fenstern, wie im Erd- geschoß des Rathauses zu Mülhausen (Abb. 185), ja wohl gar doppelte Kreuzstäbe, wie am Zeug- haus zu Danzig (Abb. 135), deuten meist auf westliche, französische oder niederländische Ein- flüsse. Doppelte Kreuze sind selten. Das Rathaus von Mülhausen zeigt die Form des mittelalter- lichen Dreifensters mit höherer Mitte, die Gelten- zunft in Basel gibt ihr eine klassische Umbil- dung, und der Spießhof daselbst fügt dazu noch das palladianische Motiv, dem mittleren Fenster einen Bogenabschluß zu geben. Endlich kommen auch bis- weilen gruppierte Rundbogenfenster vor, wie am Rathaus zu Konstanz.

Maßwerk in Fenstern ist selten; in Kirchenfenstern tritt es manchmal in Anlehnung an das späte Mittelalter auf, doch in eigentümlich trockener Linien- führung, die insbesondere Sachsen charakterisiert; die Kirche zu Wolfenbüttel

Abb. 119 Eingang am Gewerbehaus zu Bremen (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Eenaissance

zeigt uns den wertvollen Versuch Paul Frankes, auf Säulenpfosten ein Maßwerk in leicht barockem Ornament aufzubauen ; strenger gedacht ist das Westfenster der Universitätskirche zu Würzburg mit oberer Rose. Die ebenfalls mit einer Art Maßwerk gefüllten riesigen Fenster der Universität zu Helmstedt sind in einfachsten Formen mit Pfosten, Kreisen und Vierecken eingeteilt und mit Quader- bossen durchschossen. Übrigens eine Idee aus Vredemans Komposi- tionen. Etwas Ähn- liches derber am neuen Schlosse zu Baden.

Die französische oder spanische Art reicher Prachtfenster, die in Reihen oder einzeln ohne weitere Ergänzung die Fas- sade schmücken, ist selten. Am Piasten- schloß zu B r i e g war sie in glänzendster Weise durchgeführt ; ähnliche Art am Lein- wandhause zu Bres- lau, einiges in Gör- litz.

Besonders bezeich- nend für die gesamte

deutsche Renaissance ist die Bildung des Ornaments. Sie geht zunächst von der feinen Ornamentik der italienischen Frührenaissance aus, die als Grund- lage vegetabiHsche Formen, insbesondere die Akanthusranke verwendet und sie mit allerlei Figürlichem, besonders mit Masken und antikem Fabelwesen, aber auch mit Emblemen aller Art vermischt. Dies zierliche Ornament der Frühzeit, das durch rhythmischen Schwung und klaren Fluß der Linie, sowie durch an- mutige Verteilung im Räume sich auszeichnet (Abb. 120), findet sich an Friesen und Pilastern, an Säulenschäften und Bogenzwickeln, auch an Wappen, über- haupt an allen irgend sich darbietenden Flächen. Die Ornamentiker der Früh- zeit, Holbein, die Beham, Aldegrever, Flettner, haben diesen Blütenflor ins deutsche Land gebracht, die Meister der Plastik ihn in allen Stoffen, in Stein, Holz und Metall in ausgiebigster Weise verwendet. Im Elsaß, in Schwaben, in Sachsen entstanden unzählige Arbeiten dieser Art; gerade die Zeit der beginnenden Re- formation bekränzt ihre Kunstwerke mit einem herrlichen Flor reizendsten Schmuckes. Entbehrt diese Art auch der vollendeten Klarheit des klassischen Ornaments der italienischen Renaissance, oder der Eleganz des gleichzeitigen französischen aus der Zeit Franz I., so bietet sie dafür eine solche weiche und doch kraftvolle Fülle und Frische bei einer solchen Selbständigkeit, daß man diesen Zierat als in seiner Art schlechthin vollkommen bezeichnen darf. Die oberen Schloßportale zu Tübingen, der Lettner im Dom zu Hildes heim, die Terrakottenportale des Fürstenhofs zu Wismar, die Eingangspartie am Rat- hause zu Görlitz, manche Teile der Schlösser zu Dresden und Torgau, der Kapitelsaal zu Münster und so vieles andere bieten Höhepunkte einer Ornamentik, die sich getrost neben jede andere stellen darf. Eine häufig vor-

Abb. 120 Geschnitzte Schranktür

Ornamentik Mauresken

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kommende Mischung mit vegetabilischen Motiven anderer Art, wie gewissen Blattformen etwa des Ahorns oder Schwarzdorns, eine dem nachgebildete weiche, flüssige, keineswegs mehr italienische Bildung eines sehr reich gespaltenen Akan- thus von lappiger, breiter Bildung trägt viel zur eigenartigen Charakterisierung des nordischen Ornamentes bei. Beispiele dieser Ornamentik in den Abb. 120 bis 123, am Erker des Schlosses zu Torgau und unzähligen anderen Werken der Frühzeit.

Neben diese Ornamentik stellt sich bald für die Flächendekoration, nament- lich bei der bald allgemein beliebt werdenden, aus Italien stammenden eingelegten Arbeit (Intarsia), ein phantastisch geschwungenes Ranken- und Blattwerk, das seine Motive offenbar aus den Damaszierungen orientalischer Waffen entlehnt (Abb. 124, 125). Dieses maurische Ornament spielt in unserer Renaissance nicht bloß bei den Tauschierungen der Eisenarbeiten, sondern vor allem bei den Holz- arbeiten jegUcher Art eine große Rolle, wo denn die Verwendung verschiedener Holzarten zu einer oft sehr anziehenden farbigen Wirkung führt.

Dazu kommt als Grundlage noch das ganz nationale einfache Flachornament, das die deutsche Renaissance offenbar aus dem Formenschatz des Tischlers ent- lehnt. Am besten wird man es als ein aus einer ganz dünnen Holzplatte aus- gesägtes Zierblatt ansehen, das auf eine andersfarbige Fläche aufgeleimt wird. Die Grundzüge der Kom- position dieser Zierteile sind ein einfassender Fries und eine Mitte, rund oder eckig, da- zwischen einige füllende geometrische Figuren, alles durch Stege oder Bänder miteinander ver- bunden ; die Verbin- dungsstellen sind dann durch Löcher oder Nä- gel betont. Diese auf- geleimten Furnierorna- mente werden dann in Stein oder Holz durch den Bildhauer nachge- ahmt. Sie bilden die verbreitetste Art des Flächenschmuckes, um so mehr, als sie ganz flach und zart die Ober- fläche des damit ge- schmückten Körpers kaum merklich bewegen .

Durch die Mi- schung mit dem vorher beschriebenen Maures- kenornament erhält diese Schmuck weise nun einen neuen Reiz. Als drittes tritt dazu das sogenannte

Kartuschenwerk, das aus Abb. 121 vier geschnitzte Tüi-milungen

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

dem italienischen Barock schon früh nach Frankreich und Deutschland dringt: aufgerollte, abgeschnittene, mit ihren Enden scharf herausgebogene und frei vor- springende Bänder, die einer biegsamen Masse nachgebildet sind und wahrschein- lich zuerst bei den häufigen Augenbhcksdekorationen aus der Anwendung von Ton und anderen weichen Materialien hervorgegangen sind (Abb. 126). Dies

Ornament verbindet sich in Deutschland nun mit jener Flächendekoration, sich an die glänzend be- triebene Schlosser- und Schmiedekunst anlehnend und getreulich den Stil von Metallbeschlägen nach- ahmend. Sogar die Nie- ten und Nägel mit ihren facettierten Köpfen, die bei Metallbeschlägen die einzelnen Teile verbin- den, werden in Stein oder Holz wiedergegeben. Aus diesen Elementen ist z. B. der in Abb. 127 abgebil- dete Fries vom Friedrichs- bau in Heidelberg zu- sammengesetzt. Figür- liches Element tritt na- mentlich in Köpfen und Masken häufig als Er- gänzung hinzu. Von der- selben Art ist die Kom- position des Geländers einer Terrasse aus der Schulgasse in Stutt- gart in Abb. 128. Auch das Kapitell (Abb. 114) ebendaher gehört in diese Kategorie. Wie üppig diese Ornamentik gele- gentlich auch bei klei- verwendet wurde, zeigt die Säule von Zu derselben Auffassung

Abb. 122 Wappen im Friedenssaal zu Münster

neren Prachtstücken vom Holzschnitzer einem Altar der Kirche zu Überlingen (Abb. 129). gehören die Ornamente an der Einfassung und der Säule des großen Brunnens in Rothenburg o. d. Tauber.

Diese Ornamentik ist eine Stärke der zur Selbständigkeit durchgedrungenen deutschen Renaissance. Es spricht sich in ihr eine Fülle von Phantasie, Origi- nalität, energischer Kraft und kecker Derbheit aus; sie zeigt freilich auch, wie tief der Hang zu geometrischen Formspielen und allerlei Künstelei im deutschen Geiste steckt, und wie dieser Trieb im Laufe der geschichtlichen Entwicklung immer von neuem durchdringt. Derselbe Zug hatte in der gotischen Zeit zuletzt alles in Maßwerk aufgelöst; derselbe Sinn bringt jetzt in der Renaissance unter ver- änderten Formen und Verhältnissen Verwandtes hervor. Es läßt sich nicht leugnen, daß auch hier ein mehr handwerklich behagliches als rein künstlerisches Wesen

Ornamentik Metallstil

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herrscht, ein Beweis, daß der höchste künstlerische Adel bei uns durch eine ge- wisse Derbheit des Sinnes, oder sagen wir lieber durch Handwerkerei leicht be- einträchtigt wird. Dies einmal zugegeben und man darf sich dergleichen nicht verhehlen , wird man immerhin an der originellen Kraft und Frische, an der Sicherheit und flotten Wirkung dieser Arbeiten sich erfreuen dürfen. Vor allem aber bleibt bei den Hauptwerken dieser Richtung in der Baukunst die außerordentliche Einheit des Eindruckes, von der scharfen malerischen Umriß- linie und der präzisen, energischen architektonischen Einteilung an bis zum kraft- vollen Detail der Gesimse und anderen Glieder und dem letzten Schmuckteil, bewundernswert. Und in diesen Fällen tritt vor solcher Harmonie des Ganzen, die gerade auf diese Weise und in so ausgeprägter Charakterisierung erreicht ist, jede Kritik des Einzelnen zurück.

Keineswegs verdrängt jedoch dieser Metallstil das freiere Ornament völlig. Besonders in der Stuckdekoration und den gemalten Verzierungen findet das Vegetative, gemischt mit Figürhchem, noch Anwendung genug. Allein ge- zwungen, mit den üb- rigen ungemein kräftigen Formen zu wetteifern, wird auch hier die zier- lichere Vortragsweise der früheren Zeit verlassen, die Formen werden grö- ßer und breiter, und es verbindet sich mit dem Akanthus, der noch im- mer die Grundlage bil- det, naturalistisches Laub samt Blumen- und Frucht- schnüren, so daß wohl ein reicherer Eindruck erzielt wird, aber auf Kosten der künstlerischen Feinheit. Dazu gesellt sich auch hier mannigfache Anwen- dung von Voluten und ähnlichen geschwunge- nen Linien. Ein Beispiel dieser Art gewährt die aus Stuck und Malerei zusammengesetzte Deko- ration aus der Residenz zu München, welche wir unter Abb. 130 mit- teilen. Auch das Glas- gemälde aus der Residenz (Abb. 89) zeigt ähnlichen Formcharakter.

Am schärfsten aber prägt sich die deutsche Eigentümlichkeit aus in dem Aufbau der Fassaden selber. In Italien war die Horizontale neben der Sym- metrie das Herrschende. Kräftige Gesimse scheiden die Stockwerke, und ein noch reicheres Kranzgesims gibt den oberen Abschluß. Dieser Horizontaltendenz gegen- über werden die senkrechten Linien nur mäßig betont, und selbst wo sie in der

Abi). 123 Geschnitztes Ornament ^äBfeiSßhi'en Charakters

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Eenaissance

späteren Entwicklung durch Säulen, Pilaster und andere Vertikalteilungen kräftiger hervortreten, werden sie durch entsprechende Verstärkung der Gesimse wieder im Zaum gehalten. Breit la- gern sich die Massen der Paläste, die einfacheren Häuser streben sich dem Palaststil zu nähern, und selbst bei den Kirchen wird der Hochbau nur in bedingter Weise zugelassen. Frank- reich nimmt das Wesentliche dieser Komposition von Italien auf, gibt nur in den hohen Dächern, den zahlreichen Türmen, Pavillons und Erkern der auf- rechten Richtung sprechenden Aus- druck. Aber die Fassaden behalten nach italienischer Weise den horizon- talen Gesimsabschluß, in der Regel noch durch Balustraden verstärkt, denn die Dächer werden überall abgewalmt, gewinnen freilich durch zahlreiche kleine Dacherker mit Giebeln (Lukar- nen) nähere Beziehung zur Fassade und weitere Betonung der Senkrechten.

Ganz anders in Deutschland. Der gesamte Außenbau geht hier auf

Abb. 125 Mauresken von Virgil Solis

Abb. 124 Holzintarsia von 1575

das mittelalterliche Bürgerhaus als Quelle zurück. Hoch und schmal aufragend kehrt das Haus in der Regel seinen steilen, meistens ab- getreppten Giebel der Straße zu. Dadurch bleibt der Hochbau mit ausgesprochener Vertikalrichtung der Grundzug der deutschen Re- naissance. Auch auf größere Schloß - anlagen wird er nach Kräften über- tragen, so daß wenigstens Ecken und Mitte mit hohen Giebeln aus- gestattet werden, oder solche reihen- weise nebeneinander stehen. In der Gliederung dieser Fassaden über- wiegen nach Vorbild des Mittelalters ruhige Flächen, die durch zahl- reiche, anfänglich gotisch profilierte Fenster durchbrochen werden. Diese, zu zweien oder auch selbdritt grup- piert, werden manchmal durch Ge- simse verbunden. Beispiele bieten (weiter unten gegeben) die kleine Fassade aus Cannstatt (Abb. 235),

Fassaden Giebel

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das Haus zu Ensisheim (Abb. 131), das Rathaus zu Rothenburg (Abb. 301), das Haus zu Frankfurt a. M. (Abb. 270) und andere. Nur selten werden die antiken Ordnungen zur Gliederung der Fassade verwendet, und dann oft wegen der Nied- rigkeit der Stockwerke in verkrüppelter Gestalt. In der Regel begnügt man sich in diesem Falle mit Pilasterstellungen, wobei man in der Anwendung der ein- zelnen Ordnungen mit größter Freiheit verfährt.

Am wichtigsten ist für die Wirkung der Fassade die Behandlung des Giebels. In freier Umbildung der abgetreppten Form, die das Mittelalter ihm gegeben hatte, werden seine Absätze mit Volu- ten, Muscheln, hornarti- gen Schweifen und ande- ren phantastischen For- men gefüllt, wobei in der Frühzeit freies Ornament, später das besprochene Flach- und Metall- oder Kartusche-Ornament die Formen leiht. Die Giebel- wand wird manchmal durch Pilasterstellungen gegliedert, meist durch kräftige Gesimse in Ge- schosse geteilt. Auf die vorspringenden Ecken werden, in freier Um- bildung gotischer Fialen, Spitzen, Obelisken, Sta- tuen, auch wohl Kugeln, gestellt. Auch die Fläche des Giebels selbst bietet der architektonischen Ge- staltungskraft ein belieb- tes Feld der Betätigung, so daß der Aufbau dieses

Bauteiles in der Archi- Abb. 126 Vom ehemaligen Lusthause zu Stuttgart

tektur der deutschen Re- naissance eine der wich- tigsten Aufgaben bildet. Ein ausgebildetes Beispiel von einem Privathaus zu Nürn- berg in Abb. 132. In andern Fällen, wo die Anordnung der Fenster keine weitere Teilung gestattete, wird der Giebel wenigstens durch Pilaster eingerahmt, die sich dann oft mit der umrahmenden und darüber sich breitenden Verzierung zu einer vollständigen, wohlabgewogenen Komposition vereinen. So an dem Katharinen- spital zu Heilbronn. Den oberen Abschluß bildet entweder Schweifwerk mit krönendem Obelisken oder, wie an dem Nürnberger Hause, ein durchbrochener Giebel- aufsatz. Die Mannigfaltigkeit in der Ausbildung dieser Giebel, die sichthch das Lieblingsstück der damaligen Architekten waren und aus dem bürgerlichen Wohn- hause des Mittelalters mit in die Renaissance hinübergenommen wurden, ist über- aus groß. Beispiele geben wir unter anderm in Privathäusern von Ensisheim, Cannstatt, dem Pellerhaus zu Nürnberg, dem Rathaus zu Gernsbach, dem Lusthaus zu Stuttgart. Zu den stattlichsten Fassaden dieser Art gehören ferner das Haus zum Ritter in Heidelberg, das sogenannte Rattenfängerhaus

176 1- Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Eenaissance

Abb. 127 Vom Friedrichsbau des Schlosses zu Heidelberg

und das Hochzeithaus zu Hameln, das Leibnizhaus zu Hannover, das Ge- wandhaus zu Braun schweig u. a. m. Ein Prachtbeispiel bietet sodann noch der Friedrichsbau zu Heidelberg, wo jederseits zwei Giebel dem abgewalmten Dache vorgesetzt sind. Im übrigen begegnet uns diese Anordnung in Deutsch- land nicht selten; wo sie auftritt, ist es meist eine Nachwirkung mittelalterlicher Sitte. Doch kommt sie nie zu so ausschweifendem Gebrauch wie in Frankreich, wo oft die Architektur erst über dem Kranzgesimse beginnt, und die Dächer mit einem Walde phantastischer Dacherker, Lukarnen, Kamine usw. gespickt werden.

Sie ergibt sich als eine Art von Notwendigkeit bei lang sich hinziehenden Dächern, z. B. bei zahllosen Schloßbauten jener Zeit, wovon Hämelscheburg genannt sei; aber auch sonst, wie an dem riesig langen Leipziger Rathause, dessen Zwerchgiebel den Marktplatz beherrschen. Übrigens ist es auch in solchen Fällen üblich, daß man das Dach offen zeigt und es etwa durch bunt glasierte Ziegel schmückt, wie am Rathaus zu Mülhausen, oder es durch unzählige, nach oben immer kleiner werdende Dacherker belebt; so am alten Rathause zu Straß- burg und (einst) an dem zu Bremen. Die Kranzgesimse bleiben auch in solchen Fällen meistens einfach, und die deutsche Renaissance hat selten so aufwendige und bedeutungsvolle wagerechte Krönungen vorzuzeigen, wie die italienische an den Palästen von Florenz, Siena und Rom, die französische an den Schlössern zu Blois, Ghambord und dem Rathaus zu Beaugency.

Doch sei als Gegenstück da z. B. das Rathaus zu Bremen genannt oder das zu Emden, oder auch die prächtige Rathausvorhalle zu Köln; der Torbau des Brieger Schlosses zeigte sogar einst oberhalb seines kraftvollen Gesimses eine prächtig durchbrochene Ornamentgalerie, wie sie sonst nur auf der spanischen Halbinsel vorzukommen scheint.

Abb. 128 Geländer einer Terrasse zu Stuttgart

Erker

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Das Gegengewicht zu den Portalen im Erdgeschoß halten an den Fassaden die an den oberen Stockwerken ausgebauten Erker, eine echt nordische Bauform, die bei uns die Stelle des italienischen Balkons versieht. In diesem Gegensatz spricht sich der grundlegende Unter- schied beider Länder in der Architektur klar aus: dort die in Hallen und Balkons in das Haus dringende süd- liche Öffentlichkeit, hier die sich selbst in dem ins Öffentliche springenden Vorbau vor ihr deckende Inwendig- keit des Nordens.

Er kommt in jeder beliebigen Anordnung und an jeder Stelle des Hauses vor, wo er gerade paßt; sym- metrisch, einzeln in der Mitte oder an den Enden der Häuser paarweise; unsymmetrisch, wo er paßt. Ist das Haus ein Eckhaus, natürlich an der Ecke. Er ist eben- falls ein Erbstück des Mittelalters und ruht in der Früh- zeit oft auf einem gotischen Rippengewölbe, wie an Privathäusern zu Leipzig, Halberstadt, Heidel- berg, Straß bürg. Er ist in Leipzig im Obergeschoß mit einem durchbrochenen Geländer als offener Balkon abgeschlossen, der indes ein auf Säulen ruhendes Schutz- dach hat. Ähnliche Anordnung, aber ohne das Schutz- dach, zeigt der schöne Erker zu En sis he im (Abb. 131). Dieser ist jedoch insofern dem neuen Stile näherge- bracht, als er mit einer Anzahl übereinander vorkragender antiker Glieder auf einer ionischen Säule ruht. Ähnlich der prächtige Erker am Schloß zu Torgau, dessen Trag- säule jedoch den geschweiften Schaft der Frührenaissance bewahrt (Abb. 108). Einen sehr stattlichen, breit ent- wickelten Erker hat das Maximilians-Museum zu Augs- burg, doch ist hier bei der Breite der Anlage die Stütze fortgelassen und der ganze Erker mit Profilen ausgekragt worden. An Eckhäusern werden die Erker gern in recht- winkliger Form, aber in Übereckstellung vorgelegt, wie an dem Hause zu Kolmar. Oder man entwickelt den Erker kreisförmig, wie das Fürstenhaus zu Leipzig solche an seinen zwei Ecken in stattlicher Ausbildung zeigt. Am häufigsten kommt indes die polygone Form vor, wie am Rathaus zu Gernsbach und an dem zu Rothenburg. Die Auskragung wird dann stets durch mehr oder minder reiche antike Gesimse gegliedert. Die Fenster mit ihren belebten Gewänden und ihren durch- brochenen oder plastisch dekorierten Balustraden, bis- weilen auch der Schmuck von Säulen- oder Pilasterord- nungen oder von figürlichem Beiwerk, wie an dem schö- nen Erker des Tucherhauses zu Nürnberg (Abb. 133), alle diese Mittel müssen dazu dienen, aus den Erkern die Glanzstücke unserer Profangebäude zu machen.

Ehe wir die Anordnung der Grundrisse näher ins Auge fassen, bleibt uns noch ein Blick zu werfen über verschiedene Richtungen der deutschen Renaissance, die auf die Verwendung des Quaderbaues ganz oder teilweise verzichten. Dies ist zunächst der Bau in durchgeführtem Backstein. Lübke-Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 12

Abb. 129 Säule an einem Altar zu Überlingen

Abb. 130 Teil des Treppengewölbes der Residenz zu München

Backsteinbau

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In der norddeutschen Niederung war dieser bekanntlich weit verbreitet und hatte bis zum Ausgange der gotischen Epoche eine große Anzahl bedeutender Werke hervorgebracht. Dort ist nun auch während der Renaissancezeit sein Sitz. Aber er wird bei weitem nicht mehr in der Ausdehnung gepflegt wie im Mittelalter. Als die italienische Renaissance sich in Deutschland einbürgerte, schuf man sich im Norden in einzelnen Gegenden wenigstens einen Übergangsstil, der zum Teil von hoher künstlerischer Be- deutung ist; allerdings knüpft er in der Hauptsache an die letzte so eigen- artige Backsteinbaukunst der Gotik an. Insbesondere spielen da die Städte Lüneburg und Lübeck eine be- sondere Rolle. Ihre kraftvollen Back- steingiebel werden durch eine vorge- setzte reiche Dekoration mit gewunde- nen gezierten Rundstäben gegliedert, durch prächtige farbige Terrakotten, Friese oder Medaillons wagerecht ge- teilt und zeigen eine solche Eigenart völlig nationaler und nordischer Natur, daß wir gerade diese wie die ihnen ver- wandten Arbeiten in Husum, Flensburg und anderen nordwestdeutschen Ecken später einer besonderen Aufmerksam- keit zu würdigen haben. ^) Später hatte die schulmäßige Verwendung der an- tiken Formen, die hauptsächlich vom Quaderbau ausgegangen war, sich so verbreitet, daß man in jenen Gegen- den, wo dies Material von der Natur versagt war, häufig die Nachbildung desselben in Stuck vorzog (Güstrow), wo man nicht in einzelnen Fällen zu dem Luxus sich verstieg, sich Steine von fernher kommen zu lassen, wie es wohl in den reichen Hansestädten, in Bremen, Lübeck und Danzig, geschah. In einem kleinen Gebiete des deutschen Nordens, hauptsächlich in Mecklenburg und einigen angrenzenden Gegenden, blieb man in anderer Weise dem hei- mischen Material treu und errichtete eine Anzahl prächtiger Gebäude, bei denen man zwar die Flächen mit Putz verkleidete, die Portale und Fenster aber mit ihren Einfassungen, die Gesimse und Friese und die übrigen durchgebildeten Teile in gebrannten Steinen ausführte. Das Hauptwerk dieser Architektur ist der Fürsten- hof in Wismar. Unsere Abbildung (Abb. 134) gibt ein Beispiel von der reichen Wirkung dieser Bauten. Ähnlicher Art war vor seiner Erneuerung das Schloß zu Schwerin. Andere Beispiele die Schlösser von Gadebusch und von D a r g u n. Mehreres in den Städten, wie Lübeck, Lüneburg, Emden. Ein reizend

Abb. 131 Gasthaus zur Krone zu Ensisheim

1) Siehe A.Haupt, Backsteinbauten der Renaissance in Norddeutschland. Prankfurt a.M. 1899.

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Eenaissance

malerischer Bau der Art das märchenhaft wirkende Schlößchen zu Freyenstein in der Uckermark.

In den großen Handelsstädten Norddeutschlands wurde die Renaissance mit Eifer aufgenommen und für öffentliche wie Privatzwecke reichlich verwendet. Wo man zu diesem Zweck die Kosten nicht scheute, von fernher Steine zu be- ziehen — in Danzig soll man, wie überliefert wird, ganze Marmorfassaden von Venedig bezogen haben , da schloß man sich auch in den Formen dem ander- wärts Üblichen an. In vielen Fällen aber zog man besonders bei öffentlichen Bauten eine gemischte Bauweise vor, bei der die Flächen aus unverputztem

Backstein bestehen, die konstruktiven Glieder aber, die Einfassungen der Fenster und Türen, die Gesimse, Pilaster und Verwandtes in Haustein gebildet werden. Die Heimat dieses Stils sind die Niederlande, die damals durch ihren politischen Aufschwung und ihre Handelsblüte für den ganzen Norden maßgebend waren und ihren Stil nicht bloß nach Norddeutschland, sondern auch über England, Dänemark und Schweden ausbreiteten. Barocke und nüchterne Elemente mischen sich allerdings in dieser Auffassung ; die Rustika und der dorisch-toskanische Stil sind nach der Sitte der Zeit überwiegend. Besonders entfaltet sich an den hohen Giebeln das Schweif- und Schneckenwesen der Zeit, in Verbindung mit nachgeahmten Metallbeschlägen. Aber solide Konstruktion, derbe Gediegenheit und malerische Kraft auch in der Farbe verleihen diesen Werken doch hohen Reiz und Wert. Als Beispiel geben wir die vordere Fassade vom Zeughaus zu Danzig (Abb. 135).

Fachwerkbau

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Diese Bauweise hat sich in Deutschland nun über den gesamten Nordwesten verbreitet. Die Rheinlande stehen unter dem direkten Einflüsse Flanderns; die Antwerpener Florisschule sendet ihre Schüler aber bis nach Danzig und Königs- berg. Schleswig-Holstein gehört naturgemäß mehr zum Einflußbereiche Hollands, doch sind die Sendboten der niederländischen Baukunst bis tief ins Binnenland ge- drungen. Das herzogliche Schloß zu Münden a. d. Weser könnte ebensogut in der Umgegend von Ant- werpen stehen.

Noch viel größere Ausdehnung und allgemei- nere Bedeutung hat eine dritte Art architektonischer Behandlung, die in her- vorragender Weise deut- schen Charakter trägt: der Fachwerkbau. Die Vorliebe für Verwertung des Holzes zu künstleri- schen Arbeiten steckt von jeher im deutschen Volke. In der Plastik zeugen dafür die zahlreichen Schnitz- werke an Altären und an- deren Stellen; in der Ar- chitektur beherrscht der Fachwerkbau fast alle Ge- biete Deutschlands und hat sich niemals von dem vor- nehmen Steinbau ganz ver- drängen lassen. Wie sehr der Holzbau von Haus aus deutsch, der Steinbau rö- misch ist, bezeugt schon die Sprache, welche für Bauen ursprünglich nur „Zimmern" kennt, wäh- rend die Worte Mauer, Kalk, Mörtel, Ziegel, Pfla- ster sämtlich lateinischen Ursprungs sind. Die Ge- genden, in welchen diese urdeutsche Bauweise ihre reichste und glänzendste Blüte erlebt hat, sind im nördhchen Deutschland die Gebiete des Harzes und seiner Abdachungen. Städte wie Braunschweig, Halberstadt, Quedlinburg, Hildes- heim, Goslar u. a. sind in ihren alten Teilen selbst heute noch fast reine Holzbau- städte. ^) Die Herrschaft des gotischen Stils ist an diesen naiven Schöpfungen des Volksgeistes zwar nicht unbemerkt vorübergegangen; aber erst während der

1) Vgl. C. Bötticher, Die Holzarchitektnr des Mittelalters. Berlin. K. Schäfer, Holzarchitektur vom 14. 18. Jahrhundert. Berlin. L. B ick e 1 , Hessische Holzbauten. Mar- burg 1887/91. C.Lachner, Holzarchitektur Hildesheims. Hildesheim 1882/83. E. Glad- bach, Der Schweizer Holzstiel. Darmstadt 1868.

E.ADE.;t.A. FY,«.

Abb

133 Tuchersches Haus zu NürnberE

Abb. 134 Der Fiirstenhof zu Wismar (Nach Haupt, Backsteinb. d. Renaissance)

Fachwerkbau

183

Renaissance-Epoche erfährt der nationale Holzbau seine reichste Ausbildung. Doch niemals geht die Aneignung der Renaissanceformen so weit, daß der Holzbau zu einer unberechtigten Nachahmung des Steinbaues wird. Selbst bei dem präch- tigen Wedel zu Frankfurt, an dem lauter geschnitzte Holzplatten die Zimmer- konstruktion verhüllen, ist der Charakter des Holzbaus im einzelnen wie in der Stockwerküberkragung und vor allem der Gesamterscheinung so unverkennbar, daß wir gerade in diesem Extrem noch die Vielfältigkeit und den Gestaltungsreich- tum des Holzstiles erkennen. Im strikten Gegensatze dazu steht die Mehrzahl der

Abb. 135 Zeughaus zu Danzig Vorderansicht (Aufnahme der Kgl. Meßbildanstalt, Berlin)

Holzbauten Norddeutschlands, des Rheingebiets und des deutschen Südwestens. Die Elemente der Fachwerkkonstruktion werden da oft in einer geradezu naiven Weise zur Geltung gebracht, wie an dem Hause zu Eppingen bei Heilbronn (Abb. 136) vom Jahre 1582, welches nur an den Eckkonsolen und dem mittleren Hauptständer Formen der Renaissance aufweist, in dem konstruktiv wichtigen Riegelwerk aber durch einfaches Ausschneiden die ererbte Art des gotischen Stiles beibehält. Bei diesen Bauten pflegt das Erdgeschoß in Stein aufgeführt zu sein, und es bedarf dann, um den vorkragenden Oberbau zu stützen, kräftiger Steinkon- solen, die oft zu reicher Ausbildung Anlaß geben. So an „Wedel" und „goldner Wage" zu Frankfurt, besonders elegant am vorderen Eckhause der König-

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1. Buch V. Kapitel G-esamtbild der deutschen Renaissance

Abb. 136 Haus zu Eppingen

Straße in Stuttgart, gegen den Schloßplatz. Die Ecke ist zu einer zierlichen Muschelnische aufgelöst, die von einem ionischen Pilasterkapitell bekrönt wird. Darüber erhebt sich eine elegante Konsole, von einer prachtvollen Maske dekoriert.

Oft zeigt auch der vorgebaute Dachgiebel eine Vorrichtung zum Anbringen der Rolle für das Hinaufwinden von Vorräten.

Im Gegensatz zu der beschriebenen Art ein Holzhaus aus Halberstadt (Abb. 137), das zwar die Hauptteile der Holzkonstruktion, die vortretenden Balken-

Fachwerkbau

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köpfe und die Querbalken in kräftiger Schnitzarbeit künstlerisch ausbildet, im übrigen aber durch die Verputzung der Flächen und durch die Bogenstellungen unter den Fenstern sich dem Charakter des Steinbaues zu nähern sucht. Wie weit diese Nachahmung bisweilen geht, zeigt das deutsche Haus zu Dinkels- bühl (Abb. 138), wo Hermen, Konsolen und andere Elemente des eigentlichen Steinbaus aufgenommen sind. Bei jenem Hause zu Halberstadt machen wir auf die charakter- volle und schöne Ausbildung derBal- kenköpfe und der

Schwellen auf- merksam. Ausführ- licheres über diese Bauten später, in den betreffenden Kapiteln.

Der Norden Deutschlands, be- sonders um den Harz, inHildesheim (Abb. 139), Braun- schweig , Goslar,

auch Osna- brück (Abb. 140), den Rheingegen- den (Abb. 141), Westfalen (Abb. 142) ist reich an eigenartigenTypen des Fachwerkbaus. Bei allen diesen Bauwerken ist aber eines zu bemerken : die eigentliche Re- naissance, also die Säulenordnung,das Pilaster und Ge- simswerk, das Or- nament und andere Dinge, die den Steinbau und die Tischlerkunst be- stimmen, haben in der Zimmermanns- kunst jener Zeit so gut als nichts zu bedeuten. Vielmehr ist der Stil des Fachwerkbaus des 16. und 17. Jahrhunderts ein völlig selbständiger, weder gotisch noch renaissancemäßig. Es ist sogar wahrscheinlich, daß wir in allen jenen merk- würdigen Formen, den Muscheln, Balkenköpfen, den gedrehten Stäben, den Ver- knotungen der Balken und anderem ein glänzendes Wiederaufleben des uralten und in Deutschland sozusagen unsterblichen germanischen Holzbaus überhaupt zu sehen haben, der bei der glänzenden Blüte der bildenden Kunst damals die ersehnte Gelegenheit fand, sich aufs neue und noch einmal völlig natur-

Abb. 137 Schiilihof zu Halberstadt (Nacb Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutscheu Renaissance

gemäß und unter Hervordringen aller in ihm seither schlummernden Ideen zu betätigen.

Endlich ist noch einer andern Gattung der Durchbildung des Äuße- ren zu gedenken, die Deutschland von Italien übernahm und in eigen- tümlicher Weise fortbil- dete: der Fassaden- malerei. Sie ist vor- zugsweise da zur Anwen- dung gekommen, wo das Material für Quaderbau fehlte, und der Putz na- turgemäß die Fassaden- flächen überzog. So na- mentlich in Augsburg und Ulm; da war die Anschauung der gemal- ten Fassaden oberitaiie- nischer Städte den weit- gereisten Kaufleuten und Künstlern ja schon ge- läufig. Aber auch in Orten, denen ein gutes Steinmaterial nicht fehlte, wie in Basel, Schaft'hau- sen und anderen Städten der Schweiz und des i)ber- rheins, griff die Farben- lust der Zeit zu diesem heiteren Mittel der Deko- ration. Zu den ersten, welche diese Sitte künst- lerisch ausgeprägt haben, gehört Hans Holbein. Wir wissen von ihm, daß er in Luzern und Basel Fas- saden gemalt hat, die allerdings untergegangen sind ; aber von den Ent- würfen seiner Hand, welche dieses Gebiet be- treffen, haben wir in Abb. 4, 5 eine Anschau- ung gegeben und fügen in Abb. 143 ein weiteres

Beispiel hinzu. Dort tritt deutlich hervor, daß die Fassadenmalerei in vielen Fällen die Aufgabe hatte, die Unregelmäßigkeiten des Aufbaues zu verdecken, indem sie das Gerüst einer idealen Architektur über die Fläche warf und dann nicht bloß mit ornamentalen Gebilden, sondern auch mit figürlichen Kompositionen

Abb. 138 Sog. „Deutsches Haus" zu Dinkelsbühl (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

Fassadenmalerei

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ausfüllte. Begebenheiten der Hl. Schrift und der profanen Historie, der Sage und des antiken Mythos, Gestalten des Altertums und der Bibel, Allegorisches, ja selbst Bilder aus dem wirkhchen Leben werden dabei bunt gemischt. Alles, was in der erregbaren Phantasie der Zeit gärt, kommt dabei zutage; den ersten Rang jedoch behauptet das klassische Altertum mit seinen Göttergestalten und mehr

Abb. 139 Holzhäuser zu Hildesheim

noch mit seinen geschichtlichen Helden. Der künstlerische Charakter dieser Dar- stellungen wurzelt in einer kräftigen Vielfältigkeit. Man liebt es, die Ornamente der Pilaster und Friese hell von einem farbigen Grunde, sei er rot, blau oder auch grün, abzuheben. Den figürlichen Gestaltungen wird stets ein architektonischer Rahmen gegeben, so daß jede ihre bestimmte Stelle in dem wohlabgewogenen Gesamtbilde einnimmt, keine in vordringlicher Weise eine Bedeutung für sich be- ansprucht. Einzelne Figuren werden in Nischen mit architektonischem Hinter-

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

gründe gestellt; für größere Szenen schafft man in freien Bogen- hallen ideale Räume, so daß der Eindruck entsteht, aisblicke man in eine Landschaft hin- aus. Dazu kommen allerlei perspektivi- sche Täuschungen : gemalte Galerien mit neugierigen Zuschau- ern, Balkone mit Mu- sikanten und derglei- chen. Alles dieses gibt solchen Fassaden das Gepräge heiteren Le- bens, und wenn auch die Ausführung der noch erhaltenen häu- fig nur von geringen Händen zeugt, so be- herrscht doch das Ganze ein Stilgefühl, ein Verständnis für das monumental Ange- messene, daß unsere Zeit auch bei den ge- ringeren dieser Arbei- ten immer noch in die Lehre zu gehen hat.

Die Unbill der Zeiten und mehr noch die blöde Feindschaft

der Menschen hat wenige von diesen Werken auf uns kommen lassen. Eines der besten ist die Vorderseite des Rathauses in Mülhausen mit einer gemalten Säulengalerie im Hauptgeschoß und ebenfalls gemalten Nischen zwischen Pilaster- stellungen im oberen Stockwerk, darin Gestalten von Tugenden. Die Fenster sind mit Laubgewinden geschmückt, die gleich den Rustikaquadern des Erdge- schosses ebenfalls von der Hand des Malers herrühren. Gerade an diesem Beispiel wird recht klar, wie die Malerei über die größten Unregelmäßigkeiten hinweg- täuscht und einer architektonisch bedeutungslosen Fassade einen künstlerischen Stempel aufprägt. Interessant ist auch die Front eines Hauses in Kolmar, deren Malerien nur teilweise erhalten sind. Eins der vollständigsten und reichsten Prachtstücke bietet aber noch das Haus zum Ritter in Schaff hausen, von Tobias Stimmer gemalt, vom Jahre 1570 (Abb. 177). Die kühn verkürzte Gestalt des Ritters Kurtius mit seinem Pferde bildet hier den künstlerischen Mittelpunkt, der das Ganze beherrscht. Auch das Haus zum Käfig ebendort hat eine gemalte Vorderfront. Eine ganze Reihe solcher Malereien, freilich zum Teil in späterer Zeit erneuert, sieht man in Stein am Rhein, darunter besonders am Hause zum Weißen Adler. Ganz Augsburg muß im Ausgang des 16. Jahrhunderts einen farbigen Eindruck gemacht haben, wie wir aus zahlreichen Zeugnissen

Abb. 140 Holzhaus zu Osiialn ück

Fassadenmalerei

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wissen. Wenig ist davon erhalten, am bedeutendsten wohl das Weberhaus an einer Ecke der Maximilianstraße, besonders im Obergeschoß durch eine gemalte korinthische Säulenhalle ausgezeichnet (Abb. 144). Sie erinnert an die groß- artigen architektonischen Hintergründe auf den Gemälden der venezianischen Schule. In einem Hofe des Fugger haus es ebenfalls ausgezeichnete Reste von Wandgemälden, namentUch herrliche graue Arabesken auf dunkelblauem oder schwarzgrauem Grunde, dann ein prächtiger Fries und eine Anzahl historischer Szenen, alles leider arg zerstört.

In manchen Fällen begnügte man sich mit grau in grau ausgeführten Darstellungen, wie an der Residenz in München und, noch einfacher mit wenigen Farbentönen, an der Maxburg daselbst; oder mit Sgraffiten, oder endlich mit einer Behandlung des Putzes, der mit glatten Ornamenten auf rauhem Spritzbewurf einfach und gut zu wirken weiß. Manches der Art sieht man noch in Ulm, Sgraffitoreste finden sich namentlich noch ziemlich zahlreich in Böhmen und Schlesien.^) So besonders in der Burg Tschocha bei Mark Lissa in der Lausitz. Burg, Reitbahn und Schäferhaus haben Diamantquadern, fast alle alten Gebäude des Wirtschaftshofes, besonders das Tor, Diamantquadern und kräftige Ornamente, namentlich Friese mit Medaillonporträts. Die Scheune links vom Eingang über einem hübsch variierten Friese Jagdszenen von frischer Komposition und auf- fallender Kühnheit der Zeichnung in fast lebensgroßen Figuren, in einer Länge von etwa 100 Fuß an drei Scheunen entlang. Am Giebel der dritten Scheune Erntefestszenen, humoristisch mit Tierge- stalten vermischt. Ent- stehungszeit wahrschein- lich Anfang des 17. Jahr- hunderts, am Hoftor früher die Jahrzahl 1611. Andere Sgraffiti in Schle- sien an der Burg Grei- fenstein, der Bolko- burg bei Bolkenhain, am Schloß zu Öls, zu Ratschin; ehemals zahl- reich in Liegnitz, z.B. ein Haus von 1613, selbst in Dörfern: meist Quade- rungen und architektoni- sches Ornament. Spuren noch jetzt am Schloß zu Warta, besonders reich in der Stadt Löwen- berg, ferner in der Ober-

1) Die nachfolgenden Notizen sind einem Aufsätze von M. L o h d e , Zeitschr. f. Bauw. 1867, 1 u. II, entlehnt; Abbild, auf Tafel 19. Vgl. auch den Aufsatz von Dr. Sammter imD.Kunstbl. IV. 1853. S. 230.

Abb. 141 Rathaus zu Dorrenbach

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

lausitz: tapetenartige Dekorationen der Außenwände am Piastenschloß zuBrieg. Farbige Fresken in der Schloßkapelle zuTschocha, in derBolkoburg, in der Klosterkirche des Oy bin bei Zittau. Anderes in Böhmen, so vor allem der Palast Schwarzenberg in Prag, Schloß Prachatitz und vieles andere. Unverkenn- bar ist der Zusammenhang mit Krakau, wo ebenfalls noch Sgraffiti, Hier offenbart sich ein starker Gegensatz zu anderen Ländern, z. B. zu Frankreich. Die plastisch- architektonische Behandlung der Fassade überwiegt dort die malerische,

wie schon im Mittel- alter, und der Reich- tum des Landes an guten Bausteinen be- günstigt diese Rich- tung.

Wir haben uns nunmehr zur Betrach- tung der Grundrisse zu wenden, und be- ginnen hier mit der Anlage der Schlös- ser. Während der italienische Palastbau der Renaissance sich von allem mittelal- terlichen Herkommen zu lösen sucht und zu regelmäßigen, klar gegliederten Anla- gen durchdringt, ist in Frankreich und Deutschland die feu- dale Gewohnheit noch lange überwiegend und gibt dem Schloßbau auch ferner das male- rische Gepräge mittel- alterlicher Burgen. Die Zufälligkeiten des Ge- ländes und der historischen Entwicklung werden mit Vorliebe betont. Türme und gesonderte Treppenanlagen behalten ihr Recht, Wall und Graben endlich und die übrigen Verteidigungswerke des Mittelalters bleiben unverändert, obwohl sie bald zu einer bloßen Form herabsinken und bei dem Umschwung, den die Feuerwaffen in die Kriegführung bringen, ihre Bedeutung immer mehr verlieren. Aber in Frank- reich kommt neben dem feudalen Wesen bald ein neues auf, der Adel wird zu- sehends Hofadel, findet seinen Mittelpunkt in der Umgebung der Könige, und so ent- faltet sich allmählich ein ganz neues verfeinertes gesellschaftliches Leben, dessen Gewohnheiten sich alsbald im Schloßbau ausprägen. Wenn daher die Schlösser dort die Äußerlichkeiten der mittelalterlichen Anlage noch eine Weile behalten, so vollzieht sich doch innerlich eine Umgestaltung des Grundplans, welche auf Übereinstimmung mit den Lebensgewohnheiten deutet. Die Teilung des Ganzen in zwei selbständige, aber verbundene Gruppen, die sich um einen äußeren Wirt- schaftshof (basse-cour) und einen inneren Herrenhof (cour d'honneur) zusammen- schließen, wird ein Grundzug dieser Schloßbauten. Mit der den Franzosen eigen-

Ahh. 142 Eathaus zu Schwalenberg

Grundrißbildung Schlösser

191

tümlichen Vorliebe für feste Regeln werden diese Grundelemente der Anlage überall, wenn auch bisweilen nur im kleinen, wiederholt. In der inneren Einteilung der Haupträume macht der große, weite Festsaal des Mittelalters den aus Italien ein- geführten langen Galerien Platz, die mit allem Pomp italienischer Malerei und Stukkatur ausgestattet werden. Für die äußere Erscheinung dieser Schlösser sind anfangs noch die runden Türme des Mittelalters auf den Ecken bezeichnend; bald jedoch verwandeln sich diese in viereckige Pavillons, die mit ihren hohen Walm-

Abb. 143 Entwurf zu einer Fassadendekoration von Hans Holbein d. J.

dächern oder geschweiften kuppelartigen Bedachungen den Bau kraftvoll ghedern. Die Treppen werden noch überwiegend als Wendelstiegen in polygonen, oft durchbrochenen Treppenhäusern angelegt. Die langen Linien der Dächer erhalten durch zahlreiche aufgesetzte Zwerchgiebel mit zierlichen, zuerst noch gotisierenden Formen das erwünschte Leben.

Der deutsche Schloßbau teilt gewisse Grundzüge mit dem französischen: die unregelmäßige mittelalterliche Anlage, bisweilen auch die runden Ecktürme, die selbständigen Wendeltreppen in ihren Stiegenhäusern. Aber da hier die

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

Herrschaft eines tonangebenden Hofes fehlte, so bildete sich nicht eine so gleich- förmige Gewohnheit des höfischen Lebens aus; man blieb vielmehr noch lange in mittelalterlichen Sitten befangen, und dies prägte sich dann naturgemäß in der Anlage der Gebäude aus. Zunächst kam es nicht zu einer Trennung der untergeordneten Räume, Gelasse und Wohnungen für Diener und dergleichen von den für die Herrschaft bestimmten Teilen. Es fehlte also die Anordnung von zwei gesonderten Höfen ; vielmehr gruppierten sich die einzelnen Flügel des Schlosses

um einen meist un- regelmäßigen Hof. Dieser wurde bis- weilen, doch nicht immer, manchmal erst nachträglich oder teilweise mit Arkaden umzogen. Eins der vollstän- digsten Beispiele dieser Art bietet das Alte Schloß in Stuttgart und die Plassenburg. DieseArkaden dien- ten nicht bloß zur Verbindung der in- neren Räume, son- dern in ihren obe- ren Geschossen na- mentlich auch als gedeckte Schau- plätze für die Herr- schaften bei Gele- genheit der Ringel- rennen und anderer Ergötzlichkeiten, die man in den Schloßhöfen abzu- halten pflegte. Im Schloßhof zu D r e s-

den ist eine besondere mehrstöckige Loggia zu diesem Zweck vor dem Haupt- turme angeordnet. Im Innern des Schlosses bildet noch ganz in mittelalterlicher Weise der große Rittersaal, bisweilen, wie in Stuttgart und der Trausnitz, unter dem Namen „Türnitz" vorkommend, den Kernpunkt der Anlage. Die deutsche Vorhebe fürs Bankettieren ließ diese großen Säle, die gewöhnlich einen ganzen Flügel einnehmen, als wichtigsten Teil der Anlage erscheinen. In der Nähe des Saales wird die Kapelle angeordnet, die in der Regel noch mittelalterliche Anlage, Konstruktion und Formbildung aufweist. Die Treppen sind fast noch durchgängig Wendelstiegen und bilden in Konstruktion und Ausstattung einen Stolz der alten Werkmeister. Man legt sie in den Ecken des Schloßhofes in vorspringenden runden oder polygonen Türmen an, welche oft, wie die vier im Schloßhof zu Dresden, mit verzierten Pilastern, reichen Friesen und anderen Ornamenten prächtig geschmückt werden. Solche Prachtstücke wie die berühmten Treppen in Ghambord und Blois vermag Deutschland nicht aufzuweisen ; alles ist hier mäßiger

Abb. 144 Weberhaus zu Augsburg (Nach Grimm)

Schloßbau Privatbau jgg

in Verhältnissen und Ausstattung; doch fehlt es nicht an schmuckreichen Treppen wie die beiden im Schloß zu Mergentheim (Abb. 298), im Frauenhause zu btraßburg, im Pellerhause zu Nürnberg; die im Schloß zu Göppingen zu Fürstenau, zu Baden, sind an der Unterseite ganz mit Skulpturen be- deckt. Nur die prächtigste dieser Art, der wunderschöne polygone Treppenturm- bau zu Torgau, darf annähernd jenen französischen Werken gegenübergestellt werden; ähnlich muß einst die im Berliner Schloß gewesen sein.

Gegen Ausgang der Renaissance streift der Schloßbau manche seiner mittel- alterhchen Eigenheiten ab, ohne sich indes dem französischen mehr als gelegent- lich zu nähern. Namentlich die runden Ecktürme fehlen, dagegen hebt man es an den Ecken oder in der Mitte jene hohen Giebel anzubringen, die der Stolz der deutschen Architektur sind. Das charaktervollste Beispiel dieses späteren deutschen Schloßbaues ist wohl das Schloß zu Aschaffenburg (Abb 283) zugleich aber wohl das einzige, das an den vier Ecken Hochbauten, zwar 'keine Pavillons, so doch Türme besitzt. Etwas eher französisch anklingendes finden wir dagegen zu Güstrow.

Im übrigen aber ist als charakteristisch für die meisten Schloßbauten fest- zustellen, daß solche nach ganz neuem und einheithchem Plane überhaupt nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme bilden. Vielmehr bestanden die allermeisten und wichtigsten Schlösser unserer Fürsten schon längst, und die Späteren be- ?'''^xT®'\^'*'^ entweder umzubauen oder, falls Platz vorhanden

Ihre Neubauten selbständig neben die älteren Flügel zu setzen. Man denke nur an Heidelberg, wo neben die gotischen Bauten Ruprechts und Ludwigs die Renaissance- bauten Friedrichs IL, Ottheinrichs, Friedrichs IV. und Friedrichs V. nacheinander sich angruppierten, fast wie Bürgerhäuser an einem Platze in der Stadt Ähnliches gilt für Mainz, Darmstadt und zahlreiche andere Residenzen. So drängt sich gerade eine Eigentümlichkeit des Bürgertums da in die fürstlichen Bauten hinein

Neben dem Schloßbau steht der bürgerliche Wohnhausbau. Dieser bleibt in noch höherem Grade der mittelalterhchen Überlieferung im Aufbau und Grundriß treu. Die Fassade ist, wie in der gotischen Zeit, schmal und hoch aufstrebend, zuerst noch einfach, bloß durch die gruppierten Fenster belebt bald aber von reicherer Durchbildung. Die Behandlung der Flächen, Fenster, Portale der hohen Giebel und der Erker haben wir des näheren schon erörtert Der Grundriß des Hauses ist schmal und in die Tiefe gestreckt, nach Art des Mittel- alters Em Hof verbindet in der Regel das Vorderhaus mit etwaigen Hinter- gebäuden, welche meist nur auf einer Seite, seltener auf beiden damit zu- sammenhängen. Hölzerne Galerien vermitteln die Verbindung und geben jene malerischen Durchblicke, an denen noch jetzt die deutschen Städte reich sind Bisweilen treten steinerne Bogengänge an die Stelle der Holzgänge, zuerst noch in spatgotischem Stil, wie z. B. am Bayrischen Hof und dem Krafftschen Hause zu Nürnberg, wo besonders die Brüstungen der Galerien Maßwerk zeigen Erst gegen Ende der Epoche kommt es bisweilen zu solchen prächtigen Renais- sancehallen, wie das Pellerhaus zu Nürnberg sie zeigt. Ein freierer Hallen- bau in dem Thon-Dittmerschen Hause zu Regensburg. Der Steinbau findet dann bisweilen wieder Nachahmung in Holz, so daß die Säulen und Balustraden die Friese und Gesimse die kraftvollen Formen der Steinarchitektur imitieren So namentlich m Nürnberg: am Egidienplatze neben dem Pellerhause, in der letzelgasse, m der Adlergasse Nr. 9, in der Tucherstraße 21 und andere, i) Die durchbrochenen Geländer haben hier immer noch gotisches Maßwerk. Ein interessanter Hof findet sich auch in Würzburg, Wohlfahrtsgasse 205 Die Treppen smd meist als steinerne Wendelstiegen in den Ecken der Höfe angebracht 1) Ein schönes Beispiel in Ort wein, Deutsche Eenaissance. Nürnberg. Heft 2. Lübke- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 13

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Benaissauce

Abb. 145 Altstädtisclies Rathaus zu Danzig (Aufnahme der Kgl. Meßbildanstalt, Berlin)

und mit Galerien in Verbindung gesetzt. Ein Hot mit ausgebildeten Holzgalerien findet sich in Ulm in einem Hause der Hirschstraße. In den meisten Fällen bleiben aber die deutschen Hofanlagen eng und schmal. An die freie, statt- liche Entwicklung italienischer Palasthöfe ist nicht zu denken. Wo diese nach- gebildet werden soll, wie in dem Pellerhause zu Nürnberg, wirkt doch die Enge

Rathäuser

195

des Grundplans immer hinderlich. Was indessen an architektonischem Charakter verloren geht, ersetzt sich durch hohen malerischen Reiz.

Von den städtischen Gebäuden stehen die Rathäuser in erster Linie. Im Gegensatz zu den italienischen, welche den offenen Hallenbau lieben, werden die Fassaden meist geschlossen behandelt und nur etwa durch große Freitreppen, wie in Heilbronn, Mülhausen, ausgezeichnet. Indessen fehlen die offenen Bogen- hallen der Erdgeschosse unserer Rathäuser keineswegs ganz, ja sie sind gerade im Mittelalter (Lübeck, Tangermünde, Hildesheim) verbreitet genug und verschwinden auch in der Renaissance nicht (Ensisheim, Paderborn); öfters sind solche Hal- len auch vorgebaut (Rothenburg, Bre- men). In manchen Fällen wird das Erdgeschoß aber auch alsBogenhalle auf Pfeilern ange- legt und als Ver- kaufshalle und zu ähnlichen Zwecken verwendet. So fin- den wir solche in Nürnberg, Lohr, Rothenburg, Schweinfurt und andern Orten. Um aber dem zuströ- menden Volk einen

Versammlungs- raum zu bieten, wird im Hauptge- schoß ein großer

Vorplatz geschaf- Abb. 146 Decke des Rathaussaales zu Rothenburg o. T.

fen, der sich vor dem Rats- und Ge- richtssaal hinzieht; gelegentlich, wie in Rothenburg, mit einem freien Altan in Verbindung gesetzt. Bei der einfachen Verwaltung jener Zeit, die noch nicht soviel Papier brauchte, sind für Bureau- und Schreiberzwecke nur wenige Räume erforderhch. Deshalb wirkt das Innere durch die paar großen Räume, hauptsäch- lich den Vorplatz und den Hauptsaal, höchst bedeutend. Die Treppe liegt oft als Wendelstiege in einem vorspringenden Turm. So in Rothenburg, wo der Treppenturm die Mitte der Fassade einnimmt, in Lohr, in Schwein furt, wo zwei Wendeltreppen symmetrisch angeordnet sind. Eine gerade aufsteigende ver- deckte Freitreppe baute man 1618 an das Rathaus zu Nördlingen, auch sie im Geländer noch mit gotischem Maßwerk; ähnlich in Neustadt a. d. H., Molsheim. Erst beim Durchbruch einer strengeren klassischen Architektur werden die Treppen ins Innere gezogen und mit geraden Läufen und Podesten angelegt. So in Nürn- berg und in Augsburg, wo überhaupt die mittelalterHchen Überlieferungen völlig zurücktreten. Dagegen behalten die älteren Rathäuser von der mittelalter- lichen Anlage auch gern den stattlichen Turm bei, wie in Rothenburg. Dieser erhält dann oft eine kuppelartige Bedachung, oft durch Laternen und zweite, ja dritte Kuppelhaube zu malerischem Aufbau erhöht. Solche Kuppel- und Zwiebel- türme, zu den schlanken mittelalterlichen Helmen in stärkstem Gegensatz stehend,

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

gewinnen oft durch originell geschwungenen Umriß pikanteste Wirkung und größten Reiz. Besonders im Norden Deutschlands sind diese Türme verbreitet, und zu den prächtig-zierlichsten Beispielen gehören die Türme der beiden Rat- häuser zu Danzig (Abb. 145). An selbständigen originellen Rathaustürmen ist besonders Schlesien überreich. Man vergleiche die große Reihe prächtiger Beispiele in Lutschs Bilderwerk.

Die künstlerische Ausbildung des Innern bewegt sich bei allen Profan- bauten der Renaissance in ziemlich übereinstimmender Richtung. Was zunächst die

Deckenbildung betrifft, so ist die Anwendung von Gewölben, besonders im Erd- geschoß, in den Treppenräu- men und den Korridoren über- wiegend. Sie werden oft noch in mittelalterlicher Weise mit gotischen Rippen durchge- führt. Stern- und Netzgewölbe verbinden sich nicht selten mit antiken Säulen; so im Rat- haus zu Danzig. Diese Ar- chitektur bewegt sich sogar noch in kräftiger Polychromie mit Gold und reichem Far- benschmuck. Das römische Kreuzgewölbe hält erst im Ausgang der Epoche mit den strengeren antiken Ordnungen seinen Einzug; so am Rathaus zu Nürnberg. Die Räume derObergeschossejedoch, und darunter die hauptsächlich- sten, erhalten im fürstlichen Schloß wie im bürgerlichen Privatbau und dem städti- schen Rathaus flache Decken. Zunächst sind dies die ein- fachen mittelalterlichen Bal- kendecken, in deren Schnitz- werk gotische Elemente noch

Abb. 147 Holzdecke aus Schloß Ambras lange vorwiegen. So an der

Decke aus dem Rathaus von Rothenburg (Abb. 146). Auch die hölzernen Stützen, auf denen die Hauptbalken ruhen, werden samt den Kopf bändern in verwandter Weise behandelt. Prächtige Beispiele in Süddeutsch- land zahlreich, so im Vorsaale des Rathauses zu Schweinfurt. Bald dringt indes auch hier die antike Formbildung ein, zunächst freilich noch manchmal mit Bei- behaltung der Balkenlage. Doch geht man bald einen Schritt weiter und gibt den Sälen und Zimmern geschnitzte Kassettendecken, oft mit farbigen Intarsien ge- schmückt. Von den noch sehr zahlreich erhaltenen Beispielen dieser Art geben wir in Abb. 147 eine durch Klarheit und Einfachheit der Gliederung vortrefflich wirkende Probe aus dem Schloß Ambras. Damit verbindet sich nicht minder reiche Täfelung der Wände. Ausführlicher haben wir über diese Dekoration im

Deckenbildung

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dritten Kapitel Seite 80 ff. gesprochen, so daß es genügt, auf das dort Gegebene zu verweisen. Eine der herrlichsten Decken im Roten Saal des Rathauses zu Danzig mit geschnitzten, vergoldeten Knäufen, die weit herabhängen (Abb. 148).

Bei dieser Art der Decken bleibt man indes nicht stehen. Nach dem Vor- gange Italiens kommt die Ausschmückung der Decken später oft in die Hände der Maler und Stukkatoren, und zwar so, daß zuweilen die eine oder die andere Art allein, bisweilen auch beide Arten der Dekoration verbunden zur Anwendung

Abb. 148 Roter Saal im Rathausc zu üaiizig (Aufnahme der Kgl. Meßbildaiistalt, Berlin)

gelangen. So sieht man in der Residenz zu München Freskogemälde in die reich modellierten und vergoldeten Rahmen der Stuckdecken eingesetzt. Den Übergang zu den Wänden mit ihrer Teppichbekleidung bildet zum Teil eine große Hohlkehle mit Stuckreliefs, die zum Teil vergoldet sind. Anders ist die Behandlung auf der Trausnitz, wo in die flachgeschnitzten Felder der Decke ebenfalls Gemälde eingesetzt sind, die ganze Dekoration der Wände aber gleich- falls aus Gemälden auf Holz oder Putz besteht. Die Pilaster, Friese und Fenster- wände haben durch heitere Ornamente auf weißem oder leuchtend rotem Grunde

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

eine Dekoration im Sinne antiker Wandmalereien erhalten. In anderen Fällen wird hauptsächlich eine plastische Behandlung durch Stuckornamente beliebt. In vielen Fällen sind diese weiß gehalten, sodaß an die Stelle der Viel- die Einfarbigkeit zu treten beginnt. Bisweilen begnügt man sich, diese Stukkaturen in geometrischen Linien nach Art geschnitzten Kassettenwerks auszuführen. Mehrere Beispiele in dem Rathaus zu Lohr. In den Rheinlanden sind sogar, besonders in Köln, Stuckdecken üblich, bei denen die freiliegenden Balken ein- fach mit Stuck überzogen und an den Enden durch Rundungen verbunden wer- den. Auch die Stuckdekorationen an den Gewölben der Einfahrten im Schloß zu Aschaffenburg (Abb. 149), die durch ihre schöne Teilung und kraftvolle Gliede-

Abb. 149 Stuckdecke im Schloß zu Aschaffenburg

rung sich auszeichnen, gehören hieher. Überwiegend geht aber die Neigung auf reicheren Schmuck, derbere Formen und figürliche Kompositionen. Wie diese bis- weilen in trefflicher Weise mit farbigen Fresken in Verbindung treten, sieht man in der Residenz zu München. Aber bisweilen herrscht die plastische Behand- lung ausschließlich, sei es, daß man sie durch Bemalung unterstützt oder, daß man sie farblos läßt. Überaus reiche Beispiele in Privathäusern zu Rothen- burg, auf dem Schlosse Breuberg, im Fürsteneck zu Frankfurt a. M., nicht ohne starkes Überwiegen der Formen des beginnenden Schweif- und Schnörkelstils.

Jenes waren also die wesentlichsten Gebäudegattungen, in denen sich die Kunst der Renaissance in Deutschland ausgesprochen hat. Zuletzt aber ist da erst der herrlichen stuckierten Gewölbedecken zu gedenken, die, freilich durch italienische Meister, 1586 im Fuggerhause zu Augsburg in den Badezimmern und in der Residenz zu München in Antiquarium und Grottenhalle als Klein- odien der damaligen Kunst zur Ausführung gelangten. Die köstliche Behand- lung der feinen Stuckteile, die die Stichkappen stützen, einfassen und füllen, wie die Gewölbe einteilen, finden dort ihr Gegengewicht in den wundervollen tief- farbigen Grotesken und Freskomalereien in den Tiefen, Feldern und Flächen der Gewölbe. Die Dekorationskunst der Italiener hat im gleichzeitigen Italien nichts

Lehranstalten Hospitäler

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Schöneres hervorgebracht. In einzelnen Fällen kommen freilich noch andere Bauwerke in Frage, die indes in der Behandlungsweise ebenfalls die bereits ge- schilderten Züge übereinstimmend an der Stirn tragen. Besonders betätigt sich der wissenschaftliche Trieb der Zeit in Gründung von höheren Lehranstalten. Zu den stattlichsten Gebäuden dieser Art gehört das vom Bischof Julius für die Jesuiten in Würzburg erbaute Kollegium, jetzt Universität. Die Gebäude, an welchen man die Jahrzahl 1587 liest, umgeben drei Seiten eines großen Hofes, dessen vierte Seite die Kirche schließt. Nüchterner, wenn auch ausgedehnter

Abb. 150 Brunnenhalle im ehemaligen Lusthaus zu Stuttgart (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Eenaissance)

ist die Anlage des Jesuitenkollegiums in München, jetzt Akademie der Künste. Einen großen Hofraum umschließen auch die Gebäude des katholischen Konvikts in Tübingen vom Jahre 1595. In allererster Linie aber steht da das herrliche Aulagebäude der Universität zu Helmstedt, seit 1595 durch Paul Franke für Herzog Julius von Braunschweig -Wolfenbüttel errichtet, mit Turm und riesig hohen Stockwerken. Sodann sind mehrere Gymnasien zu erwähnen, in ge- schlossener Anlage ohne Hofraum erbaut. So das stattliche Gasimirianum von 1579 in Neustadt an der Haardt, das Gymnasium zu Rothenburg vom Jahre 1590, das Gymnasium zu Schweinfurt vom Jahre 1582, das zuKoburg aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts, das imposante, mit einem inneren Hofe versehene zu Ansbach vom Ende des 16. Jahrhunderts und das Pädagogium zu Darmstadt von 1629. Weiter sind verschiedene Spitäler zu nennen, am großartigsten das vom Bischof Julius 1576 in Würzburg erbaute, mit impo- santen Arkaden an der Vorderseite und prächtiger Gartenanlage hinter dem

200 1- Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Eenaissance

Hauptbau. Sodann das Spital in Rothenburg vom Jahre 1576, eine malerische Baugruppe, zum Teil mit gotischen Formen. Weiter bringt die neue Ordnung des Staatswesens, das jetzt erst den Beginn der Beamten- und Schreiberherrschaft erkennen läßt, mehrfach Gebäude für Verwaltungszwecke hervor. So die alte Kanzlei in Stuttgart, das Regierungsgebäude in Koburg usw. Das erste Sländehaus baute Württemberg in dem sogenannten Landschaftshause zu Stutt- gart vom Jahre 1580. Von den meist sehr stattlichen, für den öffentlichen Handelsver- kehr errichteten städtischen Bauten nennen wir die Fleisch- hallen zuHeilbronn, Augs- burg und Nürnberg, die Metzig zu Straßburg, das kolossale Kornhaus zu Ulm vom Jahre 1591. Das Kriegs- wesen der Zeit fand seinen Ausdruck in den Zeughäusern, wie sie Danzig, Koburg, Wolfenbüttel, Nürnberg, Augsburg, Plassenburg u. a. aufweisen. Die Höfe ließen sich's daneben angele- gen sein, für ihre Festhchkei- ten besondere Gebäude auf- zuführen. Das Herrlichste dieser Art war das erst in unserm Jahrhundert traurig zerstörte neue Lusthaus in Stuttgart (Abb. 150). Auch das Belvedere bei Prag ge- hört hierher. Die „Hochzeits- häuser" in den Städten fehlten übrigens auch nicht; so bildet das zu Hameln heute noch eine Zierde der Stadt.

Den künstlerischen Trieb derZeit vergegenwärtigt kaum etwas deutlicher, als die zahl- reichen Brunnen auf öffent- lichen Plätzen. Zwei Grund- formen sind hier zu unter-

Abb.151 Ziehbrunnen zu Oberehnheim scheiden: der Ziehbrunnen

(Aus: Volkstümliche Kunst aus Elsaß-Lothringen) und der Röhrenbrunnen. Der

erstere verlangt ein in der Regel steinernes, doch auch wohl eisernes Gerüst zum Tragen der Rolle, daran die Eimer auf und nieder laufen. Wohl der schönste dieser Art ist sogenannter Peter Flettners Judenbrunnen auf dem Domplatz zu Mainz (Abb. 265), durch das frühe Datum 1526 be- merkenswert. Ein recht zierlicher vom Jahre 1579 findet sich zu Oberehnheim im Elsaß (Abb. 151). Zu den einfachsten dagegen gehört der kleine dreiseitige Brunnen aus Rosheim. Stattlicher ist der auf vier Pfeilern mit reichem, figür-

Brunnen

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lichem Schmuck erbaute zu Wert heim vom Jahre 1574. Besonders reizvoll die vier auf den Ecken des Marktplatzes zu Hanau um 1620. (Abb. 152.) Von solchen mit schmiedeisernen reichen Gehäusen seien die sehr schönen zu Bruck a. d. Mur, zu Gräfe negg (Abb. 65), zu Neiße i) angeführt.

Weit häufiger sind noch die Röhrenbrunnen, bei denen das Wasser fort- während in ein großes Becken fließt. Die Renaissance bildete diese in der Regel so, daß sich aus der Mitte des Beckens eine Säule erhebt, auf deren Kapitell man eine Figur zu stellen liebt, sei es eine Heihgenfigur, einen Ritter mit dem Wappenschilde der Stadt, sei es eine mythologische oder allegorische Gestalt. Gar viele alte Städte haben als schönsten Schmuck ihrer Straßen und Plätze solche Brunnen bewahrt, vor allem die deutsche Schweiz (Abb. 153) und Süddeutschland. Der eleganteste ist wohl der zu Basel mit der originellen Figur des Dudelsackpfeifers und dem Friese der tanzenden Bauern. Zierlich ist auch der in Abb. 112 abgebildete von Schwäb.-Gmünd , mit hüb- schem Eisenwerk an den Aus- gußröhren, sowie der stattliche zu Rothenburg. Mehrere in Ulm sind mit reichen Bronze- masken für den Wasserausguß versehen. Prächtig mit bron- zener Ritterfigur und großem, doppeltemMarmorbeckenistder auf dem Markte zu Aachen, originell der zu Rott weil (Abb. 154), der die Form einer gotischen Pyramide mit naiver Freiheit in Renaissanceformen übersetzt. Klingt hier noch

mittelalterliche Überlieferung Abb. 152 Marktbrun Jien zu Hanau

nach, so kommt dagegen ander- wärts der Einfluß Italiens in

überwiegender Aufnahme bildnerischen Schmuckes zur Geltung: der Brunnen wird aus einem architektonischen fast ausschließlich ein plastisches Werk. Dies gilt von dem Tugendbrunnen bei der Lorenzkirche in Nürnberg, 1589 von Benedikt Wurzelhauer gegossen; von den drei Prachtbrunnen der Maximilian- straße zu Augsburg, von dem herrlichen Wittelsbacher-Brunnen im Hofe der Residenz zu München und vielen anderen.

Von den städtischen Bauten zu Schutz und Trutz ist noch manches aus der Renaissancezeit erhalten, obwohl unsere nivellierende Zeit immer mehr

1) Abb. bei Pritsoh.

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1. Bucli V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Eenaissance

damit aufräumt. Da sind die Mauern und Tore von Rothenburg, besonders das Spitaltor von 1586; die nur teilweise erhaltenen, unvergleichhch großartigen Mauern von Nürnberg, naraenthch die kolossalen Rundtürme bei den Haupttoren; die gewaltigen Festungswerke der Marienburg ob Würzburg; die wundervollen Werke und Türme um Amberg, die noch schöneren Nördlingens; von Toren die des EUas Holl zu Augsburg, das Mühltor zu Schweinfurt vom Jahre 1564, endlich die gewaltigen Tore von Danzig, besonders das hohe Tor von 1588. Mit den Schlössern und fürstlichen Lusthäusern, aber auch mit den reiche- ren Bürgerhäusern standen fast immer Gartenanlagen in Ver- bindung, auf die man nach dem Vorgange Italiens und Frank- reichs großes Gewicht zu legen begann. Freilich sind die deut- schen Schloßgärten dieser Zeit fast nirgends mehr erhalten, so daß wir gezwungen sind, nach alten Abbildungen und Überlie- ferungen uns eine Vorstellung zu schaffen. Den vollständigsten Begriff eines Gartens der Renais- sance gibt uns die bei W. Hollar aus der Vogelschau genommene Darstellung des Schloßgartens zu Heidelberg.^) Wie fern die Zeit einer freien, landschaft- lich malerischen Gartenbehand- lung stand, erkennt man kaum irgendwo deuthcher als hier, wo durch ungeheure Unterbauten einerseits und Abtragungen an- derseits dem abschüssigen Ge- lände des Bergwaldes ein weit- gedehnter ebener Platz abge- wonnen wurde. Doch stuft sich dieser in vier Terrassen ab, durch Treppen in Verbindung gebracht. Das Ganze ist mit seinen regelmäßig abgeteilten Blumenbeeten , eingefaßt von kleinen, rundgestutzten Bäum- chen, durchzogen von Taxus- hecken und überwölbten Laubgängen, zwischen Springbrunnen, Statuen und Gartenhäuschen, mit seinen Grotten, Labyrinthen und andern zierHchen Spielereien durchaus eine streng mit Lineal und Zirkel behandelte Anlage. War der Garten hier offenbar architektonischer, als das Gebäude, hatte er mit der malerischen Unregelmäßigkeit des gewaltigen, damals noch unversehrten Schlosses wenig inneren Zusammenhang, so war er doch offenbar das Ideal eines damaligen Lust- gartens, wie man dieses aus den italienischen Gartenanlagen kannte. Von der

1) Salomoii de Caus, der ihn angelegt, hat ihn in einem besonderen Kupferwerke, Hortus Palatinus, 1620 beschrieben. Danach die Abbildungen in Joh. Metzger, Beschr. des Heidelb. Schlosses. Heidelberg 1829.

Lustgärten

203

sicher einst prächtigen Erscheinung dieser Renaissance-Gärten haben wir ja leider keine rechte Vorstellung mehr; doch war sie ohne jeden Zweifel eine künstlerisch bedeutende und wertvolle, in viel höherem Maße, als die heute noch immer herr- schende enghsche gefühlvolle Landschaftsgärtnerei zuzugeben geneigt ist. Uber nichts ja geht der Wechsel der Zeit und des Geschmackes so rasch dahin, als gerade über die Gärten. Trotzdem gewährt das wenige, was sich noch aus dem 16. Jahrhundert vor- wiegend im Süden erhalten hat, doch einen hohen Be- griff von der gärt- nerisch-künstleri- schen Gestaltungs- kraft der Renais- sance. Die Reste bei der Villa Ma- dama, der Garten der Villa Pia zu Rom, der der Villa Bagnaia zuViterbo, der herrliche an der Villa d' Este zu Tivoli, die zu Se- villa, beim Es- cor i a 1 und von Aranjuez in Spa- nien erfüllen uns mit Bewunderung vor jener so gut als vernichtetenKunst. Und auch im deut- schen Land ist hie und da ein köstli- ches Restlein übrig, so die Gärten von Hellbrunn bei Salzburg, der Rest des Schloßgartens zuWeikersheim, der reizende Grot- tenhof zu Mün- chen, und auch diese widerspre- chen stark dem üblichen abfälligen Urteil.

Solche Lustgärten verzeichnet Merian bei den Schlössern zu Stuttgart, Weimar, Kothen, zu Schlackenwerth in Böhmen, in Kassel u. a. 0. Auch in den Städten fingen die reichen Bürger an, sich Lustgärten anzulegen. Den Kielmannischen und Windhagerischen Garten zu Wien stellt Merian dar. Manches wird uns sodann von den Patriziergärten in Augsburg berichtet. Überaus sehenswert waren die Gärten der Fugger^), mit Laubengängen, Statuen,

Abb. 154 Marktbrunnen zu Kottweil (Aus : Volkstümliche Kunst aus Schwaben)

1) Des Grafen Wolrad von Waldeck Tagebuch, p. 84.

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1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Renaissance

Gartenhäusern und Zierpflanzen aller Art. Nicht bloß der naive Schweinichen, sondern sogar ein weitgereister, weltkundiger Mann, wie Michel de Montaigne') war davon entzückt. Einen prächtigen Garten besaß auch der Konsul Gerbrod mit Fischteichen, gewundenen Spazierwegen, Springbrunnen, Weinspalieren und Obstbäumen nebst ausgemalten Gartenhäuschen; Jacob Adler und Veit Wittich unterhielten schmuckreiche Gärten.') Vom Lustgarten zu Stuttgart weiß ein Zeitgenosse*) zu rühmen, daß selbst die Königin von England keinen ähnhchen habe. Die Gärten der Residenz zu München sowie der Schlösser zu Nymphenburg, Fürstenried und Schleißheim, allerdings großenteils schon späteren Ursprungs, hat Matthäus Disel in seiner „Erlustierenden Augen- Weyde" heraus- gegeben.') Joseph Furttenbach bringt in seiner „Architectura recreationis" nicht bloß Darstellungen von bürgerlichen Wohnhäusern und Palästen, sondern neben Theaterszenen und dergl.'') auch Anlagen von Lustgärten. Und diese An- lagen erhalten erst ihre volle Bedeutung, wenn wir sie auffassen als das, was sie sein sollten: Stätten ausgeprägter, regelmäßiger Kunstgestaltung im Gegen- satz zur wilden Natur draußen, deren Schönheit man noch nicht erkannt hatte, Stätten zugleich zur Pflege schöner, wohlgebildeter und seltener Pflanzen, aber ebenso zur Aufstellung kösthcher Kunstwerke der Skulptur und anderer auch wissenschaftlich bedeutsamer Dinge. Man vergegenwärtige sich, wie kostbar die verhältnismäßig wenig zahlreichen importierten neuartigen Pflanzen und Blumen des Südens und Orients jener Zeit waren. Außerdem aber vergesse man nicht, daß keine Zeit einen größeren Luxus mit Wasserwerken und mechanischen Künsteleien aller Art trieb, als die Renaissance in ihren Gärten. Dazu müssen wir sie im Geiste mit den heiteren Menschen jener Zeiten in der Pracht ihrer Erscheinung und ihrer Tracht bevölkern, müssen der fröhlichen und prächtigen Festlichkeiten gedenken, die sich dort zu entwickeln pflegten. Venezianische Gemälde und deutsche wie niederländische Kupferstiche geben uns davon einen Schimmer, der uns von Ferne gemahnt an die Märchenpracht, die über die quellenrauschenden Wundergärten des Orients ausgegossen war.

Bis jetzt haben wir uns ausschließlich mit Profanbauten beschäftigt und den Kirchenbau unbeachtet gelassen. In der Tat wiegt dieser in der deut- schen Renaissance nicht allzu schwer, und zwar nicht bloß an künstlerischem Werte der einzelnen Leistungen, sondern hauptsächlich an Zahl der ausgeführten Werke. Nur in Italien hat die Renaissance alle baulichen Unternehmungen mit neuem Geiste durchdrungen, und gerade der Kirchenbau bildete das höchste Problem der ganzen Baukunst der italienischen Renaissance. In Deutschland da- gegen herrscht ein ähnliches Verhältnis der Baukunst zum Kirchenbau, wie in Frankreich. Wie dort bleibt man auch hier bis tief ins 16. Jahrhundert der Gotik treu. Die religiösen Wirren der Zeit ließen es zudem bei uns noch seltener als in Frankreich zu neuen kirchlichen Bauten kommen. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dringt allmählich der neue Stil in den Kirchenbau ein, doch haben die mittelalterlichen Formen und Konstruktionen hier noch lange Geltung. Das Entscheidende ist hierfür, daß vor allem an dem gotischen Rippen- gewölbe, und zwar nicht bloß in der einfacheren Gestalt des Kreuzgewölbes,

1) M. de Montaigne, Journal de voyage I. p. 98.

2) Des Grafen von Waldeck Tagebuch, p. 49.

3) V. Waldeck Tagebuch p. 103. 172. 181.

4) Joh. Jac. Breuning von Buchenbach, Reisen, p. 35.

5) Erlustierende Augen-Weyde. Zweyte Fortsetz., vorstellend die Weltberühmte chur- fürstliche Residenz in München, gezeich, v. Matthäus Disel, Ch. F. Garten-Ingenieur, bey Jerem. Wollf in Augspurg.

^) Josephus Furttenbach, architectura recreationis. Augsb. 1640.

Kirchenbau

205

sondern auch in den komplizierteren Netz- und Sternverbindungen, festgehalten wird. Das verlangt naturgemäß im Äußeren die Beibehaltung der Strebepfeiler, somit der Hauptteile des üblichen Systems. Sogar die farbige Ausstattung des Mittelalters bleibt mit ihren kräftigen Farben und ihrem reichen Goldschmuck dabei in Kraft. So zeigt noch die Kirche zu Freudenstadt vom Anfang des 17. Jahr- hunderts ein prachtvolles Netzgevi^ölbe mit zahlreichen elegant dekorierten Schluß- steinen. Die Marienkirche in Wolfenbüttel (Abb. 155), aus derselben Zeit, hat Kreuzgewölbe, deren Rippen mit antikisierenden Eierstäben besetzt sind. Die Kapelle in Liebenstein zeigt dagegen an ihren Kreuzgewölben wiederum gotische Profile, selbst noch die Bückeburger Stadtkirche von 1613. In der Universitätskirche zu Würzburg haben die Kreuzgewölbe die Formen des Mittelalters abgestreift.

Im Zusammenhang damit werden namentlich die Fenster immer noch über- wiegend spitzbogig und mit gotischem Maßwerk behandelt; so in Liebenstein und Freudenstadt, während in Wolfenbüttel eine phantastische Umbildung in üppiges Laubwerk der Renaissance vollzogen ist, in Würziburg aber eine völlige Verschmelzung von Gotik und Antike versucht wird, so daß die Fenster von Rundbogen mit architraviertem Rahmen eingefaßt, aber mit fast gotischem Pfosten- und Maßwerk geteilt sind, über ihnen sodann auf barocken Voluten sich ein flacher Bogengiebel ausbreitet.

Auch in der Grundrißbildung folgt man zumeist noch der Überlieferung und schließt das Langhaus mit polygonem Chor. So in Wolfenbüttel, in Liebenstein, in Bückeburg und zum Teil auch in Freudenstadt. In Würzburg dagegen, wo die Renaissance bewußter zur Geltung kommt, zeigt der Chor eine halbrunde Apsis. Eine vollständig gotisch angelegte Kirche in System und Gewölben, doch mit Emporen über den Seitenschiffen, ist die Jesuiten- kirche zu Köln. Dabei sind aber alle ihre Details in eine flotte Renaissance- gestalt übergeführt, ihre Pfeiler selbst als dorische Säulen gebildet, und aus dieser Mischung gewinnt in der Tat das Innere einen ganz besonderen Reiz, der durch den Prachtaltar im Chor in prächtigen Renaissanceformen noch gesteigert wird. -

Ganz selbständige Grundrißgestaltungen findet man hier freilich wenige; doch ist hier des höchst eigenartigen Modells des Augsburgers Hans Hueher für die Kirche zur schönen Maria zu Regensburg (1518) ehrend zu gedenken, das trotz noch gotischer Einzelformen doch eine echte Renaissanceidee verrät: eine stattliche sechsseitige Kuppel mit Apsiden ringsum mit einem längeren, durch zwei Türme flankierten Ghorbau; ohne Zweifel auch ein höchst origineller und bedeutsamer Versuch, auf dem schwierigen Gebiet einen Schritt vorwärts zu tun.^) Die Kirche zu Freudenstadt aber mit ihrem Grundrisse, der im rechten Winkel geknickt ist, die Kanzel in der Ecke, bringt zum ersten Male vielleicht eine rein protestantische Anordnung eines solchen Bauwerks auf Grund des evangelischen Gottesdienstes. Von den Schloßkapellen ist hier namentlich die im Alten Schloß zu Stuttgart als ein im wesentlichen noch gotischer Bau hervorzuheben. Im Friedrichsbau zu Heidelberg dagegen ist eine stärkere Einwirkung der Renaissance auch an der Kapelle zu erkennen; völlig in edler Renaissance durchgeführt ist die schöne Kapelle im Schloß zu Schmalkalden. Die Kapelle im Schloß zu Heiligenberg hat hölzerne Kreuzgewölbe mit hängenden Schlußsteinen, die Rippen und die Kappen prächtig polychromiert. Auch im Schloß zu Weikersheim sind hölzerne Rippengewölbe mit gemalten Schlußsteinen, hier aber auf dorischen Säulen. In allen diesen Bauten kommt

1) Abgeb. b. Dohme, Geschichte der Deutschen Baukunst, Berlin.

206 1- Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Eenaissance

die Renaissance mit ihren antiken Formbildungen hauptsächlich den freien Stützen, den Emporen und den Portalen zugute. An der Kirche zu Freudenstadt sind nicht weniger als fünf Prachtportale, deren Öffnung zwar spitzbogig ist, zum Teil sogar mit durchschneidenden gotischen Einfassungsstäben, deren Umrahmung aber aus Renaissancesäulen mit entsprechendem Gebälk, Pilastern und relief- geschmückten Attiken besteht. Ein vollkommenes System von Bogenhallen, mit allen Elementen der drei antiken Ordnungen umkleidet, umzieht das Innere der Universitätskirche in Würzburg. Wie sich an der Kapelle zu Liebenstein Gotik und Renaissance mischen, zeigt die Abbildung der Fassade (Abb. 239).

Der Turmbau dieser Zeit trägt dieselben Spuren von Stilmischung wie alles übrige. Das früheste Beispiel vom Auftreten der Renaissance zeigt der Turm der KiUanskirche in Heilbronn, überhaupt eins der ersten Bauwerke der Renais- sance in Deutschland (Abb. 236). Der achteckige Aufbau, der sich in mehreren Stockwerken pyramidal verjüngt, bildet in der Komposition und den Detailformen einen interessanten Beweis für die damalige künstlerische Gärung, die mit den noch unverstandenen Einzelheiten des neuen Stils gotische, ja selbst romanische Elemente zu mischen sucht. Ähnliches, aber feiner und geistreicher, am Sebaldus- grabe Peter Vischers. In Freudenstadt sind die beiden Türme der Kirche mittelalterlich angelegt, und selbst der Übergang aus dem Viereck ins Achteck bietet kein neues Element. Auch die Galerie, welche diesen Teil abschließt, be- steht aus gotischem Maßwerke. Dagegen gehört der obere Aufsatz mit seinem Kuppeldach und der darüber aufsteigenden Laterne zu den charakteristischen Formen, welche der neue Stil in Nachahmung der italienischen Kuppelbauten bei den meisten Türmen der Zeit, kirchlichen wie profanen, einführt. Eine Aus- nahme ist es fortan, wenn statt dessen eine schlanke Spitze noch auftritt, wie sie mit elastischer Einziehung sich an der Kirche zu Cannstatt findet (Abb. 234). Eine der besten Schöpfungen des Turmbaues hat die deutsche Renaissance an der Universitätskirche zu Würzburg aufzuweisen. Nur die Rose über dem Portal und das hohe Rundbogenfenster zeigen gotisches Maßwerk; alles andere hat den energisch und klar entwickelten Renaissancestil, der sich hier in schönen Verhältnissen darstellt. Damit steht das gesamte Äußere der Kirche in Über- einstimmung, denn an den Langseiten sind die Strebepfeiler zu gewaltigen dorischen Pilastern umgebildet, während die übrigen Kirchen den mittelalterlichen Strebepfeiler unverändert zeigen. In Würzburg hat offenbar ein genialer Archi- tekt beide Stile mit hoher Freiheit für seine Zwecke verwertet. In der Marien- kirche zu Wolfenbüttel (Abb. 155) hsit Paul Franke die gotische Hallenkirche einfach in Renaissance übersetzt. Der vollständige Bruch mit dem Mittelalter vollzieht sich dann an der Michaelshofkirche in München, die seit 1583 für die Jesuiten erbaut wurde. Hier ist nirgends mehr eine Spur von gotischer Über- lieferung. Das Innere ein kolossaler einschiffiger Raum mit Kapellenreihen, darüber Emporen an den Seiten; der Chor etwas eingezogen, im Halbkreis ge- schlossen; das Ganze von einem einzigen gewaltigen Tonnengewölbe bedeckt, mit feinen Stukkaturen in italienischer Weise; die Fassade ein gigantischer Hoch- bau, etwas nüchtern, aber doch wirksam gegliedert. Einen ähnlich gewaltigen Bau, ebenfalls mit kolossalem Tonnengewölbe, errichtet dann der Protestantismus in der seit 1627 aufgeführten Dreifaltigkeitskirche zu Regensburg. In der späteren Zeit des 17. Jahrhunderts bewegt sich der Kirchenbau ganz in den Spuren der Italiener. Schon die Schloßkapelle in der Residenz zu München mit ihren reichen Stukkaturen gehört dahin.

Die innere Ausstattung dieser Kirchen setzte alle künstlerischen Kräfte in Bewegung. Was z. B. an kunstreichen Eisengittern gearbeitet wurde, haben wir schon im dritten Kapitel erörtert. Auch die prächtigen Grabmäler der Zeit sind

Kirchenausstattung 207

oben gewürdigt worden. Nicht geringen Anteil hatte sodann die Holzschnitzerei zu- nächst bei der Herstellung von Ghorstühlen, wie wir ebenfalls schon gezeigt. Eins der schönsten Beispiele dieser Art aus der Spitalkirche zu Ulm bringen wir in Abb. 247. Nicht minder reich wurden besonders die Altäre ausgestattet. Sie

Abb. 155 Inneres der Marienkirche zu WoHenbüttel (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

blieben zunächst noch größtenteils in den Händen der Holzschnitzer, und in ihre rein mittelalterliche Gestalt mischen sich nur langsam die Formen der jungen Renaissance. So am reizenden Altar der Rochuskapelle zu Nürnberg oder dem Johannisaltar zu Galcar. Auch der prächtige in der Frauenkirche zu Ingolstadt

208

1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Eenaissance

ist noch ein Schrein mit gotisierendem Aufsatz, übrigens sonst in reinster, pracht- voller Renaissance. Des schönen marmornen Hochaltars zu Annaberg ist schon gedacht; auch er hat noch mittelalterUchen Aufbau. Gegen Ende des

16. Jahrhunderts wurde aber ihr Hauptstück nach dem Vorgange ItaKens in der Regel dem Maler übertragen. Dieser hatte das große Altarbild zu fertigen, das den Mittelpunkt des ganzen Aufbaues ausmachte. Dieses wurde dann mit reichem, geschnitztem Rahmen umgeben, und das Ganze als selbständiges Gebäude mit den üblichen Formen einer meist ins Barocke gewendeten klassischen Architektur umkleidet. Über einer Predella erhebt sich mindestens in zwei Stockwerken das Ganze in prunkvollster Weise, mit abgebrochenen Giebeln, Voluten und dergleichen ausgestattet, auf allen Gesimsen, Vorsprüngen und Giebeln mit stehenden, hocken- den, rutschenden und schwebenden Heiligen und Engeln überfüllt. Die Phanta- sien eines Dietterlein und seiner Sinnesverwandten kommen nirgends so zum Ausdruck wie in diesen Werken, in welchen seit 1600 der vom Jesuitengeist ge- leitete Neokatholizismus der Zeit seine volle Janitscharenmusik aufspielen läßt. Bisweilen kommt die Holzschnitzerei auch in den Hauptdarstellungen noch zur Anwendung, wie in dem Hochaltar des Münsters zu Überlingen und dem dritten Altar des rechten Seitenschiffes daselbst, beide aus dem Anfang des

17. Jahrhunderts. (Detail davon in Abb. 129.) Ein weiteres Eingehen auf die zahlreich noch vorhandenen derartigen Werke dürfen wir uns sparen. In der Regel ist reiche Polychromie, bisweilen auch wohl Vergoldung anf weißem Grunde dabei angewandt.

Von Tabernakeln oder Sakramentshäuschen der Zeit nenne ich das prächtige in der Kirche zu Weilderstadt und ein kleineres in der Kirche zu Überlingen vom Jahre 1613.

Über Studien und Stellung der damaligen Architekten liegen uns nur spärliche Notizen vor. Daß bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts die mittel- alterlichen Zustände auch hierin noch vorwalteten, haben wir schon berührt. Es waren schlichte handwerkliche Meister, die ihrer Lebensstellung und ihrem Bildungsgrade nach sich nirgends über die Schranken der hergebrachten An- schauung erhoben. Solche einfache Steinmetzen haben die Theoretiker der Zeit, hat namentlich Rivius in seinen Büchern vor Augen. Die Art, wie er den Kom- mentar Gesarianos umgestaltet, sowohl in dem, was er aufnimmt, als in dem, was er fortläßt, spricht deutlich dafür. Wie vornehme Künstler erscheinen da- gegen die gleichzeitigen ItaHener, voll höherer Bildung und voll stolzen Bewußt- seins derselben. In Frankreich beginnt um 1540 die Tätigkeit einer Reihe großer Architekten, eines Pierre Lescot, Philibert de I'Orme, Jean Bullant, die in Italien ihre Studien gemacht hatten und diese im Dienst eines glänzenden Hofes an Werken zum Teil ersten Ranges verwerteten. Etwas Ähnliches finden wir in Deutschland nicht. Die Werke aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fangen zwar allmählich an, sich klassischer zu gestalten; aber erst gegen den Ausgang der Epoche, etwa seit 1580, trifft man unter ihnen solche, die auf Studien in Italien deuten. Und auch dann gibt es daneben noch viele, in welchen die ältere naive Weise der Komposition und Formgebung ungestört fortbesteht.

In der Tat scheinen die damaligen deutschen Meister nur ausnahmsweise Studienreisen nach Itahen unternommen zu haben. Ihre Kenntnis der antiken Architektur schöpften sie ohne Zweifel zumeist aus den zahlreichen theoretischen Schriften, unter welchen die Bücher von Rivius einen hervorragenden Platz ein- genommen zu haben scheinen, sowie aus den zahllosen Einzelblättern in Kupfer- stich und Holzschnitt, die seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts die Kenntnis der neuen Formenwelt in die Werkstätten trugen, von den Ornamenten und Säulen des Sebald Beham und seiner Zeitgenossen an. Nur so erklärt sich deren große

Studien der Architektur

209

Verbreitung durch stets wiederholte Auflagen und Abdrücke. Die auf solche Weise gewonnene gelehrte Bildung gab dann den Architekten ein höheres Selbst- gefühl, das sich gegenüber denen, welche in schlichter hergebrachter Manier ver- harrten, an manchen Stellen in der Literatur der Zeit Luft gemacht hat. Wir sahen schon, wie sich der ehrsame Tischler Rutger Kaßmann stolz als „vitruvia- nischen Architekten" ankündigt, i) Auch die französische Kunst wirkte, haupt- sächlich auf solchen Wegen, hie und da auf die deutsche ein. So finden wir mehrfach die Spuren Du Gerceaus, wie denn bei Johann Bussemacher (Büchsen- macher) in Köln eine Sammlung römischer Ruinen erschien, in deren Vorrede der Herausgeber sagt, er habe „wie der Jacobus" getan und diese Sachen veröffent- licht, damit „in unseren Landen wir's ebenso wohl hätten als die Walen und Franzosen durch des Jacobi Vorsichtigkeit". Im Dienst der Fürsten gewannen denn auch die so gebildeten Architekten eine angesehenere Lebensstellung. Schickhardt trafen wir als Begleiter seines fürstlichen Herrn Herzogs Friedrich von Württemberg auf einer italienischen Reise.') Er war indes, wie wir aus seinen eigenen Aufzeichnungen wissen, schon vorher längere Zeit in Italien ge- wesen ; auch darf man seine Bekanntschaft mit Giovanni da Bologna wahrschein- Hch auf eine frühere persönhche Begegnung zurückführen.

Schickhardts Nachlaß, jetzt in der öffentlichen Bibliothek zu Stuttgart'), gibt uns übrigens einige Anhaltspunkte für Art und Umfang der Studien eines damaligen deutschen Baumeisters. Außer zwei itahenischen Reisen, von welchen seine Tagebücher samt zahlreichen Zeichnungen vorliegen, machte er später eine solche durch Lothringen und Burgund. Was ihn auf diesen Reisen besonders fesselt, ist nicht bloß die Anlage und Kunstform der Paläste, sondern auch alles, was er irgend von technischen und mechanischen Dingen beobachten kann' namenthch der Wasserbau in Anlagen von Mühlen und Schleusen, endhch die Gärten mit ihren Springbrunnen, Grotten und Wasserkünsten, denen er im Sinne seiner Zeit eine besondere Aufmerksamkeit widmet. Über den Um- fang seiner literarischen Kenntnisse erhalten wir durch das handschriftliche, von ihm selbst aufgesetzte Verzeichnis seiner Bücher und Kunstsachen schätzbaren Aufschluß. Wir finden ihn im Besitz einer für jene Zeit höchst ansehnhchen ' Büchersammlung, in welcher nichts fehlt, was sich auf seine Kunst in dem weiten Umfange, in welchem man dieselbe damals verstand und betrieb, irgend bezieht. Die Lehrbücher eines Vitruv, Serlio, Palladio, Philibert de l'Orme, Du Gerceau, Rivius sind in seinem Besitz, und bis auf seinen „heben und guten Freund" Dietterlein hat er alles neu Erschienene sich zu verschaffen gewußt. Doch darüber ist später im Zusammenhang mit den Werken des Meisters aus- führlicher zu reden.

Im ganzen waren also die Baumeister stark auf literarische Quellen für das Studium der antiken Kunst angewiesen. Rivius spricht freilich nicht mit großer Achtung von solchen, welche in ihren Kasten „allerlei Kunst" besäßen und sich derselben dann in ihren eigenen Werken bedienten.^) Diese Art zu produzieren war also schon damals nicht unbekannt. Ein interessantes Beispiel, in welcher Weise man sich solche Sammlungen anlegte, bietet ein Buch im größten Folio, vom Nürnberger Stadtbaumeister Wolfgang Jacob Stromer her- rührend, jetzt im Besitze des Bürgermeisters v. Stromer in Nürnberg. Es be- ginnt ganz systematisch mit einem Plane und einer Ansicht der Stadt; dann

1) Oben S. 166.

2) Oben S. 44.

3j Handschriften und Handzeichnungen des Herz, württemb. Baumeisters Heinrich Schick- hardt, hrsg. V. Dr. Wilh. Heyd, Stuttgart 1902. 4) Oben S. 165.

Lübke-Haupt, Eeiiaissance in Deutschland I 3. Aufl. 14

210

1. Buch V. Kapitel Gesamtbild der deutschen Kenaissaiice

folgen Brunnen, Brücken, Entwürfe zur Fleischbrücke, darunter ein sehr schöner mit gotischem Maßwerkgeländer und einer Renaissancesäule in der Mitte mit Figur der Justitia. Brücken von Bamberg, Regensburg, Dresden (diese mit An- sicht des alten Schlosses) sind hinzugefügt zum Zeichen der Vielseitigkeit dieser Studien. Dann folgen mehrere Kastelle, darunter das von Florenz, bezeichnet mit 1551; mehrere dieser Zeichnungen rühren von Caspar Sckwahe, „churfürst- lichem Baumeister in Heidenheira" 1592, her. Überhaupt tragen die Blätter das Gepräge und oft auch das Monogramm verschiedener Künstler. Eine Ansicht des römischen Kapitols von Michelangelo ist eine Kopie des 1569 von Duperac gestochenen Blattes. Sodann allerlei Maschinen, namentUch Wasserräder und Pumpwerke, sowie die kompliziertesten geometrischen Figuren, wie man sie da- mals liebte. Wertvoller für uns ist eine Anzahl reicher Fassaden-Entwürfe, mit allen Kunstmitteln der Zeit ausgestattet, darunter einer mit breiten dreiteiligen Fenstern, dem späteren Rathaus in Zürich nicht unähnlich; aber weit reicher in den Formen. Merkwürdig sodann ist eine prächtige Zeichnung des neuen Lust- hauses in Stuttgart, und zwar ein vortrefflich bis in die Einzelheiten der groß- artigen Dachkonstruktion durchgeführter Querschnitt. Das Gebäude war eben vollendet worden und muß weithin Aufsehen gemacht haben. Endlich sind noch mehrere reichentwickelte Brunnen und das Geländer aus dem Rathaussaal zu Rothenburg aufgenommen. Ein zweites Muster der Art ist das sogenannte Wetz- larer Skizzenbuch, das Baumeister Ebel dort auffand, und das eine Zeichnung enthält, die als Giebel des Otto-Heinrichs-Baus zu Heidelberg bezeichnet ist. Im übrigen ist der Inhalt des Buches ein ähnUcher: Kopien nach Plänen von allerlei Bauwerken, aus Büchern und besonders interessante Baukonstruktionen. (Jetzt im Besitz von Marc Rosenberg in Karlsruhe.)

Man sieht also, wie die damaligen Architekten sich Mühe gaben, über die wichtigsten gleichzeitig aufgeführten Bauten sich Kenntnis zu verschaffen und für ihre Studienbücher die Zeichnungen davon auch aus Büchern zu kopieren. Denn wohl die wenigsten vermochten die teuren Originalwerke selber zu erkaufen. Daß sie gelegentlich dann das so Gesammelte in ihren eigenen Arbeiten benutzten, kann nicht wundernehmen. Wie weit solche Übertragungen reichten, beweist ein Portal in Dan zig, welches nach Bergaus Versicherung eine genaue Wiederholung des Portals vom Kanzleigebäude in Überlingen (Abb. 109) ist.

Dieses in knappen Zügen entworfene Bild der deutschen Renaissance enthält im wesentlichen die Grundlinien, die durch die Einzelbetrachtung der Denkmäler selber ihre Ergänzung gewinnen werden. Bei richtiger Würdi- gung des Ganzen, das wir überbKcken, müssen wir bald erkennen, daß man es mit°einer bedeutsamen kunsthistorischen Erscheinung zu tun hat. Vergessen wir nicht, daß trotz mancherlei Schwächen wir hier zum ersten Male eine Ver- schmelzung des germanischen und antiken Kunstgeistes haben, die zu Anfang des Jahrhunderts in den Meisterwerken unserer großen Maler hervortritt und in den architektonischen Schöpfungen dann zum unmittelbaren Ausdruck des gesamten Lebens wird. Und ferner: jene Bauten zeigen das gesamte Kunst- handwerk auf seiner Höhe, im Wetteifer bemüht, das Innere und Äußere har- monisch auszustatten und den Räumen den Reiz häusHchen Behagens zu geben. Der Schmied und Schlosser mit seinen kunstreichen Gittern, Türbeschlägen und mannigfachen kleineren Werken, der Schreiner mit seinen geschnitzten und eingelegten Schränken, Truhen, Tischen, Kredenzen und Sesseln, mit den dunklen Täfelungen der Wände und dem reichen Schnitzwerk der Decken, der Hafner mit farbenreichen Öfen und Fliesen, mit bildwerkgeschmückten Geräten, Krügen und Pokalen, der Goldschmied und der Zinngießer mit ihren zahl- reichen blitzenden Gefäßen zum Prunk und zum täglichen Gebrauch, endUch der

Wert und Bedeutung des Stils

211

Teppichwirker, Maler, Glaser, Stukkator und Bildhauer, sie alle wetteiferten, jenen unvergleichlichen Gesamteindruck künstlerisch geadelten häusUchen Be- hagens hervorzubringen.

Noch um 1600 pulst es in der deutschen Renaissance vom üppigsten Leben und von jener kraftvollen Originalität, die in so unbekümmert naiver Art kaum irgendwo noch vorkommt.

Wenn wir an die allgemeinen Grundzüge, die wir gegeben haben, nun aber die genauere Betrachtung der Einzelwerke fügen wollen, so läßt sich das eigen- tümhcherweise nicht etwa in einer rein geschichtlichen Aufreihung tun, wie das für ItaUen nicht nur möglich, sondern sogar geboten erscheint.

Deutschland zerfiel von jeher in so stark getrennte große und kleine Stämme und Länder, deren Individualitäten sich auf das nachdrücklichste voneinander scheiden, deren Entwicklung und Geschichte aber auch ganz verschiedenen Ein- flüssen unterlag, daß es nur möglich ist, seiner Renaissance wirklich einiger- maßen gerecht zu werden, wenn man sie in dieser durch Natur, Geschichte und Volksart gegebenen Einteilung nach örtlichen, oft ganz getrennten Gruppen behandelt.

Abb. 156 Rathausportal zu Basel vom Jahre 1539

ZWEITES BUCH Die Bauwerke

Sechstes Kapitel

Die deutsche Schweiz

Mit dem Anfang des 16. Jahrhunderts beginnt für die Schweiz die Zeit der höchsten Macht und Blüte. Der glückliche Ausgang des Schwabenkrieges (1499) hatte ihre politische Unabhängigkeit besiegelt, und der letzte Versuch, mit Übermacht die freien Kantone wieder unter die Oberherrschaft Habsburgs zu beugen, war mit vereinten Kräften glänzend zurückgeschlagen worden. Die damaligen Schweizer standen als die ersten Kriegshelden der Welt allgemein angestaunt und bewundert da, und zwei Jahrhunderte lang unternahm es keine auswärtige Macht, die Unabhängigkeit der Schweiz anzutasten, bis sie dem frivolen Angriff der ersten französischen Republik und ihrer plündernden Horden vorübergehend erlag. Zwar hatte die Reformation eine Entzweiung mit sich gebracht, die selbst zu kriegerischen Ausbrüchen führte. Allein der Friede kehrte bald zurück, und selbst während des Dreißigjährigen Krieges wußte die Schweiz den Brand, der ganz Deutschland verheerte, von ihren Grenzen fernzuhalten.

Infolge dieser günstigen Lage entfaltete sich das Kulturleben der Schweiz zu einer Blüte, die in den damaligen Tagen kaum ihresgleichen fand. Schon nach den Burgunderkriegen bemerkten scharfsichtige Beobachter eine Zunahme des Luxus, durch den die alte Einfachheit der Sitten immer mehr verdrängt wurde. Reiche Kriegsbeute kam in der folgenden Zeit hinzu, besonders aber flössen häufig Subsidiengelder für geleisteten Zuzug ins Land, was freilich von ernsten

Allgemeine Verhältnisse

213

Zeitgenossen beklagt und scharf getadelt wurde. Sogar in mancher Inschrift auf den gemalten Öfen erfährt diese Unsitte eine Rüge. Eine gediegenere Grundlage ihres Wohlstandes gewann die Schweiz infolge des langen Friedens durch den Aufschwung, den Handel und Ge- werbe nahmen. Ein starker Verkehr mit Italien fand noch immer statt; der Leinewandhandel St. Gallens blühte; im Seidengewerbe hat Zürich selbst den ober- itahenischen Städten lebhaften Wettbewerb bereitetT'Be^ sonders aber gewann die Schweiz als Durchgangsgebiet der italienischen Waren nach den nördlichen und west- lichen Ländern Erhebliches an Abgaben und Zöllen, i) Mit vollem Eifer wandte man nun im Sinne der Zeit das Erworbene auf behagliche, reiche, ja oft glänzende Ausstattung des gesamten Lebens, und die Kunst, aus dem Dienste der Kirche großenteils entlassen, gibt sich mit voller Kraft der inneren Durchbildung des Wohn- hauses und der öffentUchen städtischen Gebäude hin. In der Schweiz kommt infolge der politischen und sozialen Verhältnisse die Kunst dieser Zeit zum ersten- mal zu einer rein bürgerlichen Stellung. Sie baut und schmückt das städtische Rathaus, die Schützensäle und die Zunftstuben, das Wohnhaus des reichen Bürgers und des wohlhabenden Landmannes. Von dem prächtigen Eindruck der damaligen Schweizerstädte gibt Michel de Montaigne eine lebendige Schilderung. Er rühmt die breiten Straßen, die ansehnlichen, mit Brunnen geschmück- ten Plätze.^) Die Städte seien schöner als die fran- zösischen, die Fassaden der Häuser mit Gemälden be- deckt, das Innere der Wohnungen durch Glasgemälde, prachtvolle Öfen und glasierte Fußböden ausgezeichnet.^) Auch die trefflichen Eisenarbeiten sind ihm nicht ent- gangen.

Obwohl im einzelnen auch hier noch sehr lange an mittelalterlichen Formen festgehalten wird, gotische Portale und andere Einzelheiten selbst noch im 17. Jahr- hundert vorkommen, z. B. an mehreren Privathäusern in Luzern*) und am Gemeindehause zu Näfels, tritt doch die Renaissance hier so früh auf, wie kaum in den eigenthch deutschen Gebieten. Nicht bloß die nahen und häufigen Berührungen mit Italien führten dazu, son- dern auch das Wirken bahnbrechender Künstler, wie des Urs Graf, Hans Holbein, Niklas Manuel, die gerade hier zuerst dem neuen Stil Bahn brachen. Zunächst hat dieser dann in den bemalten Fassaden der Häuser monu- mentale Ausprägung gefunden. Die Sitte der gemalten

1) über diese Verhältnisse vgl. die treffliche Schweizer Chronik von Joh. Stumpff. Zürich, 1548. fol.

2) M. de Montaigne, Journal de voyage I, p. 44.

3) Ebenda I, p. 35.

4) Lübke, Gesch. der Architektur, 6. Aufl. II. S. 174. Man findet Datierungen von 1618 und 1624.

Abb. 157 Spahlentorbrunnen zu Basel

214

2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Basel und die Westschweiz

Fassaden ist besonders für die Schweiz charakteristisch. Daneben erhielt sich auf dem Lande der ebenso eigentüm- liche nationale Holzstil. Stei- nerne Renaissancebauten da- gegen kommen erst spät vor und bleiben auch dann ziem- lich vereinzelt. Dafür erhält sich aber in der Schweiz bei dem echt deutschen konser- vativen Sinn des Volkes die Renaissance in ihren stren- geren Formen bis tief ins 17. Jahrhundert hinein, so daß wir hier über die uns sonst gesteckte Zeitgrenze beträcht- lich hinausgreifen müssen. Den größten Wert haben die Renaissancebauten der Schweiz übrigens weniger durch ihr Äußeres, als durch die Ausstattung des Innern, das durch reiche Holztäfelun- gen der Wände und Decken, schönes Mobiliar und andere

Ausstattungsgegenstände, Glasgemälde und gemalte Öfen oft von hervorragender künstlerischer Wirkung ist. Über diese Teile der Aus- stattung haben wir oben be- reits eingehender gehandelt. ^)

Basel und die Westschweiz

Den Anfang machen wir mit Basel.^) Von hier scheint der neue Stil sich zuerst über die benachbarten Gegenden verbreitet zu haben. Das rege wissenschaftliche Leben der Stadt, deren Universität, 1459 gegründet, bedeu- tende Gelehrte an sich zog und allein schon durch die Anwesenheit des Eras- mus weithin wirkte, sodann die daraus hervorgehende umfassende literarische und buchhändlerische Tätigkeit, die im Sinne der Zeit auch die bildende

Abb. 158 Gelten-Zunfthaus zu Basel ij/^

1) Den Nachweis der im Nachfolgenden gegen früher hervortretenden erheblichen Ergänzungen und Einfügungen schuldet der Herausgeber dankbarst zu erheblichem Teil der freundlichen Beihilfe des Herrn Professors Dr. J. Zemp in Zürich. So ist zu hoffen , daß Bedeutsames auf unserem Gebiete in der Schweiz kaum mehr fehlen dürfte.

2) Vgl. W. Bubeck in Ortweins D. Een. Lief. 35 ff. Dazu die Kunst im Hause ; Abb. aus der mittelalterl. Samml. in Basel, gez. von Bubeck, herausgeg. von Prof. M. Heyne, Basel 1880.

Abb. 159 Fassade des Spießhofes zu Basel (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

216

2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Basel und die Westschweiz

Kunst zur Illustration reichlich heranzog, das alles machte Basel im Anfang des 16. Jahrhunderts zum Mittelpunkte wissenschaftlichen und künstlerischen Lebens in der Schweiz. Während aber im Holzschnitt, in der Glasmalerei und selbst in den Fresken der Fassaden die Renaissance rasch zur Entfaltung kam, bleibt

die Architektur noch längere Zeit der Gotik treu. Das von 1508—21 errichtete Rat- haus ist noch völlig gotisch; dagegen haben die Glasge- mälde im Ratsaal mit den Jahreszahlen 1519 und 1520 durchgehends Renaissance- formen. Die Entwürfe der Glasbilder weisen zum Teil auf Hans Holbein, Urs Graf und Niklas Manuel hin. ^) Auch die Wandgemälde, mit denen Holbein damals den Saal schmückte, waren völhg im Charakter der italieni- schen Kunst. Die einfachen Formen der Frührenaissance treten sodann zuerst an zwei Portalen im Innern auf. Das größere vom Jahre 1539^) öffnet sich im Rundbogen, der ohne Kämpfergesims auf- steigt, eingerahmt von Pi- lastern und Halbpilastern mit Rahmenprofil und hübschen korinthisierenden Kapitellen (Abb. 156). Über dem le- bendig gegliederten Fries er- hebt sich ein Bogenfeld mit dem vom Löwen gehaltenen Baseler Wappen. Eine letzte Erinnerung an das Mittel- alter sind die beiden Dra- in der Zeit der Spätrenais- Erneuerunff seiner inneren

Abb. IGO Täfelung aus dem Spießhof zu Basel

chen oder Basilisken, die das Bogengesims krönen, sance erfuhr sodann das Rathaus teilweise eine Ausstattung; von damals stammt die treffliche Wandtäfelung im Ehegerichts- saale''): toskanische Pilaster mit Flachornamenten, wie sie auch die Bogenzwickel und Friese beleben. Ionische Kapitelle, auf grotesken Masken ruhend, unter- stützen in kräftiger Wirkung das Gebälk. Das ganze Werk bezeugt die Tüchtig- keit der Kunstschreiner jener Zeit. Das Portal ebendort nimmt die üppigeren Formen der späteren Zeit auf und läßt eine strengere Haltung vermissen. Im vorderen Ratsaale sieht man eine Holztäfelung von nicht minder tüchtiger Arbeit, 1616 von Meister Mathias Giger ausgeführt. Das Portal, vom Jahre 1595,

1) Über diese Glasgemälde vergleiche Lübkes kunsthistorische Studien. Stuttgart 1869. S. 428 flf.

2) Abb. in Ortwein, a. a. 0., Heft 35. Taf. 8.

3) Abb. in Ortwein, a. a. 0., Heft 36, 37. Taf. 15 und 16.

Basel: Brunnen

217

verrät ebenfalls in den geschweiften und umgekehrten abgebrochenen Giebeln den geänderten Geschmack, erfreut aber durch eine tüchtige Gesamtanlage, i)

Abb. 161 Iselinzimmer im Historischen Museum zu Basel

Eine Anzahl von öffentlichen Brunnen ist so ziemlich der einzige archi- tektonische Rest aus dem ersten Drittel des Jahrhunderts, der entschieden die Formen des neuen Stils zeigt; am schönsten der in der Spahlenvorstadt, durch elegante Form und zierliche Dekoration mustergültig (Abb. 157). Der untere Teil trägt die Spuren späterer Nachfügung; dann folgt ein Relieffries mit der derb humoristischen Darstellung eines Bauerntanzes. Die Gesamtform des schön geschwungenen Schaftes mit seinen kräftigen Gliederungen und seinem feinen Schmuck gehört zu den glücklichsten. Sie trägt übrigens den Stempel der Frühzeit Peter Flettners im Detail in so hervorragendem Maße, daß die Kom- positen dieser Brunnensäule ihm zugeschrieben werden darf. Das gewinnt noch an Wahrscheinlichkeit durch die Art des nachher zu besprechenden Rebhaus- brunnens. Auf dem frei komponierten korinthischen Kapitell steht die charakte- ristische Figur des Dudelsackpfeifers nach Dürer. Aus derselben Frühzeit stammt offenbar der Brunnen beim Reh haus, am Unterbau mit Figuren musizierender Frauen in Nischen geschmückt, während die eigentliche Säule in frei geschwungenem Umriß behandelt und mit leichten Blumengewinden geziert ist. ^) Die Frauen- gestalten in den Nischen stammen wieder von F. Flettner, sie kommen wenigstens genau so auf einer Folge von Bleiplaketten des Künstlers vor. Damit ist keineswegs gesagt, daß die Reliefs nach diesen kopiert sein müssen, vielmehr macht der Brunnen den Eindruck, als ob er älter sei, als die aus den letzten Lebensjahren

1) Abb. in Ortwein, a. a. 0., Tafel 13 und 14.

2) Ebenda, Tafel 7.

218

2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Basel und die Westschweiz

Flettners stammenden Bleitäf eichen. In diesem Falle hätte man eine direkte Ein- wirkung Flettners auf diesen Brunnen festzustellen, die durch die echt Flettner- schen Formen des anderen Brunnens um so wahrscheinlicher gemacht wird. Was sonst noch in Basel von Werken unserer Epoche bemerkenswert ist, gehört der Zeit der Entwicklung an und zeigt durchweg eine strengere und reinere Auffassung

Abb. 162 Chorstülile aus Kloster Wcttingeu

der Antike, als sie gleichzeitig in Deutschland zu finden ist, etwa der Richtung Palladios entsprechend. So zunächst das Gelten-Zunf thau s, an dessen Fassade man die Jahreszahl MDLXXVIII liest (Abb. 158).^) Die Fassade wird durch toskanisch-dorische Halbsäulen im Erdgeschoß, kannelierte ionische und korin- thische Pilaster in den oberen Stockwerken in vier aufrechte Felder zerlegt. Die Halbsäulen des Erdgeschosses stehen, wie öfter bei Palladio, mit ihren niedrigen Untersätzen unmittelbar auf dem Boden. Die dreigeteilten, durch ionische Pilaster

1) Abb. in Ortwein, a. a. 0. Taf. 11 und 12 und bei Fritsch, Baudenkm. der Deutschen Renaissance.

Basel: Geltenzunft Spießhof

219

gegliederten Fenster des Hauptgeschosses geben einen Anklang an mittelalterliche Fassaden mit ihren reichen Fensterdurchbrechungen. Die oberen Fenster mit ihren Kreuzstäben zeigen ebenfalls einen mittelalterlichen Gedanken, in moderne Formsprache übersetzt. Obwohl die Teilung der Flächen im Hauptgeschoß etwas weit geht, gehört doch das Ganze zu den originellsten und besten Erfindungen der Zeit. Das Detail ist freilich etwas trocken und schematisch, besonders sind die korinthischen Pilaster von geringer Bildung ; dafür aber sind barocke Elemente vermieden, ist die Komposition und Linienführung überhaupt eine sehr saubere.

Aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts stammt sodann die Fassade des Spießhofes (Abb. 159). Im Erdgeschoß öffnen sich drei große Bögen auf Pfeilern mit zwischen- gestellten toskanischen Halbsäulen. In den obe- ren Stockwerken findet eine doppelte Teilung durch kannelierte Halb- säulen statt, in beiden Geschossen mit ionischen Kapitellen. Dazwischen die dreiteiligen Fenster, durch ionische Pfeiler gegliedert, die mittlere breitere Öffnung nach einem palladianischen Motiv im Halbkreis ge- schlossen. Die Niedrig- keit der Stockwerke, eine besondere Eigentümlich- keit der Schweiz, läßt die im übrigen trefflich komponierte Fassade ein wenig gedrückt erschei- nen. Etwas Gesuchtes er- halten indes die Verhält- nisse durch das oberste Geschoß mit seinen ko- lossalen, weit vorsprin- genden, nicht, wie es den Anschein hat, in Holz, sondern in Stein konstruierten Konsolen. Immerhin ist der Eindruck gerade des Obergeschosses ein höchst eigenartiger, ja imposanter. In der Komposition sollte offenbar eine noch weiter- gehende Vertikalgliederung vermieden werden, indem das ganze letzte Geschoß sich zu einem riesigen Hauptgesimse gestalten und als Masse dem Erdgeschoß mit seinen großen Bogenhallen das Gleichgewicht halten sollte.^) Im Innern be- wahrt der erste Stock einen schönen getäfelten Saal mit kassettierter Holzdecke. Im zweiten Stock ein kleineres Zimmer^) mit noch reicherer Täfelung (Abb. 160),

Abb. 163 Basler Tor zu Solothurn

1) Abb. in Ortwein, a. a. 0. Tafel 1 und 2. Pritsch, a. a. 0.

2) Ebenda Tafel 3—6.

220

2. Bucli Die Bauwerke VI. Kapitel Basel und die Westschweiz

eleganten eingelegten Ornamenten, bezeichnet 1601. Im Friese liest man hier den hübschen Spruch:

„Stark, mutig, fest bei Guter Saoli, Traw Gott, er hilft aus Ungemach. Gold, Silber, Edelstein vergehn, Zucht, Kunst und Tugent Ewig bstehn."

Ein Saal aus dem Spießhof von 1580, mit besonders schöner Felderdecke, ist im Historischen Museum. Ein schön getäfeltes Zimmer vom Jahre 1607, nach seinem Besteller das „Iselinzimmer" genannt (Abb. 161), daselbst, befand sich

früher im sogenannten Bären- felser Hof. Die Wände mit toskanischen Säulen gegliedert, die Türen mit korinthischen Säulen eingefaßt, i) Um die- selbe Zeit, als die Kunstschrei- ner in Basel so glänzende, zum Teil üppige Werke her- vorbrachten, blieb die Stein- arbeit meistens, wie wir ge- sehen, einer strengeren, ein- facheren, mehr klassischen Be- handlung treu. Nur das elegant ausgeführte Portal des Hauses zum Schwarzen Rad vom Jahre 1615 mit seinen reichge- schmückten Pilastern läßt eine ähnhche, mehr dekorative Rich- tung erkennen.^) Von den zur Renaissancezeit in der Schweiz so beliebten gemalten Schei- ben, die man als Kabinett- stücke der Glasmalerei bezeich- nen kann, befinden sich mehrere aus der besten Zeit des 16. Jahr- hunderts in Privatbesitz, an- dere im Historischen Museum der Stadt.

Endlich ist von den zahl- reichen, in den verschiedenen Kirchen noch vorhandenen Grabdenkmälern zu reden. In der großen Mehr- zahl gehören sie den späteren Epochen an, doch mögen die zierHche Hubersche Grabtafel vom Jahre 1550 in der Martinskirche, das Welzersche Epitaph im Kreuzgang des Münsters vom Jahre 1586 wegen seiner schönen Komposition und geschmackvollen Ausführung, das einfachere, aber originelle an einem Pfeiler im Münster vom Jahre 1583 Erwähnung finden.

Im Kanton Aargau ist außer einigen Wappenschnitzereien von 1520 sehr frühen Charakters im Rathause zu Aar au das altberühmte Kloster Wettingen zu erwähnen, dessen Kreuzgang mit einer großen Reihe prächtiger Glasmalereien des 16. und 17. Jahrhunderts prangt, dessen Kirche eines der prachtvollsten Ge-

1) Ortwein, Taf. 22 und 23.

2) Abb. in Ortwein, a. a. 0. Taf. 10, 20 und 30. Dazu die Eeisestudie der Stuttgarter Bauschule Taf. 65.

Abb. lü-l: Die „Hallen- zu Keuenburj

Solothurn Biel

221

Stühle besitzt, die in der Schweiz vorhanden sind; freihch stark itaUenisch und offenbar bereits dem 17. Jahrhundert zuzuweisen^) (Abb. 162).

Die Stadt Solothurn besitzt an dem Erweiterungsbau ihres älteren un- bedeutenden Rathauses, der im Anfange des 17. Jahrhunderts erfolgt sein muß, ein hübsches Werk der Renaissance ; ein stattlicher viereckiger Treppenturm mit Plattform, mit einem schönen Säulenportal über einer ansehnlichen Freitreppe ist von zwei niedrigeren Pavillons mit Zwiebeldach flankiert, die in drei Stock- werken an den Ecken mit gekröpften Pilastern stattlich ausgebildet sind. Die schöne Durchführung in gediegenem Qua- derbau und die reiz- volle Gruppe stempeln das Ganze zu einer bemerkenswerten Lei- stung.

Die prachtvollen runden Befestigungs- türme aus dicken Rustikaquadern des 16. Jahrhunderts, ins- besondere das reiz- volle dreitürmige Bas- ler Tor (Abb. 163), gehören mit zu den schönsten Werken die- ser Art in der Schweiz. Die Straßen der Stadt sind zum Teil hoch- malerisch, insbeson- dere besitzt die Haupt- straße eine reizende Gruppe zwischen zwei Straßen, die an den Ecken durch kräftige achteckige Erker an gut bürgerlichen Re- naissancehäusern ein- gefaßt ist. Zahlreiche hübsche Säulenbrun- nen schmücken die

Straßen; von ihnen seien der reich gezierte mit der Statue des heiligen Mauritius und der Ursusbrunnen am Markt erwähnt, sowie der prächtige am Börsenplatze mit der Gruppe von St. Georg mit dem Drachen, von 1543. Der schlanke Zeitglockenturm mit derbem Quaderunterbau, großem, reichbemaltem Zifferblatt unter vorspringendem Dach und höchst elegantem kupfernen Dach gibt ein Straßenbild von hohem Reiz.

Biel besitzt ebenfalls reizvolle malerische Partien aus dem 16. Jahrhundert; die hübsche Häusergruppe am Ring mit dem Künstlerheim, von zwei Erkern flankiert, mit Brunnen im Winkel, tiefen Bögen im Erdgeschoß, sei aufgeführt. Der Brunnen in der Obergasse aus der Frühzeit trägt die malerische Gruppe eines Engels, der die Seele vor dem Teufel schützt.

Abb. 165 Schloß Avenches

1) H. Lehmann, Das Chorgestühl der Kirche zu Wettingen.

222

2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Basel und die Westschweiz

Auch Neuenburg ist nicht arm an kleinen Renaissancearbeiten und zierlichen Häusern des 16. Jahrhunderts. Am Schlosse schöne Portale; besonders hübsch im unteren Teil der Stadt die „Hallen", eine Art Rathaus, von 1570 (Abb. 164). Die kleine Platzfront hat links einen achteckigen Treppenturm, rechts einen ebensolchen Erker, der über einem nachgeahmten Gewölbe ausgekragt ist. Ein reicher Ornamentfries umzieht als Brüstung des Obergeschosses das Ganze, das seinem alten Zwecke als Verkaufshalle gemäß im Erdgeschoß zahlreiche portalartige große Rundbogenöfifnungen besitzt. Prachtvolle Stadtwappen über zwei kleineren Portalen des Untergeschosses. Der Erker zeigt ein Gemisch von

gotischer und Renais- sance-Dekoration ; ein Konsolengesims läuft über das Ganze. Von ganz besonderem Reize und hoher Vollendung ist die dreistöckige kleine „maison Marval", die erst 1609 gebaut sein soll, aber offenbar noch in das frühere 16. Jahrhundert gehört. Ein feines Por- tal mit Oberlicht und Muschelgiebel im Erdge- schoß neben dem großen Korbbogen des alten Ladens, im Hauptgeschoß eine Fenstergruppe von sechs Öffnungen, da- neben ein schmales Fen- ster; darüber zwei breite, ein schmaler Muschel- giebel; oben ein vier- faches Fenster mit Kreuz, unterm Hauptgeschoß zwei Doppelfenster; ganz feine Gesimse, Ornament- Abb. Hiß Präfektur zu Freiburg i. s. friese. Die in besten

Quadern ausgeführte Fas- sade ist vielleicht die eleganteste und in sich harmonischeste in der Schweiz; sie gewinnt noch besonders durch die hübsche Lage an einem kleinen an- steigenden Platz, dessen Mitte wieder einer der vielen schönen Säulenbrunnen mit Ritter ziert.

Am Neuenburger See noch viele kleinere Orte mit malerischen Schloßbauten, so Golombier.

Avenches besitzt in seinem kleinen Schloß mit rundem Treppenturm, der, oben und unten achteckig, zwei runde Erker im ersten Geschoß mit dem Portal zur entzückendsten kleinen Gruppe vereinigt, die auf dem schönfenstrigen Baukörper des alten Hauptflügels sich prachtvoll abhebt (Abb. 165), ein Kleinod köstlichster Wirkung, erbaut 1565—70. Ein wohlerhaltener Teil der alten Schloß- befestigung mit Türmchen und Wehrgängen vollendet den reizvollen Eindruck, den leider ein neuer, vorgebauter Giebel und eine neue Schule dabei stark beeinträchtigt.

Freiburg Bern

223

Murten besitzt noch seine fast vollständig erhaltenen Befestigungen aus der frühen Renaissancezeit.

Freiburg, an der Grenze der deutschen Schweiz, hat in seinem alten Teile, der sich langsam zum Flusse hinabsenkt, mancherlei reizvolle Bauwerke, die jedoch noch bis ins 17. Jahrhundert im gotischen Formensinne gebildet sind. Das Rathaus des 17. Jahrhunderts mit gotischem achteckigen Turm, der eine malerische Kuppelhaube mit fünf Spitzen trägt, hat einen besonderen Schmuck in der zweiseitig ansteigenden, überdachten Freitreppe. Die nahe gelegene Präfektur (Abb. 166) stammt etwa von 1590, von durchgebildeter, doch etwas einförmiger Renaissance ihrer schönen zweigeschossigen Halle mit Turm. In der Stadt hie und da Renaissance-Schnitzerei, so schöne Friese am „Salmen". Der feinste Renaissanceschmuck der Stadt aber sind die vielen schö- nen Röhr-Brunnen, die der Bild- hauer Hans Gieng um 1548 für die zahlreichen kleinen Plätzchen der Stadt schuf. Ich nenne nur (nach der bekrönen- den Statue) den Simsonbrun- nen, den der Klugheit, den der Kraft (am Münster) und der Treue am tiefsten Punkte der Stadt, alle in achteckigen Becken; die zwei letzten von ganz besonderer Schönheit und malerischem Umriß, und wohl als frühesten den Samariter- brunnen mit der Gruppe Christi und der Samariterin (Abb. 167).

Im nahen Schlößchen zu Per olles eine feine Früh- renaissance-Holzdecke und eine hübsche Dekoration der Kapelle mit Terrakotten von 1525.

Die Bundeshauptstadt Bern entbehrt merkwürdigerweise ausgeprägter Renaissancebauwerke; nur die prächtige Anlage ihrer alten Straßen, insbesondere der Spital-, Markt- und Kramgasse mit ihren tiefen gewölbten Arkaden auf mächtigen Pfeilern, und die in gewaltiger Kehle als Hauptgesims abschließenden Fronten geben immer noch einen echten Renaissanceeindruck. Ein hübsches Haus im Charakter des in Sursee besprochenen findet sich in der Herrengasse, über einem mächtigen Rustikabogen drei Geschosse mit je zwei dreifachen Fenstern, die mit Giebel bekrönt und mit feinen Ornamenten eingefaßt sind.

Ein besonderer uralter Ruhm Berns sind seine zahlreichen Brunnen, wohl die schönsten der Schweiz. Da ist der prächtige Dudelsackpfeifer in der Spital- gasse (Abb. 168), der Zähringerbrunnen in der Kramgasse, bekrönt von einem im Harnisch steckenden Bären; der Schützenbrunnen in der Marktgasse (Abb. 169) mit stolzer Kriegerfigur und zielendem Bären (1528); der prachtvolle Kindlifresser am Kornhaus: die Gestalt eines kinderfressenden Ogers oben auf einer üppigen Säule mit reichstem Kapitell und Gehängen, unten von einem Zuge gewaffneter

Abb. 167 Samariterbi-uinien zu Freiburg i. S.

224 2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Basel und die Westschweiz

Bären umzogen. Ein Werk derben Volkshumors, doch von vollendeter künstleri- scher Ausführung.

Nicht vergessen wer- den sollen die beiden präch- tigen viereckigen Türme, die, noch von der ersten Stadtbefestigung stehen ge- blieben, heute den Haupt- straßenzug unterbrechen : der Käfigturm und der Zeit- glockenturm ; ersterer im 17., letzterer im 16. und 18. Jahrhundert zurechtge- staltet, beide von vollendet schönem Umriß, vor allem ihres Daches und des ober- sten Türmchens, der erstere in ernsten und schönen Re- naissanceformen mit kraft- vollem Pilasterportale und einiger Rustika (Abb. 169).

Das Hauptwerk der Renaissance jedoch und eines der frühesten wie glän- zendsten Leistungen seines Gebietes ist das wunder- volle Gestühl im Chor des Vinzenzmünsters (Abb. 170), das seit 1518/19 ausgeführt wurde, wo ein Meister Wern- hart von Solothurn das Holz dazu schneiden zu lassen

Abb. 168 Dudelsackpfeiferbrunncn zu Bern beauftragt war. Nilcolaus

Manuelhaiie 1517 das schöne Netzgewölbe des Chors mit seinem reichen Schmucke von (87) Brustbildern auf- führen lassen und nahm offenbar auch einigen Einfluß auf die Herstellung des 1524 vollendeten Gestühls. Der erste Meister war Jakob Bueß aus Bern, der- selbe sicher, der 1486 und 1491 den Hochaltar zu Ghur und den Ratsaal zu Überlingen geschnitzt hatte. Von 1522 an wird bei der Ausführung ein zweiter Meister, Heini Seewagen aus Bern, erwähnt. Der alte Gotiker Rueß mag noch während der Arbeit gestorben sein.

Das Gestühl ist von großer Pracht auch in der sehr charakteristischen Komposition. Um so mehr ist es unwahrscheinlich, daß ein ausgeprägter Gotiker es erdacht haben könnte.

Die Anordnung ist dabei so übereinstimmend mit dem des leider zerstörten, doch in Zeichnungen noch einigermaßen erhaltenen Gestühls der Fuggerkapelle zu Augsburg, das 1518 fertig war, daß wir an einen direkten Einfluß von dorther glauben müssen; ja, es liegt sehr nahe anzunehmen, daß der Erfinder des Augs- burger Gestühls, Peter Flettner, der um 1518 Augsburg verließ, in Bern das dortige Gestühl entworfen und an seiner Ausführung im Anfang teilgenommen

Bern: Chorgestühl im Münster

225

habe; und daß nach sei- nem Weggange Seeicagen an seine Stelle getreten sei. An einem anderen Ort 1) habe ich diese Zu- sammenhänge klarzu- legen gesucht.

Das Berner Gestühl besteht aus je zwei sich

gegenüberstehenden Stuhlreihen, deren Rück- wand sich hoch empor- hebt und durch Pilaster mit reichen Ornament- füllungen eingeteilt ist. Diese stehen auf Sockeln mit antiken Köpfen. Der ob ere kleinere Teil der Füllung enthält jedesmal auf der Epistelseite (Süd- teil) die Brustbilder von Propheten und einigen an- deren alttestamentlichen Größen, auf der Evange- lienseite Christi und der Apostel, immer im Rah- men eines perspektivisch vertieften Tonnengewöl- bes. Darüber eine pracht- volle Bekrönung von durchbrochenem Orna- ment mit je drei halbrun- den Wappen- und Orna- mentfeldern dazwischen, die ebenfalls mit sol- chem durchbrochenen Schmucke eingefaßt sind. An den Enden frei vortretende Kandelabersäulen; je eme Frauenfigur in reichem Gewände (Viktoria, Justitia) auf den beiden östlichen.

Die Stirnwangen der hinteren wie vorderen Stühle sind auf das prächtigste ornamentiert; ein wundervoller Rankenfries läuft über den vorderen Stühlen her- die Trennungswangen zeigen kleine Figürchen aus dem Leben, Handwerker^ Krieger, Ritter, Frauen, alle in der Natur abgelauschten Beschäftigung oder Haltung, von heiterstem Humor.

Das Ganze überall von einer außerordentlich reichen Ornamentik überflutet die in Füllungen und Friesen oft zur reizvollsten jener Zeit gehört, teilweise auch' noch ungewandt, mangelnde Vertrautheit mit der neuen Kunst zeifft. Immerhin fandet das Gestühl in unserer ganzen Frührenaissance nicht mehr seinesgleichen und dürfte in seinem harmonischen Aufbau und reizvollen Gliederung und Durch- bildung schwer zu übertreffen sein.

1) Vgl. Haupt, Peter Flettners Herkommen und Jugendarbeit. (Jahrb. der Kgl. Preuß Kunstsammlungen 1905, Heft H. HL) Dazu: H. Lehmann, Das Chorgestühl im St Vinzenz- munster zu Bern. Aarau 1896.

15

Abb. 169 Schützenbrunnen zu Bern

Lübke- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl.

226

2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Luzeru

In Schwyz ist das von Redingsche malerische Haus aus dem 17. Jahrhundert zu erwähnen wegen seiner sehr schönen Zimmertäfelungen. Davon eine von 1630 im Baseler Historischen Museum, von ganz ungewöhnlicher Pracht der ein- gelegten Wände, mit reichem Büffet und der schweren Decke mit achteckigen Kassetten. Im Rathause ebenfalls eine schöne Holzdecke.

Luzern

Von Basel wurde die Renaissance wohl zuerst nach Luzern i) übertragen, wo Hans Holbein 1516 die Fassade des Hertensteinschen Hauses mit Fresken schmückte. Dennoch blieb auch hier die Kunst des Mittelalters noch lange Zeit herrschend. Das Haus Gorragioni (1520—23) zeigt noch durchweg gotische Formen der Öffnungen, doch über den Fenstern zierliche Bekrönungen in aus- gesprochener Frührenaissance ; auch die erhaltenen Wandgemälde des Innern, von Hans Leu d. J. aus Zürich, namentlich die flott gemalten Einfassungssäulen im oberen Zimmer, lassen den Einfluß Holbeins wohl erkennen. Außerdem befinden sich da zwei Holzdecken mit Frührenaissance-Schnitzereien von lians Küney aus Zürich. Gotische Haustüren sind in der Stadt an Wohnhäusern mehrfach bis ins 17. Jahrhundert; doch schon von 1525 und 1528 die freihch noch recht derben und primitiven malerischen Renaissancetüren am Hause zum Schlüssel und am Göldlinhause. Der erste große Renaissancebau geht um so über- raschender in Anlage und künstlerischer Ausführung auf italienische Einflüsse zurück. Es ist das jetzige Regierungsgebäude, ursprünglich für den Schult-

1) Vgl. H. E. V. Berlepsch in Ortweins D. Ren. Lief. 13, 19 und 25.

2) Schneen, Renaissance in der Schweiz, München 1896, Fig. 19 p. 130.

Luzern: Ritterpalast

227

heißen Lukas Ritter, der in fremden Kriegsdiensten reich geworden und draußen üppigere Lebensgewohnheiten kennen gelernt hatte, als Wohnhaus aufgeführt. Der Bau begann 1557 unter Leitung eines welschen Architekten Giovanni Lynzo, mit dem Beinamen „il Motschone" aus Pergine bei Trient.^) Da verstehen wir denn die völlig italienische palastartige Anlage des Baues. Der Meister hatte aber nicht lange sein Werk fortgeführt, als er wegen ketzerischer Gesinnung

Abb. 171 Rathaus zu Luzern

eingezogen ward, um 1559 dem bigotten Fanatismus auf dem Schafott zum Opfer zu fallen. Längere Zeit blieb der Bau dann liegen, kam in den Besitz der Stadt und wurde seit 1561, abermals durch einen welschen Meister Peter-, vollendet. Dann ging der Palast in die Hände der Jesuiten über, bis er schUeßlich wieder von der Stadt erworben wurde, die ihn zum Regierungspalast einrichten ließ. Die Fassade hat ein mächtiges Erdgeschoß in schön durchgeführter Rustika, darüber zwei obere einfacher behandelte Stockwerke; das Ganze ist von ernster

1) Das Geschichtliche bei Berlepsch a.a.O., derauf Taf. 1 10 ausführliche Aufnahmen gibt.

228

2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Luzern

und stattlicher Wirkung im Charakter florentinischer Paläste. Noch entschiedener geht das Innere auf florentinische Anlagen zurück. Die Mitte nimmt ein quadra- tischer Hof ein, leider neuerdings mit Glas bedeckt; in drei Geschossen mit Säulenhallen umgeben, die Treppe ebenfalls nach Florentiner Vorbildern in einer Ecke des Hofes mit gerade ansteigenden Läufen angebracht, mit steigenden Tonnen- gewölben und auf den Podesten mit Kreuzgewölben bedeckt. Sämtliche Türen, auch die Portale der Treppe, haben zierHche Einrahmungen von Ornamentpilastern und reichen Gesimsen: alles, auch die durchbrochenen Geländer der Treppe, im Gepräge florentinischer Frührenaissance.

Etwas von dieser Behandlungsweise klingt bei dem nach einem Rats- beschluß von 1599 zwischen 1602 und 1606 durch Meister Anton i/ Ysenmann erbauten Rathaus daselbst nach, doch ist hier den heimischen Sitten und Überheferungen stärker Rechnung getragen, i) Das Gebäude, an dem schroff ab- fallenden Ufer der Reuß errichtet, hat von dieser Lage den Vorteil gezogen, daß gegen den Fluß ein weiteres Stockwerk unter dem Erdgeschoß der Vorderseite gewonnen wurde, das eine gewölbte offene Pfeilerhalle für den Marktverkehr ent- hält. Auf einer Flucht breiter Treppenstufen steigt man von der Straße zu dieser Halle hinab (Abb. 171). Gegen den Platz hat der Bau nur ein Oberstockwerk, im Erdgeschoß Bogenfenster und stattHche Portale, im oberen gekuppelte Fenster unter geradem Sturz und Gesims. Diese Behandlung der Öffnungen, sowie die Buckelquadern der Ecken geben wieder einen fast florentinischen Eindruck, wie denn auch hier, weit entfernt von dem malerischen Wesen der übrigen deutschen Gebiete, eine auffallend reine Bildung der Formen erfreut. Von nicht minder feinem künstlerischen Verständnis zeugt das zierliche Ornament in den Friesen der Tore und Fenstereinfassungen, die mit den kräftigen Hauptformen und ihren markigen Gliederungen glücklich kontrastieren. Der nordischen Sitte entspricht sodann, daß die Treppe als Wendelstiege in einem vorspringenden Turm an- gebracht ist, der indes durch seine quadratische Grundform und künstlerische Behandlung sich dem südlichen Charakter des übrigen glücklich anschließt. Nach Schweizer Sitte aber ist das abgewalmte Dach des Hauptbaues mit seiner starken, mit Brettern verschalten Hohlkehle und den ebenso behandelten Dachluken ge- staltet, so daß sich der italienische Charakter der Architekturteile ganz erheblich wandelt. Vielmehr ist der Eindruck des Baues ein völHg charakteristisch schweize- rischer geworden. Verstärkt wird er durch den höchst stattlichen, mit erneuerten Fresken geschmückten Uhrturm, dessen reizvolles Kuppeldach mit seinem mittleren und vier kleineren Türmchen auf den Ecken zu einer außerordentlich feinen und doch wirksamen Gruppe zusammenwächst.

Im Innern ist die Wendeltreppe in gotischen Formen behandelt, ohne daß man sie darum einem früheren Bau zuzuschreiben brauchte. Wir haben gesehen, wie lange sich in Luzern spätmittelalterliche Formen noch erhielten. Das Haupt- geschoß besteht aus dem riesigen Vorsaal, der allen damahgen Rathäusern gemein ist, und aus fünf mäßig großen Zimmern. In der „Kleinen Ratstube" hat sich das schöne Täfelwerk erhalten, das an den Wänden mit zwei Systemen hermen- artig verjüngter Rilaster gegliedert ist, römischer unten und toskanischer oben. Als Meister wird Melchior Landolt von Ebikon genannt, während Jörgen Forster die einfacheren Arbeiten in den übrigen Zimmern ausführte. Endlich verdient noch das Archiv hervorgehoben zu werden. Sein Tonnengewölbe ist durch Stuck- reUefs und allegorische Gemälde hübsch geschmückt, an den Wänden ziehen sich Galerien hin, die mittels dekorierter Flachbögen auf schlanken korinthischen Holz- säulchen ruhen. Die Brüstung der Galerien und die Bogenzwickel zeigen ein

1) Vgl. die trefflichen Aufnahmen von Berlepsch a. a. 0. Taf. 11 20.

Luzern: Stiftskirche

229

Rankenornament, aus spätgotischen Motiven in die Formensprache der Renaissance übersetzt. Die farbige Wirkung des Raumes ist heiter und lebendig.

Ein anziehendes Beispiel des alten charaktervollen Fachwerkbaus ist das von Moossche Haus, früher dem Junker Mayer von Schauensee gehörig/) Über dem völlig modernisierten Erdgeschoß erheben sich, durch kleine Dächer ge- trennt, drei Stockwerke und ein Dachgeschoß. Die durch Kreuzpfosten geteilten Fenster haben eine Umrahmung von toskanischen Pilastern auf geschwungenen Konsolen. An der Fassade tritt im ersten Stock ein Balkon auf ähnhchen Holz- konsolen vor. Originell wirkt es, daß viele Hölzer der Riegelwände geschweift sind und in Voluten en- digen. Das nach Schwei- zer Sitte weit vorsprin- gende Dach dient dem un- gemein malerischen Bau als wirksamer Abschluß.

Was sonst noch in Luzern an Renaissance- werken vorhanden ist, gehört dem Kirchenbau an. So zunächst die auf schlanken toskanischen Säulen ruhenden Arkaden des Friedhofes um die hochgelegene Stifts- kirche. Sie gehören zu den diesseits der Alpen seltenen Beispielen der großartigen Gamposanto- Anlagen nach Art Italiens, sicher nicht ohne künst- lerische Rücksicht auf die herrlichen Ausblicke auf das unvergleichliche Pa- norama des Vierwaldstät- ter Sees angeordnet. Es ist ein südlicher Gedanke, für die wohlgepflegten

Gräber und Denkmale einen festen architektonischen Rahmen und Hintergrund zu schaffen, während der Norden sonst auf die Anlage seiner Friedhöfe als Garten- anlagen geringe Sorgfalt zu legen pflegte. In der Hof- oder Stiftskirche selbst, die 1633 von Meister Jakob Kicser aus Ingolstadt in strengen Renaissance- formen, doch als dreischiffige Basilika unter Beibehaltung der zwei älteren Türme erbaut wurde, gewährt das reich durchbrochene und vergoldete Eisengitter, das den Taufstein umgibt, ein gutes Beispiel der Schmiedekunst jener Zeit. Außer dem reichen und sehr ernsten geschnitzten Gestühl und der guten Kanzel ist das prächtige Gitter zu nennen, das den Chor abschließt, in der Mitte mit der per- spektivischen Darstellung einer tonnengewölbten Halle, ein Werk des Konstanzer Meisters Johann Reif eil, 1644 vollendet, nicht minder das um den Taufstein und die kunstvollen Beschläge der Kirchentüren auf der Innenseite. Die Kirche

Abb. 172 Beck-Lauschcns Haus zu Sursee

1) Berlepsch a. a. 0. Taf. 21.

2) Abb. bei Berlepsch a. a. 0. Taf. 22 und 23.

230

2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Luzern

selbst zeichnet sich im Äußeren durch eine sehr schöne Westfront zwischen den Türmen aus, die sich unten mit einem weiten Bogen als Vorhalle öffnet, oben eine fein gegliederte Pilasterordnung mit zwei Fenstern und prächtiger Zier- nische dazwischen aufweist. Die Giebellinie darüber ist sehr barock. Endlich ist die an der Nordseite der Franziskanerkirche gelegene Marienkapelle ein vollendetes Werk der Renaissancedekoration. Der dekorierende Meister fand

Abb. 173 Zimmer aus dem Winkelriedhaus zu Stans

einen schlichten, mit gotischen Netzgewölben bedeckten Raum vor. Er gab nun den Rippen in Stuck eine flüssige antikisierende Gliederung mit Perlstab und Herzlaub und verteilte auf die einzelnen Gewölbefelder schwebende Engelgestalten in den mannigfaltigsten Stellungen, köstlich in den Raum komponiert, von so anmutvoller Bewegung und Bildung, dabei so prachtvoll in Stuck durchgeführt, daß man an einen italienischen Künstler, und zwar einen der trefflichsten, denken muß. Obwohl die Arbeit auf das 17. Jahrhundert deutet, sind die Figuren doch ohne alle Affektation. Die Schweiz muß damals überhaupt zahlreiche ober- italienische Bildhauer und Intarsiatoren verwendet haben, denn die Arbeit solcher findet man noch jetzt an vielen Orten.

Im Luzerner Gebiet besitzt das kleine Sursee in dem jetzigen Beck-Lauschen, 1632 für die Familie Schnyder erbauten Hause ein ansprechendes Beispiel damaligen Privatbaues. ^) Über einem glatten, nur durch ein hübsches Portal mit korinthischen

1) Berlepsch a. a. 0. Taf. 25 und 26.

Sursee Stans

231

Säulen geschmückten Erdgeschoß erheben sich drei Stockwerke, durch die lebendig zu zweien und zu dreien gruppierten Fenster mit ihren fein profiherten und mit Fruchtschnüren reizend geschmückten Rahmen von ausgezeichneter Wirkung (Abb. 172). Ein treffliches Muster für eine im Sinne der Renaissance umgebildete mittelalterliche Fensteranlage. Durch das weit vorspringende Giebeldach, unter das sich die enggestellten Fenster und niedrigen Stockwerke behaglich ducken, wird der Schweizer Charakter auf das glückhchste betont. Im Innern ist der Saal durch eine kassettierte Holzdecke und gut gegliederte Wanddekoration be- merkenswert. Das im einzelnen noch durchaus gotische Rathaus, etwa von 1540, besitzt im Innern gute Täfelungen des 17. Jahrhunderts.

Abb. 174 Rosenburgzimmer aus Stans

Endhch hatte Stans in seinem malerischen, mit Renaissancetorbogen ge- schmückten Winkelriedhaus ein Zimmer mit schlichter Täfelung und Holzdecke mit Papierintarsien, deren dunkler Ton prächtig absticht von einem herrhch polychromierten Ofen, einem der schönsten und reichsten der Schweiz.^) Von dem Winterthurer Meister Alban Erhart 1599 gefertigt, gehört dieser durch Schön- heit des Aufbaus, Feinheit der Gliederung und Reichtum figürlichen Bildwerks zu den trefflichsten Schöpfungen der Hafnerkunst. In der Ecke fehlt auch hier nicht der warme, behagliche Sitz mit hoher Lehne. Das Ganze (Abb. 173) jetzt im Landesmuseum zu Zürich. Der anstoßende Saal hat einen von demselben Meister ausgeführten Bodenbelag^) aus Platten mit dunkelblauen Ornamenten von eleganter Zeichnung auf gelbem Grund.

1) Berlepsch a. a. 0. Taf. 27 und 28.

2) Ebenda Taf. 29.

232

2. Bach Die Bauwerke VI. Kapitel Stein am Ehein

Das Rosenburgzimmer aus Stans (Abb. 174) ist ebenfalls ein wertvolles Werk echt bürgerlicher Schweizerkunst; auch dieses heute im Landesmuseum.

Im Kanton Uri ist noch A 1 1 d o r f zu erwähnen. Die Renaissance tritt da erst 1566 im Äußeren mit einem einfachen Portal am „Schützengarten" auf den Plan; im Innern zeigt sie sich bereits etwa 1550 in der schönen Ausstattung des Hauses der Gebrüder Jauch, insbesondere in der reich eingelegten Prunkstube mit Büffet von 1556; der Ofen datiert von 1611; der im Hause Planzer von 1609. Aus dem 17. Jahrhundert findet man dort außerdem (Haus Baumann 1614) Säulenhöfe, meist toskanisch, mit wagerechter Überdeckung und auch sonst stärkere italienische Einflüsse.

Stein am Rhein

Fast ebenso früh, wie in Basel und Luzern, lassen sich die Spuren der Renaissance in Stein nachweisen. Die kleine altertümliche Stadt trägt nicht bloß in charakteristischer Weise das Gepräge der gemütlich anheimelnden Städte am Oberrhein, sondern bewahrt auch in einer ansehnlichen Zahl der an ihrer Hauptstraße gelegenen Häuser Beispiele der ehemals in diesen Gegenden all- gemein beliebten bemalten Fassaden (Abb. 175). Zwar sind diese von ziemlich bescheidenen örthchen Künstlern ausgeführt, zum Teil in späterer Zeit erneuert und wohl auch umgestaltet ; aber als Ganzes bieten sie immer noch ein wertvolles Gesamtdenkmal der Renaissance. Diese selbst scheint hier zuerst in den noch erhaltenen Wandgemälden eines Saales im ehemaligen, wegen seiner ent- zückenden Innenräume berühmten Kloster aufgetreten zu sein. Dieses erhebt sich als malerische mittelalterliche Baugruppe am rechten Ufer des Rheins, dessen Fluten den Hauptgiebel des Gebäudes mit seinem stark vorspringenden Erker bespülen. Am Eingangstor des Klosters best man die Jahreszahl 1516. Die Hauptteile des Baues datieren ohne Zweifel aus jener Zeit. Alles Architektonische ist noch gotisch; so sämtliche Türen und die Kreuzgänge mit den kräftigen Maß- werken der Fenster und den Netzgewölben, deren Rippen an den Durchschneidungs- punkten in Gold und Blau gefaßt sind. Auch die Decke des Hauptsaales ist von gleicher Art; sie zeigt prächtige Schnitzereien von gotischem Blattwerk und ge- wundenen Bändern in rhythmisch wechselnder Anordnung; die Bemalung der Decke ist nach ähnlichen künstlerischen Gesichtspunkten durchgeführt. Eineinschrift meldet, daß Abt David von Winkelsheim das Werk im Jahre 1515 habe ausführen lassen.

Während hier noch das Mittelalter herrscht, während auch der Erker des Saales ein gotisches Rippengewölbe zeigt, gehört der Meister, der inschrift- lich 1516 die Wandgemälde ausgeführt hat, schon völlig der Renaissance an. In den Gegenständen der Bilder offenbart sich auffallenderweise keine Spur kirch- licher, ja selbst nicht einmal christlicher Anschauung. Die sechs Hauptbilder gehören der römischen und karthagischen Geschichte an, und zwar mit Ge- dankenparallelen, wie sie die mittelalterliche Kunst aus dem Alten und Neuen Testament zusammenzustellen liebte. Man sieht die Erbauung Roms und die Gründung Karthagos; Szipio läßt die römischen Edlen dem Vaterlande Treue schwören; Hannibal schwört als Knabe den Römern ewige Feindschaft. Ein- nahme Karthagos durch die Römer: Eroberung Sagunts durch die Karthager. Dazu gesellen sich zwei große Bilder, auf denen Straßenszenen aus einer mittel- alterlichen Stadt, besonders ein lebendig geschilderter Pferdemarkt gegeben sind. Also antike Geschichte und das Leben des Volkes als beliebter Gegenstand der neuen Kunst. Dem entspricht die architektonische Behandlung des Ganzen, die einen in den Formen der Renaissance völlig bewanderten Künstler zeigt. Ein grau in grau gemalter Sockel ahmt eine Bekleidung mit gebrannten und glasierten Fliesen nach. Darauf erheben sich Pfeiler mit Pilastern, die Wände in größere und

Stein a. Rh. : Kloster

233

kleinere Bogenfelder teilend. Goldornamente sind an den Postamenten und den übrigen Flächen aufgemalt, goldene Vasen über den Kapitellen angebracht : dies alles von eleganten Formen und feiner Wirkung. Trefflich harmonieren damit die Gemälde, grau in grau auf blauem Grunde ausgeführt ; nur im Haar und den Schmucksachen ist etwas Gold.

Abb. ]?.") Hiiuser ;uii ^Markt zu Stein a. Eh. (Aufnahme der Neuen Phütogr. Gesellschaft, Steglitz)

Auch in den Bildern sind viele Renaissancemotive, namentlich beim Schwur Szipios und dem Hannibals, wo der Altar einen Aufsatz von zierhchen Renais- sanceformen hat, darauf ein Götzenbild in Gestalt eines Ritters und der Inschrift M. D. (Mars Deus). Am Unterbau des Altars Putten zu Fuß und zu Pferd in lebendigem Kampf. Diese beiden Bilder sind mit 1515 und 1516 bezeichnet. Die oberen Fensterbogen sind in ihrer tiefen Laibung mit Arabesken und phan- tastischen Tieren bemalt; doch deutet ihre viel steifere Zeichnung auf die Hand eines Gehilfen. Auch die Einzelgestalten in den Fensternischen gehören über- wiegend dem klassischen Altertum an, so Lukrezia, Herkules in Ritterrüstung, Kurtius in kühner Verkürzung zu Pferde. Sodann andere weltliche Darstellungen : eine Dame mit einem Falken, eine andere mit einem Kaiserporträt, wieder eine

234

2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Stein am Rhein

andere mit einem Becher, lauter prachtvolle Kostümbilder. Ein Narr, mit einer Geigenspielerin buhlend, gegenüber der Tod, eine Lautenschlä gerin fassend, zwei der besten Bilder. Endlich eine Judith, sodann im Erker ausnahmsweise Ghrist- _ ^ ^ liebes: die Madonna mit dem

limSM

Kinde, St. Sebastian und Ghristo- phorus, St. Georg zu Pferde und ihm gegenüber St. Michael, mit dem Teufel um eine Seele käm- pfend. Der ganze Zyklus gehört zu den umfangreichsten deutschen Wandgemälden der Zeit, und es wäre von Wert, zu ermitteln, von welchem Meister die Bilder her- rühren. Einen Fingerzeig hat der Künstler gegeben, denn über der Haupttür halten zwei auf blauem Grunde grau in grau entworfene Putti eine große gemalte Schiefer- tafel, auf welcher man in schönen römischen Majuskeln das Mono-

s:ramm

liest.

Unter den gemalten Fassaden besitzt der Weiße Adler die wichtigste (Abb. 176). Trotz einer plumpen Erneuerung vom Jahre 1780 weist der Charakter der ar- chitektonischen Einfassungen so- wie die gesamte Einteilung auf die frühe Zeit von 1526—30. Der erste Stock ist fast ganz von Fenstern durchbrochen, doch blieb in den Ecken noch Raum für einzelne Figuren. Rechts sieht man einen Kriegsknecht mit einem Mädchen, links eine Paniske, die ein Kind hält. Die beiden oberen Geschosse gaben dem Maler Gelegenheit, durch seine Ausschmückung die Unregelmäßigkeiten der Eintei- lung zu verdecken. Die Fenster sind mit gemalten Säulen und Pilastern eingefaßt, neben ihnen zwei große, per- spektivisch gemalte Bogenhallen, mit goldenen Rosetten in dunkelblauer Kasset- tierung, eingefaßt von Pilastern mit weißen Ornamenten auf rotem Grund. Die Farbenwirkung ist sehr gut, das Figürliche, Szenen aus der römischen Geschichte und Sage, gering und roh, vorwiegend wohl infolge der Erneuerung. Von den Einzelbildern hebe ich die Darstellung der Angeklagten hervor, die die Hand in den Rachen des Löwen legt, und die Söhne, die vom Richter angehalten werden, auf die Leiche ihres Vaters zu schießen. Ganz oben in der Mitte liegt die Ver- leumdung, an den Seiten Kupido und Venus, Wahrheit und Gerechtigkeit. Der Künstler steht dem Maler der Wandbilder des Saales im Kloster nahe.

Abb. 176 Haus zum „Weißen Adler" zu Stein a. Rh.

Stein a. Rh.: Gemalte Fassaden Schaff hausen

235

Eine stattliche Fassade hat auch der Rote Ochs: einen polygonen Stein- erker in der Mitte mit gotischem Maßwerk, dazu mittelalterlich gruppierte Fenster, alle Wandflächen mit Gemälden geschmückt, zum Teil noch aus dem 16., anderes aber erst aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Auch hier die Gemälde sehr grobkörnig, doch gut in der Gesamtwirkung; alles auf blauem Grunde, ein- gefaßt mit reicher farbiger Architektur, z. B. gemalten Säulen von rotem Marmor mit goldenen Kapitellen und Basen, der untere Teil des Schaftes kanneliert. Als Gegenstände der Darstellung finden wir wieder die behebten: Kurtius hoch zu Roß, in den Abgrund sprengend, David den Goliath besiegend, Judith mit dem Haupte des Holofernes; dann Melancholia mit dem Zirkel in der Hand, Weisheit und Gerechtigkeit. Im Innern hat das Haus im zweiten Stock ein großes und un- gewöhnlich hohes Zimmer mit schöner Holzdecke, auf einem Triglyphenfries mit zierlich gearbeiteten Konsolen ruhend. In der Mitte der einen Wand ist ein kleiner Schrank eingelassen mit guter Einlegarbeit und der Jahreszahl 1575. Die übrigen Flächen sind von Wandgemälden bedeckt : an den Fensterpfeilern vier musizierende Damen mit Laute, Kontrabaß, Orgel und Schlagzither, in der Ecke eine große weibliche Figur mit einem Becher in der Hand. Auf einem größeren Wandfeld sieht man, eingefaßt von Säulen mit korinthischen Kapitellen, das untere Ende des Schaftes mit roten Ornamenten auf weißem Grunde, eine Darstellung der Arche Noah, die ganze Malerei ziemlich grob und roh, aber von heiterer Wirkung. Dann aus etwas späterer Zeit eine Judith, den Kopf des Holofernes ihrer Magd in den Sack legend, mit der Inschrift: „Durch weiblich Schwachheit siegt die gräulich Frechheit. 1615. A. S." Die umrahmende Architektur stark barock mit Voluten und Schnörkeln. Die Türseite des Saales hat noch die ur- sprüngliche Wandbekleidung mit hübschen dorischen Pilastern.

Auch die übrigen Fassaden erhalten durch zahlreiche Holzerker, stark vor- springende Dächer und reiche Bemalung ein lebendiges Gepräge. Neben dem roten Ochsen ein Haus mit reicher Bemalung, Fenstereinfassung und Krönung im beginnenden Barockstil. Ähnhch und aus derselben Zeit, etwa Anfang des 17. Jahrhunderts, grau in grau gemalt, ein Haus in der zum Rhein führenden Straße. Eine hübsche Brunnensäule mit der Statue des heiligen Georg von 1601 am Markte. Was endlich die gemalten Fensterscheiben im Zunftsaale zum Klee- blatt neben dem Kloster und im Saale des Schützenhauses vor der Stadt betrifft, so sind dieselben oben bereits gewürdigt worden.^) Bezeichnend ist, daß schon die von 1516 datierten Glasgemälde im Schützenhause Renaissanceformen haben.

Schaffhausen

Auch in Schaffhausen haben wir ein sehr frühes Beispiel von Renais- sance zu verzeichnen; diesmal ist es aber nicht ein Maler, sondern auffallender- weise ein Bildhauer, der mit den neuen Formen beginnt. Im südlichen Seiten- schiff der Johanniskirche, einer fünfschiffigen spätgotischen Anlage mit flachen Decken, die nur in den äußeren Seitenschiffen durch Gewölbe verdrängt sind, haben die mit der Jahreszahl 1517 bezeichneten Kämpfer der Gewölbe le- bendig behandelte Putti, die sich necken, sich balgen und sonstige Kurzweil treiben. Es ist die fröhlichste Renaissancelust, voll Frische und Anmut, ganz Hans Holbein in Stein übertragen, unter den damaligen deutschen Bildhauer- werken wohl ein Unikum.

Dann folgen erst aus der späteren Zeit der Epoche mehrere bemalte Fassaden, darunter das Haus zum Ritter, das besterhaltene Prachtstück der ganzen

1) Vgl. S. 122.

236

2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Zürich

Gattung (Abb. 177). Durch den bedeutenden Straßburger Maler Tobias Stimmer 1570 mit Gemälden bedeckt, die bis auf unsere Tage durch sorgfältige Unter- haltung sich bewahrt haben, prangt die Fassade noch jetzt in dem ursprüng- lichen Farbenschmuck. Es ist ein ansehnhches Bürgerhaus von beträchtHcher Breite, das Dach mit der charakteristischen Schweizer Holzkonslruktion weit vortretend, die Flächen schützend und wirksam abschheßend. Das Erdgeschoß öffnet sich mit vier großen Rundbögen auf breiten Mauerpfeilern, einer davon mündet als Haustür auf den inneren Flur. An der hnken Seite ist im ersten Stock ein noch gotisch behandelter Erker polygon auf einem Rippengewölbe ausgebaut. Die Fenster sind auch hier mit der damals übHchen naiven Un- regelmäßigkeit an der Fassade ausgeteilt, in keinem der beiden Geschosse einander entsprechend. Der Malerei war wieder die Aufgabe zugefallen, diesen Mangel an Regelmäßigkeit zu verdecken, und sie hat dies mit glänzendem Erfolge getan. Unter der ersten Fensterreihe zieht sich ein Fries von gemalten Orna- menten in derbem Schnörkelwerk hin. Über den Fenstern hat die Dekoration sich mit Laubgewinden, von Genien gehalten, sowie mit gemalten Giebeln und freieren Ornamenten reich entfaltet. Volleren Figurenschmuck endlich, teils in einzelnen Gestalten, teils in größeren Kompositionen, hat der Künstler an den Flächen zwischen den Fenstern angebracht, sowie an dem breiten Fries, der die beiden oberen Stockwerke trennt. Auch eine gemalte Galerie fehlt im oberen Giebelbau nicht, darauf zwei männliche Zuschauer, der eine von seinem Hunde begleitet. Am meisten aber fesselt die in kühner Verkürzung scheinbar aus der Fläche heraussprengende ritterliche Gestalt des Kurtius, die zwischen den oberen Giebelfenstern die Mitte der Fassade einnimmt und wegen ihrer täuschenden Lebendigkeit schon die Bewunderung der Zeitgenossen erregte. Die benach- barten Fenster haben durch Karyatiden und Hermen sowie reiche Gesimse einen dem Ganzen entsprechenden Ausdruck von festlicher Pracht erhalten. Bei solchen leider nur noch vereinzelten Schöpfungen begreifen wir die Bewunderung der alten Reisenden, so Michels de Montaigne, über die ganz mit gemalten Fassaden besetzten Straßen Augsburgs und der Schweizer Städte. In Schafifhausen hat auch das Haus zum Käfig noch Reste solcher Malereien. Man sieht nament- lich den in einen Käfig eingeschlossenen Bajazet im Triumph einhergeführt.

Das Zeughaus, 1617 unter der Leitung des Oberbaumeisters Joh. Jak. Meyer (1574 1619) vollendet, erfreut durch sein reiches Spätrenaissanceportal.

In der Stadt sind sonst noch zahlreiche Erker und Portale aus der Renais- sancezeit vorhanden, meist an seitdem erneuerten Häusern die letzten Zeugen eines einstigen reichen Straßenbildes.

Allerlei schöne Brunnen zieren die Straßen: so der Melchiorbrunnen mit der derben Statue des Mohrenkönigs auf noch spätgotischer Säule, und der Teil- brunnen, auf dessen unbeholfener Renaissancesäule die höchst malerische Tell- statue mit Armbrust und Wappen prangt, ursprünglich von 1522, freilich 1632 und 1682 renoviert.

Aus derselben Zeit rühmt sich die Stadt eines gewaltigen Werks damaliger Befestigungskunst im Munoth, einem runden Bollwerk mit runden Türmen neben einem mittelalterüchen viereckigen Turm. Schmucklos, aber trefflich gediegen in Quaderbau 1564—82 ausgeführt, erinnert dies imposante Werk an die groß- artigen, derselben Zeit angehörigen runden Türme der Nürnberger Stadtbefestigung.

Zürich

So wichtig Zürich schon damals für die geistige Bewegung der Schweiz war, so scheint diese sich doch mehr auf religiösem, als auf künstlerischem Ge-

Abb. 177 Fassade des Hauses zum Ritter zu Seliaffhausen (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Eenaissance)

238

2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Zürich

biete betätigt zu haben. Wenigstens ist uns aus der Frühzeit der Renaissance kein Denkmal dort erhalten, wenn man nicht etwa den kürzlich wieder auf- gefundenen, von H. Holhein bemalten Tisch, jetzt im Besitz der Stadtbibliothek, ausnehmen will. Doch ist an den Architekturteilen des Hauses „zur Kerze" am Limmatquai der Renaissancecharakter bereits deutlich ausgesprochen. Auch die vortrefflichen Holzschnitte in Slumpffs Schweizer Chronik, 1548 in Zürich er-

Abb. 178 Seidenhofzimmer in Zürich

schienen, mögen hier, besonders wegen der reichen Renaissanceformen des Titel- blattes, Erwähnung finden. Nicht minder haben die Fürstenbildnisse darin zier- liche Einrahmungen in demselben Stil, wie denn alles Architektonische in den Bil- dern der neuen Kunstrichtung angehört. Sodann zeigte eine Reihe von Brunnen in den Straßen der Stadt, leider meist vor kurzer Zeit beseitigt, den landes- übhchen Aufbau der Renaissancesäule, die auf dem Kapitell eine Figur trägt.

Weitaus das schönste Denkmal der schweizerischen Innenausstattung der Renaissance besaß der Alte Seidenhof in dem großen Zimmer seines oberen Geschosses.!) Das Haus hat von außen nichts Bemerkenswertes, wie dies bei den gleichzeitigen Privathäusern der Schweizerstädte meistens der Fall ist. Aber der obere Saal, von welchem wir in Abb. 178 ein Bild geben (jetzt abgebrochen und in das Museum übertragen), ist in seiner Ausgestaltung fast das prächtigste Bei- spiel dieser Art. Der gemalte Ofen mit seinen beiden Sitzen vom Jahre 1620 ist ein wahres Prachtstück der Schweizer Hafnerkunst. Mit der ebenso reichen als kräftigen Holztäfelung der Wände und der wundervollen, ausgezeichnet kompo- nierten Decke, von deren dunkelbraunem Ton die hellen und frischen Malereien

i) Vgl. Berlepsch in Ortweins D. Een. Heft 22, Taf. 1 10.

Zürich: Seidenhof Rathaus

239

des Ofens wirksam abstechen, bildet er ein unvergleichliches Ganzes. Bemerkens- wert ist, daß sich in der Ecke, wo der Ofen aufgebaut ist, eine Verkleidung der Wände mit ähnlichen gemalten Tonfliesen fortsetzt. Die hier angewandten ge- schweiften Säulchen sind in der Behandlung dem Material ebenso entsprechend, wie die Holzsäulen der Wandbekleidung dem ihrigen. In solchen Dingen besaß jene Zeit eine sehr beachtenswerte Sicherheit des Stilgefühls.

Abb. 179 Rathaus zu Zürich (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

Aus derselben Zeit, inschriftlich von 1616, datiert die Ausstattung des oberen Saales im Hause zum Wilden Mann. Einer der zierlichsten gemalten Öfen der Schweiz schmückt den Raum, der seine schöne alte Täfelung noch vollständig bewahrt.') Wie so oft, bildet auch hier sich eine besonders abge- grenzte Abteilung für die Schlafstätte.

Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts schritt dann Zürich zum Bau eines neuen Rathauses, das wir trotz dieses späten Datums hier mit einreihen, weil es im wesentlichen noch durchaus im Geiste der Renaissancezeit erdacht und durchgebildet ist.') Die Stadt hatte schon 1398 ihr altes Rathaus abgebrochen und dafür ein neues erbaut'), das seit 1694 durch das noch jetzt vorhandene ersetzt wurde. Auf Pfeilern mit kräftigen Bögen weit in die Limmat hinaus- tretend, steht es, durch die Enge des Geländes gezwungen, zur Hälfte auf dem Flusse. Die Niedrigkeit der Stockwerke, die der Sitte des Landes entspricht, gibt ihm ein etwas gedrücktes Verhältnis (Abb. 179); aber die energische Teilung

1) Der Plafond abgeb. im Kunsthandwerk I. 63.

2) Aufn. in den Reisestudien der Stuttgarter Bauschule Taf. 63 und 64.

3) Stumpff, Chron. II, 160.

240

2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Zürich

durch Pilaster und die lebendige, wenngleich etwas barocke Umrahmung der Fenster verleiht ihm eine kräftige originelle Erscheinung. Dazu kommt noch das weit vorspringende Dach mit seinen verzierten Dacherkern und den reich behandelten phantastischen Wasserspeiern samt ihren eisernen Stützen, um den malerischen Eindruck zu vollenden.') Das Innere hat starke moderne Um- gestaltungen erfahren, hauptsächlieh im Großratsaal. Doch sind die beiden

prachtvollen gemalten Ö f e n , welche die Stadt Winterthur den Zü- richern als Zeichen freundnachbarlicher Gesinnung schenkte, jetzt im Kappelerhof aufgestellt, noch er- halten. Ebenso be- findet sich im Re- gierungsratsaal der dritte größte Ofen, der zu jenem reichen Ge- schenk gehörte. Die Decke in diesem Saal wird, nach dem Vor- gang der in der Schmiedstube (s. un- ten)befindlichen,durch ein sternenförraiges Netzwerk von elegant profiUerten und de- korierten Stäben ge- ghedert : ein bemer- kenswertes Beispiel von Übertragung mit- telalterlicher Motive in die Sprache der Re- naissance. Von der gleichzeitigen reichen Ausstattung des Ge- bäudes zeugt ferner

das trefflich gearbeitete schmiedeiserne Gitter, das den Treppenaufgang schließt.

Besonders anziehend sind mehrere Zunfthäuser, obwohl sie in der vorhandenen Gestalt meistens einer jüngeren Epoche angehören. Für die gesel- hgen Zusammenkünfte der durch dieselbe Zunft verbundenen Genossenschaften errichtet, gewähren sie noch immer ein charakteristisches Bild aus der alten Zeit. In ihrer Anlage bildet stets der große Saal, der fast das ganze Ober- geschoß einnimmt, mit seinem Vorplatz und dem Treppenhause den Mittelpunkt. Manchmal ist nach mittelalterlicher Sitte ein Erker damit verbunden. So zeigt es das Zunfthaus der Zimmerleute (Abb. 180), das einfache und doch aus- drucksvolle Muster eines solchen Baues. In der Schmiedstube hat der Saal noch seine wirksame, durch hermenartige Pilaster geghederte Wandtäfelung samt zierlich behandeltem Büffet. Während diese Ausstattung dem Ende des

Abb. 180 Zimmerleuten-Zunfthaus zu Zürich

1) Den ursprünglichen Zustand zeigt ein Stich, 1716 von Joh. Melchior Fueßlin angefertigt.

Zürich Näfels

241

16. Jahrhunderts anzugehören scheint, enthält der obere Wand- fries in spätgotischem Laubwerk Brustbilder von Erzvätern und Vorfahren Christi bis auf Joseph und die Madonna. Diese Arbeiten sind 1520 von einem Meister aus- geführt, der noch ganz in mittel- alterlichen Formen schuf. Der- selben Zeit gehört die nicht min- der treffliche Holzdecke, deren gotisch profiherte Stäbe mit über- schneidenden Enden ein sternen- förmiges Netz über die Fläche aus- spannen. Die polygonen Schilder an den Kreuzungen der Stäbe er- halten durch allerlei phantastische Reliefgestalten den heitersten Schmuck. Vergoldung und Far- ben erhöhen den Reiz.

Von den öffentlichen Brun- nen nennen wir den in Säulen- form reich entwickelten auf der Stüssihofstatt, als durch leichten, zierlichen Aufbau, ge- schmackvolle Ornamentik und die stattliche Ritterfigur Beach- tung verdienend, die sich über dem frei korinthisierenden Kapi- tell erhebt (Abb. 181), in seiner

Durchbildung dem Baseler Pfeiferbrunnen nahe verwandt. In manchen Häusern sind noch die alten Öfen, der so wichtige Bestandteil der Ausstattung eines Schweizer Hauses,

In Baden am Landvogteischlosse ein hübsches frühes Portal, in der Stadt eine einfache Renaissancefassade von 1614.

Abb. 181 Stüssihofstatt-Bruniien zu Zürich

Näfels und Bocken

Haben wir bis dahin vorwiegend nur einzelne Räume angetroffen, die den ursprünglichen Zustand der Ausschmückung unversehrt zeigen, so können wir noch zwei Beispiele vollständig erhaltener Häuser der damaligen Zeit beibringen. Das eine ist das jetzige Gemeindehaus zu Näfels, ein palastartiger Bau, 1646 von dem aus französischen Kriegsdiensten heimgekehrten Obersten Freuler errichtet, um, wie die Volksüberlieferung will, den ihm zugedachten Besuch Ludwigs XIV. würdig zu empfangen. Der König sei nicht gekommen, der Bauherr aber habe sich mit seinem Palastbau ruiniert, den jetzt die Ironie des Schicksals teilweise zum Armenhaus bestimmt hat. Das stattUche Gebäude macht sich schon von weitem durch seinen hohen Giebel bemerklich. Ein kräftiges Barock- portal leitet in einen gewölbten Vorsaal und von dort in ein stattliches Treppenhaus auf steinernen Pfeilern mit steigenden Bögen und Tonnengewölben. Die Gewölbe

1) Vgl. Lübke, Über die alten Ofen der Scliweiz in den Mitt. der Antiquar. Ges. in Zürich Bd. XV Heft 4 und den erneuten Abdruck in dessen kansthistor. Studien S. 263 ff.

Lübke-Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 16

242 2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Winterthur und Umgebung

sind mit Stuckdekoration ausgestattet, alles in den derben Formen der Zeit; das Geländer der Treppe aber zeigt noch gotische Maßwerke. Auch die Kapelle, welche nicht fehlt und sich nach außen als Erker vorbaut, hat spitzbogige Fenster. Die oberen Räume sind mit einer Pracht ausgestattet, auf welche der Eingang schon vorbereitet. Zunächst ein Zimmer mit Holztäfelung und trefflichen Intarsien an Wänden und Decke, außerdem mit einem reich gemalten Ofen geschmückt. Ge- genüber ein größeres Zimmer mit nicht minder prächtiger Täfelung und einem Ofen, der samt seinem Sitz und der Kachelbekleidung der benachbarten Wand- flächen zu den größten und prunkvollsten der Schweiz gehört. Endhch aber ein Saal mit stuckierten Fensternischen, steinernem Fußboden und prächtigem Kamin, nach französischer Sitte; die Decke aber mit einer Täfelung von eingelegter Arbeit, die zum Herrlichsten ihrer Art gehören dürfte. An den Saal stößt die vieleckig vorspringende Kapelle, mit zierlichem Leuchterhalter von Schmiedeeisen.

Nicht so prachtvoll, aber um so charakteristischer ist das Haus Bocken. Auf einem sanften Höhenzuge über dem linken Ufer des Zürichsees gelegen, beherrscht es weithin die Aussicht auf den See mit seinen lachenden Gestaden, abwärts bis nach Zürich und darüber hinaus, aufwärts bis zu den Felsburgen des Glärnisch und den zackigen Kuppen des Säntis. Das Gebäude selbst mit seinem hohen vorspringenden Dach fällt von weitem in die Augen. Seine äußere Ausstattung ist schlicht, doch charaktervoll bis zu den Eisenbeschlägen und dem originellen Klopfer der Tür, den gemalten Fensterläden und der Wetterfahne. Im Innern befindet sich oben ein Eckzimmer mit alter gediegener Holztäfelung und einem bemalten Ofen. Hier, wie fast überall, fehlt es in dem Täfelwerk nicht an sinnreich angebrachten Kasten und Schiebladen, sowie an einem kleinen Büfett mit einer Vorrichtung zum Handwaschen. An dies Zimmer stößt ein größerer Saal, wie jener in Näfels mit steinernem Fußboden und reich stuckierter Decke. Diese steingepflasterten Säle sind ebenso angenehm für heiße Sommertage, wie die mit Öfen und Holztäfelung ausgestatteten Zimmer warm anheimelnden Aufenthalt für die Winterzeit bieten.

Winterthur und Umgebung

Winterthur, der einstige Hauptsitz der Schweizer Hafnerei, hat auch heute noch eine ansehnliche Zahl trefflicher, teils grün glasierter, teils bunt gemalter Öfen aufzuweisen. ^) Dagegen scheint die sonstige alte Ausstattung in den Häusern der Neue- rungssucht dieser modern gewordenen Fabrikstadt längst zum Opfer gefallen zu sein.

Mehr ist in der Umgegend noch an einzelnen Orten zu finden, und was davon bekannt geworden, sei hier kurz verzeichnet. Zunächst das alte Herren- haus zuWülflingen, mit einem wohlerhaltenen Zimmer, darin einem überaus zierlichen, grün glasierten, mit Reliefs völlig bedeckten Ofen.^) Auch die Täfelung der Wände mit ihrem Büfett, den Schränken und der kräftig geschnitzten Decke ist noch unberührt. Mehrfach liest man die Jahreszahl 1645.

Schloß Elgg ist ein äußerlich wenig ansehnlicher Bau, der aber zwei schöne Öfen von 1607 und 1668 und in mehreren Zimmern nicht bloß alles Getäfel, sondern auch prachtvolle Teppiche, Tapeten und Vorhänge aus dem 17. Jahrhundert bewahrt. Ein Schlafzimmer namentlich mit besonderer, durch seidene Teppiche abgeschlossener Abteilung für die Bettstatt ist ein Entzücken für jeden Maler und Kunstfreund.'')

1) Vgl. die tüchtige Ai'heit von Dr. AI b er t H af n er über das Hafnerhandwerk und die alten Öfen in Winterthur (Neujahrsblätter der dortigen Stadtbibliothek von 1876 und 1877) und das schöne, reich illustr.Werk von Chr. Bühler über die Kachelöfen in Graubünden. Zürich 1881.

-) Aufnahme im Kunsthandwerk I. 33, 34, 39 und 40.

3) Abbildungen ebenda. I. 66 und 72.

Winterthur St. Gallen Holzbauten

243

Interessante Öfen finden sich auf der Mörsburg (hier zwei grün glasierte, der eine besonders zierlich), im Schlößchen Wyden bei Andelfingen, teils grün glasiert, teils gemalt, sowie im Rathaus zu Bülach, wo zugleich der große obere Saal eine einfach schöne Holzdecke und Täfe- lung vom Jahre 1673 hat. Die mit ionischen Pilastern eingerahmte Tür zeigt reiche Eisen- beschläge. Ein Büfett mit zierlich gewunde- nen Säulchen trägt die Jahreszahl 1676.

In St. Gallen ist das prachtvolle Ab- teiwappen über dem Karlstore ein Meister- werk der Bildhauerei noch früher Zeit: über einem reichen, von Löwen durchkrochenen Kartuschegehänge inmitten das Stiftswappen, zu den Seiten in säulengeschmückter Nische die Statuen eines Abts und des hl. Gallus, darüber eine stark bewegte Kreuzigungs- gruppe zwischen den Wappen des Papstes und des Kaisers unter einer Verdachung von noch spätgotischer geknickter Profilierung ein Prunkstück von ganz herrlicher Wirkung. Sodann zeugen zahlreiche, in Holz reich ge- schnitzte Erker von dem Wohlstand, dessen schon damals die durch Handel und Gewerbe blühende Stadt sich erfreute (Abb. 182). Diese Arbeiten tragen in ihren etwas schwülstigen Formen meist bereits den Stempel des 17. Jahr- hunderts, aber auch die Formen noch spä- terer Zeit. Das meiste mag zwischen 1650 und 1750 entstanden sein. Doch ist ihre Wir- kung eine echt renaissancemäßige und ver- leiht den alten Straßen einen höchst male- rischen, behaglich bürgerlichen Eindruck.

Der Abtshof des nahegelegenen Klosters Wyl besitzt verschiedene Archilekturteile aus der Renaissancezeit ; ein schönes Portal, von reich ornamentierten Pilastern eingefaßt und von ebensolchem Wappenaufsatz mit seit- lichen Delphinen und Muschelgiebel bekrönt, von 1565, bildet jetzt eine Zierde des Landes- museums in Zürich.

In der Hauptstraße von Rorschach ebenfalls zahlreiche Erker, an sich zwar ohne besondere künstlerische Bedeutung, doch ungemein reizvolle Bilder schaffend.^)

Die trefflichen Holzbauten, in denen ein Schwerpunkt der Schweizer Architektur liegt, sind in dem schönen Werke Gladbachs ^) so musterhaft und erschöpfend dargestellt, daß es hier genügt, darauf hinzuweisen.

Im allgemeinen zeigen diese echten Gebirgshäuser indessen selten richtige Renaissanceformen, folgen vielmehr einer ganz eigenen Richtung. Doch sei auf die treffliche Frührenaissance-Ausstattung eines von Gladbach noch dargestellten,

Abi). 182 Erker von einem Hause in St. Gallen

1) Abb. in Dollingers Reiseskizzen. Lief. III.

2) Der Schweizer Holzstil von E. Gladbach. Darmstadt 1868 fol.

244 2. Buch Die Bauwerke VI. Kapitel Winterthur und Umgebung

längst abgebrochenen Speicherhauses in Samen aufmerksam gemacht, darin wohl das älteste bekannte richtige Büfett von etwa 1535.

Aus Schloß Schäffels geben wir in Abb. 183 das prächtige Speisezimmer.

Abb. 183 Speiscziiiimei- aus Schloß SchäffcLs

In Graubünden ist einiges in Ghur, der alten malerischen Stadt, zu erwähnen; so höchst malerische Erker verschiedener Form; eigenartige Fassaden- dekorationen in Sgraffito, bis ins frühe 16. Jahrhundert zurückreichend; eine hübsche Frührenaissancetür am Rathause; schöne Täfelungen aus Arvenholz in der Stadt, insbesondere aus dem 1 7. Jahrhundert. In Flims ansehnliche Herren- häuser, so die heutige Pension Blum, einst das Haus des Landrichters Regelt von Gapoll von 1578 inZizers das malerische untere Schloß aus dem 17. Jahr- hundert.

Die schöne Täfelung aus Schloß Haldenstein (1544 48) befindet sich jetzt im Kunstgewerbemuseum zu Berlin.

Das Gesamtbild der schweizerischen Renaissance ist demnach ein durchaus bürgerliches, das sich im Äußeren in malerischen Gestaltungen der Schlösser, Häuser und Straßen ohne großen Apparat, sodann aber am deutlichsten in wirklich oft großer Pracht im Innern der Gebäude offenbart.

Ober-Elsaß

245

Siebentes Kapitel

Die oberrheinischen Gebiete

Wenn in der Schweiz neben dem mit Vorliebe gepflegten Holzbau das Material des Steines seltener rein zur Anwendung kam, die Fassaden vielmehr eine starke Neigung zu malerischer Gestaltung oder gemalter Dekoration be- kundeten, so zeigen dagegen die übrigen Gebiete des Oberrheins eine allgemeinere Aufnahme des Quaderbaues. Zwar fehlt es auch hier nicht an Fachwerkhäusern und bemalten Fassaden, aber erstere gehören mehr der Sitte des Dorfes an, und letztere werden in den Städten bald meist verdrängt durch das monumentalere Material. Dazu kommt, daß hier den bürgerlichen Bauten, Wohn- und Rathäusern in den Städten auch Schlösser auf dem Lande gegenübertreten, einen höheren Wett- eifer auch in städtischen Kreisen hervorrufend und das Gesamtbild baulicher Tätig- keit mannigfach bereichernd.

Ober-Elsaß

Mit den Bauten des Elsaß haben wir zu beginnen. Wie urdeutsch dies schöne Land ist, hat es schon im Mittelalter nicht bloß durch seine großen Dichtungen, durch Werke wie Meister Gottfrieds von Straßburg glutvolles Liebes- hed, sondern ebenso deutlich durch seine künstlerischen Denkmale bewiesen. In der romanischen Zeit gehören seine Kirchen ihrer Anlage und Ausbildung nach zu der großen deutschen Bauschule des Oberrheins. ^) Noch bezeichnender aber war die Stellung, die das Elsaß im 13. Jahrhundert gegen die von Frankreich eindringende Gotik einnahm. Während an anderen Orten damals in Deutschland mit der neuen Konstruktion auch die französische Planform mit Ghorumgang und Kapellenkranz aufgenommen wurde, die z, B. im Kölner Dom zu einer völligen Nachbildung des Chores der Kathedrale von Amiens führte, behauptete gerade das Elsaß samt Lothringen mit einer fast eigensinnigen Zähigkeit trotz der Auf- nahme der fremden Konstruktion und Dekorationsformen die streng deutsche Bildung des Grundplanes, namenthch des Chores, und kein kirchhches Bauwerk in Elsaß und Lothringen, die Kathedralen von Straßburg, Metz und Tull nicht ausgeschlossen, zeigt den französischen Chorgrundriß. Auch in der Baukunst liegt die Grenzscheide der beiden Nationen an der Westmark von Lothringen, und die Bauten der Champagne sind die ersten, die den französischen Grund- riß aufnehmen.^) Und was kann es Deutscheres geben, als im Ausgange des Mittelalters die Schöpfungen des trefflichen Kolmarer Meisters Martin Schongauer!

Dasselbe Verhältnis findet nun auch in der Epoche der Renaissance statt. Die Meister von Straßburg haben immer noch etwas von der Überlieferung der alten deutschen Bauhütte bewahrt und stehen fortwährend in lebhaften Beziehungen zu Deutschland. Am Ende des 16. Jahrhunderts ist es Wendel Dietterlein, der, nach Stuttgart berufen, dort seine einflußreichen Kupferwerke herausgibt, und noch im Anfang des folgenden Jahrhunderts baut Hans Schoch den Friedrichsbau zu Heidelberg und anderes, Georg Ridinger für den Erzbischof von Mainz das Schloß zu Aschaffenburg. Aber auch der Charakter der Bauwerke im Elsaß ist durchaus deutsch. Die VorUebe für gemalte Fassaden teilt das Elsaß mit den übrigen oberdeutschen Gebieten. Der Aufbau der Fassaden als schmaler Hochbauten mit steil aufragenden Giebeln, die Behandlung dieser Giebel, die Anwendung von Erkern, das alles ist deutsche Auffassung. Selbst das Ornament mit seinen

1) Vgl.W.Lübke und G. Lasius Reisebericht in Försters Allg. Bauzeitung 1865. Vor allem Polaczek, Denkm. d. Bauk. in Elsaß. Straßbnrg 1905.

2) Das Nähere darüber in Lübkes Greschichte der Architektur, 6. Aufl. II. S. 122 if.

246

2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Ober-Elsaß

malerischen derben Eigenheiten weist auf Deutschland hin. Die politischen Ver- hältnisse des Landes, das bei seiner Entlegenheit eine feste dauernde Herrschaft nicht aufkommen ließ, waren die Veranlassung, daß sich hier kein fürsthcher Schloßbau entwickelte, dafür aber die bürgerlichen Bauten, Wohn- und Rathäuser in den Städten mit Vorliebe geschmückt wurden. Dies erinnert wieder an die Verhältnisse der deutschen Schweiz, mit der die Bevölkerung des Elsaß stamm- verwandt und zum Teil auch politisch verbunden war.

Das schöne Land, welches damals in erster Linie an dem Geistesleben der Zeit teilnahm, bewährte diese Regsamkeit auch durch die frühe Ein- bürgerung der Renais- sance.*) In Ensis- heim, das als Sitz der österreichischen Herrschaft von Bedeu- tung war, ist als Rat- haus ein ansehnlicher und malerischer Bau

1535—47 errichtet. (Abb. 184.) Mit zwei rechtwinklig zusam- menstoßenden Flügeln schließt er die eine Ecke des Marktplatzes ein; in dem einsprin- genden Winkel ein stattlich angelegtes vieleckiges Treppenhaus. Der längere der beiden Flügel ist im Erdgeschoß als offene zweischiffige Halle auf kräftigen Pfeilern angelegt, die sich mit einfach behandelten Spitzbögen und einem ein- zelnen, nach der Hauptstraße gehenden Rundbogen öffnet. Die Halle ist mit gotischen Netzgewölben überdeckt. Über ihr befindet sich im oberen Geschoß der große Saal. Die Gliederung der Fassaden geschieht durch einfache Pilaster, die im oberen Stock kanneliert sind, und zwischen ihnen durch schlanke Kande- labersäulen, welche über dem Scheitel der Arkadenbögen angeordnet sind. Drei- fach gruppierte Fenster in gotischer Profilierung, das mittlere stets etwas höher hinaufgeführt, durchbrechen die einzelnen Wandfelder. Es ist die am Oberrhein übliche Anordnung, die wir auch in Mülhausen und Basel finden. An der Haupt- front gegen die Straße springt ein zierlicher Altan in gotischen Formen vor. Der Bau zeigt also durchweg noch die Vermischung mittelalterlicher und mo- derner Elemente. Die Verschmelzung beider ist aber ganz außerordenthch ge- lungen, so daß sich in der Tat eine durchaus abgeklärte und einheitliche Ge- samterscheinung ergibt, die beweist, in wie hohem Grade dies überhaupt mög- lich ist, und welche originelle Architektur dabei erreicht werden kann. Trotz großer Einfachheit ist daher dies Werk als eine der Meisterleistungen der Über- gangszeit zu bewerten.

Abb. 184 Rathaus zu Ensisheim

1) Vgl. A. Woltmann, Die deutsche Kunst im Elsaß.

Ensisheim Schlettstadt Mülhausen

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Dem Rathaus gegenüber liegt der Gasthof zur Krone, ein elegant durch- geführter Giebelbau der Spätzeit, datiert 1610 (Abb. 131). Diese Fassade ist in der Mitte mit einem prächtigen Erker geschmückt, der an allen Flächen mit einem fein behandelten Ornament bedeckt ist, gepreßte Lederverzierungen nach- ahmend. Der hohe, mit Schnecken eingefaßte Giebel vollendet das charakteristisch deutsche Gepräge dieser Fassade. Bemerkenswert ist hier wieder, daß das Ge- länder, das den Erker krönt, trotz der späten Zeit noch die Formen gotischen Maßwerks zeigt.

Ein interessantes Haus sieht man zu Schlettstadt in der Straßburger Straße Nr. 18, laut Zeugnis der lateinischen Inschrift am Erker 1538—45 durch den damaligen Stadtbaumeister Stephan Ziegler erbaut, oder vielmehr „in meliorem faciem restitutum". Auch hier tritt noch einiges gotische Detail auf, aber über- wiegend sind doch die Formen der Renaissance. Von der Begeisterung für das klassische Altertum, die gerade hier durch die damals berühmte gelehrte Schule besonders kräftige Nahrung erhielt, zeigt am Gesims des oberen Geschosses die Inschrift: ARGHITEGTIS VETERIBVS DIGATVM. Die Pilaster enthielten nämlich die leider zerstörten Medaillonköpfe antiker Architekten und Mathematiker. Der Name Archimedes ist noch lesbar. Ein späterer Giebelbau vom Jahre 1615 ist das zur protestantischen Kirche gehörende Haus, ebenfalls mit zweistöckigem Erker ausgezeichnet. In Kaisersberg bemerkt man schüchterne Anfänge der Renaissance an einem großen zweigiebhgen Hause vom Jahre 1521. Ein kleineres Haus mit barockem Giebel trägt das Datum 1616 und den Namen des Baumeisters Johann Volrhat. Ebendort manche anziehende Fachwerkhäuser, darunter ein be- sonders interessantes vom Jahre 1594. Neben der Kirche ein stattliches Gebäude, ehemals wohl Rathaus mit zwei breiten Rundbogenportalen, einem Treppenturm und einem Erker, bezeichnet 1604, dabei folgender Vers:

Dem lieyligen Reich ist dises Haus

Zue Lob und Ehr gemachet aus

Darin die wahr Gerechtigkeit

Gehalten wirt zue jeder Zeit.

InRappoltsweiler zeigt ein Brunnen vom Jahre 1536 in derben Formen den neuen Stil noch gemischt mit der Gotik. Rufach hat unweit der Kirche einen Ziehbrunnen auf zwei stark verjüngten dorischen Pfeilern in ausgebildeter Renaissance, vom Jahre 1579.

Eines der stattlichsten Denkmäler ist das Rathaus zu Mülhausen. Die Stadt schwang sich schon im 13. Jahrhundert zu selbständiger Bedeutung auf und wurde 1273 von Kaiser Rudolph von Habsburg zur freien Reichsstadt er- hoben. In den Fehden des 15. Jahrhunderts mit dem raublustigen Adel schloß sie sich den benachbarten Schweizer Kantonen an und wußte längere Zeit in den Kämpfen des Reichs gegen Frankreich ihre Neutralität zu behaupten. Ein 1431 nach dem Muster des Baseler Zunfthauses „zu Saffran" errichtetes Rathaus wurde 1551 durch Brand zerstört, aber schon im folgenden Jahre wurde auf derselben Stelle das noch jetzt bestehende Gebäude, wahrscheinlich mit umfänglicher Be- nutzung der alten Grundmauern, neu errichtet.*) Man liest an der Fassade die Jahreszahl 1552. Der Bau (Abb. 185) wendet seine Langseite mit dem hohen, durch glasierte Ziegel geschmückten Dache dem Marktplatze zu. Die unregelmäßige Einteilung, die Form und Gruppierung der Fenster erinnert, wie die spitzbogigen Portale des Erdgeschosses, an mittelalterhche Auffassung, und in dieser besondern Form an Bauten des benachbarten Basel. Eine doppelte Freitreppe mit einem auf Renaissancesäulen ruhenden Schutzdach führt zum Hauptgeschoß. Die Un- regelmäßigkeiten der Fassade, die an sich von geringer architektonischer Be-

1) Das Historische in N. Ehrsam, l'hotel de ville de Mulhouse. Mulh., 1868. 8.

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2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Ober-Elsaß

deutung ist, werden in glücklicher Weise durch eine vollständige Bemalung aus- geglichen, ja selbst zu künstlerischer Bedeutung erhoben. Die aufgemalte Quade- rung des Erdgeschosses gibt eine ruhige Grundlage, die Fenster sind mit ge- malten Laubgewinden, Giebeln und Rollwerk bekrönt und im Hauptgeschoß durch eine ebenfalls gemalte Säulenstellung und eine Balustrade scheinbar in eine tiefe Halle verlegt, welche an beiden Ecken mit weiblichen Figuren belebt wird. In- schriften bezeichnen sie als Wachsamkeit und Vorsicht. Das obere Geschoß hat zwischen den Fenstern Nischen mit den Gestalten der drei theologischen und der vier Kardinaltugenden. Der Maler hat sich wenig um die untere Einteilung gekümmert, und doch ist die Wirkung eine harmonische.

Abb. 285 Eathaus zu Mülhausen - (Aus: Volkstümliche Kunst aus Elsaß-Lothringen)

Der Urheber dieser Fresken war Meister Christian Vaclsterffer aus Kolmar, der laut dem noch vorhandenen Vertrag vom 10. September 1552 nicht bloß die beiden Giebelwände und die vordere Fassade zu malen, sondern auch die Rück- wand der „großen Stuben" mit einer schönen Historie schmücken sollte, und das alles, wie es in der Urkunde heißt, „uff das trewhchest artichest und kunst- richest, so er mag mit finsten Farben punktlichen verfertigen und ußraachen, daß es der Stadt und imme ehrlichen und nutzlichen sey". Als Lohn erhielt er für sich und seinen Gesellen freie Zehrung und zweihundert Gulden. Dafür soll er aber alle Farben und Gold und „was er sonst darzu brucht" auf seine Kosten kaufen und alles mit guten lebhaften Farben machen. Die Wappen der zu- gewandten Schweizerorte, die ebenfalls die Fassade schmückten, mußten, als Mülhausen der französischen RepubHk einverleibt wurde, ausgelöscht werden, um dieses Andenken an seine Geschichte zu vertilgen. Die Gemälde sind überhaupt mehrmals, zuletzt 1846, restauriert worden, wie es scheint mit Verständnis und Pietät. Ursprünglich muß freilich die Wirkung eine noch prächtigere gewesen sein, und der wackere Kolmarer Meister wird auch das Gold nicht gespart haben,

Mülhausen Eathaus

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denn Michel de Montaigne nennt 1580 in seiner Reise ^) das Gebäude „un palais magnifique et tout dore". Ein Anbau an der rechten Giebelseite vom Jahre 1510 enthält das Archiv. Das ganze Gebäude ist außen und innen nach der Sitte der Zeit mit Sprüchen verziert, die sich hauptsächUch auf die Gerechtigkeitspflege beziehen. So liest man über dem Eingang: „non tam pro moenibus quam pro

Abb. 1813 i'listerhaus zu Kolmar

legibus pugnandum". „Einerlei Recht sei unter euch, dem frömbden wie dem heimischen". Beim Eintritt gelangt man in einen großen Vorsaal, wie in allen unseren alten Rathäusern. Im Ratsaal selbst erinnern mehrere Glasgemälde an das alte Bündnis mit Basel, Solothurn und Bern. Ebenso sind die Wappen der Schweizer Kantone und der Schwur auf dem Rüth in Wandgemälden dargestellt. Dazu eine kurze Reimchronik der Stadt. So ist der Bau im wesentlichen noch ein treues Bild der Zeit, die ihn errichtet hat.

1) Journal de voyage I, p. 29.

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2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Ober-Elsaß

Kolmar besitzt mehrere tüchtige Bürgerhäuser aus dem 16. Jahrhundert, die zum Teil auf Malerei angelegt, zum Teil aber auch in kräftigem Quaderbau durchgeführt sind. Eins der frühesten und schönsten ist das Pfisterhaus, das wir unter Abb. 186 abbilden.^) Als Eckhaus spricht es sich durch den diagonal ge- stellten Erker aus ; dieser trägt mit seinen Medaillons und Ghederungen den Cha- rakter der Frührenaissance; auch die Anordnung und Umrahmung der Fenster und der im Stichbogen gewölbten Eingänge erinnert noch ans Mittelalter. Pracht- voll wirksam ist die auf mächtigen Kragsteinen vortretende Holzgalerie des ober- sten Stockwerks mit geschnitzten Ständern und dem zierlichen Geländer. Zuletzt aber erhält die Fassade durch reiche vollfarbige Gemälde, die freilich zum Teil zerstört sind, ein Gepräge künstlerischer Heiterkeit. Die Gegenstände scheinen dem Alten Testamente angehört zu haben, während am Erker Gestalten von Tu- genden angebracht sind. Die Gemälde sind 1577 vom Meister des Mülhauser Rat- hauses ausgeführt, der hier Chr. Wagsclörfer heißt; der Bau selbst stammt vom

Jahre 1537 und wurde von einem Barettmacher aus Bisanz errichtet.

Eine Giebelfassade, die dem oben mitgeteilten Hause zur Krone in Ensis- heim verwandt ist, hat sich in dem „Kopf hause" von 1607 erhalten') (Abb. 187). Auch hier als Haupt- stück der reichen Giebel- front ein zweistöckiger Erker mit oberer Galerie. Doch sind alle Fenster mit kräftiger Pilasterstel- lang und Verdachung um- faßt, und die breite Ein- fahrt ist mit Gesims, Kon- solen undLöwenaufsätzen verziert. Ein prächtiger Erker an der Ecke der Augustinergasse in zwei Stockwerken, aus späte- rer Zeit. Überhaupt hat die Stadt Martin Schon- gauers mehr, als jede andere im Elsaß, das Bild einer alten deutschen Stadt bewahrt.

Von ganz fremdartiger Erscheinung ist das soge- nannte Johanniterhaus ''), dessen obere Stockwerke eine doppelte fünf bogige

1) Polaczek, Denkm. d. Bauk. im Elsaß p. 110.

2) Polaczek a. a. 0. Taf. 98.

3) Daselbst Taf. 99 p. 129.

Abb. 187 Kopfhaus zu Kolmar (Aus: Volkstümliche Kunst aus Elsaß-Lothringen)

Kolmar

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Bogenhalle auf Säulen zwischen zwei geschlossenen Eckbauten besitzen, den ein- zigen Schmuck des Ganzen, doch von schönster Wirkung. Die Brüstung der oberen Säulenstellung besteht aus reichem Maßwerk; den obersten Abschluß der Terrasse bildet eine Balustrade. Das Vorbild der Fassade, die 1608 erbaut ist, scheint mir der Palazzo Lercari zu Genua zu sein.

An Originalität und Schönheit übertrifft indes alle andern Bauten ein der Südseite der Martinskirche gegenüberliegendes Haus, an dessen kleinem, noch gotisierendem Seitenpförtchen man die Jahreszahl 1575 liest, durch den Glanzpunkt der sonst einfachen Fassade, das Hauptportal mit seinen kannelierten dorischen Säulen und dem darüber sich breit entwickelnden balkonartigen Erker ^) (Abb. 188). Die originelle Grundform desselben, der prächtige Schmuck von korinthischen Säulen und schön gearbeiteten Masken, die von aufgerollten Kartuschen eingerahmt sind, verleihen ihm einen hohen Wert. Der untere Fries besteht ebenfalls aus Masken. Das Figürliche ist hier durchweg mit großem Geschick behandelt.

1) Neuerdings durch eine häßliche Bedachung entstellt.

Abb. 188 Erker aus Kolmar

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2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Unter-Elsaß

Unter-Elsaß

In keiner Provinz Deutschlands zeigt sich während des 15. und 16. Jahr- hunderts eine größere Kraft und Fülle des geistigen Lebens, als im unteren Elsaß.') Schon 1450 wurde in Schlettstadt durch Ludwig Dringenberg eine ge- lehrte Schule eröffnet, aus der eine Anzahl tüchtiger Humanisten hervorging. Bald darauf gründete auch Straßburg seine Schule und wurde für lange Zeit der Mittelpunkt eines regen gelehrten Treibens. Nicht wenig wurde dieses ge-

Abb. 189 Neuer Bau (Hötel de Commerce) zu Straßburg (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Eenaissance)

fördert durch die Erfindung der Buchdruckerkunst, die bekanntlich von dort durch Gutenberg ihren Ausgang nahm, und sodann durch Johann Mentelin und andere weiter ausgebildet und gepflegt wurde. Überhaupt, solange der deutsche Geist im Elsaß die Herrschaft behielt, blieb dies höhere Kulturleben dort in Blüte. Erst mit der Unterdrückung des Deutschtums durch den gewalttätigen franzö- sischen Geist verkümmerte und verdorrte es. Die überaus rege Tätigkeit der Straßburger Buchdrucker wirkte nicht minder fördernd auf die bildende Kunst, und in der Zeit der beginnenden Renaissance war dort eine Anzahl tüchtiger Künstler besonders mit Zeichnungen für den Holzschnitt beschäftigt. Vor allem aber blühte da gegen Ende des 16. Jahrhunderts eine Architekturschule, die die glänzendste und geschlossenste in unserer gesamten Geschichte der Renaissance genannt werden darf und ihre Meister bis an die Grenzen von Norddeutschland

1) Über das geistige Leben des Elsasses in dieser Epoche vgl. Strobels vaterl. Gesch. des Elsasses III, 440 ff. 515 ff.; IV, 122 ff. 247 ff.

Straßburg

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sandte. Sie gruppierte sich wahrscheinlich um Wendel Dietterlein, den großen Malerarchitekten jener Zeit. Zunächst nennt man Stadtbaumeister Daniel Speclde, der sich namentlich in der Kriegsbaukunst hervortat. Geboren 1536 zu Straßburg, lernte er zuerst Formschneiden und Seidensticken, durchzog dann verschiedene Länder, bis er nach Wien kam, wo ihn der kaiserliche Baumeister Solizer kennen lernte und in der Kriegsbaukunst unterrichtete. Von Maximilian II. und dem Erz- herzog Ferdinand zu ihrem Rüstmeister ernannt, kehrte er 1574 nach Straßburg zurück, fertigte ein Holzmodell der Stadt und wurde zum Stadtbaumeister ernannt.

Abb. 190 Frauenhaus zu StralSburg

Sein obenerwähntes Werk über die Kriegsbaukunst genoß lange Zeit hohes An- sehen. Schon vorher hatte er für Herzog Albrecht von Bayern die Befestigung von Ingolstadt geleitet und viele andere Fürsten und Städte mit seinem Rat unterstützt. Auch in Straßburg legte er Festungswerke an und galt lange als Erbauer des jetzt Hotel de Commerce genannten Stadthauses, das etwa 1585 unter dem Namen „Neuer Bau" errichtet wurde (Abb. 189). Er starb 1589.

Vor anderen aber kommen hier in Betracht: Hans Schock, geboren etwa 1550 zu Königsbach in Baden, wohl der bedeutendste Architekt jener Schule, vielleicht überhaupt jener Zeit, der Erbauer des Schlosses Gottesau und des Friedrichsbaus zu Heidelberg, wahrscheinlich auch des „Neuen Baus" zu Straßburg, und Georg Ridinger, der das herrliche Aschaffenburger Schloß und wohl auch das zu Mainz erdacht hat.

Straßburg besitzt nur wenige Überreste der Baukunst jener Zeit. Der früheren Zeit gehört das Frauenhaus beim Münster (Abb. 190). In der linken

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2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Unter-Elsaß

Hälfte von 1347 noch gotisch, wurde es bis 1585 durch einen zweiten Eckflügel nebst einem Fachwerk- Verbindungsbau, die zusammen den Hof einschließen, zu einer wohl abgewogenen wirksamen Gruppe vervollständigt. Der stolze Schnecken- giebel mit seinen Gruppenfenstern und starken Gesimsen bildet ein prächtiges Gegenstück zu dem alten Flügel, dem ein achteckiges neues Treppenhaus zuge- fügt wurde. Der Hof ist nach vorn durch eine Mauer mit schönem Tor abge- schlossen und enthält innen eine umlaufende Galerie auf Konsolen.

Im Innern zeichnet sich der neue Flügel, den Hans Ulherger 1579—85 er- richtete, besonders durch die wundervolle Wendelstiege aus. Auch diese ist zum Teil spätgotisch, die Rundstäbe sind öfters als knorrige Äste behandelt, aber die stützenden Mittelsäulen haben Renaissanceform. Auch der prächtige Saal im Erdgeschoß, der jetzt der Modellsammlung dient, hat mitten eine höchst vortreff- lich behandelte ionische Säule mit Akanthusblättern an dem Kapitell. Die Decke wird zum Teil durch ein gotisches Netzgewölbe, zum Teil durch eine vortreff- lich behandelte Holzbalkendecke gebildet. Die dekorative Malerei der Wände, von der noch Reste vorhanden sind, zeigt eine Art Grotesken und dürfte Wendel Dietterlein selbst zuzuschreiben sein.

Der ausgebildeten Renaissance gehört sodann der obenerwähnte Neue Bau (das jetzige Hotel de Commerce) an (Abb. 189), leider zu Anfang vorigen Jahr- hunderts seiner prachtvollen Wendelstiege und seiner Hofhallen beraubt. Seine Architektur entspricht im Erdgeschoß der des Friedrichsbaues von Heidelberg und ist eine der ansehnUchsten und wertvollsten jener Zeit überhaupt in den klarsten Formen der Renaissance. Der völlig monumentale, höchst ernste Bau entstand 1582 bis 1585 als dreiflügelige Anlage, im Erdgeschoß für Läden bestimmt. Die Ober- geschosse dienten als städtische Schreibstuben. Dies Verhältnis gab dem entwerfen- den Künstler die seltene Freiheit, die Fassade in vollster Regelmäßigkeit mit weiten Achsen zu gestalten. Als der leitende Architekt galt von jeher Daniel Speckle; doch ist die Pilasterarchitektur des Erdgeschosses derart übereinstimmend mit der der anderen Bauten des Hans Schock, daß wenigstens dieser Teil im Entwurf dem letztgenannten zugeschrieben werden muß. Die oberen Geschosse und das Portal weichen sichtbar im Charakter davon ab und gehen auf eine ältere Auf- fassungsweise zurück, so daß dafür wohl andere in Frage kommen können; das findet seine Bestätigung darin, daß Schoch bereits 1583 in die Dienste des Mark- grafen von Baden übertrat, für den er Schloß Gottesau entwarf. ^ Die leitenden Bauführer waren Jörg Schmitt und Paul Maurer. Den letzteren halten einige für den maßgebenden Architekten, besonders da er später auch den Bau des Schlosses Gottesau leitete. Doch ist von ihm nichts weiter bekannt, auch ist er nirgends als erfindender Künstler beglaubigt. Der auffallende Umstand, daß Gottesau das Bogensystem des Straßburger Erdgeschosses über alle Stockwerke gleichmäßig angewandt zeigt, bestätigt um so deuthcher, daß die Obergeschosse zu Straß- burg aus anderer Hand stammen. Diese lehnen sich in der Anordnung denn an herkömmliche Art deutlich an. Man vergleiche nur die starke Übereinstimmung mit den „Hallen" zu Mömpelgard, die das gleiche System, freilich in größter Einfachheit zeigen.

Trotzdem ist unsere Straßburger Fassade in der Architektur zu einer starken Einheit verschmolzen und bildet mit ihren 16 breiten Fenstersystemen in drei Stockwerken und ihrem schönen Rhythmus eines der großartigsten Bau-

1) Schoch hat auch 1600 die wundervolle Pleischhalle zu Heilbronn und in Straßburg die große Metzig erbaut, einen freilich ganz einfachen Bau, der aber viel reicher, ebenfalls völlig horizontal gelagert, mit einer langen Reihe von Dacherkern und prächtiger, zweiseitig anstei- gender Freitreppe geplant war. Eine Zeichnung davon im Kupferstichkabinett zu Straßburg. Abgeb. beiPolaczek, Denkm. d. Baukunst im Elsaß. Straßb. 1906 p. 105. Über Schoch vor allem die grundlegenden Aufsätze von Czihak im Zentralbl. d. K. pr. Bauverwaltung 1889.

Straßburg Oberehnheiin

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werke jener Zeit. Auch daß keinerlei Giebel das mächtige Dach und seine Hori- zontale durchbrechen, verstärkt den gewaltigen Eindruck. Solche waren unzweifel- haft nie beabsichtigt vgl. Mömpelgard , und die drei dichten Reihen schön gebildeter Dachluken gliedern die Dachfläche in glücklichster Weise, das Ganze zugleich als reines Bureau-, Geschäfts- und Lagerhaus charakterisierend.

Noch manches schöne Patrizierhaus in Straß- burg zeugt von alter Kunstliebe; so das präch- tige Haus am Stephans- plan Nr. 17 mit kräftigen Giebeln, zwei Erkern, Wendeltreppe und schö- nem Saalim Obergeschoß, der auf zwei Säulen eine feine Stuckdecke trägt, so das stolze Haus L a u t h in der Kauf hausgasse von 1586 mit seinen zwei stol- zen Giebeln und zwei fla- chen dreiseitigen Erkern nach der Straße. Außer- dem aber immer noch eine Reihe von Fachwerkhäu- sern, darunter das Käm- merzell sehe am Mün- ster ; über einem gotischen Erdgeschoß von großen Bögen drei prachtvolle Obergeschosse mit reich- ster Schnitzerei und Gie- bel, vom reinsten elsäs- sischen Typus mit vor- gekragten Umrahmungen der Fenster, dieinGruppen zu zwei oder drei die Flä- chenvollständig durchbre- chen. Vielleicht das präch- tigste Werk der Art in Deutschland, an dieFrank- furter Bauweise stark an- khngend (Abb. 191).

Reichhaltig ist das kleine Oberehnheim, südUch von Rosheim. Zu- nächst tritt hier am Rathaus mit der Jahreszahl 1523 die Renaissance sehr früh, freilich noch stark mit gotischen Formen vermischt, auf den Plan. Nur der linke Flügel ist alt, der Rest samt dem Mittelbau modernisiert. An den Fenstern spätgotisches Astwerk, vor dem Hauptgeschoß ein Altan mit gotischem Maßwerk im Geländer; aber die großen, mit Köpfen geschmückten Kragsteine darunter haben Renaissanceform. Der Erker an der Marktseite, ganz in Renaissance- formen auf fünf dichtgestellten großen Konsolen ausgekragt, ist 1604 hinzu- gefügt. — Am Marktplatz sodann, der Nebenfront des Rathauses gegenüber, die alte Metzig, jetzt Kornhalle, im Obergeschoß Fachwerkbau, vom Jahre 1554.

Abb. 191 Haus Kämmerzell zu Strasburg (Aufnahme der Neuen Photogr. Gesellschaft, Steglitz)

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2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Unter-Elsaß

Auch hier herrscht noch vorwiegend das Mittelalter, der steinerne Giebel gegen den Platz zeigt ein spitzbogiges Tor, darüber vor dem Mittelfenster eine Balu- strade in Maßwerk, dann aber das Wappen mit dem Reichsadler in einem Renais- sancerahmen. — Weiter am Markt ein Brunnen unter dem Erker eines Hauses: offene Halle mit zwei Renaissancepilastern gegen die Straße, im zweiten Stock- werk ein Erker mit schlichten Pilastern, das dritte Geschoß schließt mit einer spät- gotischen Balustrade ab. Endlich ein zierlicher Zierbrunnen vom Jahre 1579 in der Straße, die auf das Rathaus mündet. Die runde steinerne Einfassung hat zwei Reihen Kassetten mit Blattornament. Diese Einfassung trägt drei korinthische

Säulen, mit gedrungenen am unteren Teil reich ornamentierten Schäften . Über den Kapitellen ent- wickeln sich nach Art von Holzkonstruktionen breite Konsolen, um den niedrigen Architrav zu tragen. Eine flache Stein- kuppel von geschweiftem Profil, im Innern durch ein gotisches Rippen- gewölbe charakterisiert, krönt den originellen kleinen Bau. In der Wetterfahne auf seiner Spitze liest man die Jahreszahl 1579.

Ein bedeutendes Bau- werk besitzt sodann Molsheim in seiner Fleischhalle (Abb. 192). Der statthche und malerische Bau zeigt eine ungemein wirksame

Abb. 192 Ehemaliges Rathaus, jetzt Fleischhallc, zu Molsheim Anlage. Die lange, mit

(Aus: Volkstümliche Kunst aus Elsaß-Lothringen; ihrem hohen Giebeldach

dem Markt zugekehrte

Hauptfront hat, wie das Rathaus in Mülhausen, eine doppelte Freitreppe mit gotischem Maßwerkgeländer. Über ihrem Podest baut sich ein Turm empor, von zwei gedrungenen Pilastern und ionischen Kapitellen getragen. Am Turm eine Uhr mit Bildwerken und der Jahreszahl 1607, die aber vielleicht nur auf diesen etwas barocken Aufsatz sich bezieht. Noch effektvoller wirkt der Bau durch die schmalen Giebelfronten mit ihren hohen, in drei Geschossen durch kannelierte Pflaster gegUederten Giebeln. Das untere Geschoß der Giebelfront hat eine Halle mit drei Rundbogenarkaden. Über ihnen springen auf mächtigen Kragsteinen von schwerer Renaissanceform Altane vor, sich um die Ecke fortsetzend und an der Hauptfassade endend. Auch diese haben noch Geländer von spätgotischem Maßwerk. Am vorderen Giebel liest man oben die Inschriften: LVGRET. ROMA, MARGVS. Also waren hier wohl früher Wandgemälde dieses Inhalts.

Molsheim aber umschließt vor allem in seiner Jesuitenkirche, die 1614 19 erstand, ein bedeutendes Werk der Kirchenbaukunst und den Vorläufer der nur einige Jahre jüngeren zu Köln, wie diese, vermutlich von dem Architekten

Molsheim Weißenbiirg

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Christoph Wamser aus Aschaffenburg erbaut. Die Anlage, die sich im ganzen noch stark mittelalterlich ausnimmt, ist dabei eine höchst eigenartige : im Westen ein sechsjochiges Schiff in basilikaler Anordnung, also mit Oberfenstern im mächtig weitgesprengten Mittelschiff, über den niedrigen Seitenschiffen eine durch- laufende Empore; sodann folgt ein verhältnismäßig niedriges Querschiff und ein dreijochiger Chor mit dreiseitigem Schluß. Wenn nun auch die Gewölbe und Bögen überall spitz- bogig und gut gotisch erscheinen, die Fen- ster auch alle eben- solches Maßwerk zei- gen, so ist doch die

weitere Formenbe- handlung völlig in Re- naissance gehalten. Vor allem sind die durch die Emporen- brüstung durchschie- ßenden Schififpfeiler einfach klare dorische Säulen mit Eierstab- Kapitellen, Gesimse, Schlußstein, Brüstung und alles Detail von klarer Renaissancebil- dung, wie die ganze weiträumige Kirche durchaus von gleichem Gefühl durchweht ist. Eine reiche Kanzel und schönes Stuhl- werk schmücken den leider durch gotische " neue Altäre u. dgl. ent- stellten Kirchenraum (Abb. 193). Das Äu- ßere, das durch ein mächtiges Dach wirkt,

besitzt wenig Charakteristisches, ist mit plumpen Strebepfeilern ringsum gestützt und nur durch die geschweiften Querhausgiebel durchbrochen. Ein sehr zierliches achteckiges Türmchen vor dem Westgiebel und ein hübscher zweistöckiger offener Dachreiter geben dem Umrisse doch einigen malerischen Reiz.*)

Ein zierliches Eckhaus vom Jahre 1550 sodann in Weißenburg, gleich westlich von der Stiftskirche, außerhalb der alten Umwallung. Die Tür zeigt spätgotisches Astwerk, wird aber von Renaissancepilastern eingerahmt. Auf der Ecke des Hauses entwickelt sich sehr elegant über einer Säule ein Erker von rotem Sandstein, mit Meidaillonköpfen und fein ornamentierten Rahmenpilastern geschmückt. Außerdem in der Alten Johannisgasse ein ungemein elegantes Fach- werkhaus über steinernem Erdgeschoß, der obere Stock aufs zierlichste dekoriert, indem die einzelnen vorgekragten Fenster und der Erker prachtvoll mit geschnitzten

Abb. 193 Inneres der Jesuitenkirclio zu Molsheim

1) Polaczek a. a. 0. Taf. 62. 63. p. 94.

Lübke- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl.

17

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2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Das südliche Baden

Rahmen und laubgeschmückten Kandelabersäulen eingefaßt sind. Der kleine Bau vom Jahre 1599 gehört zu den elegantesten Beispielen der oberrheinischen Holz- architektur.

In Zabern an der Hauptstraße ein zierliches Fachwerkhaus mit zwei- seitigem Spitzerker. Die Haustür hat noch den gotischen Eselsrücken, der Erker aber wird von einer toskanischen Steinsäule getragen, während das Schnitzwerk größtenteils bereits sehr barock ist. Das Haus trägt zweimal unter dem Erker und über der Türe die Jahreszahl 1605. Ein Beweis, wie lange auch hier, der allgemeinen deutschen Sitte entsprechend, am Fachwerkbau und gewissen gotischen Einzelheiten festgehalten wurde. Am Alten Schloß in Zabern sieht man noch ein frühes Renaissanceportal am Treppenturm.

Endlich auf dem Wege von Niedeck nach Maursmünster das malerische Schloß Birkenwald.i) Es hat zwei verzierte Portale, das eine mit der Jahres- zahl 1562. An der Nordseite liegt zwischen runden Türmen ein großer Altan, wie solche damals im Elsaß wiederholt vorkommen. Im Erdgeschoß ein schöner gewölbter Saal auf derben Kandelabersäulen und eine ähnliche Küche. Die archi- tektonischen und ornamentalen Formen alle aber von erstaunlicher Unbeholfen- heit, oft geradezu an romanische Formengebung erinnernd.

Das südliche Baden

Eine wesentlich andere Entwicklung nimmt die Renaissance in den Ge- bieten, die heute dem Großherzogtum Baden angehören. Hier erhebt sich kein städtisches Gemeinwesen auch nur entfernt zu der Bedeutung der blühenden elsässischen Städte, namenthch Straßburgs. Dagegen pflegen die im Lande an- sässigen Fürstengeschlechter, vorzüghch die Markgrafen von Baden-Baden und Baden-Durlach, die Baukunst durch Anlage und Ausstattung von Schlössern, in denen wachsende Prachtliebe zum Ausdruck kommt. Daneben treten die bürger- lichen Bauten der Städte in zweite Linie zurück. Doch konnte es nicht aus- bleiben, daß das Vorbild der fürstlichen Bauten auch bei den bürgerlichen Unter- nehmungen zu glänzenderer Gestaltung trieb.

Den Anfang machen wir mit dem Schloß Gott es au bei Karlsruhe. Im Mittelalter war hier ein Kloster, an dessen Stelle Markgraf Karl II. von Baden- Durlach 1533 ein Schloß erbaute, das 1589 durch seinen Sohn Markgraf Ernst Friedrich in der heutigen Gestalt erneuert wurde. ^) Der Baumeister war Hans Schock, dessen wir schon öfters gedacht, seit 1583 in die Dienste des Markgrafen getreten, und durch den Straßburger Paul Maurer als Ausführenden unterstützt; letzterer war auch am „Neuen Bau" mit tätig gewesen. In den französischen Raubkriegen unter Ludwig XIV. verwüstet und ausgebrannt , wurde es durch Markgraf Karl Wilhelm wieder hergestellt, aber 1735 abermals durch eine Feuers- brunst beschädigt. Alle diese Verwüstungen hat aber das sohde Mauerwerk glücklich überstanden, so daß 1740 eine durchgreifende Wiederherstellung haupt- sächhch das Innere betraf. Leider wurden auch damals die ursprünglichen Fenster aus den Bogenstellungen der Fassade entfernt und durch formlose Öffnungen in anderer Stockwerkteilung ersetzt. Nur an den Türmen sind die originalen Fenster geblieben. Bei dieser Gelegenheit erhielten jene statt der ehemaligen spitzen Dächer die jetzigen Kuppeln. Gegenwärtig ist der Bau Kaserne.

Das Innere des Schlosses ist durch die Umwandlung so verändert worden, daß die ursprüngliche Einrichtung und vollends die ehemalige reiche Ausstattung

1) Polaczek a. a. 0. Taf. 92.

2) Polaczek a. a. 0. Taf. 84.

3) E. J. Leichtlin, Gottesauer Chronik. Karlsruhe 1810.

Gottesau 259

bis auf den letzten Rest verschwunden ist. Es ist bezeugt, daß reiche Holztäfe- lungen aus Straßburg darin aufgestellt waren, und daß der Niederländer Hendrik Steenwijk d. Ä. die Ausmalung mehrerer Decken bewirkte. Das Äußere dagegen (Abb. 194) gibt im wesentlichen wohl noch das Bild der ursprünglichen Anlage.

Abb. 194 Schloß Gottesau bei Karlsruhe (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Kenaissance)

Die vier runden Türme auf den Ecken mit ihren geschweiften, ehemals einfacheren Dächern, zu denen in der Mitte der Hauptfassade ein fünfter für die Treppe sich gesellt, verleihen dem Bau ein ungemein malerisches Gepräge. Einfache dorische Pilaster gliedern durchweg die beiden unteren Geschosse, während das dritte Stock- werk an den höher emporgeführten Türmen ionische Pilaster zeigt; sehr an- sprechend sind sodann die Fenster von gedrückten Bögen eingefaßt, welche den ganzen Bau wirkungsvoll gliedern. Die Formbehandlung an sich, so einfach sie erscheint, entbehrt nicht wohlberechneter Steigerung. Die unteren Pilaster sind ziemlich derb und haben starke Schwellung des Schaftes; die oberen sind feiner gezeichnet. Die Fenster selber, nur noch an den Türmen erhalten, sind von Pilastern eingerahmt, in der Mitte durch einen Pfeiler geteilt und durch Gebälk und krönenden Giebel abgeschlossen, ebenfalls eine wohlerdachte Steigerung zeigend. Am Erdgeschoß haben sie eine kräftige Rustika, am oberen Stockwerk eine feinere Quaderbehandlung und im zweiten Geschoß sehr elegante Ornamente. Dieselbe Abstufung gilt von allen übrigen Gliedern, den Bögen samt ihren Schlußsteinen und Gesimsen. Gesteigert wird die Gesamtwirkung durch die aus dem verschie- denen Material sich ergebende Farbenstimmung. Alle Gesimse, Einfassungen, Kapitelle und Basen sind nämlich aus rotem Sandstein, alle übrigen Gliederungen aus grauem Sandstein, die Flächen geputzt und zum Teil durch aufgemalte Quade- rung belebt. Die Fensterumrahmungen wiederholen sich genau so an den beiden

260 2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Das südliche Baden

oberen Geschossen des Friedrichsbaus zu Heidelberg, während die Architektur der sie einfassenden Wandbögen wieder genau der am Erdgeschosse des Straßburger Neuen Baus entspricht. Gottesau bildet daher das Mittelglied zwischen den ge- nannten beiden Bauwerken und mit ihnen ein glänzendes Trifolium, das den Höhe- punkt der nationalen Renaissance in Süddeutschland, mit dem Aschaffenburger Schlosse aber den Triumph der Straßburger Architektenschule bedeutet.

Nach Dehio soll das Schloß bis 1735 noch ein drittes Geschoß besessen haben, das mit einer Statuengalerie endigte und eine flache Terrasse bildete, auf der man lustwandeln konnte.

Gibt Gottesau das Bild eines völlig aus einem Guß errichteten Baus, so zeigt dagegen das Schloß zu Baden eine aus verschiedenen Epochen allmählich hervorgegangene Gestalt. Die Geschichte des Baues hat von kundiger Seite eine erschöpfende Darstellung gefunden^); das Wesentliche daraus ist folgendes: Nachdem im frühen Mittelalter das Alte Schloß als feste Burg auf ziemlich steiler Höhe angelegt worden war, errichteten die Markgrafen wahrscheinlich schon im 14. Jahrhundert auf dem unmittelbar über der Stadt sich erhebenden Berg- plateau ein neues Schloß ; dieses wurde durch den Markgrafen Jakob um die Mitte des 15. Jahrhunderts weiter ausgebaut. Überreste mächtiger Substruktionen beweisen allerdings, daß schon die Römer diesen das enge Tal beherrschenden und die warmen Quellen beschützenden Punkt zu einer Befestigung aus- ersehen und das mächtige Terrassenplateau angelegt hatten.'^) Der Bau des Markgrafen Jakob wurde sodann weiter ausgeführt durch einen der edelsten Fürsten des Landes, Markgraf Christoph, der hier 1479 seinen Wohnsitz nahm. Vom neuen Schlosse datiert der 1510 ausgestellte Freiheitsbrief, den er der Stadt Baden verlieh, samt einer Pohzeiordnung „für die Fremden, so zu ihrer Notturft oder ihres Lybes Wollust hier baden". Alle diese Bauten, von welchen namentlich der Haupteingang (in unserem Grundriß Abb. 195 bei A), der vier- eckige Turm an der Nordseite Q, die westliche und nördliche Umfassung bei T, S und N im wesentlichen noch herrühren, tragen die Formen des späten Mittel- alters. Manche Zusätze und Veränderungen kamen unter Markgraf Philipp I. hinzu, so daß der Bau bis dahin schon eine ziemliche Ausdehnung, aber auch, wie gewöhnlich die mittelalterhchen Burgen, eine unregelmäßige Gestalt erhielt. Feste Zeugnisse für diese Bauperioden sind namentlich der Wappenschild des Markgrafen Christoph und seiner Gemahlin am Schlußstein des Torgewölbes und das schön ausgeführte Baden-Sponheimsche Wappen über dem Tor, dessen Jahres- zahl 1530 auf die Zeit des Markgrafen Philipp I. deutet. Auch die Krönung des nördlichen Turmes, der damals als Archiv diente und mit den benachbarten Teilen den Namen der „alten Kanzlei" führte, trägt die Jahreszahl 1529. Ob das Datum 1516 auf einer alten Abbildung'') authentisch ist, darf einigem Zweifel unter- worfen werden, denn die damit verbundene Architektur zeigt eine so entwickelte Renaissance, wie sie für damals in Deutschland undenkbar ist.

Mit Sicherheit kann nur so viel festgestellt werden, daß die Umwandlung der schiefwinkligen und verworrenen mittelalterlichen Burg in eine klar durch- dachte moderne Schloßanlage zur Zeit des Markgrafen Philipp II. bewirkt wurde. Noch während dieser nach seines Vaters Tode 1569 als Minderjähriger in München erzogen wurde, begann der Administrator Graf Otto von Schwarzenberg den Neubau. Die Ausführung war dem Steinmetzen Kaspar Weinhart aus Benedikt-

1) Krieg v. Hochfelden, Die beiden Schlösser zu Baden, ehemals und jetzt. Karlsruhe 1851. Dazu die Aufnahme von L. Gmelin in Ortweins D. Ren. Heft 49, 50, 53 und 54.

2) Ein Teil der mit Strebepfeilern verstärkten römischen Futtermauer, welche dem Erd- druck der mit den bekannten majestätischen Bäumen bestandenen Terrasse so lange widerstanden, ist neuerdings zusammengestürzt und hat umfassende Herstellungsbauten nötig gemacht.

3) Im Besitze des Freiherrn von Ow auf Wachendorf, abgeb. bei Krieg, zu S. 51 If.

Schloß zu Baden-Baden

261

beuren übertragen, der als fürstlicher Oberbau- und Werkmeister bezeichnet wird und schon vorher in Regensburg und München, wie es in einer Urkunde des Straßburger Stadtarchivs heißt, „stattliche Gebäu" gemacht hatte. Wir wissen von dem Meister nichts weiter, als daß er 1582 mit Berufung auf seine früheren Leistungen sich um eine Werkmeisterstelle bei der Stadt Straßburg bewarb. Die Erkundigungen, welche der Rat einzog, lauteten dahin, daß er das Schloß zu Baden aus dem Fundament aufgeführt habe, aber „ein starker Papist" sei. In Hoffnung jedoch, „die Gebäu, so er machen würd, werden nit papistisch sein", beschließen die Bauherrn, ihm das Amt zu übertragen. Die Sache zerschlug sich indes, da Weinhart die Verhandlungen abbrach, i)

Abb. 195 Grundriß vom Erdgeschoß des Schlosses zu Baden-Baden

Die Aufgabe des Meisters bestand vor allem darin, mit möglichster Bei- behaltung der den großen Schloßhof umfassenden Gebäude, welche jetzt in S die Stallungen, in T Dienstwohnungen, in V Remisen enthalten, das herrschaftliche Wohnhaus als Abschluß der Ostseite des Hofes zu errichten. Mit richtigem Takt stellte er das neue Gebäude rechtwinklig auf den mitten im Hof liegenden Bau 0, ein älteres Dienstgebäude mit den gewaltigen Kellern darunter. Zu dem nörd- lichen Flügel P, der die Küche und dazu gehörigen Räume aufnahm, wurde die Verbindung durch den zweistöckigen Bogengang N hergestellt. Die Anlage dieser nördlichen Teile wurde zugleich für. .die Verteidigung so eingerichtet, daß ihre lange Flucht durch zweimalige Vorsprünge der Gebäude bestrichen werden konnte.

Wenden wir uns nun zum Hauptbau. Er bildet ein regelmäßiges Rechteck von 70 Meter Länge und 25 Meter Tiefe, rechts durch einen Treppenturm, links durch die Verbindungsgalerie zum Teil verdeckt. Bei der Anlage des Eingangs G und der damit verbundenen Treppe D war der Meister durch die Rücksicht auf eine ältere Wendelstiege gebunden; aber auch die Rücksicht auf das im Hofe

^) Die Urkunde bei Krieg im Anhang.

262 2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Das südliche Baden

vorhandene Gebäude 0 mußte ihn bestimmen, seinen Eingang etwas nach rechts von der Hauptachse zu verlegen. Die gewölbte Vorhalle G, von der ansehnlichen Breite von 8 Metern, durch das Portal und die neben diesem angebrachten Fenster genügend erleuchtet, wird im rechten Winkel von dem langen, ebenfalls gewölbten Korridor E durchschnitten. Dieser empfängt an beiden Enden durch gekuppelte Fenster sein Licht. So wird der ganze Grundriß in vier ungefähr gleiche selbständige Gruppen von Räumen geteilt, deren innere Anordnung nach den besonderen Erfordernissen sich verschieden gestaltet. Links vom Eingang gelangt man in den Saal L, der, wie das ganze Erdgeschoß, mit gedrückten Kreuz- gewölben überdeckt ist. Bei einer Breite von 7,3 Metern mißt er 20,6 Meter Länge; der auf unserer Abbildung angedeutete Einbau ist ein neuerer Zusatz. Die nahe Verbindung mit der Küche läßt in diesem statthchen Räume den ehemaligen Speisesaal leicht erkennen. Der daran stoßende 10 Meter lange Saal M wird zum Anrichten und als Speisesaal für das Gefolge gedient haben.

Die rechts vom Eingang gelegene Abteilung hat zwei größere Zimmer I und H und dazwischen ein kleineres. Durch die vorgelegte Wendeltreppe steht sie mit der darüber befindlichen in Verbindung und hat zugleich ihren selb- ständigen Ausgang auf den Hof. Es war also eine für sich geschlossene kleine Wohnung, wie wir deren in den französischen Schlössern jener Zeit ähnliche häufig antreffen. Die jenseits des Korridors E gegenüberliegende Abteilung ent- hält die Kapelle F, in der auf zwei kräftigen ionischen Säulen eine Empore für die fürstliche Familie angebracht ist.^) Der Baumeister mußte, um innerhalb des Stockwerks die erforderliche Höhe zu gewinnen, den Fußboden tiefer legen, so daß man auf fünf Stufen in die Kapelle hinabsteigt. An der Ostseite ist eine achteckige Altarapsis vorgebaut, südwärts stößt die Kapelle an ein Vorgemach, dieses wieder steht durch eine Wendeltreppe mit der Terrasse, durch Türen mit dem Korridor E und dem großen Eckzimmer G in Verbindung. Die vierte Ab- teilung ist in fünf ungefähr gleich große Zimmer von etwa 6 Meter Breite bei

7 Meter Tiefe zerlegt ; davon hat nur das mittlere keinen Ausgang auf den Korridor. In dem ersten Zimmer K sieht man in der Wand eine halbrunde ausgemauerte Nische, wohl für einen Brunnen zu Waschungen bestimmt.

In das obere Geschoß (Abb. 196) gelangt man auf der stattlichen Treppe B und tritt sodann in ein Vorzimmer A ; links davon ist ein ähnliches Wohngemach, wie es im Erdgeschoß vorhanden ist, während nach der Nordseite wieder ein großer Saal E sich anschließt, der durch einen vom Hauptkorridor G sich recht- winklig abzweigenden Gang mit der Galerie F, einer Diensttreppe und den an- stoßenden Hofgebäuden in Verbindung steht. Die südöstliche Abteilung dieses Stockwerks enthält einen einzigen Prachtsaal D von 24,6 Meter Länge. In der ursprünglichen Einteilung des Schlosses nahm der große Hauptsaal ebenfalls den ganzen südöstlichen Teil des zweiten Stockwerks ein, war aber durch Hinzuziehung des Korridors auf 14 Meter Breite und 28 Meter Länge gebracht und besaß

8 Meter Höhe.

Von den übrigen Teilen des Schlosses ist nur noch zu sagen, daß sich in P (Abb. 195) die große, mit Kreuzgewölben auf Rustikapfeilern bedeckte Küche befindet, daran sich zwei kleinere unregelmäßige Räume anschließen. Dann folgt in Q der noch mittelalterliche Turm, ehemals das Archiv, und in R eine Reihe später angebauter Dienstwohnungen. Die Ställe sind in S, weitere Dienstwoh- nungen in dem südlichen Teil des Westflügels T, die Remisen endlich in den geräumigen Pfeilerhallen V des südlichen Flügels untergebracht. Die großartigen, äußerst sinnreich angeordneten und zu Verstecken hergerichteten unterirdischen

1) Die Kapelle hat Ratzel neuerdings stilgemäß wiederhergestellt.

Schloß zu Baden-Baden

263

Keller und Gewölbe unter dem Hauptbau sind für die künstlerische Betrachtung ohne Bedeutung.

Die künstlerische Ausstattung ist im Äußern eine ungewöhnlich einfache. Der Baumeister hat sich auf den Eindruck der ruhigen, großen Linien verlassen, die das Ganze in seiner neuen Zusammensetzung gewonnen hatte. Allerdings muß man sich dabei gegenwärtig halten, daß die ursprünglichen Einfassungen der Fenster an der Hauptfassade bei der Verwüstung durch die Franzosen ver- schwunden sind, was die Wirkung erhebUch beeinträchtigt. Von fern gesehen imponiert aber das Schloß durch die mächtigen horizontalen Linien der Terrasse und des langen südlichen Flügels mit seinen doppelten Bogenreihen außerordenthch. Ist man in den Hof getreten, so erhält man den Eindruck der großen, ruhigen Massen des Hauptbaues, an den sich links die Verbindungsgalerie mit ihren kräftig gehaltenen Säulenstellungen schließt, im oberen Geschoß doppelt so viel als im unteren. Diese Hallen mit ihren eleganten, in rotem Sandstein ausge- führten, fein kannelierten Säulen sind der zierlichste Teil der äußeren Architektur. Die untere öffnet sich durch ein mit schönem Wappen geschmücktes Portal auf die Küche. Neben dem Portal durchbrechen zwei niedrige aber breite fenster- artige Öffnungen die innere Mauer. Diese Fenster, die zur Austeilung der Speisen an das niedere Hofgesinde, wohl auch an die Armen dienten, haben eine origi- nelle Ausstattung. Ihre Seitenpfosten sind unter dem reich gegliederten, auf Löwenköpfen ruhenden Gesimse mit trophäenartig aufgehängten, ebenso hübsch angeordneten als fein ausgeführten Küchengeschirren dekoriert. Sie erinnern an gewisse Dekorationen, die man in den Werken des gleichzeitigen Dietterlein findet, Siegeszeichen der Schlemmerei, samt den übrigen Teilen dieser elegant ausge- führten Halle mit einer Liebe behandelt, die uns die Gewohnheiten jener pras- senden Zeiten recht vor Augen führt.

Abb. 196 Grundriß vom Obergeschoß des Schlosses zu Baden-Baden

An der rechten Seite des Schloßhofes zieht sich in sehr schlichter Aus- führung auf breiten Pfeilern die einstöckige Bogenhalle hin, die jetzt als Remise verwendet wird. Jeder Pfeiler ist mit einer großen Bogennische und einer kleineren über derselben gegliedert; letztere für Büsten bestimmt, erstere für Statuen, die freilich fehlen.

Der Hauptbau des Schlosses hat im Erdgeschoß und den beiden oberen Stockwerken jetzt schlicht behandelte Fenster, deren einst reichere Einfassungen vermutlich genau so gebildet waren, wie die auf der Südseite des Schlosses

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2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Das" südliche Baden

oberhalb der Terrasse noch erhaltenen letzten Originalfenster: Rustikaeinfassung-, Einteilung durch ein bis zwei Mittelpfosten, darüber ovale Fenster mit Rustika ringsum. Jetzt zeigt nur das Portal seinen alten Schmuck von je zwei gekuppelten dorischen Halbsäulen, deren Schäfte eine Rustikagliederung haben. Das dorische Gebälk wird von zwei kleinen seitlichen Giebeln und in der Mitte von einem höheren Aufsatz bekrönt; in diesem, von Voluten eingefaßt, das badische Wappen.

Die Gesamtentwicklung des

Portals ist eine überaus statt- liche, die bildhauerische Aus- führung meisterhaft (Abb. 197). Über dem Portalbau ist das Dach durch einen vor- tretenden, mit Schnecken ge- schmückten Giebel ausge- zeichnet.

Eine reichere Ausschmük- kung wurde dem Innern zu teil, die leider meist ver- schwunden, zum Teil durch neuere Restauration verdrängt ist. Sehr elegant sind zunächst die Rippen, Schlußsteine und Konsolen der Kreuzgewölbe in der Vorhalle, dem Korridor und dem Treppenhaus, welche diesen Teilen ein ungemein vornehmes Gepräge verleihen. Sodann haben die Türen im großen Vestibül zur Rechten und Linken schöne Einfas- sungen. Auf deren Gesimsen der badische Wappenschild, von Löwe und Greif gehalten, ist indes späterer Zusatz aus

Abb. 197 Hauptportal des Schlosses zu Baden-Baden der Zeit des Markgrafen Wil-

(Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance) heim (starb 1677) Sehr reich

aber auch schon barock ist die aus dem Gang in die Kapelle führende Tür^), mit allerlei Schweifung um- kleidet und mit Flächenornament bedeckt, das aufgerollte und geschmiedete Bänder nachahmt. Der obere nicht minder barock behandelte Aufsatz enthält in reicher Umrahmung ein gut gearbeitetes Reliefbrustbild Christi. Die Kapelle selbst war mit geringen Fresken vom Ende des 17. Jahrhunderts geschmückt, wo unter dem Markgrafen Ludwig Wilhelm und seiner Gemahlin Sibylla Augusta seit 1697 die Wiederherstellung des Schlosses von den Verwüstungen der Franzosen be- gonnen ward.'') Aus der früheren Zeit des 17. Jahrhunderts datiert dagegen die reiche Ausschmückung der fünf nordöstlichen Zimmer und des Speisesaals für die Dienerschaft, von der man noch Erhebhehes wahrnimmt. Männliche und weib- liche Karyatiden, ovale Rahmen haltend, tragen ein stark vorspringendes Gesimse, darauf delphinartige Tiere und wiederum reiche Rahmen. Diese waren teils für Spiegel, teils für Gemälde bestimmt. Das Kreuzgewölbe ist mit Laubgewinden

1) Abb. bei Krieg zu pag. 76.

2) Sie ist heute geschickt hergestellt.

Schloß zu Baden-Baden

265

in Stuck geschmückt. Durch Farben und Gold erhielt das Ganze ursprünglich seine volle Wirkung. Im zweiten Zimmer ist die Dekoration noch reicher und zugleich besser erhalten. Säulen und Pilaster aus Stuckmarmor mit vergoldeten Füßen und Kapitellen tragen kräftige Gesimse, davon steigen die mit Laubfestons geschmückten Gewölbrippen auf. An den Wänden sind wieder Bilderrahmen angebracht, alles in Stuck und reicher Vergoldung. Die vier Kappen des blauen, goldgestirnten Kreuzgewölbes sind mit Medaillons geschmückt, in kleinen Fresken Liebesgeschichten Jupiters schildernd. Bei einer davon soll man noch im An- fang unseres Jahrhunderts gelesen haben: „genus unde Badense". Durch den Brand von 1689 sind diese bis auf drei zerstört worden. Auch im dritten Zimmer ähnliche Anordnung mit Stuck und Vergoldung. Die dunkelroten Wände haben ovale, von vergoldeten Blumengewinden eingerahmte Nischen mit den bemalten Büsten des Markgrafen Wilhelm und seiner Söhne. Der Fußboden aus italie- nischem Kunstmarmor zeigt mehrere Wappenschilde, die auf den Markgrafen Friedrich V. und seine Gemahlin Barbara von Württemberg deuten. Die gesamte Dekoration dieser Räume gehört also in den Anfang des 17. Jahrhunderts. Auch die übrigen beiden Zimmer, sowie der kleinere Speisesaal enthalten Reste ähn- licher Ausstattung.

Dagegen sind in den oberen Geschossen keine Spuren der ursprüngHchen Ausschmückung mehr geblieben. Nur aus der Beschreibung eines Zeitgenossen, des Jesuitenpaters Gamans, wissen wir von der prachtvollen Ausstattung des großen Saales im zweiten Geschoß. Sein Spiegelgewölbe war 1579 durch Tobias Stimmer mit Fresken geschmückt worden, in denen nach der Sitte der Zeit die Allegorie eine große Rolle spielte; die Wände zierten die Bildnisse der Fürsten des badischen Hauses in mehr als Lebensgröße, unter ihnen zog sich ein Fries mit den Brustbildern der deutschen Kaiser hin. Dazu kamen noch Darstellungen der Monate und der Zeichen des Tierkreises mit entsprechenden lateinischen und deutschen Versen. Am einen Ende des Saales sprang ein achteckiges Erker- zimmer vor, die Krönung der unteren Altarnische der Kapelle, ebenfalls durch Stimmer mit Wandgemälden geschmückt. Das Ganze war also im Geiste unserer entwickelten Renaissance des letzten Viertels des 16. Jahrhunderts ein maßgebendes Prachtwerk von glänzender Durchführung.

An die östliche Front des Schlosses stößt eine hohe Terrasse; deren vor- springende Spitze trägt einen runden Pavillon, welchem die Franzosen den un- sinnigen Namen „Dagoberts-Turm" gegeben haben. i) Dieser Pavillon, von Pfeilern getragen und mit steinerner Kuppel bedeckt, enthält eine Wendeltreppe, die zu dem ehemals sich anschließenden Zwinger hinabführte. Ihre Stufen sind auf der Unterseite mit prächtigem Flachornament völlig bedeckt. Der kleine Kuppel- bau, der innen und außen reich gemalt und vergoldet und mit kleinen Statuen in Nischen geschmückt war, ist eins der köstlichsten Kleinode der deutschen Renaissance und macht dem Meister Weinhart höchste Ehre. Die ausgezeichnet gebildeten ionischen Dreiviertelsäulen, die Pfeiler mit den zierlichen Nischen, die durchbrochene Kuppel mit ihrer kleinen Laterne, die markige und zugleich feine Gliederung der Flächen, die elegante Ausbildung aller architektonischen Formen geben dem kleinen Bau innen und außen eine Anmut, besitzen zugleich eine formale Vollendung, die sehr wenigen Monumenten der deutschen Renaissance eigen ist. Man muß aus der Eigenart der Behandlung des Einzelnen, insbesondere auch des Flachornaments des Frieses und ähnlichem, schließen, daß Meister Wein- hart die gleichzeitige Kunst Frankreichs, insbesondere Arbeiten Delormes und Bullants, aus der Nähe kennen gelernt hatte.

1) Vgl. die schöne Aufnahme bei Gmelin a. a. 0. Taf. 11 20.

266 2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Das südliche Baden

Auf dem weiteren östlichen Vorsprung der Terrasse wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts der prächtige Garten angelegt, der mit seinen gewaltigen Bäumen und Zierpflanzen das Schloß so anmutig umgibt. Auf einer alten Zeichnung vom Jahre 1581 sieht man ihn noch nicht; wohl aber bemerkt man darauf die frühere Anordnung und Einteilung der Fenster des Hauptbaues, die gerade hier noch zum Teil erhalten ist: Gliederung durch Kreuzstäbe, bei den größeren Fenstern drei- teilig, bei den kleineren zweiteilig, darüber ein bogenförmiger Aufsatz mit ovalem Oberfenster, Einfassung in Rustika. Das Schloß wurde 1689 durch die Franzosen, wie eine Unzahl von badischen Schlössern von Heidelberg an, ausgebrannt und verwüstet^); 1843—47 sehr opulent durch Fischer wiederhergestellt. Zu der alten Ausstattung gehören aber noch an der Vorder- und Rückseite die prachtvollen Wasserspeier mit den reich behandelten schmiedeeisernen Tragstangen.

Wertvolle Denkmäler der Renaissance bewahrt sodann die Stiftskirche in den Grabmälern der badischen Fürsten. Noch sehr unentwickelt zeigt sich der Stil an dem Monument Jakobs IL, eines Sohnes Markgraf Christophs L, der als Erzbischof von Trier 1511 starb, und dessen Grabmal aus einer Trierischen Kirche hierher versetzt worden ist. Selbst noch das originelle Monument Philipps IL, im Jahre 1537 von Meister Christoph von Urach gefertigt, verrät eine Mischung gotischer Elemente mit den Formen des neuen Stils. Dagegen ist das Epitaph des 1536 verstorbenen Markgrafen Bernhard III. in so durchgebildeten Renais- sanceformen ausgeführt, daß es sicherlich erst ein Menschenalter nach dem Tode des Dargestellten entstanden sein kann. Derselben Zeit gehört das ein- fachere, aber geschmackvolle Monument, das dem 1569 bei Moncontour gefallenen Markgrafen Philibert, dem Sohne Bernhards und seiner Gemahlin Mechthild von Bayern, errichtet wurde ; man sieht beide Gatten in einer elegant umrahmten Nische vor einem Kruzitixus knien. Diese beiden Grabmäler sind wahrscheinlich unter Markgraf Philipp IL, dem Erbauer des Schlosses, errichtet worden. Dieser letztere selbst, der 1588 starb, erhielt dann wahrscheinlich erst im Anfang des 17. Jahrhunderts sein Epitaph, an welchem plötzlich eine vöUig verschiedene, strengere und dabei im einzelnen schon barocke Behandlung zutage tritt. ^)

Eine zierlich dekorative Arbeit ist der Brunnen im Hofe des Klosters Lichtental vom Jahre 1602, der eine effektvoll behandelte Säule mit einer Statue der hl. Jungfrau aus einem achteckigen Becken aufsteigen läßt.^) Ein höchst originelles Werk vom Jahre 1549 ist der Brunnen in Ettlingen, jetzt vor dem Schloß daselbst aufgestellt, der auf wirksam gegliedertem korinthischen Pfeiler die derbe Figur eines Pritschenmeisters trägt.^) Vor ihm hockt eine Figur, die sich eben zum Empfangen der ihr zugedachten Streiche anschickt. Sie trägt eine Tafel mit der Inschrift:

Las inicli unveracht!

Bedenk, der Welt Wysheyt und Pracht

Ist vor Got ein Dorhet geacht !

Im Schloßhof daselbst sieht man sodann noch einen Brunnen, der sich als reich geschmückte und umrahmte Nische aufbaut; aus dieser ergießt ein Delphin das Wasser in ein Becken (Abb. 198). Die Formen weisen auf die Straßburger Schule. Das Schloß selbst wurde bei der Pfalzverwüstung ebenfalls bis auf ge- ringe Reste vernichtet.

Nur unbedeutend ist, was sich in Bruchsal aus der Renaissancezeit er- halten hat, und selbst das wenige Vorhandene ist nur wie durch ein Wunder der

1) Vgl. darüber den Bericht des Paters Hippolyt bei Krieg in den Beilagen S. 186 ff.

2) Diese Grabmäler aufgen. von Gmelin a. a. 0. Taf. 31 40.

3) Ebenda Taf. 28 und 29.

4) Beide Brunnen aufgen. von Gmelin a. a. 0. Taf. 30.

Bruchsal Gernsbach

267

dreimaligen Einäscherung der Stadt durch die Franzosen entgangen. Es be- schränkt sich auf ein kleines Renaissanceportal am Treppenhause eines Privat- hauses vom Jahre 1552, wie die Inschrift über dem Portal angibt. Reiche Pilaster rahmen es ein; darüber ein Feld mit zwei elegant eingefaßten Wappenschilden; die Krönung des Ganzen im Sinne der Frührenaissance durch einen Halbkreis mit Muscheldekoration. Weiter seitwärts ist eine Tafel angebracht, die berichtet, daß 1562 Christoph von Minchingen, Probst zu Speyer, dies Haus für 1300 Gulden von den Ed- len von Trösten, Görgen und Hans Eytel Spälten von Sulzburg gekauft habe. Die so oft wie- derholten Verwüstungen durch die Franzosen ha- ben im übrigen die Spuren der alten reichen Kunst- blüte in diesen Gegenden fast vollständig verwischt und selbst das später zu behandelnde Schloß zu Heidelberg uns nur als Ruine hinterlassen.

Gernsbach be- sitzt in seinem Rathaus (Abb. 199) ein kleines, aber charaktervoll und reich durchgeführtes Bei- spiel der Architektur aus dem Ende unserer Epoche. Die Lage des Baues an der Ecke zweier nicht eben breiter Straßen mußte einen schmal gedrängten

Hochbau herbeiführen, der sich in dem mit Voluten und Obelisken geschmückten Seitengiebel energisch ausspricht und in dem reich verzierten, polygonen Erker an der Ecke ausklingt. Das derbe Portal mit seinen dorischen Säulen und der Schneckenkrönung, die Fenster mit ihren durchbrochenen Giebeln, der Dacherker endlich mit seinen weit herausgebogenen Schnörkeln sind Kennzeichen eines Künstlers der öfters erwähnten Straßburger Schule aus der Umgebung Hans Schocks, womit die Jahreszahl 1617 am Portal übereinstimmt. Insbesondere könnte ein Entwurf von Ridinger hier zugrunde liegen. Im Innern findet sich eine Wendel- treppe von mittelalterlicher Konstruktion mit gotischen Gliederungen am Portal. Auch die Tür des oberen Saales zeigt gotisch profiUerte Einfassung, obwohl sie eine Umrahmung von korinthischen Säulen mit reichgeschmücktem Gebälk hat. Der untere Schaft der Säulen hat gleich dem Postament barockes Flachornament, am Türsturz liest man die Jahreszahl 1618.

Einiges andere hat sich in Freiburg im Breisgau erhalten. Auch hier bleibt die Gotik noch ziemlich lange in Kraft. An einem Hause der Franziskaner- straße sieht man einen originellen gotischen Erker von 1516, über dem Portal als Baldachin emporgebaut. Am Rathaus findet sich aus derselben Zeit eine

Abb. 198 Brunnen im Schloßhof zu Ettlingen

268 2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Das südliche Baden

Wendeltreppe mit gotischer Profilierung. Auch die gewundenen Säulen, auf denen sie ruht, haben mittelalterhche Form. Oben Hest man aber auf einem Re- naissanceschildchen die Jahreszahl 1558. Das untere Vestibül hat eine flache Holz- decke auf originell behandelten Renaissancesäulen von Sandstein. Im Hof findet sich eine Freitreppe, deren Geländer wieder die Fischblasen des spätgotischen Stiles zeigt. Ebenso haben die unteren Säulchen noch mittelalterliche Form, während die oberen, welche das Dach der Treppe stützen, im Renaissancestil behandelt sind. An der Balustrade liest man 1552. Aber noch länger bleiben hier beide Stile unmittelbar nebeneinander in Übung, denn das Renaissanceportal der Fassade trägt die Jahreszahl 1558, ein kleineres gotisches Portal 1557. Im oberen Stockwerk findet man eine Pforte in steifen Renaissanceformen, aber mit gotischer Gliederung und der Jahreszahl 1559. Sodann ein reicheres Portal der- selben Art.

Neben dem Rathaus lag das alte Gebäude der Universität, ein male- rischer Zweiflügelbau, verbunden durch eine zinnengekrönte Mauer. Es ist das- selbe Gebäude, das unterm 13. Januar 1579 als „neu erbautes GoUegium" unter die seitherigen sechsundzwanzig „gefreiten" Häuser der Universität aufgenommen wurde.*) Auf beiden Ecken diagonal gestellte rechtwinklige Erker mit Reliefs. Das Portal in ausgebildeter Renaissance und mit Porträtmedaillons trägt die Jahreszahl 1580. Im Hof liest man an einem Strebepfeiler 1581. Derselben Zeit gehört offenbar das hübsche spätgotische Portal zur Wendeltreppe. Letztere ruht auf Säulen, alles noch in spätgotischer Bildung.

Diese beiden Gebäude hat ein Umbau des letzten Jahrzehnts zu einem großen neuen Rathause zusammengefaßt und höchst geschickt daraus eine Einheit zu zimmern gewußt, unter Verwertung der älteren Teile, die freilich öfters an allerlei andere Stellen verschoben sind.

Sodann verdient die Vorhalle am südlichen Querschiff des Münsters als ein zierhcher, reich durchgeführter Bau unserer Epoche Erwähnung.^) Sie besteht aus drei Kreuzgewölben, die auf vier Pfeüern ruhen. Elegant behandelte ko- rinthische Säulen sind den Pfeilern vorgelegt, die sehr schlanken Schäfte am untern Teile reich ornamentiert. Kraftvolle Konsolen bilden im Scheitel der Bögen die Unterstützung des stark vorspringenden Gebälkes. Die Balustrade, welche die Plattform umgibt, ist noch im Geiste der Gotik mit spielenden Maßwerken durchbrochen. Über die ganzen Flächen der oberen Teile ist eine delikat im zartesten Rehef ausgeführte Dekoration von linearen Schnörkeln der Spätrenais- sance ausgegossen. Über die Erbauungszeit berichtet an der Ostseite die Jahres- zahl 1620. Im Innern des südlichen und nördhchen Querschiflfs sind die Em- poren mit ihren kannelierten korinthischen Säulen und der eleganten Ornamentik der letzte Rest des schönen Lettners, den Hans Böringer 1579 quer vor dem Chore her erbaute. Sie zeigen schöne Renaissancearkaden mit vorgesetzten Säulen und dürften der Südvorhalle als Vorbild gedient haben. Die Balustrade hat, gleich der an der Vorhalle, noch gotische Fischblasen.

Ein ansehnlicher Bau endhch ist der Basler Hof in der Kaiserstraße, den das Baseler Domkapitel 1588 seinem wegen der Reformation ausgewanderten Bischof errichten ließ. Die Fassade hat ein einfaches Portal mit ionischen Pilastern und barockem Aufsatz, einen größeren und kleineren Erker, sodann im oberen Geschoß drei reiche Nischen mit den Statuen der Madonna, Kaiser Heinrichs und

1) K. Schreiber, Gesch. der Univers. Preiburg im Breisgau. Freib. 1857, II, 66.

2) In Schreibers Gesch. des Münsters S. 154 wird sie als „völlig unpassend" mit Ver- achtung übergangen. So dachte man 1820, als die Renaissance noch nicht wieder entdeckt war. Irrtümlich heißt es dort, sie sei ein Bau aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. Die Jahreszahl 1678, welche man an ihr liest, ist ein späterer Zusatz. Abb. bei Fritsch.

Freiburg

269

li.ADE.STjrrC,

Abb. 199 Rathaus zu Gernsbach

eines Bischofs, St. Pantalus. Im Hofe links eine Wendeltreppe mit überaus zier- lichem Portal, am linken Flügelbau sodann eine Inschrifttafel mit der Widmung. Im Flur ist ein Seiteneingang mit schönem Eisengitter verschlossen.

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2. Buch Die Bauwerke VIL Kapitel Das südliche Baden

Ungemein früh bemächtigte man sich in Konstanz des neuen Stiles, und zwar hat die Formbehandlung der hier schon im zweiten Dezennium des 16. Jahr- hunderts auftretenden Renaissance solche Verwandtschaft mit der Holbeinschen Auffassung, daß man sie einem von Basel aus wirkenden Einfluß zuschreiben möchte. Zunächst kommt hier die steinerne Orgeltribüne (Abb. 200) im Münster in Betracht, ein Werk, das in seinen Laubornamenten und figürlichen Teilen eine sprühende Lebensfülle atmet, i) Ohne Zweifel ist sie gleichzeitig mit der Orgel

1) Aufn. im Kunsth and werk I, 4,

Konstanz

271

entstanden, die das Datum 1518 trägt und mit Holzschnitzereien von verwandter Schönheit und gleich origineller Erfindungskraft geschmückt ist. Diese Orgel mit ihrem Stützbogen gehört wieder mit zu denjenigen Werken, die wir als zu Peter Flettners Kreis gehörig ansehen müssen, verdankt vielleicht ihm selber Entwurf und in den Schnitzereien auch Ausführung.')

Abb. 201 Hofansioht des Rathauses zu Konstanz

Besonders anmutig gestaltet sich die Renaissance an dem jetzigen Rat- haus. Von 1487 bis 1549 stand hier das Zunfthaus der Weber; von da bis 1592 war es Sitz der Lateinschule und wurde dann zur Stadtkanzlei umgebaut. Man liest 1592 mehrmals, so daß der jetzige Bau, der seit 1863 restauriert und mit Fresken geschmückt worden ist, im wesentlichen vom Ende des 16. Jahrhunderts datiert.^) Die Fassade nach der Straße zerlegt sich in zwei Giebel von ungleicher Höhe und Breite, die mit auswärts und einwärts geschweiften Bändern ohne Auf- sätze eingefaßt, maßvoll und doch kräftig profiliert sind. Die Fenster, zu zweien und dreien gruppiert, mit derben Säulen und tief eingekerbten Fugenschnitten an den Rundbögen erinnern in ihrer Behandlung fast an romanische Art, ihre Rahmen, sowie diejenigen der Giebel, sind aber mit Flachornamenten nach Art von Metallbeschlägen dekoriert. Das Ganze tüchtig und wirkungsvoll. Auch das Portal ist einfach und im Rundbogen geschlossen, im Bogenfeld mit einem präch- tigen, schmiedeeisernen Gitter. Eine breite Einfahrt mit Kreuzgewölben auf halb- vermauerten derben Säulen, mit kleinem, figürlichem Schmuck an den niedrigen Kapitellen, führt in den Hof. Die übrigen Räume des Erdgeschosses bilden eine einzige Halle mit Kreuzgewölben auf schlichten Pfeilern.

Im Hof befindet sich in der vorderen Ecke links ein runder Turm mit Wendeltreppe; zwei ähnliche Türmchen fassen den hinteren Flügel ein (Abb. 201);

1) Jahrb. der Kgl. Pr. Kunstsamml. 1905 Heft III.

2) Aufn. in den Reisestudien der Bauschule des Stuttgarter Polytechn. Taf. 55 59.

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2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Heiligenberg

das linksgelegene ist oben als Erkerzimmer benutzt, während das zur Rechten eine gotisch behandelte Wendeltreppe enthält. Die Architektur dieser Teile ent- spricht derjenigen der vorderen Fassade. Spuren von Wandgemälden deuten auf einen ehemaligen reicheren Schmuck. Das Portal der Treppe hat an seinen Pilastern hübsche, doch etwas stumpfe Ornamente und die Jahreszahl 1592. Im oberen Geschoß führt ein Korridor zu einem Saal mit einer trefflichen alten Holzdecke, die durch einen Durchzugsbalken geteilt wird ; die Flächen der Decke haben kleine viereckige Felder mit goldenen Rosetten auf blauem Grunde; ein hübscher Sandsteinkamin, ehemals im Korridor, ist durch Putten und Ornamente von etwas schwerer Behandlung geschmückt; im Erker zeigen sich Spuren von alten Wandgemälden ; der Eingang in den Saal ist durch ein elegantes Renais- sanceportal mit zierHch dekorierten Pilastern umrahmt. Der anziehende Bau macht durch die sorgfältige Herstellung und Ausstattung, welche die Stadtgemeinde ihm angedeihen ließ, einen ungemein erfreuhchen Eindruck. Die Rückseite des Hintergebäudes, zu welcher man durch einen Torweg gelangt, ist ebenfalls mit gruppierten, aber einfacher umrahmten Fenstern ausgestattet, die zum Teil mit kräftig behandelten Eisengittern versehen sind. Hier haben sich auch stärkere Reste der ursprünglichen Bemalung erhalten, Ornamente in lebhaften Formen, namentlich phantastisch geschweifte Hermen als Einfassungen der Fenster. In der ganzen Dekoration des Baues ist übrigens, wie in der Regel bei den deutschen Werken, das Figürliche ziemlich gering.

Außerdem hat Konstanz noch an Privathäusern allerlei Reste einst in er- heblichem Umfange vorhanden gewesener Renaissancearchitektur; Portale, Ar- kaden, Giebel, Fenstergruppen, Erker; doch nirgends mehr, bedauerhcherweise, ein zusammenhängendes vollständiges Haus dieser Art auf dem Gebiete des Privatbaus, wie solche einst in größerer Zahl bestanden haben müssen. Auch von Innenausstattungen dieser Zeit sind nicht wenige Reste, Holzdecken, hübsche Fenstergruppen auf Säulen u. dergl. mehr vorhanden. Von den kunstreichen Schmiedearbeiten der Zeit zeugen mehrere reich behandelte Gitter an den Seiten- kapellen im Münster.^)

Sodann besitzt Überlingen an dem unter Abb. 109 abgebildeten Portal des Kanzleigebäudes ein elegantes Werk der ausgebildeten Renaissance.^) Von den Prachtaltären des Münsters selbst war bereits oben die Rede. (Abb. 202 stellt den prächtigen Hochaltar vor.)^)

Heiligenberg

In diesem südhchen Teile des Landes haben wir nun ein sehr wichtiges Schloß vom Ende der Epoche zu betrachten. Auf einem der letzten und höchsten Ausläufer des Schwäbischen Jura erhebt sich der ansehnliche Bau des Schlosses von Heiligenberg, etwa drei Stunden entfernt vom Ufer des Bodensees, auf einer waldbekränzten Kuppe. Weithin leuchten seine Mauern bis an das Schweizer Ufer, und der Blick aus seinen Fenstern umfaßt eine der schönsten Rundsichten Deutschlands, bis zu den Firnen der Tiroler- und Schweizeralpen, den Riesen des Berner Oberlandes, den Basaltkegeln des Hegaus und den südlichen Aus- läufern des Schwarzwaldes. Der Ursprung des Schlosses reicht ins Mittelalter hinauf*), und Reste jener Zeit sind namenthch in den unregelmäßigen Teilen des Torbaues zu erkennen (Abb. 203 bei A L M K). Im wesentlichen aber gehört die

1) Abb. im Kunsthandwerk I, 41. II 43. und in den Eeisestudien der Stuttgarter Bau- schule Taf. 45—47.

2) Aufn. in den Reisestudien a. a. 0. Taf. 29 32.

3) Ebenda Taf. 19—24.

4) Das Historische in Ficklers Heiligenberg. Karlsruhe 1853.

Schloß Heiligenberg-

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Abb. 202 Hochaltar im Münster zu Überlingen

Anlage dem Ausgange des 16. Jahrhunderts an, denn das Tor selbst wurde inschrift- lich 1587 durch Graf Joachim von Fürstenberg erbaut. Im Innern des Hofes findet man mehrmals sein Wappen und das seiner Gemahlin Anna, sowie die Jahreszahl 1569, so daß diese beiden Daten die Grenzen der Erbauungszeit bezeichnen mögen. Lübke-Haupt, Eenaissance in Deutschland I 3. Aufl. 18

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2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Südbaden

Man betritt zuerst einen vorderen, auf drei Seiten hufeisenförmig von Dienstgebäuden, Scheunen und Ställen eingeschlossenen Wirtschaftshof, während die vierte südöstlich gelegene Seite sich gegen das Schloß hin öffnet. Die Architektur dieser Teile ist völlig anspruchslos, nur die hohen Giebelwände der vorspringenden Flügel sind mit Blendarkaden auf Pilastern kräftig und gut ge- gliedert. Diese Teile wurden im 17. Jahrhundert durch den Grafen Hermann Egon, den vorletzten Sprößling der Heihgenberger Linie, aufgeführt. In einiger Entfernung vor dem linken (östlichen) Flügel ist ein isolierter viereckiger Turm errichtet, der durch eine Mauer mit den Wirtschaftsgebäuden zusammenhängt;

Abb. 203 Grundriß des Schlosses Heiligeiiberg

er ist in drei Geschossen mit Pilastern und Blendbögen entsprechend den Giebeln der vorderen Gebäude gegliedert; dann folgt ein achteckiger Aufsatz von ähnlicher GHederung, mit einem geschweiften Kuppeldach geschlossen. Weiter schreitend gelangt man zur Brücke über den tiefen Graben vor dem Schlosse. Diese nördliche Seite war nämlich die einzige, auf der das Schloß einer künstlichen Verteidigung durch Mauer und Graben bedurfte, weil hier die an den andern Seiten steil abfallende Kuppe sich als langgestreckter Bergrücken fortsetzt und sanft gegen Norden abfällt. Der Graben ist indes jetzt trocken gelegt und bildet mit seiner reichen Vegetation einen Teil des herrlichen Parks, der weit- hin das ganze Schloß umgibt. Jenseits der Brücke beginnt die Nordseite des Schlosses mit einem vorgeschobenen, unregelmäßig angelegten Torbau nach Art eines Propugnaculum, in seinem Kern jedenfalls noch dem Mittelalter an- gehörend. Doch hatte Graf Joachim von Fürstenberg diese Teile 1587 erneuert, und neuerdings ließ Fürst Karl Egon sie nach dem Muster der alten herstellen. Die Dekoration befolgt die einfach kräftigen Motive, die an den vorderen Ge- bäuden sich zeigten. Abgesehen von diesem Teile stellt sich das ganze Schloß als ein ziemlich regelmäßiges, von Nord nach Süd langgestrecktes Rechteck dar, in drei Geschossen ohne alle Gliederung aufsteigend, nur an den hohen End- giebeln mit Pilastern und Blendbögen geschmückt, und ungefähr in der Mitte der Westseite von einem viereckigen Turm überragt, der den Neubauten angehört. Alle Flächen sind einfach mit Putz verkleidet. Die Terrasse mit ihren Eck-

Schloß Heiligenberg

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türmchen, die sich östlich an den vorspringenden Torbau schheßt (auf unserem Grundriß fortgelassen), ist ein moderner Zusatz.

Durch einen schiefen, im flachen Bogen gewölbten Torweg A gelangt man in den Schloßhof B, ein gestrecktes Rechteck, das nur an der Eingangs- seite schrägwinklig abgeschlossen ist. Diese inneren Teile zeigen im ganzen dieselbe Einfachheit der Architektur wie die Außenseiten. Nur einige Portale und an der rechten, westlichen Seite eine tiefe Brunnenhalle geben einigen Schmuck. 1) Außerdem ist die nördliche Eingangsseite im Erdgeschoß und den drei oberen Stockwerken durch Bogenhallen auf kräftigen dorischen Pflastern J lebendig gegliedert. Im Erdgeschoß sind diese Arkaden noch jetzt offen, in den oberen Stockwerken dagegen durch Fenster geschlossen. Das Eingangsportal in gedrücktem Bogen hat eine derbe Rustika-Architektur, von Pflastern eingefaßt und mit einem Giebel auf Konsolen gekrönt. Am linken Flügel führt ein Portal in die Küchen- und Kellergewölbe H, an der Südseite ist der Eingang zu den Speisesälen und Gesellschaftszimmern, über denen sich die herrschaftlichen Wohngemächer und der große Festsaal G, G' befinden. Der nördUche, östliche und westhche Flügel enthalten Gastzimmer und die Wohnungen des Gefolges; Verbindungsgänge ziehen sich in den beiden Hauptgeschossen durch alle vier Flügel. Die Haupttreppe D, rechtwinklig mit je vier Podesten aufsteigend, liegt in der vorderen linken Ecke und ist durch die Arkaden mit dem Eingang ver- bunden. Eine ähnliche Treppe E findet sich am entgegengesetzten Ende des- selben östlichen Flügels. Die Anlage dieser Treppen ist nicht mehr nach mittel- alterlicher, sondern nach neuerer Art durchgeführt. Überhaupt hat der Archi- tekt dem ganzen Bau nach Kräften ein modernes Gepräge, einfache Linien, un- gebrochene Flächen und schlichte Ruhe gegeben. An der rechten, westlichen Seite des Schloßhofes führt ein etwas reicher behandeltes Portal in die Kapelle F. Mit Rustikapilastern eingefaßt, hat es einen Triglyphenfries und darüber einen Attikenaufsatz mit Seitenvoluten. Dieser enthält ein Rehef mit der Krönung der Jungfrau, gleich dem übrigen plastischen Schmuck von geringer Arbeit.

Einen höheren künstlerischen Wert hat die an derselben Seite angebrachte Brunnenhalle G, originell in der Anlage und von zierlicher Dekoration. Sie ist mit einem flachen Tonnengewölbe bedeckt, das durch rautenförmige Felder in Stuck hübsch gegliedert wird. In der Mitte erhebt sich ein viereckiges steinernes Becken, daraus steigt eine kräftig geschwungene Säule mit frei korin- thisierendem Kapitell auf. Sie trägt einen hockenden Löwen mit den beiden Wappenschilden des Erbauers und seiner Gemahlin. Nach außen wird die Brunnenhalle durch zwei Ordnungen von Pflastern eingerahmt, welche den Bogen umschließen und mit einem flachen Giebel enden. Die Flächen der Zwickel und des Giebels sind mit etwas ungeschickt behandeltem Laubwerk, Delphinen und phantastischen Meergeschöpfen geziert.

Das Innere des Schlosses bietet nur zwei Räume von kunstgeschichtlichem Interesse, die Kapelle und den Saal, letzterer freilich ein Werk ersten Ranges, wie wir von gleicher Pracht und Schönheit unter den deutschen Renaissance- bauten kein zweites besitzen (Abb. 204). Der Saal nimmt den ganzen südUchen Flügel und zwar die beiden obersten Stockwerke desselben ein. Sein Licht er- hält er auf beiden Langseiten durch zwanzig hohe Fenster, ehemals mit steinernen Kreuzpfosten; außerdem noch durch ebensoviele Rundfenster über jenen. Ermißt 10 m Breite bei 33 m Länge, doch nur 67-' m Höhe. Die Wände haben tiefe, von Pfeilern umrahmte Nischen, in denen die Fenster angeordnet sind. Ein

1) Brunnenhalle, Plafond und Kamin des Saales, Chorstühle der Kapelle trefflich dar- gestellt in den Reisestudien der Stuttgarter Bauschule, unter Leitung von Prof. Reinhardt und Seubert. (Stuttgart) Taf. 1—9.

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2. Buch Die Bauwerke VII. Kapitel Südbaden

Triglyphenfries mit reichen Ornamenten, alles bemalt und vergoldet, zieht sich darüber hin. Die Wände sind mit den Bildern der fürstlichen Besitzer und ihrer Vorfahren geschmückt. An beiden Enden des Saales sind in der Mitte der Schmal- seite zwei kolossale, in Sandstein ausgeführte Kamine angebracht. Sie tragen die Jahreszahl 1584 und sind in den üppigen Formen dieser Zeit durchgeführt. Auf beiden Seiten stützen Hermen und Karyatiden einen reich mit Ranken geschmückten Fries. Darüber erheben sich eine mittlere größere und zwei kleinere eingerahmte Nischen mit Figuren. Den größten Glanz aber erhält der Raum durch die aus

Abb. 204 Großer Saal im Schloß HoiliccL-iiber- (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

Lindenholz geschnitzte Decke, die an Größe und Pracht in Deutschland nicht ihresgleichen findet. Viermal kehrt dasselbe Motiv der Einteilung wieder: vier Segmente bilden einen Kreis, in den auf den Ecken vier rechtwinklige Felder ein- schneiden. Diese Hauptglieder sind ungemein kräftig profihert, die Flächen sodann mit reichem Ornament, mit Genien, Hermen und verschiedenen phantastischen Fabelwesen aller Art in kraftvollem Rehef belebt, endlich das Ganze durch Ver- goldung und Farbenschmuck, namentlich blau und rot, zu höchster Pracht ge- steigert. Bei allem Reichtum ist aber die Wirkung im besten Sinne harmonisch und bezeugt auch das künstlerische Geschick, mit welchem in neuerer Zeit die Restauration geleitet worden ist. Schade nur, daß der Eindruck durch die den meisten deutschen Bauten eigene Niedrigkeit des Raumes etwas beeinträchtigt wird.

Die Gesamterscheinung und Durchbildung, insbesondere die tiefen Fenster- bögen und die Kamine an den Schmalseiten, darüber die kraftvolle Kassetten- decke, erinnern übrigens ganz auffallend an den großen Saal in Fontainebleau, der hier zweifellos Vorbild gewesen ist.

Am nordwestlichen Ende des Saales führt eine Tür in die S chl kap e 11 e, F des Planes, und zwar auf die Empore, welche den fürstlichen Betstuhl trägt. Die Kapelle ist ein einfaches Rechteck, in ihrer Breite die Tiefe des westHchen

Schloß Heiligenberg

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Flügels einnehmend, so daß sie auf ihren Langseiten durch spitzbogige Fenster mit gotischem Maßwerk ihr Licht empfängt. Der Raum ist auffallend hoch, da er das Erdgeschoß und die beiden folgenden Stockwerke umfaßt. Während an den Wänden nur einzelne Spuren von ziemlich geringen Fresken, z. B. ein großes Madonnenbild, sichtbar sind, ist das Gewölbe in seiner alten kräftigen Bemalung noch wohl erhalten; es besteht aus drei Reihen kleiner, aus Holz gebildeter Kreuz- gewölbe mit kräftigen Rippen und freischwebenden Konsolen, die Rippen an den Seiten rot gemalt mit dunklen Mustern, in der Mitte blau mit vergoldeten und versilberten Perlschnüren, in den Kappen goldne Sterne und musizierende Engel auf hellblauem, wolkigem Grunde, der das Himmelsgewölbe nachahmt. An der östlichen und südlichen Seite zieht sich eine sehr hochhegende Galerie hin, letztere für die fürstlichen Herrschaften, erstere zur Verbindung des Saales mit dem Turme des Westflügels bestimmt. Unter der südlichen Galerie ist eine zweite für die Orgel eingebaut. Diese Galerien haben ebenfalls ihre ursprüngliche Dekoration bewahrt. Offene Arkaden zwischen toskanischen Halbsäulen tragen gut geschnitzte und be- malte Apostelfiguren; darüber ist dieselbe Ordnung wiederholt. An der Unterseite der Empore sind biblische Szenen in bemalten Reliefs dargestellt, dies gleich dem ganzen Galeriebau reich in Gold, Blau und Rot gefaßt, noch völlig nach den mittel- alterlichen Grundsätzen der Farbenstellung. Auch hier also hat der Architekt, während am übrigen Bau die Renaissance in seltener Strenge durchgeführt ist, beim kirchlichen Teil seiner Aufgabe wieder zum Mittelalter zurückgegriffen. Eine sorgfältige Wiederherstellung ist dem anziehenden Räume zuteil geworden.

Das Schnitzwerk der Kapelle stammt von Hans Dürner aus Biberach; die Reliefs der Emporenunterseite sind von Ulrich Glöckler aus Überlingen und mit 1593 bezeichnet; die Wandgemälde tragen das Datum 1598.

Das ganze Bauwerk erscheint von unseren westlichen Nachbarn beeinflußt.

Achtes Kapitel

Die pfälzischen Lande

Das Bild einer fast ausschließlich durch fürstliche Kunstliebe hervorgerufenen Bautätigkeit gewähren die pfälzischen Lande, die ich deshalb zu gesonderter Betrachtung zusammenfasse. Es handelt sich hier um die Schöpfungen eines Fürstengeschlechtes, das nicht wenig zur Förderung deutscher Kultur in der Renaissancezeit beigetragen hat. Stiftungen wie die der weltberühmten Bibliothek zu Heidelberg, die Pflege der dortigen Universität, in Verbindung damit die kraftvolle Durchführung der Reformation, endlich die hochherzige Förderung künstlerischen Strebens sind diesem Fürstenhause zu danken. „Friedrich der Siegreiche, der tatkräftige, gewandte Schöpfer des neuen Staates, Philipp der Aufrichtige, der edle Schützer jeder geistigen Bestrebung, Ludwig V., der friedfertige und wohl- wollende Regent seines Volkes, Otto Heinrich, der Kenner der Wissenschaft und Kunst, der Begründer der neuen Glaubenslehre, sind Fürsten, die ganz Deutsch- land mit Ruhm nennen darf."^) Hauptsächlich waren es für die Baukunst die Regierungszeiten Friedrichs 11. (1544 1556) und Otto Heinrichs (1556 1559), die durch umfangreiche Unternehmungen eine Zeit hoher Blüte hervorriefen; unter Friedrich IV. (1592—1610) und Friedrich V. (1610—1632) fand diese ihren Abschluß.

Der eigentliche Renaissancefürst der Pfalz, Friedrich IL, hatte, bereits ehe er zur Kurfürstenwürde kam, obwohl er über die Baulust seines Bruders und

1) Häußer, Geschichte der rheinischen Pfalz II, 3.

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2. Buch Die Bauwerke VIII. Kapitel Die Oberpfalz

Vorgängers klagte, in der Oberpfalz eine ansehnliche Zahl von Schlössern er- richtet.i) So das Schloß zu Neumarkt, das während seiner Anwesenheit auf dem Reichstage zu Worms abbrannte und von ihm von Grund auf neu gebaut wurde, und zwar „mit solcher Pracht, daß es damals jeder Residenz eines deutschen Fürsten ebenbürtig war." An den einfachen und ihres Schmuckes ganz be- raubten beiden Flügeln des Schlosses sind noch einige prächtige Wappen über den Eingängen erhalten; ein herrlicher Kamin, vielleicht von Peter Flettner geschaffen, aus dem Schlosse ist heute großenteils im Nationalmuseum zu München; ebenso eine Reihe von Medaillons mit fürstlichen Bildnissen. In der Mitte vor dem stattlichen Gebäude erhob sich ein Springbrunnen, an der Rückseite war ein köstlicher Irrgarten, mit ausländischen Bäumen und Gewächsen prangend. Die Schlösser Haimburg bei Neumarkt und Deinschwang, die von den Nürnbergern zerstört waren, stellte er, ebenso wie das Schloß Dachsolder, wieder her. Zu Hirschwald bei Amberg und zu Fürstenwald errichtete er Jagdschlösser und zu Lantershofen baute er sich für seine Reisen von Neumarkt nach Amberg ein Absteigequartier. Ebenso gründete er in Amberg das stattliche Gebäude für die Versammlungen der hohen Landeskollegien der Oberpfalz. Sodann aber schuf er in Heidelberg außer verschiedenen kleineren Renaissancestücken den wunder- bar reizvollen gläsernen Saalbau von 1546 und wurde nur durch die Ereignisse und frühen Tod an der Verwirklichung weit größerer Pläne gehindert. Seinem Nachfolger Otto Heinrich aber war es vorbehalten, durch die Errichtung des nach ihm genannten Baus auf dem Heidelberger Schlosse, den aber bereits Friedrich II. geplant und auszuführen begonnen hatte, den höchsten Ruhm als deutscher Re- naissancefürst zu ernten; und im Wetteifer mit ihm sollte wieder Friedrich IV. einen nicht minder charaktervollen Bauteil dem prächtigen Schloß hinzufügen.

Wir betrachten nun die einzelnen Werke nach ihrer geographischen Grup- pierung.

Die Oberpfalz

Ein höheres Kulturleben beginnt in der Oberpfalz unter der Herrschaft Friedrichs IL, nachdem dieser den Bauernaufstand, der auch diese Länder be- i*drohte, glücklich im Keime erstickt hatte. ^) Von seinen zahlreichen Bauten war schon oben die Rede. Ob von seinen im Lande verstreuten Schlössern noch viel vorhanden ist, bedarf einer besonderen Untersuchung. Den Charakter der- selben vergegenwärtigt uns das Schloß (jetzt Appellgericht) in Amberg. Es ist ein ansehnlicher Bau, die Fassade nach der Straße sehr einfach behandelt, in drei Geschossen gekuppelte rechtwinkhge Fenster mit gotisch eingekehlten Rahmen, die Krönung der oberen Fenster in gedrückten Eselsbogen mit gotischem Maßwerk, an dessen Fensterbrüstungen Medaillons mit Flachreliefbildern von Fürsten und Fürstinnen in Lorbeerkränzen; dies alles von sehr geringer Aus- führung. Das Prachtstück der Fassade ist ein Erker über dem rundbogigen, aber gotisch profiHerten Portal auf zwei mißverstandenen ionischen Säulen aufgebaut und von einem Gesimse bekrönt, dessen antikisierende Glieder, Zahnschnitt und Eierstab in wunderlicher Weise übertrieben sind. Auch das Hauptgesims des Baus zeigt dieselben unverhältnismäßig ausgebildeten Formen, namentlich einen kolossalen Eierstab. Der obere Teil, durch dorische und korinthische Pilaster gegliedert, ist besser und zierhcher behandelt, die Wappen am Erker aber sorg- fältig und fein ausgeführt. Am Portal liest man: „Wer auf Gott vertraut, der sein Haus wohl baut".

^) Hubertus Thomas, annal. de vita et rebus gestis Frider. II. El. Palat. libri XIV. (Francof. 1624) p. 293 sq.

2) Hub. Thomas annal. Vgl. Feßmaier, Staatsgeschiohte der Oberpfalz. Landshut 1803.

Arnberg

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Im Innern ist der Hausflur niedrig gewölbt, mit kräftigen Rippen im Netz- werk, noch ganz gotisch. Auf jeder Seite sind drei Türen angebracht, als Wand- nischen behandelt mit korinthisierenden Kapitellen, darüber einfache Giebel. Auch am Treppenhaus im Hofe findet sich ein Renaissanceportal, alle Formen zierlich, aber doch sehr ungeschickt gehandhabt und wenig verstanden. Die Treppe selbst in dem polygen vorspringenden Turm ist eine gotische Wendelstiege. Über der Treppentür liest man die Jahreszahl 1600 und die Buchstaben B. R. S. mit einem Steinmetzzeichen, an dem eleganten Wappen die Jahreszahl 1601. Dies ist also ein unter Kurfürst Friedrich IV. ausgeführter Zusatz. Der Kern des Baues entstand aber kurz vor Mitte des 16, Jahrhunderts, denn im Hofe liest man an dem Erker 1546 und 1547. Es ist ein über dem Portal flach vorspringender Erker, geschmückt mit den Reliefs der Avaritia, Gula und anderen Bildwerken.

Faßt man das Ganze ins Auge, so erhält man die Durchschnittslinie dessen, was damals in der Oberpfalz architektonisch geleistet wurde. Es waren offenbar in der Hauptsache Provinzialkünstler hier tätig, deren Bildung noch auf der aus- gelebten Gotik fußte, und denen die neuen Formen der Renaissance wahrscheinhch auf Umwegen aus dritter Hand zugekommen sind. Deshalb beim besten Willen, etwas Prachtvolles zu leisten, doch ein geringes Verständnis und unbehilfliche Anwendung des neuen Stiles.

In der Nähe dieses Gebäudes hegt ein anderer schloßartiger Bau, jetzt als Bezirksgericht dienend. Hoch aufragend, dreistöckig, ganz schmucklos be- handelt, aber mit großen Giebeln in geschweiften Volutenformen, trägt er das Ge- präge der Spätzeit dieser Epoche. An der Vorderseite tritt ein polygones Treppen- haus vor mit schlichtem Rundbogenportal, das durch einige RenaissancegUeder eingefaßt wird. Die Treppe selbst ruht als Wendelstiege auf vier schlanken hölzernen Säulen.

Der Privatbau der Stadt ist ansehnlich. Man findet viele rundbogige Haustüren mit dem Kehlenprofil des 16. Jahrhunderts, aber ohne jeden weiteren künstlerischen Schmuck. An den Kreuzungspunkten der Straßen haben die Häuser bisweilen diagonal übereck gestellte Erker mit gotischem Maßwerk aus spätester Zeit. Auch das Rathaus ist noch im wesenthchen gotisch, aber der stattliche Altan vom Jahre 1552, auf Säulen mit Rundbögen und spätgotischem Maßwerk an der Balustrade, zeigt wieder die gemischten Formen, Auch der Saal hat zwar große Spitzbogenfenster mit gutgebildetem Maßwerk, im Innern aber Renaissance- dekoration. Endhch gehören noch hierher das Zeughaus und die beiden Tanz- häuser, letztere mit Fenstern im Eselsrücken, aber von korinthischen Pilastern, antikem Gebälk und Giebeln eingerahmt.')

Im übrigen bietet die Oberpfalz nicht viel, Pfreimdt hat ein sehr ver- fallenes und herabgekommenes Schloß der Landgrafen von Leuchtenberg, dessen künstlerische Beschaffenheit der wortreich prunkenden Inschrift des Landgrafen Georg Ludwig wenig entspricht, die über dem Hauptportal angebracht ist. Der ausgedehnte, aus drei Flügeln bestehende Bau datiert offenbar aus der Spätzeit der Epoche. Das Portal zeigt die Formen der Renaissance in provinzieller Ver- kümmerung. — Nicht viel besser, wenn auch reicher, ist das Portal an der Süd- seite der Franziskanerkirche daselbst, inschriftlich vom Jahre 1593. Es sind überall Provinzialsteinmetzen, welche die wenig verstandenen Formen der Renaissance eifrig, aber mühsam und unbeholfen nachstümpern. Dagegen ver- dient die Stadtkirche mit ihrer eleganten Stuckdekoration in spätem Barockstil höhere Beachtung.

Auch in Nabburg ist das Raihaus ein sehr schlichter Bau, inschriftlich 1580 errichtet, im ganzen unbedeutend, doch mit malerisch angelegter Vorhalle, 1) Abb. in Sigbarts Gescb. der bild. Künste in Bayern, S. 687.

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2. Buch Die Bauwerke VIII. Kapitel Regensburg-

in welcher die Treppe aufsteigt. Darüber eine obere Galerie auf einfachen vier- eckigen Pfeilern. Man kann hier kaum von Renaissance sprechen, weil die Formen jede ausgebildete Charakteristik verschmähen.

Regensburg

Eine besondere Betrachtung verdient die alte Bischofsstadt Regensburg-, die seit dem frühen Mittelalter eine eigene Richtung im Bauen behauptet. Hier ist immer ein reger Baueifer gewesen, der neue Formen rasch aufnahm und in bedeut- samer Weise sich anzueignen wußte. So in der romanischen Epoche des 11. Jahr- hunderts, so bei der Aufnahme des frühgotischen Stiles, so endlich auch beim Eindringen der Renaissance. Zu den frühesten Werken dieses Stiles in Deutsch- land gehören die sechs prachtvollen Fenster, die in den ersten Dezennien des 16. Jahrhunderts im Kreuzgang des Domes ^ eingesetzt wurden, eine Arbeit des Ulrich oder wahrscheinlicher des Erhard Heidenreich. Ihre Teilung besteht noch aus gotischem Maßwerk; gotisch sind auch die verschlungenen Baldachine über den kleinen Standbildern der Apostel, die in der Laibung angebracht sind; gotisch ist endlich das reichlich an den Umfassungsstäben ausgeteilte krause Laub- werk. Aber diese selbst in ihrer säulenartigen Form, mit ausgebauchten Unter- sätzen, mit den zierlich profilierten Sockel- und Deckgesimsen bekunden den Geist der Renaissance. Es ist eins der reichsten, krausesten und zugleich phantasie- vollsten Beispiele dieses gemischten Übergangsstiles, stark anklingend an die Art des Uriel-von-Gemmingen-Denkmals im Mainzer Dom.

In anderer Weise bildet dort die Neupfarrkirche den Übergang zum neuen Stil (Abb. 205). Von 1519—38 durch den Augsburger Meister Hans Hueher erbaut, scheint sie in Anlage und Konstruktion zwar noch gotisch, und auch das Maßwerk der Fenster beruht noch auf der älteren Tradition; aber seine eigenartige Behandlung, mehr noch die zierlichen Rahmenpilaster mit eingelassenen Orna- mentschildern, die das Äußere gliedern, endlich die Anwendung des Rundbogens, das alles gehört der neuen Richtung.^) Diese wurde also nach ihrer schärferen Ausprägung hier zuerst durch einen Augsburger Meister eingeführt. Noch merk- würdiger ist aber das im Rathause vorhandene, schon oben besprochene Original- Holzmodell, aus dem man erkennt, daß die Kirche, von der nur der Chor mit den beiden angebauten Türmen und Sakristeien zur Ausführung gekommen, ein großartiges Polygonschiff erhalten sollte, an dessen sechs Seiten Kapellen aus- gebaut sind.^) Ebenso zeigt es ein seltener alter Holzschnitt von Michael Ostendorfer, eins der frühesten Beispiele der Aufnahme eines Zentralbaues der Renaissance in Deutschland. Aus den Jahren 1575—78 datiert sodann der Glocken- turm von St. Emmeram. Nach südUcher Sitte isoliert aufgeführt, ist er in reich durchgebildeten Formen klassischer Renaissance entwickelt; die einzelnen Stock- werke sind durch kräftige Gesimse markiert und mit Statuen auf reichen Konsolen und unter Baldachinen geschmückt. Die Spitze, 1642 abgebrannt, ist damals in malerischer Viergiebelgestalt erneuert.

Dem Ausgang der Epoche gehört die Dreifaltigkeitskirche, als erstes protestantisches Gotteshaus 1627—31 durch den Nürnberger Baumeister J. Karl und den Zimmermeister Lorenz Friederich aufgeführt. Es ist ein kolossaler Bau, 70 Meter lang bei 18 Meter Breile und 16 Meter Scheitelhöhe mit geradlinig ge- schlossenem Chor, das Ganze von einem einzigen Tonnengewölbe mit aufgeputzten Rippen bedeckt, von schlichter Strenge und einem fast herben Ernst, dem Cha-

1) Abb. bei Sighart a. a. 0. S. 448.

2) Abb. bei Sighart a. a. 0. S. 451.

3) Abgeb. bei Dohme, Geschichte der deutschen Baukunst, Fig. 242, 243.

Eegensburg

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rakter des Protestantismus wohl entsprechend. Das Äußere wirkt imponierend durch das hohe Giebeldach und die beiden über- eck gestellten Türme an der Ost- seite, an der noch gotische Ein- zelformen vorkommen. Die Fen- ster sind im Rundbogen ge- schlossen, die drei Portale in an- tikisierender Weise behandelt.

Von Profanbauten sind die- jenigen Teile zu nennen, welche dem gotischen Rathaus ange- fügt wurden. Die Modellkammer datiert von 1563 und die Vor- halle zum Reichssaale aus dem folgenden Jahre. Im Kurfürsten- zimmer eine prächtige Täfelung von 1551. Einen stattlichen Renaissancehof besitzt das von Thon-Dittmersche Haus, freilich nur an einer Seite links vom Eingang ausgebaut. Drei Arkadenreihen erheben sich über- einander, gewölbt mit flachen Bögen auf Säulen, unten dorisch, dann ionisch, endlich korinthisch, und zwar in den phantasie vollen Umbildungen der Frührenais- sance. Der Bau soll von Alhredit AUdorfer stammen, der bekannt- lich hier Stadtbaumeister war. Seine sonstige Form hat der Bau erstl809 durch eine mitBenutzung der alten Teile unternommene Wiederherstellung erhalten.

Ein prächtiges Werk der Dekoration ist endlich im Obermünster der vor 1545 gestiftete Altar der Äbtissin Wandula von Schaumburg, in Kehlheimer Marmor prächtig und in eleganten Frührenaissanceformen ausgeführt.

Abb. 205 Neui)fan'kirche zu Eegensburg

Die neue Pfalz

Wir wenden uns nun zu dem, was die pfälzischen Fürsten in der jungen oder neuen Pfalz ausgeführt haben. Es handelt sich hier in erster Linie um das Schloß von Neuburg, das mit seinen gewaltigen Massen, von zwei mächtigen Rundtürmen gegen Osten flankiert, sich malerisch auf einer Anhöhe über der Donau erhebt und den Blick in das weithin flach ausgedehnte Land mit seinen Wiesen und Wäldern gewährt. Das Auge verfolgt den ruhig dahin ziehenden Strom und gewahrt am Horizont die Türme von Ingolstadt. Die Lage war für eine befestigte Burg wie geschaffen. Der gegenwärtige Bau verdankt seine Ent- stehung dem trefflichen Otto Heinrich, der, bevor er zur Kurfürstenwürde ge- langte, das Herzogtum Neuburg verwaltete, dann 1547 nach dem unglücklichen

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2. Buch Die Bauwerke VIII. Kapitel Die neue Pfalz

Ausgang des Schmalkaldischen Krieges das Land verlassen mußte und erst 1552 durch den Passauer Vertrag zurückgeführt wurde. Der Bau wurde, wie es scheint, in den dreißiger Jahren begonnen, wenigstens liest man mehrmals die Jahreszahl 1538. Wie an allen deutschen Bauten dieser Frühzeit treten auch hier gotische Formen neben denen der Renaissance auf.

Die Hauptmasse des Schlosses, von zwei gewaltigen Rundtürmen eingefaßt, bildet hoch emporragend der vom Flusse aus sogleich dominierend ins Auge fallende östliche Flügel. Daran lehnt sich nordwärts ein selbständiger Anbau, mit hohem Volutengiebel bekrönt, welcher die Durchfahrt in die weiter oberwärts gelegene Stadt enthält. Hier sieht man einzelne Fenster im flachen Stichbogen, von charakteristisch aber mager gebildeten Pilastern der Renaissance eingerahmt. Dies alles ist den Formen unbedeutend. Einspringend nach Westen erhebt sich dann ein achteckiger Treppenturm von ähnlicher Behandlung. Daran lehnt sich weiter westwärts ein anderer Anbau mit plumpen Formen und großen gotischen Fenstern. Dieser Teil hat einen modernen Oberbau, ist aber mit dem übrigen gleichzeitig und enthält an der Westseite in einem selbständigen Vorsprung das große Haupt portal. Es ist im Stichbogen gewölbt, von zwei flachen Nischen begleitet, das Ganze eingefaßt mit vier überschlanken Säulen, die statt aus- gebildeter Postamente wunderHche runde Untersätze haben. Dies eine ist schon bezeichnend für die hier herrschende, noch sehr unklare Auffassung der Formen. Ebenso ungeschickt sind die korinthisierenden Kapitelle behandelt, so daß man einen Architekten merkt, welcher seine Renaissance gleichsam nur vom Hörensagen kennt, jedenfalls aus unklarer Quelle geschöpft hat. Drei im Flachbogen geschlos- sene Fenster über dem Portal sind mit lisenenartigen Rahmenpilastern dürftig eingefaßt. Beim Entwurf des Ganzen hat sehr dunkel ein Triumphbogen vor- geschwebt. Der Vorbau ist sodann mit einer Plattform abgeschlossen, welche einen breiten Altan bildet, aber eines der prachtvollsten Eisengitter der Zeit als Einfassung besitzt, 1537 von Leonhard Schmeicher aus Augsburg ausgeführt. An dem ganzen Weslbau hat man die schon beschriebenen, kümmerlich gebildeten Fenster, aber nur in einem Stockwerke, durchgeführt. Sämthche Gliederungen und Umrahmungen sind aus rotem Sandstein gebildet, während die Flächen des Baues aus Bruchstein mit Putzüberzug bestehen.

Von prachtvoller Wirkung ist der große Torweg, durch den man in den Hof gelangt. Das Tonnengewölbe der Einfahrt ist in ganzer Ausdehnung schön in Stuck kassettiert, mit größeren achteckigen und dazwischen kleineren rauten- förmigen Feldern, alles in klassischen Formen fein gegliedert und ornamentiert, in den Feldern Kaiserbüsten von Gips auf farbigem Grunde. Der schön aus- gebildete Fries ruht auf je vier rotmarmornen Halbsäulen dorischer Ordnung, dies alles in klassisch durchgebildeter Renaissance mit vollem Verständnis der antiken Formen. Über dem Eingang liest man 1545 und die verschlungenen Buchstaben 0 H, welche also auf Otto Heinrich als Bauherrn deuten. In der Tat sahen wir schon, daß er damals in Neuburg residierte, wo er die Reformation eingeführt hatte, gleich darauf aber durch die Kaiserlichen vertrieben wurde. Dennoch stutzt man über dies frühe Datum, da um jene Zeit die klassischen Bau- formen in Deutschland in dieser Weise noch wenig bekannt und angewendet waren. Auch scheint ein kleines Seitenportal Hnks mit der Jahreszahl 1538, im spät- gotischen Schweifbogen geschlossen, die Bedenken zu steigern. Allein ein Rokoko- rahmen in Stuck, über diesem Portal angebracht, jedenfalls der Zeit Carl Theodors angehörend, der auch am äußern Torweg sein Wappen und die Jahreszahl 1752 hat anbringen lassen, durchschneidet und bedeckt zum Teil die übrige Stuck- dekoration und zeugt somit für deren höheres Alter. Sodann ist zu beachten, daß 1543 der Bau der Residenz in Landshut vollendet worden war, der in allen Sälen

Schloß Neuburg

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und Zimmern Stuckdekorationen desselben ausgebildeten Stiles, offenbar von der Hand italienischer Arbeiter, besitzt. Einer der dortigen Bauherren, Herzog Wilhelm von Bayern, stand in Beziehungen zu Otto Heinrich, dem er sogar ein Darlehen versprochen hatte. Zwar verweigerte er später die Gewährung, weil Otto Heinrich sich zu den eifrigen Verfechtern des evangeHschen Glaubens gesellt hattet; aber er vermochte wohl nicht zu hindern, daß dieser für seinen Bau in Neuburg von den in Landshut beschäftigt gewesenen Künstlern einige herbeizog. Wenigstens kann man sich kaum auf andere Weise diese klassischen Dekorationen erklären, welche mit der Renaissance am Hauptportal so stark kontrastieren. Be- achtenswert ist, daß auch an der Residenz in Landshut ähnliche künstlerische Gegensätze bemerkbar werden, denn die Säulenhalle des vorderen Vestibüls da- selbst zeigt eine Renaissance, in der man fast ein Werk derselben Architekten, welche zu Neuburg das Hauptportal geschaffen haben, vermuten könnte. Daß es übrigens nicht ungewöhnlich war, Künstler andersher zu entlehnen, und daß man damals in Deutschland geschickte Stukkatoren nicht überall fand, beweist das Beispiel Friedrichs II. von der Pfalz, der für seine Bauten in Heidelberg Stukkatoren vom Herzog Christoph von Württemberg bezog.^)

Die übrigen gleichzeitigen Teile des Schlosses bieten dieselbe Mischung gotischer Formen mit solchen des neuen Stiles, die den Grundzug der damahgen deutschen Architektur ausmacht. Der Hof bildet ein unregelmäßiges länghches Rechteck, auf drei Seiten mit Bogenhallen auf schlanken achteckigen, zum Teil geriefelten gotischen Pfeilern umzogen; jene selbst aber zeigen den Rundbogen oder den flachen Stichbogen, und die Hallen sind mit gotischen Netzgewölben bedeckt. In den beiden Seitenflügeln sind die Arkaden etwas niedriger gehalten. Über ihnen zieht sich eine obere Galerie auf viereckigen dorisierenden Renaissance- pfeilern hin. Den Abschluß der dem Kern des Baues vorgelegten Arkaden bildet eine Plattform mit einem prächtigen Gitter von Schmiedeeisen. Eine Unter- brechung der Bögen macht rechts vom Eingang ein viereckiger, oben ins Acht- eck übergehender Turm, an dessen Fenstern man wieder die charakteristischen Pflaster der Frührenaissance bemerkt. Hier führt ein schlichtes Portal desselben Stils, im Giebel das pfälzische Wappen, zu der einfachen, in rechtwinkhg ge- brochenem Lauf aufsteigenden Treppe. Das Gewölbe derselben besteht aus un- regelmäßig ansteigenden Tonnen- und Kreuzgewölben. Daneben Uest man an einer Tür mit gotisch profiliertem Rahmen die Jahreszahl 1538. Unten im Schloß findet man in diesen Teilen überall gotische Türstürze. Auch die alte Kapelle, jetzt als evangehsche Kirche dienend, die links neben dem Eingang im west- lichen Flügel liegt und mit ihrem rechtwinkligen Chor die Arkaden unterbricht, hat spitzbogige Fenster mit gotischem Maßwerk. Aus allem geht hervor, daß die ältesten Teüe des Schlosses der westliche, nördhche und südliche Flügel sind, wahrscheinUch kurz vor 1538 begonnen und 1545 voflendet. Später scheint der nördliche Flügel seine beiden Dacherker mit Schneckengiebeln erhalten zu haben. Man erkennt an ihnen die kräftigen Formen der letzten Zeit des 16. Jahrhunderts. Die Fenster sind hier mit Steinkreuzen gegliedert und durch Rahmenpflaster ein- gefaßt. Der östliche Flügel wurde erst 1667 durch Herzog Phihpp Wilhelm (1653—90) hinzugefügt.") Hier liegt die große Haupttreppe, stattlich auf Pfeilern mit Bögen in rechtwinklig gebrochenem Lauf angelegt. Hier auch die spätere Schloßkapelle, ein unbedeutender, nüchterner Bau mit hölzernem Gewölbe.

Im Innern ist der bedeutendste Raum der gewaltige Saal, der in einer Breite von etwa 15 bei ca. 40 Metern Länge den ganzen nördhchen Flügel ein-

1) Häusser a. a. 0. 1. 631.

2) Württemb. Jahrb. von Memmingei- Jahrg. 1836 S. 105.

3) J. N. A. Freih.v. ßeisach, Hist. topogr. Beschr. d. Herzogt. Neuburg (Eegeusburg 1 780) S. 40.

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2. Buch Die Bauwerke VIII. Kapitel Die neue Pfalz

nimmt, jetzt bis zur Baufälligkeit vernachlässigt, ein grauenhaftes Bild der Ver- wüstung. In der Mitte der Innern Langseite befindet sich ein stattliches Portal, das in seinen Frührenaissanceformen dem äußern Haupteingang des Schlosses entspricht und jedenfalls gleichzeitig mit jenem ist. Namentlich die Arbeit der Säulenkapitelle weist darauf hin. Über dem Portal sieht man das pfälzische Wappen, sodann ein muschelartiges Bogenfeld, alles in rotem Marmor, aber über- tüncht. Hier mündet die große Treppe des östHchen Flügels. An der andern Langseite öffnet sich der Saal auf den über dem Eingang liegenden Altan. In einem benachbarten Zimmer, welches dem zur Kaserne umgewandelten Schloß als Regimentsschneiderei dient, sieht man zwei gute Türen mit eingelegter Arbeit und trefflichen Eisenbeschlägen.

Am meisten von der alten Ausstattung ist im westlichen Flügel erhalten, wo die jetzt als Archiv benutzten Räume im Hauptgeschoß einen Saal mit prächtig ausgeführter Holzdecke enthalten. Die Gliederung in kräftigem Profil und klarer Einteilung zeigt übereck gestellte kreuzförmige Felder, die mit gerade gestellten Kreuzen in schönem Rhythmus wechseln. Es ist wahrscheinlich der Saal, in dem 1554 bei der Vermählung Pfalzgraf Phihpp Ludwigs mit Anna von Cleve die Beschlagung der Decke mit Stoff hätte vor sich gehen sollen'), was aber unterlassen wurde, „weil solchs bey den Häuseren Österreich, Baiern und Gülich nit hergebracht". Ebendort eine nicht minder reich behandelte Tür, mit Hermen eingefaßt, ganz mit farbigen Intarsien bedeckt, elegante Ornamente mit den orientahsch geschweiften Blättern, welche man in der zweiten Hälfte des 16. Jahr- hunderts in der deutschen Flächenverzierung antrifft. Die Krönung zeigt im Tym- panon ein herrlich geschnitztes Wappen. Zur weiteren Ausstattung gehört ein großer eiserner Ofen von 1531, mit fürsthchen Medaillonbildern geschmückt. Eine zweite Tür daselbst, mit korinthischen Pilastern eingefaßt, gehört durch ihre herr- lichen Intarsien zum Schönsten, was die Flächendekoration der deutschen Renais- sance aufzuweisen hat. Verschlungene Linienspiele mischen sich mit jenem eigen- tümlich geschweiften Blattwerk. Diese Arbeiten werden nach 1559 entstanden sein, eine Jahreszahl, die man in dem Erker neben der Einfahrt liest. Er hat zwar ein gotisches Rippengewölbe, aber der Scheidbogen, mit welchem er sich gegen das anstoßende Zimmer öffnet, hat Rosetten von eleganter Renaissanceform, und die Konsolen des Bogens zeigen einen meisterlich geschnitzten Triglyphen- fries mit Stierschädeln in den Metopen. Die Räume des Erdgeschosses in diesem Flügel haben mächtige Kreuzgewölbe auf sehr kurzen Säulen von rotem Marmor und tragen die Bezeichnung 1541.

Zu den späteren Zusätzen gehört an der nördhchen Ecke des Ostflügels die große zopfige Grotte mit lauter muschelbekleideten Figuren, recht barock, wenn auch sehr stattlich angelegt, einst mit Wasserwerken und Vexierkünsten ausgestattet, jetzt in der völligen Verwahrlosung von jenem unheimlich öden Ein- druck, welchen die Werke jener leichtsinnigen Zeit in ihrer Verwüstung so leicht erregen. Melancholisch schön ist von der sich hier vor dem Schloß hinziehenden sonnigen Terrasse der Blick in das weite grüne Land hinein, das von der Donau durchzogen wird, mit seinen Wiesen und Wäldern, bis zu den Türmen von Ingol- stadt. Schon die alte Beschreibung des Freiherrn von Reisach rühmt diese Aus- sicht und preist zugleich das alle Schloß mit seinem großen und hohen Saal, indem er hinzusetzt: „und obschon dieser Teil auf die alte Bauart erbauet worden, so verdienet er dennoch gesehen und bewundert zu werden". Von der reichen Ausstattung, die er beschreibt, von den Gemälden des großen Saales, den Fürsien- porträts der Korridore, den in Gold, Silber und Seide gewirkten Tapeten der

1) Kurtze Beschr. der f ürstl. Heimfahrt etc. etc. in der Herrlichen wahrhaiften Beschr. der beyden fürstl. Heimfahrten etc., Frankf. 1576, Bl. 72.

Schloß Neuburg Grünau

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Zimmer, dem Bronzebrunnen des Badezimmers ist nichts mehr vorhanden. Der kunstreich gearbeitete Teppich, mit der Darstellung der von Otto Heinrich 1521 ausgeführten Pilgerfahrt nach Jerusalem mag nach München gekommen sein.

Faßt man alles zusammen, so kann man sich der Wahrnehmung nicht ver- schließen, wie weit die hier zur Anwendung gekommene Renaissance unter dem steht, was schon Friedrich II. zur selben Zeit in Heidelberg, aber bereits auch in Neumarkt ausführen ließ. Wahrscheinlich standen in Neuburg dem Fürsten nur Architekten aus jener Schule zu Gebote, die in ähnlich unklarer, schwankender Renaissance seit 1520 den Arkadenhof der in Freising und bald darauf den vor- deren Teil des Schlosses in Landshut ausgeführt haben. Man trifft hier überall eine verwandte Behandlung und denselben Grad mangelnden Verständnisses der neuen Formen.

Als Architekt des Herzogs wird ein sonst nicht bekannter Hans Knotz ge- nannt. Zahlreiche Künstlernamen treten dann bei der weiteren Ausschmückung und Ausstattung des Schlosses auf. Unter ihnen seien die Bildhauer Hans Dauher, Peter Flettner, Loy Hering, der Erzgießer Pankraz Lahenwolf, die Maler Jörg Breu, Hans Bocksherger, Melchior Feselen genannt/)

Vermutlich auch war Otto Heinrich keineswegs sofort der durchgebildete Renaissancekenner, zu dem ihn die Verbindung seines Namens mit dem berühmten Bauwerke zu Heidelberg gestempelt hat. Das wird in hohem Maße bestätigt durch das noch fast ganz mittelalterliche kleine Jagdschloß Grünau, das derselbe Fürst um ein Dezennium später (!) als das Schloß von Neuburg erbaut hat. Es liegt ganz versteckt in Wäldern, etwas abseits von der Donau, ungefähr eine Stunde östlich von Neuburg ; mit diesem ist es durch eine lange Allee verbunden. In der mittleren Einfahrt des Hauptbaues sieht man den Namen und die Wappen- schilde Otto Heinrichs und die Jahreszahl 1555. Die Anlage besteht aus einem einstöckigen Mittelbau, mit runden stattlichen Türmen auf den Ecken. Von dem links befindlichen zieht sich eine hölzerne Verbindungsgalerie nach einem vor- geschobenen hohen, gotisch abgestuften Giebelbau, vor welchem ein mächtiger viereckiger Turm angelegt ist. Sein oberes Pyramidendach ist mit bunt glasier- ten Ziegeln gedeckt. An der rechten Seite springt ein anderer Flügel vor, aber ohne Galerie, in niedrige Wirtschaftsräume endend. Die Durchfahrt in der Mitte des Hauptbaues hat ein rundbogiges Tonnengewölbe mit Stichkappen ohne Rippen. Sie öffnet sich mit einem großen Bogentor und einer kleinen Pforte, alles nackt und schmucklos ohne jede künstlerische Form. Nur über dem Tor sieht man das hübsch ausgeführte kurfürstliche Wappen, von zwei Löwen gehalten, in Solnhofer Kalkstein. Dabei die Inschrift: „1555 hat auferbauet mich Pfalz- graf Otto Heinrich. Nun aber mich Karl Theodor mein Kurfürst bringt wiederum empor".

So kahl wie das Äußere, fast ebenso vollständig ist das Innere seiner alten Ausstattung beraubt. Eine Inschrifttafel mit Jagdrelief, das letzte einzelne Stück davon, von Loy Heining, ist in das Nationalmuseum nach München gekommen. Der vorgeschobene viereckige Turm des linken Flügels ist nach Art eines mittel- alterlichen Bergfrieds als selbständiger Wohnturm behandelt. Auf einer sanft an- steigenden, rechtwinklig gebrochenen Treppe gelangt man in die oberen Gemächer. Hier liegt eine noch völlig gotische Kapelle mit spitzbogigem Kreuzgewölbe, die Altarapsis als rechtwinkliger Erker nach Osten ausgebaut. Durch eine im Esels- rücken geschlossene Tür steht sie mit dem südlich anstoßenden Hauptraum in Ver- bindung; dieser ist, ungefähr quadratisch, in der Mitte durch einen gewaltigen Rundpfeiler geteilt, auf dem die vier Sterngewölbe dieses Saales ruhen. Im oberen Stockwerk sind große Zimmer mit gotischen Kreuzgewölben angelegt. Wände und

1) Die übrigen Namen findet man bei Dehio, Handb. d. deutschen Kunstdenkm. IV, S. 319.

286 2. Buch Die Bauwerke VIII. Kapitel Die Pfalz

Gewölbe auf weißem Grund ausgemalt, mit allerlei Darstellungen von Jagdwild, dann biblischen Geschichten, Simson usw. Die Wand- und Deckenfresken stammen von Jörg Breu und Hans Windherger. Während sonst die Gotik noch herrscht, wird man in dem einen Zimmer durch einen Kamin mit dorischen Säulen über- rascht. Im obersten Stock sind ganz kleine Zimmerchen für die Dienerschaft.

Im Hauptbau sind die Zimmer ebenfalls meist gewölbt, bloß zwei ganz große saalartige Räume zeigen flache Decken, die wohl der späteren Umgestal- tung unter Karl Theodor angehören. Daran stößt erkerartig ein rundes Zimmer in dem einen Eckturm. Der andere Turm enthält die stattliche Haupttreppe, eine Wendelstiege von etwa 10 Fuß Weite. Bei der geringen künstlerischen Bedeutung des Ganzen ist es für unsere Darstellung hauptsächlich von Interesse, wiederum nachzuweisen, wie lange die Gotik hier vorgeherrscht hat.

Heidelberg

Zum höchsten Glanz entfaltet sich die Renaissance an demjenigen Bau, der ohne Frage unter sämtlichen deutschen Werken der Zeit die höchste Liebe des deutschen Volkes genießt: dem Schlosse zu Heidelberg. Wie dieser Pracht- bau noch jetzt als Ruine kaum seinesgleichen hat in Europa, so stand er, ehe der brutalste Akt der Zerstörung ihn verwüstete, als Ganzes nicht minder glänzend da. So poetisch der Eindruck der Ruine im Zusammenhang mit der wunder- herrlichen Naturumgebung wirkt, so können wir doch nie vergessen, was hier zerstört worden ist, und wie verhältnismäßig dürftig die Überbleibsel sind.

Die erste Anlage des Schlosses reicht in die Frühzeit des Mittelalters hinauf, Seit 1147 nimmt Konrad von Hohenstaufen, Friedrich Barbarossas Bruder, hier zuerst seinen Sitz, anfangs als Lehensmann des Bischofs von Worms, bald aber als selbständiger Landesherr mit der Würde des kaiserlichen Pfalzgrafen betraut. Oberhalb des Schlosses bestand bis 1537 eine zweite kurfürstliche Burg; ihre Anlage war, wie die meisten jener Zeit, eng zusammen gedrängt, im unregel- mäßigen Viereck die künstlich geebnete Bergkuppe besetzend, mit einem turm- artigen Vorbau als Propugnaculum und einem mächtigen Bergfrieds im Zentrum des Ganzen. Vom Königsstuhl wurde dieser Teil des Berges durch einen breiten Felseinschnitt getrennt, im Norden und Nordwesten durch einen tiefen Graben, rings durch eine dem Felsabhang folgende Umfassungsmauer geschützt. Sie wurde in dem genannten Jahre durch eine Pulverexplosion zerstört und später durch ein starkes Bollwerk ersetzt, das aber im Orleanskriege ganz verwüstet wurde. Bald, unten am Bergabhang entlang bis in das Tal vorgeschoben, siedelte sich eine seßhafte Bevölkerung an, die dann ein städtisches Gemeindewesen, die heutige Stadt Heidelberg bildete.

Neben jener kleineren festen Burg bestand aber etwas weiter unterhalb am Berge eine zweite Burg, das heutige Schloß, dessen Anfänge nach vorgefundenen Resten aus dem 12. spätestens dem 13. Jahrhundert stammen müssen. Hier war offenbar sehr bald der Schwerpunkt der politischen und künstlerischen Entwick-

1) Das Historische und Künstlerische gibt K. B. Stark in H. v. Sybels histor. Zeitschr., VI. Bd., München 18B1, S. 93 141. Dazu die sorgfältig gearbeitete Beschr. des Heidelb. Schlosses und Gartens von Joh. Metzger. Heidelberg 1829, mit Kupfern, und die schöne Publikation von R. Pfnor, le chäteau de II. Paris 1859 fol. Eine kurze Beschr. gibt W. Oncken, Stadt, Schloß und Hochschule H. Heidelberg 1869. Vor allem aber: Koch und Seitz, Das Heidel- U'/' berger Schloß, Darmstadt 1891, eine der sorgfältigst gearbeiteten AiifnahmenTrgend eines Bau- werks, die je in Deutschland gemacht wurden. Dann: Sauerwein, Das Heidelberger Schloß, '^^tvK.. ar% Frankfurt a. M. Rosenberg, Quellen zur Gesch. des Heidelb. Schlosses, Heidelberg 1882. 1/ Ad. V. Öchelh_ä US er, Das Heidelberger Schloß, Heidelberg 1902. Pf äff, Heidelberg und ^ Umgebung, Heidelberg 1902. Zell er, Das Heidelberger Schloß, Karlsruhe 1905.

Heidelberger Schloß

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lung, während die obere Burg als schützende Feste bis zum Jahre 1537 fortbestand. Es war also hier ein ähnliches Verhältnis wie bei den beiden Schlössern in Baden.

Das damalige untere Schloß hatte bei weitem nicht die Ausdehnung des jetzigen. An der Nordseite stand neben einem Palastgebäude die alte Juttakapelle. Der heute noch bestehende älteste Teil ist der (vgl. den Grundriß Abb. 206)

westlich vom Schloßhofe belegene Bau Kaiser Ruprechts von der Pfalz. Auch der weiter nördlich gelegene Teil F reichte in seinem nördlichen Ende ins Mittel- alter, vielleicht noch ins 14. Jahrhundert hinauf. In der Südostecke zwischen Apotheker- und Krautturm bestand außerdem ein schmaler Wohnflügel bereits im 15. Jahrhundert. Seit Ruprecht II. entstanden die mächtigen Ringmauern, ins- besondere die drei Rundtürme der Ostseite. Eine großartige Bautätigkeit beginnt seit dem 16. Jahrhundert mit Ludwig V. (1508—44), der in seiner langen Regie- rung den ganzen mit K bezeichneten, die südöstliche Ecke mit zwei Flügeln ein- fassenden Bau, den Frauenzimmerbau F in der Nordwestecke des Hofes, den größten Saal des Schlosses (Königsaal) errichtet, den Torturm B mit der davor gelegenen Brücke und dem Brückenkopf A, den südwestlichen Turm P („Seltenleer"), den Stückgarten im Westen und endlich den weit vorgeschobenen riesigen Rundturm R mit einem Durchmesser von 30 Metern hinzufügt. So war in der gewaltig er- weiterten und verstärkten Burg die erhöhte Machtstellung des kurpfälzischen Hauses in grandiosen Zügen ausgesprochen. Aber alle diese Bauten und selbst noch diejenigen, welche Friedrich II. (1544 56) hinzufügte, namentlich der nord- östliche Flügel H und der Aufbau des Turmes M, die ersten Vertreter der aus-

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2. Buch Die Bauwerke VIII. Kapitel Die Pfalz

geprägten Renaissance, sind bei aller Ausdehnung und Durchführung verhältnis- mäßig bescheiden an Schönheit ihrer Ausgestaltung. Erst mit dem Bau J, der Otto Heinrichs Namen trägt (1556 59), erhebt sich das Schloß auch in seiner künst- lerischen Ausgestaltung zu einem Prachtwerke von wahrhaft klassischer Bedeutung. Im Wetteifer damit errichtet dann Friedrich IV. seit 1601 den nach ihm benannten Friedrichsbau G und die demselben vorgeschobene herrliche Terrasse L mit den Eekpavillons, und endlich schließt der unglückliche Friedrich V., der „Winterkönig", in dem sogenannten englischen Bau mit dem dicken Turm im nördlichen Teil der Westseite die Baugeschichte des Schlosses ab. Betrachten wir nun die ein- zelnen Teile etwas näher.

Wenn man von dem sogenannten Stückgarten, der gewaltigen Befestigung vor der Westseite des Schlosses hinüberbhckt, so steigt aus der Tiefe des Gra- bens in fünf Stockwerken turmartig der Bibliotheksbau E Ludwigs V. empor. Er bildet einen Würfel von ungefähr 19 Metern, eine bescheidene Räumlichkeit, eng zusammengedrängt, wie es die Sitte des damaligen Burgenbaues mit sich brachte. Eine Wendeltreppe verband die einzelnen Stockwerke ; ein Erker mit reich durch- brochenen Fenstern, sowie im Innern einige Reste von elegant profilierten Ge- wölbrippen ist alles, was von der künstlerischen Ausstattung übrig gebheben ist. Kragsteine an der gegen den Hof gekehrten Seite, sowie an der Südseite weisen auf ehemalige hölzerne Galerien hin, welche den die Anfänge des berühmten Pala- tina beherbergenden Bau umzogen. Vor der Fassade erhob sich im Schloßhof ein Brunnen mit viereckiger Einfassung. Reicher ist der ältere Ruprechts- bau D, weiter in den Hof vorspringend, durch geräumigere Anlage und regelmäßige Einteilung ausgezeichnet, nach Norden und Süden durch hohe Treppengiebel über drei Stockwerken abgeschlossen. In der Mitte der Hoffassade führt eine Spitz- bogenpforte in einen Gang, der an der Rückseite mit einem Treppenturm zur Verbindung der Stockwerke endet. Auf jeder Seite des Ganges schheßt sich ein stattlicher Raum von 15 zu 13 Metern an, mit Kreuzgewölben auf einer kräftigen Mittelsäule bedeckt. Im oberen Stockwerk sind nach Norden Zimmer und nach Süden ein größerer Raum, der Speisesaal, darin der wunderschöne Kamin, freilich stark zerstört, den Friedrich II. 1546 hier aufstellen ließ (Abb. 207).

In großartiger Weise beginnt sodann gegen Ausgang des Mittelalters Kur- fürst Ludwig V. die Erweiterung des Schlosses und die Ausdehnung und Ver- stärkung der Befestigungen. Der vorgeschobene Brückenkopf A, die auf hohen Pfeilern und Bögen aus der Tiefe des Schloßgrabens emporgeführte Brücke und der schwerfällige viereckige Torturm B sind das Werk dieses Kurfürsten, 1541 laut einer in Stein gehauenen Inschrift vollendet. Der Turm wird nach einer unten im Kreuzgewölbe befindlichen Jahreszahl 1531 begonnen sein und ist uns bedeut- sam als das erste Werk der Renaissance hier oben. Vor allem durch die prächtige Wappengruppe über dem Tor. Zwei 1534 und 1536 gearbeitete kräftige, wenn auch etwas schwerfällige Knappen im vollen Harnisch, die „Torriesen", haben zwischen sich die große Wappentafel, von der freilich das einstige berühmte Wappen Ludwigs, das von Metall, sogar Silber gewesen sei, herabgerissen ist. Die Architektur der Tafel ist aber eine reizvolle und sehr energische: Pilaster begrenzen das untere Feld mit ihren perspektivisch schrägen inneren Flächen, ein scharfes Quergesims, ein Halbkreisbogen darüber, mit muschelartiger Teilung und Einfassung, oben wieder ein Gesims das ergibt ein höchst nachdrucks- volles Gesamtbild. Wenn man von hier aus den Schloßhof G betritt, so hat man zur Rechten die von demselben Kurfürsten an der Südostseite errichtete neue Wohnung K, deren nördliche Grenze durch den kleinen Treppenturm im Hofe mit der Jahreszahl 1524 bezeichnet wird. Auch hier ist noch alles gotisch trotz der vorgerückten Zeit. Ebenso hat der am südwestlichen Ende vorspringende viel

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gemalte Hallenbau für den neuen Schloßbrunnen, gotische Spitzbögen und an seinen vier Granitsäulen Kapitelle und Basen desselben Stils. Die Schäfte sind der letzte Rest vom Palast Karls des Großen zu Ingelheim, von wo der Kurfürst

Abb. 207 Kamin im Ruprechtsbau des Schlosses zu Heidelberg

sie herbeischaffen ließ. Ferner aber erbaute Ludwig hinter dem Bibliotheksbau, weit in den Hof vorspringend, den Frauenzimmerbau F, jenen höchst stattlichen Saalbau von 34,6 auf 16,7 Metern, der im Erdgeschoß den Festsaal, „Königssaal" enthielt, durch zehn große dreiteilige Fenster erhellt und mit Erkerausbauten an den Seiten. Dieser durch vier Pfeiler gestützte riesige Saal trug noch zwei Stockwerke, davon das oberste in Fachwerk ; später wurde er außen verputzt und mit prächtiger Architektur bemalt.

Lübke-Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 19

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2. Buch Die Bauwerke VIII. Kapitel Die Pfalz

Der Nachfolger, Friedrich II. (1544—56), baulustig und unternehmend, ver- vollständigte und vollendete die Bauten seines Bruders. Unter ihm, der Italien, Frankreich und Spanien kannte und sich lebhaft für klassische Studien inter- essierte, dringen die durchgebildeten Formen der Renaissance in Heidelberg ein. Freilich noch anklingend an das Mittelalter, insbesondere in den tief umkehlten Fenstern und Türen. Das Hauptwerk Friedrichs II., der sogenannte gläserne Saalbau (Abb. 208), nimmt die nordösthchste Ecke des Schlosses bei H ein, wird

Abi). 208 Nordostecke des SchloBhofes zu Heidelberg (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

dort aber zur Hälfte durch den später errichteten Otto-Heinrichsbau verdeckt, offenbar absichtlich, da die verdeckte Hälfte keinerlei steinerne Architekturteile noch Fenster nach außen besitzt, die sie als eine sichtbare Front möglich machen würde. Ungefähr die Mitte des Baus bildete der achteckige schmucklose Treppen- turm. Links von ihm zeigen sich kräftige Bogenhallen in drei Geschossen auf stämmigen dorischen Säulen mit feiner Kannelierung. Am westhchen Ende links springt ein Bauteil vor mit dreiteiligen profilierten Fenstern und steilem Giebel, dessen Treppenstufen prächtige Sirenengestalten und Delphine mit Puttenreitern zieren. Diese Fassade gehört mit zu den reizvoll malerischsten und trefflichst durchgeführten Bauwerken unserer ganzen frühen Renaissance. So einfach in der Anordnung sie auch ist, so sind der geistvolle Giebelumriß, die sparsamen Fenster, die tiefschattige Bogenhalle mit dem Treppenturm von einer so sorgsamen Ab- wägung der Masse wie ihrer Einzelheiten, daß jede nähere Betrachtung und Würdi- gung stets neue Bewunderung und Freude zeitigt. Vor allem aber füllt sie die Hofecke zwischen den beiden größten Bauten in wahrhaft unvergleichlich schöner Weise. Im Innern sollte ein großer gewölbter Saal die berühmte Bibliothek auf- nehmen. Um ihn auszuschmücken, ließ der Kurfürst 1551 Stukkatoren („Ipser") von Herzog Christoph von Württemberg kommen, weil er in der Pfalz keine geschickten

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Arbeiter habe.^) Vor den verputzten Zinnengiebel der Ostseite nach außen ins Neckartal blickend ist ein Erker mit gotischen Fenstern vorgekragt. Der Glocken- turm N an der Ecke erhielt seinen achteckigen, viergeschossigen, von großen spitz- bogigen Maßwerkfenstern durchbrochenen Oberbau ; er wurde zur Aufnahme eines Glockenspiels bestimmt, so daß also die ursprünglich auf Verteidigung berechnete Anlage sich zu neuen Gestaltungen bequemen mußte. Noch an einzelnen anderen Stellen aus derselben Zeit findet die Renaissance im Schlosse Eingang. So am Ruprechtsbau in der großen Wappen- und Inschrifttafel aus dem Jahre 1545 links vom Eingang, wo Kandelabersäulen mit Gebälk in den zierlichsten Renaissance- forraen die Einfassung bilden. In reifster Entfaltung an dem großen Kamin im oberen Saale des Ruprechtsbaues ^) mit seinen fein dekorierten Pilastern und Kon- solen, dem reich geschmückten Fries samt Gesimse, dem oberen Aufsatz und den prächtig ausgeführten Wappen, denen das goldene Vließ hinzugefügt ist. In all der Pracht erinnert sodann Totenkopf und Sanduhr, sowie die Schlange an die Vergänglichkeit des menschhchen Lebens. Als Baumeister des Kurfürsten wird ein Meister Jakob Haidern genannt. Vor allem aber ist da Peter Flettner in Be- tracht zu ziehen. Daß er für die pfälzischen Kurfürsten viel gearbeitet hat, vor allem seit 1526 als Medailleur, hat schon Lange ^) nachgewiesen. Es ist in hohem Maße wahrscheinlich, daß dieser Künstler der war, der Friedrich II. mit Entwürfen für seine neuen Renaissancebauten versorgte. Die Renaissanceteile des gläsernen Saalbaus, vor allem die Säulenhalle und der Giebel, tragen Flettners Stil durchaus.

Unter dem Neffen und Nachfolger Friedrichs IL, dem trefflichen Otto Heinrich (1556^ 59), erhebt sich die Renaissance dann zu voller Entfaltung ihrer prächtigsten Blüte. Selten hat ein Fürst in so kurzer Regierungszeit nach allen Seiten gleich Bedeutendes hinterlassen. Die volle Durchführung der Reformation, die weitere Entwicklung der Universität, die sich unter ihm zu hoher Bedeutung erhob, die Berufung und freigebige Dotierung tüchtiger Professoren, vor allem auch die ansehnliche Vermehrung der weltberühmten Bibliothek, für die er selbst auf seiner orientalischen Reise wichtige Handschriften erworben hatte und noch ferner in Italien und Frankreich neue Schätze zusammenkaufen ließ, endhch die kräftige Förderung der Volksbildung durch tüchtige Schulen, das alles sind leuchtende Verdienste dieses ausgezeichneten Fürsten. Während bei anderen Standesgenossen häufig die Baulust die übrigen geistigen Interessen zurückdrängt und manchmal nur ein Ausfluß eitler Ruhmbegier und Prunksucht ist, erscheint sie bei Otto Heinrich als ein Ergebnis einer hohen und allseitigen Bildung und eines leben- digen Interesses für das gesamte Kulturleben. Der Bau, den er dem Schlosse hinzugefügt, ragt nicht durch ungewöhnlichen Umfang hervor; er bildet nur ein Rechteck von etwa 35 Meter Länge bei etwa 22 Meter Tiefe ; aber der hervor- ragend schöne Aufbau, der Reichtum seiner Ausgestaltung, der feine Geschmack seiner Einzelheiten haben ihn von jeher zum Gegenstande allgemeiner Bewunde- rung gemacht. Wir geben in Abb. 209 ein System der Fassade, wobei wir den hohen Unterbau fortlassen, über dem sich die drei Hauptgeschosse erheben.

Eine hohe doppelte Freitreppe führt zu dem Portal, das die Mitte der Fassade einnimmt und in der Breite einem Pilasterzwischenraum entspricht. Fünf solcher bilden die gesamte Länge. Das Erdgeschoß, durch besonders gebildete Fenster ausgezeichnet, übertrifft die andern an Höhe und war für die Hauptsäle be-

1) Württemb. Jahrb. von Memminger. Jahrg. 1826, p. 105.

2) Abb. bei Pfnor II, pl. 6; bei Haupt, Zur Baugeschichte des Heidelb. Schlosses Abb. 23, wo ich nachzuweisen gesucht habe, daß der Schöpfer auch dieses wundervollen Werkes Peter Fleitner aus Nürnberg gewesen sein muß, aus dessen Todesjahr 1546 dieser feinste und ele- ganteste Kamin unserer früheren Renaissance stammt.

3) Peter Flötner, ein Bahnbrecher der Deutschen Renaissance, Berlin 1897, S. 107, 109 ff.

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2. Buch Die Bauwerke VIII. Kapitel Die Pfalz

stimmt. Es mißt 6 1/2 Meter Höhe, während dem ersten Stock 572, dem zweiten 5 zu- geteilt sind. Trotz dieser für Deutschland ansehnlichen Höhenverhältnisse erscheint indes die Anordnung der einzelnen Felder nicht so schlank, wie auf unserer perspek- tivischen Darstellung. Vielmehr bilden sie in dem hohen Erdgeschoß ungefähr ein Quadrat, in den oberen Stockwerken daher ein gedrücktes Rechteck. Dennoch hat der Architekt wohlgetan, seine Pilasterteilungen nicht zwischen jeder Fensterstellmig zu wiederholen, sondern je zwei in ein System zusammenzuziehen, zwischen ihnen den Pilaster durch eine große Konsole vertreten zu lassen, und in der Wandfläche den Raum zu einer Bildnische zu verwenden. Dadurch hauptsächlich hat er erreicht, daß der Bau trotz seines Reichtums den Eindruck ruhiger Gliederung durch langgestreckte horizontale Linien gewinnt. An keinem zweiten deut- schen Bau jener Zeit ist diese aus dem Süden stammende Horizontalrichtung so durchgreifend zur Herrschaft gelangt. Doch forderte die nordische Sitte ihr Recht, und dies wurde ihr durch das Aufsetzen von zwei den erhaltenen Nachrichten nach reich gegliederten Dachgiebeln. Aber da diese an der Fassade keine durchgreifende ver- tikale Unterstützung finden, so ergab sich hier ein Punkt, in dem deutsche Sitte und italienische Anschauung in Konflikt gerieten. Die beiden Giebel waren außerdem bei Otto Heinrichs jähem Tode noch nicht vorhanden, stammten vielmehr aus Friedrichs III. Zeit und von einheimischen wenig bedeutenden Meistern. Sie bildeten einen Zwillingsgiebel, dessen unteres Geschoß mitten verwachsen war, und sind im 17. Jahrhundert entfernt und durch zwei kleinere Zwerchhäuser er- setzt worden.

Aber abgesehen von solchen Unstim- migkeiten, die kaum zu vermeiden waren, wird man immer wieder aufs neue zur Be- wunderung hingerissen durch die an keinem andern deutschen Bau auch nur entfernt erreichte Schönheit der Durchführung. Mit feinem Sinn hat der Architekt bei höchster Steigerung der plastisch dekorativen Mittel eine wohldurchdachte Abstufung und zu- gleich eine Bereicherung durch rhythmischen Wechsel der Motive gewonnen. Wirk- sam breiten sich die Massen des Kellergeschosses aus, in ruhiger Fläche dem

Abb. 209 Vom Otto-Heinrichsbau des Schlosses zu Heidelberg

Heidelberger Schloß

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reichen Oberbau als kraftvolle Basis dienend, nur durch schlichte, gotisch profi- lierte Fenster und Türöffnungen unterbrochen. Darüber steigen die langgestreckten Pilaster des Erdgeschosses auf, durch ihre Bossagen mit dem derb markierten Fugenschnitt noch an die ungegliederten Massen des Unterbaues erinnernd, durch die zierlichen ionischen Kapitelle jedoch auf den Reichtum der oberen Teile vor- bereitend. Auch der Triglyphenfries, welchen der ausführende Baumeister un- bekümmert mit den ionischen Stützen verband, verrät in den fein durchgebildeten Schildern und Stierschädeln seiner Metopen die Richtung auf zierlichen Schmuck. Im ersten Geschoß sodann geben die ornamentierten Pilaster mit fein detaillierten korinthischen Kapitellen einen lebendigen Gegensatz zu den gequaderten des Erd- geschosses und den kannelierten Halbsäulen des zweiten Stocks, die durch höhere, einfacher gebildete, korinthische Kapitelle für die größere Entfernung vom Auge wohl berechnet sind. Die oberen Friese werden durch Mäander und Blattranken vom zartesten Relief unübertrefflich schön belebt. Bezeichnend für das Streben nach rhythmischem Wechsel ist auch die Bildung der großen Konsolen, deren schönes Akanthuslaub im mittleren Geschoß aufwärts steigt, während es in den beiden andern umgekehrt abwärts fällt. Nach demselben Gesetz sind auch die Muschelwölbungen in den Statuennischen gebildet.

Wohl erwogen ist die Behandlung der Fenster. Sie stehen in Wechsel- wirkung mit den Hauptgliedern des betreffenden Stockwerks, so daß im Erd- geschoß kräftige geometrische Formen, Rustika und Spiralwindungen Platz greifen, im ersten Stock kannelierte Pilaster, im oberen glatt behandelte Halbsäulen auftreten, mit den benachbarten großen Pilastern und Halbsäulen durch die ge- meinsame korinthische Ordnung verbunden, aber in der Behandlung des Schaftes überall verschieden von jenen. Vor die mittleren Teilungspfosten der Fenster sind in allen drei Geschossen hermenartige Atlanten und Karyatiden gestellt, in ihrer Behandlung von der größten Mannigfaltigkeit. Mit ihnen beginnt das Gebiet des frei figürlichen Schmucks, der an dieser Fassade in einem Reichtum zur Ver- wendung gekommen ist, wie kaum an einem andern Profanbau der Welt. Zu- nächst sind es in den Giebelkrönungen des Erdgeschosses musizierende Engel- knaben, dazwischen Porträtmedaillons von römischen Kaisern und andern Helden des Altertums. Man liest Nero, Claudius, Antonius Pius und Vitellius, ferner Marius und Antonius, Numa Pompilius und Brutus. Dann kommen über den Fenstern der beiden oberen Stockwerke phantastische Männer- und Frauengestalten, geflügelt, in Fischleiber übergehend oder in freies Laubwerk auslaufend, im obern Geschoß abwechselnd mit Masken, von frei komponiertem Rollwerk umgeben, so daß hier die architektonische Form sich in plastisches Spiel auflöst. Endlich aber gesellen sich dazu die vierzehn Statuen in den Nischen, wozu noch zwei vor den ehemaligen Dachgiebeln kommen. Im Erdgeschoß sind es vier Vertreter gottgeweihter Heldenkraft: Josua „der durch Gottes Kraft einunddreißig König hat umbracht", Simson, Herkules, als „Jovis Sun" bezeichnet und David „beherzt und klug". Die mittlere Reihe gibt die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung und fügt dazu die Regententugenden Stärke und Gerechtigkeit. Die Mitte von ihnen über dem Portal und dadurch höher gerückt nimmt die christhche Liebe ein. Die obersten endlich sind Saturn, Mars, Venus, Merkur, Diana (Mond), Jupiter und Sol, die Vertreter der sieben Hauptgestirne des Altertums und Mittel- alters: Sonne und Mond samt den fünf Planeten. „So bilden", wie Stark treffend bemerkt, „die plastischen Darstellungen in sinnvoller Weise einen Spiegel fürst- licher Regierung. Auf der Kraft der Persönlichkeit, auf dem Heldentum des Volkes baut sich sicher die fürsthche Gewalt auf; sie hat ihren Mittelpunkt in der Übung der christHchen Tugenden, vereint mit Stärke und Gerechtigkeit; sie steht endlich unter dem Einfluß höherer Mächte, einer himmlischen Leitung, die

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sich im Laufe der Gestirne kund gibt." Diese astrologische Beziehung Hegt im Cha- rakter der Zeit und ist doppelt erklärlich bei einem Fürsten, der selbst mit Eifer astronomischen Studien oblag. Die Medaillons endlich mit den Köpfen römischer Kaiser, Helden der Republik und Vertretern des Königtums geben den Gedanken der Notwendigkeit obrigkeitlicher Gewalt durch alle Wechsel der Staatsform.

Dem Reichtum des Übrigen entspricht das große Portal, an sich schon eins der höchsten Prachtwerke der Zeit (Abb. 210). In freier Nachbildung eines römischen Triumphbogens öffnet es sich mit einer großen Bogenpforte, zu deren Seiten schmale Fenster zur Erleuchtung des Vestibüls angebracht sind. Vier prächtige, reichgewandete männliche Gestalten, die beiden äußeren bärtig, die beiden inneren jugendlich und bartlos vor Pilastern stehend, tragen mittelst ionischer Kapitelle das vorspringende Gebälke. Am Sockel und der Portalein- fassung sowie in den tiefen Türleibungen sind in feinen Flachrehefs Trophäen mit Waffen aller Art dargestellt. In den Zwickeln über dem Bogen reichen Viktorien Palmen und Kränze dar. Die Attika enthält in der Mitte die Wid- mungsinschrift, an den Sockeln musikalische Instrumente. Darüber folgen im obern Aufbau zwei reich bekleidete weibliche Karyatiden, die das große Mittel- feld mit dem kurfürstlichen Wappenschilde, dem pfälzischen und dem bayrischen, einrahmen. Von unübertroffener Schönheit ist das reiche die Wappen umgebende Laubwerk. Auf den beiden Seitenfeldern sieht man einerseits einen bärtigen nackten Mann, von einem Löwen überwältigt, andrerseits einen Athleten, wie er den Löwen bezwingt. An diesen beiden Feldern kommt schon reich zerschnittenes und in Schnecken gedrehtes Rollwerk vor. Ebenso herrscht es an der oberen Bekrönung des Ganzen, wo das Brustbild des Erbauers von zwei flöteblasenden Genien begleitet erscheint. Dies sind samt einem Teil der obersten Fenster- krönungen die einzigen Stellen der ganzen Fassade, an denen solche spätere Formen sich zeigen. Wir haben in diesen Teilen daher, wie wir sehen werden, Arbeiten des jüngeren hier als Bildhauer tätigen Meisters zu erkennen.

Das meiste sonst atmet den Geist klassischer Frührenaissance. Die An- ordnung großer durchgehender Horizontalen, denen sich die feinen Pilaster und Halbsäulen unterordnen, erinnert an jene Stufe des italienischen Palastbaues, welche durch Leo Battista Alberti begonnen und durch Bramante vollendet wird. Im Charakter dieser Frührenaissance ist es auch, daß der Meister die Gesimse ausschheßlich für die einzelnen Stockwerke komponiert und kein mit Rücksicht auf das Ganze gestaltetes krönendes Gesimse anwendet. Ein solches konnte er um so weniger gebrauchen, als sonst die Dachgiebel von der Fassade zu scharf getrennt worden wären. Dazu fügt er nun eine plastische Belebung in Orna- menten aller Art und in figürlichem Schmuck, wie sie so reich selbst im ver- zierungslustigen Mailand und Venedig oder sonstwo in Oberitalien kaum ein Pro- fanbau kennt. Man hat auf die überreiche Fassade der Certosa von Pavia hin- gewiesen; aber dort galt es, einen kirchlichen Bau mit den höchsten Mitteln der Marmorplastik auszustatten, und allerdings sind die wundervollen Bekrönungen der Fenster, sowie die in Statuen aufgelösten Pfeiler das erste epochemachende Beispiel dieser Art von Verzierung. Zutreffender aber ist der Vergleich mit den Backsteinfassaden Oberitaliens, denn wie die feine Flächenverzierung von Bra- mantes späteren römischen Bauten nur von jenen Backsteinfassaden ausgeht, so und in noch höherem Grade erinnert der Otto-Heinrichsbau an jene oberitalienischen, )( mit Terrakotten bekleideten Palastfassaden, insbesondere an Bologna und Ferrara. Derselbe Reichtum, dasselbe zarte Relief der Ornamentik, dieselbe Sparsamkeit in den Ausladungen sämtlicher Glieder. Der schöne, warm rötliche Ton des Heil- bronner Sandsteins verstärkt noch die Wirkung, so daß man in der Tat eine In- krustation von Terrakotten zu sehen glaubt. Im übrigen aber geht der aus-

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Abb. 210 Mittelteil des Otto-Hciiirichsbaiis vom Scblosse zu Heidelberg (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

gezeichnete Baumeister selbständig seinen Weg, und, die verschwenderische Üppig- keit der Gertosa vermeidend, wo alles in plastischem Ornament fast erstickt, gibt er doch seiner Fassade die denkbar höchste dekorative Pracht, aber weise ge- zügelt durch die architektonischen Grundgesetze der Komposition. Wohl könnte man die großen Hauptlinien etwas markiger betont wünschen, aber die harmonische

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Stimmung und der ruhige Adel des Ganzen dürfte leicht dadurch zerstört werden. So wie die Fassade vor uns steht, ist sie der edelste Spiegel und die höchste Blüte des deutschen Humanismus in seiner vollen Idealität. Daß an einen italie- nischen Meister nicht zu denken sei, hat man längst erkannt. Ebensowenig kann man einen französischen vermuten. Man braucht nur die höchste, ungefähr gleich- zeitige Leistung des französischen Palastbaues, den innern Hof des Louvre, in Vergleich zu ziehen, um des Unterschieds inne zu werden und den selbständigen deutschen Charakter unseres Baues zu erkennen.

Wer der erste erfindende Meister gewesen ist, wissen wir nicht; nur über die plastische Ausstattung sind neuerdings urkundliche Nachrichten zutage ge- kommen. Darnach war es Alexander Colins von Mecheln, der laut Vertrag i) vom 7. März 1558 beauftragt wird, „alles gehawen Steinwercks vermög darüber ausgestrichener, ufgerichter Visirung" auszuführen und die „Visirunge über eine jede doppelte oder zweifache Tür" ; namenthch „die vier Säulen oder Pfeiler im großen Saal und der Stuben sambt das Wapen ob der Einfarth des Thores, die zwei größer Bilder in beiden Gestellen und dann die sechs Bilder ob den Ge- stellen, jedes von fünf Schuhen", auch „fünf größer Löwen, item sechs mühe- samen, Thürgestell, so inwendig in den Baw kommen, item sieben mittelmessig Thürgestell, sowie das Thürgestell, so Anthonj Bildhawer angefangen, item die zwei Kamin in den Kurfürsten Kammer und im großen Saal", alles dies „samt aller Bild groß und klein soll er persönlich hawen und hawen lassen" und zwar im ganzen für 1140 Gulden. Sodann wird noch beigefügt, daß er noch von seinem vorigen Geding 14 Bilder hauen solle, jedes für 28 Gulden und daneben 14 Fensterpfosten, jeden für fünf Gulden. Somit dürfen wir also einen bedeuten- den Teil des plastischen Schmuckes, und zwar vorwiegend des Inneren auf die Tätigkeit dieses ausgezeichneten flandrischen Künstlers, der sich am Monument des Kaisers Max in Innsbruck als ebenso geschickten Meister in Kleinbildhauerei erweist, zurückführen. Ob die beiden Baumeister Kaspar Fisclier und Jacob Leyder, welche bei dem Abschluß des Vertrags zugegen sind, vielleicht die d a- mals leitenden Architekten waren, bleibt dahingestellt. Doch hat es viel Wahr- scheinlichkeit für sich, weil sich ihre Gegenwart beim Abschluß des Vertrags kaum anders deuten läßt. Von ihnen würden dann die „Visirungen", d. h. die Werkzeichnungen, für die heutige Gestalt des Bauwerks entworfen worden sein, auf welche man sich bei dem Abkommen überall bezieht.

Indessen sehen wir aus dem Vertrage, daß 1558 nur Colins diejenigen Ar- beiten zu liefern erhielt, die sein Vorgänger Anthonj nicht gefertigt hatte. Colins, ein Schüler des Cornelius Floris zu Antwerpen, war völhg in dessen Art tätig, die durch seine zahlreichen Werke und Kupferstiche ganz genau bekannt ist. Und es läßt sich auf Grund obigen Abkommens, in dem fast alle Bildhauereien des Innern und einige wenige der Fassade aufgezählt sind, feststellen, daß die darin genannten Arbeiten in der Tat völlig flandrischen Charakters sind. Es ergibt sich dabei aber auch, daß die im Vertrag nicht genannten Bildhauereien der Fassade und des Innern von anderer Hand, also ziemlich gewiß von Cohns' Vorgänger Anthonj sein müssen. Die nähere Untersuchung der Fassade be- stätigt nun ferner, daß ältere Bildhauerarbeiten in der Fassade anders verwandt sind, als sie ursprünglich werden sollten. Die ionische Pilasterordnung wurde ins Erdgeschoß unter den dorischen Fries gesetzt, dieser verschiedentlich durch- einandergeworfen, Achsen verschoben, kurz, ganz unzweifelhaft ist ein älterer Plan, nach dem die ersten Arbeiten gefertigt worden waren, zur Zeit des Colins in einiger Hinsicht geändert und dann ausgeführt. Die noch zu fertigenden Er- gänzungsteile sind architektonisch weit unsicherer und schwerer, als die älteren.

1) Veröffentlicht in Wirths Arohiv zur Gesch. Heidelb. I, S. 18 ff.

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So ist die Folgerung naheliegend, daß schon Friedrich II. den Otto-Heinrichsbau geplant und begonnen hat, und daß damals bereits ein Teil der Bildhauerarbeiten fertig wurde, daß aber Otto Heinrich den von seinem Vorgänger begonnenen Plan wieder aufnahm und bis zum Gesimse vollendete, mit neuen Bildhauern und Architekten nach einem auf Grund des alten und unter Verwertung der fertigen Skulpturen neu aufgestellten Entwürfe. An anderer Stelle i) habe ich nachzuweisen gesucht, daß nach diesen Voraussetzungen sich der ursprüngliche Plan aus den älteren Skulpturteilen wohl wieder herstellen lasse, und daß er dem wirklich ausgeführten künstlerisch noch erheblich überlegen sei. Der Sachbefund bestätigt, daß sowohl die Rückfront des Bauwerks bereits zum Teil zu Friedrichs II. Zeiten aufgeführt war, als daß auch der Unterbau des Otto- Heinrichsbaus in der Hälfte, die an den gläsernen Saalbau anstößt, lange vor der anderen und zwar in Quadern ausgeführt war (während jene in Bruchstein aus- geführt ist), und mit Steinmetzzeichen aus Friedrichs Zeit bezeichnet ist. Das Verdienst Otto Heinrichs wird dadurch kaum geringer, das Friedrichs wächst aber ins Größte. Und zuletzt finden sich auch Anhaltspunkte dafür, daß der Plan zum Bau ursprünglich von Peter Flettner, der für Friedrich II. vielfach tätig war, herrühren könnte, was sich besonders darin ausspricht, daß die sechs Karyatiden des Portals, die Colins nicht fertigte, bereits genau so unter den Flettnerschen Holzschnitten zu Rivius Vitruv erscheinen.

Die innere Raumgliederung in diesem Teil des Schlosses läßt manches zu wünschen übrig. Namentlich fehlt es an einer der Pracht der Fassade einiger- maßen entsprechenden Entfaltung des Vestibüls. Ebensowenig ist auf durch- gehende Achsen in der Anordnung der Türen Rücksicht genommen. Stattlich aber sind die beiden Haupträume, der große Saal, der in der Länge von etwa 17 Metern die ganze Tiefe des Flügels einnimmt, so daß er an seinen beiden 9 Meter breiten Schmalseiten von je vier hohen Fenstern erleuchtet wird. Zwei kräftige Säulen- bündel, denen in den Wänden prächtig gearbeitete Konsolen entsprechen, stützten sein Gewölbe. An ihn stößt rechts „des Kurfürsten Stube", ebenfalls ein ansehn- licher Raum von 12 auf Meter, gleichfalls durch zwei Säulen geteilt. Von der ursprünglichen Pracht der Ausstattung zeugen nur noch die Colinsschen Portale mit ihren schon ziemlich barock behandelten Hermen und Karyatiden und den mit Masken, aufgerollten und zerschnittenen Kartuschen, Fruchtgehängen, Genien und phantastischen Fabelwesen geschmückten Aufsätzen, sowie die seines Vor- gängers. Der Vertrag des Colins verlangt von diesem sechs reiche (mühsame) Türgestelle, sieben einfachere (mittelmäßige); eines, das Anthonj angefangen hatte, sollte er fertigstellen.

Außerdem sechs „Bilder ob den Gestellen", d. h. also sechs Türaufsätze. Von diesen sind aber tatsächlich zehn vorhanden. Also vermutlich vier noch von Anthonj. Vier von den Aufsätzen sind in der Tat stark italienisierend, nicht flandrisch; sie befinden sich in des Kurfürsten Wohn- und Schlafzimmer. Das „Gestell, das Anthonj angefangen", dürfte jenes im Wohnzimmer sein, das zu beiden Seiten zwei ganze Gewandfiguren auf runden Sockeln besitzt, nicht Pilaster oder Hermen, wie die Colinsschen. Gebälk und Aufsatz gehören aber offenbar wieder Colins an.

1559 starb Otto Heinrich und hinterließ seinen Bau, erst bis zum Gesimse fertig. Alle Zeichnungen und Nachrichten bestätigen aber, daß später oberhalb des Gesimses ein doppelter Giebel vorhanden war, der erst zu der Zeit des Kur- fürsten Friedrich III. langsam erstand. Über seine vordere Architektur wissen wir nichts Genaues; die rückwärtige zeigt zwei einfache Staffelgiebel. Diese

1) A. Haupt, Zur Baugeschichte des Heidelberger Schlosses. Prankf. 1902. Derselbe, Peter Plettner, der erste Meister des Otto-Heinrichsbaus. Leipzig 1904.

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unglückliche Konstruktion, die vermutlich schwachen Architekten der folgenden Zeit zuzuschreiben ist, erzwang es zur Beseitigung der 20 Meter langen, sehr schädlichen Kehle zwischen den zwei Dächern 1669, daß diese Giebeldächer be- seitigt und durch ein gewaltiges Walmdach ersetzt wurden. An Stelle der großen Giebel traten nach dem Hofe zu zwei kleinere Dachgiebel, deren Reste noch stehen, und deren Gestalt auf den Kupferstichen des Job. Ulr. Kraus aus dem Ende des 17, Jahrhunderts klar ersichthch ist.i) So stand der Otto-Heinrichsbau, der sögar den Schloßbrand überlebte, bis 1764, wo ein Brand auch ihn vernichtete.

Ein Menschenalter lang tritt nunmehr Stillstand in der Bautätigkeit am Schlosse ein. Erst Friedrich IV. begann 1601 die alten Teile der Nordseite ein- zureißen und daselbst im Erdgeschoß eine neue Kapelle und darüber zwei Stock- werke mit Wohnzimmern zu errichten. Schon nach sechs Jahren war dieser Neu- bau vollendet. An Ausdehnung dem Otto-FIeinrichsbau nachstehend er mißt etwa 30 Meter Länge bei etwa 17 Meter Tiefe sucht er diesen durch kraftvolle Entfaltung seines Aufbaues zu überbieten. Man war eine Zeitlang geneigt, den Friedrichsbau abfällig zu beurteilen. Nichts leichter in der Tat als seine etwas spröde Ornamentik zu tadeln, die nicht mehr die Anmut derjenigen des Otto- Heinrichsbaues hat, vielmehr überall die geometrischen Formenspiele, die Riemen- geflechte mit Schnallen, die wie aus Leder geschnittenen oder aus Eisenblech ge- triebenen Zieraten, das Rollwerk der Spätepoche in reichem Maße zeigt. ^) Aber diese Nachbildungen von Schlosser- und Riemerarbeit, diese Quaderungen, die übrigens im Erdgeschoß des Otto-Heinrichsbaues auch schon, wenn auch noch bescheiden, auftreten, bilden doch nicht das eigentliche Element einer künst- lerischen Würdigung. Sie zeigen allerdings, daß die Zeit derber und realisti- scher geworden, daß die ideale Stimmung der früheren humanistischen Epoche verklungen ist. Aber man wird bald erkennen, daß diese derbere Ornamentik mit größtem Geschick von einem Meister gehandhabt worden ist, der an Reich- tum der Erfindung seinem letzten Vorgänger vom Otto-Heinrichsbau nicht nach- steht, in der Gewandtheit der Verwirklichung der Komposition ihn aber übertrifft. Vor allem ist zu sagen, daß der Architekt den Vertikalgedanken, auf dem nun einmal die deutsche Auffassung des Fassadenbaues beruht, zum Gesetz seines Baues gemacht hat (Abb. 211). Wohl sind auch bei ihm die Geschoßteilungen durch reiche Friese und Gesimse horizontal ausgesprochen, aber die Pilaster, welche die einzelnen gliedern dorische, toskanische, ionische und korinthische in her- gebrachter Reihenfolge , sind durch die verkröpften Gesimse in eine strengere Verbindung gebracht, machen die vertikalen Linien zu den herrschenden, lassen die beiden hohen Dachgiebel mit ihren geschwungenen Umrissen in organische Verbin- dung mit der Fassade treten, vermeiden also die Mängel des heutigen Olto-Heinrichs- baus.^) Genial ist die Art, wie der Architekt in den Grundzügen seines Planes sich seinem Vorgänger anschließt, in den hohen Fenstern des Erdgeschosses, der Doppelteilung sämtlicher übrigen Fenster, dem Statuenschmuck, der mit den Pilastern wechselt, endlich sogar den beiden aufgesetzten Giebeln, und wie er doch dies alles frei umbildet, selbständig einem strengeren, konsequenteren archi- tektonischen Gesetz unterwirft, namentUch statt der spielenden Fensterkrönungen dort durchgängig Giebeldächer anwendet, ja wie er sogar die Statuennischen durch die über denselben vortretenden Kapitelle mit den architektonischen Gliedern in enge Verbindung setzt. FreiUch durchbrach er wieder das strenge Architektur-

1) Das Nähere bei Haupt, Zur Baugeschichte etc, p. 59 if. Dazu Abb. 1.

2) Vgl. Abb. 127 auf S. 176,

^) Nicht des ursprünglichen Entwurfes, wie hier noch einmal betont werden muß ; denn dieser gehört, wie ich in der ersten der auf S, 297 aufgeführten Schriftchen nachwies, zu den glänzendsten Erfindungen der Renaissance überhaupt, wird auch nicht auf Giebel berechnet gewesen sein.

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System des Ganzen, da er die Pilaster durch Nischen ersetzte, was bei ihm schwerer wiegt, weil seine Pilaster durch das scharfe Betonen der Senkrech- ten für seine Fassade eine viel ernsthaftere Bedeutung besitzen als diejenigen am Otto-Hein- richsbau, welche nichts als eine zierliche Einteilung der Fläche bedeuten wollen. Aber eine solche Eigenwilligkeit, die üb- rigens hervorragende male- rische Kraft besitzt, wiegt nicht schwer bei einer im übrigen so meisterhaften Komposition, die unter den gleichzeitigenWerken allerersten Ranges ist. Daß außerdem die schlankeren Ver- hältnisse mit der ganzen Rich- tung des Bauwerks im Einklang stehen, braucht kaum angedeu- tet zu werden.

Der erfindende Meister war lange Zeit vergessen, bis ihn die Forschungen Gzihaks^) aus dem Dunkel wieder her- vorzogen. Es ist der oben oft genannte Straßburger Bau- meister Johannes Schoch aus Königsbach, dem wir bereits bei dem Neuen Bau zu Straßburg, wie dem Schloß in Gottesau begegneten, und der auch die Heilbronner so sehr schöne Fleischhalle geschaffen haben soll. Der Heidelberger Bau aber ist sein Meisterwerk, zu- gleich überhaupt die Krone der Baukunst der ausgebildeten deutschen Renaissance in ihrer ausgeprägtesten Erscheinung. Der Künstler, der etwa 1550 geboren ist, war 1577 bereits Werkmeister des Zimmerhofes zu Straßburg; 1583 erbaute er von da aus Gottesau, 1585 wurde er Stadtlohnherr zu Straßburg, 1590 Stadtbaumeister; 1597 nahm er seine Entlassung, ging

1) Zentralblatt der Kgl. Preuß. Bauverwaltung 1889.

Abb. 211 Vom Fricdrtchsbau des Schlosses zu Heidelberg

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nach Heilbronn und 1601 nach Heidelberg; in hohem Alter wurde er zu Straß- burg wieder Stadtbaumeister und Lohnherr, als welcher er 1620 genannt wird 1627 erhielt er einen Adjunkten, 1631 starb er, über 80 Jahre alt.

Auch der bildhauerische Schmuck entspricht dem derberen Charakter der Zeit und des Baus. In den Nischen stehen fürstliche Standbilder in der massigen Tracht und der bewegten Haltung damaligen Geschmackes. Sie beginnen in der untersten Reihe mit dem Erbauer und seinen drei Vorgängern Johann Kasimir, Ludwig VI und Friedrich dem Frommen. In der zweiten Reihe finden sich Ruprecht I Friedrich der Siegreiche, Friedrich II. und Otto Heinrich. Die dritte Reihe bilden vier Könige aus pfälzisch- wittelsbachischem Stamme: Ludwig der Bayer, Rup- recht von der Pfalz, Ludwig von Ungarn und Christoph II. von Dänemark An den Giebeln endlich sieht man Karl den Großen, Otto von Wittelsbach, Ludwig I. und Rudolph I. Zwischen den Giebeln die Statue der Gerechtigkeit. An Stelle der idealen Ausdrucksweise des Otto-Heinrichsbaues tritt hier eine mehr realistische im Dienste fürstlicher Hausinteressen mit ihren genealogischen Liebhabereien Meister Sebastian Götz aus Chur hat mit acht Gesellen die Bildwerke 1604—1607 ausgeführt. Im Innern ist das Erdgeschoß ganz von der Kapelle eingenommen, neben der nur ein Durchgang nach der großen Terrasse geblieben ist. Die Kapelle ist nach Art zahlreicher protestantischer Schloßkapellen ein einfaches Rechteck, durch stark nach innen vorspringende Strebepfeiler geteilt. Zwischen diese spannen sich oben Kreuzgewölbe, darunter aber flachbogige Quertonnen, die ringsum eine mit Dockengeländer versehene Empore tragen, während der Hauptraum mit Sterngewölben bedeckt ist, alles noch in gotischer Konstruktion mit kräftig profiHerten Rippen. Das obere Geschoß enthielt die Wohnung des Kurfürsten, der zweite Stock die Zimmer seiner Gemahlin und ihrer Frauen.

An diesen Bau fügte der Kurfürst gleich nach Vollendung desselben 1608 die großartige Terrasse L mit ihren Eckpavillons und der stattlichen gewölbten Halle. Endlich Heß er den weiten unregelmäßigen Schloßhof abgleichen, zur Ausgleichung der Höhenverschiedenheiten Rampen und Treppen anlegen,' und das Ganze durch ein Wasserbecken mit Springbrunnen und durch Aufstellen von Obehsken und antiken Denkmälern, v/elche die Umgegend geliefert hatte, schmücken. Außerdem wurde der große Saalbau, der Königssaal Ludwigs V., in seinen zwei oberen Stockwerken verputzt, mit Dachgiebeln versehen und dann mit einer kräftigen Architektur, mit Quadern, Säulen und Fensterumrahmungen, in Fresko bemalt; er bildete so ein wirksames Gegenstück zum Otto-Heinrichs- bau gegenüber. Der Kupferstich des Job. Ulr. Kraus zeigt diese in der Tat prächtige Einheit des ganzen Schloßhofes, der so mit seinen umgebenden Ge- bäuden zur Vollendung gebracht war. Was dem Anblick an Ruhe und Einheit abging, wurde reichhch aufgewogen durch malerischen Reiz und Mannigfaltig- keit. Auf zwei echt deutsche Eigentümlichkeiten sei hier noch hingewiesen: sämtliche Treppen, mit Ausnahme einiger Diensttreppen im südlichen Ludwigs- bau, sind nach mittelalterlicher Art als Wendelstiegen in vorspringenden Türmen angebracht; und ferner: alle Teile des Schlosses verzichten auf die dem Süden entlehnte Anlage offener Galerien. Nur der Bau Friedrichs II. macht eine Aus- nahme. Dagegen kehren die nachfolgenden Bauherren zur geschlossenen Fas- sade zurück.

Die letzte Vergrößerung fügte Friedrich V., der unglückliche Winterkönig, seit 1612 an der nordwesthchen Ecke hinzu. Es ist der sogenannte „Englische Bau", auf unserm Grundriß durch hellere Schraffierung angedeutet, mit zwei schräg zu einander laufenden Außenwänden, die über den Schloßgraben bis zum runden Turm R reichen. Der Erbauer errichtete den Bau seiner Gemahlin Elisabeth, der Tochter Jakobs I. von England, zuliebe. Die Grundlage bilden die unter

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Ludwig V. aufgeführten Befestigungsmauern mit ihren hohen gewölbten Kase- matten. In zwei Stockwerken durch eine große Anzahl dicht gestellter Fenster erhellt, die nach Süden zu rechteckig mit einfach strengen Gewänden und ge- rader Verdachung verziert sind, nach Norden aber rundbogig zwischen breiten glatten, durch beide Stockwerke gehenden dorischen Pilastern sich öffnen, wieder mit je zwei stattlichen Dacherkern auf jeder Seite, erhob sich der Bau, außen durch seinen ernsten Quaderbau auffallend, im Innern mit reichster Ausstattung, zu welcher man den Maler Focquiers aus Antwerpen berief. Nichts als einige feine Stuckornamente in den Fensternischen, die sich an gleichzeitige derartige Arbeiten in Straßburg eng anschließen, ist von dieser Pracht geblieben. Der Bau bezeichnet aber, in seiner absichtsvollen Einfachheit sich von der derberen, schmuckvolleren deutschen Renaissance des Friedrichsbaues unterscheidend, das Hereinbrechen jener strengeren klassischen Behandlung, die nach Palladios Vor- gang in Frankreich seit Heinrich IV., in England durch Inigo Jones sich Bahn brach. Immerhin lassen die einzelnen Formen wie die Energie des Bauwerks den Gedanken zu, daß der Plan auch zu diesem Flügel noch von Hans Schock herrühren möchte, der erst 1620 nach Straßburg zurückkehrte. Englische Sitte und französische Verfeinerung hielten damit ihren Einzug. Ritterliche Spiele, glänzende Feste mit Aufzügen in dem schwülstig allegorischen Stile der Zeit verherrlichten das Leben des Schlosses^) in den sechs kurzen Jahren, bis durch den ehrgeizig-unüberlegten Zug nach Böhmen all dieser Glanz in Elend zusammen- brach. — Zugleich wurden die anstoßenden Bauhchkeiten, der runde Turm R und der alte Saalbau F in die Umgestaltung mit hineingezogen. Aber gerade diese Teile haben die furchtbarste Zerstörung erlitten, und von dem gewaltigen dicken" Turme an der Ecke mit seinem kühnen Gewölbe steht nur noch ein Teil der ungeheuren Mauerschale, von dem berühmten Efeu überwuchert und mit der Inschrift 1619 bezeichnet.

Der heiter blumige Triumphbogen, den der verliebte Friedrich V. in einer Nacht seiner Gattin als Überraschung zum Abschluß des Stückgartens errichten ließ, gehört auch noch hierher. Er trägt die Jahreszahl 1616. Auf jeder Seite des Bogens zwei blumenumwundene Dreiviertelsäulen mit Pflanzenkapitell, darauf ein über diesen vorgekröpftes starkes Gebälk. Als Bekrönung mitten eine Tafel, seitlich Schnecken, die den Eindruck eines gebrochenen Giebels ergeben. In den Bogenzwickeln Viktorien. Das Ganze etwas oberflächlich, doch wirksam, uns an spätere Rubenssche Architekturen erinnernd.

Mit diesen Neubauten hing das nicht minder staunenswerte Werk der Garten an lagen zusammen, die Friedrich jetzt zum würdigen Abschluß des Ganzen hinzufügte. Mit Ausnahme eines kleineren älteren Gartens an der Süd- seite des Schlosses, des sogenannten Hasengartens, und des Elisabethengartens auf der Westbastion, war die unmittelbare Umgebung des Schlosses damals noch überall die ungezähmte Bergnatur mit Wald und Wiesen. Jetzt wurde der be- rühmte Ingenieur Salomon de Gaus berufen, den Friedrich am Hofe zu London kennen gelernt hatte. Seit 1615 finden wir ihn in Heidelberg beschäftigt, dies Riesenwerk zu vollbringen, in die Ecke des Berges zuerst weit nach Osten vor- dringend, dann sich nach Norden wendend, jenes gewaltige Plateau anzulegen, das, in vier Terrassen aufsteigend, allen Gartenkünsten der damaligen Zeit zum Schauplatz diente. Zunächst durch ausgedehnte Felsensprengungen, dann durch Aufführen von Mauern bis zu 25 Meter Höhe, die gegen den Erddruck durch Reihen von Bogen und Pfeilern gesichert wurden, endlich durch massenhaftes

1) Vgl. die weitscliweiflgen Schilderungen in der Beschr. der Reiß, Empfahung des ritterl. Ordens, Vollbringung des Heyraths etc. etc. Herrn Friedrichen des Fünften etc. Mit Kupfern. 1613.

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Zuschütten der Einsenkungen wurden die Grundlagen geschaffen.^) Noch war der Garten kaum vollendet, als Friedrich nach Böhmen auszog, wie er glaubte, eine Königskrone zu gewinnen, in Wahrheit aber, um alles zu verHeren und als Flüchtling im Auslande zu enden. Wenige Jahre darauf war das Schloß mit all

seinen Schätzen die Beute Tillys, sein einstiger kost- barster Schatz aber, zu- letzt in der Heiligengeist- kirche aufbewahrt, die weltberühmte Bibliothek, ward durch einen deut- schen Fürsten an den al- ten Erbfeind deutscher G eisteskultur ausgeliefert und im Vatikan unter Schloß und Riegel gelegt. Einige sechzig Jahre spä- ter, 1689 und 1692, ver- wüsteten die Banden Lud- wigs XIV. wiederholt das herrliche Bauwerk und brannten es zuletzt gänz- lich nieder. Seitdem steht es als unvergleichliche Ruine da.

Die Stadt Heidelberg selbst hat nach den Ver- heerungen durch die Fran- zosen, die sie fast ganz in Asche legten, nur we- nige Spuren der älteren Zeit aufzuweisen, und es ist um so mehr zu ver- wundern, daß überhaupt ein Bau übrig geblieben ist, wie das Haus zum Ritter (Abb. 212). Es ist eines der prachtvoll- sten Bürgerhäuser, wel- ches die deutsche Renais- sance aufzuweisen hat. Man muß in dem Reich- tum der plastischen Glie- derung und Dekoration den Einfluß des Otto- Heinrichsbaues erkennen.

Als die französischen Hugenotten vor fanatischem Glaubenshaß aus ihrem Vater- lande flohen, fanden sie in der Pfalz unter Kurfürst Friedrich III. und seinem Sohne Johann Kasimir gastliche Zuflucht. Von einem dieser Vertriebenen, dem reichen Fabrikbesitzer und Gutsherrn Charles Belier, wurde 1592 dies prächtige Haus er-

1) Vgl. Sal. de Caus, Hortixs Palatinus a Priderico Rege Boemiae Heidelbergae exstructus. Fraiikf. 1620.

Abb. 212 Haus zum Ritter in Heidelberg (Aufnahme der Neuen Photogr. Gesellschaft, Steglitz)

Heidelberg Zweibrücken

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baut. Es ist eine breit angelegte, mit hohem Giebel abgeschlossene Fassade, mit kräftigen Säulenstellungen gegliedert; im Erdgeschoß dorische, darüber ionische und endlich korinthische, dann im Giebel noch zwei ebensolche Ordnungen, alles in derben kräftigen Formen, die Schäfte gerieft, auf mit Diamanten und Band- ornamenten geschmückten Postamenten. Im Erdgeschoß durchbrechen neben dem großen Portal breite Bogenfenster die Fläche. Darüber bauen sich zwei rechtwink- lige Erker auf, durch die beiden Hauptgeschosse gehend, zum Teil mit ihrer Aus- kragung die Entwicklung der unteren Säulen unterbrechend. Eine reiche Orna- mentik ist über alle Glieder ausgebreitet; Hermen in phantastischer Form fassen die Erkerfenster ein, Masken und Arabesken schmücken die Erkergiebel und die durchgehenden Friese der oberen Stockwerke; an den Fensterbrüstungen sieht man die Brustbilder des Erbauers und seiner Gemahlin Franziska Soriau, den Widder als sein Namenszeichen, die Wappenschilde und die Brustbilder von vier Merowin- gischen Königen. Dazu kommen zahlreiche Sprüche. Am Fuße des Giebels liest man: „Si Jehova non aedificat domum frustra laborant aedificantes eam". Dar- über: ",Perstat (sie!) invicta Venus", endlich oben am Giebel: „SoH deo gloria". Die Ornamentik verbindet mit dem Vegetativen und Figürlichen das Riemen- und Flechtwerk der späteren Zeit und steht darin dem Friedrichsbau des Schlosses näher als dem Otto-Heinrichsbau; aber an Feinheit des Ganzen wie des Einzelnen bleibt die Fassade erheblich hinter jenen beiden Meisterschöpfungen zurück. Un- günstig wirken die kolossalen nüchtern gebildeten Voluten des Giebels, die steifen Obelisken auf den Ecken und die übergroßen Rosetten, die unter den inneren Schneckenaugen die Felder ungeschickt genug ausfüllen. Schwerfällig ist der oberste geschweifte Aufsatz mit dem lastenden Umriß, den selbst die bekrönende Ritterbüste mit hohem Helmbusch nicht verbessert. Trotzdem macht die Fassade als Ganzes mit ihrer reichen GUederung und üppigen Ornamentik, zu welcher noch starke Spuren von Vergoldung kommen, einen prachtvollen Eindruck. Von den Schicksalen Heidelbergs zeugen übrigens die Ecksäulen links in den oberen Stockwerken, die durch Brand fast ganz verzehrt sind.

In der westUchen Fortsetzung der Hauptstraße steht noch der Rest eines anderen Hauses von Bedeutung, heute der Gesellschaft Harmonie gehörig. Vor dem Stadtbrande war es offenbar ein Eckhaus, wie der über Eck stehende auf einem noch halb gotischen Rippengewölbe ausgekragte Erker beweist. Dieser von wenig geschickten Formen einer gewöhnlichen Frührenaissance. Dagegen ist vor die Mitte der Straßenfront eines der prächtigsten Portale gestellt, mit freistehenden Doppelsäulen beiderseitig eingefaßt und mit feinem Giebel bekrönt, dessen Mittelschmuck (Wappen?) leider durch eine fade moderne Lyra ersetzt ist. Die sehr feine und doch üppigreiche Architektur ist offenbar später um die alte Bogentüre gesetzt und in der Hauptsache so charakteristisch flandrisch, daß ohne weiteres anzunehmen ist, daß sie von einem der flandrischen Gehilfen des A. Cohns herrührt. Vom Meister selber off"enbar aber nicht, da das Figürliche erheblich hinter der Architektur und der Verzierung zurücksteht.

In Zweibrücken hat sich ein ansehnliches Haus vom Jahre 1622 er- halten, das die obere Ecke der Hauptstraße bildet. Ein reich dekorierter, diagonal gestellter Erker ist an der Ecke vorgekragt, ein zweiter rechtwinkliger tritt am andern Ende der Fassade heraus. Die Fenster sind in beiden Geschossen ge- kuppelt, mit hübsch profilierten Einfassungsstäben. Das Erdgeschoß hat eine Erneuerung erlitten; nur das Portal, das von geschweiften Ornamenten bekrönt wird, trägt noch die ursprünghche Form. Rosetten und Löwenköpfe, umgeben von linearer Flachdekoration, schmücken die Erker. Außerdem findet man noch andere Häuser derselben Zeit mit ähnlich diagonal gestellten Erkern, jedoch in einfacherer Behandlung.

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2. Buch Die Bauwerke VIII. Kapitel Die Pfalz

Die spätgotische Kirche enthält ein treffliches Wandgrab des 1556 ge- storbenen Friedrich von Eitz, in edlen Verhältnissen ausgeführt und mit ungemein eleganten Ornamenten geschmückt. Namentlich gilt das von dem Sarkophag, auf welchem der Verstorbene ausgestreckt dargestellt ist. Die Komposition er- innert an die später zu besprechenden Monumente von Simmern. Im Chor das Wandgrab des Pfalzgrafen Johann, von David Voidel aus Speyer; Anfang des 17. Jahrhunderts. In der Sakristei sieht man eine interessante Auswahl kleinerer Wandepitaphien mit hübscher Renaissancedekoration, ebenfalls den Werken von Simmern verwandt.

Abb. 213 Haus zum Engel in Bergzabern

Ein überaus stattliches Patrizierhaus sodann ist das Haus zum Engel in Bergzabern, etwa dem Anfange des 17. Jahrhunderts angehörig (Abb. 213). Es stößt schiefwinklig an die Straße, mit zwei diagonal gestellten Erkern (in der Pfalz eine besonders beliebte Form) auf den Ecken, mit Flachornamenten des bekannten Metallstils bedeckt; die hohen Giebel lebendig entwickelt und wirksam

Neustadt

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eingerahmt mit eingekerbten Friesen. Dies alles ist aus Sandstein hergestellt, während die Flächen in Putz hergestelltes Quaderwerk zeigen. An der Rückseite steigt ein achteckiger Treppenturm mit Zwiebeldach empor. Das breite Bogen- portal, das in den Hof führt, ist an seinem Rahmen mit hübschen Rosetten ge- schmückt. Die Wendeltreppe ist noch gotisch profihert, die Haustür ward im 18, Jahrhundert zopfig umgebaut; das Ganze ist ungemein malerisch gruppiert und von prächtiger Wirkung. Auch die Wasserspeier und Wetterfahnen sind als tüchtige Schmiedearbeiten zu beachten.

Auch Neustadt an der Haardt in dem gesegneten Weindistrikt der Pfalz besitzt einige wertvolle Renaissancedenkmale. An dem alten Rathaus sieht man eine statthche Freitreppe, die zum oberen Stockwerk emporführt, ähnlich der später zu besprechenden in Nördlingen (Abb. 243). Und ganz so wie dort zeigt das durchbrochen gearbeitete Geländer gotisches Maßwerk, während die Pilaster die Formen der Renaissance haben. An einem Renaissanceportal liest man die Jahres- zahl 1589. Sodann ist das seit 1579 errichtete Gymnasium, das Casimirianum, hervorzuheben, an dessen Eingang man die Devise „Deo et musis" hest. Die Fenster im Erdgeschoß wie in den beiden oberen Stockwerken sind paarweise angeordnet; ihr Profil zeigt den Schneckenabschluß. Ein runder Turm enthält die schhcht behandelte Wendeltreppe. Ein vorspringender Bau zur Linken mit spitzbogigen Fenstern und gotischen Strebepfeilern, vielleicht einst die Kapelle, enthält die Bibliothek. Runder Treppenturm und Kuppeldach und schöne große Gedenktafeln daneben schmücken den anmutig gruppierten Bau. Ein stattHches Privathaus, ungefähr aus derselben Zeit, sieht man am Strohmarkt. Die nach Westen gerichtete, ganz in Sandsteinquadern aufgeführte Hauptfassade hat über dem modernisierten Erdgeschoß zwei obere Stockwerke und einen späteren häß- lichen Aufsatz. Die einzelnen Etagen sind durch weit gestellte ionische Halb- säulen auf Postamenten elegant geghedert; dazwischen je zwei rechtwinklige Fenster mit einfach profilierten Rahmen, die unten in Schnörkel endigen. Am oberen Stockwerk sind zwei hübsche Schilder mit Rollwerk angebracht. Die Seiten- fassade ist in Fachwerk durchgeführt, aber arg verändert, nur die Fenster haben ihr hübsch geschnitztes tauförmiges Rahmenwerk behalten. Dasselbe Motiv wieder- holt sich an einem andern in der Nähe liegenden Hause.

In diesen Gegenden sind jene Bogenportale, deren Leibung mit Rosetten in Rautenfeldern geschmückt ist, wie wir sie in Bergzabern fanden, besonders beliebt. In Neustadt sieht man ein solches Portal vom Jahre 1660; andere in Edenkoben u. a. 0.

Neuntes Kapitel Schwaben

Die schwäbischen Lande spielen in der Geschichte der deutschen Renais- sance eine höchst wichtige Rolle, nicht bloß durch die Fülle der Denkmäler und ihren künstlerischen Wert, sondern mehr noch durch die große Mannigfaltigkeit ihres künstlerischen Besitzes aus der Renaissancezeit. Denn während in der Pfalz fast ausschheßlich die Fürsten als Förderer der künstlerischen Entwickelung auftreten, während andererseits in der Schweiz und im Elsaß die Architektur dieser Epoche fast ausnahmslos bürgerhchen Interessen dient, treten in Schwaben beide Richtungen kraftvoll ausgeprägt hervor, wie im Wetteifer einander fördernd und steigernd. In erster Linie ist es das kunstliebende Geschlecht der württem- bergischen Fürsten, das in den mittleren Teilen des Landes eine ansehnliche Zahl stattlicher Bauten hervorruft, die mit dem Schönsten und Bedeutendsten

L üb ko- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 20

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

in unserer Renaissance sich messen können; sodann aber kommt die Tätigkeit mehrerer Reichsstädte in Betracht, unter denen Augsburg und Ulm einen ersten Rang in der deutschen Kultur- und Kunstgeschichte einnehmen, andere wie Heil- bronn und Nördlingen, Gmünd und Eßlingen sich in zweiter Linie, doch wett- eifernd, anschließen. So umfaßt die Renaissance Schwabens alle Seiten des da- maligen deutschen Kulturlebens und bildet für sich, wie keine andere unserer Provinzen, im kleineren Rahmen ein vollständiges Spiegelbild des großen Ganzen.

Alle Abstufungen des Stiles finden wir hier vertreten. Den Anfang macht Heilbronn mit dem Glockenturm seiner KiUanskirche (1510—29) im phantastisch bunten Übergangsstil mit starken Anklängen an mittelalterliche, sogar romanische Formen. Um dieselbe Zeit fügt Ulm seinem Rathaus diejenigen Teile hinzu, welche etwas ausgeprägter den Stil der Frührenaissance verraten. In Augs- burg tritt ebenso früh (1512) die neue Bauweise auf. Nach diesen bahnbrechen- den Versuchen in den Reichsstädten nehmen sich die württembergischen Fürsten in energischer Weise der Renaissance an. Schon Eberhard im Bart, durch eine Pilgerfahrt nach Palästina 1482, mehr noch durch wiederholte Reisen nach Italien und durch die Vermählung mit der edlen Barbara Gonzaga von Mantua für eine höhere Bildung gewonnen, gründet als Freund der Wissenschaften die Universität Tübingen und fördert eifrig die bildenden Künste. Was aber unter seiner Re- gierung ausgeführt ist, wie der prächtige Betstuhl in der Kirche zu Urach, läßt noch nichts vom Einfluß der Renaissance erkennen. Die ersten unruhigen Zeiten des leidenschaftlichen Herzogs Ulrich (1503—50) waren nicht geeignet, künst- lerischen Unternehmungen Vorschub zu leisten. Aber seit der Rückkehr in sein Land (1534), das lange genug unter der österreichischen Gewaltherrschaft geseufzt hatte, macht sich der durch herbe Schicksale geläuterte Fürst nicht bloß durch eifrige Förderung der Reformation, durch Neugestaltung der Universität, durch Pflege und reiche Dotierung der Schulen, denen die Güter der aufgehobenen Klöster zustatten kommen, sondern auch durch künstlerische Unternehmungen um die Kultur hochverdient. Er führt den großartigen Bau des Schlosses zu Tübingen aus und errichtet in Stuttgart als Sitz der Landesbehörden die alte Kanzlei, deren Bau teilweise noch jetzt die Formen seiner Zeit trägt.

Eine höhere selbständige Entfaltung gewinnt dann das Kulturleben des Landes mit der glücklichen Regierung des edlen Herzogs Christoph (1550—68), eines der treff"lichsten Fürsten der Zeit. Eifrig bedacht auf die Wohlfahrt seines Volkes, fördert er Wissenschaft und Kunst, Handel und Gewerbe nach allen Seiten und gibt diesen Bestrebungen in einer Reihe ansehnhcher Bauten lebensvollen Ausdruck. Unter ihm beginnt der Neubau des Alten Schlosses in Stuttgart ; das Schloß in Göppingen mit seiner prächtigen Treppe und noch manche andere Schlösser werden errichtet; die Alte Kanzlei in Stuttgart wird erweitert. Noch prachtvoller sind die Unternehmungen Herzog Ludwigs des Frommen, der sowohl durch seine theologischen Kenntnisse und seine unmäßige Trinklust, wie durch die glänzenden Bauten sich als echten Sohn seiner Zeit erweist (1568—93). Unter ihm entstand das Landschaftshaus in Stuttgart, das Jagdschloß im Kloster Hirsau, das Collegium illustre in Tübingen, vor allem aber das herrhche, erst in unserem Jahrhundert ganz zerstörte Neue Lusthaus, das in der deutschen Renais- sance seinesgleichen nicht findet. Der prachtliebende und verschwenderische Herzog Friedrich I. (1593—1608), welterfahren und auf Reisen vielfach gebildet, bringt diese Tätigkeit zum Abschluß. Durch ihn erhielt das Schloß zu Tübingen das prunkvolle äußere Portal; sodann führte er den unter seinem Nachfolger Johann Friedrich vollendeten, jetzt nicht mehr vorhandenen Neuen Bau in Stutt- gart auf; weiter entstand unter seiner Regierung die Kirche samt den übrigen öffentHchen Gebäuden in Freudenstadt, interessant als Beispiel einer planmäßig

Übersicht Göppingen

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durchgeführten Stadtanlage jener Zeit. Nicht minder seit 1594 die sehr ansehn- lichen Bauten zu Mömpelgard, vor allem die Stadtkirche und das Schloß. Auch der Prinzenbau in Stuttgart ist sein Werk. Mit ihm schHeßt die Bautätigkeit der württembergischen Fürsten in dieser Epoche, denn Johann Friedrich, dessen Regierungszeit (1608 28) in den Dreißigjährigen Krieg hineinreicht, hat mit Ausnahme der Lustgrotte in Stuttgart nichts Bedeutendes mehr ausgeführt, ob- wohl er für den Bau von Schulen und andere gemeinnützige Anlagen vielfach sorgte. Es gestattete die schwere Zeit nur noch das Notwendige, nicht mehr das Schöne. Dagegen bietet gerade für die Schlußzeit Augsburg mit den groß- artigen Bauten des Elias Holl eine wichtige Ergänzung des Gesamtbildes.

Der künstlerische Charakter dieser schwäbischen Gruppe hat seine durch- gebildete Eigenart. Zunächst kommt bei den Bauten in den mittleren und unteren Landesteilen das treffliche Material in Betracht. Der feinkörnige Sandstein, der hier überall bricht, begünstigt nicht bloß die monumentale Anlage der Gebäude, sondern auch eine bis ins einzelne zierliche und reiche Ausführung. So kommt es, daß mehrere dieser Monumente an Geschmack der plastischen Durchbildung zu den besten deutschen Schöpfungen der Zeit gehören. Der abgebrochene Bau des Neuen Lusthauses vor allem war in Pracht plastischer Ausstattung eins der größten Meisterwerke unserer Renaissance. Die Hofhallen des Alten Schlosses in Stuttgart zeichnen sich durch originelle und lebensvolle architektonische Schön- heit aus. Daneben halten die bürgerlichen Kreise lange an dem heimisch ver- trauten Holzbau mit Riegelwänden fest. In den südlichen Teilen des Landes kommt sodann die Sitte der bemalten Fassaden überall, wo das Baumaterial es erheischt, zu lebendiger Anwendung. In Ulm wird eine schlichtere Ausführung, teils grau in grau, teils Sgraffito, teils bloße Zeichnung mit verschieden be- handeltem Putzbewurf gewählt. Augsburg dagegen liebt in unmittelbarer Auf- nahme italienischer Farbenlust reich bemalte Fassaden in voller vielfarbiger Er- scheinung. Betrachten wir nun die einzelnen Örtlichkeiten. ^)

Fürstliche Bauten

In Göppingen ließ Herzog Christoph ein Schloß erbauen, welches gegen- wärtig nur in verstümmelter Gestalt noch vorhanden ist. Das Portal trägt die Jahreszahl 1559. Trotz dieses Datums sind die Formen noch ziemlich unent- wickelt und deuten auf einen Meister, der die Renaissance unvollkommen ver- stand. Die Einfassung besteht wunderlicherweise aus drei Pilastern mit ziemlich plumper Ornamentfüllung, aber reich ausgeführt. Am seltsamsten ist, daß sie mit ihren Stühlen auf rohe Konsolen gestellt sind, ein Verstoß gegen die Grundelemente architektonischer Komposition. Das Gesimse ist mit plump be- handelten Wappentieren bekrönt, und über dem Hauptgebälk in der Mitte sind zwei verschlungene, ungeheuerliche Drachengebilde angebracht, die indes nicht, wie man wohl sagt, von einem alten benachbarten Hohenstaufenbau entlehnt, sondern für diese Stelle gearbeitet wurden. Das Wertvollste am Schlosse sind die drei noch wohlerhaltenen Wendeltreppen, zwei derselben noch mit gotischen Profilen, auch die Portale mit gotisch durchschnittenen Stäben eingefaßt. Un- gleich reicher ist dagegen die Haupttreppe, ein Prachtstück ersten Ranges; am Portal, das die Jahres2;ahl 1562 trägt, zwar wieder eine sehr mißverstandene Renaissance, die Treppe selbst aber in ganzer Ausdehnung mit frei gearbeitetem Weinlaub bedeckt, das in den Ranken allerlei Tiere, Vögel, Eichhörnchen, selbst

1) Vgl. den wertvollen Aufsatz von Dr. Karl Klunzinger im Organ für christl. Kunst 1860. Nr. 13 £f. und abgekürzt im Staatsanzeiger für Württemberg. 1860. S. 1674 fg. Vor allem : Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königr. Württemberg.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Affen, Eber und anderes enthält, dies alles von köstlicher Erfindung, meisterlich kühn gearbeitet, voll Anmut und Frische. Das Werk verdient hohe Bewunderung. Als sein Meister darf vielleicht Aherlin Tretsch, der Erbauer des Stuttgarter Schlosses, vermutet werden, da in einem Erlaß Herzog Christophs vom Jahre 1565 von der durch ihn eingereichten Abrechnung wegen des Schloßbaues zu Göppingen die Rede ist. (Stuttgarter Archiv.)

Abb. 214 Schloßruino zu Hirsau

Wertvolle Reste sind auch vom Jagdschloß in Hirsau übrig geblieben, das 1692 durch die Mordbrennerbanden Melacs eingeäschert worden ist. Die hohen Giebelwände (Abb. 214) mit dem mannigfach geschwungenen Umriß ergeben einen stattlichen und gediegenen, wenn auch einfachen Bau. Aufgeführt wurde er durch Herzog Ludwig. Die Behandlung der gekuppelten Fenster mit ihren Steinkreuzen und gotischen Rahmenprofilen erinnert noch an das Mittelalter; die Giebel dagegen mit ihren kraftvoll geschweiften Absätzen verraten eine ausgebildete und zugleich edel und maßvoll entwickelte Renaissance, doch be- reits im Schickhardtschen Charakter. Die Lage des kernigen Baues in dem lieblichen Tal der Nagold ist überaus anmutig, und die gewaltige Ulme, die innerhalb der Umfassungsmauern emporgewachsen, die hohen Giebelmauern noch überragt, versöhnt fast mit der grausamen Zerstörung des einst so ansehn- lichen Werkes. Besser erging es den fürstlichen Bauten im Kloster Beben- hausen, die neuerdings durch die Fürsorge des Königs Karl eine sorgsame Herstellung erfahren haben. Mehrere Zimmer im oberen Stock, 1550 durch den Abt Sebastian vollendet, zeigen gute, einfache Holztäfelung und tüchtig

Bebenhausen Schloß Tübingen

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behandelte Renaissancetüren. Die Decken bestehen ebenfalls aus Täfelungen, deren viereckige Felder kassettiert sind. Unten sieht man einen größeren Saal, dessen Holzdecke mit ihren Durchzugsbalken von mächtigen Konsolen gestützt wird, vs^elche in der Mitte auf einem gutgeschnitzten achteckigen Holzpfeiler ruhen. Eine alte Truhe mit eingelegten Ornamenten datiert von 1590. In der Kirche ist die Kanzel, um 1560 von Abt Bidenbach errichtet, eins der glänzend- sten dekorativen Prachtstücke der Renaissance. In Sandstein mit reicher Ver- goldung auf farbigem Grunde ausgeführt, ruht das Ganze auf drei prachtvollen Säulen mit geschwungenem Schaft, welche von einem reichgekleideten, lang- bärtigen Mann unterstützt werden. Den Eingang bildet ein elegant entwickeltes Portal. Das ganze Werk strotzt von figürlichen und vegetativen Ornamenten, letztere trefflich behandelt, die Putten dagegen auffallend schwach.

Abb. 215 Portal des Schlosses zu Tübingen

Weit bedeutender nach Gesamtanlage und Ausstattung ist das Schloß zu Tübingen.') Auf hoher Berglehne mit seinen gewaltigen Mauermassen und Türmen über der altertümlichen Stadt und dem von waldigen Höhen- zügen eingefaßten Neckartal aufragend, dient es der liebHchen Landschaft als charaktervolle Bekrönung. Die erste Anlage reicht ins frühe Mittelalter hinauf, wo das Schloß als Sitz der Pfalzgrafen schon große Bedeutung hatte. Den Neubau begann Herzog Ulrich 1507; aber die ersten unruhigen Zeiten seiner Regierung vermochten den Bau nicht zu fördern ; ebensowenig konnte er während der österreichischen Herrschaft fortschreiten. Aber sogleich nach seiner Wiedereinsetzung kam Herzog Ulrich 1535, begleitet von seinem Baumeister Heinz von Luther, sowie den Meistern Balthasar von Darmstadt und Hieronymus Latz, selbst nach Tübingen, um den Bau nachdrücklich zu fördern. Die Jahres- zahl 1537 am Treppenturme des Hofes zeugt noch von dieser Bautätigkeit. Bis 1540 kostete der Schloßbau den Herzog über 64000 Gulden, wozu die Stadt

1) Ortweins D. Eenaiss. XIV. Abt. Tübingen, von L. Theyer. Leipzig 1874.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

mehr als die Hälfte beisteuern mußte.') Der ausgedehnte Bau trägt das Gepräge verschiedener Zeiten, seine künstlerischen Formen aber deuten im wesentlichen auf die Epoche Herzog Ulrichs. Doch haben die Herzöge Christoph und Ludwig weiter daran gebaut, und auch Friedrich I. hat noch Teile hinzugefügt, wie denn namentlich das Portal des vorderen Torbaues aus seiner Zeit stammt (Abb. 215). Dieser Eingangsbau, ein vorgeschobenes Verteidigungswerk, bildet eine breite, in solidem Quaderwerk ausgeführte Masse, auf beiden Ecken mit ausgekragten kleinen Erkertürmen flankiert und mit prächtigen Wasserspeiern auf reich be- handelten Tragstangen ausgestattet. Der Eingang besteht nach der damals viel- fach, besonders in Frankreich, herrschenden Sitte aus einem breiten und hohen Bogen für Reiter und Wagen und einem kleineren Seitenpförtchen für Fußgänger. Dieses Grundmotiv hat der Architekt in origineller Weise mit den Formen eines antiken Triumphbogens umkleidet.^) Charakteristisch für die Zeit sind aber be- sonders die keck bewegten Figuren zweier Landsknechte mit Hakenbüchse und Schwert, welche als Wächter des Eingangs angebracht sind. Der schöne Triumph- bogen entstammt der Zeit des Herzogs Friedrich I., der 1608 starb. Der Bild- hauer hieß Christoph Jelin. Die Kette des Hosenbandordens, dessen Erlangung dem prunkliebenden Herzog viel Mühe gemacht, und auf dessen Besitz er so stolz war, daß er die Abzeichen auf allen seinen Bauten anbrachte, findet man auch hier sorgfältig ausgemeißelt. Durch den Torweg eingetreten, gelangt man zu einem Vorplatz, der durch einen tiefen Graben von dem eigentlichen Schlosse getrennt ist. Letzteres bildet ein unregelmäßiges Viereck von etwa 70 Meter Breite bei 90 Meter Länge, auf den vorderen Ecken ehemals mit ge- waltigen runden Türmen eingefaßt, von denen der südöstliche zur Linken, 1647 durch die Franzosen gesprengt, einem fünfeckigen Turm hat weichen müssen, während der nordöstliche zur Rechten, von 16 Meter Durchmesser, jetzt als Sternwarte dient. An der Rückseite schließt sich dem Hauptbau ein Zwinger an, von hohen Mauern umzogen und ebenfalls von Rundtürmen flankiert. Der Ein- gang in den inneren Hof wird an der Außenseite des Ostflügels wieder durch ein Bogenportal nebst Pförtchen für Fußgänger vermittelt; das Ganze ist in eine prächtige Architektur eingefaßt, deren reizvolle Formen, abweichend von denen des vorderen Portals, noch der Frührenaissance gehören.^) Drei Rahmenpilaster mit reizenden Blattornament-Füllungen tragen ein Gebälk, über dem das würt- tembergische Wappen in Gold und Farbenschmuck heraustritt. Über dem Schluß- stein des Torbogens entwickelt sich ein konsolartiges Kapitell, das den drei Pilasterkapitellen entspricht und die durch den Bogen unterbrochene Rhythmik des Aufbaues in geschickter Weise wiederherstellt. Also genau dieselbe Anordnung, wie am Liegnitzer Schloßportal von 1533. Über den äußeren Pilastern sind zwei Fahnenträger im reichen Kostüm der Zeit angebracht; über den inneren erhebt sich ein oberer Aufsatz mit Säulen, welche die Figuren zweier Trompeter tragen. Da- neben ist beiderseits mit einem Viertelbogen ein Feld eingefaßt, darin die württem- bergischen Wappentiere Hirsch und Löwe im Flachrelief. Im Friese das Datum 1538. Geht man durch den Torweg in den inneren Hofraum, so mündet er dort in einem Portal, das ähnliche, nur etwas einfachere Formen zeigt. Man liest hier die Jahrzahl 1577, das Portal gehört also der Regierungszeit Herzog Ludwigs an.

Der Schloßhof bildet ein unregelmäßiges Viereck von fast 40 Meter Breite bei etwa 65 Meter Länge. Er ist sehr einfach behandelt und nur durch mehrere stattliche Portale geschmückt.*) In den vier Ecken sind Treppen angebracht,

1) Vgl. Besohr. des Oberamts Tübingen S. 210 ff.

2) Theyer a. a. 0. Taf. 1 und 2.

3) Theyer a. a. 0. Taf. 3 6.

4) Ebenda, Taf. 7. 8. 11. 12. Mehreres auch in den Archit. Studien des Stuttg. Archit.-Vereins.

Schloß Tübingen

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und zwar in der nordöstlichen eine Spindel in achteckigem Stiegenhaus; die üb- rigen, mit rechteckig gebrochenen Läufen angelegt, wohl später entstanden als die erstere. Im übrigen erhält man von der schlichten Bauweise, die damals noch in diesen Gegenden allgemein herrschte, eine Vorstellung durch die hölzerne Verbindungsgalerie, die sich an dem linken, südlichen Flügel hinzieht. In der Ecke rechts führt ein kleines Portal zu der schön konstruierten W^endeltreppe, die noch mittelalterHch gegliedert und mit der Jahreszahl 1537 bezeichnet ist. Dieser Teil fällt demnach in die Regierungszeit Her- zog Ulrichs, dem wir über- haupt den Kern des gan- zen Baues zuschreiben müssen. Das Portal hat als Pilasterfüllung die Köpfe Hannibals und Sci- pios, mit der naiven Bei- schrift: „Hanabal deren von Afrika Hoptman. Sci- pio deren von Rom Bur- genmaister". Darüber ein gekröntes Brustbild mit der Beischrift: „Julius Gaser der erste römisch Kaiser. Alter 46". Der obere Abschluß ist ein Flachbogen mit Muschel- füllung. Zum großen Saal, der den nördlichen Flügel einnimmt, führt ein statt- lich angelegtes Bogen- portal von höchster Schön- heit, das uns die blühend- ste Frührenaissance zeigt und wohl ebenfalls auf die Zeit Herzog Ulrichs zurückzuführen ist (Abb. 216). Zwei Säulen mit gebauchten Schäften und meisterhaft behandelten korinthisierenden Kapi- tellen bilden die Einrah- "^^^ Portal vom Bibliothekssaal des Schlosses zu Tübingen

mung und stützen ein

hohes Gebälk samt Fries; die Krönung bildet ein frei komponierter Aufbau, in der Mitte von einem Halbkreis, auf beiden Seiten mit Viertelbögen geschlossen. Die einfassende und füllende Ornamentik gehört zur allerfeinsten der ganzen schwäbischen Renaissance, ist von wahrhaft Holbeinischer Art.

Das Innere, jetzt größtenteils als Bibliothek dienend, hat im Südflügel des Erdgeschosses noch seine alten gotischen Rippengewölbe, zum Teil in Sternform. Auch die Schloßkapelle im südhchen Flügel, gleich links vom Eingang, ein schlichtes Rechteck von 9 zu 26 Meter mit getäfelter Decke, scheint noch dem 16. Jahrhundert anzugehören. Den Glanzpunkt bildet der gewaltige Saal im oberen Stock, bei 70 Meter Länge, 16 Meter Breite und nur 61/2 Meter Höhe den nörd-

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

liehen Flügel einnehmend. An der äußeren Längsseite erweitert er sich in der Mitte durch einen Erkerbau, eine wahrhaft großartige Anlage von origineller und reicher Formbildung. Aus der Tiefe von unten mit dem übrigen Bau gleich- mäßig emporgeführt, gliedert er sich in drei Abteilungen (Abb. 217), sämtlich rechtwinklig vorspringend, die mittlere aber, 51/2 Meter tief bei 5 Meter Breite, noch erheblich über die seitlichen heraustretend. Dadurch gewann der Archi- tekt, als den wir jenen Meister Heinz von Luther anzusehen haben, den Vorteil, durch das Anbringen von Seitenfenstern jeder Abteilung des Erkers den vollen Ausblick ins tiefe grüne Tal zu sichern. Außerdem sind die Hauptwände von breiten gotisch gegliederten Fenstern völlig durchbrochen. Für die Verbindung der drei Abteilungen untereinander ist dadurch gesorgt, daß die trennende

Zwischenmauer gegen den Saal hin eine Öff- nung hat, während die Hauptmauer desselben mit großen Bögen auf zwei gewaltigen Säulen ruht. Diese sind ihrer Aufgabe entsprechend kurz und stämmig, die Kapitelle frei korinthi- sierend in flotter Frührenaissance. Dagegen haben die sternförmigen Netzgewölbe gleich Abb. 217 Erkergrundriß des Schlosses den Fenstern noch die gotische Form, so daß zu Tubingen ^^j. gg y^qx mit einem Bau der Übergangszeit

zu tun haben. Völlig gotisch ist noch das runde Turmzimmer behandelt, auf das die Wendeltreppe in der nordöstlichen Ecke mündet. Es hat eine mittlere Säule mit schräger gotischer Riefelung des Schaftes.

Von der inneren Ausstattung sind mehrere treffliche Holzportale erhalten 1), das eine in einem oberen Saal des Südflügels (Abb. 218), reich behandelt, ein- gefaßt mit zwei eleganten geschweiften Säulen, am Sockel hockende Männer, am Kapitell Masken mit Laubwerk, der obere Bogenabschluß mit Delphinen und Medaillonköpfen, sowie mit vergoldeten Rosetten auf blauem Grund prächtig ge- schmückt. Diesem gegenüber ein etwas einfacheres Portal mit Pflastern, deren elegante Kapitelle frei komponiert sind. Der obere Aufsatz mit kleinen Pflastern, dazwischen das trefflich geschnitzte württembergische Wappen, reich bemalt und vergoldet. Sodann eine Kassettendecke mit Rautenfeldern, einfach, doch wirksam profiliert, das Rahmenwerk ebenfalls blau bemalt. Neben diesen Renaissanceformen findet sich aber noch an einer kleinen steinernen Tür der spätgotische Kielbogen. Noch ist der gewalligen unterirdischen Räume des Schlosses zu gedenken, die in Großartigkeit der Anlage und Solidität der Kon- struktion dem oberen nicht nachstehen. Unter dem Rittersaale erstreckt sich der hochgewölbte Keller mit dem Faß, „das große Buch" genannt, das Herzog Ulrich 1548 durch Meister Simon von Bönnigheim fertigen ließ. Im Keller der nordwestlichen Seite sieht man den noch aus der Pfalzgrafenzeit herrührenden Ziehbrunnen, bestimmt, den Bewohnern selbst bei harter Bedrängung von außen frisches Wasser zu sichern. Denn er reicht bis unter die Sohle des Neckars, also bald 100 Meter tief, hinunter und ist l^ei etwa 4 Meter Durchmesser ganz in trefflichem Quaderwerk ausgemauert.

In der Stadt ist zunächst das jetzige katholische Konvikt (Wilhelms- stift), das unter Herzog Ludwig von 1587—92 durch den Baumeister Georg Behr errichtete Gollegium illustre zu nennen. Der stattliche, aber einfach behandelte Bau bildet ein unregelmäßiges Viereck, das sich um einen schmalen, langen Hof gruppiert. Der Haupteingang liegt an einer abgeschrägten Ecke, wo zwei Straßen rechtwinklig zusammenstoßen. Über dem Portal das württembergische Wappen, daneben große Inschrifttafeln, sehr zierlich mit Masken und barock gewundenen

1) Theyer a. a. 0. Taf. 13.

Tübingen

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Rahmen eingefaßt, mit der Jahreszahl 1595. Am rechten Flügel tritt gegen die Straße ein großer Rundturm vor, am linken ein kleinerer runder Treppenturra, dicht neben diesem ein hoher Giebel mit Voluten, aber sonst einfach, ohne Pilaster, nur durch Gesimse gegliedert. Im Hofe gewahrt man am vorderen Flügel Reste toskanischer Pilaster, als Spur ehemals vorhandener toskanischer Bogenhallen. Die Haupttreppe liegt in einem vorspringenden runden Turme des hinteren Flügels.

Hier mag auch das Rathaus angefügt werden, ein sehr ausgedehnter malerischer Fachwerkbau von geringem Material, ehemals jedoch durch grau in grau gemalte, leider 1872 ganz modern erneuerte De- koration künstlerisch belebt. Im Erdgeschoß große Ar- kadenöffnungen, ebenfalls in Holzkonstruktion, mit Läden verschlossen, offenbar zu Kaufhallen bestimmt ; die oberen beiden Geschosse stark überkragend, von vie- len Fenstern durchbrochen; im ersten Stockwerk ein Bal- kon von Holz mit einfach rohem Schieferdach. Alle oberen Teile verputzt und bemalt, über den Fenstern gebrochene Giebel in ba- rocken Formen, dazu reiche Laubgirlanden, Figürliches, Fruchtschnüre und derb vor- gekröpfte Gesimse in dem flotten Charakter der späten Renaissance. Über der Mitte der Fassade erhebt sich aus dem ungeheuren Dach ein Giebel mit sehr barock ge- schweiften Voluten. Weiter oberhalb ein hölzernes Türm- chen mit reich geschmiedeter eiserner Bekrönung als Ge- häuse für die Schlagglocke der Uhr, deren Zifferblatt

darunter angebracht ist. Dabei die Jahreszahlen 1508, renoviert 1698 und 1848. Der Kern des Baues mag in der Tat aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts da- tieren, dafür spricht auch der Stil der kleinen nackten, in Holz geschnitzten Figur einer Eva, welche an der Ecke als Konsole des ersten Stockwerks dient. Aber der Anfang des Baues datiert von 1435 1), und die malerische Dekoration gehört dem Ende des 16. Jahrhunderts an. Wie reich dieselbe war, erkennt man auch im Innern. Der Flur des Hauptgeschosses zeigt viele Reste grau in grau gemalter Wandbilder. Namentlich über der Türe links eine weibhche Gestalt mit dem Spruch : „die Gerechtigkeit bin ich genannt, dem Reich und Armen gleich bekannt, die Augen mir verbunden sein, daß Reich und Arm hab gleichen Schein". Dabei die Jahreszahl 1596, die wir auch für die alten Fassadenmalereien in Anspruch 1) Beschr. des Oberamts Tübingen S. 232.

Abb. 218 Holzportal des Schlosses zu Tübingen (Nach Phot. P. Sinnor, Tübingen)

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

nehmen dürfen. In einem Zimmer des ersten Stocks sieht man eine gut gemalte Glasscheibe von 1556 mit dem Stadtwappen, daneben eine jüngere mit demselben Gegenstande. Der große Saal liegt im zweiten Stockwerk, hat aber von seiner alten Ausstattung nichts bewahrt, als einige bemalte Scheiben, unter welchen die trefflichste den Namen und das Wappen Herzog Ludwigs mit der Jahreszahl 1572 trägt. Daß man auch später noch auf die künstlerische Ausstattung bedacht war,

beweist im Flur des Hauptgeschosses ein Wandgemälde von 1760.

Ein ungemein geistreich entwor- fenes Werk der

Spätrenaissance, aus dem Jahre 1617 ist der präch- tige, vor dem Rat- haus sich erhe- bende Neptun- brunnen^) (Abb. 219). Über einem weiten achteckigen Becken, dasmitden beliebtenOrnamen- ten der Spätzeit reich geschmückt ist, erhebt sich ein kraftvoller vier- eckiger Pfeiler, im untern Teile mit Löwenmasken und dazwischen mit weiblichen Figuren dekoriert; darüber ein zweiter Aufsatz mit kleineren Fi- guren in Nischen und prächtigen

Abb. 219 Neptuiibrunnen zu Tübingen Masken aUSgestat-

(Ans: Volkstümliche Kunst aus Schwaben) tet. Auf dem ba-

rock ausladenden

Kranzgesims hocken spielende Pulten, das Ganze bekrönt eine Figur des Neptun mit dem Dreizack. Der Umriß ist von glückhchster Wirkung; Aufbau, Gliederung und plastischer Schmuck wohl abgewogen, und endlich kommen die schön ge- arbeiteten schmiedeeisernen Träger der Ausgußröhren hinzu, um die lebendige Wirkung noch zu steigern. Der Meister war Geo7-g Miller aus Stuttgart.

Von den prachtvollen Grabmälern in der Stiftskirche^) ist oben be- reits die Rede gewesen.

Von den fürstlichen Schlössern gehört weiter hierher das Schloß zu Urach, das freilich nur durch seinen Goldenen Saal Anspruch auf künstlerische Bedeutung

1) Theyer a. a. 0. Taf. 9.

2) Theyer a. a. 0. Taf. 14—20.

Schloß Urach

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erhebt, im übrigen in den oberen Stockwerken ein ziemlich einfacher, doch wuchtiger Fachwerkbau ist. Die Anlage desselben scheint teilweise noch von Graf Ludwig L, der 1443 das Schloß erbaute, zum Teil aber aus der Zeit Eber- hards im Barte zu datieren. Die künstlerische Ausstattung des großen Saales da- gegen ist mehr als ein ganzes Jahrhundert später zu datieren (Abb. 220). Dieser

Abb. 220 Goldener Saal im Schloß zu Urach (Nach Phot. R. Schmid, Urach)

Saal, wegen seiner reichen Bemalung und Vergoldung der goldene genannt, bietet den einzigen Rest der ehemaligen Ausstattung des Schlosses. Nach der Sitte der Zeit und des Landes ist es ein niedriger, diesmal fast quadratischer Raum, bei 18 Meter Länge und 13 Meter Breite weniger als 4 Meter hoch. Er empfängt ein reichliches Licht durch die zahlreichen Fenster, welche die beiden Außenwände fast vollständig durchbrechen. Durch dies reichliche Licht und die prächtige Be- malung gewinnt der Raum einen festlich heiteren Charakter. Die hölzerne Decke, in ihren länglichen Feldern mit zierlich leichten vergoldeten Zapfen geschmückt, ruht auf vier nach den Ecken zu stehenden Säulen, denen in den Ecken Drei- viertelssäulen, an den Wandflächen Pilaster entsprechen. Schon die stark aus- gebauchte Form der letzteren, nicht minder auch die Postamente, auf welchen sämtliche Stützen ruhen, und die Form der korinthisierenden Kapitelle, sowie die über denselben angebrachten kräftig profiherten Gebälkkröpfe sprechen für die Spät- zeit der Renaissance. Dasselbe Gepräge trägt die Bemalung der Wände, die in flotten Goldgrottesken der Spätzeit etwa im Stile der Ornamentkupfer der Kilian tapetenartig die Wände bedecken. Alles dies gehört einem Umbau, der frühestens in den Ausgang des 16. Jahrhunderts zu setzen ist. Wohl aber mögen dabei

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

die Palmbäume mit dem Wahlspruch Herzog Eberhards, die überall an den Wandfeldern sich wiederholen und ein sehr ansprechendes Motiv der Dekoration gewähren, Nachbildungen von Malereien aus der Zeit des ersten Erbauers sein. Bezeichnend ist dafür, daß die Schriftzüge noch die gotische Minuskel der frühe- ren Epoche bewahren, während die Spätrenaissance sonst der römischen Majuskel den Vorzug gibt. Die gesamte Dekoration, hauptsächlich in Braunrot, Weiß und reicher Vergoldung durchgeführt, dazu die schön stilisierten Palmenbäume mit ihrer Blätterkrone, macht eine ebenso feine als prächtige Wirkung. Dazu kommen endlich noch zwei reich ausgestattete Portale, ebenfalls in den bereits stark barocken Formen der späten Renaissance behandelt, das eine nament- lich mit durchbrochenen Säulen eingefaßt und mit ebenfalls durchbrochenen Obelisken bekrönt. Über der Haupttür sieht man das württembergische Wappen, verbunden mit dem brandenburgischen, was auf Herzog Johann Friedrich und seine Gemahlin Barbara Sophia von Brandenburg deutet. Die verbundenen Namens- züge beider findet man an dem kleineren Portale. Die Beschläge an den Türen, aus prächtig verschlungenen Ornamenten mit phantastischen Fratzenbildern be- stehend, sind vergoldet. Ebenso waren dies die jetzt überstrichenen Beschläge der Fensterrahmen. Die Wappen mit den Namenszügen desselben Herzogs und seiner Gemahlin kehren noch einmal an dem prächtigen Ofen wieder, der noch von der alten Ausstattung vorhanden ist. Der untere Teil, aus Eisen ge- gossen, ruht auf vier Sirenen und trägt die Buchstaben E. H. Z. W., die auf Eberhard III., Sohn Johann Friedrichs, zu beziehen sind. Der obere Aufsatz ist in Ton gebrannt, weiß, rot und gelb bemalt, auf den Ecken Hermen und Karya- tiden, in der Milte Figuren von Tugenden in Flachnischen, auf den Vorsprüngen des Gesimses Hirsche lagernd. In Übereinstimmung mit dem Charakter dieser Arbeiten steht außen im Flur über der Kamintür die Jahreszahl 1612. Noch ist die prächtige Bettstatt mit eingelegter Arbeit, besonders mit sehr schönem Betthimmel zu erwähnen, in der man, gemäß dem württembergischen und baye- rischen Wappen, das schicksalschwere Ehebett Herzog Ulrichs zu sehen hat, dem Herzog Christoph entsproß.

Merkwürdigerweise hat man in diesem Saale auch noch ein Epitaph auf- gestellt, das aus Lindenholz trefflich geschnittene des 1519 gestorbenen Grafen Heinrich von Mömpelgard. In Lebensgröße das stehende geharnischte Rehefbild zwischen zwei Pilastern, deren Flächen mit merkwürdig itaUenisierenden Band- ornamenten gefüllt sind ; das krönende Kompositakapitell dagegen früher Renais- sance anzugehören scheinend, ebenso der Muschelaufsatz. Die Inschrift wieder in rechteckiger Kartusche. Die Komposition eigentlich schwach, die Ausführung aber fein und sorgfältig, die Wirkung vortrefflich. Das Ganze wird übrigens kaum vor 1570 80 entstanden sein können.

Zu den frühesten datierten Werken unserer Renaissance zählt die merk- würdige Votivtafel vom Jahre 1526, die man über dem Haupteingang des Fürstlich Hohenzollernschen Schlosses zu Sigmar in gen sieht. Es ist eine Sandsteinplatte mit der schhcht und empfindungsvoll komponierten Gruppe einer Madonna, den Leichnam ihres Sohnes auf dem Schöße; daneben kniet Felix, „Graf zu Werdenberg und zu dem Heiligenberge-', dem damals Sigmaringen gehörte. ZierUch dekorierte Renaissancepilaster fassen das Bildfeld ein, und hübsche Lorbeergewinde hängen darüber ausgespannt. Die Zwickel des Flach- bogens, welcher das Feld abschließt, sind mit Drachenfiguren gefüllt. Dies ist die einzige mittelalterliche Reminiszenz; alles übrige trägt den ausgeprägten Charakter der Renaissance. Man darf vielleicht auf einen oberrheinischen Meister aus Konstanz oder Schaffhausen schließen, wo damals in einzelnen Fällen die Renaissance schon rein zur Anwendung kam. So z. B. in Schafifhausen an den

Sigmaringen Ellwangen Kapfenburg

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Gewölben der Johanniskirche jene bereits oben besprochenen Arbeiten. Die neuer- dings aufgefrischte Bemalung, Gold auf blauem Grund an der Einfassung, die Girlande grün, war ursprünglich so vorhanden.

In Oberschwaben enthält die ehemalige Kartäuserkirche zu Buxheim bei Memmingen üppige Ghorstühle der Spätzeit, den in Abb. 31 dargestellten aus Danzig verwandt, aber noch meisterlicher geschnitzt, noch üppiger dekoriert. Außerdem ist der Hochaltar eines der prachtvollsten Werke des beginnenden Barocks, den auf Seite 208 erwähnten Altären in Überlingen auffallend ähnlich.^) Die Entstehung der ganzen Ausstattung dürfte um 1640 fallen.

Einiges Wenige und nicht eben Bedeutende bietet Lindau in seinem Rat- haus. Im Vorsaal sieht man einen Kamin mit Frührenaissanceformen vom Jahre 1536. Ein anderer Kamin ebendort mit dem Datum 1578 trägt das Gepräge der ausgebildeten Renaissance und zeigt in der Krönung gut behandeltes Akanthus- laub. Die Freitreppe hat hübsche Träger in Volutenform, und am Erkervorbau sieht man ein Portal vom Jahre 1578.

Einen stattlichen Hallenhof weist das alte Schloß zu Ellwangen auf, anmutig auf einer Höhe über der Stadt mitten in üppigen Obstgärten, Wiesen und einem herrlichen Bestand alter Lindenbäume gelegen. Es ist ein mächtiges Werk von großer Ausdehnung, mit Umfassungsmauern und Gräben umzogen. ÄußerHch bietet es nur große Massen ohne Gliederung oder Dekoration, an den beiden gegen die Stadt gelegenen Seiten springen zwei schräg gestellte erker- artige Türme vor. An der Eingangsseite gegen Osten bildet ein mächtiges Boll- werk eine Art Propugnaculum. Durch einen Torweg mit schwerem Fallgatter gelangt man zuerst in einen weitläufigen Wirtschaftshof, der jetzt dort unter- gebrachten Ackerbauschule zugewiesen. Dann tritt man durch eine mit Kreuz- gewölben gedeckte Halle in den inneren Schloßhof, der an drei Seiten, nach Osten, Westen und Norden stattliche Bogenhallen zeigt. An der südlichen Seite drängt sich ein später im Beginn des 18. Jahrhunderts ausgeführter, äußerlich nüchterner, aber durch eine großartige Prachtstiege ausgezeichneter Bau in die Hof anläge hinein. Die drei älteren, etwa dem Beginn des 17. Jahrhunderts an- gehörenden Hofseiten sind mit flachbogigen Hallen eingefaßt, die nur im Erd- geschoß der Nordseite eine statthchere Höhe und Rundbögen haben. Stämmige Säulen tragen im Erdgeschoß wie in den beiden oberen Stockwerken die glatten Arkaden; im oberen Stock sind es ionische, im ersten Stock teils ionische, teils toskanische\ Formen, während die Säulen im Erdgeschoß schlichte kelchartige Kapitelle hapen. Die Portale sind schon ziemlich stark barock. Ansehnliche Renaissancewerke, ebenfalls aus der späteren Zeit, sieht man auf Kapfenburg, einem Deutschordensschloß bei Lauchheim. Das Hauptportal ist ein imposantes gut komponiertes Werk in dem kräftigen Stil vom Ausgang des 16. Jahrhunderts: eingefaßt mit Rustikapfeilern, die gleich sämtHchen übrigen Teilen originell in rundlichem Profil durchgeführte Bossen zeigen und völlig mit linearen Flach- ornamenten bedeckt sind. Zwei zierlich ausgeführte Wappen schmücken den oberen Aufsatz, den Volutenwerk einfaßt und der mit einer ionischen Altika bekrönt ist. Derbe Kraft wird von feiner ornamentaler Anmut umspielt. Das Ganze ist durch hohe Originalität ausgezeichnet. Die Giebelwand dieser Front- seite ist in derselben derben Weise mit Pilastersystemen und Voluten dekoriert. Im Innern ist der ziemlich enge Hof ohne Bedeutung; aber er gewinnt malerischen Reiz durch die Anlage der breiten Eingangshalle, die sich auf einer stämmigen Rustikasäule gegen den Hof öffnet. Das Erdgeschoß besitzt einen jetzt durch eine Wand geteilten Saal mit reichen figürlichen Stuckornamenten an den Kreuz- gewölben, die auf kräftigen Säulen ruhen. Ähnliche Ornamentation findet sich

1) Abb. von Leybold in Ortweins D. Ren. Heft 97, Taf. 50.

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2. Buch Die Bauwerke IX, Kapitel Schwaben

mehrfach in Privathäusern in Rothenburg. In der mit gotischem Sterngewölbe versehenen Schloßkapelle sieht man ein schön komponiertes und wacker aus- geführtes Grabdenkmal Wilhelms von Buebenhofen. Wertvolle Teile der innern Einrichtung haben sich auch auf Schloß Baldern, unweit Bopfingen, erhalten.

Unter den fürstlichen Bauten vom Ausgang der Epoche gehören diejenigen zu Freudenstadt schon deshalb zu den merkwürdigsten, weil sie uns das Bild einer planmäßigen Stadtanlage jener Zeit vergegenwärtigen. Auf einem Hoch- plateau des Schwarzwaldes gelegen, das unmittelbar westlich von der Stadt in die tiefen malerischen Schluchten des Kniebis und des Murgtalel abfällt, wurde Freudenstadt durch Herzog Friedrich 1. 1599 gegründet^) und nach den Plänen Heinrich Schickliardts erbaut. Den Anlaß zur Gründung gab die Vertreibung der Pro- testanten aus Österreich, Kärnten und Steiermark, denen Herzog Friedrich in seinem Lande eine Freistatt bot. Da unter ihnen viele Bergleute sich befanden, so wies er ihnen die neu zu erbauende Stadt zum Wohnsitze an, um sie in den benach- barten Bergwerken zu verwenden. Bei der vorgeschobenen Lage unfern des Kniebispasses, der hier das Land gegen Westen öffnet, sollte die Stadt durch Mauern, Wall und Graben geschützt und mit einer starken Besatzung versehen werden. Es blieb aber einstweilen bei einem starken Zaun, und erst Herzog Eberhard III. führte seit 1661 Festungswerke auf, die man indes bald als unnütz erkannte und unvollendet wieder verfallen ließ. Die Anlage der Stadt bildet ein regelmäßiges Quadrat, ihren Mittelpunkt ein ungeheurer Platz von etwa 200 Meter im Geviert mit einem Flächenraum von beinahe 15 Morgen. Herzog Friedrich ließ ihn mit Zierbäumen bepflanzen und hatte die Absicht, in der Mitte sich ein Schloß zu erbauen, das jedoch nicht zur Ausführung kam. Den Bau der Stadt jedoch betrieb er mit großem Eifer, indem er oftmals, auf einem Baumstamm sitzend, die Arbeiter zum Fleiß ermunterte. Schon 1602 waren die vier Seiten des großen Marktes vollendet, und es fehlte auch nicht an dem damals unentbehrlichen Galgen. Der übermäßig große Platz ist heute meist zu Gärten verwendet, so daß er keinen einheitlichen Eindruck machen kann. Die Straßen laufen auf den vier Seiten mit denen des großen Platzes parallel, in den beiden Hauptachsen von Querstraßen durchschnitten, während sonst nur unbedeutende Quergassen die Verbindung bilden, eine Anlage, die weder schön noch zweckmäßig ist. Schickhardt berichtet aber selbst, daß er diese Anlage nach des Herzogs Befehl so habe ausführen müssen, während er seiner- seits jedem Haus ein Gärtchen habe beigeben wollen. Sein erster Entwurf befindet sich neben dem zweiten auf Befehl des Herzogs geänderten im Archiv zu Stuttgart. Der erste zeigt in der Tat eine weit bessere Anlage: die Straßen kreuzen einander in angemessenen Abständen; die Kirche ist als einfaches Rechteck gezeichnet und auf einen besondern Platz verlegt. Das Schloß sollte die eine Ecke der Stadt bilden. Erst auf dem zweiten Plan sieht man alle Eigenheiten, welche die Stadt wirklich erhalten hat. Seltsamerweise sollte das zu erbauende Schloß, ein regelmäßiges Quadrat, mit viereckigen Ecktürmen außen und vier Treppentürmen im Hofe, diagonal auf die Hauptachse der Stadt ge- stellt werden. Auch die Bogenhallen, die auf kurzen dorischen Säulen die Häuser am Marktplatz untereinander verbinden, sieht man erst auf dem zweiten Plane. Sie sind in dieser Form keineswegs sehr zweckmäßig, geben indes den Häusern ein etwas stattlicheres Ansehen. In die Ecken des Marktes wurden die Haupt- gebäude gestellt, jedes aus zwei rechtwinkligen Flügeln bestehend: das Kaufhaus, das Spital, das Rathaus und die Kirche. Das Spital wurde bald durch Brand zerstört, das Kaufhaus zum Oberamtsgebäude bestimmt, und nur das Rathaus und die Kirche sind noch in ihrer ursprünglichen Bestimmung erhalten. Alle

1) Das Historische in der Beschr. des Oberamts Freudenstadt S. 154 ff.

Freudenstadt

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diese Gebäude haben an ihren Vorderseiten Arkaden, für die man zur Unter- scheidung von den Privathäusern ionische Säulen gewählt hat. Das interessanteste von diesen Gebäuden ist die Kirche (Abb. 221).

Abb. 222 Unterer Grundriß der Kirche Abb. 223 Oberer Grundriß der Kirche

zu Freudenstadt zu Freudenstadt

In der südwestlichen Ecke des großen Platzes gelegen, hat sie (Abb. 222) den hakenförmigen, zweiflügligen Grundriß erhalten, der mit Beseitigung jeder traditionellen Form ein Ergebnis nüchterner Überlegung ist. Es ist einer der frühesten Versuche, für eine protestantische Kirche einen einfachen und höchst zweckmäßigen Grundriß zu gewinnen, der freilich von außen einen etwas seltsam nüchternen Eindruck macht; die Innenwirkung der Kirche ist das aber keines- wegs. Die beiden Flügel, im rechten Winkel zusammenstoßend, sind einschiffig.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

mit einem reich gegliederten gotischen Netzgewölbe bedeckt; der südliche Arm ist dreiseitig aus dem Achteck geschlossen, und endhch ist jedem Flügel ein viereckiger Turm vorgelegt. Trotz der späten Erbauungszeit mischen sich gotische Formen mit denen der Renaissance in allen Teilen des Baues. Schon am Äußeren (Abb. 221) tritt dies zutage. Die sechs Portale sind zum Teil spitzbogig, sogar mit durchschneidenden mittelalterlichen Stäben eingefaßt, aber eingerahmt von antikisierenden Pilastern, die nach Art der Frührenaissance Rahmenprofile mit Rautenfüllungen haben. Ihre Kapitelle sind korinthisierend. Besonders reich die beiden Portale des Turmes am westlichen Flügel, mit korinthischen Halb- säulen eingefaßt und mit einem Giebel bekrönt. Über allen Portalen sieht man in feinem grünlichen Sandstein ausgeführte Reliefs mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testamente, darunter Moses mit den Gesetztafeln, die Erschaffung der Eva, die Sintflut und die Geburt Christi, sämtlich in den manierierten Formen Michelangelesker Kunst flott und lebendig behandelt, aber großenteils stark ver- wittert. Die Portale selbst wie die übrigen architektonischen Teile bestehen aus rotem Sandstein. Gegen den Platz hin sind die inneren Seiten der beiden Flügel durch flachbogige Arkaden auf breiten Pfeilern ausgezeichnet. Die äußeren Ecken der Pfeiler sind in einer an romanische Kunst erinnernden Behandlung mit korinthisierenden Halbsäulen eingefaßt. Dagegen zeigen die Fenster der Kirche wieder den Spitzbogen, darin Maßwerke von ziemlich trockener Form. Ähnliche Stilmischung verraten die übrigens eleganten Türme. Quadratisch auf- geführt, werden sie durch kräftige antikisierende Gesimse in zwei Stockwerke gegliedert und gehen dann über einem mittelalterhchen Giebelabschluß ins Achteck über, werden von einer Galerie mit durchbrochenem spätgotischen Maßwerk durch- brochen, steigen darüber in verjüngtem Achteck auf und schheßen mit einem, ge- schweiften Kuppeldach, über dem sich eine Laterne mit eingezogener Spitze erhebt.

Im Inneren hat man die sinnreiche Anordnung getroffen, daß der Raum über den äußeren Arkaden als Empore benutzt ist, wie es unser Grundriß erkennen läßt (Abb. 223). Am Ende der beiden Schiffe sind nämlich ausgedehnte Emporen angebracht, zu denen man auf zwei Wendeltreppen gelangt. Diese Emporen setzen sich an der inneren Seite miteinander in Verbindung und erweitern sich, wo beide Flügel zusammenstoßen, zur Aufnahme der Orgel. Diese liegt somit der Kanzel, welche in der äußeren Ecke angebracht ist, in der Diagonale gegen- über. Zwischen beiden steht der Altar gegen Norden gewendet, und vor diesem der Taufstein, ein uraltes Skulpturwerk aus der benachbarten Klosterkirche Alpirsbach. Noch sind die prächtigen spätgotischen Sitze vom Jahre 1488 zu erwähnen, die neben dem Aufgang zur Kanzel dem Altar gegenüber angebracht sind. Das östliche Ende des Südschiffes ist um neun Stufen erhöht; in dem anstoßenden Turm befindet sich die Sakristei. Der nördliche Turm dagegen enthält die beiden Hauptportale, zu denen an jedem Schiff noch zwei andere kommen.

Ist der Eindruck des Äußeren trotz der opulenten Portale und der statt- lichen Türme doch im ganzen nüchtern, so gewinnt das Innere dagegen durch die reiche Ausstattung ein höheres künstlerisches Interesse. Hauptsächlich trägt dazu bei das prächtige, wenn auch nur in Holz ausgeführte Gewölbe, das die Formen eines reichen, schön komponierten gotischen Netzgewölbes zeigt. Es ist noch in ganz mittelalterlicher Weise bunt bemalt, hauptsächlich blau und schwarz- braun mit reicher Vergoldung. Alle Durchschneidungspunkte sind mit Wappen geschmückt; im Zentrum der großen Diagonale, in der sich beide Schiffe treffen, sieht man ganz groß das württembergische Wappen, umgeben mit der Kette und der Devise des englischen Hosenbandordens. In der nächsten Umgebung die V^appen der benachbarten und verwandten Fürstengeschlechter, weiterhin die-

Freudenstadt

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jenigen der Klöster, Städte und Marktflecken des damaligen Herzogtums. Das Ganze ist von außerordentlicher Pracht. Nicht minder reich sind die übrigen Teile ausgestattet. An der Brüstung der Emporen sieht man 26 in Stuck aus- geführte Reliefs bib- lischer Geschichten, prächtig bemalt und vergoldet. Die Kon- solen, auf denen die Empore ruht, zeigen barocke Schnörkelund Masken, bla^, weiß, golden und die nack- ten Teile fleischfarben bemalt; darüber ein Fries mit v/eißen, zum Teil vergoldeten, etwas mageren Blumenran- ken, worin allerlei Tiere, Kätzchen, Vö- gel, Schlangen ihr Wesen treiben. Dann erst folgt die eigent- liche Brüstung mit 28 Gestalten von Pro- pheten und Patriar- chen, weiß mit Gold in manieriertem ita- lienischen Stil, da- zwischen die reich be- malten biblischen Re- liefs abwechselnd aus dem Alten und Neuen Testament, so daß hier noch einmal ein Anklang an die typo- logischen Bilderkreise des Mittelalters gege- ben ist.^) Gleichzeitig mit diesen Werken ist die Ausstattung des Altars. Auch hier kommt die Gotik noch einmal zur Geltung, denn in spitzbogigen Nischen, deren Bögen den Drei- paß zeigen und mit barocken Masken geschmückt sind, sieht man manierierte, keck gearbeitete Statuetten der Apostel. Ein treffliches Gitter von Schmiede- eisen umgibt den Altar, hinter dem ein ausdrucksvoll gearbeitetes Kruzifix aus älterer Zeit, wahrscheinhch aus dem Kloster Alpirsbach, aufragt. Endlich ist auch die Kanzel samt ihrem Aufgange reich geschmückt mit bemalten Stuck- rehefs, die von höchst flotten Voluten und anderen Ornamenten desselben Stiles

Abb. 224 Schloß zu Mömpelgard

1) Der Inhalt ist: Schöpfung der Tiere, Verkündigung, Sündenfall, Geburt Christi, Sint- flut, Jonas, Beschneidung, Taufe Christi, Passamahl, Abendmahl, Jakob mit dem Engel ringend, Christus in Gethsemane, Anbetung der Schlange, Christus am Kreuze, Jonas vom Wallfisch aus- gesi)ien, Auferstehung Christi, Elias Himmelfahrt, Christi Himmelfahrt, Moses auf Sinai, Aus- gießung des hl. Geistes, drei Männer im Peuerofen, Bekehrung des Saulus, Salomons Urteil, Christus als Weltrichter, zum Schluß das Jüngste Gericht.

Lübke-Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 21

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2. Bucli Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

eingefaßt werden. Sie ruht auf einer Engelsfigur und zeigt am Geländer der Treppe die vier Evan- gelisten, an der oberen Brüstung Moses und Jo- hannes den Täufer, auf dem Deckel den zum Him- mel fahrenden Christus, alles in stark manierierten Formen. Der Gesamtein- druck des Innern ist viel- leicht ungewohnt niedrig, aber weit und geräumig, durch die prächtige Aus- stattung reich. Jedenfalls bleibt die Kirche einer der interessantesten Ver- suche, das protestantische Gotteshaus, im Wider- spruch mit aller Tradition, aus rein zwecklichen Ge- sichtspunkten neu zu ge- stalten. Aus Schickhardts Aufzeichnungen erfahren wir, daß der ganze Kir- chenbau über 22000 fl. gekostet hat. Der Maler Jakoh Zuherlein erhielt die ansehnliche Summe von 4451 fl. ; der Bildhau er dagegen, der nicht ein- mal mit Namen genannt wird, nur 570 fl.

An dieser Stelle ist doch noch der Bauwerke zu gedenken, die Schick- hardt für seinen Fürsten in m p e Igar d , der seit etwa 100 Jahren wieder fran- zösisch gewordenen Stadt Monbehard, ausgeführt hat. Zuerst am Schlosse (Abb. 224), das heute leider unzugängUch, weil Kaserne und „Festung", doch schon von außen einen prächtigen und echt deutschen oder vielmehr mit seinen Rundtürmen schwä- bischen Eindruck gewährt. Die Ostfassade zeigt die in der Hauptsache von Schick- hardt seit 1594 errichteten Gebäude, nur der runde Turm rechts ist in seinem Unterteil mittelalterhch. Der stolze Umriß des Bauwerks, das im übrigen ziem- lich einfach ist, wirkt oberhalb der tief liegenden Stadt wahrhaft fürstlich.

Die Stadt soll Schickhardt auch gebaut haben. Die wenig regelmäßige An- lage, die übrigens verschiedene Gebäude enthält, die älter sind als sein Wirken, widersprechen dem übrigens stark. Nur das riesig lange Gebäude des heutigen „Museums" mit Turm, der einstigen „Hallen", eines Gebäudes von etwa 30 Achsen mit Drillingsfenstern, könnte schon seiner Zeit angehören. Vor allem aber ist sein Werk eines seiner besten der „Tempel" (Abb. 225), die protestantische Kirche, ein einfacher viereckiger Saalbau mit westlichem Türmchen, mit den Ein-

Abb. 225 Kirche zu Mömpelgard /6 (T^

Mömpelgard Heinrich Schickhardt

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gängen auf beiden Langseiten, aber von strenger und wackerer Durchbildung der Architektur. Dorische Pilaster tragen das Gesims, dazwischen sind hohe rechteckige Fenster mit bekrönenden gebrochenen Giebeln; die Türen haben dorische freistehende Säulen zur Seite ihres Bogens und gebrochenen Bogengiebel mit Mitteltafel über dem Gesims; darüber ein Rundfenster. Die Inschrift der Südtüre lautet: lUustriss. princeps D. Fridericus Dux Wirtemb. ac Teck comes mömpelgard etc. aedem hanc Divo M. sacram Pio Zelo novam erexit MDGIIII. Opera Henrici Schickhardi Herrenbergensis AssMiSßti.

Die wahrhaft gediegene Formenbildung des Künstlers, die treffliche Tech- nik seiner Ausführungen, aber auch die etwas trockene, lehrhafte Art seiner Kunst kommt hier mehr als irgendwo sonst deutlich zur Erscheinung,

Heinrich Schickhardt

Wir unterbrechen hier den Gang der Beschreibung, um das Lebensbild eines Baumeisters jener Zeit zu entwerfen. Je weniger wir von den Studien und dem Leben unserer meisten damaligen Architekten wissen, um so wertvoller ist es für uns, daß der künstlerische und literarische Nachlaß Schickhardts zum Teil noch er- halten ist. Er wird auf der öffentlichen Bibliothek zu Stuttgart aufbewahrt und besteht aus drei Quartheften, in denen er seine Reiseerinnerungen aufgezeichnet hat, aus einem starken Folianten, der sein Inventar enthält, und endlich einer Anzahl einzelner Blätter mit Zeichnungen, meist auf rnechanische Studien bezüg- lich. Fügt man dazu die zahlreichen, vielfach von Rissen begleiteten Bauakten, die das Staatsarchiv in Stuttgart aufbewahrt, so lassen sich daraus die Mittei- lungen seines verdienstvollen Biographen nach manchen Seiten vervollständigen.^)

Heinrich Schickhardt wurde 1558 in der Stadt Herrenberg, einige Meilen südwesthch von Stuttgart, geboren. Sein gleichnamiger Großvater war ein kunst- reicher Bildschnitzer, wie man aus dem 1517 von ihm vollendeten Ghorgestühl der dortigen Stiftskirche erkennt. Sein Vater scheint Schreiner und Werkmeister gewesen zu sein. Der junge Schickhardt hat wahrscheinlich die in gutem ßuf stehende lateinische Schule seiner Vaterstadt besucht, denn daß er des Lateinischen nicht unkundig war, erkennt man aus manchen Stellen seiner Aufzeichnungen. Auch im Französischen muß er einige Kenntnisse erworben haben, da er wieder- holt längere Zeit in den damaligen überrheinischen Besitzungen der württem- bergischen Herzöge beschäftigt war. Es fanden sich in seiner Bibliothek sowohl französische, als auch italienische Bücher, wie er denn auch letztere Sprache auf wiederholten Reisen im Süden wohl kennen gelernt hat. Daß indes von tieferen Sprachkenntnissen und einer eigentlich gelehrten Bildung bei ihm nicht die Rede war, liegt auf der Hand. Offenbar hat er sich schon früh der Baukunst zu- gewendet, und ist bei seiner Ausbildung die Rücksicht auf seinen künftigen Beruf bestimmend gewesen. Aus seinen eigenen Aufzeichnungen erfahren wir, daß er 1578, also mit zwanzig Jahren, zu dem herzoglichen Baumeister Georg Beer gekommen und 1581 an den „Visirungen" zum neuen Lusthaus und zum iCollegiengebäude in Tübingen geholfen habe. Sehr rasch entfaltete sich seine Begabung, denn schon 1579 erbaute er selbständig das Schloß zu Stammheim, und im folgenden Jahre dasjenige zu Mötzingen, sowie zwei PrivathäuseF in Stuttgart. Im Jahre 1584 verheiratete er sich in seiner Vaterstadt und wurde dort bald darauf trotz seiner Jugend in den Magistrat gewählt. Dort scheint er

1) W. Heyd, Handschriften und Handzeichnungen des herzogl. württembergischen Bau- meisters Heinrich Schickhardt, Stuttgart 1902. Dazu: Heinrich Schickhards Lebensbesehrei- bung von Eberhard v. Gemmingen. Tübingen 1821. Ich bemerke, daß der Meister seinen Namen stets Schickhardt schreibt.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

die nächsten Jahre ununterbrochen verweilt zu haben, bis Herzog Ludwig 1590 ihn nach Stuttgart berief, um gemeinschafthch mit Beer die abgebrannte Stadt Schiltach neu aufzubauen. Aber noch 1593 finden wir ihn bei Ausführung des Kollegiums zu Tübingen bei diesem Meister in Diensten. In demselben Jahre wurde er sodann zum zweiten Male nach Stuttgart berufen und im Auftrage des Herzogs nach Mömpelgard geschickt. Um diese Zeit muß er zum herzoglichen Baumeister ernannt worden sein, denn 1596 schenkt Herzog Friedrich ihm in Stuttgart in der Nähe des Bauhofes ein Haus samt Materialien zum Neubau, den er dann sofort ausführt. Im Januar des folgenden Jahres ehrte Herzog Friedrich seinen Baumeister dadurch, daß er ihn in dem neuen Hause besuchte und reich- lich beschenkte. Eine vielseitige praktische Tätigkeit füllt die nächsten Jahre aus; wir finden Schickhardt nicht bloß in Tübingen beschäftigt, sondern zahlreiche Schloßbauten in Schwaben und im Elsaß und manche andere Werke, wie der Bau der Kirche zu Grüntal und die Einrichtung eines Gesundbrunnens und Bades zu Boll rühren aus dieser Zeit.

Bis dahin hatte der Meister seine Kenntnisse in der höheren Architektur wohl hauptsächlich aus Büchern geschöpft. Zu Anfang des Jahres 1598 machte er sich aber nach Itahen auf und blieb fünf Monate dort. Von dieser Reise gibt ein mit Zeichnungen reich durchwehtes Tagebuch Auskunft, das sich unter seinem Nachlaß befindet.^) Seine Berichte haben noch ganz den naiven Ton, den wir aus Dürers Reisetagbuch kennen, doch geht er auf das, was sich ihm Bemerkens- wertes darbietet, bisweilen ziemlich ausführlich ein. Die Reise ging über Ulm und Augsburg zunächst nach Venedig, von dort in die übrigen Städte Ober- italiens westlich bis Mailand; wir finden Mitteilungen aus Venedig, Padua, Ferrara, Vicenza, Mantua, Mailand, Gasale di Monferrato. Er zeichnet nicht bloß Fassaden wie die Bibliothek von San Marco und den Palazzo Bevilacqua zu Verona, mehrere Glockentürme zu Venedig, die Rialtobrücke, Kirchenfassaden, wie die Jesuiten- kirche zu Mailand, sondern achtet auch auf allerlei mechanische Einrichtungen, vorzüglich Wasserwerke. Gleich zu Ulm fällt ihm das dortige Wasserwerk auf, das er in ausführlichen Zeichnungen darstellt. Ebenso in Augsburg und an manchen andern Orten. Auch die Konstruktion von hölzernen Jochbrücken wie zu Trient, die Anlage der Kamine in Venedig, die Schleuseneinrichtung und die Schiffahrt auf der Brenta, eine hölzerne Hängebrücke in Tirol, die Maschinen zum Ausbaggern der Kanäle zu Venedig, das alles stellt er mit großer Gründ- lichkeit dar. Er bewährt sich nicht bloß in diesen technischen Dingen, sondern auch in künstlerischen Werken als geschickten Zeichner, dem auch Figürliches wohl gelingt, obgleich seine Gestalten die manierierte Auffassung der Zeit nicht ver- leugnen. Besonders sind ihm die Rathäuser von JPadua und Vicenza wegen ihrer Ähnlichkeit mit dem Lusthaus in Stuttgart aufgefallen, und er hat sie in äußeren Ansichten und Querschnitten wiedergegeben. Sein Interesse für den Festungsbau erkennt man aus der Darstellung des Kastells von Trient und der Zitadelle von Gasale di Monferrato. In Vicenza hat ihn besonders auch Palladios Theater an- gesprochen, das er in einem Grundriß und Aufriß des Bühnengebäudes mitteilt.

Die ihn besonders beschäftigenden Ergebnisse dieser ersten Reise faßt ein zweites Quartheft zusammen, auf dessen Titelblatt er einen Altar von Padua gesetzt hat, mit der Beischrift: „Etliche Gebey, die Ich Heinrich Schickhardt in Italien verzaichnet hab die mier lieb send".^) Auf der Rückseite des Blattes liest man noch einmal seinen Namen und folgende Ermahnung: „Dise Biechlein sol man nach meinem Absterben in hohem Werdt halten und von meindtwegen aufheben". Hier sieht man sofort, daß einem damahgen Architekten die Bauten Palladios zum Wichtigsten in Italien gehörten, denn nicht weniger als zehn Blätter sind

1) W. Heyd, a. a. 0. S. 15—301. 2) Daselbst, S. 302—20.

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dessen Werken in Vicenza gewidmet. Diese Zeichnungen sind mit großer Sorg- falt in der Weise der damaligen Zeit in Tusche mit dem Lineal aufgetragen und mit dem Pinsel in Schatten gesetzt. Den Anfang macht Palazzo Ghieregati mit seinen schönen Säulenhallen; die größte Aufmerksamkeit aber widmet er dem Theater Palladios, von dem er auf fünf Blättern Grundriß, Durchschnitt, Per- spektiven und Fassaden, und zwar mit großer Gewandtheit, entwirft. Die in dem früheren Heft enthaltenen Zeichnungen sind die ersten Skizzen, die er hier sorgfältiger ausgeführt hat. Besonders die Darstellung des Szenengebäudes ist ein kleines Meisterstück. Weiter hat Lübke eine Notiz über das Kolosseum und das Amphitheater von Verona als Beweis dafür angesehen, daß der Künstler diesmal auch Rom berührt habe; doch kann diese Notiz auch späterer Zeit angehören. Interessant und bezeichnend für die allseitigen Interessen unseres Reisenden ist die ausführliche, mit Grundriß und eingeschriebenen Maßen versehene Darstellung der großen italienischen Karossen mit ihren weitläufigen Sitzen und ihrem Baldachindach; ebenso die vom Schiff des Herzogs zu Mantua, in welchem, wie er angibt, Herzog Friedrich gefahren ist. Weiter findet man eine venezianische Gondel, die Sänfte des Herzogs von Mantua, dann ausnahms- weise auch ein plastisches Werk der Antike, die niedergekauerte Venus in zwei Ansichten. Von seinen ferneren Reisen zeugen mehrere Gebäude aus Besangon („Bisantz"), der Kirchturm zu Dole, wo bereits ein auffallendes Ungeschick in Wiedergabe gotischer Formen hervortritt; ferner Gebäude aus Straßburg, die Kanzlei von Offenburg. In Kassel endlich ist ihm ein Kalkofen aufgefallen, dessen Konstruktion er vollständig wiedergibt.

Dieselbe Vielseitigkeit des Interesses bekundet sein Tagebuch der zweiten, mit Herzog Friedrich unternommenen italienischen Reise, von dessen Text wir schon oben Seite 30 und 209 geredet haben. Da aber das handschriftliche Original uns zu Gebote steht, so mögen noch einige Bemerkungen über die Zeichnungen darin am Platze sein. Vor allem haben ihn die Paläste Genuas höchlich interessiert. Mehrere derselben gibt er in Grundrissen und perspektivischer Dar- stellung der Fassaden, die er sogar durch Tuschen in Effekt gesetzt hat. Be- sonders gefällt ihm Palazzo Tursi Dorla mit den beiden prachtvollen Altanen, von dem er eine perspektivische Ansicht gibt. Bemerkenswert ist es, daß er hier wie überall die Schwellung der Säulen und Pilaster bedeutend übertreibt, ein auffallender Beweis dafür, wie sehr man immer mit den Augen der eigenen Zeit sieht. In ^oxü zeichnet er die Einteilung der prächtigen geschnitzten Decke im Mittelschiff" von Sta. Maria maggiore, dann die Fassade der neuen Peterskirchej die"T^ssade des Quirinalpalastes, diejenige der kurz vorher entstandenen Kirche del Gesü, namentlich aber mit großer Umständlichkeit die Wasserwerke des Quirinälgärtens, den er sehr ausführlich beschreibt. Flüchtige Bleistiftskizzen des Schleifers und des flöteblasenden Marsyas hat er an den Rand seines Textes gesetzt. Dann folgt eine sehr genaue Darstellung der dortigen Schiff'mühlen, und am Rande liest man die verloren hingeworfene Bemerkung: „Hat zu Rom ein gros Weibsfolckh". Weiter zeichnet er die römische Stadtmauer, daneben einen Durchschnitt des Brunnens auf dem Kapitol, auch sonst noch manche andere Brunnen, namentlich die Fontana delle tartarughe; sodann den Grundriß des Kastells Sant Angelo, verfehlt dazu nicht, den großen römischen Karossen seine Aufmerksamkeit zu schenken, die er in allen Teilen ihrer Konstruktion darstellt. Auch wo er Schneckentreppen findet, gibt er sie mit besonderer Vorhebe wieder, so die berühmte im Palast Barberini. Überall schreibt er genau die Maße ein, so daß man stets die praktischen Rücksichten des Architekten erkennt.

Aus Loreto verzeichnet er die Fassade der Kirche; in Ferrara entwirft er eine über zwei Blätter reichende Zeichnung der Wälle, Schanzen, Bastionen und Wasser-

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graben der Festung. Alle derartigen Skizzen gibt er in der damals beliebten und neuerdings wieder eingeführten Behandlungsweise, welche den Grundriß mit dem Aufriß und Durchschnitt in einer Art von Kavalierperspektive verbindet. In Spoleto zeichnet er wieder ein Wasserrad und gibt dabei eine Abbildung des ur- alten itahenischen Pfluges. Auch in Macerata skizziert er ein Wasserwerk; in Ancona eine Vorrichtung zum Fortbewegen schwerer Lasten mittelst der Kurbel, Wie er dort bei einem heftigen Unwetter ein Schiff" einlaufen sieht, skizziert er schnell die beiden Matrosen, wie sie hinaufkletterten, um die Segel einzureff"en, wobei er nicht vergißt darzustellen, wie dem einen der Hut vom Winde ins Meer entführt wird. Das größte Interesse flößen ihm immer Brunnen und Wasserkünste ein. In Bologna entwirft er eine flotte Zeichnung von dem prächtigen Brunnen des Giovanni da Bologna, Besonders fallen ihm die vier Bilder auf „so oberhalb Weibsbild, unten anstatt der Füße Fisch, Sitzen auf Telfen (Delphinen) dise Weible, giebt jedes aus jeder Brust 4 gar suptile Wesserle wie ein Fad. Des- gleichen die Telfen aus den Nasen jeder zwei reine Spritzwesserle". Auch der Brunnen zu Ancona, besonders aber die Wasserwerke zu PratoHno bei Florenz, das er auf gut Schwäbisch „Bratelen" nennt, und in Genua diejenigen in der Villa Grimaldi hat er mit Vorliebe beschrieben und abgebildet. Ebenso hat er mancherlei Mühlwerke, namentlich eine Stampf- und Rollmühle zu Ferrara und eine Ölmühle daselbst mit großer Genauigkeit dargestellt. Bei der Fassade eines Palastes in dieser Stadt bemerkt er ausdrücklich: „Alles von gebachen Stainen!" Ebendort gibt er eine Zeichnung des Balkons am Palazzo de' Leoni mit den spielenden Putten, welche denselben zu tragen scheinen.

Der Eifer, mit welchem der fleißige Künstler diese Studien betrieben, läßt sich aus den drei Heften wohl erkennen; doch führt er in seinem Inventar fünf solcher geschriebenen und mit Zeichnungen versehenen Büchlein an, von welchen zwei verschollen zu sein scheinen. Nach seiner Rückkehr mit dem Herzog im Mai 1600 begann nun die glänzendste Zeit seines Wirkens, die ununterbrochen bis zum Jahre 1632 währte. Bis 1608 lebte er mit seiner Familie in Mömpelgard, wo er den Neubau der Stadt, des Schlosses und des Kollegiums sowie der Grotte und der Festungswerke leitete. Zum Dank für seine Anstrengungen schenkte ihm die Stadt das Bürgerrecht. Zu derselben Zeit wurde nach seinen Plänen Freudenstadt angelegt und die Kirche daselbst erbaut. Auch sonst hatte er im Elsaß vieles zu bauen, unter anderm acht verschiedene Mühlen, worunter die stattHche Wassermühle zu Reichenweier. Und doch fand er noch Zeit, eine Studienreise durch Lothringen und Burgund zu machen.

Mit dem Regierungsantritt Herzog Johann Friedrichs 1608 wurde Schick- hardt nach Stuttgart zurückberufen. Das von ihm angefertigte Inventarium gibt auf 37 Folioblättern eine genaue Übersicht alles dessen, was er bis zum Jahre 1632 ausgeführt hat. Die Menge und Vielseitigkeit seiner Geschäfte ist staunen- erregend. Er beginnt mit den nach seinen Plänen neu erbauten Städten und Dörfern; dann folgen Kirchen, deren nach seinen Rissen 17 ausgeführt worden sind, während er bei vielen anderen Erweiterungen oder Erneuerungen zu leiten hatte. Ferner mehrere Kollegien und Schulen, zwölf von Grund auf neu erbaute Schlösser, viele andere Schlösser, in denen er Um- oder Anbauten unternommen, darunter die Festungen des Hohentwiel, Asperg und Tübingen. Vom Hohentwiel existiert von seiner Hand ein Grundriß und eine Perspektive aus dem Jahre 1591, beides trefflich gezeichnet, auf dem Archiv in Stuttgart. Auch außer Landes hatte er manche Schlösser zu bauen und die Teilung adeliger Güter zu leiten. Selbst für den Herzog von Sachsen mußte er 1625 einen „Ab- riß zu einem gewaltigen großen Schloß und einer Newen Hofkürch" entwerfen. Ensisheim im oberen Elsaß sollte er schon 1604 im Auftrage Kaiser Rudolphs IL

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befestigen, aber als treuer Protestant und Diener seines Fürsten, oder wie er sich ausdrückt „weil ich wenig Lust gehabt mich außer dem Land, in Sonderheit in das Bapstum zu begeben, hab dieser Gnad ich mich unterthänig bedankt". Der Magistrat von Ulm berief ihn mehrmals sowohl wegen der Befestigungen, als auch

wegen einer Brücke über die Donau. Auch nach Basel wurde er gerufen, um /4/i?' wegen eines geborstenen Pfeilers der dortigen Rheinbrücke seinen Rat zu er- teilen. Ebenso wollte Erzherzog Maximilian ihn 1611 bei Anlage einer Festung zu Innsbruck verwenden, und 1620 mußte er der Stadt Worms einen Plan zur Befestigung anfertigen. Man sieht, wie weit sein Ruf gedrungen war, und er- kennt leicht, daß er zu den angesehensten Baumeistern seiner Zeit gehörte. Wie vielseitig er aber war, entnimmt man aus dem ferneren Verzeichnis seiner Ar- beiten, da er eine große Anzahl von Mühlen verschiedener Art, Münz- und Streck- werke, Bergwerke, Brücken und allerlei Wasserbauten, Keltern, Badeanlagen, Lustgärten, Brunnen und Zisternen aufführt. Ebenso entwarf er einen Plan, den Neckar von Heilbronn bis Cannstatt schiffbar zu machen. Die dafür entworfene Aufnahme des Flußlaufs, die er im Jahre 1598 nach seiner Versicherung mit seinem Bruder Laux (Lukas) in vierthalb Tagen ausgeführt, ist sowohl in dem mit Blei gezeichneten Original wie in dem danach von ihm selbst in Farbe ge- setzten Exemplar noch auf dem Stuttgarter Archiv vorhanden. Genug, es ist wohl kein Zweig des gesamten damaligen Bauwesens, den er nicht in den Bereich seiner Tätigkeit gezogen hätte.

Die Mehrzahl dieser Gebäude gehört freilich mehr dem Gebiete der Not- wendigkeit als der Schönheit. Mit welchem Fleiße der gewissenhafte Mann auch die geringsten Aufgaben, welche seine Stellung ihm auferlegte, durchgeführt hat, erkennt man aus den Stößen von Bauakten, welche, durchaus in Schickhardts klarer Handschrift geschrieben, auf dem Stuttgarter Archiv vorhanden sind. Daß er aber auch als Künstler zu den tüchtigsten seiner Zeit gehört, beweist außer der Kirche zu Freudensladt vorzüglich der sogenannte Neue Bau zu Stuttgart, 1600 1609 errichtet. Wir haben später ausführUcher auf dies Werk zurück- zukommen, bemerken aber schon hier, daß die alte Angabe, es sei nach dem Muster eines Gebäudes von Yicenza gestaltet, der Begründung entbehrt. Viel- mehr erkennt man gerade aus diesem Bau (vgl. Abb. 232), mit welcher Freiheit Schickhardt die Formen der italienischen Renaissance nach den Bedürfnissen seiner Zeit und seines Landes verwendet hat. Und offenbar steht der Plan des Neuen Baus mit seinen Eckpavillons viel eher unter dem Einflüsse der damaligen französischen Auffassung der Architektur, wenn sich auch da freiUch kein un- mittelbares Vorbild zeigt.

Noch stattlicher als dieser sollte ein anderer auf dem Schloßplatze zu er- richtender Bau werden, zu dem der Meister auf Herzog Friedrichs Geheiß im Jahre 1601 die Pläne fertigen mußte, nachdem schon vorher eine Anzahl Häuser gekauft und abgebrochen worden waren, um hier Raum zu schaffen. Nach des Herzogs Tode mußte Schickhardt auf Johann Friedrichs Befehl einen noch schöneren Entwurf machen, der nach seiner Schätzung um 50000 Gulden nicht hätte mögen ausgeführt werden. Der ausbrechende Krieg hinderte die Fortsetzung des schon angefangenen Werkes, dessen Fundamente dann später zu dem so- genannten Prinzenbau verwendet wurden; es ist höchlich zu bedauern, daß diese Zeichnungen, wie die meisten anderen seiner Entwürfe, verschollen sind. ^

Von der besonderen VorUebe jener Zeit für Lustgärten und die damit ver- bundenen Anlagen zeugen zahlreiche Notizen im Inventar. Für Stuttgart baute er nicht bloß 1611 ein neues großes Pomeranzenhaus, sondern auch ein kleineres Feigenhaus, und für „Fräulein Anna" ein zweites Feigenhaus. Am Lustgarten baute er außerdem das untere Tor, ein flottes Prachtstück von Dekoration, wie

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man aus den auf dem Archiv befindlichen Entwürfen erkennt. Ebendort findet sich noch eine hübsche Zeichnung des 1609 von ihm zu Leonberg angelegten Lustgartens mit Weihern, Springbrunnen, zierlichen Teppichbeeten und prächtiger steinerner Einfassung. Dem Markgrafen von Baden-Durlach mußte er 1602 den Plan zu einer Grotte, dem Grafen von Hohenlohe 1615 einen Entwurf zu einem Lusthause für Neuenstein machen. Auch in Boll hatte er bei dem neuen Bade einen großen Lustgarten angelegt. Von Schickhardts künstlerischer Richtung geben der Turm der Kirche in Cannstatt (Abb. 234), das Rathaus zu Eßlingen (Abb. 240) und ein statthches Bürgerhaus auf dem Markte zu Stuttgart (wovon später) weitere Anschauung. Die Zahl der von ihm in Stuttgart aufgeführten Häuser ist sehr groß. Er scheint mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit jedermann zu Diensten ge- wesen zu sein. Einmal heißt es in seinem Inventar: „1609 meines Schneiders Haus von Neuem erbaut; wie der aber heißt kan ich nit wissen". Alle diese Häuser wie auch sein eigenes waren schlichte Fachwerkbauten mit steinernem Erdgeschoß; höchstens durch hübsche Steinkonsolen an den Ecken belebt.

Von seiner Vorliebe für mechanische und hydraulische Arbeiten, der wir schon in seinen Reisetagebüchern begegneten, zeugt noch ein Folioheft mit Zeich- nungen auf der öffentlichen Bibliothek in Stuttgart, das mit großer Genauig- keit, wie wenn es zur Herausgabe bestimmt gewesen wäre, eine Anzahl von Feuerspritzen verschiedenster Art, Schöpfwerke, Haspel oder Gangräder, VVind- mühlen zu einem Pumpwerk, einen Durchlaß für ein Mühlenwehr u. dgl. mit allen Einzelheiten der Konstruktion darstellt. Auf dem ersten dieser trefflich gezeichneten Blätter liest man: „Dis hab ich Heinrich Schickhardt gerissen auf den 5ten Februari anno 1629, da ich durch Gottes Gnad 71 Jar meines Lebens zuruckhgelegt und das 72 angefangen. Der liebe Gott geh weiter sein Gnad und Segen. Amen, Amen." Von 1595 dagegen datiert ein Heft mit Zeichnungen auf dem Archiv, worin er eine Anzahl SalingiL aus Deutschland, Frankreich, Lothringen, Burgund und Italien mit der IhnPelgenen Sorgfalt, Genauigkeit und Zierlichkeit in allen ihren technischen Teilen dargestellt hat. Die letzten Lebensjahre des trefflichen Mannes wurden durch die Greuel des Krieges getrübt, ja er sollte selbst ein Opfer jener entsetzlichen Zeit werden. Gegen Ende des Jahres 1633, als Schickhardt sich mit dem kleinen Reste seiner Familie in die Stadt Herrenberg geflüchtet hatte, fiel er der Brutalität eines kaiserlichen Soldaten zum Opfer, der von der Straße aus mit einem Beile nach ihm warf, dann das Haus erbrach und dem greisen Mann, der die Seinigen vor roher Gewalttat schützen wollte, den Degen in den Leib stieß. Noch drei Wochen hatte der Unglückliche an den empfangenen Wunden zu leiden, bis er im Anfang des Jahres 1634 von seinen Schmerzen erlöst wurde, 76 Jahre alt.

Von dem Charakter des redlichen, gottesfürchtigen und pflichtgetreuen Mannes gibt nichts eine so klare Anschauung, als das Inventarium, welches er selbst in den letzten Jahren seines Lebens aufgesetzt hat. ^) Es ist ein starker Folioband, der mit der Aufzählung und Abbildung seiner liegenden Güter und seiner Häuser in Stuttgart, Herrenberg und andern Orten beginnt. Seine Stutt- garter Besitzungen schätzt er selbst auf mehr als 24000 Gulden. Dazu kam in Herrenberg an Häusern und Gütern ein Vermögen von 10000 Gulden, zu Rohr ein Maierhof von 6000, zu Affstett ein Hof von 3000 Gulden. An Gold- und Silbergeschirr berechnet er die enorme Summe von 8000 Gulden. Darunter be- fanden sich 80 silberne, größtenteils vergoldete Pokale, die er in dem Verzeichnis samt den durch fürstliche Huld ihm verliehenen goldenen Schaubildnissen be- schrieben, abgebildet und koloriert hat.^) Sie sind schon durch die Mannigfaltig-

1) Heyd a. a. 0. S. 321 417.

2) Heyd a. a. 0. S. 146.

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keit ihrer Formen von hohem Interesse. Dazu kommen Ringe, Degen, Hirsch- fänger und Waidmesser, große silberne Löffel, Gürtel und Ketten, die er alle gewissenhaft abgebildet und beschrieben hat. Eine dieser Abbildungen begleitet er mit den Worten: „Dise 2 Ring sind mier gestolen werden, weis aber wol wer der Dieb ist". Zumeist waren es Geschenke der Fürsten, Herren und Städte, für die er gebaut hatte.

Von besonderem Interesse für uns ist das Verzeichnis seiner Bücher. Er zählte deren 500 auf, eine für einen Privatmann jener Zeit sehr ansehnUche ii/^ Bibhothek. Der Einblick in dies Verzeichnis gibt uns eine lebendige Vorstellung von dem Bildungsgrade und den geistigen Bedürfnissen des Künstlers und seiner , (

Zeit. Wie stark damals die religiöse Gesinnung und das theologische Interesse yi^ war, geht daraus hervor, daß die theologische Abteilung oder, wie er sich aus- drückt, die „Bücher der Heihgen Schrift", mit denen er den Anfang macht, 101 Nummern zählt, mehr als irgend eine der übrigen Abteilungen. Man findet /^ ^/n/^T^ nicht bloß die Bibel und die Hauspostille Luthers, sondern „den sechsten Teil aller Bücher und Schriften" des Reformators. Weiter eine Anzahl Predigten, zum Teil zur Einweihung der durch Schickhardt erbauten Kirchen gehalten. Ferner schon eine Reihe antijesuitischer Schriften, wie überhaupt die polemische Richtung der Zeit stark hervortritt. Weiter finden sich Frischlins Komödien von ^ der Rebekka und Susanna. Dann kommen die juristischen Bücher mit 42 Num- ^ mern, Land- und Städteordnungen, Zoll- und Baugesetze. Ein bedeutendes Kapitel bildet die Abteilung der Medizin mit 83 Nummern, darunter viele Kräuter- und Arzneibücher, das älteste vom Jahre 1485, Bücher von heilsamen Bädern, andere für schwangere Frauen, Koch- und Weinbüchlein, über Kellermeisterei, Feld- und Gartenbau, über Bienen- und Seidenzucht, Roßarzneibüchlein, Alchymie, Bergwerk- ^ und Münzsachen. Sodann 59 Historienbücher; darunter Münsters Kosmographie, Sleidanus Geschichtswerk, ein deutscher Plutarch, Chroniken und Reisebücher, Philipp Gomines Memoiren in deutscher Ausgabe, Schildbergers Reise, Wegweiser durch Italien und Deutschland, ein französisch-deutsches und ein lateinisch- franzö- sisch-deutsches Wörterbuch, wie auch eine lateinische Grammatik von Michael Beringer. Dazu kommen verschiedene Volksbücher: vom Kaiser Octaviano, seinem Weibe und zweien Söhnen, sieben Bücher des Amadis von Gahlen, die Schäfe- reien von der schönen JuUana, das Laienbuch, Eselsgespräch, der groß Christoffel, Doktor Faustus und „von der Weiber Lob und Laster". Wie er überall nach Vermehrung seiner Bibliothek gestrebt hat, erkennt man aus einer Notiz am Ende eines der Reisehefte. Man hest dort: „Nach Biecher zu fragen. Aller Praktik Großmutter. Josephus ist vom Pfarrherr von Mittelweir guot teitsch gemacht worden. Melchior Sebitzius schreibt vom Feldbau 1588. Der Weiber Flohhatz, soll kurtzweilig sein." >

Nun folgen in seinem Verzeichnis die Abteilungen der Fachschriften, die mit der Perspektive beginnen. Hier fehlt kaum etwas von den zahlreichen wert- vollen Büchern jener Zeit. Den Anfang machen die Italiener Sirigatti, Vignola,

Barbar^ dann kommen Lorenz Stör, Lautensack, Hirschvogel, im ganzen acht Bände. Die Architektur, aus 34 Nummern bestehend, beginnt mit dem deutschen Vitruv von 1548, Serlio italienisch und deutsch, Palladios Lehrbuch, Philibert de iTFme, du Cerceau, den er für einen Italiener hält, und manches andere bis auf die Werke vom „kunstreichen, beriempten und ehrlichen Wendel Dieterlein von Strasburg, meinem lieben und guten Freund", wie er hinzusetzt. Hier führt er auch seine fünf Reisetagebücher auf. Weiter folgen 18 Stück vom Festungs- bau, wo sowohl die Italiener Lorino, „mein guet Bekhanter", Maggi, Franco de Marchis, als auch Daniel Speckle und Perret vertreten sind. Daran schließen sich 22 Bücher von der Kriegs- und Belagerungskunst, sieben von der Büchsenmeisterei,

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15 von der Geometrie, mehrere von der Visierkunst und vom Feldmessen, 19 von Arithmetik, die er als „die allerschenste Kunst in der ganzen Welt" bezeichnet. Von Maler- und Bildhauerkunst, die mit Uürers Schriften in deutscher und italieni- scher Ausgabe beginnen, zählt er 24 auf. Den Abschluß machen 31 Nummern ■^(^^ Würtembergica und einige astronomische sowie astrologische Werke. U^y^ Endlich zählt er noch 1271 Stück Kupferstiche auf, darunter italienische

und antike Gebäude, Städteprospekte, Landschaften, fürstliche Grabmäler, Brunnen, und zwar drei zu Augsburg, fünf in Italien, Altäre, „65 große und künstliche Stuck von Bildwerk", Kirchengestühle, Wappen, Dürers Triumphbogen, Blätter der Perspektive und anderes. Auch hier finden wir ein vielseitiges künstlerisches Interesse. Und wenn Schickhardt auch die Trajanssäule als Pyramide, den Obelisken vor St. Peter dagegen als Säule bezeichnet, so erkennt man doch aus allem nicht bloß eine gediegene und umfassende Kenntnis seiner Kunst mit allem was dazu gehört, sondern auch ein nicht gewöhnliches Streben nach allgemeiner Bildung, soweit sie seinen Lebenskreisen in jener Zeit erreichbar war.

Daß der treue und fleißige Mann sich nicht bloß der Anerkennung seiner Zeitgenossen, sondern namentlich auch in hohem Grade der Gunst seiner Fürsten erfreute, erkennt man aus vielen Zügen. Unter drei nacheinander folgenden Regierungen war er tätig und mit uneingeschränktem Vertrauen beehrt. Be- sonders Herzog Friedrich scheint ihn hoch geschätzt zu haben. Außer dem Hause und den Materialien zum Neubau, die er dem wackern Meister schenkte, weiß das Inventarium noch von manchen andern Vergabungen zu erzählen. Als der Herzog ihn mit nach Italien nahm, ließ er ihm für die Reise einen „adligen Anzug" machen, den Schickhardt auf mindestens 25 fl. veranschlagt. Den Seinigen schenkte der Herzog zum Unterhalt 100 fl. und einen Eimer Wein. Für die Aufnahme des Neckars erhielt er vom Herzoge 80 fl., für die Beschreibung der ungarischen und italienischen Reise, die er mit dem Herzog gemacht, 200 fl. Gelegentlich merkt Schickhardt an, der Herzog habe ihm „etliche Kunstbücher", oder „einen ganzen Hirsch mit Haut und Haar", oder „eine wilde Sau" verehrt. Auch Johann Friedrich bezeugte dem Meister wiederholt seine Gunst. Er er- höhte ihm sogleich seine Besoldung um 80 fl., vermehrte seine Hegenden Güter und schenkte ihm wiederholt wie sein Vorgänger prächtige Pokale.

Trotz der Gnade seiner Fürsten mußte er doch erfahren, daß gelegentlich anmaßende Ausländer ihm vorgezogen wurden. So besonders beim Grottenbau im Lustgarten, für welchen Johann Friedrich niederländische Künstler um hohe Besoldung berief. Darauf bezieht sich vielleicht ein Vorfall, dessen Schickhardt in seinen Aufzeichnungen gedenkt. Er hatte einmal, so berichtet er, dem Herzog „etliche unnötige Sachen fürzunehmen" widerraten, wofür dieser ihn mit „gantz ohngnädigen Augen" angesehen habe. „Als ich aber erhebliche Ursachen erzält, warum ich solches widerrathen, haben I. F. Gnaden erkannt, daß ich es gut meine und mir darüber einen vergoldeten Becher verehrt, darbey gesagt, er wolle mein gnädiger Herr sein." Dies geschah am 13. Februar 1611; damals trug sich wahr- scheinhch der Herzog schon mit dem Plan zu jenem Grottenbau, der bald darauf in Angriff genommen wurde. Übrigens hatte unser Meister schon früher bei dem Projekt der Schiffbarmachung des Neckars, als man Ingenieure „aus Holland, Itahen und den Niederlanden" berief, Gelegenheit genug gehabt, sich über die aus- ländischen „Prachthansen" und ihre leichtsinnigen Vorschläge zu ärgern. Es be- gann die Zeit, wo die einheimischen wackern Meister durch fremde, vornehm auf- tretende Künstler verdrängt wurden, und wo in der Ausländerei der Höfe deutsche Sitte und Kunst auf lange Zeit zugrunde gehen sollte. Schickhardt ist einer der letzten alten kerndeutschen Meister, die in der Fremde zu lernen wußten, ohne das Eigne preiszugeben. Schon deshalb gebührt ihm ein ehrendes Andenken.

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Die Hauptstadt Württembergs verdankt ihre erste Anlage und ihr Empor- kommen ihren Fürsten.^) Schon im 13. Jahrhundert finden wir hier einen Ort, der sich an eine Burg der Grafen von Württemberg lehnte, und schon 1286 weiß diese der Belagerung König Rudolphs I. kräftigen Widerstand zu leisten. Mit dem 14. Jahrhundert wird die Burg mehr und mehr der Lieblingsaufenthalt der Grafen, und bereits 1417 werden verschiedene WohnHchkeiten genannt, darunter „des Grafen altes Gemach oben im Haus mit fünf guten Bettstatten, die Kammer mit dem Wurzgarten gegen den Hof hinaus, der Erker mit drei Bettstatten, die große Stube neben des Grafen Gemach, die Ritterstube oben im Haus und die untere große Türnit". Zugleich ist die Rede von einem vor der Burg gelegenen Sommerhause, und 1480 wird des neuen Hauses gedacht, das Graf Ulrich der Vielgeliebte erbaut haben mag. Diese frühere mittelalterliche Anlage bildete offenbar eine lose Gruppe untereinander vielleicht durch Gänge verbundener Ge- bäude, vermutlich durch Mauer, Wall und Graben eingeschlossen. Seit durch den Münsinger Vertrag 1482 Stuttgart ausdrücklich zur Hauptresidenzstadt er- nannt wurde, mußte auch die Bedeutung der Burg steigen, und Herzog Christoph war es, der den Anforderungen der neuen Zeit zuerst in einem großartigen Neubau Rechnung trug, indem er die älteren Gebäude bis auf den östhchen^) Flügel (D in unsrer Abb. 227) abtragen ließ und seit 1553 die drei neuen Flügel mit ihren stattHchen Arkaden hinzufügte. Aus diesem Jahre datiert ein im Stutt- garter Archiv aufbewahrtes Schreiben des Herzogs Christoph, das die Werkmeister Joachim Meijer und Peter Busch mit den Vorarbeiten beauftragt. Den Kosten- anschlag hat ein Meister Blasius Berwart, der später bei den Schloßbauten der Plassenburg und zu Königsberg i. Pr. vorkommt, angefertigt. Als eigentlichen Baumeister lernen wir aber aus den Akten Aberlin Tretsch kennen, an den die meisten folgenden Erlasse des Herzogs gerichtet sind. Durch ihn entstand das jetzt zum Unterschied von dem neuen Residenzschloß als „Altes Schloß" be- zeichnete Gebäude, das ohne Frage zu den wichtigsten und eigenartigsten Schöp- fungen der deutschen Renaissance gehört.

Das Schloß stellt sich schon von außen mit seinen gewaltigen Mauern, den hohen Dächern, den kolossalen runden Ecktürmen, den Erkern, Altanen und Giebeln als eine höchst stattliche befestigte, doch zugleich malerische Anlage dar (Abb. 226). An Höhe und Massenhaftigkeit überragt alle übrigen Teile der alte östliche Flügel, der im Erdgeschoß die große Türnitz mit ihren hohen Spitzbogen- fenstern, darüber noch zwei Stockwerke und ein Dachgeschoß enthält. Dieser gegen Morgen gelegene Teil umschloß auch schon in alter Zeit die herrschaft- lichen Wohngemächer. Der mit einem großen Altan abgeschlossene, an der rechten Seite vorgeschobene Bau wurde 1558 als Archiv hinzugefügt. Er trug ehemals einen kleinen Lustgarten mit seltenen Blumen, andern fremden Gewächsen und einem Springbrunnen. Den Rundturm neben dem Archiv ließ Herzog Ludwig 1578 erbauen. Bei einem äußeren Durchmesser von 13 Metern ist er in schönem Quaderbau ausgeführt, während die übrigen Teile des Schlosses aus unregel- mäßigen Werksteinen errichtet sind. Derselbe Herzog fügte dann an der ent- gegengesetzten südwestlichen Ecke in ähnlicher Struktur einen zweiten Rundturm

1) Für das Historische vgl. Gesch. d. Stadt Stuttgart von Dr. K. Pfaff. 2 Bde. Stuttg. 1845, und Beschr. des Stadtdirektionsbezirkes Stuttg. 1856. Aufnahmen von F. Baldinger in Ortweins D. Ren. Lief. 102. Paulus, D. Kunst- und Altertumsdenkmale des Königreichs Württemberg. Neckarkreis. Stuttg. 1906. p. 11 if.

2) Die Orientierung des Schlosses weicht etwas von den Hauptpunkten des Kompasses ab, so daß der östliche Flügel, streng genommen, nach OSO. liegt. Ich ziehe indes, der Deiit- lichkeit wegen, die einfache Bezeichnung vor.

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(H in Abb. 227) von 9V2 Meter Durchmesser hinzu. Noch gewaltiger und zugleich ein Muster gediegenster Ausführung in schönem Quaderbau ist der Turm G an der südöstlichen Ecke, 16 Meter im Durchmesser, 1687 unter Herzog Eberhard Ludwig hinzugefügt, dessen Namenszug man mit der Jahreszahl am Äußern liest. An der Südseite unterbricht die achteckige Altarnische der Kapelle mit ihren hohen spätgotischen Fenstern die einfachen Mauermassen. An dieser wie an der nördlichen Seite springt der Bau des Herzogs Christoph um etwa 6 Meter über den alten östlichen Flügel vor. Von der Nordseite führt ein einfaches Portal im Rundbogen durch einen gewölbten Torweg in den Schloßhof. Neben dem Portal enthält ein moderner Anbau die Schloßküche. Die Hauptfront, in einer Ausdehnung von gegen 80 Meter, bildet die Westseite, wo auch der Haupt- eingang, aus einem Torweg und einem Pförtchen für Fußgänger bestehend, durch die gewölbte Einfahrt A in den Schloßhof führt. Über dem Portal endet der hier niedriger gehaltene mittlere Teil der Fassade mit einem terrassenförmigen Altan, auf dem bei festlichen Gelegenheiten die Musikanten ihren Stand hatten.i) Überall ist das Äußere des Baues durchaus schlicht und schmucklos. Das einzige künstlerische Werk sind die beiden Wappen über dem Hauptportal, umfaßt von Pilastern und Gesimsen mit delikatesten Ornamenten aus Herzog Christophs Zeit. Sonst sind sogar die Portale völlig roh, und von den durch Herzog Friedrich am nördlichen hinzugefügten Pilastern und Figuren ist nichts mehr zu sehen. Das Schloß war übrigens ursprünglich von einem gegen 9 Meter tiefen, 25 Schritt breiten Wassergraben umgeben, der freiUch schon im 16. Jahrhundert gegen Norden und Osten trocken lag und den Löwen Herzog Ulrichs als Aufenthalt diente, jedoch erst im 18. Jahrhundert gänzhch ausgefüllt wurde. Noch damals sah man darin laut einer alten Beschreibung unter anderm „zwei große Auer- Ochsen beiderley Geschlechts, so von Ihro Königlichen Majestät in Preußen anhero verehrt und aus Berlin geschickt worden"; ferner „einen sehr raren corsicani- schen starken Stein-Bock samt einer sauberen corsicanischen Hirsch-Kuh".

Überraschend ist der AnbHck, wenn man in den Schloßhof B des Grundrisses eintritt (Abb. 228). Dieser mißt gegen 25 Meter Breite bei 45 Meter Länge und ist in drei Geschossen mit stattlichen Bogenhallen umgeb'en, deren Flachbögen auf kräftigen Säulen ruhen. In origineller Anordnung sind die Arkaden um die beiden in den Ecken des Westflügels liegenden runden Treppentürme herumgeführt. Dem Eintretenden zur Rechten liegt die Kapelle G, zu der im unteren und oberen Geschoß reiche Portale führen. Aus dem östlichen Flügel D springt aber ein gewaltiges Treppenhaus vor, sich schon durch die schräg gestellten Fenster in seiner Bedeutung ankündigend. In einer Urkunde des Stuttgarter Archivs vom 23. August 1558 befiehlt Herzog Christoph dem Meister Blasius Bericartj sich nach Dillingen zu begeben, wo er im Schlosse des Bischofs von Augsburg „einen Schnecken" gesehen, der ihm dermaßen gefallen, daß er einen ähnhchen im Stuttgarter Schloß ausführen lassen wolle. Da später von dem „Schnecken am alten Hause" noch weiter die Rede ist, so kann nur diese große Reitschnecke oder Treppe gemeint sein. Ein gewölbter Torweg vermittelt den Eingang in das Treppenhaus und zugleich in den kolossalen Raum der Türnitz D, in die man mit Roß und Wagen hineinfahren konnte. Die Treppe selbst ist eine sanftansteigende Rampe auf steigenden Kreuzgewölben; auf ihrem steinernem Pflaster kann man bis in das oberste Geschoß hinaufreiten. Der zur Linken im spitzen Winkel vorspringende Bau enthält die breite Treppe zu den kolossalen gewölbten Kellern.

Von besonderem Interesse muß ursprünglich die jetzt verwahrloste un- geheure Türnitz gewesen sein. Bei einer Breite von 20 und einer Länge von

1) Vgl. Wahrhaffte histor. Besclir. der fürstl. Hochzeit Joli. Friedr. Herzogs zu Württem- berg etc. (Stuttg. 1610 fol.) S. 54.

Abb. 227 Grundriß des Alten Schlosses zu Stuttgart

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53 Metern wird der Raum durch Pfeiler mit hohen Rundbögen in zwei Schiffe geteilt. Große gotische Fenster, fünf in der Front, je zwei an den andern Seiten, führen ihm ein genügendes Licht zu. Ohne Zweifel bildete der Saal ursprüng- lich das Hauptgebäude, den Palas der Burg, im Mittelalter die Versammlungs- und Speisehalle des Grafen und seiner Vasallen. Später scheint er zu kleineren Turnieren benutzt worden zu sein, aber schon zu Herzog Christophs Zeiten war

er zur Speisehalle der mittleren und niederen herzoglichen Beamten und Hof- diener bestimmt, die hier gegen 450 Köpfe stark an 50 Tischen täglich gespeist wurden. Der anstoßende Turm F hat unten einen Saal mit Kreuzgewölben auf einer mittleren Rundsäule. Eine eingebaute Wendeltreppe bildet die Verbindung mit dem oberen Geschoß, wo ein ähnlicher Saal sich befindet. Der Turm G enthält im Innern einen großen Saal von 12 Meter Durchmesser und steht mit der Türnitz durch eine Tür in Verbindung. Im übrigen ist der ganze Flügel im Erdgeschoß mit einem schmalen niedrigen Verbindungsgange umgeben.

Über der Türnitz erheben sich zwei Stockwerke, schon durch die große Reittreppe als die Haupträume des Alten Schlosses gekennzeichnet. Hier gelangte man „zu den uralten Zimmern der Vorfahren". Der Estrich war von Gips und gegossenem Stein in mancherlei Figuren, die Balken kunstreich geschnitzt, die Gemächer schön getäfelt, mit „Marmelstein und Schnitzwerk" geziert; im mitt- leren Stocke befand sich namentlich der Saal, im 16. Jahrhundert gewöhnlich Ritterstube genannt, der wichtigste Repräsentationsraum des Schlosses. Von hier datierte Herzog Christoph in der Regel seine Entschließungen; hier erschienen die Vertreter der Landschaft, um die fürstlichen Vorschläge zu vernehmen; hier überreichte der fürsthche Bräutigam, nachdem die Beschlagung der Decke erfolgt,

Stuttgart Schloß

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der Braut die Morgengabe, und empfing das Brautpaar die Geschenke der Gäste. Hier war auch die fürstliche und die Marschallstafel, letztere in der Regel mit 166 höheren Beamten und Hofdienern an mehreren Tischen besetzt. Neben dem Saale lag des Herrn Gemach und die Werkstätte des herzoglichen Kammer- schneiders. Der zweite Stock enthielt „das Frauenzimmer", d. h. die Wohnung der fürstlichen Familie. „Stuben und Kammern sind gar heimlich still. Da pflegt man zu flicken, zu wirken und zu nähen." Namentlich werden angeführt der Herzogin und der Fräulein Gemach, die Jungfrauenstube, die Kinder- und Schulstube und der Herzogin Schneiderei.

Der anstoßende nördhche Flügel enthielt im oberen Geschoß den großen Tanzsaal mit feinem eingelegten Täfelwerk, die Wände mit köstlichen seidenen Tapeten gleich den übrigen Zimmern behangen. Hier wurden nicht selten Prä- laten und Landschaft gespeist und bei fürsthchen Hochzeiten jene glänzenden Bälle gehalten, bei denen dem Brautpaar je zwei Fürsten vor- und zwei Adlige mit Windlichtern nachtanzten. Unter dem Saale lag die Küche, wo ein Brunnen plätscherte und die Bratspieße vom Wasser getrieben wurden. Die kolossalen 27 Meter hohen Kamine, die nach auswärts vor die Mauer vortraten, wurden erst in neuerer Zeit abgebrochen. Außerdem war hier im Erdgeschoß die mit Zinn verkleidete fürstliche Badestube. Der westHche Flügel enthielt im Erdgeschoß die Apotheke, die Trabantenstube, das Gewölbe mit den Kleiderstoffen und andere Diensträume, alles in trefflich gewölbten Gemächern. Herzog Christoph ließ 1564 den „Dappizierer und Patronenmaler" Jakoh von Carmis, Bürger zu Köln, mit seinen Leuten kommen, um zur Ausschmückung des Schlosses Gebilde aus Seide und Wolle zu wirken. Bis 1570 wurden 22 Gemächer im oberen und unteren Stock mit Tapeten mit biblischen Geschichten ausgeschmückt, welche die für jene Zeit enorme Summe von 13621 fl. 34 kr. kosteten. Als Maler war dabei ein Nikolaus von Orley beschäftigt. Bei dem Brande, der 1569 den Tanzsaal betraf, verbrannte ein Teil der Teppiche; Moritz de Carmis, des Obigen Sohn, stellte diesen 1574 wieder her. Noch 1664 ließ man ähnliche Tapeten aus den Niederlanden kommen.

Von der ganzen prächtigen Ausstattung ist nichts mehr vorhanden. Was von Wandteppichen sich noch findet, gehört späterer Zeit an. Im zweiten Stock der Nordseite zeigt ein großes Gemach an der Decke und der Eingangswand eine prachtvolle Stuckdekoration in derben, aber schwungreichen Barockformen etwa aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Dagegen ist die Kapelle, lange Zeit zur Hofapotheke degradiert, neuerdings wieder hergestellt worden. Sie nimmt in einer Breite von acht und einer Länge von 25 Metern den ganzen südUchen Flügel ein; die Altarapsis ist eigentümlicherweise in der Mitte der Langseite, dem untern Eingang gegenüber, südwärts vorgebaut; reiches gotisches Netzgewölbe von präch- tiger Ausführung bedeckt die Kapelle, schönes Sterngewölbe die Apsis. Den unteren Eingang bildet ein Portal mit korinthischen kannelierten Säulen auf reichen Sockeln; im oberen Stock ein ähnliches Portal mit laubgeschmückten Pilastern ionischer Ordnung; diese beiden noch aus Herzog Christophs Zeit.i) Dagegen gehört ein zweites oberes Portal rechts von dem ersten zu den pracht- vollsten Schöpfungen der späteren Renaissance, wahrscheinhch unter Herzog Friedrich I. allem Anscheine nach von Sddckhardt entworfen. Daß damals an dem Schlosse gearbeitet wurde, erkennt man an der Jahreszahl 1594 über dem inneren Torbogen des nördlichen Schloßportals. Dies spätere Kapellenportal ist mit reichen Hermen, mit üppigen riemenartigen Ornamenten, mit Voluten und Kartuschen in den ausschweifenden Formen der Spätzeit, gleichwohl überaus geschmackvoll ausgestattet.

1) Genaue Aufnahmen bei Baldinger a. a. 0. Taf. 9 und 10.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Den schönsten Eindruck machen aber immer wieder die Arkaden des Hofes (Abb. 228), dieser wahrhaft klassische Renaissancebau aus der Zeit des Herzogs Christoph. Kurz und stämmig sind die Säulen, in drei Geschossen von derselben Ordnung, mit kannelierten Schäften, runden Untersätzen, kraftvollen Gurtbändern und frei behandelten korinthischen Kapitellen.^) Dazwischen das schöne durch- brochene Geländer der beiden oberen Stockwerke (Abb. 108, 109) mit dem Motiv

Abb. 229 Ehemaliges Lusthaus zu Stuttgart (Nach Fritsoh, Denkmäler deutscher Eenaissance)

regelmäßig verschlungener Bänder; sodann die im Flachbogen energisch ge- spannten Arkaden und das kräftige Rippenwerk der Gewölbe, die letzteren noch gotisch, sonst alles Renaissance, von echt deutscher Art, anheimelnd und malerisch, den Bedingnissen unserer Sitte und unseres Klimas angepaßt. Dazu die treff- Hchen Wendeltreppen in den beiden Ecktürmen, die nördhche einfacher, aber mit der stattlichen Figur eines wachthaltenden Kriegers im Innern auf der Brüstung, ^die südhche reicher behandelt mit prächtigem, verschlungenem Maßwerk an der ganzen Unterseite, oben mit einem Sterngewölbe geschlossen. Auch die in zier- Hchem Renaissancerahmen am südlichen Treppenturm hoch oben angebrachte Uhr gehört noch derselben Zeit an.

Nördlich vom Schlosse breitete sich der Lustgarten aus, durch eine niedrige Mauer mit vier Ecktürmen, die Zimmer enthielten, abgeschlossen. Zur Rechten hatte man den Garten der Herzogin -), mit fremden seltenen Gewächsen,

1) Genaue Aufnahmen bei Baldinger a. a. 0. Taf. 7 und 8.

2) Vgl. Wahrhaffte histor. Beschreibung etc. p. 55 ff. Auf einem alten Stich von 1643, welcher in Kavalierperspektive die Stadt Stuttgart darstellt, ist der damalige Zustand dieser Anlagen anschaulich wiedergegeben. Bau- und Kunstdenkmäler a. a. 0. p. 48.

Stuttgart Neues Lusthaus

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Gartenhäusern und Springbrunnen geschmückt, Links erhob sich das Ballhaus, ebenfalls von einem Garten umgeben, mit einem prächtigen Portal, daran die Figuren der Justitia und der Pallas. Weiter rechts lag das alte Lusthaus und die alte Rennbahn, 150 Schritt lang und 60 Schritt breit, am Eingang zwei hohe gewundene Säulen mit den Standbildern der Fortitudo und der Tempe- rantia, Mitten auf der Rennbahn zwei kleinere Säulen mit der „Frau Venus und ihrem Sohne Gupido, an denen Beiden die Corden aufgehangen wird, wenn man nach dem Ringlein rennt. Welche Bildnissen der Ritterschaft eine Anreizung geben, wenn sie Frau Veneris und des löblichen Frauenzimmers Gunst und Glimpff erhalten wollen". Sodann noch eine Säule außerhalb der Schranken mit dem Bilde der Fortuna, „welche am linken Arm einen Korb trägt, dadurch ein Mann fällt, denn wer sich wider Gebühr in dem Ritterspiel zeigt, der fällt bei dem löblichen Frauenzimmer gewißlich durch den Korb". Unterhalb der Rennbahn wieder zwei hohe Säulen, den ersten gleich, darauf die Statuen der Justitia und Viktoria. Ob und neben der Bahn ist zur Rechten das Schieß- oder Armbrusthaus, zur Linken gegen das alte Lusthaus der Irrgarten mit Sommer- pavillon und Brunnenwerken. Dann kommt die neue Rennbahn, ebenso groß wie die alte, mit steinernen Schranken umgeben ; oben und unten bei jedem Ein- gang zwei Pyramiden von 44 Fuß Höhe, in der Bahn zwei Säulen mit den Bildern des Merkur und der Venus,

Hier schloß sich nun das Neue Lusthaus an, das Herzog Ludwig nach der gewöhnlichen Angabe von 1580 bis 1593 durch seinen Baumeister Georg Beer (Behr) ganz aus Quadersteinen errichten ließ, im Jahre 1846 leider zu einem ungewöhnlich häßlichen Theater umgebaut. Als vor einigen Jahren dieses ab- brannte, kam zu allgemeiner Verwunderung das Lusthaus in der Hauptsache wieder zutage. Erst jetzt hat eine ungewöhnlich wenig einsichtige Auffassung die end- gültige Beseitigung des Bauwerks durchgesetzt, von dem nur ein charakteristischer Rest im Hofgarten aufgestellt, zahlreiche Skulpturreste aber an allen möglichen Stellen zerstreut sind, bis nach dem Schlosse Lichtenstein hin. Ein kleiner Teil der kostbarsten befindet sich im Museum zu Stuttgart.

Da Meister Beer in einer Eingabe vom 7. Oktober 1586 sagt, er sei bereits „in das elfte Jahr bei diesem Bau", so muß dieser doch wohl schon etwa 1575 be- gonnen worden sein. Damit stimmt ein Erlaß des Herzogs von 1574 an Aherlin Tretsch, betreffs Herbeischaffung des Holzes zum Pfahlrost für die Fundamente des Baus. Als zweiter Baumeister wird damals Ja7(;o& Salzmann genannt. Im Jahr 1577 kommt neben diesem noch Hans Korb vor, 1579 erscheint neben Salzmann Georg Beer, nach eigener Aussage indes schon früher dabei tätig. Von ihm stammt auch der ausführliche, äußerst lehrreiche Kostenüberschlag, der samt den übrigen hier erwähnten Akten im Archiv zu Stuttgart bewahrt wird. Der Bau ist darin auf 54670 fl. berechnet, wird aber schwerlich für diese Summe hergestellt worden sein. Interessant ist noch ein herzoghches Monitorium vom Jahre 1586, das die Baumeister wegen langsamen Vorschreitens des Werkes zur Verantwortung zieht. Hierauf rechtfertigt sich Beer unterm 7. Oktober desselben Jahres, indem er die Schwierigkeit einer solchen Bauführung geltend macht. Man könne nicht rascher vorschreiten, auch sei das Steinwerk sauber und wohl gehauen. Er sei nach Hirsau beordert worden, habe außerdem im Garten und im Schloß, auch sonst noch an andern Stellen zu bauen, könne deshalb nicht immer alles im Auge behalten. Vor sechs Jahren, „da der Salzmann seliger noch gelebt", habe er neben diesem die Hauptgebäu versehen, Jörg Burckh aber habe „die schleissenden Gebäu" unter sich gehabt. Seit beide gestorben, liege jetzt alles auf ihm. Da ihm aber die „grauen Haare nahen" und er wegen seines Alters nicht alles mehr versehen könne, bitte er, ihm einen zweiten Baumeister beizugeben (Georg Beer starb

Lübke- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Auf. 22

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

schon 1600). Wie es scheint, wurde diese Rechtfertigung angenommen, und der Meister vollendete gegen 1593 sein Werk. Daß Wendel Dietterlein 1591 im Lust- haus malte, haben wir schon oben erfahren.

Der herrUche Bau (Abb. 229—231) hatte weder in, noch aulkr Deutschland seinesgleichen. Bei einer Länge von 90 Metern war er 40 Meter breit und vollständig

von einem gewölbten Säulengang um- geben, der sich in der Mitte der Lang- seiten zu einer zweischiffigen Halle erweiterte und dort durch Freitreppen, die in das obere Geschoß führten, auf beiden Seiten erstiegen wurde. Über diesem Mittelbau erhob sich beider- seits eine obere offene Loggia auf Säulen, mit ihrem Giebeldach quer in das hohe Hauptdach einschneidend. Über den Arkaden zog sich ein mit durchbrochener Balustrade eingefaß- ter Altan hin, auf dem man um den ganzen Bau frei herumgehen konnte. Auf den Ecken waren vier niedrige Rundtürme mit schlankem Spitzdach errichtet, im unteren und oberen Ge- schoß prächtige Zimmer mit reich gemalten gotischen Sterngewölben enthaltend. Der ganze Bau bildete (vgl. Abb. 150) im Erdgeschoß eine große, auf 27 Säulen ruhende, mit Netzgewölben überdeckte Halle, in der drei quadratische Wasserbecken lagen, rings von breiten Arkaden- gängen umgeben. Aus den mittleren Säulen strömte durch metallene Röh- ren das Wasser fortwährend ein; und es hätte in dem heißen Stuttgarter Talkessel nicht leicht eine Anlage erdacht werden können, die in so vollkommener Weise eine schattig kühle Wandelbahn bei erfrischendem Brunnenrauschen zu gewähren ver- mochte.

Der Bau bot aber auch in seiner ganzen Ausstattung alles auf, was die damalige Zeit zu leisten vermochte. Die Hallen waren in den architek- tonischen Teilen mit der vollen Pracht der damaligen Ornamentik geschmückt. Dazu kamen an den Tragsteinen der Gewölbe 50 in Sandstein ausgehauene Brust- bilder von Fürsten und Fürstinnen des württembergischen Hauses und der ver- wandten fürstlichen Geschlechter, wahre Prachtstücke der Bildnerei, in dem ganzen Reichtum des damahgen Kostüms durchgeführt. Alles dies sowie die Gewölbe in den Arkaden, den Turmzimmern und der Brunnenhalle strahlte von Gold- und Farbenschmuck. Bei der vandalischen Zerstörung hat man diese Arbeiten in bru- taler Weise vernichtet und in die Fundamente des Theaterbaues geworfen; nur einige Reste sind auf die Villa des damahgen Kronprinzen bei Berg und auf den

Abb. 230 Gri-undriß des ehemaligen Lusthanses zu Stuttgart

Stuttgart Neues Lusthaus

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Lichtenstein gerettet worden.^) Das obere Geschoß enthielt in ganzer Ausdehnung einen einzigen mächtigen Saal, der seinesgleichen nicht fand. Durch 1^ große / Fenster, deren höchst originelle Form unsere Abbildung zeigt, je zwei in den Giebelwänden, die übrigen in den Langseiten, empfing er ein reichliches Licht. Dazu kamen noch zwei ovale und ein Rundfenster in jedem Giebel. Die beiden gewaltigen Giebel selbst, mit Pilastern gegliedert, mit Schnecken eingefaßt und auf den Vorsprüngen mit ruhenden Hir- schen gekrönt, ga- ben dem Bau den

wirkungsvollst en Abschluß. Auf der Spitze der Giebel war als Wetterfahne ein schwebender En- gel angebracht, bis zuletzt noch auf dem Theater als „Wet- terhexe" erhalten. Der obere Saal ein

unvergleichlicher Raum für große Festlichkeiten, war an den Wänden und dem 16 Meter hohen Tonnengewölbe mit

Gemälden ge- schmückt, für deren Herstellung man die tüchtigsten Künst- ler der Zeit berufen hatte. Die gewaltige Holzwölbung, von einem damals be- rühmten kunstreich konstruierten mäch- tigen Sprengwerk

getragen, enthielt die Erschaffung des Himmels und der Erde, den Sündenfall und das Jüngste Gericht mit Himmel und Hölle in einem kolossalen, auf Leinwand gemalten Bilde von 62 Meter Länge .und 9 Meter Breite, von dem handfertigen Straßburger Meister Wendel Dietterlein. Daran schlössen sich die Darstellungen von 12 Städten des württembergischen Landes, Jagden und Landschaften, sowie Porträts fürstlicher Räte und Diener. Weiter die lebensgroßen Bilder des fürst- lichen Bauherrn und seiner beiden Gemahlinnen, dazu später die in Wachs gebildeten Porträts Herzog Friedrichs L und seiner Gemahlin kamen. In der Mitte beider Langseiten führten prachtvolle Portale in den Saal, und über diesen und den angrenzenden Loggien waren Zimmer, in welchen die Musik verdeckt

Abb. 231 Querschnitt des ehemaligen Lusthauses zu Stuttgart

1) Den Bemühunsjen des Architekten Beisbarth verdankt man eine vollständige, kurz vor dem Abbruch im Jahre 1846 ausgeführte Aufnahme, aus mehreren hundert großen Blättern bestehend, jetzt im Besitz des Stuttgarter Polytechnikums. Eine kleine Publikation hat nach diesem Material Bäum er vor einigen Jahren herausgegeben. In Fritsch „Denkmäler der Deutschen Renaissjmce" darnach drei schöne Zeichnungen von Halmhuber.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

aufgestellt werden konnte. Die gewölbte Decke dieser Emporen ruhte in der Mitte auf einer hölzernen Säule. Rings um die Wände des Saales zogen sich Bänke für die Zuschauer. Die ersten Singspiele und Ballette, in denen die prunkvolle damalige Zeit sich gefiel, wurden hier aufgeführt, wobei auch in akustischer Hin- sicht der Raum sich als tadellos erwies. In der Nähe des Baues lag ein kleiner See mit springenden Wassern, auf welchem im Anfang des 17. Jahrhunderts ein venezianischer Gondolier mit einer Gondel angestellt war.^)

Alles in allem genommen haben wir in diesem herrlichen Bau, den ein so klagenswertes Geschick so ganz hinweggenommen hat, wohl die Krone unserer nationalen Renaissance zu sehen. In der Gesamtanlage von einer sonst der deutschen Baukunst mangelnden Einheit und Geschlossenheit wie von ganz außerordentlicher Selbständigkeit, zugleich von höchster Eigenart und Sonderprägung, besaß der Bau die glänzendste Durchführung in einheitlicher Durchbildung wie in gediegenster Technik und vorzüglichstem Material. Das Einzelne war, wie die Reste erweisen, dabei geradezu vollendet. Durch alle diese Eigenschaften erhob sich das Ge- bäude zu einer Höhe, die es den ersten Bauwerken des Auslandes in jeder Hin- sicht ebenbürtig machte. Es ist ein Jammer, daß das Geschick den sonst besten deutschen Bauwerken jener Zeit, Heidelberg und Brieg, so furchtbar mitgespielt hat, ein noch größerer, daß von diesem klassischen Meisterwerk, das noch vor wenigen Jahren halb zu retten gewesen wäre, durch den Unverstand gerade unsrer Zeit das Letzte mit Stumpf und Stiel ausgerottet ist.

Das gleiche bittere Schicksal der Zerstörung hat den sogenannten Neuen Bau betroffen, den Herzog Friedrich I. südlich vom Schlosse von 1600 bis 1609 durch Heinrich Schickhardt aufführen ließ. Obwohl er 1757 im Innern aus- brannte, war das aus prächtigen geschliffenen Quadern ausgezeichnet ausgeführte Gebäude noch so wohl erhalten, daß es zwanzig Jahre später nur mit großer Mühe niedergerissen und dem Erdboden gleich gemacht werden konnte. Wir geben nach einer alten Abbildung^) unter Abb. 232 eine äußere Ansicht. Es war ein Prachtwerk, im Verhältnis zu den sonstigen Ausartungen der Zeit ungewöhn- lich monumental und ernst durchgeführt. Nur die Krönungen der Fenster und der Portale zeigten durchbrochene Gieljel und andere dem Zeitgeschmack ent- sprechende Formen. Auf den vier Ecken traten quadratische Türme vor, die Eingänge enthielten. In der Mitte der Fassade nahm ein ähnlicher Vorbau, über dem Dache mit Giebel abgeschlossen, das Hauptportal auf. Diese vortretenden Teile waren mit Eckpilastern gegliedert, sämtliche Fenster des hohen dreistöckigen Baues mit antiken Gliederungen kraftvoll eingefaßt; an den Fenstern der Erker zeugten reich durchbrochene Balkone von einer Aufnahme südlicher Sitte, wäh- rend die lebendige Vertikalgliederung, die Pavillons mit ihren Kuppeldächern, die hohen geschweiften Giebel und das mächtige abgewalmte Hauptdach nordische Gewohnheiten vertraten. Im Innern enthielt das Erdgeschoß Stallungen, darüber lag ein prachtvoller Saal, 124 Fuß lang, 74 Fuß breit, dessen Höhe auf 68 Fuß angegeben wird, was darauf deuten würde, daß er die drei oberen Stockwerke einnahm. Dagegen gibt eine andere Beschreibung an, daß der Bau im Innern zwei große Säle übereinander enthielt, unter denen sich die gewölbten Marställe befanden. Im dritten Stockwerk war die Rüstkammer. Eine prächtige Wendel- treppe führt im mittlem Pavillon durch alle Stockwerke. Der Hauptsaal war mit Gemälden geschmückt und hatte eine auf 12 Säulen ruhende Galerie. Diese

1) Vgl. „Kurtze Beschreibung deßjenigen was von einem Fremden in der alt-berühmten Hooh-Pürstl. Residentz-Stadt Stuttgardt, vornehmlich auf dem daselbstigen Lust-Haus, Neuen Bau, Kunst-Kammer, Grotten etc. item an andern Gehauen und Stücken Merckwürdiges zu sehen". Ohne Jahrzahl, aber nach 1733 erschienen.

2) Ein nach dem Brande ausgeführtes Ölgemälde, den Bau ebenfalls von der Stidostseite darstellend, auf der Hofdomänenkammer zu S t u 1 1 g a r t.

Stuttgart Neuer Bau Grotte

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oberen Räume dienten als Kunst- und Antiquitäten-Sammlung und enthielten neben Merkwürdigkeiten der Kunst und der Natur die Rüstkammer mit eroberten Waffen, kunstreichen Rüstungen usw. Da wir über das Innere keine genaueren Nachrichten besitzen, so muß die Beurteilung des künstlerischen Wertes sich auf das Äußere beschränken. Daß Schickhardt kein italienisches Vorbild kopiert hat, wie man wohl angibt, sieht man auf den ersten Blick. Vielmehr zeigt er sich gerade in diesem Bau, der das Hauptwerk seines Lebens war, ebenso selbständig

Abb. 232 Xeuer Bau zu Stuttgart

den Italienern gegenüber, wie er neben den Ausartungen seiner Zeit maßvoll er- scheint. Das Gebäude war jedenfalls zu den vorzüglichsten Werken der deutschen Renaissance zu rechnen.

Hier füge ich nach der oben erwähnten alten Beschreibung einiges über die berühmte ehemalige Grotte im fürstlichen Lustgarten bei, weil sie als Muster einer derartigen Anlage gelten kann. „Solches ist erstlich ein Gebäude, nach Ital. Arth, auf Toscanische Ordnung gebauet, welches hauptsächlich von ge- schliffenen Quaders in quadrat ausgeführt, 101 Schuh lang und 97 Schuh breit. Außen her bei der Haupt-Facciata, zeigen sich zwei Bavillons, worinnen commode gebrochene Treppen sich befinden, worauf man auf die obere und sehr plaisirliche Altanen gehet; Das gantze Gebäude ist von verspünt- und in Kütt gelegten Blatten beleget; Der Boden dieser Altanen ist rings herum mit Ballustraden und mit einer zierlichen Gallerie umfasset, worauf in specie gegen der fronte Statuen,

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

von alten Kaiser und Königen, und dazwischen sitzend- und liegende Löwen ein- getheilet seynd, welche samtliche Figuren vor Zeiten Wasser gespritzet, bei denen obern Ruh-Plätzen beeder Treppen 2 liegende Löwen, die denen entgegen kom- menden Personen das Wasser aus dem Maul spritzen und solche benetzen; Mitten auf dieser Altanen befindet sich ein sehr zierlicher Spring-Bronn; Vor diesem raagnifiquen Gebäu ein Vorhof, welchen von Quader eine Brust-Höhe Fassung umgiebet, worauf mühsame Trillages oder Vergitterungen von Eisen mit künst- hchen Schlosser-Arbeiten stehen, da dann bei dem Eintritt solches Vorhofes ein groß Steinernes Oval-Bassin sich praesentiret, worinn auf einem Felsen von Dufft- steinen der Wasser-Gott Neptunus auf einem Meer-Fisch lieget, und in der einen Hand die ihme zugeeignete dreizinkichte Gabel hält, mit dem linken Arm aber auf ein Wasser-Gefäß sich steuret, woraus dann nicht nur Wasser aus seinem Mund sondern auch aus obgemeldeten drey Gabel-Zinken, und gemeldtem Gefäß spritzet, wie auch aus dem Rachen des Fisches worauf er liegt; Berührtes Bassin hat auf seiner Umschaalung allerhand Meer-Monstra, welche zugleich auf aller- hand Art Wasser von sich spritzen.

„Dieser Vorhof ist mit lauter flachen Kieselsteinen ausgepflästert, darzwischen durchaus verborgene Spritzwerk eingerichtet sind, welche über sich und einen verkehrten Regen praesentiren, so solches Wasser-Werk angelassen wird. Wann man dann durch ein Portal in das Hauptgebäude eintritt, so zeiget sich ein Per- spective; Da durch ein Spiegel ein Cascade und dabey befindliche Wasser-Fälle von einem Fach in das andere liebliche Spielungen machen, daß auch das Aug den Ursprung wegen der vermeinten Entfernung nicht wohl erreichen kann; Vor diesem gemeldten Perspective ist eine kleine Gallerte mit allerhand Vixir- Wasser eingerichtet, da innerhalb allerhand rares Sprizwasser zu sehen ; Auch seynd neben an denen Wandungen und vertiefften Niches allerhand singende Vögel, welche durch den, von Kunst gefangenen Wind, denen natürlichen Vögeln nachahmen, als Nachtigall, Kanarien- Vögel u. dergl., auch schreyet der Guguk denen Natür- lichen sehr gleich, wie auch ein wilder von Meer-Muscheln figurirter Mann auf einem Kupfernen Waldhorn bläset, welches weit zu hören; Und anderer Seiten ein Meer-Monstrum oder Meer-Mann von solchen Muscheln gemacht, welcher auf einer graden Trompeten sehr stark bläset, auch vornen her links und rechts zwei von kleinen Schnecken formirte Wasser-Enten, die das Wasser, so solches ihnen vorgehalten wird, an sich schlucken und ausspritzen; In diesem Gang worinnen man sich gleich bey dem Eintritt in der Mitte befindet, und obgemeldte Kunst- Stücke betrachten kan, seynd die Neben- Wandungen mit vielen von See-Muscheln gemachten Figuren geziert, und oben und unten an denen schmalen Seiten- Wandungen, Spiegel; Wenn man da hinein sehen will, so kommt vieles Spritz- Wasser mit Gewalt entgegen, und gestattet wenig Zutritt; Auch seynd hin und wieder vertiefte Niches, worinnen Figuren von Schnecken und Muscheln gemacht seynd, und auf allerhand Arth Wasser von sich spritzen.

„Aus solchem Gang wird man linker Hand in ein großes Gewölb geführet; Dieses ist mit Dufft- und allerhand Berg-Steinen ausgemacht, und befinden sich auch besondere Figuren nach der Natur bossiret und angestrichen hierinnen, als die Andromeda, an einen Felsen geschlossen, welche aus den Brüsten und andern Orthen mehr Wasser spritzet, ingleichem ein Drache oder Meer-Monstrum, welcher sich stellt, als ob er solche verschlingen wollte, wie dieser Drach auch in einem weiten Bogen das Wasser mit etwas Krachen auswirft.

„Unterhalb sitzet ein angekleidtes Frauenzimmer, welches vormals vor das Wahrzeichen gehalten worden, in einer Nische mit einen auf denen Armen liegenden Kind, welche dann das auf denen Armen liegende Kind auf- und ab- gautschet, als wenn sie solches einschläfern wollte, dadurch sich aber entblößet.

Stuttgart Lustgrotte

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und an verborgenem Orth stark Wasser über die gantze Weite des Gewölbes hinüber spritzet.

„In diesem Gewölb hat man sich über eine halbe Stunde aufzuhalten; Wenn die Wasser-Instrumenten gezeiget werden, welche Abwechslungs-weiß ver- wunderhche Figuren von Wasser auswerffen, als Schnee und Regen, Nebel, aller- hand Blumen, welche das Wasser pur allein aus solchen figuriret, umlauffende Kugeln in Jagden ; Ferner über sich steigende Kronen und Kugeln, wie auch sich natürliche Regen-Bogen präsentiren; Auch seynd darunter allerhand Wasser- Instrumenten, daß, (so man will) das Wasser in dem gantzen Gewölb kan herum gespritzet werden, welche zu dem Naßmachen dienen, so einem oder dem andern ein Kurtzweil angerichtet werden solle. Nebst diesem Gewölbe stund vor diesem eine Orgel in einer Vertieffung, welche das Wasser getrieben, und so lange die Wasser-Instrumenta präsentiret wurden, mit vielen Musikstücken alternativement solche gespielet hat. Von diesem Gewölb gehet man wieder zurück durch erst- gemeldten Gang, welcher nun völlig mit Kiesel- Stein besetzt, und aus dem Boden verborgene Spritz- Wasser, welche 7 bis 8 Schuh in die Höhe fahren, und dem Frauenzimmer zu sonderbarer Abkühlung dienen; Alsdann kommt man in das andere Gewölb, in der Größe dem obberührten Gewölbe gleich, welches durchaus mit figureusen Berg-Stein, Meer-Schnecken und Muscheln ausgeziert; Rechter Hand auf einem Felsen befindet sich eine Windmühl, die zwar durch das Wasser umgetrieben wird. Besser hin, in dem zweiten Eck stehet ein Jäger, auf Tyroler-Art gekleidet, welcher nach einem in der Lufft schwebenden Stein- Adler auf wundersame Art mit einem starken Knall, Feuer und Wasser zu- gleich schießet. Und solche Maschinen werden alle durch den Gewalt des Wassers getrieben."

Über die Ausführung dieses Grottenwerkes, des letzten Luxusbaues vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, findet sich im Staatsarchiv zu Stuttgart ein überreiches urkundliches Material. Ich hebe nur das Wichtigste heraus. Herzog Johann Friedrich hatte zu dem Unternehmen, das ihm sehr am Herzen lag, den Niederländer Gerhard Philippi verschrieben, dessen Bestallungsbrief vom 1. Mai 1613 datiert. Sein Jahresgehalt, so lange er an dem Werke arbeiten würde, ward auf 1000 fl., eine für jene Zeit sehr ansehnliche Summe, festgesetzt. Neben ihm wird Esaias van der Hulst, also ebenfalls ein Niederländer, aber in unter- geordneter Stellung, erwähnt. Nun traf sich's, daß der durch den Pfalzgrafen und den Fürsten von Anhalt empfohlene berühmte Ingenieur Salomon de Caus^ der den Heidelberger Garten, das Wunder der damaligen Zeit, angelegt hatte, nach Stuttgart kam und vom Herzog wegen des Grottenbaues zu Rat gezogen wurde. Bei Hofe scheint er solchen Eindruck gemacht zu haben, daß in einem Erlaß vom 4. März 1614 die beiden bereits angestellten Architekten angewiesen wurden, sich mit de Gaus in Verbindung zu setzen und ihm ihr Modell zur Be- gutachtung vorzulegen. Schon am 2. April desselben Jahres ist sogar von einem Modell des de Gaus die Rede, nach welchem jene sich richten und den Bau in Angriff nehmen sollen. Darüber große Entrüstung von selten Phihppis, der sich wieder- holt beschwert, welches Herzeleid ihm solche Zumutung gemacht. Es kommt schließlich dahin, daß von de Gaus nicht mehr die Rede ist, daß unterm 14. Fe- bruar 1616 eine neue Bestallung für Phihppi ausgefertigt wird, unter der aus- drücklichen Zusicherung, nur nach seinem Modell solle die Grotte mit ihrem „artificium und Kunstwerkh" ausgeführt werden. Mit wie vornehmen Ansprüchen gegenüber den schhchten einheimischen Meistern die fremden Künstler auftraten, ersehen wir daraus, daß Philippis Gehalt auf 1050 fl. erhöht und ihm „sämtUche Privilegien der Adelspersonen" bewiüigt werden. Der Bau selbst erfordeite nach dem Anschlag jährlich 5099 fl.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Nordwestlich vom Alten Schlosse zieht sich die Alte Kanzlei hin, ein langes einflügeliges Gebäude, anspruchslos in Bruchsteinen aufgeführt Es ist in zwei Absätzen entstanden, und eine schöne Inschrift am westlichen Portal der Südseite berichtet, daß Herzog Ulrich 1543 den Bau begonnen, Herzog Christoph 1566 ihn erweitert, der Administrator Friedrich Karl sodann unter Herzog Eber- hard Ludwig ihn nach einem Brande von 1684 wieder hergestellt habe. Der ältere Teil ist der östliche, dem Schloß benachbarte und um ein Geschoß den nur zweistöckigen Anbau überragend, gegen diesen mit einem abgetreppten Giebel abgeschlossen, der in seinen kräftig ausladenden Gesimsen vielleicht die Hand Schickhardts erkennen läßt. Beide Teile sind indes zu einer einzigen Anlage verschmolzen, auch in der technischen Behandlung ohne jeden Unterschied, Ist die Nordfassade gegen den jetzigen Schloßplatz völlig schmucklos, so erhält die Südfassade gegen den Alten Schloßplatz und die Stiftskirche durch zwei runde Treppentürme, die jedoch nicht aus der Fassade vortreten und nur durch ihr Auf- ragen aus dem Dach sich bemerklich machen, sowie durch zwei Portale ein malerisches Gepräge. Von den beiden Portalen ist das östliche, dem Schloß zu- nächst liegende das ältere; es trägt die Formen der Frührenaissance und dürfte seinem künstlerischen Charakter nach auf den Ausgang der Regierung Herzog Ulrichs zurückgeführt werden. Sehr kurze Pilaster auf ebenfalls kurzen Sockeln, mit frei korinthisierenden Kapitellen, deren Laubwerk an die Arbeiten im Hof des Schlosses zu Tübingen erinnert, am eingerahmten Schaft Medaillons mit Kriegerköpfen, fassen den im Stichbogen überwölbten Eingang ein. Darüber eine Attika mit ionischen Rahmenpilastern, zwischen diesen kräftig und einfach das württembergische Wappen. Auf einem Spruchband liest man die Inschrift: V. D. M. L E. (Verbum domini manet in eternum), den bekannten Wahlspruch Herzog Ulrichs. Daneben sieht man im FlachreHef jederseits einen Hirsch, einmal stehend, einmal liegend in einer Landschaft.

Das andere westlich gelegene Portal trägt die Merkmale der ausgebildeten Renaissance und wird gleichzeitig mit dem oben erwähnten Giebel entstanden sein. Hier haben die Formen die völlig entwickelte antike Behandlung, die kanneherten Pilaster mit gedrückten Komposita-Kapitellen sind schlank und ohne Postamente. Der Bogen des Portals bildet einen vollständigen Halbkreis über einem klassisch geformten Känipfergesims ; der Schlußstein ist mit einem kraft- vollen, leider stark zerstörten Männerbrustljild geschmückt. Erwähnenswert am Äußern sind noch die trefflichen alten Wasserspeier mit ihren reich gearbeiteten schmiedeeisernen Stangen.

Das Gebäude, das lange Zeit die Regierungsbehörden des Landes aufnahm, ist jetzt hauptsächlich der Bau- und Gartendirektion sowie Dienstwohnungen eingeräumt und hat an der östlichen Seite die neu hergestellte Hofapotheke. Im Innern münden beide Portale auf breit angelegte, mit gotischen Netzgewölben versehene Flure. Von diesen gelangt man in die beiden Treppentürme, deren Spindeln spätgotische Riefelungen zeigen; ihren oberen Abschluß macht ein schönes Sterngewölbe auf Laubkonsolen. Auch im Hauptgeschoß hat der breite Flur ein treffliches gotisches Netzgewölbe von sehr flacher Spannung mit Laub- werk und figürlichem Schmuck an den Schlußsteinen. Der Flachbogen, der sich gegen die Zimmerflucht öffnet, und dessen abgefaste Ecken in kleine Voluten enden, ruht auf einer Wandsäule im Charakter der Frührenaissance reich und lebendig gestaltet. Ihr Kapitell erinnert in freier Umbildung des fast noch gotischen Laubwerks an die korinthische Form, der Schaft ist schräg kanneliert, nach unten ausgebaucht und mit demselben gezackten Blattwerk bekleidet. Dann folgt ein hoher zylinderförmiger Untersatz, wie ihn auch die Säulen im

1) Abgeb. in Dollingers Eeiseskizzen XI. 6.

Stuttgart Alte Kanzlei

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Hof des Alten Schlosses zeigen. Diese Teile haben in den For- men ganz unverkennbare Ver- wandtschaft mit ähnlichen im Schloß zu Tübingen. Sie deu- ten auf dieselben Baumeister und denselben Bauherrn, als den wir für diese Teile den Herzog Ulrich ansehen müssen. Die Gemächer im zweiten Stock enthalten mehrere gute Stuck- decken in den derben üppigen Formen des 17. Jahrhunderts. Ein großes Zimmer dagegen hat noch eine ältere Täfelung in ein- fachen Formen, die Türen sind mit eingelegter Arbeit und gu- tem Schlosserwerk ausgestattet.

Zu den späteren unter Herzog Friedrich I. entstande- nen Zusätzen gehört an der Nordostecke des Baues die statt- liche Wendeltreppe in Form einer kolossalen dorischen Säule. Über dem prächtigen Kapitell, das wir oben (Abb. 114) ge- geben haben, befand sich einst ein kleiner turmähnlicher vier- eckiger Aufsatz mit Steindach und Fenstern an den Seiten, ebenfalls reichen Schmuck tra- gend. Das Ganze hatte Wendel Dietterlein 1599 entworfen. Es wird als Wasserturm bezeichnet vielleicht nicht mit Recht. Leider ist der obere Abschluß jetzt modernisiert.

Im rechten Winkel mit der Alten Kanzlei, den Platz von der Westseite abschließend, erhebt sich der Prinzenbau. Eine Inschrift über dem Portal berichtet, daß HerzogFriedrichl. von 1605 07 den Bau errichtet, Eberhard III. ihn vergrößert und der Administrator Friedrich Karl unter Herzog Eberhard Ludwig ihn 1663—78 neu hergestellt habe. Dies ist jenes bei Schick- hardt erwähnte letzte Werk des Meisters, das, als glänzender Prachtbau entworfen, damals in den Fundamenten stecken blieb. Die Fassade zeigt die Formen der Spätzeit, aber in besonders strenger Behandlung. Die Stockwerke sind niedrig

Abb. 233 Konsole auf der Königstraße zu Stuttgart

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

und erhalten durch Pilaster in den drei antiken Ordnungen eine angemessene Gliederung; die Fenster haben im Erdgeschoß den Rundbogen, in den beiden oberen Stockwerken rechtwinklige Umrahmung, darin je zwei gekuppelte Fenster; das Portal ist mit doppelten korinthischen Säulen und einem antiken Giebel umrahmt. Über ihm erhebt sich ein Balkon auf kraftvollen plastisch geschmückten Konsolen.

Man nimmt an, daß auch der späteren Aus- führung noch ungefähr der Schickhardtsche Plan zugrunde liege.

Allen diesen gediegenen und zum Teil pracht- vollen Schöpfungen gegenüber ist es überraschend, wie dürftig das Bürgertum in Stuttgart sich ar- chitektonisch ausgeprägt hat. Rings umgeben vom schönsten Sandstein in unerschöpflich rei- chen Lagern, hat der bürgerliche Wohnhausbau bis in die Gegenwart überwiegend am Holzbau festgehalten, und zwar in einer Weise, welche die künstlerische Ausbildung des Fachwerkbaues gänzlich vernachlässigt und ihn durch charakter- losen Putz zu verdecken sucht. Selbst das Rat- haus war ein ziemlich wertloses Produkt dieser Richtung. Ein paar andere hohe Giebelhäuser am Marktplatz haben wenigstens durch Erker ein belebteres und stattlicheres Gepräge erhalten. Von diesen ist das jetzt mit Nr. 5 bezeichnete be- deutungsvoll durch einfache und doch wirkungs- volle Komposition, durch reiche Balkons, Altane und drei hoch aufgebaute Erker mit Spitzdächern von malerischer Wirkung.') Ans Schickhardts In- ventar geht hervor, daß es derselbe Bau ist, den er mit Ausnahme des ältern noch gotischen Erd- geschosses 1614 für Christoph Keller ausgeführt hat. Im übrigen trägt alles selbst in der nord- westlich von der alten Stadt gelegenen Turnier- ackervorstadt, in welcher man um 1615 „die lustigsten Straßen, schönsten Häuser und reichsten - Leute" fand, und die man dann die reiche Vor-

IbÄi !Z! TZ1 IB||j|'rT:T ~ Stadt nannte, durchweg denselben dürftigen Cha- ..».'iliüfff .-=^i^il™'l'*- " rakter des schlichtesten Riegelbaues. Nur einige

Abb. 234 Turm der Kirche zu Cannstatt der ansehnhcheren Häuser, deren Erdgeschoß

massiv errichtet ist, zeigen eine Spur künstle- rischer Ausstattung in den oft prächtig aus- geführten Steinkonsolen, die an den Ecken über dem Erdgeschoß die oberen Stockwerke aufnehmen. Das beste Beispiel dieser Art ist die in Abb. 233 ab- gebildete Konsole am Eckhaus der Königstraße gegen die Planie. Einige andere finden sich noch in verschiedenen Straßen der reichen Vorstadt, namentlich in der Büchsenstraße, wo mehreres auf Schickhardt hinweist, in der Garten-, Galwer-, Kanzleistraße und anderwärts. Eine prächtige Konsole mit ausdrucksvollem männ- 1) Abgeb. in Dollingers Reiseskizzen X. 4.

Cannstatt

347

liehen Kopfe vom Jahre 1605 an der Ecke der Kirchstraße und Engen Gasse. Endlich ist noch das einstige originelle Geländer einer Terrasse in der Schulstraße zu er- wähnen, welches wir in Abb. 128 gegeben haben.

Das benachbarte Cannstatt'), schon in der Römerzeit durch seine warmen Quellen bekannt, zeigt einige bemerkens- werte Gebäude aus der späteren Epoche der Renaissance. Zunächst den von Schick- hardt erbauten Turm der Stadtkirche, ein- fach kräftig, besonders durch das elastisch eingezogene Dach mit seinen Er kertürmchen und der schlank abgeschlossenen Laterne malerisch wirkend (Abb. 234). Sodann wird das Mühlengebäude mit seinem ab- getreppten Giebel und den kraftvollen Ge- simsen für ein Werk desselben Architekten ausgegeben.^) Da Schickhardt aber in sei- nem Inventar keine Erwähnung davon tut, so ist hier eher die Hand eines seiner Zeit- genossen zu erkennen. Gleiche Behandlung zeigt ein Haus in der Vorstadt jenseits des Neckars. Dagegen gehört das in Abb. 235 abgebildete kleinere Privathaus in der Haupt- straße zu den charakteristischen Werken der deutschen Renaissance, in welchen go- tische Anlage und Profilbildung mit den Formen des neuen Stiles sich anziehend n Man liest über der Haustür: „Fercht Got

Abi). 235 Haus in Caiinslatt

;en. Es trägt den Stil Georg BeJirs. handle recht. 1593".

Die Reichsstädte

In den Gegenden am unteren Neckar, welche dem Fränkischen benachbart sind, tritt die Einwirkung eines mächtigen Fürstentums zurück, und die Ent- wicklung der Architektur dieser Zeit ist vorwiegend in den Händen städtischer Gemeinwesen. In einzelnen Fällen kommen auch adehge Schloßbauten vor. Die bedeutendste Blüte finden wir um diese Zeit in der alten ansehnlichen Reichs- stadt Heilbronn. ^ Schon früher wurde erwähnt, daß der Oberbau des Haupt- turms der Kilianskirche eins der frühesten Werke der deutschen Renaissance ist (Abb. 236). In origineller Weise hat der ausführende Baumeister dabei auf die Formen der großen romanischen Kuppeltürme zurückgegriffen, deren phan- tastische Bildwerke sogar eine freie Nachahmung erfahren haben. Nahe Ver- wandtschaft bietet besonders der große westUche Turm des Doms zu Mainz, der in ähnlicher Weise mit mehreren Galerien über verjüngten achteckigen Geschossen ausgeführt ist. Als Architekt nennt sich in einer Inschrift am Baue Meister Hans Schtveiner von Weinsberg; die Ausführung des Werkes geschah in den Jahren

1) Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Neckarkreis, Inven- tar und Atlas.

2) Dollinger, Reiseskizzen X. 3.

3) Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Neckarkreis, Inven- tar und Atlas.

348

2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

1513—29.1) ZweiJahrevor der Vollendung wurde in Heilbronn die Reformation eingeführt und in der Kilians- kirche das Abendmahl unter beiderlei Gestalt ausgeteilt. Die nächste Zeit brachte schwere Schicksale über die glaubensmutige Stadt, die mit Entschiedenheit dem schmalkaldischen Bunde bei- getreten war. Trotz eines

Salvaguardiabriefes vom Herzog Alba wurde die fried- liche Stadt 1548 durch die spanische Soldateska scho- nungslos geplündert, die Kilianskirche mit Gewalt er- brochen und dem katholi- schen Gottesdienst überwie- sen. Von den starken Brand- schatzungen dieser Zeit er- holte Heilbronn sich nur langsam, und erst die letzten Dezennien des 16. Jahrhun- derts bezeugen durch meh- rere stattliche Bauten neue Blüte. Dieser Zeit gehört das meiste an, was in Heil- bronn von Bauten unserer Epoche nachzuweisen ist.

Vor allem das Rathaus (Abb. 237), ein charakter- voller und zugleich male- rischer Bau in den kräftigen Formen der entwickelten Renaissance. Nach einem Brande des Jahres 1535 be- gann man den Neubau in Formen zum Teil noch aus dem Bereich der Gotik. Es ist ein breiter, zweistöckiger Bau mit hohem, abgewalm- tem Dache, über dem sich ein Glockentürmchen mit Kuppeldach erhebt. Die Fenster sind in beiden Geschossen rechtwinklig, mit gotischem Kehlenprofil und steinernem Pfosten. Auf kurzen ionischen Säulen ist in der ganzen Breite der Fassade dem niedrigen Erdgeschoß eine gewölbte Vorhalle vorgelegt ; sie trägt eine mit reicher Balustrade in ausgebildeten Renaissanceformen eingefaßte Galerie,

1) Das Geschichtliche bei H. Titot, Beschr. der Gesch. der evangel. Hauptkirche zu Heil- bronn. 1833. Kunstdenkm. in Württemberg, Neckarkreis, p. 250. Auf das letztgenannte AVerk als Quelle sei bezüglich des Näheren der nachfolgenden Besprechungen überhaupt hin- gewiesen.

Abb. 236 Turm der Kiliaiiskirche zu Hcilbronu

Heilbronn

349

zu der eine doppelte Freitreppe emporführt. An der Brüstung der Vorhalle sind die vier Kardinaltugenden und anderes Figürliche angebracht; über dem mittleren Fenster des Hauptgeschosses sieht man den bärtigen Kopf des Baumeisters, eine tüchtige Figur. Von dem Podest der Freitreppe tritt man durch zwei einfache Türen in das Hauptgeschoß. In der Vorhalle finden wir eine kolossale steinerne Bank aus einem einzigen Sandsteinblock, eine ähnliche Bank von 7 Metern nimmt die ganze Länge des oberen Treppenpodestes ein. Auf den Ecken der Brüstung

Abb. 237 Rathaus zu Heilbronn (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

stehen zwei Ritterfiguren unter schlanken gotischen Baldachinen mit hohen Fialen, wahrscheinlich vom früheren Bau herrührend; auch das Wappen der Stadt mit dem Reichsadler, am oberen Geschoß, zeigt gotische Einfassung. Dagegen ist das bemalte und vergoldete doppelte Zifferblatt für die berühmte Kunstuhr mit dem krähenden Hahne in der Mitte der Fassade von einem prächtigen Renais- sancerahmen eingefaßt, der mit seinem reichen Aufbau und lustiger Giebelkrönung sich als selbständiger Erker mit kleinem Giebeldach aus dem hohen Walmdach vorbaut. Dieser ganze Aufbau gehört gleich der Freitreppe und der Vorhalle erst den Jahren 1579—82 an.i)

Im Innern besteht das Erdgeschoß aus einem großen Gewölbe, zur Auf- nahme von Warenlagern und der Stadtwage bestimmt. Im Hauptgeschoß ist, wie in allen Rathäusern der Zeit, ein geräumiger Vorsaal angeordnet, mit Balkendecke,

1) Abbild, in Dollingers Reiseskizzen IV. 3.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

von mächtigen achteckigen Holzpfeilern gestützt; sodann ein Zimmer, dessen einfache rippenlose Kreuzgewölbe auf zwei elegant kannelierten korinthischen Säulen ruhen; ihre Basis ist mit Engelköpfen und Kartuschenwerk geschmückt. Die Türeinfassung und die Wandbekleidung mit ihren Schränken zeigt gut be- handelte dorische Pilaster und Triglyphenfriese, alles aus der Spätzeit des Jahr- hunderts. Derselben Epoche gehört ein Zimmer im zweiten Stock mit tüchtig gearbeiteter Kassettendecke auf Konsolen und der Jahreszahl 1596. Damals ist das Rathaus offenbar einem durchgreifenden Umbau unterworfen worden, denn 1593 liest man an dem kräftig und elegant ausgeführten Erkergiebel am Hinter- gebäude. Die beiden Porträtmedaillons daran sind bemalt, die Pilaster elegant gequadert, die Spitze trägt auffallenderweise eine gotische Fiale; darunter sieht man einen kräftig behandelten bärtigen Kopf, wahrscheinlich das Porträt des Bau- meisters. Derbe Schnecken und geschweifte Glieder bilden den Umriß dieses originellen Giebels.

Um dieselbe Zeit wurde in dem einspringenden Winkel rechts neben dem Rathaus ein neuer Giebelbau angebaut, in ähnhcher Weise mit Voluten ge- schmückt, aber statt der Pilaster mit schlanken korinthischen Halbsäulen ge- gliedert, die Ecken und die Spitze mit schlanken feinen Pyramiden besetzt; das Ganze ein Werk von großer Eleganz. Auch das stattliche Bogenportal mit seinen verjüngten Pilastern und dem reichen Rollwerkschmuck zeigt dieselbe Feinheit. Derber ist dagegen die Fassade des danebenliegenden Oberamtsgebäudes, das ehemals das Syndikat der Stadt enthielt. Stämmige Pilaster, breit gezogene Voluten und kurze Pyramiden auf den Ecken schmücken den Giebel, aber alle diese Formen stehen unter sich wieder in wohlberechneter Harmonie, so daß hier der Eindruck solider Kraft ebenso bestimmt erreicht ist, wie an dem Giebel nebenan zierhche Schlankheit. Der Bau gehört jedenfalls erst dem Ende des 16. oder dem Anfang des 17. Jahrhunderts an. Dieselbe Derbheit der Formen, aber wieder in anderer Umbildung, zeigte der Giebel des gleichzeitig erbauten, kürzlich ab- gebrochenen Katharinenspitals, welcher in Abb. 238 abgebildet ist, der üb- rigens genau übereinstimmt mit zwei Giebeln auf den alten Abteigebäuden des ganz nahen Klosters Schöntal; an dieser Stelle sei gleich der kraftvolle, im rechten Winkel neben der Abtei stehende Wohnbau der Äbte, offenbar von einem Heil- bronner Meister erbaut, gerühmt. Sein prächtiger Giebel über dem Eingang von 1617 und der achteckige Torturm von 1621 ist noch besonders hervorzuheben, sowie im Innern im Obergeschoß ein reich geschnitztes, leider stark beschädigtes Holzportal.

Von den übrigen Heilbronner Bauten dieser Zeit ist die Fleischhalle^) ein gediegenes, gleichfalls in solidem Quaderbau ausgeführtes Werk von 1600. Der Bau bildet unten eine zweischiffige offene Halle mit Stichbögen auf kräftigen dorischen Säulen, sechs Arkaden an den Langseiten, zwei an den Schmalseiten. Auf den Ecken ruht die Mauer auf kräftigen Pfeilern, an deren Seiten Halbsäulen dem übrigen System entsprechen. Die Kapitelle dieser Halbsäulen sind mit geradezu genialen, wie eingeklemmten Zierbildhauereien, Menschen- und Löwenköpfen, eigentümlichen Pflanzen, Ornamenten, Muscheln u. dgl. geschmückt. Im Innern zieht sich der Länge nach eine Reihe von höl- zernen Stützen hin, um die Balken der Decke aufzunehmen. An der Rückseite links ist ein polygones Treppentürmchen angebaut, welches den Zugang zu dem oberen Stockwerk enthält. Das obere Geschoß hat gotisch gekehlte gruppierte Fenster mit geradem Schluß. Ein einfaches hohes Giebeldach, auf dem sich ein gotischer Dachreiter mit einer Glocke erhebt, schließt den Bau ab. An der öst- Hchen, der Stadt zugewendeten Seite ist zwischen den Fenstern des oberen Ge-

1) Abgeb. in „Die Kunst- u. Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Neckarkreis".

Heilbronn 351

Schosses das Wappen der Stadt in überaus zierlicher Rollwerk-Umrahmung an- gebracht, von zwei Hermen mit verschlungenen Schlangenschwänzen gehalten. Das kleine Meisterwerk soll von dem großen Straßburger Architekten Hans Schock stammen, den wir ja schon dort und in Heidelberg als einen der stärksten deutschen Baumeister kennen gelernt haben.

Abb. 238 Giebel vom Katharinenspital zu Heilbronn

Der Frührenaissance gehört das turmartige hohe Eckhaus, als „Käthchen- haus" bekannt, an der linken Seite des Marktes, das mit seinen wenigen kleinen, zum Teil gekuppelten Fenstern und den seltsam geschweiften Pfeilern seines Giebels die spielende Willkür der beginnenden Renaissance erkennen läßt. Auf der Ecke ist ganz oben ein diagonal gestellter Erker auf zwei vorgeschobenen Bögen wunderlich genug herausgebaut. Der Erker ist ebenfalls mit geschweiften Säulchen und zwei Medaillonbrustbildern geschmückt. Etwas später datiert

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

das Deutschordenshaus dessen Gebäude eine malerisch wirk ende^ Gruppe um einen geschlossenen Hof bilden; an dem rückwärts im Hof liegenden Ge- bäude ist ein polygoner Erker in energischer Profilierung vorgekragt und mit 1566 bezeichnet. Früherer Art ist aber der danebenliegende Bau ^) mit stattlicher Freitreppe und rechtwinkligem Erker vom Jahre 1548, der durchschneidende Stäbe von gotischer Profilierung zeigt. Dazu ein abgetreppter Giebel und ein kräftig behandeltes Portal. Die Freitreppe mit ihrer Balustrade ist dagegen be- deutend jünger; doch sieht man an dem zu- rückliegenden Flügel ein Portal von 1550, gleichfalls mit gotisch sich durchschneiden- den Stäben. Die Wen- deltreppe dahinter ist ebenfalls noch mittel- alterlich in Form und Konstruktion.

Der Privatbau der Stadt hält sonst trotz des trefflichen Sand- steins der Umgebung während der ganzen Epoche am Fachwerk- bau fest, und nur das Erdgeschoß pflegt in Stein aufgeführt zu sein. Dabei kommen dann oft hübsche Kon- solen alsUnterstützung der oberen Stockwerke vor.

Hier möge eins der originellstenBauwerke der Renaissance an- geschlossen werden, obwohl es nicht zu den städtischen Gebäuden zählt. Südlich von Heilbronn, unweit Be- sigheim, liegt das Schloß von Lieben- stein, ein malerischer staffelgegieb elter Bau mit kurzen vorspringenden Flügeln neben dem Tor und Treppenturm; diese Giebel Fachwerk, darunter reizvolle Hallen mit reichem Maßwerk. Daneben aber die Schloßkapelle, ein Prachtstück vom Ende des Jahrhunderts, am Chorgewölbe mit der Jahreszahl 1590 bezeichnet (Abb. 239). Wie an den meisten kirchlichen Bauten der Zeit mischt sich dabei die Renaissance mit gotischen Formen und Konstruktionen. Der Bau bildet ein Rechteck; seine sechs Kreuzgewölbe werden durch zwei korinthische Säulen ge- tragen. Die Gewölbe mit gotisch profilierten Rippen und reich geschmückten

1) Abgeb. in „Die Kunst- u. Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Neckarkreis".

2) Abbild, in Dollingers Eeiseskizzen I, 2.

Abb. 239 Schloßkapelle zu Liebenstein (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Kenaissance)

Liebenstein Gmünd

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Schlußsteinen, an den Wänden auf Konsolen mit Brustbildern ruhend ; der Chor, über dem ein achteckiger Turm aufsteigt, polygon geschlossen und ebenfalls mit einem Rippengewölbe versehen. An seinem Schlußstein zeigt sich die oben er- wähnte Jahreszahl, das Wappen der Familie und die Inschrift : „Albrecht, Johann, Philipp, Ravan, Conrad alle von Liebenstein". An der Südseite ist eine Empore auf Gewölben über zwei korinthischen Säulen ein- gebaut; die Kanzel ruht auf reichem Kandelaber. Die Fenster der Kirche sind spitzbogig und mit gotischem Maßwerk ver- sehen. Mittelalterlich ist auch die reiche Polychro- mie, in welcher die pla- stischen Details durch- geführt sind. Die größte Pracht entfaltet aber die Fassade, nicht bloß an den beiden Portalen, son- dern auch an dem mit Hermen und Halbsäulen, mit Konsolen, Schnecken und aufgesetzten Pyrami- den überreich geschmück- ten Giebel ein wahres Prunkstück unserer be- sten Renaissance. Die Ornamentik zeigt durch- aus die charakteristische Schweif- und Kartusch- verzierung der Schule Georg Beers und des neuen Lusthauses, wes- halb man den Bau dem genannten Meister zu- schreibt. Die Fenster be- sitzen freilich noch go- tische Kielbögen.

Weiter ist hier Gmünd^) anzuschließen, dessen Renaissancewerke freilich keinen Vergleich mit den bedeutenden Schöpfungen der mittel- alterlichen Kunst an der romanischen Johannis- kirche und der gotischen Kirche zum Heiligen Kreuz aushalten. Dennoch spricht sich das reiche gewerbliche Leben der Stadt und ihr großartiger Handel, der da- mals schon bis nach Lissabon und Konstantinopel reichte, in einigen stattlichen

1) Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Neckarkreis, Inventar und Atlas.

Abb. 240 Rathaus zu Eßlingen a. N. (Nach Phot. H. Mezger, Eßlingen)

L übk e- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl.

23

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Bauwerken aus.-^) Dahin gehört namentlich die sog. S chmalz- grube oder der Königsbronner Hof bei der Franziskanerkirche, ein stattliches, in massivem Quaderbau ausgeführtes Ge- bäude. Das Erdgeschoß, in treff- licher Rustika errichtet, hat zwei Bogenzugänge, dazwischen ein Portal, das nach oben führt und besonders reich geschmückt ist. Über ihm das Wappen der Stadt mit einer großen Inschrifttafel und der Jahreszahl 1589. Im Innern hat das Erdgeschoß kräf- tige Wölbungen, das obere ent- hält einen großen Saal, dessen Holzdecke in der Mitte auf fünf schönen Säulen aus Eichenholz ruht. Der Bau datiert vom Jahre 1591.

Ein stattlicher Holzbau aus früherer Zeit ist das 1507 er- richtete Kornhaus, in Kon- struktion und Formbildung je- doch noch ganz mittelalterlich. Mehrere ältere Gebäude gehören zu dem im Hauptbau modernen Heiligengeistspital, so das alte Amthaus mit steiner- nem Erdgeschoß und trefflichem Balkenwerk vom Jahre 1495.

Abb. 241 Reimlinger Tor zu NördHngen ^..^^^.^^ daranstoßenden

Gebäude besitzt die sogenannte Uhrstube ein schönes Täfelwerk und zwei stattliche Renaissancetüren von 1596. Eine Holzsäule mit Schnitzwerk in demselben späten Stil mit der Jahreszahl 1611 sieht man in dem altertümlichen Hintergebäude des Gasthofs zum Mohren. End- lich ist noch der elegante Brunnen am Chor der Heiligenkreuzkirche mit dem Datum 1604 (Abb. 112) hervorzuheben. In dieser Kirche ein schönes Ghorgestühl mit Pilastern und eingelegten Feldern.

Eßlingen^), das durch eine Anzahl bedeutender gotischer Kirchenbauten, namentlich die prächtige Frauenkirche, sowie durch mehrere wohlerhaltene Stadt- tore seinen mittelalterlichen Charakter trotz lebhafter moderner Industrietätig- keit zu wahren gewußt hat, ist hier wegen seines vorzüglichen alten Rathauses zu erwähnen (Abb. 240). Es war hier ein Fachwerkbau des 15. Jahrhunderts vor- handen, dessen Marktplatzgiebel Heinrich Schickhardt seit 1586 völlig umbaute. Er setzte da einen steinernen Unterbau vor und erhöhte diesen ganzen Teil um ein weiteres Stockwerk, verputzte das Ganze und setzte darauf einen prächtig lebendigen Giebel, den er 1590 durch das reizvollste luftige doppelgeschossige

1) Das Historische in der Beschr. des Oberamts Gmünd. Stuttgart 1870.

2) Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Neckarkreis, Inventar und Atlas. Schüz, Eßlingen a. N. Eßlingen 1908, Paul Neff Verlag (Max Schreiber).

Eßlingen Nördlingen

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Glockentürmchen bekrönte, nach- dem Jakob Dkm aus Tübingen 1586—89 diesen Giebel mit der prächtigen Kunstuhr geschmückt. Innen aber versah er den vor- deren Teil, die „Brotlaube", nicht nur mit Täfelung, Portalen u. dgl., sondern wölbte sogar dessen hin- tere Hälfte, den Vorraum, im zweiten Obergeschosse auf prächtigen Stucksäulen mit Netz- gewölben ein, was die gewaltige alte Holzkonstruktion der zwei Untergeschosse ohne jede Ein- buße bis heute getragen hat. Es ist eine der prächtig-malerische- sten Rathaus-Erscheinungen Süd- deutschlands und zugleich eine der merkwürdigsten technischen Leistungen jener Zeit.^)

Außerdem findetman mehr- fach die in diesen Gegenden üb- lichen Wohnhäuser, über deren in Quadern aufgeführtem Erdge- schoß mit kräftig ausgebildeten Steinkonsolen sich die Fachwerk- obergeschosse erheben. Ein schö- nes Beispiel, zugleich durch eine kunstvoll geschnitzte, in den Formen der Spätrenaissance be- handelte Haustüre ausgezeichnet, bietet der ehemalige Speirer Zehnthof mit seiner prächtigen gebrochenen Ecke und anderen

Steinauskragungen, die das Fachwerk tragen. Ein feines durchgestecktes Gitter neben der Haustüre. Diese Bauteile sollen von Wendel Dietterlein herrühren.^)

Das altertümhche Nördlingen hat aus der Renaissancezeit nicht viel aufzuweisen, doch zeigt es in den wohlerhaltenen Stadtmauern mehrere Tore aus dieser Epoche. So namentlich das Löpsinger Tor (Abb. 242): der viereckige Unterbau durch einen runden Turm mit Kuppelhaube gekrönt, im Innern ein Tonnengewölbe mit einfacher Kassettierung und daran ein Kreuzgewölbe mit herabhängendem Schlußstein, Ende des 16. Jahrhunderts von Wolf Waldherger er- baut. Ähnlich prächtig das ReimlingerTor (Abb. 241). Durchaus mittelalterhch ist noch das Schulhaus, ein mächtiger hoher Giebelbau, mit der Jahreszahl 1513.

Ungefähr aus derselben Zeit wird das Rathaus stammen, dessen Saal 1515 von Hans Schätcffelein das treffliche Wandgemälde der Belagerung von Bethulia mit der Geschichte der Judith und des Holofernes erhielt. An der Süd- seite ist ein gotischer Erker polygen auf einem Gewölbe mit verschlungenen Rippen angebaut. Im übrigen ist das Gebäude sehr einfach, und erst im Anfang des 17. Jahrhunderts legte man der Ostseite die elegante Freitreppe vor, die

1) Abbild, in Dollingers Eeiseskizzen VII, 3.

2) In Dollingers Eeiseskizzen II, 3.

Abb. 242 Löpsinger Tor zu Nördlingen. (Aufnahme der Neuen Phot. Gesellschaft, Steglitz)

356

2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

trotz dieser späten Zeit in ihren Renaissanceformen starke Beimischung von gotischen Elementen zeigt (Abb. 243). Schon das Portal, obwohl im Rund- bogen geschlossen und mit kräftigem Eierstab eingefaßt, hat ein noch mittel- alterlich komponiertes kleeblattförmiges Tympanon, von durchschneidenden go- tischen Stäben eingefaßt. Man sieht darin das Wappen der Stadt, von einem Engel gehalten und von zwei Löwen bewacht, gut in den Raum komponiert. An der vorderen Ecke des Vorbaues ist eine kräftige, teilweis kannelierte Rund- säule angebracht, darauf ein sitzender Löwe mit dem Wappen der Stadt. Ähn- liche Rundsäulen wiederholen sich in bestimmten Abständen an den übrigen Teilen des Treppenhauses und geben ihm eine lebendige Gliederung. An dem

aufsteigenden Treppen- geländer sind die einzel- nen Felder mit antikisie- rendem Eierstab elegant eingefaßt, aber mit go- tischem Maßwerk und zwar Fischblasenmustern durchbrochen. Darunter zieht sich ein Flächen- ornament, ebenfalls aus spätgotischen Maßwerken zusammengesetzt. Dazu kommen noch kleine Fen- steröffnungen, mit Eier- stab umrahmt, aber mit gotischem Vierpaß ausge- füllt. Das Ganze gehört zu den eigentümlichsten und elegantesten Schöp- fungen der Zeit und ver- diente wohl eine genauere Aufnahme. In dem ein- springenden Winkel des Vorbaues sieht man das Reliefbrustbild eines Man- nes, mit schellenbesetzter Gugel bekleidet, dabei die Jahreszahl 1618. An den oberen Flächen und an der letzten Säule, wo ein Steinmetz- zeichen zwischen den Buchstaben W. W. sich findet, Flächenornamente nach Art von Metallbeschlägen. Neben dem Podest der Treppe, die ziemlich steil in einem Lauf hinaufführt, erhebt sich der oben ins Achteck übergehende einfache Turm. Einige besonders charakteristische Denkmäler im Lande sind noch zu er- wähnen; es sei da zuerst genannt der herrliche schmiedeeiserne Lettner der Kirche zu Nürtingen; verbunden mit dem Altargitter zieht er in drei Bögen quer durch den Ghorbogen. Die Bögen in den Zwickeln mit Medaillons, Propheten- gestalten enthaltend, sind auf das prächtigste mit Gitterwerk gefüllt und tragen ein hölzernes Gebälk, das von reich durchbrochener Ornamentik bekrönt ist. Alles farbig und vergoldet. Die Wendeltreppe am Turm mit hohler Spindel und Kuppel- gewölbe ist ein Meisterwerk des Hans Hering von Mittelstadt.

Im Jagstkreis sind noch einige schöne Schlösser zu nennen, so Ober- sontheim, das von seiner schönen Ausstattung noch einen feinen Saal auf zwei Säulen mit Holzdecke besitzt, dann Morstein, wo neben dem alten

Abb. 243 ßathaustreppe zu Nördlingen (Aufnahme der Neuen Phot. G-esellschaft, Steglitz)

Langenburg Kottweil

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Bergfried 1571 der Hauptbau er- stand, dessen runder Eckturm einen reich skulpierten Umgang zeigt, sich als Galerie vor dem Giebel fortsetzend. Vor allem aber das Hohenlohesche Schloß Langenburg. Ein stolzes Bau- werk auf der Höhe, mit runden Ecktürmen, hat es in der Mitte der Südseite einen energischen Giebel zwischen zwei niedrigen viereckigen Türmen ; darunter den heutigen Eingang. Der Hof ist aller Seiten im ersten Stock mit reichen Galerien auf Kon- solen umgeben, auf der Süd- und Westseite darüber mit tiefen Hallen auf Säulen. Die Südost- ecke um den Treppenturm ge- hört mit zu den malerischsten und reichsten Partien der Art. Im Obergeschoß schöne Stuck- decken; der Südostturm ist 1621 als Kapelle eingerichtet, mit zwei Galerien ringsum, Kanzel dem Altar gegenüber. Der schöne Ausbau des Schlosses fällt in die Jahre 1595—1620 unter Philipp Ernst. Sein Baumeister hieß Jakoh Kauffmann aus Thüringen; auch Schickhardt war am Bau beteiligt. Der Ausbau kostete mehr als 50000 fl. In der Stadt- kirche sind eine Reihe Denk- mäler; das stattHchste ist das des genannten Philipp Ernst, freilich aus der Spätzeit, und erst 1680 aufgestellt, eine Tumba mit den liegenden Gestalten des Ehepaars, an der Lang- seite Schlachtenbilder und Wappen.

Reich ist auch in den Städten des Oberlandes die Ausbeute an Renais- sancewerken nicht. In Rottweil haben wir zunächst den stattlichen auf S. 203 abgebildeten Brunnen, ein originelles Werk, im schlanken pyramidalen Aufbau noch gotisch gedacht, aber mit geistreicher Erfindung durchaus in die Formen der Renaissance übertragen. Die kleinen unteren Pfeiler sind mit hübschen Flach- ornamenten bedeckt und tragen Statuetten von verschiedenen Tugenden. Ein- facher ist ein anderer Brunnen vom Jahre 1622, in herkömmlicher Weise nur aus einer stark verjüngten Säule mit wunderlichem, frei korinthisierendem Kapitell bestehend, das einen heihgen Christophorus trägt. Im noch ziemlich gotischen Rathause von 1521 ist ein schöner Saal mit Holzdecke in Felder mit Rosetten eingeteilt, eine zarte Täfelung mit feinen Pilastern und dazu passender Tür, noch halb gotisch. Eine malerisch wirksame Fassade mit zwei polygonen Erkern und dazwischen je zwei doppelteiligen, mit Pilastern eingefaßten Fenstern trägt die

Abb. 244 Ravensburger Tor zu Wangen

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2. Buch Die Bauwerte IX. Kapitel Schwaben

Inschrift: „Taddaeus Herderer Filius Gonsul reornavit". Die einzelnen Formen und Glieder sind indes sehr trocken und deuten auf eine mittelmäßige Hand. Im Innern der Häuser finden sich aber häufig malerische Fensterausbildungen mit freier Tragsäule in der Art, wie sie um den Bodensee häufig ist. Besonders reizvoll mit Renaissancesäule und Konsole hinter der reich durchbrochenen, zum Teil als Erker vorspringenden Fensterpartie. Dagegen sind im übrigen die breiten Straßen der Stadt nur durch ganz kunstlose Holzerker an den hohen Giebel- häusern malerisch belebt. Die Architektur zeigt Verwandtschaft mit der in den oberrheinischen Schweizerstädten, namentlich in Stein und Schaffhausen; vielleicht wurden die Fassaden ursprünglich auch wie dort mit Malereien geschmückt. In Wiesensteig ein origineller Brunnen, auf dessen Säule ein Elefant das Wappen hält. Aus den übrigen oberschwäbischen Städten haben wir einiges oben mit- geteilt; so in Abb. 115 ein Portal aus Biberach, zu dem sich noch ein elegant aufgebauter Brunnen 0 fügen läßt; auch hier malerische Putzbauten; die Stadttore sind von Interesse. Das schönste davon ist freilich abgebrochen: das Riedlinger Tor von 1564; auch das Ravensburger in Wangen (Abb. 244') ist eigenartig. Die Architektur hat dort in der Renaissancezeit sonst keine hervorragenden Werke geschaffen.^)

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Bedeutender entfaltet sich die Kunst der Renaissance erst in Ulm. Schon im Mittelalter war die Stadt sowohl durch vielseitige Gewerbstätigkeit, als aus- gedehnten Handel reich und mächtig.^) Ihre Manufakturen in Leinwand und Barchent waren weithin berühmt, und auch die Wollenweberei der Ulmer Grau- tuchner stand in Ansehen. Ulmer Schiffe gingen auf der Donau über Wien hinaus bis nach Pest, und so lange die Produkte des Orients den Weg über Venedig nahmen, war Ulm für den Nordwesten der wichtigste Vermittelungsplatz. Von der regen Tätigkeit und Vielseitigkeit des dortigen Verkehrs gewährt Ott Rulands Handelsbuch eine lebendige Anschauung, von den weiten Weltfahrten der Ulmer Bürger geben die Reisen Samuel Kiechels und Hans Ulrich Krafts nicht minder anziehenden Bericht.*) Im 16. Jahrhundert stand die Stadt in hoher Blüte; 1552 erhielt sie von Karl V. zu dem früher eingeschränkten Münzrecht das Privilegium, alle Gattungen goldner und silberner Münzen zu schlagen, und bald darauf (1558) ward ihr eine neue Verfassung verheben, in der neben dem aristokratischen Element auch die Zünfte und Gemeinden ihre Vertretung fanden. Ein reger Geist des Fortschrittes veranlaßte zeitig die Einführung der Reformation, die Studien wurden durch eine der frühesten Buchdruckereien Schwabens gefördert. Die künstlerische Entwicklung hebt in der gotischen Epoche mit dem Bau des ge- waltigen Münsters an und findet nicht bloß durch tüchtige Baumeister, sondern auch durch vorzügliche Plastiker, wie die beiden Syrlin, und durch ausgezeichnete Maler, wie Barthel Zeitblom und Martin Schaffner, mannigfaltige Ausbildung. Wenn auch der unglückliche Ausgang des Schmalkaldischen Krieges, zu welchem Ulm 1000 Mann stellte, der Stadt eine Buße von 235000 Gulden und von zwölf Stück Geschützen auferlegte, so war ihr Mut doch so wenig gebrochen, daß sie schon 1552 dem Bunde unter Kurfürst Moritz von Sachsen widerstehen und eine

1) Abbild, in Dollingers Eeiseskizzen VIII, 2.

2) Hier wie für die vorhergehend geschilderten Kunstwerke sei wiederholt auf die „Kunstdenkmale in Württemberg" verwiesen, in deren überreichem Schatze man das Einzelne dieser Baudenkmäler auch bildlich erschöpfend dargestellt findet.

3) Das Historische in der Beschr. des Oberamts Ulm. Stiittgart 1836. Vgl. Jäger, Schwab. Städtewesen. I. Bd. Ulm. Treffliche Aufnahmen von L. Theyer in Ortweins D. Ren. Lieif. 44. 94. 95. 107. 108.

4) Vgl. oben S. 15.

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Belagerung mit Erfolg zurückschlagen konnte. Daß auch für Werke des Friedens Mut und Mittel ihr keineswegs ausgegangen waren, beweist noch jetzt manch ansehnliches Bauwerk. Erst der Dreißigjährige Krieg, in dem die Stadt der evangelischen Union die größten Opfer brachte und die enorme Zahl von fast 10000 Mann zum Heere stellte, zerrüttete auch hier für lange Zeit den ganzen Wohlstand.

Abb. 245 Rathaus zu Ulm (Aus: Volkstümliche Kunst aus Schwaben)

Unter den öffentlichen Gebäuden nimmt das Rathaus die erste Stelle ein (Abb. 245). Es rührt größtenteils aus dem Mittelalter her, denn 1360 kommt es schon als „Kaufhaus" vor, wird 1370 vergrößert, dann aber seit 1500 bis 1540 abermals umgebaut und erweitert, wobei mehrere benachbarte Häuser abgebrochen werden. Der Kern des Baues gehört der Gotik, und auch im Äußeren sind die Spuren des Mittelalters zu erkennen. Die Fenster mit ihren breiten geschweiften Bögen an der südlichen und östlichen Seite sowie das runde Erkertürmchen, das

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

hier an der Ecke im oberen Stock herausgekragt ist, fallen in den Ausgang der gotischen Zeit. Die nach Osten liegende Hauptfassade hat dann aber nord- wärts eine Verlängerung erfahren, die durch zwei hohe Giebel in den Formen der Frührenaissance sich als Bau aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts er- weist. Die Ausbildung dieser beiden Giebel (Abb. 246) ist durchaus eigenartig: der gerade Giebelumriß erhält durch abgetreppte Pfeilerstellungen, in deren Zwischen- öffnungen ausgebauchte Säul- chen den Architrav mit sei- nem bogenförmigen Abschluß stützen, die zierhchste Durch- brechung und Belebung. Über dem südlichen dieser Giebel erhebt sich als Bekrönung ein kleiner übereck gestellter Glockenstuhl. Darunter be- findet sich die Uhr mit dem großen gemalten Zifferblatt, welches den Tierkreis enthält und die Bewegungen der Erde und des Mondes darstellt, 1580 von dem Straßburger Uhr- macher Isaak Hahrecht ange- fertigt oder wiederhergestellt. Im übrigen beweisen starke Spuren leider erloschener Ma- lereien, wie sehr der ganze sehr schlicht ausgeführte und mit Stuck bekleidete Bau durchaus auf farbige Deko- ration berechnet war. Beson- ders lassen sich noch be- trächtliche Reste einer aufge- malten Maßwerkgalerie unter den Fenstern des ersten Stok- kes erkennen. Ebenso hatten die Fenster des zweiten Stock- Abi).246 Giebel des Rathauses zu Ulm werks aufgemalte Krönungen

(Nach Fritsch, Denkmäler deutscher ßenaissance) yon Fialen Und Wimpergen,

während im übrigen die Flä- chen historische, wahrscheinlich biblische Darstellungen zeigten. An der Nordseite gegen eine enge Querstraße hin ist das Erdgeschoß mit flachen Bögen auf Rund- pfeilern durchbrochen, die noch in mittelalterlicher Weise mit achteckigem Fuß- gesims und Kapitell ausgestattet sind. Auch diese Fassade ist ganz bemalt ge- wesen; in den Bögen zwischen den unteren Fenstern erkennt man Spuren figuren- reicher Bilder, über den Arkaden zieht sich wieder eine breite Galerie von Fisch- blasenmustern hin, und oben sieht man große Baldachine, bei denen der Rundbogen vorherrscht, die Grundmotive indes vorwiegend gotisch sind, das Ganze noch in der Verstümmelung prächtig und phantasievoll. Merkwürdig ist an der Rückseite die erst 1625 ausgebaute Halle der städtischen Wage. Es ist ein imposanter Raum, auf zwei Reihen einfacher Säulen basilikenartig emporgeführt, das höhere Mittelschiff mit einem Tonnengewölbe, die Seitenschiffe mit einem Kreuzgewölbe bedeckt. Bei schlichter Behandlung der Formen wirkt das Ganze höchst bedeutend.

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Für die Datierung des älteren Baues ist die Jahreszahl 1539 an einem goti- schen Neb enpf Örtchen der Nordseite bezeichnend. Das Innere bietet nicht viel, die Treppe führt steil ansteigend zu einem kleinen Portal, das mit kindlich spielen- den Renaissanceformen dekoriert ist und ungefähr derselben Zeit angehört. Oben findet man wie bei allen damaligen deutschen Rathäusern den großen Vorplatz. Seine acht gotisch profilierten kräftigen Holzsäulen, mit mannigfachem Schnitzwerk ausgestattet, tragen in zwei Reihen die mächtigen, schon in Renaissanceformen profilierten Hauptbalken. Der Ratssaal ist unbedeutend, mit gotisch profilierter Holzdecke.

Die übrigen städtischen Bauten gehören dem Ende der Epoche an, in der sich gerade hier eine überaus bedeutende architektonische Tätigkeit entfaltete. So zunächst der N eu e B au^), jetzt dem königlichen Kameralamt dienend, ursprüng- lich die kaiserliche Pfalz, wo schon im Mittelalter bei Gelegenheit der häufigen Reichsversammlungen oder sonstiger Aufenthalte die Kaiser ihr Absteigequartier hatten, daher der Bau lange der Kaiser- oder Königshof hieß. Aus dem Mittel- alter herrührend, wurde er nach einem Brande seit 1587 in einfach derben Renais- sanceformen wieder hergestellt. In der etwas erhöhten Lage an der Blau, die unweit von dort in die Donau fließt, erkennt man noch jetzt den Platz der mittelalterlichen Pfalz. Es ist ein weitläufiges, massiv aus Backsteinen errichtetes Gebäude um einen unregelmäßigen fünfeckigen Hof. Das Hauptportal nach der Nordseite ist sehr plump mit schweren Diamantquadern eingefaßt. An der Südseite sieht man zwei große rundbogige Portale, an denen jedoch eine ge- schweifte spätgotische Spitze angedeutet ist, wie auch die Einfassung in Rund- stab und Kehle noch eine mittelalterliche Reminiszenz ist. Daneben links ein kleines Pförtchen mit flachem, spätgotischem Schweifbogen oder vielmehr Sturz, in ähnlicher Weise mit Rundstab und Kehle profiliert, aber eingefaßt mit kleinen dorisierenden Pflastern, in etwas roher und stumpfer Behandlung mit linearen Flachornamenten am Schaft ausgefüllt. Am Architrav sieht man die ver- schlungenen Buchstaben des Ulmer Meisters Claus Bauhof er sein Steinmetz- zeichen und die Jahreszahl 1588. Das Hauptportal ist mit 1587 bezeichnet. Der wackere Ulmer Meister gehört zu jener Reihe deutscher Architekten, die damals neben den Formen des neuen Stils mittelalterliche Gewohnheiten noch zähe pflegten. An den Fenstern der Südseite sieht man hübsche Reste grau in grau ausgeführter dekorativer Malereien, wie überall in Ulm. Auch im Inneren des Hofes zeigen die Fensterumrahmungen Spuren von ähnlichem Schmucke. An seiner Südseite sind Arkaden im Rundbogen auf unglaublich kurzen schwer- fälligen Säulen, sich zu einer zweischiffigen Halle mit Kreuzgewölben auf eben- falls sehr kurzen dorisierenden Säulen vertiefend. In der Mitte des Hofes steht ein achteckiges Brunnenbecken mit schlanker zierlich behandelter Säule, am Posta- ment Köpfe von ungeschickter Bildung, der Schaft kräftig ausgebaucht und ober- halb spiralförmig gewunden, mit einem korinthischen Kapitell gekrönt, darauf eine gute weibliche Figur. In die südöstliche Ecke ist ein Treppenturm gestellt; seine Treppe mit gewundener gotisch profilierter Spindel oben mit einer hübschen Brüstung abgeschlossen; an ihr eine originelle Maske und das Monogramm des Meisters Peter Schmid^), der also diese Teile ausgeführt hat. Die Bekrönung der Spindel bildet ein sitzender Löwe mit dem Ulmer Wappen; die Decke des Treppenhauses besteht aus elegantem, gotischem Sterngewölbe mit verschlungenen

1) Vgl. L. Theyer a. a. 0. Taf. 22 26.

2) Nicht, wie ich früher annahm, Georg Buchmüller, der nur als Zimmermeister nachzuweisen ist. Vgl. Diakonus Klemm in den Vierteljahrsheften für Württemb. Geschichte und Altert. 1878, S. 226 und 1880, S. 135 fg.

3) Nicht Peter Scheffelt, wie ich früher glaubte. Vgl. ebenda.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Rippen. Oben ist ein Saal mit schöner getäfelter Decke von rautenförmiger Ein- teilung, in der Mitte auf einer Holzsäule ruhend, die überaus reich geschnitzt ist. Am Postament sind Waffen und Trophäen dargestellt, der Schaft aber ist ganz mit großen Ranken, zwischen deren Blättern Vögel sitzen, bedeckt; reich, wenn auch in der Zeichnung etwas schwerfällig. Die Täfelung der Wände wird durch kleine dorische Pilaster gegliedert, die Türen sind mit korinthischen Säulen ein- gefaßt und haben kunstreich gearbeitete eiserne Beschläge. Ein großer unregel- mäßiger Vorsaal hat dagegen eine Balkendecke auf hölzernen, gotisch profilierten Stützen.

Einen Meister Kaspar Schmid in Verbindung mit dem Zimmermeister Georg BuchmüUer'^) finden wir sodann am Kornhaus, um 1591 begonnen. Es ist wieder ein einfach derber Bau von gewaltigen Verhältnissen mit kolossalem Giebel, die Wände mit Putz bekleidet, die Fenster mit rauhen Stuckquadern eingefaßt, die Friese in Sgraffito ausgeführt : bei aller Einfachheit von bedeutender Wirkung. Die Portale, mit 1591 bezeichnet, sind rundbogig, aber mit gotischer Kehle und Rundstab profiliert. Dabei das Monogramm M. M. Über dem Hauptportal das hübsch gearbeitete Wappen mit dem Doppeladler, von zwei Löwen gehalten, von antikisierendem Rahmen und Giebelchen eingefaßt, aber noch mit gotischen Fisch- blasen durchbrochen. Dabei die Jahreszahl 1594. Eine kleinere Seitenpforte in derben Spätformen ist mit einem gegliederten Architrav eingefaßt. Große rund- bogige Fenster im Erdgeschoß geben der tiefen Halle ein reichliches Licht; die oberen Stockwerke haben kleine paarweis angeordnete rechtwinklige Fenster. Die gewaltigen Holzbalken der riesigen Halle ruhen auf Ständern von derber mittel- alterlicher Behandlung. Der ganze Bau vermeidet bewußt jedes Streben nach Zierlichkeit und erreicht eben dadurch seine imposante Wirkung.

Auch ein kirchlicher Bau dieser Epoche ist zu verzeichnen: die Drei- faltigkeitskirche, die seit 1617 21 aus der alten Dominikanerkirche unter Leitung des Meisters Martin Buclimilller^ wahrscheinlich eines Sohnes des oben Genannten, umgebaut wurde. Er behielt Chor und Sakristei der älteren Kirche bei, daher ersterer den polygonen Schluß aus dem Achteck und die gotischen Fenster und Gewölbe zeigt. Dem dreischiffigen Langhaus gab der Architekt eine gemeinsame flache Decke und gotische Fenster mit Maßwerken. Dagegen gliederte er das Äußere in konventioneller Weise durch dorische Pilaster, welche ein Triglyphengebälk tragen. Über den Grundmauern des alten, am Ostende des nördlichen Seitenschiffes errichteten Turmes führte er einen neuen Glockenturm auf, den er ebenfalls mit toskanischen Pilastern gliederte und in einem achteckigen Aufsatz mit geschweiftem Kuppeldach, einer sogenannten welschen Haube, enden ließ. An den Portalen der Kirche bemerkt man noch gotische Profilierung und die durchschneidenden Rundstäbe. Die Türflügel des Hauptportals sind reich, aber in barocken Formen und etwas plump geschnitzt. Freier ist die Tür des nördlichen Seitenportals mit gut gearbeiteten Friesen und Masken. Auch die Eisenarbeit der Türen ist gediegen ausgeführt.

Im Innern bewahrt die Kirche eine überaus reiche Ausstattung aus der- selben Epoche. Zunächst sind die prachtvollen Ghorstühle (Abb. 247) höchst elegant geschnitzt und durchaus maßvoll in der Formgebung.^) Die hohen Rück- lehnen sind durch zierliche toskanische Säulchen geteilt, die einzelnen Felder abwechselnd mit geflügelten Engelköpfen oder mit barocken Laubgewinden deko- riert. Besonders graziös sind die feinen geschweiften Aufsätze. Üppiger und über- ladener ist der Hochaltar, mit stärkerer Anwendung phantastisch barocker Formen; ebenso die Kanzel, mit hohem, turmartig aufgebautem, reich dekoriertem

1) Vgl. die Nachweisungen a. a. 0. 1880. S. 136.

2) Vgl. die Abbild, bei Theyer a. a. 0. Taf. 27 und 28.

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Schalldeckel. Endlich sind die Emporen, auf weit gestellten dorischen Holz- säulen das Schiff der Kirche umziehend, an ihren Brüstungen mit trefflichen Rehefs, Masken und Laubwerk geschmückt, das Ganze auf weißem Grunde durch sparsame Anwendung von Gold und Farbe gehöht.

Neben der Kirche nördlich steht ein Brunnen, ähnUch dem im Neuen Bau, aber in den Formen geringer. Oben auf der Säule die noch gotische Figur des hl. Petrus, neu bemalt und vergoldet. So gering die Steinhauerarbeit an der Säule ist, so ausgezeich- net sind unten am Fuß die vier in Bronze aus- geführten, als schnurr- bärtige Männerköpfe be- handelten Masken samt den ebenfalls ehernen Ausgußröhren. Mit dem Rollwerk, das in phan- tastischer Weise mit den Halskrausen und der üb- rigen Ornamentik des Kopfputzes verwebt ist, wahre Musterbeispiele ori- ginell stilisierten Renais- sancezierwerks. Ähnliche Bronzewerke sieht man an dem Brunnen beim Münster. Hier ist die Säule in eigentümlicher Weise achteckig und zwar spiralförmig kanneliert und hat ein frei korin-

thisierendes Kapitell, darauf einen sitzenden Löwen mit dem Wappenschilde der Stadt. Ähnlich behandelt ist die Säule des an der Ostseite des Münsters befind- lichen Brannens, mit der etwas steifen Figur St. Georgs mit dem Drachen. Das Kapitell zeigt eine derbe aber gut behandelte Komposita, die wasserspendenden Köpfe sind hier von Stein bei weitem nicht so schön wie jene bronzenen.

Welch schwungvollen Betrieb damals in Ulm die Dekoration jeder Art er- fuhr, sieht man besonders am Münster, wo die Tür des südhchen Portals eine der prachtvollsten Holzarbeiten der gesamten Epoche ist, inschriftlich vom Jahre 1618. Die Ornamentik ist hier von ebenso herrlicher Erfindung, als meisterhafter Aus- führung. Auch die Türflügel des westlichen Hauptportäles sowie eines zweiten Seitenportales und mehrerer kleinerer Pforten im Innern des Münsters sind reich geschnitzt.^) Wie lange aber dort das Kunstgewerbe an den Überlieferungen der besten Zeit festhielt, beweisen die herrlichen schmiedeeisernen Gitter, die im Innern den Chor abschließen und das Sakramentshäuschen umgeben, erstere 1713, letztere gar 1737 durch Joliann Vitus Bunz gefertigt.^)

Was endUch den Privatbau Ulms betrifft, so zeigt er gewisse gemein- same Grundzüge sowohl in der Anlage, als in der Ausstattung der Wohnhäuser. Im Grundplan sind die schloßartig isolierten, auf den Ecken meist mit Erkern, auch wohl mit Türmen ausgestatteten Häuser der Patrizier von den in Reihen die Straßenzeilen begleitenden Wohngebäuden der Bürger zu unterscheiden. Diese

1) Vgl. die schönen Aufnahmen von Theyer a. a. 0. Taf. 34— 39, 45 50.

2) Abbild, bei Theyer a. a. 0. Taf. 30, 31, 32, 40.

Abb. 247 Cliorgestühl dor Dreifaltigkeitskirche zu Ulm (Nach Fritscli, Denkmäler deutscher Eenaissance)

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

letzteren sind durchgängig mit Rücksicht auf einen lebhaften und großen Handels- verkehr angeordnet; sie haben große Flure, ursprünglich, meist noch wie im Mittelalter, gewölbt, im Ausgang unserer Epoche aber auch mit flacher Decke, die oft elegante Stuckdekoration zeigt, häufig von prächtig geschnitzten Holzsäulen gestützt. Die schmale Anlage des mit hohem Giebel der Straße zugekehrten mittelalterlichen Bürgerhauses ist festgehalten; mehrfach aber hat man dadurch eine bedeutendere Breite gewonnen, daß man zwei oder gar drei Häuser neben- einander zusammenzog und die verschiedenen kolossalen Giebel bisweilen durch eine dazwischen emporgeführte, mit Arkaden dekorierte Stirnwand zu verbinden suchte. Ein mächtiges Haus dieser Art sieht man mit drei Giebeln in der Frauen- straße; minder ausgebildet und nur mit zwei Giebeln ist z. B. der jetzige Gasthof zum Hirschen, gleich daneben die Brauerei zum Straußen. Aus dem breiten Flur führt zumeist die aus derbem Eichenholz gearbeitete Treppe in das obere Ge- schoß. An den Flur schließt sich ein Hof, bisweilen von Nebengebäuden ein- gefaßt, und auf diesen folgt wohl noch ein Garten. Die künstlerische Ausbildung dieser Gebäude ist überaus schlicht; auf feinere Gliederung oder plastische Deko- ration ist völlig verzichtet, und die schmucklosen Fassaden entbehren sogar zu- meist des Erkers, der sonst die deutschen Wohnhäuser dieser Zeit so stattlich und heiter belebt. Es ist im ganzen ein derber Sinn, der sich hier kundgibt. Dagegen waren die Fassaden wohl durchgängig auf Ausstattung mit Malerei an- gelegt, aber auch hierin bewährt sich ein schlichter, fast nüchterner Sinn, denn von Polychromie findet man kein Beispiel, vielmehr werden die Dekorationen grau in grau oder in Sgraffito ausgeführt, oder man begnügt sich gar mit einer bloßen Wirkung eines abwechselnd in glatten oder rauhen Flächen behandelten Putzes. Figürliche Bilder und vollfarbige Ausführung scheint man sich für das Innere der Höfe vorbehalten zu haben, wovon noch einige Beispiele vorhanden sind. Die Sitte der Bemalung ist offenbar durch die Handelsverbindung mit Oberitahen von dort her eingedrungen.

Zu den frühesten dieser Privathäuser gehört das von der Familie Weid- mann erbaute sogenannte „Schlößle". Es ist in der Tat eins jener schloßartigen Patrizierhäuser; ehemals auf den Ecken mit neuerdings abgebrochenen Erkern aus- gestattet. Im Flur sieht man das Wappen der Famihe und die Jahreszahl 1552. Die in den Hof führende Tür hat den gedrückten gotischen Kielbogen, im Haupt- portal zeigen die Türflügel schönes Schnitzwerk vom Ende der Epoche, und in einer oberen fensterartigen Öffnung eine hübsche Rosette von Schmiedeeisen. Die hohen Giebel haben eine in Ulm häufig vorkommende Form, die gleich allem übrigen von der hier herrschenden derben Einfachheit der Behandlung zeugt. Die Linie des Giebels wird nämhch durch aneinandergereihte Gesimsstücke, welche stets dieselbe nach außen und innen leicht geschweifte Linie zeigen, ge- bildet. Nichts von Voluten, von plastischem Heraustreten, von Pyramiden oder ähnlichen Aufsätzen, wie sie sonst der Zeit eigen sind. Es ist etwas nüchtern Vierschrötiges in dieser ganzen Architektur, selbst in der gotischen Epoche schon bei der Anlage des kolossalen, aber wenig durchgebildeten Münsters sich aus- sprechend. — Ein andrer schloßartiger Bau ist das in der Nähe der Dreifaltigkeits- kirche belegene Haus des Senators Dietrich, wieder ein mächtiger Giebelbau, auf den vier Ecken diagonal gestellte Erker, mit schlichten dorischen und ionischen Pilastern dekoriert, ebenso der Giebel. Die Haustür zeigt prächtige flott ge- schnitzte Fruchtschnüre. Im Innern hat der Flur Kreuzgewölbe auf einer mitt- leren Säule von sehr geringen Formen. Die kleineren Türen zeigen zum Teil noch gedrückte gotische Schweifbögen. Das Ganze ist stattlich, aber roh in den Formen. Dicht dabei in der Steingasse das Kr äff tische Haus, ebenfalls ein hoher Giebelbau mit einem von unten herauf geführten rechtwinkligen Erker, die

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Dekoration ganz in rauhem Stuck mit glattem Fugenschnitt, der namentlich an den Fenstern als Einfassung herumgeführt ist. Dazu dekorierende Sgraffiti an den Fenstern und in den Friesen, aber nicht mehr freies Ornament, sondern lineare Schnörkel, wie sie dem Ende der Epoche entsprechen. Über dem einfach derben Portal mit Rustikaquadern, dessen Bogen durch ein hübsches Eisengitter ausgefüllt ist, sieht man zwei Wappen und die Inschrift des Bauherrn Hans Ulrich Lew mit der Jahreszahl 1595 sowie dem schon am Neuen Bau vorkommenden Monogramm des Petey- Schnid. Im Innern ist der Hausflur mit Kreuzgewölben auf einer mittleren elegant gebildeten toskanischen Säule sehr stattlich angelegt. An den Gurten und Kappen des Gewölbes feine Ornamente, Masken, Brustbilder und anderes, leider barbarisch mit Tünche überstrichen. Diese Tünche, ebensosehr für den Reinlichkeitssinn wie für das geringe Kunstgefühl der heutigen Ulmer zeugend, spielt hier leider eine entsetzliche Rolle. Die Hofseite zeigt dieselbe ein- fache Stuckbehandlung wie die vordere Fassade. Links ist ein hübscher kleiner pavillonartiger Flügel angebaut, unten mit offenen Arkaden auf dorischen Säulen ruhend. Allem Anscheine nach ist der Meister des Baues Klaus Bauhofer.

In der Nähe liegt in der Schelergasse die sogenannte Schelerei. Ein altes Bürgerhaus von ansehnlicher Ausdehnung, mit einem Portal, das zu den ältesten Arbeiten der Renaissance in Ulm gehört. In einfach derber Weise ist sein gedrückter Rundbogen mit Rahmenpilastern eingefaßt, denen ein Karnies- gesims als Kapitell dient. Darüber zwei sehr hübsch gearbeitete, noch gotisch stilisierte Wappen, mit dem Spruch: „Non nobis domine non nobis sed nomini tuo da gloriam". Dabei die Jahreszahl 1509, die, wenn man sie auf das Portal mit beziehen darf, dieses zu einem der frühesten Werke der Renaissance- architektur in Deutschland stempelt. Im übrigen zeigt das Haus die Formen der Spätzeit. Die Decke des Hausflurs hat eine sehr elegante Einteilung von Qua- draten, in die abwechselnd Rauten und Kreise gezeichnet sind, und deren Mitte zierliche Rosetten bilden. Alle diese in Ulm so häufig vorkommenden Stuckdecken tragen das Gepräge der ausgebildeten Renaissance. Die weitläufigen Hofgebäude lassen noch reichliche Spuren von eleganten grau in grau gemalten Dekorationen erkennen. An der dem Eingang gegenüberliegenden Wand sieht man eine große farbige Darstellung der Fortuna, und gegenüber ist eine Ansicht der Piazzetta von Venedig in reicher Einfassung gemalt, ein interessantes Dokument der damals überaus lebhaften Verbindung mit der prächtigen Lagunenstadt. Dabei die Jahreszahl 1609. Ein etwas älteres Haus sieht man in der Kornhausgasse, mit kolossalem Giebel in der nüchternen hier herrschenden Form, auf beiden Seiten mit je einem rechtwinkligen, wenig vorspringenden Erker ausgestattet. Das Portal mit der Jahreszahl 1551 ist im gedrückten Rundbogen mit Rahmen- pilastern eingefaßt, die in der Fläche Medaillons mit antikisierenden Köpfen zeigen. Das Wappen über der Haustür ist in etwas flachem Relief gut gearbeitet.

Zu den interessantesten Privathäusern gehört vorn in der Hirschstraße das Schadische Haus (Abb. 248), ein ausgedehnter Bau, der auch in der inneren Einrichtung die Anlage eines alten Ulmischen Kaufherrenhauses noch gut ver- anschaulicht. Der breite gewölbte Flur A mit hübschen Masken und andern Orna- menten an den gedrückten Gurten zeigt rechts die später angelegte hölzerne Treppe zum oberen Geschoß. Daneben sind auf beiden Seiten ebenfalls gewölbte Warenlager. Der Flur mündet auf einen Hof B mit gewölbten Arkaden auf kräf- tigen Pfeilern an der vorderen und Rückseite. Darüber erheben sich in zwei oberen Geschossen hölzerne Galerien mit Balustraden, die sich auch an den beiden Langseiten des Hofes auf einer Vorkragung hinziehen. An diesen Hof stößt sodann ein zweiter Querbau G, mit sechs Kreuzgewölben auf kräftigen, der romanischen Form nachgebildeten Pfeilern eine etwa 19 Meter breite und gegen 9 Meter tiefe

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Halle bildend. Von hier steigt man auf mehreren Stufen zu einem höher ge- legenen zweiten Hof D empor, den wieder auf beiden Seiten gewölbte Arkaden auf Pfeilern einfassen. Diese bilden eine Verbindung des Vorderhauses mit dem Garten E hinter dem zweiten Hofe, von dort wieder auf mehreren Stufen zugänglich. Dies schöne Haus verdiente um so mehr eine genauere Aufnahme, als es schwer- lich noch lange bestehen wird. Von der ursprünglichen Ausstattung bemerkt man am Rückgiebel des Vorderhauses Spuren von grau in grau gemalten Deko- rationen. Dabei die Jahreszahl 1599. Rechts im Hof ist ein Pferd an die Wand gemalt, daneben Handschuh, Stiefel, Bürste und Striegel, die Jahreszahl 1602 und dazu der Vers: „Hie steht ein frisches Pferd, das auszuleihen gehört". Links im Hof ein Brunnen mit der Jahreszahl 1627. Im oberen Geschoß des Vorderhauses bewahrt der große Flur eine hübsche getäfelte Decke mit feiner Gliederung, sodann einen prächtigen Hänge- leuchter mit einem Hirschgeweih und sehr schönem weiblichen Brustbild, das eines Syrlin würdig ist.

Von hervorragender Vortrefflichkeit ist die Ausstattung des Ehinger Hofes, eines ansehnlichen Patrizierhauses in der Taubengasse, jetzt als Gewerbemuseum dienend.^) Das Außere bietet nicht viel Besonderes; der Hof zeigt auf drei Seiten Ar- kaden auf derben toskanischen Säulen, der Hausflur ist wie so oft in Ulm gewölbt, mit hübsch dekorierten Gurten. Das Erd- geschoß hat gewölbte Hallen mit Stukkaturen. Die ganze äußere Architektur ist mit Einschluß des Hauptportales ganz schlicht: aber Spuren von grau in grau gemalten Dekorationen lassen sich auch hier erkennen. Ein kleines Nebenpförtchen zeigt den Spitzbogen, und auch die steinerne Wendeltreppe mit der Jahres- zahl 1601 hat noch gotische Konstruktion; aber das Treppen- haus ist mit einer flachen gegliederten Renaissancedecke ge- schlossen. Die breiten meist dreiteiligen Fenster haben noch die alten Butzenscheiben; selbst das durchbrochene Holzgitter der Bodentreppe, an der man 1603 liest, besteht aus meister- licher Schnitzarbeit. Den höchsten Wert besitzen aber die prachtvollen Holztäfelungen der Decken und die nicht minder vorzüglich gearbeiteten Türen, die im Charakter sich einer frühen Renaissanceauf- fassung nahe halten, obwohl sie dem Ende des 16. Jahrhunderts angehören müssen. Zunächst der große Flur im obern Geschoß mit seiner schön gegliederten Balken- decke, geschmückt mit Rosettenknöpfen und andern Ornamenten. Noch glanz- voller aber die Decken des oberen Saales und eines Nebenzimmers. Treffliche Einteilung, reiche und kraftvolle Gliederung, schönes Schnitzwerk von Friesen mit Akanthusranken, Löwenköpfen usw. Dazu kommen zwei Türen (Abb. 249), mit korinthischen Säulen eingefaßt und mit eleganten Aufsätzen bekrönt, durch Bemalung Und feine Vergoldung noch gehoben. Noch ein anderes Zimmer hat eine nicht minder köstliche Decke und in den breiten Flachbogennischen der Fenster Engelköpfe und elegantes Ornament in Stukko. Auch hier eine schöne Tür, ebenfalls mit Malerei und Vergoldung und wie an den andern Türen mit gediegenen Eisenarbeiten ausgestattet. Noch gehört dazu eine besondere Haus- kapelle mit polygonem Chor und feinem gotischen Sterngewölbe.

. Von den einfacheren, aber durch stattliche Anlage ausgezeichneten Wohn- gebäuden nenne ich zunächst noch das Haus in der Frauenstraße mit den drei kolossalen Giebeln, die durch eine Zwischenmauer mit durchbrochenen Arkaden eine originelle Verbindung haben. Die beiden Portale sind von einfach strengen 1) Aufnahme von L. Theyer a. a. 0. Taf. 1 21. Als Meister gilt Peter Scltmiä.

Abb. 248 Grundriß des Schadischen Hauses zu Ulm

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Rahmenpilastern umfaßt und im oberen Bogen mit reichen Eisengittern ausgefüllt. Der Flur hat dekorierte Kreuzgewölbe. Interessant ist sodann das jetzige Museum, die „obere Stube", stattlich in drei Flügeln an den Ecken, welche die lange Straße mit der Stubengasse und der Kramgasse bildet, erbaut. Über dem stei- nernen Erdgeschoß treten die oberen in Fachwerk ausgeführten Geschosse auf mächtigen Konsolen mit Akanthusblättern heraus. Der zweite Stock ruht auf barock geschnitzten Maskenkonsolen von Holz, voll Ausdruck und Leben, kräftig und in großer Mannigfaltig- keit entwickelt.!) Man liest hier das Monogramm Ä.H. und das Stein- metzzeichen des Meisters. Jedes Stockwerk ist außerdem durch einen derben Stuckfries mit Eierstäben abgeschlossen, und auf dem Dache erhebt sich noch die hübsch gear- beitete alte Wetterfahne. Im Hofe zeigt sich dieselbe Behandlung, die Wände sind ganz stuckiert mit rauh gelassenen Flächen, Dorische Säu- len tragen die Gewölbe der Arkaden um den unregelmäßigen Hof. Es ist ein interessantes Beispiel dieser ein- fach derben und doch wirkungs- vollen Putzdekoration, der Behand- lung des Kornhauses nahe verwandt und vielleicht von demselben Mei- ster. — Ein anderes großes Eckhaus in der Frauenstraße und Hafergasse, jetzt als Oberamtsgericht dienend, hat zwei große gewölbte Einfahrten, zwischen ihnen liegt im Erdgeschoß ein Raum mit Kreuzgewölben auf sehr eng gestellten dorischen Säulen. Der Hof hat an der einen Seite Ar- kaden auf ähnlichen Säulen. Schön gezeichnete Eisengitter sind über

der Haustür und daneben in den beiden Rundfensterchen des Flurs angebracht. Hierhergehört ferner ein Baidingerhaus in der Frauenstraße, ursprünglich im Besitz der Famihe Besserer. Die Haustür ist einfach, mit gutem Eisengitter, der Flur flach gedeckt mit trefflichen Teilungen, der Hof zeigt auf zwei Seiten hübsche Holzgalerien, die untere auf dorischen Säulen, die obere auf phantastisch reichen Hermen ruhend, alles schön geschnitzt und mit Geländern versehen. Endlich möge noch das von Seuttersche Haus in der Frauenstraße genannt werden, dessen unterer Flur gotische Kreuzgewölbe im Spitzbogen zeigt. Im oberen Geschoß hat der große Flur dagegen eine schön gegliederte Holzdecke und eine Tür mit spiralförmig gewundenen Säulchen, Akanthuskonsolen und Fruchtschnüren. Geschnitzte Haustüren mit schönen Eisengittern findet man noch mehrfach in den Straßen Ulms. So z. B. eine sehr elegante in der Langen Straße A. 263.

Abb. 249 Holzportal aus dem Ehinger Hof zu Ulm

1) Abbild, bei Theyer a. a. 0. Taf. 43 und 44.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Augsburg

In ähnlichen Bahnen, aber doch mit vielerlei eigenen Ausbildungen, bewegt sich die Architektur in Augsburg. Die alte Bedeutung der ehemals so mäch- tigen Reichsstadt ist allgemein bekannt, so daß ich hier nicht ausführlich darauf einzugehen brauche. Sie war einer der Mittelpunkte der deutschen Gewerbe- und Kunsttätigkeit, neben Nürnberg der Hauptort für die Handelsverbindung des ganzen Nordens mit Italien, namentlich mit Venedig und der Levante. Bis zum Schmalkaldischen Kriege war ihre Blüte im fortwährenden Aufsteigen, die Handelsflotten und Faktoreien der Fugger und Welser umspannten die damals bekannten Teile der Erde. Bis zum Dreißigjährigen Kriege bheb die Stadt ein glanzvoller Sitz für Handel und Gewerbe. Die zahlreichen Reichstage erhöhten ihre Bedeutung und steigerten das Leben bis zur Üppigkeit. Die Häuser der Fugger und anderer angesehener Kaufleute, mit fürstlichem Aufwand erbaut und ausgestattet, waren Gegenstand der Bewunderung der Zeitgenossen. Die Augs- burger Waffenschmiede, Juweliere und Goldarbeiter, die kunstreichen Schnitzer und Tischler, die Intarsiatoren und Ebenisten und manche andere Handwerker^) er- hoben ihre Arbeiten zur Bedeutung von Kunstwerken. Die Renaissance wurde hier durch die nahe und rege Verbindung mit Italien vielleicht zuerst in Deutschland zur Herrschaft gebracht. Hans Burgkniair (vgl. S. 39) hat offenbar als erster die neuen Formen dort eingebürgert, und unter den Künstlern, welche diese rasch aufnahmen und verwerteten, steht der ältere Hans Holhein obenan.

Der heutige architektonische Charakter der Stadt läßt freilich nur noch einen Schatten der einstigen Pracht erkennen. Der Grund einer so eingreifenden Verände- rung ist in dem Material zu suchen, aus dem die alten Bauten aufgeführt sind. Wie in Ulm wurde man auch hier durch den Mangel eines geeigneten Steines dazu veranlaßt, die Fassaden in Backstein herzustellen und zu verputzen und ihre Ausschmückung, ja überhaupt Ausgestaltung der Malerei zu übertragen. Aber während man in Ulm sich meistens mit dem bescheidenen Grau in Grau oder mit Sgraffiten begnügte, übertrug das üppige Augsburg die volle Farbenpracht des Südens, namenthch Venedigs und Veronas, auf seine Fassaden. Als Michel de Montaigne 1580 die Stadt besuchte, waren die imposanten Bauten Elias Holls noch nicht vorhanden; dennoch erklärte er Augsburg für die schönste, wie Straß- burg für die festeste Stadt Deutschlands. Die breite Anlage und die Sauber- keit der Straßen, die vielen prächtigen Springbrunnen fallen ihm auf, obwohl die drei berühmten Brunnen der Maximiliansstraße damals noch nicht standen. Die Häuser seien weit größer, schöner und höher als in irgend einer Stadt Frank- reichs. Der Palast der Fugger sei ganz mit Kupfer gedeckt und habe zwei Säle, der eine groß, hoch, mit Marmorfußboden wahrscheinhch derselbe, von dem Hans von Schweinichen so viel erzählt, der andere niedriger, reich an antiken und modernen Medaillen, mit einem Kabinett am Ende. Es seien die reichsten Gemächer, die er je gesehen. Auch den Garten mit seinen Sommer- pavillons und Vogelhäusern, seinen Springbrunnen und Vexierwassern rühmt er höchlich. Vor allem fallen ihm die gemalten Fassaden auf; aber leider! gerade diese wichtigsten Teile der äußeren künstlerischen Ausstattung sind bis auf be- scheidene Spuren verschwunden. Dagegen zeigt allerdings die Maximiliansstraße schon solche Großartigkeit der Anlage, daß sie noch jetzt ohne Frage zu den schönsten Straßen Deutschlands gehört. Ihre für jene Zeit außerordenthche Breite würde monoton wirken, wenn sie in gerader Linie gezogen wäre, und wenn nicht

1) Vgl. Paul V. Stetten, Kunst- und Handwerksgescli. von Augsburg. 1779 und 1788. Dazu Augsburg und seine frühere Industrie, von Th. Herberger. Augsb. 1852. Aufnahmen von L. Leybold in Ortweins D. Een. Lief. 3. 6. 11. 26. 97.

Augsburg

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in glücklichen Abständen jene herrlichen Brunnen sich erhöben, derengleichen man in keiner deutschen Stadt wiederfindet. Dazu kommt der mächtige Bau des Rathauses, der trotz der Einfachheit seiner äußern Architektur schon durch seine Massen imponiert und für seinen Platz meisterhaft berechnet ist.

Aus der Frühepoche der Renaissance ist wenig mehr vorhanden, viel zu wenig, um uns einen Begriff von der Bedeutung Augsburgs für die junge Renais- sance zu verschaffen, deren Wiege die Stadt für Deutschland gewissermaßen ge- wesen ist. Ebensowenig, wie wir aus den verwirkten und matten Überbleibseln der Fuggerschen Herrlichkeit uns ein einigermaßen vollständiges Bild der einstigen zu machen vermögen. Und gerade an dem Namen der Fugger heften sich die ersten Taten der Renaissance-Architektur. Wenn Georg und Ulrich sich in der Philippine- Weiserstraße prächtige Häuser schufen, die, zusammenhängend, alle Pracht spätgotischer Ausstattung in den Portalen, Treppen, Hofarkaden, Täfelungen und anderen Bauteilen in sich vereinigten, so trat mit Jakob Fugger die neue Zeit auf den Plan. Er erbaute den Fuggerpalast auf der Maximihanstraße 1512—15. Dort erwuchs das Haus Fugger zu seiner welt- geschichtlichen Bedeutung und Größe, dort liefen die Fäden zusammen aus all den neuen Welten von Indien bis Amerika, aus alle den Kontoren, welche die Interessen des Hauses in Itahen, Frankreich, Portugal, Spanien und vor allem in den Niederlanden vertraten.

Schon zu gleicher Zeit, seit 1519, Heß Johann Jakob II. Fugger an dem Westende der St. Annenkirche die Grab kapeile seiner FamiHe erstehen,- die 1518 geweiht wurde. Das erste bedeutende Bauwerk der Renaissance auf deutscher Erde, und zugleich eines der allervollendetsten und folgereichsten, gewissermaßen ein Quell, aus dem sich der erste starke Strom der neuen Kunst in deutsche Gaue ergoß.

Die Bedeutung dieses Bauwerks kann gar nicht überschätzt werden; seine einstige Schönheit läßt sich freilich nur mühsam wieder hervorzaubern, die vorhandenen Reste bestätigen aber, daß die künstlerische Höhe dieser Frühleistung überhaupt nicht wieder übertroffen worden ist. Heute ist nur gewissermaßen noch der Rahmen für das ganze Bild vorhanden. Der hier unglückliche Umstand, daß gerade diese Kirche am ersten protestantisch wurde, hat die katholische Fuggerfamihe gewissermaßen zur Auswanderung veranlaßt, was die Zerstörung des Gesamtwerkes bedeutete.

Die Anordnung der Grabkapelle (Abb. 250) ist die folgende : der westhchste Teil der Annenkirche, einer gotischen Basilika, wurde abgetrennt und im Sinne der Renaissance neu gestaltet. Man mag damals die Spitzbogen durch Rund- bogen und das westliche Kreuzgewölbe durch ein Sterngewölbe ersetzt haben; die gotischen Pfeiler erhielten Renaissanceform und Marmorverkleidung; in die Westseite wurde oben ein großes rundes Fenster eingebrochen.

Dieser so gewonnene quadratische Raum wurde unter Hinzunahme der letzten Seitenschiffjoche durch mächtige Gitter von der Kirche getrennt und ganz selbständig behandelt. Im Westen erstand ein Einbau mit prachtvoller Deko- ration für die Gräber, auf dem die Orgelempore ruhte; links und rechts reiches Stuhlwerk und, wohl nach Osten zu freistehend, der Altar. Der Westbau und die Orgel, wie die Architektur der Wände, sind noch vorhanden.

Alle diese Teile zeigen aber die höchste Vollkommenheit in Formen und Ge- staltung, deren die jugendfrische Renaissance auf deutschem Boden damals fähig war; freilich sind diese Formen in der Architektur rein italienische, vielmehr deut- lich venezianische, von zartester und gehaltenster Behandlung. Dorische Pilaster- pfeiler tragen die großen rosettenbesetzten Bögen; alle Füllungen sind mit far- bigem Marmor ausgelegt, und feine Säulengalerien bilden die obere Balustrade.

L übke-Haupt, Renaissance in Deutschland T 3. Aufl. 24

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Der westliche Grab-Einbau besteht aus vier Bogenfeldern zwischen Marmor- pilastern auf feinem vielgekröpftem Sockel; diese Bogenfelder sind gefüllt mit gewaltigen Reliefplatten von Solnhofer Marmor, die das vorzüglichste sind, was die damalige deutsche Bildhauerei zu leisten vermochte. Die Entwürfe zu diesen vier Platten stammen von Älhrecht Dürer und Hans Burgkmair, unzweifelhaft damals den Größten in unserer Kunst, und sind von den trefflichsten Bildhauern, sicher Adolf und Hans Dauher^ in den Stein übertragen. Die Wirkung dieser Stein- wand ist heute noch wahrhaft fürstlich. Von den vier Platten stellen die beiden äußeren je zwei Wächter mit dem Fuggerwappen in herrlichen Kuppelhallen der reizvollsten Frührenaissance dar; nach Entwürfen von Hans Burgkmair (Abb. 251), die beiden mittleren aber die Auferstehung Christi (Abb. 252) und den Kampf Simsons gegen die Philister. Für die beiden letzten Darstellungen sind die Skizzen Dürers in Berlin und Wien. Begraben waren hier Georg (f 1506), Ulrich (t 1510) und Jakob Fugger (f 1525).

Diese Gräber mit ihren Platten-Epitaphien sind bekrönt durch die Orgel- bühne mit ihrem schönen Steingeländer; darüber ruht die Orgel, ein herrliches Werk, dessen Entwurf von Peter Flettner herrührt. Die Originalzeichnungen dazu sind noch in Basel und Erlangen vorhanden. Die Orgel selbst stammt inschrift- lich von Ihan von Bobraw^ kaiserlichem Orgelmacher, 1512. Der hintere Hauptteil ist durch Pilaster in sieben Teile geteilt, die, sich mitten herabsenkend, der Kreis- linie des Fensters folgen. Die Konsolen, unteren Friese, Zwickelornamente und Auf- sätze der beiden Flanken sind in Holzschnitzerei, die zarteren aufgelegten Orna- mente in vergoldetem Zinnguß ausgeführt. Alles in völlig entwickelten trefflichen Frührenaissanceformen meisterlich hergestellt; noch feiner und eleganter das Rückpositiv auf dem Geländer der Empore. Die gemalten Orgelflügel sind von hoher Schönheit; die größeren enthalten die Himmelfahrt Christi und Mariä, die kleineren, die Verkündigung darstellend, sollen von dem jüngeren Holbein gemalt sein. Von der Ausstattung ist nur noch der herrliche Marmorfußboden vorhanden. Die berühmten Chorstühle, die einst die beiden Bögen zu den Seiten füllten, der Altar und das Gitter sind verloren. Von ersteren finden sich Entwürfe Flettners noch zu Basel; sie sind auch dargestellt auf einer Radierung D. Hopfers; den Altar haben wir uns ganz ähnlich vorzustellen, wie den der Kirche zu Anna- berg, der drei Jahre nach der Vollendung der Kapelle von den Gebr. Dauher geliefert wurde, die den hiesigen auch herstellten. Das herrliche Bronzegitter des Peter Vischer stand später im Rathaussaal zu Nürnberg. Diese gesamte Ausstattung aber war nach Entwürfen P. Flettners hergestellt^), der also hier als der eigentliche erste Führer unserer jungen Renaissance auftritt.

Die Architektur des Raumes ist von höchster Feinheit, aus Marmor und edlem Gestein; auf Wandflächen und am schönen Sterngewölbe reicher Metall- schmuck; alles in edlen Formen einer sich an Venedig anlehnenden Frührenais- sance. Ob der Meister ein Italiener gewesen, oder etwa der Hierontjnms, der damals den Fondaco di Tedeschi in Venedig baute, oder ein anderer Deutscher, etwa Sebastian Loscher, ist bis heute nicht zu unterscheiden. Sicher aber ist, daß dieser Kapellenraura nach seiner Vollendung, vermutlich auch farbig aus- gestattet, in jener Zeit an Schönheit, Reinheit der Linien und Formen, wie an edler Wirkung, nicht nur in Deutschland nicht seinesgleichen fand.

Der Palast der Fugger ist ein Gebäude von kolossaler Ausdehnung, aber in der Fassade ohne alle architektonische Gliederung, vielmehr auf reichen Ge- mäldeschmuck berechnet. Die neuerdings an Stelle der untergegangenen Burgk-

1) Vgl. A. Haupt a. a. 0. (Jahrb. d. Kgl. Pr. Kunstslg. 1905. II.), wo alle Nachrichten und Dokumente gesammelt sind. Ferner: Weinbrenner, die Fuggersche Grabkapelle zu St. Anne in Augsburg. Karlsr. 1884.

Abb. -250 Fuggersche Grabkapelle in der St. Annenkirche zu Augsburg (Nach Weinbrenner)

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

mairschen Fresken aus- geführten Bilder enthal- ten im einzelnen wohl Gutes, können aber im Ganzen nur höchstens einen Anklang an die einst vorhandene Wir- kung, doch keine Vor- stellung des Verlorenen geben. Das Innere be- wahrt noch einige Reste seiner ursprünglichen Pracht. Im vorderen Flur tragen toskanische Säu- len von rotem Marmor die Kreuzgewölbe. Besonders glänzend muß der erste Hof gewesen sein, dessen Arkaden nach italieni- scherWeise auf ähnlichen, ziemlich derb gebildeten Säulen ruhen. In der Tiefe der Hinterhalle er- heben sich mächtige Marmorsäulen mit ge- teiltem Schaft, die Kapi- telle üppig mit Laubwerk und Widderköpfen ge- schmückt. Um den gan- zen Hof ist die Leibung der Bögen mit herrlichen grauen Arabesken auf

schwärzlich blauem Grunde bedeckt. Über den Bögen sieht man ge- malte Medaillons, die eine Füllung von roten Mar- morplatten haben. Dar- über zieht sich ein arg zerstörter Fries hin mit grau in grau gemalten historischen Szenen, da- bei unter anderm die In- schriften: „der neapolitanisch Krieg. Heyrath König Philipps. Wiederpringung Ostreichs. Die Erledigung der Tochter. Bereinigung zu Engelland". Wahrschein- lich Reste jener Wandgemälde, deren Gegenstände durch den gelehrten Peutinger bestimmt worden waren, und die Jakob Fugger 1516 ausführen ließ. Die erhal- tenen Figuren sind voller Leben und Ausdruck. Sodann ein Fries von Putten mit Vasen und Ranken, grau auf blauem Grunde, leider ebenfalls stark zerstört. Ganz oben ist eine Blendgalerie von wunderlichen toskanischen Säulchen und Pilastern gemalt. Ein zweiter Hof zeigt eine Galerie auf toskanischen Säulen, die auf der einen Seite einen gewölbten Oberbau tragen. Hier ist keine Spur von Bemalung

Abb. 2.51 Grabplatte Jakob Fuggors in Augsburg von Hans Burgkmair (Nach Phot. Hoefle)

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mehr, alles weiß getüncht. Der südliche Teil des aus mehreren Häusern zu- sammengewachsenen Pa- lastes hat einen beson- deren Eingang in einen großen Flur, dessen Kreuzgewölbe auf sehr derben ionischen Säulen ruhen. Daran stößt ein dritter großer Hof mit Arkaden auf toskanischen Säulen und einem ge- wölbten Obergeschoß. Hier ist jetzt alles öde, aber ursprünglich war ohne Zweifel auch dieser Teil farbig geschmückt. Immerhin ist das Ganze von großartiger Anlage und spricht von ehemali- ger fürstlicher Pracht. Ein vierter Hof, auf zwei Seiten mit Galerien um- zogen, führt nach der Rückseite auf einen Flur, der auf den Zeughaus- platz hinausgeht. Hier befinden sich die einzi- gen Gemächer, die noch die ursprüngliche künst- lerische Ausstattung zei- gen. Es sind die so- genannten Badezim- mer, zwei jetzt dem Kunstverein überlassene Räume, beide 7 Meter tief und 41/4 Meter hoch, das kleinere 67* Meter lang, also ungefähr qua- dratisch. Das größere ein Saal von 15 Meter Länge. Die geringe Höhe wirkt

ungünstig, aber die Dekoration, offenbar von italienischen Händen ausgeführt, gehört zum Herrlichsten dieser Art, was wir in Deutschland besitzen. Der klei- nere Saal (Abb. 253) ist mit einem gedrückten Muldengewölbe überspannt, in welches die stark ansteigenden Kappen einschneiden. Die Lünetten der Stich- kappen über einem reichen Gesims sind mit teilweise vergoldeten Stuckfiguren in Hochrelief auf blauem Grund, mit Nischen und Büsten gegliedert, die Gewölb- flächen der Kappen hellfarbig auf dunkelbraunrotem Grund bemalt. Der Rest der Mulde ist mit Stuckrahmen und Malereien reich belebt. Die Wände zeigen ein- gerahmte Landschaften und ornamentale Malereien. Hier also wie in dem zweiten

Abb. 252 Grabplatte Ulrich Fuggers in Augsburg von Albrecht Dürer (Nach Phot. Hoefle)

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Abb. 253 Badezimmer im Fuggerhause zu Augsburg

Saal herrscht die in der mittelitalienischen Renaissance, am meisten vielleicht in der Richtung des Alessi, durchgängig vorkommende Art gegliederter Gewölbeanlagen mit stuckierter und bemalter Dekoration. Der größere Saal ist mit flach elliptischem Tonnengewölbe überdeckt (Abb. 254). Die Dekorationsmalereien sind hier haupt- sächlich farbig (rot, gelb, braun herrschen vor) auf weißem Grund aufgesetzt. Auf den Gewölbzwickeln der Tonne zwischen den Kappen sind halblebensgroße Figuren auf dunklem Grund. Die Reliefs in den Kappenstirnflächen fehlen, ebenso die Gemälde auf den Wänden, In beiden Sälen stützt sich das Gewölbe auf ein ringsumlaufendes, von Konsolen unterbrochenes Gesims. Der Übergang wird ab- wechselnd durch Masken oder Blumenkörbe verkleidet; aus diesen entspringen die überaus reich und fein gegliederten Stuckrahmen, die alle Gräte verdecken und die Haupteinteilung des Gewölbes betonen. Figuren wie Ornamente sind mit einer fast unbegreiflichen Leichtigkeit, Durchsichtigkeit und Eleganz in Fresko auf den Stuck aufgemalt. Dabei zieht sich durch das Ganze trotz des Reichtums eine wohltuende Farbenharmonie. Marmor ist nur bei den Türeinrahmungen und dem Kamin im kleinen Saale angewandt. Die Gewölbe sind massiv und voll- ständig mit bemaltem Stuck überzogen. Daß man es hier mit Arbeiten eines höchst bedeutenden italienischen Künstlers der Hochrenaissance zu tun hat, leidet keinen Zweifel. Es ist dies der auch durch die ausgezeichneten Malereien in der Münchner Residenz bekannte Antonio Ponzano aus der Tizianischen Schule; seinen Namen liest man an der Decke des ersten Saales. Die Ausführung geschah nach inschriftlichem Zeugnis 1570 72.

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Abb. 254 Badezimmer im Fuggerhause zu Augsburg

Im übrigen habe ich von Bauten der Frührenaissance nur noch das Gebäude, in dem jetzt das Maximilians- Museum untergebracht ist, zu nennen.^) Dieses ist aber eins der elegantesten Werke, das Haus des Lienhard Boeck von Boeckenstein, 1544—46 erbaut. Gleich dem Fuggerpalast kehrt es seine breite Seite der Straße zu. Zwei Erker von geringer Tiefe und rechtwinkliger Grund- form treten aus der Fassade hervor, die beiden oberen Geschosse begleitend. Der kleinere hat ein Fenster in der Front, der größere deren zwei (Abb. 255). Beide sind auf prächtigen Gesimsen und akanthusgeschmückten Konsolen vorgekragt. Am größeren Erker zieht sich vor der untern Fensterbank eine eherne Inschrift- tafel mit elegant aufgerolltem Rahmen hin, zu beiden Seiten von Putten ge- halten. Während hier das Rollwerk schon auf die vorgeschrittene Renaissance deutet, zeigt alles übrige die feinen Formen und die zierlich reiche Ornamentik der Frühzeit, doch mit deutlichem Anklang an die französische Renaissance der Zeit Heinrichs II. So die schlanken Rahmen pilaster mit ionischen Kapitellen, die spielenden Bekrönungen der Fenster, die oberen Abschlüsse mit ihren Vo- luten und Medaillons ; deutsch sind im obern Geschoß die herrlichen Laubgewinde mit den spielenden Putten, an die geistreichsten Erfindungen Holbeins erinnernd ; dabei ist alles meisterlich in Kalkstein ausgeführt. Selten findet man in der deutschen Renaissance eine so flüssige Plastik. Am kleineren Erker vor der unteren Fensterbank der schön stilisierte Doppeladler Karls V., von Säulchen eingefaßt, mit flatterndem Spruchband, darauf man den Wahlspruch „plus ultra"

1) Aufn. bei Leybold a. a. 0. Taf. 20.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

liest. Am obern Fenster zwei nicht minder prachtvoll ausgeführte Adler auf Löwen. Das Hauptportal der Fassade ist im Flachbogen der Frührenaissance geschlossen, mit Pilastern und Friesen eingefaßt, welche mit schönen ein-

gravierten Flachornamenten bedeckt

sind. Ein kleineres Nebenpförtchen, nicht unmittelbar mit dem Hauptportal verbunden, zeigt ebenfalls eine hübsche Einfassung. Das Rundfensterchen, wel- ches dem Flur Licht gibt, ist mit einem herrlich gezeichneten Eisengitter geschlossen.

Unweit des Maximilians-Museums in derselben Straße bietet ein im gan- zen noch spätgotisches Haus mit pracht- vollem gotisch komponiertem Portal, darüber einem von zwei Löwen gehal- tenen Wappen, einige Frührenaissance- Teile. Namentlich ist der Hausflur mit einem Kreuzgewölbe auf denselben derb ionischen Säulen ausgestattet, die wir schon im Fuggerhaus fanden. Alle Türen dagegen sind gotisch; der Hof mit oberer jetzt glasgeschlossener Galerie, beiderseits auf Netzgewölben ruhend, die auf Konsolen aufsitzen. Vorn rechts eine weitere Vertiefung der unteren Halle auf gotischen Rundsäulen. So spielen auch hier noch beide Stile ineinander. Dasselbe Verhältnis ge- wahrt man an dem mächtigen alten Weiserhaus, das schon durch seine gotische Kapelle mit originellem, frühem Sterngewölbe interessant ist. Der ganze Bau mit seinem hohen Giebel ist mit- telalterlich, aber ein ganz flach und höchst zierlich dekorierter Erker trägt die Formen einer frischen Frührenais- sance, das Laubwerk von etwas kraut- artig krauser Bildung. Dabei mehrere lateinische Sinnsprüche.

Von den gemalten Fassaden, welche ehemals den heiter prächtigen Charakter der Straßen bestimmten, sind nur spärliche Reste erhalten. Keine deutsche Stadt hatte darin Augsburg von fern erreicht; es ist das deutsche Verona gewesen. Schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts wird uns hier die Anwendung des Fresko bezeugt: 1448 läßt Konrad Vögelin seine Grabkapelle bei St. Ulrich „auf nassen Tünich" malen.^) In der Epoche der Renaissance sind es besonders Hans Burghiiair und ÄUdorfer, dann Pordenone und Giulio Licinio, gegen Ende der Periode Mathias Kager-, zu- gleich Bürgermeister der Stadt, RottenJiamer u. a., welche die Kunst der Wand- 1) Herberger a. a. 0. S. 34.

Abb. 255 Erkei" am Maximiliansmuseum zu Augsburg

Augsburg Gemalte Fassaden 377

maierei üben. Von Rottenhamer stammen die Reste von Fresken, welche man im Boeckhause und an einem ehemals Hopferischen Haus in der Krotenau sieht/) Hier sind es namentlich flott gemalte Genien, die vier Jahreszeiten darstellend. In solchen Wandbildern bietet sich dem ganzen Volk ein Spiegelbild seines Lebens, seiner Anschauungen und Gedankenreihen dar. Die religiösen Vorstellungen des Mittel- alters werden bald überwuchert von den humanistischen Ideen; das klassische Altertum mit seinen Heldentaten stellt sich ein, der Olymp mit seinen Göttern, die antike Fabelwelt und ein starker Beisatz von Allegorien, der gegen Ausgang der Epoche immer mehr überhandnimmt und mit dem pedantisch Lehrhaften der Zeit Hand in Hand geht. Daneben frische Weltlust in Genreszenen : Bauerntänze, Markt- und Straß entreib en, alles in heiterer Farbenpracht. Ein treffliches, zum Teil wohlerhaltenes Beispiel gewährte das Weberhaus (Abb. 144), ein Eckgebäude der Maximilianstraße.^) Vorn sieht man ein gotisches Pförtchen mit der Jahreszahl 1517; aber die Fresken der Seitenfassade würde man etwa in die Mitte des Jahr- hunderts setzen, wenn wir nicht wüßten, daß sie von Matthias Kager (erste De- zennien des 17. Jahrhunderts) ausgeführt worden sind. Unter den Fenstern zuerst weiß gemalte Putten auf blauem Grunde, mit Hunden spielend. Dann zwei ge- malte Fenster mit Figuren, die herausschauen; eine ideale Fortsetzung der wirk- lichen Fensterreihe. Auf dem Fensterkreuz wiegt sich ein Papagei. Ganz oben ist eine herrliche korinthische Säulenhalle gemalt, in effektvoller Perspektive und vornehmen Verhältnissen, die Säulen wie aus buntem Marmor, Kapitale und Sockel aus weißem Marmor; dabei Bück auf einen Platz mit prächtiger Fassade. Ein Triumphator samt anderen Figuren, leider stark zerstört, nimmt die Hauptflächen ein. Über den oberen Fenstern auf roten Bogenfeldern bunte Fruchtschnüre; auf den größeren Wandfeldern darüber weiß gemalte liegende Figuren, das Ganze also im Sinne venezianischer Dekorationen als marmorner Prachtbau gedacht. Weit barocker, in stihstischer Hinsicht sehr lehrreich zum Vergleich, ist das Haus des Hieron. Rehlinger in der Philippine-Welser-Straße, dessen Fresken von GluUo LiciniO; einem Schüler des Pordenone, 1560—61 gemalt wurden. Hier tritt die Vorherrschaft der architektonischen Behandlung völlig zurück, die am Weberhaus und im Hofe des Fuggerhauses so wohltut; die ganze Fassade ist mit allegorischen und mythologischen Figuren in üppiger Farbenpracht bedeckt; das Architektonische beschränkt sich auf die sehr barocke, wulstige Einfassung der Fenster. Das Ganze ist dabei jedoch von großer Pracht und flott ausgeführt, auch verhältnismäßig wohl erhalten, und gibt von allen Augsburger gemalten Fassaden heute noch den vollständigsten Eindruck.

Die Neigung zu plastischer Dekoration, wie wir sie ausnahmsweise in glänzender Art am Maximilians-Museum trafen, scheint in Augsburg nur selten hervorgetreten zu sein. Ein Beispiel bietet jedoch die kleine schmale hohe Fassade an der MaximiUanstraße, die für Herrn Hans Mehr er, Jakob Fuggers Kassierer, 1590, von Hans Holl, dem Vater des Elias, erbaut wurde. Sie hat einen ganz mit Hochrelief-Brustbildern in Medaillons geschmückten Erker; unter und über jeder Fensterreihe und endUch noch einmal im Giebel kommt diese damals beliebte Art der Ausschmückung vor. Dieser Erker ist ein Jugendwerk des großen Elias Holl selber. Die übrigen Fassaden Augsburgs haben nach Verlust ihrer Fresken keine künstlerische Wirkung mehr; nur die zahlreichen meist paarweise angebrachten, bald polygonen, bald geraden Erker geben ein be- lebteres Gepräge; doch auch diese sind ohne architektonische Durchbildung. Die nüchternen geschweiften Giebel, die wir in Ulm fanden, sieht man auch hier.

Die meisten der älteren Privathäuser haben eine gewölbte Einfahrtshalle, geräumiges Treppenhaus und Vorhalle mit reichen Holzdecken. In der Gesamt-

1) P. von Stetten a. a. 0. 1, S. 286. 2) goH leider jetzt ganz erneuert werden.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Abb. 256 Hochaltar in der Ulriohskircho zu Augsbur« (Nach Phot. F. Hoefle, Augsburg)

anläge machte sich hier im 16. Jahrhundert mehr als in irgend einer an- deren deutschen Stadt der Einfluß Italiens gel- tend. Namentlich gehört dahin, daß statt der sonst in Deutschland beliebten Holzgalerien steinerne ge- wölbte Arkaden die Regel bilden. Die Selbstbio- graphie Elias Holls zählt über sechzig Wohnge- bäude auf, welche sein Vater ausgeführt hatte. Gewölbte Arkaden auf Pfeilern oder Säulen tre- ten dabei fast immer in den Höfen auf; oft auch Altane, die mit Kupfer ge- deckt werden, Gänge mit Marmorfußboden u. dgl. Aber daneben kommt an denFassaden der deutsche Erker („Ausschuß" ge- nannt, während „Erker" lediglich die Dacherker bezeichnet) häufig vor, bisweilen mit Bildwerken geschmückt. Von der innern Ausstattung ist das meiste wohl durch den wandelnden Zeit- geschmack beseitigt wor- den; doch sieht man schöne Türen, Täfelwerke und Kamine noch in man- chen Häusern, so bei Herrn Ammann (Annastraße), bei Dr. Kraus usw.

Einiges von tüchtigen dekorativen Werken findet sich in den verschiedenen Kirchen als Zeugnis der hohen Blüte des Kunst- gewerbes im 16. und 17. Jahrhundert. Zunächst in St. Ulrich die Ghor- stühle im Chor, zwar nicht mehr aus der besten Zeit, aber doch noch schön im Detail und von edler Ein-

Augsburg Dekorative Arbeiten

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fachheit.^ Die Stühle ziehen sich in doppelter Reihe an den Langwänden des Chores hin. Etwas einfacher, aber jedenfalls von demselben Meister sind die Stühle, welche sich an die Schlußwände des Querschiffs anlehnen. In beiden Fällen wird die Teilung der Rückwand durch elegante toskanische Säulen bewirkt, zwischen die eine Nischenarchitektur sich einfügt. Der Meister war Wolfgang Ebner. In der geräumigen Sakristei sind sämtliche Wände mit Schränken für Reliquien usw. besetzt. Diese sind nicht mehr so streng gehalten. Dasselbe gilt von den überaus reichen Betstühlen in der Fuggerkap eile. Noch üppiger, aber von ungemein malerischer Wirkung sind die Beichtstühle im nördlichen Seitenschiff, sowie die reich geschnitzten Bänke. Von glänzender Pracht dann der Hochaltar von 1604 (Abb. 256) und der Afra- und Ulrichsaltar zu den Seiten, ausgeführt von dem Bild- hauer Johann Degeler und dem Maler Elias Greuter, beide aus Weilheim. Diese Altäre fußen in ihrer Anlage noch durchaus auf dem Mittelalter, während sie formal einer ganz prächtigen itahenischen Bildung folgen. Daher die Fülle der klein- figurigen Hauptgruppen wie der krönenden und schmückenden Figuren ringsum und bis oben hin; der reiche durchbrochene und sich nach oben immer ver- jüngende architektonische und plastische Aufbau, die leider stark modernisierte prächtige Polychromie. Überraschend ist die Kühnheit und die Frische in der Handhabung des Aufbaus des architektonischen Gerüstes, wie die vollendete schwungvolle Eleganz des Umrisses ; das Detail ist meisterhaft gebildet. Von den- selben Künstlern stammt die schöne Kanzel von 1608. Außerdem eine sehr stattliche Steindekoration an den zwischen die Strebepfeiler des südlichen Seiten- schiffes eingebauten vier Seitenkapellen. Von den beiden mittleren ist die eine die Fuggerkapelle, die andere die Ulrichskap eil e. Von diesen beiden zieht sich eine elegante marmorne Bogenstellung in guter Renaissance hin. Die zehn Bogenöffnungen sind mit geschmackvollen Eisengittern ausgefüllt. Die Be- krönung bilden zwölf Apostelstatuen. Bemerkenswert sind die Holz- und Eisen- gitter, welche die beiden andern Kapellen trennen.^)

Im Dom können die Gitter, welche den Kapellenkranz von dem Umgang um den östlichen Chor scheiden, sich teilweise an Eleganz mit den schönsten der Ulrichskirche messen, die meisten derselben jedoch sind, wenn auch mit staunens- werter Technik hergestellt, überreich. Dasselbe gilt von den reichen Epitaphien, die, aus den kostbarsten Steinmaterialien bestehend, wesentlich zur reichen Wirkung dieses Kapellenkranzes beitragen. In der Barfüßerkirche umziehen primitive Gestühle aus späterer Renaissance in doppelten und dreifachen Reihen fast sämtliche Wände des geräumigen Gebäudes. Die Brüstungen der Empore sowie die Langwände des Chors über den Stühlen sind vollständig mit Tafel- bildern der Spätrenaissance bedeckt. Statt des Lettners findet sich der Rest eines schönen Gitters, das sich an den in der Mitte stehenden Taufstein anschließt.

Elias Holl

Gegen Ausgang der Epoche wird der Augsburger Architektur ein größerer Zuschnitt verliehen durch das Auftreten eines ganz bedeutenden Meisters, den wir sogar als den stärksten aller deutschen Renaissancearchitekten im allgemei- neren und internationalen Sinne zu betrachten haben; jedenfalls überragte er an Größe der Auffassung alle anderen, selbst Schickhardt und Schoch. Elias Holl

1) Aufn. bei Leybold a. a. 0. Taff. 16 und 17.

2) Einige der schönsten Gitter aufgen. in den Skizzenheften d. Architekten- Vereins des Stuttgarter Polytechnikums. Dazu Leybold a. a. 0. Taff. 18 und 19.

3) Vgl. Paul von Stetten, Kunst- und Gewerbsgeschichte der Stadt Augsburg. S. 98 If. Besonders aber die in einer Abschrift aus dem 18. Jahrh. noch vorhandene Selbst- biographie des Meisters. Herausgegeben von Dr. Clirist. Meyer, Augsb. 1873.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

von dem eine Selbstbiographie als Manuskript in Augsburg aufbewahrt wird, wurde 1573 als Sohn des Werkmeisters Hanns Holl in Augsburg geboren und hatte zuerst unter seinem Vater die Architektur praktisch erlernt. Schon der Großvater Sebastian Holl war Maurermeister gewesen und wird noch in gotischer Stilpraxis aufgewachsen sein. Der Vater Hanns, der 1594 als Zweiundachtzig- jähriger starb, also 1512 geboren war, hat dann jene aus mittelalterlichen und Renaissance-Elementen bestehende Mischarchitektur geübt, von der man auch in Augsburg noch genug Spuren antrifft. Doch verstand er sich auch auf die „wälsche Manier", wie er bei einem Ricklinger-Schloß zu Inningen be- wies. Seine zahlreichen Bauten, die in seines Sohnes Aufzeichnungen genau re- gistriert werden, müssen der Stadt damals bereits einen charakteristischen An- strich gegeben haben. Größtenteils waren es Bürgerhäuser, deren über sechzig angeführt werden, durch stattliche Fassaden mit Erkern, besonders aber durch gewölbte Arkaden in den Höfen, auf Säulen oder Pfeilern ruhend, auch wohl durch Altane und Prachtsäle ausgezeichnet. Im Jahre 1573 wird er von den Gebrüdern Fugger zu ihrem „täglichen Maurer- und Werkmeister" angenommen und hat für diese manches auszuführen. 1576 erbaut er die Kirche des Stern- klosters, wobei er seinen dreijährigen Sohn Elias zur Grundsteinlegung mit in die Baugrube hinabhebt; 1581 wird durch ihn das Kollegium bei St. Anna fast völlig neu gebaut, im Hofe eine Arkade von 200 Schuh Länge mit Bögen auf Pfeilern in zwei Geschossen. Im Jahre 1586 fing der dreizehnjährige Elias unter seinem Vater zu mauern an, und zwar zunächst bei Bauten für Jakob Fugger. „Das war", erzählter, „ein wunderlicher Herr, und ich hatte es gut bei ihm, weil ich mich gut in seinen sothanen Kopf schicken konnte." Er „trank sich alle Tage gleich über Mittagsmahlzeit voll", liebte aber auch fröhhche Gäste, und ließ niemand etwas abgehen. Er wollte den noch sehr jugendlichen Elias mit seinem Sohne Jörg „in's Welschland" schicken; allein mit Recht hielt der Vater den noch gar zu unreifen Knaben zurück und ließ ihn unter seinen Augen die Lehrzeit durchmachen.

Beim Tode des Vaters wollte der 21jährige Elias wandern, lernte aber die schöne Maria Burckartin kennen, die ihm alle Wandergedanken benahm. „Ich setzte", erzählter, „all meinen Sinn auf diese Jungfrau Maria, wie ich solche zur Ehegattin bekommen möchte." Es gelang ihm; 1595 heiratete er sie, und, nach- dem er im folgenden Jahre sein „Meisterstück fürgerissen", durfte er sich als Meister niederlassen. Sie schenkte ihm acht Kinder, die aber bis auf eine Tochter in zarter Jugend hinstarben. In einer zweiten Ehe erwuchsen ihm noch 13 Kinder, mit denen es ihm besser ging. Die Holl waren ein starkes Geschlecht; sein Vater hatte ebenfalls von zwei Frauen 20 Kinder gehabt. Ein reges arbeitsvolles Leben begann nun für den jungen Meister, und manches hatte er schon für reiche Private ausgeführt, als im November 1600 Anton Garb, ein angesehener Kaufherr, ihn mit nach Venedig nahm, wo er besonders an den großen Bauten Palladios sich bildete; offenbar hat er damals auch Vicenza besucht. „Besähe mir", erzählt er, „dort alles wohl und wunderhche Sachen, die mir zu meinen Bauwerken ferner ersprießlich waren." Schon Ende Januar 1601 kehrte er heim. Fast um dieselbe Zeit war der 15 Jahre ältere Schickhardt in Italien gewesen. Obwohl es diesem vergönnt war, einen weit größeren Teil des Landes kennen zu lernen, trug bei ihm doch lange nicht so vollständig, wie bei seinem Augs- burger Kollegen, die italienische Auffassung über die deutsche den Sieg davon. Er wurzelte offenbar fester in den früheren Anschauungen und mischte deshalb in allen seinen Bauten die heimische Überlieferung mit den Formen des neuen Stiles. Ehas Holl dagegen streifte den letzten Rest mittelalterlicher Schu- lung von sich und baute fortan im strengen Stil der italienischen Spätrenais-

Zuerst übertrug der Magistrat ihm 1601 den Neubau des Gießhauses, „weil die Herren die Gebäu zu Venedig gesehen, die ihnen wohl gefallen". Dem jungen Meister gab man also besonders wegen seiner Vertrautheit mit dem Renaissancestil Italiens den Vorzug. Der Bau wurde ihm um 900 fl. verdungen: daß man mit seinem W^erke zufrieden war, geht aus der weiteren Belohnung von 250 fl. hervor, die man ihm verehrte. Dann folgte 1602 das Bäckenhaus am Perlachberg. Dieses wurde ihm um 1750 fl. verdingt, er erhielt aber noch 250 fl. dazu „wegen der mühsamen Gesims, so auf welsche Manier daran sind und viel Mühe gekostet". Diese mühsamen welschen Gesimse sind noch zu sehen, denn das Haus mit seiner schmalen, hoch emporgeführten Fassade, die durch drei Pilasterordnungen gegliedert wird, ist noch vorhanden. Die hervorragende Be- deutung Holls war inzwischen so offenkundig geworden, daß er in demselben Jahre, noch nicht dreißigjährig, zum Werk- und Maurermeister der Stadt an- genommen wurde. Die Besoldung der Stelle hatte in 80 fl. bestanden, dazu kamen noch 5 fl. für einen Rock, 10 fl. für Hauszins, 12 Klafter Holz und andere

1) Die Notiz bei Nagler, Holl habe vor seiner italienischen Reise bereits eine Reihe öffent- licher Bauten für die Stadt ausgeführt, beruht auf einem Irrtum.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Emolumente, sowie wöchentlich 1 tl. als Wochengeld. Da er aber geltend machte, daß er bei der Bürgerschaft durch Privatbauten mehr verdienen könne, so be- willigte man statt 80 ihm 150 fl.

Sein nächstes Werk war nun das Zeughaus (Abb. 257), ein Werk voll glänzender Kraft und jugendlichen Feuers; freilich bezieht sich dies in der Hauptsache auf den an die Straße stoßenden Giebel, während der im Winkel stehende Bau selber ein einfaches großes Lagerhaus von drei Geschossen mit riesigem Dache ist, das vier Reihen Luken zeigt; viereckiger Treppenturm im Winkel. Die Fassade ist 1607 vollendet, ein derbprächtiges Dekorationswerk von etwa genuesischer, stark barock anklingender Formengebung : ein Rustika- untergeschoß mit quadratischen Fenstern und Portal mit Halbsäulen, darüber die wundervolle Erzgruppe des heiligen Michael, der den Satan besiegt, mit Putten und Trophäen, von Johann Beichel von Landsberg, die Wolf gang Neidhard 1607 goß. Sehr reich darüber das zwei Stockwerke umfassende Obergeschoß mit malerischer Fensterbildung und dorischen Pilastern. Dann die Geschosse, die den überkräftigen Giebel bilden, mit Hermen, Konsolen und kraftvollen Fenstern. Das Ganze ein etwas theatrahsches, doch höchst selbständiges Prachtstück, bei dem des Künstlers Eigenart wie Fähigkeit in stärkster Weise sich ausspricht.

In demselben Jahr baute er auch seinen ersten Kirchturm bei St. Anna. Der alte hatte ein spitzes Helmdach gehabt; Holl brach es ab und setzte zwei neue Stockwerke auf, das untere viereckig, das obere achteckig „mit Kolonnen und Gesimsen, darauf ein spitzig eingebogenes Dach mit Kupfer gedeckt". Hier also führte er an Stelle der mittelalterlichen Spitzen die geschweiften Kuppeln der italienischen Renaissance in den deutschen Turmbau ein, die der äußern Erscheinung so vieler süddeutscher Städte einen neuen Charakter geben sollten. Er selbst hat nachmals wohl sämtliche Türme an Augsburgs Kirchen, Stadt- mauern und Toren in dieser Weise umgebaut. Dann folgt 1605 der Neubau des Siegelhauses, mit großem gewölbtem Keller auf Pfeilern, „außen rings herum mit feinen Kolonnen an den Ecken geziert, die Giebel oben mehrenteils von Stein- werk". Die Visierung des Äußeren hatte aber der Maler Joseph Hanitz angegeben, der beim städtischen Bauherrn Welser in hohem Ansehen stand. Von seiner Kühn- heit und Umsicht legte Holl in demselben Jahre eine glänzende Probe ab, als er unter einem Pfeiler der Barfüßerkirche einen römischen Denkstein zur Freude Welsers herausbrachte, den weder der frühere Baumeister noch „ein anderer fürnehmer Meister Konrad Boss heraus zu heben wagte". Dann folgt 1609 das neue Schlachthaus, das schon durch seine Fundamentierung, da es ganz im Wasser steht, die Tüchtigkeit des Meisters bezeugt.^) Wirksam gestaltet sich die stattliche Anlage durch zwei Freitreppen und einen breiten terrassenartigen Vor- platz mit Eisengitter und kräftiger Balustrade. Die urkräftig plastischen Bogen- portale sind in Rustika, die Kapitelle der Pilaster durch Stierschädel ausgezeichnet. Aus der breiten Fassade, die oben mit barocken Eckvoluten abschließt, erhebt sich in der Mitte ein schmalerer Giebel mit kräftig derber Krönung. Das Ganze ist bei großer Strenge und Einfachheit machtvoll im Sinne der gewaltigen Italiener der Hochrenaissance, und doch zu völlig nordischer Eigenart gebracht.

Die große Zahl seiner in dreißigjährigem Dienste der Stadt ausgeführten Gebäude habe ich hier nicht im einzelnen zu verfolgen.^) Nur etwa der Bar- füßerbrücke wäre noch zu gedenken, weil er diese nach dem Muster der Rialtobrücke, oder, wie er selbst sagt, „auf wälsche Manier" mit Kramläden auf beiden Seiten und in der Mitte mit einem „durchsehenden Gewölblein" errichtet hat. Bei seinen Privatgebäuden ist es bezeichnend für die italienische Richtung,

1) Abb. bei Fritsch.

2) Einiges davon bei Leybold a. a. 0. Taff. 45 und 47.

Holls Aug-sburger Rathaus

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daß wiederholt marmorne Fußböden, Säle mit „weißer Arbeit" (Stukkaturen), Gänge mit „zierlichem Modelwerk", Kamine „auf wälsche Manier" erwähnt werden. „In Summa", sagt er selbst um 1616, „es ist schier unglaublich, was ich diese vierzehn Jahr hero in meinem Stadtwerkmeisterdienst für große Mühe und Arbeit gehabt." Die gewaltige Energie und der ausdauernde Fleiß des trefflichen Meisters gaben der Stadt in kurzer Zeit das Gepräge, das sie im wesentlichen noch jetzt trägt. Wenn auch in den Formen herb und selbst bisweilen nüchtern, wie die Zeit es mit sich brachte, sind seine Bauten von unverkennbarer Größe des Sinnes und von klarer, mehr auf das Machtvolle, als auf das Anmutige gehender Gestaltung.

Den Höhepunkt seines Wirkens erreichte er beim Bau des neuen Rat- hauses, einem der gewaltigsten Werke der Zeit ^) (Abb. 258), Er selbst war es, der die Ratsherren dazu antrieb, an Stelle des baufälligen alten Rathauses vom Jahre 1385 „ein schönes, neues, wohlproportioniertes" erbauen zu lassen. „Er hätte eine herzliche Lust dazu, und es werde die Herren nicht gereuen, auch gemeiner Stadt wohl anstehen." Die Bedenken wegen des Schlagwerks der Uhr weiß er dadurch zu beseitigen, daß er vorschlägt, den benachbarten Perlach- turm um ein Stockwerk zu erhöhen und dahin die Glocken zu versetzen. Mit ebenso großer Kühnheit als Umsicht geht er 1614 ans Werk. Das gewagte Unter- nehmen, das er bis ins einzelne fesselnd beschrieben hat, wird glücklich zu Ende geführt unter dem staunenden Zuschauen der Stadt, und in der Freude des Ge- lingens nimmt er seinen vierjährigen Sohn Elias mit hinauf, setzt ihn in den Knopf, den er selbst auf die Spitze gesteckt hat, und ist stolz auf die Uner- schrockenheit des Kleinen. Sodann wird das alte Rathaus abgebrochen. Es be- stand, wie das noch vorhandene Modell zeigt, aus einem großen Eckhaus gegen den Perlachberg und einem Turm mit schlanker Spitze, an den sich anderer- seits zwei kleinere Giebelhäuser anschlössen. Der Bau war zwar von malerischer Gruppierung, doch ohne künstlerischen Wert, wie denn im ganzen Mittelalter während der romanischen und gotischen Epoche Augsburg keine hervorragende Rolle in der Architekturgeschichte gespielt hat. Besonders der Abbruch des Turmes mit seiner durchbrochenen steinernen Spitze war ein gefährhches Unter- nehmen; aber alles ging, dank der Umsicht des Meisters, gut vonstatten, und am 25. August 1615 legte er den Grundstein, wobei wieder der kleine Elias mit in die Baugrube muß, was den Ratsherren so wohl gefällt, daß sie ihm „12 gantze Augsburger Gulden dazu in seine Hosen verehren". Holl hatte zu dem Bau drei verschiedene Modelle entworfen, die sich noch auf dem Rathause befinden. Die beiden ersten (Abb. 259 u. 260) zeigen ihn nicht bloß in der Behandlung des Einzelnen, sondern auch in der Disposition des Ganzen völhg unter italienischem Einfluß. Beide Male besteht der Bau nur aus einer kolossalen durch Säulen geteilten Halle, die nach südlicher Sitte sich rings, oder doch nach drei Seiten mit Arkaden öffnet. Die Treppe ist in einem Nebenbau angebracht. Ohne Frage sind beide Entwürfe auf eine reichere Gliederung und prachtvollere Erscheinung des Äußern abgesehen, die bei bedeutenden Verhältnissen sich zu imposanter Wirkung steigert. Aber die Ratsherren zogen für die Ausführung den dritten Entwurf vor, der das Äußere ziemlich nüchtern behandelt, mit Beseitigung alles Schmucks von Pilaster- und Säulenstellungen oder reicheren Gesimsen. Dagegen entspricht die innere Disposition besser den nordischen Bedürfnissen, und auch das Äußere wirkt durch seine gewaltigen Massen als kolossaler Hochbau un- gemein machtvoll. Kompakt zusammengedrängt erhebt es sich als Rechteck von 40 Meter Breite bei fast 30 Meter Tiefe in drei Geschossen mit vier Fensterreihen. Während die vier Ecken mit einer kräftigen Galerie als Altane abschließen, steigt

1) Vgl. die schöne Aufnahme bei Leybold a. a. 0. Taff. 1—8, 25, 26, 31—43.

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Abb. 258 Rathaus zu Augsburg (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

der mittlere Teil jeder Fassade noch um zwei Stockwerke höher empor und schließt dann mit hohen Giebeldächern, welche kreuzförmig einander durch- schneiden. Der Hauptgiebel, der als der breitere auch an Höhe den Quergiebel

Augsburg Kathaus

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überragt, ist auf beiden Enden mit dem Wahrzeichen der Stadt, dem Pinienapfel auf einem Bronzekapitell, bekrönt. Wie großartig die Baugesinnung der damaligen Augsburger war, ermessen wir aus den bedeutenden Summen, welche die Aus- stattung erforderte. Der kolossale Pinienapfel kostete 1000 fl., der vergoldete Adler im Hauptgiebel 2000 fl.; ebensoviel das gegossene Gitter im Portal mit den beiden Greifen, die das Wappen halten ; die prachtvollen Bronzekapitelle der acht Säulen im Vorsaal des oberen Geschosses je 300 fl. Noch während der Aus- führung wußte Holl diesen Baueifer zu steigern, indem er den Herren vorstellte, es werde „sowohl innen als außen der Stadt ein heroischeres Ansehen geben", wenn man den beiden Seitenflügeln zwei Türme aufsetze; er habe sie dann

Abb. 259 u. 260 Modelle zum alten Rathaus zu Augsburg

fleißig gebeten, „sie wollten ihm solchen Bau ferner auch vergönnen und die Unkosten nicht so genau ansehen, wann schon jeder Turm 300 fl. mehr belaufen werde". Man willfahrte ihm auch hier, und so entstand binnen fünf Jahren bis 1620 der Bau in der Gestalt, wie wir ihn jetzt noch sehen. Das Werk bezeichnet die höchste Steigerung, deren die Augsburger architektonische Eigenart fähig war. Beim Äußeren mußte der Meister, wie wir gesehen, nach der lokalen Sitte auf plastische Ausstattung und Gliederung verzichten. Jene weit reicheren Modelle beweisen, welchen viel großartigeren Entwürfen er zu entsagen gezwungen war. Die äußere Architektur ist einfach und streng, nur das Hauptportal hat eine Einfassung von Marmorsäulen und darüber im ersten Stock einen Balkon; die Einrahmungen der Fenster und die Gesimse sind aus Kalkstein, alle Flächen aus Putz. Die zahlreichen Fenster in drei Stockwerken übereinander wirken bei aller knappen Strenge der Formen doch lebendig. Die beiden Türme mit ihren eleganten Kuppeldächern, dazu der benachbarte Perlachturm mit ähnlichem Ab- schluß, geben ein imposantes und eindrucksvolles Bild, besonders wenn man vom Dome herkommt. Bei Einteilung des Innern verfuhr der Meister so, daß er im Erdgeschoß, wie in den oberen Stockwerken den Bau nach der Tiefe durch zwei Mauern in drei große Rechtecke zerlegte. Das mittlere, die Seiten an Breite übertreffende bildet im Erdgeschoß eine grandiose Vorhalle, 16 Meter breit und über 30 Meter tief, auf den alten Stichen als das „untere Pfletsch" be- zeichnet. (A auf Abb. 261.) Ihre Kreuzgewölbe ruhen auf acht Pfeilern von rotem Marmor, die Ausstattung dieser kolossalen dreischiffigen Halle, die nur durch ihre mächtigen Verhältnisse imponiert, ist sonst völlig schlicht ; bloß der Schluß- stein der Kreuzgewölbe wird durch eine aus Bronze gefertigte Rosette bezeichnet. In die Querachse dieser Halle, von ihr zugänglich, legte Holl seine beiden

L üb ke- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 25

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

Treppen BB, mit steigenden Tonnen und auf den Podesten mit Kreuzgewölben bedeckt, die Stufen noch sehr steil. Die vier Ecken enthalten verschiedene kleinere Räume, sämtlich gewölbt, in G und D Wachtzimmer, in E das Archiv, in F einen Durchgang. Im ersten Stock ist im wesentlichen dieselbe Einteilung, nur daß die vorderen Ecken je einen großen quadratischen Raum ausmachen, links als Rats- stube, rechts als Gerichtslokal bezeichnet. In der Mitte wieder dieselbe große Halle wie unten, statt der Gewölbe aber mit flacher Decke, unter den Balkenkreuzungen Säulen von rotgesprenkeltem Marmor mit Kapitellen und Basen von Bronze. Die Decke ist kraftvoll behandelt und schön eingeteilt. An den Wänden ziehen sich Ruhebänke hin, nach der Hauptfassade öffnet sich eine Balkontür. Auch die

Abb. 261 Erdgeschoßgrundriß des Rathauses zu Augsburg zwecken dienenden Räume

streng davon abtrennt und in die unteren Geschosse verweist. An Schönheit der Verhältnisse findet dieser Saal seinesgleichen nicht im damahgen Deutschland. Bei 32 Meter Länge und 17 Meter Breite hat er etwa 15 Meter Höhe. Sein Licht empfängt er in Fülle von den beiden Schmalseiten, d. h. von Osten und Westen durch sechs hohe Fenster, über welchen ebenso viele ovale angebracht sind, und zu denen noch sechs kleinere Oberfenster kommen. Die Ausstattung des Saales strotzt von Gold und Farben, die Wände, unten grau in grau gemalt, werden nach oben farbiger und reicher. Sechs Portale in derben barocken Formen, darüber kolossale Nischen mit Fürsten- bildern ghedern die Langseiten. Dann folgen kecke Genien, welche sich mit bunten reichgemalten Fruchtschnüren schleppen, das alles nur durch gemalte Dekoration bewirkt. Endlich kommen riesige Konsolen, paarweis angebracht unter dem Deckengesimse. Die Decke selbst ist ein prachtvolles Werk in Stuck und Holz, in den Feldern nach venezianischer Sitte Gemälde enthaltend. Die Rahmen sind reich vergoldet, die geschnitzten Ornamente wohl etwas zu groß und derb, das Ganze doch von mächtiger Wirkung. Der Fußboden ist von Marmor. Die Dekoration dieses gewaltigen, im einzelnen sich aber einem schweren Barockstil nähernden Saales, besonders an den Wänden, stammt vorwiegend von dem Maler Mathias Kager. Die Art Holls spricht sich deutlicher und reiner aus in den vier prachtvollen, in den Ecken des Saalgeschosses angeordneten Fürstenstuben mit ihrem trefflich behandelten Wandgetäfel und schön gegliederten Decken von großer Mannigfaltigkeit der Motive. Auch die vier kolossalen schwarzglasierten Öfen daselbst von Adam Vogt aus Landsberg sind sämtlich verschieden und

-M-

vier Eckzimmer haben schöne Holzdecken. Die beiden Trep- pen HH führen nun zum zwei- ten Geschoß (Abb. 262), wel- ches in G den durch zwei Stockwerke reichenden golde- nen Saal, in J K L M qua- dratische mit dem Saal in Ver- bindung stehende Gemächer enthält, als „Fürstenstuben" bezeichnet und gleich dem Saal zu großen Festlichkeiten bestimmt. Wir haben hier das erste Beispiel einer Rathaus- anlage bei uns, welche in so umfassender Weise auf Festräumlichkeiten Rücksicht nimmt, die zu Verwaltungs-

Elias Holls letzte Bauten

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wahre Prachtstücke phantastisch barocker Dekoration. Einen haben wir in Abb. 79 abgebildet.

Es war der Höhepunkt im Schaffen des Meisters gewesen. Als der Bau vollendet war, legte er den großen FoHoband an, in dem wir seine Lebens- beschreibung finden, die freilich von einer späteren Hand auf Grund seiner eigenen Aufzeichnungen eingetragen ist. Er selbst aber beginnt das Buch eigenhändig mit folgender Einleitung : Anno 1620, als er durch Gottes Gnad und Beistand das neue Rathaus vollendet und ausgebaut, da habe er seiner obHegenden Geschäft halber etwas mehr Weil und Zeit bekommen und sich gleich im Namen Gottes fürgenommen in diesem Buch etwas Weniges aufzureißen, was er etwan von Jugend auf gestudiert und gelernt habe, und was er auch in seinen Werken für einen Ge- brauch gehabt dies und jenes zu bauen, obwohl er nunmehr in dem fünfzigsten Jahre des Alters, und sein Gesicht der Hand nicht mehr wie früher folge. Er tue es aber nicht, um sich einen Ruhm damit zu machen, sondern auf daß seine Söhne und Nachkommen Nutzen davon hätten. Aber der tatkräftige Mann ist mit diesen Aufzeichnungen nicht eben weit gekommen, und sein schriftlicher Nachlaß hat kei- 262 Grundriß des zweiten Stockes vom Rathaus

neswegs die Bedeutung des zu Augsburg

Schickhardtschen. NamentHch

fehlt darin jede Zeichnung; nur einmal hat er eine dorische Säule aufgerissen, um ihre Projektion zu zeigen. Das übrige besteht aus den üblichen geometri- schen Figuren, Aufgaben der Meß- und Visierkunst, praktischen Vorschriften über Materialien, Handwerksgeräte, Rezepte für Anfertigung von Leim u. dgl.

Der Ruf des Meisters hatte sich bald weithin verbreitet. Mit dem Rathaus- bau waren die Herren so zufrieden gewesen, daß sie ihm einen vergoldeten Becher mit dem Wappen der Stadt in Schmelzwerk und 600 Goldgulden verehrten. Auch nach auswärts wurde seine Hilfe verlangt: das gräfHch Schwarzenburgsche Schloß zu Schönfeld in Franken ward nach seinen Plänen erbaut; ebenso die Kirche des hl. Grabes zu Eichstätt und das Schloß für den dortigen Bischof auf dem Willibaldsberg. Sein letzter Bau von Bedeutung in seiner Vaterstadt war das von 1625 bis 1630 errichtete neue Spital, noch einmal ein Lichtblick im Leben Holls. Wie sein Zeit- und Kunstgenosse Schickhardt, wenngleich in anderer Weise, sollte auch er in den Stürmen des Krieges zugrunde gehen. Als die Stadt von den Kaiserlichen eingenommen ward, wurde der Meister nach dreißig- jähriger redlicher Amtsführung durch den Magistrat seiner Stelle entsetzt, wie er selbst berichtet „um wegen daß ich nicht in die päpstische Kirche gehen, meine wahre Religion verleugnen, und wie man's genannt, nit bequemen wollte". Noch härter wurde die Maßregel dadurch, daß man ihm auch fast sein ganzes Vermögen vorenthielt, das er mit redlicher Arbeit in vielen Jahren erworben und bei der Stadt verzinslich angelegt hatte. Denn statt der ihm gebührenden 12000 fl. konnte er nur einen Schuldbrief auf 4000 fl. erlangen, den er aus dringender Not um die Hälfte losschlagen mußte. Das grausame Edikt, welches

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2. Buch Die Bauwerke IX. Kapitel Schwaben

die bezeichnende Datierung trägt: „Als man zählt nach Christi unseres liebreichen SeUgmachers Geburt", muß wenigstens ausdrücklich eingestehen, daß Ehas Holl der Stadt „treuHch, aufrecht, redlich, fleißig und willig gedient, ansehnliche Gebäu aufgeführt, daß Uns seinethalb keine Klage fürgekommen". Bei der Einnahme der Stadt durch die Schweden hört die „grausame Gewissensbedrängung" auf, Holl erhielt seine Stelle wieder und hatte große Mühe mit den Befestigungsarbeiten

der Stadt. „Als die- selbe", so berichtet er, „1635 wieder kai- serlich geworden, sei ihm sein vielgehab- ter schwer und ge- treuer Dienst der- maßen mit starker Einquartierung und Kontributionen be- lohnt worden, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen." Der fromme Mann wünscht „sich und seinen lieben Mit- christen, so eben- mäßig hierunter viel gelitten, dafür wo nicht hienieden, so doch in jener Welt die ewige Freude und Sehgkeit". Da- mit schließt seine Aufzeichnung. Seine prächtigen Tor- und

Befestigungs- türme sind noch zu erwähnen, mit denen er die Stadt einfaßte. Wir geben davon das Rote Tor (Abb. 263). Mit Elias Holl

Abb. 263 Rotes Tor zu Augsburg schließt die alte Bau-

geschichte von Augs- burg.

Aber vom Ende des 16. Jahrhunderts datieren noch jene herrlichen Brunnen, mit denen Augsburg, wie keine andere deutsche Stadt, seine Straßen und Plätze geschmückt hat. Vor allem der Augustusbrunnen (Abb. 264), gegossen 1593 von Hubert Gerhard, der Merkur- und Herkulesbrunnen von Ädriaen de Vries und der Neptunsbrunnen. Bei diesen Arbeiten, die ihren Schwerpunkt in plastischen Gestalten haben, glaubte man sich nicht auf einheimische Kräfte ver- lassen zu können, sondern berief niederländische Künstler, die damals völlig der itahenischen Richtung folgten. Diese Werke sind nicht bloß durch die gediegene Behandlung des Figürlichen^) ausgezeichnet, sondern beweisen auch im architek-

1) Vgl. darüber Lübkes Geschichte der Plastik III. Aufl. S. 870.

Kirchheim

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tonischen Aufbau das treffliche Stilgefühl jener Meister. Dazu kommen die pracht- vollen Eisengitter, namentlich am Augustusbrunnen die bekrönenden Ranken und Blumen von unübertrefflicher Schönheit.^) Diese Brunnen vollenden den groß- artigen Eindruck der Maximilian straße, dieser Königin der deutschen Straßen.

In Augsburgs Nähe, zu Kirchheim an der Mindel, bietet das Gräflich Fuggersche Schloß, 1581 erbaut, in seinem großen Saale einen der prächtigsten Holzplafonds unserer Renaissance.^) In einer Breite von 12 zu einer Höhe von 7, besitzt der Saal eine Länge von 30 Metern. Die Decke zerfällt in drei große quadratische, beträchtlich vertiefte Kassetten, deren Zentrum jedesmal eine noch tiefer gelegte achteckige Füllung bezeichnet. Kraftvolle breite Rahmen, eben- falls mit mannigfach gestalteten Feldern belebt, fassen das Ganze ein. Der Reich- tum der Gliederung, die kraftvolle Schönheit und Pracht des Schnitzwerks wird durch die energische Markierung der Hauptlinien, wie durch die wohlberechnete Abstufung der einzelnen Teile aufs glückhchste zu harmonischer Wirkung ver- bunden. Dazu kommt die Anwendung verschiedener Hölzer, der Eiche, Linde, Zeder und des Nußbaums, welche eine so reiche Schattierung ergeben, daß nur geringe Nachhilfe durch Farben nötig war. Die beträchtliche gegen sechs Fuß betragende Tiefe des Gesamtprofils wird nur durch die nach der Sitte Süddeutsch- lands geringe Höhe des Raumes beeinträchtigt.

l)>bbild. bei Leybold a. a. 0. Taf. 10. 2j Aufn. bei Leybold a. a. 0. Taf. 11—14.

Abb. 264 Augustusbrunnen zu Augsburg

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Franken

Zehntes Kapitel Franken

Nicht minder bedeutend für die Entwicklung der deutschen Renaissance, als die schwäbischen Lande, sind jene mitteldeutschen Gebiete, die sich an den Ufern des Mains erstrecken und von dem fränkischen Stamme bewohnt werden. Sie gehören zu den ältesten Sitzen deutscher Kultur. Früh schon hat sich in ihnen geistliche Macht neben fürstlicher bedeutsam entwickelt, und dazu gesellt sich bald, dank dem regen Sinn der lebensfrischen Bevölkerung, die selb- ständige Kraft des Bürgertums in einer Anzahl freier Städte. Das mächtigste Erzbistum Deutschlands, das Mainzer, gehört diesem Kreise an. Dazu kommen die Bistümer von Würzburg, Eichstätt und Bamberg. Der fränkische Stamm gibt dem Reiche schon früh eine Reihe von Kaisern ; hervorragende Fürsten- und Adelsgeschlechter wetteifern in dem viel zerschnittenen Territorium gegeneinander. Dazu kommt noch der Deutschorden, der hier seine Hauptbesitzungen hat. Durch diese Zersplitterung geht dem Lande in der Epoche der Renaissance jene Kon- zentration fürstlicher Macht al), die in Schwaben durch das württembergische Herrscherhaus der künstlerischen Kultur damals zu so glänzender Blüte verhalf. Dagegen spricht sich die geistliche Macht in prächtigen Monumenten nachdrück- lich aus. Vor allem sind es aber die Städte, die an Reichtum, Glanz und künst- lerischer Strebsamkeit eine hohe Stellung einnehmen. Diese Verhältnisse lassen sich schon in der romanischen Epoche erkennen. Die Dome von Mainz, Würz- burg und Bamberg gehören zu den Monumenten ersten Ranges. Auch die romanischen Kleinkünste haben gerade hier, namentlich in Bamberg, ihre klas- sische Stätte. Anders ist es in der gotischen Epoche. Der Schwerpunkt rückt hinüber zum Bürgertum. Städte wie Nürnberg, Rothenburg, Frankfurt wetteifern in Anlage und Ausschmückung ihrer Pfarrkirchen; aber bei aller Tüchtigkeit der Anlage, allem Reichtum der Ausstattung wird gerade hier kein Denkmal ersten Ranges hervorgebracht. So geht das Mittelalter zur Rüste, und die neue Zeit bricht an, auch hier besonders in die Städte neues Leben bringend. Jetzt kommt es vornehmlich im Profanbau zu einer Reihe bedeutender Schöpfungen, in denen das Kulturleben der Zeit sich mannigfach spiegelt. Dem ganzen Ge- biete gereicht es zum Vorteil, daß es überall mit trefflichen Bausteinen gesegnet ist. Dadurch wird die Architektur zu gediegener plastischer Durchbildung hin- gedrängt, anstatt zu dem in Oberschwaben verbreiteten Hilfsmittel der Bemalung ihre Zuflucht nehmen zu müssen. In der charaktervollen Architektur dieser Zeit gewinnen besonders die mächtigen Städte, wie Nürnberg und Frankfurt, aber auch Rothenburg und Schweinfurt, ihr lebensvolles Gepräge. Neben den Städten haben wir die weltlichen und geistlichen Fürstensitze ins Auge zu fassen. Wir be- trachten nun das weitgestreckte Gebiet in seiner besondern geographischen Gruppierung.

Rheinfranken und Südhessen

Die rheinfränkischen Lande sind überwiegend in geistlichen Händen ge- wesen und sprechen dies Verhältnis auch in ihren Denkmälern aus. An der Spitze steht Mainz, wo das Vorherrschen der geistlichen Macht namentlich im Gegen- satz zum benachbarten Frankfurt auffallend hervortritt. Wenn irgend eine Stadt durch günstige Naturlage zu blühender Entwicklung bestimmt scheint, so ist es das herrlich gegenüber dem Einfluß des Mains in den Rhein in weiter Ebene sich hinstreckende „goldne" Mainz. Die Lage ist noch vorteilhafter als die von Frank-

Mainz

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furt. Wenn man aber die mächtige Entwicklung, die reiche selbständige Blüte des letzteren mit den Zuständen von Mainz vergleicht, so wird der hemmende Einfluß des geistlichen Elements auffallend fühlbar. Dennoch fehlt es auch hier nicht an einer Zahl ansehnlicher Denkmale der Renaissance ; doch gehören diese überwiegend kirchlicher Bestimmung an und knüpfen sich in der Frühzeit vorwie- gend an die glänzende Persönlichkeit des Fürstbischofs Albrecht von Brandenburg.^) Überaus früh tritt das Streben auf, in den Formen des neuen Stiles zu reden. Zuerst an dem zierlichen Sakramentsgehäuse mit prachtvollem Eisengitter vom Jahre 1500, das man hinter dem Hauptaltar der Stephanskirche sieht. Auch die 1509 laut Inschrift von den Chorherren zu demselben Altar gestifteten vier säulenartigen Kandelaber gehören dem neuen Stil an, stellen sich somit in die Reihe unserer frühesten Renaissancewerke. Von größerer Bedeutung aber ist das herrliche Grabdenkmal des Erzbischofs Uriel von Gemmingen im Dom (Abb. 25), 1514 im Auftrage Albrechts von einem bedeutenden Meister ausgeführt.^) Es ist ein Wandgrab von stattlichen Verhältnissen, dessen hoch gespannte Flachnische einen trefflich durchgeführten Christus am Kreuz enthält, umschwebt von vier lieblichen Engeln, welche das Blut des Heilands in Kelchen auffangen. Am Fuße des Kreuzes kniet, von zwei heiligen Bischöfen behütet, mit innigem Aufblick zum Erlöser, der Verstorbene. Verrät die Komposition und Durchbildung dieser Gestalten einen hervorragenden Bildhauer, so trägt die umgebende Architektur das Gepräge einer nicht minder ausgezeichneten Künstlerkraft, die, ähnlich, wie gleichzeitig Peter Vischer, die Elemente des alten und des neuen Stils in genialer Weise zusammenfaßt. Denn die Pilaster mit ihren originellen und eleganten Voluten- kapitellen, ihren verkröpften Gesimsen und dem sich darüber aufschwingenden Rundbogen sowie den die Attika krönenden Putten gehören der reinen Renaissance an; auch die kleinen Säulchen, die sich, offenbar um Statuetten aufzunehmen, vor die Flächen der Pilaster legen, sind von einer freien Renaissanceform, die ihre Analogien an Vischers Sebaldusgrabe findet; aber die Gotik, als wolle sie den Besitz nicht ohne Kampf aufgeben, drängt sich, wunderlich genug, mit ge- schweiften Baldachinen über den für die Statuetten bestimmten Nischen vor, so daß ihre Fialenspitzen über die Schneckenkapitelle hinweggreifen; und noch üppiger breitet sich über dem Kruzifix ein prächtiger geschweifter Baldachin in den glänzenden Formen der Spätgotik so siegesgewiß aus, daß er den Renaissance- bogen zum Teil überschneidet und in Schatten stellt. In der Gesamtanordnung erinnert das Ganze, wie auch in der Mischung gotischer mit neuen Elementen, ungemein an die reizvollen Fenster im Domkreuzgange zu Regensburg. Man wird nicht leicht ein Denkmal finden, an welchem der Kampf der beiden Stile schärfer sich ausspricht. Es ist, als wenn zwei verschiedene Meister einander bei der Komposition des Werkes hätten überbieten wollen ; in Wahrheit aber sind es die Elemente zweier entgegengesetzter künstlerischer Weltanschauungen, die hier in demselben Meister gären und sich zu einer stark malerisch-barocken Wirkung vereinen.

Die früheste Schöpfung der ausgebildeten Renaissance und überhaupt eine der ersten in Deutschland ist der sogenannte Judenbrunnen auf dem Markte, inschrifthch 1526 durch Erzbischof Albrecht zur VerherrHchung des Sieges von Pavia errichtet (Abb. 265). Neben ausführlichen lateinischen Inschriften liest man daran in deutscher Schrift die Warnung: „0 bedenk das End". Es ist ein drei-

1) Aufn. von W. Ohaus und G. Heuser in Ortweins D. Ren. Lieferung 12, 17, 103, 104.

2) Photogr. Aufn. in Emden und Wetter, Der Dom zu Mainz, Taf. 27. Der Meister ist derselbe, der nachher in Halle für den Dom die herrlichen Ausstattungsbildhauereien, Portale, Kanzel, Statuen schuf. Seine Name ist noch nicht bekannt; an Hans Backofen (Dehio) ist nicht zu denken, da dieser schon 1519 starb, während die Hallischen Arbeiten 1523— 26 entstanden. Sie stehen auch offenbar in Beziehung zu J. WecJitlin, weisen also auf Südwestdeutschland.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Rheinfranken und Südhessen

seitiger Ziehbrunnen dessen Gebälk auf drei Pfeilern ruht, die aus der unteren steinernen Brüstung hervorwachsen. Derbe Konsolen vermitteln den Übergang zwischen Pfeilern und Architrav. Die Pfeiler haben ein Rahmenprofil und frühes Blattornament in den Füllungen. Die obere Krönung gehört zu den anmutigsten

Werken der Frührenaissance. Delphine und Sirenen, in Laubwerk auslaufend und Wappen haltend, stützen den phan- tastisch reichen Aufbau, aus dem ein mittlerer Pfeiler emporsteigt, dreiseitig und mit Flachnischen, darin Bischofs- gestalten stehen. Das Ganze krönt die Statue der Madonna.

Friedr. Schneider hat festgestellt, daß dieses prachtvolle Frühwerk der Renaissance Peter Flettner in Nürnberg zum Meister hat, der also auch hier als Bahnbrecher des neuen Stils auftritt.

Der Stifter auch dieses reizenden Werkes, Kardinal Albrecht von Branden- burg, Erzbischof von Mainz und Magde- burg, Erzkanzler des Reiches, Admini- strator von Halle und Halberstadt, war einer der mächtigsten Fürsten der Zeit, dessen großartige Förderung von Kunst und Wissenschaft einmal quellenmäßig erschöpfend dargestellt werden sollte. Wir werden in Aschaffenburg und Halle seiner Wirksamkeit wieder begegnen und haben hier nur zu betonen, daß er hauptsächlich es war, der die Re- naissance überall in seinem Bereiche einführte. Denn sein Werk ist auch das schon besprochene Denkmal seines Vorgängers Uriel von Gemmingen.

Zu den bedeutsamsten Schöpfungen des neuen Stils in Mainz gehören über- haupt die Grabdenkmäler des Domes. Der großartige Bau litt zwar durch die französische Belagerung von 1689, mehr noch durch die Beschießung und Einäscherung im Jahre 1793, nach der er zehn Jahre lang, nur mit einem Not- dach versehen, als Furagemagazin diente und dem Mutwillen der Solda- teska preisgegeben war; dennoch be- wahrte er wie durch ein Wunder eine Fülle von bedeutenden Monumenten aus allen Epochen des Mittelalters und der neueren Zeit. Unter den letzteren ist zunächst das Grabdenkmal desselben Alb- rechts von Brandenburg von 1545 zu nennen, in einer feinen Renaissance durch- geführt, die von seltener Reinheit der Formen zeugt und nur in den geschwungenen

1) Abb. in Chapuys Moyen-äge pittor. Dazu die Aufn. von Obaus in Ortweins D. Een. a. a. 0. Taf. 13 15.

Abb. 265 Judenbrunnen zu Mainz (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

Mainz

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Voluten des oberen Aufsatzes, dem etwas theatralisch bewegten Christus und den gar zu lustig tanzenden Engel- knaben, welche ihn begleiten, die fol- gende Entwickelung verrät (Abb. 266). Bezeichnend für die weltliche Stim- mung der Zeit ist der kauernde Pan, welcher samt zwei Widderköpfen das Postament der Figur bildet.^) Auch hier ist der Erfinder wieder Peter Flettner, der das Denkmal in seinem letzten Lebensjahre entwarf. In Stein arbeitete er übrigens niemals selber. Für die Durchbildung der Denkmale war es wichtig, daß die Künstler ver- schiedenes Steinmaterial, außer dem roten Sandstein noch den nassauischen Marmor und den Solnhofer Kalkstein zur Verfügung hatten, wodurch eine Steigerung der Wirkung sich erzielen ließ. Das nächstfolgende Denkmal ist das des Erzbischofs Sebastian von Heusenstamm vom Jahre 1555, von Dietrich SchroU, im wesentlichen dem vorigen nachgebildet, nur sind die Pi- laster, welche die Wandnische stützen, in Hermen aufgelöst, und der Bogen zeigt die Kleeblattform, wodurch frei- lich eine gewisse Leere in der Kom- position sich fühlbar macht, während andere Teile nicht frei von Überladung sind. Eine etwas schwere, aber tüch- tige und reich entwickelte Renais- sance-Architektur zeigt das schöne Denkmal der Brendel von Homburg vom Jahre 1562, namentlich ausge- zeichnet durch die meisterhaft lebens- voll behandelten Bildnisfiguren der Familienangehörigen, die betend unter dem Kruzifixe knien. Schlichter ist dasselbe Thema in dem edlen Denk- mal von Gablentz vom Jahre 1592 behandelt, wo die architektonische Einfassung von einer für jene Zeit wohl beispiellosen Reinheit und An- mut ist, während auch die plastische Gruppe sich feiner abstuft. Zu den prächtigsten und opulentesten Denk- mälern dieser späteren Zeit gehören noch dasjenige des Fürstbischofs von

1) Abb. dieser und der folgenden Denkm. in den oben angeführten Werken.

Abb. 26G Grabmal Albrechts von Brandenburg im Dome zu Mainz

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Worms, Georg von Schönenburg vom Jahre 1595 und das nicht minder luxuriöse des Domherrn Rau von Holzhausen vom Jahre 1588.

Von den trefflichen Ghorstühlen im Kapitelsaal oder vielmehr in der Nikolauskapelle des Domes ist schon S. 78 geredet worden. Sie stammen aus der abgerissenen St. Gangolfs-Hofkirche, die unter Erzbischof Daniel Brendel von

Homburg 1570— 81 er- baut und glänzend aus- gestattet wurde. Da dessen Wappen an der Rückwand vorkommt, so datieren sie offenbar aus jener Zeit.

Was sonst hiervon Renaissance vorhan- den, gehört durchaus der Spätzeit an. So zu- nächst das ehemalige erzbischöfliche Schloß, 1627 unter Georg Friedrich von Greiffenklau begon- nen, bis 1752 hat man dann noch an dem an- sehnlichen Schloßbau von heute gebaut.^) (Abb. 267.) Es ist ein stattlicher Bau aus ro- ten Sandsteinquadern, in zwei Geschossen mit kräftigen Pilaster- stellungen gegliedert, welche die langge- streckte Fassade gegen den Rhein glücklich beleben. Der Bau be- steht heute aus zwei im rechten Winkel zu- sammenstoßenden Flügeln, war aber ur-

Abb. 267 Teil des kurfürstlichen Schlosses zu Mainz sprÜnglich nuralskur-

(Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance) zer Flügel gedacht, der

an die alte gotische

Martinsburg anstieß, etwa im Sinne der Heidelberger Schloßbauten. In der fol- genden Zeit aber bis ins 18. Jahrhundert wurde das Gebäude nach dem einmal gegebenen Schema mehr und mehr verlängert.^) An den Ecken des Original- flügels treten diagonal gestellte Erker vor, die sich durch beide oberen Geschosse fortsetzen und mit gehweiften Dächern schließen, offenbar dazu bestimmt, einen nicht ausgeführten Giebel zwischen sich zu fassen, für den die Auskragungen und Konsolen aber vorhanden sind. Die ganze Architektur ist kraftvoll und doch zier-

1) Zahlreiche histor. Notizen über die Mainzer Bauten von dem verstorbenen Domkapitu- lar Dr. Fr. Schneider. Dazu Gesch. der Stadt Mainz von Schaab.

2) Aufn. von Heuser, ebenda Taf. 21 24. Abb. bei Fritsch.

Mainz

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lieh. Die Pilaster, unten toskanische, dann ionische, endlich korinthische, haben am unteren Teil des Schaftes Flachornamente und Schnörkelwerk. Ähnliche De- korationen schmücken die Fensterbrüstungen. Durchbrochene Giebel, im Haupt- geschoß geschweift, im oberen gerade, bekrönen die Fenster. Alles dies entspricht den Formen des Friedrichsbaues in Heidelberg, noch mehr aber des Aschaffen- burger Schlosses, welchem der Bau ja zeitlich direkt folgte. Treffliche Eisen- gitter im Stil der Zeit sieht man in den unteren Fenstern der Fassade, Das Innere, später völlig umgebaut, bewahrt keine Spur der älteren Anlage.

Mit Rücksicht darauf, daß der Mainzer Schloßflügel von dem Nachfolger des Erbauers des Aschaffenburger Schlosses erbaut wurde, dessen Architekt be- kanntlich Georg Ridinger war, daß viele Einzelheiten wie gewisse größere An- ordnungen beider Gebäude genau übereinstimmen, und daß Ridinger in Mainz noch verschiedene andere Bauten für denselben Erzbischof ausführte, darf der ge- nannte Künstler auch als der Erfinder des Schloßbaus angesehen werden. Wenn man einwendet, daß das Aschaffenburger Schloß eine ungemein ernste, wuchtige und geschlossene, im Schmuck höchst sparsame Komposition zeigt, während die Mainzer Architektur eine reich und zum Teil fast überzierlich fein gegliederte ist, so ist das sehr wohl zu erklären mit dem Wechsel der Zeit und ihres Geschmackes, vor allem aber damit, daß es sich ursprünglich um einen ganz kurzen Anbau von acht Achsen an eine mächtige und finstere gotische Burg handelte ; heute ist der Gesamteindruck des fast riesigen Schlosses dem einstigen völlig entgegengesetzt.

Von diesem Gesichtspunkte aus ist der Greiffenklausche Schloßflügel als ein in seiner Art höchst bedeutendes Kunstwerk von vollendeter Durchbildung zu bezeichnen.

Die ehemalige Universität, jetzt Schule, ist ein einfacher hoher Massen- bau, mit schlichten gekuppelten Fenstern in vier Geschossen, das Ganze sonst ohne weitere Gliederung oder besonderen Schmuck. Nur die beiden gleich be- handelten Portale , von kannelierten korinthischen Säulen eingefaßt, deren Schäfte gegürtet sind, unterbrechen die vornehm ernste Front. ^) Die Krönung bildet ein attikenartiger Aufsatz, von stark verjüngten Pilastern eingerahmt und mit einem Giebel abgeschlossen, der ein Wappen enthält. Der Portalbogen hat ein hübsches Eisengitter. Der Bau wurde 1615 durch Kurfürst Johann Schweickard von Kronberg, der auch das Schloß von Aschaffenburg ausführen ließ, begonnen. Schon 1618 fand die erste Promotion darin statt, was auf rasche Vollendung des einfach trefflichen Baues deutet.

Das Gymnasium in der Betzenstraße, ehemals Kronberger Hof, erst Priesterhaus, dann Seminar, seit 1803 seiner jetzigen Bestimmung übergeben, ist ein Bau desselben Fürsten.^) Es hat einen diagonal gestellten Erker von sehr energischer, ungemein lebensvoller Behandlung. Die Formen gehören der Richtung der viel genannten Straßburger Schule an ; der Bau dürfte von G. Ridinger stammen. Die verschlungenen Voluten, die aufgesetzten Pyramiden, die Barock- rahmen der eleganten Schilde, die schlosserartigen Ornamente, das alles ist von malerischem Effekt und ungemein frischer Behandlung. Das rundbogige Portal von schwerfälligem Verhältnis ist von zwei kannelierten kräftigen Pilastern ein- gefaßt, darüber ein leerer Giebel. Im Hof nichts Bemerkenswertes, als etwa die beiden polygonen Treppentürmchen mit Wendelstiegen ; das Portal zu dem links befindlichen mit durchschneidenden gotischen Stäben eingefaßt.

Von Privatgebäuden ist zunächst das Haus zum König von England, ehemals „zum Spiegel", hervorzuheben.^) Die Fassade ist durch mehrere hohe

1) Aufn. von Heuser a. a. 0. Taf. 25.

2) Ebenda Taf. 26.

3) Ebenda Taf. 8 und 9. Aufn. von Obaus.

396 2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Rheinfranken und Südhessen

Giebel gekrönt, die mit schweren Schnecken und Pyramiden belebt sind. Der linke Teil der Fassade, der auf die Seilergasse geht, öffnet sich mit drei Arkaden auf gut gegliederten Pfeilern, die Bogen mit Zahnschnitt und Eierstab lebendig ge- gliedert, die Schlußsteine mit gut behandelten Masken. Sehr schön ist der innere Hof behandelt, mit einer kräftig geschnitzten Holzgalerie auf weit vorspringenden Konsolen umgeben, die Einteilung voll rhythmischen Wechsels, die Gesamtwirkung in hohem Grade malerisch. In der Seilergasse sieht man noch ein anderes Haus mit ähnlichen Arkaden, wie sie oft in jener Zeit als Verkaufsläden angelegt wurden. Die Formen sind schon barocker, die Pfeiler mit Rustikaquadern. Man liest die Jahreszahl 1624. Eine prächtige Fassade hat sodann der Römische Kaiser, früher „ad magnam stellam", auch „Marienberg" genannt, gleich dem König von England von dem reichen Rentmeister Rokoch erbaut und wie jenes da- mals als Gasthof dienend, auf beiden Enden mit hohen Giebeln von barock ge- schweiften Formen, von Halbsäulen auf Konsolen gegliedert. In der Mitte baut sich ein Türmchen empor, mit einer offnen Säulenkuppel endend, darüber eine Statue der Madonna mit prächtigem Eisenwerk als Bekrönung. Die drei Portale der Fassade sind derb barock, von Säulen eingefaßt, die seitlichen sogar mit schraubenförmig gewundenen. In der Zopfzeit ist einiges Figürliche hinzugefügt worden. Im Innern ist der Hausflur mit ganz außergewöhnlich prächtiger, freilich sehr derber Stuckdekoration an der Wölbung ausgestattet; Putten und anderes Figürliche mit Laubwerk wechselnd, größere Felder dazwischen, teils mit gemalten Wappen ausgefüllt. Die breite Treppe geht links in geradem Lauf rechtwinklig gebrochen mit Podesten hinauf, der ganze Raum gewölbt auf Pfeilern, alles statt- lich. Ein tüchtiger Bau ist noch der Knebeische Hof bei S. Christoph, mit schönem Erker, der von Karyatiden getragen wird^); das Portal nebst dem Treppen- turm und den Fensterumfassungen elegant ornamentiert. Der Bau wurde bald nach 1598 durch den Domherrn Wilhelm Knebel von Katzenelnbogen errichtet und ist neben manchen andern ein Typus der Adelshöfe, wie sie in Bischofsstädten haupt- sächlich sich ausgeprägt haben.

Im Stadioner Hof ein schönes Portal mit Halbsäulen aus dem 16. Jahr- hundert; im gotischen Hof zum Korb ein Stück Fachwerk des Obergeschosses von ungemein großem Reichtum der Fenstereinfassungen und Brüstungen von 1621.

Noch ein Privathaus derselben Zeit sieht man in der Augustinerstraße, mit hohem Giebel abgeschlossen. Die Ecken der Fassade mit Rustikaquadern ein- gefaßt, die Mauerflächen verputzt, der Giebel mit schweren häßlichen Voluten und kleinlichen Pyramiden, alles sehr roh und handwerksmäßig. Sehr barock ist auch ein Fachwerkbau in der Leihhausstraße, der indes den Steinstil nachahmt. Nur das Erdgeschoß besteht aus Quadern und ist mit reich und kräftig be- handelten Konsolen abgeschlossen. Die oberen Geschosse durch hermenartige Pilaster gegliedert.

Die benachbarten Gegenden am Rhein bieten nur geringe Ausbeute. Die verheerenden Einfälle der Franzosen haben hier wohl vieles zerstört. Ungewandt in der Behandlung, aber von malerischer Komposition, ist in Lorch das Hilchen- haus, von dem wir in Abb. 268 eine Abbildung geben. Ein hoher und breiter Giebelbau, mit spielenden Schnecken und muschelförmigen Krönungen, durch nüchterne Lisenen und Gesimse gegliedert. Das Erdgeschoß ist in Quadern, die übrige Fassade in den Flächen bloß geputzt, die konstruktiven Teile aus Sandstein, und zwar die Säulen, Eckeinfassungen, Füllungen der Fensterbänke aus rotem, die Pilaster, Fensterrahmen und Pfosten aus gelbem Stein. Das Originellste ist der Erker, um den sich, auf derben Säulen und elefantenmäßigen Tragsteinen ruhend, ein Balkon herumzieht. Man hat für den Bau offenbar

1) Aufn. von Heuser a. a. 0. Taf. 16 und 27.

Rheingau

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nur geringe Kräfte von handwerklicher Bildung zur Verfügung gehabt. Das wenig geschickt behandelte Portal führt zu einem niedrigen Flur, und dieser zu einer Wendeltreppe, die links in dem Nebenhause, einem schlichten Fachwerkbau, liegt. Das Hauptgeschoß enthält einen stattlichen Saal, mit einfacher Balkendecke, da- bei der Erker mit gotischem Sterngewölbe, diesen läuft ein Gang mit Tonnengewölbe, mit andern unter-

Daneben zwei andere Zimmer. Vor seiner Linken liegt die Küche

zu

geordneten Räum- lichkeiten, diese ebenfalls mit Ton- nengewölben. Die Tür zum Saal ist noch gotisch. Das zweite Geschoß hat dieselbeEinteilung. Ein mächtiger Kel- ler, hier im Lande des besten Rhein- weins doppelt be- rechtigt, zieht sich auf Säulen gewölbt unter dem Hause hin.

Ganz anderer Art ist ein Haus in Eltville (Ellfeld), das dem Ausgang der Epoche ange- hört. Mit der einen Front nach der Straße liegend, ist es im übrigen ganz von einem großen Garten mit präch- tigen Bäumen ein- geschlossen und zeigt in seiner An- lage den Charakter eines vornehmen Landsitzes. Des- halb ist aller Nach- druck auf das hohe Erdgeschoß gelegt, dem nur ein un- bedeutendes oberes Stockwerk hinzugefügt ist. Das letztere völlig schmucklos, und zwar mit Absicht so gehalten, während das Erdgeschoß elegante Ausbildung zeigt; die breiten dreiteiligen Fenster, von schlanken ionischen Pilastern ein- gefaßt, geteilt und mit Giebeln bekrönt; die Pilaster kannehert, der untere Teil des Schaftes mit Ornamenten im Schlosserstil geschmückt. Die Ecken des Hauses mit breiten einfachen Pilastern eingefaßt. Auch hier sind starke Anklänge an die Straßburger Schule vorhanden, also vielleicht wieder Ridingersche Einflüsse oder Tätigkeit zu vermuten. Die ganze etwas zusammenhanglose Architektur legt den

SS! II

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Abb. 268 Hüchenhaus zu Lorch (Aufnahme der Kgl. Meßbildanstalt, Berlin)

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Eheinfranken und Südhessen

Gedanken nahe, daß die Architekturteile von einem anderen Bauwerke herrühren könnten, besonders da die Erbauung des Langwerthschen Hauses um 1670 gesetzt wird. Der kleine Erker an der Straße ist wohl neuerer Zusatz. Das Portal liegt an der Gartenfront. Am Torweg des Hofes auf der Rückseite der Besitzung sieht man ein Doppelwappen und die Namen „Philipp Bernhard Langwerth von Simmern und Christina von Langwerth, geborne von Gemmingen".

Das Rathaus zu Kiedrich mit seinen beiden Erkern ist ein nicht unbe- deutender Bau der Zeit um 1585; verschiedene reich geschmückte Holzbauten daselbst gehören derselben Epoche an. In Groß-Steinheim, gegenüber von Hanau, ist das von Huttensche Haus ein tüchtiges Werk der Zeit, mit einem steinernen Erker und hölzernem Oberbau.

In der Stadtkirche ist das Denkmal des Ehepaars Frowin von Hutten vom Meister C. F. eine ausgezeichnete Arbeit. Der Künstler ist vermutlich derselbe, der im Heidelberger Ruprechtsbau den von P. Flettner entworfenen herrlichen Kamin ausführte; das gleiche Monogramm an beiden Arbeiten. Die beiden Ge- stalten stehen in zwei Bögen, deren Kämpfer mit ihren Wappen geziert sind ; vor den Pfeilern als Trennung schlanke Pilaster ohne Kapitell ; zwei Muschelkrönungen darüber. Die Gestalten der Gestorbenen sind von hohem Adel, nicht minder die feine und strenge Architektur, i) Die Denkmäler sind 1548—53 errichtet.

Im Schlosse vor dem Treppenturm ein hübsches Portal mit dem Wappen des Bischofs Brendel aus Homburg von 1572 in schönem Aufsatz; unten dorische kannelierte Pilaster. Das Ganze offenbar eine Arbeit von dem Meister des gleich- zeitigen Ofifenbacher Schlosses.^)

In Wiesbaden ist das am Marktplatz gelegene, jetzt als Telegraphenamt dienende ehemalige Rathaus ein schlichter Bau von guten Verhältnissen und charaktervoller Erscheinung, dabei für die späte Jahreszahl 1610, welche man über dem Portale best, auffallend streng in der Behandlung. Eine stattHche doppelte Freitreppe, die auf den beiden unteren Podesten zu einfachen Bogenportalen, auf dem oberen zur Hauptpforte führt, nimmt fast die ganze Breite der Fassade ein. SämtHche Portale, auch die beiden zum Keller führenden, sind im Rundbogen geschlossen, die Hauptpforte mit Rahmenpilastern eingefaßt, welche Rosetten als Füllung haben. Auch die Fenster der beiden Hauptgeschosse sind rundbogig, die unteren mit Steinkreuzen von breiten Pfosten durchschnitten, die Profile mit Stab und Hohlkehle noch gotisierend. Die oberen Fenster etwas abweichend pro- filiert und mit einem Querstab durchschitten, über welchem der mittlere Pfosten sich in zwei Spitzbögen teilt. Über der Mitte der Fassade erhebt sich vor dem hohen Pultdach ein kleiner abgetreppter Giebel. Auch das Hauptdach ist an den Seiten mit ähnlich behandelten Giebeln versehen, die jede reichere Gliederung verschmähen. Die konstruktiven Teile, namentlich die Einfassungen der Fenster und Türen, bestehen aus Sandstein, die Flächen dagegen sind verputzt, nur an den Ecken durch Rustikaquadern eingerahmt. Man könnte den schlichten und doch charaktervollen Bau für ein Werk vom Anfang des 16. Jahrhunderts halten. Es ist aber zu bemerken, daß nur das Erdgeschoß mit der Freitreppe dem alten Bau angehört, das übrige 1828 eine Restauration erfahren hat. Daraus erklären sich denn auch die auffallenden Formen der oberen Teile. Die geschnitzten, vergoldeten und bemalten Füllungen der Fenster sind jetzt im Museum zu Wies- baden aufbewahrt. Sie waren in Straßburg durch Jahoh Schütterlin gefertigt worden, während die Steinmetzarbeit einem Mainzer Meister Cyriacus Flügel über- tragen war. Als Baumeister wird Valerius Baußendorf genannt, als ausführender Werkmeister Änthoni Schöffer.^)

1) Kunstdenkm. im Gr. Hessen, Kr. Offenbach, Fig. 11. ^) Das. Fig. 16.

3) Rhein. Kurier 1873 No. 108.

Frankfurt

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Einige doch im Verhältnis zu seiner Bedeutung geringe Ausbeute gewährt die berühmte alte Stadt Frankfurt. Sie hat schon früh durch ihre günstige Lage als Vermittlerin zwischen Süd- und Norddeutschland, durch Handel und Gewerbefleiß ihrer Bewohner sich zu hoher Bedeutung aufgeschwungen. Ihre Messen, die bereits seit dem 14. Jahrhundert in großem Ansehen standen, steigerten ihre Wichtigkeit für den gesamten deutschen Handelsverkehr. Wenn auch die Stadt im Schmalkaldischen Krieg schwer zu leiden hatte, blieb ihre Kraft und Blüte doch noch groß genug, um sich in einer tüchtigen bürgerlichen Baukunst auszusprechen. Einiges aus dieser Zeit findet man im Römer. Im kleinen Hofe zwei Portale ziemlich gleich behandelt, nur im Detail variierend. Rund- bogen auf Pfeilern, fein gegliedert, Archivolte mit Perlenschnur, Portalsturz mit Perlenschnur und facettierten Feldern, das Ganze eingerahmt von vortretenden korinthischen Säulen, der untere Teil des Schaftes mit eleganten Masken und Fruchtschnüren, am Postament wunderlich frisierte Löwenköpfe, in deren Mähnen fast schon die Allongeperücke spukt, am Fries Masken mit feinen Fruchtgehängen, das Ganze zierlich und von trefflicher Wirkung. Tritt man von hier in den Flur des Hintergebäudes, so findet man Fenster mit Mittelpfosten, die noch gotisch stilisiert sind, aber eine Einfassung von Renaissancepilastern haben. Daneben eine Wendeltreppe mit gotisch profilierter Spindel; alle Türen und Fenster eben- falls noch mittelalterlich profiliert. Die Jahreszahl 1562, welche man im Hofe an der Wand liest, kann recht wohl für alle diese Teile als Entstehungs- zeit gelten. Das Haus Limburg neben dem Römer ist jetzt mit die- sem vereinigt. In seinem Hofe eine Treppe von ganz ähnlicher Anlage und Ausführung. Sodann aber eine größere Haupttreppe mit gewunde- ner Spindel, die sich in einem ganz durchbrochenen Stiegenhaus vom Jahr 1607 befindet. Von der kräf- tigen und zugleich eleganten Archi- tektur dieses interessanten Werkes gibt unsere Abbildung (Abb. 269) eine Anschauung. Bemerkenswert sind die prachtvollen schmiedeeiser- nen Gitter, welche das äußere Trep- pengeländer füllen. Die Brüstung ist mit flachem Riemenwerk in feiner Ausführung geschmückt. Die facet- tierten Flächen der Pilaster und die zahlreich angewandten Löwenköpfe sind bezeichnend für diese Epoche. Im Innern wird die Spindel oben durch einen wappenhaltenden Löwen abgeschlossen. Der Ausgang von hier nach der Limburggasse besteht in einer breiten Durchfahrt mit go- tischem Netzgewölbe auf eleganten Renaissancekonsolen. Die Fassade hat ein prächtig derbes Rundbogen- portal in reich ausgebildetem dori-

Abb. 269 Treppe im Hause Limburg zu Frankfurt a. M.

400 2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Kheinfranken und Südhessen

sehen Stil, die Pilaster kanneliert, die Postamente mit Verzierungen im Schlosser- stil, ebenso an den Bogenzwickeln, die Archivolte fein mit Perlschnur und Eier- stab gegliedert, am Schlußstein ein grimmiger Löwenkopf, der Triglyphenfries mit Flachornamenten in den Metopen, kraftvolle Masken über den Ecken, treff- liches Eisengitter im Portalbogen. Die ganze Fassade ist hier im Erdgeschoß in große Bogenöfifnungen aufgelöst, die auf derb facettierten Pfeilern ruhen.

Hier wie überall in den alten Teilen Frankfurts beherrscht die Rücksicht auf den Handel und die Messe den Privatbau. Jedes Haus wird im Erdgeschoß zu Gewölben eingerichtet, die sich mit weitgespannten Bögen auf Pfeilern nach der Straße öffnen. Nach unten durch Läden verschließbar, haben diese Arkaden offene, nur mit Glas versehene und durch Eisengitter geschützte Bogenfelder. Diese gaben Licht genug, daß die Kaufleute ihre Waren drinnen auspacken und ordnen konnten, bis das offizielle Glockenzeichen, das den Anfang der Messe verkündete, zur Öffnung der Läden aufforderte. Die oberen Stockwerke sind fast durchgängig in schlichtem Fachwerkbau ausgeführt, ragen aber auf kräftigen, oft sehr eleganten Steinkonsolen weit über das Erdgeschoß vor. Von dieser Archi- tektur ist hier noch manches erhalten. Nahe dem Römer am Glesernhof zwei treffliche Fenster- und Portalfüllungen mit herrhch stilisierten Eisengittern.

Das Prachtstück dieser Architektur ist der Wedel, Ecke des Römerbergs und der Wedelgasse, auch Salzhaus genannt. Die an der Gasse liegende Langseite zeigt fünf große Arkaden auf kräftig facettierten Rustikapfeilern von trefflicher Behand- lung, in den Bögen Füllungen von Eisengittern, die vordersten zugleich die schön- sten und reichsten. Kräftige Konsolen mit Masken tragen das weit vorspringende Balkenwerk der oberen Geschosse. Man sieht hier so recht, wie die Einengung der mittelalterlichen Städte zu raffiniertestem Ausnutzen des Raumes auf Kosten von Luft und Licht zwang. Die oberen Wände zeigen noch reiche Spuren von Gemälden, unten breite Bilder mit Figuren und Landschaften, in der Mitte Frucht- schnüre, darüber wieder Figürhches, oben in zwei Reihen abermals Fruchtgehänge, alles sehr reich in den Farben. Die schmale Giebelseite gegen den Platz (Abb. 270) ist dann ganz in Holz geschnitzt, gleichsam eine Inkrustation von Holzplatten, eine Seltenheit in der Architektur, aber mit Meisterschaft ausgeführt in flachem Relief, dazwischen einzelne Köpfe kräftig vorspringend, voll plastischer Wirkung. Unter den Fenstern des Hauptgeschosses an der Sohlbank die Figuren der Jahres- zeiten sowie Genien mit Fruchtschnüren und Wappen. Dazu der schlanke Giebel, frei geschweift, aber ohne Aufsätze, dafür mit gotisierender Spitzengarnitur. Die hölzerne Treppe im Innern ist eine tüchtige Arbeit des 18. -Jahrhunderts. An der Seite in den Bögen herrliche Gitter.

Dieses Haus steht mit seiner Behandlung vereinzelt da, während im üb- rigen die gleichzeitigen Privatgebäude in Frankfurt sich mit einer kräftigen Bogenarchitektur im Erdgeschoß begnügen, und die oberen Stockwerke in der Regel ohne künstlerische Ausbildung sind. Man behielt sie wohl großenteils der Bemalung vor. Bisweilen findet man auch noch malerische alte Höfe, so in der alten Mainzergasse Nr. 15 ein Hof mit zwei Holzgalerien übereinander, samt offen liegender Treppe, die Stützen der untern Galerie stelenartig verjüngt. In dieser Gasse sieht man noch mehrere Häuser mit trefflichen plastisch be- handelten Konsolen, anscheinend von derselben Zeit und vielleicht von der gleichen Hand, wie die oben erwähnten Arbeiten am Römer. So das Haus zum goldnen Kängen (Kännchen) Nr. 54; ferner das Eckhaus der Kerbengasse, u. a. m. Eine große prächtige Fassade aus der spätesten Zeit, 1637 bezeichnet, in der Saal- gasse Nr. 29 mit ungemein reich aber schon etwas kraus behandelten Konsolen, die Bogen sehr elegant mit Eierstab, Perlschnur und Zahnschnitt dekoriert, auf Rustikapfeilern, deren Quadern rundlich profiliert sind, nicht mehr so energisch

Frankfurt a. M.

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und markig wie die frühe- ren. Es ist ein Doppelhaus mit zwei Giebeln. Dagegen bilden die Ecke des Markts und des Römers zwei ganz schmale Häuser mit nur einem gemeinsamen Gie- bel. An der Ecke des ersten sieht man in Holz geschnitzt Adam und Eva, darunter: „dies Haus steht in Gottes Hand, zum klei- nen Engel ist es genannt." Das andere, gegen den Römer, hat über dem Par- terre ein Halbgeschoß mit kleinen zierHchen gotischen Fenstern, deren Bogen drei- mal gebrochen. Das üb- rige hat Renaissanceformen. Ein Erker ist auf hölzernen Streben mit Masken aus- gebaut, im obern Geschoß Satyrn als Konsolen. Da- bei der Spruch: „Beati qui timent dominum." Die obe- ren Teile der Fassade ganz mit Schiefer bekleidet, der Erker mit polygonem Turm- dach geschlossen, alle kon- struktiven Teile, Stützen und Konsolen aus Holz. So geht hier neben einer reich und kräftig ausgebildeten Steinarchitektur der Holz- bau ununterbrochen her. Einsderspätestenundreich- sten Häuser dieser Epoche ist die Goldene Wage, Ecke der Höllgasse am Markt (Abb. 271). Die Pilaster sind ganz diamantiert, eben- so die sehr hoch gezogenen Bögen, alles ist ungewöhn- lich schlank. Die Konsolen reich, aber nicht mehr so fein entwickelt wie die früheren; die Eckkonsole ruht auf einer hockenden Frauengestalt, das zweite Stockwerk auf Konsolen

leichterer Art. Der Archi- Abb. 270 Haus Wedel zu Frankfurt a. M.

Lübke-Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Eheinfranken und Südhessen

tekt hat an diesem Hause alles andere durch Reichtum zu überbieten gesucht, aber in seinen Formen vermißt man die Feinheit der früheren Arbeiten. Pracht- voll sind die Eisengitter in den Bögen. Daneben der weiße Bock, ein kleines unbedeutendes Haus, aber mit einer der schönsten Konsolen dieses Stiles: ein nackter Knabe hält mit ausgebreiteten Armen die zierlichen Voluten, ein sin- niges Motiv, dabei von schönem Profil. Derb und kräftig das Haus Neue Kräm 27, die Bögen lebensvoll gegliedert, die Konsolen derb und reich behandelt mit

Masken und ioni- schen Kapitellen, die Eckkonsole be- sonders elegant. Eine der pracht- vollsten Eisenar- beiten endlich am Hause Saalgasse 2 1 im Portalbogen, be- zeichnet mit 1641. In der Mitte ein

verschlungener Schreibschnörkel, dabei blasende Ge- nien, Masken und anderes Phanta- stische. SchheßUch ist noch der Brun- nen auf dem Markt zu erwähnen, eben- falls vom Ende der Epoche: ein acht- eckiges steinernes

Becken, aus welchem sich nicht wie gewöhnlich eine Säule, sondern ein vier- eckiger Pfeiler mit den Reliefgestalten von Tugenden erhebt ; darüber ein Aufsatz, dessen Profil durch blasende Sirenen energisch geschwungen ist. Die bewegte Figur der Justitia krönt das Ganze (Abb. 272).

Ist in Frankfurt ausschließUch die bürgerliche Architektur der Zeit ver- treten, so bietet das benachbarte Offenbach in dem Isenburgischen Schlosse ein interessantes Beispiel eines Fürstensitzes jener Zeit.^) Graf Reinhard von Isenburg, der 1556 Offenbach zur Residenz erwählte, ließ das alte verfallene Schloß abreißen und an dessen Stelle ein neues errichten. Da dieses schon nach drei Jahren vollendet war, darf man vielleicht annehmen, daß es kein künstlerisch durchgeführtes Werk gewesen ist. Schon 1564 zerstörte ein Brand den ganzen Bau bis auf die nördliche Fassade. An diese baute der Graf sofort ein neues Schloß, welches 1572 vollendet, im Innern Ausbau jedoch erst 1578 zum Abschluß kam und zwar unter Graf Phihpp, dem Bruder und Erben des Erbauers. Das Prachtstück dieses Neubaues ist die einstige Hoffront mit ihren von zwei polygonen Treppentürmen begrenzten Arkaden, von welchen unsere Abb. 273 einen Teil vorführt. Im Erdgeschoß ist es eine sehr hohe Bogenhalle, mit schlanken kannelierten ionischen Pilastern besetzt, in den Bogenzwickeln und dem Friese elegant ornamentiert. Die beiden oberen Geschosse, die sich

Abb. 271 Goldene Wage zu Frankfurt a. M.

1) Manchot in Försters Allg. Bauzeit. Vgl. auch die Studien des Stuttgarter Archi- tekten-Vereins.

Oifeubach

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offenbar den niedrigen Stockwerken des Innern fügen mußten, sind deshalb sehr gedrückt und haben statt der Bögen nur Architrave. Im ersten Stock sind die Pfeiler mit männlichen und weiblichen Figuren hermenartig dekoriert, im zweiten haben sie einfache Kannelierung. Der ganze Bau ist mit großer Zierlichkeit durchgeführt, namentlich an den Friesen mit elegantem Rankenwerk und an den Brüstungen mit reich ausgeführten Wappen geschmückt. Es ist der Charakter einer gesunden Frührenaissance, derjenigen am Otto-Heinrichsbau zu Heidelberg verwandt, in der Feinheit der Ornamentik jenem Bau nahe kommend, im Figür- lichen aber weit hinter ihm zurückstehend, ganz abgesehen davon, daß die Ver- hältnisse an Schönheit und rhythmischer Durchbildung erheblich geringer sind. Über dem Dach der oberen Halle steigt der Hauptbau noch um ein Geschoß höher auf, mit nüchternen Rahmenpilastern gegliedert. Die unteren Hallen sind mit Kreuzgewölben bedeckt, die oberen haben eine von Steinplatten gebildete flache Decke. Das obere Geschoß der Hallen ist von fast roher Durchbildung gegenüber den beiden unteren, und verrät die Hand eines schwachen Architekten. Daß überhaupt später auch der Hauptbau um ein Stockwerk erhöht worden ist, beweist die Abbildung der nördlichen Fassade bei Marian, wo außerdem statt des jetzigen Mansardendaches ein hoher Giebel sich findet. Von den beiden Wendel- treppen hat besonders die westliche eine schöne Konstruktion, indem die Spindel um drei schlanke Säulen herumgeführt ist. Den Abschluß bildet ein elegantes Sterngewölbe. Zu beiden Treppen führen reich ausgebildete Portale.

Das Innere (Abb. 274) ist nur durch die zierlichen Rippenge- wölbe des Erdgeschos- ses bemerkenswert. In dem westlichen, 21 Me- ter langen und 71/2 Meter breiten Saale ist ein Netzgewölbe mit durchschneiden- den Rippen, in dem östlichen kleineren Räume ein Kreuzge- wölbe. An den Saal stößt ein nordwärts herausgebauter Erker, rechtwinklig vorsprin- gend und mit Fenstern versehen, im obersten Geschoß als Altan mit durchbrochener Brü- stung schließend. Un- ter den Fenstern zieht

sich spätgotisches Maßwerk hin. Diese Teile könnten noch zum mittelalterlichen Baue gehören. Wun- derlich genug sprin- gen die beiden Rund- türme am westlichen Abb. 272 Justitiabrunnen zu Frankfurt a. M.

X

404 2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Eheinfranken und Südhessen

Abb. 273 Teil vom Schloß zu Offenbach (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

und östlichen Ende dieser Fassade halb in die inneren Räume, halb nach außen vor, wo sie jetzt im obersten Stock balkonartig abschließen und mit einer Ba- lustrade eingefaßt sind. Der Schlußstein im westlichen Turme trägt das Datum 1578 und das Monogramm A. S.

Hanau

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Das nahegelegene Hanau auf der anderen Seite des Mains ist eine alte Stadt, die seit Jahrhunderten die Residenz der nach ihr genannten Grafen war. Die Bedeutung dieses Grafengeschlechtes war eine sehr große, und ihr Schloß an der Altstadt ein prächtiges, vieltürmiges Haus ; nur ein später mittlerer Flügel- bau mit ein paar Portalen ist davon übrig geblieben, da nach dem Aussterben der Grafen 1736 ihren Erben, den Kurfürsten von Hessen, das alte, stolze Gebäude im Wege stand. Heute ist da der Schloßpark; in der alten Stadt steht noch die schöne gotische Marienkirche, die in ihrem Chor die prächtigen Grabmäler der Grafen enthält; von ihnen sind als die schönsten zu nennen die des Grafen Philipp III. (f 1561) und seiner Gattin Helene von der Pfalz (f 1579), sowie des Philipp Ludwigs I., der 1580 starb. Alle drei enthalten die Statuen der Ver- storbenen in einem von Pilastern oder Säulen getragenen Triumphbogen. Ins- besondere das zweitgenannte Werk ist von großer Feinheit der Durchbildung und dürfte Johann von Trarbach zum Autor haben. Das dritte, das ebenfalls flan- drische Anklänge zeigt, ist im übrigen stark itahenisch von hoher Vollendung im Ornament, und mit seinen vortretenden Doppelsäulen von großer Pracht.') Eine schön geschnitzte Orgel aus etwas späterer Zeit ebenfalls im Chor.

Abb. 274 Grundriß des Schlosses zu Offenbach

Große Bedeutung gewann die Stadt, als 1597 Grat Philipp Ludwig II. wallonischen und holländischen Reformierten eine Freistatt bot und ihnen ge- stattete, neben der alten Stadt eine neue anzulegen, von ganz regelmäßigem Grundriß, deren Mittelpunkt der große Marktplatz bildet, deren schöne, breite Straßen sich rechtwinklig durchschneiden, genau von Norden nach Süden, und von Osten nach Westen gerichtet. Der Marktplatz ist von stattHchen Giebel- häusern umgeben und hat als schönsten Schmuck in den vier Ecken die be- kannten reizvollen Ziehbrunnen^), von 1605, zwei von 1616 und 1621 (Abb. 152). In höchst eleganten Verhältnissen aufgebaut, zeigen sie eine gut entwickelte Kar- tuschenornamentik, aber auch noch schöne Akanthusfriese ; darüber giebelartige Aufsätze mit Obelisken, Kugeln und bekrönendem hessischen Löwen. Das schön geschmiedete Kettenrad hat noch gotisches Maßwerk.

An der Südseite des Marktes stattliche Häuser ; eines mit vorgebautem Erker auf Konsolen, oben mit Balkon abschließend, darüber Giebel. Das Portal hat gewundene Säulen. An der Westseite ein breites Gebäude mit drei hohen kraft- voll gebildeten Giebeln; der mittlere ist breiter. Zwei Portale mit korinthischen

1) Abgeb. in Bau- u. Kunstdenkm. der Stadt Hanau. I. Hanau 1897, Fig. 47 57. -) Abgab, bei Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance.

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Säulen, Masken und Wappen vor dem Erdgeschoß. Daneben ein noch höheres Giebelhaus; ein schönes Portal Ecke der Marktstraße gegen Paradeplatz; andere beachtenswerte Bauwerke in der Römerstraße. Das schmückende Detail aller dieser sonst einfachen Häuser entspricht merkwürdigerweise gewissen Heilbronner Gebäuden; insbesondere ist der Giebel der Südseite völlig identisch mit dem einstigen des Katharinenspitals zu Heilbronn (Abb. 238) und den drei ganz ähn- lichen am Abteigebäude von Kloster Schönthal.

Als Architek- ten der Neustadt macht Sandrart in seiner Teutschen Akademie (II, III, S. 297, 310) einen Wallonen, Daniel Soriau, namhaft, der an Kirchen und Häusern, Pforten und Wällen tätig gewesen sei, auch große Kontrafäle und stillstehende „Sachen" gemalt habe. Vielleicht war dies übrigens nur ein kunstverstän- diges Mitglied der wallonischen Ge- meinde.

In der Altstadt noch einiges, vor allem das alte Rat- haus, ein reizvoller Fachwerkbau mit zwei Holzerkern zwischen zwei stei- nernen Staffelgie- beln, unten Frei- treppe; in der kleinen Lahrgasse ein reich und originell geschnitztes Fachwerk- haus von 1571 in besonders stilvoller Behandlung. Wertvoll ist die stolze einstige hohe Landesschule vom Jahre 1665, ein schlichter Basaltbruchsteinbau, riesig hoch in drei Geschossen emporsteigend, durch die lebendig gruppierten und wirk- sam eingerahmten Fenster, sowie das kolossale Dach von charaktervollem Ge- präge, jetzt Gymnasium. Die Einfassung der Fenster ist in rotem Sandstein ausgeführt, ebenso das Prachtstück des ganzen Baues, das imposante Portal mit reich geschmückten toskanischen Säulen, Masken, Löwenköpfen und prächtig barockem Aufsatz, der das Doppelwappen des Grafen Ludwig von Hanau und seiner Gemahlin trägt.

Das Merkwürdigste aber in Hanau ist die große Doppelkirche i), die von weitem schon mit dem riesig hoch emporsteigenden Dach es erreicht eine Höhe von mehr als 40 Metern wie ein kleines Gebirge aus der flachen Landschaft aufragt und die Aufmerksamkeit erregt (Abb. 275). Es sind nämlich, wie unser 1) Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Hanau.

Abb. 275 Französisch-holländische Kirche zu Hanau

Hanau

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Grundriß (Abb. 276) zeigt, zwei im Polygon angelegte Kirchen, gleichsam sia- mesische Zwillinge, die mitten ineinander gewachsen sind. Der Bau entstand seit 1599; die Stuckdecke in der holländischen Kirche trägt die Jahreszahl 1622. Für die niederländischen und wallonischen Einwanderer errichtet, bietet die Kirche ein neues beachtenswertes Beispiel von dem Bestreben jener Zeit, für die Be- dürfnisse des evangelischen Kultus nach rationellen Grundsätzen das Gotteshaus

Abb. 276 Grundriß der Französisch-holländischen Kirche zu Hanau

zu gestalten. Wir haben diese Tendenz mehrfach in den Schloßkapellen prote- stantischer Fürsten kennen gelernt; wir haben einen merkwürdigen Versuch in der Kirche zu Freudenstadt beobachtet. Nicht ganz so weit hat man sich in Hanau von der Tradition entfernt; aber man ist doch vom mittelalterlichen Langhausbau zur hier verdoppelten Zentralanlage zurückgekehrt und hat zwei Vielecke auf kräftigen polygonen Pfeilern mit ziemlich breiten Umgängen errichtet; die Pfeiler gehen oben in toskanische Säulen über, und über den Umgängen liegen ausgedehnte Emporen. Altäre sind nicht vorhanden, da der strenge Kultus der Reformierten sie verschmäht ; auf den Emporen erheben sich die Orgeln und, an den einspringenden Turm gelehnt, die Kanzel. So hatte man ein Gotteshaus er- halten, das in rationeller Weise sich als großen Predigtsaal darstellt, dem aber eine eigentlich kirchliche Stimmung fehlt. Alles ist hell, übersichtlich, akustisch, aber nüchtern. Es ist ein Ideal des architektonischen Rationalismus; jede mystische Stimmung erscheint gründlich ausgetrieben. Der ganze Raum ist in gleicher Höhe mit einer flachen Decke versehen, welche bei der holländischen Kirche reich in Stuck dekoriert ist. Klar eingeteilt, aus runden, ovalen und ähn- lichen Feldern zusammengesetzt, in maßvoller Weise mit Kartuschenwerk, ein- zelnen Wappen und Emblemen geschmückt, macht das Ganze einen würdigen Eindruck. Reichliches Licht wird durch paarweis in den Seiten des Umgangs

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angeordnete Fenster zugeführt. Sie sind in gotischer Konstruktion durch einen mittleren Pfosten und einfaches Maßwerk geteilt. An den äußeren Seiten liegen die drei Eingänge, die in einer nüchternen Pilasterarchitektur durchgeführt sind. Über diesen sind große dreiteilige Fenster angeordnet, die, obwohl gleich allen übrigen im Halbkreis geschlossen, durch gotisches Maßwerk in Fischblasenformen belebt werden.

Während die östlich gelegene holländische Kirche eine achteckige Grund- form hat, wählte man für die größere wallonische ein Zwölfeck, das durch den Glockenturm mit der kleineren Kirche zusammenhängt, jedoch ohne im Innern eine Verbindung mit ihr zu haben. Hier ist die Kanzel wieder an den Turm angelehnt, also an der Ostseite angebracht, während die Orgel an der Südseite der Empore sich erhebt, die Eingänge südlich, nördlich und westlich angebracht sind. Die Formbehandlung ist bis ins einzelne wesentlich die gleiche, nur die Ornamente der Stuckdecke, hauptsächlich aus Rauten und Medaillons bestehend, sind einfacher.

Am merkwürdigsten ist der äußere Eindruck dieser Doppelkirche, der haupt- sächlich durch die beiden riesenhaften polygonen Dächer bestimmt wird. Auf dem niedrigeren Dach steigt, in dreifacher Abstufung sich verjüngend, der Glocken- turm empor, der aber von dem Dach der westlichen Kirche an Höhe fast erreicht wird. Zahlreiche größere Dacherker und kleinere mit Spitzhelmen abgedeckte Luken, an der kleineren Kirche in zwei, an der größeren in vier Reihen über- einander, beleben diese ungeheuren Flächen in origineller Weise. Die unteren Teile verschwinden dagegen, doch sind sie durch die noch mittelalterlich ge- gliederten Fenster und die ebenfalls in gotischer Weise mit Kreuzblumen be- krönten Slrebepfeiler nicht unwirksam gegliedert. Das Ganze dürfte in seiner Art ein Unikum sein.

Wer der Baumeister der Kirche war, ist nicht sicher. Doch wird der oben genannte Sorimt, aber auch ein sonst nicht unbekannter Johann d' Hollande, „von Geburt ein Valenciner", namhaft gemacht.

Das südliche Hessen

Unter dieser Bezeichnung fasse ich die verschiedenen Gebietsteile zusammen, welche die heutige großherzoglich hessische Provinz Starkenburg ausmachen, wozu noch Rheinhessen sich gesellt. Ich beginne hier mit Darmstadt, das recht eigent- lich als eine Schöpfung der hessischen Landgrafen zu bezeichnen ist. Schon Philipp der Großmütige hatle hier den Beginn einer baulichen Umgestaltung eingeleitet, war aber nicht weit damit gediehen, i) Als während des Schmalkaldischen Krieges das zum Teil nur aus Holz erbaute Schloß 1546 auf Befehl des österreichischen Generals von Büren niedergebrannt worden war, blieb es volle zehn Jahre lang in Trümmern liegen. Erst 1556, da es sich darum handelte, für den Sohn des Landgrafen, Prinzen Ludwig, bei seiner Vermählung mit einer württembergischen Prinzessin eine Wohnung im Schlosse einzurichten, trat man dem Gedanken eines Aufbaues näher, aber erst 1559 begannen die Arbeiten. Man hatte auch jetzt nur eine notdürftige Unterkunft im Auge, denn als der Prinz 1562 einzog, fand er die Wohnung so klein, daß er nicht einmal seine Dienerschaft darin unter- bringen konnte und seinen Vater um Erweiterung der Wohnung bat. Philipp bewilligte aber nur eine einzige weitere Schlafkammer, indem er bemerkte: „darin magst du die Deinen legen, die du am notdürftigsten haben mußt ; denn daß du

1) Vgl. die urkundlichen Nachweise bei Dr. Steiner, Georg I., Landgraf von Hessen- Darmstadt. Gr. Steinheim 1861.

Darmstadt

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viel vom Adel und ander Gesind über Nacht im Schloß liegen haben wolltest, wissen wir nicht wozu das nutzt, denn allein daß so viel mehr Wein ausgesoffen und ein Nacht am Schlaftrinken und andern mehr vertan wird, als wenn sie drei Nacht in der Stadt liegen."

Eine höhere Bautätigkeit begann erst mit dem Regierungsantritt Georgs I., dem bekanntlich 1567 dieser Teil des Landes als Erbe zugefallen war. Dieser ausgezeichnete Fürst, das Muster eines klugen, sparsamen und täligen Haus- halters, wußte in einer langen Regierungszeit bis 1596 das kleine, zerstückelte und heruntergekommene Land abzurunden, in Verwaltung, Kirchen- und Schul- wesen neu zu gestalten und in jeder Hinsicht dessen materielle und geistige Kultur zu steigern. Hier zeigte sich bei diesem Fürsten wie bei seinen Brüdern, besonders Wilhelm dem Weisen, der Segen der sorgfältigen Erziehung, welche der Vater ihnen hatte geben lassen, und es ist ein besonders schöner Gharakler- zug, daß Georg ehrfurchtsvoll zu sagen pflegte: „Wir vier Brüder werden mit allen unsern Eigenschaften einen solchen Herrn Vater vorzustellen nimmer im- stande sein." Wie sehr das Land durch den Schmalkaldischen Krieg, die Über- griffe des Adels, die Vernachlässigung des Ackerbaues und die Versumpfung der Rheinniederungen gelitten hatte, ist kaum zu sagen. Wie die Zustände in Darm- stadt selbst sein mochten, geht aus der Tatsache hervor, daß man für alle feineren Lebensbedürfnisse sich nach auswärts wenden mußte, wie denn der Landgraf sogar seine Schuhe und Stiefel von Frankfurt bezog, bis ein einheimischer Schuster in einer Bittschrift geltend machte, „er getraue, ohne Ruhm zu sagen, die Not- durft S. F. D. samt dero Angehörung ebenso gut zu besorgen als der Frankfurter Schuhmacher", worauf er dann nach abgelegter und wohlgelungener Probe die Arbeit erhielt.

In nachdrückhcher Weise wandte der Landgraf nun auch dem Bauwesen seine Aufmerksamkeit zu, aber bei seinem sparsamen landesväterlichen Sinn ver- schmähte er es. Prunkbauten auf Kosten seiner Untertanen erstehen zu lassen. Er begnügte sich mit dem Notwendigen, mit Gebäuden für die Verwaltung und für praktische Bedürfnisse, wie das Zeughaus, die Kaserne, der Marslall, das Jägerhaus u. dgl. Für unsere Betrachtung sind nur die Schlösser zu Darmstadt und zu Lichtenberg von Wert.

Das durch einen unfertig gebliebenen Neubau des 18. Jahrhunderts stark be- einträchtigte großherzogliche Schloß zu Darmstadt ist in seinen älteren Teilen nicht ohne Interesse. Tritt man in den vorderen Schloßhof, so erkennt man sofort, daß der östliche Flügel ein für sich bestehender Bau aus der Spätzeit des 17. Jahrhunderts ist (Abb. 277). Seine hohen Giebel sind stark geschweift und mit schraubenförmig vorspringenden Voluten versehen. Die Fenster in den drei Geschossen haben schhchte Behandlung und sind durch einen steinernen Pfosten geteilt. Vor die Mitte des Flügels legt sich ein viereckiger Treppenturm mit Galerie und achteckigem Aufsatz für das Glockenspiel. Zu beiden Seiten des Turmes ist ein Vorbau angefügt, der mit einem Altan fürs erste Stockwerk ab- schUeßt; ein großes Bogenportal, daneben zwei kleinere ähnHche, führen hier in das Treppenhaus. Die reiche Bekrönung mit zwei von Löwen gehaltenen Wappen gibt dem sehr gut gruppierten Bau etwas Festliches. Die Anlage des Treppen- hauses ist originell. Das Mittelportal führt auf einen breiten stattlichen Flur mit Tonnengewölben, und dieser zu den jetzigen Küchenräumen. Die beiden Seilen- portale münden dagegen auf Treppen, die sich um den mittleren Raum ent- wickeln, in rechtwinkliger Wendung zweimal umbiegen und dann in der Mitle aufwärts führen. Außen am Portal liest man die Inschrift: „Ludovicus VI.; D. G. Hassiae Landgravius princeps Hersfeldi." Dazu als Zeichen der rehgiösen Ge- sinnung der Zeit ein paar Bibelsprüche. Dieser Teil hängt sodann durch einen

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Südhessen

niedrigen Verbindungsbau mit dem nördlichen Flügel zusammen, der bei höheren Stockwerken und schlankeren Fenstern nicht minder einfach ist als jener. Aber an seinem westlichen Ende ist ein elegantes Portal angebracht, mit dorischen Säulen, am unteren Teil des Schaftes Masken und Fruchtgewinde, am Posta- ment prächtig behandelte phantastische löwenartige Köpfe, die Portalpfeiler in Rustika, ebenso der Schlußstein des Bogens, dieser selbst aber mit Zahnschnitt und Eierstab fein gegliedert, Zwickel und Fries mit dem charakteristischen Or- nament der späteren Renaissance bedeckt. Die ganze Behandlung, reich und wirkungsvoll, entspricht den Portalen im Römerhof in Frankfurt so sehr, daß man auf denselben Meister schließen darf. Später als diese Arbeiten ist end- lich das Portal am westlichen Flügel, ganz in derber Rustika, nur am nied- rigen Stylobat der Pilaster phantastische Ungeheuerköpfe; am Schlußstein, den ganzen Fries mit umfassend, ein Prachtstück dieser spätesten Art, der Bart in Früchte auslaufend, meisterlich und mit Humor behandelt; datiert 1672. Dies Portal führt in einen zweiten kleineren Hof, in welchem der mit einem Tonnen- gewölbe bedeckte Durchgang auf ein völlig identisches Portal mündet. Nur die unteren Köpfe an den Stylobaten sind anders, und zwar noch reicher behandelt. Hier die Jahreszahl 1671. Den südlichen und zum Teil auch den westlichen Abschluß der ganzen Anlage bildet der kolossale spätere Bau mit seinen öden Massen.

Begeben wir uns zum Portal des nördlichen Flügels zurück, so führt uns dieses auf einen Durchgang mit elegantem spätgotischen Sterngewölbe; er mündet nach der Außenseite auf ein in Rustika mit Diamantquadern durch- geführtes Portal mit der Jahreszahl 1595. Dies ist das Datum der gesamten älteren Renaissance-Bauteile. Hier folgt nun ein dritter, ganz unregelmäßiger Hof, der die ältesten Teile der Anlage in sich schließt. Der westliche Flügel, sogenannte Weiße Saalbau, und der anstoßende diagonal nach Nordwest ausbiegende, sogenannte Hofkonditoreibau, sind Reste der früheren mittelalter- lichen Anlage eines ursprünglich den Grafen von Katzenellenbogen gehörigen, im 14. Jahrhundert erbauten Schlosses.^) An der Nordseite dieses Hofes findet sich wieder ein Portal in Rustika, aber mit manchen Veränderungen angelegt. Namentlich haben die zwischen den facettierten Bändern liegenden Flächen fein behandelte Ornamente in dem bekannten Metallstil der Zeit. Die Pilaster sind nach unten stelenartig verjüngt. Das Ganze macht einen ebenso kräftigen wie eleganten Eindruck. Darüber im zweiten und dritten Geschoß der Doppelbogen einer Halle, ebenfalls in derber Rustika auf ähnlich behandelten Pfeilern mit facettierten Quadern. Von diesem Portal gelangt man zuerst in einen Seitenhof, von wo ein langer, niedriger, gewölbter Gang zu einem äußeren, festungsartigen Tor führt, das nur mit einigen Masken und den Wappen Landgraf Georgs II. zu Hessen und seiner Gemahlin Sophia Eleonora geschmückt ist. Die hohen Seiten- giebel dieser älteren Teile des Schlosses sind in den üblichen Formen der Zeit mit geschwungenen Voluten und aufgesetzten Pyramiden entwickelt, aber nicht besonders fein oder reich. Es ist Mittelgut.

Über die Baugeschichte des Schlosses steht so viel fest, daß zwischen 1360 und 1375 aus einer früheren einfachen Befestigung ein wohnliches Schloß für die Grafen von Katzenellenbogen errichtet wurde, dessen Reste in dem Hof- konditoreibau und dem Weißen Saalbau zu suchen sind. Nachdem das Schloß mit der Stadt 1479 nach dem Aussterben der männlichen Linie an die Land- grafen von Hessen kam, fanden Erweiterungsbauten zwischen 1513 20 statt; damals gewann das Schloß, wie eine alte Beschreibung beweist, jene Ausdehnung,

1) Vgl. die gediegene Abhandlung von Dr. L. Weyland, Gesch. des Großh. Eesidenzschl. zu Darmstadt. Mit Plänen. Darmstadt 1867.

Darmstadt

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wie eine mittelalterliche Fürstenresidenz sie verlangte. Namentlich wird im Erd- geschoß ein großer Saal genannt, „darin man fünfzehn Tische aufrichten konnte", im zweiten Stock ein kleinerer Speisesaal, eine Kapelle, neben dieser noch ein größerer Saal, sowie die erforderlichen Wohngemächer. Unter Philipp dem Groß- mütigen litt das Schloß durch die Kämpfe mit den Kaiserlichen und wurde 1546 durch Brand verwüstet. Darauf erfolgten Herstellungsbauten in den fünfziger Jahren, wobei Herzog Christoph von Württemberg um Bauholz angegangen wurde, weil solches im Lande nicht zu haben sei. Her- zog Christoph willfahrte dieser Bitte und schenkte u. a. eine bedeutende An- zahl 50—70 Schuh langer Balken. Aber erst mit Georg I., dem Stifter des Hessen - Darmstädtischen Hauses, entwickelt sich, zuerst um 1568, dann etwa seit 1578, 1586 und 1595 1) eine großartigere Bautätigkeit; der alte in- nere Schloßhof wird durch den östlichen Flügel mit der Kapelle und durch den südlichen Kaiser- saalbau zum Abschluß gebracht und mit jenen Portalen und Gewölben geschmückt, welche wir oben betrachtet haben. In der südlichen Ecke erhob sich ein stattlicher run- der Hauptturm ; ein klei- nerer quadratischer Trep- penturm stand im ein- springenden Winkel zwi- schen dem Hof konditorei- und dem Weißen Saal- bau (später durch eine moderne Treppenanlage beseitigt) ; ein andrer end- lich, noch jetzt vorhan- den, in der südwestlichen Ecke. Als Baumeister werden Jahoh Kesselhut und Reitz Loskant^) genannt, neben ihnen die Maurermeister Peter de Colonia und Hans Marian, beide als ,.wälsche Meister" bezeichnet. Das sodann unter Georg II. seit 1629 errichtete Kanzleigebäude wurde später durch das moderne Schloß beseitigt; dagegen sind die seit 1663 durch Ludwig VI. hinzugefügten Teile im vorderen Schloßhofe, besonders der östhche Flügel mit dem Treppenhause und dem Turm, der das Glockenspiel trägt, wie wir gesehen haben, mit ihren stattlichen Portalen noch vorhanden.

Abb. 277 Schloß zu Daniistadt

1) Vgl. Dr. Steiner a. a. 0. S. 158.

2) Vgl. Dr. Steiner a. a. 0. S. 157.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Südliessen

Aus der Spätzeit des 16. Jahrhunderts datiert ferner das Rathaus, 1555 begonnen^), ein derber, tüchtiger Bau, mit zwei großen Giebeln bekrönt, deren Voluten etwas lahm und lang gezogen sind (Abb. 278). Ein viereckig vorspringender Treppenturm, ähnlich abgeschlossen, enthält die Wendelstiege mit gotisch be- handelter Spindel. Das Portal des Treppenhauses hat geraden Sturz und mittel- alterlich profilierte Einfassung, wird aber von zwei eleganten ionischen Säulen eingerahmt, deren Schäfte am unteren Teil feine Ornamente in dem üblichen Metallstil zeigen. Das Hauptportal ist im Rundbogen geschlossen, auf Rustika- pilastern, überaus kraftvoll behandelt, die Archivolte mit Eierstab und Zahnschnitt, der Schlußstein mit energisch ausgebildeter Konsole, dies alles den Arbeiten im Schloßhof verwandt. Das Erdgeschoß öffnete sich ehemals mit großen Arkaden im Rundbogen, die facettierte Quaderbehandlung zeigen. Die beiden oberen Ge- schosse haben gekuppelte Fenster mit geradem Sturze und gotischer Profilierung. Auf dem hohen Dach reitet ein kleiner Glockenturm. Im Innern ist ein unbe- deutender Saal, dessen Tür jedoch mit ihren höchst kindlich behandelten Säulen- kapitellen und henkelartig ausgebauchten Pilastern den Beweis liefert, daß hier neben sehr tüchtigen Steinmetzen auffallend zurückgebliebene Schreiner tätig waren.

Ein bei aller Schlichtheit charaktervoller Bau ist auch das 1629 erbaute Pädagogium, durch doppelte geschweifte Giebel vorn und an der Rückseite wirksam belebt. In der Mitte springt ein viereckiger Treppenturm vor, oben ins Achteck übergehend, an dessen linker Seite die Freitreppe emporführt. Im Innern zeigt die Wendelstiege eine gotisch profiUerte Spindel. Ein kräftig ausgeführtes Wappen der Landgrafen schmückt den Turm, dessen zierHche Wetterfahne eben- falls beachtenswert ist. Das Ganze ist sparsam ausgeführt, die Giebel in Backstein gemauert, an der Vorderseite jedoch in Haustein.

Wichtiger ist in der Stadtkirche das prächtige Epi-taph, das Georg I. sich und seiner ersten Gemahhn Magdalena von der Lippe 1589 errichten ließ. Es nimmt die Stelle des ehemaligen Hochaltars ein und enthält, ganz in Alabaster ausgeführt, die in einer reichen Nische stehenden Gestalten des fürstlichen Paares, bei denen besonders das prächtige Kostüm meisterlich behandelt ist. Zwischen ihnen sieht man in einem großen Mittelfelde den Gekreuzigten, von beiden Ehe- gatten samt ihren zehn Kindern verehrt; den Hintergrund bildet Jerusalem mit einer großen Zahl von Kuppeln und Türmen. Im oberen Felde kommt die Lust an der Allegorie zum vollen Ausdruck: in der Mitte erscheint der Auferstandene mit der Siegesfahne; unten kommt die Fürstin geschritten, welcher vier Kinder voraufgehen und ein Engel mit der Posaune voranschwebt; der Glaube führt sie an der Hand, und ihr Gefolge bilden die Gestalten der Hoffnung, Liebe, Ge- rechtigkeit, Vorsicht, Mäßigung, Tapferkeit, also die drei theologischen und die vier Kardinaltugenden. Das Ganze ist von höchster dekorativer Pracht, mit reicher Anwendung von Malerei und Vergoldung; als Verfertiger des Werkes erweisen die Akten des großherzoglichen Haus- und Staatsarchivs den Meister Peter Osten, der als „Vetter des Baumeisters zu Mainz" näher bezeichnet wird. Der dazu verwandte Alabaster stammt von Rotenburg a. d. Fulda. ^) Von ähnlicher Be- handlung, aber schon barocker und überladener ist ebendort das Epitaph der zweiten Gemahlin Eleonore von Württemberg, das gleichfalls beide Gatten dar- stellt. Ein kleineres ebenso barockes und derb behandeltes Epitaph gilt der 1510 in Darmstadt verstorbenen Herzogin Maria zu Braunschweig, ein anderes dem 1582 verstorbenen Grafen Phiüpp von Waldeck. Endhch ist der erstgeborene Sohn des Landgrafen, der als Kind gestorbene Wilhelm, in einem ganz kleinen Epitaph betend im Hemdchen dargestellt.

1) Vgl, Dr. Steiner a. a. 0. S. 151.

2) Diese Notizen verdanke ich. Hrn. Dr. Schenk in Darmstadt.

Darmstadt Lichtenberg

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Das Äußere der Stadtkirche bietet nichts als den obersten Turmaufsatz, der aber von ungewöhnlicher Schönheit und Kraft ist ; den viereckigen Körper um- zieht eine dorische Halbsäulenordnung ; der geschweifte Helm hat vier Türmchen an den Seiten und ein mittleres ; die Wirkung ist eine ebenso prächtige, wie der Gedanke architektonisch wertvoll ist. Dieser Turmabschluß steht in Deutschland ziemlich vereinzelt da.

Abb. 278 Rathaus zu Darmstadt

Im übrigen ist die Ausbeute in der Stadt dürftig. Nur die Alexander- straße ist ganz mit geringen Giebelbauten späten Stiles besetzt. Eine Tafel am Anfang der Straße erzählt, daß Ludwig VI. diesen Teil der Stadt 1675 ge- gründet habe.

Die großartigste architektonische Schöpfung Georgs I. ist Schloß Lichten- berg, das er durch den Baumeister Philipp Ballessen 1570 begann und gegen 1581 vollendete.^) Die Lage dieses wohlerhaltenen mächtigen Baues mit seinen hohen Giebeln auf einer weithin sichtbaren Kuppe in den nördlichen Aus- läufern des Odenwaldes, mit den herrlichen Blicken über die Wiesentäler und Höhenzüge des Waldgebirges, ist von großer landschaftlicher Schönheit. Seit dem frühen Mittelalter bestand dort ein Schloß der Katzenellenbogenschen Grafen, das aber nachher stark verfallen gewesen sein muß, weil Georg L einen Neu-

1) Vgl. Dr. Steiner a. a. 0. S. 153 und 158.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Südliessen

bau daneben auszuführen beschloß. Mit besonderer Sorgfalt betrieb der Land- graf die Ausführung und Vollendung dieses Baues, den er zum Witwensitz be- stimmt hatte, und wo er mit seiner Gemahlin gern die reine Gebirgsluft genoß. Wenn man sich der sanft ansteigenden Höhe naht, sieht man zur Rechten auf einem vorgeschobenen Hügel einen mächtigen runden Wartturm, durch Etagen- feuer und Zinnenkranz verteidigt. Wendet man sich links, so erreicht man zuerst die Vorburg, deren geschweifter Giebel die charaktervollen Formen dieser Spät- zeit trägt. Ein gewölbter kasemattierter Gang führt in den Hof der ganz mit hohen, zinnengekrönten Mauern umgebenen Vorburg. Über dieser erhebt sich der Hauptbau des Schlosses, ein mächtig hochaufragendes Werk, in drei Geschossen emporsteigend, hufeisenförmig einen großen, nach vorn offenen Hof umfassend. Der Flügel zur Rechten, mit gut entwickelten Schneckengiebeln und Dacherkern ausgestattet, springt nicht so weit vor, wie der zur Linken, der heute ein cha- rakterloses, abgewalmtes Dach trägt. Dagegen schließt sich an den rechten Flügel nach vorn eine große Terrasse, welche eine herrliche Aussicht über die zinnengekrönte Mauer weg bietet. (Die Zinnen modern.) Vorn im Hofe sieht man den viereckigen Steintrog des ehemaligen Brunnens.

Die Ausführung des ganzen Baues ist einfach, aber gediegen und solide. Man befindet sich hier auf Granitboden, daher ist das Mauerwerk aus Bruchsteinen mit Putzbewurf hergestellt, nur Fenster, Portale, Gesimse und Giebel wurden aus rotem Sandstein ausgeführt. In der linken Ecke des Hofes ein polygoner Treppenturm mit Portal. Dieses zeigt einfach dorische Formen mit kanne- lierten stark ausgebauchten Pilastern, Triglyphenfries und schlichtem Giebel. Etwas stattlicher ist das Hauptportal am rechten Flügel, triumphbogenartig mit vier ähnlich behandelten toskanischen Pilastern, der Fries ohne Triglyphen, in der Attika die trefflich behandelten Wappen des Landgrafen und seiner Gemahlin, darüber als Abschluß ein Giebel. Dies alles einfach und streng, aber elegant, in feinem roten Sandstein ausgeführt. Außerdem geben nur die hohen Volutengiebel dem Bau ein lebendiges Gepräge. Der hnke Flügel ist offenbar der ältere, nach außen unregelmäßig angelegt, sichtlich mit Benutzung eines früheren Gebäudes, die Fenster nach oben mit der Stockwerkhöhe abnehmend, während der übrige Bau in allen drei Geschossen gleiche Stockwerkhöhe hat. Die Fenster sind schlank, zweiteilig, die Umrahmung aus einem mittelalterlichen Kehlenprofil gebildet. Ein großer terrassierter Garten umgibt rings den Bau.

Von der ursprünglichen Ausstattung des Innern ist mit Ausnahme einiger Stuckdecken und einiger schöner Holzportale (das eine bezeichnet 1581), nichts mehr erhalten. Die Wendeltreppe, einfach und in gotischer Profilierung, hat ein hübsches stuckiertes Gewölbe. In jedem Stockwerk befindet sich ein großer Saal, dessen Decke in der Mitte auf Holzpfeilern ruht, alle diese Räume über fünf Meter hoch. Die Kapelle, im Erdgeschoß des linken Flügels angebracht, mit der Jahreszahl 1571, ist äußerst einfach. Leider scheint der ansehnliche Bau wenig sorgfältig erhalten.

Ehe die hessischen Landgrafen in diesen Gegenden den Renaissancestil zur Anwendung brachten, hatte dieser bei den verschiedenen Dynastengeschlechtern des Landes bereits Pflege und Förderung erfahren. So zeigt es in Babenhausen das Schloß der Grafen von Hanau, jetzt als Kaserne dienend, ein zwar im ganzen einfacher Bau, indes einige elegante Details der frühen Renaissance enthaltend. Die Anlage ist ursprünglich überwiegend zu Festungszwecken ausgeführt worden. Noch sieht man die Spuren der Gräben und Wälle in weitem Viereck um das Ganze, mit vier mächtigen Rundtürmen auf den Ecken. Innerhalb dieser Um- friedung erhebt sich abermals als Viereck das Schloß, nach außen ohne eine Spur

1) Jetzt im Darmstädter Schlosse.

Babenhausen Breuberg

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von künstlerischer Behandlung. Der Eingang liegt an der Nordseite in einem vorgeschobenen Torturm, außen über dem Eingang mit doppeltem Wappen, das von sehr rohen primitiven Renaissancepilastern eingefaßt wird. Die Jahreszahl 1525 beweist, wie früh diese Formen hier erscheinen. Tritt man in den Hof, so glaubt man zu erkennen, daß die etwas unregelmäßige Gestalt desselben zwei verschiedenen Bauzeiten angehört. Ungefähr in der Mitte des südhchen Flügels tritt nämlich ein polygoner Treppenturm heraus, der mit einem sehr feinen Portal der besten Renaissance geschmückt ist. Dagegen liest man an einem runden Treppenturm des östlichen Flügels, der noch die gotischen Formen zeigt, daß 1470 Graf Phihpp dies Werk habe beginnen lassen. Ein ähnlicher Turm befindet sich gegenüber an dem Westflügel, dann in der nordwesthchen Ecke ein polygones Stiegenhaus, und gleich daneben im Erdgeschoß ein hüb- scher rechtwinkliger Erker auf eleganten Konsolen. Dies ist aber ein Zusatz der späteren Renaissance, welcher Zeit auch die beiden kleinen Giebel am östhchen und westlichen Flügel angehören. Das Beste indes, was diese Zeit hinzugefügt, ist das überaus delikat in rotem Sandstein gearbeitete Portal an der mittleren Haupttreppe.') Es wird von zwei frei vorspringenden kannelierten ionischen Säulen eingefaßt, darüber auf einem kräftig vorgekröpften Gebälk eine zweite Säulen- stellung. Letztere ist korinthisch mit fast gebrechlich zierlichen Schäften, deren unterer Teil graziöse Trophäen und Festons zeigt. Diese Formen sowie die Pflanzenornamente des Frieses, die beiden Wappen in der Attika, die elegante Giebelkrönung derselben gehören zum Feinsten aus jener Zeit, zeigen übrigens niederländische Hand. Ein noch prachtvolleres, wenn auch minder edles Portal bildet im Erdgeschoß des Treppenhauses die Verbindung mit einem nach außen führenden gewölbten Flur. Hier umrahmen prächtige Hermen die Pforte, am Türsturz sieht man elegante Arabesken. Darüber wieder die beiden Wappen mit den Namen Graf Philipps des Jüngeren von Hanau und seiner Gemahlin Katharina geborenen Gräfin zu Wied. Im übrigen ist das Innere des Schlosses ohne Interesse.

Dagegen bieten einige Reste von Privathäusern Zeugnisse einer gewissen architektonischen Tätigkeit. Die ansehnlicheren Gebäude haben sämtlich einen Hof neben sich mit hoher Umfassungsmauer, von der Straße durch ein großes Bogenportal und ein kleineres Pförtchen zugänglich, wodurch zugleich der Ein- gang ins Haus vermittelt wird. So zeigt es in einfacher Weise der Gasthof zum Adler, ähnhch das daneben liegende Haus, wo dann zur Rechten im Hof eine steinerne Wendeltreppe in den Hauptbau führt, während links ein Nebengebäude durch ein hübsches Renaissanceportal charakterisiert ist. Schräg gegenüber in derselben Straße ein Haus von ähnUcher Anlage, im Hof ebenfalls die Wendel- treppe mit der Jahreszahl 1602. An den Türen überall hübsche eiserne Klopfer.

Ungleich wichtiger und noch früher sind die Spuren der Renaissance, welche uns auf der Burg Breuberg begegnen.^) Dieses stattliche und malerische Schloß, jetzt den Fürsten von Löwenstein -Werlheim zugehörig, diente damals einer jüngeren Linie der Grafen von Wertheim als Residenz. Graf Michael II. fügte seit 1499 dem aus dem frühen Mittelalter herrührenden Kern des Baues eine bedeutende Vergrößerung hinzu, welche mit Mauern und vorspringenden Türmen sowie einem tief und breit eingeschnittenen Graben dem Werke eine für jene Zeit respektable Verteidigungsfähigkeit gab. Gegen Ausgang der Renais- sance kamen dann weitere, besonders durch Graf Johann Casimir von Erbach um 1620 hinzugefügte Teile dazu, welche den Reichtum und die Mannigfaltig- keit der Formenwelt noch erheblich steigern.

1) Abb. bei Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance.

2) Kunstdenkmäler im Großherzogtum Hessen. Schäfer, Kreis Erbach S. 16 43.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Südhessen

Wenn man die Station Höchst der Odenwaldbahn verläßt, winkt von einer waldbedeckten Höhe schon von weitem die Burg dem Wanderer entgegen. Es ist eine imposante, höchst ausgedehnte und unregelmäßige Anlage, die der Linie der Bergkuppe folgt, mit tiefem Graben umzogen, von hohen Mauern umgeben, an deren Ecken Rundtürme bastionartig vortreten. Im Zwinger rechts erhebt sich ein vereinzelt vorgeschobener runder Verteidigungsturm. Das äußere Eingangs- tor mit seinen geränderten Buckelquadern und den Metallornamenten des Schluß- steins gehört der Spätrenaissance an. Dann gelangt man auf einer Brücke über den tiefen Graben zum eigentlichen Burgtor. Dieses schmückt ein elegant ge- arbeitetes Wappen mit der Inschrift „Michel Graue zu Wertheim 1499", eingefaßt von zierlichen korinthisierenden Rahmenpilastern in wohlverstandener Formgebung. Es gehört also, wenn die Jahreszahl sich nicht auf vorhergegangene Zeit be- zieht, zu den frühesten Denkmälern unsrer Renaissance. Das Tor ist übrigens ganz schlicht; an einem der Quadersteine liest man die Jahreszahl 1550, wohl die einer Ausbesserung. Dieser Flügel endet mit einem Stufengiebel, der weiter zurückliegende, ebenfalls nach links sich ziehende Bau mit einem barocken Schweifgiebel. An einem einfachen Erker ohne alle Kunstform glaubte ich 1513 zu lesen. Diese Teile gehören also noch dem Wertheimschen Bau an. Uber alle diese Vorbauten ragt der mächtige romanische Hauptturm der Burg domi- nierend empor.

Ein tonnengewölbter Torweg, der sich nach innen im Spilzenbogen öffnet, führt nun in den weiten unregelmäßigen äußeren Burghof. Zur Linken zieht sich ein stattlicher Bau hin, an dessen Portal man das von zwei Putten gehaltene Erbachsche Wappen sieht, dabei die Inschrift „Johann Casimir Graue zu Erbach, Herr zu Breuberg 1613." In der Ecke ist hier eine Wendeltreppe angebracht, die zum Prunksaal des Schlosses führt. Geschmückt ist dieser Flügel mit einer vermauerten Galerie auf Konsolen, welche ein barock umgestaltetes originelles Maßwerk zeigt. Im Erdgeschoß befindet sich hier ein kellerartiger Raum mit einfachen Kreuzgewölben auf vier toskanischen Säulen der Spätrenaissance. Nachträglich hat man noch hölzerne Stützen eingesetzt. Über diesem Räume befindet sich im Hauptgeschoß der niedrige aber langgestreckte Prachtsaal des genannten Grafen, dessen Decke mittelst Durchzugbalken auf vier hölzernen und stuckierten Pfeilern ruht. Die Niedrigkeit des Raumes wird im Eindruck noch verstärkt durch die unglaublich üppige Stuckdekoration des Plafonds (Abb. 279). Wohl erhalten und sorgfältig restauriert, gehören diese Arbeiten zu den glänzendsten ihrer Art, die wir besitzen. Von den drei Schiffen des Saales enthält das mittlere in nicht weniger als zweiunddreißig fein aus- geführten Wappen den Stammbaum des Erbauers, und zwar die „Anichen vom Vater" und „von der Mutter". Paarweise angeordnet, in einer kräftigen architek- tonischen Umrahmung, machen sie einen ungemein glänzenden Eindruck. Hatte der Künstler hier der Heraldik seinen Tribut zu zollen, so durfte er in den beiden Seitenschiffen als freier Poet den klassischen Anschauungen huldigen, und er tat es mit einer hinreißenden Kraft und übermütigen Kühnheit. Denn in die großen Rundfelder, welche von anderen vielfach gegUederlen, aus Kreissegmenten und rechtwinkligen Formen zusammengesetzten Rahmen umschlossen werden, stellte er allerlei antike Fabelwesen, wie Perseus und Andromeda, Phaeton, Ganymed, Dädalus, und zwar alle diese Gestalten fast frei schwebend mit einer schier ver- wegenen Technik herausgearbeitet, vortrefflich in den Bewegungen, wohlverstanden in den Formen. Diese übermütigen Szenen werden einigermaßen durch die in den Seitenfeldern angebrachten bescheidener auftretenden christlichen Tugenden gedämpft, und weiterhin klingt die Kraft der Dekoration zu noch maßvollerer Behandlung aus in den rein ornamentalen Elementen, Genien, Frucht- und Blumen-

Schloß Breuberg

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Abb. 279 Teil der Decke des Saales aus Schloß Breuberg

gewinden, aber auch Szenen der Tierfabel, wie Storch und Fuchs und einzelnen mitunter derben Genreszenen voll freien Humors. Muß man dem Künstler zum Vorwurf machen, daß er seine Reliefs eigentHch für einen viel höheren Saal gebildet hat, so wird man andrerseits zugestehen, daß in der Abstufung vom kühnsten Hochrelief bis zum Flachrelief die Einsicht eines wahren Meisters der Komposilion sich offenbart. Dazu kommt endlich noch ein rings an den Wänden angebrachter und über den Fensternischen sich fortziehender Relieffries, der die verschiedenen antiken Gottheiten auf von den ihnen zukommenden Tieren gezogenen Wagen darstellt. Diese Arbeiten sind zwar von schwächeren Gehilfenhänden ausgeführt, im Figürlichen meist derb und gering, aber in den Bewegungen voll Leben. Sie tragen zur Gesamtwirkung wesentlich bei. Endlich haben die tiefen Fensternischen, die dem Saal einen anheimelnden Charakter verleihen, noch Flachornamente an ihren Bögen.

Schreitet man im Hofe weiter vor, so hat man zur Linken die Über- reste eines vor nicht langer Zeit leider zerstörten Baues, von dem noch zwei polygone Treppentürme samt dem der Spätrenaissance angehörenden kräftig ge- schweiften Giebel erhalten sind. Weiter schreitend trifft man auf die Überreste eines ebenfalls der modernen Zerstörungslust zum Opfer gefallenen Baues, des ehemaligen Zeughauses. Die Verwüstung desselben ist um so beklagens- werter, als die Überreste erkennen lassen, daß wir es hier mit einem höchst be- merkenswerten Werke zu tun haben, dem ein Platz unter den frühesten Denk- mälern unsrer Renaissance gebührt. Ein großes in tüchtigem Quaderbau von rotem Sandstein ausgeführtes Bogenportal öffnet sich zwischen zwei korinthisierenden Pilastern. Über dem Fries erhebt sich ein schmaler, mit einem Giebel bekrönter Aufbau in Form einer kleinen Aedikula, in deren Öffnung die treffhch bewegte ausdrucksvolle Halbfigur eines Kriegers in römischem Helm und Panzer vortritt, der mit der jetzt nicht mehr vorhandenen Armbrust auf jeden Herannahenden zu zielen scheint. Ist diese Figur in der Form und den feinen Ornamenten der Rüstung ein deutliches Zeugnis klassischer Studien, so gibt die in schöner römischer Majuskel am Sockel ausgeführte Inschrift einen weiteren Beweis von dem hier eingetretenen Fortschritt humanistischer Bildung, da die frühere Jahreszahl am

Lübke-Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 27

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Südhessen

äußeren Portal der Burg noch die gotische Minuskel zeigt. Auch der Künstler dieses bedeutenden Werkes hat sich genannt ; wir lesen: „Hanns StaimniUer macht mich." Mit den äußeren Ecken des breiten unteren Gesimses suchte der Künstler sich dadurch abzufinden, daß er akroterienartige Viertelskreisfelder, wie man sie wohl bei antiken Sarkophagen antrifft, auf sie setzte.

An diesem wichtigen Baurest vorbeigeschritten, gelangt man endlich zur inneren Burg, die durch ein prächtiges Portal aus der Blütezeit des romanischen Stiles sich öffnet. Die inneren Teile der Burg bieten für unsre Betrachtung wenig Anhaltspunkte. Der tiefe mit Schöpfrad versehene Brunnen hat eine achteckige steinerne Einfassung in Renaissanceformen; der mächtige viereckige Bergfried mit seinen geränderten Buckelquadern ist ein gediegenes Zeugnis romanischer Struktur, seine Haube ein später Zusatz. Herrlich ist von seiner Höhe der weit- umfassende Ausblick.

Folgen wir weiter südlich den lieblichen Tälern, welche die östliche Grenze des Odenwalds bilden, so finden wir im Mümlingtale das kleine stille Erbach, die Residenz des alten Grafengeschlechtes. Das Schloß, durch einen stattUchen runden Turm von mittelalterlicher Anlage weithin dominierend, ist seiner Haupt- masse nach durch einen Umbau im achtzehnten Jahrhundert verändert worden. Doch gehört unserer Epoche der durch Graf Georg II. ausgeführte Torbau, dessen einfaches, mit Rahmenpilastern und elegant ausgeführtem von zwei weiblichen Figuren gehaltenen Allianzwappen geschmücktes Portal die Jahreszahl 1571 trägt. Im Innern des Hoftores liest man den Namen des Grafen ebenfalls mit Allianz- wappen verbunden und die Jahreszahl 1593, wohl das Vollendungsdatum dieser Teile. Die rechts den Hof abschließenden, in malerischem Fachwerkbau aus- geführten Teile, mehrfach mit Wappen geschmückt, verdanken ihre Entstehung dem Vater jenes Grafen, Eberhard II. Im Innern bieten die reichhaltigen und wohlgepflegten, allen Epochen der Kunstgeschichte gewidmeten Sammlungen ein schönes Zeugnis von dem Kunstsinn der erlauchten Familie. Für unsere Be- trachtung sind treffliche Holzschnitzwerke, Schlosserarbeiten, Glasmalereien u. dgl. von Wert. In der prachtvollen Hirschgalerie sieht man eine, dem Vernehmen nach aus Battenberg stammende üppige Holzdecke der Spätrenaissance.

Mehr bietet in architektonischer Beziehung Schloß Fürstenau, wenige Minuten von Michelstadt jenseits der Mümling gelegen. ^ Schon von weitem sieht man das ganz von einem Park mächtiger Bäume umgebene Schloß, mit seinen hohen Giebeln und Türmen in einen Wiesengrund so still und weltabgeschieden gebettet, daß man an Dornröschens Burg erinnert wird. Voll gespannter Erwartung nähert man sich und trifft zuerst, unmittelbar am Flusse liegend, einen jetzt ver- ödeten Pavillon von 1756, eine der lauschigsten Anlagen, die man sich denken kann, deren Stimmung durch die herrliche Parkumgebung und das Rauschen des benachbarten Mühlenwehrs völlig bezaubernd wirkt ; die reizende Anlage, an Fenstern, Treppen und Türen mit trefflichen Eisengittern versehen, scheint leider dem Verfall preisgegeben. Weiterschreitend kommt man zur Schloßmühle, deren stattlicher Bau mit charaktervoll durchgebildeten Volutengiebeln als Werk jenes Grafen Georg II. durch dessen Wappen mit dem seiner ersten Gemahlin (f 1591) bezeugt wird. Nun taucht aus seinen herrlichen Baumgruppen der Haupt- bau des Schlosses auf, eine hufeisenförmige Anlage, auf den Ecken mit vier mittelalterlichen Rundtürmen wirksam abgeschlossen. Um eine Verbindung zwi- schen den beiden weit vorspringenden Seitenflügeln herzustellen, erbaute Graf Georg II. nach inschrifthchem Zeugnis 1588 den riesigen 13 Meter hohen und 16 Meter weiten Bogen, der eine durchbrochene Galerie trägt (Abb. 280). Wilder Wein hat ihn ganz überzogen, in üppiger Triebkraft seine Ranken wie einen 1) Kunstdenkm. im Großherzogt. Hessen, Kreis Erbach, S. 106 ff.

Schloß Fürstenau

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Schleier fast bis zum Boden herabsenkend, und so wird diese in ihrer Art einzige architektonische Komposition zum malerisch prächtigsten Bilde. Der Kern des Baues übrigens reicht jedenfalls ins 15. Jahrhundert hinauf; sodann war es Graf Eberhard I. (1481 1539), welcher dem Bau seine Sorgfalt zuwandte. Aus seiner Zeit stammen wahrscheinlich die Erker am linken Flügel und am Hauptbau, in

Abb. 280 Schloß Fürstenau (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Eenaissance)

Quadern auf wuchtigen Konsolen schlicht ausgeführt. An einem von ihnen liest man die Zahl 1528. Auch die Fenster und Türen tragen hier noch mehrfach spätgotische Form. Der mächtige runde Hauptturm, außen an der Ecke des rechten Flügels mit dem Mittelbau vorspringend, aus Bruchsteinen aufgeführt, trägt einen originellen achteckigen Aufsatz, der mit seinen Giebelerkern und durchbrochener Galerie überaus malerisch wirkt.

Die Zugänge zum Innern liegen in einem polygonen Treppenturm der linken Hofecke, und rechts in einem nach innen gezogenen Stiegenhause, zu welchem eine Freitreppe führt. Ein einfach derbes, von ionischen Säulen ein- gefaßtes Portal Dietterleinschen Stiles führt in das Haupttreppenhaus. Die Wendel- stiege mit drei schlanken Mittelsäulen und Balustergeländer ist an der ganzen Unterseite mit feinen Flachornamenten der Spätrenaissance geziert. Im Erd- geschoß links liegt ein großer Saal mit tiefen Fensternischen und einem präch- tigen Erker. Zwischen den Durchzugsbalken ist die ganze Decke mit Stuck- ornamenten belebt, hauptsächlich Akanthusranken mit einigem Figürlichen ge- mischt. Auch im Hauptbau liegen im Erdgeschoß große Räume, durch Erker

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Südhessen

nach dem Flof und der Gartenseite aufs schönste erweitert. Diese Erker, mit spätgotischen Rippengewölben bedeckt, haben solche Tiefe, daß sie wie kleine Stuben wirken. Leider sind diese Räume ganz verräuchert und zu untergeord- neten Dienstzwecken verwendet. Wir dürfen annehmen, daß alle diese Teile dem Bau Graf Eberhards I. angehören, während die Renaissancepartien des Schlosses Georg II. zu verdanken sind.

Ungern reißt man sich von diesem Idyll los, um dem benachbarten Michel- stadt seine Aufmerksamkeit zu schenken. Das anmutig gelegene lebhafte und freundliche Städtchen fesselt durch eine Anzahl wertvoller Denkmale, vor allem durch einen äußerst malerischen Marktplatz. Im Vordergrunde sieht man einen stattlichen Brunnen, der auf einer allerdings nicht sehr geschickt behandelten korinthisierenden Säule das ungeschlachte Standbild des heiligen Michael trägt. Trefflich dagegen sind die schmiedeisernen Stangen, welche die unteren Teile umgeben. Das Denkmal ist ein Werk Graf Georgs I. vom Jahre 1541. An der andern Seite des Marktplatzes erhebt sich mit seinem hohen Dach, seinen beiden polygonen turmarligen Erkern und seiner offenen Halle das Rathaus, ein prächtig energischer Holzbau noch von 1484. Im Hintergrunde ragt mit seinem Turm der schlichte gotische Bau der Stadtkirche auf, welche als Grabstätte der Grafen von Erbach Bedeutung gewinnt, da sie eine Anzahl wertvoller Denk- mäler enthält.^)

Das früheste, jetzt in der Sakristei befindliche, ist dem Grafen Eberhard I. und seiner Gemahlin Maria von Wertheim gewidmet. Es ist ein Epitaph ohne Porträtfiguren, aber mit einer reichen Ornamentik der Frührenaissance ausgestattet.^) Größere Opulenz, wenngleich ebenfalls noch ohne Bildnisdarstellung, zeigt das Alabasterdenkmal des Grafen Georgs I. (f 1563) und seiner Gemahlin Elisabeth von der Pfalz (f 1569).^) In Form einer Tumba errichtet, enthält es in seiner Ornamentik Motive der Frührenaissance, verbunden mit dem späteren Kartuschen- werk. Tumba und Wandepitaph vereinigen sich sodann zuerst in dem prächtigen Wandgrab des 1605 gestorbenen Georg II.*) In Alabaster ausgeführt zeigt es den in voller Rüstung mit offenen Augen betend daliegenden Grafen. Sein Paradebett wird von fast nackten Karyatiden getragen, welche wie alles übrige Figürliche schon stark manieriert sind. Der architektonische Aufbau ist fast völlig in Schnörkel- werk und Figuren aufgelöst und dadurch sehr unruhig. Trefflich behandelt ist alles Ornamentale, welches aus Motiven des Metallstils und Kartuschenwerk gemischt ist. Gut komponiert, aber ganz in den Manieren des italienischen Barokko sind an der Rückwand die Medaillonreliefs der Geburt, Auferstehung und Himmelfahrt Christi.

In ähnlicher Anordnung und Behandlung stellt sich das Epitaph des Grafen Friedrich Magnus {-f 1618) dar. Am besten ist die Porträtfigur des auf dem Parade- bett liegenden Entschlafenen, besonders geschmackvoll wieder die Ornamente der Rüstung behandelt.*^) Drei Löwen tragen den Sarkophag, und weinende Engel, viel weichlicher und zopfiger als am vorigen Denkmal, umgeben den Verstorbenen. Im übrigen ist die ganze Komposition kleinlich, unklar und überladen. Noch später ist das Denkmal des Grafen Johann Kasimir (f 1627).'') Hier begegnen wir einer an- dern Künstlerhand, einer maßvolleren Behandlung der Architektur und einer tüch- tigen Auffassung des Figürlichen. Vier prächtig ausgeführte Säulen, die einen barock gebrochenen Giebel tragen, sind triumphbogenartig angeordnet. In der mittleren Nische sitzt auf dem Sarkophag die trefflich behandelte Figur des Grafen, den Kopf sinnend auf die rechte Hand gestützt, den Feldherrnstab in der Linken,

1) Kunstdenkmäler etc. S. 174 ff.

2) Abgeb. daselbst Fig. 92.

3) Daselbst Fig. 93.

4) Daselbst Fig. 94.

5) Daselbst Fig. 95.

6) Daselbst Fig. 96.

Michelstadt

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während der rechte Arm auf dem Helm ruht. Es ist wie eine Inspiration von Michelangelos Lorenzo Medici. Die Löwen, welche den Sarkophag tragen, scheinen von derselben Hand, wie die am vorigen Denkmal. In den beiden Seiten- nischen stehen allegorische Figuren von Tugenden, in die Rückwand sind zwei geistreiche lebendig komponierte Schlachtenreliefs, Moses im Kampf wider die Amalekiter, und eine andere alttestamentliche Kriegsszene eingelassen. Das Werk erinnert im Stil stark an die Richtung des Sebastian Götz aus Chur (Heidelberg, Friedrichsbau). Alle diese Denkmäler sind, obwohl schon stark barock, doch wertvoll, wenngleich ich sie denen in der Stadtkirche zu Darmstadt an Be- deutung nicht gleichstellen möchte.

Im übrigen bietet Michelstadt nicht viel. Das alte Schloß der Erbacher Grafen, das Georg I. als Kellereigebäude erneuern ließ, ist ein schHchter Putz- bau von unbedeutender Anlage. In der Mitte der Fassade führt eine doppelläufige Freitreppe, von einem Baldachin auf Holzsäulen überdacht, zu einem ganz ein- fachen spitzbogigen Portal. Darüber das Erbach-Hohenlohesche Allianzwappen und die Jahreszahl 1539. Hier ist noch keine Spur von Renaissance zu sehen. Dagegen finden wir den neuen Stil, wenngleich noch wenig geschickt angewendet, an jenem von demselben Grafen zwei Jahre darauf gestifteten Marktbrunnen. Noch etwas früher tritt er an einem kleineren Brunnen der Hauptstraße auf, welcher auf seiner Säule einen sitzenden Löwen und das Allianzwappen von Er- bach und Wertheim trägt, also eine Stiftung Graf Eberhards I., den wir schon im benachbarten Fürstenau antrafen. An derselben Straße sieht man ein Haus von 1557 mit einem hübschen Rundbogenpförtchen mit Rosetten in der Leibung. Darüber ein Obergeschoß in Fachwerk, über der Tür auf schrägen Stützen ein Erker, schlicht aber malerisch. Dieselbe Anordnung, jedoch in reicherer Ausführung an einem Hause in einem Seitengäßchen östlich von der Kirche.') Das Erdgeschoß wieder in Stein aufgeführt, mit einer Rundbogen- tür von 1620, in der Leibung elegante Rosetten; das obere Stockwerk in Holzbau mit reichgeschnitzten Eckpfosten und einem hübschen Erker auf hölzernen Stützen.

In dem Städtchen Umstadt ist das aus Sandsteinquadern errichtete Rathaus ein tüchtiges Werk der ausgebildeten Renaissance. Das benachbarte Seligenstadt^) hat nicht bloß Wohnhäuser mit schön geschnitzten Stützen und Balken, sondern auch das Steinheimer Tor als einen stattlichen Renaissance- bau von 1603 aufzuweisen. In einem Privathause am Markt eine schöne Stuck- decke im Stil der Breuberger. ^) Weiterhin finden wir tüchtige Epitaphien der Familie von Rodenstein in der Kirche zu Krumbach erwähnt, namentlich das einfache Grabmal Hans' IV., der in hohem Alter 1560 zum Jubeljahr nach Rom pilgerte und dort starb. Sein abgezehrtes, geisterhaft aus der Sturmhaube her- vorblickendes Gesicht hat ihm die seltsame Bezeichnung des „wilden Jägers" verschafft. Reicher entwickelt ebendort das Doppeldenkmal Georgs III. und seiner Gemahlin (1563), ferner das Epitaph PhiHpps von Rodenstein (f 1582) und seiner beiden Gemahlinnen, sowie endlich das Grabmal Hans' VI. Das durch seine mittel- alterliche Burgen interessante Neckarsteinach enthält unter den Denkmalen seiner Stadtkirche namentlich dasjenige des Ritters Hans Landschad von Steinach (1531), eines eifrigen Verfechters der Reformation. In dem malerisch gelegenen Hirschhorn sodann zeigt das bis 1584 errichtete Herrenhaus der dortigen Burg kräftig geschweifte Giebel mit Pilasterstellungen, Obelisken und Kugeln im Charakter des beginnenden Barockstils.

1) Kunstdenkm. etc. Fig. 102.

2) Kunstdenkna. im Großliei'zogt. Hessen, Kreis Oifenbach, S. 218 if.

3) Daselbst Fig. 76.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Eheinfranken

In Rheinhessen fand ich in der Kirche zu Partenheim ein seltenes Bei- spiel einer vollständigen Bemalung aus der Zeit der Frührenaissance. Die ganze Kirche ist auf weißem Grunde mit Blumenranken und figürlichen Darstellungen bedeckt; im Mittelschiff an den Schildbogenwänden sieht man Christi Einzug in Jerusalem, den heiligen Martinus und eine dritte legendarische Szene ; diese Sachen ziemhch derb gemalt, die Wirkung im ganzen recht gut und originell. In Mannes- höhe zieht sich ein rotgemalter Fries mit ornamentalen Medaillons hin. Dazu kommen braune Ranken, im Mittelschiff aus großen Renaissancevasen hervor- gehend ; die Blumen zum Teil noch im spätgotischen, teils schon im Renaissance- charakter; alles das im Seitenschiff am feinsten, besonders die Medaillonköpfe recht gut und lebendig behandelt.

Abb. 281 Schloß zu Aschaftenburg

Am bezeichnendsten für diese Frühepoche ist jedoch die Einfassung des Ghorbogens mit gemalten Kindergenien, spielenden Tieren, Häschen u. dgl. Alles dies, sowie die Medaillonbildnisse etwa im Stil Holbeinscher Kunst. Das Ganze in der dekorativen Wirkung äußerst lebendig. So hält auch hier die Renaissance mit ihrer fröhlichen Weltlust Einzug in die geweihten Räume der Kirche.

Zum Main zurückkehrend finden wir im Schlosse zu Aschaffenburg eines der mächtigsten aber auch national bedeutungsvollsten Gebäude der deutschen Renaissance. Nachdem die Stadt samt ihren reichen Stiftsgütern an Mainz ge- kommen war, erweiterte und befestigte Erzbischof Adalbert Graf von Saarbrücken 1118 das Schloß. Im Bauernkriege 1525 wurde es bis auf die Grundmauern zerstört, und eine zweite Verwüstung betraf den Bau 1552 durch die Truppen des Grafen von Oldenburg. Erst 1605 wurde ein opulenter Neubau, das noch jetzt vorhandene Prachtwerk, im Auftrage Kurfürst Johann Schweickards von Krön-

Schloß Aschaffenburg-

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berg durch Georg Ridinger von Straßburg als Residenz des Erzbischofs von Mainz erbaut, 1613 vollendet. Über seiner mächtigen Terrasse hoch über dem Main auf- ragend (Abb. 281), stellt es sich als quadratische Anlage dar, auf den Ecken mit vier gewaltigen Türmen flankiert, die Mitte jeder Fassade durch einen hohen Giebel in den üppigen Formen der Zeit charakterisiert (Abb. 282). Das Erdgeschoß und die beiden oberen

Stockwerke werden durch starke Gesimse getrennt, in denen ge- genüber der kräftigen

Vertikalrichtung der Türme und Giebel die horizontale Tendenz in langen Linien ausklingt. Die Fenster sind in den drei Geschossen durch steinerne Kreuzpfosten geteilt und in wohl- berechneter Steigerung mit gebrochenen Gie- beln oder ornamentalen Aufsätzen gekrönt. In der Mitte der Fassaden sieht man prächtige Por- tale, von dorischen kraft- voll gebildeten Doppel- säulen eingefaßt. Von großartiger Wirkung ist der weite quadratische Hof. In den Ecken lie- gen polygone Treppen- türme mit meisterlich konstruierten Wendel - stiegen, deren Stufen auf schlanken Säulen ruhen. Die Verbindun- gen der Treppen im Hofe sollten ursprüng- lich gewölbte Bogen- hallen auf dorischen Säulen herstellen, wenn

diese nicht überhaupt schon ausgeführt waren und wieder beseitigt sind. Auch hier wird die Mitte der Fronten durch prächtige Giebel bezeichnet. Besonders reich ist das Portal ausgestattet, welches zur Kapelle führt (Abb. 283). Triumph- bogenartig angelegt, zeichnet es sich ebensowohl durch Klarheit der Komposition und edle Verhältnisse, als durch kraftvolle und dabei elegante Gliederung und prächtigen bildnerischen Schmuck aus. Dabei treten die barocken Elemente maßvoll auf und beschränken sich im wesentlichen auf die geschweiften und gebrochenen Giebel, welche die beiden Seiten und das mittlere erhöhte Feld bekrönen. Die schön durchgebildeten gekuppelten korinthischen Säulen der Ein- fassung des Bogens sind mit teils kannelierten, teils im Schlosserstil dekorierten Schäften ausgestattet. Ähnliche Ornamentik beherrscht die Friese und die übrigen

Abb. 282 Giebel des Schlosses zu Aschaffenburg (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Eheinfranken

Flächen. Das Ganze voll des energischsten Lebensgefühls, prächtig und dabei meisterhaft durchgeführt. i) Überhaupt ist der Bau, in gediegenen Quadern von rotem Sandstein errichtet, ein Werk ersten Ranges. Die Regelmäßigkeit der An- lage hat hier noch nicht zur Nüchternheit geführt, alles strotzt vielmehr von über- quellender Kraft. Ein älterer viereckiger Turm von mittelalterhcher Anlage im

Abb. 283 Portal des Schlosses zu Aschaffenburg

Hofe, wahrscheinlich von dem Bau Erzbischof Adalberts stammend, ist trotz seines Verstoßes gegen die Symmetrie in den Neubau mit aufgenommen worden. Be- merkenswert ist besonders noch die Entwicklung der mächtigen Ecktürme. Sie enden mit prachtvollen Galerien auf weit vorspringendem Konsolengesims mit energisch skulpierten Köpfen. Darüber folgt ein kleiner Aufsatz und dann der Übergang ins Achteck, dieses von einem Kuppeldach und einer Laterne malerisch bekrönt. Von der einfachen aber stilvollen Stuckdekoration des Tonnengewölbes der Haupteinfahrt haben wir (Abb. 149) eine Abbildung gegeben. Auch hier spricht

1) Nach Marc Rosenberg wurde Sebastian Götz, der am Friedrichsbau in Heidelberg ge- arbeitet hatte, nach Aschaffenburg zum Schloßbau berufen: von ihm dürften die Bildwerke des Portales herrühren.

Aschaffenburg

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sich ein kraftvoller, dabei eleganter Formensinn aus. Das Innere ist mit Ausnahme der Kapelle leider fast gänzlich modernisiert. Es besaß nach den Plänen Ridingers außer vielen schönen Räumen vor allem im obersten Geschoß, bis in das Dach ragend, einen mächtigen Saal, dessen Sprengwerk als ein Wunder von Kühnheit der Konstruktion galt und viel abgebildet wurde. Dieser Saal war mit einer großen Zahl von historischen Gemälden Georg Kellers ausgeschmückt. Der Bau, von dem Georg Ridinger 1616 eine Veröffentlichung in Kupferstich ausgehen ließ, die übrigens von dekorativen Einzelheiten nur die schönen Giebel und die Gemälde Georg Kellers enthält, hat bis heute noch nicht die Publikation gefunden, die ihm gebührte, als dem gewaltigsten einheitlich entworfenen Schlosse aus der Höhezeit der deutschen Renaissance. ■*) Der Künstler Georg Ridinger, der Richtung Hans Schochs zu Straßburg zugehörig, daselbst 1568 geboren, Sohn des Werk- meisters am städtischen Bauhof Jakob Ridinger, ging 1590 nach 5jähriger Lehr- zeit bei Jörg Schmidt auf die Wanderschaft, arbeitete 1595—99 in Ansbacbschen Diensten und war seit 1604 in Aschaffenburg ansässig. Gegen 1627 machte er auch die Pläne zum neuen Bau in Mainz, dem heutigen Schlosse.

Von mancher Seite wird das Schloß als französisch in der Anlage bezeichnet ; nur weil es regelmäßig viereckig mit vier Ecktürmen angelegt ist. Der Auf- fassung ist bei dem urdeutschen Charakter des Bauwerks entschieden zu wieder- streiten ; der Grundgedanke der Anordnung ist für einen großartigen regelmäßigen Schloßneubau gerade dort gegeben, keineswegs französisches Sondergut, und in der ganzen Welt heimisch, von Rallen her bis nach Schweden hinauf. Zahlreiche bayrische wie westfälische Schlösser besitzen gleichen Grundriß.

Von den Denkmälern der Stiftskirche sind das schöne Monument Kurfürst Albrechts von Brandenburg und das Grab der hl. Margarethe mit seinem eleganten Baldachin, beides Werke der Vischerschen Hütte und Schöpfungen edelster Früh- renaissance, schon oben gewürdigt worden. Die übrigen Arbeiten gehören den verschiedenen Zeiten der sich entwickelnden Renaissance an ; schon spät im Charakter sind die Chorstühle, wie die üppig barocke Kanzel. Die Grabmäler, unter welchen das tüchtige und einfache des Ritters Ph. Brendel von Homburg aus dem Jahre 1573 sich auszeichnet, bilden dafür eine fortlaufende Reihe schöner und feiner Werke. ^)

Unterfranken

Auch in Unterfranken bildet ein Hauptsitz geistlicher Macht, das Bistum Würzburg, in dieser Epoche den Mittelpunkt der künstlerischen Bestrebungen. Das weltliche Fürstentum und der Adel tritt dagegen zurück, und nur in den größeren Städten kommt das Bürgertum zu einiger Bedeutung, wenn auch nicht zu einer solchen ersten Ranges. Die Architektur nimmt an dem kräftigen plastischen Charakter teil, welcher dem ganzen fränkischen Gebiete eigen ist und auf der Verwendung und künstlerischen Durchbildung eines guten Sandsteins beruht.

Wir beginnen mit Wertheim, diesem so anmutig am Einfluß der Tauber in den Main gelegenen altertümlichen Städtchen. Seine Denkmale der Renaissance sind, wenn man die auf Seite 72 schon erwähnten Gräbmäler ausnimmt, die den Chor der schönen Stadtkirche zu einem wahren großartigen Mausoleum der Grafen von Wertheim machen, nicht von erheblicher Bedeutung.") Das alte Schloß mit seinen roten Mauermassen kommt mehr als malerische Ruine, denn als architek- tonische Komposition in Betracht. Doch sieht man an einem achteckigen Turm

1) Mehrere gute Darstellungen bei Pritsch.

2) Aufnahmen dieser Werke bei Niedling a. a. 0.

3) Aufn. von G. Graef in Ortweins D. Ren. XVI. Abt. Kunstdenkm. im Großh. Baden IV: Wertheim S. 256 ff.

426

2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Unterfranken

ein Portal vom Jahre 1562, das durchaus noch im Stil der Frührenaissance behandelt ist und sowohl durch seine originelle Komposition, wie durch die feine Ausführung anziehend wirkt. ^) Der einfach profilierte Rundbogen wird von breiten ionischen Rahmenpilastern mit hübschem Laubwerk eingerahmt, deren Postament mit Löwenköpfen geschmückt ist. Über dem einfach behandelten

Fries erhebt sich, von Kandelaber- säulchen eingefaßt, eine Attika, von zwei elegant behandelten Wappen ausgefüllt. Ein zweiter Fries enthält die Inschrift, welche Ludwig, Grafen von Stollberg und seine Gemahlin Walpurga als Erbauer nennt. Den oberen Abschluß bildet eine flach be- handelte Muschelnische. Die For- men erinnern an die früheren Portale des Schlosses zu Tü- bingen. Ferner ist der prächtige Altan zu erwähnen, der vom un- teren Hofe am Löwensteiner Bau über den Bergabhang auf ge- waltigen Bögen weit hinausragt, eine echte Renaissanceschöpfung. Wenn auch die prächtige Galerie mit ihren vorspringenden Bal- kons dazwischen noch gotisches Maßwerk zeigt, so weist doch dessen Auffassung, wie der Ge- simse, stark gegen das 17. Jahr- hundert hin. Unten in der Stadt befindet sich auf dem Markte der originelle Ziehbrunnen, welchen wir in Abb. 284 ab- bilden. Auf vier kreuzweis durch nach unten geschweifte Archi- trave verbundenen Pfeilern er- hebt sich ein muschelförmiger Bogenabschluß, gleich den Pfei- lern mit Bildwerken ausgestattet. Die alte Einrichtung ist zer- stört und durch eine moderne Pumpe ersetzt, die Brunnenöffnung zugedeckt und ihre ehemalige Einfassung beseitigt. Doch sieht man noch am Gebälk den Haken für die Rolle, die ehe- mals die Eimer auf- und absteigen ließ. An die vier Pfeiler sind Statuen an- gelehnt, die vordere einen Ritter, die zwei seitlichen eine Magistratsperson und den Baumeister darstellend. Letzterer hat über sich ein Wappen mit dem Stein- metzzeichen und in der Hand eine Tafel mit der Inschrift Matthes Vogel. Dies der Name des Werkmeisters, der den Brunnen nach Zeichnung des Baumeisters Michel Matzer errichtete.

Als Gegenstück zu diesen drei würdigen Personen hat der Meister dem Pfeiler der vierten Seite eine üppige weibliche Herme hinzugefügt und dadurch dem 1) Graef a. a. 0. Taf. II. «Kunstdenkm. im Großherzogt. Baden" IV: Wertheim S. 221.

Abb. 284 Brunnen zu Wevtheim

Wertheim Lohr

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klassischen Altertum seine Reverenz gemacht. Ebenso hat er dem oberen Aufsatz an der Rückseite ein nacktes weibhches Figürchen, durch Pfeil und Apfel als Frau Venus charakterisiert, gegeben. Diese oberen Figuren sind übrigens von viel geringerer Hand. Am Brunnen liest man: „Anno 1574 hat ein erbarer Rath diser Stat gegenwertigen Brunnen zu Nutz und Gedeihn gemeiner Burgerschaft

verfertigen lassen. Galt ein Malter Korn siventhalben Gulden und ein Wein

. . . . Diser Brunnen steht in Gottes Hand, zu den Engeln ist er genannt." Hinter dem Brunnen ein Haus, dessen stei- nernes Erdgeschoß am Fries zwei ausge- streckte Gerippe und zwischen ihnen ein Stundenglas mit lan- ger Inschrift zeigt. Auf beiden Seiten kleine unbedeutende Ranken in Flachrelief aus- geführt. Innen schöne Wendeltreppe am wei- ten Flur. Daneben das Haus „zum Adler" von 1573 mit originellem

Renaissanceportal, vonionischenPilastern mit schönen Orna- mentranken eingefaßt; das Obergeschoß Fach- werk mit geschnitzten Eckständern. Noch manche andere Häuser zeigen durch hübsch geschnitzte Konsolen auch hier das lange

Fortleben einer künstlerisch ausgebildeten Holzarchitektur. Besonders reich das Haus an der Ecke der Rathausgasse. Erker findet man selten, ein paar polygone am Markt sind ohne künstlerische Bedeutung in Holz ausgeführt. Das Rathaus ist ein gotischer Bau von geringerer Beschaffenheit, aber ausgezeichnet durch eine doppelte Wendeltreppe. Die Formen sind noch mittelalterhch trotz der spä- teren Jahreszahl 1540. Im dritten Geschoß noch ein Saal mit hübsehen Renais- sancetüren und derber Stuckdecke von 1600. Im Ratsschatz einige schöne Gefäße, vor allem die beiden schönen Pokale „Schimmel" und „Fuchs".

Nicht reicher ist die Ausbeute in Lohr. Zunächst ist das Rathaus als ein kleiner origineller und charaktervoller Bau vom Ende der Epoche zu nennen. Er bildet ein Rechteck, das in seinen oberen Teilen, namentlich dem Dach und den Giebeln, durch moderne Umgestaltung gelitten hat, im übrigen aber den ursprünglichen Charakter bewahrt.') Im Erdgeschoß ist es ringsum mit großen und weiten Bögen auf reichgegliederten Pfeilern geöffnet. Die Gliederung der Arkaden besteht noch ganz in mittelalterlicher Weise aus einem lebendigen Wechsel von Hohlkehlen und Rundstäben. Eine Arkade ist an jeder Seite

Abb. 285 Decken im Rathaus zu Lohr

1) Details in Graefs Wertheim Taf. 17.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Unterfrankeu

durch vorgesetzte kannelierte Säulen, am Hauptportal durch Hermen als Ein- gang ausgebildet. Alles dies sehr wirksam und tüchtig, obwohl im Detail der antikisierenden Formen kein volles Verständnis herrscht. Die beiden oberen Geschosse zeigen stattliche Höhenverhältnisse und erhalten durch breite zwei- teilige Fenster mit gotischer Profilierung ein reichliches Licht. Die Ecken des Baues haben energische Einfassung mit Buckelquadern. Der Eingang zu den oberen Stockwerken liegt nach mittelalterlicher Weise in einem an der rechten Langseite vorgebauten Achteck-Turme mit Wendelstiege. Im Innern fesselt der Sitzungssaal im zweiten Stock durch eine Stuckdecke von einfacher aber lebendiger Ghederung, in unsrer Abb. 285 oben links abgebildet. Am Durchzugs- balken die Jahreszahl 1607. Sodann „MK . HN . MDB . Gott allein die Ehr". (Die Monogramme beziehen sich wohl auf damahge Magistratspersonen.) Eine eiserne Säule hat die ursprüngliche hölzerne Stütze, auf welcher ohne Zweifel der Balken ruhte, verdrängt. Auch der geräumige Vorplatz, der sich wie immer vor dem Saale hinzieht, hat eine hübsche Decke von wechselnder Einteilung, in unsrer Abbildung unten in der Mitte und oben rechts dargestellt. Sie ruht auf zwei schwerfälligen runden Stützen von Holz. Der Saal im ersten Stock ist modernisiert, aber der Vorsaal hat noch seine beiden prächtigen korinthischen Holzsäulen und eine in verschiedenen Motiven gegliederte Decke (unten links und rechts auf unsrer Abbildung).

Sodann findet sich hier noch ein etwas früherer Bau, das jetzt als Bezirks- amt dienende ursprünglich kurmainzische Schloß. Es ist eine kleine malerische Anlage, rechtwinklig, mit vortretendem Mittelbau, der von zwei kleinen Rund- türmen flankiert wird und dazwischen einen Balkon hat, während ein polygoner Treppenturm am rechten Flügel und noch ein kleiner Rundturm am linken vor- springt. Der ganze Bau ist förmlich gespickt mit Jahreszahlen. Man liest 1570 über der kleinen Tür des Stiegenhauses, gleich daneben 1554, an mehreren anderen Portalen 1570 und 1590, sodann an jedem der unteren Fenster der Fassade 1561. In den Formen ist noch viel Gotisierendes. Das Innere hat schöne helle Zimmer in behaglicher Ausdehnung und Verbindung, mit der landschaftHchen Umgebung zusammen den Eindruck eines anheimelnden Sommersitzes gewährend. Im Erd- geschoß ein großes Zimmer mit Stuckdecke, ähnlich den Arbeiten im Rathaus, aber in verschiedenen Motiven. Von der alten Ausstattung rührt noch eine präch- tige grüne golddurchwirkte Tapete von Wolle und ein großer schwarz glasierter Kachelofen, von gewundenen Säulen in zwei Absätzen eingefaßt, mit treffhch gearbeiteten Kaiserköpfen geschmückt.^) Am steinernen Untersatz das Mainzer Wappen und die Jahreszahl 1595; an der eisernen Platte 1501, was jedenfalls 1591 heißen muß, da die Formen schon barock sind. Oben enthielt eins der Eck- türmchen ursprünglich die kleine Schloßkapelle.

In Ochsen furt sieht man an manchen Häusern Portale mit grotesken Masken; sonst bietet der Privatbau des höchst malerischen Städtchens wenig architektonisch Bemerkenswertes. Das Rathaus^) ist ein mittelalterlicher Bau von 1499, mit einer Freitreppe, deren Geländer spätgotisches Maßwerk zeigt. Im Innern ein Vorsaal mit kräftiger Balkendecke auf achteckigen Holzsäulen, die Balken sämtlich mit gemalten Flachornamenten, in denen Renaissancemotive auf- treten. Der Sitzungssaal ähnlich behandelt und an den Wänden mit Gemälden bedeckt: Susanna im Bade, Christus mit der Ehebrecherin und das Jüngste Gericht. Sämtlich später übermalt. Interessant sind die alten Tische mit ihrer wuchtigen Holzkonstruktion. Das Datum 1513 an der mit gotischen Eisenbeschlägen ver- sehenen Tür gilt wohl für die ganze Ausstattung.

1) Abb. in Graefs Wertheim Taf. 16.

2) Kimstdenkm. von Unterfranken und Aschaffenburg I, S. 176 if.

Marktbreit

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Das kleine Mark t breit bietet uns dafür eine Fülle hochmalerischer, inter- essanter Bauwerke verschiedenster Art und Zeit.^) NamentUch das originelle Rat- haus vom Jahr 1579, das in vielgestaltiger Anlage sich neben dem die Stadt durch- fließenden Breitbach erhebt. Es ist ein rechtwinkliger Bau; seine Nordseite zieht sich am Wasser hin und wird an der nordwestlichen Ecke von einem runden Turm flankiert. Nordöstlich dagegen springt ein Anbau vom Jahr 1600 vor, der mit einem Torwege den Bach überbrückt (Abb. 286). Dieser Bau, zugleich den alten Abschluß der Stadt bildend, ist turmartig über mächtigen Brücken- bögen emporgeführt und überaus malerisch mit hohen, resolut be- handelten Giebeln ge- krönt. Das Tor selbst ist aus gewaltigen Buckelquadern in der- ber Rustika ohne Pi- laster errichtet. Eine einfache Treppe führt im Inneren zum Haupt- geschoß, eine Wendel- stiege dagegen zum zweiten Stockwerk. Im ersten Stock findet sich ein großer Vor- saal mit Balkendecke

in mittelalterlicher Profilierung auf vier runden, mit primitiver Schnitzerei bedeckten Säulen, über diesen liegen ebenso ge- schnitzte Sattelhölzer. Daran stößt die geräu- mige Ratsstube, durch ihre tiefen , breiten

Fensternischen und ihre guterhaltene Holzdecke mit tiefen, kräftigen Kassetten, sowie das Täfelwerk der Wände von ungewöhnlich malerischem Eindruck. Eine prächtige, mit Säulen eingefaßte und mit Aufsatz bis zur Decke bekrönte Tür, daneben eine ähnliche eingelassene Schrankpartie rufen die Erinnerung an die besten Schweizertäfelungen wach. Die Holzbekleidung hat außerdem noch ihre alte Polychromie in Blau, Weiß, Gold und Schwarz, sparsam verteilt, aber auf dem tiefbraunen nachgedunkelten Holzgrunde trefflich wirkend. Der obere Saal, dem untern entsprechend, hat ebenfalls eine alte Balkendecke. In den Formen 1) Kunstdenkm. von Unterfranken und Asoliaffenburg II, S. 166 ff.

Abb. 286 Rathaus zu Marktbreit

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1. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Unterfranken

sind fast überall mittelalterliche Anklänge, wie denn namentlich die Fenster die spätgotischen Abschlüsse in gebrochenen Kreissegmenten zeigen. Auf dem Vor- platz prächtiges Portal (Abb. 287).

Dem Ausgang der Epoche gehört ein großer Giebelbau am Markt, jetzt das Landgerichtshaus, an. Die Formen sind hier die der ganz späten Renais- sance, namentlich das phantastisch behandelte Hauptportal. Die steinernen Kreuz- pfosten der Fenster sind in antikem Sinn als Pilaster ausgebildet; ebenso fassen

Pilasterstellungen mit Architra- ven jedes Fenster ein. Im Innern mündet der lange, mit einem Tonnengewölbe bedeckte Flur auf eine steinerne Treppe, die in vier Absätzen rechtwinklig gebrochen emporführt. An der Rückseite des Gebäudes ragt ein viereckiger Turm mit geschweif- tem Kuppeldach auf.

Die berühmte Gruppe der beiden Häuser dort, die mit ihren prächtigen, reich gezierten run- den Kuppelerkern das Straßen- bild so wundervoll einfassen, das durch Stadttor und Rat- hausgiebel abgeschlossen wird, stammt freilich gar aus dem An- fange des 18. Jahrhunderts, ist aber und bleibt ein echter Deutsch- Renaissancegedanke, nur ein spätgeborener der zu einem der erquicklichsten deutschen Städtebilder geführt hat. (Auf Abb. 286, rechts.)

Die Stadtkirche bietet uns ebenfalls einen interessanten Innenraum in ihrem Saalschiff, das man dem gotischen Chor im 16. Jahrhundert vorbaute. Mit einer schön ein- geteilten flachen Stuckdecke und allerlei Einbauten gibt sie ein erfreuliches Bild. Geradezu poetisch die Laube an der Seite des Kirchhofs mit ihrem Dachstuhl aus gebogenen Hölzern und einer großen Reihe der verschiedenartigsten Renaissance- Grabmäler mannigfaltigster Auffassung.

Das in der Nähe gelegene Giebelstadt besitzt ein 1540 erbautes, in den Bauten wenigstens erhaltenes Schloß der Familie Zobel von einfacher Architektur, ohne jede Ausstattung, wirkt aber im besten Sinne monumental mit seinen vier Rundtürraen und einem vorspringenden schönen Torgiebel mit Wappentafel. ^)

Abb. 287 Tür ans dem Rathaus zu Marktbreit

Würzburg

Zu bedeutenderer Ausbildung und reicherer Anwendung gelangt die Renais- sance in Würzburg.2) Die alte Bischofstadt, in den frühesten Zeiten schon der

1) Kunstdenkm. von Unterfranken etc. I. S. 112 ff.

2) Trefft. Aufnahmen in den Reisestudien der Architekturschule des Polytechn. in Stutt- gart, unter Reinhardt. Berlin 1871. Zwei Hefte in Fol.

Würzburg

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Mittelpunkt der Kultur in Franken, hat bis auf den heutigen Tag noch viel von jener alten Herrlichkeit gerettet, nach welcher uns die Abbildung in Merlans Topographie, unbedingt eins der schönsten Städtebilder aus Deutschland, lüstern macht. Was die mächtige Stadt noch an romanischen Monumenten birgt, voran der gewaltige Bau des Domes, gehört zum Bedeutendsten jener Epoche. Minder reich ist die Gotik vertreten, doch weist sie das anmutige Werk der Marienkapelle mit ihren köstlichen Skulpturen auf. Die Plastik überhaupt hat seit der gotischen Zeit in Würzburg reiche Pflege gefunden, bis sie in Tilman Riemenschneider ihre höchste Blüte erreicht. Er ist es auch, mit dem die Renaissance ihren Einzug hält. Eine phantastisch spielende Frührenaissance tritt hier zum erstenmal an dem Grabmal des Fürstbischofs Lorenz von Bibra (f 1519) im Dom hervor. Der Meister hätte wahrscheinlich nachdrückhcher für die Einbürgerung des neuen Stils tätig sein können, wenn er nicht ein Opfer der stürmischen Zeiten geworden wäre. Seit 1520 als erster Bürgermeister erwählt, tritt er beim Kampfe um reli- giöse und politische Freiheit an die Spitze. Nach Niederschlagung des Bauern- krieges mußte er der blutdürstigen Reaktion des Bischofs Konrad von Thüngen weichen, wurde aus dem Rate gestoßen und scheint dann die letzten Lebensjahre in tiefer Zurückgezogenheit verbracht zu haben.

In Würzburg bietet sich uns dasselbe Bild der Entwicklung, wie wir es überall in Deutschland finden: In den ersten Dezennien des 16. Jahrhunderts ein frisches Aufblühen der Kunst allerorten, geweckt und getragen vom fröhlichen Hauch der Renaissance. Neben der Blüte der bildenden Künste in Malerei und Plastik, in Holzschnitt und Kupferstich beginnt auch die Architektur, sich aus handwerklicher Verknöcherung aufzuraffen und frische Blüten zu treiben. Immer höher steigt die Begeisterung der Nation und sucht in einer Erneuerung des reli- giösen und politischen Lebens sich Genüge zu tun. Welche Anregung die Kunst aus diesen Verhältnissen geschöpft hätte, ist kaum zu übersehen. Aber in der gewalttätigen Reaktion, die sich gegen das berechtigte Streben aller edleren Geister erhob, und in den schweren Kämpfen, welche sie veranlaßte, mußte das Schöne weichen. So finden wir in Würzburg wie überall eine weitere Blüte der Kunst erst im Ausgang des 16. Jahrhunderts. Zunächst ist hier einiges am Rat- haus zu beachten, das in seinem Hauptbau dem frühen Mittelalter angehört.^) An die trotzige, hochaufragende Masse dieses Teils, des sog. Grafen Eckards- turmes, stößt links ein etwas zurückspringender Flügel mit einer Prachtfassade von gewaltiger Kraft, aus rotem Sandstein in derber Rustika aufgeführt (Abb. 288). Der Bau verrät in allem die Hand eines bedeutenden Meisters, der grandios zu komponieren und bis zum hohen Giebel hinauf wirksam zu gliedern versteht, und der der Straßburger Richtung nahesteht. Das Erdgeschoß öffnet sich als Durch- fahrt mit einer großen Bogenhalle, die Schlußsteine sind als grinsende Masken ausgebildet. Dorische Pilaster bewirken bis zum geschwungenen Giebel hinauf die Einteilung der Fassade. Derselben Zeit gehören die meisterhaften Eisen- gitter an den beiden unteren Seitenfenstern des Hauptbaues an (Abb. 68). Auch das daneben angebrachte elegante Portal, von kannelierten ionischen Säulen um- faßt, verdient Beachtung. Im Bogen ein schönes Eisengitter. Der ganze Anbau bildet unten eine offene Halle mit hübsch gegliederter Stuckdecke, deren Balken an den Wänden auf prächtigen Fratzen ruhen. Wieder ein kleiner Anbau, parallel hinter jenem, bildet abermals eine offene Halle mit Flachbögen auf kurzen Säulen mit korinthisierenden Kapitellen. Auch hier ist die Decke an- sprechend gegliedert.

Der Privatbau der Stadt trägt nicht eben zahlreiche Spuren jener Zeit. Bemerkenswert sind die gewaltig weiten Hoftore, wegen der Enge der Gassen

1) Eeinhardt, Reisestudien Taff. 33—35.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Unterfranken

durchweg so angelegt, um die Wagen mit den großen Weinfässern in den Hof bringen zu können. Hier sind dann in großer Zahl an den Schlußsteinen phan- tastische Köpfe gemeißelt. Bisweilen kommen noch alte Höfe vor, meist jedoch in beschränkter Anlage, manchmal mit Holzgalerien umgeben. Der Holzbau ist

also selbst hier im Lande des besten Bausteins lange lebendig geblie- ben. Die Treppen in den Häusern sind in der Regel steinerne Wendel- stiegen. Nur wenige Häuser bringen es zu einer stattlicheren Entfaltung der Fassade. Meistens sind dies wohl ursprünglich adlige Höfe, wie die reiche fränkische Ritterschaft in der Hauptstadt solche zu besitzen liebte. Ein Beispiel dieser Art ist das jetzige bischöfliche Palais in der Her- rengasse, ein Eckhaus von breiter Anlage, der große Torweg mit un- geheuer derben Buckelquadern, an der Hauptfassade ein kleineres zier- liches Portal mit kannelierten korin- thischen Säulen, das Hauptportal daneben im 18. Jahrhundert erneuert. Der Bau ist im übrigen ganz schlicht, nur durch einen hohen phantastisch geschweiften Giebel und einen poly- gonen Erker auf der Ecke ausge- zeichnet.^) Am Erker in zwei Ge- schossen prächtige Hermen, Kaiser- köpfe und hübsche Flachornamente. Ein ähnlicher Erker am Wittels- bacher Hof, hier aber in beson- ders feiner Behandlung, mit kanne- lierten toskanischen Halbsäulen, das Ganze sehr bescheiden und wesent- lich verschieden von jenem Bau. Auch der Kürschnerhof, Ecke der Blasiusgasse, hat einen solchen ]iolygonen Erker, der wieder mit Hermen, Karyatiden und zierlichen Ornamenten geschmückt ist.

Von den oft sehr malerischen Höfen ist einer der originellsten der im Hause Wohlfahrtsgasse 205. Vorn am Eingang die Wendelstiege in einem achteckigen Treppenhaus, dann an der linken Seite eine Galerie auf Steinpfeilern in zwei Geschossen durchge- führt; ihr ganzer Oberbau von Holz mit schön profilierten Balken, daran Löwen- köpfe; an den Kapitellen breite Voluten und hübsche wappenhaltende Engel- figürchen, die obere Galerie mit Hermen an den Pfeilern, die unteren Pfosten aber auch in Figürchen auslaufend, darunter die Madonna, Johannes der Täufer u. a., sämtlich unter gotischen Baldachinen stehend. So mischt sich auch hier 1) Abgeb. bei Reinliardt a. a. 0. Taf. 51.

Abb. 288 Giebel dos Eathauses zu Würzburs

Würzburg

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Mittelalter und Renaissance. Eine Holzgalerie besitzt auch der Serbachsche Hof in der Domschulgasse mit einem jener kolossalen Einfahrttore, die für Würz- burg so charakteristisch sind. Stattlicher ist der Sand hof in der Sandgasse ausgebildet.^) Ein großes Portal führt zuerst auf einen Vorplatz von beträcht- licher Tiefe mit flacher, überaus reich mit Relieffiguren von Heiligen in Stuck geschmückter Decke. Diese Halle öffnet sich gegen einen viereckig ausgebauten Hof; dessen Rückseite hat eine Fassade mit hübschem Erker, rechtwinklig auf drei mit Masken geschmückten Konsolen vorspringend und mit Hermen, Löwen- köpfen und einer weiblichen Relieffigur ausgestattet. Man liest die Jahreszahl 1597, die noch zweimal wiederkehrt. Der Giebel ist derb geschweift und ge- hörnt. In der rechten Ecke ein polygones Treppentürmchen, am linken und rechten Flügel hohe Giebel; der erstere, reicher ausgebildet, zeigt ein von zwei Engeln gehaltenes Wappen.

Den Glanzpunkt der Würzburger Renaissance bilden die vom Bischof Julius Echter von Mespelbrunn ausgeführten Bauten. Auf den Hochschulen zu Mainz und Köln, dann im Ausland zu Löwen, Paris und Pavia gebildet, hatte dieser Prälat durch die Anschauung großartiger Denkmäler auf Reisen seinen ästhetischen Sinn, seine Liebe zu Wissenschaft und Kunst hoch entwickelt. Als er nun 1573 den bischöflichen Sitz bestieg, war nicht bloß sein Bestreben darauf gerichtet, in seinen Landen den Katholizismus mit Gewalt wieder zur Herrschaft zu bringen, die lutherischen Beamten und Prediger schonungslos zu vertreiben und die neue Lehre auszurotten, sondern auch in großartigen Denk- malen Zeugnisse seiner energischen Herrschaft zu hinterlassen. Unzählig ist die Reihe von kirchlichen Bauten, die er aufgeführt, neu gegründet oder wieder hergestellt hat. Ebenso sorgte er aber auch im Sinne der unruhigen Zeiten für Befestigungsbauten. In Würzburg selbst errichtete er das großartige Julius- spital, eine der hochherzigsten Stiftungen der Zeit, 1580 eingeweiht, die sich bekanntlich auch bei den Freunden des deutschen Weines als Pflegstätte des Steinweins hoher Achtung erfreut. Schon 1582 legte der Bischof den Grundstein zur Universität, die durch die Jesuiten ein Bollwerk gegen die Reformation werden sollte. Die damit verbundene Neubaukirche wird 1591 eingeweiht; bald darauf die neu erbaute Kirche des Haugerstifts, die übrigens gegen Ende des folgenden Jahrhunderts einen starken Umbau erfuhr. Das Schloß wird nach einem Brande erneuert und prachtvoll ausgestattet. Die Klöster und Kirchen der Minoriten und Kapuziner werden hergestellt, für die kriegerische Wehr ein Zeughaus und eine Gießstätte erbaut. Auswärts ist namenthch die Wallfahrtskirche von Dettel- bach (1618) hervorzuheben. Lobredner des Bischofs rühmen, er habe mehr ge- baut als zehn protestantische Reichsstädte zusammen;^) freilich wird zugestanden, daß diese Bauten nicht auf Kosten des Bischofs oder des Stifts, sondern der Gemeinden und Kirchen erstanden.

An der Spitze steht das großartige Gebäude der Würzburger Universität, samt der Kirche nach einem Plane des Baumeisters A. Kai durch W. Beringer errichtet. Es bildet ein Quadrat, ganz in rotem Sandstein ausgeführt, von schlichter Derbheit und Tüchtigkeit, ohne weiteren Schmuck als die drei Portale an der nördlichen Hauplfassade.^) Sie sind in streng antikisierender Weise mit doppelten Säulenstellungen eingefaßt, die Schäfte elegant kanneliert, und zwar mit Anwendung der drei Ordnungen : die ionische am rechts gelegenen, die korinthische am mittleren, die dorische an dem links errichteten Hauptportal. Die beiden ersteren führen zu einem kurzen Flur, von wo sich Treppen in die

1) Abb. bei Eeinliardt a. a. 0. Taf. 60.

2) A. Niedermayer, Kunstgeschichte der Stadt Wflrzburg S. 268.

3) Treff], abgeb. bei Reinhardt a. a. 0. Taff. 25 28.

L üb k e-H aup t, Eenaissance in Deutschland I 3. Aufl. 28

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Unterfranken

oberen Stockwerke entwickeln ; das letztere dient als Torweg zur Einfahrt in den großen quadratischen Hof. Über dem Hauptportal eine Attika mit einem Relief, welches in etwas unruhiger Darstellung die Ausgießung des Hl. Geistes schildert. Die Attika mit ionischen Pilastern und Säulen eingerahmt, dies alles elegant und reich mit Spuren des beginnenden Barocks. Der hier vorspringende Flügel ist mit hohem Volutengiebel abgeschlossen ; die verputzten Wandflächen zeigen Reste- dekorativer Malereien ; die paarweise geordneten Fenster haben steinerne Umfassung mit gotisierendem Ablauf. Der rechts vorspringende westliche Flügel enthält im obersten Geschoß einen Saal mit hohen, durch Kreuzpfosten geteilten Fenstern. Die Treppen sind in einfachem, gerade gebrochenem Lauf angelegt, mit Tonnen- und Kreuzgewölben bedeckt; die Einfahrt hat ein völlig gotisches Netzgewölbe mit geschweiften Rippen. Von hier steigt links die Haupttreppe auf, mit Balustergeländer eingefaßt, in drei Absätzen rechtwinklig gebrochen. Da- hinter eine kleinere Verbindungstreppe. Die mittelalterlichen Schnecken sind also ganz verlassen. Im Hof zeigen der östliche und westliche Flügel gewaltige Ru- stikabögen auf Pfeilern, ursprünglich geöffnet, jetzt mit Fenstern in später Zopf- form geschlossen. Ein Triglyphenfries bildet den Abschluß. Im übrigen ist die Architektur völlig einfach, in den oberen Stockwerken mit Putzüberzug, der wohl ursprünglich Gemälde hatte. Nur in der Ecke rechts ein kleiner rechtwinkliger Erker auf Konsolen. Die vierte Seite des Hofes, nach Süden, bildet die Univer- sitätskirche, die eine gesonderte Betrachtung erfordert. Vom Äußeren ist nur noch zu bemerken, daß die Südseile dieselbe Behandlung zeigt wie die übrigen Teile; an einem Pförtchen dort liest man die Jahreszahl 1587.

Die Universitäts- (Neubau-) Kirche, 1591 geweiht, ist ein Werk von bedeutendem Wert und großer Kraft, zugleich völlig fertiggestellt und ein- heitlich, das versucht, das nordische Kirchenbauproblem auf der reinen Grund- lage der Renaissance zu lösen. Vom Mittelalter ist außer den Maßwerken der Fenster und dem hohen Turm im Westen nichts geblieben. Die Kirche bildet im Grundriß ein lang gestrecktes Rechteck, dreischiffig, mit Kreuzgewölben und zwei Emporenreihen auf beiden Langseiten über den Seiten- schiffen. So wird der große Hauptraum in lebendigem Rhythmus durch drei- fache Bogenhallen jederseits begleitet, welche als prächtige Dekoration das System römischer Theaterbauten aufnehmen. Pfeiler und Bögen haben die antike Gliederung, davor treten Dreiviertel-Säulenstellungen, unten reich behandelte dorische, dann ionische, zuletzt korinthische, die mit dem ganzen antiken Gebälk und zierlichen Konsolengesimsen wirkungsvolle Einteilung ergeben. Die Schön- heit des Raumes (Abb. 289) wird durch diese starke, etwas untersetzte Glie- derung nicht so sehr, als durch die wohl abgewogenen Verhältnisse und die trefflich verteilten Lichtmassen bedingt. Während hier alles ein wenig ins Trockne gehend antikisiert, haben die rundbogigen Fenster noch das spätgotische Maßwerk mit Fischblasen und Nasen, freilich in sehr willkürlich spielenden B^ormen. Ein Anklang an diese Arkaden kehrt innen an der Westseite wieder, wo das Haupt- portal und die Mittelfenster ebenso eingerahmt sind, und der Blick in die Turm- halle mit dem hohen Maßwerkfenster sich imposant öffnet. Für den Altar endlich ist eine Halbkreisnische angefügt, wie deren manche schon an den älteren Kirchen Würzburgs als Vorbilder sich darboten.

Der Schönheit des Innern entspricht das Äußere, insbesondere auf der Turmseite ; allerdings sind die Strebepfeiler, als kolossale dorische Pilaster mit Rahmenprofil auf hohen, dem Erdgeschoß entsprechenden Stylobaten ent- wickelt, mit ihren verkröpften Gesimsen von Eierstäben und Zahnschnitten recht schwerfällig. Zwischen ihnen sind die drei Fensterreihen etwas eingeklemmt, die oberen rundbogig, die unteren mit leicht zugespitzten Bögen. Mit ihren gotischen

Würzburg-

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Abb. 289 Inneres der Universitätskirche zu Würzburg (Nach Phot. Albert, Würzburg)

Teilungen und Maßwerken kontrastiert seltsam jene Einfassung von dorischen Pilastern und gegliederten Archivolten. Über dem Schlußstein baut sich sodann an den beiden unleren Reihen als Krönung ein flacher Bogengiebel auf, der an beiden Enden mit barocken Schnecken sich auf den Fensterbogen stützt. Diese

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Unterfranken

Abb. 290 IJniversitätskirche za Würzburj (Nach Phot. Albert, Würzburg)

Formen sowie das wulstige Laubwerk, welches die Flächen füllt, müssen ein spä- terer Zusatz sein. Das Bedeutendste am Äußern ist die Fassade (Abb. 290). Sie besteht aus dem viereckigen Glocken- turm, der sich als schlanker Hochbau noch in mittelalter- licher Weise ent- wickelt, ursprüng- lich mit einem acht- seitigen Helm ge- schlossen, dieser ist später in glücklicher Weise durch die jetzt

noch vorhandene Kuppel mit Laterne ersetzt worden. Die Krönung ist sowohl in den Verhältnissen wie im Umriß wohl gelungen und ent- spricht dem System des Aufbaues sicher besser als ein spit- zes Helmdach. Von glücklicher Wirkung ist die Verwendung zweifarbigen Sand- steins, eines roten für die gesamten Massen

und architektoni- schen Glieder, eines

helleren für die Skulpturen und die

Fensterfüllungen. Die Gliederung wird in zwei Stockwerken durch sehr hohe mächtige Pilaster, unten dorische, oben ionische, bewirkt. Diese Teile gehören wohl ebenfalls den späteren Zusätzen an. Aus der ursprüng- lichen Bauzeit da-

Umgebung Würzburgs

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gegen stammt die originelle, aus vier geschwungenen Fischblasen zusammen- gesetzte Rose über dem Hauptportal, sowie das schlanke in gotischem Sinn, wenn auch rundbogig geschlossene obere Fenster, das ebenfalls mit Pfosten und Maß- werken gegliedert ist. Erst das Fenster des obersten Geschosses ist ohne solche Teilung durchgeführt.

Hier wäre nun der nicht minder bedeutende Bau des Juliusspitals anzuschließen, welchen Kunz Müller und Kaspar Reumann ausführten. Allein der ursprünghche Bau wurde durch Brand zerstört und durch den jetzt vorhandenen ersetzt. Es war ebenfalls ein großes Quadrat, jede Fassade mit hohem, geschweiftem Giebel und einem Turme. Im Vorderbau lag die Kapelle oder Kilianskirche, die von spitzbogigen Fenstern erhellt wurde. Von dem alten Bau ist nur noch das große Reliefbild des Hauptportals in den Sammlungen des historischen Vereins erhalten.

EndUch sind die Festungsbauten der den gegenüberhegenden Berg krönen- den Marienburg von hervorragender Bedeutung, energische V^erke der Spät- zeit, von gewaltiger Kraft in einfach ernster, charaktervoller Formsprache durch- geführt, zum Teil freilich bereits den neueren Umgestaltungen zum Opfer gefallen. Das Innere eines dieser Tore ist besonders wirkungsvoll, mit derben dorischen Säulen eingefaßt und mit reichgestalteter Nische bekrönt, zu den Seiten giebel- artige Schnörkel und Obehsken. Man denkt sofort an die schönen Tore des W. Dilich in seiner Peribologie ; aber auch, und noch intensiver, an die Haupttore des Aschatfenburger Schlosses und an die Straßburger Renaissanceschule. Der Typus, den Alessi an den Festungstoren von Genua ausgeprägt hat, ist hier in ähnlicher Fülle zur Durchbildung gekommen, doch auf deutsche Art. Auch die Festung selber, die in so stolzen Linien den Berg bekrönend über der Stadt auf- ragt und dem herrUchen Landschaftsbilde seinen glanzvollen Abschluß gibt, spricht in ihren schönen Türmen an den Ecken ihrer langen Gebäudezüge, ihren Terrassen und Bastionen den Charakter der späten Renaissancezeit nachdrückhch und reizvoll aus.i) Die Schönheit des Gesamtbildes ist der des Heidelberger Schlosses nicht ferne stehend.

Noch einen Blick auf die prächtige Wallfahrtskirche des Fürstbischofs Julius zu Dettelbach.^) Diese, die er 1613 unter Benutzung des gotischen Chors in Kreuzform erbaute, ist ein wahrhaft glänzendes Werk. Ein schönes Ein- gangstor in der umfassenden Mauer führt auf den stolzen Giebel der Kirche mit dem üppigsten Portal, das hoch aufragt, bis zur Fensterrose über vorgestellten Säulenpaaren eine Fülle von Skulptur erhebend. Es ist ein Werk des Bildhauers Michael Kern von Forchtenberg, im echtesten Dietterleinstil. Die Giebel- architektur und das Eingangstor von Peter Meurer von Kitzingen. Im Innern reichste Sterngewölbe auf Pilastern und gotische Maßwerkfenster ; dazu eine Ausstattung von verblüffender Pracht. Die Kanzel von 1626, die sich als ein Baum mit der Wurzel Jesse entwickelt, eine Arbeit, deren Erfindung wieder von Wendel Dietterlein herrühren könnte, ist ebenfalls als Michael Kerns Arbeit be- glaubigt.

Schöne Landsitze liebte der Fürstbischof sein Leben lang, von dem reizen- den Waldschlößchen Mespelbrunn im Spessart an, seines Geschlechtes Wiege, bis zu dem prächtigen Schlosse Rimpar, östlich von Würzburg, das trotzig mit seinen runden Türmen aus dem Tale aufsteigt; dem mittelalterlichen hohen Haupt- flügel fügte Julius noch einen Querflügel mit Tor und Giebel an, vor allem aber den riesigen runden Hauptturm mit oberem Umgang; sodann die vortrefifUche

1) Von diesen wie von den übrigen Festungswerken schöne Aufnahmen bei Eeinhardt a. a. 0. Taf. 52 57. Gesamtbild der Festung in Dollingers Reiseskizzen X, I.

2) Kunstdenkmale von Unterfranken und Asehaffenburg II. S. 82 ff.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Unterfranken

Innenausstattung, von der vor allem noch die zwei Säle des Hauptgeschosses übrig sind. Der große, dessen schöne Stuckdecke mit ihren Balkenteilungen auf sechs Säulen ruht, hat drei prächtige Stuckportale, zwei mit Doppelsäulen, eines mit Hermen; der kleine Saal zwei ähnUche. Die Wände oben mit überreichen Wappenfriesen; alles von größter und derbster Pracht; das ganze Schloß ein echt deutscher, ungeheuer eindrucksvoller Bau.^)

Schweinfurt

Die Stadt Schweinfurt wird schon im frühen Mittelalter genannt, zuerst als Eigentum des Klosters Fulda, später des Erzstifts Magdeburg, dann wieder des Bischofs von Eichstätt, bis sie endlich reichsfrei wurde. Aus der spät- romanischen Zeit weist sie noch ein treffliches Bauwerk in der Johanniskirche auf. Im spätem Mittelalter wurde die Stadt durch die Raubgelüste ihrer Nach- barn, namentlich der Grafen von Henneberg, der Bischöfe von Würzburg und des Deutschordens in ihrer friedlichen Entwicklung immer wieder gehemmt. Erst in der neuen Zeit, nachdem sie noch durch den Bauernaufstand und dann durch ihre reformatorische Haltung, die sogar zur Eroberung, Plünderung und Einäscherung führte, erheblich geUtten hatte, erholte sie sich langsam von all diesen Schlägen. Um so erstaunlicher ist die Energie, mit welcher schon 1570 die Bürgerschaft den Bau des neuen Rathauses unter einem Meister Nik. Hoff- mann begann, das zu den ansehnlichsten Werken der Zeit gehört.^) Es besteht aus einem mächtigen, mit hohem Giebel bekrönten Hauptbau von etwa 28 Meter Länge bei 19 Meter Breite, an der einen Seite nicht ganz rechtwinkhg geschlossen. An diesen legt sich nach der Rückseite ein rechteckiger Flügel von 13 Meter Breite und doppelter Länge mit dem großen Saal, während nach der Vorderseite gegen den Marktplatz ein Vorbau mit polygonem Erkerturm und stattlichem Altan her- austritt. Die Anordnung ist ebenso klar wie großartig, die Ausführung kräftig, die Gruppierung der Massen malerisch (Abb. 291). Die meistens gekuppelten Fenster mit ihren wirksamen Profilierungen gehören noch der mittelalterlichen Bauweise an. Gotisch sind auch die Galerien mit ihrem Fischblasenmaßwerk, welche die Hauptteile des Baues bekrönen. Dagegen sind die Gliederungen der beiden Erker und der hohen Giebel in Renaissanceformen gestaltet. Allerdings treten an die Stelle der Säulen oder Pilaster überall einfache vertikale Rundstäbe, übrigens von vortrefflicher Wirkung. Auch die stattlichen Portale zu beiden Seiten der Hauptfassade und die kleineren daneben liegenden Treppenpforten zeigen eine wohlverstandene Renaissance. Überall an passender Stelle ist auch plastische Dekoration verwendet, am vorderen Erker die Wappen der sieben Kurfürsten, um- rahmt mit zierlicher Einfassung, und die Relieffiguren von vier Tugenden; an dem anderen Erker Brustbilder, Sirenen mit Passionsblumen und anderen Ranken in sehr schönem Flachornament. An den Hauptportalen gleichfalls eine reiche und elegante Dekoration, ebenso an den kleineren Pforten und den großen Por- talen der vorderen Durchfahrt. Das Ganze macht den Eindruck eines mit ein- dringlicher Liebe und Sorgfalt durchgeführten Baus.

Bei der Anordnung des Innern muß man sich wieder sagen, daß die damaligen Architekten gut Rathäuser bauen hatten, denn es galt auch hier nur ein paar große Räumlichkeiten klar anzuordnen und zu verbinden.'') Im Erdgeschoß

1) Kunstdenkm. von Unterfranken III, S. 132.

2) Woher Lübke den Baumeisternamen geschöpft hat, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Jedenfalls ist an den gleichnamigen Hallischen Architekten aber wohl nicht zu denken, eher steht der hier tätige Künstler dem des ßothenburger Rathauses nahe.

3) Die Mitteilung der Grundrisse verdanke ich Herrn Baurat Müller in Schweinfurt.

Schweinfurt 439

(Abb. 292) bildet A eine mit Kreuzgewölben bedeckte Durchfahrt, an welche in D D Wachtlokalitäten stoßen. In E E sind die beiden Wendeltreppen zu den oberen Geschossen, bezeichnend genug, am Äußern nicht mehr durch besondere Vorsprünge turmartig charakterisiert. In B ist sodann eine auf Pfeilern gewölbte großartige Halle, zu Lagerräumlichkeiten bestimmt. Durch die beiden Tore an

Abb. 291 Rathaus zu Sehweinfurt

der Vorderseite, denen zwei an der Rückseite entsprechen, wird auch hier eine Durchfahrt geöffnet. Hinter diesem Hauptbau liegen zwei Treppen, welche zu schmalen Seitenhöfen führen; dann folgt die Kellertreppe in einem besonderen Vorraum, daran stößt der große Versammlungssaal G, dessen Decke auf sechs hölzernen Ständern ruht. Im ersten Stock (Abb. 293) ist ein ähnlicher Saal, nur etwas länger, in G angeordnet und durch eine gewölbte Vorhalle mit dem kolos- salen Vorsaal F in Verbindung gesetzt. An diesen grenzt das schöne, durch

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Unterfranken

Erker und Altan ausgestattete Gemach H. Im zweiten Stock wiederholt sich dieselbe Anordnung, über H befindet sich aber dort der ganz gleich gestaltete sogenannte Rittersaal. Von den für die modernen Verwaltungszwecke vorgenom- menen Umgestaltungen sehen wir hier ab.

Was nun die ursprüngliche Ausstattung dieser Innern Räume betrifft, so gehört sie, so weit sie noch vorhanden, zum Eindrucksvollsten ihrer Art. Im ersten Stock sind die Holzpfeiler, auf denen die Balkendecke des Vorsaals ruht, derbe Meisterstücke, nach allen Seiten mit Schnitzerei bedeckt und mit Hermen geschmückt, mächtig und flott aus dem Vollen herausgearbeitet. In

Abi). 292 Erdgeschoßgrundriß des Rathauses zu Schweinfurt

einem kleinen Sitzungszimmer mit einfach kassettierter Stuckdecke findet sich ein elegant gearbeiteter Tisch, auf dessen Platte Zinnornamente von geist- reicher Ausführung in Holz eingelegt sind. Darunter die zwölf Apostel in kleinen Figürchen, Landschaften mit Architekturstücken. In dem Erkerbau eine schöne Stuckdecke. Ähnliche Plafonds finden sich auch im zweiten Stock, vor allem aber ist der große Vorsaal wieder durch energische Holzkonstruktion be- merkenswert. Seine kurzen stämmigen Säulen sind mit reichem Ornament skulpiert, die Kopfbänder über den Kapitellen aus zusammenstoßenden Voluten sehr schön gebildet, wahre Kraftstücke der Holzskulptur.

Außer dem Rathaus erbaute die Stadt bald nachher (1582) in der Nähe der Johanniskirche das Gymnasium, einen ansehnlichen Bau mit hohen Schweif- giebeln und schönem Portal. Etwas früher schon (1564) war das Mühltor er- richtet worden, das mit seinen gewaltigen Buckelquadern, seinem Zinnenabschluß und dem kuppelbedeckten Turm eine gute Gesamtwirkung macht. Man liest den Namen des Baumeisters Kilian Gockel. Der Privatbau der Zeit ist hier nicht bedeutend, doch sieht man in der Hauptstraße ein stattliches Haus von 1588 mit mächtigem, aber einfachem Giebel und einem großen, wappengeschmückten Portal. Ähnliche Bogenportale, deren Pfeiler mit Ornamenten bedeckt sind, finden sich mehrfach. Auffallend ist dabei, daß hier sowohl wie am Rathaus man sich bei den Portalen durchaus auf Pilaster beschränkt, vortretende Säulen, Giebel und andere reiche Formen sich versagt hat.

Neuenstein

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Mittelfranken

Die mittelfränkischen Lande gewinnen in ihrer architektonischen Entwick- lung eine von den unterfränkischen wesentlich abweichende Gestalt. Die geist- liche Gewalt tritt mehr zurück und läßt einerseits dem weltlichen Fürstentum, vor allem aber dem Bürgertum freien Spielraum. Wir finden daher in der Archi- tektur dieser Epoche neben einzelnen fürsthchen Sitzen vornehmlich einige jener mächtigen Reichsstädte, deren Kraft und Blüte sich gerade in dieser Epoche durch glänzende Denkmäler ausgesprochen hat.

Abb. 293 Grundriß vom ersten Stock des Ratliauses zu Schwoinfurt

Den Anfang machen wir mit den fürsthchen Schlössern, und zwar zunächst dem Hohenloheschen Schloß zu Neuenstein^), einem bedeutenden Bau der besten Renaissancezeit. Es bildet ein mächtiges Viereck, rings von einem liefen, breiten Graben umzogen, an drei Ecken mit vortretenden runden Erkertürmen, die einen polygonen Aufsatz haben, eingefaßt, während an der nordöstlichen Ecke ein offenbar älterer quadratischer Turm mit späterem Aufbau dominierend empor- steigt.^) Die Hauptfront, nach Norden gewendet (Abb. 294), enthält in einem vorgeschobenen Bau das von zwei Rundtürmen in mittelalterlichen Formen flankierte Portal. Die Brücke, welche hier über den Graben führt, ist nach außen durch einen originellen Triumphbogen in derber Renaissanceform abgeschlossen. Der viereckige Hauptturm scheint gleich dem Portalbau noch dem Mittelalter anzu- gehören, wie denn diese Teile schon durch ihr vorzügliches Quaderwerk sich von dem übrigen in Bruchstein ausgeführten Bau auffallend unterscheiden. Das ganze Äußere ist im übrigen schmucklos ; die gekuppelten Fenster zeigen spätgotisches Rahmenprofil. An der Westseite ist ein großer halbrunder Vorbau ausgeführt, der im Hauptgeschoß als Altan mit kräftiger Balustrade abgeschlossen wird. Die Jahreszahl 1564, welche man samt den Wappen des Grafen Ludwig Kasimir und seiner Gemahlin von Solms am Hauptportal sieht, bezieht sich auf die Zu- sätze und Umgestaltungen, welche diese Teile im Zusammenhang mit dem durch-

1) Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich "Württemberg, Atlasband, Schwarz-, wald-, Jagst- und Donaukreis.

2) Abb. in Dollingers Reiseskizzen VIII, 3.

442 2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfrank en

greifenden Umbau des Schlosses unter jenem Graten erfahren haben. Das Originellste sind die pavillonartigen Aufsätze der Tortürme. Acht kräftig profi- lierte korinthisierende Säulen, unmittelbar auf der Dachschräge der Türme sich erhebend und durch breite Spitzbögen verbunden, tragen die gotisch profilierten Rippengewölbe und das geschweifte Kuppeldach dieser kecken Aufsätze.

Abb. 294 Schloß Neuensteiii

Ein gewölbter Torweg (A in Abb. 295) führt in den schmalen aber ziem- lich tiefen Hof, der ohne reichere architektonische Ausbildung gleichwohl durch einige originell behandelte Portale bemerkenswert ist. Zur Linken des Eintretenden bei B sieht man eine kleine, zu einer Wendeltreppe führende Pforte, deren Säulen schüchtern und unsicher behandelte Frührenaissancekapitelle zeigen, während die Basis spätgotische Rautenmuster hat. Man wird diese Teile kaum später als 1530 setzen dürfen. Durch die Wappen Graf Albrechts III. (f 1551) und seiner Gemahlin von HohenzoUern ist in der Tat die Erbauung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gesichert. Alle andern Formen tragen übereinstimmend das

Schloß Neuenstein

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Gepräge der ausgebildeten Renaissance. So zunächst in der Ecke rechts vom Eingang bei G das polygone Stiegenhaus mit vorgelegter Freitreppe, die zu einem Portal von derb facettiertem Quaderwerk führt. In dem Halbkreisbogen, der es abschUeßt, sieht man eine originelle Darstellung des Glücksrades, auf welchem eine kleine Figur steht, während zwei andere sich daneben befinden. Die Spindel- treppe, welche hier in die oberen Räume führt, ist an der Unterseite mit ein-

Abb. 295 Grundriß des Schlosses Neuenstein

gekerbten Profilen im Renaissancestil dekoriert. Das Hauptportal aber, von Balthasar Wolff, ist in der südwestlichen Ecke des Hofes bei D an der dort befindUchen Haupttreppe angebracht, die ebenfalls in einem polygonen Sliegen- hause hegt. Hier hat der Baumeister an den schlanken einfassenden Säulen und den breiten Pilastern, vor welchen sich jene erheben, sowie an den Friesen reiches Ornament von recht guter Erfindung und Ausführung verwendet, dessen Motive die bekannten Formen der ausgebildeten Renaissance zeigen. Darüber erhebt sich eine Attika mit den reich behandelten Wappen des Erbauers Graf Ludwig Kasimir und seiner Gemahlin, eingefaßt von einer männlichen und weib- lichen Figur. Dann kommt ein zweiter Fries, und darüber schließt ein Flach-

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

bogenfeld mit der ruhenden Figur eines Flußgottes den schlanken Aufbau des Ganzen. Die Treppe, deren Spindel auf drei feinen vierkantigen Stützen ruht, gehört durch ihre großartige Anlage, die Meisterschaft der Konstruktion und Gediegenheit der technischen Ausführung zu den hervorragendsten ihrer Art.

An der Südseite des Hofes bei E E fallen zwei große Bogennischen von be- trächtlicher Tiefe auf, welche mit gotischen Netzgewölben geschmückt sind. Sie standen ehemals durch breite, fensterartige Öffnungen mit der dahinter hegenden Küche G in Verbindung und sind ein weiteres Beispiel jener sinnigen Anlage eines Dispensatoriums zur Austeilung der Speisen an Bedürftige, wie wir sie im Schlosse zu Baden (S. 263) und in der Pilgerlaube zu Hämelschenburg (siehe Band II) an- getroffen haben. Die Küche selbst, zu welcher man durch den daneben liegenden Torweg F gelangt, ist ein großartiger Bau, dessen Kreuzgewölbe auf gewaltigen Rundsäulen von gotischer Form ruhen. Von den inneren Räumen des Erdgeschosses ist sodann an der Ostseite eine schöne Halle H, deren Gewölbe auf einer schlanken Rundsäule ruhen, hervorzuheben. Es v/ar vielleicht ursprünglich die Schloß- kapelle. Ihre Verbindung mit den oberen Räumen hat sie durch eine kleine Wendeltreppe. Der glanzvollste Raum ist aber der Festsaal K, welcher im west- lichen Flügel die nördliche Ecke einnimmt. Man gelangt zu ihm durch einen unscheinbaren Zugang; aber auch hier bildet eine kleine Wendeltreppe die Kom- munikation mit den oberen Geschossen, wie denn hier beim völhgen Mangel innerer Galerien durch zahlreiche versteckt liegende Wendeltreppen solche Ver- bindungen bewirkt sind. Der Saal, gegen 11 Meter breit bei 20 Meter Länge, zeigt gleich den übrigen Räumen mittelalterhche Anlage und Konstruktion: gotisch profiherte Netzgewölbe, auf zwei mittleren Rundsäulen ruhend, die gekuppelten Fenster in tiefen Wandnischen der gewaltig dicken Außenmauern liegend. An der Ecke gibt ein großer, kreuzförmig ausgebildeter, ebenfalls gewölbter Erker dem großartigen Raum besonderen Reiz. In ähnlicher Weise sind an den anderen Ecken des Baues die vorspringenden Rundtürme verwendet. Der Saal, welcher gleich den übrigen Räumen des Schlosses lange Zeit wüst und öde lag, bewahrte mancherlei Spuren einer originellen Dekoration der schon barock umgebildeten Spätrenais- sance, ohne Zweifel unter Schickhardt ausgeführt; denn in seinem handschrifthchen Inventarium sagt er: „Newenstein, dem Herrn Gräften Grafen zu Hohenlo etc. ge- hörig, da ich auch viel gebaut." Übrigens passen auch die zwei pikanten Renais- sancetempelchen auf den Tortürmen so recht zu Schickhardts eklektisch-derber Bauweise. Eine verständnisvolle Wiederherstellung ist dem interessanten Werke früher nach den Plänen G. Dollingers zuteil geworden, bei der der „Kaisersaal" zu einem FürstHch Hohenloheschen Famihen-Museum eingerichtet wurde. Neuerdings ist das Schloß durch Bodo Ebhardt restauriert und ausgebaut worden.

Im Gegensatze dazu gehört das Schloß des Fürsten von Hohenlohe-Langen- burg zu Weikersheim^) dem Ausgang der Epoche an. Es ist ein unregelmäßiger Bau aus verschiedenen Zeiten, den man um 1600 durch eine regelmäßige Anlage zu ersetzen begann, ohne jedoch damit zu Ende zu kommen. Man erkennt dies sofort in dem ziemlich wüst liegenden großen unregelmäßigen Schloßhof, der gegen Norden und Westen von schiefwinkligen charakterlosen Wirtschaftsgebäuden umfaßt wird, während an der südlichen und östlichen Seite sich die Hauptgebäude in regelmäßiger Anlage rechtwinklig zusammenfügen. Die Mitte nimmt ein recht verwahrloster Brunnen ein. An der Ostseite führt ein Torweg mit barocken Por- talen von 1683 zu mehreren später ausgeführten unbedeutenden Außenbauten, welche die Verbindung mit dem Städtchen vermitteln und eine Achsenrichtung mit der Kirche herstellen sollten. Nördlich von diesem Torwege tritt im Hofe ein

1) Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Atlas, Jagstkreis (Ergänzungen).

Schloß Weikersheim

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runder Turm vor, der, wie es scheint, zu den älteren Anlagen gehört. Vor den südlichen Flügel, der den großen Rittersaal enthält, legt sich ein Gang von acht Arkaden in sehr derber Rustika mit dorischen Rustikapfeilern. Er trägt eine Galerie mit durchbrochener Steinbalustrade von höchst merkwürdiger Zeichnung (Abb. 296). Von dieser führt in der Mitte ein ebenfalls in Rustika behandeltes

Abb. 296 Hof des Schlosses Weikersheim

Portal in den Saal. Am westlichen Ende steht die Galerie mit einem achteckigen Treppenturm in Verbindung, neben welchem sich der Westflügel noch eine kurze Strecke fortsetzt. Die Schloßkapelle, unmittelbar an den Saal stoßend, nimmt die südwestliche Ecke ein. Der östliche Flügel enthält die Wohnzimmer, diese stehen durch einen Korridor und die große rechtwinklig gebrochene Haupttreppe miteinander in Verbindung.

Die äußere Architektur des Schlosses ermangelt einer feineren Ausbildung. Nur die hohen Giebel sind im kräftigen Stil des Friedrichsbaues von Heidelberg gestaltet. Alles übrige besteht aus bloßem Bruchsteinmauerwerk. Die Fenster der beiden Obergeschosse haben steinerne Kreuzpfosten nach mittelalterlicher Art. Acht kolossale Fenster ähnlicher Anlage an der äußeren Seite des Südflügels und ebenso viele an der inneren Seite erhellen den Saal. Kleinere Vierpaßfenster über ihnen erinnern ebenfalls noch an mittelalterliche Behandlungsweise. Vor der Südseite des Schlosses dehnt sich der prächtige Garten aus, mit herrlichen Kasta- nienalleen eingefaßt, mit Obelisken, Statuen und Springbrunnen geschmückt, jetzt freilich in halber Verwilderung. Den Abschluß bildet eine reizvolle Kolonnade, von einer Plattform mit Balustrade gekrönt, aus dem 18. Jahrhundert.

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2. Bach Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

Das Wertvollste am Schloß ist die innere Ausstattung. Schon die großen durchbrochenen Gittertüren aus Schmiedeeisen in den Korridoren des Ostflügels fesseln die Aufmerksamkeit. Sodann sind in den Wohnzimmern, meist aus dem späten 17. Jahrhundert, prachtvolle Spiegel mit Glasrahmen und silbernen Orna- menten, teilweise schöne Gobelins, reich stuckierte und gemalte Decken und ein gediegenes Mobihar, besonders herrliche, in Seide gestickte Polstersessel und ein pompös geschnitztes Himmelbett. Die Hauptsache ist indes der gewaltige Saal (Abb. 297), etwa 34 Meter lang bei 10 Meter Breite und gegen 8 Meter Höhe, dem zu HeiUgenberg in den Verhältnissen ungefähr entsprechend, nur etwas höher, an Pracht der Dekoration ihn freilich bei weitem nicht erreichend. Während dort gemalte und vergoldete Schnitzerei die Hauptrolle spielt, ist hier vieles der Malerei überlassen. Doch hat auch die Skulptur einigen Anteil an der Ausstattung. Zu- nächst an dem prachtvollen Portal, das die Mitte der östlichen Schmalseite ein- nimmt, sodann an dem in der Mitte der gegenüberliegenden westhchen Seite angebrachten Kamin. Beide Prunkstücke entsprechen einander in der Anlage und Ausführung. In zwei Geschossen aufgebaut, haben die Pilasterstellungen eine Dekoration von frei vortretenden Figuren nackter Männer und gerüsteter Krieger. Am Friese über dem Kamin ein großes Rehef bild einer Reiterschlacht, ungemein lebendig geschildert. Darüber Salomons Urteil und abermals eine Kampfszene. Die Architektur ist derb und reich, fast überladen mit vergoldeten Ornamenten. Das Portal zeigt ähnUche Behandlung und wird von zwei Löwen bekrönt. Da- zwischen der heilige Georg mit dem Drachen kämpfend. Über dem Portal ist die Musikertribüne angebracht, deren offenbar ein Jahrhundert jüngeres Geländer durchbrochene Akanthusranken bilden. Im übrigen ist der ganze Saal auf weißem Grunde ausgemalt, in den unteren Partien teilweise aus späterer Zeit. So sieht man am Sockel zahllose Darstellungen von Bauwerken, darunter französische Schlösser, z. B. St. Germain, den Invalidendom zu Paris, das Ludwigsburger Schloß usw. An den Fensterwänden sind große Porträts in Holzrahmen ange- bracht, dann zwischen dem untern und oberen Fenster kolossale Rehefnachbil- dungen von Hirschen, Bären, Sauen, denen man vorhandene Geweihe und Gewehre einsetzte ; das Ende der einen Reihe bildet ein riesiger Elefant. Die Jagdlust der Zeit hat nicht leicht eine so bezeichnende Dekoration hervorgerufen. Alles Ein- rahmende in derb geschweiften Barockformen. Die Decke ist in große achteckige und kleine quadratische Felder geteilt, die gemalte Jagdszenen, etwa im Stile Jost Ammanns, enthalten. Der Maler hat sich mitten im Getümmel einer Parforce- jagd mit Palette und Pinsel im Kostüm der damaligen Zeit dargestellt. Man liest die Jahreszahl 1605. Zu den Seiten des Kamins ist Stammbaum und Ahnen- tafel des fürstUchen Geschlechts gemalt, aus zwei liegenden kolossalen Rehef- gestalten hervorwachsend. Die ganze reiche Ausstattung macht einen außer- ordenthch eigenartigen und stilistisch hervorragenden Eindruck, wie er so leicht in keinem anderen ähnlichen Räume mehr erreicht wird; sicher ist es der wirk- samste und originellste Jagdsaal in Deutschland.

Die westlich an den Saal stoßende Kapelle, deren Altar nach Westen gerichtet ist, bildet ein einfaches Rechteck, dreischiffig mit Rippengewölben auf dorischen Säulen. Schlanke korinthische Säulen, ebenfalls von Holz, tragen die fürsthche Loge, die auf drei Seiten den Bau umgibt. Unter dieser ist eine Orgel- empore angebracht. Die sehr flachen Gewölbe sind wie die ganze Konstruktion aus Holz. Die Brüstungen der Emporen sind reich mit sehr manierierten Reliefs in Gips bedeckt, nach mittelalterUcher Sitte vergoldet und bemalt. Wie in der Kirche zu Freudenstadt an derselben Stelle, sieht man abwechselnd Szenen des Alten und Neuen Testaments. In dem hier anstoßenden, unausgebaut gebliebenen Nord- westflügel befinden sich zwei prächtige Zimmer mit reichen Stuckdecken, an

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfrankeii

ihnen Reliefs von Kampfszenen, eingefaßt mit Fruchtschnüren, auf weißem Grunde kräftig reich bemalt. Das Relief ladet so stark aus, daß Engel, Früchte, Tiere und anderes frei heraustreten. Dies alles ist schon sehr stark barock. Im ersten Zimmer eine prachtvoll gestickte Seidentapete, im zweiten ein Holzgetäfel, da- zwischen gute landschaftliche Teppiche mit Figuren, wieder aus der Spätzeit des 17. Jahrhunderts. Endlich ein großer tongebrannter Ofen vom Jahre 1708, ein etwas rohes Prachtstück. Auch in der Kapelle ein alter Ofen. Im Korridor hier gut eingeteilte Stuckdecken mit frei gearbeiteten Rosetten.

Unbedeutender ist das ebenfalls Hohenlohesche Schloß zu Pfedelbach bei Ohringen. Gleich den meisten dieser Herrenhäuser eine Wasserburg, war es mit einem jetzt ausgetrockneten Graben umgeben, über welchen ehemals eine Zug- brücke nach dem sehr einfach behandelten Portal führte, das nur durch ein paar gut gearbeitete Wappen ausgezeichnet ist. Der ganze Bau, aus Bruchsteinen mit Putz aufgeführt, ist schlicht und kunstlos, auf den vier Ecken mit runden Türmen versehen. Die Nordseite hat ihre einfachen Schneckengiebel behalten, während die Südseite im 18. Jahrhundert umgestaltet worden ist. Der in der Mitte der Ostseite angebrachte Torbau bildet in ziemlicher Breite einen kräftigen Vorsprung. An der nördlichen und südlichen Seite sind im Hauptgeschoß auf kräftigen Steinkonsolen ziemlich breite Altane angeordnet, der eine davon freilich ziemlich zerstört. In der Mitte der Westseite endlich ist ein halbrunder erker- artiger Turm angebracht.

Tritt man durch den mit einem Kreuzgewölbe bedeckten Torweg ein, so gelangt man in einen ebenfalls ziemlich einfach behandelten Hof, der rechts und links schlichte Wendelstiegen hat, die nördliche davon in einem polygonen Treppenturm. In den beiden oberen Geschossen zieht sich eine Arkade auf dorischen und ionischen Säulen von ziemlich mißverstandener und schwerfälliger Bildung hin. Über dem Portalbau vertieft sie sich in beiden Stockwerken zu offenen Loggien. Dies würde dem Bau einen gewissen Reiz geben, wenn nicht alles ziemlich ärmlich ausgeführt wäre, die Verbindung der Säulen durch hölzerne Architrave, die Balustraden gleichfalls von Holz, die Decken der Loggien aus Brettern hergestellt. Der Bau muß um 1572 entstanden sein, denn diese Jahres- zahl liest man an den zugehörigen Wirtschaftsgebäuden.

In dem benachbarten Öhringen^) bewahrt der Ghor der Kirche einige stattliche, aber schon stark barocke Grabmäler, unter denen das von Ludwig Kasimir von Hohenlohe (f 1568) und seiner Gemahlin das prächtigste und zu- gleich geschmackvollste ist. Beide Verstorbene sind vor einem Kruzifix kniend dargestellt, tüchtige Figuren unter einem reichen, auf üppig dekorierten Säulen ruhenden Baldachin. Das andere Denkmal, Eberhard von Hohenlohe (f 1574) und seiner Gemahlin gewidmet, ist noch mehr überladen, beide übrigens in dem durch Dietterlein ausgebildeten Stile behandelt. Das reichste ist das dritte, das des Georg Friedrich I., der 1600 starb, das offenbar aber dem ersten nach- gebildet ist. Trefflich behandelte Eisengitter fassen diese Grabmäler ein. Vor der Kirche auf dem Schloßplatz ein Brunnen von 1554 mit einer gut ent- wickelten Säule, aus achteckigem, mit schwülstigen Laub- und Maskenornamenten bedecktem Becken aufsteigend. Mittelmäßig und steif ist die Ritterfigur, welche der Brunnen trägt.

Das Schloß ist ein moroser, schwerfälliger Bau mit plumpen Barockgiebeln, offenbar aus der Spätzeit des 17. Jahrhunderts. Dagegen hat sich einiges Wertvolle an Bürgerhäusern erhalten. Namentlich an der Ecke des Schloßplatzes ein Haus mit derben, aber phantasievollen, schon stark barocken Konsolen, Hermen und

1) Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Atlas, Jagstkreis (Ergänzungen).

Hall Mergentheim

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andere phantastische Figuren darstellend. Dicht dabei in derselben Straße ein Fachwerkhaus von 1602 mit sehr keck und abenteuerlich geschnitzten Figuren an den Eckpfosten.

Interessanter als alles dies ist die Brücke, welche über die Ohm führt. Sie wird durch zwei weitgespannte Bögen gebildet; das Geländer aber zeigt jene Stilmischung, die in den ersten Dezennien des 16. Jahrhunderts herrscht: Pfeiler mit Rahmenprofil, durch Rauten oder Rosetten in reiner Renaissanceform belebt; dazwischen durchbrochene gotische Maßwerke von origineller Erfindung.

Wenig finden wir in Hall.^) Am anziehendsten die Gittereinfassung des großen Wasserbeckens am Marktplatze, der mit seiner gotischen Prangersäule und der über einer hohen breiten Treppe emporragenden Michaelskirche einen über- aus malerischen Eindruck macht. Ebenda am Markt ein Doppelhaus mit zwei schmalen, geschwungenen Giebeln und einem zierlichen, wenngleich nicht sehr bedeutenden Portal vom Jahre 1561, ganz ähnlich dem am Schlosse von Neuen- stein. Das Haus ist erbaut von G. Andr. Widman.

In der Michaelskirche sieht man ganz vortreffhches, sehr frühes Chorgestühl, dessen Rückwand durch schöne Rahmenpilaster und geschweifte Gesimsaufsätze dazwischen fein gegliedert sind. Darüber eine starke Hohlkehle mit reichem Gesims und Fries. Bezeichnet 1534.

Das im Oberamt Mergentheim gelegene Schloß der Geier von Giebelstatt zuReinsbronn^) zeichnet sich durch reich geschwungene Giebel und besonders im Innern durch einen stattlichen Hallenhof aus, der auf drei Seiten sich herum- zieht. Der unterste, gewölbte Gang ruht auf ausgebauchten viereckigen Pfeilern, der zweite auf kannelierten Säulen mit kräftigen Blattkapitellen, darüber Aufsätze mit Konsolen, der dritte auf geschnitzten Holzsäulen. Man liest die Jahreszahlen 1552, 1562 und 1588, welch letzteres Jahr als Datum der Vollendung angegeben wird. Als Meister nennt sich an dem mit hübsch ausgeführten Allianzwappen ge- schmückten Portal Michael Niklas Baumeister Bildhauer. Derselbe erbaute auch das Adelmannsche Schloß zu Wachbach bei Mergentheim^), dessen Portal von kanneherten toskanischen Säulen eingefaßt wird; darüber erhebt sich eine mit reich behandelten Wappen geschmückte Attika mit römischen Pilastern. Man liest als Datum der Vollendung die Jahreszahl 1591. An der östlichen Vorderseite waren ehemals zwei stattHche Ecktürme angebracht, von denen nur noch der nördliche erhalten ist; zwei Ecktürmchen springen an der Westseite vor. Der Hof hat eine hübsche Wendeltreppe.

Ganz anderer Art ist das ehemalige Deutschordensschloß zu Mergentheim *) : eine im wesentlichen noch mittelalterliche Anlage, jetzt als Kaserne verwendet, der Bau im ganzen nüchtern und unbedeutend. Das Hauptportal zeigt eine Dekoration von gekuppelten Säulen in zwei Stockwerken, unten dorisch, oben toskanisch, der untere Teil der Schäfte mit den behebten Metallornamenten. Das Portal durchschneidet als Gang einen vierseitigen turmartigen Bau mit vier Gie- beln und Kuppel mit Laterne. Bemerkenswert daran sind die phantastischen Wasserspeier und eine schöne Wetterfahne. Das innere Portal hat dieselbe An- ordnung, aber als Krönung einen flachen Giebel, der von häßlichen Hermen ge- tragen wird. Daneben links vom Eingang ein älterer Bau, der an seinem Giebel die geschwungenen Voluten derselben Zeit trägt, aber in der Ausstattung einen gewissen derben Reichtum zeigt. Namenthch ist ein kleines Portal, eingefaßt

1) Die Kirnst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Atlas und Inventar.

2) Beschreibung des Oberamts Mergentheim S. 689 fg.

3) Beschreibung des Oberamts Mergentheim S. 755 fg.

Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Atlas, Jagstkreis (Ergänzungen) .

Lübke- Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 29

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2. Blich Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

von hübsch dekorierten Pilastern und Hermen mit gekreuzten Armen, von zier- licher Wirkung. Es bildet den Eingang zu einer im Körper des Baues liegenden Wendeltreppe mit gotischer Spindel, über dem Portal das Ordenswappen. Zur Rechten schUeßt sich ein ebenfalls alter Flügel an, über dessen Eingang sich dasselbe Wappen zeigt, in großer prachtvoller Ausführung von zwei Greifen ge-

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Abb. 298 Treppe aus dem Schlosse zu Mergentheim '' 'y^;/,

halten. Durch diesen Torweg gelangt man erst in den inneren Schloßhof. Die umgebenden Flügel sind einfach, haben aber stattliche Schneckengiebel und auf einer Seite einen hohen viereckigen Turm mit geschweifter Spitze und flotte Dacherker. In einer Ecke der niedrigere Archivbau mit Schweifgiebel, In den drei Ecken sind nun Wendeltreppen angebracht, von denen zwei zu den größten Pracht- stücken der deutschen Renaissance gehören. Die erste (Abb. 298) zeigt in der Spindel und den tauförmig gewundenen schlanken Säulchen, welche sie stützen, noch die Herrschaft mittelalterlicher Formen, aber das prachtvolle Ornament von Ranken, Köpfen usw., das in geistvoller Zeichnung und meisterlicher Ausführung

Mergentheim Schloß 451

die ganze Unterseite der Treppe bedeckt, trägt das Gepräge der Renaissance, Es ist eines ihrer frühesten Werke, denn man Hest oben die Jahreszahl 15|4. Bei der zweiten Treppe tritt das Mittelalter noch mehr hervor. Ihre Spindel ist ein kraftvoller runder Pfeiler, um den sich in wunderbar reicher Verschlingung ein markig profiliertes Rippengewölbe emporwindet. Man könnte die Arbeit für

Abb. 299 Ehemaliges Gymnasium, jetzt Bezirksgericht, zu Ansbach

eine mittelalterliche halten, wenn nicht an den Fußpunkten und den Durch- schneidungen der Rippen lauter kleine Schilde mit barock aufgerollten und zer- schnittenen Rahmen angebracht wären. Im übrigen bietet das Schloß mit Aus- nahrae einiger späterer Dekorationen, z. B. im Kapitelsaal und im jetzigen Lese- zimmer der Unteroffiziere, letzteres mit zierlicher Rokokodecke, nichts Bemer- kenswertes.

Das prächtige Rathaus des unfern gelegenen Grünsfeld, 1579 errichtet, muß hier erwähnt werden. An der Vorderfront ein schöner achteckiger Treppen-

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

türm. Das massive Erdgeschoß ursprünglich eine große Halle mit zwei Reihen von mächtigen Eichenständern. Das Obergeschoß und der Giebel in reizvollem Fachwerk mit reich verschränkten oder geschnitzten Brüstungen, verzierten Eck- ständern. Dort auch das geschnitzte _Wappen der Stadt, von Sirenen gehalten. Auf dem Turm ein hübsch geschweiftes Dach mit Laterne.*)

Hier wäre noch das alte Schloß der Markgrafen von Ansbach in Roth am Sand mit seinen zahlreichen Giebeln und den hölzernen Galerien des Hofes ein- zufügen, das Sighart rühmt. Es ist aber ohne höheren künstlerischen Wert.

Nicht viel, doch nicht Unbedeutendes bietet Ansbach. Das stattliche, aber etwas nüchterne Residenzschloß liegt als Bau vom Anfang des 18. Jahrhunderts außerhalb unserer Epoche. Aber das ehe- malige Gymnasium, jetzt Bezirksgericht, ist ein außerordentlich ansehnlicher Bau der Spätrenaissance vom Jahre 1563 (Abb. 299). Nördhch an die Gumbertuskirche anstoßend, stellt sich das etwas düstere massenhaft behandelte Werk nach außen mit zwei kräftig entwickelten Giebeln charaktervoll dar. Pilaster gliedern ihre Fläche, Voluten und Schnörkel beleben den Umriß. Dieselbe Gestaltung findet sich an der Ostseite und in dreimaliger Wieder- liolung an der Nordseite. Der Bau ist in den beiden Haupl geschossen in Putz mit hellgrau sich zeichnenden Ornamenten ausgeführt; nur das Erdgeschoß, mit ko- lossalem Sockelgesims abgeschlossen, ist Quaderbau. Die Fenster haben in den beiden oberen Stockwerken nach mittel- alterlicher Weise steinerne Kreuzpfosten. Der Hof ist in beiden Geschossen von ehe- mals offenen gedrückten Arkaden auf der- ben kurzen Pfeilern umzogen ; in der vor- deren Ecke ein polygoner Treppenturm mit einfacher Wendelstiege.

Die jetzige Hofapotheke mit der In- schrift „theatrum condidit Georgius mar- chio dux" ist ein schlichter Renaissance- bau mit dreiteiligen, gotisch profilierten Fenstern und zwei jetzt verbauten Por- talen mit durchschneidenden Stabgliederungen im Flachbogen. Das Eckhaus gegenüber am Oberen Markt vom Jahre 1622 hat dieselben dreiteiligen Fenster und einen hohen unschön geschweiften Barockgiebel. Aus derselben Spätzeit da- tiert ein anderes Privathaus am Unteren -Markt, dem Schloß gegenüber, ebenfalls nicht erheblich.

Abb. 300 Gumbertuskirche zu Ansbach (Nach Phot. F. Schmidt, Nürnberg)

1) Abgeb. Kunstdenkm. im Großherzogtum Baden, IV, Mosbach, Taf. VII.

Ansbach Rothenburg o. d. T.

453

Die Gumbertuskirche direkt dabei besitzt aber einen West-Turmbau, der, wenn auch noch auf gotischen Gedanken und Formen ruhend, der inter- essanteste Kirchturmbau unserer ganzen deutschen Renaissance genannt werden kann. Es ist ein Dreiturm, sich von unten auf einem rechteckigen Massiv auf- bauend, dessen höhere Mittelstufe eine Terrasse und einen hohen achteckigen durchbrochenen Helm trägt; ihm zur Seite, tiefer aufstehend, zwei achteckige kleinere Türme, ebenfalls mit durchbrochenem Helm. Maßwerk in den Öffnungen, Krabben und Kreuzblumen, Spitzbögen und dergleichen ergeben auf den ersten Blick einen ganz gotischen Eindruck; eingehendere Betrachtung zeigt uns, daß wir es mit einem völlig neuartig durchgebildeten Bauwerk zu tun haben, das die uralte deutsche Dreiturm-Idee mit den Mitteln des Mischstils des Endes des 16. Jahrhunderts löst. Gideon Bacher hat dies glänzende und Ansbach seine cha- rakteristische Silhouette verleihende Werk 1594—97 erbaut (Abb. 300).

Rothenburg- ob der Tauber

Eins der besterhaltenen Städtebilder des Mittelalters und der Renaissance gewährt immer noch Rothenburg ob der Tauber, bis vor kurzem von Eisenbahn und modernem Industrietreiben wenig berührt. So wie die Stadt jetzt dem Auge sich bietet, ist sie von einem architektonisch landschaftlichen Reiz, wie er sich selten noch in gleicher Reinheit findet. Kommt man von der Ostseite, so sieht man schon meilenweit die Stadt mit Mauern, Türmen und Kirchen in zackig pittoreskem Umriß sich am Saume des Horizonts hinziehen. Gleich der Eintritt durch die alten wohlerhaltenen Tore versetzt uns in alte Zeiten. Mit selten empfundener Andacht durchwandert man die stillen Straßen, bis man am entgegengesetzten westlichen Ende der Stadt etwa im „Hirschen" vor Anker geht. Hier erwartet uns noch eine Überraschung. Beim ersten Blick aus den westwärts gelegenen Fenstern gewahrt man, daß man sich am äußersten Rande der Stadt befindet. Tief unten breitet sich ein prächtig grüner Wiesengrund aus, von der Tauber in malerischen Krümmungen durchzogen, mit zerstreuten Häusern, Mühlen und einer gotischen Kapelle besetzt. Hoch darüber auf steil abfallendem Uferrand hat sich die Stadt angesiedelt, und rechts und links greifen fast im Halbkreis ihre Mauern und Türme samt den Ruinen der alten Burg vor, während aus dem Tale im Zickzack angelegte Fahrstraßen und gewundene Fußpfade hin- aufführen.

Rothenburg ist von uralter Anlage und hat schon im Mittelalter eine an- sehnliche Rolle gespielt, wie seine stattlichen Denkmale gotischer Kunst, vor allem die schöne Jakobskirche und nicht minder die bedeutenden Befestigungswerke aus jener Zeit bezeugen. Früh macht sich in der Entwicklung der Stadt ein starker demokratischer Zug bemerkbar, der beim Anbruch der neuen Zeit sich als leidenschaftliche Parteinahme für die Sache der aufständischen Bauern zu erkennen gab. Karlstadt hielt hier unangefochten auf offener Straße seine fa- natischen Reden, und die Stadt ward (1525) der Mittelpunkt des aufrührerischen Treibens. Erst nach dem Siege des Truchsessen von Waldburg wurde das alte Regiment wieder hergestellt, und das Blut der Aufrührer floß in Strömen. Eine dumpfe Ruhe drückte die Gemüter nieder, und erst 1545 drang man zur kirch- lichen Reform durch. Nun beginnt ein neues Leben in der Stadt; aber im Schmalkaldischen Kriege hat sie ähnlich wie Nürnberg durch ihre feige Neu- tralität schwer zu leiden. Spät erst wie, zur Reformation entschUeßt sie sich auch zur Aufnahme der Renaissance; bezeichnend ist es, daß sie diese durch Nürnberger und andere auswärtige Meister empfängt. Meister Ludivig Wolff aus Nürnberg entwirft den Plan zum Rathaus. Neben ihm finden wir einen

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

Haiis von Ännaherg, der, als ersterer mit einer Verehrung abgefertigt wurde, den Bau selbständig erhielt und einen ßalier Nicolaus von Hagenau annahm. Als Bildschnitzer wird Meister Crispinus genannt. Wir finden bis gegen die sech- ziger Jahre des 16. Jahrhunderts hier keine Spur des neuen Stiles; dann aber bricht dieser sich mit Macht Bahn, und in wenigen Dezennien holt man das Ver- säumte nach.')

Die hervorragenden Profangebäude Rothenburgs tragen wie die Nürnberger den Charakter der Renaissance. Und zwar sind es, wie gesagt, durchweg Denk- mäler der entwickelten Zeit, manchmal schon mit Barockformen durchsetzt, andererseits noch immer gewisse Elemente der Spätgotik zur Schau tragend. Es ist der durchgebildete Charakter deutscher Renaissance, der hier mit großer Entschiedenheit und mit echt reichsstädtischem Gepräge sich geltend macht. In den letzten Dezennien des 16. Jahrhunderts hat die Stadt ihre öffentlichen Monu- mente mit einer Energie und Opulenz umgebaut, die nicht bloß auf großen Wohl- stand, sondern auch auf einen bedeutenden Monumentalsinn hinweisen. An der Spitze steht das Rathaus, seit 1572 vor einen älteren gotischen Flügel, der den großen Saal enthält, vorgebaut.^) Es ist ein machtvoller Bau, der um so ge- waltiger die ganze Umgebung beherrscht, als er durch seine Lage auf stark an- steigendem Gelände noch um vieles imposanter erscheint. Der vordere Teil des Ge- bäudes gegen den Markt umfaßt den Neubau, ungefähr in der Mitte durch einen polygonen Treppenturm und an der vorderen Ecke durch einen zierlichen acht- seitigen Erker ausgezeichnet (Abb. 301). Zur Ausgleichung des Geländes dient die stattliche, im 17. Jahrhundert in kräftiger Rustika vorgelegte Bogenhalle, die im ersten Stock mit einem prächtig eingefaßten Altan schließt. Aber noch malerischer wird das Gesamtbild durch den dem Hauptbau parallel laufenden älteren gotischen Teil, der mit seinem hohen Giebeldach und einem kühn empor- steigenden Glockenturm die vorderen Teile weit überragt. Dazu kommt noch links im Vordergrunde der prächtige Brunnen.^) Betrachten wir den Bau näher, so erkennt man an der gediegenen und mächtigen Behandlung alles Einzelnen das Walten eines der tüchtigsten Baumeister der Zeit. Sein Brustbild hat er am Kragstein unter dem Erker angebracht. Es ist jener Nürnberger Meister Ludivig Wolff, der den Bau geleitet. Die Ausführung des Ganzen ist in Sandsteinquadern ; besonders energisch an der Rustikahalle der später vorgelegten Arkaden. Der Giebel in ihrer Mitte mit den aufgesetzten Figuren als Vorbereitung auf das Hauptportal trägt die Jahreszahl 1681. Das Portal selbst aber, das zum Treppen- hause führt, wird von elegant kannelierten toskanischen Säulen eingefaßt, über denen eine Attika mit ionischen Säulen und barocken Voluten aufsteigt. Ein noch reicheres und großartigeres Portal von ungemein vornehmen Verhältnissen, das nur zum Erdgeschoß führt, befindet sich an der Seitenfassade.*) Sein Bogen hat eine elegante Einfassung von kannelierten ionischen Säulen auf Slylobaten mit Löwenköpfen, darüber einen antiken Giebel mit schön ausgebildetem Konsolen- gesims. Es gibt diesseits der Alpen kein Architekturstück aus jener Zeit, das so völlig klare antike Verhältnisse und Einzelheiten aufwiese; ein völlig anachro- nistisches Werk geradezu griechischen Eindruckes. Auch die geschnitzten Tür- flügel sind hier von trefflicher Arbeit. Der hohe Giebel über dieser Fassade ist

1) H. Uhde-Bernays, Rothenburg o. d. T. (In , Stätten der Kultur", Bd. IV, Leipzig.) Wilh. Klein, Führer durch die Stadt Eothenburg. Das. 1888. Aufnahmen von G. Graef in Ortweins D. Ren., III. Abteilung.

2) Vgl. Graef a. a. 0. Taf. 3—8, 17 und 18.

3) Abb. bei Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance.

4) Aufnahmen der Rothenburger Denkm. hat zuerst unter Bäumers Leitung die Archi- tekturschule des Stuttg. Polytechnikums herausgegeben.

Rothenburg o. d. T. 455

mit Pilastern und Voluten kraftvoll gegliedert und trägt als Krönung eine Ritter- figur mit Fahne und Schild. Die gruppierten Fenster sind wirkungsvoll ein- gerahmt und mit antikisierendem Gesimse bekrönt. Die Sorgfalt der Ausführung ist so weit gegangen, daß sogar die Prellsteine an den Ecken des Baues Laub- schmuck erhalten haben.

Abb. 301 Rathaus zu Rothenburg o. d. T.

In die oberen Stockwerke gelangt man auf der prächtig um vier schlanke Säulchen entwickelten Wendeltreppe bei A, in Abb. 302. Sie mündet auf einen großen Vorplatz B, der einerseits mit dem Altan zusammenhängt, andrerseits durch zwei prachtvolle ionische Säulen, welche die gewaltige Balkendecke tragen, sich nach G verlieft und erweitert. Die innere Wand dieses imposanten Raumes er- hält durch Wandarkaden auf toskanischen Säulen eine wirksame Belebung. Breite Steinbänke mit schönen Masken an den Stützen umziehen die Wände. In F ist ein Zimmer mit gut gegliederter Decke, in G ein großes Eckzimmer, auf den Erker mündend, der eine schöne hölzerne Kassettendecke hat. In D und E sind Licht- höfe, in J eine kleinere Wendeltreppe. Ungefähr aus der Mitte des Vorplatzes ge- langt man durch ein elegantes Portal zu einem schmalen Durchgang in den ge- waltigen Saal H. Dieser bildet den älteren Teil der Anlage, der noch aus go-

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittel franken

tischer Zeit stammt und durch eine Wendeltreppe K seinen selbständigen Zu- gang hat.

Die ursprüngliche Ausstattung dieses mächtigen Raumes ist eine sehr ein- fache und besteht an der langen Fensterwand aus rundbogigen Blendarkaden auf schlichten Pilastern, welche zwei Fensterreihen übereinander einfassen. Die tiefen Nischen der unteren Fenster sind rings an den Wänden mit steinernen Bänken aus der Renaissancezeit ausgefüllt. An der gegenüberliegenden langen Wand sieht man zahlreiche Spuren von Fresken aus derselben Zeit, namentlich eine

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Abb. 302 Grundriß des Rathauses zu Rothenburg o. d. T.

große sehr undeutlich gewordene Gerichtsszene, sowie Salomonis Urteil, sodann den Reichsadler in den kolossalsten Verhältnissen. Weiter ein bemaltes gotisches Steinrelief, die Darstellung des Jüngsten Gerichts. Eine derbe, einfache Balken- decke (Abb. 146) bildet den Abschluß des Raumes. An der südlichen Schmalseite, wo der eingebaute Turm den Saal verengt, ist eine Erhöhung, durch eine pracht- volle Steinbalustrade abgeschlossen, mit ihrer reichen Durchbrechung und Be- krönung von köstlichen Masken und anderen Ornamenten zu den schönsten Werken der deutschen Renaissance gehörend. Auf den Ecken sind hockende Löwen an- gebracht. Diese Schranken fassen den ehemaligen Richtersitz ein, der in der Mitte angebracht ist, von einer Muschelnische bekrönt, an den Seitenwangen mit elegantem Rankenornament geschmückt. Auch die sich daranschließenden den Raum einfassenden Steinbänke haben schöne Friese und an den kurzen Ständern Masken, dies alles von geistreicher Erfindung und meisterlicher Ausführung. Über dem Sitz erhebt sich eine gemalte Justitia. Man liest an den Schranken die Jahreszahl 1591, das Monogramm des Meisters Wolff^ L.W. und sein Steinmetzen- Zeichen.

Herrscht hier die ausgeprägte Renaissance, so ist dagegen das Geländer der Treppe, die neben dem mittleren Eingang in den Hofraum hinabführt, noch

Rothenburg o. d. T.

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völlig gotisch aus sich durchschneidenden Stäben gebildet. Dennoch gehört es, wie die begleitenden Ornamente verraten, derselben Spätzeit an. In der Erfindung der prächtigen Ranken und Masken gibt sich gleiche Meisterschaft zu erkennen. Geht man diese Treppe hinab, so gelangt man in den Hof D zwischen dem alten und dem neuen Bau. Hier findet sich das viel gemalte schöne Portal. Das vor- tretende Geschoß des Neubaues ist auf eine kräftig verjüngte dorische Säule ge- stellt. Bei aller Verwahrlosung ist dieser Hof von hohem malerischem Reiz.

Kehren wir in den Bau zurück, so finden wir im zweiten Stock die Anord- nung des ersten wiederholt, namentlich den großen Vorsaal, dessen einfacher be- handelte Decke auf zwei kräftigen dorischen Säulen von eleganter Form ruht. Eine hübsch gegliederte Decke findet sich noch in dem kleinen Erkerzimmer. Die Haupttreppe endlich schließt mit einem Sterngewölbe, an den Rippen mit Wappenschildern geschmückt.

Um dieselbe Zeit erbaute die Stadt ihr Gymnasium. Man liest daran die Jahreszahl 1591. Es ist ein einfach massenhafter Bau, mit seinem kolossalen Giebel dicht bei der Jakobskirche noch imposant genug wirkend. Das Ganze ist freihch in ziemlich einfacher Behandlung durchgeführt, der Giebel durch aneinander- stoßende, steif gezeichnete Voluten belebt. Die Fassade wiederholt das Treppen- motiv des Rathauses, denn die achteckig vorgebaute Wendelstiege nimmt auch hier die Mitte ein. Von den Portalen ist das mittlere gleich dem des Rathauses in späterer Zeit in flottem Zopfstil vorgesetzt worden. Die übrigen beiden sind von zierlich kannelierten Pilastern mit originellen Kapitellen eingefaßt. Im Tym- panon ein Relief mit Seepferden, am Portal rechts Engel mit dem Wappen der Stadt, links sind Satyrn angebracht. Man liest die Jahreszahl 1590. Dies alles verrät durch geistvolle Erfindung den Meister vom Rathausbau. Im Innern ist der große obere Vorsaal bemerkenswert ; über dessen Tür eine bronzene Inschrifttafel mit hübschem Barockrahmen. Die Balken und Pfosten des Raumes reich ge- schnitzt. Zwei Kamine mit guten lebendig stilisierten Arabesken, bezeichnet 1591.^) An der Haupttür einfache ionische Pilaster.

In derselben Epoche, aber etwas früher, begann die Stadt umfangreiche Bauten an ihrem großartigen Spital.^) Den Hauptbau bildet ein langes zwei- stöckiges Haus mit einem tüchtigen Renaissanceportal, an welchem jedoch der Entwurf besser als die Ausführung. Im Innern findet man eine Tür mit ge- drücktem gotischen Schweif bogen, dabei die Jahreszahl 1576. Gegenüber ein Renaissanceportal mit guten Rosetten in den Füllungen, mit einer Muschel im oberen Aufsatz. Links am Flur steigt eine schön profilierte Spindeltreppe auf, die Spindel durch Kehlen und Rundstäbe gegliedert. Ein langer, mit Kreuz- gewölben bedeckter Gang schließt sich an. Oben tritt man auf einen stattlichen Vorsaal aus durch ein hübsches Portal, dessen Pilaster derb, aber flott gezeich- nete Blattornamente haben; im Tyrapanon ein energischer Kopf. Die andere Tür, in das jetzige Schulzimmer führend, gehört zum Elegantesten ihrer Art, alles Detail von ausgezeichneter Feinheit, die Einfassung durch korinthische Säulen bewirkt, im Aufsatz eine leer gelassene Tafel mit geschweiftem Rahmen. Die Balken der Decke fein abgefast in mittelalterlicher Weise. In dasselbe Zimmer führt von andrer Seite, durch Treppe und Korridor zugänglich, eine nicht minder schön erfundene, aber kräftiger ausgeführte Tür, von Atlanten eingefaßt, die Tafel des oberen Aufsatzes von zwei phantastischen Meergeschöpfen gehalten. Hier findet man das Steinmetzzeichen des Meisters L. Wo! ff vom Rathaus, den man in diesen trefl"lichen Arbeiten ohne Mühe wiedererkennt. Das Schulzimmer sodann ist ein großer niedriger quadratischer Raum, das Holzgetäfel der Wände schlicht

1) Der eine abgeb. bei Graef Taf. 16. Eins der Portale Taf. 35.

2) Aufn. bei Graef Taf. 19, 21—24, 36.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

mit dorischen Pilastern gegliedert, die Felder wieder durch kleinere Pilaster und Bögen geteilt. Die Decke einfach durch kräftige GKederungen belebt, die nur für den niedrigen Raum etwas schwer sind. Die beiden Außenwände ganz in Fenster aufgelöst; ihre Pfeiler an allen Flächen mit schönen, zum Teil unüber- trefflichen Arabesken, von stets wechselnder Erfindung mit Blatt- und Blumen- ranken, phantastischen Masken u. dgl. in Stuck bedeckt. Die vortrefflichen Eisen- beschläge der Türen vollenden die gediegene Ausstattung des harmonisch wirken- den Raumes.

Begeben wir uns in den Hof hinab, so finden wir in seiner Mitte einen isolierten quadratischen einstöckigen Bau, in sehr origineller Form mit einem achteckigen Zeltdach bedeckt, daran ein malerisches Rundtürmchen mit Laterne vorspringt. In letzterem liegt die Wendeltreppe. Man sieht die Jahreszahl 1591, dabei drei Wappen und die Monogramme EG. LS. M. D. Mit einem schönen Eisengitter ist die Brunnenhalle im Hof abgeschlossen. Die architektonische Aus- bildung hat sich aber selbst auf die Ställe erstreckt, in deren vorderer Abteilung man zwei halbzerstörte hölzerne Kreuzgewölbe auf einem schlanken dorischen Säulchen, ebenfalls von Holz, sieht. Die vordere Straßenfront des Hauptbaues markiert sich durch einen kolossalen Giebel, sehr nüchtern geradlinig und mit mehreren Pilasterreihen derselben trocknen Ordnung geghedert. Hübsch ist das Portal mit dem elegant durch Sirenen dekorierten Giebel.

Auch an den Befestigungswerken, deren umfangreiche Anlage aus dem Mittelalter stammt, ließ die Stadt um dieselbe Zeit Neubauten vornehmen. Das bedeutendste ist das Spitaltor. Eine mächtige Anlage mit halbrund geschlos- senem Zwinger, der ganze Bau mit gewaltigen Buckelquadern ausgeführt. Dann die Zugbrücke über den Graben, die durch das äußere Tor geschützt wird, dies wieder aus einer kleineren und größeren Bogenpforte bestehend, die ganze Anlage höchst malerisch. Am äußeren Tor liest man : „Pax intrantibus, salus exeuntibus. 1586. S.W.", dann „H L S. u. M D M. Baumeister." Am inneren Torturm ein schön profilierter ausgekragter Erker, darunter der Reichsadler im Relief, neben ihm zwei kniende Engel, während zwei andere Engel ihm die Krone halten.

Endlich hat die Stadt auch ihre Brunnen erneuert und im Stil der Spät- renaissance prächtig ausgestattet. Am reichsten und großartigsten der Brunnen am Marktplatz. Die Flächen des großen zwölfeckigen Wasserbehälters sind ganz mit Ornamenten im Metallstil bedeckt.'} Auch der Aufbau der Säule mit den vier hockenden Löwen am Postament, den originellen Verzierungen des Schaftes und den grotesken Masken, das alles ist in flottem Linienzug meisterlich komponiert und ausgeführt. Der Brunnen bildet mit dem gewaltigen Rathaus und den hinter diesem hervorragenden Türmen der Jakobskirche ein malerisches Ganzes, das zu den schönsten deutschen Städteprospekten zählt. Andere Brunnen, minder an- sehnlich im ganzen, aber in derselben Ornamentik und wohl von gleicher Hand entworfen, sieht man in der Herrengasse, in der Spital- und Schmiedgasse, dieser von 1607, am achteckigen Becken noch mit gotischen Maßwerken, übrigens in demselben Stil der Spätrenaissance, das Kapitell ein modifiziert dorisches. Der Brunnen am Kapellenplatz hat auf dem sechseckigen Becken ein gutes Geländer von Schmiedeeisen; das Kapitell der Säule zeigt eine schlanke korinthische Form. Zur Anlegung dieser großartigen Wasserwerke hatte die Stadt im April 1594 den Baumeister Johann Georg Sommer von Kempten berufen, der eine starke von ihm aufgefundene Quelle am Fuße des Berges unter dem Tauberflusse in das Brunnen- haus leitete und von dort mittelst eines Rades durch bleierne Röhren in die Stadt hinaufführte. Auch hierbei also hatte man keinen einheimischen Meister zur Ver- wendung. Den Kasten des Georgsbrunnens arbeitete 1608 der Steinmetz Hans

1) Abb. bei Pritsch, Denkmäler deutscher Renaissance.

Eothenburg o. d. T.

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Scheinsberger, die hohe Säule mit dem hl. Georg wurde von Stoffel Körner ge- hauen. Alle diese städtischen Bauten Rothenburgs in ihrer malerischen Anlage, ihrer reichen Ausstattung und dem eleganten Zug ihrer Ornamente verraten die Hand von Künstlern, die zu den tüchtigsten Architekten der deutschen Renais- sance gehören.

Neben diesen öffentlichen Bauten bewahrt aber die bis jetzt von dem Modernisierungsfieber ziemlich frei gebliebene Stadt noch eine Anzahl von be- achtenswerten Bürger- häusern.') Zwar steht ihre äußere Architektur im ganzen hinter der- jenigen anderer Reichs- städte zurück. Nament- lich hat der Steinbau nur ausnahmsweise dabei An- wendung gefunden; nur dasGeiselbrechtscheHaus, auch als „Haus des Bau- meisters" bezeichnet, hat eine prachtvolle, aber ba- rocke Steinfassade. Einen eleganten steinernen Erker sieht man an einem Haus hinter der Jakobskirche. Mit Vorliebe wird dagegen, wie in den meisten deut- schen Städten der Zeit, noch dem Holzbau gehul- digt, der namentlich in den Galerien der Höfe fast ausschließhch herrscht. Einen zierlichen polygo- nen Holzerker hat z. B. das Haus am Galgentor, welches außerdem an sei- ner Fassade mit hübschen Holzpilastern und ge- schnitzten Pflanzenornamenten bedeckt ist. Es trägt die Jahreszahl 1613. Den Hauptwert besitzt aber der Privatbau Rothenburgs nicht bloß in den zahlreichen malerischen Höfen, die eine wahre Fundgrube für den Maler bilden, sondern vor- züglich in der noch reichlich vorhandenen Innern Ausstattung der Räume, die ein lebendiges Zeugnis von dem Wohlstand und der Kunstliebe jener Epoche ablegen. Bezeichnend ist, daß neben häufig angewandtem Holzgetäfel mit geschnitzter und eingelegter Arbeit die Stuckdekoration, namentlich an den Decken, zu Ausgang der Epoche mit einer Üppigkeit hervorbricht, wie sie kaum sonst noch in Deutsch- land in so überschwenglicher Kraft angetroffen wird.

Beginnen wir unsere Übersicht mit dem Geiselbrechtschen Hause. Die Fassade unter allen Privatgebäuden der Stadt die opulenteste, ganz in Stein ausgeführt (Abb. 303), kann sich in der Gesamtanlage mit gleichzeitigen anderer Städte doch nicht messen. Die beiden Hauptgeschosse mit ihren von

1) Das Wichtigste aufgen. von Graef a. a. 0.

2) Abbild, in Sigharts bayr. Kunstgesch. S. 691.

Abb. 303 Vom Geiselbrechtschen Hause zu Eothenburg o. d. T.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

barocken Hermen eingefaßten Fenstern stehen nicht in durchgreifender architek- tonischer Verbindung; ebensowenig ist eine Beziehung zum Giebel angedeutet, der durch die geschweiften Delphine, mit welchen die einzelnen Absätze bekrönt sind, zwar phantastisch wirksam dekoriert ist, aber eine konsequente künstlerische Gliederung vermissen läßt. Um so anziehender ist das Innere, das bis auf die erneuerte hölzerne Treppe vöUig intakt erscheint, und in den Fenstern sogar die alten Butzenscheiben bewahrt. Der Grundriß (Abb. 304) bietet das Muster einer

damaligen Hausan- lage. Im Erdgeschoß mündet das große Portal auf einen sich nach der Tiefe ver- breiternden Flur A. Gleich vorn ist die Falltür der Keller- treppe, rechts an der Wand eine Sitzbank für Wartende. In B B schmale, aber tiefe Zimmer, das dem Flur anstoßende noch mit einem Alkoven verbunden, in G die wenig beleuchtete Küche, vor welcher eine elegante ioni- sche Säule den Unter- zugsbalken für den hier breiter werden- den Flur aufnimmt. Die Holzdecke zeigt noch gotische Profi- lierung. In der Ecke rechts die steinerne Wendeltreppe zu den oberen Geschossen (im Flur eine Holztreppe neueren Datums). In ganzer Breite schließt sich der Hof D an, welcher in E durch gewölbte Stallungen und eine Waschküche be- grenzt wird. In den beiden oberen Geschossen (der obere Grundriß auf unserer Figur) wiederholt sich ungefähr dieselbe Anordnung, nur daß die beiden Vorder- zimmer B die ganze Breite der Fassade einnehmen, hinter dem Hofe aber in E Wohnzimmer anstoßen, durch eine hölzerne Galerie, die auf drei Seiten in beiden Geschossen den Hof D umzieht, mit dem Vorderhause in Verbindung gesetzt. Diese zierlichen Galerien samt den elegant geschnitzten Einrahmungen der Fenster geben dem Hofe einen ebenso reichen als malerischen Charakter. In den Schnitze- reien walten elegante Flecht werke vor (Abb. 305). Das Haus trägt die Jahres- zahl 1596.

Beträchtlich früher, von 1571, datiert die jetzige Hopf sehe Bierbrauerei. Das Äußere ist ohne architektonischen Wert, drinnen aber findet man zunächst einen malerischen Flur, dessen Balkendecke auf mächtigen achteckigen Holz- pfeilern ruht. Die Treppe zeigt ein ebenfalls kräftig in Holz geschnitztes Ge- länder, der Hof links eine zierliche Galerie. Im ersten Stock ruht die Balkendecke des großen Flurs auf eleganter dorischer Steinsäule. Die Balkendecke im Flur des zweiten Stocks zeigt ein in mittelalterhcher Weise ausgekehltes Gebälk, die Tür mit eingelegten Ornamenten, zierlich mit ionischen Pilastern und dorischem

Abb. 304 Grundriß des Geiselbrechtschen Hauses zu Kothenburg o. d. T.

Rothenbiirg o. d. T.

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Triglyphenfries eingefaßt; im großen Vorderzimmer eine schöne Holzdecke, trefflich eingeteilt und reich gegliedert. Besonders wertvoll ist sodann das H äff n er- sehe Haus in der Herrengasse durch seine innere Einrichtung. Der Hof in beiden oberen Geschossen auf drei Seiten mit Holzgalerien umgeben, welche wieder die Verbindung mit dem Hinterhause vermitteln. Sie ruhen auf hohen Säulen, die in wunderlicher Nachahmung des Steinbaues eine Rustikabehandlung zeigen. Rechts in der Ecke die Wendeltreppe. Im oberen Geschoß war der nach hinten liegende Saal (Abb. 36) ein Pracht- stück von Dekoration, das Täfelwerk der Wände durch elegante kanne- lierte ionische Säulen ge- gliedert, die Stylobate und Friese mit Ranken ge- schmückt; zwischen den Säulen Blendarkaden mit Nachahmung von Stein- konstruktion, die Bogen- felder mit herrlichen ein- gelegten Ornamenten. Der Saal ist leider in die Ferne verkauft. Viel geringer und roher ist die Decke behandelt, mit schlechten späten Gemälden ausge- stattet. Der eiserne Ofen, an welchem man die Ge- schichte des Lazarus sieht, trägt die Jahreszahl 1592.

Gegen Ausgang der Epoche bricht sich auch hier der italienische Ein- fluß Bahn und findet sei- nen Ausdruck namentlich in pompöser Stuckdeko- ration der Decken. So in dem Haus hinter der Ja- kobskirche, dessen statt- lichen Erker, auf zwei

Pfeilern ruhend und durch alle Geschosse reichend, mit den facettierten Quadern, den Rollwerk-Ornamenten im Schlosserstil, endlich dem bunt geschweiften Giebel wir schon als Prachtstück der Steinarchitektur Rothenburgs bezeichnet haben. Oben im zweiten Stock ein Saal mit Stuckreliefs an der Decke; in den Haupte feldern vier Szenen aus der Geschichte des verlornen Sohnes im üppigsten Schweif- stil, dabei noch ganz bemalt, die Gurtbänder mit Blumenranken und Vögeln, in den Zwickeln die Fabeln vom Fuchs und dem Storch, vom Strauß und der Schlange. Mit besonderer Vorhebe hat der Künstler das Lotterleben des ver- lorenen Sohnes geschildert, der von sechs bajaderenartigen Nymphen umgaukelt wird (Abb. 306). An der Tür, deren äußere Einfassung zierlich ornamentierte Pilaster bilden, liest man die Jahreszahl 1613. Im ersten Stock befindet sich ein ähnlich ausgestattetes Zimmer, dessen Stuckdekoration indes unbemalt geblieben ist. Die Decke zeigt im mittleren ovalen Felde Christi Auferstehung, in den vier

Abb. 305 Hof des Greiselbrechtschen Hauses zu Eothenburg o. d. T.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

Ecken die Evangelisten, in den kleineren Feldern und an den Rahmen schöne Ornamente. Noch reicher sind die Dekorationen im Kistenf eg er sehen Hause. Außen ist es bemerkenswert durch einen hohen Giebel mit schön geformten Schnecken, wie deren in Rothenburg mehrere vorkommen. Der Flur hat wie das ganze Erdgeschoß treffliche Sterngewölbe, deren Rippen noch völlig die gotische Behandlungsweise zeigen. Eine steinerne Wendeltreppe führt zu den oberen Ge-

Abb. 306 Stuckdekoration aus Eothenburg o. d. T.

schössen. Im zweiten Stock findet sich ein Zimmer mit reicher Stuckdecke ohne Bemalung. Man sieht die Geburt Christi, wobei ein Engel auf der Laute spielt; dann die Auferstehung. Die Rahmen sind auch hier wieder mit Ranken und Vögeln belebt ; auch die Fenster ganz mit Stuckreliefs umfaßt, welche sich ziemlich wild und barock gebärden. Zwischen beiden Fenstern eine weibliche Figur als Karyatide, in geflochtene Schlangenschweife endend. Noch weiter greift diese Dekorationsweise um sich, indem sie die Tür mit zwei großen Gipsfiguren von Kriegern als Atlanten einrahmt, der ältere mit ganz frei gearbeiteter Hellebarde, der jüngere mit einer Lanze in Händen, daneben noch phantastisch geschweifte weibliche Figuren, deren Körper sich in Laubwerk ganz verzettelt. Alle diese Dinge sind viel zu groß für den kleinen und niedrigen Raum, verraten überhaupt schon sehr stark die Übertreibungen des Barock. Aber in der ungemein leichten, kühnen und flotten Behandlung spricht sich meisterliche Sicherheit aus. Auch ist das Ornamentale in den Arabesken, Blumenranken usw. noch von hohem Wert. Daß auch sonst das Kunstgewerbe damals in Rothenburg blühte, be-

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weisen namentlich die zahlreichen tüchtigen Eisenarbeiten, welche man in und an den Häusern antrifft.

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Das deutsche Florenz, die Mutter der Wissenschaften und Künste nennt Rivius die alte Reichsstadt Nürnberg, Und in der Tat, kein anderes deutsches Gemeinwesen hat auch nur entfernt solche Bedeutung für das gewerbliche und künstlerische Leben gehabt, wie diese früh schon durch politische Rührigkeit, durch Handel und Gewerbfleiß blühende Stadt, die man die Krone der deutschen Städte nennen darf. Während Augsburg, in Handel und Reichtum mit ihr wett- eifernd, ja in mancher Hinsicht sie überbietend, erst in der Renaissancezeit zu künstlerischer Bedeutung aufsteigt, trägt Nürnberg reiche Spuren einer un- unterbrochenen intensiven Kunstblüte, die von der romanischen Epoche bis zum Ausgang des Mittelalters die Stadt mit charaktervollen Denkmalen beschenkt. Im Sinne des Mittelalters waren dies überwiegend Werke kirchUcher Kunst, ob- wohl auch der Profanbau daneben nicht leer ausgegangen ist. Aber erst mit dem Anbruch der neuen Zeit gewinnt dieser, der modernen Kulturströmung folgend, auch hier seinen machtvollen Ausdruck. Wenn man Nürnberg stets als Stadt des Mittelalters preisen hört, so bedarf dieser Ausdruck einer Beschränkung. Die Anlage der Stadt, der Zug der Stifaßen und der Plätze, die Mehrzahl der kirch- lichen Denkmäler, das alles gehört dem Mittelalter; aber die Form, in welcher sich die großen städtischen Profanbauten, die öffentlichen wie die Privatwohnungen des Bürgertums, ausgeprägt haben, gehört fast ausschließlich der Renaissance. Jedoch tritt der Stil hier nicht vorherrschend in jener späten Entwicklung auf, die wie in Augsburg den italienischen Typus zur Geltung bringt, sondern in einer völlig deutschen Umbildung, die sich in der Anordnung des Grundrisses wie im hohen und schmalen Aufbau der Fassaden der Überlieferung des Mittelalters an- schließt. Daher hier der charaktervolle, durchaus selbständige Zug im gesamten Profanbau, der sich trotz der Verschiedenheit in den schmückenden Formen dem Gepräge der kirchlichen Denkmäler so glücklich einfügt, daß Nürnberg noch jetzt im wesentlichen einen unvergleichlich harmonischen Eindruck gewährt.

In die neue Zeit trat die schon lange mächtig und strebsam dastehende Stadt mit großer Entschiedenheit ein und stellte sich mit an die Spitze der refor- matorischen Bewegung. Schon zum Jahre 1523 bemerkt die Chronik: „gäbe man dem Bapst und Bapstumb Urlaub, denn es wurden die alten Geremonien ab- gethan." Der Rat beschloß die Annahme der Reformation, und selbst der große Nürnberger Staatsmann und Gelehrte, Willibald Pirckheimer, wandte sich der neuen Lehre zu, der er kleinmütig später wieder absagte. Von den Unruhen des Bauern- krieges blieb Nürnberg verschont ; während des Schmalkaldischen Krieges wußte seine Krämerpolitik sich zwar die Neutralität zu sichern, aber eben diese Doppel- züngigkeit zog ihm den Krieg mit Albrecht Alcibiades auf den Hals (1552), in welchem es innerhalb weniger Wochen einen Schaden von beinahe zwei Millionen Gulden erlitt. Indes wurde die Blüte der mächtigen Stadt auch dadurch kaum vorübergehend geschädigt; ja die Vielseitigkeit ihrer künstlerischen und kunst- gewerblichen Entwicklung kommt erst in dieser Zeit zur vollen Entfaltung. Keine deutsche Stadt hat eine solche Universalität darin aufzuweisen ; keine hat aber auch so früh Monumentalwerke der Renaissance von hervorragendem Werte entstehen sehen. Michael Wohlgemut (1434—1519) und Adam Krafft (bis 1507), ja selbst Veit Stoß (bis 1533) gehören noch der mittelalterlichen Kunst an, mit der sie wohl den nordischen Realismus, nicht aber die italienische Renaissance verschmelzen. Dürer ist es, der zuerst hier die antiken Formen anwendet (vgl.

1) P. J. Eee, Nürnberg, 3. Aufl. (In „Berühmte Kunststätten Leipzig.)

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

S. 55 ff.) ; dann aber bricht Peter Vischer durch sein herrliches Sebaldusgrab (seit 1508) dem neuen Stil Bahn, der hier einen glanzvollen Beweis seiner höheren Schönheit und freieren Anmut liefert. In Gemälden wie in plastischen Werken, in Kupferstichen wie in Holzschnitten tritt er nun hervor, und seit 1530 etwa können wir ihn auch in architektonischen Schöpfungen nachweisen. Es ist der Privatbau hochgebildeter Patrizier, der den Anfang macht. Die zahlreichen Handels- beziehungen zu Venedig haben offenbar auch hier den Antrieb gegeben. Mit den Privatbauten ist daher zu beginnen.

Wenn irgend eine Stadt in dieser Epoche einen ausgeprägten Charakter im Privatbau erreicht hat, so ist es Nürnberg. Man kann nicht sagen, daß sich diese Werke im ganzen durch höchste Feinheit auszeichnen, daß sie jenen plastischen Reichtum und die geistvolle Lebendigkeit atmen, wie etwa der Otto-Heinrichsbau von Heidelberg oder die besten Monumente in Schwaben und im unteren Franken. Schon das Material scheint eine feinere Durchbildung verwehrt zu haben. Aber eine machtvolle Gediegenheit der Komposition, eine energische Strenge der Be- handlung sind den Nürnberger Werken eigen. Im Aufriß haben die Fassaden der Bürgerhäuser die gemeinsame deutsche Richtung eines kraftvollen Hochbaues, und der kolossale Giebel bildet hier ebensosehr wie im übrigen Deutschland den Stolz der Architektur. Auch ist die Anlage der reicheren Bürgerhäuser breiter, als wir sie sonst zu finden gewohnt sind, so daß diese Fassaden schon durch Masse einen mächtigen Eindruck machen. Dazu kommt aber meistens eine reiche Be- lebung durch Erker von mannigfacher Anlage, auch wohl durchgeführte Gliederung durch Systeme von Pilasterordnungen mit Gebälk und Gesimsen, die sich auch an den hohen Giebeln fortsetzen. So entsteht rhythmische Durchbildung, verbunden mit malerischer Mannigfaltigkeit. Eins der vollkommensten Beispiele solcher Fas- saden bietet das Pellerhaus; einen Giebel haben wir in Abb. 132 abgebildet.

Wo nun aber, was häufiger ist, die Häuser nicht ihren Giebel, sondern ihre Langseite gegen die Straße kehren, da wird in einer gerade für Nürnberg höchst bezeichnenden Weise die Seitenfläche des hohen Daches durch vorgesetzte, meist viereckige Erkertürmchen belebt, die mit ihren reichen Säulenstellungen und Ornamenten, sowie den hohen, etwas einwärts gebogenen Zeltdächern dem Bau eine überaus lebendige Krönung geben. Damit verbinden sich zahlreiche Dach- luken, ähnlich gegliedert und gleichfalls durch Spitzdächer abgeschlossen. Ein Bild dieser ungemein lebendigen und wirkungsvollen Anordnung, welche zu dem malerischen Eindruck der Nürnberger Straßen so viel beiträgt, gewährt das neben dem Pellerhaus (Abb. 316) liegende Gebäude. Im übrigen kommen an den Nürn- berger Fassaden der Epoche auch mittelalterliche Elemente im einzelnen genugsam

Abb. 307 Galerie aus dem Gessertschen Hause zu Nürnberg

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vor : Lisenen anstatt der Pilaster, gotische Fensterprofile, verschlungene Maßwerke an den Brüstungen der Erker und andern passenden Stellen. Wie sich gotische Fischblasen bisweilen mit Ornamenten der Renaissance verbinden, zeigt das hübsche Geländer aus dem Hof des Gessertschen Hauses mit seinen dekorierten Säulchen, Masken, Fruchtgewinden, Seetieren und Füllhörnern (Abb. 307).

Der Grundriß dieser Häuser (vgl. Abb. 308) bietet in der Mitte eine große, meist gewölbte Durchfahrt, die sich bisweilen zu einem stattHchen Flur erweitert. Stets ist ein Hof angebracht, der entweder mit Holzgale- rien oder mit steinernen Ar- kaden umzogen wird. Der Steinbau hat hier noch lange Zeit die Formen des spät- gotischen Stiles : Pfeiler von mittelalterlicher Behandlung und Brüstungen mit durch- brochenem Maßwerk. Um- gekehrt tritt dagegen nicht selten bei den verbreiteteren Holzgalerien eine Nachah- mung des Steinbaues im durchgebildeten Stil der Re- naissance auf; doch auch hier behält in den Brüstun- gen gotisches Maßwerk bis zum Ende der Epoche die Überhand. Die Treppen sind entweder in einer Ecke des Hofes als steinerne Wendel- stiegen angebracht^ oder sie nehmen in stattlicherer An- lage ihren Aufgang inner- halb der Arkaden und sind

dann fast völlig freigelegt. Im oberen Stockwerk ist der große Flur, der neben dem Hauptzimmer liegt, oft von prächtiger Durchbildung; ein wichtiges Stück aber bildet der große nach hinten gelegene Sommersaal, der in vielen Nürnberger Häusern noch jetzt in ganzer Schönheit der Ausstattung erhalten ist. Während die Wohnräume getäfelt werden und besonders durch die großen Öfen sich als anheimelnder Aufenthaltsort für die rauhere Jahreszeit zu erkennen geben, sind diese Sommersäle gleich dem vorderen Flur meist mit Steinplatten oder Fhesen gepflastert und mit üppigen Stuckdecken ganz für die wärmere Jahreszeit ein- gerichtet. Bei der inneren Ausstattung der Räume haben sämtHche Kunsthand- werke gewetteifert und herrliche Proben ihrer hohen Blüte hinterlassen. Was noch jetzt an Täfelwerk, an Decken und Türen in kunstvoller Schreinerarbeit, an reichen Kasten, Schränken und Truhen, an Türbeschlägen, Gittern und andern Schöpfungen der Schlosser- und Schmiedekunst, an plastisch dekorierten, in Ton gebrannten und glasierten Öfen, an Arbeiten der Gold- und Silberschmiede, der Zinn- und Rotgießer vorhanden ist, verbreitet über diese Nürnberger Bauten einen unvergleichlichen Glanz künstlerischen Behagens.

Wenn ich nun an eine Betrachtung des einzelnen gehe, so habe ich mich darauf zu beschränken, einige wichtige und charakteristische Beispiele heraus- zuheben, denn die Fülle des noch Vorhandenen ist so groß, daß sich dem Forscher

Lübke-Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl. 30

Abb. 308 Grundriß des Funkschen Hauses zu Nürnberg

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

immer von neuem Ausbeute darbieten wird.i) Zu den frühesten Leistungen der Renaissance gehört hier das Tucherhaus, Hirscheigasse 9. An der Fassade gegen die Straße ist der hübsche Erker, welchen wir Abb. 133 gegeben haben. Den Abschluß bildet ein Rundbogenfries mit eleganten Laubkonsolen. Der Hof mit dem Hauptgebäude in Quadern und den hölzernen Galerien der Nebenbauten ist malerisch höchst reizvoll. Merkwürdig mischen sich an dem Haupthause go- tische Formen mit den ersten Keimen der Renaissance. Ganz offenbar liegt hier

ein Anschluß an fran- zösisch- spätgotische Vorbilder vor ; auch der Bogenfries unter dem Gesimse stammt daher. Die Treppe liegt als Wendelstiege in einem runden, et- was vorspringenden Turme, neben wel- chem sich über dem Dach zwei kleinere herausgekragte Rund- türmchen originell ge- nug entwickeln. Das Hauptportal öffnet sich nach außen in einem großen Rundbogen, der zur Hälfte geblendet ist und in der Mitte wunderlich durch eine dorische Säule ge- teilt wird, die Bogen- ausfüllung hat ein run- des Fenster und rei- chen Schmuck mit Kranz und Bändern (Abb. 309). Die Fen- ster mit ihren Kreuz- pfosten und ihrer Um- fassung sind gotisch, die Lisenen haben an ihren Konsolen und

den Kapitellen gotisches Laubwerk; dagegen sind die kleinen Nischen, welche sich über ihnen entwickeln, mit den zierlichen Muscheln der Renaissance aus- gestattet, ebenso der abschließende Bogenfries. Am ausgeprägtesten tritt der neue Stil jedoch in der Flächendekoration des Portals auf. Als Datum liest man am Turm 1533. Im Innern zeigt ein Zimmer des ersten Stocks kräftiges Wand- getäfel mit graziösen Säulchen, die Schäfte oben kanneliert, an den unteren Teilen mit zierlichen Ornamenten und ein wunderfeines Portal mit korinthischen Pilastern und Gebälk. Die Decke aber folgt noch dem gotischen Prinzip der abgefasten Balken. Im zweiten Stock ein größerer Saal, auf drei Seiten mit Fenstern ver- sehen, in welchen hübsche Glasgemälde grau in grau die Taten des Herkules und ähnliches darstellen. Auch hier eine tüchtige Holzdecke und getäfelte Wände, 1) Aufnahmen in Ortweins Deutscher Eenaissance, I. Abt.

Abb. 309 Portal des Tucherhauses zu Nürnberg

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sowie ein mächtiger Kamin, der das Wappen der Tucher von zwei Engeln ge- halten zeigt. Im Erdgeschoß endlich eine hübsche quadratische Kapelle mit go- tischem Sterngewölbe, dessen Rippen von einem prächtigen Schlußstein zusammen- gehalten werden.

Abb. 310 Gartensaal des Hirschvogelhauses zu Nürnberg

Wie K. Lange nachgewiesen hat stammt die Ausstattung in Holz, ins- besondere die so wundervoll feine Renaissanceskulptur der beiden Säle, aus der Hand Peter Flettners, dem unzweifelhaft auch das eigenartige Portal und der hübsche Erker mit Adam und Eva zuzuschreiben ist. Aber es scheint sehr wohl möglich, daß ihm auch die merkwürdige architektonische Komposition des ganz französischen Tucherschlößchens selber zu danken sei, da er, viel gewandert, bis an die Grenzen der Schweiz, Frankreichs, vermutlich auch darüber hinaus, der einzige in unseres Auges Bereich ist, dem solche Übertragung möglich gewesen sein möchte.

1) K. Lange, ein Bahnbrecher der Deutschen Renaissance, Berlin 1897.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

Durchgebildeter und vollendeter tritt die Renaissance ein Jahr später (1534) an dem Hirschvogelhaus derselben Gasse auf. Die Fassade nach der Straße bietet außer einer Madonnenstatue nichts Bemerkenswertes. Aber im Hintergebäude ist, wie so oft in Nürnberg an Patrizierhäusern, ein Gartensaal angelegt (Abb. 310 bis 312), der in seiner ganzen Ausstattung wohl das Vollendetste von Dekoration

Abb. 311 Gartensaal im Hirschvogelhaus zu Nürnberg

bezeichnet, was die Renaissance in Deutschland hervorgebracht.^) Ja die Anmut der Ornamentik, die ungewöhnliche Feinheit der Ausführung, die Treffüchkeit auch der figürlichen Teile, die sonst die Schwäche der deutschen Renaissance bilden, ließ den Verfasser einst hier die ausführende Hand italienischer Künstler vermuten, während seitdem auch hier Peter Flettner durch Lange als der Schöpfer dieser Herrlichkeit nachgewiesen ist. Allerdings hätte die freie Einteilung des Frieses über dem Kamin, dessen Triglyphen viermal gerieft sind und der an der einen Seite mit einer Metope, auf der andern mit einer Triglyphe endet, für einen ItaUener kaum gepaßt. Der Saal bildet ein Rechteck von 16 Meter Länge bei 6\'2 Meter Breite und etwa 7 Meter Höhe. Auf drei Seiten empfängt er reichhches Licht durch Rundbogenfenster, welche durch elegante korinthische Säulen geteilt werden. Das Feld über den kleineren Bögen wird durch ein Rundfensterchen durchbrochen, im übrigen mit Ornamenten belebt, welche noch gotische Maßwerke aufnehmen. An der äußeren Langseite ist ein Kamin erkerartig ausgebaut, jeder- seits durch köstlich dekorierte Pilaster und je zwei frei korinthisierende Säulen eingefaßt. Ein herrlicher Rankenfries mit Putten und phantastischen Geschöpfen

1) Aufnahmen bei Ortwein a. a. 0. und bei Lange.

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zieht sich darüber hin; am Stylobat sind spie- lende Genien, an allen übrigen Gliedern Laub- ornamente von höchster Schönheit angemessen verteilt (Abb. 312). Nicht minder geistvoll ist die übrige Gliederung des Raumes. Zwischen den Fenstern sind je zwei ko- rinthische Pilaster an- geordnet, an der gegen- überliegenden Wand sind es Säulchen, durch einen reich ornamentiertenFries verbunden, die Schäfte und Stylobate ebenfalls köstlich dekoriert. Auf dem Fries eine kleinere zweite Pilasterstellung, wieder von einem Gebälk gekrönt, das in der Mitte eine römische Kaiserbüste und auf den Seiten ehe- mals kleine Obelisken trug. Das Feld zwischen den oberen Pilastern schließt jedesmal ein Ge- mälde ein. Zwischen die- sen einzelnen Systemen baut sich nun über den Fenstern zwischen seit- dem entwendeten her- menartigen Karyatiden ein größeres eingerahm- tes Feld auf, welches wieder durch ein Gemälde ausgefüllt ist. Den Ab- schluß des Ganzen bil- det ein Konsolengesimse zum Tragen der gemal- ten Decke. Diese ist mit mythologischen und alle- gorischen Gemälden grau in grau ausgemalt, die durch Leisten eingeteilt

werden; von einem Maler etwa im italienischen Stile des G. Pencz, doch sehr verblichen und bereits reichlich manieriert, dennoch eigenartig im Eindrucke. Der reiche Eindruck wird noch gesteigert darch die wohlberechnete Anwendung der Farbe. Die unteren Wandfelder sind wie dunkle Ledertapeten gemalt, die Kapitelle und Basen der Säulen rot, diejenigen der Pilaster sowie ihre Rahmen

Abb. 312 Kamin aus dem Hirsclivogelsaal zu Nürnberg

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

grau, die Füllungen der Friese und Pilaster dagegen weiß, so daß sie den Ein- druck edlen Marmors machen; die Schäfte der Säulen gelblich; an ihren Unter- sätzen endUch sind Genien auf tiefblauem Grund gemalt. Die ganze Deko- ration ist mit Ausnahme der Einfassung des Kamins meisterlich in Holz ge- schnitzt, die Friese in Papiermasse eingelassen, der Fußboden mit Steinplatten be- legt. Es war ein herrlich kühler Sommersaal, der durch den ungewöhnlich großen Kamin auch für die kältere Jahreszeit ver- wendbar wurde. Das Äußere des ganz selb- ständigenVorbaues gegen den Garten hin ist, ganz in Quadern, durch einen Fries unter den Fenstern mit Laubgewinden, durch einen oberen Fries mit Stierschädeln, Füllhör- nern und Festons, darüber ein reiches Konsolen- gesims, sowie durch ein köstlich dekoriertes Por- tal dem Innern entspre- chend ausgestattet. 1) Der Saal im Erdgeschoß hat eine tüchtige Holz- decke auf zwei steiner- nen Säulen mit hübschem Kapitell. DerErker istmit flachem Kreuzgewölbe bedeckt, dessen Rippen Renaissanceform zeigen. Ein Flachbogen mit ele- ganten Rosetten bildet die Einfassung des Erkers. Die Tür ist ein Pracht- stück von Dekoration, mit herrlich ornamentierten Pilastern, an den tiefen Leibungen großgestaltete Masken mit köstlichen Ranken, das Ganze gleich den übrigen Steinarbei- ten ein Werk ersten Ranges.

Der Hirschvogelsaal ist ein Unikum in Nürnberg, in ganz Deutschland. Er bezeichnet auch im Leben Flettners, der noch 12 Jahre lebte, den Höhepunkt seines Schaffens und wird an künstlerischer Vollendung von keinem Innenraum jener Zeit in Deutschland erreicht. Wie weit man sonst in Nürnberg um dieselbe

1) Abb. bei A. Haupt, Peter Plettner der erste Meister des Otto-Heinrichsbaus, Leipzig 1904, Abb. 19.

Abb. 313 Toplerhaus zu Nürnberg

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Zeit noch von der Renaissance ent- fernt war, zeigen mehrere sehr opu- lente Bürgerhäu- ser, welche noch ganz im mittel- alterlichen Stil be- handelt sind, ob- wohl mehrfach die weite Anlage der Höfe einen fast südlichen Ein- druckmacht— ab- gesehen von dem völlig verschiede- nen Formencha- rakter. So der prächtige Hof im

K r a f f t sehen Hause an der

Theresienstraße. Den Torweg bildet eine gotische Halle mit Rippengewöl- ben auf Rundpfei- lern, der Hof ist in zwei Stockwerken mit Galerien ge- schmückt, deren Flachbögen auf gotischen Pfeilern ruhen und deren Brüstungen krau- ses, durchbroche- nes Maßwerk zei- gen. Zur Linken zieht sich eine ganz offene, auf Pfeilern ruhende Wendeltreppe mit ähnlichem Gelän- der empor. Die Renaissance tritt nur an dem Brun- nen mit der hüb- schen Nische und dem kleinen Fah- nenhalter aus Ei- senguß hervor. Abb. 314 Hof im Funkschcn Haus zu Nürnberg

Verwandter Art ist

der ebenfalls sehr weite Hof, welcher jetzt dem Bayrischen Hof angehört.

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

nur daß das Treppenhaus etwas breiter angelegt und mehr geschlossen ist. Einen dritten Hof derselben Art besitzt ein stattliches Haus am Panierplatz, wo die Behandlung der übrigen Teile und die Jahreszahl 1612 genugsam beweist, daß alle diese Bauten während der Renaissanceepoche entstanden sind. Wie lange man überhaupt auch hier dem Mittelalter treu blieb, beweist das Top- lerische Haus am Panierplatz von 1590 (Abb. 313). Es ist ein auf schmalem Grundriß eng zusammengedrängter turmartiger Hochbau, ohne Hofanlage auf- geführt, an den Ecken und den steilen Giebeln mit halbrunden Pfeilern noch im

I T I

Abb. 315 Grundriß des Pellerliauses zu Nürnberg

Charakter des Tucherhauses gegliedert, an den beiden Erkern mit reichen Maß- werkfüllungen, das Dach mit einer Anzahl zierlicher Ausbauten lustig belebt. Das Bauwerk steht in seiner echt Nürnbergischen Eigenart und in seiner stolzen Erscheinung an einer der ersten Stellen in unserer vaterländischen Renaissance. Ganz herrlich sind daran auch die Eisenarbeiten, das schöne Eisengitter über der Hauspforte, die prachtvollen Beschläge an allen inneren Türen, wie denn über- haupt das Innere harmonisch durchgeführt ist.

Die durchgebildete Renaissance tritt erst gegen Ausgang des Jahrhunderts auf. Zunächst offenbart sie sich in einigen Höfen mit elegant durchgeführten Holzgalerien, die dem Charakter des Steinbaues folgen. Eins der schönsten Bei- spiele bietet das Funke sehe Haus, Tucherstraße 21 (Abb. 314), vgl. die Grund- risse (Abb. 308). Das Äußere des Hauses gegen die Straße ist einfach, aber durch prachtvolle Dacherker auf flott geschnitzten Konsolen, geschmückt mit Pilastern, Säulchen, kraftvollem Gesims und gotischem Maßwerk, ausgezeichnet. Im Hofe, dem Eintretenden zur Rechten, liegt der runde Treppenturm mit steinerner Wendel- stiege, von einem Maßwerkgeländer umzogen. Links dagegen erhebt sich auf Bögen über achteckigen Pfeilern in drei Geschossen eine Holzgalerie, die nach den Hintergebäuden und einer zweiten dort angebrachten kleineren Wendeltreppe führt. Die elegante Ausbildung dieser Galerien mit ihren kannelierten Säulen,

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den geschnitzten Bögen, den Maßwerken der Brüstungen, endlich dem reichen Kranzgesiras, das alles noch gehoben durch den tiefbraunen Ton des Holzes, ist von unübertroffener Schönheit.

Ein ganz ähnlicher Hof, der dieselbe Hand verrät, findet sich in dem Haus Egidienplatz 13 links neben dem Peller- haus. Das Erdgeschoß hat wieder einen großen Flur, dessen Balkendecke auf Holzstützen ruht. Links führt die Treppe mit schön stihsiertem go- tischen Maßwerkgeländer empor. Daran vorn zwei Renaissancehermen. Der Hof hat an der einen Seite eine lange Holzgalerie in zwei Geschossen, nach unten schräg abgestützt. Die Säulchen mit ihrer Kannelierung und den eleganten korinthischen Kapitellen, die schön ge- schnitzten Bögen, die Brüstungen mit Maßwer- ken, das alles ist von gleicher Vollendung. Das Vorderhaus öffnet sich nach dem Hofe in drei Stockwerken mit offenen Bögen, die ebenfalls ele- gante Maßwerkgeländer haben. Nicht minder treff- lich sind die Dacherker behandelt. Nach der Rück- seite schließt sich an den Hof ein kleiner Garten, zu dem eine Treppe mit gotischer Balustrade hin- aufführt, während man aus dem ersten Stock auf einer Holztreppe hin- absteigt.

Nicht minder ele- gant ist ein Hof in der Tetzeigasse, an drei Seiten mit ähnlichen Holzgalerien in zwei Geschossen umzogen. Am Geländer jedesmal in der Mitte einer Ab- teilung eine hübsche Rosette. Die etwas niedrigen Stockwerke haben hier die Nachahmung von Bögen verboten, an deren Statt die Säulen durch ge- rades Gebälk verbunden sind. An der Rückseite des Hofes zur Rechten liegt

Abb. 316 Pellerhaus zu Nürnberg (Nach Phot. F. Schmidt, Nürnberg)

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittclfranken

die achteckige Wendeltreppe. Auch hier steigt man in einen kleinen Garten hinauf.

Der Steinbau hat neben der so beliebten Holzarchitektur ebenfalls seine energische und großartige Ausbildung gefunden. Das vollkommenste Beispiel

ist wohl das Peller- haus von 1605 (Abb. 315). Nicht bloß ist die Fassade (Abb. 316) eine der stattlichsten Renaissancefassaden Deutschlands, sondern vor allem ist das Innere das Prachtstück der

bürgerhchen deut- schen Baukunst über- haupt. Der große Flur hat weite flachge- drückteKreuzgewölbe, deren Rippen sich in spätgotischer Art überschneiden. Der Hof bildet ein läng- liches Rechteck (Abb. 317), in drei Geschos- sen von mächtigen Bo- genhallen auf Pfeilern umzogen, in der Mitte baut sich ein kleiner polygoner Erker her- aus. Die Schmalseite dem Eingang gegen- über mit ihrem freien Altane, hinter dem eine zierliche Fassade mit polygonem Erker auf- steigt, dient dem Gan- zen als wirksamster Abschluß. Vorne links ist das achteckige, reich geschmückte Treppenhaus, in offe- ner Anlage, breit und bequem, die Wendel- stiege in der Mitte auf Säulen ruhend, die ganze Treppe an der Unterseite mit Rehefs ausgestattet. So fest

wurzelt auch jetzt noch die Nürnberger Kunst in den Traditionen des Mittelalters, daß selbst hier alle Balustraden gotisches Maßwerk zeigen, während sonst durch- weg die Renaissance herrscht. Wundervoll ist im zweiten Stock der große Saal mit reichem Täfelwerk (Abb. 35), die herrlich eingeteilte Decke schön in Holz ge-

Abb. 317 Hof im Pellerhaus zu Nürnberg

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schnitzt mit Gemälden in den einzelnen Feldern, nicht minder prächtig der klei- nere Saal. Davor ein riesiger Flur mit phantastisch barocken Kaminen und Tür-

Abb. 318 Vom Haustor des Pellerhauses zu Nürnberg

einfassungen. Charaktervoll und gediegen endlich sind die herrlichen Eisen- beschläge der Haustür, die wir in Abb. 318 veranschaulichen.

Noch mehrere bedeutende Fassaden dieses Stiles findet man in verschiedenen Teilen der Stadt. Eine der kolossalsten ist Karlstraße 13, deren reichen Giebel

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

wir in Abb. 132 mitgeteilt haben. Im vorliegenden Falle hat sich die elegante künstlerische Ausstattung auf das Giebelfeld beschränkt, während die unteren Teile der Fassade schmucklos geblieben sind. An No. 3 derselben Straße sieht man über der Haustür eines der prachtvollsten Eisengitter der Zeit; ein nicht minder schönes aus dem Rathause geben wir in Abb. 319. Besonders großartig

Abb. 319 Eisengitter aus dem Eathause zu Nürnberg

ist sodann die Fassade Adlerstraße 25 vom Jahre 1606. Sie läuft nicht in einen Giebel aus, sondern zeigt die Seitenfläche des hohen Daches, welches mit hübschen Erkern ausgestattet ist, Erker in der Mitte und auf den Ecken reichen außerdem durch alle Geschosse, so daß der Eindruck ein ebenso stattlicher als lebensvoller ist. Der Flur des Hauses hat Kreuzgewölbe auf derben Säulen, die zur Linken aufsteigende Treppe zeigt am Geländer gotisches Maßwerk, der Hof hat an der rechten Seite in drei Stockwerken Galerien, deren gerades Gebälk auf dorischen und ionischen Säulen ruht. In No. 9 derselben Straße findet sich dagegen ein Hof mit hübscher Holzgalerie in zwei Geschossen auf ionischen Säulen. Die Brüstungen zeigen hier nicht das sonst beliebte gotische Maßwerk, sondern zierlich gearbeitete Docken. Am Vorderhaus ist gegen den Hof ein hübsches polygones Chörlein in Holz ausgebaut, das noch aus gotischer Epoche stammt. Ähnliche Höfe, deren malerischer Wert indes meistens den architektonischen übertrifft, finden sich mehrfach noch in Nürnberg, mögen aber hier übergangen werden. Musterhafte Dacherker, regelmäßig verteilt und schön dekoriert, hat unter vielen andern das Pfarrhaus der Egidienkirche. Einen imposanten barock geschwungenen Giebel, der eine effektvolle Silhouette bildet, zeigt das große Haus, welches am oberen Ende links die Burgstraße abschließt. Es ist das nach einem früheren Besitzer sogenannte Fembohaus, das ebenfalls aus der späteren Zeit stammt (Abb. 320). Während der erste Stock im vorigen Jahrhundert eine Erneuerung erfahren hat, besitzt der zweite Stock noch seinen mit herrlicher Stuckdecke vom Jahre 1614 geschmückten Flur und daneben ein großes Zimmer, dessen Holz- decke und Wandtäfelungen zu den edelsten der ganzen Epoche zählen. Auch ein oberer Sommersaal mit reich gemalter Decke ist noch vorhanden, wie ja auch das Tucherschlößchen, einst vor der Stadt gelegen, nichts anderes war.

Ich kann den Nürnberger Privatbau nicht verlassen, ohne der eigentüm- lichen schloßartigen Anlagen zu gedenken, welche die Patrizierfamilien sich für den Landaufenthalt in unmittelbarer Nähe der Stadt zu erbauen pflegten. Ein

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noch wohlerhaltenes Beispiel bietet der Schoppershof, östlich vor der Stadt gelegen, ein kleines Sommerschloß der Peller. i) Es ist ein turmartiger Hochbau, malerisch mit steilen Giebeln und Dacherkern versehen, an der Rückseite ein runder Treppenturm, das Ganze mit weiter Gartenanlage umgeben und von Mauern mit vier Ecktürmen eingeschlossen. Der Bau selbst, ehemals von einem Wasser- graben umzogen, erhebt sich auf einer erhöhten Terrasse, zu welcher eine Rampen- treppe emporführt. Dabei zwei Ziehbrunnen, deren oberer Balken auf dorischen Säulen ruht. An drei Seiten auf Kragsteinen Balkone vorgebaut, mit hübschen Eisengittern. Das Erdgeschoß bildet eine große Halle, deren Balkendecke auf gut geschnitzten achteckigen Pfeilern ruht. Der erste Stock hat sehr schmale vereinzelte Fenster, der zweite gibt sich mit seinen Baikonen und breiten Fenstern als Hauptgeschoß zu erkennen. Darüber sind nur noch in den Eckpavillons des Daches einzelne Zimmer angebracht. Das Ganze mit den niedrigen, an der Nord- seite verteilten Wirtschaftsgebäuden von malerisch ansprechendem Eindruck. Ähn- liche Anlagen sind der Lichtenhof, Gleishammer u. a.

Unter den öffentlichen Bauten der Stadt steht das Rathaus in erster Linie.^) Wie in Rothenburg, bildet der große Saal den ältesten Teil der Anlage. Er wurde noch in guter gotischer Zeit 1332—40 erbaut. An der Ostseite hat er, wie bei vielen mittelalter- lichen Rathäusern, einen kleinen polygo- nen Erker als Altar- apsis. An diese älte- sten Teile schließt sich, ebenfalls an der Ostseite nach rück- wärts gelegen, der- jenige Bau, welcher 1515 durch Hans Be- haim den Älteren auf- geführt wurde. Auch dieser zeigt noch durchaus gotische For- men, gerade geschlos- sene Fenster mit kräf- tiger Einfassung und ein großes Spitzbogen- portal mit sich durch- schneidendem Stab- werk. In dem Bogen- felde der Reichsadler mit zwei Wappen und

1) Vgl. die Auf- nahme bei Ortwein.

2) E. Mummenhoff, Das Rathaus zuNürnberg. Nürnberg 1891.

Abb. 320 Femboliaus zu Nürnberg (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Eenaissance)

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der Jahreszahl 1515. Man tritt von hier in eine Halle mit gotisch profilierten Kreuz- gewölben, und von da führt eine Wendeltreppe aufwärts. Dieser Teil bildet die Rückseite des großen malerischen Hofes, der gerade hier zierHche gotische Formen zeigt, während der Vorderbau mit den mächtigen Bogenhallen des späteren Haupt- baues sich öffnet. Namentlich ist von malerischem Reiz die Galerie mit reicher Maß Werkbrüstung, von mächtigen Steinbalken getragen, diese wieder auf Säulchen ruhend, welche keck und originell auf Kragsteinen aufsitzen. Die andern drei Seiten des Hofes sind in zwei Geschossen von mächtigen Rundbogenarkaden um- zogen, dem Bau ange- hörend, welcher von 1613 bis 1619 von Jakoh Wolff aufgeführt wurde. Sie haben den Charakter streng italienischer Re- naissance,dasErdgeschoß geschlossen, mit einfach kraftvoll umrahmten vier- eckigen Fenstern ver- sehen, die beiden oberen Geschosse mit großen, ursprünglich geöffneten

Rundbögen, zwischen welchen eine ernste Pila- sterarchitektur die Wände gliedert. In der Mitte des Hofes ein zierlicher Springbrunnen von Pan- kraz Labenwolf 1556, aus dessen Schale eine hohe Bronzesäule emporsteigt, darauf ein nacktes Kin- derfigürchen mit Delphi- nen (Abb. 321). Das Erd- geschoß dieses Vorder- hauses bildet eine gewal- tige Bogenhalle auf Pfei-

Abb.321 Brunnen im Rathause zu Nürnberg l^rn mit Rahmenprofil,

das auch an den Gurt- bögen sich fortsetzt. In

den nach der Straße führenden Portalen herrliche Eisengitter (Abb. 319). Die Treppe ist zwar breit angelegt mit geraden Läufen und Podesten, aber nicht reicher ausgebildet; nur die in Schmiedeeisen ausgeführte durchbrochene Gitter- tür, welche den Aufgang abschließt, trefflich behandelt.

Die Hauptfassade (Abb. 322), nach Westen gegenüber dem Chor der Sebaldus- kirche gelegen, macht schon durch ihre kolossale Länge einen gewaltigen Eindruck. Im Erdgeschoß derbe Fenster mit Rahmenprofil und drei herrlich malerische Portale mit dorischen freien Säulen, die den gebrochenen Giebel tragen. Darin mitten der schöngeschwungene Wappenschild; auf den Giebelschrägen lagern prachtvoll hingeworfene weibliche Gestalten. An den Ecken energische Rustika- quadern; die beiden oberen Geschosse nur durch breite Gesimsbänder getrennt, übrigens die ganze Länge der Fassade in Fenster aufgelöst. Diese im Haupt- geschoß einfach umrahmt, im oberen Stock, mit Überschlagung je eines Fensters,

Abb. 322 Hauptfassade des Rathauses zu Nürnberg (Nach Phot. F. Schmidt, Nürnberg)

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2. Bach Die Bauwerke X. Kapitel Mittelfranken

in rhythmischer Wiederkehr mit geraden und gebogenen Giebeln gekrönt. Den Abschluß bildet ein mächtiges Kranzgesims mit derben Konsolen. Darüber steigen nach Nürnberger Sitte auf den Ecken und in der Mitte hohe Dacherker auf mit turmartigen Schweifdächern. Die ganze Komposition ist mit Rücksicht auf die Lage an schmaler, steil aufsteigender Straße gerade so ersonnen und durchgeführt : beim perspektivischen Längenblick trotz der Einfachheit durch die grandiosen Verhältnisse und die wirksamen Verkürzungen von prachtvoller Energie; auf feineren Reiz des einzelnen ist mit gutem Bedacht verzichtet.

Hier ist anzunehmen, daß dem Architekten Jakob Wolff Genueser Vorbilder und Anregungen nicht fern geblieben sind. Das Ergebnis ist aber dieser würdig und ihnen ebenbürtig.

Im Innern hat der Architekt vor allem durch Wucht zu wirken gesucht. Die Korridore, die in den oberen Geschossen die Räume verbinden, zeigen reiche Stuckdecken mit vegetativen und figürlichen Ornamenten. Im zweiten Stock sieht man dann eine ausgedehnte Darstellung des Gesellenstechens von 1446, erst 1621 von Hans Kern in Stuck ausgeführt. Dieser Gang ist an der innern Lang- seite abwechselnd durch Kamine und Portale zu einem Prachtstück architektonischer Dekoration gestaltet. Im Sinne der Zeit hat man dabei Atlanten, sowie liegende Figuren in Michelangeleskem Stil nicht gespart.

Besonders schön ist in diesem Stockwerk ein kleiner Saal mit eingelegten Türen und geschnitzter Holzdecke, deren Rahmen für einzulassende Bilder bestimmt sind.

An dem großen Ratssaal haben sich verschiedene Epochen beteiligt. Seine Anlage stammt aus gotischer Zeit ; ihr gehören die spitzbogigen Fenster und das große Hauptportal in der Mitte der inneren Langseite mit Maßwerken in der Krönung. Hübsch gemalte Engel halten einen Schild, auf dem man liest: „Anno domini 1340 ist diss Rathauss anfängklich gebawt vnd in 1521 wie auch her- nacher im Jar 1613 diesergestalt wiederumben vernewert worden." Der Saal macht bei der gewaltigen Länge von etwa 45 Metern und 12 Meter Breite einen imposanten Eindruck. Seine Decke bildet ein hölzernes Tonnengewölbe mit treff- licher GHederung. Schlichte Holztäfelung bekleidet den unteren Teil der Wände. Darüber folgt eine perspektivisch gemalte Bogenstellung, mit ihren farbigen Fruchtgewinden auf dem hellen ätherblauen Grunde von besonderer Wirkung : einer jener dekorativen Gedanken der echten Renaissance. Über diesen Arkaden prangen dann die großen Wandgemälde, deren Erfindung Albrecht Dürer selbst zufiel; rechts sein Triumphwagen Kaiser Maximilians, mitten jener Balkon mit dem lebensvollen Bilde der spielenden Musikanten, links die bekannte allegorische Darstellung der Verleumdung, die den Richter (Midas) mit allerlei Listen irre zu machen sucht. Das westliche Ende des Saales war ehemals durch das aus der Augsburger Fuggerkapelle stammende herrliche Bronzegitter Peter Vischers ab- geschlossen, das die Bayrische Regierung nach der Besitznahme Nürnbergs erst im letzten Jahrhundert abreißen und als altes Metall verkaufen heß, so die Reihe langjähriger Beraubungen und Zerstörungen der alten Denkmäler einleitend, die jetzt für immer ihren Abschluß gefunden hat. Spärliche Überreste lassen ahnen, was hier zugrunde gegangen ist (Abb. 24). Vorhanden sind noch die beiden steinernen Eckpilaster, einst bestimmt, das Gitter zu begrenzen. Mit Arabesken von geistreicher Erfindung und feinster Ausführung bedeckt, rühren diese plastischen Arbeiten von demselben Meister her, der die Arbeiten im Saale des Hirschvogel- hauses geschaffen hat. Sebaldiis Beck meißelte sie nach Peter Flettners Entwürfen, der ja das Bronzegitter für P. Vischer erfand^) oder wenigstens bei der Auf- stellung des Entwurfs mit tätig war.

1) Vgl. A. Haupt, Peter Flettners Herkunft und Jugendarbeit (Jahrb. d. Kgl. Pr. Museen

1905, n. in.).

Nürnberg

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Hier halten über einer kleinen Seitentür zwei gemalte Genien die in den alten Rathaussälen oft wiederholte Inschrift: „Eins Mannes Red ist eine halbe Red. Man sol die teyl verhören bed." Das östliche Ende des Saales ist als Richtersitz um mehrere Stufen erhöht. In der kleinen mittleren Nische sieht man zum Symbol der richterlichen Gewalt einen aufrecht stehenden Löwen mit Zepter und Schwert. In der Ecke steht ein gut geschnitzter Sessel, an der Schlußwand sind zwei gotische Reliefs an- gebracht, die besonders auf die frühe Handelsverbindung mit Flandern interessantes Licht werfen. Dabei die In- schrift: „Salus populi suprema lex esto."

Von den übrigen städti- schen Bauten ist zunächst die Fleischbrücke zu nennen, 1596 98 durch die Baumeister Peter Karl und W. J. Stromer in einem einzigen Bogen von kühner Sprengung nach dem Vorbilde der Rialtobrücke er- richtet, i) In der Mitte auf beiden Seiten ausgebaute Al- tane mit Flachreliefs, an der einen Seite bei der Fleisch- halle das kolossale Steinbild eines Ochsen mit einer latei- nischen Inschrift: „Jedes Ding hat seinen Anfang und sein Wachstum; aberschau, dieser Ochse war niemals ein Kalb," Zuletzt aber die großarti- gen, in den letzten Jahrzehn- ten leider zum Teil zerstörten Befestigungswerke der Stadt, namentlich die vier imposan- ten runden Türme, von 1555 bis 1568 nach den Plänen von Georg Unger aufgeführt (Abb. 323). In musterhafter Technik aus geschliffenen Quadern errichtet, nach oben verjüngt und durch wenige kraftvolle Gesimsbänder abgeschlossen, machen sie den Eindruck, als wären sie aus Metall gegossen. Prüft man ihre Einzelheiten näher, so erkennt man übrigens, daß ihr Aufbau getreu dem einer toskanischen Säule nachgebildet ist. Bei aller Kraft und Ein- fachheit sind sie höchst elegant und tragen wesentlich zu dem malerischen Bilde der Stadt bei.

Von Brunnen gehört außer Pankraz Lahenivolffs Gänsemännchen und seinem Brünnlein im Rathaushofe hierher besonders der auf dem Lorenzerplatz 1589 von Benedikt Wurzelhauer errichtete Tugendbrunnen, reich im Aufbau, wenn auch im Figürlichen etwas manieriert. Endlich ist am alten Zeughaus der prächtige Eingang von 1588 zwischen runden Ecktürmen zu erwähnen.

Abb. 323 Befestigungsturm aus Nürnberg

1) Über Stromers Studien vgl. oben S. 209 f. Lübke-Haupt, Renaissance in Deutschland I 3. Aufl.

31

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Oberfranken

Oberfranken

Das oberfränkische Gebiet unterscheidet sich von den Landschaften Unter- und Mittelfrankens dadurch, daß hier die selbständige Kraft des Bürgertums keinen Raum gefunden hat, sich zu mächtigen städtischen Gemeinwesen zusammenzu- fassen. Dagegen hat geisthche Macht hier im Bistum Bamberg schon im frühen Mittelalter sich zu hervorragender Bedeutung aufgeschwungen und eine künst- lerische Blüte von großem Glänze getrieben. Diese gehört durchaus der romanischen Epoche an und hat nicht bloß in einem der glanzvollsten Denkmale jenes Stils, dem Dom zu Bamberg, und in anderen ansehnlichen Monumenten, sondern nament- lich auch in kostbaren Werken der Skulptur und der Kleinkünste Bedeutendes geschaffen. Daneben kommen fürstliche Territorien in Betracht, die indes für die künstlerische Entfaltung, mit Ausnahme der brandenburgischen Markgrafschaft, keine durchgreifende Bedeutung gewinnen. Auffallend ist, daß dies ganze Gebiet in der gotischen Epoche nur unbedeutende Werke hervorgebracht hat. Vielleicht, weil die romanische Zeit sich in Monumenten überreich ausgesprochen, eher aber, weil jene großartigere freie Entwicklung des Bürgertums, die in Deutschland der vor- züghchste Träger des gotischen Stiles war, hier nicht zum Durchbruch kommen konnte. Mit dem Anbruch der neuen Zeit fand zwar die Lehre Luthers grade in Bamberg schon früh zahlreiche Anhänger, und in den Bewegungen des Bauern- krieges stellte sich die Stadt an die Spitze des Aufstandes und erhob sich mit gewaffneter Hand gegen den Bischof. Als aber durch Georg Truchseß die Haufen der Empörer zu Paaren getrieben waren, wurde mit blutiger Hand die Ruhe wiederhergestellt und selbst die kirchliche Reform gewalttätig unterdrückt.

In Bamberg bietet der interessante Bau der alten bischöflichen Residenz ein vortreffhches Beispiel kräftiger und zierlicher Renaissance echt fränkischen Charakters, allem Anscheine nach unter B.Voit von Würzburg (f 1577) errichtet. Der Bau besteht (Abb. 324) aus einem zweistöckigen, mit einem Erker geschmückten und mit hohem Giebel abgeschlossenen Hauptbau, dessen Fassade nach Osten gekehrt ist. Neben ihm streckt sich südwärts ein niedriger, einstöckiger Flügel bis gegen den Dom hin. Seine Behandlung ist einfach, in Quadern, die Fenster zeigen in ihrer Umrahmung noch gotische Motive. Das obere Geschoß ist mit Rahmenpilastern gegliedert. Stattlicher entwickeln sich die Verhältnisse des Hauptbaus, der vom Sockel an durch ähnhche Pilaster in der Mitte geteilt wird. Links ein kleines Portal mit geradem Sturz von gekuppelten toskanischen Säulchen eingefaßt; rechts in den beiden oberen Geschossen ein stattlicher Erker, auf einem gotischen Rippengewölbe ausgekragt, das als Konsole die originelle Figur des Baumeisters zeigt. Daneben sein Monogramm F. S. und die Jahreszahl 1591 (?) Be- sonders reich durchgebildet ist dieser Erker mit Halbsäulen, zahlreichen Wappen und Laubgewinden in feiner Ausführung. Trotz des treffhchen Quaderbaues sieht man überall reiche Reste einer einstigen kräftigen Bemalung. Auch die ge- schweiften Eckfelder des Hauptgiebels sind mit ungewöhnhch zierlichen vegetativen Flachornamenten geschmückt. Rechts schheßt sich unmittelbar an den Hauptbau die Umfassungsmauer des Hofes, von einem kleineren und größeren Bogenportal durchbrochen, eleganten Prachtstücken der Zeit. Das Hauptportal von phan- tastischen Hermen mit gekreuzten Armen eingefaßt, auf dem Kopf Blumen- und Fruchtkörbe tragend; an der Attika figürliche Reliefs, darunter Kaiser Heinrich und Kunigunde, die Stifter des Bistums, mit dem Modell des Domes. Die Attika setzt sich auf beiden Seiten noch fort und zeigt die wunderhchen Gestalten eines liegenden, am ganzen Körper behaarten Mannes und eines mit Blätterschurz und Schilfblattkrone bekleideten Weibes. Das Figürliche ist meist von geringer Arbeit, aber die Ornamente, welche alle Flächen des großen und kleinen Portals, die

Bamberg

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Leibungen, die Zwickel, die Archivolten bedecken, sind um so schöner. Auch die kleinen Figürchen an der Attika sind gut gezeichnet und ausgeführt. Der malerische Reiz des Ganzen wird wesentlich gesteigert durch den dahinter hervor- ragenden turmartigen Vorbau für die Treppe, der sich vom Hauptgebäude ablöst.

Abb. 324 Alte Kesidenz zu Bamberg (Nach Phot. F. Schmidt, Nürnberg)

Unten abgeschrägt, entwickelt er sich im obersten Stock mittels einer Auskragung als Rechteck und schUeßt mit einem nach dem Vorbilde des großen, am Hauptbau gebildeten kleineren Giebel. Ein hübsches kleines Portal führt zu der Wendel- treppe, deren Spindel auf drei Säulchen mit korinthischen Kapitellen ruht. Das obere Hauptgeschoß hat Räume von ansehnlicher Höhe; besonders statthch ist das große Eckzimmer mit dem Erker, den ein prächtiges gotisches Rippengewölbe

484 2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Oberfranken

schmückt, während der ihn gegen das Zimmer abschheßende Flachbogen Rosetten zeigt. Das alles wird durch Bemalung gehoben. Im zweiten Stock ein Zimmer mit Holzdecke, ebenfalls mit Ornamenten bemalt, die das geschweifte Blattwerk der Spätepoche zeigen. Außerdem ein schöner Kamin mit Akanthuskonsolen und Rahmenpilastern. Die Wendeltreppe schließt oben mit einem gotischen Stern- gewölbe, die Säulchen der Spindel dagegen enden mit Laubkapitellen.

Der Bau zeigt Ansätze einer beabsichtigten Fortsetzung nach Norden und Westen. Die Nebengebäude, die in weitem unregelmäßigen Zuge den Hof um- geben, sind in Fachwerk ausgeführt, mit einfach charaktervollen Holzgalerien, zum Teil in zwei Geschossen. An die vordere Umfassungsmauer stößt dann weiter nordwärts die alte romanische bischöfliche Privatkapelle. Von da wendet sich die Umfassungsmauer westwärts, von einem spitzbogigen Einfahrttor von 1488 durchbrochen. Verfolgt man sodann von außen den Bau in südHcher Richtung, so trifft man auf einen zweiten Torweg mit der Jahreszahl 1479. Zuletzt knickt die Mauer dann fast rechtwinklig gegen die Nordseite des Domes um.

Keine zweite Stadt vielleicht hat den Charakter des alten Bischofssitzes so vollständig bewahrt wie Bamberg. Der obere Teil, der sich um den Dom gruppiert, zeigt noch immer neben der alten bischöfHchen Residenz eine Anzahl jener isolierten, durch hohe Mauern von der Außenwelt vornehm abgeschlossenen Domherrnhöfe, die solchen Bischofsstädten ihren aristokratischen Charakter ver- leihen. Dazu kommt noch das für sich auf seiner sonnigen Höhe gelagerte Michaelskloster und die Kollegiatstifte St. Jakob, St. Stephan und St. Gangolph. Ein stattlicher Hof dieser Art, dem alten Bischofshofe gegenüberliegend, zeigt über dem Portal ein zierliches Renaissancewappen mit der Jahreszahl 1580 mit der Inschrift: Wolff Albrecht von Würtzburg, Thombherr, Kantor und Cellarius zu Bamberg. Dies ist übrigens späterer Zusatz, denn die Pforte selbst und das kleinere Nebenpförtchen zeigen noch den Spitzbogen. Die im Innern den Hof umgebenden Gebäude haben mehr malerischen Wert. Eine originell in einem Vorbau angelegte Holztreppe führt zu dem oberen in Fachwerk ausgeführten Geschoß mit feiner Holzgalerie. Ein tüchtiges Portal der späten Renaissance sieht man dagegen an einem anderen Hofe südöstlich vom Dom. Im Inneren sind die Gebäude wieder aus Fachwerk errichtet und mit hübscher Holzgalerie versehen, die zu einem polygonen Treppenturm führt.

In der untern Stadt hat erst die Zeit des spätem Barockstils und des Rokoko eine reichere Blüte erlebt. Namentlich das berühmte Rathaus B. Neu- manns mit seiner malerischen Lage über dem Wasser, seinem prächtigen Balkon und den Fresken gehört dahin. Der späten Renaissance verdankt das Gebäude der jetzigen Handelsschule mit seinen beiden stattlichen Fassaden, seinen hohen mit Pilastern geschweiften Voluten und ungemein schlanken Pyramiden an den Giebeln seine Entstehung. Auch hier sind die Volutenfelder ganz mit flach ge- meißelten Laubornamenten gedeckt. Dieselbe Art der Dekoration, die für Bamberg charakteristisch scheint, zeigt der Seitengiebel des Hauses an der Ecke der Herren- gasse. Ein derber Barockbau endlich ist die Maut am Markt. Der kolossale Giebel hat sehr barocke, breit gedrückte Voluten mit starken Schweifen und Fruchtgehängen. Der Neptunsbrunnen am Markt zeigt denselben Stil.

Reichere Ausbeute gewähren die alten Sitze der Markgrafen von Branden- burg, die hier großartige Denkmale ihrer Macht und ihres Kunstsinnes hinterlassen haben. In erster Linie steht die Plassenburg, eines der gewaltigsten Fürsten- schlösser Deutschlands. Schon im frühen Mittelalter ein befestigter Platz, von wo die Grafen von Orlamünde weit hin das Land beherrschten, ging die Burg im 14. Jahrhundert in die Hand der Burggrafen von Nürnberg über. Der östliche und nördliche Teil des Hauptbaues mit seinen 3 Meter starken Mauern und dem

Plassenburg

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225 Meter tiefen Ziehbrunnen reicht noch ins Mittelalter hinauf. Im Ausgang des Mittelalters war es namentlich Markgraf Friedrich, der auf den Bau und die Be- festigung der Plassenburg bedeutende Summen verwandte. Im 16. Jahrhundert brachte Markgraf Albrecht Unheil über das Land und die Burg. Nach seiner Niederlage bei Sievershausen brach sein Todfeind, der Herzog von Braunschweig, verheerend ins. Land. Trotz tapferer Verteidigung vermochte die Burg sich nicht zu halten und wurde 1554 nach dem Abzug der kleinen Besatzung geschleift. Aber Markgraf Georg Friedrich, der durch den Vertrag von. Wien von den Ver- bündeten 175000 Gulden Entschädigung zum Wiederauf bau seiner Veste erhielt, ließ für die damals ungeheure Summe von 237000 Gulden die Burg in der glanz- vollen Weise erneuern, von der noch jetzt der großartige Hof mit seinen reichen Arkaden und Portalen Zeugnis gibt. Seinen Einzug hielt er 1564; die Aus- schmückung des Hofes zog sich weiter hinaus, denn 1569 liest man an den Arkaden. In neuester Zeit in den Besitz der Krone Bayern übergegangen, ist diese Perle der deutschen Renaissance in ein Zuchthaus verwandelt worden. Dieser Umstand macht eine gründliche Untersuchung des Baues schwierig.

Die Rechnungen von 1561 99 beweisen, daß die Kosten des neuen Ge- bäudes 237014 Gulden, also ungefähr so viel betrugen, als das reine Ein- kommen des Landes in vier Jahren. 1599 mußten die Bauleute zu Kulmbach und Bayreuth Pläne und Anschläge zum neuen Bau der Veste entwerfen. Zwei Jahre darauf war das Werk in lebhaftem Gange. Der ordentliche Baumeister hieß Kaspar Vischer (f 1580), der vorher in Heidelberg am Otto-Heinrichsbau tätig war. Noch erseheint ein anderer Baumeister Koster Müller und ein welscher von Ansbach abgeordneter Baumeister, der 1563 wieder abging. Ein Zeugmeister aus Koburg im Jahre 1566, ein Jühchscher Baumeister, von Ansbach gesandt^), müssen die neuen Gebäude und Werke in Augenschein nehmen. Zu neuen Plänen kam 1573 abermals ein welscher Baumeister von Ansbach her, und die beträcht- liche Ausgabe der Baurechnung in diesem Jahre macht es gewiß, daß noch ein Hauptwerk vollführt worden sei.^) Interessant ist nun, daß der bekannte Meister Äherlin Tretsch, der Erbauer des Stuttgarter Schlosses, 1563 auf Bitten des Mark- grafen Georg Friedrich nach der Plassenburg kam, um seinen Rat „wegen etlicher vorhabender Gehau" zu erteilen. In einem Schreiben vom 31. August jenes Jahres (auf dem Stuttgarter Staatsarchiv) dankt der Markgraf dem Herzog Christoph, daß er ihm seinen Bau- und Werkmeister zugesandt habe, der mit seinen Stein- metzen und Zimmerleuten gekommen sei, um auf der Plassenburg „die ange- fangenen und zum guten Teil vollbrachten Bauten einer Vesten, desgleichen auch andere Gebäu" zu besichtigen. Derselbe habe davon „Abrisse und Austeilungen gefertigt und sein rätlich Bedenken gegeben". Da ihm, dem Markgrafen, ein geschickter und erfahrener Baumeister mangele, er aber wohl einsehe, daß der Herzog seinen Architekten nicht entbehren könne, so bitte er, ihm den Blasius Berivart überlassen zu wollen, welcher ebenfalls „der Gebäu Erfahrung" habe. Unterm 26. September bewiUigt Herzog Christoph, daß dieser Meister, welchen wir ebenfalls beim Stuttgarter Schloßbau beschäftigt fanden, auf zwei Jahre dem Markgrafen zu Diensten sei. Wie lebhaft sich Herzog Christoph für das Bau-

1) Eine Abbildung des damaligen Zustandes gibt ein interessanter alter Holzschnitt: „Grundtlich Fundament und eigentliche Gestalt der weitberümpten Festung Blassenburg etc."

2) Anmerkung von Stalin : Wohl Joh. Pasqualin ; wenigstens finde ich im Günzlerschen Eepertorium des Stuttgarter Staatsarchivs 1,95 folgendes Exzerpt eines allda aufbewahrten Briefes: 1567 Hzg. Christoph schickt den Jülichschen Baumeister Joh. Pasqualin, der eine Zeit- lang bei ihm gewesen, mit Erlaubnis des Hzgs. v. Jülich auch dem Markgrafen Georg Friedrich nach Ansbach zu.

3) So Ritter Heinrich von Lang in seiner neueren Geschichte des Fürstentums Bayreuth, Bd. 3 von 1811, S. 196—198.

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2. Buch Die Bauwerke X, Kapitel Oberfranken

wesen interessierte, erkennt man daraus, daß er dem Markgrafen zugleich ein Exemplar seiner Bauordnung übersendet und ihm wegen des Festungsbaues auf der Plassenburg seinen Rat erteilt. Sein Baumeister habe ihm einen Abriß über- bracht, an welchem er manches auszusetzen finde. Die Streichwehren seien nicht hinlänglich bedeckt, so daß man sie leicht nehmen könne; auch sei das Haus selbst viel zu hoch, zumal der Grund gestatte, tiefer auszugraben. Er gedenke, dem Markgrafen ein „Muster und Visierung" zu schicken, um den Bau besser auszuführen. Wie viel Einfluß Aberlin Tretsch und Blasius Berwart auf den Bau gewonnen haben, läßt sich aus alledem nicht angeben. In erster Linie handelte es sich ja auch um die Befestigungen. Da aber der schöne Hof gerade damals begonnen wurde, so können die Stuttgarter Meister, die ja soeben daheim einen nicht minder stattlichen Hof erbaut hatten, dabei beteiligt gewesen sein.

Steigt man von der Stadt durch die breite herrliche Allee zu der Höhe hinauf, welche in gewaltiger Ausdehnung von den langgestreckten Linien der Burg gekrönt wird, und von wo der Blick in die liebliche Landschaft mit den saftigen, vom weißen Main durchströmten Wiesengründen immer wieder das Auge entzückt, so wird man zuerst überrascht von den Resten der kolossalen Be- festigungen, welche 1808 sehr unnötigerweise von den Bayern geschleift wurden.') Immerhin besteht noch der Kern der Burg mit den zu gigantischer Höhe empor- geführten Mauern. Man gelangt zuerst in einen äußern Hof, in welchem ein origineller Kuppelbau das von Markgraf Christian errichtete Zeughaus enthält. Denn obwohl dieser Fürst seine Residenz damals nach Bayreuth verlegte, so unter- ließ er doch nicht, auf der Plassenburg großartige Befestigungsanlagen auszu- führen. Das Portal des Zeughauses (Abb. 325), an welchem man die Jahreszahl 1607 liest, ist ein gewaltiges Werk trefflicher Renaissance, kriegerisch trotzig ; im Bogenfelde ein herrliches Eisengitter, auf den Türflügeln ein riesiger Löwe gemalt, der mit erhobenen Vorderpranken sich aufrichtet. Über dem Portal ein hoher Auf- satz, in dessen mittlerem Bogenfelde auf mächtig einhergaloppierendem Schlacht- roß die Statue des Markgrafen aufgestellt ist, in voller Rüstung, den Feldherrn- stab in der Hand. In zwei Seitennischen sind Statuen angebracht, der Oberbau über ihnen ist von Obelisken gekrönt, das Ganze in der Mitte durch eine Statue der Pallas abgeschlossen. Die Architektur außerordentlich lebendig und reich ge- staltet, dabei in einem derben Rustikastil mit gebänderten dorischen Säulen doch den Eindruck trotziger Kraft gewährend. Das Ganze dürfte wohl das stattlichste Portal unserer Renaissance sein, doppelt wirksam durch die riesige glatte Quader- fläche der Zeughauswand dahinter.

Geht man nun an den hohen Außenmauern des nördlichen Schloßflügels weiter empor, so gelangt man zu dem Hauptportal des Innern Baues, der sich mit vier Flügeln um den rechteckigen riesigen Hof zusammenschließt. Dieses Tor gehört zu den reichsten der frühen Renaissance und gewährt schon eine Andeutung von der Üppigkeit der plastischen Dekoration, durch welche der Hofbau sich vor allen Monumenten der deutschen Renaissance auszeichnet (Abb. 326). Die Gliederung des Portals ist einfach; der Bogen wird nur von Pilastern ein- gefaßt, aber alle äußeren und inneren Flächen an den Pfeilern, Bogen, Zwickeln sind mit Laubornament bedeckt. Ein oberer Aufsatz in der Mitte, das von zier-

1) „Wieder war es der ominöse Conraditag, an welchem von Schmerz und Zorn über- mannt die brave preußische Besatzung ihre Gewehre über den Berg hinabgeworfen, als sie 2000 Mann Bayern in das ruhmreiche Haus der Zollern ohne Schwertstreich einziehen sah. Die trotz der Sprengminen der Bergleute fast unausführbare Schleifung der stolzen Riesenbauten aus Christians Fortifikationsepoche verlangte einen Baraufwand von 13 500 Gulden, ein bald überflüssig gewordener Schnitt in das eigene Mark, denn durch den Tilsiter Frieden wurde zwar Stadt und Festung an Frankreich abgetreten, aber schon im Jahre 1810 für immer der Krone Bayern zugebracht." Bavaria III, S. 558.

Plassenburg

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liehen Pilastern ein- gefaßte Wappen ent- haltend, wird von ei- nem kleinen Giebel mit Muschelfüllung gekrönt, über dem sich phantastische Seepferde winden. Auf beiden Seiten sieht man die Gestalt eines Kriegers das

Schwert zücken, zwischen großen Va- sen mit Blumen und Delphinen. Eine wun- derliche, etwas un- verstandene Kompo- sition, in der Aus- führung dazu nicht eben fein, vielmehr von handwerklicher Derbheit, aber in der Erfindung des Ran- kenornaments durch- weg gut.

Von hier gelangt man durch eine tiefe gewölbte Einfahrt und ein ähnliches Portal ins Innere des Hofes. In den vier Ecken des Hofes er- heben sich quadra- tische Treppentürme (Abb. 327). Das Erd- geschoß ist mit Aus- nahme der Portale ohne Schmuck; nur der westlichen Ein- gangsseite gegen- über liegt in der Ost- seite ein kleines Bo- genpförtchen, im Gie- belfeld Gottvater, von geflügelten Engels- köpfchen umgeben: der Eingang zur Ka- pelle. Das Erdge- schoß des südlichen Flügels war ur- sprünglich durch neun große hohe Bögen

Abb. 325 Portal des Zeughauses der Plassenburg (Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance)

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2. Bach Die Bauwerke X. Kapitel Oberfranken

durchbrochen, die jetzt größtenteils vermauert sind. Über dem Erdgeschoß sind im westlichen, südlichen und östlichen Flügel die beiden oberen Stockwerke durch die prächtigsten Bogenhallen auf Pfeilern geöffnet. Im südlichen Flügel sind es vierzehn Bögen, in den beiden andern zusammen zwölf. Nur der nördliche Flügel zeigt eine abweichende Behandlung. Hier ist auf hohen Rundpfeilern von halb mittelalterlicher Form, die vielleicht einer früheren Zeit angehören, ein Arkaden- gang angelegt, der außer dem Erdgeschoß noch den ersten Stock umfaßt. Der zweite Stock hat gegen den Hof zu mehrere grup- pierte rechtwinklige Fen- ster. Hier war ehemals der große Saal, der den ganzen nördlichen Flügel einnahm.

Seinen künstlerischen Glanz empfängt der unver- gleichlich großartige Hof durch jene Arkaden der andern drei Flügel, die sich in schönen Verhältnissen mit eingerahmten Rund- bögen auf Pfeilern öffnen. Alles ist hier mit reichem Ornament gefüllt, die Flä- chen der Pfeiler, der Bögen, die Zwickel, endlich die Brüstungen, darin unzäh- lige Medaillonköpfe, meist in Lorbeerkränzen, von Ge- nien gehalten, lebendig her- vortreten. Alles außerdem mit Ranken und Blattwerk im besten Stil der Renais- Abb. 326 Hofeiiigaiig der piasscnburg sance durchzogen, von ei-

nem wahrhaftüberschweng-

lichen Reichtum, in der Erfindung vorzüghch, in der Ausführung jedoch leider oft plump, namentlich in den figürlichen Teilen. Die Bogenhallen sind in beiden Geschossen mit schönen Sterngewölben bedeckt, deren Rippen gotische Profi- Herung zeigen. Die eigentümliche Zeichnung dieser Bogenhallen : durchschießende breite Pilaster mit dazwischen gespannten Stichbögen, erinnert übrigens stark an ähnliche französische Hofhallen.

Die Kapelle ist von einfacher Anlage, aber mit komplizierten gotischen Rippengewölben ausgestattet. Ihre Fenster sind rundbogig geschlossen.

Man liest am dritten Bogenpfeiler des ersten Stocks an der Eingangsseite die Jahreszahl 1569, am südlichen Turm 1567. Letztere Jahreszahl kehrt noch einmal wieder, dabei die Buchstaben V D M I E : der damals an protestantischen Höfen beliebte Wahlspruch : „Verbum domini manet in eternum."

Nur mit Wehmut kann man von diesem Prachtwerk deutscher Renaissance scheiden, wenn man seine jetzige Bestimmung und seinen heutigen Zustand bedenkt.

In Kulmbach findet sich wenig aus unserer Epoche. Das jetzige Be- zirksamt ist ein großes einfaches Gebäude mit hohem, geschweiftem Giebel und

Kulmbach

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Abb. 327 Hof der Plassenburg

kleinem ausgekragtem Erker. Dabei eine hübsche Inschrifttafel mit dem von zwei Greifen gehaltenen Brandenburgischen Wappen und der Inschrift: 1562 Georg Friedrich Markgraf zu Brandenburg. Die Stadtkirche ist ein großer, ursprünglich gotischer Bau mit polygonem Chor, nach der Zerstörung von 1553 umgestaltet,

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2. Buch Die Bauwerke X. Kapitel Oberfranken

so daß jetzt das ganze Langhaus ein einziges kolossales Schiff von etwa 20 Meter Breite ausmacht, das mit einem riesigen hölzernen Tonnengewölbe mit Stich- kappen für die oberen Fenster überdeckt ist. Die Kappen ruhen im Schiff auf Renaissancekonsolen, am Chor auf dorischen Halbsäulen. Rings doppelte Emporen auf hölzernen Stützen, an der Brüstung der untern der Stammbaum Christi und biblische Geschichten in großer Ausdehnung gemalt, freilich ziemlich roh. Der Altar ein großes stattHches Barockwerk mit einem Schnitzrelief der Abnahme vom Kreuz ; das Ganze gut bemalt. Von ähnlicher Art die Kanzel. Vier köstliche kleine Marmorreliefs schmücken den Taufstein. Westlich unter dem Turm eine elegante gotische Vorhalle mit Sterngewölbe und zierlichen Baldachinen für Statuen.

In B ayreuth enthält die alte Residenz, 1664 88 vox\. Karl PI i Hipp Dieussart gebaut, interessante Reste dieser Zeit, namentlich Kaisermedaillons und andere Ornamente an der Fassade. Das Schloß des Grafen Giech zu Thurnau gehört einer hundert Jahre älteren Zeit an und scheint noch in seinen ornamentalen Schmuckstücken zu den Meistern der Plassenburg in Beziehung zu stehen.

Druckberichtigung

Unterschrift von Abb. 122 soll lauten: Wappen im Kapitelsaal zu Münster

» it ,5 123 Geschnitztes Ornament flandrischen Charakters

5, 141 ,, Rathaus zu Dörrenbach

5, 55 -.1 172 Beck-Lausches Haus zu Sursee

^

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Mit Unterstützung des Kaiserl. Denlcmal-Archivs in Straßburg herausgegeben von Karl Staatsmann, Regierungsbaumeister u. Professor. Mit etwa 500 Ab- bildungen in Tonätzung auf 112 Seiten. Gr. 4'^. In Ganzleinenband M. 25.

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Herausgegeben von Karl Hubert Roß, Architekt in Hannover. 337 Ab- bildungen auf 112 Seiten. Gr. 8". In Ganzleinenband M. 35.

Wer jemals Gelegenheit hatte, die niedersächsischen Lande zu durchstreifen und die alten Städte wie Hannover, Hildesheim, Goslar, Göttingen, Hameln, Lüneburg, Osnabrück, Braunschweig, Wolfenbüttel u. a. m. zu besuchen, dem wird dort so manches ehrwürdige Bauwerk aus den Zeiten des einstigen Kaisertums, aus der Blütezeit der Hansa, aus den Tagen Heinrichs des Löwen oder der berühmten Bischöfe Bernward und Godehard in die Augen gefallen sein. Der 30 jährige Krieg hat freilich auch diesen Ländern übel mitgespielt; manches ist der Zerstörung anheimgefallen und der herrschende Wohlstand auf lange hinaus vernichtet worden. Die Stadt Hannover erholte sich verhältnismäßig bald wieder und wurde als Residenz der Herzöge, später Kurfürsten und Könige der Mittelpunkt einer glänzenden Hofhaltung. In der Stadt, namentlich aber in dem benachbarten Herrenhausen, entstanden hervorragende Schloßbauten und nach französischem Muster wurden hier herrliche Gartenanlagen mit Wasserkünsten, Naturtheater u. dgl. hervorgezaubert.

Malerische Architekturbilder spiegeln sich in unserem Werke wider. Wir finden außer den Schlössern mittelalterliche Bau- und Kunstdenkmäler, deren schon der alte Bischofssitz Hildesheim fast unzählige in sich birgt. Neben den großen Städten sind aber auch kleinere Plätze wie Duder- stadt, Verden, Helmstedt und mancher reizvolle Ort am Harz, im Weserland und Emsgebiet ver- treten, und selbst aus der stillen Heide weist das Buch eine Reihe von hübschen Bildern auf. So wird nicht allein der Architekt, sondern auch jeder Vaterlands- und Kunstfreund gerne nach diesem prächtigen Werke, dem das Landesdirektorium der Provinz Hannover, der Provinzialkonservator, der Magistrat der Stadt Hannover und der Verfasser der „Baudenkmäler des Herzogtums Braun- schweig" ihre wertvolle Unterstützung haben angedeihen lassen, greifen und es mit Nutzen ge- brauchen. Es reiht sich würdig den obigen früheren Veröffentlichungen dieser Art an, die überall begeisterte Aufnahme gefunden haben.

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jPaul Neff Verlag (Max Schreiber) in Eßlingen a. N.

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Einige Urteile über die Kunstgeschichte:

„Wundervoll wird der Leser in die Kunst der einzelnen Kulturvölker eingeführt, mit einer wohl nirgends anders gefundenen Klarheit des Gedankengangs kennzeichnet die überall feinsinnige Schilderung die geistigen Eigenschaften und Interessen der verschiedensten Epochen." Kunsthalle Berlin.

„Kein anderes Werk hat wie Lübkes Kunstgeschichte dazu beigetragen, in den letzten vier Jahrzehnten den Sinn für die Kunst in den breiten Massen des Volkes zu wecken und auszubilden . . . Mit großem Geschick haben die Verfasser das g-ewaltige Material verwertet, und man hat immer den Eindruck, daß sie in die Tiefe drangen und des ganzen Stoffes Meister sind. Ein hoher Vorzug des ganzen Werkes ist die überquellende Fülle charakteristischer und technisch wohlgelungener Reproduktionen." Deutscher Hausschatz.

„Unter den zahlreichen Büchern, die sich bestreben, die deutsche Familie und vor allem die deutsche Jugend in das Studium der Kunstgeschichte und damit in das Verständnis der Kunstwerke einzuführen, verdient nach meinem Dafürhalten den ersten Platz die Neubearbeitung des bekannten , Grundrisses' von Wilh. Lübke."

Der Türmer.

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