Ei. Y% “ BE ; m. ı ' Q Ya x 2 ’ 5 F i r Pr u re 5: ” ° . y « ° - n r > 1 \ ı * a B \ s = s x ? . e HERALD OF SCIENCE no„3/ x7) BURNDY LIBRARY Chertersd in 1941 een GIFT OF BERN DIBNER The Dibner Library of the History of Science and Technology SMITHSONIAN INSTITUTION LIBRARIES se em / / Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik. asdoiliisdet Grundzüge der Wissenschaftlichen Botanik nebst einer Methodologischen Einleitung als Anleitung zum Studium der Pflanze von M. J. Schleiden, D:. Ausserordentlichem Professor zu Jena. Motto: Ich bild’ mir nicht ein, was Rechtes zu wissen, Faust. Erster Theil: Methodologische Einleitung. Vegetabilische Stofflehre. Die Lehre von der Pflanzenzelle. Leipzig. Verlag von Wilhelm Engelmann. 1842. L RN EURE.) En Vs BI ne 25 St Dr 4 7 ED. nA Sr. Excellenz dem wirklichen Geheimrath, Freiherrn Alexander von Humboldt Zeichen seiner Verehrung gewidmet Verfasser. salarat aoni 7, War SIE: Ew. Excellenz! Als der Knabe, wie Knaben pflegen, in Beschrei- bungen fremder Länder und Völker, in den 'Schilde- rungen 'abenteuerlicher Seefahrten ‘und gefahrvoller Wanderungen durch wilde, reiche‘ Trropenwelten Nahrung für seine kindliche Phantasie suchte, begeg- nete ihm überall Ihr Name und der jugendliche Hang zur Bewunderung alles Grossen umkleidete bald Ihr Bild mit dem: zauberischen Glanze des Wunderbaren ‚und Geheimnissvollen. Die seltsame Macht, welche die Aneinanderreihung an sich unbe- deutender Beziehungen so oft auf den Menschen aus- übt, drängte den Jüngling auf eine Bahn, die erst der werdende Mann, begünstigt durch die treueste Vaterliebe, wieder verliess, um sich ganz dem Stu- dium der Natur zuzuwenden, welches er, vielleicht mit Unrecht, als seinen inneren Beruf anzusehen sich gewöhnte. Hier gestaltete sich nun die kindliche Bewunderung bald zu einer tiefen, sich ihrer Gründe bewussten Verehrung vor dem Maänne, der wie kei- ner alle Zweige der Natur umfassend, wie. keiner sein ganzes Leben, seine geistige wie materielle Kraft der Fortbildung der Wissenschaft ‘geopfert hatte. Dazu gesellte sich die wärmste Dankbarkeit, indem Sie mit freundlicher Nachsicht ‚meine: ersten Versuche aufnahmen, durch Ihre Theilnahme förder- ten und mir den Muth gaben, auf der gewählten Bahn hoffnungsvoll weiter zu streben. Wenn ich jetzt die: Resultate zehnjährigen Be- obachtens und Nachdenkens in Gegenwärtigem Ihnen zu widmen wage, so geschieht es nur, um dem in- Ds! nern Drange zu genügen, der Ihnen so gern ein sichtbares Zeichen dieser aufrichtigen Verehrung darbieten möchte. Ich bringe Ihnen das Beste dar, was ich habe. Dass das vielleicht sehr wenig ist, will ich gern zugestehen. Aber gewiss bin ich, dass, wenn auch nur etwas Gutes darunter ist, es dem Auge des Mannes nicht entgehen wird, der selbst das Höchste leistend, stets mit liebevoller Nachsicht und Schonung auch die unbedeutendste der Wissen- schaft dargebrachte Gabe freundlich aufnahm, und erst indem er sie an ihren rechten Platz stellte, ihr einen Werth zu verleihen wusste, den sie für sich nicht hatte. In dieser ÜUeberzeugung und hoffend, dass Sie mehr den Wunsch meines Herzens als die That messend mir die so oft bewiesene Nachsicht zu Theil werden lassen, wage ich es Ihnen diese Blät- ter zu widmen als Zeichen der innigen Verehrung, mit der ich verharre Ew. Excellenz aufrichtig ergebener RM. 3. Schleiden, Dr. Vorwort. Wer aus dem vorliegenden Buche Botanik zu lernen denkt, der möge es nur gleich wieder ungelesen bei Seite legen, denn Botanik lernt man nicht aus Büchern. Dem aber, der die Natur in der Natur selbst zu erfor- schen strebt und sich dabei nach einem Führer umsieht, der ihn vor manchem vielleicht nahe liegenden Irrweg warnt, manchen Fehler, zu dem verführerischer Schein reizt, vermeiden lehrt, biete ich diese Grundzüge an. Nach vielfachen eignen Untersuchungen, nach ernstem Nachdenken glaube ich manche Verkehrtheit meiner Be- sirebungen erkannt zu haben, manche verlorne Zeit be- reuen zu müssen, wo richtige Methode mich hätte schützen und leiten können. Ich lege deshalb am mei- sten Werth auf die Fingerzeige, die ich in dieser Hin- sicht besonders in der methodologischen Einleitung gege- ben. Mir scheint es sehr nöthig zu seyn, dass wir einmal in dieser Beziehung unser überkommenes Erb- theil überblieken und, ehe wir weiter gehen, uns darüber verständigen, ob wir auch auf dem rechten Wege sind. In der Hauptsache selbst habe ich daher bei Weitem mehr darauf geschen, alles das aus der Wissenschaft auszumerzen, was nicht der sirengsten Kri- tik Stich hält, ich habe mehr mich bemüht, überall die x Vorwort. noch vorhandenen wesentlichen Lücken scharf hervor- zuheben, als dass ich viel Eignes und Neues glaubte geboten zu haben. Es giebt ja der tüchtigen Kräfte in Deutschland genug, um die grossen Mängel, die ich aufweisen zu müssen glaubte, zu beseitigen, sobald sie nur erst fühlbar gemacht sind. Ich habe kein System schreiben wollen, es war vielmehr meine Absicht im Gegensatz gegen die Systemwuth unserer Tage die grosse und zum Theil noch unvermeidliche Lückenhaf- tigkeit der Wissenschaft in ein recht grelles Licht zu setzen und nachzuweisen, wie ein System, wenn es mehr als ein blos logisches Fachwerk zu mnemonischen Zwecken seyn soll, zur Zeit noch eine Unmöglichkeit, als Aushängeschild also eine leere Charlatanerie sey. Insbesondere habe ich mir daher Mühe gegeben, überall zu zeigen, was noch zu thun sey, und die Aufgaben im Ganzen wie im Einzelnen scharf zu fassen. : Hin und wieder mag man auch vielleicht einzelnes Neue finden, was sich mir nach und nach bei meinen For- schungen dargeboten hat. | Bis jetzt hat mir nur geringes Material zu Gebote gestanden; weder haben die Tropen ihre reichen Schätze vor mir entfaltet, noch habe ich über einen reichen Pflanzengarten so disponiren können, um seine Pfleg- linge für wissenschaftliche Zwecke zu opfern, aber ich habe mich mit redlichem Willen bemüht, das, was mir das Schicksal in die Hand gab, nach besten Kräften gründlich zu erforschen. So ist extensiv meine 'Thätig- keit verschwindend klein gegen die Masse des auf der Erde vorhandenen Stoffes, und daraus werden grosse Mängel meiner Arbeit resultiren, deren Verbesserung durch glücklichere Naturen Niemand heisser wünschen Vorwort. XI kann, als ich. Wenn ich gleichwohl oft genug Männern widerspreche, denen doch jene Schätze eröffnet waren, so geschieht dies in dem unerschütterlichen Glauben an die Nothwendigkeit einer richtigen Methodik und in der Ueberzeugung, dass auf falschem Wege das Rechte nie gefunden werden könne. Richtige leitende Maximen aber lassen sich auch aus einer intensiven Betrachtung eines geringern Theils des Stoffes ableiten. So lässt sich eine Verwerfung dessen rechtfertigen, was in Wider- spruch mit jenen leitenden Maximen aufgestellt, und ein begründetes ‚„„non liquet““ aussprechen über das, was ohne Berücksichtigung derselben gefunden ist. Einen Grundfehler habe ich gleich zu vermeiden ge- sucht, nämlich den, die Phanerogamen voranzustellen und aus ihnen die Kryptogamen zu erklären. Dass in der Geschichte der Wissenschaft die sich zuerst aufdrängenden Srösseren Phanerogamen auch zuerst Gegenstände des Studiums wurden, ist leicht begreiflich; aus diesem ganz zufälligen Umstand aber eine methodische Regel zu ma- chen, ja sogar ein Princip für die Erklärungsversuche abzuleiten ist unbegreiflich verkehrt. Vom Einfachen zum Zusammengesetzten fortzuschreiten, ist die allge- meinste methodische Regel, das Zusammengesetzte aus dem Einfachen zu erklären und nicht umgekehrt, die unbedingteste hermeneutische Vorschrift. Kein wirklich wissenschaftlich Gebildeter wird in Abrede stellen, dass es für die Thätigkeiten unseres Geistes eine gewisse natürliche Gesetzmässigkeit giebt, der wir nicht un- treu werden dürfen, ohne rettungslos Irrthümern anheim- zufallen. Seit den ältesten Zeiten haben die grössten Denker sich bemüht, diese Gesetzmässigkeit zu erfor- schen, klar zu machen und in bestimmten Sätzen aus- XIV Vorwort. zusprechen. Ja seit Aristoteles bis auf die neueste Zeit wagte kein Mann von Wissenschaft, die unbedingte Gültigkeit der mit Aristoteles beginnenden, durch Scho- lastiker u. s. w. zuletzt durch Kant ausgebildeten Logik als Kathartikon der Wahrheit in Abrede zu stellen, selbst die Männer nicht, welche aus Mangel an logischer Aus- bildung die schmählichste Verwirrung in der Philosophie anrichieten. Erst in neuester Zeit hat uns Hegel seine Spielerei mit immer kauderwelschen und geschmacklo- sen, meist auch sinnlosen Formeln für eine neue, höhere Weisheit in diesem Felde verkaufen wollen. In Schule und Colleg hört man nun zwar, dass es eine solche Gesetzmässigkeit unseres Geistes giebt, dass die tiefsten „ Köpfe ihr Leben daran gesetzt, diese Gesetze zu ent- wickeln und zu begründen, dass es ohne diese Gesetz- mässigkeit keine ächte wissenschaftliche Thätigkeit gäbe; aber sowie man an einen andern speciellen Zweig des Wissens kommt, hat man Alles wieder vergessen, von Anwendung des Gelernten ist keine Rede. Ja man hört wohl gar: wozu die trockene Logik, die hat jeder ge- sunde Kopf von selbst. Kindische Eitelkeit, die sich einbildet, das so vorweg zu haben, an dessen immer weiterer Ausbildung und Begründung seit Jahrtausenden zu arbeiten, die scharfsinnigsten Köpfe, die ausgezeich- netsten Denker nicht verschmäht haben. Hier finde ich grade den grossen Grundfehler in der Bearbeitung unse- rer Wissenschaft, der alle unsere Bestrebungen so hal-. tungslos und unsicher macht, dass die Systeme kommen und gehen wie Ephemeren, dass was heute aufgestellt und bewundert die ganze Wissenschaft ergreift und be- herrscht, morgen durch eine einzige tüchtige Beobach- tung über den Haufen geworfen wird. Ich kann nicht Vorwort. XV > verlangen, dass Jeder grade mit mir die Vollendung der Fries’schen Logik anerkennt und nach ihr sich richtet, aber eine logische Gesetzlichkeit überhaupt muss er anerkennen und nach ihr consequent sich richten, und selbst mag er dann angeben, nach welchem Codex er beurtheilt seyn wolle. Solche Fehler, wie die Auf- stellung eines Satzes, dessen unmittelbare Folgerung ei- nem ebenfalls behaupteten Satze gradezu widerspricht, heisst keine Logik gut") und sind in wissenschaftlichen Arbeiten. unentschuldbar, und doch liefern die meisten botanischen Schriften solcher Beispiele genug. Ueberall aber ist das Ideal, welches mich belebte, Wahrheit gewesen und zwar die reine und unge- schminkte Wahrheit. Das sogenannte Geistreiche (Spiele des Witzes mit Analogien und Vergleichungen u. dergl.) habe ich deshalb streng vermieden; wo es sich etwa eingeschlichen, bitte ich um Entschuldigung und Verwer- fung, denn ich halte es für Oberflächlichkeit und gegen den Ernst der Wissenschaft gehalten für widerlich und seschmacklos. Wer einen so verdorbenen geistigen Ma- sen hat, dass er solcher exotischen Gewürze bedarf, um ‚die einfache, reine Wahrheit annehmlich und schmack- haft finden zu können, der ist überhaupt nicht für die Wissenschaft geschaffen, sondern höchstens für die Tän- deleien des Salons. 1) Etwa mit Ausnahme Hegel’s.. Aber Gott sey Dank, noch haben wir keine hegelisirenden Botaniker und der Himmel möge uns bewah- ren. In die Naturwissenschaft hat überhaupt die Hegelei sich nicht recht hineingewagt, vielleicht aus einem gewissen Schamgefühl, weil das erste Auftreten ihres Oberpriesters in dieser Beziehung eine schmähliche Blamage seiner Philosophie war, nämlich der Nachweis der Unmög- lichkeit der Asteroiden aus sogenannter Speculation in demselben Jahre, in welchem sie entdeckt wurden. xvi Vorwort, E 2 In der Wissenschaft ist, wie gesagt, Wahrheit das einzige leitende Prineip, gegen welches jede andere Rück- sicht zurückstehen muss. Der Wahrheit werden wir aber auch dann ungetreu, wenn wir die Oberflächlich- keit und Unwissenheit der arroganten Turpin und Raspail mit denselben achtungsvollen Worten begrüssen, wie die geniale Tiefe des so liebenswürdig bescheidenen Rob. Brown; der Wahrheit werden wir ungetreu, wenn wir die strenge Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit eines Brisseau- Mirbel, der sich nie scheute, einen begange- nen und erkannten Irrthum ausdrücklich und öffentlich ausser Ours zu setzen, nicht von der Leichtfertigkeit unterscheiden, mit der Meyen und Andere die vielen Thorheiten, die sie in die Welt hineingeschrieben haben, entweder stillschweigend forteirculiren lassen, oder car durch Verdrehung ihrer eignen Worte der neu erkann- ten Wahrheit unterzuschieben suchen; der Wahrheit wer- den wir ungetreu, wenn wir nicht den Unterschied an- zuerkennen wissen zwischen der sorgfältig, fast ängst- lich prüfenden, stetig fortschreitenden Ueberzeugungs- ireue eines Treviranus selbst da, wo er irrt, und der geistreich tändelnden Manier Link’s, der durch einzelne Geistesblitze Manches treffend, Manches auch gar schief ‘ beleuchtet und nie eine ernste wissenschaftliche Ueber- zeugung zeigt, ja sie wohl gar zu vermeiden scheint; der Wahrheit werden wir endlich selbst dann ungetreu, wenn wir. nicht die verschiedenen Nuancen richtig auf- fassen, die sichtbar hervortreten in der wissenschaftlichen Thätigkeit 7. Mohl’s, der durch tief eindringende gründ- liche Untersuchung des Einzelnen im Kleinen Grosses leistet, und der Endlicher’s, der mit stupender das Ganze der Wissenschaft umfassender Gelehrsamkeit zwar im Vorwort, xvIl Einzelnen zuweilen fehlgreifend, doch im Ganzen gross- artig für die Wissenschaft wirkt. Dieser Ueberzeugung treu habe ich im Folgenden mannigfach Männer von ausgezeichnetem Ruf scharf ge- tadelt, aber nirgends, wie mir mein Bewusstseyn sagt, aus einer andern Ursache, als weil ich es der Wissen- schaft schuldig zu seyn glaubte, nirgends, wie die Sache selbst zeigt, mit blossem Absprechen mich begnügend, sondern mein Urtheil mit wissenschaftlichen Gründen be- legend. Sine ira et studio bin ich Rob. Brown und Hugo Mohl, die ich unter den Lebenden am höchsten verehre, wo ich dazu berechtigt zu seyn glaubte, eben so freimüthig entgegengetreten, als allen Andern; ich habe dankbar anerkannt, was ich von Corda wirklich gelernt, auf den ich übrigens aus den 8. 93 ff. entwickelten Gründen gar nichts gebe. Ich achte Meyen’s Fleiss, der in seinem Leben mein beständiger Gegner war, hoch und gestehe gern, dass ich im Einzelnen viele Beleh- rungen von ihm empfing. Selbst Liebig habe ich gern, wo ich nur konnte, lobend angeführt, obwohl ich nicht in Abrede stellen mag, dass ich über sein Buch empört mit einer Derbheit gesprochen, die ich vielleicht meinen Lesern abbitten muss, nicht aber ihm; denn nach der unerhörten Unverschämtheit, mit der er über alle Pflan- zenphysiologen in Bausch und Bogen raisonnirt, musste ich fürchten, in einer andern Sprache nicht von ihm ver- standen zu werden '). Mancher wird mich vielleicht für einen Zänker halten, weil ich in warmer Begeisterung für unsere Wissenschaft das Ideal, welches mir vor- schwebte, an jede Leistung hielt und offen ihren Ab- I) Man vergl. meine Recension in der neuen Jenaischen Literatur- zeitung, 1842. * xvImn Vorwort. stand aussprach. Ich halte dies aber für erspriesslicher und der Würde der Wissenschaft angemessener, als Höf- lichkeitsphrasen, denen man oft ihre Unwahrheit auf den ersten Blick ansieht. Jedem redlichen Manne reiche ich im Leben freundlich die Hand, aber was wir in der Wis- senschaft leisten, ist alles, mein eignes obenan, Stückwerk, und das sollen wir offen aussprechen, damit wir weiter streben, nicht aber mit Redensarten und Complimenten uns gegenseitig weiss machen, wir wüssten was Besonderes und könnten auf unsern Lorbeeren ausruhen. Es bleibt jedem Forscher noch Tüchtiges genug, so dass wir die gegen- seitige Lobassecuranz gern den literarischen Betteljungen der belletristischen Journalistik überlassen können. Mein Tadel hat ferner vorzugsweise Männer von ausgezeichnetem Ruf getroffen, nicht weil ich glaube, Alies besser zu verstehen, als sie, oder mich ihnen auch nur an die Seite setzen zu dürfen, sondern weil es nicht der Mühe lohnt, die Fehler untergeordneter Geister auf- zudecken, die schnell mit ihren Fehlern im Meere der Vergessenheit untergehen. Grade die Fehler ausgezeich- ter Menschen wirken schädlich in. der Wissenschaft, ein- mal, weil gar zu gern .der Trross seichter Köpfe sich an solche Einzelheiten hängt, um daran den ganzen Mann zu sich herabzuziehen und dann, weil das imitatorum vile pecus fast nur die Fehler grosser Männer nach- ahmt, verbreitet und dadurch der Wissenschaft oft auf lange Zeit eine schiefe Richtung giebt. Ich erinnere nur an die Linne’sche Schule, die von ihrem Meister fast nur die Schwächen begriff und verarbeitete. Meistentheils habe ich die falschen Ansichten nur hin- gestellt und widerlegt, ohne ihren Urheber zu nennen. Für den Eingeweihten wäre es überflüssig; für den Ler- Vorwort, XIX nenden ist es aber wichtiger den Irrweg zu erkennen und vermeiden zu lernen, als durch eine solche Einsicht vielleicht seine Begeisterung; für einen grossen Mann ein- zubüssen. Besonders habe ich mich in der Einleitung darauf beschränkt, fast nur die Beispiele, die ja ebenso gut fingirt seyn könnten, ohne Namen zu geben. Wo es dagegen auf Beurtheilung des ganzen Schriftstellers ankam, und im speciellen 'Theile fast immer habe ich die bessern neuen Schriftsteller angeführt. Im Ganzen habe ich meinem (8. 162) ausgesprochenen Grundsatze semäss die viele Literatur vermieden. Der Lernende soll die Sache, nicht Bücher kennen lernen, dem: Gelehrten sage ich doch nichts Neues. Indessen habe ich möglichst dafür gesorgt, dass der Lernende nebenbei die wichtig- sten Schriften kennen lerne. Manches mag übersehen seyn, Manches hatte ich nicht zur Hand, da mir beim Ausarbeiten des Buchs fast nur meine eigne Bibliothek zu Gebote stand. Titel und Citate aus andern Büchern abzuschreiben, ist aber nicht meine Art. Wer weitere literarische Nachweisungen wünscht, findet einzelne in- teressante Minutien bei Link (Elem. phil. bot. Ed. L.), die sehr vollständige insbesondere ältere Literatur bei Treviranus (Physiologie), die neuere sehr fleissig ge- sammelt bei Meyen (Physiologie, sowie in seinen Jah- resberichten in Wiegmann’s Archiv). Insbesondere muss ich hier noch bemerken, dass im ganzen Buche durchweg nur die Resultate eigner Unter- suchungen und zwar vollständiger Entwickelungsgeschich- ten in genügender Anzahl wiedergegeben sind; wo meine Untersuchungen unvollständig waren, wo ich 'Thatsachen von Andern aufnehmen musste, ist es stets ausdrücklich bemerkt. Es versteht sich aber von selbst, dass der grösste * 9} xx Vorwort. Theil der gewonnenen Resultate mit dem, was Andere gegeben haben, übereinstimmt. Mir scheint es aber un- sehörig, bei jedem Puncte immer die ganze Geschichte seiner wissenschaftlichen Ausbildung und Literatur zu wie- derholen, lächerlicher Pedantismus, bei jedem Quark an- zuführen, wer der erste Beobachter, der erste Behaupter war. Ich kann überhaupt in den Prioritätsstreitigkeiten nichts als Beewise recht erbärmlicher Kleinlichkeit schen. Mein höchster Wunsch ist Förderung der Wissenschaft, mein Streben zu diesem Ziele ernst und eifrig; ob aber ein Anderer eine 'Thatsache, die ich fand, vier Wochen früher oder später drucken liess, ist mir völlig gleich- gültig, wenn nur die Wissenschaft wirklich dadurch ge- fördert wird. Ich habe mich deshalb darauf beschränkt, nur da, wo mir eine ausgezeichnete Darstellung gleichviel ob älterer oder neuerer Zeit bekannt war, zur Vergleichung auf dieselbe zu verweisen. Einzelne Verbesserungen sind am Ende des Ban- des bemerkt. Und somit übergebe ich mein Buch dem botanischen Publicum mit der Bitte um scharfes, aber begründetes Urtheil. Radotagen und wegwerfendes Absprechen, wie es leider gar sehr Mode ist, werde ich stillschweigend verachten, jede Verbesserung und wissenschafiliche Wi- derlegung aber freudig begrüssen. Im Februar 1842. WM. J. Schleiden, D:ı. ausserordentl. Prof. in Jena. Inhalt. Methodologische Einleitung. Seite Eingang a ER N ee a I 1 $. ER ‚Berioden. der; ‚Wüssenschafty, zu de. 2 Mies philosophischen Grundlage. > = 2 aenane son. 6 Gegenstände menschlicher Wissenschaft überhaupt . . . . . 1 Geist undg Korper: 2. eve VeuBage le ee lee. 8 Die drei Betrachtungsweisen des Körperlichen .. .... — DieBotanik sinne ve Mae en = Mehl n ei nekielle ee ca —_ Bestimmung der Aufgabe derselben . . .. 2.2222... 9 Erfahren ES leere a a = Reflexion] 7. 0020 ae net ne la: anlan le 11 Hülfswissenschaften. . . . . 2.2... RE BL . 12 $. 2. Das Object der Botanik. ..... AIURENTÄRERERF 15 Erörterungen über den Begriff der Pflanze ee 120 ee 17 Gegensatz. des Organischen und Unorganischen .. . .... —_ Ueber den Gebrauch der Analosıe, a 7. ee» 22 Uebergang aus dem Unorganischen ins Organische . . . . . 24 Beorift, dessliebens 4... 25os.cncuer alone einen Allan — Gegensatz zwischen Thier und Pflanze... . 2.2.2... 25 Anatomie und Morphologie .. ... . 30 Physiologie der Thiere und Pflanzen . . .. ... ol $. 3. Eintheilung der Botanik ......... Su 34 Allgemeiner und specieller Theil . . 2.222 22.2.2... 9 Die Lehre von der Pflanzenzelle .. .. .. 2.22 22.2. 36 Vegetabilische Stofllehre . . . . . ER ra A Ca RE _ Menphologiter.. u. 2 2 A a: RT Organologie Em N en. N een: S4 A:juy Methode..deny. Botanik a a Kae N sea. 39 Nothwendigkeit philosophischer Vorbildung , insbesondere der Taocık.,,.,. man kan Te en AU Die drei Aufgaben der Methodik . .. ...... al A I. Auffassung des Materials der Wissenschaft N NA $.5. I. Selbstthätige Erforschung des Objects. ...... 8 I. Regulative für nissenschafliche N überhaupt. An- wendung der Logik -. .. . .» - „1.1 3) ONE Se XXI Inhalt. Beispielen app sie ie Dakar Eee Schluss ‚aus Analogie seen. 2 B. Verwechselung der Erkenntnissquellen . . . . 2... . C. Einheit des Systems der Naturwissenschaft . .... . Ueber physikalische Erklärungsgründe . . . 2.2... Beszändimender /Urtheller u 2 2... 6 ea ya Beispiele... een. 2 ee). le ee A. D. Ss» sn- . Antheren der Kryptogamen . ...... «He sVerwachsungen) . 2 u. 020 ae en 2 re Urschleime „ea 9a oil. ou ae SE N 20e. S RE Beiläufig vom Werth der vergleichenden Naturbetrachtung Zugleichseyn und Causalnexus . » . » 222 .2.. Thowars’ Ansicht über Stammbildung .. ...... . Saftbewegung in den Pflanzen... ..... Re II. Sherielte Regulative für die Botanik ..... ee Genauere Bestimmung der Aufgabe . . . . 2.2... A. Die Objecte sind Pflanzen nicht Bücher . ..... B. Das Object der Wissenschaft ist die Pflanze im Allgemeinen, nicht eine bestimmte Art ..... C. Stellung und Aufgabe der Botanik nach den Hülfsmitteln des menschlichen Erkenntnissver- MOBENS 1 an N ee ee "3a Botanik als theoretische Wissenschaft .. . -. » Letztes: Zielsder Botanik ©... „1. „nenne Zunächst mögliche Resultate . .. .... Ak Hülfsmittel zur Lösung der Aufgabe . ..... . a. Sicherstellung durch Anwendung der allgemeinen leitenden; Masxımenee. u. Nena 1. Geist und Körper sind ewig getrennte Anfänge verschiedener Weltansichten. Der theoretischen Wissenschaft ist allein die Körperwelt zugänglich 2. Gesetz der Einheit aller Naturwissenschaft . 3. Gesetz der Sparsamkeit in der Natur... . 4. Gesetz der Bewirkung und Gesetz der Wech- SelWIrkKUND 20V an In oe re S bs'Specielles Hulfsmittel =... 80.7 2. ee IrBecrifiserklarungent mt er 2 2° Zeugnisse, Autoritäten ... . ....n. 2: Wissenschaftliche Redlichkeit . . ce 2 2... .. 3. Beobachtung und Experiment... .... Ableitung specieller leitender Maximen . .. . a. Maxime der Entwickelungsgeschichte . . . Beispiele, 0. een ET Gramineen 2 Wr 2 a Cyperaceem 0 ee b. Maxime der Selbstständigkeit der Pflanzenzelle c. Gebrauch des Mikroskops ....... Nothwendigkeit desselben. -. .2..... Das Sehen im Allgemeinen . ....... Grössenbestimmung durchs Auge . . .. . . Einfaches Mikroskop . . » 2...» - Takt Zusammengesetztes Mikroskop -. . x» 2.» » Beurtheilung des Werthes der Mikroskope . . 105 107 112 Inhalt. XXI Seite $. 10. Bestimmung der Vergrösserung . ..... 126 Mikrometrie .ı EMMEN U E . 129 Beleuchtung der Objecte-. ...... 2... 133 $. 11. Methode der mikroskopischen Un- tersuchunggp an een: 106 Abwendung der Vorurtheile. ....... 137 Verhältniss des unbewaflneten Auges zum Mikroskop .°. ee dennld ie + 140 Leitende Maxime für alle mikroskopische Be- obachtungen . Da. ae» 142 Sicherstellung gegen T'äuschungen des Urtheils 143 Möglichst vielseitige Auffassung desselben Objectsin ag u a ea ee De. 151 $. 12. 4. Gebrauch der Induetionen . .. 2.2... 157 $. 13. II. Oeffentliche Darlegung wissenschaftlicher Resultate 160 Botanische Zeielmungen nal. and al. den 164 Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik. Allgemeiner Theil, Erstes Buch Botanische Stofflehre. Erstes Capitel. Von den unorganischen Bestandtheilen. RA »ChemischesBlemente . + nun. cn.ss.una > Daran.» 169 $+ 15. » Binäre Verbindungen. zn zul et SER . 171 RNIG. , Salzen. Au nr SENDER ha Yan \S 172 Krystalle, in den? Pflanzen PR Sae u. 2 eR . . 173 Zweites Capitel. Von den organischen Bestandtheilen. Erster Abschnitt. Von den assimilirten Stoffen im engern Sinne, Sa. ‚Begrifiserklärung Man. ass lnene mol amewe nie yeriblet . 176 lan Membranenstoft re n.a ı. ER ash BB ee es — An yılordi 3 1,:.0. az Dann SE SHE De at IS A IS Ze 177 Bilanzenoallenters sauren rn en EIREN N ode ne 178 Stärkemehl' 2 haar Cie Mahn N erh un RE 3 - GARDE AT WERE UNE a) Re ns ae re Be 152 | RU STENN AR Een E DET ER EUR Rt XxXIV g. 21. $. 3. mn on [S2) En 8. 30. 31 25. . 26. Inhalt. Inulm astetsneres Ve vahee 1 iBiette Oele und. Wachs... va. a er Schleim! 21.1 . „na 23 SB: le Das Verhältniss der assimilirten Stoffe zu einander . .. . Zweiter Abschnitt. Von den übrigen unter dem Einfluss der Vegetation entstehenden Stoffen, Chlorophyll’. 1.08. -..4.. Ba sera 22. . 0 e Pflanzenfarben Wen... seine SOmsnu Gerbstofl «x... 0. 74.9 RS NEAR 0 Weinsäure, Citronensäuse, Apfelsäure © ee oe... .. Viscin ee arte ee aller Re se Lelei le Keueue Humus.*-sotemen toren Ser a, RR Oo Zweites Buch. Lehre von der Pflanzenzelle. Erstes Capitel. Formenlehre der Pflanzenzelle. Erster Abschnitt. Die einzelne Zelle für sich. Entstehung der Pflanzenzelle . . » 2» ee. 0... Se Cytoblastem? "ey see 8 er ee /elin Kelle ee Cytoblast „eo. 0 0... = ee Belle ton lauhte lie Vollständige Beobachtungen über die Zellenbildung . . » Unvollständige Beobachtungen. . ... .. 2... n.. Folgerungen aus den beobachteten Thatsachen . . .. » Analogien (thierische Zelle, Gährung, Krystallbildung) . . Geschichtliches und Kritisches - © ©». 0.0... . Ausbildung der Pflanzenzelle zu verschiedenen Formen . Milchsaftgefässe © - - 2... . RL ON oc. Sun Unregelmässige Verdickung der Zellenwände © «eo». 2... Spiralige Verdiekungsschichten - - © oe eo ve. 0 00. Natur und Ursprung der Spirale - ©. » 2.2... . Uebersicht der verschiedenen Formen (Cellulae annuliferae, spiriferae, retiferae, porosae) «» «ee... ee...“ Individuelle Ausbildung der Spiralfaser und abnorme Formen Historisches und.Kritischest «U 1.2 1.2 na 2. 2.200 Verschiedene Formen der Verdickungsschichten in derselben Dielle in. 22 len etteiie eek ee e Leere ee Wiederholung der Schichtenbildung in derselben Zelle in gleicher und verschiedener Form aa 5 c Bildung von wirklichen Löchern in der Zellenwand . .. . Zweiter Abschnitt. Von den Zellen im Zusammenhang und den dadurch gebildeten Räumen. Geweben inte la feine lehenlle de selnnsernialte © sn nal Sulehhenh> A, Parenchymir.- ein. er ae ee: EN .. 191 192 193 194 195 197 . 200 202 203 204 206 208 209 210 all 212 . 213 . 214 RN . 33. . 34. . 3. . 36. . 97. B. Intercellularsystem ©. Gefässe. » : +. D. Gefässbündel . -» Cambium .. >» Gefässbündel - » » - Inhalt. ...% eo. Re 1. Gefässbündel der Ersptogamei. 2. Gefässbündel der Phanerogamen - a. Gefässbündel der Monokotgledohen . ß. Gefässbündel der Dikotyledonen „ » » E. Bastgewebe. © . v2. 02, 000000000. E. Bastzellen der Apocyneen und . Milchsaftgefässe - - - - » Olbc . Filzgewebe a. bei Pilzen. . . . - ee} b. bei Flechten . » » I. Epidermoidalgewebe . . » » ... a. Oberhaut - » . . . [7 . . [ . 1. Epithelium -. » » 2... .. 2. Epiblema. » 2.2... 3. Epidermis, Spaltöffnungen . b. Appendiculäre Organe . . . » 1. Papillen .. » 2. Haare . RR 3. Borsten - »- 4. Brennhaare ». 5. Stacheln . » 6. Warzen . » c. Korksubstanz . - d. Wurzelhülle . - - Zweites Asclepiadeen Capitel. Das Leben der Pflanzenzelle. Erster. Abschnitt. Die einzelne Zelle für sich. ' Begriffsbestimmung . » » » I. Aufnahme fremder Stoffe. Endosmose . . 2... ‘ Aufgenommene Stoffe (Wasser, Kohlensäure, Ammoniak) II. Assimilation und Seeretion. Process der Assimilation © © = = 0 0 2 2 2.0 2 0.0. Process der Secretion - III. Ausscheidung aus der Pflanzenzelle. Exosmose » © . ... Ausscheidung der Gase » . » » . ee eh ei eren Lei, Le . IV. Gestaltung der assimilirten Stoffe. Wachsthum durch Intussusception . Wachsthum durch Schichtenbildung - © ©. 2... >» V. Bewegung des Inhalts der Pflanzenzelle. In Einem auf- und absteigendem Strome . » 2...» In netzförmig verästelten Strömchen » © x» oo... .% Molecularbewegung.. .. mg ao Ne. VI. Bewegung der Pflanzenzelle. Bei den Sporenzellen . ler ee ee XxXVI dl. 92. a (de=) $. $. 62. er} Han . 68. 59. 54. . 9. Inhalt. VII. Fortpflanzung der Zelle. Bildung von Zellen in Mutterzellen ©. ce ee. e.... Vermehrung der Zelle durch Theilung » » x» seo... VIII. Das Ende des Zellenlebens. Durch Aufhören des chemischen Processes$in der Zelle . . 2 Durch Auflösung und Resorption der Zelle » »..... Durch Aufhören der Endosmose und Zerstörung durch un- organische Einflüsse » .. ve... 0000 Zweiter Abschnitt. Leben der Zelle im Zusammenhang mit andern, Allgemeine © Ansichten :. . 2... ZN. N. Allgemeine Modificationen des Zellenlebens durch Zusam- mentreten mehrerer Zellen. Ernährung der benachbarten Zellen » » » ee eo... Verdunstung und Gasaustausch in Berührung mit der Luft Bildung spiraliger Verdickungsschichten und der Luftbläschen zwischen: zwei Zellen. 2... ee le sun... Excretionen in bestimmter Form » » » . ve e oo... Gallerte bei den Algen ......... m». vn... Eigenthümliche Haut der Sporen - und Pollenzellen . . - Zusammenhang der Circulation in zwei benachbarten Zellen Relatives Leben der Zelle durch den Zusammenhang mit le- bendigen Zellen . » 2» 2... .. ERISBUHE a see 11. Eigenthümlichkeiten im Leben ganzer Gewebe. Gleichheit des Lebens in allen Zellen eines Gewebes . » Parenchym. Inhalt desselben. ».. ve. ee ne... Intercellularsystem #.... ee 2. 00km delete lerne Intercellularsubstanzee. 2 0 2.0 222. eve leere Behälter eigner Säfte . » ». oc: eere. 0.0.0 Gefässbündel iss uk 30, ad HE er ae Bastzellen, Bastzellen der Apocyneen und Asclepiadeen, Milch- saftgefässe . „I. uns... ua 2 Vene en ee Kilngewebe =»... a ran lee ee ee Epidermoidalgewebe ee ie jene ano Dee rt ekee Re - Eigenthümliche Excretionsschicht auf der Epidermis. . . Spaltofmungenu u. 4 ee oe ae . Brennlaare Canal edle nee ee END Er, Wüurzelhullel 2 2.2 un 20 RE NDR LA NEN 2 ORION Methodologische Einleitung. Nil magis praestandum est, quam ne pecorum Titu Sequamur antece- dentium gregem, pergentes non qua eundum est, sed qua itur. Seneca de vita beata. Eine gewaltige Umwälzung hat in den letzten dreissig Eirsans- Jahren die Naturwissenschaften erfasst. Der schlendrians- mässige Gang, nach welchem früher die einzelnen Dis- ciplinen abgeleiert wurden, die stereotypen Definitionen, die hergebrachten Einiheilungen und Fachwerke sind Srösstentheils über den Haufen geworfen, ja selbst die einzelnen sogenannten Wissenschaften sind zum Theil anders begränzt, zum Theil gänzlich eingegangen, und dagegen andere neue früher kaum geahnete aufgetreten und zu durchgreifender Wichtigkeit gelangt. Aber wir sind noch weit entfernt, uns auf den Trümmern der Ver- sangenheit sicher wieder angebaut und wohnlich eingerich- tet zu haben. Grossartig und heftig ist noch der Kampf der Ansichten, und wer irgend Kraft in sich fühlt etwas mehr als geistloser Compilator und Sammler zu seyn, sieht sich sezwungen, sich selbst aus den umherliegenden Werk- stücken, Balken und Steinen so gut es gehen will eine Hütte zu zimmern, in der er sein Handwerksgeräth nach Möglichkeit zurechtlegt. Dies mag ein Hauptgrund mit seyn, warum in unserer Zeit eine solche Unzahl von ! 1 Perioden der Wissen- schaft. 2 Methodologische Einleitung. Systemen auftauchen und freilich auch meist Irrwischen gleich ebenso schnell wieder in die Nacht der Verges- senheit versinken. Leugnen lässt sich freilich nicht, dass die unzulängliche philosophische Vorbildung und heson- ders der gänzliche Mangel einer tüchtigen logischen Orien- tirung ebenso sehr, als die Eitelkeit und die Sucht, mit blos Neuem Aufsehen zu machen und sein eignes Ich auf Kosten der Wissenschaft hervorzuheben, einen grossen Antheil an der Unsicherheit und Haltungslosigkeit unse- rer naturwissenschaftlichen Bestrebungen im Allgemei- nen haben. Um so nöthiger wird es daher aber auch, dass der einzelne Lehrer, ehe er den Vortrag einer Wissenschaft beginnt, seinen Schülern gegenüber sich über die Art und Weise ausspreche, wie er die Wissenschaft auf- sefasst und bearbeitet, welche Ansprüche sie daher an ihn zu machen berechtigt sind und inwiefern er die- sen Ansprüchen zu genügen im Stande seyn werde. Es scheint mir daher zweckmässig der Sache selbst eine allgemeine Erörterung über die Bedeutung der Wis- senschaft, ihr Objeet und die Art ihrer Behandlung vor- anzuschicken. Nur in dem letzten Punete will ich da- bei auf strengere wissenschaftliche Form Anspruch ma- chen, dagegen die ersten beiden nur durch freiere Er- örterungen soweit aufzuklären suchen, als für meinen Zweck nöthig scheint. es; In der Geschichte der Menschen können wir füg- lich drei Bildungsstufen unterscheiden. Zuerst wirkt das dringende Bedürfniss, der Mensch schaut sich um und sucht nach den Mitteln diese Bedürfnisse zu befrie- digen. Wenn er aber satt ist, tritt eine gewisse gei- stige Leere ein, er sehnt sich nach Beschäftigung und Neugier bewegt ihn, sich mit den ihn umgebenden Ge- genständen bekannt zu machen, sie zu unterscheiden, sie Methodologische Einleitung. 3 zu ordnen, und so sammelt er dasMaterial für die dritte Stufe seiner Ausbildung, wo er als denkender Geist ein- greift in die Masse der Erscheinungen, sich ihres inne- ren gesetzlichen Zusammenhanges bewusst zu werden sucht und so sich zur Wissenschaft erhebt. Diesem gemäss können wir auch die Geschichte der Botanik in drei grosse Perioden eintheilen, die sich frei- lich nicht strenge nach Jahreszahlen abmessen lassen, da sich die zweite und dritte natürlich schon in einzelnen immer bestimmter und bewusster hervortretenden Er- scheinungen in der ersten und zweiten vorbereiten. Die erste Periode umfasst die ganze Zeit von den Anfängen menschlicher Bildung überhaupt bis ins späteste Mittel- alter. Von Theophrast und Dioskorides, dessen Ma- Zerıa medica die Grundlage aller spätern botanischen Werke wird, bis auf die Kräuterbücher und Herbarien des Mittelalters finden wir kaum etwas Anderes als die Aufzählung der Pflanzen, deren wirklicher oder einge- bildeter Nutzen sie der genaueren Kenniniss der Men- schen empfahl. Bis auf die beiden Bauhine (bis 1550) finden wir selbst meistens nur die Phrasen des Drosko- rides abgeschrieben oder für Pflanzen, die diesem noch unbekannt waren, ähnliche kurze Angaben für ihre An- wendung, in der Medicin nachgebildet. Von da an greift der menschliche Forschungsgeist allmälig weiter und in dem Zeitraum von Rajus und Tournefort bis auf die Zinne’sche Schule, die Akme dieser Periode, bildet sich das Streben aus, eine mög- lichst vollständige Uebersicht der Pflanzenformen und eine genaue scharfe Oharakterisirung der Einzelnen zu sewinnen. Als Durchgangsperiode wichtig und noth- wendig trägt diese Zeit doch eigentlich nur den Cha- rakter einer mühsam vereinzelte Notizen sammelnden Neu- sier. Als durchaus bezeichnend für die von unserm jetzigen Standpuncte betrachtet freilich geistlose Art der Behandlung der Botanik, von der sich selbst der grosse Zinne nur in einzelnen glücklichen Momenten genialer 1* d Methodologische Einleitung. Erhebung und gleichsam in Ahnung einer bessern Zu- kunft losmachen konnte, kann man die Worte Boerhaa- ve’s ( Histor. naturel.) anführen, wo er die Wissen- schaft folgendermassen definirt: , „Botanica est scientiae naturalıs pars, cujus ope felicissime et minimo negolio plantae cogno- scuntur et in memoria retinentur.“ Erst in der neuesten Zeit entstand die eigentliche wis- senschaftliche Botanik. Zwar hatien sich schon früher allmälig Anatomie, Physiologie, Geographie der Pflanzen u. s. w. als einzelne untergeordnete Theile der Botanik seliend zu machen gesucht, aber noch lange sahen die sogenannten Botaniker, d. h. die lebendigen Namenregi- ster, mit einer Art mitleidigen Achselzuckens auf die, wie sie meinten, blosser Neugier und unbrauchbarer Grübelei dienenden Bestrebungen herab. Das sogenannte natürliche System, die durchdringende und allseitige Er- kennung der Pflanzen vorbereitend, brach sich nur all- mälig und unter heissen Kämpfen Bahn und ist kaum in der neuesten Zeit zu etwas allgemeinerer Anerken- nung gelangt, obwohl es noch vielfach selbst von seinen Anhängern ‘ gänzlich missverstanden wird. Aber wir dürfen doch jetzt sagen, die Zeiten sind vorbei, wo ein Mann, der 6000 Pflanzen mit Namen zu nennen wusste, schon deshalb ein Botaniker. einer der 10,000 Pflanzen zu nennen wusste, ein grosser Botaniker genannt wurde, und die ehemals sogenannte systematische Botanik ist an ihren rechten Platz, die blosse Handlangerschaft der ächten und eigentlichen Wissenschaft, zurückgedrängt worden. Die Frage, mit welchem Manne wir diese Periode ächt wissenschaftlicher Pflanzenforschung begin- nen sollen, kann von Verschiedenen verschieden beant- wortet werden, weil wir diesem Anfange noch zu nahe sind und zum Theil in ihm selbst befangen leben. Ich halte mich fest davon überzeugt, dass die Nachwelt Robert Brown als Denjenigen bezeichnen wird, dessen eminentes botanisches Genie die neuere Zeit heraufbe- Methodologische Einleitung. 5 schwor. In diesem originellen Geiste durchdrangen sich alle verschiedenen Zweige des botanischen Wissens zu einem harmonischen Ganzen, ihm kamen die nothwendi- sen Beziehungen der einzelnen Theile, ihr relativer Werth und ihre gegenseitige Verknüpfung zuerst zum klaren Bewusstseyn, durch ihn erhob sich die Kenntniss der Pflanzenorganismen zu einer lebendigen organisch segliederten Wissenschaft, deren Ziel vollständige Ein- sicht in die gesetzmässige Entwickelung des Pflanzen- lebens in allen Phasen seiner Existenz ist ns Nach diesen Bemerkungen ist es kaum nöthig erst , ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, dass in ei- ner Disciplin, deren wissenschaftliche Behandlung noch so jungen Ursprungs ist, die kaum beginnt, sich unter der Leitung richtiger Methode zu entwickeln, — dass hier sich noch grosse Lücken finden müssen, dass ein grosser Theil ihres Gehaltes noch in schwankenden Aus- sprüchen, in den noch durch keine wissenschaftliche Vergliederung gesicherten Uonceptionen einzelner genia- ler Köpfe bestehen müsse. Ich kann mich nicht dazu verstehen, wie es nur gar zu häufig in Vorträgen und Lehrbüchern geschieht, diese Mängel durch schönklin- sende sogenannte naturphilosophische Phrasen zu ver- hüllen, die einzelnen unter einander noch unverbundenen Theile an das Kreuz einer mit etwas Witz und Phan- tasie leicht auszuspinnenden angeblichen Theorie zu schla- sen und dann -triumphirend mit einem ecce homo darauf hinweisend, die Schüler über das Unzulängliche unserer Bestrebungen zu täuschen. Mir gilt der Ernst der Wis- senschaft zu hoch, um mir selbst das unangenehme Ge- fühl ersparen zu dürfen, welches immer mit dem Be- kenntnisse verbunden ist „unser Wissen ist Stückwerk‘“. Vielleicht aber wird mir diese Offenheit auch um so I) Und doch schrieb dieser grosse Mann kein System, kein grosses Buch wie so viele Andere, die längst vergessen seyn werden, wenn Rob. Brown’s Name noch in unauslöschlichem Ruhme glänzt. Philosophi- sche Grund- lage. 6 Methodologische Einleitung. mehr Vertrauen gewinnen für diejenigen Puncte, wo ich mich berechtigt halte, etwas als unzweifelhafte Wahr- heit vorzutragen. Meine Sorge aber wird es seyn müssen, durch die Art der Darstellung zu zeigen, dass nicht meine Unwissenheit, sondern die Natur des Gegen- standes die Schuld trägt, wenn ich da, wo man Auf- schlüsse und Erklärungen, brauchbare Resultate erwar- tet hatte, nur die kahle Notiz „non liquet‘ anbie- ten kann. Wenn ich von dieser Seite mich sicher gestellt und den Ansprüchen an die Wissenschaft im Allgemeinen Schranken gesetzt: habe, so bleibt mir noch ührig zu erörtern, inwiefern meine Kräfte dieser Wissenschaft gewachsen sind. Dazu muss ich etwas weiter ausho- len, indem die nothwendige Stellung des einzeinen Be- arbeiters zu seiner Wissenschaft sich nur aus ihrem We- sen und ihrer Stellung im ganzen Gebiete des mensch- lichen Wissens ergeben kann. Da hierbei aber die ganze philosophische Orientirung in Frage kommt, so darf mit Recht von mir verlangt werden, dass ich bei dem hef- tigen Streite der sich so sehr entgegengesetzten Schu- len angebe, zu welcher ich denn gehöre, und da will ich offen mein Glaubensbekenntniss ablegen, dass ich, so weit die philosophische Forschung überhaupt meinen Kräften erreichbar ist, mit ganzer Seele der Kantisch- Friesischen Philosophie anhänge, dass ich insbesondere für die Naturwissenschaften kein Heil sehe, als in den Methoden der mathematischen Naturphilosophie, wie sie von unserm herrlichen Fries ausgebildet worden. Ja ich glaube behaupten zu dürfen, dass alle grossen Na- turforfcher, ich will nur an Zaplace und Newton er- innern, von jeher wenn auch unbewusst Friesianer wa- ren und dass es sich leicht nachweisen lässt, dass die sich offen zu andern Schulen bekennenden, wie z. B. ein Oken, Alles, was sie Tüchtiges und Bleibendes geleistet haben, nicht ihrer Philosophie, sondern dieser zum Trotz dem Instinete des Genius verdanken. Methodologische Einleitung. 7 Doch ich komme auf meine Aufgabe zurück. So- bald im Kinde das Bewusstseyn erwacht, wenn es an- fängt sich als Ich dem Andern entgegenzusetzen, tritt es aus der vom Wissensdrange freien Unbefangenheit heraus und es entsteht dem Menschen die Nothwendig- keit der Erforschung. Hier tritt plötzlich die grosse Scheidewand zwischen Subject und Object, zwischen Ich und Du oder Er. Diese Entgegensetzung von Subject oder dem Forschenden und Objeet oder dem Gegen- stande des Forschens ist fernerhin für unser ganzes Eirdenleben ein Unvermeidliches und wir müssen uns ent- weder in die Nebel phantastischer Kinderträume zurück- versetzen wie die Schelling’sche Schule, oder in arro- santer Vermessenheit zum Gott aufschwellen wie die Anhänger Hegels, um diesen Gegensatz aufzuheben. Schade dass kein klarer Kopf diese kindischen Spiele- reien der Phantasie für Wissenschaft erkennen und kein sesunder Kopf die prätendirte Gottheit glauben will. Aber schon in diesem ersten Anfange der menschlichen Geistesbildung trennen sich die beiden Hauptrichtungen der Eirkenntniss nach der Verschiedenheit der Einleitung in die- selbe, nämlich die Wissenschaft der Selbstbeobachtung durch den innern Sinn und die Erkenntniss des Weltganzen durch die äussern Sinne. Diese Trennung ist aber in ihrer ursprünglichen Bedingtheit nichts vom Object un- seres Forschens Abhängiges, sondern von dem Verhält- nisse des Einzelnen zum Weltganzen veranlasst, denn auch das fremde Geistesleben kommt uns nur im Schluss nach vollständiger Analogie vermittelt durch die äussern Sinne zum Bewusstseyn, und es würde daher für jede andere Individualität die Wissenschaft vom Geiste einen andern Umfang haben. Es entsteht uns daher die Auf- gabe, durch gegenseitigen Austausch die aus unserer Stellung zum Ganzen hervorgehende Einseitigkeit zu eliminiren, das Gleichartige zusammenzufassen und vom Heterogenen zu trennen, und das führt uns denn zur objectiven Begränzung jener beiden Theile der mensch- Gegen- stände menschli- cher Wis- senschaft überhaupt. Geist und Körper. Die drei Be- trachtungs- weisen des Körperli- chen. Botanik. 5 Methodologische Rinleitung. lichen Erkenntniss: 1) der wissenschaftlichen Erfor- schung der Geisteswelt; 2) dem Studium der Körper- welt. Dabei bleibt aber dieses letztere, weil es nur durch die Thätigkeit eben des menschlichen Geistes ge- fördert werden kann, immer von der vorigen als der Erkenntniss zunächst ‚des menschlichen Geistes und sei- ner Gesetzmässigkeit abhängig. Den materiellen Theil des Weltganzen, das den äussern Sinnen sich als vorhanden Ankündigende, können wir füglich nach drei Beziehungen betrachten: 1) als qualitativ Verschiedenes, 2) als im Raume Bewegliches, 3) als Gestaltbares. Diesen drei verschiedenen Betrachtungsweisen wür- den so ohngefähr die drei Disciplinen Chemie, Physik und Naturgeschichte entsprechen. Das Ideal der voll- endeten Naturwissenschaft zerfiele eigentlich in Hylo- gnosie und Phoronomie, denn in letzter Instanz müssen wir freilich einmal darauf zurückkommen, den Gestal- tungsprocess auch als eine blosse Bewegung zu behan- deln; indess sind wir noch lange nicht so weit und die Möglichkeit einer solchen Construction wird vielleicht von Vielen noch nicht einmal geahnet. Vorläufig kön- nen wir also an der gegebenen Eintheilung zweck- mässig festhalten, indem wir die bewegende Kraft, so- weit sie zu Gestalten führt, als Bildungstrieb be- zeichnen, und ‘auch den chemischen Process, der eben- falls später einmal der Bewegungslehre anheimfallen muss, jetzt noch mit dem ersten Theil unter dem Na- men Uhemie vereinigen. In der letzteren Beziehung nun, im Gebiet der gestaltenden (morphotischen) Processe können wir wie- der nach dem Object unserer Forschung drei Haupt- abtheilungen unterscheiden, nämlich die Bildung des Krystalls, der Pflanze und des ’"TThiers, womit die Eintheilung der Naturgeschichte in Mineralogie, Bo- Methodologische Einleitung. 9 tanik und Zoologie gegeben wäre '). Neben dieser Eintheilung, die nur die möglichen Objeete unserer Er- kenntniss im Allgemeinen betrachtet, steht nun eine an- dere, welche specieller die Quellen unserer Erkennisse ins Auge fasst. Danach entspringen unsere Erkenntnisse entweder aus reiner Einsicht (Vernunftwissenschaften ), oder aus der Sinnesanschauung (empirirische oder Eir- fahrungswissenschaften). Die ersteren kommen uns dann entweder durch eine künstliche Form der Selbstbeobach- tung durch Begriffsverknüpfung zum Bewusstseyn (Phi- losophie), oder in der reinen Anschauung (Mathematik). Die letzteren werden durch den innern Sinn vermittelt (Psychologie), oder durch die äusseren Sinne (Natur- wissenschaften). Die Botanik wäre also nach dieser Orientirung eine Erfahrungswissenschaft und zwar die Wissenschaft von der Gestaltung der Materie unter der Form der Pflanze. Noch einen Augenblick will ich bei dieser Bestim- mung der Aufgabe verweilen. Die Botanik ist eine Er- fahrungswissenschaft und besteht demnach aus zwei sehr verschiedenen Elementen; nämlich nicht blos aus den uns von der Naiur angebotenen, durch die Sinne aufgefass- ten Thatsachen, sondern auch aus dem, was der mensch- liche Geist, indem er sie denkend ergreift und unter allgemeine in der Vernunft @ prior! gegebene Gesichts- puncte ordnet, hinzubringt, um aus dem Aggregat der Thatsachen ein System der Wissenschaft zu machen. Derjenige, der eine solche Wissenschaft selbstständig und selbstthätig ausbildet, ist also einmal von der Klarheit seiner Einsicht und der Bildungsstufe seines Denkver- mögens abhängig, andererseits aber auch von seiner Stellung zur Aussenwelt, indem die Möglichkeit einer bestimmten Brfahrung für jeden Einzelnen etwas rein 1} l) Beiläufig gesagt will ich hier bemerken, dass eigentlich als erste und zweite Abtheilung die Gestaltung der Sonnensysteme als Astronomie und die Gestaltung der Weltkörper, in specie der Erde, als Geologie im weitesten Sinne hier einzuschieben wäre. Bestimmung der Aufgabe der Wissen- schaft. Erfahrung. 10 Methodologische Einleitung. Zufälliges ist. Auf diese Weise kann der Einzelne wohl sagen: „‚ich will die mir gewordenen Erfahrun- sen benutzen, wie es meine Einsicht und mein Verstand mir erlauben‘, aber nicht „ich will diese oder jene Erfahrung machen“. Ich erlaube mir hieraus eine für mich wichtige Folgerung abzuleiten. Der Kreis der wirkli- chen Erfahrung ist für jeden einzelnen Forscher ein im Verhäliniss zu seiner äussern Stellung im Leben be- schränkter. Die Wissenschaft bedarf aber zu ihrer Fort- bildung der Gesammterfahrung Aller, und so wird der Einzelne gezwungen, die Erfahrungen Anderer als blos historisches Wissen in den Kreis seiner geistigen Thä- tigkeit aufzunehmen. Hier erscheint nun jeder Einzelne im Verhältniss zum Andern als ein Zeuge über That- sachen, und seine Glaubwürdigkeit und somit die Brauch- barkeit dessen, was er sagt, für die Wissenschaft hängt von denselben Bedingungen ab, wie bei der juristischen Zeugenaussage, von der Beantwortung der beiden Fra- sen: Konnte der Zeuge die Wahrheit sagen und wollte er sie sagen? Hieraus ergiebt sich von selbst, dass, da auch meine Stellung zum Ganzen der möglichen Erfah- rung nothwendig eine beschränkte ist, ich genöthigt seyn werde, Manches mitzutheilen, wofür ich nur die Aussage Anderer anführen kann, ohne dass ich selbst im Stande gewesen wäre, die Richtigkeit der Behauptung zu ve- rifieiren.e. Manches davon kann vielleicht falsch seyn, aber die Verantwortung dafür habe ich nicht zu über- nehmen, sondern nur nach bestem Gewissen die Momente anzugeben, aus denen die Glaubwürdigkeit der einzel- nen Mitarbeiter am Bau der Wissenschaft beurtheilt wer- den kann. Nach diesen Vorbemerkungen ist leicht ein- zusehen, welch einen geringen Theil von dem Folgen- den ich als mein Eigenthum in Anspruch nehmen kann, für wie wenig also auch man berechtigt ist mich ver- antwortlich zu machen. Will man mir dabei zum Vor-- wurf machen, dass man auf mehr gerechnet, so kann ich diesem Vorwurf nichts enigegnen; was ich aber mir Methodologische Einleitung. 11 als Verdienst anrechne, ist, dass ich nicht gesonnen bin etwas als wahr und gewiss zu überliefern, was ich nach der gewissenhaftesten Prüfung nicht dafür erken- nen kann. Aber auf der andern Seite ist denn Fe die grosse Wichtigkeit der philosophischen Ausbildung eines Mit- arbeiters in der Wissenschaft ins Auge zu fassen. Ohne Empirie, ohne Erfahrung kann es allerdings zu keiner Eirfahrungswissenschaft kommen, aber deshalb sind die nackten T'hatsachen doch noch weit davon entfernt, schon Wissenschaft zu seyn, so wenig als Baumaterial ein Tempel ist. Zur Wissenschaft kommt es erst durch Ueberblickung der 'T'hatsachen, Vergleichung derselben, Aussonderung der klaren, unzweifelhaften von den un- klaren und zweideutigen, Bestimmung der wesentlichen und wichtigen im Gegensatz des Zufälligen und Unbe- deutenderen, Ableitung allgemeiner Regeln oder Gesetze aus dem Wesentlichen, Erklärung des Unklaren und der Nebensachen aus den gefundenen Regeln und Ge- seizen u. s. w., lauter geistigen Operationen, von denen die blosse Beobachtung nichts weiss noch wissen kann. Hier ist namentlich der Platz für die Anwendung einer gesunden Logik, nicht als Organon sondern als Katharti- kon der Wahrheit. Hier fehlt es den botanischen Schriftstellern oft an allem Ueberblick der 'Thatsachen und den Leser ergreift ein unangenehmes Gefühl, weil er vor allen halberzählten, halberklärten Einzelheiten nie zu klaren Ansichten gelangt und man häufig gar nicht er- fährt, was der Verfasser eigentlich will. Wenn Einer sich im polemischen Theile heftig gegen eine Ansicht ausgesprochen hat, weil er einseitig die Thatsachen’ auf- fasste, so finden wir oft wenige Seiten darauf die Dar- stellung einer Menge von Thatsachen, die die angegril- fene Ansicht bestätigen. Leider muss man gestehen, dass diese Schilderung fast allgemein auf Meyen's Phy- siologie passt. Stets übersieht er bei der Masse der von ihm nicht beherrschten 'Thatsachen den Punct, wo die Reflexion. Hülfswis- senschaften. 12 Methodologische Einleitung. höhere Eiuheit liegt, und doch fasst er selten scharf und richtig die wesentlichen Verschiedenheiten auf. Ich wende mich wieder zur Betrachtung der Bota- nik als Wissenschaft. Ich habe im Vorigen auf die systematische Gliederung des menschlichen Wissens auf- merksam gemacht. Es wurden indess die verschiedenen Disciplinen des menschlichen Wissens nicht auf diese Weise a priorv eingetheilt und dieser Eintheilung ge- mäss bearbeitet, weil dieses eine Uebersicht und Orien- tirung voraussetzt, die erst das Besultat weit umfas- sender Untersuchungen seyn konnte. Wie allmälig das Bewusstseyn in der Menschheit erwachte, der For- schungsgeist erst das Nächste ergriff, von diesem aus sich immer weiter in grösseren Kreisen ausdehnte, bis endlich der ganze Umfang des Wissens für den Ein- zelnen zu mächtig wurde und auch hier Theilung der Arbeit eintrat, umgränzte man vielmehr zum Theil nach rein zufälligen Einflüssen, zum Theil nach dem natür- lichen Vortheil, der in der Bequemlichkeit der Bearbei- tung gleichartiger Objecte liegt, zum "Theil endlich nach den schon früh auftauchenden Ahnungen von der Ab- hängigkeit gewisser 'Thatsachen von gleichen Ursachen die naturwissenschaftlichen Diseiplinen auf eine Weise, dass fast jede mit einer vorzugsweisen Hauptrichtung sich auch einen Theil aus allen übrigen aneignete. Einestheils hinaus, anderntheils aus der Unterordnung alles Einzelnen in die Einheit des Weltganzen und der daraus hervorgehenden Bezüglichkeit der scheinbar heterogensten Dinge auf einander erklärt sich das Capitel von den soge- nannten Hülfswissenschaften, welches wir oft mit widerli- cher Breite in den Handbüchern, besonders der ältern Zeit abgehandelt finden. Ich erinnere nur daran, dass man früher wegen des classischen Rostes die Numismatik als Hülfswissenschaft der Chemie aufzuführen pflegte. Die Sache ist indess mit wenig Worten ein für allemal ab- gemacht. Für den Anfänger giebt es natürlich keine Hülfswissenschaften, sondern eben nur immer diejenige, Meihodologische Binleitung. 13 s mit der er gerade sich bekannt machen will. Für Den- jenigen aber, der irgend eine Disciplin zur Aufgabe sei- nes Niebens wählt, fordern wir wunabweislich erstlich eine encyklopädische Vorbildung, die ihm eine Uebersicht über das ganze Gebiet des menschlichen Wissens ge- währt und somit ihn die richtige Stelle der von ihm sewählten Disciplin und ihr Verhältniss zu den andern finden lässt; er muss wissen, wie seine Diseiplin mit dem Ganzen zusammenhängt, von welcher Art die Er- kenntinisse”sind, mit denen er es zu thun hat, und ins- besondere aus welchen Quellen sie fliessen, mit einem Worte er muss in dem Ganzen, von dem er sich einen Theil zu eigner Bearbeitung aussondert, orientirt seyn. Dann aber fordern wir zweitens eine beständige Vertraut- heit mit den Resultaten derjenigen Diseiplinen, von de- nen Einer eben einen "Theil in die seinige aufzunehmen gedenkt, wo denn die Auswahl bei dem jetzigen Zu- stande der Naturwissenschaften lediglich von der Will- kür des Einzelnen und seinen speciellen Lieb- habereien abhängt"). So z. B. ist die Astronomie 1) In einer Sitzung der SocietE philomathique im Jahre 1840 trug ein Herr Rouwlins eine 'I'heorie über das Weisswerden der Haare vor, welches er aus dem Verschwinden des flüssigen Inhalts und dem Ersatz durch die Luft erklärte; dagegen opponirte sich ein Herr Doyere, indem er meinte, dass dann die Haare durchsichtig und nicht weiss wer- den müssten. Ist es nicht unglaublich, dass in einer solchen Societät dergleichen vorkommen kann? Es ist eine der bekanntesten optischen Erscheinungen, dass durchsichtige Gegenstände in fein vertheiltem Zustande mit Luft vermischt schneeweiss erscheinen, weil bei dem öftern Wechsel der Media das Licht vollständig reflectirt wird. In allen botanischen Handbüchen steht ganz ernsthaft die Phrase: „die Spiralgefässe zeich- nen sich insbesondere durch eine silberweisse Farbe aus“. Das genirt dabei die Leute nicht, dass unterm Mikroskop meist die Spiralfaser ge- gen die daneben liegende Zellwand schwach gelb gefärbt erscheint, sonst aber völlig. durchsichtig ist. Die Spiralgefässe erscheinen allerdings weiss, wenn man sie auf der Schnittfläche eines Pflanzentheils betrachtet, weil sie Luft enthalten, ans demselben Grunde, wie die weissen Haare; lässt man einen solchen Schnitt sich voll Wasser saugen, so ists aber mit dem angeblichen Silberglanz vorbei, grade wie bei pulverisirtem Glas, auf welches man Wasser giesst. Ist es nicht wahrlich komisch, dass Leute sehen und sehend wissenschaftlich auffassen wollen, die mit den trivial- sten Sätzen der Optik unbekannter sind als ein angehender Realschüler ? 14 Methodologisehe Einleitung, eine ebenso entschiedene Hülfswissenscaft für die Bota- nik als jede andere, so weit fremd beide einander zu seyn scheinen. Es ist oft davon bei den Pflanzenphy- siologen die Rede gewesen, ob der Mond in seinen ver- schiedenen Phasen einen verschiedenen Einfluss auf die Ve- getation habe, z. B. auf den Wachsthum der Bäume. Um eine solche Frage experimentell zu entscheiden, d. h. durch Versuche zu solchen Resultaten zu gelangen, deren Varia- tionen allein auf Rechnung des Mondes geschoben werden können, muss man nothwendig eine genaue Kenntniss des Verhältnisses von Mond, Sonne und Erde und der Mögs- lichkeit ihres gegenseitigen physikalischen Einflusses, der zum grossen "Theil nur durch astronomische Thatsachen ausgemittelt werden kann, sich erwerben. | Fragen wir nun nach dieser Andeutung der Art und Weise, wie sich die Sache historisch gemacht hat, aber- mals nach dem Begriff der Botanik, so wird die Ant- wort seyn, eine logische Doßnibon lässt sich bis jetzt eigentlich gar nicht geben, weil die Wissenschaft keine innere philosophische, sondern nur eine äussere traditionelle Einheit hat. Wohl aber kann man, abge- sehen von der historischen Aufzählung der einzelnen un- In einer Menge Büchern heisst es: „die steinigen Concretionen in den Winterbirnen bestehen aus apfelsaurem Kalk“. Letzterer ist nicht nur ein leicht auflösliches, sondern sogar ein zerfliessliches Salz, kann also gar nicht in fester Form existiren, wo irgend Feuchtigkeit in der Nähe ist. In Liebig’s organ. Chemie S. 22 heisst es: „Die Tropen, der Aequator, die heissen Klimate, wo ein selten bewölkter Himmel der Sonne gestattet“ u.s.w. Die Region der Calmen hat bekanntlich unausge- setzt von atmosphärischen Niederschlägen zu leiden, in den kalten Zo- nen dagegen ist fast beständig heiterer Himmel, weil es an Feuchtigkeit in der Atmosphäre fehlt. Ferner: „derselbe Luftstrom, welcher veran- lasst durch Umdrehung der Erde seinen Weg vom Aegqua- tor zu den Polen zurückgelegt hat“ u. s. w. Ich empfehle Hrn. Liebig, der S. 32 mit der frechsten Unverschämtheit hinschreibt: „selbst für die Koryphäen der Physiologie seyen Kohlensäure, Ammoniak, Säuren und Basen bedeutungslose Laute“, noch ein Halbjahr nach Ama zu gehen, um wenigstens eine Ahnung von physikalischer Geographie zu bekommen. Solchen Leuten kann man freilich das Capitel von den Hülfs-: wissenschaften nicht weit genug ausspinnen, damit sie einsehen, wie viel sie noch zu lernen haben, ehe sie wagen dürfen, lehren zu wollen. Methodologische Einleitung. 15 ter dem Namen der Botanik vereinigten Momente an- geben, was der wichtigste "Theil, der durchgehende Grundgedanke seyn muss, ohne welchen die Wissen- schaft aufhört Botanik zu seyn. Dieses lässt sich aber eben nur dann finden, wenn wir zusehen, was nach ei- ‘ ner philosophischen Orientirung im Gebiete des mensch- lichen Wissens die eigentliche: Stelle der Botanik seyn würde. Hier haben wir nun aber oben gefunden, dass die Pflanze eine Manifestation des morphotischen Pro- cesses sey, und wir haben also das Wesen der Botanik nicht in den Gesetzen der Chemie und Physik. sondern in der Gestaltung der Formen, in der Entwickelung der Pflanze als solcher zu suchen. Daneben aber bleibt uns bei der Art und Weise, wie sich nun einmal die Wis- senschaften historisch ausgebildet haben, freilich noch zu erforschen, wie die physikalischen und chemischen Processe durch die Entwickelung der Formen und unter dem Einfluss der entwickelten modifieirt werden. So- viel über den Begriff der Wissenschaft, soweit es ihn hier zu erörtern nöthig ist. Ich gehe zum zweiten Punet, zum Object der Wissenschaft, zur Pflanze über. $. 2. Wir fanden so eben, dass es um eine logische De- finition der Botanik aus ihrem Inhalt bislang ein missli- ches Ding ist. Man könnte indess eine andere Erklä- rung der Botanik als Wissenschaft fordern, indem man nämlich das Object, mit dem sie sich beschäftigt, definirt und sie selbst dann als denjenigen Zweig der Natur- wissenschaft bestimmt, bei dem die ganze geistige 'Thä- tigkeit des Menschen nur auf dies eine Object bezogen und angewendet wird. Wenn wir indess diese Forde- rung genauer betrachten, so möchte uns leicht nicht nur die Unmöglichkeit der Lösung, sondern sogar die Wi- dersinnigkeit der Anforderung klar werden. Um in .der Wissenschaft von einem Gegenstande eine Definition ge- Das Object der Botanik. 16 Methodologische Einleitung. ben zu können, muss ich denselben in allen seinen Be- ziehungen erkannt haben. Bei Vernunfibegriffen ist dies Sache der analytischen Entwickelung und der Deduction, bei Erfahrungsgegenständen hänge ich dagegen eben von der Erfahrung ab. In dieser Weise ist die Aufgabe der Botanik grade eben erst die, die Pflanze in allen ihren Beziehungen kennen zu lernen, grade im eigent- lichsten Sinn des Worts erst zu erforschen, was eigent- lich eine Pflanze für ein Ding sey. Mit einer Defini- tion der Pflanze beginnen hiesse also vom Endpunct aus- sehen und die Vollendung der Wissenschaft, die wir erst erstreben wollen, voraussetzen. Dieser Punet ist, wie mir scheint, niemals genügend scharf aufgefasst und doch EI Beuchil so wichtig, dass er den ganzen Weg bestimmt, den wir in der Wissenschft zu sehen haben. Wir sind völlig ohne Grund, wenn wir in der Botanik vom Begriff der Pflanze ausgehen wollen, denn wir wis- sen noch nicht, was eine Pflanze ist, die uns nur in sche- matischer Unklarheit vorschwebt. Dieses Schema kön- nen wir zur Vorbereitung auch nur erörtern eiwa in" der Weise, wie ich es in Gegenwärtigem versucht habe, aber nicht durch Definition zum Begriff! erheben, auf dem sich wissenschaftlich fortbauen liesse. Wir werden also vielmehr von denjenigen Einzelwesen, die wir consensu omnium nun einmal Pflanzen nennen, ausgehen müssen, von ihnen uns zu analogen Gebilden wenden und so uns nach allen Seiten ausbreitend fortschreiten, bis wir die Grenzen unseres Gebietes dadurch erkennen, dass wir keine Formen mehr finden, auf die unsere durch das sanze Gebiet gefundenen Resultate passen. Hätte man sich immer fest an diese Regel gehalten, so wären uns in neue- rer Zeit die zum Theil ins Widerwärtige ausgearteten Gränz- streitigkeiten zwischen Botanikern und Zoologen (ich nenne hier als Vorkämpfer Meyen und Ehrenberg) erspart worden, in welchen die Botaniker offenbar den Kürzern zo- sen, weil sie auf ihrem eignen Gebiet und namentlich in der Nähe der streitigen Gränze am schlechtesten orientirt waren. Methodologische Einleitung. 17 Wir müssen zusehen, wie wir schon hier sol- chen Missgriffen vorbauen, und zu dem Endzweck vor- läufig einmal genauer das Objeet, mit dem wir uns be- schäftigen wollen, ins Auge fassen. Vom ersten Au- senblicke an, seit man Pflanzen, T'hiere und Mineralien als drei grosse Classen der Naturkörper unserer Erde unterschied, glaubte man in den Pflanzen etwas erken- nen zu müssen, was sie den Thieren näher rückte und von den Mineralien entfernte. Man suchte nach Ausdrücken dafür und ergriff ziemlich unglücklich das Wort Leben. Durch die ganze Wissenschaft hindurch wurden nun nach den verschiedenartigsten Begriffsbestim- mungen die Pflanzen und 'Thiere als lebende Wesen den Mineralien als unbelebten entgegengesetzt. Auch bezeich- nete man wohl diese beiden Abtheilungen mit den Ausdrücken organisch und unorganisch. Mangelhafte Kenntniss der Mi- neralien auf der einen Seite, indem man die Krystalle - als Individuen derselben nicht kannte, und gänzliche Un- wissenheit über die inneren Vorgänge, die Physiologie des Pflanzen- und "Thierkörpers hatten diesen Irrthum hervorgerufen, sgeistlose Autoritätenfurcht, scholastischer Schlendrian und todte Bücherweisheit haben diese ver- kehrte Ansicht wie so viele andere in unsere Wissen- schaft verflochten, dass man geglaubt hat und zum Theil wohl noch glaubt, ohne diese Ansicht gar nicht fertig werden zu können. Wir müssen aber, um uns den Weg zu säubern, auf die unabweisbare Berechtigung der Logik gestützt, ehe wir diesem Satz auch nur den ge- ringsten Einfluss einräumen, nach dem zureichenden Grunde fragen, der uns bestimmen könnte, eine solche dichotome Eintheilung der Naturkörper anzunehmen, statt alle drei als homologe Glieder neben einander zu stellen. Es ist schon früher angeführt, dass die Naturge- schichte ihrem eigentlichen Wesen nach die Wissen- schaft von der Materie unter der Herrschaft des bilden- den Triebes ist. Verfolgen wir aber den gestaltenden Process in seinen verschiedenen Ausdrücken, so finden H > Erörterun- gen über den Begriff der Pllanze. Gegensatz des Organi- schen u. Un- organischen. I nn Methodologische Hinleitung. wir eine dreifache wesentliche Verschiedenheit in dem Werthe, den die Form in Bezug auf die übrigen Ver- hältnisse der Materie hat. Es ist allgemeines Natur- gesetz (d. h. überall bestätigte Erfahrung ), dass sich die Form als das relativ Feste nur aus dem Flüssigen bildet. Theoretisch liesse sich dieses Gesetz so ableiten: Bildung einer Form ist Bewegung der einzelnen Theil- chen einer Materie bis an eine gewisse Stelle. Der flüssige Zustand ist aber der einzige, bei welchem ohne Aufhebung des Zusammenhangs die Beweglichkeit der einzelnen Theile im höchst möglichen Grade vorhanden ist, also ist Formbildung nur im Flüssigen möglich. Wir können hier als den allgemeinsten Theilungsgrund auf- stellen, dass die Form bei ihrer Entstehung die Mutter- lauge, wenn wir mit diesem passenden der Chemie ent- lehnten Worte ganz allgemein die aus sich Formen bil- dende Flüssigkeit bezeichnen, ich sage — dass die Form die Mutterlauge entweder ausschliesst oder einschliesst. Ich muss hier noch bemerken, dass die bildende Kraft nur in der Materie, in der Flüssigkeit liegen kann, denn Kraft ohne Substrat ist ein unzulässiger Begriff. Nicht die Form bildet sich, wie es so oft falsch ausgedrückt wird, sondern die Flüssigkeit bildet sie. Die bildende Thätigkeit kann nicht als Aeusserung der schon der Idee nach vorhandenen Form, etwa in Art der Aristo- telischen Entelechien, angesehen werden, sonst käme es nie zur Form, da eine gesunde Philosophie sich keine Thätigkeit eines Dinges, das nicht existirt, vorstellen kann,- diese 'Thätigkeit aber vor dem Erscheinen jeder Spur von Form schon da seyn muss, weil es sonst auch nicht einmal zu jener Spur von Form käme. In dem ersten der angeführten Fälle, wenn nämlich die Form die Mutterlauge ausschliesst, ist die Form (das Feste) homogen, eine Differenz zwischen Innerm und Aeusserm ist nicht gegeben und daher eine Wechsel- wirkung zwischen Innerm und Aeusserm vermittelt durch die Form unmöglich. Die Natur macht hier den ersten Methodologische Einleitung. 19 Versuch zur Gestaltung, es ist die niedrigste Stufe der bildenden Thätigkeit. Die bildende Kraft bleibt hier le- diglich ein Aeusseres, von allen Seiten her Wirkendes und durch keine Einwirkung von Innen heraus Beding- tes, somit ist aber auch das Verhältniss einer Fläche zu einer gleichförmig von einem Puncte aus wirkenden Kraft, also die gebogene Fläche ausgeschlossen. Das Geschöpf ist einzig und allein nach wie vor den unmodifieirten mathematischen, physikalischen und chemischen Gesetzen unterworfen. Das Gebilde steht zu seiner Mutterlauge in keiner nothwendigen, sondern in einer zufälligen blos räumlichen Beziehung und entfernt von derselben hört jede Wechselwirkung mit ihr, also auch jede Fortbildung auf. Es ist die Natur des Krystalls, die ich hier schildere. Der zweite Fall war der, wo die Form die Mutter- lauge einschliesst. Hier bezieht sich sogleich die ganze Bildung auf ein Inneres, auf einen Punct, der nach al- len Seiten auf die Entstehung der Form einwirkt, wo- durch eben bei sleichförmiger Einwirkung eines Puncts auf eine Ebene, die alle sogenannten organischen Kör- per charakterisirende gebogene Fläche bedingt werden mag. Wir wollen diese einfache Form, wo das rela- iiv Feste einen Theil der Mutterlauge umschliesst, im Allgemeinen eine Zelle nennen. Hier finden wir gleich als wesentliches Element die Differenz zwischen Inhalt und Form, also zwei mit Nothwendiskeit gegebene Factoren gegenseitiger Wechselwirkung. Es liesse sich nun freilich der Fall denken, dass das Coniinens, die Zelle, ein absoluter Isolator zwischen den physikalischen Kräften des Weltalls und insbesondere der Erde und dem Contentum, der eingeschlossenen Mutterlauge, wäre; aber abgesehen davon, dass auch selbst für eine einzelne physikalische Kraft uns die Erfahrung keinen absoluten Isolator aufweist, so giebt sie uns auch für die thieri- sche und pflanzliche Membran insbesondere ganz entschie- den das Gegentheil an die Hand. Ihr kommt allgemein, DEN 20 Methodologische Einleitung. soweit unsere Erfahrung reicht, ausser der Durchdring- lichkeit jeder Materie für die Imponderabilien noch die Permeabilität für ponderable Stoffe im tropfbar flüssigen Zustande zu, ohne dass wir berechtigt wären, eine an- dere Unterbrechung der Continuität in derselben anzuneh- men, als bei dem für das Licht durchdringlichen Glase. Die physikalischen Kräfte wirken also auf den Inhalt der Zelle fort, aber modifieirt durch die Vermittelung der umschliessenden Formen. Die Form steht mit der Mut- terlauge in einer nothwendigen Wechselwirkung und wenn die Mutterlauge, welche in der Zelle eingeschlos- sen ist, fortfährt Formen zu bilden, so müssen diese (die neuen Zellen) in einem nothwendigen Zusammen- hange mit der ursprünglichen Form und der Mutterlauge stehen und von ihrem Binflusse abhängig seyn, wodurch schon die Möglichkeit der Fortpflanzung, d. h. die Be- stimmung einer neu entstandenen Form, in ihrer Entwicke- lung einer schon vorhandenen als bestimmenden gleich oder ähnlich zu werden, gegeben ist. Wollen wir nun die Ausdrücke lebendig und todt, organisch und unorganisch auf diese verschiedenen Pro- duete des Bildungstriebes anwenden, so können wir im- merhin die ersteren die Krystalle unorganische, todte, die.andern die Zellen organische, lebende Wesen nen- nen '). Doch müssen wir uns beständig dabei erinnern, 1) Ich habe hier für die Worte organisch, lebendig u. s. w. be- stimmte Begriffe gewonnen, aber nur indem ich die Elementarform ins Auge fasste. Man spricht aber auch bei formlosen Stoffen von orga- nisch. Ich muss deshalb den Begriff der organischen Materie hier noch etwas bestimmter erörtern. Ich unterscheide mit Schwann die organi- sche Krystallform, die Zelle, von der unorganischen, dem Krystall. Das Primäre, Ursprüngliche in aller Organisation ist stets das Auskrystallisi- ren der organischen Materie, also Zellenbildung. Die Zelle ist der erste Anfang jedes Organisationsprocesses, also auch der Pflanzenbildung. Keineswegs bleibt es aber allein bei der Zellenbildung stehen und wir dürfen nicht erwarten, dass alle Pflanzenformen ausschliesslich aus Zel- len zusammengesetzt sind. Auf der andern Seite kommt es keineswegs immer zur Zellenbildung und manche organische Stoffe bleiben selbst formlos von der organischen Form nur eingeschlossen. In Betreff des ersten Punctes ist gar leicht einzusehen, dass die Methodologische Binleitung. 21 dass wir eine Reihe von uns gegebenen Formen rein willkürlich nach einem beliebigen Bintheilungsgrund zer- schnitten haben und dass wir eben so sehr berechtigt sind, jeden andern Kintheilungsgrund zu gebrauchen. Denn abgesehen von den Anforderungen der Zweck- mässigkeit und Bequemlichkeit können wir mit derselben Berechtigung die Naturkörper in weisse, schwarze und farbige, oder in grosse, kleine und mittlere nach einem beliebigen Maassstab oder auch dichotom in @ und non-a einmal gebildete Zelle durch den gegebenen eigenthümlichen Lebenspro- cess Stoffe möglicher Weise in bestimmten Kormen abscheiden könne, die keine Zellen sind und sich auf solche nicht zurückführen lassen. Damit das geschehen könne, müssen freilich immer schon Zellen vorhan- den seyn, denn in ihnen allein liegt der Grund des Lebens, die Zellen- form ist wesentliche Bedingung dazu, dass die chemischen und physi- kalischen Kräfte zum Lebensprocess verändert werden, auch zeigt uns die Erfahrung überall und unbedingt die Zelle als das zuerst Vor- handene. Wir finden nun in der 'T'hat bei den Pflanzen vielfach solche Stoffe, die unter dem Einfluss der Pflanzenzellen bestimmte Formen an- genommen haben und hiermit zur Bildung des ganzen Pflanzenkörpers mehr oder weniger wesentlich beitragen, z. B. die Gelatina bei den Undina-arten. In Hinsicht des zweiten Punctes giebt es nun aber auch mehrere Stoffe, die nie dahin gelangen als Zellen zu erscheinen, weil .sie nie sich in Flüssigkeiten bilden, in welchen sie relativ oder absolut unlöslich wären, also nie in den Fall kommen auskrystallisiren zu müs- sen, z. B. Gummi. Dann aber finden wir auch Materien, die auf ge- wöhnliche Weise in unorganischen Formen krystallisiren, z. B. Zucker, fette Oele, doch aber wegen ihrer engen Verwandtschaft mit andern Stoffen zu den organischen gezählt werden müssen. Demnach stellt sich uns für das Folgende die Sache so: Wir unter- scheiden von den unorganischen Stoffen, welche wie gewöhnlich krystal- lisiren und nie zur Bildung der organischen Formen beitragen, die orga- nischen Stoffe als solche, die mittelbar oder unmittelbar zur Bildung und Erhaltung der festen Formen bei Pflanzen im Allgemeinen nothwendig sind. Dadurch schliessen wir in den Begriff solche Substanzen, wie Zucker. fette Oele, die als Bildungsstufen des Membranenstoffes erschei- nen, ein und schliessen alle Secretions- und Excretionsstoffe, die zwar für diese oder jene bestimmte Pflanze etwa von Wichtigkeit sind, aber nur durch bestimmte Modificationen des Lebensprocesses der Pflanze hervorgerufen werden, aus. Diese organischen Stoffe könnte man dann nach folgendem Schema betrachten: 1) Organische Stoffe im Allgemeinen, 2) Einfache organische Form, einfachstes lebendes Wesen — die Zelle. 3) Organisirte Stoffe -—— organische Substanzen, die durch die Wirkung des Zellenlebens eine bestimmte nicht krystallinische Form an- genommen haben, Ueber die Bedeutung der Analo- gie. 22 Methodologische Einleitung. eintheilen. Ob die Natur selbst die eine oder die an- dere Eintheilung anerkennt, ist eine Frage, die wir eigentlich nie bestimmt beantworten können, denn sie giebt uns kein System irgend einer Art, sondern nur Individuen, die Quelle des Systematischen entspringt al- lein in unserm eignen Geiste. Ich muss indess hier einige Worte über den Ge- brauch der Analogie in der Botanik einschalten. Ueber- all finden wir in den Handbüchern den Satz: „Dafür spricht auch schon die Analogie mit der thierischen Na- tur“. Nichts ist verkehrter in den meisten Fällen, als diese Behauptung. Wie kann dieser Schluss hier überall nur in Anwendung kommen? Alle unsere Systeme und Eintheilungen in der Natur gegebener Objecte sind ja nur ein willkürliches logisches Fachwerk, in welches wir der leichtern Uebersicht wegen die Natur einord- nen. Sie selbst giebt uns nicht Organisches und Unor- ganisches, sondern Binzelwesen, die wir nach mehr oder minder glücklich gewählten Eintheilungsgründen in ver- schiedene Abtheilungen bringen. Wollen wir also die Analogie irgendwie geltend machen, so müssen wir von vorn herein festhalten, dass in den von uns in eine Gruppe zusammengefassten Naturgegenständen nicht mehr Gleiches liegt, als wir uns durch das Eintheilungsprineip hineingelegt haben. Wenn wir also einen Schluss von der Natur des Thieres auf die Natur der Pflanze in irgend einem einzelnen Falle so hinstellen wollen, dass er nur irgend ein noch so geringes wissenschaftliches Gewicht habe und nicht blos ein ästhetisches Spiel der Vergleichung bleiben soll, so müssen wir uns erst vor- her haarscharf darüber erklärt haben, was wir unter der höheren Einheit des Organischen und Lebendigen verstehen wollen, und jede Analogie, die dann nicht als unmittelbare Folge schon in jenem Hauptbegriff gegeben ist, muss unbedingt aus der Wissenschaft verbannt wer- den. Jener Hauptbegriff fasst ja eben schon Alles zu- sammen, was wir für die untergeordneten Glieder als Methodologische Einleitung. 23 Gleiches gefunden haben, und ob es ein Mehr giebt zu erörtern, ist Aufgabe und Ziel der Wissenschaft, kann aber nicht als Grundlage und Ausgangspunct für sie postulirt werden. Indem ich Thiere und Pflanzen unter dem Begriff organisch und lebendig zusammenfasse we- gen der Einzelheiten, die ich in ihnen übereinstimmend gefunden, so setze ich grade mit Bewusstseyn die Ver- schiedenheit in allen übrigen Puncten voraus, sonst gäbe es für meine Betrachtung ja nur entweder Thiere oder Pflanzen und nicht beides neben einander als verschie- dene Naturkörper. Die Präsumtion spricht also in zwei- felhaften Fällen grade für die Verschiedenheit und ge- gen die Analogie. Das Einzige, was den Schluss auf Analogie rechtfertigen könnte, wäre der Beweis, dass diese oder jene Eigenschaft dem Thhiere oder der Pflanze nicht als solchen, sondern lediglich als organischen Wesen überhaupt zukomme. Der Beweis kann aber nur eben dann geliefert werden, wenn diese Eigenschaft schon in der vorher gegebenen Erklärung des Organi- schen mit enthalten ist. In jedem andern Falle ist der Schluss nach Analogie gradezu ein falscher und beruht auf der nur zu allgemeinen Unklarheit und logischen Bildungslosigkeit Dessen, der ihn gebraucht. Beispiele liessen sich leider nur zu viele anführen. Wir charakterisiren also hier den Begriff Organis- mus als das Verhältniss der Form zur eingeschlossenen Mutterlauge und Leben als Wechselwirkung zwischen der Mutterlauge und der Form, zwischen dem Inhalt und den äussern physikalisch -chemischen Kräften ver- mittelt durch die Form und endlich Wechselwirkung zwischen der primären Form und den in der bereits einge- schlossenen Mutterlauge später erzeugten Formen. Für Alles nun, was aus Zellen gebildet ist, können wir die Nothwendigkeit dieser drei so eben unter dem Worte Leben zusammengefassten Processe in Anspruch nehmen, und Alles, was unmittelbare Folge dieses Verhältnisses ist, muss auch für diese Gebilde gleichmässig Gültigkeit Uebergang aus dem Un- organischen ins Organi- sche. 24 Methodologische Einleitung. haben. Alles was aber nicht schon in dieser Definition als Merkmal enthalten ist oder daraus folgt, dürfen wir, wenn wir es z. B. bei den Thieren finden, nicht so- gleich auf die Pflanze übertragen oder als Unterstützung zur Erklärung eines Vegetationsprocesses gebrauchen, denn grade der Punct kann ja möglicher Weise einen Unterschied zwischen beiden ausmachen, z. B. müssen wir in beiden Reichen nach Fortpflanzung suchen, jedoch über die Form derselben in einer Reihe nach der Ana- logie mit der andern entscheiden zu wollen, ist gradezu logisch falsch. Die Eintheilung der Naturkörper in organische und unorganische konnte nur in einer Zeit entstehen, wo man nur die Extreme beider ins Auge fasste. Wer einen Löwen mit einem Stück Kalk vergleicht, wird freilich sagen müssen, dass sich dieser Unterschied Begriff des Lebens, allen unsern Sinnen aufdrängt. Wenn man aber die kleinen fast kugeligen Krystalle des Eisenoxyds mit den eben so kleinen kugeligen ebenfalls fast ganz aus Eisen bestehenden Gliedern der Gallionella ferruginea (Ehrenberg) vergleicht, welche letztere, mögen sie nun einer Pflanze oder einem Thiere zugehören, doch auf jeden Fall eine organische Bildung darstellen, so fällt plötzlich der crasse Gegensatz weg und jeder den- kende Kopf sieht gleich die endliche Möglichkeit ein, dass es der Wissenschaft einmal selingen könne, die Bildung beider auf ein und dasselbe Naturgesetz zurück- zuführen. Es giebt noch tausend solcher scheinbarer Sprünge in der Natur, wie vom Unorganischen zum Or- ganismus, wo genaue Beobachtung uns zeigen wird, dass statt specifischer Verschiedenheit nur gradweise Unter- schiede stattfinden. Ohnehin liest die Schwierigkeit gar nicht im Ge- biete der sogenannten organischen oder lebenden Gebilde. Das eigentliche Räthsel des Lebens zerfällt. wenn wir es genauer betrachten, in zwei Probleme: Methodologische Einleitung. 25 1) die Construction eines in regelmässiger Periodi- cität sich erhaltenden Systems von bewegenden Kräften; 2) die Construction des Gestaltungsprocesses. Damit ist Alles, was auch die ungeübteste Ab- straction mit dem Worte Leben bezeichnen kann, um- fasst, denn solche Leute, die das Geistige mit in die reine Naturwissenschaft hineinmischen, verdienen hier keine Berücksichtigung; ihnen wird auf dem Gebiete der Philosophie ihre Verkehrtheit nachgewiesen. Nun fällt aber die Lösung der einen wie der andern eben bezeichneten Aufgaben überhaupt nicht innerhalb der Grenzen des Organischen. Die erste ist bereits gelöst durch die Construction des Sonnensystems, welches nur die einfachste Form eines solchen Lebensprocesses ist. Man könnte hier drei Ordnungen solcher Systeme un- terscheiden. 1) Die Sonnensysteme, die einfachsten, weil sie auf den für uns sogenannten Grundkräften beruhen und uns am selbstständigsten und unabhängigsten erscheinen. 2) Die einzelnen Weltkörper für sich, von denen wir freilich nur die Erde mit einiger Gründlichkeit zu erforschen im Stande sind. Hier ist die Sache dadurch schon verwickelter, dass hier die Processe einmal von dem Systeme nächst höherer Ordnung abhängig und dann die wirkenden Kräfte schon grösstentheils abgelei- tete, also mehrere sind und vielfach verschiedene, wo- durch die Complicationen steigen. Endlich 3). die sogenannten Organismen auf der Erde. Hier wird nun die Aufgabe aus denselben Grün- den, wie bei der vorigen Abtheilung, aber in viel höhe- rer Potenz schwieriger und verwickelter. Es scheint mir klar, dass diese drei Probleme nur gradweise verschieden sind und die Möglichkeit ihrer Auflösung beruht nur darauf, dass die Empirie allmälig alle einzelnen Elemente, die in Rechnung zu ziehen sind, messbar macht, was freilich noch heute oder mor- gen nicht geschehen wird, aber offenbar nicht als der 26 Methodologische Einleitung. menschlichen Kraft wunerreichbar erscheint. Von der srössten Wichtigkeit ist es aber, einzusehen, dass diese Möglichkeit wenigstens in absöracto vorhanden ist, sollte sie es auch nicht in concreto seyn; etwa wie die Be- rechnung der eigenthümlichen Bewegung der Sonne auch nur deshalb unmöglich erscheint, weil die Compli- cationen die menschliche Fassungskraft übersteigen, nicht aber weil sie etwa den mathematischen Gesetzen nicht unterworfen sey. Wer diesen Punct nicht klar einge- sehen hat und fest und unverrückt im Auge behält, wird jeden Augenblick in Gefahr seyn, sich in ahanteunkehe Träumereien zu verlieren, statt Wissenschaft zu finden. Dieser Punet ist es, welcher für alle unsere morpholo- gischen Naturwissenschaften die oberste leitende Maxime bestimmt, indem uns hierdurch das Endziel genannt wird, nach welchem wir hinstreben sollen. Aber so sehr auch das ganze Heil einer gesunden Wissenschaft und sicherer Fortbildung derselben hiervon abhängt, so we- nis wird es doch von den Meisten eingesehen, und ha- ben sie ja einmal etwas davon gehört, so merkt man doch gewöhnlich gleich an der Art und Weise wie sie die Sache anwenden, dass sie den wahren Zusammen- hang durchaus nicht begriffen haben '). 1) Man könnte hier sich versucht fühlen, die Erörterungen eines neueren Werkes als Beispiele anzuführen, wenn in ihnen nur irgend et- was mehr läge, als höchst oberflächliche Auffassung der 'Thatsachen und der mathematischen Sätze, bis zu einer falschen philosophischen An- sicht kommt es gar nicht einmal. So heisst es daselbst mit wunderli- cher Begriffsververwirrung: ‚Mechanik oder die Lehre von der Bewe- gung der Körper ist allgemein und gilt von allen Körpern Alle Gesetze der Mechanik gründen sich darauf, dass die Bewegung der Körper von einer äussern Einwirkung ganz“ (doch auch von der eignen Anziehungs- kraft) „abhängt, sie können daher auf die lebenden Körper gar nicht an- gewendet werden, deren Bewegung von einer innern Ursache abhängt“, (möchte ich doch sehen, wie der Verfasser ohne Erdboden gehen wollte), „sondern es muss im lebenden Körper grade das Gegentheil geschehen“ (Wie so gar flach diese Rede ist, sieht Jeder gleich ein, der nur an eine künstiiche Maus denkt, die vermöge eines Uhrwerks umherläuft; nach dem Verfasser müsste man sie lebendig nennen.) „So lassen sich alse die Gesetze der Mechanik gebrauchen, um die Erfolge im lebenden Körper zu bestimmen. Z. B. Bewegung verhält sich wie die Kraft, die Methodologische Einleitung. 27 Das andere oben erwähnte Moment des Lebens, die Gestaltung, liegt aber offenbar auch auf dem Gebiete des Unorganischen und die Aufgabe einer Construction des- selben muss zuerst bei den Krystallen gelöst werden '). Dass von da zur organischen Form ebenfalls blos eine gradweise Verschiedenheit stattfindet, hat bereits Schwann mit eminentem Scharfsinn entwickelt. ?) Wir haben nun aber mit dem Bewusstseyn, einen willkürlichen Eintheilungsgrund gewählt zu haben, die Naturkörper, soweit wir sie entstehen liessen, in orga- nische und unorganische eingetheil. Was wird aber mit dem Organismus, im Allgemeinen mit der Zelle sie hervorbringt, aber im lebenden Körper wächst die Wirkung mit der Kraft nur bis zu einem gewissen Grade, dann nimmt die Wirkung ab, wenn sich auch die Kraft mehrt, wie die Wirkungen von Opium und Wein zeigen“ Der Schluss überrascht. Die Wirkungen des Opiums und Weins als mechanische, Bewegung hervorbringende anzusehen, ist so neu und, so lange man Chemie und Mechanik noch in der Wissen- schaft unterscheidet, zugleich so absurd, dass nur die Unbeholfenheit des ganzen Raisonnements noch grösser ist, denn hier wie in einem hal- ben Dutzend ähnlicher Beispiele, die die Umkehrung der Mechanik am lebenden Körper beweisen sollen, vergisst der Verfasser, dass hier von intensiven und nicht von extensiven Grössen die Rede ist und dass wir für die erstern besonders am lebenden Körper noch gar keinen Maass- stab haben, also die Redeweise von gross und klein bei Kräften und Wirkungen hier eine durchaus nichtssagende ist. Der Verfasser leugnet unter Anderm die Gültigkeit‘ des Gesetzes der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung, ‚denn der lebende Körper gewöhnt sich an den Reiz“. Das Reizmittel, z. B. Alkohol wirkt zunächst chemisch und diese Wirkungen pflanzen sich natürlich modificirt fort. Wenn der Verfasser nur erst die ganze complicirte Kette von Wirkungen auf ein- zelne messbare Bewegungen reducirt hat, will ich ihm die Gültigkeit des genannten Gesetzes sogleich beweisen. Aber von Gleichheit und Un- gleichheit sprechen wollen, wo es noch durchaus an einem Maassstab fehlt, hat gar keinen Sinn, 1) Merkwürdig ist, dass der Kohlenstoff, den man die Grundlage aller organischen Bildungen nennen könnte, selbst so äusserst selten in seinen Krystallformen von ebenen Flächen, meistens von sphärischen Flächen begränzt wird, so dass selbst die krumme Fläche noch in der Morphologie des Unorganischen zu entwickeln wäre. 2) Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Structur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen von Dr. TR. Schwann. Berlin, 1839 mit 4 Tafeln, S. 191 fede. 38 Methodologische Einleitung. weiter anzufangen seyn? Durch Veränderung; ihrer ein- fachsten Form, der Kugel, durch ungleiche Ausdehnung, durch Combination der Zellen, und durch verschieden- artige Auseinanderlagerung bei diesen Combinationen ist nun eine endlose Mannigfaltigkeit der Formen möglich geworden. Zugleich wird hierdurch auch der einfachste Lebensprocess, wie wir ihn vorhin charakterisirten, durch die Media, in denen der Zellenbildungsprocess vor sich seht, und durch die dadurch etwa nothwendig gewor- denen Vermittelungen ebenfalls auf die mannigfaltigste Weise complicirt. Hier sind nun wieder zwei Fälle möglich: an, 1) Die Natur bleibt bei der Formenbildung als ih- Thier und rem Hauptzweck stehen, den sie auf dieser Stufe durch die verschiedenartigste Combination der Elementarform verwirklicht; oder ' 2) sie erhebt sich darüber und setzt sich die Aus- bildung des Lebens in der angegebenen Bedeutung in allen seinen möglichen Erscheinungsweisen zum Zweck. Diese beiden Fälle sind nicht nur möglich, sondern in der Natur auch wirklich und entsprechen dem We- sen der Pflanze und des Thieres. Dafür wollen wir vorläufig nur das Verhältniss der Anatomie und Phy- siologie in beiden Reichen etwas genauer betrachten. Wenn wir von Anatomie und Physiologie der Pflanzen reden, so müssen wir nicht vergessen, dass diese Aus- drücke, ursprünglich der Zoologie angehörig, unmög- lich für die Pflanze dieselbe Bedeutung haben können. Man könnte auch bei Untersuchung des Blätterdurchgangs, der Spaltbarkeit, des Korns u. s. w. von einer Anato- mie der Mineralien reden und zwar mit demselben Rechte, wie bei den Pflanzen. Nehmen wir das Wort „Anatomie in seiner eigentlichen, ursprünglichen Bedeu- tung, so giebt es gar keine Pflanzenanatomie, oder doch nur höchstens bei den Fortpflanzungsorganen einiger we- nigen Pflanzen. Das eigentliche Lebensprineip der Eirde ist die For- Methodologische Einleitung. 29 menbildung, Bildungstrieb, Nisus formativus. Bei der Schöpfung der Mineralien ist diese Kraft gleichsam noch im Embryonenzustande, sie folgt willenlos einem ihr fremden Gesetz, die weltbeherrschenden Mächte der Natur, die physikalischen und chemischen Gewalten be- dingen ihre 'Thätigkeit und die Mathematik schreibt ihr ihre ausnahmslosen Regeln vor. Bei der Pflanze tritt das Kindesalter des Bildungstriebes ein. Selbstständig geworden erfindet die Natur sich eine eigne Form, die bei ihrer Einfachheit doch durch Combination die Mög- lichkeit einer grossen Mamnigfaltigkeit gewährt, und in voller Freude über den Fund kann sie nicht aufhören, immer neu zu bilden. In der Lust des Spiels scheint sie alles Andere zu vergessen, mit kindlichem Stolze trägt sie die bunten wechselnden Gestalten zur Schau, die sie geschaffen, sie kennt kein Verheimlichen, Ver- stecken, denn ihr sind Zwecke noch fremd, nur die reine Lust am Schönen leitet ihr Bestreben und höch- stens lässt sie wie ein muthwilliges Kind zuweilen ihren bizarren Launen den Zügel schiessen. Aber die Kind- heit geht vorüber und sie lernt nach Zwecken handeln, jetzt wird Form und Schönheit nicht mehr höchstes al- lein bedingendes Princip, sondern dem Nutzen unterge- ordnet, zugleich aber verhüllt sie weise die Mittel, wo- durch sie ihre Zwecke erreicht. Was früher offen und frei sich dem Blick gezeigt, wird jetzt verborgen und das Thier schliesst sich über seinen Organen zusammen. Wir haben bei der Pflanze das Prineip der Schönheit und Mannigfaltiskeit der Form, der das Leben nur dient, beim 'Thier das Leben in seinen verschiedenen Aus- drucksweisen als Zweck, dem die Form untergeordnet und angepasst ist. Hier nimmt das Säugethier Fisch- gestalt an, weil es für Wasserleben bestimmt ist, dort muss der Cactusstamm die Functionen der Blätter übernehmen, weil es der Natur einmal gefallen hat, eine Pflanze ohne Blätter zu bilden. Die Pflanze soll möglichst viele Formen entfalten, sie verschliesst. daher Anatomie und Mor- phologie. 30 Methodologische Einleitung. nichts in sich. Das Thier soll sein Leben zur höchsten individuellen Abgeschlossenheit entwickeln, es birgt also alle seine wichtigen Organe im Innern, um der Aussen- welt nur eine Fläche möglichst gleicher Bedeutung und sleichen Werthes zuzuwenden. Die Pflanze differenzirt, entwickelt sich nach aussen, das Thier nach innen. ‚Wenn wir also Anatomie als die Lehre von den Organen ansehen, so wird dieselbe Wissenschaft bei den Thieren eine Untersuchung des Innern (Anatomie), bei den Pflanzen eine Betrachtung des Aeussern (Morpho- logie) werden'). Es bleibt indess immer noch für beide Reiche ein gemeinsamer Theil übrig, nämlich die in neuerer Zeit sogenannte höhere Anatomie oder Histolo- gie, die Lehre von den Elementarorganen. Die Pflanze hat nur ein Elementarorgan, die Zelle in dem oben schon entwickelten Sinne. Die ausgezeichneten Unter- suchungen von Schwann (am angef. Orte) haben eben dasselbe für die thierischen Organismen erwiesen. Aber es zeigt sich selbst in dieser Uebereinstimmung wieder die grosse Verschiedenscheit zwischen Thier und Pflanze. Die Pflanze will mit ihrer Formenbildung dem Spiel der Manmnigfaltiskeit dienen, sie ist äusserlich, ihre Indivi- dualität daher weder beabsichtigt noch geschützt. Das Thier bildet sich nach Zweckgesetzen, differenzirt sich möglichst im Innern und strebt nach abgeschlossener In- dividualität gegen die Aussenwelt. Daher sind die Ver- änderungen und Umbildungen der Elementarorgane beim Thier unendlich grösser als bei den Pflanzen und die 1) Deshalb bin ich auch der festen Ueberzeugung, dass es gar kein unnatürlicheres System für die Anordnung der Pflanzen geben kann als ein anatomisches; das inconsequenteste und deshalb unbraucharste muss es ohnehin bleiben, oder möchte z. B. Jemand Wolffia Delili von den Lemnaceen zu den Kryptogamen bringen, weil sie keine Spur von lang- gestreckten Zellen geschweige denn Spiralgefässe hat und anatomisch von Riceia durchaus nicht zu unterscheiden ist? Die grössten anatomi- schen Differenzen, die wir überhaupt in der Pflanzenwelt finden, sind nicht auffallender, als die zwischen zwei offenbar nahe verwandten Pflanzen, wovon die eine in der Luft, die andere unter dem Wasser vegetirt. Methodologische Einleitung. 31 Individualität derselben fast null, während bei der Pflanze die Elementarorgane gerade am schärfsten individualisirt sind und die kaum festzuhaltende Individualität der Pflanze fast ganz in die Individualitäten der einzelnen Zellen zerfällt. Dies führt uns nun ferner auch auf die wesentlichen Unterschiede in der Physiologie der Pflanzen und der Thiere. In der Bildung des Thieres schreitet die Na- tur mehr oder minder rasch bis zu dem Puncte vor, wo die Form entwickelt ist und von da an als das Unter- geordnete stationär bleibt, während das Leben, als das eigentlich Beabsichtigte, sein Spiel von Wirkung und Gegenwirkungen nun erst recht in voller Kraft beginnt. Es ist dieser Zeitpunct der fertigen Form, der «adole- scentia, die ein wesentlicher Charakter der Thiere ist und höchstens vielleicht bei einigen sehr langsam wachsenden in sofern eine scheinbare Ausnahme leidet, als der blossen Vergrösserung, aber unter Beibehaltung von Form und Verhältniss aller Theile, keine in unsere Beobachtung fallende Gränze gesetzt scheint. Wie ganz anders dagegen bei der Pflanze. Die beabsichtigte Man- nigfaltiokeit der Gestalten wird dadurch in noch höherm Grade verwirklicht, dass die Pflanze fast in jedem Mo- mente ihres Lebens nur ein "Theil ihrer selbst ist, dass sie die zu ihrem Begriff nothwendigen Organe ‚jetzt ab- wirft, um im nächsten Augenblicke andere, eben so nothwendige Organe zu entwickeln und so in einer be- ständigen Metamorphose der Gestalt, wovon wir kaum bei der ächten Metamorphose der Insecten ein Analogon. finden, schon in ihrem individuellen Lebensprocess jener bunten Mannigfaltigkeit der Formen dient, die ihrem ganzen Daseyn als höchstes Gesetz gilt. Ist zum Bei- spiel die Zeitlose im Herbste mit Blüthen ohne Blätter oder im Frühjahre mit Blättern und Frucht ohne Blü- then sanz sie selbst und was ist jenes vorhergehende Gebilde? Zur Erkennung von Orontium aquaticum ge- hören die Fortpflanzungsorgane und die Blätter, aber Physiologie der Thiere u. Pflanzen. 32 Methodologische Einleitung. die blühende Pflanze hat keine Blätter, und wenn sie Blätter hat, fehlen Blüthe und Frucht. Wir müssen also behaupten, dass das Individuum der Pflanze überall nicht in räumlicher Abgränzung von der Anschauung wie das Thier, sondern nur in der Zusammenfassung des in der Zeit nach einander Gegebenen durch den Begriff be- stimmt und erkannt werden kömne. Es bedarf ferner keines grossen Scharfsinns , um zu errathen, dass ein Wesen, welches wie die Pflanze alle seine (sand frei nach Aussen entwickelt, auch ganz andern Gesetzen gehorchen muss als ein ze wel- ches alle oder doch die wichtigsten in sich verschliesst. Bei der Pflanze ist jedes einzelne Organ von dem Ein- fluss des umgebenden Medium abhängig, durch nichts gegen die Einwirkungen physikalischer Kräfte isolirt, deren Einfluss ohnehin durch den schwachen Individuali- tätszusammenhang nicht allein nicht aufgehoben, sondern oft auch kaum merklich modificirt wird. Wir dürfen also bei der Pflanze viel mehr und mit grösserem Rechte mit reinen physikalischen und chemischen Erklärungen zufrieden seyn, als beim Thier. Endlich, und das möchte wohl den wichtigsten Un- terschied begründen, ist beim 'Thier die Selbstständigkeit des Elementarorgans, der Zelle, ganz in der Individua- lität des Ganzen untergegangen und aufgelöst, jeder Theil gilt daher nur im Zusammenhange mit dem an- dern etwas und lebt nur um dem Ganzen zu dienen. Bei den Pflanzen ist im Gegentheil die Individualität des Ganzen zurückgesetzt gegen die des Elementarorgans und die ganze Pflanze scheint nur für und dunchn das Elementarorgan zu leben. Daher besteht der wichtigste Theil der thierischen Physiologie in der Untersuchung der Lebensthätigkeit ganzer Gewebe und Organe und ihrer Wechselwirkung, bei den Pflanzen dagegen redu- cirt sich die ganze Physiologie fast nur auf das Leben der Pilanzenzelle, und die Lebensthätigkeit der san- zen Pflanze, insofern sie aus dem Leben der Zelle nicht Methodologische Einleitung, 33 abgeleitet werden kann, ist höchst unbedeutend und uns noch meist unbekannt. Aus dieser Erörterung gehen nun freilich keine leicht anzuwendenden Merkmale hervor, die uns in den Stand setzten, in zweifelhaften Fällen immer zu entscheiden, ob wir es mit Thier oder Pflanze zu thun haben, aber sie deutet uns doch die Richtung an, in welcher wir solche Merkmale allein zu suchen haben. Die meisten in den ältern Handbüchern der Naturgeschichte ange- ebenen Unterschiede sind jetzt völlig unbrauchbar und zum "Theil selbst lächerlich, was daher kommt, dass diese Merkmale zu einer Zeit aufgestellt wurden, wo die fraglichen Gebiete noch viel zu wenig durchforscht und namentlich an der streitigen Gränze fast ganz un- bekannt waren. Ein Löwe ist allerdings für einen nicht gar zu beschränkten Kopf wohl einigermassen von einem Eichbaum zu unterscheiden; wenn ich aber den Protococ- cus viridis, eine unzweifelhafte Pflanze, neben die Monas pulvisculus, ein unzweifelhaftes Thier, lege und zwischen beide ein Olosterium einschiebe, so möchte Linne’s und seiner Nachfolger Weisheit schwerlich ausreichen, um zu bestimmen, ob es rechts oder links seinen Verwandten findet. Wenn nun auch durch die ausgezeichneten Un- tersuchungen Ehrenberg’s noch keineswegs erwiesen ist, dass Monas und andere verwandte Infusorien nicht aus einer einfachen Zelle bestehen, so bleibt doch ein we- sentlicher Unterschied von ähnlichen Pflanzen stehen, dass das Thier selbst, wenn es nur aus einer einzigen Zelle besteht, diese in sich selbst hineinstülpt und so ein Theil der äussern Fläche zur innern gemacht wird, welche innere Fläche dann wahrscheinlich allein zur Aufnahme der Nahrungssäfte bestimmt ist, dass es also stets innere Organe hat. Daher müssen wir uns wohl vorläufig noch immer mit dem von Link in seiner Phi- losophia botanica angegebenen Unterschied beruhigen, dass die Thiere einen Magen haben, die Pflanzen aber keinen. Freilich zeigen die Streitigkeiten über einen 5) [3] Eintheilung der Botanik. 34 Methodologische Einleitung. grossen Theil der infusoriellen Gebilde, dass die An- wesenheit oder Abwesenheit des Magens im einzelnen Fall nur unendlich schwer auszumachen ist. Es zeigt sich hier ganz bestimmt, dass es zwischen Thier- und Pilanzenreich noch eine Gränze giebt, die für unsere Beobachtung, aber freilich auch nur für diese, noch durchaus nicht scharf gezogen ist und dass es hier Formen geben wird, deren Bürgerrecht in dem einen oder andern Gebiete für jetzt noch nicht definitiv ent- schieden, sondern höchstens wahrscheinlich gemacht werden kann. Ich mache hier ausdrücklich darauf auf- merksam, da es für die ganze wissenschaftliche Botanik und namentlich für den Lebensprocess der Pflanze viel- fach wichtig wird, dass eine gesunde Naturforschung solche zweifelhafte Gebilde nie wählen darf, um |von ihnen Gesetze abzuleiten, die nicht schon anderweitig für das eine oder das andere Reich fest begründet sind. Hiergegen ist von Meyen und Andern oft zum grossen Nachtheil der Wissenschaft gefehlt worden. gg Wenn wir nun auf diese Weise das Wesen der Botanik als Wissenschaft und den Stoff, mit dem sie sich beschäftigt, näher bezeichnet haben, so müssen wir jetzt zusehen, wie wir uns das ganze Gebiet der Wis- senschaft in einzelne grössere oder kleinere Provinzen theilen, um uns den Anbau des Ganzen dadurch zu er- leichtern. Vergleichen wir die hergebrachte Art und Weise die Botanik zu behandeln, se finden wir eine unendliche Menge verschiedener Disciplinen, die dem wissbegieri- gen Schüler geboten werden. Da sind Phytochemie, Physiologie, Anatomie, Organographie, Terminologie, Taxonomie, allgemeine Botanik, specielle Botanik, Kunde des natürlichen Systems, Pflanzengeographie und das ganze Heer der pharmaceutischen, medieinischen, Forst- Methodologische Einleitung. 35 und andern angewandten Botaniken. Wollen wir indess aus all den angeführten Wissenschaften einmal das aus- streichen, was sich in ihnen zwei-, drei- und mehrmal wiederholt, so möchte leichtlich die Menge schon be- deutend zusammenschmelzen. Indess hat die gewöhn- liche Eintheilung und Behandlung das Vorurtheil des Hergebrachten für sich, ich muss daher versuchen, meine eigne Eintheilung dagegen zu rechtfertigen. Jede Naturwissenschaft zerfällt ganz von selbst in zwei Theile, in den allgemeinen und speciellen, nach der Art des Untersuchungsganges und der Auf- gabe. Im allgemeinen Theil gehen wir von den empi- risch gegebenen Einzelnheiten aus und steigen weiter forschend auf bis zu den höchsten Prineipien, den Grund- begriffen und Gesetzen. Unsere Aufgabe ist hier die letzteren zu finden. Im specielleren 'Theil setzen wir dieselben aber als schon gefunden voraus und steigen nur von ihnen, nach den durch sie gegebenen Einthei- lungsgründen und Unterordnungen immer tiefer bis zu den Einzelwesen hinab, unsere Aufgabe ist hier die sanze Masse der Individuen und Fälle jenen höchsten Begriffen unterzuordnen, durch jene höchsten Regeln zu bestimmen. Es entspricht dies der regressiven und pro- sressiven Methode in den philosophischen Wissenschaf- ten. Mir scheint es gerade für die morphologischen Naturwissenschaften charakteristisch zu seyn, dass ihnen beide Theile nothwendig sind, weil sie noch ganz un- vollendet, ja ihrem Anfange noch ganz nahe sind. Im ersten allgemeinen Theile suchen wir zwar die höch- sten Prineipien, aber ohne sie zur Zeit zu erreichen, wir bauen Unterlagen für zukünftige Inductionen, ohne diese selbst noch ausführen zu können. Daneben er- halten wir aber auch eine solche Menge einzelner That- sachen, dass das Bedürfnis, sie unter höchste allge- meine Begriffe zu ordnen, unabweisbar ist, wir thun dies aber, indem wir sie unter bewusster Weise nur vorläufig und versuchsweise aus den Ergebnissen des N 3% Allgemeiner und speciel- ler Theil. 36 Methodologische Einleitung. allgemeinen Theils abgeleitete Prineipien zusammenfas- sen. So haben beide Theile der Wissenschaft einen verschiedenen Gehalt, während die vollendete Wissen- schaft, gleichviel ob nach progressiver oder regres- siver Methode behandelt immer ihren ganzen Gehalt umfasst. - Es geht schon aus dieser Begriffsbestimmung hervor, dass diese beiden Theile das Ganze der actuel- len Wissenschaft umfassen müssen. Erinnern wir uns nun aber an das, was wir früher für die Entwicklung des Wesens der Botanik und ihres Objects, der Pflanze, erörtert haben, so rechtfertigt sich uns daraus auch so- gleich die Eintheilung des ersten, allgemeinen Theiles. Wir müssen bei der, scharfen Individualisi- rung des Eilementarorgans, der Zelle, zuerst diese als die Grundlage der ganzen Pflanzenwelt zu erforschen suchen, indem sich in ihr der allgemeinste Ausdruck des Pflanzenbegriffs findet. Wir erhalten also eme Lehr von Lehre von der Pflanzenzelle. Nur aus Grün- »evzelle- den der Zweckmässigkeit und der leichtern Verständ- lichkeit, nicht aber weil eine Abtheilung sich hier ob- jeetiv rechtfertigen lässt, sende ich der Lehre von der Yegetabili- Pflanzenzelle eine vegetabilische Stofflehre vor- ihre. aus. Das in derselben Vorgetragene sollte eigentlich zum Theil aus andern Disciplinen (den chemischen) be- kannt seyn, theils -an einem andern Orte unter den Produeten der Lebensthätigkeit der Zelle vorkommen. Wir müssen dann nothwendig die Gesetze der Formen- bildung der ganzen Pflanze und ihrer "Theile uns deut- lieh zu machen suchen, indem wir oben fanden, dass srade in den Gesetzen der Formenbildung das eigent- lichste Wesen der Botanik besteht. Dies giebt uns die Morpholo- Wissenschaft der Morphologie. Endlich müssen wir im dritten Theile noch wieder zusehen, wie aus dem Leben der einzelnen Zellen, wenn sie zu Pflanzen oder deren Organen verbunden sind, das Leben der ganzen Pflanze oder ihrer Organe als solcher resultirt, welche Diseiplin ich Organologie nenne. Organolo- sie. Methodologische Einleitung. 37 Der erste und letzte Theil umfassen Alles, was man sonst als Anatomie und Physiologie vorzutragen pflegte, Ausdrücke, die ich schon deshalb vermeiden möchte, weil sie einer andern Disciplin, der Zoologie, entnom- men gar zu leicht an ihrer neuen Stelle, an der sie nur theilweise passen, falsche Begriffe erwecken. Der zweite Theil umfasst aber nothwendig die sogenannte Organographie, nur mit dem Unterschied, dass wir die Organe nicht blos benennen und beschreiben, sondern organisch aus den Gesetzen des Pfilanzenlebens zu ent- wickeln versuchen. Die Phytochemie behandelt entweder nur die unter dem Einfluss des Pflanzenlebens gebildeten Stoffe und die im lebenden Organismus vorkommenden chemi- schen Processe, insofern kommt sie nothwendig schon im ersten Theile mit vor, oder sie entwickelt überhaupt alle Verhältnisse, in welche Pflanzenstoffe durch irgend chemische Processe versetzt werden können, und inso- fern ist sie durchaus nur ein Theil der allgemeinen Chemie und wird auch immer dort vorgetragen. Die Terminologie besteht aus zwei Theilen, den eigent- lich technischen Ausdrücken, die entweder der Botanik zur Bezeichnung ihrer Begriffe eigenthümlich sind, oder doch in ihr in einem eigenthümlichen Sinne gebraucht wer- den, insofern kommt alles dahin Gehörige jedes an sei- ner Stelle sowohl im allgemeimen als speciellen "Theile vor. Sie enthält aber auch zweitens einen mehr oder weniger voluminösen Auszug aus dem lateinischen Lexi- kon, wodurch wir erfahren, dass viridis grün, longus lang, obliquus schief und truncatus abgestumpft u. s. w. heisst. Ich für meine Person muss eingestehen, dass ich mich schäme, auf solche Weise meinen Zuhörern die Zeit zu stehlen; dass es nicht in die Botanik gehört. versteht sich von selbst. Die Taxonomie oder Sy- stemkunde enthält wiederum dreierlei, entweder die Darstellung aller verschiedenen gar nicht mehr oder nur bei einigen Botanikern nämlich ihren Erfindern in An- 38 Methodologische Einleitung. wendung gebrachten Systeme, als solche gehört sie der Geschichte der Wissenschaft, ja selbst zum Theil der Geschichte der menschlichen Thorheiten an; oder sie zeigt, auf welche Weise die Pflanzen unter die im all- gemeinen Theile gefundenen Prineipien geordnet werden, und entspricht somit dem speciellen Theile der Botanik; oder endlich sie giebt uns die Art und Weise an, wie wir durch ein logisch zweckmässig ausgebildetes Fach- werk am besten bei der Auffassung und Auffndung der Einzelwesen unserm Gedächtniss zu Hülfe kommen, und als solche gehört sie der allgemeinen Methodik der Naturwissenschaften an. Leider haben wir über die- sen wichtigen Theil der angewandten Logik bisher gar nichts Gescheites erhalten. Einige Bemerkungen über Methode der Botanik im Allgemeinen enthält diese Einleitung. Pflanzengeographie ist ein ziem- lich wunderliches Ragout aus meteorologischen, geogno- stischen, geologischen, pflanzenphysiologischen , statisti- schen, historischen und noch mehrern andern Bruch- stücken. Ich will nicht in Abrede stellen, dass ein solches Gemisch unter den Händen eines A. v. Hum- boldt eine gar köstliche und erquickende Speise werden mag, aber ihre Berechtigung, als selbstständige Diseiplin oder als integrirender Theil der Botanik aufzutreten, muss ich gänzlich verneinen '). Pflanzenpatholo- sie und Therapie gehört so wenig in die Botanik hinein, als Veterinärkunde in die Zoologie. Was end- lich die sogenannten angewandten Botaniken, die pharmaceutische, technische u. s. w. betrifft, so sind sie, wie sich von selbst versteht, nichts als magere Auszüge aus der gesammten Wissenschaft für den handwerksmässi- sen Gebrauch einer bestimmten Ulasse von Technikern. Somit hätten wir uns so ziemlich von vielem Wust I) Auf jeden Fall gehören grade die Theile, die A. v. Humboldt so genial bearbeitet hat, der Naturgeschichte der Erde, der Geologie im weiteren Sinne, an. Methodologische Einleitung. 39 befreit und können nun unsern gereinigten Weg mit leichtem Schritte betreten. Von dem ganzen Gebiete der Botanik habe ich es in den vorliegenden Grundzü- gen nur mit dem ersten Theil zu thun, den ich nach Linne’s und Link’s Vorgang am liebsten philosophische Botanik nennen möchte. Ich weiss freilich, dass darin wenig mehr Philosophisches ist und seyn kann, als eine strenge Berücksichtigung der logischen Gesetze und methodischer Maximen, und dass ich somit dem schola- stischen Fehier der Wolff’schen Schule anheimfalle. Ich würde indess diesen Ausdruck mit Berücksichtigung der Zeit absichtlich wählen, um den Gegensatz hervorzuhe- ben, in welchem meine Behandlung der Wissenschaft ge- gen die Weisen von Oken, Nees v. Esenbeck, Walpers und anderer Anhänger der Schelling’schen Schule steht, in deren träumerischen Phantasiespielen auch gar keine Spur philosophischen Gehaltes ist und die gleichwohl von sedankenlosen Schülern als philosophische Tiefe an- sestaunt und gepriesen werden. Bei der Zweideutig- keit des Wortes aber in gegenwärtiger Zeit will ich lieber darauf verzichten. $. 4 Ich wende mich nun noch einigen speciellen methodi- schen Bemerkungen zu, die dazu dienen mögen, die Art und Weise, wie ich bis jetzt die Wissenschaft behandelt und im Folgenden darstellen werde, zu rechtfertigen. Die ange- wandte Logik hat ein eignes Capitel, die Methodik, welche wir in ihren verschiedenen Lehrbüchern mit mehr oder min- der Glück und Ausführlichkeit abgehandelt finden. Indess kann sie ihrer Natur nach nur ganz leere formale Be- griffe und Regeln in soleher Allgemeinheit geben, dass damit für die wirkliche Bearbeitung der Wissenschaften noch gar nichts gewonnen ist. Leben und Bedeutsam- keit kann diese Lehre erst gewinnen durch eine durch- geführte Anwendung auf einen bestimmten Zweig des Methode in der Botanik Nothwen- digkeit phi- losophi- scher Vor- bildung, ins- besondere der Logik. 40 Methodologische Binleitung. Wissens. Dafür ist: nun im Ganzen noch wenig &e- schehen, denn unsere sogenannten Methodologien und hodegetischen Vorträge auf hohen Schulen sind meist encyklopädische Uebersichten des historisch vorhandenen Materials, höchstens mit einer oberflächlichen nach tradi- tionell begründeten Vorurtheilen abgefassten Anweisung, in welcher Ordnung sich der Schüler dieses Materials zu bemächtigen habe. Die crasse Geistlosigkeit dieser Vorträge hat sie auch in neuerer Zeit ziemlich ausser Gebrauch gebracht. Methodologie in ihrer wahren Be- deutung soll aber eine Anleitung enthalten, wie man sich des fraglichen Zweigs der Wissenschaft bemächti- gen und ihn selbstständig fortbilden möge. Sie muss zugleich ihrem innern Wesen nach Heuristik seyn, näm- lich zeigen, wie man es anzufangen habe, in der Wis- senschaft neue Gesetze und 'Thatsachen aufzufinden. Vergleichen wir nun die morphologischen Natur- wissenschaften mit den physikalischen Theorien, so müssen wir uns gestehen, dass erstere in jeder Hin- sicht unendlich weit zurück sind. Die Ursache dieser Erscheinung liegt nun allerdings zum Theil in dem Ge- genstande, dessen verwickeltere Verhältnisse sich noch am Meisten der mathematischen Behandlung entziehen, aber srossentheils ist auch die grosse Nichtachtung me- thodologischer Verständigung daran schuld, indem man sich einerseits durchaus nicht um scharfe Fassung der leitenden Prineipien bekümmert, andererseits selbst die allgemeinsten und bekanntesten Anforderungen der Phi- losophie hintangesetzt hat, weil bei dem weiten Abstande ihrer allgemeinen Aussprüche von den Einzelnheiten, mit denen sich die empirischen Naturwissenschaften beschäf- tigen, die Nothwendigkeit ihrer Anwendung sich der unmittelbaren Auffassung entzog. So sind gar viele Arbeiter in dieser Beziehung durchaus nicht mit ihrer Aufgabe verständigt und die Fortschritte in der Wissen- schaft hängen oft rein vom Zufall ab. In der amabilis scientia aber ganz besonders hat man sich so sehr an Methodologische Einleitung. al das spielende Zusammenwürfeln vieler unverbundener Thatsachen gewöhnt, dass die allercerassesten Versün- digungen gegen die Anforderungen der Logik kaum auffallen und das Wissenschaftliche in der Behandlung oft ganz und gar verloren gegangen ist. Das Schick- ‚sal eines Lehrbuches der Arithmetik, welches mit dem Satz anfınge: 1 mal I ist 2, kann man leicht voraus- sagen. In der Botanik ist Aehnliches etwas nicht Sel- tenes und thut auch dem Werth des Buches keinen Abbruch. Einer unserer ausgezeichnetsten Botaniker hat ein Handbuch der Botanik geschrieben, welches in sei- ner Zeit mit zu den vortrefflichsten gehörte und noch jetzt viel Brauchbares enthält. Aber an die Spitze stellt er den Satz: ‚Jede Pflanze entsteht entweder aus einem Embryo oder aus einer Blatiknospe“. Der Satz ist einmal falsch, denn alle Krypiogamen entstehen weder aus einem Embryo noch aus einer Blattknospe, und dann ist er ganz leer und nichtssagend, denn sowohl Embryo als Blatiknospe sind schon vollständige Pflanzen im un- entwickelten Zustande; über den Ursprung der Pflanzen ist also damit gar nichts gesagt. Man sollte nun mei- nen, ein solches an die Spitze gestelltes Princip müsste einen wesentlich nachtheilisen Einfluss auf alles Folgende ausüben, aber keineswegs, selbst die Irrthümer, die etwa vorkommen, stehen mit diesem Satz in keinem Zusam- menhang. Aus der Entwickelung der Knospe oder des Saamens leitet derselbe dann richtig die Wurzel, den absteigenden Theil (der kann aber bei der Knospe nicht vorkommen, denn das untere Ende der Knospe verlängert sich nie) und den Stengel oder aufsteigenden Theil ab. Nun wird im Folgenden frischwes von der Wurzel der Kryptogamen, vom stipes der Pilze, vom thallus der Lichenen gesprochen, aber Niemand erfährt, woher denn die Dinge mit einem Male kommen und was sie für eine Bedeutung haben. Was gesagt wird, ist zwar meistens ganz richtig, steht aber da wie aus den Wolken gefallen. 42 Methodologische Einleitung, Ein anderer Schriftsteller tadelt auf der einen Seite mit der bittersten Leidenschaftlichkeit Mirbel, der nicht an die urprüngliche Duplieität der Zellenwände glauben will, sondern die Zellen in einer gleichförmigen Masse entstehen und die Wände zwischen zweien erst nachher durch ungleiches Erhärten doppelt werden lässt, auf der andern Seite leitet er die Vermehrung der Pflanzenzel- len aus dem Hineinwachsen einer homogenen Scheidewand in vorhandene Zellen ab, wo die spätere Duplieität ‚sich doch nur auf Mirbel’sche Weise, also durch einen baa- ren Widerspruch erklären lässt. Ja bei all unsern Handbüchern, die Alles aus Zellen bestehen lassen und wo ein Langes und Breites über Zellennatur und Zel- lenleben gesprochen wird, finden wir kein Wort über die Eintstehung der Pflanzenzelle, worauf doch bei der ganzen Sache zunächst Alles ankommt, ehe von irgend einer weiteren Betrachtung nur die Rede seyn kann. Derselbe Schriftsteller, der die ganze Aufnahme des Nahrungssaftes bei der Pflanze aus der Wurzel durch Eindosmose erklärt, kämpft mit Feuer und Schwert ge- gen die Wurzelausscheidung, ohne zu bedenken, das Eindosmose ohne Exosmose gar nicht existiren kann. In Gegenwärtigem habe ich es nun mit der Theorie des Pflanzenlebens zu thun und will einige Andeutungen über den Gang, den man in dieser Beziehung einzu- schlagen hat, versuchen. Die vollständige Bearbeitung jeder Naturwissenschaft zerfällt nothwendig in drei Theile, deren jeder seine eigenthümliche Behandlung erfordert. 1) In Erlernung dessen, was bis zum gegenwärti- sen Augenblick von Andern in der Wissenschaft bereits geleistet ist, und in anschaulicher und gedächtnissmässi- ser Auffassung einer möglichst grossen Menge des Ma- terials, mit dem sich die Wissenschaft beschäftigt. 2) In eigner Untersuchung des Objects der Wissen- schaft, wodurch sich denn zugleich die Grundlagen für Methodologische Einleitung, 43 die richtige Beurtheilung und Anwendung des früher von Andern Geleisteten ausbilden. 3) In Wiedergebung der auf diese Weise gewon- nenen Resultate, durch mündliche oder schriftliche Ue- berlieferung. z —E Der erste Theil ist recht eigentlich Sache des Schülers, und hier gilt als Hauptanforderung nur, dass man sich möglichst vollständig mit allem bisher Gelei- steten und besonders mit dem neuesten Standpunet der Wissenschaft völlig vertraut mache. In dieser Beziehung hat man denn freilich im Ganzen in Deutschland am wenigsten zu klagen. Eine jüngst vergangene Zeit, die noch nicht ganz ihren Einfluss verloren, bestimmte in seltsamer Verwirrung der Begriffe die Stufen wissen- schaitlicher Bildung eines Menschen fast lediglich nach der srössern oder geringern Anzahl: von Büchern, die er mit so glücklichem Gedächtnisse gelesen, dass er ihren Inhalt behalten, und todte Gelehrsamkeit, die an sich gar keinen Werth hat, den sie erst durch ihre Anwendung zur Ausbildung des lebendigen Gedankens erhält, galt als Hauptsache '). Nicht der aber ist der Reiche, der die meisten Schätze gesammelt, sondern der das, was er hat, am besten und wirksamsten zu ver- wenden versteht. Und so finden wir bei uns nur gar zu oft die umfassendste Polyhistorie mit recht kläglicher Verschrobenheit gepaart. Bei Engländern und Franzo- l) Ich kenne wenig Worte in der deutschen Sprache, die so cha- rakteristisch und so geistreich das Wesen der Sache bezeichnend sind, als das Wort auswendig lernen. Keine Nation hat ein ähnliches, aber auch keine Nation in so hohem Grade in gewisser Hinsicht so als Nationalcharakterzug die Sache. Denn keine Nation hat so wie die deutsche den Charakterzug ernster Gründlichkeit, die aber denn auch natürlich nur bei den Deutschen zu ihrem grausenhaften Extrem, der todten und werthlosen Wort- und Büchergelehrsamkeit ausgeartet ist. Der Franzose lernt im Allgemeinen viel weniger als der Deutsche, aber was er lernt ist ihm Herzensangelegenheit, öl apprend par coeur, der Deutsche hingegen kann Mosen und die Propheten und sogar griechi- sche und römische Classiker auswendig lernen und bleibt dabei in- wendig oft ein classisch bornirtes Subject. I. Auffas- sung desMa- terials der Wissen- schaft. 44 Methodologische Einleitung. x sen finden wir dagegen meist das andere Extrem vor- herrschend und daher sind ihre meisten Arbeiten nur dem von Nutzen, der schon gründliche deutsche Wissen- schaft mit hinzubringt. Die unbedeutendste "Thatsache wird ihnen, zumal den Franzosen, leicht zu einer die ganze Wissenschaft beherrschenden Theorie, aber dieser scheinbare Gedankenreichthum paart sich denn nur zu oft mit einer wahrhaft ins Lächerliche gehenden und recht wie zur Schau getragenen Unwissenheit. © L. Tre- viranus entdeckte 1811 die Spaltöffnungen auf den Mooskapseln, seitdem wurden sie in allen deutschen Handbüchern aufgeführt. Nichtsdestoweniger fängt ein Aufsatz in den Annals of Nat. History Mai 1838 mit den hochtrabenden Worten an: Die Entdeckung der Spalt- öffnungen auf den Moosen war Herrn de Valentine aufbehalten. Solche Beispiele grosser Unwissenheit zu- mal in Allem, was nicht in ihrem eignen Lande erschie- nen ist, lassen sich zu hunderten aus englischen und französischen Schriftstellern sammeln. Gesellt sich dazu nun noch sich spreizende Selbstgefälligkeit, die mit vor- nehmer Verachtung auf alle fremden Leistungen herab- sieht, wie bei Raspail und Turpin, so wird die Sache gradezu ekelhaft. Indessen müssen wir doch zugeste- hen, dass auch bei den Deutschen Beispiele von crasser Unwissenheit wohl aufzufinden sind. Als Regel muss man hiernach aufstellen, dass man sich stets zuerst mit dem gegenwärtigen Zustande der Wissenschaft völlig vertraut macht, ihre Hülfsmittel, die Grundlagen ihrer Sicherheit, die Ursachen ihrer Man- gelhaftiskeit genau ins Auge fasst und dann erst zum Studium früherer Schriftsteller fortschreitet, damit man dieselben gleich mit kritischem Verständniss auffassen kann. Hier sind die Umstände, unter denen sie arbei- teten, die Hülfsmittel, die ihnen zu Gebote standen, die Art, wie sie dieselben benutzten, wohl zu beachten und scharf aufzufassen, wie das, was der frühere Bearbeiter nicht wusste und nicht wissen koennte, auch die Ansich- Methodologische Einleitung. 45 ten über das modifieirt, was er wirklich beobachtet hat. Nur auf diese Weise kann man das wirklich noch Brauchbare aus früheren Arbeiten zu Tage fördern. Hiergegen wird häufig gefehlt, indem emige Botaniker die Autoritäten blos zu zählen und nicht zu wägen scheinen, und z. B. für Gegenstände der feinen mikro- skopischen Anatomie oft Männer als Zeugen aufführen, die wegen ihrer mangelhaften Instrumente, oder des oberflächlichen Gebrauchs derselben zu gar keiner Mei- nung über die Gegenstände berechtigt sind. A EHE. Die zweite oben gemachte Abtheilung umfasst aber recht eigentlich die Aufgabe der eignen selbstthäü- sen Fortbildung der Wissenschaft und mit dieser will ich mich hier besonders beschäftigen. Zweierlei Regeln sind für das dabei einzuschlagende Verfahren zu suchen und zu begründen, nämlich diejenigen, welche uns abge- sehen von allem bestimmten Gehalt für wissenschaftliche Thätigkeit überhaupt gelten, und hier wäre denn ihre Anwendbarkeit und die Art ihrer Anwendung auf den gegebenen Zweig nachzuweisen. Dann aber kommen hier besonders diejenigen Regeln in Betracht, welche aus der Natur des speciellen Objects der Wissenschaft her- genommen sind, Begulative unserer wissenschaftlichen Thätigkeit, die im eigentlichsten Sinne als heuristische Maximen zu betrachten sind '). 1. Es ist ‚hier nicht der Ort, die ganze Logik zu wiederholen, obwohl sie so ziemlich in allen 'Theilen durch Beispiele von Fehlern gegen ihre Gesetze aus l) Eine vollständige Eintheilung würde hier etwa folgendes Schema geben: A) Die Aufgabe der Wissenschaft. B) Mittel zu ihrer Lösung; a) zur Entdeckung neuer Thatsachen, b) zum Auffinden neuer Gesetze, Il. Selhst- thätige Er- forschung des Objeets der Wissen- schaft. 1. Regula- tive für wis- senschaftl. Thätigkeit überhaupt. Nothwen- digkeit der Logik. 46 Methodologische Einleitung. botanischen Schriftstellern, besonders der neuern Zeit, belegt werden könnte. Gleichwohl möchte es eine ganz verdienstliche Arbeit seyn, denn grade die Naturwissen- schaften sind der sicherste Prüfstein für die Richtigkeit philosophischer Maximen, da früher oder später der Er- folg sein inappellables Urtheil spricht. Grade an der Geschichte der Naturwissenschaften, wenn sie von einem geistreichen und klaren Kopf bearbeitet würde, liesse sich am eindringlichsten durch das Argumentum ad ho- minem nachweisen, dass nirgends Heil für unsere wis- senschaftliche Bestrebungen als in Kantisch - Friesischer Philosophie ist. Jeder Missgriff, jeder Irrweg in ihnen, den die Folgezeit bitter strafte, der der Nachwelt die saure Mühe des Ausmerzens alter Vorurtheile, schiefer Ansichten und schlimmer Irrthümer aufbürdete, lässt sich haarscharf als eine Abweichung von den Gesetzen un- serer Logik und der mathematischen Naturphilosophie nachweisen, und es lässt sich unschwer zeigen, dass, wo ihre Anforderungen streng beobachtet sind, nie ein Irrthum, der nicht der menschlichen Beschränkt- heit überhaupt unvermeidlich ist, zu Tage gefördert worden ist. Indess liegt dies meiner jetzigen Aufgabe zu fern; doch will ich, um meine Ansicht in etwas zu rechtfer- Beispiele. ioen, einige Beispiele herausgreifen und an diesen die Richtigkeit meiner Ansicht aufweisen. ArSches) A) Ein wichtiges Beispiel, welches einen ganz all- sie semeinen auch in den Schriften der besten Bearbeiter vorkommenden Fehler betrifft, ist schon oben 8. 22 an- geführt worden. Es ist der Schluss aus der angebli- chen Analogie zwischen Thieren und Pflanzen, der ganz und gar nur ein logischer Schnitzer und in der Unbe- kanntschaft mit der Bedeutung und dem Werth der Ana- logie begründet ist. (Vgl. Fries System der Logik S. 463). Der Schluss müsste hier ausgeführt z. B. so lauten: Methodologische Einleitung. 47 a) Thiere sind organische Wesen. b) Alle Thiere pflanzen sich durch geschlechtliche Zeugung fort. c) Also werden sich wohl alle organische Wesen ‚durch seschlechtliche Zeugung, fortpflanzen. d) Pflanzen sind organische Wesen. e) Also findet bei der Fortpflanzung der Vegetabi- lien geschlechtliche Zeugung statt. So aufgelöst ist leicht einzusehen, dass erstens der Satz b wenigstens für den jetzigen Stand der Wissen- schaft materiell falsch ist, zweitens dass der erste Schluss gar nicht concludent ist, denn ich kann wohl von vielen Theilen einer Sphäre auf die ganze mit Wahrscheilichkeit schliessen, aber nicht, wo nur zwei Glieder sind, von dem einen aufs Ganze, da mir ja kein Regulativ gegeben ist, wonach ich beurtheilen könnte, ob das, was ich durch diesen Schluss vom Artbegriff auf den senerischen übertragen will, nicht grade eine specifische Differenz der beiden Glieder begründet. Ganz dieselbe Form haben aber alle die Schlüsse, wo in botanischen Schriften von der Analogie mit den Thieren die Rede ist. So hat also in allen diesen Fällen der Schluss aus Analogie nicht etwa nur einen untergeord- neten Werth, sondern gradezu gar keinen, und ist selbst entschieden schädlich, weil er eine durchaus schiefe An- sicht der ganzen Sache veranlasst. B) Ein zweiter Fehler gegen die einfachsten lo- gischen Regeln ist nur gar zu häufig in der Botanik und verwirrt unsere Wissenschaft auf eine traurige Weise und erdrückt uns fast unter einem Wust unnützen Geschwätzes. Es ist die Verwechselung der Erkemt- nissquellen, wo nach Raisonnement oder sogenannter Speculation über "Thatsachen abgesprochen wird oder allgemeine Ansichten nach Thatsachen entschieden wer- den sollen. Das Häufigste und Störendste ist das Erste. Beispiele sind genug zu finden. Bin namhafter Schrift- B) Ver- wechslung derErkennt- nissquellen, ' €) Einheit des Systems der Natur- wissen- Schaft. Ueber phy- sikalische Erklärung organischer Verhält- nisse. 48 Methodologische Einleitung. steller hat ein langes Raisonnement über die Entstehung des sternförmigen Zellgewebes, ob dasselbe nämlich durch Auswachsen der Strahlen, oder durch Eintrocknen und Zusammenziehen der Zellenwände entstehe, eigent- lich nur um die einfache Erklärung: „ich habe nicht beobachtet“ zu umgehen; es ist aber Sache der Be- obachtung, darüber zu entscheiden, und alles Reden von der Beobachtung leer und nichtssagend. So lange noch die Möglichkeit vorhanden ist, eine Sache durch Be- obachtung zu fördern, bleibt alles Hin- und Herreden darüber unnütz und gradezu schädlich, indem es dem kräftigen Weiterstreben einen Hemmschuh anlegt. Ein gleiches Beispiel ist Lindley’s Erörterung; über die Na- tur der Stipulae (Introduct. to botan. ed. II. p. 120). Ehe ihre zeitliche und räumliche Entwickelungsgeschichte vollständig studirt ist, bleibt alles Speculiren darüber Thorheit. C) Ein drittes tief eingreifendes Beispiel liefert uns die Frage nach der Anwendbarkeit der physikali- schen Erklärungsgründe in den organischen Naturwissen- schaften. Auch hier beruht die Ansicht derer, die die- selben verwerfen, im Grunde nur auf der Verwechse- lung der Erkenntnissquellen, indem sie die Wichtigkeit der mathematischen Naturphilosophie ignoriren. Erklä- ren heisst aber immer nur Ableitung einer Thatsache aus einer andern, indem man sie als gesetzmässige Folge derselben erkennt, oder Auflösung eines compli- cirten Processes in die einzelnen dabei mitwirkenden Thätiskeiten und Nachweisung der ausschliesslichen Nothwendigkeit Aller zur Hervorbringung des Gesammt- effects. Es versteht sich uns von selbst, dass nur gleiche Qualitäten erklärend auf einander bezogen werden kön- nen. Hier verwirrt sich der richtige Standpunct nun allein bei der mitten herausgerissenen Erscheinung. Betrachten wir die Natur aber als ein Ganzes und als Aufgabe unserer Wissenschaft und gehen nun von den einfachsten und fast ganz in die Gewalt unserer wissen- Methodologische Einleitung. 49 schaftlichen Einsichten gebrachten Verhältnissen der rei- nen Bewegungslehre aus, dann zur Astronomie, der Physik, Chemie, und treten dann hier über auf das Ge- biet der morphotischen Processe, von denen wir uns zum Thier- und Pilanzenleben wenden, so versteht sich von selbst, dass ich für die vollendete Wissenschaft für jedes Folgende den wissenschaftlichen Zusammenhang mit dem Vorigen, die erklärende Ableitung des Folgen- den aus dem Vorhergehenden verlangen muss. Wenn ich da aber plötzlich die Reihe unterbrechen und statt aus dem Vorigen der Physik und Chemie zu erklären von Lebenskraft als einem neuen Erklärungsgrunde zu sprechen anfangen will, so heisst das eben jede Erklä- rung abweisen, grade die Unerklärlichkeit behaupten, von andern als physikalisch-chemischen Erklärungen sprechen ist daher gradezu ohne Sinn. Durch eine eigenthümliche Lebenskraft wird eben so wenig etwas erklärt, als durch den Namen Magnetismus die Anzie- hung zwischen Eisen und Magnet erklärt wird. Wir müssen also streng daran festhalten, dass in den orga- nischen Naturwissenschaften und somit auch in der Bo- tanik noch gar nichts erklärt ist und noch das volle Feld der Forschung offen ist, so lange es uns nicht gelang, die Erscheinungen auf physikalische und chemi- sche Gesetze zurückzuführen. Auch liegt der Haupt- grund, weshalb man die physikalischen Erklärungen verwirft, in der mangelhaften und unklaren Abstraction, die man mit dem Worte Leben verbindet, worüber oben S. 25 schon das Nöthige gesagt ist. Gegen die physikalischen Erklärungen treten haupt- sächlich nur drei menschliche Erscheinungsweisen auf, die sich freilich im Grunde auf Geistesträgheit ") redu- I) Bei Gelegenheit der Saftbewegung in den Charen wird von einem neuern Schriftsteller gesagt: „Da die von De Candolle und L. Treviranus zur Erklärung angenommene Zusammenziehung der Zel- lenwände bereits von Corfiu.s. w. widerlegt, nach Beeguerel die elektri- sche Einwirkung nicht die Ursache der Bewegung ist... die von 4 50 Methodologische Einleitung. ciren. Einmal der den Menschen durch Jahrhunderte angewöhnte Hang zum Mystischen und Wunderbaren, Dutrochet und Agardh supponirte Nervensubstanz sehr problematisch erscheint, Raspail’s versuchte rein physikalische Erklärung nicht aus- reicht, so bleibt nichts übrig, als dem Selbstbewegungstriebe (subjective Bewegung, Insichbewegung) dieses Lebensphänomen beizumessen.“ Es bleibt aber allerdings noch etwas übrig und zwar das einzig Richtige, nämlich einzugestehen, dass wir von der Sache noch gar nichts wissen, einzusehen, dass wir erst das blosse Factum erfasst, von der Ursache aber noch keine Ahnung haben. Statt dessen ist das leere Wort Selbst- bewegungstrieb nichts als ein dürftiges Feigenblatt zur Bedeckung un- serer Blösse und wird auch nicht anders, wenn es in geschmackloser Sprache und unbeholfener Abstractionsweise Hegel’s noch so sehr mit Phrasen verbrämt, mit Schelling’schen Vergleichungsspielen aufgeputzt und mit nichtssagenden etymologischen Wortspielereien „flüssig“ gemacht wird. Derselbe Schriftsteller sagt einige Seiten weiter: „Je mehr man jetzt schon die Reichhaltigkeit der Lebensphänomene kennen gelernt und von diesen wieder zu Urphänomenen gelangt ist, um so mehr sollte man sich hüten, den ungebundenen Lebensquell in die beengten und beengen- den Gränzen einseitiger und deshalb schon unwahrer Abstraction einzu- zwängen, z, B. den ersten Grund der Bewegung und Empfin- dung nicht in dem sich bewegenden und empfindenden Theile, sondern ausserhalb desselben zu suchen und das so nah Liegende aus weiter Ferne scharfsinnig herzuleiten.“ Abgesehen von der Unklarheit und Einseitigkeit der Abstraction in diesem Satz, der, wenn er auf die ächte Abstraction und nicht auf verunglückte Schellins’sche und Hegel’sche Versuche angewendet werden soll. zeigt, wie der Verfasser noch nicht einmal weiss was eine Abstraction ist und für die geistige T'hätigkeit bedeutet, abgesehen wie gesagt ven diesem Mangel an logischer, ich will gar nicht einmal sagen philosophischer Orientirung — was bedeutet dieser Satz anders als „wenn ich den Zeiger der Uhr sich bewegen sehe, ists mir viel zu weit aussehend und zu mühsam , diese Bewegung von dem künstlichen Getriebe abzuleiten und, um zur Einsicht zu ge- langen, die Gesetze der Mechanik zu studiren; „Selbstbewegungstrieb des Zeigers“, mit dem einen Wort bin ich fertig.“ Immer wieder derselbe Fehler! Weil die Leute überhaupt in der wahren Philosophie und besonders in der mathematischen Naturphilosophie und der Stellung der einzelnen Diseiplinen zu derselben mangelhaft orientirt sind, kommen sie nie von der süssen Einbildung los, die Wissenschaft als etwas Fertiges zu besitzen, sie gleichen Menschen, die rückwärts einen Berg ersteigen, mit jedem Schritte, den sie gethan, glauben sie den Gipfel erreicht, weil sie nur übersehen, was unter ihnen liegt, nicht aber den steilen Hang bemerken, der hinter ihnen noch zu erklimmen ist. Solche Leute reden aber auch nur über das, was Andere gethan haben, was eben vor ihnen liegt, thun aber selbst nie einen Schritt weiter in der Wissenschaft, weil sie sich stets auf der Höhe glauben, bis ein Mitwandernder, der den rechten Staudpunet kennt und deshalb weiter strebt, sie abermals um einen Schritt höher schiebt, wo sie ihr altes nutzloses Räsonniren und spielendes Systemmachen abermals von Neuem beginnen. Methodologische Einleitung. 51 der immer um so stärker hervortritt, je weniger allge- meine geistige Durchbildung in den Einzelnen vorher- gegangen ist und daher in neuerer Zeit bei der so traurig vernachlässigten logischen Ausbildung ') in unse- 1) Hier nur statt vieler ein Beispiel. „Der Schluss von der Wir- kung (Erscheinung) auf die Ursache (Wesen) ist nicht nur erlaubt, sondern oftmals der einzig mögliche selbst bei exacten Wissenschaften. So schliessen wir aus gewissen Phänomenen auf die leibliche und gei- stige Existenz eines Wesens. wenn gleich Leben und Geist an sich nicht in die Erscheinung hervortreten, und dennoch ist nichts gewisser, als diese durch die Wirksamkeit sich offenbarende Existenz: er operibus cognoseitur deus. Wollte man nur demjenigen Realität beimessen, was unmittelbar sinnlich wahrgenommen werden kann, d. h. nur das glauben, was man eben sieht, so müsste man den eignen (!) Geist leugnen, an den wir in diesem Sinn nur glauben (!), denn gesehen hat noch Nie- mand seinen Geist. Man wollte die selbstständige Bewegung der Blutkörperchen leugnen, weil man sie nicht wahrnehme, ohne zu bedenken, dass uns ringsum unsichtbare Bewegungen umrauschen und dass diese grade weit intensiver gehen, als die geräuschvoll sichtbaren, man denke nur an die schnellen unsichtbaren Bewegungen der Gedanken.‘ Ich glaube man könnte dreist einen Preis darauf setzen, in so we- nig Zeilen noch mehr logische Fehler und oberflächliche Abstraction zu vereinigen, als hier geschehen ist, und das schreibt ein Mann, der mit Hegel stolz auf den gemeinen Menschenverstand herabsieht, über den er weit hinaus ist, ein Mann. der mit Achselzucken auf den armen, dum- men und einseitigen Kant blickt, der es zu nichts Ordentlichem in der Philosophie bringen können. Man kann den Herren nur rathen, ein Jahr lang recht fleissig bei einem Manne aus der guten alten Schule Logik zu studiren und dann einmal zu versuchen, ob sie vielleicht schon so weit gekommen sind, auch nur die leichtesten Sachen Kant’s bei gehörigem Studium verstehen zu lernen. Welche Verwirrung muss in einem Kopfe herrschen, der Ursache und Wirkung mit Wesen und Erscheinung (diese ist nur die räumliche und zeitliche Existenz des Wesens) gleichstellen kann, der so von dem Erlaubtseyn des Schlusses von Wirkung auf Ur- sache spricht; nun freilich ist der erlaubt, das ist eine längst abgethane Sache, vorausgesetzt nämlich, dass die Existenz der Wirkung und der Causalnexus zwischen ihr und der bestimmten Ursache bereits ander- weitig festgestellt ist; wenn das Letztere aber nicht der Fall ist, so nennt man das willkürliche Supponiren einer Ursache nicht Schluss, sondern Phantasiren und Träumen Wer in aller Welt ist denn in neuerer Zeit unter wissenschaftlich Gebildeten noch ein solcher beschränkter Kopf, dass er an gar nichts glaubt, als was er sieht (d. h. mit leiblichen Augen), dass es der Mühe werth sey dagegen zu polemisiren? Aber hier wird wieder die Kant’sche unmittelbare Er- kenntniss mit dem physiologischen Ansehen verwechselt und doch nicht bemerkt, dass ja eben der eigne Geist uns unmittelbar im Selbstbewusst- seyn gegeben ist, also keines Schlusses zum Beweis seiner Existenz be- darf, Unsichtbare Bewegung der Blutkörperchen ist eine reine Unmög- lickeit, Bewegung ist Veränderung des Ortes, und das muss man bei sichtbaren Gegenständen sehen können oder es ist nicht vorhanden. 4* 52 Methodologische Einleitung. rer wissenschaftlichen Laufbahn in allerhand tollen Fratzen einmal wieder lebendiger hervortritt. Dieser Hang will es immer gleich mit dem Geistigen, Göttli- chen zu thun haben und hascht danach an Orten, wo es gar nicht zu finden. Das Andere ist die leidige Oberflächlichkeit in der wissenschaftlichen Erkenntniss der Natur. Die Leute, die das ganze Naturgebiet im Geschwindschritte durchlaufen sind, die Chemiker und Physiker, Mineralogen, Botani- ker und Zoologen zugleich sind, die Alles oberflächlich vielleicht mit dem geistreichen Schein des Salonswitzes berührt, nichts tief und durchdringend erkannt haben und nun glauben mit der Natur fertig zu seyn, diese können sich rückblickend denn doch nicht verhehlen, dass sie zu eignem Erstaunen etwas gar zu schnell zur Er- kenntniss der Natur gelangt sind; weit entfernt aber den Grund davon in ihrer eignen Oberflächlichkeit zu suchen, wogegen sie ihre gesunde Eigenliebe schützt, bürden sie diese Beschränktheit lieber der Natur auf, umhüllen die Gränze, die sie nie zu überschreiten Muth, Kraft und Tiefe genug hatten, mit einem nebelhaften Vorhang von naturphilosophischen Modephrasen, als da sind: „be- sondere Psyche, Polaritätserscheinungen, allgemeine Le- benskraft, geheimnissvolle Naturlaute, Hereinragen einer Geisterwelt, peripherisches Leben u. s. w.‘* lauter Worte, hinter denen überall oder doch da, wo sie gebraucht werden, kein vernünftiger Sinn steckt; dann weisen sie mit geheimnissvoller Priestermiene auf den selbst erregten Selbstständige Bewegung kann ich aber überall niemals sehen, sondern nur Bewegung; ob sie selbstständig sey oder nicht, ist erst auszuma- chen, für die Blutkörperchen aber vom Herrn Verfasser nur hinzufingirt. Unsichtbare Bewegung ist, wie oben bemerkt, ein Unding, wenn es nämlich etwas anders heissen soll als Bewegungen uns unsichtbarer Körper, was es aber grammatisch gar nicht heissen kann. Ueber die Gedankenbewegung endlich will ich mit dem Verfasser nich! rechten, das gehört mit zu der allgemeinen Hegel’schen Confusion, die bei jedem Wort an Nichts und an Alles denkt und denen so in blossen Wortwitze- leien jede wissenschaftliche Schärfe und Klarheit verloren geht. | Methodologische Einleitung. 53 Tempelqualm und rufen: ,,Seht wie unbegreiflich und undurehdringlich ist die Natur!“ ') Mich dauern diese armen Leute, die noch nicht einmal eine Ahnung von dem ‚Punct haben, wo die Natur anfängt unbegreiflich zu werden. Freilich wenn der Natur bei jeder Er- scheinung tausend verschiedenartige Kräfte und Stoffe zu Gebote stehen, so kann ich mich allerdings freuen, dass diese allervortrefflichste Taschenspielerin mit einem so glänzenden Apparat in der That recht niedliche Kunststückchen macht. Wie aber, wenn es der Mensch- heit einmal gelänge, auch nur in grossartiger Ahnung alle organischen Vorgänge auf physikalische Kräfte und diese auf eine Grundkraft zurückzuführen? Hier ist der Punct um erstaunend stehen zu bleiben und anbetend niederzusinken, wenn wir erkennen, wie der einzige Strahl göttlicher Allmacht, den wir Natur nennen, sich an der einfachen Materie so mannigfaltig bricht, um eine uns unendliche Welt mit tausend Farben und Ge- stalten zu beleben, wie der Brosame, der von des Her- ren Tische fällt, Millionen sättigt und das hingeworfene Scherflein zum unermesslichen Reichthum erwächst. Da eben liegt das grosse wunderbare Geheimniss, wie sich das Eine zum Mannigfaltigen entwickelt, und jede Zu- rückführung einer bisher für eigenthümlich und selbst- ständig gehaltenen Erscheinung auf andere bekannte T'hatsachen macht uns die Natur im edleren Sinne un- begreiflicher und führt uns zu dem wahren Endziele der Naturforschung, bis zur unmittelbaren Gränze des Geistigen und Göttlichen als des allein Unbegreiflichen durchzudringen, näher, als alle sogenannten Naturphilo- sophen mit ihrem Nebeln und Schwebeln in geistigen 1) Hier ist allerdings sehr wahr und geistreich, was Liebig (Organ. Chemie S. 35) über die Schelling’sche Schule sagt, wenn er aber statt dessen den Ausdruck deutsche Naturphilosophie substituirt, so beur- kundet es nur abermals seine grosse Unwissenheit in Allem, was über dem Horizont seiner chemischen Küche hinausliegt. Wir Deutschen ha- ben Gott sey Dank einen Kant und eine mathematische Naturphilosophie von Fries und dürfen stolz darauf seyn. 54 Methodologische Einleitung. Potenzen, psychischen Prineipien, erstarrten Traumge- bilden höherer Typen und dergleichen Sehnurrpfeifereien je thun werden !). Endlich hört man das Verdammungsurtheil der phy- sikalischen Erklärungen im Gebiete des Organismus noch 1) Fast möchte ich hier eines (wie die späteren tüchtigen Arbeiten des Verfassers zeigen gewiss zu dessen eigner Befriedigung) längst ver- schollenen Handbuches der Botanik erwähnen, in weichem die Verkehrt- heiten der noch jugendlichen Schelling’schen Schule am schärfsten sich zeigen. Ich glaube man darf nur einem jungen Manne von gesundem Sinne und etwas elementarbotanischer Kenntniss einige Paragraphen daraus zu lesen geben, um ihn für immer von einem Irrgange abzu- schrecken, der zu solchen Sachen führt Nicht im Interesse der Bota- nik, sondern ganz besondes im Interesse einer gesunden Philosophie möchte ich wieder auf dieses Buch aufmerksem machen, denn ‚an den Früchten sollt ihr sie erkennen“. Eine Philosophie, die ihren Anhän- gern einbildet, dass in solchen Träumereien und Buchstabenformeln auch nur ein Fünkchen Wissenschaft verborgen liegen könnte, die muss mit dem gesunden Menschenverstande total brouillirt seyn. Ich will beispiels- weise einige Proben mittheilen, fest überzeugt, dass jeder Leser Lust bekommt, die Citate nachzuschlagen. um mich der Verleumdung zu überführen, „Die Pflanze repräsentirt die ganze Längenaxe der Erde, sie zer: fällt also als Ganzes in zwei Pole. 1) Der eine Pol ist der Pilzpol, Nordpol, der der Erde zugerich- tet.ist .2. » 2) Der zweite geht nach oben und ist der eigentliche Südpol der Erde in organischer Besonderheit. Die Pflanze wächst fort, indem sie aus der Blüthe ideale Wurzeln treibt (Geschlechtstheile). Man begreift, so lange man die organische Reihe nur nach einer ein- fachen Entgegensetzung auffasst und beur theilt, unter dem Namen des Pflanzenreichs Pilze und Pflanzen, unter dem "Namen des "Thierreichs ‘Thiere und Menschen. Zus. I. Es ist dies der Urgegensatz der Längen- und Breitenaxe der Erde. (Vorker war schon von der Vollständigkeit der 4 Erdpole die Rede). Bei der Blüthenbildung hat sich das peripherische Leben der Pflanze erschöpft und die hydrogenisirende Totalfunction der Blätter durch die gesonderte Darstellung der drei Blattelemente der untern, der obern Fläche und des Blattgerüstes aus einer blossen Bindung des Wasser- stoffs = nW + (nC + mS) in einem positiven n=W + (mC + nC) oder in ein reines + W (+ E) aufge- löst u. s. w. Ein Verhältniss, in welchem zwei Körper bei innerer che- mischer Gleichheit einen vollendeten Gegensatz ausdrücken, der seinen | Grund nicht mehr in der chemischen Mischung als solcher, sondern in der Entzweiung des Ursprungs der beiden Körper hat, heisst organisch und wenn die Vollständigkeit der Factoren des Planeten polar in diese Körper eingeht, geschlechtig!!!“ Methodologische Einleitung. 55 von entschiedener Unwissenheit aussprechen, von Phy- siologen , denen jeder klare Begriff der Mathematik und Physik fremd ist, oder von Mathematikern und Physi- kern, die von der organischen Welt nicht viel mehr wissen, als dass Hausthiere und Gartengewächse dazu gehören, wo ihnen denn freilich der Uebergang von einem Gebiet in das andere bedenklich scheinen mag. D) Wenn es überall einen Unterschied zwischen geistreich thuendem Geschwätz, zwischen zufälligen Einfällen und einer "ächten Wissenschaft giebt, so be- steht er ohne Zweifel wesentlich in der Begründung der Urtheile, darin, dass die Wissenschaft keinen Aus- spruch thut, ohne dass sie sich nicht klar bewusst wird, aus welcher Erkenntnissquelle der Satz fliesst, ob er daraus auf gehörige Weise abgeleitet ist und ob er rück- sichlich seiner Stellung zur ganzen Wissenschaft so orientirt ist, dass er keinem wohlbegründeten Satze als Widerspruch entgegentritt. Wenn man aber, mit den Anforderungen, die eine gesunde Logik an die Begrün- dung der Urtheile macht, vertraut, einmal unsere neuere Botanik durcharbeitet, so sollte man fast glauben, sie hätte zum "Theil wenigstens sänzlich auf das ehren- werthe Prädicat einer Wissenschaft verzichte. Wenn es hier mehr auf Charakteristik unserer Zeit ankäme, wäre leicht nachzuweisen, wie Eitelkeit und Ueber- eilung, Mangel an gründlichem Lernen, ehe man lehrt, und ganz besonders die Vernachlässigung einer tüchti- sen logischen Ausbildung die sich furchtbar rächenden Sünden sind, denen diese Erscheinung ihren Ursprung verdankt. Die jüngst vergangene Zeit hat fast in allen Fächern des Wissens ausgezeichnete Männer aufzuwei- sen gehabt und das Ende des vorigen und der Anfang dieses Jahrhunderts hat die Wissenschaften mit Riesen- schritten gefördert. Wenn wir aber bemerken, dass wir Neuern im Verhältniss zu dem uns Ueberlieferten nicht eben solche Fortschritte machen, wie unsere Vorgänger, trotz der Menge der Mitarbeiter, trotz der grossen Verbesse- D) Begrün- dung der Urtheile. 56 Methodologische Einleitung, rungen der Werkzeuge, so können wir die Ursache da- von gar leicht in dem Mangel an gründlicher logischer Ausbildung, finden. Die Wolffisch - Kant’sche Schule hat unendlich mehr geleistet, als gewöhnlich anerkannt wird, indem sie uns eine Menge Männer bildete, die nicht nur hin und wieder einmal einen guten Einfall hatten oder vom Zufall begünstigt eine kleine Entdeckung machten, sondern Männer, die vorbereitet waren, die guten Ge- danken, die ihnen die Gunst des Genius verlieh, die Entdeckungen, deren Möglichkeit und Nothwendigkeit ihnen der Zufall in den Weg stellte, durch eigne Kraft zur gediegenen Wissenschaft zu verarbeiten, was doch am Einde das einzige eigne Verdienst des Menschen bleibt, da jenes andere sich Keiner geben noch nehmen kann. Hat man sich durch gründliches Studium in den Geist der Werke dieser Zeit hineingearheitet und ge- räth dann über neuere Arbeiten, so hat man etwa das Gefühl, als ob man aus dem Studierzimmer in eine fröhliche Abendgesellschaft tritt. Es wird manches Be- lebende und Geistreiche beigebracht, manche Anregung gegeben, die vielleicht späterhin von wichtigen Folgen seyn kann, aber das Alles sorglos und unbekümmert um den Geist strenger Wissenschaftlichkeit, den man ja eben einmal vergessen will. Man kennt zum Theil nicht einmal die wissenschaft- lichen Formen und ihre ernste Bedeutung, durch den schnödesten Missbrauch sind die wichtigsten wissenschaft- lichen Hülfsmittel so in Verruf gekommen, dass es den Meisten z.B. zur Abfertigung zu genügen scheint, wenn sie hinwerfen: „Es ist eine blosse Hypothese“, eine Redensart, die man fast in jedem botanischen Werke ein paarmal findet. Haben die Leute wohl bedacht, dass es auch nur vermittelst einer Hypothese geschieht, wenn ich ihnen gleich mir eine mit Vernunft und Verstand begabte Seele zuschreibe, und wollen sie etwa die strenge Gültigkeit dieser Hypothese in Zweifel ziehen? Aber eigentlich ist auch bei dieser Redensart die ächte Methodologische Binleitung. 57 wissenschaftliche Hypothese gar nicht gemeint, sondern nur die an ihre Stelle getretenen Fictionen, mit denen man sich heutzutage weiter hilft, wo Zeit und Lust zu sründlicher Untersuchung und Durchdenkung fehlen, oder wo die Eitelkeit, des Sokratischen Spruches uneinge- denk, nicht eingestehen will, dass sie nichts weiss, oder wo endlich die logische Unklarheit selbst gar nicht ein- mal merkt, dass sie längst das Gebiet der Wissenschaft verlassen. Wenn wir unsere botanischen Handbücher streng durchgehen, werden wir bald finden, dass wir wenigstens ein Drittheil des darin Einthalienen wegwer- fen dürfen, nicht weil es falsch ist, sondern lediglich deshalb, weil es ganz unbegründet dasteht, also gar nicht einmal berechtigt ist, einen Streit über Wahrheit und Falschheit zu veranlassen. Die wenigsten Bearbeiter der Botanik scheinen einen Begriff davon zu haben, dass in einer Erfahrungswissenschaft jeder Schritt inductorisch orientirt seyn muss, wenn er nicht aus dem Gebiet der Wissenschaft in das des spielenden Wortmachens hin- überführen soll. Die Folge davon ist, dass man unend- liche Zeit daran wenden muss, um die Masse historisch aufgehäuften Materials durchzuarbeiten, um am Ende einzusehen, dass man um °/ seiner Zeit betrogen ist. Es ist dies aber so sehr die Krankheit unserer Zeit, dass selbst die Meister der Wissenschaft willenlos die- sem Schlendrian folgen, man hat wie es scheint in corpore an der Wissenschaftlichkeit der Botanik ver- zweifelt. Einige Beispiele wenigstens mögen meine Ansicht belegen. 1) Alle Handbücher sprechen von den Antheren der Kryptogamen und noch vor Kurzem hat uns Link mit Flechtenantheren, Meyen mit Aecidium- antheren be- schenkt. Was ist eine Anthere? Entweder 1) eine Zellgewebsmasse, die in ihrem Innern, in Mutterzellen auf bestimmte Weise Zellen entwickelt, die wenige Ausnahmen abgerechnet von allen andern Zellen dadurch unterschieden sind, dass sich um jede eine äussere Haut Beispiele. [ l) Antheren der Krypto- gamen. 58 Methodologische Einleitung. von erhärtetem, verschieden seformtem Schleim bildet; oder 2) eine bestimmte ganz eigenthümliche Metamor- phosenstufe eines ächten Blattes; oder 3) ein Organ, welches Zellen enthält, die auf eine wesentliche und unzweifelhafte Weise bei der Erzeugung eines neuen Individuum, also bei der Fortpflanzung thätig sind. In erster Beziehung, die Entwickelungsgeschichte betreffend, wissen wir gewiss, dass der Vorgang fast ganz identisch sich bei den Sporen der meisten Kryptoga- men wiederfindet, nie auch nur in einer irgend mög- licher Weise zu erkennenden Analogie bei den soge- nannten Antheren. In zweiter Beziehung, der morpho- logischen Bedeutung, müssen wir gestehen, dass wir mit der Morphologie der Phanerogamen noch nicht ein- mal im Klaren sind, von einer Morphologie der Krypto- samen kann noch gar nicht die Rede seyn. So weit aber die entfernten Analogien sich noch festhalten las- sen, haben Mohl und Andere bestimmt nachgewiesen, dass die Sporangien der meisten Kryptogamen den An- theren entsprechen, von den sogenannten Antheren der Kryptogamen hat auch nicht ein einziger Botaniker bis jetzt eine morphologische Deutung nur versucht. End- lich in Bezug auf den dritten Punct, die functionelle Bedeutung der sogenannten Antheren betreffend, hat noch kein Botaniker, ja selbst die Entdecker derselben nicht einmal gewagt, die Beobachtung dahin gehöriger T'hat- sachen, sondern höchstens einige vage Vermuthungen und Möglichkeiten vorzubringen. Wenn nun aber nichts- destoweniger von Antheren der Kryptogamen sespro- chen wird, so muss ich behaupten, dass dies ganz leere, nichtssagende Worte sind, oder gestehen, dass ich nicht weiss was Wissenschaft ist. Bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft braucht man sich also gar noch nicht einmal auf den Beweis einzulassen, dass die fraglichen Organe keine Antheren sind, sondern die Be- hauptung gehört als eine ganz unbegründete gar nicht in die Wissenschaft. sondern zu den Privatträumen der Methodologische Binleitung. 59 Einzelnen. Man wende mir hier nicht ein, dass dies im Grunde ein leerer Wortstreit sey und dass nichts darauf ankomme, ob man die Dinger vorläufig Antheren oder anders nenne. Worte an und für sich sind gar nichts, um Worte lässt sich daher auch nicht streiten. Worte aber sind Zeichen für die Begriffe und kommen nur als solche in der Wissenschaft vor. Mit dem fal- schen Wort ist also nothwendig ein falscher Begriff ge- geben und es wird Niemand in Abrede stellen wollen, wie verderhlich es in der Wissenschaft ist, sich an fal- sche Begriffe zu gewöhnen. Will aber einer Anthere so defmiren: Anthere nenne ich alle die Gebilde, von denen es mir gefällt, sie willkürlich und ohne Gründe unter diesem Namen zusammenzufassen, so habe ich ge- gen den freilich Unrecht. 2) Ein anderes glänzendes Beispiel bietet uns die Lehre von den sogenannten Verwachsungen, die seit De Candolle zu einer wahren Manie in der Wissen- schaft geworden ist. ,‚Bei den Irideen, bei den Ona- green u. s. w. ist der Kelch mit dem Ovario verwach- sen“. Diese Bedensart ist so gänge und gäbe gewor- den, dass kaum ein Botaniker ein Bedenken hat, sie auszusprechen, und doch ist sie so nichtssagend, dass ächte Wissenschaftlichkeit sie ohne Weiteres streichen wird. Der angeführte Satz enthält die Behauptung eimes bestimmt angegebenen Entwickelungsprocesses; die ein- zige Möglichkeit der Begründung beruht also auf der Untersuchung des Entwickelungsganges. Kaum sollte man es aber glauben, dass der Satz aufgestellt von hundert und aber hundert Botanikern nachgesprochen ist, ohne dass einer auch nur den Versuch gemacht hätte, den Bildungsprocess, auf den er sich doch mit seinem Ausspruche beruft, zu beobachten. Ohne auch nur ein- mal die Resultate der Eintwickelungsgeschichte zu ken- nen, müssen wir diese ganz unbegründete Fiction aus der Wissenschaft ausstreichen. Nun ergiebt aber auch die Entwickelungsgeschichte bestimmt etwas ganz Ande- 2) Die Ver- wachsun- gen. 60 Methodologische Einleitung. res, wie anderwärts ausgeführt ist. ( Wiegmann’s Ar- chiv 1839 Bd. 1. S. 216). Den LE 3) Nehmen wir ein drittes Beispiel, die Entstehung der Pflanzenzelle.. Ich will hier nicht die vielen zum Theil abgeschmackten Phantasien wiederholen, die hier aufgestellt sind, sondern nur eine herausgreifen, die von bedeutenden Männern auch noch in neuester Zeit aufge- stellt und entwickelt ist. Man lässt nämlich die Zellen aus und in einer formlosen primären Gallerte als blosse Höhlungen entstehen, die sich erst später eine eigne Wand bilden. Begründei kann diese Ansicht nur da- - durch werden, dass man nachweist, dass überall oder doch in den meisten Fällen, wo Zellen entstehen, eme solche Gallerte vorhergeht. Das hat nun freilich Nie- mand gethan ') und es möchte wohl auch ziemlich un- möglich seyn, denn überall ist Zelle oder Zellgewebe, Spore oder Embryo früher da als die Gallerte. Aber so ist es auch gar nicht gemeint; geht man dem Ge- dankengang der Behaupter dieses Urschleims nach, so findet man, dass die vergleichende Betrachtung der Pfianzenformen und das häufige Vorkommen dieses Schleims bei den niedrigsten Pflanzen, den Anfängen der Vegetation, zu der ausgesprochenen Ansicht geführt hat, aber gewiss ohne dass man sich der logischen Verknüpfung der Gedanken klar bewusst geworden, sonst würde man vor dem Sprung im Schlusse zurück- gebebt seyn. Auf den logischen Ausdruck gebracht lautet die Sache nämlich so: a) Viele niedere Pflanzen (nicht alle) zeigen im ausgebildeten Zustande eine grosse Menge Gallerie, welche die Zellen umhüllt. b) Das Verhältniss der scheinbar weniger voll- kommenen Organismen zu den scheinbar vollkommneren l) Ich muss hierbei ausdrücklich bemerken, dass ich mir eine Arbeit von Unger über diesen Punct, ich glaube eine Petersburger Preisschrift, bis jetzt noch nicht habe verschaffen können. Methodologische Einleitung. 61 können wir uns durch das Bild einer Entwickelung des Unvollkommneren zu dem Vollkommneren veranschau- lichen. €) Also entwickeln sich alle Zellen aus einer Ur- gallerte. Dieser abenteuerliche Schluss ist die einzige Grund- lage des Vorurtheils, in welchem befangen die Männer die sich ihnen darbietenden T’hatsachen zu Gunsten ihrer vorgefassten Ansicht deuteten; 'TThatsachen, die sie ganz anders würden aufgefasst haben, wenn sie jenes Vor- urtheil durch klare Einsicht in seine gänzliche Nichtig- keit von sich entfernt hätten. Es wird hier am Orte seyn, überhaupt etwas über den Werth der vergleichenden Betrachtung der Natur- körper zu sagen, deren Werth weit überschätzt ist, weil man die logische Bedeutung derselben verkännte. Wir haben eine Zeit erlebt, wo sich diese verkehrte Anwendung der vergleichenden Anatomie bis zu der exorbitanten Behauptung hinaufgeschroben hatte, dass der Mensch in seinem individuellen Entwickelungsprocess nach und nach alle unter ihm stehenden "Thierclassen durchlaufe. Solche Irrwege waren nur dem möglich, der sich durchaus im Voraus keine Rechenschaft gege- ben hatte, was die vergleichende Anatomie eigentlich leisten könne und solle. Wenn wir organisirte Naturkörper unter einander vergleichen, so kann es uns nicht entgehen, dass Form und Leben bei einigen einfacher, bei andern zusammen- gesetzter erscheint. Es ist aber schon ein ganz fal- scher Ausdruck, wenn wir dafür die Worte unvollkom- men und vollkommen, niedrige oder höhere Entwicke- lungsstufe gebrauchen. Dieser Ausdruck hat nämlich keine wissenschaftliche” Schärfe, sondern ist nur ein bildlich veranschaulichender. Wenn eine Conferve be- stimmt wäre ein Eichbaum zu seyn, so wäre sie freilich sehr unvollkommen; sie soll aber eben nur eine Conferve Beiläufig vom Werta der verglei- chenden Na- turwissen- schaften. @ Methodologische Rinleitung. seyn und ist, wenn sie gesund entwickelt ist, als Con- ferve vollkommener als eine verkrüppelte Eiche. Gleich- nissweise mögen wir aber das Einfachere das Unvoll- kommnere nennen, obwohl das Gleichniss umgekehrt sich ebenso gut durchführen liesse. Bleiben wir uns aber bewusst, dass das Ganze nur ein Gleichniss ist, so ver- steht sich von selbst, dass uns die Vergleichung der sogenannten niedern Organismen mit den höheren nie Resultate gewähren kann, die für den individuellen hö- hern Organismus gültig wären; denn solche Resultate können eben nur aus der Erforschung des höhern Or- ganismus selbst gewonnen werden. Es bleibt uns also die Frage, welchen wissenschaftlichen Werth hat denn überall die vergleichende Betrachtung der organischen Wesen? Mir scheint die Antwort sehr nahe zu liegen: sie giebt uns leitende Maximen für die Untersuchung der einzelnen Naturkörper an die Hand und dient somit der Methode. Wir brauchen dafür nur ihre grossartigste Anwendung, zu betrachten. Die genauere vergleichende Zusammenstellung musste bald darauf führen, dass an der Stelle einfacher Formen, einfacher Processe in einem Organismus, in einem andern zusammengesetztere sich zeigen, dass die einfachsten Wesen sich dadurch, dass man gleichsam für jedes Einfache zwei Factoren setzt, als deren Product es erscheint und dann bei den Facto- ren so fortfährt, zuletzt zu den verwickeltsten Complica- tionen überführen lassen. Dies war es auch, was das Gleichniss von der Entwickelung des Vollkommneren aus dem Unvollkommneren annehmbar erscheinen liess. Die- ses Gleichniss ist aber eben nichts Anderes, als die in neuerer Zeit erst in ihrer ganzen Wichtigkeit anerkannte leitende Maxime: die Bedeutung und das Wesen eines Organismus oder eines Organs kann nur aus seiner Ent- wickelungsgeschichte oder daraus erkannt werden, wie aus dem einfachsten Keime das vielfach zusammenge- setzte Geschöpf geworden ist. So wie es nun hier im Allgemeinen ist, so auch Methodologische Einleitung, 63 im Einzelnen. Die vergleichende Betrachtung ist nie- mals ausreichend zur Begründung irgend eines Satzes, wodurch ein gegebener Naturkörper in seiner individuel- len Natur bestimmt werden soll, wohl aber wird sie ‚meistens uns Fingerzeige geben, sey es Warnung vor Irrwegen, sey es Hindeutung auf den richtigen Weg, sey es Anleitung, wie er am sichersten zu betreten, kurz leitende Maximen, wie und wo wir am sichersten die Aufklärung des fraglichen Punetes bei dem gegebe- nen Naturkörper zu suchen haben'). 4) Ebenfalls hierher gehörig ist folgender vielfach verderblich gewordener Missgrif. Eine Art von Spie- lerei ist oft damit getrieben, dass man von zwei zu- sammentreffenden Erscheinungen ganz willkürlich die eine als Grund der andern angesehen hat, z. B. die Vertheilung der Blatinerven als Grund der Blattform. Es liest darin für die Erkenntniss der Gesetze des Pilanzenlebens auch durchaus gar nichts, und man kaın mit demselben Wechte die Sache umkehren und die Blatt- form zur Ursache der Vertheilung der Blatinerven ma- ehen. So z. B.: „„Das Zerfallen der Gefässe in Kno- ten ist Grund aller seitlichen Ausbreitung“ ist völlig nichtssagend; man darf mit demselben Rechte behaupten: „Die seitliche Ausbreitung ist der Grund der Knotenbil- dung und letztere Grund des Zerfallens der Gefässe “. Das Wahre an der Sache ist nur, dass wir Beides meist (nicht einmal immer, z. B. beim Moosblatte) zu- sammenfinden. 5) Am verderblichsten für die Fortbildung der Bo- tanik hat aber eine hierher gehörige falsche Ansicht gewirkt, die von Dupetit Thouars ausgegangen bis auf den heutigen Tag; noch die Botaniker verwirrt. Ich meine die Ansicht, dass die Knospen (und Blätter) die I) Die Anwendung der vergleichenden Methode zur Anordnung der Naturkörper gehört nicht hierher und versteht sich von selbst, da ich überall nicht zwei Körper als zusammengehörig hinstellen kann, wenn ich sie nicht vergleiche. 4) Zugleich- seyn u. Cau- salnexus. 5) Zhouars Ansicht üb. Stammbil- dung. 64 Methodologische Einleitung. Ursprünge des Stammes wären, dass die Verdickung des Stammes und seine neuen Gefässbündel die herab- steigenden Wurzeln der Knospen seyen. Es ist nicht wohl nachzukommen, ob T’houars noch durch etwas Anderes, als durch den bekannten Erfolg des Ring- schnitts an der Rinde zu seiner Annahme geführt wor- den ist, so viel aber ist klar, dass es eine ganz leere, durch nichts gestützte Fietion ist, denn über den Ur- sprung der Theile kann nichts als eine Verfolgung der Enntwickelungsgeschichte Aufschluss geben und die giebt hier leider das Gegentheil an die Hand. Wie blind sich Viele in dies angelernte Vorurtheil festgerannt ha- ben, zeigt sich auf die schlagendste Weise in einem Aufsatz von Georg Gardner (Ann. and Mag. of Nat. Hist. Sept. 1840 p. 61), wo es heisst: „Man braucht nur einen Längsschnitt eines Palmenstamms mit seinen Blättern anzusehen, um sich, und wäre man der grösste Skeptiker, zu überzeugen, dass die Holzsubstanz (die Gefässbündel) von den Blättern gebildet werde“. Es ist kaum begreiflich, wie ein Mensch so wenig gesun- den logischen Sinn haben kann, denn es ist doch grade dasselbe, als wenn ich behauptete, man könnte einem ausgespannten Faden auf den ersten Blick ansehen, ob das obere oder untere Ende zuerst befestigt sey. Ich wiederhole hier noch einmal, dass solche Irr- thümer durchaus unentschuldbar sind, da sie nicht eine besondere Summe von Erfahrungen erfordern, um ver- mieden werden zu können, sondern nur Anwendung des gesunden Menschenverstandes und einer gesunden Logik, für deren Nichtgebrauch Jeder, der in der Wissenschaft seine Stimme erhebt, verantwortlich ist. In dem ge- gebenen Fall liegt die Täuschung vielleicht gar nur in einem Wortspiele. Man fängt an, einen Pflanzentheil in seinem räumlichen Verlauf zu verfolgen und nennt den Punct, von dem man ausging, den Anfaug, den Ursprung, und den Punct, in welchem man ankommt, das Ende. Nun aber geht man, durch den Doppelsinn Methodologische Einleitung. 65 des Worts Ursprung getäuscht, von dem räumlichen Verlauf zur zeitlichen Entwickelung über, und der Unsinn ist da, ehe man sichs versieht. Hätte man beim Präpariren zufällig am andern Ende angefangen, so würde man grade zum entgegengesetzten Besultat gekommen seyn, was freilich rücksichtlich seiner Be- gründung dann eben so unhalthar gewesen wäre. Grade dasselbe zeigt sich bei Nees von Esenbeck’s von aussen in die Antheren hinein wachsendem Pollen, Handb. der Botanik UI. S. 257, wo sich die Sache noch dazu ko- misch macht, weil es als etwas in der Natur des Pol- lens und der Anthere nothwendig Begründetes nachge- wiesen wird, so wie einige Seiten früher die Spiral- antheren der Farren (die zwar nicht existiren), die Nees aber nicht entbehren kann, ohne dass das ganze angeblich naturphilosophische Gebäude der Antherenbil- dung über den Haufen fällt. Alle angeführten Verkehrtheiten gehen nur daraus hervor, dass man die Anforderungen, die die Logik an jede induetive Wissenschaft macht, misskennt und ver- nachlässigt. Wir finden bis jetzt in der Botanik unsere Gesetze und allgemeinen Regeln nur durch den logi- schen Wahrscheinlichkeitsschluss mittelst unvollständiger Induction. Hier gilt nun, dass wir von der Einheit vieler Fälle auf die Einheit aller schliessen, indem wir erwarten, dass die noch unbekannten Fälle sich eben so unter die hypothetisch aufgestellte Regel fügen werden. Eigentlich schliessen wir also von allen präsumtiv zu- sammengefassten Fällen auf die Einheit des Gesetzes, darin liegt die alleinige Schlusskraft dieser Operation und ein einziger Fall, der daher sich der Regel ent- zieht, wirft sogleich die ganze Regel über den Haufen. Aber wer denkt noch daran, wenn ein Satz einmal in zehn Büchern gedruckt ist, noch nachzuforschen, auf welchen Grund hin derselbe eingeführt? 6) Aecltere Physiologen bauten auf dem Aufsteigen des Frühlingssaftes und der Continuität des Lumens der ’ 5 6) Die Saft- hewegung in denPllanzen. 66 Methodologische Einleitung. Spiralgefässe und porösen Röhren ihre Theorie der Be- wegung der Nahrungsflüssigkeit, deren Nothwendigkeit auch nur in Folge einer unhaltbaren Analogie mit den höheren 'Thieren postulirt wurde; dabei setzten sie still- schweigend voraus, dieselbe Erscheinung, dieselben Or- gane würden sich bei weiterer Untersuchung auch wohl bei den übrigen Pflanzen finden. Tausende von Pflan- zen sind seitdem untersucht, die keine Spur von jenen sogenannten Gefässen zeigen, die keine Andeutung eines solchen Aufsteigens der Säfte geben, noch mehr sind einzelne Pflanzentheile und darunter zum Theil die wich- tissten, z. B. Ovulum und Anthere bekannt geworden, die oft gar keine, oft nur wenige und bis zum eigent- lichen Punetum saliens gar nicht hinreichende Gefässe haben, gleichwohl muss in ihnen allen eine, lebhafte Fortbewegung des Saftes stattfinden, weil sie vegetiren und eigenthümliche Stoffe bilden, neue Zellen ent- wickeln u. s. w., ja selbst bei den ganz im Wasser wachsenden Fucoideen bleibt, was man ganz übersehen hat, die Frage nach der Art der Saftbewegung stehen, da doch nur die äussersten Zellen unmittelbar mit dem Wasser in Berührung stehen. Weit entfernt aber, dass man nun die ältere Theorie, die ihre Begründung und ihren Sinn ganz verloren hatte, fallen liess und nach neuen Bahnen suchte, hat man sich seitdem auf die wunderbarste Weise bemüht, die neuen widersprechen- den T'hatsachen zurechtzuzerren und mit dem alten Vor- urtheil zu verknüpfen. Die ehrlichsten Pflanzenphy- siologen haben zwar noch die Capitelüberschrift von der Saftbewegung in den Pflanzen, sie sprechen aber im ersten $. vom Holzkörper, im zweiten $. vom Holz- körper der’ Dikotyledonen, und im dritten erfährt man endlich, dass ihrer Ansicht nach in der Linde, die grade vor ihrem Fenster grünt, der Saft in den porösen Ge- fässen des Splintes aufsteige, von den ührigen 119,999 Pflanzen auf der Erde ist nicht weiter die Rede, die mögen sehen, wie sie sich selber helfen. Methodologische Einleitung. 67 Doch mich will bedünken, dass hier der Beispiele genug aufgeführt wären, um zu zeigen, wie wenig von unserer Wissenschaft stehen bleibt, wenn man den Sa- chen hinsichtlich ihrer Begründung auf den Zahn fühlt. Ueberhaupt verlasse ich lieber dieses sterile Gebiet des logischen Sichtens, was Jeder mit Hülfe eines guten Handbuchs der Logik, wenn er keine Logik im Kopf hat, selbst leicht vornehmen kann und sich selbst über- zeugen, wie viel der Botanik zur Wissenschaft fehle. Eins der unabweisharsten Gesetze der Logik ist gewiss das, dass nur definirte Begriffe sich wissenschaftlich be- handeln lassen und dass, wenn man an ihre Stelle die schwankenden Schemata der produetiven Einbildungs- kraft setzt, man aus dem zu nichts führenden Hin- und Herreden nicht herauskommt. Vergleichen wir aber ein- mal unsere botanischen Handbücher, wie sie mit den Worten Wurzel, Stengel, Blatt, Blüthe u. s. w. um- springen, ohne dass man je erfährt, was sie eigentlich darunter verstanden wissen wollen, sehen wir zu, wie sie jeden Augenblick sich selbst untreu werden, wenn sie ja einmal eine Art von Definition gegeben, so wun- dert man sich nicht mehr, dass die Botanik noch so weit von ihrem Ziel ist. Ebenso unabweisbar ist der Satz, dass erst die systematische Einheit (nicht das Formelle des A. @« und 5, B. a, b, c, sondern der Ma- terie des Gedankens) eine gegebene Menge von Kemt- nissen zur Wissenschaft macht. Wie viele Widersprüche, Inconsequenzen und unvermittelt dastehende Behauptungen zeigt uns aber fast jedes Handbuch unserer Diseciplin, ohne dass sich Jemand darüber wundert. Ich überhebe mich der Mühe, hier abermals Beispiele anzuführen, die in Menge zur Hand wären, und wende mich lieber zu den fruchtbareren Bemerkungen über die eigentlichen leitenden Maximen in der Botanik. ‘I. Specielle Regulative für die Bo- tanik. Auf- abe der Vissen- schaft. A) Das Ob- ject der Bo- tanik sind Pflanzen nicht Bü- cher. 68 Methodologische Einleitung: 6. 11. Ich muss hier zuerst von der Aufgabe der Wis- senschaft einige Worte sagen und zwar scheint es sehr leicht, diese dahin zu bestimmen, dass es die sey, die Natur der Pflanze als eigenthümliches Product des ge- stalienden Processes an der Erde und als eigenthüm- liche Form eines Complexes von Lebenserscheinungen in dem oben (8. 17 fg.) entwickelten Sinne zu erforschen. Gleichwohl scheint diese Aufgabe keineswegs Allen klar zu seyn. Ich will hier namentlich drei Punete hervorheben. A) Zuerst muss ich bemerken, was sich freilich von selbst zu verstehen scheint und doch so oft ver- kannt wird, dass der Gegenstand, mit dem sich der Botaniker zu beschäftigen hat, Pflanzen und nicht Bücher sind. Bücher können uns nie etwas Anderes geben, als ein Wissen um das Wissen Anderer, nicht aber Einsicht in die Sache selbst, und dieses Wissen ohne letzteres ist stets ein urtheilloses, also ganz unbrauch- bares. Ich schliesse also gleich von dem Begriff eines Botanikers alle diejenigen ‚aus, die nicht selbstthätig das Object der Wissenschaft, die Pflanze, zur Aufgabe ihres Studiums gemacht haben, und hätten sie auch eine Banze botanische Bibliothek funditus auswendig gelernt. Wir sind nicht philologische Wortklauber, die aus 100 Bü- chern das 101ste zusammenexcerpiren, die Natur selbst in ihrem lebendigen Getriebe ist unser belebendes Prineip. Damit ist nun aber nicht gesagt, dass Jeder die Pflanze unvorbereitet angucken und Alles, was ihm dabei ein- fällt, in den Tag hinein reden soll, wie das auch leider nur zu oft geschieht'). Im Gegentheil, wie schon oben 1) Ein spasshaftes Beispiel der Art findet man in den Ann. des sciences Juillet 1840 unter dem Titel: Efudes phytologiques par M. le comte de Tristan. Wie dergleichen heutzutage noch Eingang in eine wissenschaftliche Zeitschrift findet, lässt sich höchstens durch den Titel comte erklären. Quantum est in rebus inane! Methodologische Einleitung, 69 erwähnt, ist ein gründliches Lernen hier wie überall unerlässlich und nicht dringend genug zu empfehlen, aber dieses Lernen selbst ist nichts weiter, als die Vor- bereitung, und zum Botaniker wird man erst dadurch, dass man selbst die Pflanze beobachtend und denkend ergreift und so das auswendig Gelernte durch das hinzutretende Urtheil zum inwendig Begriffenen macht. Aber nicht blos im Allgemeimen gilt dieser Satz, son- dern auch in den einzelnen speciellen Theilen. Ein Urtheil über irgend einen Theil der Botanik und somit ein brauchbares Wissen gewinnt man sich erst dann, wenn man den Gegenstand selbst in der Natur be- obachtet hat. Leider haben wir eine Menge von Wer- ken und Aufsätzen in der Botanik, die so entschieden schädlich und hemmend der Wissenschaft in den Weg treten, weil sie aus andern Büchern von Leuten zusam- mengeschrieben sind, die den Gegenstand, um den es sich hier handelte, in der Natur selbst nicht gründlich beobachtet hatten, daher auch ohne Urtheil lasen und ohne Urtheil zu- . sammenstellten. Als Beispiel kann Emil Kratzmann, Lehre vom Saamen. Prag 1839 dienen, welches fast auf jeder Seite Falschheiten oder schiefe Darstellungen enthält, vor welchem Buch man Jeden warnen muss, der den Gegenstand nicht schon im Voraus gründlich kennt, weil er dadurch nur confus werden kann. Solche Gegenstände, an die Männer wie Richard, Gärtner, Robert Brown ihren ganzen Geist und Fleiss setzen, um sie der Vollendung näher zu bringen, sind keine Aufgaben für einen Anfänger, dessen Fleiss höchstens das Material durchläuft, dessen Urtheil aber nicht Einer Arbeit dieser Männer gewachsen ist. Ein ähnliches Beispiel liefern die meisten neuern Verhandlungen über die Fortpflanzung und Sexualität der Pflanzen, in denen Leute ihre Stimme erhoben, die über den fraglichen Punet nie selbst Untersuchungen angestellt und daher meistens auch die fremden Untersuchungen ohne Urtheil auffassten. Wenn nun so falsch aufgefasste Thatsachen B) Das Ob- jeet derWis- senschaft ist die Pflanze im Allgemei- nen, nicht diese oder jene con- crete Pflanze. 70 Methodologische Einleitung. combinirend zu theoretischen Ansichten verarbeitet wer- den, so kommt ein Gebräu heraus, das für den Kenner völlig ungeniesshbar, für den Anfänger aber aufs Schlimmste verderblich und verwirrend ist. B) Der zweite Punct, den ich hier erwähnen muss, ist einer, der sich eben so von selbst zu verstehen scheint, aber der ebenfalls keineswegs immer klar er- kannt worden ist. Wir haben es nämlich in der gan- zen Wissenschaft nieht mit dieser oder jener einzelnen Pflanze zu thun, sondern mit der Pflanze schlechthin, mit dem vegetabilischen Organismus; was wir zu suchen haben, sind also Regeln und Gesetze für alle Pflanzen. Erst wenn wir das, was allen Pflanzen gemeinsam zu- kommt, erforscht haben, wenn wir das Leben und die Organisation der Pflanze auf ihren einfachsten Ausdruck gebracht haben, erst dann können wir hoffen, daraus die Complicationen in einer einzeln gegebenen Pflanze als bestimmte Modification des Pflanzenlebens überhaupt erklärend zu fassen. Wenn wir die ältern Handbücher der Anatomie und Physiologie der Pflanzen in dieser Beziehung betrachten, so kann man beinahe mit völliger Gewissheit daraus bestimmen, ob vor dem Hause ihres Verfassers eine Linde, ein Apfelbaum, oder ein Flieder- busch stand, da Alles, was sie vorbringen, sich nur auf diese eine Pflanze bezieht und ganz arglos als für alle Pflanzen überhaupt geltend vorgetragen wird. Nun sind wir zwar darüber in neuerer Zeit etwas hinausgekom- men!), aber die meisten Handbücher, sogar oft die systematischen, behandeln die ganze Wissenschaft so, 1) In einem bekannten Werke heisst es bei dem Unterschiede zwi- schen Pflanzen und Thieren: „Gewächse nehmen ihre Nahrung vom Bo- den auf, woran sie geheftet sind, vertheilen sie sogleich durch den gan- zen Körper, verdauen sie in Organen (Blättern), die der Luft ausgesetzt sind, werden in einer dem Lichte geöffneten Blüthe befruchtet u. s. w.““ Was sollen nun wohl alle diese Worte helfen, um ich will nicht sagen Protococcus, ‘aber fast alle Algen und Pilze von den Thieren zu unter- scheiden, da auf diese Pflanzen von allen jenen Merkmalen auch nicht ein einziges passt? Methodologische Einleitung. 71 als ob nur Phanerogamen und höchstens noch Farren- kräuter in der Welt wären. Aber auch die besten ha- ben wenigstens immer noch einen gewaltigen Beige- schmack vom gemässigten Klima und stammbildende ‚Dikotyledonen mit streng periodischer Vegetation spielen die Hauptrolle. Um nur Eins anzuführen, die Lehre von den Knospen wird fast nur in Bezug auf unsere Waldbäume abgehandelt, und dass alles dort Gefundene nicht auf die Terminalknospe eines ununterbrochen spros- senden Pandanus, einer Palme oder Musa passt, wird ganz übersehen. Nun will ich damit gar nicht den fleissigen Arbeiten ihr Verdienst absprechen, nur meine ich, dass es verwirrend und für die ganze Wissenschaft verderblich ist, wenn solche ganz specielle Fälle unter der Form allgemeiner Gesetze vorgetragen werden. e a C) Ich komme endlich zum dritten Punct und zwar zum wichtigsten von allen. Ich habe in einer allgemeinen Uebersicht oben der Botanik hinsichtlich ihres Objeetes ihre Stelle angewiesen. Hier will ich es ‚versuchen, sie in subjeetiver Hinsicht in Bezug auf ihre Aufgabe und wissenschaftlichen Hülfsmittel genauer zu charakterisiren; denn erst dann, wenn wir gefunden haben, welche Stelle sie in ihrer Beziehung zum Gan- zen der menschlichen Erkenntniss einnimmt, sind wir im Stande, ihr ihre höchsten leitenden Maximen zu nen- nen und unter diesen ihre Methode zu entwickeln. Von jeher ist man gewöhnt gewesen, neben den theoretischen Wissenschaften die historischen und unter ihnen die Botanik aufzuführen. Besonders seit Linne die Methoden der Bestimmung und Anordnung der Pilan- zenformen bis zu einem hohen Grad der Vollendung aus- gebildet hatte, schien ihre Stellung entschieden. Ich bin gewiss weit entfernt, die grossen Verdienste Linne’s zu verkennen, und wünschte im Gegentheil nur, dass C) Stellung und Auf- gabe der Bo- tanik nach den Hülfs- mitteln des menschli- chen Er- kenntniss- vermögens. Botanik als theoretische Wissen- schaft. 72 Methodologische Einleitung, seine genialen Gedanken in ihrem wahren Werthe und unabhängig von dem einzelnen Falle der Anwendung besser und allgemeiner verstanden würden, auch erkenne ich die Nothwendigkeit der Linne’schen Schule als Durch- gangsperiode, aber auch nur als solcher, gern an. Aber ich muss doch gestehen, dass es mir eine trostlose An- sicht von der Wissenschaft zu seyn scheint, wenn man in ihr keine andere Aufgabe erkennt als die, die ein- zelnen Pflanzenformen unterscheiden, mit lateinischen Namen benennen und zur leichtern Registrirung in ir- gend ein logisches Fachwerk einordnen zu lernen. Könnte ich mich je davon überzeugen, dass dies das eigentliche Ziel der Wissenschaft sey, so würde ich mich sogleich zum Glauben derer bekennen, die zur Zeit der Linne’schen Schule die Botaniker als gelehrt thuende Müssiggänger bezeichneten und der Meinung waren, dass Botanik nicht würdig sey, das Leben und die Thätigkeit eines Menschen von Geist auszufüllen. Aber ich bin wie gesagt vielmehr der Meinung, dass diese ganze Richtung der Linne’schen Schule nur eine Durech- sangsperiode, eine untergeordnete Vorbereitung für die eigentliche Wissenschaft war, wie auch der Einzelne, der die Botanik wissenschaftlich erfassen will, nothwen- dig sich mit einer gewissen Summe von Formen bekannt machen muss, damit er Stoff habe, aus und an welchem er die Wissenschaft selbst entwickeln, Fälle, auf die er die gewonnenen, für sich gehaltlosen Regeln anwenden kann. Wenn die Botanik nicht auf das Prädicat einer theoretischen Wissenschaft Anspruch machen ‘kann, so ist sie nichts, als die Spielerei einer müssigen Neugier. Ich glaube auch, die Ahnung davon durchdringt all- semach unser ganzes kotanisches Leben. Zwar hat man bis jetzt nur einzelne Zweige herausgegriffen und diese in ein besseres Verhältniss gestellt, wie z. B. Ana- tomie und Physiologie, aber die Morphologie gehört ebenfalls dahin, wie schon oben angedeutet wurde, und ich wüsste nicht, was dann noch von der Botanik ührig Methodologische Einleitung. 73 hliebe, als das Geschäft des Handlangers, der dem Bau- meister die Werkstücke zureicht. Damit will ich kei- neswegs die systematische Botanik im engsten Sinne des Wortes und die Männer, die sich damit beschäftigen ‚wollen, herabsetzen. Sie sind fürs Ganze eben so noth- wendig, denn ohne Handlanger kann der Meister nicht bauen. Aber eben wie jene müssen sie sich bescheiden, dass sie gute Handlanger sind, wenn man ihnen die Achtung nicht entziehen soll, die dem Burschen, der den Meister spielen will, nie gebührt. Nur darin ist Einer achtungswerth, wenn er das, wozu ihm die Kräfte ge- worden sind, vollkommen verrichtet, wenn er seinen Kreis vollkommen ausfüllt, nicht aber darin, ob sein Kreis grösser oder kleiner, seine Wirkungssphäre eine höhere oder niedere ist. Lächerlich macht sich nun der Botaniker, der den Systematiker neben sich verachtet, weil ihm selbst ein höheres Gebiet vom Geschick zur Bearbeitung angewiesen ist, oder der Systematiker, der in gemeiner Beschränktheit sein Treiben nicht blos für wichtig und nothwendig (denn das ist es in der That), ‚sondern für allein geltend und für das höchste Ziel der Wissenschaft ausgiebt. Kaum wird es aber nöthig seyn zu sagen, dass die meisten jetzt noch ‚sogenannten Sy- stematiker es in dem engen Sinne, wie ich es hier ge- nommen, nicht sind, sondern ächte Botaniker, nur mit vorzugsweiser: Richtung auf .die Bearbeitung der syste- matischen Vorbereitungen. Die theoretischen Disciplinen haben aber ein sehr verschiedenes Verhältniss unter einander, je nachdem sie dem Ideal ihrer Ausbildung näher oder entfernter ge- rückt sind, und von der vollendeten 'Theorie der reinen Bewegungslehre bis zu den wenigstens zum Theil noch combinatorischen Versuchen in Zoologie und Botanik sind gar manche Abstufungen. Mir scheint für Botanik hier Alles auf die Beantwortung folgender drei Fragen anzukommen: Was ist der Endzweck der Wissenschaft, das ihr vorschwebende Ideal? Welche Hülfsmittel stehen Letztes Ziel der Botanik. Zunähst mögliche Resultate. 74 Methodologische Einleitung. ihr zu Gebote, um diesem Ideal sich zu nähern? Was ist das Ziel, welches sie mit diesen Mitteln zunächst erreichen kann? Die erste Frage beantwortet sich uns dadurch, dass wir das Ideal unserer Naturwissenschaft überhaupt er- kennen, und dieses ist ohne Frage, „alle physikalischen Theorien auf rein mathematisch bestimmbare Erklärungs- gründe zurückzuführen‘ '). Dass wir hiervon besonders in den organischen Naturwissenschaften noch weit ent- fernt sind, ist allerdings wahr, aber nichtsdestoweni- ger bleibt die Aufgabe stehen und nichts ist verderhli- cher für die einzelnen Disciplinen und so auch für die Botanik gewesen, als dass man sie meistens nicht für einen ersten, vielleicht gar falschen Schritt zu einem unendlich fernen -Ziele, sondern als ein etwa bis auf Kleinigkei- ten fertiges System behandelt hat. Wir werden uns am wenigsten fürchten dürfen, unser hohes Ziel aus den Augen zu verlieren, wenn wir uns die letzte Frage beantworten und uns deutlich machen, was wir mit den uns zu Gebote stehenden Hülfsmitteln zunächst erreichen können. Dies ist aber offenbar vorläufig nichts Anderes, als eine sichere Grundlage für empirisch - physikalische” Inductionen. Wenn wir eine solche Grundlage gewon- nen haben, können wir erst die in den physikalischen Diseiplinen gebräuchlichen empirischen Inductionen an- wenden, und sollte es uns einst gelingen, auf diese Weise eine Physik des Organismus zu vollenden, dann erst entsteht die Aufgabe, durch rationelle Inductionen die Wissenschaft mit den höchsten metaphysischen Prin- eipien in Verbindung zu bringen”). Somit wäre unsere 1) Vergleiche hierüber unter andern Fries’ mathematische Naturphi- losophie $. 108. und anderwärts. 2) Wenn wir die sogenannte philosophische Einleitung zu Carus’ Physiologie lesen, so finden wir darin von Wissenschaft keine Spur und ich spreche es dreist aus, dass Alles, man mag sagen was man will, was hier im Geiste der Schelline’ schen Schule vorgebracht wird, nichts ist und nichts bleibt, als Spielerei einer herrenlosen Phantasie, die sich für Methodologische Einleitung. 75 nächste Aufgabe den Standpunct zu erreichen, von dem die physikalischen Disciplinen ausgehen. Diese haben es aber nur mit messbaren Grössenunterschieden des Gleichartigen zu thun, all unser Bestreben muss ‘daher darauf‘ gerichtet seyn, so viel wie möglich die verschiedenen Qualitäten zu eliminiren und das zum Grunde liegende Gleichartige zu suchen, oder die ver- schiedenen erscheinenden Processe auf nach Zeit und Raum messbare Bewegungen zurückzuführen. So ist überall da, wo wir von einer Lebensthätigkeit, einem organischen Processe sprechen, noch eine Aufgabe zu lösen, weil wir hier noch erst, nicht die Erklärung selbst, sondern die Möglichkeit eines Erklärungsversuches Philosophie ausgeben möchte. Allesrin dieser Einleitung, sein göttliches Mysterium, sein göttliches Urwesen, sein Aether u. s. w. sind nicht ver- nunft- und erfahrungsgemässe (also wissenschaftliche) Begriffe, sondern ganz willkürliche Fictionen. Der Grundfehler liegt darin, dass der Ver- fasser wie seine Schule, selbst noch viele andere gar keiner Schule an- gehörige Forscher von der Architektonik des idealen Ganzen menschli- cher Erkenntnisse, wie sie in unübertroffener Vollendung Fries in seiner Logik gegeben, gar keinen Begriff haben. Es liegt darin, dass sie in der Beschränktheit ihres Blickes eben die allgemein menschliche Beschränkt- heit nicht erkennen oder nicht erkennen wollen und sich wunder wie weise dünken, dass sie nicht einsehen, dass alle sogenannten Naturwis- senschaften eben ihrer Natur nach nur noch unvollendete Anfänge wer- dender Wissenschaft sind, dass sie für den einzelnen Menschen mit Noth- wendigkeit wenigstens zur Zeit noch unvollendbar sind und deshalb höchstens eines äussern rein formalen Systems empfänglich, aber nicht in einem materiellen Zusammenhang von höchsten einfachen Principien aus bis zum zusammengesetzten Einzelnen herab entwickelt werden kön- nen. Denn vom einzelnen Gegebenen gehen diese Wissenschaften aus; nur die Induction, von deren Bedeutung die neuere Naturphilosophie gar keinen Begriff hat, führt uns allmälig zu einem höhern Standpuncte, Grade in der Richtung auf die allerhöchsten Principien, die als allge- meine metaphysische Grundgedanken zugleich constitutive Principien für die einzelnen Disciplinen der empirischen Naturwissenschaften werden könnten, ist noch die ungeheure Kluft, über die eben jene Beschränkt- heit durch Fictionen einer des Zügels wahrer Philosophie gänzlich ent- behrenden Einbildungskraft sich eine luftige Brücke bauen möchte. Diese Systeme (man kann ja aus den letzten 30 Jahren Beispiele genug anführen) erscheinen wie Seifenblasen und zerplatzen wie diese; nach 10 Jahren spricht höchstens noch ein philologischer Bücherwurm davon, Wen es aber um Wissenschaft und Menschheit ernst ist, der bedauert mit tiefem Schmerz, dass solche herrliche geistige Kräfte und die kost- bare Zeit so nutzlos vergeudet werden. Hülfsmittel zur Lösung der Aufgabe. a) Sicher- stellung durch An- wendungder allgemeinen leitenden Maximen. 76 Methodologische Einleitung. zu erstreben haben. Steht nun in dieser Beziehung die Botanik wie die Zoologie in der Ausbildung der mensch- lichen Wissenschaften noch eine Stufe unter der Physik, so steht sie ihr in anderer Hinsicht, nämlich in dem Gebrauch der Mittel völlig gleich; Beobachtung und Experiment, Induction und Hypothese muss sie ebenso- wohl wie jene als ihr Handwerksgeräth in Anspruch nehmen und hier haben wir den für die Bearbeitung der Wissenschaft wichtigsten Punet zu erörtern, nämlich die Beantwortung der zweiten oben gestellten Frage '). Hier wird nun nichts damit geithan seyn, dass wir die allgemeinen Bestimmungen der angewandten Logik abschreiben, sondern es wird hier wiederum ganz be- sonders darauf ankommen, nachzuweisen, wie sich Be- obachtung, Experiment u. s. w. in ihrer speciellen An- wendung auf die Botanik modifieiren. Aber wir müssen selbst noch höher hinaufgreifen. a) Wenn auch in der Botanik weniger als. in der Physik zur Zeit noch rationelle Inductionen ihre An- wendung finden können, so haben doch die höchsten leitenden Maximen ihre entschiedene Gültigkeit auch für uns und sie gelten uns wenigstens als Massstab für die Beurtheilung der Methoden im Allgemeinen. Ich hebe hier folgende Hauptpuncte heraus: 1) Ich muss hier gegen Fries in seiner Logik Ed. III. S. 430 ff. bemerken, dass ich, wie schon oben entwickelt, die naturgeschichtlichen Disciplinen von einem andern Standpunct auffasse und wie ich glaube schärfer und richtiger eintheile als er und dass deshalb die Botanik bei mir auch nicht allein wie bei ihm den combinirenden Methoden anheim- fallen kann. Fries trennte, wie mir scheint, nicht ganz richtig die Phy- siologie des Organismus von der Zoologie und Botanik als beschreiben- der Wissenschaft; letztere würde dann aber eben nichts als eine Vor- bereitung zur eigentlichen Wissenschaft und höchstens (wegen der Ein- theilung) unter logischer, also nur äusserlich wissenschaftlicher Form seyn, während doch wohl richtiger von einer theoretischen Wissenschaft des thierischen Organismus (Zoologie) und des Pflanzenorganismus (Bo- tanik) gesprochen wird, die Physiologie des Organismus nur ihr Allge- meines zu umfassen hat, und selbst auf Kosmologie, Geologie und Kry- stallologie Rücksicht nehmen müsste. DE a a U nu Methodologische Einleitung. 77 1) Die einzige wissenschaftliche Aufgabe in unserer Naturerkenntniss ist die vollständige Theorie der körper- lichen Weltansicht nach den Gesetzen der Bewegung. Aus den einfachsten Verhältnissen der körperlichen Ab- ‚stossungen und Anziehungen in der Ferne oder in der Berührung müssen sich auch die verwickeltsten W echsel- wirkungen der Körper in Raum und Zeit erklären las- sen. Hierbei finden wir aber das Geistige nur in uns selbst, zwar auf eine uns völlig unerklärbare Weise mit dem Körperlichen für eine gewisse Zeit verbunden, aber zugleich an sich völlig selbstständig und unabhängig von allen Naturgesetzen. Geist und Körper bleiben uns ewig zwei gesonderte Anfänge, die beide nie in einer Theorie umfasst werden können. Nun kommt uns aber fremdes Geistesleben nur beim Menschen im Schluss nach voll- ständiger Analogie zum Bewusstseyn, diese wird schon bei den höheren T'hieren unvollständig und behält bei den niederen T'hieren und zumal bei den Pflanzen nur noch ästhetische Bedeutung '). Von der Botanik als Wissenschaft ist also alles Geisüge, sey es als Erklä- 1) Der ausgezeichnete Joh. Müller behandelt im ersten Abschnitt des letzten Theils der Physiologie das Seelenleben der Thiere auf eine Weise, als ob es eine vergleichende Psychologie gäbe und als ob man die einzelnen 'Thierseelen einzeln in Präparatenkästen vor sich haben und aufbewahren könnte Es giebt aber eine vergleichende Wissen- schaft nur für Objecte, die ich einzeln für sich erhalten und erforschen, demnächst aber auch vergleichend zusammenstellen kann, also nur eine für die Körperwelt; erst durch diese komme ich durch schwankende Analogien zum Geistesleben. Die Seelen der Thiere kann ich gar nicht mit der menschlichen, die mir allein für die Beobachtung zugänglich. vergleichen, denn sie selbst sind erst das Resultat der Vergleichung und vor dieser gar nicht für uns vorhanden. Erst durch Vergleichung ge- winnt mir das Object seine Merkmale und es ist klar, dass ich das so entstandene Object nicht wieder als ein selbstständiges zu einem Rück- schluss benutzen darf. Auch kommt bei Joh. Müller noch die mangel- hafte Abstraction hinzu, dass er physikalisches Leben und selbstständi- ges Geistesleben gar nicht scheidet. Hierin scheinen mir zwei wichtige Mängel zu liegen, die grade diesem interessantesten Theile des Müller’- schen Werkes einen grossen Theil seines Werthes nehmen, Ein anderer Vorwurf würde vielleicht der seyn, dass Müller die psychologischen Un- tersuchungen von Kant und Fries nicht kennt, wenn er sie nicht viel- leicht absichtlich ignorirt. 1) Geist und Körper sind ewig ge- trennte An- fänge ver- schiedener Weltansich- ten. Der theoreti- schen Wis- senschaft gehört allein der Letzte. 2) Gesetz der Einheit in aller Natur- wissen- schaft. 3) Gesetz der Sparsam- keit. 78 Methodologische Rinleitung. rungsgrund, sey es als angebliche Inhärenz der Natur- körper sänzlich ausgeschlossen. Eine ästhetische Be- trachtungsweise in der eben erwähnten Art mag viel- leicht zumal von einem so geistreichen Manne wie Mar- fius eine angenehme Unterhaltung gewähren, wenn aber Meyen in seinem physiologischen Jahresbericht solche poetische Versuche unter einem eignen Capitel: „Von dem Geistesleben der Pflanzen“ in die Wissenschaft auf- nimmt, so ist das nur eine im höchsten Grade geschmack- lose Begriffsverwirrung. 2) Die Natur ist ein organisches Ganze und es giebt nur eine Naturwissenschaft, in der alle einzelnen Theile dem Gesetz einer und derselben systematischen Einheit unterworfen sind. Die einzelnen naturwissen- schaftlichen Disciplinen sind nur der Bequemlichkeit der Bearbeitung wegen gemachte Unterabtheilungen, und jede einzelne ist ihrem Gehalte nach von allen übrigen abk- hängigs. Hierdurch erhalten die sogenannten Hülfswis- senschaften noch eine andere und viel wesentlichere Be- deutung, als ich oben S. 12 ausgeführt habe. Sie ge- ben uns nämlich leitende Maximen für unsere Forschun- gen und wir erhalten insbesondere die allgemeine Regel: Was einem bis jetzt anerkannten Gesetz in einer andern Disciplin widerspricht, ist so lange aus der Wissenschaft zu entfernen, bis die Unmöglichkeit des betreffenden Ge- setzes als eines allgemein sültigen nachgewiesen ist. Diese Regel dient z. B. gleich, um unsere Verwerfung der angeblichen organischen Entstehung der Erden und Metalle durch den Lebensprocess der Pflanze zu recht- fertigen, so lange sie nicht durch Versuche, die keine andere, auch die scheinbar unwahrscheinlichste Möglich- keit einer andern Erklärung zulassen, dargethan ist. 3) Aus der Einheit der Natur folgt ebenfalls das Gesetz der Sparsamkeit derselben. In unserer Natur- anschauung sind a priori alle Folgen eines Grundes gegeben, es giebt der Gründe also nur möglichst we- nige. Jede Hypothese ist daher unzulässig und unbe- Methodologische Einleitung. 79 dingt zu verwerfen, so lange wir noch mit einem schon anderweitig geltenden und bekannten Erklärungsgrunde auslangen. Es giebt vielleicht keine Regel, wogegen be- sonders aus Eitelkeit und Neuerungssucht mehr gesündigt ‚würde. Insbesondere hier ist dies so anzuwenden, dass wir nicht berechtigt sind, einen neuen Erklärungsgrund anzunehmen, wenn blos die Schwäche unserer Sinne uns verhindert, ein bisher gefundenes und erprobtes Ge- setz auch auf den noch übrigen Theil des Gebietes, für den es gelten soll, auszudehnen. Auch hier müssen wir immer das Gesetz so lange als allgemein gültig fest- halten, bis der Beweis der Unmöglichkeit, der bekannt- lich zu den schwierigsten gehört, geführt ist. Hier- durch entscheidet sich unter andern ganz einfach der Streit über die Generatio aequwivoca dahin, dass sie nicht gilt, weil noch die Unmöglichkeit der Entstehung aus Eiern bei keinem organischen Wesen nachgewiesen ist. Die Beweise für die Falschheit der Annahme einer Generatio aequivoca von Ehrenberg, Schulze, Schwann u. s. w. sind zwar dankenswerthe Beiträge, aber über- flüssig, denn auch ohne sie bleibt der Satz Omne vivum ex ovo stehen, da den Behauptern der Generatio aequi- voca die Last eines stringenten, jede andere Möglich- keit ausschliessenden Beweises obliegt, der bis jetzt aber noch nicht geführt ist. Meyen’s ganzer Polemik gegen meine Theorie der Fortpflanzung liegt allein die Ver- nachlässigung dieser ganz unabweisbar gültigen Regel zu Grunde, indem er die besten Thatsachen für meine An- sicht anführt, aber um sie mit seiner Ansicht zu verei- nigen, für sie einen neuen, besondern Erklärungsgrund hinzusucht, während mein einziger Erklärungsgrund genügt, ganz einfach alle 'Thatsachen zu erklären. 4) Es giebt ein Gesetz der Bewirkung und ein Gesetz der Wechselwirkung, welche beide von sehr verschiedener Bedeutung sind. Das letztere lautet: Die Gemeinschaft alles Zugleichseyenden in der Sinnenwelt lässt sich nur als Wechselwirkung denken. Damit ist 4) Gesetz der Bewirkung u.der Wech- selwirkung. b) Specielle Hülfsmittel. 1) Begriffs- erklärun- gen. s0 Methodologische Einleitung. aber gar nicht gesagt, dass von zwei gleichzeitigen Erscheinungen das, eine die Ursache des andern sey, sondern ihre Wechselwirkung kann durch ihre gemein- schaftliche Abhängigkeit von einem dritten bestimmt seyn. Mit dem höchst geseizmässigen Zusammentreffen zweier Erscheinungen ist uns also für die Erkenntniss noch gar nichts gegeben als die Nothwendigkeit einer gesetzmässi- sen Verknüpfung, deren Form wir aber dann erst zu suchen haben. Dass hiergegen oft gefehlt wird, bewei- sen die schon oben 8. 63, 4) fg. angeführten Beispiele. b) Ich wende mich nun zu der Betrachtung der uns zu Gebote stehenden wissenschaftlichen Hülfsmittel. 1) Hier haben wir es zuerst mit den Begritfserklä- rungen und der Bezeichnung derselben in wissenschafi- licher Sprache zu thun. Kaum aber kann man diesen Punct in der Botanik berühren, ohne sich über das gänzlich unwissenschaftliche, wahrhaft widerliche Trei- ben, das in dieser Beziehung in der Botanik herrschend geworden ist, in derbe Bitterkeiten zu ergiessen. Den ekelhaftesten Unsinn und die kindischste Spielerei mit Wortemachen hat man unter einem griechischen Namen Terminologie als eine wissenschaftliche Diseiplin hinge- stellt. Jeder Narr meint hier das Recht zu. haben, um seiner Eitelkeit zu fröhnen, wenn er nichts Besseres leisten kann, wenigstens neue Worte in die Wissenschaft einzuschieben, ja selbst Männern von Talent scheint oft die Wissenschaft ganz in ein leeres philologisches Spiel sich verkehrt zu haben. Man kann aber auch dreist behaupten, dass nur wenige ausgezeichnete Männer wie Rob. Brown einen richtigen Begriff von dem haben, was eigentlich Terminologie in der Wissenschaft sey. Er, von dem wir behaupten können, dass er mehr in der Wissenschaft geleistet, als die meisten Botaniker die je gelebt, hat Alles mit der bekannten Terminologie ausgerichtet und seiten ein neues Wort gebraucht, und solche unterordnete Geister wie Wallroth haben die Frechheit uns zuzumuthen, für die bekanntesten Dinge Methodologische Einleitung. 81 eine barbarische‘ und unnütze: Sprache zu lernen, um zuletzt zu erfahren, dass Alles auf leere‘ Worte hinaus- läuft. Dass die Botanik eigne Begriffe hat, dass sie diese bezeichnen müsse, ist gewiss; aber dass diese Bezeichnung nur dann an ihrem Ort ist, wenn wirklich ein neuer Begriff festzuhalten ist, und dass deshalb Alles auf die Begriffsbildung ankommt, ist eben so gewiss. Mit dem Begriff steht und fällt sein Zeichen, das Wort. Meist ist aber von wissenschaftlichen Begriffen bei den Botanikern gar nicht die Rede, die wesentlichsten Dinge: Wurzel, Stengel, Blatt, Blüthe u. s. w. schweben ih- nen nur in schematischer .Undeutlichkeit vor und ich behaupte, dass unter’ den Büchern, die mir bekannt ge- worden, nicht ein einziges ist, in welchem diese Worte nicht in einem ‚Sinne gebraucht werden, der der eignen Erklärung des Verfassers widerspricht. Meistens wer- den. statt sründlicher Begriffsentwickelungen und strenger Definitionen halbfertige Erörterungen 'hingeworfen, man bespricht diese oder: jene Bigenthümlichkeit eines Dinges, die einem grade gegenwärtig ist, und damit ists gut. Finden wir nicht z. B. bei einem berühmten Schrift- steller die Definition: ,,Naturgeschichte ist die Lehre von den natürlichen Körpern, sofern sie symmetrisch sind“; kann) man retwas Oberflächlicheres sich denken? warum nicht lieber die Krystalle bei der Geologie un- tergebracht und dann gesagt: „sofern sie rund sind, oder sofern sie sich bewegen, oder sofern sie aus nass und trocken bestehen“, Alles eben so richtig und eben so nichtssagend. Oder: ,,‚ein organischer Körper ist ein soleher, der sich selbst bildet, erhält und zerstört, ein unorganischer beharrt in demselben Zustande ohne Bil- dung“. Hat der ‘Verfasser etwa ein Kind ohne Mutter sich bilden sehen, ohne Nahrung und Atmosphäre und alle‘ .die tausend chemisch -physikalischen Einflüsse von aussen leben lassen u. sw. oder hat der Verfasser etwa gesehen, ‚wie ein Werkmeister die Salzlauge zum Kry- stall zusammenknetet oder an einen: gebildeten Krystall 6 82 Methodologische Einleitung. neue Tafeln ansetzt und zur Krystallvegetation zusam- menleimt? „Ein organischer Körper ist lebend, denn er bewegt sich durch eigne Kräfte“. Ist denn die Grund- kraft der Masse, die Mutter aller Bewegungen, die Gravitation etwa keine eigne Kraft, und was wäre dann Lieben anders als das Todte und todt anders als das allein wahrhaft Lebendige, der Geist, denn er bewegt sich gar nicht, weil für ihn in seimer Selbstständigkeit kein Raum gilt. Solche nichtssagende Worte findet man aller Ecken und Enden, man mag nun aufschlagen wo man will. .; Wurzel‘, (definirt ‚Einer, „ist Alles, was an der Pflanze abwärts, d. h. unter einer Horizontal- fläche fortwächst‘‘; kurz vorher bestimmt er das Spar- selarrhizom, das stets unter der Erde fortwächst, als Sten- sel, und die reifenden Früchte von Arachis hypogaea, die sich in den Boden einwühlen, wird der Verfasser doch wohl nicht zu den Wurzeln rechnen. Habe .ich da so Unrecht, wenn ich das Alles für unwissenschaft- liches Geschwätz erkläre, wenn die Leute auf der nächsten Seite schon nicht mehr wissen, was sie auf der vorigen gesagt? Aber eben bei dieser schematischen Trübheit‘ fehlt es denn auch an aller Auffassung der wesentlichen Merkmale und Sonderung derselben von den unwesent- lichen Nebenbestimmungen. Sowie irgend Einer eine kleine Verschiedenheit auffasst, wird das gleich festge- halten und, als wäre ein neuer Begriff da, ein neues Wort erfunden. Welche tolle Synonymik hat allein der Begriff des Stengels aufzuweisen. Da ist cormus, cau- lis, scapus, caudiculus, rhizoma, peduneulus, recepta- culum, discus, lecus, torus etc. und mit allen diesen Ausdrücken bleiben die wahrhaft wesentlichen Verschie- denheiten noch unbezeichnet. Für den allerwichtigsten Unterschied des Stengels mit entwickelten und unent- wickelten Internodien, mit geschlossenen und ungeschlos- senen Gefässbündeln haben wir keine Ausdrücke. Ebenso werden auf der andern Seite aus demselben Grunde Methodologische Einleitung, 83 Dinge, die ganz verschieden sind, mit demselben Namen bezeichnet. »Ovarium und discus bezeichnet ebensowohl Stengel als Blatt, albumen bezeichnet ebenso den Nu- cleus des Bichens: wie die Füllmasse des Embryosods, ‚radixc bezeichnet Stengel- und Wurzelorgane und wie- derum die ächten Wurzeln und die Adventivwurzeln, die in ihrer" Entwickelungsweise himmelweit verschieden sind u s. w. Ein wahrhaft grauenhafier Unsinn ist unsere Fruchtterminologiez die unwesentlichsten Modifica- tionen haben oft zehn eigne Namen, wesentliche Ver- schiedenheiten sind unbezeichnet. ‘Hier haben besonders die Franzosen ihr Möglichstes ‘gethan, um die tollste Verwirrung, herbeizuführen. Aber auch unter. den Deut- schen haben wir Manche, deren ganze Weisheit beinahe im Anfertigen neuer griechischer Wörter besteht. Dazu kommt nun noch der: gänzliche Mangel an Ueberein- stimmung im Gebrauch der Worte, besonders der Ad- jeetiven !). ; Da: will oft nur jämmerliche Eitelkeit etwas Apartes ‘für sich‘haben. Männer, die mit stolzer Ver- achtung auf den armen Linne herabsehen, sollten nur von ihm erst das ABC wissenschaftlicher 'Thätigkeit lernen und ihn darin erkennen und würdigen, worin er wahrhaft gross war, dass er ‘den barbarischen Wust einer unwissenschaftlichen Terminologie auskehrte und darauf hielt, dass ein Begriff streng definirt ‚auch nur mit einem Worte, seine Modificationen aber durch Ad- jeetivtermini. bezeichnet würden. Auf der andern Seite sollten Männer, die sich zu seiner Schule: bekennen, weil sie nur seine Schwächen aufgefasst, . oder sich engherzig, an die ‚einzelnen Fälle der Anwendung seiner grossartigen wissenschaftlichen Prineipien halten, erst l) Secale cereale: Spica simplex, rachis inartieulata, Kunth Agrostographie. Spica composita, rachis articulata, Nees ®, Esenbeck Genera plantarum Sollte man wohl meinen, dass beide Männer von derselben Pflanze und einer Pflanze sprechen, die seit Jahrtausenden bekannt ist? 6* ’ 54 Methodologische Einleitung. ihren Meister einmal studiren‘, um zu sehen, was ‚Linne eigentlich gewollt, und was er a thum a wenn er ‘wieder käme: Wie er sich räuspert und wie er spuckt, Das habt ihr ihm glücklich abgeguckt; Allein: das Genie, ich meine den Geist Sich „nicht ;auf:der Wachtparade (das nn weist. Fragen wir nach‘ der Ursache der ungeheuern: Fort- schritte, welche in ‘den letzten 50 Jahren: die Chemie gemacht, so wird. Jeder, der‘ die Wissenschaft kennt, gestehen, “dass einen ‚wesentlichen Antheil daran der Umstand habe, dass‘ die Chemiker mit eiserner Strenge an die‘ Ausbildung “einer consequenten wissenschaftlichen Terminologie sich gehalten haben. Fragen: wir‘ den Zoologen, warum ‘sein Studium so viel weiter ‘gediehen ist, als die Botanik; weil er nicht sein halbes Leben darauf verwenden muss, um 100 Worte für dieselbe Sache auswendig zu lernen, während der Botaniker vor lauter leeren Namen und Worten nicht zur Sache kommt. Würde eimer: den Zoologen nicht: für toll halten, der den Hals nicht Hals nennen wollte, weil er 10 Wirbel hat und nicht wie der menschliche 7, wenn: er'(die vierfingerige Hand ‘von der fünffingerigen durch ein anderes Wort unterscheiden, oder den Flügel der Fle- dermaus‘mit demselben Ausdruck bezeichnen . wollte, wie den des Schmetterlings. © In der Botanik. geschieht derglei- chen täglich, ohne dass man sich: darüber 'wunderte. Endlich kommt noch dazu, dass die ‘philologische Wort- klauberei sich so ganz bei den Botanikern festgesetzt hat, dass jedes lateinische Wort, welches in einer Be- schreibung gebraucht ist, ‘gleich zum wissenschaftlichen Terminus gestempelt wird und wir mit saurer Mühe statt Botanik in Vorlesungen und Büchern einen Auszug aus Scheller’s Lexikon erhalten. Sollen wir aus die- sem Wust herauskommen, so muss vor Allem sich be- sonders bei den ausgezeichneten Männern, welche als Führer uns, vorangehen, der bescheidene Sinn Rob. Brown’s Methodologische Einleitung, 8 seltend machen, welcher sich stets, oft fast zu ängst- lich, an die Leistungen seiner Vorgänger anschloss und nur fallen liess, was entschieden materiell unhalthar war, und nur neue "Worte brauchte, wo entschieden neue Dinge zu bezeichnen waren. Dann aber‘ müssen wir das Grundprincip des grossen Linne wieder auf- nehmen, wo wesentlich nur Ein Begrilf ist, auch. nur Bin Substantivum zu gebrauchen und die Modificationen desselben durch Adjectiva auszudrücken '). Nicht blos unter den Naturkörpern, auch unter. den Begriffen giebt es Geschlechter und Arten. Aber, wird die Frage ent- stehen, wie lernen wir das Wesentliche vom Unwesent- lichen unterscheiden, Identisches als solches kennen und wirkliche Verschiedenheiten auffassen? Darauf kann nur ‘die Betrachtung des Objects der Wissenschaft und der daraus: sich .ergebenden methodischen Vorschriften ant- worten. ©. Diese wird uns. aber, auch zugleich zeigen, wie sich die ferneren Hülfsmittel, die Beobachtung, das Experiment u. s. w. eigenthümlich invihrer Anwendung auf Botanik gestalten. 2) Hier will ich noch einen Punet vorwegnehmen. Alle ‚Sammlung von Thatsachen in der Wissenschaft be- ruht entweder auf Autopsie oder auf Zeugniss. Wir sind in allen empirischen Naturwissenschaften bei der Beschränktheit der Mittel des! Einzelnen vielfach an den historischen Gläuben, an die Mittheilungen Anderer ge- bunden ,„. aber. wie. häufig ‚wird nicht dies Verhältniss sanz falsch aufgefasst: und. hinter, der Nothwendigkeit, auch fremde Erfahrungen zu benutzen, birgt sich ent- weder lichtscheue Autoritätenfurcht, die statt kräftig der I) Ein gewiss zu beherzigender Vorschlag’ wäre hier noch zu ma- chen, der uns von vielem Wirrwarr befreien würde, dass nämlich die. ausgezeichnetern Botaniker übereinkommen möchten, aus der 'lerminolo- gie alle die Worte streng zu 'verbannen, die in der Zoologie einen be- stimmten Begriff haben, denn es ist leider nur zu gewiss, dass es bei weitem mehr Menschen giebt, die nach blossen Worten, als solche, die nach Begriffen denken. 2)Zeugnisse, Autoritäten. S6 ' Methodologische Einleitung. Wahrheit nachzustreben, an alten durch Missverstand oder Glück gehobenen und von der Gewohnheit, diesem furchtbarsten aller Tyrannen, heilig gesprochenen Na- men klebt und längst abgethane Irrthümer stets wieder belebt, indem sie die erwachsene Wissenschaft noch im- mer mit ihren Windeln misst; oder eine Geistesstumpf- heit, die, statt selbst die Wissenschaft zu erfassen, sie lieber mit mittelalterlich-philologischer Beschränktheit aus hundert Büchern zusammenzutragen sucht. Es sey mir hier vergönnt, einige Worte über den Gebrauch .der Autoritäten im Allgemeinen zu sagen, bei dem nach vielen Richtungen hin gesündigt wird. Man kann hier einen doppelten Gebrauch derselben unter- scheiden. Entweder ist die Beobachtung in einem Puncte noch nicht so weit fortgeschritten, wir haben der Natur noch nicht so viel Boden abgewonnen, um uns darin festsetzen und ein Urtheil aussprechen zu können; oder die Thatsachen zur vollständigen Beurtheilung der Sache liegen wirklich vor. In dem ersten Falle pflegt man denn wohl die Lücke durch Vermuthungen auszufüllen, und zur Unterstützung derselben werden dann meist viele Citate beigebracht, die eine ähnliche Vermuthung aussprechen. Dies ganze Verfahren ist nun durchaus verwerflich und geht aus einer falschen Grundansicht der Wissenschaft hervor. Alle unsere Erkenntnisse theilen sich nämlich in reine Vernunft- und Erfahrungswissenschaften. Die. ersten haben die Aufgabe, das was eigentlich vollständig sei- nem ganzen Umfange nach schon dunkel in der menschlichen Seele ruht, deutlich zu machen und wissenschaftlich zu entwickeln; in ihren angewandten 'Theilen beherrschen ihre dunkleren oder klareren Aussprüche in jedem Au- senblick unser Leben, indem sie unser Wollen und Han- deln bestimmen. Hier giebt eben die Nothwendigkeit des Lebens den Antrieb, uns auch da vorläufig nach einer nur wahrscheinlichen Regel zu bestimmen, wo es der Wissenschaft noch nicht gelungen, dieselbe über Methodologische Einleitung, 87 allen Zweifel zu erheben und klar zu machen. Gern mögen wir uns hier an das Beispiel grosser Männer, die wir achten ‘und ehren, anschliessen und in ihrer Zustimmung für uns eine Beruhigung finden. Ganz an- ‚ders ist es in den Erfahrungswissenschaften. In ihnen schreitet die Erkenntniss von Bekanntem zu stets neu sich Darbietendem fort, in ihnen hat und kann ohnehin nur Das Einfluss auf unser Leben (und noch dazu nur auf die Vermittlung desselben) haben, was die Wissen- schaft schon ganz in ihre Gewalt gebracht hat und da- her dem Leben als ein Werkzeug, dessen Gebrauch bekannt und sicher, anbieten darf; oder auf der andern Seite, das Leben hat längst aus der Erfahrung über eine 'T'hatsache sicher entschieden und es fehlt nur die wissenschaftliche Deutung, die dem Leben unmittelbar nichts hilft. Diese Erforschung neuer, die 'blosse Aui- klärung bekannter 'T'hatsachen ist also reine Sache der Wissenschaftlichkeit und berührt ‘das Leben gar nicht; es liegt daher auch kein bewegendes Interesse vor, dem einzig richtigen Gange vorzugreifen und durch Vermu- thungen und Fictionen eine dunkle Kluft zu übersprin- gen, ehe die Erfahrung ' die ‘sichere Brücke gebaut. Was man sewöhnlich zur ‚Rechtfertigung anführt, das Streben des Menschen nach Einheit und Vollendung in seinen Erkenntnissen, beruht auf einem blossen Missver- stande, denn diese zu erstrebende Einheit und Vollen- dung ist eine philosophisch - architektonische „ aber keine mäteriale; die nicht ‘dem einzelnen Menschen, sondern der ganzen Menschheit angehört. Dieses Streben aber ist es grade, welches für ‚den Einzelnen, der thätiges Mitglied der Menschheit seyn soll, die Erforschung des Wahren, die Erweiterung der Einsicht auch ohne Rück- sicht auf’ möglichen Nutzen rechtfertigt und heiligt. Für das Individuum aber ist die Wissenschaft stets mit zwin- gender Nothwendigkeit eine unvollendbare und deshalb ist das Bestreben da, wo eine endlose Bahn vor uns liegt, einen endlich kleinen Theil auf anderm, als dem sichern Ss Methodologische Binleitung. Wege derErfahrung zurücklegen zu wollen, ein durch- aus kindisches. Es kann also hier dem Einzelnen auch nicht durch: Berufung auf viele‘ Andere geholfen wer- den, denn viele Kinder machen noch immer keinen Mann aus. 2) Der zweite Fall des Gebrauchs oder vielmehr. des Missbrauchs der Autoritäten ist aber eine hlosse über- kommene Erbschaft 'aus dem‘ Mittelalter, wo es aller- dings richtig war, statt aus: den verdorbenen Schriften der Araber und Abendländer erst einmal‘ wieder aus den unmittelbaren Quellen der alten‘ Classiker zu schöpfen, nicht um die Sache aus ihnen kennen zu lernen, son- dern um den Geist an ihnen zu: stärken, (damit er selbst- ständig an die Bearbeitung der Objecte selbst, die nicht Bücher, sondern : Geist und Natur‘ sind, gehen könne. Hier entstand das »Citat ursprünglich nicht zur Bestä- tigung der Wahrheit des Gesagten, sondern zur. Nach- weisung, dass dies und nichts Anderes von den Alten behauptet sey. » Nach und nach verkehrte sich aber die Sache, man; vergass das. eigentliche Object des For- schens und todte philologische Bücherweisheit wurde für Jahrhunderte. der drückende Alp, der jede freudige. und lebendige Entwickelung niederhielt, bis sich erst allmä- lig Philosophie und Naturwissenschaft von diesem Ge- spenst befreiten. Aber noch immer. blieb das grundlose Vorurtheil kleben, als ob eine Sache, die in der Natur erschaut, im Geiste empfunden sey, an Sicherheit ge- winne, wenn man ein Dutzend Schriftsteller für dieselbe anführen könne. ‘In den Naturwissenschaften, mit denen ich es hier allein zu ihun habe, giebt es aber nur eine Autorität, die so hoch über allen andern steht, dass sie dieselben ganz: entbehrlich macht und selbst gegen die Gesammtheit Aller doch Becht behält, das ist die Natur selber. Mehr braucht es nicht, um eine Sache als sicher hinzustellen, als die Behauptung „ich habe es gesehen“, die bei jedem Andern den vollen Glauben in Anspruch nehmen darf, so lange der Behauptende nicht durch Methodologische Einleitung, 89 nachgewiesene‘ Leichtfertigkeit und Unwahrheit sich die- ses Vertrauens unwerth gemacht hat. Ohne dieses Ver- trauen kann eine empirische Wissenschaft gar nicht be- stehen, und auf diesem nothwendigen Vertrauen beruht auch die Unhaltbarkeit aller verneinenden Behauptungen, so lange nicht die Unmöglichkeit einer behaupteten That- sache nachgewiesen ist. Bei diesem Vertrauen'ist aber auch jede Berufung ‘auf Leute, die dasselbe gesehen haben wollen (allenfalls einen 'ausgenommen, wenn man die Sache juristisch auf zwei’ Zeugen stellen wollte) überflüssig und kann das einfache Wort des redlichen Mannes nicht verstärken, um so weniger, da Irrthümer in der Wissenschaft auch nur zu oft epidemisch sind und der Beispiele genug vorliegen, dass ganze Jahrhunderte oder alle Forscher einer Zeit insgesammt falsche 'That- sachen überliefert haben, und das um so mehr, wenn sich die Meisten dabei mit blossem Abschreiben begnügen, was eben die Folge dieser unglückseligen philologischen Richtung ist. . Ich will hier nur daran erinnern, wie die ganz grund- und bodenlose Behauptung der Eindo- geneität der Monokotyledonen wie ein Krebs in der Wissenschaft um sich gefressen hat. Aber es klebt eben gar Vielen eine sellsanie Trägheit an, die lieber die Mei- nung von hundert und aber hundert Autoren aus be- staubten Folianten herausklaubt und mit philologisch- kritischem Apparate aus ihnen die wahrscheinlichste Mei- nung zu entwickeln sucht, statt sich mit frischen Sinnen und lebendiger Liebe selbst der Natur in die Arme zu werfen und an ihrer Brust aus dem wahren einzigen Quell des Lebens zu trinken. Ein solcher Mann mag mir eine Geschichte der Wissenschaft schreiben, er soll mir vielleicht willkommen. seyn; wenn er mir aber sein Buch für die Wissenschaft selbst ausgeben will, weise ich ihm unbedingt die Thür. Allerdings habe ich eben behauptet, dass das Wort des Mannes „so habe ich gewissenhaft beobachtet‘ in der Wissenschaft vollgültiges Zeugniss für eine 'That- 90 Methodologische Einleitung, sache seyn muss. Allein leider kommen gar manche Umstände zusammen, die diese nothwendige Forderung in ihrem Erfolg verderblich für die Wissenschaft ma- chen. Wo es auf Thatsachen ankommt, die dem Einzelnen selbst zu beobachten unmöglich sind, da, aber auch nur da, ist er gezwungen, sich im Vertrauen auf wissen- schaftliche Redlichkeit auf das Wort Anderer zu ver- lassen und andere Forscher anzuführen. Hier steht denn auch der Andere ganz unter den Bedingungen, welche für Zeugenaussagen gelten. Zuerst muss also jede Ein- mischung seines Urtheils beseitigt werden. Seine An- sicht hat höchstens nur insofern zufälligen Werth, als sie sich wirklich von selbst aus den 'Thatsachen ergiebt. Bei der Prüfung der Aussagen über Thatsachen selhst entstehen aber nothwendig die beiden Fragen: konnte Zeuge die Wahrheit sagen und wollte er die Wahrheit sagen? Hier zeigt sich nun ganz besonders der fehler- hafte Gebrauch der Citate, indem meistens die Zeugnisse nur gezählt, aber nicht gewogen werden. Die strenge Beantwortung jener beiden Fragen muss aber immer vorangehen, ehe man sich auf ein fremdes Zeugniss stützt und dadurch 'Thatsachen in die Wissenschaft ein- führt, die diese ebenso sehr verwirren und hemmen, als anfklären und fördern können. In Bezug auf die erste Frage sind es besonders zwei Puncte, die man sich zu beantworten hat, nämlich die nach der Methode und die nach den Hülfsmitteln. Wer nicht auf dem richtigen Wege sucht, wird auch ohne seine Schuld nur Falsches finden und ebenso der, welcher mit schlechten Instrumenten arbeitet. Wie häufig finden wir hier über Vorgänge in der Pflanze das Zeug- niss von Männern aufgerufen, die statt zu beobachten blos raisonnirten, also gar nichts über den fraglichen Punct sagen können, und fast in jedem Handbuche be- gegnen uns die Namen der Forscher früherer Jahrhun- derte bei Gegenständen der feineren Anatomie, über welche sie wegen Mangelhaftigkeit ihrer Mikroskope Methodologische Einleitung, 9 nichts wissen konnten. Von Methode und Instrument werde ich aber. unten noch mehr sagen. Nicht minder wichtig ist die Beantwortung der zwei- ten Frage, ja man kann sagen noch wichtiger, aber gewöhnlich wird sie ganz aus dem Spiele: gelassen, weil man sich hinter einen gewaltigen Missverstand ver- steckt. Die Frage ist eigentlich richtiger so zu fassen: Leitete den Forscher bei seinen wissenschaftlichen Be- strebungen durchaus kein anderer Trieb, als die reine Wahrheit und die ganze Wahrheit zu finden und diese ganz und unentstellt mitzutheilen? So trifft diese Frage allerdings den Charakter des Forschers, und man hat bis jetzt immer so gethan, als müsse derselbe in der Wissenschaft ganz aus dem Spiel bleiben. ' Diese An- forderung ist aber, wie sich leicht zeigen lässt, eine durchaus” unsinnige. In Philosophie und Mathematik ge- nügt allerdings eine blosse Eintwickelung der Sache, um jeden Widerspruch zu beseitigen, denn ich kann 'an die Binsicht jedes Einzelnen appelliren, und wem die fehlt, dem ist auf andere Weise auch nicht zu helfen. Ganz anders ist aber das Verhältniss in den empirischen Na- turwissenschaften, die ganz auf der Sicherheit der 'That- sachen beruhen, die der Einzelne unmöglich alle selbst sammeln kann, sondern von denen er den grössten Theil von Andern blos auf Treue und Glauben hin annehmen muss. Hier kommt es eben auf Treue und Glauben, also auf den Charakter des Einzelnen an und diesen bei Seite lassen, heisst die Wissenschaft, das Heiligthum der ganzen Menschheit, aus feiger Menschenfurcht oder aus jämmerli- chen eigennützigen Absichten!) hintansetzen. Es findet hier 1) Dies sind doch die beiden einzigen Triebfedern, die in geringe- ren oder höheren Graden hier on werden, Ich hahe öfter von ei- nem Manne, der lange das kritische Schwert führte, sagen hören: „Ja wenn das Buch ehe von dem berühmten Herrn * * wäre, würde ich es ganz anders beurtheilt haben“. Kine solche feige Verleugnung der eignen Ueberzeugung bezeichnet meiner Ansicht nach einen mokalischen Lumpen. Wissen- schaftliche Redlichkeit. 92 - Methodologische Einleitung. aber noch ein anderer Missverstand statt, der den Tadel aussprechen lässt: der und der hat sich im wissenschaft- lichen Streite Persönlichkeiten erlaubt. Jeder Mensch hat ein unbezweifeltes Becht darauf, sein Privatleben und seinen Privatcharakter unangetastet für sich zu be- halten und nicht als einen Gegenstand öffentlicher Dis- cussionen hingestellt zu sehen; ‚aber ebenso unzweifel- haft ist-'es auch, dass Jedermann auf ein, ihm zustehen- des Recht ganz oder theilweise verzichten könne. Das thut aber jeder, der selbst öffentlich als: Schriftsteller. in der Wissenschaft auftritt. Was er, wenn auch nur sei- nem Vorgeben nach, mittheilen will, ist Wahrheit, was ich von ihm lernen will, ist Wahrheit, und da steht mir doch ohne allen Zweifel das Recht zu, zu fragen, ist von dem Menschen so, wie er sich zeigt, auch Wahr- heit zu erwarten? Wenn einer in dem, was er frei- willig. veröffentlicht, sich nachweisbarer unzweifelhafter Lüse oder eines hohen Grades der Unlauterkeit und des Leichtsinnes schuldig macht, so muss mir gewiss erlaubt seyn, dieses von ihm selbst zur Schau getragenen Charakters mich zu bedienen, um seinen Behauptungen den Eingang in die Wissenschaft: zu wehren, oder doch die Bedeutsamkeit abzusprechen. Ueberall, wo es auf Glaubwürdigkeit ankommt, gehört der öffentliche Cha- rakter des Menschen so nothwendig mit zur Beurthei- lung seiner Leistungen, dass man gar nicht davon ab- sehen darf, ohne das Heiligthum der Menschheit, Wis- senschaft und Wahrheit zu verletzen. Allerdings ver- steht es sich hierbei von selbst, dass ein solches Urtheil nicht in blossem unbegründeten Absprechen bestehen. darf, wodurch der, der es thut, nur den Glauben an seine eigne redliche und unparteiische Wahrheitsliebe zerstört, sondern dass es mit wissenschaftlichen und zureichen- den Gründen belegt seyn muss''). l) Grade dies in Tag hinein Absprechen über den Charakter. eines so treuen und redlichen Forschers wie Schwann rief mein herbes Urtheil Methodologische Einleitung. 9 Ich kann nicht umhin, hier ein paar Beispiele aus- zuführen, um mein Urtheil über Herrn Corda und Meyen ein für allemal zu rechtfertigen. Mir gilt es hier um das Heil der Wissenschaft und ich thue es auf die 'Ge- fahr hin, dass wenigstens bei dem Letzteren feine Nasen kleiner Geister in meinem Urtheile eine persönliche Ab- neisung erblicken, weil er im Leben mein Gegner war. Mir ists genug, dass mein Gewissen mich davon gänz- lich freispricht. | Eine der ersten Arbeiten, mit denen Herr Corda auftrat, waren seine Beiträge zur Lehre von der Be- fruchtung. (Nova Acta Ac. C. Leop. Carol. Vol. XVII. Pars U. p. 599.) Hierin steht ausdrücklich, dass er die Brown’schen ‚Entdeckungen gekannt, und doch be- hauptet er sie zuerst gemacht zu haben; er sagt aus- drücklich, dass er die Untersuchungen im April begon- nen, und laut der Titelnotiz sind sie in selbem Jahre im October der Akademie überreicht. ‚Nun liefert er aber eine Eintwickelungsgeschichte der Conifereneichen, die wenigstens bis zum Anfang des Januar zurückgeht. Vergleicht man die Natur, so sieht man, dass. Herr Corda, wie es auch die angegebenen Daten besagen, diese ganze Entwickelungsgeschichte erlogen hat, indem er das fertige Ei-nach immer verkleinertem Maassstabe hin zeichnete; der arme.Herr vergass, dass sich bei der Entwiekelung nicht blos die Dimensionen, sondern auch Gestalt und Verhältnisse total ändern. Hat man dieses Resultat erlangt und vergleicht nun die übrigen Zeich- nungen mit der Natur, ‚so findet man, dass auch von die- sen fast ‚nicht eine einzige nach der Natur entworfen, sondern sgradezu hinphantasirt ist, da in der Natur auch nichts nur entfernt Aehnliches vorkommt. über Berzelius (Flora von 1840 S. 741) hervor, und ich glaube noch nicht, dass ich Unrecht gehabt. Wenn der überall oberflächliche und selbstgefällige Sprengel den stets aufrichtigen und wahrheitsliebenden Mirbel wit den Wörtern apostrophirt: der übermüthige, leichtsinnige und unwissende Franzose, so macht er dadurch nur sich selbst verächtlich. 91 Methodologische Einleitung. In der Sturm’schen Flora von: Deutschland: hat Herr Corda einige Schwämme geliefert. Frühere Beobach- ter suchten die Hutpilzsporen ähnlich wie bei den Peziza- arten in den Schläuchen, wo sie, wie die neueren Be- obachtungen ‘nachgewiesen haben, nie sitzen, auch nie sitzen ‘können. Aeltere Beobachter bildeten dies aber wenigstens nicht ab, weil sie es in der T’hat nicht ge- sehen. ‘Darauf kommt es aber Herrn Corda nicht an. Auf Tafel 55 (Heft 14 und 15) Fig. 4 bei Amanita phalloides var. virescens; Taf. 54 Fig. 4 bei Ama- nita muscaria puella; Taf. 53 Fig. 3 bei Agaricus fregilis werden die Sporen frischweg in die isolirten Schläuche hineingezeichnet. Taf. 49 Fig. 5 bei Agari- cas micaceus erfindet Herr Corda eine ganz neue Be- festigungsart der ‚Pilzsporen und zeichnet sie als gese- hen hin; aber nicht genug; aus Furcht, man möchte doch vielleicht seine offenbaren, wissentlichen Unwahr- heiten etwa noch. einer blossen Täuschung zuschreiben, zeichnet er uns auf Taf. 60 Fig. 7 hei Boletus pipe- ratus ein eignes Loch oben am Sporenschlauch und eine Spora, die grade im Begriff ist durch dieses Loch aus- zutreten. In einem Aufsatze über Spiralfaserzellen in dem Haargeflecht der Trichien Prag, 1837 8.6 be- hauptet Herr Corda, dass er Menschenhaare in die po- rösen Zellen der Coniferen eingeführt und dadurch die Continuität ihres: Lumens auf Fuss, Zoll und Organen- länge nachgewiesen. Durch Maceration erkennt man die isolirten porösen Zellen als halbe’ Linien lange an beiden Enden geschlossene Prosenchymzellen. Ein dün- nes Frauenhaar ist grade noch einmal so dick, als das Lumen der weitesten Coniferenzelle, wovon man sich durch Messung leicht überzeugen kann. Es ist nicht nöthig, aus Herrn Corda’s Schriften diese Beispiele noch zu vermehren. Hier sind schon unzweifelhafte Lügen‘ genug, um das ÜUrtheil zu rechtfertigen, dass Herr Corda jede Glaubwürdigkeit verwirkt hat und dass alles von ihm Vorgebrachte gar nicht in die Wissen- Methodologische Einleitung, 9 schaft aufgenommen werden darf, bis es durch ehren- hafte Beobachter bestätigt ist. Wenn ich mich jetzt zu Meyen wende, so glaube ich, es wird mir Jeder, der mit seinen Schriften bekannt ist, den Beweis dafür erlassen, dass er dem Leser auf jeder Seite als unerträglich aryogant und eitel enigegen- tritt. Wie weit seine Eitelkeit ihn aber fortreissen kann, dafür führe ich von vielen Beispielen drei auf. In seiner Physiologie Bd. Il. S.45 sagt Meyen: „‚Grade die jungen Brugmansien, deren Untersuchung ich Herrn Blume verdankte, verführten mich zu jener Ansicht der Parasiten, welche ich im Jahr 1828 (!!) bekannt machte. Man möge mir jene Ansicht zu meinen Jugend- sünden zählen, aber auch heutigen Tages nicht mehr glauben, dass ich mich noch nicht eines Bessern ge- lehrt hätte“. Dabei hatte Meyen aber vergessen, oder wollte absichtlich Andere vergessen machen, dass er kaum ein Jahr vorher in seiner Pflanzengeographie S. 70 den Unsinn über die Parasiten in aller Breite vorgetragen hatte. Derselbe hat einen heftigen Priori- tätsstreit mit Purkinje und Mirbel über die Entdeckung der Spiralzellen in einigen Antheren geführt, eine Ent- deckung, die doch nur als vereinzelt dastehende 'That- sache untergeordneten Werth hatte. In seiner Physio- logie lässt er nun, um seine Leser völlig zu überzeu- gen, eine Stelle aus irgend einem Aufsatze Mirbel’s ab- drucken, worin allerdings von Spiralzellen nichts steht. Aber die Stelle, nach der Jeder zuerst greifen würde, aus Mirbel’s Handbuch der Botanik, Nouveau traite de botanique, die schon geschrieben war, als Meyen noch auf den Schulbänken sass und worin Mirbel ganz ausdrück- lich seine Entdeckung meldet und beschreibt, berührt er nicht; diese Stelle nicht zu kennen wäre eine so grosse Unwissenheit, dass sie fast eben so tadelnswerth er- scheint, als absichtliche Verschweigung. Jedem, der mit der Literatur der letzten Jahre bekannt ist, wird erin- nerlich seyn, welche absurden Ansichten Meyen über 96 Methodologisehe Einleitung. den Bau des Sphagnumblattes (besonders in der Har- lemer Preisschrift) vorgetragen und wie er auf unartige Weise den treu beobachtenden Moldenheuer, der lange die richige Ansicht hatte, geringschätzend über die Ach- sel ansieht. Nachdem Mohl ihm so klar bedeutet, dass an keinen Widerspruch mehr‘ zu denken war, lässt er plötzlich die Vergangenheit fallen und beginnt im Jah- resbericht 1839 (in Wiegmann’s Archiv Jahrgang 5 Bd. 2. 8. 111) mit den Worten: „Ich habe den wah- ren Bau des: Sphagnumblattes entdeckt“. Das ist denn doch ein wenig stark und ich denke. man ist vollkom- men gerechtfertigt, wenn man HMeyen überall da, wo etwa seine Eitelkeit mit der Wahrheit in Collision kom- men kann, als einen etwas verdächtigen Zeugen be- handelt. ‚Finden wir in..einem bekannten Kupferwerk, dass bei dem Mais von einem: .schaligen Aldumen geredet wird, worunter die Spelzen (!)) verstanden werden, dass bei Epidendron elongatum die Höhlung des angewach- senen Sporns der Lippe als Stylusröhre besprochen und aus der blinden Endung derselben auf die Unmöglichkeit des Herabsteigens der Pollenschläuche geschlossen wird, wäh- rend gleichzeitig auf den wirklichen Styluscanal als auf etwas Merkwürdiges. hingewiesen wird, dass von dem grossen ovulum von Phaseolus ein schiefer Durchschnitt mitgetheilt und deshalb alle Eihäute übersehen werden, so hat man: gewiss das Recht, aus solchen groben Ver- stössen auf. eine solche Leichtfertigkeit des Verfassers zu schliessen, :dass ihm. bei den so unendlich schwierigen Untersuchungen der Entstehung der Zelle und des Em- bryos, die bald darauf folgen, jede Stimmberechtigung abzusprechen ist. Wo sich am leichtesten und sichersten die Lüge, d. h. (die bewusste Unwahrheit nachweisen lässt, ist in den Zeichnungen, die Jemand liefert. In den Worten steht ihm immer die Entschuldigung unklarer. Erinnerung, verlorner und verwechselter Notizen u. .dergl., was ja Methodologische Einleitung. 97 häufig wirklich eine unverwerfliche Entschuldigung für einen einzelnen Fall seyn kann, zur Seite; ‘aber bei der Zeichnung fällt das Ailes weg. Jede Zeichnung invol- virt die Behauptung: „,Das habe ich gesehen‘ und ‚nach der Natur .copirt‘**. Eine Zeichnung aus dem Gedächt- niss anfertigen, ohne ‚dieses Umstandes ausdrücklich zu erwähnen, ist; schon eine entschiedene Unredlichkeit, weil man dadurch das Publieum inducirt. Bei der Anfertigung muss ich das Object neben mir haben und kann es wenn nöthig hundertmal mit der «Zeichnung vergleichen "und ändern, bis diese der Natur entspricht; zeichne ich also etwas was nicht vorhanden war (und gar etwas, was wie bei Herrn Corda’s Arbeiten gradezu unmöglich ist), so kann ich mielv von dem Vorwurf der wissentlichen Un- wahrheit sar nicht befreien. ' Leider ‚ist in neuerer Zeit dieses verächtliche Treiben gar sehr 'eingerissen, und ich habe:schon anderwärts erwähnt, dass in’ Nees vw. Esen- beck’s Genera plantarum zwei Tafeln Ceratophyllum und Scleranthus auch solche wissentliche Unwahrheiten enthalten. Wer es aber mit der Wissenschaft ernstlich meint ‘und sie nicht zum "Tummelplatz der elendesten Bitelkeit ‘und nichtswürdiger Geldmacherei 'herabgewür- digt sehen will, kann nicht streng und:'derb genug .die- sem Unwesen entgegentreten. Ich sage: hier mit Goethe: Auf groben Klotz ein grober Keil, Auf einen Schelmen anderthalbe. Aber so wenig man sich einer Seits dieser scharfen Be- urtheilung eines Schriftstellers entziehen darf, so wenig darf man auf der andern Seite sich ‚von dem Menschen für oder wider den Schriftsteller einnehmen lassen. Nicht Freundschaft für einen menschlich liebenswürdigen Cha- -rakter darf mich bewegen, deshalb seinen Wörten ein grösseres Gewicht zuzugestehen, als ‚ihnen - zukomnt, nicht Widerwille darf mich hinreissen, das Zeugniss eines mir unangenehmen Menschen gering zu schätzen oder auch nur Ei Stillschweigen zu übergehen, wo die Wissenschaft ein Recht auf he hat. Am. aller- 7 ER 98 Methodologische Einleitung, wenigsten aber darf ich mir herausnehmen, zur Beur- theilung einer wissenschaftlichen Leistung auf andere That- sachen Rücksicht zu nehmen und sie zu veröffentlichen, als von dem Menschen selbst der öffentlichen Beurthei- lung unterstellt sind. Nur in dem. letztern‘ liegt die eigentlich tadelnswerthe und unwürdige. Persönlichkeit, indem ich einen andern Menschen vorführe als den, der sich öffentlich gezeigt, und zwar in der hinterlistigen Absicht, das Publicum eben durch die demselben verlei- dete Figur des Menschen zu einem parteiischen Urtheil gegen den Schriftsteller zu verführen ). Auch hier liessen sich leider Beispiele anführen; ich übergehe sie sern mit Stillschweigen. Woahrhaft ekelhaft erscheint endlich auf..der andern Seite die so oft sich zeigende Süsslichkeit und Katzen- pfötigkeit, welche mit hochgeehrter, hochgelehrter Herr, mit Versicherungen unbedingter Achtung und Freundschaft herumwirft in demselben Satz, in welchem man mit der schonungslosesten Kritik dem Verfasser in den Thatsa- chen Unwahrheit, Oberflächlichkeit und Leichtsinn nach- weist. Allmälig steckt dieses Liebe heuchelnde Gut- heissen an und Niemand kann zween Herren dienen. Wer mit Menschen liebedienert, wird über kurz. oder lang mit der Wahrheit brechen. Zuerst und vor Allem kann man von Jedem Gerechtigkeit verlangen, das suum cuique; wie will ich aber Rob. Brown das Seine zu- kommen lassen, wenn ich von Herrn Corda „,dieser ausgezeichnete Forscher, dieser geistreiche Beobachter und dergleichen aussage? Mir wird wenigstens ordent- 1) „Jeder Tadel, den der Kunstrichter mit dem kritisirten Buche in _ der Hand gut machen kann, ist ihm erlaubt.... Aber sobald derselbe verräth, dass er von seinem Autor mehr weiss, als ihm die Schriften desselben sagen können, sobald er sich aus dieser nähern Kenntniss des geringsten nachtheiligen Zuges gegen ihn bedient: sogleich wird sein ‘Tadel persönliche Beleidigung. Er hört auf Kunstrichter zu seyn und wird — das Verächtlichste was ein vernünftiges Geschöpf werden kann — Klätscher, Anschwärzer, Pasquillant“. — So der edle und geistreiche Lessing (Schriften. Berlin, 1826. Bd. 32, S. 171). Methodologische Einleitung. 99 lich übel, wenn ich auf derselben Seite Rob. Brown und Turpin mit dem Ausdrucke ‚‚ce savant auteur““ in dieselbe Classe geworfen sche. &. 8. 3) Ich‘ wende mich aber nun zu dem wichtigsten Punet, nämlich wie Beobachtung und Experiment sich in ihrer Anwendung auf die Pflanze eigenthümlich mo- difieiren und so zum wichtigsten Hülfsmittel für die Fort- bildung der Wissenschaft ‚werden. Natürlich sind diese Untersuchungen die speciellsten und müssen wesentlich aus‘ der Natur des Objects hergenommen werden. a) Es ist aber die Pflanze ein lebendiger Organis- mus, das heisst ‘ein bestimmt angeordnetes System von körperlichen 'Theilen, in denen durch ein in regelmässi- ser Periodieität sich selbst erhaltendes Spiel von Kräf- ten ein beständiger Abfluss veränderlicher Zustände be- dinst wird. Sie.besteht also gewissermassen aus drei Theilen, dem 'Thätigen der Gegenwart, den Ruinen der Vergangenheit und den Keimen der Zukunft, oder mit andern ‚Worten, es giebt für jeden gegebenen Moment drei Betrachtungsweisen der Pflanze. Wir können sie einmal ansehen als das Resultat der vorangegangenen Veränderungen, als das Product einer lebendigen 'Thä- tigkeit, die aber jetzt nicht mehr existirt — zweitens können wir in derselben nur den Complex in lebendiger Wechselwirkung -begriffener Kräfte annehmen und eine Verbindung auf einander wirkender Organe, die zu ihrer Erhaltung sich gegenseitig Zweck und Mittel sind — endlich drittens können wir die vorhandene Thätigkeit als nur in dem Bestreben begriffen auffassen, den gegen- wärtigen Zustand aufzulösen und zu vernichten, um einen zukünftigen noch nicht vorhandenen vorzubereiten und herbeizuführen. Es ist aber für sich klar, dass jede einzelne dieser Betrachtungsweisen, und wenn sie noch so scharfsinnig und geistreich durchgeführt wird, nur » mx ‘ 3) Beobach- tung u. Ex- periment. Ableitung speeieller leitender Maximen a) Ent wickelungs geschichte 100 Methodologische Einleitung, ein. todtes, unbrauchbares Bruchstück geben kann, da uns ‘zwei Drittheile des Lebens fehlen, 'dass sie daher um so sicherer auf Einseitigkeiten und Falschheiten führt, je eonsequenter sie verfolgt wird. Aber es ist eben so leicht einzusehen, dass von jenen drei Betrachtungswei- sen in einem gegebenen Momente nur die zweite mög- lich ist, denn aus“dem, was ist, lässt sich.'weder das was war, noch was seyn wird, An wenn wir nicht erst anderweitig das Gesetz de Fortschrittes gefunden haben. - Wir Können -also überhaupt nie vollständige wissenschaftliche Einsicht in einen einzelnen gegebenen Zustand erlangen, wenn wir nicht seine Ableitung: aus dem vorigen und damit erst seine Bedeutung erkennen. Diese Ableitung aus dem vorigen kann uns aber‘ wie- derum nur durch Einsicht in die Gesetzmässigkeit der Ableitung möglich ‘werden, diese ‚uns aber“ nur‘ durch eine vollständige Vergleichung der ganzen Reihe wechselnder Zustände zur Erkenntniss kommen. Mit einem Wort: die einzige Möglichkeit, zu wissenschaft- licher Einsicht in der Botanik zu gelangen, und somit das einzige und unumgängliche methodische Hülfsmittel, welches aus der Natur des Gegenstandes. sich von selbst ergiebt, ist das Studium der Entwickelungsgeschichte. Alle: übrigen Bemühungen haben immer nur ‚adminiculi- renden, untergeordneten Werth und führen nie zu einem sichern Abschluss auch nur des unbedeutendsten Punctes. Nur die Entwiekelungsgeschichte kann uns über die Pflanze das Verständniss eröffnen, ja selbst alle Anord- nung der Pflanzen ist sicher nur möglich, nieht)durch Vergleichung einzelner Zustände, sondern ihrer‘ vollstän- digen Entwickelungsgeschichte. Das ist eigentlich für sich so klar, dass man sich wahrlich wundern muss, dass man erst in der allerneu- sten Zeit anfängt es zu erkennen. Der Grund dieser langen Nacht beruht aber ohne Zweifel wieder auf der mangelhaften philosophischen Orientirung der Bearbeiter. Hätten sie die eigentliche Stellung und Bedeutung der Methodologische Einleitung. 101 Botanik’ richtig erkannt, so würden 'sie niemals auf den thörigten’ Versuch gekommen seyn, das 'ewig Bewegte und Wechselnde aus einem einzelnen herausgerissenen Zustande begreifen zu wollen, während doch eben das eigentlich Wissenschaftliche in irgend einer Diseiplin nur in ‘dem Begreifen, in der ‚Einsicht, nicht aber in dem blos sedächtnissmässig Aufzufassenden liegt. Ueber die Natur des Mondes wird uns noch so intensives Anstar- ren einer "einzelnen Phase an bestimmter Stelle nicht aufklären; würde ein neuer Planet entdeckt, so bedarf ‚der Astronom wenigstens die Beobachtung dreier verschiedener Zustände, um Einsicht in seine Natur zu gewinnen, und doch sind hier die Verhältnisse so ein- fach und das Gesetz, unter das sich das Object fügen muss, ist‘ schon im Voraus bekannt. Bei der lebenden Pilanze aber, wo die Complicationen so unendlich viel verwickelter sind, wo das Gesetz erst gesucht werden soll, glaubt’ man mit der Beobachtung eines vereinzelt herausgerissenen Zustandes ausreichen zu können. Fragen wir nur nach dem Urtheil, welches die Ge- schichte unserer Wissenschaft selbst in der blossen sy- stematischen Bestimmung und Anordnung gesprochen hat, so erkennt man sogleich) wie man Schritt für Schritt der sich aufdringenden Wahrheit hat nachgeben müssen, ohne gleichwohl den Muth zu haben, das Princip mit einem Male rein anzuerkennen und als obersten Grund- satz an die. Spitze der ‚Wissenschaft zu stellen. Linne wollte Alles auf die Betrachtung der blühenden Pflanze beschränken und 'nahm nur ungern ausnahmsweise zur Frucht seine. Zuflucht. Bald musste man die Frucht Sanz mit aufnehmen, aber auch zu Saamen und Embryo greifen; neue’ Inconvenienzen, und man ging wieder auf Ovarium und Eichen zurück wegen Abort von Fächern und Eichen. Die Blüthe wies auf eine Knospe und die Lage: der ‚Blätter in derselben zurück. Aber ordentlich mit Unwillen scheint man diesen Forderungen der Na- tur nachgegeben zu haben und es ist auch” in der That 102 Methodologische Einleitung. mit diesem Flickwesen gar nicht viel genutzt: und wir stehen Gottlob mit der Systematik jetzt fast so, dass man keine Pflanze mehr bestimmen kann, wenn man. nicht die Originalexemplare neben 'sich hat. Jeder hat: seine eigne Sprache, weil Jeder seine eigne Ansicht hat, die alle zusammen nichts taugen, weil keine wissenschaft- lich begründet ist. Wir haben dickleibige Werke ge- nug über Gräser, ja einzelne: Forscher haben ihnen: fast ihr ganzes Leben gewidmet; was wissen wir von ihnen? so gut wie gar nichts; begreifen wir ihren Bau? kei- neswegs. Nur das eminente Naturgenie Rob. Brown hat auch hier einen Meistergriff gethan und: den rechten Weg angedeutet, den aber keiner seiner Nachfolger be- treten hat; das hätte zu viel Mühe gekostet und statt eines dicken unbrauchbaren Bandes hätte man in dersel- ben Zeit höchstens ein dünnes, aber freilich brauchbares Schriftchen liefern können. Vergleicht man neben ein- ander liegend drei oder vier neuere Bearbeitungen. der Cyperaceen, so muss dem, der sich nicht an die Ueber- schrift hält, der nicht die ganze Quälerei des termino- logischen Unsinns durchgemacht hat und die in Paren- thesen freigebig mitgetheilten Synonyme zu Rathe zieht, nothwendig der Gedanke entstehen, die Verfasser sprä- chen von eben so vielen himmelweit verschiedenen Fa- milien. Zu solchem haltungslosem Herumtappen und principlosem Hin- und Herrathen führt die Vernachlässi- sung der Entwickelungsgeschichte unvermeidlich. Ich habe, seit ich zuerst meine Untersuchungen über Secale cereale bekannt machte, vieie Gräser untersucht und überall dieselbe Regelmässigkeit in der Anlage, drei symmetrisch gebildete Staubfäden, drei damit alternirende Lodiculae (corolla) und damit alternirend «drei') I) Wehe aber gar den Pflanzen, wenn zu verkehrter’ Methode noch oberflächliche Anschauung kommt und die Grundlagen für die Beurthei- lung noch mehr verwirrt. Ueberall findet man die palea superior bei Oryza als dreinervig beschrieben, weil man geglaubt hat, ein gekieltes Blatt müsse am Kiel auch einen Nerven haben; hätte man zugesehen, Methodologische Einleitung. 103 paleae (calys) gefunden; überall zeigen sich die @lu- mae ohne allen Zweifel als Bracteae, von denen bald die obere bald die ‘untere keine Blüthe in ihrer Achsel hält. Ueberall sieht man die oberen Bracteen abortiren. Bei Lolium fehlen die den Glumis entsprechenden Bracteae ganz; die eine vorhandene gehört nicht als Blattorgan zur rachis spiculae, sondern zum culmus und trägt in ihrer Achsel die Spicula. Hier ist aber noch ein unendliches Feld der Untersuchung zu bearbeiten, welches durch Hin- und Herrathen nur noch ärger mit Unkraut bestreut wird, als ohnehin schon geschehen. Wie viel Papier ist nicht über die Bedeutung des Utri- culus bei Oarex verschrieben worden; hat wohl ein einziger Botaniker sich die Mühe genommen zuzusehen, wie er sich bildet? Mit dem Abortus ist gradezu der unsinnigste Missbrauch getrieben worden; aber hier, wo er sich kinderleicht nachweisen lässt, hat Niemand an ihn gedacht. Ueberall zeigen die Carices im frühesten Zustande ein gleichförmiges dreitheiliges perianthicum, zwei Theile davon verwachsen später zum Utriculus und der dritte ist: noch lange inwendig zu erkennen, ehe er völlig. verschwindet. Wahrscheinlich ist der hamulus bei Uncinia nichts als dieses dritte pAhyllum. Dergleichen kann man aber freilich nicht am Heu sehen, sondern nur aus dem Studium des einzigen waährhaften Obhjeets unserer Wissenschaft, an der in lebendiger Ent- wickelung, begriffenen Pflanze lernen. Ich habe schon oben S. 31 auf einen wesentlichen Unterschied in der lebendigen Entwickelung der Pflan- zen und Thiere aufmerksam gemacht, nämlich auf den Mangel der Adolescentia bei den Pflanzen. Dies ist eben, was für uns noch bei weitem mehr als für den Zoologen das Studium der Entwickelungsgeschichte als erstes und einziges regulatives Prineip.: an die Spitze so würde man gefunden haben, dass Oryza so wenig abweicht, als irgend ein anderes Gras. 104 Methodologische Einleitung. aller unserer Bestrebungen stellt. Die Pflanze ist überall nicht ein zu einer gegebenen Zeit fertiges, völlig ent- wickeltes Einzelwesen, sondern besteht nur aus’ einer stetigen Reihe sich‘ auseinander "entwickelnder Formen und «Zustände. Diese Anschauungsweise ist die. allein naturgemässe und‘ richtige und jede ‘andere vermag die‘ wahre: Natur der Pilanze nie’ zu fassen. Ehe dies nicht allgemein in der Botanik anerkannt‘ wird, werden wir nicht aus dem‘ trostlosen Zustande herauskommen, in welchem: wir uns jetzt befinden. Unter : Studium der Entwickelungsgeschichte dür- fen: wir aber nicht ein unmethodisches‘ 'Hineingreifen in frühere Zustände verstehen, "wie. das’ nur leider zu ‘häufig geschieht. Die Regel, an die wir''uns hier binden müssen, ist, dass wir im Allgemeinen von der' Flüssigkeit an bis zur Form der Zelle und von die- ser bis zur Zusammensetzung "derselben zu Pflanze und Organ eine solche stetige Reihe von Zuständen beobach- ten, dass auch durchaus keine Lücke vorhanden: ist, die möglicherweise. einen : einflussreichen“ Zustand ' ‘bergen könnte und durch Vermuthungen auszufüllen wäre. Die sanze Reihe aller Mittelstufen muss sinnlich ‘verfasst werden, dann erst haben wir eine sichere "Grundlage für die Induetion gewonnen, um die 'Gesetzmässigkeit der Veränderungen ableiten zu können. ' Jede dazwi- schen eintretende Lücke macht aber das ganze Resultat unsicher und man hat höchstens Beiträge für einen fol- genden‘ stetigen‘ Beobachter gefunden. An diesem Feh- ler leiden die meisten Arbeiten Meyen’s. So z. B. ‚fehlen bei seinen Untersuchungen über Viscum album die'Ver- folgung des Verlaufs ‚des Pollenschlauchs 'und die ‘ganze Entwickelung des : Embryobläschens zum Embryo); Mirbel in seinen Untersuchungen über die Gräser?) "hat 1) Meyen, noch einige Worte über den und die Polyembryonie der, Phanerogamen. Berlin, 1840, 2) Notes pour servir a l’histoire de l’embryogenie vegetalez Vor. Methodologische Binleitung. 105 ebenfalls den Verlauf des Pollenschlauchs und die Ent- wiekelung des Embryosacks von seinem ersten Erschei- nen bis zum Vorhandenseyn eines schon ziemlich aus- ‚gebildeten Embryos übersprungen. Dadurch kam er zu dem Schinss, der: Embryosack sey das Embryobläschen. Schon sechs Wochen nach Erscheinen seines Werks sah sich ‘der. wahrheitsliebende Mann gezwungen, sein Ab- leugnen des Embryosacks zurückzunehmen, und damit fällt seine ganze Arbeit, als: bedeutungslos zusammen, weil nun natürlich die Frage, auf die es hier allein an- kommt, woher stammt’ der Embryo, wieder völlig unbe- antwortet dasteht. | Diese völlige Stetigkeit‘ der Entwickelungsreihe ist aber freilich. nicht leicht zu erhalten „da .es sich hier meistens um sehr kleine Gegenstände‘ handelt, bei denen sich eine bestimmte Altersstufe im Voraus gar nicht er- kennen lässt. In einem’ vieleiigen Ovarium z. B. finden sich leicht alle: Zustände vom ersten’ Antreten des Pol- lenschlauchs bis zur‘ Abschnürung ) des’ Embryobläschens neben einander vor, aber'es 'hängt'rein‘vom Zufall ab, ob ich die rechten Zustände alle treffe;' ich finde viel- leicht bei aller Mühe den einen Tag‘ stets nur den letz- ten Zustand und muss am folgenden und vielleicht noch manche Tage meine Untersuchungen aufs Neue begin- nen, bis ich. die vollständige Reihe‘ beisammen habe. Hier: bleibt nun kein anderes Mittel übrig, 'als jede: ver- schiedene Erscheinung durch‘ den Bleistift zu fixiren, ‘da- mit man nachher alle einzelnen Zustände ‘neben einander legen und dann durch Vergleichung "in ihrer Zeitfolge einordnen kann. Deshalb ‘ist es: aber auch 'so' unerläss- lich‘ nothwendig,,, dass jeder ‘Botaniker selbst zeichnen könne; wer das nicht kann, wird "auch nie etwas von Belang liefern. Auch»ist ‘es gar nicht schwer, sich: diese Fertigkeit zu erwerben, man braucht dazu: kein’ Blumen- Y ‚ Q . . r oO Comptes rendus des Scances de l’academie des sciences, scance du 18 mars 1839. 106 Methodologische Einleitung. maler wie Redoute zu seyn. Ein Zeichner, und wenn man ihn auch beständig neben sich sitzen lassen könnte, kann hier nie genügend: ‚aushelfen, weil er nie weiss, worauf es eigentlich ankommt, während das doch so we- sentlichen Einfluss auf Brauchbarkeit und Richtigkeit der Zeichnung hat. Hat man auf diese ‘Weise eine ganz stetige Reihe von Zuständen zusammengebracht, so hat man auf jeden Fall ein’ brauchbares, die Wissenschaft wesentlich: förderndes Material geliefert. Die Benutzung desselben lässt‘ sich aber freilich dann an keine. weitern Regeln binden. | Es wird hier zwar zunächst ‚auf eine tüchtige logische und überhaupt philosophische Bildung, auf eine umfassende Kenntniss der Dinge, um die es sich handelt, und. auf eine gute mathematisch - physika- sche, unter Umständen‘ auch chemische Vorbildung an- kommen; aber die Hauptsache, die Vereinigung des Gan- zen unter den Gesichtspunct eines Bildunsgesetzes, wird doch immer von 'dem glücklichen ‚Griffe des Genies ab- hängen. Ein Punct, der hier! wesentlich zu berücksich- tigen seyn wird, ist folgender. Wir können unsere Verfolgung der: Entwickelungsgeschichte wegen des nothwendigen: Präparirens: in den, überwiegend meisten Fällen nicht an einem ‘und demselben Individuum fort- führen. Jeden anderen Zustand müssen wir gewöhn- lich ‘einem: anderen Exemplare entnehmen, und da hat man sich sehr zu hüten, dass man nicht blos individuelle Abweichungen mit zwischen die wirklichen Entwicke- lungsstufen einschiebt; dadurch verwirrt man wenigstens -Andern den Ueberblick, oft sich selbst. Ich möchte hier beispielsweise Mohl’s Entwickelung der Sporen bei‘ An- thoceros laevis') anführen, wo der gründliche Hohl, wie ich glaube, eher zu viel als zu wenig mitgetheilt hat; mir scheinen nach der Analogie mit ähnlichen Ent- wickelungen, z.B. der Pollenkörner bei der Oenothera elata u. a., hier gar viele blos zufällige Verschieden- 1) Linnaea, Bd. 13, S. 273. Methodologische Einleitung, 107 heiten als Entwickelungsstufen aufgeführt zu seyn, ab- gesehen davon, dass hier wahrscheinlich die Circu- lation übersehen und ‚die Strömchen z. B. Taf. V Fig. 9—20 zu festen Stäbchen oder Scheidewänden geworden sind. Dagegen scheint der in Fig.1, 3, 10, 14, 15, 17 —19, 21 und 22 deutlich vorhandene Oy- ioblast in den dazwischen liegenden Nummern nicht be- achtet zu seyn, weil ser, wahrscheinlich auf der andern Seite der Zelle unter dem dichteren Schleim sich ver- barg. So bleiben, wie mir scheint, nur 1, 4, 5, 20, 22 —29 als wirkliche Entwickelungsstufen übrig. Die Entwicklungsgeschichte, wie ich hier ihre Auf- gabe sestellt, ist aber nicht allein ein regulatives Prin- cip, eine blos methodische Maxime, sondern sie ist zu- gleich die eigentliche heuristische Maxime in: der Bota- nik. Es ist wie die veinzige so die reichste Quelle für neue Entdeckungen und wird es noch für lange Zeit bleiben. Kaum ist noch ein einziges Organ, oder eine einzige Pflanze so vollständig, wie 'es die Wissenschaft erfordert, in ihrer ganzen individuellen. Entwickelung verfolgt worden, und man kann getrost zugreifen, wo man will, und sicher seyn, dass man bei treuer, redli- cher und stetiger Beobachtung einen Schatz neuer That- sachen und meist auch neue "Gesetze zu Tage fördert, während das sogenannte Speculiren über halb unbekannte, halb missverstandene 'Thatsachen, wie wir es namentlich bei der Schelling’schen Schule finden, die Wissenschaft mit einem Wust unbrauchbaren Geschwätzes verwirrt und man höchstens den Erfolg hat, von einigen unklaren, unphilosophischen Köpfen eine Zeitlang angestaurt zu werden, bis die gesund sich entwickelnde Wissenschaft über kurz oder lang die materia peccans auswirft und das närrische Zeug in die grosse Polterkammer mensch- licher 'Thorheiten kommt. b) Ich habe die Entwickelungsgeschichte obenan ge- stellt, weil ich die Morphologie, für welche sie die Grundlage liefert, für das eigentlich charakteristische b) Selbst- ständigkeit der Pllan- zenzellen. 108 Methodologische Einleitung. Moment in der Botanik halten muss (vergl. oben 8.36); indess' ist auch schon ‘erwähnt worden, dass es’ auch neben: der. Gestaltung immer unsere Aufgabe bleibt, die in den chemisch -physikalischen Processen in Folge des Gestaliungsprocesses eintretenden Modificationen, also mit einem Wort das Leben der Pflanze zu .erforschen. Auch hier bedürfen’ wir ‚der Beobachtung und des Experiments, auch hier gewinnen diese ihre ’eigenthümliche Bedeu- tung erst durch ein aus der Natur des Objects herge- nommenes methodisches Regulativ. Folgende Sätze kön- nen wir hier als unbestreitbar voraussetzen: 1) Die einfachsten, aber doch vollkommenen Pflan- zen bestehen nur aus Enke einzigen Zelle, z. " Pro- tococeus. 2) Die anderen Pflanzen sind wesentlich ganz aus einzelnen Zellen zusammengesetzt. 3) Bei den Kryptogamen ist es eine einzelle Zelle (Spore), die wenigstens bei Algen nnd Pilzen nackt (nicht mit einem eigenthümlichen Stoff überzogen) ist, aus welcher sich die neue Pflanze ohne Zuthun eimes andern als der gewöhnlichen physikalischen Einflüsse entwickelt, also liegst das Gesammtleben der Pflanze implicite hier schon in der einzelnen Zelle. / 4) Bei vielen Moosen trennt sich eine als einzeln erkennbare Zelle aus dem Zusammenhang und entwickelt sich ‘selbstständig zu einer’ neuen Pflanze, z. B. bei Gymnocephalus antirbgymiis ‚ Marchantia polymorpha. 5) Dem analog’ können regelwidrig eine oder meh- rere Zellen: auch bei höheren Pflanzen aus dem Zusam-: menhang eines Blattes {reten, für sich ein gesondertes Leben anfangen und zu einer neuen Pflanze erwachsen, z. B. Malazis und Ornithogalum. Auf diese Weise lässt sich nun schon vollkommen der Schluss begründen, dass im Wesentlichen das Leben der Pflanze im Leben der Zelle‘ enthalten seyn muss, und selbst im Zusammenhang mit der ganzen Pflanze nie so ganz untergeordnet wird, dass es nicht unter Methodologische Einleitung. 109 begünstigenden Umständen wieder als ganz selbst- ständig hervortreten könnte; dass wir daher ‘den voll- ständigen, aber einfachsten und daher‘ verständlichsten Ausdruck des ganzen Pfilanzenlebens indem. Leben der ‚einzelnen ‘Zelle suchen und. finden müssen, ‘dass wir das Leben der ganzen Pflanze nur als eine Modification, gleichsam als eine höhere Potenz des Zellenlebens, anzu- sehen ‘haben und daher jenes natürlich ‘nie verstehen lernen können, ehe: wir: nicht dieses vollständig in die Gewalt unserer 'wissenschaftlichen Einsicht gebracht 'ha- ben. .Wenn wir ‘es dahin ‘gebracht haben, so müssen wir Alles vom Lebensprocess der ganzen Pflanze ab- ziehen, was sich ‚dann ;aus: dem; Leben der, einzelnen Zielle schon ohnehin erklärt und etwa nur dadurch mo- difieirt erscheint, dass in der ganzen Pflanze viele Zel- len heheneinänder leben und dadurch mehr oder weniger aufeinander einwirken. . Erst was sich nicht aus dei Zusammentreffen. der Vitalitätsäusserungen der einzelnen Zellen erklären lässt, dürfen wir. dann als einen eigen- thümlichen Tebensacı der ganzen Pflanze als solcher ansprechen und dafür aufs Neue nach eignen Erklä- runssgründen 'suchen. - Hier liegt num eben in der Vern achlässigung dieses Resulativs der Grundfehler, der unsere ‚ganze jetzige Pilanzenphysiologie zu einem bis auf wenige Einzelhei- ten. so. völlig wunbrauchbaren Gemenge gemacht hat, worüber sich Herr Liebig ') mit Recht bitter beklagt, obwohl er bei der sänzlichen Unwissenheit in re Zweige der Wissenschaft, die er auf jeder Seite beur- kundet, eben nichts: Gescheutes an die Stelle zu setzen weiss °). 1) Die: organische Chemie in ihrer RR auf Agricultur und Physiologie, Braunschweig, 1840, 2) Herr Reum mag ein guter Forstmann gewesen seyn, für ei- nen Pflanzenphysiologen hat ihn gewiss kein Botaniker gehalten, und nur wer so ganz urtheils- und kenntnisslos in diesem Fache ist wie Herr Liebig, kann ihn als Typus der neueren Pflanzenphysiologie auf- 110 Methodologische Einleitung, Fast unsere ganze Physiologie besteht‘ ineinem un- klaren Hin- und Herreden über die Functionen ganzer Organe und ganzer Pflanzen, aus dem gar. nichts zu machen ist, weil:es an aller Grundlage fehlt, von wel- cher man ausgehen könnte. Alle die endlosen Versuche, Abhandlungen und Streitigkeiten über die Ernährung der Pflanzen, über den Athmungsprocess u. s. w. sind sammt und: sonders für die Vergessenheit “geschrieben, weil alle sich mit ihren Fragen an die ganze Pflanze wenden, ehe sie wissen, wie es mit der einzelnen Zelle steht, Ich dächte es wäre aber von selbst klar, dass führen. Auch bei dieser Gelegenheit zeigt Herr Liebig (Organ. Chemie S. 32 ff.) wieder schlagend, wie roh und unbeholfen seine naturwissen- schaftlichen Ansichten im Allgemeinen sind und wie wenig von dem We- sen der Physiologie er ahnt. Er verwirft die Experimente im Kleinen und meint es sey genug, einen ganzen Wald oder eine Wiese nebst Luft und Wasser zu betrachten (wobei er freilich fortwährend alle seine Sätze durch den „Ballast von [de Saussure’s] nichtsbedeutenden aufs Gerade- (sic) wohl gemachten Versuchen“ begründet). Bei solchen en gros Han- del mit der Natur erfahre ich wohl, was so in Bausch und Bogen das Resultat des Pflanzenlebens ist, und insofern hat die Sache ihren Werth für die Naturgeschichte der Erde, auch kann ich daher recht gute Fin- gerzeige erhalten; wie aber der Process im Einzelnen wirklich vor sich geht, auf welchen Gesetzen das Leben der einzelnen Pflanze in ihren einzelnen Theilen beruht, worauf es in der Physiologie allein ankommt, das erfahre ich nur durch gut geleitete Experimente am allereinfachsten Falle. Ueberhaupt kommt Herr Liebig grade hier, wo er über Experi- mentiren spricht, zu allerlei lächerlichen Widersprüchen, weil es ihm eben nicht um die Wahrheit (a.a.O. S. 37), sondern nur um Geltendmachung seines Ich gegen Meyen (den ‚er unter „allen Pflanzenphysiologen ‘“ ver- steht, z. B. S. 37 1. Z. „Sie“ S. 29 „die meisten Pflanzenphysiologen‘“) zu. thun zu seyn scheint. 'S. 24 meint Herr Liebig, dass alle Pflanzen- physiologen die Assimilation des Kohlenstoffs der Atmosphäre in Zweifel ziehen, S. 31 meint er dagegen, die Sache sey schon alt und führt Sen- nebier, Ingenhouss u. A. an; waren das etwa keine Physiologen? Hier (S. 36) sollen die Physiologen die Kunst des Experimentirens nicht ver- stehen, weil man diese freilich nur in chemischen Laboratorien lernen könne (eine abgeschmacktere Arroganz kann es nicht geben); dort (S. 37 ff.) findet er es lächerlich, dass sie sich mit so vielen Experi- menten quälen, weil man an einem Walde, einer Wiese die Sache besser lerne. Hier (S. 41) lässt er durch das Experiment eine Thatsache be- weisen, dort (8. 42) ist es für die Entscheidung irgend einer Frage völlig bedeutungslos.. Die Versuche werden als unsinnig lächerlich ge- macht, aber vergessen, dass Chemiker wie de Saussure, Davy u. A. dieselben angestellt. Wenn Herr Liebig für wissenschaftliche Leser schreiben will, so mag er erst seinen Stoff durchdenken und nicht so ins Gelag hineinschreiben. Methodologische Einleitung. 111 die in einzelnen Zellen vor 'sich gehenden chemischen Processe gewaltig verschiedene Resultate geben müssen, wenn wie bei C«actus viel Oxalsäure, oder bei Nadel- hölzern viel Harz, oder bei einer Labiate viel äthe- risches Oel, oder bei einer Knolle viel Stärkemehl ge- bildet wird, ‘wenn die Polarpflanze Monate lang dem nie setrübten Sonnenlichte ausgesetzt ist, während bei der nah. verwandten Tropenform Licht und Dunkel in regelmässiger zwölfstündiger Periode welchseln. Alle hier einschlagenden Versuche müssen ohne alle Berück- sichtigung der früheren plumpen Experimente ganz von vom angefangen werden und zwar. an: Pflanzen wie Proto- coccus, Spirogyra, Chara u. s. w., wo man es nur mit einer oder wenigen Zellen, die schon von Natur im Wasser leben, zu thun hat und bei denen man daher bei der grössten Brleichterung in den‘Versuchen die sichersten und einfachsten Resultate zu gewinnen hof- fen darf. Mi Es ist aber schon früher bemerkt worden, dass wir so lange noch gar nichts im Leben der Pflanze erklärt haben, so lange wir nicht die physikalischen oder che- mischen Vorgänge nachgewiesen haben, auf denen das- selbe beruht. Und srade hierfür ist es'nun unerlässlich nothwendig, dass wir unsere Untersuchungen bei dem einfachsten Fall der einzelnen Zelle beginnen. Dass wir bei der grossen Complication der meisten chemisch- physikalischen Erscheinungen niemals ins Klare kommen werden, wenn wir hier die Sache von hinten anfangen, ist wohl von selbst klar. Dafür muss aber noch Alles geschehen, und nirgends ist es lächerlicher, ein System aufzustellen, als in der Pflanzenphysiologie, wo wir noch kaum den Eingang in die Wissenschaft, geschweige denn ihre Principien und Grundbegriffe gefunden haben. Auch hier ergiebt eine genaue Prüfung des vorhandenen Materials, dass wir kaum an einigen wnbedeutenden Puncten die Grundlage für eine empirische Induetion gewonnen haben, also noch viel arbeiten müssen, wenn c) Gebrauch des Mikro- skops. Nothwen- digkeit des- selben. 112 Methodologische Einleitung. unsere Enkel: vielleicht in den Stand gesetzt seyn sollen, die ersten Schritte in der :Wissenschaft zu machen. Se c) Ich. will endlich noch einen dritten Punet etwas ausführlicher erörtern, auf: welchen zum grossen Theil wenigstens die Möglichkeit des Studiums der Entwicke- lungsgeschichte und des Zellenlebens beruht, ich meine das Mikroskop. Es ist’ nach den Resultaten der letzten 30 Jahre auffallend, dass: es nicht ‘schon lange allge- mein anerkannt ist, dass Niemand etwas: irgend Brauch- bares in.der Botanik leisten kann, ohne ein gutes Mi- kroskop zu. besitzen und mit dem: Gebrauch. dieses In- strumentes völlig) vertraut zu: seyn. Ihm bliebe: nichts, als das Zusammentragen eines unverstandenen und auch nur höchst oberflächlich zu, beschreibenden Materials, worin gar keine ächte wissenschaftliche Thä- tigkeit enthalten ist. : Für den Nichtbesitz und Nichtge- brauch eines solchen: Instrumentes; giebt, es auch durch- aus gar keine Entschuldigung. „Der Mann, der recht zu wirken denkt, Muss auf das beste Werkzeug halten ‘“. Dass wenigstens ohne Studium der Entwickelungs- geschichte sich gar keine Wissenschaft der Botanik den- ken lässt, glaube: ich'gezeigt zu haben, und dieses ist nur durch das Mikroskop möglich. Was würde: man einem Schreiner antworten, der unbeholfenes und völlig un- brauchbares Geräth. lieferte. und.sich damit entschuldigen wollte, es fehle ihm’ an, Hobel und Säge? .Mein Freund, werde: in ‚Gottes Namen: Schuhputzer: oder: was du sonst willst, ‚Schreiner aber kannst du so nicht seyn und nie werden“. Fiat applicatio. ' Im Ganzen aber sind es auch wohl nur noch Wenige, die ohne dieses unentbehrlichste Handwerksgeräth sich einbilden, etwas leisten zu können. Bei den meisten Botanikern wird man ein.mehr oder weniger guies. Instrument finden. Methodologische Einleitung. 113 Aber viel allgemeiner fehlt es noch an der Kenntniss des richtigen Gebrauchs dieses Werkzeugs, an der rich- tigen Würdigung der damit gewonnenen Resultate und ‚an der Einsicht über den sehr verschiedenen Werth der Mikroskope und dessen Einflusses auf seine Brauchbar- keit. In letzterer Beziehung ist gewöhnlich Mangel an physikalischen Kenntnissen der Grund und in dieser Be- ziehung muss ich auf physikalische Handbücher verwei- sen; hier kann ich nur andeuten. In den beiden andern Beziehungen will ich hier einige Ausführungen versu- chen, da es uns- gänzlich an einer Anweisung zum Ge- brauch des Mikroskops fehlt ). Bei diesem Mangel an Vorarbeiten bin ich fast gänzlich auf meine eignen Er- fahrungen hingewiesen, und dieses mag die Mangelhaf- tigkeit des Folgenden entschuldigen, aber auch zugleich dazu auffordern, dass tüchtige mikroskopische Beobach- ter ihre Erfahrungen veröffentlichen, damit dieser wich- 1) Dr. A. Moser, Anleitung zum Gebrauche des Mikroskops. Berlin, 1839 enthält S. 1— 27 oberflächliche Excerpte über die physikalische Grundlage, die Einrichtung, Bestimmung der Vergrösserung des Mi- kroskops und Mikrometrie, wie man es in jedem Handbuche der Physik besser findet; S. 27—40 sind einige Excerpte über Beleuchtung und eine von Weber aufgedeckte Täuschung mitgetheilt; S. 41—45 wird auf fünf Seiten höchst oberflächlich die Behandlung und Zubereitung der zu beobachtenden Gegenstände; S. 45—48 der mikrotomische Quetscher von Pürkinje besprochen, dann folgen S. 4$—163 gar nicht hierher ge- hörige völlig unbrauchbare Excerpte aus Botanik, Zoologie, Chemie und Physiologie, insofern sie mit mit dem Mikroskop erlangte Resultate ent- halten. Das ganze Buch enthält auch nicht eine einzige brauchbare eigne Notiz. — Charles Chevalier des Microscopes et de leur usages. Paris, 1839 enthält nur die physikalischen Grundlagen, einige historische Notizen und eine Beschreibung der von ihm gelieferten Instrumente. Endlich die englischen Werke von Pritchard (mieroscopie cabinet) und andere enthalten neben Beschreibungen neuer äusserer Einrichtungen einige oberflächliche Darstellungen kleiner 'Thierchen und nur hin und wieder eine gute Bemerkung, aber auch viel Falsches, z B. in dem ge- nannten die Angabe eigenthümlicher Schuppen bei Pieris Brassicae, die gar nicht auf diesem Schmetterling vorkommen, wohl aber auf Papilio Alexis und andern Bläulingen. Dr. Goring hat sich wahrscheinlich durch einen schlecht abgewischten Objectträger täuschen lassen. Das Werk von Dr. J. Vogel, Anleitung zum Gebrauch des Mikroskops u. s. w. Leipzig, 1841 kam mir leider zu spät zu Gesicht, um noch hier benutzt zu werden. Eine flüchtige Durchsicht zeigte mir nichts Eigenthümliches und Neues, aber eine recht gute Compilation, 8 Das Sehen im Allgemei- nen. 114 Methodologische Einleitung. tige Zweig unserer Kenntnisse besser als bisher ange- baut werde. Nichts wird dem Menschen schwerer, als ein Gut in seinem ganzen Umfange und in allen seinen Folgen richtig zu erkennen und zu würdigen, in dessen unge- störtem Besitz er sich von Jugend auf befunden hat. So ist es mit dem Auge, mit dem Sehen. Wir neh- men die ganze Welt der Anschauungen, wie sie uns durch diesen wunderbaren Sinn eingeleitet wird, so ganz unbefangen hin, ohne uns im Geringsten darüber zu ver- ständigen, wie viel oder wie wenig von der Gesammt- masse unserer Erkenntnisse wir diesem Sinne verdan- ken; ja wenn wir einmal anfangen, hier ordnen und abtheilen zu wollen, so schieben wir meist einen viel zu grossen Theil auf die Seite des Sinnes, weil wir ihm auch alles das zuschreiben, was durch ihn zwar veranlasst und eingeleitet wurde, aber doch nicht von ihm allein uns gegeben ist. Welch ein grosser Antheil von dem, was wir im gewöhnlichen Leben sehen nen- nen, nicht dem physiologischen Process, sondern einer hinzutretenden psychischen Thätigkeit angehört, wird von den Wenigsten, unterschieden. Eben so wenig scharf sind die Unterscheidungen zwischen den physiologischen und physikalischen Bedingungen des Sehens, und gleich- wohl ist es klar, das wir hier streng sondern müssen, wenn wir die Gültigkeit der mit dem Gesichtssinn auf- gefassten Thatsachen beurtheilen, die Quellen etwaiger Irrthümer finden wollen. „Für die Kenntniss der Na- tur ist der Mensch ein Zögling des Auges. Nur das Sehen führt uns über die Oberfläche der Erde hinaus zu den Gestirnen, und auch auf der Erde führt dieser Sinn uns die meisten Anschauungen aus den grössten Eintfernungen mit der grössten Leichtigkeit der Auffas- sung zu. Sehend allein vermögen. wir die Gegenstände aus der Entfernung mit bestimmter räumlicher Unterord- nung zu erkennen. Der Schende fasst das ganze Le- ben der Natur durch Licht und Farbe; das Auge ist ———— Meihodologische Binleitung. 115 unser Weltsinn‘ '). Aber seine Welt ist auch nur allein die Welt des Lichtes und der Farben. Jedem Sinnesnerven kommt eine specifische Empfänglichkeit zu, ‘oder vielleicht richtiger ausgedrückt eime Kraft, seinen Zustand der Reizung unter einer ganz bestimmten Form im Sensorio zum Bewusstseyn zu bringen. Den elek- irischen Strom fühlen wir in den Fingern, wir schmecken ihn auf der Zunge, hören ihn im Ohr, sehen ihn im Auge. Licht und Farbe kommt uns zum Bewusstseyn, mag das Auge nun vom andrängenden Blute berührt, vom Finger gedrückt, vom galvanischen Strom getroffen, oder von den Wellen des Aethers erschüttert werden. Ja selbst die vom Gehirn aus durch Fieberphantasien oder Traumbilder auf den Augennerven fortgepflanzten Schwingungen treten uns als äusseres Licht, als äussere Farbenerscheinungen entgegen. So ist die allgemeinste Grundlage für die Theorie des Schens, dass jeder Zustand der Reizung der Sehnerven uns als Licht, der Zustand der Ruhe aber als Dunkel, wie wir es nennen schwarz, erscheint. Unter den verschiedenen Zuständen der Reizung geben sich aber noch bestimmte Unterschiede kund, indem sie sich einmal quantitativ nach allen Abstufungen zwischen Schwarz durch das Grau zum Weiss oder zum Lichte, das anderemal nach qualitativen Unterschieden nach den verschiedenen Pha- sen des Farbenkreises abstufen. Für die einfache Em- pfindung einer bestimmten Intensität des Lichtes oder einer einzelnen Farbe würde nun offenbar eine einzelne der Reizung ausgesetzte Nervenfaser genügen, und so finden wir es wahrscheinlich bei einigen niedern Thie- ren. nicht aber wenn wir neben einander gleichzeitig bestimmt unterschiedene Lichtintensitäten oder verschie- dene Farbenerscheinungen auffassen sollen. Hierzu be- darf es einer Fläche, auf der die einzelnen verschieden nn Fries, Handbuch der psychischen Anthropologie. Jena, 1520. Ss. 114. x mn 116 Methodologische Einleitung. erleuchteten oder gefärbten Puncte neben einander ge- ordnet, das heisst als Bild erscheinen können, und ist ferner eine gesonderte Fortbildung der Reizung jedes einzelnen Punctes und eine Repräsentation desselben im Gehirn nöthig, damit uns das Bild als solches, d. h. nach seiner Nebenordnung verschieden erleuchteter und gefärbter Puncte zum Bewusstseyn komme. Hierauf be- ruht nun der Bau des Auges bei den höheren Thieren und dem Menschen. Wir finden hier einen Bündel von Nervenfasern, dessen Bindungen an einer bestimmten Stelle in eine Fläche und zwar in eine hohle Kugelfläche neben einander geordnet sind. Man pflegt diese flächenförmige Ausbreitung die Netzhaut, funica retina, und die ein- zelnen Endungen der Nervenfasern Netzhautpapillen zu nennen. E. H. Weber in Leipzig hat nach genauen Messungen den Durchmesser dieser Papillen zu Y/ooo bis Usa P- Z. bestimmt. Nun werden durchschnittlich zwei Puncte nicht mehr als gesondert vom Menschen unter- schieden, wenn der Gesichtswinkel, d. h. der Winkel, den zwei Linien vom Mittelpuncete des Auges nach den beiden Puneten gezogen mit einander machen, kleiner als 40” ist. Smith hat aus dieser Thatsache berechnet, dass zwei Eindrücke auf die Netzhaut nicht mehr als gesondert empfunden werden, wenn ihre Entfernung von einander auf der Netzhaut weniger als Ygooo P- Z. be- trägt, was merkwürdig genau mit den Weber’schen Messungen übereinstimmt. Treviranus, Baer und Volk- mann haben zwar dieses Resultat in Zweifel ziehen wollen aus Versuchen, die ergeben, dass man Gegen- stände z. B. schwarze Puncte auf einer weissen Tafel noch aus Entfernungen erkennen könne, bei denen der Gesichtswinkel kleiner sey als 40”. Indess ist offenbar, dass das die Sache gar nicht triff. Dass die Nerven- papille einen Eindruck fortpflanzt und zum Bewusstseyn bringt, der nicht ihre ganze Oberfläche trifft, ist daraus allerdings ersichtlich, aber nicht dass sie auch im Stande sey, zwei verschiedene Eindrücke als gesondert fort- Methodologische Einleitung. 117 zupflanzen, wenn sie von beiden gleichzeitig getroffen wird. Es folgt vielmehr aus den Weber’schen Messun- sen und Smith’schen Berechnungen unmittelbar, dass jede ‚einzelne Papille nur einen einzelnen Punet des Bildes repräsentirt. „„Sehen wir nun rein körperlich auf das, was zum eisenthümlichen Reiz der Sehnerven dient (wir lassen natürlich hier die subjectiven Lichterscheinungen, deren wir oben erwähnt, bei Seite), so verschwindet uns plötzlich der ganze Glanz des Lichtlebens und es bleiht nur ein Spiel von Bewegungen einer uns noch unbe- kannten Alles erfüllenden Materie, des Aethers, deren Gesetze die optischen Wissenschaften berechnen“ '). Das glänzende Schauspiel des Regenbogens, die prachtvolle Karbe des Schmetterlings ist nichts als das regelmässige und einförmige Anschlagen bestimmter Wellen einer farblosen gleichgültigen Flüssigkeit, des Aethers, an un- sere Augennerven. Ich muss hier die allgemeinen physikalischen Be- dingungen des Sehens, insofern sie auf dem gradlinigen Fortschreiten der Lichtwellen, auf der allseitigen Ver- breitung des zerstreuten oder unregelmässig refleetirten Lichtes, auf Brechungsgesetzen beim Durchgang durch verschiedene Medien und der darauf beruhenden Mög- lichkeit, dass alle selbstleuchtenden Puncte gesondert und neben einander in derselben Ordnung repräsentirt, hin- ter dem optischen Apparat des Auges auf der Retina erscheinen, hier als aus der Physik bekannt voraus- setzen ?). Sollen wir durch Beobachtung zu irgend einem sichern Resultat kommen, so ist es durchaus nöthig, dass wir uns das ganze Experiment in alle seine ein- zelnen Theile zerlegen, grade wie es der Mechaniker I) Fries, psychische Anthropologie I, 11% 2) Man vergleiche hierüber die classische Darstellung in Jor. Mül- ier’s Physiologie Bd. II. S. 276 bis 300. 118 Methodologische Rinleitung. macht, wenn er die Fehler einer Maschine kemen ler- nen will, und dass wir dann bei jedem einzelnen Theil die eigenthümliche Sphäre des Irrthums bestimmen. Nur auf diese Weise können wir dahim gelangen, auch den möglichen Irrthum unserer Berechnung unterwerfen und somit aus den gewonnenen Resultaten eliminiren zu ler- nen. Die Betrachtung der physikalischen Bedingungen des Sehens geben uns nur nach bestimmten Gesetzen vor sich gehende Schwingungen des Aethers. Diese tref- fen an bestimmte Stellen der Netzhaut, d.h. an die ein- zelnen Endungen der Fasern des Sehnerven. Hierdurch ist die Möglichkeit gegeben, dass diese dureh den Stoss der Aetherwellen bewirkte Reizung auf das Gehirn fort- gepflanzt und dort empfunden werde; der physiologische Theil des Sehens zeigt sich uns aber hier so, dass Stösse auf die Nervenenden nicht als solche, sondern als Licht oder Farbe zum Bewusstseyn gebracht werden. Der Sinn kann aber dem Bewusstseyn nichts überliefern, als was er empfangen, nur modifieirt durch die eigen- thümliche Art seiner Fortpflanzungsfähigkeit. Was er also dem Sensorio überliefert, ist nicht Körper und Ge- stalt, sondern der Eindruck vieler nach verschiedenen Far- ben und verschiedenen Abstufungen von Hell und Dunkel verschiedener Puncte im Raume, welche die mathematische Anschauung wegen Unbestimmtheit der Entfernungen zu- nächst auf eine Fläche bezieht. Das ist aber auch Al- les, was wir unmittelbar und ausschliesslich durch den Sinn empfangen können. Alles Uehrige, was wir ge- meiniglich mit zum Sehen rechnen, ist Thätigkeit unse- rer Seele, und wie hier der Uebergang vom Körper auf den Geist vermittelt wird, ist der Möglichkeit einer Eirklärung bis jetzt noch so weit entrückt, dass nur Träumer und unklare Köpfe versuchen können, diese Lücke durch Hypothesen ausfüllen zu wollen. Was hier nun zuerst uns als ein wunderbares Räth- sel, als eine nicht zu erklärende, sondern nur als gege- ben aufzufassende Thatsache entgegentritt, ist, dass wir Methodologische Einleitung. 119 uns der durch physikalische Einflüsse hervorgerufenen physiologischen Zustände unserer Sinnesnerven und hier besonders des Auges zunächst gar nicht bewusst wer- ‚den, sondern dass wir diese Zustände sogleich und un- mittelbar als ausser uns liegende Objecte auf- fassen und sie auf solche Objecte beziehen. Am deut- lichsten zeigt sich dies bei den rein subjeetiven Licht- empfindungen. Wenn wir z. B. durch Druck auf das geschlossene Auge leuchtende Ringe erscheinen lassen, so scheinen uns dieselben vor unserm Auge als Gegen- stände der Anschauung zu stehen. Wir fassen unmittel- bar anschaulich einen vor uns in der Dunkelheit sich zeigenden Lichtkreis auf. Alle Veränderungen im Zu- stande unserer Sinnesnerven (selbst die durch eine Krank - heit hervorgerufenen) werden von uns unmittelbar als äussere Erscheinungen im Raum erkannt. Dies ist ein Grundphänomen in unserer Seele, welches keiner wei- tern Construction und Erklärung fähig; ist. Somit ergiebt sich uns für den Gesichtssinn, dass wir das uns durch denselben Ueberlieferte unmittelbar als ausser uns und vor uns liegende, verschieden ge- färbte und beleuchtete Puncte auffassen. Dass wir aber nach den drei Dimensionen des Raumes neben ein- ander seordnete Gestalten zu sehen glauben, ist erst eine ziemlich complieirte geistige Thätigkeit, indem wir nur die uns durch die verschiedenen Sinne zugeführten Eindrücke, so wie die verschiedenen Eindrücke, die der- selbe Sinn empfängt, in mathematischer Anschauung durch die produetive Einbildungskraft vereinigen und zu einer Weltanschauung; construiren. Die richtige Würdigung dieses Verhältnisses finden wir zuerst und allein bei un- serem grossen Fries in seiner Anthropologie und seiner Kritik der reinen Vernunft, ganz besonders aber in der eben so geistreichen als gründlichen Abhandlung: über den optischen Mittelpunet im menschlichen Auge nebst allgemeinen Bemerkungen über die Theorie des Sehens. Jena, 1839. Darauf muss ich auch hier verweisen, da 120 Methodologische Einleitung. mich die Ausführung dieses Moments hier zu weit füh- ren würde. Nur einzelne Punete muss ich hier hervor- heben. Dass wir zunächst die Gegenstände des Ge- sichtssinns nur als gefärbte Fläche auffassen, zeigt uns die Erfahrung an Kindern und operirten Blindgebornen, die nach dem Mond greifen, also keinen Begriff von Eintfernung haben. Der Begriff der Entfernung ist erst das Eesultat eines mathematischen Urtheils. Für die einfachsten Fälle müssen wir hier die Bedingungen genau betrachten. Wir fassen, wie gesagt, das Bild auf der Netz- haut unmittelbar als ausser uns liegende erleuchtete Punete und dann zunächst als Fläche auf. Die von den verschiede- nen Puncten dieser Fläche nach unserm Auge gezogenen Linien bilden unter sich Winkel, und diese ‚Winkel, Richtungsverschiedenheiten, zunächst sind es, die wir Grössenne- Auffassen. Dass diesen Winkeln aber ganz verschiedene aurensanse. Entfernungen der leuchtenden Puncte von einander ent- sprechen können nach der verschiedenen Entfernung der leuchtenden Punete vom Auge, ist klar. Alle relativen Grössenbestimmungen müssen wir uns also erst mathe- matisch construiren, wofür der erste Anhaltspunct aller- dings die Grösse des Gesichtswinkels ist. Das zweite Element wäre hier die Entfernung; aber auch diese kommt uns nur durch Vergleichung vieler Eindrücke unter einander allmälig zum Bewusstseyn, und hier ist ebenfalls die einfache Grundlage der Gesichtswinkel, indem wir das unter kleinerem Gesichtswinkel Erschei- nende im Allgemeinen ferner setzen, dann aber noch die Deutlichkeit hinzunehmen, indem wir bald fühlen, dass unser Auge, durch die dazwischenliegenden Luftschichten in seiner Empfindlichkeit beschränkt, nähere Gegenstände _ deutlicher sieht als ferne. Betrachten wir hierfür aber die physikalischen Bedingungen des Sehens, so zeigt sich uns, dass es in Hinsicht der Nähe ein Minimum geben muss, innerhalb welcher Gränze ein deutliches Sehen unmöglich wird, weil das Bild des leuchtenden Punctes hinter die Netzhaut fällt. Methodologische Einleitung. 121 Trennen wir nun alle übrigen Momente, die unsere Beurtheilung der Körperlichkeit der Gegen- stände leiten, ab, so bleibt uns als Resultat stehen, bei gleicher Deutlichkeit der Bilder bestimmen wir ihre relative Grösse nach dem Gesichtswinkel, oder bei gleichem Gesichtswinkel nach der Deutlichkeit. Um einen Gegenstand grösser erscheinen zu lassen, brau- chen wir ihn also nur dem Auge immer mehr zu nä- hern; dadurch werden die Gesichtswinkel vergrössert und die einzelnen Puncte des Körpers rücken weiter auseinander, d. h. wir unterscheiden an demselben Ge- senstande mehr Puncte, als vorher möglich war, da, wie oben bemerkt, zwei Puncte, die einen Gesichtswin- kel unter 40” bilden, nicht mehr als gesonderte unter- schieden werden. Nun ist aber hier eine Gränze gege- ben durch die lichtbrechenden Mittel unseres Auges, eine Gränze, die im Mittel 8” beträgt. Nähere Gegenstände werden nicht mehr völlig deutlich gesehen, weil die von einem Puncte ausgehenden Strahlen zu sehr diver- siren, um noch auf der Netzhaut in einen Punct ver- einigt zu werden. Es ist aber bekannt, dass Strahlen, die aus dem Brennpunct einer Linse divergirend aus- sehen, nach ihrem Durchgang durch dieselbe parallel werden. Es ist ferner bekannt, dass parallel auf eine Linse auffallende Strahlen ein scharfes Bild ei- nes leuchtenden Punetes in der Brennweite einer Linse liefern. Stellen wir also zwischen unser Auge und den Körper, welchen wir diesem zu sehr ‘genähert haben, eine Linse so auf, dass der Körper grade im Brenn- punete der Linse liegt, so werden die von ihm ausge- henden Strahlen durch die Linse parallel werden und als solche auf die Linse unseres Auges fallend von demselben mit völliger Schärfe auf unserer Netzhaut vereinigt werden. Da nun bei gleicher Helligkeit die Grössenbestimmung von dem Gesichtswinkel, dieser aber von der Nähe des Gegenstandes zum Auge abhängt, so wird der: genannte Körper uns vergrössert erscheinen, Einfaches Mikroskop. 122 Methodologische Einleitung. wir werden im Stande seyn, in ihm mehr einzelne Punete zu unterscheiden, als früher. Und damit ist uns die Theorie des einfachen Mikroskops, der Loupe u. s. w. gegeben. Die Stärke der Vergrösserung wird sich hier nach der Nähe des Gegenstandes richten; je näher aber der Gegenstand ist, desto kürzer muss die Brennweite der Linse seyn, durch welche die von ihm ausgehenden Strahlen parallel gemacht werden oder, wie man ge- wöhnlich sagt, je kleiner die Brennweite der Linse, desto stärker die Vergrösserung. Da nun Centrumwin- kel auf gleichen Sehnen sich nahebei umgekehrt ver- halten wie die Radien der zu ihnen gehörigen Kreise, so wird bei 4” Entfernung vom Auge der Sehwin- kel doppelt so gross seyn als bei 8 u. s. w., d.h. wir finden die scheinbare Vergrösserung, wenn wir mit der Brennweite der Linse in die deutliche Sehweite von 8” dividiren. Die Stärke der Vergrösserung beim einfachen Vergrösserungsglase hängt also nur von der Nähe des Gegenstandes zum Auge ab, indem die da- zwischenliegende Linse nichts thut, als das deutlich Sehen in so grosser Nähe möglich zu machen. Hier finden wir nun sehr bald die Gränze für die Möglichkeit der Vergrösserungen in der Unmöglichkeit, in gewisser Nähe noch eine Linse zwischen das Object und unser Auge zu bringen. Wir können hier aber auf andere Weise nachhelfen. Aus der Physik ist bekannt, dass von Gegenständen hinter der Linse unter gewissen Bedingungen ein vergrössertes Bild entsteht. Wenn die Linse gut gearbeitet, so wird das Bild sehr genau dem Gegenstande entsprechen, und namentlich wer- den in jenem noch viele Punete repräsentirt seyn, die bei der Entfernung des deutlichen Sehens unter einem geringeren Gesichtswinkel als 40” erscheinen. Dieses Bild können wir also wieder als Object behandeln und mit einem einfachen Mikroskop betrachten und so weit ver- grössern, als noch scheinbar einfache Punete und Linien zu zwei oder mehreren aufgelöst werden, und hier- Methodologische Einleitung. 123 auf beruht die "Theorie des zusammengesetzten Mikro- skops, bei welchem wir das von einer Linse (oder Linsencombination), dem Objectiv, entworfene Bild mit einer anderen, dem Oecular, betrachten. Diese beiden Instrumente, das einfache Mikroskop und das zusammengesetzte, sind nun die beiden einzigen von wissenschaftlichem Werth. Das sogenannte Son- nenmikroskop oder das auf denselben Prineipien beru- hende, nur mit anderm Licht erleuchtete Hydro-oxygengas- mikroskop ist nichts, als eine physikalische Spielerei, eine etwas vergrösserte Laterna magica. Mit Schärfe und Klarheit kann der Gegenstand durch ein solches Instrument nie so stark vergrössert werden, als durch ein einfaches Mikroskop. Das liegt schon in den phy- sikalischen Bedingungen. Die von der Charlatanerie ausposaunten millionenfachen Vergrösserungen sind ein- mal nur ganz sinnlose Angaben der kubischen Vergrösse- rung und werden zweitens wie bei der Laterna ma- giea nur durch Entfernung der das Bild auffangenden Fläche von der Linse erreicht, wodurch alle Schärfe der Zeichnung, worauf es bei wissenschaftlichen. Unter- suchungen allein ankommt, verloren geht. Es versteht sich wohl von selbst, dass man statt der durchsichtigen Linsen auch wie beim Teleskop Hohl- spiegel anwenden kann, und in der That ist dies auch von Amict in Modena zuerst ausgeführt und war da- mals, als Achromatisirung der Linsen noch mangelhaft, der Applanatismus noch gar nicht erfunden war, aller- dings eine schr dankenswerthe Verbesserung. Jetzt aber hat diese Einrichtung fast ganz ihren Werth ver- loren; denn abgesehen von der Schwierigkeit, den Spie- gel ganz rein zu erhalten, kann man demselben auch immer nur einen höchst geringen Theil der Vergrösse- rung überlassen, weil sich sonst das Object nicht an- bringen liesse, und der grössere Theil der Vergrösse- rung fällt dann immer dem Ocular anheim; welches da- her alle Fehler der sphärischen Abweichung auch in Zusammen- gesetztes Mikroskop. Beurthei- lung des Werths der Mikroskope. 124 Methodologische Einleitung. höherem Grade, als bei den dioptrischen Mikroskopen der Fall ist, in das Bild hineinbringt. Es ist aus der:eben gegebenen Darstellung ersicht- lich, dass die Vortrefflichkeit des Mikroskops haupt- sächlich von der Güte der Linsen, beim Compositum aber ganz besonders von der Richtigkeit und Genauig- keit der Objective abhängt, indem jeder Fehler, mit dem das Bild behaftet ist, durch das Ocular noch vergrössert wird. Hier waren es besonders zwei Fehler, die erst die neuere Zeit, aber auch mit ziemlich glänzendem Eirfolg, hat beseitigen können, nämlich die chromatische und die sphärische Abweichung, die man jetzt, erstere durch achromatisirte Linsen und letztere beim einfachen Mikroskop durch Wollaston’s oder Chevalier’s: Doppel- linsen, beim zusammengesetzten Mikroskop durch appla- natische Objective beseitigt. Sehr vorzüglich ist das Instrument, welches auch beim Ocular die sphärische Abweichung durch Applanatismus entfernt. Leider lässt sich dabei keine sehr starke’ Vergrösserung anbringen, aber die wird kaum vermisst. Ich glaube nicht, dass man mit irgend einem Mikroskop, welches jetzt in Eu- ropa verfertigt wird, eben vielmehr sehen kann als mit der Combination der drei stärksten Objective und des applanatischen Oculars bei den Plössl’schen Mikroskopen, obgleich sie nur eine etwa zweihundertmalige lineare Vergrösserung giebt. Bei den stärkeren Vergrösserun- gen desselben Künstlers, bei denen das applanatische Ocular nicht concurrirt, sind zwar die Dimensionen an- sehnlicher, man unterscheidet aber nicht mehr Puncte und Linien im Bilde, sieht also auch nicht mehr, son- dern nur etwas bequemer. Aus den vorstehenden Erörterungen ergiebt sich, dass man, um sichere und von optischen Fehlern möglichst freie Resultate zu erhalten, sich bei einfachen Mikro- skopen nur der achromatischen Doppellinsen, bei zusam- mengesetzten Mikroskopen nur der achromatischen und wenigstens mit applanatischen Objectiven versehenen In- Methodologische Einleitung. 125 strumente bedienen müsse. Die besten Arbeiten liefern gegenwärtig wohl ohne Zweifel Schiek in Berlin und Plössl in Wien. FPistor hat in neuerer Zeit auch an- gefangen, Mikroskope zu verfertigen, die wenigstens den genannten am nächsten kommen, obwohl sie diesel- ben keineswegs erreichen. Die Plössl’schen Instrumente stehen in allen Combinationen, in welchen die stärkste Objectivlinse nicht concurrirt, den Schiek’schen ziemlich gleich. Dagegen sind alle Combinationen mit den drei stärksten Objectiven wohl vorzuziehen und das Ausge- zeichnetste, was mir bis jetzt in dieser Hinsicht vorge- kommen ist. Hinsichtlich der äusseren Einrichtung schei- nen mir die Schiek’schen Instrumente den Vorzug zu verdienen, doch wird hier viel auf Gewöhnung ankom- men. Die Messingarbeit ist bei Schiek unbedingt besser. Nach den genannten werden wohl die neueren Instru- mente von Oharles Chevalier in Paris zu nennen seyn; ich habe zwar keine davon gesehen, glaube es aber aus den damit von den Franzosen erhaltenen Resultaten schliessen zu dürfen. Die neueren englischen Instrumente scheinen den genannten so weit nachzustehen, dass man sie gar nicht vergleichen darf. Auch von ihnen habe ich zwar keins gesehen, aber es wird doch ohne Zwei- fel nicht an sewandten Beobachtern in England fehlen, wenn daher ausser von Rob. Brown in letzter Zeit in Eng- land gar keine auch nur irgend bedeutende mikroskopi- sche Untersuchungen in der Botanik geliefert sind und das, was sie sagen, sich häufig durch einen flüchtigen Blick in unsere Instrumente widerlegt, so kann die Schuld wohl nur der Mangelhaftigkeit ihrer Instrumente beigemessen werden. Noch wäre hier die Frage zu beantworten, ob zu wissenschaftlichen Untersuchungen das einfache Mikro- skop oder das zusammensetzte vortheilhafter sey. Ich muss mich unbedingt für das letztere entscheiden und zwar aus folgenden Gründen. Ceteris paribus greift das einfache Mikroskop das Auge bei weitem Bestimmung der Ver- Srösserung des Mikro- skops. 126 Methodologisehe Einleitung. mehr an als das Compositum, weil die Lichtstärke (die von der Stärke und Klarheit des Bildes ganz unabhän- gig und davon wohl zu unterscheiden ist) intensiver ist und einen kleineren Theil der Netzhaut trifft, daher eine grössere Ungleichheit in der Erregung des Sehnerven zur Folge hat, sodann wegen der grossen Unbequem- lichkeit der geringen Brennweite bei stärkeren Ver- grösserungen, ferner wegen der mit derselben mathema- tischen Sicherheit zu erlangenden stärkeren Vergrösse- rungen beim Compositum, endlich weil alle Vorwürfe, die man früher dem Compositum zu machen pflegte, zum "Theil das nicht achromatisirte, alle nur das nicht applanatische Instrument trafen. Gewohnheit mag auch hier viel entscheiden, allein wenn wir die Beobachtungen der letzten 20 Jahre vergleichen, müssen wir doch zu- geben, dass, mit Ausnahme von Rob. Brown’s (eines Mannes, der gar nicht angeführt werden darf, weil er ganz sui generis ist und schwerlich seines Gleichen findet) Eintdeckungen, alle die Wissenschaft fördernden Beobachtungen allein mit dem zusammengesetzten Mikro- skope gemacht sind. Soviel über die Bestimmung des Werthes der Instru- mente. Ehe ich mich aber zur eigentlichen Beobach- tungsweise wende, muss ich vorher noch zwei Puncte berühren, die eine genaue Betrachtung verdienen, weil sie oft von grossem Einfluss auf die wissenschaftlichen Resultate sind, nämlich die Mikrometrie und die Beleuch- tung der Objecte. \. 10. 1) In früheren Zeiten, ehe man zweckmässige Apparate besass, um die Grösse mikroskopischer Objecte direct zu bestimmen, hatte die Bestimmung der Ver- grösserungskraft eines Mikroskops eine bei weitem grössere Wichtigkeit als jetzt. Man dividirte dann den scheinbaren Durchmesser des Gegenstandes mit der Ver- Methodologische Einleitung. 127 grösserungszahl und fand so die Grösse des Objeets selbst. Natürlich ist dies Verfahren zu roh, um wissen- schaftliche Bedeutsamkeit zu haben, und daher auch längst abgeschafft. Nichtsdestoweniger ist es noch jetzt m vie- len Fällen von hohem Interesse zu wissen, wie stark die Vergrösserung ist, deren man sich bedient. Meistens legen gute Optiker ihren Instrumenten einen Index für die Vergrösserung der verschiedenen Combinationen bei; da aber hier manchmal bedeutende Fehler mit unterlau- fen '), so ist es nothwendig, dass der Beobachter selbst 'im Stande sey, die Vergrösserung seines Instruments zu bestimmen. Beim einfachen Mikroskop leidet das keine grosse Schwierigkeit, aber auch beim Compositum ist die Sache bei einiger Uebung sehr leicht. Man bedarf dazu nichts, als einen auf Elfenbein oder sehr weissem Papier schwarz verzeichnetem Massstab, der Linien angiebt, und ein Glasmikrometer, welches dieselbe Linie in beliebige (für sehr starke Vergrösserungen wenig- stens 30) Theile eingetheilt enthält. Dann legt man das Glasmikrometer unter das Mikroskop, und wenn man es so eingestellt, das man die Theilstriche deutlich sieht, legt man daneben auf den Tisch des Mikroskops den Massstab. Indem man nun mit dem einen Auge durchs Mikroskop, mit dem andern auf den Massstab daneben sieht, der bei den mei- sten neueren Instrumenten ohnehin wegen der Länge der Röhre ohngefähr grade in der deutlichen Sehweite zu liegen kommt, vergleicht man, was bei einiger Uebung leicht wird, beide Massstäbe mit einander. Geht nun z. B. '/;, Decimallinie auf einen Viertelzoll, so hat man eine Vergrösserung von 75mal u.s. w. Die von Jacquin ?) und Oh. Chevalier?) angegebenen Methoden sind nur sehr viel umständlicher, ohne für den etwas geübten l) Bei Schiek sind die Angaben meist sehr genau, bei Plöss! fast alle falsch , und man könnte sagen, sehr zu seiner Ehre alle bei weitem zu gering. 2) Baumgärtner, Naturlehre. Supplementband. Wien, 1831 8. 696. 3) Ch. Chevalicr, des microscopes et de leur usage ete. p. 146. 128 Methodologische Einleitung. Beobachter sehr viel genauere Resultate zu gewähren. Bei starken Vergrösserungen aber, bei denen allein be- deutende Fehler möglich sind, kommt es ohnehin auf einen Irrthum von 10 Procent gar nicht an. Ob ein Instrument 400 oder 440mal vergrössert, ist sehr gleich- gültig, da ein wesentlicher Unterschied in dem Besul- tate doch nur dann erlangt wird, wenn die Vergrösse- rungszahl wenigstens um die Hälfte steigt. Dass man alle Vergrösserungen nur nach Linearver- grösserung (Vergrösserung des Durchmessers) angeben sollte, versteht sich von selbst. Die Flächenvergrösse- rung anzugeben ist ganz unnöthige Weitläufigkeit, weil man sie doch immer erst auf die Quadratwurzel reduei- ren muss, um eine anschauliche Vorstellung von der Sache zu erhalten. Nur Charlatanerie, die den Laien Sand in die Augen streuen will, pflegt die Vergrösserung nach dem körperlichen Inhalt zu bestimmen, wodurch sie ihre volltönenden Millionen erhält. Die Sache ist gradezu ein lächerlicher Unsinn, da wir weder mit dem blossen Auge, noch mit dem Mikroskop die dritte Dimension des Raumes auffassen, da wir überhaupt keine Körper sehen, sondern nur erleuchtete Flächen. Die stärksten Vergrösserungen, die bis jetzt von den ausgezeichnetsten Optikern, von Amici, Chevalier, Pistor, Schiek und Plössl erlangt sind, übersteigen nicht eine 2400 — 3000malige lineare Vergrösserung. Aber nur bis zum Drittheil, etwa bis 1000 — 1200mal sind die Vergrösserungen wissenschaftlich brauchbar. Wenn Ei- ner behauptet, er habe etwas bei einer 3000maligen Vergrösserung gesehen, was bei geringerer Vergrösse- rung zu sehen unmöglich sey, so darf man das dreist für eine reine Phantasie erklären. Ich habe fast die ausgezeichnetsten Mikroskope der neueren Zeit zu ver- gleichen Gelegenheit gehabt, besitze selbst vielleicht die beiden besten Instrumente, die je von Schiek und Plössl verfertigt sind, und habe eine ziemliche Uebung im Ge- brauche des Iustrumentes, muss aber behaupten, dass bei Methodologische Einleitung, 129 unsern jetzigen Mikroskopen man bei einer. 3000maligen Vergrösserung Alles sehen kann, "was man will, da hierbei ein zu bedeutender Liehtmangel eintritt und keine einzige Linie noch mit einiger Schärfe und Bestimmtheit gesehen wird. Der Grund hiervon ist auch leicht ein- zusehen. Bei allen diesen Mikroskopen werden die Ver- Srösserungen nur bis etwa zu: 280 — 300mal zum srösseren Theil durch die Objective gewonnen. ' Von da an erhalten wir die Vergrösserungen nur durch das Ocular, welches aber nur das auch bei den best- searbeiteten Objectiven doch stets mit einem Theil der sphärischen und chromatischen Abweichung behaftete Bild vergrössert und also auch in: sehr schnell steigender Progression diese Fehler vermehrt. Dazu kommt noch, dass wegen des sonst eintretenden gänzlichen Lichtman- gels bei jener stärksten Vergrösserung das Collectivglas des Oculars wegbleiben muss und daher nicht allein die Fehler des Objectivbildes mindestens um das Zehnfache vergrössert,. sondern auch noch mit den bei so kleinen Linsen höchst bedeutenden Fehlern des Oculars ver- mehrt werden. Wichtiger als ‚die Bestimmung . der Vergrösserung des Mikroskops ist ‚die Bestimmung ‘der absoluten Grösse sehr kleiner Objeete. Genaue Beobachter suchten schon früh nach. Mitteln; so «griff Leeuwenhoek zu möglichst rein. seschlemmten Sandkörnern, bestimmte, wie viel ih- rer auf. eine Linie gingen und streute die so gemesse- nen Körnchen dann unter die mikroskopischen Objecte, und ermittelte ‚deren Grösse dann durch Vergleichung. Spätere ‘nahmen ‚andere: kleine Körperchen dazu, z. B. Blumenstaub. Nachdem die Querstreifen auf den Mus- keln entdeckt waren, pflegte man wohl diese zu empfeh- len, auch Blutkügelchen von verschiedenen Thieren. Alle diese Versuche sind wissenschaftlich von wenig Werth. Man kam daher früh auf die Anfertigung eigentlicher mikroskopischer Messinstrumente. : Das älteste derselben war das sogenannte Glasmikrometer, nämlich ein glattes Das Messen kleiner Kör- per. 130 Methodologische Einleitung, Glasplättchen, in welches eine sehr feine Eintheilung mit dem Diamant eingeschnitten war. Besonders zeichnete sich in früherer Zeit Dollond durch die Anfertigung ausgezeichnet schöner und genau gearbeiteter Mikrome- ter aus. In neuerer Zeit ist es Gemeingut aller tüch- tigen Mechaniker geworden. Chevalier verfertigst Mi- krometer, ‘an denen der Millimeter in 500 "Theile oder die Linie ohngefähr in 1000 Theile 'getheilt ist. Diese Mikrometer haben aber “doch wesentliche Nachtheile. Selbst bei den schärfsten Diamanten ist es nicht zu ver- meiden, dass die Bänder der gezogenen Linien nicht ein wenig aussplittern, wodurch die feinen Abtheilungen von ungleicher Breite werden und dadurch das Resultat unsicher machen. Dann aber ist ein Glasmikrometer in vielen Fällen gar nicht anzuwenden. Bei sehr kleinen Gegenständen, also bei sehr starker Vergrösseruug ist es nicht möglich, das Objeet und die ’Theilstriche des Mikrometers gleichzeitig im Focus zu ‘haben; dadurch wird ein genaues Messen ganz unmöglich. Ebenfalls lassen sich alle solche Gegenstände, die nothwendig in Wasser liegen müssen, um unters Mikroskop gebracht werden zu können, nicht ‘gut mit dem Glasmikrometer messen, da die kleinen Theilstriche vom: Wasser ausge- füllt und dadurch fast sänzlich unsichtbar werden. Man bedient sich daher 'in:neuerer! Zeit zu eigent- lich wissenschaftlichen Untersuchungen des von Frauen- hofer zuerst angewandten Schraubenmikrometers, der auch jetzt den grösseren Instrumenten der deutschen Optiker stets beigegeben wird.: Das ganze Instrument beruht auf einer Vorrichtung, durch welche man in den Stand gesetzt wird, das zu messende Object in einer sradlinigen stetigen Bewegung durch ‘das Gesichtsfeld des Mikroskops durchzuführen und den zurückgelegten Weg zu messen. Zu dem Ende construirt man einen beweglichen Tisch, einen sogenannten Schlitten, d. h. eine in Falzen bewegliche Platte. An diese Platie be- festigt man eine Schraube, durch deren Umdrehung der Methodologische Einleitung. 131 Schlitten 'hin- und 'hergeschoben wird. Diese Schraube wird sehr genau aus Stahl gedreht und hat gewöhnlich 100: Umläufe ‘auf. einen Zoll. Man nennt eine solche Schraube eine Mikrometerschraube. Eine jede ganze Umdrehung der Schraube bewegt also den Tisch um 0,01 vorwärts. Bei vorausgesetzter ' vollkommener Gleichförmigkeit des Schraubenganges wird bei jedem oostel einer Umdrehung der Tisch um ‚ein 0”,0001 vorwärts bewegt. Um diese "Theile zu bestimmen, bringt man an dem einen Ende der Schraube eine in 100 "Theile getheilte Scheibe an, und einen feststehen- den Index, an: dem.man die Zahl der Tiheilchen ablesen kann,‘ endlich ist neben dem Index noch ein Nonius, wodurch es möglich wird, von ‘dem hundertsten Theil einer Umdrehung noch den zehnten "Theil, also im Gan- zen 07,00001 zu bestimmen. Gemessen wird mit die- sem Instrument auf folgende Weise. In dem Diaphragma des Oculars wird ein feiner Spinnewebfaden angebracht, und nachdem das Schraubenmikrometer auf dem Tisch des Mikroskops befestigt ist, das Ocular so gedreht, dass der Faden die Axe der Schraube in einem rechten Win- kel kreuzt. Man lest dann einen zu messenden Gegen- stand so,auf den Schlitten des Mikrometers, dass sein einer Rand den Faden im Diaphragma genau berührt, und führt dann den Gegenstand durch Bewegung der Schraube vorsichtig so durch‘ das Gesichtsfeld, bis der Faden den andern Rand des Objects berührt. Hat man nun am Anfang und Ende dieser Operation den Stand der eingetheilten Scheibe genau bemerkt, so ergiebt der Unterschied. beider : genau den Durchmesser des Objects in '100,000tel eines Zolls. Schwierig: ist bei dieser Operation nur, den Gegenstand genau in die angegebene Lage zu bringen. Um dies zu erleichtern, bringt man am Mikrometer noch einige Vorrichtungen an. Zuerst legt man auf den in der Richtung der Schraubenaxe beweglichen ‚Schlitten noch einen andern, der durch eine Schraube in einer auf der vorigen 'rechtwinkligen Rich- 35 * 132 Methodologische Einleitung. tung beweglich ist. Auf diesem bringt man noch 'eine Scheibe an, die genau um ihre Axe drehbar ist. Auf diese Weise wird ‘das Einstellen des Objects ziemlich erleichtert. Ueber die Vorzüge des Schraubenmikrome- ters ist viel gestritten worden.‘ Seine: Fehler‘ liegen darin, dass eine ‚Schraube nie so genau g&arbeitet seyu kann, dass ihre Windungen unter einander gleich sind und jede einzeln in sich gleichförmig ist. Man hat’ des- halb dem Glasmikrometer den Vorzug geben wollen. Dies beruht aber nur auf der Unkenntniss der Verferti- sungsweise der Glasmikrometer. Ich habe oben die Fehler aufgezählt, die dem Glasmikrometer eigenthüm- lich sind. Zu diesen kommen noch alle Fehler des Schraubenmikrometers hinzu, .denn erst vermittelst 'einer Mikrometerschraube, welche das Lineal bewegt, ist die Anfertigung eines Glasmikrometers möglich. Ferner kommt noch der Nachtheil hinzu, dass ‘das Glasmikro- meter nur einen ganz kleinen Theil der‘ Mikrometer- schraube repräsentirt und vielleicht zufällig’ grade den ungenauesten, während man mit: dem 'Schraubenmikro- meter die Messung mit verschiedenen Theilen der Schraube wiederholen‘ kann und daher‘, ‘wenn man’ das.Mittel aus allen diesen Messungen nimmt; die Unrichtigkeiten wahr- scheinlich grösstentheils fortschafft. ‘Uebrigens ‘darf man bei alledem nur ‘innerhalb gewisser Gränzen Werth auf diese Messungen legen. Denn man darf nur selbst ein- mal mit einem tüchtigen Mechanikus gesprochen haben, um zu wissen, was überhaupt die Gränzen der Genauig- keit bei solchen Instrumenten sind. Eine einzelne‘ Mes- sung, hat daher gar keinen Werth, denn wenn ich da- mit die Breite eines Gegenstandes zu '/o«o eines’ Zolles bestimme, so kann 'er in der Wirklichkeit‘ eben so gut "rood als "ao seyn. Das Mittel von 3 bis ‘4 Messun- gen an verschiedenen Stellen der‘ Schraube giebt aber | schon ein ziemlich‘ genaues Resultat. Am sichersten sind aber für den wissenschaftlichen Gebrauch "immer nur die vergleichenden Messungen, wenn man nämlich | Methodologische Einleitung, 133 mit demselben Instrument gleichzeitig ein bekanntes allent- halben ziemlich gleich grosses und leicht zu erhaltendes Object, z. B. Blutkörperchen eines bestimmten 'Thieres misst, so dass die Angabe dieser Grösse gleichsam der Massstab wird, auf welchen dann Jeder die mit seinem Instrumente sefundenen Resultate redueiren kann. 2) Auf, die Beleuchtung der Gegenstände kommt sehr viel an. Je intensiver das Licht ist, welches von einem Gesenstande ausgeht, desto weniger schädlich ist natürlich der Verlust, den das Licht bei seinem Durch- sange. durch ‚so viele brechende Medien, theils durch Beflexion an den‘ Flächen, theils durch Absorption im Innern erleidet. Man muss hier aber zwei Arten der Benutzung des Mikroskops wesentlich. unterscheiden, wie man es gewöhnlich zu nennen pflegt, die Betrachtung opaker und die transparenter Gegenstände. Die erste,ist die älteste, einfachste und natürlichste. Sie kommt ganz mit der Art und Weise überein, . wie ‚, wir gewohnt sind, die Gegenstände mit blossem Auge mittelst des von ihnen zerstreuten Lichtes ‘zu sehen. Hier genügt bei nicht allzustarken Vergrösserungen in der, Regel das blosse Tageslicht. : Bei stärkeren Ver- grösserungen aber pflegt man das Licht (und zwar dann am besten künstliches) durch eine Linse oder durch ein sogenanntes Selligue’sches Prisma !) concentrirt auf das Objeet zu leiten. Ganz anders verhält sich die Sache beim Beobach- ten mit‘ durchfallendem Licht. Es ist auffallend, dass noch kein Physiker eine Theorie dieser Art zu schen gegeben, ja dass in allen physikalischen Handbüchern, die ich gesehen, gar nicht einmal auf die wesentliche Verschiedenheit dieser Beobachtungsweise hingedeutet ist. Im gewöhnlichen Leben kommt sie uns selten vor, etwa beim Wahrnehmen von. Luftblasen oder andern Unregel- mässigkeiten, oder mattgeschliffenen Zeichnungen in Glas. 1) Prisma’ mit zwei'convexen Flächen. %* Beleuchtung des mikro- skopischen Objects. 134 Methodologische Einleitung. Das sanze Sehen beruht‘ hier auf der verschiedenen Reflexion oder Absorption der Lichtstrahlen in "ungleich brechenden und ungleich dichten Medien, die neben ein- ander liegen. Die stärker brechenden oder dichteren Theile lassen weniger Lichtstrahlen durch‘ sich‘ durch zum Auge gelangen und erscheinen daher dunkler als die anderen. Ja es ist sehr wohl möglich, ‘dass zwei Substanzen neben einander sich begränzen, die beide gleich dichte und brechende Kraft haben und daher nicht als verschieden unterm Mikroskop erkannt werden könnten, aber dadurch als verschieden sichtbar werden, dass sie verschieden polarisirend oder depolarisirend auf das Licht wirken. Der Erfolg würde hier also immer von der srössern oder geringern Lichimenge abhängen, welche von unten durch das Object fällt. Es kommt aber noch hinzu, dass eine verschiedene Menge Licht refleetirt wird, nach Verschiedenheit des Winkels, in welchem es auf- fällt, und deshalb ist auch die Richtungder von’ unten auffallenden Lichtstrahlen zu berücksichtigen. Die gewöhnlich an allen Mikroskopen angebrachte Vorrichtung ist ein nach allen Richtungen beweglicher Beleuchtungsspiegel unter dem Tisch des Mikroskops. Man macht ihn plan, oder concav, und zwar. letzteres so, dass der von ihm ausgehende Lichtkegel genau die Oeffnung des Tisches ausfülli. Im letzteren Falle ist natürlich eine grössere Lichtmenge in dem "Sehfelde concentrirt. Am: zweckmässigsten vereinigt man einen planen und einen eoncaven Spiegel mit den Rücken ge- gen einander gekehrt in derselben Fassung, so dass man nach Bedürfniss wechseln kann. Wo möglich ist die Beleuchtung mit dem Planspiegel vorzuziehen; zwar ist hier die Lichtmenge nicht so gross, aber der Parallelis- mus der Strahlen ist entschieden ‘für die Sicherheit der Beobachtung vortheilhafter. Es scheint nämlich, 'als' ob durch die Convergenz der Strahlen‘ beim Hohlspiegel in dem Bilde Verschiebungen veranlasst werden können. Ich bin oft auf diese Erscheinungen aufmerksam geworden, * Methodologische Einleitung. 135 gestehe aber, dass ich nichts darüber zu sagen weiss, da die Optiker uns hier ganz im Stiche lassen. Beim einfachen Mikroskop bringt man nach Wollaston zweck- mässig über dem Planspiegel eine Sammellinse an, wenn eine grössere Lichtstärke nothwendig wird. Man muss indess bei Beobachtungen zarter Objecte eben so oft zur Milderung ‘der Beleuchtung seine Zu- flucht nehmen. Bei sehr durchsichtigen Gegenständen wird das Auge durch starkes Licht zu sehr gereizt, um noch sehr zarte Unterschiede wahrnehmen zu können, welche man bei gemässigtem Lichte leichter auffasst. Man bedeckt zu dem Ende den Planspiegel noch mit einem Täfelchen von weissem Holz, Elfenbein oder Eben- holz, oder stellt ihn so, dass er gar keine Strahlen mehr aufs Objeet sendet. Man hat aber an allen guten zusammengesetzten Mikroskopen noch eine eigene ‚Vor- richtung am Tisch, die dazu dient, sowohl das Licht zu vermindern,’ als auch es von der Seite aufs Object fallen zu lassen. Es besteht diese Vorrichtung aus einer mit Löchern von verschiedener Grösse durchbrochenen Scheibe, welche unter dem Tisch so angebracht ist, dass man das Licht nach Belieben durch eins der Löcher fallen lassen, oder auch ganz ausschliessen kann. Stellt man diese Scheibe, die höchst beweglich seyn muss, so, dass nur an einer Seite ein Theil eines Loches auf den Ausschnitt des Tisches trifft, so hat man schief auf- failendes Licht. Diese Vorrichtung ist eine fast’ unent- behrliche. Von einer grossen Menge von Täuschungen befreit man: ‘sich allein durch ein 'beständiges. Wechseln der; Beleuchtung.» Ob man eine Höhlung oder eine Er- habenheit 'vor.'sich ‚hat, ob ein kleiner Körper hohl oder solide ist, entscheidet. sich ‘bei aufmerksamer Betrachtung garbald durch den Schatten, wenn man öfter die Be- leuchtung wechselt. ‘ Aber auch in unzähligen andern Fällen zeigt sich die grosse Sicherheit in der Beurthei- lung, die aus einem gehörigen Gebrauch der verschie- denen Beleuchtung hervorgeht. 136 Methodologische Einleitung. ‚Man hat von jeher und mit Recht grosses Gewicht auf die Regulirung der Beleuchtung beim Mikroskop gelegt, und wenn auch‘ manche der. frühern grossen Vorsichtsmassregeln und die oft sehr complieirten Be- leuchtungsapparate zum Theil in neuerer Zeit durch die wesentlichen ‘Verbesserungen des optischen 'Theils des Mikroskops, namentlich durch 'Achromatismus und Ap- planatismus überflüssig geworden sind, so bleibt es doch auch. jetzt noch immer ein Punct, der: grosse Aufmerk- samkeit verdient und: dessen Wichtigkeit von vielen mi- kroskopischen Beobachtern zu sehr vernachlässigt wird: Der von Wollaston aufgestellte Grundsatz bleibt auch noch jetzt richtig und als Leitfaden für zweckmässige Anstellung der Beobachtungen stehen, dass alles Licht, welches nicht unmittelbar zur Beleuchtung des Objeets dient, der Deutlichkeit des Sehens schadet. Besonders ist hier zu empfehlen, durch. einen zweckmässigen Schirm das Seitenlicht‘ von den Augen und bei. durchsichtigen Objecten durch eine) hohle, inwendig geschwärzte Papp- röhre, die vom Körper ‘des Mikroskops auf‘ den: Tisch reicht, alles Seitenlicht von dem Object auszuschliessen. 11. AI nudelacr Ich versuche nun schliesslich noch einige Andeuiun- mikroskopi- gehen Im, gen über den Gang der mikroskopischen Un- tersuchungen. Der Zweck aller mikroskopischen Untersuchungen ist immer, Formen oder: Processe, die ihren räumlichen Ausdehnungen nach der Art sind, dass sie sich dem blossen Auge entziehen, mittelst des Mikroskops' voll- ständig eben so kennen zu >lernen, als es uns möglich sein würde, wenn die: Objecte Dimensionen besässen, wie die mit 'unbewaflnetem Auge uns völlig. ‘deutlich erkennbaren: Körper. Unser Auge ist schon eine. opti- sche Vorrichtung, wie wir gesehen haben; das’ Mikro- skop wiederhoit fast nur dieselben Mittel und wir müs- Methodologische Einleitung. 137 sen daher zuerst und vor Allem festhalten, dass uns das Mikroskop der Qualität nach durchaus nichts Anderes geben kann, als das Auge auch. Wir müssen hier also wieder daran erinnern, dass das Auge unmittelbar nur verschieden gefärbte und erleuchtete Puncte, die sich in mathematischer Anschauung zunächst auf eine Fläche ord- nen, unserm Bewusstseyn überliefert, dass das Anschauen des Körperlichen, die dritte Dimension des Raumes, immer erst später durch die figürliche Construction durch die pro- duetive Einbildungskraft hinzukommt. Auf der andern Seite müssen wir aber auch festhalten, dass die Wirkungsweise des Auges, versteht sich des gesunden, eben so wie das Mikroskop auf ganz ausnahmslosen mathematischen Ge- setzen beruht, dass also bei allen Beobachtungen mit dem blossen Auge wie mit dem Mikroskop nur der ur- theilende Verstand sich irren kann, der gesunde Sinn und das optische ' Instrument aber immer Recht haben. „Draussen in der Natur ist Alles wohl bestelit, Confu- sion ist nur in den Köpfen der’ Menschen zu finden“. ‚Wir: müssen diese Sätze vorläufig gleich anwenden, um zwei sehr semeine Voruriheile aus dem Wege zu räumen, deren Einfluss auf die Wissenschaft in vielfacher Hinsicht schädlich gewesen ist, weil er lange Zeit ver- hinderte, den Fehler da aufzusuchen, wo er lag. Das eine Vorurtheil ist die vage Bedensart, dass den mikroskopischen Untersuchungen nie recht zu trauen sey, weil das Mikroskop gar zu oft täusche. Solche Redensarten finden sich leider noch in neuester Zieit bei Männern, wie Link, Berzelius, Liebig und Anderen. Man wird hier versucht, mit Wallenstein aus- zurufen: „Die Sterne lügen nicht, denn sie sind ewig wahr, ‘doch ihr bringt Lug und Trug in den wahrhaf- tigen Himmel“. Die Abweisung des erwähnten Ge- meinplatzes ist gar leicht. Das Mikroskop ist völlig unschuldig an Allem, was ihm aufgebürdet wird, aber die» Voreiligkeit, ‘die Oberflächlichkeit, und selbst kann man sagen‘die wissenschaftliche 'Unredlichkeit, die in Abwendung der Vorur- theile. 138 Methodologische Einleitung. jeder zu weit gehenden Leichtfertigkeit liegt, alle diese bösen Geister, die, so lange die Welt steht, den. Fort- schritten des menschlichen Geistes in den Weg getreten sind, sie sind es, die auch noch heutzutage, zumal: in den Naturwissenschaften und ganz besonders auch..bei mikroskopischen Untersuchungen so viel Unheil ange- richtet haben, dass man: allerdings Ursache hat, wenn von mikroskopischen Untersuchungen die Rede ist, auf seiner Hut zu seyn, aber nicht wegen der Unwahrheit des Instrumentes, sondern wegen der Unwahrheit der Menschen. Wie viele Leute haben Unsinn in’ die Welt hineingeschrieben, weil sie die Farben der chromatischen Abweichung den Körpern beilegten, Lufthlasen als; Ge- genstände beschrieben; daran ist aber nicht das Mikro- skop Schuld, sondern die Unwissenheit und daraus eni- springende Urtheilslosigkeit der Leute, die Arbeiten mit einem Instrument unternahmen, dessen Gesetze und Wir- kungsweise sie nicht kannten und über Gegenstände urtheilten, bei denen sie: sich mit einigem Nachdenken selbst hätten sagen können, dass ihnen jede Grundlage zum Urtheile fehle. Das andere Vorurtheil ist: dem vorigen beinahe. grade entgegengesetzt und doch findet man es oft von densel- ben Menschen, die das vorige vorgebracht haben, eben- falls ausgesprochen, wenn auch in versteckter ‚Form. Man meint nämlich, es gehöre zu einer mikroskopischen Beobachtung nicht viel mehr als ein gutes. Instrument und ein Gegenstand, dann könne man nur das Auge über das Ocularglas halten, um au fait zu seyn. Wink in der Vorrede zu seinen phytotomischen Tafeln spricht diese srundfalsche Ansicht so aus: ,,Ich habe meist-die Beobachtung meinem Zeichner, dem: Herrns Schmidt, ganz allein überlassen und die’ Unbefangenheit‘'des -Be- obachters, der mit allen Theorien der Botanik unbekannt ist, bürgt für die Richtigkeit der Zeichnungen‘‘. Das Resultat dieser Verkehrtheit ist, dass Link’s phytoto- mische Tafeln trotz seines berühmten Namens so un- Methodologische Einleitung. 139 brauchbar sind, dass man gradezu wenigstens den An- fänger, der daraus lernen will, davor dringend warnen muss, damit er sich nicht durch lauter falsche An- schauungen verwirre.‘' Link hätte ebensowohl ein Kind oder einen operirten Blindgeborenen um die schein- 'bare Entfernung des Mondes fragen und wegen ihrer Unbefangenheit das beste Urtheil erwarten dürfen. ‚So gut wie wir mit den unbewaflneten Augen von unsern Kinderjahren an erst sehen lernen, d. h. die einzelnen uns zum Bewusstseyn kommenden Momente zum Ganzen einer körperlichen Natur zusammenconstruiren müssen und selbst mit blossen Augen doch noch in unvermeid- liche Täuschungen des Urtheils verfallen, z. B. bei der Grösse des aufgehenden Mondes,‘ so müssen wir auch beim Mikroskop, welches wegen der Isolirung der Ge- senstände und der daher mangelnden Vergleichung, we- sen der Nothwendigkeit,‘ das eine Auge von der Be- obachtung auszuschliessen, wegen der nothwendig fast immer gleichen Lage des Gegenstandes zu unserm Auge ein unendlich schwierigeres Instrument ist, als unser Auge, erst allmälig sehen lernen. Erst nach und nach wird es uns gelingen, von dem physiologisch Gesehenen eine klare Anschauung vor der productiven Einbildungs- kraft festzuhalten, und so wie es uns leichter werden wird, uns in einer Nebellandschaft oder mondbeleuchte- ten Gegend zu orientiren, je öfter wir 'sie schon unter andern Beleuchtungen gesehen haben und je mehr wir mit allen ihren einzelnen 'Theilen genau bekannt sind, so wird auch nur der im Stande seyn, brauchbare mi- kroskopische Beobachtungen zu machen, der nicht allein mit der betreffenden Wissenschaft im Allgemeinen, son- dern auch ganz speciell mit den besondern Gegenstän- den, die er seiner ‚Untersuchung wnterwirft, "auf das genauste, soweit'‘es ‚die bisherigen Kenntnisse darüber zulassen, sich vertraut gemacht. Es ist die Folge von jenem Vorurtheil, dass’alle mikroskopischen Entdeckungen so langsam sich Bahn brechen und so spät erst allge- Verhältniss des unbe- waffneten Auges zu mi- kroskopi- scher Beob- achtung. 140 Methodologische Einleitung, mein in der Wissenschaft anerkannt werden. Denn die meisten Beobachter verlangen das, was angegeben wird, gleich auf den ersten Blick zu sehen und bedenken nicht, dass oft erst viele Jahre fortgesetzte, angestrengte Untersuchungen im Stande waren, das Resultat zu lie- fern, und dass selbst jetzt, nachdem es gefunden ist, meist noch Wochen lange Studien dazu gehören, um dem vom Meister vorgezeichneten ‚Gange nur folgen zu können. : Daraus erklären ‚sich z. B. so viele alberne Entgegnungen, die dem grössten mikroskopischen : Be- obachter Ehrenberg gemacht worden sind. Wenn wir nun einestheils gestützt auf. die einfachen oben mitgetheilten Bemerkungen die beiden schlimmen Vorurtheile, die dem zweckmässigen Gebrauch des: Mi- kroskops hemmend in, den Weg (treten, zurückzuweisen vermögen, so können wir auch auf der andern Seite. aus ihnen allein die leitenden Grundsätze für die zweckmässige Anstellung mikroskopischer Untersuchungen ableiten. Zuerst müssen wir noch einmal die durch das Mi- kroskop erlangten 'Gesichtseindrücke mit dem Sehen: des Auges vergleichen. : Das Auge, ! wie. früher‘ bemerkt, giebt uns zunächst nur das Bewusstseyn einer leuch- tenden oder gefärbten Fäche.. ; Dieser Eindruck würde von uns schwer zur Anschauung ‚der Körperwelt erho- ben werden, wenn wir, wie bei den einfachen elementaren Betrachtungen stillschweigend vorausgesetzt zu werden pflegt, nur ‚mit Einem ruhenden Auge sähen. Aber erst- lich. ist unser Auge beweglich; wir können gleichsam mit dem Auge ‚unter den Gegenständen umhergehen. Indem wir mit dem rollenden Auge über eine Anzahl von Öbjeeten hineilen, geben diese in jedem Momente der Netzhaut ein anderes Bild und in jedem Momente fällt dies auf andere Theile der Netzhaut. Dann sehen wir" nicht mit einem Auge allein, sondern mit zweien. Jedem Auge: gehört gleichsam eine ‚eigene Weltan- schauung von ‘einem ‚andern Standpuncte aus, die»Ge- wohnhheit, combinirt aber (beide Bilder, die sich «mathe- Methodologische Einleitung. 141 matisch nie ganz ‘decken können, zu einem mittleren. Nur wenn ‘die beiden Bilder ganz ungewohnte Stellen der Netzhaut treifen, kommen: uns die Bilder gesondert zum Bewusstseyn, grade 'so wie wir eine kleine Kugel dop- pelt fühlen, wenn wir sie gleichzeitig mit den äusseren ‚Seiten zweier Finger berühren. Wir. sehen ferner mit beiden: bewegten Augen, wodurch die Zahl der auf ei- nen Gegenstand ‘bezüglichen anschaulichen Elemente noch vermehrt wird. Endlich‘ ist es uns möglich, uns: selbst oder die Gegenstände zu bewegen und dadurch von ei- nem und demselben Gegenstand ganz verschiedenartige Anschauungen zu gewinnen. So erhalten wir denn eine ziemlich breite Basis, auf welcher wir mit grossem Ver- trauen die figürliche Construction der Objecte vornehmen können. Uebung; macht freilich auch hier den Meister, und wir: bemerken einen: grossen Unterschied zwischen einem Gelehrten, der den grössten Theil seines Lebens auf der. Stube zugebracht und dem Jäger oder noch mehr dem Wilden, der sich von Jugend auf in der an- schaulichen Auffassung. der Natur übte. Aber "fast ‘alle ‚diese verschiedenen Beziehungen fal- len bei dem Mikroskop weg. ‘Wir sehen: bei .demselben immer nur mit’ Einem, meist: auch ruhenden Auge und immer in veiner unveränderlich gegebenen Stellung zum Objeet, und''was''ebenfalls wohl ins Auge zu fassen ist, wir sehen das ‚Object stets für unsere Anschauung iso- lirt und können‘ daher auch nicht einmal durch Verglei- chung mit gleichzeitigen Gesichtseindrücken uns über den Gegenstand Aufschluss verschaffen. Endlich haben unsere Augen ein gewisses in nicht allzu enge Gränzen eingeschlossenes Accommodationsver- mögen für verschiedene Entfernungen, wir können Ge- genstände, die ungleich weit von unserm Auge abste- hen, doch gleich deutlich sehen und können die Ge- sichiseindrücke so schnell hinter einander und mit so stetigem Durchlaufen aller‘ dazwischenliegenden Puncte uns verschaffen , dass es uns unendlich leicht wird, alle Leitende Maxime für alle mikro- skopische Beohach- tung. 142 Methodologische Einleitung. diese Eindrücke zu combiniren. "Auch dieses fällt beim Mikroskop grösstentheils weg, indem wir besonders: bei stärkeren Vergrösserungen (und um so: genauer, je schö- ner das Mikroskop gearbeitet ist) eine mathematische Fläche sehen. Zumal beim zusammengesetzien Mikro- skop, wo wir keinen wirklichen Gegenstand, sondern nur ein Bild betrachten, ist eigentlich auch augenblick- lich gar kein anderes Gesichtsobject vorhanden, als diese mathematische Fläche, und um zu. sehen, was über oder unter dieser mathematischen Fläche (gleichsam einer idealen Durchschnittsfläche des zu betrachtenden Gegen- standes) liegt, hilft uns das Accommodationsvermögen unseres Auges nichts, ‘sondern wir müssen gradezu das eine Gesichtsobjeet vernichten und ein 'anderes an seine Stelle setzen. Es ist leicht einzusehen, wie unendlich dies die Combination der einzelnen Eindrücke zu einem körper- lichen Ganzen erschweren muss. Fassen wir diese Bemerkungen zusammen, so er- siebt sich uns daraus als Resultat einmal der Unter- schied zwischen dem Sehen mit unbewaffnetem Auge und mit dem Mikroskop, und zweitens der leitende Grundsatz, von dem geführt wir die Regeln zur zweck- mässigsten Anstellung der mikroskopischen Untersuchung zu suchen haben. Nämlich erstens: Die anschauliche Kenntniss der Körperwelt entsteht uns in‘ figürlicher Construction vor der mathematischen Anschauung, wozu uns das Auge als Gesichtssinn : nur‘ einzelne Elemente liefert, während: wir die übrigen von den andern Sinnen empfangen; bei mikroskopischen Gegenständen fällt die Auffassung durch die andern Sinne: ganz. weg und die vom Auge gelieferten Elemente werden bei mikroskopi- scher "Betrachtung. noch zerlegt, die einzelnen Theile isolirt und dazu unter Umständen dargeboten, die ihre Combination unendlich erschweren. Zweitens : Um die- sen Nachtheilen zu entgehen und die Resultate mikro- skopischer Forschungen gegen Täuschungen der producti- ven Einbildungskrafti, dem Vermögen: der. mathematischen Methodologische Einleitung, 143 Anschauung, sicherzustellen, müssen wir die Zahl der Elemente so zu vermehren suchen, dass wir dadurch eine möglichst vollständige und sichere Grundlage für die figürliche Construction gewinnen. Es zerfällt diese Aufgabe in die, eine möglichst vielseilige Auffassung desselben Gegenstandes möglich zu machen und alles nicht zum actuellen Gegenstande der Beobachtung Gehörige zu eliminiren. Für den letz- tern Theil der Aufgabe sorgen zum Theil Verbesserun- sen des Instruments, indem sie Formveränderungen und Farbenerscheinungen (die auf der sphärischen und chro- matischen Abweichung beruhen), fortschaffen. Was diese beiden Puncte betrifft, die mehr den Optiker als den Beobachter angehen, so ist das Erforderliche darüber oben schon erwähnt und die Sache des Beobachters ist es nur, sich ein möglichst vollkommenes Instrument an- zuschaffen. Es giebt aber noch manche andere opiüsche Erscheinungen, deren sich der Beobachter als solcher bewusst ‘werden muss, die, obwohl in der 'That dem Bilde angehörend, doch nicht dem Object, welches man beobachten will, zukommen, dieman daher kennen muss, um ihren Antheil an unserer Vorstellung über die Na- tur des Objects fortschaffen zu können. Hierher gehö- ren manche Farbenerscheinungen, die nicht durch die ehromatische Abweichung hervorgerufen werden. Na- mentlich kommen Beugungsphänomene nicht selten beim Mikroskop vor. Wenn 'man z. B. ganz kleine Löcher, etwa Poren. der Zellenwände betrachtet und das Object nicht ganz’ haarfscharf in .der richtigen Entfernung vom Objectiv liegt, so erscheint die innere Fläche gefärbt und je nach der Grösse des Porus oder der Entfernung vom Focus gelblich, röthlich oder grünlich. Aehnliches tritt bei der Beobachtung sehr kleiner Kügelchen oder anderer fester Körper ein, bei denen sich unter gleichen Umständen ein zarter farbiger Saum zeigt. Beide Er- scheinungen verschwinden aber, wenn man das Objeet genau in die richtige Focalweite bringt. Ueberall daher, Sicherstel- Jung gegen Täuschun- gen des Ur- theils, 144 Methodologische Einleitung, wo solche kleine Theilchen. selbst in dem Centrum. des Sehfeldes, wo natürlich vollkommener Achromatismus stattfindet, noch Farben zeigen, muss man’ stets durch das genaueste Einstellen versuchen, die Farbenerschei- nungen zu entfernen; erst wenn dies bei’ aller ange- wendeten Sorgfalt nicht möglich ist, darf man mit vie- ler Wahrscheinlichkeit die Farben dem Gegenstande selbst zuschreiben. Ein Beispiel hierfür liefert die Behauptung einiger Beobachter, dass der ‚innere Kreis der Poren. bei den Coniferenzellen. (der eigentliche Porus) zuweilen srün gefärbt erscheine. Ferner gehören hierher gewisse Formenveränderun- gen, die ebenfalls durch mangelhafte Einstellung des Objeets in die richtige Focalweite veranlasst werden; so erscheinen Linien doppelt oder mit einer gewissen Breite, die bei genauer Einstellung sich einfach oder als scharfe Linien ohne alle scheinbare Breite darstellen. Wahr- scheinlich ist’es eine Diffractionserscheinung, ‘doch scheint die Erklärung hier noch zweifelhaft zu: seyn. Auch hier findet man bald, dass weder die scheinbare: Breite, noch: die Duplicität der Linien dem Objeet selbst zu- komme, wenn bei irgend einer Einstellung, bei; völliger Deutlichkeit des Bildes die angegebenen: Erscheinungen verschwinden. Ich ‚will hier an ein Beispiel für diese optische Täuschungen erinnern ,: welches 'bei Mirbel, in seiner Abhandlung: ‚‚Nowvelles notes sur le cambium‘“ (Archives du Museum d’hist. nat. 1839 p. 303 gg.) sich findet. Er erwähnt daselbst (SS. 306. 328, Ta- fel XXI Fig. 3 u. Fig. 6) Zellen, deren Wände auf einem Querschnitt mit Querstreifen bezeichnet erscheinen, welche aber bei Betrachtung eines Längsschnittes | ver- schwinden und dagegen Längsstreifen Platz machen. Ich habe diese Erscheinung oft beobachtet und muss sie bestimmt für eine optische Täuschung erklären. Mirbel ist auf den angeführten Tafeln etwas zu freigebig mit den Streifen gewesen, man sieht nämlich nie mehr wie vier, nämlich die obere und untere Schnittfläche der Zelle Methodologische Einleitung. 145 und zwei Linien. Dass es eine optische Täuschung sey, geht daraus hervor, dass man nie. durch Veränderung des Focus es dahin bringen kann, dass man nur zwei dieser Linien sieht. Entweder erscheinen alle vier, oder nur die obere, oder die untere Schnittfläche. Ich finde nicht, dass schon Jemand auf diese Erscheinung aufmerksam gemacht, noch weniger eine Erklärung gegeben hätte. Es ist zwar gewiss, dass überall nur dann das Objeet in der richtigen Focalweite liegt, wenn sein Bild am deutlich- sten und schärfsten gezeichnet erscheint. Allein die Differenzen in der Deutlichkeii und Schärfe sind so zart, dass sie oft kaum dem allergeübtesten Auge bemerklich werden. Besser lässt sich daher die Regel so ausspre- chen, dass der richtige Focalabstand gefunden ist, wenn das Bild am kleinsten erscheint und die Dimensionen aller Theile und aller Linien und Puncte, aus welchen es zusammengesetzt ist, die geringsten Grössen zeigen. Man wird immer finden, dass dann auch die grösste Schärfe und Deutlichkeit vorhanden ist, da jede Linie, jeder Punet auch um so dunkler erscheinen, je kleiner, je schmäler sie sind. Es kommen wahrscheinlich noch viele solcher ‘Verhältnisse vor, die unser Urtheil über mikroskopische Gegenstände befangen machen, indess sind mir bis jetzt keine weiter bei meinen Untersuchun- gen zum Bewusstseyn gekommen. In den Schriften der Physiker findet man leider gar keinen Aufschluss, weil keiner sich bis jetzt mit der 'Theorie der mikroskopi- schen Beobachtung beschäftigt hat. Es gehört aber zu dieser unserer Aufgabe, nämlich uns in den Stand zu setzen, alles nicht wirklich dem eigentlichen Gegenstande unserer Beobachtung Angehö- rige ausscheiden zu können, noch eine andere Vorberei- tung, als die Kenntniss der optischen Thhatsachen, die so eben erwähnt wurden. Diese gehören allerdings nur dem Bilde an, welches die Objectivlinse von dem Gegen- stande im Diaphragma entwirft, und ‘kommen also auch nur beim zusammengesetzten Mikroskope vor. Es giebt 10 146 Methodologische Einleitung. aber noch eine grosse Menge von Erscheinungen, die zwar wirklichen Gegenständen auf dem Objectträger entsprechen, aber doch nicht dem eigentlichen Gegen- stande unserer Beobachtung angehören. Diese kommen auch beim Gebrauche des einfachen Mikroskops in Be- tracht. Mit diesen Erscheinungen muss man durchaus bekannt seyn, ehe man sich mit Hoffnung auf Erfolg an eine mikroskopische Untersuchung machen , kann. Vollständig würde die hier zu machende Anforderung freilich so lauten müssen, dass man, ehe man an Un- tersuchung eines neuen Gegenstandes geht, vorher alle bereits untersuchten Gegenstände aus eigner Anschauung kennen gelernt habe. Indess bedarf es nur einer flüch- tigen Erinnerung an die bereits durch das Mikroskop Sewonnenen Resultate, um die Unmöglichkeit einzusehen, einer solchen Anforderung jemals genügen zu können. Wir müssen hier also unsere Ansprüche beschränken und statt jener allzu umfassenden Forderung zwei andere ausführbare, aber auch dann ganz unerlässliche Aufga- ben stellen. Die erste ist die, sich mit den ganz allge- meinen bei jeder Untersuchung möglicher Weise vor- kommenden Erscheinungen bekannt zu machen, ehe man überhaupt das Mikroskop zu eignen Untersuchungen be- nutzt; und zweitens Alles, was über den speciellen Ge- senstand der jeweiligen Untersuchung schon bekannt ist, vorher genauer zu studiren. Wir können hier freilich fast nur beispielsweise auf Folgendes aufmerksam ma- chen. Der Gegenstand mikroskopischer Untersuchungen sind entweder Formen oder Processe. I. Was die ersteren betrifft, so haben wir zweier- lei ins Auge zu fassen. 1) Wirkliche Formen, die so allgemein verbreitet sind, dass sie sich in jede Untersuchung einmischen und ihre Resultate trüben können. Hierher gehört hauptsächlich Alles, was man als Staub im gemeinen Leben unter einem Namen zusam- menfasst, also kleine Fäserchen von vegetabilischen Methodologische Einleitung, 147 oder thierischen Geweben, oder kleine Körnchen unor- ganischer Substanzen. Da die meisten Objecte, wenigstens alle transparenten, mit Wasser befeuchtet werden, so gehören hierher auch die gewöhnlicher vorkommenden Infusionsthiere, die man ohne höchst weitläufige Vorarbeiten, z.B. Abkochen und lufidichtes Verschliessen des Wassers, nie ganz aus- schliessen kann. Diese Gegenstände muss man zum öftern genau unter verschiedenen Vergrösserungen und verschiedenen Verhältnissen beobachten, damit, wenn sie sich in die Untersuchung einmischen, wir mit ihnen ver- traut sind und sie als bekanntermassen unwesentliche Objecte selbst unsere Aufmerksamkeit nicht einmal mehr in dem Grade erregen, dass sie uns in der Anschauung zum Bewusstseyn kommen. 2) Scheinbare Formen von Stoffen, die an sich formlos sind, aber unter gewissen Umständen regelmässig begränzt erscheinen. Hierher gehören insbesondere Gas- arten, die mechanisch in Flüssigkeiten vertheilt sind, oder mechanische Gemenge zweier sich nicht mischender oder auflösender Flüssigkeiten, z. B. Bläschen atmosphä- rischer Luft in Wasser und Oele, Oeltröpfchen in Was- ser oder Gummi. Besonders haben die Luftbläschen fast bis auf den heutigen Tag eine grosse Rolle bei den mikroskopischen Verirrungen gespielt. Sie erscheinen unter dem Mikroskop in einer Flüssigkeit immer als sphärische Körper mit einem fast pechschwarzen, breiten Rande und einem ganz kleinen, lichten, runden Oentrum. Bei genauer Aufmerksamkeit erkennt man auf dem schwarzen Rande an der dem Lichte zugewendeten Seite Spiegelbilder von Ge- senständen, die in der Nähe sind, z. B. Fensterkreuz us. w. Die Erklärung dieser Erscheinung ist leicht. Parallel von unten fallende Strahlen erleiden mit Aus- nahme der Üentralstrahlen beim Uebergang aus dem dichteren Medium in die Luft eine Brechung, welche sie vom Axenstrahl bedeutend ablenkt, sie treffen also früher als sonst die Peripherie der Luftkugel und erlei- 10 * 148 Methodologische Einleitung. den beim Austritt abermals eine Brechung , wodurch sie vom Axenstrahl so weit divergirend werden, dass sie gar nicht ins Objeetiv, also auch nicht ins Auge gelan- sen können. Achnlich ist es bei aller in Flüssigkeit eingeschlossener Luft. Noch heutzutage ist die Luft der Stein des Anstosses. Wir finden weitläufige Erör- terungen über dunkle Materie, die in den Hautdrüsen abgesetzt seyn soll, und Theorien, die darauf gebaut sind, und wenn wir genau zusehen, ists nur die in der Spaltöffnung eingeschlossene Luft, die den Beobachter geneckt. Nun giebt es zwar Mittel genug, um sich zu überzeugen, dass man nur Luft vor sich hat, z.B. Was- ser, welches die Luft bald einsaugt, Aetzkali, Alkohol, Terpenthinöl u. s. w., von einem gewandten Beobachter muss man aber verlangen, dass er schon durch den blossen Anblick Luft von fester Substanz unterscheiden könne. Auch als dunkler Saft in den Intercellulargän- sen ist die darin enthaltene Luft beschrieben worden. Dagegen hat man Luft gesucht, wo nie welche zu fin- den. Noch in sehr vielen Handbüchern heisst es, die Oberhautzellen enthalten Luft. Ein Blick durchs Mi- kroskop und einige Elementarkenntnisse der Optik ge- nüsen, um zu zeigen, dass bei keiner gesunden leben- den Pflanze in den Oberhautzellen etwas Anderes als eine Flüssigkeit enthalten ist, die mit dem Wasser fast gleiches Brechungsvermögen hat. Aber dergleichen Dinge werden hingeschrieben und wieder abgeschrieben, und kein Mensch denkt daran, nach der Richtigkeit und Be- sründung zu fragen. Ganz ähnlich erscheinen Oeltröpfehen unter dem Mikroskop, nur mit dem Unterschied, dass der schwarze Rand beim Oel ganz schmal ist, weil der Unterschied der Brechungsexponenten zwischen Luft und Wasser grösser ist, als der zwischen Oel und Wasser, und da- her eine. grössere Menge von Strahlen beim Luftbläs- chen für die Beobachtung durch die Brechung verloren gehen. Die Erklärung ist hier dieselbe wie bei der Methodologische Einleitung, 149 Luft, nur dass die Strahlen wegen des grösseren Bre- chungsvermögens des Oels grade den entgegengesetzten Weg nehmen. Auch andere dickflüssige Substanzen, z. B. Schleime, nehmen in Flüssigkeiten, mit denen sie sich weder mi- schen, noch in welchen sie sich auflösen, verschiedene Formen an, die meistenstheils von ihrer Adhäsion an andere Gegenstände, z. B. an den Objectträger be- dingt sind und dann faden- oder membranenartig sind; dagegen wenn sie mehr isolirt ihrer eignen Cohäsion überlassen sind, der Kugelform sich annähern. IM. Auf ähnliche Weise giebt es aber auch allge- mein verbreitete Processe, mit denen man bekannt seyn muss, um sich in vorkommenden Fällen nieht durch dieselben täuschen zu lassen. Zuerst gehören hierher gewisse Bewegungen. i 1) Rob. Brown, der geniale englische Botaniker, machte zuerst die wichtige Entdeckung, dass alle Stoffe, organische und unorganische, wenn sie in hinreichend kleinen Körnchen in einer Flüssigkeit suspendirt sind, in einer beständigen zitternden oder wimmelnden Bewe- sung sind, ähnlich einem Monadenhaufen, den man bei schwacher Vergrösserung ansieht. Die Bewegung ist sehr schwer zu charakterisiren und man kann sie nur durch öftere Beobachtung scharf auffassen und von andern ähnlichen Bewegungen unterscheiden lernen. Sie ist besonders häufig in Pflanzentheilen, z. B. an dem fein- körnigen Inhalt der Pollenzellen beobachtet worden und hier für etwas Besonderes, eigenthümlich Lebendiges aus- gegeben, was sie doch gar nicht ist. Ueber den Grund dieser Bewegungen wissen wir noch gar nichts. Aber wahrscheinlich sind kleine elektrische Spannungen und Ausgleichungen die Ursache. 2) Bine andere Bewegung, die man oft zu beob-- achten Gelegenheit hat, ist diejenige, welche entsteht, wenn sich zwei sehr verschiedenartige Flüssigkeiten, die eine bedeutende Verwandtschaft zu einander haben, z. B. 150 Methodologische Einleitung. Wasser und Alkohol oder Wasser und lodlösung mit einander mischen. Dabei findet gewöhnlich ein lebhaftes Strömen oft in ganz enigegengesetzten Richtungen statt. 3) Ein dritter Fall ist der, wenn Flüssigkeiten rasch verdunsten. Dabei findet meist ein doppelter Strom statt, nämlich ein oberer vom Rande nach dem Mittel- puncte des Tropfens und ein unterer vom Mittelpunet nach dem Rande zu. 4) Ferner sind zwei Vorgänge noch zu beachten, die vielfach zu Täuschungen Veranlassung geben; das eine ist die Auflösung. Da wir die meisten Gegen- stände in eine Flüssigkeit getaucht beobachten, so kann es nicht fehlen, dass dieselbe für manche Objecte ein Auflösungsmittel ist. Die dadurch hervorgerufenen Be- wegungen und Formenveränderungen müssen wir eben- falls für das, was sie sind, zu erkennen im Stande seyn. Das andere ist die Coagulirung, welche ebenfalls durch die Einwirkung der umhüllenden Flüssigkeit auf die zu untersuchenden Stoffe hervorgerufen wird. In dieser Beziehung muss man ganz besonders bei Untersuchung organischer Körper äusserst vorsichtig seyn, indem durch solches Coaguliren oft scheinbare Bildungen hervorgeru- fen werden, von denen die Natur nichts weiss. wie Hauptregel ist hier die, immer organische Gegenstände so frisch als möglich zu untersuchen, und das Bild, welches sich beim ersten Anblick zeigt, unbedingt allen andern vorzuziehen und als Norm anzusehen, sobald man sich durch öftere Wiederholung der Beobachtung über- zeugt hat, dass man beim ersten Blick richtig auffasste. Meyen hat häufig solche Coagulirungen des Schleims und anderer Stoffe als Formen (Zellen) beschrieben und abgebildet, z.B. Physiologie III. Taf.X. Fig. 6. Eben so Mirbel sur le cambium ete. Taf. XX Fig. 2 s. Endlich müssen wir hier noch die zweite oben er- wähnte Aufgabe, welche wir der exorbitanten allge- meinen Anforderung substituirten, hervorheben, nämlich dass der mikroskopische Beobachter, so wie er sich zu Methodologische Einleitung. 151 irgend einer Untersuchung anschickt, sich erst aufs allergenaueste mit allem bekannt mache, was über den bestimmten Gegenstand seiner Untersuchung bereits be- obachtet und bekannt geworden ist. Wir kommen nun, um mich eines medicinischen Ausdrucks zu bedienen, zu der zweiten Indication, näm- lich zur möglichst vielseitigen Auffassung eines und des- selben Gegenstandes. Hierbei müssen wir vorläufig uns überhaupt mit der Zubereitung eines Objects zu mikro- skopischen Beobachtungen beschäftigen und dann zuse- hen, wie wir dem gehörig zubereiteten Object möglichst viele Seiten abgewinnen, um aus allen einzelnen An- schauungen durch Vereinigung ein klares Bild zu con- struiren. Bei der Beobachtung opaker Objecte hat die Sache am wenigsten Schwierigkeiten, da man hier den Gegenstand nur auf irgend eine beliebige Weise im Fo- cus des Objectivglases oder der einfachen Linse befestigt. Man legt ihn einfach in der passenden Lage auf ein Glastäfelehen und dieses dann auf den Tisch des Mikro- skops. Oder man fasst ihn zwischen die kleine Zange, die gewöhnlich jedem Mikroskop beigegeben wird, wo- durch man den Vortheil erlangt, ihn unterm Mikroskop umdrehen und von allen Seiten betrachten zu können. Schwieriger dagegen wird die Sache beim Beobachten transparenter Objecte, die doch meistentheils der Gegen- stand genauerer wissenschaftlicher Untersuchungen sind. Selten ist hier der Gegenstand schon an sich so durch- sichtig, dass man ihn unvorbereitet unter das Mikroskop bringen könnte. Oft hilft hier aber schon das Befeuch- ten mit Wasser, oder mit einer andern Flüssigkeit, z. B. Baumöl, ätherischem Oele, canadischem Balsam u. s. w. Meist wird man gezwungen seyn, von dem Gegenstand zarte Abschnitte zu verfertigen, die, wenn sie dünn ge- nug sind, immer auch die gehörige "Transparenz haben, da es namentlich unter den organischen Körpern, und auf diese kommt es doch hier vorzüglich an, gar kei- nen völlig undurchsichtigen Körper giebt. Für die An- Möglichst vielseitige Auffassung desselben Gegenstan- des, 152 Methodologische Einleitung. fertigung solcher dünnen Schnitte hat man ein Instru- ment erfunden, welches indess nur für sehr wenige Gegenstände sich eignet und auch bei diesen nur Un- vollkommenes leistet'). Es bleibt hier nichts übrig, als sich durch Uebung die nöthige Geschicklichkeit zu er- werben, um aus freier Hand gehörig feine Schnitte ma- cher zu können. Man bediente sich früher dazu sanz allgemein der anatomischen Scalpelle, später wurden ganz dünne zweischneidige Klingen in Art der Impf- messer empfohlen. Ich habe gefunden, dass ein gutes Rasirmesser mit gehörig schwerer Klinge das beste In- strument ist, da es sich am sichersten führen lässt; man schneidet damit entweder aus freier Hand, oder indem man das Object zwischen Daumen und Zeigefinger ein- klemmt und dann mit dem Messer zwischen beiden durchschneidet. Auf diese Weise erhält man von sehr kleinen Gegenständen leicht einen sie genau halbirenden Durchschnitt; man nimmt dann eine Hälfte auf dieselbe Weise zwischen die Finger und schneidet auf gleiche Weise eine dünne Platte von der Schnittfläche ab. Bei sehr zarten und dünnen Objecten, z. B. Haaren, Moos- blättern u. s. w., klebt man den Gegenstand mit etwas Oel oder Speichel auf den Daumennagel, setzt die Schneide des Rasirmessers quer auf und macht damit die Bewegung des Schaukelpferdes; indem man zugleich leise gegen die Daumenwurzel vorrückt, so erhält man leicht eine Menge dünner Abschnitte, ‘von denen immer einige völlig brauchbar sind. Diese zweckmässige Me- thode ist, so viel ich weiss, zuerst von Herrn Corda angegeben. Eine schlimme Schwierigkeit, die hier zu überwinden ist, liegt in der Weichheit des Gegenstan- des, die dem Messer so wenig Widerstand entgegen- setzt, dass auch die schärfste Klinge mehr zerreisst und quetscht, als schneidet. Um diesem Uebelstande abzu- helfen, habe ich eine Methode ersonnen und oft mit 1) Vergl. Valentin, Repertor. Bd. IV. (1839) S. 30. Methodologische Einleitung, 153 grossem Vortheil angewendet, und namentlich ist sie von mehreren meiner Freunde mit Glück bei der Untersu- chung thierischer Substanzen benutzt worden. Man be- reitet nämlich von möglichst reinem und farblosen, ara- bischen Gummi eine sehr concentrirte Auflösung, weicht den zu untersuchenden Gegenstand darin ein und lässt ihn ganz davon durchdringen; dann befestigt man ihn leicht auf einem Brettchen und lässt ihn so völlig austrock- nen, indem man noch einigemale etwas Gummilösung dar- auf giesst. Noch ehe er so trocken ist, dass das Gummi seine glasartige Sprödigkeit wieder angenommen hat, macht man dann von dem Object die erforderlichen zar- ten Schnitte, die man dann auf einem Glasplättchen mit etwas Wasser befeuchtet; dabei zieht das Gummi Was- ser an, und der Gegenstand nimmt fast ganz vollkom- men seine frühere Gestalt wieder an. Bei den allergenauesten Untersuchungen reicht aber ein solches Präpariren aus freier Hand nicht mehr aus. Auch ist es bei vielen Gegenständen gar nicht um Durch - schnittsansichten zu thun, sondern um eine Zerlegung des Gegenstandes in die einzelnen Theile, aus denen er organisch zusammengesetzt ist. Hier müssen wir dann schon das Mikroskop zu Hülfe nehmen, um den Gegen- stand gehörig zu präpariren. Man bedient sich zu dem Ende am zweckmässigsten des einfachen Mikroskops, welches, besonders wenn man Wollaston’sche oder Che- valier’sche Doppellinsen anwendet, noch selbst bei 200ma- liger Vergrösserung Spielraum genug zwischen Object und Linse gewährt, um mit sehr zarten Instrumenten arbeiten zu können. Das Compositum hat hier einmal den grossen Nachtheil, dass es umkehrt, also eine‘ sehr schwierige Uebung zu entgegengesetzter Bewegung ver- langt, und zweitens dass man’ von den arbeitenden Hän- den zu weit entfernt ist, was der Sicherheit der Bewe- gung so sehr Abbruch thut, dass kaum etwas mehr, als ein Zerreissen oder Zerquetschen des Gegenstandes auf gut Glück möglich‘ ist. Das grösste Hinderniss beim 154 Methodologische Einleitung. Präpariren unter dem Mikroskop sind aber die Instru- mente. Natürlich werden diese eben so sehr wie der Gegenstand vergrössert und da findet man bald die Gränze, wo keine Spitze mehr fein genug ist, um noch mit Schärfe die Theile des Objects trennen zu können. Man bedient sich am besten dazu abgenutzter Staarna- deln, die man sich auf einem feinen Schleifsteine selbst anschleift und dann die Schneide und Spitze unter dem Mikroskop betrachtet, oder zu ganz feinen Operationen auf passende Weise gefasster englischer Nähnadeln, die man auf dieselbe Weise sich fein anschleift. Die andere Schwierigkeit ist leichter zu überwinden, dass nämlich die Hand nicht an so zarte Bewegungen gewöhnt ist, wie sie schon bei 50—60maliger Vergrösserung nöthig werden; hier überwindet einige Uebung bald die Hin- dernisse. Nach dieser Vorbetrachtung wende ich mich zu den Methoden, wodurch wir den zu betrachtenden Gegen- stand in möglichst verschiedene Verhältnisse bringen, um dadurch die Zahl der Anschauungen zu vergrössern. Man kann hier die optischen, mechanischen, chemischen und physikalischen Hülfsmittel unterscheiden. Man könnte sie im Allgemeinen mikroskopische BReagentien nennen. 1. Die optischen. Zuerst ist hier zu bemerken, dass man sich nie darauf beschränken sollte, einen Gegenstand, den man genau kennen lernen will, nur mit einer Vergrösserung zu beobachten. Es ist immer rathsam, von den schwä- chern Vergrösserungen anzufangen und so allmälig zu den stärkeren fortzuschreiten. Schon deshalb ist dies Verfahren zweckmässig, weil sich bei den stärkern Vergrösserungen nothwendig auch verhältnissmässig das Gesichtsfeld verkleinert, und es doch zum Verständniss stets nothwendig ist, eine klare Anschauung aller ein- zelnen Theile in ihrem Zusammenhange zu haben. Zweitens gehört hierher der Wechsel der Beleuch- tung, wovon schon oben genügend geredet ist. Methodologische Einleitung. 155 Drittens ist es oft von Nutzen, einen Gegenstand in sefärbtem, oder noch besser in monochromatischem Lichte zu betrachten; man erreicht dies dadurch, dass man ent- weder zum Objectträger gefärbtes Glas wählt, oder dass man zur Beleuchtung eine Spirituslampe anwendet, deren Docht man vorher mit Kochsalz getränkt, oder bei der man den Spiritus möglichst verdünnt hat; beides giebt nach Brewster ganz homogenes gelbes Licht. Viertens endlich ist es in manchen Fällen zweck- mässig, den Gegenstand in polarisirtem Lichte zu be- trachten, zu welchem Ende man einen Krystall, der dazu geeignet und zweckmässig geschliffen ist, unter dem Tisch des Mikroskops befestigt. Hierüber muss man sich doch mit einem Techniker verständigen; ich überhebe mich daher weiterer Bemerkungen !). 2. Mechanische. In vieler Hinsicht vortheilhaft ist es zu sehen, wie sich ein Gegenstand bei Anwendung des Druckes ver- ändert. Früher hatte man zu diesem Zwecke den so- genannten Pressschieber. Dabei hatte man aber den Nachtheil, dass man nur das Resultat, nicht aber die allmälige Wirkung des Druckes beobachten konnte. In neuerer Zeit bedient man sich statt dessen des nach seinem Erfinder benannten Purkinje’schen mikrotomischen Quetschers, auch wohl in der von Schiek verbesserten Form. Hierbei kann man die allmälige Wirkung des Druckes sehr bequem unter dem Mikroskrop betrachten. Dies Instru- ment ist von Purkinje überschätzt, von Meyen mit Un- recht ganz verworfen worden. Er ist vielleicht das einzige Mittel, um ein kleines Kügelchen von einem Bläschen zu unterscheiden, welche letztere eine Zeitlang ohne zu existiren eine grosse Rolle in den botanischen Handbüchern spielten. | 3. Chemische. Im höchsten Grade wichtig sind für die Bestimmung 1) Vergl. Chevalier des microsc. et de leur usage pag. 125 — 128. 156 Methodologische Einleitung. unseres Urtheils die verschiedenen Erscheinungen, die ein Körper bei Anwendung chemischer Reagentien ge- währt. Auch kommt es gar häufig vor, Stoffe ihrer chemischen Natur nach bestimmen zu müssen, die in Organismen in geringer Menge eingeschlossen sich nicht mechanisch von denselben so trennen lassen, dass man eine chemische Analyse damit anstellen könnte. Hier bleibt denn nichts übrig, als unter dem Mikroskop selbst die Agentien einwirken zu lassen‘). Die vorzüglichsten derselben sind: 1) Iodtinetur. Besonders für das Sichtbarmachen sehr durchsichtiger Objeete und die on vegeta- bilischer Stoffe brauchbar. 2) Schwefelsäure zur Zerstörung gewisser "Theile. 3) Fettes Oel, am besten Mandelöl. Aetherisches Oel (Spieköl), Alkohol und Aether, und canadischer Balsam, um Gegenstände durchsichtig zu machen, Fett- und Harzarten aufzulösen, die Stoffe zum Gerinnen zu bringen, z. B. Eiweiss. 4) Zuckerwasser, Gummilösung und Eiweiss, um die Endosmose und die dadurch bewirkten Formänderun- sen zu verhüten. 5) Aetzkalilösung zum Zerstören gewisser Theile. 6) Essigsäure, Salpetersäure, Salzsäure zum Auf- lösen mancher Stoffe. Bei achromatischen Mikroskopen hat man die letzten unter Nr. 6 genannten Reagentien möglichst zu vermei- den und jedenfalls das Objeet mit einem Glasplättchen zu bedecken, da die verdunstenden Säuren gar leicht das sehr empfindliche Flintglas angreifen. 4. Physikalische. Hin und wieder kann es vorkommen, dass es von Interesse ist, die Wirkung namentlich der Wärme und Elektrieität auf gewisse Objecte unter dem Mikroskop 1) Vergl. Anleitung zum Gebrauch des Mikroskops u. s. w. von Dr. J. Vogel. Leipzig 1841. Methodologische Einleitung, 157 zu beobachten. Man hat dazu eigne Vorrichtungen nö- thig. Für die Anwendung der Wärme bedarf man sehr gut abgekühlter Glasplatten, die man an einem Ende mittelst einer kleinen Spirituslampe erwärmen kann, ohne dass sie springen, oder sehr dünne am besten aus einer Kugel ausgesprengte Glasplättchen, die man locker in eine messingne Fassung legt und diese dann erwärmt. Für Beobachtung der elektrischen Wirkung hat man einen eignen kleinen Objecttisch, an dessen beiden Sei- ten zwei kleine Gabeln bewegliche Stückchen einer Glasröhre tragen, durch welche Drähte gehen, die mit dem einen Ende auf den Objeetträger reichen, am an- dern Ende ein Häkchen haben, um die Leitungsdrähte anzuhängen. Bei Anwendung aller der genannten Hülfsmittel und Beachtung der mitgetheilten Warnungen und Winke wird man im Stande seyn, manche Irrthümer zu ver- meiden, die nur zu häufig noch jetzt in botanischen Werken vorkommen. Aber bei alle dem muss ich doch noch die Haupiregel wiederholen, wer mit Glück beob- achten will, muss viel und mit angestrengter Aufmerk- samkeit beobachten, damit er allmälig sehen lerne, denn Sehen ist eine schwere Kunst. $.. 12. Ich habe mich im Vorstehenden bemüht, einige An- weisung für die richtige Methode der Sammlung der Thatsachen zu geben; aber mit der Thatsache allein sind wir noch nicht zur Wissenschaft gediehen. Hier soll das Ganze der 'Thatsachen überblickt, dieselben ge- ordnet und mit Hülfe leitender Maximen, welche aber vorläufig in der Wissenschaft nur aus ihren eignen schon bekannten Gesetzen und den Gesetzen der andern phy- sikalischen Wissenschaften abzuleiten sind, vermittelst Induetion zu Gesetzen verarbeitet werden. Hier ist es durchaus nothwendig, wenn wir nicht dem Begriff der Gebrauch der Indu- ctionen. 158 Methodologische Einleitung. Wissenschaft untreu werden wollen, dass wir streng auf innere Oonsequenz halten, dass, was wir an einer Stelle als wahr und richtig begründet einmal anerken- nen, auch durch die ganze Wissenschaft in allen seinen Consequenzen als gültig; anerkannt wird. Freilich schliesst diese Anforderung auch die andere im sich ein, dass wir überhaupt Alles aus der Wissenschaft entfernen, was sich hinsichtlich seiner Begründung nicht legitimiren kann. Ich muss hier besonders darauf aufmerksam machen, dass die Pflanze einen Theil der äusseren Natur ausmacht und dass sie ebenso wie alles Uebrige in derselben aus- nahmslosen Gesetzen unterworfen ist. Wenn wir hin und wieder behaupten hören, für den Organismus gelie kein Gesetz, sondern nur Regel und Ausnahme, so ist das nur ein Beweis von Geistesträgheit, die die An- strengung ernsten wissenschaftlichen Nachdenkens, scheut, und von grosser Oberflächlickeit und Unklarheit im Auf- fassen des Begriffs der Naturwissenschaft. Wer freilich sich die Naturgeschichte definirt als die Lehre von den natürlichen Körpern, sofern sie symmetrisch sind, von dem ist nicht viel Besseres zu erwarten. Regel ist in der Wissenschaft ein blos durch combinatorische Methode sefundenes Gesetz, bei der wir vorläufig eine Ausnahms- losigkeit vermuthen. Jede Ausnahme, die bekannt wird, hebt aber den wissenschaftlichen Werth der Regel ganz auf und sie behält nur noch mnemonischen Werth für Erleichterung der Uebersicht. Für die wissenschaftliche Betrachtung zerfällt durch 'eine bekannt gewordene Aus- nahme Alles wieder in getrennte nebengeordnete That- sachen, deren geseizmässige Ableitung aus höheren That- sachen erst aufs Neue gesucht werden muss. Der am häufigsten vorkommende Fall, der auch am meisten Ge- legenheiten zu Verwirrungen in der Wissenschaft giebt, ist der, dass man wegen einiger T'hatsachen ein Gesetz aufstellt, und nun, wenn neue Thatsachen widerspre- chend hinzukommen, sich aus seiner selbstgemachten Be- schränkung nicht herausfinden kann, und statt einzusehen, Methodologische Einleitung, 159 dass man das Gesetz durch Nebenbestimmungen zu eng sefasst, und statt es durch Weglassung derselben um- fassender zu machen, lieber auf die wunderlichste Weise die widerstrebenden T'hatsachen zurechtzupft, um sie dem einmal ausgesprochenen angeblichen Gesetze anzupassen. Die Geschichte der Lehre von der Saftbewegung, von der Ernährung, von der Fortpflanzung, aber auch die morphologische Betrachtung der Gewächse, z. B. das angebliche Gesetz der Dreizahl bei Monokolyledonen, der Fünfzahl bei Dikotyledonen, dessen eigensinniges Festhalten uns mit dem baaren Unsinn eines idealen Aborts') beschenkte, und so vieles Andere liefern hier die glänzendsten Belege. Für den Gebrauch der In- duction lässt sich nun freilich keine Regel geben, da hier fast Alles dem glücklichen Griff des Genies anheim- fällt; wir können nur fordern, dass die Induction gehö- rig. orientirt sey, dass wirklich schon nach einem Ge- setze gefragt werde und man nicht da Gesetze aufstellt oder Erklärungen versucht, wo man leicht einsehen kann, dass es noch an aller Grundlage für Induetion fehlt. Die zweite Regel ist die, dass man die einfachsten Fälle zum Grunde legt und aus dem Einfachen das Compli- eirtere ableitet und nicht umgekehrt das Leichtere aus dem Schwierigern erklären will. Die ganze Betrach- tungsweise der Kryptogamen ist dadurch so verschroben und confus geworden, dass man sie aus den Phanero- samen zu erklären suchte. Drittens müssen wir ver- langen, dass ein durch Induetion gefundenes Gesetz voll- 'ständig alle Fälle erkläre, und dass das, was unter dem Gesetz stehen soll, auch völlig dasselbe ausfülle, so dass es nicht zu viel und nicht zu wenig erkläre. Im letzteren Fall treten eben wieder Ausnahmen ein, die N 1) Ein nur der Idee nach vorhandener Gegenstand in der Natur- wissenschaft ist ein Unding, mit dem Hegel*‘sche oder Schelling’sche Confusionsräthe sich beschäftigen mögen. Der klare Kopf will die Wis- senschaft von dem, was wirklich ist, nicht von dem, was seyn könnte, wenn dieser oder jener Herr Doctor die Welt erschaffen hätte, III. Oeffent- liche Darle- gung der wissen- schaftlichen Resultate, 160 Methodologische Einleitung. ein neues Gesetz zu ihrer Erklärung verlangen, und wir müssen noch ein drittes Gesetz suchen, dem wieder beide untergeordnet sind. Das Gesetz ist also unbedingt als das richtigere anzunehmen, welches alle Fälle gleich erklärt, nach dem bekannten Gesetz der Sparsamkeit in der Natur. &.:13. ZII. Ich will nun schliesslich noch einige Bemer- kungen über die öffentliche Darlegung der in der Wis- senschaft gewonnenen Resultate geben, wobei auch Man- ches anders seyn sollte, als es: ist. Ganz unwillkürlich richtet man an manches Buch die Frage, warum bist du denn da® Wenn man nun da- durch sich an die Vorrede gewiesen fühlt und diese .nachliest, findet man sicher eine vortreffliche Auseinan- derseizung von der Zeitgemässheit oder dem allgemein sefühlten Bedürnisse entweder der Sache selbst, oder doch dieser für eigenthümlich ausgegebenen Form und Einkleidung. Man bleibt aber häufig bei dem Argwohn stehen, dass das eigentlich zwingende Bedürfniss für den Verfasser ein rein subjectives gewesen sey. Doch um diesem Argwohn zu. entgehen, ist eben die Vorrede ge- schrieben und damit der Kritik das Recht gegeben, alle ihre ernsten Ansprüche an das Buch geltend zu machen. Nun glaube ich wird mir gewiss Jeder, der sich durch unsere neuere botanische Literatur durchgearbeitet hat, recht gern eingestehen, dass die Hälfte aller erschiene- nen Bücher nicht nur ohne Verlust, sondern etlicher schwacher Seelen willen, die noch an den gedruckten Buchstaben glauben, sogar mit Gewinn für die Wissen- schaft ungeschrieben geblieben wären. Wenigstens noch ein Viertheil kommt dazu, die einen oder den andern guten Gedanken, der in zwei Zeilen zu sagen gewesen wäre, in einer seschmacklosen Brühe durch ganze Bände hindurch ziehen, und endlich von ‚dem letzten Viertheil, Methodologische Einleitung: 161 die auch materiell wirklich viel Gutes bringen, sind noch viele, die es in einer so traurigen Form vorbringen, dass man ihnen allen Beruf zur Schriftstellerei absprechen muss. Wenn der Engländer in einer einfachen Zeitungs- anzeige seine Muttersprache verunstaltet, so trifft ihn öffentliche Verhöhnung und Spott; wir Deutsche dagegen, kaum erst vom Unsinn des scholastischen Latinismus ge- nesen, glauben uns wenigstens das Recht vorbehalten zu müssen, in unsern wissenschaftlichen Büchern Muster- sammlunsen zum Corrigiren für deutsche Sprachschüler zu liefern; von halbwegs blühendem, schönem Styl ist ohnehin selten die Rede. Man lese nur das unbeholfene und so häufig srammatisch, besonders aber syntaktisch fehlerhafte Deutsch, das z. B. Meyen schreibt, Anderer nicht zu sedenken, die sich aus dem Canzleistyl von 1790 immer noch nicht herausfinden können, oder sich statt dessen, wie Hoffmann sagte, aufs Ueberschweng- liche gelegt haben. In dieser Beziehung sind uns Eng- länder und Franzosen unendlich voraus, bei denen man stets eine correcte, gebildete und schöne Sprache findet, während wir in unserer albernen Nachäfferei eher fünf fremde Sprachen richtig lernen, ehe wir unsere eigne Muttersprache nur erträglich reden und schreiben können. Aber auch abgesehen von der Sprache ists in vielen Büchern eine leidige Noth mit der Form. Wie wenige Schriftsteller, die ihren Stoff denkend bewältigt haben, die klar und besonnen Thatsache und Raisonnement, In- duetion und Polemik, Lehre und Geschichte neben ein- ander zu ordnen wissen, bei denen nicht alle diese Ele- mente verwirrend durch einander laufen. Welche Mühe kostet es nicht oft auch bei Männern von berühmtem Namen herauszufinden, was sie wollen, was denn eigent- lich ihre Meinung über einen bestimmten Gegenstand sey; da werden Gründe für und wider erörtert, dann etwas Geschichte mitgetheilt, dann ein Schriftsteller widerlegt und vielleicht gleich darauf einige für ihn sprechende Thatsachen beigebracht, und endlich ist man durch und 11 162 Methodologische Einleitung. sucht vergebens nach einem Urtheil des Verfassers; nicht als ob er grade durchaus entscheiden sollte, aber auch nicht einmal eine Erklärung darüber findet man, ob er die Sache für spruchreif hält oder nicht und wie, die eigentliche Aufgabe scharf zu fassen sey. Oft kann man selbst den Argwohn nicht unterdrücken, dass der Verfasser absichtlich sich hinter dieser Verwirrung ver- stecke, damit man ihn nicht bei irgend einer bestimmten Ansicht festhalten könne. Insbesondere aber wird das ewige Wiederkäuen all des alten historischen Wustes lästig. Dem in die Wissenschaft Eingeweihten ist es unnütz und langweilig, dem Schüler zeitraubend und verderblich, weil er vor lauter guten und schlechten Meinungen der Schriftsteller gar nicht zur Sache selbst gelangt. Auf jeden Fall sollte bei guter Anordnung des Stoffes das Dogmatische vom Historischen gänzlich getrennt seyn, aber ich sehe überhaupt nicht ein, wes- halb man es aus den Lehrbüchern nicht ganz herauswirfi. Wo fällt es denn dem Zoologen, dem Mineralogen, dem Uhemiker und Physiker ein, bei jeder Einzelnheit die Literatur dreier Jahrhunderte wieder mit einzuschwärzen und dem Leser für frische Waare zu verkaufen? Be- sonders verwerflich ist aber das endlose Wiederholen längst abgethaner Irrihümer mit allen Gründen und Ge- sengründen. Diese gehören nicht der Darstellung der Sache und selbst nicht einmal der Geschichte der Wis- senschaft an (indem diese nur die fortschreitende Eintwickelung der Lehren zu geben hat), sondern ledig- lich der Geschichte des menschlichen Geistes, insofern hier auch von seinen Verirrungen Rechenschaft zu ge- ben ist. Ich habe schon erwähnt, wie wir eine Menge Bücher besitzen meistens von jüngeren Leuten, in wel- chen Eine aufgefundene Thatsache, Ein neuer Gedanke semissbraucht wird, um mit Hülfe tüchtiger Compilation ein ganzes Buch zu fahriciren und in Umlauf zu brin- sen; gewöhnlich soll dann die matte Entschuldigung, dass das Eigenthümliche hauptsächlich in der neuen An- Methodologische Einleitung. 163 ordnung des Stoffes liege, die Dürftigkeit des materiell Brauchbaren entschuldigen. Aber wie traurig würde man da getäuscht werden, wollte man sich darauf ein- lassen. Von allen unsern Handhüchern der Botanik weiss ich ausser Linne’s Philosophia botanica und etwa Lindley’s Introduction to botany kein einziges, wel- ches halbwegs auf das Prädicat einer consequenten sy- stematischen Einheit und einer durchdachten formellen Durcharbeitung und Anordnung des Stoffes Anspruch machen könnte, und wohl gemerkt, ohne dass dieser Mangel aus der Mangelhaftigkeit des Stoffes vom Ver- fasser selbst gerechtfertigt würde, der im Gegentheil meist sich stellt, als sey die Wissenschaft schon fertig und vollkommen in seinem Besitz. Auch bei den bes- sern Schriftstellern findet sich die unglückselige Leiden- schaft, sich nicht mit dem zu begnügen, was man wirk- lich leisten kann, sondern auch der angeblichen Voll- ständigkeit wegen das aufzunehmen, worüber man nichts weiss. Die Sucht, über Alles eine Meinung zu haben und zu äussern, man könnte wohl sagen, die Monoma- nie, Systeme zu schreiben, wo wir uns sagen sollten, dass wir von dem ganzen zu bearbeitenden Felde noch nicht den hundertsten Theil übersehen, hat viel Noth und Leid in unsere Wissenschaft gebracht. Aber man bringe einmal einen Irrthum wieder aus der Wissen- schaft heraus, der erst durch hundert gedruckte Bü- cher durchgegangen, das ist fast schwerer, als die ganze Wissenschaft neu erfinden. „Besonders macht sich. das Falsche dadurch stark, dass man es mit oder ohne Bewusstseyn wiederholt, als ob es wahr wäre‘). Die Gründe für den bemerkten Fehler sind meistens Bitelkeit und Selbstgefälligkeit, aber auch bei dem, der sich davon frei weiss, kann es vorkommen, dass er Fal- sches für wahr, nicht Gewusstes für gewusst vorträgt, 1) Goethe, Zur Naturwissenschaft und Morphologie. Bd. U. S. 114. 11 * Botanische Zeichnun- gen, _ DA m Methodologische Einleitung. weil er ebenfalls nicht streng genug die Elemente sei- nes Wissens sichtet, ehe er sie veröffentlicht. „Es ist eine schlimme Sache, die manchem Be- obachter begegnet, mit einer Anschauung sogleich eine Folgerung zu verknüpfen und beide für sleichgeltend zu achten‘ !). Dieser Fall ist nur zu häufig und begegnet oft selbst dem redlichsten Forscher, wenn er nicht ein Hülfsmittel dagegen hat, um seiner BRedlichkeit gegen sein ungetreues Gedächtniss zu Hülfe zu kommen. Dies Hülfsmittel finden wir in der Botanik im wissenschaftli- chen Zeichnen. Es ist fast ganz unmöglich, dass Je- mand irgend etwas Bedeutendes in den höhern 'Theilen der Botanik leisten wird, der nicht selbst zeichnen kann. Für die Auffassung anschaulicher Formen leistet auch die beste Beschreibung niemals das, als eine auch nur rohe Zeichnung. Hieran hat man aber zugleich den sichern Rückhalt gegen alle Vermengung von Beobach- tung und Schlussfolge. Alle ungenauen Erinnerungen kann man augenblicklich durch den Anblick der Zeich- nung verbessern. Die Zeichnung selbst aber kann man so lange mit dem Objecete vergleichen und sie umändern, bis sie dasselbe vollständig, d. h. nicht mehr und nicht weniger wiedergiebt. Auf diese Weise sind wissen- schaftliche Zeichnungen die sicherste Grundlage für alle Fortschritte der Wissenschaft und dadurch eben gewin- nen sie ihren hohen Werth. Weit sind wir aber noch davon entfernt, alle die Anforderungen richtig zu wür- digen, welche an eine wissenschaftliche Zeichnung zu machen sind. Die erste der vollkommenen Treue ist schon früher erörtert worden und am leichtesten zu er- reichen, wenn der Beobachter nur Redlichkeit besitzt. Unbedingt für Unredlichkeit ist es aber zu erklären, wenn er schematische oder aus dem Gedächtniss ange- fertigte Zeichnungen ohne ausdrückliche Bemerkung die- l) Goethe, a. a. ©. S. 118. Methodologische Einleitung. 165 ser ihrer Eigenschaft veröffentlicht '). Die zweite An- forderung ist die, dass sie reinlich und deutlich das wiedergebe, was die Natur gezeigt hat. Beide Anfor- derungen kann man aber auch an jeden Botaniker mit Becht machen; wer das Messer so gut zu führen ver- steht, dass er etwas Rechtes präparirt, dessen Hand ist auch gewandt genug, dass er es in Kurzem mit dem Bleistift und zur Noth mit etwas Tuschfarbe darstellen kann, dazu braucht man gar kein Künstler zu seyn. Ja es ist sogar zweckmässiger, dass der Darsteller kein Künstler ist, damit nicht durch die Kunst der Ausfüh- rung den Abbildungen ein ganz unnöthiger Schmuck ver- liehen werde. Denn an alle wissenschaftliche Abbildun- sen ist noch eine dritte Anforderung zu stellen, die ihre Veröffentlichung betrifft. Eben weil die Abbildungen die sicherste Grundlage für die Fortbildung der Wissenschaft und das fast unerlässliche Hülfsmittel für die Mittheilung anschaulicher Verhältnisse sind, sollte man auch dafür sorgen, ihre Verbreitung so sehr wie möglich zu er- leichtern und Alles von ihnen zu entfernen, was nicht dazu dient, ihre wissenschaftliche Brauchbarkeit zu sichern. Wir brauchen kein Album für das Boudoir einer Stan- desdame und solche Werke, wie Bateman’s Orchideen, Herrn Oorda’s Pilzflora sind gradezu sinnlose Ver- schwendungen. Das erstere Werk hat fast gar keinen wissenschaftlichen Werth, weil nicht einmal Analysen der Blumen gegeben sind. Was aber in Herrn Corda’s 1) Hierzu gehört auch, dass Abbildungen nicht von Andern copirt, sondern nach der Natur gezeichnet seyn sollen. Es treiben sich in unsern Büchern mit Abbildungen Hunderte von Figuren herum selbst der all- täglichsten Dinge, die man an jedem Stengel sehen kann. die oft allem Andern ähnlich sehen, als der Natur, weil sie zum Theil seit dem Kieser’- schen Werk aus einem Buch ins andere copirt, dabei natürlich immer ein weßig verändert sind, dass oft die wunderbarsten Sachen heraus- kommen. Besonders scheint mir ein solches Verfahren bei Männern ta- delnswerth, die so ausgezeichnet schön nach der Natur zeichnen wie Bischoff und nicht minder gut präpariren. Sollte ein solcher Mann nicht Besseres liefern können, als Copien der steifen und schematischen Figuren vergangener Zeiten ? 166 Methodologische Einleitung. Werk (wenn’s von einem ‚Andern herrührte) Werth haben könnte, liesse sich ebenso vollständig auf so vie- len Octavblättern mittheilen, als jetzt Boyal- Foliobogen vergeudet sind. Und damit schliesse ich diese Bemerkungen über Methode in der Botanik, deren fast nur aphoristische Weise ich allein damit entschuldigen kann, dass eine vollständige und gründliche Bearbeitung dieser Lehre bei dem sänzlichen Mangel an Vorarbeiten meine Kräfte zur Zeit noch bei weitem übersteigt. Ich dachte aber, was nie angefangen wird, wird auch nie seiner Voll- endung näher gebracht. werden. Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik. Allgemeiner Theil. N IT PER y N m i use ri re | h wer 2 Wr Ka: } RR IE HBh Ge Du et | a 4% TRar\ RN © alla a Erstes Buch. Botanische Stofflehre. Erstes Gapitel. Von den anorganischen Bestandtheilen. $. 14. Die in den Pflanzen bis jetzt aufgefundenen chemischen Elemente sind folgende: 1) Kohlenstoff (©) ; 2) Wasserstoff (H.); 3) Sauer- stoff (O0.); 4) Stickstoff (N.); 5) Chlorine (Cl.); 6) Iodine (2.); 7) Brom (Br.); 8) Schwefel (8.); 9) Phosphor (P.); 10) Silicium (Si.); 11) Kalium (K.); 12) Natrium (Na.); 13) Calcium (Ca.); 14) Magnium (Mg.); 15) Aluminium (Al.); 16) Ferrum (Fe.); 17) Manganium (Mn.); 18) Cuprum (Ou.). Die genannten Stoffe kommen in der Pflanze in sehr ver- schiedenen Verhältnissen vor. Kohlenstoff ist von allen der wichtigste und verbreitetste. Er bildet gleichsam das Skelet, die feste Grundlage der Pflanze, denn bei vorsichtigem Ver- kohlen kann man beinahe die ganze Textur der Pflanze bis in ihre feinsten Theile unversehrt erhalten, während man fast alle Stoffe bis auf den Kohlenstoff vertreibt. Auch bei der freiwil- lıgen Zersetzung der Pflanzen bleibt er am längsten unverän- dert und man erkennt an Braun- und Steinkohlen oft noch vollkommene Pflanzenstructur, in einzelnen Fällen sogar Familie und Geschlecht, aus welchen sie stammen. Frei kommt der Kohlenstoff aber nirgends in der Pflanze vor. 170 Botanische Stofilehre. Wasserstoff und Sauerstoff bilden mit dem Kohlen- stoff die meisten nähern Bestandtheile der Vegetabilien und häufig, besonders in den wichtigern Stoffen, in dem Verhältniss verbunden wie sie Wasser bilden. Sauerstoff kommt auch frei in Flüssigkeiten gelöst in der Pflanze vor. Auch Wasserstoff in den Pilzen. Stickstoff in Verbindung mit den vorigen bildet einige wichtige Substanzen. Ob er frei vorkommt, bei den Pilzen, ist wohl noch nicht ganz ausgemacht. Chlor, Iod und Brom kommen wohl nur als Salzbilder in der Pflanze vor. Ersteres besonders in Strand- und Step- penpflanzen, die beiden letztern nur in den Meerpflanzen. Schwefel und Phosphor finden sich in den meisten Pflanzen als Schwefel- und Phosphorsäure (letztere besonders häufig in den Saamenhüllen der Gräser); beide auch in einer noch nicht bestimmten Form und Verbindung in einigen Pflan- zen, besonders den Cruciferen. Wahrscheinlich hängt von gas- förmigen Verbindungen dieser Stoffe mit Wasserstoff der fötide Geruch faulender Pflanzen aus der genannten Familie ab. Soll- ten nicht auch Spuren von Selen zu finden seyn? Silicium kommt fast in allen Pflanzen als Kieselerde vor, oft in auffallend grosser Menge, z. B. bildet sie bei Equisetum limosum — 94,85 > arvense — 95,48 5 hiemale — 97,52 Calamus Rotang — 97,20 der ganzen Asche). Wo Kieselerde sehr vorwaltend ist, wie in der Rinde und Oberhaut der grösseren Gräser, der ‚rohrarti- gen Palmen und der Schachthalme, zeigt die Asche bei vor- sichtigem Verbrennen noch so vollständig die Formen und Structurverhältnisse der Pflanze, dass man selbst die mikrosko- pischen Theile genau unterscheiden kann °). Die Kieselerde besteht dabei aus kleinen Blättchen, Körnchen oder Nadeln, oft durch das Glühen zusammengesintert; zerstört man dage- gen einen solchen Pflanzentheil durch concentrirte Schwefelsäure, so erhält man die Kieselblättchen u. s. w. frei und unzusammen- hängend, was zugleich beweist, dass nicht das Silicium, wie Reade°) will, mit der Pfianzenmembran chemisch verbunden, oder gar selbst organisirt wird, was freilich auch sonst ein ganz unhaltbarer Gedanke ist. 1) u.2) H. A. Struve de silicia in plantis nonnulla. Diss. inaug. Berol. 1835. 3) London and Edinburgh phil. Mag. and Journ. 1837 Nov. Von den anorganischen Bestandtheilen. 171 Kalium, Natrium, Calcium, Magnium, Aluminium, Eisen, Mangan und Kupfer kommen nur als Oxyde mit Säuren verbunden in den Pflanzen vor, die ersten 7 in sehr verschiedenen Verhältnissen vielleicht in allen Pflanzen, Kupfer, so viel bis jetzt bekannt, nur in wenigen. Einer alten Volkssage nach, die besonders in Norddeutsch- land zuweilen noch gehört wird, soll das Lindenholz Gold enthalten '). Ueber den Ursprung der genannten Stoffe in der Pflanze, insbesondere über die Beantwortung der Frage, ob die Metalle von aussen in die Pflanze aufgenommen oder dnrch den Vegetationsprocess aus den zuerst genannten vier Elemen- ten gebildet werden, ist unter Chemikern und Physiologen jetzt ‚nur eine Ansicht, dass nämlich in der Pflanze kein einfacher Stoff vorkommen kann, wenn er nicht von aussen her aufge- nommen war. Die entgegengesetzte Ansicht von Reade”) kann heutzutage nur als Curiosität aufgeführt werden, die kaum der Widerlegung durch die Arbeiten von ‚Saussure, Davy, Lassaigne, John, Jablonsky?) u. A. bedarf. Auch ist nicht wohl ein- zusehen, was die berliner Akademie bewogen haben kann, das einzige sehr rohe Experiment Schrader’s und das meist höchst confuse Raisonnement Neumann’s zu krönen, welche Beide, freilich unterstützt durch Braconnot, hauptsächlich die verkehrte Ansicht in Gang brachten‘). Bedenkt man, wie gering bei den meisten Pflanzen die Aschenmenge ist, und wie ungeheuer die Wassermenge, die sie im Verlauf ihrer Vegetation aufsaugen und wieder ausdunsten, so kann man leicht einsehen, dass schon eine im Wasser kaum durch die empfindlichsten Reagen- tien nachzuweisende Menge von Salzen genügt, um die Pflanze hinlänglich zu versehen. & 15 Die genannten Elemente bilden unter einander binäre Verbindungen, von denen folgende für die Pflanzen die wichtigsten sind: 1) Vergleiche auch A. v. Humboldt Florae Fribergensis specimen. Berol. 1793 p. 134. 2) Vergleiche a. a. O. 3) Jablonsky de conditionibus vegetationi necessarüs quaedam. Diss. inaug. Berol. 1832. 4) Vergleiche auch oben S. 78. 172 Botanische Stofflehre, a) Sauerstoffverbindungen, vor allem Wasser (Ag, HO oder H) und Kohlensäure (00? oder Ö), dann Oxal- säure (OÖ oder Eh die andern Sauerstoffsäuren, endlich die Oxyde der genannten Metalle. Von den angedeuteten Stoffen ist Wasser der wichtigste. Ohne Wasser giebts kaum einen chemischen Process, geschweige denn ein Pflanzenleben, die meisten Pflanzen enthalten es in bedeutender Menge, so dass z. B. Ceratophyllum demersum aus 0,90 Wasser und nur 0,10 fester Substanz besteht. Kohlensäure ist ebenfalls weit verbreitet, mit dem Wasser die Hauptnahrung der Pflanzen und kommt häufig frei im Saft aufgelöst in der Pflanze vor, bei Nacht fast in jeder Pflanze, bei Tage auch in reifenden Früchten, den Luftwurzeln u. s. w. In Folge der Athmungs- und Verbrennungsprocesse an der Erde ist die Atmosphäre eine unerschöpfliche Quelle von Kohlensäure für die Pflanzen. Oxalsäure wie es scheint beständig durch die in der Pflanze vorgehenden chemischen Verbindungen und Zersetzun- . gen erzeugt, findet sich wahrscheinlich in allen Pflanzen, frei kommt sie z. B. in den Saftflanzen der Gärtner, bei Crassula- ceen, Ficoideen, Cacteen u.s. w. und in den Drüsenhaaren von Cicer arietinum vor. b) Wasserstoffverbindungen, . besonders Ammoniak (NH’, oder X#°), dann die Chlor, Iod- und Brom- wasserstoffsäuren. Ammoniak ist wahrscheinlich für alle in der Pflanze vor- kommenden Stickstoffverbindungen die Quelle des Stickstofls; frei kommt es schwerlich irgendwo vor, als höchstens in den äussersten Zellen, oder gleich nach seiner Aufnahme. Das Regenwasser führt aus der Atmosphäre den Pflanzen bestän- dig Ammoniak zu '). $. 16. Die im vorigen Paragraphen erwähnten Säuren und Oxyde treten zu Salzen zusammen, von denen sehr viele in den Pflanzen gefunden werden, theils in den Säften 1) Vergleiche den interessanten Abschnitt in Liebig, Organische _ Chemie u, s. w. Braünschweig, 1840. S. 64 ff. Von den anorganischen Bestandtheilen. 173 aufgelöst, theils auskrystallisirt. Die wichtigsten sind die Alkalien mit Pflanzensäuren, Chlor, Brom und Iod verbunden, vielleicht mit Schwefelsäure und Phosphor- säure, ob mit Kohlensäure, ist wenigstens höchst zwei- felhaft, ferner die Erden mit Pflanzensäuren , besonders Dale, mit Kohlensäure, Schwefelsäure, Phosphor- säure, endlich die Metalle, meist wohl nur in noch unbestimmten Verbindungen. Die meisten Salze fin- den sich in den lebhafter vegetirenden grünen Theilen, Blättern u. s. w., weniger im Holze (Saussure). Eine bestimmte Quantität dieser Salze scheint für das Leben der Pflanze unentbehrlich. Schon die älteren ausgezeichneten Untersuchungen von Foureroy und Vauquelin ") haben nachgewiesen, dass wohl der grösste Theil der in der Asche gefundenen kohlensauren Salze erst durch das Verbrennen aus pflanzensauren Salzen entstanden sey. Dabei zeigten sie, dass fast alle Pflanzen: 1) Essig und äpfelsauren Kalk enthalten, natürlich in den Pflanzenzellen aufgelöst; 2) Citronensauren und weinsteinsauren Kalk, der entweder als saures Salz, oder in fester Gestalt in der Pflanze vorhan- ‚den seyn muss. 3) Oxalsauren Kalk, natürlich in fester Form. Alle diese finden sich in der Asche als kohlensaure Salze vor, welche fast ganz fehlen, wenn man vor dem Glühen die Pflanze nach und nach durch kaltes, kochendes Wasser und diluirte Salzsäure erschöpft hat. Die Alkalisalze finden sich natürlich alle aufgelöst in der Pflanze, die ım Wasser unlöslichen Erdsalze kommen in fe- ster Gestalt und zwar stets krystallisirt in den Zellen vor. Genauer untersucht ist bis jetzt Folgendes. Am allgemeinsten verbreitet ist der oxalsaure Kalk, der in keiner Pflanze zu fehlen scheint, in manchen aber in ungeheurer Menge vor- kommt. Ein Stamm von Cereus senilis enthielt nach Abzug des Wassers 0,855 oxalsauren Kalk, 0,145 Pflanzensubstanz und übrige unorganische Bestandtheile. 1) De la Metherie Journ. de Pysique et de Chim. Tome 68 (1809) pag. #29. 174 Botanische Stofflehre, Die Krystallform des oxalsauren Kalks ist das quadratische Oktaeder und das rechtwinklige, vierseitige Prisma (im zwei- und einaxigen System), es kommen sowohl die Grundformen für sich, als auch fast alle erdenklichen Combinationen vor. Man kann folgende Vorkommnisse unterscheiden: ') 1) Feine nadelförmige Krystalle (Rhaphides De Cand.) als Combination eines sehr langen Prismas mit einem Oktaeder, dessen Fläche bald wie beim Zirkon, bald wie beim Hyacınth mit den Flächen des Prismas verbunden sind. Diese liegen in Bündel zu 20 —30 in einer Zelle, die sie fast ganz ausfüllen, zusammen, in fast allen Pflanzen, z. B. Phytolacca decandra. 2) Grössere einzelne Krystalle, entweder die vorige Form und dann oft sehr lang, z.B. Agave americana, oder die Grund- formen oder Combinationen von Oktaedern, sowohl erster und zweiter Ordnung, als auch von zwei bis drei stumpferen oder spitzeren (diese letzten Formen besonders schön zwischen dem Pollen vieler Caladieen, im Parenchym alter Tradescantiastengel). 3) Grössere Krystalle entweder einem anderen Krystall oder einem organischen Kügelchen so aufgewachsen, dass sie eine förmliche Druse bilden, kommen am meisten vor, und es möchte schwerlich eine phanerogame Pflanze zu finden seyn, die nicht zu irgend einer Zeit des Jahres solche Krystalldrusen enthielte, so dass es fast unnöthig erscheint, einzelne zu nen- nen. Beispiele geben alle Cacteen. Nächst dem oxalsauren Kalk ist wohl der kohlensaure und zwar als Kalkspath der häufigst vorkommende. Er findet sich in verschiedenen Krystallgestalten, gewöhnlich in reinen Rhomboedern, z. B. in den Cycadeen, vielen Cacteen und in den Blättern der Costusarten. Endlich ist auch schwefelsaurer Kalk bestimmt an seinen Kry- stallformen in den Pflanzen zu erkennen als zwei- und ein- gliedriges Oktaeder, in Tafelform als Oktaeder oben und unten durch die Endflächen des Prisma abgeschnitten, endlich beson- ders charakteristisch in den Zwillingsformen gleich den Gips- krystallen vom Montmartre. Letztere finden sich namentlich in den Musaceen und vielen Scitamineen. Solche Krystalle finden sich, wie schon bemerkt, in allen phanerogamen Pflanzen, nur bei den Kryptogamen sind sie verhältnissmässig seltener, doch kommen sie auch hier bei Chaetophora, Hydrurus und Chara, aber nicht in den Zellen, 1) Auch der durch Niederschlag künstlich gebildete oxalsaure Kalk ist niemals amorph, wie Valentin, Repertorium Bd. II. S. 30 Nr. 5 be- hauptet hat, sondern stets krystallisirt. Von den anorganischen Bestandtheilen. 175 ‘sondern in den Intereellularräumen, bei Polysperma und Spirogyra dagegen auch in den Zellen vor. Bei den Phanerogamen lie- gen sie stets in Zellen (auch die Drusen in den Luftgängen von Myriophyllum) '), ausserdem aber kommen mehr formlose krystallinische Massen, besonders von kohlensaurem Kalk in den Lufthöhlen und auf den Blättern von Lathraea und bei vielen Sazxifragaarten, z. B. Aizoon, longifolia etc. an den Rändern der Blätter als wahre Excerete vor. Geschichte. Der Entdecker der Krystalle in den Pflanzen ist Malpighi, der die Drusen aus einer Opuntia abbildet (Ana- tome plant. Taf. XX. Fig. 105 E). Die nadelförmigen Kry- stalle entdeckte Jurine (Journ. de Physique 56). Meyen (Phy- totomie, Physiologie und sonst), sowie Unger (Annalen d. wie- ner Museum B. 1. S. 3) lehrten die verschiedenen andern For- men kennen. Buchner lieferte die erste chemische Analyse und glaubte (wahrscheinlich wegen mangelhafter Untersuchung) phos- phorsauren Kalk gefunden zu haben. ZKaspail zeigte zuerst, dass sie meist aus oxalsaurem Kalk beständen, was freilich schon längst von ‚Scheele für die Rhabarberwurzel nachgewiesen, aber vergessen war. TZurpin’s biforines sind Zellen in den Schei- dewänden der Luftgänge bei Aroideen, die ein Bündel nadel- förmiger Krystalle enthalten und wegen ihres Gehalts von Gal- lerte in Wasser durch Endosmose platzen. In Deutschland waren sie längst bekannt. Die pflanzensauren Salze der Alkalien und alkalischen Erden, welche wie bemerkt in allen Pflanzen vorkommen und in der Asche als kohlensaure Salze gefunden werden, scheinen für jede Pflanzenspecies eine bestimmte Quantität der Basis in Anspruch zu nehmen, so nämlich, dass die Sauerstoffmenge aller Basen, die mit Pflanzensäuren verbunden sind, sich stets gleichbleibt. Diese interessante Idee findet sich, obwohl lange noch nicht bewiesen, bei Liebig’). Es ist wenigstens wahrscheinlich, dass die Pflanzen in ihrem regelmässigen Vegetationsprocess eine bestimmte Quantität Pflanzensäuren bilden, die fernerhin störend auf ihre Vegetation einwirken würden, wenn sie dieselben nicht durch Basen, so weit wie nöthig ist, neutralisiren könnten. Dass die Cacteen viel freie Oxalsäure erzeugen, ist leicht zu beob- I) Meyen Physiologie Bd. 1 S. 241 scheint die feine, die Drusen einschliessende Membran übersehen zu haben. 2) Organische Chemie S. 88 ff. Nur einigermassen mit der Orga- nisation der Pflanzen bekannt, muss man aber recht herzlich über den Unsinn 8. 91 lachen, wo es heisst: „dass der kleesaure Kalk in den Flechten den fehlenden Holzkörper, die Holzfaser ersetzt‘. 176 Botanische Stofflehre, achten; dass sie eine grosse Menge Kalk aus dem Boden auf- nehmen müssen, um gut zu gedeihen, ist ebenfalls bekannt, beide Stoffe zusammen lagern sich dann aber als fernerlin ganz indifferente Krystalle in den Zellen ab. Zweites Capitel. Von den organischen Bestandtheilen. Erster Abschnitt. Von den assimilirten Stoffen im engeren Sinne. gg, Die vier Elemente Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasser- stoff und Stickstoff treten noch zu vielen sogenannten organischen oder vegetabilischen Bestandiheilen zusam- men, die aber offenbar für das Leben der Pflanze in seiner einfachsten Form einen sehr verschiedenen Werth haben. Zunächst finden wir eine Reihe von Stoffen, die für die Entstehung und Ausbildung der einzelnen Jielle unerlässlich nöthig erscheinen, diese nenne ich insbesonders assimilirte Stoffe. $. 18. Einige von diesen sind die Stoffe, aus denen die Zellenmembran selbst besteht, oder die der Bildung der- selben nothwendig vorhergehen und nur aus CH © bestehen. Ich nenne hier 1) den Membranenstoff; 2) das Amyloid; 3) die Pflanzengallerte; 4) Stärkemehl; 5) Gummi; 6) Zucker; 7) Inulin; 8) fette Oele. 1) Der Membranenstoff (vegetabilischer Faserstoff, Holz- faser) ist vollkommen ausgebildet, ziemlich zähe, biegsam und elastisch, völlig wasserhell und durchsichtig; völlig unauflöslich in allen bekannten Lösungsmitteln. Mit concentrirter Aetzkalı- lauge abgedampft oder mit concentrirter Schwefelsäure behandelt, Von den organischen Bestandtheilen. 177 geht er in Stärkemehl über '). Wie alle organischen Substan- zen dehnt er sich in der Feuchtigkeit aus und zieht sich beim Trocknen zusammen ?). Er ist für alle Flüssigkeiten und wirk- lichen Auflösungen durchdringlich (permeabel), indem er die Flüssigkeiten von der einen Seite aufnimmt, in sich förmlich auflöst und sogleich auf der andern Seite wieder ausschei- det. Im möglichst reinen Zustande analysirt ergeben sich die Formeln: C. H; 0. Weiden- und Buchsbaumholz nach Prout 12. 16. 8. oder 12. 22. 11; Verschiedene Zellenmembranen nach Payen (Ann. d. scien- 12. 20. 10. ces nat. 1839) die nur durch den Wassergehalt sich unterscheiden. Der Stoff kommt in vielen Modificationen vor. Schon im reinen Zustande scheint er nach dem verschiedenen Wasserge- halt chemisch verschieden zu seyn, abgesehen davon varürt er bedeutend in seinen physikalischeu Eigenschaften nach Sprödig- keit, Zähigkeit, Dichte, und insbesondere in Hinsicht seiner Durchdringlichkeit für Wasser, die um so geringer zu seyn scheint, je mehr er sich in seiner Natur dem Amyloid und der Gallerte nähert, und es giebt in der That sehr viele Mittelstufen zwischen diesen drei Stoffen °). Im unreinen Zustande, wie er gewöhnlich in den Pflanzen vor- kommt, variürt er aber noch mehr durch die beim Durchgehen in ihm abgelagerten Stoffe, oder vielleicht auch wegen der dadurch veranlassten Zersetzungen, besonders ist hier die Farbe sehr verschieden, die vom Farblosen durch Hellgelb bis ins dunkelste Braun (bei Farrenkräutern) übergeht und gelegentlich auch alle möglichen andern Farben zeigt, z. B. in der Saamenepidermis der verschiedenen Leguminosen, goldgelb an den Blättern von Phormium tenax, grün bei den Cycadeen u. s. w. 2) Das Amyloid *) ist trocken knorpelig, feucht gallert- artig, wasserhell, durchsichtig, nur in kochendem Wasser und stärkeren Säuren sowie in Aetzkali, nicht in Aether und Alko- hol auflöslich, in concentrirtem Zustande durch Jod blau ge- 1) Poggendorff’s Annalen Bd. 43 (1838) S. 391. 2) Was Link, Elementa phil. bot. Ed. I. p. 365 und Meyen, Physio- logie Bd. I. S. 30 dagegen sagen, ist grundfalsch. 3) Vergleiche Hugo Mohl, Einige Beobachtungen über die blaue Färbung der vegetabilischen Zellenmembran durch Iod. Flora 1840. 4) Vergl. Poggendorff’s Annalen 1839, 2 178 Botanische Stofflehre. färbt, welche Verbindung sich mit goldgelber Farbe in Wasser auflöst. Bildet vielleicht nur die Verdickungsschichten der pri- mären Zellenmembran und ist in dieser selbst nur aufgelöst. Eine chemische Analyse ist nicht vorhanden. Ist bis jetzt nur in den Kotyledonenzellen von Scholia latifolia, speciosa, Hyme- naea Courbaril, Mucuna urens und gigantea und Tamarindus indica gefunden. Vielleicht gehören hierher viele von den durch Hugo Mohl a. a. O. mitgetheilten Beobachtungen. 3) Pflanzengallerte (vegetabilischer Schleim der Che- miker zum Theil, Pectin und Peectinsäure, Bassorin, Salep, Lichen carraghen). Dieser Stoff ist trocken hornartig, oder knorpelig, feucht quillt er gallertartig auf und vertheilt sich allmälig völlig in kaltem, süssem Wasser; rein ist er wasser- hell, wird von kaltem und heissem Wasser aufgelöst (oder blos darin vertheilt?),. ebenso von Aetzkali (vielleicht in eine Säure verwandelt?); gegen Alkohol und Aether, fette und äthe- rische Oele undurchdringlich; wird von lod gar nicht gefärbt. Er geht auf der einen Seite durch verschiedene Mittelstufen in den Membranenstoff (durch die Zellenwand der Fucoideen) und in Amyloid (durch einige Arten des Albumen corneum), auf der andern Seite in Amylum (durch die Gallerte der Orchisknollen und vielfach in Gummi über. Von den oben genannten Stof- fen ist, so viel ich weiss, nur einer analysırt: Pectinsäure nach Mulder ') c. H. O. 12. 16. 100 Pflanzengallerte bildet die Zellenwände der meisten Fucoideen, des Albumens, der Caesalpinieen, und zum Theil des sogenann- ten Albumen corneum. Sie erscheint ausserdem als Zelleninhalt wie das Gummi; besonders findet sie sich in den Knollen der einheimischen Orchideen und in den Cacteen, einzelne grosse Zellen ganz ausfüllend, und zeigt dann bei den ersten oft auf der Oberfläche ein granulirtes Ansehen, in den Cacteen ist sie dagegen mit wurmförmig gewundenen Linien gezeichnet; ferner erscheint sie als Secretionsstoff in den Gummibehältern, beson- ders beim Traganth, auch scheint ein Theil der Intercellular- substanz hierber zu gehören. 4) Stärkemehl (Amylum, Amidon, Flechtenstärke). Trocken ist die Stärke ziemlich hart, zwischen den Fingern knirschend; feucht etwas gelatinöos, aus der Auflösung angetrocknet, an- fänglich eine zitternde Gallerte, zuletzt fast glasartig spröde, rein stets wasserhell (auch in den Flechten), völlig rein und 1) PoggendorfPs Annalen Bd. 44 (1838), S. 432. Von den organischen Bestandtheilen, 179 frisch aus der Pflanze allmälıg im Wasser sich auflösend (oder nur vertheilend? denn die sogenannte Auflösung dringt durch keine Zellenmembran), in der Pflanze gewöhnlich durch von aussen eingedrungenes Wachs, Eiweiss, Schleim oder dergleichen ' gegen diese Auflösung geschützt. Ist leicht auflöslich in ko- chendem Wasser, starken Säuren und Alkalien, unlöslich in Al- kohol, Aether, ätherischen und fetten Oelen; wird von lodine blau gefärbt ') ‚selbst in der diluirtesten Auflösung. Es scheint durch Mittelstufen, z. B. das Flechtenstärkemehl in Amyleid, durch den von Henry in der Macis entdeckten Stoff in Mem- branenstoff, in Pflanzengallerte, vielleicht auch in Gummi über- zugehen. Ueber die chemische Zusammensetzung ist bei den ausgezeichnetsten Chemikern Berzelius, Liebig u. A. kein Zweifel mehr, nämlich: C. H. 0. 12. 20. 10, Es bildet die Zellenwand in den Sporenschläuchen der Flechten, und bei einigen, z. B. Cetraria islandica, auch in der Rinden- schicht des 'Thallus. Ausserdem kommt es als Zelleninhalt vor und zwar in dreifacher Form: a) Ganz formlos als Kleister die Wände inwendig ausklei- dend, bis jetzt nur im Albumen von Amomum Cardamomum gefunden; b) In wunderlich geformten stab- oder knochenförmigen, oft ganz unregelmässigen, unförmlichen Stücken in dem Milch- saft der Euphorbien. c) In bestimmt geformten Körnern. Man kann hier wie- derum mehrere Typen unterscheiden. aa) Die verbreitetste Form ist die, welche am ausgebildet- sten in der Kartoffel vorkommt. Es besteht hier jedes Korn aus übereinanderliegenden, völlig ringsum geschlossenen Schich- ten, die von Innen nach Aussen immer dichter und, wie es scheint, wasserleerer werden. Im Innern bemerkt man eine runde Stelle (von Fritsche der Kern genannt), die offenbar mit so wenig dichtem Stoff erfüllt ist, dass sie unterm Mikroskop fast als Höhle erscheint; bei der Auflösung durch Säuren scheint sich dieser Stoff in eine Gasart zu verwandeln und dann ab- sorbirt zu werden. In den Kotyledonen der Leguminosen sind die Schichten überall fast gleich dick, deshalb erscheint der Kern central, bei der Kartoffel sind sie stets an einem Ende bedeutend dünner, so dass der Kern in den meist eiförmigen 2) Iodstärke ist durchaus nicht auflöslicher im Wasser als gewöhn- liche Stärke, aber völlig unlöslich in Säuren. 12* 180 Botanische Stofilehre. Körnern stark excentrisch liegt, ebenso in den Zwiebeln der Liliaceen, die aber eine Muschelform oder die eines stumpf- winkligen und gleichschenkligen Dreiecks mit abgerundeten Ecken zeigen und bei denen der Kern stets in dem stumpfen Winkel liegt. Der Unterschied der Dichtigkeit der einzelnen Schichten ist besonders gross und auffallend bei den Körnern der Leguminosen, wenn diese daher austrocknen, so zerreissen die innern ') Schichten sternfömig. Zuweilen, besonders bei Kartoffeln und Lilien, sind zwei bis vier Körner zusammen- gewachsen, oft so, dass alle wieder von einigen gemeinsamen Schichten umschlossen sind. In den Knollen von Aponogeton distachyon, Marattia cicutaefolia und andern findet man fast gar keine einfachen Körner bb) In dem Rhizom von Iris florentina haben die Körner, wenn ich nicht irre, die seltsame Gestalt eines sehr diekwandi- gen länglichen Bechers. cc) Bei vielen Scitamineen, namentlich bei den Hedychium- Arten sind die Körner längliche, oft ziemlich unregelmässig umschriebene Platten, auf denen man auch eine excentrische Streifung bemerkt, als wäre sie aus einzelnen Menisken zusam- mengesetzt; vielleicht entsteht der Schein dadurch, dass die Schalen oben und unten, rechts und links und an einem Ende sehr dünn, am andern aber sehr dick sind. dd) Grössere oder kleinere linsenförmige (bei den Cerealien) oder kugelige (bei fast allen Pflanzen) Körner, an denen sich keine Schichten unterscheiden lassen, vielleicht weil sie gleich dicht und ganz eng aufeinanderliegend sind. Stärke ist der verbreitetste Stoff in der Pflanzenwelt. Mir ist keine Pflanze bekannt, die nicht zu irgend einer Jahreszeit mehr oder weniger Stärke enthielte, oft nur in einzelnen Kör- nern in den Zellen, oft die Zellen in Körnern von der ver- schiedensten Grösse ganz ausfüllend. Die grössten Körner scheinen nicht über 0,05 Linien im längsten Durchmesser zu haben. Meist lässt sich die Stärke durch Zerquetschen des Zellgewebes und Auswaschen aus den Pflanzen abscheiden, oft nicht, wenn sie zum Beispiel neben sehr vielem Schleim vor- kommt, wie bei Hedychium,; am reinsten scheint die Stärke aus Maranta arundinacea ( Arrowroot) zu seyn. Man sagt ge- wiss nicht zu viel, wenn man behauptet, dass, Stärkemehl für ?/s aller Menschen das wichtigste und fast ausschliessliche Nah- rungsmittel ist. Zwar ist es in allen Pflanzen enthalten, aber I) Niemals die äussere, wie Link, Element. phil. bot. Ed. II. ». 131 nach flüchtiger Anschauung angiebt. Von den organischen Bestandtheilen. 181 nicht immer so, dass es zur Nahrung genügend und geeignet ist, oft nicht von andern unangenehmen Beimischungen zu tren- nen. Gewisse Theile der Pflanzen enthalten am meisten, na- mentlich das Albumen der Saamen (Cerealien), die Kotyledo- nen des Embryo (Leguminosen), das Mark des Stengels (Cyca- deen und Palmen) '), die Zwiebeln (Liliaceen) ?), die Knol- len, Rhizome und Wurzeln aus sehr verschiedenen Familien °). In geringerer Menge findet es sich in der Rinde und im Splint der Bäume zur Winterszeit, daher die Möglichkeit, in Polar- Jändern Brot aus Baumrinde zu backen. Geschichtliches. Das Stärkemehl war schon den Al- ten bekannt. (AuvAov dıa TO yweois uilov zoruozevalcoFuu Divscor.) Leeuwenhoek untersuchte es zuerst in den Pflanzen an Waizen und Bohnen. Später entdeckte Strohmeyer die Eigen- schaft der Stärke, durch Iod blau gefärbt zu werden. Die erste gute Untersuchung der Formen des Stärkemehls erhielten wir von Fritsche *), womit die Sache abgeschlossen war, denn nach ihm hat kein Chemiker oder Botaniker etwas bedeutend Neues oder Berichtigendes geliefert, trotz der bändcreichen Literatur, die entstanden ist. Daran ist besonders Raspail mit seiner nur noch als Antiquität anzuführenden, oberflächlichen Ansicht Schuld gewesen, als bestehe das Stärkemehlkorn aus einer un- löslichen Hülle und einem löslichen Inhalt von verschiedener chemischer Natur. Frankreich hat viel Zeit gebraucht, um von diesem Irrwege zurückzukommen. Als Curiosität erwähne ich hier der neusten Ansicht von Liebig’): ,‚Wenn reine Kar- toffelstärke in Salpetersäure gelöst einen Ring des reinsten Wachses hinterlässt, was kann dem Schlusse des Chemikers entgegengesetzt werden, dass jedes Stärkekörnchen aus con- centrischen Schichten Wachs und Amylon besteht, von denen die eine und die andere sich gegenseitig sowohl vor dem Angriffe des Wassers als des Aethers schützen“. Diese Gegen- seitigkeit bildet ein ergötzliches Seitenstück zum Münchhausen, der sich am eignen Zopf aus dem Sumpf zieht; Wachs oder Stärke, eins muss doch aussen seyn, und abwechselnde Anwen- dung der genannten Lösungsmittel müsste auf jeden Fall vollstän- dig die Stärke auflösen. Aber die ganze Sache scheint nur ein Versuch des Herrn Liebig, wie viel er wohl den so sehr von 1) Sago von C'ycas revoluta, Sagus Rumphii u, farinifera ete. 2) Lilium camschaticum in Grönland u. s. w. als Nahrungsmittel. 3) Kartoffeln von Solanum tuberosum, Cassava von Jafropha Mani- chot, Yams von Dioscorea sativa, Taroo von Arum esculentum ete, 4) Poggendorff’s Annalen Bd. 32, S. 129 (1834). 5) Organische Chemie S. 35. 2 Botanische Stofflehre. ihm verachteten Pflanzenphysiologen aufbinden könne. Beine Stärke löst sich in diluirten Alkalien, Säuren und kochendem Wasser ohne den geringsten Rückstand auf (Herrn Liebig’s Wachs etwa auch). Concentrirte Salpetersäure zersetzt aber die Stärke auf mannigfache von Chemikern noch zu wenig unter- suchte Weise (das mag Herr Liebig von mir oder aus irgend einem chemischen Handbuche lernen), dabei mag sich leicht auch ein wachsartiger Stoff bilden. Es wäre nicht der Mühe werth gewesen, sich so lange bei der Albernheit aufzuhalten, wenn Herr Liebig nicht zu grossen Ruf hätte, um ihn still- schweigend zu übergehen. Für speciellere historische Nachweisungen sind zu empfehlen: Poggendorff’s Annalen Bd. 37 (1836) S. 123. Meyen, Phy- siologie S. 190. i 5) Gummi (Arabin, Dextrin, Pflanzenschlem zum Theil). Im reinen Zustande wasserhell, im trocknen Zustande glasartig spröde, leicht im Wasser auflöslich, ebenso in diluirten Säuren, aber nicht in Alkohol, Aether, fetten und ätherischen Oelen. Wird von Alkohol körnig gefällt, durch Iod blassgelb gefärbt. Es geht durch Cerasin und einige sogenannte Schleimarten in Pflanzengallerte über, gränzt durch Dextrin, das gewiss auch in den Pflanzen vorkommt, an das Stärkemehl. Die Analyse, von Berzelius und Liebig berechnet, giebt die Formel: C. H. OÖ. 12. 22. 11. nach Guerin Vary 12. 20. 10. Es kommt nur im aufgelösten Zustande im Innern der Zellen vor, aber viel häufiger als Secret in grossen Gummigängen, nicht selten mit Pflanzengallerte gemischt und häufig (so wie es zu technischen Zwecken gesammelt wird fast immer) durch fremdartige Substanzen gelb oder braun gefärbt. Einige Pflan- zengruppen zeichnen sich durch grossen Ueberfluss an Gummi aus, z.B. die Mimoseen, die Cycadeen. 6) Zucker. Im festen Zustande und ganz rein, krystalli- sirt wasserhell, aber leicht auflöslich in Wasser; in einigen For- men unkrystallisirbar und dann meist (durch fremde Beimischun- gen?) gefärbt, gelb oder braun. In Alkohol wenig, in Aether, fetten und ätherischen Oelen-nicht auflöslich, mischt sich nur mit lIodlösung. Die Analysen geben nach den verschiedenen Modificationen verschiedene Resultate: C. H. 0. Wasserfreie Bleioxydverbindung nach Berzelius und Liebig 12. 20. 10. Krystallisirter Rohrzucker uach Gay L., Then., Berz., Liebig 12. 22. 11. Von den organischen Bestandtheilen. 183 Traubenzucker aus Trauben, Honig C. H. 0. und Stärke nach Saussure u. Prout. 12. 28. 14. Ders. aus der krystallisirten Kochsalz- verbindung, nach Brunner 12. 24. 12. Der Zucker, der sich hauptsächlich durch seinen süssen Ge- schmack charakterisirt, ist vielleicht auch durch Mittelstufen, z. B. durch Manna mit dem Gummi, durch Sarcocolla mit der Gallerte und den andern genannten Stoffen verbunden, doch kennen wir solche Mittelbildungen noch nicht genug. Er kommt weit in der Pflanzenwelt verbreitet vor, und zeigt sich beson- ders da, wo Stärkemehl oder die andern vorher genannten Stoffe gebildet werden sollen (unreife Hülsenfrüchte und Cerealien, Frühlingssaft der Bäume, z. B. Acer-arten). In grosser Menge und längere Zeit bleibend findet man ihn in den Stengeln der Gräser (Saccharum officinarum, Holcus saccharatus), in fleischigen Wurzeln (Daucus carota, Beta vulgaris) und in saftigen Früch- ten (Pyrus communis, Ribes rubrum ete.). Natürlich ist er in den Pflanzen immer aufgelöst enthalten; nur wenn er ausge- schieden wird, kommt er, obwohl selten, auch krystallisirt vor (in den Nectarbehältern, z. B. Fritillaria imperialis). 7) Inulin (Dahlin, Calendulin, Synantherin, Sinistrin). Ein noch zu wenig bekannter Stoff. Aus Georginenknollen einfach durch öfteres Auswaschen dargestellt, ist es ein fein- körniges Pulver, die Körner wasserhell, leicht auflöslich in ko- chendem Wasser, aus dem es beim Erkalten sich körnig aus- scheidet. Unlöslich in Aether und Alkohol. Wird durch Iod gelb gefärbt. Kaltes Wasser saugen die Körner ein und verschwinden dann unterm Mikroskop dem Auge, weil ihre lichtbrechende Kraft dann der des Wassers gleich ist. Daher die falsche Behauptung (Link und Meyen), dass das Inulin nur aufgelöst in der Pflanze vorkäme. Die Analysen, welche Mulder gegeben, lassen sich ungezwungen nach der Hypothese der Isomerie mit Stärke berechnen: C. H. ©. Inulin aus Inula Helenium und Leon- todon Taraxacum 12. 20. 10. Inulin ist schon in vielen Pflanzen aufgefunden, an Stellen, wo sonst Stärke vorzukommen pflegt, z. B. in Knollen und flei- schigen Wurzeln (Inula Helenium, Georgina variabilis), und ist wahrscheinlich ein sehr weit verbreiteter Stoff. 8) Fette Oele und Wachs. Die allgemeinste Eigenschaft dieser unter sich physikalisch und chemisch sehr verschiedenen Stoffe ist eben ihre Fettigkeit, d. h. die Eigenschaft, auf Pa- pier einen bleibenden durchsichtigen Fleck zu machen und an Wasser nicht zu adhäriren. Ihre Farbe ist sehr verschieden, 184 Botanische Stofflehre, wasserhell, gelb und braun. Ausser dem Wachs kann man vielleicht noch zwei fette Stoffe unterscheiden, die in den Oe- len in verschiedenem Verhältniss verbunden sind, einen flüssi- gen, Elain, und einen festeren, Stearin. Beide bilden mit Alka- lien Seifen. Alle drei lösen sich in Alkohol, Aether und äthe- rischen Oelen auf, aber nicht in Wasser. Ihre Analysen haben bis jetzt noch zu keinem Resultat geführt. Die Chemie ist uns hier fast noch Alles schuldig geblieben. Uebergänge in die früher genannten Stoffe sind nicht bekanut (vielleicht das Oelsüss?). Sie sind sehr verbreitet und vertreten häufig die ' Stelle des Stärkemehls, Oel z. B. in den Kotyledonen der Cruciferen (Brassica-arten) der Synanthereen (Helianthus annuus, Madia sativa) und vieler anderer Pflanzen, Wachs in den flei- schigen Stengeln der Balanophoren '). &. 1m. Andere Stoffe treten zwar weder selbst als Zellen- wände auf, noch bildet sich aus ihnen der Stoff der Ziellenwände, gleichwohl ist ihre Gegenwart auch für den einfachsten Vegetationsprocess nothwendig. Nie be- stehen aus ©, H, O und N. Ich nenne sie mit einem Collectivnamen Schleim, die Chemiker geben ihnen ver- schiedene Namen, z. B. Eiweissstoff, Kleber, Gliadin, Zymom, Leim, Diastase, Gluten vegetabile etc. In allen lebensthätigen Zellen findet sich ausser den genann- ten Stoffen noch eine halbflüssige, in einander fliessend-körnige Materie von blassgelblicher Farbe, oft ganz flüssig, oft fester, die durch Alkohol ganz körnig wird, mit Iod sich dunkelbraun färbt und nach manchen Erscheinungen sich als ein vielfach veränderlicher Stoff zeigt. Manche Modificationen desselben sind von den Chemikern, vielleicht nie ganz rein, und oft durch den Process der Darstellung schon verändert aus den Pflanzen abgeschieden worden und mit obigen Namen belegt. Alle charakterisiren sich durch bedeutenden Stickstoffgehalt und durch ihre später ($. 20.) zu erwähnende Einwirkung auf die in $. 18. genannten Stoffe. Sie sind in geringerer Menge vorhanden oder fehlen gänzlich in den stärkemehlhaltigen Pflanzentheilen, 1) Vergl. Göppert, Bau der Balanophoren in Act. Acad. Leopold. Carol. Nat. Cur. Vol. XVIII. Supplem. p. 236 et 253. Von den organischen Bestandtheilen, 185 die für sich schwer oder gar nicht in Gährung übergehen, z. B. in den Kartoffeln, dem Roggen (Secale cercale), der Pfeilwurzel (Maranta arundinacea), sie finden sich überwiegend häufig in den leicht gährenden, z. B. in gutem Waizen, dem Wein u. s. w. $. 2. Die in $. 18. angeführten Stoffe gehen unendlich leicht in einander über und scheint dazu die Gegenwart des Schleims in der Pflanzenzelle erforderlich. Stufen- weis scheinen sie alle Formen zu durchlaufen vom lös- lichsten, dem Zucker, bis zum unlöslichsten, dem Mem- branenstoft. Schon aus der obigen Darstellung und Hinweisung auf die Uebergangsbildungen zeigt sich, dass die im $. 18. aufgeführ- ten Stoffe nicht scharf umschriebene Arten von Materie sind, die so neben einander stehen, wie etwa Schwefelsäure und schwefelige Säure, Eisenoxydul und Oxyd, sondern dass eine ziemlich stetige Reihe von Veränderungen von einem Stoff zum andern überführt; künstlich gelingt es uns bei vielen derselben, sie durch Vermischung mit dem Schleim oder durch Einwirkung von Schwefelsäure, Alkalien, selbst durch leichtere chemische Processe, z. B. wiederholtes Auflösen und Abdampfen in ein- ander überzuführen. Man hat die Eigenschaft des Schleims, der Schwefelsäure u. s. w. in anderen Stoffen chemische Ver- änderungen hervorzurufen, ohne selbst dabei verändert zu wer- den, mit Berzelius katalytische, mit Mitscherlich Contactwirkung genannt, andere Worte, aber ebenso ohne Erklärung, hat Liebig dafür gegeben. Vorläufig müssen wir uns damit begnügen, dass es so ist. In der Pflanze, wo, wie gesagt, neben den erstge- nannten Stoffen beständig auch Schleim vorkommt und auf jene einwirkt, befinden sie sich in einer beständigen Metamorphose begriffen, von der einige nur auf kurze Zeit sich gleichsam auszuruhen scheiuen. Fast alle jene veränderlichen Stoffe schei- nen nach einer gleichen chemischen Formel zusammengesetzt und varııren nur im Wassergehalt. Sollte es nicht sehr wahr- scheinlich seyn, dass in ihnen ein gemeinschaftlicher Grundstoff nur durch verschiedene Hydratzustände und durch physikalische Veränderungen in der Dichtigkeit u. s. w. so verschiedene Erschei- nungsweisen annähme? Hier ist, wie mir scheint, noch ein grosses Feld für die Chemie und wichtiger als das Auffinden 186 Botanische Stofflehre. der vielen für jetzt noch wenigstens sehr gleichgültigen ... ne und ...ide, woran so viele Chemiker ihre Zeit verschwenden. Zweiter Abschnitt. Von den übrigen unter dem Einfluss der Vegetation entstandenen organischen Stoffen. $. 21. Von den unzähligen in den Pflanzen vorkommenden Bestandiheilen sind einige zu erwähnen, die eine sehr allgemeine Verbreitung haben und in einer näheren Be- ziehung zum allgemeinen Vegetationsprocess zu stehen scheinen; dahin rechne ich 1) das Chlorophyll oder Blattsrün; 2) die andern, die Farben der Pflanzen be- stimmenden Stoffe; 3) den Gerbestoff; 4) die Aepfel-, Citronen- und Weinsteinsäure; 5) das Viscin; 6) Humus. 1) Chlorophyll (Blattgrün, faecula viridis, chromula, Phytochlor, grünes Pflanzenwachs etc... Wenn man einen grü- nen Pflanzentheil zerquetscht und mit Alkohol extrahirt, so er- hält man eine grüne Tinctur. Dunstet man, am besten un- ter der Luftpumpe, zum Trocknen ab, so erhält man eine grüne fettige Masse (die mit Aetzkali eine Seife bildet). Löst man sie in Aether auf, vermischt die Auflösung mit Wasser und lässt den Aether verdunsten, so erhält man etwas weniger schmierige Kügelchen, die grade wie die Tinctur bei auffallen- dem Lichte grün, bei durchfallendem Lichte burgunderroth er- scheinen. Achnliche Kügelchen scheiden sich aus der weingei- stigen Tinctur durch Frostkälte ab. Wenn man die letzte Tinetur mit Wasser vermengt und über Feuer den Alkohol ab- dampft, so fällt ein Theil der fettigen Substanz nieder, das Wasser aber färbt sich braungelb und erhält einen charakteri- stischen Geruch nach braunem Thee. So ist das Chlorophyll. Mit Schwefelsäure behandelt wird es entweder nicht verändert oder verkohlt, niemals aufgelöst oder blau‘). In ätherischen oder fetten Oelen ist es auflöslich. 1) Wie Clamor Marguart über die Pflanzenfarben, Bonn, 1834, fälschlich angiebt. Vergl. dagegen auch I/ugo Mohl über die winterliche Färbung der Blätter. "Tübingen, 1837. Von den organischen Bestandiheilen. 187 In allen im Licht wachsenden Pflanzen (Flechten, Pilze, einen Theil der Algen und die ächten Parasiten ausgenommen) findet sich diefer Stoff entweder die Zellenwände gleichförmig oder in spiralligen Bändern (bei Spirogyra), oder den körnigen In- halt der Zelle überziehend '). Nur in dem letzteren Sinne ist in der Folge von Chlorophylikörnern die Rede, da mir Körner, die ganz aus Chlorophyll beständen, nicht bekannt sind. In Bläschen kommt es niemals vor?). Dass es aus dem Stärke- mehl entsteht ?), ist eine bis jetzt durch gar nichts unterstützte Fietion. In heller gefärbten Pflanzen, sowie in braunen findet man in allen übrigen Eigenschaften sich gleichbleibend, denselben Stoff mit gelber oder brauner Farbe. Endlich scheint es auch nur eine gewisse Modification des Chlorophylls zu seyn, welche sich durch Ammoniak in Indigo überführen lässt, wie sie bei Indigofera-arten, bei Polygonum tinctorium, Isatis tinctoria etc. vorkommt. 2) Die Pflanzenfarben. Bis jetzt sind sie noch wenig genau untersucht. Man kann im Allgemeinen harzartige und wässerige unterscheiden. Die harzartigen finden sich in den Zellen als Kügelchen von gelber (Fritillaria imperialis), rother, selten von blauer Farbe (in Strelitzia farinosa), sie sind in Al- kohol, Aether und ätherischen Oelen auflöslich, vom Alkohol getrennt nicht fettig, sondern harzartig. Die wässerigen finden sich, so viel ich weiss, nur roth (durch eine Säure) und blau (letzteres durch ein Alkali), und stets in Zellensaft aufgelöst (z. B. den meisten rothen Pflanzentheilen, in den Blumen von Echium vulgare ete.). Sie sollen alle eine Stickstoffverbindung *) enthalten. Es kommen aber noch manche andere Farbestoffe vor, zZ. B. rothe (Iberis umbellata), blaue (Veilchensaft), die durch Alkalien grün werden und chemisch sehr verschieden zu seyn scheinen von den vorigen. Im Ganzen ist hier die Che- mie ehenfalls noch zurück. Geschichtliches. Im Jahre 1834 erschien ein Buch von Clamor Marquart über die Pflanzenfarben, welches grosses 1) Hugo Mohl, Untersuchungen über die anatomischen Verhältnisse des Chlorophylis. Tübingen, 1837. 2) Link, Elem. phil. bot. Ed. II. giebt auch nicht an, wie er sich vom Daseyn der Bläschen überzeugt. Die Sache scheint so hingeschrie- ben zu seyn. 3) Meyen, Physiologie Bd. I. S. 193. 4) Nach Liebig, Organ. Chemie S. 66. Wenn Liebig nur nicht zu voreilig von Lacmus, welches mit Ammoniak bereitet wird, auf die in der Natur vorkommende Pflanzenfarbe geschlossen hat. 188 ' Botanische Stoffiehre. Aufsehen gemacht und von Pflanzenphysiologen und Chemikern um die Wette abgeschrieben ist. Er stellt die Sache so dar: Chlorophyll ist der Mittelstoff, daraus bildet sich durch Wasser- aufnahme bei Einwirkung der Alkalien (können die nicht anders wirken, als dass sie zur Wasseraufnahme disponiren?) das An- thoxanthin, der Farbestoff der gelben Farbereihe (nach den an- gegebenen Pflanzen lauter harzartige, also in Wasser unlösliche Stoffe und das durch Wasseraufnahme aus einem wachsartigen Stoff!), durch Wasserentziehung, z. B. durch Schwefelsäure (muss denn diese nur Wasser entziehend wirken?) das Antho- cyan (nach den angegebenen Pflanzen fast lauter in Wasser auflösliche Farbestoffe durch Wasserentziehung!!). Dabei giebt Cl. Marquart an, er habe sich nicht bemüht, die Farbestoffe erst rein darzustellen, da es ıhm ja nur auf die Farbe an- komme, und das sagt ein Chemiker, der weiss, dass ein paar Atome Wasser den Eisenvitriol grün, den Kupfervitriol blau färben? Es bedarf keiner grossen chemischen Kenntnisse, um die völlige Unbrauchbarkeit der Arbeit von vorn herein ein- zusehen. 3) Der Gerbestoff (Gerbsäure, Tannin u. s. w.). In den meisten Pflanzen (besonders Phanerogamen und Farren) kommt mehr oder minder häufig ein Stoff vor, welcher Lacmus röthet, zusammenziehend schmeckt und thierischen Leim in Le- der umwandelt. Der Stoff scheint nach den verschiedenen Pflanzen sehr verschieden modifieirt zu seyn. Er scheint mehr in Zellen mit geringen Vitalitätserscheinungen vorzukommen, z. B. Holz, Borke, früh absterbenden Excrescenzen, z. B. den @allen, doch auch in vielen Blättern in reichlicher Menge (bei Thea, den Ericeen u. a.), hier aber vielleicht auch nur in den Gefässbündeln oder weniger kräftig vegetirenden Zellen (in den perennirenden Blättern). Häufig, z. B. in der Borke haben die Zellen wenig oder gar keinen Inhalt und ich möchte die Ver- muthung wagen, dass der Gerbestoff überall nur ın der Sub- stanz der Zellenwandung, vielleicht als ein Product des begin- nenden Zersetzungsprocesses des Membranenstoffs vorhanden ist. In der lebendigen Zelle kommen wenigstens gar manche Stoffe vor, die neben dem Gerbestoff nicht bestehen könnten, z. B. der Schleim. 4) Die Weinsteinsäure (Weinsäure, Acidum tartaricum, T.), die Citronensäure (Acidum citricum, Ci.) und die Apfel- säure (Acid. malicum, Ma.) finden sich theils einander folgend, theils einzeln in fast allen saftigen, säuerlichen Früchten, und vielleicht sonst auch in vielen säuerlichen Pflanzensäften (z. B. äpfelsaurer Kalk in ‚Sempervivum tectorum). Aus dem Reifen Von den organischen Bestandiheilen, 189 der Früchte scheint hervorzugehen, dass sie in eigenthümlicher Beziehung zum Zucker stehen, leicht aus demselben entstehen und in denselben übergehen. Doch ist hier noch ein weites Feld für genauere Untersuchungen. Die chemische Zusammen- setzung der genannten Säuren ist nach Berzelius und Liebig folgende: C. H. O. Weinsteinsäure 4. 4. 9. Citronensäure 4. 4. 4. Apfelsäure 4. 4 4. 5) Das Viscin (Vogelleim) ist bis jetzt von den Chemi- kern nur in wenigen Pflanzen aufgesucht und untersucht wor- den, es ist ein wasserheller, sehr klebriger, in Wasser unlös- licher Stoff, der in den Beeren der Mistel (Viscum album), im Fruchtboden von Atractylis gummifera, in dem Milchsafte der noch grünen Zweige von Ficus elastica vorkommt. Man muss aber auch den eigenthümlichen Stoff, der in der Proscolle bei den Orchideen und als fadenartiges Gewebe zwischen dem Pollen derselben Pflanzen vorkommt, sowie die Flüssigkeit, welche die Drüsen am Stigma der Asclepiadeen ausschwitzen, endlich das Product der Drüsen unter den Antheren einiger Apocyneen, z. B. Nerium Oleander, hierher rechnen. Unter- sucht man die Entwickelungsgeschichte dieser Theile, sowie die Bildung des Viscins beim Viscum album, so findet man, dass sich überall dieser Stoff durch Auflösung vorhandener Zellen bildet. Bekannt ist, dass bei fast allen freiwilligen Zersetzungs- producten des Membranenstoffes Kohlenstoff in Ueberschuss bleibt, und damit stimmt recht gut die Analyse des Viseins überein, welche besteht: | C. H. 0. Viscin nach Macaire Prinsep aus 75,6. 9,2. 15,2. 6) Der Humus (Humussäure, Ulmin, Ulminsäure, Humus- kohle, Humusextract, Quellsäure, Quellsatzsäure u. s. w.). Bei freiwilliger Zersetzung vegetabilischer Theile unter Mitwirkung von Wärme und Feuchtigkeit, und anderer Einflüsse entstehen mannichfache Producte, die sich alle durch einen grossen Ge- halt an Kohlenstoff, durch ein meist nicht zu Wasser aufge- hendes Verhältniss von Wasserstoff und Sauerstoff (bei der Quell- und Quellsatzsäure und einigen andern kommt etwas Stickstoff hinzu), und durch eine braune oder schwarze Farbe charakterisiren, und die nach verschiedenen Zuständen und fremden Beimischungen (?) die obigen Namen erhalten haben, deren Zahl wahrscheinlich noch wachsen wird, ehe man im Stande ist, sie auf wenige reine Grundstoffe zurückzuführen, Alle diese Stoffe finden sich gewöhnlich in den verwitterten 190 Botanische Stofflehre. Felsarten, die man Untergrund nennt, in der obersten Schicht beigemengt und eben dies Gemenge ist es, welches man Dammerde zu nennen pflegt. Die besten neuern Arbeiten darüber sind von Berzelius ') und Mulder ?). $. 2. Ausser den im vorigen Paragraphen Betrachteten finden sich noch eine zahllose Menge von Stoffen in den Pflanzen, die vielleicht zum geringsten Theile bis jetzt bekannt sind und auf das Leben der Pflanze im Allgemeinen von sehr geringem Einfluss zu seyn schei- nen. Hierher gehören gewisse von den Chemikern ge- machte Classen von Stoffen, z. B. die Pflanzenalkaloide, die meisten Pflanzensäuren, die Harze, ätherischen Oele, Farbestoffe, Kautschuk u. s. w. Die meisten muss man gradezu als Secretionsstoffe ansehen. Alle auf- zuzählen wäre hier nicht am Ort. Man vergleiche darüber chemische Handbücher. Ein grosser Theil der Pflanzensäuren, fast alle Alkaloide, viele Harze, Kautschuk u. s. w. kommen nur in eignen Höh- len (Secretionsbehältern) oder in den sogenannten Milchgefässen, niemals in der Pflanzenzelle vor, andere, wie z. B. ätherische Oele und Harze, finden sich zwar in einzelnen Zellen, füllen dieselben aber dann häufig ausschliesslich aus, wodurch jede fer- nere chemische Umbildung unmöglich wird, die Zelle also als todt erscheint. Manche unter ihnen können unter Umständen ganz fehlen (z. B. der giftige Stoff des Schierlings bei den Pflanzen der asiatischen Steppen), oder durch andere ersetzt werden, ohne dass die Vegetation der Pflanze darunter im ge- ringsten leidet. Daher glaube ich sie bei der allgemeinen Be- trachtung des Pflanzenlebens gradezu als unwesentliche Stoffe bei Seite stellen zu dürfen. Auch liesse sich doch wenig oder gar nichts darüber sagen, weil die Chemie in dieser Beziehung, soweit es nicht die Untersuchung der aus der Pflanze abge- schiedenen und meist schon veränderten Stoffe betrifft, noch nicht einmal angefangen hat vorzuarbeiten. 1) Lehrbuch der Chemie Bd. 8, 2) Bulletin des sciences phys. et nat. en Neerlande par Miguel, Mulder et Wenkebach. Annee 1840. Livr. 1. Zweites Buch, Die Lehre von der Pflanzenzelle. Erstes Gapitel. Formenlehre der Pflanzenzelle. Erster Abschnitt. Die einzelne Zelle für sich betrachtet. I. 28. Nur in einer Flüssigkeit, die Zucker, Gummi und Schleim enthält (Oytoblastema), können sich Zellen bilden. Es geschieht auf die Weise, dass sich die Schleimtheile zu einem mehr oder weniger rundlichen Körper (Cyto- blastus) zusammenziehen und an ihrer Oberfläche einen Theil der Flüssigkeit in Gallerte, einen relativ unlösli- chen Stoff verwandeln; so entsteht eine geschlossene Gallertblase, in diese dringt die äussere Flüssigkeit ein, dehnt sie aus, so dass jener Schleimkörper auf einer Seite frei wird, an der andern der innern Wandung an- kleben bleibt; er bildet dann eine neue Schicht an sei- ner freien Seite und wird so in eine Duplicatur der Wandung eingeschlossen, oder er bleibt frei und wird dann meist aufgelöst und verschwindet. Während der allmäligen Ausdehnung der Blase wird dann in der Regel die Gallerte der Wandung in Membranenstofl ver- wandelt und die Bildung der Zelle (Cellula) ist voll- endet. 192 Lehre von der Pflanzenzelle. Das Cytoblastem. Ueber die Flüssigkeit, in und aus der die Zellen entstehen, sind wir freilich noch lange nicht im Klaren. So viel wissen wir, dass in einigen Fällen (im Em- bryosack der Leguminosen) bestimmt eine Zuckerlösung, und, wie aus dem Verhalten gegen Alkohol hervorzugehen scheint, vermischt mit Gummi vorhanden ist. Nothwendig aber ist stets die Gegenwart von Schleimkörnchen, von einer stickstoffhaltigen Substanz und das erscheint auch sehr natürlich nach dem, was oben ($. 20.) über das Verhalten der assimilirten Stoffe zu einander gesagt ist. Der Cytoblast. In mehreren grösseren Pflanzenfamilien (Orchideen, Cacteen, Balanaphoren u. s. w.) finden wir in jeder Zelle, an der innern Fläche der Wandung befestigt, einen klei- nen, meistens planconvexen oder linsenförmigen, scharf um- schriebenen Körper, der sich auffallend von allem sonstigen Zelleninhalte unterscheidet. Denselben treffen wir in allem neu entstandenen Zellgewebe an, wenn er auch später in densel- ben Zellen verschwindet. Er zeigt sich in verschiedener Voll- kommenheit. Ganz vollkommen entwickelt ist er ein flach linsen- förmiger, scharf gezeichneter, durchsichtiger nur schwachgelb- licher Körper, in dem man einen oder zwei, seltner drei scharf gezeichnete deutlich hohle Körperchen, die Kernkörperchen (nucleoli) wahrnimmt. Am unausgebildetsten erscheint er blos als ein flaches etwas dunkler gelbes, halb granulöses Kügelchen, dem die Kernkörperchen fehlen, auch später nicht nachwachsen. Nach verschiedenen Pflanzen und Alterszuständen varürt er sehr: in der Farbe vom fast Wasserhellen, kaum Sichtbaren bis zum Dunkel-graugelb; durch Iodine sich von hellgelb bis dun- kelbraun färbend; in der Consistenz vom Schleimig-granulösen bis zum Festen, Homogenen; nach der Zahl der Kernkörper- chen von eins bis drei; nach der Form derselben von gänzli- chem Mangel durch ein einfaches Kügelchen bis zum hohlen Kügelchen; in seiner Form vom Kugeligen zum Flachlinsen- förmigen und zur eiförmigen Scheibe; in seiner absoluten Grösse von 0,00009 P. Z. bis 0,0022 P. Z. im Durchmesser; in sei- ner relativen Grösse von einem Verhältniss, wo er die ihn um- gebende Zelle fast ganz ausfüllt bis da, wo er noch nicht den fünfhundertsten Theil der innern Fläche der Zellenwand ein- nımmt; und endlich hinsichtlich seiner Befestigung an der Zel- lenwand vom losen Ankleben zur festen Verwachsung und zum völligen Eingeschlossenseyn in eine Duplicatur der Zellenwand. Ausgenommen die Kernkörperchen beziehen sich die ersten An- gaben im Allgemeinen auf eine Zeit, wo er seinem Entstehen näher ist. Wo ich bis jetzt seine Entstehung vollständig beobachten Formenlehre der Pflanzenzelle, 193 konnte, im Albumen von Chamaedorea Schiedeana, Phormium tenaxw, Colchicum autumnale, Pimelea drupacea und vielen Papi- lionaceen fand ich, dass sich unter den kleinen Schleimkörn- chen in der bildungsfähigen Flüssigkeit zuerst einzelne grössere leicht kenntliche Körperchen (mucleoli) zeigten, dass sich um diese die andern Körnchen allmälig anhäuften, indem sie mehr oder weniger zusammenflossen und so eine dickere oder dün- nere Scheibe bildeten, dass zuweilen zwei oder drei solcher Scheiben neben einander liegend sich vereinigten und endlich der Cytoblast fertig war, Alles noch ehe sich eine Zelle zeigte. In jüngeren Zellen fand ich häufig den Cytoblasten convexer, körniger, gelber, das Kernkörperchen einfach, in älteren Zellen derselben Pflanze, flacher, homogener, ungefärbter, das Kern- körperchen hohl, z. B. bei den Cacteen. In den Kryptogamen findet sich dieser Cytoblast selten, doch fast in allen Sporen (bei den Farrenkräutern und verwandten Familien, bei den Moosen, Lebermoosen und Flechten, bei einigen Pilzen) und hin und wieder bei Algen im Zellgewebe, in den Zellen von Spirogyra frei in der Mitte der Zelle. Eine chemische Analyse dieser kleinen Körperchen ist wenig- stens zur Zeit noch unthunlich. _ Bei aufmerksamer Beobach- tung überzeugt man sich, dass die Körnchen, aus denen der Cytoblast zusammenfliesst, Schleimkörnchen sind, auch deutet. ihr Verhalten zu concentrirter Salpetersäure, wodurch sie gold- gelb gefärbt werden, an, dass sie aus einer stickstoffhaltigen Substanz bestehen. Vollständige Beobachtungen über die Zellenbil- dung. Wenn die Cytoblasten fertig gebildet sind, zeigt sich sehr bald um sie herum eine zarte, sie einschliessende Membran, die oft ausserordentlich fein und weich, oft dicker und derber ist. Bald erhebt sich diese Membran auf der einen Fläche des Cytoblasten blasenförmig, dehnt sich allmälig weiter aus, so dass bald der Cytoblast nur einen kleinen Theil der Wandung einnimmt. Dieser aber wächst oft noch fort und vergrössert sich ebenfalls an seinem Rande, auch bilden sich die Kernkör- perchen häufig schärfer aus. Die Membran des Bläschens oder der jungen Zelle wird dabei allmälig stärker und dicker, ge- winnt eine runde, oft längliche Gestalt, zuweilen einen sehr unregelmässigen Umriss, der aber später sich wieder auszugleichen pflegt. An der freigewordenen Seite des Cytoblasten schlägt sich oft (z.B. bei Fritillaria imperialis, bei Chamaedorea Schiedeana) eine neue Lamelle nieder, die am Rand, wo sie den Cytoblasten überragt, sich genau mit der ersten Zellenwand verbindet und so den Cytoblasten einschliesst; solche Cytoblasten verändern 15 194 Lehre von der Pflanzenzelle, sich oft nicht mehr. Oft wird der Cytoblast schnell nach Ent- stehung der Zelle resorbirt, oft bleibt er für das ganze Leben derselben persistent. Die entstandene Zelle besteht anfangs aus Gallerte und löst sich daher leicht in Wasser auf; allmälig ändert sie sich in Membranenstoff um. Ganz vollständig ohne Fehlen einer Zwischenstufe habe ich diesen Vorgang beobach- tet im Albumen von Leucojum aestivum, Phormium tenax, Col- . chicum autumnale, Chamaedorea Schiedeana, Pedicularis palustris, Momordica elaterium, bei Lupinus und vielen andern Legumino- sen, im Embryobläschen von Alisma Plantago, Sagittaria sagit- taefolia, Pedieularis palustris, Oenothera crassipes, Tetragonia expansa, ın den keimenden Kotyledonen von Lupinus tomento- sus, in den vielzelligen Haaren von Solanum tuberosum und vielen anderen Pflanzen, in den ascis von Borrera ciliaris und in der Kapsel von Blechnum_ gracile. Unvollständige Beobachtungen. Wo die Zellen sehr klein und zart sind, sich bald mit granulösem Inhalt füllen, wo der Theil durch seine Lage das Präpariren erschwert, was Al- les bei der Entwickelung einer Blattknospe stattfindet, ist es mir bis jetzt unmöglich gewesen, den ganzen Vorgang vollstän- dig zu verfolgen. Doch sah ich fast überall, besonders nach Anwendung von concentrirter Salpetersäure, wodurch sich die Zellen von einander trennen, oftmals zwei Zellen mit ih- ren Cytoblasten in Einer Zelle, bei Gasteria nitida zwei Cytoblasten lose in einer Zelle, daneben zwei Zellen mit Cytoblasten in einer andern Zelle eingeschlossen. Alles junge Zellgewebe der Phanerogamen ohne Ausnahme lässt den Cyto- blasten erkennen. Bei der Entwickelung des Pollens zeigt sich eine mit einer trüben grumösen Flüssigkeit gefüllte Zelle, der trübe Inhalt erscheint später in vier Theile getheilt, um deren jeden sict plötzlich eine ziemlich dicke Haut zeigt. Man könnte diese vier Portionen als grosse Cytoblasten ansehen, wenn sich nicht gleichzeitig mit dem scharfen Vortreten der Haut auch ein anderer chrakteristischer Cytoblast zeigte. Ich beobachtete aber, dass bei Passiflora princeps und Cucurbita Pepo zur Zeit, wenn die dunkle Masse der Mutterzelle noch ungetheilt war, mehrere (die Zahl konnte ich nicht genau bestimmen) ganz zarte wasserhelle Zellen mit einem ganz kleinen wasserhellen Cytoblasten in jene dunkle Masse eingehüllt vorhanden sind; sollten dies nicht die Pollenzellen seyn, die allmälig von innen heraus den grumösen Stoff einsaugen, in ihrer Höhle wieder granulös niederschlagen, dabei wachsen und nun plötzlich mit dem in vier Portionen getheilten Stoff sichtbar werden; doch gestehe ich trotz aller Mühe keine Mittelstufen beobachtet zu haben. Formenlehre der Pflanzenzelle, 195 Folgerung aus den beobachteten Thatsachen. Bis jetzt ist keine Thatsache bekannt geworden, die sich nicht mit dem vollständig beobachteten Vorgange vereinigen liesse; dunkel und unvollständig erscheinen die Vorgänge nur da, wo die Verhältnisse überhaupt der genauen Beobachtung fast unüber- windliche Schwierigkeiten in den Weg legen. Bei den Krypto- gamen ist es die Bildung der Sporen, der Grundlage der zu- ‘ künftigen Pflanze, bei den Phanerogamen der Embryo, d. h. die junge Pflanze selbst, bei der sich der Vorgang vollständig verfolgen lässt. Beide dürfen uns gewiss am sichersten als An- haltspuncte für analoge Schlüsse dienen; der Vorgang, ist von einigen höchst charakteristischen Momenten begleitet, namentlich der Erscheinung der Cytoblasten, und wo Zellen neu entstan- den sind, finden wir den Cytoblasten wieder; das Alles, glaube ich, berechtigt uns, jenen Vorgang der Zellenbildung vorläufig, bis uns fernere Untersuchungen eine Modification aufnöthigen, als einen allgemeinen in Anspruch nehmen zu dürfen. Wenn man ferner die leichte Umwandlung der assimilirten Stoffe in einander betrachtet, wenn man aus den künstlich an- gestellten chemischen Experimenten den Schluss ziehen darf, dass ‚die stickstoffhaltige Materie, die ich Schleim genannt und die den Cytoblasten bildet, grade die ist, die jene Umwandlun- gen hervorruft, wenn wir ferner bemerken, dass Zucker und Gummi leichter auflöslich sind als Gallerte, also in Gallerte verwandelter Zucker oder Gummi, wenn nicht zugleich die Wassermenge sich vermehrt, nothwendig. sich niederschlagen muss, so erscheint der ganze Process der Zellenbildung als ein einfacher chemischer Vorgang. Das Zusammenhäufen der Schleim- körnchen zu einem bestimmt geformten Cytoblasten können wir freilich bis jetzt noch so wenig erklären, als die Erscheinung, dass aus einer Mischung zweier Salzlösungen grade die eine oder die andere herauskrystallisirt, je nachdem wir einen Kıy- stall des einen oder des andern Salzes hineinwerfen. Analogien. In einer ausgezeichnet gründlichen und geist- reichen Arbeit hat Schwann ') nachgewiesen, dass auch der thierische Organismus ganz aus Zellen zusammengesetzt ist und dass diese Zellen sich auf ganz gleiche Weise bilden, wie bei den Pflanzen. Wenn das Gesetz für einige Pflanzen und Thiere selbstständig gefunden ist, wie in der That der Fall, so ist allerdings diese Analogie ein wichtiger Grund, diese Bildungsweise als ein allgemeines Gesetz für beide Naturreiche auszusprechen. I) Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Structur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin, 1839. 15 * 196 Lehre von der Pflanzenzelle. In derselben Arbeit giebt Schwann ') eine interessant durch- geführte Vergleichung zwischen der Bildung des Krystalls und der Zelle, indem er die bei letzterer vorkommenden Verschie- denheiten aus der Natur des Stoffes herleitet, insofern derselbe bei den Zellen für Flüssigkeiten durchdringlich sey. Gewiss wird diese Ansicht noch einmal in Zukunft höchst folgenreich werden müssen, indem sie uns schon jetzt zeigt, wie die schein- bare Kluft zwischen anorganischer und organischer Form keine unüberschreitbare sey. Einen Punct muss ich hier aber noch hervorheben, den Schwann übersehen und der gleichwohl noch einen entschiedenen Unterschied begründet. Beim Krystall ist die Materie desselben schon als solche gebildet in der Flüssig- keit vorhanden, und blosses Entziehen des Lösungsmittels ge- nügt, um das Erscheinen des Stoffes in bestimmter Gestalt zu erzwingen; anders aber ists bei der Zelle, wenigstens bei den Pflanzen. Hier ist die organisch als Zelle auskrystallisirende Substanz, um mich dieses Ausdruckes zu bedienen, gar nicht in dem Cytoblastem vorhanden, sie wird durch einen andern nothwendig gegenwärtigen Stoff erst in dem Augenblick gebil- det, als sie zur Form übergeht, und die letztere scheint eben dadurch bedingt, dass die neugebildete Substanz wenigstens re- lativ unlöslich ist. Um falschen Ansichten vorzubeugen, muss ich hier bemerken, dass die von Link?) vorgetragene "Theorie der Krystallisation, nach welcher die Krystalle aus Zusammenfliessen kleiner Kügel- chen entstehen sollen, auf durchweg mangelhafter Beobachtung beruht. Zuerst ist doch wohl natürlich, dass, wenn man das Entstehen der Krystalle beobachten will, man dazu nicht die Präcipitation wählt, die selbst von den Chemikern zu der so- genannten tumultuarischen Krystallisation gerechnet wird, son- dern dass man zuerst die Beobachtung bei einfach aus concen- trirten Fähigkeiten anchiessenden Kıystallen macht. Hier be- obachtete man jedesmal, z. B. beim Salpeter, Platinsalmiak, am schönsten und leichtesten beim Zinksalmiak u. s. w., dass der Kernkrystall plötzlich in keinem angebbaren Zeitmoment in der ganz klaren und klar bleibenden Flüssigkeit hervorspringt und dann scheinbar stetig in fast unmerklichen Pulsen durch Ansatz von Aussen fortwächst. Lässt man dagegen unterm Mikroskop zwei Flüssigkeiten, die einen Niederschlag bilden, zusammentreten, so bemerkt man im Augenblick der Berührung das plötzliche Entstehen einer beide Flüssigkeiten trennenden l) a. a. 0. S. 220. 2) Poggendorff’s Annalen Bd. 46 (1839), S. 258 ff. Formenlehre der Pflanzenzelle, 197 Membran. Bei genauer Beobachtung erkennt man, dass diese Membran ganz aus Krystallen besteht, von denen einige gleich deutlich zu erkennen sind, andere bei stärkerer, noch andere bei den stärksten Vergrösserungen sich als Krystalle zu erkennen geben, bis endlich die kleinsten selbst bei den stärksten Ver- grösserungen nur als Puncte erscheinen. Stört man die Flüs- sigkeiten nicht, so wachsen allmälig einige der entstandenen Krystalle an beiden Seiten in die Flüssigkeiten hinein; mischt man aber die Flüssigkeiten rasch, so löst sich ein grosser Theil der Krystalle augenblicklich wieder auf, andere wachsen stetig fort und neue Kernkrystalle entstehen plötzlich an Stellen, wo die Flüssigkeit ganz klar ist. Nach meinen vielfältigen und sorgfältigen Beobachtungen glaube ich überhaupt, dass jede un- organische Materie, wenn sie in den festen Zustand übergeht, augenblicklich Krystallform annimmt, die meisten der sogenannten pulverigen Niederschläge bestehen aus Krystallen und bei an- dern verbietet die relative Kleinheit überhaupt über ihre Form zu sprechen. Endlich muss ich hier noch auf eine höchst interessante Ana- logie aufmerksam machen, die vielleicht, genauer erforscht, der- maleinst uns am sichersten über den Process der Zellenbildung aufklären wird, ich meine die geistige Gährung. Wir haben hier als gegeben eine Flüssigkeit, in der Zucker, Gummi und eine stickstoffhaltige Materie, also Cytoblastem vorhanden ist. Bei der gehörigen Wärme, die vielleicht zur chemischen Wirksam- keit des Schleimes nöthig ist, entsteht hier, wie es scheint, ohneEin- fluss einer lebenden Pflanze ein Zellenbildungsprocess (die Entste- hung .der Gährungspilze), und vielleicht ist es nur die Vegeta- tion dieser Zellen, welche jene eigenthümlichen Veränderungen in jener Flüssigkeit hervorruft. Ob man diese Organismen Pilze oder sonst wie nennen will, ist sehr gleichgültig, ob sie allein den Process der Gährung durch ihren Lebensprocess be- dingen, allerdings noch genauer zu untersuchen, wer aber ihre Existenz und ihre Natur als vegetabilische Zellen heutzutage noch leugnet, verdient nur ein mitleidiges Achselzucken als Antwort. Geschichtliches und Kritisches. Vor der Erfindung und wissenschaftlichen Anwendung des Mikroskops konnte na- türlich von einer genaueren Kenntniss der Pflanzenzelle nicht die Rede seyn. Der erste Entdecker des zelligen Baues der Pflanzen war Rob. Hooke, ein Engländer, welcher zuerst die von Cornelius Drebbel 1619 nach England gebrachten Mikroskope benutzte !). I) Hooke, Micrographia. Jondon, 1667 fol, 198 Lehre von der Pflanzenzelle. Eine genauere Kenntniss von der Structur der Pflanzen er- langten wir aber erst durch Marcello Malpighi, Professor zu Bologna, geb. 1628, gest. 1694. Er sandte im Jahre 1670 der Royul society sein grosses Werk Anatome plantarum ein und dieses wurde 1675 und 79 in’ zwei Foliobänden auf Ko- sten der Gesellschaft herausgegeben. Durch dieses Werk er- warb er sich ein unbestreitbares Anrecht an den Namen eines Schöpfers der wissenschaftlichen Botanik. Seine Untersuchun- gen sind so genau, so von richtiger Methode gestützt, dass fast ein Jahrhundert verging, ehe die Wissenschaft diesem weit vorausgeeilten Manne nur nachkam. Noch jetzt giebt es so- genannte Botaniker, die von der Natur der Pflanze noch nicht einmal so viel wissen, als damals schon .Malpighi wusste. Malpighi erkannte sogleich den zelligen Bau der. Pflanze, er sah ein, dass jede Zelle ein für sich bestehender ringsgeschlos- sener Schlauch sey, den er Utriculus nannte. Ihm folgte Ne- hemiah Grew, Secretair der königlichen Societät der Wissen- schaften, dessen Anatomy of plants 1682 in einem Folio- bande in London erschien. Abgesehen davon,‘ dass auf ihm, der Malpigh’s Schrift als Secretair der Gesellschaft lange vor ihrer Bekanntmachung benutzen konnte, der Ver- dacht haften bleiben wird, dass er dem Malpighi bei weitem mehr verdankt, als er zugesteht, und dass er die Herausgabe und Anerkennung von Malpighis Werken möglichst verhindert, steht er auch in allem Wesentlichen Malpighi weit nach. Er stellte zuerst die falsche Ansicht auf, dass die Wand der Zel- len aus Fasern gebildet werde‘). Auch deutete er durch sei- nen Vergleich mit Bierschaum vielleicht an, dass er die Zellen für blosse Höhlen in einer homogenen Substanz halte, welche Ansicht später von C. Fr. Wolff”) schärfer ausgebildet wurde. Diese doppelte falsche Ansicht hat sich seitdem nicht aus der Wissenschaft verloren, indem wir die letzte noch jetzt bei Brisseau Mirbel finden, die erstere aber von Meyen wieder neu belebt ist. Beide werden hinlänglich durch die Entstehungs- geschichte der Zelle widerlegt. Meyen ?) gründet seine Ansicht hauptsächlich auf die Beob- achtung, dass viele sehr zartwandige Zellen eine spiralige Strei- fung zeigen *); wenn er aber sagt, dass diese Zellen unzwei- 1) Grew Anatomy of plants p. 121, Pl. 40, 38. p. 76 ete. 2) Theoria generationis. Halle, 1774, S. 7. 3) Meyen, Physiologie Bd. I. S. 45 ff. 4) Meyen hätte übrigens nicht nöthig gehabt, sich dazu eine neue Orchidee von Manilla zu holen. Jede Georginenknolle zeigt diese Er- scheinung in höchster Vollkommenheit, ebenso die Rinde der Luftwur- Formenlehre der Pflanzenzelle. 199 felhaft allein aus der primären Zellenmembran beständen, so ist das doch gradezu aus der Luft gegriffen, denn die Ent- wickelungsgeschichte, die allein darüber entscheiden könnte, hat Meyen dabei nicht zu Rathe gezogen, diese zeigt aber, dass alle jene Zellen anfänglich homogene ungestreifte Wände haben. Mirbel ') hat seine Ansichten über Entstehung der Zellen als blosse Höhlungen in einer homogenen, sulzigen Masse, die er Cambium nennt, wieder neuerdings ausführlich an der Wurzel von Phoenix dactylifera darzulegen versucht. Er ist schwerer zu widerlegen als Meyen, besonders wegen der mangelhaften Form seiner Mittheilung, die es Andern unmöglich mächt, ihn genau zu controliren. In einem Theil giebt er eine zusammen- hängende Erzählung von dem, wie er sich die Sache denkt, ohne dabei auf die Tafeln als eigentliches Ergebniss seiner Beobach- tungen Rücksicht zu nehmen, und bei der Toafelerklärung lässt er vieles Vorgestellte wieder unerklärt, auch sind die Bestim- mungen der Altersstufen der verschiedenen Fragmente so vage, dass nicht nachzukommen ist. Nur so viel wage ich zu ent- gegnen, dass zwischen der Rinde (seiner region peripherique) und dem äussern Theil des Wurzelkörpers (seiner region inter- mediaire) im ganzen Leben der Wurzel, und von der äussersten Spitze bis zur Basis niemals eine solche Trennung der Conti- nuität durch eine formlose schleimige Masse (sein cambium globuleux) eintritt, wie er sie abbildet, ich sehe stets contuirli- ches Zellgewebe. Ebenso wenig sind die Streifen, in denen sich die Bastbündel seiner region intermediaire bilden, jemals mit einer solchen Substanz, sondern immer mit Zellgewebe erfüllt, welches sich auch niemals weder im jüngsten noch im ältesten Zustande auf dem Querschnitte so scharf durch die Weite der Zellen von dem umgebenden Zellgewebe absetzt, wie er es abbildet, sondern stetig durch allmälıg grössere Zellen in ein- ander übergeht, nur bei völliger Ausbildung unterscheidet sich der Bastbündel durch die Dicke seiner Zellenwände scharf von den benachbarten gleich weiten und stetig in die Paren- chymzellen übergehenden Zellen. Vielfach hat er sich auch durch den ganz formlosen Inhalt der Zellen, der im Wasser geronnen war, täuschen lassen. Eine genauere Widerlegung zeln von Cereus grandiflorus, sowie viele andere Pflanzen. Auch die Haare der Mamillarien und Melocacten zeigen dasselbe, wenn man sie trocken betrachtet, die Streifung verschwindet aber beim Befeuchten; wenn sie in ein spiraliges Band zerreissen, so besteht dieses aus 20—30 parallelen Spiralfäden. 1) Nouvelles Notes sur le Cambium, lIues a l’academie des sciences, dans la seance 29. Avril 1839. 200 Lehre von der Pflanzenzelle. fordert aber noch fernere Untersuchungen, um ihm Schritt vor Schritt folgen zu können. Andere Beobachtungen über die Entstehung der Pflanzen- zelle sind bis jetzt nicht bekannt geworden. Die meisten Bota- niker übergehen den Punct mit Stillschweigen, andere haben nur ein vor der Beobachtung auf jeden Fall völlig überflüssiges Raisonnement. Wie man über die Bedeutung der Zelle spre- chen kann, ohne vorher ihre Bildungsgeschichte erkannt zu ha- . ben, ist freilich nicht gut einzusehen. Die Frage nach der Entstehung der Pflanzenzelle ist ohne Zweifel der einzige Ein- gang “in ächt wissenschaftliche Pflanzenforschung. sSprengel’s Phantasien über das Entstehen der Zellen aus Stärkemehlkör- nern, ähnlich bei Dupetit Thouars und Raspail, sowie die von Turpin mit ebenso viel Arroganz als Unwissenheit vorgetrage- nen Ansichten über die Globuline (worunter er jedes in der Pflanze vorkommende Körnchen Stärke, Schleim, Farbestoff u. s. w. versteht), verdienen gar keine wissenschaftliche Beantwortung. Schliesslich will ich nur noch bemerken, dass Rob. Brown ') hier wie überall neue Bahnen andeutete, indem er zuerst auf den Cytoblasten, als einen sehr häufig vorkommenden Körper aufmerksam machte; nur hatte er seine Bedeutung für das Le- ben der Zelle noch nicht erkannt, er nannte ihn nucleus of the cell, Zellenkern. Die frei sich selbst überlassene Pflanzenzelle bildet sich regelmässig kugelförmig aus. Ihre spätern Formen hän- gen höchst wahrscheinlich von ungleicher Ernährung; der einzelnen Theile ihrer Wand und daraus entstehender ungleichen Ausdehnung ab. Man kann hier unter- scheiden: A) Allseitige, oder doch ziemlich allseitige Ernäh- rung. Hierdurch entstehen kugelige oder elliptische Zellen, oder wenn sie sich durch gegenseitigen Druck abplatten, polyedrische Zellen, bei regelmässiger Anord- nung, dodekaedrische. Ist die allseitige Ausdehnung un- 1) Obdsersations on the organs and mode of fecundation in Orchideae and Asclepiadeae. Transactions of the Linnean society. London, 1833, v. 710 ff. Formenlehre der Pflanzenzelle. 201 gleichförmig, so entwickeln sich einzelne nach allen Seiten in Strahlen auswachsende Protuberanzen, es ent- stehen morgensternförmige Zellen. B) Ernährung in den Dimensionen der Fläche. Da- durch entstehen tafelförmige Zellen, oder wenn die Er- nährung in der dritten Dimension von einer Seite hinzu- kommt, planconvexe Zellen; wenn aber die Ernährung in einer Richtung der Fläche gegen die andere über- wiegt, lange, schmale, tafelförmige Zellen, man könnte sie bandförmige nennen. Bei ungleichförmiger Ausdeh- nung bilden sich strahlige oder sternförmige Zellen. C) Ernährung nur in einer Richtung, also Ausdeh- nung in die Länge. Hier bilden sich langgestreckte Zellen vom Cylindrischen oder Prismatischen bis zum Fadenförmigen. Dass die ungleiche Ernährung ein Hauptgrund für die For- menverschiedenheit der Zellen ist, lässt sich wenigstens über- wiegend wahrscheinlich machen; Zellen, die nicht unmittelbar mit Flüssigkeit in Berührung kommen, können nur da ernährt werden, wo sie mit andern Zellen in Berührung stehen, des- halb wächst die Zellenwand, die mit Luft in Berührung kommt, nicht weiter fort und plattet sich bei Ausdehnung der ganzen Zelle allmälıg ab, so bei den Oberhautzellen auf der ‘äussern Fläche; bei den Zellen der Scheidewände in Luftcanälen auf beiden Seiten. In den Luftcanälen finden sich in der Jugend kugelige Zellen, diese berühren sich nur an einzelnen Puncten; da nun schnell die Säfte in den Zwischenräumen der Zellen absorbirt und durch Luft ersetzt werden, so können die Zel- len auch nur da ernährt werden, wo sie sich berühren; die Berührungsflächen wachsen also zu Strahlen aus, so entste- hen die sternformigen Zellen der Scheidewände, die schwamm- förmigen Zellen der Luftcanäle. Es kann diese ungleichförmige Ernährung aber auch bei vollständiger Berührung der Zellen vorkommen, dann aber legen sich die auswachsenden Strahlen wechselsweise in einander, wie bei sehr vielen Epidermiszellen ‘ der Fall ist, deren Gränzen in der Fläche wellig oder zackig gebogen erscheinen. Alle verschiedenen Formen der Zellen, mit Ausnahme der kugeligen, elliptischen und fadenförmigen, entstehen nur durch Verbindung mehrerer Zellen unter einander. Für sich bildet sich jede Zelle mit gebogenen Flächen aus, alle polyedrischen 202 Lehre von der Pflanzenzelle. Gestalten entstehen allein durch gegenseitige Abplattung. Lie- gen nun lauter gleichgrosse Zellen neben einander, die gleich- föormig auf einander drücken, so werden sie sich nothwendig zu Rhombendodekaedern abplatten. Das Rhombendodekaeder ist also gleichsam das in der Wirklichkeit freilich selten vor- kommende Ideal der mit andern zu regulärem Zellgewebe ‚verbundenen, nicht aber die Grundform der einzelnen Zelle. Dahin ist Kieser ') zu verstehen und zu berichtigen. Geschichtliches und Kritisches. Man unterschied früher eine grosse Zahl Elementarorgane bei den Pflanzen, und obwohl von allen nachgewiesen ist, dass sie nur Zellenformen sind, so bleiben doch Link und Treviranus wenigstens bei dreien stehen, Zelle, Gefäss und Faser. Es ist mindestens höchst schwerfällig, erst zu sagen, die Pflanze hat drei Ele- mente, und nachher zu beweisen, alle drei sind aber nur eins und dasselbe. Die angeblich verschiedene Function rechtfertigt diese Eintheilung gar nicht, denn wir wissen von der Ver- schiedenheit der Function dieser drei Gebilde gradezu gar nichts, wenn wirs nicht etwa hineinphantasiren, und soviel ist klar, dass die Lebensthätigkeit einer Parenchymzelle, die nur ätherisches Oel in sich bildet, von der, welche nur Stärkemehl produeirt, weiter verschieden seyn muss, als die poröse Ge- fässzelle von der ebenfalls porösen Markzelle, die beide Luft enthalten. Anhang. Die mit einer eignen Membran verse- henen Gefässe des Milchsafts sind noch nicht mit Sicher- heit auf Zellen zurückgeführt. Ihr Ursprung ist dunkel, im ausgebildeten Zustande gleichen sie langgestreckten, oft verästelten Zellen, und stimmen auch mit diesen, in welche sie durch Mittelbildungen übergehen, in ihrer ferneren Entwickelung überein. $. 29. Bis zu einer gewissen Zeit wächst die Zellenmem- bran in ihrer ganzen Dicke durch Intussusception, aber oft nicht gleichförmig; einzelne Stellen werden stärker er- nährt und bilden warzenförmige Hervorragungen auf der äussern oder innern Fläche. 1) Ueber die ursprüngliche Zellenform. Nova acta academ. Leopold. Carol. Nat. Cur. Tom. IX. Wormenlehre der Pflanzenzelle, 203 Wie mir scheint, ist bisher nicht genügend auf diesen Punect geachtet, und er scheint gleichwohl Aufmerksamkeit zu verdie- nen. Es ist lange bekannt, dass gewisse Haare mit Wärzchen, die deutlich in Spirallinien stehen, besetzt sind. Meistens sind es kleine, gleichgrosse Wärzchen, wie an den Haaren der Fa- milie der Borragineen, der Urticeen, der Malvaceen u. s. w., zuweilen aber sind es auch längere, streifenartige Erhöhungen der äussern Fläche, z. B. an den Antherenhaaren von Lobelia cardinalis, an den pilis Malpighiaceis auf den jungen Zweigen von Cornus mascula etc. Was aber das Auffallendste bleibt, ist dass gar oft diese Wärzchen eine oder zwei Höhlen in ihrem Innern zeigen und durch eine scharfe Linie von der Oberfläche des Haares abgesetzt sind, als wären es angewachsene Zellen, so z. B. an den Haaren des Fornix bei den Anchusa-arten und andern Pflanzen. Nicht immer aber sind diese warzenförmigen Verdickungen auf der äussern Fläche der Zellenwand, oft bil- den sie vielmehr Vorsprünge nach Innen, so z. B. an den so- genannten Haarwurzeln der Marchantiaceen, an den Faserzellen im 'Thallus von Pelligera canina und anderen, in den spindel- förmigen Zellen im Stylus von Cereus phyllanthoides, an den Markstrahlenzellen von Pinus sylvestris u. a., in den Haaren der Malphighiaceen, wo sie kleine gestielte Knöpfchen bilden (Mor- ren) ‘), in den Brennhaaren der Blätter von Anchusa crassifolia, wo sie als körnige Warzen erscheinen. Ueber die Entwicke- lungsgeschichte dieser kleinen Knötchen, die insbesondere bei den hohlen und knopfförmigen in den Malpighia-haaren interes- sante Resultate verspricht, wissen wir noch nichts. $. 26. Wenn die Zelle eine bestimmte Ausdehnung erreicht hat, tritt eine wesentliche Veränderung in der Ernährungsweise der Zelle ein, indem der neu entstandene Membranenstoff nicht mehr durch Intussusception, sondern als concrete Schicht auf ihre innere Fläche abgelagert wird. Diese Ab- lagerung ist aber keine continuirliche Membran, sondern geschieht in der Richtung; einer Spirale, als einfache oder mehrfache Spiralfaser oder Spiralband. Dehnt sich die » Morren, Obs. sur l’epaississement de la membrane vegetale dans plusieurs organes de lappareil pileux (Bullet. de l’acad. roy. de Bruwel- les. Tom. VI. No. 9). 204 Lehre von der Pflanzenzelle. Zelle nach dem Auftreten .dieser Verdickungsschicht noch mehr oder weniger aus, so werden die anfangs dicht auf einander liegenden Windungen von einander gezogen. Je weniger sich die Zelle noch ausdehnt, desto fester vereinigt sich die Faser mit der Wand. Oft verwach- sen schon früh einzelne Windungen der Faser oder ein- zelne Stellen der Windungen unter einander. Aus allen diesen Momenten gehen sehr mannichfache Configuratio- nen der Zellenwände hervor, die man in zwei Abthei- lungen bringen kann, je nachdem die geirennten Fasern deutlich hervortreten (Faserzellen, cellulae fibrosae ), oder die Fasern so vielfach unter einander verwachsen sind, dass man sie als eine continuirliche Membran mit grösseren oder kleineren Spalten besetzt ansehen kann (poröse Zellen, cellulae porosae). Natur und Ursprung der Spirale. Eine Spirale kann rechts oder links gewunden seyn, d. h. wenn man mit der Spirale in die Höhe steigt, so kann die Axe derselben uns rechts oder links liegen. Beide Arten verhalten sich als directe Gegensätze. Nehmen wir die verticale Entfernung des An- fangs der einen Windung vom Anfang der nächsten zu a an, so ist + a die Bezeichnung der rechts gewundenen Spirale, — a die der links gewundenen und a—a die Bezeichnung eines in sich zurücklaufenden Ringes. Die rechts gewundene Spirale kommt am häufigsten vor, aber auch die links gewundene oft genug, dass wir den ebenfalls häufig vorkommenden Ring als die Indifferenz beider betrachten dürfen '). Möglicherweise kann aber der Ring auch auf andere Weise entstanden seyn. Eine jede Spirale lässt sich verticalin zwei Hälften zerschneiden, von denen die eine dann von einem Puncte angesehen grade die ent- gegengesetzte Steigung zeigt als die andere. Wenn die vordere Hälfte der Windung von der Rechten zur Linken aufsteigt, so muss die hintere von der Linken zur Rechten aufsteigen. Bei ‘zwei gleichgewundenen Spiralen werden also die vorderen und hin- teren Hälften für sich parallel laufen, zugleich gesehen und auf eine Fläche projicirt aber sich kreuzen. Zwei in derselben Cylinderfläche in entgegengesetzter Richtung aufsteigende Spi- ralen werden sich aber in jedem ganzen Umlauf zweimal, ein- 1) Vergleiche die Aufsätze von MoAl und mir in Flora von 1839, Nr. 43 ff. und Nr. 21 ff. Formenlehre der Pflanzenzelle, 205 mal in der vorderen, einmal in der hinteren Hälfte. durch- schneiden. Dieser letzte Fall ist bis jetzt niemals beobachtet worden. Link‘), der es behauptet, wird durch seine eigne Zeichnung widerlegt, die den ersten Fall darstellt. Die sich kreuzenden Linien in der Wand der Bastzellen der Apocyneen erklärt man, glaube ich, vorläufig richtiger und consequenter aus dem Aufeinanderliegen zweier Schichten, deren Fasern in entgegengesetzter Richtung gewunden sind. Es ist kinderleicht, bei den grösseren Formen die Spiralfiber auf einem Querschnitte zu beobachten, und dabei zeigt sie sich völlig homogen, nur bei sehr alten Fasern bemerkt man z.B. in Arundo Donax, dass sie aus einer der Wand anliegenden Faser und einer dieselbe von den drei freien Seiten bedeckenden Rinde besteht. Auch zeigt sich durch solche Querschnitte für den, der es nicht ohnehin mit einem guten Mikroskop sieht, ganz deutlich, dass die Spiralfaser niemals rund, sondern ein plattes dickeres oder dünneres Band ist, dessen freie nicht der Wand anliegende Kanten vielleicht höchstens etwas abgerundet erscheinen. Die Ansicht von einer canalförmigen oder hohlen Spiralfaser gehört, und wenn sie auch jetzt noch von Link vorgetragen wird, doch zu den aus höchst mangelhaften Unter- suchungen entstandenen Antiquitäten. Ich glaube nicht, dass man das erste Entstehen der Spirale schon beobachtet hat. Mir ist sehr wahrscheinlich, dass sie viel früher: vorhanden ist, als sie für unsere optischen Mittel sichtbar wird, indem sie zuerst aus einem Stoff besteht, der von der Zellenwand und dem Zelleninhalt optisch nicht ver- schieden ist, worauf doch allein die Erkennbarkeit eines Ge- genstandes beruht. Die Spiralen erscheinen je näher ihrem ‘ Ursprunge um so durchsichtiger und schwerer zu beobachten, oft entziehen sie sich, von der Fläche gesehen, schon völlig unsern Blicken, sind aber an den Rändern der Zelle noch als kleine Hervorragungen zu erkennen; hier sieht man sie nämlich in der Verkürzung, und so haben sie optisch mehr Masse. Oft wo sie ganz schon aufgehört haben sichtbar zu seyn, bringt uns die Anwendung der Iodine noch ihre Spuren vor Augen. Daher mögen manche Formen nur dann auf die Spirale zu- rückzuführen seyn, wenn man annimmt, dass die Mittelstufen schon durchlaufen wurden, ehe das Gebilde noch sichtbar wurde. Endlich erkennt man die meisten spiraligen Bildungen erst von dem Augenblick deutlich, wenn sie anfangen Luft zu führen, , D) Link, Elem. phil. bot. Ed. II. T. 4, p. 167. a. 497 und Taf. I. Fig. 3, a. 206 Lehre von der Pflanzenzelle, weil dann erst die durch dazwischen lagernde Flüssigkeit auf- gehobene optische Differenz zwischen den Spiralfasern und den Zwischenräumen hervortritt. Ferner finde ich bei allen mit der grössten Sorgfalt ange- stellten Untersuchungen, bei allen spiraligen Bildungen die Win- dungen um so enger, je näher sie ihrem Ursprunge sind. Ich finde ferner, je näher ihrem Ursprunge, um so mehr reine, unverästelte Spiralen, endlich habe ich in einigen Fällen die abweichendsten Formen, z. B. die Ringe bestimmt auf die Spi- rale') zurückführen können. Aus dem allen ziehe ich den Schluss, dass die Grundlage aller der verschiedenen Bildungen, die ich hierher rechne, einfache unverästelte und eng aufeinan- derliegende Spiralfasern sind, um so mehr, als sich aus dieser einfachen Hypothese in Verbindung mit der ziemlich unzweifel- haften 'Thatsache, dass uns alle spiraligen Bildungen erst sicht- bar werden, nachdem sie schon längere Zeit vorhanden und in der Zeit verschieden modificirt sind, sich alle Erscheinungen leicht erklären lassen. Ich muss hier aber noch bemerken, dass, wenn sich Spiralfibern in cylindrischen oben und unten abge- stutzten Zellen bilden, wie in den meisten eine continuirliche Röhre darstellenden Getässzellen, die letzte Windung oben und unten in sich selbst zurückläuft und so einen Ring bildet, der aber von den andern Ringen, die im Verlauf einer Spiralfiber entstehen, wohl unterschieden werden muss. Uebersicht der verschiedenen Formen. Man muss hierbei nothwendig ins Auge fassen, dass sich die Zelle, nach- dem die Spiralfasern entstanden sind, noch oft bedeutend ausdehnt. A) Findet diese Ausdehnung statt, so ergeben sich fol- gende Modificationen. a) Wenn von einer einfachen Fiber in verschiedenen Ab- ständen zwei ganze Windungen früh zu einem Ringe verwach- sen, so können bei verhältnissmässig bedeutender Ausdehnung die freien Windungen derselben nicht mehr folgen, sie werden, alle oder zum Theil, gezerrt, zerrissen und resorbirt, und die Zelle zeigt allein, oder mit einzelnen Spiralwindungen gemischt, Ringe, die gewöhnlich mit der Zellenwand wenig oder gar nicht verwachsen sind. (Ringfaserzellen, cellulae annuliferae.) b) Wenn einfache oder mehrfache Spiralen unter sich und ihren Windungen nicht verwachsen und die Zelle sich noch 1) Ungeachtet Mohl’s Einwendungen (Flora v. 1839, No. 43 u. 44) muss ich nach wiederholten Untersuchungen bei meiner früheren Ansicht (Flora v. 1839, No. 21 u. 22) bleiben. Formenlehre der Pflanzenzelle. 207 bedeutend ausdehnt, so bleiben sie gewöhnlich frei und mit mehr oder weniger entfernten Windungen in der Zelle liegen. (Spiralfaserzellen, cellulae spiriferae.) c) Wenn mehrere Fasern unter einander auf längeren Strecken verwachsen, oder die einzelnen Windungen hin und wieder auf kürzeren Strecken sich verbinden, so werden bei. bedeutender Ausdehnung der Zellen die unverwachsenen Theile der Fasern und Windungen von einander gezogen. Je mehr Verwachsungs- punete vorhanden sind, je weniger die Zelle sich noch aus- dehnt, desto fester verwachsen die Fibern mit der Zellenwand. (Netzfaserzellen, cell. retiferae) '). B) Wenn die Zelle sich von dem Moment, in welchem die Spiralfasern sich bilden, wenig oder gar nicht mehr ausdehnt, so tritt eine neue Erscheinung hinzu. Es bilden sich nämlich auf der Aussenwand der Zelle zwischen ihr und der benach- barten kleinere oder grössere Luftbläschen, und der Mitte die- ser Luftbläschen entsprechend, weichen die Windungen der sich bildenden Spiralfaser spaltförmig auseinander. Findet gar keine Ausdehnung mehr statt, so verwachsen die Windungen, soweit sie sich berühren, so früh und se schnell mit einander, dass man oft keine Spur der einzelnen Fasern erkennt; findet noch eine geringe Ausdehnung statt, so sieht man die einzelnen Fa- sern deutlich (z. B. im Holz von Pielea trifoliata, Melia Aze- darach, in der Hülle der Luftwurzeln von Oncidium altissı- mum ete.). Wenn keine Ausdehnung weiter stattfindet, so wer- den gewöhnlich die länglichen Spalten durch Ausfüllen der scharfen Winkel abgerundet. Dies sind poröse Zellen, cellulae porosae, doch gehören auch viele netzförmige Bildungen der Schriftsteller hierher, z. B. die bekannten netzförmigen Gefässe der Balsamine. Man erkennt diesen Bau, den zuerst Mohl?) richtig entwickelte, vollkommen deutlich an den Holzzellen der Coniferen und Cycadeen, sowie an den meisten sogenannten Treppengefässen und Spaltgefässen der Schriftsteller. Auch bei fast allen porösen Gefässen und Zellen ist derselbe sehr deutlich, und lässt sich so weit verfolgen, als unsere optischen Mittel reichen; warum grade da eine verschiedene Bildung ein- treten sollte, sehe ich nicht ein. Ich nehme also den Bau als allgemein an. Doch finden sich hier viele Modificationen, je nachdem das Luftbläschen dicker oder dünner (im letzten Fall 1) Hierher gehören auch die sogenannten verästelten Spiralfasern der Schriftsteller, 2) Ueber Poren des Pflanzenzellgewebes. Tübingen, 1828. Ueber den Bau der Cycadeen. Ueber den Palmenstamm, und an andern Orten, 208 Lehre von der Pflanzenzelle, auf Querschnitten schwer zu erkennen) ist, je nachdem es im Verhältniss zur Porenspalte grösser (bei Coniferen) oder kleiner (in den Parenchymzellen der Cycadeen) ist, und je nachdem die Verdickungsschichten dicker oder dünner sind. Von der Fläche gesehen erscheinen diese Poren mit einem doppelten Ringe bezeichnet, von denen der äussere grössere die Gränze der Luftblase andeutet und beim Isoliren der Zellen verschwindet, der innere aber die abgerundete Spalte oder den Porus be- gränzt. Zuweilen kommen drei ‚Ringe vor, wenn nämlich der Porus konisch ist, wo dann der innere Kine sein äusseres, der mittlere sein inneres Ende bezeichnet, z. B. nicht selten bei Schubertia disticha. Beispiele für die aufgeführten Formen fin- den sich fast in jeder phanerogamen Pflanze. Für das Stu- dıum der Entwickelungsgeschichte eignen sich besonders die saftigen, fleischigen einjährigen Stengel; für andere Formen die Bildung des Holzes; Individuelle Ausbildung der Spir altiher und ab- norme Formen. Jede Spiralfiber ist bei ihrem ersten Sicht- barwerden ein sehr feiner Faden, und wächst sowohl in der Dicke als auch Breite sehr bedeutend nach. Dies dauert so lange, als die Zelle Säfte enthält; sobald diese absorbirt werden und sie anfängt Luft zu führen, hört jede Fortbildung der Spiralfiber auf, die nicht auf blos passiver Entfernung der Win- dungen von einander beruht. In einigen Fällen bleibt ein Theil einer Spiralfaser so weit in der Ausbildung zurück, dass er gar nicht sichtbar wird, die deutliche Faser scheint dann mitten auf der Wand der Zeile mit einem zugespitzten Ende aufzuhören; solche Erscheinungen sind zuweilen abgebildet worden, ich fand sie z. B. sehr oft im Kürbis. In seltenen wie es scheint krankhaften Fällen tritt später wieder Flüssigkeit in die schon früh mit Luft erfüllten Zellen und es bilden sich dann in ihnen neue Zellen und es entstehen wunderlich ana- stomosirende Fäden, die gewöhnlich den Fugen der neu gebildeten Zellen folgen und oft das reine Spiralgefäss bis zum Unkenntlichen entstellen. Ich beobachtete dies oft in alten Scitamineen- oder Commelineenstämmen, z. B. bei Hedychium Gardnerianum, Tradescantia crassula. Eine andere aber gesetz- mässige Bildung anastomosirender Fasern zwischen benachbarten Windungen tritt häufig schon früh ein. Wenn man die grossen netzformigen Gefässe der Balsamine aufmerksam betrachtet, so sieht man bald, dass sich ein Theil aller Netzfasern recht gut auf eine Spirale zurückführen lässt, diese zeigen alle eine leichte gelbliche Färbung, daneben giebt es aber andere kurze meist verticale Verbindungsäste, die sich sogleich durch ihre wasser- helle Farblosigkeit auszeichnen; verfolgt man sie, so sieht Formenlehre der Pflanzenzelle, 209 man, dass sie genau dem Verlauf‘ der Fuge zwischen je zwei anliegenden Zellen entsprechen und gleichsam für diese Fuge eine Brücke bilden von einer Faser zur andern; diese gehören entschieden nicht der ursprünglichen Spiralbildung an. Ihr re- gelmässiges Auftreten bei porösen Gefässen mit langen Quer- spalten hat zu dem Namen der leiter-’oder treppenförmigen Gefässe Veranlassung gegeben. Endlich zeigen die Ringfaser- zellen noch einige auffallende Erscheinungen, wohin einmal das so häufige Vorkommen ganz regelmässiger Abstände zwischen je zwei Ringen zu rechnen ist; am auffallendsten beobachtete ich dies bei Canna occidentalis, wo regelmässig abwechselnd mit einem kürzeren Abstand ein etwa dreimal so langer vorkam. Endlich beobachtete ich im Blattstiel- von Musa paradisiaca häufig Ringgefässzellen, wo zwischen je zwei Ringen die Zelle ganz auffallend tonnenförmig angeschwollen war, so dass die Ringe selbst mit den benachbarten Zellen in gar keine Berüh- rung kamen. Historisches und Kritisches. Die Spiralfibern wurden schon früh entdeckt von Malpighi und Grew oder vielleicht schon vor beiden von Henshaw. Bernhardi') und Moldenhauer ?) wiesen die dazu gehörige Zellenmembran nach. Die Ringe entdeckte Babel *) und Bernhardi*) die sie umschliessende Mem- bran. Die porösen Zellen entdeckte wohl Leeuwenhoek °), doch wurden sie erst von Mirbel °) allgemeiner gewürdigt; gegen ihn wurde, namentlich von Deutschland aus, ‘ziemlich albern pole- misrt, bis Hugo Mohl’) seine Beobachtungen völlig bestätigte und gleich darauf °) die dazu gehörige Zellenmembran entdeckte. Dies sind die wesentlichen Fortschritte in dieser Lehre, alle übrigen haben nur einzelne Notizen über das häufigere Vor- kommen der einen oder andern Modification vorgebracht. Be- sonders hat Meyen?) mit grossem Fleisse einen reichen Schatz einzelner 'Thatsachen veröffentlicht. Dass für alle diese Bil- dungen die Spirale die Grundlage bilde, sprach allgemein zu- 1) Ueber Pflanzengefässe und eine neue Art derselben. Erfurt, 1805, S. 29. 2) Beiträge zur Pflanzenanatomie. Kiel, 1822, S. 205. 3) Nach Link, EI, phil. bot. Ed. II. T. 1, p. 169. 4) A. a. 0.8. 27. 5) Opera omnia II. Taf. 462, Fig. 20. 6) Histoire nat. des plantes etc. 1800. I. S. 57 und Traite d’ana- fomie et de physiol. veget. Paris, 1802, T. 1, p. 57 Table Fig. 1—4. 7) Ueber den Bau der Ranken und Schlingpflanzen. Tüb., 1827. 8) Ueber die Poren des Pflanzenzellgewebes. Tüb., 1828. 9) Physiologie Bd. I. S, 12 — 117. 14 310 Lehre von der Pflanzenzelle. erst Valentin!) aus. Dass Link?) noch jetzt Poren und Spal- ten für Stücke einer zerrissenen Spiralfaser ansieht, verdient keine Widerlegung, die jeder Blick durch ein gutes Mikroskop von, selbst giebt, sondern ist nur als Curiosität anzuführen. Mohl ist über die Ringgefässe sehr abweichender Meinung, er glaubt sie entständen: immer oder doch oft ursprünglich. Schon oben habe ich angeführt, wie man sie als eine Spirale erklären kann, deren Steigung — 0 wird. Bis jetzt. aber: kann ich Mohl’s Beobachtungen weder bestätigen noch widerlegen, und ich glaube ihm. gern, Vielleicht entstehen die Ringe auf sehr verschiedene Weise, ' Schwer ist freilich, bei früh entstandenen Bildungen der Art, also namentlich bei Ringgefässen, die Stel- len zu unterscheiden, | wo zwei Zellen anemanderstossen ; dass hier. sich oft Ringe auf andere Weise bilden, ist schon erwähnt. Die Nomenclatur der hierher gehörigen Formen ist dadurch, dass alle einzelnen Modificationen, wie sie gesehen wurden, mit besonderen Namen belegt sind, bis in Ungeheure angewachsen ; ich glaube, sie kann bis auf die beiden im Paragraphen er- wähnten völlig entbehrt werden. Ich übergehe sie hier gröss- tentheils. Wer die Schriften Anderer liest, findet. dort auch die Erklärung ihrer Kunstwörter. $. 27. In der Regel bildet die Ablagerung einer neuen Schicht auf der ganzen Wand der Zelle dieselben For- men, doch. kommen auch. Fälle vor, wo sich an der einen Seite der Wand die Spiralfasern zu einer homo- genen Membran verbinden, während sie an andern Stel- len zu Poren spaltenartig auseindertreten (hierher gehö- ren namentlich die sogenannten porösen Gefässe des Holzes), oder dass sie in einem Theil der Zelle zu Rin- sen umgewandelt werden, während sie in andern Thei- len spiralig, netzförmig, oder gar porös bleiben, was öf- ter vorkommt. Auch auf diesen Punct ist viel zu wenig bis jetzt Rücksicht genommen worden. Wir kennen in dieser Beziehung fast mur die letzte Modification, Mirbel’s °) sogenannte tubes mixtes. 1) Repertorium Bd. I. S. 88. 2) Elementa phil. bot. Ed. I. Tom. p. 177. 3) Traite d’anatomie et de pkysiol. veget.. T. I. p. 68%. Formenlehre der Pflanzenzelle. 311 Aber es gehören auch‘ die sogenannten porösen Gefässe unse- rer Dikotyledonen-Holzarten hierher, die in ‚der Weise wie man sie in den Handbüchern beschrieben findet, als von einer ganz porösen Membran gebildete Röhren, gar nicht existiren. Alle diese sogenannten Gefässe sind nur so weit porös, als sie sich unter. einander berühren ; da wo sie an die Holzzellen -anstossen, sind ihre Wände vollkommen homogen und’ zeigen kaum: eine Spur von Poren.‘ Freilich musste dieser Irrthum bei der rohen Methode, die Anatomie ‘nur mit Längs- und Querschnitten zu treiben, lange geltend bleiben, indess auch so hätte: man mit Aufmerksamkeit der Sache auf die Spur kommen können, die sich sogleich klar zeigt, wenn man durch Maceration in Salpe- tersäure einzelne‘ 'Gefässzellen isolirt. . Da nämlich, wo diese Gefässe in einfachen radialen Reihen‘ und niemals oder doch selten seitlich aneinanderliegen, sieht man. auf einem tangentia- len Schnitte zwar lauter ' poröse Wände, aber niemals oder äusserst selten auf eimem radialen Längsschnitte. Es ist wahr- lich mehr nöthig, die Wissenschaft von dem vielen Falschen zu befreien, als etwas Neues zu entdecken. Ganz dasselbe findet sich ‚auch bei den: Coniferen, wo sich die Poren überwiegend häufig: (nicht ausschliesslich, wie es bei flüchtiger Untersuchung scheint) nach ‘der ‚Seite‘: der Markstrahlen zeigen, oder bei Hibbertia _volubilis, wo sie umgekehrt nur nach Mark und Rinde, selten oder nie nach der Seite der Markstrahlen zu er- scheinen, so dass die beiden: andern Viertheile ‘der Zellenwand in den genannten Fällen homogen sich ausbilden. $. 28. Dieser Process der schichtenweisen Ablagerung wie- derholt sich öfter im Leben der Zelle. a), In der Regel lagert sich dann jede folgende Schicht. auf die vorher- gehende genau so ab, wie diese in dem Augenblick der Ablagerung ist, also Ring auf Ring, Spirale auf Spirale, poröse Schicht auf poröse Schicht. b) In einigen seltene- ren Fällen richtet‘ sich ‚aber die Ablagerung nach dem Zustande der Zelle, so dass, wenn sich durch Ausdeh- nung eine weitgewundene Faserzelle ‘gebildet hat, nun der vollendeten Ausdehnung der Zelle gemäss eine poröse Schicht entsteht. Gewöhnlich ist auch die Richtung der Spi- rale in der folgenden Schicht dieselbe wie in der vorher- 14* 212 Lehre von der Pflanzenzelle, sehenden, doch scheint es auch vorzukommen, dass sich Schichten, in denen die Spirale entgegengesetzt gewun- den ist, einander folgen. Man kannte einige dieser letzten Bildungen schon früher aus dem Taxusholze, wo Spiralfasern und Ringe vorkommen, zwischen deren Windungen schöne grosse Poren sich befinden. Indess ge- hören auch noch manche andere Erscheinungın hierher. : Ganz ähnlich ist das Verhalten bei den sogenannten porösen Gefässen von Prunus Padus und anderen Holzarten. Auch die Linde und der Wein zeigen Aechnliches, aber .hier nehmen die Poren nur den Theil der Wand ein, der an ein anderes Gefäss an- stösst (vergl. $: 27.), während die Fasern rundherum laufen. Ganz gewöhnlich ist. :aber der erste Fall, und man findet Ringe, die so sehr verdickt sind, dass sie nur ein kleines Loch in der Mitte behalten; da sie nicht gleichzeitig in der Breite zuneh- men, so erscheinen sie im ausgebildeten Zustand als ziemlich dünne durchbohrte Scheiben (z. B. in den Cacteen, Opuntia cylindrica, Melocactus, Mamillaria). Besonders häufig zeigt sich dieser Vorgang bei den porösen Zellen und geht hier .so weit, dass oft das Lumen der Zelle auf eine kaum noch sichtbare Röhre reducirt wird. Meistens erkennt man hier auf der Schnitt- fläche die einzelnen Schichten ganz deutlich, solche Zellen kom- men in unzähligen Pflanzen vor. Die Poren der Verdickungs- schichten werden dabei nach und nach zu Canälen. Häufig nähern sich auch solche Canäle allmälig einander, fliessen zu- letzt in einen zusammen, von denen oft zwei oder mehrere wieder zusammentreten, so dass die inneren Schichten viel we- niger Poren zeigen als die äussersten. Man nennt dies mit einem eigentlich unrichtig von entgegengesetzter Anschauungs- weise ausgehenden Ausdrucke, verästelte Porencanäle. Mohl') hat zuerst diesen Process entdeckt und an vielen Beispielen er- läutert, und dadurch eins der wichtigsten Verhältnisse im Le- ben der Pflanzenzelle aufgeklärt. $. 29. In gar vielen Zellen werden die von den Ablage- rungen frei gebliebenen Stellen der ursprünglichen Zel- lenwand verflüssigt und resorbir. Es entstehen auf diese Weise wirklich Löcher in der Membran. Hierauf 1) De structura palmarum et saepius. Formenlehre der Pillanzenzelle. 213 beruht namentlich der ganze Unterschied zwischen Zel- len und sogenannten Gefässen, indem die letzteren nur Zellenreihen sind, deren Höhlungen auf diese Weise in Verbindung gesetzt sind. Die Beobachtungen häufen sich täglich über solche wirkliche Löcher in der Membran und auch hier ist wohl Hugo Mohl der Erste, der diese wirklichen Löcher entdeckte und sie be- stimmt von den Poren unterschied. Zwar kannte man schon früher die freie Communication zwischen den Gefässzellen, aber man sah sie als ursprünglich continuirliche Röhren an und hatte oft die wunderlichsten Ansichten, weil man versäumte; ihre Ent- wickelungsgeschichte zu studiren. Solche Löcher kommen ganz entschieden vor bei den Moosen in der Gruppe der Leucopha- neen (Hampe), namentlich bei Sphagnum, in den Parenchymzel- len der Cycadeen im Alter, an den genannten Gefässzellen, zuweilen an den porösen Zellen der Coniferen da, wo sie an die Markstrahlenzellen anstossen, an den grünwandigen Zellen in der Rindenschicht der Luftwurzeln bei Aerides odorata u. s. w. Zweiter Abschnitt. Von den Zellen im Zusammenhang und den durch dieselben gebildeten Räumen. $. SO. Die einzelnen auf die angegebene Weise entstande- nen Formen der Zellen gruppiren sich nun auf mannig- fache Weise zu grösseren Massen (sogenannten Gewe- ben, tela, contextus) zusammen, die man nach ihrer verschiedenen Zusammensetzung aus verschiedenen oder gleichen Elementartheilen nach folgender Uebersicht zu- sammenstellen kann. Ich unterscheide hier nach der blossen äusseren Form und nicht, nach der verschiedenen Configuration der Wände, denn die letztere ist ein allgemeiner Lebensprocess der Pflanzenzelle und kann in jeder Weise mit jeder Zellenform vereinigt vor- kommen. Auch wäre es gar nicht schwer, aber eine unnütze _ Weitläufigkeit, fast ‚für jede denkbare Combination Beispiele aufzuführen. 2314 Lehre von der Pflanzenzelle, ‘. 31. A) Parenehym (Parenchyma). Die Hauptmasse der Pflanze und ihrer Theile. Dieses ist: 2) Unvollkommenes Parenchym (P. incompletum), wenn die Berührung der einzelnen Zellen untereinander höchst unvollständig ist. Man unterscheidet: 1) Rundliches Parenchym (P. sphaericum, s. elli- pticum), aus rundlichen oder elliptischen Zellen beste- hend, bei saftigen Pflanzen vorherrschend. 2) Schwammförmiges Parenchym (P. spongiae- forme), Zellen, die nach allen Seiten, aber ungleich- förmig ausgedehnt sind und sich dann nur mit den En- den der Strahlen berühren; als Füllmasse in den Luft- höhlen und fast Alles schnell austroeknende Gewebe, auch die untere Hälfte des Parenchyms der meisten Blätter. | b) Vollkommenes Parenchym (P. completum), wenn die Berührung der Zellen unter ‚einander möglichst voll- kommen ist. 1) Regelmässiges Parenchym (P. regulare s. dode- caedratum), fast lauter polyedrische Zellen ohne Vor- herrschen einer bestimmten Dimension; findet sich beson- ders im Mark der Pflanzen. 2) Langgestrecktes Parenchym (P. longitudinale, cylindricum, prismaticum ete.), bei‘sehr rasch wach- senden Pflanzen, zumal im Mark vieler a nen, in dem Innern der Tangarten. 3) Tafelförmiges Parenchym (P. tabulatum), Imeost viereckige tafelförmige Zellen in der äussern Rinde, be- sonders ler in Kork und Borke. Ich habe im'Paragraphen natürlich nur Beispiele angeführt und keineswegs ein erschöpfendes Verzeichniss des Vorkommens geben wollen, welches. bei der geringen Zahl der. Gewächse, die bis jetzt anatomisch untersucht sind, auch völlig unthunlich wäre; auch in den folgenden Paragraphen muss ich ‚mich auf solche Beispiele beschränken. Hier will ich nur noch bemer- ken, dass die genannten Arten sämmtlich nach der äussern Foruenlehre der Pflanzenzelle, 215 Form bestimmt sind und dass alle auch mit den verschiedenen ‚Modificationen der Wände vorkommen können. Ja ich glaube behaupten zu dürfen, dass in einer phanerogamen Pflanze keine grössere Parenchymmasse vorkommt, die nicht im Alter wenig- stens eine Form der Verdickungsschichten, nämlich die poröse, deutlich zeigte. Nicht immer aber sind alle Zellen einer Par- enchymmasse gleichförmig verändert und es kommen oft zwi- schen sehr dünnwandigen Zellen einzelne mit deutlichen Spira!- oder Netzfasern, oder auch einzelne Zellen oder Zellengruppen mit ausserordentlich dicken Wänden vor, z. B. die sogenannten steinigen Concretionen in den. Winterbirnen sind sehr diekwan- dige poröse Parenchymzellen, ähnliches in der Rinde und dem Mark von Hoja curnosa, in der Rinde sogenannter Luftwurzeln tropischer Orchideen und sonst in unzähligen Fällen. Das sphärische Parenchym hat natürich rundliche Berüh- rungsflächen, um welche gewöhnlich der in den Zwischenräumen vorhandene Saft beim Austrocknen kleine etwas erhabene Ringe bildet, die den Zellen ein eigenthümliches Aussehen geben, zu- mal da sie bei weitem häufiger von einander, gerissen, als durchschnitten werden. Man sieht diese Erscheinung ‚überall, wo dies Zellgewebe vorkommt, am schönsten in den saftigen Blättern tropischer Orchideen, z. B. der Oncidienarten. Die vorstehende Eintheilung des Parenchyms halte ich für zweckmässig, aber auch für genügend. — Meyen ') scheint mir zu viel, Treviranus”) zu wenig zu unterscheiden. $. 322. B). Intercellularsystem. Die Berührung der Zellen in der Pflanze ist selten oder nie ganz vollstän- dig, sie lassen mannigfache Lücken, die folgende wich- tisere Verschiedenhieiten zeigen. a) Ursprüngliche, blos ‚durch das nicht vollkommene Zusammenschliessen der Zellen ‚gebildete Lücken. 1) Intercellulargänge (Meatus intercellulares), enge meist dreieckige, um alle Zellen herumlaufende Canäle, fast überall, wenigstens in jedem Parenchym. 1) Phytotomie. Berlin, 1830, S. 57 ff 2) Physiologie. Bonn, 1835, Bd. 1. S, 29 fi. 216 Lehre von der Pflanzenzelle, 2) Intercellularräume (Interstitia intercellularia), grössere unregelmässige Räume zwischen den Zellen, besonders im schwammförmigen Zellgewebe. b) Später entstandene Lücken. 1) Behälter eigenthümlicher Säfte (Oonceptacula succi proprü). Durch Erguss der Säfte aus den be- nachbarten Zellen, aus Intercellulargängen entstanden. Man kann zweierlei unterscheiden: «) Von ziemlich derben, dicht aneinander geschlos- senen wahrscheinlich nicht absondernden Zellen flach be- sränzt, z.B. Harzgänge der Coniferen in der Rinde (?), einzelne Gummigänge. P) Von zartwandigen lockeren, blasig in die Höhle hineinragenden, wahrscheinlich absondernden- Zellen be- gränzt, die meisten Behälter eigner Säfte, z. B. die Milchsaftgänge der Mamillaria- und Rhus-arten, die Gummigänge der Uycadeen, die Harzgänge im Holze der Coniferen. 2) Luftbehälter, die durch Zerstörung einer Paren- chymmasse entstanden sind. Diese sind wieder: co.) Luftgänge (Canales aöreae). Hier verwandelt sich eine bestimmte Portion Parenchym erst in schwamm- förmiges Zellgewebe, wird dann zerrissen und resorbirt, die Wände dieser Gänge sind aber völlig glatt und die Höhlung ist in bestimmten Zwischenräumen durch eine Schicht stehenbleibender Zellen in Sternform, wie durch Scheidewände unterbrochen, z. B. in Canna, Nym- phaea etc. P) Luftlücken (Lacunae aöreae). Hier zerreisst unordentlich durch Ausdehnung des Pflanzentheils eine Portion Parenchym. Die Wände bleiben rauh mit den Resten der zerrissenen Zellen besetzt, z. B. die hoh- len Stengel der Gräser, Umbellaten, Compositen u. s. w. Die Intercellulargänge sind lange bekannt gewesen, selten gehörig gewürdigt, man hat oft zu vıel, oft zu wenig Werth auf sie gelegt. Sie bilden fast in jedem Parenchyma ein eigen- thümliches zusammenhängendes System von Canälen, sie stehen Formenlehre der Pflanzenzelle, 217 mit den Intercellularräumen in Communication und eben so mit den Luftcanälen, obwohl das häufig geleugnet wird. Im gröss- ten Theil eines Luftcanals sind die denselben begränzenden Zellen fest aneinander geschlossen und zeigen keine Intercellu- largänge, wohl aber in der Nähe und meistentheils unmittelbar über einer Scheidewand. Die grösseren Luftcanäle entstehen gewiss immer auf die angegebene Weise, wie bei Canna und * Nymphaea leicht zu beobachten, die kleineren sind allerdings wohl nur erweiterte Intercellulargänge, was die meisten Schrift- steller unrichtig auch auf die grössern übertragen haben. Bei den Milchsaftgefässen hat man bisher ziemlich in Bausch und Bogen gesprochen, gleichwohl sind sie sehr verschieden. Bei den im Paragraph genannten Pflanzen, die doch einen ent- schiedenen Milchsaft haben, ist an eine eigne Haut gar nicht zu denken. Auch ist auf den angegebenen Unterschied in dem Bau der Wände aller Behälter eigenthümlicher Säfte nicht ge- nug geachtet, wahrscheinlich kann man hier absondernde und blos aufbewahrende unterscheiden. Doch sind hier noch viele Untersuchungen zu machen. Ich kann hier aus Mangel an Material nur andeuten. Ob die Harzgänge in :der Rinde der Coniferen in der Jugend eigne Wände haben, wie Link ') be- hauptet, kann ich nicht entscheiden, die des Holzes haben be- stimmt keine, auch in der frühesten Jugend nicht. $. 33. C) Gefässe (Vasa, Tracheae aut. veter.). Wenn eine Reihe meist langgestreckter Parenchymzellen durch Resorption der ihre Höhle trennenden Wände in offne Communication tritt, so nennt man eine solche Reihe mit einem höchst übel gewählten Ausdruck Gefäss und unterscheidet sie nach der Modification. der Zellenwand mit den oben bei den Zellen angeführten Namen, als Vasa spiralia, annulata, porosa ete. | Die ganze Lehre von den sogenaunten Gefässen ist durch die verkehrte Behandlung (die Vernachlässigung der Entwicke- lungsgeschichte) in ein durchaus schiefes Licht gestellt worden. Man hat sogar da, wo man die Zusammensetzung aus einzel- nen Zellen (die sogenannte Gliederung der Gefässe) beobach- I) Elem. phil. bot. Ed. II. T. 1. p. 201. Er unterscheidet nicht zwischen Rinde und Holz, 218 Lehre von der Pflanzenzelle. tete, diese als später durch Einschnürung entstanden zu erklä- ren versucht: Nichts ist meistentheils leichter, zumal bei den grösseren und sich später in einem Pflanzentheil bildenden Ge- fässen, als ihre allmälige Bildung aus Zellenreihen zu beobach- ten. Nur bei den am frühesten entstandenen Gefässzellen ist es oft unendlich schwierig, da hier die Communication der Höhle früh eintritt und dann die noch fortdauernde Ausdeh- nung allmälig der ganzen Zellenreihe genau ein gleiches Ka- liber ertheilt. Dazu kommt noch eine andere bis jetzt kaum bemerkte, geschweige denn gewürdigte und erklärte Eigen- heit. : Wir bemerken leicht, dass in den einzelnen Zellen der Chara die schiefe Richtung der grünen Kügelchen sich durch die folgenden Zellen hindurch zu einer vollkomme- nen‘ Spirale ergänzt, ebenso findet häufig ein eigenthümli- cher Zusammenhang zwischen‘ den spiraligen Ablagerungen zweier benachbarter Zellen statt, so‘ dass dem nicht sehr aufmerksamen: Beobachter sich die Spirale ununterbrochen fort- zusetzen scheint. Dadurch wird es oft beinahe unmöglich, in den zuerst aufgetretenen Gefässzellen ihre Zusammensetzung aus einzelnen Zellen noch zu erkennen, obwohl uns die Ana- logie vollkommen berechtigt, eine solche auch hier anzunehmen, da kein Grund vorliegt, warum gerade bei diesen Gefässen eine Ausnahme stattfinden sollte. Nirgends ist die Zusammen- setzung der Gefässe aus Zellen leichter zu beobachten, als bei der Balsamine, und nirgends zeigt sich auch auffallender der Zusammenhang der spiraligen Bildungen einer Zelle mit der folgenden. Aber es gelingt auch nicht selten, an ganz früh entstandenen Gefässen trotz der Gleichförmigkeit des Kalibers und der scheinbaren Continuität der Spirale die Zusammen- setzung zu erkennen. Ich habe an einem andern Ort darauf aufmerksam gemacht '). Gewöhnlich, zumal bei den später entstandenen Gefässzellen, wird die Scheidewand so durchbrochen, dass rings ein schmaler Rand stehen bleibt (bei den früher entstandenen bleibt oft nichts stehen und das erschwert die Erkennung der Zusam- mensetzung noch mehr oder macht sie ganz unmöglich). Sel- ten stehen diese Scheidewände ganz horizontal, gewöhnlich etwas geneigt und zwar seltsamerweise sehr selten von der Axe des Pflanzentheils nach der Peripherie, meist nach den Seiten der Radien zu geneigt. Auf einem radialen Längs- schnitt bekommt man daher jene Löcher in den Scheidewän- 1) Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Cacteen in den Mem. de l’academ. de St. Petersb. par. div, savans. Vol. VI. Ser. T. IV. p. 26, R7. Formenlehre der Pflanzenzelle. 219 den häufig zu sehen. Treviranus ') bemerkte sie zuerst, wusste aber aber nichts damit zu machen; Meyen ?), der weniger gut beobachtet hatte, gab eine höchst unbeholfene Erklärung, erst spater wurde die Sache aufgehellt, aber ohne dass man Treviranus genannt hätte. Diese Bildung der Durchbrechung findet aber nur statt, wenn die Scheidewände eine gewisse Neigung nicht übersteigen, bei etwas stärkerer Neigung bilden sich ‚statt eines mehrere Löcher und die Scheidewand gewinnt oft ein regel- mässiges leiterförmiges Ansehen, wie Mohl’) zuerst entdeckte. Beispiele geben die Birke, die Palmenwurzeln, Arundo Donaz ete. Wird endlich die Neigung so stark, dass man die Zellen mehr für aneinanderliegend, als aufeinanderstehend ansehen muss, so bilden sich auf der Scheidewand, je nach der Natur der Zel- len, nur Spiralen oder Poren aus. Auch hier mögen die vori- gen Beispiele genügen. Dass das ausgebildete Gefäss regelmässig nur Luft führt, ist so klar, dass man sich ‘wundern muss, wie je Streit darüber entstehen konnte, da schon das unbewaffnete Auge darüber aufklären konnte (vergl. oben Einleitung. S. 13 Anm.), aber zu- weilen dringt im Alter abnormerweise Flüssigkeit und zwar bil- dungsfähige in dieselben ein und es entstehen in der Höhle des Gefässes Zellen. Sie. sind länger bekannt in den alten porösen Gefässen der Eiche und der Ulme, ich fand sie häufig in den Spiralgefässen alter Scitamineenstämme, z. B. bei Canna und Hedychium. Hier entstehen die Zellen, wie mir scheint, nicht eigentlich in der Gefässzelle, sondern von der benachbar- ten Zelle dehut sich ein Theil der Wand blasenförmig aus und drängt sich zwischen die Spiralwindungen in die Gefässzelle hinein. In dieser Blase, die sich abschnürt (2), entstehen dann neue Zellen. Es versteht sich von selbst, dass eine Gefässbildung bei allen Zellenformen vorkommen kann, die sich reihenweise anordnen können, also auch bei kugeligen oder polyedrischen Zellenformen. Die aus den letzteren beiden entstandenen Gefässe pflegte man früher wohl, besonders wenn ihr Verlauf nicht ganz grade war, mit dem völlig überflüssigen Namen: rosenkranzförmige Gefässe (vasa moniliformia) u. s. w. zu bezeichnen. Ich weiss nicht, warum man die ganz kurzgliedrigen, aus fast tonnenförmigen Zellen bestehenden porösen Gefässe des Weins nicht auch so genannt hat, ein Unterschied ist durchaus nicht vorhanden. 1) Vom inwendigen Bau der Gewächse u. s. w. Göttingen, 1806, Taf, I. Fig. 10, b. 2) Phytotomie S. 264. 3) De Palmarum structura. Taf. N. Fig. 13, 14, 15. ID 189) =) Lehre von der Pflanzenzelle. $. 34. D) Gefässbündel (Fasciculi vasorum). So nennt man eine Masse von langgestreckten Zellen, von denen ein Theil in Gefässe umgeändert ist, und die sich mehr oder weniger deutlich von dem umgebenden Parenchym, welches sie in einem längeren oder kürzeren Zuge durchsetzen, unterscheidet. Sie sind entweder: a) Simultane Gefässbündel (F. v. simultanei), wenn alle ihre Theile ziemlich zu gleicher Zeit entstanden sind und ausgebildet werden, Gefässbündel der Krypto- gamen. b) Succedane Gefässbündel (F. v. succedanei), wenn die einzelnen "Theile nach einander und zwar in allen Stengelgebilden in der Richtung von Innen nach Aussen entstehen und ausgebildet werden. Sie bestehen anfäng- lich ganz aus einem in der Bildung begriffenen, zarten, mit trüber Flüssigkeit gefüllten Zellgewebe (Cambium), welches so wie es innen in gestreckte Zellen und Ge- fässe übergeht, sich aussen fortbildet. Diese Gefäss- bündel sind wiederum: | 1) Geschlossene Gefässbündel (F. v. definiti). Bei ihnen dauert die Fortbildung nur eine bestimmte kurze Zeit, dann ändert sich das Cambium in ein klares scharfgezeichnetes Zellgewebe um und ist unfähig zu ferneren Bildungen. Gewöhnlich liegen hier die Ge- fässe in einer Linie oder 51 hältniss zu den schon vorhandenen gesetzt werden müssen und so abermals ein neues Spiel chemischer Thätigkeiten einleiten können. II. Von der Ausscheidung der Stoffe aus der Pflanzenelle. 8. 43. Der Endosmose, wodurch Flüssigkeiten in die Zelle geführt werden, entspricht nothwendig eine Exosmose. Bin kleiner Theil des Zelleninhalts tritt heraus. Auch hier ist kein Wahlvermögen der Zelle anzunehmen, son- dern Alles, was im Zelleninhalt selöst ist, wird mit ausgeschieden und nur in der Weise tritt eine Modifica- tion ein, dass hier wie bei der Endosmose die verschie- dene Anziehung der einzelnen Stoffe innerhalb und ausserhalb der Zelle zu einander sich. geltend macht. Hierüber ist bis jetzt nur bei Gelegenheit der Wurzelausschei- dung die Rede gewesen. Erst müssen wir aber fragen, wie es bei der einzelnen Zelle steht, denn nur aus solchen besteht das Aeussere der Wurzel. Hier ist nun gleich klar, dass wo Endosmose ist, auch Exosmose stattfinden muss und das Leugnen der Ausschei- dung von solchen, die (wie Meyen')) Endosmose als Grund der Aufnahme angeben, ganz unbegreiflich. So viel versteht sich aber von selbst, dass hier nicht die Rede davon seyn kann, dass die Pflanze die Eigenschaft hat, diejenigen Stoffe, die ihr nicht brauchbar sind, auf diesem Wege abzuführen ?), wenn wir nicht eine physikalische oder chemische Ursache da- für anzugeben im Stande sind, warum grade diese Stoffe vor- zugsweise ausgeschieden werden sollten. So gut wie der auf eine bestimmte Weise eingeleitete chemische Process, den wir Zellenleben nennen, nicht fortgeführt werden kann, wenn die Zelle nicht die dazu nöthigen Stoffe durch Endosmose erhält, 1) Physiologie Bd. 2, S. 27 ff. und 524 ff. 2) Herr Liebig schimpft in seiner Manier (Organ. Chemie S. 35. 93 ff.) auf die einfältigen Physiologen, die nicht über die Lebenskraft hinauszukommen wissen, S. 145 ff. schimpft er wieder auf sie, dass sie der Pflanze die Eigenschaft absprechen wollen, das ihr Schädliche und Unbrauchbare auszuscheiden; wäre denn das keine Lebenskraft? 252 Lehre von der Pflanzenzelle. ebenso gut hört dieser Process auch auf, wenn ihr die stören- den Stoffe nicht durch Exosmose oder durch andere physikali- sche Vorgänge entzogen werden, aber keinen Sinn hat es. zu sagen, ihr käme die Kraft zu, was ihr schädlich ist, auszuschei- den, schon deshalb, weil das ein Urtheil über schädlich und unschädlich voraussetzen würde, welches doch der Pflanze nicht beigelegt werden kann. - Die durch Exosmose ausgeschiedenen Stoffe können aber im Augenblick des Austritts schon wieder durch die ihnen entge- gentretenden Einflüsse verändert werden, so dass wir vielleicht in vielen Fällen das eigentliche Product der Exosmose gar nicht kennen lernen. Hierfür spicht eine höchst merkwürdige Analo- gie. Der Keimungsprocess verwandelt vermöge des Klebers die Stärke in Gummi, dieses in Zucker und diesen abermals in andere Stoffe, dabei wird Kohlensäure entbunden und Essig- säure ') ausgeschieden, die sich aber in den Keimen nicht frei vorfindet. In der Gährung verwandelt der Kleber die Stärke in Gummi, Zucker und zerlegt diesen in Kohlensäure und Al- kohol, welcher sich leicht (z. B. durch Platinmohr) mit conden- sirtem Sauerstoffgas in Essigsäure verwandelt. Gewiss ist hier die Analogie so schlagend, dass man versucht wird, die feh- lenden Momente durch die Hypothese zu ersetzen, dass auch beim Keimen Alkohol gebildet, aber sogleich beim Austreten mit Sauerstoff zu Essigsäure verbunden ausgeschieden wird. Zweierlei kommt hier noch in Betracht, was gewiss die Ex- osmose beträchtlich modificirt. Das Eine ist eine entschiedene Verwandtschaft zwischen Stoffen ausserhalb der Zelle und sol- chen, die immer frei vorhanden sind, dass sie dieser Anziehung folgen können, und zweitens die Anziehung, die gleichartige Stoffe zu einander zu haben scheinen. Aus einer Flüssigkeit, die zwei verschiedene Salze in concentrirter Lösung enthält, kann man durch Hineinlegung eines Krystalls der einen oder anderen Art das eine oder das andere Salz auskrystallisiren lassen. Ebenso scheint eine Zelle bestimmte Stoffe vorzugs- weise dahin abzugeben, wo sich schon eine grössere Menge desselben Stoffes befindet. Wenigstens erklärt sich so am leichtesten, warum die einen Gummigang. begränzenden Zellen grade nur Gummi in denselben hinein absondern. Manches hierüber wird noch unten bei der Wurzel vor- kommen. 1) Nach Becguerel. Das Leben der Pflanzenzelle. 253 $. 44. Wenn in der Zelle freie Gasarten vorkommen und zwar mehr als die Flüssigkeit aufgelöst erhalten kann, so entweichen sie natürlich durch die Zellenwand, die ihrem Austritt kein Hinderniss in den Weg legt. Wenn die Flüssigkeit grade mit einer Gasart gesättigt ist, so kommt es auf die Natur der in der Umgebung der Zelle enthaltenen Gasart an, ob nach dem Dalton’schen Gesetz des Gleichgewichts der Gase ein theilweiser Austausch erfolgt oder nicht. Die auf diese Weise entbundenen Gasarten sind hauptsächlich Sauerstoff, Kohlensäure und Wasserstoff. Die am allgemeinsten vorkommenden Processe in der Zelle sind Wasserzersetzung mit Bindung des Wasserstoffs und Zer- setzung der assimilirten Stoffe unter Bildung von Kohlensäure '), seltener wie bei den Pilzen Wasserzersetzung mit Freiwerden des Wasserstoffs®). Dazu kommt, dass mit dem Wasser ‚von der Pflanzenzelle auch die in demselben gelösten Gasarten, na- ‚ mentlich . Kohlensäure aufgenommen werden. So finden sich in derselben beständig freie Gasarten, die nicht immer gleich in andere chemische Verbindungen eintreten, also frei aus der Zelle entweichen müssen. Hier bieten sich uns nur die beiden im Paragraphen genannten Verhältnisse dar. Der Process wird zuweilen sehr einfach auftreten, z. B. bei der so einfach vege- tirenden Confervenzelle, wo nur Kohlensäure aufgenommen und nur Sauerstoff in Folge der Wasserzersetzung ausgeschieden wird’). Hier kann die Dalton’sche Austauschung der Gase nicht wohl in Betracht kommen, weil genau für jedes Volumen Koh- lensäure das äquivalente Volumen Sauerstoff ausgehaucht zu wer- den scheint. Man nennt dies gewöhnlich den Athmungsprocess der Pflanze mit eben der Verkehrtheit, womit man überhaupt die Prädicate des Thieres auf die Pflanze überträgt. Sehr viel complieirter wird natürlich der Vorgang, wo neben dem ge- nannten einfachen Zersetzungsprocess, wie gewiss häufig ge- 1) Vergl. weiter unten bei der Lehre vom Keimen. 2) Vergl. v. Humboldt, Flor. frig. spec. p. 179 sg. 3) Grade hierbei wurde zuerst von Priestley im Jahr 1773 der ganze Process der Gasausscheidung und zugleich das Sauerstoflgas ent- deckt. Vergl. Priestley Beobachtungen und Versuche über verschiedene Gattungen der Luft. A. d. Engl. Wien u. Leipzig, 1778—S0. 3 Theile. 2354 Lehre von der Pilanzenzelle. schieht, noch durch andere chemische Zersetzungen Gasarten frei werden und zugleich die in der Zelle enthaltenen Stoffe, z. B. Harze, Gasarten, z. B. Sauerstoff von Aussen aufnehmen, um sich damit zu verbinden. IV. Gestaltung der assimilirten Stoffe. &. 45. 5 Durch die assimilirten Stoffe wächst die Pflanzen- membran auf eine solche Weise, dass sie ebensowohl ausgedehnt wird, also einen grösseren Raum umschliesst, als auch in ihren Wänden verdickt wird. Wahrscheinlich ist hier die Ursache des Wachsthums die An- ziehung des Gleichartigen, wie bei dem Krystall, der in eine Flüs- sigkeit gelegt derselben die ihm gleichen Theile entzieht und dadurch wächst. Nur lagert sich hier der angezogene Stoff nicht schichtenweise auf die Fläche des schon Geformten ab, sondern durchdringt in halbflüssigem Zustande die fertige Mem- bran, um sich in ihr gleichförmig zu vertheilen, mehr aber in ‚der Richtung der Fläche als m der der Dicke sich mit dem schon fertigen Stoff verbindend. Deshalb findet man, dass, so lange die Zelle homogen fortwächst, dieselbe nie eine bedeu- tende Dicke erreicht. Wir haben gar keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass die isolirte Zelle schon durch Apposition wachse, vielmehr deutet Alles darauf hin, dass hier eine ächte Intussusception stattfinde. Eine geistreiche Erörterung; hierüber hat Schwann ') gegeben. Dass zuweilen ein Theil der Mem- bran stärker ernährt wird als der andere, ist schon oben ($. 24. u. 25.) erörtert. $. 46. Zu einer bestimmten Zeit hört aber die Zellenmem- bran ganz oder doch grösstentheils zu wachsen auf, und die assimilirten Stoffe, die von nun an in der Art sebil- det werden, dass sie in eine feste Form übergehen müs- sen, lagern sich in einer eignen Schicht auf die innere Fläche der Membran ab und zwar in den schon oben 1) Mikroskopische Untersuchungen 8. 229 ff. Das Leben der Pflanzenzelle, 255 (S. 26.) betrachteten Formen. Dieser Process wieder- holt sich dann so oft, als noch Stoffe gebildet werden. Bei der Krystallbildung finden wir, dass sich die den Kry- stall vergrössernden Schichten stets nur in einer bestimmten Dicke bilden, und wenn diese Dicke erreicht ist, die Bildung einer neuen Schicht beginnt. Ganz dasselbe finden wir in der Pflanzenzelle, nur mit dem Unterschiede, dass diese hohl ist und die Mutterlauge sich im Innern befindet, weshalb sich die neuen Schichten auch von Innen anlagern. Von der Ursache, die bei diesen neuen Schichten die spiralige Anordnung veran- lasst, wissen wir noch nicht das Geringste. Nur so viel kann man bis jetzt sagen, dass sich in der runden, oder länglichen isolirten Zelle weder Schichtenbildung, noch auch eben des- halb spiralige Anordnung derselben zeigt. Die erste Andeu- tung davon finden wir in den Spirogyra-arten, aber hier ist der spiralig abgelagerte Stoff nicht Bildungsstoff für die Zelle, sondern Chlorophyll, welches in dieser eigenthümlichen Form auftritt. Dieses spiralige Chlorophyliband ist eine nach Aus- sen concave Rinne und nimmt in ‘seine Höhlung einen was- serhellen Stoff auf, der vielleicht eine wirkliche Spirale ist. Doch muss ich gestehen, dass mir die Sache noch sehr unklar ist. Leicht ist einzusehen, dass es ein sehr variables Verhältniss seyn muss, in welchem die neue Schicht zu der alten rücksicht- lich ihrer Vereinigung steht. Das Wachsthum der primären Zellenmembran dauert oft noch einige Zeit fort, nachdem die zweite Schicht schon gebildet ist, und da muss sich natürlich diese neue Schicht von der alten trennen, wenn sie im Wachs- thum nicht gleichen Schritt hält. Besteht die neue Schicht, was sehr häufig der Fall zu seyn scheint, aus einer andern Modification des assimilirten Stoffes, oder ist die erste Schicht sehr fest und unlöslich geworden, ehe sich die andere bildete, so wird ebenfalls eine weniger enge Verbindung beider stattfin- den u. s. w. Nichtsdestoweniger bleibt die neue Schicht ih- rem Wesen nach immer dasselbe, nur ihre Form wechselt in Folge dieser Verschiedenheiten, wie schon oben ($. 26.) weiter ausgeführt ist. V. Bewegung des Inhalts der Pflanzenzelle. $. 4. Wir finden in. der Pflanzenzelle eine doppelte Form der Bewegung ihres Inhalts, über deren Ursachen wir 956 Lehre von der Pflanzenzelle, noch gänzlich im Dunkel sind. In den meisten: Pflanzen aus den Familien der Characeen, Najaden und Hydro- charideen und im Fruchtstiel der Jungermannien ist in jeder Zelle ein einfacher an der einen Seite aufsteigen- der, an der andern Seite absteigender Strom einer durch Farbe, Consistenz (Schleimigkeit) und Unlöslichkeit in wässerigen Flüssigkeiten von dem übrigen wasserhellen Ziellensaft verschiedenen Flüssigkeit zu beobachten, die in einigen besonders dadurch sichtbar wird, dass er die im Safte enthaltenen Kügelchen (Stärkemehl, Chloro- phyll, Schleim u. s. w.) mit fortführt, meistens aber auch für sich deutlich genug erkannt wird. Am besten ist die Bewegung in den Nitella-arten, in den Wurzelhaaren von Hydrocharis morsus ranae und in Vallis- neria spiralis zu beobachten. Alle drei haben ihre Eigenthüm- lichkeiten. Bei Nitella ist der strömenden Flüssigkeit sehr viel, so dass nur ein schmaler Streif in der Zelle zwischen auf- und abstei- gendem Strom in relativer Ruhe bleibt. Der Strom ist stark und rasch und reisst bedeutend grosse Stärkekörnchen mit fort. Er ist nicht vollkommen der Axe der Zelle parallel, sondern schneidet sie in einem kleinen Winkel. Wo zwei Zellen zu- sammengränzen, haben die an der Scheidewand verlaufenden Ströme eine entgegengesetzte Richtung, daher liegen in der ganzen Pflanze die aufsteigenden Ströme an einer Seite und zwar bilden sie wegen ihrer schrägen Richtung eine Spirale; ebenso die absteigenden. In der frühesten Jugend sind die Zellen völlig durchsichtig, später wird dies gestört dadurch, dass sich eine Menge mit Chlorophyll überzogene Körnchen an der Wand grade da, wo die Ströme sind, in engen paralle- len Reihen anordnen und nur an beiden Seiten den kleinen Raum zwischen den Strömen freilassen. Unterbindet man vor- sichtig die Zelle, so stellt sich in Kurzem der Strom in jedem unterbundenen Stücke wieder her. Schneidet man die Zelle durch, so fliesst die circulirende Flüssigkeit nur an einer Seite ın dem der Oeffnung zugerichteten Strom aus, die andere Flüssigkeit vollendet erst ihren ganzen Lauf durch die Zelle, bis sie ebenfalls zum Ausfluss kommt. Was dem Leben der Pflanze schädlich ist, schadet auch der Saftbewegung, was jenes erhöht, befördert auch diese. - Ganz gleich verhält sich die Sache bei Chara, nur ist hier die Beobachtung nicht so leicht. Bei keiner Pflanze, die sonst noch Circulation zeigt, findet sich Das Leben der Pfianzenzelle, 257 das Zusammentreten der Stromrichtungen zu einer aufsteigen- den und einer absteigenden Spirale. Bei Hydrocharis ist we- gen der völligen Durchsichtigkeit der von Natur isolirten Haar- zellen der Wurzel die Beobachtung ausnehmend leicht. Bei Vallisneria muss man freilich immer erst das Blatt der Fläche nach spalten, um es zur bequemen Beobachtung durchsichtig genug zu machen, aber dies thut der Bewegung keinen Ein- trag, denn in wenig Minuten zeigt sie wieder ihre vorige Le- bendigkeit. Hier ist die eirculirende schleimige Flüssigkeit sehr gering und bildet nur einen ganz dünnen Ueberzug an zwei gegenüberstehenden Wänden, hat aber Gewalt genug, die ziem- lich grossen meist flach linsenförmigen mit Chlorophyll überzo- genen Körnchen mit fortzuführen. Bei Najas major und Cauli- nia fragilis, ım Fruchtstiel der Jungenmannien sind die Bewe- gungen ganz ähnlich. Am schwierigsten ist die Beobachtung bei Stratiotes aloides, und bei oft wiederholten Untersuchungen an allen Potamogeton-arten ist es mir nur zweimal gelungen, wirklich die Bewegung zu sehen; leider habe ich vergessen, die Arten zu bemerken. Bei der allersorgfältigsten Untersuchung mit den besten In- strumenten ist es mir nicht gelungen, eine Spur von schwingen- den Wimpern als Ursache der Bewegung aufzufinden, auch ist es sehr unwahrscheinlich, dass solche existiren. Wo dieselben bei Thieren aufgefunden sind, erscheinen sie als Fortsätze der Zelle nach Aussen, nirgends zeigt sich eine Spur derselben im Innern der Zellen. Diese ganze Art der Circulation scheint überhaupt ein durchaus der vegetabilischen Zelle eigenthümliches Phänomen zu seyn und mit ihrer ausgebildeten Individualität zusammenzuhängen. Alle genannten Pflanzen, bei denen die Circulation mit Sicherheit beobachtet ist, sind in Wasser lebende ocer doch sehr die Feuchtigkeit liebende Pflanzen aus sehr niedrig stehenden Familien, deren Zellen eine grosse Selbst- ständigkeit zeigen, so dass einzelne abgeschnittene Stückchen der Pflanze (z. B. von den Blättern von Vallisneria) oft noch Monate lang lebendig bleiben. Die angeblichen ähnlichen Cir- culationen bei höheren Landpflanzen muss ich vorläufig dahin- gestellt seyn lassen, da es mir nie gelang, auch nur eine einzige hierher gehörige Beobachtung zu machen. Geschichtliches und Kritisches. Im Jahr 1772 ent- deckte Bonaventura Corti die Circulation des Saftes in einigen Charen und in Caulinia fragilis (mia pianta, wie er sie be- ständig nennt) und dehnte diese Beobachtungen auch auf viele Land- und Wasserpflanzen aus, deren Bestimmung jetzt gröss- tentheils unmöglich ist. Fontana bestätigte diese Entdeckungen und klärte zugleich einige Irrthümer auf, in die Corti anfäng- 17 258 Lehre von der Pflanzenzelle. lich verfallen war. Beide Männer hatten so genau beobachtet und so vielfach experimentirt, dass die Folgezeit nichts Wesent- liches hat hinzufügen können. Ihre Entdeckungen wurden aber in der Zeit der sammelsüchtigen Linne’schen Schule so ganz vergessen, dass C. L. Treviranus erst 1807 die Bewegung des Saftes in den Charen, Amici 1819 in Caulinia aufs Neue ent- deckte, wozu später Meyen die andern genannten Pflanzen hin- zufügte, nachdem Horkel die Corti’schen Schriften wieder auf- gefunden und auf ihren Inhalt aufmerksam gemacht hatte. Den angeblichen Corti’schen Beobachtungen über Landpflan- zen ist, wie gesagt, nicht nachzukommen. Meyen ') sprach früher viel davon, dass er sie alle bestätigt, ohne sich eben sehr aufs Detail einzulassen, wobei ich nämlich bemerke, dass er die im folgenden Paragraphen beschriebene Bewegung da- mals, als er seine Phytotomie schrieb, noch nicht kannte. In seinem neuesten Werk ?) übergeht er sie wunderbarer Weise mit einem, wie es scheint, klugen Stillschweigen. In seiner Preisschrift giebt Meyen an, dass er die Bewegung auch an Pistia Stratiotes beobachtet hat. Vielfach hat Meyen und An- dere die hier beschriebene Circnlation mit der folgenden ver- wechselt. Corti’s schon von Fontana widerlegte Ansicht, dass eine Schei- dewand in der Zelle den auf- und absteigenden Strom schiede, ist später oft wiederholt, aber leicht als falsch zu erkennen. Die von Amici, Dutrochet und Andern vorgetragene Phantasie von einer galvanischen Bewirkung der Bewegung, wobei die Reihen der Chlorophylikügelchen in den Charen die Kette dar- stellen sollten, ist eine unwissenschaftliche Spielerei mit hinken- den Vergleichungen. Sie widerlegt sich einfach dadurch, dass an der keimenden Chara die Circulation ?) früher vorhanden ist, als die Kügelchen und ihre Anordnung. 1) Meyen Phytotomie S. 152. Ueber die neuesten Fortschritte der Anatomie und Physiologie. Harlemer Preisschrift 1336, 8. 165 und an andern Orten, 2) Physiologie Bd. 2, S. 206 ff. 3) „Das gedachte Phänomen wurde von Corf mit dem Namen einer Circulation belegt, wogegen sich so Vieles einwenden lässt, dass Meyen der Erscheinung eine andere Benennung gab und sie als eine eigen- thümlich kreisende Zellensaftbewegung beschrieb“. (Lateinisch doch nicht anders als circeulatio, Kreisbewegung zu übersetzen). „Später hat Schultz den Ausdruck Rotationsströmung gebraucht u. s. w.“. Meyen, Harlemer Preisschrift S. 161. In solchen elenden Wortklaubereien su- chen die Leute Wissenschaft! Das Leben der Pflanzenzelle. 359 $. 48. In fast allen ihrer Lagerung oder Ausbildung nach sehr selbstständigen Zellen zeigt sich ein eigenthünli- ches System kleiner vielfach verästelter anastomosiren- der Strömchen einer schleimigen mit kleinen dunkeln Körnehen gemischten Flüssigkeit, welche von dem im- mer gleichzeitig vorhandenen Uytoblasten ausgehen und zu ihm zurückkehren, die innere Fläche der Zellenwand bedecken, oder quer durch die Höhlung von einer Wand zur andern laufen, ohne sich mit der übrigen meist wasserhellen Zellenllüssigkeit zu vermischen. Bis jetzt fand ich diese eigenthümliche Form der Cireulation bei vielen Kryptogamen, z. B. Achlya prolifera, Spirogyra prin- ceps und andern Hyphomyceten und Conferven, bei fast allen Haargebilden der Phanerogamen, die ich bis jetzt untersucht habe, z. B. Solanum tuberosum, bei vielen Sporen, z. B. Equi- setum arvense, und Pollenkörnern, z. B. Oenothera grandiflora im jüngeren Zustande, bei fast allen jüngeren Endospermzel- len, z. B. Nuphar luteum, besonders solchen, die später wie- der resorbirt werden, z. B. Ceratophyllum demersum, in fast al- len Stigmapapillen, z.B. bei Tulipa Gesneriana, in den lockeren Zellen saftiger Früchte im jüngeren Zustande, z.B. bei Prunus domestica, in der aus den Samensträngen enstandenen Pulpa, z. B. bei Mamillaria, seltener in dem lockeren, saftigen Par- enchym mancher Pflanzen im jüngeren Zustande, z. B. Trade- scantia rosea. Ich vermuthe sie aber in allen Pflanzenzellen, so lange der Cytoblast noch lebensthätig ist. Im Ganzen habe ich bis jetzt über dreihundert Beispiele aus den verschiedensten Familien beisammen. Als leicht zu controlirendes Beispiel wähle ich hier die in jedem Treibhause zu bekommenden Früchte der Mamillaria stellata oder einer ähnlichen Art. Jede Zelle ist hier ganz isolirt, mit einem farblosen, gelblichen bis rosenrothen klaren Saft erfüllt. An einer Stelle der Wand klebt ein scharf um- schriebener nicht granulöser, mit einem scharf gezeichneten Kernkörperchen versehener Cytoblast. Ausserdem kleben an der Wand hin und wieder zerstreut, um den Rand des Cyto- blasten bisweilen in einen Kreis gestellt, Chlorophylikörner. Der Cytoblast ist stets mit einem kleinen Hof der gelblichen, schlei- migen, dicht mit kleinen dunklen Körnchen erfüllten Flüssigkeit umgeben, ‘von ihm aus gehen Strömchen von verschiedener 72 260 Lehre von der Pflanzenzelle. Breite und verschiedener Tiefe; am Rande, also von der Seite betrachtet, sieht man sie oft in deutlichen kleinen Wellen fort- rücken; in einigen Strömchen ist die Richtung vom Cytoblasten abwärts, in andern zu ihm hin. In ihrem Verlaufe verästeln sich die Strömchen vielfach und anastomosiren unter einander; hier nur selten laufen : einzelne Strömchen quer durch das Lu- men der Zelle, um sich auf der andern Seite mit einem andern Strome zu verbinden. Manche Strömchen sind so fein, dass sie unter den stärksten Vergrösserungen wie eine Linie ohne alle Breite, nur durch die einzelnen Körnchen etwas knotig er- scheinen. Zuweilen bricht ein Strömchen plötzlich ab, indem das vordere Stück abläuft, dann bildet sich am Ende des noch vorhandenen Stückes ein kleines Tröpfchen der Flüssigkeit, aus dem nach einiger Zeit der Strom in der alten oder einer neuen Richtung sich fortsetzt oder auch zwei oder mehrere Ström-. chen in neuer Richtung hervorgehen. Hiervon zeigen alle übri- gen Zellen nur unwesentliche Abweichungen, von denen die in- teressanteste noch die bei Ceratophyllum ') ist. Momente, wel- che beim zukünftigen Versuch einer Erklärung der in beiden Paragraphen beschriebenen Bewegungen zu berücksichtigen seyn werden und vielleicht zu einer Erklärung leiten können, sind: die Endosmose und Exosmose, die nothwendig eine Bewegung des Zelleninhalts irgendwie bedingen müssen; dann die bestän- dig umbildend wirkende Natur des Cytoblasten, ferner die ei- genthümliche Natur der circulirenden Flüssigkeit, ihre Unmisch- barkeit mit dem wässerigen Zellensaft und ihre grössere Adha- sion an die Zellenwände, sowie ihre grössere Cohäsion in sich. Bis jetzt sind wir freilich noch nicht im Stande, aus diesen Elementen etwas Brauchbares zu construiren. Geschichtliches und Kritisches. Entdeckt wurde diese Form der Saftbewegung 1831 von Rob. Brown an den Staub- fadenhaaren von Tradescantia virginica”). Slack, Meyen und ich vermehrten insbesondere die Zahl der Beispiele. Meyer meint, in den Zellen der Haare von Tradescantia virginica sey ausser jenen Saftströmen nur Luft enthalten, was aber durch- aus falsch ist; dass er Rob. Brown eine ähnliche Behauptung unterschiebt *), geht nur aus einer falschen Uebersetzung des Englischen hervor, Rob. Brown spricht nur von der den Haa- ren adhärirenden Luft. Slack*) meinte, dass in den Haarzel- 1) Siehe meine Beiträge zur Kenntniss der Ceratophylleen in der Linnaea Bd. 11 (1337) S. 527 £. 2) On the sexual Org. etc. in Orchid. and Asclep. p. 12. 3) Physiologie Bd. 2, S. 244 ff. A) Transactions of the society of arts etc. Vol. 49 (1933). Das Leben der Pflanzenzelle. 261 len bei Tradescantia virginica noch ein Schlauch enthalten sey und dass die Strömchen zwischen seiner Wand und der der Zelle sich befänden. Genaue Untersuchung zeigt leicht die Falschheit dieser blossen Fiction. Nur höchst oberflächliche Beobachtung oder höchst mangelhafte Mikroskope können es erklären, wenn Schultz!) diese Strömchen auf die Aussenwand der Zelle in ein eignes Gefässsystem (seine Vasa laticis con- tracta) versetzt. Eine einzige aufmerksame Beobachtung wider- legt ihn hinlänglich, sowie auch die angeführten Phänomene sogleich die Unmöglichkeit eines solchen Gefässsystems beweisen. Meyen schreibt die Bewegung nicht der Flüssigkeit, sondern den von derselben fortgerissenen Körnchen als Selbstthätigkeit zu. Mir scheint das eine ganz grundlose Fiction zu seyn, die bei Meyen ?) daraus hervorgegangen ist, dass er in einigen Fäl- len die Flüssigkeit übersah. Für eine solche allen Analogien widersprechende Ansicht müssten wenigstens erst andere Gründe beigebracht werden, als Meyen’s blosse Privatmeinung. Den ganzen Streit über die Existenz dieser wie der vorigen Bewegung übergehe ich als gänzlich antiquirt; wer heutigen Tages noch daran zweifelt, ist zu allen physiologischen Beob- achtungen völlig unfähig. $. 9. Wenn in einer Pflanzenzelle eine Menge sehr klei- ner Körperchen, gleichviel ob organischer oder unorga- nischer Natur, z. B. kleine Stärkemehlkörnchen, kleine Krystalle u. s. w., in einer nicht zu dichten Flüssigkeit vorkommen, so zeigen diese gewöhnlich eine zitternde Bewegung (Molecularbewegung genannt), deren Ursache uns noch unbekannt, aber auf jeden Fall keine mit dem Leben der Zelle nothwendig und ausschliesslich ver- bundene ist. Man hatte zwar schon früher einige hierher gehörige Beob- achtungen gemacht, aber entweder gar nicht beachtet, oder doch nicht verfolgt. Erst Rob. Brown?) im Jahr 1827 fasste I) Flora 1334, 8. 120 und seine pariser Preisschrift, die ich noch nicht gesehen, 2) Physiologie Bd. 2, S. 229 und sonst an vielen Stellen. a n cn Schriften herausg. von Nees v. Esenbeck. Bar: 262 Lehre von der Pilanzenzelle, diese Erscheinung im Zusammenhang auf und vollendete auch sogleich die Untersuchung so vollständig, dass fast nichts hin- zuzufügen blieb und Meyen’sche Befangenheit in vorgefassten Ansichten dazu gehörte, um hier noch von einem vitalen Phä- nomen zu sprechen '). Alle hinlänglich kleinen Körper, gleichviel ob organisch oder unorganisch, zeigen in einer nicht zu dicken Flüssigkeit suspen- dirt eine eigenthümliche oscillirende Bewegung ohne bedeutende Ortsveränderung. Bzi fast allen Pflanzen findet man Beispiele davon in den Schleimkörnchen, Stärkemehlkörnern, Krystallen u. 5. w., gleichviel ob sie noch in der Zelle eingeschlossen sind oder schon frei gemacht, wenn nur die Flüssigkeit sie suspen- dirt erhalten kanu, so dass sie nicht zu Boden sinken. Eine solche Flüssigkeit ist vorzugsweise der Milchsaft und der In- halt der Pollenkörner, deshalb beobachtet man hier auch am öftersten und leichtesten diese Bewegungen. Zufällig wurden diese Bewegungen grade in den letzten Theilen zuerst bekannt, weil man dieselben öfter und genauer untersuchte, als gewöhn- liche Zellen, und sogleich war auch die Phantasie geschäftig, daraus allerlei wunderliche Systeme aufzubauen. Diese Bewe- gungen sind besonders Schuld, dass wir von speculativen Kö- pfen mit vegetabilischen Saamenthierchen beschenkt sind. Zu hoffen ist aber, dass wir bald wieder davon erlöst werden, wenn so treue und nüchterne Beobachter wie Fritsche ?) für die Pflanzen und Kölliker?) für die Thiere den Saamenthieren so gründlich den Krieg erklären. Dass die angeblichen For- menveränderungen der kleinen länglichen, halbmondförmigen Stärkekörnchen bei den Onagrarien auf Täuschung beruhen, ist bei aufmerksamer und vorurtheilfreier Beobachtung leicht zu erkennen. Von einer vitalen Erscheinung kann schon deshalb nicht die Rede seyn, weil die Bewegungen auch in weingeisti- ger lodtinctur (ein absolutes Gift für alles Pflanzen- und Thier- leben) ungestört fortdauern, wovon man sich leicht überzeugen kann und was von Fritsche (a. a. ©.) mit bekannter Gründ- lichkeit für eine grosse Anzahl Pflanzen ausgeführt ist. Nur der, welcher in Vorurtheilen befangen überall nach Wunderdin- gen hascht und besonders, wenn nicht warnend und leitend eine gesunde Naturphilosophie zur Seite steht, kann in dem ganz natürlichen Vorkommen dieses ganz allgemeinen physika- 1) Vermischte Schriften herausg. von Nees v. Esenbeck, Bd. 4, S. 367. 2) Ueber den Pollen. St. Petersburg, 1837. Aus den Mem. de "’acad. Imp. des se. de St. Petersb. besonders abgedruckt 8. 24 ff. 3) Beiträge zur Kenntniss der Geschlechtsverhältnisse und der Saa- menflüssigkeit wirbelloser Thiere u. s. w. Berlin, 1841, S. 49 ff. Das Leben der Pflanzenzelle. 263 lischen Phänomens in dem Inhalte der Pollenzelle eiwas Beson- deres finden und durch Phantasien die Leere ausfüllen, die ihm von der Natur gelassen scheint. Ueber den Grund dieser Erscheinung wissen wir durch- aus gar nichts; man hat vorläufig kleine elektrische Span- nungen und Ausgleichungen zur Erklärung vorgeschlagen. Bes- ser ists zu warten und seine Thätigkeit auf etwas Anderes zu werfen, als mit ganz unzeitigen und haltungslosen Hypothesen sich und Andern die Zeit zu verderben. VL. Bewegungen der Pflanzenzellen. $. 50. Bei den Sporenzellen einiger niedrigen im Wasser wachsenden Pflanzen zeigt sich eine Zeitlang, nachdem sie die Mutterzelle verlassen, zuweilen schon einige Zeit vor ihrem Austritt eine der Moleeularbewegung ähnliche Ortsveränderung, nur mit dem Unterschiede, dass hier die Bewegungen bedeutender sind. Der Grund dersel- ben ist noch völlig unerforscht. Wohl nirgends ist aus Mangel an gesunder Naturphilosophie mehr phantasirt worden, als bei dem gedachten Phänomen. Und die Sache wurde noch verwickelter dadurch, dass in früheren Zeiten eine Menge von angeblichen Thatsachen durch unvoll- kommene Beobachtung gradezu gemacht wurden, die wirklich uicht existiren. Meyen'), dem wir eine sehr fleissige Zusam- menstellung aller hierauf bezüglicher Thatsachen verdanken, sagt in der Einleitung, er sähe sich genöthigt, die Thatsachen mit Kritik auszusuchen, geht aber nachher so kritiklos wie möglich zu Werke. Zwei Ursachen machen die älteren Beob- achtungen von Ingenhousz, Agardh, Wrangel, Wilke, Girod Chautraus und Andern völlig unbrauchbar, einmal dass sich die genannten Beobachter nicht genügend der Identität der ruhen- den und sich bewegenden Körperchen versicherten, und zwei- tens, dass sie nach dem damaligen Stande der Wissenschaft und der Natur ihrer Instrumente gar nicht fähig waren, wirk- liche Infusorien von den kleinen Sporen der Conferven u. S. W. l) Rob. Brown, Vermischte Schriften. Herausg. von N. v. Esen- beck, Bd. 4, S. 327 fi. 264 Lehre von der Pflanzenzelle. zu unterscheiden. Man könnte auch noch das hinzufügen, dass bei den Conferven gar Vieles als Sporen angesehen ist, was nur Zelleninhalt war, z. B. Stärke, Chlorophylikörner UASMW. und was daher sehr natürlich unter Umständen die Moleeular- bewegung zeigte. Als sichere und brauchbare Thatsachen bleiben nur wenige Beobachtungen stehen, wo beobachtet wurde, dass die Sporen- zellen austraten und sich bewegten, dann aber zur Ruhe über- gingen und keimten. Letzteres muss insbesondere für die älte- ren Beobachtungen nothwendig hinzugefordert werden, weil wir auch Erfahrungen über das wirkliche Vorkommen von ächten Infusorien im Innern der Confervenzellen besitzen. Bei einer solchen ernsten Kritik, die uns allein vor 'Träumereien sicher- stellen kann, bleiben mir von den bei Meyen (a. a. ©.) und später in seiner Physiologie und den Jahresberichten aufgeführ- ten Thatsachen nur sehr wenige stehen, die sich alle auf Spo- renzellen beziehen, theils bei Conferven, theils bei Fadenpilzen. Mir ist nur erst bei einer einzigen Pflanze gelungen, eine hier- her gehörige Beobachtung zu machen, nämlich an Achlya pro- hifera. Diese Beobachtung genügt aber auch vollkommen, um die Thatsache selbst ausser Zweifel zu stellen. Achlya prolifera hat zwei Arten von Sporen, grössere, die sich in kleinerer An- zahl in kugelförmigen Sporangien bilden, und kleinere, die sich in grösserer Anzahl in den unveränderten fadenförmigen End- gliedern entwickeln. Von den Endgliedern trennt sich zur Zeit der Sporenreife ein kleiner Deckel; schon kurz vorher gerathen die Sporen in eine wimmelnde Bewegung, wobei eine wirkliche oft bedeutende Ortsveränderung stattfindet. Diese Bewegung dauert nach dem Austritt eine Zeitlang fort und hört endlich auf, worauf die Sporen oft schon nach wenigen Stunden kei- men. Wenn ein solches Endglied geleert ist, wächst gewöhn- lich ein neues solches Glied von der nächsten Scheidewand ausgehend in jenes hinein, oftmals das stehenbleibende ältere nicht ganz ausfüllend. Auch in diesem neuen Gliede bilden sich wieder Sporen, die dann bei ihrem Austritt zwei Oeffnun- gen zu passiren haben und zuweilen lange zwischen beiden Zellenwänden herumschwanken, bis sie zur zweiten Oeffnung herauskommen. Es ereignet sich aber auch, dass sie diesen zweiten Ausweg gar nicht erreichen und ee des älteren Schlauches wenigstens den Anfang zur Keimung machen. Für die Erklärung dieser höchst lenken Erscheinung bietet sich nur eine sichere Analogie an, nämlich die aan. die kleine Stücken des Blattes von Schinus molle ‘) (oder kleine I) Nach Savi in Wiegmann’s Archiv 1840, Bd. 2. S. 117. Das Leben der Pflanzenzelle, 265 Kampherstückchen) machen, wenn sie aufs Wasser geworfen wer- den. Hier ist das Austreten eines ätherischen Oels der Grund der Bewegung und wahrscheinlich wird ein ähnliches Austreten einer ähnlichen Substanz aus den Sporen von dem Eindringen des Wassers durch den sich lösenden Deckel des Sporangium veranlasst. Doch ist hier noch viel mehr zu beobachten, ehe wir zum Abschluss gedeihen können. Vielleicht gehört auch diese Bewegung der Molecularbewegung an. Die niedern Conferven, Fadenpilze u. s. w. sind von jeher der Tummelplatz mystischer Träumereien gewesen, weil nirgends in der Botanik die Untersuchungen so schwierig zu machen, so schwer zu controliren sind. Hier ist vor allem nöthig, durch eine ächte Naturphilosophie, durch brauchbare leitende Maximen sich gegen alle unwissenschaftlichen Phantasiespiele zu schützen. Namentlich muss man hier, wenn man nicht die ganze Sicher- heit der wissenschaftlichen Forschung preisgeben will, alle Be- obachtungen scharf von der Hand weisen, die nicht an un- zweifelhaften Pflanzen gemacht sind. Ich habe desha!b hier wie überall die Diatomeen, Bacillarien u. s. w., kurz alle jene Gebilde, deren thierische Natur, wie ich überdies glaube, mit überwiegenden Gründen von Ehrenberg vertheidigt wird, ganz aus dem Spiel gelassen. Wer sich dafür interessirt, findet in den Meisterwerken Ehrenberg’s, besonders in seinem grossen Infusorienwerke eine ebenso grosse Masse mit ausserordentli- chem Fleisse zusammengetragenen historischen Materia!s, als eine Fülle seiner ausgezeichneten eignen Beobachtungen. Zu einer Grundlage, um botanische Gesetze abzuleiten, dürfen diese Dinge nicht angewendet werden, wie schon oben (8. 33 fg.) ausgeführt. Nur an phantastischem Mystieismus krankende Wissenschaft, nicht aber eine klare, sich selbst verstehende Naturphilosophie kann zu solchen Träumereien kommen, dass ‚Geschöpfe bald einmal Thier, bald einmal Pflanze seyn können. Wäre das möglich, so müsste doch noch viel leichter ein Wesen bald ein- mal Fisch, bald einmal Vogel, oder bald Conferve, bald Rose seyn können, und dann wäre alle unsere Naturwissenschaft Thorheit und wir thäten besser, Kartoffeln zu bauen und sie zu verzehren, wären aber auch da nicht sicher, dass sie nicht einmal zu Mäusen würden und davonliefen. Wenn wir endlich bei Erzählung der hierher gehörigen Thatsachen die Ausdrücke finden, ,‚die Zellen bewegten sich nach Willkür bald da, bald “ dorthin“ u. s. w., so beweist das nur, wie unklar und ver- wirrt noch so viele Menschen selbst von grossen Kenntnissen sind. Willkür finden wir nur in unserm Geiste durch Selbst- beobachtung. Bei Thieren leitet uns die Analogie durch die 266 Lehre von der Pflanzenzelle, einen bestimmten Zweck erreichenden Handlungen, und doch ist hier schon eine Art Mysticismus dabei, denn nichts sagt uns, dass der Zweck auch wirklich von dem Thiere selbst beab- sichtigt war. Es wird doch kein vernünftiger Mensch glauben, dass die Planeten absichtlich grade diesen Weg und grade so schnell und so langsam gehen, damit sie kein Unglück anrich- ten, und doch wird durch ihre Bewegung bestimmt ein Zweck, nämlich die Erhaltung des Sonnensystems erreicht. Bei solchen Bewegungen aber, wo nicht einmal ein irgend erkennbarer Zweck erreicht wird, von Willkür reden ist Spielerei mit Wor- ten und logische Confusion. VI. Fortpflanzung der Zelle. Sk Wenn sich in einer Zelle eine grosse Menge auf- löslicher assimilirter Substanz nebst der nöthigen Menge Schleims gebildet hat, so wird nothwendig der oben ($S. 23.) geschilderte Process aufs neue beginnen. Es bilden sich in der Zelle (Mutterzelle, mairiz) eine oder mehrere neue Zellen (Brutzellen, blastidia), die, wenn sie sich so weit ausgedehnt haben, die Mutterzelle zerstören. Da natürlich eine Form von dem Stoff, aus dem sie gebildet wird, und den Bedingungen ihrer Bildung abhängt, beides aber von der Mutterzelle gegeben wird, so werden folglich in der Regel die Brutzellen der Mutterzelle gleich oder ähnlich. Wenn irgendwo, so kann man gewiss hier behaupten, dass es von wesentlichem Einfluss sey, bei Behandlung einer Wis- senschaft jeden einzelnen Punct an seinen gehörigen Ort und in sein gehöriges Licht zu setzen, wenn nicht das Verständniss des Ganzen darunter leiden soll. Weil man sich niemals rein und scharf die Aufgabe der Wissenschaft gestellt und sich dar- aus die zu beantwortenden Fragen abgeleitet hat, so ist der im Paragraphen erwähnte Punct auch bis auf die allerneueste Zeit ganz unberührt geblieben und auch jetzt erst mit einigen beiläufigen Notizen abgespeist worden, und doch giebt es im ganzen Pflanzenleben nichts Wichtigeres. Mit wenigen Aus- nahmen besteht jede Pflanze aus vielen Zellen, der Anfang je- der Pflanze ist aber eine einzelne Zelle, bei den Krypto- Das Leben der Pflanzenzelle. 387 gamen die Spore, bei den Phanerogamen das Embryobläs- chen. Die Frage nach der Vermehrung der Zelle umfasst also die Entstehung und das Leben der ganzen Pflanze und sie bleibt uns ganz und gar dunkel, ehe dies Verhältniss nicht aufgeklärt ist. Wie eine Zelle viele bildet und wie die- selben von den Einflüssen der ersten abhängig sich formen und anordnen, ist grade die Angel, um die sich die ganze Erkennt- niss der Pflanze dreht, und wer sich die Frage nicht aufwirft oder nicht beantwortet, kann nie und nimmer einen klaren wissenschaftlichen Begriff mit der Pflanze und ihrem Leben verbinden. Bei der gänzlichen Vernachlässigung dieses Punctes ist es kein Wunder, dass sich die meisten Ansichten der Bo- tanık nur in einem trüben, gestaltlosen Mysticismus herum- treiben. Die Protococeuszelle giebt hier wieder den natürlichsten Massstab zur Beurtheilung der einfachsten Verhältnisse an die Hand. Hier können wir beobachten, dass sich in der Zelle zwei neue Zellen bilden, die eine Zeitlang lose in der Mutter- zelle liegen und diese endlich zerstören, und dann als neue Organismen frei erscheinen. Bei den Doppelsporen der Flech- ten bemerken wir dasselbe. Bei den Pezizen sehen wir in ei- ner Zelle acht neue entstehen. Bei den Farren und Equiseten bilden sich in Mutterzellen die Sporenzellen. Bei den Phane- rogamen ist es leicht, die Entstehung von Zellen in Zellen zu beobachten, beim Embryosack (einer grossen Zelle), beim Em- bryobläschen, wo man die Entstehung neuer Zellen in den zu- erst gebildeten ebenfalls verfolgen kann, bei dem Pollen der meisten Pflanzen leidet es keinen Zweifel, dass sich Zellen frei in andern Zellen bilden, in der Spitze der Knospe im Cam- bium gelingt es nicht selten, die neu gebildeten Zellen in der Mutterzelle zu sehen, fast alle Haargebilde gestatten die Beob- achtung dieses Vorgangs gar gut. Hier sind Beispiele fast aus allen Pfianzengruppen, fast aus allen Pflanzentheilen, und so ist, wie ich glaube, vorläufig durch die Induction der Satz begrün- det: ,‚Der Process der Fortpflanzung der Zelle durch Bildung neuer Zellen in ihrem Innern ist allgemeines Gesetz für die Pflanzenwelt und ist die Grundlage für die Entstehung des Zellgewebes“. Ueber die Weise, wie neue Zellen entstehen, ist schon oben das Nöthige gesagt ($. 23.). Von dem Stoff, aus weichem der entstehende Krystall ge- bildet wird, von den physikalischen Bedingungen, unter welchen er ersteht, hängt seine Gestalt ab. Dies dürfen wir wohl all- gemein so aussprechen: die Form ist bedingt durch die Art der Materie und die Form des Bildungsprocesses. Wenden wir dies auf die Zelle an, so wird Stoff und Form des anfänglichen 368 Lehre von der Pflanzenzelle, Bildungsprocesses von d«r Mutterzelle gegeben, sie hat also ei- nen wesentlichen Einfluss auf die Brutzelle. Die Bildung der letzteren vollendet sich aber nicht in der Mutterzelle, sondern dauert auch nach der Befreiung von der Mutterzelle noch fort und daher wird die Form der Brutzellen durch die späteren Einflüsse und Verhältnisse mannigfach modifieirt. Hieraus er- klärt sich uns einmal die Constanz der specifischen Form und dann die Mannigfaltigkeit der individuellen Verschiedenheiten. Hier bedürfen wir also nur noch der vollständigen Auflösung des Zellenbildungsprocesses in seine einzelnen Elemente und des bei den Krystallen zu gebenden Nachweises, wie sich aus bestimmtem Stoff unter bestimmten physikalischen Bedingungen auch grade diese bestimmte Form bilden müsse, um das grosse Geheimniss der organischen Zeugung, wovon die Constanz der Species und somit die Gesetzmässigkeit des ganzen organischen Lebens an der Erde abhängt, in seinem einfachsten Falle der wissenschaftlichen Einsicht unterworfen zu haben, offenbar ein dem Menschen möglicherweise erreichbares Ziel. Die ersten Grundlagen dieser Lehre gab ich in Müller’s Ar- chiv, Jahrgang 1838. Mirbel ') unterscheidet eine dreifache Ent- stehungsweise der Pflanzenzellen, die er intrautrieulaire (der von mir geschilderte Process), suprautriculaire und interutriculaire nennt. Nur die erste Art ıst durch wirkliche Beobachtung dar- gethan, die beiden letztern, wo die Entstehung der Zelle selbst nicht beobachtet wurde, nur erschlossen. $. 52. Nach Hugo Mohl?’) kommt bei den Zellen der Kryptogamen (Conferven) noch eine Vermehrungsart der Zellen vor, indem sich eine Kreisfalte der Zelle allmä- lis in sie hineinzieht und in der Mitte zusammenstossend sich abschnürt, so dass völlige Theilung einer Zelle in zwei neue stattfindet. Diese Untersuchungen von Mohl enthalten die ersten und (ausser den von mir gegebenen $. 51.) einzigen wirklichen Beobachtungen über die Vermehrung der Pflanzenzelle. Leider ist es mir nie geglückt, eine vollstäudige Entwickelungsreihe zusammenzubringen, obwohl Polysperma glomerata, an der l) Sur la Marchantia polymorpha. Paris, 1831 et 32, p. 32. 2) Ueber Vermehrung der Pflanzenzelle durch Theilung. Tüb., 1835. Das Leben der Pflanzenzelle, 269 Mohl hauptsächlich seine Untersuchung gemacht hat, oft von mir vorgenommen ist. Es ist aber bis jetzt durchaus kein Grund vorhanden, die völlige Richtigkeit der Mohl’schen Unter- suchungen in Zweifel zu ziehen. Nach Mohl hat besonders Meyen diesen Process der Selbst- theilung vielfach wiederzufinden geglaubt und fast als allge- meines Gesetz für die Pflanze behandelt. In den meisten Fällen ist die Sache bei ihm nur postulirt, nicht beobachtet. In dem Falle, wo er bestimmte Beobachtungen angiebt '), bei der Entstehung der vier Pollenzellen in der Matrix, ist die Sache entschieden anders. Es bilden sich hier in der Mutter- zelle die vier Pollenzellen, dann bildet sich eine gelatinöse von der primären Wand der Mutterzelle ebenfalls deutlich verschie- dene Verdickungsschicht, die später auch zwischen die Pollen- zellen hineinwächst und so die Mutterzelle in vier Fächer theilt. Die eigenthümliche Membran der Pollenzellen ist aber immer früher vorhanden, als diese Scheidewände sich bilden. Ob die Theilung der Zelle überhaupt bei höheren Pflan- zen vorkommt, ist noch auszumachen. Gewiss ist der im vori- gen Paragraphen berührte Fall der häufigere. Doch kommen hin und wieder im Tegelmässigen Parenchym, z. B. bei man- chen Cacteen, Zellen vor, die hinsichtlich ihrer Umrisse und Verbindung mit den benachbarten Zellen nur eine einzige Zelle zu repräsentiren scheinen, aber durch eine Scheidewand deut- lich in zwei Zellen getheilt sind, dies könnte als Andeutung einer solchen Theilung angesehen werden. Doch zeigt sich häufig auch an jeder Seite dieser Wand ein Cytoblast, was wieder eine andere Entstehung wahrscheinlicher macht. VI. Vom Ende des Zellenlebens. 8. 58. Sobald in einer Zelle das Spiel chemischer Wech- selwirkungen unmöglich geworden ist, muss man sie für sich todt nennen. Insofern sind alle Zellen als individuell abgestorben zu betrachten, die ihren Inhalt völlig ver- zehrt haben und nur noch Luft führen, die sogenannten Gefäss-, Mark- und Borkenzellen, oder die ihren In- halt in einen einzelnen homogenen Stoff umgeändert ha- D) Physiologie Bd. 3, S. 123 ff. 370 Lehre von der Pflanzenzelle. ben, wie z. B. die Zellen, welche nur ätherisches Oel, nur Harz u. s. w. enthalten. Letztere sind aber ver- hältnissmässig selten. Abermals ein Punet, der gänzlich vernachlässigt, oder doch nur oberflächlich und beiläufg in dem Handbüchern berührt wird, aus denen wir meist nicht einmal über den Tod der ganzen Pflanze etwas erfahren. Setzen wir das Leben der Zelle ganz oder doch zum grössten Theil in die chemisch- physikalischen Processe, welche in der Zelle vor sich gehen, so müssen wir auch die Zelle todt nennen, in welcher diese Pro- cesse ganz und für immer aufgehört haben. Das ist also na- mentlich in allen nur Luft führenden Zellen der Fall, welche für sich todt, nur durch die sie umgebenden lebendigen Zellen noch gegen Auflösung geschützt werden, aber augenblicklich der völligen Zerstörung anheimfallen, sowie sie den auflösenden Atmosphärilien blossgestellt werden, z. B. Mark und Kernholz in den hohlwerdenden Bäumen, Kork und Borke überall. Aber es giebt auch solche Zellen, die allmälig ihren ganzen Inhalt in einen einzigen Secretionsstoff umwandeln, z. B. in ätherisches - Oel, wie es in den Rhizomen der Scitamineen, in Blättern und Stämmen der Aloen u. s. w. vorkommt. Hier ist die Zelle von dem Augenblick an ebenfalls todt zu nennen. Was noch. überbleibt, ist ein chemischer Process, der durch die Zelle we- der bedingt, noch modificirt ist, nämlich die allmälige Oxydation des ätherischen Oels, mit deren Vollendung jede fernere Ver- änderung aufhört. So zeigt sich die abgeschlossene Individua- lität des Zellenlebens bis ins Innerste der vollkommensten Pfianzen hinein. $. 54. Nur der ganz ausgebildete Membranenstoff trotzt allen gewöhnlichen Auflösungsmitteln, alle übrigen Stoffe, aus denen Zellenwände bestehen können, sind noch innerhalb des Bereichs der auflösenden oder umwandelnden chemi- schen Kräfte, welche in den Zellen thätig sind. Alle nicht vollständig ausgebildeten Zellen können daher wieder verflüssigt und aufgesogen werden. Dies geschieht bei allen Mutterzellen, bei dem schwammförmigen Zellge- webe, welches anfänglich die Luftcanäle ausfüllt, beim Kern des Eichens u. s. w. Das Leben der Pfianzenzelle. 271 Gewiss ein Beweis von oberflächlicher Beobachtung ist es, wenn ein Botaniker, wie geschehen, die Resorption organischer Bildungen in den Pflanzen leugnet, die sich schwerlich bei den Thieren so gut beobachten lässt, wie bei den Pflanzen. Die ganze grosse Zahl von Mutterzellen giebt schon das unwider- -leglichste Zeugniss. Auf welche Weis aber der Process vor sich geht, ist noch unbekannt. Wahrschemlich tritt hier eine der Bildung des Membranenstoffs entgegengesetzte Umwand- lung der assimilirten Stoffe ein, so dass jener erst in Gallerte, diese in Gummi und endlich in Zucker umgeändert und als solcher aufgesogen wird. Ich will hier darauf aufmerksam ma- chen, dass es mir zuweilen schien, als wenn im Nucleus des Ovulum die Cytoblasten wieder schärfer und in jugendlicherem Aussehen hervortreten, wenn sich seine Zellen dem Zeitpunete der Auflösung näherten. Eine eigenthümliche Umwandlung schon gebildeter Zellen in eine formlose Substanz, das Viscin, ist schon oben berührt ($. 20, 5). %. 55. Das Leben der Pflanzenzelle besteht nur durch die in derselben vor sich gehenden chemisch - physikalischen Processe, und diese werden sogleich unmöglich, sobald auf irgend eine Weise die Eindosmose aufgehoben wird. Die Zelle wird dann allmälig durch die Einwirkung der Atmosphärilien zerstört, sie verwest bei der seltneren, verfault bei der beständigen Mitwirkung von Wasser. Die Ursache dieses Todes kann verschieden seyn, z. B. Zerreissung (bei den Sporangien der Kryptogamen durch Austreten der Sporen), gänzliche Trockenheit, Entfer- nung von der Stelle, woher ausschliesslich die Endos- mose unterhalten wurde (z. B. beim Blattfall). Der Process der Auflösung einer gestorbenen Zelle gehört nicht der Botanik an, wir überlassen seine Erforschung billig der Chemie und verweisen auf die neuesten und besten Arbei- ten in dieser Beziehung auf Berzelius') und Liebig”). Uns interessiren hier aber die Ursachen, welche die Pflanzenzelle den zersetzenden Einwirkungen preisgeben, und wir können hier !) Lehrbuch der Chemie, neueste Ausgabe, Bd. 8. 2) Organische Chemie, S. 199 ff. 272 Lehre von der Pflanzenzelle. allgemein die Unmöglichkeit der Endosmose nennen. Jede die chemischen Processe in sich zu unterhalten, fällt nothwen- dig dem Tode anheim. So wirkt völlige Austrocknung, so Zerreissung der Zelle, wodurch die Abgeschlossenheit der in ihr vorhandenen Stoffe und Processe aufgehoben wird. Einen eigenthümlichen Zustand zeigen hier die meisten in Form von Blättern von einer Pflanze sich trennenden Zellen. Zur Zeit der Trennung sind sie offenbar noch nicht todt, denn unter sehr günstigen, obwohl höchst selten sich zusammentreffenden Umständen kann in einer oder der andern Zelle ein frischer Vegetationsprocess selbst in der Weise beginnen, dass eine ganz neue Pflanze daraus hervorgeht. In der Regel sterben sie aber ab, weil ihnen die Möglichkeit genommen ist, fernerhin Flüssig- keiten, die ihnen früher durch den Zusammenhang mit der ganzen Pflanze zugeführt wurden, aufzunehmen. Zweiter Abschnitt. Leben der Zelle in Zusammenhang mit andern. $. 56. Sobald die Zellen zu Geweben zusammentreten, so zeigen sich auch bestimmte Modificationen in ihrem Le- bensprocess und diese sind besonders zu betrachten. Manches musste freilich schon im Früheren berührt wer- den, weil wir noch nicht so weit sind, ‘ganz scharf das individuelle Zellenleben fassen zu können, und so bei manchen Vorgängen. nicht wissen, wie viel oder wie wenig auf die Einwirkung der benachbarten Zellen kommt, Manches auch, was entschieden der Zusammen- wirkung mehrerer Zellen angehört, doch zur Erklärung bei der einzelnen Zelle zu Hülfe genommen werden muss. Was hier noch zu behandeln, sind einmal die allgemein im Zellenleben ‚durch ihr Zusammentreten her- vorgerufenen Modificationen, und dann die speciellen Bi- senthümlichkeiten bestimmter Gewebe. R Pflanzenzelle, die keine Flüssigkeit mehr aufnehmen kann, um Das Leben der Pflanzenzelle, 273 I. Allgemeine Modificationen des Zellenlebens durch Zusammentreten mehrerer Zellen. $. 57. | Sobald eine grössere Menge von Zellen sich zu Jiellgewebe vereinigt, wird wenigstens ein "Theil von ihnen von der unmittelbaren Berührung mit der ernäh- renden Flüssigkeit abgeschlossen, für sie findet also nur eine Aufnahme von Nahrung durch Endosmose aus den benachbarten Zellen statt, wo aber die Flüssigkeit im- mer schon verändert worden ist. Wenn alle Zellen eines Gewebes eine gleichmässig dichte Flüssigkeit enthalten, so wird bei den mit Wasser unmittelbar in Berührung tretenden Endosmose stattfinden, dadurch wird die in ihnen enthaltene Flüssigkeit verdünnt und es tritt zwi- schen ihr und der folgenden Zelle ein der Endosmose günsti- ges Verhältniss der Flüssigkeiten ein und so fort. Dies ist das wichtigste Verhältniss im ganzen Zellenleben, weil daraus die einzige allgemeine, die Ernährung der ganzen Pflanze bedingende Flüssigkeitsbewegung hervorgeht. Die Nahrungsflüssigkeit im Kör- per der Pflanze vertheilende Gefässe giebt es gar nicht, und nur der wird mit einer gewissen Angst darnach suchen und sie auch irgendwo finden, der in dem grundfalschen und verderb- lichen Vorurtheil der unglückseligen, angeblichen Analogie (vergl. S. 46) mit den Thieren befangen an die Untersuchung der Pflanze ‚geht. Hier hat sıch allen Botanikern der gesunde Blick so sehr verwirrt, dass sie eher jede mögliche physikalische und logische Verkehrtheit vorgebracht, als sich von jener fixen Idee getrennt hätten. — Jede lebende Zelle, die durch Endosmose Flüssigkeit enthält, ändert diese aber sogleich chemisch um und zwar ın assimilirte Stoffe, so dass die von der Quelle der ro- hen Nahrungsflüssigkeit entfernten Zellen gar keine rohe Nah- rungsflüssigkeit mehr erhalten, also ganz von assimilirten Stof- fen leben. In ihnen kann also auch kein Assimilationsprocess, insoweit derselbe auf Wasserzersetzung und Fixirung der Koh- lensäure beruht, stattfinden, dennoch führen sie ein reges Le- 1) Vergl. Knight in Treviranus Beiträge zur Pflanzenphysiologie. Göttingen, 1811, S. 162 ff. Sennebier, Physiolog. veget. Bd. 2. Cap. 4 (S: 333 ff.) und Andere. 1S 274 Lehre von der Pflanzenzelle. ben, werden ernährt, bilden neue Zellen u. s. w., wie'’z. B. namentlich im Holzkörper der Dikotyledonen. Hieraus ergiebt sich zur Genüge die völlige Nichtigkeit des von Liebig ') auf- gestellten völlig unbegründeten Gesetzes. $. 58. Durch die Anordnung einer grösseren Zellenmenge zu einer Pflanze wird häufig ein Theil der Zellen theil- weise mit der atmosphärischen Luft in Berührung ge- bracht. Daraus gehen zwei wichtige Verhältnisse her- vor, einmal dass das Wasser aus den Zellen, wenn sie nicht auf besondere Weise dagegen geschützt sind (vergl. unten $. 69.), beständig im Verhältniss zur Wärme, Trockenheit und Bewegung der Luft an der Oberfläche der Zellen verdunstet, wodurch der Saft im Innern bestän- dig vermindert und concentrirt, also die Endosmose ge- sen die übrigen Zellen verstärkt und unterhalten wird, zweitens dass die Flüssigkeit in den Zellen aus der Luft Gase, namentlich Kohlensäure und Ammoniak und unter Umständen Sauerstoff absorbirt. Die erwähnten Verhältnisse sind ebenfalls ım höchsten Grade wichtig für das Leben der ganzen Pflanze. Kohlensäure, Am- moniak und Wasser sind die beiden Hauptnahrungsstoffe der Zelle, sie nehmen sie aber auf verschiedene Weise auf. Die mit Flüssigkeit in Berührung stehenden Zellen nehmen alle drei Substanzen zugleich auf. Hier muss also der lebhafteste Assi- milationsprocess stattfinden. Die theilweise mit der Luft in Berührung stehenden Zellen erhalten von der einen Seite nur assimilirte Stoffe in Wasser aufgelöst. Sie müssen also Koh- lensäure und Ammoniak aus der Luft aufnehmen. Zugleich ge- ben sie an die Luft eine grössere oder geringere Menge Was- sers ab, dadurch concentriren sie ihre Säfte, dadurch wird die Endosmose unterhalten. Wir können daraus erklären, weshalb nach Ausbrechen der Blätter die Pflanzen aufhören, von so sehr wässerigem Safte zu strotzen, und doch den Assimilations- process in grösserer Energie fortführen. Die Endosmose überträgt ferner jede völlige Lösung ohne Unterschied. Die mit dem Wasser aufgenommenen Salze und unorganischen Be- 1) Vergl. oben 8. 244. 3). Das Leben der Pflanzenzelle. 2375 standtheile überhaupt, auf welche die chemisch umwandelnden Kräfte der Zelle wenig oder gar nicht einwirken, wandern da- her mit dem Wasser unverändert durch alle Zellen bis dahin, wo an der Oberfläche der Zellen das Wasser verdunstet. Hier müssen sie sich allmälig in grösserer Menge anhäufen, daher der grössere Aschengehalt der Blätter, grünen Rinde u. s. w. Wie jedes verdunstende Wasser reisst auch das von der Zelle verdunstende eine geringe Menge nicht flüchtiger Substanzen mit fort, weshalb das von der Pflanze perspirirte Wasser nie ganz rein '), aber mehr mit organischen als mit unorganischen (weniger flüchtigen) Substanzen geschwängert ist. $. 50. Durch die Vereinigung vieler Zellen und die daraus hervorgehende gegenseitige Einwirkung werden im Le- ben der einzelnen Zelle Modificationen hervorgerufen, die zum "Theil schon früher betrachtet sind. Hierher gehört die Bildung neuer discreter Schichten und die damit zusammenhängende spiralige Anordnung des diese Schichten bildenden Stoffes. Dahin gehört ferner die eigenthümliche Ausbildung von Luftbläschen zwischen je zwei benachbarten Zellen, worauf die Bildung der Po- ren zu beruhen scheint. Das hierher Gehörige ist schon oben ($. 26.) erörtert wor- den. Bei keiner isolirten Zelle, bei keiner Zelle, ehe sie sich mit andern zu Geweben fest vereinigt, finden wir spiralige Ver- diekungsschichten, bei keiner ferner die Luftbläschen an der Aussenwand, welchen inwendig die Porencanäle entsprechen. Nach den genauesten Untersuchungen muss ich behaupten, dass die Porencanäle von zwei benachbarten Zellen stets so cor- respondiren, dass sie von einem solchen Luftbläschen, oder einer dem entsprechenden Stelle der gemeinschaftlichen Wand beginnen. Hiervon sind mir nur zwei Ausnahmen bekannt, die aber noch genauer Untersuchung bedürfen. Der eine Fall tritt bei Juniperus sabina en, wo im der Borke dickwandige, vier- seitig-prismatische Zellen vorkommen, deren Porencanäle regel- mässig nur auf die vier Intercellulargänge zulaufen, welche hier in einem Gewebe, welches sonst keine Intercellulargänge zeigt, jene Luftbläschen zu vertreten scheinen. Der andere Fall in ınd viele Andere. 1) Schon Sennebier, Phys. veget. Bd. I, S. 79 fl. un 18 276 Lehre von der Pflanzenzelle. den Blättern von Abies pectinata ist schon oben erwähnt wor- den (S. 234.). $. 60. Bei der Secretion treten ebenfalls eigenthümliche Veränderungen ein, indem festere Secrete bestimmte Formen annehmen. Dahin gehören die Gallerthülle vie- ler Algen, die Intercellularsubstanz, der eisenthümliche Stoff, welcher die Sporen und Pollenkörner überzieht, und die von der Epidermis ausgeschiedenen Stoffe. Die meisten Conferven, mehrere Ulven u. s. w. sondern eine grosse Menge Gallerte ab, welche eine bestimmte Form an- nimmt und so oft die Gestalt der ganzen Pflanze bestimmt, z. B. bei Chaetophora. Bei den meisten Conferven bildet sie eine die ganze Pflanze überziehende zarte, gleichförmige Mem- bran, bei Rivularia, Chaetophora, Nostoc etc. grössere Massen. Stets aber fehlt sie der Spore und bildet sich erst durch die Lebensthätigkeit der sich vermehrenden Zellen '). Auf ähnliche Weise scheidet sich in die Intercellulargänge eine feste Substanz ab, wovon unten ($. 65.). Auch auf der Epidermis findet eine solche bestimmt geformte Absonderung statt ($. 69.). | Das interessanteste und complicirteste Phänomen bleibt aber die eigenthümliche Bekleidung der Sporen und Pollenkörner. Alle Sporen (mit Ausnahme der Algen, Pilze und einiger Flechten), alle Pollenkörner (mit Ausnahme der unter Wasser hlühenden Pflanzen) bestehen aus der eigentlichen, wesentlichen Zelle, die sich als solche bildet, und einem eigenthümlichen, dieselbe über- ziehenden Stoffe, der einfach-gleichförmig, mit Wärzchen, Sta- che'n, Bändern, oder ganz wunderlichen abnormen Bildungen unordentlich oder ganz mit mathematischer Regelmässigkeit be- setzt ist. Die Natur dieses Stoffes weicht von allen bekannten assimilirten Pflanzenstoffen dadurch ab, dass er von der con- centrirtesten Schwefelsäure nicht angegriffen, sondern höchstens dunkler, zuweilen purpurroth gefärbt wird. Der Stoff selbst zeigt verschiedene Farben, meist gelb, doch auch blau, roth, I) Dies Verhältniss ist von Mohl, Erläuterung und Vertheidigung meiner Ansicht von der Structur der Pflanzensubstanz. Tübingen, 1836, nicht ganz richtig aufgefasst. Uebrigens hat er, wie gewöhnlich, einen Reichthum ausgezeichneter Beobachtungen. Das Leben der Pflanzenzelle. 277 grün, braun u. s. w. Ueber die Entwickelung dieses Stoffes wissen wir noch gar nichts, eigentlich selbst nicht einmal, ob er von der Pollenzelle abgesondert oder aus dem Inhalte der Mutterzelle auf jene niedergeschlagen wird. Ich habe ihn da- her auch hier nur beiläufig erwähnen wollen. Etwas mehr da- von muss ich unten beim Pollen anführen. Das Beste, was wir davon wissen hinsichtlich seiner chemischen Natur, beson- ders aber hinsichtlich seiner wunderbaren Formen verdanken wir den unermüdlichen und bewundernswerthen Untersuchungen von Fritsche '). Die Ansichten von Mohl?) über diesen Punct, dass die äussere Pollenhaut Intercellularsubstanz sey, in welcher sich vollständige Zellen oder deren Anfänge (als Körnchen) bildeten, erscheinen mir durch Fritsche’s, Meyen’s”) und meine eignen Untersuchungen vollständig widerlegt. Schon die eigen- thümliche chemische Natur des Stoffes widersetzt sich hier jeder Gleichstellung mit Zellenbildung und den derselben zum Grunde liegenden Substanzen. $. 61. Von dem Zusammentreten der Zellen hängt offenbar auch das eigenthümliche Verhältniss ab, in welchem die Richtungen der Saftströme in zwei benachbarten Zellen zu einander stehen, indem ohne Ausnahme dem Strome in der einen Zelle ein entgegengesetzter Strom in der andern entspricht. Die Thatsache selbst ist unzweifelhaft und leicht bei Chara, Vallisneria ete. zu beobachten, der Grund völlig unbekannt. Es deutet aber doch auf eine ziemlich entschiedene Weise dar- auf hin, dass die Bedingungen der Saftbewegung ganz oder theilweise ausserhalb der Zelle liegen und die Endosmose wahr- scheinlich einen grossen Antheil daran hat. Wir finden auch bei allseitig an einander gelagerten Zellen, wie in Najas, Vallis- neria, niemals, dass die Ströme die ganze Wand bedeckten, sondern nur zwei gegenüberstehende Seiten derselben, die durch alle Zellen in parallelen Flächen liegen, woraus sich die allge- meine Möglichkeit der Entgegensetzung benachbarter Ströme durch die ganze Pflanze erklärt. Die zweite Art der Saftbe- 1) Fritsche, Ueber den Pollen. Petersburg, 1837. 2) Hugo Mohl, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Gewächse, Heft I, und Erläuterung und Vertheidigung u. s. w. S. 18 und sonst. 3) Physiologie Bd. 3. S. 146 fl. 9 78 Lehre von der Pflanzenzelle. wegung in ein Netz kleiner Strömchen hängt sehr gewiss mit grösserer Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der einzelnen Zelle zusammen und findet sich auch nur höchst seiten im ge- schlossenen Zellgewebe. $. 9. Die einzelne Zelle kann ihrem individuellen Lehens- process nach schon todt seyn, wird aber im Zusammen- hang mit andern lebenden Zellen erhalten und dient vielleicht auch dem Leben dieser und somit der ganzen Pflanze noch längere Zeit. So erscheinen die soge- nannten Gefässe beim Aufsteigen des Frühlingssaftes als Behälter zur (rein passiven) Aufnahme des übermässig zuströmenden und nicht gleich zu verarbeitenden Saf- tes, in der übrigen Zeit als Behälter für ausgesonderte Luft, so die Zellen, welche einzelne Seecretionsstoffe enthalten u. s. w. Es ist ein eigenthümliches Verhältniss, welches nur aus der hohen Individualisirung der Zelle und ihrem Zusammentreten zu einer Pflanze ohne völlige Vernichtung ihrer Individualität hervorgekt, dass sie in einen Zustand kommt, wo sie relativ (in Bezug auf sich) todt, relativ (in Bezug zur ganzen Pflanze) lebendig genannt werden muss. Auch dies Verhältniss zeigt, wie nichtssagend und unanwendbar alle Analogien zwischen Thier und Pflanzen sind, zwei Geschöpfe, deren innerste Na- tur so durch und durch verschieden ist, dass fast jede Verglei- chung, die über die Bildung des Elementarorgans hinausgeht, blosse Spielerei des Witzes ohne allen wissenschaftlichen Werth bleibt. 1. Eigenthümlichkeiten im Leben ganzer Gewebe. %. 68. Im Allgemeinen kann man sagen, dass der Lebens- process aller einzelnen Zellen in den Geweben sich gleich oder doch sehr ähnlich ist; so bilden häufig srössere Massen des Parenchyms gleiche Stoffe, die Bastbündel, die Milchgefässe u. s. w. einer Pflanze ent- Das Leben der Pflanzenzelle, 2379 halten dieselben Substanzen. Doch kommen auch grosse Ausnahmen vor und es tritt im Parenechym in nahgele- senen Zellen gleicher Form sehr verschiedener Inhalt auf, oder es zeigt sich bei den Gefässbündeln und sonst das verschiedene Leben der einzelnen Zelle in der ver- schiedenen und verschieden schnellen Ausbildung der Zelle selbst. Nur sehr durchschnittlich kann man den Satz aufstellen, dass die Zellen ganzer Gewebe gleiche Functionen haben, und es finden sich darin so grosse Ausnahmen, dass es wenigstens ganz unhaltbar erscheint, nach angeblicher Verschiedenheit der Functionen die Gewebe eintheilen zu wollen, wofür nur die Morphologie der Zelle ein genügendes Prineip giebt. In dem- selben Parenchym finden wir eine Zelle gedrängt voll’ Stärke- mehl neben einer gleichen, die nur ätherisches Oel enthält, und beide gränzen vielleicht an eine dritte, die einen klaren wässe- rigen, roth oder blau gefärbten Stoff enthält, während eine vierte neben verschiedenen assimilirten Stoffen eine grosse Menge Chlorophyll zeigt. Mitten im dünnwandigen Parenchym finden wir zerstreut oder in Gruppen gleich grosse und gleich geformte Zellen, die fast zum Verschwinden ihres Lumen mit Verdickungsschichten erfüllt sind, z. B. die sogenannten steini- sen Concretionen in Quitten und Birnen, in Rinde und Mark von Hoja carnosa, vieler Bäume, in den Luftwurzeln der Maxil- larien und an hundert anderen Orten. Alles dies zeigt eine grosse Selbstständigkeit der einzelnen Zelle und die Möglich- keit, dass jede Zelle an jedem Ort unter Umständen alle Pha- sen ihres Lebens durchlaufen und sich auf jede ihr überhaupt mögliche Weise entwickeln könne. Nur mässig modifieirt wird das Zellenleben durch die Form der Anordnung und die dar- aus hervorgehende Abhängigkeit von den benachbarten Zellen. Abgesehen von dieser Selbstständigkeit zeigen die Gewebe im Ganzen gewisse Erscheinungen, die einzeln gewürdigt wer- den müssen. $. 64. Das Parenchym hat die selbstständigsten Zellen, daher findet man in demselben am häufigsten und am we- nigsten regelmässig angeordnete Zellen von dem ver- schiedensten Inhalt und der verschiedensten Configuration der Wände neben einander. Ueberwiegend zeigt sich 380 Lehre von der Pfllanzenzelle, in grösseren Massen des Parenchyms Stärkemehl (Kar- toffeln), oder fettes Oel (Kotyledonen der Brassica- arten), oder Gummi (Altheenwurzeln), oder Emulsion (Oel und Pflanzeneiweiss, in den Kotyledonen der Man- deln), oder assimilirte Stoffe und Chlorophyll (in allen grünen Blättern), oder Farbestoffe gleicher Art (in Blu- menblättern) oder Luft (im Mark) u. s. w. $. 65. Die verschiedenen Bildungen des Intercellularsystems enthalten sehr verschiedene Stoffe. Das Eigenthümliche ist hier, dass alle dieselben begränzenden Zellen, wie ich glaube, ohne Ausnahme gleiche Lebensthätigkeit zeigen, entweder gar nicht auf den Inhalt der Intercel- Iularräume einwirken, oder ganz gleiche Stoffe in sie hinein aussondern. Hierher gehören alle die verschiede- nen Behälter eigner Säfte, Harz- und Gummigänge so- wie Milchsaftbehälter, ferner die feste oft in bestimmter von den benachbarten Zellen abhängiger Form auftretende Intercellularsubstanz (Substantia intercellularis). Ueber den Process, der die Behälter eigner Säfte mit dem in ihnen enthaltenen Stoffe anfüllt, über die Bereitung dieses Stoffes von den benachbarten Zellen, über die Kraft, wodurch diese Stoffe in die Behälter hinein abgesondert werden, wissen wir noch nichts. Ganz diesen an die Seite zu stellen und nur verschieden durch die Art des Excrets sind die mit fester Sub- stanz erfüllten Intercellulargänge. Sie finden sich in doppelter Form. Im Holze der Dikotyledonen und an einigen anderen Orten sind die engen Intercellulargänge oft von einer wenig- stens scheinbar homogenen Substanz erfüllt, deren Farbe und Brechungskraft etwas anders als die der Zellenwandung ist. Dagegen zeigen sich zwischen den Bastbündeln in der Rinde der Chenopodeen, Amaranthaceen, Umbelliferen, Malvaceen u. s. w. weitere Intercellulargänge, die von den benachbarten Zellen aus nur theilweise durch eine eigenthümliche Absonderung ausgefüllt sind, und zwar entspricht jeder angränzenden Bastzelle eine bestimmte von den andern ganz getrennte Partie, die wie eine stumpf drei- oder vierkantige Leiste auf ihrer ganzen Länge dem den Intercellulargang begränzenden Theil ihrer Wand auf- Das Leben der Pflanzenzelle, 981 gesetzt ist. Einen offenbaren Uebergang von der Intercellular- substanz zu den Gummigängen macht die halbflüssige Gallerte, welche sich in den Intercellularräumen des Albumens der Cassien und anderer Leguminosen, zwischen den Zellen der Flechten, besonders der Schlauchschicht, vor Allem aber in den Inter- cellularräumen der Fucoideen findet, bei welchen letztern sie dem Gummi und Bassorin ganz nahe steht. Ueberall fehlt es hier zwar noch an der vollständigen Entwickelungsgeschichte. Man beobachtet aber leicht, dass die Zellen früher da sind, als diese Stoffe, und dass sie sich bei Ausbildung des Zellgewebes vermehren und nicht vermindern, also Excrete der Zellen seyn müssen. Mohl’s') Ansicht von der Intercellularsubstanz als Reste des Urstoffs, in dem sich die Zellen gebildet haben, halte ich ‚entschieden für unrichtig und durch die Entdeckung der in Portionen getheilten Intercellularsubstanz durch Meyen ?) für hinlänglich widerlegt. $. 66. Die Gefässbündelzellen zeigen fast insgesammt einen sehr übereinstimmenden Lebensprocess und unterscheiden sich hauptsächlich nur nach der vom Alter abhängigen Configuration der Wände und nach ihrem Alter über- haupt. Die Gefässe führen, sobald sie vollständig ent- wickelt sind, Luft und nehmen nur passiv zuweilen für kurze Zeit Säfte auf. Die andern langgestreckten Zel- len des Prosenchyms zeigen, so lange es lebendig ist, einen raschen Stoffwechsel im Innern, enthalten daher meist eine homogene wasserhelle Flüssigkeit. Später sterben sie ab und führen dann nur Luft. Dass die Gefässe nur Luft führen und keine Säfte, kann der, welcher einige physikalische Kenntnisse hat, bei dem flüchtigsten Blick auf einen der Länge nach durchschnittenen Pflanzentheil sehen. Dass darüber Streit entstehen konnte, be- weist nur die ungeheure Befangenheit in Vorurtheilen und an- geblichen Analogien bei den meisten Beobachtern. Es ist nicht der Mühe werth, noch Worte darum zu verlieren. Schon oben (S. 226) wurde bemerkt, dass die Gefässbündelzellen wahr- scheinlich ihre langgestreckte Form selbst einem raschen Durch- I) Erläuterung und Vertheidigung u. s. w, 2) Physiologie Bd. 1, S. 170 f. 2382 Lehre von der Pfilanzenzelle, strömen des Saftes in einer bestimmten Richtung verdanken, wodurch ihre Enden stärker ernährt werden als ihre Seiten. Bei diesem raschen Wechsel erklärt sichs, dass der chemische Process in ihnen sehr einfach ist, wir finden in ihnen wohl sel- ten eigenthümliche Stoffe gebildet, so lange sie noch lebendig sind. Selbst festere assimilirte Stoffe, wie Stärkemehl, treten nur selten und in geringer Menge in ihnen auf. Wenn sie aber anfangen abzusterben (wenn sie Kernholz bilden), hören sie meist ganz auf Saft zu führen, und es beginnt, da sie nie vollkommen gegen den Zutritt der Luft und einiger Feuchtig- keit geschützt sind, ein chemischer Zersetzungsprocess (Verwe- sung), durch welchen sie nach und nach theilweise und unter Beibehaltung ihrer Form in kohlenstoffreichere Substanzen über- geführt werden. Die eigenthümlichen Producte des Holzes, Gerbestoff, Extractivstoff, Farbestoffe, verdanken grösstentheils diesem Process ihre Entstehung, seltener den das Holz durch- setzenden von Parenchymzellen begränzten Saftgängen, wie beim Harzgehalt der Coniferen. Hier ist aber noch ein grosses Feld für weitere Forschungen. $. 67. Ueber das eigenthümliche Leben der Bastzellen, der sewöhnlichen wie der Apocyneen, und der Milchsaft- gefässe wissen wir so gut wie gar nichts. Hier ist noch Alles zu erforschen. Ich fürchte über diese Gebilde, insbesondere über die Milch- saftgefässe eher zu viel als zu wenig zu sagen, denn bei der gänzlichen Vernachlässigung richtiger naturwissenschaftlicher Me- thode, bei dem kindischen Spiel mit Hypothesen ohne Grund- lage und ohne leitende Maximen ist diese Lehre mit einem solchen Wust von Unsinn überfüllt, dass man am besten thäte, vorläufig erst einmal alles Bisherige über Bord zu werfen und ganz von Vorn anzufangen, statt sich an das undankbare Ge- schäft zu machen, den wahren Augiasstall auszumisten. Von unsern ersten Botanikern finden wir Sätze wie: „‚Die Gefässe des Stammes, die diesem System angehören, sind die Aus- drücke der beiden Brennpuncte aus der idealen Ellipse des rein peripherischen Circulationssystems. Die eine Abside führt zum Licht... die andere Abside führt jener diagonal entgegengesetzt in die Finsterniss ... .‘“ Dergleichen sind so durchaus sinnlose Worte, dass man kaum weiss, was man dazu sagen soll. Wer aber einmal den Zügel gesunder Methodik Das Leben der Pflanzenzelle, 283 zerrissen, der geht haltungslos auf das Allerunsinnigste los, ohne dass er sich der Verkehrtheit auch nur in dunkler Ahnung bewusst wird. Fast jede Seite, die über die Milchsaftgefässe ge- schrieben ist, giebt Zeugniss von oberflächlichen Beobachtungen, ungezügelten Phantasiespielen, physikalischer Unwissenheit u. s. w. Die ganze Vorstellung von einem allenthalben durch die ganze Pflanze communicirenden Gefässsystem (Eine vielfach durch die Pflanze verästelte, aber in sich geschlossene Zelle, Meyen) ist rein aus der Luft gegriffen (wie sollten die paar kleinen Schnittchen, die man von einer Pflanze abgerissen beobachtet, auch dergleichen begründen können?), aber die Verfasser haben sich so in den Gedanken verliebt, dass sie es ganz ruhig als Beobachtung vortragen. Nur in zwei oder drei unverletzten Pflanzen ist bis jetzt eine Bewegung des Milchsafts beobachtet, und noch dazu fast nur bei dem so leicht zu Täuschungen verführenden direeten Sonnenlichte; daraus wird keck eine all- gemeine Circulation abgeleitet, der man sogar ganz genau ihre Richtung durch die ganze Pflanze vorschreibt. Das Ausfliessen des Saftes aus zerschnittenen Theilen sieht man als entschiede- nen Beweis für die Bewegung im unverletzten Theil an. Be- wegt sich etwa der Wein im Fasse auch, weil er ausläuft, wenn man den Hahn aufdreht, also das bisherige Gleichge- wicht auihebt? ,,Nur die Lebenskraft treibt den Saft heraus, sonst müsste ihn Haarröhrchenkraft zurückhalten“. Wissen die Leute auch, was Haarröhrchenkraft ist? Dazu gehören feste Wände, aber nicht dünne Membranen in einem turgescirenden Gewebe. Wissen sie, wie Capillarität wirkt? In bestimmtem Verhältniss zur Enge der Röhre, im Verhältniss zum Stoff. der Röhre, der Flüssigkeit und des Verhältnisses beider zu einan- der und dann entweder als capillare Elevation oder capillare Depression. Haben die Leute den Durchmesser der Milch- saftgefässe gemessen, die Capillarkraft der Substanz der Röhre und der Flüssigkeit bestimmt und danach ihre Capillari- tät berechnet? O nein, phantasiren ist viel leichter, als genau messen und rechnen. Wie viel fliesst denn aus einem durch- schnittenen Stengel aus? Sehr wenig und man muss ein neues Stück abschneiden, um abermals Saft ausfliessen zu machen : und so weiter. Hierbei wäre es gar nicht unwahrscheinlich, dass grade die Capillarität den Saft zurückhielte, nachdem dasjenige abgeflossen ist, was sie nicht halten konnte. Aber auf jeden Fall wirkt beim Ausfliessen auch abgesehen von der wirklichen Bewegung des Saftes in der unverletzten Pflanze doch die Turgescenz des benachbarten Zellgewebes mit und diese Ur- sache muss ebenfalls erst in Rechnung genommen werden. Sie erklärt z. B. sehr leicht, warum aus dem obern Ende eines 254 Lehre von der Pflanzenzelle, durchschnittenen Stengels mehr Saft ausläuft, als aus dem un- tern, weil die jüngern Zellen mit zartern Wänden und mehr von Flüssigkeit strotzend sich mehr ausdehnen müssen als die fester verwachsenen, älteren und derbwandigeren des unteren Theils der Pflanze. Ich könnte so noch lange fortfahren, aber es genügt so schon, um zu zeigen, mit welcher gränzenlosen Oberflächlichkeit hier verfahren ist. Ich will keineswegs damit einen Gegenbeweis gegen die Existenz der Bewegung des Milchsafts liefern, sondern nur zeigen, dass der bisherige Weg der Behandlung dieser Lehre zu gar keinen wissenschaftlich brauchbaren Resultaten führen kann. Wenn man die Thatsachen selbst zu Rathe zieht, so muss man zweierlei genau unterscheiden, die Präparate und die un- verletzte Pflanze. Ferner ist hier zu bemerken, dass im ganz jungen Zustande man in den Milchsaftgefässen nur eine klare, wasserhelle Flüssigkeit, also keine Bewegung beobachten kann, und dass in einigermassen alten und diekwandigen Ge- fässen der Milchsaft auf mannigfache Art coagulirt und in feste Massen umgewandelt erscheint, z. B. in den Euphorbien. Nur im mittleren Zustand ist von einer Bewegung die Rede. Wenn man nun einen Schnitt unters Mikroskop bringt, so bemerkt man eine rasche Bewegung des meistens körnigen ') Saftes, oft nebeneinander in entgegengesetzter Richtung, betrachtet man die Enden der durchschnittenen Gefässe, so findet man so oft an beiden Enden desselben Gefässes eine ausgetretene und coa- gulirte Masse und bemerkt so häufig ein Ausströmen nach bei- den Seiten, oder ein anfängliches Ausströmen nach einer Seite, und wenn hier der Ausfluss durch das Coagulum versperrt ist, einen Stillstand und bald darauf ein Ausfliessen nach der an- dern Seite, dass es unmöglich ist, ohne vorgefasste Ansicht diese Bewegung auf diese Beobachtungen gestützt für eine der Richtung nach bestimmte zu erklären. Bei unverletzten Pflanzen gelingt es nur höchst selten, die Bewegung des Milchsafts zu sehen, auch bei Chelidonium majus ist es nur unter Umständen möglich, die grosse optische Schwierigkeiten darbieten. Leicht dagegen ist es an den Blättern von Alisma plantago. Hier beobachtet man allerdings eine Be- wegung, nämlich ein Hinströmen bald schneller, bald langsamer, und in demselben Gefäss bald in der einen, bald in der andern Richtung, aber häufig abwechselnd mit sehr langen Perioden l) Meyen hatte eine Zeit, wo ihm überall wie mowches volantes Bläschen erschienen, so auch hier. Es sind aber entschieden feste, so- lide Körnchen. Das Leben der Pflanzenzelle. 985 des Stillstandes. Von einer regelmässigen Bewegung in be- stimmter Richtung habe ich nie etwas beobachten können, wie denn überhaupt das Vorgetragene Alles ist, was ich bei der sorgfältigsten Beobachtung an den verschiedenartigsten Pflanzen unter den verschiedensten Umständen als sicheres Resultat habe erhalten können. Dass es bei diesen Grundlagen (und die an- dern sind mindestens zur Zeit noch streitig) bei unsern über- haupt noch so gränzenlos mangelhaften Kenntnissen über die physikalischen und chemischen Vorgänge in der Pflanze ein ganz kindisches Unternehmen ist eine Theorie auszuspinnen, wird mir gewiss Jeder zugeben, der nur einen ungefähren Be- griff von dem hat, was Erfahrung, Hypothese, Induetion und Theorie in den Naturwissenschaften eigentlich bedeuten. Wer sich hier mit dem höchst billigen Scherwenzel einer allgemeinen Lebenskraft behelfen will, mag das für sich thun, nur soll er uns nicht weiss machen wollen, dass er damit irgend etwas Tie- fes oder überhaupt nur Wissenschaftliches gesagt. Dass auch alle sicheren Thatsachen nicht hinreichen, um eine Analogie mit den Blutbewegungen bei den Thieren zu begründen, wenn die- selbe irgend etwas mehr als müssige Spielerei des Witzes seyn soll, ist ebenfalls klar. Ueber den Inhalt der Milchsaftgefässe und der andern bei- den Gebilde wissen wir noch viel zu wenig. Fast bei jeder Pflanze ist er specifisch verschieden, und oft bei verschiedenen Individuen derselben Art, wenigstens in der Quantität der ein- zelnen Bestandtheile.e Wie es scheint kommt dem Milchsafte ziemlich allgemein ein nach dem Alter und der Vegetations- weise der Pflanze grösserer oder geringerer Gehalt an Kaut- schouk zu. Auch finden sich im Milchsaft eine Menge ganz eigenthümlicher, meist giftiger oder doch sehr verdächtiger Sub- stanzen. Vom Inhalt der Bastzellen wissen wir gar nichts. Von der Bedeutung des Milchsafts für das Leben der Pflanze, Schultz’s ganz unbegründete Phantasien bei Seite gesetzt, wissen wir ebenfalls durchaus gar nichts. Meyen ') stellt alle die Fälle zusammen, wo der Milchsaft unschädlich ist, zeigt, dass in man- chen giftigen Milchsäften auch unschädliche Stoffe vorkommen, und schliesst dann, ‚‚dass der Milchsaft wenigstens für Men- schen und Thiere ein sehr ausgebildeter Nahrungssaft seyn kann, und demnach steht der Annahme, dass derselbe auch in den Pflanzen die Rolle eines ernährenden Saftes versieht, gewiss nichts im Wege“. Mit weniger Logik kann man aller- dings nicht leicht zu einem Schluss kommen. Wenn man von den absolut giftigen Milchsäften, der Antiaris toxicaria, Hippo- I) Pflanzenphysiologie Bd. 2, S. 410. 286 Lehre von der Pflanzenzelle. mane, Excoecaria ausgeht, und zeigt, wie oft unschädliche Milch- säfte, z. B. der jungen Salatpflanzen, sobald die Pflanze nur etwas ausgebildet ist, giftig werden, wie man die Mohnpflanze mit Opium, die Lactuca mit Lactucarium vergiften kann, so wäre doch der Schluss auf das directe Gegentheil noch immer besser begründet. Aber von Schlüssen und Abschluss kann hier überall noch nicht die Rede seyn, sondern nur von Vermuthun- gen und Andeutungen. | Wahrscheinlich sind alle diese Theile, ähnlich wie die oft ihre Stelle vertretenden Milchsaftgänge, dazu bestimmt, Stoffe aufzunehmen und aus der Wechselwirkung mit den lebendigen Zellen zu entfernen, die sonst dem Leben der Pflanze schäd- lich würden. Dahin deutet wenigstens, dass sich auch fast alle Pflanzengifte, die es für die Pflanzen, die sie liefern, selbst sind, in den Milchsäften finden. Doch lassen sich bis jetzt nur ganz vage Vermuthungen aussprechen. Ansichten, wie die von Liebig‘), dass „in den Milchsaft führenden Gewächsen Kaut- schouk das Wasser mit einer undurchdringlichen Hülle umgebe und so die Pflanzen der heissen Klimate gegen Vertrocknung sichere‘‘ aus einer mehr als lächerlichen Unwissenheit hervor- gegangen, verdienen kein Wort der Widerlegung. $. 68. Vom Filzgewebe der Pilze und Flechten wissen wir ebenfalls noch nichts. Die Zellen führen gewöhnlich einen klaren, farblosen Saft, bei den Flechten zuwei- len Luft. $. 60. Die Epidermoidalzellen führen klare, wasserhelle oder gefärbte Säfte, selten hin und wieder eigenthüm- liche Stoffe, z. B. Harz (bei Aloe nigricans). Nach Aussen hin zeigt die ächte Epidermis eigenthümliche Secrete, nämlich zuerst einen wachsarligen Stoff ge- wöhnlich nur als eine zarte die Fläche glati oder glän- zend machende Schicht, seltner in kleinen Körnchen (als I) Organische Chemie S. 57. Wer mitsprechen will, sollte sich wenigstens bei dem ersten Besten so viel unterrichten, dass er nicht solchen baren Unsinn in den Tag hinein schreibt. Das Leben der Pflanzenzelle. 287 sogenannter Reif, pruina), in beiden Fällen die Ober- haut gegen Benetzung und Durchdringung von Wasser schützend, also auch allen Austausch von Gasen und Dünsten unmöglich machend, welcher Austausch nur durch die Spaltöffnungen vermittelt werden kann. Spä- ter bildet sich unter dieser ersten Absonderung eine zweite Schicht, aus einem noch nicht näher untersuch- ten assimilirten Stoffe bestehend, die in manchen Fällen sehr dick wird, und Höcker, Warzen und dergleichen besonders in der Nähe der Spaltöffnungen bildet. Das Leben der Anhänge der Epidermis ist sehr mannigfaltig und wir finden hier wieder sehr verschiedenen Inhalt und eigenthümliche Exerete. Vom Kork wissen wir nur, dass er bald abstirbt und theilweise verwest. Das Epithelium unterscheidet sich von den Parenchymzellen nur durch seinen wasserhellen Saft. Das Epiblema ist noch nicht genügend untersucht. Sobald sich aber das Epithelium an der Luft zur Epidermis ausbildet, überzieht es sich mit ei- ner zarten Schicht eines Stoffes, der durch absoluten Alkohol und Aether zu entfernen ist, der Epidermis stets einen gewis- sen Glanz verleiht und sie völlig gegen Benetzung mit Wasser schützt. Dies Letztere ist der wichtigste Punct. Wir wissen, dass zwar eine von Feuchtigkeit durchdrungene Membran dem Verdunsten des von ihr eingeschlossenen Wassers und der Ab- sorption und dem Austausch der Gase kein Hinderniss in den Weg stellt, wohl aber eine trockene. So isolirt die Epidermis die Parenchymzellen gegen jede Einwirkung der Atmosphäre, von der sie durch die Epidermis weder etwas empfangen noch an dieselbe etwas abgeben können. Diese ganze Wechselwir- kung bleibt daher auf die Spaltöffnungen beschränkt. Durch diese ist allem Verdunstung und Gasaustausch möglich. Dieser eigenthümliche Ueberzug der Epidermis ist bisher ganz über- sehen und nur da erkannt worden, wo er in grösserer Menge in kleinen Körnern als Reif auftritt; er existirt aber bei jeder Epidermis, lässt sich durch Aether entfernen, worauf die Zellen so gut wie alle andern durch Wasser benetzt werden. Der Zweck dieser Schicht, jede Verdunstung u. s. w. auf der ‚Oberfläche der Gewächse zu verhindern, wird wahrscheinlich noch mehr erreicht durch die zweite Aussonderung. Wenn man ein ganz junges Blatt von Hyacinthus orientalis betrachtet, findet man dasselbe nur von einem zarten Epithelium umschlos- sen, dessen Zellen ein klein wenig nach Aussen sich blasig er- 988 Lehre von der Pflanzenzelle. heben. Sowie sich dies Epithelium weiter entwickelt, zeigt sich zuerst in den Fugen zwischen den einzelnen Zellen eine gela- tinöse Substanz, die bald erhärtet und so ein Netz darstellt, dessen Maschen die Zellengränzen bezeichnen. Bald darauf be- decken sich die ganzen Zellen mit einer solchen Schicht, die sich fest mit jenem. Netz verbindet und ebenfalls schnell erhär- tet. Nun sondern die Epidermiszellen auf ihrer Aussenfläche einen weniger festen und dichten Stoff ab, der jene erste Schicht mit dem Fasernetz in die Höhe hebt und allmälig zu einer bedeutenden Dicke anwächst. Aehnliches kann man fast bei jeder Oberhaut beobachten. Zuweilen tritt die erste Ab- sonderung an bestimmten Stellen, z. B. auf der Mitte der Zelle (Phormium tenax), oder an zwei bis drei Puncten, oder an den Rändern der Spaltöffnungen (Agave americana) stärker hervor und bildet daselbst Wärzchen und dergleichen. Oft ist sie in der Weise unregelmässig, dass sie wie mit Nadeln eingeritzt erscheint, z. B. bei Epidendron elongatum. In den meisten Fällen erscheint diese Absonderung deutlich von der äussern Wand der Epidermiszelle verschieden, oft scheint nur die äussere Wand dicker, aber auch dann lässt sich noch, was sonst leicht geschieht, diese Schicht durch vorsichtig geleitete Maceration darstellen. Dadurch erhält man die von Brogniart!) euticula genannte Membran. Bei dieser Absonderung geht vielleicht die Absonderung jener wachsartigen Substanz auch fort, denn wir finden die Epidermiszellen um so glänzender und undurchdring- licher für Wasser und schwerer durch Alkohol von dieser Ei- genschaft zu befreien, je dicker die letztbeschriebene Schicht ist. Die zwei Spaltöffnungzellen unterscheiden sich, wie schon früher bemerkt, in ihrem Inhalt und Lebensprocess nicht von denen des darunter liegenden Parenchyms. Die Spalte, die sie zwischen sich lassen, ist an derselben Pflanze zu verschiedenen Zeiten oder an verschiedenen Stellen verschieden weit geöffnet, und dadurch wird offenbar die Möglichkeit der Communica- tion des Parenchyms mit der Atmosphäre modificirtt. Wir sind hier noch sehr zurück und wissen noch nicht einmal, ob ein Turgesciren oder Collabiren der Zellen eine Verengerung der Spalte bedingt. Mir ist das Letzte wahrscheinlicher, weil da- durch bei zu grosser Verdunstung, welche offenbar diese Zel- len zuerst trifft, die Verdunstung aufgehalten würde. Die appendiculären Organe bestehen wieder aus Zellen, die wie das Parenchyma weniger von ihrer Individualität haben aufgeben müssen, deshalb zeigen sich auch in ihnen zahllose eigenthümliche Processe, woraus besondere Substanzen hervor- 1) Annales des sciences Tom, XXI. Das Leben der Pflanzenzelle, 289 gehen, die zum Theil abgesondert werden, namentlich klebrige, süsse, harzartige Stoffe und ätherische Oele. Die Verhältnisse sind unendlich mannigfaltig, und das Nöthige zum Theil schon oben bemerkt. Auf eine Erscheinung muss ich hier noch aufmerksam ma- chen. Die Brennhaare der Borragineen (Borrago officinalis) und Urticeen füllen sich im Alter von der Spitze nach der Basıs mit einem von der Wand verschiedenen, schichtenweis abgelagerten assimilirten Stoff. Bei den Urticeen (bei den Bor- ragineen habe ich Aehnliches noch nicht finden können) bildet diese Füllmasse, sobald sie bis zur angeschwollenen Basis der Haare herabgestiegen ist, einen in diese letztere hineinragenden zuweilen länger oder kürzer gestielten Ballen (Ficus, Brousso- netia), der zuweilen mit kleinen, kohlensauren Kalkkrystallen besetzt wird. Bei Cannabis ragen diese Haare nur mit einer kleinen Spitze über die Oberhaut hervor, bei Urtica canadensis liegt nur eine grosse kugelförmige Zelle mit der Fläche der Oberhaut gleich, bei Parietaria judaica, Humulus, Forskaelia tenacissima liegt eine gleiche Zelle unter der Oberhaut. Ich glaube man darf die letzteren als unentwickelte Brennhaare ansehen '). $. 70. Die Zellen der Wurzelhülle führen nur Luft und dienen vielleicht zur Verdichtung des Wasserdunstes und Zuleitung desselben zum Parenchym der Wurzel. Abermals ist hier noch ein ungelöstes Räthsel, dessen Deu- tung ich nicht anders zu geben vermag, obwohl hier mehr die Betrachtung der Verhältnisse, unter welchen diese Wurzeln an Pflanzen, welche meist ohne Boden in einer mit Feuchtigkeit gesättigten Atmosphäre wachsen, vorkommen, dabei leiten kann. Auf die angebliche grosse Hygroskopicität der Spiralfasern, die von Meyen immer hervorgehoben wird, gebe ich nicht viel, mehr auf die höchst poröse Beschaffenheit dieser Schicht, die vielleicht ähnlich einer frisch ausgeglühten Holzkohle wirkt. 1) Meyen (Müller’s Archiv, Tahrg. 1839, S. 257) entdeckte diese Concretionen bei Ficus. Payen (Froriep’s Notizen Bd. XVI, Nr. 335) fand sie bei mehreren Pflanzen und verspann sie nach Art der Franzo- sen gleich zu einer weitläufigen, dem genaueren Physiologen sich gleich von selbst widerlegenden sogenannten "Theorie. Te Ent; 4 a N ART) | Druck von F, A, Brockh RR. SUR Ah wblaarN. wo on I Mr Is eh te nen Verbesserungen und Zusätze. Seite 1A Zeile 11 u. 12 v. u. l. an den Polen st. in der kalten Zone ze lei Fer 31 — lv. o.|. dies der st. dieser 32. — .4Av.o.|. vor st. von 43 — Tv.o.|]. vor st. von 53 — 5v.u. des Textes ist das „zu“ zu streichen 82 — 14v. o. |. Spargelrhizom st. Spargelarrhizom 83 — 4Av.o.|]. Embryosacks st. Embryosods 95 — 15 v. o. 1. belehrt st. gelehrt 103 — 16 v. u. |. perianthium st. perianthieum 136 — 2v. o. |. Schärfe st. Stärke 129 — 8v.u.1. „nehmen Andere andere kleine“ u. s. w. 149 — 4Av.u. |. „Ausgleichungen in Folge geringer chemi- scher Processe 161 — 3v.o.|. ihren Verfassern st. ihnen 177 zu Anmerk. 2) ist hinzuzufügen: „vergl. Wiegmann’s Archiv Jahrg. V (1839) Bd. 1. 8. 274. 178 Zeile23 v. o. ist nach „analysirt“ einzuschalten: „und auf Aequivalente zurückgeführt “ 184 zu $. 19. Das allen hier genannten Stoffen zum Grunde lie- gende ist wahrscheinlich Mulder’s Protein (vergl. Lehmann’s physiologische Chemie Bd. I. S. 165 ff.) 188 Zeile 9 v. u. Zusatz nach „ist“: „Wenn 2 Membranenstoff (24C, AH, 200) 160 absorbiren, so können sich 12HO? bilden, 6 CO? entweichen und 1 Gerbstoff (15C, 16H, 120) bleibt übrig. Die Bildung von Gerbstoff lässt sich also bequem als beginnender Verwesungsprocess der Zellenmembran ansehen. 190 am Ende Zusatz: man vergleiche über das Ganze auch noch einzelne schöne Ausführungen in dem eben so klaren, als gründlichen Buche von Lehmann (Lehrbuch der physiologischen Chemie. Leipzig, 1842, S. 1—81.) 192 Zeile 12 v. o. 1. Balanophoren st. Balanaphoren 203 — 19v.o.1. Peltigera st Pelligera 209 — 26 v. o. |. misirt st. misrt 210 Anmerk. 2) I. Link EI. ph. b. ed. II. T. I. p. 177 214 Zeile 20 v. o. l. caedrotum st. caedratum 217 zu Zeile 20—23 ist zu bemerken, dass nach spätern, genauern Untersuchungen ich bestimmt aussprechen kann, dass die Harzgänge in der Rinde keimender Fichten Keine eignen Wände haben, sondern von blasig in den Ca- nal hineinragenden Zellen begränzt sind. Seite 218 Aal: 2 v. o. hinter „versucht“ ein . st. : In der Anmerk. 2) — — — 224 227 231 232 234 239 244 277 Fee 8 16 1 ist Vol. zu streichen v. u. |. ersten st ersteu v.u1l2)st) v. u. l. communiciren st. concurriren v. u. l. stechende st. stehende v. u. I. des Ephithelium st. der Epidermis v. 0. 1. Oneidium st. Oneideum v. u. Zusatz: Merkwürdig ist, dass, wie bestimmte Pflanzenarten, z. B. Carices, eine gewisse Menge freier Humussäure, die doch im Allgemeinen der Ve- getation ungünstig ist, zu ihrem Gedeihen zu fordern scheinen, so auch einige Pflanzenarten nur in einem Ueberschuss freier Gerbsäure gedeihen, z. B. die zierliche kleine Conferve, welche die sogen. Schim- melhaut auf Galläpfelinfusionen bildet. v. u. nach 2) ist hinzuzufügen: und Nägeli (zur Ent- wickelungsgeschichte des Pollens bei den Phaneroga- men, Zürich, 1842.) Yonaıl, entsteht st, ersteht v. o. Zusatz: Eine richtigere Darstellung der Ent- wickelung des Pollens und zugleich eine gründlichere Widerlegung Meyen’s hat Nügeli (zur Entwickelungs- geschichte des Pollens u. s, w.) gegeben u. fl. v. o. Zusatz: Nach den Untersuchungen von Nägeli (a. a. O.) wird dieser eigenthümliche Ueber- zug entschieden von der Pollenzelle abgesondert, in- dem die erhabeneren Puncte, Spitzen u s. w. zuerst hervortreten, die der Pollenzelle aufliegende Haut aber zu allerletzt entsteht. v. 0. |. einem st, ein. Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik. „Ainstod node Grundzüge der Wissenschaftlichen Botanik nebst einer Methodologischen Einleitung als Anleitung zum Studium der Pflanze von M. J. Schleiden, Dr. Ausserordentlichem Professor zu Jena. Motto: Ich bild’ mir nicht ein, was Rechtes zu wissen, Faust. Zweiter Theil: Morphologie. Organologie. Leipzis. Verlag von Wilhelm Engelmann. 1843. sah een an üsantır dx autos ao! Any Hubsin! usigt ni Hak. Jam DE - ar u ai m” N P_ 7 ni E R \ 7 iR ur | Ikod I allow Y N RE EN FE IE Bann ? MROIOHNR“ & Rn go NR ER A TE SL SER le ne BR N nl I N. j ' 7 m I { REN Ra äh‘ ES 2; h la EN 4 ke BR) Ki Re; re Vorwort. Äch übergebe hiermit dem botanischen Publicum den zwei- ten Band meiner Grundzüge, womit die Aufgabe, die ich mir zunächst gestellt hatte, gelöst ist. Die: methodolo- gischen Grundsätze, die ich in der Einleitung entwickelte, habe ich somit auf das ganze Gebiet: der theoretischen Botanik angewendet. Mir hat, wie ich schon in der Vorrede zum ersten Theile bemerkte, bis jetzt für die sanze Masse des Stoffes ein viel zu geringes, für meine Kräfte ein viel zu umfangreiches Material zu Gebote gestanden, als dass ich meine Arbeit für mehr als für einen höchst schwachen Versuch, das als richtig Er- kannte durch das ganze Feld der Wissenschaft durch- zuführen, ansehen möchte. Vieles, ja vielleicht Alles, werden beglücktere und: tüchtisere Beobachter bessern oder ganz umwerfen; aber davon bin ich in meiner in- vI Vorwort. nersten Seele überzeugt, dass die Wissenschaft ferner- hin nicht blos bei einzelnen wenigen Forschern, sondern im Allgemeinen auf dem Wege, den ich versucht habe ihr vorzuzeichnen, fortschreiten muss, wenn sie mehr werden soll, als ein glänzendes Spielwerk geschäftigen Müssigganges. Ich gestehe es offen, dass ich die bis- herige Botanik nicht etwa im Einzelnen, leicht zu Bes- sernden, sondern in ihren Grundprincipien für durchaus verfehlt halte, und dass ich glaube, das ihr Fehlende aufgewiesen zu haben in den beiden leitenden Maximen für ihre beiden Haupttheile, der Maxime der Entwicke- lungsgeschichte für die Morphologie, der Maxime der Selbstständigkeit alles Zellenlebens für die Physiologie. Um zu zeigen, wie sich die Physiognomie der ganzen Wissenschaft danach von der bisherigen verschieden gestaltet, 'bedurfie ich einer beständigen Parallelisirung meiner Arbeit mit irgend einer frühern. ‘Ich wählte dazu Link’s Elemento philosophiae botanicae, als eines der ‘neuesten, die gesammte Botanik umfassenden Werke, als die Arbeit eines Mannes, der zu den Ersten seines Fachs gerechnet wird, als ein Buch, welches durch seinen Titel die wissenschaftlichste Behandlung des Ganzen verspricht.: Ich glaube mir selbst die 'aus- drückliche Bemerkung schuldig zu seyn, dass der grösste Theil dieses Bandes schon gedruckt war, ehe mir Link’s Vorwort, vi Angriffe in Wiegmann’s Archiv für 1841 zu Gesicht kamen’). Meine Leser ersuche ich, die am Ende des Bandes bemerkten Verbesserungen und Zusätze vor dem Le- sen zu‘ berücksichtigen und einige leichtere typographi- sche Fehler selbst zu bessern und zu entschuldigen. Dass ich mitten im Bande die Terminologie für einen Theil ‚der Fortpflanzungsorgane (insbesondere gemmula st. ovulum u. s. w.) geändert habe,. glaube ich in der Anmerkung zu S. 245 genügend gerechtfertigt zu haben. Im Uebrigen verweise ich .auf das Buch selbst. : Was ich für mich in Anspruch nehme, ist die Anerkennung eines ernsten und redlichen Strebens; der Erfolg steht nicht in meiner Macht. Doch bin ich fest überzeugt, dass. die_von wir zu ‚Grunde gelegten Principien früher 1) Dieser ganzen Polemik, die, ohne den Versuch einer wissenschaft- lichen Widerlegung, ohne den Schein einer Begründung, nur meinen Charakter zu verunglimpfen sucht, indem sie meiner, gottlob von allen Physiologen getheilten, Verehrung Schwann’s die niedrigsten Motive un- terlegt, mich der Verkleinerungssucht grosser Männer beschuldigt, weil ich eine Ansicht bekämpfe, die Link vertheidigt, die mit der unglaub- lichsten Unwissenheit in der Geschichte der Wissenschaft (vergl. den Zusatz zu S. 210 des ersten Bandes am Ende dieses Werkes) mir die willkürliche Erdichtung von Thatsachen vorwirft u s. w.; dieser ganzen Art und Weise Link’s weiss ich nichts Besseres entgegenzustellen, als dass ich ihr recht viele gründlich unterrichtete, redlich denkende und aufmerksame Leser wünsche. Da es mir aber nur um die Wahrheit und Wissenschaft zu thun ist, so stelle ich Herrn Link meine Persönlichkeit auch fernerhin mit Vergnügen zur Disposition, wenn er sich auf diese Weise Anhänger für seine Ansicht glaubt gewinnen zu können, um die ich ihn freilich nicht beneide. vi | Vorwort. (wegen der Macht der Wahrheit) oder später (wegen der Mangelhaftigkeit meiner Darstellung) allgemeine An- erkennung; finden müssen, und so schliesse ich mit den Worten eines der grössten Männer, die je in der Wis- senschaft gelebt, obwohl nicht gewillt, in meinem eng beschränkten Kreise mich diesem Weltenordner auch nur im Eintferntesten an die Seite zu stellen: 8% ignoscitis gaudebo, si succensetis feram. Jacio en aleam, librumyue scribo, seu praesentibus, seu posteris legendum. Keppler, de motibus planetarum har- momicis, Lib. V. prooem. Jena, im April 1843. M. 3. Schleiden, Dr. ‚ 1. ‚82. . 88. Inhalt. Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik. Allgemeiner 'Theil. Drittes Buch. Morphologie. Besritt und Eintheilung . ...... 5 Dr Var VRR VE er Zr Br} Erstes Capitel. Allgemeine Morphologie. I. Individuum, einfache Pflanze, zusammengesetzte ‚Pflanze U. Organe der Pflanze Allgemeine, Kormen ‚u, eo... 0... 0.0, 02. Jsgld sopmaumnlih. = Bezeichnungen derselben . ... -.\,. os onen .n. Zusammensetzungen derselben . . 2... 2.2.20. 20.. heilungenyderselben. u Sy. Ale une se are Ableitung der Formen aus der Zellenbildung . . . »... Regelmassie., Symmetrisch I... 0 Auela a 2 2eue done Die Spiraleiin BImsenta ns SE lea entielie of, Neikteiliente Ziahlengesetzeniin. u Seesen. ned... Zweites Capitel. Specielle Morphologie. Eintheilung der Pflanzen in Hauptgruppen nach der Ent- wickelungsgeschichte wu. u Sc lee ll ara Bedeutung des Wortes Uebergang . .». » » 2.2... +. Erster Abschnitt. Gymnosporen. Allgemeine Entwickelungsgeschichte und. weitere Eintheilung in Gruppen areistethiejt onen atmet et ah,et ef er an Lara een urn nn on nun . C} . mann ae ee IT 98. 9% . 100 . 101. . 102. . 103% . 104. . 105. 106. Inhalt. I. Algen. Entwickelungsgeschichte und äussere Formen Fortpflanzungsorgane . . 2... 2... .0.. “0. je eier Copulation der Spirogyren .. ...... Kies - L e Innerer :Baıı'. mon ma un. Verne II. Pilze. Entwickelungsgeschichte und äussere Formen. .. . . Gährungspilze, Mutterkorn, Muscardine a ol... c Fortpflanzungsorgaund .SD . ER. AR BR... nn, Pilzantherenz lea seugenn.. 4 sn Innerer ‚Bau: ".. . 2... ca ca a III. Flechten. Begrenzung der Gruppe . . . 2... 2... Entwickelungsgeschichte und äussere Formen . Fortpflanzungsorgane . „2 2 2220. .% Innerer Baumes 2..0002, Sr HN RN. Anhang. Charen. Begrenzung der Gruppe . - . 2... ...... Entwickelungsgeschichte und äussere Formen . AH Are 0 Fortpflanzungsorgane und sogenannte Antheren . . . Zweiter Abschnitt. Angiosporen. Allgemeine Entwickelungsgeschichte . . . . . Allgemeine. Formenlehre - - - v2. 2... Allgemeiner Bau “ Gesehlechtsiöse Pflanzen. Allgemeine Entwickelungsgeschichte ... =... a) Wurzellose Agamen. IV.. Laubmoose. - Entwickelungsgeschichte und äussere Formen . Fortpflanzungsorgane. A. Blüthen .. . . . . h B. Fruchtkeim . ... . €. Sporenfrucht D. Antheridien. . . . innerer Bau ru RH Soma AL SER V. .Lebermoose. reach Yen a Be ei, ie ie He, die OO 218 00 Ver Re Entwickelungsgeschichte und äussere Formen . . wie 0 le ee ehrdaiia lisiie Fortpflanzungsorgane. A. Blüthe...... B. Fruchtkeim . . SER €. Sporenfrucht (Kapsel) Sn D. Antheridien . , ... DnerernBaumge en. on... 49 RZ nano an Inhalt. xı Seite b) Bewurzelte Agamen. VI. Lycopodiaceen. Entwickelungsgeschichte und äussere Formen . .. . .» » 19 Fortpflanzungsorgane. A. Gewöhnliche Kapsen . .... 81 B. Viersporige Kapseln... . . 82 Innerer. Bau... u. as Res En ER L, r Te 'o VII. Farnkräuter. Entwickelungsgeschichte und äussere Formen ...... 83 Stengel’ und, Blätterändt wach nal. (ar. nem. 84 Knospen, Wurzelnsn 4. . hei tinc eo anananteud = 85 Eortpflanzunesorcane: . . kan sata. he sad ar en 86 Angebliche “Antheremi . KoES sone nel Karo ee Keie Ve Haile 88 Innerer Baur ch. on Kakaınıa ae N _- VIII. Schafthalme. Entwickelungsgeschichte und äussere Formen ...... 90 Kortpflanzungsorgane - -.% midi elaummpiinaile 0 00. 91 Innerer Bau a fen et Dale le Zah el en. 92 B. Geschlechtspflanzen. Allgemeine Entwickelungsgeschichte - : » » 22.2... 94 Allzemeine Rormenlehre. 2 - u san. ee 97 a) Plantae athalamicae. Bestimmung der: Gruppe. u, loltsnseuensudnlerude +1 — IX. Rhizocarpeen. Entwickelungsgeschichte und äussere Formen ...... — Fortpflanzungsorgane . . 2...» elenuinhr.ne 102 Innerer Daunen. ana an eure 105 b) Plantae thalamicae. Bestimmung; der; Gruppe alstntensast ld de sea a. 107 Allgemeine Uebersicht der Bildungsstufen im Pflanzen- reich bis zu den Phanerogamen. . ., »...... 108 X. XI. Monokotyledonen und Dikotyledonen, Begründung dieser Eintheilung . . .. 2.2.2... 110 Allgemeine Entwickelungsgeschichte ........... — Vollständige Uebersicht aller Organe . . ... 2.2... 114 A. Wurzelorgane. ı a) Aechte Wurzel. Entwickelungsgeschichte und innerer Bau . . . . - .» » - 116 Meussere, Hormenysu una li SUR al ann engen © . 118 b) Nebenwurzel. Enntwickelungsgeschichte, calyptra, Saugwurzeln, Luftwurzeln 119 xur Inhalt, B. Axenorgane. a) Von der Hauptawe oder der Axe der einfachen Pflanze. Seite $. 129. Entwickelungsgeschichte, entwickelte und unentwi- ckelte Stengelglieder, Knoten, Gelenkbildung . . 123 insbesondere scheiben- und becherförmige Axen 129 Historisches und Kritisches . . . ...... 132 b) Richtungsverschiedenheiten. $. 130. Verhältniss der Axe zum Boden der Pflanze . . . . 138 c) Von den: Nebena.xen. $. 131. Entwickelungsgeschichte und Formen . ...... 140 insbesondere von Rhizomen. . . »........ 142 d) Von der Structur der Axengebilde. $. 132. In der Axe vorkommende Elementartheile u. Gewebe 143 Gefässbündel, Mark und Rinde ........ 145 Aeussere und innere Rindenschicht. . .... . 145 u. 149 Stellung ‘und Verlauf der Gefässbündel . . . . . 147 u. 154 Ausbildung zu Holz. abweichende Stammbildungen 148 u. 157 Literarisches, Geschichtliches und Kritisches . . . 160 e) Uebersicht der Axengebilde und Terminologie. SER OR RN a. 162 C. Blattorgane. a) Blattorgane im Allgemeinen. $. 134. Entwickelungsgeschichte und Begriffsbestimmung . . 166 Blattstellungsgesetze. 2... 168 Blattformen‘ 12: 2, SER er a 174 insbesondere die Schläuche . . ....... 177 Anhängsel am Grunde. der Blätter, Blatthäutchen, Nebenblätter "u: .s. w.- 5.; . : » MB all 180 Entwickelungsgeschichte derselben . . .... 182 Verwachsung und Eehlschlagen . . . ...... 185 b) Structurverhältnisse der Blätter. $. 135. Blattnerven und deren Verlauf .......... 189 Natur der Gefässbundelr a. et. 191 Parenchym .desiBlattesas linear. — Epidermis und ihre Anhängsel . ........ 199 c) Vollständige Uebersicht aller Blatltorgane. Nu Io RN NENNE REINE NT NN WORRILIR LE 0 SE AHERR EINE 196 D. Von den Knospenorganen. a) Von den Knospen im Allgemeinen. $. 157. Verschiedene Arten der Knospen .... 2... - 197 Knospenlage.der Blatter... ... . 2.2. 000% 199 Kurospenderken te Siemens 203 b) Structurverhältnisse der Knospe. SALIBIT TEE TASTER ANSE AARIR Be 1 204 $. 139. „10. 141, . 142. Inhalt, ,.. SU Seit c) Von den besondern Formen der Knospe. A. Ununterbrochen sich fortentwickelnde Knospen . .. 205 B. Knospen mit ruhender Vegetation. 1) Zweigknospen. a) Terminal- und Axillarknospen der perennirenden Ge- wächse mit periodisch ruhender Vegetation 206 Knospen der Abietineen. .'. .... 22... 207 b) Nebenknospen derselben . . . 22.2. nv... 208 2) Brutknospen. a). .Zwiebeln Jena on nn 1 una 209 insbesondere von den dichten Zwiebeln „... . . . 211 db); Ziwiebelknospen, 12. um 0 2 Ba ne I. 212 c) Knollen . . .. ... A ser Suse Ar — d). Knollenknospenv.j se sata cafe genen Nie a ee ae — e) Scheinknollen bei Orchideen, Aponogeton und Geor- ginen . .... STREITEN TR ER 2 AU N RER ORTE Tee 213 F)uSaamenknospen.a, sorrsirgeaeins ruhen ke > >= - 216 E. Von den Blüthen. Enntwickelungsstufen der Phanerogamen nach den Blüthen und, Bluthenstanden 2 2. 2 Sal ee ee. 2, Unterschied. von Blüthe und Blüthenstand . . 3 Eintheilung der Lehre von den Blüthen. ... . „1... . I. Vom Blüthenstand. Arten der Blüthenstände und "Terminologie. Blüthenstengel und Blüthenstiel . ». .» 2... Blüthenstützblatt, Deckblatt, Blustenscheide und Blu- SLEnhülle, me Ren en SO RE MEHRERE a Wa EIER he ee Gemeinschaftlicher Kelch und Grasspelzen . . ... . Entwickelungsgeschichte der Blüthenstände Dauer der Blüthenstengel und Blüthenstiele .. . . - - - Reihenfolge im Aufbhihen wer . As recn nei > 2 Innerer Bau... ne Alawes een en = = Uebersicht der gewöhnlich aufgeführten Blüthenstände II. Von den Blüthentheilen zur Zeit des Blühens. Ueber die. sogen. Metamorphose der Pflanzen Uebersicht der einzelnen Blüthentheile und Terminologie .. A. von den Axenorganen der Blüthe. eAhtenine, heitkanileiiueiien,ue eng eine, nie enter Jar ie. lei, 0 le | lerne), 0), war = oO, ie Ze Seegteifiiel len) sale zip Ye ie fteigie:, er ee je,7er © '3e " Insbesondere bestimmtzählige u. unbestimmtzählige "Theile C. Von den reinen Blattorganen der Blüthe. a) Von den Blüthendecken. Allgemeine Uebersicht, Terminologie und äussere Formen . Insbesondere Blüthenhülle und Deckb! ättchen Selbstständige Organe und Organentheile . 249 259 262 265 267 . 269 xıv Inhalt. 152. Arten der Blüthendecke und ihre. Begriffsbestimmung . . . 270 N 153. Blüthenhülle, äussere Formen . 2... 22 2m m un 977 Innerer Bau. 003 1 2 one ne) 278 $. 154. Kelch, äussere Formen und innerer Bu ........279 %. 155 Blumenkrone, äussere Formen und innerer Bu ..... 980 $. 156. Hüllkelch, äussere Formen, innerer Bu ........ 254 b) Von den Staubfäden. 8.0157... Uebersicht, äussere Formen ns, ma kn... 255 Insbesondere Begriffsbestimmung . ... 2.2... 259 Analogie mit dem Sporenblatt .-. „San 291 $. 158. Innerer Bau, insbesondere der Staubbeutel ....... 294 Bildungsgeschichte des Pollen... ... 2.22.2.. 298 Boörmenz.des.Pollenkörus;? „1.078 5. 2 Se 301 Fächer der Staubbeutel und ihr Aufspringen . . . . . 304 "Staubbeutel der’ Orchideen. .. . ..... 2... 0% 307 Staubbeutel’der Caulmiass 2 „20 ste 309 D.: Von den accessorischen Blattorganen der Blüthen. &. 159. Nebenkrone und Nebenstaubfäden . .. ....2.... 2 E. Die Fruchtanlage. $. 160. Allgemeine Uebersicht . ....... RAR RN ale a) Vom Fruchtknoten. $. 161. Begriff. Formen desselben. Zusammensetzung ..... 314 Insbesondere Entstehung desselben aus Axe und Blatt . 318 Ueber. den, Staubwezeanabı 80. 1. 3 1.2, na 321 $. 162. Innerer Bau, leitendes Zellgewebe . . . 2... .2.... 325 Bau der Apocyneen und Asclepiadeen . ....... 330 b) Vom Saamenträger. $. 163. Begriff, Formen desselben und innerer Bu....... 338 Ueber die Bedeutung der Blüthentheile bei Coniferen und Cyeädeem, „ec itnayaneimn arts ne ER ee 338 c) Von der Saamenknospe. $. 164, Allgemeine Uebersicht. Bildung der Knospenhüllen, Krüm- mungen der Saamenknospe . . . . 22... 0 02 DA &. 165. Innerer Bau der Saamenknospe, Embryosack. ...... 383 Insbesondere bei Coniferen . .». » : 2... . 394 u. 387 III. Von der Umbildung und Entwickelung der blüthentheile zur Frucht. $.166.. "Allgemeine; Uebersicht HNERISE RENT N aa uk IR 358 A. Von der Ortsveränderung und Entwickelung des Pollens bis zum Embryo- kügelchen. $. 167. Bildung der Pollenschläuche und Herabsteigen derselben zur BAamenknospe..d.N SR ann ee — Historisches und Kritisches . . .. 2. 22.2.2 20. 367 $. 168. Eintritt des Pollenschlauchs in den Embryosack, Embryo- bläschen und Embryokügelchen . . 2... ..... 372 Insbesondere über die Coniferen . . . 2». 2m... . 374 Geschichtlichesera.&}. har. ana Sea a 379 Inhalt, XV Seit B, Von der Entwickelung des Embryokügelchens zum Embryo. &. 169. Allgemeine Uebersicht. . » » 2.2... ter. SO SE Gymmnosporen, „ie ei. au danke ee > ... 381 $. 171. Monokotyledonen.. . . . . Eh | 2 N 2 or . 383 Insbesondere Gräser . .... .. 2... „2 2... “01188 Geschichtliches +. v5... 2A „ua ans mal 2388 Sand. Dikotyledonen . . „2 Run LEHE n te ne N N C. Ausbildung des Fruchtknotens und der Saamenknospe zu Frucht und Saamen. $. 173. Saameneiweiss, Endosperm und Perisperm . ... 2... ..389 %. 174. Ausbildung der Knospentillen: u. \. 7 ame len 392 $. 175. Ausbildung des Knospenträgers, Saamenmantel u. s. w. . 399 $. 176. Ausbildung des Fruchtknotens, Innerer Bau ..... .40l $, 177. Bildung der Continuitätstrennungen im Fruchtknoten . . . 405 D. Erscheinungen an den übrigen -Blüthentheilen während der Ausbildung von Frucht und Saamen. BIS en a ur 1 he nöd ar re. 408 IV. Von der Frucht und dem Saamen. 8.179. Begriff.dew Frucht „1.1... su 2 sun. aaVd . 10410 $n18S0., Allgemeine Uebersicht iin Nl.n: alla zur vr Be. AA 1) Von den einzelnen Theilen der Frucht. $. 181. Aeussere Formen, Innerer Bau. Schichtenbildungen und Gontinutatstrennungen a zn en. 415 a) Kapselfrüchte, Klappenbildung ae. a 417 db) Theilfrüchte . ... 2.2.2.2. a re ZLS De Stembeeren: ee Re d) Beeren „.. EURE ES TE e Er ee e);Schliessfrüchte * ...2 2 p 0. 2 A) $. 182. Saamenträger, Fruchtbrei, Knospenträge, Anhängsel er De. $. 153. Der Saamen und seine Heer} 008. 1 anuhea 2. BaBedesmSaanrenar An ve ARD REN e .. AD] Saamenschalesns.frne tt DATEN RN BERDE, I Saameneiweiss und Keimpflanze . . . 2. 2..2....43 Lage der Keimpflanze . .. ....... EaEN 2 As TR OCE 2) Von den accessorischen Organen an der Frucht. $. 184. Stehenbleibende Blüthentheile, Scheinfrüchte . . . . . . . 435 3) Aufzählung der verschiedenen Fruchtarten, EISH... 4 ers ame ra Jar wand De. 22. 2,01, 426 Geschichte und Kritik der Fruchtlehre‘. ans ARDI Viertes Buch. Organologie. $. 186. Leben, Lebenskraft, vegetatives Leben und Periodieität . . 436 Insbesondere Leben und Lebenskraft. . . 2...» - 497 Mikrokosmussasudsraind .nanuilaben ı A \ Beriodicttätun san an al HSTORUEN 2 AA $. 187. Inhalt und Eintheilung der Organolosie . u. AA mn m un [> 1722} Dr D er, 4197. . 198. “199. 200, Inhalt. Erstes Capitel. Allgemeine Organologie. Erster Abschnitt. Allgemeine Erscheinungen im Leben der ganzen Pflanze. A. Das Leben der ganzen Pflanze. Seite Begriff. Abhängigkeit von der äussern Natur. . 2... 448 B. Das Keimen. Bei Phanerogamen, Kryptogamen. Erscheinungen bei der Keimung. Albumen, Saamenschale und Fruchthülle 450 Richtung des Keimpflänzchens . . .. 2.2.2... 459 C. Das Wachsen der Pflanze. Wachsen im engern Sinne, Entfaltung und Verholzung . . 458 Bildung von Zellen in Zellen . . ». 2... 2 2... 460 Verschiedenheiten des Wachsthums, Reproduction . . . . 462 D. Der Ernährungsprocess. Uebersicht und Eintheilung der Lehre. ...... . 4683 Ueber die Nahrungsmittel der Pflanze . 2... ....: 466 Ihre quantitative und qualitative Verschiedenheit . . . 40 Aufnahme durch Endosmose. Standörter. Wasser, Erde, Luft AT4 Excremente der Pllanzen‘. . 2. 3. Reisen in eine 478 Aufnahme durch Austausch der in Flüssigkeiten gelösten Gase 479 Ausscheidungen von Gasen durch einfaches Verfliegen. Auf- nahme durch einfache Absorption, besonders des Sauer- stoffstam Dunkeln 2° 2 2.0. 2.2 nee 482 Ursprung des abgeschiedenen Sauerstoflls .. .. » 484 Wasserverdunstung, Aufnahme von Wasserdunst .. .. .» 486 I) Sauerstoffaufnahme durch die Rinde zur Zersetzung vor- handener Stoffe unter Kohlensäurebildung. 2) Kohlen- säurebildung durch Blumen und Staubfäden. 3) Oxyda- tion ätherischer Oele und Harze. 4) Absonderung tropf- bar flüssigen Wassers. 5) Absonderung ätherischer Oele 489 Begriff der Drüse bei. den. Pflanzen... ..... 492 Vertheilung der Flüssigkeit durch die Pflanzen u. Resorption 493 Ueber dıe,sogen. Gefässe ... .. 2.2 0.00 egal: 494 Eindosmosesiman. ae reale ve ee 497 Permeabilität der Zellenmembran . . 2. ....... 499 Hygroskopicität der Zellenmembran als Anmerkung dazu S01 Der sogen absteigende Rindensaft. .. .». .. 2... 902 Nulsaulcung) a. sen. u Tee SE ... 904 E. Fortpflanzung der Gewächse. Die vier möglichen Entstehungsweisen der Pflanze... . . 506 Urzeneune ya. ri er ee Bestimmung des Begriffs der Art . .. vn 2 nn... 508 nun mn 19 S & . 207. . 208. . 209. 210. 0] ji [82 . 213. . 214, . 215. . 216. Inhalt, Die verschiedenen Arten der Fortpflanzung . Uebertragung der wesentlichen und unwesentlichen Merk- male durch die Fortpflanzung. . . . »- - Künstliche Vermehrung der Pflanzen durch Knospen und verwandte Gartenoperationen . . » 2.2... Ne Fortpflanzungsfähigkeit nach dem Alter der Pflanze. F. Tod der ganzen Pflanze, N N Zweiter Abschnitt. Specielle Erscheinungen im Leben der ganzen Pflanze. A. Wärmeentwickelung. 1) Beim Keimen. 2) In den Baumstämmen. ” Am Kolben denilAnordeena, u) ER IR RE B. Lichtentwickelung. 1) Leuchten der Rhizomorphen und Oscillatorien, 2) Leuch- ten absterbender Pflanzentheile. 3) Leuchten der Blumen C. Bewegungen der Pflanzentheile. Webersicht Be. u. RE ya En Bewegungen absterbender Pflanzentheile zum Behufe der Fortpflanzung (hygroskopische Bewegung) . . . . . s Bewegung lebender Pflanzentheile. 4A. Von äussern Ursachen sichtbar abhängende. a)" Reriodische (Bflanzenschlaf)r. I)... a b) Nichtperiodische (Sinnpflanzen) . . 2.2... . B. Scheinbar nicht von äussern Ursachen abhängende. a) Periodische (Hedysarum gyrans) . » .» .»....- b) Nicht periodische (bei Blüthentheilen) Bewegung ganzer Pflanzen (Oscillatorien). . . .»....» » Zweites Capitel. Specielle Organologie. Webersicht En a rn LE A. Vegetationsorgane. a) Gymmosporen. b) Angiosporen Blatt und Axe. . . 2... Al DIAKONIE ER el & Die Blätter . ERBE EN vll Seite ll 518 530 xvIu Inhalt, Seite B. Fortpflanzungsorgane. a) Kryplogamen, (8724 WA aan RN EL EN 5 2 e =r 555 b) Phanerogamen. $. 218. Zur Zeit der"Blüthe 2. Say: DO Dre ee 396 219. Zur Zeit des Reifens und Keimens«..... .... 2... 998 Drittes Buch. Morphologie. (dead GL. Morpholosie ist die Lehre von den Formen der Pflanze und ihrer. Theile. Sie zerfällt in einen allgemeinen Theil, welcher Alles entwickelt, was sich auf die Pflanzen und ihre Organe im Allgemeinen bezieht, und einen speciellen Theil, welcher die. Pflanzen nach ihren Hauptgruppen, sowie ihre einzelnen Organe behandelt; der specielle Theil zerfällt wieder in zwei parallele Aufgaben, nämlich die Darstellung der äussern Form und Darstellung der innern Form, oder der gesetzmässigen Zusammensetzung der ‚Pflanze und ihrer "Theile aus den verschiedenen Geweben. In der methodologischen Einleitung (Th. I. S. 15, 28 ff.) habe ich nachzuweisen versucht, dass die äussere Formenlehre der Pflanze eigentlich der wichtigste Theil der ganzen Botanik ist. Man darf auch nur die Geschichte der Wissenschaft ansehen, um sich von der Richtigkeit dieser Ansicht zu überzeugen, denn wahrhaft bewundernswürdig ist es, wie weit es bei fast gänz- licher Vernachlässigung aller übrigen wissenschaftlichen Verstän- digung gelungen ist, das Material durch blosse Betrachtung des Aeusseren zu bewältigen und auf eine solche Weise anzuord- nen, dass die auf anderm Wege (ich meine dem anatomisch- physiologischen) in neuerer Zeit versuchten Systeme nur höchst geringe und zwar theils offenbar unhaltbare, theils wenig- stens noch sehr bedenkliche Abänderungen vornehmen konnten. Die morphologische Anschauungsweise hat zwar auf diese Weise von jeher der Behandlung der Botanik zu Grunde gelegen, aber man ist weit davoh entfernt geblieben, die Aufgabe wissenschaft- lich scharf ‘zu fassen und danach die Lösung zu versuchen. Die Aufgabe ist eigentlich eine doppelte, eine empirische und eine theoretische. Die erstere hat die Grundformen aufzusu- 1. 1 I) Morphologie. chen und zu charakterisiren, die gleichsam als Typen oder als Geschlechts - und Artbegriffe der Formen, den individuellen Gestalten zu Grunde liegen. Die zweite hat dann die Natur- gesetze zu entwickeln, unter denen sich jene Typen bilden und welche die Abweichungen der individuellen Formen von jenen Urbildern bedingen und erklären. Für die erste Aufgabe sind uns einige obwohl noch sehr fragmentarisch dastehende Ent- wickelungen geglückt, für die zweite Aufgabe aber besitzen wir kaum einige Andeutungen. Dass hier ebenfalls die Lösung zu- erst beim einfachsten Fall zu suchen seyn wird, ist klar. Hier hat nun allerdings Schwann mit eminentem Scharfsinn die Ana- logie zwischen Krystall- und Zellenbildung geltend gemacht; aber wir haben leider für die Krystallbildung selbst das Gesetz noch nicht in die Gewalt unserer wissenschaftlichen Einsicht gebracht. So kann hier die Aufgabe für die Botanık bis jetzt nur genannt werden, und den Anfang ihrer Lösung können wir erst erwarten, wenn die mathematische Construction der Krystallbildung vollendet vor uns liegt. Soll die Aufgabe aber je gelöst werden, so müssen wir der möglichen Construction noch auf eine ganz andere Weise entgegengekommen, als bis jetzt geschehen ist. Dafür müssen wir die Eigenheiten der organischen Form insbesondere der vegetabilischen im Gegen- satz gegen die unorganische, etwas genauer betrachten. Die anorganische Form, der Krystall, ist ein Feststehendes, einmal gebildet Unveränderliches; das Individuum (das Kinzelwesen) ist eben die gegebene Form selbst, und mit Auflösung und Ab- änderung der Form geht auch ein neues Individuum hervor. Bei der Pflanze dagegen ist die Form nichts Festes, Bleiben- des, sondern ein ewig Bewegliches. Die Analogien zwischen beiden liegen nur in den einfachsten Fällen. Der Kernkrystall entsteht in bestimmter Gestalt, und durchläuft dann eine Reihe von Formen bis zur abgeleiteten Krystallform. Als solche bleibt er dann unveränderlich, bis mit der Form zugleich das Indivi- duum zerstört wird. So hat er allerdings eine obwohl sehr einfache Entwickelungsgeschichte, aber nur, indem zu dem ein- mal Vorhandenen noch etwas hinzutrat, bis das Ganze vollen- det war. Dem analog bildet sich die Zelle, in bestimmter Ge- stalt entstehend, eine Reihe von Veränderungen durchlaufend, die (wie es scheint) nur Neues hinzubringen, bis die Form fertig ist, die dann bis zu ihrer Auflösung und daher der Auf- hebung ihrer Individualität stationär bleibt. Ganz anders ist es aber bei den combinirten Formen, die Mit wenigen Ausnah- men allein das ausmachen, was wir Pflanzen nennen. Hier treten eine Anzahl Zellen zu einer bestimmten äusseren Abgränzung zusammen, aber .diese Zellen selbst gehen nicht als todte Morphologie. 3 Massentheilchen in die Form ein, sondern sie fahren fort, neue Zellen zu entwickeln, während die alten zum Theil zerstört werden; die neu entstandenen Zellen verändern durch ihre An- ordnung die Form des Ganzen, und indem sich so beständig Neues bildet, Altes zerstört wird, erscheint die Gesammtbe- gränzung als eine durchaus bewegliche. Da aber diese Um- wandlung ganz stetig und nur in den einzelnen Theilen vor sich geht, können wir jede aus diesem Processe hervorgehende Form nicht als eine neue, sondern nur als eine leichte Modification der nächst vorhergehenden ansehen, und diese eigenthümliche Verknüpfung giebt uns Ein Individuum, dessen erstes Auf- treten vielleicht nach Form und Materie auch nicht das kleinste Theilchen mit seiner endlichen Erscheinung gemein hat, unter dessen Begriff wir aber nichtsdestoweniger diese ganze Reihe wechselnder Gestalten, deren weit entfernte Glieder vielleicht gar kein identisches Element haben, zusammenfassen müssen, wenn wir zu einer wissenschaftlichen Einsicht gelangen, wenn wir den Gegenstand begreifen und nicht blos eine vereinzelte unverstandene und unverständliche Anschauung auffassen wollen. Aus dieser Andeutung nun ergiebt sich, dass, die hervorste- chende Wichtigkeit der morphologischen Betrachtungsweise vor- ausgesetzt, wir doch mit: der Auffassung der in irgend einem Momente als fertig angenommenen Formen nichts gewinnen, sondern dass wir die Gesetze der morphologischen Entwicke- lung aufzusuchen haben, dass überhaupt nicht zu irgend einer Zeit fertige Einzelwesen, sondern nur im Begriff zusammenzu- fassende stetige Reihen gesetzmässig sich verändernder Formen die eigentlichen Gegenstände unserer wissenschaftlichen Betrach- tung sind. Die Geschlechts- und Artbegriffe in der Botanik bilden sich somit nicht blos aus einem Nebeneinander, sondern zugleich unvermeidlich aus dem gesetzlichen Nacheinander der einzelnen Merkmale. Auf diese Weise breiten wir den Inductio- nen eine sichere Grundlage unter, um an eine Theorie der or- ganischen Morphologie gehen zu können, wenn es gelungen seyn wird, die Theorie der unorganischen Formenbildung zu vollenden. Noch sind wir aber sehr weit von diesem Ziel und zwar aus dem einzigen Grunde, weil man fast erst in neuester Zeit und hier auch nur sehr fragmentarisch die Rechte der Ent- wickelungsgeschichte anerkannt hat, ohne welche doch die Bo- tanik ohne alles wissenschaftliche Princip dasteht. Aus dieser Mangelhaftigkeit ergiebt sich die Unmöglichkeit, die Morpholo- gie jetzt noch mit wissenschaftlicher Consequenz und in voll- ständig systematischer Anordnung zu behandeln, welcher Mangel ın meiner Ausführung dieser Lehre, obwohl gewiss nur zum Theil durch meine Schuld, nnr zu sichtbar hervortreten wird. Mög- I Se; 4 Morphologie. lich ist es aber, die Aufgabe vollständig zu entwickeln, und dafür bemerke ich hier noch ‚Folgendes. Wir haben die Gesetze der Formenbildung zu construiren und die Formen selbst zu schildern. Das erste bleibt vorläufig nur Aufgabe und kann erst in spätern Zeiten seine Lösung finden. Das zweite kann wenn auch unvollkommen gegeben werden. Unvollkommen deshalb, weil wir statt der vollständi- gen Entwickelungsreihen, um die 'e® allein zu thun ist, nur noch einzelne Zustände kennen und deshalb noch fast der grösste Theil der Arbeit ungethan vor uns liegt. Wir müssen hier aber wieder sondern: 1) Formenreihen, die bei allen oder doch bei vielen Pflan- zen von sehr verschiedener Natur vorkommen, die uns daher als Grundlagen für die vegetabilische Gestaltlehre überhaupt gel- ten, „allgemeine Morphologie “., 2) Formenreihen, die nur bestimmten Gruppen von Pflanzen eigenthümlich sind, ‚specielle oder vergleichende Morphologie“. Beide Theile würden nun wieder zerfallen ın Betrachtung der Form ohne Rücksicht auf die Zusammensetzung derselben aus den verschiedenen Formen der Elementarorgane, ,,aussere Morphologie“, und Betrachtung der Art und Weise, wie die Formen aus einzelnen Geweben zusammengesetzt sind, ‚„‚innere Morphologie (Structurlehre, vergleichende Anatomie)‘.. Dieser letzte Theil fällt. aber für die allgemeine Morphologie weg, weil wir hier bis jetzt wenigstens nichts sagen können als: ‚,‚jede Pflanze besteht aus den verschiedenen Formen der Elementar- organe‘‘, welche schon früher abgehandelt sind. Aber auch für den zweiten Theil, für die vergleichende Morphologie, scheint es mir unzweckmässig, beide Abtheilungen zu trennen, weil wir noch zu wenig Material haben. Ich werde daher der Betrachtung der einzelnen Pflanzengruppen und Pflanzentheile jedesmal das, was wir über ihre Structur wissen, beifügen. Erstes Gapitel. Allgemeine Morphologie. .. 2. Gegenstände der Formlehre sind überhaupt die For- men der Einzelwesen und ihrer Theile. f. In der Botanik haben wir als Individuen nach wissenschaftlicher Betrachtungsweise: die einzelne Zelle, Allgemeine Morphologie. 5 und nach empirischer Auffassung: die Pflanzen. In leiz- terer Beziehung zeigen sich Individuen verschiedener Ordnung. Die Elementarorgane treten zu bestimmten For- men zusammen (Einzelpflanze, planta simples). Durch Fortbildung entwickeln sich auf der Pflanze neue gleiche Individuen (Knospen, gemmae), welche häufig mit ’der Mutterpflanze in Verbindung bleiben und so für die An- schauung ein Gesammtindividuum bilden (zusammengesetzte Pflanze, planta composita.) Gehen aus den Knospen nur Fortpflanzungsorgane oder Blüthen hervor, so nennen wir die Pflanze ebenfalls noch einfach. Diese Zusammen- setzung wiederholt sich in unzähligen Abstufungen. Ueber den Begriff des Individuums ist viel geschrieben und gestritten worden, ohne dass die Sache klarer geworden wäre, hauptsächlich weil man sich über den Ursprung des Begriffs nicht verständigte. Das Individuum ist aber eigentlich gar kein Begriff, sondern die rein anschauliche Auffassung irgend eines wirklichen Gegenstandes unter einem gegebenen Artbegiff; von diesem letztern hängt es allein ab, ob etwas ein Individuum ist oder nicht. Unter dem Artbegriff des Sonnensystems ist das unsrige ein Individuum, in Bezug auf den Artbegriff Weltkör- per ein Aggregat vieler Individuen. Es hat somit gar keinen Sinn darüber zu streiten, ob etwas ein Individuum in der Pflanzenwelt sey oder nicht, sobald nicht der Artbegriff, die Pflanze, vollkommen definirt ist. Nun habe ich aber oben ge- zeigt (Th.1. S.15ff.), dass wir bis jetzt die Pflanze im Ganzen nicht mit wissenschaftlicher Deutlichkeit nach definirtem Begriff, son- dern nur schematisch auffassen können. Wie wir aber in das bereits erkannte Material hineingreifen und uns daraus die Artbegriffe ‘der Pflanze als vorläufiges wissenschaftliches Hülfs- mittel definiren wollen, bleibt rein willkürlich und kann höch- stens einen Streit über die Zweckmässigkeit der einen oder andern Definition veranlassen. Ich glaube aber, sehen wir auf die schon früher angeführten unzweifelhaften Thatsaächen (Th.1.S.108) und die übrigen im Laufe dieser Erörterungen vorkommenden Verhältnisse, so muss es uns als das Zweckmässigste und wissenschaftlich Brauchbarste erscheinen, als Pflanze (einfache Pflanze erster Ordnung) im Allgemeinen die vegetabilische Zelle anzusprechen. Unter diesem Begriff erscheinen uns dann Pro- tococcus und andere nur aus einer Zelle bestehende Pflanzen, die Spore und das Pollenkorn als Individuum. Solche Indivi- duen können aber mit theilweiser Aufgebung ihrer individuellen 6 Morphologie. Selbstständigkeit wiederum nach bestimmten Gesetzen zu abge- schlossenen Formen zusammentreten (etwa wie die Einzelthiere zur Kugel des Volvox globator). Diese erscheinen uns empirisch abermals als Einzelwesen unter einem Artbegriff (einfache Pflanze zweiter Ordnung), den wir aus der Form der gesetzlichen Ver- knüpfung der elementaren Individuen ableiten. Aber auch hier- bei können wir nicht stehen bleiben, da die Natur selbst diese Individuen noch wieder zu grösseren. Gesellschaften unter. be- stimmter Form verbindet '), und so erhalten wir den dritten Begriff der Pflanze nach einer Verknüpfung gleichsam in zwei- ter Potenz (zusammengesetzte Pflanze, Pflanze dritter Ordnung). Die einfache aus dem Zusammentreten der Elementarindividuen hervorgegangene Pflanze heisst dann in der Zusammensetzung zur Pflanze dritter Ordnung Knospe (gemma). Dieser letzte Begriff lässt sich aber erst da scharf anwenden, wo die Form der Verknüpfung der Elementarorgane eine ganz gesetzmässig bestimmte geworden ist. Dies finden wir aber erst von den Moosen aufwärts; bei Algen, Flechten und Pilzen dagegen ist die Verknüpfung der Elementarindividuen so locker, dass wir zwischen individueller Fortbildung der Pflanze und einer die- selbe wiederholenden Zusammensetzung, oder mit andern Wor- ten zwischen Wachsthum und Knospenbildung nicht wohl un- terscheiden können. Vorläufig betrachten wir diese also als einfache Pflanzen (zweiter Ordnung). Weil aber die Bildung von Fortpflanzungsorganen oder Blüthen jedesmal die weitere Fortbildung der einfachen Pflanze in dieser Richtung völlig auf- hebt, nennen wir die einfache Pflanze, deren Knospen nur Fort- pflanzungsorgane oder Blüthen und folglich der Fortbildung unfähige Individuen sind, auch noch einfache Pflanzen. &.7) IH. Unter den Theilen der Pfianze, deren Form man zu betrachten hat, verstehe ich solche, die sich als an- schaulich erfassbare, innerhalb der Sphäre einer Pflan- zengruppe constante Abtheilungen der Gesammtform er- Seben, und nenne diese Theile Organe der Pflanze. Es gehört mit zu den unglückseligen Verwirrungen, die eine falsche Analogie mit den Thieren in die Botanik gebracht, dass man gewöhnlich die Organe der Pflanze nur nach physiologi- schen Merkmalen zu charakterisiren versucht, ganz vergessend, 1) Gemmae totidem herbae. Linne, Phil. bot. $. 132. Schon hier war dies Verhältniss richtig aufgefasst. Allgemeine Morphologie. 7 dass wir gar kein Organ kennen, in welchem nicht die ein- zelnen Zellen für sich ihr vollständiges Leben lebten und nur zuweilen so weit modificirt, dass eine bestimmte Seite dieses Lebens vorzugsweise hervortritt (wie das weiter unten in der Organologie auszuführen ist), ohne dass aber die andern völlig unterdrückt wären. Durch welchen lebendigen Theil könnte die Pflanze nicht Nahrung aufnehmen, durch welchen nicht ausscheiden, durch welchen sich nicht fortpflanzen? Wenn aber diese wichtigsten Functionen nicht einmal einem bestimmten Organ zugetheilt sind, wie kann man denn überall noch von physiologischen Verschiedenheiten der Organe reden? Mir scheint es, dass alles hier auf die Formenbildung basirt werden muss. Ob und welche Organe sich auf diese Weise ergeben, muss der. speciellen Morphologie überlassen bleiben, sowie die Organologie zu erörtern hat, inwiefern in diesen Organen etwa vorzugsweise‘ bestimmte Seiten des Zellenlebens zu einem auffallenden Gesammteffect entwickelt sind. 8 7 Die Bedingung aller Formenbildung ist die Ausbrei- tung im Raum. Jede Pflanze, jeder Theil kann daher linienförmig, Conferva, Usnea, Cuscuta, die meisten Stengel, Grasblätter u. s. w., flächenförmig, Ulva, Parmelia, Lacis, Marathrum, Stengel von Opuntia, Phyllanthus, Ruscus, gewöhnliche Blätter u. s. w., oder körperlich ausgedehnt, Protococcus, Undina, Mamillaria, Melocactus, Blätter der Sedum- oder Mesembryanthemum - Arten, erscheinen. Das blosse Vorherrschen einer Dimension darf nie als Merk- mal in den Begriff einer Pflanzengruppe oder eines Pflanzen- theils aufgenommen werden, da wir hierin durch die Erfahrung nicht auf bestimmte Gesetze geführt werden, «a priori aber die Ausdehnung nach allen drei Dimensionen des Raums gleich möglieh ist. Es ist gewiss wichtig, diesen Satz in seiner All- gemeingültigkeit festzuhalten, denn so einfach er ist, so oft ist ihm zuwider über die Natur einzelner Organe nach blossen Dimensionsverhältnissen entschieden worden. . 2. Die linienförmigen Gebilde bestimmt man noch ge- nauer nach der Figur des Querschnitis als teres, an- ) Morphologie. ceps, triqueter etc. Die Flächenformen sind niemals ganz von graden Linien eingeschlossen, meist von Cur- ven begränzt und man nennt sie nach diesen rotundus, ovalus ete., oder wenn sie von zwei sich schneidenden Curven begränzt werden, nach dem Wachsen des Längs- durchmessers ovalis, lanceolatus, linealis ete. Die Kör- performen endlich bezeichnet man. nach ihrer Aehnlichkeit \ mit stereometrischen Figuren als globularis, cubicus, conicus etc. oder nach zufälligen Aehnlichkeiten mit be- kannten Gegenständen als AGRAEReuMIG 5 a mamillaris ete. Es kann nicht meine Absicht seyn, hier die ganze zum Theil sehr überflüssig- weitläufige und doch zum Theil so unbezeich- nende Terminologie mitzutheilen; ich will hier nur andeuten, in welcher Weise die Ausdrücke gesucht und an welcher Stelle sie erklärt werden sollen. Dass es wahrhaft ekelhaft ist, in botanischen Büchern zu lesen: Ein Blatt kann flach und oval, oder lanzettlich oder linealisch und auch dick und fleischig seyn; und dann beim Stengel abermals: derselbe kann dick und fleischig, oder flach und dann oval oder lanzettlich oder linea- lisch seyn, und dann dasselbe Geträtsche bei dem Blumenblatt und bei der Anthere und an hundert andern Orten wiederholt zu finden, wodurch dem Schüler recht muthwillig die Zeit ge- stohlen wird, ist nicht zu leugnen. Diese ganz allgemeinen adjectiven Kunstausdrücke gehören gar nicht speciell' der Bota- nik an, sondern der Naturwissenschaft im Allgemeinen, sie be- gründen eigentlich eine eigne Disciplin, die wissenschaftliche Anschauungslehre, wofür einmal Zliger ') einen Versuch machte. Für die Botanik ist das kleine Handwörterbuch der botanischen Kunstsprache von Bischof”) sehr zu empfehlen. Ich werde hier und im Folgenden nur die richtige Einordnung der Kunst- worte nach den Stämmen ihrer Begriffe andeuten und mich übrigens auf diejenigen beschränken, die etwas eigenthümlich Botanisches bezeichnen. Was ich hier besonders noch bemer- ken muss, ist, dass wir. mit dem Vorrath unserer scharf bezeich- nenden mathematischen Ausdrücke bald am Ende sind; dann bleibt uns nichts übrig als bildliche Ausdrücke zu wählen, und hier hängt das ganze Schicksal der wissenschaftlichen Be- zeichnungskunst vom grössern oder geringeren Geschick des 1) J. K. W. Nliger’s Versuch einer systematischen, vollständigen Ter- minologie für das Thier- und Pflanzenreich. Helmstädt, 1800. 8 2) Lehrbuch der Botanik. Anhang. Stuttgart, 1839. Allgemeine Morphologie. 9 Einzelnen ab. Hierin liegt "hauptsächlich der grosse Man- gel unserer naturwissenschaftlichen Terminologie, dass man nicht sorgfältig genug in der Auswahl der Worte war und sich meist damit begnügte, dass dieselben grade für den einzelnen eben vorliegenden Fall der Anwendung passten, während eine zu- fällige Nebenbestimmung, die dem Worte anhing, seine allge- - meine Anwendung völlig unthunlich machte. ? $. 76. Die einfachen Grundformen können wieder zu Com- binationen zusammentreten, indem sie sich wieder nach den drei Dimensionen des Raums unter einander verbin- den, woraus eine unendliche Mamigfaltigkeit der Formen hervorgeht, für deren wenigste wir anschauliche Bezeich- nungen haben (wie z. B. linienförmige Aneinanderreihung kugeliger Formen, moniliforme, rosenkranzförmig). Der Punct, die Linie oder Fläche, womit ein "Theil befestigt ist, heisst, hier stets der Grund (basis), das freie Ende Spitze (apex). Ein kugeliger oder flächenförmiger Theil, dessen Grund durch einen linienförmigen Theil (stipes) mit einem andern verbunden ist, heisst gestielt (pars stipitata). Die wichtigsten Verkalln: hat man unter folgende Betrachtungsweise zusammengefasst. Man sieht eine einfache Form als den Haupttheil, den Träger der andern an (axis), an welchem diese als Glieder oder Anhängsel befestigt sind (articuli, partes appendicu- lares , laterales). Zunächst unterscheidet man dann nach der Form der Axe, ob sie in die Länge gestreckt ist oder nicht, dann nach der Form: der Seitentheile, ob sie gestielt sind; ferner nach der Anordnung der Seiten- theile an der Axe, endlich nach ihrer verschiedenen re- lativen Grösse. So erhalten wir folgendes Schema: A. Axe kugelig, oder doch verkürzt. A. Ungestielte Seitentheile. I. Allseitig an der Axe. (Theile in Köpfchen, partes capitatae). II. Alle in einer Fläche liegend. (Gefingerte, hand- förmige "Theile, partes digitatae, palmatae). 10 Morphologie, B. Gestielte Seitentheile. (Dolden, partes um- bellatae.) B. Axe langgestreckt. A. Seitentheile unter einander gleich lang. I. Ungestielte Seitentheile. 1. Nach allen Seiten gerichtet. a. Mehrere fast auf gleicher Höhe. oc. Nur am Ende der Axe. (Schopf- bildende Theile, partes comosae.) P. Oftmals in der Länge der Axe. (Wir- el, Quirle, partes verticillatae.) b. Alle auf verschiedenen Höhen. (Aech- ren, zerstreute, spiralige Theile, partes spicalae, sparsae, spiraliter positae.) 2. Alle in einer Fläche. (Gefiederte Theile, partes pinnatee.) Ä | II. Gestielte Seitentheile. (Trauben, partes. ra- cemosae.) B. Die unteren Seitentheile länger, so dass alle Einden in einer Ebene liegen. (Gegipfelte Theile, partes festigiatae, cymosae.) Auch hier gilt, was schon im vorigen Paragraphen bemerkt wurde, dass Vollständigkeit weder beabsichtigt ist, noch auch in der That möglich wäre. Hier wie überall ist unsere Ter- minologie noch ein unwissenschaftlicher Wust. Man hat stets nur Ausdrücke für einzelne Fälle gebildet, die sich bei Erwei- terung der Anschauung schwer und oft gar nicht auf das im einzelnen Falle liegende allgemeine Merkmal, welches man doch eigentlich bezeichnen wollte, ausdehnen lassen. Ueberhaupt dürfen wir eine. streng wissenschaftlich -morphologische Termi- nologie erst dann men. wenn uns die mathematische Con- struction der Form gelungen ist. Indess können wir doch so weit vorarbeiten, dass wir solche Ausdrücke, die gar nichts speciell Pflanzliches, sondern blosse Verhältnisse von einfachen Formencombinationen bedeuten, nicht gelegentlich bei eınem ganz speciellen Falle vorbringen, sondern ihre Allgemeinheit gleich aufweisen. Wir en ebenso gut kopfförmig vereinigte, sefiederte, fingerförmige u. s.w. Krystalle. Was Köpfchen und Aehre bei den Blüthenständen unterscheidet, ist durchaus das- selbe, was folia sparsa von folüs rosulatis unterscheidet. Wir Allgemeine Morphologie, 11 erfassen in diesem Merkmal gar nichts, was Blüthen, Blättern oder überhaupt irgend einem Pflanzentheil für sich eigenthüm- lich wäre, sondern blos eine Formencombination, die von der Natur der Formen ganz unabhängig ist. % 77. Sobald die Combinationen verwickelter werden, fehlt es uns gänzlich an Ausdrücken für dieselben. Einzelne Fälle kann man zuweilen dadurch bezeichnen, dass man angiebt, wie oft sich gleiche Combinationen auf gleiche Weise wiederum combiniren, z. B. Partes bi-, tri- pinnatae. Im Uebrigen muss man sich darauf beschrän- ken, für den Umriss des Ganzen Ausdrücke auszuwäh- len und dann die Zusammensetzung im Einzelnen ge- nauer zu bestimmen. Insbesondere tritt dieser Fall ein bei zertheilten Formen, die man nicht als aus einzelnen Thheilen zusammengesetzt ansehen kann oder will. Hier bezeichnet man den Hauptumriss und giebt die Zerthei- lung des Randes nach folgenden Hauptunterschieden an: I. Tiefere Binschnitte des Randes, bei denen das Maass nach der Entfernung vom Rande bis zu dem Punct oder der Linie, auf welchen die Einschnitte zugehen, genom- men wird. 1. Bis zur Hälfte (stumpflappige Theile, partes lobatae, spitzlappige, p. fissae). 2. Bis über die Hälfte (getheilte Theile, p. partitae). 3. Bis dicht an den Punct oder die Linie (zerschnit- tene Theile, p: sectae). Man verbindet diese Ausdrücke auch noch mit an- dern, um die Anschaulichkeit zu erleichtern, z. B. pal- matilobae, pinnatifidae. Il. Für leichtere Eintheilungen am Rande einer Fläche hat man noch besondere Ausdrücke, z. B.: A. Die vorspringenden Thheilchen spitz. a. lang und dünn (gewimperte Theile, p. fimbriatae). b. kurz mit breiterem Grund. 12 | Morphologie. co. Gleichseitig (gezähnte Theile, p. dentatae). P. ungleichseitig (gesägte Theile, p. serratae). B. Die vorspringenden Theile rundlich (gekerbte * Theile, p. erenatae). Endlich für kleine Unebenheiten der Fläche hat man eine grosse Menge verschiedener Ausdrücke, die ganz bildlich meistens gar keine wissenschaftliche Schärfe zulassen, z. B. aciculatus, wie mit einer Nadel ge- ritzt, rimosus rissig, sulcatus, punctatus, scrobicu- latus, granulosus, verrucosus ete., auch muss man die verschiedenen Bezeichnungen für. behaarte Flä- chen hierher rechnen, z..B. arachnoideus, lanugino- sus, tomentosus, pubescens, pilosus, setosus , strigo- sus ete. Wissenschaftliche Genauigkeit kann hier nur durch genauere Beschreibung der betreffenden Theilchen und insbesondere durch Charakterisirung ihrer morpho- logischen Bedeutnng erreicht werden. Die hier erwähnten Ausdrücke sind ganz besonders solche, die ohne consequente Verfolgung einer bestimmten Anschauungs- weise gewählt sind. Die ersten werden gewöhnlich nur bei Flä- chen angewendet, hin und wieder werden sie auch bei Körperfor- men gebraucht, z. B. tubera palmatifida, pollinaria sectilia. Die letztern passen aber offenbar nicht alle auf Körper und zeigen so, dass sie durchaus keine homologen Glieder seyn dürften. Man könnte recht gut von einem mit Spitzen besetzten Körper sagen, er sey mit Zähnen besetzt, aber nicht er sey gewimpert oder sägezähnig; bei dem ersten bezieht sich der iconische Aus- druck nur auf die Form des Theils, bei den andern beiden zu- gleich. mit auf die Stellung am Rande einer Fläche. $. 78. Bei allen Pflanzen, mit Ausnahme der wenigen nur aus einer Zelle bestehenden, beruht die Form auf der Zusammensetzung aus Zellen. Hier sind zwei Puncte für die Bildung der Formen wesentlich, nämlich die An- ordnung der neu entstehenden Zellen und die verschie- dene Ausdehnung der entstandenen. Für jede einzelne Pflanzenart, für jedes einzelne Organ sind beide Mo- Allgemeine Morphologie, 13 mente specifisch gesetzmässig, für die Pflanze im Allge- meinen völlig zufällige. Die Ausdehnung einer Pflanze oder eines Pflanzentheils nach einer, zwei oder drei Dimensionen des Raums kann sowohl auf der Anordnung der entstehenden Zellen, als auf der. verschiedenen Aus- . dehnung der entstandenen, als auch von beiden Momen- ten zugleich beruhen. In erster Beziehung braucht man nur sich zu erinnern, dass wenn in einer Zelle vier neue Zellen entstehen, diese ebenso gut in einer Reihe (linien- förmig), als zwei und zwei neben einander (flächenför- mis), als endlich wie die Ecken des Tetraeders (kör- perförmig,) in der Mutierzelle liegen können, in den an- dern Beziehungen giebt sich die Sache von selbst. Der hier berührte Punct ist ‘bisher gänzlich vernachlässigt worden und wird gleichwohl die Grundlage der ganzen Mor- phologie werden, da von ihm allein alle Formenbildung in der Pflanze bedingt ist. Bei der grossen Schwierigkeit, In den meisten Fällen die erste Entstehung der . Zellen zu beobachten, wird es freilich noch lange währen, ehe wir hier auch nur mit einiger Genauigkeit von der Entstehung der verschiedenen For- men Rechenschaft geben können. Es wird sich aber für die nächste Zeit alle Untersuchung der Entwickelungsgeschichte auf diesen wesentlichen Punct richten müssen, und wir werden hier für die Morphologie die interessantesten Gesetze erwarten dür- fen. — Etwas Allgemeines lässt sich zur Zeit noch nicht aus- sprechen, und es muss genügen, hier auf die durchgreifende Wichtigkeit aufmerksam gemacht zu haben. Einzelne, speciel- lere Ausführungen werden weiter unten insbesondere beim Sten- gel und bei den Blattorganen vorkommen. — Da die Grund- lage jeder Pflanze stets eine einzelne Zelle (Spore oder Em- bryobläschen) ist, in oder aus der sich die neuern allmälig die ganze Pflanze bildenden Zellen entwickeln, so liegt immer schon in jeder vorhergehenden Zelle die Bedingung, weshalb sich die . neu entstandenen Zellen so oder so anordnen; da aber die Ausdehnung der einzelnen Zelle für sich nach den drei Dimen- sionen des Raumes wesentlich von der Ernährung ihrer Mem- bran, diese aber von der Zuführung ernährender Flüssigkeit abhängt, so wird jenes zweite die Formen bestimmende Mo- ment fast immer schon durch das erste gegeben seyn, sobald die Zellen nicht unmittelbar mit der Nahrungsflüssigkeit in Berührung stehen. Einer linienförmigen Anordnung der Zellen wird daher leicht auch eine grössere Ausdehnung in die Länge 14 | Morphologie, folgen u.s. w. Als ein Beispiel der gesetzmässigen Anordnung neu entstandener Zellen will ich hier nur die zwei Spaltöff- nungszellen anführen. Hier entstehen in einer Mutterzelle zwei Brutzellen, die aber ohne Ausnahme sich gleich so bilden, dass sie mit der Oberhaut in einer Fläche, niemals so, dass sie von der Oberhaut aus betrachtet übereinander liegen. $. 29. Regelmässige mathematische Formen kommen bei der Pflanze niemals vor, etwa mit Ausnahme der. Kugel- form der einzelnen Zelle. BRegelmässig nennt man aber bei der Pflanze solche Formen, die sich mit jedem Schnitt durch eine angenommene Axe in zwei gleiche Theile theilen lassen, symmetrisch dagegen solche, die nur durch einen einzigen Schnitt in zwei gleiche Theile, die sich dann wie rechte und linke Hand ver- halten, geiheilt werden können. Da die einzelne Zelle ein ganz selbstständiges Individuum ist, da nur durch das Zusammentreten dieser wenige einfache Individuen zweiter Ordnung gebildet werden, die meisten Pflan- zen aber aus der Zusammensetzung dieser letztern ihre ganze Gestalt gewinnen, jedes Individuum erster und zweiter Ordnung aber bei der grossen Selbstständigkeit seines Lebens von äussern Einflüssen für sich ergriffen werden kann, ohne dagegen durch den Zusammenhang mit dem Ganzen geschützt zu seyn, so lässt sich leicht denken, wie viel Unbestimmtes in der Form der meisten Pflanzen seyn muss. Wir finden daher Regel- mässigkeit im oben angegebenen Sinne und selbst Symmetrie nur bei wenigen ganzen Pflanzen, z. B. beim Protococeus, Pha- scum, Equisetum, Wolffia, Melocactus. Häufiger zeigt sich bei- des bei einzelnen Theilen der Pflanzen, besonders bei dem am meisten unter sich morphologisch und physiologisch verknüpften Fortpflanzungsapparat der höheren Pflanzen, z. B. bei der Mooskapsel, den Blüthen und Früchten; häufig auch noch die Symmetrie, wenigstens bei den Blättern und ganzen Individuen zweiter Ordnung, z. B. an Zweigen. Hugo Mohl') hat viel Hübsches darüber gesammelt. Bis jetzt lassen sich noch gar keine Resultate daraus ziehen. 1) Ueber die Symmetrie der Pflanzen. Tübingen, 1836. Allgemeine Morphologie. 15 $. 80. Eine bei der Pflanze sehr häufige und wie es scheint ihr vorzugsweise eigenthümliche Form ist die Erschei- nung einer Spirale, am häufigsten und gesetzmässigsten im Lebensprocess der einzelnen Zelle als Verdickungs- schicht auftretend (vergl. oben $. 26.), ferner in der Anordnung des Chlorophylis bei Spirogyra, Chara; sodann in der spiraligen Stellung der knotigen Ver- diekungen der Zellenwand ($. 25.), in der sehr häufig deutlichen spiraligen Anordnung appendieulärer Theile um eine Axe, endlich in der spiraligen Drehung lang- gestreckter Theile, z. B. der Ranken und Schling- pflanzen. | Die im Paragraphen angeführten Thatsachen sind nicht wohl in Abrede zu stellen und deuten allerdings auf einen gewissen Zusammenhang zwischen der spiraligen Richtung und einer Ei- genthümlichkeit in der Natur der Pflanze hin. Man muss sich aber sehr hüten, diese Thhatsachen zu überschätzen, da Man- ches darunter noch ganz vag und unsicher ist. Bei den Ran- ken und Schlingpflanzen z. B. giebt sich die Sache auch auf andere Weise, denn jeder fadenförmige Theil, den man um ei- nen Stab windet, muss eine Spirale bilden, was doch Niemand aus der Natur des Eisendrahts oder des Hanfseils wird ablei- ten wollen. Die spiralige Stellung der appendiculären Organe betreffend, so hat man zwar in vielen Fällen den Augenschein, vielleicht selbst die scharfe mathematische Messung für sich, z. B. bei den Coniferenzapfen, bei den Warzen der Mamilla- rien, bei den Früchtchen der Sonnenblume, aber leugnen lässt ‚sich doch auch nicht, dass in den meisten Fällen die Blätter z. B. entschieden keine mathematische Spirale bilden, und dass man nur nachweisen kann, dass sich die für eine Spirale ge- fundenen Gesetze recht gut auf die Blattstellungen anwenden lassen, wenn man sich die Blätter etwas zurecht rückt. Man vergisst hierbei ganz, dass man alle beliebig auf einem Cylinder zerstreuten Puncte (und ein Stengel ist noch dazu selten oder nie ein mathematischer Cylinder) durch eine Spirale verbinden kann, wenn man die Entfernungen aller Puncte von der Grundlinie als Bruchtheile der Länge des Cylinders ausdrückt und das ge- meinschaftliche Maass dieser Brüche als Abstand für je zwei Windungen der Spirale annimmt. Eine in der Anordnung der Puncte selbst angedeutete Spirale dürfte man aber nur dann 16 Morphologie. annehmen, wenn auf der wie angegeben erhaltenen Spirale die Entfernung zwischen zwei Puncten überall gleich wäre. Zu diesem Erforderniss gelangt man aber nur durch ein zur Zeit noch ganz willkürliches Verschieben der Puncte (Insertionsstel- len der Blätter) oder gar durch Annahme eines Aborts, den man nicht in der Natur nachweist. Wahre Bedeutsamkeit wird diese Ansicht erst dann für die Betrachtung des. Pflanzenorga- nismus gewinnen, wenn man im Stande ist nachzuweisen, aus welcher Eigenheit der Pflanze eine spiralige Anordnung noth- wendig hervorgehen muss und auf welchen Gesetzen die indi- viduellen Unregelmässigkeiten beruhen: Wie ganz willkürlich hier noch alles ist, zeigen schon die beiden entgegenstehenden Ansichten von ‘Schimper und den. Gebrüdern Bravais. Unten (bei den Blättern der Phanerogamen) werde ich noch einmal darauf zurückkommen. Am sichersten ist hier offenbar die spiralige Anordnung der Verdickungsschichten in‘ der Zelle, aber auch hier haben wir bis jetzt nur die nackte Thatsache und noch nicht einmal eine Ahnung, wie dieselbe gesetzmässig aus der Natur der 'Pflanzenzelle abgeleitet werden könne. Dass die Vergleichungen mit einer magneto- elektrischen Spirale ') blosse Witzeleien sind und noch dazu höchst oberflächliche, versteht sich von selbst, da es bis jetzt an jeder Nachweisung auch nur der entfernten Wahrscheinlichkeit oder (bei dem feuchten, also überall hin leitenden Zustande der Zellenmembranen) selbst der Möglichkeit eines galvanischen Stromes fehlt. ‘. 81. Allgemeine Zahlengesetze für die Pflanze kennen wir bis jetzt noch nicht. Andeutungen dazu mögen darin liegen, dass sich überwiegend häufig in einer Mutterzelle zwei oder vier oder acht Brutzellen bilden, z. B. bei Tetraspora, bei den Sporen der Octosporidien, der Moose, beim Pollen der Phanerogamen. Auch ge- hört vielleicht das häufig regelmässige Vorkommen von bestimmten Zahlen in den Quirlen hierher, so wie das Hervortreien der Dreizahl in den Blüthentheilen der Monokotyledonen, der Fünfzahl bei den Dikotyledonen. . Alle genannten Verhältnisse sind schon oft zu kindischen Zahlenspielereien benutzt worden, indem man ganz willkürlich 1) z. B. Link, Element. phil. bot. Ed. II. T. 1. p. 192. Specielle Morphologie. 17 die einzelnen Fälle für eine vorherersonnene Theorie heraus- nahm und die Ausnahmen ignorirte, oder durch eben so will- _ kürlich ersonnene Fictionen für die angebliche T’heorie zustutzte. Wir können noch nicht einmal im Entferntesten entscheiden, ob etwas, z. B. bei den drei Blumenblättern einer monokotyle- “ donen Pflanze, als ein dreitheiliger Wirtel, oder als eine zu- sammengezogene, dreigliedrige Spirale anzusehen sey. Beide müssten aber auf sehr verschiedene Weise aus der Natur der Pflanze hergeleitet werden und bei der letzten Ansicht würde wieder der Streit der bis jetzt gleichberechtigten Ansichten von Schimper und Bravais stehen bleiben. Ehe wir aber nicht eine solche Ableitung aus dem Wesen des Pflanzenorganismus wenig- stens wahrscheinlich machen können, ist es eben so richtig bei der grossen Menge von Ausnahmen, das häufigere Vorkommen der einen oder der andern Zahl als für die Pflanze im Allge- meinen zufällig anzusehen. Mehr den Anschein einer Gesetz- mässigkeit gewinnt dagegen das Vorkommen von 2, 4, 8.bei den Brutzellen, doch fehlt es auch hier an allem und jedem Zusammenhang mit dem Wesen der Pflanzenzelle. Wir werden wohl noch ‘lange warten müssen, ehe uns hier auch nur An- deutungen bestimmter entgegentreten. Zweites Capitel. Specielle Morphologie $. 82. Die Grundlage für alle specielle botanische Morpho- logie ist die Entwickelungsgeschichte, nach ihr müssen wir daher auch unsere allgemeinen Eintheilungen wäh- len. Jede Pflanze entsteht aus einer Zelle und der erste Unterschied unter den Zellen, der die Form der Eintwickelung bedingen kann, ist der, ob diese Zellen nackt sind und sich also frei ausdehnen können, oder mit einer eigenthümlichen Hülle umgeben sind, welche erst durchbrochen werden muss, ehe Fe Zielle sich aus- dehnen und entwickeln kann. Danach theile ich die Pflanzen in nacktsporige (Pl. gymnosporae) und ver- hüllisporige (Pl. angiosporae). Die hachste, Verschie- ll. 2 18 Morphologie. denheit, die man findet, trifft dann die Art und Weise, wie sich die Spore entwickelt, ob unter Einfluss ande- rer Zellen der Mutterpflanze oder nicht. Wir finden, dass dieses uns wieder für die Angiosporen einen Eintheilungs- grund an die Hand giebt. Die Fortpflanzungszelle ent- wickelt sich frei zur neuen Pflanze, ungeschlechtige (Pl. agamicae, diese und die Gymnosporen zusammen auch CUryptogamae), oder sie bedarf zur Entwickelung der vorläufigen Umhüllung und des materiellen Einflusses gewisser Zellen der Mutterpflanze, Geschlechtspflanzen ') (Pl. gamicae). Wndlich kann bei diesen letzten noch wieder der Unterschied eintreten, dass sich beide verschie- denartige Zellen oder Zellenmassen von der Mutterpflanze trennen und erst später zusammentreten, Pflanzen ohne be- stimmten Vereinigungsort der Geschlechter (Pl. athalami- cae), oder dass die Fortpflanzungszelle an einem bestimmten Orte der Mutterpflanze aufgenommen wird und sich dort eine Zeitlang entwickelt, ehe sie sich von der Mutter- pflanze trennt, Pflanzen mit bestimmtem Vereinigungsort der Geschlechter (Pl. thalamicae oder Phanerogamae). Man würde mich sehr missverstehen, wenn man glaubte, ich hätte mir hier willkürlich einen Eintheilungsgrund construirt und danach die Pflanzen geordnet. Ich habe vielmehr die Gruppen durch Vergleichung der ganzen Entwickelungsgeschichte gebil- det und dann erst gefunden, dass die so gebildeten Gruppen sich schon in der Form der Fortpflanzungszelle und der ersten auf die Entwickelung derselben einwirkenden Bedingungen un- terschieden, und so habe ich den Eintheilungsgrund erst zu den schon fertigen Gruppen hinzugebracht. Wenn man aber einmal eingesehen hat, dass nicht die Vergleichung einzel- ner Zustände, sondern der Entwickelungsgeschichten uns bei der Erkenntniss der Pflanzen und der Bildung der Gruppen allein richtig führen kann, so lässt sich daraus freilich auch a priori ableiten, dass die Verschiedenheiten in der ersten Er- scheinung des Keimes und der Form seiner Entwickelung noth- wendig die richtigen Eintheilungsgründe liefern müssen, da jeder 1) Es versteht sich, dass Geschlecht hier nicht mehr und nicht we- niger bedeutet, als angegeben, und dass es zur Zeit wenigstens noch falsch ist, bei diesem Worte den aus dem Thierleben geläufigen Begriff Speeielle Morphologie, 19 folgende Zustand als die nothwendige und gesetzmässige Folge des vorhergehenden schon in diesem vorbereitet und angedeu- tet seyn muss. Die Aufgabe ist hier nur die, jene Andeutun- gen verstehen zu lernen, und ich behaupte keineswegs, hier schon das Richtige erfasst zu haben. Im Ganzen aber glaube ich die Natur errathen zu haben, nur bleiben mir die Flechten stehen als eine schwer zu charakterisirende Grüppe. Die Rhi- zocarpeen bilden als athalamicae eine vortreffliche Vermittelungs- stufe zwischen den Agamen und den Phanerogamen. Mit den erstern stimmen sie darin überein, dass die Fortpflanzungszelle sich ohne Unterbrechung zur neuen Pflanze entwickelt'), mit den letzteren, dass diese Entwickelung nicht frei, sondern anfäng- lich im Innern einer von der Mutterpflanze stammenden Zellen- masse vor sich geht. Auf ähnliche Weise scheinen die Flech- ten zwischen den Gymnosporen und Angiosporen in der Mitte zu stehen. Mit den ersteren kommen sie ganz in ihrer späte- ren Entwickelungsweise und Organenlosigkeit, mit den letzteren, wie es scheint, wenigstens in vielen Fällen in der eigenthümli- chen Hülle der Fortpflanzungszelle überein. Von beiden unter- scheiden sie sich in den meisten Fällen durch die Vereinigung mehrerer Zellen zu einer Doppelspore. Der Grund der Un- sicherheit liegt hier wie in so vielen Fällen in der grossen Mangelhaftigkeit unserer Kenntnisse ‘von der : Entwickelungs- geschichte. Mit den gegebenen aus der Entwickelungsgeschichte herge- nommenen Merkmalen treffen andere die innere und äussere Gestalt der ausgebildeteren Pflanze charakterisirende merkwür- dig zusammen und sind zum Theil schon früher, wenn auch unklar, aufgefasst worden. Die Gymnosporen kann man auch Zellenpflanzen (Pl. cellulares) nennen, weil in ihnen keine An- deutung eines in bestimmter Richtung vor sich gehenden Saft- stromes durch bestimmt angeordnete langgestreckte Zellen (Ge- fässbündel) gegeben ist. Ebenso wird ihre äussere Gestalt durch stengellos (Pl. acaules, Thallophytae, Endl.) bezeichnet werden können, indem wir keinen scharf hervortretenden mor- phologischen Gegensatz zwischen seitlicher und parenchymati- scher Ausbreitung (Blätter) und einen diese vereinigenden Kör- per (Stengel) an ihnen finden. Hiergegen würden die Angio- spermen als Gefässbündelpflanzen (Pl. vasculares) und als Stengel- festzuhalten. Es wäre hier ganz besonders zu wünschen, dass man, um allen Missverständnissen vorzubeugen, dieses doppelsinnige Wort „Ge- schlecht“ „‚sexus“ ganz verbannte. 1) Sie haben keinen Zustand der Saamenreife und des schlummern- den Embryolebens. Dax pP 20 Morphologie. pflanzen (Pl. caulinae, Cormophytae, Endl.) bezeichnet werden. Den Abtheilungen der Angiosporen würden die Pflanzen mit simultanen und succedanen Gefässbündeln (vergl. $. 34.) und Pflanzen ohne Fortpflanzungsapparat und mit Fortpflanzungs- apparat entsprechen, endlich den athalamicis und thalamicis würden sich vielleicht auch Merkmale von der Natur der Ge- fässbündel und der Morphologie der Blüthentheile hergenom- men an die Seite stellen lassen, aber leider fehlt es uns hier besonders bei den Rhizocarpeen noch an genauen Untersuchun- gen, um sicher zu gehen. Ueberhaupt en man nicht oft ge- nug wiederholen, dass alle unsere Eintheilungen vorläufig durch- aus mangelhaft sind und bleiben müssen, = sich eine richtige Anordnung erst.aus der vollständigen vergleichenden Kenntniss der Entwickelungsgeschichte ergeben kann, von der wir aber noch unendlich weit entfernt sind. Wir können nur so viel sa- gen, dass alle Eintheilungsgründe, die von Merkmalen her- genommen sind, die ihrer Natur nach nur einer bestimmten Entwickelungsstufe angehören und nicht mit dem Entwickelungs- gange selbst im engsten Zusammenhange stehen, entschieden falsch seyn müssen oder höchstens zufällig und nicht durch Verdienst der Eintheilenden mit den natürlichen Gruppen über- einstimmen. Dagegen wird alles bleibend seyn, was aus einem der Entwickelungsgeschichte angehörigen Merkmale hergenom- men wurde. So wird ewig die Scheidewand stehen bleiben, die durch die Eintheilung in Kryptogamen und Phanerogamen be- gründet ist, wenn auch diese Abtheilungen später nicht als die höchsten anerkannt werden sollten, und neuere Versuche, die Cycadeen bei den Farrenkräutern unterzubringen, beruhen auf einem so gewaltigen Missverstande der vegetabilischen Natur und zugleich auf so mangelhafter, sich nur an Unwesentlichem hal- :tender Untersuchung, dass man sie bald aufgeben wird. Ebenso werden für immer Monokotyledonen und Dikotyledonen getrennt bleiben, und man wird auch, nachdem man alle Substitutionen, wie Endogenen und Exogenen, Amphibryen und Acramphibryen, Loxinen und Orthoinen, Exorhizen und Endorhizen u. s. w. wie .Modewaaren durchprobirt und wieder weggeworfen hat, doch wieder auf jene alte Eintheilung als die allerrichtigste und zweckmässigste, weil sie das wesentlichste morphologische Moment der Entwickelungsgeschichte angiebt, zurückkommen müssen. Zu bedauern ist nur dabei, dass so viele Zeit und so schöne Kräfte an diese ganz nichtsnutzige Spielerei mit Syste- men vergeudet wird, die in gründlichen Untersuchungen zur Entwickelungsgeschichte auf wesentliche Förderung der Wissen- schaft verwendet werden könnten. Ich muss hier aber noch Folgendes bemerken. Mit wenigen, Specielle Morphologie. 21 sehr wenigen Ausnahmen sind alle unsere Trennungen der Pflan- zen in einzelne grössere oder kleinere Gruppen so schwankend, dass wir überall fast für nöthig finden, diese oder jene Formen als Uebergänge von einer Gruppe in die andere zu bezeichnen Um Missverstand zu verhüten, 'muss aber genauer erörtert wer- den, was unter Uebergang zu verstehen sey. Man kann eine dreifache Bedeutung unterscheiden. | Einmal den individuellen Uebergang in der Art, dass ein und dasselbe Geschöpf zu ‚einer Zeit seiner Existenz unter einen andern Artbegriff fällt als zu einer andern. Dass dieser Gedanke durchaus keinen Sinn habe, ist schon früher er- wähnt worden und wird noch weiter unten besprochen wer- den. Nichtsdestoweniger ist seine Durchführung häufig versucht ‚worden von Leuten, die dadurch nur ihre mangelhafte phi- losophische Orientirung und ihre Unklarheit, oder. ihre Unwis- ‚senheit documentirten. Besonders bei der höchst lückenhaften Kenntniss, die wir bis jetzt noch von den einfachen vegetabili- schen Organismen besitzen, kommt es oft vor, dass eine Zeit- lang eine vorübergehende Bildungsstufe vorläufig als selbststän- dige Art aufgestellt wird. Wenn dann später ihre vollständige Entwickelung zu einer andern Art beobachtet wird, so fallt eben jene: vorläufig aufgestellte Art als selbstständig ganz weg, und ist so wenig eine Art als Pollenkorn, Saame, oder das Ei bei den Thieren Arten sind. Die Sache ist so einfach und klar, dass man sich wundern muss, wie man nur zu solchen Behauptungen, wie sie Agardh '), Hornschuh ?), Meyen?) und An- dere vorgebracht, kommen konnte, wenn man nicht wüsste, wie die Schelling’sche sogenannte Naturphilosophie so vielen Leuten weiss gemacht hat, dass in den Spielereien mit Vergleichungen und Analogien irgend etwas Wissenschaftliches liege. Der: Pro- embryo der Moose ist so wenig eine Conferve wie das Pollen- korn von Zostera marina. Beides sind ganz unselbstständige . Gebilde, die ihre Bedeutung nur erst im Zusammenhang der ganzen Entwickelungsgeschichte gewinnen, und das ganze Ge- rede von Agardh und den Andern erörtert nichts als den ganz trivialen Satz, dass Moose so gut wie alle Pflanzen in ihren verschie- denen Lebensperioden aus verschieden geformten Zellen bestehen. Die zweite Bedeutung des Ausdrucks ‚, Uebergang ““ bezeich- net aber wirklich verschiedene Arten, deren einzelne Merkmale I) Allgemeine Biologie der Pflanzen. A. d. Schwed. von Creplin. Greifswald, 1832, $. 22. 2) Act. Acad. Leop. Car. Bd. X. 3) Rob. Brown’s vermischte Schriften, herausgegeben von N. v. Esen- beck, Bd. IV. S. 338. Linnaea, Bd. II. Heft 3. 22 Morphologie. in je zwei nächst verwandten Arten sich so ähnlich sind, oder durch den Spielraum individueller Variationen einander so nahe treten, dass wir kein einzelnes Merkmal festhalten können, um sämmtliche Arten in zwei Gruppen zu scheiden, während doch die Extreme eine solche Trennung andeuten oder fordern. Hier muss man zuerst festhalten, dass ‘die Natur unserer wis- senschaftlichen Betrachtung kein System überliefert, sondern Einzelwesen, und dass zwischen zwei Einzelwesen nie eine Mit- telform denkbar ist, weil das Merkmal der Einzelheit keine Variation zulässt. Die Anordnung in grössere oder kleinere Gruppen, Arten, Geschlechter oder Familien -tragen erst wir in die Menge der Einzelwesen hinein. Wir finden grössere Ueber- einstimmung unter einer gewissen Zahl von Individuen und stel- len diese zusammen, nun erst suchen wir nach einem Ausdruck zur Charakterisirung dieser Gruppe '). Hier werden wir natür- lich erst dann im Stande seyn, den völlig bezeichnenden Aus- druck zu finden, der das Individuum einer Gruppe scharf von 1) Nur hierin liegt der Charakter des sogenannten natürlichen Sy- stems, welches sich von dem künstlichen allein durch die Methode, nicht durch den Zweck und wenig durchs Resultat unterscheidet. Auch Linne ist es nie eingefallen, absichtlich ein der Natur widersprechen- des System aufstellen zu wollen, _Er glaubte auf seine Weise die Natur richtig zu erfassen, indem er die möglichen Merkmale überblickte, daraus die nach seiner Meinung wesentlichen aussonderte und die Verschieden- heiten dieser letztern zum Ausdruck wählte, nach denen er die Pflanzen eintheilte. Adanson und Jussieu dagegen verglichen die Pflanzen unter einander, legten zusammen, was zusammen passte, und nachdem sie so die Gruppen gefunden, suchten sie nach einem Ausdruck für die schon fertigen Gruppen. Die neuesten Systeme, die sich als natürliche ange- kündigt haben, sind meistens widerliche Zwitter, zwischen beiden Me- thoden. Sie nehmen die Gruppen auf, wie sie Adanson und Jussieu gegeben, vermehrt, wie es die Vermehrung des Materials seit jener Zeit nothwendig gemacht hat. Diese Gruppen werden dann aber nach einem ganz willkürlich aufgegriffenen Merkmal unter einander rein künstlich angeordnet und dann unter dem tönenden Titel des einzig naturge- mässen Systems in die Welt geschickt. Wir haben in wenig mehr als zehn Jahren sechs solche ‚einzig und allein naturgemässe “ Systeme er- halten und man wird dadurch unwillkürlich an die marktschreierischen Zeitungsanzeigen über die einzig ächten Haarwuchs befördernden Mittel erinnert. Wird denn diese Alfanzerei in der Wissenschaft nie aufhören und einem treuen und gründlichen Forschen im Einzelnen, woraus zur Zweit noch allein Heil zu erwarten ist, Platz machen? Glaubt denn Ei- ner in Ernst, dass es einem Manne, wie Rob. Brown, der seine, alle Uebrigen überragenden, Forschungen sicher an das Jussieu’sche System knüpfte, an dem Bisschen Witz fehlt, um ein solches neues System zu- sammenzudrehen? Ich vielmehr meine, dass er recht gut das Kindische eines solchen Treibens einsieht und deshalb seine Zeit lieber besser anwendet. Speeielle Morphologie. 23 dem der folgenden Gruppe abscheidet, wenn wir alle Individuen vollständig nach allen ihren Merkmalen und jedes Merkmal in allen seinen Beziehungen deutlich erkannt haben. So lange diese vollständige Erkenntniss aber noch ein frommer Wunsch ist, begnügen wir uns vorläufig mit irgend einem möglichst zweckmässig gewählten Merkmal, welches aber als das vielleicht nicht ganz richtige auch nicht ganz scharf trennt; so finden sich dann Individuen, über die das vorläufig angenommene Merkmal nicht zu entscheiden im Stande ist, und diese nennen wir Uebergangsformen. Es giebt also Uebergänge nur für unsere Unwissenheit. Nur die unzulängliche Kenntniss der Einzelwe- sen macht es -uns unmöglich, die Gränzen scharf zu ziehen, und wir gewinnen auf diese Weise in dem blossen Vorkommen der Uebergänge ein Kriterium, welches uns die noch grosse Mangelhaftigkeit unserer Kenntnisse an der betreffenden Stelle zeigt und zu weiteren genaueren Forschungen auffordert. Es bleibt noch eine dritte Bedeutung des Wortes ‚, Ueber- gang“ zu erörtern. Für das Wesen der Pflanze im Allgemei- nen haben wir noch keinen Ausdruck gefunden, welcher im zweifelhaften Falle über die vegetabilische oder thierische Na- tur eines Gegenstandes entscheiden könnte (Th. I. S. 15 ff.). Wenn wir also von einer sichern Pflanzengruppe auf eine an- dere übergehen, so müssen wir in beiden gewisse Glieder ha- ben, wodurch beide Gruppen unter dem gemeinschaftlichen Be- griff der Pflanze mit einander verbunden werden, damit wir gewiss sind, nicht auf das Gebiet der Thiere hinüber zu gera- then. Dasselbe findet aber überall statt, wo wir innerhalb der Sphäre eines höheren Begriffs zwei oder mehrere untergeord- nete Gruppen mit einander verknüpfen. Hier sind nun die Glieder, deren wir nothwendig bedürfen, um uns zu überzeu- gen, dass wir die niedern Gruppen richtig als unter dem Be- griff der höhern Gruppe verbunden auffassen dürfen, ebenfalls als Uebergänge von einer Gruppe zur andern anzusehen, ob- wohl in ganz anderm Sinne, als eben vorher erörtert worden ist. Ich werde statt Uebergang in der letzten Bedeutung im- mer nur Vermittelungsstufe gebrauchen, Uebergang aber nur da, wo die Gränze wegen mangelhafter Kenntniss, noch nicht scharf gezogen werden kann. 24 Morphologie. Erster Abschnitt. Die Gymnosporen, i. 83. Die Pflanzen entwickeln sich aus einer nackten (bei den Flechten zuweilen umhüllten und doppelten) Zelle zu so mannigfachen und unbestimmten Gestalten, dass kein allgemeines Merkmal für ihre Theile sich angeben lässt. Sie entbehren daher aller Organe. Bei den we- niger einfachen sind es nur bestimmte Zellentheile, Zel- len oder Zellengruppen, die in einer scharf zu charak- terisirenden constanten Form und Anordnung vorzugs- weise der Bildung neuer Fortpflanzungszellen dienen und daher als Organ betrachtet werden können. Die einzelne oder mehrfache sich zum neuen Individuum entwickelnde Zelle nenne ich Spore (spora), die als Mutterzelle die- selbe bildende und zunächst umhüllende Zelle Sporen- hülle (sporangium) und mehrere in einer bestimmten Form zusammentretetende Sporenhüllen nebst dem die- selben umschliessenden besondern Theile der Pflanze eine Sporenfrucht (sporocarpium). Auch nehmen zuwei- len einzelne Zellen oder Zellengruppen die Form von Fasern oder Scheibchen an, um die Pflanze an ihre Un- terlage zu befestigen (Haftorgane, rhizinae). Man hat diese Pflanzen vorläufig in drei Gruppen vertheilt, deren Gränzen noch sehr schwankend sind. Das beste Merk- mal ist vielleicht vom Standort herzunehmen, so dass man allein im Wasser wachsende (Pl. aquaticae, Algen, Algae), auf jeder möglichen Unterlage in der Luft wach- sende (Pl. aöreae, Flechten, Lichenes), und bald im Wasser, bald in der Luft, aber nur auf den der chemischen Zersetzung anheimgefallenen Organismen wachsende (Pl. eporganicae, Pilze, Fungi) unterscheidet. Dieselbe nichtsnutzige Spielerei mit Fietionen zur Erklärung des einfach an sich Klaren, der man überall in der Botanik begegnet, macht sich von vorn herein schon hier geltend. Dass Specielle Morphologie. 235 bei den einfachen Pflanzen die Zellen zu einfachen, noch un- bestimmten und veränderlichen Formen zusammentreten, ist den meisten Botanikern nicht geistreich genug gewesen, und man hat deshalb nicht allein von einem Verschmolzenseyn von Blatt und Stengel gefaselt, sondern auch dadurch Knospenbildung und alles davon Abhängige mit hineingeschwärzt'). Bei den Marchantien, die in einer Pflanzengruppe vorkommen, in denen die Bildung von Stengel und Blatt normal ist, hätte ein solches Gerede allenfalls, als Gleichniss wenigstens, noch einigen Sinn. Bei den drei Pflanzengruppen aber, von denen hier die Rede, ist es kindische Spielerei mit Worten von Leuten, die die Auf- gabe der Naturwissenschaft noch nicht einmal ahnen, und die Leere ihres Verstandes durch Träume ihrer Phantasie ausfüllen. Die Sache ist einfach die, dass hier weder Stengel noch Blatt (wenn man darunter bestimmte Producte der formenbildenden Kraft versteht) wirklich vorhanden sind; der Idee nach aber nur -in confusen Köpfen und .nirgend in der Natur, die nur das in Raum und Zeit Wirkliche umfasst, existiren. Die im Text angegebenen schon von Link eingeführten (Elem. phil. bot. Ed. 1I.), aber unklar definirten und immerfort inconsequent gebrauchten Ausdrücke reichen für die Beschrei- bung der Gymnosporen völlig aus, und wir können daneben die ganze weitläufige zum Theil ganz unsinnige Terminologie und den durch Eitelkeit und Neuerungssucht eingeführten Na- menwust gänzlich entbehren. Es ist unendlich schwer, zur Zeit schon die drei genannten Abtheilungen so zu charakterisiren, dass eine feste Entscheidung im einzelnen Falle sogleich zu geben wäre. Ganz unmöglich ist ‚aber bis jetzt diese Entscheidung, wenn wir einzelne Zu- stände und nicht ganze Entwickelungsreihen vergleichen. Dann sind Undina (Alge) und Collema (Klechte) — Sphaeria, Sporo- cybe (Pilze) und Verrucaria, Calycium (Flechten) — Mycoderma (Pilz) und Protococcus (Alge) durchaus nicht nach Gruppen- merkmalen und selbst generisch kaum zu unterscheiden. Siche- rer kann man schon trennen, wenn man ganze Entwickelungs- reihen ins Auge fasst, aber auch dann noch bleiben die Grän- zen insbesondere zwischen Algen und Pilzen, wenn letztere im Wasser wachsen, verwischt und zwischen Pilzen und Flechten zeigen sich wenigstens kaum unterzubringende Uebergänge. 1) Im Auslegen seyd frisch und munter, Legt Ihr’s nicht aus, so legt was unter. Goethe. Oder wie es in einer Posse heisst: Das müsste ein rechter Esel von Burgemeister seyn, der in den Dingen nicht mehr sieht, als darin liegt. 26 Morphologie. Betrachtet man die oft nackten Früchte der Gallertflechten und die Pezizaaarten einerseits, die mit vielen Flechten über- ' einstimmenden Sphärien andererseits, so zeigt sich bald, dass in der Substanz und den Structurverhältnissen kein sehr wesent- licher Unterschied zwischen Flechten und Pilzen festzuhalten ist. Dagegen liesse sich bei genauerer Untersuchung und daraus hervorgehendem Ueberblick vielleicht durch die Form der Spo- renentwickelung eine scharfe "Trennung begründen, wenn man die Pyrenomyceten und Helvellaceen zu den Flechten bringt, was bei den ersten sehr natürlich erscheint und auch bei den letztern so exorbitant gar nicht ist, wenn ‚man z. B. eine Pe- ziza als Apothecium mit verschwundenem Thallus (das Mycelium) betrachtet. Für die Flechten wäre dann die Bildung der Spo- ren innerhalb der Sporangien (thecae) charakteristisch. ‘Der leichtern Behandlung wegen werde ich im Folgenden diese Ein- theilung annehmen. Dass die Verschiedenheit von thallus (Flech- ten) und stroma (Pilze) (wegen. einiger grünen Zellen im er- steren) nicht zur Unterscheidung der beiden Gruppen taugt, scheint mir, müsste Jedem einleuchten, der beide etwas genauer untersucht. Ich möchte behaupten, dass alle Botaniker die mei- sten Sphärien und Hysterien nur deshalb nicht zu den Flechten stellen, weil ihr Lehrer ihnen gesagt, dass es Pilze sind. I. Algen (Algae). $. 84 Die Fortpflanzungszelle (Spore) ist in seltenen Fällen zugleich die ganze Pflanze (Protococcus ete.). Gewöhn- licher dehnt sie sich bei ihrer Entwickelung zu einer län- sern fadenförmigen Zelle aus (Vaucheria), oder bildet auf eine noch unbekannte Weise viele andere Zellen, die sich mannigfach anordnen und stellt so die Pflanze dar. Die einfachsten Formen zeigen geschlängelte ( Un- dina) oder grade, hin und wieder mit Quirlen von Seitenästen besetzte Reihen kugelförmiger Zellen (Ba- irachospermum); bei anderen bilden sich die Zel- len in längere oder kürzere zu Fäden aneinander- gereihte Cylinder um. Diese Fäden bleiben einfach, oder verästeln sich auf mannigfache Weise selbst zu einem geschlossenen Netze (Confervaceae). -Gewöhn- Specielle Morphologie. Algen. 27 lich sondern diese Pflanzen eine bestimmt geformte Gal- lertschicht ab, die bei den Nostochineen die Form der ganzen Pflanze bestimmt, bei den Confervaceen nur einen hautartisen Ueberzug der einzelnen Fäden bildet. Die meisten schwimmen frei im Wasser, bei einigen wenigen aber bildet die Spore bei ihrer Eintwickelung einen fa- denartisen Fortsatz, am Ende in eine kleine Scheibe ausgedehnt, welche sich an irgend einen Körper anheftet (Haftorgane, rhizinae), z. B. Polysperma glomerata. Bei noch anderen ordnen sich die aus der Spore sich entwickelnden Zellen zu einer grösseren Fläche an (Ulvaceae), die zuweilen an einem Ende zu einer klei- nen sich anheftenden Scheibe anschwillt, zuweilen sich als hohler Cylinder darstellt (Solenia Ag.). Endlich bei den complicirtesten Formen bildet der von der Fortpflanzungszelle ausgehende Zellenbildungsprocess aus körperförmig aneinander gelagerten Zellen bestehende Gestalten (frons), diese. sind wieder fadenförmig (Sei- tosiphon Ag.), bandförmig (Laminarie Lam.) , blatt- förmig (Delesseria Lam.) einfach oder auf mannigfache Weise zertheilt, oder abwechselnd in scheinbarer Ord- nung fadenförmig und blattföormig entwickelt (Sargas- sum). Meist sind die Pflanzen durch ein scheibenför- miges Haftorgan irgendwo befestigt. Zuweilen zeigen sie an bestimmten Stellen blasenartige Auftreibungen (Fucus nodosus) oder gestielte Blasen (Sargassum). Ich glaube nichts geht über kurz oder lang einer so gänz- lichen Umwälzung entgegen, als unsere Systematik der Algen, besonders in den unteren Abtheilungen, und mir ist sehr wahr- scheinlich, dass wir dabei mindestens ein Drittheil der Arten los werden. Gewiss ist, dass viele Arten drei- und viermal beschrieben sind, je nachdem sie unter stärkereren oder schwä- cheren Vergrösserungen betrachtet einen etwas andern Anblick gewährten. Dazu kommt, dass die meisten Schriftsteller so gar keine Begriffe über den eigentlichen Bau der Pflanzen im All- gemeinen ') und insbesondere der Algen haben, dass schon des- 1) Phycomater. Gelatina inorganica @), effusa, granulis (doch wohl cellulis) nullis; oder Byssi meteoriei. Formationes adreae, ve- 28 Morphologie. halb eine sichere Unterscheidung. von Bildungsstufe und Art un- möglich ist. Zum Beweis dafür braucht man nur die confuse Terminologie in der Algenkunde zu vergleichen. Filum heisst bald eine eine Zelle (inarticulatum), bald eine Reihe von Zellen (articulatum). Die einzelnen Zellen heissen bald articuli, bald globuli, und dann heisst globulus auch einmal wieder ein Chlo- rophyll- oder Stärkekörnchen. Die Scheidewände zwischen zwei Zellen heissen bald septa, bald annuli. Die ausgesonderte Gallerte bald gelatina, bald stratum, bald massa gelatinosa, bald frons gelatinosa, dann heisst frons wieder die blos aus Zellen zusammengesetzte ganze Pflanze u. s. w., und das nicht etwa bei verschiedenen, sondern bei einem und demselben Schrift- steller, der dadurch seine völlige Unklarheit in der Beurthei- lung des Einzelnen ar lteciheh documentirt. Ueber die Eiyick elünsszeschichte der Algen sind wir Ren sehr im Dunkeln. Mir ist von keiner Me eine vollständige Darstellung bekannt '). Von sehr vielen kennt man noch nicht einmal die Sporen; denn wo bei Conferven ü. s. w. von einer Massa sporacea (Chlorophyll, Stärke u. dergl.) gesprochen wird, verstehen die Verfasser weder sich selbst, noch die Natur. Dom einfachsten ist der Vorgang bei Protococcus viridis. Hier dehnt sich eine kugelige Zelle ein wenig aus, und bald darauf sieht man in derselben zwei junge Zellen, nach und nach verschwin- det die Mutterzelle und die jungen Zellen isoliren sich; wie sich aber die jungen Zellen bilden, konnte ich noch nicht be- obachten. Bei Zygnema genuflexum wächst die Sporenzelle an ‘einem Ende in eine Röhre aus, deren Ende kugelig anschwillt, und wenn es eine Unterlage erreicht, sich an dieser zu einer Scheibe abplattet und so befestigt. Aus dem andern Ende der Spore wachsen Zellen hervor, die sich cylindrisch . ausdehnen und fadenförmig aneinander reihen. Ihre erste Bildung ist mir dunkel geblieben. Die Keimung von Spirogyra zu beobachten getatione nulla (?!). Was das ist, will ich nicht entscheiden, dass es aber kein Pflanzengeschlecht sey, dächte ich müsste Jedem klar seyn, der nur irgend gründlich sich mit der Natur des vegetabilischen Lebens bekannt gemacht. Dass es aber ein klarer Unsinn sey, etwas zu den Pflanzen zu zählen, was man in der Definition selbst als unorganisch bezeichnet oder dem man den ersten und unerlässlichsten Charakter der Pflanze, die Vegetation abspricht, leuchtet, wie ich glaube, auch jedem Nichtbotaniker ein. 1) Meyen, Physiologie Bd. 3. S. 411 hat zwar die Ueberschrift von der Fortpflanzung der Algen, spricht im Text aber fast nur von den Diatomeae, zum Theil unzweifelhaften Thieren, und einigen wenigen Conferven. Die wichtigsten, die Fucoiden und Florideen, werden auch nicht einmal genannt. Das nennt man dann ein System der Physiologie. Speeielle Morphologie. Algen. 29 gelang mir bis jetzt nicht. Seit Vaucher '), der die junge Con- ferve aus der geborstenen Spore hervortreten sah, ist nichts Genaueres darüber beobachtet’). Einige Keimungen der aus- gebildetern Algen sind zwar beobachtet, z. B. von Martius °), aber ohne Rücksicht auf den wesentlichsten Punet, die Entste- hung neuer Zellen. Die von Meyen*) so sehr hervorgehobene Selbsttheilung ist, abgesehen von den Diatomeen und andern zweifelhaften Geschöpfen nicht beobachtet, sondern nur erschlos- sen. Mohl°) hät bei Conf. glomerata wie es scheint entschie- den eine Zellenvermehrung durch Selbsttheilung beobachtet. Bei Hydrodyetion utriculatum entwickelt sich auf noch unbe- bekannte Weise in einer Zelle eine ganze junge Pflanze °). $. 8. Bei den einfachsten Algen ist die Pflanze selbst Mutterzelle (sporangium) für die Sporen (Protococcus viridis). Bei den fadenförmigen Vaucherien schwillt ein Theil der Zelle kugelig zu einem Sporangium an. Bei den aus mehreren Zellen gebildeten ist es eine einzelne Zelle, welche kugelig anschwellend das Sporangium bildet (Oonferva vesicata). Von den meisten wis- sen wir noch nichts über die Sporenbildung. Bei den zusammengesetztern Florideen und Fucoideen schei- nen die Enden bestimmter fadenförmiger Zellen eine Spore zu bilden. Diese fadenförmigen Zellen sind ge- wöhnlich so zusammengeordnet, dass ihre sporentragenden Enden in die Höhle einer von ihnen gebildeten kugeli- gen Anschwellung (sporocarpium) der frons hinein- ragen. Diese Sporenfrüchte sind zuweilen in der frons zerstreut, zuweilen in ziemlich bestimmt geformten Lap- pen derselben (receptaculum) angehäuft. Hier ist noch überall die grösste Dunkelheit. Nicht das Wunder herrscht im Wasser, wie Link meint, sondern höchst I) Histoire des conferves d’eau douce. Genf, 1809. 2) Auch Meyen, Physiologie Bd. 3, $. 423 ff. hat nur Vermuthungen. 3) Nov. Ack. Leopold. Carol. IX. p. 217. 4) Physiologie Bd. 3, S. 440 ff. 5) Vermehrung der Pflanzenzelle durch Theilung. Tüb., 1536. 6) Vaucher, Hist. d. conf. s0 Morphologie, mangelhafte Beobachtung, zum Theil mit einer ungeregelten Phantasie verbunden. Bei den Fucoideen ist die Sporenzelle sehr gross und enthält mehrere grosse Stärkemehl- und andere Körner; diese werden ohne Grund Sporen genannt, für. die Sporenzelle ein neuer Name peridiolum geschaffen. Ueberall, wo von Massa sporacea die Rede ist, findet man Chlorophyll, Stärke u. s. w., was mit der Spore nicht mehr zu thun hat, als überhaupt assimilirter Zelleninhalt mit der Zelle. Die ganze Terminologie ist so widersinnig und inconsequent, dass man ohne weitläufige eigne Beobachtungen mit allen unsern algolo- gischen Werken gar nichts anfangen kann. Was eine Pflan- zenzelle ist, darum bekümmern sich die Algologen nicht und conceptaculum, tuberculum, peridium, vesicula, coniocystis und noch ein halbes Dutzend anderer Ausdrücke bezeichnen bald eine Zelle, bald ein Gebilde aus mehreren Zellen; Spore ist hier eine Zelle, dort ein Chlorophylikörnchen, dort ein Stärke- mehlkorn. Dass bei dieser mangelhaften Beobachtung noch we- niger von gründlichem Studium der Entwickelungsgeschichte die ‚ Rede ist, versteht sich von selbst. Leider habe ich bisher keine Gelegenheit gehabt, selbst ausführliche Untersuchungen zu ma- chen. Ich kann daher hier nur zeigen, wie mangelhaft und unbrauchbar das bisherige Material ist und zu gründlichern Ar- beiten auffordern. Als besondere Merkwürdigkeit wird gewöhnlich die sogenannte Copulation bei Spirogyra und einigen andern Conferven aufge- führt. Dieselben bestehen aus fadenförmig aneindergereihten cylindrischen Zellen. Zu einer bestimmten Zeit dehnt sich die eine Seite jeder Zelle zu einer Papille aus; trifft diese auf eine Papille einer andern Zelle desselben oder eines andern Fadens, so vereinigt sie sich mit derseiben, die Scheidewand wird resor= birt und der Inhalt einer Zelle tritt in die andere Zelle über und aus der Gesammtmasse bildet sich eine Spore. Ich beob- achtete folgende Fälle, die beweisen, wie unwesentlich im Gan- zen dieser Vorgang ist. Zwei Zellen vereinigten sich mit der Papille einer dritten; es entstanden vier Sporen, in jeder der ersten Zellen eine, in der dritten zwei. Drei Zellen vereinig- ten sich, in dem durch die drei Papillen gebildeten Raume ent- stand eine Spore. Zwei Zellen vereinigten sich, in der einen entstanden zwei Sporen, in dem Papillenraum eine dritte. Zwei Zellen vereinigten sich, aber in jeder bildete sich eine Spore. Eine Zelle trieb eine Papille, die nicht mit einer andern sich verband, doch bildete sich eine Spore in ihr (ein sehr häufiger Fall). Endlich kommt es, wiewohl selten, vor, dass sich eine Spore bildet, ohne dass die Zelle auch nur eine Papille getrie- ben hätte. Ich fand fast jedesmal in dem bereits ‚unordentlich Specielle Morphologie. Algen. 31 zusammengehäuften Zelleninhalte eine zarte Zelle, die ich für die eigentliche Spore halten muss, um welche sich die grüne und körnige Masse, um sich eine Scheinmembran. bildend, nur anlegt, oder welche nach und nach diese Masse aufsaugt. Viel- leicht ist der gar nicht zu verkennende Cytoblast, der frei in jeder Spirogyrazelle liegt und von dem aus die zierlichsten Saftströmchen nach allen Seiten ausgehen, die sich dann weiter auf der Wand der Zelle netzartig verästeln, der Bildner der eigentlichen Sporenzelle '). Gewiss verdienen vor allen die Algen die gründlichsten Un- tersuchungen, weil wir bei der Einfachheit ihres Baues und ih- res Lebens von ihnen die grössten Aufschlüsse für die Wissen- schaft überhaupt erwarten dürfen. Dabei müssen aber vorläufig, wenn nicht Alles verwirrt werden soll, die Diatomeen und mei- ner Ansicht nach die ebenso zweifelhaften ächten Oscillatorien völlig ausgeschlossen bleiben. $. 86. Die Algen bestehen sämmtlich aus sehr wenig ent- wickelten Zellen, welche meist noch gallertartige Wände haben; nur bei den Fucoideen zeigen sich im Innern etwas länger gestreckte Zellen, die durch deutliche Po- rencanäle die Gegenwart von Verdickungsschichten an- deuten. Das Chlorophyll kommt oft als Ueberzug der Zellenwand vor, der körnige Inhalt der Zellen (Stärke) ist gewöhnlich sehr grobkörnig (oft als massa sporacea beschrieben). Bei den zusammengesetzteren Arten kann man kleineres dichtergedrängtes Zellgewebe als Rinde (cortex) vom ‚grosszelligern lockerern als Mark (me- dulla) unterscheiden. Auch bezeichnet man bei den blattähnlichen Formen die als Rippen hervortretenden Zusammenhäufungen von Zellgewebe als Rippe (costa) im Gegensatz gegen die Fläche (lamin«a). Die Blasen enthalten schwammförmiges Zellgewebe. Der Bau der Algen ist im Ganzen sehr einfach, wenn man nicht die zweifelhaften Diatomeen u. s. w. mit ihren Kie- selpanzern hierher zieht, was wie oben entwickelt durchaus I) Vergl. auch Wiegmann’s Archiv 1839, Bd. 1, S. 265 ff. 32 Morphologie, unpassend ist. Was aber am meisten gegen die vegetabilische Natur dieser Geschöpfe spricht, ist der ganz äusserliche '), nicht in die Dicke einer Zellenwand eingeschlossene, höchst künstliche Kieselpanzer, für den wir in der ganzen Pflanzen- welt auch durchaus gar kein Analogon haben. Eine der auf- fallendsten Erscheinungen ist die Ablagerung des Chlorophylis in spiralige am Rande gezackte Bänder in den Spirogyra-arten. I. Pilze (Fungi). $. 87. Die nackte Spore bildet mehrere rundliche Zellen oder dehnt sich nach mehreren Seiten zu einem meist flockigen, aus fadenförmigen , meist sehr vergänglichen . Zellen bestehenden Geflecht (mycelium, stroma, flocei, thallus), der eigentlichen Pflanze aus, welche durchaus keine andern Organe, als die Fortpflanzungsorgane un- terscheiden lässt. Bei der Vergänglichkeit dieses Theils pflegt man gewöhnlich die auffallenderen und oft dauer- hafteren Fortpflanzungsorgane für die ganze Pflanze an- zusprechen. Ein Pilz besteht, wie ich glaube, nur sehr selten allein aus rundlichen Zellen. Denn die ächten Uredines u. s. w. kann ich nicht für selbstständige Pflanzen halten. Meyen beohachtete die Bildung von Uredo Maidis”) als abnormen Zellenbildungs- process im Innern der Zellen der Mutterpflanze und damit stimmen meine Beobachtungen an Elymus arenarius vollkommen überein. Dasselbe muss ich für die andern Caeoma-, Puceinia- etc. arten behaupten, die nur als Krankheiten der Pflanzen ange- sehen werden dürfen. Dagegen halte ich die in den Intercellu- largängen gebildeten, aus den Spaltöffnungen hervorwachsenden Pilze für wirkliche schmarozende Pflanzen (epiphytae). Die ganze Tribus der Leptomiteae Ag. dagegen gehört nicht als selbstständige Gebilde zu den Algen, sondern als im Wasser keimende Schimmelarten zu den Pilzen’). Die Confusion bei 1) Meyen geht darüber als etwas Gewöhnliches hinweg, weil auch sonst bei Pflanzen Kieselerde vorkomme; er übersieht aber ganz den wesentlichen Unterschied. 2) Wiegmann’s Archiv, Jahrg. 1537, Bd. 1, S. 419 £f. 3) Vergl. u. A, Meyen in Wiegmann’s Archiv 1838, Bd. 2, S. 100.6 Speeielle Morphologie, Algen. 33 diesen unvollkommensten Pflanzen ist über alle Beschreibung gross und wird auch so bald nicht aufhören, da trotz der besten Untersuchungen der alte Quark in systematischen Werken ewig wiedergekäut wird. Die Systematiker gleichen den französischen Emigranten, sie vergessen nichts und lernen nichts. Ich halte das im Text Gesagte für die allein richtige An- sicht der Pilzbildung. Wenn man aber auch die letzterwähnte Meinung festhalten will, so bleibt es doch immerhin eine ver- wirrende Spielerei mit Worten, wenn man wie die meisten Hand- bücher vom Pilzstamm, Pilzwurzel spricht. Hier wie überall macht sich der Mangel geltend, dass die Botaniker sich nicht um definirte und dadurch mittheilbare Begriffe bekümmern, ‚sondern mit subjectiven Schematen, die nie einer Mittheilung also. auch keiner wissenschaftlichen Behandlung fähig sind, spielen. Wir: wissen im Ganzen von der Entwickelungsgeschichte der Pilze noch wenig. Genau so, dass man die Entstehung der neuen Zellen aus der Spore beobachtet hätte, haben wir noch von keiner einzigen Art eine Darstellung erhalten. Wohl sind uns über einige interessantere Arten in neuerer Zeit viele ausführliche Untersuchungen geworden, denen aber noch durchaus in botanischer Hinsicht die Vollendung fehlt, die allein erreicht werden kann, wenn wir die Entstehung der ein- zelnen Zelle vollständig erkannt haben. Ich erwähne hier ins- besondere: . 1. Die Gährungspilze (Saccharomyces cerevisiae, vini, pomo- rum), worüber Schwann (Poggendorff’s Annal. Bd. 41, S. 184 ff.), Cagniard- Latour (L’insiitut 1836, Nov. 23.), Meyen (Wieg- mann’s Archiv 1838, Bd. 2, S. 99 ff.), Quevenne (Journal de Pharmacie 1838 Juin), Turpin (Compte rendu de l’acad. 1838 Juillet und L’institut 1838 Aoüt) geschrieben. 2. Das Mutterkorn (Sphacelia segetum), worüber Meyen (Mül- ler’s Archiv 1838, S. 357), LeveilleE (Ann. des sciene. nat. 1837 Dec.), Phoebus (Beschreibung der deutschen Giftgewächse, Ab- theilung 2, S. 97 ff.), Fee (Flora 1839, S. 293), Spiering (De secali cornuto. Diss. inaug. Berlin, 1839), J. Queckett (Ann. of nat. history 1839, p. 54) Bemerkungen mittheilten. 3. Endlich die Muscardine (calcino, Botrytis Bassiana), ein auf Seidenraupen wachsender Pilz, von Bassi (Wiegmann’s Ar- chiv 1837, Bd. 2, S. 107), Balsamo Crivelli (Linnaea 1836, S. 609), Audouin nnd Montagne (Compte rendu de l’acad. 1838, S. 86 ff.) näher beobachtet. 1. 3 34 Morphologie, $. 88. Die Entwickelung der Fortpflanzungsorgane ist sehr verschieden, bei den wenigsten noch vollständig beob- achtet. Die einfachsten bilden aus den kugelisen oder am Ende der fadenförmigen Zellen schmälere Fort- sätze, in deren jedem sich eine Spore (spora) ent- wickelt, die sich zuletzt abschnürt und also eine dop- pelte Haut hat, die Sporenzelle selbst und den aus der Mutterzelle entstandenen Ueberzug (sporangium) , z. B. Saccharomyces, Penicillium, Botrytis. Bei andern bilden die fadenförmigen Zellen eine Eh selige Anschwellung am Ende, aus welchem eine grosse Anzahl solcher Fortsätze, in deren jedem sich eine "Spore bildet, hervortreten, das Ganze bildet dann eine zer- theilte Sporenhülle (sporangium), z. B. Mucor. Bei den meisten treten die fadenförmigen Zellen zu gestielten oder ungestielten, sehr verschiedenartig gestal- teten Sporenfrüchten zusammen, in oder an denen sich Sporen finden, von deren Entwickelung wir nichts wis- sen. Nach dem Ausstreuen der Sporen bleiben dann die fadenförmigen Zellen oft als zarte Wolle (bei den Tri- chiaceae) oder als zierliches Netzwerk (capillitium), 7. B. bei Stemoniltis, Cribraria, zurück. Bei den höchst entwickelten Pilzen treten läng- liche, schlauchartige Zellen durch seitliches Aneinander- legen zu einer Membran zusammen (hymenium). Von den Zellen dieser Membran vergrössern sich einige bedeutend (sporangia) und treiben an ihrem freien Ende eine bis sechs Spitzen hervor, in deren jeder eine Spore gebildet wird. Die fadenförmigen Zel- len des Pilzes bilden dann entweder rings geschlossene rundliche Massen (Sporenfrüchte) mit Höhlungen im In- nern, deren Wände mit dem Hymenium überzogen sind, und die oft auf ganz bestimmte Weise aufspringen, z. B. Geastrum (die Gasteromycetes), oder sie bilden be- stimmt seordnete Säulchen (bei Merisma), Röhren Specielle Morphologie, Algen. 35 (bei Polyporus) oder Lamellen (bei Daedalea, Agari- cus), welche das Hymenium bekleidet (die Hymeno- mycetes). Von den letzten kennen wir nur die Ent- wickelungsgeschichte der Hutpilze etwas genauer und. zwar insbesondere der Agarieineen. Bei diesen letzte- ren bilden sich an bestimmten Stellen des flockigen My- “celiums kleine hohle Knöpfchen (volwa), in dem Grunde der Höhle wächst ein kleiner Körper hervor, unten kurz gestielt, nach oben kugelig angeschwollen. In dem untern Theil der Anschwellung bildet sich eine horizontal-kreisför- mige Höhle, an deren Decke die das Hymenium tragen- den Röhren, Lamellen u. s. w. befestigt sind. Den Bo- den der Höhle bildet nur eine dünne Haut (indusium), welche bei weiterer Entwickelung vom Stiel abreisst, oder vom Stiel (stipes) und obern "Theil zugleich sich lösend als ein häutiger Ring (annulus) am Stiel zu- rückbleibt. Der obere Theil, der auf seiner untern Fläche das Hymenium trägt, breitet sich später aus und erscheint schirmähnlich als Hut (pileus). Das Ganze durchbricht dabei die volva, die meist schnell aufgelöst wird. So ziemlich alle Werke über die niederen Pilze sind völlig unbrauchbar und können dreist bei Seite geworfen werden, in- dem die ganze Arbeit von vorn begonnen werden muss. Hier ist mit allen Untersuchungen gar nichts genügt, wenn sie nicht die Zusammensetzung der Formen aus den einzelnen Zellen nachweist. Selbst mit Hülfe der Abbildungen (z. B. bei Nees von Esenbeck, System der Pilze und Schwämme) erfährt man nicht, ob man einzelne Zellen oder aus solchen zusammenge- setzte Gebilde vor sich hat, und darauf kommt hier Alles an. Ich muss gestehen, dass mir ganz unmöglich ist, nach den ge- wöhnlichen Beschreibungen einen niedern Pilz zu bestimmen, denn ich verstehe sie nicht. Selbst die Abildungen helfen hier nur selten. Dazu kommt,’ dass bei gar vielen der specifische Unterschied gewiss nicht in der Pflanze, sondern in den Beob- achtern, ihren Instrumenten und den gebrauchten Vergrösserun- gen liegt. Die einzige Arbeit, wie sie alle seyn sollten, ha= ben wir von Corda (Prachtflora deutscher Schimmelbildungen), die ich aber aus den oben (Th. I. S. 93 ff.) angeführten Gründen nicht für meine Zwecke benutzen kann. Meine eig- nen beschränkten Untersuchungen geben Folgendes: Auf Allium 3% 36 Morphologie, fistulosum findet sich an gelbwerdenden Blättern (an sogenann- ten befallenen Pflanzen) ein kleiner Epiphyt (Botrytis?), der aus einer einzelnen, vielfach verästelten Zelle besteht. Er keimt in den Intercellulargängen und wächst als Stämmchen aus den Spaltöffnungen hervor, ausserhalb sich baumartig verästelnd. In den Spitzen der Aeste deutlich von der Membran derselben umschlossen zeigt sich eine kleine Zelle, die allmälig bedeutend anschwillt und sich dann mit dem Ueberzug, der ihr von der Mutterzelle zukommt, von dem Aste abschnürt. Das ist die Bildung der Spore. Bei Saccharomyces und Penicillium scheint nach Meyen’s Abbildungen ') derselbe Process stattzufinden. Auf feuchten Leinen fand ich einen farblosen Schimmel (Mucor ?), aus einer Zelle bestehend, die vielfach auf der Fläche verästelt war, ein Ast erhob sich, sein Ende schwoll kugelig an und aus ihm hervor traten nach allen Seiten kleine birnförmige Fort- sätze. Deutlich innerhalb derselben und zwar in ihrer Spitze bildete sich ebenfalls je eine einzelne Zelle, die allmälig an- schwellend sich von dem Träger abschnürte. An dem Hyme- nıum von Agaricus campestris, oreades und Ammanitae muscaria beobachtete ich ebenfalls ganz vollständig das Hervortreten der Fortsätze aus den grossen Zellen des Hymeniums und das Ent- stehen der Sporen innerhalb der Spitze dieser Fortsätze als kleiner Kügelchen. Aus dieser Darstellung verglichen mit dem Folgenden geht klar hervor, dass die äussere Haut der Pilzspo- ren nicht mit der äusseren Haut der Moossporen oder Pollen- körner zu vergleichen ist, sondern eine Sporenhülle darstellt. ‚Auch hindert diese Haut die Spore beim Keimen nicht an ei- ner ganz unregelmässigen Ausdehnung in mehrere fadenförmige Fortsätze und zwar an ganz beliebigen Stellen. Die beschriebene Entwickelung des Hutes des Hutpilze ist zur Genüge beobach- tet und oft abgebildet”). Von der Entwickelung aller übrigen Pilze mit Ausnahme der schmarozenden °) wissen wir gradezu gar nichts. Auch bei den Pilzen kommt eine der Copulation bei Spirogyra sehr ähnliche Form der Sporenbildung vor, mit dem Unterschied, dass sich hier die Spore ganz regelmässig in der Mitte der aus beiden verschmolzenen Papillen entstandenen Röhre bildet‘). Achlya prolifera bildet grössere Sporen in ku- 1) Pflanzenphysiologie Bd. 3, Taf. X. Fig. 22 und 20, 21. 2) Unter andern bei Bischoff, Handb. der Botanik Taf. 7. Fig. 163 von Agaricus volvaceus. 3) Man vergleiche darüber die treffliche Abhandlung von Unger: Die Exantheme der Pflanzen. Wien, 1833. 4) Vergl. Ehrenberg in den Verhandlungen der Ges. naturforschen- der Freunde in Berlin 1820, Bd. 1. St. 2. Specielle Morphologie. Algen. 37 gelförmigen Sporangien, kleinere sich bewegende in den cylin- drischen Enden der Aeste. Ich möchte die Pflanze fast lie- ber zu den Algen stellen. Nach Meyen bilden sich die klei- nen Sporen in Mutterzellen (Physiol. 3, 45T). Ich konnte bis jetzt diese Mutterzellen nicht finden. In neuerer Zeit ist viel von den Antheren der Pilze geredet worden '). Meyen ”) hat sogar Aecidiumantheren entdeckt. Was von der ganz unwissenschaftlichen Spielerei mit dem Wort An- there zu halten, ist schon oben (Th. I. S. 57) erörtert wor- den. Die Sache ist bei den Hymenomyceten folgende. Es fin- den sich auf dem Hymenium ausser den sporentragenden Zel- len zwischen den sterilen Zellen einzelne hervorragende, wei- tere Schläuche mit einer trüben, schleimigen Flüssigkeit erfüllt (eystides. Leveille; utricles. Berkeley; paraphyses Autor.). Das ist Alles, was wir bis jetzt von der Sache wissen. Klotsch will bemerkt haben, dass die mit diesen Schläuchen in Berührung gekommenen Sporen sicherer keimen als die, von denen er dasselbe nicht gewiss wusste’). Bis jetzt ist das noch eine ziemlich vage Vermuthung, beweist aber nichts für die Anthe- rennatur. Die Aecidiumantheren betreffend, ein schon von Un- ger beschriebenes Exanthem, welches häufig mit dem Aecidien- ausschlag zusammentrifft, meint Meyen, dass genauere Unter- suchung dieser Bildung, sowie die räumlichen und zeitlichen Verhältnisse ihn zwängen, dieselben für männliche Aecidium- pflanzen zu halten, obwohl sich durch die Beobachtung nach- weisen lasse, dass von einer wirklichen Befruchtung hier keine Rede seyn könne. Antheren müssen wirklich zur fixen Idee bei Meyen geworden seyn, wenn er trotz dem diese Gebilde für Antheren erklärt. In den Thatsachen liegt nicht allein kein zwingendes Moment, sondern auch nicht einmal die Andeutung der Möglichkeit, dass Aecidiolum exanthematum Unger, welches sich stets früher, häufig auf Blättern, deren andere Seite spä- ter Aecidien bildet, zuweilen aber ohne solche Nachfolge ent- wickelt, in irgend einer andern organischen Beziehung zu Aecidien stehe, als beim Menschen Comedones zur Acne rosacea, oder zwei andere oft gleichzeitig vorkommende Hautkrankheiten. Die phantasirenden Medieiner, die Krankheit für einen selbst- ständigen Organismus erklären, haben nach dieser Analogie noch ein weites Feld, um die Männchen und Weibchen unter den ver- schiedenen Pocken, Pusteln und Bläschen aufzusuchen. I) Man vergl. Wiegmann’s Archiv 1839, Bd. 2, S. 51 ff. 2) Pflanzenpathologie S. Al ff. 3) A. Dietrich’s Wlora des Königr. Preussen. Bd. 6, bei Agaricus deliqwescens. 38 Morphologie. $. 89. Fadenförmige Zellen und das Filzgewebe bilden fast allein die Grundlage der Pilze. Die Natur der Zellen varjirt aber von einer leicht zerfliesslichen, und beim Anfühlen fettartigen Weiche bis zur derbsten holzartigen Härte wie beim Feuerschwamm. Spiralige Bildungen scheinen nicht vorzukommen. Einige Agarici enthalten einen Milchsaft, der bei Ay. deliciosus wenigstens be- . stimmt in kleinen Gruppen parenchymatischer Zellen ent- halten ist. Die haarförmigen Zellen in der Sporenfrucht von Trichia und Arcyria erscheinen fast als Spiralfaserzellen, ich glaube mich aber überzeugt zu haben, dass es nur flache bandförmige Zellen sind, die spiralförmig gedreht sind. Bei Agaricus deli- crosus verhält sich der Milchsaft sicher, wie ich es angege- ben, doch will man auch wirkliche Milchsaftgefässe in Pilzen gefunden haben, was ich bis jetzt muss dahingestellt seyn las- sen. Das Merkwürdigste bei den Pilzen bleibt auf jeden Fall die grosse Verschiedenheit in der Natur der Zellenmembran, die gleichwohl nach Payen’s Untersuchungen aus gewöhnlichem Membranenstoff besteht. Insbesondere ist bei den Coprinus- arten die in wenig Stunden vor sich gehende Zersetzung in eine schwarze, sehr kohlenstoffhaltige Flüssigkeit auffallend. Doch bedürfen wir hier noch vieler genauer Untersuchungen. IT. Flechten (Lichenes). $. 909. Während die Pilze ihre Sporen einzeln in einem fadenförmigen Fortsatz der Mutterzelle bilden und durch Abschnürung trennen, entwickeln die Flechten mehrere Sporen zugleich (ein Vielfaches von zwei) im Inneren einer grösseren Mutterzelle.e. Hierdurch gewinnt man eine scharfe Grenze zwischen beiden Gruppen. Die meisten Kernschwämme (Pyrenomycetes) sind ohne vorge- fasste Meinung schwer oder gar nicht von sehr vielen Flechten (aus den Gruppen der Idiothalami und Gasterothalami) zu un- terscheiden. In Hinsicht der Entwickelungsgeschichte der Spo- ren stimmen sie so sehr mit den Flechten überein, dass ich sie Specielle Morphologie. Flechten. 39 wenigstens für meinen Zweck nicht davon trennen könnte. Aber dasselbe gilt auch von den sogenannten Octosporis unter den Pilzen. Die meisten kleinen. Pezizaarten haben durchaus kein Merkmal, wodurch sie von Flechtenapothecien als eine eigne Ordnung zu unterscheiden wären, insbesondere wenn wir die weiche gallertartige Substanz der Collema-früchte, die so ‚ häufig ohne thallus auftreten, damit vergleichen. Ich ziehe also auch diese hier zu den Flechten, indem ich so in der eigen- thümlichen und wesentlich verschiedenen Entwickelungsgeschichte ‚ein durchgreifendes Merkmal gewinne, um beide Gruppen scharf auseinander zu halten. Dass Lichina (Agh.) zu den ächten Flechten gehört, kann nach den schönen Untersuchungen von Camille Montagne') gar nicht mehr bezweifelt werden. ‘. 91. Die Flechtensporen entwickeln auf noch unbekannte Weise meist rundliche Zellen, die sich auf dem unter- liegenden Boden flach ausbreiten (protothallus) , allmä- ie bilden sich auf diesem grössere kugelförmige Zellen, die an der obern und untern Fläche enger vereinigt, an der untern ein wenig vertical gestreckt eine Pflanze ‘(thallus Aut.) von krustenartigem Ansehen (thallus erustaceus) bilden, dessen Umrisse gewöhnlich sehr un- regelmässig und von äusseren Zufälligkeiten abhängig erscheinen. Bei anderen Formen entwickelt sich zwischen obe- rer und unterer Schicht das Flechtengewebe, und dann nimmt die Pflanze bestimmtere und selbstständigere, lappige Formen an (thallus foliaceus), deren Um- risse im Allgemeinen kreisförmig sind. Oft trennen sich hier von der untern Fläche unregelmässige Bündel von ‚Filzgeweben und dienen als Haftfasern (rhizinae). Meistens ist der T’hallus foliaceus an die Unterlage mehr oder weniger angedrückt, zuweilen nur im Mittel- punct mit einer kleinen Haftscheibe befestigt (z. B. bei Umbilicaria); zuweilen erhebt er sich frei und er- I) Ann. d. se. nat. 1841 (XV) Mars p. 146. 40 Morphologie, scheint dann in flachen verästelten Formen, die sich aber stets von der folgenden Form durch die Ungleichheit beider Flächen unterscheiden lassen. Bei den höchsten Formen endlich erhebt sich die Zellenmasse und bildet vielfach verästelte Bänder, oder dickere oder dünnere Fäden (thallus fruticulosus). Von der Entwickelungsgeschichte der Flechten wissen wir noch gar wenig. Bisher haben nur Meyer ') und Wallroth °) etwas darüber bekannt gemacht, beiden fehlte es eben so sehr an gründlicher, physiologischer Vorbildung, um zu wissen, wor- auf es ankam, als an brauchbaren Mikroskopen, um irgend et- was zu sehen, was von entschiedenem Werth seyn könnte. Was mit blossen Augen zu sehen war, ist besonders von Meyer klar und genau wiedergegeben, während Wallroth durch eine ebenso überflüssige als ekelhaft barbarische "Terminologie sein Werk völlig ungeniessbar gemacht hat. Die Formenbildung bei den Flechten ist im Ganzen sehr einfach. Da sie von einem Puncte der Spore aus nach allen Seiten fast gleichförmig wachsen und dabei meist an die Unter- lage gebunden sind, so ist der runde Umriss, modifieirt durch die Unterlage und durch die specifische Lappenbildung, der allgemeinste. Bei einigen und so namentlich bei den von mir hierher gerechneten Kernpilzen und Helvellaceen, aber auch bei vielen ächten Flechten, namentlich den Staublagerflechten (Co- niothalami) und einigen Säulchenflechten ist die Pflanze so ver- gänglich, dass man fast nur nackte Sporenfrüchte findet. Bei einigen, z. B. den Graphideen u. s. w. breitet sich ganz ähn- lich wie bei den meisten Kernpilzen die Pflanze innerhalb der Pflanzentheile (meist Rinde), die ihr zum Boden dienen, aus, und es treten entweder nur die Sporenfrüchte oder selten spä- ter auch die Pflanze nach Zerstörung der Decke an die Luft. Nur bei einem geringen Theile erhebt sich die Pflanze stengel- artig frei vom Boden, entweder durch Aufrichtung der Lappen wie bei Evernia, Borrera ete., oder durch eine wirkliche Ent- wickelungsverschiedenheit, indem sich die Pflanze statt seitlich flächenförmig, aufwärts linienförmig entwickelt, deshalb auch rund umher dieselbe Oberfläche zeigt, wie die obere Seite der nie- derliegenden Flechte.e Das Wort thallus für die Pflanze ist eigentlich völlig überflüssig. 1) Die Entwickelung, Metamorphose und Fortpfianzung der Klech- ten. Göttingen, 1825. 2) Naturgeschichte der Flechten. Frankfurt 1825 und 27. Specielle Morphologie. Flechten. al $. 9. Bei der angenommenen Begränzung dieser Familie ist die Entwickelung der Spore sehr einförmig.: An ganz unbestimmten Stellen in. der Substanz der Pflanze bildet sich eine halbkugelige, rinnenförmige, oder mehr oder weniger kugelig oder cylindrisch geschlossene Schicht zartwandiger, dichtgedrängter, rundlicher Zellen, die zu- weilen besonders gefärbt erscheinen, z. B. Lecidea sanguinea (wenn sie um die ausgebildete Sporenfrucht einen Rand bilden, ewcipulum proprium genannt), und auf der innern Fläche derselben eine zweite aus dünnen fadenförmigen auf die vorige Schicht senkrecht gestell- ten Zellen (paraphyses, Saftfäden Auf.) zusammenge- setzt (lamin« proligera Aut.). Zwischen diese letz- tern wachsen allmälig einzelne weitere elliptische, zart- wandige Zellen hinein (sporangia, thecae, asci Aut.), die sich früh mit einem schleimigen Inhalt füllen. In diesem entwickeln sich Zellenkerne, auf ihnen Zellen, die dann die einfachen Sporen bilden, oder es entwickeln sich in diesen abermals zwei oder mehrere Zellenkerne, darauf Zellen und so bilden sich die Doppelsporen. Wäh- rend der Sporenbildung tritt die ganze Sporenfrucht all- mälig der Oberfläche der Pflanze näher, immer von einer Substanz bedeckt, deren Gewebe schwer zu erkennen ist, aber theils Product der Paraphysen zu seyn scheint und oft als schwarze feinkörnige Masse auftritt (so be- sonders bei den Pyrenomyceten und Pyrenothalamen), theils bei den sich später ausbreitenden Früchten aus einer dünnen früher oder später zerreissenden Lamelle der Rindenschicht des Thallus besteht. In dem ge- schlossenen Zustand verharrend (als nucleus) bildet sie die Frucht der Pyrenomyceten und Pyrenothalami (sporangia angiospora nucleo praedita Meyer). Bei andern bricht sie durch die Oberfläche hervor, breitet sich mehr oder weniger linien-, becher- oder scheiben- förmig aus (apothecium; patella, ‘wenn kreisförmig ; 42 Morphologie, lirella, wenn linienförmig; sporocarpia angiospora laminam ygerentia Meyer). Dabei hebt sie zuweilen einen Theil der obern Fläche der Pflanze mit in die Höhe, der dann als Rand erscheint (margo. thallodes, exccipulum thallodes), zuweilen wächst dieser Theil noch stärker aus_und erhebt die Sporenfrucht auf einem längeren oder kürzeren Stielchen (podetium). Bei den meisten Flechten bleiben die Sporangien lange geschlos- sen, bei einigen reissen sie sehr früh auf und dann lie- gen die Sporen frei auf der. Sporenfrucht (sporo- carpia Jymnospora, Meyer, coniothalami). Die Entwickelungsgeschichte der Flechtenfrucht ist noch sehr lückenhaft. So weit das blosse Auge oder eine mässige Lupe reicht, hat Meyer a. a. ©. sehr schätzenswerthe Beiträge gege- ben, z. B. die vortreffliche Entwickelungsgeschichte der becher- föormigen am Rande in neue Früchte oder Becher auswachsen- den Früchte der Cladonia-arten. Ich habe den Vorgang nach meinen eignen Untersuchungen an Borrera ciliaris, Lecidea san- guinea, Sphaerophoron coralloides, Calycium trachelinum, Par- melia subfussa etc. geschildert. Gewiss ist, dass bei den Staub- lagerflechten die Entwickelung durchaus nicht anders vor sich geht, als bei den übrıgen Flechten, gewiss, dass die sogenann- ten Paraphysen früher vorhanden sind, als die Sporangien, und dass diese erst zwischen jene, gleich anfänglich durch ihr Vo- lumen unterschieden, hineinwachsen, also dass jene nicht als abortirte Sporangien angesehen werden können. Gewiss ist es endlich, dass in der ganzen Sporenfrucht nichts Anderes vor- kommt, als die Paraphysen und die verschiedenen Bildungs- stufen des Sporangiums, Was unter den von Link (laut einer Nachricht der preuss. Staatszeitung) entdeckten sogenannten Antheren gemeint sey, ist daher beim Mangel genauerer Mit- theilung nicht zu entscheiden. Sehr interessant ist insbesondere die Sporenentwickelung bei Lecidea sanguinea.. Die jungen Sporangien haben eine sehr dicke gelatinöse Wandung, die enge Höhlung ist durch eine darmähnliche Schleimmasse (so erscheint sie bei allen Flechten) angefüllt, in dieser bilden sich acht bis zwölf junge Sporen, von denen aber nur eine, selten zwei sich vollkommen entwickeln. Während der Zeit zeigt sich an der gallertartigen Wandung des Sporangiums, wahrschein- lich durch den Druck des sich ausdehnenden Inhalts gebildet, eine dichtere innere Lamelle, die allmälıg nach Aussen gedrängt wird und zuletzt mit der äussern Gränzfläche so zusammenfällt, ‘> Speeielle Morphologie, Flechten, 43 dass sie allein die reife Spore umschliesst. Die reifende Spore hat ebenfalls eine gelatinöse, schichtenweis verdeckte Zellen- membran. Die abortirenden, sich mehr oder weniger halb ent- wickelnden Sporen kleben oft an die vollständig entwickelte Spore an und bilden an ihr Hörner, Spitzen oder sonst wun- derliche Auswüchse. Einige Flecht« sporen haben ganz ent- . schieden eine äussere Hülle von einer erhärteten schleimigen Substanz. Bei Parmelia purietina z. B. bildet diese Hülle zwei die beiden Enden der Spore bedeckende, hohle Halbkugeln, die durch ein schmales Streifchen gleicher Substanz (ähnlich den Pollenkörnern von Pinus) verbunden sind. Bei Borrera eiliaris zeigen die Sporen eine dunkel schwarzgrüne Farbe, von der schwer zu entscheiden ist, ob sie einer ähnlichen Hülle oder dem Zelleninhalt angehört. Wegen der fast allgemeinen Ueber- einstimmung in der freilich grösstentheils überflüssigen Termi- nologie habe ich die gebräuchlichsten Ausdrücke in Parenthese mitgetheilt. 8.008. Der anatomische Bau der Flechten ist im Ganzen sehr einfach. Die complieirtesten, z. B. Borrera cilia- ris, bestehen aus einer dreifachen Schicht. Die Haupt- masse wird von Flechtengewebe gebildet: langen, dün- nen, dürren, meist gabelig verästelien und ziemlich locker verfilzien Zellen (Medullarschicht), die sich an der obern Fläche nach Aussen biegen, hier allmälig in kürzere, enger an einander geschlossene, durch viel In- tercellularsubstanz eng; verbundene und oft als gesondert schwer oder gar nicht zu erkennende Zellen (Üortical- schicht) übergehen. An der Gränze zwischen beiden liegen grössere oder kleinere Gruppen rundlicher Chlo- rophyll führender Zellen, die meist einen deutlichen Oystoblasten zeigen. Von der Farbe des Chlorophylis, ob gelb (bei Parmelia parietina), braun (bei P. sty- gia), grün (bei Borrera ciliaris) u. s. w. hängt die Farbe der Pflanze im feuchten Zustande ab, indem dann die Rindenschicht gallertartig durchsichtig ist. Im trocke- nen Zustande wird die Farbe je nach der Dicke der Rindenschicht mehr oder weniger durch Grau verdeckt. 44 | Morphologie. Denkt man sich zwei Flechten von dem oben geschil- derten Bau mit der untern Seite zusammengelegt, so erhält man den Bau der bandarügen aufrechten Flech- ten, z. B. Cetraria, von denen die fadenförmigen Us- neen und Alectorien nur die schmälsten Formen sind. Die Sporangien sind bei allen Flechten, mit Ausnahme der von den Pilzen hierher gezogenen Pflanzen, aus ei- ner durch Iod blau werdenden Substanz (Stärkemehl?) gebildet. Bei Cetraria islandica werden die Zellen und die Intercellularsubstanz der Rindenschicht durch Iod blau gefärbt (Moosstärke). Bei den Flechten mit krustenförmigem Thallus fehlt mehr oder weniger das Flechtengewebe und wird durch wenig gestreckte, meist auf die Unterlage senkrecht gestellte, mehr gallertartige Zellen ersetzt. Bei den Pyrenomyceten findet man dünn- wandige, dicht geschlossene polygone Zellen, z.B. Sphae- ria fragiformis; bei den Helvellaceen ein lockeres, wei- ches Pilzgewebe. Die Gallertflächen endlich bestehen aus sgeschlängelten Fäden, die aus kugeligen, Chloro- phyll führenden Zellen zusammengesetzt in eine weich- liche Intercellulargallerte eingesenkt sind, so dass man sie anatomisch von den Undina-arten durchaus nicht unterscheiden kann. Die Flechten bieten wenig: Merkwürdiges dar. Von spirali- ger Verdickungsschicht ist noch keine Spur entdeckt. Die schichtenweis verdickten Wände der Sporen von Lecidea san- guinea geben indess Andeutungen; knotige, unregelmässig in die Höhle hineinragende Verdickungen zeigen die langen Zel- len der Peltidea canina. Ueber die grünen, runden Zellen ha- ben wir eine besondere Abhandlung von Körber '), bei der nur zu bedauern ist, dass der terminologische Wust von Wallroth darin aufgenommen und noch vermehrt ist. Besonders ausführ- lich sind darin die Verhältnisse derselben behandelt, unter de- nen sich diese Zellen vermehren, etwas verändern, durch die Rindenschicht durchbrechen und dann als Staubhäufchen (soredia Aut.) auf der Oberfläche erscheinen, von wo die einzelnen Zel- len ausgestreut zu neuen Pflanzen erwachsen. Dies ist keine besondere Eigenheit der Flechten, kein der Knospenbildung 1) De Gonideis Lichenum. Berlin, 1839. Specielle Morphologie, Charen, 45 der höhern Pflanzen zu parallelisirender Process, sondern ein- fach ein Beispiel, dass unter begünstigenden Umständen jede lebhaft vegetirende Zelle einer Pflanze zur neuen Pflanze er- wachsen kann, wofür im Folgenden noch Beispiele genug vor- kommen werden. Wie dort steht auch hier eine solche scharfe Individualisirung der einzelnen Zelle in Widerspruch mit der . xegelmässigen Organenbildung (Fruchtbildung), in denen eben die Individualität der einzelnen Zelle am meisten beschränkt und zurückgedrängt erscheint. Anhang. Charen (Characeae). $. 9. Die kleine Gruppe der Charen, aus den beiden nur anatomisch zu trennenden Geschlechtern Chara und Ni- tella bestehend, ist bis jetzt schwer irgendwo unterzu- bringen. Vielleicht klären uns spätere Untersuchungen oder Entdeckungen noch über ihre eigentliche Verwandt- schaft auf. Unsere jetzige Kenntniss stellt sie auf jeden Fall weit von den Algen, und eben so weit von den Geschlechtspflanzen. Ob sie aber den Gymnosporen oder den Angiosporen angehören, ist zur Zeit noch nicht auszumachen. Auch hier fehlt es noch durchaus an den nothwendigen Un- tersuchungen, insbesondere über die Bildunggseschichte der Spore. Die ganz unerklärlichen, Antheren genannten Organe finden eine obwohl schwache Analogie in den ebenso genannten Gebil- den bei Laub- und Lebermoosen. Der Unterschiede sind in- dessen viele und wesentliche und der Bau der Sporenfrucht lässt bis jetzt noch gar keine Analogie festhalten. $. 9. Die von anderen Zellen umschlossene Sporenzelle dehnt sich an einer bestimmten Stelle aus, tritt aus ih- rer Hülle etwas hervor und entwickelt sich dann nach zwei Seiten, nach unten in einen oder einige fadenför- 46 Morphologie, mige Haftfäden, nach oben in einen längeren oder kür- zeren Schlauch; aus diesem Ende entwickeln sich neue Zellen, die sich zur Pflanze anordnen '). Diese besteht bei Nitella aus einzelnen eylindrischen fadenförmig an- einander gereihten Zellen. Da, wo zwei zusammen- stossen, bildet sich ein Quirl gleicher, auf gleiche Weise verbundener Zellen (als Seitenäste) und diese tragen, aber nur auf der der Axe zugewendeten Seite, noch kleine oft paarweise gestellte Zellen, die ebenfalls an der Gränze zweier Zellen des Astes inserirt sind. Ganz dieselbe Anordnung ist bei Char«, nur mit dem Unter- schied, dass hier um die Zellen der Axe und der Sei- tenäste, gleichsam wie eine Rinde, eine einfache Lage langgestreckter Zellen spiralig umgelagert ist. In den Zellen der Nitella und in den Rindenzellen der Chara liegen die Chlorophylikörnchen in Reihen, die spiralig um die Axe der Zelle laufen. Der Bau der Charen ist, wie im $. beschrieben, im höchsten Grade einfach. Doch fehlt noch viel, dass wir hier mit Allem im Reinen wären. Meyen’s Entwickelungsgeschichte der Cha- renzelle ”) giebt noch kaum das Alleroberflächlichste, auch wird sich zu einer solchen Untersuchung eine keimende Nitella als der einfachste Fall besser, als das Fortsprossen der schon com- plieirteren Chara eignen. Bei einigen Arten zeigen sich statt der in Wirtel gestellten Aeste zuweilen kurze, dicke, ebenfalls in Wirtel stehende Zellen, die mit grossen Stärkemehlkörnern gefüllt sind, aus denen sich unter günstigen Umständen ebenfalls eine neue Pflanze entwickeln soll. Von Knospen kann hier keine Rede seyn (vergl. $. 93. am Ende). Da die Pflanzen ganz im Wasser wachsen und daher jede Zelle fast ganz ihr eignes Leben führt, so wächst die Pflanze oben fort, wäh- rend sie beständig unten abstirbt. An eine Wurzelentwickelung ist daher hier auch nicht zu denken. In den Achseln der Aeste, wo sich noch einige kugelige Zellen befinden, bilden sich aus neuerzeugten Zellen Wiederholungen der. ganzen Pflanze (Knospen), und wenn die Pflanze bis zu einer solchen Stelle abgestorben ist, so wächst jede aus einer Knospe her- 1) Man vergl. die vortreffliche Abhandlung von Kaulfuss über das Keimen der Charen. Leipzig, 1825. 2) Physiologie Bd. 3, S. 339 ff. Specielle Morphologie. Charen, 47 vorgegangene Pflanze auch für sich allein fort. Da sich hier noch nicht Stengel und Blatt unterscheiden lassen, hat das Wort „Knospe‘ hier natürlich nur die allgemeine angegebene Bedeutung, nicht die bestimmtere, die es erst bei den Angio- sporen gewinnt. Von der Saftbewegung in den Zellen der Charen war schon oben (Tl. I. $. 47.) die Rede, $. 96. An den Seitenästen, meist in der Achsel der er- wähnten paarweise gestellten Zellen zeigen sich fünf spiralig um eine trübe Masse gewickelte Zellen, deren parallele Endungen ein fünftheiliges Krönchen bilden. Aus jener trüben Masse bildet sich eine grosse Zelle (Spore), die mit grossen Stärkekörnern, Schleim- und Öeltröpfehen erfüllt ist, und eine anfänglich durchsich- tige, später srünlich oder roih, endlich schwarz wer- dende, die Sporenzelle eng umschliessende Substanz. Die fünf umschliessenden Zellen werden während dess entweder knorpelig und bleiben dann bis das Ganze nach der Keimung zerstört wird, oder sie werden gal- lertartig und dann bald nach Abfallen der Sporenfrucht aufgelöst. Dicht unter dieser Sporenfrucht zeigt sich meist gleichzeitig auf einer kurzen cylindrischen Zelle auf- sitzend eine anfangs einfache kugelige Zelle, aus der sich nach und nach acht Zellen (ob immer acht?) ent- wickeln, die sich abplatten und so einen hohlen Raum umschliessen, der so wie er entsteht mit einer trüben stumösen Masse erfüllt erscheint. Die acht Zellen deh- nen sich in seitlich aneinander gedrängte Strahlen aus, wo- durch der ganze Körper an Umfang und Höhlung wächst, während in ihnen selbst auf der innern Wand sich all- mälig rothe Körnchen ablagern. Jener trübe Inhalt eni- wickelt sich in der Zeit auch zu Zellen und zwar so, dass an dem ausgebildeten Organ von der dasselbe tra- senden Zelle aus eine kegelförmige Zelle in die Höhle hineinragt und dass von der Mitte jeder der acht Zel- 48 Morphologie. len eine cylindrische Zelle ausgeht. Diese neuen Zellen, in denen sich ebenfalls blassröthliche Körnchen zeigen, tragen an ihrem freien Ende einige kugelige oder kurz cylindrische Zellen, von denen mehrere lange Fäden aus kurzen Zellen zusammengesetzt ausgehen. Die kugeli- sen Zellen und die Fäden bilden im Centrum der Höhle einen dichteren Knäuel. In jeder Zelle der Fäden zeigt sich anfänglich eine grumöse Masse, die später ver- schwindet und einem Spiralfaden mit zwei bis drei Win- dungen Platz macht, der aus seiner Zelle ausgetreten eigenthümliche Bewegungen zeigt. Man nennt diese räthselhaften Organe bis jetzt ohne allen Grund An- theren. Ueber die Bildungsgeschichte der Spore haben wir bis jetzt leider noch keine vollständigen Untersuchungen; an Erklärungen und Deutungen ist deshalb hier gar nicht zu denken. Dagegen haben wir über die sogenannten Antheren schöne Untersuchun- ' gen von Fritsche ') erhalten. Doch haben auch diese noch beson- ders für die Art und Weise der Zellenentstehung noch wichtige Lücken. Ueber die sich bewegenden Spiralfäden, die man gern, obwohl auch ganz .ohne Grund Spermatozoen nennt, hat Thuret”) eine Abhandlung geschrieben, wo er sogar zwei Fühlfäden an ihnen entdeckt hat. Ich muss die Sache fürs erste dahingestellt seyn lassen. Dass hier von Antheren nicht die Rede seyn kann, ist schon entwickelt (Th. I. S. 57). Zweiter Abschnitt. Die Angiosporen. $. 9. Die Pflanzen entwickeln sich aus einer von einer eigenthümlichen Haut (vergl. $. 60.) umschlossenen Zelle auf die Weise, dass dieselbe sich in einen län- seren oder kürzeren Schlauch ausdehnend mit dem emen Ende an einer bestimmten Stelle aus der Sporenhaut 1) Ueber den Pollen. Petersburg, 1837, S. 7 fl. 2) Ann. d. seiene, nat. T. XIV. Aoüt 1840, Botanique p. 65. Speeielle Morphologie. Angiosporen, 49 hervortritt, aus welchem Ende sich durch Bildung neuer Jıellen allmälig die neue Pflanze gestaltet, während das andere Ende mit der Sporenhaut abstirbt und zer- stört wird. Wenn man ohne vorgefasste Meinungen die Verhältnisse be- trachtet, so giebt es keine schlagendere Analogie, als die zwi- _ schen dem Keimen der Sporen der kryptogamischen Stengel- pflanzen und dem Verhalten des Pollenkorns der Phanerogamen auf dem Stigma, wie ja auch die Entwickelungsgeschichte der Sporen und Pollenkörner, sowie ihr Bau fast völlig identisch ist. Mir scheint, dass nur das Kleben an angelernten Vor- urtheilen, nicht eine unbefangene Beobachtung der Natur ver- suchen kann, eine Analogie zwischen Sporocarpium und phane- rogamer Frucht, zwischen Spore und Saamen festzuhalten. Dass es Leuten, die einmal in solchen ihnen überlieferten An- sichten aufgewachsen und alt geworden sind, schwer werden mag, dieselben aufzugeben und nach neueren Ansichten ihr ganzes gewonnenes Wissen umzuordnen, besonders wo sie nicht selbst die Entdecker der neuen Wahrheit sind, glaube ich gern und habe mir deshalb von vorn herein für meine Theorie der Fortpflanzung bei den Phanerogamen keine Hoffnung auf augen- blickliche Anerkennung gemacht. Zum Theil aber mögen auch die Vorurtheile schwinden, wenn die Sache im ganzen Zusam- menhange erscheint, denn selbst wenn meine Ansichten nicht auf unmittelbarer Beobachtung beruhten, sondern nur eine Hypo- these wären, so müsste man mir zugeben, dass sie eine glück- lich ersonnene wäre, weil sie die räthselhafte Trennnng zwi- schen Kryptogamen und Phanerogamen aufhebt, und in einem Puncte, wo eine höhere Einheit grade am ersten zu erwarten ist, die verschiedenartigen Thatsachen aus einem statt aus zwei Naturgesetzen erklärt. Die Verminderung der Erklärungsgründe ist aber eine der wichtigsten methodischen Anforderungen einer gesunden Naturphilosophie. Hier genügte es, das allgemeine Resultat vorläufig an die Spitze zu stellen, die specielle Ent- wickelung muss der Darstellung der einzelnen Gruppen über- lassen bleiben. $. 98. Morphologisch zeigt sich der Hauptgegensatz der Gymnosporen und Angiosporen in der bei diesen auftre- tenden Bildung von Axe (Stengel, caulis Auct.) und Blättern (f olia), von denen die letztern meist allmälig abster- 11. 4 50 Morphologie. bend und neu nachgebildet das eigentlich lebendige Par- enchym, der erstere nur eine dieselben verbindende und ihre Ernährung vermittelnde wesentlich langgestreckte Zellenmasse enthält, und dass (mit Ausnahme der noch unerforschten Moose und Lebermoose) die Blätter aus- schliesslich die Bildung der Fortpflanzungszellen, der Sporen oder Pollenkörner, übernehmen. Der Unterschied zwischen Blatt und Axe in dieser Pflan- zengruppe als durchaus verschieden von ähnlichen Formenspie- len bei der vorigen, z. B. Sargassum, rechtfertigt sich in der Anschauung sogleich, es ist aber jetzt noch schwer, wo nicht unmöglich, ihn streng morphologisch zu begründen, man muss sich helfen so gut man kann und selbst physiologische Andeutungen, wie sie im Paragraphen gegeben sind, nicht verschmähen. Der Grund liegt hier entschieden darin, dass es uns für die Aga- men noch an einer morphologischen Entwickelungsgeschichte und damit an einem sichern Fundament fehlt, wie wir es bei den Phanerogamen schon gewonnen haben !). Deshalb können wir das eigenthümliche Verhältniss zwischen Blättern und Fort- pflanzungszellen auch bis jetzt noch nicht als allgemeines Ge- setz aussprechen, da uns die Moose und Lebermoose noch Schwierigkeiten machen. Uebrigens hält es nicht schwer, die- ses Gesetz mit der Natur von Axe und Blatt ın Einklang zu bringen. Nur das letztere enthält die vollkommen lebendi- gen Zellen, nur in ihnen wird die aufgenommene rohe Nahrung wesentlich assimilirt, vorzugsweise ın ihnen kann sich also auch eine solche Menge assimilirter Stoffe bilden, dass organisches Auskrystallisiren, Zellenbildung eintritt, und nur in diesen Zel- len kann sich bei dem quantitativ begränzten Wachsthum des Blattes wiederum eine solche Menge von assimilirten Substan- zen anhäufen, dass sie einen selbstständigen Vegetationsprocess einzuleiten im Stande sind. . Hier tritt eigentlich zuerst eine wesentliche Organenbildung auf, indem sich im Entwickelungs- process morphologische Gegensätze bilden, die eines quantitativ unbegränzten Axentheils und eines begränzten Seitentheils, je- nes als Axe, dies als Blatt. Hierzu kommt in den höheren Gruppen noch eine Trennung der Axe in Axe im engeren Sinne und Wurzel, bedingt durch den Gegensatz der Enden des nach zwei entgegengesetzten Richtungen sich unbegränzt fortentwickelnden Axentheils. 1) Das Wesentliche über Axe und Blatt kann deshalb auch = Specielle Morphologie. Laubmoose, $. 102. A. Bald terminale, bald laterale geschlossene Knösp- chen aus mehreren gewöhnlich schmäleren, etwas anders ‘geformten Blättern und vielen oft im Innern der. Knospe auch etwas abweichenden Hafifasern (Saftfäden, para- physes) gebildet, lassen sich als besondere Hüllen ge- wisser Organe, die bestimmt sind. zur Sporenfrucht sich zu entwickeln, zusammenfassen als Blüthen (flores). Es scheint mir in doppelter Hinsicht eine leere Spielerei zu seyn, wenn man die Blüthen der Moose wesentlich eingeschlech- tig und wesentlich zu einem Blüthenstand vereinigt ansieht, in- dem man ganz ohne allen Grund das, was uns die Natur als ein sich zu einem Ganzen abschliessendes Gebilde zeigt, nach völlig willkürlichen und unpassenden Analogien mit den höhe- ren Pflanzen zertrennt, um es künstlich wieder zusammenzu- fügen. Bei unserer jetzigen Kenntniss der Moosblüthe ist we- nigstens noch gar keine Andeutung vorhanden, dass bestimmte Theile in ihr wieder enger von der Natur verbunden seyen und so die Ansicht von der Zusammensetzung der ganzen Blüthe aus einzelnen Blüthchen natürlich erscheinen liessen. Hier wie überall halte’ ich mich einfach an das, was die Natur wirklich giebt. Dann ist aber zweitens die Behauptung, dass alle Moosblüthen wesentlich unisexual seyen, deshalb unpassend, weil zur Zeit überhaupt von Sexus bei den Moosen gar keine Rede seyn kann. Uebrigens sind die Blüthenblätter der Moose noch keineswegs scharf von den Laubblättern, in welche sie gewöhnlich unmerklich übergehen, getrennt, was wohl den we- sentlichsten morphologischen Unterschied zwischen Laub- und Lebermoosen begründen möchte. Auch aus diesem Grunde ist es unthunlich, Einzelblüthe und Blüthenstand bei den Moosen zu unterscheiden. B. Die Anlage zur Sporenfrucht, der Fruchtkeim (germen) ist ein kürzeres oder längeres, ellipsoidisches, am Grunde stielförmig verdünntes Körperchen. Es be- steht nur aus einer einfachen Zellenlage, die Hülle (calyptra), welche nach oben in ein längeres oder kür- zeres am Einde trichterförmig; erweitertes Fädchen aus- läuft und einen ringsum freien und an der Basis befestig- ten Kern (nucleus) umschliesst. Dieser birgt unter ei- 58 Morphologie. nem einfachen Epithelium ein zartwandiges gleichförmi- ges und bildungsfähiges Zellgewebe. Leider stehen wir hier gleich an einer so wesentlichen Lücke, dass alle unsere morphologischen Deutungsversuche für das Folgende, auch wo sie nicht offenbare Träumereien sind, völlig haltungslos in der Luft schweben, so dass es entschieden überall nicht der Mühe lohnt weiter zu gehen, als die nackte That- sache uns führt. Wie ist das germen entstanden? Ist die Trennung in nucleus nnd calyptra ursprünglich oder aus einem continuirlichen Zellgewebe erst später hervorgegangen? Ist nucleus oder calyptra zuerst gebildet? In welchem Verhältniss stehen beide Theile zu Blatt und Stengel? u. s. w. Das al- les sind Fragen, deren Beantwortung durch eine sorgfältige Entwickelungsgeschichte unerlässlich vorhergehen muss, ehe an ein wissenschaftliches Verständniss der Mooskapsel auch nur entfernt zu denken ist. Dass Benennungen wie siylus und stigma für das fadenförmige Ende der calyptra, da sie nach morphologischen und physiologischen Merkmalen bestimmte Or- gane der Phanerogamen bezeichnen, hier eben so nichtssagend als falsch sind, versteht sich ganz von selbst. Das innere Zell- gewebe des nucleus besteht in den frühesten Zuständen, die bis jetzt beobachtet sind, noch aus wenigen (auf dem Querschnitt oft nur aus etlichen zwanzig) Zellen. Aus ihm entwickelt sich Deckelchen, Mündungsbesatz, Kapselwand, Mittelsäulchen und die bald wieder verschwindenden Sporangien, und endlich die Sporen, woraus zur Genüge die Falschheit des Ausdrucks massa sporigena, den man diesem Zellgewebe beigelegt hat, folgt ''). Ueber das fadenförmige Ende der calyptra, den unpassend so- genannten stylus herrschen noch grosse Zweifel, ob es ein Ca- nal, oder eine dichte Masse, und wenn ersteres, ob von An- fang hohl, oder erst in Folge späterer Ausdehnung einen Ca- nal bildend sey. Alles das lässt sich sicher nur durch die Ent- wickelungsgeschichte entscheiden. Für die ursprüngliche Ver- schiedenheit der Hülle und des Kerns spricht allerdings sehr, dass sich später an der aus dem Kern sich hervorbildenden Sporenfrucht eine entschiedene Oberhaut entwickelt, da es bis jetzt wenigstens ohne Beispiel ist, dass eine aus dem ursprüng- lichen Verbande mit andern Zellen heraustretende Zellenlage zu einer Oberhaut sich umgewandelt hätte. Wenn dagegen Bischoff *) behauptet, der von Mohl gebrauchte Ausdruck ‚‚Ober- 1) Man könnte eben so gut den Eidotter massa plerygogena nen- nen, weil der Vogel unter Anderm auch Federn hat. 2) Handbuch der Terminologie, S. 687, Bemerk. 33. Speeielle Morphologie, Laubmoose, 59 haut‘“ passe hier nicht, weil die morphologische Bedeutung da- gegen spreche, so weiss ich nicht, was er damit meint, da, wie eben gezeigt, von morphologischer Deutung der Sporenfrucht noch gar nicht die Rede seyn kann. Dagegen macht der ein- fache Zellenbau des Kerns es im höchsten Grade wahrschein- lich, dass er nur ein einfaches Organ ist und dass alle an der Sporenfrucht erscheinenden Gliederungen nur durch innere Tren- nungen, zum Theil rein mechanischer Art, entstandene Theile einer und derselben Gewebemasse, eines und desselben Organs sind. Auf jeden Fall ist aber die Deutung der Kapsel als aus so viel Blättern verwachsen, wie das Peristom Zähne zeigt, wie von Vielen, z. B. Bischoff ') geschieht, im höchsten Grade ver- ‚kehrt. Denn wie oben bemerkt hat der ganze Querschnitt des nucleus (der ausser den Zähnen doch auch noch die Mittelsäule und die Sporen bilden soll) im jugendlichen Zustande nicht ein- mal so viele Zellen als spater Zähne vorhanden sind, und wenn man noch so bescheiden in seinen Ansprüchen ist, muss man doch für jedes Blatt in der ersten Anlage wenigstens Eine Zelle fordern, abgesehen davon, dass für das innere Peristom wegen der Structur desselben die Sache völliger Unsinn ist und dass überhaupt die ganze Behauptung schon deshalb fällt, weil sie völlig’ unbegründet dasteht (vergl. oben Th.1. S.55, 59) ?). 1) Handbuch der Botanik Bd. 1, S. 430 u. 31. 2) Es muss völlig unbegreiflich bleiben, wie selbst so verständige Männer und tüchtige Beobachter, wie Bischoff, sich diesen kindischen Tändeleien mit Vergleichungsspielen hingeben können, wenn man nicht die Geschichte der neuen Philosophie seit Kant studirt und erkannt hat, welchen verderblichen Einfluss das geistreich scheinende und seicht seyende Geschwätz (vergl. Fries: Reinhold, Fichte und Schelling. Leip- zie, 1503), welches Schelling für Naturphilosophie ausgab, auf die Ent- wickelung unserer Wissenschaft ausgeübt hat. Einige hohle Formelspiele in solch nichtssagender Allgemeinheit, dass sie auf Alles passten, ver- brämt mit tändelnden Vergleichungen eines oberflächlichen Witzes, der bei weitem häufiger als der wissenschaftliche Scharfsinn sich findet, ge- nügten, um der grossen Masse derer, die gern wissen möchten ohne ler- nen zu müssen, den angenehmen Wahn beizubringen, als hielten sie die Wissenschaft bei allen vier Zipfeln. Leider macht auch in der Wissen- schaft gar oft die Masse stark; wer es versteht, der Menge Sand in die Augen zu streuen, wird wenigstens eine Zeitlang als bedeutend ange- staunt, und demjenigen, der durch die Bearbeitung eines speciellen Zwei- ges der Wissenschaft gehindert ist, selbstdenkend die philosophischen Grundlagen durchzuarbeiten, wird es schwer, wo nicht unmöglich, sich dem allgemeinen Taumel einer philosophischen Modethorheit zu entzie- hen. So sind selbst ausgezeichnete Köpfe dem ernsten und strengen wissenschaftlichen Erforschen der Natur entfremdet worden, und im Zeit- vorurtheil befangen ihre Thätigkeit für etwas Philosophisches und somit Wissenschaftliches haltend, haben sie ihre beste Zeit in Träumereien 60 Morphologie. C. Bei der Entwickelung der Fruchtanlage reisst die calyptra am Grunde ab und wird von dem sich erhebenden Kern in die Höhe gehoben, verwelkt und bleibt so längere oder kürzere Zeit auf der Sporen- frucht hängen, durch deren Ausdehnung sie zuweilen auch seitlich aufspaltet. Fast immer bleibt ein Stück- chen der calyptra an der Basis des Kerns zurück, und dieses in Verbindung mit der sich etwas entwickelnden Stengelspitze (Fruchtboden) bildet eine kleine Scheide (vaginula) um die Basis der Sporenfrucht. An dem Kern muss man eine a) obere, b) mittlere und c) un- tere Zellgewebsmasse unterscheiden, die sich auf verschie- dene Weise a) zum Stiel (seta), b) zur Büchse (theca) und c) zu Deckel und Mundbesatz (operculum und peristomium) entwickeln. a) Das untere Zellgewebe streckt sich nämlich sehr in die Länge und bildet so einen fadenförmisen Träger für die übrigen, zuweilen geht er durch eine allmälige Anschwellung in das mittlere über, der Hals (collum), oder bildet eine schärfer abgesetzte Verdickung von ver- schiedener Form, der Ansatz (apophysis, besonders aus- gezeichnet bei Splachnum). b) Die mittlere Portion bildet ein becherförmiges bis fast eylindrisches, selten stumpf vierkantiges oder plan- convexes Organ und entwickelt sich zu verschiedenen Lagen: 1) zu einer centralen bald cylindrischen, bald mehr kugeligen Zellenmasse, das Mitielsäulchen (colu- mella), 2) zur Büchsenwandung und 3) zu einem zwi- schen beiden liegenden zartzelligen Gewebe, dessen Zellen als Sporangien vier (?) Sporen in sich entwickeln, dann aber aufgelöst und resorbirt werden, so dass die Sporen an dieser Stelle frei liegen '). Jede Sporen- einer herrenlosen Phantasie verloren. Zum Glück ist die Naturwissen- schaft, weil die daneben ruhig fortschreitende Beobachtung alles seichte Geschwätz bald Lügen straft, nie sehr lange solchen Entwickelungskrank- heiten der Menschheit unterworfen. 1) Meyen sagt (Physiologie Bd. 3, S. 387): „Rob. Brown scheine Speeielle Morphologie. ° Laubmoose. 61 zelle umhüllt sich noch innerhalb des Sporangiums mit einer eigenthümlichen Haut (vergleiche $. 60.), die bald glatt, bald mit srössern oder kleinen Wärz- chen und Areolen besetzt ist. Die Büchsenwand selbst besteht zu äusserst aus einer Oberhaut, auf welche einige Lagen zartwandigen, dichtgedrängten Zellgewebes fol- sen, Aussenhaut (membrana esterna); zu innerst die Sporen umschliessend, einige Lagen dichtsedrängten Zellgewebes, die Innenhaut ( membrana interna ). Ziwischen beiden liest eine Schicht äusserst lockern, oft fast fadenartigen, schwammförmigen Zellgewebes, wel- ches bei der reifen Sporenfrucht zuweilen schon absor- birt ist. c) Die obere Zellgewebsportion des Kerns bildet sich zu so verschiedenartigen Zellenformen aus, dass sie sich beim Austrocknen durch ungleiches Zusammenziehen und Losreissen homogener Zellenreihen von heterogenen theils in der Richtung von Innen nach Aussen, theils in der seitlichen Richtung in mehrere Theile sondert. Zu äusserst trennt sich von der obern Portion des Kerns und zugleich von der Büchse eine Schicht festeren Zell- sewebes in Form eines Deckelchens (operculum) bald flacher, bald convexer oder zugespitzt und seschnäbelt. Schräge von Unten und Aussen nach Oben und Innen zwischen Büchse und Deckelchen eingeschoben trennt sich bei den meisten Mosen eine ringförmige Lage von drei bis vier Zellenreihen (annulus). Zu innerst setzt sich natürlich die columella aus der Büchse bis in die Spitze des Deckelchens fort. Ihr Ende erscheint beim Abfallen des Deckelchens zuweilen als eine Scheibe oder als eine der Meinung gewesen zu seyn, dass die Moossporen in den Zellen des Mittelsäulchens gebildet werden“, Es ist dies nicht das einzige Mal, dass Meyen in den Tag hinein über Dinge spricht, die er gar nicht ge- lesen. Palisot de Beauvois hatte behauptet, die ächten Moossporen bil- deten sich in der columella, die lose um dieselben gelagerten Körner seyen der Pollen. Grade gegen diese falsche Ansicht ist der Aufsatz von Rob. Brown (Vermischte Schriften S. 685) gerichtet und wird die- seibe auch mit gewohnter Sicherheit und Gründlichkeit völlig beseitigt. 62 Morphologie. Membran, welche die ganze Oeffnung der Büchse (stoma) verschliesst. Das noch ührige Zellgewebe zwischen dem Ende des Mittelsäulchens und dem Deckelchen bildet sich zu einem eignen sehr hygroskopischen Gewebe aus und trennt sich auf mannigfaltige Weise, entweder nur seit- lich in 4—64 spitz zulaufende Lappen, Zähne (dentes), oder zugleich von Innen nach Aussen, so dass zwei Reihen solcher Läppchen sich zeigen, von denen die in- nern dann, breiter und mit den Zähnen abwechselnd, Fortsätze (processus), schmäler dagegen, Wimpern (eilia) genannt werden. Zuweilen bleibt die innere Schicht ganz oder theilweise in einer Membran zusam- menhängen, seltener die äussere. Die Zellen der äusse- ren Läppchen zeigen fast alle die Eigenheit, dass ihre untern und obern Wände unverhältnissmässig verdickt werden, so dass die durch dieselben gebildeten horizon- talen Scheidewände beim Eintroeknen der Zellen seitlich, sowie nach Aussen und Innen hervorragen und dann als Querbalken (trabeculae) bezeichnet werden. Die inneren Läppchen, selbst wenn sie als Membran zusam- menhängen, sind stets nur Reste zerrissener Zellen. Ich habe hier die Entwickelungsgeschichte der Fruchtanlage nach allerdings verhältnissmässig sehr wenig umfangreichen und noch sehr unvollständigen eigenen Untersuchungen gegeben, Sie möchten indess mit dem, was hin und wieder von Andern mitgetheilt ist '), zusammen hinreichen, um die angegebene Dar- stellung zu rechtfertigen. Dass hier noch bedeutende Lücken sind, dass noch unzählige Fragen sich aufdrängen, besonders für die Entstehungsweise der einzelnen Zellen und Zellenmas- sen, liegt klar vor. Was zunächst aus dem schon Bekannten hervorgeht ist, dass, soweit uns die Bildungsgeschichte bekannt ist, nur Zerreissung einer continuirlichen Zellgewebsmasse, aber nirgend eine Verwachsung getrennter Theile sich zeigt, dass es also bis jetzt noch wissenschaftlich ohne Sinn ist, die Moos- kapsel als aus verschiedenen Stücken verwachsen zu betrachten. 1) Insbesondere H. Mohl über die Sporen der Kryptogamen (Flora 1533, Bd. 1. S. 33 ff). Entwickelungsgeschichte der Kapsel und Spore von Oedipodium Griffithianum etc. von W. Valentine (Ann. of Nat. Hi- story. Aug. 1839, p. 856) u. s. w. Speeielle Morphologie, Laubmoose. 63 Der sehr einfache Bau der Fruchtanlage macht es freilich eben- falls im höchsten Grade unwahrscheinlich, dass man einmal ihn als aus verschiedenen Theilen zusammenwachsend erkennen werde. Der zweite Punct, der hier anzudeuten, ist der, dass die Fruchtanlage von Innen nach Aussen continuirliches Zellge- webe ist und deshalb die Ausbildung in verschiedenzellige La- gen sich durchaus nicht nothwendig durch die ganze Länge erstrecken muss. Es ist blosses Vorurtheil, wenn man das äussere Peristom als der äusseren, das innere als der inneren Membran angehörend ansieht. Die Anatomie der meisten der Reife nahen Mooskapseln ') zeigt entschieden, dass Peristom und Büchsenwandung nicht in näherer Beziehung stehen, als überhaupt Zellen eines Pflanzentheils zu einander. Von einsei- tiger und falscher Betrachtung der reifen Frucht ausgehend, hat man sich aber gewöhnt, alle diese anatomischen Einzelhei- ten als besondere Organe anzusehen und dann nach einer ge- setzmässigen Zusammenordnung für sie zu suchen, während die richtige Betrachtungsweise zeigt, dass wir es nur mit aller- dings ziemlich regelmässigen Fetzen Eines zerrissenen Organs zu thun haben. Hätte man sich die Mühe gegeben, statt an- gebliche Theorien zu erträumen, lieber etwas genauer zu un- tersuchen, so würde man wenigstens beim innern Peristom bald gefunden haben, dass hier für viele der lächerlichsten Hypothe- sen kein Raum sey. Bei den Peristomen muss man unter- scheiden, ob die dritte obere Portion der Fruchtanlage einen bedeutendern Theil der ganzen Länge einnimmt, so dass sich das Peristom in verticalen Zellenreihen entwickeln kann, wie bei den meisten, oder ob es nur wie bei den Polytrichoideen u. a. die flache, obere Endung der Büchse ist und daher mehr eine Aus- bildung in horizontalen Schichten erfolgt. Hier ist denn das innere Peristom oder die häutige Ausbreitung des Mittelhäut- chens dasselbe und aus einer Zellgewebslage gebildet. Bei den übrigen dagegen bildet sich nach innen von der Wand des Deckelchens eine einfache (?) Zellenschicht zum äusseren Pe- ristom aus, darauf folgt nach Innen eine Lage, deren Zellen auf dem Querschnitt alle oder abwechselnd mit andern spitzen gleichschenkligen Dreiecken gleichen, deren Basis abwechselnd nach Aussen oder nach Innen liegt. An diesen Zellen ver- dicken sich vorzugsweise die horizontalen und die seitlichen verticalen Scheidewände, die äussern und innern Wände dage- gen verwachsen mit den anliegenden Zellen und reissen dann später von den andern Wänden ab; so entsteht bei einer ge- 1) Man vergl. die wunderschönen Darstellungen bei H. MoRl a.a. O. 64 Morphologie. wissen Regelmässigkeit die gefaltete Membran bei Buxbaumia, Diphyscium ete. Liegen dagegen zwischen den auf dem Quer- schnitt keilförmigen Zellen abwechselnd andere, so bilden die stehenbleibenden Seitenwände der erstern die Fortsätze, die stehenbleibenden Seitenwände der letztern die Wimpern, z. B. Hypnum, Bryum. Aber weder bei der Bildung der gefalteten Membran, noch bei der der Wimpern und Fortsätze (so weit sie von Innen nach Aussen frei sind) concurrirt je eine voll- ständige, geschlossene Zelle. Hier ist aber noch ein weites Feld für umfassendere und genauere Untersuchungen, als mir bis jetzt möglich waren. Ich darf hier eine Ansicht nicht unerwähnt lassen, die von dem scharfsinnigen Rob. Brown‘) zuerst aufgestellt ist, näm- lich, dass bei den meisten Peristomen die gesetzmässige Zahl der Zähne 32 sey, und dass, wenn weniger vorhanden sind, diese als Verwachsungen mehrerer Zähne angesehen werden müssen. Auf den ersten Anblick hat diese Ansicht Vieles für sich. Aber einmal ist der Umstand misslich, dass dieses Ge- setz nicht auf die Moose anzuwenden ist, deren Peristom eine grössere Anzahl von Zähnen zeigt, und dann zeigt die Ent- wickelungsgeschichte der Mooskapsel, dass soweit unsere Kennt- niss reicht, von. Verwachsungen überhaupt nicht die Rede seyn kann, sondern nur von mehr oder weniger regelmässigen Zer- reissungen. Endlich ist die Gesetzmässigkeit in der Zahl der Zähne keineswegs so unabänderlich fest, wie Manche anzuneh- men scheinen, denn man findet nicht gar selten Peristome, bei denen ein Zahn zu wenig ist, besonders aber bei den Moosen, wo die Zahl der Zähne über 32 hinausgeht. Was indess immer auffallend bleibt, ist die fast gesetzmässige Theilbarkeit der Zahl der Zähne durch vier. Hierfür scheint der Grund tief in der Natur «der Pflanzenzelle begründet und somit für die Zähne schon in ihrer ersten Bildung gegeben zu seyn. Stellen wir z. B. die Zellenvermehrung bei einigen Algen, z. B. Meyen’s Tetraspora, die fast constante Bildung von vier Sporen und Pollenkörnern in einer Mutterzelle und einige andere Thatsachen zusammen, so scheint darin eine Andeutung zu liegen, dass eine Mutterzelle stets zwei oder vier neuen Zellen das Daseyn giebt, dass daher bei einer beschränkten aber ungestörten Bil- dung die entstandenen Zellen und eben so bestimmte Gruppen von Zellen beinahe gesetzmässig durch zwei oder vier theilbar erscheinen müssen. Bis jetzt ist freilich hier nur eine Andeutung | 1) Rob. Brown’s vermischte Schriften, herausgegeben von N. v. Esen- beck, Bd.:2,S. 734. Speeielle Morphologie. Laubmoose. 65 zu suchen, und es würde leere Spielerei seyn, schon jetzt ein folgereiches Gesetz auf so schwachem Grunde erbauen zu wollen. Es finden sich übrigens manche Abweichungen bei der Ent- wicklung der Sporenfrucht. Bei Sphagnum durchbricht das aus- wachsende Germen die Calyptra nach Oben, statt sie vom Grunde loszureissen, bildet aber keine lange Seta. Bei den sogenannten Astomis entwickelt sich der obere und mittlere Theil der Frucht- anlage zu einer einfachen, rings geschlossenen und erst später unregelmässig aufreissenden Büchse, z. B. Phascum. Sehr ver- schieden ist grade auch bei diesen die Menge Zellgewebes, welche als Mittelsäulchen stehen bleibt, so dass zuweilen bei der reifen Sporenfrucht kaum eine Spur desselben vorhanden zu seyn. scheint. Bei Andreaea bildet sich eine einfache Büchse, die der Länge nach in vier Lappen zerreisst, welche an der Spitze und Basis vereinigt bleiben. Endlich bei einem grossen Theil der Moose bildet das obere Drittheil der Fruchtanlage nur das Deckelchen, ohne sich weiter im Innern verschiedenartig auszubilden, allen diesen fehlt daher ein Peristom. Meyen will gesehen haben, dass sich die Sporen auf ähnliche Weise wie bei den Lebermoosen auch bei Sphagnum am Ende eines Zellen- fadens durch Selbsttheilung einer Mutterspore bilden. Ich habe die Fäden nie finden können, aber leicht gelang es mir in jün- gern Zuständen, aus der Mutterzelle (Sporangiüm) vier ganz freie von ihr umschlossene Sporen herauszudrücken. Endlich zeigen einige Polytrichoiden noch eine Abweichung darin, dass zwischen der innern Haut der Büchse und dem Mittelsäulchen vier Plättchen dichten Zellgewebes stehen bleiben, welche bis nahe zur Reife der Sporenfrucht den für die Sporen bestimmten Raum in vier Theile theilen. Noch viele interessante Einzel- heiten- finden sich ferner bei Rob. Brown '). D. Kleine Knöspchen, den unter A. erwähnten gleich oder (bei Polytrichum, Splachnum) scheibenförmig, ent- halten noch ein eignes Organ (antheridium) ”), welches 1) R. Brown, Vermischte Schriften, herausgegeben von N. v. Esenbeck. Bd. 2. S. 682 — 744. | 2) Da es im höchsten Grade fehierhaft ist, diese und die analogen Gebilde bei den Lebermoosen Antheren zu nennen; da sie gleichwohl eine eigne Bezeichnung verdienen, so behalte ich hier den schon von Vielen ‚gebrauchten Ausdruck Antheridien bei, so unzweckmässig er auch ge- bildet ist, um den Wust der Terminologie nicht noch mit einem neuen Wort zu vermehren. Ich bemerke ausdrücklich, dass hier, wie überall, die Etymologie gar keinen Einfluss auf die Begriffsbestimmung hat welche ein Kunstausdruck allein durch wissenschaftliche Definition ge- winnt, Für diese letzte ist eben der technische Ausdruck nur das durch 1. 5 66 Morphologie. wie bei den oben genannten auch wohl mit Fruchtanlagen zugleich in derselben Blüthe vorkommt. Der früheste Zustand, der bis jetzt beobachtet ist, zeigt ein kleines ellipsoidisches länger oder kürzer gestieltes zelliges Kör- perchen mit einer trüben, undurchsichtigen Stelle im In- nern. Etwas später unterscheidet man bestimmt eine ein- fache Zellenlage, welche eine grosse Centralzelle um- schliesst, die mit trübem Bildungsstoffe erfüllt ist. Hierin zeigen sich später Cytoblasten und endlich füllt sich die ganze Uentralzelle völlig mit einem dichten, sehr zart- wandigen Zellgewebe. In jeder Zelle entwickelt sich dann ein Spiralfaden von zwei bis drei Windungen. Bei völliger Ausbildung sind die Spiralfäden lose in ihrer Zelle und zeigen dann unter Wasser eine rasche Bewegung um ihre Axe, die auch der freie Spiralfaden nach Zer- stöürung der Zelle eine Zeitlang beibehält und dadurch im Wasser, sich fortbewegt. Bei vorigjährigen Pflänzchen findet man diese Organe oft noch zusammengetrocknet und, wie es scheint, ihres Inhalts durch eine oben enti- standene Oeffnung beraubt. Einige unwesentliche Nebensachen ausgenommen, ist das Vor- stehende Alles, was wir von diesen Organen, die viel Verwir- rung in die Wissenschaft gebracht haben, wissen. So viel folgt daraus mit völliger Sicherheit, dass sie weder in ihrer Bildungs- geschichte, uoch in ihrer Structur, noch in ihrem physiologischen Verhalten die allergeringste Analogie mit den Antheren der Pha- nerogamen zeigen, dass also die Anwendung dieser Benennung auf sie und alle darauf begründeten Träumereien (angebliche Theorien) völlig unbegründet und folglich nicht in die Wissen- schaft gehörig sind. So viel ich weiss, hat noch kein Beobach- ter der für die Bedeutung des Ganzen so wesentlichen Central- zelle erwähnt, die so leicht zu erkennen und z. B. bei Sphagnum Sprache und Schrift leicht mittheilbare Zeichen, welches ohne die bei- gegebene Definition in dieser bestimmten Wissenschaft überall gar keinen Sinn haben würde. Die besten termini sind immer solche, deren etymologische Bedeutung in gar keiner Beziehung zur Sache steht und die uns so bei fortschreitender Wissenschaft alles philologischen Gesaal- baders, daraus hervorgehender, angeblich wissenschaftlicher Verbesserung des Kunstausdrucks und daraus wieder nothwendig entstehender Unsicher- heit und Weitläufigkeit der Terminologie überheben. Specielle Morphologie, Laubmoose, 67 lange vor Entstehung des Zellgewebes mit der grössten Leich- tigkeit isolirt darzustellen ist. Eben so ist das zarte Zellgewebe selbst, welches nothwendig der Bildung der Spiralfäden voran- geht und mir viel wesentlicher zu seyn scheint, als jene, von den meisten Beobachtern als eine Nebensache behandelt worden, weil sie sich aus dem einmal 'eingelernten Vorurtheil, das ganze Organ als ein Pollenbläschen, den Inhalt als Befruchtungsstoff (fovilla) zu betrachten, ihren eignen Sinnen zum Trotz nicht herausfinden konnten. Insbesondere sind es die Spiralfibern, die wegen der beobachteten Bewegung das meiste Aufsehn gemacht und sogleich zu Saamenthierchen erhoben wurden. Nach meinen eignen sorgfältigen Beobachtungen an Polytrichum habe ich jene Bewegung nie sehen können, wenn nicht zugleich Wasser mit auf den Objectträger gebracht wurde. Bei Anwesenheit dessel- ben zeigten die Fäden eine rasche Bewegung um die Axe der Spirale, wodurch natürlich der aus der Zelle befreite Faden nach dem Gesetz der Archimedischen Schnecke eine fortschrei- tende Bewegung annahm; eine andere Bewegung, namentlich eine Veränderung der Windungen, wie viele Beobachter behaup- ten, zu sehen, ist mir nie geglückt. Die Form betreffend fand ‚ich (Fäden, die an einem Ende ein kugeliges Köpfchen hatten, oder eine längliche, allmälig in den Faden sich verlierende An- schwellung oder eine kugelige Anschwellung unterhalb des. einen Fadenendes, oder endlich ein kugeliges Köpfchen, etwas davon entfernt eine längliche Anschwellung und weiter unten abermals eine kugelige Anschwellung. Ich halte alle diese Formen, von denen ich die beiden letzten am wenigsten häufig beobachtete, für durch anhängenden Schleim entstandene ganz unwesentliche Unregelmässigkeiten, nicht aber für Köpfe angeblicher Saamen- thierchen, auch sah ich, wo ein einfaches Köpfchen vorhanden war, eben so oft eine fortschreitende Bewegung mit dem spitzen Ende voran, als umgekehrt. Die ausführliche Darstellung der Ansichten derer, die hier Saamenthierchen zu finden glauben, kann man bei Meyen ‘) nachlesen, wo auch die Abweichungen in den Beobachtungen Anderer bemerkt sind. Ueber die morphologische Bedeutung dieser Theile werde ich später beim Ovulum der Phanerogamen eine Vermuthung wagen; von ihrer physiologischen Bedeutung wissen wir noch gar nichts. $. 103. Die Structurverhältnisse der Moose sind noch sehr einfach. Der Stengel zeigt indess bei den meisten schon I) Physiologie Bd. 3, S. 208 ff, Bi vo Morphologie, einen seschlossenen Kreis länger-gestreckter , "theils en- gerer ganz dickwandiger, theils weiterer sehr dünnwan- dieer Zellen (Gefässbündelkreis vergl. oben Th. 1. 8. 226), welcher die eingeschlossene Parenchymmasse (Mark, me- dulla) von der äusseren (Rinde, corte&) trennt. Die Blätter bestehen meist aus einer einfachen Lage tafel- förmiger Parenchymzellen, die oft seitlich poröse Wände haben, z.B. Dieranum. .. Die, obere, und untere Wand zeigt nicht selten 'eine papillenartig hervorragende Ver- dickung, z. B. Orthotrichum erispum. Der Nerv be- steht entweder nur aus einigen Lagen eiwas länger ge- sireckter. Zellen, oder aus zwei Bündeln langgesireckter sehr diekwandiger Zellen, die sich oben und unten auf die Blattzellen legen, oder endlich aus einem’ förmlichen Gefässbündel, nämlich einem grossen Bündel der eben beschriebenen (Bast-?) Zellen, welcher langgestreckte, weite und dünnwandige Zellen (Gefässe) umschliesst, ent- weder wie bei Catharinea zwischen. die beiden Hälften des einschichtigen Blattes eingeschoben, oder wie bei Polytrichum zwischen die beiden, das Blatt bildenden Zellenlagen aufgenommen !). Bei einer. Gruppe’) von 1) Rob. Brown machte. die richtige Bemerkung, dass. die Lamellen bei Catharinea nur auf den Mittelnerv, bei Polytriehum auf die ganze Blatt- fläche aufgesetzt seyen (Verm, Schriften Bd. 2, S. 713). Nun will ich zwar Treviranus gern zugeben, dass über die Ausdehnung des Nerven bei Polytrichum noch Erörterungen möglich seyen, da bei einigen Arten, auch zwischen den beiden Zellenlagen der Blattfläche sich noch einige Zellen finden, die den Bastzellen ähnlich, sich von diesen nur durch etwas weiteres Lumen unterscheiden. Bemerken muss ich aber, dass solche Fragen nicht durch Darstellungen entschieden werden können, die wie die (Linnaea Bd. XV, Heft'3, Taf. III, fig. 6.) mitgetheilte, so wenig den gegenwärtigen mit Recht zu machenden Anforderungen entsprechen, dass man. nur ungern Treviranus als den Verfasser ‘erkennt. Ein nicht einmal naturgetreuer Umriss, in den einige Ringelchen hineingemalt sind, die Zellen vorstellen sollen, wo weder auf Anordnung noch Form der Zellen, noch auf ihre wesentlichen Verschiedenheiten hinsichtlich der Dicke und Natur der Zellenwände und des Inhalts Rücksicht genommen ist, sind bei.der jetzigen Ausbildung der Pflanzenanatomie.. bei’ den’jetzigen Mitteln ihren Ansprüchen zu genügen, nur als eigensinniges Festhalten an die Mangelhaftigkeit früherer Jahrhunderte zu bedauern, zumal bei einem Manne, der wie Treviranus entschieden Besseres leisten kann. 2) Leucophaneae nach Hampe. Speeielle Morphologie. Laubmoose. 69 Moosen, bestehend aus Sphaynum, Octoblepharum, Leu- cobryum, Dieranum glaueum und Weissiavertieillata (?), ist das Blatt wesentlich aus zwei sehr verschiedenen Zel- lenarten zusammengesetzt: geschlossene, schmälere chloro- phyllführende und weitere. Diese letzteren zeigen deut- lich Verdiekungsschichten entweder nur als grosse Poren, die später immer zu wirklichen Löchern werden, oder wie bei Sphagnum zugleich auch Spiralfasern; sie liegen entweder mit den grünen Zellen in einer Ebene (Sphagnum), oder bedecken in einfacher bis fünffacher Schicht: die netz- förmige Lage grüner Zellen auf beiden Flächen. Die seta besteht aus ähnlichen Elementen wie der Stengel, nur sind die Zellen gewöhnlich dünner und länger '). Die Rinden- zellen derselben, die Epidermiszellen der Büchse und: des Deckelchens, ‚die Zellen des Peristoms, sowie sehr häu- fir die Zellen der Haftfasern haben von hellgelb bis dun- kelbraungelb gefärbte Zellenwände. Die Zellen des Pe- ristoms zeigen meist unregelmässige, warzenförmige Ver- dickungen ihrer Wände, die oft so stark hervortreten, dass z. B. die Spitze der Zähne von Bryum caespiticum an den Seiten eng und tief gekerbt erscheinen. Merkwürdig ist noch, dass an dem Hals und dem Ansatz sich meist die Oberhaut am vollständigsten ent- wickelt und vollkommene Spaltöffnungen zeigt. Gewöhn- lich liegt unter ihr dann auch eine kleine Menge lockeren, schwammförmigen Zellgewebes. So einfach der Bau der Moose ist, so fehlt es uns doch noch sehr an genauen Untersuchungen über viele ‚Einzelheiten. So bietet allein der kleine Stengel von Buxbaumia aphylla noch viel Interessantes dar, z. B. die Andeutung netzförmiger Verdickung der Zellenwände ım Mark. Auch die Blätter der Moose und ihre Nerven verdienen ausführlichere Untersuchung, als ihnen bis jetzt geworden *®). Ueber den Bau des Sphagnumblattes sind weitläufige, besonders von Meyen veranlasste Streitigkeiten ge- I) Structur der sefa an Funaria hygrometriea von E. hankester in Annales of Nat. Hist. by Jardine, Hooker and Taylor. Febr. 1840. p.361. 2) Was Treviranus (Linnae« XV, Heft 3. 8.300) giebt, ist nicht . sehr bedeutend. 70 Morphologie. führt, die endlich durch Mohl'') als völlig entschieden betrachtet werden können. Die auf die Blattfläche bei Polytrichum auf- gesetzten Lamellen zeigen die Eigenheit, dass die untern Zellen jedesmal dünnwandig, die obern aber, besonders in ihrer obern und seitlichen Wandung stark verdickt sind. Bei P. yuccaefolium sind ‘diese Oberen eingebogen, so dass jede Lamelle auf ihrer freien Kante eine Furche zeigt. Auch die Spaltöffnungen an der Mooskapsel haben, so einfach die Sache ist (sie weichen auch nicht in der geringsten Be- ziehung von den Spaltöffnungen der Phanerogamen ab), zu wun- derlichen Erörterungen Veranlassung gegeben und botanische Mystiker gefallen sich auch hier darin, statt einfach die Natur aufzufassen, wie sie sich den gesunden Sinnen darbietet, zu sa- gen: „Die Poren als verwandtes peripherisches Glied der Spiral- gefässe, wenn sie auch in ihrem Bau keineswegs mit den wahren Poren der normalen Oberhaut verglichen werden können (warum, wird nicht gesagt und ist auch nicht zu sagen), zeigen doch ein Hinstreben (!) zu dieser Form.“ Traurig genug, wenn Män- ner von Geist in solchem Wortgeklingel Wissenschaft suchen! Von Andern und selbst von Rob. Brown sind die Poren als Hülfswege zu Ausleerung der Sporen betrachtet worden, was sie doch wohl nicht seyn können, da sie niemals eine Communication der Sporenhöhle selbst mit der Aussenwelt möglich machen. Das schwammförmige Zellgewebe unter ihnen geht gegen die Sporen- höhle hin jedesmal in ein dichtgedrängtes Zellgewebe, die Innen- haut, über. Vom gewöhnlichen Bau der Spaltöffnungen weichen sie auch bei Polytrichum alpinum nicht im Geringsten ab, wie es nach der unrichtigen Abbildung bei Treviranus (a. a. O. Fig. 18) scheinen könnte. ‘Die Poren an der Kapsel von Lyellia habe ich noch nicht selbst untersuchen können, wenn aber die (neben Fig. 6, 8, 9, 12 und 18 freilich wenig Ver- trauen erweckende) Abbildung bei Treviranus (Fig. 17) richtig ist, so haben sie mit den Spaltöffnungen überhaupt gar nichts zu thun und sind Organe ganz besonderer Art. Noch will ich bemerken, dass ich in Peristomzellen, z. B. bei Hypnum tri- quetrum, Spiralfäden gesehen zu haben glaube, doch bin ich noch nicht gewiss darüber. 1) Anatom. Untersuchungen über die porösen Zellen von Sphagnum. Tübingen, 1837. Speeielle Morphologie, Lebermoose. 71 V. Lebermoose (Musci hepatici). $. 104. ‚Eine Entwickelungsgeschichte der Lebermoospflanze fehlt noch sanz. Die entwickelte Pflanze hat wie die Laubmoose keine eigne Wurzel. Der Stengel zeigt zwei Hauptformen, einmal die gewöhnliche, dem Laubmoos- stengel analoge, und dann eine andere, wo er statt linien- förmig, vielmehr flächenförmig-bandartig aus gebreitet st. Der erstere hat immer Blätter, der letztere nur rudimen- täre oder gar keine. Der erstere ist selten aufrecht, meist niederliegend. Der letztere (caulis frondosus) ist entweder zum Theil fadenförmig entwickelt und erst am Einde flach ausgebreitet, oder ganz und gar flach; in beiden Fällen ist er verschiedenartig und zwar überwie- send oft sahlig getheilt, auch fingerförmig, seltener ge- fiedert. Bei einem kleinen Theil, z.B. Riccia fluitans, Anthoceros laevis ete., besteht die ganze Pflanze nur aus ziemlich sleichartigen, flächenförmig aneinander gereihten Zellen, die man weder als Blatt noch als Stengel an- sprechen kann. Hier ist die gabelförmige Theilung sehr vorherrschend und das allseitige Fortwachsen von einem Punet aus giebt den Riccieen zum "Theil eine grosse Aehn- lichkeit mit dem Laub der Flechten. Blätter kommen bei allen Lebermoosen wenigstens als Blüthentheile vor, nur bei den zuletzt erwähnten ist es zweifelhaft, weil ohnehin noch keine Eintwicklungsgeschichte uns einen morpholo- gischen Anhaltepunet giebt. Die Blattformen sind viel mannigfaltiser als bei den Moosen. Mit wenigen Aus- nahmen sind die Blätter so gewendet, dass sie in Einer Ebene zu beiden Seiten des Stengels liegen; beim flachen Stengel stehen sie sehr verkümmert nur auf der untern Fläche. Zuweilen sind die Blätter ganz fadenförmig zer- schlitzt, seltner einfach, häufig am Rande mannigfach ein- geschnitten, zwei- und mehrlappig. Bei den zweilappigen ist oft ein grösserer und ein kleinerer Lappen vorhanden 12 Morphologie. und das: Blatt in der Trennungslinie beider zusammen- gefaltet. Häufig hat der Stengel zweierlei Blätter, grössere obere, die zweizeilig gewendet in einer Fläche zu liegen scheinen, und kleinere, in der Form abweichende, die nur an der untern Seite des Stengels stehen. In den Blattachseln bilden sich Knospen und dadurch Verästelungen, die häu- fig, wie die Blätter in einer Fläche sich ausbreitend, den Stengel fiederförmig erscheinen lassen. Auch bei den Le- bermoosen treten einzelne Zellen sowohl des Stengels (z. B. Jungermannia bidentata), als der Blätter (z. B. J. exsecta) aus dem Individualitätszusammenhange heraus und bilden. sich selbstständig zu neuen Pflanzen fort, indem sie entweder schon als einzelne Zellen sich trennen (die genannten), oder noch in Verbindung mit der Pflanze zu kleinen zelligen Körperchen sich umbilden (z. B. J. vio- lacea). Oft werden diese Körperchen an der Pflanze von einer eigenthümlichen halbmond -, becher - oder flaschen- förmigen Erhebung der obern Zellenschicht (eonceptacu- lum) umgeben (z. B. Marchantia polymorphae). ‚Ueber die Entwicklung des Lebermooses aus der Spore haben wir gar nichts Vollständiges, insbesondere fehlt uns jede Notiz über die wegen der Anknüpfung an die Moose so wichtigen, mit gewöhnlichem Stengel und Blättern versehenen Arten. Für die mit flachem Stengel haben wir einige, obwohl noch unvollstän- dige Beobachtungen von Mirbel ‘) über Marchantia polymorpha und von Lindenberg ”) über Riccia. Leider muss ich hier abermals die nichtssagende Spielerei rü- gen, welche den flachen Stengel als eine Verschmelzung von Blatt und Stengel ansieht, Nasen davon, dass diese An- sicht schon als ganz unbegründet dastehende Fiction zusammen- fällt, so braucht man auch nur den Terminaltrieb von Fegatella conica oder einer ähnlichen Pflanze genau anzusehen, um zu wissen, dass hier Blatt und Stengel völlig gesondert und deut- lich vorhanden sind, und dass die Blätter erst später verkümmern, sowie sie, durch de allmälıge Ausdehnung des anfangs runden Stengels zur Fläche, auf die untere Sältel und de, ge- zerrt werden. Mit solchen Phantasiespielen lernt man die Natur nicht verstehen, sondern rennt sich im Irrgarten der eignen 1) Observations sur le Marchantia polymorpha. ‚Paris, 1835. 2) Ueber die Riccieen. Nov. Act. L. C. Tom. XVII. | Speeielle Morphologie, Lebermoose. 73 zügellosen Einbildungskraft fest. Wo wie bei Jungermannia mul- tifida keine Blätter vorhanden sind, da sind eben keine vorhan- den, aber so wenig mit dem Stengel verschmolzen, als bei Me- locactus, oder Euphorbia meloformis. Wenn die Leute, statt mit dem Worte Blatt zu spielen, denkend einen bestimmten Begriff festhielten, so würden sie gar auf so etwas nicht kommen können. Im Begriff der Pflanze liegt es gar nicht, dass sie Blatt und Stengel hat. Wir finden aber, dass sich bei der Formenentwick- lung gewisser Pflanzen zwei verschiedne Formen, eine endlos sich entwickelnde, eine andere erst aus jener hervorgehende, in ihrer Entwicklung begrenzte, anschaulich festhalten lassen, diese nennen wir Blatt, jene Stengel Wo die Natur nun nicht solche unterscheidbare Formen bildet, ist auch von Blättern gar nicht die Rede. Bei den Gymnosporen konnte man an der Pflanze individuel- len Wachsthum und individuelle Wiederholung durch Knospen- bildung wegen der morphologischen Unbestimmtheit nicht unter- scheiden. Aehnliche Beispiele kommen auch bei den Leber- moosen in der Verästelung des flachen Stengels ohne vorher- gegangene Knospenbildung vor. Bei den Moosen ist mir kein Beispiel der Art bekannt. .Bei den Farren und Rhizocarpeen kommen noch einzelne Fälle vor, später nicht mehr, es sey denn bei den fast noch ganz unbekannten Podostomeen. Bei den zweilappigen Blättern ist noch: die Eigenheit zu be- ‚ merken, dass bei den anfangs immer flachen kleineren Lappen sich die Zellen zuweilen nur in der Fläche, nicht am Rande ver- mehren und ausdehnen, so dass die Fläche blasıg. aufgetrieben und zuletzt der Blattlappen kappenförmig wird. Ueber die Bedeutung der als eigne Organe (sogenannte Brut- knospen) angesehenen einzelnen Zellen des Blatt- und Stengel- parenchyms, die zu selbstständigen Pflanzen sich ausbilden, ver- weise ich auf das bei Flechten und Moosen schon Angeführte. $. 105. Im Wesentlichen weichen die Fortpflanzungsorgane der Lebermoose von denen der Laubmoose nicht ab. Nur zeigen sich die Hüllen schärfer als besondere Organe, bestimmter von den übrigen Blattorganen morphologisch geschieden. A. Eine bestimmte Anzahl von den übrigen von Innen nach Aussen (oder von Unten nach Oben am Stengel) immer mehr der Form nach verschiedenen Blättern theils 74 - Morphologie, noch unverbunden, theils in ihrem untern Theile verwachsen, umschliessen die der Sporenbildung dienenden Organe und bilden so eine Blüthe (flos). An ihr kann man stets einen innersien Kreis wesentlich verschiedener, meist zu einer Becherform verwachsener Blätter als Blüthenhülle (perianthium) unterscheiden (z. B. Jungermannia con- cinnata, J. dilatata). Gewöhnlich ist dieselbe von ein- zelnen Blättern umgeben, die wenig von den gewöhn- lichen Blättern abweichen, oder doch allmälig in dieselben übergehen (z. B. Jung. lanceolata, J. bicuspidata) ; seltener ist noch ein äusserer Blatikreis als wesentlich verschieden, zuweilen ebenfalls verwachsen erkennbar (z. B. J. emarginata), und man bezeichnet beide dann als perianthium externum und internum. Bei den mei- sten Lebermoosen stehen diese Blüthen einzeln; bei vielen mit flachem Stengel dagegen sind sie auf ‚bestimmte Weise zusammen gruppirt und bilden so einen Blüthen- stand (inflorescentia). An diesem unterscheidet man dann die Blüthen von dem sie tragenden Stengel, der Spindel (rhachis), an welchem die Blüthen stets ein Köpfchen bilden. Das Ende der Spindel ist zuweilen einfach (z. B. Lunularia), zuweilen knopfförmig ausgedehnt (z. B. Grimaldia), zuweilen schirm- oder scheibenförmig: und dann meist selappt (z. B. Marchantia). Was schon bei den Moosen bemerkt, gilt auch hier, dass es eine Spielerei ist, welcher die einfache gesunde Naturanschauung widerspricht, wenn man die Blüthe, weil sie die Anlage zu mehrern Sporenfrüchten umschliesst, schon als einen Blüthenstand bezeichnet, was allenfalls nur dann einen Sinn hätte, wenn wir an irgend einer Art die Fruchtanfänge gesetzmässig einzeln vor- kommend fänden. Ueber, die Zahl der zu einer Blüthenhülle verwachsenen Blätter lässt sich zur Zeit noch gar nichts Sicheres angeben, weil es an einer vollständigen Entwickelungsgeschichte fehlt. Das Errathen der Zahl aus den freien Spitzen. der Hülle ist aber hier um so mehr eine missliche Sache, da, man kann sagen, die meisten Lebermoose gelappte Blätter haben, und wir noch gar nicht wissen, ob die Hüllblätter nicht häufig auch ge- lappt sind. Hier wie überall ist genaue Untersuchung zwar mühsamer, als in den Tag hinein rathen, aber doch der ein- Specielle Morphologie. Lebermoose, 75 zige ächt wissenschaftliche Weg. Wie viel hier N. v. Esen- beck ') gebessert hat, weiss ich nicht, da ich noch nicht Gelegen- heit hatte, sein Buch zu benutzen. Bischoff”) hat schöne Ana- Iysen mit seiner bekannten bewundernswerthen Kunst im Zeich- nen gegeben, aber ohne Entwickelungsgeschichte und beständig spielend mit unpassenden Vergleicehungen. B. Die Blüthen umschliessen Fruchtanfänge (germina), welche den bei den Laubmoosen wesentlich ganz gleich und zugleich, wie bei diesen, mit sogenannten Saftfäden (peraphyses) untermischt sind. Sie bestehen aus einer Hülle (calyptra) und einem Kern (nucleus); erstere läuft nach Oben in einen längeren oder kürzeren, oft an der Spitze trichterförmig verbreiterten Faden aus. Hier so wenig wie bei den Laubmoosen deutet das ganz homogene Zellgewebe des nucleus auf eine Zusammensetzung aus einzelnen Theilen. Dieselbe Mangelhaftigkeit wie bei den Laubmoosen tritt übrigens auch hier ein, dass uns eine Bildungs- geschichte des Fruchtanfangs gänzlich fehlt, und also jeder Deu- tungsversuch der Frucht ohne alle wissenschaftliche Grund- lage ist. ; C. Bei der fernern Entwickelung zerreisst die Hülle allemal oben, und die sich. ausbildende Sporenfrucht tritt aus derselben heraus. Nur. bei Anthoceros wird sie als kleines Mützchen aufgehoben, indem sie unterhalb der Spitze abreisst. Bei den Riccieen bleibt sie geschlossen, da.der nucleus bei seiner Ausbildung sich gar nicht verlängert. Am nucleus selbst kann man nur zwei Zeilgewebspor- tionen unterscheiden, eine untere, die mit Ausnahme der Riccieen zum Träger (seta) sich verlängert, und eine ‘obere, die zur kugeligen (z.B. Jung. pusilla) bis faden- förmigen (z.B. Anthoceros) Sporenfrucht (sporocarpium) wird. Das Zellgewebe dieses obern 'Theils bildet sich wieder verschieden aus. Die äussersten Zellenlagen ver- dieken sich und bilden die Wand der Sporenfrucht, und zerreissen von Oben nach Unten, so dass eine Spalte ent- steht .(z. B. Monoclea), oder die Wand mehr oder we- 1) Naturgeschichte der Europäischen Lebermoose (1833). Br 2) Bemerkungen über die Lebermoose u. s. w. in N. A. L. C. V.XVI., P. 11. p. 909 sag. (1835). 76 Morphologie. niger tief in zwei bis acht Klappen (valvulae, z. B. Jung. epiphylla, platyphylla, complanata), oder in viele Zähne (dentes), seltner in unregelmässige Fetzen zerspaltet (z. B. Grimaldia hemispheerica). Seltner bildet sich eine Trennung rund um: die Frucht, so dass der obere Theil als Deckel abfällt (z. B. Fimbriaria); bei den Riceieen bleibt sie bis zur Zerstörung von Aussen ge- schlossen; bei Riccia selbst wird sie resorbirt, so dass die Sporen frei in der Höhle der calyptra zu liegen kom- men. Vom innern Zellgewebe des Kerns bleibt selten ein längeres (z.B. Anthoceros) oder kürzeres (z. B. Jung. epiphylla) Mittelsäulchen stehen. Meist bildet es sich ganz und gar zu zwei verschiedenen Zellenformen um: Mutterzellen (in denen je vier Sporen sich bilden und ‚mit einer eigenthümlichen Haut überziehen), welche später resorbirt werden und langgestreckte, spindelförmige Zel- len, die ein bis drei Spiralfasern enthalten und bald .lose zwischen den Sporen vorkommen (z.B. Feyatella:conica), bald am Mittelsäulchen (z. B. Pellia epiphylla), bald am Rande (z. B. Jung. bicuspidata), an der Spitze (z. B. J. pinguis), oder auf der innern Fläche (z. B. J. tri- chophylla) der Klappen festhaftend erscheinen, seltner wie bei den Riccieen ganz fehlen. Man nennt sie Schleuderer (elateres). Die Ausbildung des anfänglich homogenen Zellgewebes in so verschiedenartiges, dass Homogenes von, Heterogenem in Folge der Hygroscopieität und Elasticität sich trennend zerreisst, findet hier wie bei der Mooskapsel statt, und wir haben es. hier we- nigstens nach dem jetzigen Stand unsrer Kenntnisse so wenig mit einer Trennung in ursprüngliche, nur verwachsene Theile zu thun, als dort. Ueber die Entwickelung der Sporen sind wohl noch genauere Untersuchungen zu machen. Ich beobachtete in jüngeren Zuständen stets vier Sporen frei in einer Mutterzelle. Von einer Theilung der Mutterzelle durch hereinwachsende Scheidewände, wie Meyen ') die Sache darstellt, habe ich bis jetzt nichts finden können, doch sind meine Beobachtungen noch sehr unvollkommen. Eine vortreffliche Untersuchung über die 1) System der Physiologie Bd. 3, S. 391 ff. Specielle Morphologie. Lebermoose. 77 Sporenbildung' von Anthoceros laevis haben wir von Hugo Mohl ') erhalten, welche sich, wie ich glaube, recht wohl mit meiner An- sicht über Bildung neuer Zellen vereinigen lassen ‘wird, denn ich glaube, dass ihr noch Einiges zur Vollendung fehlt. D. Auch bei den Lebermoosen kommen Antheridien (vergl. oben $.102.D.) vor, deren Formen und Ausbildung ‚an sich ganz mit denen der Moose übereinstimmen. Sel- ten bilden die Blätter eigne Hüllen um dieselben, doch drängen sich oft mehrere Blätter am Ende des Stengels dichter zusammen, in ihren Achseln Antheridien bergend, und werden dann als Kätzchen (amentum) zusammen- sefasst. . Bei den Lebermoosen mit flachem Stengel sind die Antheridien stets in eine nach Aussen seöffnete Höh- lung der Stengelsubstanz aufgenommen (eingesenkt), die sich zuweilen über die Stengellläche becherförmig (z.B. Anthoceros), warzig (z. B. Jung. epiphylla) oder als ein Stielchen (z. B. Riccia) erhebt. Innen ist diese Höhle mit einer dichten Oberhaut bekleidet. Bei vielen finden sie sich auf der Fläche unordentlich zerstreut (z. B Jung. epiphylla), bei anderen ist es ein bestimmter Theil des Stengels, der sich etwas wie eine Scheibe erhebt, der die Antheridien trägt (z. B. Fegatella conica), bei noch andern erhebt sich diese Scheibe schildförmig auf einem Stiel und. ist dann oft am Rande. gekerht, gelappt u. Ss. w. (z. B. Marchantia polymorpha). Die Antheridien bestehen aus einem Stiel, der länger oder kürzer ist, oder ganz fehlt, und dem obern stets kugeligen oder lien Theil. Ueber die Bedeutung dieser Antheridien- ist schon bei den Laubmoosen das Nöthige gesagt, ich habe hier nichts hinzuzu- setzen. Bemerken muss an nur an, dass flüchtige Beobach- tung auch hier einen wunderlichen Missgrift.. herbeigeführt hat. Fast alle Handbücher sprechen von Baschenförmiein R nhäfidien, die nämlich nach oben in einen Hals auslaufen, solche giebt. es gar nicht. Bei Marchantia polymorpha und anderen hat aber hs Höhle eine flaschenförmige Gestalt, umschliesst unten die Antheridie und lässt nach Oben einen engern Canal frei. Diese 1) Linnaea Bd. 13, S. 273. 78 | Morphologie. Höhlen sind, wie gesagt, mit einer scharf charakterisirten Epi- dermis ausgekleidet; bei flüchtiger Beobachtung hat man die allerdings ae Zeichnung, die durch diese Epidermis entsteht, mit der von dieser Epidermis völlig getrennten, nach Oben unterhalb des Canals stets rundlich geendeten Antheridie verwechselt. Ebenso gehören die sogenannten Stiftchen (cuspides) bei Riccia gar nicht der Antheridie, sondern der Erhebung des Parenchyms am Rande der Höhlung an, welche die Antheridien umschliesst. $. 106. Der rundliche Stengel der Lebermoose ist ganz ähn- lich dem der Moose zusammengesetzt. Die Blätter da- gegen bestehen wohl ohne Ausnahme nur aus einer ein- fachen Zellenschicht. Der flache Stengel bietet grössere Mannichfaltigkeit dar; oft besteht er nur aus einer ein- fachen dünnwandigen Zellenschicht, oder er zeigt in sei- ner Axe die Elemente des gewöhnlichen Stengels. Das Parenchym daneben ist aus einer bis vielen Zellenlagen sehildet, oft auf der Oberfläche mit einer vollkommenen Ober- haut bedeckt, welche Spaltöffnungen besonderer Art zeigt, nämlich warzenförmig sich erhebende Zellenmassen, die an der Spitze von einem Intercellulargange durchbrochen. sind, der in eine Höhle führt, welche von lockeren oft flaschen- förmig gestalteten Zellen ausgekleidet ist. Bei Feyatella und Marchantia sind die Zellen der mittleren Stengel- masse aufs zierlichste porös oder netzförmig verdickt. Bei den Marchantien kommen Lufthöhlen vor, bei Jungerman- nia epiphylla ein eigenthümliches System von Intercellu- largängen, welches nicht Luft, sondern gelbliche oder (bei var. aeruginosa) rothe Säfte führt‘). Der Stiel der Sporenfrucht besteht hier stets aus zur Zeit der Reife sich wunderbar schnell ausdehnendem, aber auch sehr vergänglichem, zartem Zellgewebe, in welchem während der kräftigsten Vegetation Circulation des Zel- 1) Vergl. Wiegmann’s Archiv. Jahrg. 5. Bd. 1. (1839). s. 20. Speeielle Morphologie. Lycopodiaceen, 79 lensaftes sich zeigt. Die Kapselwand besteht mit weni- sen Ausnahmen aus einer Oberhaut (flachen, meist braun gefärbten Zellen) und einer innern Lage von Spiral- faserzellen. Es verdienen die Lebermoose auch in anatomischer Hinsicht noch viel gründlichere und umfassendere Untersuchungen, als ihnen bisher geworden sind. Zwar haben wir z. B. über Mar- chantia polymerpha eine. ausführliche Monographie von Mirbel erhalten, mit Tafeln, die mehr durch Farbenpracht blenden, als in allen Puncten durch Naturtreue befriedigen, aber Mirbel lässt gar manche Frage noch unbeantwortet und manche Berichtigung ist schon jetzt vorgekommen. Hier wie überall fehlt es uns an einer genauen und. vollständigen Entwickelungsgeschichte. Die Bildung der Spiralfasern in den Elateren und Fruchtwänden ist von .Meyen und Andern beobachtet worden. Sie sollen aus dem sichtbaren Zusammenfliessen der Chlorophylikügelchen zu einem spiraligen Bande entstehen. Ich kann es weder bejahen, noch verneinen. Sie weichen im ausgebildeten Zustande von allen anderen Spiralfäden durch ihre tiefbraungelbe, an die Zellen der Gefässbündelscheiden bei den Farren erinnernde Farbe ab. b. Bewurzelte Agamen. VI. Lycopodiaceen (Lycopodiaceae). $. 10%. Eine vollständige Entwickelungsgeschichte der Lyco- podiaceen ist bis jetzt noch ein frommer Wunsch. Nur so viel ist gewiss, dass beim Keimen der später zu er- wähnenden grösseren Sporen sich eine ächte Wurzel zeigt‘). Bei der ausgebildeten Pflanze entwickelt der I) Diese interessanten Keimungsversuche wurden von Bischoff selbst angestellt und zuerst vollständig mitgetheilt, und dennoch sagt er (Die kryptogamischen Gewächse $. 97): „Man findet bei den Lycopodiaceen keine deutlich geschiedene Hauptwurzel“, weil er nur die alte entwickelte Pflanze im Auge hatte. Gewiss ein merkwürdiges Beispiel, wie schlen- driansmässige Methode in der Wissenschaft auch die Ausgezeichneten gegen ihre eigenen Entdeckungen blind machen kann. so Morphologie. fast immer niederliegende Stengel in seiner ganzen Länge auf der untern Seite Wurzeln und stirbt von Unten nach Oben ab. Die Blätter stehen stets dicht aufeinander fol- gend rund um den Stengel, zuweilen so gedreht, dass sie zu beiden Seiten des Stengels in einer Fläche zu stehen scheinen. Auch die aus Axillarknospen sich ent- wickelnden Aeste stehen häufig ähnlich so, dass die Ver- ästelung gefiedert ist, oder die gabelig „etheilten Aeste richten sich auf: und- bilden sezipfelte Formen; selten ist der Stengel flach und die Blätter stehen entfernt von einander (z. B. Bernhardia complanata). Die Blätter sind fast immer schmal, lanzettlich, den Moosblättern ähn- lich, bei den niederliegenden Stengeln, wo sie scheinbar in zwei Reihen stehen, mehr den Lebermoosblättern ähn- lich, und ebenso auch an der untern Seite des Stengels kleiner und von verschiedener Form. Alle sind nur mit einfachem Mittelnerv versehen. Am abweichendsten ist der ganz zu einer dicken Scheibe verkürzte Stengel von Isoetes mit langen schmalen, grasähnlichen Blättern, die nach unten verbreitert scheidenartig sich umfassen. Bei einigen Lycopodien bilden sich die Axillarknospen in allen ihren "Theilen etwas fleischiger aus und trennen sich frei- willig (?) vom Stengel, um zu neuen Pflanzen auszu- wachsen als Zwiebelknospen (bulbilli). Mir scheinen die Lycopodiaceen den Moosen und Lebermoosen am nächsten zu stehen ihrer ganzen morphologischen Entwicke- lung nach, so wenig wir freilieh bis jetzt noch davon wissen. Isoetes mag eine eigne Familie gleich neben ihnen bilden, oder besser dazu gerechnet werden; auf jeden Fall genügt eine mäs- sig genaue Vergleichung, um zu zeigen, dass diese Pflanze weder den Rhizocarpeen angehört, noch auch für irgend eine nächst stehende Familie eine Vermittlungsstufe zu den Rhizocarpeen ab- geben kann. Die einzige Aehnlichkeit, weshalb man sie zu- sammenwarf, war der Umstand, dass bei beiden die Fortpflan- zungsorgane mehr nach Unten sitzen. (Mit demselben Rechte könnte man Raja Pastinaca und den Scorpion in eine Familie bringen, weil beide einen Stachel am Schwanze haben.) Als aber die Sache einmal gedruckt war, nützte es nicht viel, dass sich bei genauer Untersuchung fand, dass Isoetes mit den Rhizocar- peen auch nicht in einem einzigen Merkmal auch nur eine ent- Specielle Morphologie. Lyeopodiaceen. 8 fernte Aehnlichkeit zeigt, blos Decandolle hatte hier einen rich- tigen Blick, aber umsonst, denn Link ') z. B. hat sie noch im vorigen Jahre wieder invita natura zusammengekuppelt. $. 108. A. An der Basis der Blätter (die sich zuweilen am Ende eines weitläufg mit Blättern besetzten Astes kol- benförmig zusammendrängen und eine etwas verschiedene Form annehmen), oder seliner an einem Einschnitt der- selben (z..B. T'mesipteris) erhebt sich ein zelliges Knöpf- chen, dessen äussere Zellenlagen zur Wand der Sporen- frucht werden, dessen innere Zellen. als Mutterzellen (Sporangia) je vier Sporen erzeugen, die sich mit einer eigenthümlichen Membran, welche nur selten Warzen oder Spitzen zeigt, umkleiden, worauf die Sporangien resorbirt werden. Bei den Bernhardien sitzen die Sporenfrüchte zu zwei oder drei verwachsen auf den Spitzen der Zweige. Die reife Sporenfrucht ist rund, nieren- oder halbmond- förmig und zerreisst mit einer verticalen (z. B. Lyc. an- notinum) oder horizontalen (z. B. Lyec. inundatum) Spalte, deren Ränder oft noch in Lappen zerspalten (z.B. Lye. canaliculatum). Bei Isoetes sind die Spo- renfrüchte an der Basis des Blattes etwas eingesenkt und noch von einer herzförmigen Schuppe bedeckt. Nie ent- halten zwischen quer verlaufenden Zellenfäden kleine zel- lige Säckchen mit vielen kleineren Sporen, die die ge- wöhnliche Bildung zeigen, und andere Säckchen, welche vier grössere Sporen hegen, ‚die aus einer'mit dem ge- wöhnlichen Ueberzug versehenen Zelle und einer dieken Kruste von kohlensaurem Kalk (?) bestehen. Dass die Sporenfrüchte bestimmt Modificationen des Blatt- parenchyms sind, hat Mehl?) so unwiderleglich dargethan, als es ohne Entwickelungsgeschichte möglich war. Diese aber führt I) Filicum species in horto regio botan. berol. Berl., 1841. Ein Buch, was in allem allgemein Wissenschaftlichen hinter allen Untersuchungen der letzten zwanzig Jahre zurück ist. 2) Ueber die morphologische Bedeutung der Sporangien der mit Ge- fässen versehenen Kryptogamen, Tübingen, 1837. 8. 28. I. 6 82 : Morphologie. zu demselben Resultat. Bei Isoetes fehlen noch genauere Unter- suchungen. Bei dem ganz gleichen Bau. der grossen und kleinen Sporen scheint mir der Grössenunterschied und der Ueberzug von (wahrscheinlich) kohlensaurem Kalk, sowie die durch stehen- gebliebenes Zellgewebe etwas grössere Complication der Frucht von sehr untergeordneter Bedeutung zu seyn. Auch hier kann nur die Entwickelungsgeschichte Rath schaffen. B. Bei einiven Lycopodien kommt noch eine andere 5 car ; Fruchtform vor, nämlich abgerundet tetraedrische Früchte, die durch eine Längsspalte in zwei dreilappige Klappen sich öffnen und vier. grosse Sporen enthalten, die aus einer Sporenzelle und einer sehr derben, mit Warzen oder netzförmigen Leisten besetzten Hülle bestehen. Ihr Inhalt soll nach Bischoff‘) ein zartes Zellgewebe seyn. Diese grossen Sporen sind gewiss mit den grossen Sporen bei Isoetes identisch, und wenn ihr Inhalt wirklich schon zellig ist, nur eine weitere Bildungsstufe derselben °). $. 109. Der Stengel der Lycopodiaceen besteht aus einer ziemlich lockern Parenchymmasse, durch welche sich ein centrales, simultanes ($. 34.) Gefässbündel hinzieht. Das Gefässbündel enthält gewöhnlich die Gefässe in unregel- mässigen Strängen und Bändern zerstreut und ist meist mit einer Lage bräunlichen, diekwandigen Parenchyms um- geben. Die für Blätter und Seitenäste abgehenden Gefäss bündel ziehen sich oft lang in schräger Richtung durch 1) Die kryptogamischen Gewächse. 8. 110. 2) Die Lycopodiaceen waren bis jetzt die einzigen Kryptogamen, an welchen die Antherenmanie ihre Wuth nicht ausgelassen: Doch mit des Geschickes Mächten ° Ist kein ew’ger Bund zu flechten Und das Unglück schreitet schnell. Am 18. Januar 1842 hat Link, noch nicht zufrieden mit der Erfindung der Flechtenantheren, auch die Lycopodiaceen mit Antheren versorgt, wofür er die grösseren Sporen erklärt (Froriep’s Notizen, Bd.XVI. p. 74). Gottlob! Die Menschheit ist immer dem Fortschritt am nächster, wenn sie eine bestimmte Thorheit in systematischer Vollständigkeit durchgeführt hat. Jetzt da keine neuen Antheren mehr zu erfinden sind, wird man anfangen, das verbrauchte Spielzeug wegzuwerfen und wir müssen nur zusehen, dass nicht zuviel weggeworfen wird. Speeielle Morphologie. Yarnkräuter. 83 das Parenchyma, indem sie sich viel tiefer vom Hauptbündel trennen als da, wo sie austreten. Die Blätter bestehen aus mehreren Lagen rundlichen Parenchyms, durch welches ein Gefässbündel sich hinzieht, und sind mit Oberhaut be- kleidet, die auf beiden Seiten Spaltöffnungen zeigt. Die Wand der Sporenfrucht hat meist zwei Lagen, die äussere zeigt flache Zellen mit derben geschlängelten Seitenwänden, die innere zartwandige Zellen. Bei Lycop. inundatum zeigen die inneren Zellen dicke Ringfasern, ähnlich wie bei der Lebermoosfrucht. An den Blättern von Lycop. stoloniferum ist die Oberhaut der obern und untern Blattfläche sehr verschieden. Die der obern sind diekwandiger, und auf ihnen liegen hin und wieder lange Zellen, die nach Aussen mit zwei bis drei Reihen Warzen be- setzt sind. Die der untern Fläche sind zartwandig und ent- halten Chlorophyll; zwischen beiden liegt etwas ‘schwamm- förmiges Zellgewebe. Die Spaltöffnungen sind hier nur auf und dicht neben dem Blattnerven vorhanden. Die Ringfasern in der Kapselwand von Lycop. inundatum sind zuerst von. Bischoff ')- gesehen, der aber eine unrichtige und sehr gezwungene Erklä- rung davon giebt, welche die Ansicht eines frühern Zustandes gleich widerlegt. VI. Parnkräuter (Filices). $. 110. Bei der Keimung der Farnkräuter durchbricht die Sporenzelle die äussere Haut, bei einigen sogar an ganz bestimmter vorgezeichneter Stelle, dehnt sich in einen : längern oder kürzern Schlauch aus, dessen Einde neue Zellen bildet, die sich allmälig zu einem flachen, meist zweilappigen Vorkeim (proembryo) anordnen. Einige dieser Zellen dehnen sich nach Unten in Haftfasern aus. An bestimmter Stelle dieses Vorkeims bildet sich eine Gruppe dichteren Zellgewebes und allmälig ein kleiner eiförmiger Körper, dessen eines Ende sich zur Wurzel 1) Die kryptogamischen Gewächse:S. 109, 84 Morphologie. verlängert, das andere zur Knospe, zu Stengel und Blatt ausbildet. Der Stengel nimmt nachher zwei wesentlich verschie- dene Modificationen an, indem er sich entweder zwischen je zwei aufeinander folgenden Blättern (die bei’ ihrer Entstehung; immer dichter aufeinander folgen, als sie nach- her erscheinen) sehr in die. Länge dehnt oder nicht. Der erste kriecht meistens unter der Bodenfläche fort, so dass nur die Blätter über dem Boden erscheinen (bei Pferis aquilina), oder auf der Erde, klettert an Bäumen und Felsen empor (z. B. Lomaria scandens); der andere zeist wieder zwei Modificationen, je nachdem die Wur- zel und nachher der Stengel beständig von Unten her absterben oder nicht... Im ersten Falle erhebt er sich nicht bedeutend über der Erde (z. B. Struthiopteris germa- nica) und liegt zuweilen schief in derselben (z. B. Aspi- dium filix mas), im andern Falle wächst er (nur unter den Tropen) zu einem ansehnlichen 20 —39 Fuss hohen Stamme aus (Baumfarn, z.B. Cyathea, Dicksonia, Al- sophila u.s. w.). Fast an allen Stengeln entstehen aus dem Stengel auf eine eigenthümliche Weise Nebenwur- zeln (radix adventitia), die zuweilen den Stamm mit einem dichten Flechtwerk bekleiden (z. B. Cyathea Schansin). Die Blätter der Farnkräuter sind meist gestielt, sel- ten sitzend, meist vom Rande her lappig zertheilt (oft sehr vielfach und zierlich), sehr selten einfach ungetheilt, immer flach, mit deutlichen Gefässbündeln (Nerven, nervi), deren Verästelung mannigfaltig und elegant ist. Blatt- lose Farne sind mir nicht bekannt. Das Blatt ist meist durch eontinuirliches Zellgewebe mit dem Stengel ver- bunden, weshalb die älteren Blätter nur von Oben her bis auf den untern, härtern Theil des Blattstiels absterben, ohne abzufallen. Selten bildet eine Platte früh abster- benden Zellgewebes eine ächte Gliederung (articulatio), so dass die Blätter sich an einer bestimmten Fläche ab- lösen (z. B. Cyathea arborea). In der Continuität des- x Specielle Morphologie, Farnkräuter. & selben Blattes kommt solche Gliederung nie (?) vor und deshalb giebts bei den Farnkräutern keine ächten folia composita. Knospen in den Blattwinkeln (awilla) sind im Gan- zen selten bei den Farn, doch kommen sie vor, z. B. bei Aspidium filie mas. Deshalb ist der Stengel der Farne meist einfach, bei den baumartigen immer. Auch hier scheint noch eine gabelförmige Theilung des Stengels an der, Spitze desselben ohne Axillarknospe vorzukommen, z.B. bei Polypodium ramosum. Sowohl in den Axillar- knospen, als in der Eindknospe des Stengels sind die Blätter von den Spitzen zur Basis sowohl in ihren Lap- pen als im Ganzen schneckenförmig eingerollt (schnecken- förmige Knospenlage ,„ aestivatio circinata). Bei einigen tropischen Farn kommen in ‘den Blatt- achseln kleine, anfangs von der Epidermis bedeckte Grübchen mit eigenthümlichem lockern Zellgewebe erfüllt war. Haare und Drüsen sind bei den Farn seltner, da- gegen sind fast alle mehr oder weniger mit kleinen, schnell vertrocknenden Schüppcehen (paleae) bedeckt. Das andere Ende der jungen Pflanze entwickelt sich abwärts in den Erdboden zur Wurzel, die sich mannig- fach verästelt, bei vielen Farn aber, wie schon bemerkt, früh wieder abstirbt. Sehr häufig kommt es vor, dass sich einzelne Zellen oder Zellengruppen eines Blattes aus dem Individualitäts- verbande der ganzen Pflanze trennen und selbstständig zu einer neuen Pflanze heranwachsen. Diese jungen Pflan- zen bilden sich sowohl aus der Blattfläche, als insbeson- dere in den Winkeln der Theilungen des Blattes. Ueber die erste Entwickelung der Pflanze aus der Spore haben wir einige schöne Untersuchungen, z. B. von Kaulfuss '), doch fehlt ihnen noch viel zur Vollendung; auf die erste Entstehung der neuen Zellen ist dabei keine Rücksicht genommen. Wichtig ist aber die Beobachtung, dass sich dabei ein eiförmiges, an beiden Enden freies Körperchen bildet, dessen beide Enden I) Das Wesen der Farnkräuter u. s. w. Leipzig, 1827. 86 Morphologie. natürlich in entgegengesetzter Richtung fortbildungsfähig bleiben, ‚wodurch zuerst in der Reihe der Pflanzenformen der morpho- logische Gegensatz von Stengel und Wurzel hervortritt. Sehr mangelhaft sind dagegen unsere Kenntnisse in der weitern Ent- wickelungsgeschichte, und das Verhältniss von Stengel und Blatt, sowie die Bildung der Gabeltheilungen des Stengels und die Knospenbildung bedürfen noch genauer, gründlicher Untersuchun- gen, ohne welche wenig Bedeutsames darüber zu sagen ist. Die Morphologie von Blatt und Stengel ist, soweit sie auf die Farne anwendbar ist, von den Phanerogamen hierher zu ziehen. Höchst überflüssig nennt man meist die Blätter Wedel (frondes). Ueber die Bedeutung der Häufchen von staubartigen Zellen ') in den Achseln der tropischen Farn, welche v. Martius einmal selbst ohne den entferntesten Schein einer wissenschaftlichen Be- gründung für Antheren erklärte, wissen wir noch nichts. Wahr- scheinlich sind sie den Lenticellen der Phanerogamen (siehe unten) völlig analog. $. ıll. In allen Fällen bilden sich die Sporen in dem Ge- webe eines ächten Blattes, welches entweder ganz un- verändert sich zeigt, oder verschmälert durch Nichtaus- bildung alles oder des meisten überflüssigen Parenchyms neben den Hauptinerven. Ich nenne es das Sporenblatt (sporophyllum). Wo es wenig oder gar nicht von den gewöhnlichen Blättern abweicht, zeigt es auf seinem Rücken oder am Rande sehr verschieden geformte und vertheilte Häufchen (sori) von, Sporenfrüchten, die mei- stens ganz oder theilweise von einer bestimmt geformten Falte der Oberhaut, dem Schleierchen (indusium), ver- deckt sind. Die einzelnen Sporenfrüchte sind gewöhnlich auf einer sich etwas erhebenden Zellgewebsmasse be- festigt, die als kurzer Stiel oder als Leiste, selten als ein lang ausgezogner Stiel (z. B. bei Hymenophyllum) erscheint, und bilden sich folgendermassen. Aus dem Blattparenchym (nämlich aus jenem Stiel) erhebt sich eine 1) Vergl. darüber H. Mohl, de structura caudieis filieum arborearum. Monach., 1833. pag. ?. . 12. Speeielle Morphologie. Yarnkräuter. 87 Zelle, die sich bald in zwei sondert, eine cylindrische und eine kugelförmige. In beiden bilden sich neue Zel- len, aus jenen wird der Stiel der Sporenfrucht, diese füllen die kugelise Endzelle (capsula) an; die äussern bilden eine zellige Wand, die innern werden Mutterzellen (sporangia) für die Sporen, und nach der Ausbildung dieser , die sich bald mit einer eigenthümlichen mit Warzen oder Falten besetzten Haut bekleiden, resorbirt. Von den Wandzellen bildet sich eine Reihe, die vom Stiel aus vertical oder schief, fast rund um die Kapsel läuft, oder dem Scheitel der Kapsel näher oder ferner eine He tale Zone bildet, so aus, dass ihre innern und die sich untereinander berührenden Seitenwände sehr verdickt wer- den, die anderen Wände aber dünn bleiben. Man nennt diese Zellen den Ring (annulus); durch sein ungleiches Austrocknen bewirkt er das Aufreissen der Kapsel für den Austritt der Sporen. Bei den übrigen Farnkräutern bildet das wenige neben den Nerven sich ausbildende Parenchym in seinem Innern Gruppen von Mutterzellen und Sporen, wodurch die Blattportionen kugelig zu Kap- seln anschwellen, endlich zuweilen mittelst eines unvoll- ständigen Ringes aufspringen und die Sporen ausschütten (z. B. bei den Ophioglosseae, Osmundaceae). Die leicht zu verfolgende Entwickelungsgeschichte der Kapsel, wie ich sie nach meinen Beobachtungen, z. B. an Blechrum gracile, mitgetheilt, überhebt mich der Mühe, gegen die angeb- ae Entstehung en Kapsel aus einem eo dllien Blatt Ge turlich hier wie überall nur aus der Pine geholt) ein Wort zu verlieren. Gründlicher als meiner Meinung nach solche Phan- tasiespiele ohne wissenschaftliche Begründung verdienen, hat Mohl.') sowohl diese als die andere Ansicht widerlegt, dass das Sporophyll aus einem Blatt und einem Zweige verwachsen. sey, und mit seinem überall sich zeigendem Scharfsinn, auf Resultate eigener tüchtiger Untersuchung angewendet, die einfachste, na- türlichste und daher allein richtige Ansicht der Farnfrüchte ent- wickelt. Die förmliche Manie, Antheren bei den Kryptogamen I) Morphologische Betrachtungen über das Sporangium der mit Ge- fässen versehenen Kryptogamen. Tübingen, 1837. S. IT f. 83 Morphologie, zu entdecken, hat lange Zeit an den Farnkräutern keine Nah- rung gefunden, denn Spaltöffnungen, Gruppen ‚von Spiralzellen, mit welchen die Spiralgefässe der Blattnerven enden, das Schleier- chen und dergleichen nach und nach als Antheren angesprochen, konnten doch nicht lange genug als solche vertheidigt werden. Endlich ist man so glücklich gewesen, an‘einigen Farnkräutern in der Nähe der Kapseln einige Drüsenhaare zu finden (einige Zellen, von denen die letzte kugelig oder eiförmig etwas Gummi und Schleim enthält); auch hier ist also für die gesorgt, die gern mit Worten spielen, ohne dabei an bestimmte Begriffe zu denken, und in der glücklichen Täuschung leben, das wäre Wissenschaft. Habeant sibi. Dass besagte Drüsenhaare wirklich bei mehreren Farnkräutern und zwar grade an dem Träger der Sporenfrüchte vorhanden sind, kann ich bestätigen, aber ganz entschieden fehlen sie auch bei einer grossen Menge Farnkräuter durchaus. Mich wundert nur, dass noch Niemand bei den Pflan- zen Sinneswerkzeuge, Augen und Ohren postulirt hat, da die Thiere sie doch haben; es wäre nicht um ein Haar verkehrter, als wenn man bei Kiyptogamen durchaus Antheren haben will, blos weil sie bei den Phanerogamen vorhanden sind. $. 112. Der Stengel der Farnkräuter besteht aus einer Par- enchymmasse, welche von simultanen Gefässbündeln (S-. 34.) durchzogen ist, und wenn letztere in einem mehr oder weniger geschlossenen Kreis stehen, in Ein- geschlossenes, Mark (medulla) und Ausgeschlossenes, Rinde (cortex) unterschieden werden kann. In ihrem senkrechten Verlauf legen sie sich abwechselnd seitlich aneinander und bilden so ein Netz, dessen Maschen an ihrem .obern Theile Zweige der Bündel zu den Blättern und Aesten, wo sie vorhanden sind, abgeben; bei den baumartigen Farn verlaufen noch im Mark einzelne zer- streute Gefässbündel, die durch jene Maschen aus- und in die Blätter treten. Häufig haben die Gefässbündel eine von Innen nach Aussen flachgedrückte bandförmige oder rinnenförmige Gestalt. Die Gefässbündel sind meist von einer Scheide sehr diekwandiger und (durch Gerb- stoff und Humussäure?,) braungefärbter, langgestreckter Specielle Morphologie. Farnkräuter. 89 Zellen umgeben; auch durchziehen Bündel solcher Zellen allein den Stengel. Die Parenchymzellwände nehmen beim Absterben schnell eine hellere oder dunklere braune Farbe an. Bekannt ist der grosse Gerbstoffgehalt vieler Farnkräuter. Das Parenchym enthält häufig viel Stärke- ‚mehl, besonders die Basis des Blatistieles, z. B. bei Marattia cicutaefolia, auf einigen Südseeinseln als Nahrungsmittel dienend. In den Gefässbündeln sind poröse Gefässe mit kleinen Poren oder mit Spalten am häufig- sten, doch kommen auch zumal in den Blaitstielen ab- rollbare Spiralgefässe vor. Die Blätter bestehen selten (nur bei den Hymenophylleen) aus einer einfachen Zel- lenschicht, sonst gewöhnlich aus vielen, die zwei Lagen bilden, eine obere, . aus kurz cylindrischen auf die Blatt- fläche senkrechten Zellen und eine untere, aus lockerem, kugeligem oder schwammförmigem Parenchym. Ausser- dem sind beide Seiten mit einer ächten Oberhaut bekleidet, die an der untern Fläche stets vollkommene Spaltöffnun- gen zeigt. Die obere Epidermis besteht nicht selten aus mehreren Zellenlagen. Ueber und unter den Gefässbün- deln der Blätter kommen nicht selten isolirte Bündel von Bastzellen vor. . Die Blätter enthalten eine grosse Menge von Kalisalzen. Der Versuch, den Stengel der Farn als nur aus verwachsenen Blattstielen darzustellen, ist so ganz ohne Berücksichtigung der Entwickelungsgeschichte, also der einzig möglichen Begründung dargestellt, dass es nicht der Mühe lohnt, noch dagegen zu streiten. Die Keimung zeigt, dass die Anlage zum Stengel vor allen Blättern und Blattstielen vorhanden ist. Ueber die Ana- tomie des Stengels haben wir das schon erwähnte Werk von Mohl, welches freilich ohne seine Schuld noch viel zu wünschen übrig lässt. Auch hier fehlen lebendige Entwickelungsgeschichten. Durch eine gründliche Untersuchung derselben an einem baum- artigen Farnstamm würde sich einer der vielen Reisenden in Brasilien ein grösseres Verdienst um die Wissenschaft erworben haben, als durch ein paar tausend getrocknete neue Species, ‚die neben den 80,000, die wir schon Ten ohne Eine gründ- lich zu kennen, rem des Erwähnens werth sind. Der Ring der Sporenfrucht zeigt ganz ähnlichen Bau, wie die Zähne bei 90 | Morphologie. der Laubmoosfrucht. In: den Zellen der Fruchtwandung bei Ophioglossum und Osmunda glaube ich sehr zarte Spiralfasern gesehen zu haben. VII. Die Schafthalme (Equisetaceae). lie Die Sporenzelle der Equiseten dehnt sich in einen Schlauch aus; an einem Ende desselben bilden sich neue Zellen, die allmälig eine mehrfach gelappte flache Aus- breitung einer einfachen Zellenlage darstellen, von denen mehrere Zellen sich in fadenförmige Haftfasern ausdehnen, Vorkeim (proembryo). An einem Puncte dieses Vor- keims bildet sich ein Zellgewebsknötchen, welches sich nach Unten zu einer Wurzel, nach Oben zu einer Knospe zu Stengel und Blatt eniickeli Dieser Haupistengel stirbt aber wahrscheinlich bei den meisten bald wieder ab, statt dessen entwickeln sich aus den Axillarknospen der ersten Blätter Seitenäste, die horizontal unter dem Boden fortlaufen, nie eine grüne Farbe annehmen und deren Seitenäste erst sich zum Theil vertical erheben und über der Erde erscheinen. Alle Stengel der Equiseten sind rund, meist gefurcht und regelmässig zwischen den aufeinander folgenden Blättern in die Länge gestreckt (Stengelglied, internodium). Am Ursprung der Blätter sind die Stengel etwas zusammengezogen und brechen hier leicht ab (Knoten, nodi). Die Blätter sind klein, schuppenartig, stets in einen Quirl gestellt und mit. dem untern "Theil ihrer Ränder in eine den Stengel eng um- schliessende Scheide verwachsen. Die Axillarknospen der oberirdischen Stengel brechen merkwürdiger Weise durch dieBasis der Blätter durch und bilden auch Quirle, seltner haben sie auch wieder Seitenäste. An dem unter- irdischen Stengel strecken sich einzelne Seitenäste zuweilen nicht in die Länge, sondern ‚schwellen zwischen je zwei Blattkreisen kugelig, fleischig an und trennen sich dann leicht in ihre einzelnen Glieder und vom Stengel. Speeielle Morphologie, Schafthalme. 9 Ich selbst hatte noch keine Gelegenheit, die Keimung der Equiseten zu beobachten; die Darstellung ist nach Vaucher ') und Bischoff *). Aber beide lassen noch viel zu wünschen übrig. Es ist mir ganz unbegreiflich, wie Jemand hinschreiben kann: „es setzen sich neue Zellen an, es schieben sich neue Zellen zwischen‘, ohne die nächstliegende Frage: „wo kommen die Zellen denn her?“ auch nur zu berühren. Es ist ein Beispiel, wie schwer es ist, Beobachtungen rein wiederzugeben, denn es ist gradezu unwahr, wenn einer so erzählt; was er sah, ist nur: in einem Falle weniger, im andern mehr Zellen; das Ansetzen ‘und Zwischenschieben der Zellen stammt nur aus der Phantasie, nicht aus der Beobachtung. Zu bemerken ist noch, dass an dem primären Stengel die ersten Blattkreise fast nicht von einander entfernt sind, und dass die Ausdehnung der Stengel- glieder erst weiter nach Oben anfängt. $. 114. An den Spitzen der oberirdischen Stengel oder deren Aeste (oft an besonderen astlosen Stengeln) bilden sich mehrere dicht aufeinander folgende Blattquirle zu einem eiförmigen Fruchtstand aus. Die einzelnen Blätter (spo- rophylla) verändern sich dabei auf eine eigne Weise, indem sie die Gestalt einer meist sechsseitigen, in der Mitte auf einem Stiel befestigten Scheibe annehmen. Auf und aus der untern, innern Fläche dieser Scheibe ent- wickeln ‚sich halbkugelig sechs bis sieben Sporenfrüchte. Von ihrem Zellgewebe bilden zwei Lagen die Frucht- wandung. Die inneren Zellen werden Mutterzellen (sporangia) und jede von ihnen entwickelt auf einem deutlichen Cytoblasten eine Spore. Gleichzeitig bilden s’ch in der Mutterzelle zwei Spiralbänder, die anfänglich die innere Wand vollständig bedecken und an beiden Enden abgerundet und etwas verbreitert fest ineinander schliessen. Später werden durch Ausdehnung der Mutter- zelle die Windungen etwas entfernt. Zur Zeit der Spo- renreife zerreissen die sehr hygroskopischen Spiralbänder IN) Mem. d. Mus. d’hist. nat. Vol. X. p. 429. 2) Die kryptogamischen Gewächse S, 40 ff. 92 Morphologie. die äusserst zarte Wand der Mutterzelle, schlagen sich auseinander, bleiben aber in der Mitte an der Spore kle- ben. Die Sporenfrüchte reissen dann mit einer innern Längsspalte auf und lassen die Sporen heraus. Der ganze Fruchtstand der Equiseten ist weder morphologisch noch anatomisch durch irgend ein wesentliches Merkmal, welches etwa auch nur einen specifischen Unterschied begründen könnte, von dem Antherenstande bei Juniperus zu unterscheiden '), wenn man die eigenthümliche Ausbildung der Mutterzeilen der Sporen bei Seite setzt. Aber grade diese Eigenheit ist's auch, welche die Phantasie der Botaniker eine Zeitlang gar sehr in Contri- bution gesetzt hat. Natürlich konnten die Equiseten der An- therenmanie nicht entgehen. Da sich nichts Anderes vorfand, mussten die unschuldigen Spiralfibern herhalten, zumal da hin und wieder an denselben einige Schleimkörnchen kleben blieben. Schon 1833 hatte H. Mohl”) die richtige Erklärung gegeben, ich selbst habe oft den Entwickelungsgang, noch ehe ich Mohl’s Beobachtungen kannte, bis zu demselben Resultate verfolgt, was kinderleicht ist. Wenn nun Link) Anno 1841 noch von An- theridien spricht in einem Werke, wo man nicht nur vollständige Benutzung des vorhandenen Materials, sondern billiger Weise auch eigne, gründliche Untersuchungen erwarten dürfte, so be- neidet man einen Mann, der sich die Arbeit so leicht zu machen versteht. Meyen hat nichts darüber; in seinem System der Physiologie fehlen die Lycopodiaceen und Equisetaceen. $. 115. i Der Equisetenstengel besteht aus ziemlich lockerem Parenchym, welches durch einen Kreis von ungefähr sechs bis zehn succedanen, geschlossenen (?) ($. 34.) Gefässbündeln in Mark und Rinde geschieden wird. Be- sonders im unterirdischen Stengel werden die äusseren Rindenzellen allmälig derbwandiger und porös. Abwech- selnd mit je zwei Gefässbündeln bilden sich in der Rinde durch Zerreissung und Resorption des Zellgewebes Luft- 1) Vergl. auch Mohl, Sporang. der Kryptog. 8. 7. 2) Flora von 1833 über die Sporen der kryptogam. Gewächse S. 15 und das vorige Citat. 3) Filicum species efc. pag. 9 Specielle Morphologie, Schafthalme. 95 lücken. Eine ähnliche entsteht in der Axe des Markes. Die Gefässbündel bilden sich von Innen nach Aussen hin aus, enthalten nach Innen Ringgefässe, dann Spiralgefässe, endlich poröse Gefässe. Der zuerst gebildete Theil stirbt schon früh ab, die Zellen zerreissen und so bildet sich im Gefässbündel selbst eine Luftlücke, in welche man oft Ring- oder Spiralgefässe frei hineinragen, oder ihre Reste hineingefallen sieht. Bei den gefurchten Stengeln liegen in den hervorspringenden Leisten Bündel dick- wandiger, langgestreckter (Bast-) Zellen, zuweilen liegt eine solche Schicht unter der ganzen Oberhaut des Sten- sels (z. B. Eg. flwviatile). An den Knoten legen sich die Gefässbündel enge zu einem geschlossenen Kreis an- einander und geben von hier Zweige für die Blätter und ‚Seitenäste ab. Auch das Parenchym ist in den Knoten kleinzelliger und dichter. Die Blätter haben Ein Gefäss- bündel und auf der äussern Fläche Ein Bastbündel, zwischen beiden eine Luftlücke. Ihre freien unverwachsenen Enden sind meist, nur mit Ausnahme der mittleren Partie, aus zwei dünnen Zellenlagen gebildet, trocken und häutig. In der Mitte sind sie, wie die Stengel selbst, mit einer aus- nehmend festen Oberhaut, die deutliche, meist reihenweis gestellte Spaltöffnungen zeigt, bekleidet, deren Zellen nach Aussen meist warzenförmig verdickt sind. In den Ziellenwandungen, insbesondere in den Warzen lagert sich eine ausserordentliche Menge Kieselerde in Gestalt kleiner Blättchen ab, die man durch concentrirte Schwe- felsäure, die nur die vegetabilische Substanz zerstört, isoliren kann, die beim Glühen aber durch die gleich- zeitig vorhandenen Kalisalze zusammensintern und dann in der Asche vollständig alle Formen der lebenden Pflanze festhalten '). Die innere Lage der Sporenfruchtwand besteht aus den zierlichsten Spiralfaserzellen. Die ku- gelis angeschwollenen unterirdischen Aeste enthalten im dichten Zellgewebe Stärkemehl (?) und Oel und haben nur ganz ganz kleine verkümmerte Gefässbündel. I) Struve, de silicia in plantis nonnulla. 94 Morphologie. " Eine Eigenthümlichkeit fand ich oft an den unterirdischen Stengeln. Die die Luftlücken begränzenden, meist etwas lang- gestreckten Zellen fangen nämlich sehr spät noch einmal an, in ihrem Innern Zellen zu entwickeln. Diese drängen anfänglich einzelne Stellen in der Wand der Mutterzelle blasig in die Luft- lücke hinein, später dehnen sie sich völlig kugelig aus, schnüren sich ab und füllen so die Luftlücke zum Theil wieder mit lockerm, kugeligem Zellgewebe aus. Ich kann noch nicht ent- scheiden, ob dies krankhaft oder gesetzmässig. ist. B. Geschlechtispflansen (Plantae samicae). $. 116. Die Geschlechtspflanzen charakterisiren sich sogleich als eine zusammengehörige, grosse Abtheilung der Pflan- zen durch den eigenthümlichen Process bei der Bildung eines neuen Individuums und der dazu noihwendigen dop- pelten, wesentlich verschiedenen Organe. Erstens ent- wickeln sie mit einer eigenthümliehen Haut sich umklei- dende Zellen zu vieren in einer später resorbirt werden- den Mutterzelle (Sporangium der Agamen), die also bei ihrer vollkommenen Ausbildung frei in einem aus Zellen gebildeten Säckchen (Sporenfrucht bei den vorigen) lie- sen. Dieses Säckchen nennt man hier Staubbeutel (an- thera), die Sporen selbst aber Pollen, Pollenkörner (rollen, granula pollinis), ihre eigenthümliche Hülle, äussere Pollenhaut. Zweitens bilden die Geschlechts- pflanzen einen zellisen, eiförmigen oder länglichen, we- nigstens an der Spitze freien Körper, in welchem sich Eine Zelle so sehr vergrössert, dass sie einen Theil der übrigen zur Resorption bringt und so eine bedeutende Höhle in dem Körperchen bildet. Das Körperchen selbst nennt man Eichen (ovulum), die grosse Zelle Embryo- sack (sacculus embryoniferus). Der letztere enthält Cytoblastem, aus welchem sich (nur bei den Rhizocar- peen nicht) immer Zellen bilden, die allmälig den Em- bryosack ausfüllen, bis sie häufig vom nachwachsenden Specielle Morphologie. Geschlechtspflanzen. 95 Embryo wieder verdrängt werden. Die Entwickelung der neuen Pflanze geschieht hier so, dass sich die Zelle des Pollenkorns zu einem Schlauch ausdehnt, der durch räumliche und andere Verhältnisse begünstigt in das Bi- chen bis an den Embryosack eindringt, und dass dieses Einde des Schlauches, während das andere Ende abstirbt, neue Zellen entwickelt, die sich zur rudimentären Pflanze, dem Embryo (embryo) anordnen. Ich habe hier nur diejenigen Verhältnisse zur Darstellung ge- wählt, die von allen genauern Forschern in neuerer Zeit für die Phanerogamen zugegeben werden (über die Rhizocarpeen ver- gleiche man die specielle Ausführung). Indem ich aber die | wesentlichen Momente hervorhebe, nämlich die völlig gleiche Bildungsgeschichte und Natur des Pollens im Vergleich mit den Sporen der Agamen, die völlig gleiche Ausbildungsweise des Pollens zum Schlauch, dessen eines Ende (auf welche Weise, mag hier vorläufig dahingestellt bleiben, da wir dieses Moment grade bei den Agamen noch gar nicht kennen) neue Zellen bildet, die sich allmälig zur Pflanze anordnen, während das andere Ende abstirbt, verglichen mit der Keimung der Moose, Farnkräuter u. s. w., indem ich, wie gesagt, dieses Gleiche scharf auffasse, zeigt sich von selbst, was als Neues bei den Geschlechtspflanzen hinzukommt, nämlich das Eichen, in- nerhalb dessen die Entwickelung des einen Endes des Pollen- schlauchs zur neuen Pflanze allein vor sich gehen kann. Fassen wir nun vom Eichen die allgemein vorkommenden, also wesent- lichen Merkmale auf, nämlich die übermässige Ausbildung einer einzelnen Zelle (zum Embryosack) innerhalb eines an einem Ende freien zelligen Körperchens und den Gehalt an Cyto- blastem, aus welchem sich wenigstens bei allen Phanerogamen Zellgewebe bildet, so liegt eine kaum zu verkennende Analogie mit den Antheridien der Laub- und Lebermoose klar vor und wir haben an diesen Gebilden ein interessantes Beispiel in der Pflanzenwelt (wie sie in der Thierwelt öfter vorkommen), dass in Einer Gruppe ein bestimmtes Product der formenbildenden Thätigkeit (ein morphologisches Organ) auftritt, ohne dass sich damit zugleich dieselbe physiologische Bedeutung verbände, wie in einer andern Gruppe, und das morphologische Organ so auch zu demselben physiologischen Organ würde (vergl. auch $. 72.). Auf der andern Seite können wir aber auch, nachdem wir so das Gleiche in beiden grossen Gruppen aufgefasst haben, das von diesem Gleichartigen offenbar Abhängige als sichern Anhalts- punct für analoge Schlüsse benutzen. Haben wir einmal Pollen- ’ r 6 Morphologie, er korn und Spore identificirt, haben wir die Entwickelung des Pollenkorns und der Spore zur neuen Pflanze in den Haupt- puncten gleich gefunden, so dürfen wir auch für die unter- geordneten Puncte Gleichheit erwarten. Nun ist aber gewiss, dass bei den Agamen das eine Ende des Sporenschlauchs (z. B. bei Farnkräutern und Equisetaceen) ohne Einwirkung eines an- dern Organs neue Zellen als Grundlage der neuen Pflanze ent- wickeln könne. Ich suche daher auch bei den Phanerogamen den wesentlichsten Grund der neuen Zellen- und der darauf fol- genden Embkryobildung in der Entwickelungsfähigkeit des einen Endes des Pollenschlauchs, welche durch die Einwirkung des Embryosacks vielleicht hervorgerufen und modifieirt wird, aber weder ihm selbst noch seinem Inhalte als eigenthümlich,, oder ausschliesslich zukommt. Dadurch gewinnen wir zwar noch kei- nen Abschluss für die Natur der Geschlechtspflanzen (vergl. oben Th.I. S. 61 ff.), wohl aber eine treffliche leitende Maxime, die uns bei den fernern Untersuchungen und bei Beurtheilung der gewonnenen Resultate führen kann. So würde meine Be- urtheilung der Bildung des Embryos bei den Phanerogamen sich selbst dann rechtfertigen, wenn mir nicht auch meine entschie- denen Beobachtungen zur Seite ständen, und Meyen ‘) Recht hätte, dass sich die neuen Zellen aussen an der Spitze des Endes des Pollenschlauchs (nicht wie ich gesehen habe, im In- nern derselben) bildeten. Dieselbe Bildungsweise könnte ja auch bei den Agamen stattfinden, wie z. B. Mirbel in seiner ange- führten Arbeit über Marchantia wirklich behauptet, welche Un- tersuchungen ich freilich noch für sehr unvollständig halten muss. Dagegen dass sich die ersten Zellen des Embryos nicht inner- halb des Embryosacks bilden, während der Pollenschlauch draussen bleibt, spricht abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit, dass sich bei diesem Vorgange drei so ganz wesentlich verschiedene Formen zeigen sollten, selbst ohne an bestimmte Gruppen ge- bunden zu seyn, wie Meyen?”) nach seinen eigenen Beobach- tungen zugeben müsste, auch die aus der Untersuchung der Rhizocarpeen herzunehmende Analogie, indem sich bei diesen ohne Zweifel der Embryo aus dem Pollenschlauchende ausser- halb und kaum in unmittelbarer Berührung mit dem Embryo- sack bildet. I) Physiologie Bd. 3, S. 307 ff. 2) Z. B. Physiologie Bd. 3, S. 307 und 8, verglichen mit 310 und 3ll und noch entschiedener 319. “ Specielle Morphologie. Bhizoearpeen. 97 117 Alle Geschlechtspflanzen haben Stengel und Blätter, letztere wenigstens in den Blüthentheilen. Bei den Pha- nerogamen ist die Anthere ohne alle Frage nur ein mo- difieirtes Blatt, das Ovulum höchst wahrscheinlich ein modilieirter Stengel; für die Rhizocarpeen ist wegen mangelnder Entwickelungsgeschichte noch gar keine solche Deutung möglich. a. Plantae athalamicae. $. 118. Das Charakteristische für diese Gruppe und das Un- terscheidende von den Phanerogamen ist, dass hier sich Eichen und Pollen unvereinigt von der Pflanze tren- nen, dass erst später die schlauchförmig ausgedehnte Pollenzelle in das Eichen eintritt und sich dann in Binem Vegetationsact zur vollständigen Pflanze ausbildet. IX. Rhizocarpeen (Rhizocarpeae). $. 119. Bei den Rhizocarpeen trennen sich zum Behuf der Eintwickelung eines neuen Individuums zwei sehr ver- schiedene "Theile, nämlich Pollenkörner und Eichen von der alten Pflanze. Die ersteren haben den gewöhnlichen Bau, bestehend aus eimer Zelle (Pollenzelle) und der äussern Pollenhaut. Die anderen zeigen folgenden Bau: eine sehr srosse, derbwandige Zelle, sehr grosse Stärke- mehlkörner, Schleim und Oel enthaltend (der Embryo- sack), ist von einer weissen, lederartigen Hülle, die aus sehr kleinen, fast nicht zu unterscheidenden Zellen ge- bildet wird, umschlossen; diese Haut bildet an einem Ende eine Warze, Eikern (nucleus), die zuweilen noch von drei Lappen derselben Haut (bei Salvinia), oder von einer ü. 7 8 Morphologie. äh Vereinigung dieser drei Lappen zu einer an der Spitze offe- nen Hülle (bei Marsilea), einfache Eihaut (integumentum simplex), bedeckt wird. Das Ganze ist in ein zelliges Säckchen, das Eisäckchen eingeschlossen (bei Salvinie) oder von einer Schicht ganz gelatinöser, fast zusammenflies- sender Zellen umgeben (bei Pilularia und Marsilee). Die Zelle des Pollenkorns dehnt sich in einen längern (Salvinia) oder kürzern (Pilularia) Schlauch aus. Gleichzeitig entwickeln sich die Zellen des Eikerns nahe der Spitze des Embryosacks, werden deutlich unterscheid- bar und locker, füllen sich mit Chlorophyll u. s. w. und durchbrechen den Eikern, so dass sie frei hervorragen, Kernwarze (mamilla nuclei). Kommt nun ein Pollen- schlauch in Berührung mit diesen Zellen, so drängt er sich zwischen dieselben tief hinein bis. an eine Schicht kleiner grüner Zellen, die den Eimbryosack unmittelbar bedeckt (Pilulari« und Salvinie), und dehnt sich dann blasenförmig aus, indem er das ihn umgebende Zell- gewebe verdrängt, welches aber fortfährt sich zu ent- wickeln, und als ein grösserer oder kleinerer grüner Kör- per aus dem Eichen hervorragt, bei Salvinia sich in zwei seitlich herabhängende Fortsätze streckt, während bei Pilularia ein Theil der oberflächlichen Zellen sich zu langen, haarähnlichen Fasern ausdehnt. Im blasen- förmigen Ende des Pollenschlauchs entwickelt sich Zell- sewebe, welches sich zum Embryo anordnend, zuletzt mit dem einen Ende die Kernwarze des Bichens, die jetzt ein dünnwandiges Säckchen darstellt, durchbricht, welche letztere dabei die Form einer runden Scheide (Pilularia), oder einer flachen, zweilippigen Gestalt (Salvinia) annimmt. Bei Salvinia bildet der hervor- tretende Embryo einen Stiel, der sich oben in eine flache, auf dem Wasser schwimmende Scheibenform ausbreitet (erstes Blatt, cotyledon), aus deren Anheftungspunct unterhalb eines verticalen Einschnitts derselben eine schon früher angelegte Knospe sich zu einem Stengelchen, das an beiden Seiten beblättert ist und nach Unten Neben- Specielle Morphologie, Jhizocarpeen, 99 wurzeln entwickelt, ausbildet. Bei Pilularia entwickelt sich das hervortretende Ende des Embryo zu einem auf- rechten grünen Faden (erstes Blatt, cotyledon), an dessen Basis sich eine schon früher angelegte Knospe zu einem Stengel mit langen fadenförmigen Blättern aus- bildet. Der dem hervortretenden Ende entgegengesetzte Theil des Embryo entwickelt sich zur Wurzel und durch- bricht, obwohl später, die grüne, dann auch hier als Scheide erscheinende Kernwarze des Eichens. Von den entwickelten Pflanzen wachsen Pilularia und Marsilea in Sumpfboden. Ihr dünner Stengel seht horizontal fort mit verlängerten Internodien, bildet an den Seiten stets etwas unterhalb der kolbig angeschwollenen Spitze Blät- ter, die bei Pilularia fadenförmig sind, bei Marsilea aus einem langen Blatistiel (petiolus) und einer vier- lappigen Blattscheibe (lamina«) bestehen, nach Unten treibt der Stengel beständig Nebenwurzeln, verästelt sich durch Eintwickelung von Axillarknospen, und wie es scheint, auch durch gabelförmige 'Theilungen an der Spitze des Stengels. Die Salvinia dagegen schwimmt frei auf dem Wasser, ihr ebenfalls dünnes Stengelchen mit kur- zen Internodien trägt an beiden Seiten kurz gestielte, flache, eiförmige Blätter, senkt nach Unten aus den Fruchtstielen Nebenwurzeln ins Wasser, und verästelt sich wenig durch Entwickelung von Axillarknospen. Azolla, ein tropisches Geschlecht, gleicht einem zarten, auf dem Wasser schwimmenden Lebermoose. Seine Ent- wickelungsgeschichte ist noch völlig unbekannt. Als ich im Jahre 1837 ') in meinem Ueberblick der Ent- wickelungsgeschichte bemerkte, wie ich glaube, dass grade bei den Rhizocarpeen noch viel zu untersuchen sey, schwebte mir dreierlei vor, einmal die eigenthümliche, zwar von Vielen be- schriebene, damals von Keinem noch recht gewürdigte Bildung der Fortpflanzungsorgane, zweitens die unbegreifliche Lücken- haftigkeit aller bisherigen Keimungsgeschichten, und drittens eine noch vereinzelte, an Salvinia gemachte Beobachtung. In erster I) Wiegmann’s Archiv, Jahrgang 1837. Bd. 1. S; 316. x ! 100 Morphologie, En Beziehung war mir die wesentliche Aehnlichkeit der sogenannten grösseren Sporen mit dem Eichen, die der kleineren mit den Pollenkörnern der Phanerogamen hauptsächlich merkwürdig. Den zweiten Punct betreffend fiel mir auf, dass Keimung entweder die blosse Entwickelung einer schon vollständig angelegten Pflanze, des Embryo’s (bei den Phanerogamen), oder die Ausbildung einer einzelnen Zelle zu einer neuen Pflanze (bei den Krypto- gamen) bedeutet, dass man aber bei den Mittheilungen über die Keimung der Rhizocarpeen weder daran gedacht, den ent- wickelungsfähigen Embryo aufzuweisen, noch eine einzelne sporen- ähnliche Zelle in ihrer Ausbildung zur Pflanze zu verfolgen. Endlich drittens hatte ich an einem Durchschnitt eines Eichens von Salvinia, welches schon einige Zeit zum Keimen im Wasser gelegen, eine fadenförmige Zelle gesehen, welche von einem etwas seitlichen Puncte des Embryosacks schräg durch das grüne Zellgewebe verlief und noch bedeutend ausserhalb des Eichens heraushing, hier aber abgerissen erschien. Sobald ich Gelegen- heit hatte, nahm ich eine genaue Untersuchung vor und hatte bald die Genugthuung, den vollständigen Entwickelungsprocess, wie ich ihn im Paragraphen geschildert, erst an Salninia auf- zufinden und später noch mit leichterer Mühe an Pilularia zu bestätigen. Bei Salvinia ist mir mit aller Geduld doch erst dreimal gelungen, den Schnitt so glücklich zu führen, dass ich den ganzen Verlauf des Pollenschlauchs vor mir hatte. Da er schräg verläuft und das winzig kleine Eichen äusserlich keinen Anhaltspunct darbietet, muss man natürlich auf gut Glück zu- schneiden. Bei etwas weiterer Entwickelung des Eichens ge- währt aber die‘ Form der grünen Kernwarze schon Anleitung genug, um den Schnitt sicher führen zu können. Bei Pilularia dagegen ist es mir häufig gelungen, die Pollenkörner mit ihrem im Eichen schon blasenförmig angeschwollenen Schlauchende voll- ständig und unverletzt herauszupräpariren. Auch ist hier die Verfolgung der ganzen Entwickelungsgeschichte durchaus nicht sehr schwer. Gewöhnlich drängen sich hier drei bis vier Pollen- schläuche in ein Eichen, von denen aber nur einer tief eindringt und zum Embryo wird; wegen der geringen Länge des Schlau- ches sitzen die Pollenkörner selbst ganz nahe am Eichen, nach und nach verlieren sie ihre äussere Pollenhaut und erscheinen dann wie drei oder vier birnförmige Bläschen, die aus dem Ei- chen hervorgewachsen sind, wie Müller ') die Sache auch wirk- lich angesehen hat. Die Entwickelungsgeschichte von. Marsilea I) Ueber das Keimen der Pilularia globulifera in der Flora 1840. Nr. 35. Seite 545, ein übrigens vortrefflicher Aufsatz mit vielen sehr ge- nauen Beobachtungen. Speeielle Morphologie, 'Ishizocarpeen, 101 hat mir bis jetzt noch nicht zu Gebote gestanden. Was darüber von d’Esprit Fabre ‘) mitgetheilt ist, kenne ich leider nur aus Meyen’s?”) Jahresbericht, wo die Darstellung, ob durch des Ver- fassers oder des Referenten Schuld, weiss ich nicht, sehr ober- flächlich und unvollständig ist. Die grosse Uebereinstimmung des Baues mit Pilularia lässt aber erwarten, dass hier keine Abweichung im Wesentlichen statthaben werde. Zwei Puncte muss ich bei den beobachteten Entwickelungsgeschichten noch hervorheben. Wie bemerkt, kommt der Pollenschlauch nicht in unmittelbare Berührung mit dem Embryosack, da eine einfache Lage grüner Zellen die Spitze des Embryosacks dicht bedeckt. Der Embryosack hat vor der Ausbildung der Kernwarze eine sehr derbe, fast lederartige Zellenmembran, später dehnt er sich, soweit ihn die genannte Zellenschicht der Kernwarze bedeckt, halbkugelig (bei Salvinia), oder selbst zu einem längern oben abgerundeten Cylinder (bei Pilularia) aus und zeigt deshalb an dieser Stelle eine äusserst zarte Membran, die nach Unten in die unveränderte derbe übergeht. Der eingedrungene, blasig aufgetriebene Pollenschlauch bildet noch für längere Zeit einen zarten Üeberzug des sich bildenden Embryos, welcher selbst sehr spät noch an dem Puncte, wo der Pollenschlauch einge- drungen, und der sich immer daran erkennen lässt, dass die. drei bis fünf benachbarten Zellen bräunlich, wie abgestorben, erscheinen, befestigt bleibt. Man kann an diesem eingedrungenen Stück des Pollenschlauchs zwei Enden unterscheiden, das obere beim Eindringen vorangehende, geschlossen geendete, und das andere, welches sich nach Aussen in das Pollenkorn verliert. Das erstere legt sich fest an die den Embryosack bedeckende Zellenschicht, man kann es das Stengeiende nennen, das andere dagegen das Wurzelende. Im übrigen Umfange bleibt der Pollenschlauch und somit auch der Embryo völlig frei. Dicht neben dem Stengel- ende nun entwickelt sich unmittelbar da, wo seine Verbindung mit der. Zellenschicht der Kernwarze aufhört, die Knospe, die man hier als erste Seitenknospe, als Axillarknospe des ersten Blattes, oder Kotyledons ansehen kann, denn die eigentliche Terminalknospe kommt wegen ihrer engen Verbindung mit jener Zellenschicht nicht zur Entwickelung. Die Schwierigkeit dieser Parallelisirung bei dem scheibenförmigen Kotyledon von Salvinia ist nur scheinbar; wenn wir nämlich den Kotyledon von Lemna als Anhaltspunct für die Vergleichung nehmen. Die erste Seiten- knospe bildet dann fortwachsend ganz im Einklang mit so vielen Phanerogamen, z. B. dem Spargel, einen onen fortwachsen- I) Ann. des seiene. nat. 1837. Avril p. 221. 2) Wiegmann’s Archiv Jahre. 1838. Bd. 2. S. 82. 102 Morphologie, den Stengel, Rhizom (rhizoma). Bei Salvinia findet gar keine weitere Entwickelung des Wurzelendes statt, bei Pilularia da- gegen bildet sich stets an der, der Knospe entgegengesetzten Seite des Stengels unmittelbar neben der festgehefteten Wurzel- spitze eine Wurzel, die als erster Wurzelast (nicht als Neben- wurzel) anzusehen ist. $. 120. An der ausgewachsenen Pflanze bilden sich aus dem untern 'Theile des Blattstieles (Marsilea quadrifolia), oder an der Basis desselben (Marsilea pubescens, Pi- lularia) kleine Knöpfchen, die später zu einer bald lang bald kurz gestielten Frucht auswachsen, oder es ent- springt (bei Salveinia) an der Basis des Blattstiels ein kleiner ins Wasser hängender Ast, an welchem sich ähren- förmig gestelli eine Menge kleiner Früchte ausbilden. Die Frucht bei Harsilea ist fast eiförmig von zwei Seiten flach gedrückt. Eine derbe lederartige Haut, die später zweiklappis sich öffnet, umschliesst eine Höhle, die durch eine nach Oben zu unvollständige Längsscheide- wand in zwei Fächer getheilt wird, welche wieder durch Querscheidewände in fünf bis zwölf Fächer getrennt sind. Von der Gegend des Anheftungspuncts der Frucht aus verläuft an der obern, von der Längsscheidewand nicht eingenommenen Seite ein bis auf jenen Anheftungspunct völlig freier Strang selatinösen Zellgewebes, welcher an beiden Seiten fünf bis zwölf Säckchen aus gelatinö- sem Zellgewebe gebildet trägt, welche in jene Seiten- fächer hineinhängen. Durch diese Säckchen läuft fast ganz an der Aussenseite ein Strang dichten, ebenfalls gelatinösen Zellgewebes, und an diesem sind die beiden Fortpflanzungsorgane so befestigt, dass die Eichen in geringerer Zahl nur den mittleren, der Längsscheide- wand zugekehrten Theil einnehmen. Die Eichen bestehen aus einem sestielten zelligen Säckchen, welches das schon beschriebene Ovulum so umschliesst, dass der Ei- kern dem Stiel zugewendet ist, später zerreisst und das Specielle Morphologie. Bhizocarpeen. 103 Bichen entlässt. Die Antheren sind unregelmässig birn- förmige Säckchen, welche eine grössere Anzahl Pollen- körner enthalten, die aus der Pollenzelle, der äusseren Pollenhaut und noch aus einer eigenthümlichen Gallert- hülle bestehen. Die Frucht von Pilularia ist kugelrund. Die eben- falls derbe, lederartige Haut, später vierklappig aufreis- send, umschliesst eine Höhle, die durch verticale Scheide- wände in vier Fächer getheilt wird. An der Mitte der äussern Wand jedes Faches verläuft ein Strang gelati- nösen Zellgewebes, welcher auf seiner innern Seite die Antheren und Eisäckchen trägt. Letztere unterscheiden sich nur dadurch von denen bei Marsilea, dass hier der Eikern an der dem Stiele gegenüberstehenden Seite liegt. Auch hier. zerreisst das Eisäckchen und entlässt das Eichen. Die Antheren sind denen bei Marsilea sieich, den Pollenkörnern fehlt aber der gelatinöse Ueber- zug, dagegen ist ihre äussere Pollenhaut derb und mit kleinen Wärzchen besetzt. Bei Salvinia sind die Eichen und Antheren in ver- schiedenen Früchten. An jeder Achre ist eine obere, von den übrigen dichter gedrängten etwas entfernte Frucht, welche allein Eichen enthält. Die Früchte selbst sind vertical gefurcht wie eine Melone, in jeder vorspringen- den Rippe verläuft ein Luftgang, der wieder durch ho- rizontale Scheidewände abgetheilt ist; übrigens ist das die Höhle umschliessende Zellgewebe zartwandig und wird allmälig aufgelöst, ohne dass die Frucht regel- mässig aufspringt. In die Höhle ragt von der Basis der Frucht etwa bis auf die Hälfte ein nach Oben kugelig angeschwollenes Mittelsäulchen herein, welches auf seinem kugeligen Ende hier die Eisäckchen, dort die Antheren trägt. Der Stiel der eiförmigen Eisäckchen besteht aus mehre- ren Zellen nebeneinander. Die Säckchen (eine einfache Zellenschicht) umschliessen das Bichen (dessen Eikern wie bei Pilularia liegt) und reissen mit dem Eichen vom Stiel ab. Der Stiel der kugeligen Antheren besteht 104 Morphologie. aus einer einfachen Zellenreihe. Die Pollenkörner haben eine sehr dünne, glatte, äussere Pollenhaut. Axzolla ist, wie ich glaube, noch lange nicht genü- send untersucht; was man bis jetzt gefunden, lässt gar keine Beziehung auf analoge Organe bei den genannten Rhizocarpeen zu. Ich selbst habe noch keine untersuchen können und verweise für das Speciellere auf Rob. Brown") und Meyen’?’). Die Entwickelungsgeschichte der Frucht, die höchst interes- sante Resultate verspricht, ist bis jetzt ein pium desiderium. Bei Meyen haben die Rhizocarpeen in seinem System (!) keinen Platz gefunden. Soviel geht aus dem, was bekannt geworden und was ich selbst gesehen habe, hervor, dass bis jetzt für Fictionen von Verwachsungen und dergleichen noch kein Platz ist. Dagegen ist es aus der Stellung der meisten Früchte (ver- glichen mit den Lycopodiaceen) überwiegend wahrscheinlich, dass wir es nur mit einer kleinen Portion eines Blattes zu thun ha- ben, welche sich im Innern so verschiedenartig ausbildet. Des- halb hat Anthere und Eichen hier durchaus auch noch keinen andern Sinn, als den für die Geschlechtspflanzen allgemein an- gegebenen, und dass bei den Phanerogamen sich die Anthere nur aus einem Blatt, das Eichen wahrscheinlich nur aus einem Stengel bildet, ist eben dieser Gruppe eigenthümlich, aber durch- aus für den Begriff von Anthere und Eichen nicht wesentlich. Auf diese Weise jedes Wort nur auf bestimmte Definition und nicht auf trübe Schemata der productiven Einbildimgskraft be- ziehend, kann man Sicherheit und Fortschritt in die Wissen- schaft bringen und sie von dem widrigen, nicht nur unfrucht- baren, sondern auch furchtbar verderblichen Hin- und Herreden über Worte, bei denen Jeder etwas Anderes denkt, befreien. Besonders eigenthümlich scheint die Entwickelung beim Eichen von Pilularia. Hier fand ich in einigen frühern Zuständen das Eisäckchen zum Theil mit zarten, wasserhellen, kugeligen Zellen, zum Theil mit Gruppen von vier tetraedrisch_ vereinigten Zellen gefüllt, von den letztern dehnte sich eine allmälig bedeutender aus, vorzugsweise aber an Einer Gruppe, die gerade das Cen- trum des Eisäckchens einnahm, so dass diese bald den grössten Theil des Raums ausfüllte und als zukünftiger Embryosack nicht 1) Vermischte Schriften Bd. 3, S. 22, Bd. I S. 162 und Atlas von Flinder’s Voyage to terra australis, woselbst Ferd. Bauer’s schöne Ah- bildung. 2) Acta Ac. €. L. N. C. Vol. XVIII. P. 1. pag. 508. Specielle Morphologie, Ihizocarpeen. 105 mehr zu verkennen war. Alles übrige Zellgewebe scheint sich später in die lederartige Hülle des Embryosacks und die gelati- nöse des Eichens umzuwandeln, hier fehlen mir aber die Beobach- tungen. ; Ich habe die Rhizocarpeen deshalb so weitläufig behandelt, einmal weil bei den bisherigen Mittheilungen noch keineswegs die so sehr wünschenswerthe Vollständigkeit und Genauigkeit erreicht war und ich einige nicht unerhebliche Beiträge glaubte liefern zu können, dann aber auch weil ihre Stellung als ent- schiedenes Mittelglied zwischen Phanerogamen und Kryptogamen, ihre genauere Kenntniss im höchsten Grade wichtig und folgen- reich macht. ' $. 121. Der Bau der Rhizocarpeen ist im Ganzen sehr ein- fach. Der Stengel besteht aus einem centralen Gefäss- bündel mit einigen Spiralgefässen und einer Rinde, in der ein Kreis grosser Luftcanäle verläuft, die nach Aussen von einer einfachen (Salvinia) oder mehrfachen (Pilu- laria und Marsilea) Zellenschicht bedeckt sind. Die Scheidewände in den Luftgängen der letzteren bestehen aus sehr zierlichen, sternförmigen Zellen. Bei den bei- den letzteren ist das Gefässbündel in eine einfache Lage gestreckter Parenchymzellen mit bräunlichen Wänden ein- geschlossen. Das Blatt von Pilularia, der Blattstiel von Marsilea sind ganz wie der Stengel von Salvinia ge- baut, und nur noch mit einer Epidermis mit Spaltöffnungen überzogen. Die Blattscheibe von Salvinia besteht aus einer obern, mittlern und untern Zellenschicht, die von einander entfernt sind, während die dadurch entstehenden Räume durch verticale Scheidewände, deren Zellen ge- schlängelte Seitenwände zeigen, in grosse Lufthöhlen eingetheilt sind. Die obere Zellenschicht besteht aus po- Iygonen Zellen, die zwischen sich Intercellulargänge (Spaltöffnungen) haben, welche sich in die darunter lie- genden Lufthöhlen öffnen. Die obere Blattfläche ist noch mit Büscheln von Haaren aus rosenkranzförmig angeord- neten Zellen besetzt; mit etwas verschiedenen Haaren 106 Morphologie. aus cylindrischen, fadenförmig angeordneten Zellen, deren letzte zugespitzt und mit einem dunkeln Inhalt versehen ist, sind die untere Blattfläche, Stengel und Wurzelfasern bedeckt. Die Blattscheibe von Marsilea besteht (mach Bischoff) aus Parenchym mit gablig verästelten Gefäss- bündeln durchzogen und auf beiden Seiten (?) von einer mit Spaltöffnungen versehenen Oberhaut, deren seitliche Zellenwände sgeschlängelt sind, bedeckt. Die lederartige Fruchthaut der Marsilea und Pilularia besteht aus drei bis fünf Lagen senkrecht auf die Fläche gestreckter, ver- schiedenfarbiger, ungleich weiter und zugleich diekwan- diser Zellen, inwendig bei Pilularia. zunächst mit einem kleinzelligen, an den Stellen zwischen Frucht und Scheide- wand Lufthöhlen bildenden bräunlichen Parenchym, dem- nächst und bei Marsilea ausschliesslich mit einer Schicht selatinöser Zellen ausgekleidet, welche auch bei Mar- silea ausschlieslich die Querscheidewände bildet, während bei Pilularia noch eine doppelte Lage je- nes braunen, kKleinzelligen Parenchyms dieselben durch- zieht. Auch die Längsscheidewand bei Marsilea besteht aus sgelatinösem Parenchym. An ihrem obern freien Rande verläuft von der Basis der Frucht aus ein Gefäss- bündel, welches so viel Hauptäste, als Querscheidewände anstossen, herabschickt, welche Hauptäste sich etwa von der Mitte an gablig spalten und dann ganz unten viel- fach anastomosiren. Von den winzig kleinen Zellen der lederartigen Eihülle bei Pilularia sind die äussern in der obern dem Eikern näheren Hälfte liegenden Zellen etwas länger gestreckt, so dass sie eine Wulst um das Eichen bilden. Bei Marsilea sind die äusseren Zellen senkrecht auf die Fläche gesireckt, gelb und gehen unmittelbar in das einfache Integument über. Besonders bleibt hier noch die Entwickelungsgeschichte der verschiedenen gelatinösen Zellgewebsmassen zu wünschen übrig, die so eigenthümlich in vieler Beziehung erscheinen. Der zellige Strang, der bei Marsilea in der zwei bis drei Linien langen Frucht liegt und die Säckchen trägt, dehnt sich nach dem Auf- springen der Frucht durch eingesogne Feuchtigkeit zu der enor- Specielle Morphologie. Phanerogamen, 107 men Grösse eines runden, ein bis zwei Linien dicken, und vier bis fünf Zoll langen Fadens aus, das Volumen der ganzen Frucht 20—30 Mal übertreffend. Auch die Schicht gallertartiger Zel- len, welche bei Marsilea und Pilularia das Eichen umhüllen, ist eigenthümlich und verändert sich während der Entwickelung durch die Einwirkung des aufgenommenen Wassers fortwährend. Manche Einzelheiten finden sich noch bei Bischoff '). b. Plantae thalamicae. $. 122. Dreierlei ist es besonders, was die Phanerogamen von den ihnen in den wesentlichsten Verhältnissen so nahe stehenden Rhizocarpeen trennt. Erstens die Ent- wickelungsgeschichte der jungen Pflanze, indem das Ei- chen mit der Mutterpflanze noch in lebendiger Verbindung den Pollenschlauch aufnimmt, dessen entwickelungsfähiges Ende sich hier zu einer Pflanzenanlage, dem Embryo gestaltet, welcher sich dann in einem Zustande der plötz- lich gehemmten Fortentwickelung mit dem Eichen (jetzt Saame senannt) von der Mutterpflanze trennt, um erst nach einiger Zeit die Hüllen abzustreifen und sich zur vollkommenen Pflanze zu entwickeln (zu keimen). Zwei- tens dadurch, dass die physiologische Verschiedenheit der beiden Organe, Ei und Anthere, hier auch an den mor- phologischen Gegensatz von Stengel und Blatt gebunden wird. Drittens, dass die Fortpflanzungsorgane wieder (wie bei Moosen und Lebermoosen, nur in bestimmterer Absränzung) von einer Anzahl eigenthümlich modifieirter Blätter, der Blüthe (flos) umgeben werden. Ueberblicken wir nach Anleitung des bis jetzt Mitgetheilten noch einmal die ganze Staffnlkiter‘ an welcher sich die Natur bis zu den Phanerogamen emporarbeitet, so zeigt sich uns, wenn ' wir alle unbegründeten Träumereien und Phantasiespiele als un- wissenschaftlich entfernen und uns einfach an das Ergebniss un- befangener Anschauung halten, Folgendes: I) Kryptogamische Gewächse 8. 72 {f. 108 Morphologie, 1) Die Zelle ist die einfache Grundlage; sie ist ganze Pflanze, organenlos und alle physiologischen 'Thätigkeiten in sich ver- einigend. a) Allmälig sehen wir als Theile von ihr, oder dem- nächst beim Zusammentreten mehrerer Zellen, aber noch unter völlig schwankenden Umrissen, als einzelne bestimmte Zellen Organe (Sporangien) auftreten, die vorzugsweise die Bildung entwickelungsfähiger Zellen, der Sporen übernehmen. 5) Noch bleiben die Formen der zur Pflanze zusammentretenden Zellen unbestimmt, es treten aber mehrere jener Sporangien in be- stimmten Formen als Sporenfrucht zusammen, und endlich e) bei den Flechten wird die Spore als, selbstständiges Organ durch den hinzukommenden eigenthümlichen Ueberzug vollendet. (Die Charen stehen hier noch unerklärlich.) 2) Die Natur schreitet fort, indem sie die Zelle zu bestimmt festzuhaltenden. Grundformen, und zwar Stengel und Blatt zu- sammentreten lässt, daneben behält sie die Sporenfrucht bei, die sie in höchster Complication entwickelt, und versucht noch die Bildung eines neuen Organs wesentlich aus einer grossen in einen zelligen eiförmigen Körper eingeschlossenen Zelle bestehend, ohne diesem zur Zeit noch eine bestimmte Function beizulegen. We- der dieses, noch die Sporenfrucht stehen aber in einer bestimm- ten Beziehung zu Stengel und Blatt (doch ist hier noch die bedeutende Lücke in der Beobachtung). Endlich werden noch die Sporenfrucht und jedes andere Organ von stufenweis be- stimmten modificirten Blättern umgeben, Blüthe. (Moose und Lebermoose.) 3) Durch Lycopodiaceen, Farnkräuter und Equisetaceen wird die Sporenfrucht immer bestimmter an das Blatt geknüpft, und das Sporophyll immer schärfer zu einer eigenthümlichen Modi- fication (der phanerogamen -Anthere) fortgebildet. Bei der höch- sten Vollendung, bei den Equisetaceen, scheint der physiolo- gische Gegensatz von Blatt und Stengel, der sich bei Lycopo- diaceen und Farnkräutern vollständig entwickelt hatte, wieder zurückzutreten... Bei allen dreien lässt die Natur das zweite bei den Moosen erwähnte Organ vorläufig wieder fallen. 4) Dies nimmt sie aber bei den Rhizocarpeen wieder auf, knüpft eine bestimmte physiologische Function daran; es wird zum Ovulum und die Sporenfrucht zur Anthere; Blatt und Stengel als morphologisch und physiologisch verschiedene Organe bleiben, aber ohne dass jene beiden der Fortpflanzung dienenden Organe bestimmt an sie vertheilt wären (abermals grosse Lücke in der: Beobachtung). 5) Bei den Phanerogamen endlich nımmt die Natur alle ein- zelnen nach und nach entstandenen und allmälig ausgebildeten Elemente wieder auf und vereinigt sie zur led Pflanze. Specielle Morphologie, Phanerogamen. 109 Blatt und Stengel, morphologisch und im Allgemeinen auch physiologisch gesondert, bilden die ganze Pflanze. Der Stengel entwickelt sich an bestimmter Stelle zum vollendeten Ei mit bestimmter Function, ebenso das Blatt zur vollendeten Anthere, beide werden von bestimmt modificirten Blättern umgeben als vollendeter Blüthe. Nun bleibt aber unter beständiger Beibe- haltung des Wesentlichen ein weiter Spielraum. für reiche Formen- entwickelung dieser einzelnen Theile, wobei selbst einzelne frühere Stufen bei einzelnen Organen hin und wieder noch einmal auf- treten, z. B. der blattlose Stengel flach bei Lemna, massig bei Melocactus, das Sporophyli des Farnkrauts bei Cyacadeen, viel- leicht selbst die Entwickelung der Anthere aus einem Stengel- organ (2) bei Caulinia fragilis, die Equisetenstengel mit Blatt- function bei Casuarina, Ephedra, Cacteae u. s. w.'). Ich habe hier nur die Hauptmomente festgehalten, um.den Ueberblick nicht zu erschweren, es liesse sich aber noch man- ches Andere auf gleiche Weise durchführen. Bei den Moosen z. B. entsteht der Stengel, als nach einer Richtung begränztes Organ, bei den Farnkräutern u. s. w. wird er nach zwei Rich- tungen begränzt, als Stengel sensu stricto und Wurzel, bei bei- den noch ohne Beziehung auf die beiden Enden des Sporen- schlauchs. Diese Beziehung tritt erst bei den Rhizocarpeen auf und wird bei den Phanerogamen so. vollendet, dass ohne Aus- nahme aus dem eindringenden geschlossenen Ende des Pollen- schlauchs der Stengel, aus dem entgegengesetzten die Wurzel wird. Uebrigens überlasse ich die specielle Begründung des im Pa- ragraphen Gesagten dem Folgenden, und bemerke nur noch einmal, dass alles von Stengel und Blatt Vorkommende, soweit es das schon früher Erwähnte erlaubt, auch für die übrigen Angiosporen gilt. 1) Ich bitte hier ausdrücklich, mich nicht der Narrheit zu bezüch- tigen, als glaubte ich mit Gesagtem einen absonderlich tiefen Blick in die geheime Werkstatt der Natur gethan zu haben, um durch solche prätendirte Weisheit, wie das wohl in unsern Tagen geschehen, ein an- gebliches System zu begründen, welches die Entdeckungen vielleicht schon des nächsten Tages wieder über den Haufen werfen. Ich habe hier nur, wie wir so oft in unserer menschlichen Beschränktheit an solche Hülfsmittel gewiesen sind, durch eine bildliche Veranschaulichung den Ueberblick er die ganze Formenreihe erleichtern wollen. Es für etwas mehr zu halten, dagegen schützt mich die gesunde Klarheit, die ich der Philosophie netnas re Fries verdanke, aus dessen Locik ich eben soviel Botanik gelernt habe, als aus allen botanischen Schriften zusammen- genommen. 110 Morphologie, X. und XI. Monokotyledonen und Dikotyledonen. $. 123. Bei der Entwickelung des Pollenschlauchs zum Em- bryo tritt eine wesentliche Verschiedenheit ein, je nach- dem sich nur ein erstes Blatt (cotyledon) aus dem gan- zen Umfange der Stengelanlage hervorbildet, oder zwei und mehrere erste Blätter, die sich auf gleicher Höhe in den Stengelumfang theilen, gebildet werden. Hierauf beruht der Unterschied der Monokotyledonen und Di- oder Polykotyledonen, womit sich noch manche wesentliche Einzelheiten verknüpfen, z. B. dass die geschlossenen Gefässbündel den ersteren, die ungeschlossenen den letz- teren eigen eind. Da indess die Verschiedenheit beider Gruppen bis jetzt noch sich bei zu wenig Theilen fest- halten lässt, so ist's, um Wiederholungen zu vermeiden. besser, beide zusammen als Phanerogamen nach ihren ein- zelnen Organen abzuhandeln. $. 124. Bei seiner Bildung erreicht jeder phanerogame Eimbryo, wie allgemein zugegeben wird, eine Stufe, wo er als ein rundes oder eiförmiges ganz gleichförmig aus Zellen zusammengesetztes Körperchen in der Höhle des Eichens erscheint, an welchem weder Organ- noch Siructur- verschiedenheiten zu unterscheiden sind. Von diesem Zu- stande als einer völlig gesicherten Grundlage auszugehen, genügt, aber bis so weit muss man auch zurückgehen, um den ausgebildeten Embryo und die ganze Pflanze zu verstehen. Dieses Körperchen bildet alle Zellen, wodurch es wächst und sich entwickelt, innerhalb seiner eignen Begränzung; es kommen keine organischen Theile von Aussen hinzu; es ist also die ganze Pflanze in einfachster Anlage. Die Mitte hört zuerst auf, neue Zellen zu bil- den, unten (wo der Pollenschlauch ins Eichen eingedrun- Specielle Morphologie, Phanerogamen, 111 sen) und oben (dem vorigen gegenüber) geht der Zellen- bildungsprocess und damit die Entwickelung, aber in ver- schiedener Weise und natürlich entgegengesetzter Rich- tung fort. Unten (Wurzelende) verlängert sich der Em- bryo in ein mehr oder weniger konisches Spitzchen, das "Würzelchen (radicula). Oben (Stengelende) zeigt sich Folgendes: Die Spitze verlängert sich in entgegengesetzter Richtung vom Würzelchen durch neue Zellenbildung, so dass die neugebildeten Zellen sich stets theils den ältern anlegen, theils als neubildende wieder die äusserste Spitze einnehmen. Mehr oder weniger unterhalb der Spitze ist eine Region, wo auch neue Zellen gebildet werden, aber so dass die neugebildeten zum Theil nach Aussen gedrängt werden; zum Theil aber als fortbildende in der Nähe des Stengels verharren. So schiebt sich von dieser Re- sion aus eine Zellgewebsmasse aus dem Stengel hervor, die entweder im ganzen Umfange am Grunde zusammen- hängend als ein ungetrenntes Organ erscheint, oder gleich am Grunde sich in zwei oder mehrere Theile theilend, als zwei oder mehrere auf gleicher Höhe stehende Or- gane sich darstellen. Durch die’ Anordnung der Zellen an der sich verlängernden Spitze wird die genannte seit- liche Region immer mehr von dem eigentlichen Herde der lebendigen Zellenbildung entfernt; vielleicht deshalb ist nach einer bestimmten Zeit ihre Bildungsfähigkeit erschöpft. Die fernere Vergrösserung ihrer Organe hängt nur noch von der Ausdehnung der schon gebildeten Zellen ab, die jedoch auch ihre Gränzen hat. So zeigen sich uns hier zwei wesentlich verschiedene Formen bildende Processe, und ihre Producte nennen wir Grundorgane der Pflanze: Stengel (caulis sens. str.) das Product der ersten, ur- sprünglichen nach einer Richtung unbegränzt fortwirken- den, bildenden Thätigkeit; Blatt (folium) das Product der zweiten, abhängigen, in ihrer eigenthümlichen Weise sich selbst begränzenden Thätigkeit. Das erste Blatt oder die ersten Blätter nennt man auch Keimblätter (coiyle- dones). Beziehen wir die Bezeichnung auf eine vom 112 Morphologie. Wurzelende nach dem Stengelende durch die Mitte des Embryos gezogene Linie '), die dann zugleich die Rich- tung für die Fortentwickelung des Würzelchens und des. ‚Stengels angiebt, so heisst der Stengel auch Axenbildung (exis), die Blätter seitliche Organe (partes laterales, appendiculares). Gewöhnlich bilden sich am Embryo ausser den Kotyledonen noch einige folgende Blätter, die man dann mit der sie tragenden Stengelanlage das Blati- federchen (plumula) nennt. Dann tritt eine Pause in der bildenden Thätigkeit ein, der Embryo ist fertig, der Saame (das sie umgebende Bichen) ist reif. An allen gewöhnlich vorkommenden Pflanzen treten uns Wur- zel, Stengel und Blatt so bestimmt anschaulich entgegen, dass ihre Unterscheidung in der Sprache viel älter ist, als jede Spur einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise der Pflanzen. Gleich- wohl hat nichts mehr die Wissenschaft verwirrt, ihr für lange Zeit alle sichere Grundlage genommen, als gerade diese drei Organe und zwar aus dem Grunde, weil man sich begnügte, dieselben aus dem gemeinen Leben anschaulich aufgefasst mit in die Wissenschaft hinüberzunehmen, und versäumte, das trübe, nach der Anschauungsweise jedes Individuums verschiedene und deshalb völlig unmittheilbare Schema der productiven Einbildungs- kraft in einen deutlichen, bestimmt aus seinen Merkmalen zu- sammengesetzten und so allgemein mittheilbaren Begriff umzu- wandeln. De Candolle beginnt: les feuilles sont, comme chacun sait, les expansions ordinairement planes et. Wozu dann eine Wissenschaft, wenn sie es zu nichts Weiterm bringt, als was Jeder ohnehin weiss? Mit den meisten Botanikern kann man gar nicht streiten, ob etwas Blatt oder nicht sey, weil sie gar nicht versuchen anzugeben, worin das Charakteristische desselben bestehen solle, z. B. Agardh, De Candolle, Link u. A. Die allermeisten werfen so irgend ein Merkmal hin, was die aller- oberflächlichste Kenntniss sogleich als ungenügend erweist, und damit gut: z. B. die flache Ausbreitung, die Knospe in der Achsel, die Athmungsfunction oder dergl. mehr. Mit Angabe dessen, was Blätter „‚ordinairement“ sind, ist gar nichts gethan, in der Wissenschaft ist gerade festzustellen, was sie nothwendig und immer sind. Für den Stengel, im Gegensatz zu Blatt und Wurzel, haben die meisten ebenfalls gar keine Bestimmung, oder 1) Die immerhin durch äussere Einflüsse veranlasst auch eine ge- bogene seyn kann. Specielle Morphologie, Phanerogamen, 113 so einen hingeworfenen Brocken, den man beifmässiger Pflanzen- kenntniss sogleich als falsch verwerfen muss, z. B. Stengel ist der nach Oben strebende Theil, die Axe der Pflanze (Kunth); was ist denn das horizontal fortstrebende Spargelrhizom, was der Blüthenstengel von Arachis hypogaea, ja was selbst der Zweig der Traueresche?® (Aehnlich bei Lindley, Link u. A.) Agardh definirt gar: Stamm ist derjenige Theil der Gewächse, von wel- chem die Blätter auszugehen scheinen und welcher in die Höhe zu wachsen scheint. Dass man keine wissenschaftliche Definition auf das Scheinen bauen kann, versteht sich für Jeden, der nicht auf jede gesunde Logik verzichtet hat, von selbst '); aber was ıst denn ein Melocactus- Stamm, von dem Blätter weder ausgehen noch auszugehen scheinen? Doch genug dieser Beispiele. Es ist so viel klar, dass wir in.der Wissen- schaft bestimmter, unveränderlicher Merkmale bedürfen, um die Begriffe auseinander zu halten, die wir als wirklich verschiedene trennen wollen, und auf der andern Seite so allgemeiner Merk- male, dass kein Glied aus der Sphäre des Begriffs ausgeschlossen wird, welches hineingehört. Durch genaue und umfassende Un- tersuchungen in. der Natur werden wir auf jene entschiedenen Gegensätze von Würzelchen und Axe, von Axe und Blatt ge- führt. Diese Gegensätze sind wirklich in der Natur gegeben; ob es zweckmässig war, die gewählten Worte an sie zu knüpfen, ist eine andere Frage. Jene Gegensätze als erste und ursprüng- liche der Entwickelung verdienen aber vor allen andern eine Bezeichnung, und Jeder weiss auf diese Weise bestimmt, woran er sich zu halten hat, wenn von Blatt, Axe, Würzelchen u.s w. die Rede ist; und das ists grade, worauf alle Möglich- keit wissenschaftlicher Mittheilung und Fortbildung beruht. Die mitgetheilte Bildungsgeschichte des Embryos, die man übrigens der Hauptsache nach schon lange kennt, ja die eigentlich schon bei Malpighi?”) zu finden ist, widerlegt hinlänglich alle ohnehin 1) Agardh meint zwar zu beweisen, dass der Stengel nichts sey als verwachsene Blätter, sagt aber doch: nicht alle Ranken sind modificirte Blätter, sondern einige sind Blumenstiele (also doch modificirte Blätter), und was dergleichen Hin- und Herreden mehr ist. Man könnte solche Leute als unschädlich bei Seite liegen lassen, wenn sie nicht bei der Menge solcher ganz gemeiner logischer Fehler, die beweisen, wie sie noch philosophisch völlig desorientirt sind, uns mit der Anmaassung ent- gegenträten, tiefe Philosophie und absonderliche, dem gewöhnlichen ge- sunden Menschenverstande vielleicht gar unerreichbare Weisheit zu be- sitzen, Diese Anmaassung aber regt, wie jede Anmaassung, zu Wider- spruch, lebhafte Gemüther auch zu derber Erwiederung an. 2) Anatome plant., de seminum generatione, Taf. 40. fig. 242. in pi- sorum semine. : 1. S 114 Morphologie, rein aus der Luft gegriffenen Fictionen über den Ursprung der Axe aus verwachsenen Blattstielen. Die Natur zeigt "zuerst ein ungetheiltes Körperchen, welches sich unmittelbar nach Oben verlängernd Axe, nach Unten Würzelchen wird. Erst aus. dieser vor den Blättern vorhandenen Axe treten Formen her- vor, die wir Blätter genannt haben, und es heisst jene Fiction . gradezu nichts Anderes, als ein existirendes Ding aus dem Zu- sammenwachsen zweier nicht existirender Dinger entstehen zu lassen. Ja damit jede Möglichkeit zu solchen Spielereien abge- schnitten würde, hatte die Natur selbst den Embryo von Cuscuta gebildet, an welchem sich, obwohl er sehr lang wird, im Embryo- leben gewöhnlich gar keine und nach dem Keimen erst sehr spät kleine schuppenförmige Blätter bilden. Die verschiedenen Abweichungen in der Form des Embryos und seiner Theile sollen übrigens später beim Saamen abgehan- delt werden. Hier kam es nur darauf an, von der Entwicke- lungsgeschichte soviel vorweg zu nehmen, als zum Verständniss und zur Begründung des Folgenden nothwendig erschien. In dem Ablauf der organischen Entwickelungen bleibt‘ es ohnehin immer misslich hineinzugreifen und den Anfang zu bestimmen; soll man mit dem Ei anfangen, weil daraus die Henne entsteht, oder mit der Henne, weil sie das Ei legt? Es wird grosse Um- sicht nöthig, um den einfachsten Eingang zu gewinnen, und Wiederholungen sind unvermeidlich, weil man der Vollständigkeit wegen den Kreis der Entwickelungen wieder in sich zusammen- laufen lassen muss. $. 125. Nach kürzerer oder längerer Zeit der Ruhe beginnt die Entwickelung des Embryos zur Pflanze (das Keimen), wobei er die Hülle des ihn umgebenden Saamens abstreift. Derselbe Process, der die Ausbildung des Embryos be- wirkte, setzt sich nun wieder fort; das Würzelchen verlän- gert sich zur Wurzel, verästelt sich und die Axe verlängert sich auf die angegebene Weise und schiebt fortwährend ebenso Blätter hervor. So entsteht die einfache phane- rogame Pflanze. Die Axen und Blätter nehmen aber nach und nach durch verschiedene Formen und Stellungs- verhälinisse eine verschiedene morphologische Bedeutung an, bis ihre Eintwickelungsfähigkeit durch Bildung eines neuen Individuums erschöpft ist und aufhört. Aus der Specielle Morphologie. Phanerogamen. 115 Axe entwickeln sich häufig auf eine von der Bildung des Würzelchens und seiner Verästelungen sehr verschie- dene Weise Organe, die man wegen vieler wesentlicher ÜUebereinstimmungen mit der ächten Wurzel Nebenwur- zeln (rad. adventitiae) nennt. Es bleibt aber selten oder nie bei der einfachen Pflanze, sondern in den Blatt- achseln entstehen neue Zellenbildungsprocesse, die die Embryobildung aber ohne Wurzelende wiederholend, Axen - und Blatitanlagen bilden, welche man zusammen Axillarknospen nennt. Auch an der Axe entstehen unter gewissen Bedingungen solche neue Individuen, zerstreute Knospen, endlich endet jede Axe, sie mag die der ein- fachen Pflanze oder eine aus einer Knospe hervorgegan- gene seyn, natürlich mit einer Axenanlage und einer An- zahl mehr oder weniger noch unentwickelter Blätter, die man zusammen Terminalknospe nennt. So erhalten wir folgende Uebersicht der Pflanzentheile, die einzeln näher zu betrachten sind: A. Wurzelorgane. 1) Das Würzelchen und seine Entwickelung. 2) Die Nebenwurzeln. B. Axenorgane. 1) Die Axe und ihre Entwickelung. 2) Der Blüthen- boden, die Scheibe. 3) Der Eiträger. 4) Das Eichen. 5) Der Saame. ©. Blattorgane. 1) Das Laubblatt. 2) Die Blumendecke. 3) Das Kelchblatt. 4) Das Kronblat. 5) Das Honiggefäss. 6) Der Staubfaden. 7) Das Fruchtblatt. 8) Die Frucht. D. Knospenorgane. 1) Die Knospen. 2) Die horizontale Axe. 3) Der Blüthenstand. 4) Der Fruchtstand. E. Das neue Individuum, der Embryo. Der Bequemlichkeit wegen werde ich aber im Fol- genden die Ordnung etwas ändern. Es genügt, auf die aus der Natur der Pflanze hervorgehende systematische An- ordnung hier übersichtlich aufmerksam gemacht zu haben. S*+ 116 Morphologie. Ich weiss recht wohl, dass es zweckmässiger ist, Wieder- holungen vermeiden lässt, und die Anschaulichkeit erleichtert, wenn man die Pflanze, wenigstens im Wesentlichen, nach dem hergebrachten Schema: Wurzel, Stengel, Blatt, Blüthe und Frucht, abhandelt; aber es bleibt ein bedeutender Fehler aller unserer Handbücher, dass sie die complieirten Organe wie Blüthe und Frucht, die abgeleiteten wie Rhizom, Blüthenstand u. s. w. entweder gar nicht auf die Gruudorgane zurückführen, oder bei jedem einzelnen so nebenbei erwähnen, was es etwa nach seiner Natur seyn möge; dadurch wird jeder klare Ueberblick der ganzen Pflanze dem Schüler unmöglich gemacht. Eine richtige Einsicht in die Natur der phanerogamen Pflanze kann aber nur allein gewonnen werden, wenn die Zurückführung aller Pflanzen- theile auf die beiden einzigen Grundorgane der Axe und der Seitentheile an die Spitze der ganzen Betrachtung gestellt wird, so dass die Beziehung darauf schon zur Behandlung jedes ein- zelnen Theils mit hinzugebracht wird. Uebrigens sind die unterschiedenen Theile vielleicht zum Theil mit Unrecht gesondert, zum Theil nicht vollständig alle wesent- lichen Verschiedenheiten auseinander haltend, wie dafür in der spätern Ausführung Andeutungen genug vorkommen werden; ich hielt mich aber weder befugt und zur Zeit schon befähigt, eine consequente naturgemässe Eintheilung durchzuführen, und dann auch die dazu nothwendig werdende völlig neue Terminologie vorzuschlagen, noch glaubte ich, dass bei dem jetzigen Stande. der Wissenschaft dadurch schom eine wesentliche Verbesserung bewirkt werden könne, da noch so Vieles und Bedeutendes un- erledigt bleibt und daher statt einer gänzlichen Umgestaltung doch nur ein Flickwerk herauskommen würde. Wo ich glaube, dass Verbesserungen nothwendig sind, werde ich es beim Ein- zelnen anmerken. A. Wurzelorgane. a. Aechte Wurzel (radix). $. 126. Beim Keimen beginnt im Würzelehen des Embryos meistentheils von Neuem ein Zellenbildungsprocess in der Weise, dass die äusserste Zellenschicht der äussersten Spitze hinfort unverändert bleibt, dagegen unmittelbar darunter der Entwickelungsprocess beginnt, und von den Spec, Morphologie. Phanerogamen. Wurzelorgane. 117 neu entstandenen Zellen fortwährend ein Theil, fernerhin keine Zellen neu bildend, sich nach der Basis des Wür- zelchens anlagert, ein anderer Theil aber unmittelbar unter der Spitze den Entwiekelungsprocess fortsetzt, so dass Basis und äusserste Spitze die ältesten Zellen enthalten, die Spitze vorgeschoben wird und unmittelbar unter ihr steis die jüngsten und deshalb zartesten Zellen sich be- finden ; so bildet sich das Würzelchen des Embryos zur Wurzel der Pflanze aus. Aber auch unterhalb der Spitze können sich einzelne Gruppen fortbildender Zellen isoliren, die dann seitlich einen Zweig bilden, der ebenso aus der Hauptwurzei (Piahlwurzel) hervor und dann fortwächst wie diese selbst. Diese Verzweigung kann sich öfter wiederholen. Die einfachsten noch in einer Spitze fort- wachsenden Zweige nennt man Wurzelfasern (radicellae). Auf die früher geschilderte Weise bilden sich an der Wurzel Epiblema und Gefässbündel, letztere stehen stets auf dem Querschnitt betrachtet in einem geschlossenen Kreise. Bei Monokotyledonen sind es geschlossene, bei Dikotyledonen ungeschlossene Gefässbündel. Sie schliessen ein geringes Mark ein. In der Rinde bilden sich zuweilen Bastbündel, Milchsaftbehälter und Milchsaftgefässe. Die angegebenen Abtheilungen der Wurzel scheinen mir aus- reichend zu seyn, sowie die Terminologie. Die Wurzelfasern werden auch wohl jibrillae, und wenn sie nahe unter der Ober- fläche der Erde liegen, von den Gärtnern Thauwurzeln genannt. Morphologisch wesentlich ist nur der Unterschied zwischen Haupt- wurzel, als unmittelbarer Verlängerung des Würzelchens, und Wurzelast, der erst daraus hervorgegangen; physiologisch da- gegen, wie später zu erörtern, ist es nothwendig, die einfachen letzten noch fortwachsenden Enden von allen übrigen Theilen des Wurzelsystems zu unterscheiden. Dass jede Wurzel und jeder Wurzelast ein deutliches, wenn auch geringes Mark, d. h. von einem Gefässbündelkreis einge- schlossenes Parenchym habe, beweist jeder Querschnitt und Längsschnitt, den man unters Mikroskop bringt. 118 Morphologie. $. 127. Die Formenverschiedenheiten der Wurzeln und ihrer Aeste sind sehr wenig mannigfaltis und beruhen auf ihrer Richtung; Anordnung sowohl zum Stamm als auch der Aeste unter sich; übermässige Parenchymbildung an be- stimmten Stellen und Holzbildung durch die ungeschlossenen Gefässbündel bei den Dikotyledonen. Die verholzte Wurzel (caudex) ausgenommen ist keine Wurzel fähig, Blätter und Knospen hervorzubringen. Bei einem grossen Theil der Monokotyledonen, namentlich bei den Gräsern und allen denen, deren Saame mit einem Deckelchen (siehe unten beim Saamen) versehen ist, selbst bei einigen Dikotyledonen, z. B. Nelumbium, entwickelt sich das Würzelchen beim Keimen gar nicht., Ihnen fehlt also die ächte Wurzel ganz; statt dessen bilden sie sogleich Nebenwurzeln (siehe den folgenden $.). Alle Botaniker stimmten wohl darin überein, dass Alles, was sich oberhalb der Kotyledonen aus dem Blattfederchen und aus Knospen entwickelt (Blätter und die leicht zu unterscheidenden sogenannten Luftwurzeln ausgenommen) zur aufsteigenden Axe zu rechnen sey, dann aber zählte man Zwiebel, Kartoffel, Rhizom, vielköpfige Wurzel, abgebissene Wurzel u. s. w., lauter Theile, die sich oberhalb der Kotyledonen aus Knospen entwickeln, zu den Wurzeln, oder erhob ein endloses Gezänke mit lauter unerheh- lichen Gründen darüber, ob diese Theile Wurzeln seyen oder nicht — gewiss ein recht handgreiflicher Beweis, zu welchen Verkehrtheiten die Vernachlässigung der richtigen Methode und die einseitige Betrachtung einer einzelnen aus dem Zusammen- hang gerissenen Bildungsstufe führt. Die meisten jener Formen sind jetzt richtig untergebracht und nur noch wenige Botaniker halten an einem Theil des alten Schlendrians fest '). Die Richtung der Wurzel ist sehr verschieden, oft specifisch gesetzmässig; doch gehört das meiste früher hierher Gerechnete zur Axe. In ihrem Verhältniss zur Axe (s. str.) ist eine Eigen- heit interessant. Beim keimenden Embryo wird meistentheils 1) Link (Philos. botan. Ed. II. I, 361), z. B. hat noch die radix multiceps und praemorsa, beides ächte Stengel, unter den Wurzeln. Tre- viranus (Physiol. 1, 367) handelt Zwiebel und Knolle noch bei den Wur- zeln ab, Spec. Morphologie. Phanerogamen. Wurzelorgane. 119 bald die Basis der Wurzel zum festen Punct im Boden, die sich verlängernde Wurzel drängt sich daher abwärts von diesem festen Puncte durch die Erde. In seltenen Fällen bei lockerer Schlammerde mit festem Untergrund wird aber im Gegentheil die Wurzelspitze sehr bald zum relativ festen Punct, über den die sich verlängernde Wurzel allmälig die ganze Pflanze in die Höhe hebt. Man kann das zuweilen zufällig an einzelnen Sumpf- pflanzen beobachten. Den Beschreibungen nach ist dies aber wahrscheinlich die in den Oertlichkeiten begründete Ursache der Eigenthümlichkeit der sogenannten Manglewälder, an den Strom- ufern des tropischen Afrikas und Amerikas. Aehnliches kommt bei den Adventivwurzeln der Paimen vor. Die Anordnung der Aeste unter sich giebt mancherlei Ver- schiedenheiten an die Hand, die meist auf der verschiedenartigen Stellung der Aeste zur Hauptwurzel und ihrer verschiedenen Ausbildung beruhen. Die übermässige Entwickelung des Parenchyms an bestimmten Stellen bringt entweder blosse Unebenheiten der Oberfläche, im einfachsten Falle Papillenbildung, sogenannte Wurzelhaare be- . sonders in feuchtem, lockerem Boden, oder bedeutendere An- schwellungen, oben, unten, in der Mitte, oder in der ganzen Länge hervor. Bei den Georginenknollen (wenn diese überall bierher gehören) habe ich die Art und Weise dieser Verdickung genauer verfolgt und in der schon öfter angeführten Abhandlung über die Cacteen ausführlich mitgetheilt. Vielleicht sind sie wie die Orchideenknollen gar keine Wurzeln. Durch die Holzbildung wird die Wurzel der Dikotyledonen völlig dem Stamme gleich; ich werde dort das Nöthige darüber ausführen. Man kann sie dann passend mit dem sonst völiig unnützen Ausdruck caudex bezeichnen. b. Nebenwurzel (radix adventitia). $. 128. Entweder unter begünstigenden äusseren Umständen (z. B. mässige Feuchtigkeit, künstlich z. B. bei Steck- lingen, natürlich durch das Aufliegen der schwachen Axe auf dem Boden, z. B. bei sogenannten Aus- läufern) oder specifisch gesetzmässig, z. B. bei Gräsern, Pflanzen mit Luftwurzeln u. s. w., entwickeln sich auf eigenthümliche Weise aus der Axe Nebenwurzeln. Es entsteht in der Rinde dicht auf den Gefässbündeln eine kleine kegelförmige Gruppe bildungsfähiger Zellen, 120 Morphologie. die sich von den umgebenden Zellen bis auf die Basis des Kegels völlis; loslöst, und indem sie den eigenthümlichen Wachsthumsprocess der Wurzel annimmt, sich durch die Runde durch einen Weg ins Freie bahnt. Dabei drückt sie gewöhnlich den vor ihr liegenden Theil des Rinden- parenchyms zusammen, dieser stirbt ab, reisst los und bleibt auf der Wurzelspitze oft noch lange als ein kleines Mützchen kleben, z. B. bei Equisetum, Pandanus') u. s. w. Hiervon wohl zu unterscheiden ist die Mütze (calyptra) an den Nebenwurzeln der im Wasser wur- zeinden Pflanzen, z. B. Lemna’), Pistia u.s.w. Gleich bei Entstehung der Wurzel unter der Rinde trennt sich bei diesen Pflanzen noch eine den ganzen kleinen Wurzel- kegel bis auf die Basis um gobende Ziellenschicht vom Hindenparenchy; m völlig los, bleibt aber lebendig und mit der äussersten Wurzelspitze in einem lebendigen Zusam- menhang, indem hier das Zellgewebe von Wurzelspilzb und Mütze stetig in einander übergeht, Unter natürlichen Verhältnissen bleibt diese Mütze während des ganzen Le- bens der Wurzel; abgerissen erzeugt sie sich niemals wieder und die Wurzel stirbt ab. Bei einigen Schmarozern, z. B. bei Cuscuta, auch häufig bei Hedera schwillt die Rinde über der sich bil- denden Nebenwurzel zu einer Scheibe (Saugwarze, hau- siorium) an, welche, anfänglich flach an den fremden Ge- genstand sich anlegend, später durch den sich vorzugsweise ausdehnenden Rand concav wird und (ganz wie bei der Saugscheibe des Blutegels oder den Füssen der Raupe) durch einen luftleeren Raum den Schmarozer an der 1) Nach Decandolle, Ornographie vegetale Vol. II. Planche 10. Ich habe sie in unsern 'Ireibhäusern nie gesehen, 2) Hier ein schlagendes Beispiel, wie völlig sinnlos zuweilen die Terminologie ist. Die von der schwimmenden Lemna perpendiculär ins Wasser herabhängenden Wurzeln nennt man radices natantes. Man konnte ebenso gut von einem schwimmenden Anker sprechen, der bei 30 Faden Kabellänge den Seeboden noch nicht erreicht hat. So etwas kann dem schlichten Bauer- und Bürgerverstande nie einfallen, sondern nur einem Ge- lehrten, der sich durch Biicherweisheit und Stubenhockerei ganz um sein gesundes Anschauungsvermögen gebracht hat. Spec, Morphologie. Phanerogamen. Wurzelorgane, 121 Unterlage befestigl. Aus dem Grunde dieser Scheibe tritt dann die Nebenwurzel hervor und dringt, wenn es angeht, in die Unterlage ein. Bei den meisten tropischen Orchideen, bei vielen Pothos- Arten haben die Neben- wurzeln, sie mögen in der Luft oder in der Erde sich entwickeln, einen eigenthümlichen Ueberzug über ihrer ächten Epidermis (siche Th.l. 8. 233 d.) Ich nenne sie mit einem besondern Ausdruck, den sie zu verdienen scheinen, verhüllte Wurzeln (radices velatae). Wenn sich die Nebenwurzeln gesetzmässig an einer Pflanzenart an den der Luft ausgesetzten Stengeltheilen erzeugen, so nennt man sie mit einem überflüssigen Kunst- ausdruck Luftwurzeln (radices aöreae). Jede Bewurzelung einer Axe oder einer Knospe ausser dem Embryo geschieht durch Nebenwurzeln. Die Mesion dicht unterhalb einer Blattbasis scheint die Wurzel- Balkhın: zu begünstigen. Bei der Bildung: der Nebenwurzeln entwickelt sich in denselben, vom Gefässbündel des Stengels ausgehend, ein Gefässbündel; ob zuweilen auch ein Gefässbündelkreis, kann ich noch nicht entscheiden. In den wenigsten Handbüchern findet man eine nur ange- deutete, in keinem eine scharf und consequent durchgeführte Unterscheidung zwischen den ihrer Eintwiekelunesgeschichke und morphologischen Bedeutung nach so durchaus verschiedenen Wur- zeln und Nebenwurzeln. "Theorien über Function der Wurzel, . Pflanzensysteme auf Wurzelbildung gebaut, endlose Satoketen über die Ernährung, den Unlersehienl Esche Mondkotyledonen und Dikotyledonen. u. s. w., kurz eine ganze Literatur verdankt ihre Entstehung nur der Vernachlässigung dieses wesentlichen Unterschiedes. Die bei den Monokotyledonen sich leichter dar- bietende Gelegenheit, die Nebenwurzeln oft ausschliesslich an einer Pflanze zu beobachten, veranlasste Richard zur Eintheilung der Pflanzen in Endorhizae (mit Wurzeln, die aus dem Innern hervorbrechen —= Monokotyledonen) und Exorhizae (deren Wur- zeln sich durch blosse Verlängerung des Würzelchens bilden — Dikotyledonen). Dutrochet, der an einem Dikotyledonenrhizom (Stengel). die Bildung von Nebenwurzeln beobachtete, opponirte sogleich, alle Pflanzen seyen Endorhizen. Beide hatten gleich Unrecht. Decandolle entdeckte das Mützchen an den Neben- 122 Morphologie. wurzeln von Pandanus, und gleich hatten wir eine grosse Theorie der gar nicht existirenden Wurzelschwämmchen (Spongiolae ra- dicales), worunter jene Mützchen, die Calyptra der Wasserpflan- zen und die gewöhnlichen Wurzelspitzen zusammengeworfen wur- den. Hätte man nur die Hälfte der Zeit, die ans Ausspinnen solcher unhaltbaren und unnützen Hypothesen verschwendet wor- ‚den ist, auf gründliche Untersuchungen verwendet, wie ganz anders würde die Wissenschaft dastehen. Bei den meisten Pflanzen, deren Wurzel gar nicht zur Ent- wickelung kommt, z. B. bei den meisten Gräsern, bei Lemna u. s. w. kann man die Bildungsgeschichte der Nebenwurzeln schon vollständig am Embryo verfolgen, worüber später beim Saamen noch zu reden ist. Für die übrigen sind z. B. die Rhizome von Phragmites communis und Nymphaea alba, insbeson- dere aber der interessante Vorgang bei Cuscuta zu empfehlen. Die eigenthümliche Bewurzelung einiger Palmen, z. B. Areca oleracea, bei denen eine Anzahl fast auf gleicher Höhe aus der Basis des Stammes entspringender Nebenwurzeln diese Basis in gewisser Höhe über den Boden frei trägt und er- hält, beruht auf denselben Ursachen, wie bei den Manele- wäldern. Hier giebt der leichte Sandboden der Basis der Wur- zel nicht festen Anhalt genug, um ein rasches Eindringen der Spitze in die Erde zu gestatten, daher wenigstens ein Theil der Verlängerung nur ihre Basis und somit auch die Basis des Stammes von der Spitze entfernt, also aufwärts hebt, vielleicht bis die Schwere des Stammes selbst genügenden Widerhalt gtebt. Man könnte es ein organisches Beispiel von der Relativität aller gradlinigen Bewegung nennen. Ueber den anatomischen Bau der Nebenwurzeln sind noch umfassendere, vergleichende Untersuchungen anzustellen. Ge- naues haben wir bis jetzt allein von Mohl') und Mirbel’) über die Palmen. 1) De structura Palmarum. München, 1831. 2) Nowvelles notes sur le Cambium. Paris, 1839, Spee. Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane, 123 B. Axenorgane. a. Von der Hauptasxe (axis primaria) oder der Axe der einfachen Pflanze (zweiter Ordnung). %. 129. Die aus dem Embryo hervorgehende Axe heisst die Hauptaxe (Axe der einfachen Pflanze), die aus Knospen hervorgehenden secundäre Axen. Der ganzen Betrachtung der Axenbildungen müssen wir die Bemerkung voranschicken, dass alle nach spe- cifischer Bigenthümlichkeit der Pflanze bestimmt entweder nur einen Sommer (eine Vegetationsperiode, einjährige Axen) oder weniger leben, oder eine längere Dauer ha- ben (perennirende Axen). Erstere nenne ich vorzugs- weise Stengel (caulis im engeren Sinne), letztere Stamm (fruneus). Erstere leben dann wieder nur für den An- fang der Vegetationsperiode, oder nur für das Ende, z.B. blüthentragende Stengel, oder für die ganze Vegetations- periode. Vom Embryozustande an entwickeln sich an der Spitze der Axe fortwährend Blätter und zwar mit geringen Un- terschieden immer dicht aufeinander folgend, so dass zwi- schen je zwei nächsten Blättern stets nur ein sehr kurzes Axenstück (Stengelglied, Internodium) vorhanden ist. Die dieses Internodium zusammensetzenden Zellen fahren aber häufig noch fort, eine kurze Zeit lang Zellen zu bilden, bis deren genügend angelegt sind, um durch ihre blosse Ausdehnung und fernere Entwickelung die Aus- bildung des Stengelgliedes vollkommen zu machen. Bei dieser fernern Ausbildung wird nun das Stengelglied ent- weder in die Länge gestreckt und dadurch je zwei nächste Blätter von einander entfernt, oder nicht, so dass die Blätter unmittelbar übereinander stehen bleiben. Dieses bedingt den allerwiehtigsten morphologischen Unterschied in den Axenorganen, den zwischen ‘Axen mit entwickelten und 124 \ Morphologie, unentwickelten Stengelgliedern. Ausschliesslich aus ent- wickelten Stengelgliedern bestehende Axen kommen wohl nur bei Dikotyledonen vor. Bei allen Axen mit nur unentwickelten Internodien, bei allen Monokotyledonen und vielen Dikotyledonen ( wenigstens bei den ersten oder den auf das erste zuweilen entwickelte folgenden Sten- selgliedern) macht sich die Sache so, dass jedes folgende Stengelglied, statt sich in die Länge zu strecken, sich scheibenförmig in die Breite ausdehnt und zwar immer jedesmal um etwas mehr als das vorhergehende, so dass dadurch allmälig eine genügend breite Basis gewonnen wird, worauf die Axe fernerhin mit entwickelten oder unentwickelten Gliedern cylindrisch in die Höhe steigt. Dabei wächst aber natürlich auch die Basis der Terminal- knospe und diese wird ein längerer oder kürzerer, spitzer oder stumpfer geendeterKegel. Dem entsprechend sind auch die unentwickelten Stengelglieder gewöhnlich hohle auf- einander gestülpte Kegel. Doch kommen sie auch als reine Scheiben, ja selbst als concave Scheiben bis zur Becherform vor. Diese beiden Formen der Axe mit entwickelten und unentwickelten Internodien und beide nach ihrer verschie- denen Dauer können in der ganzen Länge derselben Axe öfter wechseln (noch mehr in den verschiedenen Axen der durch Knospenbildung zusammengesetzten Pflanze). Für die einzelne Pflanzenart ist diese Zusammensetzung ganz bestimmt und bedingt mit ihre Tracht (habitus). Da wo das Blatt mit der Axe zusammenhängt, Kno- ten (nodus), zeigt dieselbe häufig eine eigenthümliche Anschwellung oder Zusammenziehung,, oder beides, und zwar bald unter, bald über der Blattbasis, bald an beiden Stellen. Bei entwickelten Stengelgliedern ist es am häu- figsten, besonders wo die Blattbasis den ganzen Umfang der Axe einnimmt, oder mehrere Blätter sich vollständig in denselben theilen. Verschiedene Structurverhältnisse entsprechen dieser äussern Erscheinung und man theilt danach die Knoten ein in vollständige Knoten, wo die Spec, Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane, 125 genannte Eigenthümlichkeit stattfindet, und unvollständige, wo sie nicht stattfindet. In seltenen Fällen bildet sich an der Stelle des Kno- tens durch anatomische Verhältnisse eine sogenannte Ge- lenkbildung (articeulatio), in der Weise, dass die Axe hier leicht mit olatten Bruchflächen abbricht, oder sogar zu bestimmter Zeit sich von selbst von der Pflanze trennt, 2. B. viele: Blüthen- und Fruchtstiele. Ferner ist hier noch die schon früher gemachte Be- merkung ($. 74.) zu wiederholen, dass jeder Pflanzen- theil sich nach einer, zwei oder drei Dimensionen des Raums entwickeln kann, daher neben den langen dünnen und kurzen, dicken, fast kugeligen Axen auch. flache, bandförmige oder blattartige gleich möglich sind. Endlich ist hier noch zu bemerken, dass es nur sehr wenige Pflanzen giebt, deren Axe durchweg homogen ist, sowohl der Form (wie etwa Lemna, die ganz aus unentwickelten Stengelgliedern besteht), als auch der Dauer nach (die wenigen ganz einjährigen Pflanzen, die weder vergängliche Stengelglieder beim Keimen bilden, noch auch später nur kurz dauernde Blüthenstiele ent- wickeln, ausgenommen). Die meisten Pilanzen haben heterogene Axen, insbesondere so, dass Stengelglieder von verschiedener Form aufeinander folgen (wie fast bei jeder Pflanze), oder so, dass die Stengelglieder ver- schiedene Dauer haben (wie bei den vielen Pflanzen, wo die untern Stengelglieder einen Stamm bilden, während die obern Stengel bleiben). Wenn man nicht die grössten Schwierigkeiten in die Lehre vom Stengel bringen will, muss man durchaus sehr sorgfältig das Morphologische im engern Sinne vom Anatomischen trennen '). I) Als ein recht schlagendes Beispiel von Begriffsverwirrung er- wähne ich hier, dass Meyen in der zweiten Hauptabtheilung (Bd. 1. seiner Physiologie, die erste handelt von den Elementarorganen) unter der Ueberschrift: „Allgemeine vergleichende Darstellung der Typen, nach welchen sich die Elementarorgane zur Bildung der Pflanzen an- einander reihen“ einzig und allein vom Stamme handelt, während man Geweblehre,, Organographie, natürliches System u. s. w., nur grade das, was er giebt, durchaus nicht bei der Ueberschrift denken kann. 126 Morphologie. Der blosse Zufall, möchte ich sagen, dass man gleich die ersten Palmenstämme auch inwendig kennen lernte, hat viel Nachtheil für die Wissenschaft gehabt. Ohne alle Anatomie unterscheidet sich der Stamm von Drac«ena wesentlich von dem Stamme von Calamus, und zwar ganz auf dieselbe Weise, wie der Stamm von Carica sich von dem Stamme von Aeseulus unterscheidet. Ob und welche anatomische Verschiedenheiten (ausser dem all- gemeinen Unterschiede zwischen Mono- und Dikotyledonen, der hier immer vorausgesetzt wird) mit dieser wesentlichen For- mendifferenz zusammenhängen, ist später auszumachen. Aus derEintheilung in einjährige und perennirende, in entwickelte und unentwickelte Stengelglieder, gehen vier Formen hervor, für welche leicht die Beispiele in der Pflanzenwelt zu finden sind, z. B. lauter entwickelte Stengelglieder, einjährig Cannabis, peren- nirend Aesculus; lauter unentwickelte Stengelglieder, einjährig Myosurus (mit Ausnahme des Blüthenstiels), perennirend Melo- cactus. Ebenso würde es nicht schwer seyn, für die Combination dieser Formen an derselben Pflanze, ja selbst für alle möglichen Combinationen, die entstehen, wenn wir die einjährigen Stengel- glieder noch, wie oben geschehen, nach verschiedener Dauer dreifach eintheilen, Beispiele zu finden. Der Stengel von Avena sativa beginnt mit einem entwickelten, früh absterbenden Stengelglied, dann folgen mehrere immer breiter werdende un- entwickelte Stengelglieder, dann folgen wieder entwickelte Stengel- glieder. Beide letztern dauern die ganze Vegetationsperiode, dann folgen entwickelte Stengelglieder des Blüthenstandes nur das Ende der Vegetationsperiode dauernd. Bei Zea mais be- ginnt der Stengel mit einem entwickelten bald absterbenden Stengelglied, dann folgen unentwickelte Stengelglieder, dann folgen entwickelte, beide die ganze Vegetationsperiode dauernd, dann folgen wieder die unentwickelten des weiblichen Blüthen- standes nur das Ende der Vegetationsperiode lebend. Chamae- dorea schiedeana beginnt mit unentwickelten Stengelgliedern, dann folgen entwickelte, beide perennirend. Nuphar luteum beginnt mit einem entwickelten Stengelgliede, welches bald wieder ab- stirbt, dann folgen unentwickelte perennirende Stengelglieder, | dann ein entwickeltes, nur für das Ende der Vegetationsperiode auftretendes als Blüthenstiel. Lilium candidum beginnt mit un- entwickelten Stengelgliedern, die perenniren, dann folgen ein- jahrige, entwickelte Stengelglieder u. s. w. Diese Beispiele lies- sen sich leicht vermehren und vervollständigen. Einige Formen sind für bestimmte Pflanzengruppen charakteristisch, z. B. Stämme mit entwickelten Stengelgliedern bei den Cupuliferen, Stämme mit entwickelten Stengelgliedern bei den rohrartigen Palmen, mit unentwickelten Stengelgliedern bei den übrigen Palmen, Spec, Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane 127 Stengel mit entwickelten Stengelgliedern bei den meisten Gräsern u. s. w. Ebenso sind gewisse Combinationen charakteristisch, z. B. perennirende und unentwickelte Stengelglieder mit ein- jährigen entwickelten bei allen (?) Liliaceen. Viel häufiger aber sind bestimmte Formen und Combinationen einzelnen Geschlech- tern und Arten eigenthümlich. Bis jetzt ist noch viel zu wenig auf dieses Verhältmiss der eigenthümlichen gesetzmässigen Folge von entwickelten und unentwickelten Stengelgliedern an derselben Axe geachtet, insbesondere ist die merkwürdige Eigenheit man- cher Arten und Geschlechter, beim Keimen zuerst ein entwickeltes Stengelglied, welches bald wieder abstirbt, und darauf unent- wickelte zu bilden, gänzlich übersehen. Beispiele hierfür liefern sehr verschiedene Pflanzen, Zea mais, : Avena sativa, Briza mazxima, Phormium tenax, Nymphaea, Nuphar etc. Häufig pflegt bei den Axen mit unentwickelten Stengelgliedern, zumal öfter, wenn schon der Anfang durch ein entwickeltes Stengelglied ge- macht ist, das Absterben der einzelnen Glieder von Unten auf allmälıg fortzuschreiten, weshalb die Axe, auch wenn sie peren- nirt, nie eine bedeutende Länge erreicht, z. B. bei Jris, Zwie- belgewächsen und den meisten unterirdischen Axen (Rhizoma) mit unentwickelten Internodien. Ich muss hier aber noch etwas genauer auf die Bildungs- geschichte dieser Formen der Axe eingehen. Es ist schon oben ($. 78.) erwähnt, wie jede Form nur aus der Anordnung der neu entstandenen Zellen und deren späterer Ausdehnung hervor- gehen kann. Hierauf beruht nun auch alle Axenbildung. Im Embryo ist das obere Ende, aus welchem sich die Axe ent- wickelt (die Terminalknospe) mehr oder weniger einer Halbkugel oder einem stumpfen Kegel ähnlich. In diesem Theile geht hauptsächlich die Neubildung vor sich und er behält im Ganzen stets seine Form bei. Nur gewinnt er natürlich bei den Axen mit unentwickelten Stengelgliedern, wenn sie sich sehr in die Breite ausdehnen, eine grössere Basis, und wird dann nach specifischer Kigenthümlichkeit bald kürzer und stumpfer (die meisten unterirdischen Axen), bald länger und spitzer (z. B. die meisten Palmen). Zwar ist nun der hier vor sich gehende Bil- dungsprocess noch keineswegs so genau erforscht, wie es nöthig wäre, aber es ist doch auch so schon Manches ziemlich klar zu erkennen. Ein nur etwas geübtes Auge erkennt nämlich leicht die Stellen in einer Pflanze, wo ein lebhafter Zellenbildungs- process vor sich geht, an der scheinbaren Structurlosigkeit der gelblichen sulzigen Masse (erstes Stadium); die Stellen, wo eben der Zellenbildungsprocess aufgehört hat, an dem zwar deut- lichen zarten Zellgewebe (mit mehr homogenem Inhalt), welches aber noch ganz von Saft durchdrungen ist (zweites Stadium), endlich 125 | Morphologie. das Zellgewebe, welches schon älter geworden ist, an dem sehwärzlichen Schein, der dadurch hervorgerufen wird, dass be- reits alle Intercellulargänge saftleer geworden, nur ne Luft führen (drittes Stadium). Wenn man diese Puncte ins Auge fasst, kann man an den meisten Axen ziemlich leicht die Ent- ehe der Formen verfolgen. Die Anordnung des Zellgewebes wirkt ausschliesslich im ersten Stadium und zwar höchst wahrscheinlich bedingt 1) durch die Anordnung der Brutzellen in den Mutterzellen. Liegen sie meist linienförmig in der Längsaxe des Stengels, so wird ein gestrecktes Stengelglied vorbereitet, liegen sie meist nach den Ecken des Tetraeders, ein unentwickeltes Stengelglied; liegen sie endlich meist in einer Fläche, so kann diese Fläche senkrecht auf der Axe stehen, dann werden sich die Stengel- glieder sehr in die Breite entwickeln, oder sie können parallel der Axe liegen, dann bildet sich eine von zwei Seiten flach ge- drückte Axe. 2) Durch die Form des Processes selbst, indem dieser an gewissen Stellen früher aufhört als an andern. A. Der erste hier festzuhaltende Unterschied ist der zwi- schen Monokotyledonen und Dikotyledonen überhaupt, auf dem die Eintheilung in geschlossene und ungeschlossene Gefässbündel beruht. Bei den Dikotyledonen hört nämlich der Zellenbildungs- process an bestimmten Stellen, nämlich an der Aussenseite der Gefässbündel niemals auf, weshalb die einzelnen Stengelglieder, so lange sie überhaupt leben, beständig in die Dicke wachsen, während bei den Monokotyledonen dieser Zellenbildungsprocess regelmässig von Unten nach Oben aufhört und daher eine Ver- dickung des einzelnen Stengelgliedes unmöglich ist, die Ver- dickung der Axe selbst aber nur successiv durch das immer breiter Werden der sich folgenden Stengelglieder (wie unter D weiter entwickelt ist) erreicht werden kann, und daher, wenn er cylindrisch in die Höhe steigt (sey es so wie unter B, oder wie unter D dargestellt ist) sich fernerhin nicht mehr verdickt. Hier bleibt freilich eine Ausnahme stehen, nämlich die in der Dicke zunehmenden Dracaena-Arten und wahrscheinlich auch die Cucifera thebaica und ähnliche zweigbildende Monokotyledonen mit unentwickelten Stengelgliedern. Für diese fehlt es aber noch ganz und gar an aller. genauen Entwickelungsgeschichte ') und es lässt sich. daher noch gar nichts darüber sagen. I) Gaudichaud’s recherches sur lorganographie, la physiologie et l’organogenie des vegetaux, Paris 1841 ist so über alle Beschreibung oberflächlich und leichtfertig gearbeitet (vergl. meine Recension in der neuen Jenaer Lit. Zeit. 1842), dass ich sie auch in diesem Punct unmög- lich berücksichtigen kann. Spec. Morphologie. Phanerogamen, Axenorgane.. 129 B. Schreitet der Bildungsprocess regelmässig von Unten nach Oben fort, indem immer eine bestimmte Fläche der Basis auf- hört, Zellen zu bilden, so bedingt er eine cylindrisch aufstei- gende Axe. Bei 'gestreckten Stengelgliedern ist dies immer der Fall, daher lässt sich jedes Stengelglied durch zwei Schnitte rein von der Axe trennen. C. Hört der Zellenbildungsprocess an einzelnen Stellen des Umfangs etwas früher auf als an andern, so bilden sich Axen mit hervorspringenden Kanten, z. B. dreischneidige, vierkantige u. s. w. Am auffallendsten ist dieses Verhältniss, wenn der Bildungsprocess von zwei Seiten her sehr bald aufhört, so dass dadurch ein zweischneidiger Stengel gebildet wird, der oft eine völlig dünne Platte darstellt und häufig für ein Blatt gehalten wurde, weil man ganz verkehrter Weise die Dimensionsverhält- nisse im Raum mit unter die Merkmale einzelner Organe auf- nahm. Beispiele geben am schönsten Ruscus und Phyllanthus. D. Dauert er länger im Umfange als in der Mitte, so er- giebt sich Folgendes. Bei der gewöhnlichen Kegelform der Terminalknospe findet in diesem Falle der Zellenbildungsprocess nicht im ganzen Kegel, sondern stets nur in einem Kegelmantel statt, so dass die ganze freie Fläche des Kegels die jüngsten Zellen enthält, der ganze Kern des Kegels die älteren. Hier steigt auch die Axe gewöhnlich cylindrisch in die Höhe, aber nicht durch gleichsam aufeinander gelegte Scheiben (wie bei A), sondern durch aufeinander gesetzte Kegelmäntel. Jedes neue Stengelglied ist selbst ein solcher Kegelmantel und lässt sich daher wicht durch - einen senkrecht auf die Axe gerichteten Schnitt abschneiden, sondern nur durch einen einer Kegelfläche folgenden Schnitt herauslösen. Dauert hier in dem folgenden Stengelgliede der Zellenbildungsprocess etwas länger als im vorhergehenden, so entsteht ein längerer Kegelmantel, der also auch über die Basis des vorigen, die eigentlich frei werden sollte, hinausgreift, und das neue Stengelglied wird im Verhältniss zum vorigen breiter, oft so viel, dass die freien Ränder der sich folgenden Stengelglieder, statt in einer verticalen Cylinderfläche zu liegen, eine horizontale Kreisfläche bilden (z. B. sehr schön bei Melocactus zu beobachten), oder ‘bei minderm Grade des Ueberragens in einer nach Unten convexen Halbkugelfläche lie- gen (wie z. B. bei den meisten Stengeln, die ziemlich dick und dauerhaft sind, sich an dem ersten oder auf das erste folgenden Stengelgliedern zeigt, z. B. Zea mais u..a.) E. Am auffallendsten endlich werden die Formen, wo der Zellenbildungsprocess grade umgekehrt wie bei D am Rande früher aufhört als in der Mitte; seltner trifft dies ein einzelnes Stengelglied, gewöhnlich mehrere sehr kurze, unentwickelte, die u. 9 50 4 Morphologie, zusammen fast nur eine Scheibe ausmachen, zugleich. Hat sich nämlich anfänglich eine ‘Scheibe oder ein stumpfer Cylinder- mantel gebildet und der äusserste Rand hört auf, fortbildungs- ‘ fähig zu seyn,‘ordnen sich ferner die in der Mitte neu ent- standenen Zellen noch fortwährend flächenförmig an, so wird der Rand anfänglich noch ‘durch Ausdehnung seiner Zellen etwas nachkommen können, bald aber hört dies auf und er muss sich erheben, indem die Mitte sich allmälig zu einer hohlen Form entwickelt, auf dieselbe Weise wie eine Bleischeibe hohl wird, wenn man durch Hammerschläge nur ihr Inneres, nicht ihren Rand ausdehnt. Je nachdem der Zellenbildungsprocess nun län- gere oder kürzere Zeit anhält, rascher oder langsamer vor sich geht und je nachdem die Anordnung der neu hervorgehenden Zellen sich längere oder kürzere Zeit auf dieselbe Kläche be- schränkt, werden die hohlen Formen sehr verschieden ıeyn. Von den noch convexen Stengelgliedern, welche die Blüthen tragen: bei Anthemis, durch die flache Scheibe bei Helianthus, ‚durch die concave Scheibe bei Dorstenia, bis endlich zur länglichen, oben fast geschlossenen Becherform bei Ficus finden wir fast alle möglichen Uebergänge; ebenso von den convexen die Frücht- chen tragenden Stengelgliedern bei Potentilla, durch die Becher- form bei Rosa bis zur völlig geschlossenen und mit den Frücht- chen verwachsenen bei Malus und Pyrus. Für die Klarheit der Anschauung mache ich noch besonders darauf aufmerksam, dass bei all diesen hohlen Formen der tiefste Punet im Innern der Höhlung dem äussersten Terminaltrieb entspricht, also zwar mathematisch tiefer, aber organisch höher an der Axe liegt als die innern Wände der Höhle, als der Rand; so sind die tiefsten Blüthen in der Feige die jüngsten, wie die innersten bei He- lianthus, die obersten bei Anthemis, ebenfalls die tiefsten Car- pelle in der Rosenfrucht die jüngsten Blattorgane, die am Rande stehenden Blumen und Kelchblätter die ältesten. Ebenso endlich stehen die untersten Carpelle im Granatapfel organisch höher an der Axe, als die oberen grösseren Carpelle. Man muss sich hier durchaus nicht durch den Widerspruch zwischen geometri- schen Raumbestimmungen und den organischen Verhältnissen irre machen lassen und scharf diese Eigenheit auffassen. Man sieht nur gar zu leicht so manchen Schriftstellern an, dass ihnen . dieses Verhältniss nie deutlich geworden ist, und deshalb bleibt ihnen auch so vieles Andere in Blüthenstand und Blüthen- bildung unklar und als seltsame Eigenheit stehen, was doch bei richtiger Auffassung sehr einfach und natürlich erscheint. Es findet aber dies Verhältniss zwar am auffallendsten, aber keines- wegs ausschliesslich bei den Stengelgliedern in der Nähe der Blüthentheile statt, sondern kommt auch sonst vor, z. B. bei Spec, Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane.. 131 Melocactus, Echinocactus, Mamillaria u. a., wo stets das Ende der Axe eine Trichter- oder Becherform zeigt und die Terminal- knospe auf dem Grunde derselben viel tiefer als die zehn und mehrere vorhergehenden Stengelglieder steht. Im zweiten oben unterschiedenen Stadium kann nur die all- seitige gleichförmige Ausdehnung der im vorigen Stadium ge- bildeten Zellen wirken, da, noch ganz von Feuchtigkeit durch- drungen, die Zellen auch ziemlich allseitig ernährt werden müs- sen. In dieser Periode kann sich daher wohl das Volumen, nicht aber Form und Verhältniss ändern. Im dritten Stadium endlich tritt ausschliesslich die Ausdehnung der vorhandenen Zellen als Form gebend auf. Meistentheils ist aber wohl hier die. Ausdehnung der Zellen ihrer Art nach schon durch die erste Bildung im ersten Stadium bedingt (vergl. $. 78.), indem die Zellen in den Richtungen, in denen sie sich in der Mutterzelle berührten, auch sich inniger verbinden, in andern Richtungen also lockerer zusammenhängend auch weniger den Säftedurchgang uud somit die Ernährung erleichtern werden. Insbesondere ist es freilich, soweit jetzt noch unsere mangel- haften Beobachtungen reichen, nur die Längenausdehnung der Zellen in der Richtung der Axe, welche wesentlich die Form der entwickelten Stengelglieder bedingt und bewirkt; ins- besondere finden wir sie daher auch mit den im ersten Stadium unter A. erwähnten Verhältnissen verbunden. Misst man die Länge der Zellen in einem Stengelgliede (z. B. bei Arundo Donax), welches eben in das dritte Stadium eingetreten ist, und nachher die Zellenlänge eines ausgewachsenen Stengelgliedes, so findet man bald, dass diese Zellenausdehnung vollkommen ge- nügt, um den Längswachsthum des ganzen Stengelgliedes zu erklären. Da sich indess die Zellen ungleich ausdehnen, muss man am ausgewachsenen Stengelgliede nur die mittleren Zellen messen, bei den obern Zellen würde das Resultat zu klein, bei den untern zu gross ausfallen. Alles in diesem Paragraphen Angeführte und weiter Ent- wickelte bezieht sich allerdings zunächst auf die Axenbildungen der einfachen Pflanze (zweiter Ordnung), an welcher alle er- wähnten Verhältnisse vorkommen können und in der Natur wirk- lich vorkommen; es findet aber auch seme Anwendung auf die- jenigen einfachen Pflanzen, welche als Knospen an einer andern entstanden sind, mögen diese nun sich trennen und selbstständig fortleben, oder mit der Pflanze, an der sie entstanden sind, verbunden eine zusammengesetzte Pflanze darstellen. Dabei zeigt es sich nun aber wieder, dass so wie an der einfachen Pflanze jedes einzelne Stengelglied für sich unabhängig zu einer besondern Form sich entwickeln kann, noch mehr die Axen der g* 132 - Morphologie, einfachen Pflanzen in ihrer Combination zur zusammengesetzten Pflanze von einander unabhängig sind und ganz verschiedene Formen annehmen können, deren Combinationen dann wieder für Pflanzen und Pflanzengruppen specifisch bestimmt sind. In dieser ganzen Darstellung habe ich übrigens nichts weiter geben wollen und können, als eine ganz allgemeine Andeutung über den Gang, den die Natur hier zu nehmen scheint; so vielfache Untersuchungen ich auch über diesen Punct gemacht habe, und ich glaube sie reichen hin, um das Mitgetheilte vor- läufig zu rechtfertigen, so müssen doch noch weit umfassendere und gründlichere Untersuchungen in dieser Beziehung angestellt werden, ehe diese Lehre einigermaassen zu einem Abschluss kommen kann. Mir ist bis jetzt noch keine einzige einiger- maassen tief eingehende Entwickelungsgeschichte auch nur irgend einer Axe bekannt, und da ist leicht zu erachten, wie wenig genügend das sein kann, was ich allein in dieser Beziehung bis jetzt habe arbeiten können. Den nothwendigen Gang der Un- tersuchung habe ich aber angedeutet und die Aufgabe richtig gestellt; erst die Folgezeit kann sie durch das Zusammenwirken vieler tüchtiger Kräfte lösen. Historisches und Kritisches. Wie im Vorigen schon erwähnt und zum öftern angedeutet ist, leidet die ganze Lehre vom Stengel an denselben Fehlern, wie alle übrigen Theile der Botanik. Das Wort Stengel ist von den meisten Botanikern nur schematisch aufgefasst und deshalb wissenschaftlich völlig unbrauchbar. Es fehlt hier wie überall an einer scharfen Be- griffsbildung, weil es an leitenden Maximen, an einem wissen- schaftlichen Regulativ für die Begriffsbildung fehlt. Ohne Ent- wickelungsgeschichte und daraus hervorgehende Bestimmung der Begriffe stehen wir hier wie überall völlig haltungslos da und kommen aus leerem Geschwätz gar nicht heraus. Ein alter Schlendrian z. B. sagt, der Stamm (stirps) wird eingetheilt in Stock (caudex), Holzstamm (truncus), Stengel (caulis), Binsen- halm (calamus), Grashalm (culmus), Schaft (scapus) u.s.w.. Wenn wir in der Wissenschaft eintheilen, so ist zweierlei zu beobachten, erstens, dass wir nach Einem Eintheilungsgrunde abtheilen, dann, dass dieser Eintheilungsgrund zweckmässig gewählt sey. Das Letzte ist inductorisch zu bestimmen, das Erste ist eine rein logische Anforderung, seine Vernachlässigung ein ganz un- entschuldbarer logischer Schnitzer. Daran leiden jene gewöhn- lichen Eintheilungen im höchsten Grade, sie haben gar kein Eintheilungsprineip und sind grade so ohne Sinn und unwissen- schaftlich, als wenn ich die Gewächse insgesammt in Gräser, Bäume, Rosen, gelbblühende, grünstämmige und Pflanzen ein- theilte. Jch möchte z. B. sehen, wie einer ohne Anatomie den Spee. Morphologie. Phanerogamen, Axenorgane. 133 Nelkenstengel (caulis) vom Grashalm (culmus) unterscheiden, oder umgekehrt anatomische Merkmale zur Unterscheidung des scapus von Hemerocallis und des caulis von Lihum candidum finden wollte. Es ist gradezu eine lächerliche Begriffsverwirrung, den scapus unter den Stengeln abzuhandeln, den man doch nicht anders charakterisiren kann als dadurch, dass er Blüthen trägt, also insofern er ein Blüthenstiel oder eine Inflorescenz ist, dann gehört er aber zu diesen und nicht zum Stengel; spadix wäre so gut eine Stengelform, als scapus, calathinum ebenso u. Ss. w. Hinsichtlich des zweiten Punctes habe ich nun oben schon ‚meine Ansichten dahin. ausgesprochen und gerechtfertigt, dass wir in der Botanik durchaus das morphologische Prineip als das höchste festhalten müssen. Darum müssen wir die Eintheilungen zuerst nur von diesem entlehnen, und zwar darf uns dabei wiederum nur die Entwickelungsgeschichte leiten '). Aber auch auf einer andern Seite hat diese angeführte Rede- weise gar keinen wissenschaftlichen Halt. Calamus, culmus, scapus etc. sind nämlich nur ganz vereinzelte Erscheinungen, die einigen Pflanzen, einzelnen Gruppen, nicht einmal den ganzen Gruppen zukommen, und gehören deshalb gar nicht in die all- gemeine Botanik, sondern in den ganz speciellen Theil hinein. Die Gräser haben ebenso verschiedene Stengelformen, als die meisten andern Familien, und es ist nur ein Beweis logischer Confusion, wenn man einen Theil dieser Formen, der, wenn er nicht (wie aber niemals geschieht) als monokotyledoner Stengel bezeichnet wird, von vielen andern Formen und selbst als mo- nokotyledoner Stengel, wenn man z. B. die Stengel des Mais und der Tradescantia zusammenstellt, sich gar nicht unterscheidet, in der allgemeinen Botanik als etwas Allgemeines abhandelt. Mit all diesen Einzelheiten hat es die allgemeine Botanik gar nicht 1) So gewinnen wir denn eigentlich die Uebersicht: Phanerogamen, a) Monokotyledonen. Structur. Geschlossene Gefässbündel. Axen, «) mit unentwickelten, 1, 2.... übrige Verschiedenheiten, £) mit ent- wickelten Stengelgliedern, 1, 2.... übrige Verschiedenheiten. 5) Diko- tyledonen. Structur. Ungeschlossene Gefässbündel. Axen, «) mit un- entwickelten, 1, 2.... ß) mit entwickelten Stengelgliedern, 1, 2.... Der Bequemlichkeit wegen habe ich aber hier Monokotyledonen und Dikoty- ledonen in der Betrachtung der einzelnen Organe vereinigt, und daher entsteht denn, aber nur scheinbar, die Inconsequenz, dass die Eintheilung der Axen nach geschlossenen und ungeschlossenen Gefässbündeln allge- meiner und schärfer zu seyn scheint, als die morphologische, aber wie gesagt nur scheinbar, denn die geschlossenen und ungeschlossenen Ge- fässbündel sind überall gar kein Eintheilungsprincip der Axenbildungen, sondern ein Unterschied ‚in der Structur der ganzen. Pflanzengruppen. Ich will dies hier noch ausdrücklich erwähnen, um dem Vorwurf der In- consequenz auszuweichen. 134 Morphologie. zu thun, und sie hier abzuhandeln, statt die allgemeinen Mög- lichkeiten der Formenentwickelung aufzuweisen, ist nur ein sicheres Mittel, den Schüler völlig confus zu machen und ihm einen leeren Wortschwall für Wissenschaft zu verkaufen. Daher kommen die vielen ganz unfruchtbaren Streitigkeiten, mit denen Zeit und Papier vergeudet werden, ob etwas calamus, scapus u. Ss. w. sey. (Ich möchte den sehen, der sie anders unterscheiden wollte, als wenn er sagt, calamus ist der scapus bei den Cyperacen u.s. w.) Jeder Streit anders, als mit streng wissenschaftlich definirten Begriffen bleibt ewig ein nichtsnutziges Hin- und Herreden ohne möglichen Abschluss. Noch ein Bei- spiel mag hier ausgeführt werden. Link!) sagt: „‚Der Hauptstock (caudex) besteht aus aufwärts wachsenden Theilen, welche Stamm und Stengel genannt werden, und aus niederwachsenden, den Wurzeln. Der aus dem Embryo sich entwickelnde ist der Hauptstamm, die aus der Knospe sich entwickelnden sind demselben ganz gleich, heissen Aeste, wach- sen auch in die Höhe. Blüthenstiele sind Aeste°). Der Stamm wächst aufwärts nach der Bewurzelung, denn anfangs wächst der Keim niederwärts °), treibt Wurzeln *), dann richtet er sich mit dem andern Ende auf und wächst nun aufwärts, da er vorher niederwärts gewachsen war °). Nun folgen Bestimmungen über Verästelungen des Stammes. Die Richtung des Stammes beim Aufwachsen ist zuerst vertical, dann aber nimmt er nicht selten eine andere Richtung an. Verschiedene Richtungen des Stammes und der Aeste. Die Länge des ächten °) Stammes ist zugleich seine Höhe, denn der lang niederliegende Stamm von Calamus Rotang ist ein Ausläufer’). Die hohen Palmen 1) Elem. phil. bot. Ed. II. Ba. I. p. 53. 221 sgg. 2). Was ist denn der Ast der Traueresche, was das horizontale Rhi- zom, was der Ausläufer, was die Blüthenstiele, von Arachis hypogaea? u. s. w., die alle nicht in die Höhe wachsen. 3) Falsch; nur die Wurzel, nicht der Keim. 4) Falsch; die meisten Embryonen haben schon eine deutliche Wur- zel, die sich nur verlängert. 5). Falsch; denn was niederwärts wuchs (die Wurzel), wächst nie- mals aufwärts, und was aufwärts wächst, der Stengel, ist niemals nieder- wärts gewachsen, 6) Offenbar nur eingeschoben, um den folgenden nichtssagenden Satz zu rechtfertigen, denn im ganzen Buch ist von keiner Eintheilung in ächten und unächten Stamm die Rede. Auch widerspricht es gradezu dem Vorhergehenden, da der primäre Stamm des Embryo doch gewiss ein ächter Stamm ist und auch niederliegen kann, bei dem windenden Stamm ebenfalls Länge und Höhe verschieden sind. 7) Woher weiss Link das? Mir ist sehr wahrscheinlich, dass es die primäre Axe ist. Spee. Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane, 135 haben ein Caulom'') u. s. w. Der Stamm der Gräser entsteht auf eine andere Weise, als bei den übrigen Monokotyledonen. Der Keim (so nennt L. den Kotyledon) fehlt ganz, oder an seiner Stelle ist das Schildchen vorhanden ?), welches in den Stamm gradezu ohne Knospe (!!) übergeht, der an der Basis Wurzeln treibt, oben aber in die Höhe wächst ?). Nur in Rück- sicht auf das Folgende möchte ich den Namen „Halm“ bei- behalten. Sehr sonderbar ist der dichte Stamm von Mais, der aus der Spitze eines dem vorigen ganz gleichen Stammes zwi- schen Blättern wie aus einer Knospe hervorkommt. Jch würde den obern Stamm Halm nennen *), wenn es nicht vom Sprach- gebrauch zu sehr abwiche, daher nenne ich lieber den vorigen so. Dieser Stamm hat eine doppelte Analogie mit dem Stamme und dem Keime (cotyledon) der übrigen Monokotyledonen °). Später 8. 301 folgen die sogenannten Anamorphosen des Stam- ‚ mes°). Das Caulom (der Palmstamm) findet sich nur bei den Monokotyledonen und entsteht aus Blättern, die eines aus dem andern, und zwar aus dessen Scheide hervorkommen ’). Nur ein dünner (!!) Faden von Stamm vereinigt diese Blätter °). 1) Ist denn das kein Stamm? von etwas Anderm war noch nicht die Rede. 2) Das Schildchen ist seiner Entwickelung nach durchaus identisch mit dem Kotyledon und fehlt niemals bei den Gräsern. 3) Ob L. wohl je einen Grasembryo und seine deutliche vom Schild- chen ganz getrennte Knospe angesehen hat? 4) Warum, ist nicht einzusehen, 5) Vergleicht man die Keimung des Hafers mit der Keimung von Mais, so ist auch durchaus kein Unterschied zu bemerken. Der Kotyle- don (das Schildchen) verlängert sich. nicht, die grosse Knospe tritt bei beiden aus der Spalte des Kotyledon hervor, bildet anfänglich ein ent- wickeltes Stengelglied, dann einige unentwickelte und dann entwickelte Stengelglieder, kurz es ist auch nicht der geringste Unterschied vorhan- den, wenn man genau zusieht. Vergleicht man die Keimung von Allium und Avena, so zeigt sich bei beiden ein Kotyledon, der bei beiden eine schon fertige Knospe bis auf eine kleine Spalte umschliesst. Bei Allium strecken sich die Zellen des Kotyledons in die Länge, deshalb wird Wur- zel, Stengel und Knospe etwas vom Saamen entfernt, bei Avena nicht; das ist der einzige Unterschied. Aber man muss zusehen. 6) Ein ebenso überflüssiger als falsch angewendeter Ausdruck, denn es werden darunter Structurverhältnisse und Formenverschiedenheiten ohne Unterschied zusammengeworfen. 7) Entweder falsch, oder eine völlig nichtssagende Rede. Die Blät- ter kommen nie aus Blättern, sondern aus dem Stengel hervor. Aber auch bei den Gräsern und allen scheidenblättrigen Pflanzen umschliesst ein Blatt das andere. 5) Ob Link wohl je eine Palme keimen gesehen oder einen Durch- schnitt durch die mächtige Terminalknospe von einer Yucca oder einer Palme betrachtet hat. 136 " Morphologie, Die Zahl der Blätter mehrt sich immer und dadurch wird das Caulom verdickt '). Dann aber wächst auch jener dünne Stamm an, indem neues Parenchym anwächst und in diesem neue Holz- bündel ?). Daher verdickt sich das Caulom nicht nach Oben °), sondern behält ganz dieselbe Dicke, ja der untere Theil ist wegen der verwelkenden Blattscheiden nicht selten dünner als der obere *). Das Caulom wächst langsam und die damit ver- sehenen Pflanzen bleiben lange stammlos, zuweilen bekommen sie nie einen Stamm °). Ein sehr kurzes Coueoe welches zu einem Stamme auswächst, haben die Wasserlinsen ° Nun folgt eine dritte Anamorphose, der Knollstock (cormus). Hierher wird die Zwiebel gerechnet”). Vierte Anamorphose der Wurzelstock. Aus der Basis des Stammes unter der Erde kommen oft Stämme vor, die von Anfang an niederwärts wachsen u. s. w.°). Was sollen aber überall die Anamorphosen sein, sind es Stämme oder nicht? Entstehen sie aus Stämmen, welche Stamm- formen gehen vorher? Was ist das gemeinschaftliche Merkmal I) Der Palmenstamm, der Stamm von Yucca werden gar nicht ver- dickt, sobald die genügende Basis gebildet ist, sondern steigen cylindrisch in die Höhe, an der dicken, gleichförmigen, ungetheilten Masse der Stengel- anlage im Terminaltrieb "entstehen die Blätter. 2) Das ist gradezu unwahr. Nie wächst im unverästelten Falmen- stamme, nachdem er aus dem Knospenzustand herausgetreten ist, weder Parenchym noch Gefässbündel an. 3) Gradezu ein Widerspruch mit dem Satz wenige Zeilen vorher, 4) Hat gar keinen Sinn. Ist das Caulom als solches oben dicker als unten, so muss es sich nach Oben verdickt haben; ist aber blos ge- meint, dass das cylindrische Caulom mit den Blättern dicker sey als ohne dieselben, so ist das eine nichtssagende Trivialität. 5) Oben hiess es: „Der Stamm fehlt nie.“ Hier soll es aber nur heissen, sie bekommen keinen langen Stamm, was aber bei andern Pflan- zen ohne Caulom auch stattfindet. 6) Hier ist es mir unmöglich auch nur zu ahnen, welche Aehnlichkeit L. zwischen einem Palmstamme und einer Wasserlinse findet. Zum Stamme wächst übrigens bei Wasserlinsen gar Nichts aus. Die ganze Pflanze besteht aus einem einzigen Stengelglied, noch dazu ohne Termi- nalknospe. 7) Hätte L. nur mit einiger Aufmerksamkeit den Stamm von Allium angulosum oder senescens vom Keime an in seiner Entwickelung beob- achtet, so würde er gesehen haben, dass zwischen ihm und dem soge- nannten Caulom von Yucca auch nicht der geringste Unterschied ist, wenn man von.blosser Maassverschiedenheit absieht. Bei Palmen und Alliumarten sterben die untersten Stengelglieder allmälig ab; bei den Pal- men nur für eine Zeitlang, bei den Zwiebeln fortwährend, sonst würde jede Zwiebel ein Palmenstamm. 8) Oben hiess es, alle Stämme und alle Aeste wachsen wenigstens im Anfange aufwärts, ja darin lag sogar das einzige Merkmal des Stammes. Spec, Morphologie, Phanerogamen, Axenorgane. 157 von Stamm und seinen Anamorphosen, was ist ihr allgemeiner Unterschied®?' Von all den Fragen, die sich sogleich jedem halb- wegs logischen Kopf aufdrängen, findet keine eine Antwort. Doch ich glaube überhaupt hiervon genug gegeben zu haben. Oberflächliche Behandlung mangelhaft beobachteter Thatsachen charakterisirt diese ganze Darstellung. Dennoch giebt es gar viele botanische Handbücher, in denen Alles noch unlogischer und unwissenschaftlicher ist, als hier, und es mag dies als all- gemeine Kritik der bisherigen Lehre vom Stengel genügen. ‚Die Axengebilde aus ihrer Entwickelungsgeschichte zu erklären hat bisher Keiner versucht, wohl aber hat man wieder statt Un- tersuchungen den wunderlichsten Phantasien Raum gelassen und dann auch behauptet, der Stengel sey nichts als verwachsene Blattstiele. Man kann wohl ruhig aussprechen, dass die Leute, die dergleichen behaupten, selbst sich nicht verstehen, denn sonst würden sie einsehen, dass, wenn man eine Verwachsung behauptet, man dieselbe auch aufweisen muss, d. h. zeigen, wie zwei getrennte Theile sich durch den Wachsthumsprocess ver- einigen, während sie doch zu einer solchen, der allein möglichen Demonstration nicht einmal einen Versuch gemacht haben. Der Versuch würde freilich gleich die ganze Sache widerlegen. Ein Theil dieser Männer möchte leicht zur Besinnung kommen, wenn sie nur eine Entwickelungsgeschichte vollständig anschauten. Es ist aber noch ein andrer Theil, dem damit der Staar nicht zu stechen ist. Diese meinen nämlich, dass sie mit ihren Worten die Formen machen könnten, statt sie von der Natur zu em- pfangen. Sie ahnen nicht, dass naturhistorische Begriffe überall nicht künstlich zusammenzuflicken, sondern inductorisch zu finden sind, und fühlen sich sehr klug, wenn sie behaupten können, dass der Stengel, der stets ein ungetrenntes Ganze war, doch auch als verwachsene Blattstiele betrachtet werden könne, wenn ‚ er es auch nicht ist. Zu dieser Classe scheint Gaudichaud zu gehören, dessen im oben citirten Werke mitgetheilte sogenannte neue Theorie auf den unschuldigen Spass hinausläuft, dass wir in Zukuuft die Pflanze nicht Pflanze, sondern Blatt, das Blatt nicht Blatt, sondern Blatttheilblatt, den Stengel ‘nicht Stengel, sondern Stengeltheilblatt u. s. w. nennen sollen. Ich denke, man muss Niemand in seinem Vergnügen stören, aber Wissenschaft ist da nicht. Endlich giebts noch eine dritte Clässe von Natur- forschern, mit denen nicht zu streiten ist, die sich das Motto aus dem heiligen Augustinus gewählt zu haben scheinen: Credo quia absurdum est. Sie sehen mit Achselzucken auf den armen Empiriker herab, der in den Dingen nichts Anderes sieht, als ihm seine Sinne, sein logischer Verstand und seine gesunden Vernunftprineipien zeigen. Sieräsonniren so: eben weil uns die 138 Morphologie, Anschauung den Stengel als erstes, die Blätter als -späteres zeigt, muss es in der geistigen, der blöden und rohen Sinnes- anschauung entgegengesetzten Anschauung grade umgekehrt seyn. Diese Leute sind es, die uns mit dem Unsinn des idealen Aborts, der idealen Verwachsungen u. s. w. beschenkt haben. Mit ihnen ist nicht zu streiten, weil sie keine Gesetzlichkeit unserer Geistes- thätigkeit, also auch keine Entscheidungsnormen und kein Forum anerkennen. b. Richtungsverschiedenheiten. $. 130. Jede Axe der einfachen Pflanze (zweiter Ordnung;) ent- wickelt sich beim Keimen anfänglich grade aufwärts von ihrem Boden, so dass die Linie, die die Spitze von Ter- minalknospe und Würzelchen verbindet, eine grade oder doch fast grade, senkrechte Linie auf die Ebene des Bodens der Pflanze, also meist auf die Fläche des Ho- rizonts darstellt. Von diesem Gesetz weichen nur schein- bar die schwimmend keimenden Pflanzen ab, weil es ihnen in dem flüssigen Medium an einem festen Punct fehlt, an welchem sie sich aufrichten könnten, sie ent- wickeln sich daher gleich von Anfang an horizontal (schwimmend). Diese verticale Richtung bleibt aber für die fernere Entwickelung der Axe nur dann Gesetz, wenn dieselbe im Verhältniss zu ihrer Masse auch durch die Eintwickelungsweise der untersten Internodien eine genü- gend breite Basis, durch die gehörige Entwickelung der Wurzeln oder Nebenwurzeln .eine sichere Befestigung im Boden, und endlich durch Structurverhältnisse bedingt, eine genügende Steifigkeit erlangt hat. Nur die äusserste sich stets neu entwickelnde Spitze behält immer das Be- streben, aufwärts zu wachsen. Auch hier wechseln die Verhältnisse oft in der Länge einer und derselben Axe nach specifischer Eigenthünlichkeit. Es folgen z. B. auf den graden Anfang einige schwächere Stengelglieder, Spec, Morphologie, Phanerogamen. Axenorgane, 139 dann. wieder stärkere, die sich aufrichten (caulis adscen- dens), oder auf mehrere steife, am Ende einige schlaffe (caulis nutans). Selten folgen auf ein anfänglich zwar senkrechtes, aber schwaches Stengelglied lauter feste derbe, die für immer flach auf dem Boden fortwachsen, wie z. B. bei Nymphaea, deren Axe sich nie vom Bo- den erhebt. Die Axe wächst übrigens bei ihrer Fortbildung ent- weder grade aus, oder hat die eigenthümliche Tendenz sich zu drehen, wodurch sie um ihre eigene Axe gedreht erscheint, wenn sie frei fortwächst, oder in Berührung mit einem dünnen festen Gegenstand sich um diesen spi- ralig aufrolli und zwar specifisch gesetzmässig als links oder rechts gewundene Spirale. Endlich ist noch das Verhältniss zwischen zwei einander folgenden Stengel- gliedern zu beachten, die nicht immer in einer graden Linie liegen, sondern oft gegeneinander bestimmte Winkel bilden (caulis geniculatus). Mir ist kein Beispiel einer Hauptaxe, die horizontal unter dem Boden fortwüchse, bekannt. Bei den Nebenaxen ist es nicht selten. Häufig bleibt aber die Hauptaxe, weil sie nur aus lauter unent- wickelten Stengelgliedern besteht, die von Unten nach Oben allmälig wieder absterben, stets unter der Erde, unterirdischer Stengel und Stamm (caulis, truncus hy- pogaeus). Es ist im Allgemeinen ganz falsch, die Richtung des Pflänz- chens auf die absolute Verticale an der Erde zu beziehen. Wie die Keimung von Viscum an der Seite oder untern Fläche eines Astes beweiset, steht die Richtung der Pflanze im Allgemeinen in gar keiner Beziehung zur Richtung der Schwerkraft an der Erde. Jede Pflanzenaxe wächst anfänglich in grader Linie senk- recht abwärts von der Ebene des Bodens, in dem sie befestigt ist, und ändert eigentlich nie diese Richtung, nur nehmen die schon gebildeten Stengelglieder aus den im Paragraphen ange- führten Ursachen oft eine andere Lage an. Es ist unten bei der Keimung noch weiter darüber zu sprechen. Die Ursachen der spiraligen Drehung der Axe um sich oder um einen fremden Gegenstand, sowie der knieförmigen Biegung an dem Knoten sind uns noch völlig unbekannt. Ueber das 140 Morphologie, Erste haben wir eine ausgezeichnete Arbeit von Mohl') erhalten, aber ohne dass er die Ursachen aufgefunden hätte. Ich will ‚hier nur kurz noch die Bezeichnungen rechts und links gewun- dene Stengel erörtern, in denen viel Verwirrung herrscht. Die natürliche Anschauung ist folgende. Von Unten nach Oben ent- wickelt sich die Pflanze, sie steigt also auf; wenden wir nun die Ausdrücke links und rechts auf die Pflanze an, so hat das . nur einen Sinn, indem wir uns gleichsam an ihre Stelle setzen; wir steigen aber uns links wendend in die Höhe, wenn wir die Axe der Windung zur Linken haben, rechts, wenn wir sie zur Rechten haben. Beziehen wir es auf den Lauf der Sonne, so können wir für unsere nördliche Halbkugel offenbar doch nur die der Sonne zugewendete, also südliche Hälfte der Windung mit ihrem Lauf in Beziehung bringen, dann geht aber die rechts gewundene Spirale mit der Sonne, die links gewundene gegen die Sonne. Linnd”) hatte seltsamer Weise die Bezeichnungen umgekehrt verbunden, offenbar von. einer unklaren Anschauung ausgehend, und Manche sind ihm darin gefolgt, Manche haben die Sache ganz umgedreht, links rechts und rechts links genannt, bis die Sache völlig confus war. Die Beziehung auf den Sonnen- lauf ist überall eine sehr mangelhafte Bezeichnung. Links und rechts gewunden kann man aber, wie mir scheint, nicht wohl anders verstehen als ich angegeben habe. Uebrigens will ich schliesslich noch bemerken, dass alle hier berührten Eigenheiten ebenfalls für die aus Knospen entstande- nen Axen gültig sind. In Bezug auf den ersten Punct muss man nur festhalten, dass die Knospe eine Pflanze ist, der ihr Boden schon in der Entstehung bestimmt ist, dass also die ur- sprüngliche und natürliche Richtung ihres Wachsthums die auf der durch ihre Basis gelegten Ebene senkrechte Linie ist. Nicht allzuhäufig ändert sich bei den spätern Stengelgliedern diese Richtung in eine mit der der Hauptaxe parallele um. c. Von den Nebenaxen (axis secundaria). $. 131. In jeder Blattachsel (Axillarknospe), unter besünsti- genden Umständen an jeder Stelle eines Holzstammes (Adventivknospe) können Knospen entstehen; aus ihnen 1) Von den Ranken und dem Winden der Schlingpflanzen, 2) Philosophia botanica ed. Il. Gleditsch p. 39. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane, 141 sehen wie aus dem Eimbryo vollkommene Pflanzen mit Axe und Blättern hervor, aber der Art ihrer Entstehung zufolge ohne Wurzelende; daher kommen ihnen auch, wenn sie selbstständig werden, ausschliesslich Neben- wurzeln zu. Mit der Hauptaxe verbunden nennt man diese Nebenaxen einjährig, Zweige, perennirend, Aeste '), die Art der Znsammensetzung im Allgemeinen, die Ver- ästelung der Pflanze”). Es giebt sehr wenig vollkom- men einfache Pflanzen (zweiter Ordnung), die meisten sind zusammengesetzt, wenigstens in der Weise, dass ihre Knospen Blüthen bilden; da jede Blüthenbildung; aber die fernere Fortentwickelung der Axe aufhebt, so kann man Pflanzen, deren Axillarknospen ausschliesslich Blüthen sind, auch einfache nennen. Die Art der Ver- ästelung charakterisirt hauptsächlich die eigenthümliche Physiognomie der ganzen Pflanze (die Tracht, habitus). Für die Adventivknospen giebt es gar keine Regelmässig- keit; die Stellung der Axillarknospen ist aber bedingt durch die Stellung der Blätter und ergiebt sich aus die- ser von selbst, sobald alle Knospen sich gleichförmig entwickeln. Dies findet aber oft nicht statt, indem ge- setzmässig bestimmte Knospen entweder gar nicht zur Entwickelung selangen, oder nur vergängliche Blüthen bilden, und daher wenigstens für die perennirende Pflanze so gut wie nicht entwickelte Knospen sind. So z. B. bildet sich an Lemna nie eine 'Terminalknospe, sondern nur zwei Seitenknospen; diese trennen sich gewöhnlich bald von der Mutterpflanze und entwickeln sich auf gleiche Weise und so fort. Viscum album bildet jede 'Terminal- knospe zur Blüthenknospe aus, da nun die Blätter und also auch die Knospen zu zweien auf gleicher Höhe der Axe sich gegenüber stehen, scheint sich der Stamm wie- derholt gabelig zu theilen. Bei sehr vielen, besonders 1) In der armseligen lateinischen Sprache haben wir freilich für bei- des nur das Wort ramus. 2) Blüthenstand und Fruchtstand ist eigentlich ganz dasselbe, nämlich die Verästelung, insofern die letzten Zweige Blüthen u. s. w. tragen. 142 Morphologie. perennirenden Monokotyledonen kommen ausser den zum Blüthenstand auswachsenden regelmässig gar keine Axillar- knospen zur Ausbildung, so bei den meisten Palmen- stämmen und sogenannten baumartigen Liliaceen, Yucca, Aletris u. s. w. Dasselbe findet sich bei einigen Diko- tyledonen, z. B. Oarica, Theophrasta. Ferner be- stimmt die verschieden rasche und kräftige Entwickelung eisenthümliche Formen. Entwickelt sich die Hauptaxe wenig oder gar nicht im Verhältniss zu den Nebenaxen, so bildet sich der sogenannte caulis deliguescens, der verschwindende Stengel (bei Prunus spinosa); ent- wickeln sich mit der Hauptaxe auch alle Nebenaxen ver- hältnissmässig gleich kräftig, so zeigt die Pflanze (axis ramosus) in der Regel eine sehr länglich eiförmige Ge- stalt wie die italienische Pappel; entwickeln sich die un- tern Aeste rascher als die obern, so dass alle Spitzen in einer Ebeneliegen, so zeigt sich die gegipfelte Pflanze (awis festigiatus) u.s.w. Besonders wichtig für die Charak- teristik der Landschaft wird aber noch das frühe Ahsterben aller untern Aeste bei perennirenden Pflanzen, wodurch die so charakteristische Trennung des Baums im Stamm und Krone oder einfache und verästelte Axe bedingt wird. Endlich ist hier noch zu erwähnen, dass gar häufig die Hauptaxe, bald nachdem sie sich aus dem Eimbryo- zustande entwickelt hat, abstirbt, während eine oder mehrere der untersten Seitenknospen und zwar horizontal unter oder auf der Bodenfläche fortwachsen, ohne sich selbst je aufzurichten, und nur die aus ihren Seitenknospen hervorgehenden Axen frei in die Luft erheben. Diese aus Neitenknospen: hervorgegangenen horizontalen Axen nenne ich ausschliesslich Wurzelstöcke (rhizoma). Bei- spiele geben FPfieris aquilina, Equisetum arvense, Phragmites communis, Carex arenaria, Gratiola of- fieinalis (?), Dentaria bulbifera (?) etc. Ueber die Knospen ist noch später ausführlich zu handeln; hier kam es nur auf die Axenbildungen an. Ueber das Ver- hältniss von Seitentheilen (hier den Nebenaxen) zu einer Axe Spee. Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane 143. (hier der Hauptaxe) ist schon in der allgemeinen Morphologie das Nöthige gesagt und bemerkt, wie die daraus hervorgehenden Formen nichts ausschliesslich Botanisches bezeichnen. Hier war nur zu erwähnen, auf welchen Entwickelungsgesetzen die Ver- schiedenheiten beruhen können. Wichtiger war es hier, den Begriff des Rhizoms scharf zu bestimmen, denn bisher hat man mit dem Wort so gespielt, dass ziemlich alle möglichen unter der Erde sich zeigenden Pflanzentheile darunter verstanden sind und zuletzt Niemand mehr wusste, was eigentlich ein Rhizom sey, obgleich das Wort allgemein gebraucht wurde. Ich glaube es ist passend, den Ausdruck wie im Paragraphen angegeben, zu bestimmen und zu beschränken. So wird dadurch eine be- stimmte, Eigenheit in der Art zu perenniren bei vielen Pflanzen bezeichnet, die gewiss einen eigenen Ausdruck verdient, Am leichtesten ist die Entwickelung des Rhizoms an keimenden Spar- gelpflanzen zu verfolgen. Die Systematiker werden mir freilich einwenden, dass sie mit solchen Unterscheidungen bei ihren trocknen Pflanzen: nichts anfangen können. Ich kann ihnen nicht helfen. Der Gegenstand unserer Wissenschaft ist die le- bendige Pflanze, nicht das Heu, welches wir als kläglichen Noth- behelf in unsern Löschpapieren aufbewahren, und ein lebendiges wissenschaftliches Prineip, wie es die Entwickelungsgeschichte ist, kann allein der Botanik einen Werth geben. Wohl mag es Manche geben, denen die Botanik nichts ist als die Wissen- schaft vom Herbarium; mit denen habe ich überall nicht zu verkehren. d. Von der Structur der Asxengebilde. $. 132. Jede Axe besteht in ihrem ersten Auftreten wie alle Pflanzentheile allem aus Zellgewebe; in diesem bilden sich erst allmälig die Gefässbündel und zwar so, dass (mit Ausnahme der später zu beirachtenden Adventiv- knospen) entweder jede Zellenbildung aufhört, sobald ein Stengelglied aus dem Knospenzustand heraustritt, oder sich die fernere Zellenbildung nur auf die Aussenseite der Gefässbündel beschränkt, mit andern Worten je nach- dem die Gefässbündel geschlossne oder ungeschlossne sind (vergl. $. 34.) Dies ist allen Phanerogamen gemein- ‚144 | Morphologie, schaftlich. Mir ist (ausser Wolffia Hork.') keine pha- nerogame Pflanze ohne Gefässbündel (wenn schon ohne Gefässe, vergl. Th. I. S. 226) bekannt. Daneben bilden sich bei verschiedenen Pflanzen nach verschiedener Anordnung noch Bastzellen (I, S. 227) aus, bald als Bündel, bald als geschlossener Ring, bald einzeln im Parenchym zerstreut, Mittelformen zwischen Bast und Parenchym (I, 228) bald einzeln, bald als Bündel; Milchsaftgefässe (1, 227 —229) und Behälter eigner Säfte (ebendaselbst), Spiralfaserzellen und poröse Zellen ($. 26.) in Gruppen oder zerstreut; endlich Luft- canäle und Luftlücken ($. 32.), erstere häufig regel- mässig angeordnet, besonders bei Wasser- und Sumpf- pflanzen, letztere meist die Axe der Stengelglieder ein- nehmend, z. B. Gräser, Umbelliferen- u. s. w. Jede Axe ist anfänglich mit Epidermis oder Epiblema ($- 37.) bedeckt, je nach dem Medium, in welchem sie vegetirt. Hier Bilden sich dann auch häufig alle Anhängsel des Epidermoidalgewebes, namentlich Drüsen, Haare u. s. w. und Korksubstanz (I, 238). Die daraus hervorgehenden Verschiedenheiten sind so mamnigfaltig, dass sie hie jetzt noch schwer oder gar nicht eine allgemeine Behandlung zulassen ; wichtiger. und allgemeiner zu behandeln sind die Verschiedenheiten, die aus der verschiedenen Anord- nung und Natur der Gefässbündel hervorgehen. Alle Gefässbündel sind gewöhnlich von einander durch Paren- chyma getrennt; seltner bilden sie einen völlig geschlos- senen Kreis. Die getrennten sind aber entweder in einen einzigen Kreis gestellt (die: meisten Dikotyledonen), oder im Parenchyma zerstreut. Die letztern bilden wieder im Ganzen einen Kreis, der wie die vorigen eine bestimmte Portion Zellgewebe (Mark) im Centrum einschliesst (z. B. die meisten Gräser, viele Umbelliferen, Nyctagineen, Che- nopodeen, Amarantaceen), oder eine solche Ordnung zeigt 1) Wolffia Michelü (mihi) —= Lemna arrhiza (Micheli). W. Delili (mihi) = Lemna hyalina (Delile). Spec. Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane. 145 sich nicht (rohrartige Palmen, Gräser mit diehten Sten- seln). Der letztere Unterschied kommt mir sehr un- wichtig vor, da er in einer und derselben Familie bei nah verwandten Pflanzen variirt, z. B. bei Mais (durch das ganze Parenchym zerstreute Gefässhündel) und Pha- ‚laris (zerstreute Gefässbündel, die ein Mark umschliessen). Ueberall da, wo die Aa ehule der Gefässbündel eine solche Grenze zwischen Eingeschlossenem und Ausge- schlossenem andeutet, nennt man das Innere Mark (me- dulla), das ensero Rinde (cortex)'). Das Zell- gewebe zwischen den Gefässbündeln, welches Mark und Rinde in Verbindung setzt, nennt man grosse Mark- strahlen *). Bei den einfachsten Pflanzen kommt nur ein centrales Gefässbündel vor, oder ein ähnlicher ganz ge- ‚schlossener Ring langgestreckter (Gefässbündel- -) Zellen wie bei den Moosen, welcher aber im Centrum wieder Parenchym einschliesst (z. B. Ceratophylium). Bei fla- ‚chen Stengeln, z. B. Spirodela, Ruscus, liegen auch die Gefässbündel in einer Fläche (auf dem Querschnitt in einer Linie). Beide haben also nur Rinde und kein Mark. Die Rinde besteht ausser der Epidermis aus Zell- gewebe, in welchem man im Allgemeinen nur ein gleich- förmiges Parenchym, zuweilen besonders an perennirenden Axen aber. zwei Lagen unterscheiden kann; die äussere, welche aus langsestreckten Zellen -mit dicken, aber fast gelatinösen, meist porösen Wänden besteht, deren Grän- zen oft gar nicht’ zu unterscheiden sind, deren Intercel- Iularsubstanz erfüllt ist, ‚und die öanere Lage, welche meist aus rundlichem, dünnwandigem, lockerm Parenchym gebildet ist. In der letzten kommen allein Saftbehälter, Milchgefässe, besondere Zellenformen mit besonderm In- 1) Indess ist diese Trennung. für die Pflanze im Allgemeinen, wie die unzähligen Zwischenstufen anzeigen, nichts Wesentliches. Mark und Rinde gehen stetlg ineinander über 2) Dass man nur bei den Dikotyledonen von Markstrahlen spricht, ist grosse Inconsequenz, II. 10 146 Morphologie. halt vor, in ersterer fast nur Zellen mit homogenen was- serhellen oder roth gefärbten Säften und zuweilen Kry- stalle enthaltend. Beide Schichten kommen bei den Stäm- men, deren Oberhaut erst sehr spät Kork bildet, meist scharf getrennt vor (z. B. bei den Cacteen), bei andern Stämmen und Stengeln gehen sie oft sehr allmälig in- einander über. Vor den Gefässbündeln in der innern Rindenlage liegen häufig entweder Bastbündel, oder Milchsaft. führende Bastbündel, wirkliche Milchsaftgefässe oder Milchsaftgänge. Da diese sich oft gegenseitig einan- der ausschliessen, oft von allen keine Spur vorhanden ist, kann man den Bast durchaus nicht als wesentlichen Bestandtheil der Rinde (als innerste Rindenlage) nennen, noch fehlerhafter ist es, die Cambialschicht, die immer den Gefässbündeln angehört, als innerste Rindenschicht zu bezeichnen. | | : uw Bei den Stämmen bildet die Epidermis früher oder später Korksubstanz, die entweder allmälig in Lagen abgeson- dert wird wie anfänglich bei der Birke, oft nur allmälig von den Atmosphärilien zerstört wird und ‚daher zum Theil bedeutende Dicke annimmt, wie bei der Eiche, oft aber auch sammt dem äussern Theil der innern Rinden- lage und der äussersten Bastschicht abgeworfen wird und sich nicht wieder erzeugt. Im letztern Falle bilden sich alljährlich neue Bast- und innere Rindenschichten, aber mit eigenthümlicher dem Korkgewebe ähnlicher Zellen- form, und es werden ebenso alljährlich die äusseren ab- worfen, wie z. B. beim Weinstock. Das Mark endlich besteht ‘gewöhnlich nur aus Par- enchym, was im spätern Alter diekwandig und porös wird. Oft enthält es auch einzelne verästelte Bastzellen (Rhizophora Manyle), Milchsaftgefässe, Behälter eigen- thümlicher Säfte u. s. w. Die Gefässbündel entstehen nach dem Zellgewebe in derselben Ordnung, wie dieses, oder vielmehr so wie | sich allmälig nacheinander das Zollgewebe bildet, geht stets auch allmälig ein Theil desselben in Gefässbündel- Spec, Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane. 147 ‚gewebe über. Die Richtung der Gefässbündel hängt also ganz von der Richtung der bildenden Thätigkeit ab. Dem- zufolge bildet auch für den Verlauf der Gefässbündel der im $. 127. ausgeführte Unterschied von entwickelten und unentwickelten Steng’elgliedern die Hauptgrundlage. Bei “ersteren, wo der Bildungsprocess von Unten nach Oben gleichsam in Horizontalscheiben fortschreitet, sind auch die Gefässbündel grade, der Axe des Stengelgliedes ziem- lich parallel, z. B. Tradescantia, Tropaeolum, wo da- gegen sich in dem Terminaltriebe gleichsam ein Kegel- mantel auf den andern setzt, erhalten die Gefässbündel bei - ihrer ersten Bildung einen Verlauf von der Basis des Kegel- mantels bis an seine Spitze, also vom Umfang des Stengel- gliedesbis an seine Axe, und nachher, wie sich neue Stengel- glieder aufsetzen, bilden die Gefässbündel des ersten Kegel- mantels sich durch die folgenden fort wieder bis zum Umfang, wo sie in die Blätter oder Knospen eintreten. Sie machen also einen nach Innen convexen Bogen, dessen Länge und Convexi-.' tät von der Form der ’T'erminalknospe abhängt. Sehr convex ist der Bogen z.B. bei Yucca, Iris, sestreckter bei den Palmen, Dracaena, Mamillariae.. Da alle neuen Theile in der Axe immer ausserhalb der. primären Gefässbündel ‘ sich bilden, sey es nun die Verdickung der alten Gefäss- bündel bei Dikotyledonen, oder die Anlage neuer Gefäss- bündel bei Monokotyledonen, so müssen die ältern und tiefer an der Axe nach der Peripherie zu Blättern und Knospen verlaufenden Gefässbündel nothwendig sich mit den jüngern, höher in die Axe hinaufsteigenden Gefäss- bündeln oder deren Fortbildungsmassen, die nach Aussen von ihnen entstanden sind, kreuzen. Am deutlichsten ist das Verhältniss natürlich da, wo geschlossene Gefäss- bündel sind, indess sieht man auch deutlich genug, wie bei Mamillaria, Melocactus die zu untern Blattbasen gehenden Gefässbündel aus dem innersten Theile der Holz- masse kommend quer vor allen später entstandenen 'Thei- len bogenförmig: vorbeilaufen. Da wo ein Blatt abgeht, pflegen sich bei Dikotyle- 10 * 148 Ä Morphologie. donen immer, bei Monokotyledonen wenigstens undeut- licher, oft gar nicht, mehrere benachbarte Gefässbündel aneinander zu legen Ind eine Schlinge (ansa) zu bilden, aus deren Umfang die Gefässbündel für das Blatt und die Axillarknospe abgehn. Ueber die Verschiedenheit in der Structur der. ein- zelnen Gefässbündel im Allgemeinen ist schon oben das Nöthige gesagt. Aus den ungeschlossenen Gefässbündeln der Dikoty- ledonen. bildet sIch bei längerer Dauer das Holz. Nicht alle neu entstehenden Zellen, die sich nach Innen an- _ schliessen, werden Holzzellen; die den Markstrahlenzellen entsprechenden werden wieder Parenchym- oder Mark- strahlenzellen, denn diese durch die Ausdehnung der Ge- fässbündel von den Seiten zusammengedrückt weichen in ihrer Form etwas von den gewöhnlichen Parenchymzellen ‚ab. Aber es bleiben auch ausserdem oft eine oder einige Zellen Parenchymzellen nnd beginnen so mitten im Holz Markstrahlen (kleine Markstrahlen genannt), die zuweilen lange fortgebildet werden, zuweilen nach einiger Zeit wieder aufhören.:. Das Holz wächst gewöhnlich nicht fortwährend gleichförmig an; insbesondere da, wo wegen klimatischer Verhältnisse jedes Jahr ein Wechsel zwi- schen ruhender und wiederbelebter Vegetation eintritt, bilden sich im Anfang der Vegetationsperiode mehr Ge- fässe, am Ende mehr und stärker in ihren Wänden ver- diekte und engere Holzzellen. Dadurch entsteht eine Abtheilung des Holzes in mehr oder weniger concentrische hohle Cylinder, oder auf dem Querschnitt Ringe, die man Jahresringe nennt. Bei den Dikotyledonen, deren Gefässbündel in meh- rern Kreisen stehen, schliessen sich die Gefässbündel durch ihre allmälige Entwickelung nach und nach an- einander und bilden eine dichte Holzmasse, in der aber dann die einzelnen verticalen Stränge des den einzelnen Gefässbündeln zugehörigen Cambium verlaufen, was dem Spee, Morphologie, Phanerogamen. Axenorgane, 149 Holz ein eignes Ansehen giebt, z.B. sehr schön bei den Pisonia- Arten zu beöbachten. Für die Zusammensetzung der Axe aus den einzelnen Formen der Elementartheile und Gewebe lässt sich wenig Allgemeines angeben; alle Formen kommen im Stengel. vor und vorzugsweise oder ausschliesslich finden sich gewisse Formen oder Combina- tionen nur bei einzelnen Pflanzengruppen. So charakterisiren sich die Labiaten durch einen vierkantigen Stengel, dessen Kan- ten von vier Streifen scharf charakterisirter äusserer Rinden- substanz eingenommen sind. Die meisten Euphorbiaceen haben Milchgefässe, sowie alle Asclepiadeen und Apocyneen die ihnen eigne Mittelform zwischen . Milchsaftgefässen und Bastzellen. Nepenthes zeichnet sich durch langgestreckte Spiralzellen aus, die in allen Theilen des Stammes zerstreut in grosser Menge vorkommen. Ueber den Bau der. Rinde ist auch wenig Allgemeines zu sagen, da nichts durchgreifend ist, als dass Zellgewebe stets die Grund- lage bildet. Keine Combination von bestimmten Formen der Elementarorgane ist allen Rinden eigenthümlich, einige sind aller- dings so häufig vorhanden, dass es zweckmässig, erscheint, hier darauf aufmerksam zu machen. Ich muss aber hier zwischen Monokotyledonen und Dikotyledonen unterscheiden. a. Monokotyledonen. Mir fehlen in dieser Gruppe eigne Untersuchungen in genügender. Zahl, um irgend etwas Bedeut- sames über die Structurverhältnisse sagen zu können. So viel ich weiss, besteht die Rinde hier stets ausschliesslich aus Paren- chym, welches nach Aussen etwas kürzer, nach Innen etwas länger gestreckt erscheint, aussen mehr Chlorophyll führt, wel- ches sich nach Innen allmälig verliert, so dass- das Rinden- parenchym stetig in das Mark übergeht, wo nicht durch einen völlig. geschlossenen Kreis stärker verdickter Parenchymzellen, der einen Gefässbündelkreis verbindet, wie z.B. bei Pothos eine scharfe Gränze gezogen ist. Nach Mohl') zeigt sich bei den meisten Palmen eine eigne, bald dünnere bald dickere Schicht sehr dickwandiger Parenchymzellen unmittelbar unter der Epi- dermis. Bei Gräsern und Cyperaceen finden sich unmittelbar unter der Epidermis einzelne Bündel Bastzellen. Ueber ihnen pflegen die Oberhautzellen dünnwändiger zu bleiben, während sie da, wo Parenchym unter ihnen liegt, ausserordentlich dick- wandig werden, z. B. bei Papyrus antiquorum. ! b. Dikotyledonen. 1) Einjährige Rinde. Bei dieser kann man ausser der Oberhaut drei Theile der Rinde unter- I) De Palmarum structura $. 12. 150 | Morphologie. scheiden, die aber keineswegs etwas Wesentliches und Charak- teristisches der Rinde sind, welche sehr häufig nur aus Paren- chym besteht, das höchstens nach Aussen allmälig in ein der äussern Rindenanlage ähnliches Gewebe übergeht. Diese drei Theile sind äussere, innere Rindenlage und Bastlage. Von’ der letztern ist gar häufig nicht die geringste Spur vor- handen, z. B. bei Cheiranthus Cheiri, einigen Solanum-, den meisten Ribes-Arten, Hedera (2), Viburnum Lantana, Mesembryan- themum, den meisten Crassulaceen, Chenopodeen. u. s.“w. ‘Wo die Bastlage vorhanden ist, besteht sie aus’ vereinzelten Bast- zellen (z. B. Cornus alba), Bastbündeln (die meisten dikotyle- donen Bäume), beide dem Rindenparenchym eingestreut, meist so, dass ihr Lauf dem Lauf der Gefässbündel genau folgt, oder aus einem mehr oder weniger eng geschlossenen Kreis von Bast- zellen (z.B. Syringa, Fraxinus). Mit dem Bast:zugleich finden sich zuweilen Milchsaftgefässe oder Milchsaftgänge (z. B. bei Rhus). Häufiger treten milchsaftführende Bastzellen (bei Apo- cyneen), oder ächte Milchsaftgefässe (z. B. bei Ficus carica); oder Milchsaftgänge (z. B. Mamillaria quadrispina) an, der Stelle der Bastzellen auf. Die mittlere Rindenlage, welche die Bastzellen und die die- selben vertretenden Theile eigentlich nur durchziehen, besteht aus meist rundlichem, sehr lockerm, gewöhnlich viel Chloro- phyll führendem Zellgewebe. Hin und wieder ist es in verticale Reihen geordnet. Häufig sind einzelne Zellen oder Zellen- reihen mit Krystalldrusen, mit farbigen Säften, Oelen u. s. w. oder mit unverhältnissmässig stark verdickten Wänden eingestreut. Zuweilen bilden drei oder mehrere Zellen, deren oberste und unterste sich zuspitzen, eigenthümliche spindelförmige Gruppen und enthalten dann meist eigenthümliche Stoffe (z. B. bei Pinus sylvestris). Die äussere Rindenlage ist bisher, so viel ich weiss, ganz übersehen worden, gleichwohl scheint sie selten ganz und gar zu fehlen, und tritt bei einer grossen Anzahl Pflanzen und Pflanzengruppen so charakteristisch und scharf geschieden auf, dass sie gleich in die Augen springt. Nur bei wenigen Pflanzen hat man zwar auf sie geachtet, aber als Bastbündel beschrieben, was doch vom Bast sehr verschieden ist. Folgendes sind im Gegensatz zum Rindenparenchym die charakteristischen Merk- male dieses Gewebes, welches ich gern als eigenthümliches mit eigenem Namen ') unter den Geweben aufgeführt hätte, wenn 1) In meiner Arbeit über die Cacteen habe ich den Namen Collen- chym dafür vorgeschlagen. Im ersten Theil S. 280 habe un we noch den Ausdruck Bastbündel gebraucht. Spec. Morphologie. Phanerogamen.. Axenorgane. 151 ich nicht bis jetzt der Einzige wäre, der darauf aufmerksam ge- macht, Die Zellen dieser Lage sind stets vertical in die Länge gestreckt, sehr dickwandig, aber weich und insofern den Bast- zellen ähnlich; aber stets mit horizontalen Wänden auf „einander gesetzt, selten über Ys0o Zoll lang. Fast immer zeigen sie grössere oder kleinere Poren, die oft in der dicken Wan- dung deutliche, selbst zierlich verästelte Canäle bilden, sie führen wenig oder gar kein Chlorophyll, sondern nur homogene, farb- - lose, seltner roth gefärbte Säfte und hin und wieder Krystalle. Die Zellen sind untereinander stets durch Intercellularsubstanz verbunden, ihre Gränzen daher häufig so verwischt, dass sie wie Löcher in einer gleichförmigen sulzigen Masse erscheinen; ganz besonders zwischen diesen Zellen zeigt sich durch ihre Theilung die Intercellularsubstanz bestimmt als Absonderung der Zellen (vergl. Th. I. S. 280). Diese Lage tritt bei vielen ‚Pflanzen ganz auffallend entwickelt und scharf vom Rinden- parenchym gesondert auf, aber in verschiedener Vertheilung: 1) als völlig geschlossene Schicht (bei einigen nur durch kleine auf Spaltöffnungen zuführende Canäle durchsetzt) bei den meisten Cacteen '), Melianthus major, Euphorhia splendens, Syringa vul- garis, Begonia argyrostigma, Ailanthus glandulosa, Rosa, Aristo- lochia Sipho, Piper rugosum, Cacalia ficoides, Cotyledon coccinea ; 2) in mehrere Bündel gesondert, so dass dazwischen das grüne Rin- . denparenchym die Epidermis erreicht (wo sich denn Spaltöffnungen finden) bei Chenopodeen, Amaranthaceen, Malvaceen, Solaneen, Umbelliferen *), Justicia, Eranthemum u. s.w.; 3) vollkommen deut- lich als besondere Schicht zu erkennen, aber doch schon an. der Gränze ins Parenchym übergehend, findet sich diese Lage bei Carya, Pyrus, Malus, Pavia, Hedera, Acer, Daphne, Ptelea, Rhus, Viburnum, Cornus, Ficus, Sempervivum globiferum et laxum, Se- dum pallidum, Cotyledon arborescens; 4) noch stetiger ins Rinden- parenchym übergehend und daher mehr verwischt zeigt es sich bei Ribes, Alnus, Elaeagnus, Juglans, Populus, Salix, Carpinus, Castanea, Corylus, Quercus, Cytisus, Cornus mascula, Sambucus, Rhamnus, Tilia; 5) endlich fast gar nicht, oder nur in der äusser- sten Zellenlage wieder zu erkennen fand ich es bei Cheiranthus, Hippophae, Mesembryanthemum und der sogenannten Baumnelke. Im Ganzen scheint die äussere Rindenlage in bestimmter Be- ziehung zur Korkbildung zu stehen und um so schärfer hervor- zutreten, je später diese eintritt (Cacteae, Aristolochia Sipho, h Vergl. meine Beiträge zur Physiologie und Anatomie der Cacteen. 2 > Die sogenannten Bastbündel unter der Epidermis bei diesen fünf amilien. 152 7A Morphologie, Cacalia ficoides), doch findet auch das Gegentheil statt, z. B. bei Mesembryanthemum. 2) Perennirende Rinde. Die Fortbildung der Gefäss- bündel vom Cambium aus ist stets von einer eben solchen Fort- bildung der Rinde begleitet, indem sich ein Theil der im Cambium neu erzeugten Zellen nach Innen dem Gefässbündelanschliesst, ein Theil als Cambium zu bilden fortfährt, aber ein dritter Theil sich auch nach aussen an die alte Rinde anlegt. So bilden sich ähnlich den Jahresringen des Holzes auch bestimmte Rindenlagen in jeder Vegetationsperiode, je nach der Eigenthümlichkeit der primären Rinde, aus blossem Parenchym, aus Bast und Parenchym oder aus abwechselnden Lagen von Parenchym und Bast, oder aus abwechselnden Lagen von reinem Parenchym und solchem, wel- ches durch Bastbündel unterbrochen ist. Dabei. wird oft die Bastlage, sowie das Holz dicker wird, auch an seiner innern Seite immer breiter, so dass z. B. die Bastbündel auf dem Querschnitt zierliche Keile bilden. Diese neue Rindenbildung ist aber specifisch sehr verschieden, bei einigen Pflanzen rasch und mächtig, z. B. bei der Linde, bei andern sehr langsam und spärlich, z. B. bei der Buche. Hiervon hängt zum Theil die Dicke der Rinde ab, zum Theil von dem Folgenden. Zuweilen schon in der ersten ea Nanaele. und dann meist gleich- förmig (wie bei den meisten Bäumen), seltner erst später, und dann meist an einzelnen Stellen beginnend und allmälig sich ausbreitend (wie z.B. bei Cacteen, blattlosen Euphorbien) ent- wickelt sich in der Epidermis das Korkgewebe (vergl. Th. 1. S. 238). Es ist von verschiedener Härte und Dauer, Am öftersten besteht es aus den im ersten Theil beschriebenen tafel- förmigen Zellen, die in abwechselnden Lagen zuweilen verdickt werden, z.B. bei den Cacteen, seltner z. B. bei der Korkeiche, Korkulme, aus Zellen, die radial etwas gestreckt sind. Bei dem letztern und beim Masholder gewinnt es eine bedeutendere Dicke, wird aber beim letzteren auch leicht durch die Atmo- sphärilien zerstört. In seiner gewöhnlichen Form dauert es ge- wöhnlich länger, wird häufig ziemlich diek und bildet die soge- nannte Borke der Bäume, z. B. bei Quercus robur. Zuweilen bilden sich einzelne Lagen als leicht zerstörbares Gewebe aus und dann fällt der Kork in horizontalen Bändern, oder speci- fisch bestimmt geformten Fetzen ab. Bei einigen Stämmen bilden sich vom Cambium (2) aus mit Rindenparenchym (bei Ribes), oder mit Rindenparenchym und Bast wechselnd (beim Wein) neue Schichten eines dem Kork- gewebe sehr ähnlichen Parenchyms (von H. Mohl periderma ge- nannt), ebenfalls leicht zerstörbare Schichten enthaltend, so dass die ganze äussere Rinde abfällt und dann in der Folge ganz Spee. Morphologie. Phanerogamen, Axenorgane, 155 wie bei der Korkbildung Schichten von ‘Periderma und Bast 'successiv abgeworfen werden. (Auffallend z. B. bei Pinus syl- vestris). Es fehlen hier aber noch viele Untersuchungen. Die erste genauere Arbeit über diesen Punct verdanken wir H. Mohl '). Ich: suchte die Entstehung der Korkschicht etwas mehr aufzu- - klären ?). - Die erste Bildung des Periderma bleibt aber noch dunkel. Eine seltsame Eigenheit findet bei einigen Bignoniaceen statt. Nachdem das Holz eine Zeitlang sich regelmässig fortgebildet hat, hört es an vier Stellen auf zu wachsen, so dass an diesen Stellen die Rinde nicht mehr nach Aussen geschoben wird und bei weiterer Fortbildung des Holzes an den übrigen Stellen auf dem Querschnitte des Stammes vier dicekere oder dünnere Scheide- wände zwischen den vier Holzportionen bildet. Bei einer Art, von der ich ein Stückchen untersuchen konnte, war diese Rinden- ‘ masse mit jedem Jahresringe um ein Bestimmtes an beiden Sei- ten breiter geworden, so. dass sie herausgelöst an beiden Seiten eine scharf ‚geschnittene Treppe bildete; bei einer andern Art bildete sie nur vier ganz schmale, gleich dieke und vom Holz _ (in Folge des Austrocknens) ganz gesonderte Plättchen. Gau- dichaud ?) hat diese Stämme gesammelt und wie Alles sehr roh abgebildet. Link*) sagt: ‚Um einen Ast zu bilden, wendet sich ein Theil des Holzes das Mark begleitend zur Seite und bildet durch Anwachsen den Ast. Zuweilen geht der junge Ast von einem drei-, vierjahrigen Stamme oder andern Ast aus, trennt die Schichten und erscheint so auf der Oberfläche. Man sieht ihn dann wie einen Keil in dem Holz des alten Astes, der nach Verschiedenheit der Aeste kleiner oder grösser ist. „Stehen ..die Knoten im Kreuz‘ (wie können denn Knoten im Kreuz stehen?) ,,so sieht man auch vier Keile einander gegen- über. Sehr grosse Keile ‘dieser Art findet man in den Stämmen der Bignoniaceen aus Rio Janeiro, wie ich solche vor mir habe.“ Meint hier Link die erwähnten von Gaudichaud herstammenden Stammstücke, so ist das abermals ein Beweis, mit welcher un- verantwortlichen Leichtfertigkeit Link arbeitet. Jene Rinden- stücke (als solche zeigt sie der flüchtigste Blick ins Mikroskop) gehen der ganzen Länge nach durch den Stamm (Stengelglied). 1) Ueber Entstehung des Korks und der Borke. Tübingen, 18393. 2) Ueber Cacteen a. a. O. 3) A. a. ©. Taf. XVII. fig. 4— 10. Bignonia capreolata soll nach ihm dieselbe Erscheinung zeigen und ist in einigen botanischen Gärten vorhanden. Eine Entwickelungsgeschichte dieser Eigenthümlichkeit wäre sehr zu wünschen. 4) Elem. phil. bot. Ed. II. Ba. I. p. 273. 154 | Morphologie. Zudem hat keine Bignoniacee folia quadernata; schon deshalb erscheint jene Deutung beim geringsten Nachdenken unhaltbar; eine so auffallende Regelmässigkeit in der Stellung der Adventiv- knospe, wovon auch. nicht eine einzige Pflanze eine Andeuius zeigt, wäre aber doch etwas zu Sabelhaft. Das Mark besteht wesentlich und ganz allgemein aus Paren- chym, ohne dass sich in demselben besondere Schichten unter- scheiden liessen. Im. Alter wird es entweder sehr dickwandig und porös, oder es wird zerstört und bildet dann grosse Luft- lücken, z. B. bei vielen Gräsern, Umbelliferen u. s. w. Oft bleiben abwechselnd einzelne festere Schichten vom Mark stehen und bilden so eine in horizontal aufeinander gesetzte Kammern abgetheilte Lufthicke, z.B. bei Juglans regia. Eingestreut kom- men im Mark Spiralzellen, dickwandige poröse Zellen, Zellen mit besondern Säften, Milchsaftgefässe, Luftgänge und selbst (bei Rhizophora Mangle) eigenthümliche verästelte Bastzellen vor 9): In vielen holzigen Rosaceen finden sich im Mark eigen- thümliche senkrechte ünd horizontale Reihen stark verdickter poröser Zellen u. s. w. Noch ‚sind unzählige Pflanzen un- untersucht. Einzelheiten liessen sich, zwar noch mehrere angeben ”), aber ohne dass. sich zur Zeit irgend etwas daraus machen lässt. Traurig ists, wenn interessante Sachen gar noch in falsche Hände fallen. Gaudichaud (a. a. O. Taf. XVII fig. 12, 13) bildet einige. Menispermenstämme ab und sagt,- jeder einem Gefäss- bündel entsprechende Theil jedes Jahresringes endige sich mit einer Lage ‚‚de tissus analogues ü ceux du hi « Ist mit sol- chem Gerede nur das Geringste anzufangen? und gleichwohl scheint die Sache höchst interessant. Nur 'Gefässbündel finden sich, mit einer Ausnahme, in jeder Axe, und deshalb ist ihre Vertheilungsweise und ihre Natur auch fast allein einer allgemeinen Behandlung fähig. Im Para- graphen habe ich die allgemeinen Züge angegeben; hier will ich noch etwas specieller auf die Sache eingehen, und zwar in- dem ich gleich Monokotyledonen und Dikotyledonen, einjährige und perennirende Axen trenne. Monokotyledonen. | Die einfachsten Pflanzen dieser Abtheilung haben gar keine Gefässbündel, nämlich Wolfiia; die nächsten Verwandten unter I) Wiegmann’s Archiv Jahrg. V. (1839) Th. I. S. 232. 2) Z. B. die merkwürdigen in besondern Zellen liegenden und mit Krystallen besetzten Gallertmassen (2), in der Epidermis bei Justicia, in Rinde und Mark zerstreut bei Eranthemum. Spee, Morphologie. Phanerogamen, Axenorgane. 155 den Lemnaceen haben zuerst bestimmte Andeutungen, bei Spi- rödela selbst mit Spiralgefässen, aber wie der flache Stengel es mit sich bringt, auch in einer Fläche vertheilt. Viele Najaden, z.B. Nojas,; Zanichellia, Ruppia haben nur ein centrales Ge- fässbündel. Bei den übrigen finden sich folgende Verschieden- heiten. Lu 1) Entwickelte Stengelglieder. Stengel und Stämme haben stets‘ mehrere Kreise von Gefäss- bündeln, die zuweilen ein Mark einschliessen, indem ein Gefäss- bündelkreis durch einen Kreis verdickten Parenchyms verbunden ist. Dieser ist oft der äusserste (gewöhnlich), oft ein mittlerer (Pothos). In den Knoten läuft ein Theil des Gefässbündels zum Blatt, .ein Theil steigt in das folgende Stengelglied hinauf. Von allen durch den Knoten laufenden Gefässbündeln gehen kleine Zweige ab, die ein wirres Geflecht im Knoten bilden, welches grösstentheils in die Axillarknospe übergeht. Die innersten Ge- fässbündel geben im Knoten einen Theil zu den untersten Blät- tern ab, die äusseren zu den oberen, so bei Gräsern, rohr- artigen Palmen und Commelinaceen. Viele Gruppen sind noch gar nicht genau untersucht. 2) Unentwickelte Stengelglieder. Stengel (z. B. Pistia obovata) und Stämme (Palmen, baum- artige Liliaceen, Zwiebelstöcke von Allium, Lilium u. s. w.) haben eine Keeelörkige Terminalknospe, bald länger, bald kürzer, dansenes verlaufen die Gefässbündel von Unten und se nach "Oben und Innen, und dann von hier nach Oben und Aussen, um in ein Blatt überzugehen. Alle Gefässbündel bleiben getrennt ohne Verbindungsäste untereinander, oder doch nur selten und unregelmässig andern Der nach Innen convexe Bogen ist je nach der Länge der 'Terminalknospe län- ger oder kürzer, und demnach verlsuft auch das Gefässbündel durch einen en oder kürzeren Theil der ganzen Axe. Bei den ausgewachsenen Stämmen der Palmen erreicht trotz der Länge des Bogens kein Gefässbündel, das mit den oberen Blät- tern zusammenhängt, die Basis des Stammes. Wie sich der Verlauf der Gefässbündel für die selten vor- kommenden verästelten Stämme, z. B. bei Dracaena verhält, ist noch von keinem Botaniker untersucht. Was Gaudichaud (a. a. ©.) anführt, ist zu mangelhaft, um wissenschaftlich von Nutzen zu seyn. Hier soll etwas den Jahresrinzen Aehnliches vorkommen; eine genaue Untersuchung, wäre von höchster Wichtigkeit. Bei den 156 In . Morphologie. verästelten Aloen ‚glaube ich nach aussen von den Gefässbündeln einen A Cambiälkreis gesehen zu haben. Bei 1. und 2. zeigt sich zuweilen noch ausserhalb der Gefäss- bündel ein geschlossener Ring dickwandigen, langgestreckten Parenchyms, welcher vom gewöhnlichen Parenchym eine äussere Portion als Rinde ne Dikotyledonen. Die Stengel zeigen häufig gar keine wesentliche Verschieden- heit von den Monokotyledonen, indem. der Unterschied der un- - geschlossenen Gefässbündel oft in einem Jahre gar nicht be- merklich wird. Nur schliessen sich gewöhnlich schon im ersten Jahre die Gefässbündel des einfachen Kreises und die äussern bei mehreren Kreisen zu einem Ring zusammen, so dass die einzelnen Bündel trennender Parenchymmassen zu Mark- strahlen zusammengedrückt werden. Meistens verlaufen die Ge- fässbündel von Unten nach Oben in graden , parallelen Linien. Sie bilden da, wo das Blatt abgeht, eine Schlinge, von deren Rande die Gefässbündel für das Blatt und die Axillarknospe abgehen, durch deren Oeffnung das Mark der Knospe mit dem Mark des Stammes in Verbindung steht. Die für Blätter und Knospen abgehenden Gefässbündel trennen sich von dieser Schlinge gewöhnlich erst gleich da, wo sie ins Blatt treten. Zuweilen aber verlaufen sie erst eine längere Strecke durch das Parenchym des Markes oder der Rinde (Amaranthaceen und Chenopodeen). _ Beim vollständigeu Knoten bilden sich selten Gefässbündelverschlingungen quer. durch den Stamm, in der Re- gel erscheint hier nur das Parenchym derber und dichter Es fehlt hier im Ganzen noch sehr an genauen Untersuchungen, insbesondere gänzlich an Untersuchungen des einjährigen Sten- gels mit unentwiekelten Stengelgliedern. Der Stamm zeigt grössere Verschiedenheiten, insbesondere freilich nach der Structur der Gefässbündel. 1) Entwickelte Stengelglieder. A. Mit einfachem Gefässbündelkreis. Hier verlaufen die Gefässbündel sehr selten (z. B. bei Poly- podium ramosum) parallel, sondern in Schlangenlinien, indem sie abwechselnd sich aneinander legen und von einander entfernen; die dadurch entstehenden Maschen werden von den Markstrahlen ausgefüllt. Wo Bastbündel vor den Gefässbündeln liegen, folgen Spee, Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane. 157 diese demselben Lauf '). Grosse und kleine Markstrahlen und Jahresringe bilden sich auf die angegebene Weise. Wo ein Blatt ist, bildet sich eine grössere Schlinge, aus deren Umfang die-Gefässbündel für Blatt und Axillarknospe, aus deren Oeffnung das Parenchym für die Knospe abgehen. Die Gefässbündel jedes neu entstehenden Stengelgliedes stehen in unmittelbarem ' Zusammenhang und sind unmittelbare Fortsetzungen des fort- bildungsfähigen Theils-der Gefässbündel der vorherigen Stengel- glieder, und so bildet das Cambium der ganzen Pflanze durch Stamm und Aeste ein continuirliches Netz. Indem sich die Gefässbündel des Stamms und die ‚damit in Verbindung stehen- den einer Axillarknospe, die zum Aste auswächst, fortentwickeln, wird nach und nach die Basis dieses Astes immer mehr von neugebildetem Holz überdeckt. So stellt sich hier dasselbe Ver- hältniss her wie bei den Monokotyledonen: ein unterer Seitenast kreuzt alle die zu den oberen Theilen gehenden Holzschichten. Der Unterschied ist nur, dass es bei den Dikotyledonen die . Portionen einer continuirlichen Masse des sich fortentwickelnden Gefässbündels, bei den Monokotyledonen diserete Theile, die neuen Gefässbündel, sind. { Das Holz ist ‘sehr verschieden. Bei den Coniferen am ein- fachsten nur aus Holzzellen, bestehend, "die grosse Poren zeigen, bei Ephedra mit einzelnen Gefässen untermischt. Bei Cupuliferen, Amentaceen und: den meisten stammbildenden Pflanzen mit ein- zelnen Spiral- und Netzgefässen gemischt. B. Mit mehrern concentrischen Gefüssbündelkreisen. So viel mir bekannt kommt dies Verhältniss nur bei Piper (?) und Pisonia, vielleicht auch bei einigen Crassulaceen, namentlich » Crassula vor. Die einzelnen Gefässbündel wachsen hier fort und schliessen sich zuletzt zu einer festen Holzmasse zusammen; es bleibt aber jedem sein Cambium und zugleich eine kleine Por- tion nicht völlig verdrängten Parenchyms,, so ists wenigstens sicher bei Pisonia. Damit scheint ein alter Stamm von Cras- sula (2), den ich einst untersuchte, Aehnlichkeit zu haben. Hier bestand das Holz ganz aus Holzzellen. In dieser Masse zeigten sich zerstreut viele einzelne verticale Stränge von Parenchym und in jedem derselben zwei bis drei Spiralgefässe *). Alle die hier berührten Verhältnisse bedürfen noch eines genauen Studiums der Entwickelungsgeschichte. 1) Sie bilden so am Stamm das zierliche Netz, welches von Daphne Laghetto (Palo di Laghetto, Lacebark tree, bois de dentelle) früher den Westindischen Schönen als natürlicher Spitzenschleier diente. 2) Aehnliches findet wahrscheinlich auch bei der von Gaudichaud a. a. O. Taf. XVIW. fig. 11. schlecht abgebildeten und schlecht be- schriebenen Malpighiacee (Stigmatophylium acuminatum) statt. 158 ‘ Morphologie, C. Mit mehreren nebeneinander liegenden Holzcylindern oder Cylinder- r ausschnitten, . L Eine höchst auffallende Erscheinung bieten mehrere Schling- pflanzen aus. der Familie der Sapindaceen dar. Ihre Stämme sind stumpf, drei- bis achtkantig. Auf dem Querschnitt erschei- nen um den centralen Holzkörper drei bis acht andere kleinere, von jenen und von einander durch Rindenparenchym getrennt, als ob mehrere Stämme verwachsen wären, aber was diese An- nahme sogleich widerlegt, ohne Markröhren '). Gaudichaud (a..a. ©.) Taf. XVII giebt mehrere rohe Abbildungen solcher Stämme. Taf. XIII fig. 3. ist ein Stammstück durch Maceration von der. Rinde entblösst dargestellt und hier sieht man, dass an bestimmten Stellen (an den Knoten?) einzelne Theile des einen Holzcylinders zum andern hinübergehen und dass alle zu- sammen so eine Schlinge bilden. Nicht ‚minder wunderbar ist die Anordnung des Holzes bei Bauhinia *), wo es aber meistens Quadranten oder Halbkreise sind, die unordentlich zerstreut und durch ‘Rinde getrennt den Stamm bilden. Von allem wissen wir grade so viel, dass hier noch höchst interessante Unter- suchungen zu machen sind; aber. leider fehlt wohl den meisten Botanikern, die .tüchtig dazu wären, das Material. 2) Unentwickelte Stengelglieder. Diese sind bei den Dikotyledonen fast noch gar nicht unter- sucht. Die meisten bleiben ohnehin sehr kurz, weil sıe ebenso rasch von Unten absterben, als sie nach Oben 'anwachsen. Sie gehören meist zu den unterirdischen Stengeln und Rhizomen. Die - baumartigen Farnkräuter, blattlosen Euphorbien, Carica, Theophrasta, Nymphaea und Nuphar, sowie viele Cacteen geben treffliches Material. Man müsste auch hier unterscheiden zwi- schen unverästelten und verästelten Stämmen. Mir sind bis jetzt keine, andern hierher gehörigen Untersuchungen bekannt, als meine eignen noch sehr mangelhaften über Cacteenstämme, insbesondere Mamillaria, Echinocactus und Melocactus, indem die Mohl’schen über den Farnstamm mehr die Elementarstructur 1) Link erwähnt a. a. ©. wahrscheinlich dieselben ebenfalls von Gaudichaud gesammelten Stämme, und nennt die getrennten Holzmassen angewachsene Aeste, abermals weil er kaum oberflächlich hingesehen, denn ein Ast müsste eine Markröhre haben. 2) Von Gaudichaud a. a. O. als Sapindacee aufgeführt. Genauere Darstellungen giebt er von nichts, noch weniger Entwickelungsgeschichte. So schönes Material konnte nicht leicht in ungeschicktere Hände fallen, Spee. Morphologie. Phanerogamen, Axenorgane, 159 betreffen. Die Gefässbündel machen anfänglich einen Bogen von starker Krümmung; bei der allmäligen Ausbildung des Markes wird aber dieser Bogen grösstentheils wieder ausgeglichen, und: bleibt nur im obern Theile, wo die Gefässbündel zur Blattbasis gehen. Die erste Fortbildungsschicht des Gefässbündels, nach Aussen setzt sich über dasselbe hinaus fort, indem sie sich da re theilt, wo das primäre Gefässbündel zur Blattbasis abgeht, sich darüber wieder vereinigt, um dann zu einer höhern Blattbasis abzugehen. Die folgende Fortbildungsschicht bildet auf gleiche Weise durch Spaltung und Zusaminentreten zwei Maschen, eine für das primäre Gefässbündel, eine für. «lie zur höhern Blatt- .basis laufende Fortsetzung -der ersten Verdickungsschicht," über . der sie sich wieder vereinigt und dann ebenfalls in «eine Blatt-: basis übergeht. So setzt sich die Bildung durch den ganzen Stamm fort, der dann ein Holz hat, das ganz regelmässige Maschen zeigt, die durch wechselweises Aneinanderlegen der Gefässbündel gebildet erscheinen und von dem innersten Theile des Holzes her je ein Gefässbündel durch sich austreten las- ‘sen. Natürlich findet hier vollständige Kreuzung der zu un- tern Blättern abgehenden Gefässbündel mit allen später ent- standenen Gefässbündelportionen statt, und mit wenig. Mühe er- hält man Präparate, die nicht viel von dem Bau eines mono- kotyledonen Stammes mit unentwickelten Stengelgliedern ab- ‘ weichen. Der ganze Bau hat grosse Achniehken mit dem der baumartigen Farne, wenn man a verschiedene Natur der Ge- fässbündel und die Dimensionsverschiedenheiten berücksichtigt. Auch hier zeigt sich manche . interessante Verschhedenkeit im Bau des Holzes, und besonders ist das ganz aus eigenthümlichen Spiralfaserzellen bestehende Holz der Mamillarien und Melocacten merkwürdig. Völlig abweichend und unregelmässig scheinen die Stämme der Rhizantheen (Blume) gebaut zu seyn; ich kann‘ nichts darüber sagen, da mir keine je zu Gebote gestanden, und ver- weise auf die gleich anzuführenden Arbeiten von Unger und Göppert. Schon Moldenhauer ') machte darauf aufmerksam, dass ein und dasselbe Gefässbündel nicht in seiner ganzen Länge die- selbe Structur beibehält. Im Allgemeinen kann man sagen, dass bei den Monokotyledonen die Gefässbündel nach Unten am ein- fachsten sind, oft z. B. bei den Palmen gradezu nur aus lang- gestrecktem Barenehyma (Bast) bestehen, in der Mitte werden sie complieirter, indem sie von Innen nach Aussen fast alle die den 1) J. J. P. Moldenhauer Beiträge u. s. w. 160 Morphologie, verschiedenen Ausdehnungen der Zelle entsprechenden Formen zeigen, nach oben werden sie wieder einfacher, insbesondere wo sie in Blatt oder Aeste übergehen und bestehen häufig nur aus solchen Elementen, die einer bedeutenden Längsdehnung nach Auftreten der Verdickungsschichten entsprechen. Bei den Diko- tyledonen scheinen die "Gefässbündel unten und in der Mitte ziemlich gleich gebaut zu seyn, aber nach oben geht jeder Fort- bildungstheil eines ältern Gefässbündels in die Formen des pri- mären Gefässbündels über, oder mit andern Worten, jedes: pri- märe Gefässbündel eines neuen Stengelgliedes erscheint als un mittelbare Fortsetzung nicht des primären Gefässbündels des vorigen Stengelgliedes (welches vielmehr zum Blatte verläuft), sondern ‚von dessen Verdickungsschicht, dessen Elementartheile ‘ keiner Ausdehnung in die Länge entsprechen. Literarisches, Geschichtliches und Kritisches. Wir besitzen über die Entwickelungsgeschichte der Axengebilde wenig oder gar keine allgemeine, gründliche Arbeiten. Die meisten liefern nur anatomische Untersuchungen des Todten. Ich führe hier als die, so weit sie mir bekannt geworden, fast allein bedeutsamen folgende an: J. J. P. Moldenhawer, Beiträge zur Anatomie der Pflanzen. Kiel, 1812; eine in jeder Beziehung meisterhafte Analyse des Maicstengel. H. Mohl, De palmarum struchira. Y Monach: (1831). H. Mohl, Untersuchungen über den Mittelstock von Tamus elephantipes L. Tübingen (1836). Hi Unger, Beiträge zur Kenntniss der parasitischen Pflanzen. Annal. des Wiener Museum Vol. II. (1841). Göppert, Ueher den Bau der Balanophoren u.s. w. Act. Acad. -L. €. N. C. Vol. XVIIl. Suppl. (1841). Göppert, De coniferarum structura anatomica. Breslau, 1841. Vergl. meine Recension in der Neuen Jenaer Allg. Lit. Zeit. 1842. Nr. 15. ‚Schleiden, Beiträge zur Anatomie der Cacteen. Aus den Mem. de l’acad. Imp. des sc. de St. Petersbourg p. div. sav. VI. Ser. T. IV, Leipzig, bei Engelmann 1842. Viele Einzelheiten, aber ohne leitendes Princip aufgefasst und zusammengestellt, findet man bei Meyen (Physiologie), bei Bi- schoff (Botanik) und bei Treviranus (Physiologie) besonders reiche Literatur. Das Meiste, was bei einzelnen Schriftstellern gesagt wird, ist gar nicht brauchbar, weil sie entweder gar keine Rücksicht auf die Entwickelungsgeschichte nehmen, oder wenn es geschieht, so’ Spee, Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane, 161 obenhin von Wachsen, Anwachsen, Dickerwerden sprechen, ohne zu unterscheiden, ob neue Zellen entstanden sind, entstandene Zellen sich nur ausgedehnt haben, oder in Form und Configu- ration ihrer Wände nur zu verschiedenen Geweben umgebildet sind. Zwei Ansichten sind es vorzüglich, welche lange Zeit die Wissenschaft auf schlimme Weise verwirrt haben, wogegen rich- tige Methode allerdings hätte schützen können, denn beide wa- ren wenigstens zur Zeit und in der Art, wie sie aufgestellt wur- den, völlig ungegründete, ohne leitende Maximen gemachte Hy- pothesen, die also wissenschaftliche Klarheit gar nicht hätte an- nehmen dürfen, geschweige denn, wie geschehen, weitläufige, die ganze Botanik beherrschende Theorien darauf bauen sollen. Die erste ist die von Desfontaines herstammende Phantasie von dem Unterschiede der Monokotyledonen und Dikotyledonen, in- dem erstere im Centrum der Axe Neues bilden und von Innen anwachsen sollten (plantae endogeneae), letztere aber dicht unter der Rinde Holzsubstanz hervorbringen und nach Innen ablegen, also von Aussen anwachsen sollten (pl. exogeneae). Begründet war diese ganze Phantasie auf gar nichts als darauf, dass in der monokotyledonen Axe im Centrum die Gefässbündel weit- läufiger stehen, also bei den überwiegenden Parenchymmassen die Substanz lockerer ist. Von einer auch nur oberflächlichen Beobachtung des Wachsthumsprocesses war bei der ganzen Sache gar nicht die Rede; sobald man nun aber gar noch bemerkte, dass die zu untern Blättern abgehenden, also ältern Gefässbündel sich mit den zu obern Blättern abgehenden, also jüngern kreuz- ten, so konnte man einem. Kinde mit drei Strichen begreiflich machen, dass ein Anwachsen der neuen Gefässbündel im Innern eine absolute Unmöglichkeit sey. Nichts destoweniger wurde von Decandolle ein herrliches Pflanzensystem auf diese so ganz nichtige und kinderleicht zu widerlegende Phantasie gebaut, die der ausgezeichneten und umsichtigen Untersuchungen von Mohl gar nicht einmal bedurften, um widerlegt zu werden. Die zweite Ansicht ist die von Du Petit Thouars, die nicht minder schlecht begründet war, die, so wie sie von ihm ausge- sprochen wurde, durch jede auch nur oberflächliche Beobachtung widerlegt wurde, aber auch in ihrer verfeinerten spätern Ausgabe keineswegs begründet ist und sogar bedeutende, und wie es scheint unwiderlegliche Gegengründe gegen sich hat. Du Petit Thouwars meinte nämlich, alles Anwachsen der Axen in die Dicke geschähe durch die herabsteigenden Wurzeln der Knospen. Eine solche rohe Ansicht bedurfte kaum einer Widerlegung. Dagegen sprach man die Sache später so aus, die organisirbare Substanz (das Cambium) werde von den Knospen aus nach Unten all- I. 11 162 Morphologie, mälig organisirt.. . Die einzige mögliche Begründung, dieser An- sicht, nämlich den Nachweis durch gründliche Untersuchung der ‚ Entwickelungsgeschichte sind bis jetzt noch alle Behaupter, den neuesten, Gaudichaud a. a. ©. eingeschlossen, schuldig geblieben. Schon deshalb ist sie als unbegründet vorläufig bei Seite zu stellen. Aber es macht sich auch dagegen geltend, dass es erstens gar kein Cambium als unorganisirte Flüssigkeit in der Pflanze giebt, wenn man nicht das in Zellen eingeschlossene Cytoblastem so nennen will; dass sich, soweit bis jetzt Beobach- tung reicht, stets Zellen in Zellen bilden, dass dieser Zellen- bildungsprocess nach den von mir an Cacteen (a. a. ©.) ge- machten Beobachtungen von Unten nach Oben fortschreitet; dass sich die Axillarknospe schon in der Terminalknospe bildet, noch ehe die Axe sich verdickt, und dass sich gewiss die Zellen der Knospe von den Gefässbündeln des Stammes abwärts in die Knospe hinein zu Gefässbündeln organisiren, nicht umgekehrt. Mit diesen Bemerkungen scheint mir vorläufig die ganze An- sicht völlig beseitigt, die ohnehin ganz anderer Stützen bedarf, als Gaudichaud’s mangelhafte Versuche in Anatomie und Phy- siologie ihr geben können. e. Uebersicht der Awengebilde und Terminologie. $. 133. Nach den in den vorigen Paragraphen abgehandelten Gesichtspuncten scheinen mir nun folgende Unterscheidun- sen wichtig zu. werden: | 1) Dauer. A. Einjährig. Stengel (caulis). Stengelglieder. a) Nur den Anfang der Vegetationsperiode dauernd, vergängliche (internodia fugacia). b) Die ganze Vegetationsperiode dauernd (int. annua). c) Nur das Ende der Vegetationsperiode dauernd (?nt. serotina). Ä B. Peremnirend. Stamm (Truncus). 2) Stellung zum Boden. A. Oberirdisch (epigaeus). B. Unterirdisch (hypogaeus), Spec, Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane, 163 3) Form. A. Entwickelte Stengelglieder (int. elongata). B. Unentwickelte Stengelglieder (int. abbreviata). Ü. Scheibenförmig ausgedehnte Stengelglieder (int. di- sciformia). . Concave Stengelglieder (int. concava). NB. Steife, spitze, blattlose oder enthlätterte Stengel- glieder nennt man Dornen (spinae), weiche, sich drehende, und daher um fremde Gegenstände schlin- gende Ranken (eirrhi, capreoli). 4) Verschiedene Stengelglieder derselben Axe. A. Aechte Blätter und Aeste tragende CeauDE und Iruncus). NB. Zuweilen En Ekeln sich keine Blätter (axis aphylla), oder sie fallen bald ab, bei dem truncus meist am Ende des ersten De (axis denudata). Der Stengel kann aus dem Terminaltrieb eines Em- bryo heranwachsen, wie bei der einfachen Pflanze, oder aus einem Stamm. Einen Stengel aus einem Stamm hervorwachsend könnte man scapus nennen, es ist aber ein völlig überflüssiges Wort. B. Nur Bracteen, Bracteolen und Blüthen tragende, Blü- thenstiele (pedunculi) ; bei zusammengesetztem Blüthen- stand heisst das die einzelne Blüthe tragende Stengel- glied Blüthenstielchen (pedicellus). Anthodium, ca- lathium u. s. w. bei Synanthereen sind überflüssige Ausdrücke; einfacher und richtiger ist pedunculus di- sciformis. Ebenso bei Ficus, pedunculus concavus. C. Stengelglieder zwischen Kelch und Pistill. Blumen- hoden (orus). 7. B. bei einigen Rosaceen, torus disciformis (bei Potentilla), t. concavus (bei Rosa). a. Stengelglieder zwischen Kelch und Staubfäden, (z. B. Rubus), oder Kelch und Blumenkrone (z. B Passiflora), die Scheibe (discus), z. B. d. lan bei Geum, d. tubulosus bei Cereus grandiflorus. b. Stengelglieder zwischen Blumenkrone und Staub- I11* 164 Morphologie, fäden. Staubfädenträger (androphorum), z.B. a. elongatum (bei Cleome). c. Stengelglieder zwischen Staubfäden und Pistillen, Pistillträger (gynophorum), z. B. 9. conicum bei Rubus. D. Stengelglieder zwischen Kelch und Eichen als hohle Scheibe die Eichen umschliessend, unterständiger Ei- halter (ovarium inferum), z. B. bei den Synan- thereen, Orchideen. E. Stengelglieder zwischen Staubfäden und Eichen als mit den Rändern zusammengebogne Platten, in deren Höhle die Eichen sich befinden, Stengelpistill (pistillum cauligenum). Bei Liliaceen und Leguminosen (?). F. Ende der Stengel im Ovarium, Eichen (ovula). (Dessen Theile siehe unten beim Eichen). 5) Nach den Knoten. A. Mit unvollständigen Knoten (caulis, truncus). B. Mit vollständigen Knoten. a. Stengel (culmus).. b. Stamm (calamus). NB. Man kann recht zweckmässig diese Unter- schiede auch durch einen bestimmten Terminus fest- halten, muss dann aber auch den Stengel der Ca- ryophylleen, der meisten Umbelliferen und Labiaten, culmus, den Stamm von Bambusa, Calamus, Piper, Aristolochia u. s. w. aber auch consequent calamus nennen. Uebrigens haben die Ausdrücke culmus und calamus gar keinen Sinn, denn man könnte nicht an- ders definiren als ein Stengel, wie er bei den Pflanzen vorkommt, denen man einen solchen Stengel zu- schreibt, ersterer nämlich bei einigen Gräsern, letzterer bei einigen Üyperaceen'). 1) Wie gedankenlos zum Theil die Terminologie gemacht und ange- wendet wird, zeigt sich nicht sprechender, als wenn man den meisten Scirpus-, Care Arten u.s. w. einen calamus zuschreibt, der doch, wenn scapus überhaupt einen Sinn hat, durchaus unter diesen Begriff fällt. r Spec, Morphologie. Phanerogamen. Axenorgane. 165 6) Verschiedene Axen der zusammengesetzten Pflanze. A. Hauptaxe aus der Terminalknospe des Embryo her- vorgegangen (caulis vel truncus primarius). B. Nebenaxe aus Axillar- oder Adventivknospen hervor- gegangen (ce. I. tr. secundarius). NB. Noch in Verbindung mit der Hauptaxe, Ast oder Zweig (ramus) genannt. C©. Verästelung der Axe (ramificatio). Verästelung des pedunculus (inflorescentia). D. Nebenaxe, die unter der Erde fortwächst und nur ihre Nebenaxen über den Boden erhebt, Wurzelstock (rhizoma). E. Für Nebenaxen, die an der Erde liegen, weil sie zu schlaff sind, um sich aufzurichten, hat man noch eigne Ausdrücke, die aber, wie mir scheint, sehr über- flüssig sind. Flagellum, stolo, sarmentum, Auslaufer, Wurzelsprosse, die bald nach dem Beblättertseyn, bald nach der Bewurzelung, bald so, bald so unterschieden werden, und wieder vom caulis repens, humifusus, prostratus, procumbens, decumbens, sarmentaceus, und was dergleichen unnütze Wortmacherei mehr ist, verschieden seyn sollen, und doch durch kein Merkmal sich trennen lassen. F. Nach Art der Verästelung und Dauer unterscheidet man auch zweckmässig: a. Einfache Pflanze, deren Seitenknospen nur Blü- then sind (herbula), z. B. Cuscuta, Myosurus. b. Verästelte Stengel, Kraut (herba), z. B. Ana- gallis, Veronica verna. c. Mit unterirdischen Stämmen, oberirdischen Sten- geln, Staude (suffrutex), z. B. Aconitum na- pellus, Paeonia officinalis. d. Von Unten auf verästelter Stamm ohne Vorherr- schen des Hauptstammes, Busch (frutex), z. B. Prunus spinosa, Juniperus sabina. e. Stamm, dessen untere Aeste bald absterben, der 166 | Morphologie, nur oben eine Krone trägt, Baum (arbor), z. B. Pyrus torminalis, Fagus sylvatica. -NB. Zu den Bäumen rechnet man auch die zwar von Unten auf verästelten Stämme, bei denen aber die Hauptaxe überwiegend entwickelt und bis in die Spitze leicht zu verfolgen ist, z. B. Populus dila- lata, Abies escelsa. Man könnte sie auch als arbor fruticosa bezeichnen. C. Blattorgane. a. Blattorgane im Allgemeinen. $. 134. Auch die Blätter (folia) kann man eintheilen m ein- Jährige (folia annua) und perennirende (f. perennia), die ersten wieder in vergängliche (f. decidua), die nur im Anfang der Vegetationsperiode leben, jährige Blätter (f. annua sensu str:), die die ganze Vegetationsperiode durch leben, und Späthlätter (f. serotina) erst am Einde der Vegetationsperiode sich ausbildende Blätter. Mit we- nigen Ausnahmen hat jede Pfianze vergängliche Blätter, nämlich die Kotyledonen, und oft auch noch die darauf folgenden. Als Pflanzen ohne Kotyledonen sind bis jetzt mit Sicherheit nur emige Cuscuta-Arten !') und einige Cacteen bekannt. Andere, z. B. die Rhizantheae, sind noch nicht genügend untersucht. _ Die folgenden Blatt- organe bis zu den Blüthenstielen fehlen vielen Pflanzen ganz, z. B. allen Cacteen mit Ausnahme von Peireskia und einigen Opuntia- Arten, bei andern sind sie jährig, Z. B. Alnus, oder perennirend, z. B. Pinus. Die Blüthen- theile, als die meist zuletzt sich ausbildenden Blätter feh- len keiner phanerogamen Pflanze. 1) Bei Cuscuta monogyna 2. B. hat der Embryo deutliche Blattorgane. C. americana, arvensis, congesta, epilinum, epithymum, europaea, nitida, umbrosa haben keine Spur davon. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blallorgane. 167 Der allgemeine Charakter aller Blattorgane liegt allein in der Entwickelungsgeschichte, wie schon oben ($- 124.) dargestellt wurde. Es folgt aus dem dort Angeführten, dass sich das Blatt gleichsam aus der Axe hervorschiebt, dass die Spitze sein ältester, die Basis sein jüngster Theil ist. Es folgt ferner daraus, dass die bildende Thätig- keit im Blatte eine beschränkte ist, niemals lange fort- dauert, wenn sich der 'Terminaltrieb durch Auswachsen weiter von ihm entfernt. . Endlich zeist sich durch Beobachtung der Entwickelungsgeschichte noch, dass das Blattorgan als bestimmtes Product der Formenbildung gänzlich von der Axe bestimmt wird, dass der eine Zeit- Ing darin fortdauernde Bildungsprocess wohl das Vo- lumcı etwas vergrössern und auf die innere Structur von Einfluss seyn, Tiernae aber die angelegte Form um- ändern kann. So ist also das Blatt die aus der Grund- lage der Pflanze, der im Wachsthum und daher. morpho- logisch unbeschränkten Axe, hervorgehende, im Wachs- thum und daher morphologisch beschränkte Form; unter diesen Besriff fallen alle Blattorgane und alle Axen sind ausgeschlossen. Ich glaube nicht, dass es fürs erste möglich seyn wird, einen schärferen Ausdruck für die Unterscheidung von Blatt und Axe zu finden, als hier gegeben ist, obwohl ich recht gut fühle, dass er noch weit davon entfernt ist, der allein richtige und völlig genügende zu seyn; aber es ist auch hier noch ein bei Weitem ‚tieferes Eindringen in die Entwickelungsgeschichte nothwendig, als bisher erreicht worden ist und zu erreichen war. Erst dann wird hier ein Fortschritt möglich seyn, wenn wir den ganzen Bildungsprocess des Blattes in die Bildungsgeschichte seiner ein- zelnen Zellen aufgelöst haben, was als die schwierigste Aufgabe in der ganzen Botanik wohl noch längere Zeit ungelöst stehen bleiben wird. Gleichwohl ist nicht zu leugnen, dass die Unter- scheidung von Blatt und Axe die einzige wissenschaftliche Grund- lage für die ganze Morphologie der Phanerogamen bildet. Das hätte man allerdings besser begreifen sollen, seit mit Goethe’s Metamorphose der Pflanzen eine Ahnung der morphologischen Einheit des Bildungsgesetzes auftauchte, ind doch ist wenig für die scharfe und wissenschaftliche Auffassung gethan. Wie hen bemerkt, ist Mangel an philosophischer, insbesondere logischer 168 Morphologie. .“ Vorbildung der Grund dieser Erscheinung, indem man nicht be- merkte, dass die unklaren Schemata der productiven Einbildungs- kraft erst auf inductorischem Wege zu definirten Begriffen er- hoben werden mussten, wenn sie überhaupt wissenschaftlicher Behandlung fähig seyn sollten. Wie wenig unsere Lehrbücher einer solchen Aufgabe genügen, ist schon bemerkt. Hier noch ein Beispiel. Link '), den ich überall gern vorschiebe, weil er wenigstens auf dem Titel Ansprüche auf philosophische, also doch mindestens logische Behandlung der Botanik macht, sagt: „Ein Blatt ist, sagt Joachim Junge, was sich von der Stelle, wo es sich befindet, in die Höhe oder in die Länge und Breite ausdehnt und dessen Gränzen der dritten Dimension von einander verschieden sind, d. 1. innere und äussere Fläche des Blattes. Die Definition bezeichnet vortrefflich alle blattartigen Theile.‘“ Dass diese angeblich vortreffliche Definition durchaus nicht auf die Blüthentheile (doch auch blattartige Theile) passt, ist klar, aber sie passt auch auf keine Fichtennadel, kein Mesembryan- themum-, Sedum-, Opuntia-Blatt, nicht auf die scariösen Neben- blätter der Paronychieen u. s. w. Weiter sagt Link: „Das Hauptkennzeichen der Blätter ist die Stelle unter den Knospen. Jeder wahre aus einer Knospe‘ (doch nur aus einer Axillar- knospe) ‚‚entstandene Ast ist immer von einem Blatte unter- stützt.... Aber nicht alle Blätter unterstützen Aeste.““ Woher weiss denn Link, dass dies Blätter sind, wenn ihnen das Haupt-_ kennzeichen des Blattes abgeht? So wird keine Wissenschaft gefördert, sondern nur haltungsloses Hin- und Herreden stereo- typirt. Die beste Definition, die mir bekannt ist, hat Lindley?), - die wenigstens alle Blätter mit Ausnahme der Blüthentheile und Bracteen vollständig umfasst: Das Blatt ist eine Ausbreitung (Entwickelung) der Rinde (des Parenchyms) unter einer Blatt- knospe, vor welcher sie sich entwickelt. Sowie das Blatt aus der Axe hervortritt, ist es kegel- förmiges Zäpfchen, dessen Basis nach und nach den gan- zen Umfang der Axe einnimmt, stengelumfassendes. Blatt (f. amplewicaule), oder sich mit einem oder mehrern andern, auf gleicher Höhe an der Axe mit ihm enistan- denen Blättern in den Umfang der Axe theilt, wirtel- ständige Blätter (f. verticillata), oder endlich sich auf einen geringen Theil des Umfangs beschränkt, ohne dass 1) Elem. phil. bot. Ed. 1. T. I. p. 410. 2) An introduction to botany. Ed. II. London, 1835. p. 89. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blaltorgane, 169 ‚auf gleicher Höhe mit ihm noch ein Blatt an der Axe entstände, zerstreute Blätter (f. sparsa). Diese drei verschiedenen Stellungen der Blätter an der Axe sind ohne alle Frage, als ursprünglich, an der Pflanze vor- handen. Die erste finden wir beim Keimblatt der Mono- kotyledonen, die zweite bei den Keimblättern der Diko- tyledonen. Sehen wir aber bei den Menokotyledonen von dem Merkmal des Stengelumfassens ab, indem wir allein festhalten, dass auf einer Höhe des Stengels sich nur ein Blatt: bildet, verfolgen wir die fernere Entwicke- lung der monokotyledonen Blätter und die der meisten Dikotyledonen, indem nur bei wenigen Gruppen der letz- teren auch die spätern Blätter als wirtelständig gebildet werden, so haben wir den überwiegend grössten Theil der Pflanzen mit zerstreuten Blättern. Denkt man sich jede Pflanzenaxe als einen Cylinder, so müssen sich die Blatibasen durch eine Spirallinie verbinden lassen. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich, dass dann die Ab- stände der Blattbasen auf dieser Spirale nicht gesetzlos sind, sondern eine gewisse Regelmässigkeit beobachten, und zwar ist der Winkel (Divergenzwinkel), den zwei Flächen durch die Mitte der Axe und die Basen zweier nächster Blätter gelegt mit einander machen, welcher Winkel also den Abstand dieser Blätter von einander misst, im Mittel 137° 30° 28”, also eine zum Umfange des Stengels (360°) irrationale Zahl, so dass nie zwei Blätter genau in derselben Verticale über einander liegen können. Im Verlauf der ganzen Axe ändern sich aber beständig gesetzmässig, zuweilen auch durch zufällige Einflüsse veranlasst, die Abstände der Windungen der Spirale, und daraus ergiebt sich bei dem einfachsten Grundverhältniss eine endlose Mamnigfaltigkeit der Er- scheinungsweise, wenn noch die verschiedene Form der Axengebilde hinzukommt. Man vergleiche nur die Blatt- rosette von Sempervivum tectorum, den Stengel von Lilium Martagon, einen Zweig von Populus dilatata, einen Zapfen von Abies excelsa und den Fruchtstaud 170 Morphologie. von Helianthus annuus, welche letztere durch ihre Früchte, die aus Axillarknospen entstanden, auch. die regelmässige Stellung der Blätter zeigen. | Die Lehre von der Blattstellung hat in neuerer Zeit so viele tüchtige Bearbeiter beschäftigt, dass es wohl nicht an Talent und angewandtem Fleiss liegt, wenn die Resultate, die gewon- nen wurden, bis jetzt noch so wenig befriedigend und so wenig gesichert sind. Vielmehr haben wir den Grund einmal in der unrichtigen Methode und zweitens in unserer noch so mangel- haften Kenntniss von der Natur der Pflanze überhaupt und ins- besondre der Gesetze ihrer morphologischen Entwickelung zu suchen. In erster Beziehung ist auch hier zu bemerken, dass man sich allein an die Beobachtung und Untersuchung des ver- einzelt dastehenden Zustandes der entwickelten Pflanze gehalten hat, wo das Fehlschlagen einzelner Theile die Gesetzmässigkeit der Anlage so häufig schon gestört hat und zugleich die An- erkennung dieser Thatsache der Phantasie die Thore öffnet, um da, wo sich die Erscheinungen nicht gleich einer ersonnenen Hypothese fügen wollen, sie durch supponirten Abort für die- selbe zuzustutzen. Zwei sehr entgegengesetzte Wege sind bis jetzt eingeschlagen, der erste von den Deutschen Schimper und Braun, der andere von den Franzosen den Gebrüdern Bravais. Schimper und Braun beobachteten eine zahllose Menge von Fäl- len, suchten durch möglichst genaue Messungen eine Reihe von Resultaten zu erhalten, die sie einer Induction zu Grunde legten und glaubten so zu finden, dass sich bei der überwiegenden Mehrzahl der Pflanzen als Grundlage der Blattstellung Spiralen zeigen, und dass die Divergenzwinkel rationale Theile des Um- fangs nach der Bruchreihe a Y % °/s Yıs Ya... seyen, deren Gesetz gleich in die Augen fällt, indem jedes folgende Glied dadurch entsteht, dass man die Zähler und die Nenner der bei- den vorhergehenden Glieder zusammen addirt. Bei allen diesen Spiralen steht natürlich, da der Divergenzwinkel ein rationaler Bruch des Umfangs ist, nach einer bestimmten Anzahl Blättern eins wieder vollkommen vertical über dem Anfangsblatt. Für die Folge der einzelnen Spiralen derselben Axe, sowie an ver- schiedenen Axen der zusammengesetzten Pflanze fanden’ sie eine Menge anderer Gesetze, daneben beobachteten sie andere davon abweichende Verhältnisse, die theils als Ausnahmen, theils als un- abhängige Vorkommnisse wiederum einer eigenthümlichen Gesetz- mässigkeit unterworfen seyen. Die Gebrüder Bravais gingen von der Betrachtung einer mathematischen an einem Cylinder verzeichneten Spirale aus, untersuchten die Stellungsgesetze der an derselben in gleichen Abständen verzeichneten Puncte und Spec, Morphologie. Phanerogamen, Blallorgane. 171 der Abänderungen: derselben, wenn die Abstände der Windungen dieser Spirale abnehmen und: zunehmen, wenn dem Cylinder ein spitzer, ein stumpfer Kegel, endlich eine Fläche und eine con- cave Fläche supponirt wird. Dann versuchten sie die so ge- fundenen Gesetze auf die wirklichen Pflanzen anzuwenden, in- ‘ dem sie eine Unzahl genauer Messungen auf höchst sinnreiche Weise anstellten, die Gränzen des Irrthums bei diesen Messun- gen bestimmten und endlich nachwiesen, dass. ihrer Annahme eines einzigen constanten Divergenzwinkels für alle Spiralen ‚ nichts entgegenstehe, indem die Abweichungen der Schimper’schen und Braun’schen Entdeckungen innerhalb der Gränze des mög- lichen Irrthums bei den Messungen fallen. Wegen Irrationalität des Divergenzwinkels zum Umfang steht hier niemals irgend ein Blatt der ganzen Axe genau senkrecht über irgend einem vor- ‘ hergehenden. Die Spirale ist ihrer Natur nach unendlich und fitdet ihren Abschluss nur im Aufhören der Axe. Hieher rech- nen sie alle Fälle der oben angegebenen Schimper’schen Reihe und noch eine Menge anderer Fälle, deren sich Schimper nur durch Annahme einer andern Gesetzmässigkeit bemächtigen konnte. Sie nennen diese Blätter krummreihige (feuxlles curviseriees). Daneben blieben ihnen dann noch eine Reihe, andrer Fälle stehen, bei denen unzweifelhaft irgend ein Blatt senkrecht über irgend einem frühern steht, die sie gradreihige (feuilles rectiseriees) nennen, wofür sie ia Entwickelungen der Gesetze aber bis jetzt noch schuldig, geblieben siud; sie deuten aber in dem, was sie bis jetzt gegeben haben, an, dass sich Uebergänge von einem zum andern System nd woraus sich schliessen lässt, dass sich vielleicht beide von einem. Gesetze ableiten lassen. Beiden Theorien fehlt es bis jetzt noch an einer sichern Be- gründung, denn beide nehmen nur auf die entwickelte Pflanze Rücksicht, statt die Sache in der Entwickelungsgeschichte zu verfolgen. Die entwickelte Pflanze zeigt uns keinen mathema- tischen Körper und an demselben keine Blätter in mathematisch gleichen Divergenzen; ohne ein gewisses Zurechtrücken und das Zugeben einer ziemlich breiten Möglichkeit der Beobachtungs- fehler kommen wir hier nicht zum Ziel. Die Gebrüder Bravais sagen selbst: eine mathematische Genauigkeit sey bei solchen Untersüchnngen, die dafür so wenig empfänglich sind, beinahe überflüssig ; le sie sind gewiss zu gute Mathematiker, um nicht zuzugeben, dass metheidtiäche Gesetze, die nicht haaı- scharf gelten, gar keine sind. Dagegen rde die Entwicke- lungsgeschichte allerdings die Möglichkeit an die Hand geben, die mathematischen Ger mit allen Genauigkeit auch in der Erfahrung bestätigt zu sehen. Man braucht nur Blatt und Blüthenknospe von Ounikäncn ‚ Synanthereen u. s. w. unterm 172 Morphologie. s Mikroskop zu beobachten, um über die elegante und exacte Re- gelmässigkeit zu erstaunen, welche sich hier in der ersten An- "lage so überraschend zeigt. Hier liessen sich sicher bei sorg- fältigem Präpariren und zweckmässiger Behandlung Messungen anstellen, die mit völliger Genauigkeit die Gesetze bestätigen oder verwerfen müssten. Nur die Entwickelungsgeschichte kann ferner darüber entscheiden, ob irgendwo ein Abort stattgefunden oder nicht, mit welchem Auskunftsmittel insbesondere die Ge- brüder Bravais, wie die ganze französische Schule seit Decan- dolle, etwas gar zu freigebig sind. Endlich kann die ganze Sache erst dann eigentliche Bedeutung für die Botanik gewin- nen, wenn wir in der Natur der Pflanze den Grund nachzu- weisen im Stande sind, warum sich die Blätter in einer regel- mässigen Spirale, warum grade in dieser anordnen müssen und warum sie unter gewissen Bedingungen davon abweichen. Erst dann tritt die Sache als etwas wirklich der Natur des pflanz- lichen Organismus Angehöriges auf, während wir bis jetzt eigent- lich nichts besitzen, als die Betrachtungen über die Natur der Spirale im Allgemeinen und den Nachweis, dass unter gewissen Voraussetzungen sich diese für Spiralen gefundenen Gesetze auch an der Stellung der Blätter bestätigen lassen. Abgesehen von diesem Mangel an vollkommener wissenschaft- licher Begründung ist ohne Zweifel die Theorie von den Ge- brüdern Bravais die bei weitem vorzüglichere. Vor allem macht sich hier die Einfachheit des Gesetzes geltend und nach gesun- der Methode ist unter gleichen Möglichkeiten immer die Er- klärungsweise vorzuziehen, die möglichst viele Fälle auf einen Gesichtspunct zurückführt. Sodann aber lässt sich vielleicht auch bei der Bravais’schen Theorie eine Andeutung geben, wie es einmal gelingen könne, die Gesetzmässigkeit der Blattstellung aus der Natur der Pflanze abzuleiten. Erinnern wir uns der bekannten Thatsache, dass an einem Baum gewöhnlich eine grössere Wurzelentwickelung in Folge bessern Bodens an einer Seite, auch einer stärkeren Entwickelung der Jahresringe und der Aeste an dieser Seite entspricht, gedenken wir des so häufig isolirten Verlaufs der Gefässbündel, die auf jeden Fall doch die Wege des Saftzuflusses andeuten, von der Wurzel zu den Blät- tern, so scheint daraus wie aus Berücksichtigung dessen, was oben über die Selbstständigkeit des Zellenlebens überhaupt ge- sagt ist, hervorzugehen, dass auch die einzelnen senkrechten Theile in einer Axe, die horizontal nebeneinander liegen, im Ganzen nur wenig Einfluss aufeinander haben und ziemlich un- abhängig für sich sind. Sollte nun die grösstmögliche Zahl von Blättern an einer Axe hergestellt und ihre möglichst gleichförmige Vertheilung auf den ganzen Umfang der Axe, und daher auch Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blaltorgane, 173 ihre möglichst gleichförmige Ernährung bewirkt werden, so muss- ten nothwendig zwei aufeinander folgende Blätter einen grösst- möglichen und im Verhältniss zum Umfang irrationalen Divergenz- winkel haben, welchen Anforderungen der von den Bravais ge- fundene Winkel 137° 30’ 28” vollkommen entspricht. Allerdings ist dies bis jetzt nur ein teleologischer Erklärungsgrund, aber ein solcher mag immer so lange gelten, bis der bessere und rechte gefunden, und er kann eben den Fingerzeig geben, wo der rechte zu suchen sey. Da Knospen noch viel leichter fehlschlagen als Blätter, und durch ungleich rasche Ausbildung, oft völlig den natürlichen Ge- sichtspunet verrücken, so scheint mir die Anwendung, die so- wohl die deutschen als auch französischen Gelehrten von ihren Ansichten auf die Blüthenstände gemacht haben, wegen der gänzlichen Vernachlässigung der Entwickelungsgeschichte zur Zeit noch um so unannehmlicher, da sie sich nicht einmal durch Ein- fachheit empfiehlt und durch eine ziemlich verwickelte neue Ter- minologie sogar noch abschreckt. Ich will gar nicht behaupten, dass nicht die Verfasser vielfach die Natur richtig errathen haben mögen, aber die einzig mögliche und richtige Begründung, die Entwickelungsgeschichte, haben sie versäumt, und da ist die Gefahr zu gross, durch Aufnahme dieser Lehren vielleicht etwas ganz Falsches in die Wissenschaft einzuführen. Näheres findet man in folgenden Werken: Dr. Schimper, Beschreibung des Symphytum Zeyheri u. s. w. in Geiger Mag. für Pharmacie. Bd. XXIX. S. 1 ff. Dr. A. Braun, Vergleichende Untersuchung über die Ordnung der Schuppen an den Tannenzapfen u. s. w. Nov. Act. Acad. C. L. N. C. T. XIV. Vol. I. p. 195 — 402. Dr. Schimper, Vorträge über die Möglichkeit eines wissen- schaftlichen Verständnisses der Blattstellung u. s. w. mitgetheilt von Dr. A. Braun. Flora Jahrg. XVII. Nr. 10.11.12. (1835.) L. et A. Bravais, Memoires sur la disposition geometrique des feuilles et des inflorescences, precedes d’un resume des travaux des MM. Schimper et Braun sur le meme sujet par Ch. Martius et A. Bravais. Paris, 1838. Dies letzte Werk ist deutsch von Walpers, Breslau 1839. erschienen und als Anhang noch Dutrochet’s Aufsatz über die Auflösung der paarigen Blattstellung in die spiralige (aus den Nouv. Ann. du Musee T. III. 1834) beigefügt, welcher ein vor- treffliches Beispiel liefert, wie viel weiter man durch Phantasiren als durch Beobachten kommt, wenn man sich nur wie Dutrochet gleich darüber ausspricht, wie Alles, was man behauptet, weil es schon an unsichtbaren Blattknospen geschehen, in der Erfahrung gar nicht nachgewiesen werden könne, wodurch ‚174 N ‚Morphologie. wenigstens Andern die Mühe erspart wird, Dutrochet nachzu- weisen, dass gründliche Beobachtung fast von Allem, was er behauptet, grade das Gegentheil zeigt. Die erste Form, unter welcher das Blatt auftritt, ist, wie gesagt, immer die eines kleinen kegelförmigen Zaht- chens, das sich aus der Axe hervorschiebt; seine weitern Formen hängen lediglich von der Anordnung der neu entstehenden, von der Ausdehnung der entstandenen Zel- len ab und so wenig wie bei irgend einem andern Organ etwa mit Ausnahme des Eichens ist das Blatt auf einen bestimmten Formenkreis beschränkt. Es kann sich ebenso kugelig, eiförmig, länglich rund und prismatisch, als fa- denförmig, bandförmig und flächenförmig ausdehnen, und die Fläche kann auch dadurch, dass sich die Zellen der Fläche nach mehr in der Mitte anhäufen als am Rande, oder mehr in der Mitte als am Rande flächenförmig aus- dehnen, auch concave Formen bilden. Die auffallendsten Formen dieser Art nennt man Schläuche (asci), wie bei Saracenia, Oephalotus, Utricularia. Für alle diese Formen finden denn auch die in der allgemeinen Mor- phologie aufgeführten Verschiedenheiten stail, insbesondere für. die, lächenförmigen Blätter die angegebenen Zer- theilungen und die leichten Theilungen des Bandes. Eine der häufıe sten Formen, die man deshalb semeiniglich als Normalform anzuführen pflest, ist die, dass sich der obere Theil als Fläche, die Blattscheibe (lamina), der untere als fadenförmiger Theil, Blattstiel (petiolus) ausbildet, und an diesem kann man auch häufig noch wieder den untern, etwas verdickten, oder verbreiterten als Scheiden- theil (pars vaginalis) unterscheiden, womit das Blatt die Axe ganz oder theilweise umfasst. Dieser letzte Theil ist sehr häufig besonders bei zusammengesetzten Blättern sehr dick (fleischig) angeschwollen, und wird dann Blatt- oder Blattstielkissen (pulvinus) genannt. In der Regel ist das flache Blatt so entwickelt, dass es seine Flächen mehr oder minder der Erde und dem Him- mel zukehrt, seltner so; dass es die Ränder nach Oben Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blatiorgane, 175 und nach Unten richtet, so dass die Axe in der Ebene des Blattes liegt, wie z. B. bei vielen neuholländischen Myrtaceen. Sehr davon verschieden ist, wenn ein flaches Blatt von gewöhnlicher Entwickelung an seiner Basis eine halbe Drehung, macht, so dass dadurch ebenfalls die Fläche vertical gestellt wird, wie z. B. bei Lactuca scariola. Ein Verhältniss, das schon bei der Axe er- wähnt wurde, tritt auch beim. Blatt ein und wird hier viel bedeutungsvoller. Es bildet sich nämlich (selten [oder nie?] bei Monokotyledonen, häufig. bei Dikotyle- donen) zwischen Blatt und Axe ein Gelenk (articulatio), in Folge welcher das Blatt nach einer bestimmten Zeit von der Axe abgeworfen wird, während es sonst an der Axe selbst allmälig abstirbt und verwest. Diese ächte Gliederung wiederholt sich zuweilen öfter in der Con- tinuität eines und desselben Blattes, entweder nur so, dass zwischen Blattstiel und Blattscheibe sich ein Gelenk bildet (z. B. Citrus, Dionaea), oder so, dass bei den flachen, zerschnittenen Blättern (z. B. f. pinnatisecta, palmatisecta etc.) jeder Lappen durch ein Gelenk mit dem Ganzen verbunden ist. Man nennt diese Blätter zu- sammengesetzte Blätter (f. composita) und nach der Form der Zertheilung gefingerte, gefiederte Blätter (f. digitata, pinnata!) etc.) Die einzelnen Theile werden Blättchen (foliola) und der sie alle verbindende "Theil petiolus communis genannt. Dem Blätichen können na- türlich auch alle Formen des Blattes zukommen, insbe- sondere kann es wieder in Fläche, Blattstiel und Blatt- stielkissen gesondert seyn. Bei einigen neuholländischen Acacieen (z. B. Ac. heterophylla) sind die ersten Blät- ter zusammengesetzt, nach und .nach bilden sich immer weniger Blätichen aus, zuletzt bleibt nur der dem pe- tiolus communis entsprechende Theil übrig, der dann . 1) Man nennt sie impari- vel abrupte pinnata oder paripinnata, je nachdem das Ende des gemeinschaftlichen Blattstiels ebenfalls flächen- förmig als Endblättchen entwickelt ist, oder plötzlich aufhört, oder sich doch nur fadenförmig fortsetzt. 176 Morpholosie. als senkrechte Fläche erscheint und phyllodium genannt wird zum Unterschied von den andern vollkommenen Blät- tern derselben Pflanze. Botaniker, denen das Ziel der Botanik nur in der Bestim- mung recht vieler Species für ihr Herbarium vorschwebt, werden mich hier der Oberflächlichkeit und Ungründlichkeit beschuldigen, dass ich die Formen der Blätter, die fast die wesentlichste Grundlage für Artenbestimmung sind, so kurz und stiefmütter- lich behandle. Ich kann mir aber nicht helfen, ich finde nun einmal in den, wie es trifft, guten und schlechten Bezeichnungs- weisen für verschiedne ganze oder getheilte Flächen oder Ränder für fadenförmige oder körperliche Formen durchaus nichts Bo- tanisches, geschweige denn das eigentlich Wissenschaftliche in der Botanik. Wenn man ein dünnes, fadenförmiges Blatt einen Blattstiel nennt, so habe ich nichts dagegen, wenn man damit weiter nichts bezeichnen will, als ein stielförmiges Blatt; wenn man aber hinzusetzt, die Blattscheibe sey hier abortirt, so ist das unwissenschaftlich und falsch; wenn man ein nur als Fläche entwickeltes Blatt folium sessile nennt, so ist gegen die Bezeich- nung nichts einzuwenden; wenn man aber hinzufügt, der Blatt- stiel sey hier abortirt, so ist das wieder blosse Phantasie. Wo in aller Welt geht denn aus dem Wesen der Pflanze hervor, dass ein Blatt gesetzmässig aus Blattscheibe und Blattstiel be- stehen müsse? Die ganze bisherige Methode, das Blatt nach Scheibe und Stiel zu beschreiben und alle übrigen Formen. da- bei unterzubringen, könnte nur insofern einen Werth haben, wenn wir uns nach Analogie des Zoologen an die vollkommenste Form halten wollten, um eine Norm zu haben, an welche wir alle andern Formen als Abweichungen anknüpfen können; dann müsste man aber von dem zusammengesetzten Blatt als dem offenbar vollkommensten ausgehen. Immer aber bliebe es falsch, wenn man nun alle Abweichungen als Aborte und fehlgeschlagene Bildungsversuche der Natur bezeichnen wollte, sowie es lächer- lich wäre, zu sagen, bei Monas lens seyen die Fusszehen und die Nägel, die Ohrknorpel u. s. w. abortirt. Ausdrücke wie: ‚die Natur hat hier den Versuch gemacht, sie ist hier von ihrem Typus abgewichen‘“ sind überall völlig unwissenschaftlich und eine recht kindische Anthropopathie. Bei den Mesembryanthemum z. B. ist die Natur nicht vom Typus der Blattbildung abge- wichen, sondern ihr Typus ist hier ein andrer wie bei andern Pflanzen, jeder in seiner Art vollkommen, den Hauptzweck aller Pflanzenentwickelung, die mannigfaltigste Formenbildung aus den einfachsten Grundlagen möglich zu machen, erreichend. Insbesondere muss ich hier bemerken, dass es gar keinen Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blattorgane 177 Sinn hat, die dreikantigen Blätter, z. B. bei einigen Mesem- bryanthemum-Arten für ursprünglich plane, dann zurückgeschlagene und mit der Rückseite verwachsene Blätter zu erklären, oder das Irideenblatt für ein solches anzusehen, welches nach Oben zusammengefaltet und mit den oberen Seiten verwachsen sey. Der einzige Beweis, der dafür geliefert werden könnte, wäre die Entwickelungsgeschichte, und diese zeigt, dass dergleichen Faltungen und Verwachsungen nicht stattfinden, sondern dass, anfänglich wie alle andern geformt, sich dieses Blatt in eine verticale Fläche, jenes dreikantig ausdehnt. Dieses ist eben ein flaches, von den Seiten zusammengedrücktes, und jenes eben ein dreikantiges Blatt und weiter nichts. Durch gar nichts lässt sich das Naturgesetz begründen, als müssten alle Blätter ihrem Wesen nach flach‘ seyn, als müssten alle andern Formen sich auf diese zurückführen oder vielmehr von dieser ableiten lassen. Jene Behauptung hätte aber eben nur unter Voraussetzung eines solchen Naturgesetzes Sinn. Die blosse Fiction eines solchen Naturgesetzes ist aber unbedingt zurückzuweisen. Nach einer ebenso willkürlich ersonnenen Fiction von Link sollen die Blätter der Abies excelsa, alba etc. aus zwei mit den obern Flächen verwachsenen Blättern entstehen, was man auch an den beiden oben und unten vorspringenden Mittelnerven sähe. Schade dass zwar Abies pectinata und Pinus sylvestris eine Andeutung von zwei freilich neben einander liegenden Gefässbündeln haben, aber grade Abies excelsa, alba etc. nur eines, schade dass auch bei der letztern obere und untere Hälfte gar nicht gleich gebaut sind, schade end- lich, dass die Entwickelungsgeschichte entschieden nachweist, dass hier nur ein und nicht zwei verwachsene Blätter vorhanden sind. Kinige Worte will ich hier noch über die Schläuche sagen, welche bei Nepenthes, Saracenia, Cephalotus, Dischidia Rafflesiana und clavata, Marcgravia, Norantea und Utricularia u. s.w. vorkommen. Bis jetzt haben wir noch von keiner einzigen Art eine vollstän- dige Entwickelungsgeschichte. Meine eignen in früherer Zeit an Utricularia angestellten Untersuchungen blieben leider höchst unvollständig. Wie es scheint, zeigen sich die Schläuche nach drei verschiedenen Typen. a) Bei Saracenia ist es der untere Theil des Blatts, welcher eine füllhornähnliche Form zeigt und am obern Rande in eine flache, vom Schlauch durch einen Ein- schnitt getrennte Ausbreitung (die Blattscheibe) ausläuft. Die untere Hälfte der innern Fläche des Schlauchs ist hier mit ab- wärts stehenden Haaren besetzt, die obere glatt. Bei Nepenthes sitzt ein kannenförmiges Gebilde auf einem langen, unten ge- flügelten, dann oft rankenförmigen Blattstiel auf und trägt am obern Rande eine eingelenkte (?), anfänglich die Kanne wie ein Deckel verschliessende Blattscheibe. Die innere Fläche ist I. 12 178 Morphologie, im untern Theile mit kleinen Erhebungen von ganz zartwandi- gem, saftigen Zellgewebe besetzt, die von Oben her durch die vorspringende Oberhaut gleichsam mit einem Schutzdach ver- ‘sehen sind. Bei beiden ist das Blatt auf eine solche Weise hohl geworden, dass die geschlossene Basis des Schlauchs auch der Basis des Blattes entspricht (Saracenia) oder doch am näch- sten liegt (Nepenthes). Bei Dischidia Rafflesiana und clavata ist dagegen die Oeffnung des Schlauchs der Blattbasis zugekehrt, Cephalotus scheint einen der Saracenia ähnlichen Bau zu be- sitzen '). Bei allen genannten Pflanzen bildet der Hauptkörper des Blattes den Schlauch. (Man hat ein Vergnügen daran ge- funden, sich zu streiten, ob der Deckel bei Saracenia und Ne- penthes die Blattscheibe sey, oder nicht, und wie überhaupt die einzelnen Stücke auf das angebliche Normalblatt zurückzuführen seyen.) 5) Bei Marcgravia und Norantea dagegen bilden nach Lindley die Nebenblätter die Schläuche. c) Endlich, bei Utri- cularia sind es viele einzelne Theilchen des vielfach zerschlitzten Blattes, welche eine sehr complicirte Schlauchform annehmen. Anfänglich bilden dieselben ein kleines kurzgestieltes,. fast tuten- förmiges Körperchen in den Winkeln der Blattabschnitte, an diesem Körperchen entwickelt sich aber vorzugsweise die untere Seite und der innere Rand der sich nicht sehr vergrössernden Oeffnung, so dass der ausgewachsene Schlauch ein rundliches, von der Seite etwas zusammengedrücktes Körperchen bildet, das von Oben an der einen Kante in den Stiel übergeht, an der andern eine Oeffnung zeigt, die einen kleinen nach Innen vor- springenden Trichter bildet, dessen äussere Oeffnung durch einen am obern Rande sitzenden Bart verschlossen wird; der untere Theil der innern Trichterfläche ist mit sehr zierlichen verschieden- artigen, aber ganz gesetzmässig angeordneten Haaren besetzt, auch die ganze innere Fläche des Schlauchs zeigt eigenthümliche, aus zwei, jede in einen kürzern und längern Arm auslaufende Zellen bestehende Haare. Bei Blättern so gut wie bei den Pflanzen im Allgemeinen sind alle Formen möglich und fast alle wirklich, die streng stereometrischen Formen ausgenommen. Die Bezeichnung be- ruht entweder auf dem Vergleich mit mathematischen Fi- guren oder mit Gegenständen, deren Formen man aus dem gemeinen Leben als bekannt voraussetzt. Dafür giebt es gar keine. wissenschaftliche Regel, sondern nur der ästhetische Tact kann uns leiten. Wohl aber giebt es innerhalb ge- wisser Gruppen von Pflanzen gewisse Formenkreise, die aus- schliesslich vorkommen, und nur hier kann man bestimmtere Be- 1) Cephalotus und Dischidia kenne ich nur aus Beschreibungen. Spee. Morphologie. Phanerogamen, Blatiorgane, 179 zeichnungsweisen, die dann aber auch nur für diese bestimmte Gruppe Gültigkeit haben, durch genauere Beobachtung geleitet, festsetzen. Das gehört aber der speciellen Botanik an. Endlich ist es praktisch ganz unnütz, den Schüler mit all den einzelnen Ausdrücken bekannt zu machen, weil die meisten, eben weil sie nur bildlich gewählt sind, weil ihre Anwendung nur vom rich- tigen Tact des Einzelnen abhängt, fast von jedem Botaniker anders erklärt und anders angewendet werden. Ich habe ein erasses Beispiel der Art im ersten Theil (S. 83 1.) angeführt, hunderte solcher Beispiele liessen sich fast bei jeder Pflanze aus der Definition verschiedner Botaniker zusammenstellen, und es bleibt dem Schüler doch nichts übrig, als bei jedem Schrift- steller, den er benutzen will, wieder die ganze Sache von vorn anzufangen und zuzusehen, in welchem Sinne er grade die Aus- drücke gebraucht '). 1) Um nicht des grundlosen Raisonnirens bezüchtigt zu werden, nehme ich die Werke unserer ausgezeichnetsten Systematiker zur Hand, Kunth’s Flora berolinensis, Koch’s Synopsis florae germanicae, und gebe, was.mir grade in die Hand fällt: Koch. Kunth. Ranunculaceue. Calyz 3—6 sepalus; Petala 3, Sepala 5, rariss.3; Petala5—15, pluraz; stamina antheris adnalis. l. nulla; Antherae cum filamento continuae. Thalictrum. Carpella nucamentdcea, recepta- Achenia sessilia. culo disciformi inserta. Th. minus. ... foliolis subrotundis ...... 3 foliolis subrotundo-reniformibus, dentatis vel trifidis, 1. 5 dentalisz; I. ...... 3 rarius 5 fidisz; ramis pa- ramulis paniculae ... subhorizonta- nie. ... patentissimis. liter divergentibus. Th. flavum. ... foliolis 3 fidis ... foliorum fol. 2—3 fidis ... foliorum sup. superiorum linearibus. lanceolatis, 1. linearibus. Anemone. Carpella nucamentacea. Caryopses. A. Pulsatilla. Folis involueri ...; folüs radi- Foliis caulinis ...; folüs rad. 3 calibus 3 plicato-pinnatifidis, laci- pinnatisectis, lac. acutis. niis attenuato - aculis. . A. patens. ... foliolis sub 3 partitis, lacinis ... [ol. intermedio 3, lateralibus oblongis. sub 5 fidis, lae. oblongo-lanceolatis. A. sylvestris. : ... folös radiealibus 5partitis, f. rad. ternatis, foliolis termi- laciniäs subrhombeis 3 fidis. nali cuneato- obovato, lateral. basi rolundalis» 12.* 180 | Morphologie, Betrachtet man das Keimblatt der meisten Monoko- tyledonen, so findet man, dass dasselbe bei seiner all- mäligen Entwickelung die Terminalknospe (plumula) völlig umschliesst, ja dass die noch ganz zarten, weichen Zellen der beiden Ränder desselben zum Theil sich so fest vereinigen, dass sie als verwachsen betrachtet wer- den können, während nur eine kleine Spalte, die bei allen Monokotyledonen vorhanden ist, übrig bleibt. Bei der Keimung hat die sich entwickelnde Knospe in der kleinen Spalte nicht Raum, um hervorzutreten, sie drängt also die Ränder derselben mehr oder weniger hervor, und diese erscheinen dann als ein eigenthümlicher Anhang Koch. Kunth. Ranuneulus. ; R. flammula. ... fol. elliptieis, lanceolatis. fol. caul. lineari-laneeolatis, ra- die. oblongis. l. ovato-oblongis. R. lingua. ... fol. elongato-lanceolatis. f. lanceolatis. R. auricomus. ... fol. radie. cordato-orbiculatis, fol. rad. orbieulato-reniformibus; crenatis, f. caul. digitato-partitis. crenato-sSerratis, f. caul. subpedato 5—7 fidis. R. acris. ... f. rad. palmato - partitis, la- f. rad. trisectis, segmentis inciso- cinüs ineiso- acute dentatis. serratis. Aquilegia. A. vulgaris, ... foliolis 3 lobis crenatis. ..f 2, 3 fidis, crenato-lobatis. Malva. M. sylvestris. . caule erecto, I. ascendente. c. prostrato- ascendente. So mag man nach Belieben beide Werke durchgehen, man wird viel- leicht keine einzige Definition finden, in der nicht zwei verschiedene so- genannte Kunstausdrücke auf dieselbe Sache angewendet würden, und da glaube ich völlig im Rechte zu seyn, wenn ich sage, alle diese latei- nischen und resp. deutschen beschreibenden Ausdrücke bezeichnen überall gar keinen und insbesondere keinen botanischen Begriff, sondern die- nen nach der Wahl und dem Geschick jedes Einzelnen der anschaulichen Beschreibung so gut wie alle andern, die er wählen möchte, und Bücher oder Vorlesungen mit den deutschen Uebersetzungen dieser lateinischen Ausdrücke füllen, ist gradezu gewissenlose Zeitvergeudung. Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blattorgane. 181 auf der Mitte des Keimblattes, als häutige Ausdehnung der Ränder des untern 'Theils des Blattes, oder als Läpp- chen an der Basis desselben. Auch bei den spätern Blättern finden ähnliche Verhältnisse oft statt. Bei den Dikotyledonen kommt ein gleiches Verhältniss nicht selten vor, entweder werden die Ränder an der Basis eines Blattstiels oder stielförmigen Blattes häutig ausgedehnt, oder es erhebt die durchbrechende Knospe eine längere oder kürzere häutige Scheide, oder es bilden sich an der. Basis des Blattstiels eigenthümliche Läppchen aus, die zuweilen die Form kleiner Blätichen annehmen und auch wohl durch ein Gelenk dem Blattstiel - verbunden sind. Ueberall ohne alle Ausnahme sind sie ihrer Entwickelungs- geschichte zufolge Theile des an seiner Basis besonders entwickelten Blattes und dem Wesen nach durch alle Phanerogamen ganz dasselbe Gebilde, wenn sie auch der Erscheinungsweise nach mannigfach variiren. Sie haben sehr verschiedene Namen erhalten, die theils nur für bestimmte Familien, theils nur für bestimmte Blatt- organe gemacht sind. Bei Gräsern nennt man diese Theile Blatthäutchen (Tigula), bei andern Monokotyledonen bald vagina stipularis, wenn gross und schon vom untersten Theil des Blattes sich frei erhebend, vagina petiolaris, wenn klein und erst höher hinauf am Blatte sich zeigend. Bei den Dikotyledonen bald petiolus alatus, stipulae adnatae, wenn an den Rändern des Blattstiels, ochrea, wenn scheidenförmig bei den Polygoneen, oder Neben- blätter (stipulae), wenn scheinbar als besondere kleine Blättchen neben der Basis des Blattstiels stehend, bei Blumenblättern endlich fornix, corona oder nectarium u. w., Z B. bei Lychnis, Borragineen, Narcissus etc. Als Nebenblätter finden sie sich besonders bei zu- sammengesetzten Blättern, wo sie zuweilen allein flächen- förmig entwickelt sind, während das Blatt selbst nur fa- denförmig sich ausbildet, z.B. Lathyrus aphaca. Auch an der Basis der Blätichen bei zusammengesetzten Blät- tern finden sich zuweilen kleine Läppchen, die, vielleicht 182 Morphologie, auf ähnliche Weise entstanden, Nebenhlätichen (stipellae) genannt werden. Von allen Theilen des Blattes entwickeln sich die so .eben erwähnten Organe zuletzt, wie das schon eigentlich von selbst aus der gesetzmässigen Entwickelung des Blattes von Oben nach Unten folgt, aber auch gar leicht sich durch Beobachtung an jeder Knospe einer Pflanze, die nur irgend so ausgebildete Nebenblätter hat, um die Untersuchung zu en Rösaceen, zZ. B. Sorbus aucuparia, Leguminosen, z. B. Ervum nigricans, Orobus. albus, Lathyrus ua ,„ Pisum sativum, BRobinia pseudacacia, Psoralea affinis und fruticosa u. s. w. nachweisen lässt. Link‘) behauptet das Gegentheil, offenbar weil er nie eine Knospenentwickelung genau angesehen hat, sonst wäre eine solche Behauptung unmöglich. Später Fr allerdings ‚ihre Ausbildung rascher fort, als die andern Theile, und sie hüllen nicht selten das Blatt, dem sie angehören, in der Knospe ein, indem dasselbe erst später durch: die Ausdehnung seiner Zellen seine relative Grösse gewinnt. Die Terminologie dieser Theile ist eine ganz endiose, weil man jede einzelne Abweichung an der entwickelten Pflanze mit einem neuen Wort bezeichnete, ohne sich um Natur und Ursprung des Organs zu kümmern; ja man deutete sogar absichtlich durch den Namen oft einen verschiedenen Ursprung an, wo die oberflächlichste Untersuchung hätte zeigen können, dass man es mit einem und demselben Theile zu thun habe, z. B. vagina stipularis und petiolaris”?). Auch hier ist die Phantasie geschäftig gewesen, die Lücken zu er- gänzen, zu deren Aufklärung durch gründliche Untersuchung man nicht Lust hatte. Verwachsung der Nebenblätter mit dem Blattstiel u. s. w. sind ganz: courante Ausdrücke, aber ohne allen Sinn; von Verwachsung ist hier gar nicht die Rede. Pe- tiolus alatus und stipulae adnatae sind durch nichts auf der Weit von einander verschieden, als dass etwa bei den letzten die sogenannten Flügel nach Oben in ein Spitzchen auslaufen. Mit Worten spielende Willkür ohne wissenschaftliche Begründung hat hier wie fast überall die Terminologie zusammengewürfelt. 1) Element. phil. bot. Ed. II. T. 1. p. 465. 2) Hier ist indess zu bemerken, dass man bei einigen monokotyledonen Familien auch zwei sehr verschiedene Dinge mit demselben Namen be- lest hat, z. B. bei den Aroideen. Hier z.B. bei Pothos kommt es nicht selten vor, dass sich die Blätter regelmässig abwechselnd ganz verschie- den entwickeln, indem eins aus Blattscheibe, Blattstiel, Scheidentheil: und Nebenblattscheide besteht, das folgende aber allein als eine dünne häu- tige Scheide auftritt, die weder Nebenblattscheide, noch Scheidentheil, sondern eine ganz abweichende Form des ganzen Blattes ist. Die Be- schreibung einer solchen Pflanze müsste daher nothwendig seyn; foli« dimorpha, role inaequalibus alternantibus ete. Spec. Morphologie. Phanerogamen, Blatiorgane, 183 Verfolgen wir die Entwickelungsgeschichte dieser Theile durch die verschiedensten Familien der Monokotyledonen und Dikoty- ledonen, so überzeugen wir uns gar leicht, dass alle zusammen ein und. derselbe Theil, eine weitere Entwiekelung des untern Theils des Blattes oder Blattstiels sey, und zwar in den meisten Fällen, insbesondere ganz entschieden bei den Monokotyledonen, veranlasst durch die Läpe der Blattorgane in der sich bildenden . Knospe und den dadurch auf die unteren Theile, bei den Mo- nokotyledonen insbesondere auf den Scheidentheil des Blattes ausgeübten Druck. Ist die Scheide sehr lang, der Druck sehr gering, so entsteht eine ligula bei den Gräsern, die sogar am Kotyledonenblatt vorhanden ist. Man untersuche nur eine eben gekeimte Haferpflanze. Hier ist ein lanzettliches, etwas fleischiges Blatt (sentellum), ein Scheidentheil, der etwa ein Dritttheil der Länge des ganzen Blattes einnimmt (coleoptile), und der freie Rand dieses Scheidentheils, der durch Ausbrechen der Knospe hervorgezogen. ist (ligula). Mit aller erdenklichen Mühe ist hier auch kein Moment aufzufinden, welches dieses ganze Organ von dem Begriff, Blatt ausschliessen, oder seine Blattnatur auch nur zweifelhaft machen könnte, und sieht man von absoluter Grösse, Farbe und Fleischigkeit, die ja ohnehin bei allen Blattorganen so mannigfach varüiren, ab, so ist in der Form und Anordnung der Theile auch nicht der geringste Unterschied zwischen dem Kotyledon und den folgenden Blättern des Hafers aufzufinden. Ist der Scheidentheil kürzer, der hervorgedrängte Rand etwas grösser, so heisst das Ding gleich anders (vagina petiolaris) und ist durchaus dasselbe; endlich ist der Scheidentheil sehr kurz und der hervorgedrängte Rand sehr lang, so solls eine vagina stipularis seyn, ohne doch etwas Anderes zu bedeuten, als das vorige. Diese letzten beiden Theile findet man in allen mög- lichen Uebergängen, und daneben den petiolus alatus, der Auch nichts Anderes ist, am besten bei den Familien der Hydro- charideen, der Aroideen, Scitamineen u. s. w., wo ich eine ge- nügende Anzahl Entwickelungsgeschichten analysirt habe. In der Knospe, wo das Blatt noch eine Linie und der Scheidentheil eine halbe lang ist, kann man über die Natur der sogenannten vagina. stipularis gar nicht in Zweifel seyn; wenn aber. das Blatt mit dem Blattstiel zwei Fuss lang geworden, die vagina stipu- laris mehrere Zoll lang ist, so wird der Scheidentheil, der beide verbindet, der nur eine halbe Linie lang geblieben ist, bei der gewöhnlichen Betrachtungsweise völlig übersehen und man hält Blattstiel und vagina für zwei ganz getrennte Organe. Was ich bei den oben angeführten Leguminosen, bei Rosaceen und Polygoneen und in einigen andern Familien beobachtet habe, führt unmittelbar zu dem Schluss, dass die bei den Dikotyle- 184 Morphologie, donen, Blattstielscheide, geflügelter Blattstiel, Tute, angewach- sene Nebenblätter und freie Nebenblätter genannten Organe alle verschiedene Formen eines und desselben Theils der untersten Ränder des Blattstiels oder Blattes und wiederum mit den ge- nannten Theilen bei den Monokotyledonen ihrem Wesen und ihrer Entwickelungsgeschichte nach völlig identisch seyen. So- genannte freie getrennte Nebenblätter giebt es durchaus gar nicht, und eben wie bei der vagina stipularis übersieht man nur hier ihren Zusammenhang mit dem Blattstiel, weil das Stück- chen, wo sie verbunden sind, gegen das ganze Blatt und selbst gegen das Nebenblatt so klein ist, dass es ganz zurücktritt. Betrachtet man aber das Blatt, ehe sich seine Zellen ausdehnen, in der Knospe, so ist die Verbindungsstelle des Blatts und der Nebenblätter ein so bedeutender Theil von der Länge des gan- zen Blattes, dass man gar nicht darüber in Zweifel seyn kann, dass das Nebenblatt ein blosses Anhängsel des Randes der Blatt- basis ist. Schon die aufmerksame Beobachtung der Keimung einer Leguminose mit stark entwickelten Nebenblättern könnte ohne alle Anwendung gründlicherer Untersuchungen der Ent- wickelungsgeschichte diese Ansicht zur Genüge begründen. Z.B. bei Orobus albus, Lathyrus sphaericus ist das erste Blatt nach den Kotyledonen ein einfach -lanzettliches Blatt unmittelbar in einen breit geflügelten Blattstiel übergehend. Das zweite Blatt ist schon etwas länger, noch immer einfach und man müsste die beiden Anhängsel zu beiden Seiten des Blattstiels ange- wachsene Nebenblätter nennen; das dritte Blatt ist schon drei- theilig (f. trifidum) mit Nebenblättern, deren Zusammenhang mit dem Blattstiel noch sehr bedeutend erscheint; endlich das vierte Blatt ist ein zusammengesetztes Blatt mit zwei Blättchen, einer terminalen Spitze und Nebenblättern, deren Zusammenhang mit dem langen Blattstiel verhältnissmässig verschwindend klein ist. Aehnlich zeigt sich das Verhältniss bei Pisum sativum und überall, und hieraus allein schon könnte man sehen, dass petiolus alatus, stipulae adnatae und stipulae liberae ein und derselbe Theil in verschiedenen Graden seiner Ausbildung ist. Dieselbe allmälige Entwickelung findet sich bei den meisten Knospen, und z. B. bei Prunus Padus durchlaufen die Blätter der Knospe von Unten nach Oben ganz dieselbe Formenreihe, wie bei den keimenden Leguminosen. Hat man dies eingesehen, so wird mehr als die Hälfte jener Terminologie völlig ‘entbehrlich, selbst für die -be- schreibende Botanik, wenn man ganz allgemein jeden Fortsatz, der nicht blos von den Rändern, sondern zugleich von der Blaitfläche selbst ausgeht, ligula nennt (z. B. vagina petiolaris — ligula longissima), alle deutlichen Anhängsel der Ränder petiolus alatus (z. B. stipulae adnatae, lanceolatae = petiolus alatus, alis lan- Spec. Morphologie. Phanerogamen, Blatiorgane. 185 ceolatis), endlich alle Theile, die ganz frei zu seyn scheinen, stipulae (z. B. vagina stipularis und ochrea = stipula vaginans) u. 5. w. Bei alledem sind auch hier noch gar viele Unter- suchungen zu machen, denn wenn ich auch sagen kann, dass ich bei etwa 50 Pflanzen die Entwickelungsgeschichte dieser Theile genau verfolgt, so ist das noch zu wenig, um die so ver- schiedenen Erscheinungen mit völliger Sicherheit auf ihre Grund- bildung zurückzuführen, und es bleiben selbst noch viele Fa- milien übrig, von denen ich bis jetzt keine Pflanze zu unter- suchen Gelegenheit hatte. Insbesondere bleibt für die hierher gehörigen Theile der Blumenblätter noch ein grosses Feld der Forschung. Bei Lychnis zeigt die Entwickelungsgeschichte, bei Nareissus' diese und selbst die Monstrositäten, z. B. der gefüllte Nareissus poeticus, dass hier nur derselbe Theil wie die vagina petiolaris vorhanden ist; ganz ähnliche Resultate darf man ge- wiss bei dem fornix der Borragineen und andern ähnlichen Er- scheinungen erwarten. Endlich ist auch die Natur der stipellae noch durch die Entwickelungsgeschichte aufzuklären. Jedes Blatt entsteht, wie bemerkt, als ein kleines kegelförmiges Wärzchen an einer bestimmten Stelle des Umfangs der Axe. Auch die stengelumfassenden Blätter treten auf diese Weise hervor, und zwar an der Stelle, die der Mittellinie des zukünftigen Blattes (dem Mittel- nerven) entspricht; nach und nach, so wie es weiter aus der Axe herausgeschoben wird, nehmen mehr und mehr Theile des Umfangs an der Bildung Theil, und so wird die Basis des Blattes allmälig breiter, bis sie die ganze Axe umfasste. Dauert hier nun an den Rändern der Blattbasis die Zellenbildung oder die Ausdehnung der neu entstandenen Zellen noch über das durch den Axen- umfang gegebene Maass fort, so legen sich die frisch entstandenen noch weichen und fast sallertartigen Zellen der beiden Ränder der Blatibasis aneinander und ver- einigen sich ebenso fest wie Zellen eines continuirlichen Gewebes; so wird dann der untere Theil eines Blattes ein geschlossenes, ungetheiltes, die Axe umfassendes Ganze. Ist hier die seitliche Zellenproduction gering, dagegen die Vereinigung schon verhältnissmässig früh eingetreten, so bildet dieser geschlossene Theil eine längere oder kür- zere, die Axe eng umschliessende Scheide (vagina elausa), 186 ‚Morphologie. wie bei vielen Gräsern. Ist dagegen die seitliche Zellen- produetion oder Ausdehnung bedeutend und verhältniss- mässig spät eingetreten, so dass nur die Basis des Blattes einen flach abstehenden Rand um die Axe herum bildet, “so nennt man das Blatt vom Stengel durchwachsen (fo- tium perfoliatum), z.B. Bupleurum perfoliatum. Da wo die Axe kantig ist und an diesen Kanten dünne mehr oder weniger vorspringende Plättchen bildet (die soge- nannte geflügelte Axe, awis alata) kann ein ähnlicher Process in der Knospe in der Weise eintreten, dass sich ein flächenförmiges Blatt an seiner Basis mit den gleich- zeitig sich entwickelnden Flügeln oder Kanten der Axe verbindet, so dass das entwickelte Blatt stetig in diesel- ben überzugehen scheint. Man nennt ein solches Blatt ein an der Axe herablaufendes (folium decurrens), z. B. bei Carduus, oder mit einer ganz unbegründeten Fiction ein mit der Axe verwachsenes Blatt (asxis folio adnata), z. B. die Bractee. an den Lindenblüthen. Da wo sich mehrere Blätter gleichzeitig oder‘ fast gleichzeitig auf nahebei gleicher Höhe der Axe bilden, nähern sich wäh- rend der Eintwickelung die Basen der Blätter allmälig und es kann hier leicht geschehen, dass sie so nahe zusammentreffen, dass sich bei den Basen zweier ver- schiedener Blätter derselbe Process zeigt, wie er so eben an den beiden Rändern eines und desseiben Blattes be- schrieben ist. So. kommt es denn, dass Blätter, die ihrem Ursprung und ihrer Spitze nach frei und isolirt sind, in ihrer .fernern Entwickelung und an ihrer Basis ein ungetrenntes Ganze bilden ( verwachsene Blätter, folia connata). Eins der einfachsten und am leichtesten zu verfolgenden Beispiele geben die Blätter von Loni- cera caprifolium. Endlich kann auch der fast entgegengesetzte Process stattfinden, indem nämlich ein Blatt. sich entwickelt, aber von den benachbarten, sich schneller und kräftiger ent- wiekelnden auf eine uns noch unbekannte Weise, sey es mechanisch durch den blossen Druck, sey es auf eine Speec. Morphologie, Phanerogamen, Blatiorgane, 187 andre Art, plötzlich in seiner Entwickelung : gehemmt wird, so dass man an dem ausgewachsenen Pflanzentheil entweder das kleine ursprüngliche Wärzchen wegen re- lativer Kleinheit nicht sieht, oder dass die, kleine Er- hebung desselben bei der spätern Ausbildung des Pflanzen- theils wirklich wieder ausgeglichen, oder endlich die kleine Blattanlage abgestorben und allmälig zerstört ist. In diesem Falle sagt man, das Blatt sey fehlgeschlagen, abortirt; ein leicht zu verfolgendes Beispiel hierfür giebt das dritte Perigonialblatt bei Curex, welches auf diese Weise fehlschlägt, während die beiden andern den soge- nannten ufriculus bilden. Aber nicht blos ganze Blätter können auf diese Weise fehlschlagen, sondern auch. ein- zelne schon angelegte Theile eines Blattes; so ist es gar nicht selten, dass sich an dem angelegten Blatte die so- senannten Nebenblätter übermässig entwickeln, während das eigentliche Blatt selbst in seinem Wachsthum se- hemmt allmälig dem Auge verschwindet. Als Beispiel können hier die sogenannten Knospendecken (ramenta) an den perennirenden Knospen von Corylus avellana die- nen, die in der That nichts sind, als die Nebenblätter eines fehlschlagenden Hauptblattes. Eindlich kann derselbe Einfluss, den die in der Knospe eng aneinander sedrängten Theile aufeinander ausüben, auch blos die Folge haben, dass sich die einzelnen Blatt- organe nicht symmetrisch in zwei gleichen Hälften ent- wickeln, sondern dass die eine Seite, oder der an der einen Seite der Mittelnerven liegende Theil des Blattes eine andere Form annimmt, als die andere Hälfte, wofür 2. B. die Begonia-Arten ein auffallendes Beispiel geben. Die hier geschilderten Entwickelungsprocesse sind die einzigen im Leben der Pflanze, auf welche wir die Worte Verwachsung und Fehlschlagen anwenden ‚können, wenn wir innerhalb der Gränzen besonnener, wissenschaftlicher Thätigkeit bleiben wollen. Verwachsung hat nur Sinn, wenn ich es als Vereinigung zweier ursprünglich wirklich getrennter Theile in Folge eines Wachs- thumsprocesses bezeichne, Fehlschlagen nur dann, wenn ich darunter gestörte Entwickelung und Vernichtung eines in der 188 Morphologie, Wirklichkeit schon angelegten Theils verstehe. Nichts aber hat die Botanik gewiss mehr verwirrt und von ihrem Ziele abgelenkt, als der Missbrauch dieser beiden Wörter. Dass Manche es für viel leichter halten, über eine Erscheinung nach einem willkür- lich ersonnenen Typus zu phantasiren und durch so ein hinge- worfenes Wort die Sache abzumachen, als nach wochen- und monatelangen mühseligen Untersuchungen einsehen zu müssen, dass es mit dem so schön erdachten Typus nichts ist, glaube ich recht gern, muss aber doch behaupten, dass eben. nur allein in dem Letztern ächte wissenschaftliche Thätigkeit liegt, das Erste aber Tändeleien . Solcher sind, die nicht verstehen oder nicht: verstehen wollen, dass das Ziel unserer naturwissenschaft- lichen Bestrebungen eine Theorie des Wirklichen und nicht un- serer Einbildungen sey. Auch beruht der ganze Missbrauch noch auf einer empirischen und methodischen Mangelhaftigkeit: auf einer empirischen, insofern uns noch ganz die Thatsachen fehlen, um für die phanerogame Pflanze im Allgemeinen wie für einzelne Gruppen ein Gesetz der Blattstellung wissenschaft- lich begründen zu können, Abort und Verwachsung, aber doch auf jeden Fall nur zur Erklärung der Ausnahme von einem wohl begründeten Gesetz gebraucht werden können; auf einer methodischen, indem eine beobachtete Regelmässigkeit in vielen Fällen wohl dazu dienen kann, uns auf die Möglichkeit eines zum Grunde liegenden Naturgesetzes aufmerksam zu machen, aber noch nicht dies Gesetz selbst ist, dessen wirkliche Existenz, dessen Ausspruch vielmehr dann erst gesucht und begründet werden muss'). Es ist hier der Missbrauch der vergleichenden Methode, den ich schon in der methodologischen Einleitung (Th. 1. S. 61) gerügt. Wenn wir gleich bei einer Reihe von Pflanzen an bestimmter Stelle in bestimmter Ordnung fünf Blätter finden, und bei einer andern mit den vorigen vielfach verwandten Pflanze nur vier, so muss uns allerdings die Vergleichung darauf leiten, hier ein Fehlschlagen eines Blatts zu vermuthen und uns zur Untersuchung auffordern, aber eben diese Untersuchung ist es ganz allein, welche über das wirkliche Fehlschlagen entschei- den kann. Jeder andere Versuch ist ein ebenso unmöglicher als unwissenschaftlicher. Der einzige Fall wäre auszunehmen, wenn wir aus constitutiven metaphysischen Principien in mathe- matischer Entwickelung ein Gesetz ableiten könnten, nach wel- chem an dieser Stelle grade fünf Blätter stehen müssten, wo dann die durch ein ausnahmsloses, mathematisch bestimmtes Ge- setz bedingte Nothwendigkeit genügen würde, den Ausspruch 1) Man vergleiche hierüber die vortrefflichen Entwickelungen in Fries, Versuch einer Kritik der Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, Braunschweig, 1842. Spee, Morphologie. Phanerogamen, Blatiorgane. 189 zu begründen: ‚,‚hier muss ein Blatt für die Erscheinung zu Grunde gegangen seyn.“ Dergleichen Gesetze haben wir aber ausser der reinen Bewegungslehre überall noch nicht in unserer Naturwissenschaft, am allerwenigsten in den dürftigen, empiri- schen Anfängen unserer botanischen Bestrebungen. b. Structurverhältnisse der Blattorgane. $. 135. Das sich bildende Blatt besteht wie alle sich bilden- den 'Pflanzentheile ausschliesslich aus Zellgewebe, erst allmälig organisiren sich bestimmte Zellgewebsstränge zu Gefässbündeln, und zwar geht dieser Process von den Gefässbünden der Axe aus und schreitet allmälig in das Blatt hinein fort. In vielen Blattorganen namentlich der Blüthentheile bilden sich niemals Gefässbündel. Man nennt die Gefässbündel der Blätter mit höchst ungeschickt ge- wählten Ausdrücken Nerven oder Adern (nervi, venae). Bei Monokotyledonen mit unentwickelten Stengelgliedern treten die sämmtlichen (?) ganzen Gefässbündel des durch das Blatt nach Oben begränzten Stengelgliedes in das Blatt ein. Bei allen übrigen Pflanzen sind wenigstens ‘viele in das Blatt eintretende Gefässbündel nur Abzwei- gungen der Gefässbündel der Axe, bei den Dikotyledonen ausschliesslich oder doch grösstentheils von dem Rande der Gefässbündelschlinge der Axe ausgehend. Der Ver- lauf der Gefässbündel im Blatte hängt wesentlich von dessen Form ab. Bei flachen Blättern, Blattstielen oder Scheidentheilen liegen auch die Gefässbündel in einer Fläche, bei verhältnissmässig dicken Blättern u. s. w. liegen sie zerstreut (Palmen), oder in einem Kreis (Aloe-, Mesembryanthemum- Arten). Selten verlaufen die Ge- fässbündel getrennt durch das ganze Blatt (wie bei den letztgenannten), meist anastomosiren sie vielfach mit eimnan- der durch Seitenäste, häufig im Blattstiel, so dass alle eintretenden Gefässbündel sich zu einem einzigen vereinen und dann in der Blattscheibe wieder auseinandertreten. Die Form der Verbindungen ist sehr mannigfaltig, bei 190 Morphologie. vielen Monokoiyledonen nur durch kurze, rechtwinklig abgehende Aeste, bei andern und den meisten Dikotyle- donen mannigfaltiger, so dass ein Netz mit polygonen Maschen sich bildet. Insbesondere hat Decandolle » sich grosse Mühe gegeben, die Vertheilung der Gefässbündel im Blatt auf gewisse Typen zurück- zuführen und auf die Eintheilung der Pflanzen in bestimmte Gruppen anzuwenden. Ich a keine Gesetzmässigkeit darin erkennen. Die Vertheilungsweise ist so mannigfach, wie die Blattformen selbst, von denen sie eben abhängig ist, während Decandolle seltsamer : Weise die Sache umkehrte. “Die nächst verwandten Pflanzen zeigen hier oft wie verschiedene Blattformen, so auch ganz verschiedene Vertheilungsweise der Gefässbündel, z. B. Alisma natans und Plantago, Funkia und .Hemerocallis, Hydrocharis und. Vallisneria, Taxus und Salisburia, Dortmanna und Isotoma, Sedum und Bryophyllum, Peireskia und Opuntia, Salicornia und Beta, Dianthus und Lychnis u. s. w. Allgemeine Gesetze sind deshalb noch durchaus nicht aus diesen Thatsachen abzuleiten, obwohl es recht und nützlich ist, wie überall, die einzelnen Gruppen, Familien, Geschlechter und Arten auch in dieser Beziehung aufs Genaueste zu untersuchen und zu charak- terisiren. Man kann bei vielen flachen Blättern einen die Mittel- linie des Blattes durchlaufenden Hauptnerven und von diesem ausgehende Hauptseitennerven unterscheiden. Je nachdem letz- tere bei ihrem Abgange einen scharfen Winkel oder einen gegen den Hauptnerven convexen Bogen machen,‘ unterscheidet De- candolle?’) folia angulinervia und ceurvinervia; die letzteren will er den Monokotyledonen vindiciren ; sie finden sich aber auch häufig bei Dikotyledonen. Wenn dagegen von der Basis des Blattes an dasselbe von mehreren gleich starken Nerven durch- zogen ist, nennt Decandolle dasselbe folium reetinervium. Diese Hauptabtheilungen werden dann weiter eingetheilt. Andere, z. B. Link und Lindley, haben andere Eintheilungen, weil sie die Haupteintheilungen nach anderen Formen machen. Diese ver- schiedenen gleich berechtigten Ansichten zeigen schon, dass hier noch an en Gesetz zu denken ist. Für die Charakterisirung der Pflanzen und Pfianzengruppen sind aber diese Verhältnisse ebenfalls noch völlig unanwendbar, einzelne wenige Fälle, wo sich innerhalb gewisser Gruppen gewisse Verhältnisse constant zeigen, z. B. bei den Melastomeen, den Scitamineen abgerechnet,‘ was aber im Ganzen sehr selten ist. N Organographie vegetale T. I. p. 289 sog. 2) a..a. ©. Spee, Morphologie. Phanerogamen, Blatiorgane 191 Auch die Gefässbündel des Blattes sind succedane Gefässbündel, und zwar bilden sie sich so, dass die älte- sten Theile (das Blatt als horizontal von der Axe ah- sehend gedacht) nach Oben liegen, die jüngern Theile nach Unten. . Nach Unten zeigt sich auch bei den Diko- tyledonen eine Cambialschicht; nach Unten begleiten Bast- bündel die Gefässbündel, und nach Unten springen die Gefässbündel bei verhältnissmässig dünnen und flachen Blättern über der Fläche hervor (wahrscheinlich in Folge der allmäligen Bildung), während die obere Blatifläche eben erscheint. Ueber die Entwickelung der Gefässbündel im Blatte fehlt es bis jetzt noch gänzlich an Untersuchungen, insbesondere bedür- fen wir genauer. Beobachtung des Verhaltens ungeschlossener Gefässbündel der Dikotyledonen, und ihres Verhaltens bei län- gerer Dauer des Blattes. Bei Pinus und Abies glaube ich an zweijährigen Blättern zwei Lagen des Gefässbündels (den Jahres- ringen ähnlich) unterscheiden zu können. Das Parenchym des Blattes entwickelt sich im höch- sten Grade verschiedenartig. Im Allgemeinen ist es hei dicken, massigen Blättern nach Aussen kleinzelliger, en- ger, mehr Chlorophyll führend, nach Innen grosszelliger, lockerer, mit wässerigen Säften erfüllt. Oefter seht jene äussere Schicht in ein Gewebe über, dessen Zellen senk- recht auf die Oberfläche des Blattes in die Länge ge- streckt sind, sich dicht, fast ohne Spur von Intercellular- sängen nesander jegen und sich so ziemlich scharf von dem übrigen Parenchym absetzen, und nicht nur bei run- den oder dreikantigen Blättern, sondern auch bei flachen, z. B. vielen neuholländischen Myrtaceen im ganzen Um- fange des Blattes sich’ finden. Bei flachen Blättern ins- besondere der Dikotyledonen findet sich sehr häufig eine Trennung in zwei Lagen, deren obere die eben erwähnten senkrecht auf die Blattfläche gestreckten Zellen mit vie- lem Chlorophyll hat, während die untere aus lockerem, kugeligem oder noch öfter schwammförmigem Parenchym mit weniger Chlorophyll besteht. Bei dicken, leder- artigen oder fleischigen Blättern, z. B. bei Ficus- und 192 Morphologie. Peperomia - Arten, liegen oft eine oder mehrere Schich- ten fast nur mit wässerigen Säften erfüllter Zellen zwi- schen jener obern Schicht und der Oberhaut, seltner ähn- lich an der untern Blaitfläche. Ausserdem kommen im Parenchyme zerstreut oder an bestimmten Stellen nach specifischer Eigenheit, Spiralfaserzellen, stark verdickte poröse Zellen, Zellen mit besondern Säften und Krystallen vor. Nicht minder findet man Milchsaftgefässe und Gänge, Gummi-, Oel- und Harzgänge, auch einzelne Bastbündel, letztere insbesondere in den schmalen, langen Blättern der Monokotyledonen; auch Luftcanäle und Luftlücken, erstere oft in sehr regelmässiger, zum Theil zierlicher Stellung zeigen sich in den Blättern. Auch hier lässt sich so wenig etwas Allgemeines festsetzen, als bei der Axe. Fast alle Combinationen der Formen der Elementarorgane und der verschiedenen Gewebe kommen in den Blättern vor, und es hat die Sache in ein sehr schiefes Licht gestellt, dass man rein willkürlich einige oft nicht einmal im Ganzen häufig vorkommende, sondern nur häufiger beobachtete Verhältnisse herausgegriffen und als Norm hingestellt hat, zu der sich dann die andern wie Abweichungen verhalten sollten. Man braucht nur allein die Blätter der Orchideen einer etwas umfassendern Untersuchung, zu unterwerfen, um schon eine solche Mannigfaltigkeit der Combination zu erhalten, dass man vor- läufig gewiss es aufgiebt, die Sache auf einfache Gesetze zurück- zuführen; die Aloineen, Crassulaceen, Ficoideen, Piperaceen, Proteaceen u. s. w. geben ähnliche Beispiele. Bei vielen Pflan- zen ist allerdings jene Trennung in ein gestreckteres, dichteres, grüneres und ein allseitig ausgedehntes, lockeres und blasseres Par- enchym deutlich ausgesprochen, doch giebt es auch unzählige Pflanzen, bei denen dies nicht der Fall ist, sowohl unter den Dikotyledonen, als insbesondere bei den meisten Monokotyledo- nen, so dass man durchaus unberechtigt ist, dies den gesetz- mässigen Blattbau zu nennen, was auch ohnehin nur insofern thunlich ist, wenn man ebenso willkürlich das flache Blatt als das gesetzmässige ansieht. Einzelnheiten, wie z.B. das häufige Vorkommen von Spiralfaserzellen in den Blättern tropischer Orchideen und ebenso ausgezeichnet hei Gessneria latifolia '), 1) Aber bei keiner Verwandten, die ich untersuchen konnte. Hier ist die allmälige Umwandlung reiner Spiralen in poröse Bildungen mit spalten- artigen Poren äusserst leicht zu verfolgen. Spec, Morphologie. Phanerogamen, Blattorgane. 193 dasselbe in den Nebenblättern der Paronychieen — die eigen- thümlichen sternförmigen Haare, die in die Luftcanäle von Nym- phaea, Nuphar, Euryale etc. hineinragen '), — die ganz ähnlichen seltsamen, oben und unten kolbigen, zuweilen verästelten und stark verdickten Zellen, welche die Schicht gestreckten Paren- chyms bei Nymphaea-, Nuphar- und Hackea-Arten (z. B. Hackea peetinata) durchsetzen, — die dickere oder dünnere Lage von fast wasserhellem Zellgewebe, welches bei vielen Peperomia- und bei einigen Ficus-Arten u.a. die Schicht gestreckten Zellgewebes bedeckt, während nah verwandte Pflanzen nichts Aehnliches zeigen, — die ungeheuern oft fast die ganze Blattdicke durch- setzenden Krystalle bei den Agaven und bei Pontederia cras- sipes, — die von den Scheidewänden der Luftcanäle aus in diese oft auf zwei Seiten hineinragenden Zellen mit Krystall- bündeln (Turpin’s biforines) bei Aroideen, mit einzelnen grossen Krystallen bei Pontedereen, oder mit Krystalldrusen bei Myrio- phyllum und Proserpinaca, — die häufig mit so zierlicher Regel- mässigkeit angeordneten Luftcanäle in den meisten Wasser- und Sumpfpflanzen — die Luftlücken in den Blättern der Gräser?) u. a. sind lauter specifische Eigenheiten, die nicht von allgemeinen Gesetzen abgeleitet werden können, oder unter allgemeine Gesichts- puncte zusammenzufassen sind. Wenn Milchsaftgefässe vorhanden sind, folgen diese meist den Gefässbündeln und liegen dann an der untern Seite, doch laufen auch oft einzelne Milchsaftgefässe isolirt durchs Parenchym. Vergleicht man die Entwickelung der Gefässbündel des Blattes mit dem der Axe, so entspricht, wie auch der natürliche Zusammenhang von Blatt und Axe andeutet, die untere Blattfläche der Rinde, und demgemäss findet man auch, dass sich zuweilen die äussere Rindenlage eine grössere oder geringere Strecke weit ins Blatt hinein fortsetzt. Ueber den Bau der Schläuche ist wenig zu sagen, die mei- sten sind noch nicht untersucht. Bei Nepenthes enthält die Schlauchwand wie die ganze Pflanze eine grosse Menge feiner Spiralfaserzellen. Bei Utricularia sind die Intercellulargänge in der Schlauchwand auffallend gross und würden sich nach Aussen und Innen öffnen, wenn sie nicht hier jedesmal durch eine oder zwei kleine pfropfförmige Zellen geschlossen wären, die auf der innern Seite die eigenthümlichen vierarmigen Haare, auf der äussern eine oder zwei flachrunde Zellen tragen. 1) Aehnliches seltsamer Weise auch bei einem Rhizom von Rumex crispus (?). 2) Hier erkennt man schon im ganz jungen Blatte die Gruppe ganz zartwandigen, grosszelligen, wasserhellen Parenchyms, welches be- stimmt ist, durch Zerreissung die Luftlücken zu bilden, z, B. Arundo Donax. 1. 15 194 Morphologie, Alle Blattorgane zeigen bald nach ihrem Entstehen ein zartes Epithelium, welches bei den gesetzmässig unter Wasser oder in der Erde sich entwickelnden in Epihlema, bei den an der Luft vegetirenden in Epidermis übergeht. Einige Blüthentheile bilden sich eine eigenthümliche Art der Bekleidung zwischen Epithelium und Epidermis die Mitte haltend, wovon unten zu reden ist. Dem Epiblema fehlen stets die Spaltöfnungen. Die Epidermis hat ge- wöhnlich welche. Bei den flachen, horizontalen Blättern fehlen sie überwiegend häufig der obern Epidermis und finden sich meist nur da, wo unter der Oberhaut lockeres oder schwammförmiges Zellgewebe ist. Bei schwimmenden Blättern dagegen hat nur die obere Epidermis Spalt- öffnungen und durch die obere Schicht gedrängten, lang- gestreckten Parenchyms führen von denselben Luftcanäle in das untere lockere Parenchym, ebenso bei, den Blät- tern, die rund umher mit jenem dichten, gestreckten Zellgewebe umgeben sind. Ausserdem kommen alle ap- pendiculären Theile der Epidermis gelegentlich an den Blättern vor und selbst Korkbildung findet man zuweilen an den Blattstielen ausdauernder Blätter, z. B. an einigen Pothos- und Ficus-Arten, so wie an den Blättern von Crassula, Bryophyllum u. a. Meist führen die Oberhaut- zellen eine klare, wasserhelle Flüssigkeit, zuweilen be- sonders auf der untern Blaitfläche gefärbte (rothe) Säfte, seltner Krystalle, noch seltner eigenihümliche Stoffe als Harze und dergleichen. Die Form der Oberhautzellen richtet sich nach der Blattform, schmale langgestreckte Blätter haben auch in derselben Richtung gestreckte Ober- hautzellen. Wie bemerkt sind die seitlichen Scheidewände | der Oberhautzellen öfter wellenförmig gebogen, doch ist selbst die Statistik dieses Verhältnisses zu wenig aus- | führlich, um auch nur auf Möglichkeiten der Erklärung | zu kommen. Ueber den Bau der Epidermis und der Spaltöffnungen ist schon | im ersten Theile genügend gesprochen; über das Vorkommen der einzelnen appendiculären Theile der Epidermis lässt sich nichts Spec. Morphologie. Phanerogamen, Blaitorgane, 195 Allgemeines sagen, als etwa die Bemerkung, dass Haare im Ganzen bei den Blättern der Monokotyledonen verhältnissmässig sehr selten sind. Eins muss ich noch erwähnen, dass nämlich zuweilen die Blätter in der Knospe Haare haben, die bei der freien Entwickelung abfallen und dann eigenthümliche Narben zurücklassen, die oft verkannt und für etwas Besonderes gehal- ten sind. Ein Beispiel giebt Nuphar luteum '). Häufiger noch sind Haare, die aus einer cylindrischen Zelle bestehen, welche eine kugelförmige Zelle trägt, und in einem Grübchen der Epi- dermis befestigt sind, welches sie fast ganz ausfüllen; auch sie werden oft zerstört und lassen täuschende Narben zurück. Im- mer zeigt die Epidermis in ihrer unmittelbaren Nähe einige Eigenheiten. Beispiele sind: die meisten Piperaceen (Piper obtusifolium) und viele tropische Orchideen (Pleurothallis rusci- Jolia). Wie schon bei der Epidermis erwähnt (Th. I. S. 234), zeichnen sich einige Blätter durch eine besondre Vertheilungsweise der Spaltöffnungen aus. Bei Nerium, Banksia und Dryandra finden sich kleine mit Epidermis ausgekleidete, am Rande mit Haaren besetzte Grübchen auf dem Blatte, auf deren Boden sich allein ' einige Spaltöffnungen befinden. Bei Saxifraga sar- mentosa und cuscutaeformis liegen die Spaltöffnungen in grös- seren Gruppen ganz dicht beisammen. Gewöhnlich ist der Längsdurchmesser der Spaltöffnungen bald so, bald so gewendet. Bei den verhältnissmässig sehr in die Länge gestreckten Blättern ist er dem Längsdurchmesser des Blattes parallel (Gräser, Liliaceen, Coniferen). Ebenfalls ist schon von der eigenthümlichen Se- eretionsschicht bei den Blättern gesprochen (Th. I. $. 69.), die bei einigen Pflanzen besonders bei fleischigen Blättern mit lederartiger Oberhaut eine sehr bedeutende Dicke anzunehmen pflegt, und eben die lederartige Beschaffenheit der Oberhaut bedingt. Selten wie z. B. bei Hydropeltis ist diese Absonderungs- substanz von ganz weicher gallertartiger Beschaffenheit. Einige Blätter, z.B. bei vielen Saxifraga-Arten haben an ihrem Rande kleine Gruppen sehr zartwandiger Zellen voll trüben Inhalts, über denen die Epidermis nicht ausgebildet ist, sondern im Zu- stande des Epithelium verharrt. Von diesen Zellengruppen wird die grosse Menge kohlensauren Kalkes abgesondert, welcher auf diesen Blättern vorkommt. Ueber die Entwickelung einzelner Zellen und Zellengruppen des Blattes zu neuen Pflanzen werde ich unten im Zusammenhang bei der Fortpflanzung sprechen. I) Wiegmann’s Archiv Jahrg. IV. (1838). Ba, 1. S. 51. #: 196 Morphologie. c. Vollständige Uebersicht der Blattorgane. $. 156. Man trennt hier zweckmässig die Blüthentheile von den übrigen Blatiorganen und nennt letztere Laubblätter (folia sensu stricto), die ersteren Blüthenblätter (nicht Blumenblätter) , phylla. 1) Laubblätter (folia). A. Keimblätter (cotyledones). Meist stielrund, oder flach, fleischig, wenig getheilt und nie zusammengeseizt. (Vergl. unten beim Embryo.) N B. Stengelblätter (folia caulina) )- Ihre Formen sind sehr verschieden, wie in den vorigen Paragraphen entwickelt; gewöhnlich sind die unmittelbar auf die Keim- blätter folgenden einfacher, werden allmälig vollkommener und nach Oben in der Nähe der Blüthen häufig wieder einfacher ?). Fadenförmige Blätter oder Blatitheile, die sich um andere Gegenstände schlingen, nennt man Ran- ken (eirrhi, z. B. Pisum, Ciematis), fadenförmige, wenn sie steif und spitz sind, Dornen (spinae). Sehr hohle Blätter, die eine Becher- oder Kannenform zeigen, Schläuche (asei), z. B. Nepenthes, Saracenia, Utri- cularia. Nach ihrer verschiedenen Stellung unterscheidet man noch von den Laubblättern im Allgemeinen: a) Blüthenständige Blätter (folia floralia). Von den Stengelblättern nicht unterschieden, aber in ihrer Ach- sel eine Blüthe oder einen einfachen Blüthenstand tragend. b) Deckblätter ee Von den Stengelblättern ver- schiedene Blätter, die in ihrer Achsel eine Blüthe 1) Hier ist der Ausdruck passend, als Gegensatz zu f. radicalia ohne Sinn, denn Blätter kommen niemals aus der Wurzel. 2) Die einfachen Blätter am Blüthenstand der Synanthereen nennt man mit einem in jeder Beziehung unpassenden Ausdruck gemeinschaft- licher Kelch (calyxz communis), besser folia inflorescentiae, oder wenn man sie durchaus anders bezeichnen will, dbracteae steriles. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Knospenorgane, 197 oder einfachen Blüthenstand tragen, z. B. die schar- lachrothen Blätter bei Salvi« Horminum. Hierher ge- hören auch die glumae der Gräser, die nichts als zwei Bracteen sind, die gewöhnlich keine Blüthe in ihrer Achsel haben. Quirlförmig gestellte Deckblätter werden auch Hüllen (nvoluerum) genannt, offenbar ein überflüssiger Ausdruck. Es sind bracteae ver- ticillatae. Die bald vertrocknenden Bracteen der Syn- anthereen nennt man Spreublättchen (paleae), eben- falls ein völlig unnützes Wort. c) Deckblätichen (bracteolae). Von den Stengelblättern verschiedene Blätter, die unter der Blüthe, aber an der Axe derselben stehen, z. B. die drei Blätter unter der Blüthe von Malva, die zwei unter der Blüthe von Oorydalis u. s. w. C. Knospendecken (fegmenta), die sehr einfachen, meist häutigen und bald abfallenden äussern Blätter der eine Zeit lang unentwickelt bleibenden Knospen. (Vergl. unten über die Knospen). 2) Blüthenblätter (phylia), vergl. unten die Blüthe. Blüthenhüllblätter (phylla perigonii). Kelchblätter (sepale). Blumenblätter (petala). Nebenblumenblätter (parapetala). Staubfäden (stamina). ‚Nebenstaubfäden (parastemones). Fruchtblätter (carpell«). SEI ORET D. Von den Knospenorganen (Gemmae). a. Von den Knospen im Allgemeinen. $. 137. Knospe ist das unentwickelte, aber entwickelungs- fähige Ende einer Haupt- oder Nebenaxe. Man kann unterscheiden Terminalknospe (gemma terminalis), Pad |; 198 Morphologie, das entwickelungsfähige Ende einer schon ausgebilde- ten Axe; Axillarknospe (gemma awillaris), das ent- wickelungsfähige Ende der in einer Blattachsel regel- mässig neu entstehenden ( Neben-) Axen; da in einer Blattachsel regelmässig mehrere Knospen entstehen kön- nen, so nennt man die sich in der Regel am kräftigsten entwickelnde die Haupiknospe, die andern Beiknospen '(gemma azillaris primaria und accessoria); und end- lich Nebenknospen (g. adventitiae) die entwickelungs- fähigen Enden der irgendwo an einer Pflanze unregel- mässig neu entstehenden (Neben-)Axen. Bei allen dreien kann man unterscheiden ununterbrochen sich fortentwickelnde Knospen (9. vegetatione continua), und solche, deren vegetative Thätigkeit nach ihrer Ausbildung als Knospe eine Zeitlang ruht, ehe sie sich weiter entwickeln (4. vegetatione interrupta)'). Endlich kann man noch unterscheiden Knospen, die sich im natürlichen Lauf der Vegetation von der Mutterpflanze trennen und zu selbst- ständigen Pflanzen werden, Brutknospen (g. plantiparae), und solche, die mit der Mutterpflanze für immer verbun- den bleiben (g. ramiparae). Endlich nach der Natur der später sich aus der Knospe entwickelnden Blatiorgane unterscheidet man Blüthenknospen (g. floriparae, ala- bastrus), Blattknospen (.g. foliiparae) und gemischte Knospen (g. mixtae). Knospe ist die noch unentwickelte Anlage zur Verlängerung einer schon vorhandenen Pflanzenaxe oder zur Bildung einer neuen an einer schon vorhandenen. Schon deshalb, weil es nicht in der Natur der phanerogamen Pflanze liegt, nothwendig Laubblätter zu haben, ist es zum Begriff der Knospe auch nicht nothwendig, dass sie Blattanlagen enthält, um so weniger aber, da jedesmal der Blattanlage die Anlage zu einem Axenorgan vorhergeht, also der jüngste Zustand der Knospe sicher ein solcher ist, wo noch keine Blattanlagen sich zeigen. Ich habe auch die Axillar- und Nebenknospen entwickelungsfähige Enden einer Axe genannt, statt sie als die ganze Axe in unentwickel- tem Zustande zu bezeichnen. Es giebt aber so eine einfachere 1) Die Linne hibernacula nannte. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Knospenorgane. 199 und allgemeinere Definition und die erste Entstehung dieser Knospe scheint mir innerhalb des schon vorhandenen Parenchyms vor sich zu gehen, so dass das, was sich über die Fläche als sichtbare Knospe erhebt, doch eben so gut als das Ende einer bestimmten Zellgewebsmasse betrachtet werden kann. Ueber die Entstehung der Axillar- und Nebenknospen werde ich aber erst unten bei der Fortpflanzung sprechen. Die so häufig in Blatt- achseln vorkommenden Beiknospen (vergl. Roeper in der Lin- naea Bd. 1. S. 461), z.B. bei Aristolochia Sipho, Gymnocladus canadensis, verdienen gewiss noch eine genauere Untersuchung der Entwickelungsgeschichte; oft mögen sie allerdings alle zu- ' sammen nur die secundären Axillar- nnd Terminalknospen einer einzigen, der eigentlichen primären Axillarknospe darstellen, z. B. gewiss bei Cornus mascula, Ptelea trifoliata, Salix capraea (wie Link bei den Malvaceen errathen), in andern Fällen scheint es wenigstens wahrscheinlich, wie bei Aristolochia ‚Sipho, aber in noch andern wenigstens beim ausgebildeten Zustand höchst un- wahrscheinlich, z. B. bei Gymnocladus. Jede Terminalknospe ist nur das sich fortentwickelnde Ende einer einfachen Axe und ist der Möglichkeit nach unbegränzt; nur die Ausbildung der letzten Blatt- und Axenorgane zu normalen Blüthentheilen, und wie es scheint, die Unmöglichkeit der fernern Endosmose und also der Ernährung, wenn sich die Terminalknospe gar zu weit von ihrer Nahrungsquelle (dem Boden) entfernt hat, giebt hier eine Gränze. Dass der erste Abschluss nicht nothwendig nach morphologischen Gesetzen der Grundorgane zu einer bestimmten Zeit erfolgen müsse, zeigen die durchwachsenden Blumen; dass die letzte Begränzung des Längswachsthums eben so äusserlich ist, beweist die Möglichkeit, das äusserste Ende eines alten Stammes als Steckling zu neuem Längswachsthum zu bringen. Links (El. ph. bot. Ed. 11. I. 335) Unterscheidung von geschlos- senen und offnen Knospen ist völlig nichtssagend. Alle Knos- pen sind anfänglich geschlossen, alle während der Entwickelung offene Knospen. Es kommt nur darauf an, ob sie sich gleich entwickeln, oder eine Zeitlang als Knospen verharren. Mit Ausnahme der ächten Knolle (tuber) bei Sola- num, Helianthus (?) und der Knollenknospen (tuber- cula) haben alle Knospen eine bestimmte Anzahl der An- lage nach fertiger Blattorgane. Diese Blatiorgane haben eine specifisch bestimmte Art der Zusammenfaltung (ver- natio) und der gegenseitigen Lage (foliatio) '). Aus der I) Linne brauchte den Ausdruck foliatio in dem Sinne wie ich. Später substituirte man ohne Grund die Worte vernatio, praefoliatio bei 200 Morphologie, j) Entstehung der Blattorgane geht hervor, dass dieselben, wenn ihrer mehrere auf gleicher Höhe stehen, immer einmal in einer Lage seyn werden, wo ihre Ränder sich berühren (vernatio simplex, foliatio valvata) '). Oft bleibt diese Lage während des ganzen Knospenzustandes, oft ändert sie sich durch Ursachen, die noch nicht satt- sam erforscht sind, in andre um, die aber srösstentheils in der individuellen Ausbildung des einzelnen Blattes be- gründet zu seyn scheinen. Für die vernatio kann man folgende Hauptformen unterscheiden: Die Blattorgane sind entweder der Länge nach oder der Quere nach zusam- mengebogen, oder unordentlich faltig zusammengedrückt (vern. corrugativa). Bei der Länge nach zusammen- gebogenen unterscheidet man scharfe Falten von runden Biegungen. A. Scharfe Falten. a) Einfach auf die obere Blattfläche (vorwärts) zusam- mengefaltet (vern. duplicativa), z. B. Quercus, Tilia, die lamina bei Liriodendron. 5) Ebenso auf die untere Blattfläche rückwärts zusammen- gefaltet (vern. replicativa)? c) Vielfache Längsfalten (vern. plicativa), z. B. Fa- gus, Carpinus, obwohl nicht ganz eigentlich, ge- nauer bei Alchemilla und noch besser bei Panicum plicatum. B. Runde Biegungen. a) Einfach aufgerollt (vern. convolutiva), z. B. le Prunus. Blattknospen, aestivatio, praefloratio bei Blüthenknospen. Ich beschränke hier vernatio auf die angegebene Weise. Die Sache bedarf einer Be- zeichnung und das Wort ist einmal da. Hier ist abermals ein Beispiel von der gänzlichen Unwissenschaftlichkeit der Terminologie. Die vier letzten Ausdrücke sind völlig überflüssig, da es bei diesem Verhältniss sehr gleichgültig ist, ob das Blattorgan so oder so modificirt ist. Da- gegen bezeichnet man die Zusammenfaltung des einzelnen Blattes für sich, so wie seine relative Lage zu andern, was offenbar ein wesentlicher Un- terschied ist, mit demselben Worte. 1) Bei nur zwei Blättern mit einem überflüssigen Worte foliatio applicativa genannt Spec. Morphologie. Phanerogamen. Hnospenorgane, 201 6) Mit beiden Rändern zugleich vorwärts aufgerollt (vern. involutiva), z. B. Alisma, Populus. ec) Ebenso rückwärts aufgerollt (vern. revolutive), z. B. Salix, Nerium. Bei der Quere nach zusammengebogenen Blättern sind die wichtigsten Verschiedenheiten : a) Vorwärts eingebogen (vern. inclinativa), z. B. der Blattstiel von Liriodendron, Hepatica. b) Rückwärts eingebogen (vern. reclinativa), z. B. Aconitum. c) Von der Spitze bis zum Grunde vorwärts aufgerollt (vern. circinata), z. B. Cycas. Bei der foliatio unterscheidet man die Lage der Blattorgane untereinander im Allgemeinen, von der Lage einzelner Kreise von Blattorganen zu einander. In erster Beziehung hat man bis jetzt folgende Verhältnisse hervor- gehoben: A. Foliatio valvata. Wenn die Blätter sich nur be- rühren, ohne sich mit ihren Rändern zu decken. a) Fol. valvata sensu stricto, bei vernatio simplex. Blume an Stapelia. b) Fol. induplicativa? ') bei vern. duplicativa. B. Foliatio ampleca. Wenn jedes äussere Blatt alle innern umfasst. a) Fol. convolutiva, bei vernatio convolutiva, z. B. Prunus armeniaca. b) Fol. equitans, bei vernatio duplicativa, z. B. Iris.” ©. Foliatio semiamplexa. Wenn jedes Blatt mit dem einen Rande umfasst, mit dem andern umfasst wird. a) Fol. contorta bei vernatio simplex (mehr als drei Blätter), z. B. die Blume von Dianthus, Linum. 1) Dies ist eigentlich im Sinne Lindley’s (Introd. to botany. Edit. II, p. 411); ob es in der Natur vorkommt, weiss ich nicht. Das Beispiel, welches er anführt, die Blume an Clematis, gehört ohne alle Frage zur ächten foliatio valvata. 202 Morphologie, 5) Fol. obvolutiva hei vernatio duplicativa, z. B. Lychnis. D. Foliatio quwincuncialis. Wenn fünf Blätter so lie- sen, dass zwischen zwei äussern sanz ungedeckten und zwei innern ganz gedeckten ein fünftes so ein- geschoben ist, dass es eins der innern Blätter mit einem Rande deckt, an dem andern Rande aber von einem äussern gedeckt wird, z. B. bei der Blume von Rosa. E. Foliatio connata. Wenn die Blätter eines Kreises so vollständig und so innig mit einander verwachsen sind, dass sie bei Entwickelung an ihrer Gesammt- basis abreissen und als Mützchen abfallen, wie bei einigen Kelchen, z. B. Eucalyptus, Eschholzia, Bracteen, z. B. Aponogeton distachyon etc. Eindlich in Beziehung auf die Lage einzelner Kreise von Blattorganen zu einander hat man bis jetzt unter- schieden : A. Foliatio alternativa. Wenn die Theile des einen Kreises vor den Zwischenräumen zwischen den Thei- len des andern stehen, z.B. Kelchblume und Staub- fäden bei Lysimachia. B. Foliatio oppositiva. Wenn die Theile des einen vor den Theilen des andern Kreises stehen ?). Aus der hier gegebenen möglichst logisch geordneten Ueber- sicht ergiebt sich auf den ersten Blick, dass wie fast überall, so auch bei der Lage der Blattorgane in der Knospe die Ter- minologie ohne alle Uebersicht und Anordnung der möglichen Verhältnisse, ohne vollständige Durchforschung des Wirklichen und also ganz ohne alles Princip zusammengewürfelt ist, wie grade dem einen oder andern Forscher diese oder jene Form vorkam und von ihm ohne Berücksichtigung des schon Be- stehenden, ohne wissenschaftliche Consequenz mit einem neuen 1) Wahrscheinlich in der Natur gar nicht vorhanden. Die meisten Beispiele, die man anzuführen pflegt, z. B. die Blüthentheile der Berbe- rideen, Tihymeleen u. s. w. sind nur wegen oberflächlicher Beobachtung hierher gezogen; bei den ersten sind alternirende dreitheilige, nicht. oppo- nirte sechstheilige Kreise, bei den letzten eben so zweitheilige, nicht viertheilige. Spec. Morphologie. Phanerogamen, Knospenorgane. 203 Kunstwort bezeichnet wurde. Es fehlen deshalb auch hier für die wesentlichsten Unterschiede festgestellte Kunstwörter und für gleiche Sachen haben wir eine Menge verschiedene Worte, die ich als völlig überflüssig hier weggelassen habe. Einige andere Ausdrücke, die nur bestimmte Formen bei einigen Pflanzen ein- zelner Familien bezeichnen, z.B. foliatio cochlearis bei den Blu- men von Aconitum und Lamium, foliatio vexillaris bei den Blu- men der Papilionaceen haben gar keinen allgemeinen Werth und gehören entschieden nur dem speciellen Theil, der Beschreibung einzelner Gruppen an. Für die gemeinschaftliche Lage der Blattorgane in der Knospe habe ich Linne’s Ausdruck fohiatio als den ältesten und zweckmässigsten festgehalten und für die Lage des einzelnen Blattes den Ausdruck vernatio, der sonst völlig überflüssig ist, genommen, da eine Unterscheidung dieser beiden Verhältnisse unerlässlich ist. Da die ununterbrochen fortwachsenden Knospen in Axen- und Blattorgane übergehen, so ist von ihnen ausser dem Vorigen nichts Allgemeines zu bemerken, was nicht schon bei Blatt- und Axenorganen erwähnt wäre. Wich- tiger sind dagegen die Knospen mit unterbrochener Ve- getation, die scheinbar als eigne Organe der Pflanze auf- treten. An diesen finden wir, dass die äussersten (un- tersten) Blätter eigenthümlich modifieirt sind, indem ihre Formen einfacher erscheinen, als die später sich ent- wiekelnden inneren (oberen) Blätter derselben Knospe. Man kann sie ganz allgemein Knospendecken !) (tegmenta) nennen und nach ihrem verschiedenen Ursprung Zegmenta foliacea, z. B. bei Fagus, Aesculus; t. stipulacea, Z. B. bei Carpinus, Oorylus, Betula, endlich #. vagi- nalia bei den Zwiebeln von Allium, Lilium ete. unter- scheiden. Ausserdem zeigt sich noch ein wesentlicher Unterschied zwischen den Brut- und Zweigknospen, in- 1) Link’s (El. phil. bot. Ed. II, I. p. 467) Vergleich der Knospen- decken mit den Kotyledonen ist entweder sehr müssig, wenns nichts heissen soll, als dass beides Blattorgane sind, wie halt andere Blätter auch, oder entschieden falsch, denn die Kotyledonen haben nur die Function der Ernährung des Embryo, die Beschützung während der ru- henden Vegetation übernehmen die Saamenhüllen, die fegmenta nur die Function des Schutzes, die Ernährung übernimmt die Axe, an der die Knospe sitzt. 204 Morphologie. dem erstere entweder in allen ihren Theilen wie die meisten Zwiebeln und Zwiebelknospen (bulbus, bulbil- lus), z. B. Lilium candidum und bulbiferum , oder nur in ihren Axenorganen, wie bei den ächten Knollen (uber), z. B. bei Solanum tuberosum, oder nur in ihren Blattorganen, wie bei dem sogenannten dulbus so- lidus, z. B. bei Allium ursinum, oder endlich nur in einem bestimmten Theil ihrer Axe, wie z. B. bei den einheimischen Orchideen, bei Georginen, auffallend massig (fleischig) entwickelt sind, während bei den Zweigknos- pen dergleichen nicht stattfindet. Dagegen fallen bei die- sen die Knospendecken in der Regel bei Entwickelung der Knospe zum Zweige ab, während sie bei den Brut- knospen gewöhnlich allmälig von Aussen nach Innen an der Knospe absterben und dieselbe mit einer diekeren oder dünneren Lage trockner Häute einhüllen. Da man nachgerade allgemein eingesehen, dass Zwiebeln keine Wurzeln sind, wie Viele sie behandelten, sondern Knospen, so ist kein Grund vorhanden, dass man den Ausdruck tegmenta nicht auch bei ihnen auf die Theile anwendet, die insofern sie besonders modificirte Blätter oder Blatttheile sind und wesent- lich die Function haben, den eigentlich entwickelungsfähigen Theil der Knospe, während der Zeit der ruhenden Vegetation einzuhüllen und zu schützen, offenbar morphologisch und physio- logisch dasselbe Organ sind, wie die Knospendecken. Wir wer- den dadurch abermals einen Theil der überflüssigen Terminologie los und das ist gewiss ein grosser Gewinn. Perula ist ein ety- mologisch ganz unsinniger Ausdruck und zwischen tegmenta und ramenta zu unterscheiden ganz überflüssig, weil beides Theile eines Blattes oder richtiger verkummerte Blätter sind. b. Structurverhältnisse der Knospe. $. 136. Die Structurverhältnisse der Knospe sind theils bei der Untersuchung von Axe und Blatt schon genügend erörtert, theils lassen sie nur eine specielle Behandlung Spee, Morphologie. Phanerogamen. Knospenorgane, 205 nach den einzelnen besondern Arten der Knospen zu. Allgemein ist hier nur noch zu bemerken, dass jede Knospe anfänglich aus zartwandigem Parenchym besteht, und dass sich erst später Gefässbündel in sie hineinbilden und zwar so, dass der Verdickungsprocess der Zellen- wände bei den den Gefässbündeln des Theils, an wel- chem die Knospen entstehen, nächstgelegenen Zellen be- ginnt und sich in die Knospe, fortsetzt. So weit meine Beobachtungen reichen, die freilich nicht die nothwendige Vollendung haben, geht die Veränderung der Zellen der Knospe in Gefässzellen allemal von den Gefässen des Theils aus, an welchem sich die Knospe bildet. Täuschungen des Urtheils sind hier sehr leicht, da das Parenchym des Markes der Knospe stets mit dem Parenchym des Theils, an welchem sich die Knospe bildet, in Continuität steht und da die zur Knospe abgehenden Gefässbündel sich mehr und häufiger an den Seiten, als oben und unten (wo, wenigstens bei Axillar- knospen, die untern Gefässbündel der Axe vom Blatt aufge- nommen werden) mit den Gefässbündeln des knospenbildenden ‚ Theils verbinden und daher schwer ein Schnitt das ganze Ver- hältniss richtig erkennen lässt, zumal da auf die allerfrühesten Zustände zurückgegangen werden muss. Bei Terminalknospen versteht es sich von selbst, dass die Gefässbündel derselben con- tinuirliche Fortsetzungen der Gefässbündel der Axe sind. Indess bei der Schwierigkeit dieser Untersuchungen wage ich meine Beob- achtungen nicht als Abschluss entgegenstehenden Behauptungen gegenüber zu stellen. Bei der Fortpflanzung komme ich noch einmal auf diesen Punct zurück. c. Von den besondern Formen der Knospen. $. 139. A. Ununterbrochen sich fortentwickelnde Knospen. Man könnte sie auch offne Knospen nennen, weil sie selten oder nie eine solche abgeschlossene Form zeigen, wie die folgenden; denn die völlig entwickelten Blätter gehen durch allmälige Zwischenstufen in die völlig ru- dimentären eben angelegten über; nichtsdestoweniger aber ist die foliatio auch bei diesen Knospen stets eine 206 ‚Morphologie. solche, dass die allerjüngsten und zartesten Theile gegen die Einflüsse der Atmosphärilien geschützt und fast gänz- lich dagegen abgeschlossen sind. Diese Knospen kommen mit wenigen Ausnahmen nur als Ter- minalknospen an den meisten tropischen Monokotyledonen ‚vor, ‚ als Terminal- und Axillarknospen an allen Stengeln; hier nähern sie sich häufig der mehr abgeschlossenen Form der folgenden Abtheilung; endlich kommen sie auch, obwohl selten, als Neben- knospen an den Stengeln (wovon unten bei der Fortpflanzung) und an den Stämmen der Monokotyledonen und einiger Diko- tyledonen vor, vielleicht nur in Folge künstlicher und absicht- licher Verletzung. Als Beispiele nenne ich hier mit einigem Be- denken abgestutzte Stämme von Dracaena- und Cactus- Arten ; bei beiden hatte ich noch nicht Gelegenheit, mich völlig zu überzeugen, ob die sich entwickelnden Knospen wirklich Neben- knospen, oder nur zur Entwickelung kommende Axillarknospen sind, die bei Monokotyledonen überhaupt, insbesondere . bei ‚Stämmen, aber auch bei den meisten Cacteen so lange als nur der Anlage nach vorhandene verharren. ® Knospen mit ruhender Vegetation. 1) Zweigknospen. a) Terminal- und Axillarknospen der perennirenden Gewächse mit periodisch ruhender Vegetation. Von die- sen kennen wir nur die unserer einheimischen Waldbäume senau. Charakteristisch für sie ist, dass die jungen Blät- ter, die später an der auswachsenden Axe wirklich zur Eintwickelung kommen, in der Knospe fast ohne Aus- nahme von Nebenblättern, die bald nach Entwickelung ihres Blattes abfallen (stöpulae deciduae), z.B. Lirio- dendron, oder von einfacher gebauten Blättern oder Neben- blättern, deren Blatt abortirt ist (feymenta), bedeckt und eingehüllt werden; und zwar kommen hier noch insofern Verschiedenheiten vor, dass entweder nur die äussern (un- tern) Blätter oder Nebenblätter als Knospendecken auf- treten (z. B. Fagus), oder dass die Knospendecken sich bis ins Innere der Knospe fortsetzen, aber mit entwickelungs- fähigen Blättern, die sie zwischen sich nehmen und decken, abwechseln (z. B. Acer). Die Knospendecken sind meist Spee, Morphologie. Phanerogamen. Knospenorgane, 207 zähe, fast lederartig und oft mit harzigen Säften erfüllt und überzogen, und fallen dann meist bei Eintwickelung der Knospe ab, finden sich aber auch dünn krautartig und selbst schnell in ganz trockne, dünne Häutchen über- gehend, und bleiben dann meist stehen, letzteres z. B. bei Pinus. Das Studium der Knospen ist noch lange nicht vollendet und erfordert noch weitumfassende Untersuchungen. Das Beste, was wir haben, sind eigentlich zwei Arbeiten von A. Henry‘). Aber es fehlen auch . hier die vollständigen Entwickelungsgeschichten, ohne welche nichts Bedeutendes geleistet werden kann. Die Knospendecken sind eigentlich die untersten Blätter des aus der Knospe sich entwickelnden Zweiges, oft mehrere oft weniger. Zuweilen bleiben die Stengelglieder zwischen den abfallenden (bei Fagus sylvatica), oder stehen bleibenden (bei Abies excelsa) Knospendecken unentwickelt. Alle (?) hierher gehörigen Pflan- zen entwickeln jährlich nur eine einfache, schon im vorigen Jahre gebildete Knospe. Wenige weichen davon in einer Weise ab, die man mit Linne recht eigentlich Vorausnahme (Prolepsis) nennen könnte. Nur theilweise ist dies der Fall bei Alnus, wo die entstandene Axillarknospe ihre unteren Blätter schon in dem- selben Jahre entwickelt, so dass eigentlich alle im Frühjahre zur Entwickelung kommenden Knospen Terminalknospen sind. Am auffallendsten weicht Pinus ab, bei der alle Blätter der Axillar- und Terminalknospen (gemmae primariae) als Knospendecken (tegmenta primaria) erscheinen und im nächsten Jahre bei Ent- wickelung der Knospen bis auf eine kleine Schuppe *) abfallen, während sie ihre schon angelegten Axillarknospen (gemmae_ se- cundariae), die eigentlich erst im dritten Jahre zur Entwickelung kommen sollten, entwickeln; an diesen secundären Knospen sind aber die untern Blätter ebenfalls häutige Knospendecken (tegmenta secundarie) und nur die zwei bis sieben obersten Blätter un- I) Nova Acta A. L. C. N. C. T. XVII. P. 1. und T. XIX, P.1. 2) Diese hat dann ziemlich derbe Textur, und ist nur der untere, während des Knospenzustandes grüne "Theil der übrigens trocknen und häutigen Knospendecke. Diese zeichnet sich noch durch interessanten Bau aus. Die Zellen nämlich sind alle langgestreckt, die der Mitte fast bis zum Verschwinden des Lumen undeutlich porös verdickt. Die Zellen des Randes dagegen, wo die Knospendecke zerschlitzt erscheint, zeigen eine sehr dünne Membran mit äusserst zarter spiraliger Streifung, und die am Rande einzeln als Haare erscheinenden Zellen zerreissen grade wie die Haare der Mamillarien und Melocacten beim Zerren in ein spi- raliges Band, 208 Morphologie. mittelbar unter der fast immer rudimentär bleibenden secundären Terminalknospe bilden sich zu Blättern (Nadeln) aus, die dann, da die Stengelglieder der secundären Knospen sich nicht ent- wickeln, zu zwei bis sieben an der Basis von einer häutigen Scheide umgeben, unmittelbar aus dem Aste, welcher aus der primären Knospe entstanden ist, hervorzukommen scheinen. Da- bei haben Pinus und Abies noch das Eigne, dass sich nur in längern Abständen zwei, drei und mehrere primäre Axillarknospen zu wirklichen Zweigknospen ausbilden; im Uebrigen sind bei Abies Axillarknospen nur der Möglichkeit nach vorhanden. Bei Pinus bilden, wie bemerkt, die Nadeln niemals das die Axe un- mittelbar fortsetzende Ende, sondern zwischen ihnen ist stets eine kleine ganz rudimentäre Terminalknospe oft nur durch einen kleinen flachen Hügel von einigen Zellen angedeutet. Manche haben auch noch in neuester Zeit die Nadeln als Theile der zerfallenen Axe angesehen, eine Ansicht, die nichts Unmögliches hat, da wenigstens bei den Rhizocarpeen noch eine Verästelung der Axe ohne vorgängige Knospenbildung sich findet; aber so wie die Ansicht aufgestellt wurde, war es eine leere aus der Luft gegriffne Fiction, bei der nicht einmal gründliche Unter- . suchung des Ausgebildeten, geschweige denn Studium der Ent- wickelungsgeschichte um Rath gefragt war. b) Nebenknospen an den perennirenden Gewächsen mit periodisch ruhender Vegetation. Sie sind nicht an- ders von den vorigen unterschieden, als in ihrer Ent- stehungsweise. Jeder Stamm, gleichgültig. ob gewöhn- licher oder Wurzelstamm, kann eine Knospe entwickeln. Veranlassung dazu sind ausser zufälligen und absicht- lichen Verletzungen die Neigung der ‚Pflanze, an ge- wissen Stellen Knospen zu erzeugen. Manche Pflanzen zeigen auf der Rinde eigenthümliche kleine Gruppen lockerer rundlicher Zellen, die anfänglich unter der Ober- haut liegen, die aber über ihnen bald zerstört wird (Lenticellae, Rindenhöckerchen). Sie geben Veranlas- sung, dass an dieser Stelle die Rinde bei Ausdehnung des Stammes oder Astes zuerst aufreisst, und dadurch stets die frisch vegetirenden Theile der Rinde mit der Luft in Berührung bringt. Vorzugsweise an den Rän- dern der so entstandenen Risse scheinen sich Neben- knospen zu bilden. Spee. Morphologie. Phanerogamen. Knospenorgane. 209 Link (l. e. 337) sagt: Die Nebenknospen unterscheiden sich von den Axillarknospen im Bau, an diesen geht der grösste Theil des Markes mit dem Holze in das stützende Blatt über, an jenen wird das ganze Mark in die Knospe übergeführt. Hätte Link zugesehen, so wüsste er, dass das stützende Blatt mit dem Mark in gar keiner Verbindung steht, dass vom Holz nur unbedeu- tende kleine Gefässbündel in dasselbe hineingehen, dagegen ein dicker Markcylinder und ein ganzer, später verholzender Gefässbün- deikreis in die Axillarknospe übertreten, dass ferner die Neben- knospen in gar keiner unmittelbaren Verbindung mit dem Marke stehen, sondern nur mit den Markstrahlen. Mirist es gar nicht unbe- greiflich, wie Link beieiner an jedem Lindenzweigeso kinderleicht zu beobachtenden Thatsache, eine so grundfalsche Behauptung auf- stellenkann. Ueber dieBedeutung der Nebenknospen muss ich unten bei der Fortpflanzung noch ausführlicher sprechen. Hier ist nur im Allgemeinen ihre Entstehungsursache anzuführen. Bekanntlich sind es gewöhnlich Verletzungen, z.B. Abbrechen oder Abhauen eines Astes, welche eine Menge Nebenknospen ins Daseyn rufen. Am wenigsten ist bis jetzt noch auf die Bedeutung der Rinden- höckerchen in dieser Beziehung geachtet worden. Dass die- selben nicht, wie Decandolle ') meint, Wurzelknospen sind, was schon von Du Petit Thouwars und insbesondere von H. Mohl, Flora 1832. Nr. 5. aufs Gründlichste nachgewiesen wurde, ist jedem aufmerksamen Naturbeobachter bekannt. Die von mir angegebene Bedeutung derselben (vielleicht eine nur sehr unter- geordnete und zufällige) glaube ich durch eine genaue Ver- gleichung von Zweigen und Stämmen der italienischen Pappel und Schwarzpappel von allen Altersstufen als ziemlich sicheres Resultat erhalten zu haben; weiter gehen indess auch meine Kenntnisse nicht, und es ist hier abermals ein» Lücke, die ge- wiss zum Theil schon ausgefüllt wäre, wenn man die Zeit, die das unnütze Raisonniren und Schreiben über diesen Gegenstand gekostet hat, lieber auf treue Untersuchung der Natur gewendet hätte. 2) Brutknospen. a) Zwiebeln (duldi) sind monokotyledone Stämme mit unentwickelten Stengelgliedern, die allmälig von Un- ten nach Oben absterben und daher stets sehr kurz blei- ben, mit perennirenden Blättern, deren Scheidentheile ab- gestorben als dünne Häute die noch lebendigen stets 1) Organograpkhie. T. I. p. 95. ; 1. 14 210 Morphologie. fleischig verdiekten Scheidentheile der innern Blätter, Zwiebelschuppen, umhüllen, oder seltner so schnell ab- fallen, dass letztere blossliegen (z. B. bei Lilium). Sie bilden sich entweder sogleich vom Embryo an, wo dann der Scheidentheil des Kotyledonarblattes schon in die erste Zwiebelschuppe übergeht, oder aus Axillarknospen der Zwiebeln, oder aus Axillarknospen der Stengel, welche aus Zwiebeln hervorgegangen sind, z.B. Lilium bulbiferum, seltner als Nebenknospen auf Blättern und anderwärts. Man unterscheidet: A. Die blättrige Zwiebel (dulbus foliosus). 1) Schalige Zwiebel (b. Zunicatus), wenn viele Scheidentheile rings geschlossen sind oder doch ziemlich breit die Axe umfassen, z. B. Hyacinthus orientalis. 2) Schuppige Zwiebel (b. sguamosus), wenn viele Scheidentheile verhältnissmässig schmal und kurz an der Axe sitzen, z. B. Lilium eh B. Dichte Zwiebel (2b. solidus), wenn nur ein ein- ziger lebender Scheidentheil die Zwiebel bildet. So weit mir bekannt, kommt bei keiner dikotyledonen Pflanze eine ächte Zwiebel vor, obwohl gar nichts Unmögliches oder auch nur Unwahrscheinliches darin liegt, denn wenn man von dem Merkmal der unentwickelten Stengelglieder absehen und danach den Begriff allgemeiner fassen wollte, so wäre der unter- irdische Stamm von Lathraea squamaria, Dentaria bulbifera etc. ein bulbus squamosus. Ich mag diese Neuerung aber um so weniger empfehlen, da die Auffindung einer ächten dikotyledonen Zwiebel die hergebrachte Definition als zweckmässiger erscheinen lassen würde. Eine andere Frage ist, ob man die Zwiebel- kno:pen von einigen Oxalis- Arten hierher rechnen soll. Ich habe nicht Gelegenheit gehabt, sie genügend zu untersuchen, und lasse sie daher vorläufig lieber bei den dikotyledonen Zwiebel- knospen stehen, indem ich die Andauer der Zwiebel als solcher mit zum Merkmal ihres Begriffs mache. Dagegen ist es durch- aus verkehrt, die Axillarzwiebel von Lilium dulbiferum etc. von den Zwiebeln zu trennen, denn sie ist ihrem Bau nach Zwiebel, bleibt Zwiebel und bildet sich in der Blattachsel eines Zwiebel- gewächses, ob an dem Stamme oder dem Stengel scheint mir dabei sehr gleichgültig zu seyn. Die drei angeführten Ab- theilungen sind wirklich Abtheilungen der Zwiebel als solcher nach Art ihrer Zusammensetzung aus den nothwendig zu ihrem Spee, Morphologie. Phanerogamen, Knospenorgane, 211 Begriff gehörigen Theilen. Wie man daneben in Handbüchern als A. 3. die netzförmige Zwiebel setzen kann, weil bei einigen schaligen Zwiebeln die äusseren abgestorbenen Schalen zuletzt faserig zerreissen, ist mir unbegreiflich, man müsste denn con- sequent noch 4. braune, 5. gelbe und 6. rothe Zwiebeln u. s. w. unterscheiden, oder schleimige und stärkemehlhaltige, weil die innern Schuppen bald Gummi, bald Stärkemehl enthalten. Bei der dichten Zwiebel wird leider auch von einem Verschmolzen- sein der Zwiebelschalen gesprochen, was uns beweist, dass noch Niemand sich die Mühe genommen, die bekannten Bei- spiele von bulbus solidus auch nur genau zu analysiren und unter einander zu vergleichen, geschweige denn gründlich die Ent- wickelungsgeschichte zu studiren. Jede keimende Zwiebelpflanze hat in verjüngtem Maassstabe im ersten Jahre einen bulbus soli- dus, weil nur der verdickte Scheidentheil des Kotyledonarblattes vorhanden ist; von der specifisch bestimmten Zeit, zu der die äussern Scheidentheile anfangen abzusterben und der ‚grössern oder geringern Masse, zu der der Scheidentheil anschwillt, hängt es ab, ob etwas bulbus solidus oder bulbus foliosus werden wird. Der ganze Unterschied ist übrigens nicht von grosser Bedeutung, denn man findet in demselben Geschlecht blättrige Zwiebeln (Allium cepa) und dichte Zwiebeln (Allium ursinum). In Familien zumal hat dieses Merkmal fast gar keine Constanz. Ich verfolgte die Entwickelungsgeschichte von Allium moly, acu- tangulum, ursinum, Gagea lutea, arvensis, Hyacinthus orientalis, Lilium pumilum, Tulipa sylvestris. Endlich giebt es noch einen andern Punct, der die Begrenzung des Begriffs Zwiebel sehr schwierig macht. Vergleichen wir nämlich die allmäligen Ueber- gänge zwischen der Zwiebel von Allium cepa bis zu Allium porrum und von dieser durch Allium sativum zur gewöhnlichen monokotyledonen Knospe, besonders zu der mit ununterbrochener Vegetation (z. B. bei Phormium tenax), so wird es sehr schwer seyn, eine Scheidewand zu ziehen, die der Natur selbst ohnehin fremd ist. Den Bau der Zwiebeln betreffend, so ist das Wichtigste schon bei Axe und Blatt erörtert worden. Weniges erscheint als eigen- thümlich. Die Epidermis der Zwiebelschuppen bei Allium moly bedeckt eine Zellenlage, deren flache Zellen die seltsamsten, un- regelmässigsten Umrisse zeigen und etwa so in einander gefugt erscheinen, als bei dem bekannten Kinderspiel, wo ein Bild, auf ein dünnes Brettchen geleimt, mit demselben in ganz verschie- dene unregelmässig in einander greifende Stückchen zersägt ist; übrigens sind die Zellen sehr diekwandig und dicht porös. Bei Gagea lutea und arvensis findet sich auf derselben Stelle eine Schicht Spiralfaserzellen. Bei Allium ursinum und Colchicum 14* 212 | Morphologie, autumnale erinnere ich mich nicht, dergleichen gesehen zu haben, bei sehr vielblättrigen Zwiebeln ist mir nie Aehnliches vorge- kommen. b) Ziwiebelknospen (bulbilki). An Pflanzen, die nicht durch eine Zwiebel peremniren (nur an Dikotyle- donen?) bilden sich zuweilen die Axillarknospen zwie- belähnlich aus, indem die Blätter nur als verdickte Schei- dentheile entwickelt werden und die Knospen durch Ab- sterben des sie tragenden Stengels von der Mutterpflanze sich trennen und dann zu selbstständigen Pflanzen, die aber nicht als Zwiebelgewächse erscheinen, auswachsen, z. B. Dentaria bulbifera. Aus Mangel an eignen und genauen fremden Untersuchungen kann ich wenig über diese Gebilde sagen. Ob die Zwiebelchen einiger Oxalisarten hierher gehören, kann ich nicht entscheiden. Auf die angegebene Weise unterscheiden sich die. bulbilli be- stimmt von den ächten Zwiebeln. c) Knollen (tubera). An unterirdischen Stengeln bilden sich zuweilen die Axillarknospen (verdünnter, nur schuppenförmiger Blätter) so aus, dass die ganze Knos- penaxe knollig verdiekt und fleischig entwickelt wird, die Blätter dagegen ganz rudimentär oder gar nicht mehr zu erkennen sind, während die Axillar- und 'Terminal- knospen dieser unterirdischen Knospen entwickelungsfähig bleiben und, nach Isolirung der Knolle, nach Absterben der Stengel der Mutterpflanze zu neuen Stengeln aus- wachsen, z. B. Solanum tuberosum. Die Entstehung der Kartoffel aus Axillarknospen unterirdischer Stengel ist sehr leicht zu verfolgen, und wenn man Kartoffeln so zieht, dass ein Theil der untersten Stengel über der Erde bleiben muss, wie bei schlecht gehäufelten Kartoffeln gar oft geschieht, kann man sich alle möglichen Zwischenstufen von einer völlig normalen Axillarknospe bis zur völlig normalen Kar- toffei verschaffen. Ob die Knollen von Helianthus tuberosus und andern hierher gehören, kann ich, wegen Mangels vollständiger Entwickelungsgeschichte, nicht entscheiden. Knollen von Oyela- men und andern gehören nicht hierher, sondern sind Stämme. d) Knollenknospen (Zubercula). Viele Pflanzen bil- den kleine Knollen oberhalb der Erde, gewiss selten als Spee. Morphologie. Phanerogamen. Knospenorgane. 213 Axillarknospen (ob je?), viel häufiger als Nebenknos- pen, besonders an Blatiorganen, aus denen sich selbst- ständig neue Pflanzen entwickeln, sobald die Trennung von der Mutterpflanze eingetreten ist. Zuweilen ist es specifische Eigenthümlichkeit, z. B. die Knollen an Amor- phophallus-Arten und andern Aroideen, zuweilen entstehen ‚ sie bei gewissen Pflanzen, besonders leicht in Folge von Verletzungen, z. B. bei den Gesneriaceen, nach Ein- knickung eines Blatinerven an der dem Rand oder der Spitze des Blattes näheren Bruchfläche. Diese Knollenknospen verhalten sich zu den Knollen ganz ähnlich wie die Zwiebelknospen zu den Zwiebeln, wenigstens so weit sich bis jetzt beurtheilen lässt, denn es fehlt gerade bei den hierher gehörigen Pflanzen noch völlig an genügenden Ent- wickelungsgeschichten der Pflanzen, um das Verhältniss der Knol- lenknospen zu den zuweilen ebenfalls knolligen Stämmen bestim- men zu können. e) Scheinknollen (tuberidia). Einige Pflanzen bil- den eine einzelne Knospe, am häufigsten eine Axillar- knospe, auf eine eisenthümliche Weise um. Das Axen- parenchym der Knospe nämlich, welches unmittelbar über der Basilarfläche liegt, dehnt sich durch einen plötzlich in einzelnen Zellengruppen neu auftretenden Zellenbil- dungsprocess auffallend dick und knollenförmig aus, bei den Axillarknospen (bei den einheimischen Orchideen) nur einseilig, da von der andern Seite der Druck des Stengels eine solche Ausdehnung nicht erlaubt; bei Apo- nogeton distachyon ist der dicke fleischige Kotyledon mit dem Wurzelende ein eben solches Hinderniss, und daher ist auch hier die Entwickelung der Scheinknolle nur einseitig; bei Georginen dagegen ist die Knollen- entwickelung sleichförmig und trifft die Zellenmasse zwi- schen der Basis der Kotyledonen und den fast unmittel- bar unter den Kotyledonen sehr bald entstehenden ersten Nebenwurzeln, die durch die Scheinknollenbildung dann allmälis weit von den Kotyledonen entfernt werden. Der Bildungsprocess der Scheinknolle bei den einheimischen Orchideen, namentlich Orchis, Anacamptis, Gymnadenia, Platan- 214 Morphologie, thera, Ophrys, welche ich in dieser Beziehung, so weit mir die Arten zu Gebote standen, untersucht habe, ist höchst interessant; ich schildere ihn nach leicht zu controlirenden Beispielen an Orchis Morio und latifolia. In den Achseln der untern Blätter finden sich Axillarknospen. Bald nachdem im Frühjahr die Ve- getation begonnen, beginnt. die Knospe des zweiten Blattes sich zu entwickeln, indem der Theil unmittelbar über ihrem Anheftungspunct anfängt anzuschwellen und sich nach Aussen zu drängen, bei Morio in rundlicher, bei latifolia in schon früh erkennbarer zweilappiger Form; sehr bald durchbricht diese An- schwellung die Basis des Blattes, in dessen Achsel sich die Knospe befindet, sowie den Scheidenrand des untersten Blattes und wird so nach Aussen sichtbar. Der Theil, durch den die Knospe mit dem Stengel zusammenhängt, nimmt nicht an Masse zu, sondern streckt sich nur in die Länge, wodurch die Schein- knolle, oben auf ihrem Scheitel die Knospe tragend, immer wei- ter von der Mutterpflanze entfernt wird. Gegen Ende des Som- mers ist die im vorigen Jahre vegetirt habende Scheinknolle gänzlich zerstört, die diesjährige Scheinknolile hängt an der neu entstandenen seitlich an und trägt noch die Reste des diesjah- rigen Stengels und der Blätter, die neue Scheinknolle endlich ist so weit Trellendet, dass sie im folgenden Jahre bis zur Aus- bildung der Wurzeln die Ernährung der Pflanze übernehmen kann. In Folge dieser Art der Knospenentwickelung ändert jede Orchispflanze alle Jahre ihren Platz, und zwar da die untern Blätter ungefähr einen Divergenzwinkel von 120° haben, in der Weise, dass sie im vierten Jahre nahebei an ihren alten Stand- ort zurückgekehrt ist. Morphologisch sind diese Scheinknollen entschieden keine Wurzeln, physiologisch höchst wahrscheinlich auch nicht; bis jetzt liegen aber keine Thatsachen zur Entschei- dung dieser Frage vor. Dagegen bilden sich im Anfange des Frühlings jedesmal aus dem Stengel oberhalb der Scheinknolle und unter dem ersten Blatt mehrere Nebenwurzeln, die später die Ernährung der Pflanze übernehmen. Ueber die Art der Zellenvermehrung bei diesem ganzen Process fehlt es mir noch an genauen Untersuchungen. Die Scheinknollen werden von Ge- fässbündeln durchzogen, die in grosser Menge von der Spitze derselben bis zur Basis meist bogenförmig verlaufen und von einem lockern, grossmaschigen Zellgewebe umgeben sind, wel- ches in der Jugend, von einem Cytoblasten ausgehende, netzför- mige Saftströmehen an seinen Wänden zeigt. Eingebettet, einen Kreis um jeden Gefässbündel bildend, liegen 6—S mal grössere Zellen. Bei ganz jungen Scheinknollen wird der homogene wasserhelle und gallertförmige Inhalt dieser letztern durch Jod veilchenblau gefärbt; sowie die Scheinknolle erwächst, geht diese Spec. Morphologie. Phanerogamen, Knospenorgane. 215 Farbe in Weinroth bis Gelb über und endlich zeigt die Gallerte gar keine Reaction mehr auf Jod. Während der Vegetation derselben im folgenden Jahre jedoch ändert sich die Gallerte in entgegengesetzter Weise wieder um, bis endlich in der abster- benden Scheinknolle noch einmal ein Zustand eintritt, wo die Gallerte durch Iod nicht gefärbt wird. Die Oberfläche der Gal- lertmasse zeigt sich bei völliger Ausbildung mit kleinen maschig netzförmigen Zeichnungen versehen, fast granulös, etwa wie die Stärke in der Zelle einer gekochten Kartoffel. In den übrigen Zellen bildet sich allmälig sehr kleinkörniges Stärkemehl aus, welches während der Vegetation der Scheinknolle fast ganz wie- der verschwindet, bis zuletzt nur noch einzelne Körner in jeder Zelle den bleibenden Cytoblasten ankleben. Auf ganz ähnliche Weise bildet sich die Scheinknolle bei Aponogeton distachyon. An dem dicken fleischigen Kotyledon ist die Embryonalknospe seitlich befestigt und frei; zwar entwickelt sich beim Keimen anfänglich ganz regelmässig die radicula, bald aber schwillt der Theil der Embryonalknospe zwischen Kotyledonarblatt und dem darauf folgenden fleischig an der freien Seite an und dann trennt sich die erwachsene, runde Scheinknolle von dem Kotyledon, während sich .allmälig zwischen Scheinknolle und dem untersten Blatt der jungen Pflanze Nebenwurzeln entwickelt haben. Ob sich bei Aponogeton später auch neue Scheinknollen aus Axillar- knospen der Pflanze entwickeln können, weiss ich nicht. Endlich die Georginen betreffend, sind meine Untersuchungen noch sehr unvollständig. - Mir scheint die Sache so zu seyn. Bald nach der Keimung bilden sich an der Basis der Kotyledo- nen zwei Nebenwurzeln. An spätern Zuständen fand ich die junge Scheinknolle, unter dem Kotyledon, keine Spur von Ne- benwurzel, dagegen zwei dergleichen ziemlich tief unten an der Scheinknolle. Ich meine, diese muss sich zwischen jenen Ne- benwurzeln und dem Kotyledon gebildet haben. Den Process der Zellenvermehrung in der jungen Knolle gleichzeitig mit dem Entstehen der Oelgänge habe ich in meiner schon öfter ange- führten Schrift über die Cacteen ausführlich geschildert. Es ist beständige Bildung von Zellen in Zellen und Resorption der Mutterzellen. In ganz jungen Knollen nimmt dieser Bildungs- process eine Zone ausserhalb der Gefässbündel ein, später tritt er an mehrern Stellen durch die ganze Scheinknolle im Mark in verticalen, in der Rinde in horizontalen Streifen auf. In den jungen Scheinknollen zeigen alle Zellen aufs Schönste eine von Cytoblasten ausgehende Circulation in netzförmig verästelten, äusserst schnell laufenden Strömchen. Alle drei hier geschilderten Gebilde haben das Gemeinsame, dass sie knollenförmige Verdickungen eines Theiles eines Sten- 216 Morphologie, gelglieds, oder höchstens eines ganzen (bei Georgina) sind, aber ‚ohne dass diese Veränderung gleichzeitig die Blattorgane oder Knospen verändert; dadurch fallen alle unter einen gemeinsamen Begriff und unterscheiden sich zugleich scharf von den ächten Knollen, die stets eine ganze Axillarknospe, d. h. alle Stengel- glieder einer ganzen Axe, mit ihren Blattorganen und Knospen umfassen. Bei der grossen Menge von sogenannten Knollengewächsen ist's sehr möglich, dass noch mehr ganz verschiedene Formen eigenthümlicher Knospenmodificationen vorkommen; bei gänzlichem Mangel an Entwickelungsgeschichte lässt sich aber nichts dar- über sagen, ja nicht einmal die Beispiele für die angerührten Formen lassen sich vermehren. Es muss erst eine Zeit kom- men, wo die jetzt meist so dürren und geistlosen systematischen Werke etwas mehr geben als: Planta tuberibus perennans oder Radix tuberosa u. s. w. Solche Untersuchungen sind Jedem möglich, der nur ein mässig gutes einfaches Mikroskop hat, das für wenige Thaler zu erstehen ist, und fördern die Wissenschaft mehr, als die in der hergebrachten Weise oberflächlichen Be- schreibungen von 100 neuen Arten, von denen man im Grunde eben nichts erfährt, als dass sie auf der Erde existiren. f) Saamenknospen (gemmulae). Die letzten Ter- minal- und Axillarknospen im Innern der Blüthen neh- men eine ganz eigenthümliche Form an, von der aber erst ‘unten beim Fortpflanzungsapparat die Rede seyn kann. E. Von den Blüthen. . 140. Ueberblicken wir das ganze Gebiet der phaneroga- men Pflanzen und suchen in der Mannichfaltiskeit der Formen nach einem Faden, der uns führen könnte, so bietet sich unserer Anschauung etwa Folgendes dar. Zwei morphologische Grundorgane, Axe und Blatt, in den vorhergehenden Pflanzengruppen herangebildet, und zwei, der Fortpflanzung dienende, physiologisch be- stimmte Organe, Fortpflanzungszelle und Saamenknospe (Eichen), nach und nach entwickelt, knüpftdie bildende Kraft Spec. Morphologie, Phanerogamen, Blüthen, 217 der Natur nun an einauder, die Fortpflanzungszelle (Pollen) an das Blatt (Staubbeutel), die Saamenknospe an die Axe. Wir erhalten auf diese Weise zwei morpholo- gisch und physiologisch zugleich bestimmte Organe der Fortpflanzung, zwei Geschlechter (sexus). Beide ste- hen aber räumlich in keiner bestimmten Beziehung zu einander, an diesem oder jenem Individuum kann sich dieses oder jenes Blatt zum Staubfaden, dies oder jenes Axenende zur Saamenknospe umwandeln. Es ist nicht undenkbar, dass wir noch eine Pflanze entdecken, an welcher sich ohne alle scheinbare Ordnung bald einmal hier ein Staubfaden, bald dort einmal eine gewöhnliche Eindknospe zur Saamenknospe ausbildet. Allmälig aber sucht die Natur beide Theile immer enger zu vereini- sen, und so erhalten wir übersichtlich folgende Stu- fen für die morphologische Entwickelung der Phane- rogamen. 1) Vereinzelie Staubfäden und Saamenknospen, zu- erst auf verschiedenen Individuen, dann auf einem Indi- viduum vereint, in ihren ‘Formen den allmäligen Ueber- sang von den Kryptogamen zu den Phanerogamen bil- dend, werden endlich in grösserer Menge auf Einer Axe vereinigt. Dies sind, mit Ausnahme des allereinfachsten, noch zu entdeckenden Falles, die Cycadeen, Coniferen und Loranthaceen. 2) Solche .Blüthenstände in einfachster Form wer- den mit einem besonders geformten Blattorgan umgeben (Blastenscheide), und zugleich die Saamenknospe in einen besondern Behälter (den Fruchiknoten) eingeschlossen (bei Lemnaceen). Allmälig, anfänglich durch die Stel- lung, dann durch hinzutretende Deckblätter, werden Grup- pen von Staubfäden um Fruchtknoten versammelt (Aroi- deen, Najaden, Orontiaceen). 3) Ein Kreis bestimmt modificirter Blattorgane um- schliesst als Blüthendecke Staubfäden oder Fruchiknoten zu eingeschlechtiger Blüthe (Hydrocharideen), oder end- lich beide zu hermaphroditen Blüthen (Liliaceen). 218 Morphologie, 4) Nun folgt die Ausbildung der vollendeten Blüthe zur srössten Manmnichfaltigkeit in den Combinationen der verschiedenen Theile und ihren Formen bei einer Menge mono- und dikotyledoner Familien. 5) Die einzelnen Blüthen rücken näher zusammen unter den mannichfachen Formen der Blüthenstände bei vielen andern Familien. : 6) Endlich ziehen sich die ganzen Blüthenstände so eng und zu so abgeschlossener. Form zusammen, dass sie abermals als ein einfaches Ganze erscheinen; die sogenannte zusammengesetzte Blüthe als höchste Ent- wickelungsstufe der phanerogamen Bildung; dort nach monokotyledonem Typus durch die Palmen zu den Grä- sern, hier nach dikotyledonem Typus, vorbereitet durch die Blüthenstände theils der Umbelliferen, theils der Le- guminosen, zu den Compositen sich erhebend. So treten für die Anschauung immer mehr einzelne Theile unter immer engerer morphologischer Verknüpfung zu einer Einheit zusammen und bilden eine stetige Reihe immer steigender Complicationen von Grundorganen, die nach ihren Hauptstadien in Blüthentheile, Blüthe, Blü- thenstand und zusammengeseizte Blüthe zerfallen. Dies ist aber nur die ästhetische Auffassung, die uns die Natur, als eine nach einem gewissen Plane handelnde und diesem immer mehr sich nähernde vermenschlicht, vorführt. Für die wissenschaftliche Behandlung der Sache bedürfen wir einer ganz andern und schärfern Eingren- zung der Begriffe, bei denen keine die Unterschiede ver- wischenden Uebergänge möglich sind. Daher nennen wir hier sowohl «) jedes einzelne Foripflanzungsorgan für sich, so lange es nicht mit an- dern an einer und derselben Axe durch einen Kreis (oder eine zusammengezogene Spirale) von modificir- ten Blattorganen (Blüthendecke) vereinigt ist, als auch 5) jede durch Eine Blüthendecke zusammengehaltene und durch dieselbe von andern gesonderte Vereini- sung mehrerer Fortpflanzungsorgane eine Binzelbläthe Spee, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 219 (flos)'); dagegen nennen wir jede Veremigung von Ein- zelblüthen einen Blüthenstand (inflorescentia). Es scheint mir nicht, dass man bis jetzt sich um die scharfe Fassung des Begriffs der Blüthe grosse Mühe gegeben hätte, oder sehr glücklich im Finden des rechten Ausdrucks gewesen wäre. Nach den meisten gegebenen Bestimmungen möchte es gar schwer halten, Blüthe und Blüthenstand zu unterscheiden. Kunth in seiner Botanik spricht von der Blüthe, ohne irgendwo anzugeben, was eine Blüthe sey, worin ihre wesentlichen Merk- male bestehen und was die Grenze ihres Begriffs sey. Bischoff in seiner Botanik macht es ebenso. Link sagt: „Blüthe ist eine durch Metamorphose veränderte Knospe; sie gehört zu den Endtheilen und ist an den Staub- trägern oder Staubwegen kenntlich.“ Wie Link dadurch den Blüthenstand der Aroideen, der Compositen u. s. w. von einer Blüthe unterscheiden will, sehe ich nicht ein; beides sind meta- morphosirte Endknospen mit Staubfäden und Fruchtknoten; dass die Knospe bei jenen eine zusammengesetzte ist,‘ kann keinen Unterschied begründen, der ohnehin von Link nicht hervorgeho- ben ist; denn auch jede Btattknospe, z. B. der Linde, hat Sei- tenknospen; und die grössere oder geringere Ausbildung der Seitenknospen kann bei einer metamorphosirten Knospe vollends nicht in Betracht kommen. Lindley nennt die Blüthe eine Endknospe, welche die Fort- pflanzungsorgane umschliesst, und ihn trifft der vorige Einwurf noch um so mehr. A. Richard sagt: „Die Blüthe besteht wesentlich in der Ge- genwart von einem der beiden Geschlechtsorgane oder von bei- den, auf einem gemeinschaftlichen, organischen Boden vereinig- ‚ten Geschlechtsorganen, sie mögen nun mit einer äussern, zu ihrem Schutze bestimmten Hülle versehen seyn oder nicht.“ Das passt so vortrefflich auf den Zapfen der Coniferen, auf den Spadix der ächten Aroideen, dass Richard aus seinem Begriffe 1) Man könnte die beiden, eigentlich wesentlich verschiedenen, Arten der Einzelblüthe zweckmässig mit den Ausdrücken Blüthen und Blumen bezeichnen. „Blüthe“ ist ohnehin im Deutschen der allgemeine Ausdruck, und „Blume“ bezieht die Sprache wesentlich nur auf die Blüthendecke, die ja eben den charakteristischen Unterschied zwischen beiden Arten ausmacht. Gewöhnlich bezeichnet man die erste Art als unvollständige, die zweite als vollständige Blüthen mit einem unzweck- mässigen Ausdrucke, weil dadurch der Reichthum und die Mannichfal- tigkeit der Natur zu einer Mangelhaftigkeit derselben gestempelt wird. Die Natur ist überall in ihren Bildungen vollständig und vollkommen. 4 220 ‘ Morphologie, von Blüthe wahrlich nicht ableiten kann, weshalb nach ihm jenes Blüthenstände und keine Blüthen sind, Doch diese Beispiele mögen hinreichen, den Vorwurf zu be- gründen, dass die bisherige Botanik sich niemals die Frage auf- geworfen hat, wodurch unterscheidet sich Blüthe und Blüthen- stand, und gleichwohl ist die Beantwortung dieser Frage uner- lässlich. Die Sprache des gemeinen Lebens, von der unbefangenen Anschauung ausgehend, nennt den Kolben mit seiner spatha die Blüthe der Aroideen; sie spricht von der Blüthe des Klees und meint das ganze Köpfchen; sie sagt die Kornblume und will damit das ganze Blüthenköpfchen der Centaurea bezeichnen. Die Anschauung hat zunächst immer Recht, und wenn die Wissen- schaft, mit ihr im Widerstreit, jene Blüthen nicht Blüthen, son- dern Blüthenstände nennt, so muss sie sich gegen die An- schauung rechtfertigen. Das kann sie auch allerdings recht gut, hat es aber bisher gänzlich versäumt. Link ') versucht selbst den Volksausdruck bei den Compositen gegen Cassini zu ver- theidigen; wenn er aber sagt, das Volk scheine eine bessere Kenntniss von dem Wesentlichen des Blüthenstandes der Compositen gehabt zu haben, als Cassini, so ist das doch wohl ein etwas zu weit getriebener Scherz. Das Volk nennt eben deshalb das Ding eine Blüthe, weil es gar keine Kenntniss vom Wesentlichen der Sache hat, sondern sich blos auf den Eindruck der ersten Anschauung beruft. Wohl aber liegt in dieser unbefangenen Auffassung auch eine dunkle Ahnung von etwas Wahrem, wie in der natürlichen Frömmigkeit des Bauern, wenn auch in unklaren Zügen, der tief im Menschengeiste ruhende Gottesglaube angedeutet ist. Wer aber mit den be- schränkten Einsichten und verworrenen Begriffen eines Bauern eine Religionsphilosophie entwickeln wollte, käme nur zu con- fusem und trübem Mysticismus. Die Wissenschaft, um sich das deutliche Bewusstseyn dessen zu erobern, was hier dunkel und versteckt in Anschauung und Gefühl liegt, bedarf hierzu der wissenschaftlichen Hülfsmittel, scharfer Abstractionen, bestimmt gefasster Begriffe u. s. w. Ohne Zweifel liegt in dem der An- schauung als Ein Ganzes mit abgeschlossener Begrenzung ent- gegentretenden Complex von Einzelblüthen bei den Compositen u. s. w. ein Etwas, was sie als morphologisch höhere Entwicke- lungsstufe der phanerogamen Pflanze bezeichnet, und eben das, nämlich diese abermalige Zusammenfassung vereinzelter Theile zu einer Gesammtform höherer Ordnung, ist es, welche die un- befangene Anschauung des Volkes zunächst auffasst. Nicht aber 1) Elem. phil. bot. (Ed. I.) II, 78, Spee, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 221 stehen diese Formen dadurch der Einzelblüthe näher als den Blüthenständen, wie Link (a. a. ©.) meint '), sondern sie sind, im Gegentheil von jener, durch die ganze Reihe verschiedenarti- ger Blüthenstände getrennt, und bilden sich eben durch diese zu einer durchaus neuen und höhern Einheit heran. Für diese innere Einheit eines ganzen Blüthenstandes fehlt es uns nun nicht allein bis jetzt an einer wissenschaftlichen Charakterisirung, sondern sie ist auch zur Zeit noch unmöglich, weil wir die mor- phologische Gesetzlichkeit der Pflanze im Allgemeinen, von wel- cher auch jene Einheit abhängt, noch viel zu wenig kennen. Wovon ich aber fest überzeugt bin, ist, dass wir, wie Decandolle schon zur Hälfte gethan, die Compositen als die Vollendung der morphologischen Entwickelung der dikotyledonen Pflanze, und die Gräser, die Link (a. a. ©.) sehr sinnig jenen an die Seite stellt, als die höchste Stufe der Monokotyledonen anzusehen haben. In dieser Ansicht habe ich auch im Paragraphen, gleichsam als Fortsetzung des früher (S. 108) Gegebenen, meine Stufenleiter der Phanerogamen gezeichnet. Aber diese Betrachtungsweise hat, wie ich schon früher er- währt, wenigstens zur Zeit für uns, nur noch ästhetischen Werth, und jede Vermengung der Aesthetik mit der Wissenschaft lenkt diese unvermeidlich von ihrem Ziele ab und lähmt ihren Fort- schritt. Deshalb musste ich auch jener Uebersicht die streng wissenschaftlichen Begriffe gegenüberstellen. Mit jener Entwicke- lungsweise können wir nämlich gar nichts anfangen, weil ihre Stufen keine discreten Abtheilungen sind, sich vielmehr allmä- lig die eine zur andern erheben und daher gar nicht wissen- schaftlich scharf auseinander gehalten werden können. Insbe- sondere verwischt sich uns, wenn wir die Köpfchen der Dolden- pflanzen, der Leguminosen u. a. m. betrachten, der Unterschied zwischen Blüthenstand und zusammengesetzter Blüthe so völlig, dass eine sie auseinanderhaltende Definition völlig unmöglich er- scheint. Dagegen giebt uns die gegebene Erklärung von Blüthe und Blüthenstand ganz scharfe Unterschiede, wodurch wir uns leicht überall in der Wissenschaft verständigen können; dieser Verständigung allein dient aber die wissenschaftliche Bezeich- nungskunst. f Betrachten wir nun nach dieser Erörterung einige der zwei- felhaften Erscheinungen, so werden wir sehr bald die Entschei- dung finden, ob wir das Ding eine Blüthe oder einen Blüthen- stand nennen sollen. Zunächst will ich hier die männlichen Blü- 1) Es würde dasselbe seyn, wenn man sagte: 1000 stände der 1 näher als der 999. 2332 Morphologie, then der Coniferen hervorheben. Bei Abies finden wir eine Knospe, von der die untern Blätter sich wie an jeder Blatt- knospe ausbilden, die oberen aber ohne Weiteres sich in Staub- fäden ') umwandeln; hier haben wir die einfachsten Blüthen zum einfachsten Blüthenstand vereinigt, nicht aber im Ganzen eine Einzelblüthe; dem ganz analeg ist der Blüthenstand der weib- lichen Blüthe *), auch hier ist eine Knospe, deren Blätter aber keine Saamenknospen tragen können, eben weil es Blätter sind; aber in jeder Achsel eines solchen Blattes (Deckblatt) erhebt sich eine Axe°) und bildet zwei Saamenknospen. Bei allen Cupressineen ist die Bildung der männlichen Blüthenstände ganz eben so, bei den weiblichen scheinen die Saamenknospen Axil- larknospen (mit Nebenknospen) der Deckblätter zu seyn. Nach den gegebenen Bestimmungen ergiebt sich uns ferner sogleich die Berechtigung, die Kolben der Aroideen, und selbst im einfachsten Fall, wo nur ein Fruchtknoten mit einem Staub-. faden an einem nur als Knötchen entwickelten Spadix von einer kaum sichtbaren häutigen Blustenscheide umschlossen wird, wie bei Wolffia, für einen Blüthenstand. zu erklären, weil es an einer Blüthendecke fehlt. Endlich will ich hier nur beiläufig noch auf die räthselhafte Familie der Podostemeen aufmerksam machen, bei der noch nicht wohl zu entscheiden ist, ob der Complex von Fruchtknoten und Staubfäden zusammen einer Blüthe oder einem Blüthenstande angehört. Es fehlt hier durchaus an der Entwickelungsgeschichte; jüngere Knospen von Podostemon ceratophyllum, in Spiritus be- wahrt, zeigten mir die beiden Staubfäden, bei fast fehlendem Stiel, dem Fruchtknoten so nahe gerückt, dass die an ihrer Basis stehende Bractea (?) mit den beiden am Fruchtknoten stehenden fast einen regelmässigen dreigliederigen Kreis bildete; es könnte wohl seyn, dass hier eine Einzelblüthe nur durch wun- derbare Entwickelung so auseinander gerissen wäre, zumal da bei andern, z. B. Tristicha Thou. (Dufourea Willd.) eine regel- mässige dreitheilige Blüthenhülle einen Fruchtknoten und einen 1) Dass hier Antheren an den Rücken einer Bractea angewachsen seyen, ist wieder eine von den rein aus der Luft gegriffenen Fictionen, als ob es nicht Hunderte von antheris extrorsis, Hunderte von antheris eristatis gäbe. 2) Bei Adies alba kommt es. nicht selten vor, dass ein Theil der untern Blätter des weiblichen Blüthenstandes geradezu in Staubfäden umgewandelt werden, dann aber auch keine Axillarknospen entwickeln. 3) Bei Juniperus vermuthe ich, nach zur Zeit noch unvollständigen Untersuchungen, dass die Verhältnisse ganz dieselben und nur dadurch verschieden sind, dass die Saamenknospe aufrecht, statt wie bei Abies hängend ist. Spee, Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 223 Staubfaden umschliesst und bei fast allen übrigen Geschlechtern die Blüthe ziemlich regelmässig erscheint. $. 141. Bei der Blüthe sind folgende Puncte ins Auge zu fassen, welche eine. nähere Besprechung verdienen und daher die Abschnitte des Folgenden bilden müssen: 1. Die Anordnung der Blüthen an der Pflanze, Blü- ihenstand (inflorescentia), und den damit in Beziehung stehenden Blattorganen, der Deckblätter und Deekblätt- chen. — I. Von den Blüthentheilen zur Zeit des Blü- hens. — IM. Von der Umbildung und Entwickelung der Blüthentheile zur Frucht. — IV. Von den Blüthentheilen zur Zeit der Saamenreife. Manches hiervon brauche ich nur kurz zu berühren, weil es schon früher an der ıhm eigentlich gebührenden Stelle abgehan- delt ist, und liesse es hier lieber ganz weg. Ich möchte aber lieber durch Andeutung einer nothwendigen Reform der Wissen- schaft nützen, als ihr durch eine unzeitig durchgeführte Revolu- tion Verwirrung und Schaden bringen. 1. Vom Blüthenstand. $. 142. Schon früher ist angeführt, dass der Blüthenstand nichts ist, als die Axe und ihre Verästelung, in sofern alle Knospen derselben Blüthenknospen sind. Man unter- scheidet hierbei die einzeln stehende Blüthe entweder als Enndblüthe (flos terminalis), oder als Seitenblüthe (los azwillaris). Die letztere ist wegen Verkümmerung der folia floralia oder bracteae zuweilen nackt (nudus). Trägt ein Seitenast nur eine Blüthe und etwa noch Deck- blättchen (dracteolae), so heisst er unterhalb der Blüthe Blüthenstiel (pedicellus), die Axe, an der die Blüthen- stiele als Axillarzweige sitzen, heisst Blüthenstengel (pedunculus). Bei der Endblüthe ist die Annahme eines 224 Morpholoeie. pedicellus rein willkürlich und höchstens durch das Vor- handenseyn von Deckblätichen und einer Gliederung der Axe festzustellen. Die sehäuften Blüthen stehen der Anlage nach stets in einem Köpfchen (capitulum)). Durch Ausdehnung des Blüthenstengels (pedunculus, hier “ rachis genannt) wird daraus eine Achre (spice), durch Ent- wickelung der Blüthenstiele eine Dolde (umbella), durch Entwickelung beider eine Traube (racemus); man nennt dies die einfachen Blüthenstände und in der That. sieht es keine andern und kann keine andern geben. Wird ein Blü- thenstand von einer einzigen grossen Bractee umschlos- sen, so nennt man diese eine Blustenscheide (spatha). Wird er dagegen von einem Kreise oder einer zusam- mengezogenen Spirale von Bracteen umgeben, so heisst dieser Kreis von Deckblättern die Blustenhülle (involu- crum)‘). Die einfachen Blüthenstände können aber viel- fach zusammengesetzt seyn, wofür man viele unnütze Worte erfunden hat, ohne auf die Entwickelungsgeschichte und Vacha de Rücksicht zu nehmen, meist nur die bestimmte Erscheinungsweise in einer bestimmten Familie bezeichnend, z. B. anthela der Junceae, ylomerulus der Oyperaceen, nach Andern auch bei Amarantaceen und Chenopodeen, anthurus der Amarantaceen und Che- nopodeen, ferner panicula, fasciculus, thyrsus, eyma u. s. w. mit völlig unbestimmtem Begiiff. Wenn irgendwo sich das Wortmachen ohne Princip der Be- griffsbildung, ohne gründliche Untersuchung des Einzelnen, gel- tend gemacht hat, so ist es in der Lehre von den Blüthen- ständen. Etwa die Lehre von der Frucht ausgenommen, herrscht nirgends in der Botanik eine solche Verwirrung, ein solcher Wust von Synonymen und doch eine solche Unvollständigkeit und Unvollendung der ganzen Lehre als gerade hier. Vielleicht war Linne selbst daran Schuld, indem allerdings kein Theil von ihm so oberflächlich behandelt ist, als der Blüthenstand, den er 1) Blust ist das altdeutsche Wort für Blüthenstand und bereits von Link wieder eingeführt, und wenigstens für zusammengesetzte Worte bequemer, übrigens möchte ich das allgemein angenommene und ver- ständliche Wort Blüthenstand nicht aufgeben. Spee. Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 235 ohne wie sonst auf scharfe Begriffsbildung auszugehen, blos nach der oberflächlichen Anschauung einiger wenigen Verhältnisse mit einigen nicht einmal definirten, sondern nur durch Beispiele er- läuterten Worten bezeichnete, Auf dieser Bahn schritt man fort und. nur Röper schlug einen neuen Weg ein und förderte die Lehre in mancher Beziehung, ohne aber die richtigen Ab- schluss gewährende Methode zu finden. Bis jetzt haben wir auch noch nicht von einem einzigen Blüthenstand eine Entwicke- lungsgeschichte erhalten, wohl. aber viele Phantasien, wie sie einer aus dem andern entstanden seyn sollen. Da für solche Phantasiespiele kein Princip aufzustellen ist, so hat auch jeder seine eigenen, und nicht allein in den complicirteren, sondern selbst zum Theil bei den einfachen Blüthenständen trägt jeder die Sache auf andere Weise vor. Wie viel Papier ist nicht seit funfzig Jahren über die Bedeutung der Extraaxillarinflorescenz der Solanum-Arten, über den schneckenförmig aufgerollten Blü- thenstand der Borragineen verschrieben worden; hat. wohl ein einziger Botaniker auch nur den Versuch gemacht, zuzusehen, wie sie sich bilden, um daraus ihre Natur aufzuklären? Und abgesehen davon, welchen unlogischen Wirrwarr zeigt die ge- wöhnliche Eintheilung der Blüthenstände bei fast allen Schrift- stellern? Blüthenstand ist die Anordnung der Blüthen am Sten- gel, sagen die Meisten. Das Theilungsprincip kann also nur in der Verschiedenheit der Anordnung liegen. Aber die wenigsten Blüthenstände sind danach bestimmt; man unterscheidet nach der Substanz der Spindel den Spadix; nach der Gliederung. mit der Pflanze, oder gar, wie Bischoff, nach der Natur der Blü- then das Kätzchen; nach der Reihenfolge des Aufblühens, wie Lindley, corymbus und fascieulus, panicula und ceyma. Link macht wegen des angeblichen Fehlers der Bracteen bei Ficus') ein neues Wort im Gegensatz zum calathium der Compositen; aber die bracteenlose Traube der Cruciferen nennt er Traube. Man unterscheidet Blüthenstände nach der Reihenfolge des Aufblü- hens, aber den Blüthenstand des Dipsacus, der von der Mitte nach oben und unten aufblüht, nennt man nach wie vor capi- tulum wie die von unten nach oben abblühenden. Hier ist es absolut unmöglich, dass ein Einzelner Rath schafft, nur das ernste Zusammenwirken Vieler, besonders derer, die Autorität in der Wissenschaft haben, kann hier allmälıg eine bessere und einfachere, also auch leichtere Behandlung der Lehre herbeifüh- ren. Aber wann wird die Zeit kommen, wo der grössere Theil !) Weil er nicht recht zugesehen hat, denn am Rande des becher- förmigen Blüthenstengels bei Ficzs stehen so gut mehrere Reihen Blatt- organe, wie bei Helianthus. 1. 15 226 Morphologie. der Botaniker nicht vorgeblich, sondern dem Geiste und der Wahrheit nach nur die Wissenschaft, nicht sich selbst und die Befriedigung der eignen Eitelkeit unverrückt im Auge behalten? Gehen wir vom einfachsten Falle aus, so erhalten wir folgende Betrachtungsweise: Blüthen entstehen aus Knospen und diese entstehen, ausser der Endknospe, gesetzmässig nur in Blatt- achseln. Der erste und einfachste Blüthenstand ist also die einzelne Blüthe am Ende der Axe oder in ihren Blattachseln. Bei der Endblüthe ist Axe der Pflanze und Axe der Blüthe identisch, also ein Blüthenstiel nur dann zu unterscheiden, wenn eine ächte Gliederung zu einer Theilung der Axe berechtigt oder die Laubblätter plötzlich in Deckblättchen übergehen. Bei einem stetigen Uebergang ist eine Unterefhedur unmöglich. Das Blatt, ir sofern seine Axillarknospe eine Blüthe wird, heisst dann Blüthenstützblatt (folium florale). Weicht dasselbe in Form oder Substanz bedeutend von dem gewöhnlichen Blatt derselben Pflanze ab, so nennt man es Deckblatt (bractea). Aber dieser Uebergang von folium florale in bractea ist kein plötzlicher; so- wie beide in ihrer ersten Anlage völlig gleiche Blattorgane sind, so finden wir auch an einem und demselben Stengel oft alle Mittelstufen zwischen beiden, und z. B. bei Veronica frutieulosa, Delphinium Ajacis, Epilobium angustifolium, Verbascum Thapsus u. s. w. kann Niemand angeben, wo die folia floralia aufhören und die bracteae anfaneen so rd der Unterschied zwischen vielen einzelnen Axillarblüthen und einer Aehre oder Traube schon ein schwankender, der auch selbst an der ausgebildeten Pflanze in den angeführten Beispielen nicht scharf festzuhalten ist. Aber die Abweichung vom gewöhnlichen Laubblatt geht oft noch weiter: die in der Anlage deutlichen und grünen Blättchen (die Bracteen), z. B. bei der Georgine, werden in ihrer Aus- bildung zu kleinen trocknen Hautfetzen, den Spreublättchen (paleae) '), oder verkümmern ganz und gar, so dass man am ausgebildeten Blüthenstand keine Spur mehr davon erkennt (wie bei den Compositen, denen man ein receptaculum nudum zu- schreibt). Eben so finden wir ein Verkümmern und endliches Verschwinden der Bracteen bei den Umbelliferen und ‚Borragi- neen. Unter ersteren, bei denen man den ganzen Complex der Bracteen unter der einfachen Dolde involucellum ?), unter der zusammengesetzten involuerum °) zu nennen pflegt, haben z. B. Scandix pecten, Astrantia caucasica, Bupleurum, Eryngium ächte folia floralia, die allmälig in Deckblätter übergehen, wie sie bei 1 u. 2) Völlig überflüssige Ausdrücke. 2 u. 3) Besser involuerum partiale und universale. Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 297 Daucus hispidus und Hasselquistia cordata, Oreomyrrhis eriopoda allein vorhanden sind; bei Petrosehinum sativum und Heracleum speciosum sind die Deckblätter der zusammengesetzten Dolde schon verkümmert, bei Caucalis pulcherrima ganz verschwunden, bei Chaerophyllum aromaticum werden auch die Deckblätter der einfachen Dolde schon klein, bei Anthriscus sind die innern völ- lig verkümmert, endlich bei Pastinaca, Anethum, Pimpinella sind sie meist alle verschwunden. Bei den Borragineen sind die folia floralia allmälig in Deckblätter übergehend, deutlich bei Cerinthe, bei Lycopsis sind Deckblätter nach Oben verkümmernd, endlich bei Symphytum gar keine vorhanden. Eine Eigenthümlichkeit bieten noch die Cupuliferen dar, bei denen noch ein oder mehrere Kreise von Deckblättern (z. B Fagus) oder Deckblättchen (z. B. Quercus) unter einander ver- wachsen und mit der reifenden Frucht fortwachsen. Man hat sie cupula genannt '). Aehnliches findet bei den Bracteen bei Euphorbia statt, wo 10 Deckblätter gewöhnlich unter einander verwachsen, bei denen an den fünf innern gewöhnlich die freie Spitze anders gebildet und nach Innen geschlagen ist, während bei,den äussern die ganze freie Spitze oder die Basis derselben fleischig (drüsig) entwickelt ist. Beide Erscheinungen fallen durchaus unter den Begriff der Blustenhülle. Bei den Cruciferen scheinen ziemlich ausnahmslos gar keine Bracteen vorhanden zu seyn, und doch glaube ich nach einigen (freilich nur wenigen) Untersuchungen annehmen zu dürfen, dass sie in der Anlage, z. B. bei Iberis, noch überall vorhanden sind. Sowie aber auf der einen Seite bei sehr gedrängten Blüthen- ständen die Bracteen verkümmern, besonders im Innern des Blü- thenstandes, so pflegen auch häufig bei kräftigerer Ausbildung der Bracteen die Blüthen in ihren Achseln fehlzuschlagen, zumal in den äusseren Theilen eines sehr gedrängten Blüthenstandes (leeres Deckblatt, bractea sterilis). Dazu gehört der Hüllkelch (calyx communis, anthodium u. s. w.) der Compositen, die glei- chen Blattkreise, welche die Mündung der Feigen schliessen, die äusseren Spelzen der Gräser (gluma Juss., calyx Linn., lepicena Rich., tegmen Palissot, glumae valvae Link.), die ent- 1) Link (elem. phil. bot. Ed. II. II, 109) sagt, die cupula sey wäh- rend der Blüthe noch nicht vorhanden. Er hat wahrscheinlich nie eine blühende Cupulifere angesehen. Auch ist hier kein besonderer Theil mit angewachsen, Bracteen, wie er sagt, sondern die eupula entsteht nur aus yorwachsenden Bracteen. Mit dem saftigen Saamenmantel von Zawus hat die cupula gar keine Aehnlichkeit und sie ist nicht, wie Link sagt, den Amentaceen eigen, denn bei den ächten Amentaceen kommt sie gar nicht vor, sondern nur bei den Cupuliferen, die davon ihren Namen haben. 15 * 228 Morphologie. weder beide oder eine, bald die oberste, bald die unterste, keine Blüthen in ihrer Achsel haben. Sinnreich bemerkt hierbei Zink, dass die Gräser in dieser Beziehung auch eine zusammengesetzte Blüthe haben, oder richtiger, einen gleichen Blüthenstand wie die Compositen. Auf alle diese Vereinigungen von Bracteen kann man ganz allgemein den Ausdruck Blustenhülle anwenden, welcher dann das involuerum der Umbelliferen, den calyx com- munis der Compositen, die cupula der Cupuliferen, das involu- crum der Euphorbiaceen, die gluma der Gräser u. s. w. umfas- sen und uns bei klarer und scharfer Begrifisbezeichnung auf einmal von einem grossen terminologischen Wust befreien kann. Man darf in Folge dieser Erörterung wohl als allgemeines Gesetz aussprechen, dass nächst der Endblüthe die einzelne Blüthe stets und nur in der Achsel eines Blattes oder an dem einer solchen Blattachsel entsprechenden Platze erscheine. Sowie bei Zweigknospen ‚zwischen Hauptknospe und Beiknospe zu unterscheiden war, so auch hier, auf welches Verhältniss bis jetzt, wie ich glaube, noch Niemand geachtet. Gleichwohl zei- gen sich solche Beiknospen entschieden z. B. an den Blüthen- standen von, Apocynum androsaemifolium, hypericifolium u.,s. w. Schwer ist es, zu sagen, ob auch die eigenthümlichen Verhält- nisse des Blüthenstandes, z. B. bei Penstemon, hierher gehören, wo in der Gabeltheilung des Blüthenstengels statt einer (Ter- minal-) Blütke zwei Blüthen stehen, von denen die eine mit län- gerem Blüthenstiel die andere überragt. Eben so scheint mir die Stellung der Blüthe von Helianthemum variabile seitwärts neben dem Blattstiel daher zu rühren, dass sie aus einer Bei- knospe entsteht, während die Hauptknospe nicht zur Entwicke- lung kommt. Ein eigenthümliches Verhältniss zeigt noch die Bractea bei den Linden. Die in jedem Jahre gebildete, zur Ueberwinterung bestimmte, Axillarknospe hat ganz nach Aussen zwei opponirte seitliche Knospendecken, von denen die eine auch in diesem Zustande bleibt. Bei der andern aber bildet sich eine Knospe in ihrer Achsel, entwickelt sich noch in demselben Jahre, indem sie mit der ebenfalls auswachsenden Knospendecke verwächst, zum Blüthenstengel und zeigt so ein recht entschiedenes Bei- spiel einer prolepsis, die wenigstens um drei Jahre den homo- logen Gliedern der Pflanze vorauseilt. Eine solche wirkliche Verwachsung des Blüthenstiels mit der Bractea zeigt sich auch noch bei den männlichen Blüthen vieler Cupuliferen, z. B.. bei Corylus und bei den Blüthen von Saururus. Endlich ist hier noch zu bemerken, dass es besonders am Blüthenstengel sehr häufig vorkommt, dass sich die Substanz an den Stellen, die nicht die Basis der auf ihm sitzenden Theile Spee, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 229 sind, stärker sich ausdehnt und über jene Basis hinaus anschwillt. Dadurch erscheinen die auf ihm befestigten Theile entweder mit der Basis in kleinen Grübchen eingesenkt (z. B. beim recepta- culum foveolatum der Compositen) oder geradezu in kleinen Höh- lungen der gleichföormigen Masse aufgenommen, wie z. B. bei den weiblichen Blüthen von Dorstenia. Natürlich kommt dies Verhältniss häufiger an den sehr dicken und holzig oder flei- schig entwickelten Blüthenstengeln vor. Es können nun aber auch mehrere Blüthen so zusammenge- stellt seyn, dass sie in einer nähern Gruppirung unter einander erscheinen und eine Gesammtform annehmen. Zunächst ist hier der einfachste Fall als Grundlage aller ins Auge zu fassen, der sich aus der Entwickelungsgeschichte ergiebt. In einer Knospe bilden sich Stengelglieder, die Einer Axe (hier Stengel, rachis, besser pedunculus, Blüthenstengel, wodurch wenigstens Ein völ- ig unnützes Wort gespart wird) angehören, sowie die dazu ge- hörigen Blätter und in jeder Blattachsel eine Knospe, die sich als einfache Blüthe entwickelt. In der Anlage giebt es keine entwickelten Stengelglieder, sondern diese Entwickelung ist etwas später Hinzukommendes, der ursprüngliche, nach der Einzel- blüthe nächst einfache Blüthenstand ist also das Köpfchen (ca- pitulum), eine Axe aus unentwickelten Stengelgliedern mit axil- laren (Blumen-) Knospen, deren erstes Stengelglied nicht verlän- gert ist. Aus dieser Grundlage entwickeln sich alle andern ein- fachen Blüthenstände. Die nächst mögliche Veränderung ist die Entwickelung der Stengelglieder des pedunculus. Geschieht dies ın der Längsrichtung, so ist der Blüthenstand eine Aechre, spic« (flores in pedunculo elongato), geschieht es scheibenförmig, ein Blüthenkörbehen, calathium (flores in pedunculo disciformi), ist die Ausdehnung becherförmig, so ist es eine Feige (flores in peduneulo concavo) '); endlich streckt sich der Blüthenstengel in die Länge und wird dabei verhältnissmässig fleischig, so ist es ein Kolben, spadix (flores in pedunculo elongato carnoso). Alle 1) Diese ist vom Blüthenkörbehen nur im Mehr oder‘ Minder ver- schieden; wenn Link (EI. ph. bot. Ed. 11. II, 75) als Unterschied an- giebt, dass bei der Feige der calyx communis fehle, so hat er nie eine Keige angesehen, und wenn er sagt, sie entstände aus verwachsenen Unterkelchen (nämlich unterständigen Ovarien), so sind das Worte ohne Sinn, denn Ficus, wie alle Verwandte, haben vollkommen oberstän- dige Ovarien und die Blüthe ist sogar auch innerhalb der Feige ge- stielt; verwachsen ist hier gar nichts, sondern der becherförmige pedun- eulus bei der Feige ist von Anfang an ein einfaches und als solches längst vorhanden, ehe noch eine Spur einer Blüthe zu sehen ist; zur Zeit des Knospenzustandes der Blüthen ist er sogar noch flach und nur durch das involuerum ganz genau so wie bei den compositis bedeckt. 250 | Morphologie. 4 diese Formen bilden aber keine discreten Glieder einer Reihe, sondern gehen ziemlich stetig in einander über; schon der Un- terschied zwischen Köpfchen und Blüthenkörbehen ist gar nicht festzuhalten und eben so schwankend ist der zwischen Aehre, Kolben und Köpfchen (z. B. das capitulum elongatum). Das zweite sind die Stengelglieder der Axe jeder einzelnen Blüthe, die ebenfalls sich entwickeln können; bis jetzt hat man für das erste Stengelglied zwischen Spindel und Blüthentheilen [den Blüthenstiel, pedicellus ")] nur das eine Verhältniss der Entwicke- lung in die Länge berücksichtigt”). Hierdurch wird dann aus dem Köpfchen eine Dolde (umbella), aus der Aehre eine Traube (racemus). Den racemus und die spica kann man dann noch näher bestimmen, je nachdem die Blüthen spiralig (z. B. spica spiralis bei Gymnadenia odoratissima) quirlförmig (z. B. spica verticillata bei Myriophyllum vertieillatum) , gefiedert oder zwei- zeilig (2), einzeilig (z. B. racemus monostichus bei Myosotis pa- lustris), oder endlich einseitswendig stehen (z. B. racemus secun- dus bei Digitelis purpurea) u. s. w. Der Blüthenstiel ist das Stengelglied der Blüfhensxe und zwar das erste zwischen der Blattachsel der Axe, an der die Blüthe sitzt, und den ersten Blattorganen der Blüthe, oder das letzte Stengelglied zwischen dem letzten Blatt oder Deckblättchen und der terminalen Blüthenknospe. Dies Stengelglied kann gerade wie bei einer Zweigknospe unentwickelt bleiben (los sessilis), oder sich mehr oder weniger in die Länge strecken, auch wohl später fleischig werden, z. B. Anacardium u. s. w. Noch we- niger wie die Blüthenknospe von der Blattknospe, ist er von dem untersten Stengelgliede eines Axillarzweiges verschieden °). 1) Abermals ein Beweis von dem Mangel logischer Schärfe, den man fast in allen Handbüchern findet. Es ist der grösste Schnitzer gegen wissenschaftliche Bezeichnungskunst, für einen Gegenstand zwei Worte zu haben (peduneulus und pedicellus für das Stengelglied unter einer Blüthe), und dann das eine Wort noch auf einen himmelweit ver- schiedenen Gegenstand anzuwenden (pedunculus auf die Axe, an wel- cher Blüthen sitzen). 2) Ob überall ein anderes bis zur Zeit der Blüthen vorkommt, ist mir unbekannt. 3) Link sagt, er wachse nach der Blüthe unter ihr hervor und unterscheide sich dadurch von den Zweigen. Hätte er die Entwicke- lung einiger Blüthenknospen wirklich verfolgt, so würde er wissen, dass es damit nichts ist. Jede Zweigknospe bildet sich, wie die -Blüthen- knospe, als gemma sessilis; ob sich einzelne Stengelglieder später in die Länge entwickeln, ist bei beiden ‚gleich verschieden. Link sagt ferner, dass er mit der Blüthe (soll doch wol heissen mit der Frucht oder männlichen Blüthe) ganz oder zum Theil verwelkt, auch wol abfällt, eine Eigenschaft, die er mit allen einjährigen Stengeln theilt (z. B. bei Spec. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen, 231 Beide entwickeln sich zuweilen vor Entfaltung der Knospe (z.B. die sogen. gemmae stipitatae bei Liriodendron und die Blüthen- knospen bei Asclepias), zuweilen während der Entfaltung der- selben (z. B. Blattknospen bei Zikia), zuweilen gar nicht (z. B. Seitenast von Ligustrum vulgare und jede flos sessilis). Die genannten einfachen Blüthenstände können sich nun un- ter einander wieder vielfach combiniren zu zusammengesetzten Blüthenständen. Man müsste hier gleichartige (reine) von un- gleichartigen (gemischten) unterscheiden, z. B. die sogen. spica der Gräser ist eine spica composita, die umbella der Dolden- pflanzen eine umbella composita — reine Blüthenstände. Hier muss man nothwendig aber ein Köpfchen und eine Dolde, die aus der Zusammensetzung mehrerer entstanden sind und doch einem einfachen Blüthenstande gleichen, sowohl von den wirk- lich einfachen, als von den rein zusammengesetzten (capitulis capi- tatis, umbellis umbellatis) unterscheiden. Ich möchte dafür den Namen polycentrisch vorschlagen, da bei Köpfchen und Dolde die nicht entwickelte Axe gleichsam das Centrum vorstellt, von dem die Blüthen ausgehen. Solche polycentrische Köpfchen und Dolden finden sich bei den meisten Labiaten, z. B. bei Marru- bium, infloresc. capitula polycentrica spicata. Die panicula bei den meisten Bromus- und Festuca-Arten sind spicae umbellatae umbellis spicatis, oder spicae racemosae racemis umbellatis, umbellis spicatis. Die anthuri von Rumex sind (polycentrische?) umbel- lae (capitula) spicatae spicis racemosis, der Blüthenstand vieler Labiaten umbellae (oder capitula) spicatae —= gemischte Blü- thenstände u. s. w. Hier tritt nun aber aus der bisherigen Be- handlungsweise der Blüthenstände der Fehler auf, dass man durchaus für einzelne Familien auch bestimmte Blüthenstände voraussetzte und daher die verschiedensten Combinationen mit demselben Namen belegte, Unter panicula werden die aller- heterogensten Blüthenstände zusammengefasst und die Definition kann gar keine andere seyn, als z. B.: ‚alle Blüthenstände der Gräser, die nicht spica composita (spica) sind“, also eine lo- gisch falsche Definition. So heisst in vielen systematischen Wer- ken jeder Blüthenstand bei den Junceen eine anthela; aber wie ist es nur möglich, diese Mannigfaltigkeit der Blüthenstände mit einem Worte zu bezeichnen, wenn man irgend gesunde Ansich- ten von wissenschaftlicher Bezeichnungskunst hat? Ist es nun aber nicht die frivolste Spielerei mit Worten, Dolden, Köpfchen, Achren, Trauben und alle Zusammensetzungen derselben anthela Aquilegia, Aconitum, Doldenpflanzen), die also ihn nicht unterscheidet. Das hätte Link schon aus Bischoff’s "Terminologie lernen können. 232 Morphologie. Mr zu nennen und dann wieder anthela capituliformis, eis u. s. w. zu unterscheiden, da anthela hier durchaus nichts An- deres bedeuten kann, als inflorescentia Juncacearum? Es ist rein unbegreiflich, dass ein wissenschaftlich gebildeter (nicht blos ge- lehrter) Mensch in solchem Wortgeklingel Wissenschaft sucht und zu finden glaubt. Und nicht genug, es wird der Ausdruck anthela, damit er ja keinen Sinn habe, auch noch auf den Blü- thenstand der Cyperaceen angewendet, bei denen derselbe we- gen der verkümmerten, in eine Aechre vereinigten Blüthen, sei- nem innersten Wesen nach, himmelweit verschieden ist. Der Grund liegt wohl mit darin, dass man bei sehr complieirten Blüthenständen einzelner Familien es zu mühsam fand, denselben auf, die Zusammensetzung aus einfachen Blüthenständen genau zu untersuchen und lieber ein Collectivwort erfand, das dann durch einige Adjective oberflächlich genug näher bestimmt wurde. Dieser Ungründlichkeit haben wir das Sündenregister der Syno- nymik ') zu verdanken, denn bei dem gänzlichen Mangel wis- senschaftlicher Begründung solcher Bezeichnungsweisen ist jeder Andere eben so gut berechtigt, seine angebliche Weisheit gel- tend zu machen. $. 148. Sowohl der Blüthenstengei wie der Blüthenstiel kön- nen bald nach Entwickelung der Blüthen abfallen (p. ca- ducus), z. B. die männlichen Blüthen von Salix u. s. w., oder mit der reifen Frucht (p. deciduus), z. B. bei Cerasus avium, oder auch nach der Reife der Frucht und der Verstreuung des Saamens an der Axe bleiben (p- persistens), z. B. Aquilegia vulgaris, oder selbst während des Reifens der Frucht sich auf mannigfache Weise durch Wachsen verändern (p. excrescens), z. B. bei Anacardium, Hovenia dulcis u. s. w. 1) Die Eitelkeit, sich angeführt zu sehen, ist die Mutter der mei- sten unnützen Worte, und es wird diese Misere nicht eher aufhören, als wenn man das Synonymenregister geradezu für einen botanischen Pranger erklärt, der einen Mann um so mehr entwürdigt, je öfter er daran gestanden; dann werden sich die Leute schon in Acht nehmen, ohne hinreichende wissenschaftliche Gründe neue Worte zu machen. Für Männer wie Rob. Brown u. dergl. ist mir dabei nicht bange, denn gerade die machen am meisten neue Worte, die am wenigsten 'Tüchtiges in der Wissenschaft zu leisten verstehen. Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 233 Dass jeder Theil einer, Pflanze längere oder kürzere Zeit dauere, längere oder kürzere Zeit mit der Pflanze in Verbin- dung bleiben und sich nach seinem ersten Erscheinen noch man- nigfach verändern kann, ist etwas, was nicht dem Blüthensten- gel und Blüthenstiel eigenthümlich ist und auch, statt es ein- für allemal zu sagen, in den botanischen Handbüchern zum Ueberdruss bei jedem einzelnen Theil wiederholt wird, als ob es den Leuten an Stoff fehlte. In der Lehre von den Blüthen- ständen -hat man dieser allgemeinen Eigenschaft aber eine spe- cielle Bedeutung eingeräumt und unterscheidet Blüthenstände, z. B. spica und amentum, nach dieser Eigenschaft. Die drei ersten Momente gehören aber überall nicht der Morphologie, ı sondern den Lebenserscheinungen, der letzte nicht dem Blüthen- stand, sondern der Morphologie der Stengelorgane an. Ich musste die Sache hier aber erwähnen, um die folgende Ueber- sicht der gewöhnlich angenommenen Blüthenstände nicht dunkel zu lassen. $. 144. Es hängt von Eigenheiten im Leben der ganzen Pflanze ab, die uns aber leider ihrer Ursache nach völ- lis fremd sind und nur als specifische Eigenheiten er- fasst werden können, dass an der ganzen Pflanze bald dieser, bald jener Theil, aber in specifisch gesetzmässi- ser Folge in seinem Wachsthum und seiner Ausbildung gefördert wird. Das zeigt sich auch an den Blüthen- knospen, die sich in bestimmter Beihefolge zu öffnen und zu verblühen pflegen. Es kann an der einfachen Axe nur folgende Verhältnisse geben: 1) Die Entwickelung der Blüthen folgt dem Alter derselben, so dass die untern, ältern Blüthen zuerst auf- blühen und dann nach und nach die obern folgen. Man nennt dies einen centripetalen Blüthenstand (inflorescen- ta centripeta), z. B. Philadelphus, Isotoma asxillaris. 2) Die Entwickelung der Blüthen folgt der entge- gengesetzien Reihefolge, so dass die obern, jüngsten Blüthenknospeu zuerst sich öffnen und der Reihe nach die ältern folgen: centrifugaler Blüthenstand (infl. cen- trifuga), 2. B. Clematis integrifolia, Saxifraganu. Ss. W. 234 Morphologie, 3) Die Blüthen folgen keiner solchen einfachen Beihe und blühen z. B. von der Mitte nach oben und unten auf, wie bei dem Köpfchen von Dipsacus, oder die obern und mittlern fangen zugleich an zu blühen und das Aufblühen schreitet in zwei Absätzen nach Unten fort, z. B. bei Oampanula medium. Man kann dies eine unbestimmte Inflorescenz (infl. vage) nennen. Bei der zusammengesetzten Axe kommt dasselbe Ver- hältniss zwischen Hauptaxe und Nebenaxe in Frage und ist keineswegs nothwendig mit dem Gesetz an der ein- fachen Axe sgleichförmig. So findet bei den meisten Compositen für das einzelne Köpfchen eine inflor. cen- iripeta, für die Seitenäste im Verhältniss zu einander eine inflor. centrifuga stait, z. B. Oentaurea caloce- phala, bei Sanguisorba dagegen zeigen sowol die Köpf- chen, als die Aeste eine inflor. centrifuga. Die mei- sten Labiaten endlich zeigen in dem Blüthenstande der einzelnen Seitenäste eine inflor. centrifugae, während die Aeste selbst sich centripetal entwickeln. Auch dieses Verhältniss ist, wie sich von selbst versteht, ein dem Blüthenstande, d. h. der Anordnung der Blüthen, durch- aus fremdes, und gehört mit zu den Lebenserscheinungen der ganzen Pflanze, ist aber leider durch logische Unklarheit in die Lehre von den Blüthenständen verwebt worden, und ich war deshalb gezwungen, es hier zu berühren. Ein einigermassen logischer Kopf wird leicht einsehen, dass die Reihefolge des Aufblühens nicht neben der Anordnung der einzelnen Blüthen verschiedene Arten von Blüthenständen De sondern höch- stens dazu dienen kann, bei einer und derselben Art von Blüthenstand specifische Unterschiede für einzelne Pflanzengrup- pen, Geschlechter oder Arten zu geben. $. 145. Ueber Sirueturverhältnisse ist hier wenig anzumer- ken, da eigentlich Alles schon bei Axe und Blatt er- wähnt ist und hier nur Stellungsverhältnisse in Frage kommen. Gewöhnlich sind die Bracteen und Bra- cteolen aus dünnwandigerem Zellgewebe gebildet, zarter Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 235 und oft auch gefärbt"), zuweilen sind sie bei ganzen Familien saftlos und trocken. Die Gefässbündel des Blü- ihenstiels stehen zuweilen der Zahl nach in bestimmtem Verhältniss zur Zahl der Blüthenblätter. $. 146. Uebersicht der gewöhnlich aufgeführten Blüthenstände. A. Einzelblüthe, als Terminal- oder Axillar- blüthe (flos solitarius, term. vel asill.). Die letzteren können auch quirlförmig gestellt seyn und bilden dann einen Quirl (verticillus). B. Einfache Blüthenstände. a. Inflorescentia centripeta. 1) Köpfchen (capitulum). Die wnentwickelte Axe ist hier gewöhnlich fleischig oder schwammig aufgetrie- ben, sobald die Zahl der Einzelblüthen sehr gross ist. Auch kann man sie dann als einfach, scheibenförmig, becherförmig und flaschenförmig. oder als kegelförmig und walzenförmig näher bezeichnen. Die letzte Form seht dann stetig in den Kolben über. Besondere Arten sind: a) Das Blüthenkörbchen (calathium, anthodium Ehrh. flos compositus Linn.). Ein vielblüthiges Köpf- chen, dessen Einzelblüthen in der Achsel mehr oder weniger verkümmerter Bracteen stehen und insgesammi von einem oder mehrern Kreisen steriler Bracteen um- geben sind, bei der Familie der Compositen. 6) Der Blüthenkuchen, Blüthenfeige (coenanthium Nees, hypanthodium Link). Ganz wie der vorige Blü- thenstand, bei einigen Urticeen. (NB. die Becherform des Blüthenstengels bei Ficus ist kein Unterschied, denn sie fehlt bei Dorstenia und findet sich bei einigen Com- positis, eben so wenig die sterilen Bracteen, die zwar I) Coloratus, d. h. von einer andern, als der grünen Farbe. 236 Morphologie, Wr bei Dorstenia ziemlich verkümmert, bei Ficus desto deutlicher vorhanden sind. 2) Die Achre (spic«) in sehr verschiedenen Formen. Arten sind: a) Das Kätzchen (amentum) soll sich dadurch un- terscheiden, dass es ganz abfällt, oder gar durch die unvollkommenen Blüthen. Der männliche Blüthenstand bei Cupuliferen,, Salieineen und Betulineen und einigen wenigen andern Pflanzen. b) Der Kolben Gpadie), ei eine dichtgedrängte Aehre oder zum Theil auch ein cylindrisches Köpfchen mit flei- schigem Blüthenstengel, bei Aroideen, Mays und einigen andern Gräsern und bei den Palmen, bei letziern auch dann, wenn er noch so oft zusammengesetzt ist (spadix ramosus). c) Der Zapfen (strobilus oder conus). Ein cylin- drisches Köpfchen oder dichte Achre, an der einzelne Blattorgane zu holzigen Schuppen werden, bei den Co- niferen, bei Casuarineen, Betulineen und einigen andern. d) Das Achrchen (spieula). Der einfache Blüthen- thenstand der Gräser und Cyperaceen, nämlich eine we- nigblüthige Aechre, deren Blüthen keine Bracteen haben, an der Basis von einer oder zwei sterilen Bracteen (ylumis) umgeben '). 3) Die Dolde (umbella) bei den Umbelliferen, in der Zusammensetzung Döldchen (umbellula) genamnt. 4) Die Traube (racemus) kann in schr verschie- denen Formen vorkommen; man unterscheidet gewöhn- lich noch a) die Doldentraube (corymbus), eine gegipfelte Traube. ß. Imflorescentia centrifuga. 5) Die Trugdolde (ceyma), eine Doldentraube mit inflor. centrifuga.. NB. Dass man nur bei diesem sin- 1) Es verhält sich zur Aehre, wie Link sinnreich bemerkt, wie das Calathium zum Köpfchen. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 237 gulären Falle unterscheidet, ist ein Beweis der ganz unwissenschaftlichen Zusammenstoppelung der Termino- logie. Man nennt aber auch die zusammengesetzte Traube, die zusammengesetzten Dolden und Köpfchen mit inflor. centrifuga eine cyma, was den allergemeinsten Gesetzen wissenschaftlicher Bezeichnungskunst zuwider läuft. De- eandolle hat den Ausdruck eyma auch auf den Blüthen- stand der Borragineen angewendet, den er wegen sei- ner eigenthümlichen Aufrollung eyma scorpioides nennt, und die Fiction hinzufügt, die unterste, zuerst aufblü- hende Blume sey eigentlich die Terminalblüthe, die zweite die Terminalblüthe eines übermässig entwickelten Seiten- astes u. s. w. Aus der Aufrollung folgt das hier so wenig, wie Achnliches bei den Blättern der Farnkräu- ter und Cycadeen; die Stellung der Bracteen, z. B. bei Cerinthe, widerspricht dieser Fiction geradezu, und die Eintwickelungsgeschichte, die hier allein entscheiden kann, scheint mir nach einigen, freilich sehr unvollständigen, Untersuchungen zu beweisen, dass hier ganz einfach eine einseitige Traube oder Achre vorhanden ist, deren Auf- rollung nur eine eigenthümliche Knospenlage ist. ©. Einfach zusammengesetzte Blüthen- stände. 0. Beine. a) inflorescentia centripeta. 6) Die Grasähre (spica); ährenförmig vereinigte Aehren bei den Gräsern; letztere werden hier Aehrchen (spieulae) genannt. 7) Die Umbelliferendolde (umbella); doldenförmig vereinigte Dolden; letztere werden hier Döldchen (um- bellulae) genannt. NB. Beide Ausdrücke hätte eine gesunde Termino- logie längst ausmerzen und mit den Worten spic@ und umbella composita vertauschen sollen. Die Sinnlosig- keit der. Terminologie liegt auf der Hand. 8) Die Rispe (panicula); vergl. Nr. 11. 258 Morphologie. Alle übrigen Combinationen sind keines hesondern Namens gewürdigt, wenn sie nicht unter den sub 9 und 11 angeführten mitbesriffen sind. b. Inflorescentia centrifuga. 9) Die Trugdolde (cyma); vergl. Nr. 5 u. Nr. 14. 10) Die Spirre (anthela); vergl: Nr. 16. ß. Gemischte. a. Inflorescentia centrifuga.- Vergl. N. 11. b. Inflorescentia centripeta. Vergl. Nr. 11. D. Vielfach zusammengesetzte Bruhn stände. a. Imflorescentia centripeta. 11) Die Rispe (panicula); jeder vielfach verästelte Blüthenstand, bei den Gräsern überall, sonst nur bei ent- wickelten Blüthenstielen. 12) Der Strauss (thyrsus), eine Rispe mit schr kurzen Blüthenstielen, fast überall, mit Ausnahme der Gräser. Beide Ausdrücke werden auch auf einfach zusammen- gesetzte Blütbenstände angewendet. Decandolle braucht thyrsus für Blüthenstände, die aus inflor. centrifuga und centripeta gemischt sind; Andere wieder anders, Alles rein willkürlich, als ob die Wissenschaft ein Spiel- werk für Kinder wäre. 13) Der Blüthenschweif (anthurus); ein Blüthen- stand, der ungefähr so aussieht, wie der von Amaran- thus caudatus, oder der Chenopodeen. b. Inflorescentia centrifuga. 14) Die Trugdolde (eyma), auch in mehrfacher Zu- sammensetzung, wobei aber nicht darauf Rücksicht ge- nommen wird, ob die Seitenäste der inflor. centripeta oder centrifuge folgen, bei längeren Blüthenstielen. 15) Die Blüthenbüschel (fescieulus), eine vielfach zusammengesetzte Trugdolde mit kurzen Blüthenstielen und ziemlich zusammengedrängt. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 239 16) Die Spirre (anthela), allerhand Blüthenstände bei den Junceen und ÜUyperaceen. 17) Der Blüthenknaul (glomerulus), allerhand Blü- ihenstände, die fast wie ein Köpfchen aussehen und nur aus unansehnlichen Blüthen bestehen, wie bei einigen Chenopodeen, Urticeen und Junceen. Ich überlasse es jedem einigermassen denkenden Kopf, aus der vorstehenden Uebersicht selbst die traurigen Folgerungen zu ziehen, die sich daraus ergeben, und ich glaube, ich brauche mich gegen Keinen, der unsere Literatur kennt, gegen den Vorwurf zu rechtfertigen, als sey das Vorstehende nur ein fri- voles Spiel meiner Laune. Eine wissenschaftliche Entwickelung der Blüthenstände hat zuerst Röper versucht. Niemand, so viel ich weiss, ist ihm gefolgt, als Lindley.. Den Physiologen scheint die Sache nicht wichtig genug gewesen zu seyn, die Systematiker haben zu viel mit ihrem Herbarium zu thun, und es ist viel leichter, ein neues Wort zu machen, als bei einer grossen Reihe von Pflanzen genaue Entwickelungsgeschichte zu studiren. Für Unkundige will ich noch folgende Beispiele her- setzen. Bei Lotus corniculatus findet Koch (Syn. fl. germ.) ein capitulum, Kunth (fl. berol.) eine umbella, Reichenbach (fl. ex- curs.) gar einen fascieulu. Bei Eriophorum vaginatum giebt Kunth eine spica, Koch eine spicula an. Bei Cladium Mariscus hat Kunth umbellae azxillares et terminales, Koch anthelae azxil- lares I. termin., Jteichenbach cymae t. I. a.; bei Isolepis supina Koch spieulis in fasciculum aggregatis, Kunth spieis conglomeratis. Ich habe hier die französischen und englischen Botaniker noch weggelassen, sonst wäre die Sache noch bunter geworden. Als ganz unnütz habe ich auch die grosse Menge von Syno- nymen weggelassen, und selbst von den Namen für bestimmte Blüthenstände nur die mehr gebräuchlichen angeführt. Ich hätte sonst allein ein Buch darüber und zwar über leere Worte schrei- ben müssen. Link habe ich in dieser Lehre nicht angeführt, um ihm nicht unrecht zu thun, denn, ehrlich gestanden, ich verstehe sein ganzes Capitel über Blüthenstände nicht; nur so viel glaube ich gesehen zu haben, dass er vom ganzen Baume ausgeht und so zur Einzelblüthe fortschreitet, gewiss der ver- kehrte Weg und meinem gerade entgegengesetzt. 240 | Morphologie, 1. Von den Blüthentheilen zur Zeit des Blühens. 8. 147. Die Blüthe entsteht aus einer Knospe (gemma, hier gewöhnlich alabastrus genannt) und ist nichts, als eine besondere Modification in der Ausbildung der in der Knospe enthaltenen Theile, nämlich verschiedener Blatt- organe und Stengelglieder. Schon früher ist entwickelt, dass es an der Pflanze nur zwei wesentlich verschie- dene Entwickelungsprocesse und daraus hervorgehend nur zwei Grundorgane der Pflanze geben könne, nämlich Axe und Blatt. Alle einzelnen Blüthentheile müssen da- her auch auf diese beiden Grundorgane zurückführbar seyn und zurückgeführt werden. Man nennt diese Zu- rückführung seit Goethe die Metamorphose der Pflanzen. Anfänglich wurde diese Betrachtungsweise ‚der Blüthe nur durch die vergleichende Morphologie und durch die Beobachtung der Fälle gestützt, in welchen durch Stö- rung des regelmässigen Eintwickelungsprocesses einige oder alle Blüthentheile wieder Formen annehmen, in welchen man die Natur des Grundorgans, aus welchem sie hervorgingen, leicht wiedererkennen konnte. Dies Letztere nannte man die rückschreitende Metamorphose; als Beispiele dienen hier die verschiedenen Monstrositä- ten, das Gefülltwerden einer Blume durch Uebergang der Staubfäden in Blumenblätter, der Uebergang der Blu- men- und Kelchblätter in Laubblätter u. s. w. Diese Begründung der Lehre von der Metamorphose hat aber zwei wesentliche Fehler, indem sie einmal individuelle Thatsachen durch Hypothesen und Vergleichungen zu gewinnen sucht, und zweitens in ihrem Fortschritt ledig- lich von begünstigenden Zufällen abhängig bleibt. Die richtige und sichere Begründung dieser Lehre kann aber allein die Eintwickelungsgeschichte geben, welche erst in neuester Zeit in ihrem Rechte anerkannt, noch von wenigen Forschern angewandt ist, weshalb auch die” # "| Spee, Morphologie. Phanerogamen, Blüthen, 241 sanze Lehre noch manches Lückenhafte, Unvollendete und Ungewisse zeigt. Man behandelt zum Theil jetzt noch die Lehre von der Me- tamorphose der Pflanzen als einen besondern Abschnitt in der Botanik, obwohl sie in der That nichts ist, als eine vereinzelte, abgerissene Anwendung des einzigen eigentlich wissen- schaftlichen Princips, welches die Botanik zur Zeit haben kann, nämlich der Entwickelungsgeschichte. Von den Meisten wurde die Sache aber lange Zeit, vou Einigen zum Theil wohl noch als eine anmuthige, neben der Wissenschaft herlaufende Spielerei angesehen; zum Theil war daran die Art und Weise schuld, wie die Metamorphose in die Wissenschaft eingeführt wurde. Schon Linned hatte etwas Aehnliches geahnt und in seiner Prolepsis plantarum (Amoenit. academ. Vol VI. p. 324) in der Weise durchgeführt, dass er, von der Betrachtung einer peren- nirenden Pflanze mit regelmässiger Periodicität der Vegetation (wie bei unsern Waldbäumen) ausgehend, die sämmtlichen Blü- thentheile von den Bracteen an für die Gesammt-Blattproduction eines fünfjährigen Triebs erklärte, welche verfrüht und verändert schon in einem Jahre entwickelt seyen. Die ganze Ansicht geht einmal von einem höchst beschränkten Standpunkt, von der Be- trachtung der Pflanzen unseres Klimas, aus und ist zweitens mit grosser Unklarheit gedacht und durchgeführt. Bis zur Bildung der Blüthe in der Achsel der Bractee geht die Sache allenfalls an, aber von da an beschränkt sich die Entwickelung auf Dar- legung seiner unhaltbaren und im höchsten Grade oberflächlichen anatomischen Ansichten über den Zusammenhang der Blüthen- theile mit den Elementen des Stammes, und nur in wenig sehr unbestimmten Worten wird bei jedem Blüthentheil darauf hin- gedeutet, dass derselbe (z. B. der Staubfaden) der Axillarknospe des vorgehenden (des Kronenblatts) entspreche, aber auch nicht einmal versucht, deutlich zu machen, wie es komme, dass die Axillarknospe des Kelchblattes nur als Ein Blatt (Kronenblatt) erscheine, und doch zugleich seine Axillarknospe entwickele, die abermals bis auf ein Blatt verkümmere; endlich ist auf die der ganzen Fiction direct widersprechende, doch gewöhnlich alterni- tende Stellung der Blüthentheile zu einander gar nicht einge- gangen. Den allein richtigen Weg zur Durchführung dieser Lehre schlug C. Fr. Wolff (theoria generationis, 1764) ein, in- dem er zuerst das Studium der Entwickelungsgeschichte auch in der Botanik als das wahre Princip geltend machte. Freilich Iftte er in einzelnen Resultaten, und so namentlich in der Be- II. 16 242 Morphologie, stimmung der Staubfäden als modificirter Axillarknospen der Blumenblätter. Aber seine ganze gemiale Thätigkeit blieb über- haupt für die Botanik völlig verloren, was sich aus dem Geiste der damaligen Wissenschaft leicht erklärt '). Bald nach Wolff schrieb Goethe seinen „Versuch, die Meta- morphose der Pflanzen zu erklären (Gotha, 1790),“ worin er richtig die meisten Blüthentheile bis zu den Carpellblättern für Blattorgane erklärte. Bei seiner Methode der blossen Verglei- chung und Berücksichtigung der Monstrositäten konnte er frei- lich über den Bau des Fruchtknotens nichts Erschöpfendes und Tiefes sagen. Dazu brachte er aus den Schelling’schen Lehren die spielende Vergleichung mit einer abwechselnden Contraction und Expansion hinein, aus welcher, in Verbindung mit allmäliger Verfeinerung, die Verschiedenheit der Blüthentheile hervorgehen sollte. Dieses Letzte liess man bald fallen. Goethe fand an- fänglich in der Botanik wenig Gehör, besonders in Deutschland, wo gerade die crasseste Geistlosigkeit der Linne’schen Schule herrschend war; Jussieu und Usteri ‘erwähnten seiner zuerst in der wissenschaftlichen Botanik. Jedoch gelang es erst Decandolle (Organographie, Paris, 1827), die aligemeine Aufmerksamkeit für diesen Zweig (oder richtiger, für diesen Hauptstamm) der Botanik in Anspruch zu nehmen, und so wurde allmälig die sogen. Metamorphose der Pflanzen als eignes Capitel in die Bearbeitung der Wissenschaft aufgenommen. Wolff’s wurde dabei mit keiner Sylbe gedacht, als höchstens um ihn mit phi- 1) Haben doch noch selbst heute die wenigsten Botaniker nur eine Ahnung von der Bedeutung der Entwickelungsgeschichte, und während die thierische Physiologie mit bewundernswürdiger Schnelligkeit fort- schreitet durch die stete Anwendung der richtigen Methode, während in ihr bald jede auftauchende Meinungsverschiedenheit ausgeglichen wird, weil das Prineip, über dessen Richtigkeit Alle einverstanden sind, die Gewandtheit im Präpariren, die sich Jeder als unerlässliche Vorbe- reitung zum gründlichen Studium erwerben muss, schnell jede Frage allgemein entscheiden lässt, bleibt die Botanik trostlos hinter allen Wis- senschaften zurück; endlose Streitigkeiten über die alltäglichsten Dinge verzehren die beste Zeit, und die Wissenschaft kommt nicht von der Stelle, weil die meisten Botaniker das, was ihnen von den wenigen For- schern, die eine höhere Richtung einschlugen, geboten wird, entweder gleichgültig bei Seite liegen lassen, oder ohne Urtheil, daher vom Zu- fall geleitet, bald Falsches, bald Richtiges excerpiren. An Nachunter- suchen ist bei den Meisten gar nicht zu denken. Das wichtigste Organ ist bei den phanerogamen Pflanzen die Anthere; wie viele Botaniker giebt es aber, die den Bau der Anthere vollständig aus eigner. An- schauung kennen? Daher finden wir in den Büchern der den ersten Ruf geniessenden Botaniker über die Antheren Dinge vorgetragen, die 7 wahrlich nicht um ein Haar schlimmer sind, als wenn Joh. Müller die menschliche Lunge als einfach sackförmig beschriebe. Spec, Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 245 lologischer Gründlichkeit als Goethe’s Vorgänger zu citiren, und so blieb die ganze Lehre, ihrer allein zichtigen Methode erman- gelnd, für die Botanik ohne allen wesentlich fortbildenden Ein- fluss. Ueber die Bedeutung von Kelch, Krone, Staubfaden und Carpell als Blattorgane war man bald, bis auf einige Häretiker, einig. Die Saamenknospen liess man als Knospen an den Rän- dern der Carpellblätter entstehen und kümmerte sich übrigens um die tausend nahe liegenden Widersprüche nicht sehr.. Die einzelnen complicirter gebauten Familien, die nicht so prima vista auf Carpellblätter zurückführbaren Pistille u. s. w. wurden nun der Tummelplatz für die zum Theil abenteuerlichsten Träume- reien und Fietionen; die unglückliche Saat, die Goethe gesäet, wucherte mit trauriger Schnelligkeit auf und nächst dem Schel- ‚lingianismus verdanken wir es ihm''), dass Phantasiespiele in 1) Vielleicht trägt hier unschuldiger Weise einen Theil der Schuld eine in Briefen freundlich ausgesprochene Ermunterung A. von Hum- boldfs, die sicher nicht so gemeint war, wie sie von Goethe aufgefasst wurde zu einer Zeit, wo es ihm, wegen gänzlichen Mangels mathema- tischer Anschauung und Kenntniss, mit seiner Farbenlehre gerade gar schlimm in der Wissenschaft ging. Goethe sagt (Zur Morphologie, Stuttg. u. Tübingen, 1817; 8. 122): „Humboldt sendet mir sein Werk mit einem schmeichelhaften Bilde, wodurch er andeutet, dass es der Poesie auch wohl gelingen könne, den Schleier der Natur aufzuheben; und wenn er es zugesteht, wer wollte es leugnen?“ Sicher hat hier Humboldt nicht mehr sagen wollen, als dass es einem Dichter, der sei- nem innersten Wesen nach darauf hingewiesen ist, im einzelnen Falle das Allgemeine (nämlich das allgemein Menschliche) zu erfassen, auch wohl gelingen könne, einmal bei Betrachtung der Natur einen glücklichen Gedanken zu finden, aber ohne dass ein solcher glücklicher Gedanke schon Wissenschaft selbst sey und ohne weitere Ausführung und Bear- beitung ein integrirender T'heil derselben werden könne. Die falsche Deutung, die Goethe dem Worte unterlest, als sey eine poetische Be- handlung der Natur der streng wissenschaftlichen an die Seite zu stel- len oder gar vorzuziehen, konnte Humboldt nicht im Sinne gehabt ha- ben. Sie fiel aber damals gerade in eine Zeit, wo die unklaren Schwär- mereien der Schelling’schen Naturphilosophie, auf denselben Mangel psychologischer Orientirung gebaut, Phantasie und Verstand, Dichten und Denken, Poesie und Wissenschaft in ein für den ächten Dichter, wie für den klaren Denker gleich unschmackhaftes Gemenge zusammen- rührte. Das hat uns viel Noth in die Wissenschaft gebracht und be- sonders der Botanik für lange Zeit eine zehrende Entwickelungskrank- heit verursacht. Bald hat sich die Zoologie von diesem Fieber wieder erholt, denn sie hatte zu jener Zeit schon eine Menge gesunder Säfte entwickelt; aber die Botanik, die damals als das traurige Linne’sche Gerippe herumwankte, hat länger leiden müssen, da man, gegen den vorigen Zustand gehalten, die Fieberröthe für Zeichen der Gesundheit nahm. Poesie und Wissenschaft sind aber ihrem innern Wesen nach zweı getrennte Gebiete, die beide ihren ganzen Werth einbüssen, wenn man sie durcheinanderwirft. Eine dichterische Behandlung der Wis- 16 * 244 Morphologie. der Botanik an die Stelle ernster und scharfer Wissenschaftlich- keit getreten sind. Auf jenem unbegrenzten Gebiet war natür- lich die Phantasie jedes Einzelnen gleich berechtigt, an einem wissenschaftlichen Princip, welches zwischen abweichenden Mei- nungen die Entscheidung hätte übernehmen können, an einer Methode, deren anerkannte Richtigkeit für die Resultate einer Forschung hätte bürgen können, fehlte es durchaus. Ich habe mich bemüht, in meiner methodologischen Einleitung für die Botanik aus der Betrachtung ihres Objects selbst ein solches Princip, eine solche Methode zu entwickeln, und spreche hier noch einmal meine feste Ueberzeugung aus, dass ohne strenge Durchführung der Entwickelungsgeschichte, im Ganzen wie im Einzelnen, die Botanik ein unwissenschaftliches Spielen in einer rein willkürlichen Anordnung und Combination unver- standener Formen ist und bleiben wird. Trotz unserer, bei Weitem weniger schwierigen Aufgabe, ist uns die Zoologie weit vorausgeeilt und hat uns den Weg gezeigt, den sie eigentlich von uns hätte lernen sollen; wir müssen nachfolgen, wenn nicht nachgerade jeder Botaniker schamroth werden soll, der ein Werk von Müller, Schwann, Reichert, Baer, Rathke, Siebold, Wagner und all’ den Hunderten in die Hand nimmt, denen wir kaum ein halbes Dutzend an die Seite stellen können. $. 148. Man unterscheidet an der phanerogamen Blüthe von Innen nach Aussen (oder von Unten nach Oben) ge- wöhnlich folgende "Theile: die Blüthendecken, als Aussen- kelch (epicalyx), dessen Theile Blätter (phylla), als Kelch (caly&), dessen Theile Kelchblätter (sepala), als Blumen- krone (corolla), deren Theile Blumenblätter (petala), oder statt dieser drei als Blüthenhülle (perianthium), senschaft und insbesondere der Philosophie, der strengsten aller Wissen- schaften, ist für den klar gebildeten Geist eben so widerlich und ge- schmacklos, als wenn man in poetischer Rede einen Handel abschliessen, einen neuen Rock bestellen, oder einen Bedienten rufen wollte. Ein Lehrgedicht ist nüchterne versificirte Prosa, ein Ueberbleibsel der Bar- barei des Mittelalters, eine poetische Wissenschaft, ein trüber Mysticis- mus eines unklaren Schwärmers, deren es freilich bei der mangelhaften Ausbildung unseres Denkvermögens in der Jugend noch lange Einzelne geben wird. spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 245 deren Theile Blätter (phylla); die Staubfäden (sta- mine), ausserhalb und innerhalb derselben einige acces- sorische kümmerliche Blattorgane unter sehr verschie- denen Namen und endlich, die Mitte der Blüthe ein- nehmend, den Fruchtknoten (pistillum), deren ein- zelne Blattorgane, als Fruchtblätter (carpella). Am Staubfaden unterscheidet man den untern fadenförmigen Träger (filamentum) von dem obern, verdickten, hoh- len, den Blüthenstaub ( pollen) enthaltenden Theile, dem Staubbeutel (anthera). Am Fruchtknoten bezeichnet man den untern,. die Saamenknospen (gemmulae) um- schliessenden "Theil als Fruchiknotenhöhle (germen ') ), die obere, freie, gewöhnlich mit absondernden Papillen besetzte Fläche als Narbe (stigma), und zwischen bei- den häufig noch eine stielartige Verlängerung der Frucht- knotenhöhle als Staubwes (stylus). Die phanerogame Blüthe ist das einzige physiolo- sisch bestimmte Organ der Pflanze, indem sie den Ap- parat für die gesetzmässige Fortpflanzung enthält. Hier- zu tragen aber nur zwei Formen bei, nämlich der Staub- faden, als Erzeuger und Träger des Pollens, und die Saamenknospe, als Ort für die Ausbildung des Pollens 1) Die bis jetzt am häufigsten gebrauchte Bezeichnung für die Saamenknospen ist Eierchen (ovula). Im ersten Bande dieses Werkes (S. 85) hatte ich in einer Anmerkung den Vorschlag gemacht, die Bo- taniker möchten übereinkommen, um alle die Ausdrücke, die in der Zoologie ihre bestimmte Bedeutung haben, aus der Botanik ganz zu verbannen, um der beständigen Verwirrung, die so leicht durch die aus jener Wissenschaft dunkel mit herüber gebrachten Begriffe entsteht, für die Zukunft vorzubeugen. Mit Freuden sehe ich, dass mir ein besserer Mann, A. Endlicher, in seinem Knchiridion botanieum schon zuvorge- kommen und, den, Ausdruck ovulum verwerfend, dafür gemmula substi- tuirt hat, und statt des allerdings noch gebräuchlicheren ovarium, als untersten Theil des Fruchtknotens, das alte Wort germen gebraucht. Mit Freuden schliesse ich mich ihm an, und glaube das Wort gemmula passend durch Saamenknospe übersetzt zu haben; dagegen behalte ich von den vielen Ausdrücken für die gewöhnliche Bezeichnung des Saa- menträgers „placenta“ lieber den Ausdruck spermophorum bei, als den wegen seiner Bedeutung mehrsagenden und daher nicht so zweckmässig gewählten und ohnehin grammatisch falsch gebildeten Ausdruck fropho- spermium. 246 Morphologie, zum Embryo. Alle übrigen Theile der Blüthe, nämlich die Hüllen der ganzen Blüthe, „Blüthenhülle, Kelch und Blumenkrone‘‘, und die Behälter der Saamenknospen (der Fruchtknoten) sind in physiologischer Beziehung unwesentlich und können daher fehlen, ohne dass der Begriff der Blüthe aufgehoben würde. Für die richtige (morphologische) Betrachtung der Blüthe giebt es aber keinen Unterschied zwischen we- sentlichen und unwesentlichen Formen, und daher müsste man richtiger eintheilen in Axenorgane und Blattorgane. Folgendes sind die zu berücksichtigenden Verhältnisse. Die Axe und ihre Meodification sind die Grundlage der Blüthe, weil an ihnen die Blattorgane befestigt sind. An den Axenorganen der Blüthen finden sich nach Aussen mehrere Formen reiner Blattorgane, die Blüthendecken, accessorischen Blättchen und Staubfäden. Den innersten Theil nehmen Organe ein, die aus reinen Axenorganen oder aus einer engen Verwachsung von diesen mit Blatt- organen gebildet sind, die man den weiblichen Apparat, besser die Fruchtanlage nennt. Daneben lassen sich aber die Zahlen- und Stellungsverhältnisse der Blüthentheile, sowie ihre Dauer, zweckmässig zusammenfassen und allgemein behandeln; so erhalten wir für die folgenden Betrachtungen dieses Schema: A. Axenorgane der Blüthe. Zahl, Stellungsverhältnisse und Dauer der Blü- thentheile. Die reinen Blattorgane der Blüthe. a) Die Blüthendecken. 5b) Die Staubfäden. c) Die accessorischen Blattorgane. D. Die Fruchtanlage. a) Vom Fruchtknoten. b) Vom Saamenträger. c) Von den Saamenknospen. Man bezeichnet bis jetzt noch die Antheren als männ- liche Organe der Pflanze (zusammengenommen mit dem Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 247 überflüssigen Wort androeceum), die Saamenknospen und ihre Behälter, das Pistill als weibliche Theile (zu- sammen als gynaeceum.) Eine Blüthe, die beide Theile umfasst, nennt man eine Zwitterblüthe (flos hermaphro- ditus); Blüthen, die nur eins jener Organe enthalten, eingeschlechtige (flores unisexuales, diclini). Kommen im letzten Falle männliche und weibliche Blüthen (mas et femina) auf demselben Pflanzenindividuum vor, so nennt man dieses einhäusig (planta monoica), kommen sie nur auf verschiedenen Pflanzenindividuen vor, zwei- häusig (pl. dioica). Einen Blüthenstand, der männliche und weibliche Blüthen enthält, nennt man auch inflore- scenlia androgyna. Man muss hier aber unterscheiden, ob männliche und weibliche Blüthen nach einem ver- schiedenen Plane gebaut sind, z. B. bei den Cupuliferen (ächte Diclinie), oder ob nur durch das Verkümmern des einen oder andern 'Theils in einer hermaphroditisch angelesten Blüthe eine unächte Diclinie eintriti. Dies letztere Verhältniss, welches niemals für alle Exemplare der Pflanzenart durchgreifend ist, ruft die monöcischen uni diöeischen Arten in Geschlechtern mit hermaphrodi- ten, Blüthen hervor und gab Linne Veranlassung zur Aufstellung seiner 23. Classe, Polygamia, wo bei einer und derselben Art männliche, weibliche und hermaphro- dite Blüthen vorkommen sollen. Sehr mit Unrecht zählt man gewöhnlich die Fruchtknoten als - Behälter der Saamenknospen und als Erleıchterungsapparat der Befruchtung auch zu den wesentlichen Blüthentheilen, er kann aber eben so gut wie die Blüthenhüllen fehlen, bei Coniferen, Cycadeen und Loranthaceen, die eine nackte Saamenknospe haben. Die einfachste Form der Blüthe ist die, in welcher nur einige Blattorgane in Antheren umgebildet sind und zwischen ihnen das einfache Ende der Axe die einfachste Form der Saa- menknospe darstellt. Als solche Idealblüthe (Urblüthe) könnten wir geradezu die von Fiscum album in Anspruch nehmen, wenn hier nicht das reine Verhältniss dadurch getrübt wäre, dass auf dem einen Exemplare sich stets nur die Antheren entwickeln, die Saamenknospe aber nicht für ihre Functionen ausgebildet wird, während auf einem andern Exemplare gerade nur die Axe 248 Morphologie. sich vollkommen zur einfachsten Saamenknospe ausbildet, wäh- rend um dasselbe herum die vier Blattorgane als solche verhar- ren. Unter den Coniferen ist die weibliche Blüthe von Taxus ein Beispiel des einfachsten Baues. Auch hier ist von Blüthen- hüllen oder Saamenbehältern gar nicht die Rede, aber die Sar- menknospe besteht nicht mehr in ihrer einfachen Form als nack- ter Saamenkern (nucleus nudus), sondern erhält eine Knospen- hülle, aber keinen Saamenbehälter (germen), und deshalb bleibt es auch immerhin eine nackte Saamenknospe [gemmula nuda] '). Die ganze Eintheilung in wesentliche und unwesentliche Blü- thentheile ıst aber eine für meine Darstellung der Sache durch- aus unbrauchbare. Für die morphologische Betrachtung der Pflanze ist jedes Organ gleich wesentlich als bestimmter Aus- druck der formbildenden Thätigkeit und es ist dabei völlig gleich- gültig, ob denselben dabei eine bestimmte Function zugetheilt ist und welche. Für die morphologische Behandlung der Blüthe ist die einzig richtige Eintheilung die in Axenorgane und Blatt- organe; ich mag aber hier diese Reform nicht gleich streng durchführen, um mich nicht zu sehr von dem hergebrachten Schlendrian zu entfernen und dadurch vielleicht, wenn auch nicht unverständlich, doch scheinbar zu schwierig zu werden, obwohl in der That die Entwickelung der Blüthe dadurch viel einfacher wird und unzählige, sonst unvermeidliche Wiederholungen ver- mieden werden. Bei der fast gänzlichen Vernachlässigung der Entwickelungsgeschichte war auch bisher keine andere, als die gewöhnliche Behandiungsweise möglich. Ferner muss ich hier noch Folgendes berühren. Man zählt seit Linne gewöhnlich die Nectaria noch mit unter den Blüthen- theilen auf, charakterisirt durch die Absonderung einer sehr 1) Link (Linnaea, Bd. XV. 1841 [!], S. 482) bemerkt mit dem Scheine grossen Scharfsinnes gegen Rob. Brown’s Ansicht von dem Bau der Coniferenblüthe: „si ad micropylen apertam respieis semen nudum dicere poteris, si vero ad integumenta (ex quo stigmata duo exwcedunt) tectum erit.“ Hätte Link die Schriften von Rob. Brown, Brogniart und Mirbel etwas mehr als flüchtig durchblättert, so würde er wissen, dass diese Männer eine gemmula nuda sehr scharf vom nweleus nudus unter- scheiden; nach bekanntem Sprachgebrauch heisst zudus nämlich ein Or- gan, dem die nächstfolgende Hülle fehlt, dem nxcleus also das Integu- ment, der gemmula das germen. Semen heisst Kern und Hülle zugleich, und kann nur dann nackt genannt werden, wenn kein pericarpium vor- handen ist; es handelt sich hier aber um die gemmula; die Mikropyle ist ein Theil der Knospenhülle, das Stigma ein Theil des Pistills. Ent- weder ist das Integument des zueleus eine Knospenhülle — denn es ist verkehrt, von Stigma zu sprechen —, oder es ist ein germen, dann ist keine Mikropyle vorhanden. Ich muss aber unten darauf noch eıin- mal zurückkommen. Spec, Morphologie, Phanerogamen. Blüthen, 249 zuckerhaltigen Flüssigkeit; später liess man dies Merkmal auch wohl weg und sah mehr auf die äusseren Formen, so dass zu- letzt alles Mögliche unter dem Namen zusammengewürfelt wor- den ist. Man muss, wenn man überall den Blüthenbau verste- hen will, zunächst Axen und Blattorgane und sodann selbststän- dige Organe und blosse Anhängsel und Auswüchse bestimmter Organe unterscheiden. Bei allen diesen Theilen kann es vor- kommen und kommt wirklich vor, dass ein Theil der Oberfläche seine Epidermis nicht entwickelt und einen zuckerhaltigen, oft auch andern Saft absondert. Weder dies ganz untergeordnete und überall gelegentlich vorkommende Structurverhältniss, noch die Function, und diese am wenigsten, rechtfertigen die An- nahme eines besondern Organs. Der Form nach die Nectarien zu bestimmen, hat aber noch Niemand versucht, es ist auch in der That unmöglich. Ich streiche daher dieses Wort, welches völlig überflüssig geworden, in der Morphologie aus. Endlich bemerke ich noch, dass bei dem einfachen Bau von Viscum noch nicht einmal eine Trennung der Axe als Blüthen- stiel von der Axe als Saamenknospe eingetreten ist. Die Axe hört in der Blüthe unmittelbar mit kaum merklicher rundlicher Endung auf, und Alles, was der Saamenknospe eigentlich ihre Bedeutsamkeit verleiht, namentlich die Bildung des Embryosacks, sowie später die Entwickelung des Embryos, geht hier in dem Theil der Axe unterhalb der Blüthe, also im Blüthenstiel, vor sich. Der Ausdruck gemmula infera wäre hier in der That sehr passend. A. Von den Axenorganen der Blüthe. $. 149. Nur sehr wenige Blüthen giebt es, die so einfach gebaut sind, dass sie nur aus einem einzigen einfachen wesentlichen Theile beständen, so dass gar keine Bil- dung von Stengelgliedern innerhalb der Blüthe möglich ist und das Ende des Blüthenstiels unmittelbar den vor- handenen Blüthentheil trägt; so ists mit’ der männlichen Blüthe der Euphorbien, wo das Einde eines Blüthenstiels einen einzigen Staubfaden trägt, so bei der männlichen Blüthe der Abietineen, wo ein einziges, zum Staubfaden umgewandeltes, Blattorgan die ganze Blüthe bildet, so bei der weiblichen Blüthe von Taxus, wo der kleine, 250 | Morphologie. mit Deckblättehen beseizte Blüthenstiel unmittelbar als nackte Saamenknospe ende. In den meisten Blü- then dagegen sind mehrere Theile vereinigt, die nicht auf gleicher Höhe an der Axe stehen, und somit neh- men an der Bildung der Blüthe auch eine grössere oder seringere Anzahl Stengelglieder Theil. Der ursprüng- liche Zustand der Stengelglieder, der wunentwickelte, bleibt hier auch am häufigsten der dauernde, und sehr sewöhnlich endet der Blüthenstiel, nach Abtrennung, al- ler Blüthentheile, in einen kleinen, unbedeutend verdick- ten Knoten, der die gesammten Stengelglieder im unent- wickelten Zustande, den einfachen Blumenboden (torus) darstellt. Ziemlich selten sind die Beispiele, dass sich die einzelnen Stengelglieder in die. Länge strecken; für die zwischen den Blüthendecken ist mir kein Fall be- kannt, dagegen kommt es in einigen Familien vor, dass sich das Stengelglied zwischen den nächsten Blüthendecken und den Staubfäden (androphorum), sowie das zwischen Staubfäden und Fruchtknoten (gynophorum) in die Länge streckt. Das letzte bezeichnet man gewöhnlich als germen stipitatum. Für Beides finden sich Beispiele bei den Passifloren und Capparideen. Ein bedeutend längerer Theil ohne Verlängerung der einzelnen Stengelglieder findet sich als F'ruchtknotenträ- ser häufig in den Blüthen, die sehr viele Fruchtknoten enthalten (z. B. bei Rosaceen, Ranunculaceen, Magno- liaceen u. s. w. Oefter dagegen kommt der Fruchtkno- tenträger als ein halbkugeliger oder kissenförmiger Theil vor, wie bei andern Rosaceen und Ranunculaceen; eine sehr seltene Form desselben ist die eines umgekehrten Kegels, der auf seiner nach Oben gekehrten Basis die Fruchtknoten trägt (bei Nelumbium). Aeusserst selten verlängert sich, ausser diesem Falle und ohne selbst zum Fruchtknoten zu werden, die Blüthenaxe noch in- nerhalb der Blüthentheile, doch kommt dies in den männ- lichen Blüthen einiger Palmen und anderer Pflanzen vor, z. B. bei Chamaedorea, wo die Spitzen der Blumen- Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blühen. 251 blätter mit der Spitze der durchgehenden Blüthenaxe verwachsen '). Zuweilen bildet sich bei sehr gedrängtem Blüthen- stande an Axillarknospen der Blüthenboden schief aus und steigt an einer Seite in die Ilöhe, besonders unter- halb des Fruchtknotens, so dass er als Theil der Sei- tenwand desselben erscheint, z. B. bei den meisten Grä- sern. Etwas ganz Achnliches tritt aus ähnlichen Ursa- chen beim Vorhandenseyn vieler einzelner Fruchtknoten in ‚einer Blüthe bei den Theilen des Fruchtbodens ein, welehe die Basis jedes einzelnen Fruchtknotens bilden, und sie werden so scheinbar ein Theil der Fruchtkno- tenwand (z. B. Potamogeton, Dryadeae). Ungleich häufiger ist dagegen in der Blüthe die Ent- wickelung der Stengelglieder als Scheibe oder als hohle Becherform. Ich erinnere hier wieder daran, dass bei diesen Formen der Axe die Mitte der untern oder äussern Fläche dem untersten ’T'heil der Axe, die untere oder äussere und die obere oder innere Fläche zusam- men den Seiten der Axe, und der Mittelpunkt der obe- ren oder inneren Fläche der Spitze der Axe entsprechen. An dieser Axe können nun die eimzelnen Blattorgane oder Blatikreise sehr verschieden angeordnet seyn. Es ist nicht nöthig, dass alle in einer Zone befestigt sind, denn auch bei der scheibenförmigen Axe ist ein Verhält- niss möglich, welches, wie bei der Längsausdehnung der Axe, die einzelnen Blattorgane oder Blatikreise von ein- ander entfernt und einem oder mehreren in die Länge entwickelten Stengelgliedern entspricht. Bilden die ge- sammten Stengelglieder der Blüthe eine hohle, selbst bis zu einer eylindrischen Röhre ausgezogene Form, die ® 1) Hier und in einigen ähnlichen Fällen nennt man dieses Stück der Axe ganz falsch einen verkümmerten Fruchtknoten; der Fruchtkno- ten besteht in diesen Fällen gewöhnlich aus Fruchtblättern und diese sind auch nicht einmal als fehlgeschlagen vorhanden; der Saamenträger ist aber nur durch die Saamenknospen von der Axe verschieden und hier also auch nicht vorhanden. 252 Morphologie. nur Saamenknospen umschliesst und auf ihrem obern Rande alle Blüthentheile trägt, so ist das der soge- nannte unterständige Fruchtknoten. Hierüber, sowie über alle übrigen, ausschliesslich der Fruchtanlage ange- hörigen Verhältnisse der Axenorgane werde ich unten sprechen. Jede andere derartige Ausbreitung der Stengelglie- der der Blüthe, die nicht unmittelbar Saamenknospen trägt, heisst dann die Blüthenscheibe (discus). Diese kann dann unterhalb der Fruchtanlage stehen (discus hypogynus) und dann flach seyn, wie bei Potentilla, Fragaria, oder becherförmig, wie bei Rosa, Populus (mas). Dieser letztere kann frei seyn (Rosa) oder mit dem, auf seiner innern Fläche stehenden Fruchiknoten verwachsen (Pyrus), oder er kann von der. Mitte des (halb unterständigen) Fruchtknotens abgehen (discus perigynus), wie bei vielen Myrtaceen, oder er kann endlich oberhalb des (unterständigen) Fruchtknotens sich erheben (discus epigynus). Hier kommt er sehr selten (oder nie?) flach vor, aber trichterförmig bei Godetia, langröhrenförmig bei Venothere, staubwegartig bei den Or- chideen und Aristolochieen. In allen diesen Fällen kön- nen die Blattorgane der Blüthe an sehr verschiedenen Stellen stehen. Gewöhnlich freilich nehmen sie alle zu- sammen eine Zone, den Rand der flachen oder concaven Scheibe ein; es entspricht dann die Scheibe gleichsam so vielen auf einander liegenden Scheiben, als durch die Zahl der Blattorgane Stengelglieder bestimmt sind. Nicht selten stehen die reinen Blattorgane am Bande und die | Fruchtknoten auf seiner inneren oder oberen Fläche in einem oder mehrern Kreisen (z.B. Rosa, Punica, Ona- grariae). Seltener schon stehen am Bande nur die Blüthendecken, die Staubfäden aber von ihnen entfernt ' auf einer innern Fortsetzung der Scheibe, z. B. bei den Orchideen. Die Scheibe ist übrigens keineswegs immer regel- mässig entwickelt, sondern häufig nur einseitig ausge- | [ Spec. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen. 253 bildet, wodurch die ganze Blüthe schief (unregelmässig, aber symmetrisch) erscheint; so z. B. bei Reseda. Am auffallendsten ist die Bildung bei Pelargonium, wo die Scheibe eine einseitige Vertiefung am Blüthenstengel bildet. Gewöhnlich nehmen, wo einmal Scheibenbildung ein- tritt, alle Stengelglieder der Blüthe daran Theil; es kommen aber auch Fälle vor, wo das nicht der Fall ist, und die verschiedenen Stengelglieder sehr verschie- dene Formen annehmen. So z. B. trennen sich die Rosaceen ziemlich scharf in zwei Gruppen, je nachdem die Scheibe ganz flach oder becherförmig (Rosa, San- guisorbeae), oder die Stengelglieder zwischen Kelch und Staubfäden flach, die zwischen den Fruchtknoten halb- kugelig oder kegelförmig convex sind. Noch auffallen- der ist die Verschiedenheit bei Passiflora, wo eine flache Scheibe auf ihrem Rande Kelch und Blumenkrone trägt, während das Stengelglied zwischen dieser und der Staub- faden in seinem obern Theil, das Stengelglied zwischen Staubfäden und Fruchtknoten ganz in die Länge ge- streckt ist. Selten erscheinen einzelne Stengelglieder der Blüthe allein auffallend entwickelt, am häufigsten noch der Kruchtknotenträger (gynophorum) bei den Labiaten und Borragineen als eine dicke, fleischige Scheibe (gyyno- basis), bei den Malvaceen als ein dicker, kegelförmiger, den Kreis der Fruchtknoten tragender Zapfen, bei Ra- nunculaceen (z. B. Myosurus), bei Magnoliaceen als langes, fast cylindrisches Organ). Ueber den Bau der Stengelglieder der Blüthe ist wenig Besonderes zu sagen; sie gleichen hierin ganz 5 I) Analog der Scheibe bei den Borragineen und Labiaten bildet die Axe bei den Cruciferen und Alsineen an der Basis der Staubfäden oft Anschwellungen, die als Schüppchen oder Becherchen die Basis des Trägers umfassen und gewöhnlich als unterständige Drüsen beschrieben werden, weil sie oft durch das zartbleibende Epithelium klebrige süsse Säfte absondern. 254 Morphologie. den einjährigen Stengelgliedern überhaupt; nur ist zu bemerken, dass sie oft wenigere und einfacher ent- wickelte Gefässbündel haben. Insbesondere ist noch zu erwähnen, dass innerhalb der Blüthe die Oberhaut der Stengelglieder (wie bei einigen Blattorganen auch) häu- fig nicht entwickelt ist, sondern statt ihrer ein zartes, weiches, etwas gelblich erscheinendes und sewöhnlich etwas oft zuckerhaltige Feuchtigkeit absonderndes Zell- gewebe die Fläche überzieht. Die meisten der in diesem Paragraphen berührten Verhältnisse - sind sehr leicht aufzufassen; nur einen Punkt muss ich hier her- vorheben und etwas genauer darauf eingehen, nämlich die Be- deutung des Discus. Alle die im Paragraphen unter diesem Namen zusammengefassten Bildungen gehören ohne Zweifel zu- sammen; die Entwickelungsgeschichte weist sie entschieden als flache oder concave Ausbreitungen der in die Blüthe eingehen- den Stengelglieder nach, die an den flachen, unzweifelhaften Axengliedern vieler Compositen (z. B. Helianthus), an den hoh- len bei Ficus und so weiter, ihre genügende Analogie finden. Bei vielen dieser Verhältnisse "begnügt man sich damit, von Ver- wachsung der am Rande der Scheibe freistehenden Blüthentheile zu sprechen, weil es leichter ist, mit so einem hingeworfenen Wort die Sache abzumachen, als indheh zu untersuchen. Bei allen deutet aber schon die plötzliche, scharf abgesetzte Verän- derung der Textur und des ganzen äusseren Ansehens auf eine Verschiedenheit z. B. der Kelchblätter und der Röhre bei Oeno- thera, und schon daraus konnte man abnehmen, dass man diese nicht als Kelchröhre bezeichnen könne. Freie, einer Kelch- röhre, also einem Blattorgane, eingefügte Blumenblätter, wie bei den Onagreen und den meisten von den Botanikern hierher ge- zählten Pflanzen, sind aber an sich schon ein ganz widersinniger Begriff, weil ein Blatt niemals aus einem Blatte, sondern nur aus einem Axenorgane entsteht. Häufig, z. B. bei Pelargonium, zeigt auch ein scharfer Saum, der sich am Rande des Discus fortzieht, deutlich die Grenze zwischen Kelch und Scheibe an. Auf der andern Seite ist mit keinem Worte ein so unerhörter Missbrauch getrieben worden, als mit dem Worte discus. Alles, was man von eigenthümlichen Organen in der Blüthe fand und nicht sogleich bei den gewöhnlichen vier Formen von Kelch, Krone, Staubfaden und Pistill unterbringen konnte, wurde unter dem Namen Discus zusammengewürfelt. So bei den T'hymeleen entschiedene, sogar ganz freie Blattorgane, bei den Scrophula- rieen und verwandten Familien ein Kreis verwachsener Blattor- Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 255 gane (auch als annulus hypogynus bezeichnet), bei den Umbel- liferen der untere, etwas fleischiger und saftiger entwickelte Theil der Fruchtblätter (als discus epigynus) u. dergl. Noch sind unendlich viele einzelne Verhältnisse zu untersuchen und aufzuklären; ich kann nur das Wenige bieten, zu dessen Unter- suchung meine Zeit hinreichte, und eine vollständige Bearbei- tung dieser Verhältnisse wäre eine höchst verdienstliche Arbeit und würde der Erkenntniss der natürlichen Verwandtschaften unendlichen Vorschub leisten, aber man muss sich dabei nicht darauf beschränken, Alles, was in der Blume gelb aussieht und etwas saftig ist, als Discus zu bezeichnen. Eine freilich unwissenschaftliche teleologische Bemerkung kann ich hier nicht unterdrücken. Wir finden zwar auch bei andern Axenorganen die Scheiben- und Becherform, aber doch nirgend so häufig als in den Stengelgliedern der Blüthe; dies war aber ohne Frage das einfachste Mittel, um eine grosse Mannigfaltig- keit der Bildungen zu begünstigen, ohne den räumlichen Zusam- menhang der Blüthe und ihre anschauliche Abgeschlossenheit zu beeinträchtigen. B. Zahl, Stellungsverhältnisse und Dauer der Blüthentheile. $. 150. Sehr selten besteht eine Blüthe nur aus einem Theil, wie die männlichen Blüthen von Kuphorbia'), Lemna, Wolffia aus einem Blattorgane, der Anthere, die weib- lichen von Taxus aus einem Stengelorgan, der Saamen- knospe; gewöhnlich sind mehr Theile zu einer Blüthe vereinigt, so bestehen z. B. die weiblichen Blüthen der meisten Aroideen aus einer oder mehrern Saamenknos- pen und einem sie umschliessenden Fruchtblatte, so die männlichen Blüthen der Salicineen aus einem schalen- förmisen Discus und mehrern Staubfäden. In den mei- sten Fällen sind männliche und weibliche Organe in einer Blüthe vereint, selten nackt (wie bei Hippuris), son- dern meist noch mit Blüthendecken umgeben. 1) Hier steht der einzige Staubfaden (Blattorgan) genau auf der Mitte und dem Ende des kleinen Blüthenstiels. Eine vollständige Ent- wickelungsgeschichte fehlt noch. 256 Morphologie. An Axillarblüthen bezeichnet man die Theile der Blüthe, die dem Blüthenstengel zugewendet sind, als die oberen; die an der entgegengesetzten Seite der Blüthe dem Deckblatt, wo es vorhanden, anliegenden Theile als die unteren. Einige Pflanzen zeigen aber die Eigen- heit, dass der Blüthenstiel (analog dem sich windenden Stengel) bis zur Zeit des Aufblühens eine halbe Dre- hung macht (sey es als ächter Blattstiel (bei C«lceo- laria und einigen Orchideen) oder als unterständiges germen ') (bei den meisten Orchideen). Dadurch wer- den in einer solchen Blume die oberen Theile (bei ge- nannten die Lippe) scheinbar zu untern; man nennt solche Blumen flores resupinati, wendet den Ausdruck aber oft falsch auf die Orchideen an, bei denen eine solche Drehung nicht stattfand, bei denen also die Lippe ord- nungsmässig nach Oben steht, z. DB. Epipogium. Es können nun im Allgemeinen nach gewöhnlicher Ansicht”) die einzelneu Organe der Blüthe, die man mit einem Collectivnamen belegt, sowol ursprünglich nur aus einem Stücke bestehen (partes monomerae), als aus mehreren (partes bi-, tri-, polymerae). Im letzteren Falle können dann die einzelnen Stücke völlig &etrennt, frei seyn .oder unter einander auf mannigfache Weise verwachsen. Die letztern nannte man früher ebenfalls partes monomerae, mit Decandolle besser partes ga- momerae, 2. B. Hemerocallis — perianthium gamo- (mono)phyllum, monomerum. Salvia corolla gamo- (mono)petala pentamera. Rosa corolla pentapetala u. s. w. Die Verwachsungen treten hier ganz auf dieselbe Weise ein, wie bei den Stengelblättern, kommen aber wegen des sedrängten Standes in der Blüthenknospe noch viel häufiger vor. Sie finden entweder so statt, 1) Das spricht auch, beiläufig bemerkt, für die Axennatur des un- terständigen F'ruchtknotens. 2) Vergl. unten &. 151. Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 257 dass ein einzelnes Blattorgan mit seinen Bändern zu einem röhren- oder becherartigen Organe verwächst, wie z. B. häufig bei der eingliederigen sogenannten Blüthen- hülle (Deckblättchen), oder dass mehrere Blattorgane untereinander mit den Rändern verwachsen. Gewöhn- lich trifft das alle Bänder eines Blattkreises, zuweilen bleiben aber zwei Ränder unveremigt, z. B. beim Kelch von Gentiana lutea. FBibenso tritt zwar der Verwach- sungsprocess an allen Blatträndern eines Kreises ge- wöhnlich gleichzeitig ein, zuweilen aber sehr viel. spä- ter an zwei obersten Blatträndern, woraus die sogenann- ten einlippigen Formen, z. B. die Blumenkrone von Teuerium und die flores ligulati der Compositen her- vorgehen, oder von je zwei und zwei Blatträndern an der Seite des Blatikreises, wodurch die sogenannten zweilippigen Blumenkronen entstehen. Aber es kommt in der Blüthe noch eine Art der Verwachsung vor, von der ich bei den Stengelblättern kein Beispiel und bei den Deckblättern und Deckblättchen nur das der cupula der Cupuliferen kenne, nämlich die Verwachsung zweier oder mehrerer Kreise unter einander, z. B. bei den zwei Kreisen der Blüthenhülle vieler Liliaceen, oder bei die- sen und den zwei Staubfädenkreisen, bei dem Kreis der Blumenblätter und Staubfäden bei den Labiaten u. s. w., überhaupt bei allen den Blüthen, denen man stamina perianthio, vel corollae (nicht calyci) inserta zu- schreibt. Die Verwachsung der Staubfäden eines oder mehrerer Kreise unter sich nennt man insbesondere auch wohl seit Linne Verbrüderung (adelphie) und unter- scheidet dann nach der Zahl der Verbrüderungen in einer Blüthe monadelphia, diadelphia .... polyadelphia. Sind die Blattorgane der Blüthe unter einander verwachsen. so nennt man den verwachsenen Theil Röhre (fubus perianthü, calycis, corollae eic.), den freien Theil den Saum (limbus) und die Grenze beider die Mün- dung (faux). Eine der auffallendsten Formen der Ver- wachsung, wofür ebenfalls die Stengelblätter kein Ana- nl, 17 258 Morphologie. logon bieten, ist die Verwachsung der Blüthenblattor- gane gleich unterhalb der Spitze, ohne dass sich diese Verwachsung später weiter fortsetzt, so dass die Blatt- organe nach Oben zusammenhängen, nach Unten frei sind; so z. B. bei den Blumenkronen der männlichen Blumen von Chamaedorea, Casuarina, bei den Trä- gern der Staubfäden von Symphyonema montanum '). Auch das Fehlschlagen hat in der Blüthe dieselbe und nur die Bedeutung, die ich bei den Blattorganen ausführlich entwickelt habe, nämlich dass ein der An- lage nach vorhandener "Theil bei der allmäligen Aushil- dung der ganzen Blüthe in der Entwickelung zurück- bleibt und so sich zuletzt der Beobachtung entzieht. Die Annahme irgend eines andern Aborts ist nicht Naturwis- senschaft, sondern 'Träumerei einer spielenden Phantasie. Sobald die einzelnen "Theile der Blüthe vielgliederig sind, erscheinen die Blattorgane um eine ideale und reale (die Axenorgane der Blüthe) Axe der Blüthe geordnet und zwar in der Anlage stets ganz regelmässig. Durch die spätere stärkere oder geringere Eintwickelung einzelner Theile wird die Blüthe aber häufig symmetrisch, oder, wie man auch wohl sagt, unregelmässig. Diese Unre- selmässigkeit zeigt sich stets so, dass der obere "Theil der Blüthe anders entwickelt ist wie der untere. Ge- wöhnlich trifft dies nicht den Fruchtknoten, der fast im- mer regelmässig bleibt, auch in der symmetrischen Blüthe, doch ist auch zuweilen dieser nur symmetrisch, z. B. bei vielen Serophularinen, Acanthaceen, bei Oryptocoryne spiralis. "Vheilt sich die symmetrische Bläthe, gleich- viel ob mit verwachsenen oder freien Gliedern, in zwei Hälften, eine obere und eine untere verschieden ausge- bildete, so nennt man sie allgemein zweilippig (bila- biatus). Ist nur ein einzelnes Blattorgan abweichend I) Dagegen gehören andere Verhältnisse, z. B. das Zusammenhän- gen der Spitzen der zwei äussern Blumenblätter bei den Fumariaceen, der Antheren bei den Compositen u. s. w., nicht hierher. Diese sind durch eine Absonderungsflüssigkeit zusammengeklebt. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 259 gebildet und dadurch die Blüthe unregelmässig und sym- metrisch geworden, so heisst dies Blatt allein die Lippe (labellum). Höchst selten ist die ganze Blüthe auch unsymmetrisch, wie bei Goodyera discolor. Wie viele Theile zu einer Blüthe zusammentreten, darüber lässt sich im Allgemeinen gar nichts bestimmen. Wir finden bisweilen allein an Blattorganen 50—60 zu einer Blüthe vereinigt. Dagegen sind gewisse Combi- nationen selten; mir ist keine durchgängig eingliederige Blüthe bei der Anwesenheit von doppelten Blüthendecken bekannt. Wenn die verschiedenen Blüthentheile in mehr- facher Zahl vorhanden sind, so entstehen diese immer in einem oder mehreren Kreisen (Quirlen) auf gleicher Höhe der Blüthenaxe und zu gleicher Zeit. Folgen gleichgliederige Kreise auf einander, so stehen die Theile des folgenden Kreises gewöhnlich genau vor den Zwi- schenräumen zwischen je zwei Theilen des vorherge- henden Kreises (die Kreise und ihre Theile alterniren), selten stehen sie vor denselben (die Kreise und ihre Theile sind opponirt). Keineswegs sind aber immer alle Blatikreise einer Blüthe gleichgliederis. Bis zu den Staubfäden steigt oft die Zahl der Glieder, von da nimmt sie wieder ab; selten zeigt der Kreis der Fruchtblätter die grösste Zahl wie bei den Malopeen und Malveen. Die meisten Monokotyledonen mit vollkommen individua- lisirter Blüthe ') haben ganz regelmässig gleichgliederige Kreise durch die ganze Blume; bei den Dikotyledonen ist es verhältnissmässig seltener, indem häufig der äusserste und innerste Blatikreis weniger Glieder hat. Ueber die Zahl der auf einander folgenden Kreise lässt sich eben- falls wenig allgemein Bedeutsames sagen. Möglich sind in einer Blüthe sieben verschiedene Formen von Blatt- organen, nämlich Hüllkelch, Kelch, Krone, Nebenkrone, Staubfäden, Nebenstaubfäden und Fruchtblätter, doch kenne 1) Vielleicht nur Gräser und Cyperaceen ausgenommen, bei denen nur ein Fruchtblatt vorhanden ist. 17 * 260 Morphologie. ich keine Blüthe, in der alle zugleich vorkämen. Alle diese Blattorgane können in einem oder mehreren Krei- sen vorhanden seyn, mit Ausnahme des Hüllkelchs, bei dem ich kein Beispiel eines doppelten Kreises kenne. Blüthenhülle, Kelch, Krone, Nebenkrone und Fruchtblät- ter kommen in einem, seltener in zwei Kreisen vor, Staubfäden in 1—3 (4°). Mehr Kreise kommen in der Regel nicht vor. Vermehrt sich die Zahl, was fast nur ‘bei Staubfäden und F'ruchtblättern geschieht, z. B. bei BRanunculaceen und Dryadeen, den Magnoliaceen u. Ss. w., so stehen sie nicht mehr in Kreisen, sondern in einer Spirale. Bei den Monokotyledonen mit vell- kommen individualisirter Blüthe scheinen, mit alleiniger Ausnahme einiger Seitamineen, bei denen noch ein Hüll- kelch hinzukommt, fünf dreigliederige Kreise von Blatt- organen die Blüthe zu bilden. Bei den Dikotyledonen herrscht hier grosse Mannigfalügkeit. Lavatera z. B. hat einen Hüllkelch, Kelch, Krone, Staubfäden und Fruchtblätter in fünf Kreisen mit steigender Gliederzahl, nur Kelch und Blumenkrone sind gleich. Gnidia vire- scens hat Blüthenhüllen, Staubfäden, Nebenstaubfäden und Fruchtblätter, aber in acht Kreisen, die durchgängig zweigliederig sind. Es ist aber auch keineswegs noth- wendig, dass alle 'Theile eines Blüthenblattkreises sich gleichartig ausbilden, und manche bisher unerklärlich -scheinende Blüthenbildung wird sich wahrscheinlich durch diese Ansicht, gestützt auf Entwickelungsgeschichte, leicht auf regelmässigen Typus zurückführen lassen. Eins der auffallendsten Beispiele dieser Art ist der vierte (innerste) dreigliederige Blatikreis bei Canna; eigentlich sollten alle drei 'Theile Fruchtblätter werden und den Staubwes bilden, es faltet sich aber nur eins zum Staubwes zu- sammen, ein zweites wird zum Staubfaden und ein drit- tes abortirt gänzlich, ist aber noch in ziemlich grossen Knospen als kleines, freilich nicht leicht darzustellendes Schüppchen vorhanden. Bekannte Beispiele liefern viele Orchideen, bei denen nur ein oder zwei Blätter des Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 261 nächstinnersien Kreises zu Staubfäden werden, wäh- rend zwei oder eins, wenn sie nicht ganz fehlschla- gen, nur zu kleinen Schüppehen oder Drüsen sich aus- bilden. Die Dauer der einzelnen Blüthentheile ist sehr ver- ‚schieden. Die Axenorgane, sofern sie die Fruchtanlage iragen oder diese bilden helfen, bleiben natürlich minde- stens bis zur Reife des Saamens, dann fallen sie mit diesem ab oder nachdem sie ihn ausgeworfen, sterben sie in Verbindung mit der ganzen Pflanze ab. Sofern die Axe nur männliche Organe oder Blüthen trägt, ist ihre Dauer verschieden. Zuweilen werden sie bei Vor- handenseyn einer ächten Gliederung abgeworfen, zuwei- ien sterben sie an der Mutterpflanze ab und werden all- mälig zerstört. Die Blattorgane der Blüthe sind in ihrer Dauer ebenfalls sehr verschieden. Perianthium, Blumen- krone und Nebenkrone sterben gewöhnlich bald nach vollkommener Eintwickelung der Blüthe ab, entweder bei vorhandener ächter Gliederung abgeworfen, oder an der Blüthe welkend, vertrocknend und allmälig zerstört wer- dend. Hüllkelch und Kelch theilen überwiegend häufig, die Fruchtblätter fast immer das Schicksal der die Frucht- anlage tragenden Axenorgane. Selten werden die Frucht- blätter vor der völligen Ausbildung des Saamens zer- stört wie bei Leontice und, nach Rob. Brown, bei Peliosanthes T'heta. Kelch und Fruchtblätier werden dabei später gar oft verändert, seltener die ganz oder theilweise lebendig; bleibende Blüthenhülle, wovon spä- ter zu reden ist. HEindlich die Staubfäden sterben meist gleich nach Ausstreuung des Pollens ab, werden dann entweder abgeworfen, oder trocknen in der Blüthe an, wo sie allmälis, zerstört werden. Die gebräuchliche Terminologie ist hier folgende: Theile, die gleich, sowie sie kaum ihre volle Ausbildung erreicht haben, abfallen, nennt man hinfällig (partes caducae), die, welche etwas länger dauern, heissen, wenn sie durch eine ächte Gliederung abgeworfen wer- 262 | Morphologie. den, abfallend (p. deciduae), wenn sie an ihrer Stelle absterben und allmälig zerstört werden, welkende, ver- trocknende (7. marcescentes), wenn sie lange noch vegetirend bleiben, dauernde (p. persistentes), endlich wenn sie durch Wachsen noch ihre Form verändern, auswachsende (p. excrescentes). Drei Puncte muss ich aus dem Gesagten besonders hervor- heben, weil sie für die Betrachtungsweise der ganzen Blüthe sehr einflussreich sind. Es sind zwar nichts weniger als neue That- sachen, aber bisher sind sie keineswegs in ihrer Bedeutsamkeit richtig gewürdigt worden. a) Der erste betrifft die Stellung der Blüthentheile. Ich will mich hier durchaus nicht auf die höchst scharfsinnigen Theorien von Schimper einlassen, sondern mich ganz einfach an treuer Naturbeobachtung halten. Diese giebt uns zwei scharf getrennte Verhältnisse, nämlich die Entstehung der Blatiorgane der Glie- der in geschlossenen Kreisen, indem alle einzelnen Theile genau gleichzeitig und genau auf gleicher Höhe an der Axe erschei- nen’). So weit dieses Verhältniss reicht, wechseln denn auch, ohne eine einzige für mich bis jetzt constatirte Ausnahme, die einzelnen Theile der verschiedenen Kreise mit einander ab, und wo dies in der ausgebildeten Blüthe nicht stattzufinden scheint, ist stets ein zwischenliegender Kreis schon in früheren Zeiten fehlgeschlagen, oder man hat Theile für selbstständig angesehen, die es nicht sind, so z. B. bei Potamogeton, wo die Staubfäden der Blüthenhüllblätter opponirt seyn sollen; die sogenannten Blü- thenhüllblätter sind aber nur kammartige Ausbreitungen des Mit- telbandes der Anthere, und gar keine selbstständigen Blattor- gane. Ganz derselbe Fall findet höchst wahrscheinlich bei den Proteaceen statt, bei denen eine Entwickelungsgeschichte der Blüthe mir aber bis jetzt noch nicht erreichbar gewesen ist. Dabei muss ich aber bemerken, dass mir noch viele Untersu- chungen abgehen. Auch darf ich hier das Verhältniss nicht übergehen, dass bei wenig- (zwei-) gliederigen Kreisen, wie bei den 'Thymeleen, oft je zwei und zwei Kreise zusammentreten und zusammengenommen unter einander alterniren, obwohl die Beobachtung nachweist, dass hier keineswegs ursprünglich vier- l) Beispiele hierfür liefern alle Liliaceen, Irideen, Palmen, Gräser mit dreigliederigen Kreisen, die Labiaten und Borragineen, Compositen, Campanulaceen mit fünfgliederigen Kreisen, viele Scrophularinen mit vier- gliederigen Kreisen, die Berberideen mit dreigliederigen Kreisen, die Thymeleen mit zweigliederigen Kreisen. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 263 gliederige Kreise vorhanden sind. Alle diese Pflanzen gehören zu denjenigen, bei denen die beschreibende Botanik von be- stimmt-zähligen Theilen (partes definitae) spricht, und in der That lässt sich auch hierbei wegen Gleichgliederigkeit der Kreise, die einem und demselben Blüthentheil, z. B. den Staubfäden, angehören, selbst für grössere Mengen die Zahl gar leicht aus- machen, } Es kommt aber nun neben dem genannten noch ein anderes Verhältniss vor, obwohl bei weitem seltener, wo nämlich die einzelnen Theile der Blüthe entweder durch die ganze Blüthe ') oder von den Staubfäden an, z. B. bei den Ranunculaceen, den Dryadeen u. s. w., einer nach dem andern in einer Spirale um die dann auch meistens sehr entwickelte Axe entstehen und sich auch so successive ausbilden. Hier ist es niemals specifisch be- stimmt, sondern nur individuell, bei welchem Gliede der Spirale eine andere Form des Blattorgans eintrete, z. B. der Uebertritt von Staubfaden in Fruchtblätter statthaben, noch mit dem wie- vielsten Blattorgune die in sich unendliche Spirale, also die ganze Blüthe geschlossen seyn soll Mit Recht bezeichnet man daher die hierher gehörigen Pflanzen als solche mit unbestimmt- zähligen Theilen (partibus indefinitis). Auf diese Weise gewin- nen die genannten Ausdrücke der beschreibenden Botanik, die ein entschieden gefühltes Bedürfniss, eine tactmässige Auffassung der Natur gewählt hatte, durch die Entwickelungsgeschichte eine streng wissenschaftliche Bedeutung, welche ihnen bisher eigent- lich abging, denn Niemand wusste recht anzugeben, was eigent- lich partes definitae und indefinitae seyen. b) Der zweite Punct, auf den es hier vorzüglich ankommt, ist die verschiedene Ausbildung der Glieder eines und desselben Kreises, indem sie Formen annehmen, dass man versucht wird, ‚sie durchaus von dem Kreise, dem sie angehören, zu trennen, indem in dem Blumenblattkreis, wenn man so sagen könnte, einige Blätter zu Staubfäden, im Staubfadenkreis einige zu Blu- menblättern, Nebenblumenblättern oder Nebenstaubfäden, oder im Fruchtblattkreis einige zu Staubfäden oder Nebenstaubfäden werden. Im Paragraphen habe ich eins der merkwürdigsten Beispiele ausgeführt. Hier will ich noch erwähnen, dass bei den meisten Scitamineen ‚etwas Aehnliches einzutreten scheint. Es hat mir hier aber noch an Material für Entwickelungsgeschichte gefehlt. Auch die. Balsamineen werden vielleicht hierdurch ihre Erklärung finden, jedoch ist es mir bis jetzt noch nicht gelun- I) Obwohl ich hierfür mit Sicherheit kein Beispiel anführen kann, wahrscheinlich aber bei den Magnolia-Arten und einigen Ranunculaceen, namentlich den Anemoneen. 264 Morphologie. gen, die frühesten Zustände mit genügender Deutlichkeit zu beobachten. Schon wenn die ganze Knospe erst etwa Y% bis Ys Linie Länge hat, ist die Blüthe schon im Grundriss fast voll- kommen so unregelmässig als später. Auch die Polygaleen ge- hören hierher, obwohl mir es auch hier noch nicht gelungen ist, die erste Bildung der Blüthe zu belauschen. Der jüngste Zr stand der Knospe, bis zu welchem vorzudringen mir bis jetzt gelungen ist, zeigt fünf auf einen Kreis zurückfukrbure, ganz freie Blattorgane und innerhalb derselben scheinbar Buche in Einen Kreis gestelit, fünf andere, in dieser Zeit noch völlig freie Theile, von denen der unterste das kahnförmige, gefranste Blumenblatt, die zwei obersten die beiden zweilappigen Blumen- blätter werden; die beiden seitlichen Theile sind aber vierlappig und jeder dieser Lappen ist eine vollständige Anthere. Hier bleibt nun noch der Zweifel zu lösen, ob dieser ganze innere Kreis in der That als Ein fünfgliederiger Kreis entstanden ist, dessen beide seitlichen Theile jeder Einen vierlappigen Staub- faden darstelle, da sonst sich durchaus keine Gesetzmässigkeit der Blüthe festhalten liesse, oder schon sehr früh ein aut ein- getreten seyn müsste, c) Der dritte Punct endlich, den ich hier noch ausdrücklich hervorheben möchte, ist der, Be alle Blattorgane der Blüthe, wenn sie auch später verwachsen, als ganz freie Kreise entste- hen, und wenn sie einem Kreise angehören, in ihrer ersten An- lage und längere oder kürzere Zeit nachher völlig gleich sind, so dass das Verwachsen der Glieder und die symmetrische Aus- bildung, statt der regelmässigen, erst Folge späterer Entwicke- lungen sind. Ich habe in dieser Beziehung die abweichendsten Blüthen, z. B. der Leguminosen, der Labiaten, der Scrophula- rinen, der Aconitumarten, leicht bis zu dem Zustande der Knospe verfolgen können, wo sich das angegebene Gesetz vollkommen bestätigte. ‘Eins der auffallendsten Beispiele gab mir in dieser Beziehung ein noch unter der Erde befindlicher Stengel von einer Orobanche, den mir der Zufall beim Ausgraben einer an- dern Pflanze in die Hände führte, der eine so überraschende Regelmässigkeit in lauter alternirenden viergliederigen Kreisen zeigte, dass man nichts Zierlicheres sehen konnte. Leider ist's mir bis jetzt nicht gelungen, die vollständige Entwickelungsge- schichte bis zu der sehr unregelmässigen Blüthe zu verfolgen. Spee. Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 265 * C. Von den reinen Blattorganen der Blüthe, a. Von den Blüthendecken. $. 151. Zu den Blüthendecken zählt man sewöhnlich die Blüthenhülle (perianthium), den Kelch (caly&c) und die Blumenkrone (corolla); ich rechne aber noch den Hüllkelch (epicaly&) hierher und fasse den Begriff Blü- thenhülle im engsten Sinne, so däss darunter nur die Blattorgane fallen, welche wenigstens zu zweien auf gleicher Höhe sich eng an die Blüthe anschliessen, so dass alle einzelnen Blattorgane an der Blüthenaxe, die nur Staubfäden oder Fruchiknoten umschliessen, Deck- blätichen zu nennen sind. Allen diesen Blüthendecken kommt das Gemeinschaftliche zu, dass sie nur besonders ausgebildete Blattorgane sind, dass also alle die Eigen- thümlichkeiten der Form, die bei diesen vorkommen, auch bei jenen ganz natürlich erschemen. Die wenigen Un- terschiede ergeben sich aus dem Folgenden. So gut wie für alle Blattorgane gilt auch für diese die Möglichkeit aller Formen, in der "That aber sind die körperlich ausgedehnten Formen bei den Blüthendeck- blättern selten oder gar nicht vorhanden, fast immer sind sie mehr oder weniger flach. Dagegen sind bei ihnen die den Schläuchen analogen Formen bei weitem häu- figer als bei den Stengelblättern, und werden nach ver- schiedenen Aechnlichkeiten mit kahnförmig (das untere Blumenblatt bei Polygala), kapuzenförmig (das obere Blüthenhüllblatt bei Aconitum) und so weiter bezeich- net. Bildet sich namentlich an der Basis eines nach Oben noch ausgebreiteten Blüthendeckblattes ein längerer sackförmiger Anhang), so heisst dieser (mit einem sehr unglücklich gewählten Ausdrucke) Sporn (calcar), z. B. i) Ganz analog dem Schlauch bei Disehidia Rafflesiana und elavata. 2266. Morphologie, bei Orchis, Delphinium, Fumaria u. s. w. Die Sporn- bildung trifft häufig mit der Bildung emer symmetri- schen Blüthe zusammen, indem nur ein oberes oder un- teres Blattorgan einen Sporn bilde. Ausser bei den Kelchblättern (?) kommt auch hier die flächenförmige Ausbreitung, die durch einen linear ausgedehnten T'heil mit der Axe in Verbindung steht, häufig vor; man nennt hier die Fläche zwar auch Blattscheibe (lamina), die verschmälerte Basis aber nicht Blattstiel, sondern Nagel (unguis), z. B. am Nelkenblumenblatt. — Die ächte Gliederung (articulatio) kommt zwischen Blüthendeck- blatt und Axe häufig vor, in der Continuität derselben aber niemals (?), deshalb giebt es auch keine ächt zu- sammengesetzten Blüthendeckblätter, obwohl die blos zer- theilte Fläche nicht selten ist, z. B. petala palmatifida bei Reseda, die petala pinnatifida bei Schizopetalum u. s w. Andeutung einer ächten Gliederung möchte vielleicht in der Ablösung des obern Theils der Blumen- röhren bei Mirabilis, des Kelchs bei Datur« vom un- tern Theil und in einigen ähnlichen Verhältnissen liegen. Wirkliche Nebenblätter kommen bei der Blüthendecke nicht vor, wohl aber dem Blatthäutchen (iyula) analoge Anhängsel, wozu ein Theil der als Kranz (coron«) be- schriebenen Gebilde gehört, z. B. bei Narcissus, bei Lychnis, auch die Wölbschuppen (fornices) der Bor- ragineen gehören eigentlich hierher. Es bilden sich aber diese Theile bei den Blüthendecken noch viel mannig- faltiger aus, und es finden sich oft von solchen auf der Fläche der Blattorgane stehenden Anhängseln drei und mehrere Reihen über einander. Fast alle Formen, die die beschreibende Botanik als Kranz (corona) und Ne- benkrone (paracorolla) bezeichnet, gehören hierher, namentlich die zum "Theil wunderbar zierlichen Bildun- gen bei den Stapelien, bei den Passifloren, ferner ein Theil der sogenannten Honiggefässe (nectaria), z. B. bei den Blumenblätiern von Ranunculus. Alles dies sind nur unselbstständige Anhänge der Blattorgane, welche Spec. Morphologie. Plianerogamen. Blüthen. 267 sich einfach und glatt entwickeln und erst später auf ihre Fläche diese "Theile hervorschieben. Die Verwachsung und das Fehlschlagen sind schon im vorigen Paragraphen besprochen worden. Auch die ungleichseitige Ausbildung eines Blattorgans kommt hier ‚vor, z. B. häufig an den Blumenblättern der Apocyneen (Vinca, Nerium, Cerbera). Die Gesammtform einzelner oder mehrerer Kreise, gleichviel ob verwachsen oder nicht, bezeichnet man noch näher, nach bekannter Aehnlichkeit, als röhrenförmig (tubulosum), glockenförmig (campanulatum), trichter- förmig (infundibuliforme), präsentirtellerförmig (Aypo- crateriforme), radföürmig (rotatum) u. s. w. Ueber die Structurverhältnisse ist nachher bei den einzelnen Arten der Blüthendecken zu sprechen. Auch hier sind nur einige Puncte noch besonders hervorzu- heben, weil sich die Hauptsache, als blos analoge Anwendung dessen, was schon bei den Blattorganen im Allgemeinen ent- ‚ wickelt ist, von selbst versteht. Zuerst ist hier noch Einiges zu bemerken über die Unter- scheidung; von Blüthenhülle und Deckblättchen. Beides sind ohne Zweifel Blattorgane an der Blüthenaxe selbst, jedes Blattorgan kann mit seinen Rändern verwachsen, oder frei seyn, beide können grün, gefärbt, derb und zart seyn, wie alle Blattorgane. Die Bracteole kann den sogenannten wesentlichen Blüthentheilen ‚näher oder ferner stehen, also bleibt für eine einblättrige Blü- thenhülle und ein Deckblättchen gar kein Unterschied stehen, wenn wir nicht die Zahl der auf gleicher Höhe (in einem Kreis) an der Blüthenaxe entstehenden Blattorgane berücksichtigen. Dadurch bekommen wir denn für die wissenschaftliche Bezeich- nung und darauf kommt es hier allein an, einen ganz scharfen und leicht festzuhaltenden Unterschied, wenn wir erst dann etwas zu den Blüthendecken rechnen, wenn es mindestens aus zwei auf gleicher Höhe stehenden Blattorganen besteht, und jedes andere nur einfache Blattorgan an der Blüthe als Deckblättchen bezeichnen. So erhalten wir für Humulus und Cannabis eine bra- cteola urceolata, wodurch sie auf jeden Fall sich nach der ge- wöhnlichen Beurtheilungsweise nicht so weit von den ächten Ur- ticeen, von denen sie doch einmal nicht zu trennen sind, ent- fernen, als wenn man ihnen ein perianthium zuschreibt. Der Unterschied der Salicineen und Cupuliferen ist leicht zu bezeich- 268 Morphologie. nen. Bei diesen so einfach gebauten Pflanzen zeigt sich gleich- wohl ein deutlicher Fortschritt in der‘ Ausbildung der Blüthe. Bei den Salicineen sind gar keine Blattorgane der Blüthe zu- getheilt, die glandula hypogyna bei Salix, das sogenannte pe- rianthium bei Populus ist, der Entwickelungsgeschichte nach, nur ein Discus (Axenorgan). Bei den Cupuliferen ist eine vollkom- men oberständige Blüthenhülle vorhanden, für die Betulineen fehlt mir noch die Entwickelungsgeschichte. So viel ist gewiss, dass sie in der Achsel der Bractealschuppen des Kätzchens keine Einzelblüthe, sondern Blüthenstände (kleine Köpfchen) tragen, was sie hinlänglich von den Salicineen unterscheidet; über die Bedeutung der sich hier zeigenden Blattorgane kann aber nur die Entwickelungsgeschichte entscheiden. In den weiblichen Blü- then scheinen es Deckblätter (nicht Deckblättchen), in den männ- lichen bei Betula ebenfalls, bei Alnus aber Blüthenhüllblätter zu seyn. Bei Myriceen und Casuarineen sind deutliche zweiglie- derige Kreise von Blüthenhüllen vorhanden. Die Piperaceen, einschliesslich Saururus '), haben sogenannte nackte Blüthen (ohne alle Blüthendecken) in der Achsel von Bracteen. , Unter den Monokotyledonen haben die Orontiaceen eine deutliche Blüthen- hülle. Bei den Najaden haben Aponogeton und Ouvirandra einige, wegen mangelnder Entwickelungsgeschichte, noch unbestimmbare gefärbte Blattorgane an der Blüthe; die Schuppen bei Potamo- geton sind nichts als ein schuppenförmiger Kamm des Connecti- vums der Antheren. Allen übrigen geht jede Blüthendecke ab, bei Zanichellia sind die weiblichen Blüthen von einer zarten Bractee ?) (spatha hyalina) umschlossen. Es ist allerdings auffallend, dass wir bis jetzt (wenn nicht meine Unkenntniss die Schuld trägt) noch kein Beispiel eines zusammengesetzten Blattes bei den Blüthendecken haben, selbst nicht einmal in der Weise, dass in der Continuität desselben Blat- tes, ähnlich wie bei Citrus, eine einzelne Gliederung vorkäme. 1) Die Saurureen sind, wie ich schon anderwärts bemerkt, gar keine Pflanzenfamilie, sondern ein wunderliches, aus unvollständiger Kennt- niss, entstandenes Gemenge von monokotyledonen und dikotyledonen Pflanzen; Aponogeton und Ouwvirandra sind ächte Najaden, Saururus ist von Piper und Peperomia nur generisch verschieden, Houthuynia ist mir unbekannt; ob sie allein die Aufstellung einer eigenen Familie rechtfertigen werde, weiss ich daher nicht. 2) Derselbe Botaniker, der doch wohl zugeben wird, dass nur dann von einer hermaphroditen Blüthe die Rede seyn kann, wenn Staubfäden und Fruchtknoten in einer und derselben Blüthendecke eingeschlossen sind, schreibt frischweg: Zanichellia flos hermaphroditus: stamen uni- cum stipulae oppositum, germina quatuor perianthio inelusa. — Vergl. Nees ab Esenbeck genera plantarum flor. Germaniae. . Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 269 Dagegen sind Formen, die bei den Stengelblättern verhältniss- mässig selten erscheinen, nämlich die hohlen, gerade hier sehr häufig. Ein anderes, hier noch besonders anzuregendes Interesse be- trifft die scharfe Sonderung der Theile, die, wenn sie auch in noch so auffallenden und sonderbaren Formen erscheinen, doch nur blosse Anhängsel anderer Blattorgane, also Theile derselben sind, von wirklich selbstständigen Blattorganen. Die Ausdrücke: Kranz, Nebenkrone, Honiggefäss u. s. w. sind von den Botani- .kern bisher mit einer wahrhaft unentschuldbaren Oberflächlich- keit auf die allerverschiedensten Theile angewendet, und wie wenig man im Allgemeinen eine wissenschaftliche Behandlung der Sache auch nur ahnet, zeigt eine Aeusserung von Link, Il. ce. II, 145, wo er von der Nebenkrone der Passifloren sagt: „es fehle an gefülltes Formen, um die wahre Natur dieses Theils zu be- stimmen.“ Eine einfache Untersuchung der jüngeren Knospen genügt, um nachzuweisen, dass sich die verschiedenen Fäden und sonstigen Anhängsel aus einem schon vollkommen fertigen Blattorgane heranbilden, also keine selbstständigen Blattorgane seyn können. Gefüllte Formen, durch die Link z. B. die Na- tur des Kranzes bei Narcissus entscheidet, geben gerade gar keinen Aufschluss, denn jedenfalls ist das Gefülltwerden eine Monstrosität, ein Abweichen von dem gesetzmässigen Gange der Entwickelung, und es fehlt hier ganz an einem Prineip, um zu beurtheilen, wie weit die Pflanze von ihrem Typus abgewichen, um Neues zu bilden, wie weit, um zu einfacher Grundlage der gewöhnlichen Bildung zurückzukehren. Angenommen, die coron« bei Narcissus bestände aus selbstständigen, mit den Perianthium- blättern verwachsenen Blattorganen, können sich diese nicht beim Gefülltwerden der Blumen so gut vervieltältigen wie die andern, und weil ihre Verwachsung mit den Blüthenhüllblättern einmal in der specifischen Natur der Blüthe liegt, auch vereinzelt im- mer mit je einem Blüthenhüllblatt verwachsen? Die Monstrosi- täten beweisen hier gar nichts, sondern machen nur wahrschein- lich; die einzige und vollkommen sichere Entscheidung giebt hier, wie überall, die Entwickelungsgeschichte. Ich habe alle diese Anhängsel im Paragraphen an die Analogie mit dem Blatt- häutchen angeknüpft, was für einige Formen allerdings durch die Entwickelungsgeschichte gerechtfertigt wird, z. B. bei Nar- eissus, Silene u. s. w. Bei andern ist allerdings eine solche Analogie nicht vorhanden, wie bei den Passifloren; bei sehr vie- len Formen fehlt es aber noch durchaus an genauen Unter- suchungen, wie z. B. bei Parnassia, bei den Stapelien. Die fleischigen Theile bei letzteren machen den Uebergang zu den dicken, fleischigen Warzen, wie sie z. B. so häufig auf der 270 Morphologie. Lippe der Orchideen (Oncidium) in wunderlichen Formen vor- kommen; die fadenförmigen Anhängsel bei Passiflora dagegen schliessen sich an die an bestimmter Stelle in bestimmter Farbe und Form vorkommenden Haarbüschel an, die man auch wohl Bart (barba) zu nennen pflegt, z. B. bei drei Blüthenhüllblättern von Iris. Endlich will ich noch bemerken, dass ich die Ausdrücke für den Gesammtumriss der Blüthendecken hier als ganz allgemein gültig aufgeführt habe, obwohl die meisten nur bei einzelnen speciellen Fällen erwähnt werden, ohne dass irgend etwas Spe- cifisches für die eine oder andere Art der Blüthenhülle darin liege. Die meisten Ausdrücke sind sehr verständlich, einige schwerer, z. B. Ahypocrateriforme, was schwerlich Einer fassen kann, der nicht in alten Sammlungen oder auf alten Gemälden die Form der von einem langen Stengel getragenen flachen Teller, auf welchen im Mittelalter Weingläser gestellt wurden, ge- sehen hat; radförmig heisst eine Blüthendecke, wenn sich die einzelnen Blattorgane gleich, oder doch fast gleich, von ihrem Befestigungspunkt in Einer Fläche ausbreiten. Eben so scheint es mir ganz fehlerhaft, wenn man einen Theil dieser Ausdrücke nur auf verwachsen-blättrige Blüthendecken anwenden will, wo- durch nur der Nachtheil entsteht, dass man für die mit freien Blättern abermals neue Namen ersinnen muss. Das zu Bezeich- nende ist hier nur der: Gesammtumriss, und den kann man hier so gut wie bei den zertheilten Flächen, z. B, bei gelappten oder fiederspaltigen Blättern, ganz ohne Rücksicht auf die untergeord- neten Zertheilungen angeben. Bei radförmig, präsentirtellerför- mig u. s. w. ist jedoch der Saum immer getheilt, was beim Rad und Präsentirteller nie der Fall ist, und auf ein Mehr oder Weniger kann bei einer solchen gleichnissweisen Bezeichnung gar nichts ankommen, und so kann man die Blumenkrone von Lychnis, Dianthus sehr passend als corolla (pentapetala) hypo- crateriformis bezeichnen. $. 152. Man unterscheidet fünf Arten von Blüthendecken. Wenn alle Blattorgane gleichartig, oder nahebei gleich- artig, innerhalb eines anschaulich auffassbaren Kreises von Form-, Farben- und Structurverhältnissen entwickelt sind, so nennt man sie insgesammt eine Blüthenhülle (perianthium), dessen einzelne Blattorgane Blüthenhüll- blätter (phylla perianthii) heissen. Kann man dagegen Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 271 unter den Blüthendecken einer Blüthe zwei durch Ge- stalt, Farbe oder Structur verschiedene Formenkreise neben einander unterscheiden, so nennt man die äusseren Theile Kelch (caly&), die einzelnen Blattorgane Kelch- hlätter (sepala), die inneren Theile Blume oder Blu- ‚menkrone (corolla), die einzelnen Blattorgane Blumen- blätter (petala). Lassen sich endlich drei verschie- dene Formenkreise unterscheiden, so heissen die äusser- sten Theile Hüllkelch (epicaly&), seine einzelnen Blatt- organe kann man Hüllkelchblätter (ebenfalls phylia) nennen. Kommen neben der einfachen oder mehrfachen Blüthendecke ausserhalb der Staubfäden noch selbststän- dige Blattorgane vor, die im Verhältniss zu den Blü- thendecken eine sehr unvollkommene- oder abnorme Bil- dung zeigen, so heissen diese Nebenkrone (paracorolla), wovon unten bei den accessorischen Blüthentheilen zu reden ist. An die meisten unserer botanischen Werke möchte man wohl vergebens die Frage stellen, was denn eigentlich der Unterschied zwischen den einzelnen Arten der Blüthendecken sey. Hier, wie fast überall, sind die Botaniker unbekümmert um wissenschaft- liche Behandlung, um streng definirte Begriffe. Schematiseh werden die einzelnen Formen aufgefasst, die innere Einheit nicht erkannt, weil es an richtiger Methode fehlt, und deshalb ist auch die scharfe Auffassung der äusseren Unterschiede in der Erschei- nung unmöglich. Wie kindisch sind die vielen Zänkereien, die wir erlebt haben, ob eine Pflanze einen Kelch, oder eine Blu- menkrone, oder eine Blüthenhülle habe; die Leute hatten ver- gessen, dass zur Entscheidung eines solchen Streits erst unter- sucht werden musste, ob die Natur überhaupt diese drei Arten von Blattorganen uns als verschieden giebt, und wenn das der Fall ist, wodurch die Natur, nicht wir mit unsern Phantasien, diese Theile unterscheidet. _In der Natur finden wir aber die Unterschiede so und nicht anders, als ich sie im Paragraphen angegeben habe, denn alle Blüthendecken bestehen aus Blatt- organen, für welche eine zahllose Menge von Form-, Farbe- und Structurverschiedenheiten gleich möglich ist. Wo alle Theile gleich ausgebildet sind, sind also auch nur gleiche, mit einem Worte zu bezeichnende Theile vorhanden, ohne Zweifel das ein- fachste und natürlichste Verhältnis. Wo dagegen Verschieden- heiten sich zeigen, kann man die daraus hervorgehenden Ab- 272 Morphologie. theilungen zu ihrer Unterscheidung mit verschiedenen Namer belegen, die dann aber auch nur da gelten, wo die Verschie- denheiten wirklich vorhanden sind, von denen aber niemals der eine oder andere da angewendet werden darf, wo eben die Natur.nicht unterschieden hat. Es ist daher grundfalsch, wenn Kunth ') den Ausdruck Kelch auch auf die Blüthenhülle über- trägt, denn nicht der Kelch entspricht der Blüthenhülle, sondern Kelch und Blumenkrone zusammengenommen, und es ist eine leere, durch nichts gestützte Fiction, dass, wenn nur eine gleichartige Blüthendecke vorhanden sey, hier jedesmal die Blumenkrone fehle. Lindley?) hat dies Verhältniss im Ganzen am richtigsten und klarsten aufgefasst, nur irrt auch er, wenn er bei den Liliaceen von Kelch und Blumenkrone sprechen will; auf die Zahl der Blattkreise kann es hier durchaus nicht ankommen, sonst hätten die Thymeleen auch Kelch und Blumenkrone, und bei den Ber- berideen müssten wir noch ein neues Wort erfinden, denn diese haben vier Blattkreise in den Blüthendecken. — Wie weit gar viele Botaniker noch davon entfernt sind, ich will nicht sagen tiefere Einsicht in die Natur der Pflanze zu haben, sondern nur die allerersten Grundsätze ächter Naturforschung begriffen zu haben, zeigt eine merkwürdige Aeusserung Ach. Richard’s. Er sagt °): „Die Blüthendecken sind.... etwas veränderte Blätter... Oft ist es schwer, sie nicht als ein und dasselbe Organ zu be- trachten. Unterdessen haben doch die Botaniker, um die Auf- stellung der Gattungscharaktere der Pflanzen zu erleichtern, sich dahin vereinigt, sie ın Betracht ihrer Stellung und Be- stimmung als völlig verschieden von den Organen zu betrachten, mit denen sie einerlei inneren Bau besitzen.“ Ein solches Ueber- einkommen unter den Botanikern, wenn es wirklich bestände, wäre ein närrischer Einfall um die Natur zu verwirren, statt sie zu begreifen, denn, wie schon früher erwähnt, nicht wir machen die Formen mit unseren Einbildungen, sondern die Natur bietet sie uns an, und unsere Aufgabe ist, die Natur verstehen zu lernen, zu trennen, wo sie trennt, vereinigt zu lassen, was sie selbst nicht scheidet. Nun zeigt uns aber die Natur selbst 'ge- wisse Complexe von Blattorganen zu einer Gesammtform ver- einigt und dadurch sich von den andern Blattorganen scheidend; deshalb, und nicht in Folge eines für die Naturerkenntniss durch- aus werthlosen Uebereinkommens, unterscheiden wir die Blüthen- decken als besondere‘ Organe. Darüber aber, wo wirklich das 1) Handbuch der Botanik, S. 31. 2) Introduetion to botany (II. ed.) p. 136. 3) Grundriss der Botanik, übersetzt von Kittel, S. 384. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 273 Uebereinkommen der Botaniker zu entscheiden hätte, nämlich, welches Wort zur Bezeichnung der von der Natur unterschie- denen Organe angewendet werden soll, sind die Botaniker lei- der noch nicht übereingekommen, eben weil es ihnen an dem richtigen Princip der Naturförschung überhaupt fehlt. Dass die Natur uns an den Phanerogamen in bestimmter Gesammtform Blüthen giebt, ist gewiss; eben so gewiss ist, dass diese Blü- then häufig nach Aussen aus einem oder mehrern Kreisen nicht wesentlich veränderter Blattorgane bestehen, dass, wenn meh- rere dieser Blattorgane vorhanden sind, diese entweder gleich- artig oder ungleichartig entwickelt sind, dass sie bald alle grün, bald alle gefärbt, bald theils grün, theils gefärbt sind; das Alles sind 'Thatsachen, die gar nicht von uns, sondern von der Natur gegeben werden. Nun aber sollen diese. Verschiedenhei- ten bezeichnet werden, nnd das ist im Aligemeinen willkürlich, fordert aber für die Sicherheit der wissenschaftlichen Sprache : eine allgemeine Uebereinkunft, von der die Eitelkeit und Neuerungssucht des Einzelnen sich nicht losmachen darf, ohne der Wissenschaft entschieden schädlich in den Weg zu treten. Diese Ausdrücke müssen aber so gewählt seyn, dass nicht Glei- ches mit verschiedenen Ausdrücken, Verschiedenes mit gleichen Ausdrücken bezeichnet wird. Heisst nun Kelch einmal der äussere Kreis verschiedenartiger Blattorgane, so kann man mehrere Kreise gleichartiger Blattorgane nicht auch Kelch nennen, Zuerst ist zu untersuchen, ‘welche Formen bietet uns die Natur an; das Zweite ist erst, sie in der Sprache zu bezeichnen, und hier for- dert die wissenschaftliche Sprache zu ihrer Sicherheit die strengste logische Consequenz. Was endlich Ach. Richard‘) über die Blüthendecken der Monokotyledonen sagt, beruht kaum auf einer höchst oberfläch- lichen Anschauung, sondern ist geradezu willkürlich aus der Luft gegriffen, um seine eben so willkürliche Eintheilung der Blüthen- decke zu stützen. Er sagt: „Obgleich die sechs Abtheilungen der Blüthendecke der Monokotyledonen oft in zwei Reihen ste- hen, so bilden sie auf der Spitze des Blüthenstiels, welcher sie trägt, doch nur’ einen einzigen Kreis, d. h. sie haben nur einen gemeinschaftlichen Punct des Ursprungs auf dem Blüthenboden, und entwickeln sich offenbar alle sechs aus dem äusseren (?) Theile des Blüthenstiels.“ In dem letzten spielt offenbar Linne’s Phantasie von der Bedeutung von Rinde, Bast, Holz und Mark für die Entstehung der Blüthentheile noch mit, und noch dazu in lächerlicher Inconsequenz; denn Richard erklärt selbst alle Blüthendecken, also auch die Blumenkrone, für Blattorgane, und I) A. a. ©. S. 383. IE. 18 274 Morphologie. alle Blattorgane entstehen am Stengel doch wohl auf gleiche Weise und nicht etwa einige aus dem äusseren und andere aus dem inneren Theile, Ich will hier ferner gar nicht einmal auf die Entwickelungsgeschichte recurriren, die gleich nachweist, wie rein aus der Luft gegriffen Zichard’s Behauptung ist, sondern nur zur Anschauung einer Commelina oder Tradescantia auffor- dern, wo die drei und drei Blüthendeckblätter se offenbar in verschiedener Höhe des Blüthenbodens entspringen, als es nur irgend bei Kelch und Blumenkrone einer SikotyTedoiie Pflanze der Fall seyn kann. Was hier zunächst die grösste Schwierigkeit für die Schärfe und Sicherheit der Bezeichnungsweise macht, ist das, was man unter gleichartig und ungleichartig zu verstehen habe. Hier, wie überall, wo es sich um rein anschauliche Verhältnisse han- delt; ist es unendlich schwierig, mit Worten wiederzugeben, was ein einziger Blick auf die Natur mit Leichtigkeit feststellt. In der That freilich ist die Natur gar nicht so wandelbar und un- bestimmt, wie es auf den ersten Anblick scheinen möchte, son- dern nur unsere mangelhafte Erkenntniss bringt die Unbestimmt- heit in die Natur hinein, Bei einer vollendeten und durchdrin- genden Erkenntniss aller Pflanzen würde es gar leicht seyn, so- gar durch einfache Zeichen, ohne alle Anwendung unserer so schwankenden terminologischen Hülfsmittel, eine gegehene Blüthe anschaulich zu bezeichnen; dazu gehört aber die Erkenntniss des Gesetzes der Formbildung, von dem wir noch nicht einmal eine Ahnung haben. Bis dahin müssen wir uns mit allerlei Aushül- fen begnügen, aber diese ın der Weise wählen, dass sie der Natur keinen Zwang anthun und dem Fortschritt der Wissen- schaft die Bahn offen lassen. Das ist aber nur möglich durch Con- struction der Begriffe aus der Anschauung, statt aus einer angeblichen Theorie, die zur Zeit noch unmöglich ist, und fer- ner durch streng logische Classificirung der Begriffe nach ihren Stämmen und Zweigen, Geschlechtern und Arten. An der pha- nerogamen Pflanze haben wir auf diese Weise Axe und Blatt als die obersten Begriffsverschiedenheiten; unter dieser Abthei- lung zeigen sich uns die Unterschiede nach Folge der Entwicke- lung und nach Stellungsverhältnissen, also nach Zeit und Raum als die allgemeinsten, dann erst kommen die Formen-, Structur- und Farbenverhältnisse, die weder aus der Natur der Pflanze zur Zeit zu entwickeln sind, noch auf Grundanschauungen be- ruhen, also nur empirisch anschaulich aufzufassen und mit ästhe- tischer Klarheit zu. beschreiben sind. So lässt sich der Begriff des Gleichartigen für die Blüthendecken durchaus nicht im All- gemeinen definiren, sondern nur anschaulich demonstriren; auch fehlt es uns hier durchaus an der umfassenden Kenntniss aller Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 275 Fälle, um daraus die allgemeinere oder beschränktere Wichtig- keit der einzelnen Merkmale mit Sicherheit abzuleiten. Hier ist fast Alles auf gewisse Pflanzengruppen zu stellen, innerhalb de- ren man sich nach einem Beispiel gar leicht zurechtfindet. Neh- men wir z. B. eine nur symmetrisch entwickelte Blumenkrone, z. B. einer Erbsenblüthe, so ist eine auffallende Verschiedenheit unter den einzelnen Blattorganen gar nicht in Abrede zu stel- len, nichtsdestoweniger haben sie in Farbe und Textur ein ge- wisses Uebereinstimmendes, welches uns bestimmt, sie als gleich- artig entwickelt anzuerkennen. Wie verschieden ist bei den meisten Orchideen die Lippe in Form und Farbe von den übri- gen Blüthenhüllblättern, und doch liegt in ihrer Textur etwas, was sie uns als gleichartig mit jenen erkennen lässt, Farbe und Textur stimmen bei Kelch und Blumenkrone von .Ranunculus bulbosus fast ganz überein, und doch unterscheiden wir hier nach der Form sicher zwei ungleichartige Bildungen. Structur und Farbe und fast auch die Form sind bei den Blüthendecken der Amarantaceen ausnehmend gleich, und wir trennen nichtsdesto- weniger sogleich anschaulich die Blumenkrone von dem Kelch (den beiden innern der drei sogenannten ‚Bracteolen) u. 's. w. Aus den hier entwickelten Gründen lassen sich für gar viele . Verhältnisse in der allgemeinen Botanik nur die Richtungen an- deuten, in welchen das Stadium derselben fortzuschreiten hat, und beim Unterricht muss die Sache anschaulich aufgewiesen werden; ‚speciellere Ausführungen sind hier einzig und allein in der speciellen Botanik nach den einzeinen Pflanzengruppen mög- lich, und der Versuch, sie allgemein zu fassen, führt zu gren- zenlosen Verwirrungen und unnützen, zeitverschwendenden Wie- derholungen. Ich habe zu den Blüthendecken auch den Hüllkelch gerech- net, wozu ich, dem Grundsatze getreu: was die Natur vereinigt, darf der Mensch nicht trennen, den der Blüthe eng sich an- schliessenden und offenbar mit ihr zu einer Gesammtanschauung zusammentretenden äussersten Blattkreis bei den Blüthen der Dipsaceen, bei vielen Malvaceen, Passifloren, bei einigen Secita- mineen, z. B. Costus, vielen Hydrocharideen, z. B. Hydrocharis, Stratiotes u. s. w., zähle. Viele nennen diese Theile, aller rich- tigen Bezeichnungsweise zum Trotz, involuerum oder involucel- lum bei den Dikotyledonen, Blüthenscheide (spatha) bei den Monokotyledonen, Ausdrücke, die ursprünglich auf Bracteen oder einen Bracteenkreis, der einen Blüthenstand umgiebt, ange- werdet sind, hier also im höchsten Grade unpassend erschei- nen, Der einzige Theil, mit dem der Hüllkelch verwechselt wer- den kann und zu dem er natürlich den Uebergang bildet, sind die Deckblättchen am Blüthenstiel, und allerdings sind auch da, 18% 276 Morphologie. wo die Natur diese nicht in bestimmter Form und Anordnung, wie. bei den genannten Pflanzen, mit der Blüthe vereinigt hat, kein Hüllkelch, sondern nur Deckblättchen vorhanden. Hier ist. nun freilich eben so schwer eine Grenze zu ziehen, wie bei dem Unterschied von flos pedicellatus und flos sessilis, da es sich nicht um eine absolute Verschiedenheit, sondern um ein Mehr oder Weniger handelt. Es ist eben wieder der Punct, wo die feinere Ausbildung der Naturanschauung, wo der Tact des For- schers allein die richtige Bestimmung geben kann, wenn man sich nicht über willkürliche absolute Maasse vereinigen will, die aber höchst unzweckmässig sind, weil bei der Grössenverschie- denheit der Blumen gerade das absolute Maass, z. B. eine Linie, zum relativen wird. Bei einer Blüthe, wie in Parietaria, ist eine Linie ungeheuer viel; bei einer Biüthe, wie bei Datura, Brugmansia u. s. w., gar nichts. Da, wo innerhalb der unzwei- felhaften Blüthe verlängerte Stengelglieder vorkommen, wie bei Passiflora, wäre das leichteste Auskunftsmittel, diese zum Maass zu nehmen, aber das ist nur selten der Fall und daher dieses beste Auskunftsmittel nur von beschränkter Anwendung. Im Ganzen aber wird selten ein Fall des Zweifels vorkommen, wenn man mit reinem und feinem Wahrheitsgefühl die Natur zu ver- stehen sucht und nicht diese den eigenen vorgefassten Ansichten anpassen will. Der Hüllkelch kann, so wie ich ihn bestimme, sowohl beim Vorhandenseyn eines wirklichen Kelchs, als auch bei der Blü- thenhülle vorkommen, im letzteren Falle aber nur da, wo er durch den unterständigen Fruchtknoten von der Blüthenhülle entfernt ist, denn es ist sonst kein Grund vorhanden, warum man ihn nicht hier geradezu Kelch nennen sollte, wie z. B. den zweitheiligen Kelch bei den Amarantaceen '). Auch die Nebenkrone kann bei der Blüthenhülle vorkommen, ist aber immer hinlänglich durch die abweichende Bildung ihrer Blattstücke charakterisirt, so dass man sie nicht mit der Blu- menkrone verwechseln und die Blüthenhülle für den Kelch neh- men kann. 1) In fast allen Beschreibungen der Amarantaceen liest man flores tribraeteati. Dass davon das eine Blatt einer ganz andern Axe, nämlich dem Blüthenstengel, angehört, wird dabei völlig ignorirt. Bei den Po- Iycnemeen aber, wo völlig identisch dieselben Theile vorhanden sind und nur das eine Blatt, nämlich die einzige wahre Bractee, grün ist, heisst’s: flores quia in azilla folii sessiles bibracteati. Kände sich eine Amaran- tacee mit farbiger Bractee und grünem Kelch, so würde es wahrschein- lich heissen: flores quia in azwillis foliorum duorum sessiles unibra- eteati!! Wie soll man nun dergleichen schonend bezeichnen ? % Spee, Morphologie, Phanerogamen. Blüthen, 277 8. 153. Die Blüthenhülle (perianthium) besteht, nach der gegebenen Erörterung, in einem oder mehreren Blatt- kreisen, die unter einander gleichförmig nach Form, Farbe ‚und Structur ausgebildet sind. Für sie lässt sich fol- sender Formenkreis näher bezeichnen. Die einzelnen Blattorgane sind immer (?) flächenförmig ausgebreitet, selten in Blattscheibe und Nagel getrennt, wenigstens wenn sie unverwachsen sind, gewöhnlich oval, oder lan- zeitlich; sie können grün (männliche Blüthe der Urti- ceen), oder mannigfach gefärbt (bei Thymeleen), von derberer, besonders wenn grün (bei Elaeagneen), oder von zarterer Textur erscheinen (bei Aristolochiaceen), oder sie können nur als zarte, saftlose Fetzen (Spreu- blättchen, paleae), als Borsten und Haare entwickelt seyn (bei den Typhaceen, Uypereen). Die Blüthenhülle ist überwiegend häufig regelmässig, selten (bei einigen Ra- nunculaceen und Orchideen) symmetrisch; in diesem Falle niemals (?) wahrhaft zweilippig, häufig mit einem Lip- penblatt versehen, wie bei den Orchideen; dieses ist dann häufig hohl entwickelt (cucullatum, bei Aconitum ; calcaratum, bei Orchideen) und gewöhnlich das oberste Blatt der Blüthenhülle. Ihre Blattstücke können frei (bei Junceae) oder verwachsen (bei Funkia, Hemerocallis) seyn; aus einem (bei ÜUrticeen) oder mehreren Kreisen (bei Liliaceen) bestehen. Auch sind die "Theile häufig mit den Staubfäden verwachsen; bei den verwachsenen Blüthenhüllen ist die Röhre bald gerade (bei Nareissus), bald gebogen (bei Aristolochia), die Mündung meist nackt, seltener mit Anhängseln besetzt (bei Nareissus), die einen Kranz bilden, die bei der Blüthenhülle über- haupt seltener sind, bei freien Blattorganen nur (?) auf der Lippe vorkommen; bei Iris hat der innere Blattkreis oft einen Bart. Bei der gegebenen Definition von Blüthenhülle ist allerdings nicht in Abrede zu stellen, dass in einer und derselben Familie, 278 | Morphologie, z. B. bei Rosaceen (im weitern Sinne), bei Ranunculaceen u. Ss. w., bald eine Blüthenhülle, bald Kelch und Blumenkrone vorhanden sey. Dadurch entsteht aber, bei richtiger Beurtheilung des Ver- hältnisses, gar kein Nachtheil, denn die Einheit des Typus be- ruht nicht in unserer Namengebung, die nur der anschaulichen Bezeichnung dient, sondern in dem Gesammtbau der Pflanzen, der immer eine Mannigfaltigkeit speciäscher Modificationen zu- lassen kann und muss. Blüthendecken sind überhaupt nur Blatt- organe, und selten wird blos auf ihrer verschiedenen Ausbildung der Charakter einer Pflanzengruppe beruhen. Leicht zeigt sich dem aufmerksamen Naturbeobachter die innere Verwandtschaft in gewissen Pflanzengruppen, aber diese Verwandtschaft hängt nicht ab von dem Wort, welches wir wählen, um. die Gruppen kurz zu charakterisiren, und es ist überall noch unendlich schwer, hier den richtigen Ausdruck für die Bezeichnung zu finden we- gen unserer so unendlich mangelhaften Kenntniss der Pflanzen. Hier kann allein die Entwickelungsgeschichte einmal helfen, denn die Einheit der Gruppe liegt stets in gewissen Formen des Ent- wickelungsprocesses, aber gerade hier stehen wir kaum am Ein- gang in die Wissenschaft. Eigenthümlich ist die Blüthenhülle bei den weiblichen Blüthen von Carex. Sie ist ursprünglich dreiblättrig, aber ein Blatt ver- kümmert sehr bald, während die andern sich übermässig ent- wickeln, mit den Rändern verwachsend, das verkümmernde Blatt ‚einschliessen und so die schlauchförmige Hülle um den Frucht- knoten bilden, den man utriculus, eupula u. s. w. genannt hat. Aehnlich ist die Blüthenhülle der Gräser, die auch ursprünglich aus ‘drei Blättern besteht, von denen eins (palea exterior) sich übermässig ausbildet, und die andern beiden, die bald unter ein- ander verwachsen und kümmerlich hautartig sich ausbilden ( palea superior binervis) umschliesst. Der Bau der Blüthenhüllblätter ist im Ganzen der sehr einfacher Blätter und zeigt wenig besondere Ver- hältnisse, besonders wenn sie grün sind. Die Veräste- lungen der Gefässbündel sind demnach einfach, die Tren- nung in eine obere und untere Parenchymschicht ist sel- ten angedeutet, die Oberhaut aber wie gewöhnlich. Bei den gefärbten und zartern Theilen enthalten die Zellen des Parenchyms Farbstoffe. Bei den meisten ist das Parenchym sehr locker und fast schwammförmig mit ho- mogenem, wasserhellem Safte und grossen, lufterfüllten Intercellularräumen, daher die weisse Farbe. Die Ober- Spee. Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 279 haut ist weniger entwickelt bei den gefärbten Blättern und nähert sich mehr der Structur des Epithelium, Spalt- öffnungen sind zuweilen vorhanden, besonders auf der untern Fläche, öfter aber sind die Oberhautzellen, zumal der obern Fläche, in kürzere oder längere Papillen er- hoben, die der Oberfläche den eigenthümlichen Sammet- glanz verleihen. Ausserordentlich häufig ist es hier, dass die Absonderungsschicht auf der Epidermis oft sogar recht regelmässig zart eingeritzt (wciculatus) erscheint, was sicher auch mit zur Erhöhung des Farbenglanzes und vielleicht auch durch Einwirkung auf die Lichtstrah- len zur Bildung und Modificirung des Farbentons bei- trägt. Zuweilen, besonders im Grunde hohler Formen, bildet sich an bestimmten Stellen keine Oberhaut aus, auch nimmt das Parenchym wohl eigenthümliche Structur an und dient der Aussonderung eines sehr zuckerhalti- gen Naftes, so z. B. der Spiegel an der Basis der Blät- ter von Fritillaria, sehr verschiedene Stellen am la- bellum der Orchideen u. s. w. ‚Selten ist die Textur hart und fast holzig von vielen eingestreuten, stark ver- dickten und porösen Parenchymzellen, wie bei Banksia- und Dryandra-Arten. Bei den spreubhlattartigen Blü- thenhüllen fehlen dem gewöhnlich einfachen Gefässbün- del die Spiral- und andern Gefässe, bei den haarförmi- gen fehlen selbst die Gefässbündel. $. 154. Der Kelch (caly&) ist immer nur dann vorhanden, wenn neben ihm eine Blumenkrone vorkommt; er ist also nie zu verwechseln; von zwei ungleichartigen Blüthen- decken ist er die äussere. Sein Formenkreis ist dem der Blüthenhülle sehr gleich, vielleicht findet er sich nicht so oft zart gebaut und gefärbt (z. B. Seitami- neen, Musaceen, Butomeen, Ranunculus, Tropaeolum). Gewöhnlich ist nur ein Kreis Kelchblätier vorhanden, seltener zwei (bei den Berberideen). Die Kelchblätter 280 Morphologie, sind auch stets sehr einfach, oval oder lanzettlich,, sel- ten fiederspaltig, sehr häufig von breiter Basis aus spitz zulaufend, oder sehr klein (dentes calycis obsoleti), zuweilen nur als trockene Schüppchen, oder als Haar- büschel vorhanden (der sogen. pappus bei den Compo- siten). Anhängsel kommen selten vor bei den Kelch- blättern, häufig dagegen hohle Formen. ‘Die Zahl der Kelehblätter in jedem Kreise ist bei den Monokotyledo- nen häufig drei, seltener vier oder zwei; bei den Diko- tyledonen zwar am häufigsten fünf, doch auch zwei, drei, vier (und vielleicht auch mehr). Verwachsungen der Kelchblätter unter einander kommen in jeder Weise vor, niemals aber, so viel mir bekannt, mit Blumenkrone und Staubfäden, niemals. mit dem Fruchtknoten; was man so nennt, ist ein ganz anderes, schon oben ($. 149) erör- tertes Verhältnis. Sowohl bei freien, als verwachsenen Kelchblättern kommi Begelmässigkeit und Symmetrie vor; im letzten Falle häufig zweilippiger Bau. Ueber die Structur des Kelches gilt ganz dasselbe, was über. die Blüihenhülle gesagt ist, nur sind grüne, blattartig gebaute Kelchblätter häufiger. $. 155. Die Blumenkrone (corolla), stets nur als innere Blü- thendecke neben dem Kelch vorhanden, ist ganz einer gefärbten, zart gebauten Blüthenhülle zu vergleichen. Niemals kommt, so viel ich weiss, eine ächte Blumen- krone vollkommen grün und blattartig gebaut vor. Ihr Formenkreis ist von allen Blüthendecken am grössten. Bei den Monokotyledonen sind freilich fast nur einfache rundliche, ovale, oder lanzettliche Blätter, selten kurz genagelt vorhanden. Bei den Dikotyledonen ist der For- menreichthum unermesslich, sowie die Mamigfaltigkeit und Pracht der Farben. Folgendes sind die Haupt- momente. Spee, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 281 Das einzelne Blumenblatt zeigt fast den ganzen Reich- thum der Blattformen in verjüngtem Maassstabe und zar- ten Verhältnissen, mit Ausnahme der ächt zusammenge- setzten. Besonders häufig sind hier hohle Formen, ka- puzenförmige, kahnförmige, gespornte Blumenblätter, diese letzteren öfter an einzelnen Blättern einer sonst regel- mässigen Blumenkrone (z. B. bei Fumaria). Auch fin- serförmig und gefiedert gespaltene, sowie mannigfach gelappte Blätter sind nicht ganz selten. Blattscheiben und Nagel zeigen sich ‚häufig als deutlich zu unterschei- dende Formen. Den Blatthäutchen analoge Theile, so- wie fast alle denkbaren Formen der Anhängsel, mit Ausnahme der Nebenblätichen, kommen häufig vor und charakterisiren Geschlechter und Familien. Unerlässlich ist es in dieser Beziehung, die blossen Anhängsel der Blumenblätter von selbstständigen Blatt- organen zu unterscheiden. Hierher gehören namentlich die Deckschuppen (fornices) der Borragineen, die Kranz- schuppe (corona) bei den Sileneen, die meisten als Kranz beschriebenen Bildungen bei den Stapelien und einigen andern Asclepiadeen und bei den Passifloren, die Honig- schuppen (nectaria) bei Ranunculus und bei Parnas- sia u. Ss. W. ; Die Blumenkrone besteht aus einem, seltener zwei (dreigliederigen bei Berberis) oder mehreren (vierglie- derisen bei Nymphaea) Blattkreisen. Die Zahl der Glie- der ist bei Monokotyledonen denen des Kelchs gleich, bei Dikotyledonen herrscht die Fünfzahl vor, doch kom- men auch 2—4 und mehr (bei Dryas|?]) Glieder eines Kreises vor. Die Zahl der Glieder ist der des ‚ Kelches entweder gleich oder grösser, äusserst selten (bei Hibiscus) kleiner. Das Fehlschlagen ist nicht selten und trifft oft alle Blattorgane der Blumenkrone zugleich (z. B. bei den Sommerblüthen mehrerer Viola- Arten, bei Lepidium ruderale, einigen Acer-Arten). ‘Noch häufiger sind die Verwachsuugen der Blattorgane in jeder Weise, niemals 282 Morphologie, zwar mit dem Kelch und dem Fruchtknoten, oft aber mit den Staubfäden. Bei freien oder verwachsenen Blattorganen kann die Blumenkrone regelmässig oder nur symmetrisch seyn. Bei letzterer ist die häufigste Form die zweilippige Bil- dung, besonders bei fünfgliederigen Kreisen, so dass, je nachdem das unpaare Blüthenbhlatt das oberste oder das unterste der Blüthe ist, die Oberlippe aus drei oder aus zwei Blumenblättern gebildet wird; im letztern Falle sind gar häufig diese beiden gar nicht oder nur wenig unter einander verwachsen, z. B. bei Teuerium, den sogen. Zungen- oder Strahlblumen (floribus liqulatis vel ra- diatis) der Compositen. Besondere Formen der sym- metrischen Blumen sind z. B. die maskirten Blumen (corolla personata), bei denen die oberen Blumenblät- ter einer verwachsenen Blumenkrone so eingebogen sind (welchen Theil man als Gaumen [pelatum] nk dass sie den Eingang in die Röhre verschliessen (z. B bei Antirhinum), die ächte zweilippige oder Rachen- blume (corolla ringens) bei den Kabiaten, bei denen die zwei, die obere Lippe bildenden Blumenblätter oft eine hohle, die Unterlippe überragende Gestalt haben, und dann Helm (galea) heissen, die sogen. Schmetter- lingsblume (bei den Papilionaceen), bei der das oberste Blatt gross und breit die andern überragt und Fahne (vexillum) genannt wird, während die beiden seitlichen, als Flügel (alae) meist ungleichförmig entwickelt, sich an die beiden untern, sehr häufig verwachsenden, eben- falls ungleichseitig entwickelten und kahnförmig zusam- mengeneigten Blätter, das Schiffchen (carina) genannt, anlegen; auch verwachsen wohl alle Blätter der Schmet- terlingsblume unter einander im untern Theil zu einer Röhre (z. B. Trifolium), oder es schlagen einzelne Blätter fehl u. s. w. Viele höchst unregelmässige sym- metrische Formen, z. B. die der Polygaleen, der Bal- saminen, Tropäolen u. s. w., haben zufällig keinen Na- men erhalten. | Spec, Morphologie, Phanerogamen, Blüthen, 283 Endlich vom Bau der Blumenkrone gilt alles das, was schon bei der Blüthenhülle, sobald sie zarter ge- bildet ist, gesagt wurde. Gar mannigfaltig ist hier der Inhalt der Zellen an Farbstoffen, gar wunderbar oft ihre gruppenweise Vertheilung. Selten ist eine derbkere Tex- tur in Folge des Vorherrschens stark porös verdickter Zellen, wie bei den Amarantaceen. Ueberaus mannig- faltig ist der Bau der Oberhaut und der Eintwickelungen derselben zu Papillen, Haaren u. s. w. Insbesondere ist ihre Entwickelung zu Nectar absondernden Flächen, zu- mal auf dem Grunde hohler Formen und an den An- hängseln, häufig. Auch kommt an den Blumenblättern Ausscheidung einer viscinähnlichen Substanz und in Folge dessen ein Zusammenklebeu derselben vor, z. B. an der Spitze der beiden innern Blumenblätter der Fumariaceen. Uebrigens kenne ich keine besonders auffallenden Ver- hältnisse, die Erwähnung verdienten. Die Blumenkrone hat mit der Mannigfaltigkeit ihrer Formen, mit der Pracht ihrer Farben von jeher die Menschen angezogen, und so hat man auch seit den ältesten Zeiten wissenschaftlicher Bearbeitung der Botanik auf die Kenntniss der Blumenkrone grossen, oft zu grossen Werth gelegt, indem man die andern Theile dagegen vernachlässigte.e Dass sich bei dem allgemeinen Charakter der Pflanzenwelt, vornehmlich buntes und mannigfal- tiges Spiel der Gestalten zu begünstigen und so zum reich ge- stickten Kleide der geognostisch nackten und armen Erde zu werden, auch vorzüglich in diesem recht eigentlich nur dem For- menreichthum dienenden Organ das Wesen der einzelnen Pflan- zengruppen, Geschlechter und selbst Arten aussprechen wird, ist. allerdings zu erwarten; aber immer bleibt es doch nur ein Theil des gleichberechtigten Ganzen, und insbesondere ist für das wissenschaftliche Verständniss der Pflanze wegen der noch gänzlich unentdeckten Gesetze der Formenbildung die Blumen- krone nur als ein selbst untergeordneter 'Theil zu betrachten, und wir werden uns bei einseitiger Hervorhebung derselben ge- rade am weitesten vom Ziel entfernen. Insbesondere für die allgemeine Botanik sind auch nur die Gesichtspuncte anzudeu- ten, nach denen man sich in dem unendlichen Reichthum des Einzelnen zu orientiren hat, und das habe ich im Paragraphen zu thun versucht. Weiter auf den Bau der Blumenkrone ein- zelner Gruppen einzugehen, halte ich für fehlerhaft und den 254 Morphologie. Lernenden im höchsten Grade verwirrend. Die Ausführung die- ser Specialitäten gehört der speciellen Botanik an, wo dann aber auch bei der Entwickeluug der Familiencharaktere bei wei- tem mehr geleistet werden muss, als es bis jetzt die dürftige Summula aus den eben so dürftigen Beschreibungen der. Ge- schlechter leistet. Im Uebrigen habe ich dem im Paragraphen Gesagten nichts hinzuzufügen. $. 156. Der Hüllkelch (epicaly&) zeigt sich dann, wenn sich an den Blüthendecken drei verschiedenartige Reihen von Blattorganen unterscheiden lassen, und ist dann die äusserste Reihe. Es sind nicht viele Pflanzen, die einen Hüllkelch zeigen, noch weniger Pflanzenfamilien, denen er constant zukäme. In seinem Formenkreise, Dar sei- ner Structur stellt er sich dem Kelche sehr gleich. Er kommt mit freien (bei Passiflora) und verwachsenen (bei Lavatera) Blättern vor, selten zart, blumenartig, bei einigen Scitamineen zuweilen trocken, häutig, z. B. bei Scabiosa, meist grün und blattartig, z. B. bei Mal- vaceen, Dryadeen. Da alle Blüthendecken nur znehr oder weniger eigenthümlich modificirte Blattorgane sind, da die Bracteolen an der Blüthen- axe unter der Blüthe :fast alle jene eigenthümlichen Modifica- tionen auch annehmen können, so ist natürlich durch den Be- griff keine Grenze der Blüthe nach Unten zu ziehen, wo sie uns nicht aus der Anschauung entgegentritt. Bei den Familien der Scitamineen, Malvaceen, Dipsaceen, Passifloren treten uns aber gewisse Kreise von Blattorganen noch ausserhalb des Kel- ches zu einer Gesammtform anschaulich zusammen und offen- ‚bar in einer engen Beziehung zur Blüthe, und diese verdienen daher gerade so gut wie der Kelch als eine eigene Form der Blüthendecken aufgefasst und charakterisirt zu werden. Bei allen Familien mit zerstreuten Blättern kann über den. Unterschied zwischen Bracteolen und Hüllkelch kein Zweifel obwalten, wenn man letztern als einen Blattkreis dicht unterhalb des Kelches bezeichnet. Bei quirlförmiger Blattstellung möchte die Unter- scheidung schwerer seyn; mir ist aber noch kein Beispiel der Art bekannt. Spee. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen, 285 Einige haben geglaubt, den Hüllkelch der Dryadeen, z. B, bei Potentilla, sehr scharfsinnig zu erklären, wenn sie ihn aus den verwachsenen Nebenblättern der Kelchblätter ableiteten. Solche Missgriffe sind die unvermeidlichen Folgen der verkehrten Methode des Rathens, statt des Untersuchens, Der Hüllkelch bei Potentilla und den Verwandten ist ein ächter Blattkreis und zwar, wie sich auch von selbst versteht, der erste, der sich an der ganzen Blüthe bildet, und die Kelchblätter entstehen erst später und höher an der Axe als zweiter Blattkreis. b. Von den Staubfäden. $. 152. Der Staubfaden (stamen) ist ein unzweifelhaftes, reines Blattorgan und von allen Blattorganen der Blüthe dasjenige, welches dem Stengelblatt am meisten analoge Formen zeigt. I Es ist das einzige Blattorgan der Blüthe, welches nicht nur morphologisch durch Form- und Stellungsver- hältnisse, sondern auch physiologisch durch die Bedeu- tung seiner eigenthümlichen Structurverhältnisse zur Bil- dung der Sporen, hier Pollen genannt, bestimmt ist. Hier silt das Gesetz: wo kein Pollen sich bildet, ist auch kein Stauhfaden. Die Ausdrücke stamina abortiva, stamina castrata u. s. w. haben keinen Sinn. In jener. Beziehung entspricht es durchaus dem Sporophyll der kryptogamischen Stengelpflanzen, und die dort sich zeisenden Formen, für Classen typisch, treten hier für Familien oder Geschlechter charakteristisch wieder auf. Wir finden hier das Sporophyll der meisten Farn- kräuter, die eine Menge Kapseln (hier Fächer, loculi, genannt) aus der untern Blattfläche entwickeln, bei den Uycadeen. Bei vielen Coniferen bilden sich nur noch wenige, längere, röhrenförmige Fächer auf der untern Fläche aus (z. B. bei Ounninghamia); bei Juniperus, Cupressus u. s. w. sind die Staubfäden von dem Spo- rophyli der Equisetaceen durchaus nicht zu unterscheiden und ein Analogon des Sporophylis der Lycopodiaceen, 286 Morphologie, wo sich auf der obern Fläche der Basis eines flachen Blattorgans eine Kapsel bildet, finden wir an Humirium und Glossarrhena, wo aber zwei Fächer statt eines auf- treten. Gewöhnlich entspricht aber der Staubfaden dem Sporophyll der übrigen Farn, bei denen nur der Blatt- stiel und Mittelnerv des Blattes ausgebildet ist, an des- sen Seiten das Parenchym nur die Fächer formirt; aber meist ist der Bau nicht dem vielfach zerschlitzten Farn- blatt entsprechend, sondern einem einfachen, flachen und gestielten Blatte. Es zeigt sich dann eine verschmälerte Basis (der Blattstiel, hier aber Träger, filamentum, genannt) und ein oberer, breiterer Theil (die Blatt- scheibe, hier Staubbeutel, anthera, genannt). Man un- terscheidet ferner an dem Staubbeutel einen mittleren Theil (den Mittelnerv des Blattes, hier Mittelband, con- nectivum, genannt), und die Seitentheile als Fächer (loculi oder thecae), welche als kugelige, eiförmige oder länglich eylindrische Wülste auf dem Scheitel, an den Rändern, auf der oberen oder unteren Fläche des Mittelbandes erscheinen; endlich den ursprünglichen Rand des Blattes als Längsfurche (rima longitudinalis). End- lich bei vielen Staubfäden ist analog dem sogen. sitzen- den Blatte die ganze Blutsubstanz zur Bildung der Fä- cher verwendet (anthera sessilis). Jeder Staubfaden entsteht wie ein Blatt, durchläuft anfänglich ähnliche Formenreihen und seine spätere eigen- thümliche Erscheinungsweise ist immer erst Folge sei- ner specifischen Entwickelung, die sich nicht nur ideell, sondern auch meistens reell in der Entwickelungsge- schichte auf wenige einfache Grundtypen zurückführen lässt. Neben dem schon oben durchgeführten kryptoga- mischen Typus in den Familien der Cycadeen und Oo- niferen kann man noch einen phanerogamen Typus un- terscheiden, der wesentlich darin besteht, dass, abgese- hen vom Vorhandenseyn des Trägers, sich ein flaches Blatt so ausbildet, dass seine Mittelrippe zum Mittelband, sen Rand zur Längsfurche wird, sein Parenchym an Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 287 beiden Seiten des Mittelbandes anschwillt, in welchem dann durch Bildung der endlich lose liegenden Pollen- körner an jeder .Seite ein (bei Adies und den Ascle- piadeen) oder zwei Antherenfächer (wie gewöhnlich) gebildet werden. Dieser Typus liegt, mit Ausnahme gen Najas und Caulinia und einigen Aroideen (bei enen mir die Entwickelungsgeschichten fehlen), sicher ‚allen phanerogamen Staubfäden zu Grunde. Alle ferne- ren Eigenthümlichkeiten beruhen entweder auf blos ein- seitiger Entwickelung der Fächer (bei Canna, Salvie) ; oder auf übermässiger Entwickelung des Mittelbandes, entweder im Ganzen, so dass die Fächer mehr oder weniger weit von einander entfernt werden (wie bei Lacistema und Salvia), oder nach der Basis zu (z.B. Stachys sylvatica), oder nach Oben (z. B. Berberis, Humirium), an der untern Fläche, so dass die Fächer scheinbar auf der oberen Fläche zu liegen kommen (an- therae anticae, introrsae), oder in der oberen Fläche, so dass die Fächer auf der unteren Fläche erscheinen (antherae posticae, antrorsae), oder auf das Zusam- mentreffen mehrerer dieser Arten von übermässiger Ent- wickelung. Es kommen ferner sehr unregelmässige Eintwickelungen des Mittelbandes und somit der davon abhängenden Fächer vor, z. B. die schlangenförmig ge- bogenen (bei vielen Oucurbitaceen), die der korinthischen Voluta ähnlich eingerollten Fächer bei Philhydrum u. Ss. w., die, alle von derselben ursprünglichen Bildung ausgehend, nur allmälig diese Formen annehmen. Es kommen ferner noch besondere Auswüchse des Mittel- bandes vor, besonders auf der unteren Fläche, wo sie seltsame Formen von Sporen, Kapuzen, z. B. bei Ascle- pias u. s. w., annehmen und hier gewöhnlich unter dem Namen corona mit himmelweit verschiedenen Gebilden zusammengeworfen werden. Auch an den Fächern fin- den sich bald oben, bald unten Fortsätze und Anhäng- sel mannigfacher Art (z. B. bei den Ericeen). Höchst eisenthümlich breitet sich das Mittelband auf der Rück- 288 i Morphologie. seite des Staubbeutels über denselben, besonders aber nach Oben und Unten überragend und mantelartig ein- hüllend, bei vielen Apocyneen aus. Anch auf der Ver- bindung; der Anthere mit dem Träger beruhen viele Ver- schiedenheiten, oft bildet sich. gar kein Pos aus; wenn er vorhanden ist, geht er stetig in’s Mittelband über, das etwas breiter als er erscheint, und dessen Ba- sis von der Basis der Fächer nicht überraet wird, oder die letzteren ragen weiter darüber hinaus, so ar der Träger sich zwischen den Fächern inserirt, dem folium cordatum oder sagittatum entsprechend, oder die Fächer bilden sich auf ähnliche Weise über die Basis des Mit- telbandes hinaus und verwachsen gleich bei der Bildung unter einander, dem folium peltatum entsprechend; man nennt dies anthera dorso affixa, oder weil sie auf dem dünnen Träger gewöhnlich schwankt, anthera versati- bis. Endlich bietet auch der rasen dem Blattstiel entsprechend, eine grosse Reihe von Verschiedenheiten dar, indem er linienförmig, flächenförmis (bandartig), oder dick und fleischig entwickelt seyn kann, sowohl auf der obern als untern Seite Anhängsel allerlei Art zeigt und insbesondere diejenigen, die den bei Blättern vorkommenden entsprechen, so z. B. dem Blatthäutchen ähnlichen (bei Cuscuta und einigen Zygophylium-Arten), und insbesondere die den Nebenblättern entsprechenden Anhängsel (wie bei vielen Laurineen, Amarantaceen, Allium-, Alyssum- und Campanula-Arten), was um so merkwürdiger ist, da kein anderes Blattorgan der Blüthe etwas Achnliches zeigt. Eine ächte Gelenkbildung in der, Continuität dessel- ben Staubfadens kann ich nirgends finden, bei Composi- ten ist sicher nichts davon vorhanden '). 1) Berberis, gewöhnlich hier als Beispiel genannt, habe ich ver- säumt zu untersuchen. Bei den Compositen ist nur eine ganz allmälig auftretende Verschiedenheit des Zellgewebes an bestimmten Stellen vor- handen, die, weit entfernt, einer Gelenkbildung zu entsprechen, im Ge- gentheil auf etwas stärkerer Verdickung der Zellenwände beruht. Bei Spee, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 289 Es kommen hier ferner Verwachsungen aller Art, sowohl der Staubfäden unter sich in ihrer ganzen Länge, oder der Träger sanz oder theilweise, der Träger mit der Blüthenhülle oder der Blumenkrone vor. Auch blosse Verwachsung der Nebenblätter, z. B. bei den Amaran- taceen '). Auch hier sind einige Puncte hervorzuheben, die einer ge- naueren Entwickelung bedürfen, um ein richtiges Verständniss des Staubfadens zu begründen. Zuerst muss ich hier die Frage erörtern, was eigentlich der Begriff des Staubfadens ist. Darüber brauche ich kein Wort ‚mehr zu verlieren, dass er ein modificirtes Blatt ist, denn dar- über sind heut zu Tage wohl alle nur einigermassen zu berück- sichtigenden Botaniker einverstanden; aber damit ist gar wenig für, die Begriffsbildung geschehen; wir haben unter den Blatt- organen so. vielerlei Arten, die das ganze Gebiet der Möglich- keiten nach Stellungs-, Form-, Farben- und Structurverhältnissen umfassen, dass es eben darauf ankommt, den Staubfaden hier gegen alle andern Formen einzugrenzen. Auch als Blattorgan der Blüthe ist der Begriff nicht bestimmt, denn auch hier ist die Sphäre noch unendlich gross. Uns bleiben dem Princip gemäss, welches ich an die Spitze der ganzen Lehre gestellt habe, nämlich nach der morphologischen Betrachtungsweise, nur zwei Möglichkeiten der schärfern Begriffsbestimmung, nämlich die nach der äussern Form und nach der innern, oder nach den Structurverhältnissen. Nach der äussern Form ist es aber unzweifelhaft das äusserlich sichtbare Antherenfach, nach der Structur die Bildung des Pollens, was den Staubfaden als sol- Mahernia und Vinca ist gar keine Spur einer Gliederung. Niemals, so weit ich bis jetzt untersuchen konnte, findet eine Gliederung zwischen Anthere und Träger statt. Wohl ist letzterer da, wo er in den Staub- beutel übergeht, oft sehr dünn, leicht biegsam und leicht abzureissen; niemals aber ist hier eine Lage verschiedenartig gebildeten Zellgewebes vorhanden, welches die Continuität der Structur unterbräche; niemals trennt sich hier Staubbeutel und Träger freiwillig. 1) Nichts ist leichter, als bei dieser Familie die Entstehung des angeblichen Kranzes aus der Verwachsung der Nebenblätter der Staub- fäden zu verfolgen; auch zeigen die ausgebildeten Formen alle mögli- chen Uebergänge. Die unwissenschaftliche Inconsequenz der beschrei- benden Terminologie zeigt sich hier wieder auf schlagende Weise. So lange die Nebenblätter nur zum Theil verwachsen sind, heisst es fila- mento trifido lobo medio untherifero; sind sie ganz verwachsen, so heissen die zwei verwachsenen Lappen stamina sterilia; sind sie dann nach Innen geschlagen, dass sie einer oberflächlichen Betrachtung ent- gehen, wie bei Celosia, so heisst’s auch wohl staminodia nulla. I. 19 290 Morphologie. chen bestimmt; beide hängen so innig..mit einander zusammen, dass es gleichgültig ist, welches Merkmal man festhält.. - Lässt 'man dieses Merkmal weg, so ist fast kein Staubfaden von den accessorischen Blattorganen der Blüthe zu unterscheiden, viele, z. B. die äussern Staubfäden der Nymphaea, die Staubfäden von ..Canna, durchaus nicht von Blumenblatt u. s..w. Und so ist die Begriffsbestimmung dahin zu fassen: Staubfaden ist das Blattorgan der Blüthe, welches Antherenfächer ‘und in denselben Pollen entwickelt. Durch eine solche Begriffsbestimmung ge- winnt man für das Verständniss der Blüthe und für die scharfe Beschreibung der Formen eine sichere Grundlage. Alles, was diesem Begriffe — und eine andere Begriffsbildung ist unmög- lich — nicht entspricht, ist dann auch nicht Staubfaden. Hier- nach wird es also völlig unrichtig und überflüssig, von castrir- ten, fehlgeschlagenen Staubfäden zu sprechen, d: h. von Staub- fäden, die keine Staubfäden sind. Es liegt nämlich dieser Rede eine mangelhafte Auffassung der Natur der ganzen Blüthe zum Grunde. Diese besteht aus Blattorganen (und Axenorganen) in verschiedenen Modificationen, von denen einige Staubräden (oder Saamenknospen) seyn müssen, wenn der Begriff! der Blüthe nicht aufgehoben seyn soll. Wie viele Blattorgane aber als Staubfäden entwickelt werden, ist durchaus nicht in dem Wesen der Blüthe gegeben. Auch für bestimmte Pfianzengruppen lässt sich hier kein Gesetz ableiten, die Natur bildet bald so, bald so; was aber den Gruppen als Typus zum Grunde liegt, sind bestimmte Entwickelungsverhältnisse, durch welche Zahl und An- ordnung der Blattorgane der Blüthe, nicht aber die bestimmte Modification derselben bedingt wird. Diese letztere ist vielmehr von sehr untergeordneter Bedeutung und kann nach Geschlecht und Art, ja selbst nach blosser Varietät, Spielart und Monstro- sität, sich abändern. Das, warum es mir hier insbesondere zu thun ist, betrifft die Ausmerzung der anthropopathischen Vor- stellung von gewissen idealen Typen, welche der Natur vor- schweben sollen und die sie bald vollkommen, bald unvollkom- men erreicht, die aber lediglich wir in die Natur hineinconstrui- ren und nicht aus ihr erhalten, und die uns höchstens als Noth- behelf dienen können, so lange bis der richtige Ausdruck für das wirklich Gemeinsame in einer Gruppe von Formen gefun- den ist, Dieser Ausdruck kann aber allein und wird nur von der Entwickelungsgeschichte gegeben werden und wir müssen jetzt unbedingt, wenn wir uns selbst und die Natur verstehen wollen, jene unbeholfene Vorstellungsweise aufgeben. Und so müssen wir hier im speciellen Fall auch festsetzen und festhal- ten, dass Alles, was nicht Antherenfach und Pollen hat, auch kein Staubfaden, sondern 'eben eine andere Form der Blatt- Spec. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen. 291 organe der. Blüthe ist, die wir auf.jene ‘bestimmte Form zu be- ziehen durchaus nicht berechtigt sind. ‘Nehmen wir als Beispiel die Commelinaceen, ‘so liegt es in. ihrem allgemeinen monokoty- ledonen Charakter, fünf dreitheilige Blattkreise in der 'Blüthe zu entwickeln; für die bestimmte Gruppe kommt noch die Ent- wickelung; der beiden äussern zu Kelch und Blumenkrone, des innersten zum Fruchtknoten hinzu; aber es gehört auch gerade zum Kamiliencharakter, dass sich: die beiden mittlern bald alle, bald theilweise zu Staubfäden entwickeln und dass die übrigen Blattorgane im letzten Falle eigenthümliche Formen, die aber keine Staubfäden sind, annehmen. ‘Man nennt nun diese sechs Blattorgane alle Staubfäden und setzt hinzu, zum Theil fehle ihnen die Anthere (also der einzige ausschliessliche Charakter der Staubfäden); dadurch will man für alle‘ den Charakter der Familie festhalten; aber liegt denn das Gleiche in verschiedenen Pflanzen in unserer ohnehin immer mangelhaften Bezeichnungs- weise, oder liegt es nicht vielmehr in der Pflanze selbst? Wäre das Letzte nicht der Fall, so wäre ja unsere ganze Systematik eben nur ein kindisches Spiel mit unsern Worten. Eine gleiche Bezeichnungsweise ist also für eine Familie völlig überflüssig, sobald man den Charakter der Familie richtig entwickelt hat. In. diesem Beispiele beruft man sich auf die analoge Stellung bei verschiedenen Geschlechtern und auf: die Stellung in einem und demselben Kreis, von dem man voraussetzt, alle seine Blatt- organe müssen gleichartig entwickelt seyn. Aber das Letzte ist so gut wie das Erste ein leeres Vorurtheil; hier kann man sich allenfalls noch helfen, weil die sich bildenden Nebenstaubfäden keine so scharf charakterisirten Organe sind, dass: sie sogleich ‚die Bezeichnung als stamin«a cvastrat« unanwendbar erscheinen liessen; aber bei Canna haben wir dası-schlagendste Beispiel von. der völligen Verkehrtheit dieser Auffassungsweise, wo von dem innersten Blattkreis ein Blatt abortirt, eins zum Staubfaden und eins zum Staubweg wird. Wollte man diesen Blattkreis entweder als Staubfadenkreis oder als Fruchtblattkreis bezeich- nen, so würde das Monstrum einer phanerogamen Pflanze her- auskommen, der typisch ein Organ fehlte, ‚ohne welches sie gar nicht phanerogame Pflanze ‘seyn kann, Zunächst wende ich mich sodann zur: Analogie des Staubfa- dens , mit dem Sporophyli der ‚höheren Kryptogamen. Der vor- urtheilsfreien Betrachtung stellt sich: letzteres als ein reines Blatt- organ dar, in. welchem bestimmte ‘Zellen zu Mutterzellen wer- den, die sich nach Bildung von je vier Sporen 'auflösen, so dass die Sporen in ihrer ‘eigenthümlichen Form als einfache, mit einer eigenthümlichen Absonderungsschicht überzogene Zellen in gewissen, früher von den Mutterzellen ausgerüllten Höhlungen 193 292 | Morphologie. des Blattes frei liegen, und durch das regelmässige Zerreissen der Wände dieser Höhlen in Folge der Austrocknung ausge- streut werden. Diese Bildung finden wir nun auch vollkommen identisch bei der phanerogamen Anthere. Ich habe schon frü- her, sowie im Paragraphen, auf die Analogien autmerksam gemacht, die sich bis ins Einzelne zwischen ‘dem Sporophyll und dem Staubfaden insbesondere der Cycadeen und Coniferen durchfüh- ren lassen. Leider fehlt uns die Entwickelungsgeschichte der Staubfäden der Cycadeen durchaus, aber vertraut mit der Ent- wickelung der andern Formen kann man hier so ziemlich ohne Gefahr durch Schlüsse fortkommen. Bei Cycas haben wir an einer holzigen Axe mit verkürzten Stengelgliedern eine Anzahl von Blattorganen, auf ihrer Rückseite erheben sich eine Menge von kleinen Zellenmassen, die zu (ungestielten) Kapseln wer- den, in denen sich die Pollenkörner entwickeln. Dass das Blatt- organ hier sich zu einer holzigen Schuppe ausbildet, ist ein un- wesentliches Moment von untergeordneter Bedeutung. Eine ähn- liche Bildung bei einem Farnkraut wäre gar nicht unmöglich, könnte aber nur einen generischen Unterschied bedingen. So haben wir bei Cycas in allen wesentlichen Merkmalen das Spo- rophyll des Farnkrautes, und Cycas würde ein Farnkraut seyn, wenn nicht: die eigenthümliche Entwickelungsweise der Spore (des Pollenkerns) zur Pflanze eine so scharfe Grenze zöge. Ganz dasselbe gilt und in noch höherem Maasse von der Ana- logie zwischen dem Staubfaden bei Taxus und dem Sperophyll bei Equisetum. Abgeschen von den Resten der Mutterzelle, die bei dem letztern den Sporen ankleben, wäre auch nicht einmal ein generischer Unterschied festzuhalten zwischen beiden Gebil- den, wenn hier nicht ebenfalls die Entwickelung des Pollenkorns in’ der Saamenknospe bei Zaxus hinzukäme. Die Kapsel an der Blattbasis von Lycopodium entspricht ebenfalls ungezwungen den drei Antherenfächern von der Blattbasis bei Cunninghamia sinensis Rich. Dass letztere auf der untern, erstere auf der obern Fläche des Blattes sich bilden, kann keinen wesentlichen Unterschied machen bei dem häufigen Wechsel von anthera an- tica und postica in derselben Familie. Verfolgen wir nun den Staubfaden von Cycas durch Zamia, Araucaria, Agathis, Cun- ninghamie, und den von Zaxus durch Juniperus, Thuya und Phyllocladus bis zu Pinus, so finden wir in beiden Reihen einen allmäligen Uebergang zu einer einfachen Form, die dann für alle übrigen Phanerogamen der Grundtypus wird und sich schon durch Vergleichung, sicherer noch durch die Entwickelungsge- schichte auf ein in bestimmter Weise modificirtes Stengelblatt zurückführen lässt, Dieser phanerogame Typus der Antheren- bildung hesteht nun darin, dass sich die beiden Seitenhälften Spee. Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 293 eines Blattes neben der Mittelrippe (Mittelband) zu Fächern ausbilden, in denen zwei durch eine Zellgewebsschicht getrennte Gruppen von Mutterzellen den Pollen bilden, so dass jeder Staubbeutel typisch eine anthera bilocularis, quadrilocellate ist. Ueber die scheinbaren Abweichungen von diesem Bau muss ich im folgenden Paragraphen ausführlicher reden, in diesem kommt es nur auf die Begriffsbestimmung und die äusseren Formen- verhältnisse an, Der letzte Punct, der noch zu besprechen wäre, betrifft dann die äusseren Formenverschiedenheiten des Staubfadens. Ich habe mich hier, wie überall, darauf. beschränkt, mit Hauptzügen die Richtungen anzudeuten, in denen diese untergeordneten Formen- abänderungen vorkommen können. Auch hier sind die verschie- denen Bezeichnungsweisen der Formen nicht Zeichen für ver- schiedene Begriffe, sondern dienen der anschaulichen Beschrei- bung, und sind daher als ikonische Ausdrücke nach dem Wort- sinne zu verstehen; sie sind deshalb auch in der Wissenschaft durchaus nichts Festes, sondern der beständigen Ausbildung und Verbesserung unterworfen, sowie sich allmälig in der Wissen- schaft im Allgemeinen die Kunst der Anschauung und veran- schaulichenden Beschreibung entwickelt oder wie ein Einzelner mit besonderem Talent dafür Begabter sie fortbildet. Kein Bo- tanıker ist an solche Ausdrücke, wie cueullus, calcar , appendix u. 5. w., gebunden, sobald ihm ein Ausdruck beifällt;, der diese Formen treffender und anschaulicher bezeichnet, und nie kann daraus eine Verwirrung in der Wissenschaft entstehen. Wohl aber bringt es Verwirrung in die Wissenschaft und macht sogar wissenschaftliche Einsicht in die Natur völlig unmöglich, wenn ein Botaniker Grundformen und abgeleitete Formen, z. B. wirk- liche selbstständige Blattorgane und blosse Theile eines Blatt- organs, mit demselben Worte bezeichnet, denn hier handelt es sich nicht um ein mehr oder weniger Gelingen der Veranschau- lichung, sondern um Verwirrung der aus dem Wesen des Ge- genstandes abzuleitenden Begriffe. Für meinen Zweck war insbesondere nur anzudeuten, wie bie verschiedenen abgeleiteten Erscheinungsweisen des Staubfadens mit dem Samen: dem Blatte und seinen Formen zusam- menhängen und daraus nicht nur der Idee nach, denn das ist nichts für die Einsicht in die Natur Brauchbares, sondern in realer Metamorphose durch allmälige stärkere Entwickelungen dieses oder jenes Theils, dieser oder jener Partie des Zellge- webes entstehen. Insbesondere ist hier die höchst mannigfal- tige Entwickelung des Mittelbandes ins Auge zu fassen, aus welcher Foren hervorgehen, die, wenn fertig, sich gar nicht auf die Grundform des modificirten Blattes zurückführen zu las- 294 in «Morphologie. : ‘sen scheinen ‘und gleichwohl, wenn: man: die Entwickelungsge- schichte verfolgt, leicht davon abgeleitet werden. Als Beispiel mag hier ‘Celsia eretica dienen, bei‘ der der Staubfaden in’ der ganz jungen Knospe ganz regelmässig gebildet ist und aus einem Träger besteht, der nach Oben ‘in ein 'sschmales Mittelband übergeht, welches an beiden Rändern zwei längliche Antheren- fächer trägt; allmälıg dehnt 'sich aber das Mittelband in seinem unteren Theile, und zwar nur nach einer Seite, sehr stark aus; dadurch wird die‘ Basis des einen Antherenfaches nach und nach von der Basis des andern entfernt und zwar so weit, dass, da die Spitzen der Antherenfächer immer in Berührung bleiben (sie fliessen hier zusammen, wovon später), bei dem völlig entwickel- ten Staubfaden beide Antherenfächer in einer geraden Linie liegen und es scheint, als wäre nur ein Antherenfach an einer Seite des Mittelbandes vorhanden, ' In ähnlicher ‘Weise lassen sich die wunderbarsten Formen, z. B.' bei Cucurbitaceen und Philhydreen, wenn man rückwärts ihre allmälige Ausbildung ver- folgt, ganz leicht auf die Grundform zurückführen. $. 15 Eine sehr wesentliche Rolle in der Natur des Staub- fadens spielen die Structurverhältnisse. Der Träger, wenn er vorhanden ist, und seine Anhänge haben fast immer den Bau der Blumenblätter, bestehend aus einem zarten Zellgewebe, ‚oft mit gefärbten, noch öfter mit farblosen Säften und dann mit grossen, lufterfüllten Intercellular- räumen, weshalb sie schneeweiss erscheinen. Eben so verhalten sich die Anhängsel der 'Träger und des Mit- telbandes. Gewöhnlich durchzieht Träger und Mittel- band ein einfaches Gefässbündel, dem aber nicht selten, 2. B. bei den Amarantaceen, die Gefässe fehlen. Ausser bei den selappten oder gefiederten Staubfäden, bei denen jedem Lappen ein Gefässbündel zukommt, sind die, Ge- fässbündel .nie verästelt. Die Oberhaut ist hier eben- falls, wie bei den Blumenblättern, eine Mittelbildung zwi- schen Epidermis und Epithelium, zeigt auch noch, ob- wohl selten, Spaltöffnungen, häufig zierliche, zum Theil schön gefärbte Haare. Bei den Apocyneen. zeichnet sich ein Haarbüschel unterhalb des Staubbeutels auf der obern Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 295 Fläche‘ des Trägers aus, in welchem eine Menge eines viscinähnlichen Stoffes ausgesondert wird, so dass durch diesen Haarbüschel die Staubfäden fest an dem grossen Narbenkörper ankleben und so die Selbstbefruchtung unmöglich machen, da die zur Aufnahme des Pollens bestimmte Fläche sich unterhalb der Stelle befindet, wo Staubfäden und Nebenkörper verbunden sind. Auch an den Antheren kommt zuweilen eine Bildung einer sol- chen viscinartigen Substanz vor, wodurch, z. B. bei den Compositen, die Antheren unter einander zusammenkle- ben") (hier vielleicht aus der Auflösung der Absonde- rungsschicht der Oberhaut an dieser Stelle entstanden), oder die Aniheren an den Stigmakörper sich anheften, z.B. bei einigen Apocyneen. 19° Auch die Ausbildung der Oberhaut zu Nectar abson- dernden Flächen ist hier häufig, besonders an den An- hängseln, im Grunde der hohlen Formen, an der Spitze der Nebenblätter der Laurineen u. s. w. Bei weitem wichtiger ist aber der Bau des Staub- beutels. Anfänglich besteht dieser aus ganz gleichför- migem, zartwandigem Zellgewebe; aber bald, nachdem sich äusserlich das Antherenfach als eine beginnende Anschwellung charakterisirt, unterscheidet man auch im Innern zweierlei Zellgewebe, nämlich das, welches für die Wandung des Faches und das, welches für die Bil- dung der Mutterzellen und des Pollens bestimmt ist. Zwischen beiden ist noch eine dünne Lage von Zellen, die gegen die Zeit der völligen Ausbildung des Pollens aufgelöst und resorbirt wird, um dem Pollen den nöthi- sen freien Platz zu gewähren. In allen drei Schichten findet bis zur Vollendung des Ganzen Bildung von Zel- len in Zellen statt, wodurch das Volumen vergrössert, 1) Dies wird gewöhnlich sehr mit Unrecht .eine Verwachsung ge- nannt. In. früheren Zuständen hat aber noch jede Anthere ihre völlig ausgebildete Oberhaut für sich, und später liegen die Zellen der ver- schiedenen Antheren stets nur an einander geklebt, nie in einander ge- fügt, wie bei ächten Verwachsungen. 296 | Morphologie, die Form des Staubfadens, der als Blatt in dessen 'ge- setzmässiger Weise von der Axe aus gebildet wurde, aber nicht verändert wird. Die äussere Schicht Zell- sewebe, anfänglich mit einer Epitheleallage überkleidet, bildet diese zu einer nicht selten mit Spaltöffnungen ver- sehenen Mittelform von Epidermis und Epithelium um. Haargebilde kommen oft am Mittelband, seltener auf den Fächern vor. Zuweilen ist die Oberhaut, zumal in der Nähe der Randfurche, derber zu einem etwas auf die Fläche senkrecht gestreckten Zellgewebe entwickelt und bildet so vorspringende Leisten (z. B. bei Gladiolus, Cassia, Passiflora). Mit alleiniger (?) Ausnahme der unter Wasser blühenden Pflanzen finden sich in allen Antheren eine oder mehrere Lagen von Spiralfaserzel- len, aber in verschiedener Anordnung. Gewöhnlich sind nur eine oder zwei Zellenlagen, welche unter der Ober- haut die Substanz der Wände der Fächer bilden, in dieser Weise entwickelt; seltener nur die Oberhaut, oder ‘das ganze Parenchym der Anthere, mit Ausnahme der Oberhaut und des Gefässbündels im Mittelbande. Ueber den Bau des Trägers habe ich nichts hinzuzufügen, auch ist derselbe am wenigsten wichtig; dagegen will ich über den Bau der Anthere hier noch Folgendes bemerken. Bei der am häufigsten vorkommenden Form der Anthere markiren sich sehr früh zwei einfache, senkrechte Zellenreihen in jedem Fache, aus dem sich der Pollen entwickelt; alles übrige Zellgewebe der Anthere kann man in drei Gruppen theilen: 1) das des Mittel- bandes und der Scheidewände zwischen vorderen und hinteren Fächern; 2) das die äusseren Wandungen der Fächer bildende Zellgewebe, und 3) das die Fächer auskleidende, später ver- schwindende, meist radial gestreckte Zellgewebe. Von diesem Zellgewebe wachsen nur die beiden letzten Theile durch selbst- ständigen Zellenbildungsprocess fort, nachdem das Staubfaden- blatt von der Axe aus angelegt ist. Das Zellgewebe des Mit- telbandes, einmal angelegt, vermehrt sich nicht weiter, sondern dehnt nur die vorhandenen Zellen aus und verändert sie auf mannigfache Weise. Sehr verschieden ist aber die Vertheilung der in der Anthere ursprünglich angelegten Zellen unter diese drei Gruppen, indem bald der grösste (z. B. Berberis vulgaris), bald der kleinste Theil (z. B, Tropaeolum minus) der vorhan- Spec. Morphologie, Phanerogamen, Blüthen. 297 denen Zellen zur Bildung des Mittelbandes benutzt wird. Dem- nach zeigen auch die Fächer sehr verschiedene Formen, entwe- der als vier cylindrische Höhlen (z. B. bei Tropaeolum minus und Sparganium simplex), oder als vier kaum gebogene, ganz flache Höhlen, wie bei Berberis, oder, was gar häufig ist, als etwas weniger flache, aber von den Seiten stark zusammen- gebogene Höhlen. Im letztern Falle tritt nämlich die Scheide- wand oft sehr weit, wie eine Leiste, in die Höhle hinein, auf- fallend bei Canna und vielen andern Scitamineen, z. B. Costus, Calathea, bei fast allen Solaneen u. s. w., weniger bei Cerbera Thevetia, unbedeutend bei Gentiana lute«. Die gewöhnliche Rede, diese Vorsprünge seyen Anfänge zur Bildung neuer Schei- dewände, involvirt die falsche Vorstellung, als bildeten sich überhaupt die Scheidewände vom Mittelband aus in die Fächer hinein; sie sind aber vielmehr früher da, als die Fächer und nur das stehenbleibende, zur Pollenbildung nicht verwendete Parenchym, Ebenso sagt man gewöhnlich mit ganz falscher Auffassung des natürlichen Verhältnisses, die Fächer seyen an das Mittelband angewachsen. In dem transitorischen Zellge- webe (3) sind die neu entstehenden Zellen sowohl radial, als tangential angeordnet, in dem Zellgewebe der Wandungen da- gegen stets nur tangential; dadurch werden die Wandungen der Fläche nach ausgedehnt und die Fächer schwellen an und erhalten eine immer grössere Capacität, wie es die allmälige Ausbildung des Pollen erfordert. Hierdurch geschieht es auch, dass die Rille, die bei der Anlage der Anthere in der That der Blattrand ist, später oft der Boden einer tiefern Furche wird, da sie als der Rand der Scheidewände jener Ausdehnung nicht folgen kann. Gegen das Ende der Antherenentwickelung geht bei den über Wasser blühenden Pflanzen ‘ein Theil des Zellgewebes in Spiralfaser- oder poröse Zellen über. Welche Zellen und wie viele, ist hier äusserst verschieden; zuweilen ist es die allein von den äussern Wandungen noch vorhandene Ober- haut, wie bei Lupinus, gewöhnlich aber bleibt diese unverän- dert, und eine (z. B. Compositen) oder mehrere Schichten (viele Liliaceen) unter der Oberhaut der äusseren Wandungen werden Spiralfaserzellen, gewöhnlich die ganze Ausdehnung, der äussern Wandung der Anthere einnehmend, zuweilen kaum die Hälfte derselben zu beiden Seiten der Furche. Zuweilen zieht sich diese Spiralfaserschicht unter der Ober- haut über die vordere Fläche des Mittelbands weg (z. B. Pachy- sandra procumbens), oder über die hintere Fläche (z. B. Hyo- scyamus orientalis), oder über beide (z. B. Gentiana lutea, Ery- thraea). Zuweilen umgiebt eine solche Schicht jedes Fach von allen Seiten (z. B. ‚Strelitzia farinosa und Hippuris vulgaris), 298 | Morphologie. entweder die Scheidewand frei lassend, oder sie allein 'bildend, zuweilen zieht sich eine Schicht um’ je zwei an einer Seite lie- gende Fächer, bei unveränderter Scheidewand (z. B. Calathea flavescens), oder macht einen Bogen in dieselbe hinein, ‘ohne dass diese ganz verändert würde (z. B. Costus speciosus); selten endlich wird alles Zellgewebe bis auf das Gefässbündel des Mit- telbands zu Spiralfasergewebe,. Aus dieser von Purkinje') un- beachtet gelassenen Mannigfaltigkeit ergiebt sich gleich die völ- lige Unanwendbarkeit der von ihm vorgeschlagenen Bezeichnun- gen Exothecium für die Oberhaut, Endothecium für. die Spiral- faserschicht. Bei den kleinen Fächern von Oyeas revoluta be- stehen die Wandungen ganz aus einem dickwandigen porösen Zellgewebe. Bei den Compositen ist das Mittelband aus zier- lich porösen Zellen gebildet, ebenso bei den meisten der kamm- förmige Anhang der Staubbeutel (z. B. bei den Centaureen). Die Bildung des Pollens geschieht in folgender Weise. Im Innern jedes angelegten Antherenfaches tritt in einer einfachen Zellenreihe ein Bildungsprocess auf, durch welchen sich allmälig (bei der gewöhnlichen Form. der Anthere) ein eylindrischer Strang von mehr‘ oder weniger Zellen, den Mutterzellen, bildet. In jeder Mutterzelle theilt sich der granulos schleimige Inhalt gleichzeitig mit Erschei- nung eines Cytoblasten in vier Portionen, die sich plötzlich mit vier. Zellenmembranen umkleiden, oder es entstehen auf dieselbe Weise erst zwei und in jeder derselben wieder zwei Zellen. Dieses sind die vier in der Mut- terzelle eingeschlossenen Specialmutterzellen. Mutterzelle und Specialmutterzellen werden nun durch Ablagerung gallertartiger Schichten auf ihre innere Fläche stark ver- dickt und gleichzeitig bildet sich in jeder Specialmutter- zelle eine einfache Zelle, die Pollenzelle. Diese son- dert, mit Ausnahme der unter Wasser blühenden Pflan- zen, auf ihrer Oberfläche in eigenthümlichen, zum Theil wunderbaren Formen, die äussere Pollenhaut in ‚einer (exine) oder zwei (exine und intewine nach Fritsche) Schichten ab. Während dieser letzten Ausbildung des Pollens werden die Mutterzellen und demnächst auch 1) De cellulis antherarum fibrosis. Breslau. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 299 die Specialmutterzellen aufgelöst und resorbirt. Bei vie- len Monokotyledonen, besonders Liliaceen, ist das Auf- lösungsproduct der Mutterzellen eine heller oder dunkler selbe, etwas klebrige (ölartige [?]) Flüssigkeit, die sich an die äussere Pollenhaut anhängt. Bei den Onagreen scheint sich in den Mutterzellen oder Specialmutterzellen (ähnlich wie bei Equisetum) eine spiralige Verdickungs- schicht zu bilden, die, nicht mit aufgelöst wird, sondern in langen Fäden den entwickelten Pollenkörnern anklebt. Ein 'Theil des Auflösungsproduets ist oft viseinartig und klebt die vier einer Mutterzelle angehörigen Pollenkör- ner fest zusammen (pollen quaternarium), zuweilen nur. zwei (bei Podostemon), zuweilen mehr Körner (bei einigen Acacien, z. B. A. lophanta). Bei den Orchi- deen wird das ganze Auflösungsproduet der Mutterzellen und Specialmutterzellen viscinartig und klebt die gesamm- ten Pollenkörner zu einer Masse zusammen, und ist zwi- schen ihnen leicht als eine zähe, fadenziehende Substanz zu erkennen. Bei Asclepiadeen endlich scheinen nur die Mutterzellen und zwar schon sehr früh resorbirt zu wer- den, die Specialmutterzellen dagegen werden gar nicht resorbirt, sondern kleben fest an einander und bilden so aus dem sesammten Pollen eines Faches einen kleinen zelligen Körper, der mit einer eigenen Oberhaut über- kleidet erscheint, da in der äussersten Lage von Spe- cialmutterzellen “ sanzen Umfange sich keine Pollen- körner entwickeln. Wahrscheinlich ist in allen Zellen, von den Mutterzellen bis zum Pollenkorne (im letztern im jugendlichen Zustande ganz gewiss), eine in kleine Strömchen netzartig vertheilte Circulation des Saftes vor- handen. Ich habe die Entwickelungsgeschichte des Pollens hier im Wesentlichen nach den ausgezeichneten Untersuchungen von Nägeli‘) gegeben, denen ich aus eigenen Mitteln nichts Voll- ständigeres an die Seite setzen kann. Keineswegs aber glaube 1) Zur Entwickelungsgeschichte des Pollens bei’ den ‚Phanerogamen, Zürich, 1842. 300 Morphologie. ich, dass damit die Acten schon geschlossen seyen, und kann einige Bedenken, die ich dagegen habe, nicht verhehlen. Zwei Schwierigkeiten sind es, die wohl nirgend so hemmend der Voll- 'endung der Untersuchung in den Weg treten, als hier, nämlich einmal die Erlangung der vollständigen Entwickelungsstufen und zweitens die richtige Anordnung nach ihrer Folge. Folgende Puncte will ich hier gegen Nägeli bemerken. Zuerst muss ich erwähnen, dass ich sowohl bei den Mutterzellen und Special- mutterzellen (z. B. bei Pepo, Passiflora princeps, Arum macu- latum), als auch bei der jungen Pollenzelle (z. B. Lupinus, Larix, Pinus alba, Juniperus, Richardia aethiopica, Arum macu- latum, Fritillaria imperialis) mich völlig überzeugt zu haben glaube, dass der Cytoblast (zuweilen selbst noch an den Pollenzellen, die schon einen Schlauch in die Kernwarze der Saamenknospe ge- trieben hatten) deutlich und zwar als parietaler zu erkennen. Bei Fritillaria sind zwei Arten Cytoblasten leicht zu unterschei- den, der, welcher der Pollenzelle ihre Entstehung gab und in der Wand eingebettet liegt, und die, welche sich später in der Pollenzelle bilden und hier, wie überhaupt nicht selten im Pol- lenkorn, einen transitorischen Zellenbildungsprocess veranlassen '). Ein zweiter Punct, der mir von Wichtigkeit scheint, ıst der, dass ich sehr häufig zwischen dem Zustande der leeren Mutter- zelle und der regelmässigen Theilung derselben durch zwei oder vier Specialmutterzellen einen Zustand beobachtete, wo zwischen dem körnigen Inhalt der Mutterzelle frei schwimmende Cyto- blasten vorkommen (z. B. bei Passiflora princeps), oder diese und ganz zarte junge Zellen mit Cytoblasten in der Wand (z. B. bei Passiflora princeps, Pepo und Rhipsalis salicornioides). Bei der letzten Pflanze beobachtete ich ziemlich vollständig, alle Uebergangsstufen von freien Cytoblasten bis zur vollständigen Ausbildung der vier Specialmutterzellen (oder Pollenzellen ?), bei andern Pflanzen ist's mir bis jetzt nicht gelungen. Endlich will ich noch erwähnen, dass mir die ganze Annahme der Special- mutterzellen noch bedenklich erscheint. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass in einem der Reife nahen Zustande jede Pol- lenzelle von einer ziemlich dicken, gallertartigen Membran um- schlossen ist, und dass so je vier in einer ebenfalls gallertartig verdickten Mutterzelle liegen, die als solche durch ihre Ent- stehung sich vollkommen ausweist. Sowohl von der Mutterzelle und von einander, als auch vom eingeschlossenen Pollenkorn lassen sich die sogenannten Specialmutterzellen um diese Zeit nicht sehr schwer trennen. Aber ihre Entstehung könnte auch 1) Nägeli, a. a. O., Seite 20. 21. Meyen, Physiologie, Bd. IH. Seite 186. Spee, Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 301 wohl eine andere seyn. Mir scheint Folgendes wahrscheinlicher. In der Mutterzelle bilden sich völlig gesetzmässig vier Pollen- zellen; während sich diese ausdehnen, löst sich allmälig der körnige Inhalt der Mutterzelle zu Gallerte auf, in welcher die Pollenzellen dann eingebettet liegen. Durch den Druck der sich ausdehnenden Pollenzellen verdichtet sich um jede derselben ein Theil der Gallerte zur Membran, und das sind die sogenannten Specialmutterzellen. Wo dagegen sich die Mutterzelle zuerst in zwei Zellen theilt, da bilden sich in der ’That zwei Specialmut- terzellen, aber auf dieselbe Weise, wie ich es eben von den Pollenzellen angegeben, und in jeder dieser Specialmutterzellen bilden sich dann je zwei Pollenzellen auf dieselbe Weise. Dazu würde stimmen, dass entschieden auch ein pollen binarium vor- kommt, z. B. bei den Podostemeen, was auf eine engere Be- ziehung von zwei Pollenzellen deutet. Nur fortgesetzte sorgfäl- tige Untersuchungen können entscheiden, ob Nägeli’s vortreff- liche Beobachtungen, so wie er sie gegeben, als vollständig aufzufassen, oder, nach meiner mitgetheilten Hypothese, mit den übrigen sicher bekannten Zellenbildungsprocessen in Einklang zu bringen sind. Dem übrigen, im Paragraphen Erwähnten habe ich nichts hin- zuzufügen, als dass ich Nagel’’s Beobachtungen über die Folge, in welcher die Mutterzelle und die Specialmutterzellen aufgelöst werden, sowie über die Bildung der äusseren Pollenhäute als Absonderungsproducte der Pollenzelle überall bestätigt gefunden habe. Das ausgebildete Pollenkorn besteht, wie „gesagt, aus der wesentlichen Pollenzelle, die bei den über Was- ser blühenden Pflanzen noch mit der eigenthümlichen Absonderungsschicht überzogen ist. Diese bildet stets, unmittelbar der Pollenzelle aufliegend, eine gleichförmige Membran, nicht selten in doppelter Schicht, auf der ge- wöhnlich allerlei sonderbare Vorsprünge (die ersten Pro- ducte der Absonderung;) aufgesetzt sind. Am häufigsten sind dies kleine leistenartige Vorsprünge, die, unter ein- ander netzförmig zusammenhängend, oft der äussern Haut täuschend den Anschein geben, als sey sie aus Zellen zusammengesetzt, was sie, wie die Entwickelungsge- schichte zeigt, niemals ist. Die Räume zwischen den Maschen dieses Netzes sind oft zum Theil mit einer wasserhellen Gallerte erfüllt (z. B. bei Iris, Passiflora 302 ’ Morphologie, u..sw.). Zuweilen bilden diese netzförmig verbunde- nen Leisten ganz bestimmt begrenzte Felder, die in der ‚mamnigfachsten Form und Anordnung den Pollenkörnern oft das zierlichste Ansehen geben, so insbesondere bei den Passifloren. Sehr häufig sind diese Vorsprünge kleine Siacheln, Kegel, Warzen, Bogen, kleine thurmähnliche Bildungen, und dieselben sind entweder auf der Ober- fläche zerstreut, oder auch sehr regelmässig angeordnet (z. B. am zierlichsten bei vielen Compositis, Scorzo- nera, Tragopogon u. s. w.). Die Substanz dieser Ab- sonderungsschicht ist gewöhnlich gelblich, seltener grün- lich, bläulich oder röthlich, und wird durch concentrirte Schwefelsäure nur sehr langsam (nach 1—2 Tagen) zerstört und häufig durch deren Einwirkung burgunder- roth gefärht. An allen (?) Pollenkörnern zeigt die äussere Pollen- haut gewisse Stellen entweder spaltenartig, oder in scharf gezeichneten Kreisen, wo sie entweder ganz fehlt, oder doch so dünn ist, dass sie sich dem Auge entzieht.. Die Zahl und Anordnung dieser Stellen ist sehr verschieden ; so haben die meisten monokotyledonen Pollenkörner nur eine Längsspalte (z. B. Lilium), einige Dikotyledonen sehr viele (z. B. Polygala); die meisten dikotyledonen Pollen- körner haben drei im Aequator gleichförmig; vertheilte (z.B. Centaurea), oder vier nach den Ecken des Tetraeders ge- stellte Kreise, oder eine grosse Anzahl derselben (z. B. Polemonium coeruleum, Ipomaea purpurea). Zuwei- | len sind diese “Löcher nicht frei, . sondern von einem | deckelartigen Stück der Absonderungsschicht bedeckt, welches aber von der übrigen Haut ganz getrennt ist (z.. B. bei Pepo). Der Inhalt der Pollenzelle: ist bei ihrer ersten Ent- stehung fast ganz sgranulös mit. einer geringen Menge von Flüssigkeit, nach und nach lösen sich die. Körner ' srösstentheils auf, der Inhalt wird wässeriger und fast klar, die zurückgebliebenen Körner charakterisiren sich als Schleimkügelchen. Gegen die Reife der Pollenkör- Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 303 ner vermehren sie sich und es treten zuweilen noch andere Körnchen einer unbestimmten, von Jod gelh gefärbten Substanz (Inulin?) und zarte Oeltröpfehen auf, und sehr gewöhnlich auch Stärkemehlkügelchen in grösserer oder geringerer Menge, zuweilen in eigen- thümlicher Form (z. B. bei den Onagreen), aber immer in derseiben Pollenzelle von sehr verschiedener Grösse. Dabei wird die Flüssigkeit immer concentrirter und ver- liert an Wasser, und erhält eine ausserordentliche en- dosmotische Kraft, selbst gegen Säuren, durch deren Anwendung sie anschwillt, so dass sie die Pollenzelle sprengt und, austretend, darmförmig coagulir. Das ge- sen das Ende seiner Ausbildung straff ausgedehnte Pol- lenkorn zieht sich daher wegen des Wasserverlustes bei völliger Reife etwas zusammen und bildet gewöhn- lieh in der Richtung der Spalten oder Löcher bedeu- tende Einfaltungen, die sich bei Einwirkung von Was- ser wieder ausgleichen. Die Bewegung des Inhalts in netzförmig verbundenen Strömchen hat bei allen reifen Pollenkörnern aufgehört (mit alleiniger, bis jeizt bekann- ter Ausnahme in den lang-eylindrischen Pollenkörnern von Zostera marina), dagegen zeigen die verschie- denen Körnchen des Inhalts oft schon in der Pollenzelle, stets aber nach dem Austreten, auch bei dem Pollen aus alten Herbarienexemplaren und nach der Einwirkung der Iodtinetur, lebhafte Molecularbewegung. Ueber das Verhalten der äusseren Pollenhaut im ausgebilde- ten Zustande haben wir ein Muster sorgfältiger und treuer Un- tersuchung von Fritsche‘) erhalten, auf den ich wegen der Specialitäten hier verweisen muss. Er unterscheidet bei einigen Pflanzen an der äussern Haut der Pollenkörner sogar drei Schich- ten. Seine Terminologie glaube ich nicht annehmen zu müssen, weil sie, nach den neueren Untersuchungen, nicht richtig gebil- det ist, Es stehen sich hier stets Pollenzelle und Absonderungs- schicht gegenüber; diese letztere mag nun einfach oder in drei Lagen zu trennen seyn, so ist sie doch stets nur als Ganzes der Pollenzelle gegenüberzustellen, die einzelnen Lagen aber be- 1) Ueber den Pollen. Petersburg, 1837. 304 Morphologie. zeichnet man besser, wo sie vorhanden sind, als erste, zweite und dritte Schicht. Dass die äussere Pollenhaut niemals aus Zellen besteht, versteht sich, nachdem ihre Entstehungsweise er- kannt worden, von selbst, Meyen hatte aber auch schon ohne- dies die Alain leicht anale Täuschung berichtigt. Die Lehre von den vegetabilischen Spermatozoen wird hof- fentlich nun allmälig verhallen. Man muss sich ganz blind in alte Vorurtheile festgerannt haben, wenn man nach den Unter- suchungen von Mohl auch nur noch die entfernteste Analogie zwischen den Antheridien und Antheren festhalten will. Dass man die Repräsentanten jener bei den Phanerogamen an ganz anderer Stelle zu suchen habe, ıst von mir früher schon aus- geführt. Die für Spermatozoen angesprochenen Körnchen (meist Stärke) haben aber wohl in Fritsche’s Iodtinctur ihr Leben ein- gebüsst, weil sie ihre offenbar rein physikalische Molecularbewe- gung ungestört fortsetzen. Es scheint mir völlig überflüssig, auf diesen Punct hier noch weiter einzugehen; Meyen ') giebt die vollständige Literatur, die nur noch historischen Werth. hat. Fritsche”) hat die Sache völlig beseitigt, und jeder unbefangene Beobachter kann sich mit Leichtigkeit von der völligen Unhalt- barkeit der früheren, insbesondere von Meyen weiter ausgespon- nenen Wunderlichkeiten überzeugen. Sehr dankenswerth sind auch über diesen Punct die bestätigenden Beobachtungen von Nägeli. Auf irgend eine Weise öffnen sich die Fächer aller Staubbeutel zu einer bestimmten Zeit, um den Pollen auszustreuen, gerade wie die Sporocarpien der Krypto- samen. Die Art und Weise ist aber sehr verschieden. Die zu zwei oder vier vereinigten kleinen eiförmig- kapselartigen Antherenfächer der ÜUycadeen reissen mit Längsspalten auf, die von Juniperus, Taxus und Ver- wandten ganz wie die Sporocarpien von Equisetum. Von den meisten exotischen Coniferen kenne ich das Aufspringen der Antheren nicht. Bei der einheimischen Abies (Pinus und Laric?) und bei allen Asclepiadeen bildet sich an jeder Seite des Mittelbandes nur ein Fach, beide öffnen sich, indem die Wandung in der Mittellinie vom Mittelbande abreisst, also eigentlich mit zwei Längs- 1) Physiologie, Bd. MI. S. 178—196. 2) A. a. ©. Seite 24. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 305 spalten eine für jedes Fach. Die dadurch’ frei werdende und austrocknend sich elastisch zurückschlagende, äussere Wandung ‘des Faches nennt man nun. Antherenklappe (valvula), und weil nur zwei Klappen zu unterscheiden sind, spricht man nur von einer Längsspalte (anthera rima longitudinali unica dehiscens). Bei vielen Oa- ladieen, bei Oeratophyllum und andern bildet sich zur Zeit der Pollenreife auf dem Scheitel der Anthere durch Absterben und Zerstörung des Zellgewebes (?) ein Canal, durch welchen der Pollen austritt (anthera poro dehiscens). Bei fast allen übrigen Mono- und Dikoty- ledonen ist die Grundlage der Bildung die Entstehung von je zwei Fächern an jeder Seite des Mittelbandes; dieses bildet hier die Scheidewand zwischen beiden Hälf- ten der :Anthere; eine von ihr zu beiden Seiten .aus- gehende Zellgewebslamelle trennt jede der beiden Hälf- ten in ein vorderes und hinteres Fach. Selten (wie bei Viscum) bilden Querlamellen auch noch horizontale Schei- dewände. Bei den Piperaceen, Malvaceen, den Sola- neen, Üucurbitaceen und vielleicht noch einigen andern Familien fliessen die zwei vordern und hintern Fächer oben auf dem Scheitel der Anthere zusammen; werden nun durch starke Ausdehnung des Mittelbandes an der Basis die beiden Hälften der Anthere allmälig in eine serade oder fast gerade Linie gerückt (wie namentlich hei Peperomia), so hat man’ ebenfalls eine, obwohl nur scheinbar, zweifächerige Anthere, wovon der bei Secita- mineen häufige Fall, dass sich nur an einer Seite des Mittelbandes zwei Fächer bilden (die anthera dimi- diata), wohl zu unterscheiden ist. Man nennt hier nun den Theil der Wandung der Fächer, welcher sich zwi- schen dem Mittelbande und der Scheidewand. befindet und das Fach nach Aussen schliesst, Klappe (valvula). Die meisten Verschiedenheiten, die gewöhnlich bei den Antheren angegeben werden, beruhen nun, nächst den Verschiebungen der Fächer durch verschiedene- Ausdeh- nung des Mittelbandes, auf der Ari und Weise und der nl. 20 306 Morphologie. Zeit der Ablösung der Klappen. Gewöhnlich bleiben sie am Mittelband befestigt und reissen, unter sich noch zu- sammenhängend, von der Scheidewand ab, die dann zum Theil oder ganz zerstört wird (anthera bilocularis der beschreibenden Botanik); seltener geschieht dieses Ab- lösen erst spät und sie trennen sich fast gleichzeitig von einander [z.B. Tetratheca] (anthera quadrilocularis). Die Trennung der valvulae von einander beginnt ge- wöhnlich von Oben. Beschränkt sie sich dabei auf ein kleines Stück ihrer Länge, wie bei vielen Gräsern und den Ericeen, so nennt man es anthera poro (spurio) dehiscens; geht die Trennung der ganzen Länge nach vor sich, so heisst der Staubbeutel uiringue rima lon- gitudinali dehiscens. Sehr selten trennen sich die Val- veln, ringsum unter sich zusammenhängend, auch auf der vordern Seite von dem Mittelband (anthera uni- locularis der beschreibenden Botanik); dies charakterisirt die Familie der Epacrideen. Sehr abweichend ist die Bildung bei zwei weit auseinander stehenden Familien, den Berberideen und Laurineen. Bei beiden lösen sich die Klappen im ganzen Umfang, mit Ausnahme einer kleinen Stelle, am Scheitel der Fächer ab und schlagen sich von Unten nach Oben zurück (anthera valvulis dehiscens). Bei den Laurineen kommt hier noch das Eigene hinzu, dass von den vier angelegten Fächern die beiden hintern entweder ganz verkümmern, oder die Fächer durch ungleiche Ausdehnung; des Mittelbandes so . verschoben werden, dass sie zuletzt, statt neben den vorderen, über ihnen liegen. Es ist wahrlich ein Zeichen des traurigen Geistes, der in unserer Wissenschaft herrscht, dass man selbst in der oberfläch- lichen Kenntniss des Baues des wichtigsten Organs, der An- there, noch nicht einmal im Reinen ist. Es ist in der That um nichts besser, als wenn die Zoologen noch darum stritten, ob das menschliche Herz vier Kammern hat oder nur eine, und wie wenig Geschick gehört dazu, eine Anthere aus einer etwas jungen Knospe querdurch zu schneiden. Bei den Compositen sind vierfächerige Antheren, die mit den Klappen der hinteren Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 307 Fächer zusammenkleben und ganz gewöhnlich an jeder Seite mit einer Längsspalte aufspringen. Fast jedes Rasenfleckchen bietet in Bellis perennis zur Untersuchung dieses Verhältnisses das Ma- terial; bei Zinnien, Sonnenblumen u, s. w. bedarf man sogar nur einer mässigen Loupe, um die Sache leicht zu erkennen, und über ein so einfaches Ding sagt Link '): „Im Anfange sind die Antheren geschlossen und stellen ‚eine fünf- (statt zwanzig-) fächerige Röhre vor, dann gehen aber die inneren Ränder (welche sind das?) aus einander und die Röhre wird einfäche- rig.““ Ich glaube es ist unmöglich, eine der Natur mehr wider- sprechende Ansicht zu finden und sie verworrener darzustellen. Die Antheren der meisten Pflanzen, wie gesagt, sind ursprüng- lich vierfächerig, und zwar nicht wegen der eingebogenen Rän- der der Klappen, wie es gewöhnlich heisst, sondern weil sich vier Zellgewebsstränge für die Bildung des Pollens absondern. Von dieser Regel weichen namentlich die Oenotheren nicht ab, denen Link”) von Anfang an zweifächerige Antheren zuschreibt. Eben so wenig sind die Antheren bei den Malvaceen an jeder Seite einfächerig, sondern zweifächerig. Aber noch viel weni- ger sind die Antheren der Balsamineen ganz und gar einfäche- rig, wie Link?) sagt, sondern vollkommen vierfächerig. Von Canna sagt Link *), die Anthere scheine aus einer zweifächerigen Anthere zusammengezogen, denn die Naht sey vielfach. Was Link mit dem letzten Worte sagen will, verstehe ich nicht. Bei Canna, Maranta, Calathea, Phrynium u. s. w. bildet sich nur an einer Seite des Mittelbandes die Anthere aus, aber hier regelmässig zweifächerig mit ganz einfacher und gewöhnlicher Naht und einer Scheidewand, die nach specifischer Verschieden- heit bald mehr, bald weniger mit leistenartigem Vorsprung in die Fächer hineinragt; bei den Scitamineen im engern Sinne (R. Brown) bilden sich dagegen an jeder Seite des Mittelbandes zwei Fächer aus und auch hier springt die Scheidewand bald mehr (Hedychium coccineum), bald weniger (Curcuma aromatica) in die Fächer hinein vor. Einige Besonderheiten will ich hier noch anführen, welche die Familie der Orchideen darbietet und die bis jetzt noch gänzlich unaufgeklärt geblieben sind. Das am wenigsten Auffallende ist, dass sich oft der Pollen in mehr als vier (8 oder 16) getrenn- ten Partieen bildet und daher auch mehr als die gewöhnlichen vier Fächer vorhanden sind, z. B. bei Calanthe, Bletia u. s. w.; bei den meisten dagegen ist die Anthere regelmässig. vierfäche- 1) Elem. Phil. bot. ed. II, 129. 2), 3) u. 4) A. a. O. 308 ae Morphologie. rig, namentlich bei allen Ophrydeen, bei denen sich aber häufig die Pollenmasse jedes Faches, aus mir unbekannten Ursachen, in viele kleine keilförmige Stücke theilt, die um eine grössere centrale Masse jener oben schon erwähnten viscinähnlichen Sub- stanz geordnet sind. Nicht selten setzt sich die Sonderung des für Bildung des Pollens bestimmten Zellgewebes schmal zulau- fend in die verschmälerte Basis der Anthere hinein fort, zuwei- len auch von der breiten Basis nach vorn umbiegend und noch einmal in der Substanz der Klappe aufsteigend, z. B. bei Epi- dendron cochleatum. Zuweilen geht vom Mittelband der Anthere nach vorn über der Narbe ein spitzer Fortsatz, das Schnäbel- chen (rostellum), aus; auch in diesen hinein setzt sich zuweilen jenes Zellgewebe fort. Alles dieses Zellgewebe wird aber ge- wöhnlich später zu Viscin umgewandelt und bildet dann den schwanzförmigen Anhang, das Schwänzchen (candicula), an der Pollenmasse. An dem untern, gewöhnlich an diesen Stellen drü- sig verdickten Rande der Anthere oder des Schnäbelchens zei- gen sich häufig schon früh unter der Epidermis (hier die Tasche, bursicula, genannt) eine oder zwei kleine Zellengruppen, die sich. mit Viscin füllen und zum Theil selbst dazu aufgelöst werden. Allmälig wird über ihnen die Oberhaut zerstört und sie liegen dann frei und heissen so Halter (retinacula); wird die Oberhaut schon sehr früh zerstört, so nennt man sie relina- cula nuda. Im letzteren Falle wird zugleich (also noch ehe die Anthere .aufspringt) auch dasZellgewebe, welches ‚die Spitze der caudicula von dem retinaculum trennt, zerstört, und caudicula und retinaculum treten so in Verbindung. Im ersten Falle da- gegen sind beide häufig getrennt, aber so gestellt, dass, sowie die Anthere aufspringt, jede geringste Ortsveränderung der Pol- lenmasse die Spitze des Schwänzchens mit dem dann immer entblössten retinaculum in Berührung bringt, so dass sie zusam- menkleben. Gar ieicht ıst diese Bildung für den zuletzt er- wähnten Fall bei Orchis militaris und besonders leicht bei dem sehr langen Schnäbelchen der Neottieen zu verfolgen. Für den andern Fall liefern Gymnadenia albida und conopsea gute Bei- spiele. Ganz von diesen merkwürdigen Eigenheiten abweichend, haben die Orchideae diandrae und die Apostasieae ganz vegel- mässige Antheren und nicht zusammengeklebten körnigen Pollen. Bis zu den ersten Stadien der Blüthenbildung vorzudringen, hat mir bis jetzt noch nicht gelingen wollen; das Wenige, was ich gesehen bei, Orchis latifolia und Cypripedium Calceolus, lässt mich aber vermuthen, dass der Anlage nach nie mehr wie drei Staubfäden vorhanden sind, von denen bei Cypripedium sich einer blattartig ausbildet, bei den übrigen Orchideen aber zwei vollständig abortiren oder als zwei kleine fleischige Schüppchen Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 309 in Folge einseitiger, übermässiger Ausbildung der oberen Blü- thendecke (des labellum) an die Seite des einzigen entwickelten Staubfadens gerückt werden. Die unbegreiflichste Antherenbildung, wenn ich anders recht gesehen habe, kommt bei Caulinia vor. Hier bildet sich bei mas und femina ein Deckblättchen zu einem krugförmigen Or- gan aus, das bei femina nach Oben zweilappig einen Frucht- knoten mit zwei Stigmaten, bei mas aber, im obern Theil ein- seitig aufspaltend, eine Blüthenhülle nachahmt. An dem kegel- förmigen Zäpfchen, welches von jedem Deckblättchen umfasst wird, bildet sich bei beiden Geschlechtern auf die später bei der Saamenknospe zu schildernde Weise eine Hülle, und um ‚diese Zeit ist noch durchaus nicht zu bestimmen, ob mas oder femina sich bilden wird; dann aber weichen beide ab, indem bei jemina die Saamenknospe noch ein zweites Integument bil- det und sich umkehrt, bei mas aber das Zäpfchen zu einem grösseren Kern heranwächst, und während dieser allmälig von der Hülle bis auf einen kleinen Canal am Scheitel überzogen wird, sich ganz und gar (?) zu Pollen auflöst, der, dann zu jener Scheitelöffnung austritt. Endlich scheint eine höchst abweichende Antherenbildung auch bei Brosimum Alicastrum vorzukommen; die vortrefflichen Ab- bildungen davon in unsern botanischen Werken sehen frappant wie zierlich, frisch gedrechselte Schachfiguren aus, und ohne die Bildung in der Natur zu kennen, behaupte ich, dass die Abbil- dungen mit ihr keine Aehnlichkeit haben. Vergebens habe ich bis jetzt versucht, mir diese Pflanze im frischen Zustande oder in Spiritus verwahrt zu verschaffen. C. Von den accessorischen Blattorganen der Blüthe. $. 159. Ausser den bisher abgehandelten Blüthentheilen kom- men noch häufig andere unzweifelhafte Blattorgane in der Blüthe vor, die man, in Bezug auf ihre einfache (dünnere oder dickere Schüppchen) oder sehr abwei- chende Bildung, als verkümmerte Blüthentheile bezeich- nen könnte. Ich unterscheide nach den Stellungsver- hältnissen zwei Formen, nämlich 1) von den. äussersten Blüthendecken bis zum - äussersten Kreis ‚ausschliesslich, K 310 Morphologie. in welchem Staubfäden entwickelt sind, die „Neben- blume‘“ (paracorolla) und ihre Blätter als „„Nebenblu- menblätter“° (parapetala); 2) von dem genannten Kreis einschliesslich bis zum Fruchtknoten, die Nebenstaubfäden (parastemones). Die Nebenkrone besteht zuweilen aus Schüpp- chen, die bald dünner, blattartiger, bald dieker und flei- schiger, bald ganzrandig, bald zertheilt sind, so bei den Gräsern der innere dreitheilige Blattkreis, von dem ge- wöhnlich ein Blatt fehlschlägt, bei Vallisneria die drei kleinen Schuppen. Häufiger zeigt die Nebenkrone ganz besondere abweichende Formen, die zum Theil die Ge- stalten der Blüthendecken im Kleinen und oft verzerrt wiedergeben, z. B. die beiden langen, dünnen Blati- organe in der Blüthe von Aconitnm, die ein lang- genageltes, gesporntes Blüthendeckblatt nachahmen; die tutenförmigen Nebenblumenblätter bei Helleborus, Trol- lius, Nigella u. s. w.; die ganz wunderlichen kleinen, meist kahnförmigen Blättchen bei den Loaseen. Mir ist kein Beispiel bekannt, dass die Theile der Nebenhblume unter einander verwachsen wären. Die Structurverhält- nisse sind entweder sehr einfach, wie bei den meisten Schüppchen, die nur aus zartem Zellgewebe bestehen, oder sie gleichen denen der Blüthendecken und ihrer Anhängsel; am häufigsten findet sich hier die Absonde- rung von Nectar an bestimmten Stellen, besonders in den hohlen Formen. Die Nebenstaubfäden kommen in doppelter Weise vor, als ganz getrennte Blattorgane und völlig unter einander verwachsen. «&) Im ersten Falle sind sie in ihren Formen den Staubfäden bald mehr, bald weniger ähn- lich, z. B. bei den Commelineen, und oft, insbesondere wenn sie (wie bei Chelone, Scrophularia) einem Kreise angehören, von dem sich einige Glieder zu Staubfäden entwickeln, ganz wie ein Träger ohne Anthere gebil- det, z. B. bei vielen Geraniaceen; zuweilen sind: sie auch hier schuppenförmig, z. B. bei Veronica, wo sie Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 311 zwei Theile des viergliederigen Staubfadenkreises reprä- sentiren '). Wenn sie einen eigenen Kreis bilden, so sind sie gewöhnlich als kleine Schüppchen entwickelt, z. B. bei Pimelea und Gnidia zwei, u. s. w. 5) Im letz- ten Falle bilden sie grösstentheils den sogenannten un- terständigen Ring (annulus hypogynus) und sind dann gewöhnlich dickfleischig und saftig, z. B. hei Daphne, bei Celosia”), bei Trapa; zuweilen ist dieser Ring gelappt, so dass er die Zahl seiner Glieder noch deut- lich (wie bei den meisten Ericeen, bei Chrysosplenium achtlappig, bei Cobaea scandens, Convolvulus fünf- lappig) oder undeutlicher zu erkennen giebt, wie in der sanzen Familie der Scrophularieen; häufiger ist der Ring im ausgebildeten Zustande ganz gleichförmig, z. B. bei Ruellia formosa, Callistegia, vielen Polemoniaceen. Auch an der Symmetrie der Blüthe nimmt dieser Ring zuweilen Theil, z. B. bei Gesneria und Pedicularis. Bei den in diesem Paragraphen abgehandelten Verhältnissen herrscht eine Verwirrung, die gar nicht zu beschreiben und die Folge gänzlicher Vernachlässigung der Entwickelungsgeschichte ist. Hier sogleich Rath zu schaffen, übersteigt die Kraft. des Einzelnen, und es bleibt eine Aufgabe für eine im höchsten Grade verdienstvolle und doch nichts weniger als schwierige Ar- beit, durch eine möglichst umfassende monographische Bearbei- tung dieser Bildungen und die Darlegung ihrer Natur aus der Entwickelungsgeschichte wenigstens vorläufig einen Grund zu legen, auf dem dann fortgebaut werden kann. Ich habe hier nur andeuten können. Die genannten Bildungen, sowie die ganze Reihe der unselbstständigen Anhängsel der Blüthendecken und Staubfäden, endlich ein Theil der eigenthümlichen Formen der Axenorgane der Blüthe werden fast alle unter demselben Namen bald als paracorolla mit den Unterabtheilungen corona, fornix, cuculli, cylindrus u. s. w., bald als discus, bald als nectaria, bald als staminodia u. s. w. beschrieben, ohne dass auch nur die Frage gestellt wird, ob ähnlich erscheinende Theile nicht I) Auch bei Latraea und Orobanche scheint dies Verhältniss vor- handen zu seyn. 2) Wo dieser Ring bisher gänzlich übersehen ist. 312 Morphologie. vielleicht sehr verschiedenen Ursprung haben und welchen...Ich habe versucht, den Begriff der Nebenkrone gegen den der Blü- thendecken festzustellen, um so eine einfache und consequente Terminologie möglich zu machen, Das war hier die eine Auf- gabe; die andere ist, selbstständige Blattorgane, wie in den im Paragraphen aufgeführten Fällen, von völlig unselbstständigen Anhängseln anderer Blattorgane, z. B. von der corona bei den Apocyneen, Asclepiadeen, Sileneen, Amarantaceen, dem fornix bei den Borragineen, den Nectarien bei Parnassia, Cuscuta u. s. w., zu unterscheiden. Alle übrigen Blattorgane der Blüthe von dem äussersten Blattkreise, in welchen sich Staubfäden entwickeln, an bis zum‘ Fruchtknoten, kann man unter einen Namen als Nebenstaubfäden zusammenfassen; eine begriffsmässige Tren- nung ist ohnehin unmöglich, weil ihre Formen ganz stetig in einander übergehen. Hier fehlt es aber an Entwickelungs- geschichten, insbesondere um bei den Formen, die den soge- nannten unterständigen Ring (oft auch Discus genannt) bilden, die aus einen Blattkreise entstandenen Bildungen von einer ‚blossen Expansion der Blüthenaxe zu unterscheiden. Im ersten Falle bilden sich anfänglich völlig. getrennt die einzelnen Blatt- anlagen, und zwar immer vor den Fruchtblättern, und verwach- sen später zum Ring; im zweiten Falle entsteht der Ring oder Discus als ein völlig gleichförmiges Ganze auf einmal, und zwar immer nach dem Erscheinen der Fruchtblätter durch blosse Aus- dehnung der schon vorhandenen Axe, wenn diese nicht auf die- sem Theil noch selbst Blattorgane trägt (wie bei Zeseda). Dies Letztere ist namentlich der Fall bei den Borragineen und La- biaten mit dem Discus (der sogenannten gynobasis). Für das erstere geben Trapa, Convolvulus und die Familie der Scrophu- larinen gute Beispiele. Bei diesen letzteren tritt aber noch eine Schwierigkeit ein, die nur durch sehr umfassende Untersuchun- gen überwunden werden kann: es scheint nämlich bei ihnen entweder eine Trennung von zwei Gruppen stattzufinden, von denen die eine viergliederige, die andere fünfgliederige Kreise in der Blüthe hat, oder sie sind alle viergliederig, und es er- scheinen nur bei der einen Gruppe die ausgebildeten Blüthen- theile fünfgliederig, weil sıch die einzelnen Glieder desselben Kreises ungleich ausbilden; hierbei würde dann eın Blatt des innersten Kreises den einseitigen Discus bilden, die andern drei zu Staubfaden werden und mit einem oder zwei Blättern des nächsten Kreises, die vier oder fünf Staubfäden bilden u. s. w. Hierauf haben mich meine Untersuchungen an Pedicularis und Orobanche geleitet; der ursprünglich und immer viertheilige Typus ist dagegen bei Veronica bestimmt vorhanden, bei der zwei Blätter des innersten Kreises zu Staubfäden, die zwei’ andern Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 313 zum einseitigen Discus sich ausbilden '). Aehnliches findet auch noch in verwandten Familien statt, und bei einer genauen Ar- beit wären die Acanthaceen, Pedalineen u. s. w. mit in den Kreis der Untersuchungen zu ziehen. D. Die Fruchtanlage. $. 160. Die Saamenknospe,-als der einzige wesentliche Theil der Fruchtanlage, kann entweder nackt, oder in einem Behälter eingeschlossen seyn; diesen letztern nennt man Fruchtknoten (pistillum). Wo er vorhanden ist, be- steht er wesentlich aus zwei 'Theilen: einer Höhle, die die Saamenknospen umschliesst,. die Fruchtknotenhöhle (germen), und seine gewöhnlich eigenthümlich modifi- cirte Oeffnung nach Aussen, die Narbe (stiyma). Zu- weilen verlängert sich die Fruchtknotenhöhle unter der Narbe noch in eine längere oder kürzere Röhre, die Staubweg; (stylus) genannt wird. In der Fruchtknoten- höhle sind die Saamenknospen an bestimmter Stelle, wo sich oft ein besonders zu unterscheidender Theil als eigenes Organ charakterisirt, befestigt; man nennt diese Stelle den Saamenträger (spermophorum). Die Be- trachtung dieser Verhältnisse muss ich nun, des bes- sern Verständnisses und innern Zusammenhanges willen, nach folgender Uebersicht fortführen : a) Vom Fruchiknoten. b) Von dem Saamenträger. 0) Von der Saamenknospe. 1) Bei Calceolaria sind sogar nur zwei viergliederige Kreise vor- handen, von denen der äussere zum Kelch, der innere dagegen mit. dem obern und untern Blatt zur Blumenkrone, mit den seitlichen Blättern zu Staubfäden wird. 314 Morphologie. a) Vom Fruchtknoten. $. 161. | Zu den Fruchtknoten rechne ich nur diejenigen Theile, die wirklich hohle Räume umschliessen, in denen sich später eine oder mehrere Saamenknospen entwickeln. In diesem Sinne fehlt den Coniferen, Uycadeen und Loranthaceen der Fruchtknoten durchaus. Nach den den Fruchtknoten bildenden Grundorganen muss man drei Arten unterscheiden, den ächten oberständigen Frucht- knoten (pistillum superum), den unterständigen (pistil- lum inferum) und den Stengelfruchtknoten (p. cauli- genum). Der erstere bildet sich aus einem oder mehre- ren Blattorganeu, der zweite in seinem untern Theile aus dem Blüthenstiel, im obern häufig aus Blattorganen; der dritte entsteht ganz aus Axenorganen oberhalb und innerhalb der Blüthenhüllen. Ein Blattorgan, insofern es zur Bildung des Fruchtknotens dient, nennt man Fruchtblatt (carpellum). Den Ursprung der beiden letz- ten Arten des Fruchtknotens übersehend, hat man diesen Ausdruck auch auf sie angewendet. Bei dem letzten kann man ihn insofern beibehalten, als er auch aus mehreren Theilen entsteht, bei dem zweiten ist er für den untern wesentlichen "Theil völlig unanwendbar, in- dem dieser stets nur aus einem einzigen Stücke sich bildet, wenn er auch an der reifen Frucht in mehrere Stücke zerfällt. I. Vom oberständigen Fruchtknoten. Der aus einem Fruchtblatt sich bildende Fruchtknoten ent- steht wie ein Blatt, das sich flach ausbreitet und dessen Ränder von Unten nach Oben allmälig verwachsen; der untere (Scheiden-): Theil, zu einem hohlen Körper ver- wachsen, bildet die Fruchtknotenhöhle, der obere, nicht verwachsene, frei ausgebreitete "Theil (die Blattscheibe)), die Narbe; der mittlere "Theil (Blattstiel), wenn er vor- handen ist, zu einer unten mit der Fruchtknotenhöhle communicirenden und am Anfang der Narbe sich nach Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 315 Aussen öffnenden Röhre verwachsen, den Staubweg (z. B. Zea Mays). So ist das Ganze ein einfacher, eingliederiger Fruchtknoten (pP. simplee monomerum). Die Fruchtknotenhöhle ist in diesem Falle einfächerig (germen uniloculare). In einigen Fällen bilden sich hier durch zellige Auswüchse von der innern Wand der Fruchtknotenhöhle unächte Scheidewände (dissepimenta spuria), wodurch der Fruchtknoten unächt mehrfächerig wird (germen spurie pluriloculare), z. B. bei Aroideue. Setzt sich der Fruchtknoten aus mehreren Frucht- blätiern zusammen, so bilden diese sich a) entweder auf die beschriebene Weise zum Frucht- knoten um und bleiben unverbunden, mehrfache, ein- gliederige Fruchtknoten (p. plura, monomera), oder sie verwachsen, in einem oder mehreren!) Krei- sen stehend, unter einander mit den äusseren, ein- ander zugekehrten Flächen. So bilden sie einen schein- bar einfachen und vielgliederigen Fruchtknoten (7. sim- plex, polymerum). Diese Verwachsung kann sich auf den sanzen Fruchtknoten erstrecken (z. B. Apo- cyneen), oder nur auf Fruchtknotenhöhle und Staub- weg, oder nur auf die Fruchtknotenhöhle, woraus ein einfacher Fruchtknoten mit einfachem Staubweg und meh- reren Narben (z. B. Geraniaceen), oder gar keinem Staubweg und mehreren Narben (z. B. Phytolacca), oder ein einfacher Fruchtknoten mit mehreren Staubwe- gen und mehreren Narben (z. B. Buxus) hervorgeht; selten bleiben die Fruchtknotenhöhle und Staubwege ge- trennt und nur die Narben verwachsen, wie bei den Asclepiadeen. Die Fruchtknotenhöhle nennt man in allen diesen Fällen mehrfächerig (plurilocularis). Die Fächer 1) Lindley’s Erklärung der Fruchtbildung von Diplophractum (Ble- ments of bofany, London 1841, p. 53) scheint mir sehr gewagt; ohnehin fehlt es hier selbst nur an einer genauen Kenntniss des Fruchtknotens zur Zeit der Blüthe, und so ist das Ganze vorläufig eine blosse Fiction. Mir ist viel wahrscheinlicher, dass die fünf innern Fächer gar keine Fruchtfächer sind, sondern auf ähnliche Weise entstanden wie die fünf äussern leeren Fächer bei Nigella. 316 ' Morphologie. (locula) werden durch Scheidewände (dissepimenta) getrennt, die ihrer Entstehung nach doppelt sind und natürlich mit den Fruchtblättern, also auch mit den Nar- ben abwechseln. Zuweilen tritt auch hier die Bildung unächter Scheidewände durch zellige Auswüchse hinzu, z. B. bei den Labiaten und Borragineen, wo der ächt zweilächerige Fruchtknoten durch solche unächte Schei- dewände zum unächt vierfächerigen wird. >56) Oder die Fruchtblätter verwachsen unter einan- der mit den Rändern, so dass sie einen einfachen, viel- gliederigen Fruchtknoten, einen Staubweg mit einfacher Röhre und einfachen oder mehrfachen Narben bilden (p- simplex, polymerum). Dieser ist aber hier ein- fächerig (uniloculere) wie der eingliederige. Selten sind hier unächte Scheidewände, die. meist, vielleicht ausschliesslich, aus einer besondern Eintwickelung des Saamenträgers hervorgehen, z. B. bei den Cruciferen, bei denen die Bildungsgeschichte leicht zu verfolgen ist. I. Vom unächten unterständigen Frucht- knoten. Bei der' Bildung eines becherförmigen Discus tritt zuweilen der Fall ein, dass die mehreren einfachen, eingliederigen, oberständigen Fruchtknoien, die er um- giebt, nicht blos unter einander, sondern auch mit dem Discus fest verwachsen und so eine gleichförmige Masse bilden, die oben die übrigen Blüthentheile trägt und aus der die Staubwege und Narben länger oder kürzer her- vorragen. Dieser Fall tritt bei den Pomaceen ein, wo nur ein Kreis von Fruchtknoten vorhanden ist, und bei den Puniceen, ‘wo zwei Kreise zusammenstehen. Diese Bildung ist von dem ächten wnterständigen Fruchtknoten durchaus verschieden. Dort werden die einzelnen Frucht- knoten von Blattorganen gebildet und verwachsen mit Axenorganen; bei diesen ist es eine reine Form‘ der Axe, welche ausschliesslich die Fruchtknotenhöhle bildet. II. Vom unterständigen Fruchtknoten. Bei einer grossen Reihe von Familien dehnen sich sämmt- liche Stengelglieder vom Kelch bis zu den Carpellblät- Spec, Morphologie, Phanerogamen. Blüthen, 317 tern in einen "hohlen, becherförmigen oder selbst röhren- förmigen Körper aus, der auf seinem Rande die sämmt- lichen übrigen Blüthentlreile trägt und auf seiner innern Fläche die Saamenknospen entwickelt und so die Frucht- knotenhöhle (germen) bildet. Die Fruchtblätter "bilden hier, indem sie mit ihren Rändern unter einander ver- wachsen, nur die obere Decke der Fruchtknotenhöhle, den Staubweg, wenn er vorhanden ist, und mit den freien Einden die Narben. Ihr Antheil an der Bildung des Fruchiknotens ist aber sehr verschieden. Ist die unterständige Fruchtknotenhöhle nur eine flache Vertie- fung, z. B. Saxifrageen, Myrtaceen, so ist der Antheil der Blattorgane an der Bildung der Höhle noch ziem- lich bedeutend (germen semiinferum). Ist die Frucht- knotenhöhle schon durch die Form der Stengelglieder nach Oben geschlossen (z. B. bei den Onagreen), so bilden sie nur den Staubweg und die Narben. Verlän- gert sich aber, wie nicht selten geschieht, die von den Stengelgliedern gebildete Röhre noch oberhalb der Blü- thendecken, so entsteht auch ein (wnächter) aus den Stengelgliedern gebildeter Staubweg, der dann gewöhn- lich die Staubfäden trägt, und die Fruchtblätter bilden nur noch als kleine Schüppchen die Narbe, oder fehlen ganz. Dies ist die Bildung bei Orchideen und Aristo- lochiaceen, und am auffallendsten bei den Stylideen. Bei diesen Fruchtknoten können natürlich gar keine ächten Scheidewände vorkommen, wohl aber bilden sehr häufig die Saamenträger unächte Scheidewände, und zwar, wie ich glaube, mit wenig Ausnahme den Fruchtblättern, also auch den Narben opponirt. IV. Vom Stengelpistill. Bei Leguminosen und Liliaceen, vielleicht bei noch mehreren - Familien, ent- wickelt sich das Ende ‘der Axe innerhalb der übrigen Blüthentheile allmälig zu einem oder mehreren flachen, blattartigen Stengeln. Diese verhalten sich in der Bil- dung eines Fruchtknotens gerade so, wie wirkliche Blät- ter. An den eingeschlagenen Rändern bilden sich nach 318 Morphologie. Unten die Saamenknospen; der obere Theil wächst all- mälig zu Staubweg und Narbe aus. In der vorstehenden Darstellung der Entstehung des Frucht- knotens sind zwei wesentliche Puncte festzuhalten. Das erste ist die Bildung desselben aus sehr verschiedenen Theilen. Ge- rade hier ist die Morphologie der Pflanzen bisher völlig im Dunkel umhergetappt, und es konnte nicht anders seyn, weil man ohne alles die Resultate sichernde Princip der Forschung blos in den Tag hinein rieth. Die Entwickelungsgeschichte kann hier aber allein unsere Führerin seyn und wird uns auch zum völlig sichern Abschluss führen, sobald man sie allgemein in ihrem Rechte anerkennt. Ich habe hier allerdings nur noch geringe Beiträge geben können, denn eine ganze Wissenschaft übersteigt die Kräfte jedes Einzelnen, geschweige denn die mei- nigen. Vorarbeiten fand ich in diesem Puncte gar nicht, und viel, unendlich viel ist hier noch zu untersuchen. Folgende Sätze geben hier die Grundlage: Eine Knospe und ein Blatt entstehen gesetzmässig bei den Phanerogamen niemals auf oder aus einem Blatt, sondern nur aus einem Axengebilde; wo also Knospen oder Blattorgane entstehen, muss die Grundlage, aus der sie sich erheben, ein Axenorgan seyn. Ein Organ, welches von seinem ersten Ursprung an ein einziges und ungetrenntes ist, kann nur Träumerei, aber nicht gesunde Naturforschung für aus mehreren Theilen verwachsen erklären. Unzweifelhafte Axen- organe kommen in der sogenannten Blattform vor (z. B. Phyll- anthus), an ihren Rändern Knospen tragend. Unzweifelhafte Axenorgane bilden flache Scheiben, concave Scheiben und selbst lange, hohle, flaschenförmige, nach Oben fast geschlossene For- men (z. B. Ficus). Untersuchen wir nun die sich bildenden unterständigen Fruchtknoten bei Irideen, Onagreen, Compositen, so finden wir jedes Mal, dass sich die Fruchtknotenhöhle gleich- zeitig, oft schon früher als die äusseren Blüthendecken bildet, dass an dem Rande der völlig deutlich gebildeten Fruchtknoten- höhle nach und nach die folgenden Blüthendecken, Staubfäden und Fruchtblätter entstehen, dass insbesondere die letzten sich häufig erst dann bilden, wenn die Fruchtknotenhöhle schon ganz vollkommen und selbst die Saamenknospen schon angelegt sind. Es kann hier für den, der nur einige Entwickelungen in der Natur verfolgt hat, keinem Zweifel unterliegen, dass hier der ganze unterständige Fruchtknoten nur aus einer becherförmig gebildeten Axe entwickelt wird. Ganz auf dieselbe Weise über- zeugt man sich, dass der Staubweg bei den ächten Gynandri- sten, bei Orchideen, Aristolochiaceen und Stylideen ebenfalls nur ein Stengelgebilde sey. Erinnert man sich nämlich, dass bei Eee a Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 319 scheiben- und becherförmigen Axen die obere oder innere Fläche der organisch höhere Theil, und die Mitte der Scheibe der höchste Punct der Axe ist, so wird es leicht, sich jene abnor- men Erscheinungen auf bekannte, nicht auffallende Bildungen zurückzuführen. Bei Oenothera z. B. entspricht die ganze äussere Fläche der Fruchtknotenhöhle und der sogenannten Kelchröhre bis zu den freien Kelchlappen dem Blüthenstiel, es folgen dann die Stengelglieder zwischen Kelch und Staubfäden, die nicht verlängert sind, die innere Fläche der sogenannten Kelchröhre bis zum Staubweg entspricht dem Stengelgliede zwischen Staub- fäden und Fruchtblättern, welches ausgedehnt ist, wie etwa bei Cleome; endlich die innere Fläche der Fruchtknotenhöhle ent- spricht einem verlängerten Axengebilde innerhalb der Frucht- blätter, also dem sogenannten spermophorum centrale liberum. Bei Orchis, Aristolochia, Stylidium entspricht die äussere Fläche der Fruchtknotenhöhle dem Blüthenstiel, der Rand der Frucht- knotenhöhle ist das unentwickelte Stengelglied zwischen äusse- rem und innerem Kreis der Blüthendecke bei Orchis und Styli- dium (bei Aristolochia ist nur ein Kreis vorhanden). Die äussere Fläche des hohlen Säulchens bei allen dreien entspricht dem entwickelten Stengelgliede zwischen den inneren Blüthendecken und den Staubräden, wie es z. B. bei Passiflora vorkommt; der Rand des Säulchens ist das unentwickelte Stengelglied zwi- ‚schen Staubfäden und Fruchtblättern, und die innere Fläche des Säulchens der untere, nicht mit Saamenknospen besetzte Theil des spermophorum centrale, wie er etwa bei den Primulaceen vorkommt. Weniger leicht und sicher zu entscheiden ist die Frage über den Ursprung des Stengelpistills; schwierig muss es besonders denen seyn, sich mit dieser Anschauungsweise vertraut zu machen, die noch in dem gewöhnlichen, aber ohne alle Untersuchung hingestellten und daher völlig unbegründeten Vorurtheil befangen sind, jeder Fruchtknoten müsse aus Fruchtblättern gebildet seyn. Wenn man aber erst sich von der Richtigkeit der vori- gen Darstellung überzeugt hat und einsieht, dass hier schon der wesentlichste Theil, die Fruchtknotenhöhle beim unterständigen Fruchtknoten stets, und oft auch der Staubweg aus Axenorganen gebildet wird, so wird die Ansicht schon leichter Eingang fin- den, dass auch der oberständige Fruchtknoten möglicher Weise ganz und gar aus Axenorganen gebildet seyn könne. Als Aus- gangspunct dienen hier folgende Sätze: Axe und Blatt unter- scheiden sich durch keine äussere Formenverschiedenheit, son- dern durch ihren eigenthümlichen Entwickelungsprocess; beim Blatt wird die Spitze zuerst, die Basis zuletzt gebildet, bei der Axe verhält es sich gerade umgekehrt. Was regelmässig Knos- 320 10 Morphologie. pen aus sich entwickelt, ist nie ein Blatt, sondern ein Axen- organ. Die Beobachtung giebt uns hier Folgendes: Bei: einigen Fruchtknoten, z. B. bei Cruciferen, Fumariaceen ’) bildet sich zuerst die Narbe, dann der Staubweg, zuletzt die Fruchtkno- tenhöhle und endlich in dieser an besondern, von den Frucht- blättern verschiedenen Organen die Saamenknospen aus; bei andern, Z. B. bei Leguminosen, bei Liliaceen bildet sich zuerst die Fruchtknotenhöhle und darin an den Rändern der. als Frucht- blätter erscheinenden Platten die Saamenknospen; dann wächst der Staubweg aus, und endlich zu allerletzt entwickelt sich an der Spitze die eigenthümliche Form der Narbe. Wenden wir darauf das einzige Kriterium an, welches wir zur Unterscheidung von Blatt und Axe’' haben, so entspricht die erste Entwicke- lungsweise einem Blattorgan,. die letzte einem Axenorgan, und so lange innere Consequenz, noch als das einzige Mittel ange- sehen werden muss, um den sichern Fortschritt in der Wissen- schaft gegen spielendes Ein- und Herreden zu erhalten, müssen wir nach dem gegenwärtigen Stande der Beobachtungen auch die genannten Fruchtknoten als aus Axenorganen gebildet an- sehen. Wahrscheinlich gehören hierher noch gar manche Fami- lien, namentlich z. B. die Ranunculaceen, über die ich, aus Mangel an vollständigen Untersuchungen, noch nicht zu urthei- len wage. Das Resultat aller dieser Erörterungen ist nun, dass Frucht- knotenhöhle, Staubweg und Narbe gar keine bestimmten Grund- organe der Pflanze sind, sondern verschiedene Erscheinungswei- sen bald der Axe, bald der Blattorgaue. Nun sind aber die genannten Theile entschieden unwesentliche Theile. der Blüthe, da sie gänzlich fehlen können, und deshalb ist‘ auch hier gar keine durchgreifende Einheit zu erwarten. Dagegen sind‘ die eigentlich wesentlichen Organe der Blüthe auch als Grundorgane verschieden. : Die Staubfäden sind durchaus (nur bei Najas noch zweifelhaft) Blattorgane, die :Saamenknospe und der sie tra- gende Theil, das spermophorum, beständig Axenorgan. Eigent- lich müsste hiernach die ganze Terminologie der Blüthe umge- staltet werden, indem Fruchtknotenhöhle, Staubweg und Narbe als bestimmte Organe ganz wegfallen. Nennen wir jedes ausschliessliche Stengelorgan, welches Saamenknospen trägt, Saamenträger, so ist bei den Pflanzen mit unterständigen Frucht- knoten gar keine Fruchtknotenhöhle vorhanden, sondern ein becherartiges spermophorum, wohl aber Staubweg und Narbe, 1) Besonders geeignet sind diese wegen ihrer ausgezeichnet gebil- deten Narbe. Spec. Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 321 oder doch eine: Narbe; bei ‘den Pflanzen mit Stengelpistill: ist aber überall nur ein unächter Fruchtknoten,''nämlich ein frucht- knotenähnlicher Saamenträger vorhanden. ' Als Analogie für diesen ietzten werden wir später noch die Schuppe der Abietineen fin- den. Es ist auch leicht einzusehen, dass bei einer vollständigen Durchführung solcher Untersuchungen über alle Theile der Blüthe sich noch manche, jetzt zweifelhafte ") Verwandtschaft ‚der Pflan- zenfamilien ganz anders stellen, manche gewisse Verwandtschaft schärfer begründen und aussprechen lassen würde. Der zweite Punct, der: hier wesentlich festzuhalten‘ ist und dessen Einfluss auf die Lehre von der Fortpflanzung von der entschiedensten Wichtigkeit ist, betrifft den Zusammenhang der Fruchtknotenhöhle mit der Aussenwelt' durch den Canal des Staubwegs. Dass Jemand über die Fortpflanzung durchaus keine, nur irgend zu berücksichtigende Ansichten haben, ja dass Keiner mit Hoffnung auf irgend brauchbare Resultate auch nur Unter- suchungen über die Fortpflanzung anstellen kann, der diesen Punct nicht vorher völlig. in's Reine gebracht, scheint mir hier eben so klar, als für den Zoologen die Nothwendigkeit der Vorfrage, ob überall eine freie Passage zwischen Ovarium und Uterus und zwischen diesen und den äusseren Geschlechtstheilen stattfinde. Dass gleichwohl Leute, die in diesem Puncte auch nicht einmal: versucht haben, ihre Ansichten. durch eigene Unter- suchungen festzustellen, es unternehmen, in der Lehre von der Fortpflanzung mitzusprechen und sogar neue Theorien aufzu- stellen, Leute, die übrigens recht tüchtige Beobachter sind, wie z. B. Hartig ?), beweist, wie traurig überhaupt der Zustand der Wissenschaft ist, wie man im Allgemeinen noch so. wenig be- griffen, was 'zu einer wissenschaftlichen Betrachtung der organi- schen ‘Naturkörper gehört.. Dass dieser Vorwurf'nicht den Ein- zelnen trifft," sondern die Gesammtheit, zeigt die Aufnahme, die solche ° Schriften finden. Wenn ein’ Zoologe eine neue Theorie der Erzeugung aufstellte und dabei behauptete, der Uterus sey ein'ringsum geschlossener Sack, so würden alle Zoo- logen die Arbeit ohne Weiteres lächelnd bei Seite legen. Die Botaniker‘ sind im Allgemeinen noch nicht einmal so weit, die Unerlässlichkeit der Erledigung einer solchen Vorfrage auch nur einzusehen, und deshalb circuliren solche Arbeiten, werden ab- 1) Wie wenig in dieser Beziehung noch feststeht, beweist jedes neu herauskommende systematische Werk; jedes würfelt die Familien nach einem andern, angeblich durchaus natürlichen System auf andere Weise zusammen. 2) Neue Theorie der Befruchtung u. 's. w. Braunschweig, 1842, Seite 7, 2). I. 21 322 Morphologie. geschrieben, halb missverstanden zur Ausspinnung neuer Phan- tasien benutzt und die Wissenschaft bleibt immer auf demsel- ben niedrigen Standpuncte stehen, auf dem sie sich in ewigem Kreise herumdreht, Männer wie Rob. Brown, Mirbel, Brongniart, Meyen schreiben völlig für die Vergessenheit, weil sie kein Pu- blicum finden, welches der Beurtheilung ihrer Arbeiten gewach- sen wäre; denn schön reden kann man über Vieles, aber wis- senschaftliches Urtheil hat nur der über einen Gegenstand der Naturwissenschaften, der ihn aus eigenen Untersuchungen kennt, und wie Viele mögen unter den vielen hundert Botanikern Deutschlands seyn, die nur einmal versucht haben, sich ein selbstständiges Urtheil über die Natur der Fortpflanzungsorgane durch die Untersuchung ihrer Bildungsgeschichte auch nur an einer einzigen Pflanze zu bilden? Würde man es heutigen Tags wohl einem Zoologen verzeihen, der nicht selbst einmal die Entwickelungsgeschichte des Hühnchens oder irgend eines an- dern Thieres vollständig zum Gegenstand seiner Beobach- tung gemacht hätte, eine Aufgabe, die so schwierig ist, dass die Bildungsgeschichte eines Fruchtknotens nur als Spielerei da- gegen erscheint? Verfolgt man die Bildung irgend eines Fruchtknotens, so zeigt sich ohne Ausnahme, er mag entstanden seyn aus welchen Grund- organen er wolle, dass: sich die Fruchtknotenhöhle stets nach Aussen öffnet, entweder unmittelbar, wenn nur eine Narbe (stigma sessile) vorhanden ist, oder durch den Canal des Staub- wegs, der eben nur eine Fortsetzung der Fruchtknotenhöhle ist; denn stets bilden sich die Theile, aus denen der Fruchtknoten entsteht, als flache Gebilde aus. Beim eingliederigen Frucht- knoten legen sich‘ die Ränder an einander und verwachsen so von Unten nach Oben zu einer continuirlichen, oben offenen Röhre; beim mehrgliederigen Fruchtknoten legen sich die Theile mit ihren Rändern an einander und verwachsen so ebenfalls in eine oben offene Röhre; in beiden Fällen erweitert sich gewöhn- lich erst später der untere Theil zur Fruchtknotenhöhle. : Beim unterständigen Fruchtknoten bilden die Fruchtblätter auf dieselbe Weise, eine mit der Fruchtknotenhöhle communicirende Röhre '). ]) Ich will hier nur beiläufig bemerken, dass der Stylus niemals eine Fortsetzung der mathematischen Axe der Blüthe ist (wie Link, Elem. phil. bot. [ed. 11.) 11, 217, sagt), sondern stets eine von der Wand der Fruchtknotenhöhle ausgehende Verlängerung der Höhle derselben. Die Untersuchung jeder Bildungsgeschichte des Fruchtknotens beweist das Gegentheil.. Eben so. wenig ist bei den Geraniaceen eine Fortsetzung der Axe (Link ibid.) vorhanden; die fünf Fruchtknoten entstehen gleich getrennt und frei und verwachsen unter einander, und niemals zeigt sich zwischen ihnen irgend ein fremdes Organ. Hunderte solcher Beob- Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 323 Mit Ausnahme der Asclepiadeen und Apocyneen, giebt es wahr- scheinlich keine einzige Familie, bei der der ursprüngliche Canal des Staubwegs und die Oeffnung an der Narbe wirklich ver- wächst; bei den meisten ist dieser Canal noch am ausgebildeten Fruchtknoten als deutliche Röhre von nicht unbedeutendem Lumen zu erkennen und bis in die Fruchtknotenhöhle :zu verfolgen. . Bei den 'andern ist allerdings ein solches leeres lufterfülltes Lumen nicht mehr zu unterscheiden, aber vorhanden ist es im- mer noch und nur durch eine eigenthümliche Modification des begränzenden Zellgewebes, wovon nachher zu sprechen ist, un- deutlich gemacht.. Wie gesagt, ist mir keine Ausnahme bekannt. Die meisten Monokotyledonen, die ich untersucht habe, haben eine ganz offene Röhre im Staubweg; unter den Dikotyledonen findet, z. B. bei Viola, Euphorbia, Ricinus, Phytolacca, den mei- sten ‘Malvaceen, Cruciferen u. s. w., dasselbe statt. Bei den Orchideen erscheint allerdings die vor der völligen Ausbildung des Fruchtknotens offene und verhältnissmässig sehr weite Röhre zur Zeit des.Blühens verschlossen, ist es aber in der That nicht. Selbst bei den Proteaceen, denen ich glaube Treviranus ein- mal sogar die Narbenfläche absprach, ist der Canal deutlich nachzuweisen. | Schliesslich will ich noch auf einige minder wesentliche Modi- ficationen in der Form des Fruchtknotens und 'seiner Theile aufmerksam machen. Es dreht sich hier Alles um den Punct, den ich der ganzen Morphologie vorangeschickt habe, dass Di- mensionsverhältnisse niemals den Begriff eines Organs bestim- men; dass daher die ‘genannten drei Theile des Fruchtknotens sowohl fadenförmig, als platt, als massig, kugelig entwickelt vorkommen können, versteht sich 'von selbst. Daher sind kuge- lige (kopfförmige), blattartige, flache und dann ganzrandige, oder mannigfach zertheilte, oder trichterförmige, fadenförmige Narben u. s. w. fast gleich häufig; der Staubweg ist allerdings gewöhnlich fadenförmig, aber bei den Malvaceen z. B. kegel- förmig '), bei Iris und’ Canna blumenblattartig. Die Formen der Fruchtknotenhöhle sind unendlich. mannigfaltig, in der Regel freilich kugelig, eitörmig oder länglich.: Eine eigene Form ist noch kürzlich zu erwähnen. ‘Wenn nämlich der frühzeitig ge- achtungen sind noch zu machen, denn wahrlich die Aelteren haben Alles gethan, um den Jüngeren die ganze Ernte der Entdeckungen ungeschmä- lert zu lassen, ohne dass wir Recht hätten, auf unsere Geschicklichkeit stolz zu seyn. Wir thun nur, was längst hätte geschehen sollen; wir sehen zu, statt Worte zu machen. 1) Eine kindische Spielerei mit Wortemachen hat hier den völlig überflüssigen Namen modiolus für den Staubweg erfunden. 21 * 324 or son Morphologie. ©. WELT ‚schlossene', Fruchtknoten’ sich ‘vorzugsweise nur: in seinem untern Theil, ‘der. Fruchtknotenhöhle, und ‘zwar. einseitig ausdehnt, so tritt dieser Theil bauchig über‘ den Abgangspunct des Staub- “wegs hinaus, ‚so ‘dass letzterer ‚nicht von der Spitze, sondern von ' der Seite, oder wohl ‚scheinbar gar von: der. Basis‘ der Fruchtknotenhöhle: zu entspringen scheint; wo«“mehrere verwach- sene Fruchtblätter auf diese Weise sich entwickeit ‚haben, scheint ..der Staubweg zwischen: ihnen aus dem Grunde der. Blume her- vorzukommen; man nennt dies einen: stylus ‘gynobasieus, der aber durchaus ‚in nichts. von dem stylus lateralis und. basilaris einiger Ranunculaceen und Rosaceen unterschieden ist. ' Bemerkenswerth ist noch die Bildung bei einigen Malvaceen (Malva, Althaea,: Lavatera, Malope u. s. w.). Hier bildet: die Axe. der ‚Blüthe in der Mitte ‘derselben ein konisches :Zöpfchen ..(gynophorum), an welchem in einem einfachen. (bei den meisten) oder‘ geschlängelt ‘auf- und ablaufenden Kreise '(Malope): ein Quirl von: Fruchtblättern sich bildet, in ‘deren Achseln eine oder zwei) Knospen als Saamenknospen sich ausbilden. ‘ Die Frucht- blätter umfassen mit ihrem untern Theil die Saamenknospen von Aussen und: von den Seiten, und verwachsen so weit mit der Aussenfläche der eingeschlagenen Ränder unter einander; -\iein oberer : Theil der: Fruchtblätter (auf gleiche Weise verwach- 'send) -bildet Halbeanäle, deren untere offene; Seite auf dem Fruchtknotenträger ruht; endlich im obersten Theile verwachsen die Fruchtblätter theils: mit den Rändern unter einander und bilden so: Einen. Staubwegcanal, theils bleiben sie unverwachsen und: bilden die Narben. Hier:ist eine ganz freie Communication von Aussen bis zu den Saamenknospen, die kaum irgendwo so leicht als » hier. zu verfolgen ist. Unbegreiflich ist mir, wie Hartig ') sagen kann; ,‚Es giebt Fälle, in denen‘ die Eier nicht im ‚Innern des zur Saamenhöhle erweiterten Griffeleanals liegen, sondern ‚von Zellenmassen vollkommen abgeschlossen sind, in denen ;gewissermaassen eine parietas .(?!!) extrauterina ' statt- findet, wie bei den: Malvaceen,; bei’ Cruciferen , Campanulaceen und vielen’ andern Pflanzen, ‚bei ‘denen nicht einmal eine 'Ver- ‘ bindung der Eihöhle mit der Narbe durch besonderes leitendes Zellgewebe' besteht.“ : Bei Campanulaceen und: Cruciferen 'ist es zwar schon nichts weniger als schwer, den Canal von der Narbe in die Fruchtknotenhöhle zu verfolgen, aber bei den Malvaceen muss sich :Hartig bewusst seyn, dass er die Sache gar nicht, oder nur höchst oberfiächlich untersucht hat. Auch beim Fruchtknoten kommen symmetrische Formen vor, wenn auch seltener als bei den Blüthendecken. So. .bilden sich 1) Neue Theorie der Befruchtung der Pflanzen, 8. 10. ' Spee. Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 325 die Fruchtknoten am spadix von: Oryptocoryne spiralis so schief aus, dass fast: der ganze, Umfang nur ‚von der einen ‚Seite ge- ‚ bildet wird, und die Narben, statt der Basis gegenüber zu lie- gen, ganz, dicht an den spadix angedrückt sind, was eine ganz falsche Auffassung der Organisationsverhältnisse Veranihähte: An- dere Beispiele geben die Serophularinen und verwandte Familien u. sw. Eine seltsame, bisher ‚nirgends erwähnte Form ‚des Fruchtknotens: zeigt auch Celosia; er ist ‚hier, wenn man .den langen Staubweg abschneidet, ganz wie ein vollkommener, Hut- pilz geformt, der Stiel enthält die Nabelschnur der (idea) Pan 0 der ul die Saamenknospen a 8. 162. "Der Bau des Fruchtknotens ist nach seinem Verschie- denen Ursprung, aber mehr noch nach’ specifischen Eigen- thümlichkeiten verschieden. Wie jeder sich bildende Pflanzentheil, "besteht er anfänglich aus gleichförmigem, zartem Parenchym, an dem sich ein BEpithelium der äusseren ‘und inneren Fläche unterscheiden lässt. All- mälig, aber zuweilen erst spät, in einigen Fällen nie- ‚mals, bilden sich aus dem Parenchym die Gefässbündel hervor, bei dem einfachen Fruchtblatt gewöhnlich ein Haupt- gefässbündel und der Mittelrippe des Blattes entsprechend, zwei andere Gefässbündel an den Rändern des Blattes; bei vielgliederigen, einfächerigen Fruchtknoten fehlen die letztern gewöhnlich. Selten "sind die Gefässbündel auf ähnliche Weise wie im Blatte verästelt, was ziemlich natürlich aus der morphologischen Bedeutung folgt, denn Fruchtknotenhöhle und Staubweg entsprechen dem Schei- dentheil und Blattstiel, in’ dem gewöhnlich nur ein oder wenige parallele Gefässbündel verlaufen; ‘die Narbe da- gegen entspricht der Blattfläche und ist so unausgebil- det, dass sie in der Regel gar keine Gefässpinder ent- hält. "Selten zeigen sich im Innern des Fruchtknotens interessante Modificationen des Zellgewebes. Doch‘ kom- men Oelgänge (Umbelliferen) , Milchgefässe, Krystalle führende Zellen u. s. w. hin: und wieder vor. Das äussere Epithelium der äussern Fläche seht gewöhnlich 326 Morphologie, bald in Epidermis, gewöhnlich mit’ ee über, unter denen sich etwas lockeres, fast schwammförmiges Parenchym zeigt. Die Oberfläche der Fruchtknotenhöhle zeigt hier alle möglichen. Anhängsel der jugendlichen Epidermis, Haare, Stacheln, Drüsen u.s. w. Der Staub- weg ist häufig mit Haaren besetzt, die man Sammel- haare (pili collectores) genannt hat, weil an ihnen der Blüthenstaub oft hängen bleibt. Bemerkenswerth sind die eigenthümlichen Haare am Staubwes vieler Campa- nulaceen, von denen schon früher die Rede war (Th. I. S. 237). Sie haben vielen Phantasiespielen als Stütze gedient. Wichtiger ist die Ausbildung des Epitheliums der inneren Fläche, welches nur in ‚der: Fruchtknoten- höhle zuweilen zu. einer wirklichen Epidermis (selten, wie bei Passiflor« und einigen Cruciferen, mit Spalt- öffnungen versehen) sich entwickelt, und der nächst darunter liegenden. Schichten. Auf dem, Stigma_ bildet es sich ganz oder zum Theil zu Papillen um, eben so zuweilen in dem Canal ‚des Staubwegs, wenn dieser deutlich .hohl .ist, und oft auch in der Fruchtknotenhöhle längs des Saamenträgers bis zu den Saamenknospen, wo die Papillen häufig zu langen Haaren auswachsen. Alle diese Papillen sondern gewöhnlich zur Zeit der völligen Ausbildung des Fruchtknotens eine kleberige, Gummi und Zucker haltende Substanz, die Narbenflüs- sigkeit, ab. Eine ähnliche Substanz wird häufig in die Intercellulargänge ‚der unmittelbar unter dem Epithelium der Narbe und des Staubwegs liegenden Zellenschichten abgesondert, und zwar häufig in solcher Menge, dass die einzelnen Zellen völlig aus ihrem Verbande getrennt werden und ziemlich locker in diese, schleimige, dick- flüssige Substanz eingebettet liegen. Leicht ist dieser Process z. B. bei den Orchideen und, Onagreen zu ver- folgen. Das gesammte Epithelium, sobald es papillös geworden, sowie das lockere Zellgewebe, sammt ‚der abgesonderten Substanz, nennt man "das leitende Zell- gewebe (tela conductrix, conductor fructificationis | | | | < Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 327 Horkel, tissu conducteur Brongniart). In seltenen Fällen, bei Asclepiadeen und Apocyneen, wo die obere Ocfnung des Staubwegcanals vollkommen verwächst, bildet sich von der Höhle des Staubwegs aus ein solches leitendes Zellgewebe durch die ganze Dicke.der Wan- dung bis zur äussern Fläche. Bei den Asclepiadeen kommt noch eine eigenthümliche Absonderung an fünf Ecken des grossen, aus Verwachsung der Narben her- vorgegangenen, Körpers vor, aus welcher fünf drüsige, kaum organisirte Gebilde, je mit zwei Armen, von Visein überzogen hervorgehen und, wie schon bemerkt, die Pollenmassen beim Aufspringen der Antheren aufnehmen. Von den hier erwähnten Verhältnissen ist nur das letzte, die Bildung des leitenden Zellgewebes, von wesentlicher, Bedeutung. Diese aber ist abermals ein schlagender Beweis, wie haltungslos und unverstanden alle Untersuchungen und sogenannten Theo- rieen bleiben, wenn sie nicht auf Entwickelungsgeschichte ge- gründet sind. Schon Brongniart u) hatte erwähnt, dass die Narbe bei mehreren Pflanzen von einem oe ‚Oberhäutchen (euticula) bedeckt sey, so namentlich bei Nuphar, Nyctago, Hi- biscus. Hier war der Fehler von ihm begangen, dass er die Narben zu spät untersucht hatte, nachdem die abgesonderte kleberige Substanz bereits erhärtet war; zur Zeit des Aufblü- hens aber ist dieses angebliche Oberhäutchen eine dickliche, formlose Flüssigkeit. Bei den meisten Pflanzen hatte aber Brongniart diesen Stoff richtig für das erkannt, was er ist, ob- wohl er sein allmäliges Entstehen, als Absonderung der benach- barten Zellen, nicht beobachtet hatte. In neuester Zeit hat nun Hartig”) auf höchst mangelhafte Beobachtung dieser Substanz eine weitläufige, nicht blos die Lehre von der Befruchtung, son- dern selbst die Zellenbildung umfassende sogenannte Theorie gebaut, die in der That nichts als unvollständige Beobachtun- gen, noch dazu ungenau aufgefasst, enthält. Sein ganzes Ge- bäude stürzt, auf so schwache Stützen gebaut, augenblicklich zusammen, sobald man nur eine einzige Entwickelungsgeschichte des Fruchtknotens und seiner Theile genau verfolgt. 1) A. a. ©. Rob. Brown’s vermischte Schriften, herausgegeben von Nees v. Esenbeck, Bd. IV, S. 217 fg. 2) Neue Theorie der Befruchtung der Pflanzen, Braunschweig, 1842. 2 D Morphologie. Die. hier so. wichtig werdende Flüssigkeit ist in der: That o ee Anderes, ‚als die schon ı früher (Bd: 1. S.; 280), abgehan- delte Intercellularsubstanz, die sich hier nur dadurch unterschei- det, dass sie, viel wasserhaltiger und langsamer austrocknend, Hakere Zeit in dem flüssigen Zustande, in welchem sie abge- Sonkfert wird, verharrt, “Beobachtet man z. B.’ an Iris florentina die. Narbenpapillen aus einer entwickelten Knospe, so zeigen sie sich als längliche, sehr zartwandige Zellen, mit gewöhnlichem Zelleninhalt, nebst einigen Stärkekörnchen, in lebhafter, in Wandörchen vertHeilter Circulation. Alkohol und Säuren machen, wie bei allen frisch vegetirenden Zellen, den Inhalt ge- rinnen,» und: wie bei allen, vielen Schleim enthaltenden Zellen zieht: sich der. Inhalt in der Mitte der Zelle darmförmig zusam- men; von einer Innenhaut ist hier gar nicht die Rede ). ‚Bei der sich öffnenden Blume findet man, dass sich an der Spitze der Papille eine zarte Absonderung einer schleimigen Flüssigkeit zeigt; diese wird nach und nach zu einem, die ganze Spitze umhüllenden Mützchen und zieht sich allmälig herab, so dass sie die ganze Papille einnimmt. Dies ist Hartig’s äussere Haut. Sind die Papillen aber sehr wenig entwickelt, wie bei den von Brongniart genannten Pflanzen, so fliessen be Absonderungen _ der einzelnen Zellen zusammen und bilden so eine unorganisirte Schicht auf der Narbenfläche und selbst auf der ganzen Wand des Staubwegcanals.. Dies ist die cuticula von Bronensart und Hartig, die aber, so lange diese Theile noch frisch "sind, eine .zähe, kleberige, de Flüssigkeit und keine Meinbran ist. und sich auch deutlich durch ihre Entstehung als Absonde- rung zu erkennen giebt. Sie ist im Wesentlichen identisch mit 1) Hartig nimmt bei den Stigmapapillen drei Membranen an. Von der äussern will ich sogleich reden, die mittlere ist die eigentliche Zel- lenmembran, die innere aber existirt gar nicht und ist nur die oben erwähnte Erscheinung. In seinem Lehrbuch der Pflanzenkunde, Heft 4, hat'nun Hartig diese verkehrte Ansicht sogar auf die Oberhaut der Pflanzen angewendet, aber aus gänzlicher Unkenntniss der Bildungs- geschichte noch mehr verwirrt. : Ich habe schon früher darauf aufmerk- sam gemacht, dass bei allmälig sich ablagernden, gallertartigen Ver- diekungsschichten im Innern der Zellen die innerste oft unlöslicher ist, als die andern, und zwar ganz natürlich aus demselben Grunde, weshalb die’ äussere Schicht der Stärkekörner: unlöslicher ist,‘ als die inneren, weil nämlich die in der Zelle enthaltenen Stoffe, Wachs, Eiweiss u..s. w., diese Schicht, mit der sie beständig in Berührung sind, imprägniren. In den von Hartig angeführten Fällen der Oberhautzellen ist nur die äussere Membran die wirkliche ursprüngliche Zellenmembran, alle übri- gen sind später abgelagerte Verdickungsschichten, von denen ‚nur die innerste wegen der eingedrungenen Stoffe unlöslicher ist und ’sich na- türlich auch gegen Aullösungemiunl und Reagentien ua verhält, als die andern: Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 329 der Absonderung äuf der‘ Epidermis (vergl. Bd. I. $. 286) ') und unterscheidet sich nur, wie es scheint, in ihrer chemischen Zusammensetzung von derselben, indem sie mehr Gummi und Zucker, diese mehr Gallerte und oft Wachs oder Harz enthält. Uebrigens ist sie in ihrer chemischen Natur bei verschiedenen Pflanzen sehr verschieden, oft ganz dünnflüssig, z. B. bei den Lemnaceen, wo sie fast nur eine concentrirte Auflösung von oxalsaurem Kalk mit ein wenig Gummi und Zucker zu seyn scheint, am dicksten und zähesten und wahrscheinlich Pflanzen- gallerte enthaltend bei Nuphar, wo sie sehr bald zu einer dicken, sehr derben Membran eintrocknet. Da wo sich die Absonde- rung nicht blos auf die Oberfläche beschränkt, sondern auch die ‚Intercellular-Gänge und -Räume der nächsten Zellenschichten be- trifft, ist, wie es scheint, die abgesonderte Substanz allenthalben identisch. Durch diese Absonderung werden die einzelnen Zel- 1) Hartig’s Arbeiten kamen mir leider erst zu Gesicht, als der erste Band schon gedruckt war. Ich habe in den letzten Wochen weder Zeit, noch auch Gelegenheit gehabt, alle Hartig’schen Angaben in der Natur zu prüfen, es ist aber auch völlig unnöthig. Beispiele genügen hier vollkommen, um zu zeigen, dass Harfig noch nicht auf'' dem Puncte steht, wesentlich brauchbare Beobachtungen zu machen. Dass er die ganze Bildung der, unorganisirten Schicht auf der Oberhaut. missver- stand, ist sehr natürlich, weil er nicht zugesehen, wie sie sich bildet; die garize Sache findet ihre Widerlegung in dem von mir darüber Mit- getheilten. Seine ganze sogenannte Theorie ist überhaupt auf die Er- scheinung gebaut, die die Oberhaut bei ihrer Zerstörung durch concen- trirte Schwefelsäure darbietet, eine sehr verwerfliche Art zu unter- suchen, so lange es noch andere und bessere Mittel giebt. Für die Behauptung, dass seine unorganisirte Epidermis auch die Spaltöffnungen überziehe (wahrlich durch die bekanntesten Experimente, z. B. mit dem Durchdringen der Dinte, kinderleicht zu widerlegen), hat er nur den einen Beweis, dass bei der Zerstörung der Oberhaut durch concentrirte Schwefelsäure die Spalte früher sich den Blicken entzöge, als die. bei- den Spaltöffnungszellen. Die Richtigkeit der Thatsache zugegeben, so beweist ein so roher Versuch doch nichts; denn natürlich werden die freien Ränder der Spalte am schnellsten angegriffen und verwischt, da die aus der Zerstörung entstandene gelbliche Flüssigkeit die Spalte ausfüllt.. Aber bei Betula, auf die sieh Harfig insbesondere bezieht, haben mir ‘meine Untersuchungen gerade das Gegentheil 'gezeigt; ich erhalte, wenn ich die Oberhaut mit rauchender Schwefelsäure von der innern Seite befeuchte, ‘beständig eine einfache, structurlose Membran als Rest, in der die Spalten ganz scharf gezeichnet zurückbleiben. Statt einer wachsartigen Substanz ist nämlich bei Befula eine harzartige auf der Oberfläche abgesondert und durchdringt die abgesonderte Gallert(?)- schicht, ‘wodurch diese länger als die Zellen’ gegen den Angriff der Schwefelsäure geschützt ‘wird; entfernt‘ man aber: vorher jenes Harz durch Digeriren mit 'Terpenthinöl ünd Aether ‚so wird die Schicht eben so schnell, fast noch schneller, als die Zellen zerstört. 330 Morphologie. u. len, die früher ein völlig dichtes Zellgewebe bildeten, völlig von einander isolirt Gewöhnlich sind diese unter dem Epithelium liegenden Zel- len ') etwas länglich spindelförmig (z. B. Orchideen, Onagreen) und etwa. vier- bis fünfmal so breit, als die später zu erwäh- nenden Pollenschläuche. Bei den Cucurbitaceen sind es ganz kleine rundliche, bei den Campanulaceen : und einigen andern ziemlich lange Zellen, die aber selten eine halbe pariser Linie überschreiten und stets durch zwei- bis: dreifach stärkere Durch- messer , von den Pollenschläuchen zu unterscheiden sind. Man hat sie hin und wieder Schleimröhren genannt, weil man sie, in Folge mangelhafter Beobachtung, mit den später zu erwähnen- den Schleimröhren (mucous: tubes) von Rob. Brown vermengte, mit denen sie nichts; zu thun haben. Etwas auffallendere Formen des’ leitenden Zellgewebes sind auch wohl mit höchst überflüssigen eigenen Namen belegt wor- den. So erstreckt sich bei den Plumbagineen von der innern Oeffnung des Staubwegcanals bis in den dicht darunter liegen- ‘den "äussern Eimund ein kleiner Strang solchen Zellgewebes, den man Stempel (embolus) genannt hat; bei Linum, Euphorbia und Kicinus sind ‚die Papillen dieses Gewebes ganz lang. haar- förmig ‚und erstrecken sich so ganz dicht über den Eimund und in’ diesen hinein. ‘Dabei sind sie bei Ricinus prachtvoli roth gefärbt; Mirbel?) hat sie von Euphorbia viel zu steif und ge- drechselt als einen festen Körper, den er eteignoir nennt, sowie jenen embolus: zuerst abgebildet. Aehnliches Zellgewebe pracht- voll goldgelb kommt bei Phytolacca vor, auch bei fast allen Portulaceen wird der Eimund dicht von langem, haarförmigen, leitenden Zellgewebe eingehüllt. Etwas ausführlicher will ich hier noch den immerhin wunder- lichen Bau. der Apocyneen und Asclepiadeen darstellen, der von jeher eine crux: botanophilorum gewesen ist und über den Nie- mand als. Rob. Brown°) etwas Brauchbares gesagt hat, weil er i) Die Epitheliumzellen sind meist von den darunter, liegenden Zel- len in der Form verschieden und in früheren Zuständen ‚deutlich zu erkennen; bei der Lösung der. Zellen. werden auch die Epitheliumzellen in der sschleimigen Flüssigkeit zerstreut und sind nur schwer einzeln aufzufinden. 2) Ueber Entwickelung des Pflanzenei’s, vergl. Rob. Brown’s, ver- mischte Schriften, herausgegeben von N. v. Esenbeck, Bd. 4, S. 528 ff. Taf. 5, Fig. 12 u. 17. 3) Wie man nach Rod. Brown’s Arbeiten noch so unbeholfene Vor- stellungen im Geiste des vorigen Jahrhunderts vorbringen kann wie Link, I. c. II, 231, ist wahrlich nur auf eine Weise erklärlich, dass gründliches Studium fremder Arbeiten überall noch nicht in dem Geiste der Botanik liegt. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 331 der Einzige war, der zusah, wie sich die Theile bilden. Mit grossem Fleisse habe ich alle. hierher gehörigen Pflanzen, die ich mir. verschaffen konnte, untersucht, kann aber höchstens in klei- nen Nebenpuncten der ausgezeichneten Arbeit Rob. Brown’s etwas zusetzen. In der Anlage der Blüthe entstehen zwei kleine blatt- artige (?) Organe, die sich zusammenbiegen und jedes für sich mit: den Rändern verwachsen und so zwei gerade Röhren bil- den. Schon früh verwachsen sie bei den meisten Apocyneen unter einander, selten, wie bei Apocynum, bleiben sie im untern Theile frei. Der obere Theil dagegen, der sich schon früh flei- schig, verdickt und bald an Masse bei weitem den untern über- trifft, verwächst bei beiden Familien so vollkommen, dass man später in dem homogenen Zellgewebe die ehemaligen Grenzen nicht mehr bestimmen kann. Während sich nun der untere Theil allmälig zur Fruchtknotenhöhle und zu einem kurzen Staubweg entwickelt, ‚während sich Saamenträger und Saamenknospe aus- bilden, geht im obern Theile eine eigenthümliche Veränderung vor sich; der anfänglich noch offene Canal verwächst nämlich ebenfalls vollständig, ohne im Innern eine Spur zurückzulassen '). Der ganze Körper nimmt die specifische Form 'an, die bei den Apocyneen gewöhnlich einen kurzen Cylinder, der nach Oben kegelförmig zuläuft, bei den Asclepiadeen dagegen gewöhnlich ein kurzes pentagonales Prisma, nach Oben ebenfalls konisch zulaufend,, vorstellt. 1) Bei den Apocyneen bildet sich an oder etwas über dem untern Rande des Cylinders ein hautartiger, länger (Vinca) oder kürzer (Apocynum) hervortretender,, oft festonartig ausgezackter (Cerbera) Rand, oberhalb dieses Randes, oder in den Ausschnit- ten desselben, oder an einigen. Haarbüscheln nach specifischen Verschiedenheiten, beginnt dann eine Absonderung von Viscin, durch welches die Haarbüschel und Vorsprünge an den Trägern der Staubtäden und die Basen der Antheren fest an den Nar- benkörper angeklebt werden. Auf dem ganzen Körper hat sich allmälig eine deutliche Epidermis ausgebildet, nur nicht dicht unterhalb des Randes (oder bei Vinca dicht oberhalb dessel- ben[?]). Hier beginnt dagegen die Aussonderung der Narben- flüssigkeit und diese setzt sich dann in bogenförmigen Streifen durch die ganze Dicke des Narbenkörpers fort bis in die Höhle des Staubwegs und bildet so ein leitendes Zellgewebe, welches die Dicke des ursprünglichen Fruchtblattes (?) durchbricht, um in die Fruchtknotenhöhle zu gelangen. 1) Auf der obern Fläche markiren sich häufig zwei punctförmige Vertiefungen als die Spuren des verwachsenen Canals, z. B. bei den Stapelien. 0) [37 32 Morphologie, ' 2) Bei den Asclepiadeen bildet sich ‚ebenfalls eine ziemlich derbe Oberhaut über den ganzen Narbenkörper aus. Anden fünf Kanten desselben nimmt sie eine eigenthümliche :Form'an, indem die Zellen derselben sich senkrecht auf‘ ‘die Fläche’ sehr in die Länge strecken (ähnlich auch bei Apocynum an fünf Stel- len oberhalb des Randes). Unmittelbar unter diesen fünf Stellen bleiben fünf Puncte ohne ausgebildete ‚Oberhaut, indem sich von diesen fünf Stellen aus, auf dieselbe Weise wie bei den Apocy- ‚neen, fünf Stränge leitendes Zellgewebe bis in den Canal des Staubwegs bilden. Auf jenen fünf darüber liegenden Stellen der eigenthümlich ‚modificirten Oberhaut beginnt nun bei den Ascle- piadeen. und. bei Apocynum 'schon früh die 'Absonderung einer eigenthümlichen, viscinähnlichen, ‚klebrigen Substanz, und in der- selben erscheinen ganz verschiedene Formen; bei Apocynum fünf kleine, flach rundliche Kissen: bildend, bei’ den Asclepiadeen etwas längliche, in ‘der Mitte 'gefurchte und''in völliger ’Ausbil- dung mit zwei vom obern ‘oder untern Ende abgehenden Armen versehene Körperchen darstellend, die bei verschiedenen ‘Arten und Geschlechtern mannigfache kleine, unwesentliche Verschie- denheiten zeigen. : Dieses Körperchen ist der darunter liegenden, so auffallend scharf und deutlich entwickelten Oberhaut nur auf- geklebt, anfänglich grün,’ wird dann allmälig‘ gelb und zuletzt dunkelbraun. Seine Structur. ist nur sehr undeutlich zellig, viel- leicht. gar nicht. Sein Ursprung ist noch keineswegs völlig er- mittelt, denn die Untersuchungen sind die schwierigsten, die ich kenne; nach einigen Beobachtungen an Gomphocarpus und Hoja, möchte ich fast schliessen, dass die äussersten Ränder: der flü- gelartigen Anhängsel der Antheren schon früh sich hier anleg- ten, festklebten und später von der Anthere abgerissen würden, so dass jeder Körper aus dem Zusammenkleben zweier Fetzen von zwei verschiedenen Antheren entstände. So viel ist gewiss, dass sie niemals den Ecken des Stigmakörpers organisch ver- bunden sind, denn die schon vor ihrem ersten Erscheinen deut- lich gebildete Oberhaut läuft ganz. gleichförmig und unverletzt unter ihnen weg. Höchstens könnte man, obige Ansicht 'verwer- fend, sie als halborganisirte Absonderungsproducte ansehen. ' Zur Zeit des Aufspringens der'‚Antheren liegen ’sie immer so, dass das eine, meist das obere (bei den Stapelien‘ das. untere) Ende der Pollenmasse sogleich mit einem Arm dieser Körperchen in Berührung kommen muss und dort festklebt. Was mir bis jetzt ebenfalls noch unmöglich war, zu entscheiden, ist, ob die fünf Stränge leitenden Zellgewebes ungleich vertheilt (zu zwei und drei) in die beiden Staubwege. eintreten, oder ob sie sich. kurz vorher zu einem Kreise vereinen, der. dann in zwei, gleiche Theile an die Staubwege vertheilt wird. U Spee, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 333 b) Von dem Saamenträger. $. 163. Da die Saamenknospe einer Knospe entspricht, ‚die ‚eben unmittelbar aus einem Stengel hervorgeht, so kaun natürlich ‘gar häufig von einem Saamenträger als beson- derem . Organ gar nicht die Rede seyn, wenn nämlich die Axenorgane, aus denen die Saamenknospen entsprin- gen, schon anderweitig als Organe bestimmt und be- zeichnet sind. In diesem Falle versteht‘ man unter Saa- menträger .nur die Region, in welcher die Saamenknos- pen hefestist sind, und. im einfachsten Falle kann diese sich auf die Basilarfläche einer einzigen Saamenknospe beschränken, ‚z.B. bei Taxus.. Es emuen aber auch die; ‚Stellen eines Axengebildes, welche Saamenknospen tragen, so hervortretend gebildet ‚seyn, ‚dass man sie als besondere Theile dieses Axenorgans recht wohl unter- scheiden kann "), oder es kann ein besonderes Stück der Axe, welches noch nicht anderweitig. als Organ bestimmt ist, ausschliesslich der Production von Saamenknospen bestimmt seyn. So erhalten wir folgende Verschieden- heiten: «) Saamenträger als blosse Oertlichkeit an einem andern Organ; 5) Saamenträger als unterscheidbarer Theil eines, selbstständigen. Organs; ec) Saamenträger als selbstständiges Organ. Diese haben wir nun mit ‚dem verschiedenen Vorkommen und. den verschiedenen Formen der Fruchtknotenhöhle zu vergleichen. 1) .Wo eine. Fruchtknotenhöhle : gänzlich fehlt, wie bei Cycadeen, Coniferen und Loranthaceen, haben wir leider auch noch: so wenig Material für, die Entwicke- lungsgeschichte, ‚dass wir nur nach Anleitung der. bei gut: untersuchten Pflanzen gefundenen Gesetze ?) erklä- l) Etwa wie die vorspringenden Rippen am Echinocactus- und Melocactus-Stamm. 2) Von den genannten ‘Familien habe ich bis jetzt nur die Ent- wickelungsgeschichten von. Abies, Tazxus und Visceum so vollständig, dass sie keinen Zweifel mehr übrig lassen. 334 Morphologie. rende Vermuthungen wagen können. Danach stellt sich die Sache so: a) Die nackte Saamenknospe als unmittelbare En- dung der Blüthenaxe, also ohne unterscheidbaren Saa- menträger finden wir bei Taxus, Ephedra, Podocar- pus, Dacrydium und den Loranthaceen. b) In der Achsel eines Deckblattes (bei Pinus, Larix, Abies, Gingko), oder ohne Deckblatt (bei Za- mia, Araucaria, Agathis), bildet sich ein Zweig, wel- cher als selbstständiger Saamenträger die Saamenknos- pen trägt. Dieser Saamenträger ist flach und trägt viele Saamenknospen an seinen Rändern bei Cycas; schup- penförmig und trägt ein (bei Agathis und Araucaria) oder zwei Saamenknospen (bei Zamia, Pinus, Laris, Abies) auf seiner obern Fläche; oder stengelartig ver- ästelt und trägt auf der Spitze jedes Zweiges eine Saamenknospe (bei Gingko). Ueber die andern Coniferen, besonders aus der Gruppe der Cupressineen, z. B. Juniperus, Oupressus, Thuja u. s. w., wage ich beim Mangel der ‚Entwiekelungs- geschichte oder genügender Analogien auch nicht ein- mal eine Vermuthung auszusprechen. 2) Bei dem oberständigen Fruchtknoten muss zu bh Fruchtblättern stets noch ein Axenorgan als Träger der Saamenknospe hinzutreten. Hier sind folgende Fälle möglich: *6) Die Blüthenaxe selbst trägt als Terminalknospe eine Saamenknospe, entweder ohne dass sie innerhalb der Fruchtknotenhöhle als besonderes Organ (Saamen- träger) zu unterscheiden ist (gemmula basilaris, z. B. Zea Mays), oder sich innerhalb der Fruchtknotenhöhle zu einem freien, centralen Saamenträger verlängernd (gemmula ex apice spermophori centralis hiberi fih- formis pendula, z. B. Stutice). b) Die Blüthenaxe trägt innerhalb der Fruchtknoten- höhle als centraler Saamenträger mehr oder weniger verlängert die Saamenknospen als Seitenknospen (gem- Spee. Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 335 mulae amgulo interno loculorum affizae zum Theil, und das spermophorum centrale der beschreibenden Bo- tanik, z. B. Ericeae); sind nicht mehr Saamenknospen als Fruchtblätter vorhanden, so erscheinen ‘jene als die Axillarknospen dieser (z. B. Lavatera), sonst sind sie ohne stützende Blätter (z. B. bei Labiaten und Borra- gineen). Schlagen sich dann die Ränder der Frucht- blätter nicht nach Innen und verwachsen nicht mit dem Saamenträger,‘ so steht dieser frei in der Mitte der Fruchtknotenhöhle (spermophorum centrale liberum, z. B. bei Primulaceen). c) Die Blüthenaxe verästelt sich innerhalb der Frucht- knotenhöhle und die Zweige (Axillarzweige der Frucht- blätter) biegen sich gleich bei ihrem Ursprung seitwärts und verwachsen mit den Rändern je zweier Fruchtblät- ter auf ihrer innern Seite als wandständige Saamenträ- ger (spermophora parietalia), die Saamenknospen als Seitenknospen tragend (z. B. bei Resedaceen, Urucife- ren). Hier können die Spermophoren entweder so gleich- förmig mit den Fruchtblättern verwachsen, dass sie nicht als besonderes Organ mehr zu unterscheiden sind, oder sie. können mit dem Saamenknospen tragenden Rande nach der Höhle zu vorragen, auch in der Axe dersel- ben zusammenstossen und unächte centrale Saamenträger bilden, oder endlich, sie können zwischen den Saamen- knospen in eine nackte Lamelle sich ausdehnen, sich im Innern der Fruchtknotenhöhle berühren, hier mit einan- der verwachsen und so falsche Scheidewände bilden (z. B. bei den Cruciferen). 3) Beim halb und ganz unterständigen Fruchtknoten ist allemal die Blüthenaxe selbst in der Form des unter- ständigen Fruchtknotens auch der Träger der Saamen- knospe. Hier sind folgende Fälle) möglich: 1) Auch der Fall wäre möglich, dass sich die Axe vom Grunde der Fruchtknotenhöhle noch einmal wieder erhöbe und so einen freien centralen Saamenträger bildete; mir ist aber kein Beispiel dafür bekannt. Auch hier kann dann der Fall eintreten, dass nach Innen vorspringende 336 Morphologie, a) Hier kann die 'Terminalknospe, also der: innerste und tiefste Theil der Fruchtknotenhöhle, sich als Saa- menknospe ausbilden (gemmula basilaris unica in. ger- mine infero, z. B. die Compositen) oder die Axe kamn sich innerhalb der, Fruchtknotenhöhle noch. einmal erhe- ben und die Saamenknospen als Seitenknospen tragen (spermophorum .centrale in. germine infero, z. B. bei den Myrtaceen). b) Die innere Fläche der Fruchtknotenhöhle trägt auf so viel Linien, als Fruchtblätter vorhanden sind, ohne weitere Auszeichnung die Rescue (sper- mophora parietalia). c) Es springen von der innern Fläche der Frucht- knotenhöhle eben so viele und eben so gelegene Leisten hervor, welche an ihrer freien Kante die Saamenknos- pen tragen (spermophora parietalia, z.. B.. Orchideen). d) Diese vorspringenden Leisten werden so. breit, dass sie in der Axe der Fruchtknotenhöhle zusammen- stossen und so falsche Scheidewände bilden; dann theilt sich ihr Rand in zwei, Lamellen, die etwas zurückge- bogen in die zwei anliegenden Fächer hineinragen und jede an ihrer freien Kante die Saamenknospen tragen (gemmulae in angulo loculorum interno Beach 2 B. Irideen). Endlich bei dem Stengelimehiknateihe ‚der',stets aus der verästelten Blüthenaxe "gebildet ist, a es’ die, sich ein wenig nach Innen biegenden Ränder der flach: aus- sebreiteten Aeste, an denen sich die, Saamenknospen bil- den. Diese Ränder können auch hier nur ‚einen schwa- chen Vorsprung bilden »(spermophorum parietale bei Leguminosen), oder sich ganz hineinschlagen, indem: sie mit. ihren äussern, einander zugekehrten Flächen: ver- wachsen, so dass je zwei eiertragende Ränder sich im innern Winkel jedes Faches befinden (gemmulae angulo loculorum interno affieae, z. B. Liliaceen). Kanten der: Axe (Fruchtknotenhöhle) falsche Scheidewände: bilden, in- deın sie mit dem centralen Saamenträger verwachsen, Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 337 5) Ausser diesen Fällen kommt noch ein ganz ah- norm: ‚scheinendes Verhältniss vor, indem nämlich. die ganze Fläche der Scheidewände mit Saamenknospem be- setzt ist, z. B. hei Butomus, Hydrocharis,. Stratiotes, Nymphaea und Nuphar. | | Dies sind alle mir bekannt gewordene Fälle der Bil- dung des Saamenträgers. Folgendes ist noch im All- semeinen über seine Form zu. bemerken. Der freie Saamenträger kann, wie die Axe selbst, in verschiede- ner ‚Gestalt vorkommen, kegelförmig, kugelig , als ge- stielte Kugel, eylindrisch, prismatisch,. geflügelt u. s. w. Der angewachsene Saamenträger, sobald er. als vor- springende Leiste zu unterscheiden ist, kann einfach 'an einer freien Kante Saamenknospen tragen, oder sich ‚in zwei Platten spalten, die oft sehr breit sind (z.B. bei Begonia, Gesneriaceae; spermophorum _bilamella- tum) '); auch kann jede Lamelle sich noch einmal spal- ten, so dass der Saamenträger vier Saamenknospen tra- sende Bänder hat, z. B. bei Martynia diandra. Eigen ist die Bildung bei den ÜOueurbitaceen, bei denen die wandständigen Saamenträger bis in die Axe reichen, hier zweiblättrig werden, diese Blätter, von je zwei Saamenträgern an ‚einander liegend, wieder bis an die Wand der Fruchtknotenhöhle zurückschlagen, so noch eine falsche Scheidewand in den schon durch falsche Scheidewände sebildeten Fächern bilden, dann sich jedes an seiner Seite wieder in das secundäre Fach hineinbiegen und am freien Rande. die Saamenknospen entwickeln. Er kann ferner anfänglich eine dünne Platte seyn, deren Band aber zu einer mehr oder weniger dicken Leiste anschwillt, die selbst noch wieder kantig, geflügelt u. s. w. seyn kann. Es ist ferner gar nicht selten, dass die Substanz des Saamenträgers zwischen den Saamenknospen sich stärker ausdehnt, so dass sie I) Der gewöhnliche Ausdruck placenta bifida ist sehr schlecht ge- wählt und bezieht sich auf das Aussehen eines dünnen Querschnittess 11. 223 338 Morphologie. mit ihrer Basis oder ganz in kleinen Grübchen des Par- enchyms sitzen, wie ‘besonders häufig bei den Primu= laceen der Fall ist. ' Endlich, seinen Bau betreffend, besteht er gewöhn- lich aus zartwandigem Zellgewebe mit Epithelium über- zogen, und nur wenn er nackt vorkommt (wie bei ©o- niferen), aus derben, porös verholzten Zellen mit deut- licher Epidermis; je nach ‘seiner Form wird er von einem oder mehrern Gefässbündeln ähnlich einer einfach gebauten. Axe durchzogen, welches gemeiniglich so viele Seitenäste abgiebt, als Saamenknospen vorhanden sind; es sey denn, dass diesen die Gefässbündel fehlen, wie bei Orchideen u. s. w. Zuweilen ist er im Innern sehr locker, von schwammförmigem Zellgewebe, mit grossen Intercellularräumen erfüllt (z. B. bei einigen Cruciferen, Capsella u. Ss. w.). Ich will hier noch einige Bemerkungen an das im Paragra- ' phen Vorgetragene knüpfen und folge dabei seinen Abtheilungen. Ad 1. Schon Rob. Brown hatte unwiderleglich aus dem Bau der Saamenknospen erwiesen, dass die Coniferen und Cycadeen nackte Saamenknospen haben. Die Entwickelungsgeschichte der Saamenknospe, durch welche man gar leicht eine Knospenhülle von einem Fruchtknoten unterscheidet, bestätigt diese Wahrheit. Weiter aber war dieser grosse Forscher nicht gegangen und nahm daher die allerdings blattähnlichen Schuppen für. ein soffe- nes Fruchtblatt, um so mehr, als damals noch die Ansicht ganz allgemein angenommen war, dass sich die Saamenknospen an den Rändern von Blattorganen bildeten, - Sobald aber durch die Entwickelungsgeschichte unzweifelhaft nachgewiesen war, dass wenigstens bei einer grossen Anzahl von Pflanzen die Saamen- knospen ganz unmöglich an einem Blattorgan entstanden seya könnten, sondern unmittelbar von einem Axenorgau getagen würden '), verlor das alte Vorurtheil allen Werth, .und es ent- stand für jede einzelne Pflanzengruppe die Frage: Ist der Theil, der die Saamenknospe trägt, ein Axenorgan, oder ein Blatt- organ? Woher nun die Entscheidungsgründe nehmen? Fol- 1) Hierher gehören mit leicht zu verfolgender Entwickelungsge- schichte: Taxus und Viseum, von denen man die Behauptung gleichen Ursprunges der Saamenknospe unbedenklich auf Ephedra, Podocarpus, Daerydium und auf die übrigen Loranthaceen übertragen darf. Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 339 gendes bietet sich hier zur Leitung des Gedankenganges an: 1) Entsteht in regelmässigen Gang der Vegetation nie- mals an einer bestimmten Stelle eines Blattes gesetzmässig eine Knospe; wo Knospen gesetzmässig an bestimmter Stelle sich bilden, ist die Grundlage immer eine Axe, Alle Fälle, die man dagegen anführt, sind Vorgänge, die unter Verhältnissen statt- finden, die der normalen Vegetation der Pflanze fremd sind, und auf diese allein dürfen wir bauen. 2) Im ganzen Gebiete der Pflanzenwelt bildet sich niemals ein einfaches Blatt in der Achsel eines andern Blattes; was in einer Blattachsel entsteht, ist allemal ein Axenorgan mit mehr oder weniger ausgebildeten Blättern. 3) Blatt und Axe lassen sich auf keine Weise nach äussern Formverhältnissen unterscheiden, sondern einzig und allein durch ihren Entwickelungsprocess; daher kann über Blatt- oder Axennatur eines zweifelhaften Organs, ausser den unter I und 2 erwähnten Analogien, nur die Entwickelungsgeschichte, diese aber auch mit sicherem Abschluss entscheiden. Nun finden wir, dass sich bei Abies m der Achsel eines Blattorgans ein anderes Organ zeigt, welches gerade wie ein Axenergan sich ‚bildet und spätergan sich Knospen (Saamen- knospen) entwickelt. Dies Organ ist also nicht Fruchtblatt, sondern ein freier Saamenträger. Haben wir dieses Resultat mit Sicherheit erhalten, so können wir nun mit grosser Zuver- lässigkeit die meisten andern Coniferen und Cycadeen nach Ana- logie beurtheilen. Hiernach erscheint die weibliche Blüthe von Cycas und Abies nur dadurch unterschieden, dass dort der Saamen- träger mehrere nicht umgedrehte Saamenknospen trägt. Hierbei ist vorausgesetzt, dass auch er sich aus einer Blattachsel erhebt, was leider von keinem Botaniker, der Gelegenheit dazu hatte, beachtet ist. Zweifel könnte hier eine Aeusserung von Link‘) erregen, der sagt: „Unter den Blättern finden sich andere blatt- artige Theile und zwar unter jedem Blatte ein solcher Theil.“ Link spricht das ganz allgemein von den Cycadeen aus; hätte er etwas genauer zugesehen, so würde er bemerkt haben, dass diese blattartigen "Theile niemals unter einem der vollkommen entwickelten Blätter sitzen, sondern dass ‘dieses jedesmal mit zwei solcher unter ihm stehenden Schuppen alternixt; er würde ferner bemerkt haben, dass sämmtliche Blattorgane am Stamme eine einzige Spirale bilden, aus der eben nach zufälligen Be- günstigungen einzelne Glieder zu vollkommenen Blättern, andere nur zu rudimentären: Schuppen ausgebildet werden; er würde ferner an Zamia bemerkt haben, dass jeder Blattstiel unten am Blattkissen geflügelt ist (sogenannte stipulae adnatae hat), und I) Wiegmann, Archiv 1841, Bd. I., S. 372. 340 Morphologie. dass die Schuppen eben so ausgebildet sind und sich von den Blättern nur dadurch unterscheiden, dass statt 'Blattstiel und Fiederlappen ein kleiner, verkümmerter, fadenförmiger Theil ge- bildet ist. So verhält;sich die Sache wenigstens bei Cycas und Zamia. Wie es .bei Encephalartos ist, kann ich nicht sagen, da ich nie Gelegenheit hatte, die Pflanze zu sehen; ich bin aber fest überzeugt, dass es hier nicht anders ist. Was Link hat abbilden lassen, kann ich nicht beurtheilen, denn ich habe das Werk nicht gesehen. Bei dem gedrängten Stande der Blätter und der Breite ihrer Basıs »ist’s aber sehr natürlich, dass man bei einem Längsschnitt durch die Axe eines Blattes auch noch die Basis eines andern mit durchschneidet; damit ist aber nichts für die Stellung der Blätter zu einander bewiesen, wenn nicht der Schnitt zugleich in der ganzen Länge die Axe des zweiten Blattes trifft. Dies könnte vielleicht zur Erläuterung der Link- schen, wenigstens bei Cycas und Zamia, wie Jeder leicht sich überzeugen kann, unzweifelhaft falschen, Behauptung führen. Ad 2.. Bei den oberständigen Fruchtknoten finden wir eine grosse Menge von Pflanzen, bei denen schon aus der Stellung der Saamenknospen ihr ungnittelbarer Ursprung aus reinem Axen- organ folgt, was denn auch entschieden von der Entwickelungs- geschichte bestätigt wird. Ich nenne hier nur folgende, von mir selbst in der Entwickelung beobachtete Pflanzen !), für die ich daher bürgen kann: Amarantaceae, Ardisiaceae, Aponogeton, Arum, Ambrosinia Bassii, Berberideae, Cyperaceae, Chenopodeae, Cau- linia, Calla palustris, Cryptocoryne spiralis, Caladii spec., Eri- ceae, Globularia, Gramineae, Jllecebreae, Lemnaceae, Lineae, Malvaceae, Melianthus major, Myriceae, Najas, Nyctagineae, Orontium aquaticum, Primulaceae, Plumdagineae, Polygoneae, Portulaceae, Piperaceae, Pistiaceae, Polygala, Plantago, Sauro- matum guttatum, Trapa natans, Urtica und einige andere, so- gleich zu nennende. Eine solche Reihe lässt allerdings nicht auf vereinzelte Ausnahmen, sondern auf eine so durchgreifende Gesetzlichkeit schliessen, dass ferner keine Präsumtion mehr für die Bildung des Saamenträgers aus einem Blattrande, sondern dage- gen spricht, besonders wenn man bedenkt, wie manche mit den genannten noch verwandte Familien, Geschlechter und Arten sich augenblicklich und mit Sicherheit nach Analogie hier anreihen lassen, namentlich ohne Ausnahme alle Pflanzen mit spermophorum cen- trale liberum oder mit gemmulis basilarıbus. Dazu kommen nun noch die Pflanzen, bei denen die Saamenknospe geradezu nichts Anderes ist, als die Axillarknospe des Carpellblattes, wofür ich 1) Bei sehr einförmigen Familien habe ich stets mehrere Genera, bei Geschlechtern einige Arten untersucht. Spec. Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 341 folgende nennen kann: Alisma, Dryadeae, Euphorbia, Limnanthes Douglasü, Luzula, Malvaceae loculis 1 -ovulatis, Mercurialis, Phyy- tolacca decandra, Sagittaria, Tropaeoleae, Triglochin. Die ge- nannten Pflanzen umfassen die unter «) und b) genannten Fälle. Für den bei c) beschriebenen Fall spricht bei den Cruciferen die vollständige Entwickelungsgeschichte, bei den Resedaceen aber diese und die schönsten rückschreitenden Metamorphosen in allen erdenklichen Zwischenstufen, die man in den Gärten gar häufig an Reseda alba findet. Allerdings bleiben hier noch eine grosse Menge von Fällen unentschieden, für die ich die Axenbildung des Saamenträgers nur postuliren kann; darüber können allein künftige Untersuchungen der Entwickelungs- geschichte entscheiden; bisher hat meine Zeit nicht hingereicht, noch mehr Material zu verarbeiten. Hier finden dann noch folgende Verschiedenheiten statt, näm- lich der ächte centrale Saamenträger, mit ächten Scheidewänden verwachsen (bei Solaneae, Acanthaceae u. s. w.), der unächte centrale Saamenträger, ‘aus den wandständigen Saamenträgern gebildet, welche bis zur Axe in die dadurch unächt-mehrfächerig werdende Fruchtknotenhöhle hineinragen, und endlich die wand- ständigen Saamenträger. Die beiden ietztern Fälle sind häufig. Für die gemmula basilaris will ich nur noch einmal erwähnen, dass die einseitige Ausbildung des Blüthenbodens den Saamen- träger gar oft als einen Theil der Wand der Fruchtknotenhöhle erscheinen lässt, während er in der That nur ihr Boden ist, und dass daher auch Saamenknospen spurie laterales seyn kön- nen, die eigentlich basilares sind; dies ist namentlich der Fall bei allen Gräsern, Potamogetonen und vielleicht noch bei vielen andern, wofür es bis jetzt noch an der Entwickelungsgeschichte fehlt. Ad 3. Man mag nun über die Natur des unterständigen und halb unterständigen Fruchtknotens denken wie man will, so giebt es doch auch hier ganz unzweifelhafte Fälle, wo Stellung und Entwickelungsgeschichte die Saamenknospe als unmittelbare Fort- setzung der Blüthenaxe nachweisen. Hierher gehört vor Allem die ausgedehnte Familie der Compositen, die Yo der ganzen phanerogamen Vegetation umfassend kein kleines Gewicht für die Ansicht von der allgemeinen Gesetzlichkeit der Bildung des Saamenträgers aus der Axe in die Wage legen. Ferner nenne ich hier, nach eigenen Untersuchungen, die Juglandeae, Elae- agneae, Lonicereae, Rubiaceae und Peliosanthes Teta. Bei allen diesen kann kein einigermassen genauer Beobachter bezweifeln, dass der Saamenträger eine unmittelbare Fortsetzung der Blü- thenaxe und selbst ein Axenorgan sey. Auch bei den Myrtaceen erhält man durch die Entwickelungsgeschichte dasselbe Resultat. n G) Morphologie. Wenn man aber genau ..die Entwickelung eines unterständigen Fruchtknotens verfolgt, so bleibt auch. nieht der geringste Zwei- fel, dass derselbe eben selbst nur ein Axenorgan sey, und so ist auch für ‚die wandständige Saamenträgerbildung da, wo die Fruchtblätter auch nicht einmal scheinbar in die Fruchtknotenhöhle hineinreichen, gewiss, dass die Saamenknospen an einem Axen- organ sitzen. Um aber die unächt mittelständigen Saamenträger zu begreifen, muss man sich erinnern, dass die innere Fläche eines becherförmigen Axenorgans' seinen Seiten im gewöhnlichen Zustande entspricht; zeigen diese nun vorspringende Rippen, auf denen die Knospen sitzen, etwa wie bei Echinocactus, so müssen bei der Becherform diese Rippen nach Innen vorspringen, nach Oben aber können die Fruchtblätter eben so mit diesen nach Oben laufen- den Vorsprüngen der Axe verwachsen, wie beim sogen. folium decur- rens mit den nach Unten laufenden (vergl. oben S. 186). Dagegen muss man bedenken, dass diese Vorsprünge (welche die falschen Scheidewände bilden und die Saamerknospen tragen) senkrecht vom Rande der Fruchtknotenhöhle bis zum Grunde derselben aufsitzen; diese. Richtung entspricht nun aber an der gewöhn- lichen Axe der Längsrichtung von Unten nach Oben, und so ist niemals ein Blatt an einer Axe befestigt, sondern immer in trans- versaler Richtung; schon deshalb können diese Vorsprünge keine Blätter seyn. Endlich wollte man die Flügel der Axe beim folium decurrens selbst für einen wirklichen Blattheil nehmen, so würde die Analogie hier doch unanwendbar seyn, denn die Rich- tung vom Rande einer hohlen Axe nach dem Grunde ihrer Höhle entspricht der Richtung von Unten nach Oben; nun’ ken- nen wir zwar sogenannte herablaufende Blätter, aber die Sten- gel hinauflaufende Blätter sind unerhört.. So scheint mir für diese Abtheilung die Annahme einer Saamenträgerbildung aus der Axe ganz ausnahmslos begründet zu seyn. Ad 4. Hier habe ich nichts hinzuzufügen, sondern nur auf das beim Fruchtknoten Gesagte zu verweisn. Habe ich dort Recht gehabt, so versteht sich hier die Sache von selbst. Ad 5. Ueber die hier aufgeführten Fälle wage ich noch kein Urtheil, weil mir die vollständigen Entwickelungsgeschichten feh- len. Ich habe mir hier und in ähnlichen Fällen bei einer frühern Arbeit (noch befangen in dem Geiste der alten Schule, in der ich gelernt) mit Analogien und Vermuthungen fortgeholfen, die ich hier ausdrücklich widerrufe. Treue Naturbeobachtungen und Unter- suchungen haben mir gezeigt, wie dieser Weg nie zum sichern Abschluss führen kann und in den meisten Fällen auf Irewege führt, denn um Analogien zu gebrauchen, muss man erst höhere Prineipien der Einheit und allgemeine Gesetze haben, und gerade an diesen fehlte es bisher, und in der bisherigen Weise konnten Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 343 sie auch durchaus nicht gewonnen werden. Deshalb ziehe ich es vor, lieber meine Unwissenheit zu gestehen, wo ich mich nicht durch vollständige Entwickelungsgeschichten gesichert weiss, als in den Tag hinein zu rathen und die entfernte Möglichkeit, für einen scharfsinnigen Naturbeobachter zu gelten, mit der viel näheren Wahrscheinlichkeit der schlimmsten Missgriffe zu er- kaufen. Endlich habe ich noch einige allgemeine Bemerkungen beizu- fügen. Es ist eine häufige Erscheinung, dass an zwei- oder vielknospigen, linienförmigen Saamenträgern die Saamenknospen in zwei Reihen sitzen, und da in diesen Fällen eben so viele Saamenträger als Fruchtblätter, also doppelt so viele Reihen von Saamenknospen vorhanden sind, so hat dies Verhältniss viel dazu beigetragen, das Vorurtheil zu nähren, als entständen die Saa- menknospen reihenweise an den Rändern der Fruchtblätter. Bei den zahllosen Fällen einer andersartigen Bildung der Saamen- träger wäre nun, selbst die Richtigkeit dieser Beziehung zuge- geben, die Sache doch nicht von grosser Bedeutung. Es bietet sich uns aber noch eine ganz andere Erklärung für die Zwei- reihigkeit der Saamenknospen an, die sich besonders in den Fällen geltend macht, in welchen der Saamenträger mittelständig ist, oder der unterständigen Fruchtknotenhöhle angehört; denken wir uns hier die Metamorphose der Grundorgane weg und setzen wir die Blattstellung der Fruchtblätter in gleichgliederigen, 'alter- nirenden Kreisen fort, so erhalten wir bei zwei Fruchtblättern vierzeilig, bei drei sechszeilig stehende Blätter, also auch vier oder sechs Reihen von Axillarknospen. Bei der Umwandlung der Axe zum Saamenträger rücken also nur die gesetzmässigen Knos- penreihen je zwei und zwei näher zusammen. Betrachten wir dafür den Fruchtknoten von Tillandsia amoena, so finden wir auch eigentlich sechs Saamenträger, die zwar paarweise genä- hert, aber durchaus weder morphologisch noch anatomisch so verbunden sind, dass wir berechtigt wären, sie als drei zwei- blättrige anzusehen. Wo aber die Saamenträger als Seitenäste der Blüthenaxe zu betrachten sind, sey es in dem von Fruchtblättern gebildeten Fruchtknoten, sey es in dem Stengelfruchtknoten, da müssen wir diese doch stets als zusammengefaltete flache Zweige be- trachten, die denn auch eben, wie etwa die flachen Zweige von Phylianthus, zwei Reihen’ Knospen tragen. Ueber den Bau des Saamenträgers habe ich nichts hinzuzu- fügen, da mir keine besonders auffälligen Verhältnisse weiter bekannt sind. 344 Morphologie. ec) Von der Saamenknospe. $. 164. Jede Saamenknospe (gemmula) erscheint bei ihrem ersten Auftreten als ein stumpfes, rundliches Wärzchen, als Ende einer Axe ('Terminaltrieb) innerhalb der Blüthe; als solches ist sie eine aufrechte (gemmula erecta), nicht gekrümmte (g.. atropa) Saamenknospe. Sie be- steht allein aus'dem Kern (nucleus, chorion [Malpighi], perisperma | Treviranus], lamande |[Brongniart|], tercine |Mirbel]), ohne eigenthümliche Knospenhülle (nucleus nudus). An dieser Saamenknospe unterschei- det man noch die Basis, wenn sie nicht stetig in die Axe, deren Ende sie ist, übergeht, als Anheftungspunet der Saamenknospe (hilus, umbilicus), und die Spitze, als Kernwarze (mamilla nuclei, mamelon d’impregna- ton Brongn.). Selten‘ verharrt die Saamenknospe in diesem einfachen Zustande, wie bei den Loranthaceen (bei Loranthus mit der Eigenheit, dass die Kernwarze in einen langen, fadenförmigen Fortsatz, der in ein etwas angeschwollenes Knöpfchen endet, verlängert ist). Gewöhnlich verändert sich die Saamenknospe theils durch Bildung der Knospenhüllen, theils durch eigenthümliche Eintwickelungsweisen, die man im Allgemeinen Krüm- mungen nennen kann. In sgrösserer oder geringerer Entfernung unterhalb der Spitze der Saamenknospe erhebt sich, im. ganzen Umfange gleichzeitig, eine Kreisfalte, die allmälig den Kern überzieht und sich oben bis auf eine kleine Oeff- nung schliesst. Bleibt es bei dieser Entwickelung (z. B. bei Taxus, den Piperaceen), so nennt man diesen Ueber- zug einfache Knospenhülle (integumentum simple), die obere Oeffnung heisst der Knospenmund (mieropyle), die Region, wo Knospenhülle und Kern zusaammen- fliessen, heisst der Knospengrund!) (chalasa). Der I) Ich weiss keine bessere deutsche Bezeichnung für den Theil, den man mit dem unsinnigen Namen der chalaza belegt hat, ohne gleich- Spec. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen. 345 Anheftungspunet wird hier ebenso bestimmt, wie bei der vorigen Form. Oft bildet sich unmittelbar‘ unterhalb der ersten Kreisfalte noch eine zweite, welche, wie die erste den Kern, so die zweite überzieht; man nennt jene dann die erste oder innere Knospenhülle (integumentum primum, internum; membrana interna |Rob. Brown]; tegmen [Brongniart]; secondine [| Mirbel]), diese die zweite oder äussere Knospenhülle (integumentum secundum, exter- num; testa [Rob. Brown, Brongniart]|; primine [Mirbel]). Am Knospenmund unterscheidet man dann den äusseren (exostomium) und den inneren (endostomium). Bleibt unterhalb' der ganzen Saamenknospe dann noch ein freies,. unterscheidbares Stück der Axe, so nennt man dieses den Knospenträger (funiculus). In dieser Ausbildung findet man die Saamenknospen z. B. bei den #ydrocharideen, mit Ausnahme von Stratiotes, bei vielen Aroideen, bei den Polygoneen u. s. w. Diese Saamenknospenformen werden nun auf man- nigfache Weise durch die schon erwähnten Krümmungen modifieirt. | °D) Der Knospenträger bildet sich sehr‘ lang aus, die Kernwarze biegt sich nach Unten, und es verwächst die dadurch dem Knospenträger zugewendete Seite der Saamenknospe gleich bei der Bildung allmälig mit dem- selben, und zwar entweder der nackte Kern, oder’ die einfache oder die äussere Knospenhülle. An der aus- gebildeten Saamenknospe liegt dann die Kernwarze dicht am Anheftungspunct, der Knospengrund liegt dem Anheftungs- punct gegenüber, die Linie von der Mitte des Knospengrundes dureh die Mitte des Kerns bis zur Kernwarze ist eine gerade. wohl den Begriff selbst scharf aufzufassen. Gewöhnlich heisst’s: „Die Stelle, wo der Nabelstrang in die äussere Eihülle dringt, heisst Aiölus, wo er in'die innere eintritt, ehalaza.“ » Link Elem. phil. bot. (ed. 11.) 11, 279. Wie'steht’s denn mit’ den unzähligen Saamenknospen, die nur eine 'Knospenhülle haben, ‘wie mit den Orchideen und andern Pflanzen, die wenigstens in dem Link’schen (dem gewöhnlich angenommenen) Siune gar keinen Knospenträger, nämlich kein Gefässbündel, in der Saamen- knospe haben? 346 Morphologie, Man nennt eine solche Saamenknospe eine umgekehrte (gemmula anatropa), der augewachsene Theil des Knospenträgers heisst dann Saamennaht (raphe). Diese Form scheint die allerhäufigste; man findet sie beim nackten Knospenkern !)' von Hippuris, den Rubiaceen, bei der einfachen Knospenhülle der Compositen, bei der doppelten Knospenhülle der Liliaceen u. s. w. Hat die Verwachsung des: Knospenträgers mit den Knospenhüllen nur den untern Theil der Saamenknospe getroffen, so dass ein grösserer Theil der Spitze (die obere Hälfte) frei geblieben ist, so heisst die Saamen- knospe halb umgekehrt (gemmula hemianatropa), z.B. bei Meconostigma und mehreren Aroideen. Ist der Knospenträger dann sehr kurz, fast gar nicht. vorhanden (9- sessilis), so erscheint die Saamenknospe als in der Mitte befestigt (g. medio affixa, peltata). 2) Die beiden Seiten der Saamenknospe. entwickeln sich ungleich, die eine bleibt fast ganz zurück, die an- dere wird übermässig ausgebildet und beschreibt an der fertigen Saamenknospe fast den ganzen Umfang derselben. Anheftungspunet und Knospengrund fallen hier zusammen, die Kernwarze liegt aber neben dem Ersteren, und die Linie, von der Mitte des Knospengrundes dureh die Mitte des Kerns bis zur Kernwarze gezogen, ist eine gebo- gene Linie. Eine solche Saamenknospe nennt man eine sekrümmte Saamenknospe (gemmula campylotropa). Für den nackten Eikern ist mir hier kein Beispiel bekannt, für die einfache Knospenhülle dienen Datura, mehrere Solaneen und Polemoniaceen, für die doppelte die meisten Gräser, die Sileneen und Cruciferen als Beispiel. 1) Rob. Brown zählte hierher auch die Apocyneen und Asclepia- deen. Dass die Apocyneen ein einfaches Integument besitzen, habe ich schon früher gesagt, aber in neuerer Zeit habe ich mich überzeugt, dass auch bei den Asclepiadeen ein sehr kleiner Knospenkern schon frühzei- tig von einem dieken Integument überzogen wird. Bei beiden Familien wird der Kern lange vor der Befruchtung vollständig vom Embryosack verdrängt, aber der Mykropylecanal, der lange vor der Blüthezeit deut- lich zu erkennen ist, weist unzweifelhaft auf die Existenz einer Knos- penhülle hin. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 347 3) Das Zusammentreffen der unter 1) und 2) ge- schilderten Vorgänge bildet eine Form, bei der eine kurze Saamennaht vorhanden ist, daher Knospengrund und Anheftungspunct nicht zusammenfallen, bei der aber gleich- zeitig die eine Seite der Saamenknospe unentwickelt ge- blieben ist, ‘weshalb die Linie vom Knospengrund durch die Mitte des Kerns zur Kernwarze ebenfalls eine gebo- gene ist, Diese Form heisst halbgekrümmte Saamen- knospe (gemmula hemitropa). Mit einfacher Knospen- hülle ist sie den Labiaten und Borragineen eigen, mit zweien den Lesuminosen. 4) Bei sehr lang gestreckten Saamenknospen bildet sich bei der Eintwickelung derselben eine Krümmung in der Mitte der Saamenknospe, so dass sie hufeisenförmig gebogen erscheint. Hier fällt Anheftungspunet und Knos- pengrund zusammen, Kernwarze und Anheftungspunet liegen neben einander, die Mittellinie des Kerns ist eine geho- gene, aber beide Seiten der Saamenknospe sind parallel, sleichförmig ‚entwickelt. Ist die Saamenknospe in der Biesung verwachsen, so heisst sie eine gebogene Naa- menknospe (gemmula camptotropa), z. B. bei Potamo- geton, Galphimia; ist sie nicht verwachsen, so nennt man sie eine. hufeisenförmige Saamenknospe (y. Iyco- iropa), nach Griesebach bei mehreren Malpighiaceen. 5) In einigen Fällen bildet sich, nachdem die Aus- bildung der Saamenknospe schon vollendet ist, (mit einer einzigen bis jetzt bekannten Ausnahme bei Helenia coe- rulea) erst nach Antreten der Pollenschläuche an die Saamenknospe noch eine Knospenhülle, .die bald mehr, bald weniger vollständig die Saamenknospe umßgiebt, natürlich an den Veränderungen derselben durch Krüm- mung, die zur Zeit der Entstehung dieser Knospenhaut schon vollendet sind, keinen Theil nimmt und Saamen- mantel (arillus) genannt wird"). Beispiele geben Taxus, Evonymus, Nymphaea, Passiflora u. s. w. 1) Link, Elem. phil, bot. (ed. 11.) 11,265, sagt: „Wo der Nabel- strang in den Saamen eintritt, befindet sich oft ein verschieden gestal- 348 Morphologie, Die Grundlage für ‚die Lehre vom Bau der vegetabilischen Saamenknospe hatte schon Malpighi in. seinem unsterblichen Werke gelegt, aber es wurde von seinen Nachfolgern nichts hinzugethan. und was er selbst gegeben, weder benutzt, noch verstanden. Treviranus in seiner Entwickelungsgeschichte des Embryo förderte die Lehre vom Saamenknospenbau um nichts, auch er begriff Malpighi nicht und übersah selbst den wesent- lichsten Theil der Saamenknospe (den Embryosack). Erst Rob. Brown '), 1826, gab die erste richtige und sogleich vollendete Darstellung vom Bau einer unbefruchteten Saamenknospe bei Kingie australis. Brongniart ”) lieferte einige wichtige Beiträge, Später versuchte Mirbel?) eine Entwickelungsgeschichte der ‚un- befruchteten Saamenknospe, in der er die interessantesten Auf- klärungen gab, aber über die Bildung der Knospenhüllen eine durchaus falsche Ansicht vortrug, die, obwohl längst durch Rob. Brown und Fritsche widerlegt, doch noch in Link’s Elem. phil. bot. (ed. II) 1I, 279, ja selbst noch in viel späteren Werken, vorgetragen, d. h. abgeschrieben, wird, so kinderleicht auch die Beobachtungen etwa an einer Lilie, einer Passionsblume . zu machen sind, denn es gehört nichts dazu, als ein etwa zwanzig Mal vergrösserndes einfaches Mikroskop und ein Paar nicht ein- mal feine Querschnitte aus einem jungen germen. Rob. Brown*) war auch hier wieder der Erste, der den rechten Weg bahnte und nachwies, dass sich nicht, wie Mirbel meinte, der ursprüng- liche Kern der Saamenknospe an der Spitze öffne und zuerst teter Theil, der aus dem verdickten und ausgebreiteten Nabelstrang entstanden ist, aber mit einer Oberschicht überzogen, die dem Nabel- strang fehlt... man nennt sie einen Saamenumschlag oder Arill. Er ist kugelförmig (Euphorbia), ein uneingeschnittener Kelch (Anagallis), ein vierzähniger Kelch (Polygala), ein zerrissener Kelch (Myristica).‘“ — Schon Mirbel hat nachgewiesen, dass die Drüse bei Euphorbia himmel- weit von einem arillus verschieden ist und gar nicht aus dem Nabel- strang entsteht, bei Anagallis kommt gar nichts auch nur entfernt einem arillus Aehnliches vor, bei Polygala ist nur eine etwas lockere Saamen- epidermis vorhanden, und das Alles wird von Link zusammengeworfen. Es ist in der "That unbegreiflich. 1) Vermischte Schriften, herausgegeben von Nees v. Esenbeck. Bd. IV. S. 83. 2) Mem. sur la generation et le developpement de l’embryon dans les vegetaux phanerogames. Paris, 1827. Uebersetzt in Rob. Brown verm. Schriften, herausg. von Nees v. Esenbeck. Bd. IV. S. 167. 3) Recherches sur la structure et les developpements de l’ovule ve- getale lu a l’academie des sciences Dec. 1828, et Additions aux nou- velles recherches ete. lu a l’ac. des sc. Dec. 1829. 4) Observations on the organs and mode of fecundation in Orchi- deae and Asclepiadeae, London, 1831. Vermischte Schriften, herausg. von Nees v. Esenbeck.. Bd. V. 8. 142. Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 349 die innere Knospenhülle und dann den eigentlichen Kern her- vorwachsen lasse (daher Mirbel’s in falscher Folge gewählte Zahlenbenennungeu), sonderu dass an der Basis des ursprüng- lichen soliden Kerns die innere und demnächst die äussere Haut als kreisföormige Falte entständen und allmälig den Kern um- hüllten, Fritsche’s‘) Beobachtungen stellten wenigstens die Falsch- heit der Mirbel’schen Ansichten ausser Zweifel, wenn auch seine Auffassung der Bildungsweise der Knospenhüllen dem einfachen Vorgange in der Natur nicht ganz angemessen war. Brown hat in seiner ersten Arbeit noch das beständige Vorhandenseyn zweier Knospenhüllen angenommen. Brongniart weist schon nach, dass unzweifelhaft auch Saamenknospen mit einer Knospenhülle vorkämen. In der Abhandlung über die Befruchtung bei den Orchideen u. s. w. machte Rob. Brown auch auf das Vorkom- men des nackten Knospenkerns aufmerksam, nachdem Mirbel a. a. ©. die wichtigsten, an der Saamenknospe vorkommenden Krümmungen richtig entwickelt hatte. Ausser Fritsche, der da- mals aber schon in Petersburg war, hat nicht ein einziger deut- scher Botaniker in dieser so wichtigen Lehre etwas gethan, ja auch nur einmal die Beobacktungen der ausgezeichneten Fran- zosen und Engländer nachuntersucht, denn wir finden bis auf die neueste Zeit überall die falsche Ansicht von Mirbel, oft noch sogar traurig entstellt, ohne Nachdenken abgeschrieben. Die Beobachtungen jener Männer benutzend, machte ich eine grosse Reihe von Untersuchungen über die Entwickelung der unbefruch- teten Saamenknospe der verschiedensten Pflanzenfamilien, und es gelang mir, die aufgestellten Gesetze zu bestätigen, zum Theil in Nebensachen zu modificiren und eine grosse Reihe von That- sachen aufzufinden, worüber meine beiden Arbeiten: „Einige Blicke auf: die Entwickelungsgeschichte u. s. w.“, Wiegmann’s Archiv, 1837, 1, 289, und ‚Ueber Bildung "des BirHens u. Ss. w.“ Act. A. C, T: C. N. C. Vol. XIX. P. I. p. 29, Nachricht ge- ben. Im Paragraphen habe ich die Hauptsätze miele Hier will ich noch einige Bemerkungen von untergeordneter Wichtig- keit beifügen. Zuerst die Zahl der Knospenhüllen betreffend, so lässt sich bis jetzt darüber kein Gesetz aufstellen als dass, so weit meine Beobachtungen reichen, alle Monokotyledonen ohne Ausnahme zwei Knospenhüllen besitzen, dass dagegen unter den Dikoty- ledonen für das Vorkommen von zwei, einer oder keiner Knospenhülle sich bis jetzt noch kein Gesetz herausstellt. Im Allgemeinen kann man sagen, dass bei den Monopetalen die Bildung Einer Knospenhülle, bei den Polypetalen die Bildung I) Wiegmann’s Archiv, Jahrgang 1835, Bd. II. S. 229. 350 | Morphologie: zweier Knospenhüllen häufiger vorkommt. ‘ Das gänzliche Fehlen der Knospenhüllen ist am seltensten.. ‘Bei den Ranuneulaceen kommen in derselben Familie eine und zwei Knospenhüllen vor, wie ich glaube, sogar ın demselben Geschlecht Delphinium, von dem die meisten zwei, D. tricorne und chilense aber nur eine Knospenhülle haben. Uebrigens ist, so weit mir bekannt, die Zahl der Knospenhüllen in derselben Familie ein sehr constantes Merkmal. Die oben aufgeführten Verschiedenheiten der ee, welche aus der Krümmung derselben hervorgehen, sind nur die Hauptformen, aber umfassen keineswegs alle möglichen Vor- kommnisse, ja sie sind nicht einmal discrete Unterschiede, in- dem sich zwischen allen jenen Genannten noch Mittelformen finden, die schwer unterzubringen sind. Für das Vorkommen der ein- zelnen Formen lassen sich daher auch noch weniger als bei der Zahl der Knospenhüllen bestimmte Gesetze aufstellen. Gewöhn- lich ist die Form in derselben Familie constant, doch zeigen sich auch häufige Abweichungen, weniger bei Dikotyledonen als bei den Monokotyledonen; bei letztern zeigt insbesondere die Fa- milie der Aroideen eine zahllose Verschiedenheit der Saamen- knospenformen. Bei der Bildung der Knospenhüllen ist insbesondere das Ver- hältnıss der einzelnen Theile noch einer näheren Berücksichti- gung werth. Zunächst muss ich bemerken, dass der Ausdruck Knospenkern im Gegensatz der Hüllen eben nur den Theil des ursprünglichen Zäpfchens bezeichnet, der, oberhalb der Hüllen vorhanden, von diesen überzogen wird und auf den daher der Canal des Knospenmundes zuführt. Die relative Grösse und die Form dieses Knospenkerns ist sehr verschieden; gewöhnlich bil- det‘ er ein eiförmiges Körperchen, indem er oberhalb seiner Basis dicker wird und sich nach Oben allmälıg. zuspitzt; aber er ist auch häufig ein längerer Cylinder (bei vielen Scrophula- rinen, zZ. B. Pedicularis), Dt ist er nur ein stumpfer ‚Kegel (z. B. Podostemon) oder eine Halbkugel (z. B. Convolvulus), ja selbst fast nur ein Punct, auf den der Micropylecanal zuführt, wodurch sich eine solche Saamenknospe allein vom nackten Knospenkern unterscheidet [z. B. Scabiosa ')]. I) Ueberhaupt unterliegt die sichere Erkennung der allerfrühesten Zustände der Saamenknospe bei einigen Pflanzen grossen Schwierigkei- ten, so leicht wie sie bei andern ist, und zwar ist keineswegs nur die absolute Grösse der zu untersuchenden Theile daran schuld. Eine der kleinsten Saamenknospen und Fruchtknoten ist z. B. die von Urtica dioica und doch eine der leichtesten für die Beobachtung; die Isolirung eines germen und ein leichter Druck mit einem Glasplättchen genügen, um Alles deutlich zu haben. Viel öfter verursacht die Schwierigkeit Spee. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen, 351 Die gewöhnliche Form der Kernwarze ıst die eines rundlichen, halbkugeligen Wärzchens; zuweilen ist sie aber auch eylindrisch ausgezogen und dann an dem äussersten Ende wieder etwas angeschwollen, so z. B. bei dem nackten Kern von Loranthus, wo die Spitze des Knospenkerns die Form eines Staubwegs nachäfft. Ein anderes bemerkenswerthes Verhältniss ist die Bildung des '.Knospenmundes. Gewöhnlich ist es ein einfacher Canal, dessen Länge nur von der Dicke der Knospenhüllen abhängig ist, zu- weilen aber ist es eine grössere Oeflnung, aus der die inneren Theile mehr oder weniger weit hervorragen. Am auffallendsten ist dies oft bei der äussern Knospenhülle, die z. B. bei Zea und Coix die ganze eine Hälfte der Saamenknospe unbedeckt -Jässt. Auch’ bei den Banksia- und einigen Dryandra-Arten soll, nach Brown‘), ein gleiches Verhältniss vorkommen; bei Bank- sia insularis und media glaube ich nach Untersuchungen an frischen blühenden Exemplaren, bestimmt das Gegentheil ver- sichern zu können, dagegen habe ich eine Banksia (ohne Be- stimmung aus dem Berliner botanischen Garten) untersucht, bei der es allerdings so war, wie Rob. Brown angiebt, aber die Saamenknospen waren hängend und halb umgekehrt, während bei den genannten beiden Banksien die Saamenknospen aufrecht und ganz umgekehrt waren. Eine auffallende Form findet sich der sehr gedrängte (die Durchschauung hindernde) oder sehr lockere (die Sicherheit des Schnitts beeinträchtigende) Bau, die Form der Saa- menknospe (wie bei den Asclepiadeen), die den Durchschnitt in symme- trische Hälften erschwert; die unsymmetrische Anordnung, die einen genau halbirenden Schnitt völlig unmöglich macht (z. B. Veronica ser- pyllifolia), der Inhalt des Zellgewebes, der die Durchsichtigkeit stört, und besonders die Anwesenheit vieler Haargebilde, die zwischen sich oft kaum zu vertreibende Luft festhalten und so die Beobachtung un- möglich machen, und selbst wenn die Luft vertrieben ist, durch ihr un- geregeltes Uebereinanderliegen die Anschauung verwirren. Man findet gar oft das Raisonnement: „Weil etwas bei den oder jenen sehr grossen Pflanzentheilen nicht zu beobachten sey, so wäre es sehr unwahrschein- lich, dass jemand es an viel kleineren beobachtet habe.“ Ich schliesse daraus mit völliger Sicherheit, dass der, welcher eine solche Rede vor- bringt, gar wenig gründlich untersucht habe. Fast im Gegensatz damit greife ich jetzt, durch die Erfahrung belehrt, vorzugsweise gern nach den kleinsten Pflanzen, die häufig die Untersuchung am meisten erleich- tern, weil sie alles Präpariren ersparen. Insbesondere aber sind für die meisten Untersuchungen die Wasserpflanzen zu empfehlen, deren gewöhn- lich wässeriges, helles Parenchyma die Beobachtung ausserordentlich begünstigt. Es werden dieselben in unsern botanischen Gärten leider noch viel zu wenig eultivirt. 1) Proteacede novae. London, 1830, p. 34. Vermischte Schriften, übersetzt von Nees v. Esenbeck. Bd. V. S. 110. 52 Morphologie. bei einigen Abietineen, z.B. bei, Abies und Larix,. bei denen der Knospermund zweilappig ausgezogen, papillös und saftabson- dernd ist, und so der Ansicht, dass ‚die Knospenhülle ein Frucht- knoten sey, durch seine Narbenähnlichkeit den meisten Vorschub geleistet hat.. Sehr gewöhnlich ist die Erscheinung, dass die innere Knospenhülle mehr oder weniger aus der äussern hervor- ragt oder wenigstens ihr, freier Rand nicht ' bedeckt wird und an dem der äussern Knospenhülle in einer Fläche liegt. Zu- gleich pflegt dann auch der den innern Knospenmund bildende Theil der inneren Knospenhülleangeschwollen zu seyn, so. dass er von den übrigen etwas abgeschnürt erscheint. Bei: Aroideen, bei Liliaceen u. s. w.. ist dies sehr häufig. Seltener ist. der äussere Knospenmund auf ähnliche Weiste wulstig' angeschwollen, jedoch kommt dieser Fall bei vielen. Euphorbiaceen vor (die so- genannte caruncula des Saamens), wie schon Mirbel a. a. O. entwickelt hat. Eine. der seltensten Erscheinungen: ist die, dass ‘die Bildung der äusseren Knospenhülle höher an der Saamenknospe beginnt, als die Bildung der inneren, so dass die obere, Hälfte des Knos- penkerns mit zwei Knospenhüllen bedeckt ist, die untere nur mit einer sehr dicken, einfachen Knospenhülle, wie das bei den. Tropäoleen der Fall ist. Ein ähnlicher Erfolg tritt bei Rieinus durch den entgegengesetzten Process ein, indem sich hier die äussere Knospenhülle sehr weit unterhalb der inneren bildet; hier zeigt der obere Theil der Saamenknospe zwei Knos- penhüllen, der untere. nur eine äussere Knospenhülle. Sehr verschieden ist endlich bei der Anwesenheit der Knos- penhülle das Verhältniss des Knospengrundes zur übrigen Saa- menknospe, welche aus Kern und Hülle besteht. Gewöhnlich ist der Knospengrund auf einen kleinen Theil an der Basis des ‚eiförmigen Knospenkerns beschränkt; beim kegelförmigen‘Knos- penkern nimmt er schon ein grösseres Stück ein, und bei eini- gen Pflanzen (Canna), und selbst bei Familien (Compositen), nn der Knospengrund die Hälfte und mehr der ganzen Saa- menknospe in Anspruch. Endlich ist noch anzuführen, dass nicht selten an umgekehr- ten Saamenknospen sich auf der Saamennaht eigenthümliche zel- lige Auswüchse entwickeln, die man Kamm (erista) nennt; sie bedecken mehr oder weniger völlig die Saamennaht, sind bald schmal und wirklich hahnenkammartig, z.B. bei den Corydalis- Arten, bald dick und breit, so dass die Saamenknospe selbst nur als ein schmaler, plattenförmißer Anhang erscheint, z. B. bei Aristolochia. Zuweilen auch bildet sich solch ein zelliger Aus- wuchs als eine Wulst rund um die ganze Saamenknospe oder einen Theil ihrer Basis, z. B.- bei Helenia, nur am Rücken. Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 353. Auch . der Knospenträger hat hin und wieder besonders haar- förmige Anhängsel, die oft die ganze Saamenknospe einhüllen und fast immer bis zum Knospenmund reichen. $. 165. Die Structurverhältnisse der Saamenknospe sind sehr einfach; sie besteht aus Parenchym und einem deutlichen Epithelium; dies letztere bildet häufig allein gleichsam als Falte die innere Knospenhülle (z. B. bei allen [?] Monokotyledonen). Die einfache Knospenhülle und die äussere stets, zuweilen auch die innere (z. B. bei Thy- meleae, Laurineae, Euphorbiaceae, Üistineae), be- stehen aus Parenchym, an beiden Flächen mit einem Epi- thelium überzogen. Niemals sind im Knospenkern oder der Knospenhülle Gefässbündel oder Gefässe anzutreffen, gewöhnlich aber verläuft ein Gefässbündel durch den ‚Knospenträger und durch die Saamennaht, wo sie vorhanden, endet aber durchaus immer im Knospen- srund, häufig in einer kolbigen Gruppe oder in einer platten oder becherförmigen Ausbreitung von Spiralfaser- zellen. Der Knospenträger ist ebenfalls mit Epithelium überzogen, als unmittelbare Fortsetzung des Epitheliums der Saamenknospe "). | Das wichtigste Verhältniss ist aber hier die Verän- derung, die in der Structur des Knospenkerns vor sich 1) Link Elem. phil. bot. (ed. Il.) II, p. 265: „Wo der Nabelstrang in den Saamen eintritt, befindet sich oft ein verschieden gestalteter Theil, der aus dem verdickten und ausgebreiteten Nabelstrang entstan- den ist, aber mit einer Oberschicht (epidermis) überzogen, die dem Na- belstrang fehlt.“ Eine Epidermis mit Spaltöffnungen haben weder Knos- penträger, noch Saamenknospen oder Saamen, noch irgend einen Theil derselben (mit Ausnahme von Canna und Nelumbium). Ein Epithelium überkleidet den Knospenträger eben so gut, wie die Saamenknospe (oder den Saamen). Link führt als Beispiel auch die caruncula an Euphorbia an (die freilich, wie schon erwähnt, gar nicht hierher gehört), allein gerade an ihr lässt sich keine Oberschicht, ja nicht einmal ein Epithelium unterscheiden, da sie ganz aus zartem, wasserhellem, etwas in die Länge gestrecktem Parenchym besteht; dagegen hat der kurze, dicke Knospenträger gerade bei Euphorbia eine ausgezeichnet deutliche Oberschicht. I. 23 354 Morphologie. geht. Anfangs besteht derselbe aus einem homogenen zarten, gleichförmigen Parenchym, aber bald, zuweilen schon bei der ersten Entstehung der Knospenhülle, dehnt sich eine einzelne Zelle übermässig aus, verdrängt nach und nach einen grössern oder geringern Theil des Par- enchyms, welches verflüssigt und aufgesogen wird, und. bildet eine von einer einfachen, structurlosen Zellen- membran ausgekleidete Höhle im Innern des Eikerns. Diese Zelle ist der Embryosack (sacculus colliguamenti vel satius amnit von Malpighi, die quintine von Mir- bel!), der sac embryonnaire von Brongniart). Seine Form ist sehr verschieden, meist oval, oft eine dünne, _fadenförmige Zelle, in der Axe des Knospenkerns, des- sen der Spitze zugewendeter Theil bedeutend anschwillt (z. B. Amygdalus). Sein Inhalt ist Gummi, Zucker und Schleim; sehr selten füllt er sich allmälig mit Zell- gewebe ”) (wie bei den Asclepiadeen). Bei den Coni- feren bildet sich ebenfalls Zellgewebe im Embryosack, welches sich aber so anordnet, dass 3—6 grössere Zel- len unmittelbar unter dem der Kernwarze zugewendeten Theil, und nach Aussen nur vom Eimhryosack bedeckt, sich besonders stark entwickeln. Die Lage Zellgewebe, welches diese Zellen begrenzt, nimmt ein epitheliumarti- ges Aussehen an, so dass diese Zellen als bestimmt begrenzte kleine Säcke erscheinen (Rob. Brown’s cor- puscula). Aeusserst selten (so viel bis jetzt bekannt, nur bei Viscum) bilden sich gleichzeitig mehrere, 2—3 Eimbryosäcke. Der anatomische Bau der Saamenknospe ist ausserordentlich einfach und ich weiss dem oben Gesagten nichts von Bedeutung hinzuzufügen. Das einzige wesentliche anatomische Verhältniss ist die Ausbildung einer Zelle des Knospenkerns zum Embryo- 1) Link, Elem. phil. bot. (ed. Il.) II, p. 283, sagt: Malpigh?’s sac- culus eolliquamenti, dessen Rob. Brown ee Mirbel aber nicht.“ Link hat Mirbel wohl gar nicht gelesen, der ausdrücklich sagt: Za quin- tine est la vesicule de l’amnios Malpighi u. s. w. 2) Link a. a. ©.: „Dieser Sack ist mit Zellgewebe gefüllt.“ Das ist wenigstens bei °4n der Phanerogamen falsch. Spec. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen. 355 sack. Dieser ist, so weit ich bis jetzt beurtheilen kann, ohne Ausnahme bei allen Phanerogamen vorhanden; ich darf behaup- ten, wenigstens 500 Pflanzen aus den verschiedenartigsten Fa- milien (etwa 150) untersucht zu haben, und niemals ist es mir misslungen, wenigstens in früheren Zuständen, den Embryosack unverletzt, oder doch in so grossen Stücken herauszupräpariren, dass über seine Existenz kein Zweifel obwalten konnte, Meyen leugnete ihn den Liliaceen ab; ich habe schon früher ") nach- gewiesen, wie nur höchst mangelhafte Untersuchung daran Schuld ist. Link (El. phil. bot. [ed. IL] II, 283) verwirrt Alles, weil er offenbar keine einzige gründliche Untersuchung selbst an- gestellt hat und deshalb, Mirbel, Brown und Brongniart abschrei- bend, gar nicht versteht, wovon sie reden. Ihm alle einzelnen ' Irrthümer und Missgriffe aufzuzählen, würde mich hier zu weit führen, jeder Kundige mag leicht Link und die genannten Schriftsteller, sowie meine Darstellung vergleichen. Am sichersten ist die Beobachtung bei Lilium candidum und den meisten Orchideen, weil hier jede Zelle des Knospenkerns einen deutlichen Cytoblasten hat, und so auch die Zelle, welche zum Embryosack sich ausdehnt. Daher erkennt man an dem schon ziemlich ausgebildeten Embryosack diesen stets noch durch seinen Cytoblasten als einfache Zelle. Am leichtesten ist die Darstellung des Embryosacks bei Phormium tenax, Amygdaleen, Nymphaeaceen und Cucurbitaceen, bei denen er sich ohne grosse Mühe frei darstellen lässt. Die Form des Embryosacks ist sehr verschieden, zum Theil davon abhängig, ob die Zelle, die sich in ihn umbildet, dem Knospengrunde, der Mitte des Kerns oder der Kernwarze näher liegt. Sehr häufig dehnt er sich anfänglich zu einer cylindrischen, in der Axe des Kerns lie- genden Zelle aus, die sich dann von der Spitze (dem der Kern- warze nähern Theil) bis zur Basis allmälig erweitert; bei eini- gen Familien bleibt diese Erweiterung auf den oberen Theil beschränkt, so dass der untere als ein fadenförmiger Anhang an einer grösseren Blase erscheint (Amygdaleen, Cucurbiteen, Nymphaeaceen). Grosse Verschiedenheiten zeigen sich auch darin, ob der Em- bryosack viel oder wenig vom Kern verdrängt. Zuweilen ist das Zellgewebe in der Mitte des Kerns in einem Ring um den Embryo derber und fester zusammenhängend, gewöhnlich dann auch, an dieser Stelle mit granulösem Inhalt versehen, daher kann sich der Embryosack nur oberhalb und unterhalb dieser Region ausdehnen, und nimmt so eine Leierform an. Bei eini- l) Wiegmann’s Archiv, Jahrg. 1339, Bd. I. S. 256. 23 * 356 Morphologie. gen Familien verdrängt er frühzeitig den Kern bis auf das Epi- thelium desselben, die Kernhaut (membrana nuclei), die dann leicht zu übersehen ist (z. B. bei den Compositen); bei andern wird auch dieser Rest des Kerns verdrängt und der Embryosack liegt dann in der ausgebildeten Saamenknospe frei in der Höhle der Knospenhülle (z. B. bei den Orchideen); bei den meisten Leguminosen bleibt es dabei nicht stehen, sondern auch die innere Knospenhülle wird zur Resorption gebracht, bald von Oben nach Unten, bald umgekehrt; am Knospengrunde bleibt dann zuweilen ein Rest des Zellgewebes des Kerns als ein Zäpf- chen stehen, so weit es die spitz zulaufende Basis des Embryo- sacks umfasst, z. B. bei Phaseolus. Auch bei andern Familien findet sich im Knospengrunde oft eine kleine warzenförmige Zellengruppe, die stehen bleibt, und weil der Embryosack das Zellgewebe im Umfange verdrängt, zapfenförmig, aber vom Embryosack überkleidet in die Höhle desselben hineinragt, z. B. . bei Hedychium. Die auffallendsten Erscheinungen kommen bei den Scrophularinen vor; hier ist die einfache Knospenhülle sehr dick, der Mikropylecanal sehr lang und der Kern ein sehr dün- nes. längeres oder kürzeres Zäpfchen, das bald ganz vom Em- bryosacke verdrängt wird. Sobald dies geschehen, dehnt sich die Spitze desselben in den Mikropylecanal hinein aus und er- weitert sich, hier. einen Theil der Knospenhülle (des Knospen- mundes) verdrängend, sackförmig; bei Lathraea, welche Pflanze überall eine wunderlich abweichende Form der Saamenknospe hat, bildet er nicht nur hier, sondern auch am entgegengesetz- ten Ende einen blinddarmähnlichen, sackförmigen Anhang. End- lich bei den Santalaceen tritt er gar als längerer oder kürzerer Sack aus dem Knospenmunde hervor und liegt hier ganz frei. Die erwähnte Bildung mehrerer Embryosäcke bei Viscum steht bis jetzt einzig da. Meyen hat das Verdienst, darauf aufmerk- sam gemacht und die Sache fast vollkommen entwickelt zu ha- ben. Anfänglich ist das Zellgewebe im Blüthenstiel von Viscum völlig homogen, nach und nach sondert sich eine Menge Flüs- sigkeit zwischen den in der Axe liegenden Zellen ab; sie: tren- nen sich aus ihrem . Verbande und bilden eine Art locker von ihnen erfüllter Höhle. Diese hatte ich früher '), ehe ich Mate- rial für die vollständige Entwickelungsgeschichte hatte, irrthüm- lich als Embryosack angegeben. Von den lockeren Zellen in dieser Höhle dehnen sich dann zwei bis drei schlauchförmig aus, die andern losen Zellen allmälig verdrängend. Alles Uebrige, die allmälıge Bildung von Zellgewebe und die späteren Vorgänge 1) Wiegmann’s Archiv, Jahrg. 1839, Bd. I. S. 212. Spee, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 357 bei Bildung des Embryos stimmen dann ganz mit den andern Pflanzen überein '). Nur in den angegebenen Fällen füllt sich der Embryosack, so viel’ ich weiss, schon in dieser Periode mit Zellgewebe an, aber bei gar vielen Pflanzen beginnt schon in dieser Zeit (was spater immer geschieht) eine Zellenbildung, die stets von dem - Umfang der Höhle anfängt und nach Innen fortschreitet,; haben sich auf diese Weise im Umfang einige Lagen Zellgewebe ge- bildet, so stellen sie das vor, was Mirbel die Quartine nannte und sie, weil er ihre Entwickelungsgeschichte nicht vollständig verfolgt hatte, als vierte Knospenhülle zwischen Kernhaut und Embryosack setzte. Es ist ein gar nicht seltenes Vorkommen, und gerade bei der von Mirbel angeführten Familie der Cruci- feren leicht in der Weise, wie ich es dargestellt habe, zu ver- folgen. Als Knospenhülle ist sie durchaus nicht zu betrachten und ein völlig unselbstständiges Gebilde. Ich will nur vorläufig be- merken, dass sich jeder Embryosack später allmälig mit Zellgewebe füllt, welches entweder vom nachwachsenden Embryo vollständig verdrängt wird, oder als Endosperm (Albumen) stehen bleibt; ob es etwas früher oder später auftritt, macht gar keinen Un- terschied. : Die Bildung der R. Brown’schen corpuscula habe ich bei den einheimischen Coniferen, namentlich Pinus, Abies, Larix, Taxus, Thuja, Juniperus u. s. w., vollständig in der Weise ver- folgt, wie ich es oben angegeben. In den jungen Zellen im Embryosack findet gar häufig Saftbewegung im netzförmig. ver- ästelten Strömchen statt (z. B. bei Ceratophyllum, Nymphaea, Nuphar, Pedicularis u. s. w.). Die eigenthümlichen Formen der- selben bei Ceratophyllum habe ich in der Linnaea ausführlich beschrieben. 1) Link (Wiegmann’s Archiv, Jahrg. 1841, Bd. II. S. 393) sagt, in- dem er De Caisne’s sehr schätzbare, aber viel zu spät anfangende Untersuchungen Meyen’s vortrefflicher Arbeit entgegengesetzt, ohne auf Meyen’s 'Thatsachen sich nur im Geringsten einzulassen: „Hätte Meyen seine Untersuchungen lange genug fortgesetzt, so würde er seinen Irr- thum eingesehen haben.“ Das directe Gegentheil auf De. Caisne ange- wendet, wäre ein treffendes Urtheil. Link meint, Meyen habe nicht an das pericarpium, an die Beere gedacht. Hat Link dabei wohl an den saftigen, beerenartigen Saamen von Punica gedacht? Als ob der Blü- thenstiel, in welchem sich ein Embryo gebildet hat, nicht eben so gut beerenartig und saftig werden könnte, als der Blüthenstiel von Anacar- dium, der keinen Embryo enthält. 358 Morphologie. IH. Von der Umbildung und Entwickelung der Blüthentheile zur Frucht. $. 166. Aus der Blüthe entwickelt sich durch mannigfache Veränderungen der einzelnen "Theile die Frucht. Das Eintreten aller dieser Vorgänge ist aber hauptsächlich (im natürlichen Zustande der Pflanze, im wilden, im- mer [?]) an dasjenige Verhältniss geknüpft, welches man bisher Befruchtung der Pflanze zu nennen gewohnt war. ich werde mich hier auf Erklärung und Deutung der dabei stattfindenden Erscheinungen nicht einzulassen ha- ben, das gehört dem letzten Abschnitt, der Organologie, an. Hier habe ich es nur mit der morphologischen Ent- wickelung zu thun und werde diese in vier Abschnitten auszuführen versuchen: A. Von der Ortsveränderung und Eintwickelung des Pollens bis zum Embryokügelchen. B. Entwickelung des Embryokügelchens zum Embryo. C. Ausbildung des Fruchtknotens und der Saamenknospe zu Frucht und Saamen. D. Erscheinungen an den übri- sen Blüthentheilen während dieser Vorgänge. A. Von der Ortsveränderung und Entwickelung des Pollens bis zum Embryokügelchen. 8. 167. Sobald der Pollen völlig ausgebildet ist und die Antherenfächer aufgerissen sind, werden die Körner auf irgend eine Weise früher oder später, bei den Loran- thaceen auf die Kernwarze, bei den Coniferen und Cy- cadeen auf den Knospenmund und bei den übrigen Pflan- zen auf die Narbe, oder endlich bei Asclepiadeen und Apocyneen auf die die Narbe vertretenden Stellen des Narbenkörpers gebracht. Hier bleiben die Körner län- gere oder kürzere Zeit liegen, schwellen dann etwas Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 359 an und die Pollenzelle wächst allmälig an einer Stelle ihres Umfangs zu einer fadenförmigen Zelle aus, dem Pollenschlauch (tubus pollinis, tube pollinique, boyeau, pollentubes, budelli pollinici). Dieser dringt bei den erstgenannten drei Familien unmittelbar in die Kernwarze ein, bei den ührigen folgt er dem leitenden Zellgewebe, bald auf seiner Oberfläche fortwachsend, bald sich durch die aufgelockerten Zellen desselben durchdrängend, bis in die Fruchtknotenhöhle und dringt hier durch den Knos- penmund oder unmittelbar in die Kernwarze der Saamen- knospe ein. Bei der ersten Bildung des Schlauchs zeigt der Inhalt der Pollenzelle gewöhnlich eine lebhafte Cir- culation, die aber sehr bald aufhört; nach und nach zieht sich der Inhalt im Schlauch herab bis in die Spitze, theils unverändert, theils chemisch in andere Stoffe um- gewandelt, oft zu einer ganz wasserhellen, klaren Flüs- sigkeit aufgelöst. Die Zeit, in der dieser Wachsthums- process vollendet wird, ist sehr verschieden; bei dem neun Zoll langen Staubweg von Cereus grandiflorus erreicht das Ende des Pollenschlauchs schon nach weni- gen Stunden die Saamenknospen, bei dem oft dreizehn- zölligen von Colchicum autumnale in etwa zwölf Stun- den, bei andern dauert es oft wochenlang, bis der sehr kurze Weg zurückgelegt wird. Auch wachsen nicht alle Pollenkörner, die oft auch zu verschiedenen Zeiten auf die Narbe übertragen werden, gleichzeitig herab. Endlich ist die Dauer des obern Eindes, welches noch im Pollenkern steckt oder doch darin gesteckt hat, sehr verschieden; während bei einigen Pflanzen wochenlang der Pollenschlauch in seiner ganzen Länge erkennbar bleibt, stirbt er bei andern fast ebenso schnell von Oben her ab, wie er nach Unten zu anwächst. Bei Pflanzen, deren Narbenflüssigkeit zu einer Art Membran erhärtet, bleibt der Theil des Schlauchs zwischen dieser Membran und dem Pollenkern oft lange sichtbar, während der Theil von der Membran bis zum fortwachsenden Ende hald abstirbt, z. B. bei Nymphaea. Mirabilis u. Ss. W, 360 Morphologie, Ob und wie der Embryo aus dem Pollenschlauche entsteht, ist zunächst ganz unabhängig von der Frage, ob und wie jedes- mal der Pollenschlauch den Saamenmund und die Kernwarze erreicht, und es ist wichtig für die Feststellung der Thatsachen, beide Fragen völlig von einander zu sondern. Die erste Frage nun, wie verhält sich die Pollenzelle auf der Narbe, glaube ich, wie im Paragraphen geschehen, für alle Phanerogamen ohne Ausnahme beantworten zu dürfen; darüber, glaube ich, können die bereits vorliegenden Thatsachen keinen Zweifel übrig lassen, es wäre vielmehr zu wünschen, dass alle unsere Inductionen in der Botanik so gut gestützt wären. Es scheint mir aber nicht unzweckmässig, hier eine Uebersicht der zum Grunde liegenden Beobachtungen zu geben, weil leider ein gründliches Studium fremder Arbeiten nöch nicht mit zum Wesen des Botanikers zu gehören scheint und deshalb noch gar wenige wissen, wie viel schon als Thatsache feststeht. An folgenden Pflanzen aus fol- genden Familien habe ich die Pollenschläuche von der Narbe bis in den Saamenmund verfolgt; bei den mit einem Sterne be- zeichneten Pflanzen habe ich öfter den Pollenschlauch vom Pol- lenkorn bis zur Saamenknospe in ununterbrochener Continuität völlig isolirt. Familien. Arten. Gymnospermae. Abietineae*. Larix europaea, Abies pectinata, alba, excelsa, Pinus sylvestris, uncinata. Cypressineae*. Taxus baccata, Juniperus communis, sativa, virginiana, Thuja orienta- lis, Callitris quadrivalvis. Monocotyledone.ae. Lemnaceae. Lemna gibba, trisulca. Pistiaceae. Pistia commutata, obcordata. Aroideae. Ari spec. Cryptocoryne spiralis, Sau- romatum guttatum*. Typhaceae. Sparganium natans. Orontiaceae. Pothos reflexa, Orontium aquaticum*. Najadeae. Zannichellia repens, Potamogeton lu- cens, heterophyllus, Caulinia fra- gilis, Aponogeton distachyon*. Alismaceae. Alisma plantago. Junceae. Luzula pilosa. Philhydreae. Philhydrum lanuginosum. Liliaceae. — Phormiaceae, Phormium tenax*. Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 361 Familien. Liliaceae. — Aloineae. — Hemerocallideae, — Asphodeleae. — Tulipaceae. Colchicaceae. Bromeliaceae. Irideae, ‚Hydrocharideae. Scitamineae. Orchideae. — Ophrydeae. — . Arethuseae. — Neottieae. Palmae. Gramineae. Oyperaceae, Nymphaeaceae. Ranunculaceae. Papaveraceae. Cruciferae. Resedaceue. ' Passifloreae. Cucurbitaceae. Cacteae. Santalaceae. Ceratophylleae. Podostemeae. Arten. Monocotyledoneae. Gasteria subverrucosa. Agapanthus umbellatus, Funkia coe- rulea. Eucomis punctata. Tulipa sylvestris*, breyniana*, Tu- pistra squalida. Colchicum autumnale*. Tillandsia amoena, Sisyrinchium anceps, Gladiolus psit- tacinus®. Stratiotes aloides. Canna Sellowiü, Maranta gibba, He- dychium gardnerianum. Orchis Morio*, latifolia, palustris. Epipactis palustris. Neottia pieta, Goodyera discolor, Pre- scotia plantaginea. Chamaedorea schiedeana. Zea Mays, Phleum pratense, Bromus mollis, Elymus arenarius, Secale cereale. -Carex acuta*, Dicotyledoneae. Nuphar luteum. Thalietrum petaloideum, Aconitum Napellus. Papaver Rhoeas, Argemone Hunne- manni, Chelidonium majus, San- guinaria canadensis, Eschholzia californica. | Matthiola incana, Capsella bursa pa- storis. Reseda vdorata, Passiflora princeps. Pepo macrocarpus, Momordica ela- terium. Cereus grandiflorus. Thesium intermedium, linophyllum. Ceratophyllum demersum. Podostemon ceratophyllum. 362 Familien. Thymeleae. Phytolacceae. Polygoneae. Nyctagineae, Limnanthaceae. Euphorbiaceae. Cistineae. Lineae, Tropaeoleae. Malvaceae. Sterculiaceae. Rosaceae. Amygdaleae. Leguminosae. Jllecebreae. Scleranthaceae. ‚Stleneae. Alsineae. Callitrichaceae. Portulaceae. Staphyleaceae. Onagreae. Halorageae. Trapaceae. Loaseae. Plumbagineae. Rubiaceae. Umbelliferae. Stylideae. Lentibulariue. Violaceae. Primulaceae. Ericeae. Pedalineae. Labiatae. Morphologie, Arten. Dicotyledoneae. Daphne mezereum, alpina. Phytolacca decandra*, Polygonum orientale, divaricatum. . Mirabilis Jalapa, longiflora*, Oxy- baphus chilensis. Limnanthes Douglasit. Euphorbia pallida. Helianthemum lasciocarpum*, denti- culatum*, mutabile*. Linum pallescens. Tropaeolum majus. 3 Hibiscus trionum, Lavatera thurin- giaca. Theobroma cacao. Rubus caesius. Prunus armeniaca, padus. Cicer arietinum, Phaseolus vulgaris, Tetragonolobus purpureus, Bapti- sia exaltata, Lupini spec. Spergula pentandra. Scleranthus perennis. Lychnis dioica, Saponaria offieinalis. Alsine media. Callitriche stagnalis. Calandrinia speciosa. Staphylea pinnata. Oenothera Sellowiü, viminea, crassi- pes*, simsiana, rhizocarpa, Epi- lobium hirsutum. Hippuris vulgaris, Myriophyllum spi- catum. Trapa natans. Loasa bryoniaefolia, Mentzelia hispida. Armeria vulgaris. “ Galium aparine. Peucedanum_ officinale. Stylidium adnatum. Pinguicula vulgaris. Viola tricolor. Hottonia palustris. Monotropa hypophithys. Martynia diandra. Salvia bicolor. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 363 Familien. Arten. Dicotyledoneae. Borragineue. Echium vulgare, Symphytum offieinale. Orobancheae. Lathraea squamaria. Scrophularınae. — Salpiglossideae Salpiglossis hybrida. — Digitaleae. Chelone rosea. — Rhinantheae. Pedicularis palustris, Melampyrum pratense. — Veroniceae. Veronica hederaefolia, serpyllifolia. Solaneae. Datura tatula*. Polemoniaceae. Phlox paniculata. Cuscutaceae. Cuscuta europaea. Gentianeae, Gentiana lutea. ‚Apocyneae. Vinca rosea, minor, Nerium oleander. Asclepiadeae. Asclepias pulchra, Cynanchum nigrum, Stapelia deflexa, asterias. Campanulaceae. Campanula medium*, rapunculoides. Compositae. Achillea eupatorium, Hippochoeris radi- cata, Carduus nutans*®. Zu der vorstehenden Aufzählung muss ich noch folgende Bemerkungen machen. Pistia commutata untersuchte ich nach trockenen Exemplaren, Pistia obcordata, Cryptocoryne spiralis, Podostemon ceratophyllum nach Exemplaren, die in Weingeist auf- bewahrt waren. Uebrigens ist das Verzeichniss nur als Aufzäh- lung einiger Beispiele anzusehen, denn in den letzten Jahren hielt ich es nicht mehr der Mühe werth, das früher streng ge- führte Register über diese Eine Thatsache, die schon hiedurch ausser Zweifel gesetzt ist, noch länger fortzusetzen, und eine grosse Anzahl noch hinzukommender Familien und Arten müsste ich aus der Erinnerung nennen, was ich für unzweckmässig achte. Der grösste Theil der vorstehenden Beobachtungen war schon in Berlin von mir gemacht, und ich pflegte meinen Onkel Horkel stets als einen Zestem omni exceptione majorem hinzuzuziehen, und so sind die meisten Thatsachen von ihm als völlig bestätigt anzusehen, wie er bereits früher öffentlich ausgesprochen '). Von anderer Seite kommen nachfolgende Bestätigungen hinzu. Zunächst Rob. Brown für die Asclepiadeae und Orchideae; Wydler für Scrophularia-Arten. Auch Brongniart’s Beobachtungen des noch aus dem Saamenmund hervorhängenden Pollenschlauchs kann man jetzt hierher zählen, obwohl er über seine Entstehung 1) Monatsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaften, August 1836. 364 Morphologie. eine abweichende Ansicht hatte, also die Familien der Cucurbi- taceae, Polygoneae, Euphorbiaceae und Convolvulaceae; ferner Amici für Yucca gloriosa und viele andere, aber nicht speciell von ihm genannte Pflanzen; endlich ist hier auch Meyen zu nennen, obwohl in seiner ganzen confusen Darstellung der Befruchtung und Embryobildung spricht er zwar beständig von der Allgemeinheit des Herabsteigens der Pollenschläuche, nennt aber mit Bestimmtheit nicht eine einzige Pflanze, bei der er es wirklich beobachtet hätte, dagegen führt er eine grosse Zahl von Pflanzen aus den schon oben genannten Familien, so- wie noch aus einigen andern an, bei denen er die Pollenschläuche in den Saamenmund eingetreten beobachtete, So leicht die Beobachtung bei einigen Familien ist, so schwie- rig ist sie bei andern; nicht nur treten hier dieselben Verhält- nisse eın wie bei der Verfolgung des Canals von der Narbe bis zur Fruchtknotenhöhle, sondern es gehört noch ungleich grössere Zartheit und Gewandtheit im Präpariren dazu, das leitende Zell- gewebe auf grössere Strecken auf eine solche Woise blosszule- gen, dass man es bequem unterm einfachen Mikroskop aus ein- ander ziehen und die Pollenschläuche herauslösen kann. Wäh- rend ich bei einigen Pflanzen, Orchideae, Datura, Oenothera, Helianthemum, mich anheischig mache, augenblicklich die Schläuche vom Stigma bis zur Saamenknospe blosszulegen, welche Pflanzen ich auch alljährlich zur Demonstration in meinen Vorlesungen wähle, so habe ich an andern oft acht und selbst vierzehn Tage von früh bis spät präparirt, bis es mir endlich einmal gelang, den ganzen Verlauf des Pollenschlauchs mit völliger Sicherheit wahrzunehmen. Ja zuweilen blieben meine Untersuchungen in dem einen Jahre ganz mangelhaıt und vollendeten sich erst durch Wiederaufnahme derselben in den folgenden Jahren. Ich bemerke dies hier deshalb, weil ich gefunden, dass gar Viele sich die Sache gar zu leicht vorstellen und wenn’s nicht auf den ersten Versuch glückt, gleich meinen, ihre negative Beobachtung habe genügenden Werth zur Beseitigung der Behauptung An- derer, während sie doch nur als Zeugniss ihrer Ungeschicklich- keit oder Ungeduld beim Präpariren und zwar hier entschiede- nen Werth hat'!).. Am besten trennt man mit einem breiten, 1) Uebrigens ist diese Schwierigkeit der Untersuchung, die doch nur in einigen Fällen eintritt, keineswegs der Grund, weshalb für diese wichtigste aller Lehren seit 1823, wo der Gegenstand durch Amieö’s Entdeckung angeregt wurde, bis 1842 nur fünf, sage fünf, Männer zu nennen sind, die Beiträge zur Fortbildung geliefert haben, sondern die hergebrachte Gleichgültigkeit der meisten Botaniker gegen alle tiefer eindringende, ächt wissenschaftliche Untersuchungen. Wie wesentlich Spec, Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 365 scharfen Messer (ich benutze stets ein Rasirmesser) aus der Axe des ganzen Fruchtknotens eine nicht zu zarte Lamelle so heraus, dass der Schnitt einen Theil der Narbe und das lei- tende Zellgewebe bis zu den Saamenknospen möglichst vollstän- dig enthält. Diesen Schnitt bringt man unter das einfache Mi- kroskop und trennt nun mit der Nadel, von dem Stigma anfan- gend, die gesammten Pollenschläuche, die vorhanden sind, von dem anliegenden Zellgewebe bis zu den Saamenknospen fort- schreitend; dann schneidet man an diesen den Nabelstrang von dem Saamenträger ab, wobei man sich hüten muss, die Pollen- schläuche mit durchzuschneiden, und sucht dann die einzelnen Schläuche von einander zu trennen, bis man durch einen zum Saamenmunde geführt wird. Häufig muss man sich aber damit begnügen, die ganze Procedur theilweise vorzunehmen, indem man nach und nach möglichst lange Stücke des leitenden Zell- gewebes von der Narbe bis zu den Saamenknospen untersucht und so sich von dem völligen Herabsteigen der Pollenschlänche versichert. Am meisten erleichtert man sich das Aufsuchen und Verfolgen der Schläuche besonders bei Dichogamen, Monöcisten und Diöcisten, wenn man die völlig entwickelten Narben selbst mit Pollen aus einer kürzlich aufgesprungenen Anthere bestäubt und dann zu verschiedenen Zeiten untersucht. Die im Paragra- phen angegebenen Verschiedenheiten machen es ganz unmöglich, für alle Pflanzen im Voraus sichere Anweisung zu geben. Man muss die Geduld haben, durch öftere misslungene Versuche sich nicht abschrecken zu lassen, bis man der Pflanze ihre Eigen- thümlichkeit abgelauscht; wer diese Geduld nicht hat, passt überall nicht zum Naturforscher. Es wird von Vielen noch eine Schwierigkeit in der Beobach- tung der Pollenschläuche aufgeführt, die ich nach meinen Unter- suchungen durchaus für keine halten kann, nämlich die mögliche Verwechselung der Zellen des leitenden Zellgewebes mit den Pollenschläuchen. Mir ist keine Pflanze bis jetzt bekannt ge- worden, wo eine solche Verwechselung möglich wäre; stets sind die Zellen des leitenden Zellgewebes um das Doppelte und Drei- fache dicker, als die Pollenschläuche derselben Pflanze; bei kei- 4 die Beantwortung der ganzen Frage dadurch modificirt wird, ob die Narbe mit einer dichten, structurlosen Membran überzogen ist oder nicht, sieht Jeder ein. Brongniart hatte das Daseyn einer solchen Membran für Nymphaea, Hibiseus, Mirabilis 1827 behauptet; 1837 sagt Link: „nach Brongniart soll es so. seyn“; also in zehn Jahren hatte er es nicht für der Mühe werth geachtet, diese überall zurHand seyenden Pflanzen selbst einmal anzusehen, um Brongniart’s Ansicht zu bestätigen oder zu “ widerlegen. Ist so etwas wohl in irgend einem andern Zweige der Naturwissenschaften erhört ? 366 j Morphologie. ner Pflanze sind jene Zellen länger, als sehr lange Zellen lang- gestreckten Parenchyms, d. h. etwa '/ıo Linie, und daher giebt sich jeder Pollenschlauch sogleich durch die Continuität des Lu- mens auf grösseren Strecken zu erkennen. Die Klage über die Möglichkeit ihrer Verwechselung ist auch allein aus sehr ver- kehrter Untersuchungsmethode hervorgegangen. Wer eine be- fruchtete Pflanze vornimmt, flüchtig einen Längsschnitt aus dem Staubweg untersucht, mag vielleicht zweifeln, ob er eine lang- gestreckte Zelle oder einen Pollenschlauch vor sich habe; wer aber, und das ist der einzig richtige Weg, erst die Entwicke- lung des Fruchtknotens in allen seinen Partien bis zur Zeit der Blüthe verfolgt und dann, vertraut mit dem vorhandenen einen befruchteten Fruchtknoten, untersucht, erkennt augenblicklich, welche neuen Elemente im Staubweg hinzugekommen sind, und wird nie an die Möglichkeit einer Verwechselung der Pollen- schläuche mit leitendem Zellgewebe auch nur denken können. Endlich muss ich noch die schon von Horkel (a. a. O.) ausge- sprochene Ansicht bestätigen, dass Rob. Brown’s Schleimröhren (mucous tubes) nichts Anderes sind, als die Pollenschläuche, deren Zusammenhang mit dem Pollenkorn schon zerstört ist. In ge- wisser Zeit nach der Befruchtung sind alle Pollenschläuche bei den Orchideen Schleimröhren geworden, weil sie von Aussen nach Innen abzusterben anfangen. Meyen will häufig verästelte Pollenschläuche beobachtet haben; mir sind nie welche vorgekommen, doch halte ich es für sehr möglich. Nur in der Nähe der Saamenknospen oder gar inner- halb des Saamenmundes habe ich zuweilen ein ganz kurzes, blindes Seitenästchen von einem Pollenschlauch abgehen sehen, und überhaupt zeigen sie, sonst ziemlich glatt und cylindrisch, hier sehr häufig sehr unregelmässige Krümmungen und Varico- sitäten. Dass die Pollenkörner durch Endosmose im Wasser aufquellen und bersten, und dann der gerinnende Inhalt in wurmförmiger Gestalt heraustritt, ist bekannt, hat aber mit der Schlauchbil- dung auf dem Stigma nichts zu thun; dagegen kann man sich fast von jeder Pollenart ächte Schläuche zur klareren Beob- achtung, als es bei den vom Stigma genommenen meistens möglich ist, verschaffen, wenn man sie in den von einigen Pflanzen abge- sonderten süssen Saft, z. B, in den Nectarspiegel der Kaiser- krone, den reichlichen Nectar der Hoja carnosa, oder zuweilen auch nur in gehörig concentrirtes Zuckerwasser oder diluirten Honig legt. Hier ist's dann auch gewöhnlich leicht, die von Amiei zuerst beobachtete Circulation des Inhalts der Pollenzelle bei Bildung des Schlauches zu beobachten. Auch ohne mensch- liches Zuthun treiben die zufällig mit dem Nectar in Berührung Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen.. 367 kommenden Pollenkörner leicht Schläuche, und man findet oft auf dem Grunde der Blume ganze Massen. confervenartigen Ge- flechts, welches sich als so getriebene, durch einander gewirrte Pollenschläuche ausweist. Ja, in den gewöhnlich etwas süsse Säfte absondernden Antheren der Aristolochien treibt der Pollen nicht selten ebenfalls Schläuche, die denn auch wohl, wie ich beobachtet zu haben glaube, zufällig über den Rand der Anthere hinaus auf die Narbe kommen und so in die Fruchtknotenhöhle hinabsteigen, ohne erst die hier gewöhnlich hülfreichen Insecten abzuwarten. Geschichtliches und Kritisches. Bei manchen Pflanzen sınd die Pollenschläuche, zumal durch ihre Masse, so auffallend, dass sie, ungeachtet man über das Verhalten des Pollens auf dem Stigma alle möglichen, nur nicht die richtigen Ansichten hatte, doch nicht völlig übersehen wer- den konnten, wenn es einmal den wenigen mikroskopischen Beobachtern des 18. Jahrhunderts einfiel, die betreffenden Lo- calitäten genauer zu betrachten. Horkel, a. a. O., hat die frü- hesten Spuren dieser Beobachtungen gesammelt, Amici') bleibt aber die Entdeckung, dass aus dem Pollenkorn ein Schlauch heraustrete und zwischen die Narbenpapillen eindringe, sowie er auch der Erste war, der den Pollenschlauch vom Stigma bis in den Saamenmund veriolgte, wahrscheinlich an Yucca gloriosa ?). Dazwischen aber hatte Ad. Brongniart’) seine weit umfassen- deren Untersuchungen bekannt gemacht, bei denen er den Pol- lenschlauch überall auf der Narbe und bei vielen Pflanzen auch als abgerissenes Ende aus dem Saamenmunde heraushängend beobachtete. Diese beiden zerrissenen Enden knüpfte nun Rob. Brown *) zusammen (1831, 32, 33), indem er mit seiner be- kannten Gründlichkeit und Genauigkeit die Amici’sche Entdeckung auf zwei der abweichendsten Familien anwendete, auf Asclepia- deen und Orchideen, und für beide das Fortwachsen der Pol- lenschläuche bis in die Saamenknospen über jeden Zweifel er- hob. Corda sah die Pollenschläuche in dem nackten Saamen- munde von Abies excelsa, was sich auch vor der Beobachtung 1) Mem. di Soc. Ital. Tom. XIX. »p. 253—257?. (1823.) 2) Annales des Sc, nat. Tom. XXI. p. 331. (1830.) 3) Mem. sur la generation et le developpement de l’embryon etc. Paris, 1827; übersetzt in Rob. Brown’s vermischten Schriften; herausg. von Nees v. Esenheck, Bd. IV. 4) Observations on the organs and mode of fecundation in Orchi- deae and Asclepiadeue. London, 1833. Rob. Brown’s vermischte Schrif- ten, herausg. von Nees v. Esendeck. B. IV. 368 Morphologie. von selbst verstand; alles Uebrige, was er über ihr Verhalten mittheilt, ist rein aus der Luft gegriffen. Ich selbst dehnte Rob. Brown’s Beobachtungen auf eine grössere Anzahl von Fa- milien aus, und diese Beobachtungen, von Horkel bestätigt, wur- den von diesem in den Monatsberichten der Berliner Akademie, August 1836, und von mir in Wiegmann’s Archiv, 1837 (Bd. 1. S. 312 ff.), bekannt gemacht. Der Aufsatz von Horkel scheint gänzlich unbeachtet geblieben zu seyn, und deshalb mag Man- cher gemeint haben, er könne meine, eines jungen Mannes, Beobachtungen ruhig bei Seite schieben, um seine eigenen un- reifen Beobachtungen und oft nur Meinungen an die Stelle zu setzen. Indess möchten unter der Aegide von Beobachtern wie Amici, Rob. Brown und Horkel meine Beobachtungen wohl als unumstösslich dastehen. Endlich beobachtete Wydler‘) in Bern das Herabsteigen der Pollenschläuche und ihr Eintreten in die Saamenknospen bei mehreren Scrophularia-Arten, und Meyen bestätigte die vorhandenen Beobachtungen ebenfalls als richtig, ohne gerade speciell die Pflanzen zu nennen, an denen er den Pollenschlauch vollständig verfolgt hatte, aber doch ein reiches Material bringend von Beobachtungen über das Eindringen un- zweifelhafter Pollenschläuche in den Saamenmund. So stand für den Eingeweihten die Thatsache, dass bei allen Phanerogamen die Pollenschläuche bis in die Saamenknospe hinabsteigen, als Naturgesetz fest, bis in neuerer Zeit Hartig”) die ganze Sache umstossen zu wollen schien. Da leider in einer wissenschaft- lichen Zeitschrift schon über dieses Werk in einer Weise ge- sprochen °), die Unkundigen eine ganz falsche Ansicht darüber beibringen muss, so gehe ich hier etwas ausführlicher auf die Beurtheilung desselben ein, weil es die Wissenschaft fordert, wobei es mir leid thut, dass mein Urtheil gerade so ausfallen muss; denn Hartig ist, so weit ich ihn persönlich kenne, ein 1) Bibliotheque univers. de Geneve, 1838. Oet. 2) Neue Theorie der Befruchtung der Pflanzen u. s. w. Braun- schweig, 1842. 3) Welchen äussern Beruf der Herr Klencke, Verfasser der hier gemeinten Recension in der Neuen Jen. Litt. Zeit. hat, hier seine Stimme vernehmen zu lassen, weiss ich nicht; bis jetzt ist mir sein Name, in der Botanik noch nicht vorgekommen, und in der Pflanzen- physiologie ist er sicher noch nie genannt. So viel ist gewiss, dass es ihm an innerem Beruf gänzlich fehlt. Seine Recension zeigt, dass er weder aus eigenen Untersuchungen ein. Urtheil über die Sache hat, noch dass er, was das Wenigste ist, was man von einem Recensenten verlangen kann, die doch wahrlich wenig umfangreiche Literatur dieses Zweiges auch nur mehr als vom Hörensagen kennt. Wo ein solcher Mann den Muth hernimmt, sich in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zum Recensenten aufzuwerfen, ist mir unbegreiflich. Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 369 liebenswürdiger und achtungswerther Mann und hat sogar die Artigkeit gehabt, mir sein Buch selbst zuzusenden. Zunächst muss es ein Vorurtheil gegen das Werk erwecken, dass es wie- der, statt unbefangen und sicher beobachtete Thatsachen mitzu- theilen, gleich eine neue sogenannte Theorie ') darüber ausspinnt und abermals eine reichhaltige neue Terminologie bietet. Den Inhalt selbst betreffend, so spricht nun allerdings sowohl Hartig, als sein Recensent in der N. Jen. Litt. Zeitg. von vielen neuen Entdeckungen; aber wenn man zusieht, findet man auch nicht eine einzige Thatsache, die nicht früher schon besser bekannt gewesen wäre. Zweierlei begründet die völlige Unfruchtbarkeit. dieses Buchs zur Förderung unserer Wissenschaft; einmal des Verfassers völlige Unkenntniss mit der betreffenden Literatur, mit dem, was vor ihm in der Wissenschaft von Andern geleistet schon feststand. So trägt er die Dichogamie bei den Campa- nulaceen, die schon Conrad Sprengel kannte, und das bekannte eigenthüumliche Verhalten der Sammelhaare am Staubweg, wel- ches noch in der neueren Zeit weitläufig in der Wissenschaft verhandelt ist, als etwas ganz Neues vor. Die Beobachtungen, von Horkel und mir müssen ihm gänzlich unbekannt geblieben, oder nur in ihren allgemeinen Resultaten von Hörensagen be- kannt geworden seyn, sonst könnte er namentlich nicht von den Oenothera-Arten behaupten, dass hier das Eintreten der Pollen- ‚schläuche in die Saamenknospen nicht zu beobachten sey, er müsste denn meine in den Act. Ac. L. C. gegebenen Abbildun- gen derselben für eine Erfindung von mir ansprechen; auch ist in der That die Beobachtung dieses Vorgangs bei den Oeno- theren so leicht, dass ich sie vorzugsweise bei meinen Vorlesun- gen zu Demonstrationen benutze. Zweitens fehlt es Hartig offenbar an aller Geschicklichkeit im Präpariren und an der rich- tigen Methode. In letzterer Beziehung habe ich oben schon (Seite 321 fg.) die beiden wesentlichen Puncte berührt, wo der Mangel an vollständiger Entwickelungsgeschichte ihn von jedem Verständniss der beobachteten Thatsachen ausschloss; schon durch jene beiden Puncte allein fällt seine ganze sogenannte Theorie zusammen. Das Präpariren aber betreffend, so sagt eigentlich seine ganze Arbeit nur, es ist mir bei den meisten Pflanzen nicht gelungen, die Pollenschläuche zu verfolgen, wobei zu be- merken, dass er sie theils am unrechten Orte, theils (so bei dichogamen Blüthen) zur unrechten Zeit suchte; dabei nahm er 1) Leicht fertig ist die Jugend mit dem Wort, Das schwer sich handhabt wie des Schwertes Schneide. Wann werden wir doch in der Botanik einmal von dieser Monomanie der Systeme und Theorien erlöst werden! I. 24 370 Morphologie. sogleich eine neue Befruchtungsweise an, wo er Pollenkörner liegen und vertrocknen, oder unvollkommene Schläuche treiben sah. Mit etwas mehr und genauerer Kenntniss hätte die Theorie noch ein weit bunteres Ansehen ‘gewinnen können; denn bei Fritillaria und Hoya, wo die Pollenkörner, wie bei den meisten Honig absondernden Pflanzen, im Nectarium die schönsten Schläuche treiben, musste Hartig offenbar eine epipetale Em- pfängniss annehmen, bei Aristolochia und einigen Monöcisten, wo sich Pollenschläuche schon in der Anthere entwickeln, eine Antheren- oder intracauline Empfängniss und bei Urtica dioica, wo es selten gelingt, den schnell verschwindenden Pollenschlauch auf dem Stigma zu finden, während man nicht selten Pollen- schläuche in den Blüthen der männlichen Pflanze beobachtet, sogar eine subterrane Befruchtung. Alle diese Verhältnisse sind aber für die wahre Bildung der Pollenschläuche völlig unerheb- lich, Wie wenig Hartig die Schwierigkeiten dieser Untersuchun- gen kennt und durch minutiöse Sorgfalt und geübte Geschick- lichkeit zu überwinden weiss, zeigen alle seine meist schemati- schen Figuren. Solche Präparate wie Fig. 13 sind ohne Zwei- fel aus dem Kopf gezeichnet, denn bei einer solchen Präpara- tionsweise ist die genaue Bildung der Zellen gar nicht zu er- kennen; auch ist sie bei Mirabilis ganz anders. Fig. 26 und 27, die Durchschnitte von Fruchtknoten bei Capsella geben sol- ien, zeigen aber auf’s Entschiedenste den Unwerth dieser Beob- achtungen. Die Scheidewand besteht bei Capsella in der Mitte stets nur aus Einer Zellenlage, nicht aus zweien; in den auf- gelockerten Ecken findet sich etwas schwammförmiges Zellge- webe, dessen Zellen, reichlich mit Chlorophyll gefüllt, dreimal so dick sind, als die Pollenschläuche. "Solche lange cylindrische Zellen in diesen Ecken, wie sie Hartig abbildet, von denen das schwammförmige Zellgewebe ausgehen soll, existiren gar nicht. Spaltöffnungen, die er abbildet, kommen nie auf den Scheide- wänden vor, auch sehen Spaltöffnungen nie so aus, wie er sie abbildet; er ist hier durch unklare Beobachtung des Zellinhalts getäuscht werden. Die Zellen, die er bei b, Fig. 27 abbildet, machen von der Kapselwand die innerste, aber noch durch ein Epithelium überzogene Lage aus und kommen niemals an den falschen Scheidewänden vor, auch haben diese letzteren eine ganz andere Zellenform, als Hartig sie zeichnet. Auch die Kap- selwand besteht aus andern Zellen, als Hartig abbildet; nach Aussen aus einer wasserhellen Oberhaut, dann aus drei Lagen dünnwandiger, Chlorophyll führender Zellen, dann aus einer ein- fachen Schicht sehr schmaler, etwas verdickter Zellen, die zu fünf oder sechs parallel so neben einander liegen, dass sie einen Gesammtumriss bekommen, weil die daneben liegenden "Gruppen Spee, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 371 stets nach einer andern Richtung geordnet sind (eine sehr all- gemeine Erscheinung bei den Pericarpien); zu innerst ist dann die, Kapselwand mit einem zarten Epithelium ausgekleidet. End- lich kann man einen solchen dieken Schnitt, wie ihn Hartig Fig. 27 abbildet, ebenfalls nie mit genügender Vergrösserung beobachten, um den Zellenbau richtig zu erkennen, und offen- bar hat Hartig, um ‚beobachten zu können, den Schnitt platt gedrückt, dadurch Alles verschoben und so namentlich die Zel- ien der Kapselwand an der Scheidewand gesehen. Ich glaube, dies wird genügen, um meine Beurtheilung zu rechtfertigen und die ganzen mangelhaften Beobachtungen als völlig unbrauchbar verwerfen zu lassen. Hartig hat in der Einleitung selbst ein so klares und richtiges Raisonnement, dass er damit leicht zu wider- legen ist. Er stellt die Frage so: Kann die Grundlage des Embryo einmal im Pollenschlauch, ein andermal im Fruchtkno- ten, in der Saamenknospe, liegen? und verneint diese Frage mit völligem Rechte; denn es ist kein Grund vorhanden, hier ein solches planloses Schwanken der Natur anzunehmen. Dann fährt Hartig fort: Ist nun ein unzweifelhafter Fall vorhanden, dass der Embryo nicht aus den Pollenschläuchen entstehen kann, so ist auch consequent seine Entstehung aus denselben überall zu leugnen, Auch dies ist völlig richtig, nur ist die Sache wegen des grössern Werthes und des leichtern Beweises positi- ver Behauptungen besser umgekehrt zu stellen. Ist nämlich un- zweifelhaft die Entstehung des Embryo aus dem Pollenschlauch auch nur in einem Falle beobachtet, so ist die Sache entschie- den und alle scheinbar entgegenstehenden Thatsachen fallen in die Classe der unvollständigen Beobachtungen. Solche Fälle lie- gen aber in der That vor, selbst wenn ich von meinen ganz klaren und keine andern Deutungen zulassenden Beobachtungen ganz absehe, so hat doch auch Wydler für Scrophularia, Meyen für Fritillaria imperialis die vollständigsten Beweise geliefert, und besonders Meyen’s Beobachtung ist um so entscheidender, da er, von vorgefassten Meinungen ausgehend, ein solches Er- gebniss der Untersuchung weder erwarten, noch zugestehen konnte und deshalb sich alle Mühe giebt, jene 'Thatsache, die er zu unterschlagen viel zu redlich ist, wegzuinterpretiren. So . wäre die Frage auf der von Hartig selbst gegebenen Grundlage gegen ihn selbst entschieden. Er meint aber die Entscheidung anders geben zu können, indem er jene Facta ignorirt und sich auf seine Beobachtungen an Campanula beruft, wie er selbst zugiebt, die einzige sichere Stütze seiner abweichenden An- sicht. Dieser Grundpfeiler ist aber sehr schwach; das lange vor ihm beobachtete eigenthümliche Verhalten der Sammelhaare hat nämlich mit der Befruchtung gar nichts zu thun, als höch- 24. * 372 Morphologie, stens insofern durch das Einziehen der Haare der meiste Pollen von ihnen abgestreift wird und somit lose den Winden und In- secten zum Transport auf's Stigma preisgegeben ist. Die Be- fruchtung fängt bei den Campanulaceen erst viel später an, in- dem auf die vollkommen ausgebreitete und entwickelte Narbe durch Wind und Insecten, die allgemeinen Diener der Natur in diesem Puncte, Pollen gebracht wird, der hier wie gewöhnlich Schläuche treibt und bis in die Saamenknospen hinabsteigt. Nie habe ich diese bei eifrigem und geduldigem Suchen auf der Narbe und am Saamenmund vermisst, bei Campanula medium und rapunculoides habe ich ihren ganzen Weg verfolgt; bei ersterer ist es sogar nicht schwer, die ganzen Schläuche in unver- letzter Continuität darzustellen. Auch zweifle ich nicht, dass Hartig, der offenbar Ernst und Eifer für die Wissenschaft hat, sich in Kurzem selbst von der Unhaltbarkeit seiner angeblichen Theorie überzeugen wird. Hauptsächlich aus Achtung gegen ihn habe ich mich hier in eine so ausführliche Widerlegung sei- ner offenbar um funfzig Jahre zu spät kommenden Arbeit ein- gelassen über einen Punct, der freilich auch an sieh wichtig genug ist, die volle Aufmerksamkeit jedes Botanikers in An- spruch zu nehmen; denn die im folgenden Paragraphen zu erör- ternde Frage nach dem Ursprung des Embryo nimmt freilich eine ganz andere Gestalt an, wenn die Thatsache des Herab- steigens der Pollenschläuche bis in die Saamenknospe aufhört, als allgemeines Gesetz festzustehen. $. 168. Der Pollenschlauch, der auf die angegebene Weise in die Saamenknospe gekommen ist, trifft entweder schon in dem Saamenmunde auf den Embryosack, z. B. Ve- ronica, oder dringt durch die Intercellulargänge des um diese Zeit durch eine Absonderung etwas aufgelockerten Zellgewebes der Kernwarze, bis er den Embryosack erreicht. Diesen drängt er vor sich her, entweder ihn ganz verdrängend, wie bei den Orchideen, oder in ihn eindringend. Hier bleibt es für einige Fälle unentschie- den, ob die Membran des Embryosacks, welche auf diese Weise einen nach Innen gestülpten Ueberzug über die Spitze des Pollenschlauchs bildet, nicht vielleicht aufge- löst und resorbirt wird, so dass der Pollenschlauch wirk- Spee. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen. 373 lich sogleich in die Höhle des Embryosacks eindringt, was allerdings schr wahrscheinlich ist bei den Pflanzen, wo der Pollenschlauch im Embryosack einen unverhält- nissmässig langen Weg zurücklegt, wie bei vielen Ve- ronica-Arten, bei den Santalaceen, bei Martynia diandra, wo er fast bis zum Chalazaende des Embryosacks hin- aufsteigt; bei einigen, z. B. Phormium tenax, bleibt bestimmt ein längere Zeit unterscheidbarer Ueberzug des Endes des Pollenschlauchs vorhanden. Bei allen Pflanzen aber, an denen ich bis jetzt die Spitze des Eimbryosacks und den eindringenden Pollenschlauch bloss- lesen konnte, sieht man an der Grenze beider deutlich, wie sich die Membran des Embryosacks nach Imnen an den Pollenschlauch zurückschlägt, so dass wenigstens im Anfang ein solches Eindrüöken des Enhryosachk nach Innen "bestimmt stattgehabt haben muss. Bei den Santa- laceen tritt der Erhbiyesich weit aus dem nackten Kern hervor und wächst so dem Pollenschlauch entgegen. Auf diese Weise erscheint das Ende des Pollen- schlauchs innerhalb des Embryosacks als ein längerer oder kürzerer, cylindrischer oder eiförmiger Schlauch, der nach der Höhle zu rund seschlossen ist, nach der Spitze des Emhryosacks offen in den Pollenschlauch aus- läuft; das Ende schwillt bald an, entweder so, dass das hieraus hervorgehende Bläschen (Embryobläschen) der Sanze im Innern des Embryosacks enthaltene Theil des Schlauchs ist, oder so, dass zwischen diesem Bläschen und der Spitze des Embryosacks noch ein längeres oder kürzeres, cylindrisches Stück, der Embryoträger (fila- mentum suspensorium, filament suspenseur, Mirbel), zurückbleibt. Sodann bildet sich im Innern des Pollen- schlauchendes Zellgewebe, indem Cytoblasten entstehen und auf diesen sich Zellen entwickeln. Gewöhnlich füllt von den neuen Zellen eine das ganze Bläschen aus und die übrigen lagern sich in den Embryoträger. Zuwei- len (?) füllen gleichzeitig mehrere Zellen das Embryo- bläschen an. Dadurch, dass in diesen Zellen neue Zel- 374 Morphologie, len entstehen und so fort, wird das Embryobläschen zu- letzt, unter allmäliger Volumenvergrösserung und unter Resorption der Mutterzellen, zu einem kleinen kugelisen oder eiförmigen, zelligen Körperchen. Zugleich schnürt sich der Pollenschlauch aussen am Eimbryosack gewöhn- lich ab und wird resorbirt, und häufig wird auch, be- sonders wo ‚kein Embryoträger vorhanden ist, das Em- bryobläschen selbst absgeschnürt und liegt dann völlig frei in der Spitze des Embryosacks. Zwei eisenthüm- liche Verhältnisse sind hier noch zu erörtern. Der Pol- lenschlauch schwillt nämlich nicht selten vor seinem Ein- tritt in den Embryosack an (bei Oeratophylium, Taxus, Juniperus), und diese Anschwellung, im Parenchym des Kerns oder im Canal des Saamenmundes liegend, füllt sich ebenfalls mit Zellen und bleibt so eine längere Zeit erkennbar (bei Cynanchum). Bei andern Pflanzen da- gegen, besonders bei Najaden und Scitamineen, bildet der Pollenschlauch innerhalb des Embryosacks eine An- schwellung, die bald einer etwas plattgedrückten Kugel gleicht (bei Potamogeton, Maranta, Statice), bald ein längerer cylindrischer Körper ist (bei Tropueolum); im ersten Fall aus der Spitze der Kugel, im letzten Fall aus der Seite des Cylinders verlängert sich dann wieder der Pollenschlauch eine längere oder kürzere Strecke und schwillt dann erst zum Embryobläschen an. Auch jene Anschwellung im Innern des Embryosacks, unterhalb des Embryobläschens, füllt sich in der Regel mit Zellen und bleibt dann lange erkennbar. Bei Tro- paeolum kommt sie sogar durch gleichzeitige Resorption des sie bedeckenden Theils der Saamenknospenhüllen frei in der Fruchtknotenhöhle zu liegen und wächst selbst- ständig als ein zelliger Strang um die ganze Saamen- knospe herum fort und ist selbst am reifen Saamen noch deutlich zu erkennen. Eine auffallende Abweichung von der hier geschil- derten gewöhnlichen Bildung des Embryokügelchens fin- det sich bei den Coniferen, aber es erfordert diese Un- Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 375 tersuchung so grosse Geschicklichkeit, Geduld und Aus- dauer, dass ich nicht behaupten darf, mit meinen nun schon sechs Jahre fortgesetzten Untersuchungen schon zufrieden zu seyn. Was ich beobachtet, ist Kolgendes, wobei ich bitte, sich die oben (8. 347) gegebene Dar- stellung der Saamenknospen der Coniferen genau ins Gedächtniss zu rufen. Die Pollenkörner gelangen hier natürlich unmittelbar auf die nackte Saamenknospe, und bei der Weite des Saamenmundes gewöhnlich auch so- gleich auf die Kernwarze. Hier bleiben sie längere oder kürzere Zeit liegen, treiben dann allmälig Schläuche, die an verschiedenen Stellen durch das Parenchym der Kernwarze durchwachsen. So erreichen sie die Stellen, wo nur die Membran des Embryosacks die vergrösser- ten Zellen des Endosperms bedeckt, und drängen sich in diese hinein, sie ganz ausfüllend. Ueber den Anfang dieses letzten Vorgangs kann kein Zweifel obwalten bei der Menge von Beispielen fast aller einheimischen Co- niferen. Bei Abies excelsa, Taxus baccata, Juni- perus sabina selang es mir auch, den ganzen Pollen- schlauch von der Kernwarze bis auf den Boden der klei- nen Höhle, mit der dieselbe genau ausfüllenden An- schwellung frei zu präpariren. Schon während dieses Processes seht unterhalb der genannten Zellenhöhlen bis zum Chalazaende des Embryosacks eine allmälige Auf- lösung und Resorption des früher hier gebildeten Paren- chyms vor sich, wodurch eine cylindrische Höhle unter- halb jener Zellen und von dieser nur durch die dieselben umgebende epitheliumartige Zellenlage getrennt gebildet wird. In diese eylindrische Höhle dringt nun der Pol- lenschlauch, die Wand der kleinen Höhle durchbrechend, ein, aber nur zweimal selang es mir, bei Taxus und Juniperus, den Pollenschlauch auch hier, nachdem er schon eine kleine Strecke in diese cylindrische Höhle eingedrungen war, in ununterbrochener Continuität frei zu präpariren. Meine ferneren Beobachtungen sind noch völlig lückenhaft. Sie ergeben, dass bald in diesem in 376 Morphologie. die eylindrische Höhle eingedrungenen 'Theil des Pollen- schlauchs ein Zellenbildungsprocess eintritt, so dass sich vier Zellen bilden, die, dem Pollenschlauch und unter sich parallel, eylindrisch sich ausdehnen; dann bildet sich in dem freien Ende jeder derselben abermals eine Zelle (Juniperus communis), die bald darauf drei (?) Zellen in sich entwickelt (Abies excelsa), so dass das Em- bryokügelchen nun aus 12 in vier Reihen neben einan- der liegenden Zellen besteht. Der Vermehrungsprocess der Zellen schreitet dann so fort, und so bildet sich ein kleines warzenförmiges, zelliges Körperchen als Embryo- kügelchen, welches einem langen, aus vier parallelen Zellen bestehenden Embryoträger aufsitz. Die Zellen des letzteren fahren noch lange fort, sich ausnehmend in die Länge zu dehnen und nehmen daher nach und nach in der zu kurzen cylindrischen Höhle eine geschlängelte Lage an. Da, wo sie aus der kleinen Höhle hervor- treten, scheinen sich auch bald einige Zellen zu bilden, oder die benachbarten Zellen drücken die Höhle des Pollenschlauchs zusammen; kurz es ist sehr bald hier keine Spur mehr von der ursprünglich freien Communi- cation zu entdecken. Die Untersuchung der in diesem Paragraphen beschriebenen Vorgänge gehören ohne Zweifel, nächst der Entstehung neuer Zellen im gedrängten Parenchym, zu den schwierigsten Aufgaben in der Botanik. Seit ich jene 'Thatsachen bekannt machte, ist zwar viel darüber geredet worden, aber von den vielen hundert Botanikern haben sich nur drei gefunden, die sorgfältige Unter- suchungen der Art gemacht haben, und davon war leider der Eine, Griffith, durch ein offenbar höchst unvollkommenes Instru- ment gehindert. Folgendes sind die Pflanzen, an denen ich bis jetzt die Bildung des Embryobläschens aus dem Ende des Pol- lenschlauchs in der Weise vollständig betrachtet habe, dass ich das schon vollkommen deutliche, im Embryosack erkennbare Embryobläschen in völlig unverletzter Continuität mit dem min- destens noch ausserhalb des Kerns vorhandenen Pollenschlauche ganz frei präparirte und später die Entstehung des Embryo- kügelchens durch Bildung von Zellen im Embryobläschen ver- folgte: Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 377 Phormium tenax, Eucomis punctala, Sisyrinchium anceps, Stra- tiotes aloides, Canna Sellowii, Maranta gibba, Orchis morio, latifolia, palustris, Zea Mays, Nuphar luteum, Momordica elate- rum, Daphne mezerum, Phytolacca decandra, Polygonum orientale, Mirabilis Jalapa, longiflora, Limnanthes Douglasii, Linum pal- lescens, Tropaeolum majus, Cicer arietinum, Phaseolus vulgaris, Oenothera viminea, crassipes, rhizocarpa, Martynia diandra, Sal- via bicolor, Lathraea squamaria, Veronica hederaefolia, serpylli- folia, Pedieularis palustris, Cynanchum nigrum, Campanula medium. Bei vielen dieser Pflanzen habe ich mich manches Jahr ver- gebens abgemüht, bei einigen ist es mir öfter gelungen, den ganzen Vorgang ohne mögliche Täuschung zu beobachten; keine Pflanze habe ich bis jetzt gefunden, die die Beobachtung so erleichterte, dass ich sagen möchte, ich könnte jedesmal mit Sicherheit das nöthige Präparat darstellen; am leichtesten kabe ich es bei Oenothera,, Veronica, Pedicularis und den Orchideen gefunden. Stände uns Santalum album zu Gebote, so würden wir wahrscheinlich an ihr eine Pflanze haben, an der jedesmal mit Sicherheit der Process aufzuweisen wäre. Vollkommene Be- stätigung des Hauptpunctes, nämlich die Umwandlung des Endes des Pollenschlauchs zum Embryo durch innere Vegetationspro- cesse lieferten nur Wydler ') für einige Scrophularia-Arten, und Meyen?) für Fritillaria imperialis und Tulipa. Diese letztere Beobachtung ist um so beweisender, als sie sich Meyen sicher ganz ungesucht dargeboten; denn sie ist allein völlig genügend, seine ganze künstliche und, wie ich offen ‘gestehen will, mir durchaus unverständliche Auffassung seiner übrigen minder voll- - ständigen Beobachtungen zu widerlegen. Ziemlich vollständig mit meinen Beobachtungen übereinstimmend sind auch noch bei Meyen, Taf. XIII, Fig. 37—43 bei Alsine media, nur weiss ich nicht recht, was ich aus den Figuren 38—41 machen soll. Ich muss gestehen, dass es mir bei Alsine media bis jetzt völlig unmöglich erscheint, so frühe Zustände frei zu präpariren, auch stimmen diese Beobachtungen durchaus nicht zu Meyen’s Erklä- rung; ferner Fig. 21—23 bei Draba verna, Fig. 34 bei Orchis morio, Fig. 44 bei Helianthemum canariense, Fig. 48, 49 bei derselben Pflanze, nur ist offenbar die Folge eine andere; Fig. 49 ist ein früherer Zustand, Fig. 48 dagegen die anfan- gende Abschnürung des Pollenschlauchs; endlich noch (,,Poly- embryonie u. s. w.“ Taf. 1) bei Viscum album, wobei ich nur DA.a. O0. 2) Physiologie, Bd. II, und „Noch einige Worte über den Befruch- tungsact und die Polyembryonie bei den höheren Pflanzen. Berlin, 1840.“ 0) ei 78 Morphologie, bemerken will, dass Fig. 8 offenbar später befruchtet und eine frühere Bildungsstufe ist, als Fig. 7; was schon daraus hervor- geht, dass die Membran des Embryosacks noch nicht völlig resorbirt ist und daher die in ihm enthaltenen Zellen noch in glatten Contouren umzieht. Alle übrigen Figuren bei Meyen zei- gen nur spätere Zustände, nach Abschnürung des Pollenschlauchs aussen am Embryosack, oft auch schon nach Abschnürung der Embryoblase im Innern desselben. Endlich hat noch Griffith ) Untersuchungen über diesen Vorgang bei Santalum album ange- gestellt, und zwar früher, ehe meine Beobachtungen bekannt gemacht wurden; leider stand ihm offenbar kein brauchbares Mikroskop zn Gebote, und er ist redlich genug, nichts als be- stimmt gesehen zu erzählen oder zu zeichnen, was ihm undeut- lich geblieben. Sicher aber ist Santalum album für diese Un- tersuchungen die vortheilhafteste Pflanze. Die Verwandten The- sium-Arten bieten grosse Schwierigkeiten dar. Nach der gegebenen Darstellung nun muss ich die Bildung des Embryos aus dem Pollenschlauch für völlig festgestellt an- sehen, und abweichende Beobachtungen werden fernerhin nur dann von Werth seyn, wenn sie zugleich völlig die Ursachen aufklären, wie ein allerdings nicht absolut unmöglicher Irrthum in gedachter Weise bei drei so verschiedenen, treu untersuchen- den und, was besonders Meyen gilt, gewiss unbefangenen Beob- achtern entstehen musste. Soll aber die Wissenschaft wirklich sicher fortschreiten, so müssen fernerhin alle keck ausgesproche- nen Phantasien, ohne gründliche Kenntniss der Vorgänger auf einige unvollkommene Beobachtungen gestützt, völlig ausgeschlos- sen bleiben, Für das Einzelne des beschriebenen Vorgangs möchte noch Folgendes hervorzuheben seyn. Zunächst ist das gegenseitige Verhalten des Embryosacks und des Pollenschlauchs noch kei- neswegs vollständig durch Beobachtungen aufgeklärt; so viel ist gewiss, dass ich überall, wo ich sicher war, das Object noch in ungestörter Lage zu haben, insbesondere wo es mir gelang, durch einen Schnitt die Spitze des Embryosacks und Pollen- schlauchs blosszulegen, ohne sie aus ihrer Stelle in der Saamen- knospe zu verrücken, die Membran des Embryosacks an der Spitze sich umbiegen und nach Innen zu an den Pollenschlauch verlaufen sah. Es ist aber sehr leicht möglich, dass der an- fänglich vom andringenden Pollenschlauch etwas eingestülpte 1) On the ovulum of Santalum album, Transact. of the Royal So- ety, Vol. XVIII. Gelesen am 5. April 1836, Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 379 Embryosack, der ohnehin oft um diese Zeit sehr dünn und zart, zuweilen selbst nur von gallertartiger Consistenz ist, von der Spitze des Pollenschlauchs allmälig aufgelöst wird, so dass die- ser ihn wirklich durchbricht. Eine solche ganz allmälige Auf- lösung müsste ebenfalls jeden scharfen Rand verwischen, den man allerdings niemals sieht. Es kann aber auch seyn, dass ‚der Embryosack nur ganz dünn ausgedehnt wird. Wesentlich scheinen mir die hier möglichen Modificationen nicht, da später durch die Abschnürung das Embryobläschen doch in der Höhle des Embryoscacks zu liegen kommt und ohnehin nach Beginn der Zellenbildung nicht nur der etwaige Ueberzug vom Em- bryosack, sondern auch der Pollenschlauch selbst resorbirt wird. Sodann mache ich noch darauf aufmerksam, dass sich überall leicht die Umbildung des Embryobläschens in das Embryokügelchen durch Bildung von Zellen in Zellen beobach- ten lässt. Selbst Meyen hat dafür in seinen Abbildungen die schönsten Belege gegeben, z. B. Physiologie, Bd. III. Taf. XII. Fig. 42 die freien Cytoblasten im Embryobläschen, Fig. 43 die jungen Zellen mit ihren Cytoblasten, Fig. 35 in der obersten Zelle des Embryobläschens zwei lose Zellen mit ihren Cytobla- sten, Fig. 11 und 14 lose Zellen mit Cytoblasten in dem Em- bryobläschen. Besondere Abweichungen sind mir ausser den schon im Paragraphen erwähnten bis jetzt nicht weiter vorge- kommen, auch ist es nicht wahrscheinlich, dass in den wesent- lichen Stücken Verschiedenheiten stattfinden sollten, wenn man bedenkt, dass die Eigenthümlichkeiten, wodurch sich Kryptoga- men, Rhizocarpeen und Phanerogamen unterscheiden, ohnehin schon grösser sind, als im gesammten Thierreiche der Haupt- sache nach vorzukommen scheinen, die Phanerogamen aber in allen übrigen Organisationsgesetzen so sehr übereinstimmen, dass es sehr unwahrscheinlich wird, dass sie gerade in einem so we- sentlichen Puncte bedeutende Modificationeu zeigen sollten. Geschichtliches. Wir finden nicht selten dafür Beispiele in der Wissenschaft, dass der unbefangene Blick der ersten Forscher fast instinct- mässig das Richtige erräth und ausspricht, was aber natürlich sogleich und mit Recht von der Wissenschaft als unbegründet, und ihrem augenblicklichen Stande widersprechend, verworfen wird, bis sie sich zuletzt allmälig wieder zu jener ersten An- sicht, aber jetzt bewusst und auf alle Weise durch die richtigen Gründe unterstützt, zurückarbeitet. Betrachten wir nämlich das jetzt gewonnene Resultat über den Ursprung des Embryo, so ist das im Grunde ganz dasselbe, was schon vor mehr als hun- 380 Morphologie, dert Jahren Samuel Morland ') behauptete, dass nämlich das Pollenkorn durch den Staubweg herabsteige und in der Saamen- knospe zum Embryo werde. Diese Ansicht wurde damals mit Recht von Vaillant und Patrik Blair bestritten. Später schlum- merten nach und nach alle tiefer eindringenden Untersuchungen, wie sie von Malpighi angeregt waren, ein, und als Treviranus ?) sein Werk über die Entwickelungsgeschichte des Embryos schrieb, war es als ein grosser Fortschritt zu betrachten, obwohl er nicht weiter kam, als Malpighi schon gewesen, und sogar viele schöne . Betrachtungen Malpighs, z. B. die Existenz des Embryosacks, nicht einmal erreichte. Die Beobachtungen des Embryo in frü- heren Zuständen, als das Embryokügelchen, von welchem Malpighi und Treviramus ausgingen, beginnt erst mit Ad. Brongniart (a. a. O.), und nicht viel fehlte, dass er die Sache sogleich voll- endet hätte; wenn er nur Rob. Brown’s bald darauf folgende Untersuchungen benutzte und danach seine Beobachtungen an Momordica Elaterium, denen nur eine leicht hypothetisch hinzu- zupostulirende Mittelstufe fehlte, erklärte, so war die Entstehung des Embryo aus dem in den Embryosack eindringenden Pollen- schlauch entdeckt. Dabei blieb die Angelegenheit stehen, bis ich °) versuchte, sie zum Abschluss zu bringen. Ich halte es für völlig unnütz, über die vielen Meinungen derer zu berichten, deren Phantasie geschäftiger im Ausspinnen von eignen Erfindungen, als ihre Hände im Präpariren, ihr Auge in genauen Beobach- tungen waren, Leute, die zu allen Zeiten die Naturwissenschaf- ten verwirrt, statt gefördert haben. B. Von der Entwickelung des Embr yokügelchens zum Enibr yo! $. 169. Die Hauptzüge dieses Abschnittes habe ich schon früher ($. 124) mittheilen müssen, hier aber wird der Ort seyn, etwas specieller auf diese Sache einzugehen; 1) New observations upon the parts and use of the flower in plants. Philosoph. Transact. 1703. 2) Von der Entwickelung des Embryo und seiner Umhüllungen im Pflanzenei. Berlin, 1815. 3) Einige Blicke auf die Entwickelungsgeschichte des vegetabili- schen Organismus, in Wiegmann’s Archiv 1537, Bd. I. S. 289, und über Bildung des Eichens und Entstehung des Embryos in Act. Acad. C. L. CHNFT KVEERTAIER) 1: Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 381 dabei aber erscheint es als nothwendig, die Monokoty- ledonen von den Dikotyledonen und von beiden die Gymnospermen zu trennen; in wiefern zu letzteren, den Cycadeen und Coniferen, auch die Loranthaceen zu rech- nen sind, kann ich aus Mangel eigener vollständiger Untersuchungen nicht entscheiden, obwohl nach den Un- tersuchungen von Decaisne') es allerdings so scheint, dass wenigstens Viscum album im wesentlichsten Punete mit den ÜConiferen übereinstimmt. Als allgemeines, für alle Phanerogamen geltendes Gesetz lässt sich hier nur das aussprechen, dass der der Spitze des eingedrun- genen Pollenschlauchs entsprechende Theil des Emhryo- kügelchens jedesmal zur Knospe, der entgegengesetzte also natürlich der der Spitze des Embryosacks, der Kern- warze und dem Saamenmunde zugekehrte "Theil zum Würzelchen wird. Die Gesetzlichkeit in der Lage des Würzelchens in der Saamenknospe ist zuerst von Rob. Brown ausgesprochen. s. 170. 1) G@Gymnospermae. Der Zellenbildungsprocess, aus welchem das Embryokügelchen hervorging ($. 166), setzt sich auch fernerhin fort, aber in den verschiedenen Theilen des Embryo in sehr verschiedener Form. Die Spitze desselben hat durch die anfänglich gebildeten zwölf Zellen eine abgeschlossene Form, eine bestimmte Grenze nach Aussen erhalten und behält diese fortwäh- rend bei; anfänglich ist dieses Ende stumpf abgerundet, später entstehen so, dass die äusserste Spitze frei bleibt, 2—12 Blattorgane, stets alle gleichzeitig und in einen Kreis gestellt, anfänglich 'als kleine, am Rande der obern convexen Fläche stehende Wärzchen, allmälig aber die stets frei bleibende Spitze, die Terminalknospe überra- 1) Memoire sur le developpement du pollen, de l’ovule et sur la structure des tiges du Gui. Bruxelles, 1840. 382 | Morphologie. gend und sie nach und nach völlig verdeckend, indem sie sich über derselben eng an einander legen. Dies sind die Kotyledonen oder Saamenblätter. Ganz anders verhält es sich mit dem andern Ende. Hier setzt sich der Zellenbildungsprocess, wie es scheint, auch noch ferner- hin in den Embryoträger hinein fort. Die äussersten hier sich bildenden Zellen strecken sich stets sogleich etwas in die Länge, oft mehr, oft weniger, biegen sich auch wohl später etwas aus einander, so dass dieses Ende des Embryo, das Würzelchen, niemals eine abgeschlos- sene Umgrenzung erhält, sondern sich in ganz lockere Zellen aufzulösen scheint. Dies Verhältniss dauert bis zur völligen Ausbildung des Embryo, welcher immer noch durch diese immer lockerer erscheinenden Zellen fast stetig in die vier langen Zellen des bis zum reifen Saamen unverändert bleibenden Embryoträgers übergeht. Der sehr lange Embryoträger wird übrigens allmälis durch das Auswachsen des Embryo ganz zu einem Knäuel zusammengedrückt, lässt sich aber mit einiger Vorsicht auch im reifen Saamen noch aus einander legen. Die vorstehende Darstellung ist nach eigenen Untersuchungen an den einheimischen Coniferen gegeben. Nach den wunder- schönen Analysen des reifen Saamens der Cycadeen bei ZL. C. Richard '), sowie selbst nach den ganz jämmerlichen Figuren bei Gaudichaud °) ist es übrigens bei dieser Familie gewiss eben so, mit dem Unterschied, dass hier beständig nur zwei Kotyle- donen vorhanden sind, die bis auf die freien Spitzen mit ein- ander verwachsen und nur an einer Seite eine Spalte für das spätere Austreten der eingeschlossenen Knospe lassen. Auch bei Viscum album scheint, nach den vortrefflichen Untersuchungen von Decaisne, etwas Aehnliches in Bezug auf die Bildung des Würzelchens stattzufinden. Dieser Mangel an abgeschlossener Begrenzung des Würzelchens unterscheidet nun, so weit mir be- kannt geworden, die Gymnospermen wesentlich von allen Mono- und Dikotyledonen, bei denen ich Aehnliches nie gefunden habe. 1) Commentatio botanica de Coniferis et Cycadeis, opus posthumum ab Achille Richard in lucem editum. Stuttgardiae, 1826. 2) Recherches generales sur l’organographie, la physiologie et l’or- ganogenie des vegetaux. Paris, 1841. 2 Spec. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen. 383 &. 171. 2) Monocotyledoneae. Bei allen von mir bis jetzt untersuchten Pflanzen dieser Gruppe ist das, wie angegeben, entstandene Embryokügelchen in seinem gan- zen Umfange völlig abgegrenzt; wo ein auffallender Eimbryoträger vorhanden ist, ragt die Spitze des in scharfen Contouren gezeichneten Würzelchens in die Höh- lung des sich rings um dasselbe anlegenden Schlau- ches, des Restes vom Pollenschlauch '), hinein. Seime Form ist verschieden, bald kugelig, bald eiförmig, mit dem spitzeren Ende als Würzelchen dem Saamenmunde zugekehrt. Durch den beständig fortgehenden Zellen- bildungsprocess wächst er und zeigt sich aus immer mehr und immer kleineren Zellen zusammengesetzt. Nur bei den Orchideen verharrt er in diesem Zustande bis zum reifen Saamen und bis zum Keimen, bei allen an- dern, bis jetzt untersuchten Pflanzen bildet er ein Saa- menblatt auf folgende Weise. Es erhebt sich nämlich seitlich von der Spitze des Embryokügelchens (also etwas unterhalb derselben) ein kleines Wärzchen; wenn es der Spitze an Grösse egleichkommt, kann man selbst versucht werden, den Embryo für einen dikotyledonen zu halten, wenn man die Bildungsstufen nicht ganz stetig verfolgt. Von der Basis dieses Wärzchens aus nehmen nach und nach immer mehr Theile des Umfangs an der Erhebung Theil, bis sich ein die Spitze (’Terminal- knospe) mit der Basis umfassendes Blättchen gebildet hat. Die 'Terminalknospe (Blattfederchen, plumula) ragt dann aus der Scheide dieses Blattes, deren (von der Axe des Blattes nach den Kannten immer niedrigere) Ränder an der einen Seite sich nur eben berühren, warzenförmig hervor. Bis so weit ist die Entwickelung I) Sowohl der Pollenschlauch, als auch der eingestülpte Theil des Embryosacks werden zuerst über der Spitze des Embryosacks resorbirt, bleiben aber an seiner Basis, das Würzelchen umfassend, oft noch lange erkennbar. 381 | Morphologie. ‚ aller Embryonen, die mir zur Untersuchung zur Hand kamen, ganz gleich und höchstens in sofern verschieden, als der unterhalb des Kotyledons befindliche Theil des Embryos zuweilen um diese Zeit schon ein sehr bedeu- tendes Volumen erreicht, zuweilen nur noch als ein kur- zer, an der Spitze abgerundeter Kegel .den Embryo nach Unten endigt. Alle ferneren, für die äussere Er- scheinung so grossen Verschiedenheiten der monokoty- ledonen Embryonen beruhen auf der ungleichen Ent- wickelung dieser ursprünglich bei allen ganz gleich angelegten Theile. Nimmt der unterhalb des Kotyledons befindliche Theil (das Würzelchen) sehr an Masse zu, so entstehen die Embryonen der Najaden und einiger anderer Familien, die L. © Richard embryons ma- cropodes nannte; ist's der Kotyledon, der vorzugsweise sein Volumen entwickelt, so entstehen Embryonen wie bei Scheuchzeria, den meisten Aroideen u. s. w., bei denen das Wurzelende oft nur ein verschwindend klei- ner Theil des Embryo ist. Ist endlich das Würzelchen dazu bestimmt, sich späterhin beim Keimen gar nicht oder. nur wenig zu entwickeln, so bilden sich schon um diese Zeit aus der Verbindungsstelle des Kotyledon mit der Knospe, als aus dem ersten Knoten der Pflanze, Nebenwurzeln, die aber im Embryozustande noch inner- halb des Parenchyms des ächten Würzelchens verhar- ren, z. B. bei Lemna, Pistia, Gramineae, Scitami- neae. Der Scheidentheil des Kotyledons kann sich eben- falls mehr oder weniger entwickeln und die Endknospe ganz, zum Theil oder gar nicht einschliessen; im ersten Fall verwachsen die _ Ränder der Scheide stets bis auf eine grössere (Aroideen) oder kleinere (Liliaceen), aber immer noch am reifen Embryo erkennbare Spalte; bei andern ragt die Knospe zum Theil aus der Spalte her- vor, z. B. Scheuchzeria, einige Potos-Arten u. s. w.; der letzte Fall endlich, der seltenste, kommt bei Sira- tiotes, Aponogeton, Ouvirandra (?), Orontium aqua- ticum u. a. vor. Die Formen dieser einzelnen 'Theile Spec, Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 385 sind ebenfalls sehr verschieden, wie denn überhaupt die Pflanzenorgane im Allgemeinen an keine bestimmte Form sebunden sind. Bald entwickelt sich der Kotyledon breit, umgekehrt kegelförmig auf dem kleinen kegelförmigen Würzelchen, z. B. Pothos refleca, bald schirm- oder pilzförmig, wie bei den Cyperaceen, bald selbst als ein hohler Becher "), in seine Höhlung das geringe vorhan- dene Albumen aufnehmend, wie bei Orontium aquati- cum. Das Würzelchen ist bald einfach rundlich zuge- spitzt, bald lang eylindrisch und dann plötzlich in eine zuweilen in der Mitte senabelte Fläche abgestumpft, z.B. Potamogeton u. s. w., bald sehr dick, unten flach, nach Oben verschmälert in den Kotyledon übergehend, so dass der Embryo einen aufrechten Kegel vorstellt (bei vielen Palmen). Alle diese Anomalien sind leicht auf den Grundtypus durch die Entwickelungsgeschichte zurückzuführen. Eine der abweichendsten Bildungen zeigen die Grä- ser. Bei ihnen ist anfänglich der Embryo ganz wie hei andern monokotyledonen Pflanzen gebildet; aber es tre- ten späterhin folgende Verschiedenheiten auf. Während der Ausbildung des Scheidentheils entwickelt sich auch die Knospe bedeutend und so wird der dieselbe be- deckende "Theil der Scheide hervorgezogen und bildet allmälig über der Knospe, bis auf eine bleibende Spalte verwachsend, eine warzenförmige Hervorragung am Em- bryo, der gewöhnlich als freie, nicht vom Kotyledon umschlossene Knospe angesehen wurde. Vergleicht man aber genau diesen Theil”) mit dem entwickelten Blatt, so findet man, dass er genau dem Blatthäutchen ent- spricht. Der Kotyledon selbst entwickelt sich ebenfalls sonderbar, indem er sich flach scheibenförmig nicht nur nach Oben und den Seiten, sondern auch nach Unten 1) Damit auch dieses Beispiel für spätere Blattformen nicht unter den Kotyledonen fehle. 2) Einige nannten ihn mit einem überflüssigen Wort Coleoptile, Knospenhüllchen. 1. 25 386 Morphologie. ausdehnt. So bildet er das sogenannte Schildchen (scu- tellum), welchem der Embryo, wegen der mit ihrem Scheidenüberzuge frei hervorragenden Knospe und des ebenfalls frei hervorragenden Würzelchens, angewachsen zu seyn scheint. Das Wurzelende endlich "bildet sich zwar zu einem kleinen Kegel aus; da es aber nie zur Entwickelung kommen soll, so bilden sich aus der Basis der Knospe, da, wo sie mit dem Kotyledon zusammen- hängt, also aus dem ersten Knoten der Pflanze, die An- lagen zu mehreren Nebenwurzeln; diese scheinen. dann, in dem Parenchym des Würzelchens liegend, von einer Scheide, dem eigentlichen Würzelchen, umgeben zu seyn!). Nun kommt noch dazu, dass sich der Koty- ledon oft noch zu beiden Seiten der Knospe und des Würzelchens wulstig erhebt und so beide noch einmal mehr oder weniger einhüllt, z. B. bei Zea Mays, was -man dann wohl sehr verkehrt mit der ächten Spalte des Kotyledon verglichen hat. Bei allen bisher genannten Fällen ist die Stellung der Endknospe am reifen Embryo noch keine durchaus unnatürliche. Ursprünglich die Spitze des Embryo ein- nehmend, erscheint sie häufig wegen der grossen Masse des Kotyledons seitlich, einen spitzen Winkel mit der Axe desselben machend; zuweilen aber entwickelt sich der Kotyledon schon so stark, dass sie mit seiner Axe einen rechten Winkel macht, folglich auch mit der Axe des Würzelchens, die gewöhnlich als gerade Fortsetzung des Kotyledons erscheint. In einigen seltenen Fällen nun kommt es vor, dass die ursprünglich die Spitze des Embryo einnehmende Knospe von dem sich ausdehnen- den Kotyledon so sehr gedrängt und herabgedrückt wird, dass der rechte Winkel zum stumpfen wird und am reifen Embryo die Spitze der Knospe fast dieselbe Rich- tung hat, wie die Spitze des Würzelchens, wie z. B. bei Lemnaceen, Pothos spec. u. s. w. I) Einige nannten deshalb das eigentliche Würzelchen Coleorhize, das Wurzelhüllchen, völlig überflüssig. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 387 Im Ganzen scheinen bei den Dikotyledonen nicht so viele abnorme Entwickelungsweisen des Embryo vorzukommen, als bei den Monokotyledonen; insbesondere bietet die Familie der Oron- tiaceae gewiss noch ein erstaunlich reichliches Material für Auf- findung der interessantesten Thatsachen; fast bei keinen zwei Pothos-Arten sind die Formen des Embryo ganz übereinstim- mend, und wenn ich nicht sehr irre, so kommen auch Embryo- nen mit zwei und mehr Knospen vor, z B. Pothos reflexa, über welche ich aber, aus Mangel vollständiger Entwickelungsgeschichte, nichts zu sagen wage. Die Bedeutung der einzelnen Theile des Grasembryos, die den Botanikern früher viel Noth gemacht ha- ben, ergiebt sich auf höchst einfache Weise aus der Entwicke- lungsgeschichte. Scheinbar am abweichendsten ist die Bildung bei den Lemnaceen; hier ist der reife Embryo eine grosse läng- lich kegelförmige oder eiföormige Masse; nach Unten am dickern Ende, welches dem Saamenmunde zugewendet, also schon des- halb als Radicularende anzusprechen ist, zeigt sich eine ganz kleine Querspalte. Macht man hier einen Durchschnitt durch den Embryo, so sieht man, dass hinter der Spalte die aus einer etwas flachen Stengelanlage bestehende Knospe in einer solchen Richtung liegt, dass ihre Axe der Axe des Kotyledons fast parallel und ihre Spitze ebenfalls nach dem Saamenmunde hin- gerichtet ist; an der andern Seite des Wurzelendes entdeckt man dann an diesem Durchschnitt eine im Parenchym noch ver- borgene, aber schon vollständig angelegte und selbst schon mit der Calyptra versehene Nebenwurzel, die, auch fast parallel mit der Embryoaxe, ihre Spitze dem Saamenmunde zukehrt; die Axe der Knospe und der Nebenwurzel machen, mit ihren Spitzen divergirend, kaum einen Winkel von 30°. Verfolgt man die Entwickelungsgeschichte, so zeigt sich, dass die Knospe ursprüng- lich die Spitze des Embryo bildet und nur allmälig von dem auswachsenden Kotyledon so verschoben wird. Diese Entwicke- lungsgeschichte habe ich so ott an Lemna minor und trisulca, sowie an Zelmatophace gibba verfolgt, so viele reife Saamen von den drei genannten und von Wolffia Delili untersucht, dass ich wagen kann, auszusprechen, dass auch gar nichts am Lemna- ceenembryo vorkommt, was nur entfernt der von A, Brongniart') gegebenen Analyse entspricht; wodurch er zu so seltsamen Fi- guren gekommen ist, kann ich nicht erklären, Geschichtliches. Der Erste, dem wir genaue Untersuchungen der monokoty- ledonen Embryonen verdanken, war C, L. Richard in seiner 1) Arch. de Botanique, Vol. II, p. 97. (1833). 25 * mr 388 Morphologie. Analyse du fruit (1808); bald darauf entdeckte Rob. Brown (Prodrom. flor. nov. Holl. 1810) die Spalte des Kotyledons bei den Aroideen, Typhaceen und Najaden; er sah dies aber als eine Eigenthümlichkeit dieser Familie an und ihm folgten alle Botaniker. Mirbel‘) deutete 1829 sehr unbestimmt auf eine Analogie des Embryo der Gräser und Liliaceen. Endlich 1837 wies ich”) aus der Entwickelungsgeschichte einer grossen Anzahl monokotyledoner Embryonen nicht nur nach, dass die von Rob. Brown entdeckte Spalte des Kotyledons sehr allgemein sey, sondern zeigte auch, dass sie überall vorhanden seyn müsse, weil sie die Folge der gesetzmässigen Entwickelung des Em- bryos sey. Diese Beobachtungen wurden bald darauf von Ad. de Jussieu”) in einer interessanten Abhandlung bestätigt und besonders noch die Analyse einiger seltener und sehr abweichen- der Embryonen hinzugefügt. Alles was Link (El. phil. bot.) über die Embryonen sagt, ist völlig werthlos, weil er offenbar auch nicht von einem einzigen eine Entwickelungsgeschichte selbst beobachtet hat und daher bei den einzelnen Theilen des reifen Embryo ganz willkürlich in den Tag hinein räth. s. 122. 3) Dicotyledoneae. Das Embryokügelchen hat bei den Dikotyledonen eine bald mehr kugelförmige, bald mehr eiförmige Gestalt. Ob es in dieser Gestalt bis zum reifen Saamen verharrt, kann ich nicht ent- scheiden, weil es mir bei den Pflanzen, denen man ge- wöhnlich einen ungetheilten Embryo zuschreibt (Bertho- letia, Lecythis), an der Entwickelungsgeschichte fehlt. Wo ich bis jetzt dieselbe verfolgen konnte, fand ich überall die nachher zu beschreibende Bildung der Koty- ledonen; davon macht nur das Genus Cuscuta eine Aus- nahme; hier wächst das Embryokügelchen zu einem län- geren Stengelchen, ohne Spur von Blattorganen, aus, die sich nur an der einzigen (?) Cuscuta monogyna zeigen. In allen übrigen Fällen, deren Beobachtung mir bis jetzt zu Gebote stand, bilden sich am Embryokügelchen, bald 1) Memoires de l’acad. des sciences, 1830, p. 646. 2) Wiegmann’s Archiv 1837, und A. L.C N. C. Vol. XIX. Pa. 3) Sur les embryons monocotyledones. Ann. d. Se. nat. Juin 1839. Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 389 einen grössern Theil der Spitze in Warzenform, bald nur eine kleine Stelle derselben wenige Zellen gross frei- lassend, aber niemals die äusserste Spitze selbst mit in ihren Bildungsprocess hineinziehend, zwei Blätter, anfänglich als kleine seitliche Warzen, die nach und nach, mit ihrer Basis an beiden Seiten sich ausdehnend, die als Embryospitze frei gebliebene Knospe umfassen; auch diese entwickelt sich bedeutender und bildet zuweilen mehrere, zuweilen weniger, zuweilen aber im Embryo- zustande noch gar keine weitern Blätter aus. Auch hier beruhen die Verschiedenheiten des entwickelten Embryos nur auf der verschiedenen ferneren Ausbildung der ein- zelnen so angelegten Theile. Zuweilen entwickelt sich das Wurzelende übermässig, z. B. bei Peckea, Rhizo- phora, zuweilen die Kotyledonen; seltener nur ein Koty- ledon, während der andere im Wachsthum ganz zurück- bleibt; so erscheint mir auch die Sache bei Trapa natans, wo ich in einem früheren Zustande eine grosse warzenförmige Eindknospe und zu beiden Seiten dersel- ben zwei gleichgrosse Kotyledonen (?) beobachtete; doch ich konnte mir mit aller Mühe bis jetzt die Mittelstufen von hier bis zum reifen Saamen noch nicht verschaffen. Für eine ganze Reihe interessanter Verhältnisse, die grössten- theils Bernhardi') bei keimenden Pflanzen beobachtete, fehlt es leider gänzlich an den Entwickelungsgeschichten des Embryo. Alles, was man daher darüber sagt, ist nur ein ganz nutzloses Hin- und Herrathen und kann nur verwirren, statt aufzuklären. Gar häufig mögen hier die Kotyledonen verwachsen oder an- fänglich gleiche Kotyledonen sich später ungleich entwickeln. Spätere genaue Untersuchungen können hier allein Rath schaffen. ©. Ausbildung des Fruchtknotens und der Saamenknospe zu Frucht und Saamen. $. 173. Im Embryosack bildet sich, wo es nicht schon vor- handen ist, während der Entwickelung des Embryo I) Linnaea, Bd. VII. S. 572. 390 Morphologie. stets Zellgewebe, und zwar immer von den Wänden des- selben, sowie vom Umfange des werdenden Embryo nach der Höhlung hineinwachsend. Wo sich dasselbe an den Wänden auffallend früh bildet und bald vom aus- wachsenden Embryo wieder verdrängt wird, hat es Mirbel (a. a. O.), den eigentlichen Embryosack über- sehend, als eigene Hülle (quertine) beschrieben. Es ist aber nichts als ein transitorisches Eindosperm (endospermium)), denn so heisst dieneue Zellgewebsmasse, dieim Embryosack entsteht. Wie weit diese neue Zellenbildung fortschrei- tet, wie früh und wie weit sie vom auswachsenden Embryo wieder verdrängt wird, ist im Ganzen ausser- ordentlich verschieden, gewöhnlich aber für ganze Fa- milien sehr constant. So bleibt ein bedeutender Theil dieses Eindosperms noch im reifen Saamen erkennbar, bei den Liliaceen, Palmen, Gramineen, Cyperaceen unter den Monokotyledonen, bei den Ranunculaceen, Papa- veraceen, Umbelliferen u. s. w. unter den Dikotyledonen. Selbst bei sehr engem Embryosacke ist oft noch ein solches Endosperm neben dem Embryo zu erkennen, z.B. bei den Nymphaeaceen und Hydropeltideen. Aeusserst selten und, so viel mir bis jetzt bekannt, nur bei den Cocoineen unter den Palmen bildet der von der Wand des Embryosacks ausgehende Zellenbildungsprocess nur eine dickere oder dünnere Auskleidung der Höhle, ohne dass diese von dem verhältnissmässig sehr kleinen Em- bryo eingenommen würde, welche Höhle denn auch im reifen Saamen noch die Bildungsflüssigkeit (Cytoblastem) mit Zellenkernen und einigen losen Zellen (die: soge- nannte Milch der Cocosnüsse) enthält. Sehr verschieden ist die Ausbildung des neuen Zell- gewebes; bald bilden sich die Wandungen vollständig zu Membranenstoff um, bald verharren sie in einem Zu- stande, der der Gallerte wenigstens ganz nahe steht (z. B. bei den Cassia-Arten), oder verschiedene Mit- telstufen zwischen dieser, dem Amyloid und dem Mem- branenstoffe bildet und welchen man am trocknen reifen Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 391 Saamen gewöhnlich mit hornartig bezeichnet. Die Zel- lenwände selbst bleiben bald ganz dünn, bald werden sie mannigfach porös verdickt; ihr Inhalt ist der ge- wöhnliche Inhalt der Zellen, assimilirte Pflanzenstoffe, oft mit Vorherrschen eines Bestandtheils, z. B. des Oels, des Stärkemehls u. s. w. Schr selten finden sich im Eindosperm Krystalle von oxalsaurem Kalk (wie bei Pothos rubricaulis)._ Wie oben schon bemerkt, ist es sehr verschieden, ob der Embryosack bei seiner Bildung einen grösseren oder geringeren Theil des Kerns verdrängt. Wo ein Theil zurückbleibt, kann man zwei Verhältnisse unter- scheiden nach der Form der Saamenknospe. Bei gera- der Axe des Kerns wächst der Embryosack mehr oder weniger dureh‘ die Axe desselben und ist dann rings von dem stehenbleibenden Theile des Kerns umgeben (wie bei den Nymphaeaceen, Hydropeltideen, Pipera- ceen), bei gekrümmter Axe des Kerns dagegen ver- drängt der Embryosack nur den dem Umfang der Saa- menknospe entsprechenden Theil des Kerns, und der bleibende 'Theil des Kerns wird von dem Embryosack rinsförmig umfasst (z. B. bei den Portulaceen, Caryo- phylleen u. s. w.). Diesen stehenbleibenden Theil des Kerns nennt man Perisperm (perispermium). Er besteht, so weit mir bekannt, nur aus dünnwandigen, völlig ent- wickelten Zellen, deren Inhalt stärkehaltig oder wässerig ist, oder aus gewöhnlichen assimilirten Stoffen besteht. Nur bei Canna findet sich die Eigenheit, dass der Kern vom Embryosack frühzeitig verdrängt wird, aber die Substanz der Chalaza als Perisperm stehen bleibt. Alle die hier genannten Zellgewebsmassen nennt die beschreibende Botanik, ohne Bücksicht auf ihren sehr verschiedenen Ursprung, Saameneiweiss («albumen). Die von dem genialen Italiener Malpighi angeregte Entwicke- lungsgeschichte kam bald in Vergessenheit, Treviranus belebte sie wieder, ohne dass es ihm gelang, sie in ihrer durchgreifenden Wichtigkeit als Princip der ganzen Wissenschaft zu erkennen, Dies blieb erst. Rob. Brown. vorbehalten, der in allen Puncten 392 1 Morphologie. zeigte, wie Verständniss der Pflanze, also wissenschaftliche Bo- tanik, nur durch Studium der Entwickelungsgeschichte zu erlan- gen sey, und so machte .er namentlich auch die ersten Schritte, um in die Lehre vom Albumen Licht und Ordnung zu bringen. Die Botaniker haben es sich gesagt seyn lassen und folgen nach wie vor ihrem alten Schlendrian. 1825 zeigte Rob. Brown, wie unter dem, was man Saameneiweiss nenne, zwei himmelweit ver- schiedene Dinge zusammengeworfen seyen, und wies ihr gleich- zeitiges Vorkommen bei den Nymphaeaceen nach; achtzehn Jahre sind seitdem verflossen und nicht ein einziger Botaniker hat einen Beitrag zur ferneren Ausbildung dieser Lehre geliefert. Es wird nach wie vor über die Natur der Dinge hin- und her- hergerathen, untersucht wird nichts, und die von Mirbel und Brongniart 1829—30 gelieferten Beiträge sind spurlos vorüber- gegangen, und immer wird man finden, wie in den neuesten Werken von berühmten Botanikern Nymphaeaceen u. s. w. als monokotyledone beschrieben, das Albumen genannt wird, ohne auf den Ursprung desselben Rücksicht zu nehmen u. s. w. Mein unvergesslicher, zu früh für die Wissenschaft als Opfer seines Eifers. gefallener Freund Vogel und ich haben versucht, durch eine Abhandlung über das Albumen ') etwas mehr Licht und - Ordnung in diese Lehre zu bringen; im Paragraphen habe ich das Wesentliche unserer Ergebnisse mitgetheilt, manche Specia- litäten finden sich noch in jenem Aufsatze entwickelt, in dem wir in einer ausführlichen Behandlung des Albumens der Legu- minosen nachgewiesen haben, dass dasselbe ächtes Endosperm und nicht, wie De Candolle meinte, ein verdicktes inneres Inte- gument sey. Schliesslich will ich nur noch bemerken, dass ich den Begriff des Gärtner’schen Dotters (vitellus),, unter welchen er die hete- rogensten Dinge zusammengebracht hatte, bald Endosperm, bald Theile des Embryos, als gottlob antiquirt hier völlig übergan- gen habe. $. 174. Die Integumente der Saamenknospe, wozu ich hier auch die Kernhaut rechne, bilden sich ebenfalls sehr verschieden aus. Aeusserst selten werden sie vom aus- wachsenden Endosperm, wenigstens auf der äussern Seite, 1) Acta Acad. L. C. N. C. Vol. XIX. P. Il. Ich bemerke hier- bei, da die sonst übliche Titelnotiz über die Zeit der Einsendung vom Herausgeber weggelassen ist, dass dieser Aufsatz schon 1838 eingesandt und vom Herausgeber zum Abdruck angenommen worden ist. Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 395 vollständig resorbirt, so dass das Endosperm in con- vex-concaver Gestalt in seiner concaven Seite die Reste derselben aufnimmt, an der convexen aber ganz nackt ist. Dieser merkwürdige Vorgang findet bei der Ab- theilung der Veronica- Arten statt, die man muschel- saamige (cochlidiospermae) nennt. Häufiger bleiben die Integumente wenigstens als dünne, leicht in Fetzen ab- fallende Haut noch auf dem Endosperm haften, so bei vielen Rubiaceen, namentlich beim Kaffee. Gewöhnlich aber bilden sie eine geschlossene Hülle für Perisperm, Eindosperm oder Embryo, je nachdem diese Theile vor- handen sind. Ihr Zellgewebe bildet sich dann nach und nach in mehrere oder wenigere (1—5) Lagen ver- schiedenartig entwickelter Zellen aus. Häufig erschei- nen die sesammten Integumente als ganz dünne Mem- bran, bei den einsaamigen, nicht aufspringenden Frucht- knoten (z. B. bei Gräsern). Gewöhnlich lassen sich mehrere Lagen unterscheiden. Ueber die Zurückführung dieser Zellenlagen auf die Integumente oder deren Theile, aus denen sie entstanden sind, lässt sich durchaus noch gar nichts Allgemeines angeben, sondern nur durch die Eintwickelungsgeschichte der einzelnen Familien und selbst Geschlechter entscheiden. Am allgemeinsten ist es, dass sich das Epithelium des äusseren, des einzigen Intesuments oder der Kern- haut in auffallender Weise ausbildet. So wird es bei den meisten Pflanzen, namentlich denen, welche harte, slänzende Saamen haben (z. B. Leguminosen), in ein Gewebe umgewandelt, welches aus verhältnissmässig langen prismatischen, auf die Fläche des Saamens senk- recht stehenden Zellen mit gewöhnlich stark, selbst bis zum theilweisen Verschwinden des Lumens verdickten Zellen besteht. Bei andern Pflanzen, namentlich solchen, deren Saamen, in’s Wasser geworfen, sich mit Gallerte umgeben, besteht es aus ebenso gestellten eylindrischen. aber dünnwandigen, mit Gallerte dicht erfüllten Zellen (Quitten, Plantagineen), die häufig daneben die zierlich- 394 | Morphologie. sten Spiralfasern enthalten (viele Polemoniaceen und Cueurbitaceen). Hier ist es oft leicht, die allmälige Anfüllung der Zelle mit Stärke, die Auflösung derselben zu Gummi und die Umwandlung desselben in die so sehr hygroskopische Gallerte zu beobachten, während gleich- zeitig an der Wand die spiraligen Ablagerungen sich bilden '). Häufiger fehlt jene Gallerte, und die Zellen, weniger eylindrisch gebildet, treten papillös als Haare oder, zu mehreren vereinigt, als Stacheln, Höckerchen, Leisten u. s w., die Oberfläche des Saamens uneben machend, hervor, oder bilden glatte Oberflächen, sind aber alle in ihren Wandungen auf die mannigfaligste Weise spira- lig, netzförmig oder porös verdickt (bei Hydrocharis, den meisten Labiaten, Solaneen, Serophularinen). Sehr selten entwickeln sich diese Zellen ganz zart, weit und füllen sich mit Saft so, ‚dass der Saame an sich einer Beere gleicht (bei Punica yranatum, bei Ribes[?]). Merkwürdig sind die Fälle, wo diese Zellen sich in der Fläche so sehr ausdehnen, dass sie sich vom darunter liegenden Gewebe losreissen müssen und dann als locke- rer Sack den Saamen umgeben (z. B. bei Drosera und Parnassia), oder, auf eigene Weise zu einem elasti- schen Gewebe umgebildet, aufreissen und den Saamen her- ausschnellen (bei Oxalis). Unter dieser eben beschriebenen Epidermis ist dann das übrige Gewebe der Integumente sehr mannigfach entwickelt. Oft folgt eine Schicht lockerer Zellen mit Intercellulargängen oder Räumen (z. B. Legu- minosen), in welche bei Canna und Nelumbium, die einzigen Fälle, wo die Oberhaut Spaltöffnungen zeigt, diese hineinführen. Gewöhnlich folgt, eng an die Ober- haut sich anschliessend, eine dünne Schicht Parenchym (das ganze äussere Integument) und dann, davon ge- trennt, als besondere Haut eine ganz dünne zellige Schicht (das innere Integument, allein oder mit der Kernhaut); so bei den meisten Liliaceen. l) Vergl. auch Müllers Archiv, Jahrg. 1838, S. 152 f. % Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 395 Eine ‚andere Bildung pflegt da einzutreten, wo zwei Integumente vorhanden sind und das innere nicht blos aus einer Kalte des Epitheliums gebildet ist. Hier pflegt das Bpithelium des innern Integuments sich gerade so zu verhalten, wie oben im Allgemeinen angegeben, während das äussere Intesument allmälig verkümmert und in Weizen abfällt (z. B. bei Euphorbiaceen), oder als dün- ner Ueberzug bleibt (z. B. Cistineen, Thymeleen, Lau- rineen). Auch hier kommen in der Epidermis des in- nern Integuments schöne spiralige Verdickungen (Lauri- neen, Sparrmannia africana [?]) u. s. w. vor. Bei der Ausbildung der Saamenknospe bilden sich nun auch häufig neue Gefässbündel im Parenchym_ des einzigen oder des äusseren Integuments mit der Gefäss- endigung der Nabelschnur in Verbindung, gewöhnlich strahlig in zierlichen Formen von ihr auslaufend (z. B. bei der Haselnuss, Citrone u. s. w.). Oft bildet sich nur das Gefässbündel der Saamennaht in der Weise fort, dass es einfach den ganzen Umfang der umgekehrten Saamenknospe bis zum Saamenmund durchläuft (z. B. bei vielen Compositen). Häufig bilden sich einzelne "Theile der Integumente noch besonders aus. Hierher gehören zunächst die schon besprochenen Anhänge der Saamennaht, die sich häufig noch weiter entwickeln, oder ein nun erst neu entste- hender, meist nur aus einer Falte der Oberhaut gebil- deter Auswuchs, der sich in zwei, selten in drei, ge- wöhnlich verticalen Linien um den ganzen Saamen her- um zu einem häutigen Rand, Flügel (al«) entwickelt, oder endlich erhabene Leisten, die sich auf verschiedene Weise auf der Oberfläche des Saamens erheben und oft, netzförmig; verbunden, zwischen sich Grübchen bilden (z. B. bei Scrophularinen), ferner der äussere Saamenmund, der (bei Euphorbiaceen) in Form einer Warze einen eigenthümlichen Anhang bildet, oder zu einem Haarschopf (coma) aus- wächst (bei Asclepiadeen und andern), oder eine becher- förmige Verliefung mit zerschlitztem Rande bildet (bei 396 Morpholoeie. Philadelphus) u. s. w. Auch in der Gegend der Cha- laze zeigen sich oft eigenthümliche Veränderungen der Zellen, als Warzen, Höcker und dergleichen, oder doch als eine verschiedene, oft genau umgrenzte Färbung (z. B. bei Abrus precatorius, Erythrina coralloden- dron u. s. w.!)). Zuletzt ist hier noch zu erwähnen, dass bei einigen Pflanzen der Innenmund (z. B. Lemna), bei andern Aussen- und Innenmund zusammen (z. B. Pistie), bei noch andern ein 'Theil der gesammten Saamenintegu- mente, die vorher eine eigenthümliche Kreisfalte gebil- det haben (z. B. Maranta, die Commelineen), endlich bei Canna die gesammten, nur einen kleinen Theil des Umfanges der ganzen Saamenknospe einnehmenden Inte- sumente selbst sich unabhängig von allem Uebrigen ver- härten durch Verdickung ihrer Zellen, ieicht von dem Uebrigen trennbar als ein kleines Deckelchen dem Wur- zelende des Embryo aufliegen und so Wurzeldeckel (operculum, embryotega, Gärtner) genannt werden. Ich muss hier leider abermals wiederholen, was sich dem tie- fer eindringenden Forscher bei jedem Schritte in der Botanik aufdrängt, dass fast alles vorhandene Material, wegen gänzlichen Mangels eines wissenschaftlichen Princips, uns auch nicht einmal über den ersten Anfang der Wissenschaft hinausfördert. Fast Nichts ist zu brauchen, fast Alles ist noch zu thun, beinahe jede Untersuchung muss aufs Neue, nur unter besserer Methode, wieder von vorn angefangen werden. Ein grösseres Gewirre, wie in der Lehre von den Saamenintegumenten herrscht, ist kaum zu denken; die heterogensten Dinge sind unter einem Namen zusammengeworfen, durchaus identische in ganz ver- schiedene Classen von Organen rangirt, und hier ist es durch- aus nöthig, wenn man die Confusion nicht noch grösser machen will, den Faden gänzlich abzuschneiden und von vorn anzufan- gen. Die Saamenepidermis, wie ich sie geschildert, wird bald als testa bei Leguminosen und Drosera, bald als arillus be- 1) Link (El. ph. bot. II. 285) sagt sehr ungenau, der Nabel bei Abrus precatorius sey schwarz gefärbt; gerade am Nabel hört die Fär- bung auf, intensiv zu seyn, die nur die Chalaza betrifft und bei Erythrina den Nabel gar nicht erreicht. Der Nabel selbst, d. h. die Trennungs- fläche, ist niemals besonders gefärbt und erscheint nur anders durch die rauhe, nie glänzende Oberfläche des zerrissenen Zellgewebes. Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 397 schrieben; Saamenhäute werden angeführt, wie bei Canna und den Compositen, wo ächte Integumente nie vorhanden waren. Anhänge der Saamennaht, verdickter Saamenmund, Verdickung des funiculus, ächter Saamenmantel laufen bunt als caruncula, strophiolus, arillus und unter noch ein Dutzend anderer Namen durch einander, neue Namen hat Jeder in Bereitschaft; beobachten, wie die Dinge sich bilden, was sie für die Pflanzen bedeuten, thun Wenige, und diese Wenigen, wie Brongniart, Rob. Brown, Mirbel, lassen die meisten Botaniker bei Seite liegen. Unmög- lich kann hier der Einzelne helfen, er kann nur klagen und mahnen, dass ein besserer Geist die Botaniker beleben möge. Die ganze Lehre hat sich bis jetzt blos nach willkürlichen Voraussetzungen ausgebildet, unter welchen besonders die kaupt- sächlich von Gärtner in seinem übrigens nicht genug zu schätzen- den Werke (de fructibus et seminibus plantarum) begründete, durchaus der Natur widersprechende Ansicht, als müsse der Saame nothwendig von zwei Häuten bedeckt seyn, den ersten Platz einnimmt. Woher das Gesetz genommen, wie es aus der Natur der Pflanze und des Saamens abzuleiten sey, giebt Nie- mand an, und doch hängt man so fest an diesem Vorurtheil, dass selbst, nachdem die Arbeiten von Rob. Brown, Brongniart und Mirbel schon erschienen waren, ganz tüchtige Leute mei- nen, ihre Sache sehr klug zu machen, wenn sie sagen, man solle z. B. bei Viburnum die Umschreibung nicht scheuen und am besten angeben: spermodermis incompleta e tunica simpliei formata. Ich meine aber, man solle sich nicht scheuen, alte, durch keine gründliche Untersuchung der Natur der Pflanze gestützte Vorurtheile wegzuwerfen und ganz einfach zu sagen: epispermium ‘) simplex; oder, z. B. bei Ricinus und Chelidonium, epispermii stratum medium crustaceum, internum membranaceum, wobei es immer wenigstens unentschieden bleibt, welchem Inte- gument die bezeichnete Lage angehört, denn bei Ateinus ist das zerbrechliche (crustaceum), die Oberhaut des innern Integu- ments, eng verbunden mit dem Parenchym desselben, und die käutige Lage die Kernhaut, bei Chelidonium dagegen ist die zerbrechliche Schicht die mit zarter Epidermis bedeckte ganze äussere Hülle, und die häutige Lage ist das innere Integument, Bei Recinus würde demnach das äussere Integument als stratum externum evanescens, bei Chelidonium die Oberhaut als stratum membranaceum medio arcte adhaerens hinzukommen. Um die Ver- wirrung ganz vollkommen zu machen, tritt noch der Umstand ein, dass die verschiedenen Beobachter bei: der Analyse reifer Saamen die Zahl ihrer Häute bald nach dieser, bald nach jener 1) Ich ziehe den ältern Namen von 4. €, Richard vor. 398 Morphologie. Methode präparirt, oder nach zarten Querschnitten unter schwä- chern oder stärkern Vergrösserungen nach den gerade ihnen unterscheidbaren Verschiedenheiten der Zellen bestimmt haben, so dass oft ein Saame mit einfacher Saamenhaut bestimmt wird, der zwei und drei hat, andere mit wirklich einfacher Haut we- gen verschiedenartiger Ausbildung der Zellen mit zwei- und dreifachen Saamenhäuten beschenkt sind. Aus der geringen Zahl von Beobachtungen aber, die bis jetzt von Drongniart, Mirbel, Brown und mir mitgetheilt sind, geht schon mit völliger Sicher- heit hervor, dass jede Bestimmung der Häute des reifen Saa- mens durchaus nichtssagend ist, wenn nicht ihre Natur durch Entwickelnngsgeschichte nachgewiesen wurde. Der im Anfang des Paragraphen erwähnte Fall bei den Cochli- diospermen der Veronica-Arten ist mir bis jetzt als die schwerste Aufgabe der Untersuchung erschienen und ich habe mehrere Jahre hinter einander die Untersuchung immer wieder aufnehmen müssen, bis ich sie vollendet hatte, denn zu allen übrigen Ab- normitäten kommt hier noch eine ganz unsymmetrische Bildung der Saamenknospe, die die Untersuchung ausserordentlich erschwert. Das Vorkommen von spiraligen, netzformigen und porösen Verdickungsschichten in der Saamenepidermis ist etwas so Ge- wöhnliches, dass es nicht der Mühe lohnt, jetzt noch die ein- zelnen Fälle aufzuzählen. Einen grossen Reichthum verschie- denartiger Formenspiele zeigen z. B. die Scrophularinen, ins- besondere die Verbasceen und Antirrhineen, aber auch fast alle Solaneen, besonders die mit beerenartigen Früchten, zeigen bald reine Spiralfibern, z. B. Solanum, bald netzförmige Verdickun- gen, z. B. Datura. Auffallend aber ist es, dass diese Bildung der Oberhaut bei den stets mit zwei Integumenten versehenen Saamenknospen der Monokotyledonen äusserst selten auftritt, und bei den Dikotyledonen sich, insbesondere bei den Mono- petalen, die gewöhnlich nur ein Integument haben, zeigt. Bei der Bildung von neuen Gefässbündeln in den Saamen- integumenten fand ich bis jetzt wenigstens ausnahmslos das Ge- setz bestätigt, dass niemals im Kern und dem innern Intesu- ment, sondern nur in dem äussern oder dem einfachen Integu- ment sich die Gefässe verbreiten. Treviranus hatte früher im Gegensatz dazu als Gesetz aufgestellt, dass sich Gefässe nur in dem innern Integument bilden, weil er, vom reifen Saamen aus- gehend, die sehr harte und dicke Epidermis vieler Saamen mit dem äussern Integument und das Parenchym desselben mit dem innern Integument verwechselte. Link‘) hat dieselbe falsche Behauptung und hier doppelt falsch, weil er bestimmt die Saa- I) Elem. phil. bot. Ed. IJ. Vol, I. p. 285. Spec. Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 399 menschale (testa) auf das äussere Integument, die innere Haut (membrana interna) auf das innere Integument der Saamenknospe bezieht. Dass der Wurzeldeckel aus sehr verschiedenen Theilen sich bilden könne, geht aus dem im Paragraphen Angeführten her- vor. Die eigenthümliche Entstehung desselben bei Commelineen und Marantaceen hat Mirbel zuerst in der Entwickelung nach- gewiesen, bei Canna ich. 3. 175. Sehr wichtige Veränderungen sehen während der Ausbildung des Embryo auch mit dem Knospenträger vor. Oben ist bemerkt worden, dass schon vor der An- lage des Embryo, nach vollständiger Ausbildung der Saamenknospe aus dem Knospenträger, abermals eine Bildung, die den Hüllen der Saamenknospe sehr ähnlich ist, hervortriti. Bei weitem häufiger ist nun aber eine solche Production nach Anlage des Embryo. Sehr ver- schieden ist diese Bildung, je nachdem sie weiter fort- schreitet, oder früher in ihrer Entwickelung stillsteht (bei den meisten Leguminosen); je nachdem das Gebilde als eine continuirliche Hülle den ganzen Saamen über- zieht (bei Nymphaea, Passiflora, Evonymus, Taxus, Solanum) oder nur in einzelnen, unter einander hin und wieder zusammenhängenden Lappen und Bändern auf- tritt (bei Myristica), oder endlich nur in langen Haa- ren bestehl, die den Saamen umhüllen (bei Salix); sehr verschieden, je nachdem dieses Organ blos hautartig, oder trocken faserig ist (Nymphaea, Salix), oder flei- schig, saftig (Taxus, Evonymus, Myristica), oder zuletzt, ganz in einzelne saftige Zellen aufgelöst, den Saamen umgiebt (z. B. Arum, Mamillarie). An die- ser letztern Umbildung nehmen denn gewöhnlich auch das leitende Zellgewebe und ein Theil der innern Ober- fläche der Fruchtknotenhöhle Theil. Man hat die erstern Bildungen, die alle denselben Ursprung haben, nämlich weitere Entwickelungen des Knospenträgers sind, zum Theil mit dem Namen Saamenmantel (arillus), die letz- 400 Morphologie, teren, wo die saftigen Zellen vereinzelt ihren Ursprung nicht mehr verrathen, als Fruchtbrei (pulpa) bezeichnet. Einzelne Formen, z. B. bei Salix, werden auch als Haarschopf (com«@) beschrieben. Welch heterogene Dinge von der gewöhnlichen Botanik unter dem Namen des arillus zusammengefasst werden, ist ganz un- glaublich, wenn man nicht weiss, dass die Botanik bisher fast nur nach oberflächlicher Anschauung und äussern Aehnlichkeiten und höchstens nach einer Vergleichung, die ohne feste Grund- lage aber keinen Werth hat, ihre Begriffe gebildet hat. In der Zoologie hat die vergleichende Behandlungsweise noch einen Sinn, weil man einen möglichst vollständigen, nach seiner Ent- wickelungsgeschichte erkannten Organismus, den menschlichen zum Grunde legen konnte; und doch hat auch hier die Entwicke- lungsgeschichte ihr Recht behauptet, und die neueren Unter- suchungen haben bewiesen, zu welchen Irrwegen und Verwir- rungen die blosse Vergleichung ohne Entwickelungsgeschichte führen kann. In der Botanik dagegen, wo wir noch nicht eine einzige Pflanze in ihrem Bau und ihrer Entwickelung voliständig erkannt haben, bleibt eine solche vergleichende Behandlung ganz leere Spielerei des Witzes. Es ist doch keinem Zweifel unter- worfen, dass jeder Streit ein kindischer ist, wo kein urtheilen- des Forum, keine Norm für die Entscheidung vorhanden ist, dass eine wissenschaftliche Untersuchung ganz müssig ist, wenn man nicht zuvor ein Princip der Wahrheit aufgefunden hat. Ein solches fehlt aber der Botanik durchaus. Wer die elastische Oberhaut der Saamen bei Oxalis einen arillus nennt, ist eben so viel und so wenig berechtigt als der, welcher sie Oberhaut oder gar pulpa nennen will. Der Streit ist ein endloser, die Wissenschaft in beständiger Verwirrung und im Schwanken be- griffen, so lange kein Maass vorliegt, mit dem man die Rich- tigkeit dieser oder jener Meinung messen könnte, Ein solches Maass ist aber allein die Entwickelungsgeschichte. Organe, die gleichen Ursprung, gleiche Entwickelungsgesetze haben, sind gleich; ' Organe verschiedenen Ursprungs verschieden. Formen der Ausbildung, die überall vorkommen können, sind keine Merk- male der Unterscheidung der Organe, sondern nur Merkmale ihrer Unterarten. Das sind die Regeln, die die Entwickelungs- geschichte uns bietet, um sicher jedes Pflanzengebilde zu bestim- men. Zu ihrer Anwendung gehört aber mehr als die magere Beschreibung einer trockenen Pflanze. Die Ausbildung des Saamenmantels und Saamenbreis mit safti- gem Zellgewebe ist gar häufig, und sehr viel seltener sind über- haupt bei der Entwickelung des Knospenträgers Verholzungs- Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 401 erscheinungen, doch kommen zierliche Spiralzellen an dem Knos- penträger einiger Veronica-Arten vor, und der Knospenträger der Magnolia-Arten (den ich leider nie zu untersuchen Gelegen- heit hatte) soll ganz aus Spiralfaserzellen bestehen. Man unterscheidet bei dem vollständigen Saamenmantel, der die Saamenknospe wie ein Integument ganz umgiebt, den ge- schlossenen von dem ungeschlossenen; der letztere kommt nie- mals vor; wo ein wirklich ringsgeschlossenes Gebilde den Saa- men umgiebt, ist's sicher eine Lage der Saamenhäute. Nament- lich bei den Passiflora-Arten ist er immer nach Oben geöffnet. Bemerken will ich noch, dass ich Evonymus zwar als Beispiel angeführt, aber nie selbst in seiner Entwickelung verfolgt habe. $. 176. Schliesslich sind hier noch die im Fruchtknoten vor- sehenden Veränderungen zu betrachten. Die zur Frucht erwachsene Fruchtknotenhöhle nennt man Fruchthülle (pericarpium). Ausser der gewöhnlich beträchtlichen Vergrösserung der Masse, die bald auf Ausdehnung der vorhandenen Zellen, bald auf Bildung neuer beruht, ha- ben wir folgende Puncte in’s Auge zu fassen. Zuerst sind die Veränderungen zu erwähnen, die in der äussern Form eintreten, indem die Fruchtknoten bei Vergrösse- rung ihrer Masse auch oft die Verhältnisse ihrer Theile ändern. Namentlich wird gewöhnlich der Staubweg als ein ferner unnützer Theil abgeworfen oder vertrocknet, seltener wächst er weiter aus und nimmt zuweilen eine unverhältnissmässige Grösse an, z. B. bei vielen Gera- niaceen. Der untere "Theil des Fruchtknotens bildet nicht selten jetzt erst hervortretende Rippen, Warzen, Höcker oder dünne, hautartige Fortsätze (Flügel) aus. Demnächst werden die Verhältnisse im Innern des Fruchtknotens wichtig. Sowie die Ausbildung des ganzen Fruchtknotens und der Saamenknospe zu Frucht und Saamen, so hängt auch, wie es scheint, die Entwicke- lung der einzelnen Theile des Ersteren fast ganz von der gesunden Ausbildung des Embryo ab. Daher blei- ben Fächer, in denen sich keine Saamenknospe zum 1. 26 402 Morphologie. Saamen entwickelt, ebenfalls in der Entwickelung zu- rück und werden an der reifen Frucht oft völlig un- kemntlich. Oft scheint dies sogar specifisch gesetzlich zu seyn. So wächst bei vielen Palmen, z. B. Cha- maedorea, von drei Fächern stets nur eins aus, wäh- rend die andern allmälig verkümmern ’). Aehnlich ist es bei allen Cupuliferen, und der Fruchtknoten der Ca- stanea wit sechs Fächern und zwölf Saamenknospen hat sewöhnlich nur eine einfächerige, einsaamige Frucht. Aus der reifen Frucht lässt sich daher niemals die ur- sprüngliche Zahl der Fächer und Saamenknospen bestim- men. Dagegen bilden sich auch nicht selten grosse Luft- lücken in der Wand des Fruchtknotens, die täuschend das Ansehen von natürlich saamenleeren Fächern anneh- men, z. B. bei Nigella. Wichtig wird hier ferner die Entwickelung des Zell- sewebes von der innern Wand der Fruchtknotenhöhle, aus welcher sich häufig bei sehr langen Fruchtknoten, aber stets erst nach der Entstehung des Embryo, fal- sche Scheidewände und zwar transversale bilden, in einer Richtung also, in welcher ächte niemals vorkom- men können. Im Allgemeinen hat man Früchte mit die- sen falschen Scheidewänden Gliederhülsen (lomenta) genannt, z. B. bei Raphanus, Ornithopus, Catharto- carpus. Oft aber bildet dieses Zellgewebe keine wirk- lichen falschen Scheidewände, sondern legt sich nur die Höhle ausfüllend dieht zwischen und um die Saamen herum, z. B. bei Glaucium, Ceratonia u. s. w. Insbesondere sind aber hier die Structurverhältnisse des Fruchtknotens in's Auge zu fassen. Durch die ganze Reihe der Phanerogamen finden wir die allerverschiedenartigste Umwandlung der Structur- verhältnisse des Fruchtknotens, wodurch eine grosse Menge verschiedener Erscheinungsweisen der reifen Frucht 1) Grundfalsch ist die Darstellung bei Link Elem. phil. bot. Ed. Il. Vol. IT. p. 269. Spee. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen. 403 bedingt sind. So weit meine Beobachtungen reichen, lassen sich in der Eintwickelung der meisten Frucht- knoten, ihre morphologische Bedeutung mag seyn, welche sie wolle, vier verschiedene Zellenlagen unter- scheiden, wenn sie auch bald mehr bald minder deut- ‚lich hervortreten, nämlich die Kpidermis der äusseren Fläche, das Epithelium der inneren Fläche und zwischen beiden eine äussere Parenchymschicht, deren Zellen meist zartwandig, fleischig und von einfach polyedrischen For- men sind, endlich eine innere Parenchymschicht, deren Ziellen mehr oder weniger verdickt, lederartig oder hol- zig, stets in die Länge gestreckt sind, so dass, wenn 1) mehrere Lagen von Zellen dazu gehören, die Längs- durchmesser der Zellen der einen Lage die der andern Lage sewöhnlich in irgend einem Winkel schneiden (z. B. Leguminosae, Amyygdaleae, fast alle kapselartigen Früchte), wenn 2) nur eine Schicht vorhanden ist, die Ziellen so angeordnet sind, dass 5—6 und mehr Zellen parallel liegend kleine Plättchen bilden, aus denen die Lage mosaikartig so zusammengesetzt ist, dass die Längs- durchmesser der Zellen eines Plättchens nie mit denen des anliegenden Plättchens in einer Linie liegen (z. B. Asclepiadeae, COruciferae). Von dieser Bildung aus- senommen sind «@) alle ächten Beeren, bei denen das sanze Parenchym sich fleischig und saftig entwickelt und nach Innen, wo es die Fruchthöhle begrenzt, in isolirte Zellen auflöst, während entweder nur die Ober- haut der Aussenfläche sehr derb wird, oder sich auch unter ihr einige Lagen Zellen derber (Cucurbitaceen ) und selbst holzartig ausbilden!) (z. B. Lagenaria, Ore- scenlia). Bei der die ächten Beeren ausfüllenden Masse isolirter saftiger Zellen ist nicht mehr zu entscheiden, 1) Dieselbe Bildung zeigen die Früchte, die man als trockene Bee- ren bezeichnen könnte, weil sie, nach Innen begrenzt, nicht in lose Zellen sich auflösen, z. B. bei Passiflora, von der einige Arten ächte Beeren entwickeln, die meisten aber trockene, lederartige Früchte haben, bei denen aber unter der Oberhaut sich einige Schichten stark verholz- ter Zellen zeigen. 26 * 404 Morphologie, wie viel davon der innern Fruchtwand, wie viel dem leitenden Zellgewebe und dem Knospenträger angehört. Man kann das Ganze immerhin Fruchtbrei (pulpa) nen- nen. Gewöhnlich zeigt sich in diesen isolirten Zellen eine Circulation in netzartig anastomosirenden Strömchen (z. B. Solaneae, Cacteae, Lonicereae). b) Einige ganz dünnwandige Fruchtknoten bei Aroideen und Naja- deen, sowie zum Theil bei den Familien, deren einsaa- mige nicht aufspringende Fruchtknoten sich eng mit dem äussern Integument des Saamens verbinden und so das vorstellen, was Linne nackte Saamen nannte, z. B. Gramineen, Labiaten, Borragineen, Compositen u. s. w. Nicht selten sind aber auch hier die genannten vier Schichten zu unterscheiden. Die Epidermis der Frucht zeigt bei den nicht au springenden Früchten gar häufig Zellen mit ‚spiraligen und netzförmigen Verdickungsschichten, z. B. bei La- biaten (insbesondere Salvien), bei Casuarinen, auch die Haare derselben zeigen oft dasselbe, z. B. bei einigen Compositae (Senecio, Trichocline) u. s. w. Oft finden sich die zierlichsten Bildungen von Faserzellen durch das ganze Gewebe der nicht aufspringenden Fruchtkno- ten, z. B. bei Compositen (Picridium), bei Umbellife- ren (Sclerösciadium). Auf dem mehr oder minder deutlichen Hervortreten und der verschiedenen Ausbildung der genannten vier Schichten beruhen alle Verschiedenheiten der Früchte, die uns anschaulich entge- gentreten, welche die Volkssprache grösstentheils lange schon mit bestimmten Namen unterschieden hatte, ehe die Botaniker Fruchtsysteme aufbauten. Wo die Schichten scharf hervortreten, zeigt die äussere Epidermis selten etwas Auffallendes; das innere Epithelium nimmt häufig an der Umbildung der innern Paren- chymschicht Theil, welche von lederartiger Consistenz bis zur steinharten, am Stahl Funken gebendem variirt, immer aber aus (gewöhnlich porös) verdickten Zellen besteht. Auch das Epi- thelium der innern Fläche wird zuweilen zu zierlichen Spiral- faserzellen umgewandelt, z. B. bei einigen Papaveraceen (Cheli- donium), bei Umbelliferen (Anethum) u. s. w., seltener bildet es sich zu ächter Epidermis mit vollkommenen Spaltöffnungen aus, Spee. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen. 405 z. B. bei Reseda, Passiflora u. s. w. Die äussere Schicht des Parenchyms varürt von lederartiger Consistenz bis zur völligen Auflösung in leicht zerdrückbare saftige Zellen. De Candolle und Andere haben sich bemüht, diese Schichten auf die Textur des Normalblattes zurückzuführen. Wie mir scheint, ist das eine leere Spielerei; erstens giebt es keine Normalblattstructur, so wenig als eine Normalblattform; zweitens sind viele Fruchtkno- ten gar nicht aus Blattorganen entstanden, und drittens finden sich oft in derselben scharf begrenzten und durchaus natürlichen Familie Jie wesentlichsten Verschiedenheiten in nahe verwandten Geschlechtern, z. B. bei den Solaneen, wo ächte Beeren und Kapseln, bei den Dryadeen, wo ächte kleine Beeren und Achä- nien vorkommen. Bei der Bildung der Beere und. des Fruchtbreis lässt sich gewöhnlich sehr schön die Entstehung von Zellen in Zellen u. s. w. beobachten. Es wird dann aber die Mutterzelle, besonders ge- gen die Zeit der Fruchtreife, früher resorbirt, ehe sich die jun- gen Zellen fest vereinigt und so weit ausgedehnt haben, dass sie beim Freiwerden sich mit den benachbarten Zellen verbin- den können; so bleiben sie lose in den sich gleichzeitig über- mässig ansammelnden Säften liegen, la. Aehnliche Verhältnisse wie beim Aufspringen der Antheren, beim Abfallen der Blätter und andern derar- tigen Erscheinungen kommen auch bei den Früchten vor und beruhen auf denselben Ursachen, nämlich auf der Bildung von Schichten äusserst dünnwandigen, leicht zerstörbaren Zellgewebes, welches bei der geringsten Spannung, die in Folge der blossen Schwere des Pflan- zentheils, oder einer ungleichen Zusammenziehung un- gleicher Schichten von Zellgewebe eintritt, zerreisst und entweder als eigene Lage zwischen zwei anders gebil- deten Zellgewebsmassen vorhanden ist, oder eben nur die äusserste Lage einer an sich dünnwandigen Zell- sewebsmasse ausmacht, welche an schr dickwandiges Zellgewebe angrenzt. Ob sich solche Trennungen bil- den und an welchen Stellen, ist durchaus für einzelne Arten, Geschlechter und Familien specifisch und hängt von keinem bis jetzt bekannten Verhältniss in der Natur 406 Morphologie. der Pflanzen ab. Deshalb entstehen Trennungen in der Continuität bald da, wo zwei ursprünglich getrennte Theile (Fruchthlätter) verwachsen waren, in den soge- nannten Nähten (sufurae), oder da, wo ursprünglich ein ungetrenntes Ganze vorhanden war'), z. B. in der der Mittelrippe entsprechenden Linie eines Fruchtblattes; bald der Länge nach, wie in genannten Beispielen, bald der Quere nach, wie bei dem Abfallen ganzer Früchte, bei dem Zerfallen länglicher Früchte in einzelne Glie- der u. s. w.; bald nur an ganz kleinen Theilen des Fruchtknotens, so dass er durch bestimmt begrenzte Lö- cher sich öffnet. Bei dem wegen Verschiedenheit der Schichten stets ungleichen Austrocknen der Fruchthülle zerreissen dann viele Früchte auf die mannigfachste Weise in einzelne für sich geschlossene Theile, der Länge nach sich trennend 'Theilfrüchte (mericarpia, früher cocei), der Quere nach Glieder (articulk) ge- nannt; oder in einzelne flache Stücke, Klappen (valvu- lae). Bei der ersten oder letzten Art der Zerreissung bleibt ausser diesen 'Theilen bei manchen Familien noch eine gewöhnlich stielartige Zellgewebsmasse stehen in der Mitte der einzelnen sich ablösenden Theilfrüchte, z. B. bei Umbelliferen, Euphorbiaceen, Geraniaceen, oder der sich trennenden Klappen, z. B. bei Rhododendron. Auch hier tritt nur eine Zerreissung ursprünglich zu- sammengehöriger Theile ein und. in keinem der genann- ten Fälle ist der stehenbleibende Stiel etwa das Sten- gelglied der Blüthenaxe, an welches die Fruchtblätter befestigt waren, sondern eine ganz unselbstständige Zell- gewebsmasse. In gar vielen Handbüchern der Botanik findet man die An- weisung, die Zahl der Fruchtblätter nach der Zahl der Klap- pen der Frucht zu bestimmen. Wie so ganz gedankenlos diese Rede ist, hätte den Verfassern schon das Queraufspringen der I) Auch hier hat man, ohne sich um die durchgreifende Verschie- denheit zu kümmern, die Trennungslinie mit dem hier ganz sinnlosen Ausdruck Naht (sutura) bezeichnet. Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 407 sogenannten umschnittenen Kapsel und die Quertrennung in ein- zelne Theile bei der Gliederhülse sagen können, aus welchen beiden Thatsachen allein zur Genüge hervorgeht, dass dıe spä- tere Trennung in einzelne Theile von der ursprünglichen Zu- sammensetzung völlig unabhängig ist. Aber sowie das Wort Verwachsung bisher ohne Sinn angewendet wurde, nach willkür- lichen Fictionen der einzelnen Botaniker, so stand dann auch dem gleich willkürlichen Hin- und Herrathen bei den im Para- graphen berührten Verhältnissen nichts im Wege. Die ganze Art und Weise dieser Trennungen aber steht mit der ursprüng- lichen Zusammensetzung des Fruchtknotens aus einzelnen Thei- len, Fruchtblättern u. s. w. auch nicht in der allergeringsten Verbindung, und jeder Schluss von der Zahl der späteren Theile auf die Zahl der ursprünglichen constituirenden Theile zeigt nur die gänzliche Unbekanntschaft des Schliessenden mit der Natur der Pflanze und insbesondere dieses Vorgangs. Hier, wie so oft am Pflanzenorganismus, bilden sich in dem anfangs homo- genen Zellgewebe, welches selbst da, wo wirkliche Verwachsun- gen stattgefunden, sich so eng in einander schliesst, dass bald die Grenze völlig verwischt ist, Lagen sehr verschiedenartiger Zellen aus, die theils in der Consistenz des ihre Wandungen bildenden Stoffes, theils in der mehr oder minder fortgeschrit- tenen Verdickung ihrer Wände grosse Verschiedenheiten zeigen. Gleichartig ausgebildete Zellen hängen auch meist fester unter- einander zusammen, als mit ungleichartigen, und daher kommt es, dass die verschiedenen Lagen sich so leicht von einander trennen, wie z. B. der saftige Theil der Frucht bei Mandel, Pflaume, Wallnuss u. s. w. von dem holzigen. Gewöhnlich bil- den sich aber bestimmt für diesen Zweck dünne Platten ganz zart- wandigen und früh absterbenden Zellgewebes aus, die dann bei der geringsten Dehnung zerreissen und so eine Trennung der Continuität veranlassen. Selbst da, wo wirklich ursprünglich getrennte Theile verwachsen waren, geschieht die Trennung sel- ten (oder nie?) so, dass sich die verwachsenen Theile wieder einfach von einander ablösten, sondern so, dass die Zellen zer- reissen, zerstört werden, und so ist selbst in diesen Fällen das Verständniss des Vorganges noch keineswegs gewonnen und aus- gesprochen, wenn man sagt, es seyen die Klappen die ursprüng- lichen Fruchtblätter; es zeigt sich vielmehr gerade hierbei, dass alle diese "Trennungen der‘ Continuität an der ganzen Pflanze unter ein und dasselbe Gesetz, das der morphologisch bestimm- ten Zerreissung, fallen, welches von dem der morphologisch bestimmten Organenbildung durchaus verschieden und unab- hängig ist. 408 Morphologie. Insbesondere will ich hier noch die Anwendung, die man von jener falschen Ansicht auf die Geraniaceen und Umbelliferen ge- macht hat, hervorheben. Bei beiden trennt sich die Frucht in einzelnen Theilen von einer stielartigen Zellgewebsmasse, am längsten mit der Spitze derselben in Verbindung bleibend und von dieser gleichsam herabhängend. Nach der beliebten Me- thode des Rathens wurde nun dieser Stiel für die Fortsetzung der Blüthenaxe erklärt, an welcher die Fruchtblätter befestigt seyen und von welcher sie sich bei der Fruchtreife wieder lösten. Zunächst ist zu bemerken, dass bei den Umbelliferen der ganze Fruchtknoten überall nicht von Fruchtblättern gebildet wird, son- dern eben von der Axe selbst. Bei den Geraniaceen dagegen sind es fünf anfänglich ganz freie Fruchtblätter, die keine Spur einer Fortsetzung der Blüthenaxe zwischen sich haben, die un- ter einander verwachsen und später so zerreissen, dass ein in- nerer Theil von jedem Fruchtblatte in der Axe stehen bleibt, während der äussere Theil sich von Unten nach Oben allmälıg ablöst. Jener innere Theil enthält ein Bastbündel nebst dem Staubwegcanal. Bei Umbelliferen dagegen zeigen sich in der Mitte der falschen Scheidewand des Fruchtknotens zwei Bast- bündelcher, die mit einem Theile der sie umgebenden Zellen in der Axe der Frucht stehen bleiben, während die beiden Theile der Frucht von ihnen ebenfalls von Unten nach Oben allmälig losreissen. Zuweilen trennen sich jene Bastbündel auch von ein- ander von Oben nach Unten, so dass der stielförmige Träger der Fruchttheile nach Oben gabelig gespalten, oder seibst vom Grunde an zweitheilig ist. Ganz ähnliche Zerreissungen wie bei den Geraniaceen kommen bei allen den Pflanzen vor, bei denen sich die Klappen der Frucht von einem stehenbleibenden Mit- telsäulchen lösen; auch hier ist dasselbe niemals ein reines Axen- gebilde.e Da z. B., wo die Axe (der Saamenträger) die Grund- lage macht, bleiben doch stets bedeutende Stücke der Carpell- blätter mit der Axe in Verbindung, und die Trennung geschieht also ebenfalls innerhalb der Continuität eines Organs, z. B. Euphorbiaceen. ; D. Erscheinungen an den übrigen Blüthen- theilen während der Ausbildung von Frucht und Saamen. $. 178. Die übrigen zur Blüthe gehörigen Theile zeigen bei der Entwickelung des Fruchtknotens zur Frucht grosse Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 409 Verschiedenheit. Staubfäden und Blumenblätter werden bald nach der Befruchtung durch ächte Gliederung an ihrer Basis abgeworfen oder sterben ab und vertrocknen an der Blüthe. Selten bleibt ein Theil von ihnen, be- sonders wo sie unter einander verwachsen sind, stehen und. wird fleischig. oder holzig (z. B. Mirabihis.) Ganz ebenso verhält sich die Blüthenhülle, die aber häufiger ganz stehen bleibt. Da wo die Blüthendecken ganz oder theilweise stehen bleiben, bilden sich in diesen zu- weilen eben dieselben vier Schichten aus, welche sich in der Fruchthülle zeigen, während diese nur sehr dünn hautartig entwickelt ist (z. B. Elaeagnus), oder sie werden saftig und bilden eine Scheinbeere (z. B. Morus). Der Kelch dagegen bleibt bei den allermeisten Pflanzen bis zur völligen Fruchtreife stehen, wobei er sich ent- weder wenig oder gar nicht verändert, z. B. bei den Pomaceen, oder sich vergrössert und blasig aufgetrieben die Frucht umgiebt (bei Physalis, Trifolium fragife- rum), oder als ein ganz zartes, häutiges oder haarför- miges Gebilde die Frucht als Haarkrone (pappus) ziert, wie bei den Valerianeen, ÜUompositen u. s. w., oder auch theilweise ahgeworfen wird (z. B. bei Datura). In manchen der genannten Fälle nehmen diese Theile den Schein wirklicher Früchte an, was noch viel häu- fiser bei den Axenorganen der Blüthe der Fall ist; so wird bei der Erdbeere der Fruchtknotenträger fleischig und erscheint als Frucht, bei Hovenia dulcis und Ana- cardium. bildet sich der Blüthenstiel zu einer solchen Scheinfrucht um. Am häufigsten aber ist es der hohle, becherförmig entwickelte discus oder pedunculus, wel- cher, fleischig ausgebildet, das bildet, was der gemeine Mann Frucht nennt, z. B. bei Rosa, Malus, Pyrus, Fieus u. s. w. Endlich ist noch zu erwähnen, dass auch besonaers bei Blüthen ohne Blüthendecken die Deck- blätter und Deckblättchen mit der Frucht auswachsen und zwar meistens holzis werden und so scheinbare Fruchthüllen bilden, z.B. bei Cupuliferen die so- 410 Morphologie, genannte cupula, bei Betulineen die Schuppen des Zapfens u. s. w. Ich habe hier nur auf die genannten Verhältnisse aufmerksam machen wollen, auf die ich bei genauerer Behandlung der Frucht- lehre noch einmal zurückkommen muss. Es fehlt, wie überall, so auch bei der Frucht, an wissenschaftlich scharf bestimmten Begriffen, und an eine logische Anordnung der betreffenden Merkmale ist nirgends weniger zu denken als hier. Wenn der Bauer das, was er von der Feige essen kann, die Frucht nennt, so ist nichts dagegen zu sagen; wenn’s der Botaniker aber nachmacht, so steht er tief unter dem Bauer, denn er sollte einsehen, dass Essbarkeit kein Merkmal für die Frucht, am wenigsten ein wissenschaftlich brauchbares sey. Mit der herge- brachten Inconsequenz hat man einen Theil jener im Paragra- phen erwähnten Verhältnisse mit der Rede des gemeinen Man- nes den Fruchtformen zugezählt, bei einem andern Theil rich- tiger bemerkt, dass die Frucht nur von einem, ihr nicht ange- hörigen Theile umgeben sey. IV. Von der Frucht und dem Saamen. &. 179. Frucht (fructus), im Sinne der Wissenschaft, ist der einzelne Fruchtiknoten zur Zeit der völligen Ausbildung des Emhryos oder der Saamenreife; Staubweg und Narbe behalten, wenn sie überall noch vorhanden sind, ihren Namen, die Fruchtknotenhöhle dagegen wird mit einem sehr schlecht gebildeten Worte, Fruchthülle (pericar- pium), genannt. In diesem Sinne giebt es natürlich Pflanzen, die gar keine Frucht haben, weil sie nie einen Fruchtknoten hatten, denen daher wie nackte Saamen- knospen, so auch nackte Saamen (semina nuda) zu- seschrieben werden müssen; dazu gehören die Conife- ren, Uycadeen und Loranihaceen. Aber es giebt auch noch einzelne Pflanzen, bei denen der Fruchtknoten früh zerstört wird, so dass die Saamenknospe sich ebenfalls ohne Hülle zum Saamen ausbildet; diese nennt man zum Unterschied von den vorigen enthlösste Saamen (semina denudata z. B. Leontice und Peliosanthes Spec. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen. 411 theta). Die wirklichen Früchte kann man nach Ana- logie der Blüthen in nackte (fructus nudus) und be- deckte (fr. tectus) eintheilen, je nachdem von der gan- zen Blüthe nur noch der Fruchtknoten vorhanden (z.B. Lilium), oder derselbe von andern Blüthentheilen um- schlossen erscheint (z. B. Nicandra). Wie in einer Blüthe ein oder mehrere Fruchtknoten vorkommen, so unterscheidet man hier die einfache Frucht (fructus simplex, 2. B. Nigella) von der mehrfachen Frucht fructus multiplex, z. B. Ranunculus). Endlich ist, wie beim Blüthenstand, auch hier neben der Frucht noch der Fruchtstand zu unterscheiden, für welchen man die Terminologie des Blüthenstandes beibehalten (wie Frucht- ähre, Fruchiköpfchen, Fruchtdolde u. s. w.) oder einfach da, wo der Fruchtstand ein abgeschlossenes Ganze bildet, wie Linne bei der Blüthe der Compositae, so auch hier von einer zusammengesetzten Frucht (fructus compositus) sprechen könnte, z. B. bei Ananas. Für die einzelne Frucht aber gilt, wie sich von selbst versteht, Alles, was über die Natur des einzelnen Fruchtknotens in Bezug auf seinen Ursprung, seine Zu- sammensetzung, seine innere Abtheilung u. s. w. gesagt worden ist, wenn sich diese Verhältnisse nicht durch die spätere Ausbildung verändert haben, in welchem Falle diese Veränderungen, aber auch nur diese, zu bezeich- nen sind. Man kann die Frucht auf doppelte Weise bestimmen, einmal so wie im Paragraphen geschehen, oder, wie auch von einigen Botanikern versucht, als die ganze Einzelblüthe zur Zeit der Saamenreife, Es wäre für die Wissenschaft im Grunde gleich- gültig, welche Definition man festhalten wollte, wenn man nur irgend eine wirklich festhielte; aber dass eben noch kein Bota- niker nach seiner eigenen Definition den Begriff consequent durch- führte, brachte eine solche Verwirrung in die Lehre von der Frucht, die, noch vergrössert durch die mangelhafte Kenntniss des Fruchtknotens und das haltungslose Hin- und Herrathen zur Erklärung auffallender Erscheinungen, die Lehre von der Frucht zu einem crux et horror Aller, die sich mit dem Studium der Botanik abgeben wollen, gemacht hat. 412 Morphologie, Mir scheint die im Paragraphen gegebene Definition, mit der die meisten Botaniker übereinstimmen, freilich ohne consequent sich selbst treu zu bleiben, die zweckmässigste für das Ver- ständniss zu seyn; auch würde uns sonst für diesen wesentlich- sten Theil der bis zur Saamenreife fortgebildeten Blüthe ein passendes Wort zur Bezeichnung fehlen, wenn wir den Aus- druck Frucht auf die ganze Blüthe zur Zeit der Saamenreife anwenden. Es versteht sich wohl ganz von selbst, dass Bota- niker, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit machen, sich heut zu Tage nicht mehr mit Angaben wie: „‚pistillum unicum, stylus nullus, stigma capitatum“ begnügen dürfen, sondern dass eine genaue Darstellung der Fruchtanlage nach innerem Bau, nach Zahl und Form der Saamenknospen u, s. w. unerlässlich ist. Dann aber wird auch eine Menge von Phrasen bei der Frucht überflüssig, die früher allerdings nothwendig waren und zum Theil noch jetzt aus Gewohnheit beibehalten werden. Es ist nämlich. von selbst vorauszusetzen, dass, abgesehen von den Structurverhältnissen und dem neu entstandenen Embryo und Endosperm, der Bau der Frucht dem der Fruchtanlage ganz gleich ist und nur da, wo durch wesentliches Fehlschlagen von Saamenknospen und ganzen Fächern bedeutende Modificationen eingetreten sind, ist dies zu bemerken nöthig. Zwei sehr verschiedene Gesichtspuncte sind bei der Lehre von der Frucht sowohl festzuhalten, als auch scharf zu unterscheiden, nämlich das wissenschaftliche Verständniss der Frucht und die anschauliche Bezeichnung. Beide so ganz verschiedene Rück- sichten hat man bisher völlig confundirt und daher in der Lehre von der Frucht in erster Beziehung viel zu wenig, in zweiter viel zu viel gethan. Auch hier hat sich aber diese Verwirrung der Standpuncte historisch herangebildet, und es ist wahrlich an der Zeit, dass wir nach und nach diese uns noch anklebenden Eierschalen der auskriechenden Wissenschaft abstreifen. Es ist freilich noch nicht gar lange her, dass man angefangen hat, genauer auf den Bau des Fruchtknotens zu achten, und so lange dieser nur roh nach seinen Umrissen beschrieben wurde, musste man auch bei Beschreibung der Frucht Manches nachtragen, was. eigentlich schon früher hätte erwähnt werden müssen. Dass solches Flickwerk nicht weit reicht, zeigen aber, wie ich meine, unsere Fruchtsysteme mit ihrer Lückenhaftigkeit und doch zugleich mit ihrem Wust von Namen und Synonymen zur Genüge. Auch ist es ganz von selbst klar, dass, wer das Verständniss der Frucht erst bei der reifen Frucht selbst sucht, niemals dazu gelangen wird. Die Frucht ist nur das Endresultat einer langen Entwickelungsreihe der ganzen Pflanze, das letzte Product einer grossen Menge von Factoren, und giebt für sich über alles Vorangegangene, Spee. Morphologie. Phanerogamen, Blüthen, 413 über Zahl und Natur der mitwirkenden Factoren keinen Auf- schluss. So hat man von der Zahl der Klappen auf die Zahl der den Fruchtknoten bildenden Theile schliessen wollen; man hätte nur an die capsula circumseissa, das lomentum und legu- men, an die dehiscentia loculicida und septifraga zu denken brauchen, um einzusehen, dass ursprüngliche Zusammensetzung und spätere Theilung in gar keinem nothwendigen, sondern höchstens zufälligen Zusammenhange stehen. Man hat sich be- müht, die einzelnen Schichten der Fruchthülle auf die Schichten eines Blattes (Fruchtblattes) zu beziehen, aber abgesehen da- von, dass Blätter und Fruchthüllen gar keine constanten Schich- ten zeigen, setzte man auch dabei höchst irrthümlich vorans, dass jeder Fruchtknoten aus Blattorganen zusammengesetzt sey, u. s. w. Hat man dagegen den Bau des Fruchtknotens völlig verstanden, den allmäligen Entwickelungsprocess desselben zur Frucht aufgefasst, so bedarf die Frucht eben gar keiner Erklä- rung mehr, sie versteht sich von selbst; durch die Factoren ist stets das Product gegeben, niemals aber umgekehrt. Alles was nun die Form und Zusammensetzung der Frucht betrifft, ist bei richtiger Behandlung der. Wissenschaft stets schon beim Frucht- knoten und seinem Entwickelungsgange gegeben, darin liegt also das Eigenthümliche der Frucht durchaus nicht, und daher ver- ‘ dient dies Alles auch keine bestimmte Bezeichnung. Dass ein unterständiger Fruchtknoten nicht zu einer oberständigen Frucht werden kann, versteht sich ganz von selbst, und die Früchte danach noch einmal zu unterscheiden, ist völlig überflüssig. Wichtiger ist es schon, anzugeben, ob Fächer und Saamen fehl- geschlagen sind, oder ob sich falsche Scheidewände während des Auswachsens der Frucht gebildet haben. Das Charakteri- stische für die Frucht dagegen und das ihr wesentlich Eigen- thümliche sind ihre Structurverhältnisse und diese verdienen da- her allein eine eigene Bezeichnung; so z. B. muss man die unterständige Kapsel von der unterständigen Beere unterschei- den, aber nicht die unterständige Beere von der oberständigen, da dies letztere Merkmal schon im Fruchtknoten gegeben war, und was für die Frucht hinzukommt, eben nur die beerenartige Ausbildung der Parenchymschichten der Fruchthülle ist. Nirgends hat sich die rein schematische Auffassung so geltend gemacht, wie in der Lehre von der Frucht, nirgends ist man, von der Redeweise des gemeinen Mannes ausgehend und diese nur durch neue Worte vermehrend, so wenig bemüht gewesen, die Begriffe wissenschattlich streng zu fassen, und nirgends ist daher auch die Terminologie so über alle Begriffe schwankend als bei der Frucht. Dieser nimmt 10, Jener 15, ein Dritter 20, noch ein Anderer 30 oder 40 Fruchtarten an; kurz der Wirr- bu 414 Morphologie, warr ist uubeschreiblich, und wenn man nach den besten Aucto- ritäten dem Schüler drupa als eine geschlossene, aussen flei- schige und innen holzige Frucht erklärt, eine Kapsel als eine aufspringende trockene Frucht, so findet er z, B. bei Reichen- bach keine einzige Labiate oder Borraginee beschrieben, da dieser denselben vier drupas zuschreibt und noch dazu die vier drupas zu einer Kapsel verbindet. Die beste Darstellung dieser verwickelten Lehre finde ich bei Lindley (Introduction to botany, ed. I1.), der wenigstens ver- sucht hat, durch logische Anordnung und feste Begriffsbestim- mung Licht zu schaffen. Doch ist es klar, dass der vorhandene, durch principlose Willkür zusammengewürfelte Wust von Namen auch dem redlichsten Willen überlegen ist. Hier kann nur da- durch geholfen werden, dass wir den ganzen Quark wegwerfen und die Untersuchung von vorne beginnen. Wir besitzen der Fruchtsysteme fast so viele, als Botaniker geschrieben haben. Die ersten gründlichen Untersuchungen über Früchte und Saamen verdanken wir Gärtner (de fructibus et seminibus plantarum, Stuttgart, 1788) und L. .C. Richard (Analyse du fruit, Paris, 1808), deren Werke auch für alle Zeiten classisch bleiben werden. Später haben Mirbel, Dumor- tier, Desvaux und Andere neue Fruchtsysteme gegeben, die, ohne irgend etwas wesentlich zu bessern, eine Unzahl neuer Namen auch für längst bekannte und benannte Sachen enthalten. $. 180. An der Frucht haben. wir nun, nach Maassgabe des Vorhergehenden, folgende Betrachtungen genauer zu ver- folgen. 1) Als Theile der Frucht haben wir die Fruchthülle (pericarpium), den Saamenträger (spermophorum), den Knospenträger (funiculus) und den Fruchtbrei (pulpa), endlich den Saamen (semen) und an diesem die Saa- menschale (epispermium) und den Saamenkern (nu- cleus), an diesem die Keimpflanze (emdryo) und däs Saameneiweiss (albumen) zu beirachten. 2) Es sind ferner die übrigen Theile, die in nähe- rer Beziehung zur Frucht stehen, von den Deckblättern bis zu den Blüthentheilen zu berücksichtigen als acces- sorische Organe. Spee, Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 415 3) Endlich sind die verschiedenen Arten der Frucht aufzuzählen. Die meisten dieser Puncte bedürfen hier nur der übersicht- lichen Erwähnung und Zusammenstellung, da Alles, was Wich- tiges hierüber zu bemerken ist, schon in früheren Paragraphen ($. 160—175) erwähnt wurde. 1) Von den einzelnen Theilen der Frucht. $. 181. Die Fruchthülle (pericarpium) ist die umgeänderte Fruchtknotenhöhle (germen), selten mit den übrigen stehenbleibenden Theilen der Fruchtanlage, Staubweg und Narbe verbunden. Letztere sind selten von beson- derer Bedeutung und ist von ihnen eben nur zu erwäh- nen, dass sie sich bis zu diesem Zeitpunct erhalten ha- haben (z. B. bei Papaver), oder ausgewachsen sind (z. B. Pulsatilla). Die Formen der Fruchthülle sind äusserst manmnigfaltig, aber keiner allgemeinen Bestim- mung fähig; häufig zeigen sich an ihr Haare, Stacheln, Warzen, hautartige Ausbreitungen (alae), vorspringende Rippen (costae oder juge) und deren Zwischenräume Thäler (valleculae) u. s. w. Die Fruchthülle bestimmt wesentlich die verschiedenen Erscheinungsweisen der Früchte durch ihre verschiede- nen Structurverhältnisse. Schon früher wurde erwähnt, wie verschiedenartig sich das Parenchym des Frucht- knotens entwickelt. Im einfachsten Falle finden wir an der reifen Fruchthülle ausser der Oberhaut beider Flä- chen nur eine gleichförmige Lage Parenchyms, ohne Gefässbündel (z. B. die niederen Aroideen), oder von wenigen einfachen Gefässbündeln durchzogen. In andern Fällen bleibt nur die Oberhaut der äusseren Fläche er- kennbar, und das sanze Parenchym mit der Oberhaut der inneren Fläche ist fleischig oder safüig entwickelt (z. B. Atropa), oder unter der Oberhaut der äusseren 116 Morgkiloereh Fläche sind einige Lagen Zellgewebes verholzt und die folgenden fleischig, in beiden Fällen noch immer häufig in den Fruchtbrei ohne Grenze übergehend. In vielen andern Fällen endlich Jassen sich vier Schichten deut- lich unterscheiden, die schon oben charakterisirt sind und die man seit De Oandolle (L. ©. Richard, den Urheber der Eintheilung, völlig missverstehend), von Aussen nach Innen zählend, äussere Fruchthülle (epi- carpium), mittlere Fruchthülle (mesocarpium, auch Fleischhülle, sarcocarpium, oder Fleisch, caro) und die beiden inneren ununterschieden innere Fruchthülle (endo- carpium) genannt hat. Bedeutsamer als diese Verhält- nisse scheinen mir aber diejenigen Structurverschieden- heiten der Frucht zu seyn, die ihre Verschiedenheiten im völlig ausgebildeten reifen Zustande bedingen, indem sie die eigenthümlichen Trennungen der Continuität ver- anlassen. Wir erhalten hier zwei grosse Classen aller Früchte, je nachdem in ihrem Bau eine Trennung in einzelne "Theile bedingt ist oder nicht. Letztere könnte man die beerenartigen, erstere die kapselartigen nennen. Diese aber theilen sich noch wieder in zwei Gruppen, je nachdem die Fruchthülle sich öffnet und die Saamen entlässt. Kapselfrüchte (capsulae), oder nur in ein- zelne Theile zerfällt, die nicht weiter sich öffnend die Saamen fest umschliessen, Theilfrüchte (mericarpia). Die beerenartigen zerfallen wieder in drei Gruppen, je nachdem die oben (S. 403) erwähnten Schichten aus- gebildet sind, Steinbeeren (drupae) oder nicht, bei wel- chen letztern dann die Fruchthülle fleischis oder saftig ist, ächte Beeren (baccae), oder dünn und trocken, oder lederartig, Schliessfrüchte (achaenie). Alle diese For- men können je nach den Fruchtknoten, aus denen sie entstanden, ober- und unterständig, ein- oder mehrfäche- rig, ein- oder vielsaamig vorkommen, was aber nur dann zu bemerken ist, wenn durch Fehlschlagen Ab- weichungen vom Bau des Fruchtknotens entstanden sind, übrigens sich von selbst versteht. Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 417 a) Die Kapselfrüchte kommen bei den verschieden- artissten Familien vor, insbesondere ist die Art des Auf- springens (dehiscentia) zu betrachten; die einfachste Weise ist ein scheinbar ganz regelloses Zerreissen an irgend einer Stelle (z. B. bei Nicandra), gewöhnlich aber ist die Form des Aufspringens sehr regelmässig, wenn sie auch nur auf einen kleinen Theil beschränkt ist (pericarpium poro dehiscens, vel ruptile), z. B. bei Papaver, Antirrhinum u. s. w. Die Trennung der Continuität ist sonst entweder vertical oder horizontal. Im leiztern Falle bildet der obere Theil gleichsam einen Deckel auf dem untern, man nennt es um- schnittene Kapsel (capsula circumscissa). Im erstern Falle zerfällt die Fruchthülle in mehr oder weniger getrennte Stücke. Man nennt dieselben Klappen (valvulae) '). Bei vielfächerigen Früchten können diese Klappen sich ganz von den stehenbleibenden Scheidewänden ablösen, 2. B. Cobaea scandens (dehiscentia septifraga), oder die Scheidewände spalten sich in zwei Lamellen und jede Klappe trägt an jedem ihrer Ränder eine solche Lamelle (dehiscentia septicida), oder die Scheidewände bleiben ungetheilt auf der Mitte der Klappe haften (dehiscentia loculicida, valvulae medio septiferae). Bleibt bei einer dieser. Arten. des Aufspringes oder bei den '"Theilfrüchten eine 'stielförmige Zellgewebsmasse in der Axe der Frucht stehen, so heisst diese das Mittel- säulchen (columella). Aus dem Gesagten erhellet schon zur Genüge, dass alle diese Trennungen der Continuität nicht von ursprüng- licher Zusammensetzung abhängig sind. Die gewöhn- liche Botanik nimmt aber ein solches Verhältniss an und nennt deshalb die Linie im äussern Umfange der Frucht- hülle, wo die Ränder angeblicher oder wirklicher Frucht- 1) Zuweilen bleiben zwischen zwei Klappen derbe Zellgewebs- stränge oben in der Narbe verbunden stehen (wie bei Argemone). Ich finde nicht, dass man hierfür schon einen eigenen Namen erfunden hätte. I. 27 418 Morphologie, blätter unter einander verwachsen sind, mit einem selbst nach dieser Hypothese zur Hälfte sinnlosen Ausdruck Rückennaht (sutura dorsalis), während Bauchnaht (sutura ventralis) nur die Linie bezeichnet, wo die Ränder eines und desselben wirklichen Fruchtblattes oder dem ähnlichen Theiles mit einander verwachsen sind. Bei den meisten 'Kapselfrüchten sind die erwähnten vier Schichten der Fruchthülle zu unterscheiden, doch sind alle zusammen sehr dünn und häutig oder leder- artig, seltener holzig. b) Die Theilfrüchte unterscheiden sich hauptsächlich nach der Richtung, in welcher die 'Theilung vor sich seht. Es geschieht nämlich entweder parallel mit der Axe der Frucht oder senkrecht auf dieselbe, d. h. durch verticale oder transversale Continuitätstrennungen. Bei beiden pflegen die einzelnen Theile dann einsaamig zu seyn; im ersten Falle nennt man sie zuweilen Körner (cocci) oder Theilfrüchte .(mericarpia), im letztern Glieder (articuli), und unterscheidet sie wohl noch nach der Textur ihrer Schichten als trockene, lederartige oder saftige. Erstere (Theilfrüchte) sind den Familien der Rubiaceen, Euphorbiaceen, Labiaten, Borragineen, Gerania- ceen, Tropaeoleen, Malvaceen, Umbelliferen u. s. w., letz- tere (Glieder) einigen Leguminosen und Uruciferen eigen. c) Die Steinbeeren, bei Amygdaleen charakteristisch, aber auch in andern Familien vorkommend, verdanken ihre Eigenthümlichkeit der auffallenden Verschiedenheit in der Struetur ihrer Schichten, und zwar der beiden Parenchymschichten, von denen die innere holzig, die äussere fleischig oder lederartig u. s. w., beide aber verhältnissmässig diek entwickelt sind. d) Die ächte Beere, in der Familie der Grossula- rien, Passifloren, Oucurbitaceen, der Aroideen typisch, einzeln in vielen andern Familien, beruht wesentlich auf der Ununterscheidbarkeit der beiden Parenchymschichten der Fruchthülle, der Auflösung der innersten Schicht und der fleischigen -oder saftigen Textur derselben, die nur Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 419 selten in einigen äussern Zellenlagen in eine holzige übergeht, z. B. bei Lagenarien. e) Die Schliessfrüchte, seltener mit unterscheidharen, aber stets mit dünnen und trockenen Schichten, charakteri- siren die Familien der Gräser, Oyperaceen, der Uupuli- feren, der Compositen, Dipsaceen, sind vorherrschend bei den Dryadeen und Ranunculeen und sonst einzeln vor- handen. Sie sind gewöhnlich einfächerig und einsaa- mig, zuweilen ursprünglich, zuweilen, wie bei den Cupuliferen, durch Fehlschlagen von Fächern und Saa- menknospen. Ich glaube in der That, dass die angeführten fünf Ausdrücke für die Bezeichnung der Fruchtformen vorläufig völlig auslangen werden, wenn man erst einmal anfangen wird, die Wissenschaft in einer durchdringenden Erkenntniss des Pflanzenorganismus und nicht in elender gelehrtthuender Spielerei mit Anfertigung griechischer und lateinischer classischer oder auch crass barba- rischer Wörter zu suchen. Unten bei Aufzählung der einzelnen, jetzt gebräuchlichen Wörter werde ich Gelegenheit genug zur Kritik haben. Hier will ich nur noch bemerken, dass oft selbst die Botaniker, die ein vortreffliches Fruchtsystem im allgemei- nen Theil aufstellen, in der speciellen Bearbeitung der Pflanzen alle die schönen Wörter bei Seite liegen lassen und mit sehr wenigen Bezeichnungen auch vortrefllich auskommen, wodurch sie dann aber auch eingestehen, dass sie in der allgemeinen Be- handlung der Fruchtlehre mit Leser oder Schüler nur ein un- verantwortlich frivoles Spiel getrieben haben. Auf jeden Fall ist die Art und Weise, wie insbesondere die Franzosen die No- menclatur vermehrt haben, ganz gegen alle Gesetze einer ge- sunden Terminologie. So Viele rühmen oder verdammen Linne, nennen ihn gross oder geistlos, und von Allen hat ihn Keiner verstanden, Keiner eingesehen, was er wirklich geleistet und wie er es erreicht. Es war der Kampf gegen die unsinnige, in lau- ter Substantivwörtern sich anhäufende Nomenclatur, den er be- gann und glücklich durchführte, wodurch er wie mit einem Zau- berschlage Tausenden den Eingang in die vorher fast unzugäng- liche Wissenschaft öffnete. Ein zweiter Linne ist wahrlich sehr zu wünschen und wird gerade von solchen Leuten mit am mei- sten nothwendig gemacht, die vornehm selbstgefällig auf ihn herabsehen zu können glauben. Die Klügeren bewundern wohl Linne’s geniales Kunststück, aber fahren doch fort, getrost alle Tage neue Namen zu machen, weil sie nicht im Stande sind, 2% 420 Morphologie, aus dem vereinzelten Falle der Anwendung sich das allgemeine Princip zu abstrahiren. Hier, wie überall, kommt es aber dar- auf an, zunächst inductorisch die verschiedenen Gattungen der Naturbegriffe aufzufinden und diese allein sind dann mit Sub- stantiven zu bezeichnen, ihre Arten aber durch beigefügte Ad- jective zu trennen, — das fordert eine vernünftige Naturforschung und eine vernünftige Terminologie. Bei alle der Wortmacherei haben wir aber in der That gar nichts über die Früchte selbst erfahren; Botaniker, die mit 20 und 30 neuen griechischen Namen in jedem neuen Buche sich breit machen, sind oft so unwissend in dem eigentlichen Gegenstande ihrer Forschung, dass sie die Fruchtepidermis der Labiaten ein Saamenhäutchen nennen, die Querscheidewände von Punica vom Discus ableiten u. Ss. w., und mit einem Worte überall zeigen, dass ihnen das Studium der griechischen Sprache leider keine Zeit gelassen, Pflanzen gründlich zu untersuchen. Wir besitzen deshalb auch noch so wenig genaue Untersuchungen von Früchten, dass es noch lange dauern wird, bis unsere Kenntnisse davon nur eini- germassen erträglich werden, und deshalb müssen wir um so mehr mit der geringsten Zahl von Ausdrücken uns begnügen, weil man doch ein Ding erst kennen muss, ehe man es wissen- schaftlich benennt. * $. 182. Die Natur des Saamenträgers (spermophorum) ist schon im Frühern ausführlich erörtert; hier ist nur Weniges noch nachzutragen. Zunächst ist zu bemer- ken, dass beim AÄufspringen der Früchte sich vielfach auch Zellgewebsportionen von den Klappen oder Scheide- wänden trennen, an denen die Saamen hängen bleiben und die man dann wohl Saamenträger genannt hat. Auch hier gilt, was von diesen 'Trennungen im Allgemeinen gesagt ist, dass dadurch bald wirklich selbstständige Organe aus ihrer Verwachsung mit andern wieder frei werden (z. B. Cruciferen), bald Stücke von selbststän- digen Organen sich abtrennen (z. B. bei den Asclepiadeen). Ueber den Fruchtbrei (pulpa) ist auch schon ge- sprochen und bemerkt, dass er einerseits in das aufge- löste Zellgewebe des Pericarpium bei der ächten Beere (z. B. bei Solanum), andererseits in die Fortbildungs- Spee. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 421 producte des Knospenträgers, nämlich in den Saamen- mantel in weitester Bedeutung (bei Arum) und viel- leicht selbst in die ächten Saamenhüllen (bei Ribes?) übergeht. Der Knospenträger (funiculus) zeigt mannigfache Verschiedenheiten, die schon früher erläutert sind. Haare, warzenartige Ausbreitungen unter dem Saamen, häutige, eontinuirliche oder sgelappte Ueberzüge des Saamens (Saamenmantel, arillus) u. dergl. m. Die Haare am Knospenträger bilden Eine Art des Saamenschopfes (come), die andere ist eine Eintwickelung der Saamenschale selbst an verschiedenen Stellen, am Saamenmunde oder an der Chalaza. Die warzenähnlichen Ausbreitungen unter dem Saamen werden strophiola oder caruncula genannt, dadurch aber auch mit ganz verschiedenen Dingen, z. B. dem Saamenmund, zusammengeworfen. Die Bildungen des Saamenmantels sind sehr mannigfach und besonders hinsichtlich der Farbe, Textur und des Zelleninhalis ver- schieden. : Alle hier erwähnten Verhältnisse sind schon in früheren Ab- schnitten erläutert worden, hier genügt es, noch einmal wieder im Zusammenhang auf sie aufmerksam zu machen. $. 183. Der wichtigste Theil der ganzen Frucht für die Oekonomie der Pflanze ist der Saame (semen), weil er die Keimpflanze, die bestimmt ist, die Art zu erhalten, umschliesst. Der Saame kann daher auch ganz frei, ohne Fruchthülle, vorkommen, wie bei den Oycadeen, Coniferen und Loranthaceen. Hier nimmt der Saame dann auch wohl den Schein einer Frucht an, z. B. einer geflügelten Schliessfrucht bei Abietineen, einer Beere bei Viscum, einer Steinbeere bei Cycas u. Ss. w. Man unterscheidet am Saamen zwei Theile, die Saa- menschale (epispermium) und den Kern (nucleus). Der Kern wird entweder allein von der Keimpflanze (emdryo) 422 Morphologie. oder von dieser und dem Saameneiweiss (albumen) gebildet. Als Regionen unterscheidet man am ganzen Saamen den Grund (basis), den Theil, an welchem er befestigt ist, und die Spitze (apex), den freien, jenem gerade gegenüberliegenden Punet. Nach dem Verhält- niss dieser beiden "Theile wird die Lage des Saamens in der Fruchthülle bestimmt. Man denkt diese als auf- recht, ihre Basis nach Unten, und nennt die Saamen, deren Spitze dann höher liegt als der Grund, aufrechte (erecta), wenn sie im Grunde der Fruchthülle befestigt sind, aufsteigende (adscendentia), wenn sie von der Seitenwand sich erheben; Saamen, deren Spitze tiefer liegt als der Grund, heissen hängende (pendula) ; lie- gen beide Puncte in gleicher Höhe, so heissen die Saa- men wagerechte (horizontalia), oder auch wohl unbe- stimmte (vaga); ist endlich die Linie vom Grunde des Saamens bis zur Spitze nicht der längste, sondern der kürzeste Durchmesser des Saamens, so heissen sie schild- förmige oder in der Mitte befestigte (peltata, medio affiea). An dem abgelösten Saamen heisst die Fläche, durch welche er mit dem Saamen- oder dem Knospen- träger verbunden war, der Nabel (hilus, umbilicus). Alle diese Ausdrücke sind freilich bei besserer Methode völlig überflüssig, da sich die Lage des Saamens nach der Lage der Saamenknospe von selbst versteht; da aber leider noch die aller- meisten Bücher kaum bei Beschreibung des Familiencharakters, geschweige denn bei Schilderung einzelner Arten auf den Bau der Saamenknospe sich einlassen, so musste freilich Vorstehen- des zum Verständniss unserer jetzigen Literatur hier noch ange- führt werden. Die Saamenschale lässt, wie schon oben entwickelt, gar keine allgemeine Zurückführung auf die Knospen- hüllen zu, und deshalb kann man im Allgemeinen nur von Einer Saamenschale sprechen und muss deren ein- zelne Zellenlagen (strafa) näher charakterisiren, wenn für die bestimmte Art, Gattung oder Familie die Ent- wickelungsgeschichte noch nicht bekannt ist. Fast all- semein kann man zweckmässig die Saamenepidermis von Spee, Morphologie. Phanerogamen,. Blüthen. 423 der Substanz der Saamenschale unterscheiden. An ihrer Oberfläche beschreibt man Haare (büschelweise vom Saamenmunde oder dem Knospengrunde ausgehend) als In [ DWU/ | DYWc f n N G Schopf (coma), Warzen, Stachel, Rippen, Flügel u. s. w. und die Region der Saamennaht (raphe), des Knospen- vy® “ N ‘ > ] } srundes (chalaza), des Saamenmundes (micropyle). Der hergebrachte, völlig unanwendbare Schlendrian sagt, die Hülle des Saamens besteht aus zwei Häuten, der eigentlichen Saamenschale (testa, lorica, spermodermis, tunica externa) und der Innenhaut (membrana interna, tunica interna, endopleura, tegmen). Dabei ist dann die erste bald die äussere, bald die innere Knospenhülle, bald nur die Epidermis der einen oder an- dern; die zweite bald die äussere Knospenhülle, mit Ausschluss der Epidermis, bald die innere, bald die Kernhaut, und wenn die Epidermis der äussern Kernhaut saftig entwickelt ist, so hat De Candolle noch einen dritten Ausdruck, die Fleischhaut (sarco- dermis), oder bald soll die äussere, bald die innere Saamenhaut fehlen. Natürlich ist denn auch endloser Streit, ob die Gefässe in der äussern oder innern Saamenhaut verlaufen, und was der- gleichen Verwirrung mehr ist, die aus der methodenlosen Art, die Sache zu behandeln, nothwendig entspringen muss. Es ist schon bemerkt worden, dass sich die einzelnen Zellenlagen der Saamenschale nur durch Verfolgen der Entwickelungsgeschichte im einzelnen Fall auf die Knospenhülle zurückführen lassen; wo das noch nicht geschehen, muss man sich damit begnügen, die einzelnen, etwa zu unterscheidenden Zellenlagen ohne weiteres Herumrathen über ihren unbekannten Ursprung zu charakterisiren. Das Saameneiweiss (albumen) ist entweder Endo- sperm oder Perisperm und seiner Textur nach fleischig, hornartig u. s. w.; wenn von braunen, halb zerstörten Lappen der in seine Substanz hineinragenden Saamen- schale durchsetzt, marmorirt (ruminatum); seinem In- halt nach mehlig, ölig u. s. w. Die Keimpflanze ist ein-, zwei-, vielsaamenlappig, gerade, gekrümmt, spi- ralig u. s. w., vom Saameneiweiss eingeschlossen, an dessen Spitze (gewöhnlich falsch Basis genannt) liegend oder das Saameneiweiss kreisförmig umfassend (emdryo periphericus oder albumen centraie) u. s. w. eine Lage im Bezug zum Saamen ist unabänderlich so be- stimmt, dass die Spitze seines Würzelchens dem Saa- 424 Morphologie. menmunde zugekehrt ist. Durch dieses Gesetz ist die ganze frühere weitläufige Terminologie zwar völlig ent- behrlich geworden, wird aber doch fortwährend beibe- - halten. Sie ist doppelt: 1) Nach L. ©. Richard: Der Saame, auf seiner Basis aufrecht gedacht, hat einen embryo orthotropus oder erectus, wenn die Wurzel nach der Basis gerich- tet ist; einen embryo antitropus oder inversus, wenn sie nach der Spitze zeigt; einen emdryo heterotropus oder vagus, wenn sie eine mittlere Richtung hat, und endlich einen embryo amphitropus, wenn der Eimbryo kreisförmig gebogen im Saamen liegt. 2) Die ältere und noch häufig benutzte Terminologie dagegen bezieht die Ausdrücke auf die unveränderte Lage des Saamens in der aufrecht gedachten Frucht- hülle und spricht von radicula infera, wenn sie der Basis der Fruchthülle, radicula supera, wenn sie der Spitze derselben, und radicula vaga, wenn sie den Seitenwandungen zu gerichtet ist. Die Formen des Embryo selbst endlich sind schon oben zur Genüge entwickelt worden, so dass sie hier, da ihre genauere Untersuchung ohnehin nicht in der Art und Weise der bisherigen Botanik lag und daher auch keine gebräuchliche Nomenclatur hervorrief, übergangen werden können. 2) Von den accessorischen Organen an der Frucht. $. 184. Die ausser dem Fruchiknoten vorhandenen Blüthen- theile bleiben zum Theil bis zur reifen Frucht stehen, verändern sich oft, insbesondere hinsichtlich ihrer Textur, die namentlich nicht selten fleischig wird, “und so neh- men sie zuweilen den Schein von Fruchtformen an, Scheinfrüchte (fruetus spurü). Als Beispiele bieten sich hier der Blüthenstengel (bei Ficus), der Blüthen- stiel (bei Hovenia dulcis), das Deckblatt (bei An«- Spec. Morphologie. Phanerogamen. Blüthen. 425 nassa), die Blüthenhülle (bei Morus), der Kelch (bei Oucubalus baccifer), die Blumenkrone (bei Mirabilis), die Scheibe (bei Rosa), der Fruchiknotenträger (bei Fragaria) an. Aehnlich der engen Verbindung, in welcher Kelch, Blumen- krone u. s. w. zu den übrigen Organen der Blüthe stehen, tre- ten auch die von den nähern (Kelch, Blumenkrone, Blüthenhülle, Scheibe, Fruchtknotenträger u. s. w.) oder entferntern (Blüthen- stiel, Hüllkelch, Deckblättchen, Deckblätter, Blüthenstengel u. s. w.) Blüthentheilen bis zur Fruchtreife stehenbleibenden oder sogar sich weiter entwickelnden Organe mit der Frucht in nähere Bezie- hung. Schon oben sind die verschiedenen Gesichtspunete, unter denen diese Verhältnisse sich gestalten, entwickelt. Auch hier sind die Structurverhältnisse wichtig, indem oft die heterogensten Theile Umänderungen erleiden, die sie irgend einer Form der wirklichen Früchte ähnlich erscheinen lassen. Wir finden hier selbst an solchen Theilen die Entwickelung der an der Frucht- hülle vorkommenden vier Schichten zuweilen in ähnlicher Weise ausgesprochen, z. B. an der Blüthenhülle von Elaeagnus. Da wo einfach der Kelch grün auswachsend, häutig oder dünn holzig werdend, stehen bleibt, hat man keine Rücksicht darauf genom- men und sagt einfach fructus calyce tectus, oder auch schon bei der Blüthe calyx persistens; wenn dagegen eine andere Textur- veränderung eintrat und besonders diese accessorischen Theile die eigentliche Frucht einhüllten, machte man eine eigene Frucht- form daraus und der Kunstausdruck war bald gefunden, wobei man dann mit doppelter Inconsequenz z. B. die fleischig verän- derten Organe zu Fruchtarten machte (den Blüthenstengel von Ficus), die andersartig veränderten aber nicht (den Blüthensten- gel von Urtica); dann aber wieder einige der fleischig verän- derten doch wieder als das beschrieb, was sie in der That sind, z. B. den fleischigen Blüthenstiel von Anacardium, den Niemand als eine besondere Fruchtform aufgestellt hat. Die gesammte hieraus entstandene Terminologie ist überflüssig, denn bei Be- schreibung der Blüthe muss ohnehin der fernere Entwickelungs- gang angedeutet werden, wenn ein Verständniss der Frucht möglich seyn soll, und so gut wie man sagt calyx persistens, kann man z. B. bei Morus sagen perianthium demum carnosum... Fructus achaenium, wodurch die Sache klarer und einfacher be- zeichnet ist, als durch ein neues, völlig überflüssiges Kunstwort „sorosis“, welches durchaus nur für dieses eine Genus gelten kann, denn bei der Masse von nichtigen Unterschieden, die man mit besonderen Worten bezeichnet, ist's doch eine über alle Beschreibung lächerliche Inconsequenz, die Frucht von Ananas 426 Morphologie. eine unterständige, dreifächerige Beere, von Morus ein zwei- fächeriges, durch Fehlschlagen einfächeriges, dünnwandiges Achae- nium, und von Artocarpus einen ursprünglich einfächerigen häu- tigen Schlauch mit Einem Ausdruck zu bezeichnen. Für diejenigen, welche Frucht als die ganze Blüthe zur Zeit der Saamenreife definiren, steht die Sache keineswegs besser; was ich hier tadle, ist nämlich nur die principlose Inconsequenz und Unwissenschaftlichkeit; denn wenn man die Frucht von Morus, Ananassa') und Artocarpus wegen des perianthium demum carnosum in eine besondere Art zusammenbringt, muss man die Frucht von Hyoscyamus, Nicandra, Physalis und Atropa wegen des calyx persistens demum lignoso-membranaceus auch in eine Art zusammenwerfen, was Niemand einfallen wird, 3) Aufzählung der verschiedenen Fruchtformen. $. 185. 1. Nackter Saamen (semen nudum). A. Einzelne Saamen. 1) Bacca’), unterständiger Saamen, z. B. Viscum. 2) Sphalerocarpium, Saamen mit fleischigem Arill, z.B. Taxus. B. Saamenstände. 3) Strobilus, Aehre mit holzigen Deckblät- tern, z. B. Pinus. | 4) Galbulus, Köpfchen mit verwachsenen, fleischigen Deckblättern, z. B. Juniperus. I. Einfache Früchte (frucius simplex). A. Kapsel (capsula). 7 Oberständig. 5) Capsula circumseissa. 6) Utriculus Gaertner, Nr. 5, einfäche- rig, aus einem F'ruchtblatt entstanden, wenig- saamig, z. B. Ohenopodium. 1) Bei Ananassa sind es ohnehin nur die Deckblätter und gar nicht das perianthium, welche fleischig werden. 2) Die durchschossen gedruckten Namen sind so ziemlich allgemein im Gebrauch. Spee. Morphologie. Phanerogamen, Blüthen. 427 7) Pyeidium, Nr. 5, ein- oder mehrfächerig, aus mehreren Fruchtblättern entstanden, viel- saamig, z. B. Anagallis, Hyoscyamus. 8) Folliculus, einfächerig, vielsaamig, ein- klappig, Saamen an beiden Klnppenrändern, Z. B. Paeonia. 9) Conceptaculum, zwei unverwachsene folli- culi mit je einem sich lösenden Saamenträ- ger, z. B. Asclepias. 10) Legumen, einfächerig, 1—-vielsaamig, zweiklappig, Saamen an zwei Klappenrän- dern einer Spalte, z. B. Pisum. 11) Siligua, zweifächerig, zweiklappig sich von den stehenbleibenden, die Scheidewand bildenden Saamenträgern (replum) ablösend, z. B. Matthiola. 12) Silicula, eine sehr kurze Siliqua, z. B. Thlaspi. 13) Ceratium, eine Siligua bei einigen Fuma- riaceen und Papaveraceen. 14) Rhegma, elastisch zweiklappig von einer columella abspringend, z. B. Euphorbia. 15) Capsula, ein- oder vielfächerig, vielsaa- mig mit Klappen aufspringend oder mit Lö- chern, Primula, Antirrhinum. Fr Unterständig. 16) Diplotegia Desvaux, unterständige Kapsel mit Poren aufspringend, z. B. Campanula. B. Theilfrucht (mericarpia). 17) Carcerulus, bei 'Tropaeoleen, Malveen. 18) Cremocarpium (?), bei Umbelliferen, Ru- biaceen. 19) Achaenium, z. B. bei Borragineen. Ü. Steinbeere (drupa). 20) Drupa , ursprünglich einfächerig, 1—2saa- mis, das mesocarpium fleischig, das endo- carpium holzig, z. B. Amygdalus. 428 Morphologie. 21) Tryma (angeblich) durch Fehlschlagen ein- fächerig bei Juglans. D. Beere (bacca). 22) Bacca, mehrfächerig, unterständig, z. B. Ribes. 23) Nuculanium, mehrfächerig, obersiandıp, z. B. Vitis. 24) Pepo, (angeblich) einfächerig, unterständig, z. B. Pepo. 25) Hesperidium, lederartig von der Pulpa scharf abgesetzt, z. B. Citrus. 26) Aniphisarla nach Aussen holzig, z. B. Crescentia. E. Schliessfrucht (Achaenium). 27) Achaenium (auctorum), cypsela ( Lindley), einfächerig, einsaamig, nicht mit dem Saa- men verwachsen, z. B. Compositae. 28) Glans, durch Abort einfächerig, einsaamig, z. B. Corylus. 29) Caryopsis, einfächerig, einsaamig, (an- geblich) mit dem Saamen verwachsen, z. B. die Gräser. 30) Samara, zweifächerig, geflügeli, z. B. Acer. 31) Carcerulus, mehrfächerig, ungellügelt, z. B. Tilia. Il. Mehrfache Frucht (frueius multiplex). A. Mehrere Achänien. 32) Etaerio, wenn ganz frei, z. B. Ranunculus. 33) Syncarpium, wenn zusammenhängend, z. B, Magnolia. B. Mehrere Beeren. 34) Etaerio, zusammenhängend, z. B. Rubus. IV. Scheinfrucht (fructus spurius). 35) Cynarhodon, freie, einsaamige Achänien von fleischigem Discus umgeben, z. B. Rosa. Spee. Morphologie, Phanerogamen.. Blüthen, 429 36) Pomum, mehrsaamige Achänien in einem Kreise mit dem fleischigen Discus verwach- sen, z. B. Malus. 37) Balausta, mehrsaamige Achänien, in zwei Kreisen mit dem fleischigen Discus verwach- sen, z. B. Punica. 38) Diclesium, Achänien, in eine verhärtete Blü- thenhülle oder Blumenkrone eingeschlossen, z. B. Spinacia, Mirabilıs. 39) Sphalerocarpium, Achänien, im steinbeeren- ähnlichen Perianthium eingeschlossen, z. B. Hippophae. V. Fruchtstand (fructus compositus). A. Köpfchen mit flachem oder becherförmigem, flei- schigem Blüthenstengel. 40) Syconus, z. B. Ficus, Dorstenia. B. Aehre mit fleischigen Deckblättern und Blüthen- hüllen. 41) Sorosis, z. B. Ananassa, Morus. ©. a) Achre mit holzigen Deckblättern. 42) Strobilus, z. B. Betula. b) Aehre mit holzigen Deckblättern und Blü- thenhüllen. 43) Strobilus, z. B. Casuarina. Ich will mit dem im Paragraphen Gegebenen keine vollstän- dige Aufzählung aller jemals vorgeschlagener Fruchtnamen gege- ben haben; vielen geschähe selbst zu viel Ehre, wenn man sie auch nur nennte, um sie zu verwerfen. Ich habe hier nur die gebräuchlichen und von wenigstens einem bedeutenden Botaniker (ausser ihren Urhebern) angeführten Ansdrücke ‚beispielsweise aufgeführt, einmal, um zu zeigen, wie sie sich den von mir zur Zeit für völlig genügend erachteten unterordnen, theils um An- fänger wenigstens mit den allgemein angenommenen Worten bekannt zu machen, theils um einige kritische Bemerkungen über die ganze Lehre von den Fruchtformen daran knüpfen zu können. Zunächst will ich in einem kurzen Abriss darzustellen suchen, wie sich die Sache historisch gemacht hat, denn nur daraus ist zum Theil die gänzliche Unzulänglichkeit dieser Lehre zu begreifen. 450 | Morphologie, ‚Neben den Ausdrücken des gemeinen Lebens, die bestimmte nützliche Früchte theils nach äusseren, leicht auffallenden Ver- schiedenheiten '), theils nach Verschiedenheit der Pflanzen ?) mit verschiedenen Namen bezeichnete und von denen die selbst noch unwissenschaftliche Wissenschaft einige auffasste, bildete sie schon früh eigene Bezeichnungen, deren sie nothwendig bedurfte, um Dinge zu benennen, für welche die Sprache des gemeinen Lebens natürlich keinen Ausdruck hatte, weil sie dem Leben nicht unmittelbar dienten. Ausdrücke wie acinus, pilula, folliculus u. s. w., die man bei den Schriftstellern vor Linne findet, waren niemals im Leben gebräuchlich. Bis dahin war an keine wissenschaftliche Bearbeitung des allgemeinen Theils der Botanik zu denken gewesen, schematisch waren die Frucht- formen aufgefasst und so ungefähr beschrieben. Linne gab zu- erst Definition und eine aus übersichtlicher Betrachtung der ihm bekannten Verhältnisse abgeleitete Anordnung. Er schied die Frucht (fruetus) vom Saamen (semen) und fasste unter den letz- tern auch alle Theilfrüchte und Schliessfrüchte zusammen. Die erstern trennte er nach ihrer Zusammensetzung aus verschiedenen Theilen und ihren Structurverhältnissen, wobei er aber viel zu viel dem gemeinen Sprachgebrauch nachgab und so Eintheilun- gen von sehr ungleichem Werthe erhielt. Es fehlte ein richtiges Theilungsprineip, und bei seiner mangelhaften Kenntniss der Entwickelungsgeschichte der Frucht konnte er ein solches auch durchaus nicht finden. Auf ihm wurde später fortgebaut und völlig unhaltbar, weil der einzig sichere Grund, die genaue Kenntniss des unbefruchteten Fruchtknotens, allen Botanikern abging. Der Mangel einer aus sicheren Inductionen abgeleiteten Eintheilung in Classen, Ordnungen, Geschlechter und Arten machte sich fortwährend geltend. Linne hatte seine Fruchtfor- men als homologe Glieder neben einander gestellt; der erwei- terte Umfang der Kenntnisse des Materials machte jene For- menzahl unzureichend und man stellte, sowie neue eigenthuüm- liche Erscheinungen vorkamen, neue Formen mit neuen Namen daneben, ohne sich weiter um die Grundlage zu bekümmern, Dieser Vorwurf trifft besonders auch den gründlich das Einzelne untersuchenden Gärtner, den sehr oberflächlichen Willdenow, den | immer nach einzelnen zufälligen Einfällen arbeitenden Link’). 1 u.2) So nannte man kleine saftige Früchte ohne Unterschied Bee- ren, aber malus und pyrus unterschied man als Apfel und Birne; Apfel, ! als Fruchtart, ist nie Sprache des Lebens gewesen. 3) Hierbei hat Link allerdings, wie so oft in seinen flüchtigen Ein- fällen, einen ganz richtigen Gedanken; aber wie gewöhnlich fehlt es ihm auch hier an wissenschaftlichem Ernst, um ihn gründlich zu verarbeiten. Spec, Morphologie, Phanerogamen. Blüthen. 431 Erst L. C. Richard (Analyse du fruit, Paris, 1808) und später De Candolle (Organographie vegetale, Paris, 1827) versuchten, die indess gesammelten Kenntnisse vom Bau des Fruchtknotens be- nutzend, mit etwas mehr philosophischem Geiste der Sache eine neue Grundlage zu geben. Aber auch sie blieben in den Ban- den des Herkömmlichen und liessen so eine Menge untergeord- neter Verhältnisse als homologe Glieder neben grossen Haupt- abtheilungen stehen. L. C. Richard unterschied zuerst an der Fruchthülle jene oben erwähnten vier Schichten, nämlich das epicarpium und endocarpium als äussere und innere Epidermis und das mesocarpium als Parenchym zwischen beiden; von die- sem letztern, fügt er hinzu, sondert sich oft eine Lage ab, welche den Stein bei den Steinbeeren u. s. w. bildet. Er un- terschied also diese Lage genau vom endocarpium, weil seine Unterscheidung auf genauer Beobachtung beruhte. De Candolle aber verwirrte die ganze Sache wieder, weil er eine angebliche Theorie hineinbrachte, und jene drei Schichten auf die Schich- ten des Blattes zurückführen wollte, denen er aus mangelhafter Kenntniss des Baues derselben auch drei und nur drei Schichten zuschrieb. So machte er das endocarpium zur dritten innern Schicht und vermengte damit Richard’s endocarpium, die ver- holzte Lage von Richard’s mesocarpium ganz übersehend. So wurde aus angeblichen Theorien ohne Beobachtung eine vortreff- liche Beobachtung in eine grosse Confusion verkehrt. Achnlich sing es De Candolle mit Richard’s Terminologie für die Rich- tung des Embryo, die er gänzlich missverstand und ın Folge dessen dem fast viertelzolllangen, doch wahrlich leicht zu beob- achtenden Embryo von Ceratophyllum eine radieula supera zu- Er sagt, man habe einen sehr falschen Weg eingeschlagen, indem man so viele neue Worte für einzelne Unterschiede der Frucht gemacht, da man wohl einzelne verschiedene Organe, aber nicht ihre Modifica- tionen. mit besondern Worten bezeichnen dürfe. Nichtsdestoweniger nimmt er die ganze alte Nomenclatur, die, in Bezug auf die Menge der wirklichen Verschiedenheiten, zum Theil sehr unwesentliche Modifica- tionen bezeichnet, auf und fügt noch ein neues Wort hinzu. In der zweiten Ausgabe seiner Phil. bot. (Vol. II, 253) sagt er: Linne, Gärtner und Richard hätten mit ihrer Terminologie so viele gute Fruchtbeschrei- bungen geliefert, dass er sich aller neuen Kunstausdrücke enthalten wolle, und nur amphispermium als Collectivwort für achaenium und caryopsis hinzufüge. Nichtsdestoweniger bildet er für caryopsis einen ganz neuen Begriff, nennt die alte caryopsis seminium, macht nach gar nicht existirenden Merkmalen von der neuen caryopsis abermals zwei Arten und nennt die eine carpellefum. Ausserdem spricht er nur von capsula, pomum, legumen, von allen übrigen Fruchtarten ist nicht weiter die Rede, auch wird nicht etwa angegeben, wie die aufgeführten Aus- drücke auf siliqua, drupa, bacca, hesperidium u. s. w. anzuwenden seyen; da mag Jeder selbst zusehen, wie er fertig wird. 432 Morphologie. schrieb. De Candolle ging zwar von dem ganz richtigen Grund- satz aus, dass man die Frucht aus dem Bau des Fruchtknotens erklären müsse, aber in der Anwendung wurde wieder Alles schief, weil er den Bau des Fruchtknotens selbst nicht verstand. Er so wenig, wie irgend einer seiner Nachfolger, hatte philoso- phische Bildung genug, um sich vom einzelnen concreten Falle das allgemeine Gesetz zu abstrahiren, und es lag doch so nah, wenn man einsah, die Frucht ist nicht zu verstehen ohne Ent- wickelungsgeschichte, das auch consequent auf den Fruchtknoten anzuwenden. Aber da kam die grosse Klippe; das hätte mikro- skopische genaue Untersuchungen erfordert und das war zu unbequem. Mit der flüchtigen Betrachtung einiger Monstruosi- täten und Ausspinnung einer hübschen Fiction kam man schnel- ler zum Ziel; so entstand das Vorurtheil, jeder Fruchtknoten müsse aus Blattorganen zusammengesetzt seyn, und damit war jede richtige Behandlung der Lehre abgeschnitten. Später haben Mirbel, Desvaux und Dumortier grössere Frucht- systeme geliefert, aber gottlob ohne dass ihre meist barbarischen Worte in der Wissenschaft Eingang gefunden hätten. Nur Lindley hat sich bemüht, einen Theil derselben zum Theil mit neuen Definitionen festzuhalten. Aber auch er ist so vernünf- tig, in der praktischen Anwendung, z. B. in seinem natürlichen System, den ganzen, in der That auch völlig entbehrlichen Na- menwust aus dem Spiel zu lassen. Einige wenige Ausdrücke sind von Endlicher in neuer Zeit wieder gebraucht, im Ganzen findet man aber bei den meisten und besten Schriftstellern keine andern Ausdrücke, als die im Paragraphen cursiv gedruckten, Ueberblicken wir so den gewonnenen Schatz und die Anwen- dung, die wir davon machen, so müssen wir gestehen, dass wir noch immer Sklaven der Sprache des gemeinen Lebens sind, indem fast kein Kunstausdruck feststeht, als die aus dem Leben aufgenommenen. Alles Uebrige daneben ist schwankend oder ohne Princip und Consequenz. Die so mannigfach verschiedenen Kapseln, nach Fächer- und Saamenzahl, nach Bildung der Scheidewände, Befestigungsweise des Saamens, ober- und unter- ständig, mit der verschiedensten Art des Aufspringens, nennen wir Kapsel, aber blos dem gemeinen Leben zulieb unterscheiden wir Schote, Balgfrucht und Hülse nach den unbedeutendsten Merkmalen. Für den merkwürdigen Bau von Hovenia duleis und Anacardium haben wir kein eigenes Wort, aber die Feige bekommt einen eigenen Titel, weil sie auf die Tische der Rei- chen kommt. Utriculus, achaenium, caryopsis unterscheiden sich nach den unbedeutendsten Merkmalen, die Palmen aber haben Beeren und Steinbeeren, und darunter vereinigt man die Cocos- ‚nuss, die Dattel und die Frucht der Sagus und Lepidocarya. Spec, Morphologie. Phanerogamen. Blüthen, 435 Jeder nur einigermassen unterrichtet. Botaniker muss bei gerin- gem Nachdenken über die Unzulänglichkeit der Terminologie erschrecken, wenn man fortfahren will, solche Unterschiede wie etwa zwischen utrieulus, achaenium und caryopsis mit besondern Worten zu bezeichnen. Auch liefert die obige Anordnung der Kunstausdrücke noch genügende Gelegenheit zu solchen Bemer- kungen. Welche :himmelweit verschiedene Sachen z. B. werden mit dem Ausdruck strobilus bezeichnet. Von der oberständigen Kapsel hat man, oft nach den unbedeutendsten Unterschieden, neun Arten, von der unterständigen nur eine, die noch dazu von Niemand besonders bezeichnet wird. Folliculus und legumen unterscheiden sich einzig durch das Aufreissen der Rückennaht beim letzten; aber der wesentlichste Unterschied, ob eine Kap- sel überhaupt regelmässig aufreisst oder ganz unregelmässig, wie z. B. Nicandra, ist ‚völlig vernachlässigt. Eine vollkommen unterständige Frucht (bei Compositen) wird so gut achaenium genannt, als ein aus einem halben Fruchtblatt gebildetes Viertel einer oberständigen Frucht (bei Borragineen).. — Drupa und tryma unterscheiden sich einzig durch die Unwissenheit Dessen, der den letzten Namen aufstellte, denn bei Juglans ist nie auch nur eine Andeutung eines zweiten Faches vorhanden, auch ganz unmöglich bei der einzigen basilaren Saamenknospe. Nuculanium ist ein Wort, welches blos durch Missverständniss eingeführt ist. L. €. Richard nannte nuculanium eine drupa, die mehrere, je einen Saamen einschliessende Steine enthält, weil er bei den Beeren mit sehr harten Saamen glaubte, es müsse noch ein Ueberzug des Pericarpium zur Saamenschale hinzugekommen seyn. Aber wie Viele studiren L, C. Richard? Wie es scheint, nicht einmal sein Sohn, der dem Ausdruck nuculanium die Be- deutung einer oberständigen Beere beilegt. An oberständig und unterständig hatte L. C. Richard, wie die von ihm gegebenen Beispiele zeigen, gar nicht gedacht. Indess der Name war ein- mal da, und A. Richard wendete ihn auf die oberständige, Lindley auf die unterständige Beere an, während man sonst bei den wenigsten Früchten oberständige und unterständige unter- scheidet. Dieses mag genügen, nicht um die Kritik der vorlie- genden Fruchtlehre zu vollenden, sondern nur an einigen Bei- spielen zu zeigen, wie gerecht auch der gänzlich verwerfende Tadel ist. Nächst dem Vorrath dieser Kunstworte, ist aber auch die Anwendung derselben in Betracht zu ziehen. Neben der Sprache des gemeinen Lebens, die gerade wissenschaftlich höchst unwichtige Unterschiede festhält, haben die Botaniker nach und nach einige Ausdrücke eingeführt, wie sie oben genannt sind. Bei der Anwendung von Feige und Apfel greift nun allerdings U. ‚ 25 #8 aA Morphologie. nicht leicht Jemand fehl, da ihm die Ausdrücke schon mit den ersten jugendlichen Genüssen geläufig werden; aber wie steht’s mit den andern, die recht eigentlich der Wissenschaft angehö- ren® Eine nur rasch herausgegriffene Beispielsammlung mag zeigen, wie es darum steht. Die Gräser haben nach Endlicher u. A. eine caryopsis, nach Link ein seminium, nach Reichenbach eine nucula; die Cyperaceen nach Koch eine nux, Endlicher — caryopsis, Kunth — achenium, Reichenbach — nucula, Link — carpelletum; die Labiaten und Borragineen nach Endlicher u. A. achenia, Lindley — nuces, Reichenbach — capsula; die Labia- ten nach Link ein carpelletum, die Borragineen nach Link eine caryopsis; die Ranunculaceen haben nach Link ein carpelletum, nach Koch — carpellum nucamentaceum, Lindley — nux oder caryopsis, Endlicher — achenia, Reichenbach — carpidie; die Umbelliferen haben nach Koch u. A. 2 mericarpia, Link — 2 achenia, Lindley — 2 carpella, Endlicher — 2 carpidia, Rei- chenbach — 2 drupas. Ich dächte, das wäre völlig genug, um den trostlosen Zustand, in welchen unsere Wissenschaft versun- ken ist, auch dem blindesten ihrer Verchrer grell genug vor Augen zu stellen. Dass hier die Eitelkeit des Einzelnen, die eine eigene Meinung über irgend einen, auch noch so unter- geordneten Punct um so weniger dem allgemeinen Besten zum Opfer bringen wili, je mehr sie sich im Stillen bewusst ist, we- der Lust noch Geschick zu haben, etwas wahrhaft Tüchtiges in der Wissenschaft zu leisten, — dass dieser Fluch, der beson- ders die Botaniker heimgesucht, auch einen Theil an einer sol- chen Anarchie haben mag, will ich nicht ganz in Abrede stellen, aber die meisten der genannten Männer stehen an der Spitze der Wissenschaft, und so darf man dreist aus solchen That- sachen schliessen, dass die faule Stelle nicht im Einzelnen und in seiner Individualität, sondern in der schiefen Stellung zu suchen sey, welche durch mancherlei historische Verhältnisse die ganze Wissenschaft eingenommen hat, so dass allerdings der Einzelne, als Träger derselben bona fide auf solchem Wege fort- gehend, nicht zu tadeln: ist. Ich glaube, dass vorläufig neben der richtigen Bezeichnung der nackten Saamen und der Fruchtstände und der richtigen Unterscheidung und Charakterisirung der Scheinfrüchte die von mir gegebenen fünf Fruchtarten (A—E) völlig ausreichen wer- den, um das Wenige zu bezeichnen, was noch zu bezeichnen ist, wenn eine bessere ‘und gründlichere Methode, als die bis- herige, die genaue Darstellung des Fruchtknotens und die An- gabe des Eigenthümlichen in seiner Entwickelungsgeschichte vor- angehen lässt. Die meisten Verhältnisse, die man bisher durch verschiedene Kunstausdrücke bei den Früchten zu bezeichnen Spee. Morphologie, Phanerogamen. Blüthen. 435 gesucht hat, gehören nothwendig schon der Beschreibung des Fruchtknotens an, und es ist also eine zeitvergeudende Weit- läufigkeit, sie bei den Früchten noch einmal zu wiederholen, wenn keine Veränderungen eingetreten sind. Was als neu und eigenthümlich für die Früchte hinzukommt, sind die Structur- verhältnisse und die auf denselben beruhenden Verschiedenheiten des Aufspringens. Erstere sind genügend vollständig mit nur vier Ausdrücken bezeichnet, letztere hat man ohnehin bisher zum grössern und wesentlichen Theil richtig mit adjectiven Kunst- wörtern bezeichnet, und man kann dreist die wenigen Fälle, wo man, inconsequent genug, dem Leben zu gefallen es anders gemacht hat, die betreffenden Substantive ausmerzen. Zum Schluss dieser gesammten morphologischen Betrachtung will ich noch einmal meın Ceterum censeo aussprechen: Ohne Studium der Entwickelungsgeschichte giebt es keine Wissenschaft der Botanik. y 18) n Ss Viertes Buch. Organologie. $. 186. Die Organologie umfasst die Lehre von dem Leben der ganzen Pflanze als solcher und ihrer einzelnen Organe. Leben ist Thätigkeit der der Materie inhärirenden Kräfte in der Weise, wie sie sich, gebunden an die bestimmte Form der Pflanze, als Pflanzenleben äussern. Von allen Disciplinen der botanischen Wissenschaft ist die Organo- logie am unvollendetsten und kaum in ihren ersten An- fängen begriffen. Es bleibt daher ein grosses Feld des noch Unerklärten der Erscheinungen, die wir nur des- halb als ein Ganzes auffassen, weil wir noch zu un- wissend sind, um sie auf die einzelnen mitwirkenden Kräfte, aus deren Combination sie hervorgingen, zurück- führen zu können. Diese uns unbekannte Region be- zeichnen wir mit dem Worte Leben oder, bestimmter, organisches Leben, und nennen den ganzen Complex der Ursachen Lebenskraft. Diese ist also einmal nur negativ begrenzt und zweitens eben als vorläufiger Ausdruck für das zur Zeit noch Unerklärliche bestimmt, kann also selbst niemals als Erklärungsgrund in unserer Wissen- schaft vorkommen. Man bezeichnet das Leben der Pflanze aber auch wohl zweitens, im Gegensatz zu dem Leben der (höhe- ren) Thiere, mit dem Ausdruck vegetatives Leben. Die- ser Unterschied ist im höchsten Grade vag und bezieht Organologie, 437 sich, wo er angewendet wird, vorzugsweise auf die Bildung und Ausbildung der Formen und auf den chemi- schen Process. In diesem leiztern zumal tritt uns dann häufig eine gewisse ‚Periodieität entgegen, indem der chemische Process bald: rascher vorschreitet (bei der wachsenden Pflanze, im Sommer, oder in der Regenzeit der 'Tropen), oder sehr langsam vor sich geht bis zum scheinbaren Stillstand (in Spore und Embryo, im Win- ter, oder in der dürren Jahreszeit der Tropen). Schon in der Einleitung habe ich bestimmt entwickelt, was ich unter Leben verstehe, sehe mich aber hier veranlasst, noch einmal darauf zurückzukommen, um die Ausdrücke Leben und Lebenskraft im rechten Lichte zu zeigen, damit ich dann um so schärfer der Organologie ihr Endziel und ihre Aufgaben, so- wie die Mittel zu ihrer Lösung nennen kann. Das Substrat der Körperwelt, die Materie, ist für uns ent- weder formlos oder zu bestimmten Formen abgegrenzt. Die der Materie inhärirenden Kräfte, die Grundkräfte, werden nun für die Erscheinung sehr verschieden, je nachdem die Materie formlos oder in diese oder jene Form eingeschlossen ist; wir nennen die Grundkräfte in ihrer verschiedenen Erscheinungsweise an bestimmten Formen abgeleitete Kräfte. Nun sind aber die Formen, so weit wir sie kennen, entweder kosmische oder terre- strische, und diese letztern, wenn wir die einfachsten Fälle nehmen (aus denen die andern nur durch Combination entstehen), 'zwiefach, indem entweder der Stoff durch die ganze Form ge- setzmässig homogen ist (unorganische Form, Krystall), oder in- dem der Stoff als hohle Form gesetzmässig einen differenten, an sich. formlosen Stoff einschliesst (organische Form, Zelle). ''So erhalten wir für die Wirkungsweise der Kräfte vier Stufen, nämlich in der formlosen Materie, in den kosmischen Formen, in den unorganischen Formen und in den organischen Formen; nur die letztere pflegen wir Leben zu nennen und die Lehre vom Leben Physiologie, für die Pflanze nenne ich sie Organo- logie. Bedenken: wir, welchen Zeitraum (nämlich von der alexan- drinischen Schule bis auf Newton) man gebraucht hat, um in den so einfachen Verhältnissen der kosmischen Formen von der Beobachtung der Erscheinungen bis auf die Erkenntniss der Grundkräfte vorzudringen, so werden wir uns nicht wundern dürfen, wenn wir bemerken, dass man in der Lehre vom Leben noch kaum über die ersten Anfänge hinaus ist, da hier die Ver- hältnisse so unendlich viel complicirter werden, und da noch 438 Organologie, insbesondere ein Moment hinzutritt, welches wir bei den kosmi- schen Formen fast ganz vernachlässigen können, während es für die terrestrischen Formen gerade die Hauptseiten der Betrach- tung darbietet. Die Wirkung jeder Kraft, sie sey welche sie wolle, muss nämlich in Bezug auf die Form entweder auf Bil- dung, oder auf Erhaltung, oder auf Zerstörung der Form ge- richtet seyn. Die Entstehung und Zerstörung der ‚organischen Formen geht aber mit. solcher Schnelligkeit vor sich, dass gerade in diesem Spiel sich der Reichthum des Lebens hauptsächlich offenbart, während die Vermittlung dieses regen Wechsels durch die Wirkung der Kräfte sich der unmittelbaren Wahrnehmung entzieht und nur durch sehr schwierige wissenschaftliche Opera- tionen, durch das Experiment und dessen Benutzung zur An- schauung gebracht werden kann. Hier bleibt aber vorläufig ein um so grösserer Theil dunkel, als wir noch nicht einmal den gesetzmässigen Verlauf im Entstehen und: Vergehen der Formen vollständig kennen, geschweige denn das Spiel: der Kräfte, die doch erst alsdann in Frage kommen können, wenn die Ursachen jenes Formwechsels untersucht werden sollen und als wir unmöglich den Ursachen oder den Erklärungsgründen nachspüren können, für. eine. Thatsache, die wir selbst noch nicht vollständig kennen. Diese uns. unbekannten Ursachen der auch nur mangelhaft be- kannten - Thatsachen sind es nun gerade, die wir Lebenskraft nennen. Hier ist nun leicht begreiflich, dass das Wort Kraft hier einen durchaus andern Sinn hat, als den wir. sonst, mit demselben verbinden. ‘Bei der Untersuchung der kosmischen Erscheinungen, die uns allmälig durch genauere Beobachtung und vollkommnere Instrumente. vollständig bekannt geworden sind, suchten wir nach einem Erklärungsgrunde, d. h. nach einem ein- fachen Princip, aus welchem sich alle Erscheinungen ableiten und dem , Maasse nach ‘genau im Voraus bestimmen liessen. Newton fand diesen Erklärungsgrund in der allgemeinen Gravi- tation; damit waren alle jene Erscheinungen erklärt, d. h. von einer Grundkraft der Materie abgeleitet, die, nach bestimmten Gesetzen wirkend, in ihrer 'Gesetzlichkeit von allen Thatsachen genügende Rechenschaft gab. Weniger glücklich sind wir bis jetzt in den andern Disciplinen gewesen; hier fehlt uns für die meisten Fälle noch ein Newton. Indess haben wir doch in der Physik eine Anzahl verschiedenartiger Kräfte. kennen gelernt, deren Wirkungsweise, an Gesetze gebunden und nach Maass. und Zeit: bestimmt, für gewisse Kreise von Erscheinungen eine er- klärende. Ableitung zulassen, wenn wir auch noch nicht behaup- ten dürfen, hier auf die letzten Gründe gekommen zu seyn. Aber bei: allen haben wir doch wenigstens eine feste Erkennt- niss ihrer Eigenthümlichkeit, ihrer Wirkungsweise und ihrer Ge- Organologie. 439 setzlichkeit. Beides geht uns aber für die sogenannte Lebens- kraft völlig ab. Niemand: ist im Stande, anzugeben, was sie sey, wie sie wirke, an welche Gesetze ihre Wirkungsweise gebunden sey, wie sie gemessen und danach der Erfolg bestimmt werden könne, und deshalb ist es auch unmöglich, sie als Erklärungs- grund für irgend eine Erscheinung, welche es auch sey, zu ge- brauchen. Der Ausspruch: dieser oder jener Vorgang ist Folge der Lebenskraft, heisst durchaus nichts Anderes, als: dieser Vor- gang hat irgend eine Ursache, was sich natürlich von selbst versteht, welche aber, ist damit auch nicht einmal annäherungs- weise bestimmt. Es ist Sache der Naturphilosophie, nachzuwei- sen, dass die Annahme einer Lebenskraft, ‚als einer von den physikalischen Kräften qualitativ und ursprünglich verschiedenen, ein ‚Unding sey; hier will ich die Sache nur von der rein empirischen Seite erörtern. Es kann wohl nur von. einem ım höchsten Grade Unwissenden in neuerer Zeit noch ‚in Abrede gestellt werden, dass in und an den sogenannten Organismen eine Menge Erscheinungen hervortreten, die demjenigen angehö- rig, was wir mit ‚einem Gesammtausdruck Leben nennen, gleich- wohl zur völligen Genüge als Wirkungen rein unorganischer Kräfte zu erklären sind. Dass die Chemie ganz in derselben . Gesetzlichkeit, wie wir sie in den unorganischen Körpern ken- nen lernen, uns viele Fragen aufgelöst hat, ist, gewiss; dass Elektrieität und Galvanismus auf die organischen Körper wirken, leidet keinen Zweifel; diese sind, wie alle Körper, der Schwer- kraft, den Gesetzen der Cohäsion, Adhäsion u. s. w. unterwor- fen. Aber von keiner einzigen dieser genannten Kräfte kennen wir bis jetzt die Grenze ihrer Wirksamkeit im Organismus. Wenn man nun auch gar nicht in Abrede stellen wollte, dass es neben jenen im organischen Körper noch eine diesem eigen- thümliche Grundkraft (die Lebenskraft) gebe, so ist doch so viel einleuchtend, dass überall.erst dann von ihr die Rede seyn kann, wenn wir die Wirkungsweise aller jener unorganischen Kräfte im Organismus bis in. ihre äussersten Grenzen. verfolgt haben, bis alle Versuche darüber angestellt, alle zum vollständi- gen Abschluss gebracht, Alles dabei so klar geworden ist, dass kein Zweifel mehr übrig. bleibt. Dann erst, und nicht einen Augenblick früher, sind wir überall im Stande, zu bestimmen, ob nun noch von dem Ganzen, was wir Leben nennen, ein grösserer oder geringerer Theil übrig bleibt, der sich niemals auf die unorganischen Kräfte als deren Resultat zurückführen lassen würde. Erst dann sind. wir bei dem Gebiet der Lebens- kraft angekommen, dann erst können unsere Forschungen diese eigenthümliche Kraft zu ihrem Gegenstande nehmen, und wenn wir dann ihre ‚Art und Weise, ihre. Gesetzlichkeit u. s. w. er- 440 Organologie. kannt haben, können wir sie als Erklärungsgrund in die Wis- senschaft einführen. Jetzt aber, wo noch so tausend verschie- dene Fragen sich anbieten, deren Lösung durch das genauere Studium der unorganischen Kräfte zu hoffen ist, da tausende von Versuchen und Experimenten noch zu machen sind, die nur die unorganischen Kräfte betreffen und die noch gemacht wer- den müssen, ehe wir weiter fortschreiten können, ist es geradezu lächerlich, von der Lebenskraft anders zu sprechen, als von einem unbekannten x, dessen Werth am Ende der Rechnung auch wohl = 0 werden könnte. Nur Unwissenheit und Gei- stesträgheit sind bei dem jetzigen Stande unserer Naturwissen- schaften die Vertheidiger einer Lebenskraft, die Alles machen, Alles erklären soll, und von der Keiner angeben kann, wo sie steckt, wie sie wirkt, an welche Gesetze sie gebunden ist. Der Wilde, der eine Locomotive ein lebendes Thier nennt, ist nicht unwissender als der Naturforscher, der von Lebenskraft im Or- ganismus spricht. Beide nennen das lebendig, bei dem sie eine Summe von Thätigkeiten zu einem Gesammteffect verbunden sehen, ohne zur Zeit im Stande zu seyn, sich über die einzel- nen Summanden, die auch noch wieder Producte verschiedener Factoren und so fort seyn können, Rechenschaft zu geben. Frei- lich schadet es nichts, wenn man vorläufig ein unbekanntes x mit irgend einem Ausdruck bezeichnet, wenn man nur beständig im Auge hält, dass der Ausdruck eben noch keine bestimmte Geltung und Bedeutung habe; wohl aber ist es höchst verderb- lich für die Wissenschaft, wenn man sich durch die Zweideu- tigkeit, die in dem Worte Lebenskraft liegt, verführen lässt, diesen Ausdruck eben so für etwas seiner Art und seiner Ge- setzlichkeit nach Bestimmtes zu halten, wie etwa Schwerkraft, denn dadurch wird jedem Fortschritt, jeder Aufklärung unserer Einsicht eine unübersteigliche Schranke entgegengesetzt, eine Mauer gezogen, die um so trauriger wirkt, weil sie dadurch, dass sie die Aussicht auf das weite Feld hinter ihr verdeckt, auch das Verlangen nicht einmal entstehen lässt, sie zu über- springen und den Weg weiter zu bahnen. Die ganze Lehre von der Lebenskraft ist überall nichts Anderes, als das Prineip der faulen Vernunft, die, statt einzugestehen, wie wenig sie weiss, wie endlos und mühselig der Weg des Forschens noch vor ihr liegt, auf dem jeder einzelne Schritt ihre höchste An- strengung erfordert, um nicht vom rechten Pfade abzukommen, ' sich lieber mit dem süssen Traume ihrer Allwissenheit, oder mit dem Ausspruch der bescheiden thuenden Faulheit, dass es ihr nicht vergönnt sey, Alles zu wissen und das göttliche Mysterium zu durchdringen, auf’s Lotterbett legt und es der Phantasie überlässt, die grosse Leere, welche auszufüllen sie zu träg ist, Organologie, 441 mit einem schönen bunt gemalten Vorhang, den dann Jeder nach eigenem Geschmack verziert, zu verdecken. Lebenskraft hat daher, wo ich es etwa gebrauche, stets nur den Sinn, dass es an seiner Stelle ein Wahrzeichen unserer Unwissenheit und mangelhaften Einsicht ist, Leben aber behält die Bedeutung, die ich für dasselbe in der Einleitung (8. 25 ff.) entwickelt habe. Ich kann diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne eine kurze Erörterung an einen Ausdruck anzuknüpfen,, mit welchem viel mystischer Unsinn in der Wissenschaft getrieben worden ist und noch jetzt zuweilen getrieben wird; ich meine das Wort: Mikro- kosmus, oder Welt im Kleinen. Falsches und Richtiges, Ver- worrenes und Klares spielen hier, wie in allen bildlichen Aus- drücken, so durch einander, dass es schwer ist, die einzelnen Elemente zu sondern, und überflüssig dazu, wenn man bedenkt, dass die ganze Mühe nur auf Entwickelung einer Gleichnissrede und nicht eines wissenschaftlichen Begriffs verschwendet wird. Folgendes sind die beiden wissenschaftlich bedeutsamen Puncte, auf die es hier ankommt. Der erste ist die Anerkennung des- sen, was eben der oben gegebenen Erörterung über den Begriff der Lebenskraft zum Grunde liegt, dass nämlich im einzelnen Organismus, wie in dem ganzen Weltgebäude, ein gesetzmässiges Spiel von Kräften das Entstehen, Bestehen und Vergehen des Ganzen bedingt und darin beide eine gewisse Aehnlichkeit zeigen. Bis so weit ist das Gleichniss zwar richtig, aber auch vag und unbestimmt genug, um jede’ wissenschaftliche Anwen- dung desselben unthunlich zu machen. Der andere Punct in- volvirt aber eine doppelte Falschheit. Man übertrug nämlich von der individuellen Selbstständigkeit des ganzen Weltgebäudes die Ansicht von individueller Seibstständigkeit auch auf den Organismus und suchte die Gründe für sein Entstehen und Ver- sehen nur in ihm selbst. Das ist aber für beide thatsächlich falsch und hat eben die falsche Behandlungsweise der Lebens- kraft mit einschwärzen helfen. Eine vollendete Welt als selbst- ständiges Individuum kennen wir in der Wissenschaft gar nicht, sondern nur in der Idee. In der Wissenschaft bleibt uns mit Nothwendigkeit die Welt ein Unvollendetes, eine unendliche Reihe, von der uns höchstens ein Anfangspunet gegeben ist, deren Endpunct wir aber niemals erreichen können. In dieser Reihe ist nun jedes Glied unvollständig und in seinem ganzen Wesen durch die Abhängigkeit von dem nächst höhern Glied bedingt; nur durch dieses und in diesem ist sein Entstehen, Bestehen und Vergehen möglich; nur Eigenthümlichkeiten in der Natur des höhern Gliedes gestatten die Bildung eines Niedern, nur die Wechselwirkung desselben mit dem Höheren bedingt seine 442 Organologie, Erhaltung, und dieselbe Wechselwirkung ist es, welche seine endliche Zerstörung herbeiführt. Mit einem Worte, es giebt für uns ‚gar ‘keinen selbstständigen Organismus. Das Entozoon ist nur als Inquilin eines andern Organismus möglich; dieser kann ohne die unzähligen Einflüsse der Erde nicht existiren und exi- stirt in der That auch nur durch diese; das Leben der Erde ist durch das Sonnensystem bedingt und dieses wieder abhängig von Systemen höherer Ordnung und so fort in’s Unendliche. Aus . dieser Abhängigkeit geht die grosse Complication der uns zunächst liegenden Lebensprocesse hervor, aber diese Abhängig- keit zeigt uns auch, wie in den Organismen der Erde durchaus keine andere (am wenigsten höhere) Gesetzmässigkeit herrschen könne, als in dem rein mathematisch und mechanisch construir- baren Sonnensystem, wodurch eben die Abweisung einer beson- dern. Lebenskraft ebenfalls eine neue Stütze erhält, Nach einer dunkeln Tradition‘ unterscheidet man. wohl in der thierischen Physiologie das animalische Leben vom vegetativen Leben und macht dann, da in der That bei der mangelhaften Kenntniss beider eine wissenschaftlich zu rechtfertigende Grenz- linie unmöglich ist, eine beliebige und willkürliche Erklärung dazu. Den Meisten schwebt mehr oder weniger deutlich, wenn sie von vegetativem Leben, Vegetation u. s. w. reden, der che- mische Process vor, der unorganische Stoffe in organische um- wandelt, verbunden mit der Bildung und Entwickelung neuer Formen, insbesondere neuer Elementartheile.. Dass das Leben der Pflanze sehr viel mehr umfasst, als diese beiden Momente, versteht sich von selbst, aber die übrigen Processe sind erstens nicht sogleich in die Augen fallend und zweitens nicht so offen- bar abhängig, von den äussern Einfiüssen und den physikalischen Kräften, als die genannten beiden Processe, und da man ein- mal sich gewöhnt hat, die Pflanze als einen niedern, weniger . selbstständigen Organismus anzusehen, als das, Thier, so legt man auf das letztere Merkmal, welches eine Abhängigkeit vom Erdenleben entschiedener darthut, besondern Werth. Da die Bildung neuer Formen an das Vorhandenseyn des Stoffes, aus dem sie bestehen sollen, geknüpft ist, so ist sie. immer ganz abhängig vom chemischen Process, der diese Stoffe liefern soll. Der chemische Process aber ist all den vielfachen Modificationen unterworfen, die befördernd, hemmend oder umändernd auf ihn einwirken können, wie dem Wechsel der Temperatur, des Lichts, des Luftdruckes, der elektrischen Spannung u. s. w. Eben durch den chemischen Process also ist das Leben der Pflanze aufs engste mit dem Leben des Planeten verbunden und gezwungen, seinen Phasen unmittelbar oder mittelbar zu folgen. Darauf be- ruhen nun alle Periodicitätserscheinungen im Leben der Pflanze, Organologie. 445 von denen sicher der grösste Theil uns noch völlig unbekannt ist, während von den leichter aufzufassenden, uns bekannt ge- wordenen wiederum der grössere Theil nur noch sehr oberfläch- lich beachtet und insbesondere in seiner eigentlichen Gestalt noch fremd ist, indem wir nur mittelbar davon abhängige Er- scheinungen beobachtet haben. In den folgenden Paragraphen werde ich noch Gelegenheit haben, darauf aufmerksam zu machen. Die Periodicität zeigt sich besonders in doppelter Weise, 1) Zuerst, indem an bestimmten Pflanzentheilen, z. B. an der Spore, am Pollenkorn, am Embryo, durch den chemischen Pro- cess selbst ein Zustand herbeigeführt wird, in welchem er nur höchst langsam fortschreitet, so lange nicht ganz besondere äussere Verhältnisse ihn wieder beschleunigen. Hier findet kei- neswegs ein völliger Stillstand statt, sonst müsste z. B. die Keim- fähigkeit des Saamens eine unendliche Dauer haben. Der Pro- cess geht vielmehr sehr langsam immer fort, und wenn nicht zu ‘einer bestimmten, aber specifisch verschiedenen Periode die äusseren Verhältnisse den chemischen Process neu beleben und ihm wieder eine andere Richtung geben, so endet er damit, dass‘ er völlig erlischt und zugleich den Stoffen die Fähigkeit raubt, durch äussere Einflüsse wieder in diejenige chemische Thätigkeit versetzt zu werden, die wir Leben nennen. Die äussern Einflüsse dienen dann nur dazu, die Stoffe zu zerstören und aufzulösen und so dem allgemeinen Erdenleben wieder an- zueignen. 2) Einen ganz regelmässigen Einfluss auf den chemischen Process der ganzen Pflanze zeigen die grösseren Veränderungen in der physikalischen Constitution der Erde und ihrer Regionen, die durch den Wechsel von Winter und Sommer, Tag und Nacht, und durch die wechselnde Witterung herbeigeführt werden. In der ersten Beziehung können wir dreierlei Regionen der Erde unterscheiden, nämlich «) die, wo die Vegetation schein- bar niemals unterbrochen wird, weil Wärme und Feuchtigkeit sich im ganzen Jahre fast gleich bleiben; 5) die tropischen Ge- genden, wo der Mangel an Feuchtigkeit den chemischen Process verlangsamt; c) die aussertropischen Gegenden, wo der Mangel an Wärme denselben Erfolg hat. Von dem Zweiten, dem Som- merschlaf der Pflanzenwelt, hat Martius in den physiognomischen Tafeln zur Flora brasiliensis ein interessantes Bild geliefert. Das Dritte, der Winterschlaf der Pflanzen, zeigt sich uns alljährlich in den höheren Breiten und ist uns am genauesten bekannt, ob- wohl wir eben auch noch nicht viel mehr, als eine ziemlich rohe Auffassung der äussern Erscheinungen haben. Auch hier ist nur eine Verminderung, kein Aufhören der chemischen Processe vor- 444 Organologie, handen, denn sobald durch zu grosse Wärmeentziehung der chemische Process völlig sistirt ist, so bedarf es nur einer gerin- gen Einwirkung der Atmosphärilien, um die Pflanze der Zer- störung entgegenzuführen, obwohl eine kurze Zeit lang die Stoffe noch in dem Zustande bleiben können, dass allmäliges Hinzu- treten der äussern Einwirkungen den ‚chemischen Process noch wieder in die alte Bahn leitet und so das Leben von Neuem beginnt, wie z. B. das vorsichtige Aufthauen völlig gefrorener Pflanzen beweist. Ganz ähnliche, wenn auch minder auffallende Wirkungen muss der Wechsel von Nacht und Tag ausüben; wir kennen aber davon bis jetzt nur einige offenbar entferntere Folgen, wovon unten bei den Bewegungserscheinungen zu reden ist. Endlich der Einfluss des Witterungswechsels ist uns noch am wenigsten bekannt. Auf die von bestimmten Witterungseinflüs- sen sehr abhängigen Pflanzen, z. B. Moose und Flechten, zeigt sich uns die Einwirkung der atmosphärischen Feuchtigkeit sicht- bar genug. Auch bemerken wir z. B. nach Gewitterregen 'eine allgemeine Erhöhung in den Lebenserscheinungen der Pflanzen. Aber dies muss um so mehr noch oberflächlich und fragmenta- risch bleiben, als erst in neuester Zeit die Witterungskunde selbst angefangen hat, wissenschaftlicher Bearbeitung zugänglich und theilhaftig zu werden. Für alle diese Verhältnisse konnte hier nur der allgemeine Gesichtspunct angedeutet werden, denn die eigentlich wissen- schaftlichen Beobachtungen sind noch alle erst zu machen. Welche Veränderungen z. B. in dem Inhalte und dem chemi- schen Processe der Pflanzenzellen vor sich gehen bei Annähe- rung des Winters, wie dieser Process von Wärme, Licht und elektrischer Spannung, abhängig ist u. s. w., sind alles Aufgaben, die noch gelöst seyn müssen, ehe wir hier Grundlagen für In- ductionen gewinnen können. — Das Feld der Forschung liegt noch unendlich vor uns und hat leider bis jetzt noch viel zu wenig gründlich vorgebildete Bearbeiter gefunden. $. 187. Die Organologie begreift die Lebenserscheinungen der sanzen Pflanze (allgemeine Organologie) und ihrer einzelnen "Theile als besonderer Organe (specielle Or- ganologie). Das Leben der ganzen Pflanze ist das Resultat aus dem Leben der einzelnen Zellen. Ein- Organologie. 445 sicht und Möglichkeit der Erklärung baben wir daher in dieser Lehre nicht gewonnen, so lange wir die Er- scheinungen im Gesammileben der Pflanze nicht auf die Erscheinungen an den einzelnen dieselbe constituirenden Zellen zurück efükirt haben. Dafür ist bis jetzt aus Mangel einer richtigen Methode noch wenig geschehen, und. die Darstellung” dieser Hälfte der Organologie wird sich also hauptsächlich darauf zu beschränken haben, die Aufgaben richtig zu bestimmen und den Weg, der zu ihrer Lösung einzuschlagen ist, anzudeuten. Dasselbe silt für den zweiten Theil, der seine Grundlage in der Morphologie erhalten hat. Dort wurde entwickelt, welche morphologisch bestimmte Organe die Pflanze besitzt; hier wird: zu erörtern seyn, in wiefern an bestimmten mor- phologischen Organen auch bestimmte Seiten des allge- meinen Lebens der Zelle vorzugsweise hervortreten und in wiefern sie dadurch auch zu physiologisch bestimmten Organen werden. Beide 'Theile müssten dann nach den in der Morphologie entwickelten Gruppen der Pflanzen durchgeführt werden. Eine solche Durchführung kann aber zur Zeit noch nicht gegeben werden, weil wir ein leeres Gerippe von Paragraphenüberschriften ohne Inhalt erhalten würden; denn bei den meisten Pflanzen und Pflanzentheilen fehlt es uns ganz und gar an Beob- achtungen. ‘Ich werde daher diese Lehre nach folgen- den Abtheilungen darstellen: A. Allgemeine Organolosie. 1) Allgemeine Erscheinungen im Leben der ganzen Pilanze: Leben, Keimen, ‚Wachsen, Ernährungsprocess, Fortpflanzung, Tod. 2) Besondere Erscheinungen: Wärmeentwickelung, Lichtentwickelung, Bewegungen. B. Specielle Organologie. A. Vegetationsorgane: «) Gym- nosporen, 5) Angiosporen; B. Fortpflanzungsorgane: a): Kryptogamen, 5) Phanerogamen. ' Ueberblicken wir: die bisherigen : Versuche,. das Leben der Pflanze wissenschaftlicher Betrachtung zu unterwerfen, so finden ir, dass alle Forscher, von traditionellem Schlendrian geführt, ein ganz grundloses Vorurtheil mit zu ihren Untersuchungen 446 Organologie, schon hinzubringen, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich im Voraus im Geringsten über eine etwaige Begründung ihres Vorurtheils Rechenschaft zu geben, und gleichwohl bereit, dieses Vorurtheil als leitende Maxime allen ihren Forschungen zum Grunde zu legen. Ich habe die völlige Verkehrtheit dieses Postulats, nämlich der angeblichen Analogie mit den Thieren, schon in der Einleitung zur Genüge erörtert. Durch die An- wendung dieser so grundfalschen Betrachtungsweise ist es ge- kommen, dass fast alle Arbeiten über die Pflanzenphysiologie bis in die neuesten Zeiten völlig werthlos sind, indem bei kei- ner Untersuchung der allein richtige Standpunct, nämlich die Eigenthümlichkeit des Pflanzenlebens, festgehalten, ja bei den meisten nicht einmal eine unbefangene Sammlung der Thatsachen stattfand, indem diese sogleich dem angeblichen Princip gemäss gesichtet und zugestutzt wurden. Jede Disciplin der Naturwissenschaft aber, wenn sie anders überall auf diesen Namen Anspruch machen will, muss ein ihr eigenthümliches, selbstständiges Princip ihrer Entwickelung haben, welches aus der Natur ihres Gegenstandes und nur daher ab- zuleiten ist. Erst ihre bis zu einem gewissen Gräde fortge- schrittene Vollendung erlaubt selbst nur die‘ Frage, ob zwischen ihrem Object und dem anderer Disciplinen Analogien stattfinden und welche. Die Art und Weise, wie sich die Wissenschaft bei den germanischen Völkerstämmen entwickelt, nicht aus all- mälig fortschreitender eigener Forschung, sondern aus einer fremdher übernommenen Erbschaft und anfänglich eben nur der Ordnung, Vertheilung und dem Verständniss des überkommenen Schatzes sich widmend, ist der Grund, weshalb wir in der Wis- senschaft eben so viele und zum Theil hier noch schlimmere und gefährlichere Vorurtheile zu bekämpfen haben als im Leben. Die eigenthümliche Natur der theoretischen Wissenschaft aber, die nicht von den Anforderungen des Lebens jeden Augenblick gedrängt und im Drange geläutert wird, lässt lange Zeit Tra- dition und selbstständige Forschung, altes Erbtheil und neuen Fortschritt, Unsinn und Sinn neben einander bestehen, und da- her erhalten sich auch die Vorurtheile, und wären sie noch so verkehrt, länger in der Wissenschaft als im Leben; endlich er- hält sich in den theoretischen Wissenschaften, je ferner sie dem unmittelbaren Lebensgetriebe stehen, auch um so länger die nur in ihrem mittelalterlichen Ursprung richtige und anwendbare, der Natur der Sache nach aber völlig unsinnige Methode der Fortbil- dung der Wissenschaft durch philologische Behandlung; statt Pflanzen zu untersuchen, werden Bücher excerpirt, statt Ver- suche Conjecturen gemacht. Damit sind wir denn seit einem Jahrhundert fast im ewigen Zirkel herumgeführt worden, ohne Organologie. 447 einen Schritt vorwärts zu thun, das Auffinden neuer Thatsachen, neuer Gesetze ist nur dem Spiel des Zufalls anheim gegeben, während richtige leitende Maximen, richtige Methode und, in Folge beider, eine richtige Fassung der Aufgaben einen sichern Fortschritt verbürgen würden. Für den speciellen gegenwärtigen Zweck habe ich nun in der Einleitung entwickelt, wie uns als leitende Maxime für die Be- ‘ trachtung der ganzen Pflanze der Grundsatz von der Selbststän- digkeit des Lebens der einzelnen Zelle gelten muss. Daraus entspringt uns die Nothwendigkeit, alle einzelnen Versuche erst da anzustellen, wo wir es mit einzelnen oder doch nur wenigen vereinigten Zellen zu thun haben, hieraus die Gesetze abzuleiten und dann erst die gefundenen Gesetze experimentirend auf die zusammengesetzteren Gebilde anzuwenden, indem wir hier be- ‚ ständig die physiologischen Experimente mit der mikroskopischen Untersuchung begleiten und unter die Controle der Entwicke- lungsgeschichte stellen. Auf. diese Weise und nur so kann ein sicherer Fortschritt in der Lehre vom Pflanzenleben gewonnen werden. Dafür ist nun bis jetzt wenig oder gar nichts gethan. Es muss der speciellen Ausführung überlassen bleiben, nachzuweisen, wie alle bisherigen physiologischen Versuche und ihre Resultate zur Aufklärung unserer Einsicht völlig werthlos sind und seyn mussten, weil es ihnen an leitenden Maximen, an richtiger Me- thode fehlte, und wie wir die ganze Untersuchung im Kleinsten wie im Grössten ganz von Neuem anfangen müssen. Mir bleibt daher ausser diesem Nachweis in diesem Buche nur übrig, nach der im Paragraphen mitgetheilten Uebersicht die Aufgaben zu nennen und hin und wieder die Versuche anzudeuten, die zu machen seyn werden. \ 448 Organologie. Erstes Gapitel. Allgemeine Organologie. Erster Abschnitt. Allgemeine Erscheinungen im Leben der ganzen Pflanze. A. Das Leben der ganzen Pfianze. ° $. 188. Das Leben der Pflanze wie des Elementarorgans ist, abgesehen vom Gestaltungsprocess selbst, nichts An- deres als der Complex physikalisch -chemischer Vor- sänge, wie sie gebunden an eine bestimmte Form sich zeigen. Es kommen hier also die bekannten phy- sikalischen und chemischen Kräfte in Frage. Von den meisten wissen wir in Bezug auf die Pflanze wenig, von vielen gar nichts. Wärme und Licht als die Bedingungen aller oder bestimmter chemischer Pro- cesse sind auch die Bedingungen des Lebens der Pflanze, aber in verschiedenem Grade. Einige Algen und Pilze scheinen bei 0°, z. B. Protococcus nivalis (der sogen. rothe Schnee), oder ganz im Dunkeln leben zu können, z. B. Rhizomorpha subterranea, Tuber cibarium (Trüffel) u. s. w.; andere bedürfen hoher Temperatur- grade, z. B. viele tropische Pflanzen, oder intensiven Lichts, wie viele Alpenpflanzen. Ganz unbekannt sind uns noch die Wirkungen der Elektricität und des Magnetismus. Das Leben der Pflanze ist im höchsten Grade ab- hängig von dem Leben der ganzen Erde. An einen bestimmten Fleck geheftet oder, wenn frei, wie einige schwimmende Pflanzen, doch ohne von Innen bestimmte Bewegung, muss ihr Alles, was sie bedarf, was ihre Lebenserscheinungen fördern soil, von Aussen entgegen- kommen. Insbesondere zeigt sich diese Abhängigkeit Allgem. Organologie. Das Leben der Pflanze 449 bei der Vermittelung der Fortpflanzung. Die Ausstreuung der Sporen, die Uebertragung des Pollens auf die Narbe u. s. w. hängt oft von lauter rein äusserlichen Bedin- gungen ab, von atmosphärischer Feuchtigkeit, Wind, Wellenbewegung, vom Leben der Insecten u. s. w. Ueber den Gestaltungsprocess, so weit er dem Leben der ganzen Pflanze angehört, ist später bei der Fortpflanzung noch zu sprechen. Was übrig bleibt, besteht nur in den Gesammt- erscheinungen der physikalisch-chemischen Processe, wie sie an dem einzelnen Elementarorgan oder an Gruppen derselben (Ge- weben) sich zeigen. Alles, was darüber im ersten Buche ge- sagt ist, muss auch hier gelten, und wir haben nur zu betrach- ten, wie etwa durch den Gestaltungsprocess der ganzen Pflanze eigenthümliche Modificationen in der Summe der Erscheinungen des Lebens der einzelnen Zellen hervorgerufen werden. Diese sind aber im Ganzen sehr gering und uns noch grösstentheils unbekannt. Wärme und Licht, die beiden Beförderer so vieler chemischer Thätigkeiten, scheinen auf die ganze Pflanze nicht anders zu wirken, als auf die Summe der Zellen. Elektricität und Magnetismus sind uns in ihrer Wirkung auf die Zelle noch völlig fremd, und ebenso in ihrem Einfluss auf die ganze Pflanze. Die Elektricität scheint gleichwohl eine grosse Rolle zu spielen. Einige noch sehr vage Beobachtungen darüber finden sich in Froriep’s Notizen (Bd. XIX. Nr. 9. Aug. 1841) von Thomas Pine. Ich will hier statt etwaiger Phantasien einige Fragen stellen, die vielleicht müssig scheinen mögen, aber gleichwohl einmal eine Antwort verlangen werden. Uebt ein kräftig vege- tirender Baum oder, noch besser, eine kräftig vegetirende Musa oder dergl. unter den Tropen gar keinen Einfluss auf einen frei daneben aufgehängten Magnet aus? Wenn man eine Chara so wachsen lässt, dass sie von einem möglichst constanten galvani- schen Strome in einer Spirale umgeben wird, die der Richtung ihres Saftstromes gleichläufig oder gegenläufig ist, zeigt sich dann eine Veränderung in ihrer Vegetation und welche? Im höchsten Grade interessant: ist die vielfache Abhängigkeit des Pflanzenlebens von dem Leben der Erde. Wir müssen hier annehmen, dass in den Kräfteu, von welchen die meteorologi- schen Erscheinungen, die Bildungstriebe u. s. w. abhängen, schon die Ursache als nothwendig gegeben ist, weshalb gerade zur Blüthenzeit einer bestimmten Pflanze auch ein bestimmtes Insect sich entwickelt, dessen Leben wiederum an die Ernährung durch den Nectar der Blume gebunden ist, bei dessen Aufsaugung es die Uebertragung des Pollens auf die Narbe bewirkt. Für die 1. 29 450 | Organologie. einzelne Pflanze erscheint das Zusammentreffen z. B. des Win- des mit der Blüthezeit der Abietineen, des Wellenschlags mit der Blüthezeit der Vallisneria, des Regens mit der Entwickelung des Kolbens von Ambrosinia Bassii rein zufällig, aber beide sind nur nothwendige Folgen derselben Grundkräfte, welche sich im Bildungsprocess der Erde kund geben. Der Regen konnte nicht zu der bestimmten Zeit unter den bestimmten Umständen fallen, ohne dass zugleich der damit innig zusammenhängende Bildungstrieb der Erde eine Ambrosinia hervorbrachte, und das- selbe, was diese entstehen liess, musste zu gleicher Zeit die meteorologischen Verhältnisse so ordnen, dass in die entwickelte Spatha Regen, fiel. Die Spatha von Ambrosinia ist nämlich kahnförmig gestaltet und schwimmt so auf dem Wasser. Durch den Kolben, dessen flügelförmige Anhänge mit der Spatha bis auf ein kleines Loch verwachsen sind, wird die Spatha in einen obern und untern Raum getheilt; im untern befinden sich aus- schliesslich die Antheren, im obern ein einziger Fruchtknoten. Der Pollen kann nun nicht anders zur Narbe gelangen, als dass Regen die untere und die halbe obere Kammer anfüllt, wodurch der, schwimmende Pollen zum Niveau der Narbe gehoben wird und hier Schläuche treiben kann. Dies mag als eins der weni- ger bekannten Beispiele von der Abhängigkeit der Pflanzen von äussern Naturereignissen hier stehen. Die Wirkungen von Wind und Wetter sind allgemein bekannt und über die Hülfe der In- secten findet man die ınteressantesten Beobachtungen in Conrad Sprengel, das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen; Berlin 1793. B. Das Keimen. $. 189. Das Keimen (germinatio) hat bei Kryptogamen und Phanerogamen eine sehr verschiedene Bedeutung. Bei den erstern, einschliesslich der Rhizocarpeen, umfasst es die Ausbildung einer einzelnen , von der Mutterpflanze getrennten Zelle zum vollständigen neuen Organismus und entspricht in seiner ersten wichtigern. Hälfte der Bildung der Saamenpflanze bei den Phanerogamen. Ueber die dabei vorgehenden Processe wissen wir noch gar nichts, als was sich analog aus dem Leben der ein- zelnen Zelle anwenden lässt. Das am schwierigsten zu Allgem, Organologie. Das Keimen. 451 Erklärende ist hier eigentlich dasselbe wie bei den Pha- nerogamen, nämlich wodurch die Spore so lange in der Aeusserung ihrer Lebensthätigkeit zurückgehalten wird. Bei Phanerogamen dagegen ist Keimung nur die Ent- wickelung einer schon vollständig im Kleinen angelegten Pflanze zum vollkommenen Individuum. Die Fortent- wiekelung hat hier gar nichts eigenthümlich Schwieri- ses, sondern umgekehrt, der dem Keimen vorhergehende Zustand der ruhenden Vegetation. Wir finden hier Fol- sendes. Beim allmäligen Reifen des Embryo füllen sich seine Zellen nach und nach mit assimilirten Stoffen, namentlich Stärkemehl, Oel und Schleim, und sie ver- lieren dabei nach und nach fast alles Wasser, und so tritt ein Zustand ein, in welchem wegen mangelnder Feuchtigkeit die chemischen Wechselwirkungen und da- her die Lebensprocesse äusserst gering sind. Dieser Zu- stand dauert nach specifischer Eigenheit verschieden lange und kann künstlich oft bis zu Jahrtausenden erhalten werden, ohne dass die Entwickelungsfähigkeit verloren geht. Diese Entwickelungsfähigkeit wird selbst durch Einwirkungen nicht gestört, welche den wirklichen Le- bensprocess der Pflanze aufheben würden; so ertragen die Saamen der ÜOerealien einen kurzen Aufenthalt im Wasser von 45° C., in Wasserdämpfen von 60° C. und in trockener Luft von 75° C., sowie in trockener Kälte von — 50° C©.'). Dass beim Beginn der Kei- mung der Zutritt von Feuchtigkeit u. s. w. das Spiel chemischer Veränderungen in 'Thätigkeit setzt, ist bei weitem weniger auffallend, als weshalb es vorher nicht geschieht, aber gerade dies Letzte zu nntersuchen, hat man bisher versäumt. Die Erscheinungen des Keimens sind folgende. Zunächst quellen die Bedeckungen des Embryo (die Saamenscha- len und, wo sie vorhanden, auch Albumen und Frucht- 1) Vergl. Edward und Colin in Ann. d. sc. nat. Seconde serie, Botan. I. p. 257. 29 * 452 Organologie, hüllen) vom eindringenden Wasser auf, die Zellen des Embryo dehnen sich aus, bosonders zuerst die Zellen des Würzelchens unterhalb der Kotyledonen (der sogen. cauliculus); dadurch wird das Würzelchen aus dem berstenden Saamen hervorgeschoben, das Würzelchen senkt sich in den ihm angewiesenen Boden und sowie es darin sich befestigt, gleicht sich die etwaige Krüm- mung der Axe durch Ausdehnung der an der concaven Seite liegenden Zellen aus und der Embryo richtet sich in die Höhe. Die Ausdehnung der Kotyledonen sprengt die Bedeckungen völlig, diese fallen ab und das freie Pflänz- chen wächst nun fort. Bei Monokotyledonen gewöhn- lich, selten bei Dikotyledonen, z. B. Nymphaea, Quercus, Aesculus u. s. w., dehnt sich auch der untere Theil der Kotyledonen so schr aus, dass dadurch das Knöspchen aus den Bedeckungen hervorgeschoben wird ‚und sich dann entwiekelt, ohne dass die Spitzen der Kotyledonen die Hüllen verlassen. Wo Albumen vorhanden, wachsen die Kotyledonen oft so sehr in der Hülle an, dass sie das ganze Albumen verdrängen, während der ganze Embryo im reifen Saamen nur einen ganz kleinen Theil des Saa- mens einnahm. Unwesentliche Verschiedenheiten im Ein- zelnen sind hier zahllos und fast jeder Saame zeigt im Keimen seine Eigenthümlichkeiten. Für den eigentlichen Lebensprocess beim Keimen bemerke ich Folgendes. Im Keimungsprocess sind zwei Erscheinungen völlig zu trennen, von denen die eine mitdem eigentlichen Bildungsprocess der Pflanze gar nichts zu thun hat. Die Zellen des Embryo sind zur Zeit der Reife ge- wöhnlich ganz mit assimilirten Stoffen ausgefüllt, wodurch ihr Zusammensinken beim allmäligen Wasserverlust verhin- dert wird. Der grösste "Theil dieser Stoffe ist für die Ernährung der jungen Pflanze überflüssig und wird zu- nächst zerstört, indem der Kohlenstoff des Stärkemehls auf Kosten des mit dem Wasser aufgenommenen atmo- sphärischen Sauerstoffs verbrannt wird und als Kohlen- säure entweicht, während Wasserstofl und Sauerstoff sich Allgem. Organologie. Das Keimen. 453 zu Wasser verbinden; hierbei wird natürlich eine grosse Wärmemenge entbunden. Dadurch werden die Zellen wieder mit einem flüssigen Inhalte versehen und so das raschere chemische Leben in ihrem Innern möglich ge- macht. Die nächste Folge ist dann die Umbildung der übrigen Stärke in Gummi und Zucker, die dann zur Bildung neuer Zellen verwendet werden können. Hier- bei ist ohne Zweifel der Schleim als Contactsubstanz wirksam. Der Process gleicht ganz der Bildung von Zucker aus Stärke, die wir künstlich hervorrufen; dass dabei auch noch eine Zuckerzersetzung und Alkoholbil- dung vor sich geht, ist nicht unmöglich; Becquerel beobachtete wenigstens bei keimenden Saamen Aus- scheidung von Essigsäure (oxydirtem Alkohol). Es fehlen hier noch alle genauen und besonders quantitativen Versuche. Ebenfalls gilt diese Darstellung nur für die. stärkehaltigen Embryonen, für die ölhaltigen, z. B. bei den Kohlarten, fehlt es noch gänzlich an Unter- suchungen. Ein gleicher Process wie im Embryo geht im Al- bumen vor sich und wird der darin bereitete Nahrungs- stoff dem Embryo durch seine Oberfläche mitgetheilt. Bei vielen, besonders monokotyledonen Embryonen wer- den die Zellen des Kotyledons ganz papillös und ver- einigen sich sehr fest mit den ebenfalls papillös aus- wachsenden Zellen der innern Fläche des Albumen. Saamenschale und bei seschlossenen Früchten auch die Fruchthülle tragen nach specifischer Eigenheit dazu bei, durch ihre Structur bald den Zutritt des Wassers aufzuhalten und so den Keimungsprocess zu verlangsa- men, bald ihn zu beschleunigen. Ueber die morphologischen Erscheinungen beim Kei- men ist schon früher das Nöthige gesagi und bemerkt, wie hier die meisten Beobachtungen noch so mangelhaft sind, dass sie für wissenschaftliche Behandlung völlig unbrauchbar bleiben. 454 Organologie. Ueber die Ursache der Richtung der Keimpflanze wissen wir noch gar nichts. Sobald die Pflanze an’s Licht tritt, entwickelt sich in ihren äusseren "Theilen Chlorophyll. Die ganze Keimungsgeschichte der Pflanze ist noch so dun- kel, weil man alle Untersuchungen bisher auf den Punct ge- wendet hat, wo das Räthsel des Keimens gar nicht liegt. Die ganze Entwickelung der jungen Pflanze ist zugleich mit erklärt, wenn wir das Leben der Pflanze im Allgemeinen erklärt haben. Was aber als das am schwersten zu Erklärende hier stehen bleibt, ist, wie Verhältnisse, die in einem Embryo einen bestimm- ten Process einleiten können und einleiten müssen, eine Zeitlang ohne Wirksamkeit bleiben. Wenn wir eine frische, reife Eichel in den günstigen Boden bringen, ihr alle Bedingungen geben, die zum Keimen erforderlich sind, weshalb treten hier die chemischen Processe, ‚die die Keimung und Entwickelung aus- machen, nicht sogleich ein, sondern erst lange Zeit nachher ? Hier gehen theils uns noch unbekannte langsame chemische Pro- cesse im Innern der Zellen vor, theils ist hier der Bau der Zellen, oder die chemische Natur des Inhalts so, dass die Ein- wirkung der äussern Agentien so verlangsamt wird. Die Kaffee- bohne keimt nicht mehr, wenn sie nicht gleich bei ihrer Reife in die günstigsten Bedingungen gebracht wird; der Waizen kann nach den wohl nicht mehr zu bezweifelnden Beobachtungen Sternberg’s 2000 Jahre ruhen, ohne seine Eintwickelungsfähigkeit einzubüssen. Hier sind noch eine grosse Menge von Thatsachen zu sammeln, hier müssen die scrupulösesten chemischen Unter- suchungen über die Natur des Zelleninhalts und der Zellen- wände, die genauesten mikroskopischen Analysen über den Bau dieser Embryonen angestellt werden, ehe wir hier zu irgend einem Resultat kommen können; vorher ist aber alles Theoreti- siren darüber kindische 'Träumerei. Nur Unklarheit oder Gei- stesträgheit wird hier absprechen, wo noch so viel, wo noch Alles zu untersuchen ist, So viel lässt sich allenfalls teleologisch behaupten, dass sich die Zellen des Embryo (und Albumen) völlig mit assimilirten Stoffen ausfüllen, um beim Austrocknen der Zellen ihr Zusam- menfallen zu verhindern und so ihr späteres Wiederaufleben möglich zu machen. Von diesen Stoffen ist ein grosser Theil für das Leben des Embryo überflüssig und selbst hinderlich, und wird daher bei beginnender Keimung zerstört, indem es zu Kohlensäure und Wasser verbrannt wird. Hierzu sind atmo- sphärischer Sauerstoff und, wie zu jedem chemischen Process, Allgem. Organologie. Das Keimen. 455 eine bestimmte Menge Wärme und Feuchtigkeit ') nothwendig; das sind also natürlich die sogenannten Bedingungen des Kei- mens. Von dem Vorgange selbst aber wissen wir abermals gar nichts. Wir sind noch weit davon entfernt, alle die Verhältnisse zu kennen, unter denen Stärkemehl aufgelöst und zersetzt wird, und die, welche wir kennen, stimmen ‚mit den in der keimen- den Pflanze gegebenen so wenig überein, dass sie zur Erklä- rung nicht angewendet werden können. Die Entdeckung der Diastase durch Payen und Persoz machte grosses Aufsehen, und man glaubte allgemein, den Schlüssel gefunden zu haben, ver- gass aber, dass Diastase nur bei 65—70° die Stärke auflöst, eine Temperatur, die nicht in der keimenden Pflanze vorhanden ist, und wenn sie hinzugebracht wird, das Leben der Pflanze tödten würde. Uebrigens ist offenbar nur diese Zerstörung der kohlenstoffreichen Substanzen dem Keimungsprocess eigenthüm- lich, alle übrigen Erscheinungen gehören lediglich dem sich auch später fortsetzenden Vegetationsprocesse an. Ein wichtiger Punct ist hier noch einmal hervorzuheben, närm- lich die Richtung, welche die keimende Pflanze annimmt. Die Beispiele von Viscum und Loranthus beweisen zunächst, dass es kein allgemeines Gesetz der Pflanze sey, dass ihre Wurzel dem Mittelpunct der Erde zu wachse und ihr Stengel in entgegen- gesetzter Richtung. Bei den meisten Pflanzen ist aber aller- dings diese Richtung die gewöhnliche. , Wie der Saame auch liege, so biegt sich doch beim Keimen das Würzelchen so, dass es senkrecht in die Erde hineinwächst, der Stengel aber senk- recht aufsteigt. Letzteres indess wird schon sehr modifieirt nach dem Einfluss des Lichtes, indem der Stengel bei weitem mehr der Lichtquelle zuzuwachsen scheint und daher bei seitlich auf- fallendem Licht sogleich eine schiefe Richtung annimmt. Zur Erklärung hat man eine Menge "Träumereien ersonnen und, ge- stützt auf die allerdings interessanten Knight’schen Versuche °), auch die Schwerkraft zu Hülfe gerufen, was nur beweist, mit welchem unklaren Begriffe sich viele Leute befriedigen können. Ob die Knight’schen Versuche allemal dasselbe Resultat geben würden, ist vielleicht sehr zweifelhaft; aber dies auch zugegeben, 1) Beide nach specifischer Verschiedenheit der Saamen, ohne dass bis jetzt Untersuchnngen vorlägen, aus denen sich diese Verschieden- heit, nach der chemischen Natur des Zelleninhalts, der Zellenwände und der Structur ableiten liessen. Wasserpflanzen keimen am besten im Wasser, Landpflanzen in feuchter Erde. 2) Vergl. Treviranus Beiträge zur Pflanzenphysiologie (worin die Arbeiten von Knight in Uebersetzung mitgetheilt sind). Göttingen, ISH. Ss. 191 ff. 456 Organologie, so sind sie doch völlig unzulänglich, um die Schwerkraft als Ursache dieses Phänomens hinzustellen, abgesehen davon, dass sie auf Viscum und Loranthus nicht passen, und die Ursachen, die die Richtung dieser Pflanzen bestimmen, höchst wahrschein- lich dieselben sind, die bei andern auch stattfinden. Die Gra- vitation an der Erde wirkt verschieden nach dem Verhält- niss der Masse und des Volumens; beides ist aber bald im Würzelchen, bald im obern Theil des Embryo grösser, also müsste die Pflanze bald so, bald so wachsen, was nicht ge- schieht. Sobald das Würzelchen sich verlängert, nimmt es auch Flüssigkeiten aus dem Boden auf und der Inhalt seiner Zellen ist deshalb stets ein diluirter, specifisch leichterer, als der in den obern Theilen der Pflanze; es müsste also gerade umge- kehrt die Wurzel, weniger von der Erde angezogen, nach Oben wachsen. Ein Kegel fällt allemal auf seine Grundfläche; nun haben wir aber sowohl kegeltörmige, als verkehrt kegelförmige Embryonen, beide keimen aber so, dass das Würzelchen (dort die Basis, hier die Spitze des Kegels) in die Erde dringt; kein Embryo keimt frei, alle bleiben längere oder kürzere Zeit in der Saamenschale, oft auch in der Fruchthülle eingeschlossen, von beiden macht der Embryo zuweilen nur eınen verschwindend kleinen Theil aus; die Schwere müsste also zunächst auf die Hülle wirken und dadurch die Lage des Embryo bestimmen u. s. w.; kurz, man hat hier ohne Nachdenken ein unverstan- denes Wort hineingeschoben und geglaubt, dadurch etwas klar zu machen. Wie ich schon in der Einleitung bemerkt, ist keinem Botaniker vorzuschreiben, wie viel oder wie wenig er von den andern Disciplinen sich zu eigen machen oder für seinen Zweck ver- wenden will. Wenn er aber einmal aus andern Wissenschaften hernimmt, so muss er die Begriffe dieser Wissenschaft klar auf- gefasst haben und richtig anwenden, sonst macht er sich lächer- lich. Aber freilich kann man von Botanikern kaum mehr ver- langen, wenn im 19. Jahrhundert ein Professor der Physik hin- schreiben darf: „Contactwirkung sey deshalb unwahrscheinlich, weil uns kein Beispiel bekannt sey, dass ein ruhender Körper einen andern in Bewegung setze.“ Wenn solche bodenlose Unwissenheit in den ersten Elementen der Phy- sik es zum Professor bringen kann, so darf man allerdings dem Botaniker eine Unklarkeit in physikalischen Begriffen kaum vor- rücken. Ich will hiermit gar nicht behauptet haben, dass nicht mög- licher Weise die Schwere die Ursache des erwähnten Phäno- mens sey, aber zur Zeit ist mit der Schwerkraft noch nichts hier anzufangen, weil wir noch keinen Gegenstand haben, auf den sie wirken könnte. “ Allgem. Organologle. Das Keimen. 457 Die gesammten Träumereien über die eigenen Gefässe, welche den bereiteten Nahrungsstoff von den Kotyledonen zum Würzel- chen führen sollen, und alle übrigen ähnlichen, die man in älte- ren Werken findet, habe ich hier gänzlich unberührt gelassen, da sie ohne allen Werth sind. Dagegen will ich schliesslich noch einige der zunächst zu lösenden Aufgaben nennen, welche eine genauere Kenntniss des Keimungsprocesses einleiten können. 1) Ermittelung der Ursache, wodurch in dem Embryo und Aibumen das Stärkemehl aufgelöst und zweitens das fette Oel zersetzt wird, 2) Genaue Bestimmung der beim Keimen entwickelten Wärme- menge und Vergleichung derselben mit der Quantität des ver- brannten Kohlenstoffs und des gebildeten Wassers. 3) Genaue quantitative Analyse der Keimpflanzen und ihrer einzelnen Theile in allen Stadien der Keimung mit genauer quantitativer Bestimmung der aufgenommenen Wassermengen und des stattfindenden Gasaustausches sowohl bei einem stärkehalti- gen, als bei einem ölhaltigen Embryo. Dass diese Analysen beständig von mikroskopischen Untersuchungen begleitet seyn müssen, versteht sich von selbst. 4) Wiederholung der Knight’schen Experimente und Versuch, ob Pflanzen nicht in umgekehrter Richtung zum Keimen und Wachsen zu bringen sind, wenn man den Boden über ihnen anbringt und sie stark von unten beleuchtet. Die Entwickelung der Sporen der Kryptogamen, welche man wohl auch Keimung nennt, findet ihre Analogie gar nicht hier, sondern in der Entwickelung des Pollenkorns zum Embryo. Bei beiden sind aber die physikalischen und chemischen Bedingungen verschieden und eine specielle Untersuchung des Entwickelungs- ganges in chemischer und physikalischer Beziehung, etwa bei keimenden Farren, wäre dringend zu wünschen, wird aber vor- läufig wohl noch an den grossen, dabei zu überwindenden Schwierigkeiten scheitern. Am wichtigsten würde eine solche genaue Untersuchung (wie in der dritten Aufgabe) für die Auf- klärung vieler Vegetationsgesetze werden, wenn sie bei einer gehörigen Menge von Algensporen angestellt werden könnte, z. B. bei Spirogyra, und hier würde der natürliche Standort der Pflanzen die Untersuchung ausserordentlich erleichtern. 458 Organologie. C. Das Wachsen der Pflanze. $. 190. Wachsen der Pflanze im Allgemeinen ist Vermeh- rung ihres Volumens ‚und ihrer Masse. Für die wis- senschaftliche Betrachtung müssen wir hier aber drei sehr verschiedene Processe unterscheiden, nämlich das Wachsen im engern Sinne, d. h. die Bildung neuer Zellen, die Entfaltung, d. h. die Ausdehnung und Ver- grösserung schon vorhandener Zellen, und die Verhol- zung, d. h. die Verdickung der Wände vorhandener Zellen durch spiralige (und poröse) Verdickungsschich- ten. Alle drei nehmen auf sehr verschiedene Weise an der Ausbildung der ganzen Pflanze und ihrer Organe Theil. Insbesondere ist es aber wichtig, das erste und zweite Moment genau zu unterscheiden. So theilt sich der als Keimung bezeichnete Process scharf in zwei Perioden, von denen die erste nur die Erweichung und Ausdehnung der vorhandenen Zellen umfasst, die zweite die Bildung neuer Zellen. Das schnelle Wachsen der seta bei den Jungermannien gehört nur der Entfaltung an, eben so die Ausbildung der Stengelglieder einer phanerogamen Pflanze u. s. w. Hier fehlt es noch sehr an genauen und umfassenden Untersuchungen. Das eigentliche Wachsen geht, so weit bis jetzt die Induetionen reichen, stets nur so vor sich, dass sich neue Zellen im Innern von alten (Mutterzellen) bilden und durch Resorption der Mutterzellen frei werden. Keine andere Vermehrungsart der Zellen ist bis jetzt völlig constatirt. Ich‘habe schon früher ') die im Paragraphen erläuterten Ein- theilungen für das Verständniss des Lebensprocesses der Pflanze gerechtfertigt, und ich glaube daselbst wenigstens so viel deut- lich gemacht zu haben, dass von wissenschaftlicher Behandlung des Pflanzenlebens nicht mehr die Rede seyn kann, wenn man I) Müller’s Archiv 1838, S. 158 ff. Allgem. Organelogie. Das Wachsen der Pflanze. 459 nicht die genannten drei Erscheinungen scharf unterscheidet und im gegebenen Falle immer genau erforscht, welche von allen dreien die wirklich vorhandene sey. Die Sache ist auch so ein- fach, dass, wenn einmal darauf aufmerksam gemacht ist, sie sich von selbst versteht, denn die Beispiele für alle drei Arten der Vergrösserung müssen jedem halbwegs gewandten Botaniker ge- läufig seyn. Insbesondere gewinnen wir durch die erste und zweite Ab- theilung eine Unterscheidung von zwei wesentlich verschiedenen Perioden in der Entwickelung jedes Pflanzentheils, nämlich die eine, wo die ihn constituirenden Zellen gebildet, die andere, wo sie entfaltet werden, Oft sind beide Perioden sehr scharf von einander getrennt, z. B. bei vielen Blumenblättern, oft greifen sie in einander über, z. B. bei der Anthere, Man zählt in den botanischen Handbüchern eine Menge von Beispielen auf von periodischen Beschleunigungen und Hemmun- gen des Wachsthums '). Alle diese Beispiele sind völlig un- brauchbar für die Ableitung von Gesetzen, weil der angegebene Unterschied dabei gänzlich übersehen ist. Treviranus z. B. (a. a. ©.) führt das schnelle Wiedererscheinen der Staubbeutel an einer in den Mund genommenen Roggenähre, von der die heraushängenden Antheren abgestreift waren, an. Es ist leicht zu sehen, dass hier nur von Ausdehnung schon vorhandener Zellen die Rede seyn kann; dasselbe wird wenigstens grössten- theils von der Entwickelung des Blüthenschafts der Agave gel- ten. Ebenso sind die Untersuchungen von E. Meyer an Gersten- und Waizenpflanzen (Linnaea, Bd. IV) und von Mulder an dem Blatt von Urania speciosa (Bydragen tot de naturk. We- tensch. Bd. IV) über das Wachsthum nach den Verschiedenhei- ten von Tag und Nacht und nach den verschiedenen Tages- zeiten ganz unbrauchbar, weil zwischen Zellenbildung und Zel- lenausdehnung nicht unterschieden ist. Hierher gehört ferner Alles, was bisher über den Unterschied im Wachsthum des Sten- gels, oder der Wurzel, der Blätter und anderer Theile gesagt ist (vergl. Treviranus, Physiologie, Bd. II. S. 152—179). Alle diese Versuche und Beobachtungen sind völlig werthlos und müssen, mit Berücksichtigung der angegebenen wesentlichen Mo- mente, von Neuem angestellt werden, wenn sie irgend dazu die- nen sollen, unsere Kenntniss des Pflanzenlebens zu erweitern. Beim Keimen giebt der angeführte Unterschied ebenfalls eine scharfe Eintheilung, die aber noch genauer zu verfolgen und namentlich bei den Untersuchungen der chemischen Vorgänge beim Keimen der Phanerogamen zu berücksichtigen ist, nämlich die I) Treviranus Physiologie, Bd. I, S. 142 fi. 460 Organologie, # blosse Erweichung und Entfaltung der Zellen des Embryo als erstes Stadium, welches, wie ich glaube, bis zu dem Augen- blicke geht, wo die Wurzel sich dem Boden eingefügt hat, und die Entstehung neuer Zellen, die wahrscheinlich immer zuerst in der Wurzelspitze beginnt und demnächst in den Kotyledon sich fortsetzt. Bei der Keimung der Kryptogamen, wo die Ent- wickelung von der Fortpflanzungszelle bis zur vollendeten Pflanze stetig, ohne Unterbrechung durch einen Zeitraum der ruhenden Vegetation, fortschreitet, ist eine solche Periodicität nicht vor- handen. Der wichtigste Punct, der hier zu erörtern ist, betrifft die Frage nach der Art der Zellenvermehrung, also des eigentlichen Wachsens der Pflanze. Die Untersuchungen darüber sind bis jetzt noch im höchsten Grade mangelhaft und beschränken sich fast allein auf meine eigenen Erfahrungen, die ich zuerst in Müller’s Archiv 1838 mittheilte und seitdem nach meinen Kräften zu erweitern und zu bestätigen suchte (z. B. in den Beiträgen zur Anatomie der Cacteen),. Für die Phanerogamen glaube ich ge- nügende Thatsachen für eine sichere Induction gesammelt zu haben. Im Embryosack einer grossen Zelle bilden sich neue Zellen, im Embryobläschen, also im Innern eines Theils einer Zelle, ebenfalls; in den hier neu entstandenen Zellen lässt sich derselbe Process der Bildung von Zellen in Zellen verfolgen, bıs die Kleinheit der neu entstandenen Zellen und die Zartheit ihrer Wandungen, sowie ihr vermehrter Inhalt die weitere Beob- achtung mir bis jetzt unmöglich machte. Die Pfianze selbst ist nur eine weitere Entwickelung des Embryo, steht also wahr- scheinlich unter denselben Vegetationsgesetzen; in den Kotyle- donen beobachtete ich nach der Keimung oft die Bildung von Zellen in Zellen. Dasselbe ist gewiss für die Anthere, ein Blatt- organ '). Aus der Terminalknospe konnte ich häufig. Zellen isoliren, die junge Zellen umschlossen. In einigen Fällen gelang mir Aehnliches beim Cambium, Aus diesen Thatsachen glaube ich mit einiger Sicherheit das Gesetz für die Phanerogamen ab- leiten zu dürfen, dass sich bei ihnen die neuen Zellen stets nur in den Alten bilden, die dann als überflüssig resorbirt werden. Für die Kryptogamen sind die Thatsachen noch viel dürftiger; doch gehört ganz allgemein die Bildung der Sporen unter dies Gesetz. Genaue Untersuchungen sind hierüber sehr zu wün- schen. Link sagt (in Wiegmann’s Archiv, neue Folge 1841, Bd. I. S. 378): „Ich halte Schleiden’s Lehre von Entstehung 1) Vergl. insbesondere die neuen Untersuchungen von Nägelö über die Entwickelung des Pollens. Allgem. Organologie. Das Wachsen der Pflanze, 461 der Zellen für eine Hypothese, auf unvollkommene Beobachtun- gen gegründet. Ich kenne noch keinen genauen Beobachter, der sie angenommen hätte.“ Die letzte Thatsache ist so ziem- lich richtig, muss nur etwas anders ausgesprochen werden. Im Anfang des Jahres 1838 machte ich meine Untersuchungen über die Entstehung der Pflanzenzellen bekannt; ein Vierteljahr spä- ter erschien Schwann’s Schrift über denselben Gegenstand bei ‘ den Thieren, Sogleich erhob sich ein Streit darüber, nicht über die Richtigkeit der Thatsachen, sondern, durchdrungen von der durchgreifeuden Wichtigkeit einer solchen Grundlage der Phy- siologie und Geweblehre, nahmen Viele den Lorbeerhain, in dem sich Schwann einen Kranz gebrochen, als ihr Eigenthum in An- spruch. Bald aber zeigte sich ein neues, auffallend reges Leben in der Physiologie, von Schwann’s Entdeckungen als von einer neuen Grundlage ausgehend, wobei denn auch freundlich mein Name mit genannt wurde. Die glänzenden Resultate, die so gewonnen wurden, aufzuzählen, ist hier nicht der Ort; ich will nur auf die letzten grossen Arbeiten, Benle’s Geweblehre und Reichert’s Entwickelungsgeschichte aufmerksam machen. So bei den Physiologen, und bei den Botanikern® Fast fünf Jahre sind seit dem’ Erscheinen meiner Arbeit verflossen, und nicht ein einziger Botaniker hat es der Mühe werth geachtet, meine mit grösster Ausführlichkeit mitgetheilten Untersuchungen nachzuar- beiten, sie zu bestätigen oder zu widerlegen. Diese einzige Thatsache genügt vollkommen, mich wegen mancher in diesem Werke mir entschlüpfter, hart scheinender Aeusserungen über den heutigen Zustand der Botanik zu rechtfertigen, denn sie zeigt unwidersprechlich, wie es uns nicht etwa an Resultaten, sondern überall noch an dem wissenschaftlichen Geiste fehlt, der Resultate sucht. Es giebt ehrenwerthe Ausnahmen, aber bei den meisten Botanikern heisst das nothdürftige Bestimmen eines trocknen Pflanzenfragments Wissenschaft, das flüchtige Durch- gucken durch ein Mikroskop Pflanzenphysiologie, heute dies, morgen das Gegentheil, übermorgen wieder das Erste zu be- haupten, weil man immer ohne gründliche und umfassende Un- tersuchungen, ohne die Bedingungen einer wissenschaftlichen Induction zu kennen, in den Tag hinein redet, nennt man Suchen nach Wahrheit u. s. w. Gott bessere es! Es liegt in der That aber nur an der Gleichgültigkeit der Botaniker gegen alle tiefer eindringende Untersuchungen, dass meine Beobachtungen an Nägeli (Linnaca 1842, p. 252) ihren ersten Bestätiger gefunden haben; denn zum Theil sind sie ausserordentlich leicht anzustellen, wenn man nur guten Willen und einiges Geschick hat, und ich behaupte geradezu, dass Link, der meine Darstellung für eine auf unvollkommene Beobachtun- 462 Organologie. gen gestützte Hypothese erklärt, sich niemals die Mühe genom- men, auch nur einen einzigen der von mir angegebenen Fälle gründlich zu untersuchen. %. 191. In wiefern verschiedenen Pflanzentheilen oder ver- schiedenen Pflanzengruppen verschiedene Arten des Wachs- thums zukommen, kann man bis jetzt noch nicht sagen. Es fehlt durchaus an &enauen Untersuchungen dar- über. So weit dies Verhältniss nur die Formenbildung und Formenveränderung, betrifft, ist es schon in der Mor- phologie vollständig behandelt worden. Mit den Wachsthumserscheinungen steht im Thier- leben die Reproduction im engsten Zusammenhang. Ver- steht man unter Reproduction im bestimmten Sinne die Neubildung eines verloren gegangenen Theils an der- selben Stelle und in derselben Form, so giebt es keine Reproduction im Pflanzenreich. Ein verloren gegange- ner Pflanzentheil ersetzt sich niemals wieder. Dagegen ist der Process der Vernarbung von Wunden mit Sub- stanzverlust durch Ausfüllung der entstandenen Lücke mit einer dem Korkgewebe ähnlichen Substanz gar häufig. Ueber die Verschiedenheit des Vegetationsprocesses in ver- schiedenen Pflanzen oder Pflanzentheilen lässt sich natürlich zur Zeit noch gar nichts sagen, da überall unsere Kenntniss des- selben noch so höchst mangelhaft ist. Schon bei der Bildung des Pollens habe ich darauf aufmerksam gemacht, wie hier nach Nägeli die Bildung der Specialmutterzelle zwar ebenfalls inner- halb einer andern Zelle, aber doch auf eine von der gewöhnli- chen Zellenbildung etwas verschiedene Weise vor sich geht. Nach brieflichen Mittheilungen hat Nägeli dieselbe Bildungsweise der Zellen häufig bei Algen gefunden, worüber er nächstens das Ausführlichere mittheilen wird. Ueber die Eigenthümlichkeiten im chemischen Process einzelner Pflanzengruppen wissen wir noch gar nichts. Bei dem unbegrenzten Wachsthum der gänzlich unabgeschlos- senen Individualität der Pflanzen (zweiter und dritter Ordnung) ist eine Reproduction in dem Sinne, wie etwa die Reproduction eines Schwanzes bei einer Eidechse u. s. w., gar nicht denkbar, Allgem. Organologie, Der Ernährungsproces, 463 denn das Individuum ist zwar in einem bestimmten Formen- kreis, aber nicht in einer bestimmten Formenzahl abgeschlossen und hat ohnehin niemals alle ihm wesentlichen Organe gleich- zeitig aufzuweisen. So wird zwar der Verlust einer bestimmten Form wieder ersetzt, aber nicht als Ersatz des verloren gegan- genen an derselben Stelle, sondern durch Bildung ähnlicher Or- gane an andern Stellen. In dieser Weise ist für viele Pflanzen der Verlust gewisser ‚Organe und die Neubildung derselben an anderer Stelle ganz gesetzmässig und begreift sich leicht aus dem früher (S. 5) über den Begriff des Pflanzenindividuum Gesagten. Der Baum z. B., der seine Blätter im Herbst ab- wirft, bildet im Frühjahr neue Blätter aus seinen Knospen; eigentlich aber ist jede Knospe ein durchaus neues Individuum, welches vollständig aus Stengel und Blättern besteht und nur auf dem Rest der früheren Individuen und mit diesem in leben- diger Verbindung sich entwickelt. Die Stengelglieder, die ihre Blätter verloren haben, erhalten also eigentlich niemals neue Blätter wieder; die neuen Blätter gehören vielmehr auch zu neu entstandenen Stengelgliedern, also einem neuen Individuum an. Dagegen ist der Vernarbungsprocess ganz allgemein in der Pflanzenwelt, und zwar ist die eigentliche Vernarbungssubstanz allemal ein dem Korke analoges Gewebe, wie ich das ausführ- lich in meiner Abhandlung über die Cacteen entwickelt habe. Das Weitere gehört aber nicht hierher, sondern in die Pflanzen- pathologie. D. Der Ernährungsprocess. $. 192. Die gesammte Ernährung umfasst eine gewisse An- zahl von Processen, durch welche für einen gegebenen Organismus die Aufnahme fremdartiger Stoffe, ihre gänz- liche oder theilweise Aneignung und die Ausscheidung des nicht Angeeigneten und des dem Organismus durch den Lebensprocess fremdartig Gewordenen geschieht. Die Processe sind theils physikalisch, in sofern sie die Aufnahme und Ausscheidung bedingen, theils chemisch, in so weit sie die Umänderung der Stoffe betreffen, theils morpholosisch, indem sie die Fixirung der geeig- neten Stoffe in bestimmter organischer Form zur Folge haben. Bei der Pflanze, die keine physiologisch be- 464 Organologie. stimmten Organe hat, kann die Lehre von der Ernäh- rung nicht nach den Functionen der einzelnen mitwir- kenden Organe abgehandelt werden. Jede Zelle ernährt sich für sich und nach ihrer eigenthümlichen Natur auf andere Weise. Für die ganze Pflanze müssen wir da- her die Eintheilungen ganz anders machen, indem wir einmal die physikalischen, chemischen und morpholosi- schen Processe sondern; zweitens die Verschiedenheiten der ersteren nach der verschiedenen Natur des die Pflanze oder ihre Theile umgebenden Mittels betrachten und hier- bei reine Aufnahmen und Ausscheidungen von Austau- schungen trennen; drittens aber noch die physikalischen und chemischen Processe nach folgender Eigenthümlich- keit im Wesen der ganzen Pflanze unterscheiden: bei der Selbstständigkeit des Lebens der einzelnen Zellen können nämlich in und an bestimmten Zellen Processe vor sich gehen, die für das Leben der benachbarten Zellen und somit der ganzen Pflanze ohne alle Bedeu- tung sind, während Vorgänge in an sich todten Zellen durch ihre Einwirkung auf andere lebende, doch noch für die ganze Pflanze wichtig werden können. Schliess- lich ist dann noch die Vertheilung der aufgenommenen Stoffe in der ganzen Pflanze in’s Auge zu fassen. Der kürzeren Bezeichnung wegen kann man auch das Ver- halten der Pflanze zu dem tropfbar flüssigen Wasser und den darin löslichen Stoffen im engern Sinne ihre Ernährung, das Verhältniss der Pflanze zum Wasser- dampf ihre Transspiration und ihr Verhalten zu freien Gasarten die Respiration nennen. Aus dem im Paragraphen Mitgetheilten geht hervor, dass das traditionelle Fachwerk, wonach die Ernährung analog der thie- rischen Oekonomie in Nahrungsaufnahme, Assimilation, Athmung, Absonderung und Ausscheidung eingetheilt wird, für die Pflanze völlig unbrauchbar und entschieden falsch ist. An der Stelle desselben lassen sich nun freilich noch keine einfachen, den Be- dürfnissen der Organologie angemessenen Gesichtspunete wieder aufstellen, weil hier nur noch ganz vereinzelte Thatsachen in viel zu geringer Zahl vorliegen, um eine auch nur ungefähre Allgem, Organologie. Der Ernährungsproces, 465 Uebersicht zu gewähren und danach das vorhandene, in verein- zelte 'Thatsachen zerfallende Material anordnen zu können. Nichts ist hier leichter einzusehen, als die Schiefheit und Ver- kehrtheit der bisherigen Auffassungsweise nach den dem thieri- schen Organismus entlehnten Formeln; nichts ist zur Zeit noch schwerer, ja unmöglicher, als eine neue, dem Pflanzenleben ent- sprechende Anordnung der Thatsachen zu geben, weil wir hier, wie fast überall, bei einem grossen Ballast völlig werthloser Un- tersuchungen, noch so gut wie gar kein brauchbares Material haben, welches wir zu Grunde legen könnten. Einerseits hat man sich damit begnügt, nach oberflächlicher Auffassung der leichter in die Augen fallenden Erscheinungen, über die densel- ben zu Grunde liegenden Vorgänge rein aus der Phantasie ge- griffene Romane zusammenzuträumen, wobei selbst in unserm Jahrhundert zuweilen noch die ganze chemische und physikali- sche Rohheit und Unbeholfenheit des Mittelalters mitsprechen, theils hat man mit eben derselben physikalischen, chemischen und physiologischen Bildungslosigkeit die unsinnigsten Experi- mente angestellt und die daraus gewonnenen Resultate eben so sinnlos zu Theorien verarbeitet. Versuche, in denen man Pflan- zen in gepulvertem Marmor, mit kohlensaurem Wasser begossen, wachsen liess und daraus ableitete, Kohlensäure tauge nicht zur Ernährung der Pflanzen, sind gerade so sinnlos, als wenn ein Zoolog ein Thier mit Strychnin füttern und daraus beweisen wollte, dass stickstoffhaltige Nahrungsmittel nicht gesund sind. Experimente über die Lebenserscheinungen in einer Pflanze kön- nen überall nur auf zweierlei Weise angestellt werden, wenn ihr Erfolg als Grundlage für Schlüsse irgend einen Werth haben soll, entweder indem wir die Pflanzen unter allen ihren natür- lichen Bedingungen fortvegetiren lassen, aber unter Umständen, die es uns möglich machen, alle oder einzelne der dabei vor sich gehenden Processe nach Zeit, Maass und Gewicht der Rech- nung, zu unterwerfen, oder so, dass wir bei der Vegetation eine oder alle Bedingungen bis auf eine völlig ausschliessen und den nach Zeit, Maass und Gewicht bestimmten Erfolg mit dem an einer ohne jene Beschränkung vegetirenden Pflanze vergleichen. Beide Arten von Versuchen können uns aber allein unserem Ziele, ein Verständniss der Lebenserscheinungen herbeizuführen, noch nicht näher rücken, wenn wir nicht gleichzeitig alle ein- zelnen, bei dem Pflanzenleben irgend in Frage kommenden Stoffe und Kräfte, unabhängig von der Pflanze, für sich einer genauen Untersuchung unterworfen und in allen ihren Eigen- schaften vollständig erforscht haben. So z. B. sind seit. De Saussure eine endlose Reihe von Versuchen über das Vermögen der Pflanzen, ihren Nahrungsstoff zu wählen, angestellt worden 1. 30 466 Organologie, und die darauf gebauten Theorien, die darüber geführten Strei tigkeiten füllen eine kleine Bibliothek. Ich dächte, wenigstens seit Dutrochet’s Entdeckung wäre es gar leicht einzusehen, dass alles Reden darüber leer ist, so lange wir nicht untersucht ha- ben, ob den organischen und unorganıschen, in der Pflanze vor- kommenden Stoffen nicht auch ausser derselben, unabhängig vom Leben der Pflanze, ein Wahlvermögen zukommt und wel- ches, und in wiefern dieses mit dem bei der Pflanze beobach- teten übereinstimmt. Die Fragen müssten z, B. so gestellt wer- den: Wie verhält sich Eiweiss, Gummi und Zucker im end- osmotischen Apparat gegen eine grosse Reihe auflöslicher Salze, und wie verhalten sie sich dann, wenn mehrere dieser Salze zu gleichen Theilen gemischt angewendet werden? Dazu müsste man insbesondere die ım Boden und im Wasser allgemeiner ver- breiteten Salze wählen. Wenn wir demnächst Pflanzen, bei denen wir den Inhalt der Wurzelzellen genau untersucht haben, in. ähnlichem Salzgemische vegetiren lassen, so wird sich leicht ergeben, in wiefern die Aufnahme der Qualität und Quantität nach sich aus der blossen Mischungsanziehung von Eiweiss, Gummi, Zucker im Innern der Wurzelzellen ableiten lässt. Sol- cher vollständiger Reihen von Versuchen haben wir aber so ausserordentlich wenige, dass, wenn man nicht sich und Andern etwas weiss machen oder statt Botanik, Ackerbau und Gärtnerei vortragen will, man eben offen gestehen muss, dass wir von der Ernährung der Pflanze so gut wie gar nichts wissen. Von den im Paragraphen aufgestellten Gesichtspuncten gehört nun der morphologische dem schon im zweiten und dritten Buche Abge- handelten an, von allen übrigen bleiben uns nur noch folgende Andeutungen, für die einiges Material vorhanden ist. 1) Die Aufnahme der Nahrungsmittel durch Austausch und zwar «a) der Qualität der Stoffe, 6) der Form des Processes nach betrachtet. 2) Selbstständige Aufnahmen und Ausscheidungen. $. 193. Die Ernährung der ganzen Pflanze besteht nur in der Ernährung ihrer einzelnen Zellen. Es gilt also Alles, was vom Zellenleben in dieser Beziehung gesagt worden ist, auch für die Pflanze. Hier wie dort sind folgende Fragen zu stellen und zu beantworten. 1) Welche Stoffe sind für die Ernährung der Pflanze nach der Natur der einfachen Pflanzenzelle unerlässlich? Die Zellenmembran besteht aus Kohlenstoff, Wasserstoff Allgem. Organologie, Der Ernährungsprocess, 467 und Sauerstoff und kann ohne die Gegenwart einer stick- stoffhaltigen Substanz nicht gebildet werden. 2) Welche Stoffe kommen aus der Berücksichtigung des Zelleninhalts hinzu? Wir finden keine (?) Pflanzen- zelle, die nicht in seringerer oder grösserer Menge unorganische Salze oder Salze mit unorganischen Basen oder Säuren als nie fehlende, also wesentliche Bestand- theile enthielte; es bedarf also auch der derselben zum Grunde liegenden Stoffe, um die Ernährung der Pflanze möglich zu machen; denn ohne Inhalt und die durch denselben hervorgerufenen chemischen Thätigkeiten ist ebenfalls keine Zellenbildung, also keine Ernährung der Pflanze möglich. 3) In welcher Form müssen die Stoffe der Pflanze dargeboten werden, damit sie dieselben aufnehmen und zur Ernährung verwenden könne? Nur völlige Auflösungen werden von der Pflanzen- zelle aufgenommen, also können wenigstens der Koh- lenstoff, der Schwefel und die Erdmetalle nur in einer Verbindung mit andern Stoffen der Pflanze zugeführt werden, da sie frei unauflöslich sind. Welche Ver- bindungen aber hier die zulässlichen sind, ob die an- dern Stoffe frei oder ebenfalls nur in Verbindungen auf- genommen werden können, ist aus der Natur der Pflanze im Allgemeinen sar nicht zu bestimmen, sondern lässt sich nur in einzelnen Fällen für bestimmte Geschlechter, Arten und Gruppen ermitteln. Bei der allgemeinen Mög- lichkeit der Vegetation, da wo Wärme und Feuchtigkeit gegeben sind, ist es wahrscheinlich, dass gar viele Pflanzen die vier wichtigsten Stoffe in den am allge- meinsten verbreiteten Verbindungen aufnehmen, also als Wasser, Kohlensäure und Ammoniaksalze; aber es wer- den auch viele Pflanzen anderer Verbindungen bedür- fen, was aber erst durch genauere Experimente auszu- machen ist. Bis jetzt haben wir noch viel zu kleine Reihen genauer Ana- Iysen, um auch nur für die wichtigsten Pflanzengruppen eine 30 * 468 Organologie. scharfe Grenze zwischen den nothwendigen, wesentlichen Bestand- theilen und den zufälligen ziehen zu können. Nehmen wir aber an, diese Grenze sey für eine gewisse Pflanzengruppe, Geschlecht oder Art scharf gezogen, so giebt uns die Analyse allerdings mit völliger Schärfe das negative Resultat, dass eine solche Pflanze da nicht gedeihen könne, wo einer ihrer nothwendigen Bestandtheile, sey es wegen gänzlichen Mangels, sey es wegen seiner völligen Unlöslichkeit, von ihr nicht aufgenommen werden kann. Dieses Ergebniss entscheidet nun aber noch nicht im Allerentferntesten die zweite Frage: In welchen Verbindungen müssen die nothwendigen Elementarbestandtheile ihr dargeboten werden, damit sie überhaupt existiren könne? und die dritte: welches sind unter mehreren gleichmöglichen Verbindungen die günstigsten, um die üppigste Vegetation der Pflanze hervorzu- rufen® Wenn wir die erste Frage rein theoretisch nach einer genauen Analyse entscheiden konnten, so sind diese beiden letz- ten doch nur durch eine mühselige empirische Induction zu er- ledigen. Für die Culturpflanzen macht die erfahrungsmässige Sammlung der Thatsachen, auf welche eine solche Induction ge- baut werden kann, einen der wichtigsten Theile des Ackerbaues und der Gärtnerei aus. In der Verwechselung dieser drei Fra- gen liegt der wesentlichste Grundfehler der Liebig’schen soge- nannten Ernährungstheorie, die nichts beantwortet und zur Zeit nichts beantworten kann, als die erste Frage. Diesem gesellt sich nun noch ein zweiter Fehler hinzu, dass Liebig seine Sätze stets als für alle Pflanzen gültig ausspricht, während die von ihm zu Grunde gelegten Thatsachen doch nur für einzelne be- stimmte Gruppen gelten. So z. B. ist Kieselerde in löslicher Form ohne Zweifel eine wesentliche Bedingung der Vegetation fast aller Gräser und Exquisetaceen, während in den meisten Flechten, Moosen und Algen Kieselerde entweder gar nicht oder höchstens als zufälliger Bestandtheil vorhanden zu seyn scheint. Aehnliche Beispiele liefern Chlor, Tod und Brom, die nur für be- stimmte Pflanzengruppen wesentlich, für die meisten völlig über- ‚üssig sind, während Kalk für alle Pflanzen, vielleicht höchstens mit Ausnahme einiger Algen, nothwendig erscheint. Aber wır sind eben noch nicht sehr weit damit gekommen, wenn wir wissen, welche Elemente überhaupt vorhanden seyn müssen, denn, abgesehen von der allgemeinen Bedingung der Löslich- keit, können die Elemente in gar vielen Combinationen den Pflanzen dargeboten werden und es ist bis jetzt auf keine Weise theoretisch zu entscheiden, welche bestimmte Combinationen von einer bestimmten Pflanze nothwendig verlangt werden, wenn sie gedeihen soll. Nehmen wir als Beispiel hier die allgemein wesentlichen Elemente, Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Allgem. Organologie. Der Ernährungsprocess. 469 Stickstoff; aus der Vegetation des Protococeus und einiger an- dern Algen, sowie der Lemnaceen, können wir mit ziemlicher Sicherheit schliessen, dass Wasser, welches aus der Luft Koh- lensäure und Ammoniaksalze absorbiren kann, ausreicht, um die Vegetation dieser Pflanzen in voller Kraft zu erhalten. Neh- men wir nun als völligen Gegensatz dazu die ächten Parasiten, als Viscum und Loranthus, so zeigt uns das Leben derselben und die Unmöglichkeit, sie je ohne ihren lebendigen Boden zu ziehen, dass diese Pflanzen nicht gesund existiren können, wenn ihnen die vier nothwendigen Elemente nicht schon in Form einer durch den Vegetationsprocess assimilirten Substanz angeboten werden. Zwischen beiden Extremen liegen wahrscheinlich eine Menge Zwischenstufen, und wenn vielen Pflanzen Kohlensäure, Wasser und Ammoniaksalze genügen, so haben doch andere, um mich so auszudrücken, einen zu schwachen Magen, um diese Stoffe zu assimiliren, und sie verlangen die vier Elemente in andern Combinationen, die ihnen mehr genehm sind. So sind viele Pflanzen offenbar an sogenannten sauren (d. h. mit freier Humussäure geschwängerten) Boden gebunden, und es ist durch Versuche auszumachen, ob diese Pflanzen nicht den braunen, mit eigenthümlichen organischen Verbindungen geschwängerten Extract des Bodens gerade so aufnehmen, wie er ihnen geboten wird. Hier fehlen noch alle brauchbaren Untersuchungen. Zu- erst müsste das endosmotische Verhalten dieser braunen Flüssig- keit gegen die gewöhnlichen vegetabilischen Substanzen geprüft werden, dann untersucht, ob die betreffenden Pflanzen diesen Humusextract ganz aufnehmen oder nicht, und im letzten Fall, was sie daraus anfnehımen, warum dieses, weshalb das andere nicht, u. s. w. Solche Versuche aber, wie die von Hartig '), sind völlig überflüssig. Hartig könnte eben so gut die Unmög- lichkeit der Aufnahme von Kieselerde darthun, wenn er zeigt, dass im aufgelösten Wasserglas kein Moos gedeiht. Zu ähnli- chen Versuchen, als Hartig angestellt hat, würden sich einige Cyperaceen, Pedicularis palustris, u. s. w. eben so gut eignen, als die von Hartig gewählten Bohnenpflanzen dazu unbrauchbar sind, und was etwa auffallend bei diesen Versuchen ist, wäre nur, dass die Bohnenpflanzen überhaupt in dem humussauren Kali vegetiren konnten. Wenn man Versuche mit Humusextract machen will, versteht es sich doch von selbst, dass man Pflan- zen dazu wählt, deren natürlicher Standort eben eine bedeu- tende Menge Hnmusextract enthält. Hier liegt abermals ein ganz unabsehbares Feld vor uns, welches nur durch eine grosse I) Liebig, die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricul- tur und Physiologie, 8. 390 ff. 470 Organologie. Reihe der genauesten Versuche cultivirt werden kann. Dabei will-ich nur auf den wichtigsten Punct aufmerksam machen, der vorher erledigt werden muss, ehe die Versuche an Pflanzen: mit Hoffnung auf brauchbare theoretische Resultate beginnen können. Die sogenannte Endosmose, d. h, die Anziehungskraft zweier Körper in der Mischung, ist, so weit wir bis jetzt einsehen können, der Grund aller Aufnahme von Aussen in die Pflanze. Hier fehlen uns aber noch für die meisten Pflanzenstoffe, ihre Elemente und deren Verbindungen die Untersuchungen, wie weit sie gegenseitig sich anziehen, insbesondere aber, wie sie sich nach quantitativen Verschiedenheiten anziehen, wenn mehrere gleichzeitig in Mischung dargeboten werden. Da die Pflanze als solche wesentlich nur in der morphologi- schen Verknüpfung ihrer physiologisch selbstständigen Elementar- organe besteht, so können die Individuen einer und derselben Pflanzenart möglicher Weise qualitativ oder quantitativ sehr ver- schiedene Bestandtheile haben, je nachdem sie bald diese, bald jene Stoffe von Aussen aufnehmen. Die daraus hervorgehende Verschiedenheit zeigt sich nämlich gar nicht in dem, was die Pflanzenart als solche charakterisirt, d. h. in der gesetzmässigen Verbindung der Zellen unter bestimmten Formen; denn diese bleibt dabei unangetastet. Was sich verändert, ist nur der Le- bensprocess der einzelnen Zellen für sich. Statt dass in der- selben Zellgewebsmasse von 1000 Zellen im einen Falle nur 200 stärkemehlhaltige und 400 ölhaltende sich befinden, sind im andern Falle vielleicht 500 stärkemehlhaltige und 100 ölhal- tende vorhanden, ohne dass dadurch der Gesammtumriss der Zellengewebsmasse, in welchem der specifische Charakter der Pflanzenart allein beruht, im Geringsten verändert würde. Oder, was noch häufiger der Fall seyn wird, der Zelleninhalt bleibt sogar bei allen Zellen qualitativ derselbe und nur die relativen Mengen der einzelnen Stoffe verändern sich, indem die Zellen einmal 7% Kleber und 70% Stärke, das andere Mal 35% Kle- ber und 40% Stärke enthalten. Für jede Pflanzenart sind allerdings bestimmte Stoffe und diese in einer bestimmten abso- luten Menge ganz unerlässlich und als wesentliche Nahrungs- mittel zu betrachten, ohne welche das Leben der Pflanze auf- hört; dagegen kann sie oft auch noch andere Stoffe oder einen Ueberschuss. des einen oder andern wesentlichen Nahrungsmittels aufnehmen, wodurch denn auch Qualität oder Quantität ihres Inhalts verändert wird. Dieses Verhältniss ist aber wieder nur eine Aufgabe für rein empirische Forschung, indem es bis jetzt durchaus als specifische Eigenthümlichkeit der Pflanze erscheint, ob und wie weit sie eine Abweichung von Qualität und Quan- tität ihrer wesentlichen Nahrungsmittel ertragen könne. Manche Allgem. Organologie. Der Ernährungsprocess. 471 Pflanzen scheinen an eine genau abgemessene Diät gebunden und darin liegt sicher mit ein Hauptgrund für ihren sehr gerin- gen. Verbreitungsbezirk, für die Schwierigkeit ihrer Cultur, an- dere dagegen scheinen sich leicht allen Verhältnissen anzube- quemen und sind daher auch ausserordentlich veränderlich in ihrem Gehalt. So z. B. variirt der Gehalt des Milchsaftes von Papaver sommiferum (Opium) nach Biltz, Mulder und Schindler an Morphin von 2,842 bis 20,00 Procent, „. Nareotin.. „1,30 7 „33,00 hs „2. Gautschouk!;,9n2,00, 44511 6,012:.),5, Es ist bekannt, dass auf noch auffallendere Weise bei den eigentlichen Cautschouk-Pflanzen der Gehalt von diesem Stoffe nach den verschiedenen Bedingungen, unter denen sie gewach- sen sind, varırt, und nimmt man die vielfachen ‚Erzählungen hinzu, dass Pflanzen von einem Standorte als sehr giftig, von andern als sehr unschädlich sich erweisen, so darf man selbst annehmen, dass gewisse Stoffe in einer Pflanze gegen ihre Na- tur fehlen oder neu auftreten können, wenn die äusseren Be- dingungen dazu gegeben sind. Am wichtigsten wird die hier erörterte Eigenschaft der Pflanzen für den menschlichen Haus- halt, weil wir dadurch in den Stand gesetzt werden, uns von der Pflanze, gleichsam einem natürlichen chemischen Laborato- rıum, gewisse wichtige Stoffe in grösserer Menge bereiten zu lassen, als die. Natur sie uns darbieten würde, indem wir sie nämlich unter Verhältnissen wachsen lassen, die die Bildung des einen oder des andern Bestandtheils vorzugsweise begünstigen. Freilich sind unsere Erfahrungen in dieser Beziehung noch sehr mangelhaft und weit über die vermehrte Production der ganz gewöhnlichen assimilirten Pflanzenstoffe reichen unsere Künste noch nicht. Wir haben einen Einfluss gewonnen auf Vermeh- rung des Membranenstoffes (Waldeultur), auf vermehrte Bildung von Stärkemehl (Kartoffelbau u. s. w.), von Zucker (Runkel- rübenbau) und von Schleim (Waizen und Hülsenfrüchte). Das Alles erreichen wir im Grunde von Seiten der Ernährung nur dadurch, dass wir durch reichliche Zufuhr stickstoffhaltiger Nah- rungsmittel die Bildung von Schleim und somit die Assimilation überhaupt begünstigen, und daneben eine vermehrte Aufnahme von Kohlensäure möglich machen. So weit es die Natur der Pflanze überall erlaubt, wird es uns auch einmal gelingen, durch Cultur die Bildung ‚aller übrigen Stoffe einzeln oder in gewissen Verhältniss vorzugsweise in der ‘Pflanze zu erhöhen. Nehmen wir das obige Beispiel, so unterliegt es keinem Zweifel, dass der grössere Gehalt z. B. von Morphin in gewissen Mohnpfttan- zen von den Bedingungen, unter denen sie vegetirten, abhängig ist. Man wird einmal dazu kommen, je nach dem Bedürfniss 472 Organologie. die Opiumsorten mit bestimmtem Vorwalten bald des einen, bald des andern Stoffes künstlich zu erziehen und so bei allen Pflan- zen, die für den menschlichen Haushalt irgend wichtig werden. Dahin aber führt uns nur ein langer, mühseliger Weg. Wenn Liebig nun sagt, dass ohne gründliche Anwendung der Chemie keine Pflanzeneultur möglich sey, so hat er mit allen denen, die dasselbe schon früher meinten, ganz Recht. Wenn er aber glaubt, es könne hier durch ein paar geniale Einfälle eines Chemikers, und wäre er der grösste, geholfen werden, so irrt er sehr; es bedarf hier insbesondere des unermüdlichen Fleisses, wodurch sich, wie nicht zu leugnen, die Chemiker fast immer ausgezeichnet haben, ihrer resignirenden Geduld, die jahrelang die genauesten und sorgfältıgsten Analysen macht, um am Ende zu einem Resultate zu kommen, welches allerdings um so glän- zender ist, mit je weniger Worten man es aussprechen kann, ich meine, ein je einfacheres Naturgesetz es enthält. Von Sei- ten der Theorie können wir bis jetzt noch gar nichts thun, als einige ganz allgemeine Gesetze aufstellen und die Aufgaben nennen, die dann aber auf rein empirischem Wege zu lösen sind. Dies lässt sich kurz in Folgendem zusammenfassen. Was nothwendig zur Bildung der Zellen gehört, ist allgemein wesentliches Nahrungsmittel aller Pflanzen, also Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstof. Für sehr viele Pflanzen mögen die in der Natur allgemein verbreiteten Verbindungen, Wasser, Kohlensäure und Ammoniak '), genügen, um sie mit den allgemeinen wesentlichen Elementen zu I) Der Nachweis, dass und in welchem Zustande die Atmosphäre und der Boden Kohlensäure und Ammoniak enthalten, ist Sache der Meteorologie und Agricultur. Beiläufig will ich hier nur noch Eins bemerken. H. Mohl in seiner Schrift: „Dr. J. Liebig’s Verhältniss zur Pflanzenphysiologie“, meint, es sey Liebig’s Verdienst zuerst, die Quelle des Stickstoffs bei den Pflanzen im Ammoniakgehalte des Regenwassers nachgewiesen zu haben; darin irrt er aber, wie mir scheint. Schon De Saussure (Chem. Unt. üb. d. Veget.; deutsch von Voigt, S. 190) hat den Ammoniakgehalt der Atmosphäre nachgewiesen und den Satz ausgesprochen, dass die Pflanze ihren Stickstoffgehalt diesem Am- moniakgehalte, den sie, im Wasser gelöst, mit den Wurzeln aufnehme, verdanke. Die ersten genauen Analysen des Regenwassers und der Nachweis des Ammoniakgehaltes desselben sind ebenfalls nicht von Liebig, sondern von Brandes (vergl. v. Kämptz Meteorologie, Thl. I. S. 38). Viele Andere haben Analysen des Regenwassers gemacht und den Ge- halt an Ammoniak bestätigt. Dass er kohlensaures Ammoniak sey, ist von Liebig ganz willkürlich angenommen und widerspricht direct allen Erfahrungen und seinen eigenen früheren Untersuchungen, nach denen Regenwasser beständig freie Salpetersäure, also unmöglich kohlen- saures Ammoniak enthält. Allgem, Organologie. Der Ernährungsprocess, 473 versehen. Dass sie nicht für alle genügen, namentlich nicht für die Parasiten, ist gewiss; für welche sie genügen, für welche nicht, ist also rein auf empirischem Wege durch Versuche aus- zumitteln, Sehr wenige Pflanzen mögen ganz auf diese wesentlichen Nahrungsmittel beschränkt seyn, die meisten fordern zu ihrem Bestehen noch eine grössere oder geringere Anzahl anderer Ele- mente, die ihnen zur Unterhaltung des lebendigen chemischen Processes wesentlich sind. Welches diese Elemente sind und in welchen Combinationen sie der Pflanze dargeboten werden müs- sen, lässt sich durchaus nicht theoretisch bestimmen, sondern nur empirisch finden, indem wir aus einer gewissen Reihe Ana- Iysen von Pflanzen derselben Art, die unter verschiedenen Be- dingungen vegetirten, das abstrahiren, was dieser Pflanze als wesentliches Nahrungsmittel geboten werden muss, und zweitens durch Calturversuche bestimmen, welche Verbindungen der ge- forderten Elemente die Pflanze verlangt. Viele Pflanzen haben die Fähigkeit, nach Massgabe der ihnen dargebotenen Nahrungsmittel entweder verschiedene Stoffe zu bilden, oder die ihnen eigenthümlichen Stoffe in verschiedenen relativen Verhältnissen hervorzubringen. Welche Pflanzen diese Eigenthümlichkeit haben, ist empirisch auszumachen durch Rei- hen von genauen Analysen derselben Pflanzenart, unter verschie- denen Bedingungen gewachsen. Eben so ist es nur erfahrungs- mässig zu bestimmen, durch welche der Pflanze dargebotenen Stoffe wir auf die Bildung bestimmter Stoffe oder auf ihre rela- tive Vermehrung einwirken können. Nachdem. allen diesen Anforderungen Genüge geleistet ist, , bleibt es dann die Aufgabe der Ackerbaukunst, den Boden durch Bearbeitung und Hinzufügung von Stoffen so zu verändern, dass er alle verlangten Elemente in genügender Menge nnd in den günstigsten Verbindungen enthalte. Auch hier ist die Zweck- mässigkeit der Manipulationen rein erfahrungsmässig zu be- stimmen. Das Resultat ist: Die Theorie kann hier noch gar nichts geben; die Grundlage bilden genaue und vielfache chemische Analysen der Pflanzen und der Bodenarten, und nach Anleitung der so gewonnenen Resultate können wir rationelle Culturver- suche anstellen, aber erst aus diesen letztern gewinnen wir die Regeln für die zweckmässigste Art des Anbaus bestimmter Pflan- zenarten '). 1) Eine Menge interessanter Einzelheiten in dieser Beziehung, so weit unsere bisherigen Kenntnisse reichen, die freilich nur einen Theil der Culturpflanzen betreffen, finden sich übersichtlich zusammengestellt 474 Organologie. $. 194. Die durch Austausch vor sich gehende Aufnahme von Stoffen in die Pflanze geschieht wie bei der Zelle selbst auf doppelte Weise nach den Gesetzen der Eindosmose und den Gesetzen der Austauschung in Flüssigkeiten gelöster Gasarten. In Bezug auf die Endosmose sind drei Verhältnisse der Pflanze zu den Mitteln, in welchen sie vegetirt, zu unterscheiden. Der einfachste und natürlichste Fall ist die Vegetation der Pflanze in Wasser oder vollkommen mit Wasser gesättistem (Sumpf-) Boden. Hier sind die Zellenwände unmittelbar mit der Flüssigkeit in Be- rührung und nehmen alle endosmotisch auf, sobald nicht ein eig Pentiülieher- Ueberzug sie dagegen ar dabei wird eine geringe chemische oder physikalische Diffe- renz des Zelleninhalts von dem umgebenden Wasser Senügen, den endosmotischen Process zu unterhalten. Der zweite Fall ist der, wo die Zellen nur mit festen Stoffen in Berührung kommen, denen die Eigen- schaft zukommt, Wasser zu absorbiren. Hier wird der Zelleninhalt schon eine bei weitem grössere Verschie- denheit von dem absorbirien Wasser haben müssen, weil die Kraft der endosmotischen Anziehung auch die Kraft, mit der das absorbirte Wasser festgehalten wird, zu überwinden hat. Das allgemeinste und wichtigste Me- dium bilden hier die aus der Zerstörung vegetabilischer Substanzen hervorgegangenen kohlenstoflreichen Suhstan- zen, die der Gärtner mit dem ÜColleetivnamen Baumerde (Dammerde, humus) bezeichnet. Oft sind es auch un- organische, mit ähnlichen physikalischen Eigenschaften begabte Substanzen. Wichtig wird hier ihre. grössere oder geringere Kraft, mit der sie Wasser, Kohlen- säure und Ammoniaksalze aus der Aimosphäre absor- in: Liebig a. a. ©. S. 107 fg.; Hiubeck, Beantwortung der wichtigsten Fragen des Ackerbaues u. s. w., Grätz 1842, sowie in andern land- wirthschaftlichen Schriften. Allgem, Organologie, Der Ernährungsprocess, 475 biren und condensiren. In beiden Beziehungen geht die Baumerde allen andern Bestandtheilen vor. Eine beson- dere Aufgabe der Cultur ist: dem Boden, auf dem Pflan- zen wachsen sollen, diese physikalischen Beschaffenheiten in möglichster Vollkommenheit mitzutheilen. Der dritte Fall ist der, wo Pflanzen nur in der Luft vegetiren. Bis jetzt ist nur wahrscheinlich, nicht ge- wiss, dass dieser Fall wirklich vorkommt; nämlich für die Vegetation insbesondere der tropischen Orchideen. Hier scheint die Wurzelhülle die Dammerde zu ersetzen und aus der Luft die nöthigen Nahrungsstoffe zu ab- sorbiren. In allen diesen Fällen aber muss die Aufnahme der Stoffe, die durch Eindosmose geschieht, immer mit einer, wenn auch nur geringen Ausscheidung verbunden seyn. Diese Ausscheidung trifft stets den endosmotisch wirken- den Zelleninhalt, also assimilirte Pflanzensioffe; ein Ver- gleich mit Exerementen als Stoffen, die von der Pflanze abgenutzt seyen, ist hier völlig unanwendbar und durch ‚keine irgend genaue Versuche gestützt. Bis jetzt kennen wir keinen andern Process, durch welchen Flüssigkeiten in’s Innere der Zelle gelangen könnten, als den der Anziehung in der Mischung, den man, modificirt durch eine zwischen. beide differente Flüssigkeiten gelegte durchdringliche Membran, jetzt Endosmose zu nennen pflegt. Wir können da- her diese Aufnahme bis jetzt auch unter keinem andern Ge- sichtspunet betrachten, wobei wir aber nicht ausser Acht lassen dürfen, wie neu noch die Beobachtungen über Endosmose selbst sind und wie viele unerledigte Fragen sich daher hier noch aui- drängen, deren Beantwortung wir nur von fortgesetzten genauen Beobachtungen zu erwarten, nicht aber durch angebliche Theo- rien und Hypothesen zu anticipiren haben. Man hat nun zwar bisher viele Standorte der Pflanzen unterschieden, aber weil man über den Process der Aufnahme nichts wusste, konnte man diese verschiedenen Standorte auch nicht danach bestimmen, wie sie sich zu der Art und Weise der Nahrungsaufnahme verhalten. Sobald man aber die Endosmose als den Grund der Aufnahme ansieht, muss man auch die angegebenen drei ganz verschie- denen Verhältnisse einer besondern Betrachtung unterwerfen. Der einfachste Fall, in welchem die Pflanze ganz oder grössten- 476 Organologie. theils mit dem: Wasser in Berührung steht, ist aber allerdings, zumal bei den Pflanzen, die bisher fast allein Gegenstand. der Physiologie waren, nämlich den Phanerogamen, gerade der sel- tenste, und gleichwohl sind alle endosmotischen Experimente bisher nur für diesen einen Fall gemacht worden. Es ist auf jeden Fall eine grosse Oberflächlichkeit, wenn man die end- osmotischen Erscheinungen so ohne Weiteres auf Pflanzen anwen- det, die in der Erde, auf Steinen, Holz u. s. w. vegetiren, ohne sich von dem wesentlichen Unterschied, der hier in dem Verhalten des Wassers zur Pflanze sich zeigt, Rechenschaft zu geben, ohne dies eigenthümliche Verhältniss aufzuklären, oder wenigstens auf die Lücke ın unsern Kenntnissen aufmerksam zu machen. Dieser Vorwurf trifft aber nicht minder alle früheren Pilanzenphysiologen, deren ganze Behandlung dieser Lehre nur das Verhältniss der Pflanze zum freien Wasser in’s Auge fasst und die daraus hervorgehenden Resultate bona fide auf die in der Erde wachsenden Pflanzen anwendet. Zunächst wird man sich bei weitem genauer, als bisher geschehen, davon Rechen- schaft zu geben haben, in welchem Zustande eigentlich das Wasser im Boden und namentlich in einem seiner wesentlichsten Bestandtheile, im Humus, enthalten ist‘). Dass hier eine für die Vegetation durchaus nicht unwesentliche Verschiedenheit vor- handen sey, zeigen die Verschiedenheiten der Wurzeln derselben Pflanze, wenn sie in der Erde oder im Wasser sich bilden. Im letztern Falle ist ihre ganze Oberfläche glatt, im erstern wach- sen alle Zellen ihrer Oberhaut um so mehr, je lockerer die Erde ist, zu langen Papillen aus, um sich mit einer möglichst grossen Fläche den kleinsten Erdklümpchen anschmiegen zu können. Die im Wasser wachsenden Wurzeln bestehen nun in der That aus verhältpissmässig weiten Zellen, deren Inhalt sehr dünnflüssig erscheint; in der Wurzelspitze der Landpflanzen dagegen, in dem Theile, durch welchen die Pflanzen am meisten Nahrungs- flüssigkeit aufnehmen, findet sich ein sehr zartes kleinzelliges Gewebe, dessen Inhalt höchst concentrirtt zum grossen Theile aus Schleim, also aus sehr stark endosmotisch wirkenden Sub- 1) Wie gar wenig man oft in dieser Beziehung nur über die Mög- lichkeit im Klaren ist, zeigt eine Stelle bei Meyen (Physiol. 2, 140), wo er sagt, der Humus absorbire binnen 24 Stunden sein gleiches Gewicht an Wasser, also das doppelte Volumen, was ein völliges Unding ist; denn wo Humus ist, kann kein Wasser seyn, und die Zwischenräume des Körpers können doch unmöglich einen grössern Raum einnehmen, als der Körper mit den Zwischenräumen zusammen. Sinn hat der Satz nur, wenn man hinzufügt, dass der Humus dabei sein anfängliches Vo- lumen bedeutend vergrössert. Allgem. Organologie, Der Ernährungsprocess. 477 stanzen besteht. Diese oder eine ähnliche Verschiedenheit muss sich aber hier auch zeigen, wenn die Ernährung durch Endo- smose bei den in der Erde wachsenden Pflanzen von Stätten gehen soll, da hier die Kraft der Anziehung in der Mischung auch noch die Kraft zu überwinden hat, mit welcher das absor- birte Wasser in den Bestandtheilen des Bodens zurückgehalten wird. Auch hier lassen sich Versuche anstellen und müssen an- gestellt werden, ob es einen Unterschied macht und welchen, wenn man die diluirte Flüssigkeit aussen am Endosmometer durch eine Dammerde ersetzt, welche dieselbe Flüssigkeit in sich auf- genommen. Erst in neuester Zeit haben wir über die physikalischen Eigen- schaften der wichtigsten, im Boden vorkommenden Substanzen einige genauere Aufschlüsse erhalten und sie in Folge dessen in einem ganz anderen Lichte betrachten lernen. Im Allgemeinen besteht der Boden aus den durch die Einwirkung der Atmo- sphärilien zersetzten und verkleinerten Gebirgsarten, also in einem Gemenge unauflöslicher und löslicher, schwerer oder leichter zersetzbarer anorganischer Verbindungen, gewöhnlich gemischt mit einem grösseren oder geringeren Antheil von in Zersetzung begriffenen organischen Substanzen. Jenen verschiedenen anorga- nischen und organischen Verbindungen kommt nun in sehr ver- schiedenem Grade die Eigenschaft zu, in unverbundenen kleinen Theilen locker neben einander zu liegen, oder sich zu festerer, undurchdringlicherer Masse zu vereinigen, das Wasser in sich aufzuhalten oder durchzulassen, Wasserdampf aus der Atmo- sphäre zu verdichten, Kohlensäure, Sauerstoff und Ammoniakgas zu absorbiren u. s. w. Auf diesen verschiedenen Eigenschaften aber beruht im Allgemeinen und wesentlich die grössere oder geringere Fruchtbarkeit eines Bodens, in sofern es mur darauf ankommt, die Aufnahme der Nahrungsmittel den Pflanzen mög- lich zu machen, den endosmotischen Process zu begünstigen oder zu erschweren. Insbesondere ist in dieser Beziehung die halb zerstörte organische Substanz, die mit einem Collectivworte humus genannt wird, wichtig, indem derselben insbesondere die Eigen- schaft, Wasserdämpfe und Gasarten zu absorbiren und Feuch- tigkeit längere Zeit festzuhalten, im höchsten Grade zukommt, in welcher Beziehung nur die Holzkohle ihr nahe zu stehen scheint. Letztere hat sich daher auch in den von Lucas ange- stellten Versuchen besonders vortheilhaft für die Vegetation vie- ler Pflanzen erwiesen und scheint insbesondere bestimmten Pflan- zen ausnehmend zuzusagen, weshalb man auch fast immer auf allen verlassenen Meilertennen eine ganz bestimmte, sich stets gleichbleibende Vegetation findet, zu der z. B. namentlich Mar- chantia polymorpha und Funaria hygrometrica gehören. Speciel- 478 Organologie. lere Ausführungen dieses ganzen Verhältnisses gehören dem Ackerbau und der Gärtnerei an. Endlich den dritten, im Paragraphen erwähnten Fall anbelan- gend, so gestehe ich gern ein, dass er von mir nur hypothetisch aufgestellt ist; denn zur Begründung desselben fehlt nicht mehr als Alles. Betrachtet man aber die tropischen Orchideen, wie sie auf kleinen Korkstückchen in unsern Treibhäusern münter vegetiren, oft nur eine oder zwei von ihren Wurzeln mit einer Seite an das Korkstück andrückend, während alle übrigen frei in die Luft hinaushängen, bedenkt man den eigenthümlichen Ueberzug, der diese Wurzeln von allen andern Wurzeln unter- scheidet, dessen sehr schwammiges Zellgewebe ganz geeignet scheint, gleich andern ähnlichen Körpern, z. B. der Holzkohle, zu wirken, indem er Gasarten und Wasserdunst aus der Atmo- sphäre anzient, so erscheint es ziemlich natürlich, die Sache so aufzufassen, wie ich im Paragraphen gethan. Auch hier liegen schöne Reihen von Versuchen noch vor uns, namentlich über die Fähigkeit der Wurzelhüllen, Wasserdunst und Gasarten aus der Atmosphäre zu verdichten und so der Wurzel selbst zuzuführen. Einige Beobachtungen früherer Forscher, die an sich ganz richtig waren, aber viel zu früh und noch dazu unter der fal- schen leitenden Maxime der Analogie der Pflanze mit dem Thiere zu theoretischen Ansichten verarbeitet wurden, haben uns mit der ganz eignen Lehre von den Excrementen der Pflanzen be- schenkt, die aufs Breiteste in der Geschichte unserer Wissen- schaft abgehandelt und zuletzt noch auf die wunderlichste Weise von Liebig missbraucht worden ist. Die historisch wichtigen Momente sind etwa folgende. Duhamel‘) beobachtete zuerst das Ankleben der Erde an den Wurzelspitzen und Brugmans ?) eine bräunliche Substanz an den im Wasser gewachsenen Wur- zeln. Brugmans und Coulon ?) zogen hieraus und aus der That- sache, dass gewisse Pflanzenarten, z. B. Hafer und Cnicus ar- vensis, Polygonum fagopyrum und Spergula arvensis u. S. W., sich nicht neben einander vertragen, den Schluss, dass allen Pflanzen eine Wurzelausscheidung zukomme, die gewissen andern Pflanzen schädlich sey. Diese Theorie wurde vielfach bestritten und vertheidigt, ohne dass eine wesentlich neue "Thatsache hin- zugefügt wurde, bis Macaire Prinsep‘) auf De Candolles Ver- anlassung einige neue Versuche anstellte, welche die Wurzelaus- scheidung völlig erweisen sollten. Diese Versuche waren aber 1) Naturgeschichte der Bäume, I, 107. 2) Dissertatio de Lolio ejusdemque varia specie L. B. 1785. 3) Dissertatio de mutata humorum indole ete., p. 77 sq. 4) Memoires de la societe de Geneve, V, 287. Allgem. Organologie, Der Ernährungsprocess, 479 leider so ganz ohne Berücksichtigung der wesentlichen Bedin- gungen einer gesunden Vegetation und aller bei solchen Ver- suchen nöthigen Vorsichtsmassregeln angestellt, dass sie völlig werthlos erscheinen. Wenn man, wie M. Prinsep that, bewur- zelte Pflanzen aus ihrem natürlichen Boden hebt, so ist dabei eine Verletzung mehrerer Wurzelspitzen fast unvermeidlich, und durch diese muss dem Wasser, in welches sie nachher gesetzt werden, nothwendig ein Theil der in ihnen enthaltenen Säfte mitgetheilt werden, und wenn M. Prinsep hinzufügt, dass eine Verunreinigung des Wassers nicht stattgefunden, wenn er abge- schnittene Zweige derselben Pflanze in’s Wasser gesetzt, so ist das ein so offenbares falsum, dass man jedes Vertrauen zu sei- ner Fähigkeit, Versuche der Art anzustellen, verlieren muss. Die Unbrauchbarkeit dieser Experimente ist auch schon von Meyen '), von Treviranus”) und von H. Mohl?) zur Genüge auscinandergesetzt. Hält man nun aber dagegen die Versuche von Unger?) und Welser’), die, mit aller möglichen Umsicht und Accuratesse angestellt, ein völlig negatives Resultat gegeben haben, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass eine Wur- zelausscheidung in der Weise, wie sie von De Candolle, M. Prinsep und Liebig angenommen worden, durchaus nicht existirt. Dass eine Ausscheidung durch die Wurzelspitzen statthaben muss, ist gewiss, so lange man die Endosmose als Ursache der Aufnahme in dieselben festhält, dass sie aber quantitativ höchst unbedeutend seyn müsse, ergiebt sich aus den Gesetzen der Endosmose, und dass sie fast nur indifferente assimilirte Stoffe und allenfalls einige Salze treffen könne, aus der Organisation der ganzen Pflanze, in der fast alle eigenthümlichen Stoffe so eingekapselt sind, dass eine Ausscheidung überall als sehr un- wahrscheinlich erscheint, und ohnehin nie in den äussern Wur- zelspitzen sich befinden, denen doch vorzugsweise die Function der Aufnahme zukommt. Auch hier haben wir wesentliche Auf- klärungen erst von ferneren sorgfältigen Untersuchungen zu er- warten. $. 195. Die zweite Art der Aufnahme von Nahrungsmitteln durch Austausch ist die nach den Gesetzen der Austau- 1) Physiologie, Bd. II. S. 528. 2) Physiologie, Bd. II. S. 117. 3) Dr. J. Liebig’s Verhältniss zur Pflanzenphysiologie. 4) Ueber den Einfluss des Bodens, S. 147. 5) Untersuchungen über die Wurzelausscheidung, Tübingen 1838. 480 | Organologie, schung ‘der von Flüssigkeiten absorbirten Gasarten vor sich gehende. Die von den Pflanzen aufgenommene Flüs- sigkeit enthält ohne Zweifel stets Kohlensäure aufgelöst. Kommt diese auf der Oberfläche der Pflanzen mit Luft in Berührung, die aus Sauerstoff und Stickstoff besteht, mag diese Luft nun frei oder ebenfalls von Wasser se- löst seyn, so wird ein Austausch stattfinden. Sauerstoff und Stickstoff werden im bestimmten Verhältnisse absor- birt, Kohlensäure dafür entlassen. -Im directen Sonnen- licht und, obwohl weniger lebhaft, auch im zerstreuten Licht gehen in der Pflanze die 'chemischen Processe vor, durch welche die Assimilation bedingt ist. Dabei wird nothwendig Sauerstoff entbunden, der zunächst in der Zellenflüssigkeit aufgelöst bleibt. Tritt nun eine Berüh- rung mit einer Atmosphäre ein, welche Kohlensäure und Stickstoff enthält, so muss ein Theil derselben absorbirt und Sauerstoff ausgehaucht werden. Mit diesem Resul- tate stimmen denn auch die Versuche aller Beobachter überein. Eine sehr geringe Menge von Kohlensäure genügt hier, um diesen Process des Austausches zu un- terhalten, und nach Verlauf längerer Zeit findet man, dass die Luft quantitativ und qualitativ durch die Vege- tation der Pflanzen nicht verändert ist, indem die durch den Wechsel von Tag und Nacht hervorgerufenen Schwankungen sich nahebei ausgleichen. Ob die beim Austausch aufgenommene Kohlensäure und der Sauerstoff auch assimilirt werden, ob der ausgeschiedene Sauerstoff von zersetzter Kohlensäure oder von zersetztem Wasser herrührt, wissen wir nicht, und keiner der bisher ange- stellten Versuche ist im Stande, darüber Auskunft zu geben. Ueber diesen Process bei den ganz im Wasser lebenden Pflanzen wissen wir noch gar nichts. Bei den zum "Theil wenigstens der Luft ausgesetzten Pflanzen sind es nur die frischen, grünen und vegeten Theile, welche diesen Austausch unterhalten können; nach dem Bau der Oberhaut ist wenigstens überwiegend wahr- scheinlich, dass nur die Spaltöffnungen ihn vermitteln. Allgem, Organologie. Der Ernährungsprocess, 481 Sie führen in das zusammenhängende System von Inter- cellulargängen, die von den von Feuchtigkeit durchdrun- senen Zellenwänden begränzt sind, während der übrige Theil der Oberhaut trocken und meist auch unnetzbar ist, also Gasaustausch nicht gestattet. Ob die Intercel- lulargänge hier auch durch Capillarattraction, etwa wie die Kohle und andere poröse Substanzen, auf die Gas- arten wirken, wissen wir ebenfalls noch nicht. Die Versuche, welche zur Ermittelung des "Verhältnisses der Pflanzen zur Atmosphäre angestellt sind, finden sich hauptsäch- lich bei Hales'), Bonnet?), Priestley’), Ingenhousz *), Senne- bier’), Woodhouse°), Th. De Saussure’), Link®) und Gri- schow”). Man kann sie in drei Gruppen theilen, nachdem man die älteren Versuche an einigen Wasserpflanzen, die einer ge- nauen Wiederholung bedürfen, ausgemerzt hat. Die erste Gruppe umfasst die Versuche, bei denen abgeschnittene Blätter oder Stengel benutzt wurden; diese sind völlig zu verwerfen; denn nie ist angegeben, wie viele Luft und welche etwa diese Theile aufgelöst enthielten, wie lange der Versuch fortgesetzt werden konnte, welcher Art die dabei im Innern dieser, ihren natürli- chen Lebensbedingungen entzogenen Pflanzentheile vorgehenden Veränderungen waren n. s. w. Die zweite Reihe von Versuchen enthält diejenigen, bei welchen ganze Pflanzen, in Wasser oder Erde vegetirend, in einen Recipienten eingeschlossen wurden; auch diese Versuche, zu denen der grösste Theil der De Saus- sure’schen gehört, sind völlig unbrauchbar, da nichts im Stande ist, uns darüber Aufschluss zu geben, wie viel von den Verän- derungen in der Atmosphäre bei diesen Versuchen durch die 1) Statik der Gewächse, übers. von Wolf (1784), S. 91 ff. 2) Rech. sur l’usage des feuilles dans les Pl. (1754), p. 24 sq. 3) Experiments and observations relating to various branches of natural philosophy with a continuation of the observations on air (1779). Tom. II. p. 1 sg. 4) Versuche mit Pflanzen, wodurch entdeckt ward u. s. w. A.d. Engl. 1780; und: Ueber die Ernährung der Pflanzen u. s. w. A. d. Engl. von @. Fischer, 1798, S. 53 ff. d) Physiologie vegetale (1801), T. III. p. 104 — 148. 6) Gilbert’s Annalen, 1803, XIV, p. 351. T) Chemische Untersuchungen über die Vegetation, übersetzt von Voigt, 1805. 8) Grundlehren der Anatomie und Physiologie. Göttingen, 1807. S. 283. 9) Physikalisch-chemische Untersuchungen über die Athmungen der Gewächse und deren Einfluss auf die gemeine Luft (1819). 1. ol 132 nannOrgalielogie,nonsen _‚Blätter,, ‚wie, viel durch Boden ‚und Wurzelä vermittelt ‘wurde, „Die ‚dritte Gruppe ist die einzige, welche. brauchbare Resultate liefern konnte, in sofern nämlich nur die grünenden Theile einer "Pflanze, ohne dass man dieselbe ihrem natürlichen Standort ent- "zog, in einem Reeipienten' ‚abgeschlossen wurden, dessen Luft — die‘ gewöhnliche Zisssuhenetzung: unserer Atmosphärd hatte. a Hier gehören. ‚Woodhoüuse. a. a.,0,, Saussure (S. 35), Länk „a.ıa. O.,,Grischow (S. 121). Dee Beobachtungen, von ‚so verschiedenen Forschern angestellt, ergaben sämmtlich, dass bei längerer Vegetation in eingeschlossener Luft die Pflanzen durch ihre grünenden Theile die Mischung: der Atmosphäre nicht verändern, sondern so, viel Kohlensäure. bei Nacht aushauchen, als sie, bei Tage wieder. aufuehmen,: was mit dem im Paragra- ‚phen, theoretisch Entwickelten vollkommen übereinstimmt. . In ..wiefern nämlich. die Aufnahme, und Ausscheidung von Kohlen- säure, Sauerstoff und Stickstoff genau auf die Dalton’ schen und ‚Saussure’schen Gesetze, über. den Austausch der Gase sich ‚zu- ‚rückführen lässt, kann aus den: bis jetzt vorliegenden Versuchen noch nicht mit ‚Sicherheit erschlossen. werden, weil..sie sämtlich noch viel, zu, ungenau angestellt sind, und. weil die im folgenden ‚Paragraphen. zu ‚erwähnenden Verhältnisse, sich, hier ‚mit einmi- schen und schwer in rechnung zu bringen sind. Dazu müssten gleichzeitig die Aufnahmen durch die Wurzeln ganz genau con- trolirt, das Volumen der eingeschlossenen Ba bestimmt, wenigstens annaherungsweise die für den Gasaustausch geeignete Fläche berechnet werden u. s. w. Auf diese Weise scheint, wenigstens so weit bis jetzt die Thatsacher vorliegen (die Richtigkeit der angeführten Versuche vorausgesetzt), vollkommen: fest zu stehen, dass die Pflanzen sich nicht. auf Kosten der Kohlensäure der Atmosphäre ‚durch die grünen Theile nähren; aber ich bin dabei, wie schon angegeben, der Ueberzeugung, dass hier noch viele Versuche angestellt werden müssen, zu denen aber Chemiker und Physio- logen sich verbinden müssen, wenn sie genügende Aufschlüsse gewähren sollen. $. 196. Nächst den Austauschungen werien nun noch die reinen Aufnahmen und Ausscheidungen wichtig. Hierher gehört zunächst die Aufnahme und Ausscheidung, freier Gasarten. Wenn eine Flüssigkeit mehr Gas enthält, als sie ihrer Natur und der,Art des Gases: nach festzuhalten Allgem. Organologie. Der Ernährungsprocess. 483 vermag, so wird sie, der Luft ausgesetzt, das überflüs- sige Gas an ihrer Oberfläche verfliegen lassen, auch dann, wenn diese Oberfläche mit einer von der Flüssig- keit durchdrungenen Membran bedeckt ist.. Das Wasser kann aber nur 106,0 : Volumprocente Kohlensäure und 6,5 V.'% Sauerstoff auflösen, Zucker- und Gummilösung nur 75 und 72 V.Y, Kohlensäure und 4,6 V.’/, Sauer- stoff; wenn daher in dem mit Kohlensäure gesättigten Zellensaft mehr als 6,5% Kohlensäure gebunden und eine. äquivalente Menge Sauerstoff frei wird, so muss der Ueberschuss aus der Flüssigkeit entweichen. Grüne Pflanzentheile, die im Sonnenlicht vegetiren, werden also, weil in ihnen durch den. Assimilationsprocess be- ständig Sauerstoff entbunden wird, auch beständig dieses Gas an die Atmosphäre abgeben. Jede Flüssigkeit absorbirt aber auch so viel von einer Gasart, mit der sie in Berührung steht, als sie aufzunehmen vermag; wenn also im Sonnenlichte durch den Vegetationsprocess Kohlensäure chemisch gebunden wird, so muss für die gebundene wieder eine verhält- nissmässige Menge aufgenommen werden, wenn freie Kohlensäure ausserhalb der Flüssigkeit vorhanden ist. Dieses und das vorige Verhältniss scheinen wesentlich die Erscheinungen bei der Vegetation grüner Pflanzen- theile im Sonnenlicht zu bedingen. Völlig unerklärt bleiben hier noch einige Erschei- nungen, welche grüne Pflanzentheile im Dunkeln zeigen, indem sie offenbar mehr Sauerstoff einnehmen, als zu- folge den Gesetzen über den Austausch der Gase statt- finden sollte, während die ausgehauchte Kohlensäure meistens wohl der Menge, die dem Austausch der Gase entspricht, gleichkommt. Nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft müssen wir an- nehmen, dass die sogenannte Respiration der Pflanze wenigstens aus den in diesem und im vorigen‘ Paragraphen erörterten Ver- hältnissen zusammengesetzt ist und nicht als ein einfacher Pro- cess gedacht werden kann, obwohl noch keineswegs auszumachen ist, wie viel jedem einzelnen Momente von der Gesammterschei- 31 * ol 484 ygayıa! Organologie. nung 'zukommt. Da bei ‚den im Innern der. Pflanzenzellen vor sich gehenden chemischen Processen wahrscheinlich (mit Aus- "nahme vielleicht der Pilze) Stickstoff weder gebunden, noch frei wird, so lässt sich die aus De Saussure’s u. A. Versuchen con- statirte Aufnahme und Aushauchung von Stickstoff nur aus dem im vorigen Paragraphen erwähnten Gasaustausch erklären; dage- gen‘ möchte der grösste Theil. von’ der Aufnahme der Kohlen- säure und der Ausstossung des Sauerstoffgases wohl an die in - diesem Paragraphen erläuterten Bedingungen geknüpft seyn. Durch eine scharfe Trennung dieser beiden Vorgänge wird es uns’ vielleicht möglich werden, eine genauere Einsicht in den so verwickelten Process der sogenannten Pflanzenrespiration zu er- langen, jedoch sind auch hier noch erst gar viele genauere Ex- perimente anzustellen. Insbesondere müssen hier die Dalton’schen und De Saussure’schen Versuche über die Absorption der Gase ‘durch Flüssigkeiten und über den Austausch absorbirter Gase gegen freie, mit ganz specieller Berücksichtigung der in den Pflanzen möglicher Weise vorkommenden Flüssigkeiten und ihrer Mischungen, der in denselben absorbirt oder in Ueberschuss vor- . handenen und der mit den Pflanzen im. natürlichen Zustande in Berührung, stehenden Gase wiederholt werden. Die so gewon- nenen Resultate müssen dann durch genauere und mannigfalti- gere Experimente, als die bisherigen, auf die lebenden Pflanzen angewendet werden. Ganz unabhängig von der Frage aber, ob die grünen Theile eine grössere Menge Kohlensäure aufnehmen oder nicht, ist die andere, ob der von der Pflanze ausgehauchte Sauerstoff von einer Zersetzung der Kohlensäure oder des Wassers herrührt. Man hat nun seit den ältesten Zeiten, ohne allen Schein einer Begründung, stets von einer Zersetzung ‚der Kohlensäure ge- sprochen, und durch alle chemische und botanische Handbücher läuft diese Ansicht als eine Thatsache durch, ohne dass es auch nur Einem eingefallen wäre, zu fragen, ob dieselbe auch durch irgend eine Beobachtnng constatirt sey. Die Möglichkeit im Allgemeinen ist freilich so wenig zu leugnen, als die Möglichkeit der Fixirung des Stickstoffgases in der. Pflanze; aber seltsam bleibt es doch, dass man eine solche Angabe hingestellt und hundertmal abgeschrieben hat, ohne dass auch nur die leiseste Andeutung dafür in den bis jetzt bekannt gewordenen Vegeta- tionsverhältnissen und Experimenten zu finden wäre. Es ver- steht sich ganz von selbst, dass der sogenannte Athmungspro- cess, sey es auch nach welcher Ansicht man wolle, dass alle Thatsachen, von welchen Beobachtern sie auch bis jetzt mitge- theilt worden, völlig unangetastet stehen bleiben können, mag nun der Sauerstoff aus zersetztem Wasser oder aus zersetzter Allgem. Organologie, Der Ernährungsproces, 485 Kohlensäure frei werden. Au jeden Fall steht das Freiwerden des Sauerstoffs aus dem Wasser und der Kohlensäure in gar keinem Zusammenhang mit der Ausscheidung desselben und der Ursache dieser Ausscheidung; denn frei geworden, werden sie zunächst von dem flüssigen Inhalt der Zellen aufgelöst. Wenn ein Blatt in kohlensäurehaltigem Wasser Sauerstoffbläschen ent- lässt, in ausgekochtem aber nicht, so haben: einmal schon die frühesten Beobachter erinnert, dass die Bläschen in ausgekoch- tem Wasser nicht erscheinen, weil das Wasser das Gas sogleich absorbirt, aber es ist auch nach den Dalton’schen Gesetzen ganz natürlich, dass kein Sauerstoffgas abgesondert wird, wenn nicht gleichzeitig eine differente ‚Gasart an seiner Stelle aufgenommen werden kann. Die Untersuchung eines vorher ausgekochten Wassers auf seinen Sauerstoffgehalt, nachdem‘ Blätter längere Zeit im Sonnenschein in ‚demselben vegetirt haben, würde viel- ‚ leicht einen positiven Beweis liefern können, dass Kohlensäure bestimmt nicht zersetzt wird, ‚wenn nämlich die am Schlusse des Versuchs im Wasser und im Blatte enthaltene Sauerstoffmenge grösser wäre, als die vor dem Versuch im Blatte möglicher Weise noch enthaltene Kohlensäure liefern könnte. Der einzige Grund, der es bis, jetzt 'wahrscheinlich machen könnte, dass zer- setzte Kohlensäure den Sauerstoff liefere, nämlich 'ein äquiva- lentes Verhältniss zwischen den anfgenommenen und ausgehauch- ten Mengen’ beider, existirt nach der einstimmigen Angabe aller Beobachter nicht. Pflanzen, die in einem abgeschlossenen, mit 7—10%/, Kohlensäure und atmosphärischer Luft. erfüllten Reci- pienten vegetirten, gaben nach De Saussure (S. 36 ff.) 'unge- fähr 16 bis 33 Volumprocente weniger Sauerstoff aus, als sie Kohlensäure aufgenommen hatten, nämlich Lythrum salicaria für 7,5 C.Z. CO? — 6,13 C.Z. ©. Pinus genevensis '„ 155 ,„ POT anne 21.2 ROEREE > Mentha aquatica ,„ 15,6 ,„ es SALE ENS Opuntia vulgaris » 93 5» SEE > ss Vinca minor DET 3» 1475 ,„ % Wir können über diesen Punct also bis jetzt nur nach, Analogie mit andern bekannten Thatsachen entscheiden. So wenig man nun geneigt seyn kann, eine Bindung des Stickstoffs in der Pflanze anzunehmen, weil wir wissen, dass dieser Stoff, einmal frei, das geringste Vermögen hat, mit andern Stoflen Verbin- dungen einzugehen, eben so unwahrscheinlich ist es, dass Koh- lensäure, eine der festesten von allen Verbindungen, in der Pflanze zersetzt werde, so lange wir noch die nahe liegende Möglichkeit haben, alle Erscheinungen der Vegetation auf eine mit andern bekannten Thatsachen, namentlich der leichten Zer- 486 ZaRt Organologie, setzbarkeit des gi ah völlig ÜbeLakt UNBERI Weise zu’ er- klären. Das am Schlussen des re DR erwähltel Aikkälknies rt mir bis jetzt noch das unerklärlichste. Die Thatsachen, wie sie ‘durch De Saussure festgestellt wurden, sind folgende. Im‘ Dun- keln nehmen die grünen Pflanzentheile von 0,3 (Agave ameri- cana) bis 8,0 (Prunus armeniaca) ihres Volumens Sauerstoff aus der Atmosphäre auf und hauchen dafür eine bedeutend gerin- gere Quantität Kohlensäure aus. Die letztere für sich allein könnte, wie sie in dem Wasser aufgelöst aufgenommen wird, auch mit demselben bei der Transspiration wieder eutweichen; auch würde der aufgenommene Sauerstoff mehr als hinreichend seyn, um eine gleiche Menge Kohlensäure auszutauschen. ' Aber bei einigen Pflanzen wird offenbar mehr Sauerstoff aufgenom- men, als sie aufgelöst zu enthalten vermögen, und dafür fehlt uns bis jetzt jede Erklärung. Liebig ist hier schnell fertig, indem er sagt, dass die Sauerstoffaufnahme in Folge chemischer Ver- bindung derselben mit ätherischen Oelen und Harzen geschehe, was aus De Saussure’s Versuchen klar hervorgehe, indem die harz- haltigen Pflanzen auch am meisten Sauerstoffgas absorbirten. Dass die Saussure’schen Versuche das entschieden nicht dar- thun, hat bereits Mohl') gezeigt, und wenn sich die Sache in der That so verhielte, wäre wahrlich nicht einzusehen, weshalb dieser Process der Sauerstoffaufnahme nicht auch bei Tage statt- finden sollte; denn, so viel ich weiss, macht Tag und Nacht in der Oxydation der ätherischen Oele keinen Unterschied. Es bleibt gerade hier noch ein Räthsel zu lösen. $. 197. Eine zweite Art der reinen Ausscheidungen ohne Austausch ist die Verdunstung des Wassers von Pflan- zentheilen, die einer Atmosphäre ausgesetzt sind, die nicht an sich schon vollständig mit Wasserdünsten ge- sättigt ist. Dieser Process ist rein physikalisch und geht, wie es nach den Untersuchungen scheint, ununter- brochen nach Verhältniss der Trockenheit und Bewegungs der Atmosphäre, sowie der "Temperatur und der zur Ausdünstung geschickten Fläche vor sich. In letzterer Beziehung ist insbesondere zu bemerken, dass höchst 1) Dr. J. Liebig’s Verhältniss zur Pflanzenphysiologie, Tübingen, 1842. Allgem. Organologie, Der Ernährungsprocess. 487 wahrscheinlich die Epidermis dem» verdunstenden Wasser keinen Durchgang «gestattet, sondern nur dem von den Zellen in die benachbärtän "Intercellulargänge sich ver- breitenden Wasserdunst durch die Spaltölfnungen auszu- ireten erlaubt, wenn diese nicht durch. zu starke ‚Ver- dunstung und dadurch bewirkte Erschlaffung (2?) sich schliessen. Das auf diese Weise ausgehauchte Wasser ist natürlich niemals sanz rein, besonders enthält es stets eine geringe Menge vegetabilischer Substanzen, die aber nicht näher analysirt sind. Ausser dieser Verdunstung des "Wassers findet bei sehr feuchter Atmosphäre hd besonders bei Pflanzen, die vorher sehr stark ausgedünstet haben, auch eine Aufnahme von Feuchtigkeit durch die grünen Theile statt, indess sind ‚die darüber 'angestellten Versuche noch viel zu wenig genau und zweckmässig, um hier eine mögliche Erklärung zu ‚gestatten. Auch die Lehre von der Transspiration bedarf noch mannig- facher Wiederholung und. Verbesserung der! bisher darüber an- gestellten Versuche, namentlich bedürfen wir einer Reihe von Experimenten, bei denen. mit ‚möglichster Genauigkeit der Un- terschied zwischen der Menge des aufgenommenen und des aus- gehauchten Wassers,, also .die Menge des zur Ernährung der Pflanze verwendeten bestimmt wird. . Vielleicht liessen sich dar- ‚aus, in Verbindung mit’ einer gleichzeitigen Bestimmung. des aus- gehauchten Sauerstofls,. sehr ‚bestimmte Schlüsse ‚auf ‘die im In- nern. der Pflanzen‘ vorgehenden chemischen. Processe, namentlich ‚die. Zersetzungen, bauen, ‚ Auch. ist noch zu ermitteln, in wel- chem Verhältniss die, Ausdünstung, des Wassers, zur Einsaugung desselben steht. Die ‚Thatsache. der Einsaugung. selbst ‚scheint durch die Versuche von Hales völlig ‚constatirt , ‚aber über. die Art und Weise und den Grund, der Aufnahme sind wir noch völlig im Dunkeln. Eine genaue Kenntniss beider Verhältnisse ist aber um so wichtiger, als die Verdunstung oder Einsaugung von Wasser, sowie die jedesmalige Tension des ‚Wasserdampfs nicht ohne Einfluss auf die ‘verschiedenen Arten der Ausgabe und Einnahme der Gasarten seyn kann, und gleichwohl ist dies Verhältniss bei den bisherigen Versuchen über . die sogenannte Respiration der Pflanzen gar nicht berücksichtigt worden. Ueber die Organe, welche eigentlich die Ausdünstung vermit- teln, herrscht ebenfalls sehr viel Ungewissheit. Mir scheint es 488 yank ' »Organologie. sehr unwahrscheinlich, dass die lebendige Oberhaut an andern Stellen als durch die Spaltöffnungen für Wasser und Wasser- dampf permeabel sey; die Gründe dafür habe ich schon früher (Th. I. S. 287) entwickelt. Eine bekannte Thatsache ist es ferner, dass jedes verdun- 'stende Wasser von den Stoffen, die es aufgelöst enthält, und wären sie,auch noch so wenig düchis g, einen Theil mit fort- reissen kann. Ich will hier nur an den entschiedenen Salzge- halt der von grossen Meeren herziehenden Nebel erinnern. Des- halb ist es sehr natürlich, dass das von der Pflanze verdun- stende Wasser nicht ganz rein ist. Auch hier fehlen uns aber genaue Analysen, aus denen wir erfahren könnten, welches vor- zugsweise die mitgenommenen Substanzen sind. Die natürliche Folge der beständigen Verdunstung des Was- sers von den der Luft ausgesetzten grünen Pflanzentheilen ist die fortwährende Concentration der Säfte in den Zellen, welche zunächst die Verdunstung trifft. Hierdurch wird aber beständig die Endosmose von den Zellen her, die nicht unmittelbar der Verdunstung ausgesetzt sind, unterhalten, ‚ein Verhältniss, ‘das später noch weiter auszuführen. ist. Ueber die ganze Transspiration der Gewächse haben wir bis jetzt die Versuche von Hales'), Gwuettard?), Sennebier”) und von Schübler und Neuffer *) anzuführen. Der wunderliche Hang, dem Leben stets etwas besonderes, den physikalischen Kräften Fremdes zu vindieiren, hat auch bei der Lehre von der Transspiration einen Unterschied von Ver- dunstung und Ausdunstung eingeführt, wovon erstere auch den todten Pflanzentheilen, letztere aber nur den lebendigen zukom- men soll. Ich kann mit dem besten Willen keinen andern Un- terschied finden, als den zwischen zwei Gefässen, bei deren einem man das verdunstende Wasser von Zeit zu Zeit ersetzt; dass das auf die Natur des Verdunstungsprocesses keinen Ein- fluss hat, der in beiden Gefässen ein und derselbe bleibt, ist leicht einzusehen, und der ganze Unterschied liegt daher nicht in der Sache, sondern in den Worten. Ich habe deshalb auf diese ganze Eintheilung keine Rücksicht genommen. 1). Statik der Gewächse in der angef. Ausgabe, S. 1 ff. 2) Memoires de l’ Acad. des Sc. de Par. Ann. 1784, p. 419 sg. 3) Physiologie vegetale, Vol., IV. p. 56. 4) Untersuchung über die Temperatur der Vegetabilien und ver- schiedene damit in Verbindung stehende Gegenstände. Tübingen, 1829. Allgem, Organologie, Der Ernährungsproces. 489 $. 198. Es bleiben nun noch einige Verhältnisse zu erörtern übrig, die mit dem Leben der ganzen Pflanze entweder entschieden in keiner, Verbindung stehen, oder, wo uns der Zusammenhang doch zur Zeit noch durchaus dunkel ist, und welche ganz auf der Selbstständigkeit des Zel- Tenlöne zu beruhen scheinen. Hierher gehört: 1) als wichtigste und allgemeinste Erscheinung, die, wie es scheint, rein der chemischen Anziehungskraft zu- zuschreibende Aufnahme von Sauerstoff zur Oxydation vorhandener Stoffe mit gleichzeitiger ‚theilweiser ‚Zer- setzung derselben zu Kohlensäure und, Wasser. Am allgemeinsten zeigt sich dieser Process in den absterben- den‘ Zellen, also in Borke und Kork, die fast jeden mehr als einjährigen Pflanzentheil (besonders Stengel- und Wurzelorgane) in dicker oder ‚dünner. Schicht über- kleiden, in den perennirenden Blättern, ‚kurz da, wo sich besonders Gerbsäure und die sogenannten Extractivstoffe bilden. Das Ganze ist wahrscheinlich ein Verwesungs- process anfangs des Inhalts der Zelle, später ihrer Mem- bran selbst, und endet, zumal in den Kork- und Borke- zellen, damit, dass dieselben ganz in Humus (Ulmin) umgewandelt werden. 2) Der zweite hier zu erwähnende Vorgang ist die Kohlensäurebildung durch Blumen und Staubfäden und das Reifen saftiger oder fleischiger Früchte; ‘auch diese Theile nehmen Sauerstoff auf und hauchen Kohlensäure aus, ohne dass hier etwas Neues gebildet würde; im Gegentheil werden hier die schon gebildeten Stoffe wie- der zu Kohlensäure und Wasser zersetzt, während an- dere oft gleichzeitig oxydirt werden, um Säuren oder vielleicht Eue aus Säuren Zucker zu bilden. Dieser Process betrifft ebenfalls nur das Leben der einzelnen Zelle für sich, und es bleibt völlig unentschieden, ob er Ve Organologie, u... man! auf das Leben der ganzen Pflanze von Einfluss sey oder nicht. 3) Als dritter Punct kann vielleicht noch das Ver- hältniss der in Zellen oder in Saftgängen eingeschlos- senen ätherischen Oele und Harze angesehen werden, welche sich ebenfalls allmälig durch Aufnahme von Sauerstoff oxydiren, aber ohne Kohlensäure zu bilden. 4) Ferner ist hierher zu rechnen die Absonderung, des tropfbar flüssigen Wassers aus Zellen, die von Was- ser strotzen und nicht durch die Derbheit ihrer Wände oder ‘durch ‘einen äusseren Ueberzug vor dem Durch- schwitzen des Wassers in bedeutenderer Menge geschützt sind, z. B. von den Drüsen in den Schläuchen der Nepenthes- Arten. Ob dieses Wasser in der That in tropfbar flüssiger Gestalt austritt, wissen wir zwar. nicht, indess’ ist es wahrschemlich; denn’ an anderen Stellen finden wir, dass das von solchen zartwandigen Zellen- gruppen ausgesonderte Wasser (scheinbar wenigstens) tropfbar flüssig ausgetreten seyn muss, indem es an den Stellen, von denen es verdunstet, eine grössere. Menge von "Stoffen absetzt, als das nur als Dunst austretende Wasser möglicherweise "hätte mit fortreissen können, z. B. der auskrystallisirte Zucker auf dem Spiegel der Fritillarien, ‘und auf den sonstigen Honigdrüsen, der kohlensaure Kalk auf den Randdrüsen der Blätter bei so vielen Saxifraga-Arten u. s. w. 5) Endlich ist hier noch die Ausscheidung der äthe- rischen Oele durch Verdunstung: insbesondere von den Blattorganen und zumal in den Blüthenhüllen anzuführen. Vielleicht hiermit zusammenhängend ist die allmälige Ab- sonderung einer dickern oder dünnern Wachsschicht,. der Reif (pruina) auf der Oberfläche vieler Pflanzen und Pilanzentheile, die man deshalb’ pruinosae, glaucue u. s. w. nennt. Nur allenfalls von dieser letzten Aus- sonderung können wir mit einiger Wahrscheimlichkeit eine Rückwirkung auf das Leben der übrigen Zellen und somit der ganzen Pflanze angeben, in sofern dieser Allgem. Organologie, Der Ernährungsproces, 491 Ueberzug bei Flächen auch noch 'so thätiger Zellen die Fähigkeit zu transspiriren aufhebt. ia Ich will nur wenig‘ kurze Bemerkungen zu diesem Paragra- phen und zu den einzelnen Thatsachen hinzufügen. ‘In allen: Handbüchern der Botanik findet man die unter 1) und 2) aufgeführten Verhältnisse mit zu dem Respirationspro- cess der Pflanzen gerechnet. Wenn man mit sehr unbestimmter Definition unter Respiration jeden Process an den Pflanzen ver- stehen will, bei: dem Gasarten concurriren, so ist nichts dagegen zu erinnern, dann ist aber auch von der ganzen Lehre keine Einsicht in die ‚Lebensverhältnisse der Pflanze zu hoffen. Ich habe schon im vorigen Paragraphen gezeigt, wie der sogenannte Respirationsprocess sehr verschiedene Gesichtspuncte darbiete. Die hier berührten Vorgänge sind :abermals ganz von den vori- gen nach ihrer Natur und ihrer. Bedeutung für das Leben der Pflanze verschieden. Bei dem erstern ist wenigstens für den Process an nicht grünen Pflanzenthellen, an Kork und Borke überwiegend wahrscheinlich, dass er mit dem Leben der ganzen Pfianze gar nichts zu thun hat, sondern allein dem individuellen ‚Leben der Kork- und Borkenzellen angehört und ihr allmäliges Absterben begleitet. Bei vielen perennirenden Blättern, in denen ‚sich eine grössere Menge Gerbstoff entwickelt, und vielleicht bei allen ‚Blättern gegen die Zeit ihres Absterbens hin mischt sich sicher dieser Process allmälig mit in den: lebendigen Austausch der Gase ein; darauf müsste wenigstens‘ bei neu 'anzustellenden Versuchen über die Respiration der Pflanzen durchaus Rücksicht ‚genommen werden. Wenn auch ganz verschiedene Producte bildend, so ist doch der zweite Vorgang, wie es scheint, nicht minder unabhängig von dem Leben der ganzen Pflanze und ‚eigentlich auch der Fflanzentheile, in’ welchen er vor sich geht, und trifft nur das Leben der einzelnen Zellen, aus welchen sie bestehen. Bei. den Blumen und reifenden Früchten ist gar kein Zusammenhang mit dem Leben der ganzen Pflanze’ denkbar, bei den Staubfäden dagegen steht der Process vielleicht mit der Ausbildung; des Pollen und daher mit der Fortpflanzung in innigem Zusammenhang, zur Zeit ist aber durchaus ‘nicht zu entscheiden, ob dieser Verbrennungsprocess ‘der Kohle die Mut- terzellen oder den Inhalt der Pollenkörner trifft, ob nur die erstern rasch zerstört, oder in den letztern wesentliche Stoff- metamorphosen bewirkt werden. Hier, wie überall, stossen wir auf unerledigte Fragen, die nur durch Reihen der genanesten Beobachtungen und Experimente und vielleicht erst dann, wenn durch glückliche Combinationen genialer Köpfe die Bahnen ge- brochen. sind, erledigt werden können. Die bisherigen Versuche 492 EA DNUE, ‚Organologie. haben uns nur sehr im Allgemeinen mit ‘der Thatsache selbst bekannt gemacht; sie finden sich bei De Saussure '), 'Gri- schow ?) u. S. W. ‘Der dritte Punct bedarf keiner Erläuterung; 'es ist aber dar- auf aufmerksam zu machen, dass derselbe bei Veränderungen, die harzreiche Blätter in der Atmosphäre hervorbringen, eben- » falls in Rechnung zu ziehen ist, wenn man brauchbare Resultate gewinnen will. Wichtiger dagegen ist die Abspndirinee: von tropfbar' flüssigem ‘Wasser.‘: Wo eine ‚ausgebildete Epidermis vorhanden ist, geht diese Aussonderung: stets nur in Folge krankhafter Dnsiihlde vor sich. Es giebt: aber ‚gar viele Stellen der Pflanze, an denen keine Oberhaut und insbesondere keine gegen Durchschwitzung schützende Absonderungsschicht ausgebildet ist, wo deshalb auch die. in den Zellen enthaltenen Säfte die Membran durchdringen und äusserlich frei erscheinen. Enthalten dann diese Säfte viele nicht flüchtige feste Stoffe, so wird das Wasser davon verdun- sten und die Stoffe selbst: werden an der Stelle,’ an der sie ‚ausgesondert sind, sich anhäufen, und wenn ihre physikalischen Eigenschaften es erlauben, so onen sie selbst dazu beitragen, den Aussonderungsprocess (durch Endosmose zu verstärken. an meisten. Aufsehen in dieser Beziehung haben die starken Abson- derungen klaren. Wassers in den schlauchartigen Blättern vieler Pflanzen gemacht.‘ Die Thatsache. selbst ist bei Nepenthes sehr leicht zu: constatiren, obwohl nicht zu leugnen, dass noch viel mangelhafte Beobachtungen sich eingemengt haben mögen.‘ Bei Saracenia habe. ich. (freilich bei wenigen Beobachtungen) nie Flüssigkeit in ‘den: Schläuchen finden können, wenn sie‘ nicht von Aussen hineingekommen war. In wiefern die Beobachtun- gen bei den andern, schon in der Morphologie 'aufgeführten Pilanzen: richtig sind, kann ich nicht entscheiden. Ueber den anatomischen Bau dieser Theile und’ ‘die Vermittelung der ‚Was- serausscheidung wissen wir noch viel zu wenig. Eine Erschei- nung, die gewöhnlich hiermit zusammengestellt wird, nämlich die Absonderung von Wassertropfen an Blättern von Gräsern, Aroi- deen, Pappeln, Weiden u. a. m. ist offenbar pathologischer 'Na- tur und gehört .gar nicht hierher. Ich habe schon früher bemerkt, dass ich mit dem Ausdruck Drüse bei Pflanzen durchaus keinen bestimmten Sinn verbinden kann. Wie verschiedenartig das Leben der einzelnen Zellen I) De l’action des fleurs sur l’air et de leur chaleur propre. Ann. de Chimie et de Physique. Tom. XXI. (1322.) 2) Physikalisch-chemische Untersuchungen über die Athmungen der Gewächse und: deren Einfluss auf die gemeine Luft. (1819.) Allgem, Organologie, Der Ernährungsprocess, 49 sey, gleichviel ob sie in verschiedenen Pflanzen, oder in dersel- ben Pflanze neben einander liegen, kann Niemand entgehen, der aufmerksam beobachtet. Es erscheint also ganz thöricht, jede Zelle oder Zellengruppe, die einen andern Stoff enthält, als die benachbarte, als Drüse (Absonderungsorgan) anzuspre- chen, da somit viele Pflanzen und Pflanzentheile nur aus Drüsen beständen. Es wäre doch lächerlich, wenn man eine Zelle, die ätherisches Oel enthält, eine Drüse nennen wollte, eine, die einen rothen oder gelben Farbstoff enthält, aber nicht; thut man aber das letzte, so bestehen die meisten Blumenblätter nur aus Drüsen; die Oberhaut ist zuweilen Oberhaut, zuweilen Drü- senfläche, ja bei manchen‘ einzelnen Zellen muss mam in‘ der That zugeben, dass sie zum Theil Drüsen sind, zum Theil nicht, was Alles offenbar keinen Sinn hat. Will man ‚aber den Ausdruck Drüsen durchaus bei der Pflanze beibehalten, so kann man ihn nur auf diejenigen Zellen und Zellgewebsmassen an- wenden, die in’ Folge besonderer Structur besondere Flüssigkei- ten aussondern und nicht blos enthalten. So passt der Aus- druck Drüsen, ausser auf. die im. nächsten Paragraphen zu, er- wähnenden Saftbehälter (innere Drüsen), nur noch auf bestimmte Gruppen von Zellen an der Oberfläche der Pflanzen, die, von keiner Epidermis gedeckt, mit ganz zarten Zellenwänden frei liegen und daher ihren Inhalt beständig austreten lassen.‘ Sol- cher Art sind z.B. die ‘Wasser absondernden Drüsen in den Nepenthes-Schläuchen, die Kalk absondernden Flächen an den Einkerbungen der Blätter bei Saxifraga aizoon, longifolia u. Ss. w., und fast alle wirklich absondernden sogenannten Nectarien und alle wirklich absondernden Anhängsel der Epidermis. Der fünfte im Paragraphen 'berührte Punct ist theils schon früher (Th... S.287) zur Genüge berührt, theils lässt sich die an und für sich klare 'Thatsache der Entwickelung von ätheri- schen Oelen (Gerüchen) durch die Blumen und andere wohl- riechende Pflanzentheile bis jetzt nicht weiter aufklären. Aus- führliche Zusammenstellung aller bisherigen Kenntnisse über die- sen Punct findet man in Morren, .Rapport sur le Mem. de Mr. Aug.‘ Trinchinetti de odoribus florum. ete. (1839). (Extrait du tom, VI. Nr. 5 des Bullet. de l’academie royale de Bruxelles.) 19. Alle Pflanzen von den Moosen aufwärts (mit Aus- nahme der wurzellosen Agamen und der Wasserpflan- zen, bei denen alle Theile Flüssigkeiten aufnehmen) vertheilen die mit der Wurzel aufgenommene Flüssig- 494 un wOrgamologie, 27 keit, indem dieselbe endosmotisch von‘ Zelle zu Zelle seht, durch die ganze Pflanze. "Wo "grössere Verdun- stung, also grössere Concentration der Säfte, \ wo grössere chemische . Thätigkeit, dadurch vielleicht Umwandlung dünnerer in: dichtere Stoffe, da ist ‚die grössere end- osmotische Kraft, also auch der grössere“ Zustrom von Säften, daher im Allgemeinen zu allen grünen '"Theilen und zu allen Knospen. Diese Vertheilung, oder Auf- nahme ist gleichförmig bei. allen eigentlichen Tropen- pflanzen mit "continuirlicher Vegetation; periodisch sich ändernd dagegen bei den Pflanzen der Klimate mit stren- serem Wechsel der Jahreszeiten. An letzteren tritt ein Zeitpunet ein, wo in Folge der meteorologischen Ver- hältnisse die ‚chemische Thätigkeit und die Ausdünstung und in Folge ‘dessen auch die Aufnahme-und Vertheilung von Flüssigkeit fast ganz unterdrückt ist; "beim Eintritt der bessern Jahreszeit tritt, sie dann Kit grosser Kraft von Neuem auf. _Auf welche Weise zunächst die che- mische 'Thätigkeit, die Verdunstung; und somit. die leb- haftere‘ Aufnahme in der heissen ’Zone" mit Eintritt‘ des Regens, in der semässigten mit Eintritt des Frühlmgs wieder angeregt wird, ist uns noch unbekannt; doch scheinen in der un Zone die Wärme, in. der heissen die Feuchtigkeit den grössten Antheil daran zu haben, also die beiden Hauptbedingungen- chemischer Pro- cesse. Selbst die Erscheinungen bei dieser Erneuerung ler Lebensthätigkeit sind uns nur noch oberflächlich be- kannt... Wir. wissen nur: so viel, dass eine grössere Menge ‚Flüssigkeit mit grosser Kraft aufgenommen, dass die vorher abgelagerte Stärke zu Zucker und Gummi aufgelöst wird und dass demnächst die Entwickelung neuer Blätter und Knospen, bei perennirenden dikotyle- donen Holzpflanzen auch die Bildung neuer Jahresringe erfolgt. Wie. .die ‚einzelnen Zellen, den von ihnen, auf- genommenen; Saft verarbeiten, ist nur. sehr im Allge- meinen für jede: Pflanzenart bestimmt.;. Am. Lichte: bilden sie. viel Schleim, Chlorophyll und bittere Stoffe. ‚(Gerb- Allgem. Organologie. Der Ernährungsprocess, 495 säure), vom Lichte abgeschlossen mehr Gummi, Stärke und Zucker. Bestimmte Stoffe werden auch von einer grösseren Menge von Zellen nach specifischer ‚Verschie- denheit, und zwar als einfache Stolfe (ätherische Oele, fette Oele, Gummi, Gallerie), in Naftgängen "und als der sehr verschiedenartig zusammengesetzte Milehsaft bald in Milchsaftgänge, bald in Milchsaftgefässe hinein abgesondert. Der Process dieser innern Ausscheidung ist noch unbekannt. | Endlich ist hier noch Folgendes zu erwähnen. Es werden nämlich an bestimmten Stellen der Pflanze’ alle Flüssigkeiten den Zellen (z. B. dem Mark, den Spiral- gefässen) entzogen, oder es werden Zellen (Mutterzel- len) und. Zellenmassen (z. B. der Knospenkern) durch chemische Processe verflüssigt und diese Flüssigkeiten wieder in die allgemeine Säftemasse aufgenommen. Die- sen Process, der noch völlig unaufgeklärt ist, nennt man Aufsaugung, (resorptio). i In’ der Pftanzenphysiologie ist fast keine Lehre so sehr in ihrer Kindheit, als die von der Bewegung des Saftes, indem durch unzweckmässige Versuche und Analogien, die mit unglück- lichem Eigensinn festgehalten wurden, fast anderthalb \Jahrhun- derte für die Fortbildung der Lehre verloren gegangen sind. Die ältesten, noch unbefangenen Beobachter, Malpighi, Grew u. A.,'erkannten, mit den nöthigen physikalischen Kenntnissen ausgerüstet, sogleich, dass die Spiral- und porösen Gefässe nur ‚Luft enthielten, und nannten ebendeshalb die ersteren tracheae. Da kam im Anfang des vorigen Jahrhunderts Magnol auf die unglückliche Idee, abgeschnittene Pflanzentheile in gefärbte Flüssigkeiten zu setzen, und damit wars um die gesunde For- schung geschehen. Dass 'abgeschnittene Pflanzentheile - Flüssig- keiten in ihre Spiral- und porösen Gefässe aufnehmen, diente von nun an zur Grundlage für alle, man kann wohl: sagen, Träumereien über den Säfteumlauf in der Pflanze, und der fal- schen Ansicht, dass bei Pflanzen ‚ähnliche Verhältnisse und Or- gane wie bei den (höheren) 'Thieren vorhanden seyn müssten, gelang es bald, ein vollständiges System‘ der Saftbewegung «(lei- der nur in der Phantasie) auszuzeichnen, welchem sich denn auch leicht einige vereinzelte Thatsachen anpassen liessen, Hier- nach sollte der rohe Nahrungssaft in den Gefässen des Holz- körpers aufsteigen, dann in den Blättern verarbeitet (assimilirt) 406 : aa Organologie. werden und endlich in der Rinde wieder abwärts steigen, um so das Cambium abzusondern und zuletzt die, Verlängerung der Wurzel zu vermitteln. Es ist wahrhaft traurig, wenn man die Geschichte und Literatur dieser Lehre durchgeht, zu sehen, mit welchen Widersinnigkeiten man diese im Kopfe ausgesponnene Phantasie ‚der Wirklichkeit anzupassen oder gar aus dieser zu begründen suchte. _ Dass die fast. gänzliche Vernachlässigung gründlicher mikroskopischer Untersuchungen ihren. grossen An- theil an diesen Irrwegen hat, versteht sich von selbst. Aber auch in neuester Zeit, bei verbesserten Instrumenten und Unter- suchungsmethoden, hat man das einmal mit der Geschichte der Wissenschaft verwachsene. Vorurtheil, seinen eigenen Sinnen zum Trotz, nicht überwinden können. Das merkwürdigste Beispiel der Art liefert Treviranus. Im Capitel über die Gefässe !) sagt er sehr richtig: „Niemals habe ich Gefässe, wenn sie sogleich nach der Trennung von der übrigen Holzmasse untersucht wur- den, anders als mit Luftgehalt wahrgenommen.“ Daneben stellt er. dann ausführlich die ‚genauen Beobachtungen . Anderer und die schlagenden Beweise von Bernhardi und Bischoff‘ für die- selbe 'Thatsache; er beruft sich geradezu auf das Zeugniss Jedes, (der nur Lust hat, zu untersuchen. Im Abschnitt von der Saft- bewegung hat er aber dies völlig gesicherte Resultat ganz und, gar wieder vergessen, und es wird hier stets nur von: der Saft- bewegung in den Gefässen fast in einer Weise gesprochen, als lohne es sich kaum der Mühe, dafür noch Beweise beizubringen. Link?) meint zwar daraus einen Beweis abzuleiten, wie ‚sehr er nach der Wahrheit gestrebt, dass er zweimal seine Ansicht: über den Inhalt der Gefässe geändert. Ich meine aber, es beweist nur,..dass er alle drei Mal seine Ansichten durchaus ohne. zu- längliche Begründung ausgesprochen. Ein einigermassen. habiler ‚Beobachter, der acht Tage im Sommer daran wendet, ein paar hundert Pflanzen in dieser Beziehung zu ‘untersuchen, überzeugt sich ganz vollkommen von der Thatsache, dass die Pflanzen in den ausgebildeten Spiral- und porösen Gefässen nur Luft füh- ren, deshalb rasch unter Wasser gebracht und, untersucht, be- ständig schwarz erscheinen; dass dies ebensowohl: für unsere ‚ein- jährigen, als perennirenden Pflanzen, und für alle ‚tropischen, selbst die: saftreichsten, wenigstens in unsern Treibhäusern,, gilt. Man überzeugt sich ferner gar leicht durch Wiederholung dieser Untersuchungen, dass in diesem Verhältniss Jahres- und Tages- zeıten keine‘ Abänderung hervorrufen, ‚als höchstens etwa bei 1) Physiologie, Bd. I. S. 118. D) A. a. O. S. 283 ff. 2) Wiegmann’s Archiv, Jahrg. 1841, Bd. II. S. 278. Allgem. Organologie. Der Ernährungsproces. 497 perennirenden dikotyledonen Holzpflanzen unserer Klimate, einige Wochen im Frühjahr. Indess muss ich doch ‘gestehen, dass es mir. bis jetzt. noch nicht gelungen ist, auch. selbst in ‚diesem Falle Saft in den ausgebildeten Gefässen anzutreffen, Ist diese Thatsache einmal festgestellt, so fällt damit Alles) weg, was bis- her von den meisten Botanikern über die Saftbewegung in den Pflanzen vorgebracht ist, und es müssen ganz neue Bahnen auf- gesucht! werden. : Zweierlei will ich 'hier zunächst sondern; 1) die Frage nach der Ursache der Aufnahme des Saftes, 2), die nach dem Wege, welchen der Saft in der Pflanze verfolgt. Ueber den Grund der Aufnahme hat man bis vor nicht gar langer Zeit die: nichtssagenden Redensarten von Lebensthätig- keit der Pflanze, lebendiger Anziehung ‚des Saftes durch die Getässe u. 5. w. gehabt. :' Dutrochet machte zuerst auf eine Er- scheinung aufmerksam, die vollkommen ‚geeignet scheint, eine genügende Erklärung an die Hand zu geben, die von ihm so- genannte Endosmose. Ein anderer Erklärungsgrund ist bis: jetzt nicht aufzufinden. ‘Zunächst sind die Bedingungen für das Da- seyn der Endosmose in der Pflanze vollständig gegeben, näm- lich »eine stark gummi-, 'zucker- ‚oder eiweiss- (schleim-) haltige Flüssigkeit, die von dem verhältnissmässig unbedeutend mit fremden ‚Substanzen geschwängerten Wasser des Bodens durch ‚eine. im höchsten Grade leicht durchdringliche Membran getrennt ist; sodann reicht die bei der Endosmose beobachtete Wirkung vollkommen aus, um der höchsten Aeusserung der Kraft, welche den Saft in (der Pflanze steigen macht, vollständig zu entsprechen... Eine Zuckerlösung von 1,140 .P. sp. hob: nach Dutrochet, die. Queckz silbersäule im endosmotischen, Apparat binnen zwei Tagen auf 45" 9", zeigte also eine Kraft, die dem Druck: 'von ‚mehr als 2'/, Atmosphäre") das Gleichgewicht hielt; in allen von ‚St. Hales, Meyen, Mirbel u. A. angestellten Versuchen an dem Weinstocke wurde dagegen das Quecksilber niemals 'in so kurzer Zeit über 15‘ gehoben. Es bleibt also noch ein bedeutender Kraftüber- schuss zu Gunsten: der Endosmose, selbst- wenn man annehmen wollte, der Saft stiege in den ‚Gefässen, also in continuirlichen Röhren auf. Dies ist nun aber nicht der ‚Fall, sondern die endosmotische Kraft. braucht nur von Zelle zu. Zelle: zu wirken; ‘dadurch wird einestheils in..der!lebenden: Pflanze der Druck der „obern Flüssigkeitssäule auf. die jedesmalige endosmotische Mem- bran auf ein Geringstes herabgebracht, und zweitens wird viel- leicht auch der. Gesammteffect noch: dadurch verstärkt, obwohl 1) Nämlich der Druck der aan ie selbst +— dem Druck der Quecksilbersäule. nl. 32 498 menu iurOrganologie,)onnn yail ‘darüber noch keine Versuche vorliegen.. 'Ueberhaupt ist hier abermals noch eine grosse Reihe von Aufgaben zu lösen, indem ausser‘ den mannigfaltig! anzustellenden endosmotischen Versuchen, namentlich mit! Berücksichtigung‘ der Wirkung, ’die etwa bei über -- ‘einander sich wiederholenden Endosmosen eintritt, auch die Beob- achtungen an: lebeuden 'Pflanzen wieder vorzunehmen ‘und ins- ‚besondere hier genauer der “Zelleninhalt, sein 'specifisches Ge- wicht ‘und seine‘ Bestandtheile in den’ verschiedenen Höhen der Pflanze u. s. w. ‘zu prüfen sind. Alles ‘das hier Erwähnte be- trifft aber nur das so auffallend beschleunigte’ Aufsteigen des Frühlingssaftes in ‘den Bäumen: unserer Klimate. Für alle übri- gen Jahreszeiten und für die übrigen: Pflanzen reicht die 'End- ".osmose völlig aus, um das Aufsteigen des Saftes'bis in die äusser- “sten ‚Wipfel zu erklären. "In ‘Betreff’ der 'Tropenpflanzen ist gewiss,‘dass sich die meisten ' diesen. letztern vollkommen an- schliessen, so weit unsere Treibhäuser erlauben, auf Beobachtun- gen ‘der Art sicher‘ zu. bauen. Viele .Schlinggewächse lassen unter den ‘Tropen durchschnitten ‘eine grosse Menge Saft aus- fliessen und. Meyen glaubt‘ deshalb, man müsse sie als beständig in''demselben Zustande befindlich: betrachten ;: in welchem* unsere 'Waldbäume zur Zeit’ des Frühlingssaftes 'seyen. Ich glaube da- gegen, dass zu einer solchen Annahme kein Grund vorliegt, wohl ‘aber ‘dringende ‚Gründe zu dem :Wunsche, dass von irgend einer Regierung statt ‘der vielen 'Speciessammler ‘einmal ein tüchtiger Physiologe mit . der ‘nöthigen ‘Unterstützung und‘ zweckmässigen Ausstattung ‘in jene Gegenden gesendet werden möge; wo so viel zu beobachten ist"und so.‘wenig bis jetzt’ beobachtet wurde. Die zweite Frage nun ist die nach ‘den Bahnen des Saftes in der Pflanze. Thatsachen' sind hier zunächst folgende. Die sogenannten Gefässe ‘der meisten Pflanzen führen niemals Saft, bei den übrigen höchstens vielleicht während | weniger 'Wo- chen; in die sich bildenden: Knospen, ‘also da, ‘wo gerade.der grösste Verbrauch ‘von Säften , die lebendigste Neubildung 'ist, reichen die Gefässe noch. gar nicht hinein; viele sehr wichtige Organe, in ‘denen ebenfalls: ein reger Vegetationsprocess und "bedeutende. bildende Thätigkeit herrscht, z.'B. Staubfaden ‘und Saamenknospe, 'haben nicht selten gar keine Gefässe; 'bedeu- tende Parenchymmassen, in ‘denen tausende von’ Zellen, lebhaft vegetirend, beisammen liegen, ‘werden gar nicht von Gefässen durchzogen; fünf grosse Classen von Pflanzen, nämlich die Algen, Flechten, Pilze, Moose und Lebermoose, haben keine Spur von Gefässen; unter den übrigen giebt es wenigstens mehrere Ge- schlechter und Arten, denen die Gefässe abgehen. Nach sol- chen Prämissen aber, dächte ich, kann es keinem unbefangenen Forscher einfallen, bei der Saftbewegung an die ‚Gefässe zu Allgem. Organologie, Der Ernährungsproces. 499 denken, oder ihnen auch nur den nächsten. und wesentlichsten Antheil dabei zuzumuthen. Nichts ist gewisser, als dass in den meisten. und wichtigsten Fällen die einzelnen Zellen die Nah- rungsflüssigkeit, die sie bedürfen, endosmotisch von andern Zel- len aufnehmen müssen, dass es also völlig überflüssig ist, für die wenigen und unwichtigen Fälle eine eigene Zuführumgsart des Saftes auszusinnen, Ueber die, Bedeutung der Gefässe und Gefässbündel habe ich mich schon früher (Bd. I, $. 34, 8.220 ff.) ausgesprochen; die Verhältnisse, unter denen sie vorkommen, die Art ihrer Entstehung und Fortbildung scheinen keinen, Zwei- fel darüber zu lassen, dass sie die Folgen und nicht die Ur- sachen einer lebhaften Saftbewegung in bestimmter Richtung sind. Wo ein bedeutender Bildungsprocess,. eine. ‚grössere che- mische Thätigkeit sich zeigt, sind die Bedingungen für eine stärkere Endosmose, also für ein rascheres Zuströmen des Saftes gegeben. Dieser Saftstrom wirkt auf die Zellen, ‚durch. welche er geht, ganz natürlich den. Gesetzen des individuellen Zellen- lebens gemäss, ‚so ein, dass'.sie in Gefässe und langgestreckte Zellen umgewandelt werden (und: eben dadurch .allmälig gerade unfähig werden, noch fernerhin ‘dem ‚Saftstrom den Durchgang zu gestatten). Daher gehen ;Gefässbündel nach. jeder ‚Knospe, besonders nach der am lebhaftesten sich entwickelnden. Termi- nalknospe, nach jedem sich ‚entwickelnden Blatt u..s., w. Wo die chemische Thätigkeit langsamer ist, findet kein. ‚so lebhafter Zustrom des :Saftes statt, dass er einen so, wesentlichen umbil- denden Einfluss auf, die Zellen ausüben könnte. Die bewegende Ursache; ist. hier allein die anziehende Kraft in: der. Mischung 'heterogener Flüssigkeiten, ‚die. Möglichkeit der Bewegung liegt aber. in\.der ‚allgemeinen. Eigenschaft. vegetabili- scher Membranen, Flüssigkeiten durchzulassen,, in. der Imbibi- tionsfähigkeit '). Ich habe darüber. schon in meinem . Aufsatze über die Cacteen meine Ansichten ausgesprochen und ‚bemerkt, wie wir nicht dafür. eine Erklärung zu suchen. hätten, ‚wie, Flüs- sigkeiten. durch ‚Membranen durchgehen, sondern, gerade dafür, warum sie in: gewissen, Fällen zurückgehalten werden.. Dafür liegt der Grund theils darin, ‚dass, ‚die ‚eine, Seite. der, Membran mit Luft in Berührung steht, , die nicht‘ entweichen und; von der Flüssigkeit auch nicht absorbirt werden kann, theils darin, dass die:an beiden Seiten. der Membran: befindlichen Flüssigkeiten unmischbar sind, ‚z. B.. Oel’ .oder Harz und -wässerige Flüssig- keiten, Link?) sagt in Bezug auf ‚diese meine, Ansicht:, „Da 'D) Vergl. Th. 1.8. 39. Be 12)" Wiegmann’s Archiv 1841, Bd. I: 8.379. ws 155) % 500 901g Organologie. 0" 2: 2 die leblose Pflanzenmembran die Flüssigkeit zurückhält, wie "wir täglich. sehen, 'so ist es wohl''am einfachsten, diese Eigenschaften den ‘lebenden Membranen ursprünglich beizulegen“ op, 8,0wiüi Der Schluss‘ wäre. an 'sich schon mindestens voreilig; ‘denn wir wissen ausder’Chemie, dass 'es’gar''manche im asser gelöste Stoffe giebt, ‘die, einmal‘ völlig zur Trockene verdampft, im Wasser &ar nicht oder unvollständig wieder 'auflöslich sind; so könnte auch eine Membran, die im lebenden Zustande‘von Wasser durchdrungene Flüssigkeiten durchlässt, diese’Eigenschaft verlieren, wenn sie einmal ganz trocken geworden. Aber es ist auch in der ' That Schade, dass Link nicht angeführt hat, wo er Gelegenheit hat, "diesen seltenen Anblick täglich'zu geniessen; er würde dere allen 'Holzarbeitern, die vonder Chemie die künstlichsten‘ Fir- nisse und‘ Anstriche entlehnen, um Holz gegen das Eindringen des Wassers zu schützen, den 'wesentlichsten Dienst leisten; freilich’ würde dadurch auch die Pharmacie ‘sehr in’s Gedränge kommen, denn die Darstellung aller Extracte' und Aufgüsse be- ‘ruht auf 'der Möglichkeit, die von der leblosen Zellenmembran eingeschlossenen ' Stoffe durch Wasser, Alkohol u,'s.''w. aus "derselben 'herauszuziehen:: Was’ ich täglich sehe, ist, dass Holz, Leinen, Papier ü. s. w.' ‘durch und durch von Feuchtigkeit durch- drungen wird, dass z. B. gescheuerte Dielen’ bis auf bedeutende Tiefe nass’sind, dass hölzerne 'Gefässe, ın denen Wasser steht, bis auf’ 'eines viertel Zolls Dicke vom Wasser getränkt sind, dass ‘die Flösser auf einen bestimmten Verlust an Senkholz rech- nen, welches so vollständig vom Wasser durchzogen wird, dass alle Luft, ‘die das Holz schwimmend erhielt, entweicht, dass dickes Holz nur deshalb langsamer ‘und ‘nicht völlig von: Wasser durchdrungen wird, weil die’in den Zellen eingeschlossene Luft nicht 50’ schnell oder gar' nicht entweichen. kann u, s. w. Das " Alles’ sind tägliche ‘Erfahrungen.’ Aus’ wissenschaftlichen Unter- suchungen erfahren wir “aber, dass 'vegetabilische Membranen eben so.'gut zu endosmotischen Versuchen’ benutzt werden 'kön- ''nen wie'thierische; dass die Stärke in‘ den Zellen 'eines wochen- lang aufbewährten Kartoffelscheibchens sich‘ durch Iod fast eben "so''schnell särbt, wie in der frischen Kartoffel;''dass, wenn man altes todtes Holz, ’Mark, Baumwolle: u, 'dergl. unterm Mikro- “skop' betrachtet, ‘alle Zellen mit Luft erfüllt ‘sind,’ aber ‘sobald "man einen Tropfen Wasser darauf 'bringt, in kurzer Zeit, in- dem gleichzeitig ‚die Luft absorbirt wird, von: Wasser angefüllt werden: kurz‘; dass in dieser Beziehung die lebende und todte Membran keinen Unterschied zeigen, als die noch von Feuch- tigkeit durchdrungene und die völlig ausgetrocknete, indem natürlich die letztere anfänglich etwas. langsamer durchlässt, da sie selbst erst wieder . Feuchtigkeit»: in. ‚sich . aufnehmen Allgem. Organologie, Der KErnährungsprocess. 501 muss'). Das Alles hätte Zink wissen können ung wissen sollen, wenn er darüber reden wollte. ) Hiemit verwandt ist die T'hatsache, dass sich die Pflanzenm em- bran (und in Folge dessen auch die langgestreckte Zelle, die soge- nannte vegetabilische Kaser) im feuchten Zustande ausdehnt, im trocke- nen verkürzt. Das Gegentheil davon hatte Link (Klem. phil. bot. Ed. 1. p. 360) behauptet, und Meyen (Physiologie, Bd. I. S. 30) hatte dazu eine vortreffliche theoretische Erklärung gefunden. Diese, "wie allbe- kannt, falsche Behauptung habe ich (Wiegmann’s Archiv 1839, Bd.'T. S. 274) widerlegt. Auf der Anatomie sprengt man Schädel, indein' man sie mit trocknen Erbsen füllt und‘ darauf in’s Wasser legt; Felsen sprengt man mit Holzkeilen, die man anfeuchtet;' lässt man einen Tro- pfen Wasser auf Papier fallen, so bildet sich eine blasenartige Erhe- bung, ebenso auf sehr dünnen Brettchen, und was dergleichen bekannte 'Thatsachen mehr sind. Häufig hat man 'vegetabilische Stoffe zu Hygro- metern benutzt, so Dalance Papierstreifen, Hautefeuille, Täuber, Fer- guson, Coniers, Anderson und Franklin Holzstreifen, deren grösste Aus- dehnung die grösste HKeuchtigkeit der Atmosphäre anzeigte. John Leslie baute nach dem Delue’schen 'Elfenbein-Hygrometer .ein gleiches von Buchsbaumholz, weil sich dieses im feuchten Zustande doppelt so stark ausdehnt als Elfenbein (vergl. Gehler’s Wörterbuch, Art. Hy. grometrie). Andere haben andere vegetabilische Stoffe, z. B. Streifen von Fucoideen, auf dieselbe Weise zu Hygrometern benutzt, Wie es scheint in Beziehung auf meinen Aufsatz, sagt Link ( Wiegmann’ $ Archiv 1841, Bd. I. S. 407): „Es ist durch Streitigkeiten über das Hygro- meter, ‘welche einst zwischen De Lue und Saussure geführt ‘wurden, ausgemacht, dass die trockene Pflanzenfaser durch die Feuchtigkeit ver- kürzt, die thierische Faser dagegen verlängert wird.“ Diese Angabe ist geradezu unwahr, zunächst schon deshalb, weil in dem ganzen Streit zwischen jenen beiden Männern die Frage, ‘ob hierin ein durchgreifen- der Unterschied zwischen thierischer und vegetabilischer Faser statt- finde, im Allgemeinen gar nicht aufgeworfen und daher auch nicht ent- schieden worden ist., Fände sich die Behauptung ‚aber auch bei einem jener Männer, so wäre sie nach bekannten Thatsachen ein entschiede- ner Irrthum. “Aber Link scheint, die ganze Sache blos von Hörensagen zu kennen, denn das Resultat, insbesondere der Untersuchungen von De Luc, war gerade, dass kein, Unterschied zwischen den tBierischen und vegetabilischen Theilen in dieser Beziehung stattfinde, ‘als ein quan- titativer. De Luc in seiner Abhandlung über Hysrometrie (Philosophical transactions, ‘Vol. LXXXI P. I und IT) unterscheidet ‘nämlich sehr genau die doppelte Wirkung, “welche Feuchtigkeit auf hygroskopi- sche Substanzen, sowohl thierischen als vegetabilischen Ursprungs, äussert, nämlich n die bei beiden durchaus immer stattfindende Aus- dehnung. der Membran oder Faser selbst durch absorbirte Keuchtigkeit, und 2) die bei beiden vorkommende, Verkürzung ganzer (besonders gedrehter) "Theile durch Zwischendrängen des Wassers zwischen die einzelnen Fibern (oder zwischen die Zellenwände), die, dadurch gebogen werden und: nur in,.sofern, ‚ungeachtet der : gleichzeitigen Ausdehnung der Membran, eine Verkürzung des, ganzen 'Theils hervorrufen können. Aus beiden Ursachen sind die Erscheinungen au hygrometrischen. Sub- stanzen zusammengesetzt und das Gesammtresultat kann, je nachdem die eine oder die andere Ursache überwiegt, eine Ausdehnung ader eine 502 ae Organologie. Jede Zelle nun assimilirt den Saft, dessen sie sich langsamer oder schneller bemächtigt, ihrer Natur, d. h. dem chemischen Processe, gemäss, der durch die Bedingungen ihrer ersten Ent- stehung in ihr angeregt worden ist, und muss von ihrem Inhalt so viel wieder abgeben, als ihr von andern Zellen ‚endosmotisch entzogen: wird. So vertheilt sich. die aufgenommene Blissigkeit Verkürzung. seyn. Wie, hier die Verhältnisse varüren, ‚mag folgende, von:De Luc entlehnte Tafel zeigen, : die zugleich beweist, wie alle ve- getabilischen Fasern durch Feuchtigkeit so gut ausgedehnt werden wie die thierischen. Von 100° fängt dagegen die zweite Wirkung an, in die Erscheinung zu treten, und es erfolgt dann eine allmälige Verkürzung auch bei thierischen Substanzen. Tafel :des De anenen Ganges bei einerlei Anwachs der Feuchtigkeit in verschiedenen Fäden von vegetabilischen und animalischen. Substanzen der Länge nach genommen. ir 5 nl Re gs |: 2 = = > 2 R=| 63 3'353 Bee ee a 2.88 BE es SR KON 01 Rare = a EI sale ca ten el o0l' 00] ool .00l 'o0| ‚vol 00|. 00] 728] 00 180| 120|.156| ’9.7| 206! 370| 33.2) 268) sTal 45 3410| 29,9| 294) 192| 35,1 66.6 5438| a84| 9302| 95 1838,.399| 4109| 263, 516| 73,7| 749| 671) 978| 145 623| 508| 50,5| 370) 576| 8830| S46| 76111000) 200 7133| 588| 5082| 471) 756| 93,4| 8098| 839) 9059| 5,7 s10| 653| 68 8| 573| 719| 97.2| 938) 905| 9271| 315 8368| 708| 73.0| 674| 76.3| 9900| 96.9| 95,1| 886) 38,0 90,8| 76,1\ 7383| 756| 830| 94,4| 94,3| 986| 79,9) 455 93,0| 81,4| 821! 8239| 86,6| .96,2) 97,71 | 95.0| S5,4| 86.1| 87.S| 93,6) 99.0/100,0| 98.8] 63,9| 56,5 945 | SS,A| 838] 91,6| 965| 95 | 98,0] ° 97.0| 90,8| 91,6! 94,7| 947) 972| 97.0| 972] 51.0| 65,7 965| 9258| 93,8) 96,3 | 982) 9832| 94,6| %2| 45,7| 69,7 96,5| 9352| 95,6 | 97,8 |100 95.0| 97.1,.972|.98.7| 99,2| 9901 91, 926 31,4] 777 97,0| 98,1) 98:0 |100.0| 9852| 9382| s00| 8958| 21,7) 81,5 980 | 99.11100.0, 98,7! 96,8| 97,2! S6,9 865| 160| 859 98,6 | 99.6.1000) 96,8, 94,1|.95,8| 816, s10| 104| 90,5 m. 1.991|100,0| 993) 94,5| 91,5 9441| 81,9 s09| 51] 95,5 wasser. 1100,0| 99,5) 98,3! 91,8| 88,3| .925|.770| 770, 0,0] 100,0 An den Buchsbaum, der Länge nach geschnitten, schliesst sich nun unmittelbar ein gedrehtes Hanfseil an, bei welchem, in Folge der An- einanderlagerung der Fasern, die zweite Wirkung noch früher eintritt. Das ist das Resultat wissenschaftlicher Untersuchungen über diesen Ge- genstand, und Link’s gegentheilige Behauptungen beruhen auf blosser Unkenntniss. Allgem. Organologie. Der ‚Ernährungsproces. 503 durch‘. die ganze Pflanze nach, Bedürfniss, d.h, nach den Ver- hältnissen ‚der einzelnen chemischen: Processe,'' Da die der Luft ausgesetzten Pflanzentheile, beständig der Trockenheit, Bewegung und ‚Wärme der Atmosphäre proportional Wasser verdunsten, so ‚werden in ihnen. auch. die, Säfte, beständig so: coneentrirt, dass dadurch der endosmotische‘iProcess gegen ‚die, andern geschütz- teren ‚Zellen ‘unterhalten wird, welche Wirküng; sich ‚natürlich abwärts bis zur. Wurzel 'fortpflanzt, von welcher fortwährend neue wässerige und noch. unassimilirte Flüssigkeiten aufgenom- men werden. Wird dieser Strom des rohen Saftes von. Unten nach Oben; künstlich unterbrochen, so werden die, Säfte in dem obern Theile: bald auffallend mehr. concentrirt und deshalb. bil- dungs-. (organisations-) fähiger werden. , Das’ ‚scheint die ein- fache 'Thatsache zu seyn, welche. allen, den Erscheinungen zum Grunde liegt, die. man für. die. völlig unbegründete Hypothese eines absteigenden Rindensaftes als Belege anzuführen pflegt. Die beiden wichtigsten sind der sogenannte ‚Zauberring (das Ringeln der Obstbäume) und die Wirkung des Pfropfreises auf das Subject. Löst man von dem Umfang eines Astes oder Baumes einen ringförmigen ‚‚Rindenstreifen ab, so trägt. er ober- halb reichlicher ‚Blüthen und Früchte, reift letztere "schneller, wirft früher seine Blätter ab, und verdickt sich 'stärker im Holze als unterhalb jenes ‚Schnittes; alles dies erklärt sich‘ vollkommen aus. dem Vorhergehenden , ‚ohne dass, es im Geringsten nöthig wäre, eine absteigende ‚Bewegung eines eigenen Rindensaftes, der ‘gar nicht existirt, anzunehmen. '), Dass‘\aber, wenn das Propfreis fortkommt ,,z. 'B. der. Pflaumenstamm sich nach und nach mit Jahrringen: von Apricosenholz bekleidet, ist sehr natür- lich’), denn aus demselben Boden würde ein Apricosenbaum nahebei denselben rohen Saft aufgenommen haben als. .der Pflaumenbaum ; aber ..je: nachdem ;Pflaumenblätter, und Zweige ‚oder Apricosen- blätter. und Zweige, ausdunsten, assimiliren u. s. :w., bleibt Pflau- menholz . oder Apricosenholz: übrig. ‚Dazu bedarf es noch weni- ger des ‚fabelhaften Rindensaftes als im vorigen Falle, Es ist 1) Dass der Erfolg des Rindenschnittes ganz derselbe bleibt, wenn man auch den Ast niederbiest, nicht aber sich umkehrt, wie; das doch bei der aufsteigenden Saftbewegung sogleich. eintritt, wenn man das obere Ende statt des untern zum einsaugenden macht, ist genügender Beweis, dass kein absteigender Rindensaft existirt; aber seltsamer Weise benutzte man. diese 'Thatsache, um’ daraus abzuleiten, dass die nicht existirende Bewegung des nicht existirenden Rindensafts von einer an- dern Ursache als der Schwere, nämlich von der specifischen Lebens- kraft, abhängig. sey. 2) Obwohl in der Allgemeinheit, wie gewöhnlich angegeben, die Thatsache gar nicht wahr ist. (Vergl.'$. 199.) 504 es smörganologie, +" 2 in der That völlig überflüssig, die seltsamen Speculationen über die”besondern Wege des Rindensaftes, über die Ursachen 'seiner Bewegung u. s. w. hier weiter zu erörtern.‘ 'Eine genaue mikro- skopische "Untersuchung genügt. vollkommen, ‘um nachzuweisen, dass hier von’irgend einem allgemeinen bildungsfähigen Stoffe im Rindenparenchym ‘gar nicht: die Rede seyn könne und dass in den Bastzellen: meistens‘ Luft, feste "harzartige Stoffe oder Milchsäfte vorkommen. Noch weniger ist es’ der Mühe werth, die ausführlichen Darstellungen über die Bewegung des Rinden- saftes' von Aussen nach Innen durch die’ Markstrahlen u. dgl. m., ''was so ganz rein aus der Luft gegriffen ist‘, ausführlich zuVer- örtern; dass Niemand‘ Versuche darüber angestellt und anstellen konnte, versteht sich. von selbst; die Beobachtungen ergeben aber, dass die Markstrahlenzellen’ gewöhnlich einen 'Inhalt''haben, der weder dem 2 Rindenparenchyms , Et ‚dem des Bastes gleich’ ist. Schon im ‚vorigen Paragraphen: 'habe ich über die Bedeutung des Wortes „Drüse‘“ in Bezug auf die Pflanze‘ gesprochen.‘ Hier ist noch ein Verhältniss 'zu berühren, ' welches dahin ’gerechnet werden kann, nämlich die Aussonderung gewisser Substanzen in einen Saftgang, wobei zweierlei noch weiterer Erklärung bedürf- tig ist; zuerst wodurch eine so grosse Menge von Zellen be- stimmt wird, gerade Gummi, oder Gallerte, oder Oel’ u. s. w. zu bilden und “Alles nach diesem Canal "hinein ‘auszusondern; zweitens der Process der Aussonderung selbst.‘ Es ist zwar für die einzelne ‘Zelle hier dasselbe "Verhältniss, als ob ‘die Wand des Intercellularraums die äussere Fläche der Pflanze wäre, aber was hier Schwierigkeit macht, ist ‘die anscheinende Unmöglich- keit der Wasserverdunstung in einem solchen man von Zellen umgebenen Saftgange. Noch weniger deutlich sind uns bis’ jetzt die viel complicirte- ren Verhältnisse des Milchsafts der Pflanzen zu den benachbarten Zellen, von denen sie‘ doch 'ausgesondert seyn müssen, aber ohne dass wir bis jetzt die Ursache der Aussonderung, die Art und Weise der Entstehung dieser eigenthümlichen Stoffe, ihr ferneres Verhältniss zu andern Zellen u. s. w. verstehen könnten. Was darüber zu sagen ist, habe ich‘schon zur Geneee früher (Th. I. S. 282) mitgetheilt. Endlich komme ich noch auf die Aufsaugung. Die Thatsache selbst ‚ist jedem aufmerksamen Beobachter bekannt und daher nichts hinzuzusetzen; über‘ die Ursachen der- ‚Aufeahme dieser Flüssigkeiten, ‘insbesondere bei den Spiralgefässen, sind wir noch völlig im Dunkeln. Ich habe geglaubt, den Vorgang pas- send mit dem Worte Resorption bezeichnen zu können und habe mich desselben schon früher oft bedient. Link macht sich dar- Allgem, Organologie, Der Ernährungsprocess. 505 über lustig, weil es ja keine resorbirenden Gefässe in den Pflan- zen gebe, und glaubt, ich 'habe hier wohl die Verflüssigung oder organische Schmelzung gemeint '), Diese Einwendung scheint mir stark an die dunkeln. physiologischen Vorstellungen des vori- gen Jahrhunderts zu erinnern. Dreierlei ist hier zu unterschei- den.‘ "Zunächst wo es sich um feste 'Gebilde handelt, z. B. ge- ronnenes Blut, plastische Exsudate, Zellen und Zellgewebsmas- sen, versteht es sich von selbst, dass sie durch chemische Pro- cesse erst verflüssigt werden müssen, ehe sie aufgesogen wer- den können. Hieran haben auch im thierischen Körper die angeblichen absorbirenden (Lymph-) Gefässe nicht den gering- sten 'Antheil, auch liegt darin nicht der Begriff der Resorption, indem diese ‚in. einer ‚Entfernung, ‚der Flüssigkeit von der Stelle, ‘wo sie sich befindet, und einer Aufnahme in die allgemeine Säftemasse besteht. Diet Aufnahme. kann, nun bei den. wirbel- losen Thieren gar nicht durch die angeblichen resorbirenden Gefässe'geschehen, weil dieselben hier garnicht vorhanden sind. Bei den 'Wirbelthieren aber‘ geschieht sie ‘an’ gar' vielen Stellen, z.B. in den Höhlen seröser Häute, entschieden auch nicht durch die, Lymphgefässe, weil die Flüssigkeiten unmittelbar nur mit Zellen in Berührung sind, also unmittelbar auch nur von diesen aufgenommen werden können. In dieser Aufnahme aber liegt das Wesen der Resorption. Werden endlich drittens die Flüs- sigkeiten im Organismus; wie: bei allen’! Wirbelthieren,' durch ‚‚Gefässsysteme vertheilt,.so geschieht das natürlich \auch, mit den „.resorbirten Klüssigkeiten; wenn. aber. die Flüssigkeitsvertheilung ‘wie, bei vielen wirbellosen und .den Pflanzen. von Zelle zu "Zelle &eschieht, trifft das auch die resorbirten Säfte. Diese ‚Säftevertheilung hat aber mit dem Begriff der Resorption wie- derum' gar' nichts zu thun. * Doch auch abgesehen davon, glaube ich, dass der Ausdruck Resorption, Aufsaugung, ganz passend diesen Process bezeichnet, wofür sonst das Kunstwort in der « Pflanzenphysiologie fehlen würde. Man: braucht ja nicht an die ‚thierische Physiologie zu: denken, und selbst dann: ist es noch immer viel: richtiger, als das Wort Geschlecht (sexus), männlich ‘und: weiblich u. ''dergl.,:: Worte, ‘die ohne alle: vernünftige Be- gründung nur vorgefassten Meinungen zu Lieb aus ‚der Zoologie ‚in. die Botanik übertragen sind. | l) Wiegmann’s Archiv 1841, Bd. I. 506 2a Organologie: E. Fortpflanzung der Gewächse. $. 200. Vier Entstehungsweisen einer speeifisch bestimmten Pflanze sind denkbar: 1) aus dem spontanen Zusammentreten rein anorga- nischer Stoffe unter specifisch bestimmter organischer Form; ...2) aus der spontanen Bildung einer speeifisch be- stimmten organischen Form aus formlosen organischen Stoffen ; 3) aus‘der Entwickelung, einer von einer bestimm- ten Pflanzenart: abgeirennten organisirten (zelligen) Bil- dung zu einer davon specifisch: verschiedenen Pflanze; 4) aus der Entwickelung einer von einer bestimm- ten Pflanzenart abgetrennten organisirten (zelligen) Bil- dung (Keim im weitesten Sinne) ‚zu einer Pflanze. der- selben. Art. Die ersten beiden, ‚die sogenannte Urzeugung (gene- ratio originaria, spontanea, aequivoca u. sw.) be- sreifend, und die dritte finden, soweit Beobachtungen vorliegen, nicht statt. Die vierte ist die allein wirkliche. Die Frage nach der Urzeugung ist bis jetzt gewöhnlich sehr unbestimmt gehalten, indem man die beiden unter 1)'und 2) getrennten Fragen mit einander vermengte, was offenbar ein grosser Missgriff war; denn es könnte recht ‘wohl aus schon gebildetem organischen Stoffe eine Pflanze hervorgehen,''ohne dass deshalb die gegenwärtig auf unserm Planeten herrschende Gesetzlichkeit der Naturprocesse es erlaubte, ‘dass unorganische Substanzen . zu organischen . Substanzen zusammentreten. ‘ ‘Für den ersten Punct liegt nun bis jetzt durchaus keine‘ Andeutung vor, dass aus unorganischen Stoffen ‘ohne Vermittelung von Organismen sich organische Stoffe bildeten. Was bis jetzt der Chemie gelungen, betrifft nur die Bildung von solchen Stoffen, die schon auf einer Stufe‘ der Rückbildung aus dem'Zustande der eigentlichen assimilirten Substanzen in den der unorgani- schen sich befinden. Nichts desto weniger ist kein Grund vor- handen, zu behaupten, dass es der Chemie nicht auch einmal gelingen werde, wirklich assimilirte aus rein unorganischen Stof- Allgem. Organologie, ; Fortpflanzung der Gewächse, 507 fen zusammenzusetzen. Bis jetzt ist: die Erörterung dieser blossen Möglichkeit: aber noch völlig‘ unfruchtbar. 'Die ‘Abweisung ' der‘ beiden » andern Entstehungsweisen einer Pflanze hat aber eine andere Begründung und betrifft die Ver- ständigung über das, was wir Pflanzenart (species) nennen. ‚Hier sind’ bis ‚jetzt nur Erörterungen,' nicht wissenschaftlich strenge Begriffsbestimmungen 'möglieh, indem wir von der Zukunft erst ' über 'gar viele wichtige’ Puncte Aufklärung zu erwarten haben, Zunächst muss ich 'hier auf das zurückgehen, was: ich bereits in der Einleitung über die Möglichkeit.der Fortpflanzung gesagt habe. Die Entstehung irgend einer bestimmten Form ist bedingt durch den ‘Stoff, aus welchem sie besteht,‘ und durch die Ver- hältnisse, unter denen’ sie sich bildet. Da uns die mathematische Construction der Formenbildung überall’ noch unerreichbar ist, 'so schreiben wir die letztere vorläufig dem :Bildungstriebe der Erde, als der unbekannten Ursache derselbeh, zu und nen- nen den ‚Complex der Bedingungen, unter denen jedesmal eine und dieselbe Form entsteht, einen specifischen Bildungstrieb '). Ich muss hier ferner an das erinnern, was in der Einleitung (1, 17 fi) und im zweiten Buch (I, 191 ff.), endlich im dritten 'Buch (II, 5 ff£.)über ‘die Bedeutung der Zelle entwickelt wor- ‘den ist. Die einzelne Zelle an sich, wenn sie auch fortvegetirt ‘und alle möglichen Stufen des Zellenlebens durchläuft, kann nämlich, wenn auch. als vegetabilische Form im Allgemeinen: be- stimmt, doch nicht als bestimmte» Art‘ den andern einfachen Pflanzen’ an die‘'Seite ‘gestellt werden, und wenn: man die ''Schwann’sche Parallele‘ zwischen "Zelle und: Krystall' auch nicht "unterschreiben will und zur: Zeit 'noch für völlig unbegründet erklärt, so ist in dieser geistreichen Exposition doch immer die nicht wegzuleugnende Möglichkeit nachgewiesen, ‘dass es der Naturwıssenschaft einmal gelingen könne, die Zelle ebenso als “nothwendige Form: des: gesetzmässig entstehenden relativ festen Zustandes eines permeablen (assimilirten, organischen) ‚Stoffes 'auffassen 'zu lernen, wie es der -Krystall für. die impermeablen 1): Als höchste Aufgabe. den, gesammten , Botanik könnte man hier nennen: ‚ die, vollständige Specification der Bildungstriebe und die Ab- ‚leitung und Localisirung derselben aus den Gesetzen des Erdenlebens. In diese Aufgabe, als in einen Brennpunct, laufen die Entwickelungs- geschichte, das natürliche System, die Physiognomik der Gewächse und die Pflanzengeographie zusammen; denn diese alle sind nur verschiedene zu gleicher Zeit in Angriff genommene Puncte für die Lösung ‚einer und derselben Aufgabe, und liegen nun so lange als gesonderte. Arbei- ten neben einander, als sie noch unvollendet sind, werden aber zu dem einfachen und einzigen gebahnten Wege, der auf das Endziel zuführt, sobald sie durch ihre Vollendung sich an einander angeschlossen haben. 508 aan | Organologie. » 0 ‚(anorganischen) ‘Stoffe ist... Dann aber ‘würden alle als einzelne einfache Zellen entstehenden und fortvegetirenden Organismen 'nur bestimmte Arten organischer'Krystallisation. seyn und von “ihnen bis zu bestimmten Pflanzenarten, d. h.bis;zur. Verknü- Pfung dieser organischen Krystallformen. zu, einer specifisch be- stimmten Form, bliebe: ein ‘grosser Schritt, der uns immerhin berechtigte, jene als .eigne Classe zwischen Krystalle einerseits und die‘ Pflanzen ‚und . Tihiere: ‚andrerseits einzuschalten. Es würde für sie‘ jedenfalls. ein anderes und: einfacheres 'morpholo- gisches : Gesetz gelten, als für: die: Bildung, der Pflanzen ‚und Thiere, die erst aus ihnen zusammengesetzt sind. Fragen: wir ferner nach dem charakteristischen Merkmal des Be- griffes ‚Art‘ bei organischen Wesen, so.kann uns: nur folgende - Betrachtung Jleiten.: Das Gesetz der Spesifätion ist eigentlich sub- ‚jectiven Ursprungs; in. der ‘Art und: Weise, wie sich: nothwendig unsere Begriffe und Abstractionen bilden, liegt'der Grund, weshalb wir nach allgemeinen: Merkmalen, Arten und Geschlechter als Gegenstände unserer geistigen Thätigkeit festhalten müssen, und .denkend: niemals zum Einzelwesen kommen können, welches nur anschaulich durch die bestimmte Eingrenzung in‘ Raum und’ Zeit » durch das: ‚„‚hier“ ‘erkannt wird. Dieses subjectiven! ‚Ursprungs wegen würde aber das Gesetz: der Specification ‚für unsere, wis- senschaftliche‘ Naturerkenntniss:: ohne alle. Bedeutung; bleiben, wenn uns nicht die Natur entgegenkäme und der ‚subjectiven Auffassungsweise: durch die Erfahrung, objective Gültigkeit ver- schaffte.‘ Am einfachsten zeigt sich uns dies bei. dersSpecifica- tion ‘der Grundstoffe,' die alle. discret nach Artunterschieden neben einander liegen und durch:die tausend verschiedenen ‚mög- lichen 'Erscheinungsweisen der Einzelwesen: Einer Art nie' in.eine andere übergeführt oder ihr auch nur genähert werden. ‘Welche unendliche‘ Mannigfaltigkeit der Erscheinungen » als: Einzelwesen zeigt z.B. der reine Schwefel oder der reine‘ Kohlenstoff, ‚aber nicht eine einzige Modification ‚ihrer Eigenschaften verändert. die Merkmale, wodurch sie ‚als Schwefel, als Kohlenstoff bestimmt sind in der Weise, dass sie etwa dem Selen, oder dem Eisen sich als Uebergang annäherten. Aehnlich, obwohl schon wegen ‚der 'complicirteren Verhältnisse zur’ Zeit aracı weniger: scharf von uns zu fassen, finden wir das Gesetz der Specification 'bei den Krystallen. ausgesprochen. Hier leiht. uns die Mathematik Ihre scharfen. Bestimmungen. Aber. bei. den Organismen, verlässt uns unsere Fassungskraft, und es gelingt nur den verwickeltsten In- ductionen, das "Gesetz auch hier ’geltend zu machen. “Und ..doch ‚liegt für ie ‚Anwendung desselben die unabweisbare Nothwen- digkeit vor, in der Unmöglichkeit einer Wissenschaft ohne das- selbe. . Das Individuum ist vergänglich und mithin Alles, was Allgem. Organologie. Poripllanzung der Gewächse, 509 allein von ihm gilt; es» ist nur anschaulich für jeden Einzelnen zu ‚erfassen ‘und nicht durch Begriffe mittheilbar; die Wissen- schaft aber ist bedingt durch ‘die Andauer ihres‘ Objects, weil davon ihre allmälige Entwickelung, also ihre‘ Wirklichkeit ab- hängt, und durch die Mittheilbarkeit ihres Inhalts, weil sie auf- hört, "Wissenschaft und. fortbildungsfähig zu seyn, ‘wenn sie im einzelnen Menschen beschlossen bleibt, also ‚mit ihm untergeht. Wir müssen "hier also auf irgend eine Weise. selbst mit‘ dem Bewusstseyn, dass 'es nur eine vorläufige Aushülfe sey, dieser Anforderung an. die Anwendung des Gesetzes der Specification Genüge leisten, Die schärfste Bestimmung des Artbegriffs wäre eigentlich fol- gende: „Zu Einer Art gehören alle Individuen, die, abgesehen von Ort und Zeit, unter völlig gleichen Verhältnissen auch völ- lig. gleiche Merkmale zeigen.“ Es ist uns aber für dıe wenig- sten Fälle vergönnt, dieses Princip der Artbestimmung geltend zu machen, am ‚allerwenigsten aber bei den ‚Organismen, bei denen die Bedingungen ihrer Existenz so mannigfaltig und ver- wickelt sind, dass wir sie niemals alle beherrschen und daher ‚niemals völlige Gleichheit der Verhältnisse herstellen können. Halten ‚wir auch bier die in ‚der. Einleitung entwickelte‘ Wich- tigkeit ‘der Entwickelungsgeschichte ‘als Princip der Botänik fest, so: können wir den Begriff der Pflanzenart nur darin suchen, dass in der Zeitfolge eine gewisse Gruppe von Merkmalen sich als constant und.gleich erweise.'); diese Constanz muss aber bei den‘ Pflanzen. sich. über das nicht andauernde Individuum, also durch mehrere‘ Generationen, fortsetzen; was daher nicht nach 1) Die Bestimmung, ob etwas ‚Art ‚sey' oder nicht, wird: aber noch lange die schwierigste Aufgabe in; der Botanik bleiben. Hätten wir die vollständige Kenntniss der Pflanze und der Gesetze ihrer morphologi- schen Entwickelung in unserer Gewalt, so würden wir unsere Einthei- lungen ‚nach: Theilungsgründen, die sich mit Nothwendigkeit aus dem Begriff, der Pflanze ‚ableiten liessen, von; Oben beginnen und so. weit herab verfolgen können, bis wir aus eben jenen Gesetzen erkennten, dass wir bei der, Grenze wissenschaftlicher, Anffassung der Individuen, also. beim: Artbegriff, ‚angekommen seyen. Die Lösung dieser Aufgabe wird aber. noch für.lange Zeit. ‚eine unmögliche' bleiben. ' Jeder andern Bestimmung ‘der Arten stellen sich aber.‚ebenfalls unendliche Schwierig- keiten, die aus der Natur der Pflanze 'hervorgehen, entgegen. Insbe- sondere ist es die. Selbstständigkeit des’: Zellenlebens und das Prineip, welches: der Fortpflanzung zum Grunde: liegt (vergl. den nächsten Para- graphen), welches uns ‚hier. störend (in. den, ‚Weg: tritt. Da das Leben der Zelle unabhängig,ist von der morphologischen Verknüpfung, unter welcher‘ sie ‚erscheint, so kann eine Form, welche offenbar nur eine vorübergehende Bildungsstufe ist, lange andauern, weil: die Bedingungen zu ihrer vollständigen: Entwickelung fehlen, und sind letztere sehr ver- wickelt, so kann diese Form sogar in grösserer Individuenzahl sich. fin- 510 Organologie. © seiner Abstammung von andern Individuen erkannt werden kann, ist auch gar nicht als Pflanzenart zu bestimmen, und deshalb fällt Alles, was durch Urzeugung entsteht, nicht unter den Be- griff einer Pflanzenart, obschon es anderweitig. als: Natur- körper auch seine specifische Bestimmung, finden muss. Nun scheint es allerdings für eine Zellenart wenigstens höchst- wahrscheinlich zu seyn, dass sie sich nicht durch Abstammung von andern mittelst eines organischen Keims entwickelt, sondern unmittelbar aus zwar organischen, aber formlosen Stoffen, näm- lich die sogenannten Gährungspilze (vergl. Th.I. S.197). Diese würden nach vorstehender Erörterung weder als Pilze,‘ noch den als. die ganz entwickelte Pflanze; ‚da ferner die Grundlage der Fortpflanzung auf der Fähigkeit der einzelnen Zelle, sich nach demselben morphologischen Gesetz zu entwickeln, welches für die Pflanze gilt, der sie angehörte, beruht, so kann eine solche vorübergehende Bildungsstufe sich fortpflanzen durch eine einzelne aus dem Verbande austretende Zelle, der zwar auch das Vermögen zukommt, sich zur vollständigen Pflanze zu entwickeln, welches Vermögen: aber ‚bei ihr wegen der, eben- falls häufig mangelnden Bedingungen eben so wenig zur vollkommenen Ausübung kommt. So können ganze scheinbar selbstständige Familien von Pflanzen für eine Zeitlang bei unsern Forschungen auftreten, die doch völlig unselbstständige Formen sind. Man nehme nur an, die Rau- pen und Maden hätten schon die ‚Fähigkeit, sich, fortzupflanzen, und ihre Entwickelung zu vollkommenen Insecten wäre dabei an sehr selten zusammentreffende Bedingungen geknüpft, würden sie nicht lange Zeit als eigne Familien in der Zoologie aufgeführt seyn® Dazu kommt, dass Formenbildung das die Pflanzenwelt beherrschende Prineip ist; die constanten: (wesentlichen) Merkmale, nach: denen wir Arten: bestimmen, sind nothwendig morphologischer Natur. Wir haben aber noch lange nicht einmal die empirische Auffassung der vegetabilischen Morphologie vollendet, an eine morphologische Naturgesetzgebüung ist noch gar nicht zu denken, gleichwohl liesse sich nur aus den morphologischen Gesetzen entwickeln, was: wesentliches Merkmal’ ist, was nicht; 'und so 'tappen wir mit unsern Versuchen stets im Dunkeln. Der glückliche. Griff: des Genies ist hier allein unser Führer. Wo uns also nicht‘ lange: 'aus- dauernde Beobachtungen einer "Tausende umfassenden : Individuenzahl, lange Culturversuche u. s. w. eine inductorische Grundlage gegeben haben, sind wir durchaus dem Zufall Preis gegeben, und nur Kinder ° können sich darüber streiten, ob 'eine"noch ‚unzulänglich untersuchte Pflanze eine Art, 'eine Unterart, oder eine Varietät sey. 'Dass'aber mit diesen Narrheiten eine Menge Zeit und Papier verschwendet wird,-ist nur'zu bekannt. ' Wichtig für die Fortbildung der Wissenschaft. bleibt vorläufig‘nur so’viel, dass wir jede vorkommende Verschiedenheit, die sich noch 'beschreibend wiedergeben lässt, festhalten und möglichst gründlich charakterisiren; ob das ’aber'eine Art, Unterart oder Varietät begründe, ist ‘der weiter fortgebildeten Wissenschaft zur Entscheidung‘ anheim zu stellen. '' Jedes Princip der Artbestimmung ist in den meisten einzelnen Fällen zur Zeit'noch von unmöglicher Anwendung,’ und jeder Streit ist lächerlich, bei dem man 'sich‘im Voraus sagen'kann, dass er kein’ Re- sultat haben könne, weil es an Entscheidungsnormen Fehlt... kai Allgem. Organologie. Fortpflanzung der Gewächse. 511 überhaupt als. bestimmte , Pflanzenart anzusehen ‚seyn, sondern „als organische Krystallisationen. Ob es mehr dergleichen giebt, ob namentlich die Protococcus-Arten hierher gehören oder nicht, lässt sich zur Zeit noch nicht ausmachen. "Diese Erörterung war für die richtige Auffassung der That- sachen nothwendig; ob übrigens Einer Vergnügen darin finden will, die Entstehung der sogenannten Gährungspilze generatio aequivoca zu nennen oder nicht, ist sehr gleichgültig und der Streit darüber müssig, Für die wissenschattliche Betrachtung der Pflanzenwelt bleibt uns bei gegenwärtigem Stande unserer '' Kenntnisse nur die vierte Bu | Huibemee einer Pflanze zu betrachten übrig. $. 201. Die Selbstständigkeit und Fortpflanzungsfähigkeit der Zelle ist die Grundlage für die Fortpflanzung der Ge- wächse. Dem Vermögen nach kann jede einzelne leben- dig vegetirende (parenchymatische) Zelle (oder eine Gruppe solcher Zellen) aus dem Verband einer Pflanze heraustreten, neue Zellen bilden, die sich dann wieder demselben morphologischen Gesetz gemäss, welches für jene Pilanze galt, zu einer neuen Pflanze anordnen. Der Wirklichkeit nach 'sind aber die Bedingungen sehr ver- schieden, die stattfinden müssen, damit eine Zelle selbst- ständig werden und zur neuen Pflanze sich heranbilden kann. Danach erhalten wir denn verschiedene Arten der Fortpflanzung bei den Gewächsen, wozu noch eine be- sondere Art für die erste Abtheilung der Pflanzen: (die Gymnosporen) hinzukommt. 1) Bei den Gymnosporen, Algen, Flechten und Pil- zen giebt es keine morphologisch bestimmten Theile, der Pflanze; der ganze specifische Bildungstrieb, ‚aus dem sie hervorgehen, ist in jedem einzelnen Stückchen vollstän- dig vorhanden und ausgedrückt. . Diese Pflanzen können sich daher durch zufällige oder gesetzmässig vor sich gehende Theilung. fortpflanzen. Jedes Stück wird zum neuen Individuum. Die zufällige Theilung findet gar häufig bei Flechten (durch Absterben und Zerstörung des 512 L Organologie. Centrums) und bei Algen statt. Die gesetzmässige Thei- lung kenne ich bis jetzt nur bei dem Algengeschlecht Spirogyra'). 2) Das aufgestellte allgemeine Gesetz beweisend kann unter ‘dem Zusammentreffen uns noch unbekannter Begünstigungen in vielen Zellen eines lebendigen. Par- enchyms (eines Blattes) ein selbstständiger Entwicke- lungsprocess auftreten, woraus neue Pflanzen hervor- sehen. Beobachtet wurde dies an Malaxis. paludosa?), Ornithogalum thyrsoides’), Cardamine pratensis (?)*), Ranunculus bulbosus’), Scilla maritima°), Eucomis regia '), Hyacinthus orientalis°). 3) Sichtbar einfache lebendig vegetirende Zellen trennen sich aus dem Pflanzenverbande (die Staubhäuf- chen |[soredia]| bei den Flechten -['Th. I, 44]), ‚oder erheben sich über der Oberfläche der Pflanze, bilden sich zu einem kleinen, wenigzelligen Körper um und trennen sich dann von den Pflanzen (bei Moosen [Th. II, 56] und Lebermoosen [Th. IL, 72]).. Aus. diesen. Zellen und zellenartigen Körperchen entwickelt sich dann. frei eine neue Pflanze. Ä 4) An bestimmten Stellen abfallender oder abgebro- chener Blätter entwickeln sich in oder auf feuchter Erde regelmässig Knospen, die nach allmäliger.. Zerstörung des Blattes zu selbstständigen Pflanzen werden; so.an der Trennungsfläche der Blätter von 'Echeveria, Cras- sula , Citrus u. s. w. 5) Nach Verletzungen von Pflanzentheilen, Z.. B. der Blatinerven, des Stammes, oder nach eigenthümlichen 1) Wiegmann’s Archiv, 1839, Bd. I. S. 286. 2) Henslow, Annales des sciences nat: XXI, 108. -9)ı Poiteau ‚; Ann. d. sc. nat. XXV, 21. 4) Cassini, Journal de Physique, T. LXXXN. p. 208. Ich ent- lehne dies nur von Meyen, Physiol. II, 47. 3) Dutrochet,. Nowv. Ann. du Musee, 1835, p. 165. Ebenfalls nach Meyen a. a. ©. 6) Guettard, Mem. s. diff. p. d. Se. I, 99, nach Treviranus Physiol. IL, 625. 7) Hedwig, Kl. Abhandl. II, 125, nach Treviranus a. a. O. S) Meyen a. a. ©. Allgem. Organologie. Fortpflanzung der Gewächse, 513 innern, ähnliche Verhältnisse hervorrufenden Veranlas- sungen bilden sich an den Wundrändern oder jenen eigen- thümlich veränderten Theilen die Nebenknospen, z. B. an den geknickten Blatinerven von Gesneria, an den Wüundrändern der Baumstämme, an wulstigen Auftrei- bungen des Holzes (sogen. Masern) u. s. w. Natür- lich oder künstlich von der Mutterpflanze getrennt, bil- den sich diese Knospen zu neuen Pflanzen aus. 6) An bestimmten oder unbestimmten Stellen der noch mit der Pflanze in Verbindung stehenden Blätter ent- wickeln sich regelmässig Knospen in verschiedenen For- men, die nach Trennung des Blattes von der Pflanze zu selbstständigen Pflanzen heranwachsen; so, bei Bryo- phyllum calycinum in den Kerben des Blattrandes, bei vielen Aroideen und Farnkräutern auf der obern oder untern Fläche, besonders häufig in den Winkeln der Blatinerven. 7) In der Achsel der Kotyledonen und, Stengelblät- ter bilden sich regelmässig eine oder mehrere Knospen in verschiedenen Formen, die, von der Pflanze setrennt, zu neuen Individuen werden können. 8) Alle Pflanzen bilden in morphologisch bestimmten Organen auf gesetzmässige Weise Zellen, welche aus- schliesslich nur dazu bestimmt sind, zu neuen, selbst- ständigen Individuen zu werden, indem sie sich nach den drei Formen des Entwickelungsprocesses bei Krypto- samen, Rhizocarpeen und Phanerogamen ausbilden, Fort- pflanzungszellen (Sporen und Pollenkörner). Die vorstehenden acht Fortpflanzungsarten lassen sich auf vier Classen zurückführen. 1) Die nur den Gymno- sporen zukommende Fortpflanzung durch beliebige Thei- lung (1). .2) Die bei den Gymnosporen. und wurzel- losen Angiosporen vorkommende Fortpflanzung durch ein- zelne Parenchymzellen (3). 3) Die den Angiosporen allein zukommende Bildung von Knospen (2, 4—7. Th. II, S. 139 ff). 4) Die allen Pflanzen zukommende Bil- dung von Fortpflanzungszellen (8). 1. BR) “ 5 ‚alles Organologie. Wenn man das festhält, was über die Fortpflanzung der ein- zelnen Zelle und über den Wachsthumsprocess gesagt worden ist, so folgt daraus schon, dass jede Zellgewebsmasse, unter welcher Form sie auch sich zeige, also auch die ganze Pflanze ihrem Ursprunge nach aus einer einzelnen Zelle, aus deren Fort- "pflanzung durch mehrere Generationen das Zellgewebe eben her- .vorging, sich ‚ableiten lassen muss, und für die verschiedenen Arten der. Fortpflanzung kann es daher nur darauf ankommen, zu bestimmen, in welchem Verhältniss die einzelne Zelle zur ganzen Pflanze steht und welcher Bedingungen sie bedarf, um ‘'sich'zu einem neuen Individuum entwickeln zu können. Je we- niger die Pflanze ‘in morphologisch bestimmten Formen abge- schlossen ist, je weniger beschränkend also auch der die sämmt- lichen Zellen zu einer ganzen Pflanze zusammenhaltende Bil- dungstrieb ist, um so selbstständiger muss daher auch das Zel- “ lenleben auftreten, um so leichter kann sich der einzelnen Zelle der Bildungstrieb mittheilen, welcher das Product ihrer Verviel- fältigung wieder in die vagen Umrisse der Mutterpflanze anord- net; je mächtiger dagegen das Bestimmende des Bildungstriebes gegen die Selbstständigkeit des Elementarorgans sich geltend macht, je mannigfaltiger und eigenthümlicher die Formen sind, in welchen das Specifische einer Pflanze sich ausprägt, um 50 inniger und dauernder muss auch der Einfluss seyn, welchen die ganze Pflanze auf die einzelne Zelle und ihre Entwickelung zur neuen Pflanze ausübt, damit diese völlig unter der Herrschaft desselben Bildungstriebes bleibe und ein treuer Abdruck seines Typus sey. Deshalb ist bei der einfachsten Pflanze, dem‘ Proto- coccus viridis, welche nur das zugleich als Art selbstständige Elementarorgan ist, ‚jede Bildung einer neuen Zelle auch Fort- pflanzungsact, und die neue Zelle bedarf, um der Art treu zu bleiben, nichts als der ungehinderten Entwickelung. des allge- meinen Zellenlebens überhaupt. Bei den zwar noch immer un- bestimmten Formen der Gymnosporen (in denen aber doch das individuelle Leben der Zelle schon einem anordnenden Bildungs- triebe unterworfen ist) trennen "sich zuerst die zwei Arten der Fortpflanzung durch eine beliebige, aus dem Verbande austre- tende Zelle und durch eine Zelle, die unter bestimmter Form des Bildungsprocesses entstanden, ausschliesslich und nothwendig der Fortpflanzung dient. Hier finden wir eine fortlaufende Reihe von der fast gänzlichen Identität beider Vorgänge (in der Bildung einer beliebigen Zelle) bei den einfachsten Algen, bis zu einer von der gewöhnlichen Fortpflanzung der Zelle durch eigenthümliche Erscheinungen wesentlich verschiedenen Erzeugung der bestimmten Fortpflanzungszelle bei den Flechten. Bei den Moosen und Lebermoosen zeigt der Bildungstrieb schon eine - Allgem. Organologie. Fortpflanzung der Gewächse, 515 enger begrenzte Gesetzlichkeit in der Erscheinung von Axe und Blatt und in den complicirteren Formen der übrigen Organe. Hier hört daher die erste Art der Fortpflanzung völlig auf in der Weise sich zu zeigen, dass eine einzelne Zelle aus dem Individualitätsverbande der Pflanze herausgetreten frei zur neuen Pflanze werden könne. Die sich isolirende Zelle muss vielmehr erst im Zusammenhange mit der Mutterpflanze, also noch unter der Herrschaft des Bildungstriebes, sich bis zu einer gewissen Stufe entwickeln, um im Stande’ zu seyn, die Gesetzlichkeit des- selben Bildungstriebes in’s neue selbstständige Leben mit hin- über zu nehmen. Sie bildet sich zu einem kleinen zelligen Kör- perchen aus und erst dieses trennt sich von der Mutterpflanze; so bei Mnium androgynum, Marchantia polymorpha u. s. w. Von dieser Stufe an aufwärts hört in der Pflanzenwelt der Process der Fortpflanzung durch eine sich gleich anfänglich absondernde Pflanzenzelle ganz auf und an seine Stelle tritt die sogenannte Knospenbildung. ‘Hier stossen wir nun auf eine wesentliche, noch unausgefüllte Lücke in unsern Untersuchungen, die sich vorläufig nur hypothetisch ausfüllen lässt. Die Analogie lässt uns nämlich hier folgenden Vorgang vermuthen. Eine Zelle des Parenchyms wird: durch Bildung neuer Zellen, ohne sich über die Fläche der Pflanze isolirt zu 'erheben, die Veranlassung zur Entstehung einer Zellgewebsmasse, die, im engen Verbande mit der ganzen Pflanze, bis jetzt von uns noch kaum von dem übri- gen Parenchym zu unterscheiden, gleichwohl schon eine eigene Individualität repräsentirt und, sowie sie ganz unter Herrschaft des specifischen Bildungstriebes entstanden ist, sich auch noch ferner beständig abhängig von der Mutterpflanze und ihrem Bil- dungstriebe conform zu einer Pflanzenanlage, zu Axe und Blatt, mit einem Wort, zur Knospe ausbildet. Welchem Theile der Pflanze die erste Zelle angehörte, ist dabei gleichgültig, und nach den möglichen Verschiedenheiten sind nur die Bedingungen verschieden, die die Entwickelung der Zelle zur Pflanze bestim- men. In den Blattachseln sind diese Bedingungen regelmässig vorhanden, in der Basis der Blätter häufig, seltener in der Fläche derselben und in den verholzten Axenorganen, noch sel- tener in der noch krautartigen (einjährigen) Axe; am allersel- tensten in den Blüthentheilen. Hier fehlt es nun an genauen Untersuchungen der Bildungsprocesse, welche der Erhebung der Knospe über die Fläche der Pflanze vorausgehen, und nur durch eine genaue Kenntniss derselben würden wir in den Stand ge- setzt seyn, zu unterscheiden, ob sich die Sache wirklich so ver- hält, wie ich sie eben vermuthungsweise vorgetragen, wodurch sie sich an die entwickelte Reihe als letzte Stufe anschliessen wurde, oder nicht. [a3 Dr * 516 | Organologie, Wir müssen hier aber noch eine andere Reihe verfolgen, näm- lich die Entwickelung der gesetzmässig gebildeten und von vorn herein für die Entwickelung zur neuen Pflanze bestimmten Fort- pflanzungszelle (Spore, Pollenkorn). Bei den einfachsten Algen ist, wie bemerkt, dieser Vorgang von dem im Anfang der vori- gen Reihe fast gar nicht zu unterscheiden. Auf die einfachste Weise bildet eine Pflanzenzelle eine Brutzelle, die nach der Zerstörung der Mütterzelle isolirt sich zur neuen Pflanze ent- wickelt. Bei den übrigen Gymnosporen ist der Bildungsprocess der Fortpflanzungszelle schon an eine eigenthümliche Gesetz- mässigkeit gebunden, die auf ihre Natur einen bestimmten Ein- fluss ausüben muss, Bei den Flechten zuerst zeigen sich schon bestimmte Andeutungen von einer eigenthümlichen Absonderungs- schicht, welche die Fortpflanzungszelle einhüllt und, wie nicht undenkbar ist, sie gegen äussere Einwirkungen, die auf die Form ihres Entwickelungsprocesses Einfluss haben könnten, schützt. Auch darin wird eine neue Bedingung zu ihr hinzugebracht, welche für alle Pflanzen der folgenden Classen, mit Ausnahme der unter Wasser blühenden, Gesetz bleibt. Bis zu den Rhizo- carpeen tritt nun zwar die Fortpflanzungszelle (Spore) ohne Weiteres aus dem Verbande der Pflanze und bildet sich zum neuen Individuum um, aber ‘von den Laubmoosen aufwärts fin- den wir doch, dass die Entstehung derselben immer bestimmter an die morphologische Gesetzlichkeit der Pflanze gebunden wird, in immer ıbestimmterer Abhängigkeit von dem specifischen Bil- dungstriebe entsteht, indem sie ausschliesslich an die Bildung des Blattes geknüpft wird. Nun tritt aber von den Rhizocarpeen an ein neues Moment hinzu, indem nicht mehr allein die Bildung der Fortpflanzungszelle, sondern selbst die erste Entwickelung derselben unter den Einfluss der Mutterpflanze und: ihres speci- fischen Bildungstriebes gestellt wird. Hierbei zeigen sich noch zwei Stufen, die Rhizocarpeen und Phanerogamen, indem bei den Erstern der Einfluss auf die Entwickelung des Pollens nur ein mittelbarer ist, indem die Saamenknospe sich schon von der Mutterpflanze getrennt hat, bei den Phanerogamen dagegen mit derselben in lebendigem Zusammenhange verharrt, wodurch die sich entwickelnde neue Pflanze um so länger und inniger von dem: specifischen Bildungstriebe der Mutterpflanze abhängig bleibt. So sehen wir auch hier, so wie die specifischen Bildungstriebe den Organismus in immer engere Grenzen der Gesetzlichkeit einschliessen, auch die von der Mutterpflanze gegebenen Bedin- gungen immer complicirter werden, unter denen sich die Fort- pflanzungszelle entwickeln muss, damit ihr vollständig die Be- dingungen zu einer gleichartigen morphologischen Entwickelung ie Allgem, Organologie. Kortpflanzung der Gewächse, 517 mitgetheilt werden und sie als neues Individuum denselben Bil- dungstrieb wie die Mutterpflanze repräsentire. Die verschiedenen, gewöhnlich aufgeführten Vermehrungsarten der Gewächse habe ich im Paragraphen nach den leicht aufzu- fassenden allgemeinen Gesichtspuncten unter vier Abtheilungen gebracht; diese lassen sich wieder folgendermaassen wıssenschaft- lich anordnen: A. Sobald die Pflanze in allen ihren Theilen nach einem und demselben Entwickelungsprineip gebildet wird, ist jeder Theil die ganze Pflanze und kann daher durch einfache Trennung von der Pflanze ein neues selbstständiges Individuum werden. Vermeh- rung der Pflanze durch Theilung. B. Wenn aber in der Pflanze das Entwickelungsgesetz we- sentlich verschiedene Erscheinungsweisen zeigt, so dass ein Pflan- zentheil, dem eine jener Erscheinungsweisen abgeht, eben nicht als ganze Pflanze, als Ausdruck des gesammten Entwickelungs- gesetzes auftritt, da ist Theilung unmöglich, die Pflanze wird auch dem Wortsinne nach ein Individuum. Dies gilt für die einfache Pflanze unter den Angiosporen, an welcher Axe und Blatt wesentlich als zwei verschiedene Entwickelungsprocesse zum Begriff der ganzen Pflanze gehören. Hier kann sich die Pflanze nur auf die Weise vermehren, dass einem Elementartheile, einer Zelle, auf irgend welche Weise die Eigenschaft mitgetheilt wird, auch isolirt die Gesammtheit des Bildungsgesetzes zu re- präsentiren. Derselbe Vorgang muss aber neben der Zufällig- keit der Theilung auch gesetzmässig den Gymnosporen zukom- men, und diesen Process nennen wir im Gegensatz zur Thei- lung — Fortpflanzung, die also allen Pflanzen zukommt. Diese Fortpflanzung findet sich aber nun wieder in doppelter Weise nach den beiden eben vorher entwickelten Reihen, a) in der Entwickelung irgend einer beliebigen lebendigen Zelle zu einem neuen Individuum unter sehr verschiedenen Be- dingungen — unregelmässige Fortpflanzung; b) in der Entwickelung einer ausschliesslich für diesen Zweck gebildeten Fortpflanzungszelle — regelmässige Fortpflanzung. Diese letztere aber zerfällt nach den Bedingungen, unter wel- chen sich die Fortpflanzungszelle entwickelt, in zwei Abtheilun- gen, indem 1) nur die Entstehung der Fortpflanzungszelle in der Abhän- gigkeit von der Mutterzelle vor sich geht, ‘bei den Kryptoga- men, oder 2) auch die erste Entwickelung der Fortpflanzungszelle zum neuen Individuum unter die Bedingung eines materiellen Ein- flusses der Mutterpflanze gestellt ist. Diese letztere nennen wir 518 ‚sah Organologie. geschlechtliche Fortpflanzung; sie findet sich nur bei Rhizocar- peen und Phanerogamen. Dieses und nur dieses ist die Bedeu- tung des Wortes Geschlecht bei den Pflanzen, und alle Ver- gleiche mit den (höheren) Thieren sind hier hinkend und un- wissenschaftlich. Einen Ausdruck bedürfen wir aber für dieses Verhältniss: in der Pflanzenwelt und deshalb möchte ich das Wort Geschlecht mit Valentin nur dann verbannen, wenn zu fürchten ist, dass man sich von angelernten Vorurtheilen nicht losmache und mit dem Worte auch die demselben bei den Thieren eigne Bedeutung, einschwärzt.. ’Theilt man das, Geschlecht in ein männliches und ein weibliches, so können wir nach der Analogie mit den Thieren, von denen dieser Ausdruck nun einmal ent- lehnt ist, nur dasjenige. Organ das weibliche nennen, welches die materielle, organisirte. (zellige) Grundlage hergiebt, welche sich zum neuen Individuum entwickelt. Will man daher die Ausdrücke für die Rhizocarpeen und Phanerogamen beibehalten, so kann man nur das Pollenkörner enthaltende Säckchen der ersteren, die Anthere der letzteren das weibliche Organ nennen. Als höchst wichtige, noch zu lösende Aufgabe ist hier zu nen- nen die vollständige Entwickelungsgeschichte der Knospe aus der einzelnen Zelle oder Zellengruppe, die ihr den Ursprung giebt. Hier ist bei den Axillarknospen für’s Erste wenig zu hoffen, da diese sich so früh bilden, dass schon das Zellgewebe selbst, in welchem sie entstehen, der Untersuchung alle möglichen Schwie- rigkeiten in den Weg legt. Dagegen liesse sich theils bei Bryo- phyllum calycinum, theils bei der Entstehung der Nebenknospen an Stämmen (wo man sie künstlich hervorrufen kann) an eine Lösung dieser Aufgabe, aber durch sehr geduldige Untersuchun- gen denken. $. 202. Jeder specifische Bildungstrieb, insbesondere in der organischen Welt, gestattet die Möglichkeit, dass einige Merkmale der unter den Artbegriff fallenden Einzelwe- sen, die wir eben deshalb als unweseniliche Merkmale bezeichnen, innerhalb gewisser Gränzen veränderlich seyen. Die endliche Entscheidung über Wesentlichkeit und Unwesentlichkeit der Merkmale lässt sich aber erst dann geben, wenn uns die Construction aller Gestal- tungsprocesse gelungen seyn wird. Man hat bisher ge- glaubt aussprechen zu können, dass die regelmässige Allgem, Organologie. HKoripflanzung der Gewächse, 519 Fortpflanzung nur die wesentlichen Merkmale wieder hervorbringe, die unregelmässige dagegen auch die un- wesentlichen. Das ist im Allgemeinen falsch. Es kommt hier auf die Eigenheiten der einzelnen Pflanzen an, in wie weit diese in ihren Merkmalen überhaupt 'veränder- lich sind und wie fern sie Neigung haben, auch unwe- sentliche Merkmale durch Fortpflanzung auf die neuen Individuen zu übertragen. Abgesehen davon, lässt sich die allgemeine Regel nur so aussprechen: je länger und je inniger das sich neu bildende Individuum mit der Mut- terpflanze vereinigt war, um so mehr wird der ihm ein- geprägte Bidünesirieb auf Hervorbringung ganz glei- cher,, auch unwesentlicher Merkmale gerichtet seyn. Daraus ergiebt sich für die ‚verschiedenen Arten der Vermehrung die Folgerung, dass unter übrigens glei- chen Umständen die Theilung und die Knospenbildung Individuen geben müssen, die "der Mutterpflanze am mei- sten in allen Merkmalen gleich kommen; Knospen um so gleichere, je weiter sie sich noch in organischer Ver- bindung mit der Mutterpflanze entwickelt haben, endlich die regelmässige Fortpflanzung um so gleichere Indivi- duen, je weiter die Ausbildung des en unter dem Einflusse der. Mutterpflanze fortgeschritten. ist. Enndlich ist für die Phanerogamen, Rhizocarpeen und mit eimer Wurzel versehenen Agamen noch zu bemer- ken, dass die Knospe als von einer Seite organisch mit der Mutterpflanze verbunden niemals eine, ächte Wurzel, sondern nur Nebenwurzeln entwickeln kann. Die bisherige Physiologie, ja man kann beinahe sagen, die ganze bisherige Botanik, hat sich nur an den Phanerogamen und nicht an den Pflanzen im Allgemeinen entwickelt, und so sind denn auch die übrigen Pflanzen stets entweder ganz vernachläs- sigt, oder beiläufig nach einigen übel angebrachten Analogien abgefertigt worden. Man findet daher auch in der Lehre von der Fortpflanzung ganz schlendriansmässig das Ganze auf die gewöhnlicher indie Augen fallende: Fortpflanzung durch Saamen und durch Knospen beschränkt. Wie eng man sich dadurch den Horizont beschränkt, hat der vorige Paragraph. entwickelt. 520 | Organologie. Hier, ist aber noch ein Punct zu berühren, den man ebenfalls an die ziemlich oberflächliche . Betrachtung der Knospen und Saamen anknüpft. Man findet gar oft die Rede: „Der Saame pflanzt die Art fort, die Knospe das Individuum.“ Der gründ- liche Unterricht, den wir in der Jugend .in der lateinischen und griechischen Sprache erhalten, hat uns längst den Ruhm zu Wege gebracht, dass der deutsche Gelehrte nichts ‘schlechter verstehe als seine eigene Muttersprache, und das zeigt sich auch hier. Wachsen heisst die organische Vergrösserung eines gege- benen Individuum. Das Individuum pflanzt sich fort, wenn durch einen organischen Process, dessen Bedingungen von ihm gegeben sind, ein neues Individuum entsteht. Die Art ist ein Begriff, der sich als Abstractum gar nicht fortpflanzen. und ‚nicht fort- gepflanzt werden kann '). Entsteht aber durch Fortpflanzung eines Einzelwesens ein neues Einzelwesen, so wird der Artbegriff als ein bedeutungsvoller erhalten, weil wieder concrete Gegen- stände vorhanden sind, die in seine Sphäre fallen. Die obige Rede hat also gar keinen Sion. Link?) hat nun gemeint, die Sache feiner zu fassen, wenn er sagt: „Der Saame setzt die Art, die Knospe das Individuum fort“. Ich kann mir den Schö- pfer nicht wohl als Journalisten denken, der seine Werke blatt- weise in einzelnen Fortsetzungen herausgiebt. Die Wissenschaft weist nach, dass ein Baum ein Aggregat vieler Individuen sey, wie ein Polypenstock; das Leben nennt ihn Ein Individuum von einem andern Artbegriff ausgehend; aber für Yıooo Indivi- duum erklärt ıhn weder Wissenschaft noch Leben. Ich meine, der gesunde Menschenverstand wird es immer lächerlich finden, wenn man ihm zumuthet, die 2000 Pappeln einer meilenlangen preussischen Chaussee für Ein fortgesetztes Individuum anzu- sehen, und noch weniger wird.er es begreifen, dass ein span- nenlanger, einjähriger Schössling einer Trauerweide eigentlich ein fortgesetzter 200jähriger Greis sey, der, bei seiner schnellen Ab- reise aus dem Orient, seine Jugendzeit am Euphrat liegen liess, wo sie lange schon gestorben und verfault ist, während sein Mannesalter, anfänglich von Alexander Pope°) gepflegt, vor einigen Jahren in England umgehauen und verbrannt wurde. Die aus Mangel an umfassender Beobachtung und‘ Kenntniss der 1) Ausser in bildlicher Rede, wie man etwa sagt: ein Gerücht pflanzt sich fort. 2) Elem. phil. bot. Ed. Il. T. I, p. 133. 3) Alle unsere 'Trauerweiden sollen von einem Zweige stammen, den der Dichter Pope, in einen Korb verflochten, aus Smyrna erhielt und den er, weil er noch Leben zeigte, einpflanzte. Allgem, Organologie. Fortpflanzung der Gewächse, 521 Muttersprache so confus und unbeholfen ausgedrückte Thatsache ist nämlich die, dass aus Knospen Individuen entstehen, die der Mutterpflanze häufig in mehr Merkmalen gleichen, als die aus einem Embryo entstandenen. Diese Thatsache, die aber keines- wegs einen scharfen Unterschied begründet (man denke nur dar- an, welche untergeordnete Merkmale bei unsern Gemüsearten, 'z. B. Kohl, Erbsen u. s. w., durch den Saamen übertragen wer- den), liegt nun sehr natürlich in der Art organischer Fortpflan- zung überhaupt begründet. Fortpflanzung ist nichts Anderes, als das Uebergehen des specifischen Bildungstriebes von einem Individuum auf ein neu entstehendes, und wo die Art nicht er- halten wird, ist daher gar keine Fortpflanzung vorhanden. Es hängt aber von den Bedingungen, unter welchen die Fortpflan- zung geschieht, ab, ob der specifische Bildungstrieb sich auf mehr oder weniger Merkmale erstreckt, indem eine entstehende Form, sey es Gestalt oder sey es Form eines Processes, einer frühern Form um so ähnlicher werden muss, je länger und je ausschliesslicher ihre Entstehung und Entwickelung von denselben Bedingungen abhing, welche die erste Form hervorriefen und erhielten. Nun besteht aber die regelmässige Fortpflanzung und die Fortpflanzung durch einzelne Zellen stets darin, dass sich ein organischer Keim gleich anfänglich aus dem organischen . Verbande mit der Pflanze, aus ihrer Continuität, völlig lostrennt und sich aus sich selbstständig entwickelt, so dass der Einfluss, den etwa die Mutterpflanze auf ihn ausübt, wenn auch noch ein bestimmender und verähnlichender, doch immer schon als ein äusserer- auf ihn wirkt und durch ‚seine eigene innere Lebens- thätigkeit modificirt aufgenommen wird. Bei der Theilung. und Knospenbildung dagegen ist das neue Individuum bis zum Augen- blick der Trennung organisch mit der Mutterpfianze verbunden, in einer Continuität mit ihr, und entwickelt sich daher ganz unter dem Bildungstriebe derselben mit allen den Zufälligkeiten seiner Erscheinung, ‘wie sie gerade in diesem einzelnen (Mutter-) Individuum hervortreten. Dass aber auch hier gar Vieles durch äussere nicht von der Mutterpflanze gegebene Einflüsse bestimmt werden könne, zeigt unter den bis jetzt (sicher nur aus Mangel an Aufmerksamkeit wenigen) bekannt gewordenen Fällen z. B. die Thatsache, dass aus sogenannten Wasserlohden (also aus Knospen) hervorgegangene Individuen sich gar häufig durch eine auffallend grosse Blattbildung von der Mutterpflanze unterschei- den; so findet man in feuchten Wäldern nicht selten Eichen- schösslinge, die, aus einem alten abgehauenen Stock empor- geschossen, wegen ihrer zuweilen fast fusslangen Blätter auf- fallen u. s. w.; ferner die Erfahrung, dass das Pfropfreis und ‚noch. mehr das ‚Auge gar häufig durch die Natur des Subjects 522 Organologie. in seinen Eigenschaften etwas: modifieirt wird und keinbalegs alle Merkmale der Mutterpflanze behält '). $. 203. Der aufgeführten verschiedenen Arten der Fortpflan- zung bedient sich die Natur in der That, um die Indi- viduenzahl der Pflanzen zu enöhren 8 Bei manchen Pflanzen treten sie immer ein, bei andern werden sie nur durch ausserordentliche äussere Einwirkungen her- beigeführt und sind daher seltener. Es giebt insbeson- dere viele Pflanzen, welche eine Menge von Knos- pen in. verschiedenen Formen hervorbringen (vergl. $. 139), die dann durch Absterben der Mutterpflanze, oder der sie verbindenden Stengelglieder isolirt werden. Man pflegt sie proliferirende Pflanzen zu nennen. Auf die Knospenbildung insbesondere hat man aber auch mehrere Gartenoperationen gegründet, die theils die Vermehrung, theils die Erhaltung und Umänderung der Pflanzen zu gewissen Zwecken beabsichtigen. Sehr allgemein benutzt man die Bildung der Knos- pen aus Blättern und die. natürliche Knospenbildung zur Vermehrung der Pflanzen. In letzterer Beziehung macht man Absenker, indem man schon zum Zweig entwickelte Knospen noch in Verbindung mit der Mutterpflanze Ne- benwurzeln treiben lässt und dann; abschneidet, oder Stecklinge, indem man den Zweig: gleich abschneidet und dann zum Nebenwurzeltreiben bringt. | Zur Erreichung besonderer Oulturzwecke überträgt man Knospen von einem Individuum auf ein: anderes. Die Operation beruht wesentlich darauf, dass man. das blossgelegte, lebendig vegetirende und gleichnamige Zell- sewebe beider rasch in enge Berührung bringt und dann auf verschiedene Weise gegen äussere Schädlichkeiten schützt, bis die beiden Wundflächen mit einander ver- wachsen sind. So überträgt man Knospen (oculiren, 1) Vergl. Lindley, A theory of Horticulture. London, 1840; p. 220g. Allgem. Organologie. Kortpflanzung der Gewächse, 523 impfen, äugeln), die mit einem Rindenstück abgelöst werden (Augen), oder junge Zweige (pfropfen), die unten verschiedenartig zugeschnitten sind (Pfropfreiser) auf ‚einen Stamm (Subject), erstere unter eine gelöste Bindenportion einschiebend, letztere zwischen Rinde und Holz einschiebend oder mit dem anpassend zugeschnit- tenen Stamm zusammenfügend. Oder man verbindet durch Vereinigung passender Schnittllächen den Zweig einer Pflanze mit. dem einer andern und trennt ihn erst dann von der Mutterpflanze, wenn er mit der zweiten ver- wachsen ist (absäugen oder ablactiren). Ich brauche diesem Paragraphen kaum etwas hinzuzusetzen; denn der erste Punct 'gehört der speciellen Botanik an und der zweite so wenig in die Botanik, wie Chirurgie in die Zoologie. Für die Vereinigung zweier Individuen durch Aeugeln, Pfropfen oder Absäugen will ich nur noch Folgendes bemerken. Abge- sehen von der Sorgfalt, mit der die Operation gemacht wird, damit möglichst viel lebendiges Zellgewebe und möglichst nur gleichnamiges, z. B. Holz mit Holz, Splint mit Splint, Cambium mit Cambium u, s. w., in Berührung kommt, ohne lange der Luft ausgesetzt gewesen zu seyn, hängt das Gelingen der Ope- ration auch von der Art der beiden Pflanzen ab, die so ver- einigt werden sollen. Hierbei ist Regel, dass, je näher sich die Pflanzen stehen, z. B. Spielarten oder Arten eines Geschlechts, um so sicherer der Erfolg zu hoffen ist, und dass zu verschie- denen natürlichen Familien gehörige Pflanzen sich niemals ver- einigen lassen. Die entgegenstehenden Thatsachen sind nur scheinbar. Ein Zweig kann in blossem Wasser oder feuchtem Sande blühen und Blätter treiben, also auch wohl wenn er durch das Zellgewebe einer andern Pflanze mit Feuchtigkeit versehen wird, aber verwachsen wird er nicht, wenn nicht der chemische Process in beiden Pflanzen wenigstens ein ähnlicher ist. .- Kenn- ten wir die specifischen Eigenheiten des chemischen Processes in allen Pflanzen, so würde man im Voraus den Erfolg jeder solchen Uebertragung bestimmen können; ohne das aber sind wir allein an den Versuch gewiesen. Sobald die Vereinigung geschehen, hängt natürlich. die Natur der fernerhin neu gebil- deten Zellen und Organe hauptsächlich von der Natur des neuen Individuum ab, wenn dieses nämlich das einzige lebendig fort- wachsende auf dem Subject ist, und wenn nicht, doch in so weit es seinen Einfluss ausüben kann. Immerhin wird das Subject aber auf Auge und Pfropfreis einen bald mehr bald weniger merkli- 5M Organologie. chen Einfluss ausüben, weil die den letztern zugeführten Säfte doch zunächst durch die Zellen des Subjects gehen müssen und von diesen schon chemisch verändert werden. Hier sind aber die Verhältnisse noch viel zu complicirt, um von uns einer Er- klärung unterworfen zu werden. Alles sind hier einzeln stehende Erfahrungen, deren Mittheilung nicht hierher, sondern in die Lehrbücher der Gärtnerkunst gehört. Einen Fall will ich nur noch erwähnen, der interessant ist. Wenn man einen Zweig einer sehr rasch wachsenden Pflanze auf einen Stamm einer sehr langsam wachsenden pfropft, z. B. einen Pflaumenzweig auf einen Schlehenstamm, so verdickt sich das Pfropfreis seiner Natur gemäss sehr schnell, aber nicht ebenso der Schlehenstamm, welcher seinen langsamen Wuchs beibehält '), Einen schlagen- dern Beweis für das fortdauernde specifische Leben des Subjects und, wie mir scheint, gegen den angeblichen absteigenden Rin- densaft kann man nicht leicht finden. Wenn ein absteigender Rindensaft existirte, so müsste sich natürlich der alte Schlehen- stamm durch das Pfropfreis mit Jahresringen von Pflaumenholz bekleiden und diese würden ihrer Natur nach eben so schnell sich verdicken, als das Pfropfreis selbst; das geschieht aber keineswegs, weil eben die neuen Jahresringe nicht aus einem absteigenden Rindensaft gebildet werden, sondern durch Zellen- bildung in den schon vorhandenen Zellen der Cambialschicht, und deshalb wesentlich auch ihnen gleichartig. Nun hat man aus der Bildung neuen Holzes nach der Natur des Pfropfreises das Herabsteigen des Rindensaftes bewiesen und dann wieder hier die Thatsache, dass eine solche Bildung nicht nach der Natur des Pfropfreises erfolgt, ebenfalls aus dem absteigenden Rinden- saft abgeleitet, der nämlich über der Pfropfstelle stocken soll. Was sich doch nicht Alles beweisen lässt, wenn man nur hübsch mit der Logik sich abzufinden weiss. $. 204. Eigenthümliche Verhältnisse zeigen sich endlich noch bei der Fähigkeit der Gewächse zur regelmässigen Fort- pflanzung. Jede einfache Pflanze im strengsten Sinne des Wortes ist nur einmal fortpflanzungsfähig; mit der Umbildung ihrer Terminalknospe zu Fortpflanzungsorganen ist ihr Leben beschlossen. Aber auch der grösste Theil der einfachen Pflanzen im weitern Sinne, deren Axillar- 1) Vergl. Lindley, A theory of Horticulture, p. 237. Allgem, Organologie, Fortpflanzung der Gewächse, 525 knospen ausschliesslich Blüthentheile bilden, ist nur ein- mal fortpllanzungsfähig; die Pflanze wird durch die Fort- pflanzung so erschöpft, dass sie abstirbt (die sogenannte ein- und zweijährige Pflanze). Seltener bleibt sie leben- dig und indem sie durch die Terminalknospe sich fortent- wickelt, kann sie auf’s Neue Fortpflanzungsorgane hervor- bringen, z.B. Ananas. An der zusammengesetzten Pflanze silt dasselbe für die einzelnen Individuen, aus denen sie be- steht. Hier tritt aber ein höchst merkwürdiges Verhält- niss ein, dass nämlich bei gar vielen perennirenden Pilan- zen das aus dem Saamen entstandene Individuum völlig unfähig ist, sich durch Saamen fortzupflanzen, und dass erst die aus Knospen hervorgegangenen Individuen zu- weilen erst in der zehnten und mehrfachen Generation die Fähigkeit erlangen, Fortpflanzungsorgane hervorzu- bringen. Bei den meisten Algen und Flechten, bei denen noch so ‚wenig von abgeschlossener Individualität die Rede ist, bei denen jeder kleinste Theil die ganze Pflanze repräsentirt und für sich fortlebt, findet natürlich das eben ausgesprochene Gesetz keine . Anwendung, um so sicherer dagegen bei den übrigen Flechten und den meisten Pilzen, bei denen die ganze Pflanze fast nur aus den Fortpflanzungsorganen besteht. Bei den übrigen Pflan- zen versteht es sich von selbst, dass das aus einer Knospe her- vorgegangene Individuum absterben muss, wenn sein einziger Trieb, der Endtrieb, sich in Fortpflanzungsorgane umwandelt, Auch bei den einfachen Pflanzen, deren Seitenknospen alle zu Blüthen oder Blüthenständen werden, muss dasselbe stattfinden, sobald auch die Terminalknospen Blüthen geworden sind. Ist das Letztere nicht der Fall, so hängt es freilich von specifischer Kigenthümlichkeit ab, ob das Leben des ganzen Individuum durch die Blüthenbildung erschöpft ist (z. B. bei Musa und einigen Palmen), oder ob es im Terminaltrieb fortwachsen und öfter Fortpflanzungsorgane hervorbringen kann (die meisten Pal- men). Das auffallendste Verhältniss ist das zuletzt erwähnte, welches die meisten dikotyledonen Bäume zeigen. Hier bilden stets erst die aus Seitenknospen oft sehr spät hervorgehenden Individuen Fortpflanzungsorgane. Sollte bei Polypen vielleicht Aehnliches vorkommen, dass ein aus einem Ei entwickeltes Thier nicht im Stande sey, Eier zu bilden, sondern dass erst eine der Seitensprossen in späterer Generation diese Fähigkeit erlangt ? 526 Organologie, F. Tod der ganzen Pflanze. $. 205. Bei der Selbstständigkeit des Elementarorgans besteht das Leben der ganzen Pflanze als solcher nur in der morphologischen Verknüpfung der Zellen und, da die Pflanze nie alle ihre Organe vollständig gleichzeitig be- sitzt, in ihrer Entwickelungsgeschichte. Sie ist also als Pflanze todt, sobald sie nicht mehr die Möglichkeit indi- vidueller Entwiekelung hat. Unterscheiden wir hier zwi- schen einfacher Pflanze und zusammengesetzter Pflanze (vergl. $. 72), so finden wir nur bei einem kleinen Theil der einfachen Pflanzen einen Abschluss ihrer Ent- wickelungsgeschichte und somit ihren Tod in ihrer Natur selbst bedingt, nämlich bei der einfachen Pflanze, die ihre. Terminalknospe zu Fortpflanzungsorganen umbildet. Bei einigen andern scheint auch ohne eine solche Aus- bildung der Terminalknospe durch die Entwickelung aller Axillarknospen zu Fortpflanzungsorganen, Blüthen und Blüthenständen die vegetative Kraft der Pflanze erschöpft zu werden, auf welche Weise wissen wir aber nicht. Für alle zusammengesetzten Pflanzen und selbst für einen grossen Theil der einfachen findet ein eigenes Verhält- niss statt, indem zwar die einfache Pflanze als solche abstirbt, aber in einem Theile, der freilich sich nicht mehr zu Organen entwickeln kann, fortlebt. Dieser fortlebende Theil unterhält dann auf eigenthümliche Weise eine leben- dige Verbindung unter den neuen Individuen (einfachen Pflanzen), die durch Knospenbildung aus dem ersten In- dividuum hervorgingen. In diesem eigenthümlichen Zu- stande sind alle durch Rhizome und Stämme. perenni- renden Pflanzen. Völlig einfache Pflanzen, die, nachdem sie ihre regelmässige Entwickelung vollendet haben, ganz ahsterben, giebt es nur äusserst wenige. Die zu- sammengesetzte Pflanze als solche hat durchaus keinen in ihrer Organisation nothwendig bedingten Abschluss Allgem, Organologie, Tod der ganzen Pflanze, 527 ihres Lebens, den man Tod in der angegebenen Bedeu- tung nennen könnte. Ich habe überall in diesem Buche darauf hingewiesen, wie ungehörig und unpassend alle Analogien zwischen Thier und Pflanze sind, sobald man ohne Vorurtheil und mit tiefer ein- dringender Kenntniss beider sie zusammenstellt. Dasselbe zeigt sich nun auch auf höchst merkwürdige Weise in dem Verhält- niss, welches im gegenwärtigen Paragraphen berührt ist. Kein Hunderttheil aller Pflanzen (die ganz I- oder 2jährigen) zeigt uns die Möglichkeit eines Vergleiches mit den meisten Thieren. Noch nicht ein Tausendtheil der Thiere (die zusammengesetzten Polypen) lässt eine Analogie mit den übrigen Pflanzen zu und noch dazu ist gerade bei diesen Thieren unsere Kenntniss der Entwickelungsgeschichte durchaus mangelhaft. Das einzelne Thier ist in seinem Leben ebenfalls in vielfacher Beziehung von dem Leben des Planeten abhängig, von dem es seine Lebensreize, seinen Lebensunterhalt empfängt. Aber sowie dadurch die äussere Natur das Leben des Thieres auf der einen Seite erhält, so giebt sie auch zugleich in jedem Erhaltungsact gleichsam ein Moment der Reibung und des Widerstandes, die nach und nach sich summiren, bis ihre Kraft die Leben erhaltende Kraft der äussern Natur überwiegt, womit nothwendig der Tod eintritt. Es liegt im Organismus des Thieres selbst die Bedingung des Todes, indem die zu einer abgeschlossenen Individualität ver- ‘einigten organischen Elemente, für sich gar kein Leben habend, nur so lange dem Leben des ganzen Thieres dienen können, ‚als sie in dem specifisch bestimmten Gleichgewicht ihrer chemi- schen Natur und ihrer physikalischen Kräfteäusserungen erhalten werden, aber nur mit einem ebenfalls specifisch bestimmten Trägheitsvermögen sich den auf Störung dieses Gleichgewichts gerichteten Einflüssen der äussern Natur entgegensetzen können. Tritt dann der Zustand ein, wo die völlige Aufhebung dieses Gleichgewichts den Tod des Thieres herbeiführt, so sind gleich- zeitig auch alle organischen Elemente, aus denen es bestand, dem Tode und der Auflösung verfallen. Nicht so bei der Pflanze. In ihr lebt jedes Elementarorgan sein eigenes selbstständiges Leben und stirbt für sich und die ganze Pflanze besteht wesentlich nur aus der morphologischen und: nicht aus der physiologischen Verknüpfung der Elemente, Die einzelnen Zellen können todt seyn und doch, indem sie noch die Gestalt der ganzen Pflanze bedingen, gleichsam ein lebendiger Theil derselben bleiben; die ganze Pflanze kann ster- ben, d. h. der specifisch bestimmte Verband, in welchem die Zellen zusammengeordnet waren, kann aufgehoben seyn, und 528 Organologie. doch leben die Elementarorgane noch fort, ja können selbst im Stande seyn, neue Individuen derselben Art ‘wieder zu ent- wickeln. Der Begriff der ganzen Pflanze liegt aber, wie ich das vielfach nachgewiesen habe, in einem specifisch bestimmten Entwickelungsprocesse. Wo nun dieser so unbestimmte Formen hervorruft, wie bei Algen, Flechten und Pilzen, ist auch an einen Tod der ganzen Pflanze nicht zu denken, weil jeder einzelne Theil derselben die unbestimmte Form so gut repräsentirt, wie die ganze Pflanze, und sich nach demselben Typus fortent- wickeln kann. Hier. kann also von Tod nur die Rede seyn, so- bald alle Elementarorgane chemisch oder mechanisch zerstört sind. In der grossen Fucusbank von Corvo und Flores mögen sich Sargassum-Pflanzen herumtreiben, an denen schon die Schiffe des Columbus streiften, und auf den nordischen Geschieben kann man sicher Flechten finden, die mit ihrem Boden aus Skandi- navien herüberkamen. In Urgebirgen sind Exemplare von Flech- ten nicht selten, denen man im Verhältniss zu ihrem langsamen Wachsthum ein: tausendjähriges Alter nicht absprechen kann. Die Pilze bei ihrem meistentheils so weichen Gewebe werden leichter als andere Pflanze insbesondere. durch Fäulniss zerstört, ohne dass man sagen könnte, sie seyen natürlichen Todes ge- storben. Aber man findet auch im Hochwalde nicht selten so- genannte Hexenkreise von Boletus bovinus, edulis u. s.w. von so weitem Umkreise, dass man der Pflanze, zu der diese Spo- renfrüchte gehören, 10- und 20jähriges Alter zugestehen muss, und die festen Pilze, Polyporus igniarius, Daedalea quercina u. s. w., erreichen sicher mit ihrem Baume oft ein mehrhundertjähriges Alter, ehe sie, der Dryas gleich, zu Grunde gehen, nicht weil sie sterblich sind, sondern weil der Wohnplatz vernichtet wird, an den sie durch das harte Schicksal unabänderlich geknüpft sind. Anders verhält sich die Sache bei den übrigen Pflanzengrup- pen, die in bestimmter Modificirung des Entwickelungsprocesses verschiedene wesentlich zu ihrem Begriff gehörige Organe bilden. Ein solches Gewächs existirt als die specifisch bestimmte Pflanze nur so lange, als sie fortfahren kann, die zu ihrem Begriff noth- wendigen Organe zu bilden; das Eintreten der Unmöglichkeit, sich ihrem Gesetz gemäss zu entwickeln, ist ihr Tod als Pflanze. Dabei wird aber der schon früher entwickelte Unterschied zwi- schen einfacher und zusammengesetzter Pflanze wichtig. Da die Existenz der letztern nicht auf Fortbildung eines Einzelwesens, sondern auf beständiger Fortpflanzung und Bildung neuer Indi- viduen beruht, so versteht es sich von selbst, dass von Tod bei ihr nicht die Rede seyn kann, weil wir bei einem fortpflan- zungsfähigen Organismus überall keine Nothwendigkeit kennen, dass die Fortpflanzungsfähigkeit in irgend einer Generation ein- Allgem, Organologie, Tod der ganzen Pflanze. 529 mal aufhören müsse. Es existirt auch in der That keine Beob- achtung, dass ein unter vollkommen günstigen Verhältnissen vegetirender Baum vor Altersschwäche gestorben sey. Wir haben Beispiele genug von ungeheurem Alter der Bäume. Die be- rühmte Castagna dei cento cavalli (Castanea vesca) auf dem Aetna muss an tausend Jahre alt seyn. Die Baobabbäume (Adansonia digitata) auf dem grünen Vorgebirge taxirt man nach ihrer Dicke und der Zahl der Jahresringe an einigen Aesten zu 2000 Jahren und darüber. Die Riesencypresse (Cu- pressus disticha) zu Santa Maria del Tule, zwei Stunden östlich von Oaxaca in Mexico, hat einen Umfang von 124 spanischen Fussen, also 40° Diam.; rechnet man jeden Jahresring zu 2’, so ist der Baum fast 1500 Jahre alt; historisch sicher ist er älter, als die Eroberung von Mexico durch die Spanier. Das Alter des grossen Drachenbaumes (Dracaena Draco) von Orotava auf Teneriffa wird sogar zu mehr als 5000 Jahren bestimmt, und er wäre also nach gewöhnlicher Berechnungsweise des jüdi- schen Mythus beinahe Zeuge der Schöpfungsgeschichte. Diese Beispiele genügen schon vollkommen, um die Möglichkeit eines Fortlebens ohne Ende bei zusammengesetzten Pflanzen zu be- weisen. Gewöhnlich sterben diese Pflanzen in Folge mechani- scher Verletzungen, z. B. ein durch Sturm abgebrochener Ast giebt Veranlassung, dass von der dem Regenwasser ausgesetzten Bruchfläche aus ch alimälig die Verwesung oder Vermoderung alles älteren, schon todten, aber die Festigkeit der ganzen Pflanze bedingenden Zellgewebes (des Kernholzes) bemächtigt; ein neuer Sturm wirft dann leicht den ganzen Bun um, der nun, von der Wurzel getrennt, verhungert. Bi allen diesen perennirenden Pflanzen zeigt sich nun ein ganz ‚eigenthümliches Verhältniss, welches mit der Fortpflan- zung zusammenhängt und auch dort schon berührt ist. An der einfachen Pflanze bildet sich nämlich eine Zellgewebsmasse aus, welche einen lebendigen Zusammenhang zwischen den neuen, durch Knospenbildung entstandenen Individuen unterhält und so eigentlich die zusammengesetzte Pflanze als solche möglich macht. Dabei bleibt das aus Saamen entstandene ursprüngliche Indivi- duum entweder lebendig, wie bei den meisten Bäumen, und wächst dann selbst mit fort, oder es stirbt als Pflanze völlig ab und hinterlässt nur jene lebendig bleibende, aber individueller , Entwickelung fernerhin unfähige Zellgewebsmasse, wie bei den Staudengewächsen. — Bei den Bäumen ist diese Zellgewebsmasse das Cambium des Stammes, bei den Stauden das des Rhizoms. Für die übrigen (einfachen) Pflanzen sehen wir so viel wohl ein, dass eine Pflanze, deren Terminalknospe vollständig in Fort- pflanzungsorgane umgeändert wird, damit das Ende ihres Lebens N. 34 530 Organologie. erreicht haben muss, da sie nicht mehr fortwachsen kann. Wie aber der Tod bei den einfachen: Pflanzen herbeigeführt werde, die nur ihre Seitenknospen in Blüthen umwandeln, ist uns völlig dunkel. Es ist eine nichtssagende und deshalb nichts erklärende Rede, dass durch die Blüthenbildung die Lebenskraft erschöpft sey, da wir überall, und insbesondere 'hier, uns unter Lebens- kraft nichts Bestimmtes denken können. — Hier ist noch sehr viel zu thun, bis wır dem Abschlusse näher rücken. Mir ist kein Buch, sey es über Pflanzenphysiologie, sey es über Botanik im Allgemeinen, bekannt geworden, in welchem die Frage nach dem Tode der: Pflanzen, dessen Een und Eee auch nur beiläufig berührt würde. Zweiter Abschnitt. Specielle Erscheinungen im Leben der ganzen Pflanze. A. .Wärmeentwickelung. $. 206. Die Temperatur der lebenden Pflanze ist fast niemals übereinstimmend mit der der umsebenden Atmosphäre. Folgende drei Verhältnisse sind bis jetzt beobachtet. A. Keimende Saamen (der Phanerogamen) ent- wickeln eine Wärme, welche die der Umgebung bedeu- tend übersteigt. Die Ursache ist hier höchst wahrschein- lich der Verbrennungsprocess in der Bildung von Koh- lensäure und Wasser bei der Zersetzung. der assimilirten Stoffe, Stärke, Oel u. s. w. B. Bäume unseres Klima zeigen in ihrem Innern eine veränderliche Temperatur, die im Winter höher, im Sommer niedriger als die der umgebenden Atmosphäre ist. In ihren Veränderungen folgt sie stets sehr genau den Veränderungen der Atmosphäre im Steigen und Fal- len; bei lange anhaltenden hohen oder niedrigen Tem- peraturen der Atmosphäre nähert sie sich denselben im- mer mehr, ohne sie ganz zu erreichen. Als Grund die- ser Erscheinung kann man mit höchster Wahrscheinlich- keit den Gang der Erdiemperatur in der. Tiefe, in der a Gi Allgem. Organologie, Wärmeentwickelung. 531 sich die Wurzeln ausbreiten, angeben; von dort wird die Temperatur theils durch den aufsteigenden Saft, theils durch das srosse Leeitungsvermögen des Holzes seiner Länge nach dem Stamme mitgetheilt und hier. theils durch die schlechte Leitungsfähigkeit des Holzes der Quere nach, theils durch die Bekleidung mit Rinde, einem sehr schlechten Wärmeleiter, geschützt und er- halten. | C. Während der Blüthezeit entwickeln die Aroideen (bei denen durch die Menge der neben einander stehen- den Blüthen die Wirkung leichter zu erkennen ist) eine die Temperatur der umgebenden Atmosphäre bedeutend übersteigende Wärme. Auch hier ist. der Grund in der hier. stattfindenden bedeutenden Kohlensäurebildung (Ver- brennungsprocess) zu suchen, welcher insbesondere von den Staubfäden unterhalten wird. Ueber die in diesem und den folgenden Paragraphen der all- gemeinen Organologie berührten Gegenstände kann ich fast nur refe- riren und hin und wieder die Aufgaben, die noch zu lösen sind, bezeichnen, da ich bis jetzt noch nicht in der Lage war, selbst Beobachtungen über die meisten dieser Verhältnisse anzustellen. Die Temperaturerhöhung beim Keimen der Pflanzen ist Jedem bekannt, der nur einmal vom Malzen des Getreides für Bier- brauereien gehört hat. Die Thatsache kann keinem Zweifel unter- liegen. Ich kenne aber keine wissenschaftlichen Beobach- tungen darüber. Sie wären so anzustellen, dass sie den ganzen Keimungsact bis zum Aufhören der Kohlensäurebildung umfass- ten, dabei müsste gleichzeitig die gesammte und die für die einzelnen Perioden gebildete Quantität Kohlensäure bestimmt, daraus nach der bekannten Zusammensetzung der Stärke die Quantität des. gebildeten Wassers berechnet und aus beiden die durch den chemischen Process frei gewordene Wärme bestimmt und mit der beobachteten Wärme verglichen werden. Die Beobachtungen über die Temperatur der Bäume wurden zuerst von John Hunter angestellt, später von Vielen mit ver- schiedenen Resultaten wiederholt, und es wurden lebhafte Strei- tigkeiten darüber geführt, worüber Meyen ') sehr ausführlich be- richtet, Mir scheinen alle früheren Untersuchungen völlig über- flüssig geworden zu seyn durch die ersten genauen und mit 1) Physiologie, Bd. II. S. 164 ff, 34 * [Dr 32 | Organologie. wissenschaftlichem Sinne angestellten Beobachtungen ‚Schübler’s'). Diese, Untersuchungen geben als Resultat das im Paragraphen angeführte Gesetz. Die Ableitung desselben von dem Gange der Erdwärme ist zwar noch hypothetisch, und es wäre sehr zu wünschen, dass in dieser Beziehung genaue Beobachtungen an bestimmten Pflanzen mit gleichzeitiger Beobachtung des wirkli- chen Ganges der Erdwärme in der ungefähren Tiefe der Wur- zeln angestellt würden. Es wird das aber sehr wahrscheinlieh nach der bekannten Thatsache des Ganges der Erdwärme, des Aufsteigens des Saftes in der Pflanze und den Entdeckungen De la Rive's und Alph. De Candolle’s ), aus welchen hervorgeht, dass Holz nach ‘der Länge seiner Faserung ein sehr guter, quer durch seine ‚Fasern ein sehr schlechter Wärmeleiter sey. Ins- besondere sind hier eine grössere Anzahl vergleichender Beob- achtungen zu machen, einestheils an Pflanzen, deren Wurzeln verschiedene Tiefen erreichen, dann an krautartigen und holz- bildenden und endlich an 'Tropenpflanzen, welche letzteren wir wohl. erst erhalten werden, wenn die Regierungen einmal an- fangen, Naturforscher statt Sammler für ihre. Museen auf Reisen zu schicken. Ein gut unterstützter und gut benutzter zweijäh- riger Aufenthalt eines Physiologen in den Wäldern am ÖOrinocco könnte die Wissenschaft weiter fördern, als alle Reisen nach A. v. Humboldt zusammen gethan haben. Die Beobachtungen über Temperaturerhöhung beim Blühen sind bis jetzt nur bei Aroideen angestellt’). 1777 entdeckte Lamark diese Thatsache an Arum italicum. Später theilten Sennebier, Bory St, Vincent und Andere *) Beobachtungen dar- über mit. Die genauesten und ausführlichsten Untersuchungen sind von Vrolik und De Vriese’). Nach ihnen hat der Gang der Temperatur eine regelmässige Periodicität innerhalb 24 Stun- den und erreicht in den Nachmittagsstunden zwischen 2—5 Uhr sein Maximym. Die zwischen der Temperatur der Luft und des Kolbens beobachtete Differenz steigt selbst bis auf 20—30’R. Auch hier ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Wärme das Resultat eines Verbrennungsprocesses ist. Nach Th. de Saussure°) verwandelt ein Kolben von Arum maculatum in 24 Stunden sein 1) Halder, Beobachtungen über die Temperatur der Vegetabilien, Tübingen 1526, — und Neuffer, Untersuchungen über die 'T’emperatur- v eränderungen der Vegetabilien u. s. w., Tübingen 1929. 2) Poggendor/fs Annalen, Bd. XIV, p. 590. 3) Eine vollständige Aufzählung aller Beobachtungen findet sich auch in der Flora (Jahrg. 1842, Bd. I, Beiblätter, Nr. 6, S. 84). 4) Vergl. Meyen, Physiol. I, 184 ff. 5) Wiegmann’s Archiv, 1836, Bd. Il. S. 95. 6) Annales de Chimie et de Physique, T. XXI, »p. 279. Allgem. Organologie. Wärmeentwickelung. 533 30faches Volumen Sauerstoff in Kohlensäure. Es fehlen uns aber umfassendere vergleichende Beobachtungen, die wenigstens an gedrängten Blüthenständen sich auch wohl anstellen liessen. Es müsste gleichzeitig auf’s genaueste der chemische Process ge- messen und die dadurch entbundene Wärme berechnet und mit der beobachteten verglichen werden, In allen angeführten Fällen, hängt die absolute Temperatur von der Intensität des ganzen Lebensprocesses ab und ist um so höher, je lebendiger die Pflanzen vegetiren, je lebhafter also auch die Säfteaufnahme und der chemische Process ist. Von jenen drei Erscheinungen scheinen nur der erste und letzte gleichen Ursprungs, der zweite ist gänzlich unabhängig davon. Meyen will durchaus eine eigne Wärmeerzeugung in den Pflanzen haben, die auch vielleicht durch die chemischen Pro- cesse, die beständig vor sich gehen, vorhanden seyn mag. So roh wie er die Sache anfängt, lässt sich aber kein Resultat ge- winnen. Dass die Temperatur der Bäume im Innern von den- selben Ursachen abhängen müsse, wie die Wärmeentwickelung beim Keimen und Blühen, ist rein aus der Luft gegriffen; so viel ist gewiss, dass beim Keimen und Blühen kohlenstöffhaltige Bestandtheile zersetzt, Kohlenstoff verbrannt werde; beim Pro- cess im Stamm ist aber gewiss eine Bildung rein kohlenstof- haltiger Bestandtheile vorhanden; ob die dabei mitwirkenden chemischen Processe Wärme binden oder Wärme frei machen, ist auf jeden Fall noch völlig ungewiss, weil wir diese Vorgänge selbst noch nicht kennen. Meyen bezweifelt ferner das Aufstei- gen des Saftes im Winter, weil man oft Wurzeln durch und durch gefroren finde. Aber welche Wurzeln? Schon im 3° Tiefe verschwindet der Unterschied zwischen Tag und Nacht, in 60— 70’ der zwischen Winter und Sommer. Oberflächliche Wur- zeln können recht gut gefroren seyn, während tiefer gehende die Säfteaufnahme erhalten. Hier ist noch unendlich viel zu beobachten und gar kein Platz für erklärende Hypothesen, nach denen im Ganzen noch nicht gefragt werden kann, weil uns noch die zu erklärenden Thatsachen fehlen. Es geht Meyen hier wie so vielen Naturforschern; sie mögen die süsse Einbil- dung nicht aufgeben, die Wissenschaft wäre bis auf Kleinigkei- ten fertig und sie wüssten schon Alles, während wir in der That doch kaum den Eingang in die Wissenschaft gewonnen haben. 534 Organologie, B. Lichtentwickelung. $. 297 e Man findet gar viel vom Leuchten der Pflanzen se- schrieben; sondert man alle entschiedenen Fabeln und Täuschungen aus, so bleiben nur wenige "Thatsachen stehen. Ä | L Nach A. v. Humboldt leuchten die weisslichen Spitzen des schwarzen, noch räthselhaften Pilzes (?), Rhizo- morpha subterranea, mit eignem phosphorischen Lichte. Aehnliche Beobachtungen an einer Alge (?), Oseillato- ria, machte Meyen. Absterbende Pilze, absterbendes Holz und andere Pflanzentheile leuchten bekanntlich unter gewissen Um- ständen. In diesen beiden Fällen lässt sich, wie es scheint, die leuchtende Materie, ein gallertartiger Stoff, abstrei- fen, und das Leuchten rührt wahrscheinlich von einem langsamen Verbrennungsprocess auf Kosten des atmo- sphärischen Sauerstoffs her. Linne’s Tochter beobachtete zuerst ein blitzähnliches Leuchten in schwüler Gewitternacht an Tropaeolum mejus, später wurde diese Beobachtung an derselben und an vielen andern, meist goldselben und orangefar- benen Blumen bestätigt. Jeder Erklärungsversuch ist hier noch unmöglich. Folgendes ist die Literatur über diesen Gegenstand, die ich grösstentheils nach Meyen, Physiol., Bd. Il. S. 192 ff, mittheile, weil ich mir die meisten betreffenden Bücher noch nicht ver- schaffen konnte, auch ohne Gelegenheit zu eigenen Beobachtun- gen keinen Gewinn in ihrem Studium sah. Allgemeine Werke: Placidus Heinrich, über die Phosphorescenz der Körper. Ehrenberg, vom Leuchten des Meeres. Im Besondern über das Leuchten der Pflanzen: Conrad Gesner, de lunarüs. Zürich, 15595. Allgem. Organologie, Lichtentwiekelung. 535 Ueber Bhizomorpha subterranea: A. v. Humboldt, über unterirdische Gasarten. Braunschw. 179% Nova Acta A. L. C. T. Xl. P. U. p. 605. Ueber faules Holz und andere faulende Pflanzentheile: N, Act, A. L..C,.Vol., W. p,;.482. N. Act. A du. CAT) AL,P. Ip. 7,02. De Candolle, Flore frang. VI. Paris, 1815. p. 45. Link, Elementa phil. bot. Ed. 1. p. 394. L’institut de 1836, p. 34. Scherer’s Journal der Chem, Bd. III. S. 12. Ueber Leuchten der Blüthen: Kongl. Svenska Wetenscap- Academiens Handlingar. 1762. p. 284. (Linne’s Tochter bei Tropaeolum majus.) Bertholon de St. Lazare, de lelectrieite des vegetaux. Paris, 1783, ?. 335. (Tropaeolum majus.) Kongl. Wetenscap-Academien Nya Handl. 17178. p. 82. (He- bianthus annuus, Lilium. bulbiferum, Tagetes spec.) Treviranus, Zeitschr. f. Physiol. Bd. II. S. 257—269. Hoppe, botan. Taschenbuch f. d. Jahr 1809, S. 52. 53. (Tro- paeolum majus.) Baumgärtner’s und v. Ettinghausen’s Zeitschrift für Phys. und Mathem. VI. S. 459—462. (Calendula offieinalis, Tropae- olum majus, minus, Lilium bulbiferum, Tagetes patula, erecta, Helianthus, Gortesia rigens.) De Candolle, Physiol. veget. VI. (?) p. 886. De Saussure, chemische Untersuchungen über -die Vegetation, übersetzt von Voigt. Leipz. 1805. S. 118. Anm. d. Ueb. [115, wie Meyen eitirt, ist falsch.] (Chrysanthemum inodorum.) L’institut de 1836. p. 172. (Oenothera macrocarpa.) Trommsdorffs Journal d. Pharmacie. VIll. P. II. S. 52. (Phy- tolacca decandra.) Schweigger’s neues Journal d. Chem. u. Phys. I. S. 361. (Poly- anthes tuberosa.) Sennebier, Physiol. veget. III. p. 315. (Arum maculatum in rei- nem Sauerstoflgas.) Bei dem Leuchten der Rhizomorphen und der faulenden Pilan- zentheile scheint überall ein eigner Stoff vorhanden zu seyn, von dem das Leuchten ausgeht. Seine Existenz als eigner Stoff ist aber noch keineswegs gesichert, und über seine chemische Natur wissen wir entschieden nichts. Dass hier ein chemischer Process und zwar eine eigne Art langsamer Verbrennung stattfinde, wird 536 Organologie. einmal aus der Analogie mit dem bekannten Zersetzungsprocess » der Pflanzensubstanz wahrscheinlich, anderntheils aus dem nicht immer, sondern nur unter besondern Verhältnissen stattfindenden Vorkommen dieser Erscheinung. Meyen sagt a. a. O.: „dass es kein chemischer Process, sondern eine Erscheinung des abster- benden Lebens sey, weil es nicht immer vorkomme.“ Daraus folgt aber gerade das Gegentheil. Wenn er aber S. 205 sagt: „es ist ein Product des intensivsten Lebensprocesses oder des absterbenden Lebens und wahrscheinlich nur eine in- tensive Respiration“, so klingt das in der That wunder- lich genug. Das Leuchten der Blumen kann trotz der Menge der ange- führten Beobachtungen doch wohl noch auf Täuschung beruhen, wie das ebenfalls lange behauptete Leuchten der Schistostega osmundacea, eines kleinen Laubmooses, dessen Vorkeim von Bridel-Bridzri als Caloptridium smaragdinum beschrieben wurde, wogegen der grosse Algenkenner Agardh beweist, dass es ent- schieden eine neue Protococcus-Art sey. Es ist aber weder das eine noch das andere, sondern eben der Vorkeim des genannten Mooses, wie Unger mit völliger Sicherheit nachgewiesen. Das Leuchten formloser Flüssigkeiten, z. B. des Milchsaftes bei Zuphorbia phosphorea (Martius, Reise nach Brasilien, II. 726 und 746), gehört in die Physik und nicht in die Botanik. C. Beweyungen der Pflanzentheile. $. 208. Man muss zwei Arten von Bewegungen der Pflan- zentheile unterscheiden; 1) die, welche an todten Pflan- zentheilen durch den Wechsel des feuchten und trecke- nen Zustandes hervorgebracht werden ($. 209); 2) die, welche auf noch unbekannte Weise durch Veränderun- gen im völlig lebendigen Zellgewebe entstehen ($. 210). Eine dritte Art von sogenannten Bewegungen gehört nicht hierher, sondern ist ein Wachsthumsphänomen, wel- ches die Richtung gewisser Theile bestimmt, nämlich die eigenthümliche Form der Ranken und das Wachsen der Schlingpflanzen. Endlich sind noch einige Bewegungen zu erwähnen, welche ganze Pflanzen zeigen sollen, nämlich die Oseil- Allgem. Organologie. Bewegungen der Pflanzentheile. 537 latorien und einige andere sogenannte niedere Algen ($. 211). Die dritte Art der hier erwähnten Erscheinungen gehört nicht mit zu den Bewegungen, obwohl sie von Manchen damit zusam- mengeworfen wird. Es hängt hier, wie bei der der Lichtquelle zuwachsenden Keimpflanze, die Richtung von einer ungleichen Streckung der Zellen beider Seiten ab, wodurch die Seite ge- krümmt wird, an welcher die Zellen am wenigsten nach der Längendimension wachsen. Aehnliche Missverhältnisse in der Aus- dehnung scheinen nicht selten in den Pflanzen zu seyn, aber ohne dass sie im natürlichen Zustande auffallende Erscheinungen hervorriefen. Sie bewirken nur eine Spannung, die erst dann ihren Effect sichtbar macht, wenn auf irgend eine Weise die Continuität der Theile getrennt ist. Hierher gehört, wie ich glaube, die plötzliche Krümmung, die einzelne Pflanzentheile zu- weilen zeigen, wie z. B, der hohle Blüthenstengel von Leonto- don taraxacum, wenn man ihn aufspaltet, oder einen Längsstrei- fen herausschneidet u. s. w. $. 209. Die ersten Bewegungen können wir entweder schon vollkommen erklären oder, wo das nicht möglich ist. liegt es doch nur an der ungenauen Kenntniss der Stru- cturverhältnisse und sonstigen zu berücksichtigenden Ele- mente, indem die Ursachen, immer dieselben kleibend, uns bekannt sind. Alle hierher gehörenden Erscheinun- sen finden an Pflanzentheilen statt, deren Elementartheile schon todt oder doch im Absterben begriffen sind; alle aber haben noch Bedeutung für das ganze Leben der Pflanze, alle endlich beziehen sich näher oder entfernter auf die Fortpflanzung, indem sie. Ortsveränderungen der Fortpflanzungszellen (Sporen oder Pollenkörner) oder der Saamen möglich machen oder veranlassen. Wir finden derartige Erscheinungen. fast in allen Pflanzengruppen. Hierher sehört das klappenartige Aufspringen der Gea- strum-Arten und einiger andern Pilze, das Oeffnen der Sporenfrüchte, die Bewegungen der Zähne und der Seta bei den Moosen, das Aufspringen der Sporenfrucht bei den Liebermoosen,. das Aufreissen der Sporenfrüchte bei 538 Organologie. Farnkräutern, Lycopodien und Equisetaceen, bei Phane- rogamen das Aufspringen der Staubbeutel, der Kapseln, das Ablösen einiger Theilfrüchte bei Euphorbiaceen, Um- belliferen und Geraniaceen und das Auen einiger Steimbeeren, z. B. der Mandeln. Die a liegen 1) in der allecmeinen Bigen- schaft der vegetabilischen Membran, bein Eintrocknen sich zusammenzuziehen, und zwar bei gleicher chemi- scher Natur um so mehr, je dünner die Membran ist, bei Verschiedenheit des Stoffes um so mehr, je näher er in seinen Eigenschaften der. Gallerte steht; — 2) in der Blasticität der vegetabilischen Membran, die von Flüssigkeiten erfüllt in gespanntem Zustande ist und, wenn die Flüssigkeiten entweichen, sich wieder zusam- menzieht; — 3) in der Zusammenziehung einer dünn- wandigen, mit Flüssigkeit erfüllten Zelle, wenn die Flüs- . sigkeit entweicht und gar nicht oder nicht vollständig durch Luft ersetzt wird. Diese Ursachen bewirken die genannten Bewegungen, indem die. verschiedene Structur und Natur der Zellen an einem und demselben Pilanzen- theil eine ungleiche Zusammenziehung und daher ‚eine Biesung oder Drehung veranlasst. Obwohl die im Paragraphen erwähnten Erscheinungen allge- mein bekannt sind, so finde ich doch nirgends eine genauere Analyse der ‘denselben zu Grunde liegenden Erscheinungen.‘ Am wenigsten ist diese auch da zu erwarten, wo so grundfalsche Vorstellungen von der Natur der vegetabilischen Membran vor- getragen werden, wie bei Zink und Meyen (vergl. S. 501. Anm. 1). Gewöhnlich liest man so einige allgemeine Redens- arten von hygroskopischer Natur, von Folge des. Austrocknens u. Ss. w., ohne dass angegeben wird, wie denn diese Dinge wir- ken Sallch/ Dreierlei muss, wie mir scheint, hier unterschieden werden, 1) Dass die vegetabilische Membran höchst elastisch ist, glaube ich, bedarf keines weitern Beweises; sie lässt sıch, wie ‘fast alle organischen Substanzen, etwas ausdehnen und nimmt beim Nach- lassen des Zuges ihr früheres Volumen wieder an. In der leben- den Pflanze ist nun das Parenchym beständig wegen der. End- osmose in einem Zustande der Spannung; jede Zelle nimmt einen ' grössern Raum ein, als ıhr nach dem natürlichen Umfang ihrer Allgem, Organologie. Bewegungen der Pflanzentheile, 539 Membran zukommt, Wird aber ein Theil der sie spannenden Flüssigkeit entfernt, so zieht sie sich auf ihren natürlichen Um- fang zusammen. Diese Wirkung, so gering sie auch an der einzelnen Zelle seyn mag, muss doch da merklich werden, wo sie sich von Hunderten von Zellen summirt. Dass dieses in der That sich so verhalte, zeigt uns die mikroskopische Beobachtung. Wenn wir einen grösseren saftigen Pflanzentheil im Zustande, wo er von Flüssigkeit strotzt, z. B. ein Opuntienglied oder ein grosses saftiges Blatt, abschneiden und kurze Zeit lang an einem trocknen Ort liegen lassen, so zeigt uns der Gewichtverlust, dass ein grosser Theil Wasser verdunstet ist; genaue Messungen ergeben ein gleichzeitiges Zusammenziehen auf ein kleineres Vo- lumen. Gleichwohl finden wir bei der genauesten mikroskopi- schen Untersuchung alle Zellen ganz von Saft erfüllt und keine zeigt uns in ihrer Membran irgend eine Spur einer Falte, alle erscheinen noch straff gespannt. Es muss hier also gleichzeitig ‘mit dem Verdunsten des Wassers ein geringes Zusammenziehen aller Zellen auf ein kleineres Volumen stattgefunden haben. Wen- den wir dieses gleich auf die äussere saftige Parenchymschicht der Mandelfrucht an. Im von Saft strotzenden Zustande genügt die Zahl der Zellen völlig, um den harten, wenig vom Austrock- nen im Volumen veränderten Stein zu umfassen. Wenn die Zellen aber bei völliger Reife allmälig ihren Flüssigkeitsgehalt verlieren (er wird nicht mehr vom Fruchtstiel aus ersetzt), so tritt durch das elastische Zusammenziehen der einzelnen, unter einander fest ver- bundenen Zelilenwände eine Spannung ein, die Hülle wird für den Stein zu eng, und wenn irgendwo, wie in der That der Fall ist, eine Lage Zellgewebe sich findet, in der die Cohäsion nicht so stark ist, wie die spannende Kraft, so zerreisst diese Lage, der Riss klafft und wird bis zu einem gewissen Grade immer breiter, je weiter die Verdunstung des Wassers fortschrei- tet, denn es kommt 2) zu dem eben erörterten Verhältniss als seine Fortsetzung noch ein zweites hinzu. Die dünne Zellenmembran ist im höch- sten Grade biegsam, und wenn daher die Flüssigkeit aus ihr verdunstet und nicht gleichzeitig durch Luft ersetzt werden kann, so wird die Zelle durch den Luftdruck von Aussen zusammen- sinken, gerade wie eine zugebundene, mit Wasser erfüllte thie- rische Blase allmälig ihr Wasser verliert, ohne es durch Luft zu ersetzen, und dann nicht ohne Zerreissung auf ihr früheres Vo- lumen ausgedehnt werden kann. 3) Die vegetabilische Membran ist aber auch sehr hygrosko- pisch und dehnt sich im feuchten Zustande aus, zieht sich im trocknen Zustande zusammen. Beides geschieht aber in sehr verschiedenem Grade nach zwei dabeı concurrirenden Verhält- 540 Organologie. nissen. Je näher nämlich die Membran in Hinsicht ihrer chemi- schen Constitution der Gallerte steht, um so mehr zieht sie sich beim Austrocknen zusammen, je mehr. sie sich der Natur des völlig ausgebildeten Membranenstoffs annähert, desto geringer ist die Ausdehnung im feuchten Zustande. Bei gleicher chemischer Natur aber zieht sich die Membran um so mehr zusammen, je dünner sie ist, und um so weniger, je stärker sie durch secun- däre Ablagerungen verdickt ist. Mit dieser. letztern Ansicht stimmt sehr gut überein, dass alle Spiralfibern, die so, wie wir sie uns isoliren, nach Aussen aus der spiralig zerrissenen pri- mären Zellenmembran, nach Innen aus der Verdickungsschicht bestehen, beim Trocknen sich gerade strecken, beim Feuchtwer- den sich wieder aufrollen, weil sich die primäre Zellenmembran im trocknen Zustande mehr zusammenzieht, im feuchten mehr ausdehnt. Ich habe bis jetzt nur eine geringe Anzahl Versuche über diese Thatsachen anstellen können, die keineswegs absolut rich- tige Zahlen geben, und ich gestehe gern einen Irrthum. von 10% zu. Aber relativ behalten sie immer ihren Werth. Fol- gendes sind die Resultate. Polyides lumbricalis, mässig dickwandige, gelatinöse Zellen, und zwar das etwas angeschwollene Ende kurz vor der Sporen- bildung — A. Laminaria digitata, eben so ein Stück aus der flachen frons — B. Sphaerococceus cerispus, etwas derbere Zellen der‘ frons — C. Sphaerococcus cartilagineus, ziemlich derbe Zellen, ein. Stück der stielrunden frons —= D.; im trocknen Zustande gemessen ') —= a, nach dreistündigem Liegen im Wasser = b, nach 24stündigem Liegen im Wasser = c, Längenausdehnung in Decimalen, die Länge zu 1—=.d. a. b. c. A TI ——— IN m N Länge. | Breite. | Länge. | Breite. | Länge. | Breite. | Länge. As 1126; 1 1375 le2 39 2 0,471 B. | 63 11 71,5 | 16 72 15 0,142 C. 116,5.) % 3 19 5 5 5,5 | 0,181 DA 1,5 | ı8 2 2 2 0,052 E. Hanffasern (sehr langgestreckte Zellen, dickwandig bis zum Verschwinden des Lumen, ziemlich ausgebildeter Membran- stoff), in eine unten weitere Glasröhre aufgehängt, wurden in dieselbe mit Chlorcalcum 24 Stunden eingeschlossen und dann 1) Alle Maasse sind in Millimetern angegeben. Allgem, Organologie. Bewegungen der Pflanzentheile. 541 gemessen — a‘. Dann wurde das Chlorcaleium entfernt und das untere offene Ende der Röhre in Wasser getaucht und nach 24 Stunden abermals gemessen — b’, Dann wurde die Röhre mit Wasser gefüllt, nach 24stündigem Aufenthalt der Fäden im Wasser wieder gemesssen — ce’. Hierbei wechselte die Tem- peratur des Zimmers zwischen 10° und 18° R. Endlich wurde die Röhre vom Wasser entleert und dann mit den. Fäden über Chlorcaleium bei circa 30° R. getrocknet und wieder gemessen —d'!. Die grösste Längsausdehnung,; auf Deeimalen der Länge als Einheit reducirt, ergiebt e. Die Fäden 1 und 2 waren am Ende mit einem kleinen Schrotkügelchen beschwert, welches kaum schwer genug war, sie gerade zu strecken; der Faden 3 mit einem etwas schwereren Schrotkügelchen. a' 6! € d’ e! 1. 469 470 470 168,5 _ 0,0021 .E.% 2. 434 434,5 434,5 434 0,0011 3. 951 954,1 0,0036, F. Im Februar wurde ein Weidentrieb (Salix alba) des vori- gen Jahres abgeschnitten, während 12 Stunden bei 10—15° R. in Wasser gestellt,‘ dann die Rinde abgelöst und die Länge — a!! gemessen; so bestand er aus Splint, also etwas verdick- ten und gestreckten Zellen von nicht völlig ausgebildetem Mem- branstoff; das geringe Mark konnte hier vernachlässigt werden. Nun wurde der Zweig bei 10—15° R. getrocknet und die Länge — b‘ abermals gemessen, ‘endlich bei circa 30° R. 24 Stunden getrocknet und 'wieder die Länge — c‘ bestimmt, Dann wurde die grösste Längenausdehnung, im feuchten Zu- stande auf den trocknen Zustand als Einheit bezogen, in Deci- malen berechnet — d!‘', a’! ht ec! d’! F. 260 259 258,5 0,0058. G. Aus der Axe eines frischen, geraden, dicken Triebes von einer Stapelia wurde ein Streifen geschnitten und dessen Länge — a! dessen Breite und Dicke — b’ bestimmt. Er bestand ganz aus dünnwandigen Parenchymzellen von völlig ausgebildetem Membranstoff, Derselbe wurde an einen Kork befestigt und so in eine Glasflasche gehängt, deren Boden mit Chlorcaleium be- deckt war. Nach 24stündigem Stehen bei einer Temperatur zwischen 10—15° R. wurde Länge — c’", Breite und Dicke — d‘! abermals bestimmt und die Ausdehnung im feuchten Zu- stande im Decimalbruch des trocknen als Einheit — + berechnet. ala el du el G. 189 8 174 3,9 0,086. 542 Organologie, Hierbei. ist nun zu bemerken, dass bei den dünnwandigen Farenchymzellen, die aus ausgebildetem Membränstoff bestehen, zunächst die Verkürzung durch Elastieität wirkt, zu' welcher die hygroskopische Zusammenziehung der Membran als sehr geringes Element hinzukommt, während die Wirkung erst durch das Zu- sammenfallen der Zellen: in aloe des Austrocknens so auffal- lend wird. j Als Beispiel Eür die Kumendune dieser Eischeinune zur Er- klärung des. Aufspringens der ‘Kapseln wähle ich Iris atomaria, Die obere Hälfte der Kapselwand, die sich von den übrigen Theilen trennt und zurückschlägt, besteht aus folgenden Lagen. Zu äusserst findet sich eine Epidermis aus flachen, höchst un- regelmässigen Zellen, deren Wandungen etwas gallertartig und schwach porös sind, darauf folgen nach Innen mehrere Lagen anfänglich flacher, nach und nach etwas rundlicher werdender Parenchymzellen, deren Wände ebenfalls etwas gallertartig sind. Die Wände der Oberhautzellen sind mässig dick, ihnen schliessen sich die darunter liegenden Parenchymschichten an, die Wände werden aber immer dünner und, wie es scheint, immer schärfer als Membranstoff ausgebildet. Ganz dünnwandige und fast von Innen nach Aussen gestreckte Zellen bilden dann eine mit vielen ‚Intercellularräumen "durchzogene innere Schicht, in welcher: die Getässbündel verlaufen. . Dann folgt, fast plötzlich sich von den vorigen absetzend, eine ganz. dünne Schicht von Zellen, die, ziemlich dickwandig und aus festem Membranstoff gebildet, etwa 10 Mal so lang als breit-sind, die seitlich auf langen. Strecken oft nur wie sternformige Zellen durch kleine Fortsätze sich be- rühren, und zwar in vielfach wechselnder Richtung: angeordnet doch im Ganzen so liegen, dass ihr Längsdurchmesser horizontal ist. Endlich ganz nach Innen folgt das Epithelium, aus ziemlich dickwandigen, porösen, langgestreckten Zellen bestehend, deren Längsdurchmesser fast immer mit dem der vorigen Zellen einen Winkel von 25—30° macht. Die ganze Kapselwand ist im frischen Zustande 1/,—2 Millim. dick. Von diesen Schichten kann sich nun die innerste sammt dem Epithelium nur sehr wenig zusammenziehen, etwa so viel als genügt, die Ränder der Klappen von einander zu reissen, Die äusseren Schichten da- gegen müssen sich bedeutend zusammenziehen, sowohl der Länge als der Breite nach, daher reissen auch die Klappen zuerst auf der äussern Fläche los und trennen sich dann von der Spitze nach der Basis zu etwa bis zur Hälfte, indem sie sich nach auswärts krümmen. Hier würde nun in Folge der Structur ohne Zweifel völlige Trennung der Klappen und völliges Zurückrollen erfolgen, wenn nicht erstens die Zellen der Naht nach Unten gem, Organologie, Bewegungen der Pflanzentheile. 543 zu derber wären '), also der Spannung widerständen, und zwei- tens auf der Mitte der Klappen die sehr dicke ‘und derbe Schei- dewand aufgesetzt wäre, ‚welche sich ihrer Krümmung ‘(wie ein Strebepfeiler) widersetzt, welche. letztere Wirkung noch unter- stützt wird durch die zwei auf der Aussenseite jeder Klappe vorspringenden Längsrippen. Fast immer durch das Zusammentreffen der drei hier erörter- ten Erscheinungen sind die verschiedenen, hierher gehörigen Be- wegungen verursacht, Es kann nicht ‘erwartet werden, dass ich hier alle möglichen Fälle ausführlich entwickele, wozu. grossen- theils auch ‚noch die nöthigen anatomischen Thatsachen in der Genauigkeit, die hier erforderlich ist, fehlen würden. Jeder wird die entwickelten Verhältnisse leicht selbst auf den einzelnen Fall, den er genauer beobachtet, anzuwenden im Stande seyn. Nur als Beispiel will icht hier noch das: Aufreissen‘ der: Kapsel! von Aspidium filix mas entwickeln. Die Kapsel ist flach ,' fast lin- senförmig. Eine Reihe von Zellen, an der einen Seite vom Stiel beginnend, bildet um den grössten Umfang einen unvoll- ständigen Ring, indem sie an der andern Seite etwa in '% des Umfangs aufhört. Diese Zellen sind fast parallelepipedisch und ihre Wände sind nach der Kapselhöhle zu und .da, wo sie sich gegenseitig berühren (nicht nach den Seiten und nach Aussen), sehr stark verdickt. Die Seitenwände, die in dem erwähnten )s des Umfangs in einander übergehen, bestehen aus sehr flachen, äusserst dünnwandigen . Zellen. Die dickern und derbern Wan- dungen der Zellen des Ringes werden durch’s Austrocknen wenig oder gar nicht verändert, wohl aber die dünnern Wandungen derselben Zellen. Beim Entweichen der Flüssigkeit ziehen sie sich zunächst 'etwas elastisch zusammen und verkürzen. dadurch den Abstand zwischen den äussern Enden der dicken Wände und somit den äussern Umfang des Ringes; indem aber die Feuchtigkeit fortfährt, zu verdunsten, und nicht in gleichem Maasse durch Luft ersetzt wird, werden die dunnen Wandungen durch den Luftdruck in die Zellen hineingedrückt und dadurch die Zusammenziehung des äussern Umfangs des Ringes noch bedeutend verstärkt. Der innere, aus den verdickten Wandun- gen bestehende Umfang bleibt unverändert, erhält aber durch die zusammengezogenen Seitenwandungen, die wie Winkelhebel wirken, die Tendenz, sich gerade zu strecken. Diese Spannung dauert nun so lange, als; die dünnwandigen Zellen an dem letz- I) Hiernach kann man bei allen nicht ganz sich trennenden Klappen durch die anatomische Untersuchung schon im Voraus fast bis auf die Zelle genau bestimmen, wie weit die Trennung der Klappen statthaben wird. 544 Organologie. ten '/s des Umfangs der Zerrung widerstehen können; wird: die Spannung stärker, so zerreissen sie endlich in einer Querspalte und die Kapsel ist geöffnet. Ganz ähnlich ist die Sache bei den Zähnen der Mooskapseln. $. 210. Die zweite Art von Bewegungen zeigt sich an le- bendigen, kräftig vegetirenden Pflanzentheilen und beruht vielleicht auf der Vertheilung der Säfte und der elasti- schen Spannung der einzelnen Zellenmembranen. Doch sind uns. bis jetzt die 'Thatsachen selbst noch zu ober- flächlich bekannt, um an eine Erklärung denken zu kön- nen. Man kann hier folgende Unterarten der Bewe- sungen unterscheiden: A. Sichtbare, von äusseren Haaren abhän- sende Bewegungen, und zwar a) Periodische. Bei vielen Pflanzen bemerken wir, dass die Blatt- organe, sowohl Stengel- als Blumenblätter, bei Nacht eine andere Richtung. annehmen, als bei Tage, und dass oft sogar schon die Heiterkeit oder Trübung des Him- mels diese Erscheinungen hervorruft. Man nennt die- selben seit Linne den Schlaf der Pflanzen. Im Allge- meinen kann man vielleicht als Regel aussprechen, dass die Pflanzentheile bei Abwesenheit des Lichts möglichst zu der Lage zurückkehren, welche sie im: Knospenzu- stande hatten, und dass diese Lage um so genauer an- genommen wird, je jünger und zarter gebildet das Blatt ist; bei älteren und derberen sind die Abweichungen zwischen Nacht und Tag geringer, bei. perennirenden und lederartigen Blättern fallen sie ganz weg. Am auf- fallendsten sind die Erscheinungen an den zusammen- gesetztesten Blättern der Leguminosen und Oxalideen. Aehnliche Bewegungen zeigen sich an einigen Blü- thenstielen, die sich Nachts so krümmen, dass die Blume dem Boden zugewendet wird, z. B. Eupiaues SP. Allgem. Organologie. Bewegungen der Pfilanzentheile. 545 Ranunculus polyanthemos, Draba verna, Verbascum blattaria. Einige wenige Blumenblätter verlassen, im Gegen- satz damit, erst bei Bintritt der Nacht ihren Knospen- zustand und kehren bei Tage wieder zu ihm zurück, z. B. Mesembryanthemum noctiflorum. Die angerührten Bewegungen, insbesondere der erstern Art, sind bei einigen Pflanzen so auffallend, dass schon Plinius, N. H. XV1II, 35, sie bemerkte. Aber erst Linne verfolgte sie genauer und gab darüber einen ausführlichen Bericht: Somnus plantarum. Upsaliae 1755 (Amoenit. acad. IV, p. 133). Später haben sich die Beobachtungen sehr vermehrt, und Jeder hat Gelegenheit, die Sache selbst zu bestätigen. Ich denke mir, dass die Ursache hier keine andere seyn wird, als bei den unter b. zu erwähnenden Erscheinungen; aber es ist hier noch gar zu Vieles unerforscht. Zunächst müsste bei einer grösseren Reihe von Pflanzen die Anatomie der Theile, in welchen die Be- wegung geschieht, mit der scrupulösesten Genauigkeit unter- sucht, insbesondere ganz genau der Zustand des Zellgewebes bei Tage mit dem bei Nacht verglichen und selbst genaue Messungen darüber angestellt werden. Am häufigsten und auf- fallendsten zeigen sich die Bewegungen allerdings da, wo der Blattstiel in den Stengel und wo die Fiederblättchen in den ge- meinschaftlichen Blattstiel übergehen, insbesondere wenn die Zell- gewebsanschwellung, die man Blattkissen (pulvinus) nennt, sehr stark ist. Gleichwohl scheinen Versuche, z. B. nach zartem Ab- schälen dieses Kissens, zu erweisen, dass der Grund der Be- wegung nicht in diesem Theile liege, wie Dutrochet meinte. Mir selbst gehen über diese und die folgenden Thatsachen dieses Paragraphen fast alle eignen Beobachtungen ab, und ich beschränke mich daher allein darauf, das Wesentliche der That- sachen mitzutheilen. Ueber die Einzelheiten und insbesondere über die Resultate der, meiner subjectiven Ansicht nach, zum Theil sehr ungeschickt angestellten Experimente verweise ich auf Meyen‘) und Dassen’s (von Meyen citirtes) Hauptwerk’), in wel- chem letzteren die Thatsachen am vollständigsten gesammelt zu seyn scheinen. Die Schlüsse, die Meyen aus eignen und frem- J) Physiologie, Bd. III. S. 473—562. Sehr ausführlich. 2) Natwurkundige Verhandelingen van de Hollandsche Maatschappij der Wetenschappen te Harlem, 1I Deel. Te Harlem 1835, p. 309—--346, und: Tijdschrift voor natuurlijke Geschiedenis en Phys. 1837, IV. p. 106—131. II, 3 546 Organologie, den Versuchen zieht, sind grösstentheils unbegründet und hän- gen auf’s innigste mit seinem Vorurtheil einer Analogie zwi- schen Pfianzen und Thieren zusammen. Offenbar bringt er sehr häufig die Resultate, die er finden will, schon mit hinzu, b) Nicht periodische. Ganz ähnliche Bewegungen wie die, welche beim Wechsel von Tag und Nacht allmälig eintreten, zeigen die Blätter einiger Pflanzen plötzlich, oder doch sehr viel rascher, sobald irgend eine äussere chemische oder mechanische Einwirkung auf dieselben stattfindet. Fol- gendes sind ziemlich alle Pflanzen, an denen man diese Erscheinungen beobachtet hat: Mimosa pudica L., M. sensitiva L., M. casta L., M. viva L., M. asperata L., M. quadrivalvis L., M. pernambucana L., M. pigra L., M. humilis Humb., M. pellita Humb., M. dormiens Humb. Aeschinomene sensitiva L., A. indica L., A. pu- mila L. Smithia sensitiva Alt. Desmanthus stolonifer De C., D. triquetris De C., D. lacustris De C. ® Oxalis sensitiva L. Averrhoa carambola L., A. bilimbi L. Eigenthümlich scheint die Bewegung des von einem geflügelten Blattstiel getragenen Blattes von Dionaea muscipula Ellis. Das Blatt ist gewimpert und auf der obern Fläche mit steifen Haaren besetzt. Bei einer Be- rührung dieser Fläche, z. B. durch ein Insect, klappt das Blatt längs dem Mittelnerven zusammen und die Wimpern greifen in einander, so dass der berührende Gegenstand eingeschlossen und mit ziemlicher Kraft fest- sehalten wird, so lange die Bewegnng desselben fori- dauert. Hört diese auf, so breitet sich das Blatt lang- sam wieder aus. Auf diese Weise bleiben unruhige In- secten so lange gefangen, bis sie todt sind. Ferner zeigen die Fortpflanzungsorgane einiger Pha- nerogamen in Folge von äusseren Einwirkungen eine Allgem. Organologie. Bewegungen der Pflanzentheile. 547 plötzliche Bewegung, welche die Versetzung des Pol- lens auf die Narbe veranlasst oder erleichtert. Beispiels- weise nenne ich hier die Staubfäden von Berberis vul- garis, Parietaria judaica, den Staubweg von Siyli- dium adnatum, graminifolium, Goldfussia anisophylla u. s. w. Auch hier tritt die Bewegung ohne äussere Veranlassung ebenfalls, obwohl nicht so rasch ein. Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass die vorzugsweise so genannte Sinnpflanze (Mimosa pudica), die sich schon bei Er- schütterung der Erde durch einen vorbeitrabenden Reiter wie erschreckt zusammenzieht, die bei einer rohen Berührung gleich- sam beschämt ihre Blätter senkt, für den phantasiereichen Men- schen ein willkommener Gegenstand dichterischer Behandlung seyn muss, und dadurch, dass sie den alten Griechen unbekannt blieb, sind wir sicher um einen schönen Mythus ärmer, Der Naturforscher aber hat andere Zwecke zu verfolgen, andere Aufgaben zu lösen, und für ihn muss diese Pflanze und ihre Verwandten zur Zeit noch ein Markstein seyn, welcher ihm die Grenze seines Wissens anzeigt, und eine Warnungstafel, nicht das Gebiet mit Träumereien zu bevölkern, welches durch seine ernste Thätigkeit noch erst genauer zu erforschen ist. So viel ist aus einem Ueberblick alles Dessen, was bisher in Bezie- hung auf diese Pflanzen geleistet, völlig klar, dass wir. selbst von dem Palpabeln der Erscheinung, von dem mit Sinnen zu erfassenden Mechanismus dieser Bewegungen nur erst die roheste Aussenseite kennen gelernt haben, und dass noch weitschichtige, mühsame Untersuchungen vorhergehen müssen, bis wir an den Punct gelangen, wo die Frage nach der Ursache der Erschei- nung, nach einer erklärenden Ableitung der Bewegung aufge- worfen werden kann. Bis dahin wird ein besonnener Naturfor- scher sich nicht auf die Aufstellung von erklärenden Hypothesen, ja nicht einmal auf die Kritik der von Andern aufgestellten ein- lassen dürfen, indem sich das Unfruchtbare solchen Beginnens im Voraus einsehen läst. Es wäre verschwendete Zeit, die besser der Untersuchung selbst zugewendet wird. Meyen hat, wie schon vorher erwähnt, sich unendlich viel Mühe gegeben, hier zum Abschluss zu kommen, was ihm auch mit Hülfe einiger halsbrechenden Sprünge im Schliessen zu ge- lingen scheint. Wie wenig aber in der That hier noch sicher steht, zeigten mir einige Versuche, die einzigen, die ich einmal an einer Mimosenpflanze anzustellen Gelegenheit hatte, indern dieselben fast allen von Meyen mitgetheilten Angaben direct widersprechende Resultate lieferten. Die Sache hing so zusam- 35 * 548 Organologie. men. Meyen experimentirie an sehr empfindlichen, in hoher Temperatnr gehaltenen Pflanzen und meint, dies sey der ein- zige Weg, um zu richtigen Resultaten zu kommen. Das wider- spricht nun der ganz alltäglichen physiologischen Praxis, indem man zu Experimenten gerade vorzugsweise die am wenigsten reizbaren und zähesten Organismen auswählt, damit die nicht beabsichtigten, aber unvermeidlich mit dem Experiment verbun- denen Nebeneingriffe möglichst geringe und daher zu vernach- lässigende Erscheinungen hervorrufen. Eine Mimose, die so empfindlich ist, dass sie schon bei blosser Erschütterung des Bodens alle Blätter zusammenlegt, ist wohl nicht dazu geeig- net, zu zeigen, dass sie bei Durchschneidung ihrer Gefässbün- del nur einige bestimmte Blätter zusammenlegt. Ich liess daher absichtlich die Pflanze erst einige Zeit in niederer Temperatur vegetiren, so dass sie geringere Erschütterungen ertrug, ohne ihre Blätter zusammen zu legen, und da fand ich denn fast Alles anders, als Meyen angegeben. Mir schien dabei sich zu ergeben, dass der Verlust an Saft unterhalb eines Blattes stets ein Senken des Blattes zur Folge hatte, welches so lange an- hielt, bis die Wunde durch das Gerinnen des Saftes geschlossen war. Ich halte es aber nicht der Mühe werth, diese vereinzelt stehenden Beobachtungen ausführlich mitzutheilen, da sie ohne- hin, so lange der Mechanismus der Bewegung selbst noch so gänzlich unbekannt ist, doch nur zum haltungslosen Rathen nach einer Ursache Veranlassung geben könnten. Ich kann hier nur aussprechen, dass uns bis jetzt nicht nur die Ursache, sondern das Specielle der Thatsache selbst völlig unbekannt ist, und dasselbe gilt von den Bewegungen aller übrigen genannten Pflanzen. B. Scheinbar nicht von äusseren Einwirkungen ab- hängige Bewegungen, und zwar a) Periodische. Diese zeigen sich nur an einigen tropischen Hedy- sarum-Arten, namentlich H. gyrans L. und gyroides Roxb. Die Bewegung der ersten Pflanze ist am ge- nauesten bekannt, und zwar eine doppelte. Das zusam- mengesetzte Blatt besteht hier aus ein paar kleinen seit- lichen Fiederblättchen und einem grossen Endbhlatte. Dies letztere und der gemeinschaftliche Blaitstiel bewegen sich auf. und nieder nach der verschiedenen Intensität des Lichtes, und besonders ist das Endblatt in seinen Stel- lungsveränderungen das feinste Photometer. Diese Be- Allgem. Organologie. Bewegungen der Pflanzentheile. 549 wegungen entsprechen offenbar den unter A. «a. ange- führten. Die beiden Seitenblättchen ‚sind aber in einer beständigen schwingenden Bewegung, indem jedes Blätt- chen mit seiner Spitze einen kleinen Kreis beschreibt, aber so, dass die Axen beider Blättchen stets in einer geraden Linie bleiben. Diese Bewegung ist ganz unab- hängig von Licht, von Tag und Nacht, und wird nur beschleunigt durch Wärme und üppiges Vegetiren der ganzen Pflanze. Von einer Erklärung kann hier auch nicht im allerentferntesten die Rede seyn. b) Nicht periodische. Solche Bewegungen finden bei den meisten Phanero- samen zum Behuf der Uebertragung des Pollens auf die Narbe statt, indem sich Staubfaden und Narbe einander nähern, dadurch dass bald der eine, bald der andere Theil, bald beide ihre Stellung verändern. . Bei vielen Pflanzen legen sich auch die Staubfäden wiederum in eine andere Lage, nachdem sie den Pollen ausgestreut haben. Auch diese Bewegungen können ihre Erklärun- gen erst zugleich mit den übrigen erwarten. $. 211. Höchst auffallend sind die Erscheinungen, welche die Öscillatorien, eine kleine Algengattung, zeigen. ie er- scheinen als kurze Fäden, aus mehr breiten als langen eylindrischen Zellen an einander gereiht, erfüllt mit grü- nem Stoff und verschiedenartigem, theils flüssigem, theils granulösem Inhalt. Die Spitze jedes Fadens ist etwas verjüngt und abgerundet, häufig wasserhell und farblos. So lange sie lebhaft vegetiren, zeigen diese Fäden eine dreifache Bewegung, eine abwechselnde geringere Krüm- mung des vordern Endes, ein halb pendelartiges, halb elastisches Hinundherbiegen der vordern Hälfte, und ein allmäliges Vorrücken. Diese Bewegungen beobachtet man oft alle zugleich, oft einzeln. Die Ursachen sind völlig unerforscht. 550 Organologie. Häufig stellt man, besonders seit Meyen, hiermit die Bewegungen der Bacillarien und der verwandten Fami- lien zusammen, diese gehören aber, nach Ehrenberg’s Untersuchungen, dem 'Thierreich an. Die Bewegungen der Oscillatorien haben etwas Seltsames, ich möchte sagen Unheimliches, an sich. Ich will meine Ansicht, die aber ganz auf subjectivem Gefühl beruht, nicht verhehlen, dass mir ihre Stellung im Pflanzenreich noch zweifelhaft erscheint, Auf jeden Fall scheint es mir hier ein sehr unreifes Urtheil an- zudeuten, wenn man, wie Meyen‘), diejenigen, die eine solche Behauptung aussprechen, mit blosser Ironie glaubt abfertigen zu können; dazu ist unsere Kenntniss dieser Organismen noch viel zu mangelhaft, und wenn selbst Ehrenberg sie noch zu den Pflanzen rechnet, so ist das nicht, wie Meyen glaubt, ein Beweis von ihrer vegetabilischen Natur, sondern von KEhrenberg’s be- scheidener Umsicht, die ihn nie weiter gehen lässt, als seine genauen und sichern Beobachtungen reichen, eine Eigenschaft, von der Meyen ein grösserer Antheil zu wünschen gewesen wäre, Meyen stellt hiermit noch die Bewegungen der Spirogyra zu- sammen, die sich spiralig zusammenzieht und so bleibt; ich habe es nie beobachtet, will es aber damit nicht leugnen. Wenn er aber angiebt, dass die Pflanze auch an den Wänden des Ge- fässes, wenn sie lebt, hinaufkrieche, was keine andern Algen thun sollen, so ist die letzte Behauptung falsch und das Gegentheil leicht zu beobachten, die Thatsache selbst aber sehr natürlich, denn die Alge wächst am Glase hinauf, indem ihr das Wasser, dessen sie bedarf, in Folge der Capillarität folgt. Alle übrigen sogenannten sich bewegenden Algen aus der Familie der Bacillarien, Desmidien u. s. w. sind, nach den schönen Beobachtungen Ehrenberg’s, entschiedene Thiere, gehören also nicht hierher. Zweites Oapitel. Specielle Organologie. $. 212. Die specielle Organologie hat die Aufgabe, die Fun- ctionen der einzelnen Organe der Pflanzen zu entwickeln. 1) Physiologie, Bd. III. S. 563. Spee. Organologie. Vegetationsorgane. 551 Grösstentheils ist hier nur übersichtlich noch einmal zu- sammenzustellen, was schon an andern Orten des Buchs vorgekommen. Das Ergebniss des Ganzen wird seyn, dass, mit Ausnahme der Fortipflanzungsorgane, die Pflanze sar keine physiologisch bestimmten Organe, die nur einer bestimmten Function vorständen, besitzt. Vieles ist hier freilich noch mangelhaft, und insbesondere für die Gymmnosporen fehlen uns hier fast alle Beobachtungen. Die beste Vertheilung des Stoffes wird seyn, die Fortpflanzungsorgane und die übrigen als Vegetations- organe abgesondert zu betrachten, bei ersteren in Krypto- samen und Phanerogamen, einschliesslich der Rhizocar- peen, bei letzteren in Gymnosporen und Angiosporen abzutheilen. A. Vegetationsorgane. a) Gymnosporen. $. 213. Da bei der ganzen Gruppe der &ymnosporen eigent- lich an keine Organe zu denken ist, so kommen hier nur die Gewebe und Elementartheile in Frage; nur für die Haftorgane kann man ihre Bestimmung zur Befesti- sung der Pflanze an einen bestimmten Ort angeben; die meisten wachsen aber auch losgerissen fort. Die ganze äussere Oberfläche ist hier bestimmt, Nahrungsflüssigkeit aufzunehmen; das ist Alles, was wir von diesen Pfilan- zen wissen. Bei den Flechten können die grünen, run- den Zellen unter der Rindenschicht hervorireten und ver- streut zu. neuen Pflanzen werden; wahrscheinlich ist Aehnliches bei den andern Ordnungen nur noch nicht beobachtet. Oo [Di | ID Organologie. b) Angiosporen. $. 214. Blatt und Axe als Grundorgane haben keine bestimmte physiologische Function, wenn man die ausnimmt, die ihnen in ihrer Umwandlung zu Fortpflanzungsorganen zukommt. Da die Axe aber das ursprünglich alle Theile Verbindende und allein das Dauernde, das Blatt dagegen das spätere Abhängige, Abgeschlossene und Vergäng- liche ist, so kann man sagen, dass der erstern vorzugs- weise die Function der Vertheilung der Säfte zukomme, denn durch sie durch müssen alle Strömungen gehen. Im Blatte dagegen werden vorzugsweise assimilirte Stoffe gebildet. $. 215. Den verschiedenen Erscheinungsweisen der Axe kann man durchaus keine wesentlich verschiedenen Functionen beilesen.e. Was zunächst den Unterschied ihrer beiden Pole, der Wurzel und der Axe, im engern Sinne be- trifft, so ist die erstere häufig Haftorgan, welches die Pflanze an einen besiimmten Ort befestigt und da, wo sie hauptsächlich mit flüssigen Stoffen in Berührung kommt, dient sie auch insbesondere der Aufnahme von Nahrung; zugleich ist sie ausscheidendes Organ, und perennirend dient sie durch Knospenbildung der Fortpflanzung. Dass keine dieser Functionen wesentlich und ausschliesslich an sie geknüpft sey, beweist ihr gesetzmässiges Fehlen bei den Moosen und Lebermoosen, und der unentwickelte und zu allen Functionen untaugliche Zustand, in welchem sie bei so vielen andern Pflanzen verharrt, z. B. viele Gräser, Nelumbium u. s. w., endlich ihr frühes Abster- ben bei andern, z. B. bei Farnkräutern, Palmen, Cus- cuta u. s. w. Nicht bei allen genannten Pflanzen wird sie durch Nebenwurzeln ersetzt, die die genannten Fun- Spec. Organologie. Vegetationsorgane, 553 ctionen ganz oder theilweise übernehmen könnten; so bleibt z. B. Ceratophyllum in jeder Beziehung völlig wurzellos. An der Axe im engern Sinne kann man nur nach den anatomischen Systemen, nicht nach der Umänderung zu verschiedenen (morphologischen) Organen die Fun- etionen vertheilen. Die Gefässbündel, wo sie vorhanden sind, dienen in ihren jüngsten Theilen (dem Cambium) der Saftbewegung, in ihren älteren 'Theilen nur mechanisch als steifer, fester Halt (das Skelet) der Pflanze. Das Parenchym assimilirt, bildet alle eigenthümlichen Stoffe, die in der Pflanze vorkommen; mit seinen äussern 'Thei- len (Rinde und Epidermis) dient es der Aufnahme von Nahrungsflüssigkeit und somit auch der Ausscheidung, z. B. bei den untergetauchten Pflanzen, der Bespiration und Transspiration bei den der Luft ausgesetzten Theilen. Im späteren Zustande, nach eingetretener Kork- und Borkenbildung, dient die Rinde als schlechter Wärme- leiter auch zur Erhaltung der Wärme im Innern der Pflanze. Endlich ist die Axe wegen der häufigen regel- mässisen und unregelmässigen Knospenbildung ein wich- tiges Organ der Fortpflanzung. In eigenthümlichen For- men als Ranke, oder bei den Schlingpflanzen wird auch die Axe Haftorgan. $. 216. Die Blätter, meistens sehr unabhängig von einander, zeigen hinsichtlich der in ihnen vorgehenden chemischen Processe grosse Verschiedenheiten, z. B. Stengelblätter und Blumenblätter. Die Stengelblätter sind häufig als diejenigen Pflanzentheile, die an der Luft die grösste Fläche ausbreiten, vorzugsweise die Organe der Bespi- ration und Transspiration, sowie mannigfacher Ausschei- dungen. Bei den unter Wasser. wachsenden Pflanzen dienen sie der Aufnahme flüssiger Nahrungsmittel. Durch ihre Knospenhbildung werden sie Fortpflanzungsorgane. Die Blätter in der Nähe der Befruchtungstheile zeigen 554 Organologie. gar oft eine sehr kümmerliche Vegetation, leicht sterben sie ganz (z. B. die Pappus, die Bracteen und Bracteolen der Paranychien und ähnliche Erscheinungen) oder doch . grossentheils ab (z.B. die vielen weissen Blüthentheile), oder sind in sofern todt, als ihre Zellen von einzelnen oder wenigen und zur Unterhaltung eines chemischen Processes nicht geeigneten Stoffen ganz erfüllt sind (wie die meisten farbigen Deckblätter und Blüthentheile). Nur Kelch- und Fruchtblätter zeigen in der Regel eine leb- haftere, von der der Stengelblätter nicht verschiedene Vegetation. Allen Blättern ohne Ausnahme kommt noch die Fun- ction zu, in ihrem früheren Zustande durch festes Zu- sammenschliessen zur Knospe die zarten, sich neu bil- denden Theile gegen die Einwirkungen der austrock- nenden Luft und der leicht Fäulniss bewirkenden über- mässigen Nässe des Regens zu schützen, bis die Entwicke- lung ihres Oberhautsystems dieselben fähig macht, selbst diesen Schädlichkeiten trotzen zu können. Diese letztere Bedeutung scheint insbesondere für die Blüthendecken die einzig wesentliche zu seyn, und man kann, sobald die Blume sich geöffnet hat, bei den meisten die Blüthen- decken entfernen, ohne der Ausbildung des Saamens und der Frucht im Geringsten Abbruch zu ihun, wenn sie nicht etwa auch jetzt noch dazu dienen, die zarten Fori- pflanzungsorgane gegen Regen u. s. w. zu schützen, oder wenn man nur der nach ihrer Entfernung vielleicht unmöglich gewordenen Uebertragung des Pollens auf die Narbe durch Insecten eine künstliche Uebertragung sub- stituirt. In bestimmten Formen als Ranken sind die Blät- ter auch Haftorgane. Spee. Organologie. Kortpflanzungsorgane. 555 B. Fortpflanzungsorgane. a) Kryptogamen. $. 217. Bei den Gymnosporen finden wir nur die Sporan- sien, denen wir als Mutterzellen der Sporen eine be- stimmte Function, nämlich eben diese zu bilden, zuschrei- ben können. Ueber die Bedeutung der übrigen Theile der Sporenfrüchte wissen wir nichts, und es ist auch höchst unwahrscheinlich, dass ihnen eine andere als mor- phologische Bedeutung beizulegen is. Was von den sogenannten Antheren der Pilze zu halten, ist schon früher (S. 37) erörtert worden. #Bei den kryptogamischen Angiosporen sind es eben- falls die Mutterzellen der Sporen, welche als solche eine wichtige Function ausüben. Die Sporenfrüchte die- nen nur zu Behältern der Sporen und um durch ihre hygroskopischen Eigenschaften das Ausstreuen der Spo- ren zu erleichtern und zu regeln. Von den Antheridien ist so viel gewiss, dass bis jetzt auch nicht eine ein- zige Thatsache existirt, welche auch nur entfernt dar- auf hindeutete, dass sie in irgend einer Beziehung zum Fortpflanzungsgeschäft ständen. Alles bisher darüber Vor- gebrachte ist eine nur nach entschieden falschen Analo- gien ausgesponnene Phantasie. Insbesondere ist nur noch zu bemerken, dass wir völlig im Dunkeln darüber sind, welche eigenthümliche Bedeutung für die Entwickelung der Spore etwa die äussere Sporenhaut haben könne; möglich ist, dass sie hauptsächlich dazu bestimmt ist, durch ihre Unzerstör- barkeit die zarte Sporenzelle gegen schädliche Einwir- kungen, zumal segen übermässige Feuchtigkeit, zu schützen, bis sie selbst nach wieder begonnener Ent- wickelungsthätigkeit im Stande ist, das Fremde zu assi- miliren. [51 [Dj 1 er} Organologie. b) Phanerogamen. $. 218. In den Antheren bilden die Mutterzellen den Pollen, bei dem wir der oft in zierlichem Formenreichthum sich entwickelnden äussern Haut keine andere Bedeutung bei- legen können, als am Ende des vorigen Paragraphen für die Sporen entwickelt. Die als ächte Nectarien, das heisst als süsse Säfte absondernde Flächen oder Organe, sich zeigenden Bildungen stehen mit der Fort- pflanzung in keinem nur irgend zu errathendem organi- schen Zusammenhange, wohl aber dienen sie dazu, die Inseeten, denen so häufig die Uebertragung des Pollens auf die Narbe anheimgestellt ist, anzuziehen. Die Saamenknospe ist dazu bestimmt, den Pollen- schlauch aufzunehmen. Sie wird von dem Fruchtknoten, der ihr zugleich den Pollenschlauch zuleitet, ebenso ge- schützt, wie der lebendige 'Terminaltrieb durch die äusse- ren Blätter der Knospe. Der wichtigste Theil der Saa- menknospe ist der Embryosack, weil sich in ihm (mit Ausnahme der Rhizocarpeen) der Embryo entwickelt. Welchen Einfluss hier der Embryosack ausübt, wissen wir durchaus noch nicht. Gewiss ist, dass Pollenkörner auch anderswo als auf der Narbe ächte Schläuche trei- ben; gewiss, dass viele Pollenschläuche durch Narbe und Staubweg in die Fruchtknotenhöhle hinabsteigen, ohne sich zum Embryo umzubilden, weil sie nicht in die Saamenknospe gelangten. Aber gewiss ist auch, dass die Schläuche bei den Rhizocarpeen nicht in un- mittelbare Berührung mit dem Embryosack kommen, son- dern beständig von ihm durch eine dünne Zellenlage getrennt sind. Aecusserst merkwürdig ist ferner eine Beobachtung, die ich früher ') schon mittheilte, dass 1) Acta Acad. C. L. €. N. €. Vol. XIX. P. I, p. 46, bei Orchis latifolia. Spee. Organologie. Hortpflanzungsorgane. 557 nämlich in die Saamenknospe einer Orchidee zwei Pol- lenschläuche eingetreten waren, von denen nur der eine, “ durch den Innenmund dringend, den Embryosack erreicht und, diesen verdrängend, auf gewöhnliche Weise zum Embryo geworden war, während der andere, zwischen äusserer und innerer Eihülle eingeschoben, welche letztere nur aus einer sehr zarten Zellenlage besteht, sich zu dem Rudiment eines Embryo entwickelt hatte (gleichsam eine graviditas extrauterina). Es scheint also, dass sich der Einfluss des Embryosacks auf einige Entfernung ausdehnen könne; welcher Art aber derselbe sey, ist uns gänzlich verborgen und auch um so schwieriger auszumachen, da uns zunächst die wichtigsten Grund- lagen, nämlich genaue chemische Untersuchungen des Inhalts des Pollenschlauchs und des Embryosacks wohl noch lange abgehen werden. Ich möchte hier an Caspar Fr. Wolff’s Ausdruck erinnern: nutrimentum magnum in minima mole. Zu angeblichen Analogien mit der Zeugung bei den höheren Thieren ist zur Zeit noch um so weniger Gelegenheit, und müssen diese um so. mehr Spiele des Witzes müssiger Köpfe bleiben, als uns sge- rade dieser Vorgang und die Rolle, welche die einzel- nen Stoffe dabei spielen, bei den Thieren selbst noch völlig in Dunkel gehüllt sind. $. 219. In späteren Perioden wird der sich bildende Embryo entschieden vom Embryosack aus ernährt, und auch spä- ter, in den ersten Stadien der Keimung, dienen die im Endosperm abgelagerten assimilirten Stoffe zur Ernäh- rung der Keimpflanze; gleiche Function hat der Knos- penkern als Perisperm und was seine Stelle vertritt. Die zur Saamenschale umgebildeten Knospenhüllen schützen die zarte Keimpflanze; dasselbe thut während der Ent- wiekelung die Fruchthülle,. die später durch ihre Hygro- skopieität oft die Ausstreuung des Saamens vermittelt. 558 Organologie, Zuweilen mögen auch die saftigen Theile der Frucht noch dazu dienen, durch ihr Verfaulen der jungen Pflanze einen nahrhaften Boden für ihre erste Entwickelung zu ' bereiten. Schlusswort. Die Unzulänglichkeit und Mangelhaftiskeit unserer allgemeinen Botanik wird allgemach von tüchtigen For- schern anerkannt. Man hat geglaubt, von grösserer Aus- bildung der Physiologie und Anatomie Besserung erwar- ten zu dürfen, und selbst der Systematik von dorther die Hülfe versprochen. Die Dürftiskeit der Physiologie, wie ich sie vorstehend, befreit von allem ihr nicht Ge- hörigen, gewöhnlich aber in sie Eingemengiem, gege- ben, lässt dazu wenig Hoffnung übrig. Dem aufmerk- samen Leser der Morphologie wird nicht enigangen seyn, dass die Anatomie auch nicht viel erwarten lässt. Wo- her soll denn Rath kommen? Von der Betrachtung der äussern Formen, aber nicht in der Weise, wie sie bis- her prineiplos und oberflächlich getrieben, sondern von dem Erstreben einer Morphologie als Wissenschaft, de- ren Prineip nur die Entwickelungsgeschichte seyn kann. Diesen Weg zu weisen und nach besten Kräften den Eingang zu gewinnen und zu reinigen, war in diesem Werke meine Aufgabe. Mögen bessere Männer das Werk fortführen. Verbesserungen und Zusätze. Zum ersten Bande. S. XVII. Anm. I) I. Man vergleiche meine Schrift: Dr. Justus Liebig 116 — 3 210 - 1 in Giessen und die Pflanzenphysiologie. Leipzig, bei Engelmann, 1542; und Hugo Mohl, Dr. J. Liebig und sein Verhältniss zur Pflanzenphysiologie. Tübingen, 1842. v. 0. I. Beweise st. Beewise der Anmerk. Um Missverständnissen vorzubeugen, be- merke ich, dass hier nur von saurem äpfelsaurem Kalk die Rede seyn kann, denn nur als solcher kommt er in den Früchten, die ja stets freie Säure enthalten, vor. v. o. l. Fortleitung st. Fortbildung v. o. Zusatz: Zur Geschichte der Poren bemerke ich noch Folgendes: Kieser (Grundzüge, S. 142—145) nahm zuerst wahr, dass an den den Poren der Coniferen entsprechen- den Stellen die Zellenwände auseinanderweichen und einen dunkeln Körper (Luft) einschliessen; ungefähr eben so weit ist Treviranus (Physiol. I. $. 68). H. Mohl klärte die Sache (1828) vollständig auf, indem er nachwies, dass nicht nur bei Coniferen, sondern überall, wo die Poren gross genug sind, um sie bequem untersuchen zu können, die aneinanderliegenden Zellenwände linsenförmige Räume durch Auseinanderweichen bilden, und dass von beiden Seiten auf dieselben zu ein Porencanal läuft. Mohl wies ferner nach, dass die linsenförmige Auseinanderweichung der Zel- lenwände früher vorhanden ist, als der Porencanal (über die Poren des Pflanzenzellgewebes insbesondere Seite 34). Vollkommen wurden diese Beobachtungen von Meyen (Phy- siol. I, 85) bestätigt, und insbesondere das linsenförmige Auseinanderweichen der Zeilenwände vor Auftreten des Porencanals sicher gestellt. Dass jener linsenförmige Raum Luft enthält, ist zwar von keinem Beobachter ausdrücklich bemerkt, zeigt sich aber jedem kundigen Beobachter so- gleich durch den schwarzen breiten Ring, der bei längerem Liegen im Wasser allmälig verschwindet. Durch die be- sten Beobachter stand daher die Existenz dieses kleinen 560 Verbesserungen und Zusätze, Luftraums, die nothwendige räumliche Beziehung desselben zu den Porencanälen und die gesetzmässige Folge der Po- ren zu beiden Seiten nach Entstehung des Luftraums fest. Mir blieb nur noch übrig, eine grössere Menge von Beispielen zu sammeln und dann aus der gesetzmässigen, zeitlichen Folge und räumlichen Verbindung auch eine ur- sächliche Verbindung beider Theile abzuleiten, was ich in meiner Arbeit über die Cacteen und in einem den Spiral- bildungen gewidmeten Aufsatze der „Flora“ (Bd. 22) gethan habe. Den letzten Aufsatz im Jahresbericht (Wieg- mann’s Archiv, 1841) anführend, sagt Link: „Die wunder- „baren Luftblasen, welche Spalten und Poren machen sollen, „scheinen willkürlich erdacht, kein anderer Un- „tersucher hat davon eine Spur gesehen. Wie „sollen Luftblasen regelmässige Gebilde hervorbringen ? „Wie geht es zu, dass die Luftblasen nicht auf „beide Seiten gleichmässig wirken, woher „kommen die Luftblasen®“— Wer es nicht glauben sollte, den bitte ich, den genannten Band des Archivs, Seite 352, selbst nachzuschlagen. Zum zweiten Bande. Ss, 5 Z. 18 v. o. I. Artbegriff st. Artbegiff — 10 — 6v.o.|. An allen Seiten befestigt st. nach allen Seiten gerichtet Vor — Tv. o, ist einzuschalten: aa. Nach allen Seiten gerichtet Nach — 14 v. o. ist| einzuschalten: bb. Nach einer Seite gerichtet (partes secundae) Ss. 13 — 17 v. o. 1. in st. In — 17 zu $. 82. Ich ersuche meine Leser, im ganzen Buche von $. 82 an durchweg die Ausdrücke gymnosporae und angiosporae mit einander umzutauschen. Früher hatte ich geglaubt, die beiden grossen Abtheilungen am besten nach der mit einer Haut bekleideten oder nackten Spore benennen (nicht abtheilen) zu können; später überzeugte ich mich, dass dazu die Bildungsgeschichte der Spore, je nachdem die Mutterzellen als Sporangien bleiben, oder bald resor- birt werden, ein besseres Merkmal giebt, weil es schärfer trennt; denn bei einigen Flechten treten in der That schon Spuren einer äussern Sporenhaut auf. Durch Versehen ging die ältere unpassende Benennung aus einem ältern Manuscript in das Buch über. Ich wünschte aber lieber den Ausdruck Gymnosporen und Angiosporen gleich auf eine zweckmässige Weise zu verwenden, hielt es jedoch für passender, den einmal nicht mehr zu ändernden Fehler consequent im ganzen Buche durchzuführen und erst hier um eine gleichförmige Correctur zu bitten, weil eine Ab- änderung der Terminologie in späteren Paragraphen eine 19 2. 21 — Tv. u. 1. Zusammenhang st. Znsammenhang 33 37 36. Zusatz: Auf absterbenden Blättern von Passiflora alata fand ich Verbesserungen und Zusätze, 561 leicht zu Irrthümern führende Ungleichförmigkeit veranlasst hätte. Der Text des $. 32 muss nun von der siebenten bis zur ersten Hälfte der zwölften Zeile so lauten: (ob diese Zellen) ... . frühzeitig isolirt als selbstständige Zel- len auftreten, oder ob sie noch längere Zeit bis zu ihrer spätern Entwickelung nur als Theile des mütterlichen Or- ganismus, als Brutzellen in einer Mutterzelle, verharren. Im letzten Falle sind die Fortpflanzungszellen von einer Mutterzelle (sporangium) eingeschlossen, im erstern Falle aber frei in einer Höhlung gewisser Zellgewebs- portionen (sporocarpium, Antherenfach) enthalten, und da- nach theile ich die Pflanzen in verhülltsporige (angiosporae) und nacktsporige (gymnosporae). Tv. o. 1. Gruppe st. Grüppe 25 — 16v.o.l.,st.; in der Ueberschrift 1. Pilze st. Algen einen fast pechschwarzen Schimmel, der aus einem ein- fachen Faden unten kürzerer und dickerer, oben längerer und schmälerer Zellen bestand, deren oberste, kugelig an- geschwollen, ganz denselben Process der Sporenbildung verfolgen liess, wie der Zeile 12 erwähnte. Auf abster- benden Stengeln derselben Pflanze fand ich einen andern weisslich-grauen Schimmel, der aus unten kürzern und dickern, oben längern und dünnern Zellen zu verästelten Fäden zusammengesetzt war, Die 2—3 letzten Glieder des Stammes und der Aeste enthielten eine trübe, schlei- mig-granulöse Flüssigkeit, die zuweilen sehr kleine, aber scharf gezeichnete Kügelchen oder Scheibchen (Cytobla- sten?) einschloss. An die Wände der Zelle angedrückt, zeigten sich häufig ganz zarte kleine Zellen. Ueber die- sen war oft die Wand der Zelle etwas nach Aussen ge- wölbt. Von diesem Zustande bis zu einer längern war- zenförmigen Hervorragung der Wand, in deren Spitze frei eine junge Zelle lag, und wiederum von diesem Zustande bis zu einer reifen, durch einen kurzen Stiel mit der Zel- lenwand verbundenen Spore fanden sich alle möglichen Uebergangsstufen. Bei beiden hier beschriebenen Schim- melarten war die unterste Zelle kurz, fast tonnenförmig und unmittelbar auf die noch deutlich erkennbaren, zwar abgestorbenen, aber scnst unverletzten Zellen der Epider- mis der Pflanze aufgesetzt, ohne irgend eine Spur von Haftscheiben oder Haftfasern. D r- 2. 6 v, u. 1. Iamina proligera st. sie 44 — 18 v. o. |. Gallertfiechten st. Gallertflächen — — 1!) y.u. |. Peltigera st. Peltidea — in der Anmerk, 1. gonidiis st. gonideis 54 Z. 2v.u.|, Fissidens st. Fissideus 36 — 2 v. o. 1. verdickte st. verdeckte 2 v. o.]. Dillw. st. Dilln. 63 — 12 u. 11 v. u. 1, Mittelsäulchen st. Mittelhäutchen 1. 6 562 Verbesserungen und Zusätze. Ss. 66 2. Sv. u. 1. noch st. uoch 71 — 6vV. 0.1. ist st. st 5 — 14 v. o. |. vernatio st. aestivatio Semnsevu.ols auf'st, aus 108 — 24 v. o. 1. jenes st. jedes — — 2 v.o. |. stimmter st. stimmten 11 — Twu.l. sens. lat. st. sens. str. 112 — il v. o. 1. ihn statt sie 117 — 15 v. o. Zusatz: Ich muss bemerken, dass diese Verästelungs- weise nur nach einigen Erscheinungen an ausgebildeten Wurzeln hypothetisch von mir angenommen, aber nicht von Anfang an selbst beobachtet ist. 118 — 8v. o. |. gesetzmässig Knospen... .. 119 — 3v. u. Nach „Axe“ ist einzuschalten: „der ächten Wurzel, oder den Nebenwurzeln selbst‘ 133 — 9 v. o. l. calathium st. calathinum — — 19 v. o. l. einigen Pflanzen einzelner Gruppen 135 Anmerk. 8. Zusatz: Man vergl. nur Martius genera et spec. Pal- marum, Taf. 30. Fig. 24. 145 Z. 5 v. u. nach „deren“ fehlt „Zwischenräume mit“ 148 — 10 v. o. 1. sich st. slch 154 — 1v. o. |]. quaternata st. quadernata 155 — 185 u. 19 v. o. ist „rohrartige Palmen“ zu streichen. 155 — 1 v. u. I. Cycadeenstamm st. Farnstamm 160 — Tv. u. Zusatz: Viel Ausgezeichnetes findet sich auch in: „Dr. F. Unger, über den Bau und das Wachsthum des Dikotyledonenstammes, mit 16 Steintafeln; St. Petersburg, 1840“, welches leider zu spät in meinen Besitz kam, um noch hier benutzt zu werden. Ferner ist noch zu nennen: „H. Mohl, über den Stamm von Isoetes lacustris“ in der Linnaea von 1842. N 161 — 12 v. u. bedurfte‘ st. bedurften 163, zu D. Zusatz: Link meint, es sey besser, für spina statt Dorn Stachel zu sagen, weil man Dorn für spina und aculeus gebrauche, z. B. keine Rose ohne Dornen, aber niemals Stachel für beides; mit andern Worten: es sey besser, in Zukunft Bettkissen statt Bettgestell (Bettspinde) zu sagen, weil man wohl Bett für beides gebrauche, aber niemals Kissen. Die Ausdrücke des gemeinen Lebens wer- den stets unbestimmt angewendet, nur die Wissenschaft verbindet bestimmte Worte mit definirten Begriffen und wählt dazu die Worte des gemeinen Lebens möglichst zweckmässig aus. Nun braucht aber das gemeine Leben das Wort Dorn bei Pflanzen für harte, holzartige Spitzen und deshalb (botanisch freilich falsch) auch bei Rosen; niemals aber nennt man eine Pflanze mit krautartigen Sta- cheln, wie z. B. die Disteln, dornig, sondern (hier ebenfalls botanisch falsch) stachelig. Deshalb wählte die Botanik ganz richtig Dorn für spina, Stachel für aculeus, und ich denke, trotz Link’s philologischem Scharfsinn bleiben wie richtiger beim Alten, was längst anerkannte Geltung in der Wissenschaft sich erworben hat. — 165 Z. 14 v. u. 1. stengel st. stiele — — — 12 vu |. stiele st. stielchen Verbesserungen und Zusätze. 563 175 in der Anmerk, I) muss „vel abrupte pinnata“ hinter paripinnata stehen. 182 Z. 15 v. u. I, die der anderen st. der anderen 155 — 14 u. 15 v. o. 1. ligula st. vagina petiolaris 156 — 18 v. o. „z. B. die Bracteen der Lindenblüthen“ ist zu streichen. — — 6 vr. u. Zusatzt Auch können zwei Blätter, die über einan- der an der Axe entstehen, oder ein Blatt und die in seiner Achsel sich entwickelnde Knospe unter einander auf gleiche Weise verwachsen, z. B. das Deckblatt an der Linden- blüthe mit dem Blüthenstengel. 157 — 10 v. o. 1. Blüthenhüllblatt st. Perigonialblatt 201 — 3v. u. in der Anmerk. 1) statt: „Das Beispiel“ u. s. w. lies: Die Blume von Clematis gehört in so fern nicht hier- her, als das einzelne Blatt keine vernatio duplicativa hat, sondern an beiden Rändern scharf eingefaltet ist; man könnte es nach Analogie von v. involutiva eine v. impli- cafiva nennen. 215 — 13 v. o. 1. dem st. den — — 17 y.u. ist das zweite Komma zu streichen, 218 — 3 v..o.. ihrer st. ihren 223 — Tv.o.|. die st. den — — 8v.o. |. Blattorgane, die st. Blattorganen, den 227 — 4 der Anmerk. 1. angewachsenen st. angewachsen 228 — 14 v. u. ist das Komma zu streichen. 229 — 14 v. o. 1. Spindel st. Stengel 241 — 12 v. o. |. Schuld st. schuld EN 242 — 2 v.u. |. besser st. schlimmer 245 — 9 der Anmerk. ]. St. st. A. 248 — 4v. u. in der Anmerk. 1. Dann ist es st. Denn es ist 256 — 8v. oo, I, Blüthenstiel st. Blattstiel — — Tv.u.| hexramerum st. monomerum 262 — 12 v. u. Il. den Blüthenhüllblättern st. der Blüthenhüllblätter 268 — 25 v. o. 1. allen st. Allen 275 — Tv.u. ]. Blustenscheide st. Blüthenscheide 252 — 11 v. o. l. ungleichseitig st. ungleichförmig 287 — Tv. u. l. Spornen st. Sporen 28535 — MWv.u.l. z.B die dem u. s. w. 295 — 7 v..o. 1. Narbenkörper st. Nebenkörper 300 — Su.9v. o. ist „und Specialmutterzellen“ zu streichen 305 — 1v.o.|. spalten, eine... — — Il v.u. ist das Komma nach „scheinbar“ zu streichen. 306 — 13 u. 12 v, u. ist „die Fächer“ zu streichen. sl — Iyausl Ausnahmen st. Ausnahme 324 — 14 v. o. l. Zäpfchen st. Zöpfchen 33T — 6 v. o. 1. gewordenen st. gewordene 355 — 9 v. u, 1. Cucurbitaceen st. Cucurbiteen 364 — 6 v. o. ist „spricht“ zu streichen und an’s Ende der Zeile 5 v. o. hinter „Pollenschläuche‘“ zu setzen, 313 — ..5 v. o. 1. 354 st. 347 376 — Tv. u. 1. beobachtet st. betrachtet 379 — 8 v. o.1. da er später st. da später 354 — 4v.u. |. Pothos st. Potos 399 -—— 23 v. u. ist nach „Saamenknospe“ ein Komma zu setzen und dasselbe nach „Knospenträger“ zu streichen. 564 Verbesserungen und Zusätze, S. 421 2. 14 v. o. 1. strophiolum st. strophiola — 456 — Tv. o. 1. Masse, also der Dichtigkeit u. s. w. — 460 — 20 v. o. setze nach „Embryosack“ und nach „Zelle“ ein Komma. ai — 463 — 13 v. o. nach „‚Knospe“ ist einzuschalten: „mit Ausnahme der a Terminalknospe“ — 495 — 4v. o.|. die Gase st. sie — 500 — 9 v. o 1. durchdrungen st. durchdrungene — 507 — 58 der Anmerk. Il. nur st. nun. — zn IL SE Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig. u; 4 ut Y { |