sc ^37 Jg. 8 m MEERESKUNDE Heft 12 AMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE Q^ \ ZUM VERSTÄNDNIS DER NATIONALEN BEDEUTUNG VON ROBA MEER UND SEEWESEN HEFT 96 POLITISCHE PROB IM WESTLICHEN Dr. P. MOHR, BERLIN S.Jahrgang 12, Heft BERLIN 1914 ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN KÖNIGLICHE HOFBUCHHANDLUNG KOCHSTRASSE 68-71 m^ ^ MEERESKUNDE ^ SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE Bisher erschienen folgende Hefte: Zur Einführung. Das Museum für Meereskunde. Von Prof. Dr. A. Penck. Die Meeresräume, ihre Wasserfüllung und ihre Küsten. Flaschenposten, treibende Wracks und andere Triftkörper in ihrer Bedeutung für die Enthüllung der Meeresströmungen. Von Prof. Dr. 0. Krümmel. Das Eis des Meeres. Von Dr. L. Mecking. Die deutschen Seeküsten in ihrem Werden und Vergehen. Von Dr. Fr. Solger. Die Küste der englischen Riviera. Von H. Spethmann. Unsere Kalisalzlager, ein Geschenk des Meeres an den deutschen Boden. Von W. Stahlberg. Der Deichschutz an Deutschlands Küsten. Von Dr. Walter Behrmann. Der Golfstrom in seiner historischen, nautischen und klimatischen Bedeutung. Von Dr. Ludwig Mecking. Meer und Küste von Rügen bis Alsen. Von H. Spethmann. Tier- und Pflanzenwelt des Meeres. über marine Sedimente und ihre Benutzung zur Zeitbestimmung. Von Dr. G. Braun. Die Meeressäugetiere. Ihre Stammesgeschichte. Von Prof. O. Abel. Die westindischen Korallenriffe und ihr Tierleben. Von Dr. R. Hartmeyer. Das Reich des Todes im Meer. Von Walter Stahlberg. Tierische Wanderungen im Meere. Von Prof. R. Woltereck. Die Scholle, ein Nutzfisch der deutschen Meere. Von Dr. V. Franz. Gefiederte Bewohner des Meeres, Vögel des Atlantischen Ozeans. Von Dr. K. Wenke. Das schwimmende Leben der Hochsee. Von Dr. G. H. Fowler. Tierisches Licht in der Tiefsee. Von Prof. Dr. E. Mangold. Neue Forschungen über die Biologie der Tieisee. Von Professor Dr. F. Doflein. Die zoologische Station in Neapel. Von Prof. Dr. Armin v.Tschermak. Wehr und Schutz der Meerestiere. Von Dr. L. Glaesner. Geschichte, Entdeckungsgeschichte, Seekriegsgeschichte. Die deutsche Handelsmarine im 19. Jahrhundert. Von Dr. W. Vogel. Die Anfänge der Nordpolarforschung und die Eismeerfahrten Henry Hudsons. Von Dr. P. Dinse. Zeitalter der Entdeckungen und die Beteiligung der Deutschen daran. Von S. Günther. Der Seeraub. Eine geographisch-historische Skizze. Von Dr. P. Dinse. Die Kontinentalsperre in ihrer geschichtlichen Bedeutung. Von Rob. Hoeniger. Nordische Seefahrten im früheren Mittelalter. Von Dr. W. Vogel. Die Abschaffung des britischen Sklavenhandels im Jahre 1806/07. Ein Kapitel aus der britischen Schiffahrtspolitik. Von Dr. Franz Hochstetter, MEERESKUNDE SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE ZUM VERSTÄNDNIS DER NATIONALEN BEDEUTUNG VON MEER UND SEEWESEN ACHTER JAHRGANG ZWÖLFTES HEFT Politische Probleme im westlichen Mittelmeer, Von Dr. P. Mohr, Berlin. n keinem Punkte der Erde ist mehr Wechsel der Macht und unter geistigem Einfluß mehr Wechsel eines bewegten Lebens gewesen, als auf diesem Markte der alten Geschichte", sagt Alex- ander V, Humboldt vom Mittelmeer, Noch heute erleben wir solchen Wechsel, und er wird wohl nie zur Ruhe kommen. Zwei Tatsachen haben im letzten halben Jahr- hundert neue politische Probleme erweckt, die Eröffnung einer neuen Weltverkehrsstraße durch den Sueskanal und das Sinken der politischen Macht des Islam. Mit der Vollendung des Sueskanals verliert das Mittelmcer seine Abgeschlossenheit, Auch die großen Völker der Welt, die nicht Anlieger dieses gewaltigsten Binnenmeeres sind, empfinden mit zunehmender Gewalt seine wachsende Anziehungskraft, Das Mittelmeer wird zu einer Hochstraße des neuen Weltverkehrs, Eine neue Pforte zum fernen Osten ist aufgetan. Die po- litische Macht, die hier eine Nation ausübt, übt ihre Rückwirkung auf alle Großmächte. Es gibt nicht mehr e i n Mittelmeerproblem, es gibt ein ganzes Bündel von Fragen, die mit dem Mittelmeerproblem mehr oder weni- ger zusammenhängen wie z. B. die orientalische Frage. Man kann daher auch nicht von politischen Problemen im westlichen Mittelmeerbecken allein sprechen, weil sie Meereskunde, Vorträge. VIII. Heft 12. 1 2 Meereskunde, innig verbunden sind mit den Fragen des östlichen Mittel- meeres. Die Mittelmeerfrage stellt sich daher für jede Macht verschieden dar. Nicht immer hat der Dreibund die entgegengesetzten Interessen im Mittelmeergebiet wie der Dreiverband, Je nach der politischen Weltlage nehmen die einzelnen Mächte oft eine Sonderstellung ein. Wie in einem gegebenen Augenblick Spaniens und Frankreichs Interessen weit auseinandergehen können, so auch diejenigen Italiens und Frankreichs, während sie zu anderen Zeiten auch zusammenfallen. So hat jede Macht ihren besonderen Standpunkt, ihre besondere Interessenpolitik, Seit Jahrhunderten nimmt bekanntlich auch Eng- land eine beherrschende Stellung im Mittelmeer ein. Seine Etappenstraße nach Indien hat es durch wertvolle Stützpunkte — Gibraltar, Malta, Cypern — gesichert. Und noch immer hält es seine Herrschaft für unsicher verankert und strebt nach neuen Sicherungen, darum mußte Tanger eine internationale Zone werden und die Bucht von Solum von Italien an Ägypten abgetreten werden. Aber auch für England stellt sich das Problem der Mittelmeerfrage im westlichen Becken anders dar als im östlichen. Und wenn wir heute sehen, daß Frank- reich seine Gelüste auf Syrien zu verbergen nicht mehr gesonnen ist und Rußland die Lösung der Dar- danellenfrage erstrebt, so können wir hieraus ent- nehmen, daß das Ringen um die politische Macht im Mittelmeer noch ständig andauert. Dazu kommt, daß auch Italien sein Augenmerk auf Kleinasien gerichtet hat und daß es lüstern auf Albanien sieht. Im Golf von Adalia erstrebt es wirtschaftlichen Einfluß durch Bahn- bauten, Und noch immer hält es, trotz mancher Winke von England, in seiner Hand die im Tripoliskrieg erober- ten 12 Inseln mit dem wertvollen Rhodus, Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 3 Weiter kompliziert werden diese Fragen noch durch die neuen Veränderungen auf der Balkanhalbinsel, Serbien und Bulgarien sind ans Mittelmeer gelangt, und Griechenland hat endlich das auch von England er- strebte Kreta erlangt. An wen werden sich diese neuen Mächte anschließen? Wird Griechenland eine größere Seemacht werden, wird es weiter nach Konstantinopel streben? Und wie wird sich die neue Türkei in ihre Lage finden? Ohne Seegeltung kann sie sich ihrer vielfachen Angrenzer nicht erwehren. Sie wird sich schließlich an eine Großmacht anlehnen müssen. Nicht zum wenigsten hat ein Vorkommnis der jüng- sten Zeit ein grelles Schlaglicht auf ein politisches Pro- blem von größter Tragweite geworfen. Dieses Vor- kommnis ist die Proklamierung des Anschlusses Spaniens an den Dreiverband am 10, Oktober 1913 in Cartagena, Es ist ein Datum, das einst von den Geschichts- schreibern wegen dreier Ereignisse als ein weltgeschicht- liches Datum wird behandelt werden müssen. An diesem Tage wurde der Panamakanal eröffnet und der Präsi- dent der chinesischen Republik Juanschikai gewählt. Gleichzeitig erhält Spanien die Anwartschaft auf Portu- gal durch die Vertragsklausel, daß im Falle eines ,, Ein- greifens Europas in Portugal die politischen Interessen, die geographische Lage und das geschichtliche Leben Spaniens in Betracht gezogen werden sollen. Auf gut Deutsch aus- gedrückt, Spanien erhält als Belohnung Portugal. Man kann sich einer gewissen Bewunderung der französischen Politik angesichts ihrer Energie und Ent- schlossenheit nicht erwehren. Kaum ist der marok- kanische Raub in Sicherheit gebracht und zwischen Frankreich und Spanien aufgeteilt, Tanger und sein Um- kreis internationalisiert, da beginnt sich diese Politik r 4 Meereskunde. von neuem zu rühren. Denn sie weiß, wen sie damit mit trifft. Wir haben bekanntlich mit England seit 1899 ein Geheimabkommen, daß im Falle Portugal seine kolonialen Besitzungen aufgeben wolle, wir ein Vor- recht auf Angola und zum Teil Portugiesisch-Ostafrika erhalten sollen, P o r t u g a 1 ist bekanntlich seit Oktober 1910 Repu- blik, Am 1 , Februar 1908 wurden der König und sein älte- ster Sohn ermordet. Seitdem ist das Land nicht recht zur Ruhe gekommen. Die Parteikämpfe sind womöglich noch schärfer geworden. Bisher hat die junge Republik ebenso wenig wie die Monarchie Ordnung in die Finanzwirt- schaft des Landes zu bringen vermocht. Die Staats- schuld ist bedeutend und beträgt 797 805 Kontos, das ist die Summe von etwa 3,6 Milliarden M, Die Steuern sind drückend und die Neuordnung der Dinge hat bisher eine erhebliche Verteuerung aller Lebensverhältnisse herbeigeführt. Unter dem Druck dieser Verhältnisse ist die Auswanderung eine sehr große, 1911 sind 59 661, 1912 sogar 80 920 Personen ausgewandert. Nach den neuesten Nachrichten wies der Staatshaus- halt für das Jahr 1914/15 in Einnahmen 350 290 000 M, auf, in Ausgaben 335 700 000 M, Der portugiesische Handel ist trotz der unruhigen Lage nicht besonders in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Gesamthandel betrug 1911 434 Mill. M„ 1910 aller- dings 447 Mill, Dazu kommt noch der Wiederausfuhr- handel und der Handel mit den Erzeugnissen der Kolo- nien, Mit England ist Portugal durch einen Vertrag ver- bunden, der aus dem Jahre 1666 stammt. Wie von dem Minister des Auswärtigen Antonio Macieira in einer Sitzung der Lissabonner Geographischen Gesellschaft gesagt wurde, ist die britische Regierung nach wie vor Politische Probleme im westlichen Mittelmeer, 5 verpflichtet, alle Eroberungen und Kolonien Portugals zu verteidigen und zu schützen gegen alle seine Feinde. Nichtsdestoweniger hat ja, wie gesagt, England mit uns über den portugiesischen Kolonialbesitz Verhandlungen gepflogen, Portugal, das einen Flächenraum von 92 157 qkm umfaßt und eine Bevölkerungsdichte von 64,8 für den Quadratkilometer hat, besitzt noch heute ein Kolo- nialreich von über 2 Millionen Quadratkilometer,') Spanien würde, wenn wirklich die portugiesische Hinterlassenschaft vakant würde, eine riesengroße Auf- gabe zu erfüllen haben. Es kann nicht gleichzeitig in Portugal einschreiten und in Marokko, Schon heute wird es mit den Rifioten nicht recht fertig. Selbstverständlich wird durch die französische Presse die Lüge verbreitet, als hätten wir Absichten auf die portugiesischen Inseln, während in Wirklichkeit sich die Engländer schon lange auf Madeira und den Azoren festgesetzt haben. Im Gegenteil, wir haben an einem Verschwinden Portugals wenig Interesse. Dagegen ist für Spanien der Anreiz, sich in die portu- giesischen Dinge zu mischen, in verstärkter Weise ge- geben und seine Mittelmeerpolitik hat damit ein be- deutsames Ziel erlangt. Anderseits hat Frankreich so eine Flanke in Marokko und in den Pyrenäen nicht gegen einen etwaigen Gegner zu decken. Ein französischer Schriftsteller schrieb kürzlich:^) „Vier Mächte haben ernsthafte Interessen im Mittelmeer: Frankreich, Italien, Spanien und England. 1) Port. Guinea, . . 37000qkm „ Angola . . 1250000 „ .. Westafrika 760000 „ Besitzungen in Westindien 4 030 qkm (Distrikte von Goa, Damao u. Diu) Macao 10 „ Timor , , , , , 19000 „ . ^) Questions diplomatiques et coloniales, 1, Febr. 1911: L'AUemagne dans la Mcditerranee, Meereskunde, Vorträge. VIII. Heft 12. 2 6 Meereskunde. Die drei ersten breiten einen Teil ihrer Küsten an seinen Ufern aus. Die vierte, die Herrin Ägyptens und Indiens, übt auf dieser weiten Meeresfiäche, die seit 40 Jahren die Straße Indiens ist, eine vollkommene Vor- herrschaft aus, dank seiner an den beiden Endpunkten gelegenen Festungen Malta und Gibraltar," „Während des spanisch-amerikanischen Krieges dachten die Vereinigten Staaten daran, sich einen Flottenstützpunkt gegen Spanien auf den Balearen zu schaffen. Aber Onkel Sam erwog, daß trotz der Ab- wesenheit einer europäischen Monroedoktrin eine der- artige Politik Mittel erforderte, um den schlimmsten Mög- lichkeiten zu begegnen, so vielleicht der Notwendigkeit, 6000 km von seiner Kraftbasis an Menschen und Material zu kämpfen. Er verließ daher das Projekt, — Keine andere Macht erhob Absichten auf dieses Meer," Da haben wir das Mittelmeerproblem, wie es nicht schärfer ausgedrückt werden kann. Öster- reich-Ungarn und die Türkei, und nicht zum wenigsten wir hätten danach keinerlei ernsthafte Interessen im Mittelmeer. Auch Rußland und Griechenland kann man doch nicht so ganz als unterwertig betrachten. Was Deutsch- land betrifft, so muß es schon jede Veränderung im Mittelmeer aus dem Grunde verfolgen, weil es mit Italien und Österreich verbündet ist. Ganz besonders aber sind unsere Verkehrs- und Wirtschaftsinteressen gerade im Mittelmeer in den letzten Jahrzehnten in un- geahnter Weise gewachsen. Im Sueskanal betrug die Zahl der deutschen Schiffe im Jahre 1912 698 oder 14,9 "/f , während die britische Flagge mit 3254 Schiffen oder 63 ^'/c vertreten war. In Gibraltar liefen 1910 251 deutsche Schiffe mit einem Tonnengehalt von 1 043 816 Reg, T., in Alexandrien 1913 Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 184 Schiffe von 450 155 Reg, T, ein. In Genua') stand unsere Flagge 1912 an dritter Stelle mit 828 Schiffen von 2 358 496 Reg. T, Nur Italien und Großbritannien übertrafen uns. Ja, sogar im Hafen von Marseille") zeigten 1913 250 Schiffe von 694 859 Reg, T, die deutsche Flagge, während 1904 nur 131 Schiffe von 255 054 Reg. T. gezählt wurden. In Triest wird unsere Flagge nicht so häufig gezeigt, wie man wohl vermutet, da Triest für unsere Ausfuhr nicht so sehr in Betracht kommt. Erwähnen wir noch unsere Stellung in Vorderasien, so sehen wir, daß unsere gesamte Lage im Falle eines Krieges leicht verletzbar ist und daß unsere Bundes- genossen und uns die Zusammenziehung der französischen Flotte im Mittelmeer schwer bedroht. Eine Veränderung des Status quo im Mittelmeer muß daher uns in Mit- leidenschaft ziehen. Eine Anerkennung unserer Inter- essen im Mittelmeer werden wir aber nur erreichen, wenn wir mit einigen Mittelmeermächten in freund- schaftlicher Weise uns verständigen und auch militärisch durch ein Mittelmeergeschwader dauernd dort vertreten sind. Daß Italien und Österreich allein den Schutz unse- rer Interessen übernehmen, ist nicht zu verlangen. Seit ') Genua (1912): Piräus (1910): Saloniki: 1908 1911 1912 Marseille 1904: 1906 1907 1910 1912 Italien 7498 Schiffe von 5 388 320 Reg. T, Großbritannien 1377 „ ,, 2 963 743 Deutschland. . 828 „ „ 2 358 496 Frankreich . . 253 ., „ 507 302 172 deutsche Schiffe mit 293 630 54 Schiffe von 79 494 65 „ , 108 114 54 „ 89 923 131 deutsche Schiffe von 255054 Reg. T. 192 „ „ „ 467 424 „ 250 „ „ „ 613 283 „ 260 „ „ „ 652 293 „ 258 ,, „ „ 679 833 „ Marseille. Nach Bericht des Kaiserl. Konsulats 2* 8 Meereskunde. dem 6. November 1912 haben wir ein Geschwader in diesen Gewässern, es sind die ,,Goeben" mit 23 000 t und die kleinen Kreuzer „Breslau", ,, Hertha" und ,,Vineta". Sie sind im Vergleich zu den Flotten Frankreichs und Englands zu schwach, um unsere Interessen voll zu wahren. Betrachten wir nun im folgenden die Stellung der Hauptmittelmeermächte, Unter den Staaten, die das westliche Mittelmeer- becken begrenzen, hat Frankreich die schmälste Front zum Meere, Und doch hat es seit langem schon den Anspruch erhoben, die Herrin dieses Meeres zu sein, ja gewissermaßen der Polizist im Mittelmeer, Nur 700 km lang breitet sich die französische Küstenlinie, die berühmte Cote d'Azur, am Mittelmeer aus, während Spanien einschließlich seiner Inseln an 2200 km Küsten- entwicklung besitzt. Aber Frankreich hat diese Front durch seine Eroberungen in Nordafrika, Algerien und Tunesien um 1100 km erweitern können und betrachtet das westliche Mittelmeerbecken als ein ,,mare nostrum", Bismarck in seinen Gedanken und Erinnerungen erzählt, wie Napoleon III, 1857 ihm gegenüber diesen Anspruch genauer auseinandergesetzt habe: ,,Wenn er (Napoleon) wieder eines Krieges bedürfen sollte, würde er denselben eher in der Richtung nach Italien suchen, , , , Eine viel pikantere Befriedigung würden die Franzosen in einer Ausdehnung ihrer Seemacht finden. Er denke nicht daran, das Mittelmeer gerade zu einem französischen See zu machen, mais ä peu pres. Der Franzose sei kein See- mann von Natur, sondern ein guter Landsoldat, und eben deshalb seien Erfolge zur See ihm viel schmeichelhafter. Noch ist diese Vorherrschaft auf dem Mittelmeer Frankreich trotz seines Kolonialbesitzes nicht gelungen. Italien macht sie ihm immer mehr streitig. Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 9 In Algier befindet sich eine Bildsäule Napoleons I. mit den denkwürdigen Worten: II a reve la conquete. In der Tat, durch seinen Zug nach Ägypten (1798) hatte er die Augen Frankreichs auf Nordafrika gelenkt. Auch auf St. Helena soll er in seinen Gesprächen Frankreich auf Nordafrika verwiesen haben. Und doch findet man in populären Darstellungen noch heute die Ansicht aus- gesprochen, als sei Frankreich zu seiner algerischen Unternehmung durch eine tätUche Beleidigung seines Konsuls beim Beiramfeste am 30. April 1827 veranlaßt worden. Der Dey soll dem Konsul einen Schlag mit dem Pfauenwedel versetzt haben. In Wirklichkeit haben politische und wirtschaftliche Gründe Frankreich ver- anlaßt, sich in Algerien festzusetzen. Schon 1782 machte der französische Konsul de Kercy den Vorschlag, eine Expedition nach Algier zu entsenden, eine Unternehmung, die höchstens 10 000 Mann erfordern würde. Doch sollte man nicht den Besitz des Landes bewahren, Ägypten sei das ein- zige Land, das Frankreich zukomme, wenn jemals eine Teilung des türkischen Besitzes eintreten sollte, Ägyp- ten sei leicht zu erobern und zu halten, eine unerschöpf- liche Quelle des Reichtums, Algerien dagegen, das Tu- nesien bedeutend nachstehe, würde nur eine Last sein. Zehn Jahre später (1791) hat Kercy der französi- schen Regierung einen ausführlichen Feldzugsplan unter- breitet. Auf seiner Denkschrift steht als Überschrift: De Kercy kommt zum Schluß, daß man eine regelrechte Expedition zu Lande unternehmen müsse, in dem man bei Sidi Ferruch an Land gehe, während gleichzeitig ein Scheinangriff bei Cap Matifu zu geschehen habe. Auch ein anderer Franzose, Kapitän Boutin, hatte die strategi- sche Möglichkeit einer Landung in Algerien 21 Jahre vor der algerischen Expedition, und zwar auf Geheiß 10 Meereskunde. Napoleons erkundet. Auch sein Feldzugsplan stützte sich auf die Halbinsel Sidi Ferruch, bei der denn auch 1830 das französische Landungskorps afrikanischen Boden be- trat. So stellt sich diese Eroberung nicht als ein Zufall dar, sondern als Ausdruck einer unternehmenden wohl- überlegten Politik, Frankreich war zur Überzeugung ge- langt, daß eine Ausdehnung seiner europäischen Grenzen unmöglich war. Auch fürchtete es, daß England sich in Nordafrika festsetzen könnte, da es seit Napoleons Zug nach Ägypten Malta in Besitz hatte. So kam die Unternehmung nach Algier zustande, drei Jahre nach der angeblichen Beleidigung des franzö- sischen Konsuls, Die französischen Schriftsteller jener Zeit aber begrüßten diese Eroberung: Eine Besitznahme Algeriens ist Herstellung des Gleichgewichts im Mittel- meer, da England 1705 Gibraltar und 1815 Malta besetzt hat. Toulon ist der einzige militärische Platz, den wir im Mittelmeer haben. Unsere Schiffe sind gezwungen, bei ihren Fahrten nahe bei Algier zu passieren. Immer sind sie zwischen zwei feindlichen Feuern, Gibraltar und Malta, Mit Algier würden wir einen neuen Stützpunkt erhalten,^) Und ein anderer Schriftsteller-) schrieb; Un- geachtet aller in Paris verbreiteten Gerüchte, wir be- halten den Platz von Algier, uns fehlt eine Kolonie, Der Gedanke, diesen Platz zu verlassen, seine Befestigungen zu zerstören und den Hafen aufzuschütten, heißt einen Akt der Barbarei begehen wollen, was mehr Millionen kosten würde, als eine Kolonie zu begründen. Außer- dem weiß man nicht, daß die Küste gegenwärtig un- nahbar ist, wenn sie durch Europäer verteidigt wird. Die Eroberung Algeriens war mit Riesenopfern von ^) Montagne: Avantages pour la France de coloniser la Regence, 1831. ^) Desnos: Possibilite de coloniser Alger. Paris 1830. Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. \ \ Gut und Blut verknüpft, sie hat aber Frankreichs Mittel- meerstellung begründet und seine wirtschaftliche Kraft vermehrt. Darum ist der Tag des 5. Juli 1830 von so w^eltgeschichtlicher Bedeutung nicht nur für Frankreich geworden. Reclus hat mit trefflichen Worten diese Win- kung beleuchtet: ,,Der Westeuropäer, welcher seinen Blick in der großen Welt erweitert hat, sieht in unserer Geschichte zwei entscheidende Tage, den einen des Unglücks, den andern des Triumphes. Das nicht mehr gut zu machende Unglück ist nicht Pavia, Waterloo oder Sedan, es ist Quebeck; bei dieser Stadt in den Ebenen von Abraham entriß man uns die Herrschaft über Amerika und vielleicht die Weltherrschaft am 13, Sep- tember 1759! Der große Triumphtag aber, keiner der so tönenden und doch so unfruchtbaren Siege auf dem Schlachtfelde, an denen unsere Geschichte so reich ist, welche dem Strom der Geschichte ein neues Bett graben, war nicht Marignan, nicht Rocroi, nicht Fontenay, Ma- rengo, Austerlitz, Jena oder Wagram, sondern die Er- oberung Algiers am 5, Juli 1830," Von Algier ist Frank- reich nach Tunis gegangen und jüngst nach Marokko, das nach dem Ausspruch bekannter Forscher zehn Algerien und Tunesien wert ist. Die marokkanische Frage ist auch heute noch nicht gelöst, trotz der Algesiraskonferenz und den zahlreichen Abmachungen unter den beteiligten Groß- mächten, Es ist ein Notbehelf geschaffen worden, die Gegensätze sind verdeckt, aber nicht aus der Welt ge- schafft, Marokko zerfällt heute in zwei Teile und in eine internationale Freizone mit Tanger als Mittelpunkt. Nominell ist ein französisches Protektorat entstanden, das vor der spanischen Interessensphäre nicht Halt macht- Spanien erscheint in Nordmarokko wie ein After- mieter Frankreichs, In der sogenannten Meerengen- 12 Meereskunde. frage ist selbstverständlich der Gesichtspunkt Englands durchgedrungen, Tanger ist unter ein internationales Statut gestellt worden, wie es in dieser Form nirgends in ganz Afrika existiert, Spanien muß sich im Grunde verletzt fühlen, da es nun zwei Pfähle im Fleisch hat, Gibraltar und Tanger, Von den großen Hoffnungen Spaniens ist kaum etwas übrig geblieben als spanische Erinnerungen. Spanien endet am Atlas, hat einmal ein spanischer Minister gesagt. Dieser Traum auf ein größeres Spanien ist einstweilen erloschen. Nach äußerst schwierigen Verhandlungen, die mehr als einmal zu scheitern drohten, haben sich Spanien und Frankreich am 27. November 1912 über ihre beider- seitigen Interessensphären geeinigt, nachdem England, Deutschland und Italien anderweitig entschädigt worden waren, Frankreich begann seinen Vormarsch zur Er- oberung Marokkos im Jahre 1900 mit der Besetzung der Oase Insalah durch die Mission Flamand-Pein, Die Lage war äußerst günstig, der alte schlaue Wesir Ahmed ben Musa im Mai 1900 gestorben, der Sultan Abdulasis neuerungssüchtig, jung und unerfahren, England ge- fesselt. In demselben Jahre wurde die Oase Tidikelt besetzt und der Bahnbau in den Tuat vorgetrieben. Am 1, März 1901 folgte die Besetzung der Oase Gurara, gleichzeitig begann eine Periode der Grenzstreitigkeiten mit Marokko, Am leichtesten fiel Frankreich die Verständigung mit Italien, In zwei Geheimverträgen von 1899 und 1902 ließ Frankreich gegen einen Verzicht Italiens auf Betäti- gung in Marokko der lateinischen Schwester freie Hand in Tripolis, Es folgte die Verständigung mit England durch das Abkommen vom 8, April 1904, das durch einen Geheimvertrag ergänzt wurde, in dem Spanien die An- wartschaft auf ein Interessengebiet in Nordmarokko er- Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 13 hielt, dessen südliche Grenze an der atlantischen Küste das rechte Ssebuufer bilden sollte. Dieses Abkommen des Jahres 1904 muß als der Ursprung der englisch-französischen Annäherung bezeichnet werden. Die spanische Zustimmung wurde durch einen Sondervertrag vom 3. Oktober 1904 zwischen Frankreich und Spanien, der Spanien die gleichen Rechte in der spanischen wie Frankreich in der französischen Zone zubilligte, erlangt. Der Vertrag von 1904 bedeutete mehr als ein bloßes Kolonialabkommen zwischen zwei großen Kolonial- mächten, Er kann auch nicht oberflächlich gewertet werden als ein Vertrag zur Verminderung gewisser Reibungsflächen- Er bedeutete im Grunde die Schwen- kung einer Politik, es war das Ende der französisch- englischen Nadelstichpolitik um den Besitz afrikanischer Gebiete, Vor allem ging das Abkommen über alle Inter- essen der sonst noch am Handel Marokkos und an der Aufrechterhaltung dieses Staates interessierten Mächte ohne irgendwelche Berücksichtigung hinweg. Wir wur- den nicht mehr für ganz vollwertig angesehen, wir fühlten uns del-kassiert. Als Unterzeichner der Madrider Konvention und als stark am Handel Marokkos inter- essierte Macht konnten wir diese schroffe Außeracht- lassung unserer politischen und wirtschaftlichen Be- lange nicht ruhig hinnehmen. Die Kaiserreise in das Mittelmeer führte am 31, März 1905 zu einem Besuche Tangers, Seit den Zeiten Karls V, hatte ein deutscher Kaiser nicht mehr afrikanischen Boden betreten. Dies- mal geschah es, wie Kaiser Wilhelm erklärte, ,,um sein großes Interesse an dem Wohlergehen und Gedeihen des marokkanischen Reiches zu bezeugen," Im Gespräch mit dem Vertreter des Sultans, Abd el Malck, äußerte Se, Majestät, sein Besuch habe den Meereskunde, Vorträge. VIII. Heft 12. 3 14 Meereskunde. Zweck, darzutun, daß die deutschen Interessen in Ma- rokko geschützt werden sollten, daß Marokko ein un- abhängiger Staat sei. Er wünsche kein zweites Tunis in Marokko, In der Tat konnte das Ziel, das Deutsch- land verfolgte, nur sein, die wirtschaftliche Gleich- berechtigung aller in Marokko vertretenen Länder im Geiste der Madrider Konvention vom Jahre 1880, Ma- rokko als eine Domäne der Mittelmeer- staatenzu betrachten, war eine historisch und geo- graphisch unhaltbare These, Daß in Frankreich die deutschen Belange in Ma- rokko und namentlich sein Interesse an der Erhaltung der offenen Tür wohlbekannt waren, kann durch vieler- lei Zeugnisse belegt werden. Einer der Hauptvertreter der französischen Ausdehnungsbestrebungen, der be- kannte Abgeordnete von Oran, der spätere Kolonial- minister Eugen Etienne, äußerte sich schon 1898 in den Questions diplomatiques et coloniales S, 385 über die spanischen, englischen und deutschen Ansprüche wie folgt: Was Deutschland betrifft, das schon wiederholt als Kandidat auf einen Teil der marokkanischen Erb- schaft gemeldet wurde, so genügt der Status quo seinen gegenwärtigen Bestrebungen, Ohne Zweifel verfolgt die kaiserliche Regierung mit einem ganz besonderen Inter- esse die marokkanische Angelegenheit, Keine Macht ist energischer und eiliger gewesen, Gerechtigkeit zu heischen, wenn seine Untertanen in Frage kamen. Im Jahre 1895 entfaltete es in den marokkanischen Ge- wässern ein solches Aufgebot von Kräften, daß man glaubte, es würde die Hand auf Casablanca und Rabat als Unterpfand für seine Forderungen legen, (Es waren damals die deutschen Kaufleute Neumann und Rock- stroh ermordet worden,) Zum Schluß meinte Etienne, daß die deutsche Diplomatie viel zu unterrichtet wäre, Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 15 um auf einem Gebiete sans rime ni raison Fuß zu fassen, das mit Frankreich in Verbindung stehe, Deutschland genüge es, seine Handelsbeziehungen beständig wachsen zu sehen und seine Handelsschiffe an die Stelle der fran- zösischen Küstenschiffahrt treten zu sehen. Der Kampf um die Handelsfreiheit in Marokko ist von der deutschen Politik bis in die letzte Zeit vergeb- lich gekämpft worden, auch darum ist die Marokko- angelegenheit noch nicht zum Abschluß gelangt. Das Verständnis für die überragende Bedeutung der marok- kanischen Frage war in weiten Kreisen des deutschen Volkes in den Jahren 1898 bis 1905 stets gering. Immer wieder hatten unpolitische Köpfe den Gedanken breit- getreten, daß Frankreichs Erfolge in Afrika die französi- sche Revanchelust schwächen und ihr Interesse an der Levante vermindern würden. Eine französische Be- setzung Marokkos würde die deutschen Kaufleutc ebensowenig aus Marokko verdrängen wie die Italiener aus Tunis, ja die Deutschen würden sogar eine bessere Stellung einnehmen, weil sie zumeist hervorragende Kaufleute und studierte Leute seien, ^) Die französischen Kolonialerfolge haben in Wirklichkeit dem Gedanken an Revanche nur neue Nahrung gegeben, da sie Frank- reichs Machtbewußtsein gestärkt und ihm neues Men- schenmaterial zuführten, das es auf europäischen Schlachtfeldern zu verwenden hoffte. Schon 1902 konnte ich auf die Worte eines Oraner Gelehrten hinweisen, des Professors Moulieras, der in dem Vorwort zu seinem großen Werke Le Maroc in- connu schrieb; „Wenn Algerien und Tunesien vereint uns eines Tages dreimalhunderttauscnd muselmännische ^) Kultur, Köln, Heft 18, 1903 und meine Erwiderung in Nord- afrika, Heft 1, 1903. Beiheft zu den Deutschen Kolonien. Aufsatz von Karl Jentsch über Marokko. 3* 16 Meereskunde. Schwerter werden geben können, was sollen wir von Marokko sagen, wenn es in den Anziehungskreis Frank- reichs endgültig getreten ist. Wo ist die europäische Armee, die dem Ansturm von zwei Millionen Berber- Arabern, bewaffnet und diszipliniert auf französische Art, zu widerstehen vermöchte!" Daß die Verwendung nordafrikanischer Truppen auf europäischen Kriegsschauplätzen möglich ist, hat schon der Krieg von 1870 gelehrt. Leider hat man die War- nungen der Kenner Marokkos in den Wind geschlagen. Die Angelegenheit hat auch den Reichstag in seiner Sitzung vom 11, November 1911 beschäftigt, der Staats- sekretär V, Kiderlen-Wächter wies die Befürchtungen mit ein paar leeren Worten unter Hinweis auf 1870 ab. Man verwechselte beständig zwei ganz verschiedene Dinge, die Aufstellung einer schwarzen Armee und die Rekrutierung von Berbern und Arabern in Marokko.^) Daß besonders die Berber ein hervorragendes Soldaten- material sind, bedürfnislos, von kriegerischem Geist und zäh, muß jeder, der diese Völkerstämme in Nordafrika gesehen hat, anerkennen. Das Gewehr ist ihr ständiger Begleiter, Sie haben niemals Schwierigkeiten gemacht, demjenigen, der sie bezahlte, ihre Dienste zu leihen. ^) La force noire. Von Oberstleutnant Mangin. Paris 1910. Siehe auch Dr. W. Arning: Marokko — Kongo. 1912. Siehe auch Prof, Harms: Marokko in Deutsche Revue, Okt. 1911. Und schließlich: Wenn wirklich ein Armeekorps von Berbern uns entgegengestellt wird? Was will das heißen! Wie würde diesen Söhnen der heißen Berge (!) ein Winterfeldzug in Mitteleuropa bekommen? Was werden sie auf der Ebene im modernen Feuer- gefecht leisten? Was die afrikanischen Regimenter in 1914 geleistet haben, das haben unsere Kämpfe um Ypern im November 1914 bewiesen. Auch in Frankreich haben wir unsere Garden ihnen entgegen stellen müssen. Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 17 So haben sie den Portugiesen gedient und den Spaniern gegen ihre Stammesgenossen, So mußte Frankreich durch die Gewinnung Ma- rokkos nicht nur eine außerordentliche Vermehrung seiner wirtschaftlichen Kraft erhalten, es erfuhr vor allem eine Verstärkung seiner politischen Macht und strategischen Basis, Im Falle einer Sperrung des Mittelmeeres durch feindliche Schiffe war es in der Lage, seine Truppen aus Algerien durch Marokko nach Europa oder anderswohin zu werfen, durch die lange atlantische Küstenlinie Marokkos erhielt es eine neue Ausfallspforte und Stärkung seiner Seegewalt durch eine strategisch wichtige Basis, die ihm ermöglichte, neue Kohlen- und Hafenplätze zu schaffen. Einer derartigen Machtvermehrung gegenüber war die Entschädigung durch ein Stück der Kongokolonie kein zureichendes Äquivalent, Es ist nicht angängig, die gesamten politischen Ereignisse der letzten Jahre, die unseren Rückzug aus Marokko notwendig machten, in dieser den politischen Problemen des Mittelmeeres ge- widmeten Studie zu betrachten. Unsere Versuche, die Unabhängigkeit Marokkos zu retten, scheiterten trotz der Algesiraskonferenz an der günstigen diplomatischen Stellung Frankreichs, das auf die Dienste Rußlands, Englands, Spaniens und unseres Bundesgenossen Italien rechnen konnte. Es kam, nachdem Frankreich unver- hüllt das Protektorat über Marokko erstrebte, zu der deutsch - französischen Abmachung vom 4, Novem- ber 1911. In diesem Abkommen, das als ein weltgeschicht- licher Akt^) ganz zu Unrecht gepriesen worden ist, gibt ') Marokko oder Kongo? 1911. Der neue Marokkovertrag- Verlag der Politik. Berlin SW. 18 Meereskunde. die deutsche Regierung ,,ihre Zustimmung zu den auf dem Gebiete der Reorganisation der Verwaltung und finanziellen Sicherstellung geplanten Maßnahmen, welche die französische Regierung nach Einigung mit der marokkanischen Regierung zu diesem Behufe er- greifen zu müssen glaubt, unter der Voraussetzung, daß das Vorgehen Frankreichs die wirtschaftliche Gleich- berechtigung der Nationen aufrecht erhält," - , . ,,Für den Fall, daß Frankreich sich veranlaßt sähe, seine Kon- trcLe und seinen Schutz näher zu bestimmen und aus- zudehnen, wird die Kaiserlich deutsche Regierung in Anerkennung der vollen Aktionsfreiheit Frankreichs unter dem Vorbehalt, daß die Handelsfreiheit, die in den früheren Verträgen vorgesehen ist, aufrecht erhalten bleibt, dem kein Hindernis in den Weg legen," , . , ,,Es versteht sich, daß die Rechte und der Wirkungskreis der marokkanischen Staatsbank, wie sie in der Akte von Algesiras festgesetzt sind, in keiner Weise beeinträch- tigt werden," . , , ,, Demgegenüber erklärt die französi- sche Regierung: daß sie grundsätzlich entschlossen ist, an der Handelsfreiheit in Marokko festzuhalten und zu einer ungleichmäxDigen Behandlung weder bei der Auf- stellung von Zöllen, Steuern und anderen Abgaben, noch bei der Festsetzung der Tarife für Transporte auf Eisen- bahnen, Fluß-, Schiffahrts- oder anderen Verkehrs- wegen, ebenso wie in allen Fragen des Durchgangsver- kehrs, keinesfalls die Hand bieten wird, , , , Die fran- zösische Regierung wird sich desgleichen bei der ma- rokkanischen Regierung dafür verwenden, daß jede unterschiedliche Behandlung von Angehörigen der ver- schiedenen Mächte unterbleibt, Sie wird sich nament- lich jeder Maßnahme widersetzen, die, wie z, B. der Erlaß administrativer Verordnungen, die Maß und Ge- wicht und das Eichverfahren und das Stempeln von Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 19 Bijouteriewaren betreffen, die Waren einer Macht be- nachteiligen könnten," Im § 6 hieß es noch besonders von öffentUchen Arbeiten; ,,Die Regierung der französischen Republik verpflichtet sich, dafür zu sorgen, daß die Arbeiten und Lieferungen, die für den etwaigen Bau von Straßen, Eisenbahnen, Häfen, Telegraphenleitungen usw. benötigt werden, durch die marokkanische Regierung auf dem Submissionswege vergeben werden, , , , Sie verpflich- tet sich ferner, dafür zu sorgen, daß die Submissions- bedingungen, besonders was die Materiallieferung und die Fristen für Submissionsangebote betrifft, die An- gehörigen keines Staates benachteiligen," Die Schutzmaßregeln, die hier getroffen wurden, haben sich in der Praxis nicht bewährt. Die großen Ar- beiten sind sämtlich den französischen Unternehmern zugefallen. Nach dem Abschluß der deutsch-französischen Ver- handlungen setzte in Marokko eine Periode wilder Kämpfe ein. Doch weder Spanien noch Frankreich haben bisher dauernde Erfolge zu erringen vermocht, trotzdem beide Mächte große Truppenmassen auf- geboten haben. Daß die friedliche Eroberung Marokkos, wie es französische Politiker anfangs geglaubt, ein Ding der Unmöglichkeit ist, habe ich schon vor einem Jahr- zehnt vorausgesagt. Es ist aber auch nicht anzunehmen, daß Frankreich wirklich ernstlich an eine friedliche Durchdringung des Landes auch nur gedacht hat. Die militärischen Spaziergänge in Nordafrika sind ihm seit der Eroberung Algeriens und Tunesiens zur Gewohnheit geworden, Sie müssen dazu dienen, ein kriegsgeübtes Heer in Nordafrika, das den größten Strapazen gewach- sen ist, zu schaffen und zu erhalten. Das algerische Korps gehört zu den Elitekorps der französischen 20 Meereskunde. Armee. Die Sahara und der Sudan sind die Übungs- und Schießplätze dieser Truppen, Zu den mancherlei schiefen Urteilen über die ma- rokkanische Verwicklung gehört auch die Ansicht, daß Frankreich ähnlich wie in Algerien einen 40jährigen Eroberungskrieg zu führen haben würde. In der Tat ist das Herzland Marokkos, das sogenannte Atlasvorland, stets leicht erobert worden. Diese weiten Flachebenen, fast baumlos, reich an Wasser und Nahrung für alle Be- dürfnisse eines Heeres, sind von einem modernen Heer ohne nennenswerte Schwierigkeiten zu erobern und zu halten. Von diesem Gebiet aus, der Kornkammer Marokkos, hätte sich schließlich auch eine einigermaßen friedliche Durchdringung ermöglichen lassen. Das wollte Frankreich nicht, es wollte rasch mit Marokko fertig werden, um sein Augenmerk auf neue Eroberungen zu richten, die in der Levante lockten. Am 1, Januar 1911 hatte es erst 11000 Mann in Ma- rokko, im Mai desselben Jahres war diese Ziffer auf 37 000 Mann gestiegen, im Juli 1912 auf 48 000, am 1, Juni 1913 auf 71 000 und am 1, Januar 1914 auf 80 000, Das Budget für 1914 sah sogar 90 000 Mann vor, von denen 63 000 Mann in Westmarokko und 17 000 in Ostmarokko aufgestellt sein sollten. In dieser Be- satzungstruppe gab es 2760 Offiziere, ein großer Teil der Regimenter stammte aus dem Sudan. Entsprechend der aufgewendeten Militärmacht ist auch die französi- sche Einflußzone gewachsen von 50 000 qkm im Jahre 1908 auf 66 000 in 1911 und auf 163 000 in 1914, Von besonderem Wert ist die seit langem er- wünschte Verbindung zwischen Algerien und Marokko durch das Tal des Inauen, Schon kurz nach der Al- gesiraskonferenz verletzte Frankreich diese Akte durch die Besetzung der wichtigen Grenzstadt Uschda im Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 21 Jahre 1907. Diese Besetzung erweckte eine tiefe Er- bitterung unter den marokkanischen Stämmen, die zur Ermordung einiger Arbeiter im Hafen von Casablanca führte. Es folgte die Bombardierung von Casablanca, einer offenen Hafenstadt, die der Hauptsitz des deut- schen und englischen Handels war. Es war, wie sich ein französischer Rechtsanwalt bissig ausdrückte, die Rache für Algesiras, An die Besetzung von Casablanca schloß sich die Eroberung der reichen Pro- vinz Schauja an, während in Uschda ein französischer Konsul einzog. Ohne sich an die Algesirasakte zu kehren, erbauten die Franzosen eine Kleinbahn von Casablanca nach Ber Reschid (49 km), die am 19, Sep- tember 1908 dem Verkehr übergeben wurde und später bis Settat verlängert wurde. Der Anschluß an Algerien sollte gleichzeitig von zwei Seiten in Angriff genommen werden, und zwar von Fes über Tasa durch das Tal des Inauen, Zu dem Zweck wurden die Beni Snassen, ein Bergstamm der Berber, der zwischen dem Mittelmeer und der Ebene von Angad im Süden des Gebirgsstockes wohnt, 1907 bekriegt und unterworfen. Das Gebiet der Beni Snassen ist reich an alten Eisenminen, auch wird daselbst Kupfer und Blei gefunden. Mit Uschda hatte Frankreich den Schlüssel von Fes in der Hand, mit dem Gebiet der Beni Snassen waren sie Herren des ganzen Muluyatales. Die Unver- letzlichkeit Marokkos war zur Mythe geworden. Fran- zösische Kolonnen besetzten nacheinander Taurirt (20. Juni 1910) und El Aiun Sidi Melluk, Heute führt eine Schmalspurbahn über Uschda nach Msun, Die Krönung des Werkes bildete die Besetzung von Tasa am 11. Mai 1914, Seit 21, Mai 1911 ist Fes von französischen Truppen besetzt worden, trotzdem ist die Straße Rabat — Fes 22 Meereskunde. nicht vollkommen sicher. Ein sicherer Besitz Frank- reichs ist diese Zone noch lange nicht. Im mittleren Teil Marokkos, im sogen, Bled el Machsen, erstreckte sich der französische Einfluß bis zum mittleren Atlas, Erst in jüngster Zeit haben fran- zösische Kolonnen die Hochflächen von Ulmes und Saian betreten. Was den Süden, namentlich die Provinz Sus, be- trifft, so hat Frankreich hier überhaupt noch keine Er- folge erzielt. Allerlei Kriegszüge sind unternommen worden, so wurde Kasbah Anflus, etwa 40 km von Moga- dor, am 25, Januar 1913 erobert, Agadir ist dem Handel aber immer noch nicht eröffnet und nach wie vor nimmt der Prätendent El Hiba eine bedeutende Stellung ein.^) Neuerdings, am 16, Juni 1914, ist Khenifra am mittleren Atlas von französischen Truppen besetzt worden, doch haben sie auch hier wieder eine schwere Niederlage erlitten. Sowie die fliegenden Kolonnen vorübergezogen sind, haben auch die Berber wieder Mut gefaßt. Nach einem treffenden Bilde von ihnen pflügen die Mahallas nur das Meer, d, h, sind die Truppen vorüber, ist auch ihre Spur verweht. Noch schwieriger hat sich die spanische Besitz- ergreifung gestaltet, trotzdem Spanien große TrupDen- massen nach Marokko geworfen hat. Um Melilla dehnt sich die spanische Interessenzone kaum 25 km tief. Seit 1911 ist Larasch besetzt, und am 19, Februar 1913 Te- ^) Ich kann hier wohl anmerken, daß ich der erste gewesen bin, der die deutsche Politik gerade auf den Süden Marokkos, die Provinz Sus und den Hafen von Agadir hingewiesen hat. Ich bin stets auch ein Freund der Verständigung mit Spanien gewesen. Auch die Zweiteilung des Landes habe ich vorausgesagt, als davon in der deutschen Presse noch nirgends die Rede war. Vgl. meine Broschüre Marokko aus dem Jahre 1902; s. auch meinen Aufsatz in der Deutschen Kolonialzeitung 1903: Deutschlands Interessen in Marokko. Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 23 tuan. Doch ist es ihnen bisher nicht gelungen, sich mit dem Scherifen Er, Raissuli, der zweifellos eine be- deutende Persönlichkeit ist, auf Friedensfuß zu stellen. Die Opfer, die Spanien gebracht hat, stehen in keinem Verhältnis zu dem bisher erzielten Gewinn, Nach einer neueren Berechnung umfaßt die spanische Interessen- zone in Nordmarokko 21 350 qkm, dazu kommen noch Ifni mit 2000, Südmarokko mit 124 370 und Rio de Oro mit 189 540 qkm. Die französische Zone bildet den wertvollsten Teil Marokkos mit 417 000 qkm. Das Gebiet von Tanger, das internationalisiert worden ist, um Englands Stellung in Gibraltar willen, nimmt 580 qkm ein,^) Somit ist hier ein Staatengebilde geschaffen, das sich recht sonderbar ausnimmt. Nominell herrscht der Sultan, dem am 3, April 1912 ein Protektoratsvertrag abgenötigt worden ist. Wenn die marokkanische Angelegenheit diese Ent- wicklung genommen hat, so ist hieran die ausgezeichnete Weltlage dieses Zweimeerestaates schuld. Das Mag'rib al aksa, der äußerste Westen, zwischen dem kleinen Meer (das Mittelmeer) und dem ,,Meer ohne Ufer" gelegen, übertrifft alle Länder Nordafrikas bei weitem. Ich stehe nicht an zu behaupten, daß es der- einst nicht nur Algerien und Tunesien weit in den Schatten stellen wird, es wird auch Spanien nebst Portu- gal überflügeln und eine der ersten Rollen im Mittel- mecrhandel spielen. Die Marokkaner ahnen wohl diese glanzvolle Zukunft. Stolz verkünden sie von ihrem Laiad: Die Erde ist ein Pfau, ihr Schweif ist Marokko. In der Tat, das Land der Sonne ist ein zweites gelobtes Land. Hat nicht die Sage die Gärten der Hesperiden hierher verlegt? Nicht dem Mittelmeer, sondern dem ^) Petermanns Mitteilungen: Der Abschluß des Marokko- handels. Januarheft, 1913. 24 Meereskunde. Atlantischen Ozean wendet es sein Antlitz zu. Während die Mittelmeerküste steil ins Meer stürzt, unauf- geschlossen, schwer zugänglich und verhältnismäßig schmal, sind hier an der langgestreckten Küste von Cap Spartel auf 900 km Länge vielerlei Reeden und Anker- plätze, die die Kunst des modernen Technikers zu brauch- baren Hafenplätzen umgestalten wird. Hier münden die großen Ströme, ein Lukkos, ein Ssebu, ein Bu Regreg, ein Um er Rebia, Wad Tensift, Wad Nun, Hier wachsen mit großer Schnelligkeit die Handelsemporien der Zukunft heran, ein Larasch, Mehedija, Rabat, Casablanca, Masa- gan, Saffi und Mogador.^) Manche sind noch dem Handel verschlossen, wie Agadir und Fedala. Erst jüngst ist Asemur und Arsila geöffnet. ^) Schon zur Portugiesenzeit haben deutsche Kaufleute mit Marokko Handel getrieben. So war Lukas Rem, der Geschäfts- führer der Welser in Lissabon, wie er selbst in seinem Tagebuche erzählt (erschienen Augsburg 1861), im Jahre 1506 in Marokko, um Saffran, ein damals sehr kostbares Gewürz, zu erhandeln. Auch Getreide bezogen die Fugger und Welser aus Marokko. Aus jenen Tagen mag auch eine Benennung eines Hügels stammen, der südlich von Magador liegt, und den nach einem Bericht des Konsuls R. L, N. Johnston die Berber Takit n' Aleman, Hügel der Deutschen nennen. Die Beschreibung des englischen Konsuls lautet: ,,In Ida und Isarn, am Ostufer des Smimoflusses, einige hundert Yards von der Straße nach dem Sus, 24 Meilen im Süden Mogadors, erhebt sich ein Hügel, der ungefähr 300 Fuß hoch ist und 920 Fuß über dem Meeresspiegel liegt; dieser Hügel wird allgemein der Hügel der Deutschen genannt. Er kann von Südwest zu Fuß bestiegen werden. Von den anderen Seiten ist er sehr steil. Die Spitze ist teilweise von einem natürlichen Felswall umgeben, sie wird überragt von Resten roh behauenen Mauer- werks." Die Schilderung verdanke ich der Vermittlung des Herrn V. Maur in Mogador. Daß deutsche Truppen in portugiesischen Diensten gestanden haben, ist ja bekannt. Auch in der Schlacht bei Ksar el Kebir kämpften 3000 Deutsche unter einem Grafen Thalberg. Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 25 Die Entwicklung des Landes halten nicht natürliche Verhältnisse, sondern hauptsächlich künstliche Hemm- nisse zurück. Die Ausfuhr vieler Erzeugnisse ist ver- boten, z. B. die von Pferden, Maultieren, Eseln, Ziegen, Schafen; die Ausfuhr von Rindvieh ist nur in beschränk- ter Weise zulässig. Nur über die algerische Grenze wurde aus politischen Gründen von Frankreich entgegen allen internationalen Verträgen die Ausfuhr von Vieh gegen Erlegung einer kleinen statistischen Gebühr ge- stattet. Es ist darum Frankreich ein leichtes gewesen, den Landhandel über die algerische Grenze als un- gemein entwicklungsfähig zu bezeichnen. Nur ganz all- mählich ist dem Sultan die Erlaubnis zur Ausfuhr ande- rer Landeserzeugnisse abgerungen worden,^) So wurde die Ausfuhr von Knochen gestattet (1882), die von Koloquin- ten, Kapern, grünen Erbsen (1901), die von Zwiebeln (1902), Es entbehrt nicht eines humoristischen Bei- geschmacks, daß 1910 die Ausfuhr von Schnecken gegen Ausfuhrzoll und im gleichen Jahre die von Schweinen gegen 10 spanische Peseten aus allen marokkanischen Städten gestattet wurde. Der Gesamthandel Marokkos ist übrigens trotz aller Eroberungszüge im raschen Wachsen, Er betrug 1911 in den 8 offenen Häfen, also ohne Ceuta, Melilla, 146 111 961 Fr, Im Jahre 1912 ist er auf 200 363 620 Fr, gestiegen, die Zunahme beträgt also rund 54 Mill, Fr, Da von dem Gesamthandel der größte Teil auf die Einfuhr entfällt, nämlich 134 Mill Fr. in 1912 gegen 77,9 im Vorjahre, so ist anzunehmen, daß die Steigerung in erster Linie wohl durch Heeresbedürfnisse erzielt wor- den ist. Die Ausfuhr hat sich etwas vermindert, sie ^) Die Handelsverträge Marokkos, mit einem statistischen Anhang über den Außenhandel Marokkos. Herausgegeben von Dr. P. Mohr. 1905. 26 Meereskunde. betrug 1911 68,1 Mill. Fr. und fiel in 1912 auf 66 Mill. Über den deutsch-marokkanischen fiandel unterrichtet nachstehende Tabelle: Ausfuhr nach Marokko, 2 030 040 M. 2 997 050 5 029 730 7 448 390 8 911 740 13 50U 000 15 600 000 Hamburg. Einfuhr aus Marokko. 1907 . . , 11 731 630 M, 1908 . . , 10 840 230 1909 . , . 7 978 580 1910 . , . 9 270 390 1911 . . , 13969 110 1912 . . . 15 100 000 1913 . . . 10 080 000 Somit betrug der Gesamthandel im Jahre 1912 schon 28,6 Mill, M, Marokko entwickelt sich also, wie ich schon des öfteren nachgewiesen habe, zu einem hervor- ragenden Bezugsplatz an Rohstoffen für uns. Der Bre- menser Handel müßte hier noch hinzugerechnet werden, doch ist er nicht sehr bedeutend. Immerhin wertete er in 1912 1,79 Mill, M, Die Meerenge von Gibraltar und Eng- lands Stellung im Mittelmeer, Von Gibral- tar oder Algesiras nach Tanger ist eine kurze Fahrt. Die kleinen Postdampfer, die heute den Verkehr ver- mitteln, brauchen gewöhnlich 2^/o Stunden, An klaren Tagen sieht man von Europa die dunklen Konturen der steilen Rifküste bei Ceuta und die weißen Häuser Tangers neben der wachsenden Düne im Westen der Stadt. Und ebenso malerisch ist das Bild Südeuropas, das in klaren Sommertagen bis ins einzelne erkennbar sich vor den Höhen Tangers ausbreitet. Trotzig und wuchtig in seiner massigen Größe schaut der Fels von Gibraltar herüber, Ist doch die schmälste Stelle dieser viel befahrenen Meeresstraße nur 13 km zwischen Ta- rifa und der äußersten Spitze Marokkos, während von der Punta de Europa bis Ceuta nur 21 km sind. Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 27 Und dennoch, trotz dieser Nähe, welch eine Grenz- scheide bildet dieser wenige Kilometer breite Meercs- arm, welche Welten scheidet er! Hier treffen Morgen- land und Abendland zusammen, zwei Kulturen berühren sich und stoßen sich ab. Seit uralter Zeit zogen hier Völkerscharen herüber und hinüber. Nach dem arabischen Feldherrn Tarik soll der Fels genannt sein. Ihm ist auch die Gründung der Stadt zu verdanken, die 725 erbaut ward. Sechs Jahrhunderte blieb sie im maurischen Besitz. Von Ferdinand IL von Castilien erobert (1302), ging sie bald danach (1333) wieder an die Mauren verloren. Erst Heinrich IV. von Castilien gelang es (1462), Gibraltar wieder in seine Gewalt zu bringen. Kaiser Karl V. ließ sie von dem Festungsbaumeister Speckel aus Straß- burg kunstvoll befestigen. Danach wurde sie 1704 von den Engländern im spanischen Erbfolgekrieg erobert und ihnen im Utrechter Frieden endgültig zugesprochen. Die natürlichen Vorteile, die Gibraltar der eng- lischen Weltstellung als Stützpunkt im Mittelmeer bietet, sind im Laufe des letzten Jahrhunderts etwas gemindert worden. Gibraltar ist nicht mehr die unbezwingliche Feste, als die sie früher galt. Von den umliegenden Höhen der Sierra Carbonera ist der Hafen und die Stadt mit neuen Geschützen zu erreichen. Würde England mit einer Macht wie Frankreich in Krieg geraten, müßte es zu seiner eigenen Sicherheit die Bucht von Algesiras und die umliegenden Höhen mit zu besetzen haben. Toulon, Oran, Biserta sind die Stützpunkte Frankreichs, die hier Englands Weltstellung stark bedrohen. Frankreich wird auch sicher nicht warten, bis etwa Tanger oder Ceuta von England in Besitz genommen ist, sondern schon früher einen neuen Kriegshafen näher an der Straße von 28 * Meereskunde. Gibraltar begründen. Zu diesem Zweck hat es sein Augenmerk auf Raschgun geworfen. Nachdem Malta der eigentliche Stützpunkt im Mittelmeer geworden ist, ist Gibraltar auch als Flotten- stützpunkt zurückgegangen. Die Garnison beträgt nur 4000 Mann, Seit dem Jahre 1905 sind große Neubauten von Kasernen und Docks durchgeführt worden. Gewaltig sind die Kohlenlager, die hier zur Verwendung für Kriegszwecke aufgespeichert sind, England hat sich nicht immer auf Gibraltar be- schränkt, 1811 nahm es Ceuta und gab es erst 1814 auf dringende Vorstellungen Spaniens heraus, 1708 aber hatte es Minorca besetzt und erst 1788 wieder heraus- gegeben. Solange aber England im Mittelmeer herrscht, wird es stets die Gelegenheit suchen, seine Vorherrschaft zur See durch gut gelegene Stützpunkte zu sichern. Nach Ansicht der Bewohner des „Rock" hat es Tanger niemals aufgegeben, sondern nur zur zeitweiligen Be- wohnung einer vornehmen maurischen Familie anver- traut, deren Nachkommen noch an der Bucht von Tanger wohnen. Spaniens Stellung im Mittelmeer, Die Pyrenäenhalbinsel! Ist es nicht charakteristisch, daß der Geograph das iberische Hochland gerade nach diesem Gebirge nennt? Wenige Gebirge haben so etwas Völkertrennendes wie gerade dieser ungangbare Gebirgswall. Darum erscheint uns Spanien so fern, so entrückt, wie eine andere Welt, wie ein Stück Erde, das nicht mehr zu Europa gehört. Das Charakteristikum Spaniens ist seine Abge- sondertheit. Es ist ein Land schroffster Gegensätze, dieses Land der Kastanien, Kastagnetten, der Stier- kämpfe und des Guerillakrieges, dieser einst spanischen Eigenart. Das „schöne" Spanien ist ein Mythus, we- Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 29 nigstens große Teile Spaniens werden den schönheit- suchenden Reisenden schwer enttäuschen. Dieses rauhe Hochland mit seinen Geröllsteppen und seinen hohen Randgebirgen hat etwas Nordisch-Hartes an sich. Zahlreiche Gebirge schließen die einzelnen Land- schaften von einander ab. Ein Aragonien am Mittel- meer konnte lockende Ziele am Meere finden, für die sich ein Kastilien nicht erwärmen konnte. Im Ver- gleich zu Italien erscheint Spanien begünstigt; es blickt nicht nur nach dem Mittelmeer, es hat auch eine, wenn auch schmale, Aussicht auf den Atlantischen Ozean, Abgesehen von dem kleinen Portugal, hat es nur einen Grenznachbarn, Frankreich, Aber wie ist Spa- niens Geschichte durch sein Verhältnis zu Portugal be- dingt! Es ist die Achillesferse Spaniens, Vor Spanien sucht sich Portugal zu retten durch Anschluß an fremde Mächte, sie ziehen den Feind auf die iberische Halb- insel, bald England, bald Frankreich, Sinkt Spaniens Stern, wird das Bedürfnis Portugals, sich an fremde Mächte anzuschließen, naturgemäß stärker, Spanien als Mittelmeermacht hat im Verlauf seiner Geschichte sich erstaunlicherweise wenig um das Mittel- meer gekümmert,^) Wohl ist zu berücksichtigen, daß Spanien als Einheitsstaat sich langsam entwickelt hat. Keine europäische Macht hat mit soviel Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Wie alle Staaten mit starken inne- ren Kämpfen hat es zu einer großzügigen äußeren Poli- tik keine Kraft mehr gehabt. Zweimal haben weit- sichtige Führer des spanischen Staatsschiffes zielbewußt auf das Mittelmeer lenken wollen, das war unter Ferdi- nand von Aragon, als die Grundlage für den spanischen ^) Angel Ganivet: Idearium espanol. Marvaud: L'Espagne au XX. siecle, etude politique et economique. Colin 1914. 30 Meereskunde. Einheitsstaat durch seine Vermählung mit der Königin Isabella von Castilien gelegt war, und zur Zeit der französischen Revolution, als Graf Arranda eine selb- ständige europäische Politik zu führen gedachte- Das Ziel war der Erwerb Portugals, Auch wurde ein Krieg gegen Marokko geführt (1790 bis 1791), der aber den Verkauf von Oran zur Folge hatte. Nach dem Fall des letzten maurischen Königreichs (1482) hätte Spanien bei zielbewußter Politik seinen Einfluß auf die afrikanischen Gestade zur Geltung brin- gen können; es beschränkte sich auf die Besitzergreifung unwichtiger Plätze, Während die Portugiesen schon am 15. August 1415 Ceuta, das alte Septem fratres, von den Arabern heute Septa genannt, den Mauren abgenom- men hatten, ergriffen die Spanier erst am 17. August 1496 von Melilla Besitz, am 23, Juli 1508 hatten sie den Peiion de Velez de Gomera und 1509 Oran an sich ge- bracht. Ceuta fiel ihnen 1580 nach der Vereinigung mit Portugal zu. Am 27, August 1673 landeten sie in Alhuce- mas und am 6, Januar 1848 erst hißten sie ihre Flagge auf den Saffarinasinseln, während sie die kleine Insel Peregil 1887, als sie schon von den Engländern be- gehrt wurde, an sich brachten. Somit hat Spanien nur vier kleine strategische Punkte 400 Jahre lang im Rif besessen, sie haben ihm nicht als Einfallstore gedient. Eingekapselt in ihre hohen Steinmauern und Festungs- wälle blieben sie steinerne Gefängnisse im wahrsten Sinne des Wortes, Aber wenn auch Spanien keine Eroberung getrie- ben oder Einfluß im Rif gewonnen hat, so haben diese „Presidios" doch ihren Zweck erfüllt und die spanische Küste vor den Seeräubereien der Berber geschützt. Man kann ihm keinen Vorwurf daraus machen, daß es sich nicht in einen Eroberer verwandelt hat. Immerhin hat Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 31 Spanien in den Küstenstädten Marokkos, auch an der Westküste, seine Sprache und sein Geld eingeführt. Der Rif ist seine natürliche Einflußzone.') Die Mündung der Muluya liegt dem Cap Gata gegenüber, die Saffarinas be- finden sich gegenüber Almeria, der Penon de Velez sieht nach Malaga, Vielleicht wird einmal die Zeit kommen, in der auch vom Rif aus die natürlichen Tore zum Innern Marokkos geöffnet werden, in der vom alten Bades aus die direkte Straße nach Fes und Marrakesch sich dem europäischen Verkehr eröffnet, Spanien hat mehrere Kriege in diesen 4 Jahrhunder- ten mit Marokko geführt, um in Afrika Fuß zu fassen, so, wie erwähnt, 1790, Der bedeutendste Krieg fand 1859 bis 1860 statt und führte zur Er- oberung von Tetuan. Schon bei Beginn des Krieges mußte es von England durch Lord Rüssel die Drohung hören, daß, ,,wenn Spanien auch nur unter dem Titel eines Provisoriums wie beispielsweise zur vollständigen Bezahlung der Kriegskosten Tanger besetzte, würde die englische Regierung mit Rücksicht auf die Sicher- heit Gibraltars sich verpflichtet halten, geeignete Maß- nahmen zu treffen". Den Wert Tangers haben die Engländer erst jetzt schätzen gelernt, am liebsten würden sie sich Tanger und Ceuta einverleiben, weil Ceuta sich noch besser als Tanger zu einem militärischen Stützpunkt eignet, Ceuta liegt auf einer etwa 6 km langen Halbinsel, die keulenförmig ins Meer ragt- Als Hafenplatz ist die Stadt unbedeutend, der Ankergrund ist schlecht. Nur 21 km trennen die Stadt von Gibraltar, Unter der etwa 25 000 Köpfe zählenden Bevölkerung sind 2500 Soldaten, ^) Der Rif von Saturnino Ximenez in Deutsche Monatsschrift für Kolonialpolitik und Kolonisation, 1905. Herausgegeben von Dr. P. Mohr. 32 Meereskunde. Auf Ceuta stützte sich der Kriegsplan Spaniens im Jahre 1859, der zu einer kleinen Vermehrung der spani- schen Interessensphäre führte, Marokko zahlte eine Kriegsentschädigung von 100 Mill. Fr. und mußte darin willigen, daß Spanien den einst von Fischern besuchten Anlegeplatz Santa Cruz de Mar Pequena erhielt. Diesen Ort glaubte Spanien in dem marokkanischen Hafen Ifni, der 30 km vom Wad Nun liegt, zu ent- decken. Die Gibraltarfrage stellt sich Spanien dar mehr als eine Frage des Ansehens der Nation. Gannivet sagt mit Recht: Gibraltar ist eine Kraft für England, solange Spanien schwach bleibt, aber wenn Spanien stark wäre, würde Gibraltar nicht mehr viel mehr sein als ein sehr schwacher Stützpunkt, er würde seine Existenzberech- tigung verlieren. Viel wichtiger erscheint Spanien das Problem der iberischen Union, Die iberische Einheit soll nach Art des österreichisch-ungarischen Staates ent- stehen. Hier setzt besonders geschickt die französische Politik ein. Man möchte eine zweite Republik auf der iberischen Halbinsel entstehen sehen. Der L'Europeen schrieb in einer Nummer vom 14. März 1903: ,,Mit einer französisch-iberischen Union, dem Anfang der Vereinig- ten Staaten Europas, einer Union, die die Republikaner Spaniens und Portugals lebhaft und ohne Falsch wün- schen, gibt es keine marokkanische Frage zwischen uns. Spanier und Portugiesen werden in Marokko wie zu Hause sein, und sie werden noch in größerer Zahl dahin gehen als nach Algerien, wegen der größeren Nähe Ma- rokkos und seiner fast gleichen Bewohnbarkeit," In der Tat wird die französische Fassade in Marokko in Wirklichkeit ein spanisches Haus verbergen, wenn Spaniens Bewohner nicht künstlich von der Einwande- rung abgehalten würden- Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 33 Italiens Mittelmeerstellung beruht be- sonders auf zwei Faktoren, Der langgestreckte schmale Stiefel ragt in die Mitte des Mittelmeers hinein und gleichzeitig bildet er die Brücke von Zentraleuropa nach Nordafrika, Es schließt das westliche Mittelmeerbecken ab, während seine östliche Flanke nach dem Balkan weist, Italien, auf drei Seiten vom Mittelmeer um- schlossen, ist mit seiner überaus reichen Küstenentwick- lung von 6876 km, seinen meernahen Städten auf das Meer angewiesen. Nicht ohne Grund ist hier ein welt- historischer Mittelpunkt entstanden, leicht aufgeschlos- sen, von Ost und West ziemlich gleich erreichbar, bildete sich hier ein Kulturzentrum von überragender Bedeutung, Mit dem Meer verwachsen — vermählt — , mußte Italien Seemacht werden. Nur 143 km trennen an der Straße von Pantellaria die Südspitze Siziliens von dem gegenüberliegenden tu- nesischen Kap Bon, Auf 73 km nähert sich die Halbinsel der osteuropäischen im Golf von Otranto, So wirkt die Gunst der Lage wirtschaftlich und politisch, militärisch und verkehrspolitisch richtunggebend.^) Würde die geographische Lage allein Ansprüche be- gründen, müßte Italien als die erste Macht im Mittelmeer gelten. Alle Fenster seines Hauses gehen auf das Mittel- meer, Große und nahegelegene Inseln wie Sardinien, Sizilien, Elba sind ebenso viele bedeutsame Stützpunkte seiner Macht. Der Süden erscheint von der Natur bestimmt, eine Brücke zu bilden zu den afrikanischen Gestaden mit seinen weiten Hinterländern, Wie scharf haben die alten Römer den Vorteil der Weltlage Car- thagos gespürt! Die neuen Römer haben sich von ihrer ^) Elemente zur Entstehungsgeschichte des Imperialismus in Italien. Zeitschrift für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Bd. 34, 1912. Heft 1 u. 2. 34 Meereskunde. natürlichen Einflußbasis abdrängen lassen, Tunis ist französisch geworden wie vor 100 Jahren Korsika. Tou- lon, Biserta und Ajaccio bedrohen Italiens Weltstellung, Als der französische Minister Pelletan 1903 in Korsika weilte, da nannte er es die Pistole, die auf das Herz Italiens gerichtet wäre, Italien hat dadurch den Blick nach Westen verloren, obwohl gerade hier seine be- deutendsten Häfen liegen. Dazu kommt, daß das Mittel- meer ein verschlossenes Meer ist, es wird von England unter Verschluß gehalten. Mit England muß sich daher Italien gut stellen, will es seine politischen Ziele, die über das Mittelmeer kaum hinausreichen, verfolgen. Die italienische Politik hat sich daher dem Osten zugewandt, obwohl sich hier die Ungunst seiner Küste ihm hinder- lich in den Weg stellt. Viel besser als auf Deutschland paßt der ,, Drang nach dem Osten" auf Italien, Wie hypnotisiert starrt Italien auf die Adria, Hier an der schmalen Straße von Otranto erscheint ihm Al- banien mit der geräumigen Bucht von Valona als ein wertvolles Objekt seiner auswärtigen Politik, Die Herr- schaft über die Adria möchte es mit niemand teilen. Es glaubt durch eine Eisenbahn von San Giovanni di Medua mit dem Schwarzen Meer und der Donau in Verbindung treten zu können. Mit wenig Behagen sieht es Griechen- land groß und größer werden. Die italienische Politik hat erst seit Mitte der 90er Jahre angefangen, sich leb- hafter für den nahen Orient zu interessieren,^) ,,Seit Adua ist die Orientfrage für Italien die na- tionale Frage vor allen anderen", schreibt Amadori Vir- gilj. Wenn man unter dieser Orientfrage die Frage , »Tu- nesien" mit einschließt, muß man dem Autor beipflich- ten. Tunesien erscheint als die natürliche Fortsetzung '] La questione rumeliota e la politica italiana, 1909. Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 35 Siziliens, Immer wieder hat die geographische Lage beide, Sizilien und das Gegengestade, miteinander ver- bunden. Nicht Bismarck, sondern England führte Frank- reich nach Tunesien, um dadurch Italiens Macht zu mindern. Am 12, Mai 1881 schloß Frankreich den be- kannten Bardovertrag mit dem Bei von Tunis, der Italien seiner natürlichen Einflußzone beraubte. Nach dem Wortlaut dieses Vertrages verpflichtete sich Frank- reich, ä preter un constant appui ä Son Altesse le Bey, coiitre tout danger qui menacerait sa personne ou sa dynastie. Damals gab es 500 bis 600 Franzosen in Tune- sien, Nach der neuesten Zählung vom 16, Dezember 1906 sind unter 128 895 Europäern: Franzosen .... 34 610 = 26*^/0 1 Spanier 600 = 0,47'Vo Italiener 81 156 62 ,, Griechen 683 = 0,53 „ Malteser 10 330= 8„ | Andere Europäer 1516 = 1,18,, Da haben wir das italienische Problem des west- lichen Mittelmeers, Die Besetzung von Tunesien trieb Italien in die Arme des Dreibundes, Tunis und sein neuer gewaltiger Kriegshafen Biserta ist eine ewige Be- drohung Italiens,^) Die wachsende italienische Bevölkerung Tunesiens macht Frankreich große Sorgen, besonders seitdem einige italienische Heißsporne ganz offen für die Erlösung ihrer unter der Fremdherrschaft schmachtenden Brüder reden. In einem Werk, betitelt ,,Tunisi e Tripoli", erschienen im Jahre 1911, schreibt Castelini: Im gegenwärtigen Augen- blick hat Italien vier verhängnisvolle Unbekannte vor sich: Trient, Triest, Tripolis und Tunis, die vier myste- riösen Ts der Zukunft, Tunis selbst ist heute eine mehr italienische als ^) Gaston Loth: Le peuplement italien en Tunisie et en Algerie. Paris 1905. Armand Colin, 36 Meereskunde. französische Stadt- Wenige aber werden wissen, daß Tunis heute die volkreichste Stadt von französisch Nordafrika ist. Nach der neuesten Zählung^) betrug die Bevölkerung insgesamt 170 379 Seelen, darunter nur 17 875 Franzosen, 75 000 Muselmanen, 26 500 Juden, 5986 Anglo-Malteser, 45 237 Italiener und 1381 andere Europäer, Auch auf dem Lande haben die Italiener die Übermacht, es sollen an 23 000 Besitzer sein. Leider geht die muselmanische Bevölkerung stark zurück. Die Sterblichkeit überwiegt die Geburtenziffer bedeutend, 38,56 gegen 32,50. In Algerien wurden 1901 38 791 Italiener gezählt, die meistenteils in der Provinz Constantine ansässig sind. In Oran haben sich zahlreiche Spanier angesiedelt. In der genannten Zählung wurden 155 265 Spanier ge- zählt. Trotzdem Frankreich eine automatisch wirkende Naturalisation eingeführt, ist die Zahl der Fremden doch übermäßig groß. Es sind nur 44 % Franzosen vorhanden. Besonders neuerdings wird viel darüber Klage ge- führt, daß so viel französische Kolonisten es vorziehen, das Land zu verlassen und sich in den Städten anzu- siedeln. Die Landflucht hat schon bedeutenden Umfang angenommen. Seit dem Oktober 1911 hat Italien Tripolitanien er- obert und seit dem Frieden von Ouchy im Besitz, Außerdem hat es im Dodekannes eine Zahl größerer Inseln besetzt. Durch den Besitz von Tripolitanien hat Italien eine nahegelegene Kolonie erhalten, die seine Stellung im Mittelmeer festigt und seiner sizilischen Be- völkerung ein gewaltiges Feld der Betätigung eröffnet. ^) Quinzaine coloniale, 25. Juli 1913. Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 37 Die Häfen Tripolitaniens bedürfen teilweise nur gering- fügiger Aufwendungen, um modernen Schiffen das An- legen an Kais zu gestatten. Man kann Italiens Stellung im Mittelmeer nicht be- trachten, ohne seiner Mitgliedschaft im Dreibund zu ge- denken. Ein boshafter Engländer hat jüngst den Drei- bund als eine Vereinigung zwischen Todfeinden charak- terisiert. Die Absicht ist ja sehr klar; man wünscht, daß man in Italien nur einen Gegensatz gegen Österreich empfindet. Die Zeiten seien vorüber, in denen Italien in Frankreich noch einen Gegner erblicken konnte, , »Haben sich die Bedingungen, unter denen das Bündnis (der Dreibund) entstanden war, nicht von Grund aus ge- ändert? Seinerzeit erblickte Italien in Frankreich einen Feind, Alle Anstrengungen seiner Rüstungen waren auf die französisch-italienische Grenze gerichtet. Aber während es im Nordwesten in dieser Richtung arbeitete, hat es im Osten nichts unternommen," Diese Ausführun- gen eines französischen Diplomaten zum Fürsten Tru- betzkoi^) sind ja ganz geschickt, Sie treffen nur nicht die Sachlage, Frankreich ist heute ein viel gefähr- licherer Gegner Italiens als Österreich, Noch jüngst hat Frankreich als Antwort auf die Besetzung Tri- politaniens Tibesti und Borku besetzt, nachdem es die Oasen Djanet und Bilma erobert hatte. Und sofort erschien auch von französischer Seite der Vorschlag, eine Eisenbahn von Tunis über Tibesti nach Capetown zu bauen, um Tripolis den Zugang zu Innerafrika gänz- lich abzuschneiden. Durch die französische Besitzaus- breitung war das natürliche Hinterland Libyens ab- geschnitten worden. ^) Rußland als Großmacht, Von Fürst G, Trubetzkoi. S. 121. Deutsche Verlagsanstalt. 1913, 38 Meereskunde. Die strategische Stellung durch Anlehnung an die Zentralmächte ist gerade für Italien am günstigsten. Es wird nur solange von England und besonders Frank- reich umschwärmt, solange es zum Dreibund gehört. In den Vierverband aufgenommen, könnte es Ansprüche stellen, die den anderen beiden Mittelmeermächten un- bequem wären. Die Zugehörigkeit zum Dreibund be- deutet aber, wie auch der bereits erwähnte französische Diplomat ausgeführt, kaum etwas mehr als das Ver- sprechen der Neutralität, Die Vorteile seiner günstigen politischen Stellung hat Italien bisher auch im höchsten Maße ausgenützt. Bei der Auflösung der Kammer im Oktober 1913 konnte der Ministerpräsident mit Recht sagen: Die internationalen Beziehungen Italiens sind gegenwärtig glänzend. Wenn Italien trotzdem noch nicht Herr seiner Ge- schicke geworden ist, trotz seiner ausgedehnten Küste und seiner vorzüglichen Häfen, so liegt es daran, daß es, wie M a h a n richtig ausführt, noch nicht in den Besitz der ihm zugehörenden Inseln gelangt ist, ,,Da Malta in englischen und Korsika in französischen Händen sich befinden, so sind die Vorteile seiner geographischen Lage ohne Belang, Nach Rassenverwandtschaft und Lage bilden diese beiden Inseln ebenso sehr den Gegen- stand gerechtfertigter Wünsche Italiens wie Gibraltar seitens Spaniens," Daß auf selten Englands gegen Italien etwas Miß- trauen herrscht, wird einmal durch die italienische Flottenpolitik genährt, zum andern durch die Besetzung des Dodekannes, Durch die Eroberung Tripolitaniens ist Italien in doppelter Weise der Nachbar Englands ge- worden, was England, das über eine schwache Be- setzung in Ägypten verfügt, unruhig macht. Die von der Türkei besetzten Inseln will Italien nicht aufgeben, sie Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. 39 sind kostbare Unterpfänder für seine zukünftige Le- vantepolitik. Der Marquis di San Giuliano äußerte sich am 16, Dezember 1913: „Einige Redner spielen auf das Mißtrauen an, das bezüglich der Frage des Gleich- gewichts im Mittelmeer gegen uns im Ausland herrschen soll. Wenn dieses Mißtrauen besteht, so ist es gänzlich unbegründet. Was die von uns besetzten ägäischen In- seln anbelangt, so bleiben wir fest auf dem Boden des Vertrages von Lausanne, Die Regierung hält daher die Erklärungen vom 4, Dezember 1912 und vom 22. Fe- bruar 1913 aufrecht. Italien beharrt bei dem Grundsatz, daß keine Großmacht aus der gegenwärtigen Orientkrise territoriale Vorteile ziehen soll," Eine Störung des Gleichgewichts würde schon das Erscheinen Rußlands im Mittelmeer zur Folge haben. Auch eine Beseitigung des französischen Protektorats durch Angliederung Tu- nesiens an Frankreich oder Ägyptens an England müßte Italien am meisten berühren. Bei einem Anschluß Ita- liens an England und Frankreich würde es mit einer Großmachtpolitik Italiens endgültig vorbei sein. Wie Spanien hat Italien das größte Interesse daran, daß es ein völkerrechtlich anerkannter Grundsatz ist, daß das Mittelmeer allen Völkern der Erde freisteht, und dies ist erst dann der Fall, wenn von Gibraltar die spanische Flagge weht und am Sueskanal die Vorherrschaft Eng- lands gebrochen ist. Das Mittelmeer hat heute seine Rolle noch nicht ausgespielt. Im Gegenteil, seine Bedeutung ist gewach- sen, weil es eine Hochstraße des Weltverkehrs geworden ist. Es ist ein Meer der Rivalitäten, ein Brennpunkt wirt- schaftlicher Kraftentfaltung. Daher werden auch die Probleme immer komplizierter. In der Welt läßt sich 40 Meereskunde. aber nichts erreichen durch bloßes Zuschauen. Handeln und im richtigen Moment handeln ist die Losung, Für eine Weltmacht wie Deutschland handelt es sich darum; Wollen wir Hammer oder Amboß sein? Unsere Interessen im nahen Orient sind in raschem Wachsen, Sie bedürfen eines festen Stützpunktes und der Erhaltung der alten und neuen Freundschaften, Gedruckt in der Königlichen Hofbuchdruckerei von E, S. Mittler & Sohn, Berlin SW68, Kochstraße 68—71. "^ MEERESKUNDE ^ SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE Die Fahrten eines deutschen Seemanns um die Mitte des 19. Jahr- hunderts. Aufzeichnungen des Segelschiff-Kapitäns G. W. Kroß. Die Schiffahrt auf den Karolinen und Marshallinseln. Von Dr. P. Hambruch. Die Namen der Schiffe im Spiegel von Volks- und Zeitcharakter. Von Dr. W. Vogel. Ein Ausflug nach Sansego in der Adria. Von Dr. L. Glaesner. Deutschlands Lage zum Meere im Wandel der Zeiten. Von Dr. W. Vogel. Handelswege im Ostseegebiet in alter u. neuer Zeit. Von Chr. Reuter. Ostseehandel und Landwirtschaft im 16. und 17. Jahrhundert. Von Chr. Reuter. Die Nautik im Altertum- Von Dr. Aug. Koste r. Kriegsmarine. Kiel und Wilhelmshaven- Von Kontreadmiral Ed. Holzhauer. Kohlenversorgung und Flottenstützpunkte- Von Kontreadmiral Ed. Holzhauer. Vierzig Jahre Schwarz-Weiß-Rot. Von Geh. Admiralitätsrat P. Koch. Große und Kleine Kreuzer- Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. Die Torpedowaffe- Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. Kriegsschifisbesatzungen in Vergangenheit und Gegenwart. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. Unterseebootsunfälle unter besonderer Berücksichtigung des Unfalles auf ,,U3". Von Fregattenkapitän Mich eisen. Die Zusammensetzung und Taktik der Schlachtflotten. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. Die Deutsche Eisenindustrie und die Kriegsmarine. Von P. Koch. Volks- und Seewirtschaft, Die Seehäfen von Marokko. Von Theobald Fischer. Marokko, Wirtschaftliche Möglichkeiten und Aussichten. Von Dr. Joachim Graf v. Pfeil. Die deutsche Hochsee-Segelfischerei. Von H. Lübbert. Der Hafen von New York. Von Professor Dr. Alb recht Penck. Lübeck, sein Hafen, seine Wasserstraßen. Von Dr. Franz Schulze- Lübeck. Eine Wanderung durch altniederländische Seestädte. Von Dr. W. Vogel. Die Freie Hansestadt Bremen, ihre Hafenanlagen und Verbindungen mit der See und dem Hinterlande, Von Baurat Prof. G. d. Thierry. Die Häfen der Adria. Von Dr. N. Krebs, Tsingtau. Von Professor Dr. Albrecht Penck. Auf den Färöern. Von Prof. D. Dr. Edward Lehmann. Der Suezkanal. Von Dr. P. Neubaur. Valparaiso und die Salpeterküste, Von Dr, Rud, Lütgens. Die festländischen Nordsee -Welthäfen, Von Dr. H. Michaelsen. Die deutsche Seekabelpolitik. Von Dr. R. Hennig. V '^ MEERESKUNDE ^ SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE Das Meer als Nahrungsquelle. Von Prof. Dr. H. Henking. Kriegsrüstung und Wirtschaftsleben. Von P. Koch. Die großbritannische Hochseefischerei. Von H. Lübbert. Triest und die Tauernbahn. Von Prof. Dr. F. Heiderich. Von Singapur bis Yokohama. Von L. Mecking. San Franzisko. Von A, Rühl. Wohlfahrtseinrichtungen in der Seefischerei. Von F. Duge. Durch die Magellanstraße. Von Gustav Goedel. Überland und Übersee im Wettbewerb. Von Dr. Richard Hennig. Nach Deutsch-Neuguinea. Von Dr. Walter Behrmann. Die Salpeterindustrie Chiles und ihre Weltwirtschaftliche Bedeutung von Dr. jur, Alfred Hartw^ig, Seeklima und Seebäder, Die Heilkräfte des Meeres. Von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Albert Eulenburg. Land- und Seeklima. Von Dr. A. Merz. Seewesen und Schiffahrt, Der Kompaß in seiner Bedeutung für die Seeschiffahrt wie für unser Wissen von der Erde. Von Dr. Fr. Bidlingmaier. Die Post auf dem Weltmeer, Von O. Klaus. Die Segelschiffahrt der Neuzeit, Von Prof. W. Laas. Schiffsordnungen und Schiffsbräuche einst und jetzt. Von Dr. Fr. Schulze. Der Dienst des Proviantmeisters- Von Dr. G. W. v. Zahn, Innerer Dienst an Bord, Von Dr. G.W, v. Zahn. Auf einem Segler um Kap Hörn. Von Dr. R. Lütgens. Nautische Vermessungen. Von Dr. E. Kohlschütter. Sicherheitsdienst an Bord. Von Dr. G.W. v. Zahn, Der Kreisel als Kompaßersatz auf eisernen Schiffen. Von Prof. Dr. H. Maurer. Der Fährverkehr zur See im europäischen Norden. Von Prof. Dr. G. Braun. Auf S. M. S. „Möve". Von Kapitänleutnant Schlenzka. Riesenschiffe, Von Dr. H. Michaelsen. Das Zeppelinschiff zur See, Von Dr. Frhr. v. Gemmingen. Technik des Seewesens, Die Entwicklung der Schiffsmaschine. Von Prof. P. Krainer. Auf einem deutschen Kabeldampfer bei einer Kabelreparatur in der Tiefsee. Von W. Stahlberg. Ferngespräche über See. Von Dr. A. Ebeling. Attsifihrliche Verzeichnisse mit Abbildungen stehen kostenlos zur Veriügung, Für die nächsten Hefte sind in Aussicht genommen: Die Farbe des Meerwassers. Von Dr. E. Öttinger. Landengen und Meerengen und der Verkehr. Von Prof. Dr. K. Hassert. D Jedes Heft 50 Pf. Ein Jahrgang von 12 Heften M 5, — | D Gedruckt in der Königlichen Hofbuchdruckerei von E. S. Mittler & Sohn, Berlin SW68, Kochstr. 68 — 71.