> / N p [ £ f ” ’ - Ars a 2 it Ber 2 RE | „Handbuch HANDBUCH DER MORPHOLOGIE DER WIRBELLOSEN TIERE BEARBEITET VON Dr. CARL BÖRNER, St. Julien bei Metz; Prof. E. BUGNION, Blonay s. Vevey; Dr. MARIE DAIBER, Zürich; Prof. W. GIESBRECHT, Neapel; Prof. VALENTIN HAECKER, Halle a.S., Prof. KARL HESCHELER, Zürich; Prof. ARNOLD LANG, Zürich; Prof. M. LÜHE, Königsberg; Prof. O. MAAS, München; Dr. S. TSCHULOK, Zürich und Dr. J. WILHELMI, Steglitz-Berlin HERAUSGEGEBEN VON ARNOLD LANG ZÜRICH ZWEITE BEZW. DRITTE AUFLAGE VON ARNOLD LANG’S LEHRBUCH DER VERGLEICHENDEN ANATOMIE DER WIRBELLOSEN TIERE ZWEITER BAND. ERSTE LIEFERUNG MIT 90 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1912 BON ar Bi ER Verlag von Gustar Fischer in Jena. R von Deren Dr. Arnold (Zürich) erachten a r i «« Erste öffentliche Re und Aa phylogenetischer Erkenntnis. „ehuiten am 27. Mai 1627-0. 305 Bire c Universität zu Jena, entsprechend den Be mmungen der E DEE Du erse en an für a ee 1837. Preis: 1 Mark 5( Bi, » Fe ; y | ris der Forschungswege von Lamarck un darwin. nn Some Fharakte icher Vortrag, gehalten am n 29. Juni 1889 in der Aula er er ke Re niversität zu Jena, ent eche Lo den Bestimmungen der Paul von Eu pben Sn 5. no : rd Mi PR he Zoologie. 1889 Preis: 60 x En uß der festsitzenden Lebensweise anf dis 2 er ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Teilun Bresye a = * Se a ® _ Betrachtungen und Suggestionen über x % 4 ae Trophocöltheorie. die phylogenetische ra der er R ER S i Be ee ee insbesondere der Articulaten. Mit einem einleitenden a über die Abstammung der Anneliden. ee aus der ‚Jenaischen Br: t für Naturwissenschaft“. Bd. XXXVII. N. F. Bd. XXXL) Mit 6 Tafeln e undd4 RERER 1903. Preis: 16 Mark. ( chungen über die Varietätenbildung “ und Helix nemoralis I. postet von Ernst Haeckel, herausgegeben von seinen er. er Preis: 6 Mark. zigsten | burg und Fade ö x 904 lie B: te von Helix Hortensis Müller und Helix Nemoralis L. | eruhung, zur experimentellen Vererbungslehre. Mit Beiträgen von sshard, Paul Hesse in Venedig und Elisabeth Kleiner e aphischen Tafeln. 1908. Preis: 15 Mark. T Dr. Valentin 1 Haccker, (Halle). Be . : rr | (Abruck aus der ac are eeijehcien D * zum siebzigsten smann. Sam. wu I der Zoolog, Jahrb.) 1904. Preis: 4 2 tschrift für Naturwissenschaft“, XXXVII Bd, N. F ar a2 Terchgurn. | IR N Mi Teilen 1000, : der ltrlichen und großeitriien zum Ausbau der an slehre. nz RU ‚Teil: Die yleen, re RR. m ei IA u 102 A Apten. c ee (476 8. ed # ÜBER Be anelget Teil: Form- und Pormbildung bei « e E bniese ae j us Ye nn a m Au n es Reichsam ed; Zool. in Lei St Leiter der wire ir HR Karten. und 13 IR. 1908 ka gr. 4 2 EUR Vorwort des Herausgebers. Auf die Diener der Wissenschaft paßt noch mehr als auf hungrige Kinder die französische Redensart, ‚les yeux plus gros que la bouche“. Und es ist sogar eine ganz allgemein zu beobachtende Tatsache, daß beim Gelehrten mit dem Alter sowohl der wissenschaftliche Appetit als die Unternehmungslust zunehmen, freilich gewöhnlich im um- gekehrten Verhältnis zu der Fähigkeit, de wachsenden Begierden zu befriedigen. So erging und ergeht es Herausgeber. Die Voll- endung der zweiten Auflage seines Lehrbuches der vergleichenden Anatomie, das eine so wohlwollende Aufnahme fand, hat sich trotz der eifrigen und vortrefflichen Mitarbeit seines lieben Kollegen Prof. HEscHELErR stark verzögert. An dieser Verzögerung sind verschiedene Ursachen schuld. Der Herausgeber brachte es nicht, über sich, seine experimentellen Vererbungsuntersuchungen, die er zu Anfang der 90er Jahre begonnen hatte und die inzwischen immer größere Dimensionen angenommen hatten, aufzugeben. Sodann wurde seine Zeit, ganz abgesehen von den Pflichten des Lehramtes und der Museumsleitung, in außerordentlich starker Weise durch Dienst- leistungen für die Neubauten der Universität, an der er wirkt, in Anspruch genommen, Verpflichtungen, die ihm als Vorsitzenden der akademischen Baukommission übertragen waren. Und endlich wurde seine Leistungsfähigkeit wiederholt durch Störungen der Gesundheit stark beeinträchtigt. So kam es, daß der Vorrat an Exemplaren der in zweiter Auflage erschienenen zwei Abteilungen (Protozoa und Mollusca) bereits zu Ende ging, lange bevor die Bearbeitung der übrigen Abteilungen der neuen Auflage vollendet war. Unter diesen Umständen erschien der dringende Wunsch der Verlagsbuchhandlung durchaus berechtigt, das möglichst rasche Er- scheinen einer neuen Auflage des Werkes durch Heranziehung weiterer bewährter Mitarbeiter zu sichern. Für die Art der Behandlung der neuen Auflage, für welche Herausgeber und Verleger den neuen Titel „Handbuch der Morpho- logie“ gewählt haben, ist den Herren Mitarbeitern möglichst enge Anlehnung an die Abteilungen Protozoa und Mollusca der zweiten Auflage anempfohlen worden, so daß eine weitere Darlegung der Tendenzen des Werkes unnötig erscheint. Das Handbuch der Morphologie soll in kurzer Frist, womöglich bis Ende 1913 in 6 Bänden und in Lieferungen von durchschnittlich 10 Bogen Umfang erscheinen. IV Vorwort. Der Stoff wird sich auf diese 6 Bände in Tolseuaen Weise ver- teilen. Im ersten Bande wird Herr Prof. Max Link in Königsberg die Protozoa in neuer Bearbeitung behandeln. Der zweite Band, dessen erste Lieferung vorliegt und dessen Redaktion sich, abgesehen von 2 kleineren Abschnitten, der Heraus- geber vorbehalten hat, soll eine allgemeine Einleitungin die Morphologie der Metazoen enthalten. Herr Dr. S. TscHhuLok eröffnet ihn mit einem Essai „Logisches und Methodisches“, und Herr Prof. V. HAEcKER gibt eine gedrängte Uebersicht über die „Zeugungs- lehre“. Der vom Verfasser bearbeitete Hauptteil des Bandes wird umfassen: eine allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoen- körpers (Gewebelehre), eine zusammenfassende Uebersicht über die Furchung und Anlage der primitiven Keimblätter und ein Kapitel über Organbildung, sowie einen Versuch der Ableitung der Haupt- typen tierischer Organisation (allgemeine Phylogenie). Im dritten Band folgt die Bearbeitung der Mesozoen und Zoophyten durch Herrn Prof. ©. Maas in München, der Platoden (inkl. Nemertinen) durch Herrn Dr. J. Wırneını in Steglitz-Berlin und der verschiedenen Gruppen der Würmer durch Herrn Prof. K. HESCHELER in Zürich. Der vierte Band ist für die Arthropoden bestimmt. Herr Prof. W.GiEsßRecHt in Neapel wird die Crustaceen neu bearbeiten, Herr Prof. E.Bucnıon in Lausanne die Hexapoden. Alle übrigen Gruppen der Gliederfüßler hat Fräulein Dr. MaArıE DAIBER in Zürich übernommen. In einem Schlußkapitel wird Herr Dr. Carr BÖRNER in St. Julien-Metz seine Anschauungen über die Morphologie der Arthropodengliedmaßen vortragen. Die Bearbeitung des. fünften Bandes „Mollusca” hat wiederum Herr Prof. K. HxscHELer übernommen, und in die Re- daktion des sechsten, welcher den Echinodermen und Entero- pneusten gewidmet sein wird, werden sich Prof. Horeag und der Herausgeber teilen. Der Verleger und die Verfasser werden für eine gute und reiche Illustrierung auch der neuen Auflage bemüht sein und es ist sicher, daß hinsichtlich der ganzen Ausstattung der Herr Verleger die aus- gezeichneten Traditionen seines verehrten Vorgängers und Vaters fortsetzen wird, der sich um die Wissenschaft so große und bleibende Verdienste erworben hat und dessen Andenken bei allen sich dauernd in Ehren erhalten wird, die zu ihm in näheren Beziehungen standen. ‚Arnold Lang. I. Abschnitt. Logisches und Methodisches. Die Stellung der Morphologie im System der Wissenschaften und ihre Beziehungen zur Entwickelungslehre. Von Dr. S. Tschulok, Zürich. 1. Einleitung. Eine gedrängte Betrachtung über die Logik der „vergleichenden Anatomie“, wie das vorliegende Handbuch in den ersten Auflagen betitelt war, muß gegenwärtig auf beträchtliche Schwierigkeiten stoßen. Einige dieser Schwierigkeiten müssen hier angeführt werden, weil uns das zugleich auf die Kernpunkte unserer Frage führen wird. Die erste Schwierigkeit liegt in der Existenz traditioneller Bezeich- nungen, die sich von einer Generation auf die andere unverändert vererben, während der Inhalt der Wissenschaft und die prinzipiellen Anschauungen mannigfachem Wechsel unterworfen sind. Es ist der Konservatismus des Wortes. Das Wort ist ja nicht der Begriff selbst, sondern nur ein Symbol für den Begriff, eine Einkleidung. Ist aber der Begriff seinem engen Kleide entwachsen, so läßt sich das- selbe nicht einfach abstreifen. Zwar ist dies heutzutage allgemein bekannt und anerkannt, und wir leben nicht mehr in jener „guten alten Zeit“ der Scholastik, da man aus dem Namen eines Dings sein „Wesen“ zu ergründen bestrebt war. Aber trotzdem ist das Obige noch lange keine Binsenwahrheit. Es wird auch heute noch häufig genug geglaubt, daß mit der Existenz eines solchen Namens auch die Existenz eines ihm entsprechenden separaten Wesens notwendig ver- bunden ist, es wird dabei übersehen, daß in jeder solchen Bezeichnung einer wissenschaftlichen „Disziplin“ eine historische Komponente ent- halten ist und daß bei einer unvoreingenommenen Prüfung der rein logischen Natur eines wissenschaftlichen Sondergebietes es geboten er- scheint, sich von den üblichen Bezeichnungen desselben zunächst ganz zu emanzipieren. Eine andere Schwierigkeit zeigt sich darin, daß solche Ausdrücke, die gewisse Teile der Wissenschaft bezeichnen, nicht bloß als logische Kategorien in dem Bewußtsein der beteiligten Kreise fortexistieren, sondern in verschiedenen Gebilden des wirklichen Lebens eine Dauer- fornı annehmen, mit der wir dann praktisch rechnen müssen. Es sind das die Einrichtungen des Hochschulbetriebes, z. B. in unserem Falle die Lehrstühle, Laboratorien, Kurse, Lehrbücher der „vergleichenden Anatomie“. Da nun im wirklichen Leben unter diesen Bezeichnungen Arnold Lang, Handb. d. Morphologie. II. l 2 S. TscHULox, bestimmte Dinge verstanden werden und eine Gefahr der Verwechs- lung also nicht vorliegt, so ist es für die Existenz dieser Dauergebilde auch zunächst gleichgültig, ob die betreffende Bezeichnung logisch vollkommen einwandsfrei ist oder nicht. Es ist wie eine abgegriffene Münze. die, solange sie nicht durch Beschluß außer Kurs gesetzt ist, praktisch genau so viel leistet wie eine frisch geprägte von gleichem konventionellem Wert. Wenn aber eine Untersuchung über die rein logische Natur eines solchen Wissenszweigs durchgeführt werden soll, so muß auch von diesen äußeren Formen und Mitteln der Stabili- sierung der Begriffe abgesehen werden. Die Existenz eines Lehr- buches oder eines Kurses der vergleichenden Anatomie ist demnach kein Beweis dafür, daß dieser Wissenszweig in seiner logischen Selbständigkeit einheitlich und einwandsfrei definiert ist. Es braucht aber kaum hervorgehoben zu werden, daß die Klarlegung des lo- gischen Charakters keinen Angriff auf die praktisch bestehenden und wirkenden Dauerformen der realisierten Begriffe darstellt. Eine dritte Schwierigkeit liegt in folgendem. Bei der Weiter- entwickelung der Wissenschaft erhält nicht nur ein bereits existieren- der Zweig einen neuen Inhalt, ohne den Namen zu verändern, sondern es tauchen auch ganz neue Forschungsrichtungen auf. Wenn nun eine solche neue Forschungsrichtung praktisch, oder sagen wir, tech- nisch, sich in einen Gegensatz zu der alten Richtung stellt, so wird daraus nur zu leicht ein prinzipieller, logischer Gegensatz konstruiert. In unserem Falle ist es so ergangen. Als die experimentelle For- schungsrichtung in der Biologie aufgetreten ist, da wurde es üblich, dieselbe ‚der vergleichenden Forschung‘ entgegenzustellen. Aus der häufigen Gegenüberstellung bildete sich allmählich die Meinung. aus, die vergleichende und die experimentelle Biologie bildet zwei durch- aus verschiedene Forschungsgebiete, die sich gegenseitig ausschließen und deren Summe die Biologie darstelle. Sofern dies nicht das Resultat einer speziell darauf gerichteten methodologischen Unter- suchung darstellt, braucht es gar nicht richtig zu sein. Man vergesse nicht, daß die eine Hälfte dieser Antithese schon zu einer Zeit existierte. als von der anderen noch keine Rede war. Wir werden zeigen, dab die Auffassung, wonach die vergleichende Anatomie den methodologischen Antipoden der „experimentellen“ Forschung bilde, viel jüngeren Datums ist als die Bezeichnung selbst und durch Umdeutung älterer Vorstellungen entstanden ist. Bisher ist von Namen die Rede gewesen. Soll aber eine objektive logische Analyse der „vergleichenden Anatomie‘ versucht werden, so müssen auch manche sachlich festgelegte Vorstellungen vorläufig sus- pendiert werden. Eine der am meisten störenden ist die Vorstellung von der Zweiteilung der Biologie in „Morphologie und Physiologie“. Diese Zweiteilung hat sich nicht etwa unbemerkt eingeschlichen, wie die Zweiteilung in vergleichende und experimentelle. Sie ist im Gegenteil in einem ganz bestimmten Zeitpunkt und mit Aufwand eines großen Apparates von logischen und methodologischen Betrachtungen in die Wissenschaft eingeführt worden. Diese logische Begründung ist aber nicht stichhaltig. Die Widerlegung des Satzes von der Zweiteilung der Biologie in Morphologie und Physiologie wird aber heutzutage nicht etwa dadurch erschwert, daß sich viele begeisterte Verteidiger desselben finden, sondern vielmehr dadurch, daß die meisten gar nicht wissen, unter welchen Umständen und mit welcher Begründung dieser Logisches und Methodisches. 3 Satz einst in die Wissenschaft eingeführt worden ist. Denn wer studiert noch heute eingehend die methodologischen Betrachtungen in SCHLEIDEns „Grundzügen der wissenschaftlichen Botanik“ und die betreffenden Kapitel aus Harckeıs „Genereller Morphologie“, die nun doch ein bloß historisches Interesse darstellen. Aus der ziemlich allgemeinen Anerkennung dieser scharfen Gegen- überstellungen, wie „experimentelle— vergleichende“, ‚„Morphologie— Physiologie“ ergibt sich bei vielen wie von selbst die Vorstellung, dab diese beiden Antithesen durch Kombination auf eine einzige zurück- geführt werden müssen, indem die Morphologie die vergleichende, ‘ die Physiologie dagegen die experimentelle Wissenschaft von den Organismen darstelle. Das war auch die Ansicht, der wohl noch vor etwa 25 Jahren die überwiegende Mehrzahl der Zoologen huldigte. Heute ist diese einfache und anscheinend so klare Anschauung dahin. Wir werden sehen, welche ganz extremen Anschauungen über das Wesen der Morphologie und ihre Stellung zu anderen Teilen der bio- logischen Wissenschaft in neuerer Zeit sich geltend gemacht haben, indem die Berechtigung der „vergleichenden Methode“ von den einen ebenso einseitig bestritten wie von den anderen verteidigt wird. Um unter diesen Umständen ein selbständiges und begründetes Urteil über die Natur des in Rede stehenden Wissenszweiges zu gewinnen, muß man sich zu allererst nach einem festen Standpunkt umsehen. Einen solchen vermag uns aber nur eine bestimmte, konsequent durchgeführte Vorstellung über das Wesen der Biologie überhaupt und ihre Stellung im System der Wissenschaften und ihre Weiterein- teilung in Einzelgebiete zu geben. Selbstverständlich werden wir dabei nicht mit den in Umlauf befindlichen Ausdrücken, wie „ver- gleichende‘“ Anatomie, Morphologie usw. operieren, sondern es werden dieselben zunächst noch einer Analyse unterworfen und nur dasjenige in die Darstellung des Systems aufgenommen, was eindeutig und klar definiert ist. 2. Nomothetische und idiographische Komponente in der Biologie. Wir gehen von der WınpeLsannschen Einteilung der gesamten Erfahrungswissenschaft in idiographische und nomothetische Wissen- schaften aus. Das Bestreben der idiographischen Wissenschaft ist darauf gerichtet, „ein einzelnes, mehr oder minder ausgedehntes Ge- schehen von einmaliger, in der Zeit begrenzter Wirklichkeit zu voller und erschöpfender Darstellung zu bringen“. Der formale Charakter der Erkenntnisziele der nomothetischen Disziplinen wird dagegen folgendermaßen bestimmt: „Es sind immer Gesetze des Geschehens, welche sie suchen, mag dieses Geschehen nun eine Bewegung von Körpern, eine Umwandlung von Stoffen, eine Entfaltung des orga- nischen Lebens oder ein Prozeß des Vorstellens, Fühlens oder Wollens sein. (WINDELBAND, Geschichte und Naturwissenschaft, Rektorats- rede, S. 10/11.) Wie schon aus dem Titel der Rede ersichtlich, galt es bei dieser Einteilung der Wissenschaften, den Unterschied zwischen der Ge- schichte, als dem Prototyp der idiographischen Disziplinen, und der Naturwissenschaft, als dem Vorbild nomothetischer Disziplinen zu kennzeichnen, wobei der Begriff der Naturwissenschaft weit gefaßt ist, so daß auch die Psychologie darin inbegriffen ist. Aber schon 1* 4 S. TscHuLox, WINDELBAND hebt hervor, daß „dieser methodische Gegensatz nur die Behandlung, nicht den Inhalt des Wissens selbst klassifiziert‘. Wenn man daher ein bestimmtes Wissensgebiet auf seine Zuge- hörigkeit zu dem einen oder anderen der beiden Typen prüft, so stellt sich häufig heraus, daß manche Wissensgebiete keine Einheitlichkeit darstellen, sondern eine Mischung von idiographischen und nomothe- tischen Komponenten aufweisen. WINDELBAND selbst hat dies bezüg- lich der Biologie kurz berührt, wir müssen hier diese Frage eingehen- der behandeln. Es sei aber vorausgeschickt, daß WINDELBAND selbst schon den ganz allgemeinen Satz aufgestellt hat, zum vollständigen Verstehen der Erscheinungen der Welt sei unbedingt eine Kombi- nation der beiden Forschungsmethoden erforderlich. Ein Geschehen hat diese und keine andere Form angenommen, weil der gesetzmäßige Verlauf der Geschehnisse unter solchen Umständen ein solches und kein anderes Resultat zuließ, das ist die nomothetische Komponente. Aber daß die Umstände solche waren, bei denen der Verlauf so und nicht anders werden mußte, das ist die idiographische Prämisse oder Komponente. WINDELBAND sagt: „In der Sprache der heutigen Wissenschaft ließe sich sagen: aus den allgemeinen Naturgesetzen folgt der gegenwärtige Weltzustand nur unter der Voraussetzung des unmittelbar vorhergehenden, dieser wieder aus dem früheren und so fort; niemals aber folgt ein solcher bestimmter Lagerungszustand der Atome aus den allgemeinen Bewegungsgesetzen selbst. Aus keiner „Weltformel“ kann die Besonderheit eines einzelnen Zeit- punktes unmittelbar abgeleitet werden: es gehört dazu immer noch die Unterordnung des vorhergehenden Zustandes unter das Gesetz.‘ (S. 25.) „Das Gesetz und das Ereignis bleiben als letzte, inkommen- surable Größen unserer Weltvorstellung nebeneinander bestehen.“ (8: 27.) Was ist nun die Biologie für eine Wissenschaft? Da sie zu den „Naturwissenschaften‘ gehört, so wäre scheinbar die Frage gleich ent- schieden, denn als Naturwissenschaft müßte die Biologie Gesetzes- wissenschaft sein und ihre Aufgabe sollte in der Feststellung der gesetzmäßigen Verknüpfung der Erscheinungen in den Lebewesen bestehen. Doch ist es leicht einzusehen, daß diese Definition zu eng ist. Es ist vielleicht nicht überflüssig, hier die Bemerkung einzu- schalten, daß ich unter Biologie die Gesamtwissenschaft von den Lebe- wesen, nicht, wie es manchmal geschieht, die Wissenschaft von den Lebenserscheinungen, den Anpassungen, der Variation usw., verstehe. Es ist sehr zu bedauern, daß sich in der Literatur für dieses Wort eine ganze Menge von Deutungen in Umlauf findet, so daß wir das merkwürdige Schauspiel erleben, daß das Ganze und einige von- einander verschiedene Teile desselben durch den gleichen Ausdruck bezeichnet werden. Die Biologie bedeutet also für uns die gesamte wissenschaftliche Behandlung der Lebewesen. Es soll versucht werden nachzuweisen, warum diese Wissenschaft sich nicht allein aus der Feststellung von Gesetzen zusammensetzen kann. Die Objekte der Biologie sind die Organismen und die an ihnen sichtbaren Vorgänge. Insofern nun die Objekte der Chemie die Stoffe und die an ihnen sich abspielenden Vorgänge darstellen, könnte man an eine völlige Analogie der beiden Gebiete denken. Und da ist ja Logisches und Methodisches. 5 bekannt, daß die Chemie als die Wissenschaft von den Gesetzen der Stoffwandlung einen rein nomothetischen Charakter hat. Wenn sie auch gezwungen ist, die Stoffe und ihre Eigenschaften namhaft zu machen, so sind diese Eigenschaften doch wiederum zum größten Teil Vorgangseigenschaften (Ostwarn), für die „reine Beschreibung‘ oder „reine Klassifikation“, wie man es nennen wollte, bleibt nicht die Bedeutung einer besonderen Aufgabe, es ist Vorarbeit im besten Falle. Ganz anders verhält sich aber die Biologie, und dieser Unter- schied leuchtet ein, wenn man bedenkt, daß wir es in der Biologie mit individualisierten Trägern der Lebenserscheinungen zu tun haben, die nur auf dem Wege der Zeugung von ihresgleichen ihren Ursprung nehmen und die sich einer gewissen Variabilität erfreuen. Diese drei Eigenschaften der organisierten Träger der Lebenserscheinungen sind es, die in die Beschäftigung mit den Lebe- wesen eine idiographische Komponente hineinbringen. Dadurch, dab ein Lebewesen einen zeitlich begrenzten Lebenszyklus durch- macht, werden wir gezwungen, uns nach etwas Dauerndem umzusehen, nach etwas, was die einzelnen Lebenszyklen überragt, sie alle in sich schließend. Die Erscheinung der Elternzeugung bietet uns eine Handhabe dazu. Und die Einsicht in die Erscheinung der Varia- bilität erlaubt uns auch dort noch von Zugehörigen einer höheren Einheit zu sprechen, wo das unmittelbare Band der Verwandtschaft im engeren Sinne des Wortes nicht zu eruieren ist. | Das führt uns zum Begriffe der Art und aller höheren systema- tischen Kategorien: (Gattungen, Familien, Ordnungen, Legionen, Klassen und Typen. Diese Feststellung, daß es solche und solche Formen gibt und daß sie sich inbesagter Weise unter höhere Kategorien bringen lassen, bleibt als primäre, mit anderen methodologisch inkommensurable bestehen und bedingt eine eigenartige Behandlung, die sich weder mit der nomothetischen noch mit der idiographischen Behandlungsweise gänz- lich deckt. Zwar meint WINDELBAND, als Systematik sei die Biologie nomothetischen Charakters, „insofern sie die innerhalb der paar Jahr- tausende bisheriger menschlicher Beobachtung sich stets gleich bleiben- den Typen der Lebewesen als deren gesetzmäßige Form betrachtet‘. Allein bedenkt man die Sache etwas tiefer, so zeigt sich, daß es eine Anmaßung wäre, wenn die Biologie behaupten wollte, sie hätte die Form der gegebenen Lebewesen auf Gesetze zurückgeführt. Insofern es ein Postulat unserer Vernunft ist, die Gesetzlichkeit allen Ge- schehens gelten zu lassen, ist natürlich jede Art heute so, weil sie infolge der Geltung von Gesetzen so sein muß, aber dieses Postulat ist doch nicht zu verwechseln mit dem Ergebnis nomothetischer For- schung im Einzelfall, sonst hieße ja das, das Ergebnis der Forschung vorwegnehmen. Es gibt tatsächlich in der organischen Formenwissenschaft eine idiographische und eine nomothetische Komponente. Es ist aber nicht ganz leicht, die eine und die andere ohne eingehende logische Unter- suchungen klarzulegen. Richtet man sein Augenmerk auf den Ablauf der einzelnen Lebenszyklen, so ist man dazu prädisponiert, die idio- graphische Komponente zu übersehen. Man sagt sich dann: daß aus dem Ei eines Huhns immer ein Hühnchen entsteht, das ist der Aus- druck des diese Materie beherrschenden Gesetzes. Dann ist die Wissenschaft von den organischen Formen nomothetisch. So meint es 6 S. TscHuLox, = auch WINDELBAND und so meinen es die Entwickelungsmechaniker und Entwickelungsphysiologen. Man denke aber an die oben erwähnte Erscheinung der Kontinuität, und die Sachlage verändert sich mit einem Schlage: es entsteht aus dem Hühnerei ein Hühnchen, weil das Ei von einem Huhn abgelegt wurde. Daß es aber heute auf der Erde eine Species Huhn gibt, das ist nicht mehr nomothetisch, sondern nur idiographisch zu erforschen. Diese Darstellung richtet sich gegen die extreme „entwickelungs- mechanische‘ Auffassung. Wir müssen die nomothetische Seite der Formenwissenschaft auf die Erforschung des mannigfach variierten Einflusses der äußeren Bedingungen auf die Gestaltbildung im Or- ganismenreich einschränken. Daneben bildet die Sichtung, Zusammen- stellung und Sonderung der gegebenen Formerscheinungen unter Be- nutzung vereinheitlichender Begriffe eine zweite, idiographisch be- dingte Arbeitsrichtung, der von den Entwickelungsmechanikern der Wert einer Wissenschaft abgesprochen wird. Es freut mich zu konstatieren, daß ein den Entwickelungsmechanikern so nahe stehen- der, modern denkender Autor wie E. Schurz in allerneuester Zeit gegen die „experimengelle Richtung“ den Vorwurf geltend macht: „sie vergesse, dab ihr Objekt, der Organismus, eine Geschichte hat, während sie den physikalischen und chemischen Körpern fehlt“, ein Vorwurf, den Eısıcs bereits vor 20 Jahren mit etwas anderen Worten formuliert hatte. Daß es in der Biologie eine idiographische Komponente gibt, das wurde in anderen Ausdrücken bereits von SCHLEIDEN ausgeführt. Er schrieb 1855 über Morphologie: „Weder aus den Eigenschaften des Stoffes, noch aus den Gesetzen der Bewegung läßt sich ableiten, weshalb gerade 41 Planeten die Sonne umkreisen, weshalb nur Erde, Jupiter, Saturn und Uranus Trabanten haben, weshalb nur Saturn einen Ring hat usw. ... Kurz, es gibt noch bestimmte, feststehende, gewordene räumliche Verhältnisse, welche nicht aus dem Gesetze der Bewegung folgen, welche nicht als Eigenschaften der Materie des Stoffes überhaupt betrachtet werden können, Verhältnisse, die die Form ausmachen, unter der uns die bewegten Massen erscheinen, mit einem Worte, eine bestimmte Gestalt dieses unseres. Planetensystems, welche als zufällig insofern erscheint, als daneben noch unzählige andere Gestalten möglich und vielleicht auch für andere Sonnen- mittelpunkte wirklich sind‘ (SCHLEIDEn, Die Pflanze und ihr Lieben). 3. Einteilung der biologischen Forschung nach der logischen Natur der Probleme. Mit diesem Nachweis einer idiographischen Komponente in der Erforschung der Lebewesen soll nicht gesagt sein, daß nun die Bio- logie eine historische Wissenschaft sei. Die Geschichte ist ja nur als das Prototyp einer rein idiographischen Wissenschaft hingestellt worden. Aber die Umkehrung des Satzes würde eine zu weitgehende Schematisierung bedeuten. Also nicht alles, worin sich eine idio- graphische Komponente zeigt, ist deswegen schon als „Geschichte“ zu betrachten. Mit obigem Nachweis einer idiographischen Kompo- nente in der Biologie wurde nur bezweckt, darzutun, daß in der Bio- logie, trotzdem sie eine wirkliche Naturwissenschaft ist, neben der Feststellung der Gesetzmäßigkeit von Naturvorgängen auch noch Logisches und Methodisches. 7 eine Art Arbeit verrichtet wird, eine Arbeit, die ihrem logischen Wesen nach von jener ersteren grundverschieden, ja in einem Sinne sogar vollständig mit ihr inkommensurabel ist. Diese durch die idiographische Komponente bedingte Art der Forschung kann als die Beherrschung der Mannigfaltigkeit durch Unterordnung unter Gruppenbegriffe bezeichnet werden. Sie ergibt sich aus einer Aneinanderreihung von Objekten nach Maßgabe ihrer gemeinsamen Merkmale, ist also im wesentlichen als die Bildung von Gattungsbegriffen zu betrachten. Wir müssen aber gleich hier be- merken, daß es sich nicht um die bloße Konstatierung handelt; daß es nicht die Form des Urteils annimmt: dieses Ding ist so, jenes so. Eine solche Konstatierung würde tatsächlich den Namen einer Wissen- schaft nicht verdienen. Die wissenschaftliche Behandlung beginnt erst mit der Feststellung von Beziehungen zwischen den Objekten. Durch die Inbeziehungsetzung der Objekte ist nämlich erstens die ökono- mische Funktion der Wissenschaft ermöglicht, indem eine Ersparnis an geistiger Arbeit erzielt wird. Und zweitens ist dadurch erst die Anwendung eines kritischen Verfahrens ermöglicht, die Sichtung und Prüfung der für die Zusammenstellung der Objekte maßgebenden Gesichtspunkte. Wir werden dies am deutlichsten aus einem Beispiel erkennen. Die Erkenntnis, daß ein uns vorliegender Flußkrebs 19 Paar gegliederter Anhänge hat, nämlich: zwei Paar Fühler, ein Paar Oberkiefer, zwei Paar Unterkiefer, drei Paar Kieferfüße, fünf Paar Gangbeine und sechs Paar Afterfüßchen, diese Erkenntnis ist an und für sich noch keine wissenschaftliche Errungenschaft. Wäre nämlich bei einem zweiten Individuum eine ganz andere Anzahl von ganz anders gestalteten Anhängen und in anderer Verteilung auf die Körperregionen, so bliebe es eine unzusammenhängende Summe von Einzeltatsachen. Und es wäre eine wenig imponierende Leistung, sich das alles genau anzumerken oder gar auswendig zu lernen. Wissenschaft beginnt erst mit der Bildung der Begriffe, die auf der Konstatierung der Beziehungen beruhen. Der nächste Begriff auf diesem Gebiete ist der Begriff des gegliederten Anhangs. Auf Grund der Stellung zu den anderen Körperteilen, der Art der Anlage und Entwickelung stellt sich eine Verwandtschaft zwischen den Fühlern, den Mund- werkzeugen, den Gangbeinen, Afterfüßchen, Kopulationsorganen usw. heraus. Neben der Konstatierung der Konstanz der Zahl in der Art, Gattung, Familie, Ordnung, sogar in der ganzen Legion oder Unter- klasse, neben der Feststellung der Verschmelzung mehrerer Segmente zu einer Region, ergibt sich die Möglichkeit einer zusammenfassenden Darstellung dieser Verhältnisse. Eine größere Gleichartigkeit, ge- ringerer Grad der Verschmelzung, vollständigere, deutlichere Aus- bildung aller Segmente und ihrer Anhänge wird als ein primitiverer Zustand betrachtet werden. Eine größere Mannigfaltigkeit in der Ausbildung der Anhänge, weitgehende Verwachsung der Segmente, stärkere Reduktion einzelner Regionen und ihrer Anhänge, wird als ein mehr abgeleiteter Zustand bezeichnet werden. Sowohl die Vergleichung ausgewachsener Anhänge, als auch ganz besonders die Betrachtung verschiedener Entwickelungsstadien wird zeigen, daß der zweireihige Spaltfuß die primitive Form darstellt, der einreihige Fuß dagegen die abgeleitete. Ebenso ist ein Anhang als stark abgeleitet 8 S. TscHuLox, zu bezeichnen, wenn er im ausgebildeten Zustande eigentlich keine Gliederung aufweist, indem er sich bloß aus dem proximalen (basalen) Stück zusammensetzt. Daß man auf Grund dieses oder jenes Grades der Verwachsung der Segmente oder der Verkümmerung der Anhänge Gruppen des Systems bilden wird, soll hier nur beiläufig erwähnt werden. Auch die deszendenztheoretische Auslegung bleibe vorläufig beiseite. Es ist zur Genüge dargetan worden, daß es für diese Art der Inbeziehungsetzung von Erscheinungen charakteristisch ist, daß die miteinander in Beziehung gesetzten Objekte gemeinsame Merkmale besitzen; daß der Begriff des einen Objektes aus dem Begriff des anderen abgeleitet werden kann, indem aus dem Komplex von Merkmalen einige herausgehoben und andere eingesetzt werden. Man kann daher diese Beziehung nicht anders bezeichnen denn als „begriffliche“. Wir wollen nun diese Forschungsrichtung, die auf eine Aneinanderreihung von Objekten unter Feststellung ihrer be- grifflichen Beziehungen hinausläuft, als „Biotaxie‘ bezeichnen. Dieselben Objekte, die gegliederten Anhänge des Krebses, können aber noch in ganz anderer Art in eine gesetzmäßige Beziehung zu anderen Erscheinungen gesetzt werden. Es ist das eine Art von Beziehungen, wie man sie in den physikalischen Wissenschaften auf Schritt und Tritt zu formulieren hat. Die allgemeine Form solcher Beziehungen ist folgende: wenn die eine Erscheinung A so ist, dann ist die andere Erscheinung B so, ist dagegen die erstere etwas anders, etwa A’, dann hat die andere Erscheinung die Be- schaffenheit B’. Auf unseren Fall angewandt heißt es also: wenn der gegliederte Anhang diese bestimmte Funktion zu erfüllen hat, so hat er die Form, hat er aber eine andere Funktion zu erfüllen, so hat er diese andere ganz abweichende Form. Die Beziehung zwischen der Form und der Funktion der Organe, ferner die Beziehung zwischen Form — Funktion auf der einen, und den besonderen jedes- maligen Lebensbedingungen auf der anderen Seite, diese Beziehungen sind, wie das angeführte Beispiel der’ gegliederten Anhänge der Krebse deutlich zeigt, von ganz anderer Natur als die oben be- sprochenen begrifflichen Beziehungen der homologen Organe unter- einander. Dort verhalten sich die in Beziehung gesetzten Objekte so zueinander, daß der Begriff des einen durch Hinzufügung oder Weglassung einiger Merkmale sich in den Begriff des anderen über- führen läßt. Hier sind die Begriffe völlig verschieden. Wie man nicht ein Pferd durch eine Deichsel dividieren kann, so kann man durch keine Merkmalsänderung den Begriff des Scherenfußes aus dem Begrifi des Ergreifens der Beute herleiten. Aber das Ergreifen der Beute ist die Funktion des Scherenfußes, und es besteht eine sichtbare Beziehung zwischen der besonderen Ausbildung dieses Scherenfußes und seiner besonderen Funktion. Da bei dieser Art von Beziehungen die wirklichen Eigenschaften eines Objektes eine direkte Abhängig- keit von den Eigenschaften einer anderen Erscheinung zeigen, so wollen wir diese Beziehungen als reale Beziehungen und die Erforschung solcher realer Beziehungen als „Biophysik“ bezeichnen. Biotaxie und Biophysik sind die beiden grundverschiedenen und völlig inkommensurablen Arten der Forschung, wenn man die logische Natur der dabei angestellten Betrachtungen zum Unterscheidungsmerkmal nimmt. Sie sind selbstverständlich nicht durch das ihnen zugewiesene Objekt verschieden, und ebensowenig durch die Technik der Unter- Logisches und Methodisches. | 9 suchung, sondern einzig und allein durch die Art der zur Anwendung kommenden Denkprozesse und Aussagen. Wir haben ja gesehen, wie ein und dasselbe Objekt bald von der biotaktischen, bald von der biophysikalischen Seite betrachtet wird. 4. Einteilung der Biologie nach der materiellen Natur der | Probleme. Neben dieser Einteilung der gesamten biologischen Forschung in zwei Typen nach den formal-logischen Differenzen, muß noch eine andere Einteilung vorgenommen werden, bei der wir vom Unter- schied der materiellen Gesichtspunkte ausgehen, die bei der Er- forschung der Tiere maßgebend sind. Man könnte es auch so aus- drücken: welche Fragen bezüglich der tierischen Organismen müßten beantwortet werden, damit unser rein wissenschaftliches Interesse (also abgesehen von der angewandten Zoologie) sich vollständig be- friedigt fühlte? Es scheint mir, daß man bei dem gegenwärtigen Stande der zoologischen Forschung sieben solche Fragen aufzählen muß, deren Beantwortung für die vollständige Erkenntnis der Er- scheinungen im Tierreich notwendig und hinreichend wäre. Wir wollen sie hier alle durchgehen. Als erstes möchten wir die Klassifikation oder Taxo- nomie anführen, d. h. die Gruppierung der Tiere in Arten, Gat- tungen, Familien, Ordnungen, Legionen, Klassen und Typen. Man mag über den Wert oder Unwert der „Systematik“ verschiedener Meinung sein, wir haben hier keinen Grund, auf alle die abweichenden Anschauungen einzugehen. Es bleibt aber als Tatsache bestehen, daß die Zoologen einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeitskraft der Erforschung dieser Gruppierung der Tiere nach dem Grade ihrer Aehnlichkeit widmen. Selbst extreme Gegner der „Systematik“ werden nicht in Abrede stellen, daß die Unterordnung der Einzeldinge unter Gruppenbegriffe der ökonomischen Funktion der Wissenschaft entspricht und daß die Sichtung der Kriterien der „systematischen Verwandtschaft“ zur Ausbildung des kritischen Urteilsvermögens bei- trägt. Der zweite materielle Gesichtspunkt der zoologischen Forschung ist derjenige der Formerscheinungen oder der Gestalten. Es ist die Morphologie, um einen alten gebräuchlichen Namen anzu- wenden. Nicht vereinzelte Befunde betreffend die Formerscheinung, sondern Zurückführungen auf bestimmte Grundformen, Symmetrie- verhältnisse, Metamerien, konstante gegenseitige Lagerungsverhält- nisse bestimmter Körperteile, Zusammenhang mit der Lebensweise, Korrelation, Anpassung usw., das ist der Gegenstand der Morpho- logie. Daß es sich dabei einerseits um die Feststellung der Einheit in der Mannigfaltigkeit, andererseits um Feststellung kausaler und teleologischer Beziehungen der Gestalt handelt, ist oben bereits mit hinreichender Ausführlichkeit dargelegt worden t). Die dritte materielle Frage der Forschung ist diejenige der Lebensvorgänge. Da die Organismen fortwährend Stoffe aus der Außenwelt aufnehmen, sie verarbeiten und in anderer Zusammen- setzung wieder abgeben, dabei aber eine für jede Art spezifische Zu- 1) Obiges gilt nicht nur vom Körper als Ganzes, sondern auch von seinen Teilen, den Organen, Geweben und Zellen. 10 S. TscHULox, sammensetzung beibehalten, so ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer Erforschung der Gesetze des Stoffwechsels.. Daneben gibt es natürlich auch Gesetze des Energiewechsels und des Formwechsels. Die Erforschung der Gesetze der Formbildung und Formwandlung kann als ein integrierender Bestandteil der Physiologie, neben dem Stoff- und Energiewechsel, er kann aber auch als der biophysikalisch betriebene Teil der Morphologie betrachtet werden. Ganz unnötig sind dagegen solche Namen wie „Entwickelungsmechanik“. Besser ist die Drıeschsche Bezeichnung ‚„Entwickelungsphysiologie‘“, aber noch einfacher und schlichter ist „Physiologie der Formbildung‘“. Bei „Entwickelungsmechanik‘ denkt man unwillkürlich an mecha- nische Auslegungen, während es ein Gebot der Methodologie ist, in die Definitionen ja keine fertigen Bestimmungen über die Art der Auslegung der Resultate aufzunehmen. Bei „Entwickelungs- physiologie‘ denkt man unwillkürlich an die Entwickelung des Embryo. Aber es braucht nicht unbedingt ein Embryo zu sein, um das Objekt der „Physiologie der Form“ zu bilden. Die mit dem Eintritt der Pubertät verbundenen Veränderungen, ja auch die Involutions- erscheinungen des alternden Organismus und die reparativen Ver- änderungen des Organismus (etwa verheilte Knochenbrüche), sie alle unterliegen der Erforschung unter dem kausalen und teleologischen Gesichtspunkte der Physiologie des Formwechsels. Und doch sind das keine embryonalen Entwickelungsvorgänge. Eine weitere, in den obigen nicht enthaltene Fragestellung für die Erforschung der Tierwelt liegt der Untersuchung der Anpas- sungen der Tiere zugrunde. Im Vordergrunde des Interesses steht hier die lebenserhaltende Natur der verschiedenen Strukturen und Prozesse. Es ist die Oekologie. Es muß hervorgehoben werden, daß die Bezeichnung dieses Gebietes als „Biologie“ schon zu manchem Mißverständnis Anlaß gegeben hat. Einen fünften materiell verschiedenen Zweig der zoologischen Forschung stellt die Tiergeographie, besser Chorologie der Tier- welt, dar. Hier kommt sowohl die biophysikalische Erforschung der Verbreitungsmittel und -wege, der Verbreitungshindernisse und ihrer Wirkung auf die Isolation der Formen usw. als auch die durch die ganze Vergangenheit mitbedingte und heute in ihrem einfachen Ge- gebensein zu erforschende Verteilung der verwandten Formen auf der Erde in Betracht. Unter Benutzung der von der Klassifikation her- gegebenen Begriffe gelingt es dann, auf Grund des Vorhandenseins oder Fehlens gewisser Formengruppen die einzelnen Erdräume fau- nistisch zu charakterisieren. Der sechste Gesichtspunkt der Erforschung der Tierwelt wird durch die Notwendigkeit gegeben, die zeitliche Aufeinanderfolge ver- wandter Formen in der Erdgeschichte festzustellen. Wir bezeichnen es als Chronologie, ein Ausdruck, der auch schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts gebraucht wurde, aber in neuerer Zeit in Ver- gessenheit geraten ist. Wie sich unsere Chronologie von der „Paläon- tologie‘ unterscheidet, soll weiter unten gezeigt werden. Die siebente und letzte Art der Betrachtung der Lebewesen er- gibt sich aus dem Umstande, daß wir wohl die individuellen Lebens- zykleu der Tiere kennen, nicht aber den Ursprung derselben. In- dem wir jedes einzelne Tier aus einem anderen auf dem Wege natürlicher Zeugung entstehen sehen, regt sich die Frage nach dem Logisches und Methodisches. 11 Uranfange dieser aneinandergeketteten Lebenszyklen, nach dem „Ur- sprung der Arten“, wie man es mit einem weniger geeigneten Aus- drucke zu bezeichnen pflegt. Denn Arten sind abstrakte Be- griffe. Was uns interessiert, ist der Ursprung der sichtbaren Mannigfaltigkeit. Um hier zu greifbaren positiven Ergebnissen zu gelangen, gehen wir von Erfahrungen aus, gelangen aber bald zu Hypothesen und Theorien. Aus der Sichtung der sicheren Erfah- rungen über die abgestufte Mannigfaltigkeit der Organismen, die Elternzeugung, die individuelle Variabilität, die Verteilung in Raum und Zeit ergibt sich für jeden, der die Einzelerfahrungen zu einem von inneren Widersprüchen freien System zusammenfassen will, die zwingende Schlußfolgerung: Alle diese Erscheinungen lassen sich nur - dann erklären, d. h. im Zusammenhang verstehen, wenn man annimmt, daß die gegebene Mannigfaltigkeit das Ergebnis eines Entwickelungs- vorganges darstellt. Kann es nachgewiesen werden, daß diese Aussage mit keinem Elemente unseres Erfahrungswissens in Widerspruch steht, so gilt sie als verifizierte und angenommene Hypothese, oder mit anderer Be- zeichnung als Theorie. Diese ist für jeden bindend, der die Voraus- setzungen angenommen hat und der in der Wissenschaft nicht bloß einen Haufen, wenn auch noch so exakt beobachteter Tatsachen, son- dern ein Mittel zur Vereinheitlichung unserer Erfahrung erblickt. Wer diese Theorie angenommen hat, der steht aber auch gleich vor zwei weiteren Problemen, die wir kurz als das Stammbaum- problem und das Faktorenproblem bezeichnen wollen. Es dürfte bekanut sein, was darunter zu verstehen ist. Wenn die Entwickelung als Theorie akzeptiert ist, so kann uns interessieren, eine Vorstellung von den Vorfahren einer gegebenen Tiergruppe zu gewinnen und eine Einsicht in die Notwendigkeit des Hervorgehens dieser Nach- kommengruppen aus ihren Vorfahren anzustreben. So kann man sagen, daß das Gesamtgebiet der siebenten und letzten Frage, das wir als Genetik bezeichnen wollen, sich in drei Teile gliedert: die Grundfrage (ob Entwickelung oder unabhängiges Entstehen), die Stammbaumfrage und die Faktorenfrage. 5. Kombination der beiden Einteilungen. Das vorstehend mitgeteilte System der biologischen Wissenschaft unterscheidet sich von allen ähnlichen Versuchen einer Systemati- sierung unter anderem dadurch, daß nicht eine Einteilung vorge- schlagen wird, sondern zwei: die eine beruht auf der Unterscheidung formaler Gesichtspunkte der Forschung, die andere auf der Aus- einanderhaltung materieller Gesichtspunkte. Es ist ein Fehler der bisherigen Systeme, daß sie es versuchten, in einer Einteilung sowohl den methodischen als den sachlichen Unterschieden der verschiedenen Forschungszweige Rechnung zu tragen. Bei der hier vorgeschlagenen doppelten Einteilung entsteht aber die Frage: wie lassen sich diese beiden Einteilungsweisen kombinieren. Läßt sich einer der sieben materiellen Gesichtspunkte nur einem der beiden formalen Gesichts- punkte zuordnen oder ist innerhalb eines und desselben materiellen Gesichtspunktes die Anwendung beider grundverschiedenen Forschungs- weisen möglich? Gehen wir kurz alle sieben Gesichtspunkte durch, so zeigt sich folgendes: 12 S. TscHuLox, In der Klassifikation ist entsprechend ihrer Natur nur die An- wendung der biotaktischen Methode möglich, denn da handelt es sich immer nur um die Bildung von Gattungsbegriffen auf Grund der Be- trachtung der Merkmale der einzelnen Dinge. Eine reale Beziehung, oder sagen wir ein funktionelles Abhängigkeitsverhältnis zwischen zwei Arten einer Gattung oder zwei Gattungen einer Familie usw. gibt es selbstredend nicht. Die Klassifikation oder Taxonomie arbeitet also ausschließlich biotaktisch. Die Morphologie ist nach dem oben Dargelegten das- jenige Gebiet, wo die biotaktische und die biophysika- lische Betrachtungsweise nebeneinander geübt werden können und müssen. Die Gestalten werden nach ihrer Einheit in der Mannigfaltigkeit, also biotaktisch, und ferner nach ihrem realen oder funktionellen Zusammenhang mit irgendwelchen sonstigen Er- scheinungen studiert, also biophysikalisch. Die Physiologie wird ausschießlich biophysikalisch behandelt. Die Lebensvorgänge und die Funktionen der Organe sollen in ihren realen Beziehungen zur Umwelt im weitesten Sinne des Wortes erforscht werden. Dasselbe kann auch von der Oekologie gesagt werden, denn die Beziehungen, die wir als Anpassungen an die Außenwelt aufdecken, sind reale Beziehungen. Man denke an die verschiedene Färbung der Mantis religiosa je nach dem Aufenthaltsort (dürres oder grünes Gras) an die Differenzen der Krebse einer und derselben Art, je nach der Tiefe, in der sie gefunden werden (Dorteıns Vorschlag, Stand- ortsvarietäten bei den Krabben zu unterscheiden; in: Die Augen der Tiefseekrabben, Biol. Centralbl., 1903) usw. usw. Es ist leicht, ein- zusehen, daß, ganz abgesehen von dem besonderen teleologischen Cha- rakter der hier aufgedeckten Beziehungen, die Form des zu kon- statierenden Verhältnisses eine derartige ist: wenn A so ist, dann ist B so, ist aber A anders, dann ist auch B anders. Also ist es eine Zusammenfassung der Erscheinungen nicht nach begrifflicher Ver- wandtschaft, sondern nach funktionellen Abhängigkeitsbeziehungen. Die teleologische Färbung der Konstatierung, daß diese parallele Ver- änderlichkeit der Phänomene lebenserhaltend wirkt, verändert nichts an der logischen Form jener Art von Forschung, die wir als die biophysikalische bezeichnen müssen. Die Chorologie oder die Lehre von der Verbreitung der Tiere im Raume (Tiergeographie) hat eine biotaktische und eine biophysika- lische Seite. Die gesetzmäßigen und stets sich wiederholenden Vor- gänge des Sich-Ausbreitens im Raume werden nach ihren realen funktionellen Beziehungen studiert. Die einmal gegebene und sozu- sagen idiographisch mitbedingte Verteilung im Raume wird aber in biotaktischer Weise dargestellt, zumal man hier an die von der Klassi- fikation gegebenen Gruppenbegriffe anknüpfen muß. Es werden ja die Areale der systematischen Gruppen, die auf Grund des Vor- kommens oder Fehlens gewisser Familien und Ordnungen abgegrenzten tiergeographischen Regionen und Reiche in ihrer einmal gegebenen Beschaffenheit erforscht und gruppiert. Die Chronologie betrachtet die Verteilung der verwandten Formen in der Zeit und gewinnt dadurch einen ausschließlich bio- taktischen Charakter. Wenn von der Lebensweise der fossilen Tiere und ihren Anpassungen die Rede ist, so ist das eben Physiologie, Logisches und Methodisches. 13 oder Oekologie oder Chorologie einer fossilen Tierart und unter- scheidet sich logisch in nichts von den analogen Forschungen an lebenden Arten. Das Spezifische der Chronologie ist die gegebene Reihenfolge im zeitlichen Auftreten verwandter For- men, und da muß die biotaktische Methode vorherrschen. In der Genetik endlich betätigt sich das Forschen nach beiden Richtungen. Denn in der Grundfrage der Genetik: selbständiges Er- scheinen der einzelnen Arten oder Abstammung einer jeden Art von anderen, verwandten, da ist natürlich die biotaktische Betrachtungs- weise die vorherrschende. Ohne den Begriff der Verwandtschaft, ohne die graduell abgestuften Aehnlichkeiten der Lebewesen hätte die Grundfrage der Genetik ja gar keinen Sinn. Und abgesehen von den Fällen, in denen uns die Annahme einer Konvergenz berechtigter er- scheint, ist ja geradezu der Grad der Aehnlichkeit vom genetischen Standpunkt zugleich der Verwandtschaftsgrad. Die Verwandtschaft ist die Deutung der vorgefundenen Aehnlichkeit, daher bleibt es richtig, daß das Denken sich im Gebiete dieser Grundfrage der Genetik auf biotaktischem Boden bewegt. Man operiert ja da fort- während mit Begriffen, die sich durch Merkmalsgeneralisation, nicht mit Begriffen, die sich aus der Betrachtung realer Abhängigkeitsver- hältnisse ergeben. Anders ist die Sache auf dem Gebiete der dritten Frage der Genetik, nämlich der Frage nach den treibenden Kräften, oder den Faktoren der Umbildung. Hier werden reale, und zwar kau- sale und teleologische Beziehungen zwischen der jeweiligen Beschaffen- heit der Organismenwelt im ganzen oder der einzelnen Formen und der Gesamtheit der ihre Existenz bedingenden Faktoren gesucht. Auch das ganze Gebiet der Erforschung der Formen und Gesetze der Variabilität fällt unter diesen biophysikalischen Gesichtspunkt. Die Formulierung der gefundenen realen Beziehungen ist in den einen Fällen vorwiegend kausal (z. B. Spaltungsgesetze bei alternativer Ver- erbung). in den anderen dagegen vorwiegend teleologisch (z. B. die komplementäre chromatische Adaptation der Algen, zahlreiche Re- generationserscheinungen usw.). Wir haben durch diese Darstellung der Kombination unserer beiden Einteilungen der Biologie eine Grundlage gewonnen für die Beurteilung der Frage nach der logischen Selbständigkeit irgend- eines gegebenen Teiles der Biologie, oder, wie man es gewöhnlich zu nennen pflegt, irgendeiner biologischen Disziplin. Vom Standpunkte dieses unseres logischen Systems der Biologie wäre also eine besondere Disziplin ein solcher Teil der Biologie, der einen von jenen sieben materiellen Gesichtspunkten umfaßt oder eine jener beiden Methoden betätigt. Es existieren aber zahlreiche biologische Disziplinen, die nicht nach dem soeben dargelegten logischen System orientiert sind. Und um uns über die logische und methodologische Natur solcher gegenwärtig als besondere Disziplinen anerkannter Teile der Biologie klar zu werden, müssen wir zunächst nachzuweisen ver- suchen, welche Kriterien bei der Individualisierung jener Disziplinen maßgebend gewesen sind, oder es zu sein pflegen. 6. Was sind besondere Disziplinen im praktischen Sinne. Es soll zunächst an einigen Beispielen gezeigt werden, wie gegen- wärtig besondere Disziplinen charakterisiert werden. Es gibt Dis- ziplinen, die nach dem besonderen Objekte, mit dem sie sich be- 14 S. TscHuLox, schäftigen, von den übrigen unterschieden werden. Wir nennen als Beispiele die Ornithologie, die Entomologie. Innerhalb der Ento- mologie kann eigentlich noch eine Lepidopterologie, eine Coleoptero- logie usw. ausgesondert werden, und zwar ganz mit der gleichen Be- rechtigung, mit der die Entomologie aus der (Gresamtzoologie ausge- schieden wird. Denn es ist ja selbstverständlich, daß es nicht un- bedingt eine besondere Klasse im Sinne der Klassifikation zu sein braucht, um die Abspaltung einer besonderen Disziplin berechtigt erscheinen zu lassen. Es kann also unter Umständen auch nur eine besondere Ordnung sein, ja sogar eine besondere Familie (Hominidae) oder Grattung, wie das Beispiel der „Anthropologie“ zeigt. Innerhalb der Ornithologie könnte man an die „Oologie“ erinnern als Beispiel einer Disziplin, die nicht einmal eine bestimmte Gruppe des Tier- reichs, sondern nur ein bestimmtes Organ, ja eigentlich eine bestimmte Zelle der Tiere einer gewissen Klasse zum Gegenstand hat. Es braucht kaum besonders bewiesen zu werden, daß vom Stand- punkte unseres logischen Systems der Biologie auf jede solche Dis- ziplin, die nur eine Anzahl von Tieren, eine Klasse, Ordnung, Familie zu ihrem Gegenstand wählt, alle jene Bestimmungen Anwendung finden, die wir soeben für die Gesamtbiologie abgeleitet haben, d. h. nach unserer Ansicht kann die Ornithologie logisch und praktisch ihre Objekte in biotaktischer oder biophysikalischer Weise studieren und an ihnen die sieben materiellen Probleme erforschen, die Klassifika- tion, Morphologie, Physiologie, Oekologie, Chorologie, Chronologie und (Grenetik. Etwas anders verhält es sich schon ım Falle derjenigen besonderen Disziplinen, die sich nicht durch die Zugehörigkeit ihrer Objekte zu einer bestimmten Klasse des Systems herausheben, sondern nach irgendeinem anderen Merkmal definiert sind. Es sei hier als Beispiel auf die Paläontologie verwiesen. Paläontologie, die Wissenschaft von den ausgestorbenen Lebewesen, in unserem Falle Paläozoologie. Von unserem oben dargelegten Standpunkte aus ist in dieser Ab- grenzung eines Wissensgebietes nichts über die logische Natur des- selben ausgesagt. Weder ist darin eine Charakteristik der formalen Natur der Forschung (ob Biotaxie oder Biophysik), noch eine Angabe bezüglich der materiellen Gesichtspunkte derselben enthalten. Wir müssen also selbst darüber nachdenken. Und da stellt sich für uns bald heraus, daß logisch wenigstens der Anwendung der beiden formalen und aller sieben materiellen Gesichtspunkte auf die aus- sestorbenen Tiere nichts im Wege steht. Mit anderen Worten, es lassen sich an ihnen Betrachtungen klassifikatorischer, morpho- logischer, physiologischer, ökologischer, chorologischer, chronolo- gischer und genetischer Natur anstellen, natürlich mit denjenigen Modifikationen, die der eigenartige Erhaltungszustand dieser Objekte bedingt. Praktisch freilich werden wir nie behaupten, daß die Ichthyo- saurier besonders geeignete Objekte für die Durchführung von Stoff- wechselversuchen oder zur Nachprüfung der Menperschen Regeln abgeben. Da sie aber Tiere sind, so müssen sie sich logisch jenem Schema fügen und der Erforschung nach den sieben materiellen und ‘zwei formalen Gesichtspunkten zugänglich sein. Wie ist es aber zu erklären, daß die Paläontologie doch eine be- sondere Disziplin ist, daß es doch besondere Institute, Lehrstühle, Vorlesungen usw. für diese besondere Disziplin gibt? Natürlich nur Logisches und Methodisches. 15 durch die technischen Umstände der Arbeitsteilung und durch die historischen Umstände der allmählichen Differenzierung eines be- sonderen Studiengebietes, das uns heute als ein Teil der umfassenden Zoologie erscheint, das aber zur Zeit seiner Entstehung nicht so aufgefaßt werden konnte, weil diese erweiterte Auffassung der Zoologie eben erst neueren Datums ist. Geologen waren es, die die fossilen Reste der Tiere zutage gefördert haben und sie zunächst zu bearbeiten begannen. Die Petrefaktenkunde galt ihnen als ein Hilfsmittel zur Altersbestimmung der Schichten sedimentärer Gesteine. Heute wird der Ausdruck ‚„Petrefaktenkunde‘“ fast nie mehr gebraucht und die Paläontologie, die sich daraus entwickelt hat, erscheint kaum mehr als Anhang der Geologie. So vollzieht sich eine Verschiebung im Sinne einer Emanzipation von den technisch-historischen Momenten und eines engeren Anschlusses an die logisch verwandte übergeordnete Wissenschaft — die Zoologie. In etwas anderer Weise läßt sich eine derartige Evolution an einem anderen Wissenszweige beobachten. Ich meine die Embryo: logie. Die Absonderung dieser Disziplin ist nicht durch die Zu- | gehörigkeit ihrer Objekte zu einer besonderen Klasse des Systems, sondern durch das gemeinsame Merkmal dieser Objekte bedingt, dab sie sich alle in einem unreifen Zustande befinden, oder daß sie noch nicht jenes Aussehen erlangt haben, das üblicherweise als das Normale für die Geschöpfe ihrer Species gilt. Die Definition sieht in dieser Form etwas unbestimmt aus, sie ist es aber notgedrungen, weil das Objekt eben unscharf umschrieben ist. Man denke nur, daß die Aneinanderreihung embryonaler Zustände bei den einzelnen Arten in so ungleichem Verhältnis zum definitiven Zustand steht, je nach- dem es sich um Fälle von direkter Entwickelung oder Metamorphose, um ovipare oder vivipare Arten usw. usw. handelt. Da ferner bei den Tieren auch nach dem als ‚Geburt‘ bezeichneten Moment noch mannigfache Rück- und Fortbildungen von Organen stattfinden, so ist die Grenze äußerst unsicher. Da nun vom Standpunkte des oben entwickelten logischen Systems sich an Embryonen von Tieren sowohl morphologische, als physiologische und ökologische Untersuchungen durchführen lassen, da die Befunde für die Zwecke der Klassifikation verwertet und bei den Betrachtungen über die Genetik im weiteren Sinne (also sowohl die Grundfrage als auch die Frage nach den Stamm- bäumen und den Faktoren der Entwickelung) sehr wertvoll sein können, so ergibt sich, daß außer der Chorologie und Chronologie alle übrigen fünf materiellen Gesichtspunkte an der „Embryologie‘ beteiligt sein können. Und was die formalen Gesichtspunkte anbe- trifft, so kann man das Studium der Embryonen sowohl für die Zwecke der Biotaxie, d. h. zur Feststellung der Einheit in der Mannigfaltigkeit (man denke an die Zuteilung der Sacculina und anderer Cirrhipedien zu ihren betreffenden Gruppen auf Grund der embryonalen Zustände), als auch für die Erforschung realer Be- ziehungen (etwa die Anpassungen pelagischer Larven, die Ver- schiedenheit der Nordsee- und der Mittelmeerlarve des Polygordius u. a. m.) verwerten. Es erscheint also von unserem Standpunkte durchaus unmöglich, der Embryologie auf Grund einer logisch nach- weisbaren Besonderheit die Stellung einer besonderen Disziplin zuzuerkennen. Man muß sich aber daran erinnern, daß die Zoologie einst viel zu eng gefaßt zu werden pflegte und eine derartige inten- 16 S. TscHuLox, sive Erforschung der sich entwickelnden Lebewesen infolge der Neu- heit des von ihr geübten Verfahrens als ein besonderes Wissensgebiet imponieren mußte. Von unserem Standpunkt aus ist es daher völlig belanglos, ob man die „Embryologie“ der „Morphologie“ koordiniert oder subordiniert. Manche Autoren streiten auch heute noch darüber. Braus schreibt in seinen ‚„Experimentellen Beiträgen zur Morpho- logie“, 1906, S. 9: „Ich will hier nur vorausschicken, daß in der embryologischen Methode eine besondere Möglichkeit morphologischer Forschung gegeben ist, welche von der vergleichend-anatomischen, d. h. der von fertigen Objekten ausgehenden Betrachtung prinzipiell verschieden ist. Es war also ein wesentlicher Fortschritt, die ver- gleichende ‚Anatomie‘ auf die fertigen Formen zu beschränken und dadurclı das Eigenartige sich entwickelnder Formen deutlicher hervor- treten zu lassen, wenn auch die Wertung der Stellung beider Forschungsrichtungen zueinander noch zu Bedenken Anlaß gibt (siehe nächstes Kapitel). Ganz verfehlt ist es dagegen, nachdem einmal dieser Fortschritt erzielt ist, wiederum die Ontogenie der vergleichen- den Anatomie als einer morphologischen Hilfswissenschaft subsumieren zu wollen, wie es Drızsch getan hat.“ Nun, unseres Erachtens ist eine solche Subsumption schon des- halb unrichtig, weil man erstens an den „Embryonen“ nicht bloß „Morphologie“ studieren kann und weil man zweitens beim Studium der ‚vergleichenden Anatomie“ sich nicht auf die ausge- wachsenen Tiere beschränken kann. Aber was in aller Welt vermag aus der Erforschung der Gestalt, der Lebensvorgänge und An- passungen eines Tieres eine logisch selbständige Disziplin zu machen einzig und allein aus dem Grunde, weil das Tier noch nicht „erwachsen“ ist? 7. Aus der Geschichte der vergleichenden Anatomie (von SEVERINO bis GEGENBAUR). Im vorstehenden wurde die Stellung der Morphologie im System der biologischen Wissenschaften unter normativen Gesichtspunkten dargestellt, d.h. wir gingen von bestimmten Voraussetzungen aus und suchten zu zeigen, wie sich unter der Annahme dieser Voraussetzungen die Morphologie zum Gesamtgebiet, dessen Teil sie darstellt, verhalten muß. Jene Voraussetzungen, die dem entwickelten System der Bio- logie zugrunde liegen, sind 1) daß die Morphologie ein integrierender Bestandteil der Zoologie ist; 2) daß die Einteilung der zoologischen Forschung nach der Methode von der Einteilung der Zoologie nach dem Inhalt der Probleme gesondert werden muß; 3) daß die tech- nischen Momente, die die Art und die Behandlung der Objekte betreffen (also ob zergliedert wird oder nicht, ob es sich um ein ausgewachsenes Tier handelt oder um ein junges, ob es ein fossiles oder ein noch lebendes Tier ist), daß alle diese Momente nicht zu Kriterien der logischen Abgrenzungen gehören; 4) daß endlich auch die praktischen Rücksichten auf die Verteilung der Fächer in den Fakultäten, auf ihre Anwendungen in der Heilkunde usw. bei den Er- örterungen über die logischen Grundlagen eines Wissensgebietes und über seine Beziehungen zu den Nachbargebieten außer acht gelassen werden müssen. Wenn wir daneben den gegenwärtigen Stand der Frage nach der Stellung der Morphologie zu den übrigen Gebieten der Biologie, Logisches und Methodisches. 17 wie er sich aus den Aeußerungen der Autoren in der Literatur ergibt, betrachten, so zeigt sich, daß die Situation durchaus nicht so klar ist, wie man nach dem Vorstehenden annehmen möchte. Auf der einen Seite die Mehrzahl der Zoologen, die die „Morpho- logie“ mit „vergleichender Anatomie‘ identifizieren und dabei zu- nächst diesen Wissenszweig mehr nach technischen als nach logischen Kriterien von allen übrigen absondern, indem sie ihn der „deskrip- tiven Anatomie‘ entgegenstellen. Da aber eine deskriptive Anatomie der Tiere ja gar nicht existiert, so gewinnt jene Gegenüberstellung nur dann einen Sinn, wenn man sie auf die „deskriptive Anatomie des Menschen“ bezieht. Bedenkt man aber, wie sicher heutzutage die Abgrenzung der Zoologie von der Medizin ist und wie fortschrittlich die „Anthropotomen‘“‘ selbst sind, die ja den Bau des Menschen im Zusammenhang mit seiner Stellung in der Natur studieren, so gewinnt man den Eindruck, daß jene Interpretation der „vergleichenden Ana- tomie‘“ als des Antipoden der „Anatomie‘ schlechthin keinem wirk- lichen Bedürfnis der heutigen Wissenschaft entspricht. Wenden wir uns dem Inhalte selbst zu, so ist es die Ansicht jener Mehrzahl der Zoologen, daß die Morphologie nur die Aufgabe habe, die Einheit in der Mannigfaltigkeit der Tiergestalten nachzuweisen. Es werden die Organe der Tiere in Reihen geordnet und die mannig- fachen Modifikationen einer und derselben Wesenheit darin gesucht. Der Grundbegriff der so aufgefaßten Morphologie ist derjenige der Homologie. Es handelt sich aber nicht um die Reihen physiologisch gleichbedeutender, sondern um die Reihen gestaltlich gleichwertiger Organe. ,‚Homologie und Analogie sind daher zwei scharf gesonderte Begriffe, von denen der eine die Beziehung des Organs zu seiner Genese, der andere jene zu seiner Verrichtung zum Objekte hat“ (GEGEnBAUR). Für die Homologisierung zweier Form- gebilde kommt es natürlich nicht auf die Funktion an: so werden die oberen Schneidezähne verschiedener Säugetiere miteinander homo- logisiert, trotzdem sie in den einzelnen Ordnungen verschieden funk- tionieren. Maßgebend ist aber, daß sie alle im Os praemaxillare, im Zwischenkieferknochen sitzen. Auch auf die Größe kann es nicht ankömmen, sondern nur auf die Art der Verbindung mit anderen Teilen in allen Phasen des individuellen. Entfaltungsprozesses. So ist es im allgemeinen anerkannt, daß die Halsrippen der Säugetiere den übrigen Rippen homolog sind, trotzdem sie frühzeitig mit den Wirbeln verwachsen und nur als Fortsätze derselben erscheinen. Je hetero- gener anscheinend die Gebilde sind, deren Homologie nachgewiesen werden kann, desto größer der Triumph und die Einschätzung des Wertes der ganzen Methode. Nach der obigen Definition der oberen Schneidezähne der Säugetiere sollte bei Tieren, die kein Praemaxillare haben, auch von Schneidezähnen nicht die Rede sein. Ein solches Tier ist der Mensch; und der Nachweis, daß es beim Menschen eben- falls einen Zwischenkiefer gibt (Gorruz, Vıca v’Azyr), bildet einen Markstein in der Entwickelung der Morphologie, ja in einem ge- wissen Sinne vielleicht den Ausgangspunkt dieser Wissenschaft. GEGENBAUR unterschied schon 1870 verschiedene Arten der Homologie: Allgemeine Homologie — „wenn ein Organ auf eine Kategorie von Organen bezogen wird, oder wenn ein damit ver- glichenes Einzelorgan nur als Repräsentant einer solchen Kategorie zu gelten hat“. Diese Art der Homologie zerfällt dann noch in vier Arnold Lang, Handb. d. Morphologie, II. 2 18 S. TscHurLox, Unterkategorien: 1) Homotypie, das ist z. B. das gegenseitige Ver- halten der Organe in den beiderseitigen Körperhälften, linkes und rechtes Ohr, Auge usw. 2) Homodynamie, diese Bezeichnung gilt für das morphologische Verhältnis der aufeinanderfolgenden Segmente des metameren Körpers von Wirbeltieren, Gliederfüßlern usw. 3) Homo- nomie, für die Finger einer Hand, resp. die Zehen eines Fußes. 4) Homonymie, für Teile, die durch Gliederung sekundärer Körper- teile entstanden sind, so zZ. .B. für die einzelnen Abschnitte der Glied- maßen. Spezielle Homologie, oder Homologie im engeren Sinne — ‚‚das Verhältnis zwischen zwei Organen, die gleiche Abstammung be- sitzen, somit aus der gleichen Anlage hervorgegangen sind“. Hier unterschied GEGENBAUR noch die komplette und inkomplette Homologie. Komplette Homologie weisen die Oberarmknochen aller Wirbeltiere von den Amphibien bis zu den Säugetieren auf. Inkomplette Homo- logie besteht z. B. zwischen dem Herzen der Fische und demjenigen der Säugetiere, da bei letzteren zu den schon von den Fischen her bekannten Teilen noch neue hinzutreten. In anderen Fällen ist die Homologie inkomplett infolge der Verminderung der Bestandteile eines Organs. — So weit die GEGEnBAurRschen Begriffsbestimmungen. In neuester Zeit hat BürscHhLı unter homonomen Organen alle homologen Organe eines und desselben Individuums verstanden und hervorgehoben, daß jener subtilen Unterscheidung von homotypen, homonymen und homodynamen Organen ‚für das tiefere Verständnis kein großer Wert zukommt“ (Vorlesungen über vergleichende Ana- tomie, 1910, S. 11 Auch für die methodologische Betrachtung sind jene Unterschei- dungen weniger von Belang als die Grundfrage nach den Kriterien der Homologie. Schon in der oben zitierten Definition von (GEGENBAUR ist mit Homologie „die Beziehung des Organs zu seiner (renese“ gemeint. Die Genese kann aber in zweifacher Weise inter- pretiert werden. Wenn es sich um die Genese des Individuums han- delt, dann sind die Befunde an Embryonen die Hauptquelle für die Feststellung der Homologie. Doch ist diese Quelle nicht immer allein maßgebend, wenn es sich um die Feststellung von speziellen Homo- logien handelt (was nach GEGENBAUR einen großen Teil der Haupt- aufgabe der vergleichenden Anatomie bildet). Ich führe nur ein Beispiel an: die allgemeine Homologie der Stoßzähne des Elefanten mit den Schneidezähnen anderer Säugetiere gilt schon lange als sicher; aber welchem von den drei oberen Schneidezähnen ist der Stoßzahn des Elefanten ‚speziell homolog“. Erst die Auffindung des fossilen Moeritherium hat hier einen Einblick gewährt und die höchste Wahrscheinlichkeit dafür gebracht, daß der Stoßzahn des Elefanten dem zweiten Schneidezahn der anderen Säugetiere ent- spricht. Das Beispiel zeigt zugleich, daß unter der ‚Genese‘ der homologen Organe nicht nur die ‚individuelle Genese‘ verstanden wird; bei der Herrschaft deszendenztheoretischer Anschauungen ist es naheliegend, die homologen Organe aller Kategorien von gemein- samen Stammorganen der Vorfahren herzuleiten. In der Mehrzahl der Fälle hält man sich bei der Ableitung der Homologien in den Grenzen der einzelnen Typen, und das war gerade um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ein Vorteil der neuen Me- thode gegenüber den oberflächlichen und sehr gewagten Annähe- Logisches und Methodisches. 19 rungen zwischen verschiedenen Typen, die sich meist als „Ana- logien‘“ erwiesen. Und doch gibt es wieder einige Homologien (so z. B. die Herleitung der Metamerie, der Leibeshöhle usw.), bei denen man bewußt über die Grenzen der einzelnen Typen hinausgeht. Auf der anderen Seite gibt es eine Minderheit von Zoologen, die die Feststellung der Homologien für eine minderwertige Arbeit hält, weil sie nicht die Erforschung der Einheit in der Mannigfaltigkeit als die Hauptaufgabe der Morphologie betrachtet, sondern die Fest- stellung der Gesetze „des allgemeinen Sich-Entwickelns“ (Drizsch). Der hervorragendste von diesen Zoologen, DRrIEScH, - schrieb bereits 1899: „Wir — zahlreich sind wir eben nicht — haben nicht „eine“ Methode der wissenschaftlichen Morphologie, sondern die wissenschaftlich-morphologische Methode.“ — Die Vertreter dieser Richtung weisen darauf hin, daß die auf „Ver- gleichung“ gegründete Bildung allgemeiner Begriffe nicht in einer Merkmalsgeneralisation, sondern in einer Weglassung der unterschei- denden Merkmale der Einzeldinge bestehe. Während man also bei den Generalisationen der Mathematik, etwa bei den verschiedenen Einzel- formen der Kegelschnitte, durch Einsetzung gewisser Werte aus der allgemeinen Formel die einzelnen gewinnen kann, so ist bei den zusammenfassenden Begriffen der Biologie der Inhalt um so ärmer, je weiter der Umfang. Die ablehnende Haltung gegenüber der Deszendenztheorie ergibt sıch für diese Richtung von selbst: wenn schon die Feststellung der Verwandtschaft der Tiere im System so gewagt erscheint, so ist es ganz unzulässig, von der Abstammung der Arten zu sprechen, so lange man nicht die Einsicht in die Notwendigkeit der Umbildungs- prozesse gewonnen hat. Da diese Schule der „Entwickelungsphysiologen“ und ‚„Entwicke- lungsmechaniker“ bei ihrer Stellungnahme gegenüber der herrschen- den Richtung sich auf logische Argumente stützt, so sucht sie den (Gegensatz zwischen sich selbst und der herrschenden Richtung der Morphologie darin, daß letztere „vergleichend‘“ arbeitet und stellt sich ihr als „experimentelle“ Richtung entgegen. So windet sich ein Knäuel von Mißverständnissen um die heutige Morphologie: die einen identifizieren sie mit „vergleichender Anatomie‘ und meinen damit nur den technischen Gegensatz zur deskriptiven Anatomie des Men- schen; die anderen verwerfen dieselbe Morphologie, weil sie sich quasi logisch als „bloß vergleichend‘“ charakterisiere! Wer sich in diesem Widerstreit der Meinungen ein selbständiges Urteil bilden will, der muß vor allem möglichst kritisch sein in der Verwendung der in Gebrauch befindlichen Begriffe, wie „ver- gleichende Anatomie“, „„Phylogenie“ u. a. m. Diese Begriffe sind, wie auch manche andere, zu einer bestimmten Zeit entstanden und haben seitdem ihren Inhalt zum Teil stark geändert, so daß man damit nicht einheitliche Dinge bezeichnet. Nichts ist geeigneter, uns ein klares Urteil über die Frage zu verschaffen, als ein historischer Rück- blick, in dem wir die Sache selbst und nicht die Namen sprechen lassen. Wir müssen uns klar zu machen versuchen, wie man sich das Wesen der Formenwissenschaft in verschiedenen Stadien der Ent- wickelung der Zoologie vorstellte und wie es zum gegenwärtigen Zu- stand gekommen ist. 28 20 S. TscHuLor, Die ersten Jahrhunderte der zoologischen Wissenschaft nach dem Wiedererwachen der Wissenschaften in der Neuzeit kannten noch keine Differenzierung einzelner Gebiete im Bereiche der (sesamt- wissenschaft, der Tierkunde. Es war die sogenannte ‚Periode der Zoo- graphie“, die Zeit der dickleibigen Sammelwerke, in denen wirkliche und fabelhafte Tiere nach ihrem Aussehen, ihren Gewohnheiten, ihrem Nutzen und Schaden geschildert wurden. Zu gleicher Zeit wurde aber auch schon die Zergliederung von Tieren ziemlich intensiv betrieben, doch fast ausschließlich im Interesse der Heilkunde. Im 17. Jahr- hundert erscheint ein Werk, das die erste abgegliederte zoologische Disziplin repräsentiert, die Zootomia oder Theriotomia (Marco AÄURELIG SEVERINO, Zootomia democritaea, 1645, die ausdrücklich neben die Androtomie gestellt wird. Es ist charakteristisch, daß der erste Versuch einer Isolierung einer „Disziplin“ von dem technischen Moment als Kriterium ausgeht. Dort schneidet man die Tiere nicht (wie sollte man auch das Einhorn und den Phönix schneiden !), hier schneidet man sie. Die Berechtigung dieser Art von intensiver, aber auch einseitiger Beschäftigung mit den Tieren wird durch den Nutzen derselben zu begründen gesucht. Die Zootomie sei nützlich für die Psychologie und Technik, für Ethik und Religion (die Laster und Leidenschaften des Menschen finden sich in ausgeprägter Form bei Tieren: die Tücke im Fuchs, der Zorn im Löwen, die Dummheit und Trägheit im Esel usw. Gottes Weisheit und Vorsehung gehe aus der Organisation der Tiere, besonders der kleineren: Bienen, Flöhe usw. hervor. Die Kiefer seien das Prototyp der Zange, das Infundibulum dasjenige des Trichters, die Eingeweide dasjenige der Kochkunst (!) usw.). Daß die Zootomie außerdem für die praktische Medizin, für die Vertei- digung des HıPppokRATzEs und GALENn, für die Beurteilung der Tem- ramente, der Säfte usw. nützlich sei, das gibt ihr noch mehr Berech- tigung, als besonderes „Fach“ angesehen zu werden. Das neue „Fach“ Zootomie, für dessen Abgliederung ein tech- nisches, nicht ein logisches Moment maßgebend war, ist logisch ge- sprochen eine Sammlung von Stoff, der für verschiedene von den oben namhaft gemachten Zweigen der Biologie verwertet werden kann. Die „Ergebnisse der Zootomie“ lassen sich für die System- kunde, für die Physiologie, für die Formenwissenschaft, für die Oeko- logie und für die Genetik verwerten. In jener Zeit, da sich die Systemkunde als ein logisch definierter Zweig eben von der „Natur- geschichte‘ abzugliedern begann (die Historiker lassen die Periode der Systematik mit Ray beginnen), um sehr bald unter Lınnk und KLEın eine sehr einseitige Richtung einzunehmen; in einer Zeit, wo von Morphologie, Oekologie und Genetik als besonderen Problemen der Biologie noch keine Rede sein konnte, da mußte die Zootomie eine einseitig-physiologische Verwertung erhalten. Man suchte im Bau der Tiere Aufschluß über die Lebensvorgänge des Menschen. Die Zootomie war nicht ein Teil der Zoologie, der Naturgeschichte, wie man es vom heutigen Standpunkt aus leicht anzunehmen geneigt wäre. Und da damals unter Anatomie so viel wie „Anatomie des Menschen‘ verstanden wurde, so konnte sich für die neue Disziplin nicht etwa der Name ‚Anatomie der Tiere‘ eignen. Die fortwährende Bezugnahme auf den Menschen und seinen Bau ließ die Bezeichnung „vergleichende Anatomie‘ aufkommen. Logisches und Methodisches. | 21 Auch Wiırrıs, in dessen Schriften über die „Anatomie des Ge- hirnes“ und „über die Tierseele‘‘ der Name „vergleichende Anatomie“ zum ersten Mal in dem seither üblich gewordenen Sinne gebraucht wird (in anderem Sinne soll ihn schon Baco gebraucht haben), hält „eine vielseitige und vergleichende Anatomie für unumgänglich nötig zur näheren Erkenntnis des Lebensprinzips“. Mehr als SEvERINnG (der die Helix unter den Vierfüßern beschreibt), soll Wıruıs von der Einheit des Organisationsplanes in weiten Kreisen des Tierreichs ge- ahnt haben. Aber auch ihm ist diese „vielseitige und vergleichende Anatomie“ nur „Helferin bei seinen anthropologisch-psychologischen Untersuchungen‘. Das 1685 erschienene „System der Anatomie‘ von SAMUEL ÜoL- Lıns bringt nach jedem Abschnitt der menschlichen Anatomie (z. B. über die Haut) eine Darstellung des betreffenden Organsystems anderer Lebewesen, z. B. der Haut der Fische, Schaltiere und In- sekten. der Cuticula und Rinde der Pflanzen. Diese Anordnung ist zum Prototyp für zahlreiche Werke aus dem ganzen 18. und aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts geworden, nur sind ziemlich bald die Pflanzen weggeblieben. Typisch für diese Phase der Entwickelung ist BLUMENBACHS „Handbuch der vergleichenden Anatomie‘, das erste deutsche Hand- buch dieser Disziplin (1805). Es zerfällt in vier Teile: Osteologia comparata, Functiones naturales, Functiones anımales und Functiones genitales. Der erste Teil behandelt das Gerippe der Säugetiere, Vögel, Amphibien und Fische. Der zweite Teil behandelt in zehn Kapiteln folgende Organe: Schlund und Magen, Darmkanal, Leber, Milz und Netz, Harnwege, äußere Bedeckungen, mancherlei besondere Sekretionen, Herz und Blutgefäße, absorbierende Gefäße, Respirations- werkzeuge, Stimmwerkzeuge. Von jedem Organ wird seine Be- schaffenheit bei den Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Fischen, In- sekten und Würmern dargestellt. In ähnlicher Weise werden in den beiden letzten Teilen das Nervensystem, die Sinnesorgane und die Reproduktionsorgane behandelt. Es ist also der Aufzählung der Befunde das Linn&sche System zugrunde gelegt. Die zweite Auflage 1815 zeigt fast keine ÄAenderung, nur sind die lateinischen Ueber- schriften der vier Teile weggefallen, so daß nur die 27 Kapitel- überschriften die Gliederung des ganzen Werkes anzeigen. Für die weitere Entwickelung war der Weg insofern vorge- zeichnet, als sich mit dem Fortschritt der Wissenschaft eine innigere Wechselbeziehung zwischen Systemkunde und Zootomie herausbilden mußte. War doch für die Darstellung der Befunde der Zootomie in erster Linie die physiologische Klassifikation der Organe, in zweiter Linie das herrschende zoologische System maßgebend. Dieser Rahmen des Systems mußte sich mit der Vervollkommnung der zoolo- gischen Klassifikation immer verbessern. Da aber die Vervollkomm- nung des Systems (im Gegensatz zu Lınn& und Ken) auf der steigenden Berücksichtigung des inneren Baues beruhte, so stammte dieser Fortschritt des Systems von der Zootomie selbst her. War ein Zootom nicht bloß Anthropotom, so konnte er nicht in seinen An- forderungen an die Grundlagen des Tiersystems so gleichgültig sein, wie BLumengach, für den noch 1815 LamaArck und ÖvvIer mit ihren Bestrebungen auf dem Gebiete der Tiersystematik noch nicht existiert zu haben scheinen. Hatte also ein Zootom bestimmte Anschauungen 22 S. TscHuLox, über die zweckmäßigere Art der Gruppierung der Tiere, so mußte er suchen, diese bessere Einsicht in der Anordnung des Stoffes in der „vergleichenden Anatomie“ zu verwerten und die Gruppierung der Klassen und Ordnungen eben auf diese „vergleichende Anatomie‘ zu gründen. Den Gipfel dieser Bestrebungen sehen wir in der wissen- schaftlichen Arbeit CuvIers. Cuvier wird heute noch von vielen als der Begründer oder der Neubegründer der vergleichenden Anatomie bezeichnet. Vor55 Jahren schrieb man Ouvıer das Verdienst zu, dieZoologie mit der vergleichen- den Anatomie vereinigt zu haben. „Will man mit einem Worte die Aufgabe bezeichnen, die er sich gestellt, so war es die Verschmelzung der Zoologie mit der vergleichenden Anatomie; das Heil beider Diszi- plinen sah er nur in der gegenseitigen Durchdringung derselben, und wenn er in einem Briefe an Prarr schreibt: den Systemen spreche ich keineswegs ihren Nutzen ab, sie sind die Lexika der Natur- geschichte, aber wann wird man einmal die Sprache reden? — so suchte er sich in Besitz dieser Sprache zu setzen, indem er die Natur der Tiere aus dem Gesamthabitus studierte“ (O. ScHMIpT, Die Entwickelung der vergleichenden Anatomie, S. 109). — Ich glaube, daß in diesen Zeilen die Bedeutung der Cuvıerschen Wirksamkeit nicht genau charakterisiert wird. Sie ist vielmehr so zu charakte- risieren: CuUVIER, der über ein ungeheures Tatsachenmaterial aus der Anatomie der lebenden und fossilen Tiere verfügte, suchte die Er- gebnisse der Zootomie, die früher fast ausschließlich im Dienste der Physiologie verwertet zu werden pflegten, für die Vertiefung des Klassifikationsverfahrens zu verwerten. Davon kann sich jeder über- zeugen, der die Einleitung zu seinem „Tierreich“ und zu seiner ‚„ver- gleichenden Anatomie“ aufmerksam durchliest. In den einleitenden Abschnitten des ersten Bandes der ‚‚ver- gleichenden Anatomie“ wird erklärt, daß ‚‚die Verschiedenheiten in den Organen von einer und derselben Art gerade den Gegenstand der vergleichenden Anatomie bilden“ (wozu der Uebersetzer des ersten Bandes, FRorIEr, bemerkt, das Feld der vergleichenden Ana- tomie sei doch zu beschränkt angegeben). In denselben einleitenden Kapiteln, die die physiologische Korrelationen der Organe behandeln, finden sich Erörterungen der Frage nach den Beziehungen zwischen Anatomie und Naturgeschichte in Sachen der Aufstellung eines natür- lichen Systems. Die Anatomie gebe der Naturgeschichte sehr bald das von ihr erhaltene Licht zurück. Von der Einheit des Grundplanes ın der Organisation großer Gruppen des Tierreichs finden sich nur schüchterne Andeutungen. Auf S. 483 des ersten Bandes (der deutschen Uebersetzung) wird von den Flügeln der Pinguine gesagt: „Sie sind so klein, daß sie nur da zu sein scheinen, um von den Regeln der Klassenähnlichkeit keine zu auffallende Ausnahme zu machen“ (!). Selbst in der Aufstellung der vier Typen des Tierreichs kann man nicht die Loslösung der Morphologie, der Wissenschaft von der Ge- staltung im Tierreich, als eines selbständigen Gesichtspunktes der Forschung erblicken. Auch Carus sagt in seiner „Geschichte der Zoologie“, S. 666: „CuvIer selbst gelangte zur Auffassung seiner vier Typen durch rein klassifikatorische Betrachtungen. Die Sub- ordination der Charaktere, welche er überall durchzuführen suchte, ließ ihn zunächst erkennen, daß die Linn&schen Klassen ungleich- Logisches und Methodisches. 23 wertig seien, daß z. B. die Mollusken in ihren verschiedenen Formen gleiche Modifikationen des Baues darbieten, wie die vier Wirbeltier- klassen. Es war also in erster Linie ein methodisches Bedürfnis, welches ihn zur Gründung größerer gleichwertiger Abteilungen führte.“ Cuvier hat das natürliche System durch die Anwendung der anatomischen Kriterien auf eine bis dahin nicht geahnte Höhe ge- bracht. In der Anatomie selbst ist aber, außer dem ungeheuren Zu- wachs an neuen Tatsachen, alles beim alten geblieben. ÜuvIErS ver- gleichende Anatomie steht methodologisch auf dem gleichen Niveau wie diejenige BLUMENBACHS. ÜCuvIer ist der große Reformator des Systems, aber der Neubegründer der vergleichenden Anatomie ist er nicht. Es scheint, daß die Erfassung der Probleme der Gestaltung als selbständiger Objekte der Forschung von der Richtung ausgegangen ist, der Cuvier schroff ablehnend gegenüberstand, von der „Schule der Ideen“, die IsınorRE GEOFFROY SAINTE-HILAIRE (in der Biographie seines Vaters) der Cuvıerschen ‚Schule der Tatsachen“ gegenüber- stellt. Zwar wäre zumal für Deutschland hier GoETHE zu nennen, aber GoETHeEs diesbezügliche Schriften wurden erst später publiziert und seine Ansichten waren zu Anfang des Jahrhunderts nur wenigen bekannt. Mag also GoETHE auch diese oder jene Gedanken zuerst konzipier( haben, die Anregung zur Auffassung der Gestaltphänomene als selbständiger Objekte der Forschung, die Anerkennung dieser Forschungen als einer besonderen Disziplin, neben der Systematik, ging sicher nicht von dem isoliert grübelnden Dichter, sondern von dem Gründer der Schule der „philosophischen Anatomie‘, GEOFFROY SAINTE-HILAIRE aus, der über ein großes Material verfügte und eine Anzahl junger Forscher zu ähnlichen Untersuchungen anregte, wie er sie selbst zuerst durchgeführt hatte. Man denke an den Nachweis der Homologien der Anhänge der Insekten durch Savıcny und La- TREILLE, derjenigen der Krebse durch MıLnEe-Epwarps, Forschungen, die nicht nur ihrem Inhalte nach zum dauernden Besitze der Wissen- schaft geworden, sondern auch dem Verfahren nach vorbildlich sind. Wenu wir also von vereinzelten Versuchen von GOETHE, Vıcq D’AZYR und KIELMATER absehen, so können wir sagen, daß an der Wende des .19. Jahrhunderts durch ETIENNR GEOFFROY SAINTE-HILAIRE die Erforschung der Erscheinungen der Form im Tierreiche als ein selbständiger, von allen anderen logisch unabhängiger Gesichtspunkt der Biologie erfaßt wurde. Nach der Darstellung des Lebens und Wirkens von ETIENNE (sEOFFROY durch seinen Sohn Isıpor£E scheint es, daß wir in der wissenschaftlichen Arbeit jenes Mannes, den ich als den eigent- lichen Begründer der Morphologie betrachte, eine der denk- würdigsten Erscheinungen in der Geschichte der Zoologie zu er- blicken haben. Denn noch nie vorher ist eine mit glänzenden äußeren Mitteln ausgestattete jahrzehntelange Spezialarbeit eines Forschers so ganz in den Dienst einer Idee gestellt worden, wie bei GEOFFRoY. Diese Idee war die „Einheit des Bauplanes“ (Unit& de Composition). Es ist von Isınore GEoFFRoy hervorgehoben worden, wie alle Ar- beiten seines Vaters, selbst diejenigen, die anscheinend zu der Grund- idee in keiner näheren Beziehung stehen, sich einem gewissen einheit- lichen Plan unterordnen. Seine embryologischen Forschungen, seine 24 S. TscHurox, grundlegenden teratologischen Arbeiten, die Untersuchung der fossilen Reptilien, die Betonung des Wertes der rudimentären Organe, alles das lieferte ihm Stoff für die Erfüllung der Aufgabe, die er als Einfügung der einzelnen Bausteine in das Gebäude wissenschaftlicher Schluß- folgerungen bezeichnete. ‚L’anatomie fut longtemps descriptive et particuliere; rien ne l’arrötera dans sa tendance pour devenir senerale et philosophique.“ | Es bedurfte eines neuen Namens, um diese Art der Forschung von der althergebrachten ‚vergleichenden Anatomie“ abzugrenzen. (EOFFROY nannte sie „philosophische Anatomie“. Dieser Name war auch in Deutschland einige Zeit in Gebrauch, doch wurde er ziem- lich bald durch den auf deutschem Boden entstandenen, von GOETHE geprägten Namen „Morphologie“ verdrängt. Heute ist es wohl vielen unbekannt, daß um die Mitte des Jahr- hunderts selbst in Deutschland viele Forscher zwischen der „Morpho- logie“ (resp. „philosophischen Anatomie“) und jener alten ‚ver- gleichenden Anatomie“ wohl zu unterscheiden wußten). Schon damals war es für viele kein Geheimnis, daß mit der Auf- stellung der Morphologie als einer besonderen Wissenschaft von den (resetzmäßigkeiten der Gestalt jene älteren Darstellungen der „vergleichenden Anatomie‘ von CoLLıns bis BLUMENBACH, CUVIER und MEcKEL und bis zu den noch neueren von WAGNER, SIEBOLD und Stannıus, daß sie alle mehr oder weniger physiologische Deutungen der Befunde der deskriptiven Anatomie der Tiere darstellten. Einige Autoren zeigten sich konsequent genug, um dieser Einsicht auch äußerlich Ausdruck zu verleihen. R. WAGNER taufte sein 1834 erschienenes „Handbuch der vergleichenden Anatomie“ in derzweiten Auflage (1843) in ‚Lehrbuch der Zootomie“ um. SIEBOLD und STAnNIus taten dasselbe mit ihrem Lehrbuch der vergleichenden Ana- tomie (in zweiter Auflage als Lehrbuch der Zootomie). Aber noch bevor sie ihre Namen änderten, suchten sich die neueren Lehr- und Handbücher der neu aufgetauchten Auffassung in der Weise anzu- passen, daß sie den ganzen Stoff nicht mehr nach den Organen und Organsystemen, sondern nach den Klassen zunächst einteilten, und erst innerhalb der einzelnen Klasse die Hautbedeckung, das Muskel- system, das Nervensystem, das Verdauungs-, Zirkulations-, Respira- tions-, Exkretions- und BReproduktionsystem durchgingen. Im Vor- wort zu SIEBOLDS „Wirbellosen Tieren“ 1848 finden wir diese Neuerung hervorgehoben. Damit ist anerkannt, daß der (rein physio- logische) Vergleich der Haut des Menschen mit derjenigen der Koralle in einem Werke, das sich an die Morphologie anzulehnen sucht, keinen Erkenntniswert besitzt. Es ist also Tatsache, daß zu einer bestimmten Zeit der Begriff der „vergleichenden Anatomie“ zu eng geworden ist, um die neu aufgetretenen Forschungsaufgaben zu umfassen. Es ging nicht an, die neue „Morphologie“ mit einem alten Wissensgebiet zu identifi- zieren, das wesentlich verschieden ausgesehen hatte, wenn es auch sewisse Elemente der Morphologie in sich enthielt, vor allem aber den Rohstoff für die Morphologie zu liefern hatte. 1) CARUS schrieb 1853, in der vergleichenden Anatomie sei ja alles unverbunden nur nebeneinander gestellt, dagegen verdiene allein die philosophische Anatomie den Namen einer Wissenschaft (System der Morphologie, S. 26). Logisches und Methodisches. 25 Was war aber die Aufgabe dieser Morphologie? Es läßt sich nachweisen, daß GEoFFRoy seiner philosophischen Anatomie nicht bloß die Aufgabe stellte, die Einheit in der Mannigfaltigkeit auszu- spüren, sondern auch die andere, die Gesetze der Bildung der Gestalt unter der Einwirkung verschiedener Faktoren festzustellen. Es dürfte vielleicht weniger bekannt sein, daß er sogar versuchte, auf künstlichem Wege einen Vogel an der Ablage der Eier zu verhindern, um die Einflüsse dieser „Bebrütung im Innern des Eileiters““ auf den Verlauf der Entwickelung zu studieren (vgl. CuvIer, Geschichte der Naturwissenschaften, Bd. 4, S. 43). Es muß aber bemerkt werden, daß die unvorsichtige Art der Anwendung der Anschauungen über formbildende Faktoren auf die Probleme der Entstehung ganzer Tier- klassen in der Vergangenheit dieser Seite der GEoFFrRoxschen Lehre sehr geschadet hat. Sachlich hat ja GEoFFRoY auch in dem Nachweis der Einheit in der Mannigfaltigkeit manches Mal geirrt. Es ent- spricht aber dem ganzen Stande der damaligen Wissenschaft, daß es auf diesem Gebiete den Forschern leichter war, die Unrichtigkeit der einzelnen Resultate nicht auf die ganze Methode zu beziehen, wie es IsrpoRE GEOFFRoY ausführlich darlegt (S. 220 der zit. Biographie). Auch in Deutschland gab es zunächst noch einige Forscher, die die Fragen nach den bewirkenden Faktoren der Gestaltbildung mit in deu Kreis der Probleme aufnahmen. J. F. Mecker (der bei Cuvier gearbeitet und an der Uebersetzung von dessen Vorlesungen über vergleichende Anatomie regen Anteil genommen), hat sich doch in seinem eigenen „System der vergleichenden Anatomie“ zu einem bedeutend höheren Standpunkte aufgeschwungen. Der erste Band dieses Werkes enthält eine Anzahl beachtenswerter Ansätze zu einer neuartigen „Morphologie“, während in den übrigen Bänden die Dar- stellung auf dem Niveau der Cuvızrschen vergleichenden Anatomie steht. In jenem ersten Bande sind unter dem Titel „Gesetz der Mannigfaltigkeit“ und „Gesetz der Reduktion“ Betrachtungen über die Ursachen der gestaltlichen Verschiedenheiten enthalten, die sich auf die Altersdifferenzen, Geschlechtsdifferenzen, periodische Form- verschiedenheiten, Einwirkung äußerer Kräfte, wie Licht, Wärme, Feuchtigkeit, Elektrizität, Einfluß der Bastardierung usw. beziehen. Dies waren aber nur vereinzelte schwache Ansätze. Demgegen- über gab es zahlreiche Faktoren, die es bewirken mußten, daß der neue Wissenszweig „Morphologie“ sich nur auf einen der beiden ihm zukommenden Wege konzentrierte, nämlich auf das Aufsuchen der gemeinsamen Züge im Bauplan, während die Forschung nach den realen Beziehungen der Gestaltung immer mehr in den Hinter- grund gedrängt wurde. Ich kann hier nicht alle Faktoren aufzählen und auch die wenigen können nur kurz angedeutet werden. Da ist vor allem der Einfluß der Naturphilosophie, die das Aufsuchen der „Einheit im Bauplan“ weit mehr begünstigte als die zu aktivem Eingreifen führende Verfolgung der realen Beziehungen der Gestalt. Daß gerade die begrifflichen Beziehungen in der naturphilosophischen Periode im Vordergrund des Interesses gestanden, daß sie sogar ins Extrem ausarteten, ist ja hinreichend bekannt. Sehr mächtig wirkte der andere Faktor, das immer stärkere Hervortreten der Embryologie, bei der ja die Gleichheit der äußeren Faktoren sozusagen eine still- schweigende Voraussetzung ist und die ganze Aufeinanderfolge der Formzustände weit mehr von den in der „Anlage“ verkörperten 26 S. TscHuLox, formalen, begrifflichen Beziehungen der Teile, als von den Bewir- kungen aktueller Faktoren abzuhängen scheint. Einen wichtigen Einfluß hatte auch die konsequente Betonung des Unterschieds zwischen Homologie und Analogie, da das immer wieder den Geist des Forschers zwingen mußte, nebst dem Absehen von der Funktion sich ein Absehen von allen sonstigen realen Beziehungen anzuge- wöhnen und immer nur der ideellen „Verwandtschaft“ der Anlagen seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Indem man den Fehler der ein- seitig physiologisch orientierten alten „vergleichenden Anatomie“ immer deutlicher einsehen mußte, suchte man sich immer schärfer von der Physiologie loszusagen, damit aber auch zugleich von den realen Beziehungen, deren typische Vertreterin die Physiologie immer gewesen ist und immer bleiben wird. Ein Beispiel zeigt uns das sehr deutlich. Noch 1859 behandelte GEGENBAUR die Bruttaschen und Milchdrüsen der Säugetiere im Kapitel „Fortpflanzungsorgane“ als Hilfsorgane, die dem Schutz und der Ernährung der Brut ge- widmet sind. Aber schon 1870 in der zweiten Auflage desselben Werkes stehen diese Organe im Kapitel „Integument“, als „Epi- dermoidalgebilde“. GEGENBAUR Scheint das für so wichtig zu halten, daß er es sogar in seiner Autobiographie unter den von ihm bewirkten Fortschritten in der Behandlung der Wissenschaft anführt (Erlebtes und Erstrebtes, S.102). „Das die Mammarorgane mit den Geschlechts- organen behandelt werden, entspricht nur der Physiologie, keines- wegs der Anatomie, welche sie mit dem Integumente, als Produkte desselben, kennen lehrt.‘ Diese letzte Phase in der Entwickelung der Ansichten über Be- sriff und Aufgabe der Wissenschaft von den Gestalten im Tierreich könnte man in einem Satze zusammenfassen: Die Wissenschaft von der Gestalt emanzipierte sich von der Systemkunde, von der Physio- logie und von der angewandten Zoologie; diese Emanzipation wurde aber um den Preis der Einschränkung ihrer Machtsphäre erkauft, indem mit der Lostrennung von der Physiologie auch ein Verzichten auf die Erforschung realer Zusammenhänge sich verbunden hat. In einer Zeit, die auf die logischen Grundlagen ihres Wissen- schaftsbetriebes bedacht war, sollte aber eine derartige Einschrän- kung der Interessensphäre auf eine logische Basis gestellt werden. Dies fand sich erstens in der scharfen Abgrenzung der Morphologie von der Physiologie im Harckeuschen System der Biologie aus (lem Jahre 1866 und zweitens in der Gegenüberstellung der „vergleichen- den“ und „experimentellen“ Methode, die von nun an als die metho- dologischen Antipoden ebenso galten, wie die Morphologie und Physiologie die sachlichen Antipoden darzustellen schienen. Diese Entwickelung vollzog sich allmählich. Es ist interessant, die erste Auflage von GEGENBAURS „Grundzügen der „vergleichenden Anatomie“ aus dem Jahre 1859 mit der zweiten Auflage aus dem Jahre 1870 zu vergleichen. In der ersten Auflage wird nur auf den Unterschied der synthetischen „vergleichenden“ Anatomie von der analytischen ‚„Zootomie‘“ hingewiesen. In der zweiten wird schon die Morphologie mit der vergleichenden Anatomie fast völlig identifi- ziert. So heißt es auf der dritten Seite: „Die Erforschung der mate- riellen Substrate jener Leistungen, also der Formerscheinungen des Körpers und seiner Teile, sowie die Erklärung derselben bildet die. Logisches und Methodisches. 27 Aufgabe der Morphologie“, und auf S. 6 wird genau dieselbe Aufgabe der vergleichenden Anatomie zugeschrieben: „Die Aufgabe der ver- gleichenden Anatomie liegt in der Erklärung der Formerscheinung der Organisation des Tierleibes.‘‘ Dabei wird aber gleich hinzugefügt: „Die Methode, die zur Lösung dieser Aufgabe dient, ist die Ver- gleichung.‘ Worin das Wesen des „Vergleichens“ als besonderer Methode liegt, das kann der Leser doch nicht herausfinden, denn auf S. 5 liest man, dab häufig „Darstellungen, die auf nichts weniger als auf vergleichenden Operationen beruhen, für Vergleichungen aus- gegeben werden. Wenn ein Organ in seinem anatomischen Verhalten beschrieben und vielleicht mit einem seiner Funktion entsprechenden Namen belegt wird, so ist damit noch keine Vergleichung ausgeführt, selbst wenn die Untersuchung über größere Reihen von Tieren sich erstrecken solltee Denn in dem bloßen Nebeneinanderstellen liegt noch keine Vergleichung; es ist nur die Prätension einer solchen: die Vergleichung will vielmehr erst durch die Erwägung aller morpho- logischen Instanzen begründet sein.“ — Ich glaube nicht, daß in diesen Worten eine klare Definition enthalten ist. Wenn die Morpho- logie der „vergleichenden Anatomie“ gleichgesetzt wird, wenn die Aufgabe die Erklärung der Formerscheinung und die Methode die Vergleichung ist, so ist die Definition der „Vergleichung‘ durch die morphologischen Instanzen unzulässig. Denn wenn einer wissen will, was diese morphologischen Instanzen denn eigentlich seien, so mub er wieder von vorne anfangen und gelangt dann wieder zu den morphologischen Instanzen und so weiter ad infinitum..... GEGENBAUR scheint J. V. Carus’ wohlgemeinten Rat vergessen zu haben, „mit dem Ausdrucke der ‚Methode der Vergleichung‘ so sparsam wie möglich zu verfahren“ (Carus, System der tierischen Morphologie, 1853, S. 31). GEGENBAUR suchte offenbar diese Forschung nach der Einheit in der Mannigfaltigkeit, diese Herleitung und Begründung der Homo- logien von der bloßen Schilderung der anatomischen Verhältnisse der Tiere abzugrenzen. Er suchte das in Begriffe zu fassen, was im Bewußtsein aller heutigen Zoologen enthalten ist, wenn sie die „ver- gleichende Anatomie“ von der „deskriptiven“ sondern. Statt aber die Logik des Forschungsverfahrens hervorzuheben, hielt er sich an die technischen Merkmale, und alle seine Definitionen des Wissens- zweiges bestehen nur aus Deklinationen der „Vergleichung‘‘ und aus Konjugationen des „Vergleichens“. Es fehlte ihm aber an einem methodologischen Antipoden dieses „Vergleichens“. Hier zeigt es sich deutlich, daß wir einen Begriff nicht durch ihn selbst, sondern durch seinen Gegenbegriff kennen lernen. Und GEGENBAUR suchte nach einem solchen Gegenbegriff. Er fand ihn sechs Jahre später. In seinem einleitenden Artikel zum ersten Bande des „Morphologi- schen Jahrbuchs“ (Die Stellung und Bedeutung der Morphologie) ver- suchte GEGENBAUR noch eine neue Charakteristik der „vergleichenden Anatomie” (die er mit Morphologie identifizierte). Er schrieb da unter anderem, das Vergleichen als synthetischer Prozeß der Zu- sammenfassung der Resultate kritischer Behandlung sei nicht dieser Disziplin ausschließlich eigen, denn alle unsere Urteile gründen sich mehr oder weniger auf Vergleichen. Das Eigentümliche sei aber, daß hier das Vergleichen zur Methode ausgebildet sei, die einen Ersatz für das Experiment biete. 28 S. TscHuLox, 8. Nachweis, daß die vergleichende und die experimentelle Morphologie keine methodologischen Antipöden sind. Dies führt uns auf den modernen Stand der Frage nach der methodologischen Charakteristik der vergleichenden Anatomie. Manche glauben wohl heute, daß die vergleichende Anatomie schon deswegen auch in logischer Beziehung das Prädikat einer besonderen selbstän- digen Disziplin verdiene, weil sie in methodologischer Hinsicht durch ihren Gegensatz zur experimentellen Morphologie hinreichend charak- terisiert sei. Sollte das richtig sein, so müßte gezeigt werden können, daß die Antithese ‚„vergleichend und experimentell“ sich logisch be- gründen läßt und eine sichere Grundlage für die Unterscheidung und (regenüberstellung biologischer Disziplinen abgibt. Es läßt sich aber genau das Gegenteil beweisen. Bevor ich aber darauf eingehe, will ich noch bemerken, daß die Unzulänglichkeit dieser Antithese schon aus der geschilderten Ent- wickelung des Begriffes der vergleichenden Anatomie erhellt, denn in einer derartigen Antithese müssen, wenn sie logisch zuverlässig sein soll, beide Hälften gleichzeitig konzipiert und definiert werden, das ist wohl eine elementare Forderung aller Systembildung. Es müßte schon ein Wunder mitspielen, wenn der im 17. Jahrhundert auf nichts weniger als korrekte logische Ueberlegungen hin begrün- deten „vergleichenden Anatomie“ 200 Jahre später in Gestalt der „experimentellen Morphologie“ ein logischer Antipode erwachsen wäre, der sich selbst und seinen Partner so eindeutig bestimmt, dab eine Nachprüfung gar nicht nötig wäre. Ich glaube nicht an solche Wunder und bin fest überzeugt, daß die Gegenüberstellung der ver- gleichenden und experimentellen Methode in der Biologie auf einem Mißverständnis beruht. | Es braucht kaum ausführlich dargelegt zu werden, daß man bei Versuchen, einzelne Wissensgebiete in ihren wesentlichen Merkmalen zu charakterisieren, immer logische Kriterien verlangt. Logisch ist aber zunächst das „Vergleichen“ eine so elementare Funktion des forschenden Geistes, daß sie in jeder Untersuchung notwendig zur Anwendung gelangt, also auch in der experimentellen. Es kann ferner aus der neueren Literatur dargetan werden, daß die (regenüberstellung von vergleichender und experimenteller Biologie gar nicht allgemein anerkannt ist, denn ebenso häufig finden wir diese beiden quasi-methodologischen Antipoden als „beschreibend und experimentell“, oder auch als ‚„rein-historisch und experimentell“ bezeichnet. Ich kann hier keine Zitate anführen, aber jeder wird sie leicht zusammensuchen, wenn er einmal darauf aufmerksam ge- macht wurde und meine Behauptung nachprüfen will. Ich behaupte also, dab in den zumeist unsystematischen und schüchternen, nur so- zusagen in Nebensätzen enthaltenen Versuchen methodologischer Charakterisierung einzelner Forschungsgebiete der Biologie eigentlich eine experimentelle und eine nicht-experimentelle Biologie unter- schieden wird. Mit der zweiten Hälfte ist also logisch nichts an- zufangen. Aber auch die erste Hälfte ist nichts weniger als eindeutig definiert. Das Experiment bedeutet das eine Mal ein Hantieren mit den Objekten, das andere Mal bekommt es die Charakteristik der kau- salen Forschung. Auf das Technische können wir uns natürlich nicht einlassen. Wenn man Tiere von frühester Jugend isoliert, um über u 7 Logisches und Methodisches. 29 die Elternschaft bei den nachherigen Zeugungsprozessen sicher zu sein, so ändert das ja absolut nichts an der logischen Natur der Probleme und der Schlußfolgerungen, die sich an die Untersuchung knüpfen. Wenn man zum Zwecke der Erforschung des Zusammen- hangs der primären und sekundären Sexualcharaktere die Tiere selbst kastriert oder die Fälle der parasitären Kastration dazu ver- wertet, der Unterschied ist ein technischer und ein gradueller, insofern der Grad der Sicherheit der festgestellten Beziehung in Betracht kommt: die Art der aufzudeckenden Beziehung ist logisch in beiden Fällen absolut identisch. (SmitH, Rhizocephala, 1906, zitiert bei PrzıBraMm, Physiologie der Formbildung, in H. WINTERSTEInS Hand- buch der vergleichenden Physiologie.) Es gibt sehr zahlreiche experi- mentelle Forschungsreihen, selbst raffinierte Eingriffe in die Ent- wickelung, zu denen man Parallelen aus der freien Natur anführen kann, um zu zeigen, daß die technisch so differenten Dinge logisch gleich sind. ‚Bei plötzlicher Verdünnung der Aufenthaltsflüssigkeit nach vorhergegangenem Aufenthalte in dichterem Medium zerfallen oft gefurchte Fischeier in die beiden ersten Blastomeren, deren jede sich dann zu einem vollkommenen aber verkleinerten Embryo ent- wickelt.” ‚In der Natur findet dies bei Neunaugen gegen das Einde der Brutzeit statt, wenn die stark eingedickten Inhalte der Ge- schlechtswege plötzlich in das Flußwasser gelangen. Künstlich kann dieses Verhältnis durch vorübergehenden Aufenthalt der Eier in Salz. oder Zuckerlösungen vom osmotischen Drucke einer 1-proz. Kochsalzlösung nachgeahmt werden.“ (Przısram, Physiologie der Formbildung, nach BarTaAıLLon.) Es ließen sich zahlreiche Belege dafür beibringen, daß nicht alle kausale Forschung experimentell ist und daß nicht alles, was als experimentell bezeichnet wird, auf kausale Erkenntnis gerichtet ist. Es fehlt hier der Raum für solche ausführliche Belege, sie sind aber von mir an einem anderen Orte beigebracht worden. Wer aber aus der geschilderten Entwickelung des Begriffes der vergleichenden Ana- tomie noch nicht eingesehen hat, daß mit der Bezeichnung „ver- gleichende“ keine logische Charakteristik der Methode gemeint ist und dab vergleichend und experimentell keine logischen Antipoden sind, dem gebe ich noch folgendes zu bedenken. Wir erleben heute ein analoges Stück aus der Entwickelung dieser Begriffe auf dem Gebiete der Physiologie. Wie vor 200 Jahren für viele „Ana- tomie“ mit „Anatomie des Menschen“ identisch war, so ist es oder war es bis vor kurzem mit der Physiologie. Als nun vor etwa drei Jahrzehnten eingehendere chemisch - physiologische und ernährungs- physiologische Untersuchungen über verschiedene Tiere in größerer Anzahl zu erscheinen begannen, da nannten sie sich meistens ‚ver- gleichend-physiologische Untersuchungen“. Und gerade gegenwärtig erscheint ein umfangreiches Sammelwerk unter dem Titel „Hand- buch der vergleichenden Physiologie“, in welchem aber selbstverständ- lich fast ausschließlich Ergebnisse experimenteller Forschung nieder- gelegt sind. Hier bezieht sich das „vergleichend“ nur darauf, daß mehrere Arten erforscht wurden!). Eine Gefahr der Ver- wechslung liegt hier nicht vor, weil alle wissen, daß die Physiologie experimentell betrieben werden muß. Wo aber die Neigung besteht, 1) Das erinnert uns an die „vielseitige und vergleichende Anatomie“ bei WILLIS. 30 S. TscHuLox, das Wort ‚‚vergleichend‘ im Sinne einer spezifischen Methode auf- zufassen und daraus einen methodologischen Gegensatz zu kon- struleren, da muß mit allem Nachdruck darauf hingewiesen werden, dab die Entstehung der Bezeichnung ‚vergleichende Anatomie“ genau dieselbe war, wie in dem zuletzt zitierten Falle und daß auch in der nachfolgenden Zeit eine korrekte logische Definition dieses Begriffes nie gegeben worden ist. Man verließ sich immer darauf, daß jeder- mann weiß, was es mit dem „Vergleichen“ auf sich habe. Es kommt aber einmal eine Zeit, wo man mit diesen populären Bezeichungen nicht mehr arbeiten kann, weil sie nicht ausreichen, um für neu auf- tauchende Probleme den adäquaten Ausdruck zu liefern. So ist in neuerer Zeit infolge der starken Entwickelung der experimentellen Forschung ein scheinbarer Gegensatz zwischen der neuen und alten Forschungsmethode konstruiert worden, der in seiner Schärfe stark übertrieben werden konnte, weil es an adäquaten Ausdrucksmitteln fehlte. Es ist bezeichnend, daß selbst Driesch, der diesen Gegen- satz in denkbar schärfster Form proklamiert hat, nicht eingesehen hat, daß er sich dabei populärer, logisch nicht exakt definierter Ausdrücke bedient. Vom Standpunkte der hier durchgeführten Unterscheidung der Forschung nach begrifflichen und der Forschung nach realen Be- ziehungen läßt sich zeigen, daß jede Untersuchung der Formerschei- nung im Organismenreiche schon meist diese beiden Komponenten in sich enthält. Wenn man verschiedene Formgebilde untereinander vergleicht, so tut man das zunächst vielleicht, um ihre Zurück- führbarkeit auf eine gemeinsame Grundform, also doch auf einen Begriff oder Merkmalskomplex zu prüfen. Ist eine solche Zurückführung gelungen oder nicht, es bleibt doch noch die andere Aufgabe, die Feststellung der realen Beziehung zwischen den besonderen Formeigenschaften des einzelnen Gebildes und den Er- scheinungen der Umwelt, diese im weitesten Sinne des Wortes ge- nommen. Kommt das Experiment als Hilfsmittel dazu, so gelingt es, in diese realen Beziehungen tiefer einzudringen, insofern es sich um Faktoren handelt, die sich isolieren und variieren lassen. Daß nicht alle Faktoren eine solche Variation und Isolation zulassen, indem die ıdiographische, historische Komponente nicht mehr nach Belieben aus- und eingeschaltet werden kann, ist oben bereits angedeutet und soll weiter unten in einem anderen Zusammenhange noch erörtert werden. Als ich vor zwei Jahren ausführliche Erörterungen über die Unzulänglichkeit der Einteilung der Biologie in vergleichende und experimentelle veröffentlichte, konnte ich mich auf keine literarischen Quellen berufen, es war mir nicht bekannt, daß in einem Werk, welches nach R. BURCKHARDT „zu den besten biologisch-systema- tischen Versuchen des Jahrhunderts gehört“, ein ähnlicher Stand- punkt vertreten wird, freilich nur ın aphoristischer Form. Ich meine J. V. Carus’ System der tierischen Morphologie aus dem Jahre 1853, das mir erst jetzt zugänglich geworden ist. Auf S. 11/12 steht da zu lesen: „Man spricht, und besonders in den Naturwissenschaften, von einer Methode der Beobachtung, der experimentellen Methode usw. Insofern damit nur der Weg bezeichnet werden soll, auf dem man unabhängig von anderen Tatsachen neue finden kann, wäre dagegen nichts einzuwenden. Werden dieselben aber mit metho- % Logisches und Methodisches. >l dischen Formen der Forschung koordiniert, wie mit der Methode der Induktion, der Vergleichung usw., will man ihnen also eine logisch formale Bedeutung geben, so ist dies ein grober Verstoß gegen die Logik. So läßt z. B. Auc. Comte der Physik und Chemie nur die Methoden der Beobachtung und des Experiments, während die Biologie noch die vergleichende Methode besitzen soll. Es kann jedoch weder eine Beobachtung noch ein Experiment ohne Anwendung einer heuristischen Methode des Denkens für die Wissenschaft verwertet werden, wie ja kein Experiment überhaupt ohne eine solche ange- stellt wird (oder werden sollte)“ usw. Und weiter: „Das wichtigste bei jedem Experiment ist daher die Frage, um derenwillen wir erst zum Versuche schreiten; der Weg, den wir zur Erlangung von Antworten einschlagen, hat mit der Philosophie der Wissenschaft nichts zu tun, sondern richtet sich ganz nach dem praktischen Wesen des Objekts derselben. Beobachtung und Experiment sind daher in diesem Sinne keine Methoden.“ Ich könnte in diesem Zusammenhang noch anführen, daß mehrere Autoren gelegentlich Aeußerungen getan haben, aus denen hervorgeht, daß auch sie die Gegenüberstellung einer experimentellen und einer vergleichenden Morphologie resp. Embryologie dem heutigen Stande der wissenschaftlichen Forschung nicht anzupassen vermögen. So schreibt F. ScHhuz in seinem neuen Buche „Prinzipien der rationellen vergleichenden Embryologie“: „Wir nehmen also eine Zwischen- stellung zwischen der experimentellen Embryologie und der be- schreibenden ein, der Methode nach, weil wir wohl auf Experimenten unsere Schlüsse bauen, aber andererseits diese Experimente nicht selbst machen, sondern die von der Natur gemachten beobachten. Wir erheben die Beobachtung zum Experiment nach der von ÜuvIEr geäußerten Idee (auf die auch Maas hinweist), daß man durch ge- eignete Beobachtung die beschreibende Wissenschaft zur experimen- tellen erheben könnte.“ — Und O. Maas schreibt neuerdings (in: Die Abstammungslehre, 12 gemeinverständliche Vorträge, Jena, G. Fischer, 1911, S. 289): „Dadurch ergeben sich für die experi- mentelle wie für die vergleichende Entwickelungsgeschichte trotz aller sonstigen Verschiedenheiten doch wieder gewisse gemeinsame Bahnstrecken. Die einen Forscher gestehen zu, daß der Entwicke- lungsgang ein um seiner selbst willen, nicht bloß für die phyle- tische Auslegung zu studierendes Problem darstellt, und die anderen, daß man von beiden Seiten her, nicht nur durch das Experiment, sondern auch durch den Vergleich nahverwandter Formen, ursäch- liche Aufschlüsse über den Entwickelungsgang erhalten kann.“ — In diesen Sätzen, und ich könnte solcher aus verschiedenen modernen Werken noch mehr zitieren, sieht man, wie das logische Bedürfnis der Autoren, das dem engen Kleide des herrschenden Schematismus in der Klassifikation der Biologie entwachsen ist, nach einem Aus- druck ringt, um den aktuellen Problemen gerecht zu werden. Für mich ist dies nur eine weitere Bestätigung für die Richtigkeit der Schluß- folgerung, daß die Einteilung der Biologie (sowie ihrer Teile, der Morphologie, der Embryologie) in vergleichende und experimentelle (anders genannt beschreibende und experimentelle), die eigentlich nie logisch begründet wurde, heute weniger als je eine Existenz- berechtigung hat. Bei dem gegenwärtigen Stande der biologischen Forschung erscheint mir die Einteilung in Biotaxie und Biophysik, 32 S. TscHuLox, je nachdem es sich um die Erforschung begrifflicher oder realer Be- -ziehungen handelt, als die einzig annehmbare und logisch einwands- freie Einteilung. Die lange Beibehaltung dieser unrichtigen Einteilung der Biologie in experimentelle und vergleichende wäre nicht imstande, so viel Unklarheiten zu verursachen, wenn sie sich nicht mit einer anderen ebenfalls falschen Einteilung verbunden hätte, nämlich mit der Ein- teilung der Biologie in Morphologie und Physiologie. Da diese letztere Einteilung nie eine logisch einwandsfreie Begründung erfahren hat, so war auch insofern die Möglichkeit zu einer falschen Auslegung gegeben, als einige Autoren diese Einteilung für eine auf den Unter- schied in der Methode begründete hielten, andere — für eine auf der Differenz der materiellen Natur der Probleme beruhende. Aus der gegenseitigen Durchdringung dieser beiden Einteilungs- weisen ergab sich wie von selbst, daß die Morphologie, deren Auf- gabe schon 1870 von GEGENBAUR in der „Erforschung und Er- klärung der Formerscheinungen des Körpers und seiner Teile‘ er- blickt wurde, der ‚vergleichenden‘ Methode zugeordnet werden mıß, während die Physiologie sich selbstverständlich der experimentellen Methode zu bedienen habe. (Vgl. GEGENBAUR, Grundzüge der ver- gleichenden Anatomie, 1870, S. 1 u. 6.) Für uns ist es klar, daß es nicht den Schatten eines Grundes dafür gibt, daß die „Erklärung der Formerscheinung‘ sich auf die „vergleichende“ Methode zu be- schränken brauchte. Trotz der Ungereimtheit einer solchen Zu- ordnung hat sich im Laufe der Jahrzehnte die Meinung erhalten, es gebe eine ‚„echt-morphologische Methode“. Noch in allerneuester Zeit kann man bei den Autoren eine solche Gegenüberstellung „echt- morphologischer“ und ‚experimenteller Forschung finden (so z. B. in E. GopLewsky jun., „Das Vererbungsproblem im Lichte der Entwickelungsmechanik betrachtet“, 1909, Heft IX der Vorträge und Aufsätze über Entwickelungsmechanik der Organismen, auf S. 115, 114 u. a.). Rein sprachlich. betrachtet entbehrt sie nicht einer ge- wissen Komik, diese Gegenüberstellung rein-morphologischer und experimenteller Forschung in einer Zeit, die auf die Leistungen der „experimentellen Morphologie“ und auf das Erwachen der ‚ver- gleichenden Physiologie“ stolz ist. Man wird vielleicht einwenden, das seien ja nur Namen. Aber die Namen sind eben Zeichen für Begriffe und die Grammatik steht zur Logik in demselben Verhält- nis wie das Sprechen zum Denken. Haben wir denn ein anderes Mittel, uns über Begriffe zu verständigen, als indem wir Namen, Worte gebrauchen ? Wir können das Gesamtergebnis der bisherigen Betrachtungen in folgender Weise zusammenfassen: Nachdem wir die Unrichtigkeit der kursierenden Ansicht von der Einteilung der Biologie in ver- gleichende und experimentelle auf der einen Seite, in Morphologie und Physiologie auf der anderen Seite eingesehen haben und an Stelle dieser veralteten Einteilungen die neue berichtigte gesetzt haben, wonach zwei formale Gesichtspunkte (begriffliche und reale Beziehungen) und sieben materielle Gesichtspunkte (Klassifikation, Form, Lebensvorgänge, Anpassungen, räumliche Verteilung, zeitliches Auftreten und Entwickelung) der Einteilung der gesamten Wissen- schaft Biologie zugrunde gelegt werden, können wir nicht umhin zu erklären: in dem in neuester Zeit so akut gewordenen Streit Logisches und Methodisches. 33 über den Wert der experimentellen und vergleichenden Methode für die Morphologie handelt es sich um eine von Anfang an falsche Frage- stellung. Nicht ob man vergleicht oder experimentiert ist die Frage, sondern ob man sich dessen klar bewußt ist, daß die Wissenschaft von den Formerscheinungen in der Tierwelt es mit zwei formal ver- schiedenen Gruppen von Problemen zu tun hat: der Aufdeckung der Einheit in der Mannigfaltigkeit der Gestalten und der Feststellung der realen Beziehungen dieser Gestaltsphänomene zu den Bedingungen der Umwelt (im weitesten Sinne des Wortes). Beide Arten der Forschung in der Morphologie sind logisch koordiniert, keine ist der anderen untergeordnet und keine ist in ihrem Werte über die andere zu stellen. Verschiedene Umstände bedingten es, daß die eine von ihnen lange im Vordergrunde des Interesses gestanden hat oder noch steht. Nicht eine Vertiefung der Kluft zwischen beiden entspricht dem Bedürfnis und dem Interesse der heutigen Wissenschaft, sondern eine gegenseitige Annäherung. Wenn aber heute im Betriebe des Hochschulunterrichts die eine von ihnen noch eine dominierende Stellung einnimmt, so ist dies nur durch technische und historische Momente bedingt!). Wir dürfen hoffen, daß die Zukunft eine gleich- mäßigere Berücksichtigung beider Teile der Morphologie nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre bringen wird. 9. Die Beziehung der Morphologie zu den Problemen der Entwickelungslehre. HAECKELs biogenetisches Grundgesetz und das ontogenetische Kausalgesetz von O. HERTWIG. In dern Kontroversen über die Morphologie, ihr Wesen und ihre Methoden nehmen bekanntlich die Fragen nach der Beziehung der Morphologie zur Entwickelungslehre (Deszendenztheorie), speziell nach der Bedeutung des biogenetischen Grundgesetzes einen breiten Raum ein. Eine methodologische Einleitung in die Morphologie darf daher auch diese Fragen nicht mit Stillschweigen übergehen. Zu einem richtigen Verständnis des Verhältnisses der Morpho- logie zur Entwickelungslehre gehört vor allem eine Klarstellung der logischen Beziehung. Es muß eingesehen werden, daß die Ent- wickelungslehre (oder Genetik) ein selbständiger, den anderen sechs 1) Was die Benennung der Lehrstühle anbetrifft, so sei hier eine kleine Statistik mitgeteilt (zusammengestellt nach der ‚‚Minerva‘“ und den „Hochschulnachrichten“). Von 28 Universitäten Deutschlands, Oesterreichs und der deutschen Schweiz weisen 13 einen Lehrstuhl für „Zoologie und vergleichende Anatomie‘, 15 nur einen solchen für ‚Zoologie‘ auf. Natürlich wird auch an diesen 15 „vergleichende Anatomie“ als Kolleg gelesen, es ist aber hier wie dort meist eine „vergleichende Anatomie der Wirbeltiere‘. An 4 von diesen 15 ist das Institut noch als solches für „Zoologie und Zootomie‘‘ oder für „Zoologie und vergleichende Anatomie‘ bezeichnet. Ich erinnere bei dieser Gelegenheit daran, daß HAECKEL noch 1879 diejenigen seiner Kollegen als rückständig zitierte, die sich ‚Professoren der Zoologie und Zootomie‘ nannten. Als ob man Zoologie treiben könnte, ohne die Tiere zu schneiden! Mit dem „Vergleichen“ steht es ähnlich: will man damit eine spezifische Methode im logischen Sinne bezeichnen, so ist eine solche Be- zeichnung nicht stichhaltig. Will man damit nur eine technische Charakteristik geben, so ist sie überflüssig, denn jede Wissenschaft muß vergleichen, und die Wissen- schaft von den Tieren kann das Vergleichen ebenso wenig entbehren wie das Schneiden. In Frankreich, Italien und Rußland gibt es noch ziemlich viele Professuren für ‚‚ver- gleichende Anatomie und Physiologie“. Es ließen sich auf dem Wege der Statistik im heutigen Hochschulbetrieb verschiedene Gebilde nachweisen, die ebenso verschiedene Etappen in der Entwickelung des heutigen Begriffes der Zoologie repräsentieren. Arnold Lang, Handb. d. Morphologie. II, 3 34 S. TscHuLox, koordinierter, nicht einem von ihnen untergeordneter Zweig der bio- logischen Forschung ist. In dem System von HarckeL, das auch heute noch die meisten Anhänger zählt, bildet die „Phylogenie“ einen Teil der Morphologie. Hiergegen ist einzuwenden, daß erstens der Ausdruck ‚„Phylogenie“ selbst vom Momente seiner Einführung an in die Wissenschaft an einer angeborenen Schwäche leidet, indem er durchaus nicht eindeutig ist. Bald bedeutet Phylogenie die gesamte Grundanschauung der modernen Entwickelungslehre, bald nur die Lehre von den Stammbäumen (also bloß einen Teil jener Gesamt- ansicht), bald wird sie einfach der Paläontologie gleichgesetzt. Auch GEGENBAUR Schrieb 1870 bei der Erörterung der Paläontologie in Klammern: Phylogenie Hxı., Paläontologie ist aber, wie wir oben ge- zeigt haben, ein technisch abgegrenzter, nicht logisch definierter Zweig der Biologie, der die mehr oder weniger allseitige Erfor- schung der fossil vorkommenden Lebewesen sich zur Aufgabe stellt und der weder historisch noch logisch in einer unbedingten Abhängig- keit von der Anerkennung der Entwickelungslehre auftritt. Dann ist zur Sache selbst zu bemerken, daß eine solche Unterordnung der Entwickelungslehre unter die Morphologie nur für denjenigen an- scheinend unausweichlich ist, der den Grundsatz angenommen hat, dab die gesamte Biologie unbedingt in zwei Teile, Morphologie und Physiologie, eingeteilt werden muß. Aber selbst wenn das richtig wäre, ist die weitere Aussetzung zu machen, daß uns beim Studium der Entwickelung der Lebewesen nicht bloß die Erscheinungen der (restalt, sondern auch diejenigen der Lebensprozesse, Anpassungen, Verbreitung im Raume usw. interessieren. Ich kann daher den Ver- such eines neueren Autors das Harckeusche System in einer nur wenig modifizierten Form wieder aufzunehmen nicht für zweck- mäßig halten. (Vgl. R. Hxzssz, Biologische Wissenschaften in „Hand- wörterbuch der Naturwissenschaften“, Bd. 1.) Da erscheint wieder die Morphologie wie bei HAEckEL in zwei Teile geteilt, nur heißen sie nicht Anatomie und Morphogenie, sondern analytische und synthe- tische Morphologie. Erstere ist die reine „Anatomie“ (mit der Chemie zusammen), letztere ist die Ontogenie und die vergleichende Ana- tomie, die „zu Klassifikation und Phylogenie oder Stammesgeschichte führt“. Nach dieser Ansicht wäre also die Stammesgeschichte ein Nebenresultat der Betrachtung der Gestalten. Nach unserem oben entworfenen System ist die Genetik eine der sieben Hauptfragen und die Lösung der Probleme der Genetik würde die Verwertung alles dessen erfordern, was bei der Erforschung der Tiere unter den sechs übrigen materiellen Gesichtspunkten erzielt worden ist. Unter diesen Umständen hat es erst einen Sinn zu fragen, welche Stellung die Morphologie der Genetik gegenüber sachlich annimmt, d. h. in welchen Fällen und in welcher Form wir die morphologischen Krfah- rungen zur Lösung genetischer Probleme heranziehen. Die weitere Gliederung des Gesamtgebietes der Genetik ergibt sich, wie oben bereits kurz angedeutet wurde, aus folgender Betrach- tung. Wir müssen in erster Linie die Grundfrage, ob sich die spezi- fischen Formen der Lebewesen selbständig oder aus anderen spezi- fischen Formen entwickelt haben, zu beantworten suchen. Haben wir dies im Sinne der modernen Entwickelungslehre getan, so erhebt sich die Frage nach den Stammlinien oder Stammbäumen. Welche Formen sind aus welchen hervorgegangen, oder, für bestimmte Einzel- Logisches und Methodisches. 30 fälle, aus welchen Formen hat sich diese gegebene Formenreihe entwickelt? Neben dieser Frage besteht aber noch eine weitere, nach den Faktoren oder Ursachen der Entwickelung. So selbstverständlich es auf den ersten Blick erscheinen mag, es ist doch nicht überflüssig hier zu betonen, daß die Reihenfolge der Fragen auf dem Gebiete der Genetik diese und keine andere ist und sein kann. Nur wer von der Richtigkeit der Grundanschauung überzeugt ist, daß die Arten sich entwickelt haben, kann zur Untersuchung der anderen Fragen schreiten. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Sache umgekehrt darzustellen: ausgehend von annehmbaren Vorstellungen bezüglich des Verlaufs der Umwandlung, also ausgehend von dem „Wie“ der Entwickelung zur Aussage zu gelangen: die Arten haben sich also entwickelt. Es hat auch nicht an Leuten gefehlt, die, weil ihnen die mutmaßlichen Stammbäume gewisser Tiergruppen nicht „exakt erwiesen‘ schienen, den Zusammenbruch der gesamten Entwicke- lungslehre proklamiert haben. Als Beispiel mag hier A. FLeiscH- MANN erwähnt werden, der es versucht hat, sich aus einem Opfer selbstverschuldeter Unklarheit im Denken zu einem Warner und Retter der quasi auf falschem Pfade wandelnden Wissenschaft empor- zuschwingen!). Der Erfolg dieses Versuches ist ausgeblieben, niemand nimmt FLEISCHMANN ernst. Und mit Recht. Denn unsere Ueberzeugung von der Richtigkeit der Entwickelungslehre gründet sich nicht auf den Einblick in einige „exakt bewiesene‘‘ Stamm- bäume, sondern auf das Argument, daß ohne die Annahme einer Ent- wickelung wir die vorliegende abgestufte Mannigfaltigkeit der 'Tiere, ihre Verteilung im Raum und ihr zeitliches Auftreten nicht ver- stehen, d. h. nicht in einen Zusammenhang mit anderen vollständig sicheren Erkenntnissen, wie der Kontinuität, der Variabilität und der anatomischen Uebereinstimmung blutsverwandter Lebewesen bringen können. Dasselbe halte ich auch denjenigen entgegen, die mit Drızsch erklären, weil die Einsicht in die Notwendigkeit der stattgehabten Formwandlung uns fehle, so sei die Aussage, daß die Formen sich entwickelt haben, unsicher und von geringem wissenschaftlichen Werte. Ich nehme in der Methodologie der Entwickelungslehre einen genau entgegengesetzten Standpunkt ein: ich glaube, daß die Richtigkeit des Grundgedankens der Entwickelung ohne Einblick in die Wirkung der formbildenden Faktoren bewiesen werden kann, soweit überhaupt ein Beweis für eine Theorie gegeben werden kann. Für die weitere Erforschung der aus der Annahme jener Theorie sich ergebenden Probleme der Stammbäume und der Entwickelungs- faktoren werden wiederum besondere Hypothesen aufzustellen und zu verifizieren sein. Und was den Wert dieser Ueberzeugung für die Wissenschaft anbelangt, so ist der fördernde Einfluß derselben auf die Entwickelung der Biologie eine Tatsache, die nicht in Ab- rede gestellt werden kann. Wir wollen also an der Ansicht festhalten, daß es im Bereiche der gesamten Entwickelungslehre oder Genetik drei verschiedene Fragen gibt, eine logisch übergeordnete, die Grundfrage, und zwei ihr untergeordnete, die Stammbaumfrage und die Faktorenfrage. Wir 1) Die Deszendenztheorie. Gemeinverständliche Vorlesungen über den Auf- und Niedergang einer naturwissenschaftlichen Hypothese. Leipzig 1901. Ferner in: Lehrbuch der Zoologie, Wiesbaden 1908, das Schlußkapitel über den Stammbaum der Tiere. 3# 36 S. TscHULox, haben jetzt nachzusehen, wie sich die Morphologie zu diesen drei Fragen verhält. Was die Stellung der Morphologie zur ersten oder der Grund- frage der Entwickelungslehre anbetrifft, so ist zu sagen, daß die Morphologie es ist, die uns die zwingendsten Beweise der Entwicke- lung liefert. Die abgestufte Mannigfaltigkeit der Formen zwingt uns zum Nachspüren der ihr zugrunde liegenden gemeinsamen Grund- formen. Dieser erste Teil der morphologischen Arbeit wird auch von denen verrichtet, die von der Entwickelungslehre nichts hören wollen. Es ist andererseits nicht in Abrede zu stellen, daß die Mor- phologie nicht das einzige Wissensgebiet ist, das uns die abgestufte Mannigfaltigkeit aufdeckt. Es ist außer Zweifel, daß auch be- stimmte Reaktionen des Organismus, die unter dem Gesichtspunkte der Lebensvorgänge (Physiologie) erforscht werden und keine Aeuße- rung in Formerscheinungen zeigen, ebenfalls eine abgestufte Mannig- faltigkeit offenbaren. Man denke an die Fällungsreaktionen des Blutserums, die in neuester Zeit so viel besprochen und als ‚,‚ex- perimentelle Beweise‘ der Abstammung des Menschen von affen- artigen Tieren von den Popularisatoren weidlich ausgenutzt wurden. Uns kann an der ganzen Sache interessieren, dab trotz der grund- verschiedenen Technik das Ergebnis so gut mit dem natürlichen System übereinstimmt. Es ist ja bekannt, daß das Verfahren sogar eine quantitative Behandlung zuläßt und daß aus der Menge des Nieder- schlags und der prozentischen Anzahl der positiv verlaufenden Proben sich der Abstand zweier Tierarten im System ergibt, der mit der Ansicht des geltenden natürlichen Systems gut übereinstimmt. Wir wollen daher nicht behaupten, daß die Morphologie den ein- zigen Weg zur Konstatierung der abgestuften Mannigfaltigkeit bietet. Aber es ist ebenso sicher, daß die Formerscheinungen uns die sichtbarste Aeußerung dieser abgestuften Mannigfal- tigkeit liefern. Um diesen Befund für die Beweisführung in Sachen der Entwickelungslehre zu verwerten, müssen aber noch manche ‘Voraussetzungen gemacht werden. Es muß vor allem das Bestreben anerkannt werden, diese Mannigfaltigkeit zu erklären, d. h. im Zusammenhang mit anderen an und für sich vollständig sicheren Erkenntnissen einheitlich zusammenzufassen. Diese sicheren Erkenntnisse beziehen sich auf: 1) die Erscheinung der Elternzeugung oder Kontinuität der Organismen; 2) die Tatsache, daß die größte Uebereinstimmung im anatomischen Baue zweier Tiere dann gefunden wird, wenn sie untereinander blutsverwandt sind; 3) endlich die Tatsache, daß die Einzelwesen in ihren Merk- malen schwanken, so daß man von einer individuellen Variabilität sprechen kann. Eine einheitliche Zusammenfassung dieser sicheren einzelnen Er- kenntnisse mit der ebenso sicheren Erfahrung von der abgestuften Mannigfaltigkeit ist nur unter der Annahme möglich, daß diese Mannigfaltigkeit eine gewordene ist, daß sie das Ergebnis ge- häufter Variabilität darstellt. Und da die Gestaltungsverhältnisse die sichtbarste Aeußerung der abgestuften Mannigfaltigkeit dar- stellen, so liefert uns jeder morphologische Befund, der uns die hinter der Mannigfaltigkeit versteckte Einheit vor Augen führt, zugleich ein Beweismittel der Entwickelung in der ersten Frage, der Grundfrage. Das gibt die bekannte Gruppe der „morphologischen Logisches und Methodisches. 37 Beweise“. Da wir ferner die „Embryologie“ nicht als logisch definierte besondere Disziplin anerkennen, so gehören die soge- nannten „embryologischen Beweise‘ ebenfalls hierher. (Von den geo- graphischen und geologischen Beweisen kann hier füglich abgesehen werden.) Sind wir auf Grund solcher Beweise zur Ueberzeugung gekommen, daß die heutige Mannigfaltigkeit des Tierreichs das Ergebnis eines Entwickelungsprozesses ist, so stehen wir bei Betrachtung einer jeden spezifischen Form vor dem Problem: aus welchen Vorfahren hat sich diese Form entwickelt? Wenn man sich auf die logische Natur dieser Frage besinnt, ohne sein Urteil durch die heftigen Angriffe der Gegner vom Schlage FLEISCHMANNS auf die „phylogenetischen Speku- lationen der Harckerschen Schule“ trüben zu lassen, so muß man einsehen, daß solche Fragen, wie die nach den Vorfahren einer ge- gebenen Species, keine eindeutige Lösung zulassen. Die Frage selbst muß vielmehr lauten: „aus welchen Urformen kann sich diese Species entwickelt haben?‘ Welche Stellung muß nun die Morphologie dieser Frage gegenüber einnehmen, oder welche morphologischen Er- kenntnisse werden verwertet, wenn man solche Fragen zu beant- worten sucht? Die kritische Sichtung der mannigfaltigen Ausgestaltungen einer und derselben Grundform führt uns in der Morphologie zur Unter- scheidung ursprünglicher und abgeleiteter Formzustände. Wir sprechen dabei nicht von „höheren und niederen“ Tieren, auch nicht von ‚‚voll- kommenen und unvollkommenen“, wir sprechen überhaupt nicht von „Lieren“, sondern von einzelnen Formzuständen. Für jede Art von Formzuständen muß durch umfassende kritische Sichtung des Ma- terials der ursprüngliche und der abgeleitete Typusaufgefunden werden. So wird kein mit dem einschlägigen Material Vertrauter be- streiten, daß folgende Sätze allgemein als wahr anerkannt werden: 1) Das Fehlen des Schlüsselbeins im Schultergürtel eines Säugetiers ist gegenüber dem Vorhandensein dieses Knochenstücks ein abge- leiteter Zustand. 2) Die Verwachsung der Mittelfuß- resp. Mittel- handknochen bei einem Säugetier ist gegenüber ihrem Getrenntsein ein abgeleiteter Zustand. 3) Das Fehlen der Schale bei Kopffüßlern ist ein abgeleiteter Zustand. 4) Das Fehlen des Zahnwechsels, d. h. das Auftreten nur einer einzigen Dentition bei Säugetieren ist ein ab- geleiteter Zustand. 5) Vier-, drei-, zwei- und einfingerige Säuge- tierhände oder -füße sind gegenüber den fünffingerigen abgeleitet. 6) Das Fehlen der hinteren Extremitäten bei Säugetieren sowie beider Extremitätenpaare bei Reptilien ist ein abgeleiteter Zustand usw. usw. Wenn wir nun im Besitze solcher Listen von primitiven und abgelei- teten Merkmalen sind, so stellt sich unser Urteil über die Stammform einer vorliegenden Art als eine Aussage über die Notwendigkeit der Ausschließung dieser oder jener Formen aus der Vorfahrenreihe dar, weil sie in dem einen oder anderen Merkmal zu spezialisiert sind. Es ist geradezu charakteristisch für den Fortschritt der Anschauungen bezüglich der Abstammung der Arten, daß Formen, die früher für Vorfahren gehalten wurden, immer wieder aus der direkten Vorfahren- reihe ausgeschaltet werden mußten, weil man erkannte, daß sie in Be oder jenem Merkmal schon zu spezialisiert, zu abgeleitet sind. 38 S. TscHULoR, Man erinnere sich an die Stammbäume, die LAMARcK seiner „Zoo- logischen Philosophie“ beigegeben hat. Die Vögel stammen bei ihm von Schildkröten, denn wenn man den Kopf einer Schildkröte auf den Körper eines Vogels aufsetzt, so sieht man nichts Ungereimtes darin. Und der Orang von Angola (der Schimpanse) hat sich dadurch, dab er sich zu aufrechtem Gange erhob, daß er seine Erlebnisse in artikulierten Lauten mitzuteilen begann, usw. usw. zum Menschen ent- wickelt. „Die Gewohnheiten haben alles gemacht.‘ Heute denkt nie- mand daran, eine solche Ableitung von einer noch lebenden, aber in anderer Richtung spezialisierten Form zu verteidigen. Ja, selbst zahl- reiche fossile Formen müssen auf den Anspruch, Vorfahren einer ge- gebenen Art zu sein, verzichten, sobald sich erweist, daß sie in einem Merkmal weiter differenziert waren, als die betreffende Art. So ist die kritische Musterung der Formzustände die wichtigste Instanz für den Nachweis, welche Arten von der direkten Stammlinie zu ent- fernen sind. Das ist also eine negative Instanz, aber eine äußerst wichtige, wenn man bedenkt, daß gerade auf diesem Gebiete so viele Fehler begangen wurden und heute noch begangen werden. Nicht nur die sachlichen Korrekturen sind hier von Wert, sondern die Schulung des forschenden Geistes, die sich aus der Betätigung dieser kritischen Funktion ergibt. .Und weil die Morphologie hier die Schule der Kritik darstellt, so hat sie den Anspruch, immer, wo es sich um die Ent- scheidung von Stammbaumfragen handelt, erhört zu werden. Sie hat sozusagen das Veto-Recht in Stammbaumfragen. Doch gibt es auch Reihen von Forschungen über Formzustände, die zu den positiven Instanzen gehören. Es sind die morphologische Erforschung der fossilen Tierreste und die Erforschung der indivi- duellen Entwickelung der Tiere. Was wir unter dem Gesichtspunkt der Chronologie der Tierwelt erfahren, ist nur: diese Tiere lebten zu dieser jene zu jener Zeit. Nehmen wir die Verwandtschaftsverhältnisse dazu, so gestaltet sich die Feststellung in folgender Weise: diese Klasse, (oder dieser Typus) war in der Zeit T durch. die Formen A vertreten, in der Zeit T’ durch die Formen A’ usw. Es fand sich also ein gesetz- mäßiger Wechsel der Vertreter statt. Da aber die Dauer der Existenz einzelner Vertretergruppen sehr ungleich war, so sagt die zeitliche Aufeinanderfolge allein noch nichts Positives über die Stammbaum- verhältnisse aus. Es ist ein bedauerliches Mißverständnis, wenn ein moderner Naturforscher von dem „tatsächlichen Entwickelungsgange, wie wir ihn aus den Funden der Vorzeit ablesen“ spricht!). Wir lesen den Entwickelungsgang nicht ab, sondern wir deuten ihn hinein und dies tun wir oder sollten wir nur unter Berücksichtigung der von der Morphologie gefundenen Differenzen der ursprünglichen und abge- leiteten Formzustände tun. Dies gilt für die Formen innerhalb eines Verwandtschaftskreises. Daß Formen, die nur analoge Ausbildung im Habitus aufweisen, von vornherein ausgeschlossen sind, brauchtekaum noch hervorgehoben zu werden, wenn nicht auch da in neuester Zeit Verstöße gegen die elementaren Forderungen der Kritik morpholo- gischer Befunde vorgekommen wären. Eine andere Reihe positiver Instanzen für die Beurteilung der Stammbäume ließe sich aus der Beobachtung der Formzustände der Organe im embryonalen Stadium entnehmen, wenn es sicher wäre, 1) STEINMANN, Die geologischen Grundlagen der Abstammungslehre, 1908, 8. 4. Logisches und Methodisches. 39 daß diese in der Entwickelung des Einzeltieres durchlaufenen Form- zustände die Formwandlungen seines Stammes wiederholen. Das Be- streben, die auffallenden und vom erwachsenen Zustande stark ab- weichenden transitorischen Formen der Embryonen auf Dauerzustände andersartiger Tiere zu beziehen, sind schon sehr alt. In der Zeit der naturphilosophischen Spekulation wurde dieser Gedanke an eine Aehn- lichkeit embryonaler Stadien „höherer“ Tiere mit Dauerzuständen „niederer“ in kritikloser Weise ausgesponnen. Da aber zugleich das Dogma von der Konstanz der Arten herrschte, so war diese Ver- wandtschaft“ und diese „Wiederholung niederer Stadien“, wie die ganze Stufenleiter eine rein gedankliche. Mit der allgemeinen Durch- führung der Typenlehre, der Sonderung von Homologie und Ana- logie, mit dem Durchdringen der Deszendenztheorie mußte jene Formel eine neue Gestalt annehmen. Dies geschah in dem von HarckEL for- mulierten „biogenetischen Grundgesetz“, wonach die Keimesentwicke- lung eine gedrängte Wiederholung der Stammesentwickelung darstellen sollte. Doch mußte von Anfang an eingesehen werden, daß nicht jeder Formzustand des Embryo die Existenz eines entsprechenden Ahnen anzunehmen berechtigt, und so wurden die Begriffe der Palin- genese und der Cänogenese als Hilfsbegriffe eingeführt. Palin- genetisch war das, was eine wirklichere Wiederholung der Ahnen- zustände darstellt, cänogenetisch (d. h. fremdartig) das, was nach- träglich hinzugekommen ist und das reine Bild den Vorfahrenstadien trübte. Ueber die Berechtigung des biogenetischen Grundgesetzes ist viel gestritten worden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß in diesem Ge- setze ein richtiger Kern steckt, der aber aus dem Beiwerk herausge- schält werden muß. Dies muß hier betont werden, da gerade in neuerer Zeit infolge einer zu weitgehenden Reaktion gegen die unberechtigten Ansprüche des biogenetischen Gesetzes in seinen extremen Formen, sich die Versuche mehren, neben diesen Extremen seinen richtigen Kern selbst zu leugnen. Die Berechtigung eines vermittelnden Stand- punktes soll aber nicht aus der Anwendung der trivialen Formel von der heilsamen „goldenen Mitte‘ folgen, sondern aus einer nach beiden Seiten gleich strengen Analyse der Begriffe. Ich beginne mit der Be- sprechung des hervorragendsten unter den modernen Gegnern des bio- genetischen Gesetzes. Damit meine ich natürlich nicht FLEISCHMANN, sondern nur diejenigen Gegner des .biogenetischen Grundgesetzes, die zugleich zu den Anhängern der Entwickelungslehre gehören; denn die erklärten Gegner der Deszendenztherorie sollten konsequenter- weise vom biogenetischen Grundgesetz keine Notiz nehmen. FLEIscH- MANN hat auch in dieser Beziehung seine grundfalsche Auffassung der Entwickelungslehre ‚bekundet, daß er in einem zur Widerlegung der Entwickelungslehre geschriebenen Buche volle zwei Kapitel dem bio- genetischen Grundgesetze gewidmet hat. Der denkende Kritiker muß sich auf den Standpunkt stellen: eine Diskussion über Wert oder Un- wert des biogenetischen Grundgesetzes gehört in den Kreis der An- hänger der Entwickelungslehre. Denn die Frage, ob die embryonalen Zustände Vorfahrenstufen wiederholen oder nicht, hat doch nur für denjenigen einen Sinn, der die Entwickelung der Arten anerkannt hat. Unter den Anhängern der Entwickelungslehre hat sich in neuerer Zeit besonders Oskar Herrwıc wiederholt gegen eine selbst ein- geschränkte Geltung des biogenetischen Gesetzes ausgesprochen. Uns 40 S. TscHULoR, interessiert besonders die neueste Phase in der Entwickelung. seiner diesbezüglichen Vorstellungen, die in der Aufstellung eines neuen eigenen „Greesetzes“ gipfelt. Da Herrwıc die Sache für so abgeklärt hält, daß er sie in ein kurzes Lehrbuch der Embryologie aufzunehmen für angezeigt hält, so will auch ich hier zu diesem Gesetz Stellung nehmen. Daß ich hier nicht die extreme Auffassung der Anhänger des biogenetischen Grundgesetzes gegen HErTwıc verteidigen will, wird aus der weiteren Darstellung klar genug hervorgehen. Ich halte aber die neue Wendung, die Hrrrwıc der Frage zu geben versucht, für so verfehlt, daß es meine Pflicht ist, eine Richtigstellung zu ver- suchen. Das Schlußkapitel der vierten Auflage der „Elemente der Ent- wickelungslehre des Menschen und der Wirbeltiere. Anleitung und Repetitorium für Studierende und Aerzte“ (1910) trägt die Ueber- schrift: „Das ontogenetische Kausalgesetz“. Dieses Gesetz wird folgendermaßen formuliert: „Ich habe dieses Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Eizustand einerseits und dem Verlauf und dem End- resultat der Ontogenese andererseits als das ontogenetische Kausal- gesetz und als den Parallelismus zwischen Anlage und Anlageprodukt bezeichnet.“ Der Zweck dieser Formulierung eines neuen Gesetzes ist klar. Herrwıc will dadurch das biogenetische Gesetz unnötig machen: wenn die Schlundspalten am Säugetierembryo auftreten, so tun sie das, weil in der Anlage die Bedingungen dazu gegeben waren. Dasselbe gilt von der Ohorda dorsalis, dasselbe von den Zahnanlagen der Bartenwale usw. Nicht die Natur der hypothetischen Vorfahren offenbart sich uns in den vorübergehenden Bildungen des Keimes, sondern die Natur der Anlagen des Eies, die dermaßen spezifisch sind, daß, „wenn wir einen vollen Einblick in den unserer Kenntnis verborgenen ultramikroskopischen Bau der Eizellen aller Tiere be- sitzen würden, der Systematiker allein schon auf Grund dessen die Eizellen der verschiedenen Tierarten nach ihrer größeren oder ge- ringeren idioplasmatischen Aehnlichkeit in Stämme, Klassen, Ord- nungen, Familien, Arten, Unterarten usw. würde einteilen können.“ Dieses ontogenetische Kausalgesetz ist vor allem nach seiner lo- gischen Form kein Gesetz. Wenn man unter dem Gesetz die unter allen Umständen gleichbleibende Beziehung zwischen zwei Erschei- nungen!) versteht, so ist es klar, daß die beiden Erscheinungen, die durch die Formel des Gesetzes zueinander in Beziehung gesetzt werden, auch wirkliche, bekannte Erscheinungen sein müssen. Die allgemeine Form eines solchen Gesetzes ist: wenn die Erscheinung A die Beschaffenheit A’ hat, dann hat die ErscheinungB die Beschaffen- heit B’. Einige glauben nun von einem Gesetze nur dann sprechen zu dürfen, wenn jene Beziehung eine quantitative ist. Andere sind nicht so streng in den Forderungen bezüglich der durch das Gesetz auszu- drückenden Beziehungen; man wird in der Biologie dieser weniger strengen Fassung den Vorzug geben, da es sich hier nur in den selten- sten Fällen um quantitative Beziehungen handeln kann. Andere wieder schränken die Definition des Gesetzes nach einer anderen Richtung ein, indem sie nur die Beziehungen von etwas „Wirkendem“ als Ge- 1) Vgl. z. B. EISLER, Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe: Naturgesetz (Definitionen von HELMHOLTZ, SIMMEL u. a.). Logisches und Methodisches. 4 setz anerkennen wollen (s. z. B. Roux: „Die Entwickelungsmechanik, ein neuer Zweig der biologischen Wissenschaft“, S. 146). Auch das ist nicht unbedingt notwendig für die Definition des Gesetzes. Manche Forscher endlich versuchen eine andere Einschränkung, indem sie nur das als Gesetz bezeichnen, was sich ausnahmslos bestätigt, während _ sie unter einer Regel solche Beziehungen verstehen, die nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zur Beobachtung gelangen. Wollte man das Gesetz definieren wie man. will, unter keinen Umständen wird die Bedingung erlassen, daß beide Erscheinungsreihen, die zueinander in Beziehung gesetzt werden, bekannte Phänomene sein müssen, oder sagen wir faßbare Erscheinungen. In dem vorliegen- den Falle ist aber nur eine von den beiden Erscheinungen faßbar, das ist das Anlageprodukt. Die Anlage wird erst aus dem Anlageprodukt erschlossen, abgeleitet. Man kann nicht die Uebereinstimmung zwischen der Anlage und dem Anlageprodukt als Gesetz anstaunen, nachdem man in die Anlage alles das hineingedeutet hat, was man in sichtbarer Form im Anlageprodukt kennen gelernt hat. Das ist doch nicht ein Gesetz, sondern eine reine Tautologie. Man stelle sich für einen Augenblick auf den Standpunkt jener Autoren, die von einem Gesetze nur dann sprechen, wenn die ausge- sagte Beziehung immer verwirklicht ist, von einer Regel dagegen, wenn es auch Ausnahmen gibt. Wie will man nun herausfinden, in wie vielen Fällen die ausgesagte Beziehung stattfindet und in wie vielen sie nicht stattfindet? Wie will man feststellen, in wie vielen Fällen das Anlageprodukt nicht mit der Anlage übereinstimmt ? Das ontogenetische Kausalgesetz ist also kein Gesetz. Es ist aber auch nicht kausal. Es ist eine Tatsache, daß die Embryonen der zahnlosen und haarlosen Bartenwale deutliche Anlagen von Zähnen und Haaren aufweisen, die sich bei der weiteren Entwicke- lung zurückblicken. Wie stellt sich das ontogenetische Kausalgesetz zu dieser Tatsache. Es erklärt quasi-kausal diese Erscheinung, indem es auf den Parallelismus zwischen Anlage und Anlageprodukt hinweist. Die Zähne und Haare erscheinen beim Embryo, weil sie in der Anlage vorhanden waren und weil die Anlageprodukte ja dieser Anlage ähnlich sein müssen. Ja, aber ist denn das das Problem. Das Pro- blem liegt ja vielmehr darin, daß in der Anlage eines zahn- und haar- losen Tieres sich Bedingungen finden, deren Realisierung zum Auf- treten von Anfangsstadien von Zähnen und Haaren in der Entwicke- lung führt. Also ist uns damit nicht geholfen, daß man uns sagt: der haar- und zahnlose Zustand hatte zur notwendigen Vorbedingung seines Auftretens einen anderen Zustand, in dem sich Haar- und Zahn- keime zeigen. Warum wird der zahnlose Zustand hier nur auf dem Wege über den bezahnten Zustand erreicht, während er bei den heutigen eben- falls sekundär zahnlosen Vögeln doch direkt erreicht wird (worauf schon Bovzrı 1906 hingewiesen hat). Das Problem ist also nicht gelöst, es ist nicht einmal gestreift. Es ist einfach 'vertuscht. Auf solche kausale Erklärungen hat die Wissenschaft keinen Grund stolz zu sein. Das ontogenetische Kausalgesetz ist also nicht kausal. Es ist aber auch nicht ontogenetisch. Denn es kann und will sich in seinen Erklärungen nicht auf die in der Individualentwickelung gegebenen Bedingungen und Bedingungskomplexe beschränken, sondern es greift über die Grenzen der einzelnen Ontogenese hinaus auf die 42 S. TscHuLox, allmähliche Anhäufung der „Anlagen“ in der „Artzelle“ über. Denn Herrwıc ist ein Anhänger der Deszendenztheorie und schildert be- sonders im großen Handbuch (Band III, 3, S. 149ff.) in großzügiger Weise die allmähliche Entwickelung der Artzellen. Nach seiner Dar- stellung bilden die einzelnen Ontogenien nur Seitenzweige der Haupt- bahn der Entwickelung eines Merkmalkomplexes, wobei die einzelne Öntogenie nur eine Aktivierung der in der Artzelle angehäuften Eigenschaften ist, die in ganz bestimmter vorgeschriebener Weise, ge- mäß der von der Artzelle erreichten Etappe, heruntergeleiert wird. Herrwıc weiß, daß die zahnlosen Wale von bezahnten Vorfahren ab- stammen und er weiß auch, daß die Ontogenien jener Individuen, die noch dem bezahnten Stadium angehört hatten, einen anderen Verlauf gehabt hatten, als die Ontogenien der heutigen Individuen. Denn da- mals hatte eben die Artzelle noch nicht die Etappe erreicht, von der aus sie der Ontogenie die Direktive zum Durchlaufen eines bezahnten und nachher eines zahnlosen Zustandes geben kann. Die ganze kausale Erklärung steht also und fällt mit der Annahme einer der einzelnen Öntogenie vorausgegangenen und in ihr sich abspiegelnden Entwicke- lung der Artzelle.. Wie kann man dann diese Erklärung als ontoge- netisch bezeichnen ? Wenn man schon weiß, woher das Ei stammt, dann ist es leicht, anzuführen, welche Anlagen es mitbekommen hat. Wollte man die ganze kausale Erklärung rein ontogenetisch geben, dann müßte man aus dem Eizustande selbst, ohne zu wissen, woher das Ei stammt, die Notwendigkeit der zu verwirklichenden Folgezu- stände angeben. Weil also das ontogenetische Kausalgesetz die Er- scheinungen nur in Verbindung mit der Stammlinie der betreffenden Eizelle zu ‚erklären‘ vermag, so ist es nicht ontogenetisch. Ist somit das ontogenetische Kausalgesetz sachlich völlig unhalt- bar, so ist es daneben auch noch methodologisch sehr bedenklich, denn es operiert mit Scheinerklärungen und seine Begründung enthält Wen- dungen, die geeignet sind, das logisch-korrekte Denken auf dem be- treffenden Gebiete zu beeinträchtigen. Eine solche mir ganz unbe- greifliche Wendung ist z. B. in dem Satze enthalten: „Denn die Fähigkeit zur Entwickelung einer Chorda oder das Vermögen Schlund- spalten usw. zu bilden, sind überhaupt allgemein systematische Merk- male des ganzen Wirbeltierstammes.“ — In diesem Satze liegt eine Aufforderung zum Verzicht auf die Erforschung gewisser Phänomene. Man muß sich wirklich einmal fragen: genügt es denn, irgendein Phä- nomen als ‚ein allgemein systematisches Merkmal“ zu proklamieren, um für alle Zeiten dieses Phänomen aus dem Bereiche der Forschungs- objekte auszuschließen? Was sind denn „systematische Merkmale“? Gibt es denn wirklich Erscheinungen, die deswegen nicht auf ihre Morphologie, Physiologie, Oekologie, Genetik usw. untersucht werden dürfen, weil sie zugleich sichtbare Zeichen der abgestuften Mannig- faltigkeit tragen und daher als „Merkmale“ bei der Gruppierung der Tiere in Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen und Typen benutzt werden ?. Die konsequente Durchführung dieses Grundsatzes würde die schlimmsten Folgen für die Wissenschaft haben. Welchen Sinn hätte es, über die Herkunft der Haare der Säugetiere Forschungen anzu- stellen, da doch das Haarkleid ein „allgemein systematisches Merk- mal der Klasse‘ darstellt. Das isodonte Gebiß der Zahnwale, der eigen- artige Zahnwechsel der Beuteltiere, das Parietalauge der Reptilien, — alles das und noch vieles andere bietet gar keine Probleme für die Logisches und Methodisches. 43 Forschung dar, denn das sind einfach systematische Merkmale der betreifenden Ordnungen resp. Klassen! — So rächt sich der Mangel eines klaren und konsequenten Systems der biologischen Wissenschaft. Denn bei einer einigermaßen logischen Gliederung des Inhaltes des gegenwärtigen biologischen Wissens, wie sie in den einleitenden Kapi- teln dieses Abschnitts versucht wurde, muß es sich sofort herausstellen, daß die Erscheinungen der Lebewesen nicht an sich systematisch oder unsystematisch sind, sondern daß sie sich in verschiedener Weise in das System des Gesamtwissens einordnen, je nachdem man dabei von der Methode der Forschung oder vom materiellen Inhalt der Probleme ausgeht; daß also die merkwürdigste physiologische oder ökologische Erscheinung zugleich „systematisch“ verwertet werden kann (wie die oben erwähnten Blutreaktionen) usw . Nachdem die Unzulänglichkeit dieses neuen Angriffs auf das biogenetische Grundgesetz hinreichend klargestellt wurde, wendet sich der Blick nochmals dem anderen Extrem zu, den unbedingten An- hängern des biogenetischen Gesetzes in seiner ursprünglichen Fas- sung. Vor allem seinem Neubegründer — Harcker selbst. Er hält be- kanntlich selbst noch in den neuesten Publikationen an der ursprüng- lichen Fassung des biogenetischen Gesetzes fest, wonach „die Onto- genie eine Rekapitulation der Phylogenie‘ darstellt (wobei aber die Notwendigkeit ‚einer kritischen Unterscheidung der beiden Seiten jenes Grundgesetzes, der Palingenie und der Cänogenie“, betont wird, z. B. in dem dritten Bande der ‚Systematischen Phylogenie‘“, S. 629). Nur beiläufig soll erwähnt werden, daß in der unsicheren Begriffs- bestimmung der ‚„Phylogenie‘‘ von Anfang an eine Quelle für ein Mißverständnis lag. Während nämlich einige glauben, daß die Rekapi- tulationserscheinungen selbst zu den Beweismitteln der Deszendenz- theorie gehören, wird von den anderen angenommen, daß von der Re- kapitulation nur dann die Rede sein kann, wenn die Deszendenztheorie bereits vollkommen anerkannt ist. Daß ich die letztere Deutung für die richtige halte, dürfte aus dem oben über FLEISCHMANN Gesagten klar sein. Damit ist aber auch klar, daß ich unter ‚„Phylogenie‘“ nur die Stammbaumfrage, nicht die ganze Entwickelungslehre verstehen kann. Die Frage nach der logischen Form der Aussage von der Re- kapitulation muß zunächst nach demselben Prinzip untersucht werden, wie dies bei dem „Parallelismus von Anlage und Anlageprodukt“ geschehen ist. Wenn man nämlich unter ‚Gesetz‘ einen bestimmten Typus von Aussagen versteht (s. oben), so ist auch die Aehnlich- keit der Phylogenie und Ontogenie kein eigentümliches Gesetz, da die eine von diesen Erscheinungen nicht an sich bekannt ist, sondern erst aus der anderen, eben aus der Ontogenie erschlossen werden soll (schon SPITZER [1886] äuberte Zweifel an der Berechtigung der Be- zeichnung dieses Satzes als „Gesetz“, ging aber mit der Bemerkung darüber hinweg, dieser Satz verdiene doch immer noch mehr als der „Pithecometra-Satz“ den Namen eines Gesetzes. Die Frage ist also nicht neu und ich will mich auch bei dieser formalen Seite nicht lange aufhalten). Um auf den Inhalt selbst zu kommen, so ist hier zunächst eine wichtige Frage, ob man die „Rekapitulation‘“ so versteht, daß man in den embryonalen Formzuständen leibhaftige Ahnen, oder vielmehr so, daß man nur Vorstufen der Formzustände einzelner Or- 4 S. TscHULox, gane erblickt. Unsere sprachlichen Mittel und unsere Vorstellungen sind nun einmal derart, daß wir uns unter „Acraniern“, „Cyklostomen‘ usw. eben diejenigen Tiere vorstellen, denen dieser Name beigelegt wird und zwar mit allen ihren uns heute bekannten Eigenschaften. Wir können daher nicht umhin anzuerkennen, daß die Anhänger der ursprünglichen Fassung des biogenetischen Gesetzes in den embryo- nalen Wiederholungen die Verkörperungen leibhaftiger Ahnen er- blicken. So lesen wir in der „Systematischen Phylogenie“, Bd. 3, S. 619: „IV. Die primitive Vertebration der Spondula oder Verte- brella ($ 33), die Entstehung derselben durch metamere Gliederung der Chordula führt den Beweis, daß der Mensch, gleich allen übrigen Wirbeltieren, ursprünglich von Acraniern abstammt (Prospondylia, $ 16). V. Die Keimform, welche der menschliche Embryo nach Ver- lauf von 21 Tagen erlangt hat, und welche eine Länge von ungefähr 5 mm besitzt, ist von besonderer Wichtigkeit (Archicranula): der Keim besitzt bereits die Anlage der drei primären Hirnblasen, der drei höheren Sinnesorgane, der Kiemenspalten und des Herzens; es fehlt aber noch jede Spur von Gliedmaßen. Wir können daraus auf eine entsprechende Ahnenform aus der Klasse der Oyklostomen schließen (Archicrania, $ 212).” — Wollte man diese Art der An- schauung mit Konsequenz durchführen, so müßte man in den auf- einanderfolgenden Formzuständen des Embryo ebensoviele Vorfahren, als Angehörige bestimmter heute noch lebender oder ausgestorbener Klassen, Ordnungen usw. erblicken. Bedenkt man, daß die soeben zitierten Aeußerungen nicht aus einem populären Buch entnommen sind, sondern aus einem streng wissenschaftlichen, nur für Fach- kreise geschriebenen; bedenkt man ferner, daß es nicht aus der Sturm- und Drangperiode des Darwinismus stammt, sondern aus dem Jahre 1895, so muß man doch sagen, daß der Neubegründer des biogenetischen Grundgesetzes heute noch an der soeben gekenn- zeichneten Auffassung desselben festhält. Nun lassen sich gegen diese extreme Auffassung Einwände geltend machen, die den Anhängern derselben nicht unbekannt ge- blieben sind. Erstens liegt es in der Natur der Entwickelung eines kompliziert gebauten Tieres aus dem Zustande des befruchteten Kies, daß gewisse Formzustände notwendig anderen vorausgehen müssen, ohne daß es auf eine entsprechende Ahnenform zu schließen be- rechtiste. Ein gliedmaßenloser Zustand muß der Entstehung der Gliedmaßen vorausgehen, wenn anders man sich die Entwickelung epigenetisch und nicht als bloße Herauswickelung (Evolutio) denkt. Es ist kein zwingender Schluß, daß der Mensch von cyklostomen- artigen Ahnen stammt, weil er auch einen gliedmaßenlosen Form- zustand durchläuft. Dies führt uns auf einen ganz prinzipiellen Punkt. Damit eine Hypothese oder Theorie aufgestellt, diskutiert, an- genommen oder verworfen werden soll, muß doch zuerst ein Problem da sein, das durch jene Hypothese oder Theorie beseitigt werden soll. Vor ein solches Problem stellt uns wohl die Tatsache, daß ein Insekt im embryonalen Zustand Anlagen von Anhängen am Hinterleib zeigt, während das ausgebildete Insekt in dieser Region keine Anhänge trägt. Dasselbe gilt von der Anlage der hinteren Gliedmaßen der Wale, ihrer Zähne, von den getrennten Mittelfußknochen der Vogel- embryonen usw. usw. Es wird also vor allem die Frage zu stellen sein, welche Formzustände des Embryo in uns das Bedürfnis nach Logisches und Methodisches. ‚45 einer derartigen Deutung erwecken. Und die Antwort ist, daß es nicht alle Formzustände sind, sondern nur gewisse, solche nämlich, in denen die Abweichungen des Embryo vom ausgebildeten Tiere nicht ohne weiteres als notwendig erscheinen. Daß der Embryo einen einzelligen Zustand durchläuft, daß diese Zelle durch Teilung einen Haufen von Zellen erzeugt, daß das gliedmaßentragende Tier doch ein- mal einen gliedmaßenlosen Zustand und das zähnetragende einen zahn- losen Zustand durchmacht, das stellt uns nicht vor Abstammungs- probleme, das würde auch dann noch in gleicher Weise geschehen, wenn die Arten nicht von anderen Arten abstammen würden. In dieser Erkenntnis liegt der Wahrheitskern der von Hıs und GörrTE und den modernen Entwickelungsmechanikern gegen die einseitige Fassung des biogenetischen Gesetzes erhobenen Einwände. Es gibt aber auch eine Reihe von embryonalen Formzuständen, die zwar nicht in diesem Sinne den Stempel der Notwendigkeit an sich tragen, und daher wohl Erklärungen lerheischen, die aber nicht auf Ahnenzustände zurückgeführt werden dürfen, weil es sich dabei um offenkundige Anpassungen handelt. Man denke an die Embryonalhüllen der viviparen Säugetiere, an die verschiedensten Organe der pelagischen Larven, der Raupen usw. Nun wird man sagen, auch die extremen Anhänger des biogene- tischen Gesetzes haben ja in der Cänogenese eine Quelle möglicher Täuschungen erblickt und häufig genug betont, daß die cänogene- tischen Erscheinungen von der Deutung als Ahnenzustände ausge- schlossen bleiben. Das will ich auch nicht bestreiten. Ich kann aber zeigen, dab man sich mit der Zulassung der Cänogenese in eine Situation versetzt, die unvermeidlich zu einem typischen Zirkel- schluß führt. Nämlich wie bestimmt man, was cänogenetisch ist? Doch nur auf Grund der aus der Morphologie mitgebrachten An- schauungen über primäre und sekundäre Formzustände. Man sagt, dieses oder jenes kann nicht als Ahnenzustand gedeutet werden, weil es für dieses betreffende Organ nicht ein primärer, nicht ein ursprünglicher, sondern ein abgeleiteter Zustand ist. Dann ist aber klar, daß wir nicht erst aus dem Verlauf der Ontogenie die Phylogenie des betreffenden Organes erschlossen, sondern die Vor- stellungen über den ursprünglichen Formzustand dieses Organs bei den Vorfahren aus der Morphologie mitgebracht haben. Man steht also hier vor einer Alternative: entweder in den Formzuständen der Embryonen wirkliche Ahnen von bestimmter Stellung im System zu erblicken oder nur ursprünglichere Zustände einzelner Organe. Im ersten Falle wäre es eine reichlich fließende (Juelle der Belehrung über den Stammbaum der Arten, bliebe aber mit dem Fehler behaftet, daß Manches rein physikalisch Notwendige und Manches auf Anpassung Beruhende unberechtigterweise in die Ahnen- galerie hineinprojiziert würde. Im anderen Falle wären solche grobe Fehler ausgeschlossen, die Schlußfolgerung über den Zustand der in Betracht gezogenen Organe der Vorfahren wäre ziemlich sicher, aber dafür ist dann die Bedeutung des ganzen Gesetzes beträchtlich ein- geschränkt, denn man bekäme dann nur embryologische Be- stätigungen zu dem, was man schon aus der Morpho- logie weiß. Ich glaube, man wird mit der Zeit einsehen müssen, dab eine solche Alternative wirklich besteht und daß man gezwungen ist, zwischen den beiden Standpunkten zu wählen. 46 S. TscHuLox, Sind wir aber bis zu dieser Alternative vorgedrungen, so wird es nicht schwer fallen, in der kritischen Sichtung noch einen Schritt weiter zu tun und zuzugeben, daß es für die Erkenntnis der auf dem betreffenden Gebiete waltenden Gesetzmäßigkeit nicht günstig war, daß die ganze Forschung nur in den Dienst der Stammbaumfrage ge- stellt worden ist. Nur so konnte es kommen, daß die als Notbehelfe aufgestellten Begriffe der Cänogenese, Heterochronie usw. so lange im Vordergrunde der Diskussionen gestanden haben und eine über- sichtliche logische Gliederung des ganzen Problems nicht aufkommen ließen. Von einem unvoreingenommenen kritischen Standpunkte aus stellt sich die Sache so dar: Die Gesetzmäßigkeiten der Gestaltung offenbaren sich nicht nur bei ausgewachsenen Tieren, sondern auch im Werden der individuellen Form. Die Eigenart der embryonalen Gestalten und die Aufeinander- folge der Formzustände verlangt eine Erklärung. Es werden manche reale Beziehungen zu den Faktoren der umgebenden Welt festgestellt werden müssen. Solche Erklärungen sind kausaler Natur. Dann werden die (teleologischen) Beziehungen zwischen der Aufeinander- folge der Entfaltungserscheinungen und der Funktion der fertigen Organe gesucht werden. So soll schon ARISTOTELES festgestellt haben, dab die Reihenfolge, in der die Organe auftreten, sich nach ihrer physiologischen Bedeutung richtet (vgl. R. BuURCKHARDT, Geschichte der Zoologie, S. 32). Für den Anhänger der Entwickelungslehre er- geben sich noch weitere Erklärungen. In zahllosen Fällen sind die Formzustände vieler Organe beim Embryo primitiver als beim Erwachsenen. Was ursprünglich. und was abgeleitet ist, das entnehmen wir der Betrachtung der Organe lebender und fossiler Vertreter der betreffenden Tiergruppe. Das Fehlen der oberen Schneide- und Eckzähne bei den Huftieren ist ein abgeleiteter Zu- stand. In der Sprache der Deszendenztheorie, die wir als bewiesen voraussetzen, heißt das, daß die Wiederkäuer sich aus andersartigen, heute nicht mehr lebenden Tieren entwickelt haben, die im er- wachsenen Zustande noch obere Eck- und Schneidezähne besessen hatten. Nun zeigen die Embryonen der Wiederkäuer Anlagen von oberen Schneide- und Eckzähnen, und zwar selbst in den Familien, wo sie im erwachsenen Zustande nie vorkommen (Hohlhörner und Giraffen). Daran läßt sich ferner die interessante Tatsache anknüpfen, daß die Kamele im Milchgebiß drei, im Dauergebiß nur einen oberen Schneidezahn in jeder Kieferhälfte aufweisen. Wir erklären uns diese Erscheinungen als embryonale Wiederholung der Formzustände, die bei den ausgestorbenen Vorfahren derlebenden Arten sich auch bei ausgewachsenen Tieren fanden. Das ist der Wahrheitskern des biogenetischen Grundgesetzes, der zu Recht bestehen bleibt. Man wende dieselbe Betrachtung auf die Abdominalanhänge der Insekten, auf die Spaltfüße und einreihigen Füße der Krebse, auf die Beschaffenheit des Vogelbeins, auf die Haar- und Zahn- losigkeit der Bartenwale und auf Hunderte anderer Fälle an; überall ergibt sich dasselbe Resultat. Wir bringen aus der Morpho- logie ein Urteil über ursprüngliche und abgeleitete Formzustände der Organe mit. Wir finden, daß in allen diesen Fällen der Formzustand dieser Organe bei den Embryonen primitiver ist als bei den ausge- wachsenen Tieren. Wir deuten das als Rekapitulationen und finden Logisches und Methodisches. 47 darin eine willkommene Bestätigung für unsere Vorstellungen über den mutmaßlichen Zustand dieser Organe bei den Vorfahren der be- treffenden Tiergruppe. Der Unterschied dieser Formulierung von der landläufigen ist erheblich. Sagt man: wir ersehen aus der Entwickelung des In- dividuums die Entwickelung des Stammes, so muß man gleich hinzu- fügen, daß vieles, was man an dem sich entwickelnden Embryo wahr- nimmt, nicht als Phasen aus der Entwickelung des Stammes gelten kann. Man kommt zur Aufstellung von Cänogenesen, für die man kein sicheres Kriterium hat, man muß von zeitlichen Verschiebungen (Heterochronien) sprechen, ohne die Norm des zeitlichen Verlaufs zu kennen. Denn die einzige Instanz, an die man dabei appelliert, bleibt die Morphologie der lebenden und fossilen Arten. Die Ent- wickelung des Stammes ist als Vorgang von der Entwickelung des Individuums so grundverschieden und uns so wenig unmittel- bar gegeben, daß die Betrachtungen über Cänogenesen und Hetero- chronien wie Spekulationen über zahlreiche Ausnahmen von einer nicht bekannten Regel aussehen. Sagt man dagegen: die Fälle, in denen die Formzustände der Embryonen ursprünglicher sind als diejenigen der erwachsenen Tiere, erklären wir uns als Wiederholungen der dauernd ursprünglichen Formzustände bei den Vorfahren der Art, so setzt man sich im Kreise der Anhänger der Deszendenztheorie absolut keinem Einwande aus. Denn es ist bei dieser Formulierung nur dasjenige als Wieder- holung von Ahnenzuständen interpretiert, worin sich die Embryonen gegenüber den Erwachsenen wirklich primitiv verhalten. Es ist dann aber einleuchtend, daß daneben noch zahlreiche Gesetzmäßigkeiten bestehen bleiben, die noch zu selbständigen Forschungen Anlaß bieten. Der Zusammenhang zwischen der Anlagezeit und dem „phyletischen Wert“ eines Organs (ob es ein in Fortbildung oder in Rückbildung befindliches Organ ist), was in neuester Zeit besonders von MEHNERT studiert wurde und zahlreiche ähnliche Fragen erscheinen uns gar nicht mehr als bloße Anhängsel und Einschränkungen der universellen Rekapitulationstheorie, sondern als ebenso viele selbständige Probleme im Bereich der Gesetzmäßigkeiten der Formentfaltung. Cänogenese, Heterochronie u. a. sind für uns überflüssige Begriffe. Und wenn sich gelegentlich herausstellt, daß in manchen Fällen die Larve einen zweifellos abgeleiteten Formzustand eines Organs aufweist, während das erwachsene Tier dasselbe in einem ursprünglichen Zustande besitzt (die Diptere Stratiomys hat alsLarve ein stark konzentriertes Nerven- system, als Imago ein langgestrecktes, also primitiveres), so ändert das kein Jota an der Aussage, daß wir primitive Formzustände der Embryonen in Tausenden von Fällen als Rekapitulation von Ahnen- zuständen deuten. Endlich sei noch darauf hingewiesen, daß bei dieser der Wirk- lichkeit entsprechenden und von jeder Uebertreibung nach beiden Richtungen gesäuberten Formulierung die embryonale Wiederholung ursprünglicherer Formzustände selbst wieder als ein Problem er- scheint, das noch der Erklärung durch die Variations- und Ver- erbungsgesetze bedarf. Ich stehe in dieser Beziehung auf dem gleichen Standpunkt wie E.Sckurz, der seine Mittelstellung zwischen „den vergleichenden Morphologen und den Entwickelungsmecha- nikern“ so formuliert: „Daß das biogenetische Grundgesetz wirklich 48 S. TscHULoX, überall zutage tritt, wo es kann und wie es kann, ist nicht zu leugnen, ebenso, daß es aber selbst noch der Erklärung bedarf.“ Von den „vergleichenden Morphologen‘“, insbesondere von HaAEcKEL, sagt Schuzz, dab sie das Gesetz als genügende mechanische Erklärung der morphologischen Prozesse ansehen, während die Entwickelungs- mechaniker es meistens ganz mißachten. Im Bereich der dritten Frage der Genetik, des Problems der Fak- toren der organischen Entwickelung, hat die Morphologie eine wich- tige Aufgabe: die Gesetze der Formwandlung festzustellen. Was den Charakter der Forschung anbetrifft, so ist hier das Experiment als der vornehmste Weg zum Ziel anzusehen, wenn wir unter Experiment eine zielbewußte Variation und Isolation der Umstände verstehen, die es erlauben, die Ursachen der Erscheinung herauszuschälen. Ich brauche hier über diese Seite der Morphologie nicht viel Worte zu verlieren, da die heutige Zoologie ja geradezu im Zeichen der experi- mentellen, oder sagen wir lieber kausalen Vererbungs- und Variations- forschung steht. Für eine historische Darstellung ist die Zeit noch nicht gekommen, auch ist noch manches in den logischen Grundlagen nicht so weit abgeklärt, daß man in wenigen Worten dazu Stellung nehmen könnte. Nur eines kann man schon heute sagen: es ist der neuen Richtung nicht erspart geblieben, in ein Extrem zu verfallen und alles, was nicht auf experimentellem Wege erforscht worden ist, mit Geringschätzung zu betrachten. Mag nun aber von den „ver- gleichenden“ Morphologen bei dem Haschen nach Homologien und nach Ahnenzuständen manchesmal gesündigt worden sein, die „ex- perimentierenden“ Morphologen müssen doch mit der Tatsache rechnen, daß sich bei der Erforschung der Erscheinungen der Form nicht alle Faktoren variieren lassen, da die Existenz be- stimmter, einmal gegebener Formen in diese Forschung eine idio- graphische Komponente hineinbringt. Und so bringt denn eine logische Betrachtung der heutigen Mor- phologie eine Korrektur in die beiden extremen Gedankenkomplexe: wo die Neigung besteht, alles, was nicht experimentiert, aus der eigentlichen Wissenschaft auszuschließen, da muß darauf hingewiesen werden, daß die Morphologie nicht auf die Form der reinen Gesetzes- wissenschaft gebracht werden kann. Wo aber die umgekehrte Ten- denz besteht, dem Begriffe der ‚vergleichenden‘ Morphologie einen methodologischen Sinn beizulegen, da muß durch historische Auf- klärung dieser zu engen, weder logisch noch historisch berechtigten Auffassung entgegengetreten werden. Der moderne Begriff der Morphologie ist weit genug, um sämtliche Forschungen über die Formerscheinungen in der Tierwelt zu umfassen. Literatur. Assmann, E. W., Quellenkunde der vergleichenden Anatomie als Vorläufer einer prag- matischen Geschichte der Zootomie. Braunschweig 1847. Blumenbach, Handbuch der vergleichenden Anatomie. Göttingen 1805 und 1815. Boveri, T., Die Organismen als historische Wesen. Rektoratsrede. Würzburg 1906. Braus, Experimentelle Beiträge zur Morphologie. Leipzig 1906. Logisches und Methodisches. 49 Bronn, NMorphologische Studien über -die Gestaltungsgesetze der Naturkörper überhaupt und der organischen insbesondere. Leipzig u. Heidelberg 1858. Burckhardt, R., Geschichte der Zoologie. Leipzig 1907. 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Nomothetische und idiographische Komponente : in der Biologie . Einteilung der biologischen Forschung nach der logischen Natur der Probleme . Einteilung der Biologie nach der "materiellen Natur der Probleme . Kombination der beiden Einteilungen Was sind besondere Disziplinen im praktischen Sinne?. Aus der Geschichte der vergleichenden Anatomie (von SevnrIno bis GEGENBAUR) . Nachweis, daß die vergleichende ı und die experimentelle Morpho- logie keine methodologischen Antipoden sind . Die Beziehung der Morphologie zu den Problemen der Ent- wickelungslehre. HArckeLs biogenetisches Grundgesetz und das ontogenetische Kausalgesetz von OÖ. HErTWIG Literatur Seite 33 49 II. Abschnitt. Zeugungslehre. Von Prof. V. Haecker, Halle a. S. Mit 55 Figuren im Text. I. Einleitung. Uebersicht der Fortpflanzungsarten. Zeugung oder Fortpflanzung ist die von Elternorganismen ausgehende Neubildung von Individuen. Gewöhnlich ist damit eine Vermehrung der Gesamtzahl der Individuen verbunden. Es werden daher in der Regel die Worte Fortpflanzung, Zeugung und Vermehrung ungefähr in demselben Sinne gebraucht, wobei „Fortpflanzung“ den allgemeinsten Begriff darstellt, „Zeugung“ den eigentlich bewirkenden Akt und „Vermehrung“ einen bestimmten Erfolg der Fortpflanzung bedeutet. In der Welt der cellulär gebauten Organismen überhaupt kommen zwei Haupttypen der Fortpflanzung vor: die von Einzelzellen oder Auxocyten (den Individuen der Einzelligen und den Fort- pflanzungszellen der Vielzelligen) ausgehende eytogene und die durch Zellenkomplexe, bei Einzelligen durch vielkernige Plasma- massen oder Plasmodien vermittelte vegetative Vermehrung. Zu dem ersten Haupttypus gehören: 1) Die ungeschlechtliche (einelterliche) Vermehrung, Monogonie — besser vielleicht Monocytogonie!) — oder Aga- mogonie der Einzelligen, d.h. die durch Teilungsakte bewirkte und ohne Zellpaarungsprozesse vor sich gehende Vermehrung der Individuenzahl. | 2) Die geschlechtliche (zweielterliche) Vermehrung, Amphigonie oder Gamogonie der Einzelligen, d.h. die mit Zellpaarungs- oder Konjugationsprozessen verbundene Vermehrungsart. 3) Die primäre Monogonie oder besser primäre Mono- ceytogonie (ungeschlechtliche, einelterliche Vermehrung im engsten Sinne) der Vielzelligen, nämlich die von einzelnen Fortpflanzungs- zellen ausgehende, nicht mit Zellpaarungs- oder Befruchtungsakten verbundene Vermehrungsweise der Vielzelligen, soweit sie nicht 1) Die Ausdrücke Monogonie, monogone Fortpflanzung sind mehrdeutig, da sie, ebenso wie die Bezeichnung „ungeschlechtliche Vermehrung“, vielfach in einem weiteren Sinn angewandt werden (s. unten). Vielleicht empfiehlt sich daher das in An- lehnung an den HARTMAnNschen Ausdruck Cytogonie gebildete Wort Monoeytogonie. 4* 52 V. Hacker, durch Rückbildung von B efruchtungsakten aus der ge- schlechtlichen Fortpflanzung entstanden sind. Ein Bei- spiel von weiterem vergleichend-fortpflanzungsgeschichtlichem Interesse stellt die Sporogonie der höheren Kryptogamen dar. Nach Ansicht einiger Forscher sind Spuren einer zurückgebildeten primären Mono- gonie auch bei vielzelligen Tieren zu finden. 4) Die geschlechtliche (zweielterliche) Vermehrung oder Amphigonie der Vielzelligen: die mit der Bildung di- morpher Fortpflanzungszellen und mit Befruchtungsakten verbundene Vermehrung. 5) Die von der Amphigonie abgeleiteten Formen der Jun gsfern- zeugung oder Parthenogenesis und der Jugendzeugung oder Pädogenesis, bei welchen der Befruchtungsakt sekundär unterdrückt worden ist und demgemäß nur eine einzige Fortpflanzungs- zelle, nämlich die Eizelle, den Ausgangspunkt für die neue Generation bildet. Es können diese beiden Vermehrungsarten als sekundäre Monocytogonie zusammengefaßt werden. Der zweite Haupttypus, die veeetatiye Vermehrung, ist bei den vielzelligen Wirbellosen unter den verschiedenen Formen der Quer- teilung, Längsteilung und Knospung weit verbreitet und findet in den Sprossungsvorgängen mancher vielkerniger (plasmodial gebauter) Einzelliger, sowie in der ve getativen Ver- mehrung (Sprossung, Brutknospenbildung) der höheren Pflanzen ein Seitenstück. Neben der hier durchgeführten Einteilung wird auch jetzt noch vielfach zwischen geschlechtlicher (zweielterlicher, am- phigoner) und ungeschlechtlicher (einelterlicher, mono- goner) Fortpflanzung unterschieden. Zur ungeschlechtlichen Fort- pflanzung in diesem weitesten Sinne werden dann alle Vermehrungs- arten gerechnet, die nicht mit Konjugations- oder Befruchtungsakten verbunden sind, also die Monogonie der Einzelligen, die primäre und sekundäre Monogonie der Vielzelligen und die vegetative Vermehrung. Vielfach sind mehrere Fortpflanzungsarten miteinander kombiniert, in der Weise, daß sie mehr oder weniger regelmäßig miteinander abwechseln und also ein Generationswechs el stattfindet. Es kommen bei den cellulär gebauten Organismen drei verschiedene Formen des Generationswechsels vor: 1) Der primäre Generationswechsel als Wechsel zwischen Am- phigonie und primärer Monocytogonie, so der Generationswechsel der Einzelligen, Mesozoen (Volvox globator, Dicyemiden und Ortho- nectiden) und höheren Kryptogamen. 2) Der regressive Generationswechsel (Heterogonie) als Wechsel zwischen der Amphigonie und der sekundären, durch Rück- bildung des Befruchtungsprozesses entstandenen Monocytogonie, z. B. der Generationswechsel der Trematoden und Cladoceren. 3) Der progressive Generationswechsel (Metagenesis) als Wechsel zwischen der Amphigonie und der vegetativen Fortpflanzung, welch’ letztere gegenüber der cytogenen Vermehrung als Neuerwerb zu betrachten ist, z. B. der Generationswechsel der Hydroidpolypen und Salpen. Im folgenden sollen die bei den einzelligen Tieren (Proto- zoen) und bei den wirbellosen Vielzelligen (wirbellosen Meta- Zeugungslehre. 53 zoen) verbreiteten Fortpflanzungsweisen behandelt werden, wobei jedoch einige auf die Geschlechtszellen bezügliche Beispiele dem Gebiete der Wirbeltiere entnommen werden. IH. Fortpflanzung durch Einzelzellen (Cytogonie). A. Die Fortpflanzung der Einzelligen. a) Allgemeines über die Vermehrung durch Zweiteilung oder mittels Auxontenbildung (Hemitomie und Polytomie). Bei den rein hemitomen Einzelligen, bei welchen als einziger Teilungsmodus die symmetrische Zweiteilung von Kernsubstanz und Zellplasma vorkommt, stellt jeder Zellteilungsakt einen wirk- lichen, zur alsbaldigen Individualisierung der Teilprodukte und zur Vermehrung der Individuenzahl führenden Fort- pflanzungsakt dar. Es können demnach sämtliche Zellen direkt mit den reifen Fortpflanzungszellen der Vielzelligen verglichen werden und es treten keine Zellgenerationen auf, welche den Stamm-, Ur- und Mutterzellen der Fortpflanzungszellen entsprechen, und also auch keine Vorgänge, die der Entwickelung der Fortpflanzungszellen der Vielzelligen, der Gametogenesis, homolog zu setzen sind. Es ist sehr fraglich, ob in irgendeiner Gruppe von Protozoen Verhältnisse von dieser idealen Einfachheit vorkommen. Sind doch auch bei denjenigen Formen, bei welchen die Zweiteilung in besonders typischer Form auftritt, also bei vielen Flagellaten und bei den meisten Infusorien, zwischen die eigentlichen Ver- mehrungsprozesse gewisse, allerdings rudimentäre Teilungsvorgänge (die Reifungsteilungen) eingeschaltet, welche nicht zur Bildung neuer Individuen führen. Es stellt also nicht einmal bei diesen Formen jeder Teilungsakt einen zur Vermehrung der Individuenzahl führenden Fortpflanzungsprozeß dar. Bei der Fortpflanzung der meisten Protozoen spielt nun aber die Zweiteilung in der erwähnten einfachen Form und die damit ver- bundene sofortige Individua- lisierung der Teilprodukte, falls ein solcher Prozeß überhaupt vor- kommt, gar nicht die dominierende oder ausschließliche Rolle, die ihr früher in allgemeinen Darstellungen zugeschrieben wurde. Vielmehr fin- det man als eine sehr weitverbrei- tete Erscheinung Zustände, in denen eine größere Zahl von Teilungs- produkten kürzere oder längere Zeit miteinander in Verbindung bleiben und auf diese Weise vielkernige Plasmamassen (Plasmodien) oder Haufen von locker miteinander ver- bundenen Zellen (Kolonien) bilden. Diese Zustände, die man viel- leicht zweckmäßig als Auxonten bezeichnen kann, entstehen entweder 1) auf dem Wege einer sukzessiven Zweiteilung der ganzen Zellen (Volvocineen, Fig. 1), oder 2) durch Fig. 1. Platydorinakolonie nach KoroiD. Fig. 2. Zeugungslehre, 59 Fig. 2. Schematische Darstellung des Zeugungskreises von Tricho- sphaerium sieboldi ScHn. I ausgebildeter Agamont (Amphiont), IA und IB vegetative Vermehrung des Agamonten, /I—III Schlußakt der ungeschlechtlichen oder agamogonen Vermehrung: Zerfall des Agamonten in die Agameten, /V jugendliches Ge- sehlechtsindividuum oder Gamont, V-—-V/I Entwickelung zum ausgebildeten Gamonten, VIA und VIB vegetative Vermehrung des Gamonten, VII Gamont in lebhafter Kern- vermehrung, VIII vorletzter Akt der geschlechtlichen oder gamogonen Vermehrung: Zer- fall des Gamonten in die Gameten und Ausschwärmen der letzteren, /X—X7/1 letzter Akt der geschlechtlichen Vermehrung: Karyogamie je zweier Gameten, XIII Bildung der Stäbchenhülle und erste Kernteilung im jungen Agamonten, XIV junger Agamont etwas weiter ausgebildet. Aus LAnG nach SCHAUDINN. Terminologie in Anlehnung an HART- MANN abgeändert. Sporenbildung (multiple Teilung, Zerfallteilung, Poly- tomie), in diesem Falle entweder durch rasch aufeinander folgende, zur Bildung sehr kleiner Abkömmlinge führende Zellteilungsakte oder auch durch sukzessive Kernteilungen und simultane Zellteilung (Tricho- sphaerium, Fig. 2; „Gänseblümchenform“ der Malariaparasiten), oder endlich 3) durch eine modifizierte Form der Sporenbildung, nämlich durch Auflösung eines Primärkerns in Teilkerne (Einzelknäuel, Chromidien) und nachfolgenden Zerfall des Plasmas (Radiolarien)?). Die Auxonten liefern ihrerseits unter vollständigem oder teilweisem Zer- fall kleine, selbständige, vielfach als Schwärmsporen erscheinende Zellindividuen. Wenn die aus der endgültigen Auflösung der Auxonten hervor- gehenden Einzelzellen oder Auxocyten ohne paarweise Verbindung (Konjugation) zu weiterer Vermehrung gelangen, also Agameten darstellen, so werden die Auxonten als Schizonten (SCHAUDINN 1899), Amphionten (Lang 1901) oder Agamonten (HARTMANN 1903) bezeichnet; sind ihre Produkte auf den Konjugationsakt ein- gerichtet, sind diese also Gameten, so werden die Auxonten Spo- ronten (SCHAUDINN), Mononten (LAnG) oder Gamonten (HART- MANN) genannt. Auf gewisse Schwierigkeiten, welche einer allgemeinen Verwendung der Bezeichnungen Sporonten, Mononten und Amphionten entgegenstehen, hat Harrmann (Biol. Centralbl., Bd. 24, 1904) hingewiesen und dabei seinerseits die zweckmäßigeren Ausdrücke Agamonten und Gamonten vorgeschlagen. Es sollen im folgenden diese Bezeichnungen angewandt werden, Zuweilen zeigen die Agamonten und Gamonten eine nicht ganz eindeutig als Dimorphismus bezeichnete Verschiedenheit (z. B. Dimorphismus der Schalengestalt bei Foraminiferen), häufiger sind die Agameten und Gameten voneinander unterschieden, so bei manchen Foraminiferen, bei welchen den rhizopodenähnlichen Agameten die als (Greißelschwärmer geformten Gameten gegenüberstehen, oder bei den Coceidien und Hämosporidien (Fig. 3), wo zu dem Unterschiede zwischen 1) Bezüglich der Terminologie der verschiedenen Typen von Sporenbildungsvorgängen besteht noch keine Uebereinstimmung. Ich möchte vorschlagen, den auch von LAnG (1901, 8. 195) beanstandeten HAECKELschen Ausdruck Conitomie als wenig bezeichnend auszuschalten und die geläufigen Bezeichnungen Sporenbildung und multiple Teilung in dem oben angenommenen allgemeinen Sinne anzuwenden. In demselben Sinne hat Lang den Ausdruck Zerfallteilung benutzt und ebenso dürfte es zweck- mäßig sein, den von HAECKEL in einem sehr speziellen Sinne angenommenen Ausdruck Polytomie als gleichbedeutend mit Sporenbildung zu gebrauchen, um das handliche Adjektivum polytom zur Verfügung zu haben. 56 V. HaAEckER, Agameten und Gameten noch die sexuelle Differenzierung der letzteren hinzukommen kann (s. auch unten). Für die vergleichende Fortpflanzungsgeschichte ist die Entwicke- lung mittels Auxonten-ähnlicher Zustände, also die ganz oder teil- weise polytome Entwickelung, wie man im Gegensatz zur hemi- tomen sagen kann, deshalb von Bedeutung, weil die fertigen Auxonten mit dem im Zustande vollkommener Geschlechtsreife stehenden Ge- samtorganismus der Vielzelligen verglichen werden können; weil ferner die Entstehung der Auxonten aus einem ursprünglich einzelligen Individuum und ihre weitere Entwickelung offenbar der Gametogenesis,d.h. den zur Bildung der reifen Ge- schlechtszellen führenden Tei- lungs- und Differenzierungspro- zessen anolog ist und ihre Zer- fallsprodukte den Fortpflan- zungszellen der höheren Organismen entsprechen. Ein Unterschied besteht hauptsächlich darin, daß bei der Entwickelung des vielzelligen Organismus aus dem einzelligen Ausgangsstadium neben den der Vermehrung dienenden Elemen- ten auch somatische, der Er- nährung und Erhaltung des In- dividuums und seines Fortpflan- zungsapparates dienende Zellen gebildet werden. Der Unterschied wird indessen überbrückt durch die sogenannten Mesozoen m (Volvox globator, Dicyemiden, Fig. 3. Freiwerdende Agameten > & ‘ und e Ss oe a Orthonectiden), bei ‚welchen ın. Makrogamet (B) von Coceidium schubergi. einfachster Form die Differen- Nach SCHAUDINN. zierung von Geschlechts- und Somazellen hervortritt und die Entstehungsgeschichte der Geschlechtszellen sehr an die Verhältnisse bei den Metazoen erinnert. b) Die Reifungsteilungen der Protozoen und ihre morphologische Bedeutung !). An die Gametogenesis der vielzelligen Tiere, und zwar speziell an die Periode der Ei- und Samenreife wird man besonders auch dann erinnert, wenn bei den Einzelligen die Entstehung der Gameten 1) Seit einer Reihe von Jahren habe ich versucht, den Beziehungen nachzugehen, welche die Reifungserscheinungen der Einzelligen, diejenigen der Vielzelligen, sowie die Sporenbildungsprozesse zueinander aufweisen (1897, 1898, 1911). Den eigentlichen Schlüssel für diese Zusammenhänge glaube ich inzwischen in den Fortpflanzungsvorgängen der polytomen Protozoen gefunden zu haben, so daß es mir nunmehr möglich erscheint, eine abgerundete Darstellung dieser Verhältnisse zu geben. Zeugungslehre. "51 mit vorbereitenden, zur Bildung abortiver Kerne führenden Teilungen verbunden ist. Solche Teilungen, für welche jetzt allgemein die zu- nächst für die Vielzelligen gültige Bezeichnung Reifungsteilungen („Reduktionsteilungen“, Richtungskörperbildung) angewandt wird, treten besonders ausgeprägt bei der Fort- pflanzung der ganz oder teilweise hemitomen Formen als Einleitung zu den Konjugationsprozessen hervor. Bekannte Beispiele bilden dıe Heli- ozoen, bei denen in jedem der kon- jugierenden Paarlinge der Kern an die Peripherie tritt und sich hier zweimal hintereinander unter Bildung eines abortiv werdenden „Reduktions- kerns“ teilt (Fig. 4), sowie die In- fusorien, deren Kleinkern auf Grund zweier vorbereitender Teilungen den Geschlechtskern und drei der Resorp- : N tion anheimfallende Kerneliefert (Vor- yei Fe reife, progametische Reife). Aehnliche, mit der Bildung abortiver Kerne verbundene Teilungs- prozesse treten zuweilen, so bei den Infusorien (Fig. 5), sowie auf botanischem Gebiet bei manchen Algen, auch nach dem Konjugations- prozeß auf (Nachreife, metagametische Reife). A Fig. 5. Nachreife von Paramaecium. A Dritte Teilung des Kopulationskerns. B Vier Kerne wachsen zu Macronuclei (ma) aus, drei gehen zugrunde (r), der achte teilt sich (mi). © Entstehung zweier Tochterzellen mit je zwei Macronuclei (ma) und einem Micronucleus (mi), der sich aufs neue teilt. Bei der folgenden Zellteilung erhält jede Enkelzelle je einen Maero- und einen Mieronucleus. Nach DOFLEIN. Auch bei Formen mit polytomer Vermehrung finden sich zuweilen noch Vorgänge, die durchaus an die Reifungsvorgänge der Vielzelligen erinnern (Mikrogametenbildung von Adelea, Fig. 6A), nicht selten zeigen sich aber nur darin Anklänge, daß bei der multiplen Teilung 58 V. Hancker, oder Sporenbildung die beiden letzten oder der letzte, der Konjugation unmittelbar vorangehende Teilungsakt zeitlich und unter Umständen auch histologisch besonders akzentuiert ist (Allogromia, Foraminiferen, vielleicht auch Coceidium schubergi), während in anderen Fällen sämt- liche Schritte der polytomen Vermehrung gleichmäßig zu verlaufen scheinen (Trichosphaerium). Auch bei der ungeschlechtlichen Vermehrung von polytom sich teilenden Formen kann der letzte Teilungsschritt besonders akzentuiert sein, so besonders bei der Ooccidie Adelea ovata (Fig. 6 B). mi Fig. 6. A Zweiter Kernteilungsakt in dem dem Makrogameten anliegenden Mikro- gametocyten. Einer der vier Kerne führt die Konjugation aus, die drei anderen sind noch eine Zeitlang an der Oberfläche des Makrogameten zu beobachten (B, mi) und gehen dann zugrunde. B Letzte (akzentuierte) Teilung bei der ungeschlechtlichen Vermehrung von Adelea. Nach SIEDLECKI. | Es finden sich also hier an der nämlichen Stelle, an welcher bei Heliozoen und Infusorien typische Reifungsteilungen mit Bildung ab- ortiver Kerne vorkommen, in wenig oder gar nicht modifizierter Form die letzten Teilungsakte des Sporenbildungsprozesses, wie denn über- haupt bei den Protozoen die Bildung abortiver Kerne und multiple Zellteilungsprozesse an homologen Stellen füreinander eintreten können. Beispielsweise gehen bei Trypanosoma noctuae, abgesehen von den auch hier vorhandenen typischen Reifungsprozessen, bei der Entwickelung der weiblichen Tiere die acht durch multiple Teilung des Kleinkerns entstandenen (je aus einem größeren und einem kleineren Kern bestehenden) „Kerngruppen“ zugrunde (Fig. 7), ‚während in den männlichen Individuen ein typischer multipler Zellteilungs- oder Sporenbildungsprozeß stattfindet, wobei die acht den obigen ent- sprechenden Kerngruppen den Ausgangspunkt für die Entstehung der männlichen Gameten bilden (Fig. 8). Nach dem Gesagten ergeben sich also sehr enge Beziehungen zwischen den Reifungsteilungen und Sporenbildungsvorgängen, und so dürfte die Ansicht wohlbegründet sein, daß wenigstens bei den Proto- Zeugungslehre. 59 zoen die Reifungsvorgänge den Charakter von rudimen- tären Sporenbildungsprozessen haben. Auch bei niedrigen Algen ergeben sich Beziehungen ähnlicher Art (Orrmanss) und auch die Aehnlichkeit, welche Reifungsvorgänge der Metazoen und höheren Pflanzen mit den Sporenbildungsprozessen der Gefäßkryptogamen zeigen, weisen auf den nämlichen Zusammenhang hin. Wenn die bei der Reifung erfolgende Bildung rudimentärer Kerne wirklich ein Homologon der Sporenbildungsprozesse darstellt, so Fig.7. Entwickelung des weib- lichen Trypanosoma noctuae. a Stadium mit zwei Kernen. b Der kleinere Kern läßt durch Teilung 8 Kerne entstehen. c Jeder der 8 Kleinkerne produziert mittelst heteropoler Teilung einen sehr kleinen Schwesterkern: Bildung der 8 „Kerngruppen‘“; der große Kern läßt ebenfalls mittelst heteropoler Teilung einen kleinen Schwesterkern, den Blepharoplasten, entstehen. d Ausgebildeter Makro- gamet mit Großkern, Blepharoplast, Geißelapparat und den 8 zu- grunde gehenden Kern- gruppen. Nach SCHAUDINN. würde daraus speziell für die Infusorien noch der Schluß abzu- leiten sein, daß sowohl das in der Vor-, wie das in der Nachreife befindliche Individuum gewissermaßen einen rudimentären Auxonten- zustand darstellt, so daß also wenigstens bezüglich dieser Phasen die Vermehrungsvorgänge der Infusorien gegenüber der polytomen Ver- Fig. 8. Entwickelung des männlichen Trypanosoma noctuae. a—c Bildung der 8 „Kerngruppen‘ wie im weiblichen Tier. d Periphere Anordnung der Kerngruppen. e Bildung der 8 Mikrogameten. Nach SCHAUDINN. mehrung anderer Protozoen ein abgeleitetes Verhältnis darstellen würden. Von dieser Auffassung aus würde also der oben (8. 56) angestellte Vergleich zwischen den Auxonten und den Vielzelligen in gewisser Hinsicht auch auf die Infusorien ausgedehnt werden können. 60 V. HaEcker, c) Ungeschlechtliche und geschlechtliche Fortpflanzung, Generationswechsel. Sowohl bei rein polytomer, als auch bei gemischter und bei vor- wiegend hemitomer Fortpflanzung werden die Vermehrungsvorgänge in periodischer oder auch in mehr unregelmäßiger, von den Lebens- bedingungen stärker beeinflußter Weise durch Geschlechtsakte unter- brochen. Diese der Befruchtung der Vielzelligen entsprechenden Vor- sänge bestehen in der Paarung je zweier Zellen und werden als Konjugation (im weiteren Sinne) bezeichnet. Die sich paarenden Zellen werden Gameten und der im Falle einer dauernden Ver- einigung der Gameten zustande kommende Keim Zygote genannt. Diejenigen Vermehrungsprozesse, welche mit der Konjugation je zweier Zellen in engerem Zusammenhang stehen, werden als ge- schlechtliche Fortpflanzung, Sporogonie, Amphigonie, Gamogonie, von der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, Schizogonie, Monogonie, Agamogonie, welche nicht mit Konjugationsakten verbunden ist, unterschieden. Bezüglich der Verwendung der Ausdrücke: Monogonie und Am- phigonie bei Lang s. unten. Wenn die genannten beiden Hauptformen der Vermehrung in regelmäßiger Folge alternieren, so daß immer ein oder mehrere un- geschlechtliche Vermehrungsakte durch einen geschlechtlichen abgelöst werden, so wird von einem (primären) Generationswechsel ge- sprochen und die ganze, zum Ausgangspunkt zurückkehrende Kette oder Periode von ungeschlechtlichen und geschlechtlichen Prozessen als Zeugungskreis oder Fortpflanzungszyklus bezeichnet. Welche Phasen des Zeugungskreises der ungeschlechtlichen und welche der geschlechtlichen Vermehrung zugerechnet werden, darüber können in einzelnen Fällen Zweifel bestehen. Am klarsten liegen die Verhältnisse im Falle der rein polytomen Vermehrung, insbesondere bei Trichosphaerium, bei den Foraminiferen und in ähnlicher Weise bei Coceidium schubergi. Hier ist der aus der Zygote sich ent- wickelnde, also geschlechtlich erzeugte Auxont (Fig. 2, I) als unge- schlechtliche Generation, ungeschlechtliches Tndiyi- duum oder Agamont zu bezeichnen. Ferner stellen die Teilungen, durch welche der Agamont aus dem einzelligen Zustande (der Zygote) hervorgeht (XIUI—XIV), die vorbereitenden Akte der unge- schlechtliehen Vermehrung dar, während die Zerfallteilung, durch welche der fertig gewordene Agamont in die Agameten zerlegt wird (III), ihren Schlußakt bildet. Aus den Agameten kann sodann auf ungeschlechtlichem Wege wieder eine ungeschlechtliche Generation, ein Agamont, hervorgehen oder es kann aus ihnen eine Geschlechts- generation, ein geschlechtliches Individuum oder Ga- mont (VI) entstehen. Die zur Entwickelung dieser Gamonten und schließlich zur Bildung der Gameten selbst führenden Teilungs- prozesse (IV—VII), sowie der von den Gameten vollzogene Kon- jugationsvorgang (IX) stellen zusammen die Reihe der geschlecht- liehen Vermehrungsakte dar. Die Gamonten sind entweder in ge- schlechtlicher Hinsicht nicht differenziert (Foraminiferen, Tricho- sphaerium) oder geschlechtlich dimorph (Coceidium). Zeugungslehre. 61 Bei dieser, im wesentlichen schon von SCHAUDINN und HARTMANN vertretenen Auffassung würde eine weitgehende Uebereinstimmung mit der Terminologie bestehen, wie sie bei Vielzelligen, insbesondere beim primären Generationswechsel eines Farnkrautes oder beim sekun- dären eines Wasserflohes oder einer Blattlaus Anwendung findet: hier wird nämlich das befruchtete Ei, genau wie bei Trichosphaerium die Zygote (Fig. 2, X), als das Ausgangsstadium der ungeschlecht- lichen Generation betrachtet, während alle zur Bildung der Sporen bzw. parthenogenetischen Eier führenden Teilungsprozesse als un- geschlechtliche Vermehrung aufgefaßt werden. Ferner bedeutet bei den Vielzelligen das aus der Spore oder dem parthenogenetischen Ei hervorgehende Individuum, ebenso wie der aus den Agameten von Triehosphaerium hervorgehende Gamont (Fig.2,V 7), die geschlecht- liche Generation, während die Gesamtheit der zur Bildung ihrer Fortpflanzungselemente führenden Prozesse zusammen mit dem Be- fruchtungsprozeß selber die geschlechtliche Vermehrung darstellt. Diese terminologische Uebereinstimmung geht verloren, wenn bei den Protozoen für die oben als ungeschlechtliche Vermehrung (Schizogonie, Asgamogonie) bezeichnete Kette von Vorgängen der Ausdruck Amphi- gonie und für die als geschlechtliche Vermehrung (Sporogonie, Gamo- gonie) zusammengefaßten Prozesse die Bezeichnung Monogonie ange- wandt wird (Lang 1901). Vgl. auch Hartmann 1904. Bei den Infusorien werden meist auch die der Konjugation folgenden, ebenfalls mit rudimentären Teilungsprozessen verbundenen Vermehrungsvor- gänge (S.57, Fig.5) zur geschlechtlichen Phase des Zeugungskreises gerechnet. Es werden dann innerhalb der geschlechtlichen Phase die progametischen Reifungsteilungen und die metagametischen, der Befruchtung folgenden Teilungen (Nachreife) unterschieden. Auf diese Weise ist es aber schwer, die Vorgänge bei den Infusorien mit denjenigen bei Trichosphaerium und anderen polytomen Formen in Parallele zu bringen. Faßt man jedoch, wie dies oben geschehen ist, das in Nachreife befindliche Infusor als einen rudimentären Auxontenzustand auf, so stellt sich eine viel größere Uebereinstimmung mit den Verhältnissen bei Tricho- sphaerium und den Foraminiferen heraus, insofern man dann nur die progametischen Teilungen zur geschlechtlichen Phase zu rechnen, die metagametischen Teilungen dagegen einer ersten ungeschlecht- lichen, zum Teil rudimentär gewordenen Generation zuzuweisen hätte. Aehnliche Verschiedenheiten in der Auffassung liegen bis jetzt noch bezüglich der Coccidien (Eimeria schubergi) und Hämosporidien vor. Vgl. HarTmann 1904. Wie erwähnt, ist auch für die zwischen Protozoen und Metazoen stehenden Mesozoen, soweit ihre Fortpflanzungsgeschichte bekannt ist, ein primärer, zwischen Agamogonie (Monocytogonie) und Gamo- gonie (Amphigonie) alternierender Generationswechsel anzu- nehmen. Insbesondere gilt dies für Volvox und (nach HARTMANN) für die Dieyemiden und wahrscheinlich auch für die Orthonectiden. d) Verschiedene Formen der Konjugation. Die Konjugation kann entweder in einer dauernden und totalen Verschmelzung der beiden Gameten und ihrer Kerne (totale Konjugation, Karyoplasmogamie, Kopulation) 62 V. HaAEcKER, bestehen, in welchem Fall das Verschmelzungsprodukt meist als Zygote bezeichnet wird. Oder es ist die Verbindung nur eine vor- übergehende und die Paarlinge gehen nach Austausch von Kernsub- stanzen als Exkonjuganten auseinander (partielle Konjuga- tion, reine Karyogamie, Konjugation im engeren Sinne). Dieser Fall trifft für die meisten Infusorien zu, bei welchen der Micronucleus oder Geschlechtskern jedes Paarlings nach zweimaliger vorbereitender Teilung (s. oben) auf Grund eines dritten Teilungs- aktes zwei generative Kerne, den stationären Kern und den Wanderkern, liefert. Der Wanderkern jedes Paarlings tritt in den anderen Paarling über und vereinigt sich mit dessen stationärem Kern, worauf die Trennung der Gameten stattfindet. Während bei vielen Formen die Gameten gleich groß sind (Iso- gameten), besteht bei anderen insofern eine größere Aehnlichkeit mit dem Befruchtungsvorgang der Vielzelligen, als die Gameten hin- sichtlich ihrer Größe, Form und Beweglichkeit, Unterschiede, ähnlich denjenigen zwischen Samenzelle und Ei, zeigen (Anisogameten, Mikro- und Makrogameten; Fig. 3, B). Im ersteren Fall wird die Konjugation als Isogamie (Homogamie), im letzteren als Aniso- gsamie (Heterogamie) bezeichnet. Eine Besonderheit mancher Protozoen ist die Autogamie, die Wiedervereinigung zweier Schwesterzellen (Heliozoen) oder Schwester- kerne (Entamoeba) nach vollzogenen Reifungsprozessen, ein Vorgang, der sich allenfalls mit der Vereinigung von Eikern und zweitem Rich- tungskörper bei manchen parthenogenetischen Eiern vergleichen läßt. B. Die Fortpflanzung durch Einzelzellen (Cytogonie) bei vielzelligen Wirbellosen. Die Amphigonie und die von ihr abgeleiteten Formen. a) Entstehung der Geschlechtszellen (Gametogenesis). Bei vielen Wirbellosen lassen sich die Keimzellen, wie man ganz allgemein die Ausgangselemente oder Aszendenten der befruch- tungsfähigen Geschlechtszellen im Gegensatz zu den somatischen, Soma-, Körper- oder Gewebszellen nennt, von sehr frühen Stadien der Embryonalentwickelung an verfolgen. In einzelnen Fällen ist es sogar möglich, auf Grund bestimmter, entweder in den „ruhenden“ Zellen, oder bei ihrer Teilung auftretender histologischer Eigentüm- lichkeiten die ganze Zellenfolge festzustellen, welche von dem befruchteten Ei bis zu den ersten rein germinativen Zellen führt, d.h. denjenigen Zellen, deren Abkömmlinge nur noch aus rein propagatorischen Elementen, bzw. aus abortiv gewordenen oder einem Funktionswechsel unterworfenen Keimzellen (Nährzellen, Richtungs- körpern usw.) bestehen. Man bezeichnet jene Zellenfolge, in welcher also Schritt für Schritt die Reinigung des germinativen Materials von ekto-, ento- und meso- dermalen Elementen vor sich geht, als Keimbahn schlechtweg oder besser vielleicht als somato-germinative (differentielle) Keim- bahnstrecke, die Zellen dieser Folge werden Stammzellen, die ersten Generationen der rein germinativen Elemente Urge- schlechtszellen oder Urgenitalzellen genannt. Vielfach er- scheint es zweckmäßig, die allererste rein germinative Zelle als Urgeschlechtsmutterzelle von ihren unmittelbaren Abkömm- Zeugungslehre. 63 lingen, den Urgeschlechtszellen im engeren Sinne, zu unter- scheiden. Derjenige Teilungsschritt, welcher die Urgeschlechtsmutter- zelle vom somatischen Zellenmaterial abscheidet, ist beispielsweise bei Chironomus der 2., bei Cecidomyia der 3., bei den Copepoden der 4., beim Pferdespulwurm der 5. oder 6. In der Regel geht aus der Urgeschlechtsmutterzelle zunächst nur eine beschränkte Zahl von Ur- geschlechtszellen (2, 4, 8) hervor. Diese treten dann in eine längere Ruheperiode ein, um erst in späteren Entwicklungsstadien, bei der Bildung der Geschlechtsdrüsen oder Gonaden, die Teilungs- tätigkeit wieder aufzunehmen. Die Stammzellen der Urgeschlechtszellen können nach vier ver- schiedenen Richtungen hin von den übrigen Embryonalzellen unter- schieden sein!): 1) Ihr Zellplasma ist durch Anhäufungen von färbbaren, in Körnchen-, Brocken- oder Wolkenform auftretenden Substanzen als ein besonderes Keimbahnplasma aus- gezeichnet (Fig. 9, n, a; Fig.10, %k). Bei den Copepoden und bei Chironomus ist das Keimbahnplasma schon im unge- teilten Ei nachzuweisen, um dann eben durch die Keimbahnzellen von Zellgene- ration zu Zellgeneration übermittelt zu Fig. 9. Fig. 10. Fig. 9. Geschlechtszellendifferenzierung bei Copepoden (Cyclops distinctus). Uebergang vom Zwei- zum Vierzellenstadium. In der körnchenführenden Stammzelle die alten, beim ersten (a) und die neuen, beim zweiten Teilungsakt (n) gebildeten Ekto- somen, sowie der eingewanderte zweite Richtungskörper (rk). Nach AMMA, Fig. 10. Uebergang vom Vier- zum Achtzellenstadium im Chironomus-Ei. Am unteren Pol die sich teilende Urgeschlechtsmutterzelle mit ektosomenähnlichen Körn- chen (k). Nach HASsPER. werden. Bei den Copepoden werden die färbbaren Substanzen (Ekto- somen, Außenkörnchen) bei jedem Teilungsschritt aufs neue ab- geschieden, während bei anderen Formen eine kontinuierliche Ueber- lieferung der „chromophilen Substanz“ stattfindet. 2) Die Keimbahnzellen üben auf gewisse mobile Körper von offenbar mehr passiver Beschaffenheit eine größere Anziehungskraft als die übrigen Embryonalzellen aus: so bei den Copepoden auf den 1) Zusammenstellungen von anderen Gesichtspunkten aus haben KORSCHELT und HEIDER (Lehrb., Allg. Teil) und Buchner (1910) gegeben, 64 V. HAsckERr, im Ei zurückbehaltenen zweiten Richtungskörper (Fig. 9, rk), bei den Cladoceren auf eine Zelle unsicheren Ursprungs („Kopulations- zelle“), bei parasitischen Hymenopteren auf den zurückgebliebenen Keimbläschen-Nucleolus („Metanucleolus“), bei Sagitta auf einen kom- pakten, stark färbbaren („nukleoliden“) Körper, der als der umge- wandelte Kern einer eingewanderten Epithelzelle gedeutet wird. 3) Die Keimbahnzellen bleiben hinsichtlich ihrer Teilungsge- schwindigkeit hinter den übrigen Embryonalzellen zurück („zunehmende Phasendifferenz“ der Keimbahnzellen), so besonders deutlich bei den Copepoden (Fig. 9) und bei Sagitta. 4) Die Keimbahnzellen sind durch die Festhaltung des in der ersten Furchungsteilung auftretenden Teilungsmodus (einer Abart der sogenannten heterotypischen Mitose) gekennzeichnet, so bei Ascaris (Fig. 11, P,) und bei den Copepoden. DBei ersterem (Fig. 11) sind auch die jeweiligen Schwester- zellen der Stammzellen durch Besonder- heiten im Kernteilungsverlauf, und zwar durch die sogenannte Diminution aus- gezeichnet. Dieser Vorgang besteht darin, daß in der Aequatorebene der Tei- lungsfigur von jedem Chromosom die verdickten Enden abgestoßen werden (Fig.11, $,), während der mittlere Faden- abschnitt sich in eine größere Zahl sehr kleiner Chromatinkörner segmen- tiert. Im weiteren Verlaufe der Teilung sind es allein die kleinen Körnchen, welche durchgeteilt werden und deren Fig. 11. Uebergang vom Zwei- Dpalthälften die dizentrische Wanderung zum Vierzellenstadium im Ascaris-- nach den beiden Zellteilungspolen aus- Ei. Nach Boverı. 8, (AB) erste führen, während die großen Endabschnitte Ursemmnelle, , erste Stammzelle, ‘nach rudimentären Durchteilungsver- EN suchen im Cytoplasma der Reduktion anheimfallen. Die Bildung der zunächst geschlechtlich indifferent erscheinenden Geschlechtsdrüsen oder Gonaden erfolgt, indem die Urge- schlechtszellen, die meist in zwei symmetrisch gelegenen Gruppen angeordnet und von einem Belag von Mesenchymzellen umhüllt sind, ihre Vermehrungstätigkeit wieder aufnehmen. Sie liefern die in- differenten Geschlechtszellen (Geschlechtszellen oder Gono- cyten im engeren Sinne nach WALDEYER), während durch Teilung der 'Belagzellen, vielleicht auch durch weitere Zuwanderung die Hüllen der Geschlechtsdrüsen (bei den Copepoden auch die Anfangsteile der Ausführungswege) ihre Entstehung nehmen. In einer bestimmten Periode, bei den Copepoden z. B. gleichzeitig mit der Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere, entwickelt sich sodann aus der indifferenten Gonade ein Hoden (Testis) oder ein Eierstock (Ovarium), während aus den Geschlechtszellen die Ursamen- zellen oder Spermatogonien, bzw. die Ureizellen oder Ovo- sonien (Oogonien) entstehen. Damit beginnt die Samenbildung (Spermatogenese, Spermiogenese) und Eibildung (Ovo- genese, Vogenese), und zwar ist in beiden Fällen zunächst eine Zeugungslehre. 65 Teilungs- oder Vermehrungsperiode zu unterscheiden, während welcher die Spermatogonien und Ovogonien einer mehr oder weniger lebhaften Vermehrung unterliegen. Namentlich in schlauchförmigen Geschlechtsdrüsen hebt sich eine bestimmte Zone, die Keimzone, ab, welche mit den aufeinanderfolgenden Generationen der Ursamen- oder Ureizellen angefüllt ist (Fig. 12, %x) und nicht selten einen syncytialen Charakter besitzt (Insekten, Copepoden). In der folgenden Wachstumsperiode bzw. Wachstums- zone (Fig. 12, rechts von x) tritt zunächst wieder ein Stillstand in der Vermehrungstätigkeit ein, wogegen namentlich im weiblichen (Geschlecht die aus der letzten ovogonialen Teilung hervorgegangenen Eimutterzellen oder ÖOvocyten 1. Ordnung (Oocyten 1.0., un- reife Eier, Eierstockseier) noch im Ovarium oder erst im Ovidukt eine intensive vegetative Tätigkeit entwickeln, die zur Abscheidung von Reservestoffen in Gestalt von Dottermaterial und zu einer beträcht- lichen Größenzunahme führt (Fig. 12, Ooc). In den entsprechenden Fig. 12, Ovarium eines Copepoden (Canthocamptus). Etwas schematisiert. kz Keimzone, ooc Ovocyten 1.0., sy Synapsis, wz Beginn der Wachstumszone. Zellen des männlichen Geschlechts, den Samenmutterzellen oder Spermatocyten 1. Ordnung, tritt dieses Wachstum weniger hervor und nur in selteneren Fällen kommt es zu einer Dotterbildung (Ascaris). Es folgt die Reifungsperiode bzw. Reifungszone. Im männlichen Geschlecht, welches auch hier die einfacheren Verhältnisse zeigt, verwandeln sich die Samenmutterzellen (Fig. 13 a—b) auf Grund zweier rasch aufeinander folgender Teilungsakte, der Reifungs- teilungen, in zwei Samentochterzellen oder Spermato- cyten 2. Ordnung (Fig. 13c—d) und schließlich in vier Samen- zellen oder Spermatiden (Fig. 13e). Im weiblichen Geschlecht bildet sich der Kern der Eimutterzellen, das Keimbläschen (Fig. 15a), vielfach noch im Zentrum des Eies, in eine Teilungsfigur, die erste Richtungsspindel, um. Diese Figur, welche bald die typische Spindelform mit deutlichen, mitunter mächtig entwickelten Centrosomen aufweist (Thysanozoon, Fig. 14), bald mit ihrer Tonnen- oder Garbenform und hinsichtlich der Abwesenheit distinkter Centro- somen an die Teilungsbilder mancher Protozoen erinnert (Copepoden, Arnold Lang, Handb. d. Morphologie, II. 5 66 V. HaAEBckER, Fig. 15b; Ascaris), zeigt die Chromosomen im Stadium der Meta- phase (Beginn des dizentrischen Auseinanderweichens) und verharrt gewöhnlich in diesem Zustand, bis die in das Ei eindringende Samen- zelle den Anstoß zum weiteren Ablauf der Teilung gibt. Nachdem in allen Fällen die Spindel an der Eiperipherie eine radiäre Stellung eingenommen hat, erfolgt eine unsymmetri- sche Zellteilung, welche zur Bildung einer großen Eitochterzelle (Ovocyte 2. Ordnung) und einer kleinen rudimentären Zelle, des „ersten Richtungskörpers“, führt (Fig. 15 c, rk‘). Unmittelbar darauf wieder- holt sich der gleiche Prozeß und es kommt zur Bildung der reifen Eizelle und des zweiten Richtungskörpers (Fig.15d; 15e, rk"). [62 g o & o o 006 © oc oo a Zuweilen erfolgt gleichzeitig mit dem zweiten Teilungsakte eine Teilung des ersten Richtungskörpers, so daß neben dem Ei drei Richtungskörper, also im ganzen vier Zellen, gebildet werden, in welchem Falle die Homologie der Reifungsteilungen bei der Samen- und Eibildung be- sonders deutlich hervortritt. An die Reifungsperiode schließt sich bei der Samenbildung noch eine weitere Periode, die Umwandlungsperiode, an, während welcher die Metamorphose der Samenzellen oder Spermatiden in die \/ Fig. 13. Fig. 14. Fig. 13. Spermatidenbildung bei Ascaris. Nach BRAUER. a Spermatogonie, b Spermatocyte 1.0., c—d erste, e zweite Reifungsteilung. Fig. 14. Erste Richtungsspindel einer Seeplanarie (Thysanozoon) mit mächtigen | Centrosomen. Nach VAN DER STRICHT. spz das eingedrungene Spermatozoon. Zeugungslehre. 67 befruchtungsfähigen Spermatozoen, Spermien oder Samen- fäden stattfindet. Speziell bei den typischen flagellatenähnlichen Spermatozoenformen, den Samen- fäden im engeren Sinne, werden folgende Erscheinungen beobachtet: die Verdoppelung des Centrosoma (Fig. 16 A, s) und die Verlagerung seiner Hälften an die Zellenwand (Fig. 16 B, e.a., c.p.); Bildung des Mittelstücks oder Spermienhalses * unter Beteiligung des inneren oder vorderen Centrosoma (Fig. 16 B—D, c.a.); Auswachsen des Schwanz- fadens vom äußeren oder hinteren Centrosoma aus (Fig. 16 B, sf); Streckung und Verdichtung des Kerns, sowie Zurückbildung des srößten Teils des Cytoplasmas bis auf einen dünnen, den Kern um- b gebenden Belag (Fig. 16 D, «y); Ausbildung des Spitzenstückes (Fig. 16 C—E, ?d.). An der Ausbildung des letzteren beteiligt sich ein Körper, der bei einigen Objekten von der Sphäre oder dem Idiozom, d. h. dr «. körnigen, das Centrosoma der Spermatide umgebenden Plasmahülle (Fig. 16 A, s) abstammen soll. Bei anderen soll es sich um Spindel- reste (Fig. 16 A, sp), d. h. um die fädigen Substanzen, die nach Ablauf der zweiten Reifungsteilung als Reste der achromatischen Teilungsfigur in den Spermatiden zurückbleiben, han- 4 deln. Fig. 15. Bichtungskörperbildung bei Cyclops gracilis. Nach MATSCHECK (e nach Bildern bei C. viridis). a Keim- bläschen vor der Auflösung. b Erste „Rich- tungsspindel“. ce Erste Reifungsteilung: ) o Ovocyte 2. O., rk’ erster Richtungskörper. d zweite „Richtungsspindel“. e Zweite Rei- fungsteilung: rk” zweiter Richtungskörper. b) Reife Geschlechtszellen. Die reifen Samenzellen und Eier der Metazoen haben, abgesehen von ihren gemeinsamen, augenscheinlich mit der Arterhaltung und Artbildung zusammenhängenden Aufgaben, noch besondere Funktionen: Die männlichen Zellen haben das Ei aufzusuchen, in sein Inneres ein- 5* 68 V, Hasckkr, zudringen und den Kern zur Teilung anzuregen, dagegen haben die beim Befruchtungsakt mehr passiv sich verhaltenden weiblichen Ele- mente das Material für den Aufbau des Embryos ganz oder wenigstens während der ersten Entwickelungsstadien zu liefern. Dementsprechend zeigen die reifen Geschlechtszellen eine, bei den einzelnen Formen Fig. 16. Samenbildung bei Salamandra maculosa. A Spermatide nach Ablauf der zweiten Reifungsteilung. B Auswachsen des Schwanzfadens. C—E Streckung und weitere Metamorphose. Nach MEVES. c.a. vorderes, c.p. hinteres Centrosom, cy Cyto- plasma, idz das zum Spitzenstück sich umwandelnde Idiozom (Sphäre), n Kern (Nucleus), s Sphäre mit dem verdoppelten Centrosom, sf Schwanzfaden, sp Spindelrest. allerdings verschieden weitgehende morphologische Differenzierung. Die Samenzellen sind meist sehr kleine, mit einem Bewegungs- und vielfach auch mit einem Bohrapparat ausgestattete Elemente, welche außerdem noch gewisse Differenzierungen mit sich führen, von denen aus der Teilungsmechanismus des befruchteten Keimes in Gang gesetzt wird. Die Eier dagegen sind große, unbewegliche Zellen — vielfach, wie bei den Vögeln, von ungeheuren Dimensionen —, die mehr oder weniger reichlich mit Nährmaterial (Dotterelementen) ausgestattet sind und verschiedenartige, teils der Ernährung, teils dem Schutze (gegen Austrocknung, Insolation, Parasiten usw.) dienende Hüllen besitzen. Zeugungslehre. 69 Zu den am einfachsten gebauten Spermatozoen gehören die rhizo- podenähnlichen der Cladoceren und die rundlichen oder kegelförmigen, amöboid beweglichen Elemente der Nematoden. Die wohl am häufigsten vorkommende Form ist jedoch die des flagellatenähnlichen Spermiums, des Samenfadens im engeren Sinne (Fig. 17, 18), an welchem in der Regel ein als Bohrapparat dienendes Spitzenstück (Perforatorium, sp), der Kopf mit dem Kern (k), das Mittelstück oder der Halsteil (m) mit einem einfachen oder doppelten Centrosoma und der Schwanzfaden zu unterscheiden sind. Bei den Urodelen (Fig. 18) zeigt letzterer noch besondere Differenzierungen, indem sich aus einer Längsrinne des Achsen- oder Hauptfadens (hf) die von einem kontraktilen Randfaden (rf) eingesäumte undulierende Membran (u.m) erhebt. Die über die Membran weg- laufenden, durch die Zusammenziehung des Randfadens vermittelten Kontraktions- wellen dürften den eigentlichen vorwärts- treibenden Faktor darstellen. sp Fig. 17, Fig. 18, Fig. 17. Spermium einer Meduse (Aurelia aurita). Nach BALLOWITZz. sp Spitzenstück, k Kopf, m Mittelstück. Fig. 18. Spermium des Wassersalamanders (Molge marmorata). Nach BarrLowırz. hf Hauptfaden, %k Kopf, m Mittelstück, rf Randfaden, sp Spitzenstück, u. m. undulierende Membran, 70 V. Hascker, Die am kompliziertesten gebauten Spermien sind wohl die Sper- matosomen der dekapoden Krebse (Fig. 19). Von dem Mittel- stück (A, e.@-+c.p) erheben sich kopfwärts drei radiär angeordnete, borstenartige Fortsätze (f), welche einen federnden Dreifuß darstellen, mittelst dessen das Spermium der Eioberfläche aufsitzt. Der Schwanz- faden ist zu einer chitinigen, mit einem „Explosionsstoff“ angefüllten Kapsel (chk) umgewandelt, welche beim Eindringen von Wasser aufquillt, sich kopfwärts umkrempelt (B, chk) und dabei auf Grund einer Stoß- wirkung den Spermienkopf in das Ei hineintreibt; dabei dürfte ein stäbchenförmiger, bei der Explosion freiwerdender Zentralkörper (ck) die Bedeutung eines Richtapparates haben. [TITEL ID a Fig. 19. Spermien (Spermatosomen) von Galathea (A) und Eupagurus (B). Nach KOLTZOFF. c.a. vorderes Centrosom, c.p. hinteres Centrosom (genauer: vorderer ring- förmiger Abschnitt des hinteren Centrosoms), chk Chitinkapsel (in B umgekrempelt), ck Zentralkörper, f borstenartige Fortsätze (Dreifuß), % Kopf. Ein Interesse beanspruchen noch verschiedene atypische Vor- kommnisse. Spermien von abnormer Größe (Riesenspermatozoen) sind bei verschiedenen Objekten neben normal großen beobachtet worden und zum Teil, ähnlich den zweikernigen und zweiköpfigen Spermien beim Menschen, auf unvollständige Zellteilungsprozesse, zum Teil auf besonders günstige Ernährung zurückzuführen. Paarweise gekoppelte, d. h. mit den Köpfen verbundene Spermien (Fig. 20) finden sich als regelmäßiges Vorkommnis bei Schwimmkäfern (Dytiscus u.a.). Für diese wird angegeben, daß die Paarung erst nach der Metamorphose erfolgt. Bei Gastropoden (Prosobranchiern, Fig. 21) und Schmetterlingen (Spinnern) kommt ein regelmäßiger Dimorphismus der Spermien vor. Bei ersteren finden sich haarförmige, normalkernige (eupyrene, Fig. 21B) und wurmförmige mit diminuiertem Kern (oligopyrene, Fig. 21 A, C), welche mit ihrem endständigen Haarbüschel an die Zeugungslehre. 71 Spermatozoiden der Gefäßkryptogamen erinnern. Bei den Spinnern treten größere kernhaltige und kleinere kernlose (apyrene) Spermien auf. Bei Paludina gelangen auch die wurmförmigen Spermien in die weiblichen Organe, bei einem anderen Prosobranchier (Aporrhais pes pelicani) A dringen sie in das Ei ein, um nach er- folgeter Degeneration wieder ausgestoßen zu werden. C B A Fig. 20. Fig. 21. Fig. 20. Doppelspermium eines Schwimmkäfers (Colymbetes). Nach BALLO- WITZ. Fig. 21. A ‚„wurmförmiges“, B gewöhnliches, „haarförmiges“ Spermatozoon von Paludina vivipara, C die beiden Enden des ersteren stärker vergrößert. Nach v. BRUNN und v. ERLANGER aus KORSCHELT und HEIDER. Ein Dimorphismus der Spermien bezüglich ihres Chromosomen- bestandes ist namentlich bei Hemipteren beobachtet worden und steht hier zur Geschlechtsbestimmung in Beziehung. Im ein- fachsten Fall wird ein besonders beschaffenes Chromosom, das X-Ele- ment (Heterochromosom, Monosom, akzessorisches Chromosom, Ge- schlechtschromosom) bei der zweiten Reifungsteilung je nur der einen Tochterzelle zugewiesen (Fig. 22). Von den Spermien erhält also die Hälfte (die X-Klasse) ein X-Element, die andere Hälfte (die Y-Klasse) kein solches, während die Eier sämtlich ein X-Element enthalten. Tas. V. HAECKER, Aus der Befruchtung durch Spermien der ersteren Art gehen weib- liche, anderenfalls männliche Individuen hervor. Aehnliche Verhältnisse liegen bei anderen Arthropoden (Ortho- pteren, Coleopteren u. a.) und bei Nematoden vor. Bei Rebläusen und Blattläusen degenerieren die Spermien der Y-Klasse, also die männlichbestimmenden, im Einklang mit der Tatsache, daß aus den befruchteten Eiern nur Weibchen hervorgehen. Auch bei den Bienen und Wespen werden neben den befruchtungsfähigen Spermien rudi- mentäre, richtungskörperähnliche gebildet (Fig. 23 Rk,). Vermutlich entsprechen die ersteren hinsichtlich ihres Chromosomenbestandes der X-, letztere der Y-Klasse. Ob das X-Element die Samenzelle, in welche es eingeht, und den befruchteten Keim auf Grund besonderer physiologischer Quali- > \ IL 7 IN Er 4 \ —® Fig. 22. Fig. 23. Fig. 22. Zweite Spermatoeytenteilung einer Wanze (Protenor belfragei), Nach Wırsox. Ah Heterochromosom. Fig. 23. Spermatogenese der Honigbiene. Nach MEVES. A erste, B zweite Reifungsteilung. Rk, erster, Rk, zweiter Richtungskörper. täten weiblich bestimmt oder ob nur die quantitativen Verhältnisse der Chromosomensubstanz in Betracht kommen oder ob schließlich das X-Element nur einen Index für die durch andere Faktoren be- reits vollzogene Geschlechtsbestimmung darstellt, darüber besteht noch keine Uebereinstimmung. | Die Besonderheiten, welche das reife Ei gegenüber den ge- wöhnlichen Zellentypen zeigt, beziehen sich vor allem auf die Größe und auf den Besitz von Hüllen verschiedener Art, welche teils der Ernährung, teils dem Schutz des Embryos dienen. Speziell bei den Vögeln erreicht die eigentliche Eizelle, das ‚‚Gelbei‘‘ oder der „Eidotter‘ außerordentliche, bei anderen Zellen nicht vorkommende Dimensionen: so ist das Gelbei des amerikanischen Straußes (Rhea americana) 9,2 cm lang, 6,7 cm breit und besitzt ein Volumen von über 200 cem. Als Hüllen kommen außer der Zellmembran oder primären Eihülle (Dotterhaut der Echinodermen) sekundäre und ter- tiäre in Betracht. Die sekundären werden innerhalb des Ovariums von einem besonderen Follikelepithel abgeschieden (Chorion der Insekten), die tertiären stellen Sekrete der Eileiter oder besonderer Zeugungslehre. 73 Drüsen dar (Kokons der Lumbrieiden und Hirudineen, zahlreiche Bildungen bei Wirbeltieren). Sowohl in den primären wie in den sekundären Hüllen können besondere Einlaßpforten für die Spermien, die Mikropylen, aus- gebildet sein. Beispiele sind die Eier einerseits der Mollusken, an- dererseits der Insekten. | c) Begattung (Kopulation) und Besamung. Die reifen Geschlechtszellen werden durch den Akt der Be- gattung (Kopulation) oder Besamung einander passiv genähert. Bei der direkten inneren Begattung werden die Spermien mittelst des männlichen Kopulationsorgans, des Penis, unmittelbar in die weiblichen Geschlechtswege, und zwar meistens in besondere, für die Aufnahme des Penis eingerichtete Teile (Vagina oder Scheide, Bursa copulatrix der Insekten) übertragen oder (bei einzelnen Fig. 24. Copepode (Diaptomus laciniatus) mit 4 Spermatophoren, welche der Basis des Eisackes aufsitzen. (Das Abdomen ist infolge der Konservierung aufwärts gebogen.) Polyecladen und bei Rotatorien) durch Einstechen des Penis in die Haut in den weiblichen Körper eingeführt. Die Spermien werden in ersterem Fall entweder innerhalb der eiweißartigen Samenflüssig- keit (Liquor seminis) entleert oder sie sind zum Zweck der Ueber- tragung zu paketartigen, von einer chitinigen oder gallertigen Hülle umgebenen Komplexen, den Samenpatronen oder Spermato- phoren, vereinigt. Bei der indirekten inneren Begattung werden die männlichen Elemente auf eine mehr mittelbare Weise übertragen. Sie sind dabei stets in Spermatophoren (Fig. 24, 25) 14 V. HAEcKER, vereinigt, und zwar werden letztere entweder während der Kopulation dem Weibchen angeheftet, worauf die Samenzellen nachträglich in die weibliche Samentasche (Receptaculum seminis) überführt werden (Cope- poden, Fig. 24) oder direkt durch die Haut in die Nähe der Eizellen gelangen (manche Polycladen, Rüsselegel, Nephelis), oder sie werden mittelst besonderer Apparate sekundärer Art (modifizierter Kiefer- taster der männlichen Spinnen, Hectocotylus der Cephalopoden) auf das Weibchen übertragen. Bei der äußeren Begattung werden die Fortpflanzungselemente in der Weise vereinigt, daß sie während der Umklammerung des- Weibchens durch das Männchen von beiden Geschlechtern gleichzeitig entleert werden (Batrachier), während bei der freien Besamung die Abgabe und Vereinigung der Geschlechts- zellen ohne Berührung der Elterntiere erfolgt (Medusen, Echino- dermen). Sehr kompliziert gebaute, mit einem besonderen Austreibeapparat versehene Spermatophoren finden sich bei Peripatus, bei den Copepoden und Öephalopoden. Die Bildung der Spermatophoren geht entweder in den Endabschnitten des Ductus ejaculatorius vor sich, in welchen Fällen die Spermato- phorenhülle einen einfachen Ausguß des letzteren dar- stellt (Hirudineen, Fig. 25), oder in mehr proximalen drüsigen Abschnitten der männlichen Geschlechtswege (Cephalopoden, Oopepoden), oder in besonderen An- hangsorganen (Flagellum der Pulmonaten). Die Begattung braucht nicht unmittelbar von der Befruchtung, d. h. von der endgültigen Ver- einigung der beiden Samenzellen, gefolgt zu sein. Besonders dann, wenn das Sperma vom Weibchen in einer Samentasche aufbewahrt wird, können die einzelnen Befruchtungsakte eine längere Zeit, bei der Honigbiene 4—5 Jahre, von der Begattung ge- trennt sein. Fig. 25. Spermatophore von Glossiphonia complanata. Nach BRUMPT aus KORSCHELT und HEIDER. bp PBasalplatte, sp Spermamasse, si Stiel. Nachdem die Geschlechtszellen durch die Begattung oder Be- samung einander passiv genähert sind, wird ihre endgültige Verbindung durch das aktive Bewegungsvermögen der Samenzellen hergestellt. Dabei spielen chemotropische, vom Ei oder weib- lichen Geschlechtsapparat ausgehende Reizwirkungen eine richtende Rolle. Diese Reizwirkungen sind spezifischer Art und machen zu- sammen mit der gegenseitigen morphologischen Anpassung von Ei und Samenzelle und mit der zwischen den beiden Geschlechtskernen wirksamen, zum Teil wohl ebenfalls auf Chemotropismus beruhenden Attraktion, die sexuelle Affinität aus, d.h. die Gesamtheit der Wechselwirkungen, durch welche die endgültige Annäherung und Ver- bindung artgleicher oder wenigstens artähnlicher Geschlechts- zellen veranlaßt wird. | Zeugungslehre. 75 Mangelnde sexuelle Affinität verhindert die erfolgreiche Paarung zwischen Angehörigen verschiedener Arten, wofern eine solche Paarung nicht schon durch Begattungshindernisse mechanischer Art (sehr verschiedene Größe der Tiere, mangelnde Harmonie der Kopulationsorgane) oder durch instinktive, vielfach wohl durch den Geruchsinn vermittelte Abneigung verhindert wird. d) Befruchtung. Der Befruchtungsprozeß selbst nimmt bei den vielzelligen Tieren seinen Anfang mit dem Eindringen einer oder mehrerer Samen- zellen in das Ei und schließt ab mit der Kernkopulation, d.h. mit der Vereinigung von Spermakern und Eikern. In der Regel ist das Ei so eingerichtet, daß es sich ohne Be- fruchtung nicht weiter zu entwickeln vermag. Die Hemmung der Teilungsfähigkeit kommt meist schon in dem unvollständigen Ablauf der Reifungsteilungen äußerlich zum Vorschein, wenigstens gelangt in sehr vielen Fällen das Ei nur bis zu den mittleren Phasen (Meta- phasen) der ersten Reifungsteilung und wartet in diesem Stadium auf die Befruchtung (Fig. 14 u. 27). Das Eindringen der Spermien bringt sodann zunächst die Reifungsteilungen zum vollständigen Ab- lauf (Fig. 15c—e), worauf die Vereinigung der Geschlechtskerne er- folgt und die eigentliche Eiteilung (Furchung) beginnt. Bei den meisten Metazoen dringt normalerweise nur eine Samen- zelle in das Ei ein (Monospermie). Das Eindringen mehrerer Samenzellen (pathologische Ueberbefruchtung oder Poly- spermie) hat dann meistens einen abnormen und unvollständigen Entwickelungsverlauf zur Folge. In einer Reihe von Tiergruppen (Insekten, Spinnen, verschiedene Wirbeltiere) ist aber Mehrbefruch- tung des Eies ein normales oder sehr häufiges Vorkommnis, wobei jedoch nur ein Samenkern mit dem Eikern in Verbindung tritt (physiologische Polyspermie). In vielen Fällen dringt vom Spermium, dem häufig das Eiplasma durch Vorwölbung eines Empfängnishügels (Fig. 26A, eh) ent- Fig. 26. Eindringen des Spermiums ins Seeigelei. Nach WıLson und MATTHEWS. eh Empfängnishügel, %k Kern, s Sphäre, ss Spermastrahlung. gegenkommt, nur der vordere Teil, einschließlich des Mittelstückes, in das Eiplasma ein, während der Schwanzfaden in der Eihülle stecken bleibt (Seeigel, Fig. 26 A). Bei anderen Formen (Polycladen, Gastropoden u. a.) wird auch der Schwanz vom Ei aufgenommen, fällt jedoch früher oder später der Re- sorption anheim (Fig. 14 spx). 76 V. HAECKER, Gewöhnlich sieht man also von dem eingedrungenen Spermium nur den zunächst als kompakten, stark färbbaren Körper erscheinenden Kern (Fig. 26A, k) und eine an Stelle des Mittelstückes zur Ent- faltung kommende Differenzierung, das Spermozentrum. Letzteres besteht entweder aus einem deutlichen Centrosom (? dem vorderen der Spermatide) oder aus einer körnigen, dotterfreien, als Sphäre bezeichneten Plasmainsel (Fig. 26A, s), mit oder ohne Centrosoma. Während sich das ganze System so dreht, daß das zuerst hinter dem Kopf gelegene Spermozentrum gegen das Eiinnere zu liegen kommt (Fig. 26 B), und während es sich mehr und mehr dem Eikern nähert, tritt im Umkreis des Spermozentrums als Ausdruck einer von ihm ausgehenden orientierenden Wirkung eine radiäre Anordnung der Plasmagranula und der Dotterkörnchen, die Spermastrahlung, hervor (Fig. 26B, ss). Gleichzeitig verliert der Spermakern seine längliche (kegel- oder stiftförmige) Gestalt, seine dichte Konsistenz und nimmt mehr und mehr das Aussehen des Eikerns an (Fig. 28). Fig. 27. Fig. 28. Fig. 27. Ei eines Copepoden (Cyclops viridis) im Beginn der Befruchtung, Links oben die erste Richtungsspindel. sp der eindringende Spermakern. Fig. 28. Spermakern und verdoppelte Spermastrahlung im Ei eines Copepoden (Cyclops strenuus). Nach RÜCKERT. Während der weiteren Bewegungen des Spermakerns teilt sich das Spermozentrum und damit die Spermastrahlung (Fig. 28), und wenn schließlich die Aneinanderlegung (Kopulation) der beiden Ge- schlechtskerne vollzogen ist, kommt ein viergliedriges System zu- stande, das aus den beiden Spermozentren und den nunmehr meist ein gleichartiges Aussehen zeigenden Geschlechtskernen besteht (Fig. 29). Schon vor oder erst während der Kopulation bereiten sich die beiden Geschlechtskerne zur ersten Teilung (ersten Furchungsteilung) des nunmehr doppelkernigen Keimes vor, und zwar kommt in jedem Kern nach einer fast durchgängig gültigen Regel die gleiche Zahl von Chromosomen zur Entwickelung (Fig. 30, e, sp). In vielen Fällen wird die Teilung der väterlichen und mütterlichen Kern- substanz wenigstens während der ersten Furchung selbständig durch- geführt, so daß nicht nur im Aequatorialplatten- und Dyasterstadium deutlich zwei Gruppen von Chromosomen zu unterscheiden sind, Zeugungslehre. 77 sondern auch bei der Bildung der Tochterkerne keine einheitlichen Kerne, sondern Doppelkerne entstehen, die aus den beiden elter- lichen Halbkernen oder Gono- meren bestehen (Fig. 31). Bei einer Reihe von Formen, besonders bei den Copepoden, läßt sich diese Selbständigkeit oder Auto- nomie der Gonomeren auch bei den folgenden Teilungen bis zur Bildung der Urgeschlechtszellen verfolgen und deutliche Spuren des sonomeren Aufbaues treten auch noch späterhin bis zu den Pro- phasen der ersten Reifungsteilungen Fig. 29. Kernkopulation im Ei von Cyclops strenuus. r% der zweite Rich- tungskörper. Nach RÜCKERT. hervor (binukleolärer Bau der jungen Kerne, Doppelknäuel und Doppelspindeln in den Spermatocyten 1. Ordnung). Fig. 30. Fig. 31. Fig. 30. Annäherung der Geschlechtskerne im Ei von Ascaris megalocephala. Nach Boverı. ei Eikern, rk Richtungskörper, s’, s” die beiden durch Teilung des Spermo- zentrums entstandenen Centrosomen mit Sphären, sp Spermakern. Fig. 31. Ei von Cyclops tenuicornis im Zweizellenstadium mit gonomer ge- bauten Kernen. r%k eingedrungener zweiter Richtungskörper. e) Parthenogenesis und regressiver Generationswechsel. Bei einer Reihe von Metazoen (Rotatorien, Entomostraken, zahl- reichen Insekten) ist in bestimmten Generationen der Befruchtungsakt sekundär unterdrückt worden, und die Eier vermögen sich ohne Intervention der Spermien zu entwickeln. Die Vermehrung durch unbefruchtete Eier wird als Parthenogenesis (Jungfernzeugung) bezeichnet. Einen speziellen Fall bildet die Pädogenesis, worunter man die Erzeugung parthenogenetisch sich entwickelnder Eier durch unvollständig entwickelte Geschlechtstiere (Distomum) oder in der Entwickelung begriffene Larven (Gallmücke Miastor) oder Embryonen (marine Cladoceren) versteht. 18 V. HaAEcKkER, Die parthenogenetischen Eier zeigen bemerkenswerte Verschieden- heiten bezüglich der Reifungsprozesse: es werden entweder zwei (Honigbiene, Gallwespen, Ameisen) oder nur ein einziger Richtungs- körper (Rotatorien, Cladoceren, Ostracoden, Aphiden) gebildet. In der Regel wechselt die parthenogenetische Vermehrung mit der typisch amphigonen (regressiver Generationswechsel oder Heterogonie der Cladoceren, Aphiden u. a.), es können aber auch beide Formen der Fortpflanzung gleichzeitig auftreten, wobei sich die be- fruchteten Eier zu weiblichen, die parthenogenetischen zu männlichen Tieren entwickeln (Honigbiene). Bei einzelnen Formen (Cypris reptans, einige Cladoceren der Alpenseen) scheint die amphigone Vermehrung vollständig ausgeschaltet zu sein. Bei den Eiern verschiedener Tiere (Echinodermen, Anneliden, Mollusken, Schmetterlingen, Fröschen, Fischen) kann durch An- wendung chemisch-physikalischer, thermischer oder mechanischer Reize eine künstliche parthenogenetische Entwickelung herbei- geführt werden. Als Agentien dienen Seewasser, das durch Zusatz von MegCl,, KCl usw. hypertonisch gemacht wurde, Säuren (CO,, Fettsäuren), Alkalien, Zucker, Harnstoff, verschiedene Gifte und Nar- kotika, Temperaturänderungen, mechanische Reizung durch Schütteln, Bürsten oder Einstiche. Es werden entweder nur unregelmäßige An- sätze zur Enntwickelung gemacht oder es kann die Entwickelung bis zur Bildung normaler Larven (Frösche) oder sogar bis zur Vollendung der Metamorphose (Seeigel, Seesterne) gedeihen. Ein Gegenstück bildet die Merogonie, d. h. die Entwickelung von kernlosen Ei- fragmenten, welche auf künstlichem Wege, besonders durch Schütteln und dadurch bewirkte Fragmentierung der unbefruchteten Eier zu- stande kommen und nachher befruchtet werden. Auf diese Weise können bei Seeigeln aus eikernlosen, befruchteten Eifragmenten sogar Pluteuslaren gezogen werden. f) Chromosomenverhältnisse. Von der Vorstellung aus, daß den Kernen der Geschlechtszellen eine wichtige Rolle bei den Vererbungsvorgängen zukommt, gewinnt das Verhalten der Chromosomen bei der Befruchtung und Reifung ein besonderes Interesse. Nimmt man insbesondere an, daß die bei einer Kernteilung auftretenden Kernschleifen oder Chromosomen mit den am Schluß der vorhergehenden Teilung in die Bildung des Kerns eingegangenen Chromosomen in stofflicher Kontinuität stehen, also gewissermaßen die nämlichen Individuen darstellen (Individuali- tätstheorie), so erhebt sich die Frage nach den Zahlenverhält- nissen und nach den Mitteln, durch welche die spezifische Chromo- somenzahl von Generation zu Generation konstant erhalten wird. Nach einer ersten Regel bringen die beiden miteinander kopulierenden Geschlechtskerne die gleiche Zahl von Chromosomen zur Entwickelung (Fig. 30 u. 32F). Durch Summierung dieser väter- lichen und mütterlichen Chromosomen entsteht sodann die nor- male, nicht-reduzierte, diploide oder somatische Zahl, die sich in -der Regel durch die ganze Embryonalentwickelung und meist auch bei den späteren Teilungen forterhält und insbesondere auch bei den Teilungen der Urgeschlechtszellen, sowie in den Spermatogonien und Ovogonien zum Vorschein zu kommen pflegt. rs Zeugungslehre. 19 Eine Ausnahme von der ersten Regel bilden die Formen, von welchen zweierlei, hinsichtlich ihres Chromosomenbestandes ver- schiedene Spermien, aber einerlei Eier gebildet werden (s. oben S. 71). In diesem Falle stoßen bei der Hälfte der Befruchtungsakte Geschlechtskerne mit verschiedenem Uhromosomenbestand zu- sammen. Nach einer zweiten Regel ist die Zahl der komplexen, meist vierteiligen Chromosomen, welche in den Spermato- cyten und Ovocyten 1. Ord- nung in den Vorstadien der ersten Reifungsteilung auf- 4-Spgon Ovog. treten (Fig. 32 B), also die ZahlderVierergruppen oder Tetraden und ihrer Homologa (Doppelstäbe, Ringe, Kreuze) halb so groß, als die in den Sper- E ie matogonien und Ovogonien (Fig. 32 A) auftretende nor- male Zahl. Indem sich FEN diese komplexen Elemente c ]„, ®e ® | 1 im Verlauf der beiden Teilung @@ eg ®® ®® Teilung Reifungsteilungen (Fig. 32 u C—-E) je in vier einfacher gebaute Elemente zerlegen, erhält jede der Geschlechts D-Spqt zellen die halbe, redu- , zierte oder haploide Zahl (Fig. 32 F). £ Ye DIS < je} ee O5 : 2: Der Uebergang von Teilung Teilung der in den Spermatogonien und Ovogonien auftretenden Normalzahl zu der halben Zahl der Tetraden erfolgt, ” ee wie fast allgemein anerkannt wird, in der Weise, daß eine paarweise Vereinigung oder Syndese jezweier sperma- °- Kopul. togonialer und ovogonialer un B net. Tr Fig. 32. Schematische Darstellung des parallelen WITKIIC enumerısc 6. €&- Verlaufs der Spermatogenese und ÖOvogenese einer duktion findet also nicht Tierform mit 4 Chromosomen. statt, sondern nur eine scheinbare (Scheinreduktion, Pseudoreduktion), da ja noch alle Chromosomen-Individuen vorhanden sind. Nach der einen Ansicht erfolgt die Syndese durch Parallellage- rung je zweier Elemente (Parallelkonjugation, Para- syndese), und zwar in dem Stadium des einseitig im Kernraum zu- sammengedrängten Fadenknäuels (Synapsis), nach einer anderen Ansicht, die in der Fig. 32 eine Darstellung gefunden hat, legen sich je zwei Chromosomen hintereinander (endweise Konjugation, Meta- syndese, Fig. 32B). Auf jeden Fall findet noch ein Längs- spaltungsprozeß statt, auf Grund dessen die durch Syndese ent- =- ODE | > su V. HAEcKER, standenen bivalenten Elemente in die charakteristischen vierteiligen Gruppen oder Tetraden verwandelt werden (Fig. 32B). In der einen Reifungsteilung, sei es in der ersten (Fig. 32 C), oder in der zweiten, erfolgt dann die Verteilung nach dem Längsspalt (Aequations- teilung), im anderen Teilungsprozeß dagegen werden die zuvor durch Syndese verbundenen Paarlinge wieder voneinander getrennt und auf die Tochterzellen verteilt (Fig. 32E). Es findet also bei der letzteren Teilung keine Verteilung der Chromosomen auf Grund einer vorhergehenden Längsspaltung statt, wie dies bei gewöhnlichen Kern- teilungen der Fall ist, vielmehr werden die vorhandenen Chromosomen- Individuen, ohne daß zuvor ihre Zahl verdoppelt worden war, auf die Tochterzellen verteilt (Reduktionsteilung). Die Wirkung dieses Vorgangs und damit die Gesamtwirkung des ganzen umständ- lichen Reifungsprozesses ist also die tatsächliche numerische Re- duktion der Zahl der Chromosomen-Individuen. Es wird durch diesen Vorgang vermieden, daß durch die in den aufeinander- folgenden Generationen eintretenden Befruchtungsakte eine fort- schreitende Summierung von COhromosomen-Individuen stattfindet. Bei einigen Objekten (Copepoden) findet offenbar die Reduktion in anderer Weise statt: die metasyndetisch verbundenen Chromosomen spalten sich nicht ein-, sondern zweimal der Länge nach, beide Teilungen sind Aequationsteilungen und die reifen Geschlechtszellen erhalten also die volle Zahl von Chromosomen, wenn auch paarweise verkoppelt. Die endgültige Zahlenreduktion findet erst später, offenbar auf Grund einer vollkommenen Verschmelzung der beiden Paarlinge statt (Teleuto- sy.ndese). Wenn die Individualitätstheorie richtig ist und insbesondere auch die Lehre vom gonomeren Aufbau der Embryonalkerne (S. 77) Gültig- keit hat, so sind die Chromosomen der Spermatogonien und Ovogonien je zur Hälfte väterlicher, zur Hälfte mütterlicher Abkunft. Es wird nun vielfach die Syndese als eine Konjugation je eines väterlichen und eines mütterlichen Chromosoms aufgefaßt. Da in der Reduktionsteilung die syndetisch verbundenen Chromosomen sich wieder voneinander trennen, so würde hier also nach dieser An- schauung ein Auseinandergehen je eines väterlichen und mütterlichen Elementes stattfinden, eine Vorstellung, die für die zellengeschichtliche Deutung der Menperschen Spaltungsprozesse von Bedeutung geworden ist. Namentlich die Verhältnisse bei den Orthopteren und Hemipteren, bei welchen die Chromosomen der Spermatogonien und ÖOvogonien ver- schiedene Größenabstufungen erkennen lassen und die Syndese jeweils zwischen gleich großen Elementen stattzufinden scheint, sprechen zu- gunsten der Konjugationshypothese, doch ist eine Verallgemeinerung kaum angängig, zumal da in manchen Fällen noch in der ersten Reifungsteilung ein gonomerer Bau der Kerne vorzukömmen scheint (S. 77). Bezüglich der Chromosomenverhältnisse in parthenogenetischen Eiern gehen zum Teil infolge der Ungunst der meisten Objekte die Ergebnisse auseinander. Danach würde entweder überhaupt keine Reduktion stattfinden, oder die Zahlenreduktion würde im Ei durch irgendwelche Vorgänge, z. B. durch Vereinigung des Eikernes mit dem zweiten Richtungskörper, kompensiert werden, oder die reduzierte Zahl bleibt bei der Embryonalentwickelung erhalten. Letzteres soll bei der Entwickelung der Bienen- und Ameisenmännchen der Fall sein. Zeugungslehre. 8l Bei der künstlichen Parthenogenese (S. 78) bleibt, wenigstens bei Seeigeln, die reduzierte Zahl während der Entwickelung erhalten. III. Vermehrung durch Zellkomplexe (vegetative Vermehrung) und Allgemeines. Die von ganzen Zellkomplexen ausgehende vegetative Vermehrung ist, mit Ausnahme der Arthropoden und Mollusken, in allen größeren Abteilungen der vielzelligen Wirbellosen verbreitet. Bei den Ein- zelligen kann natürlich von einer vegetativen Vermehrung im ur- sprünglichen Sinne nicht die Rede sein. Immerhin findet letztere in den Sprossungs- undFragmentationsvorgängen vielkerniger (plasmodial gebauter) Protozoen („koloniebildende“ Radiolarien, Tricho- sphaerium, Fig. 2, /A, IB, VIA, VIB) eine Art von Seitenstück. a) Verschiedene Formen der vegetativen Vermehrung. Bei den vielzelligen Wirbellosen tritt die vegetative Vermehrung in drei Hauptformen auf, die als Längsteilung, Querteilung und Knospung bezeichnet werden. Mit der dritten, am weitesten verbreiteten Form sind die beiden anderen selteneren Typen durch Uebergänge verbunden. 1) Die Längsteilung als spontaner, d.h. nicht durch erkennbare äußere Reize hervorgerufener Vermehrungsvorgang, ist bei einer ganzen Reihe von radiär gebauten Tieren beobachtet worden, so beim Süß- wasserpolypen (Fig. 33), wo sie schon | TREMBLEY (1749) zu Gesicht kam, ferner bei Medusen, Aktinien und stockbildenden Zoantharien. In allen Fällen beginnt der Spaltungsvorgang an dem einen Pole der Hauptachse, entweder am Munde oder am aboralen Ende, und schreitet allmählich nach dem anderen Pole vor. Bleibt die Längsspaltung unvoll- ständig und findet eine öftere Wieder- holung des Prozesses statt, so kommt es zur Stockbildung, unter anderem führen bei den „fissiparen* Maeandrinen Spaltungsvorgänge dieser Art zur Bildung der bekannten Furchungssysteme (Fig. 34). Auch die Teilungsvorgänge bei See- sternen und Schlangensternen, bei welchen auf Grund einer Durchteilung der Scheibe eine Zerlegung sechs- oder achtarmiger Individuen in solche mit weniger Armen erfolgen kann, sind hierher zu rechnen, Fig. 33. Hydra viridis im insofern die Spaltung in der Richtung Beginn der Längsteilung. Nach der Hauptachse oder wenigstens parallel TFBER. zu dieser vor sich geht. 2) Querteilungen, d. h. Spaltungen, die senkrecht zur Längsachse verlaufen und sich über die ganze Breite des Tierkörpers erstrecken, sind als spontane Prozesse namentlich bei Cnidariern (Hydra, Gonac- tinia, Fig. 35, Fungia), Turbellarien (Microstoma, Stenostoma), Oligo- Arnold Lang, Handb. d. Morphologie. II. 6 82 V. HAEcKER, chäten (Lumbriculus, Ctenodrilus, Chaetogaster, Fig. 36 A, Nais, Fig. 36 B) und Holothurien (Cucumaria, Synapta) bekannt. Findet bei diesen Teilungen die Regeneration der Teilstücke zu ganzen Individuen erst nach der vollständigen Durchschnürung statt Fig. 34. Längsteilung bei einem Korallenpolypen (Manicina areolata). Nach DUERDEN aus KORSCHELT und HEIDER. A ungeteilter Polyp, B in Teilung begriffener Polyp mit 2 Schlundröhren und getrenntem Septensystem. C Stöckehen mit 4 Schlund- röhren und 4 Septalsystemen. rr Richtungssepten. (Hydra, Lumbriculus), so spricht man von Schizogonie oder auch Architomie, erfolgt die Neubildung der fehlenden Organe wenigstens großenteils schon vor der Durchschnürung (Gonactinia, Microstoma), so liegt eine Paratomie vor. Mitunter geht der Querteilung eine ungleiche Differen- zierung der zukünftigen Teilstücke voran. So bilden beim Palolo- wurm (Eunice viridis, Fig. 37) die hinteren Körpersegmente vor ihrer Abtrennung nicht bloß die Geschlechtsprodukte aus, sondern sie er- fahren auch hinsichtlich der Form und Borstenbewaffnung eine wesentliche Abänderung: die Querteilung ist also in diesem Falle mit einer Metamorphose der Geschlechtssegmente, einer Epitokie, verbunden. Die Querteilung kann eine mehrfache sein, indem entweder nur das eine Schwestertier oder Zoid vor der vollständigen Durch- trennung des Muttertieres aufs neue zur Teilung schreitet (Gonactinia, Fig. 35; Nais, Fig. 36 B), oder indem sich beide gleichzeitig und in ae Weise in Enkel- und Urenkeltiere zerlegen (Chaetogaster, Fig. 36 A). Auch die mehrfache Querteilung kann mit einer ungleichen Differenzierung der Ausgangsindividuen und der sich abschnürenden ; | | Zeugungslehre. 83 Teilstücke verbunden sein, insbesondere bildet so die mehrfache Quer- teilung bei Gonactinia (Fig. 35) die Brücke zur Strobilation!) der A (ia m) S SQ 0 uam 8 <. & uües Roan$ ® A 5 as 22 & ss 50780.°0.8 a “ eu, RR e L\ 2 IN 15 N] (.} jr ® vs Fig. 36. Fig. 37. Fig. 35. Querteilung von Gonactinia prolifera. Der distale Sprößling beginnt sich aufs neue zu teilen. Nach CARLGREN aus KORSCHELT und HEIDER. Fig. 36. Mehrfache Querteilung bei Anneliden. A wiederholte Querteilung beider Schwestertiere (Chaetogaster), B wiederholte Querteilung des einen Sprößlings (Nais). J—III aufeinanderfolgende Teilungsebenen. Nach SEMPER aus KORSCHELT und HEIDER. Fig. 37. Palolowurm der Samoa- und Fidji-Inseln (Eunice viridis). Natürliche Größe. Der hintere schmale (epitoke) Teil entwickelt die Geschlechtsprodukte und schwärmt an die Oberfläche, die vordere breite (atoke) Wurmstrecke bleibt im Riff. Nach WOODWORTH aus KORSCHELT und HEIDER. Scyphomedusen (Fig.38): Der obere Teil des festsitzenden Scyphopolypen oder Scyphostoma grenzt sich, indem er die Charaktere der jungen Meduse 7% Fig. 38. Strobilation von Aurelia aurita. A Junges Seyphostoma mit 4 Tentakel- knospen. B Auftreten der ersten Bingfurche. C Aeltere polydiske Strobila., Nach HATSCHECK. 1) srpöß:kog Tannenzapfen. 84 V. HaAEcKkER, oder Ephyra entwickelt, mittels einer Ringfurche gegen den unteren Teil ab, und da sich dieser Prozeß, noch vor der Loslösung der ersten Meduse, mehrfach wiederholt, entsteht zunächst die einem Tellersatz ähnliche Strobilaform, deren Glieder später als Ephyren freiwerden. Mit diesem Vorgange, der eine gewisse Aehnlichkeit mit Knospungs- prozessen besitzt und daher auch als fortgesetzte terminale Knospung bezeichnet wurde, ist vielfach auch die Abgliederung der Proglottiden vom Bandwurm-Skolex in Beziehung gebracht worden. Eine andere Reihe von Modifikationen des Querteilungsprozesses findet sich bei den Tunicaten. Bei der Synascidie Amaroecium (Fig. 39) streckt sich das verjüngte Hinterende oder Postabdomen nach der Festsetzung. derLarve in die Länge und zerfällt, indem sich ringförmige Einschnürungen bilden, in eine Anzahl von Teil- stücken, welche wegen ihrer Entstehung auf vegetativem Wege im Gegensatz zu dem aus dem Ei entstandenen Oozoid als Blasto- zoide bezeichnet wer- den. Bei anderen Tuni- caten werden eigentliche Stolonen, d.h. schlauch- förmige Ausläufer mit mehrschichtiger Wan- dung gebildet, welche auf Grund von Quertei- lungsprozessen in Blasto- zoide zerfallen. Die Ent- wickelung solcher Sto- lonen kann am fertigen Tier (Doliolum, Fig. 40) oder auch schon am Em- bryo (Pyrosoma, Fig. 41) erfolgen. Vielfach kommt den sich quer teilenden Sto- Fig. 39. Junges Amaroecium mit langem Postabdomen vor (A) und während der postabdominalen gr : Querteilung (B). Nach KOwALEvskY aus Korscnhrer Fähigkeit zu, laterale und HEIDER. «a Thorax, b Abdomen, c Postabdomen, Knospen (S. unten) zu h Herz, k vorderes aufgetriebenes Ende des Epicards n : - im hintersten Blastozoid, s Scheidewand (Epicard), on us Ba gt s’ deren basaler Teil, x, y abgetrennte Stücke des sıch eıme weitere e- Postabdomens. ziehung der Quer- teilung zur Knos- penbildung. 3) Die Knospung, d.h. die von einem wenig umfangreichen Zell- komplex ausgehende Bildung eines neuen Individuums, ist bei Spon- sien, Onidarien, Bryozoen und Tunicaten weit verbreitet. In der lonen gleichzeitig die. La, 2 ne LA Ft in nn ie TU U an Zeugungslehre. 8 Regel stellt sie sich als laterale, d. h. von den Seitenwandungen des Tierkörpers oder seiner Fortsätze entspringende Knospung dar (Fig. 42). Unter den Würmern weisen diejenigen Cestoden, welche im Blasen- oder Finnenzustand, sei es direkt, sei es durch Vermittlung von Tochter- oder Enkelblasen (Brutkapseln) nicht bloß einen, sondern eine größere Zahl von Scolices bilden (Taenia coenurus, echinococcus, Fig. 43, crassiceps), unter den Anneliden namentlich die Syllideen Fig. 40. Fig. 41. Fig. 40. Abschnitt vom Ventralstolo der Larve von Doliolum Gegenbauri. Nach NEUMANN aus KORSCHELT und HEIDER. cls Cloakalstrang, ect Ektoderm, mss Meso- dermstrang, pho Phorocyten, phs Pharyngealstrang. Fig. 41. Pyrosomenembryo. Nach KOWALEVSKY aus KORSCHELT und HEIDER. cl Cloakenöffnung, d Nahrungsdotter, en Endostylfalten, Z Leibeshöhle des ÖOozoids, n Nervensystem, p Peribranchialröhren, pc Pericardialsäckchen, z „Zellenzone‘“ der Keimscheibe. typische Knospungsvorgänge auf. Unter letzteren läßt die im Inneren von Hexaktinelliden schmarotzende Syllis ramosa auf Grund mehr- facher lateraler Knospung zahlreiche Schwanzenden entstehen, die eine Ausbreitung des Parasiten im Kanalsystem des Wirtes ermöglichen (Fig. 44), während bei Trypanosyllis am Hinterende des Muttertieres eine reichliche Proliferation von ventralen und seitlichen Knospen eintreten kann (Fig. 45). Sehr häufig treten Knospungsvorgänge bereits an Embryonen und Jugendformen auf, so an der Larve von parasitischen Narcomedusen und Siphonophoren (Fig. 46), sowie an den Embryonen und Larven mancher Bryozoen (Fig. 47) und Synascidien (Fig. 48). Wie die Querteilung, so geht auch die Knospenbildung vielfach nicht vom eigentlichen Tierkörper, sondern von schlauchförmigen Aus- läufern des letzteren, von Stolonen, aus. Eine solche stoloniale Knospung ist besonders bei Hydroidpolypen, Anthozoen (Fig. 49), 86 V. HAECKER, Ascidien (Olavellina) und Salpen (Fig. 50), sowie bei den isolierten Wurm- typen der Pterobranchier (Oephalodiscus, Rhabdopleura) zu beobachten. D > > > | | Fig. 42. Fig. 42. Dipurena dolichogaster (SARSIADE) mit 5 Knospungsgruppen am Manubrium. Nach CHUN aus KORSCHELT und HEIDER. C—E Tochterknospen (bei A und B sind die Tochtermedusen schon abgelöst), a—e Ersatzknospen 1. Grades, «a, b’ Er- satzknospen 2. Grades. Manubrium der Tochtermeduse C mit neuen Knospen. Fig. 43. Brutkapsel von Taenia echinococcus mit drei Skolexanlagen. m Wand der Mutterblase. Nach LEUCKART. Fig. 44. Syllis ramosa. Zum Teil nach MCInTosH aus KORSCHELT und HEIDER, Zeugungslehre. 87 — m Fig. 45. Hinterende von Trypa- nosyllis misakiensis. Nach IZUKA aus KORSCHELT und HEIDER. Fig. 46. Larven von Cupu- lita (Halistemma) picta mit Sonderung der Anlagen der Einzel- individuen (Pneumatophor, Nähr- polyp, ? Tentakel). Nach CHUN aus KORSCHELT und HEIDER. A Planula, B späteres Stadium. ekt Ektoderm, ent Entoderm, m Mundöffnung, p der zum Nährpolypen werdende Teil, pn Pneumatophor, t Tentakelanlage. Fig.47. Embryovon Alcyonella fungosa mit zwei Polypiden (p). m Mantelfalte.. Nach NITSCHE aus KORSCHELT und HEIDER, Fig. 49. Scyphostoma mit Stolonenbildung. Nach M. SARS aus KORSCHELT und HEIDER. Fig. 48. Fig. 48. Embryo von Didemnium niveum mit Knospenanlage. Nach SALENSKY aus KORSCHELT und HEIDER. e Egestions-, i Ingestionsöffnung, hp Haftpapillen, kn Knospen- anlage, ma Magen, n Ganglion, s Schwanz, sk Sinneskörper (Statocyste und Augenblase) 88 V. Hacker, Bei den Bryozoen schließen sich dann an die Stolonenknospung (Fig. 51) weitere Modifikationen der vegetativen Vermehrung an. So entstehen bei manchen Süßwasserformen (Victorella, Paludicella) stolo- niale, von einer Chitinkapsel umgebene Knospen, die Winterknospen oder Hibernacula, welche während der Winterruhe auf einer frühen Entwickelungsstufe stehen bleiben, um erst im Frühjahr frei zu werden und neue Stöckchen aus sich hervorgehen zu lassen. Die Schwimm- gürtel-Statoblasten anderer Formen (Fig. 52) sind wohl als st Fig. 51. Fig. 50. Fig. 52. Fig. 50. Salpenstolo nach seitlicher Verlagerung der zunächst hintereinander gelegenen Blastozoide.e Nach BROOKS aus KORSCHELT und HEIDER. r und / rechte und linke Reihe der Einzelindividuen (1—6), aa deren Trennungslinien, ec Ektoderm, en Entoderm. Fig. 51. Stolo von Victoriella. Nach KRÄPELIN aus KORSCHELT und HEIDER. kn Knospe, st Stolo, z Zoöcium (Einzeltier). Fig. 52. Statoblasten von Cristatella mucedo von unten und von der Seite. Nach KRÄPELIN aus KORSCHELT und HEIDER. Al An u AB modifizierte, im Interesse eines größeren Schutzes ins Innere des Stockes verlagerte Winterknospen, also als innere Brut- knospen aufzufassen. Auf anderem Wege scheinen die Schwämme zur Entwickelung innerer Brutknospen gelangt zu sein. An Fälle von typischer Lateralknospung (Leucosolenia) reiht sich hier zunächst die Bildung äußerer Brutknospen an, d. h. von Tochterindividuen, die in größerer Zahl als keulenförmige Erhebungen an der Peripherie des Muttertieres ihre Entstehung nehmen und sich von letzterem in einem noch wenig differenzierten Zustande loslösen (Tethya, Fig. 53, Zeugungslehre. 89 Lophocalyx). Die äußeren Brutknospen sind auch dadurch von den gewöhnlichen Lateralknospen unterschieden, daß ihre Ausgangszellen (Archäocyten) aus dem Inneren des Schwammes stammen, und so Fig. 53. Tethya maza mit äußeren Brutknospen. Nach SELENKA aus KORSCHELT und HEIDER. bilden sie eine natürliche Brücke zu den bei Süßwasserschwämmen verbreiteten inneren Fortpflanzungskörpern, den Gemmulae oder Dauerknospen (Fig. 54), welche ebenfalls aus Komplexen von Parenchymzellen ihre Entstehung nehmen, aber, im Gegensatz zu den äußeren Brutknospen von Tethya u. a., während der Winter- ruhe, von einer kompliziert ge- bauten, mehrfachen Hülle um- geben, in dem absterbenden Schwamme liegen bleiben. Fig. 54. Gemmula von Ephydatia fluviatilis. Nach VEIDOVSKY aus KOoRr- SCHELT und HEIDER. «a äußere Cuticular- membran, b Amphidiskenschicht, c innere Cuticularmembran, d Keimkörper, p Porus. b) Tierstöcke. Wenn sich die Tochtertiere vom Muttertier nicht lostrennen, sondern mit ihm im morphologischen Zusammenhange bleiben, so führt die vegetative Vermehrung zur Stockbildung. Stockbildende Formen finden sich unter den Schwämmen, Hydrozoen, Anthozoen, Bryozoen und Tunicaten. 90 V. Haucker, Vielfach wird für die Tierstöcke auch die Bezeichnung Kolonien angewandt, wie denn überhaupt dieser Ausdruck für sehr verschiedene Tierformen, z. B. auch für die plasmodial gebauten Protozoen („kolonie- bildende‘ Radiolarien) Verwendung findet. Es mag indessen. vielleicht zweckmäßig sein und auch dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr ent- sprechen (vgl. „Vogelkolonie‘‘, „Reiherkolonie‘‘), wenn man, sowohl bei Viel-, wie auch bei Einzelligen, nur dann von Kolonien redet, wenn die Individuen in keinem oder wenigstens in keinem engeren organi- schen Zusammenhang miteinander stehen und nicht oder nur iin geringerem Grade gegeneinander differenziert erscheinen: man wird also allenfalls einen Pyrosomenzapfen noch als Kolvnie be- zeichnen können, während die Synascidien wirkliche Stöcke darstellen, und ebenso wird man auch bei denjenigen Volvocineen, deren Individuen nur durch Gallerte oder höchstens durch dünne Plasmabrücken mit- einander verbunden sind, noch von Kolonien sprechen dürfen. Wenn man innerhalb der Welt der cellulär gebauten Organismen unter Individuen 1. Ordnung selbständige Zellen (einzellige Organismen, reife Geschlechtszellen) und unter Individuen 2. Ord- nung oder Personen!) selbständige Zellverbände, also in erster Linie die solitär lebenden, aus verschiedenartigen Geweben und Organen zusammengesetzten Vielzelligen versteht, so können die Tierstöcke, da sie ihrerseits Verbände von Personen darstellen, als Individuen 3. Ordnung bezeichnet werden. Das Wort Individuum wird dabei freilich nicht in seinem strengen Sinne angewandt, insofern z. B. die einfacher gebauter Tierstöcke keineswegs als unteilbare Lebenseinheiten erscheinen, deren dauernde Existenzfähigkeit und physiologische Vollständigkeit auf dem Vorhandensein sämtlicher Teile beruht, sondern in hohem Maße der Teilbarkeit unterliegen. Mit der durch vegetative Vermehrung bedingten Stockbildung ist sehr häufig eine morphologische Differenzierung und physiologische Arbeitsteilung, ein Di- oder Polymorphismus, verbunden. Im Hinblick darauf kann man drei Haupttypen von Stöcken unterscheiden: einfache Stöcke, deren Personen alle gleichwertig sind, differen- zierte Stöcke mit di- oder polymorphen Einzeltieren, welche letztere ihrer Entstehung, ihrer gegenseitigen Anordnung und ganzen Beschaffen- heit nach durchaus noch den Charakter von Personen haben, und per- sonifizierte Stöcke, bei denen die gleichartig gebauten Einzel- tiere so eng miteinander verbunden sind oder, im Fall Polymorphismus besteht, die Arbeitsteilung so weit gediehen ist, daß der ganze Stock als eine Person und die Einzeltiere, welche ihn zusammensetzen, als Organe dieser Person erscheinen. Zu der ersten Gruppe ge- hören die einfacher gebauten Spongien-, sowie die Korallenstöcke, zu der zweiten manche Hydroidpolypen und Bryozoen, sowie Doliolum. Beispiele für die dritte Gruppe stellen einerseits der Badeschwamm, andererseits die Schwimmpolypen dar. Den echten oder primären Tierstöcken, deren Einzeltiere durch vegetative Vermehrung eines Muttertieres ihre Entstehung nehmen und also genetisch unmittelbar miteinander zusammenhängen, sind die durch Verschmelzung ursprünglich selbständiger 1) Die Bezeichnung ‚Person‘ hat in diesem Zusammenhang verschiedene Anwendung - gefunden. Dem Sprachgebrauch dürfte jedoch die Gleichsetzung Person = vielzelliges Individuum am meisten entsprechen. Zeugungslehre. 91 Individuen (durch Konkreszenz oder Aggregation) entstehenden sekundären Stockbildungen bei Schwämmen, Korallen und Mon- ascidien gegenüberzustellen. Besondere Verhältnisse finden sich bei Doliolum. Hier bildet das Oozoid an seinem ventralen, am Hinterende des Endostyls entstehenden Stolo (Fig. 40) auf Grund von Querteilungsvorgängen zahlreiche Knospen, welche sich loslösen und, unter Mitwirkung besonderer amöboid beweg- licher Transport- oder besser Vorspannzellen (Phorocyten, Fig. 40, pho) nach dem Rückenfortsatz oder dorsalen Stolo wandern (s. oben). Indem sich die Knospen an letzterem in bestimmter Anordnung festsetzen, findet eine Differenzierung in Pflegetiere (Phorozoide) und Ur- geschlechtsknospen (Protogonozoide) statt, welche letztere auf dem Wege der Knospung die Geschlechtsknospen (Sexualblastozoide) entstehen lassen. Diese setzen sich dann an den Stielen der späterhin vom Stock sich ablösenden Pflegetiere fest. Augenscheinlich kann man bei Doliolum nicht von einem primären Stock im obigen Sinne des Wortes reden, insofern die am Rückenfortsatz vereinigten Individuen nur zum Teil in unmittelbarem genetischen Zu- sammenhang stehen. Vielmehr zeigen sich gewisse Anklänge an die erwähnten Konkreszenzen, sowie an die Verhältnisse bei den Salpen, wo die am Stolo entstandenen Kettensalpen unter gleichzeitiger Rück- bildung des Stolos mittelst ihrer Haftpapillen in sekundäre Verbindung treten. c) Progressiver Generationswechsel. Indem in den aufeinanderfolgenden Generationen geschlechtliche und vegetative Vermehrung miteinander wechseln, kommt auch bei zahlreichen Vielzelligen ein Generationswechsel zustande, und zwar diejenige Form, die man als Generationswechsel im engeren Sinne, als progressiven Generationswechsel oder Meta- gsenesis bezeichnet. Den Gegensatz bildet bei den Vielzelligen einerseits der primäre Generationswechsel der höheren Pflanzen, d. h. der Wechsel zwischen Amphigonie und primärer Monocytogonie, und der regressive Generationswechsel oder die Heterogonie, d. h. der Wechsel von geschlechtlicher Vermehrung und sekundärer Monocytogonie (Partheno- genesis oder Pädogenesis). Von den drei Haupttypen der vegetativen Vermehrung kommen für den Generationswechsel der Metazoen hauptsächlich Querteilung und Knospung in Betracht. Im letzteren Falle ist der Generations- wechsel in der Regel mit Stockbildung und Polymorphismus ver- bunden. 1) Ein Wechsel von Querteilung und geschlecht- licher Fortpflanzung findet bei Scyphozoen, Rhabdocölen, Anneliden, sowie bei einigen Ascidien statt. Am wenigsten ausge- sprochen ist der Generationswechsel bei den Rhabdocölen (Micro- stoma) und bei einigen Anneliden (Lumbriculus, Chaetogaster), bei welchen sich das Stammtier meist auf Grund wiederholter Quer- teilungsprozesse (Schizogonie, Architomie) in eine größere Anzahl von gleichartigen Sprößlingen aufteilt, welche nach der Auflösung der so entstandenen Kette volle Geschlechtsreife erlangen (S. 82). So 92 V. HaAEcKER, kann z. B. bei Microstoma auf eine Reihe von vegetativ sich ver- mehrenden Frühlings- und Sommergenerationen eine abschließende Herbstgeneration folgen, deren Sprößlinge sich geschlechtlich ver- mehren und Dauereier bilden. Doch treten gerade bei dieser Form mannigfache Unregelmäßigkeiten auf, so daß der Generationswechsel noch wenig ausgeprägt erscheint. Während in diesen Fällen eine vollständige Aufteilung des Stammtieres in eine Anzahl von Individuen erfolgt und diese im wesentlichen gleichartig sind, gliedern sich bei zahlreichen Formen von dem Ausgangsindividuum Teilstücke von andersartiger Be- schaffenheit ab, es tritt also ein Gegensatz zwischen Stammtier und Sprößlingen (Zoiden) hervor und der Generationswechsel erfährt da- durch auch nach der morphologischen Seite hin eine stärkere Be- tonung. Dies ist der Fall bei manchen Anneliden (Autolytus, Myrianida, Nais) und in ähnlicher Weise bei verschiedenen Cölenteraten, besonders bei Gonactinia, Fungia und den Scyphozoen, bei welch letzteren bereits auch die engen Beziehungen zwischen festsitzender Lebensweise, Stockbildung und Generationswechsel in deutlicher Weise hervortreten. Auch die meisten Cestoden könnten hier herangezogen werden, wofern man die Bandwurmkette als einen Tierstock be- trachten und also von einer Polyzootie der Cestoden reden will. Sehr mannigfaltige Formen weist der mit Querteilungsprozessen verbundene Generationswechsel innerhalb der Gruppe der Tunicaten auf. Einerseits zeigen manche Ascidien (Amaroecium) noch ähnliche Verhältnisse, wie die Rhabdocölen, indem nach Querteilung des mütterlichen Postabdomens (Fig. 39) sowohl das Stammtier als die Sprößlinge oder Blastozoide zur geschlechtlichen Vermehrung schreiten. Auf der anderen Seite macht sich bei Pyrosoma, Salpa und Doliolum zwischen dem aus dem Ei hervorgegangenen Individuum (Oozoid oder Amme) und den von ihm erzeugten Blastozoiden eine stärkere Diffe- renzierung bemerklich, sei es, daß ersteres schon nach der Ausbildung der ersten vier Blastozoide der Degeneration anheimfällt (Pyrosoma, Fig. 41) oder als freilebende Solitärform in einen schärferen morpho- logischen und physiologischen Gegensatz zu den von ihm erzeugten, kettenartig verbundenen Geschlechtstieren tritt (Salpa, Doliolum). 2) Auch beim Wechsel zwischen Knospung und geschlecht- licher Fortpflanzung treten sehr verschiedene Typen, insbe- sondere auch verschiedene Abstufungen hinsichtlich des morpho- logischen und biologischen Gegensatzes zwischen den geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Generationen hervor. Den Ausgangspunkt für die Entwickelung manches dieser Typen mögen Verhältnisse, wie sie bei Hydra vorliegen, geliefert haben. Hier ist dasselbe Individuum zu geschlechtlicher und vegetativer Ver- mehrung fähig, und zwar folgt im allgemeinen auf eine Periode der Knospung die Bildung befruchtungsbedürftiger Dauereier. Es kann aber unter Umständen auf die Eiproduktion wieder die Rückkehr des- selben Individuums zu vegetativer Vermehrung erfolgen, in ähnlicher Weise, wie dies bei manchen Rhabdocölen beobachtet wurde. Eine allmähliche Trennung der Generationen findet man auch bei den sozialen Ascidien (Ülavellina) angebahnt, insofern hier das Oozoid die Fähigkeit zur geschlechtlichen Vermehrung besitzt und außerdem an seinem Stolo die Blastozoide entwickelt, die ihrerseits einen rein geschlechtlichen Charakter aufweisen. Ein ähnliches Ver- Zeugungslehre. 93 hältnis liegt bei einigen Cestoden (Taenia coenurus und echino- coceus) vor, wofern man den zuerst an der Blase entwickelten „Primärskolex* mit dem Oozoid, die sekundären, in seiner Um- gebung hervorknospenden Scolices mit den Blastozoiden vergleicht und im übrigen die Entwickelung des Kettenwurmes aus dem Ei und dem Blasenwurm (im Sinne einer „Monozootie“) als die zur Ge- schlechtsreife führende Ontogenese eines Einzeltieres be- trachtet. Bei anderen Formen kommt eine morphologische und biologische Differenzierung der Generationen hinzu, so daß die vegetativ sich vermehrende Ammengeneration immer schärfer von der Ge- schlechtsgeneration unterschieden wird. Das ist bei den Syllideen der Fall, ferner bei einigen Ascidien (Botryllus, Distaplia), bei welchen das Oozoid nach der Produktion der ersten Blastozoide eine Rückbildung erfährt, und endlich bei solchen Bryozoen, bei welchen am „sterilen“ Individuum die „fertilen“ Geschlechtsknospen, bzw. modifizierte, zur Aufnahme und Entwickelung der Eizellen be- stimmte Individuen (Ovicellen) durch Knospung ihre Entstehung nehmen. Besonders scharf ist dann der metagenetische Generationswechsel bei denjenigen Hydroidpolypen ausgebildet, bei welchen sich die durch Knospung entstehenden Geschlechtsindividuen als freischwimmende Medusen vom Stocke loslösen, wobei dem Gegensatz zwischen fest- sitzender und freischwimmender Lebensweise ein weitgehender Dimor- phismus der Generationen entspricht. Neben dieser stark ausgeprägten Form des Generationswechsels treten allerdings gerade bei den Hydroidpolypen auch Erscheinungen auf, die auf eine sekundäre Rückbildung des Generations- wechsels zurückgeführt werden können. In vielen Fällen kommt es nämlich nicht zur Loslösung von Geschlechtstieren, vielmehr bleibt die Entwickelung auf der Organisationsstufe des polymorphen Tier- stockes stehen, und es lassen sich manche Gründe für die Annahme anführen, daß in diesen Fällen die als Träger der Geschlechtsprodukte dienenden Personen (die „medusoiden“ Gonophoren oder Gonozoide von Pennaria, Tubularia u. a.) zurückgebildete, sessil ge- wordene Medusen darstellen. In anderen Fällen spricht aller- dings Vieles dafür, daß die Umwandlung der Polypen in sessile Ge- schlechtspersonen im Laufe der stammesgeschichtlichen Entwickelung in direkt-progressiver Weise und nicht auf dem Umweg über freischwimmende und sessil gewordene Medusen stattgefunden hat (Sporosacs oder Sporophoren von Gordylophora u. a.). Rückbildungsprozesse der ersteren Art haben vermutlich auch bei den Siphonophoren zur Einziehung der Geschlechtsgeneration in den freischwimmenden Tierstock geführt. Eine andere Frage ist es, in- wieweit auch die medusenähnlichen Einzeltiere, welche in Gestalt der Luftflaschen und Schwimmglocken eine von der geschlechtlichen Funk- tion vollkommen abweichende Aufgabe erfüllen, unter diesen Gesichts- punkt fallen. d) Zurückverlegung der Keimstätten. Sowohl in der ersten als in der zweiten Hauptgruppe von meta- genetischen Formen kehrt die Erscheinung wieder, daß die Geschlechts- zellen gar nicht in den die Geschlechtsgeneration darstellenden In- 94 V. HaAscker, dividuen zur Anlage und ersten Entwicklung kommen, sondern in Teilen des Tierstockes, welche einer der früheren, ungeschlechtlich sich vermehrenden Generationen zuzurechnen sind, und daß sie erst nachträglich in die Geschlechtsgeneration verlagert werden.- So kann bei den Hydroidpolypen eine Einwanderung der Geschlechtszellen aus anderen Teilen des Stockes in die Gonophoren beobachtet werden (Fig. 55) und dieser Vorgang läßt sich am besten in der Weise deuten, daß hier im Laufe der Stammesgeschichte eine Zurückverschiebung der Keimstätte vom Ektoderm des Magenstiels der Me- dusen in deren Stiel oder so- gar in einzelne Zweige des Stockes stattgefunden hat. In ähnlicher Weise entstehen bei manchen Bryozoen, Ascidien (Botryl- liden) und Salpen die Keim- zellen zunächst in unge- schlechtlichen Individuen, um von hier aus den ihrer weiteren Ausbildung dienen- den Geschlechtsindividuen übermittelt zu werden. \s f ESG FAN DE / A * x = Er - < ne ur = Sa. —— == ——Z =_ > — =, - == 8 ‘ Fig.55. Wanderung der Keim- zellen bei Eudendrium race- mosum. Nach WEISMANN aus KORSCHELT und HEIDER. Im Ektoderm (ect) des Stiels und im Entoderm (ent) des Blastostyls (bl) zahlreiche Keimzellen. Ay Hy- dranthenknospe, p» Proboseis, t Ten- takelanlage. e) Stammesgeschichtliche Zusammenhänge der verschiedenen Vermehrungsarten. Die vorstehende Uebersicht zeigt die außerordentliche Mannig- faltigkeit, welche besonders die vegetative Vermehrung und der Generationswechsel bei den Metazoen angenommen hat. Es ist nicht einmal innerhalb kleinerer Gruppen immer möglich, die verschiedenen Typen miteinander in einen direkten Zusammenhang zu bringen und unsere, vom Boden der phylogenetischen Betrachtung aus gebildeten Kategorien, Schemata und Reihen versagen vielfach, wenn man sämt- liche bei Cölenteraten, Würmern, Bryozoen und Tunicaten vor- kommenden Verhältnisse ihnen einzuordnen bemüht ist. Mit dem vorläufigen Charakter vieler stammesgeschichtlicher Kategorien hängt es auch zusammen, wenn bezüglich vieler Fragen zwei scheinbar un- versöhnliche Anschauungen einander gegenüberstehen und wenn beide imstande sind, gewichtige Gründe zu ihren Gunsten heranzuziehen, wenn z. B. trotz sorgfältigster Untersuchungen und eingehendster Zeugungslehre. 95 Diskussion immer noch keine Einigkeit darüber besteht, ob die medusoiden Knospen der Hydroidpolypen regressive oder progressive Stadien darstellen oder ob die Bandwurmketten monozootischer oder polyzootischer Natur sind. Bei Betrachtungen dieser Art sind natürlich auch die Beziehungen morphogenetischer und physiologischer Art zu berücksichtigen, welche die verschiedenen Typen der vegetativen Vermehrung zu einigen Er- scheinungen und Vorgängen anderer Art zeigen, welche allerdings (ab- gesehen von den vollständigen Doppelbildungen) mit einer Vermehrung der Individuenzahl nichts zu tun haben, wohl aber vielfach mit einer Vermehrung oder wenigstens mit einer Neubildung von Organen ver- bunden sind und daher als partielle Vermehrungsprozesse zusammengefaßt werden können. So zeigt die Längsteilung mit der abnormen Entstehung der Doppelbildungen und Organspaltungen (Entstehung identi- scher Zwillinge durch Spaltung des Keimes, Polydaktylie usw.) ge- wisse Berührungspunkte, während die Querteilung mit der Meta- merenbildung eine große Aenlichkeit aufweist. Insbesondere läßt die Strobilation deutliche Anklänge an die interkalare Metameren- bildung der Anneliden, die von einer vor dem Analsegment gelegenen Wachstumszone ausgeht, erkennen. Die multiplen Knospungsprozesse erinnern an die Proliferation von Organen (Polypharyngie bei Turbellarien, multipler Geschlechtsapparat der Ligula, paarige Ge- schlechtsorgane bei Taenia [Dipylidium] cucumerina). Ganz besonders eng und wahrscheinlich nicht bloß äußerlicher Art sind aber die Be- ziehungen, welche die vegetative Vermehrung zu den Erscheinungen der Regeneration verloren gegangener Körperteile und der Auto- tomie, d. h. der Fähigkeit, einzelne Körperteile abzuwerfen und durch neue zu ersetzen, aufweist, wie denn auch alle vegetativen Ver- mehrungsprozesse mit Regenerationen verbunden sind und anderer- seits vielfach Vorgänge angetroffen werden, von denen es zweifelhaft ist, ob spontane Vermehrungsprozesse oder durch äußere Eingriffe hervorgerufene Abschnürungs- und Regenerationserscheinungen vor- liegen. Bei der phylogenetischen Betrachtung der vegetativen Vermehrungs- weisen kommt schließlich auch die Frage in Betracht, welche Be- ziehungen zwischen ihnen und der amphigonen und primär-monocytogonen Fortpflanzung bestehen, ob bei- spielsweise der bei einzelnen Medusen (Margeliden) gemachten Be- obachtung eine allgemeine Bedeutung zukommt, wonach die Knospen aus einzelnen Zellen des Ektoderms ihre Entstehung nehmen und also demselben Mutterboden wie die Geschlechtszellen entstammen und ferner, ob die inneren Brutknospen der Schwämme und Bryozoen wirklich, wie dies oben geschehen ist, von äußeren Brutknospen abzuleiten und nicht vielmehr mit der "primär-monocytogonen Fort- pflanzung in Verbindung zu bringen sind. Da bezüglich aller dieser Punkte die paläontologischen Urkunden versagen, so wird noch mehr als bisher versucht wefden müssen, auf experimentellem Wege den Zusammenhängen zwischen den ein- zelnen Formen der Fortpflanzung nachzugehen. Insbesondere wird man auf diese Weise und unter Berücksichtigung teratologischer Vor- kommnisse zunächst zu einer genaueren Kenntnis der elemen- taren Entwickelungsfaktoren, d. h. der bei der Zellteilung, 96 | V. Hacker, bei Wachstum, Formbildung und Differenzierung wirksamen chemisch- physiologischen und chemisch-physikalischen Verhältnisse und Vor- gänge zu gelangen haben, soweit diese bei der Zeugung, besonders auch bei den Prozessen der Querteilung, Knospung, Brutknospen- bildung usw., sowie bei den oben aufgeführten verwandten Erschei- nungen in verschiedenen Kombinationen zusammentreten. Dann werden wohl auch manche aufder Grenze zwischen Fortpflanzungs- seschichte und Morphologie stehende Fragen, wie z. B. die nach dem gegenseitigen Verhältnisse der typischen Bandwurmketten, der Liguliden und Dipylidien, oder die nach dem gegenseitigen Zu- sammenhang der verschiedenen Gonophorenarten der Hydrozoen oder der einzelnen Personen der Siphonophorenstöcke, von neuen Seiten her in Angriff genommen werden können, auch wenn man darauf verzichten muß, die wirklichen stammesgeschichtlichen Beziehungen endgültig aufzudecken. f) Biologische Bedeutung der verschiedenen Vermehrungsarten. Auf etwas festerem Boden stehen wir bei der Behandlung der Frage, welche Bedeutung im einzelnen den verschiedenen Vermehrungs- arten zukommt und wodurch ihr Auftreten bei bestimmten Phasen der Lebensgeschichte bedingt ist. Was zunächst die Bedeutung der amphigonen Fort- pflanzung anbelangt, so weisen schon gewisse Verhältnisse bei den Protozoen darauf hin, daß die Konjugation, also der für die Amphigonie der Einzelligen charakteristische Prozeß, jedenfalls nichts Direktes mit der Vermehrung der Individuenzahl zu tun hat, wie denn auch als unmittelbare Folge der Konjugation die Individuenzahl in der Regel sogar vermindert wird. Auch gegen die Annahme, daß die Konjugation indirekt auf die Vermehrung einwirkt, indem sie einen Verjüngungsprozeß darstellt, durch welchen das durch zahlreiche aufeinanderfolgende Teilungsakte erschöpfte Protoplasma zu neuer Wachstums- und Vermehrungstätigkeit angeregt wird, sprechen manche Tatsachen, so vor allem der lange Ruhezustand mancher Zygoten, die Erscheinung der Autogamie (S. 62), sowie die Beobachtung, daß Infusorien (Paramaecium) sich mindestens drei Jahre hindurch auf rein agamogenem Wege vermehren können. Die Verbindung der Konjugation mit den cytogonen Vermehrungsakten und damit die Einrichtung der amphigonen Fortpflanzung muß daher noch eine andere Bedeutung haben. Aehnlich liegen die Verhältnisse bei den Vielzelligen. Zwar scheint auch hier der Befruchtungsakt, indem er offenbar die Eient- wickelung auslöst, in engster Beziehung zu den Vermehrungsvor- sängen zu stehen, insofern allerdings nicht die Produktion der Fort- pflanzungszellen, aber doch die zweite Phase des Vermehrungsprozesses, nämlich die Entwickelung des Eies zum neuen Individuum, von ihm abhängig zu sein scheint. Der Eindruck, daß durch den Befruchtungsakt das Ei zu neuem Leben erweckt wird, hat denn auch zur Aufstellung der älteren „Belebungstheorien‘“ geführt, an welche später die oben erwähnte Verjüngungslehre angeknüpft hat. Indessen zeigen manche Erscheinungen, vor allem das Vorkommen rein parthenogene- tischer Organismen (8. 78), daß auch auf dem Gebiete der Vielzelligen die Vermehrung nicht an den Eintritt der Befruchtung geknüpft zu Zeugungslehre. 97 sein braucht, daß sie vielmehr unter Umständen auch ohne die regel- mäßige Wiederkehr von Befruchtungsakten sich in normaler Weise abspielen kann. Befruchtung und Vermehrung stehen also auch bei den Vielzelligen offenbar nicht in dem einfachen Verhältnisse von Ursache und Wirkung zueinander, vielmehr ergeben sich Zusammen- hänge anderer Art. Die Vererbungserscheinungen zeigen nun, daß bei den Nachkommen die Eigenschaften der Eltern und der früheren Vorfahren in ver- schiedener Weise miteinander verbunden sein können. Offenbar ist dies als eine Wirkung der Befruchtung aufzufassen, insofern ja nur durch diesen Akt die väterlichen Anlagen in den Keim ein- geführt werden können und damit eine Amphimixis, d.h. eine Vereinigung väterlicher und mütterlicher Anlagen oder Ver- erbungstendenzen, ermöglicht wird. Die Beobachtung lehrt nun weiter, daß bei der Befruchtung eine wirkliche Substanzverbindung und nicht etwa bloß eine Uebertragung besonderer Energieformen von der Samenzelle auf das Ei stattfindet. Da ferner jede der Fort- pflanzungszellen aus verschiedenen Substanzen zusammengesetzt ist und auch hier die Annahme einer Arbeitsteilung naheliegt, so ist es wahrscheinlich, daß ganz bestimmte Substanzen der väterlichen und mütterlichen Fortpflanzungszellen die Träger der An- lagen, also die Vererbungssubstanz, das Idioplasma oder Keimplasma, darstellen. In erster Linie gehören wohl dazu diejenigen Substanzen des Zellkerns, welche bei der Kernteilung in die Bildung der Kern- schleifen oder Chromosomen (S. 78) eingehen, mag es sich bei diesen Substanzen um die im „ruhenden“ Kern auftretenden, färb- baren Chromatinkörnchen (Öhromatinerhaltungshypothese) oder um die weniger färbbaren, alveolären Grundsubstanzen des Kerns, das Achromatin (Achromatinerhaltungshypothese) handeln. Viel- leicht ist aber auch der Zellleib bei der Uebertragung bestimmter erblicher Eigenschaften direkt beteiligt, sei es das Öytoplasma als Ganzes, sei es dieals organbildende Substanzen, Mitochon- drien usw. bezeichneten, körnchen- oder fädchenartigen Differen- zierungen, die sich vielfach schon in den Fortpflanzungszellen er- kennen lassen und bei der Teilung des Eies allen Embryonalzellen oder nur bestimmten Organanlagen zugeteilt werden. Daß nun die Befruchtung und damit die Amphimixis bei den Vielzelligen gerade mit den Vermehrungsprozessen so eng verbunden ist, hat offenbar den Zweck, sie mit periodisch sich wiederholenden, von den Lebensbedingungen verhältnismäßig unabhängigen Vorgängen zu verknüpfen und damit auch ihre periodische Wiederkehr sicherzu- stellen. Die Befruchtung ist ferner deshalb gleich in den Beginn des Vermehrungsaktes eingeschaltet, weil sich hier, im einzelligen Stadium des Keimes, die Möglichkeit einer Substanzverteilung am einfachsten und ihre Wirkung am ausgiebigsten gestaltet. Im besonderen findet nun jene Sicherstellung des periodischen Eintrittes der Amphimixis dadurch statt, daß die Eier der Vielzelligen im allgemeinen befruchtungsbedürftig, d. h. so eingerichtet sind, daß sie sich ohne Befruchtung nicht zu entwickeln vermögen. Das Ei ist dabei offenbar mit Hemmungsvorrichtungen ver- sehen, deren Beseitigung als eine Nebenaufgabe dem Befruchtungs- akte zugewiesen ist. Zum Teil liegt die Hemmung wohl darin, daß Arnold Lang, Handb. d. Morphologie. II. y 98 V. Hacker, nach Ablauf oder während der Reifungsteilungen des Eies (Fig. 15) der Teilungsapparat des letzteren, das Centrosoma oder genauer OÖvozentrum, in irgendeiner Weise außer Aktivität gesetzt wird, und die Beseitigung dieser Hemmung würde dann dadurch er- folgen, daß bei der Befruchtung durch die Samenzelle ein neuer Teilungsapparat, nämlich das im Mittelstück gelegene Spermo- zentrum (Fig. 16, E, c.a, Fig. 26A, s), eingeführt wird, welches sich dann in die beiden, bei der ersten Furchungsteilung des Eies wirksamen Öentrosomen zerlegt. Doch weisen verschiedene Beobachtungen, ins- besondere auch die Befunde an Eiern, die durch künstliche Agenzien chemischer, mechanischer oder thermischer Art zur Entwickelung ge- bracht werden (künstliche Parthenogenesis), darauf hin, daß es sich bei der Beseitigung der Hemmungen und der Auslösung der Eientwickelung nicht einfach um die Ausstattung des Eies mit einem neuen Mechanismus handelt, sondern daß chemisch-physikalische und chemisch-physiologische Prozesse verschiedener Art (Spaltungs- vorgänge, Gerinnungen und Verflüssigungen, Kontraktionen) mit in Frage kommen. Wenn also die Verbindung der Befruchtung mit Vermehrungs- prozessen und damit die Einrichtung der amphigonen Fortpflanzung bei den Vielzelligen in erster Linie die regelmäßige Wieder- kehr amphimiktischer Prozesse zum Zweck hat, so erhebt sich die Frage nach der biologischen Bedeutung der letzteren selber. Die Bedeutung der Amphimixis könnte an und für sich dreifacher Art sein: entweder soll durch die Amphimixis ein Ausgleich von Störungen, eine Unterdrückung ungünstiger Variationen durch „Zufuhr frischen Blutes“, im ganzen also eine Nivellierung der Unter- schiede und die Erhaltung der Artkonstanz bewirkt werden; zweitens könnten günstige Anlagen durch Summierung verstärkt werden; und schließlich wäre es möglich, daß durch Verbindung verschiedener Anlagen neue Kombinationen gebildet und damit den Natur- züchtungsprozessen neue Variationen dargeboten werden. Tatsächlich dürfte jede dieser Möglichkeiten unter bestimmten Verhältnissen in Betracht kommen, doch fehlt es, zumal da die bei domestizierten Formen gemachten Erfahrungen nicht ohne weiteres auf die frei- lebenden übertragen werden können, noch an bestimmten Anhalts- punkten für die Beantwortung der Frage, welches die wichtigste Be- deutung der Amphimixis in der freien Natur ist. Die bei den Vielzelligen gewonnenen Anschauungen können wohl auch auf die Einzelligen Anwendung finden, und man wird demnach zusammenfassend sagen können, daß sowohl bei Einzelligen, wie bei Vielzelligen die Verbindung derZellpaarungsprozesse mit der cytogonen Vermehrung und damit die Einrichtung der amphigonen Fortpflanzung im wesentlichen die regelmäßige Wiederkehr der amphimiktischen Prozesse ermöglichen soll. Während nun bei zahlreichen Einzelligen die amphigone Fort- pflanzung zwischen den monogonen Vermehrungsprozessen mehr als ein periodisch wiederkehrender Zwischenakt erscheint und z. B. bei den Infusorien der Konjugationsakt selbst von den vorhergehenden und nachfolgenden Vermehrungsphasen durch eingeschobene rudimen- täre Teilungsvorgänge in schärferer Weise abgetrennt sein Kann, ist bei den höheren Vielzelligen Befruchtung und cytogone Fortpflanzung Zeugungslehre. 99 in nahezu konstanter Weise in eine enge Verbindung getreten, so daß die geschlechtliche Fortpflanzung geradezu als die normale, bei den Mollusken und Wirbeltieren als die ausschließliche Ver- mehrungsweise und gewissermaßen als die Kulmination aller Lebens- prozesse erscheint. Der amphigonen Vermehrung kommt nach dem obigen offenbar eine fundamentale biologische Bedeutung zu, wie schon aus ihrer fast allgemeinen Verbreitung zu erschließen ist. Im Gegensatz dazu be- sitzen die verschiedenen Typen der ungeschlechtlichen Ver- mehrung eine je nach der Tiergruppe und je nach den Lebens- verhältnissen vielfach wechselnde Bedeutung. Unter den cytogonen Vermehrungsformen ist, wie bereits angedeutet, die Agamogonie die gewöhnliche Fortpflanzungsweise der Einzelligen. Bei den viel- zelligen Tieren kommt die primäre Monocytogonie nicht vor, dagegen hat die sekundäre Monocytogonie bei verschiedenen Tier- gruppen eine wichtige Bedeutung gewonnen. Die Bedeutung speziell der Parthenogenesis liegt in erster Linie in der Erhöhung der Fruchtbarkeit. Denn wenn alle Individuen Weibchen sind, so wird schon in der ersten Generation die Menge der in einer Tierkolonie produzierten Eier verdoppelt, und da die Vermehrung in geometrischer Progression wächst, so tritt der Vorteil der parthenogenetischen Vermehrung gegenüber der geschlecht- lichen in den folgenden Generationen immer deutlicher hervor. Par- thenogenesis findet sich daher vorzugsweise bei tümpelbewohnenden Süßwasser-Crustaceen und -Rotatorien, deren Wohnorte im Sommer leicht austrocknen und im Winter zufrieren und welche die nur kurze Zeit andauernden günstigen Lebensbedingungen möglichst zur Ver- mehrung der Individuenzahl auszunützen suchen. Bei verschiedenen Insekten (Gallwespen, Blattläuse) kommen ähnliche Verhältnisse in Betracht, während bei den staatenbildenden Formen verwickeltere Zusammenhänge zwischen Jahreszeitenwechsel, Polymorphismus und Parthenogenesis bestehen. Auch bei den Trematoden hängt offenbar die pädogenetische Vermehrung mit den günstigen Lebensbe- dingungen der parasitischen Jugendformen zusammen. Wenn einmal in einer Tiergruppe die Tendenz zu parthenogene- tischer Vermehrung besteht, so kann sie unter sehr verschiedenen Lebensverhältnissen zur Ausbildung und sogar zu extremer Entwicke- lung gelangen, wie denn z. B. manche in großen Alpenseen lebende Cladoceren die Amphigonie anscheinend vollkommen aufgegeben haben und selbst manche marine Cladoceren-Formen die parthenogenetische Vermehrung in Form der Pädogenesis aufweisen. Sehr verschieden ist auch die Bedeutung der einzelnen Formen der vegetativen Vermehrung. Während bei der Querteilung mancher Süßwasser-Turbellarien und -Anneliden ähnliche teleologische Beziehungen zwischen den Lebensbedingungen und der Einrichtung der ungeschlechtlichen Vermehrung bestehen mögen, wie bei den parthenogenetisch sich fortpflanzenden Crustaceen — für die Turbel- larien lassen sich sehr enge kausale Beziehungen nachweisen —, kommt der Knospung namentlich bei festsitzenden Formen eine vielseitigere, nicht bloß auf die einfache Vergrößerung der Ver- mehrungsziffer bezügliche Bedeutung zu. Für festsitzende Tiere ist es im Interesse des Schutzes und der Ernährung von Vorteil, indivi- duenreiche Stöcke zu bilden. Hierbei stellt aber die Knospung die 7* 100 V. HaAsckER, geeignetste Vermehrungsart dar, weil sie, ähnlich der Sprossung bei höheren Pflanzen, die gleichmäßige Verteilung der Personen in zwei oder drei Richtungen des Raumes ermöglicht. Hat sich aus diesen Gründen in einer Tiergruppe die Fähigkeit zur Knospenbildung bei den festsitzenden Formen eingebürgert, so kann sie auch bei nachträglichem Uebergang zu freischwimmender Lebensweise erhalten bleiben und eine Weiterbildung nach verschiedenen Rich- tungen hin erfahren (Siphonophoren, Salpen, Pyrosomen). Teilungs- und Knospungsvorgänge in wechselnder Form können schließlich noch unter ganz speziellen Lebensbedingungen besondere Vorteile gewähren. Es sei nur an die Tänien mit prolife- rierenden Scolices (S. 85), an den Palolowurm (S. 82) und an die parasitische Syllis ramosa (S. 85) erinnert. Aus der verschiedenen Bedeutung, welche die nichtgeschlecht- lichen Vermehrungsarten für die vielzelligen Tiere besitzen, ergibt sich ohne weiteres, weshalb der Generationswechsel in den einzelnen Gruppen eine so verschiedenartige Form angenommen hat und wes- halb er bald als ein mehr unregelmäßiger Wechsel verschiedener Fortpflanzungsweisen, bald als eine streng eingehaltene, rhythmisch sich abspielende Folge hoch spezialisierter Lebensprozesse erscheint. Literaturverzeichnis. I. Einleitung. Uebersicht der Vermehrungsarten. Haeckel, E., Generelle Morphologie der Organismen. Berlin 1892. Hartmann, M., Die Fortpflanzungsweisen der Organismen, Neubenennung und Ein- teilung ee usw. Biol. Centralbl., Bd. 24, 1903. Hertwig, O., Allgemeine Biologie. 38. Aufl, Jena 1909. Hertwig, R., ‚„ Mit welchem Recht unterscheidet man geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflanzung ?. Sütz.-Ber. Ges. Morph. Phys., München 1899. Lang, A., Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbellosen Tiere. 2. 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Die Fortpflanzung durch Einzelzellen (Oytogonie) bei viel- zelligen Wirbellosen: die Amphigonie und die von ihr ab- geleiteten Formen . O2 a) Entstehung der Geschlechtszellen (Gamstogenesis) 0 b) Reife Geschlechtszellen . . ET c) Begattung (Kopulation) und Besamung . a 0 d) Befruchtung . . TH e) Parthenogenesis und rogressiver Generationswechsel AT | f) Chromosomenverhältnisse . 18 IIl. Vermehrung durch Zellenkomplexze Wegetative Vermehrung) und Allgemeines . . a No} a) Verschiedene Formen der vegetativen Vermehrung . RN}: 1) Längsteilung . . . . . . 2 2 ee 2) Quertellung . 2.2 200 vun 2 0 3) Knospung u. 2 mn u b) Tierstöcke . . . a c) Progressiver Generationswechsel . 91 1) Wechsel von Querteilung und geschlechtlicher Fortpflanzung 91 2) Wechsel zwischen Knospung und er Fort- pfanzung . . N: d) Zurückverlegung der Keimstätten ei ne 2 Eu e) Stammesgeschichtliche Zusammenhänge der verschiedenen Vermehrungsarten . . . 94 | f) Biologische Bedeutung der verschiedenen Vermehrungsarten 96 | Literatur „u... 200 ve De III. Abschnitt. Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoen- körpers (Gewebelehre, Histologie). Von Prof. Arnold Lang, Zürich. Mit zahlreichen Figuren. A. Von der Metazoenzelle im allgemeinen. Der Körper der Metazoen stellt, wie wir im nächsten Unter- abschnitt des näheren darlegen werden, einen kompakten Zellen- staat dar, zusammengesetzt aus einer großen Anzahl verschieden- artiger Zellindividuen, Lebenseinheiten, die sich in die dem Körper zukommenden Lebensverrichtungen teilen. Selbst der Körper der kleinsten, oft mikroskopisch kleinen Metazoen besteht gewöhnlich aus Hunderten von Zellen. Doch gibt es Ausnahmen von dieser Regel, beispielsweise die Dieyemiden, deren Körper aus relativ wenigen Zellen aufgebaut ist. Der Leib der größeren Tiere ist aus Millionen von Zellen zusammengesetzt. Die Metazoenzelle besteht morphologisch aus jenen drei Haupt- bestandteilen, die schon in der Einleitung zu den Protozoen Bd. I erwähnt und charakterisiert worden sind; Uytoplasma, Kern und Gentrosoma. 1) Das CGytoplasma oder Zellplasma. Wir sehen hier zunächst gänzlich ab von den unendlich verschiedenartigen Differen- zierungen des Protoplasmas der Gewebszellen der Metazoen und von den mannigfaltigen Einschlüssen des ÜÖytoplasmas, Produkten des Stoffwechsels, der Assimilation und Dissimilation, des Aufbaues und Abbaues.. Wir beschränken uns vielmehr zunächst auf ein kurzes Resum& der Ansichten von der feinsten Struktur des undifferenzierten Cytoplasmas. Die früher weit verbreitete Ansicht, daß das Proto- plasma ein strukturloser zähflüssiger, lebendiger Eiweißkörper sei, hat durch die Evidenz der Resultate zahlreicher subtiler Be- obachtungen endgültig aufgegeben werden müssen. Es ist sicher, daß das Protoplasma eine feine, vielleicht komplizierte Struktur besitzt. Doch gehen die Meinungen über dieses Gefüge weit auseinander. Die drei Hauptansichten sind folgende. a) Die FLemmiınGssche Lehre von der Fadenstruktur des Protoplasmas, Filartheorie. Das Protoplasma besteht aus feinsten Fädchen, Fibrillen, die miteinander nicht zusammen- hängen und in denen kleine Körnchen (Mikrosomen, Plasmo- 108 Arnorn Lang, somen, Granula) eingelagert sind. Diese Fäden, die zusammen die Filarmasse, das Mitom bilden, sind etwas zähflüssiger und etwas stärker lichtbrechend, als die flüssigere hyaline Zwischen- masse (Interfilarmasse, Paramitom), in der sie liegen. b) Die Lehre von der Schwammstruktur des Proto- plasmas ist vorwiegend mit den Namen FROMMANN, LEYDIG, KLEIN, HEITZMANN verknüpft. Sie nimmt an, daß die feinsten Plasmafibrillen miteinander durch Brücken, Anastomosen verbunden sind, so daß sie einschwammiges Gerüste bilden, dessen Maschen mit flüssiger, homogener Interfilarmasse erfüllt sind. c) Die BürscHuIsche Theorie von der Waben- oder Schaumstruktur des Protoplasmas ist diejenige, die ;sich b Fig. 56. a Schaumstruktur im 'intrakapsulären Protoplasma von Thalassicolla nucleata. b Schaum aus Olivenöl und Rohrzucker. ce Protoplasmastruktur auf /einer Pseudopodienausbreitung einer Foraminiferenzelle (Miliola). d Protoplasmastruktur einer Epidermiszelle des Regenwurms. Nach BÜTSCHLI aus VERWORN. gegenwärtig der allgemeinsten Anerkennung erfreut. Von den drei hier angeführten Theorien, die durch minutiöse Untersuchungen sorg- fältiger Beobachter gestützt werden, dürfte die BürscHLische Theorie sich am besten mit den Erfahrungen über die physikalischen Eigen- schaften des Protoplasmas vertragen. Nach BÜTscHaLi sind die kleinen Räumchen im Protoplasma voneinander vollständig abgeschlossene „Zellen“. Die Bezeichnung „Zelle“ ist hier im Sinne eines abge- schlossenen Raumes gebraucht, etwa im Sinne der geschlossenen Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 109 Zellen der Bienenwaben!). Die Plasmawände dieser Zellen, die sich gegenseitig polyedrisch abplatten, so daß die Schaumstruktur zustande kommt, sind kolloidaler, etwas zähflüssiger Natur. Sie bilden das Hyaloplasma. Ihr Inhalt, das Enchylema, ist leicht flüssig. Die feinen Körnchen (Mikrosomen) liegen in den Knoten- punkten der Schaumzellen. Auf dem optischen Durchschnitt ergibt das Schaumgefüge des Protoplasmas das Bild eines Netzes (Fig. 56). Die Schaumstruktur kann übrigens in die schwammige übergehen, wenn sich benachbarte Zellen durch Oeffnungen in der Wand miteinander in Verbindung setzen. Gelegentlich wurden in den Wänden ver- laufende Fibrillen nachgewiesen. Im übrigen kann das Bild einer fibrillären Struktur dadurch zustande kommen, daß das Gefüge sich nach einer Richtung in die Länge streckt. Es ist BÜTSCHLI gelungen, künstlich mikroskopische Schäume von dem Protoplasma ähnlicher physikalischer Beschaffenheit zu erzeugen, indem er ein- gedicktes Olivenöl mit Kaliumkarbonat, Kochsalz oder Rohrzucker ver- mischte (Fig.56b). Beigemischte feinste Rußpartikelchen werden in den Knotenpunkten der Zellwände des Schaumes angetroffen. Teile solcher künstlicher Schäume zeigen auf Wasser lange Zeit Bewegungen, die sich von amöboiden Bewegungen nicht unterscheiden lassen. Mit den im vorstehenden besprochenen feinsten Strukturen des undifferen- zierten Protoplasmas sind nicht zu verwechseln gröbere Faser-, Schwamm- oder Schaumstrukturen, die durch Ausbildung von Fasern, durch Auftreten verschiedenartiger gröberer Einschlüsse, Fetttröpfchen, Dotterkörner, Eiweißkörner etc. im differenzierten Protoplasma zustande kommen können. Von den letzteren sind die ersteren durch den geringen Durchmesser der Wabenräumchen (Zellen) zu unterscheiden, der selten mehr als 1 y. beträgt. An der Peripherie der Schäume sind die Wände der Schaumzellen senkrecht zur Oberfläche gestellt, so daß hier eine Schicht zustande kommt, welche mit einer Zellenlage der Bienenwabe Aehnlichkeit hat. Sie wird als Alveolarschicht bezeichnet (vgl. auch die Alveolarschicht des Exoplasmas von Protozoen, Bd. ]). 2) Der Kern (Nucleus, Karyon). Seitdem nachgewiesen worden ist, daß die roten Blutkörperchen der Säugetiere, die als kernlos gelten (was neuerdings übrigens bestritten wird), aus kern- haltigen Zellen hervorgehen, hat der Satz volle Gültigkeit, daß aus- nahmslos alle Metazoenzellen kernhaltig sind. Ueber den Bau des Kernes der tierischen Zelle ist schon in der Ein- leitung zu den Protozoa, Bd. I, das Wichtigste gesagt worden. Wir resumieren und ergänzen die Darstellung speziell für die Metazoenzelle. Im ruhenden Zustande (man versteht darunter die Periode zwischen zwej aufeinanderfolgenden Teilungen, und es ist diese Periode wohl gerade diejenige der Stoffwechselaktivität des Kernes, wo er seinen Einfluß auf die vegetative Tätigkeit des Protoplasmas ausübt) hat der Kern im allgemeinen Bläschengestalt. Das Bläschen ist durchsetzt von einem netzförmigen, schwammigen oder schaumigen (Gerüst aus einer nicht färbbaren Substanz, dem achromatischen Linin. Dieses Liningerüst verdichtet sich an der Oberfläche des Kerns 1) In den Schilderungen auch bedeutendster Forscher und sonst meisterhafter Darsteller herrscht eine mir unerklärliche Konfusion, die dem Uneingeweihten das Ver- ständnis erschwert, indem die Bezeichnung Wabe bald für die einzelnen ‚Zellen‘, bald für das ganze Gefüge oder Konglomerat von „Zellen“ verwendet wird. 110 ARnNoLD Lang, und ruft das Aussehen einer Kernmembran hervor, oder aber es besteht die Membran aus einer besonderen, nicht färbbaren Substanz, dem Amphipyrenin, das mit dem gleich zu besprechenden Pyrenin verwandt zu sein scheint. Die Maschenräumchen sind mit klarem, farblosem Kernsaft erfüllt. Im ruhenden Kerne kommen stets kuglige, bei den Gewebszellen als Kernkörperchen (Nucleoli), im Kerne (Keimbläschen) der Eizellen als Keimflecke (Maculae germinativae) bezeichnete, im letzteren Falle besonders deutliche und ansehnliche, strukturlose Einschlüsse vor, deren Substanz als Paranuklein oder Pyrenin bezeichnet wird. Es handelt sich um temporär auftretende Produkte des Stoffwechsels. Das Pyrenin wird bei Behandlung mit Osmiumsäure stark lichtbrechend und färbt sich intensiv mit Eosin, Fuchsin und ammoniakalischen Farbstofflösungen. Zu Beginn der Teilung verschwinden die Kernkörperchen. Vielleicht findet ihre Substanz Verwendung zum Aufbau von neuem CÖhro- matin. Nach Ablauf des Teilungsprozesses treten sie wieder auf. Der wichtigste Bestandteil des Kernes jedoch ist die Chromatin- oder Nucleinsubstanz. Es handelt sich im ruhenden Kern um kleine, in großer Zahl dem Liningerüst eingelagerte Körnchen oder Stäbchen einer Substanz, welche Phosphorsäure enthält und eine große Verwandtschaft zu Farbstoffen besitzt, sich aber im Gegen- satz zum Pyrenin besser in sauren Farbstofflösungen tingiert als inammoniakalischen (basischen) und bei Ein- wirkung von Osmiumsäure verblaßt. Bei der mitotischen Teilung des Kernes, deren Haupt- phasen bereits in der Einleitung zu den Protozoen für unseren Zweck genügend ausführlich geschildert worden sind, verschwindet die chro- matische Substanz keineswegs, vielmehr reihen sich die Chromatin- körnchen zur Bildung einer bestimmten Anzahl meist v-förmig ge- stalteter Chromatinschleifen (Chromosomen, Chromatin- seemente) aneinander, die sich sodann der Länge nach spalten, wobei die eine Tochterhälfte einer Chromatinschleife dem einen, die andere dem anderen Tochterkern zugeteilt wird !). Bezüglich der chromatischen Substanz sollen hier nur andeutungs- weise einige wichtige Punkte angeführt werden. a) Die chromatische Substanz als Vererbungssub- stanz. Die spezifische Kernsubstanz — es ist die chromatische — wurde von einer Reihe der bedeutendsten Forscher (HAECKEL, WEIS- MANN, DE VRIES, OÖ. HERTWIG, BOVERI, STRASBURGER u. a.) als die ausschließliche oder doch als die hauptsächliche Vererbungssub- stanz betrachtet. Sie soll die erblichen Eigenschaften von der Mutter- zelle auf die Tochterzelle und durch die Fortpflanzungszellen die erblichen elterlichen Charaktere auf die Nachkommen übertragen. Diese Auffassung erhielt in der neuesten Zeit eine mächtige Stütze nament- lich durch die Entdeckung jener überraschenden Beziehungen zwischen den sogenannten Geschlechtschromosomen und den Erscheinungen der Geschlechtsbestimmung und geschlechtsbegrenzten Vererbung, 1) Im Gegensatz zu der herrschenden Ansicht, daß die Chromatinkörnchen den wichtigsten Bestandteil des Kernes bilden und daß sie die Chromosomen bilden, verlegt die Achromatinhypothese HAECKERs (1904—1907) den Schwerpunkt auf das aus Linin- oder Achromatinsubstanz bestehende, alveolär strukturierte Grundplasma des Kernes, aus dem die Chromosomen als lokale, stark färbbare (vorwiegend basophile) Verdichtungen entstehen sollen. Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 111 deren Erkenntnis wir hauptsächlich amerikanischen und englischen Forschern (WıLson und seine Schule, MORGAN, PUNNETT, BATESON, DONCASTER usw.) verdanken. Diese Forschungen scheinen zwingend zu ergeben, daß erbeinheitliche Anlagen (Gene oder Faktoren der modernen experimentellen Vererbungslehre), welche in den Gameten enthalten sein müssen und welche im sich entwickelnden Organismus das In-die-Erscheinung-treten erblicher Merkmale bedingen, an Chromo- somen gebunden oder in Chromosomen enthalten sind. Man stellt sich jetzt vor, daß diese Anlagen chemische Körper: Enzyme, Auto- katalysatoren, Antikatalysatoren oder ähnliches sind. b) Das Zahlengesetz der Chromosomen. Ausgedehnte Untersuchungen haben ergeben, daß sämtliche Zellen eines und des- selben Tieres bei ihrer mitotischen Teilung, in der noch ungeteilten Aequatorialplatte, dieselbe konstante Chromosomenzahl aufweisen, daß diese Zahl im allgemeinen auch für alle Individuen einer und derselben Art charakteristisch ist, daß aber die Chromosomenzahl bei den verschiedenen Tierarten außerordentlich verschieden sein kann. Die bevorzugten Zahlen sind diejenigen, welche dem Zweier- system: 2, 4, 8, 16, 32 oder dem gemischten Zweier- und Dreier- system: 6, 12, 18, 24 angehören. Die geringste Chromosomenzahl findet sich bei dem Pferdespulwurm Ascaris megalocephala CLoQ., einem nicht zum mindesten eben dieses Umstandes halber bevorzugten, geradezu klassisch gewordenen Untersuchungsobjekt. Die eine Varietät dieser Art (A. m. univalens BovErı) hat 2, die andere (A. m. bivalens BovErI) 4 Chromosomen. Der Mensch hat im männlichen Geschlecht 22, im weiblichen wahrscheinlich 24 Chro- mosomen. ec) Die Theorie der Individualität der ÖOhromosomen (BovEr1). Schon das Zahlengesetz der Chromosomen läßt vermuten, daß, wenn sich jeweilen bei einem Teilungsprozeß einer Metazoen- zelle immer wieder die nämliche Zahl von Chromosomen aus dem Chromatingerüst des „ruhenden‘‘ Kernes herausbildet, diese Heraus- bildung nicht regellos geschieht. Die regelmäßige, sorgfältige Längs- spaltung der Chromosomen bei der Teilung läßt ebenfalls erwarten, daß diesen Gebilden eine besonders bedeutungsvolle Selbständigkeit zukomme. Auch gewisse tatsächlich beobachtete Befunde weisen darauf hin, daß die Chromosomen beim Uebergang in den „ruhenden“ Zustand des Kernes sich nicht regellos in das Chromatingerüst auflösen und in ihm zerstreuen, sondern daß vielmehr ein jedes Chromosoma einen besonderen Kernbezirk bildet oder daß seine Be- standteile doch miteinander in einem engeren Zusammenhang ver- bleiben derart, daß, wenn die Zelle sich wiederum zu einer Teilung an- schickt, sich die zusammengehörigen Teile (die aus einem Chromosoma hervorgingen) zur Neubildung des Öhromosoma wieder zusammenfinden und zusammenziehen. Es käme also den Chromosomen eine besondere, derjenigen der Zelle untergeordnete Individualität zu: sie assimilieren, wachsen, entwickeln sich und pflanzen sich fort. Für die selbständige Individualität der Chromosomen spricht auch der von BovERrıI für Ascaris und Echiniden experimentell erbrachte Nachweis, daß eine abnorme Chromosomenzahl der Eier oder eines Blastomers, mag sie gegenüber der Norm erhöht oder herabgesetzt sein, sich unverändert durch alle Zellenfolgen sicher bis ins Gastrulastadium und wohl auch noch weiterhin erhält (Boverı 1905). Die Individualitätslehre der 112 ArnoLp Lang, Chromosomen, die sich immer mehr konsolidiert, ist von ihrem Be- gründer, BOvERI 1887, selbst in folgenden Worten zusammengefaßt worden: „Ich betrachte die sogenannten chromatischen Segmente oder Elemente als Individuen, ich möchte sagen elementarste Organismen, die in der Zelle ihre selbständige Existenz führen. Die Form der- selben, wie wir sie in den Mitosen finden, als Fäden oder Stäbchen, ist ihre typische Gestalt, ihre Ruheform, die je nach den Zellenarten, ja, je nach den verschiedenen Generationen derselben Zellenart, wechselt. Im sogenannten ruhenden Kern sind diese Gebilde im Zustand ihrer Tätigkeit. Bei der Kernrekonstruktion werden sie aktiv, sie senden feine Fortsätze, gleichsam Pseudopodien aus, die sich auf Kosten des Elements vergrößern und verästeln, bis das ganze Gebilde in dieses Gerüstwerk aufgelöst ist und sich zugleich so mit den in der nämlichen Weise umgewandelten übrigen verfilzt hat, daß wir in dem dadurch entstandenen Kernreticulum die einzelnen kon- stituierenden Elemente nicht mehr auseinanderhalten können.“ d) Die Zellkerne als Doppelkerne aus zwei Hälften (Gonomeren HAECKER) zusammengesetzt, von denen die eine vom väterlichen Organismus (vom Kern desSperma- tozoons), die andere vom mütterlichen Organismus (vom Kern des befruchtungsfähigen Eies) herrührt (van BeE- NEDEN, HÄCKER, RÜCKERT, CONKLIN u.a.). Ist die Theorie von der Individualität der Chromosomen richtig, so ergibt sich aus ihr in Verbindung mit dem Zahlengesetz und aus den Tatsachen der Reifungs- und Befruchtungslehre, daß eine Hälfte der Chromosomen der Zell- kerne eines Metazoenindividuums, das aus einer befruchteten Eizelle hervorgegangen ist, vom väterlichen, die andere Hälfte vom mütter- lichen „Elter“ herrühren muß. Denn der Kern des befruchteten Eies, von dem die Kerne aller Körperzellen durch fortgesetzte mitotische - Teilung abstammen, besteht aus den aneinandergelagerten Kernen des Spermatozoons und des Eies, in denen jeder nur die Hälfte der nor- malen Chromosomenzahl führte. Gewöhnlich ist die Selbständigkeit, die Autonomie der väterlichen und mütterlichen Kern- hälften oder Gonomeren nicht durch direkte Beobachtung nach- weisbar. In einigen Fällen aber, z. B. bei Copepoden (Fig. 31, S. 77) und bei der prosobranchiaten Schnecke Crepidula ist die Zweiteiligkeit bei der Entwickelung des Organismus aus dem befruchteten Ei kürzere oder längere Zeit in der Form und Struktur des ruhenden Kernes zu erkennen. Sie gibt sich oft, wenn sie sonst nicht mehr beobachtbar ist, in der symmetrischen Gruppierung der Nukleolarsubstanz zu er- kennen. Bei Copepoden ist die Autonomie der Gonomeren durch die ganze Entwickelung hindurch bis zu den neuen Urgeschlechtszellen durch HAECKER festgestellt worden. e) Qualitative Verschiedenheit, d.h. Ungleich on keit der Chromosomen. Gegenwärtig wird die nach vielen Richtungen hin bedeutungs- volle Frage untersucht und lebhaft diskutiert, ob die einzelnen Chromo- somen, resp. Ohromosomenpaare eines Kernes untereinander ungleich- wertie sind (BovErI) oder ob sie dieselben Qualitäten besitzen. Die chromatische Substanz als Vererbungssubstanz aufgefaßt, ist die Frage die, ob die Anlagen der für einen Organismus charakteristischen Merkmale (ihre Gene) auf verschiedene Chromosomen, resp. Chromo- Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 113 somenpaare verteilt oder ob sie samt und sonders in jedem einzelnen enthalten sind. Nach dieser Richtung hin und auch weil sie eine glänzende Bestätigung der Lehre von der Individualität der Chromo- somen sind, haben die Forschungsergebnisse über die Geschlechts- oder Heterochromosomen ein hervorragendes Interesse. Für die erste Phase in der Erkenntnis der in Frage stehenden Vorkomm- nisse mag die Untersuchung von SurTron (1900, 1902) über die Chromosomen von Brachystola magna (einer Heuschrecke) als besonders charakteristisch gelten (Fig. 57”—61). Bei dieser Tierform besitzen die Kerne (untersucht wurden in erster Linie diejenigen der Spermatogonien und Oogonien) 22 Chromosomen, die ungleich lang und dick sind, doch so, daß Chromosomen von exakt derselben Größe und Form nur je in einem Paar vorzukommen scheinen. In jeder Fig. 58. Fig. 59, Fig. 60. Fig. 57—61. Chromatinverhältnisse bei der Spermatogenese von Brachystola magna, nach SuTTOon, aus BOvErRI. Fig. 57. Sekundäre Spermatogonie im Ruhe- zustand. Das „akzessorische“ Chromosoma hat eine besondere Vakuole gebildet. Fig. 58, 59, 60. Teilungsstadien von Spermatogonien, in Fig. 58 das „akzessorische‘ Chromosoma nicht unterscheidbar. Arnold Lang, Handb, d. Morphologie. I. 8 114 Arnop Lang, (reneration treten wieder die nämlichen Paare von Chromosomen in unveränderter Zahl auf. Es existieren also offenbar 11 Paar Chromo- somenindividuen von verschiedener Größe und Form und sehr wahr- scheinlich ist von jedem Paar das eine Chromosoma väterlicher, das andere mütterlicher Herkunft. Neben den 22 paarigen Chromosomen fand nun SuTTon im männlichen Ge- schlecht noch ein 23. unpaares, so- genanntes akzessorisches Chro- mosoma, das sich in mancher Beziehung von allen übrigen ab- weichend verhält. Ein solches akzes- sorisches Chromosoma wurde sodann vielfach auch bei anderen Tier- Fig. 61. Spermatocyte 2. Ordnung formen, namentlich Insekten be- in Teilung. Haploide Tochtergruppe obachtet und es wurde festgestellt, von Chromosomen. daß es bei einer der beiden letzten (Reifungs-)Teilungen, die der Bil- dung der Spermatozoen vorausgehen, ungeteilt in die eine Tochter- zelle gelangt, so daß also nur die Hälfte der Spermatozoen und, da die Eier kein akzessorisches Chromosoma enthalten, nur die Hälfte der befruchteten Eier und damit höchst wahrscheinlich auch nur die Hälfte der Individuen der neuen Generation ein akzes- sorisches Chromosoma erhalten. Unnütz zu sagen, daß das- selbe alsobald zur Bildung der Geschlechter in Beziehung ge- setzt wurde (Mc CLune 1901, SurTrTon 1902, 1903). Die Untersuchungen, die besonders von MONTGOMERY, in aller- erster Linie aber von Epmunn B. WILson und seiner Schule, Miss STEVENS u. a. fortgesetzt wurden und für die vornehmlich gewisse Hemipteren (Wanzen) als Objekte dienten, ließen die Heterochromo- somen in einem anderen Lichte erscheinen. Wir begnügen uns mit der Darstellung des einfachsten Falles, den wir durch die Chromosomen- verhältnisse der Wanze Anasa tristis nach den Untersuchungen von Wırson illustrieren (Fig. 62). In den somatischen Zellen, und auch in den Oogonien der Weibchen dieser Wanze, existiert eine doppelte Chromosomengarnitur von 11 Paar Chromosomen (Fig. 62 ec, d). Unter den 22 Chromosomen zeichnet sich ein Paar — es ist hier zufällig das größte, in anderen Fällen aber nicht — durch ein besonderes hier nicht näher zu erörterndes Verhalten aus, es ist das Paar der Geschlechtschromosomen oder X-Chromosomen (Hetero- chromosomen, Idiochromosomen, Gonochromosomen). Im männlichen Geschlecht kommt in den somatischen Zellen und auch in den Spermatogonien (Fig. 62 @, db) nicht ein Paar solcher Geschlechts- oder X-Chromosomen vor, sondern nur ein unpaares X-Chromo- soma(h). Besitzt also das Weibchen 22 Chromosomen (darunter die beiden X-Chromosomen, so hat das Männchen nur 21 Chromosomen (weil ihm ein X-Chromosoma fehlt). Das unpaare X-Chromosoma des Männchens ist also nicht ein akzessorisches oder über- zähliges. Im Gegenteil, es fehlt dem Männchen ein X-Chromosoma, das dem Weibchen zukommt. In einer der Reifungsteilungen bei der Oogenesis trennen sich die beiden Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 115 X-Chromosomen der weiblichen Keimzellen. Jede Tochterzelle erhält so ein X-Chromosoma. Alle reifen befruchtungsfähigen Eier erhalten je ein X-Chromosoma, sie haben also alle im ganzen je 11 Chromo- somen (die reduzierte, halbe, „haploide* Chromosomenzahl). Die Weibchen sind homogametisch. Bei der Spermatogenesis dagegen hat das unpaare X-Chromosomain der Reifungs- t eilung (Reduktionsteilung) (Fig. 62 f), die jener Reifunes- b PrAHbR ? » Q Fig. 62. Doppelte Chromosomengarnitur von Anasa tristis, nach WILSON, aus HAECKER. a Chromosomengarnitur eines Spermatogoniums. b Die Chromosomen dieser Garnitur paarweise in Reihen angeordnet, h das ‚„akzessorische‘‘ Chromosom. ce Chromo- somengarnitur eines Oogoniums,. d Die Chromosomen dieser Garnitur paarweise in zwei Reihen einander gegenübergestellt. e Metaphase (Endstadium) der ersten Spermatocyten- teilung; reduzierte, haploide Chromosomengarnitur, / das größte bivalente Chromosoma, m das kleinste Chromosoma. f Anaphase der zweiten Teilung. 9, h Schwestergruppen aus der zweiten Teilung in Polansicht. teilung in der Oogenesis entspricht, bei der die beiden X-Chromosomen sich verabschieden, keinen Partner. Es gelangt in die eine Tochter- zelle, während die andere leer ausgeht. Mithin erhält nur die eine Hälfte der Spermatozoen ein X-Öhromosoma, der anderen fehlt es. Das männliche Geschlecht ist digametisch. + 116 ArxoLp Lang, Die eine Hälfte der männlichen Gameten erhält 11 Chromosomen (inkl. das X-Chromosoma), die andere Hälfte aber nur 10 Chromosomen (es fehlt ein X-Chromosoma). | (Bei anderen Tieren, z. B. bei Seeigeln nach BALTZER 1909, zeigt sich das umgekehrte Verhalten; das männliche Geschlecht ist hie homogametisch, das weibliche dagegen digametisch.) Bei der Befruchtung wird das Geschlecht — daran ist ein Zweifel kaum möglich — in folgender Weise bestimmt. Vereinigt sich mit einem Ei (es hat die Chromosomenzahl 11 inkl. das X-Chromosoma) ein Spermatozoon mit 11 Chromosomen inkl. ein X-Chromosoma, so ent- steht eine Zygote mit der vollen weiblichen Chromosomenzahl 22 (inkl. 2 X-Chromosomen). Aus einer solchen Zygote geht ein Weibchen hervor. Vereinigt sich dagegen mit einem Ei ein Spermatozoon mit der Uhromosonenzahl 10 (es fehlt das X-Chromo- soma), so entsteht eine Zygote mit der männlichen Ohromosonenzahl 21 (es fehlt ein X-Chromosoma). Aus einer solchen Zygote ent- steht ein Männchen. Es werden also ungefähr gleichviel Männchen und Weibchen gebildet, was ja dem gewöhnlichen, tatsächlichen Ver- halten entspricht. Bei anderen Arten fehlt in den somatischen Zellen und den Spermatogonien des Männchens das zweite X-Chromosoma nicht gänz- lich, sondern es ist, allerdings in geringerer Größe, als sogenanntes Y-Chromosoma, vorhanden. Man muß aber annehmen, daß dieses Y-Chromosoma nichts mit der Bestimmung des Geschlechts zu tun hat. Gewisse Fälle der geschlechtsbegrenzten Vererbung lassen sich nur erklären, werden aber dann restlos erklärt, wenn man annimmt, daß die Anlage der geschlechtsbegrenzten Merkmale (ihr Gen) in einem X-Chromosoma enthalten oder an ein solches X-Chromosoma gebunden ist. In den meisten Fällen ist sie an das unpaare X-Chromo- soma des digametischen Männchens gebunden oder in diesem enthalten. Man kann auch durch Vererbungsversuche nachweisen, daß die An- lagen gewisser anderer Merkmale nicht in den Geschlechts- (den X-)Chromosomen enthalten sind usw. So hat sich durch die Konkordanz der Forschungsresultate auf zwei scheinbar weit auseinanderliegenden Forschungsgebieten, der subtilen eytologischen Beobachtung einerseits und der experimentellen Vererbungslehre anderseits eine verheißungsvolle Perspektive auf eine zukünftige Lösung wichtigster biologischer Probleme eröffnet. Die Vererbungsexperimente zeigen jedenfalls, daß die Chromosomen in gewissen Fällen qualitativ verschieden sind. In anderen Fällen mögen sie ganz oder teilweise übereinstimmende Erblichkeitsfaktoren ent- halten. f) Form des Kerns. Die gewöhnliche Form des Zellkerns ist die kuglige oder ellipsoidische, und zwar die eines kugligen oder ellipsoidischen Bläschens. Doch gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Bemerkenswert sind die verästelten Zellkerne, die namentlich in Drüsenzellen von Arthropoden vorkommen (gewisse Drüsenzellen bei der Krebsgattung Phronima (Fig. 65), Drüsenzellen von Speichel- und Spinndrüsen, auch der MaALrIGHIschen Gefäße von Insekten). Unregelmäßig konturierte oder gelappte Zellkerne kommen auch bei gewissen Formen von Lymphkörperchen (Lymphocyten, Leukocyten) vor (Fig. 64). Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 117 Fig. 63. A Ein Stück vom siebenten Bein einer jungen Phronima von 5 mm Länge. Vergr. 90. B Ein Stück des sechsten Beines einer halb erwachsenen Phronimella. Vergr. 90. C Eine Zellgruppe der Drüse im sechsten Bein von Phronimella. Nur in zwei Zellen ist der Kern eingezeichnet. Vergr. 90. Nach PAUL MAYER aus KORSCHELT. Fig. 64. Leukocyten von Säugetieren und Amphibien mit verschieden gestalteten Kernen. A Spezialgranulierter Leukocyt von Säugern, aus dem strömenden Blut, ge- lappte Hufeisenform des Kerns. B und C Acidophile Leukocyten in amöboider Bewegung aus normalem, strömendem Blut des Menschen. D S-Form (wie A). E Schleifenform. F Mastleukoeyt aus leukämischem Blute des Menschen, Kern stark und unregelmäßig zerklüftet. G Spezialgranulierter Leukocyt aus dem Mundspeichel des Menschen, vierfach gelappte S-Form des Kerns, H Acidophiler Leukocyt aus dem Blute einer alten Kröte. I Lymphzelle aus dem Blute des Menschen in amöboider Bewegung, sogenannter großer mononukleärer Leukocyt. Nach FRANZ WEIDENREICH, 1911. 118 ARNoLD Lang, g) Zahl der Kerne. Als Regel gilt, daß die Metazoenzelle nur einen einzigen Kern besitzt. Doch gibt es auch mehr- bis viel- kernige Zellen. Diese sind oft auf frühen Stadien einkernig und kommen dann so zustande, daß beim Wachstum des Zelleibes der Kern sich sukzessive teilt, während der Zelleib ungeteilt bleibt. Die Vielkernigkeit dürfte in manchen Fällen damit zusammenhängen, daß der Kern über eine protoplasmatische Einflußsphäre von bestimmter Größe verfügt. In dem Maße als der Zelleib über diese Größe hinaus wächst, bedarf es einer Vermehrung der Kerne und Verteilung der- selben im Zelleib. Der Kern und der unter seinem Einfluß stehende Protoplasmabezirk lassen sich zusammen als eine funktionelle Einheit auffassen und wie in der Botanik (Sacas) als eine Energide be- zeichnen. Mehrkernige Zellen wären nach dieser Auffassung aus so vielen untergeordneten funktionellen Einheiten, Energiden, zusammen- gesetzt, als Kerne in ihnen vorkommen. Die Vermehrung des Kernes mag daneben vielfach auch bloß eine Verstärkung seines Ein- flusses auf das Cytoplasma bedeuten. Zu den mehrkernigen Zellen gehören gewisse Formen von Leuko- cyten (farblosen Blutkörperchen), z. B. die Eiterkörperchen, ferner die Myeloplaxen oder OÖsteoklasten, die bei den zur Zeit der Entwickelung der Knochen stattfindenden Resorptionsprozessen von Knochensubstanz wahrscheinlich eine Rolle spielen, die Riesen- zellen des Knochenmarks, welche wohl auch als stark vergrößerte Leukocyten aufzufassen sind, die bindegewebigen Riesenzellen in der Decidua der Säugetiere usw. Auch viele Formen von Muskelzellen, besonders die typischen quergestreiften Muskelfasern, gehören hierher. In einigen Fällen, z. B. bei gewissen Leukocyten und verwandten Zellformen, handelt es sich wohl in Wirklichkeit nicht um multiple Kerne, sondern um gelappte Kerne (Fig. 64), bei denen der Kern aus zwei oder mehreren Teilstücken besteht, die aber miteinander durch kürzere oder längere Fäden verbunden bleiben. Den mehrkernigen Zellen gegenüber, die durch Vermehrung der Kerne im wachsenden, ungeteilten Cytoplasma einer Zelle entstehen, kann man als Syncytien (HAEcKEL) Protoplasmahäute oder Proto- plasmamassen mit eingestreuten Kernen gegenüberstellen, die durch Verschmelzen, Zusammenfließen anfänglich getrennter Zellen ent- stehen. Eine scharfe Unterscheidung ist insofern nicht möglich, als zweifellos auch in den Syncytien eine weitere Kernvermehrung bei stets ungeteilt bleibendem protoplasmatischen Substrat ein- treten kann. h) Amitotische oder direkte Kernteilung. Oben wurde gesagt, daß die mitotische Teilung der Kerne der Metazoenzellen durchaus die Regel ist. Allein es kommt auch als Ausnahme direkte Kernteilung vor. Im allgemeinen dürfte der Satz wohl begründet sein (er gilt indes nicht ausnahmslos), daß die direkte Zellteilung nur beiElementen vorkommt, die nach wenigen Genera- tionen absterben werden. Man könnte sie also als eine mit Bezug auf Zellgenerationen senile Erscheinung bezeichnen. Beispiele: Die Blutzellen pflegen sich in frühen Generationen durch mitotische Teilung zu vermehren, während ihre letzten Teilungen wohl immer amitotisch verlaufen. Oogonien und Spermatogonien teilen sich stets mitotisch, während bei Follikelzellen und Nährzellen direkte Kern- Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 119 teilung vielfach beobachtet wird. Die Kerne der mehrkernigen Zellen entstehen wohl immer durch direkte Kernteilung. i) Die funktionelle Bedeutung des Zellkerns. Nach zahl- reichen Untersuchungen, die auf zoologischem Gebiete von KORSCHELT (1889) inauguriert worden sind, läßt sich nicht daran zweifeln, daß der Kern einen wichtigen Einfluß auf die formative und vegetative, besonders die resorbierende und sezernierende Tätigkeit des Proto- plasmas ausübt. In seiner unmittelbaren Umgebung ist die Tätigkeit des Protoplasmas am größten. In gewissen Fällen wird eine Lage- veränderung des Kernes in der Zelle beobachtet, zum Zwecke, das Protoplasma an einer bestimmten Stelle zur Bildung oder Aufnahme bestimmter Substanzen anzuregen. Oder es erhöht der Kern seinen Reiz, der mit Fermentwirkung verglichen werden Kann, dadurch, daß er sich vergrößert, sich verästelt, daß er sich teilt, wobei die Teil- stücke sich im Protoplasma verbreiten, oder dadurch, daß er durch Ausstrecken amöboider oder pseudopodienartiger Fortsätze nach be- \e a Fe ——T — Hrn! u Buch De Hd SU u Fig. 65. A Teil des Genitalbandes. B Ei mit ‚‚Zellenkrone“ von Pelagia (nach CLAus und OÖ. und R. HERTWIG aus KORSCHELT und HEIDER). En Darmepithel, En’ parietales, Zn’ viscerales Epithel des Genitalsinus ($), En und En” bilden die Gonadenwand. stimmten Richtungen lebhaft tätige Bildungsherde schafft. Auch der Austritt geformter Chromatinbestandteile aus dem Kern in das Proto- plasma ist beobachtet worden und der gelegentliche oder regelmäßige en ET Paranukleinsubstanz aus dem Kern ist sehr wahr- scheinlich. Beispiele. «) Ernährung der Eier von Pelagia (Meduse) (Fig. 65). Die reifenden Eier liegen einer Epithellamelle der Genitalfalte dicht an. An dieser Stelle ist das Epithel auffällig polsterartig erhöht und verdickt, eine Einrichtung, die zweifellos zur Ernährung der Eier in Be- ziehung steht. Der Kern (Keimbläschen) des Eies liegt in diesem ganz exzentrisch, dicht unter der an das Epithelpolster grenzenden Oberfläche, also an die Nahrungsquelle gerückt. 120 ArNoLD Lang, ß) Eiröhren von Insekten (Fig. 66—68). In den Ovarialröhren zahlreicher Insekten alternieren Eifächer (die ein heranwachsendes, ent- wickelungsfähiges Ei enthalten) mit Nährfächern (welche Nährzellen [Dotterzellen] in der Ein- oder Mehr- zahl enthalten). Anfänglich sind die Nährzellen, in denen die großen Kerne, welche oft eine exguisit ver- 5 PFEIRKRATERERT a . RE = TH ae . I: AR EEE “ ee er ER REATE x “ © Fig. 67. Fig. 66. Eiröhre von Forficula auricularia im Längsdurchschnitt. ei Ooeyte (umgeben vom Follikelepithel), %bl Kern (Keimbläschen), nz Nährzelle (nach KORSCHELT und HEIDER). Fig. 67. Ei- und Nährfach der Eiröhre von Vanessa urticae. ep Ovarial- (Follikel-)Epithel, %k Kerne der Nährzellen (nz), kbl Kern (Keimbläschen)»der Eizelle, v Verbindungsstrang zwischen zwei Fächern (nach KORSCHELT und HEIDER). Fig. 68. Eiröhre von Dytiscus. ef’, ef” Eifächer, nf Nährfach (nach KORSCHELT, aus HAECKER). ästelte Gestalt annehmen, eine sezernierende Tätigkeit des Protoplasmas erkennen lassen, größer als die Eizellen. Letztere, die Eizellen, werden aber bald’ größer als die ersteren, indem sie auf Kosten der Nähr- substanzen der Dotterzellen wachsen. Dabei schmiegt sich der exzentrisch Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 121 gelagerte Kern oft recht innig dem Nährfache an. Oft wandern die in den Nährzellen erzeugten ernährenden Sekrete direkt in das Proto- plasma der Eizelle hinüber, dessen Keimbläschen dieser Nahrungsquelle amöboide Fortsätze entgegenschickt. y) Während der Dotterbildung im Ei von Pholceus phalangioides (Spinne) zeigt nach van Bawsere (1897) das Keim- bläschen amöboide Beweglichkeit. Dabei läßt sich beobachten, daß die Fig. 69. Kern (Keimbläschen) mit umgebendem Cytoplasma während der Bildung des Dotters, von Pholcus phalangioides (nach CH. van BAMBEKE aus KORSCHELT und HEIDER). Pseudopodien besonders lang und besonders zahlreich nach einem Cyto- plasmabezirk ausgestreckt werden, wo besonders zahlreiche Fettkörnchen vorkommen (Fig. 69). 6) Die Eistrahlen von Ranatra linearisL.(Wasserwanze) (Fig. 70). Das Ei von Ranatra linearis ist durch zwei lange, als Ei- strahlen bezeichnete Fortsätze seiner chitinigen Schale, des sogenannten Chorion, ausgezeichnet (Fig. 7T0A). In der Achse des Strahles und an dessen Spitze ist das Chitin porös, schwammig, und diese poröse Achsen- substanz setzt sich in eine innere, ebenfalls poröse Lage des Ohorions fort. Vermöge dieser Beschaffenheit dienen die Strahlen als Luftkanäle, welche dem in Pflanzenstengel eingesenkten Ei Luft zuführen. Das Chorion wird als eine Öuticularbildung vom Follikelepithel der Ovarialröhre ab- geschieden. Die Bildung seiner beiden „Strahlen“ aber erfolgt in folgender Weise. Seitlich am oberen Pole des Follikels einer Eikammer kommt durch starke Vermehrung und intensives Wachstum der Epithel- zellen ein Zellenhöcker zustande, welcher als konisch geformter Aufsatz hervorwächst (Fig. 70 Bl). Am Grunde dieses Aufsatzes vergrößern sich zwei Paar Zellen und bilden, indem die beiden Zellen eines Paares miteinander verschmelzen, zwei Doppelzellen, in denen aber die Kerne getrennt bleiben (Fig.70 C 5 D). Diese beiden Zellen wachsen sodann enorm und er- reichen eine Länge von 1,3 mm. Die Kerne bilden an ihrer nach innen gekehrten Seite längere oder kürzere Fortsätze (Pseudopodien). In dem Raum zwischen diesen Fortsätzen der beiden Kerne der Doppelzelle findet die Bildung der spongiösen Chitinachse des Strahles statt. Diese beginnt 122 ArnoLp Lang, dicht am Chorion, mit dem die Chitinmasse des Strahles gleich bei der ersten Anlage verschmilzt. Im weiteren Verlauf der Strahlenbildung wird die immer mehr auswachsende Doppelzelle teils von dem von ihr selbst abgesonderten, sich verlängernden Chitinzapfen, teils durch die - a Nu 7. N . 3 [} N Fig. 70. A Ei von Ranatra linearis mit den beiden Eistrahlen. B Teil eines Längsschnittes einer Eiröhre von Ranatra. Die Doppelzellen an den größeren Eikammern gut sichtbar. Ihre Kerne mit den pseudopodienartigen Fortsätzen sind dunkel gehalten. 1 konischer Aufsatz der Eikammern, in welchem die Doppelkerne liegen, 2 Follikel- epithel, 3 Eizellen, 4 Kerne derselben (Keimbläschen). C Längsschnitt eines Aufsatzes, in dem die bereits zum Teil ausgebildeten beiden Eistrahlen (6) liegen. Mit ihrem oberen Ende befinden sich die Strahlen innerhalb der Doppelzellen und zwischen je zwei großen Kernen (5). 9 Eidotter. D Querschnitt einer Doppelzelle mit dem Chitinstrahl (6) zwischen den beiden Riesenkernen. E Teil eines Längsschnittes vom oberen Pol des Follikels. Nach innen von der epithelialen Wandung (2) des letzteren erkennt man die verschiedenen Schichten der Eischale: die äußere zuletzt entstandene Leistenschicht (7), darauf die dieke von Porenkanälen durchsetzte, im übrigen aber homogene Schicht (8) (schwarz dargestellt) und schließlich die innere, schwammig poröse Schicht (6) (dunkel und punktiert) des Chorions. Nach EUGEN KORSCHELT, 1887, zum Teil (unwesentlich) verändert. Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 123 vorwachsende Zellenscheide des Follikelepithels, welche ihrerseits die äußere homogene Chitinschicht des Strahles bildet, in die Höhe gehoben und so kommt es, daß die eine Doppelzelle die gesamte innere Partie des einen Strahles zu bilden vermag, auch wenn sie dessen Länge nicht erreicht. Die Beziehungen des Kernes zu der Funktion des Protoplasmas, Chitin von bestimmter Struktur und Form zu erzeugen, oder sich in dasselbe umzubilden, sind hier besonders augenfällig. Die Kernfortsätze erhalten sich so lange, als neues Chitin zwischen ihnen zur Verlängerung der Strahlen ge- bildet wird. Mit den skizzierten Anschauungen über die funktionelle Be- deutung des Zellkernes verträgt sich auch ganz gut die uns schon ————— Fig. 71. Stück von der Oberfläche eines jungen Pluteus von Echinus micro- tuberculatus, aus einem kernhaltigen Eifragment gezüchtet. Nach BOverı. Fig. 72. Desgleichen von den gleichen Eltern, aus einem kernlosen Eifragment. Nach Boverı. bekannte wohlbegründete Ansicht, zu der man auf ganz anderem Wege gelangte, daß der wichtigste Inhaltsbestandteil des Kernes, das Öhromatin, Träger der erblichen Eigenschaften ist 124 Arnoup Lang, oder die Vererbungssubstanzen enthält. Auf diese oder jene Weise, nach der Hypothese von DE VRIES (1899) durch Ausscheidung und Austritt stofflicher Teilchen muß das Chromatin dem umgebenden Protoplasma einen bestimmten Charakter aufprägen, einen bestimmten formativen Einfluß auf dasselbe ausüben. k) Bedeutungsvoll sind auch die Resultate neuerer Untersuchungen über die „Beziehungen zwischen Chromosomenzahl, Kern- größe und Zellgröße. Ich erwähne zunächst diejenigen von BOVERI (1905), die an Larven von Seeigeln angestellt worden sind, welche sich aus Eiern oder Blastomeren mit abnormer UÜhromosomenzahl ent- wickelten. Die Chromosomen bewahren dabei ihr typisches Volumen, die Kerne mit verminderter Chromosomenzahl sind aber entsprechend kleiner, die mit erhöhter entsprechend größer (Fig. 71—74), und zwar Fig. 73. Fig. 73. Normale Gastrula von Strongylocentrotus lividus, vom animalen (aboralen) Pol gesehen. Nach BOVErı. Fig. 74. Gileichalterige Gastrula von den gleichen Eltern, nach experimentell er- zeugter Verdoppelung der im befruchteten Ei vorhandenen Chromosomenzahl. Nach BOVERI. ist die Kernoberfläche der Chromosomenzahl direkt proportional. Auch die Größe der Larvenzellen ist eine Funktion der in ihnen enthaltenen Chromatinmenge, und zwar ist das Zell- volumen der CGhromosomenzahl direkt proportional. Die Zahl der Larvenzellen ist der in ihnen enthaltenen Chromatin- menge (Chromosomenzahl) umgekehrt proportional. Ueber die Rolle des Zellkerns, die Beziehungen zwischen Größe des Kerns und Größe der Zelle ete. im Pflanzenreich, vgl. die Arbeiten von HABERLANnDT (1887), STRASBURGER (1893), GERASSIMOW (1902, 1904). Auf die Beziehungen zwischen Menge des Protoplasmas und Größe des Kerns bei tierischen Gewebszellen hatte früher schon besonders OÖ. HerrwıG (1893) hingewiesen. Mit diesen neuen Ermittelungen stimmt die alte Erfahrung überein, daß im allgemeinen kleine Zellen kleine Kerne, große Zellen große Kerne besitzen. Die Oocyten (unreifen Eier) und ge- wisse Ganglienzellen gehören zu den größten Zellen des Metazoen- körpers. Sie haben auch entsprechend große Kerne. Das Massen- Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 125 k verhältnis zwischen Kern und Protoplasma, den nen nennt R. HErRTwIG (1902) die Kern-Plasmarelation. Diese Kern- Plasmarelation scheint für jede Tierart eine bestimmte, normierte, spezifische zu sein. R. HERTwIG und seine Schüler messen ihr eine sehr große Bedeutung bei. Eine Aenderung der Größe des = Faktors, das Eintreten eines Mißverhältnisses zwischen der Masse der Kernsubstanz und der Menge des Protoplasmas bedingen Verände- rungen in allen vom Kerne abhängigen Lebensvorgängen der Zellen, sie beeinflussen Assimilation und organisierende Tätigkeit, ebenso gut wie Wachstum und Teilung der Zelle. Werden z. B. Protozoen reichlich gefüttert, so nimmt die Kernsubstanz, verglichen mit der Cytoplasmasubstanz, an Menge stärker zu, der Quotient — vergrößert sich. Die Folge davon ist, daß sich die Teilung verlang- samt und daß schließlich bei übermäßiger Vermehrung der Kern- substanz tiefgreifende Störungen des Lebensprozesses (Depressions- perioden) eintreten, welche den Tod zur Folge haben können. Fig. 75. Fig. 75. Chromidialmasse (Chr) in der Ooceyte von Paludina vivipara. Nach POPOrFrF, 1907. Fig. 76. Umgebung des Kerns einer Flächenzelle des Oesophagus von Ascaris lumbricoides. Der Kern liegt in einer dicht von verschlungenen Chromidialfäden erfüllten Plasmazone. Links ein Muskelfibrillenbündel mit dicken Chromidialsträngen. Nach RICHARD GOLDSCHMIDT, 1904. Fig. 76. „Derartige Tiere resp. Zellen können dann zu normaler Lebenstätig- keit zurückkehren, wenn die Kernmasse verkleinert wird.“ R. HERTWIG macht Veränderungen in der Kernplasmarelation auch für die Be- stimmung des Geschlechtes verantwortlich. l) Chromidien. Chromidialapparat. R. Hrrrwıs fand bei Protozoen im Cytoplasma, also außerhalb des Kernes, körnige oder fädige Einschlüsse, die bisweilen netzförmig verbunden sind und sich 126 Arnoup Lang, Farbstofflösungen gegenüber genau so verhalten, wie seewöhnliches Kernchromatin. Diese Einschlüsse nannte er Uhromidien. Er konnte sowohl ihre Entstehung aus dem Kern als auch ihre Umbildung zu Kernen beobachten. Für die Metazoen hat vornehmlich GOLDSCHMIDT das Vorkommen solcher extranukleärer Chromidialapparate nachgewiesen. Fig. 75 Chr zeigt eine solche aus Chromatinkörnchen und -stäbchen bestehende Chromidialmasse in einer Oocyte der Schnecke, Paludina vivipara, während Fig. 76 eine Muskelzelle aus dem Schlunde des Men- schenspulwurmes, A s- caris lumbrico- ides, darstellt, in | deren Cytoplasma in Alt > ‘ der Nachbarschaft des | u fr /» Kerns extranukleäres la el] ff Chromatin in Form FT Pi. | von meist stark ge- | | wundenen „Chro- midialsträngen“ reichlich entwickelt ist. Im Vergleich zur re- lativ gewaltigen Größe der Zelle, die in der Fig. 76 nur teilweise dargestellt ist, ist der Kern klein. Die ge- ringe Menge nukleärer Chromatinsubstanz scheint durch die reich- liche Bildung extra- nukleärer Chromidial- substanz kompensiert zu sein. Die Fig. 77 zeigt uns in sehr in- struktiver Weise die Chromidien (Tropho- ehr DapBBBEENED 7. [7 SINN HN PERRTITLERERT \\NAY | ER \ \ I AN) \ \\ I I 1 Fig. 77. _Lebergang- zellen von Helix pomatia. Schnitt quer durch den Lebergang, senkrecht zu dessen Längsachse. Cilien mit Basalkörnern und Wurzel- fasern. Nach HUBERT ER- HARD, 1910. spongien, HOoLMGREn) in den Lebergangzellen der Weinberg- schnecke, Helix pomatia. In den Zellen a, db und d sieht man die zu unregelmäßigen, knorrigen Strängen verschmolzene, zu Kügelchen verquollene Chromatinsubstanz des Kerns im Begriffe, als Chromidium aus dem bläschenförmigen Kern auszutreten. In der Zelle f ist ein extranukleäres Chromidium fertig gebildet. Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 127 3) Das Zentralkörperchen oder Centrosoma (Fig. 14, S. 66; Fig. 16 A, S. 68). Dieser Zellbestandteil ist seit ca. 30 Jahren bekannt. Trotzdem ihm eine stets wachsende Aufmerksamkeit zu- gewendet wurde, ist man zurzeit noch weit von einer allgemein anerkannten morphologisch-physiologischen Definition des Gebildes entfernt, und es ist nichts weniger als sicher, ob alle als Zentral- körperchen (Centrosomen) beschriebenen Gebilde ein und dasselbe Örganell darstellen. Unter dem Vorbehalt, daß das meiste noch un- sicher ist, wollen wir eine Charakteristik in folgender Weise versuchen. Das Centrosoma ist ein homogenes oder überaus feinschaumig strukturiertes, winzig kleines, kugeliges Gebilde, welches sich mit den Chromatin- und Paranukleinfärbungsmitteln gar nicht oder wenig färbt und ein mit gewissen Färbungsmitteln intensiv färbbares kleinstes Körnchen, das Centriolum, enthält. Es ist von einem Hof einer besonderen, Archoplasma genannten Cytoplasmasubstanz umgeben, die bei der Teilung der Zelle die Strahlungszone bildet. Bisweilen ist es von dem Ärchoplasma nicht scharf abgesetzt, und dann bezeichnet . man den das Üentriol umgebenden, dem Centrosoma gleichwertigen Hof von homogenem Protoplasma als Centroplasma (BoveErı). Es liegt im ruhenden Zustand des Kernes diesem gewöhnlich dicht an oder findet sich sogar in einer kleinen Einbuchtung desselben, seltener in seinem Inneren. Bei der Teilung der Zelle teilt sich zuerst das Centriolum, sodann auch das Centrosoma selbst. Diese Teilung erfolgt sehr frühzeitig, schon während der Ruheperiode des Kerns, gewissermaßen einen Bereitschaftszustand für die Teilung her- stellend (Diplosoma). Als Centrosomen wurden vielfach auch die Basalkörper der Cilien und Flagellen (Fig. 77, 78, 79) gedeutet, kleine Körnchen Fig. 78. Flimmerzellen und flimmerlose Zellen, letztere mit oberflächlich gelegenen Zentren (Diplosomen) vom Nebenhoden des Kaninchens. Nach VON LENHOSSEK aus HEIDENHAIN. (Granula), die in.der Einzahl oder Zweizahl an der in die oberflächliche Plasmaschicht von Epithelzellen eingepflanzten Basis eines jeden Wimperhaares und eines jeden Geißelhaares weit verbreitet vorkommen. Wenn sich zwei solche Basalkörner an der Cilien- oder Flagellenbasis finden, so liegen beide übereinander (ihre ideelle Verbindungslinie steht senkrecht auf dem cilientragenden Zellplateau). Jede Zelle hat also so viele Basalkörper oder Paare solcher, als sie bewegliche Fort- 128 ArnoLp Lang, sätze, Cilien oder Flagellen, besitzt. Von jedem Basalkorn zieht ein Faden, eine Plasmafibrille, gleichsam eine intracelluläre Fortsetzung der Cilien und Flagellen in den Zelleib hinein, am Zellkern vorbei bis zur Zellbasis verlaufend und sich sukzessive mit den benach- barten Fibrillen zu einem Faser- oder Fibrillenkonus vereinigend, den man als EnGELMANNschen Kegel bezeichnet hat. Diese Fäden werden rein mechanisch als Haftwurzeln, zum Teil auch als Ernährungs- und Reizbahnen gedeutet. Die Auffassung der Basal- körper als Centrosomen schien durch die Tatsache gestützt, daß bei den beweglichen Sper- matozoen das sogenannte Zwischenstück zwischen Kopf(Kern) und Schwanz- faden (Flagellum) ein wirkliches Centrosoma darstellt oder ein solches enthält (Figg 16, 17235 S. 68 u. 69). Auch an der Basis von Pseudopodien wurden den Basalkörnern der Cilien ent- sprechende Körperchen be- obachtet. Gegen die Auf- fassung der Basalkörner als mit . Gentrosomen vergleichbarer Ge- bilde sprechen neue Beobach- tungen (WALLENGREN, GUT- HEIL u. a.), nach welchen in Wimperzelen neben den Basalkörpern ein echtes Centrosoma (mit Doppel- centriol=Diplosomoa) vorkommt, das der Tei- lung der Zelle vorsteht. p 97 Fig. 79. Drei Flimmerzellen aus den Lebergängen von Helix hortensis. Nach M. HEIDENHAIN. Die funktionelle Bedeutung der Zentralkörperchen. Das Verhalten des Uentrosoma bei den Vorgängen der mitotischen Zellteilung weist deutlich darauf hin, daß es die diese Vorgänge begleitenden Bewegungserscheinungen der verschiedenen Zell- bestandteile dirigiert. Das Vorkommen und die Lage von Üen- trosomen oder centrosomenähnlichen Basalkörnern an der Basis der Cilien, Flagellen, Pseudopodien und Schwanzfäden der Spermatozoen, die Lage des Uentrosoma in Drüsenzellen zwischen dem Kern und dem angehäuften, durch Kontraktion des umgebenden Cytoplasmas zu entleerenden Drüsensekret, haben dazu geführt, diese Auffassung zu erweitern und das ÖUentrosoma für ein motorisches Zentrum zu halten, welches die Bewegungen des Cytoplasmas im allgemeinen und diejenigen der speziellen motorischen Organellen im besonderen beherrscht und leitet, für ein kinetisches, energetisches oder - Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 129 dynamisches Zentrum. Es wäre verfrüht, diese Auffassung in ihrem ganzen Umfang für eine sicher begründete zu halten. Für die Basalkörner der Cilien, deren Vergleichbarkeit mit Centrosomen, wie oben bemerkt, allerdings mehr als zweifelhaft ist, wird sie direkt be- stritten. HEIDENHAIN beispielsweise hält die Bedeutung dieser Basalkörner als kontraktiles Agens oder als kinetisches Zentrum für ausgeschlossen und betrachtet sie eher 1) als Stütz- und Befestigungs- apparat der Cilien und 2) als Reservenahrung für den intensiven Stoffwechsel dieser lebhaft tätigen Organellen. Sehr stark abweichende Ansichten über den Aufbau und den Chemis- mus der verschiedenen Zellbestandteile, namentlich über das Oentrosoma, die Kernmembran (die als selbständiges Gebilde gar nicht existieren soll), die chromatische Substanz, den Nucleolus usw., hat in letzter Zeit (1910, 1911) STAUFFACHER zu begründen versucht. Die Stellungnahme der cytologischen Forschung zu diesen neuen Auffassungen, die in einigen Punkten an Harckers Achromatinhypothese anklingen, bleibt vorerst noch abzuwarten. B. Protozoen und Metazoen. Den Protozoen oder Urtieren stellt man mit HAECKEL heute allgemein das gewaltige Heer aller übrigen Tiere als Metazoen gegenüber. Während die Protozoen selbständig lebende tierische Zellen, anders ausgedrückt, einzellige Tiere, oder zusammenhängende (Gre- sellschaften, sogenannte Kolonien lauter gleichartiger einzelliger Tiere sind, stellen die Metazoen kompliziertere Verbände mehr oder weniger unselbständiger einzelliger Tiere (tierischer Zellen) dar. Bei den Protozoenkolonien oder, was dasselbe sagen will, bei den mehrzelligen Protozoen ist der Zusammenhang der einzelnen Zellindividuen physiologisch (in Ansehung der Lebensverrichtungen) und morphologisch (mit Rücksicht auf die körperlichen Beziehungen) ein lockerer. Die Zellindividuen sind etwa durch Fortsätze ihres Zellkörpers miteinander verbunden, oder durch eine gemeinsam abgeschiedene, oft gallertige Masse zusammengehalten. ‘Im übrigen übt jedes Zell- individuum auf eigene Rechnung alle Funktionen des Lebens aus, es sichert sich Nahrung, verdaut sie, assimiliert die verdaute Nahrung, reagiert auf erhaltene äußere Reize, wächst und pflanzt sich fort. Es gibt höchstens bei Ueberfluß verdaute oder unverdaute Nahrung an die Nachbarzellen ab. Ein jedes solches Individuum könnte sich oder kann sich aus dem Verbande loslösen oder kann durch experi- mentellen Eingriff künstlich abgelöst werden, ohne daß dadurch die Existenzfähigkeit des losgelösten Zellindividuums einerseits, des Zell- verbandes von dem die Loslösung erfolgte, andererseits, im wesent- lichen beeinträchtigt würde. Anders liegen die Dinge bei den Zellverbänden, die uns als Metazoenleiber entgegentreten. Hier herrscht das Prinzip der Arbeitsteilung. Die zahlreichen Zellindividuen teilen sich in die für das Leben notwendigen Funktionen derart, daß eine Sorte von Zellen diese, eine andere jene Verrichtungen im gemeinsamen Arnold Lang, Handb, d. Morphologie. II. 9 130 ARNOLD Lang, Lebenshaushalt übernimmt, wobei jede Zelle ihre Organisation in der ihrer besonderen Aufgabe adäquaten Weise entfaltet. Wir haben es mit Verbänden zu tun, in denen ungleichartige Zellen vorkommen, in denen unter den Zellindividuen Polymorphismus herrscht. Die Arbeitsteilung in Verbindung mit dem Polymorphismus ermöglicht einerseits eine erhöhte Leistungsfähigkeit eines jeden Individuums für den besonderen Zweck, dem es dient, für den es „Spezialist“ ist, andererseits aber zieht sie notwendig eine mehr oder weniger weit- gehende Unselbständigkeit der polymorphen, spezialisierten Individuen voneinander und von der (esamtheit nach sich und die Gesamtheit ihrerseits wird in ihrer Lebensfähigkeit von der Existenz und der Leistungsfähigkeit der zusammenwirkenden Spezialisten abhängig. Es ist einleuchtend, daß bei physiologischer Arbeitsteilung und Speziali- sierung und morphologischer Vielfältigkeit der Zellindividuen eines Verbandes dieser nur bei geordnetem Zusammenwirken sich erhalten konnte und kann. Durch alle diese Faktoren, Arbeitsteilung, Spezialisierung, Polymorphismus und harmonisches Znsammenwirken der Elemente auf Grundlage einer zweckmäßigen, im Gleichgewicht befindlichen Organisation erhebt sich die Zellkolonie auf die höhere Stufe eines Zellenstaates, der einzellige Protozoen- organismus ordnet sich einem höheren Verband, dem Metazoen- organismus unter, es entsteht eine neue höhere Stufe der Indi- vidualität, das Metazoenindividuum. In der Tat können wir die wohlgeordneten Staatsverbände, die uns in der Form von Metazoenindividuen, von einzelnen Würmern, Krebsen, Schnecken, Fischen etc. entgegentreten, keiner Kategorie spezialisierter Zellen (Individuen niederer Ordnung) berauben, ohne sowohl diese isolierten, unselbständigen, abhängigen Zellen dem Untergange preiszugeben, als auch den Verband, dem sie entnommen wurden, zu gefährden oder gar zu zerstören. Der Grad der Arbeitsteilung, der Spezialisierung und der zweck- mäßigen Anordnung im Dienste harmonischen Zusammenwirkens und in Verbindung mit einem anderen Hauptfaktor, dem Maße der Spar- samkeit, bildet ein Kriterium der, ich möchte sagen, absoluten Vollkommenheit eines Organismus, während man das Maß, in dem ein Organismus den gegebenen durchschnittlichen Verhältnissen, in denen er lebt, angepaßt ist, als Kriterium der relativen Voll- kommenheit verwenden kann. Wenn wir uns, von der Annahme ausgehend, daß die Metazoen von Protozoenkolonien abstammen, fragen, in welcher Weise sich wohl die erste, älteste Arbeitsteilung innerhalb von Protozoenkolonien geäußert haben möge, so läßt sich die Frage nur durch ganz un- sichere Hypothesen beantworten, zu deren Aufstellung man nach Analogie von Vorkommnissen während der ersten Entwickelung von Metazoen, nach Analogie des Körperbaues niederer und sehr ein- facher Metazoen (z. B. der Orthonectiden und Dicyemiden) und in Würdigung von Verhältnissen, wie sie sich bei gewissen kolonie- bildenden pflanzlichen Flagellaten, den Volvociden (Bd. I, Protozoa) finden, gelangen kann. Man darf gewiß auch mit Fug und Recht auf die Erscheinungen hinweisen, die zutage treten, wenn auf höheren Individualitätsstufen die Koloniebildung durch Arbeitsteilung wiederum in ganz analoger Weise zur Bildung von Staaten führt. Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 131 Wie im Bienen-und Ameisenstaat die primäre, fundamentale Arbeits- teilung zur Sonderung der geschlechtlich differenzierten, fruchtbaren, gametenproduzierenden, im übrigen untätigen Fortpflanzungsindividuen von sterilen, geschäftigen Arbeitsindividuen mit verkümmerten Ge- schlechtsorganen führt, die allein alle Arbeiten im gemeinsamen Haushalt verrichten und auch die Beschützer und Ernährer der gewöhnlich im Baue verborgen sich aufhaltenden Geschlechtsindividuen sind, so dürfen wir annehmen, daß die erste Differenzierung von Protozoenkolonien nach der Richtung der Metazoenorganisation in der Sonderung von untätigen Fortpflanzungsindividuen (Geschlechtszellen) und zur Gründung neuer Kolonien, d. h. zur Fortpflanzung der Art unfähiger, aktiver Haushaltungsindividuen (Körperzellen, somatische Zellen) beruhte. Beide Sorten von Zellindividuen waren also ur- sprünglich gleichwertig und es ist vielleicht die Annahme erlaubt, daß die Geschlechtszellen anfänglich nur nicht zur Aktion gelangende, nicht ins Vordertreffen tretende Reservezellen waren, die hinter der Front, im Inneren der Kolonie zurückbleibend, in Bereitschafts- stellung verharrten, um im geeigneten Momente die sich aufreibenden und abarbeitenden oder durch äußere schädigende Einwirkungen zu- grunde gehenden somatischen Zellen zu ersetzen. Dadurch, daß solche inaktive, von den somatischen Zellen ernährte, gedeckte Regene- rations- und Reproduktionszellen vor allem auch die Fähig- keit beibehielten, isoliert von der Kolonie in Tätigkeit zu treten und durch fortgesetzte Teilung ein neues Heer von aktiven und inaktiven Zellindividuen zu liefern, erhielten sie die Bedeutung von Fort- pflanzungszellen. In der modernen Wissenschaft der Entwickelungsphysiologie oder Entwickelungsmechanik (Rovx, Osk. Herrwig, Drissch u. a.), welche sich die Aufgabe stellt, die in der Entwickelung der Tiere auf- einanderfolgenden Formzustände, das Differentwerden und Sichorganisieren der Zellverbände, der Zellen und ihrer Organellen kausal-mechanisch auf die als gegeben angenommene Beschaffenheit des Eies (innere Faktoren) und die sukzessive Einwirkung äußerer Faktoren zurückzuführen, unterscheidet man (Driesc#H) die prospektive Bedeutung und die prospektive Potenz der Zellen. Es handelt sich dabei in erster Linie um Blastomeren oder dann um Embryonalzellen späterer Stadien der Ent- wickelung. Die prospektive Bedeutung einer Embryonalzelle wird durch das charakterisiert, was aus ihr im Verlaufe der ungestörten Entwicke- lung normalerweise wird, während die prospektive Potenz nach dem bestimmt wird, was aus einer Zelle unter verschiedenen, durch äußere Zufälle oder experimentelle Eingriffe bedingten anormalen Verhältnissen werden kann. Im vorliegenden Fall der Reservezellen (Regene- rations- und Reproduktionszellen) würde sich ihre uneingeschränkte pro- spektive Bedeutung mit ihrer uneingeschränkten prospektiven Potenz decken. Von den somatischen Zellen hingegen wollen wir annehmen, daß sowohl ihre prospektive Bedeutung (diese mehr) als ihre prospektive Potenz (diese weniger) eingeschränkt war. Die erstere war dadurch charak- terisiert, daß die somatischen Zellen des Organismus während der ganzen Dauer des Lebens die Rolle beibehielten, ihre normalerweise infolge ihrer Funktion untergehenden Geschwister unter Teilungserscheinungen zu ersetzen, während ihre umfassendere prospektive Potenz darin be- 9*# 132 Arnorp Lang, ruhte, daß sie die Fähigkeit beibehielten, größere oder kleinere Defekte unter reichlicheren Zellteilungen zu reparieren. Reservezellen und soma- tische Zellen gehören nicht mehr, um eineh weiteren Ausdruck_der Entwickelungsmechanik zu gebrauchen, zu einem „äquipotenziellen System“. Der Potenz nach blieben allerdings lange Zeit die somatischen und die Fortpflanzungszellen gleichwertig und nur die Lage, die zu- fälligen Beziehungen zu der Außenwelt und zu den übrigen Indi- viduen der Kolonie waren anfänglich die entscheidenden Momente, die aus Zellindividuen in dem einen Falle aktive somatische Zellen, in dem anderen ruhende Fortpflanzungszellen werden ließen. — Nach dem (resagten können wir uns ein niederstes Metazoon in Anlehnung an HAECKEL etwa folgendermaßen vorstellen. C. Schema der niedersten Metazoenorganisation. Der Blastaea-Typus (Fig. 80, S. 135). Der Körper bildet eine ellipsoidische, wie wir annehmen wollen freischwimmende, Kolonie von Zellen, die in eine von ihnen gemeinsam ausgeschiedene Gallertmasse (in der Figur schwarz) eingebettet sind, welche ein etwas geringeres spezifisches Gewicht als Wasser besitzt. Es sind 2 Hauptsorten von Zellen vorhanden. An der Ober- fläche der Kolonie finden sich Zellen, die mit den einem Protozoon zu- kommenden Organellen (für die Lokomotion, die Nahrungzufuhr, Ver- dauung, Exkretion etc.) ausgerüstet sind, die aber, obschon sie an- fänglich noch die Fähigkeit haben, eine beschränkte Zahl von (renerationen von ihresgleichen zu erzeugen, doch isoliert für sich, sobald sie jene Organellen schon entwickelt haben, nicht mehr im- stande sind, eine ganze Kolonie aus sich hervorgehen zu lassen. Diese Zellen sind die somatischen Zellen, sie besorgen alle Verrichtungen des sogenannten vegetativen Lebens der Gesamtkolonie. Abgerückt von der Oberfläche, im Zentrum der Kolonialgallerte, finden sich Zellindividuen von indifferentem Charakter, welche, obschon sie die Anlagen für die Differenzierung sämtlicher Organellen ent- halten, diese Anlagen nicht zur Entfaltung bringen. Sie verharren in einem inaktiven Zustande und werden von den somatischen Zellen ernährt und beschützt. Insofern sie die sämtlichen Anlagen eines Protozoenkörpers latent enthalten, verharren sie gewissermaßen auf einem embryonalen Zustande. Es sind die Regenerations- und Fortpflanzungszellen. Beim Untergang der einzelnen somatischen Zellen, der eine normale Folge ihrer Arbeitsleistung ist, werden sie von benachbarten lebenskräftigeren Somazellen aus ersetzt, die sich zu diesem Zwecke verjüngen. Die Verjüngung oder Entdifferenzierung be- steht darin, daß sie ihre spezifischen Organellen rückbilden und resorbieren und daß ihr Plasma sich der verschiedenen Einschlüsse entledigt. Die so verjüngte, zu einem undifferenzierten Zustande zurückgekehrte Zelle teilt sich. Ihre Tochterzellen bilden wieder neue Organellen, und es treten in ihrem Protoplasma wieder neue Einschlüsse als Produkt der Assimilation, Dissimilation und Sekretion der Zelle auf. Der natürlich-normale Abgang wird so beständig er- setzt. Gehen kleinere mehrzellige Fragmente infolge äußerer Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 133 schädigender Einflüsse zugrunde, so geschieht die Reparation des Defektes (Wundheilung) auf dem nämlichen Wege, durch Ver- jüngung der zurückbleibenden Zellen der Nachbarschaft und nach- folgende fortgesetzte Teilung derselben. Wenn große Stücke des Körpers durch gewaltsame äußere Einwirkungen zerstört werden, so reicht der Ersatz durch Nachkömm- linge einzelner sich verjüngender Zellen des Wundrandes nicht aus. Es verjüngen, es entdifferenzieren sich ganze Zell- territorien und liefern das Regenerat, und es treten vor allem die benachbarten Reservezellen als Regenerationszellen (Neo- blasten) von großer Leistungsfähigkeit in Aktion. Die Neubildung nach erfolgter Entdifferenzierung von Zellen oder Zellkomplexen, welche bereits funktioniert haben, spielt im allgemeinen gegenüber der Neubildung aus indifferent gebliebenen Zellen oder Zonen im Tierreich eine geringere Rolle. Zellteilungen werden während der Entwickelung von Geweben überall in denselben angetroffen; haben aber die Zellen oder Zellkomplexe ihre spezifischen Organellen schon gebildet und haben sie zu funktionieren begonnen, so sind ihre Teilungen ebenso selten wie früher häufig oder sie kommen (Ganglienzellen, Sinnes- zellen) für gewöhnlich überhaupt nicht mehr vor. Vielmehr sieht man sich dann in den Geweben und Organen an bestimmten, zweckmäßig gelegenen, ihre Funktion nicht störenden Stellen Indifferenzzonen erhalten, auf welche die Zellteilungserscheinungen beschränkt sind und von denen sowohl der normale Ersatz als die typische Regeneration und auch die atypische, pathologische Proliferation (Geschwulstbildung) ausgeht. Vgl. besonders die Abhandlungen von ScHArer (1902, 1905). Wenn sämtliche somatischen Zellen aus Erschöpfung oder aus äußeren Ursachen zugrunde gehen (Tod des Metazoen- körpers), so fangen jene inaktiven Zellen an, sich zu ver- mehren. Eine jede Zelle läßt durch fortgesetzte Teilungen wieder eine neue ganze Kolonie (ein ganzes Metazoenindividuum) aus sich hervorgehen, wobei die meisten, nämlich die an die Oberfläche tretenden Zellen, als somatische Zellen ihre Anlagen entfalten und in Aktion treten, während die in die Tiefe zu liegen kommenden inaktiv bleiben, die Anlagen der ÖOrganellen im latenten Zustande aufbewahren. In diesem Falle spielen die inaktiven Zellen die Rolle von Fortpflanzungszellen. Aus dieser Betrachtung würde sich der Satz von umfassender Tragweite ergeben, daß Regeneration und Entwickelung (Bildung neuer Metazoenindividuen aus Fortpflanzungs- zellen) bei den Metazoen nur verschiedene Formen einer und derselben Grunderscheinung sind. Die inaktiven Reservezellen liefern als Regene- rationszellen Flickarbeit, als Fortpflanzungszellen besorgen sie eine so gründliche Reparatur, daß das alte Kleid durch ein zwar ganz Ähnliches, aber ganz neues ersetzt wird, eine vollkommene Restitutio in integrum. Das gesamte Soma ist nur eine vorübergehende Hülle, in der die Anlagen eines dauernden Stockes von spezifisch beanlagten Zellen in die Erscheinung treten. Aufgabe der sich von Zeit zu Zeit ab- lösenden, sterblichen Hüllen ist es, durch die elementaren Leistungen 134 ArnoLp Lang, der Ernährung und des Schutzes das spezifische Leben vermittelst der überlebenden Reservezellen dauernd zu erhalten (Erhaltung der Art). Wirkönnen annehmen, daß bei der hy pothetischen ältesten Metazoen- form somatische und Fortpflanzungszellen der Anlage nach, also potentiell, gleichwertig waren und daß diese Gleichwertigkeit sich auch noch bis auf junge Stadien der somatischen Zellen erhielt, so daß eine jede ganz junge somatische Zelle noch fähig war, für sich isoliert, nach Art von Fortpflanzungszellen durch fortgesetzte Teilung ein neues Metazoenindividuum zu bilden (unbeschränkte prospektive Potenz). bei längerer Dauer der Arbeitsleistung aber verlor sich diese Fähigkeit bei den somatischen Zellen und reduzierte sich viel- leicht auf das Vermögen, unter Verjüngung durch einige Male wieder- holte Teilungen ihres gleichen zu liefern. Eine analoge Erscheinung findet sich in den Staaten der Hymenopteren, die eine höhere Individualitätsstufe darstellen, wo aus einem in eine Arbeiterzelle abgelegten Arbeiterei immer noch ein fruchtbares Weibchen (Königin) erzogen werden kann, wenn dem sich entwickelnden Embryo oder der jungen Larve reichlichere Nahrung von der Qualität derjenigen zu- geführt wird, mit welcher die Bienen die ’Königinnenzellen ausrüsten. In vorgerückteren Stadien der Metamorphose ist eine solche künstliche Beeinflussung der Entwickelungsrichtung aber nicht mehr möglich. Die fundamentale ursprüngliche Uebereinstimmung von Regene- rations- und Fortpflanzungsvermögen tritt dann noch deutlicher hervor, wenn man sich erinnert, daß es Organismen gibt, deren weibliche Fort- pflanzungszellen ohne vorhergegangene Befruchtung sich entwickeln können (Parthenogenesis). Ueber den ursprünglichen strukturellen, d. h. morphologischen Unterschied zwischen inaktiven Fortpflanzungs- und Regenerations- zellen einerseits und aktiven, somatischen Zellen anderseits legen die Tatsachen der vergleichenden Zellenlehre folgenden Gedanken nahe. Die somatischen Zellen waren den gewöhnlichen Zellindividuen irgendeiner Protozoenkolonie gleichwertig, d.h. mit jenen verschiedenen Organellen ausgerüstet, die bei einem Protozoon im Dienste des vegetativen Lebens (der Nahrungszufuhr, der Cyclose, der Verdauung, der Defäkation, der Exkretion, der Atmung, der Kontraktion, der Lokomotion etc.) stehen. Man kann sich also das Soma eines ein- fachsten Metazoon als eine Sarcodinen- oder Flagellaten- oder Cili- aten etc. -Kolonie vorstellen. Von den Fortpflanzungs- und Regenerationszellen hingegen hat man anzunehmen, daß an ihnen besondere vegetative Organellen nicht ausgebildet, daß sie vielmehr undifferenzierte kuglige Zellen waren, höchstens mit dem Vermögen amöboider Formveränderung aus- gestattet. Gegenüber dieser Betrachtung von prinzipieller Bedeutung ver- mögen wir der speziellen Frage nach der besonderen Beschaffenheit der somatischen Zellen nur eine untergeordnete Bedeutung beizu- messen. Es ist wahrscheinlich, daß sich erdgeschichtlich zu oft wieder- holten Malen koloniebildende Protozoen der verschiedensten Ab- teilungen durch Arbeitsteilung auf die Stufe von Metazoen erhoben haben, und es ist möglich, daß mehrere Abteilungen der uns be- kannten niedersten Metazoen selbständig aus verschiedenen Protozoen- gruppen hervorgegangen sind. Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 135 Lediglich um ein Schema zu konstruieren, wollen wir einer hypo- thetischen niedersten Stammform der Metazoen, der Blastaea, folgende Organisation (Fig. 80) zuschreiben, für deren Konstruktion wir uns den Bau von Volvox in vieler Beziehung als Muster nehmen, nur daß wir ihr eine tierische Ernährungsweise zuschreiben. Fig. 80. Schematische Darstellung einer erdachten niedersten Metazoenorganisation auf der Blastaeastufe. Für die Erklärung siehe Text. Die von protoplasmatischen Ver- bindungsfäden der Zellen durchzogene Gallerte ist schwarz dargestellt. Hinten ein Defekt am Körper, der einerseits von den benachbarten Epithelzellen, anderseits von den in der Tiefe liegenden Regenerationszellen aus repariert zu werden beginnt. Original. Die somatischen Zellen (Protozoenindividuen) sind der gallertigen strukturlosen Grundsubstanz oberflächlich in einschichtiger Lage ein- gebettet. Eine solche Aneinanderlagerung von Zellen an einer Ober- fläche nennt die Lehre von den Zellen und den aus Zellen gebildeten Geweben ein Epithel- oder Oberflächengewebe. Im vor- 136 | ArnoLD Lang, deren Bezirk des Körpers besitzt jede solche Zelle an der freien, nach außen gerichteten Oberfläche bewegliche Geißelhaare (Flagellen), so daß der Vorderteil des Tieres an der ganzen Oberfläche mit Geißeln besetzt ist. Am mittleren und hinteren Bezirk des Körpers sind die (seißelhaare zellreicher, cilienähnlich. Durch das Schlagen der Geißel- haare in einer ‚Richtung, z. B. gegen den einen („hinteren“) Pol, wird die Lokomotion des Körpers in der entgegengesetzten Richtung (mit dem „vorderen“ Pole voran) bewerkstelliet. An der Basis der Geißeln an den Zelleibern im vorderen Teil des Körpers je ein UOytostoma zur Aufnahme von feinen Nahrungspartikelchen (Kleinen Protozoen, einzelligen Pflanzen usw.), mit denen der Körper beim Umherschwimmen in Berührung kommt. Ist die Nahrung eine reichlichere und besteht sie namentlich aus größeren Stücken, so ziehen die Somazellen an der Kontaktstelle ihre Flagellen ein, entwickeln dafür Lobopodien oder Pseudopodien, und bewältigen und verdauen die Nahrung nach Art von Sarcodinen. Unver- daute Reste werden ebenfalls nach Art der Sarcodina ausgestoßen, und zwar nach außen über Bord geworfen. In jeder Somazelle ent- leert eine pulsierende Vakuole ihren Inhalt ebenfalls an ihrer mit Bezug auf den Blastaeakörper äußeren Oberfläche. Außer der pulsierenden Vakuole enthalten die Zellen Tröpfchen eines giftigen Sekretes, das, auf Reize hin ausgespritzt, für Feinde eine defensive, für kleine Beute eine offensive, lähmende Wirkung hat. Eines der Geißelhaare an den Zellen am Vorderkörper ragt über die anderen hervor und ist besonders befähigt, äußere Reize zu empfangen und weiter zu leiten. Die von der oberflächlichen Schicht somatischer Zellen um- schlossene zentrale Gallerte enthält eine Menge größerer kugliger Reservezellen, Regenerationszellen, Keimzellen, Fortpflanzungszellen. Einzelne stärkere Zellen unter ihnen zeichnen sich dadurch aus, daß sie sich unter Bildung amöboider Fortsätze auf Kosten benachbarter, minder kräftiger, abortiver Fortpflanzungszellen ernähren und vergrößern. Die somatischen Zellen stehen miteinander und mit den Reservezellen durch feine, die Gallerte durch- setzende Protoplasmafortsätzein Zusammenhang. Durch diese Fortsätze erfolgt nicht nur eine Weiterleitung und Ver- teilung der verdauten Nahrung, sondern auch eine Fortpflanzung von Erregungen die durch äußere Reize her- vorgerufen werden, welche die Sinnes-Geißelhaare treffen. Bei Ueber- schreitung einer gewissen Erregungsschwelle reagieren die somatischen Zellen durch Aenderung, etwa Umkehr, der Schlagerichtung ihrer Geißeln, wodurch eine Fluchtbewegung zustande kommt. Von den Reservezellen spielen die oberflächlichen vorwiegend die Rolle von Regenerationszellen (Neoblasten), die übrigen sind die Fort- pflanzungszellen. Je nach der besonderen Ausbildung dieser Fortpflan- zungszellen sind verschiedene Generationen unserer Lebewesen zu unterscheiden. Bei den einen Generationen sind die Fortpflanzungszellen Parthenogonidien (vgl. Volvox, Bd.I). Beim jeweiligen Absterben und Zerfall des Soma werden sie frei und entwickeln sich direkt weiter zu neuen Blastaeaindividuen. Von Zeit zu Zeit, unter dem Einfluß oder der Induktion besonderer Existenzbedingungen, vielleicht bei Nahrungsmangel, treten geschlechtliche Generationen auf, Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 137 deren Fortpflanzungszellen als Gameten könjugations-, oder, was dasselbe sagen will, befruchtungsbedürftig sind. Da der Unterschied von Makrogameten und Mikrogameten schon bei den Protozoen (siehe dieses Handbuch, 1. Bd., sowie 2. Bd., HAECKER, Zeugungslehre, S. 62) weitverbreitet zu konstatieren ist, so dürfen wir auch schon der hypothetischen Blastaea eine solche Ausbildung sesonderter Gameten zuschreiben. i Gewisse Keimzellen (Öogonien) werden durch starkes Wachstum und Ablagerung von Reservenährstoffen (Nahrungsdotter) in ihrem Protoplasma (infolge phagocytärer Ernährung auf Kosten benachbarter abortiver Keimzellen) und unter Reduktionserscheinungen an der chromatischen Substanz ihres Kernes zu Makrogameten, oder, um die für die Metazoen übliche Bezeichnung zu gebrauchen, zu befruchtungsfähigen und befruchtungsbedürftigen Eiern. Andere Keimzellen hingegen (Antheridien oder Spermatogonien) liefern durch rasch fortgesetzte Teilungen und unter Reduktion der Chromatinelemente auf die Hälfte eine größere Zahl kleiner, proto- plasmaarmer, je ein langes, bewegliches Flagellum bildender Mikro- gameten, Spermien oder Spermatozoen (Samenfäden). Die Differenzierung der Fortpflanzungs- oder Geschlechtszellen in Eier und Spermatozoen ist selbst wieder lediglich aus dem Gesichts- winkel der Arbeitsteilung zu betrachten. Die großen nahrungsdotter- haltigen Eier übernehmen die Aufgabe, zur Gründung eines neuen Zellenstaates (eines Metazoenindividuums) das nötige Baumaterial zu liefern und verzichten auf die Beweglichkeit. Die Sper- matozoen (Spermien) hingegen verzichten auf die Beibringung von Baumaterial, sie stellen sich durch Ausbildung eines kräftigen Flagellums in den Dienst der Beweglichkeit, werden in ihren Be- wegungen nicht durch einen schweren Plasmaleib gehemmt und können wegen ihrer geringen Größe in großer Anzahl produziert werden, wo- durch die Chancen vermehrt werden, daß wenigstens einzelne an den Ort ihrer Bestimmung, zu den befruchtungsbedürftigen Eiern gelangen. Die geringe Größe erleichtert außerdem das Eindringen der Spermato- zoen in den Körper anderer Individuen und in die dort bereitliegenden Eier zum Zwecke der Befruchtung. Dem inneren Wesen nach, d.h. was die Ausrüstung mit Anlagen anbetrifft, blieben und bleiben die Eier und Spermatozoen äquivalent. Auch wenn man bei zwei der Form nach differenten Fortpflanzungs- zellen die so verschieden ausgebildeten Cytoplasmaleiber vertauschen, dem Eikern die dürftige Plasmahülle und das Flagellum des Samen- fadens, dem Spermakern den üppigen Plasmaleib des Makrogameten zuteilen würde, würde weder die Befruchtung verunmöglicht, noch die Entwickelungsrichtung nach erfolgter Befruchtung geändert werden. In weiterer Schematisierung der bei koloniebildenden Einzelligen (Volvoeiden) und bei Metazoen gewonnenen Erfahrungstatsachen dürfen wir bei den verschiedenen Formen des Blastaeatypus bezüglich der Erzeugung der Eier und Spermatozoen ein verschiedenes Verhalten annehmen. Bei den einen bestand die Geschlechtsgeneration aus hermaphroditischen Individuen, d.h. solchen, die in dem zentralen Haufen von Geschlechtszellen (Keimdrüse, Gonade) sowohl Eier als Spermien erzeugten (Zwitterdrüse). Bei den anderen erstreckte sich die Arbeitsteilung, die zur Differenzierung männlicher und weiblicher Geschlechtszellen führte, auch auf die sie 138 Arnonn Lang, erzeugenden Individuen, so daß die einen Individuen (die Männchen) in ihrer Gonade (Hoden, Spermarium) nur Spermatozoen, die anderen (die Weibch en) in ihrer Keimdrüse (Eierstock, OÖvarium) nur Eier produzierten. Der hypothetische erdgeschichtliche (phylogenetische) Vorgang der Differenzierung der Geschlechter wäre nach dem Gesagten — diese Anschauung kann nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft als sicher begründet gelten — gerade umgekehrt, als die historische Bildung der Begriffe und Bezeichnungen für die Geschlechter. Die letzteren bezogen sich auf die hochstehenden Metazoen, in erster Linie den Menschen, bei denen sich die Individuen, welche verschiedene (Grameten produzieren, auch äußerlich, durch die sogenannten sekun- dären Geschlechtsmerkmale unterscheiden. Der auffällige äußere Unterschied von Männchen und Weibchen wurde dann auch auf das innere Wesen der beiderlei Gameten übertragen. Es genügt der Hinweis auf die irrtümliche populär-symbolische Auffassung, wo- nach bei der Befruchtung „der Same in ein fruchtbares Erdreich fällt“. Für den Fall des hermaphroditischen Zustandes der Geschlechts- generation dürfen wir ferner die Annahme machen, daß sich die Spermatozoen und die Eier nicht gleichzeitig entwickelten, daß also eine Selbstbefruchtung ausgeschlossen war. Was die Art und Weise betrifft, in der die Geschlechtszellen frei wurden, dürfen wir uns vorstellen, daß das im allgemeinen durch Ab- sterben und Zerfall des Somas geschah. Doch bietet auch die Annahme keine Schwierigkeiten, daß der Zerfall des Somas der Weibchen (ihr Tod) erst nach erfolgtem Eindringen der Spermatozoen und nach er- folgter Verbindung derselben mit den reifen Eizellen (Befruchtung) erfolgte. Nach einer wissenschaftlich wohlbegründeten Ansicht liegt eine Hauptbedeutung der Befruchtung in der dabei stattfindenden Ver- mischung individuell verschiedener Qualitäten bzw. erblicher Anlagen (Amphimixis), wobei stets neue vorteilhafte und lebenskräftige Kombinationen neben indifferenten oder sogar unzweckmäfßigen zustande kommen, die zweckmäßigen, welche Selektionswert besitzen, aber größere Uhance haben zu überleben, als die unzweckmäßigen, welche der Kampf ums Dasein immer wieder ausjätet. Wenn sich dies so verhält, so ist die Befruchtung nicht eine absolut notwendige, sondern nur eine in dem Maße bedeutungsvolle Erscheinung, als sie für die Erhaltung der Art nützlich ist. Nun ist aber eine Qualitätenmischung, ein Austausch erblicher Anlagen zwischen erwachsenen Metazoen- individuen nicht möglich, sondern „Mischen kann sich Organi- sches nur im Zustand der Zelle“ (BovEr1). Von diesem Gesichtspunkte aus ist es verständlich, daß neue Metazoenindividuen nicht ausschließlich auf sogenanntem ungeschlechtlichen Wege aus größeren Bruchstücken elterlicher Organismen unter nachfolgender Regeneration entstehen, daß vielmehr das höhere organische Leben periodisch zum Zwecke der Amphimixis wieder auf die Protozoenstufe der einfachen Zelle zurückkehrt. Alles spricht dafür, daß es in dieser periodischen Rückkehr auf die Stufe eines konjugationsfähigen Proto- zoon in der erdgeschichtlichen Lebensbahn der Metazoen vom Anbeginn ihrer Evolution aus den Protozoen an niemals eine längere Unter- brechung gegeben hat. Hieraus und aus der Würdigung des die’ Organismenwelt beherrschenden Gesetzes der Vererbung, mit vor- Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 139 läufigem Ausschluß der auch auf die Entwickelung umgestaltend wirken- den Faktoren der Variation und Selektion, würde sich ohne weiteres er- geben, daß bei der jeweiligen Neubildung eines Metazoenorganismus, bei dieser „Restitutio ab ovo in integrum“, derselbe Weg verfolgt wird, auf welchem das betreffende Metazoon erdgeschichtlich zustande kam. Wir gelangen so zu dem Rekapitulationssatze, der von HAECKEL als „biogenetisches Grundgesetz“ formuliert:wurde: Die Onto- senie oder individuelle Entwickelungsgeschichte ist eine rasche.Wiederholung der Phylogenie oder Stammes- geschichte. (Vgl. hierüber auch Abschnitt I dieses Bandes, Logisches und Methodisches, S.33.) Unter individueller Entwickelungs- geschichte, Ontogenie oder Embryologie versteht man da- bei den Verlauf der auf sukzessiven räumlich und zeitlich normierten Zellteilungen und auf Differenzierungen zwischen den Zellen und innerhalb derselben beruhenden Vorgänge, die aus einer Eizelle ein erwachsenes Metazoon hervorgehen lassen; unter Phylogenie oder Stammesgeschichte hingegen die hypothetische Reihe von Ver- änderungen, die im Verlaufe der Erdgeschichte sukzessive an den er- wachsenen Vorfahren einer Tierform aufgetreten sein mögen, beispiels- weise zuerst die Bildung einer weniggliedrigen Protozoenkolonie, dann die Zunahme ihrer Gliederzahl, die bestimmte Anordnung und Gruppierung der Glieder, dann das erste Auftreten einer Arbeits- teilung, Sonderung der Geschlechtszellen und der Keimzellen, Ueber- sang der Protozoenkolonie auf die Stufe eines Protozoenstaates (eines Metazoenindividuums), fortschreitende Arbeitsteilung und Differen- zierung innerhalb des Somas sowohl als des Gonadengewebes usw. Die Berechtigung zur Aufstellung phylogenetischer Hypothesen, die unser wissenschaftliches Bedürfnis nach bestimmten Vorstellungen über die erdgeschichtliche Entwickelung der Organismenwelt mehr oder weniger befriedigen, immer unter der Voraussetzung natürlichen, erfahrungsge- mäßen Geschehens, leiten wir vornehmlich aus den Tatsachen der Morpho- logie der lebenden und ausgestorbenen Tierformen und ihrer Ohrono- logie ab. Diese lehren, daß einerseits heutzutage noch neben hoch- entwickelten Formen niedere in größter Mannigfaltigkeit und auf allen möglichen Abstufungen der Ausbildung und Komplikation vorkommen, die uns entsprechende Vorfahrenformen zum mindesten als denkmöglich erscheinen lassen, und daß andererseits in der Erdgeschichte tatsächlich der Tierwelt bestimmter Epochen in früheren Perioden eine Fauna von Tieren mit anders und vielfach primitiverer Ausprägung des nämlichen Örganisationstypus vorausgegangen ist, deren Reste uns in versteinertem Zustande erhalten sind. Wenn die Amphimixis eine so große physiologisch - biologische Bedeutung hat, daß sie die Tiere — sit venia verbo — zwingt, immer und immer wieder auf ihren phylogenetischen Ausgangspunkt zurück- zukehren, immer wieder von vorne anzufangen, so ist doch ersichtlich, daß uns eine solche Amphimixis bei der bloßen Regeneration somatischer Körperteile, denen nur eine kurze, vorübergehende Lebenstätigkeit beschieden ist, als eine unnütze Komplikation er- scheinen würde. 140 Arnoup Lang, D. Schema eines primitiven dreischiehtigen Metazoenorganismus. Der Gastraea-Typus (Fig. 81, S. 144). 5 Wir halten uns bei der Aufstellung dieses Schemas vorwiegend an die bekannte Organisation der heute lebenden Hydroidpolypen. Doch stellen wir uns die entsprechende hypothetische Stammform nicht festsitzend, sondern freischwimmend vor. Es ließen sich viele Gründe dafür anführen, daß folgende Vorstellung von der Weiter- entwickelung der hypothetischen Blastaea, eine Vorstellung, die im wesentlichen eben nur auf der Annahme einer weitergehenden Arbeits- teilung in der Richtung der höheren tierischen Organisation beruht, zulässig ist. Der vordere Bezirk der somatischen Zellschicht (des Ursoma- epithels) der Blastaea übernimmt immer ausschließlicher ernährende und verdauende Funktionen. Er bekommt eine Einsenkung, die be- geinnende Darmhöhle, die immer tiefer wird. Dadurch wird die Blastaea zur Gastraea. Eine plausiblere Hypothese als diese nHAECKELS berühmter Gastraeatheorie begründete Annahme läßt sich auch heute noch nicht aufstellen. Das Charakte- ristische der Metazoenorganisation besteht in allererster Linie auch in dem Vorhandensein eines Darmes, in welchem die von außen aufgenommene Nahrung verdaut und resorbiert wird. Die Entstehung einer solchen Vorrats- und Verdauungskammer, in welcher ungestört durch äußere Einflüsse und unbehelligt durch anderweitige Funktionen die Wandzellen sich ausschließlich der che- mischen Bearbeitung der aufgenommenen Nahrungsstoffe widmen, kann man sich in der Tat am einfachsten und natürlichsten durch eine Einsenkung der schon im Dienste der Nahrungsaufnahme stehen- den vordersten Region des Soma der Blastaea vorstellen. Jeder Schritt in der Richtung der fortschreitenden Vertiefung der Einsenkung war ein Fortschritt, eine Verbesserung. Dabei blieb die Kommunikation mit der Außenwelt durch die Einstülpungsöffnung, den Mund, zu jeder Zeit intakt und funktionsfähig. Wichtige Stützen der Gastraeatheorie liefern die vergleichende Ontogenie und die vergleichende Anatomie. Die erstere zeigt, daß die im Tierreich am weitesten verbreitete Keimform, die Urdarmlarve oder Gastrula, im wesentlichen einer eingestülpten Blastaea entspricht und daß viele nach verschiedenen Richtungen anscheinend stark ab- weichende Keimformen auf den Typus der Gastrula zurückgeführt werden können. Die vergleichende Anatomie aber belehrt uns darüber, daß gewisse niedere Metazoen, wie z. B. die Hydrozoen, im erwachsenen Zustande Variationen und Modifikationen eines Typus darstellen, welcher im wesentlichen einer eingestülpten Blastaea, d. h. unserer Gastraea entspricht. Dadurch, daß ausschließlich die Zellen des eingesenkten oder eingestülpten Somaepithels, d.h. dienunmehrigen Darmepithel- zellen, die ernährenden Funktionen übernehmen, werden die außen an der Körperoberfläche bleibenden Zellen des nicht eingestülpten Somaepithels, die Zellen des nunmehrigen Körperepithels entlastet und können sich ausschließlich den übrigen Verrichtungen des Körpers widmen, besonders solchen, die der Natur der Sache nach an die Oberfläche gebunden sind. Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 141 Durch die Einstülpung des Ernährungsepithels kommt die Masse der Keimzellen zwischen Körper- und Darm- epithel zu liegen, so daß die Wandung des Körpers drei- schichtig wird. In diesem Punkte und in der gleich zu be- sprechenden Annahme einer weitergehenden Arbeitsteilung zwischen den Zellen des Körper- und des Darmepithels weichen wir von der HAECKELschen Auffassung der hypothetischen Gastraea einigermaßen ab, nach welcher die Gastraea bloß aus undifferenzierten Schichten, dem einfachen Körperepithel und dem einfachen Darmepithel bestand und die Geschlechtsprodukte aus Zellen entweder des Körperepithels oder des Darmepithels ihren Ursprung nahmen. Nach unserer Auf- fassung hat man sich die Körperepithel- und Darmepithelzellen der Gastraea als spezialisierte somatische Zellen vorzustellen, das Körper- epithel und Darmepithel als spezialisierte Oberflächenge- webe, die allerdings ontogenetisch aus nicht spezialisierten Keim- epithelien hervorgingen. Den Körper der Gastraea (Fig. 81, S. 144) stellen wir uns ellipsoidisch vor, als einen freischwimmenden Hydropolypen ohne Tentakel. Die beiden Pole der Hauptachse, der orale und aborale, sind ungleich differenziert. Am vorderen, oralen Pole liegt die runde Mundöffnung, welche in die geräumige ellipsoidische Darmhöhle hineinführt, die am hinteren oder aboralen Pole blind geschlossen ist. Die kompakte Körperwand besteht aus drei Schichten, dem äußeren oder ektodermalen Körperepithel, der mittleren oder mesodermalen Masse von Geschlechtszellen (Gonaden- gewebe) und dem inneren oder entodermalen Darmepithel. Die äußere und die innere Schicht bilden das tätige, die inaktive Masse der Geschlechtszellen ernährende und schützende Soma. Im äußeren und inneren Körperepithel rücken die Zellen unter Reduktion der sie trennenden Gallerte, in die sie bei der Blastaea eingebettet waren, näher aneinander, bleiben aber nach wie vor durch gleich zu besprechende feine Protoplasmafortsätze miteinander in Zu- sammenhang. Die innere gallertige Grundsubstanz ist durch die Ein- stülpung des Ernährungsepithels zur Bildung des Darmes auf eine dünne Schicht, die Grenzlamelle (Basalmembran) zwischen innerem Darm- und äußerem Körperepithel reduziert, welcher im hinteren Umfang des Körpers das Gonadengewebe eingelagert ist. Die äußere Schicht des Reservezellen- oder Keimzellenmaterials, das bei der Blastaea unmittelbar unter dem Somaepithel lag, die Schicht der Regenerationszellen (Neoblasten), ist durch den Ein- stülpungsvorgang in zwei Schichten zerlegt, die am Munde ineinander übergehen. Die äußere unter der nicht eingestülpten somatischen Zellen- lage liegende Schicht bildet die basale Schicht der Regene- rationszellen des Körperepithels; der übrige, mit der somatischen Ernährungszellenschicht eingestülpte Bezirk hingegen bildet die basale Regenerationszellenschicht des Darm- epithels. Aehnlich gelagerte Zellen von ähnlicher Bedeutung heißen bei den heute lebenden Hydroiden intermediäre oder interstitielle Zellen. Wir nehmen an, daß die Regenerationszellen (Neoblasten) des Körperepithels die verschiedenen Elemente des Körperepithels, aber nur diese, zu regenerieren vermögen. Ebenso haben die Regenerations- zellen des Darmepithels die Fähigkeit, die Elemente des Darmepithels, 142 | ArnoLD Lang, aber nur diese, zu regenerieren. Die Regenerationszellen des: Körper- epithels hätten also die Fähigkeit verloren, Defekte im Darmepithel zu reparieren und umgekehrt. Es ist also eine Arbeitsteilung und Speziali- sierung innerhalb der Regenerationszellen eingetreten, welche der Arbeitsteilung im ganzen Körper in einiger Entfernung folgt. Die prospektiven Potenzen der Regenerationszellen sind somit eingeschränkt. Die Regenerationszellen sind gewissermaßen die Spezialreserven hinter den in der Front kämpfenden Heeresabteilungen, während die Fort- pflanzungszellen die weiter zurückstehende Generalreserve für das ganze Heer darstellen. Durch ihre Spezialisierung haben die Regenerationszellen den Charakter von wahren Keimzellen, von Fortpflanzungszellen, die wieder das ganze Soma aus sich hervorgehen lassen können, verloren. Sie haben den Charakter von somatischen Zellen erlangt. Das Soma hat durch sie eine vom Keimzellenmaterial ausgehende Bereicherung er- fahren. Zum Vergleich seien die tatsächlich bei einem einfachen zwei- blättrigen Organismus, dem Süßwasserpolypen (Hydra) be- obachteten Erscheinungen erwähnt. Es wurde hier festgestellt, daß sich das Körperepithel nicht aus dem Darmepithel, sondern nur aus Körperepithel regenerieren kann (wenn auch aus ganz kleinen Stücken) und umgekehrt (NussBAuM 1887, 1890). Die mesodermale Masse des Keimzellenmaterials bildet die Gonade. Wir nehmen an, daß bei der Gastraea Parthenogenesis nicht mehr vorkommt und daß die Geschlechter ge- trennt sind. Die Gonade ist also entweder (beim Weibchen) ein Ovarium (Eierstock) oder (beim Männchen) ein Spermarium (Teostss; Toueo):nz Die Entleerung der Geschlechtszellen erfolgte entweder zwischen den auseinanderweichenden Körperepithelzellen hindurch direkt nach außen (Fig. 81, 7) oder zwischen den auseinanderweichenden Darm- epithelzellen hindurch in den Darmraum und aus diesem durch den Mund nach außen. Im ersteren Fall zeigte die Gonade frühzeitig während der Ent- wickelung nähere Beziehungen zur Anlage des Körperepithels resp. der basalen Regenerationszellenschicht desselben, der sie sich anschmiegte, im letzteren Falle nähere Beziehungen zur Anlage des Darmepithels. Nehmen wir an, daß bei einer heute lebenden Form diese Be- ziehungen sehr frühzeitige und sehr enge geworden seien, so könnten sich die Verhältnisse dem Beobachter so darstellen, daß sich die Gonade in dem einen Falle aus der Anlage des Darmepithels (dem Ento- derm), in dem anderen aus der Anlage des Körperepithels (dem Ekto- derm), speziell der tieferen Lage von interstitiellen Regenerations- zellen hervorzubilden scheinen. Die Befruchtung erfolgte entweder im umgebenden Wasser oder bei Entleerung der Geschlechtsprodukte in den Darm, im In- neren der Darmhöhle. Im letzteren Falle ist anzunehmen, daß die Spermatozoen des Männchens, durch den Mund nach außen entleert, im Wasser herumschwärmend, mit Weibchen in Berührung kommend, durch deren Mund in die Darmhöhle gelangen und hier die Befruch- tung der Eier vermitteln konnten. Blieben die befruchteten Eier auch nur kurze Zeit in der Darmhöhle zurück, so daß sich die ersten Ent- Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 143 wickelungs-/Teilungs-)vorgänge in der mütterlichen Darmhöhle ab- spielten, so war der einfachste Fall einer Brutpflege gegeben. Jede der drei Hauptschichten der Gastraea hat sich durch weiter- gehende Arbeitsteilung kompliziert und differenziert. A. Das äußere Körperepithel zeigt folgende Zusammen- setzung. Es besteht aus: 1) Epithelwimper- zugleich Epithelmuskelzellen (Fig. 82 A). Es sind dies die motorischen Zellen. Sie bilden den Hauptbestandteil des Epithels und bestehen aus dem Zellenleib, dessen freie äußere Oberfläche Cilien trägt, während die meist ver- jüngte Basis in zwei lange fadenförmige Muskelfortsätze aus- gezogen ist, die in diametral entgegengesetzter Richtung verlaufen, so daß beide zusammen eine Muskelfaser bilden, welcher der Zelleib mit dem Kern an einer Stelle als bewimpertes Muskelkörperchen (Myoblast) aufsitzt. Die Muskelfortsätze der Epithelmuskelzellen verlaufen in der äußeren Partie der gallertigen Grenzlamelle in zirkulärer Richtung um den Körper herum und bilden zusammen eine sogenannte äußere Ringmuskelfaserschicht. In der Achse eines jeden Muskelfaserfortsatzes ist ein Faden, eine Fibrille (oder deren mehrere) kontraktiler Substanz entwickelt, d.h. eines homogenen, stärker lichtbrechenden Umwandlungsproduktes des Protoplasmas, das die Eigenschaft hat, auf Reize hin sich nur in einer Richtung, in der Längsrichtung, aber energischer als allseitig kontraktiles undifferenziertes Protoplasma, zusammenzuziehen. 2) Sinneszellen (Aesthocyten). Es sind dünn zylindrische oder stabförmige Zellen (Fig. 81, 7), die nicht viel Platz versperren. Sie besitzen ein über die beweglichen Cilien der benachbarten Wimper- zellen hinaus vorragendes, unbewegliches Sinneshaar (Sensille) oder ein Büschel solcher Sinneshaare, das zur Aufnahme der ver- schiedensten äußeren Reize befähigt ist. 3) Giftdrüsenzellen (Fig. 81, 4. Diese sondern in ihrem Protoplasmaleib ein mit giftiger Flüssigkeit erfülltes Bläschen ab, das auf einen durch ein kurzes Sinneshaar (Cnidocil, CGnidosensille) an der Oberfläche der Zelle vermittelten Reiz hin zu Offensiv- oder Defensivzwecken ausgestoßen wird und dabei den Inhalt entleert. 4) Exkretionswimperzellen (Fig.81, 5). Kolbenförmige Zellen, an denen die cilientragende Oberfläche eingesunken ist. Im Protoplasma des tieferen verdickten Teiles liegen Exkretionsvakuolen, die ihren Inhalt von Zeit zu Zeit in die Wimpergrube entleeren, aus der er durch das Spiel des Cilienbüschels nach außen befördert wird. Da die wimpernde Exkretgrube ins Innere einer Zelle eingesenkt ist, so können wir sie als intracellulär bezeichnen. Die Annahme der- artiger Exkretionswimperzellen ist stark hypothetischer Natur. 5) Nerven- oder Ganglienzellen (Neurocyten, Neu- ronen) (Fig. 81, 3). Verästelte Zellen, die in der Tiefe zwischen den übrigen Epithelzellen liegen und deren faserförmige Fortsätze als Nervenfasern mit den Nervenfortsätzen anderer Nervenzellen und mit den Sinneszellen und motorischen Zellen in Ver- bindung stehen. 6) Indifferente kleine Regenerationszellen (inter- stitielle Zellen, Neoblasten) (Fig. 81,2) liegen überall zwischen den Epithelzellen an der Basis (in der Tiefe) des Epithels. Das durch ihre Vermehrung durch Teilung entstehende Zellenmaterial liefert die 144 ArnoLp Lang, Fig. 81. Schematische Darstellung eines hypothetischen, niederen, dreischichtigen Metazoenorganismus auf der Gastraeastufe. Für die Erklärung sei hauptsächlich auf den Text verwiesen. Unmittelbar vor dem Munde eine chilomonasähnliche Flagellate, im Begriffe, in die Darmhöhle (8) eingeführt zu werden. In der Nähe entladene Giftbläschen. 1 Sinneshaare (Sensillen) auf Sinneszellen, 2 interstitielle (regenerative) Zellen (Neo- blasten) in der Tiefe des Körperepitbels, 3 Ganglienzellen, 7 Giftzellen mit ihrem Cnidoeil (Cnidosensille), 5 Exkretionswimperzellen, 6 hinterer (aboraler) Körperpol, 7 aus dem Ovarium nach außen heraustretendes Ei, 8 Darmhöhle mit aufgenommener Nahrung. Im Darmepithel, an dessen Basis Ersatzzellen (Neoblasten, interstitielle Zellen) und Ganglienzellen zu sehen sind, zeigen sich das Lumen begrenzende Körnerdrüsenzellen, Speichelzellen (mit großen Vakuolen) und phagocytäre Zellen mit Lobopodien. Im Hinter- grunde des Darmes haben die Lobopodien einen größeren Nahrungskörper (eine ceratium- ähnliche Dinoflagellate) umflossen und eingeschlossen. Schwarz: die auf eine Grenz- membran reduzierte, von Protoplasmafäden durchsetzte Kolonialgallerte. Original. Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 145 Elemente zum eventuellen Ersatz der verschiedenartigen absterbenden oder sonstwie abgehenden Körperepithelzellen: der motorischen Zellen, der Sinnes-, Nerven-, Giftdrüsen- und Exkretionszellen. Diese ver- schiedenen somatischen Zellen vermehren sich im normalen Verlaufe des Lebens nur im noch jugendlichen Zustand und liefern dann nur ihresgleichen. - Sie haben aber eine umfassendere prospektive Potenz. Komplexe solcher somatischer Zellen können unter be- sonderen anormalen Verhältnissen (z. B. wenn Defekte infolge schädigender Einflüsse zustande kommen) unter Verjüngungsserschei- nungen zur Regeneration größerer Epithelstrecken führen. Durch das hier in elementarer Weise angedeutete Prinzip der Spezialisierung in Verbindung mit dem eingeschränkten Regenerations- vermögen wird zugleich auch das Prinzip der sogenannten Spezi- fizität der Gewebe (besser idiogenetisches Bildungsvermögen, Maas), das besonders in der pathologischen Anatomie eine große Rolle spielt, erläutert. Die Lehre von der Spezifizität der Gewebe sagt, daß aus einer Gewebsform nur wieder dieselbe Gewebsform, aus Muskulatur eo. Zu _ — - > _ = —_. CEERALTEO Pr ur nn mn In EEE U ———————— nn Erg ———— Pe Fig. 82. Details zu der Fig. 81. A Bewimperte Körperepithelmuskelzelle auf einem Längsschnitt durch den Körper. Im basalen Teil unter dem Kern zwei querdurch- schnittene zirkuläre Myofibrillen. B Eine Körnerdrüsenzelle des Darmepithels auf einem Längsschnitt durch den Körper. Im Cytoplasma Sekretkörner. An der Basis ein Längs- muskelfortsatz mit Myofibrille (schwarz) im Innern. C Eine Speicherzelle des Darm- epithels mit großen Vakuolen und Eiweißkörnchen im Cytoplasma, sonst wie B. Original. nur Muskulatur, aus Epithel nur Epithel, aus Knorpel nur Knorpel etc. hervorgehen kann. B. Das innere Darmepithel. Hier hat sich ebenfalls eine Arbeitsteilung zwischen den Elementen (den Ernährungszellen) voll- zogen. Wir nehmen an, daß, abgesehen von den auch hier vorhandenen basalen Regenerations- und den (Ganglienzellen, drei verschiedene Elemente entstanden sind, nämlich: 1) Drüsenzellen (Fig. 82 B). Diese finden sich besonders häufig im vorderen Bezirke des Darmepithels. Es sind eher schlanke Zellen, welche gegen das Darmlumen zu ein oder zwei Geißel- haare tragen und an ihrer der Grenzlamelle zugekehrten Basis einen Muskelfortsatz besitzen, welcher in der Längsrichtung des Körpers verläuft. Ihr Cytoplasma ist dicht erfüllt von abgesonderten Körnchen oder Tröpfchen eines verdauenden Sekretes, welches, nach Eintritt von Nahrung durch den Mund, in den Gastral- Arnold Lang, Handb. d, Morphologie. II. 10 146 ARNOLD Lang, raum entleert, diese einer vorläufigen Zersetzung und beginnenden Auflösung unterwirft. 2) Die Freßzellen oder phagocytären Zellen. Ihre dem Darmlumen zugekehrte Oberfläche ist imstande, amöboide Fortsätze (Lobopodien) zu bilden, durch welche sie die durch den Mund in die Darmhöhle aufgenommenen Nahrungspartikel, welche durch das Sekret der Drüsenzellen einer vorläufigen Verdauung unter- worfen wurden, einschließen und der intracellulären Verdauung unterziehen (Phagocytose). Solche Zellen finden sich vornehmlich im mittleren und hinteren Darmabschnitt. An der Einschließung größerer Bissen beteiligen sich — nach Art der Freßgesellschaften oder Cönobien der Protozoen (s. Bd. I) — mehrere benachbarte Zellen, oder ganze Darmepithelstrecken, z. B. die gegenüberliegenden Wände eines Darm- abschnittes. Einzelne Zellen können sich gänzlich aus dem Epithel- verband loslösen, in das Darmlumen vortreten und sich nachträglich wieder einreihen. Bei der intracellulären Nahrungsaufnahme wird das vom Protoplasma abgesonderte Verdauungssekret im Inneren der Zelle zurückbehalten, es bespült das im Inneren des Zelleibes liegende Nahrungskörperchen, das so in eine Verdauungsvakuole zu liegen kommt. Bei größeren Nahrungskörperchen sondert das Proto- plasma mehrerer Zellen oder ganzer Epithelstrecken Verdauungs- sekrete ab. Liegt dabei die Nahrung zwischen den amöboiden Fort- sätzen gegenüberliegender Darmepithelwände, liegt es mithin inter- oder extracellulär, so liegt auch das um ihn abgeschiedene Verdauungssekret inter- oder extracellulär. Lassen wir in diesem Falle bei Fortbestand der sekretorischen Funktion die amöboide Be- weglichkeit des Protoplasmas der Verdauungszellen sich reduzieren und schließlich vollständig verschwinden, so erhalten wir eine weitere Kategorie von verdauenden Drüsenzellen, welche ihr Sekret in die Darmhöhle ergießen, in welcher die vorläufig zersetzte und aufgelöste Nahrung vollends verdaut wird. Auch die phagocytären Darmepithel- zellen können an ihrer Basis Längsmuskelfortsätze - besitzen und an ihrer freien, dem Darmlumen zugekehrten Oberfläche während der Perioden des Fastens oder Hungerns die Lobopodien durch Geißel- haare ersetzen. 3) Die Speicherzellen (Fig. 82 ©) des Darmepithels bilden die dritte Kategorie von Darmepithelzellen. Es sind große Zellen mit einer, zwei oder mehreren großen Saftvakuolen. Sie finden sich überall in eroßer Zahl zwischen den Drüsen- und Freßzellen zerstreut. Ihre an das Darmlumen angrenzende Oberfläche trägt ein oder zwei lange, be- wegliche Geißelhaare (Flagellen). Im Plasma des Zelleibes finden sich verschiedene Einschlüsse, vor allem Eiweißkörner, welche die aufgespeicherte, resorbierte Eiweißnahrung darstellen, ferner Fettkügelchen usw., Materialien, die dazu bestimmt sind, in Zeiten des Fastens oder Hungerns aufgebraucht zu werden. Jede solche Zelle besitzt ferner ‘an ihrer der Grenzlamelle zuge- kehrten Basis ebenfalls einen in der Längsrichtung des Körpers ver- laufenden langen Muskelfortsatz, in dessen Achse eine oder mehrere Fibrillen kontraktiler Substanz differenziert sind. Wenn wir uns nun beispielsweise die Arbeitsteilung zwischen solchen Speicherzellen weiter vorgeschritten denken, so können wir uns die Sache leicht schematisch so vorstellen, daß von je drei solchen Zellen, welche Geißel-, Muskel- und Reservenahrungs- Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 147 zellen zugleich sind, eine zu einer reinen Geißelzelle, eine zweite zu einer reinen Speicherzelle und eine dritte zu einer bloßen Epithelmuskelzelle wird. Zwischen den Epithelzellen, an der Basis des Darmepithels, finden sich indifferente, kleine Zellen überall zerstreut, die Re- gsenerationszellen (Neoblasten) des Darmepithels. ü C. Das Gonadengewebe. Durch ihr verschiedenes Schicksal unterscheiden sich zwei Sorten von anfänglich, wenigstens scheinbar, gleichartigen und gleichbeanlagten Geschlechtszellen oder Gonocyten: abortive und evolutive. Nicht alle Geschlechts- zellen wachsen und reifen zu befruchtungsfähigen Gameten heran, sondern nur relativ wenige, aus diesen oder jenen Gründen bevor- zugte. Diese gewinnen die Oberhand über die schwächeren, mehr oder weniger defekten. Die letzteren dienen dann als abortive Gono- cyten den ersteren zur Nahrung, sei es daß sie zerfallen und daß erst ihre Zerfallsprodukte von den evolutiven Gonocyten verdaut und assimiliert, sei es, daß sie von diesen direkt auf phagocytärem Wege bewältigt werden. Indem so die abortiven Gonocyten früher oder später zugrunde gehen und bloß zur Ernährung der reifenden Geschlechtszellen dienen, bilden sie einen neuen Zuwachs zum somatischen Zellenmaterial. Eine Bereicherung des Soma vom Gonadengewebe aus geschieht sodann noch wiederholt in den aufsteigenden Entwickelungsreihen der Metazoen. Es gibt auch Fälle, wo das Abortivwerden von Eiern erst nach er- folgter Befruchtung eintritt, Fälle, wo z. B. mehrere befruchtete Eier von einer gemeinsamen Eischale umhüllt werden. Alle Eier fangen dann an, sich zu entwickeln, aber von Zeit zu Zeit bleiben einzelne zurück, zerfallen und dienen den wenigen Embryonen, die schließlich noch übrigbleiben und ausschlüpfen, zur Ernährung. Wir können den Fall der Bildung von Abortivzellen in der Gonade als die gleiche Vrscheinung betrachten, die aber schon sehr frühzeitig eintritt. Es ist überaus lehrreich, zum Vergleich einen Fall herbeizuziehen, den man auf einer oberen Stufe der Metazoenorganisation beobachten kann. Bei unserem gewöhnlichen, lebendig gebärenden, schwarzen Alpensalamander (Salamandra atra) treten bei der Ovulation ziem- lich zahlreiche, vielleicht durchschnittlich ca. 30 Eier aus dem Ovarium in den Eileiter (wo sie mit einer Eiweißhülle umgeben werden) und nachher in den Fruchtbehälter (Uterus) der betreffenden Körperseite über. Diese Eier scheinen normalerweise alle befruchtet zu werden. Die meisten von ihnen aber entwickeln sich nicht oder bringen es nicht über frühe Entwickelungsstadien hinaus. Ihr Dotter zerfließt zu einer großen zähflüssigen, gelbweißen Masse, dem Dotterbrei. In jedem Uterus entwickelt sich bloß ein einziges bevorzugtes Ei auf Kosten des Dotter- breies (also der zusammengeflossemen Abortiveier) und der durch die Uteruswand diffundierenden Nahrung zu einer wohlgestalteten, lebens- kräftigen Larve. Der aus diesem evolutiven Ei hervorgehende Haupt- embryo bewältigt den Dotterbrei, a) indem er ihn direkt verschluckt, b) indem seine mächtigen gefiederten Kiemen in ihn eintauchen und ihn wahrscheinlich in gelöster Form resorbieren, wie Darmzotten die gelöste Nahrung (SchnwaLzz 1896). Gelegentlich entwickelt sich noch ein zweites oder ein drittes Ei eine beträchtliche Strecke weiter und wird zu 10* 148 ArnoLD Lang, einem Embryo, der aber mißgestaltet, lebensunfähig ist und frühzeitig abstirbt. Ueber den Zusammenhang der polymorphen Zellen der Gastraea untereinander machen wir uns folgende Vor- stellung: Alle benachbarten Zellen stehen im ganzen Körper mit- einander durch Kurze feine Fortsätze des Protoplasmas in Verbindung. Solche Fortsätze verbinden auch die Zellen des Körperepithels mit den benachbarten Zellen des Darmepithels durch die zwischen- gelagerte Grenzlamelle (Gallerte) hindurch und die Elemente des (Gonadengewebes mit den benachbarten somatischen Elementen. Diese Fortsätze haben das primitive Vermögen des Protoplasmas, Erregungen weiterzuleiten, beibehalten, und sie sind auch die Wege, auf denen gelöste Nahrung, geformte Reservenährstoffe, Körpersäfte und Exkrete fortgeführt werden. Sie sind die vom Darmepithel ausgehenden Verproviantierungsstraßen für die Gonade und für das Körperepithel. Auf diesen Wegen werden ferner das in den Darm hineintretende und von den Darmepithelzellen aufgenommene Wasser, sowie die überall entstehenden Exkrete den Exkretionszellen des Körperepithels zugeführt, in ihren pulsierenden Vakuolen ge- sammelt und durch sie periodisch nach außen entleert. Ein Teil der Zellverbindungen aber hat sich spezialisiert. Wie sich in den Muskelfortsätzen der Zellen ein Teil des Protoplasmas in Fasern kontraktiler Substanz (Myofibrillen) umwandelt, die sich nurin der Längs- richtung, aber in dieser viel energischer als das unspezialisierte, un- differenzierte Protoplasma, kontrahieren, so verwandelt sich ein Teil des Protoplasmas gewisser Zellverbindungen in Fäden einer spezifischen Plasmasubstanz, welche Reize, Erregungen viel leichter und rascher als die gewöhnlichen Zellverbindungen fortleitet, welche also ge- wissermaßen besser gebahnt sind, in welchen die Reizfortpflanzung ge- ringeren Hemmungen begegnet. Diese spezifischen Zellverbindungen, welche die basalen Teile von Epithelzellen miteinander verbinden, nennen wir Nervenfortsätze oder Nervenfasern, die in ihnen differenzierten Fäden leicht leitender Substanz Nervenfibrillen oder Neurofibrillen. Durch solche Nervenfasern sind die Sinnes- zellen mit den Ganglienzellen, die Ganglienzellen mit den Epithel- muskelzellen und Drüsenzellen und die Ganglienzellen untereinander verbunden. Die Nervenfasern, welche die Sinneszellen mit den Ganglienzellen verbinden, nennen wir zentripetale sensible oder rezeptorische Nervenfasern, diejenigen, welche die Ganglienzellen mit den Drüsen- oder Epithelmuskelzellen, sogenannten Erfolgsorganen, verbinden, nennen wir zentrifugale oder effek- torische; speziell die zu den Muskeln verlaufenden, motorische Nervenfasern. Dabei werden die Ganglienzellen als die zentralen Elemente dieses ganzen Beziehungs- oder Verbindungssystems, das wir Nervensystem nennen, betrachtet. Die Neurofibrillen treten durch eine rezeptorische Nervenfaser in eine Ganglienzelle ein und verlassen dieselbe, nachdem sie sich geteilt haben, wieder, um ent- weder in die Verbindungsnervenfasern oder in effektorische Nerven- fasern einzutreten. In den Ganglienzellen anastomosieren sie mit anderen eintretenden Neurofibrillen. Die Nervenfasern sind demnach nur Bahnen, die Ganglienzellen nur Durchgangsstationen für die Neuro- fibrillen, die also gleichsam ein kontinuierliches System von Geleisen Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 149 _ bilden, auf denen sich die Erregungen fortbewegen. In analoger Weise zieht ja auch die Muskelfibrille im Muskelfortsatz kontinuierlich durch die Basis des Zelleibes der Muskelzelle hindurch. Alle Reize, die auf eine Zelle einwirken, werden durch die ge- wöhnlichen Protoplasmaverbindungen langsam weitergeleitet, erlöschen aber in kurzer Entfernung. Die Neurofibrillen hingegen leiten rasch und weit. Wird eine Erregung durch eine zentrifugale, effektorische Nervenfibrille auf die kontraktile Fibrille einer Muskelzelle über- tragen, wobei die Neurofibrille sich durch den Zelleib der Epithel- muskelzelle den Weg bis zur basalen Myofibrille bahnt, so antwortet die letztere durch Kontraktion, während in demselben Falle eine Drüsenzelle durch vermehrte sekretorische Tätigkeit reagiert, immer unter der Voraussetzung genügender Reizstärke. Die Verbindung der Ganglienzellen untereinander dient dazu, einen lokalen Reiz (der auf eine einzige Sinneszelle oder eine lokale Gruppe von Sinnes- zellen einwirkt), auf eine größere Zahl reagierender effektorischer Elemente, z. B. auf alle Muskelzellen des Körperepithels, auszubreiten. Ein primitives Nervensystem, wie das geschilderte, nennt man ein diffuses Nervensystem. In ihm bilden die Nerven- oder Ganglienzellen ein Netz oder einen Plexus. Unsere Darstellung des Baues und der Lebensverrichtungen des Gastraeakörpers wollen wir durch folgende Erläuterungen ergänzen. Die gallertige Grenzmembran hat einen genügenden Grad von Konsistenz, um dem (Gesamtkörper die bestimmte Form zu geben. Sie bildet die Grund- und Unterlage, in welcher das Gonaden- gewebe enthalten ist und auf welcher die Epithelien ruhen. Zweitens hat sie einen genügenden Grad von Elastizität, um dem Körper nach erfolgter Deformation infolge von Druck (z. B. Muskeldruck) oder Zug wieder die normale Gestalt zurückzugeben, wenn die kom- primierende oder ausdehnende Ursache aufhört. Die Kontraktion der Muskelfaserschichten des Körpers. Bei simultaner Kontraktion der äußeren Ring- muskelschicht!) streckt sich der Körper unter gleichmäßiger Ver- kleinerung des (Querschnittes gleichmäßig in die Länge. Bei simultaner Kontraktion der Längsmuskelschicht verkürzt er sich unter Ver- srößerung des Querschnittes. Läuft eine in den beiden Muskelschichten alternierende Kon- traktionswelle von dem einen Körperpole zum andern, so kommt da- durch jene Bewegung zustande, die man als die metabolische, wurmförmige oder peristaltische bezeichnet. Die Bewegungs- welle kann von vorn nach hinten oder von hinten nach vorn ver- laufen. Mit Bezug auf die Außenwelt erscheint sie als metabolische oder wurmförmige, mit Bezug auf den Darminhalt als peristaltische oder antiperistaltische Bewegung. Die Antiperistaltik würde eine Ent- leerung des Darminhaltes durch den Mund, die Peristaltik eine Ver- schiebung desselben nach hinten, und da der Darm blind geschlossen ist, ein abwechselndes Sich-Stauen und Wiederzurückströmen des Darminhalts und dabei eine Vermischung und Knetung desselben hervorrufen. Es ist nützlich, sich zu vergegenwärtigen, welches 1) Bei der Gattung Hydra (dem Süßwasserpolypen) liegt die Ringfaser- schicht innen (an der Basis des Darmepithels) und die Längsfaserschicht außen (an der Basis des Körperepithels). 150 Arnorn Lang, die Folgen einer solchen metabolischen Bewegung an einem auf fester Unterlage liegenden Körper sein würden. Eine genügende Reibung des Körpers gegen die Unterlage vorausgesetzt, würde eine von vorn nach hinten verlaufende Kontraktionswelle den Körper nach vorn von der Stelle bewegen, wie bei einem dahinkriechenden Regen- wurm und umgekehrt. Die Rolle der Geißelhaare am Darmepithel der Gastraea. Wir nehmen an, diese Organellen seien vorn, in der Nähe des Mundes, besonders zahlreich, und wir wollen uns vorstellen, daß sie eine darmwärts gerichtete Wasserströmung unterhalten, die vor- nehmlich zur Einfuhr von Nahrungspartikelchen dient. Das sich im Darm stauende und von den Verdauungszellen aufgenommene Wasser wird durch die Exkretionszellen des Körperepithels, gelegentlich auch unter Kontraktionen der Körpermuskelschichten durch den Mund, wieder nach außen abgeschieden. Gasaustausch zum Zwecke der Atmung findet an der ganzen äußeren und inneren Oberfläche des Körpers statt. Wer sich der vorstehenden Hypothese über die Organisation und Lebensverrichtungen supponierter niederster Stammformen der Metazoen nicht anzuschließen vermag, wird ihr doch vielleicht den Wert einer möglichst einfachen und dabei möglichst er- schöpfenden schematischen Darstellung der Verhältnisse niederer Metazoen, die sich auf ein großes Erfahrungsgebiet stützt, nicht ganz absprechen. Man wird sie in diesem Falle bloß als eine provi- sorische, aber vielleicht didaktisch nützliche und instruktive Grund- lage für das Studium der Organisation der Metazoen betrachten. E. Ontogenetische Entwickelung der Gastraea. Furchung und ;Keimblätterbildung. Beziehungen zur Phylogenie. Wir können uns ohne Schwierigkeit vorstellen, daß ein Metazoen- organismus, ähnlich unserer hypothetischen Gastraea, in seiner in- dividuellen (ontogenetischen) Entwickelung so zustande kommt, wie heutzutage noch die Protozoenkolonien bei vielen koloniebildenden Urtieren, z. B. Flagellaten, mit dem Unterschied jedoch, daß die fort- gesetzten Teilungen von Protozoenindividuen, die zur Bildung einer Kolonie führen, im wesentlich qualitativ gleichhälftige sind, während die Zellteilungen bei der Entwickelung eines Metazoenorganismus früher oder später ungleiche Abkömmlinge liefern. Die Bildung einer Protozoenkolonie geschieht, allgemein dar- gestellt, in folgender Weise. Es bilden sich Makrogameten (Eier) und Mikrogameten (Spermien). Die Makrogameten sind reichlicher ernährte, entdifferenzierte Individuen der Kolonie mit re- duzierter Chromatinsubstanz. Entdifferenziert oder verjüngt nennen wir sie, weil an ihnen die spezifischen Protozoenorganellen (Bewegunesorganellen, Ernährungsorganellen usw.) rückgebildet sind. Der reduzierte Zustand ihrer chromatischen Substanz entspricht dem haploiden Zustande des Kernes eines reifen befruchtungsfähigen und befruchtungsbedürftigen Metazoeneies. — Die Mikrogameten entstehen Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 151 durch rasch fortgesetzte Teilung aus Zellindividuen der Kolonie und sind demzufolge sehr klein, aber zahlreich, nicht mit Reserve- stoffen belastet. Die lokomotorischen Organellen bilden sich an ihnen nicht zurück. Es erhält sich beispielsweise bei den flagellatenähnlichen Spermien das Flagellum. Auch die Mikro- gameten enthalten reduzierte Chromatinsubstanz. | Dann tritt Konjugation (Befruchtung) ein. Eine Mikrogamete verschmilzt mit einer Makrogamete zu einer Zygote. Es verschmelzen dabei die beiden reduzierten Chromatinmassen zu einem neuen, mit Bezug auf das Chromatin vollwertigen Kerngebilde, dem diploiden Frischkern oder Synkaryon. Die Zygote bildet die spezifischen Organellen der Art aus, zu der sie gehört (z. B. ein Flagellum, ein Cytostoma, eine pulsierende Vakuole usw.) und übt als aktives Protozoenindividuum alle vege- tativen Lebensverrichtungen aus. Sie ernährt sich, assimiliert und wächst. Dann schreitet sie zur Fortpflanzung, d. h. zur Teilung, welche eine gleichhälftige ist. Dem Teilungsakt geht vielfach eine Entdifferenzierung voraus. Die beiden Tochterindividuen bleiben beisammen. Ein jedes differenziert wieder die Zellorganellen. Es entsteht eine aus zwei Individuen bestehende aktive Protozoenkolonie. Die beiden Individuen ernähren sich, assimilieren und wachsen. Dann schreiten sie, indem sie sich verjüngen (entdifferenzieren), zur Fortpflanzung, d. h. zur Teilung, welche eine gleichhälftige ist. Die vier Enkelindividuen bleiben beisammen und bilden, indem ein jedes wieder die spezifische Protozoenorganisation ausbildet, eine viergliederige Protozoenkolonie. Die Vorgänge fahren fort, diesen Verlauf zu nehmen. Durch fortgesetzte Teilungen, während welcher die Individuen entdifferenziert sind, entstehen 8-, 16-, 32-gliederige Protozoenkolonien usw. (rewisse Teilungen liefern Zellindividuen, die in das Innere der Kolonie hinein- geraten, sich vorläufig nicht differenzieren, aber fortfahren, sich zu teilen. Es sind die Keimzellen. Völlig zwanglos können wir uns die einzelnen Stadien einer solchen ontogenetischen Entwickelung unverändert als Etappen in der phylogenetischen Entwickelung vorstellen. Nur hätten wir uns zu denken, daß in der Erdgeschichte jedes Stadium durch unzählige, sich wiederholende und immer wieder auf den Aus- gangspunkt, die Zygote, zurückkehrende Generationen vertreten war. Eine solche Entwickelungsweise, bei der jedes Stadium wieder auf die Vorfahrenform einer aktiven Protozoenkolonie bzw. eines ein- fachen Metazoenorganismus zurückkehrt, welcher durch selbständigen Nahrungserwerb sich immer erst wieder die Möglichkeit schaffen muß, sich durch Teilung seiner Zellelemente auf das nächstfolgende Stadium zu erheben, wäre aber eine äußerst langsame und gefährdete. Wir müssen uns deshalb vorstellen, daß sich die individuelle Entwickelung, im Laufe der phyletischen Evolution fortschreitend verkürzte und direkter gestaltete. Wenn, was wir ja von vornherein annehmen müssen, die Organisation auf jeder neuen Stufe der phyletischen Ent- wickelung eine den habituellen, „normalen“ Durchschnittsverhältnissen besser angepaßte war, so war jede solche Verkürzung in der onto- 152 Arnoun Lang, genetischen Entwickelung, die möglichst direkte Erreichung des best- angepaßten erwachsenen Zustandes, ein nützlicher Fortschritt. Dieser wurde dadurch erreicht und ermöglicht, daß die erwachsenen Formen ihre weiblichen Gameten mit immer mehr Reservenahrung in Form von Nahrungsdotter ausstatteten. Dann brauchte die Zygote sich nicht mehr zu der Vorfahrenform eines aktiven Protozoon zu differenzieren, um sich nachher zwecks Teilung wieder zu verjüngen. Die Zygote blieb entdifferenziert und stellte von diesem Augenblicke an nur das erste Entwickelungsstadium, das unbefruchtete Ei dar. Je mehr der erwachsene Organismus seine Eier mit Nahrungsdotter auszurüsten vermochte, um so weniger dringend wurde während der individuellen Entwickelung die Ausbildung eines aktiven, sich selbständig er- nährenden Stadiums. Die beiden Tochterzellen, die vier Enkelzellen, die acht Urenkelzellen usw. der Zygote (des befruchteten Eies) diffe- renzierten sich nicht mehr zu zwei-, vier-, acht- usw. eliederigen aktiven Protozoenkolonien, sondern wurden zu bloßen Durchgangs- stadien der Entwickelung. Die ursprünglichen Protozoen- individuen dieser Stadien wurden zu Furchungszellen oder Blastomeren. Die Bildung der zwei-, vier-, acht-, sechzehn-gliede- rigen Protozoenkolonien, die sich bei jedem Teilungsschritt ihrer Glieder verjüngten, wurde zum Furchungsprozeß, bei dem weder von einer Organellendifferenzierung noch von einer Entdifferenzierung der Zellindividuen die Rede ist. Dehnte sich dieser Prozeß der Abkürzung der ÖOntogenie immer weiter aus, so nahm auch die Blastaea den Charakter eines bloßen Durchgangsstadiums an; sie wurde zur Blastula, zueiner „Keimblase“, deren sich nicht differenzierende Wandzellen eine Keimschicht, das Blastoderm, bilden, wobei die Kolonialgallerte nicht mehr zur Ausbildung gelangt und der Binnenraum der Coeloblastula, die nunmehrige Furchungs- höhle, mit Wasser erfüllt ist. Die einfachste Form einer solchen Furchung und Blastodermbildung, die tatsächlich bei Metazoen be- obachtet wird, ist die totale, äquale Furchung homoleci- thaler Eier, wie sie beispielsweise durch die erste Entwickelung einer Holothurie (Synapta digitata) nach SELENKA in fast schematischer Weise illustriert wird (Fig. 83 u. 84). (Beim homo- lecithalen Ei dieser Form ist der in mäßiger Menge im kugeligen Ei enthaltene Nahrungsdotter gleichmäßig im ganzen Cytoplasma ver- teilt. Das Ei und seine Deszendenten, die Blastomeren, teilen sich immer total in je zwei gleichgroße Tochterzellen.) Unter den Blastomeren zeichnen sich einzelne, mit stets unein- geschränkter prospektiver Potenz behaftete, durch besondere Eigentüm- lichkeiten aus. Sie verlagern sich in die Furchungshöhle und stellen die Keimzellen. der Blastaea dar. Vorläufig bleiben sie ungeteilt oder sie ver- mehren sich nur wenig. Sie werden in der Embryologie der Metazoen auch als Urgeschlechtszellen bezeichnet, und man hebt ihre vielfach beobachtete frühzeitige Sonderung von dem übrigen embryo- nalen Zellenmaterial, die wir durch einige Figuren (Fig. 87 u. 88) be- legen wollen, besonders hervor. Schließlich wurden auch, mit zu- nehmender Bereicherung der Eier mit Reservenahrung (Nahrungsdotter), die supponierten phylogenetischen Zwischenstadien von der Blastaea zur dreischichtigen Gastraea in der ontogenetischen Entwickelung nicht mehr aktiv, sondern zu bloßen ontogenetischen Durchgangsstadien. Doch die phylogenetischen Etappen wiederholen sich immer noch in 3 Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 153 Fig. 83. Furchung von Synapta digitata. Nach SELENKA aus KORSCHELT: und HEIDER. A Zwei-Blastomerenstadium, Seitenansicht. ansicht. B Vier-Blastomerenstadium, .Pol- ansicht. C Acht-Blastomerenstadium, Seitenansicht. D Sechzehn-Blastomerenstadium, Seiten- ya x r Rt ä De a r r- Fig. 84, Spätere Stadien der Furchung von Synapta digitata. Nach SELENKA aus KoRscHELT und HEIDER. A Zweiunddreißig- Blastomerenstadium, Seitenansicht. B Dasselbe im Durchschnitt. C Vierundsechzig - Blastomerenstadium im Durchschnitt. D Durchschnitt durch das Hundertachtundzwanzig-Blastomerenstadium. 154 Arnoup Lang, der Ontogenie: es plattet sich ein Pol, der Entodermpol (gewöhnlich als vegetativer bezeichnet) der Blastula ab, und dieser abgeplattete Teil des Blastoderms senkt sich, stülpt sich immer tiefer in das Blastocöl ein, bis er sich schließlich direkt an den nicht eingestülpten Fig. 85. Fig. 86. Fig. 85. Blastula von Amphioxus mit beginnender Abflachung an dem einen Pol (2). 2 Furchungshöhle —= Blastocöl. Nach HATSCHEKR aus O. HERTWIG. Fig. 86. Beginnende Einstülpung der Blastula von Amphioxus. Junges Gastrula- stadium. 12 Furchungshöhle, 3 Urdarmhöhle. Nach HATSCHEK, aus OÖ. HERTWIG. Teil des Blastoderms und die Gruppe der Urkeim- oder Urgeschlechts- zellen von innen unter Schwund des Blastocöls anschmiegt. Dieser Vorgang heißt in der Ontogenie Invagination; der dreischichtige Keim, der dadurch entsteht und der die dreischichtige Stammform, 223 Fig. 87. A, B, C Drei frühe Entwickelungsstadien von Sagitta. Nach OÖ. HERTwWIG. A Durch totale Invagination entstandene Gastrula, bl Blastoporus, ud Ur- darmhöhle, g Urgeschlechtszellen, vm viscerales, pm parietales Blatt des Mesoderms, d Mitteldarmanlage, cs Cölomdivertikel = Mesodermdivertikel des Entoderms, st Stomo- daeum (Schlundeinstülpung des Eetoderms). die Gastraea, allerdings als bloßes Durchgangsstadium, repräsen- tiert, heißt Gastrula. Die nicht eingestülpte Schicht des (noch un- differenzierten) Blastoderms ist das äußere Keimblatt, besser die’ äußere Keimschicht (Ektoderm, Ektoblast). Die ein- gestülpte, noch undifferenzierte Wand des Blastoderms ist die innere Keimschicht, das innere Keimblatt (Entoderm, Ento- blast). Beide Schichten haben den’ Charakter von Epithelien (Keim- epithelien). Die Einstülpungshöhle ist die Urdarmhöhle (Arch- enteron), die Einstülpungsöffnung ist der Urmund (Pro- stoma, Blastoporus). Die Gruppe oder der Haufen von Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 155 Urkeimzellen (Fig. 88, 3) liegt jetzt in mesodermaler Lage zwischen Ekto- und Entoderm. Jetzt erst, am Schlusse der individuellen Entwickelung, hebt der Differenzierungsprozeß an, welcher die Gastrula (ein embryo- nales, undifferenziertes Durchgangsstadium) zur aktiven, sich selb- ständig ernährenden und bewegenden, geschlechtsreifen Gastraea ge- staltet. Das Ektoderm wird zum äußeren Körperepithel, indem die meisten seiner indifferenten Zellen dadurch, daß sie die betreffenden A 2 Fig. 88. A, B, © Frühzeitige Sonderung der Urgeschlechtszellen in der Onto- genie. 1 Ektoderm, 2 Furchungshöhle, 3 Urgeschlechtszellen, 7 Entoderm, 5 Mesoderm, 6 Stomodaeum. A Schnitt durch die junge Gastrula von Cyclops brevicornis CLAUS (viridis JURINE). Nach VALENTIN HAECKER, 1897. B Optischer Horizontalschnitt und © optischer Medianschnitt durch einen jungen Keim von Ascaris megalocephala. Der Keim steht ungefähr auf der Stufe einer älteren Gastrulalarve. Nach THEODOR BovErı, 1899. Örganellen differenzieren, zu den verschiedenen Elementen der äußeren Körperschicht: Wimperzellen, Giftzellen, Sinneszellen, Ganglienzellen und Epithelmuskelzellen, werden. Eine Anzahl von Abkömmlingen der Ektodermzellen in basaler Lage behält den undifferenzierten Charakter bei. Es sind die interstitiellen Zellen (Regenerationszellen). In ähnlicher Weise differenzieren sich die Entodermzellen zu den verschiedenen, mit Geißeln aus- gerüsteten Epithelmuskelzellen des Darmepithels, den Drüsen- und Speicherzellen und phagocytären Zellen. Die mesodermale Gruppe von Urkeimzellen wird zu einer Gonade, in der unter Teilungs- und Reifungserscheinungen Gameten entstehen. 156 ArnoLp Lang, Um eine Erscheinung schematisch zu erläutern, welche in der Entwickelungsmechanik eine wichtige Rolle spielt, wollen wir annehmen, daß sich beim ontogenetischen Uebergang vom Blastula- zum Gastrulastadium die prospektive Potenz der zwei Regionen des Blastoderms einschränkt. Auf den Furchungsstadien und vielleicht noch auf dem Blastulastadium besitzen alle Zellen eine uneingeschränkte prospektive Potenz. Diese uneingeschränkte Potenz behalten im weiteren Verlauf der Entwickelung nur die Urkeimzellen bei, bei den Zellen des Ektoderms beschränkt sich die prospektive Potenz (die sich in diesem Falle mit der prospektiven Bedeutung deckt) aller Zellen des Ektoderms darauf, gegebenenfalls, z. B. nach operativen Eingriffen, alle Elemente des Körperepithels wiederherzustellen, und diejenige aller Zellen des Entoderms auf die Neubildung eines diffe- renzierten Darmepithels. Zur Herstellung beider geweblich diffe- renzierter Körperschichten bedarf es der Beteiligung sowohl von Ekto- wie von Entodermzellen resp. ihrer sich als Interstitial- zellen erhaltenden Aequivalente. Nur die Keimzellen haben die un- eingeschränkte prospektive Potenz beibehalten. (Die Erfahrungen der Entwickelungsphysiologie scheinen zu lehren, daß sich die prospektive Potenz von Embryonalzellen resp. Komplexen von Embryonalzellen nicht mit ihrer prospektiven Bedeutung, siehe S. 131, zu decken braucht.) Wenn sich wirklich die individuelle Entwickelungsgeschichte unserer supponierten niedersten Metazoen im Laufe der Erdgeschichte allmählich auf die beschriebene Art und Weise in dem Maße verein- fachte und verkürzte, als sich erdgeschichtlich die Organisation der Gastraea herausbildete, so wäre wenigstens in diesem allereinfachsten Falle das Verhältnis der Ontogenie zur Phylogenie (oder auch zu den Stufen des Systems) unserem Verständnis ein wenig näher gerückt. Dann wäre palingenetisch in der Ontogenie im Sinne HAECKELS (d. h. eine Rekapitulation der Phylogenie) die Rückkehr auf das Einzellenstadium, die Rückkehr auf ein Zwei-, Vier-, Acht- usw. Zellen- stadium; die Rückkehr auf ein Blastulastadium mit einziger oberfläch- licher Zellenschicht und zentralen Keimzellen, der Invaginationsvorgang und die Entstehung des dreischichtigen Baues. Cänogenetisch, d.h. gegenüber den entsprechenden Vorfahrenzuständen verändert, wäre der undifferenzierte Zustand (das Fehlen der Organellen) bei allen Zellen aller Entwickelungsstadien, die vorläufig nicht eintretende Ver- mehrung der Urgeschlechtszellen und das Auftreten von reichlicherem Nahrungsdotter in der Zygote (dem Ei). Die Zygote selbst ist auch ihrem inneren Wesen, ihrer Beanlagung nach innerhalb des alten Vor- fahrenrahmens der Zelle, inzwischen wirklich etwas anderes geworden. In der Vorfahrenreihe war sie nur ein einzelliges, zur Fortpflanzung durch Teilung befähigtes Protozoon. Die Erzeugung von zwei neuen selbständigen Protozoenindividuen war ihre ganze prospektive Be- deutung. Jetzt hat sich ihre prospektive Bedeutung derart verändert und bereichert, daß sie darin besteht, durch fortgesetzte gleich- und ungleichhälftige Teilung die Organisation einer Gastraea zu liefern. Und was vom Ei der Gastraea gilt, verglichen mit dem ursprüng- lichen einzelligen Protozoon, gilt in ähnlicher Weise für die darauf- folgenden ontogenetischen Entwickelungsstadien. Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 157 F. Abweichende Hypothesen über den phylogenetischen Ursprung einer gemeinsamen Stammform der Metazoen. Unsere eigenen, im vorstehenden entwickelten Ausführungen über die mögliche phylogenetische Ausbildung einer primitiven Metazoen- organisation sind im wesentlichen nur eine modernere Ausgestaltung der grundlegenden Gastraeatheorie, die HAEcKEL (1872, 1874, 1875, 1877) begründet hat. Wie nicht anders zu erwarten, haben andere Forscher, geleitet von einem ähnlichen, wohlberechtigten Bestreben nach synthetischer Ordnung und Zusammenfassung der empirischen Tatsachen der Bio- logie vom deszendenztheoretischen Standpunkte aus, mehr oder minder stark abweichende Hypothesen aufgestellt. Wir wollen nur über drei von ihnen berichten, die uns als die wichtigsten erscheinen und halten uns dabei nicht an die chronologische Reihenfolge. Die neueste Hypothese ist die Archigastrula-Hypothese, die in dem vortrefflichen, in theoretischen Fragen übrigens äußerst vor- sichtigen und zurückhaltenden „Lehrbuch der vergleichenden Entwicke- lungsgeschichte der wirbellosen Tiere“ von KorscHeLr und HEıpEr (Allg. Teil, 4. Lieferung, 1910) zu begründen versucht wird. Diese Hypothese entfernt sich insofern am wenigsten weit von der von uns vorgetragenen, als sie ebenfalls im Sinne HAcEckeus eine der Invaginations- gastrula entsprechende „Archigastrula“ als Stammform annimmt. Aus einer ursprünglich gleichmäßig nach allen Richtungen rotierenden, kugel- förmigen, Volvox-ähnlichen Protozoenkolonie wurde eine Form mit be- stimmter Bewegungsrichtung. Wie ernährte sich dieselbe? „Anfangs wahrscheinlich durch Aufnahme kleinster Nahrungspartikelchen und durch intracelluläre Verdauung, an der sich zunächst sämtliche Zellen der Kolonie in gleicher Weise beteiligten. Als aber eine Hauptachse als die Be- wegungsrichtung bestimmend in Funktion trat, sahen sich die Zellen nach ihrer Lage zu den Polen dieser Hauptachse bezüglich der Nahrungs- aufnahme unter verschiedenen Bedingungen. Läßt man eine derartige Larvenform in Seewasser schwimmen, in welchem Karminkörnchen suspen- diert sind (wir verwendeten hierzu vor Jahren die Larve von Oscarella — es ist dies ein Schwamm —) so bemerkt man Folgendes. Daß die Karminkörnchen von den Zellen der Larve aufgenommen wurden, war nie zu bemerken; die Oscarella-Larve scheint in dem blastosphaera- ähnlichen Stadium noch nicht Nahrung aufzunehmen. Aber es zeigte sich, daß die Karminkörnchen in der Nähe des vorderen Poles durch die Strömungen im Wasser weggeschleudert wurden. An den hinteren Pol wurden sie dagegen durch den bei der Vorwärtsbewegung der Larve er- zeugten Rückstoß des Wassers herangedrängt. Hier ist sonach die Stelle gegeben, welche für die Nahrungsaufnahme am günstigsten sein mußte. Wenn sich an dieser Stelle eine Abflachung entwickelte, so wurde der tote Raum, in welchem sich Nahrungspartikel ansammeln konnten, ver- größert. Noch günstiger mußte es aber sein, wenn sich eine, wenn auch nur flache Einbuchtung ausbildete. Daß die später eintretende weitere Vertiefung von Vorteil sein mußte, ist zuzugeben. Hier handelt es sich um die mit der ersten auftretenden Abflachung oder schwachen Ein- buchtung verbundenen Vorteile. Diese Anfänge des Urdarms waren ein Fangraum für Nahrungspartikelchen.“ 158 ARnoLD Lang, Unsere eigene, oben dargelegte Suggestion unterscheidet sich von der Idee von KORSCHELT und HEIDER, die zweifellos vieles für. sich hat, vornehmlich dadurch, daß wir den vorderen Pol der Blastaea als den sich invaginierenden Nahrungspol annehmen. Wir berufen uns dabei auf die analoge Erscheinung bei freischwimmenden Flagel- laten und heterotrichen Infusorien, bei denen ebenfalls der vordere Pol der Nahrungspol ist und bei denen die lokomotorischen Organellen zugleich nutritorische sind, indem sie die Nahrungspartikelchen in das entweder genau am vorderen Pole oder etwas asymmetrisch daneben liegende Cytostoma hineinstrudeln. (Man vergleiche die Abbildungen von Monadinen mit vorderständigem Flagellum und Cytopharynx sowie diejenigen von holotrichen Infusorien mit Cytostoma und Cytopharynx am vorderen Körperpole A im ersten Bande dieses Handbuchs.) Was für diese einzelnen Protozoenindividuen Gültigkeit hat, darf doch wohl auch für eine ganze vorderständige Gruppe von Protozoenindividuen als gültig angenommen werden. Bei den Larven, die sich vermittels der Cilien und Flagellen nur bewegen, aber keine Nahrung aufnehmen, werden im Wasser suspendierte Fremdpartikelchen selbstverständlich an der Oberfläche des Körpers vorbei nach hinten gestrudelt. Bürscntis Placulatheorie (1884) seht nicht von einer kugeligen, sondern einer tafelförmigen einschichtigen Kolonie aus, wie sie bei Flagellaten, z. B. Gonium, vorkommt. Sie nimmt an, „daß eine solche Urform zu- nächst durch Querteilung ihrer Zellen zwei- schichtig wurde (Fig. 89 A—C) und daß die eine der so gebildeten Zelllagen sich zur ernähren- den, die andere zur schützenden und bewegen- den differenzierte. Ein ähnliches plattenartiges Fig. 89. A—E. Schematische Darstellung der Entstehung einer gastraeaartigen Urform aus einer Protozoenkolonie nach den Ideen von O. BÜTSCHLI, 1884, A, B,C Vom Acht-Blastomerenstadium (A) bis zur zwei- schichtigen Platte (Placula). D, E Einkrümmung der zweischichtigen plattenförmigen Kolonie zur Gastraea. Die helleren Zellen liefern oder bilden das Ektoderm, die dunkler gehaltenen das Entoderm. Stadium kann vorübergehend in der ÖOntogenese einzelner Metazoen- sruppen (bei gewissen Nematoden, Oligochäten, Ascidien) auftreten. „Wenn nun eine derart gebaute, zweischichtige, plattenartige Form sich so bewegte, daß die ernährende Zelllage gegen den Boden gerichtet war und hier ihre Nahrung suchte, so mußte es von Vorteil sein, wenn der Organismus sich allmählich zu einer uhrglasartigen Form (Fig.89 D) mit nach unten gerichteter Konkavität einkrümmte. Jetzt vermochte er sich über auf Allgemeine Lehre vom zelligen Aufbau des Metazoenkörpers. 159 dem Boden liegende Nahrungskörper herabzusenken, sie einzufangen und in seiner Höhle festzuhalten. Eine stärkere Einkrümmung konnte dann zur typischen Gastraeaform (Fig. 89 E) führen, in deren Gastralhöhle die Nahrungskörper durch den Urmund eingeführt und worin sie weiter ver- arbeitet wurden.“ Gegen diese Hypothese wurde hauptsächlich geltend ge- macht, daß sich bei den Tieren, in deren Entwickelung ein zweischichtiges, placulaähnliches Stadium vorkommt, dieses Stadium erst sekundär aus einem hohlkugelförmigen durch Abflachung herauszubilden pflegt. Ungefähr gleich alt, wie HArckELs Gastraeatheorie, ist Ray Lan- KESTERS Planulatheorie (1873, 1877). Auch diese hat viele Be- achtung und manche Anhänger gefunden. LANKESTER stellt sich den Ausgangspunkt der niedersten Metazoen als eine kuglige kompakte Kolonie von Protozoenzellen vor, deren freie äußere Oberfläche durch Aufnahme von Nahrungspartikelchen nach Amöben- art die tierische Ernährung vermittelte (Fig. 90). Diesem phylogenetischen Fig. 90. Fig. 1—4. Vier Durchschnittsbilder zur Veranschaulichung der Bildung einer Gastrula durch Delamination. Nach LANKESTER aus BALFOUR. Fig. 1 Ei. Fig. 2 Ein Stadium in der Furchung. Fig. 3 Beginn der Delamination nach dem Auftreten einer zentralen Höhlung. In Fig. 1, 2 und 3 bedeutet Ec Ektoplasma, En Entoplasma. In Fig. 4 bedeutet Ec Ektoderm, En Entoderm. Stadium soll in der Ontogenie die Morula oder der Maulbeerkeim!) entsprechen. Indem sich im Zentrum der Kolonie Flüssigkeit ansammelte, wurde die kompakte Kolonie zu einer Blase mit zentralem Hohlraum und aus einer einschichtigen Lage von Zellen gebildeter Wand. ÖOnto- genetisches Stadium der Blastula mit Blastocöl. Sodann nahmen die inneren und äußeren Partien der Zellen eine verschiedene Struktur und verschiedene Eigenschaften an, wie das etwa bei der Bildung der Blastula von Geryonia (siehe den Abschnitt über Furchung und Gastrulation) 1) Die „Morula‘ entspricht einer jungen Blastula ohne zentralen Hohlraum (d. h, noch ohne Blastocöl). 160 ArnoLD Lang, der Fall ist. „Die Flüssigkeit im Hohlraum der Blastula war sehr wahr- scheinlich besonderer Art und es mögen zugleich mit Absonderungs- produkten, die von den Zellen gebildet wurden, auch unverdaute Nahrungs- partikelchen durch die Substanz der Zellen hindurch in das Blastocöl hineingelangt und hier aufgelöst worden sein, so daß das Blastocöl anfing, eine verdauende Funktion zu bekommen.“ Nun teilten sich die Zellen, wenn auch vielleicht nicht alle, je in eine äußere und eine innere Zelle. Durch diesen Vorgang, welcher der bei gewissen Metazoen vor- kommenden ontogenetischen Entstehung der Gastrula aus der Blastula durch Delamination entsprechen soll, kam ein zweiblättriger Keim (Diblastula) (Fig. 90, 4) zustande, der aber fortfuhr, sich in der bisherigen Weise, durch Aufnahme fester Nahrung von seiten der nackten äußeren oder Ektodermzellen zu ernähren. Die innere Zellschicht, das Entoderm, bildete nun eine besondere Wand um das zur Urdarmhöhle oder Archenteron: gewordene Blastocöl. Nun ist nach LANkESTER weiter anzunehmen, daß in dem Maße als die Differenzierung der äußeren und inneren Zellschicht Fortschritte machte, sich die Aufnahme der Nahrung schließlich auf eine einzige Stelle der Oberfläche beschränkte und daß an dieser Stelle feste Nahrungspartikelchen durch das weiche Proto- plasma in die Urdarmhöhle übertraten, um hier verdaut zu werden. Die Lokalisation der Nahrungsaufnahme auf eine solche Ingestionsstelle machte die allgemeine Körperoberfläche frei für die Entwickelung eines sich in den Dienst der Lokomotion stellenden Wimperkleides. Ein Durchbruch der Wandung des schlauchförmigen Körpers an jener Ingestionsstelle, die Herstellung eines offenen Weges in die bereits aktiv sezernierende und absorbierende Verdauungshöhle, führte zur Bildung der Mundöffnung. Morphologisch läßt sich die Berechtigung einer solchen oder ähn- lichen Hypothese nicht völlig in Abrede stellen, da tatsächlich bei ge- wissen Metazoen in der Ontogenie die Bildung einer zweiblättrigen ge- schlossenen Keimblase durch Delamination und das sekundäre Auftreten des Blastoporus vorkommt. Wengp es sich aber darum handelt, zwischen den verschiedenen Theorien zu entscheiden, so wird die Entscheidung wesentlich davon abhängen, ob es gelingen wird, die ontogenetischen Prozesse der Invagination und Delamination voneinander abzuleiten und den einen Prozeß gegenüber dem anderen als den ursprünglicheren nachzu- weisen. Ein solcher Nachweis ist aber zurzeit noch nicht in ganz sicherer Weise erbracht worden, wenn auch vieles dafür spricht, daß die Invagi- nation der ursprüngliche Bildungsmodus des zweiblättrigen Keimes ist. Dagegen scheinen uns biologisch-physiologische Ueberlegungen stark zugunsten irgendeiner Form der Gastraeatheorie zu sprechen, die in einer unser Erklärungsbedürfnis vorläufig befriedigenden Weise die Bil- dung der Gastraea durch fortschreitende Arbeitsteilung innerhalb einer Protozoenkolonie erklärt, wobei ein jedes Stadium ungezwungen an das vorhergehende anknüpft und ihm gegenüber als eine nützliche Verbesserung erscheint. | Gesucht und erkünstelt erscheint uns in der Planulatheorie die An- nahme der Bildung einer zentralen Verdauungshöhle, in welche die Nahrungspartikelchen durch die phagocytären Zellenleiber der Körper- wand hindurch hineinwandern. Die Exkremente mußten also doch wieder durch die Körperwand hindurch nach außen zurückwandern. Auch die —_ _ Verlag von Gustav Fischer in Jena. a Eine historisch-kritische System der Biologie in Forschung und Lehre. studie. Von Dr.phil. S. Tsehulok, Zürich. 1910. Preis: 9 Mark. Inhaltsübersicht: I. Die Entwicklung der Anschauungen über Auf- gabe und System der Botanik und Zoologie, vom 16. Jahrhundert bis 1869. 1. Die Botanik bis 1732. — 2. Die Botanik von 1732 bis 1813. — 3. Das System A. P. De Candolle (1813—1842). — 4. M. J. Schleiden. — 5. Die zoologischen Systeme bis 1866. — 6. E. Häckels System ‘der Biologie (1866-69). — II. Versuch eines neuen Systems der biologischen Wissenschaften. 7. Verschiedene Arten die Biologie zu klassifizieren. — 8. Einteilung der Biologie nach der Forschungsmethode. — 9. Einteilung der Biologie in Biotaxie und Biophysik. — 10. Die sieben materiellen Gesichtspunkte der biologischen Forschung. — 11. Allgemeine und spezielle Botanik, resp. Zoologie. — 12. Zusammenfassung. Einwände. — 13. Kritik einiger Systeme der Biologie (aus der Zeit von 1853—1907). — III. Die Auffassung vom System der Biologie in den modernen Lehrbüehern. 14. Die modernen Lehrbücher der Botanik. — 15. Der Begriff der „Biologie im engeren Sinne“. — 16. Einige zoolo- gische Lehrbücher. — Anmerkungen und Zusätze. Zeitschrift f. allgem. Physiologie. 1911, Bd. XI, Heft‘4: Unsere Erkenntnis der Welt kann nur fortschreiten, wenn die Schlußfolgerungen der Vernunft und die naturwissenschaftliche Erfahrung Hand in Hand gehen. Der Naturforscher braucht neben seinen Experimenten und Beobachtungen eine Philosophie, nicht jene, wie der Verf. sagt, für welche man sich an einer besonderen Fakultät immatrikulieren lassen muß, sondern jene Art der Philosophie, die jeder Natur- forscher in der Brust tragen muß, um sich in jedem Falle klar die Frage vorlegen zu können. Wonach forsche ich? Was will ich an den Lebewesen wahrnehmen ? Was will ich meinen Schülern von den Lebewesen mitteilen ? Der Verf. sucht diese allgemein gültige Erkenntnis für das System der Biologie zu verwerten. An einem Ausschnitte aus der Geschichte zeigt er, wie verschieden die Aufgabe und das System der Botanik und Zoologie in verschiedenen Zeiten aufgefaßt wurden, er berücksichtigt auch die Entwicklung der Lehrstühle für Botanik und Zoologie an den Universitäten und die Entwicklung der wichtigsten Lehr- und Handbücher. Derjenige, welcher sich für die Genese der modernen Lehrbücher der Botanik, Zoologie und Biologie interessiert, wird mit Vergnügen den Ausführungen des Autors im dritten und letzten Abschnitte seines Buches folgen. Es ist außerordentlich wichtig, zu sehen, wie selbst die modernsten Lehrbücher von traditionellen Elementen durchsetzt sind, Elementen, welche früheren Phasen der Entwicklung entstammen. In unserer Zeit, welche durch eine geistige Ueberproduktion und einen Nieder- gang allgemeiner Problemstellung charakterisiert ist, ist das vorliegende Buch freudig zu begrüßen. Seine Lektüre sei jedem Forscher warm empfohlen. | Fröhlich (Bonn). Der Aufbau der Skeletteile in den freien “liedmassen der Wirbeltiere, Untersuchungen an urodelen Amphibien. Von Dr. H. von Eggeling, a. o. Professor und Prosektor an der anatom. Anstalt der Universität Jena. Mit 4 lithographischen Tafeln, 147 Figuren im Texte. 1911. Preis: 16 Mark. Die Kenntnis von einzelnen Punkten aus der allgemeinen Lehre vom Aufbau der knöchernen Skeletteile ist eine ungenügende und auch in der umfangreichen Literatur ist noch keine ausreichende Belehrung darüber zu finden. Dies veranlaßte die jetzt vorliegenden Untersuchungen, die bei den Urodelen begonnen wurden. Hier bereits ergaben sich so wichtige Aufklärungen bezüglich der aufgestellten Fragen, daß der Verfasser es als berechtigt ansehen durfte, die gewonnenen Ergeb- nisse in selbständiger Form vorzulegen. Von einer beabsightigten Ausdehnung der Untersuchungen auch auf die einzelnen Gruppen der höheren Wirbeltiere sind noch mancherlei interessante Ergebnisse für diese Fragestellung zu erwarten. Zoologen ar erg werden deshalb mit besonderem Interesse diese Veröffentlichung aufnehmen. Eine allgemeine Anatomie der lebendigen Masse. Bearbeitet Plasma und Zelle. von Prof. Dr. Martin Heidenhain in Tübingen. Erste Lieferung: Die Grundlagen der mikroskopischen Anatomie, die Kerne, die Zentren und die Granulalehre. Mit 276 teilweise farbigen Abbildungen im Text. 1907. Preis: 20 Mark, geb. 21 Mark 50 Pf. Zweite Lieferung: Die kontraktile Substanz, die nervöse Substanz, die Faden- gerlistlehre und ihre Objekte. Mit 1 lithographischen Tafel und 395 teilweise \ farbigen Abbildungen im Text. 1911. Preis: 23 Mark, geb. 24 Mark 50 Pf. b| >» Verlag von kustav Fiseher in Jena. Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte der wirbellosen Tiere Von E. Korschelt, Prof. in Marburg, und K. Heider, Prof. in Innsbruck. * Allgemeiner Teil. Erste und zweite Auflage. | Erste Lieferung. Mit 318 Textabbildungen. ” 1902. Preis: 14 Mark. Inhalt: Erster Abschnitt. Experimentelle Entwicklungsgeschichte. 1. Kapitel. : Der Anteil äusserer Einwirkungen auf die Entwicklung, 2. Kapitel, - Das Determinationsproblem. 3. Kapitel. ‚Ermittelungen der im Innern wirkenden Entwicklungsfaktoren, Zweiter Abschnitt: Die Geschleehtszellen, ihre Entstehung, Reifung und Vereinigung. 4. Kapitel. Ei und Eibildung, 5. Kapitel. Sperma und Spermatogenese. Zweite Lieferung. Mit 78 Textabbildungen. 1903. Preis: 5 Mark 50 Pf. Inhalt: 6. Kapitel. Eireifung, Samenreifung und Befruchtung. Anhang: Theorie der Vererbung. Dritte Lieferung. Mit 104 Textabbildungen. 1909. Preis: 4 Mark 50 Pf. Inhalt: III. Abschnitt. Furchungund Keimblätterbildung. 7. Kapitel. Die Furchung. Vierte Lieferung. 1. Hälfte. Mit 217 Textabbildungen. 1910. Preis: 7 Mark 50 Pf. Inhalt: &. Kapitel. Keimblätterbildung. Vierte Lieferung. 2. Hälfte. Mit 328 Abbildungen im Text. 1910, Preis: 11 Mark. Inhalt: 9. Kapitel. Ungeschlechtliche Fortpflanzung. eo Archiv für Entwicklungsmechanik. XIV, 1/2 (über Lfg. 1): . .. . Korschelt und Heider ist es nun zu danken, daß die deutsche Sprache es ist, die das erste, die Ergebnisse der drei Hauptabschnitte der jetzigen Ent- wicklungsmechanik umfassende, objektiv geschricbene Werk und zwar in vorzüglicher, klarer Darstellung besitzt Zugleich muß. es den Autoren oder dem Autor be- sonders hoch angerechnet werden, daß er viel Mühe und Sorgfalt darauf verwendet hat, vieles bisher beständig falsch Berichtete durch seine Darstellung zu berichtigen und manches von den Spezialarbeitern beständig Uebersehene aufzufinden und an der richtigen Stelle dem Ganzen einzufügen. ... Wir dürfen uns von dem wert- vollen Werke sowohl eine wesentlich Klärung der Ansichten, als auch eine weiter- gehende Förderung unserer Disziplin versprechen: nämlich einen Zuwachs an gut informierten Mitarbeitern sowie einen Zuwachs an Interesse und Achtung bei den Vertretern der anderen biologischen Forschungsrichtungen. Es ist daher dem Buche die weiteste Verbreitung zu wünschen. W. Roux. Eine morphologische und Bau und Entstehung der Wirbeltiergelenke. „;togenetische Untersuch- ung von Dr. med. Wilh. Lubosch, a. o. Prof. d. Anatomie a. d. Universität Jena. Mit 230 Abbildungen im Text und 10 lithogr. Tafeln. 1910. Preis: 27 Mark. Anatom. Anzeiger Bd. 38, Nr. 2/3 vom 10. Januar 1911: | ... Das Werk ist sehr klar und fließend geschrieben und mit zahlreichen sehönen Abbildungen im Text und prachtvollen farbigen Tafeln glänzend ausgestattet. Die gesamte Literatur ist in umfassender Weise umsichtig und kritisch verarbeitet. ... Man kann es eher als einen Nutzen des vorliegenden außerordentlich fleißigen und gewissenhaften Werkes betrachten, daß durch dasselbe klarer gezeigt wird, wo und wie die entwieklungsmechanische Forschung auf dem Gebiete der Gelenkbildung einzusetzen hat, und wie viel da noch zu tun übrig bleibt. Strasser. Vergleichende Anatomie des menschlichen Gebisses und der Zähne Von Dr. Paul de Terra, vorm. Zahnarzt in Zürich. Mit der Vertebraten. >00 Textabbildungen. 1911. Preis: 12 Mark, geb, 13 Mark, Anatom. Anzeiger Bd. 38, Nr. 12/13 vom 17. Februar 1911: Verf., früher Zahnarzt in Zürich, füllt eine in der deutschen odontologischen Literatur seit langem empfundene Lücke aus, indem er eine umfassende Darstellung des Zahnsystems der Wirbeltiere auf phylogenetischer Basis gibt. Angesichts der zahlreichen, noch strittigen’ Fragen auf diesem Gebiete ist es schwierig, schon heute ein eigentliches Lehrbuch zu schreiben. Trotzdem hat der Verf. versucht, eine zusammenhängende und übersichtliche Darstellung der neueren und neuesten Forschungsergebnisse zu liefern. Dieser Versuch ist als ein wohlgelungener zu bezeichnen. Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte der niederen . in systematischer Reihenfolge und mit Berücksichtigung der expe- Wirbeltiere rimentellen Embryologie. Von Dr. Heinrich Ernst Ziegler, Prof. an der Universität Jena (jetzt in Stuttgart). Mit 327 Abbildungen im Text und einer farbigen Tafel. 1902. Preis: 10 Mark, geb. 11 Mark. Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena “ ” u . s EI DIR en Er ir Br 9 i m. v N} Fri Wr, DI 4 I UNIVERSITY OF ILLINOIS-URBANA 3 0112 018261823