i Ta x ae U Di f b elle SURE eh F 5 r 7 ee no N, Zur, Be m) u F 7 e 2773 = ee ar a j u 7 Bi Kaz er q) # a) Re”, ie TE 55 ar et RE! SESENZ DE HERE Eine Ber Wir a Tee rw Bee ’ £ rn vlt a 4; i | 7 a R ala er IR: Re: W ‚0423 3 PARS, ki Vu H en Re 7 Zieh Ne a u: | Er rrren E. wog 2er Apr TR ER - Br. x 2, er Bay AR 3 iz v Ar R BT 7 d I \ I ee ud h n- —aS a u NEL Bo za Al x = I £ j 2 4 R I“ ir Bi r Be 27 el ae“ Be 4 5 Fi > ’ A > Matt 2 = F i eg Be 3 IN WER. . j u -i \ 2 u A . Be 5 nn D E = 2 a; De BERN, nn = a et . IR e>7213 ur, = a . 5 er Kur [7 f - I ie al, ee SL . . 2 r x g HANDBUCH DER PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN BEARBEITET VON CHR. BOHR-KopreEnHAGeEn, R. pu BOIS-REYMOND-BERLIM, H. BORUTTADU-Görrmeen, O0. COHNHEIM - HEIDELBERG, M. CREMER- München, 0. FRANK-Gisssen, M. von FREY-WüÜrzBURG, A. GÜRBER- Würzgurg, F. B. HOFMANN-InssBRUcCK, J. vox KRIES- FREIBURG 1. BR., 0. LANGENDORFF-Rostock, R. METZNER-BaseL, W. NAGEL-BERLIN, E. OVERTON-Wöürzgurg, I. PAWLOW-ST. PETERSBURG, K. L. SCHAEFER- Berti, FR. SCHENCK-MargurG, P. SCHULTZ-BERLIN, H. SELLHEIM- FREIBURG 1. gr., T. THUNBERG-Uprsara, R. TIGERSTEDT -HELSINGFORSs, A. TSCHERMAK-Harıe, E. WEINLAND-München, O0. WEISS-KönIgsBERG, 0. ZOTH-GraAz HERAUSGEGEBEN VON W. NAGEL MIT ZAHLREICHEN EINGEDRUCKTEN ABBILDUNGEN ZWEITER BAND PHYSIOLOGIE DER DRÜSEN, PHYSIOLOGIE DER INNEREN SEKRETION, DER HARN-, GESCHLECHTS- UND VERDAUUNGSORGANE BRAUNSCHWEIG DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN 29.0.6 j Fi F j Br .' 4 (H EEE TEE KENT VE EEE ZEN on er HANDBUCH PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN HERAUSGEGEBEN VON W. NAGEL IN BERLIN ZWEITER BAND PHYSIOLOGIE DER DRÜSEN, PHYSIOLOGIE DER INNEREN SEKRETION, DER HARN-, GESCHLECHTS- UND VERDAUUNGSORGANE BEARBEITET VON H. BORUTTAU-GörrıneEen, OÖ, COHNHEIM - HriDELBERG, R. METZNER-BaserL, W. NAGEL-BerLIn, E. OVERTON-WÜRrzBURG, I. PAWLOW-ST. PETERSBURG, H. SELL LHEIM - FREIBURG I. BREISGAT, E. WEINLAND-München, 0. WEISS-Könıszeng ERSTE HÄLFTE MIT 118 EINGEDRUCKTEN ABBILDUNGEN UND 1 TAFEL BRAUNSCHWEIG DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN 2 b @ E93:036 Alle Rechte, namentlich dasjenige der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Published March 10, 1906. Privilege of Copyright in the United States reserved under the Act approved March 3, 1905 by Friedr. Vieweg & Sohn, Braunsehweig, Germany. == \k INHALTSVERZEICHNIN. Innere Sekretion. Von Heinrich Boruttau. . Allgemeines und Historisches. II. Die Schilddrüse ee NE er e = Anatomisch-histologische rue ihrer Funktion. Theorien serie 2. Die Schilddrüsenexstirpation und ihre Folgen, sowie die Wiederein- pflanzung des Organs DT 3. Injektionen von Schilddrüsensaft al Behlddrhsenfülterung: wirksamer Stoff der Schilddrüse und Chemismus ihrer Funktion . Hirnanhang . Die Nebennieren 1. Anatomisches. Historisches. Vermuteter Zusammenhang der Neben- nieren mit Pigmentanomalien - - 2. Nebennierenexstirpations- und ee apilgreinegverscche N. 3. Die Wirkungen des Nebennierenextrakts; sein wirksamer Bestandteil; Chemismus der Nebennierenfunktion; Beziehungen der Nebennieren zum, Nervensystem 2. 2 .m...2: . Thymus, Milz und Pankreas, sowie Nieren hinsichtlich innerer Sekretion . Keimdrüsen. 1. Allgemeines 2. Störungen der S eiblichäh Genen Aukeh. Köstraken a) Transplantationsversuche. Rolle des Corpus luteum a b) Bedeutung einer etwaigen inneren Sekretion der Hoden für Ei männ- liche Geschlechtstätigkeit . a 3. Innere Sekretion der Keimdrüsen und sekundäre Genen een a) Beim Weibe . b) Beim Manne . & 4. Allgemeine und Soswechkelwirkungen dei inneren en ee der Eeimdrüsen a) Weibliche b) Männliche . Physiologie der männlichen Geschlechtsorgane. Von W. Nagel. . Die männlichen Geschlechtsdrüsen und ihr Sekret 1. Die Bildung der Samenfäden 2. Der ejakulierte Same 46 46 48 vi Inhaltsverzeichnis. a) Die Menge des entleerten Samens 5 b) Die Beschaffenheit des entleerten Samens . c) Die chemische Zusammensetzung des Samens 3. Die Samenfäden . a) Bau der Samenfäden b) Menge der Samenfäden : a c) Der Bewegungsmechanismus der Saurenzäden e ; d) Die Widerstandsfähickeit der Samenfäden gegen Bhysikaligehe er chemische Einwirkungen e) Das Verhalten der Samenfäden bei dem: Beenehtungsakt 1. Die accessorischen Drüsen des männlichen Genitalapparates und ihre Sekrete : . Die Funktionen der Samenblasen . 2. Die Funktionen der Prostata 3. Die Cowperschen Drüsen (Glandulae 00 eier ee) II. Die Erektion IV. Die Herausbeförderung des Samens 1. Der Transport des Samens vom Hoden bis zum Samenleiter 2. Die Fortbewegung des Samens im Samenleiter . 3. Die Ejakulation V. Einfluß des Nervensystems auf Erektion und Ejakulation . 1. Erektion und Ejakulation als Reflexe er 2. Die Reflexzentren der Erektion und Ejakulation . 3. Einfluß der höheren Teile des Zentralnervensystems 4. Die Nerven des männlichen Gliedes Anhang. Die Wirkung der Geschlechtstätigkeit auf den Gesamt- organismus Physiologie der weiblichen Geschlechtsorgane. Von Hugo Sellheim. Vorwort I. Die periodischen Vorgänge während der Geschlechtsreife . 1. Die Vorgänge im Eierstock . ERROR. REN a) Reifung, Austritt der Eier, Rückbildungsrogarge am seplatzten Follikel (Ovulation) . b) Die physiologische Öpliteration an Avesie der Folhker 2. Die periodischen Veränderungen an den übrigen Genitalien . a) Veränderungen am Uterus, die menstruelle Blutung . b) Veränderungen an äußeren Genitalien, Scheide, Tuben al ee drüsen . N) Die Veränderungen am Gesamtorganismus . 2 Ba ae 4. Der Zusammenhang zwischen Ovulation, Menstruation und Wellen- bewegung aller Lebensprozesse II. Die Schwangerschaft 1. Das Zustandekommen der Schwangerschaft 2. Veränderungen an den Genitalien und in ihrer Umgebung a) Veränderungen am Uterus im allgemeinen Seite Inhaltsverzeichnis. b) Veränderungen in der Uterusschleimhaut. Bildung der Placenta und der Eihüllen. Fruchtwasser . { ö c) Veränderungen an den übrigen Genialien el. in ihr er Umpehine : 3. Veränderungen in dem übrigen Organismus 4. Physiologisches Verhalten der Frucht . II. Die Geburt RE ET She a l. Die bei der Geburt in Betracht kommenden mechanischen Faktoren .a) Die treibenden Kräfte . b) Der Geburtsweg c) Das Geburtsobjekt 2. Verlauf der Geburt a) Die Eröffnungsperiode . b) Die Austreibungsperiode . c) Nachgeburtsperiode Re: ER 3. Einfluß der Geburt auf den ee der Mutter 4. Die Geburtsmechanik IV. Das Wochenbett 1. Allcemeines ; : . Die ee ie en Re I x 3. Die Rückkehr der übrigen Organsysteme zum Gleichgew enstand V. Die Laktation 1. Allgemeines 2. Colostrum . 3. Die Milch . - a) Die Hiweißkörper det Milch b) Das Milchfett . : ce) Die Kohlehydrate der Milch... d) Die Extraktivstoffe e) Die Mineralbestandteile 4. Die Quantität der Frauenmilch . 5. Die Milchabsonderung ß 6. Einflüsse auf die een 7. Bedeutung der Laktation . VI. Die Wechseljahre und die senile Involution. 1. Allgemeines SE ee: 2. Die funktionellen Ve une : . a) Die funktionellen Veränderungen in er Getalep b) Die funktionellen Veränderungen im übrigen Organismus 3. Die anatomischen Veränderungen der Sexualorgane im Klimakterium und Greisenalter . Die Absonderung und Herausbeförderung des Harnes. Von R. Metzner. Die Niere Erster Teil: Die Anatomie und Histiologie der Niere (einschließ- lich der histio-physiologischen Versuche) an: I. Gewundene Harnkanälchen (Tubuli contorti, Rindenkanälechen) Il. Die Markkanälchen VII Seite 111 121 122 126 VIII Inhaltsverzeichnis. III. Gefäßapparat und Nerven der Niere a) Blut- und Lymphgefäße N b) Nerven der Niere Re Zweiter Teil: Die Nierenabsonderung A. (GE Der sog. „wasserabsondernde“ Teil een Konen) I. Glomerulusfiltrat und osmotischer Druck 2 II. Einfluß des Blutdruckes auf die Hemabsondeinng : III. Die Größe der Nierendurchblutung (Onkometrie) ee IV. Die Beziehungen zwischen Harnbeschaffenheit, Nierendurch- blutung und Harnmenge . EEE ER 1. Änderung des Harns mit ende en ce keit 2. Einfluß der Niere utund Pe, a) Gesteigerte Nierendurchblutung Ohne Volumenänderungen (Wirkung der Diuretiea auf die Nierengefäße) . «) Das Coffein . ß) Die Salze . y) Harnstoffwirkung b) Einfluß der Plethora auf die Die 3. Mengenverhältnis der ausgeschiedenen Harnbestandieng (inkl. Abscheidung injizierter körperfremder Substanzen [Farb- stoffe usw.]) . Die Resorption in den Markkanälchen I. Wasserresorption : il. Resorption gelöster an 5 B III. Wirkung von Diuretieis auf die Resorptionstählgkeit ne N epithelien . . Abscheidung von enbeständtäilen sch Re pkelen er Kanäle 1. Harnsäure und Harnstoff 2. Phosphorsäure - 3. Ausscheidung des ee in a Aare e - Wirkung von are und von Narcotieis auf die N absonderung . Einfluß des Ner en auf die Haan 1. Sekretorische und vasomotorische Nerven . 2. Reflexe auf Nierengefäße 3. Einfluß des Gehirns . a) Großhirn b) Nachhirn . Die künstliche Nerendurchbinung, der Gasweehee BR, es N der Niere . I. Die künstliche N dee Erbe 1II. Der Gaswechsel der Niere . III. Bereehnung der Nierenarbeit . Zusammenfassung . Herausbeförderung des Harns A. Ureter es 1. Die Ureterwellen . Einfluß des Harnstromes . Natur der Peristaltik . Nerveneinflüsse : . Rückstau und An tperiäcaltik : . Kystoskopische Beobachtung der Ursterwellen po» [or] Seite 223 223 228 232 234 234 237 239 242 243 244 249 250 252 252 253 257 262 262 264 273 274 274 275 277 278 280 280 282 282 282 283 284 284 286 288 291 293 293 293 295 295 297 298 300 Inhaltsverzeichnis. IX Seite B. Harnblase. . . . ee 300 1. Blasentonus ind las oralen TE est ill) 2.. Mechanismus der Blasenentleerung 2... .7 7.0.02. .... .2.305 3. Innervation der Blase . . . . ER 5) a) Verlauf und Ursprung der Eee es alt, b) Mikroskopische Anatomie . . .... 2... ae 3. 26 Methodik@dersReizungeng= u u 2 a. a 5. Effekte der Nervenreizung. . . ee 6. Sphinkter-Tonus und gekreuzte Inneren der Bells a al 7. Abhängigkeit der Blasenfunktion vom Zentralnervensystem . 326 8. Der Miktionsakt und seine Regulierung durch die nervösen Apparate... PER ER Er 329 9. Gefäße, Epithel, Beniphzefäte, Ressrotien EN rar .2 334 Der Harn. - Von Otto Weiß. A. Allgemeines .. ee ORTEN U EICHE, Dede I. Physikalische igehsehaften N EN RE W e T73te II. Chemische Eigenschaften . . . . LE TA EN 338 Bestimmung des Säuregrades 28 dere EIER Haste co; nd) Berzusammlengetzumedes>Framneser Se N eng Iel)reganorganıschen@Bestandtelle re re 540 #ESaurene =... Ve PERS ER En ah u TE a 3A I. Ohlorwasserstaft KERN ee 0 25 P]UOr.wasserstoHee ge TE ER u 2 AO SMSCHwerelsauresse re ST a 30 AWEUhIOSChwerelsatyes ne EN EEE ne 3 5. hosphorsaurer, er a ee RE N ea GIKchlensauresge ev IE TE RA Re 343 7 Salpetersäure 2. Ve Er ne 343 DMEBASCHUgn ce ee SE EN N ee Bi EeNIkalen u nn a N ee re 115 TI inbe e E RR re er ZIBN ACT UI a BE rt Se SENT ON UN ade DEN kalischer Drdenen 17 2. Dee ne a RE 34 Maosnesiumsy Caleta are NE TA ER 3ER Seukisen..a%... a ee ee A IER 3. Die Gase des Hannes ee ee ER IT I Fe EUER II. Organische Harnbestandteile . . . BR ee 1345 1. Stickstoffhaltige schwefelfreie Verbindungen A a TE) NAEISENSCOHE TR a N DE ED Eee. 5 1845 2. Karbaminsäure . . . REST N ERNEST RR E50 3. Eauenhyledter BER ee N ER A 350 I IKTEI LINIE ae nn EI ee 1380 DaPXantHokrEatTtine a ee NE ee er 3 BBBULITKOTPET a re Re ee A al na dA N a 35 IHaTIsaurese ee ee ae A Eee 352 EXTATUC HUT En en TEE HER EN an Ne 357 INethylxanthinser er N 2 sh NER 308 IHELErOxan bin en TB ee 358 IEATAXAn HIT N Ra EEE ar 389 IH ypoxanthimg ee | SE. 39 42, 00.,0:359 Inhaltsverzeichnis. Guanin . Epiguanin Adenin . Episarkin Karnin . . Allantoin 8. Oxalursäure 9. Kynurensäure . 10. Urocaninsäure 11. Lithursäure 2. Gepaarte Verbindungen 1. Hippursäure 2. Phenacetursäure 3. Benzo&säure 4. Paarungen anderer Beroldeirdte mit eat! 5. Paarung mit Essigsäure und Glykokoll . 6. Paarungen mit Glukuronsäure . 7. Paaruneen mit CUystein | . Paarungen mit Karbaminsäure, ah, Methan a Auer, B te) 9. Paarungen mit Schwefelsäure Phenolschwefelsäure und Parekröselschwetelsgure Brenzkatechinschwefelsäure Indoxylschwefelsäure SkatoxylIschwefelsäure . Skatolkarbonsäure 3 Andere Paarungen mit Schr efeleaure 3. Der neutrale Schwefel 1. Methylmercaptan . 2. Äthylsulfid . 3. Rhodanwasserstoff 4. Chondroitinschwefelsäure 5. Oxyproteinsäure 6. Alloxyproteinsäure 7. Uroferrinsäure 8. Cystin 4. Der organisch Ebundene Phosphor 5. Stickstofffreie Verbindungen 1. Kohlehydrate . . Glukuronsäure . Aceton . 5 . Flüchtige ern . Bernsteinsäure . Oxalsäure : . Aromatische Öxysänren . Die Alkaptonsäuren . 6. Die Harnfarbstoffe . 1. Urochrom 2. Urobilin 3. Uroerythrin 4. Hämatoporphyrin . 5. Urorosein ee. 7. Proteide. Enzyme. Gifte 1. Proteide - 2. Enzyme an 3. Giftire Substanzen no mo D 0 Seite = 360 360 361 361 361 361% 3683 363 364 364 364 364 366 366 Innere Sekretion Heinrich Boruttau. Monographische Literatur: In Wagners Handwörterbuch der Physiologie findet sich zwar ein größerer Artikel über die „Blutgefäßdrüsen“, jedoch nicht vom Standpunkte der inneren Sekretion aus; im Hermannschen Handbuche nur wenige Worte; siehe weiter unten. Im ersten Bande von Schäfers Textbook of Physio- logy, Edinburg u. London 1898, ist die innere Sekretion der Drüsen ohne Ausführungsgang behandelt auf 8.937 ff. durch E. A. Schäfer. Wegen größerer Spezialarbeiten betr. die Schilddrüse, Nebennieren usw. siehe unten im Text. Ganz kürzlich erschien eine Vortragsserie von Biedl über „innere Sekretion“ in „Wiener Klinik“, 1903. I. Allgemeines und Historisches. Durch die Körperflüssigkeiten, Blut und Lymphe, wird der lebendigen Substanz der Gewebe und Organe einerseits Nährmaterial zugeführt, an- dererseits werden Stoffwechselprodukte derselben von ihnen weggeführt, um durch Vermittelung der Ausscheidungs (Exkretions-)organe — Nieren, Lunge — den Organismus zu verlassen. Der Stoffwechsel der als Verdauungsdrüsen bezeichneten Organe liefert, wie in anderen Abschnitten ausführlich erörtert wird, Produkte, welche vermittelst der Hohlräume und Ausführungsgänge dieser „echten Drüsen“ in den Verdauungskanal gelangen, hier für die Er- nährung wichtige Funktionen zu erfüllen haben und auch nach deren Erfüllung nicht immer ausgestoßen werden, sondern durch nochmalige Aufsaugung wieder in den Stoffwechsel zurückkehren (vgl. den sog. „Gallenkreislauf“ nach Schiff u. a.). Indessen sind es, wie die Erfahrung lehrt, nicht die Ver- dauungsdrüsen allein, deren Stoffwechsel noch verwertbare, zu bestimmten Funktionen vorgesehene Produkte liefert, sondern es gilt dies für viele andere Organe. Die Grundlage dieser Wahrheit ist so alt wie die Vorstellung, daß die Leber die Bildungsstätte des Blutes sei, und unsere jetzige Kenntnis der umfangreichen assimilatorischen Funk- tionen dieses Organs — Glykogenie, Fettaufspeicherung usw. — läßt sich sehr zweckmäßig dahin präzisieren, daß wir es bei dieser „größten Drüse“ des Organismus mit einem Organe zu tun haben, welches aus dem ihm von mehreren Seiten (Lymph- und zwei zuführenden Blutbahnen) gebotenen Material den Hauptanteil in assimilierter Form an die Lymph- und ab- führende Blutbahn wieder abgibt, während ein kleiner Teil durch das Nagel, Physiologie des Menschen. II. 1 2 Blutgefäßdrüsen. — Theorien über Funktion. ' Ausführungsgangsystem in den Darmkanal gelangt und zum Teil ausgestoßen wird: diese „mehrflächige Drüse“ sondert also nicht nur (gewissermaßen Neben- oder Abfallsprodukte) im landläufigen Sinne der „Sekretion“ nach außen ab, sondern vorwiegend (Nährstoffe, Assimilationsprodukte) gewisser- maßen nach innen an das Blut, darum sind solche Vorgänge besonders in Frankreich in neuerer Zeit als „innere Sekretion“ (seeretion interne) bezeichnet worden, und sie kommen, wie schon angedeutet, im weitesten Sinne allen Organen zu, insofern diese durch Abgabe ihrer Stoffwechsel- produkte die Blutbeschaffenheit ändern, (nach Gad) „metakerastisch“ (von ueroxegovvvut, ich mische um, verändere die Mischung) wirken. Speziell gilt dies ja auch von den heutzutage als Blutbildungsstätten aner- kannten Organen, welche zum Teil äußerlich und auch wohl innerlich drüsenähnlich — „adenoid“, „follikulär* — gestaltet sind, nämlich der Milz, den Lymphdrüsen und (in der Jugend) der Thymus; indem diese Organe neugebildete Formelemente dem Blute ein- fügen, wirken sie ja entschieden „metakerastisch“, wenn auch diese Tätigkeit als Sekretion zu benennen etwas ungewöhnlich klingen würde. Geradezu vorbildlich kann aber die Funktion dieser „Iymphatischen Organe“ werden für das allmähliche Verständnis der lange in völligem Dunkel verborgen gewesenen Funktionen gewisser Organe, welche, weil äußerlich und innerlich zum Teil auch drüsenähnlich und sehr gefäßreich, wohl als Blutgefäßdrüsen bezeichnet werden: es gehören hierher die Schilddrüse mit den Nebenschilddrüsen (Glandula thyreoidea et Glandulae parathyreoideae), der Hırnanhang (Hypophysis cerebri s. glandula pituitaria) und die Nebennieren (Glandulae s. capsulae supra- renales); auch die Zirbeldrüse (Glandula pinealis s. conarium) und die Steißdrüse (Glandula coccygea) einiger Wirbeltiere gehören hierher. Es ist bezeichnend, daß die Funktionen dieser Organe noch in v. Wittichs Darstellung der Resorptionswege und Lymphorgane in Hermanns Handbuch der Physiologie [5 (2), 354, 355; Leipzig 1881] als völlig rätselhaft bezeichnet sind und ihnen knapp eine halbe Seite gewidmet ist. Wie im folgenden genauer zu erörtern sein wird, überwiegen zurzeit zweierlei Theorien der Funktion dieser Organe: die eine, die sekre- torısche, nimmt eben an, daß dieselben für dienormalen Funktionen des übrigen Organismus notwendige Stoffe (chemische Verbin- dungen) erzeugen und — „innere Sekretion“ — an das Blut ab- geben; sie erklärt die Folgen der Ausrottung der Organe durch den Ausfall dieser inneren Sekretion; die andere, die Entgiftungstheorie, nimmt statt dessen an, daß diese Organe schädliche Stoffwechselprodukte an- derer Organe, welche sonst eine „Selbstvergiftung“ (Autoin- toxikation) des Körpers hervorrufen würden, durch chemische Veränderung unschädlich zu machen berufen sind; sie erklärt die Folgen ihrer Ausrottung eben als Vergiftungserscheinungen mit jenen schäd- lichen Stoffwechselprodukten. Wie wir ferner sehen werden, ist neuestens, vielleicht nicht mit Unrecht, die Tendenz hervorgetreten, die beiden Theorien zu verbinden, indem man annımmt, daß die schädlichen Substanzen in andere umgewandelt werden, welche, an das Blut abgegeben, noch wichtige Funk- tionen zu erfüllen haben. Historisches. 3 Für diese beiden Vorstellungen können eben unsere Kenntnisse von den Funk- tionen der Lymphorgane insofern als vorbildlich bezeichnet werden, als die Zu- führung von neuen Formelementen ans Blut der inneren Sekretion, die Filter- wirkung — Zurückhaltung von Infektionsstoffen, siehe die Lymphdrüsen- und Milz- schwellungen bei Infektionen — der Entgiftungstheorie entsprechen würde; auch läge in dem Phagocytismus (Aufnahme und Zerstörung der Bakterien durch die Leukocyten, Metschnikoff), sowie in der verstärkten Proliferation durch den Reiz der Infektionsstoffe eine Analogie zu der Kombination der beiden Vorstellungen. Historisches. Die Vorstellung, daß die Blutgefäßdrüsen einen Stoff erzeugen und dem Blute wieder zuführen, ist nach Haller schon von Ruysch!) geäußert worden, und zwar für die Schilddrüse, Milz und Thymus (Näheres siehe unten); allgemeiner wurde die Erkenntnis der metakerastischen Funktion der Organe besonders in Frankreich durch Bernards Arbeiten über die Glykogenie der Leber; zur Einführung der Bezeichnung „innere Sekretion“ und Ausdehnung ihrer funktionellen Bedeutung auf alle mög- lichen Organe kam es indessen erst Ende der achtziger Jahre des 19. Jahr- hunderts, als der alternde Brown-Sequard an sich selbst Versuche anstellte mit subeutaner Injektion von Hodenextrakten?), von denen er wunderbare, verjüngende, Muskelkraft und geschlechtliche Potenz erhöhende Wirkungen zu verspüren glaubte: Auf die Wirkungen der Einverleibung soleher Extrakte besonders bei Ausfall des betreffenden Organes gründen sich dann die experimentellen Beweise für die Tatsächlichkeit der von Anfang an besonders von Frankreich aus verfochtenen „inneren Sekretionen“ ; anderer- seits gaben diese Wirkungen die Veranlassung zur ausgedehnten thera- peutischen Verwendung solcher Extrakte, ja der ganzen Organe selbst. Näheres Eingehen auf diese, in ihren Übertreibungen und Ausschreitungen oft an die „Dreckapotheke“ früherer Jahrhunderte erinnernde „Organo- therapie“ verbietet die Bestimmung und der Umfang dieses Werkes. Wir werden nunmehr hier ausführlicher die Funktionen der Schild- drüse, des Hirnanhangs und der Nebennieren zu besprechen haben; im Anschluß daran wird kurze Erwähnung finden können, was neuere Unter- suchungen über innere Sekretionen, bzw. Stoffwechselbeeinflussungen von seiten der Blutbildungsorgane — Milz und Thymus —, der Verdauungs- drüsen — Pankreas —, Ausscheidungs- und Geschlechtsdrüssen — Niere, . Hoden, Eierstock — ergeben haben. ll. Die Schilddrüse. l. Anatomisch -histologische Grundlagen ihrer Funktion. Theorien derselben. Die Schilddrüse hat einen durchaus drüsenartigen Bau, jedoch ohne Ausführungsgang. Einen solchen haben in früheren Zeiten irrtümlich Santorin sen. und Coschwitz zu finden geglaubt). Sie ist von einer bindegewebigen Kapsel !) „In epistola quam Engelbertus de Westhoven edidit de angina, p. 42% — zit. Haller, Elem. physiol. 3, 400. — °) Archives de physiologie 1889, p. 739; 1890, p. 201, 443, 456, 641; 1891, p. 747; mit d’Arsonval ebenda, p. 506, 816. — ®) Zit. Haller, Elem. 4, 399. 1* 4 Anatomie der Schilddrüse. umgeben, deren Fortsätze, in die Tiefe des Organs sich erstreckend, das- selbe in Lobi und Lobuli abteilen, welche letztere aus Follikeln von 15 bis 150 u Durchmesser zusammengesetzt sind, die, mit kubischem Epithel aus- gekleidet, nach einigen Autoren [Virchow!), Boe&chat?)] untereinander kommunizieren sollen; jedenfalls entspricht die Entwickelungsgeschichte der Anlage als echter Drüse, und zwar bei allen Wirbeltieren in der gleichen Weise |Guiart®)]. Die Follikel sind mit colloider Substanz erfüllt, von welcher als erwiesen betrachtet werden kann, daß sie das Produkt des Epithels ist, seitdem Langendorff*), Hürthle°), Anderson ®), Schmidt’), Galeotti°) und andere gezeigt haben, daß das Epithel den verschiedenen Stadien der Tätigkeit nach außen secernierender „echter“ Drüsen durchaus entsprechende Veränderungen zeigt: Langendorff unterschied zwei Arten von Epithelzellen, — die Hauptzellen und die eigentlichen Colloidzellen, welche sowohl Colloidbildung in ihrem Protoplasma bei Erhaltung der Zelle zeigen, als auch untergehen können („schmelzen“) mit völliger colloider Umwandlung ihres Zelleibes (Hürthle): das dergestalt secernierte Sekret entleert sich (wahrscheinlich durch die von den geschmolzenen Epithelien gebildeten Lücken) in die perivasculären Lymphräume, so daß es durch die Lymphbahnen dem Blute zugeführt wird [Baber*), Langen- dorff, Podak'!P), Hürthle, Vassale und Brazza!!)]; Angaben über Col- loid innerhalb der Venen der Schilddrüse [Horne1!2)] haben sich als zweifel- haft erwiesen. Die Regeneration der zugrunde gegangenen Zellen, bzw. das Wachstum der Follikel findet nach Hürthle aus zwischen den Follikeln ge- legenen Zellgruppen (Interfollikularepithel) statt. Der Sekretionsvorgang innerhalb der Schilddrüse muß hiernach als sichergestellt betrachtet werden; wenngleich auf Reizung der Nervi laryngei superiores Hürthle keine gesteigerte Colloidbildung erkennen konnte, so scheinen doch nach den Er- fahrungen von Crisafulli!3), Anderson und Trautmann !*) echte Sekretions- nervenfasern neben Gefäßnervenfasern [Sacerdotti!5)] vorhanden zu sein. Auf Grund neuer Versuche hat neuestens Lewandowsky !°) behauptet, daß das Colloid in den Lymphwegen der Schilddrüse aus einer Vor- stufe sich bilde, und daß diese Substanz, nicht das fertige Colloid, schon in dem Follikelepithel entstehe. | Sehr reichlich ist die Gefäßversorgung der Schilddrüse: Art. thyreoidea superior und inferior beiderseits, bisweilen noch eine Art. th. ima; sehr ausgedehntes Netz großer Venen; deshalb, und zumal da sie patho- logisch gewaltige Ausdehnungen erreichen kann (Struma vasculosa), hat sie von jeher die Aufmerksamkeit auf sich gezogen und mag wohl die Ur- sache zur Aufstellung einiger Theorien von der Funktion des Organs geworden sein, auf welche hier noch kurz eingegangen werden mub. !) Krankhafte Geschwülste 3, Berlin 1867. — *) These de Paris 1873. — ®) These de Paris 1896. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1889, Supplbd., 8. 219. — 5) Pflügers Arch. 56, 1, 1894. — °) Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1894, 8. 177. — ?) Arch. f. mikroskop. Anat. 47, 181, 1896. — °) Ebenda 48, 305, 1897. — °) Philos. Transaet. 172 B, 600. — !°) Dissert. Königsberg 1892. — '') Rivista sperim. di Freniatria 20 (1894). — 2?) Journ. of Anat. and Physiol. 27, 161, 1893. — 3) Bolletino Accad. di Catania 1892. — *) Diss. Halle 1894. — '°) Internat. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. 1894, Heft 11. — '°) Festschrift f. Leyden, II, 1902. Historische Entwickelung der Theorien der Schilddrüsenfunktion. 5 Historisches!). Manche ältere Autoren sahen in der Schilddrüse lediglich ein Polster zu kosmetischen Zwecken, zum Schutz des Kehlkopfs, auch vor Erkältung [|Wharton ?2)] oder der Nerven und Gefäße [Luschka?)]; andere brachten sie mit der Stimme in Zusammenhang [Boerhave, Mor- gagnı, Santorin, Winslow, Lalouette*), neuerdings noch Martyn und L. Merkel)], durch Druckwirkung oder Verbindung mit dem Kehlkopfinnern durch einen Gang. Der Gefäßreichtum und die Ähnlichkeit mit Lymphdrüsen und Milz ließ sie manchen älteren und neueren Forschern nicht sowohl als blutum- setzendes, denn vielmehr als blutbildendes Organ vorkommen: Tre- viranus, Ürede, Zesas’). Andererseits war man auch auf die relativ bedeutende Weite und deren außerordentliche Schwankungen bei den Schild- drüsengefäßen frühzeitig aufmerksam geworden (Sömmering, v. Meyer). Hierauf bauten sich die sogenannten regulatorischen Theorien auf: nach Maignien*#) und F. Guyon’) sollte sie bei stärkerem Blutandrang zum Kopfe anschwellen, dadurch die Carotiden komprimieren und den Blut- strom vom Kopfe abhalten; nach zahlreichen neueren Autoren [zuerst J. Simson ®)] soll sie als geräumige Collateralbahn oder Seiten- reservoir reichlich zuströmendes Blut aufnehmen und so das Ge- hirn [überhaupt das obere Hohlvenensystem, wie die Milz das untere, Ricon®)] vor Hyperämie schützen. Hierfür sind besonders v. Lieber- meister !®), später Johann Meuli!!), Stahel!2) und Waldeyer!3) ein- getreten, Meuli wesentlich auf Grund der Konstatierung von Umfang- änderungen des Halses je nach der Körperlage: bei horizontaler Lage und Tieflagerung des Kopfes füllen sich die Schilddrüsengefäße an und mäßigen die Hyperämie des Kopfes. Forneris!*) hatte geglaubt, daß die Schilddrüse durch Aufnahme des Blutes das Gehirn anämisiere und dadurch für den Schlaf sorge; Meuli hält die Anschwellung im Schlafe nicht für dessen Ursache, sondern eben nur durch die Horizontallage bedingt. Auch an Ableitung von der Lunge und damit Schutz derselben nicht nur vor Hyperämie [Kocher !?)], sondern auch vor „Entzündungserregung“, sowie Bedeutung als rudimentäres Atmungsorgan |Grützner !%)] ist gedacht worden; endlich ist viel von Beziehungen zwischen der Schilddrüse und den weiblichen Geschlechtsorganen die Rede gewesen, seitdem zuerst Guillot!?), Lawson Tait!°®) und Bennett?) auf ihre gelegentliche plötzliche Volumzunahme („acuten Kropf“) bei der Schwangerschaft und der !) Siehe Meuli, Pflügers Arch. 33, 378, 1884; Langendorff, Biolog. Zentralbl. 9, 426, 1889; v. Eiselsberg, Deutsche Chirurgie, Lief. 38, 1901. — °) Zit. nach v. Eiselsberg. — °) Anatomie des Menschen 1 [1], 298. — *) Haller, a. a. OÖ. — °) Arch. f. klin. Chirurgie 30 und 31; auch Wiener med. Wochen- schrift 1884. — °) Compt. rend. de l’Acadömie de Medecine, Paris 1842. — ?) Archives de physiologie 1, 56, 1868. — ®) Philos. Transact. 1844, p. 295. — °®) Memoires de medecine militaire, Juillet 1870. — !°) Prager Vierteljahrsschrift 3, 31, 1864. — !!) Pflügers Arch. 33, 378, 1884. — '?) Deutsch. med. Wochenschrift 1887, S. 227. — '?) Berl. klin. Wochenschr. 1887, 8. 233. — !*) Gazzetta medica Sarda 1858, Heft 12 bis 14. — '°) Die Kropfexstirpation und ihre Folgen, 1874; zit. nach Meuli. — !°) Zit. nach Meuli. — ') Gazette des Höpitaux, Paris 1860. — !®) Edinburgh Medical Journ. 20, 933, 1875. — "°) The Medical Press 1879, No.: 3. 6 Schilddrüsenexstirpation. « Menstruation hingewiesen haben !); es ist auch hierfür, ebenso wie für die hier nicht näher zu erörternde Ätiologie der Basedowschen Krankheit, sowie von acuten Geistesstörungen nach Kropfoperationen [Borel2)] die den Blutzufluß zum Kopf regulierende Funktion herangezogen worden (Meuli und andere). Ich bin jedenfalls der Ansicht, daß die Vorstellung von einer solchen Funktion auch heute noch nicht als unrichtig aufgegeben werden muß, wie v. Eiselsberg°) meint, zumal nachdem durch Cyon sichere Be- ziehungen zu den Herz- und Gefäßnerven konstatiert worden und die in- zwischen bewiesene innere Sekretion der Schilddrüse damit in Verbindung gebracht worden ist. Hierüber Näheres am Schlusse dieses Paragraphen. Der, wie oben erwähnt, schon von Ruysch geäußerten Vorstellung von einer Sekretion von Stoffen aus der Schilddrüse ins Blut begegnen wir im 19. Jahrhundert wieder bei Vest?) und bei King’), doch ohne experimentelle Stützen; solche erhält sie durch die Beobachtung der Folgen der operativen Entfernung unseres Organs, ebenso wie die Entgiftungstheorie erst hiernach aufkommen konnte. 2. Die Schilddrüsenexstirpation und ihre Folgen, sowie die Wieder- einpflanzung des Organs. Die ersten Versuche völliger Entfernung der Schilddrüse bei Tieren wurden Anfang der vierziger Jahre ausgeführt, jedoch mit zweifelhaften Er- folgen: Astley Cooper‘) sah die Tiere krank und blödsinnig werden, Rapp’) die Entfernung der normalen Drüse ohne Folgen, dagegen die der kropfig degenerierten tödlich wirkend, v. Bardeleben °) verschiedenes Ver- halten verschiedener Tiere, endlich Maignien’) Störungen des Zentral- nervensystems als Folgen der „Thyreoidektomie‘“. Daß diese Operation beim Hunde unweigerlich den Tod zur Folge habe, berichtete Schiff!P) als Ergebnis zahlreicher 1856 angestellter Ver- suche; indessen geriet diese Angabe in Vergessenheit, bis die wieder- holte Beobachtung schwerer Folgen der Kropfexstirpation beim Menschen seitens der Chirurgen [Reverdin !!), Kocher 12), Billroth 3) und Weiß!#t)] aufs neue das Interesse auf diesen Gegenstand lenkte: Schiff wiederholte darum seine früheren Versuche und veröffentlichte 1884 die Er- gebnisse von 60 Schilddrüsenexstirpationen am Hunde, welcher Veröffent- lichung sich in dem gleichen Jahre und in den folgenden zahllose anderer Autoren anschlossen; und es ist seitdem die Schilddrüsenliteratur zu einer so unübersehbaren Fülle angewachsen, daß hier kaum das Wich- tigste berücksichtigt werden kann. !) Weitere Literatur bei v. Eiselsberg, a. a. O., 8. 21. — ?) Korrespondenz- blatt f. Schweizer Ärzte 1882, 8. 417. — °) A. a. O. 8. 20. — *) Schmidts Jahr- bücher 20, 8, 1848. Zit. nach Meuli. — °) Ebenda 24, 260, 1839. Zit. nach Meuli. — °) Zit. nach v. Eiselsberg. — 7’) Zit. nach demselben. — ®) Zit. nach demselben. — °) A. a. 0. — !°) Untersuchungen über Zuckerbildung, Würzburg 1859. — !!) Revue medicale de la Suisse romande 1882, p. 539; 1883, No. 4 u. 5; 1887, p. 275, 328. — 2) A. a. O. und Arch. f. klin. Chirurgie 29, 354, 1883. — '#) Wiener med. Presse 1877, Nr. 47. — !*) Volkmanns Sammlung klin. Vorträge 1883, Nr. 189. Tetanie nach 'T'hyreoidektomie. 7 Natürlich lauteten auch fortan noch die Angaben der einzelnen Forscher verschieden und zum Teil widersprechend, und erst allmählich erfolgte Auf- klärung, inwieweit diese Unterschiede durch die Methodik, die Art und In- dividualität der Versuchstiere begründet waren bzw. sind. Und wenn auch von einer strengen Scheidung und ausnahmslosen Gültigkeit der Regel nicht gesprochen werden kann, so dürfte doch die Einteilung, wie sie v. Eisels- berg macht, zweckmäßig unserer Beschreibung der Tatsachen zugrunde gelegt werden, insofern im allgemeinen fleischfressende Säugetiere schneller zugrunde gehen, unter ausgesprochenen, dem Bilde einer acuten Vergiftung gleichenden nervösen Erregungserschei- nungen („Tetanie“), während Pflanzenfresser länger am Leben bleiben und sich an ihnen ein charakteristisches Bild von chroni- scher Störung des Stoffwechsels, bei jüngeren Tieren des Wachs- tums herausbildet, zusammen mit typischen chronischen Stö- rungen des Nervensystems vor allem in seinen psychischen Funk- tionen; dieses Gesamtbild ist als Kachexia thyreopriva bezeichnet worden und entspricht auch dem Verhalten menschlicher Blödsinnigen (Kretins) mit unentwickelter oder im Wachstum degenerierter Schilddrüse, sowie den in gewissen Fällen beobachteten Folgen der Kropfexstirpation bei dem (omnivoren) Menschen. Die von Colzi!), Sanguirico und Canalis?), Tizzoni und Alber- tonı°) und anderen Forschern in Italien, von v. Wagner*) in Wien, vor allem von Horsley’°) in London bestätigte unmittelbare Gefährlichkeit der Thyreoidektomie beim Fleischfresser — Hund und Katze — besteht, wie gesagt, in der meist tödlichen Tetanie, welche, mit Intentionszittern und klonischen Muskelzuckungen beginnend, anfallsweise auftritt und mit all- gemeinen tetanoiden Krämpfen und Dyspnoe (bis zu 240 Atemzügen in der Minute gesteigerte Frequenz) in höchstens 14 Tagen zum Tode führt. Innerviert sind die „thyreogenen Krämpfe“ vom Gehirn aus, insbesondere vom Mittelhirn (Lanz‘); sie ähneln den durch Phenol (Baglioni, Zwaarde- maker) und ähnliche Körper erzeugten. Man hat sich viel Mühe gegeben, bei den an Tetanie verstorbenen Tieren pathologische Veränderungen im Gehirn zu finden: so wollen Herzen und Löwenthal’), Rogowitsch®), Capobianco’) (auch im Rückenmark), Blum) u. a. degenerative Veränderungen der Ganglienzellen ge- sehen haben; von anderer Seite ist dem widersprochen worden. Vergeht bis zum Tode längere Zeit, so können schon bei thyreoidek- tomierten Fleischfressern deutliche Stoffwechselstörungen auftreten — Ab- magerung, Blutveränderungen, wie Verminderung der roten und Vermehrung der farblosen Blutkörperchen [de Quervain!), Formanek und Has- !) Lo Sperimentale, agosto 1884. — ?) Gazzetta degli Ospedali 1885, Zentralbl. £. d. med. Wissensch. 1885, $. 419 und Archivio per le scienze mediche 10 (1886). — °) Archives ital. de biol. 1884 ; Gazzetta delle eliniche 1884, No. 29; 1885, No. 11; Archivio per le scienze mediche 8 (1884). — *) Wiener med. Blätter 1884, Nr. 25 und 30. — °) The Lancet 1884; Proceedings Roy. Soc. 1885. — °) Berl. klin. Wochenschr. 1898, 8. 371. — 7) Revue medicale de la Suisse Romande 7; siehe a. a. O. 1886/87. — ®) Medieinskoje Obosrenije 1886, No. 14 (russisch). — °) Internat. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. 11, 471, 1894. — '°) Virchows Arch. f. path. Anat. 158, 495, 1899. — !!) Ebenda 133, 481, 1893. 5 Kachexie. kovec!)|, Herabsetzung des respiratorischen Gaswechsels, Conjunctivitis und Keratitis u. a. m. Französische und belgische Forscher haben die „Entgiftungstheorie* zu stützen versucht, indem sie in gewohnter Weise die „Giftigkeit des Harns“ am thyreoidektomierten Tier bestimmten und nicht erhöht fanden (Lau- lanıe2), Masoin), Gley*) u. a). Ein anscheinend gewichtiger Einwand gegen die Bedeutung dieser Beob- achtungen lag in der Behauptung Herm. Munks?), daß dieselben auf Be- schädigung wichtiger Nerven — Vagus und dessen rami laryngei — durch die Operation, insbesondere auf dieselbe folgende etwaige Eiterung zurückzuführen seien; wie indessen Fano®), Ewald’) und vor allem Fuhr’) zeigten, macht eine derartige Beschädigung dieser Nerven allein niemals die- selben Symptome wie die Thyreoidektomie; ferner bleiben sie aus, wenn dieselbe unvollständig ist, nur einseitige Entfernung der Schilddrüse erfolgt, ja auch nur ein Sechstel derselben zurückbleibt; nach Katzenstein’?°) ferner, wenn auch alle zur Drüse führenden Nerven exstirpiert würden — was aber nicht völlige Degeneration des Organs erzeugt (v. Eiselsberg), sowie nach Munk auch nach Unterbindung sämtlicher Schilddrüsengefäße; indessen sahen im letzteren Falle Halstead !P) und v. Eiselsberg !!) stets prompt Tetanie eintreten. Ferner sprechen gegen Munks Einwände die Erfolge der Schilddrüsensafteinverleibung nach der Thyreoidektomie, sowie der Wiedereinpflanzung des Organs, worüber weiter unten alles Nähere. Besserung, auch Heilung der Tetanie will man mit ausschließlicher Milch- nahrung, auch Pflanzenkost, erzielt haben — Munk und Breisacher'?), de Quervain u. a.; von anderen Forschern in Abrede gestellt; auch wirkte Warm- halten der Tiere günstig (Horsley, Lanz). Alte Tiere sollen weniger leiden als junge. Seltener als beim Fleischfresser ist Tetanie nach Schilddrüsenexstir- pation beim pflanzenfressenden Säugetier, wenngleich sie am thyreoi- dektomierten Affen, sowie beim Menschen nach Kropfexstirpation gelegentlich beobachtet worden ist. Hier stehen vielmehr die langsam auftretenden, chronischen Stoffwechselstörungen im Vordergrunde und treten deutlicher bei jüngeren, noch im Wachstum befindlichen Tieren hervor, wo sie zu embryonaler Rückbildung besonders des subeutanen Bindegewebes zu mucinartiger Substanz (F. Semon !?), sowie zu nervös-psychischen Depres- !) Klinische Zeit- und Streitfragen, Heft 11, Wien 1895. — *) Compt. rend. de la soc. de biol. 1894, p. 192. — °) Ebenda, auch Archives de physiol. 1895, p- 105 und New York Medical Record, Februar 1894. — *) Compt. rend. de la soc. de biol. 1891, p. 307. — °) Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1887, 8. 823 und 1888, $. 1059. — °) Archives ital. de biol. 11, 1886. — 7) Berl. klin. Wochenschr. 1887, Nr. 2. — ®) Schmiedebergs Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 21, 387, 1886. — °) Deutsche med. Wochenschr. 1899, Nr. 48; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899, S. 84; Arch. f. Laryngol. u. Rlinol. 5 (1899); wegen einer anderen Technik des- selben Autors siehe bei v. Eiselsberg, a. a. O. — '") John Hopkin’s Hosp. Reports 1896, p. 373. — !!) Über Tetanie im Anschluß an Kropfoperationen, Wien 1890. — 12) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1890, S. 509. — '*) British medical Journal 1883, p: 1073. Myxödem. =) sionszuständen führen, welche bis zum völligen Blödsinn gehen können, jedenfalls sehr an den Kretinismus beim Menschen erinnern, welcher ja, wie allbekannt, oft mit pathologischen Schilddrüsenveränderungen, insbesondere endemischem Kropf vergesellschaftet ist. Gleichfalls schleimartigeVeränderung desBindegewebes, welche zu Gedunsenheit der Haut und blöden Gesichtszügen führt, wird in allerdings seltenen Fällen beim Menschen mit Idiotie verschieden hohen Grades verbunden angetroffen; es sind solche Fälle zwar spo- radisch schon vorher in Deutschland und Frankreich beschrieben worden, doch wurde ein solcher, erst beim Erwachsenen aufgetretener Kretinismus zuerst genauer in England von Gull!) im Jahre 1873 beschrieben, dann wiederholt von Ord?), welcher dafür den Namen „Myxödem“ vorschlug und auch den Zusammenhang mit einer Erkrankung der Schilddrüse er- kannte: dieses wurde besonders von Reverdin ®), welcher Auftreten eines analogen Symptomenkomplexes nach operativer Kropfentfernung beim Menschen sah („operatives Myxödem“ „Kachexia strumipriva*), von Kocher (siehe oben), endlich durch den Bericht der englischen „Myxödemkommission“ ®) bestätigt. Schilddrüsenexstirpationsversuche an Pflanzenfressern wurden an- gestellt an Kaninchen besonders von Gley°), de Quervain‘) und Hofmeister’), an Wiederkäuern (Schafen und Ziegen), auch an Eseln und Schweinen von Sanguirico und Örecchia°®) (mit negativem), von Horsley’) und von v. Eiselsberg'’) mit positivem Erfolge, endlich, was für die menschliche Phy- siologie besonders wichtig, am Affen (Horsley'') 17 Operationen, Langhans'?) 4, Edmunds') 8 u. a. m.) Was die Details der Folgeerscheinungen der Thyreoidektomie an diesen Tieren betrifft, so steht bei jungen Wiederkäuern Wachstumsstörung in. erster Linie, sie bleiben klein und gehen in die Breite, indem die Röhren- knochen kurz bleiben und plump werden (v. Eiselsberg); auch der menschliche Kretin bleibt ja zwerghaft und gedunsen (v. Wagner); die Haare entwickeln sich schlecht, bzw. bei Operation im späteren Alter werden sie unansehnlich und fallen aus; auch richtiges Myxödem wird angegeben und vor allem apathisches, idioti- sches Verhalten, wenigstens bei Schafen, Ziegen und Affen; freilich sind diese Symptome Gegenstand lebhaften Streites gewesen, und es kann nicht unsere Auf- gabe sein, dessen zum Teil komisch anmutende Einzelheiten wiederzugeben und die zum Teil recht charakteristischen Abbildungen, welche Horsley und v. Eisels- berg von thyreoidektomierten Affen, Schafen und Ziegen gegeben haben, hier zu reproduzieren. Auch hier ist es wieder Munk '*), welcher jegliches Auftreten chronischer, kachektischer Symptome beim Affen geleugnet hat, dafür aber Tetanie beobachtete — welche an jüngeren Tieren auch Horsley sah — und diese wieder, wie oben, auf Nervenverletzung schob: er leugnet noch heute, daß die Schilddrüse ein „lebenswichtiges Organ“ sei. !) Transact. of the Clinical Society 24. Okt. 1873; im 2. Bd., London 1374. — ?) Medico-chirurgieal Transact: 1878. — °) A. a. OÖ. — *) Siehe Mackenzie, Medico-chirurgieal Transaect. 1888. — °) Compt. rend. soc. de biol. 1891 und Ar- chives de physiologie 1892, p. 135, 311, 664. — °) A. a. O0. — ?°) Münch. med. Wochenschr. 1892, Nr. 35; Fortschr. d. Med. 1892, Nr. 3; Beitr. zur klin. Chirurgie ‚10 (1894); Deutsche med. Wochenschr. 1896, Nr. 22. — °) Boll. R. Acead. di | Siena 1887. — °) British med. Journal, Dez. 1896. — '°) Arch. f. klin. Chirurgie 49 (1895). — !!) Proceed. Roy. Society, a. versch. Orten, u. Festschr. f. Virchow 1891. — !?) Virchows Arch. f. pathol. Anat. 128, 400, 13892. — ') Proceed. Roy. Society 59, 893. — !*) Virchows Arch. 150, 271, 1897. 10 Nebenschilddrüsen und ihre Bedeutung. Vergleichendes. Analoge Folgeerscheinungen der Schilddrüsenexstirpation bei Vögeln sind. von Allara'), Ewald und Rockewell”’) vermißt, wohl aber von Lanz°) beobachtet worden, ebenso bei Eidechsen und Schlangen [Christiani ‘)], Salamandern [Gley und Phisalix°)], beim Hai (Lanz). Für die Wichtigkeit des Organs von Bedeutung ist ferner die Tatsache, daß nach einseitiger Exstirpation die Schilddrüse (bzw. Schilddrüsen- hälfte) der anderen Seite (v. Wagner, Horsley, v. Eiselsberg), überhaupt nach partieller Exstirpation bis zu fünf Sechstel der Rest [Bere- sowsky‘)] hypertrophiert. Wegen vikariierenden Eintretens von Hypophyse, Thymus und Milz siehe unten und am Ende dieses Abschnittes. Endlich beweist die Beseitigung der Folgezustände der Thyreoi- dektomie durch Wiedereinpflanzung deren Natur als Ausfallserschei- nung. Diese Transplantation oder „greffe thyreoidienne“ ist bereits von Schiff’) mit Erfolg ausgeführt worden, dann besonders von v. Eiselsberg wiederholt worden, welcher bei aseptischem Verfahren und Einheilung der Drüse zwischen Bauchfascie und Peritoneum bei Hunden und Katzen stets Vermeidung bzw. Aufhebung der Tetanie beobachtete, ebenso Christiani bei Ratten rücksichtlich der Kachexie. Wird die transplantierte Schild- drüse wieder entfernt, so treten prompt die bekannten Symptome auf. Letzteres sah Herm. Munk in zahlreichen Versuchen angeblich ausbleiben, woraus sich eine Polemik zwischen ihm und v. Eiselsberg®) entwickelte, welcher Munks Ergebnisse auf Fehlerquellen zurückführt; siehe das Original. Bei der einheilenden transplantierten Schilddrüse findet anfangs Degeneration, nach einigen Tagen Regeneration statt, und die eingeheilte Drüse bildet reichlich Colloid |C. Sultan’), Enderlen '®)]. Ausnahmen von dem hier geschilderten Verhalten können vielfach durch Vorhandensein von accessorischen oder versprengten Schild- drüsenteilen zu erklären sein, wie solche besonders bei Hunden an der Aorta tatsächlich nachgewiesen sind. Schwieriger und noch heute nicht ganz aufgeklärt ist die Frage nach der Bedeutung der schon erwähnten Neben- schilddrüsen oder Parathyreoidealdrüsen, auch Epithelkörper genannt. Diese sollen nach Entfernung der Schilddrüse hyper- trophieren [Edmunds!!)], ja sogar histologisch den Charakter der eigentlichen Schilddrüse annehmen [Gley!2)] und Colloid bilden [Schreiber!3)]; nach diesen Forschern sowie nach Moussu!#) erklärt dies das Ausbleiben der Symptome nach bloßer Entfernung der Hauptorgane; ja nach Vassale und Generali!) sollte bloße Entfernung der vier Nebendrüsen beim Hunde Tetanie erzeugen. !) Lo Sperimentale 1885, p. 281. — ?) Pflügers Arch. 47, 160, 1890. — °) Zit. nach v. Eiselsberg. — *) Revue med. de la Suisse romande 14, 84, 1894. — °) Compt. rend. de la soc. de biol. 13 janv. 1894. — °) Zieglers Beiträge zur pathol. Anat. 12 (1892). — 7) A. a. 0. — °) Arch. f. pathol. Anat. 153, 1; 154, 569, 1898. — °) Diss., Königsberg 1898; Zentralbl. f. allg. Pathol. 9 (1898). — '°) Mitteilungen aus den Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1898, S. 474. — !!) Journ. of Physiol. 18, Proc. phys. Soc., p. 29, 1895; 20, 3, 1896. — !?) Pflügers Arch. 66, 308, 1897. — !?) Diss., Königsberg 1898; Arch. f. mikr. An. 52, 702. — '*) Compt. rend. de la Soc. de biol. 1898, 16. und 23. Januar 1898, p. 867. Derselbe wendete auch Neben- schilddrüsenextrakt gegen die Thyreoidektomiefolgen an. — ') Rivista di patol. nervosa e mentale 1, 95 u. 249, 1896; auch Arch. ital. de biol. 25, 459; 26, 261, 1896. Einverleibung von Schilddrüsenextrakt. 11 Nichts wissen von dieser Funktion wollten Blumreich und Jacoby!), denen aber Gley entgegentrat; L. B. Mendel fand sogar?) in den Neben- drüsen mehr Jod (s. weiter unten) als in der Hauptdrüse. Allerneuestens behauptet Biedl’) auf Grund noch nicht ausführlich publizierter Untersuchungen, daß die Entfernung der eigentlichen Schilddrüse die Kachexie, diejenige der Nebenschilddrüsen oder „Epitbelkörper“ die Tetanie bewirke. Da diese „Epithelkörper“ beim Fleischfresser gewöhnlich innerhalb der Hauptdrüse sitzen, mache deren Exstirpation Tetanie, wogegen beim Pflanzenfresser, .wo sie regelmäßig außerhalb der Schilddrüse liegen, die Tetanie ausbleibe und die Kachexie Zeit habe sich auszubilden; anatomische Abweichungen von diesem Verhalten sollen die Ausnahmen erklären. Wegen der Entwickelungsgeschichte der Schilddrüse und Epithelkörper, soweit sie mit dieser Frage im Zusammenhang steht, sei auf das Original verwiesen. 3. Injektionen von Schilddrüsensaft und Schilddrüsenfütterung; wirk- samer Stoff der Schilddrüse und Chemismus ihrer Funktion. Nachdem schon 1884 Colzit), später Fano und Zanda’) die Tetanie beim thyreoidektomierten Hunde hatten durch Transfusion des Blutes gesunder Hunde vorübergehend beseitigen können, gelang zuerst Vassale‘) 1890 dasselbe durch sofort nach der Operation ausgeführte intravenöse Einspritzung von wässerigem Schilddrüsenextrakt. Um diese Zeit, als die Mitteilungen Brown-Sequards (s. oben) über die Wirkungen der Hodenextraktinjektionen allgemeines Aufsehen erregten, wurden diese Versuche oft wiederholt, meist mit demselben günstigen Er- gebnis, wie es Vassale erhalten hatte, und zwar insbesondere dann, wenn wie von diesem Autor die Injektion intravenös angewandt wurde, doch auch bei der nach Brown-Sequard vielfach ausgeführten Subeutan- injektion des Extraktes; Gley’), Murray‘), Schwarz’), Beresowsky !®) und andere. Zuerst am Menschen wurde die Beobachtung gemacht, daß üble Folgen der Kropfexstirpation (Kachexia strumipriva, s. oben) selbst durch Aufnahme von Schilddrüsensubstanz per os gebessert, bzw. auf längere Zeit, solange die Schilddrüsenfütterung fortgesetzt wird, auf- gehoben werden. Dasselbe wurde denn auch in nachträglichen Tierversuchen bestätigt (v. Eiselsberg, Lanz!!), White, Vermehren). Es wurden dann die pharmakologischen Wirkungen der in Substanz — roh, getrocknet, in Tablettenform — oder als Extrakt verfütterten Schilddrüse auch bei gesunden Menschen und Tieren geprüft und vor allem, besonders bei vorwiegender Pflanzenkost, auffällige Beschleunigung der Herzschlagfolge gefunden !) Pflügers Arch. 64, 1, 1896. — °) American Journ. of Physiol. 3, 285, 1900. — ®) „Innere Sekretion“ aus „Wiener Klinik“ 1903. — *) Lo Sperimentale, August 1884. — ®) Archivio per le science mediche 13, 365, 1889. — °) Rivista sperimentale di freniatria (Reggio-Emilia) 16, 439, 1890; Archives ital. de biol. 17, 173, 1892. — 7) Compt. rend. de la soc. de biol. 1891, p. 251. — °) British medical Journal 1891, p. 796; 1892, p. 449; 1893, p. 672. — °) Lo Sperimentale 1892; Archives ital. de biol. 17, 330, 1892. — !°) Zieglers Beiträge zur pathol. Anatomie 12 (1892). — "!) Zur Schilddrüsenfrage, Leipzig 1894; Derselbe, Basel 1895; Deutsche med. Wochenschr. 1895, Nr. 37. 1:9 Wirksamer Bestandteil der Schilddrüse. (Lanz, Buschan'), daneben Stoffwechselsteigerung, von welcher weiter unten ausführlicher die Rede sein wird. Bisweilen wurden aber auch anderweitige üble Folgen, Vergiftungs- erscheinungen, auch bei der Schilddrüsenfütterung strumipriver Individuen beobachtet — Verdauungsstörungen, Durchfälle, Schwindel, Herzangst — die vereinzelt [auch in Tierversuchen von Georgiewsky?)] zum Tode führten und als „Thyreoidismus“ bezeichnet wurden und durch Arsendarreichung gebessert werden sollten; sie sind wahrscheinlich nur durch Verabreichung zer- setzten Materials (die Schilddrüse fault schnell) zu erklären, können durch Verwendung rasch getrockneten frischen Materials, noch besser der gleich zu besprechenden isolierten wirksamen Stoffe vermieden werden, haben aber das Gute gehabt, die kritiklose Anwendung der Schilddrüsenfütterung insbeson- dere bei anderen Krankheiten (so der Fettleibigkeit, gegen welche sie wegen der Stoffwechselsteigerung von Leichtenstern, C.A. Ewald, v. Noorden?) und ausländischen Ärzten vielfach verordnet wurde) gebührend einzu- schränken. Eine genaue Präzisierung der Wirkung der Schilddrüsenpräparate wie auch der Vorstellungen von den Funktionen des Organes selbst konnte erst ermöglicht werden durch genauere Untersuchung der chemischen Bestandteile. Die Schilddrüse enthält nach Oidtmann beim erwachsenen Menschen 32,24 Proz. Wasser, 17,66 Proz. organische und 0,1 Proz. mineralische Be- standteile; beim Kind wären die entsprechenden Ziffern 77,21, bzw. 22,35 und 0,44 Proz. Fettsäuren, Milchsäure und Alloxurbasen (Xanthin und Hypoxanthin) sind als Extraktivstoffe der Schilddrüse schon von älteren Autoren gefunden worden (v. Gorup-Besanez, Scherer, Frerichs, Städeler), Inosit neuer- dings von S. Fränkelt) und Tambach?). Erst die Versuche über Injektion der Schilddrüsenextrakte lenkten die Aufmerksamkeit auf die in ihr, speziell dem von ihr erzeugten Colloid ent- haltenen Eiweißkörper und Albuminoide. Bubnofft) stellte aus dem Organ einen Eiweißkörper dar, welchen er als Thyreoprotein bezeichnete, und welcher nach Notkin’) der wirksame Bestandteil der Extrakte sein und enzymartig wirken sollte. Gourlay‘) erhielt neben geringen Mengen Albumin vorzugs- weise ein durch die Essigsäuremethode darstellbares Nucleoproteid (mit 0,32 Proz. Phosphor nach Morkotun?), welches nicht mit echtem Mucin verwechselt werden darf; solches ist in der Schilddrüse nicht vor- handen, womit die Zurückführung der Myxödem- oder Kachexiesymptome auf „Mucinämie“ (s. oben) und Vorstellung einer Entgiftungswirkung als „Mueinbindung“ an und für sich widerlegt sind. S. Fränkel!P) wollte die Entgiftungswirkung auf eine enzymartig wirkende Base zurückführen, welche !) Deutsche med. Wochenschr. 1895, Nr. 44. — ?) Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1895, Nr. 27. — °) Zeitschr. f. prakt. Ärzte 5, 1, 1896. — *) Wiener medizinische Blätter 1895, Nr. 48; 1896, Nr. 13, 14, 15. — °) Pharmazeut. Zentral- blatt 4, 119, Leipzig 1896. — °) Zeitschr. f. physiol. Chem. 8, 1, 1883. — 7) Wiener med. Wochenschr. 1895, Nr. 19 u. 20; Archives russes de pathologie 2 und Virchows Archiv 144, 224, 1896. — ®) Journal of Physiol. 16, 23, 1894. — °) Wratsch 1895,,Nr, 37. — Ar a20: Jodothyrin. 13 von ihm in kristallischem Zustande aus der Schilddrüse erhalten wurde, die Formel C,H,,N;,0; besitzen sollte und von ihm Thyreoantitoxin genannt wurde, indessen im Tierversuch diese Bezeichnung nicht rechtfertigte. Nachdem schon 1852 Chatin!) gefunden hatte, daß das Wasser in Gebirgsgegenden — in denen Kropf und Kretinismus häufig sind — weniger Jod enthält als in den Ebenen, nachdem von jeher Jodpräparate (so gebrannter Schwamm äußerlich angewendet, in welchem Coindet?) 1320 das Jod als wirksamen Bestandteil nachwies) mit Erfolg gegen Kropf angewendet worden waren und Kocher darum Jod als normalen Schild- drüsenbestandteil vermutet hatte, war es ein bedeutender Fortschritt auf dem hier in Rede stehenden Gebiete, als Baumann?) in der Tat das Jod (zu 0,0025 bis 0,0066 g pro Drüse beim Menschen) als regelmäßigen Be- standteil der gesunden Schilddrüse nachwies und weiter zusammen mit Roos) fand, daß es in einer organischen Verbindung vorhanden sei, welche in der Gestalt, in welcher sie diese Forscher aus der Schilddrüse erhielten, als Thyreojodin, später als Jodothyrin bezeichnet wurde. Es stellt, durch Kochen des Organs mit verdünnter Schwefelsäure, Entfetten und Neutralisieren des Extraktes und Eindampfen im Vakuum gewonnen, eine amorphe bräunliche Substanz dar, welche 9,3 Proz. Jod enthält und von welcher 0,05 & 25& frischer Drüse entsprechen (Baumann und Roos). Obwohl auch negative Versuchsergebnisse erhalten worden sind und die Identität des Jodothyrins mit der wirksamen Substanz der Schilddrüse von einigen (Notkin, Gottlieb’), Wormser und anderen) in Abrede gestellt wurde, so scheint es doch, daß ihm die wichtigsten Wirkungen der Schild- drüsenextrakte bei jeder Art Einverleibung als solchem zukommen: die später zu besprechende hämodynamische, wie auch die stoffwechselsteigernde. Was einige Details der Stoffwechselwirkungen der Extrakte des Organs wie auch der jodhaltigen Bestandteile anbetrifft, so ist Vermehrung der Stickstoffausscheidung durch Schilddrüsenfütterung von Vermehren‘°), L. Bleib- treu und Wendelstadt’) und Schöndorff®) konstatiert und für das Jodothyrin durch Baumann und Roos’), sowie F. Voit!”) bestätigt worden, von letzterem da- neben auch Vermehrung der Kohlensäureausscheidung, von Roos und Bürger | aufs Zehnfache gesteigerte Phosphorsäureausgabe nachgewiesen worden; endlich können große Dosen Glykosurie (Georgiewsky''), Bettmann'?), nach Porges'”) | auch Lävulosurie) erzeugen. Manche Forscher fanden andere aus der Schilddrüse in toto isolierte Substanzen wirksamer als das Jodothyrin, so das Thyraden von Hauf und v. Craczewsky (Kocher), das Aiodin von Lanz und Schräger u.a.m. | Nicht gelungen ist es, auch nach längerer Darreichung von Bromsalzen Brom in der Schilddrüse nachzuweisen. Auch die Beeinflußbarkeit des Jodgehaltes | durch Pilokarpin ist zweifelhaft, dagegen gelang es durch partielle Exstir- !) Zit. nach v. Eiselsberg. — ?) Bibliothöque universelle de Geneve 1820. — | ®) Zeitschr. f. physiolog. Chemie 21, 19, 1895. *) Ebenda 21, 319, 481, 1895; 22, 1, 18, 1896; Münch. med. Wochenschr. 1896, Heft 43; auch Baumann und Goldmann, ebenda, Heft 46; Roos, Zeitschr. für physiol. Chem. 25, 1, 242, | 1898 — °) Deutsche med. Wochenschr. 1896, 8. 235. — °) Ebenda 1893, Nr. 11. — 7) Ebenda 1895, S. 346. — °) Pflügers Arch. 63, 423, 1896. — °) A. a. O. und Über Schilddrüsentherapie und Jodothyrin, Freiburg 1897; Zeitschr. f. physiolog. | Chem. 25, 242 und 26, 429, 1898. — !°) Zeitschr. f. Biologie 35, 116, 1897. — ") Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1895. — "?) Berl. klin. Wochenschr. 1897, S. 518. — !?) Ebenda 1900, S. 300. 14 Entgiftungstheorie. — Beziehungen zu den Herznerven. pation den Jodgehalt der stehengebliebenen Schilddrüsenanteille zu steigern [Nagel und Roos')]. Jedenfalls mußte die Frage, ob das Jodothyrin der einzige wirksame Schilddrüsenbestandteill und als solcher in dem Organ präformiert sei?), näher untersucht werden, und in dieser Hinsicht hat Oswald?) angegeben, daß dasselbe wahrscheinlich nur das Spaltungsprodukt eines jod- haltigen Eiweißkörpers von globulinartigen Eigenschaften sei, des „Ihyreoglobulins“, welches zusammen mit dem unwirksamen Nucleoproteid die Colloidsubstanz bilde, das wirksame Produkt der inneren Sekretion der Schilddrüse; die Existenz des Jods in dem Organ ist nach diesem Autor ?) an das „Thyreoglobulin* gebunden. Hiergegen ist, wesentlich auf Grund von Erfahrungen über künstlich dar- sestellte Jodeiweißverbindungen, welche nach ihm analog den Schilddrüsenextrakten wirken sollen, F. Blum’) aufgetreten; das Thyreoglobulin sei kein einheitlicher Körper; die Schilddrüse funktioniere nicht mit innerer Sekretion, sondern lediglich durch Entgiftung toxischer Stoffwechselprodukte, welche sie „abfange“, an Eiweiß binde — „Thyreotoxalbumin“ — und durch Jodierung unschädlich mache. In- dessen sind die zur Stütze dieser Anschauungen von Blum angeführten Versuche und Beweisgründe durch Oswald seinerseits angegriffen worden‘). Nach der jetzigen Ansicht der meisten Autoren bestände somit die be- sonders beim Fleischfresser lebenswichtige Funktion der Schilddrüse darin, eine für die normale Intensität des Stoffwechsels und die Integrität des Nervensystems nötige Substanz in die Blutbahn zu secernieren, welche jedenfalls eine organische Jodverbindung dar- stellt, während Blum die Funktion in der Entgiftung schädlicher Stoffwechselprodukte durch Bindung an (mit der Nahrung, mit dem Wasser aufgenommenes) Jod zu sehen glaubt. Die zu „entgiftende“ toxische Substanz sieht nun Cyon’) um- gekehrt in dem Jod und hat eine eigentümliche Verbindung der Entgiftungs- und der Sekretionstheorie aufgestellt auf Grund von Untersuchungen über die Nervenverbindungen des Organs, sowie der hämo- dynamischen Wirkungen von Extrakten; auf diese Wirkungen muß hier zum Schluß noch etwas genauer eingegangen werden. Oliver und Schäfer‘) fanden, als sie die Wirkungen der intravenösen Injektion von Extrakten anderer Organe mit den (bald zu beschreibenden) des Nebennierenextraktes verglichen, daß die Einspritzung von Schilddrüsen- extrakt in die Venen eines Säugetieres eine Blutdrucksenkung ohne wesentliche Veränderung der Herztätigkeit erzeugt; auch durch Messung des Kalibers der Arteria radialis ließ sich ein spezifischer | gefäßerweiternder Einfluß feststellen’). Auch mit dem Jodothyrin erhielt später v.Fenyvessy!°) nach der den meisten Flüssigkeitsinjektionen folgenden „primären Depression“ eine andauernde sekundäre Blutdrucksenkung. !) Archiv für Physiol. (Engelmann) 1902, Suppl.-Bd., 8.. 267. — ?) Schon von Tambach in Abrede gestellt (Zeitschr. f. Biol. 36, 549, 1898). — °) Zeitschr. f. physiol. Chem. 27, 14, 1899. — *) Ebenda 32, 121, 1901. — °) Pflügers Arch. 77, 70; Virchows Arch. 158, 495, 1899. — °) Pfiügers Arch. 79, 450; Blums Replik in Zeitschr. f. physiolog. Chern. 32, 121 und Oswalds Duplik in Virchows Arch. 169, 444, 1901. — 7) Pfilügers Arch. 70, 126, 1898. — ®) Journal of Physiol. 18, 277, 1895. — °) Lancet, 13. Juni 1896. — !”) Wiener klinische Wochenschr. 1900, Nr. 13. Hypophysis. 15 Cyon hat außerdem öftere Herzacceleration durch Jodothyrineinspritzung gesehen; außerdem fand er, daß die herzhemmende Wirksamkeit der Reizung des Vagus und blutdrucksenkende der Reizung des - N. depressor durch denselben Eingriff bedeutend verstärkt wird, ja daß das Jodothyrin die Erregbarkeit der durch Atropin ge- lähmten Herzvagusfasern sofort wiederherstellt!); bei Haustieren mit degenerierten Schilddrüsen findet sich oft mangelhafte Wirksamkeit der Vagus- und Depressorreizung?). Da ferner Cyon die Schilddrüsennerven mit einer früher von ihm gefundenen „dritten Depressorwurzel“ in Ver- bindung und ihre Reizung von starker Gefäßerweiterung in dem Organ selbst gefolgt fand, so bildete er sich eine Vorstellung von der Funktion der Schilddrüse’), welche gewissermaßen eine Kombination der drei wichtigsten bis jetzt besprochenen Theorien darstellt. Sie soll 1. als Collateralbahn das Gehirn vor Hyperämie schützen, 2. aber auch Jodothyrin ins Blut secernieren, welches einerseits a) bei zu starker Gefäßerweiterung, wobei es in vermehrter Menge entsteht, durch Herzacceleration das Gehirn vor Anämie bewahrt, andererseits b) bei verstärkter Herztätigkeit die vor Hyperämie schützende mechanische Wirkung unterstützt, indem es die Vagi und Depressores erregt und so Herzschlagfrequenz und Blutdruck herabsetzt: 3. soll das Jodothyrin entstehen, indem mit der Nahrung, dem Wasser usw. in den Stoffwechsel gelangtes Jod gebunden wird; dies ist zugleich eine „Ent- giftung“, indem nach Cyon Jodsalze (Jodnatrium) umgekehrt wie das Jodo- thyrin die Wirksamkeit der Vagi und Depressoren herabsetzen. Ähnlich wie das Jodothyrin soll das phosphorsaure Natron wirken. Gegen die Angaben CUyons hat sich v. Fenyvessy*) ausgesprochen, und in der Tat dürfte die Verbindung der chemischen mit der mechanischen Funktion der Schilddrüse etwas problematisch erscheinen, jedenfalls noch sehr der Bestätigung bedürfen; dagegen scheint mir die Verbindung der Ent- giftungs- mit der Sekretionstheorie hier nicht so ohne weiteres abzuweisen, ‚ nachdem die analoge Vorstellung für die Nebennierenfunktion, wie wir sehen werden, immer mehr sichere Stützen gefunden hat. Indessen dürfte doch ' wohl nicht das Jod die Rolle des zu bindenden Giftes spielen, sondern eher, ' wie oben besprochen, dasselbe binden. Nach obigem zweifelhaft ist es, ob | auch das Brom seine Stelle vertreten, welches Baldi’) in der Schilddrüse gelegentlich gefunden hat. Wegen der Art und Weise, wie Cyon seine Darstellung mit der Bedeutung ' des Jods in der Kropf-Pathologie und -Therapie in Einklang zu bringen sucht, und | vieler anderer Einzelheiten muß auf seine Originalarbeiten verwiesen werden. III. Hirnanhang. Eine gewisse Analogie zur Schilddrüse bietet schon in seinem Bau ‚ der Hirnanhang oder die Hypophysis cerebri, indem ihr vorderer drüsiger Teil epithelausgekleidete follikelähnliche Hohlräume zeigt; wegen | näherer Einzelheiten über ihren Bau insbesondere beim Menschen sei hier ’) A. a. O., 8. 511, ferner ebenda 73, 42, 1898. — ?) Diese Erfahrungen kann | ich bestätigen. — °) A. a. O. und schon Zentralbl. f. Physiol. 1897, 8. 357. — *) A. a. 0. — °) Archives ital. de biol. 29, 353, 1898. 16 Exstirpation der Hypophyse. besonders auf die Arbeit von Benda!) verwiesen. L. Neumayer?) unter- scheidet kleine eolloidale Zellen von größeren chromophilen, welche letzteren er als im Begriffe der Sekretion stehende Elemente anspricht; nach seiner Än- sicht ist es hier kein Colloid, sondern ein Mucoid, welches an die Blutbahn abgegeben werde. Für ein vikariierendes Eintreten der Hypophysenfunktion für diejenige der Schilddrüsen sind Beobachtungen über Vergrößerung der Hypophyse nach Schilddrüsenexstirpation angeführt worden (Rogo- witsch?), welche aber wohl mehr als Degeneration zu deuten ist, indem sich Volumzunahme der Protoplasmamasse auf Kosten der Zellkerne, Vakuolen- bildung usw. vorfand [H. Stieda®), Pisenti und Viola’), Hofmeister‘), de Coulon’), Leonhardt‘). Auch Schönemann’) fand bei Unter- suchung zahlreicher Leichen mit Kropf behafteter Menschen nicht Hyper- trophie, sondern Entartung der Hypophyse, desgleichen bei Myxödem Boyce und Readles!P), Pisenti und Viola u. a., hier allerdings liegen auch gelegentliche Beobachtungen von Hypertrophie vor (Uthoff!!), Pon- fick 2) u. a. Vergrößerung mit Gewebeentartung an der Hypophysis ist speziell bei der sogenannten „Akromegalie“ beobachtet worden, einer in Verdickung der Extremitäten, besonders an ihren äußersten Enden, infolge Hypertrophie der Knochen und der Haut (letzteres auch im Gesicht, an der Nase und den Lippen) sich äußernden Erkrankung — und zwar schon von dem Entdecker dieser Krankheit, Marie!?), wie auch von Massalongo!#) u. a.; Cyon!) berichtet über Besserung der Symptome derselben durch Fütterung mitHypophysensubstanz; nach A. Schiff !#) soll letztere die Phosphorsäureausscheidung stark vermehren, die Stickstoff- ausscheidung dagegen nur unbedeutend; daher die besondere Einwirkung auf den Stoffwechsel der Knochensubstanz, welcher bei der Akromegalie offenbar eine Rolle spielt. Die Exstirpation des Hirnanhangs, eine bei der anatomischen Lage desselben nicht leichte Operation, ist ausgeführt worden bei der Katze durch Marinescu!”) und v. Eiselsberg!°), beim Hunde durch Vassale und Sacchi!?), und es starben diese Tiere binnen 14 Tagen unter kachexie- ähnlichen Symptomen, angeblich auch Andeutungen von Tetanie; Injektion von Hypophysenextrakt soll Besserung bewirkt haben. Neuerdings wollen übrigens Vassale und Generali?) hypophysektomierte Tiere längere Zeit gesund am Leben erhalten haben. Y) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1900, S. 373. — °) Sitzungsber. der Münch. morphol.-physiol. Gesellsch. 16, 95, 1900. — °) Zieglers Beiträge z. patholog. Anat. 4, 453, 1889. — *) Ebenda 7, 537, 1890. — °) Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1890, S. 25, 26. — °) Fortschritte der Medizin 1893, Nr. 3 u. 4. — ?) Virchows Arch. 167, 53, 1896. — °) Ebenda 149, 341, 1897. — °) Ebenda 129, 310, 1892. — !0) Journal of pathology and bacteriology 1892. — '') Deutsche medizin. Wochen- schrift 1898. — '?) Zeitschr. f. klin. Medizin 38 (1899). — *) Nouv. Iconogr. de la Salp. 1888, p. 173, 229; Brain 12, 59, 1889. — “*) Zentralbl. f. Nervenheil- kunde 18, 281, 1895. — °°) Pflügers Arch. 73, 484, 1898. — °) Wiener klin. Wochenschr. 10, 277, 1896. — N!) Compt. rend. soc. de biol. 1892, p. 509. — 18) A. a. O., 8. 31. — 2) Archives ital. de biol. 22, 133, 1895. — °°) Zit. nach Schäfer. Theorien der Hypophysenfunktion. 17 Die hämodynamische Wirkung der intravenösen Injektion von wässerigem Hypophysenextrakt ist zuerst bei Gelegenheit der Ent- deckung der Nebennierenextraktwirkung durch Oliver und Schäfer!) untersucht und als bedeutende, wesentlich durch Gefäßkontraktion erzeugte Blutdrucksteigerung beschrieben worden. Howell?) fand ferner, daß der Infundibularteil des Organs die wirksamen Bestandteile enthalte, deren weiterhin durch Schäfer und Swale Vincent?) zwei verschiedene unterschieden wurden: eine in Alkohol und Äther unlösliche blutdruck- steigernde und eine in Alkohol und Äther lösliche blutdrucksenkende Substanz. Beide werden durch Kochen nicht verändert; für gewöhnlich über- wiegt bei der intravenösen Injektion die Wirkung der ersteren, wobei in- dessen die Blutdrucksteigerung bald durch Pulsverlangsamung kompensiert wird; letztere fällt für gewöhnlich nach Vagusdurchschneidung oder Atropin- vergiftung weg, so daß die Blutdrucksteigerung infolge der Vasoconstriction besser hervortritt; öfter aber tritt auch jetzt noch Pulsverlangsamung ein, wahrscheinlich durch direkte Einwirkung aufs Herz (die sog. „Hypophysen- reihen“ Cyons). Hier erscheinen übrigens die Angaben widersprechend; während Livon) auf der Höhe der Extraktwirkung verminderte Wirksam- keit von Vagus- und Depressorreizungen konstatierte (s. auch weiter unten über das Nebennierenextrakt), behauptet Cyon’), daß das Hypophysen- extrakt, ebenso wie das Jodothyrin, die durch Atropin aufgehobene Herz- vaguswirkung wiederherstelle. Der so wirkende Stoff soll eine organische Phosphorverbindung sein und phosphorsaures Natron ebenso wirken, d. h. wie Hypophysin und Jodothyrin als „Antidot“ des Atropins, Muscarins und Jodnatriums. Cyon®) hat ferner die Hypophysis direkt elektrisch gereizt und angeblich dieselben Wirkungen — Pulsverlangsamung — wie bei Injektion von Hypophysisextrakten gesehen; er nimmt an, daß die bei hohem Blut- druck — Aortenkompression, Asphyxie, Nebennierenextraktinjektion — auftretende Pulsverlangsamung durch einen Reiz auf die Hypo- physe zustande komme, welcher zu vermehrter Produktion ihres die Vagus- endigungen erregenden inneren Sekretes führe. Dieser Vorstellung sind freilich unter anderen Biedl und Reiner’) entgegengetreten; auf die heftige Polemik Cyons°) gegen dieselben kann hier nicht eingegangen werden. Jedenfalls scheint die Frage nach der Funktion des Hirnanhangs noch lange nicht endgültig erledigt. Viel mehr Einsicht hat sich im Laufe der letzten zehn Jahre in die Funktionen der Nebennieren ergeben, so daß man fast sagen kann, daß hier der Vorgang und die Bedeutung einer „inneren Sekretion“ am klarsten zutage liegt, wenigstens von denjenigen Organen, welche nur innere Sekretion vollführen, also abgesehen von der Leber als „mehrflächiger Drüse“, siehe oben. !) Journ. of Physiol. 18, 277, 1895. — °) Journal of Physiol. 24, 19 der Proc. physiol. Soe., und 25, 87, 1899. — °) Journal of experimental Medicine 3, 245, 1898. — *) Compt. rend. soc. de biol. 1899, p. 170. — °) Pflügers Arch. 71, 431. — ©) A.a. O. und ebenda 73, 339, 1898. — 7) Ebenda, 8. 385. — ®) Ebenda 74, 177; siehe auch 79, 158, 1900. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 2) 18 Nebennieren. IV. Die Nebennieren. 1. Anatomisches. Historisches. Vermuteter Zusammenhang der Neben- nieren mit Pigmentanomalien. Die Nebennieren — Capsulae oder Glandulae (supra)renales, früher auch Renes succenturiati genannt, sind seitihrer Entdeckung durch Barto- lommeo Eustacchi (Eustachius) im Jahre 1543 sehr bald als drüsen- artige Hohlorgane bezeichnet worden, welche ein eigenartiges Sekret erzeugen sollten, — als „schwarze Galle“ bezeichnete es Bartholin!) und nannte deshalb die Organe Capsulae atrabiliariae —, für welches man sich bemühte, einen Ausführungsgang zu suchen (Peyer, Val- salva u. a.), welcher nach den Nieren, dem Darme, ja selbst den Geschlechts- organen führen sollte! Aber auch an anderen Vorstellungen über die Funktion der Nebennieren fehlte es nicht, so, daß sie ein blutverdünnendes, ein IJymphatisches Organ, ja einfach ein nervöses Ganglion (Duvernoi) seien; — wir finden dieselben bei Haller?) sorgfältig aufgezählt; indessen fehlte es an experimentellen Stützen, und zwar jahrhundertelang, bis erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts pathologische Beobachtungen das Interesse aktivierten: 1855 entdeckte Addison?) die nach ihm benannte Krank- heit, in deren Symptomenkomplex eine abnorme Pigmentierung der Haut und der Schleimhäute — „bronzed skin“ — besonders hervor- tritt, und welche unter nervösen und Stoffwechselstörungen und immer zunehmender Muskelschwäche zum Tode führt; und er fand in 13 derartigen Fällen pathologische Veränderungen an den Neben- nieren, welche er als Grundlage der Erkrankung hinstellte. Man ist seitdem viel bemüht gewesen, nach Zusammenhängen zwischen Pigmentbildung und Nebennierenfunktion zu suchen, zumal nachdem in dem Organe selbst pigmentbildende „chromogene“ Substanz sich fand — doch im all- gemeinen mit zweifelhaftem Erfolge; zwar wollte Boinet*) nach Nebennieren- verletzungen bei Ratten Anhäufung von schwarzem Pigment im Blute und mehreren Organen beobachtet haben und sprach geradezu von „experimen- teller* Addisonscher Krankheit, auch Nothnagel’), Tizzoni*), Alba- nese’) u.a. haben vereinzelte derartige Beobachtungen veröffentlicht; indessen sprachen die Erfahrungen der Mehrzahl der Forscher gegen einen derartigen Zusammenhang. Von den sonstigen Ergebnissen der Exstir- pations- usw. Versuche, welche zur Erkenntnis der inneren Sekretion der Nebennieren geführt haben, wird gleich die Rede sein; ihnen sollen hier noch einige Worte über die anatomisch-histologischen Grundlagen vor- ausgeschickt werden. ') Institutiones anatomicae, p. 110. Offenbar sah er die an der Luft stärker werdende dunkle Färbung dessen, was wir jetzt die Marksubstanz nennen. — *) Elementa physiologiae 7, 407 ff., 1765. — °) On the. effects of disease of the suprarenal bodies, London 1855. — *) Compt. rend. la soc. de biol., 1. Febr. 1896. — °) Zeitschr. f. klin. Med. 1, 77, 1880. — °) Arch. ital. de biol. 5, 333, 1884; 10, 372, 1888; Zieglers Beiträge z. pathol. Anat. 1889. — 7) Arch. ital. de biol. 1%, 239, 1892. Histologie der Nebenniere. 19 Nachdem wesentlich durch die Untersuchungen von J. F. Meckel!) und Nagel?) die Vorstellung von einem Hohlraume in den Nebennieren widerlegt worden war, unterschied man außer der äußeren Bindegewebskapsel die Rinden- und die Marksubstanz; die erstere zeigt radiären Bau, indem Balken oder Röhren von Bindesubstanz von der Oberfläche nach dem Inneren ziehen, zwischen welchen spezifische Zellen angeordnet sind, nach den einen in Form von Schläuchen, nach den anderen von Säulen oder ähnlich; diese Zellen enthalten stark lichtbrechende, fettähnliche Körnchen, welche indessen nach Osmiumbehandlung sich leichter lösen als echtes Neutral- fett. Sie sind bei manchen Tieren in einer „mittleren Rindenschicht“ zahl- reicher vorhanden als in der inneren und äußeren Rindenschicht. Die Mark- substanz der Nebennieren enthält in einem grobmaschigen Gefäßnetz große, undeutlich begrenzte Zellen, welche „chromaffine“, mit Eisenhämatoxylin sich schwarz färbende Massen enthalten, an welche der bald zu be- schreibende, in Lösungen mit Eisenoxydsalzen Grünfärbung gebende Stoff gebunden ist. Hultgren und Andersson’), welche die vorstehenden Angaben machen, und auf deren große Arbeit auch wegen aller früheren, die Anatomie der Nebennieren betreffenden Arbeiten hier verwiesen werden muß, haben auch in Bestätigung früherer Angaben beobachtet, daß die chromaffinen Körper in den Markzellen gebildet werden und aus ihnen direkt in die Blutgefäße hineingelangen — vielleicht durch das Endothel hindurch —, während in der Rinde solche „sekretorische Verände- rungen“ nicht konstatiert werden können. 2. Nebennierenexstirpations- und Wiedereinpflanzungsversuche. Wenige Monate nach Addisons Entdeckung veröffentlichte Brown- Sequard*) als erster die Ergebnisse von ein- und doppelseitigen Neben- nierenausrottungen an Säugetieren verschiedener Art, welche sämtlich binnen weniger — höchstens 37 — Stunden tödlichen Erfolg hatten; er führte den Tod auf den Ausfall wichtiger Funktionen der Nebennieren zurück und erklärte sie als „lebenswichtiges Organ“. Eine ganze Reihe von Forschern wiederholte die Operation in den nächsten Jahren und trat meistens der Ansicht Brown-Sequards entgegen, inso- fern sie behaupteten, daß einesteils die Nebennierenexstirpation nicht not- wendig den Tod herbeiführe und anderenteils, wo dies der Fall sei, die Ur- sache in dem operativen Eingriffe zu suchen sei, welcher durch Peritonitis, Hernie, Nervenläsion, „Shok“ usw. den letalen Ausgang bewirke: so Gra- tiolet°), welcher seine Versuche schon vor Brown-Sequards Veröffent- lichung begonnen hatte, und Philippeaux®); ihnen trat Brown-Söquard’) entgegen auf Grund der nunmehr sichergestellten Beobachtung, daß ein- seitige bzw. unvollständige Entfernung das Überleben der Ver- suchstiere veranlassen kann. Gegen die Lebenswichtigkeit der Neben- !) Abhandlungen aus der menschl. usw. Anat. u. Physiol., Halle 1806. — ) Joh. Müllers Arch. f. Anat. u. Physiol. 1836. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 9, 73, 1899. — *) Compt. rend. soc. de biol. 43, 422, 542, 1856; Arch. generales de ed. 1856, p. 385, 572. — °) Compt. rend. soc. de biol. 43, 468, 1856. — °) Ebenda, 3. 904. — 7) Ebenda 44, 246; 45, 1036, 1857; Journ. de la physiol. 1, 160, 1858. 2% 30 Nebennierenexstirpation. nieren wandten sich übrigens damals noch Berutti und Perosino, Harley!), Martin-Magron?) und vor allem Schiff 3) (1863). Gratiolet und Harley operierten an Ratten, welche auch nach den neueren Erfahrungen von Boinet und anderen die „Epinephrektomie“ am besten vertragen; Martin-Magron sah eine Katze zehn Tage, eine andere sieben Wochen die doppelseitige Exstir- pation überleben. Nach langer Pause nahm Nothnagel 1880 in seinen schon erwähnten Versuchen den Gegenstand wieder auf, desgleichen mehrere italienische Autoren, unter ihnen vorzugsweise Tizzoni*), welcher wieder, ähnlich wie Brown- Sequard in seinen allerersten Mitteilungen, auch die Entfernung nur einer Nebenniere für tödlich erklärte, vorausgesetzt, daß man lange genug warte, bis die oft spät eintretenden Folgen sich bemerkbar machten; diese Vor- stellung wurde von Stilling‘) abfällig und eingehend kritisiert, ferner be- stritten, daß die von Tizzoni beobachteten Degenerationen im Zentralnerven- system als Folge der Nebennierenexstirpation auftreten; indessen wurden sie von Alezais und Arnaudt), welche übrigens die Lebenswichtigkeit des ÖOrganes leugneten, Boinet, de Dominicis’) u. a. bestätigt. Am besten von den Säugetieren scheinen in der Tat die kleinen Nager die Operation zu vertragen — Ratten und Meerschweinchen —, schlechter schon die Kaninchen, am schlechtesten der Hund, wie ins- besondere aus den Versuchen von Langlois‘°) hervorgeht; dieser Forscher sah Hunde die doppelseitige Exstirpation nicht länger überleben als 36 Stunden, wofern nicht mindestens !/,, bis !/, der einen Drüse übriggelassen war, während Thiroloix°?) ganz ähnliche Zeiten angibt, Szymonowicz!P) die Hunde nur 15 Stunden im Durchschnitt die Operation überleben sah, Strehl und O. Weiß!!), welche eine große Zahl der verschiedenartigsten Tiere operiert haben, zwischen 22 und 75 Stunden, Pal!2) endlich meist 7 bis S Tage, doch blieb ein von ihm operierter Hund 4 Monate und 8 Tage am Leben: Biedl!?), welcher dieses Tier obduziert hat, meint neuerdings wohl mit Recht, daß es sich hier zwar nicht um accessorische Nebennieren, wie sie bisweilen in der Bauchhöhle vorkommen, hier aber nicht gefunden wurden, gehandelt habe, wohl aber um solche an den Hoden (Zwischenzellen von Leydig, Hofmeister u. a.) oder Övarien (Kornzellen von His und Plato): die besondere Widerstandsfähigkeit der Ratten gegen die Epinephrektomie soll sogar von dem geradezu regelmäßigen Vorkommen dieser letzteren her- rühren. Wie schon Supino!%), so fanden Hultgren und Andersson’), dab die Überlebensdauer, speziell bei der Katze, nicht unerheblich verlängert wird, ') Transact. pathol. soc. London 9, 401; Brit. medical Rev. 1858, No. 41 u. 42. — ?) These d’agregation, Paris 1863. — °) L’imparziale 1863, p. 234; Union medicale 1863, p. 347. — *) A. a. O. — °) Revue de medeeine 1890. — °) Marseille medical 1894, p. 11, 94, 131, 195. — 7) Arch. de physiol. 1894, p. 810; Wien. med. Wochenschr. 1897, 8. 18.— ®) Compt. rend. soc. de biol. 1892, p.388 (mit Abelous); ebenda 1893, p. 444; Arch. de physiol. 1894, p. 410; Travaux du labor. de Richet 4 (1897). — °) Soeiet& anatomique 1892, p. 207 u. 1893. — !°) Pflügers Arch. 64, 19. — !!) Ebenda 86, 107, 1901. — '*) Wien. klin. Wochenschr. 1894, $. 48; Semaine medicale 1894, p. 508 (mit Berdach). — !?) „Innere Sekretion“, in Wien. Klinik 1903. — '*) Arch. ital. de biol. 18, 327, 1892, und Riforma medica 1892, p. 685. — EA: Folgen der Nebennierenexstirpation. Sl wenn man zwischen der Exstirpation der einen und der anderen Nebenniere einige Zeit verfließen läßt bzw. dieselbe in getrennten Sitzungen ausführt; ja Kaninchen können in diesem Falle monatelang gesund am Leben bleiben. Auch Kastration soll die Überlebensdauer bei Katzen etwas verlängern (nach dem oben Erwähnten würde man das Gegenteil vermuten!). Was nun die Erscheinungen betrifft, unter welchen die Folgen der Nebennierenexstirpation sich zeigen, so können sie bei Vermeidung von Nebenverletzungen, Shock und Infektion unmittelbar nach der Operation recht geringfügig sein, insbesondere beim Meerschweinchen. Ob weiterhin der thyreopriven Tetanie analoge Krämpfe regelmäßig vorkommen, erscheint zweifelhaft; sicherer ist die allgemeine Prostration, sowohl psychischer Natur, als speziell in Gestalt wirklicher Muskelschwäche; letztere ist nicht nur beim Kaltblüter, wovon unten ausführlicher zu sprechen sein wird, sondern auch beim Warmblüter (Langlois, Strehl und Weiß) konstatiert. Erhöhte Giftigkeit des Harns ist, abweichend von der Schilddrüsen- exstirpation, hier nicht gefunden worden, wohl aber gelegentlich Polyurie, auch wohl vermehrte Phosphatausscheidung, wogegen, speziell beim Menschen in Addisonscher Krankheit Verminderung der Harnstoffausscheidung und Vermehrung des Indicans sichergestellt ist. Eine von Szymonowicz be- hauptete Steigerung der Blutkörperchenzahl nach Nebennierenexstirpation konnten Hultgren und Andersson nicht bestätigen, auch die Beobachtun- gen hierüber an Addison-Kranken sind sehr schwankend. Bei zu Tode führender vollständiger Exstirpation ist Appetitlosigkeit und kontinuierlich abnehmendes Körpergewicht die Regel; in der letzten Zeit (24 bis 48 Stunden) vor dem Tode tritt ein charakteristischer starker Abfall der Körpertemperatur ein (Langlois, Strehl und Weiß, Hult- gren und Andersson); subcutane Injektionen von Nebennierenextrakt ver- mögen dann vorübergehend die Temperatur zu steigern und das Allgemein- befinden zu bessern, welches letztere auch Brown-Sequard 1892!) konstatiert hat, ohne daß indessen die Lebensdauer der Tiere hierdurch wesentlich ver- längert worden wäre. Ein letztes Symptom endlich, welches erst in letzter Zeit, seitdem die hämodynamischen Wirkungen der intravenösen Nebennierenextraktinjektion entdeckt worden sind (siehe unten), Beachtung gefunden hat, ist die Er- niedrigung des arteriellen Blutdrucks. Man hat wohl darauf hinge- _ wiesen, daß eine solche überhaupt bei moribunden Tieren die Regel sei; indessen glaube ich hier mit allem Nachdruck darauf hinweisen zu müssen, daß Strehl und 0. Weiß?) gezeigt haben, daß auch nach einseitiger Nebennierenexstir- pation der zunächst hoch bleibende Blutdruck sofort abfällt, wenn die abführende Vene der zweiten intakten Nebenniere zugeklemmt wird; sobald die Klemme gelöst wird, steigt der Blutdruck wieder zur Norm an (Fig.1 u. la a.f.S.); hiermit istgeradezu dieinnere Sekretiondes blutdrucksteigernden Prinzips bewiesen (siehe unten). Langsames Einfließenlassen von Nebennierenextrakt in das Gefäßsystem eines beiderseitig ope- rierten Tieres vermag den Blutdruck stundenlang hoch zu halten, freilich die Lebensdauer auch nicht in infinitum zu verlängern, !) Compt. rend. soc. de biol. 1893, p. 467. — ?) A. a. O. 99 Entgiftende Funktion. was schon für eine daneben existierende entgiftende Funktion spricht. Eine solche ist begründet worden speziell von Langlois und seinen Mit- arbeitern auf Nebennierenexstirpationsversuche am Frosch. Abelous 5 Se a Aı ,„ dann } Juecksilbermanometer. | | 7 % ! : \ E € 3 & ; 5 E $ E £ 3 & E g - r | 3 Aufzeichnung des Druckes in der rechten Carotis mit dem ( jlutdrucks bereits exstir Normale Höhe des Kaninchen. TUR AD KL ER y! | und Langlois fanden !), daß Frösche, welchen sie beide Nebennieren (Supra- renalkörper, als „Corpora heterogenia* schon von Swammerdam entdeckt) vollständig oder bis auf weniger als ein Viertel (Länge) der einen austrennten, ") Compt. rend. soc. de biol. 1891, p. 292, 835. Blutdrucks gleich 130 mm Höhe des Normale Tiere der — Dieselben Vornahmen wie bei dem Kaninchen. Weibliches Entgiftende Funktion. 23 regelmäßig starben, und zwar Winterfrösche nach 12 bis 13 Tagen, Sommer- frösche durchschnittlich nach 48 Stunden: nach den Erfahrungen von Alba- nese!) und Gourfein?) kommt es anscheinend mehr auf die Temperatur an, in welcher die Frösche gehalten werden. Vom zweiten Tage nach der Operation ab fällt dabei große Trägheit der Muskelbewegungen auf, die schließlich in Lähmung der Hinterextremitäten.übergeht; der Tod tritt unter Pupillenverengung und Atemlähmung ein und wird be- schleunigt durch häufige Anreizung zu Muskelbewegungen, welche dann um so schneller erlahmen. Da ferner diese Autoren in einem vorgerückteren Stadium die indirekte Erreg- barkeit der Muskeln (vom N. ischiadieus aus) aufgehoben fanden, während die direkte noch bestand, so verglichen sie die von ihnen ja als Autointoxikation ge- deutete Wirkung der Epinephrektomie mit derjenigen des Curares, ein Vergleich, welcher übrigens durch Gourfein und andere Autoren sehr bekämpft worden ist. Abelous und Langlois fanden weiterhin °), daß Injektion des Blutes von einem der Nebennieren beraubten Frosche in die Blutbahn eines anderen ebenso operierten Frosches die Erschöpfungs- erscheinungen rasch verstärkt und den Tod beschleunigte; Analoges gilt nach ihnen auch für den Warmblüter (Meerschweinchen); endlich soll nach ihren Versuchen das alkoholische Extrakt der Muskeln von epine- phrektomierten Fröschen, in die Blutbahn ebensolcher injiziert, ebenso wirken, ja sogar bei gesunden vorübergehende Kontrakturen erzeugen: viel aus- gesprochener, ja tödlich wurde die Wirkung des Muskelextrakts, wenn die zu seiner Herstellung verwendeten operierten Frösche vorher tetanisiert worden waren; ja es wirkte auch das Extrakt tetanisierter Muskeln nicht operierter Tiere in gleicher Weise. Da inzwischen auch Albanese*) die leichtere Er- müdbarkeit der epinephrektomierten Tiere konstatiert hatte, so nahmen Abelous und Langlois’) an, daß die Nebennieren die Funktion haben, giftige Produkte der Muskeltätigkeit, welche eventuell die Er- müdungserscheinungen bewirken, unschädlich zu machen. Hieran schlossen sich noch Versuche über die Muskelermüdung bei Addison- kranken‘); Langlois gab an, daß die sehr verkürzte ergographische Kurve bei solchen Patienten ein normaleres Aussehen gewinnt, d. h. die Hubhöhen größer werden und der Eintritt der Ermüdung verzögert wird, wenn man den Kranken mit Nebennierenextrakt behandelt. Ferner untersuchten Langlois und Charrin’) das Verhalten (Hypertrophie, Degeneration) der Nebennieren bakteriellen Infektionen gegenüber, sowie ihre etwaige antitoxische Wirkung auf die Infektionsgifte. Eine wichtige Stütze sowohl für die Entgiftungs-, als auch für die sekre- torische Theorie wäre nach dem, was wir bezüglich der Schilddrüse erfahren haben, von gelungenen Versuchen zu erwarten, die Nebennieren wieder einzupflanzen („greffe surrenale“). Positive Ergebnisse in dieser Richtung !) Arch. italiennes de biol. 17, 239, 1892; 18, 49, 1893. — ?) Revue medicale de la suisse romande 1896. Gourfein ist Schüler Schiffs, welcher in seinen letzten Lebensjahren seine Ansicht (vgl. oben) wieder zugunsten der Lebenswichtigkeit der Nebenniere änderte. — °) A. a. O. u. Compt. rend. soc. de biol. 1892, p. 165, 623. — *) A. a. O0. — °) Arch. de physiol. 1892, p. 269, 465; 1893, p. 437, 720. — °) Ebenda 1892, p. 721; Compt. rend. soc. de biol. 1892, p- 623; Presse medicale, 19. sept. 1896; Artikel „Addison“ in Richets Diet. de physiol. — 7) Compt. rend. soc. de biol. 1893, p. 812; 1894, p. 410; 1896, p. 131, 708. 34 Transplantation der Nebennieren. will an Fröschen Abelous!) erhalten haben, ebenso Gourfein?); dagegen. gelang letzterem Autor keine erfolgreiche Wiedereinpflanzung der Neben- nieren beim Meerschweinchen, ebenso mißlang die Transplantation auch Langlois, Hultgren und Andersson, Poll®), sowie Strehl und Weiß; eine vorläufige Mitteilung über erfolgreiche Einheilung exstirpierter Neben- nieren beim Kaninchen hat 1902 Schmieden) gemacht, doch ist ausführ- lichere Bestätigung bisher nicht erfolgt. Somit stützen sich unsere weiteren Fortschritte in der Erkenntnis der Nebennierenfunktion vornehmlich auf die Versuche mit Extrakten dieser Organe. 3. Die Wirkungen des Nebennierenextrakts; sein wirksamer Bestand- teil; Chemismus der Nebennierenfunktion; Beziehungen der Neben- nieren zum Nervensystem. Schon 1579 sah Pellacanı’) als Folge der subcutanen Injektion von Nebennierenextrakt bei Säugetieren Vergiftungserscheinun- gen und den Tod eintreten, glaubte aber, daß diese toxischen Wirkungen den meisten Organextrakten gemeinsam seien; von Ziino‘) und di Mattei’) wurden sie sogar einfach als Fäulnisvergiftung oder Infektion gedeutet. Da- gegen fanden etwas später Foä und Pellacani, daß sich im alkoholischen Extrakt der Organe eine spezielle giftige Substanz befinden müsse. Guarnieri und die Gebrüder Marino-Zuco°) suchten sie im Wasserextrakt und hielten sie mit dem hierin gefundenen Neurin für identisch; Neurininjektion sollte dasselbe Symptomenbild hervorrufen wie Nebennierenexstirpation, was in- dessen von Supino°®) und allen späteren Forschern durchaus in Abrede gestellt wurde. Allerdings enthält die Nebenniere Neurin; aber weder dieses noch die von Nabarro!P) gefundenen Eiweißkörper derselben — „Zell- globulin*“ und Nucleoproteide, noch auch die von Manasse!!) angegebene und für Jecorin gehaltene, von Moore!?) nicht wiedergefundene reduzierende Substanz sind das eigentlich charakteristische und wirksame Prinzip des Organs; und obwohl die älteren, gleich zu erwähnenden Er- fahrungen über den Farbstoff bzw. das Chromogen der Nebenniere auf die richtige Spur hindeuteten, so brachten doch wirkliche Klarheit erst 1894 die Versuche von Oliver und Schäfer!?), welche das Verhalten des Blut- drucks und der Atmung bei intravenöser Injektion von Neben- nierenextrakt untersuchten und die merkwürdige Tatsache kon- statierten, daß unmittelbar nach derEinspritzungauch sehr geringer Extraktmengen der Blutdruck außerordentlich stark ansteigt, !) Compt. rend. soe. de biol., 12. nov. 1892; Arch. ital. de biol. 22 (1895). — ?) A. a. 0. — °) Zentralbl. f. Physiol. 12, Nr. 10, 1898. — *) Pflügers Arch. 90, 113, 1902. — °) Arch. per le scienze med. 2, 1, 1879. — °) Giornale internaz. di scienze med. 3 (1880). — 7) Arch. per le scienze med. 6, 245, 1883. — ®) Arch. ital. de biol. 10 (1888) u. Moleschotts Untersuchungen 14, 59, 617, 1892. — °) A. a. 0..— !) Journ. of Physiol. 17, Proceed. physiol. soc. 1895, p. 17. — '!) Zeitschr. f. physiol. Chem. 20, 478, 1895. — !?) Siehe Schäfers Textbook of Physiol. 1, 91. — !*) Journ. of Physiol. 16, Proc. physiol. soc. 1894, p. 1; 17, Proc. physiol. soc., p. 9; 18, 231, 1895. Nebennierenextrakte. 35 welche Wirkung bis zu einigen Minuten dauert, um dann allmäh- lich zurückzugehen, im allgemeinen ohne jede dauernde Schädi- gung des Versuchstieres. Dieses selbe Ergebnis wurde später!) angeblich unabhängig auch von Szymonowiczund Üybulski?) erhalten und weiterhin von allen Forschern bestätigt; größere, die hierhergehörigen Erfahrungen zusammenfassende Arbeiten sind insbesondere von Langlois°) und von mir?) veröffentlicht worden; indessen muß hier betont werden, daß alles Wissenswerte über die hämodynamische Wirkung des Nebennierenextraktes eigentlich schon von Oliver und Schäfer selbst in ihrer ausführlichen Veröffentlichung richtig beschrieben worden ist, so daß einige weiterhin streitig gewordene Punkte Fie. 2. Hund von 9, kg, nur Morphiumnarkose (nach Oliver und Schäfer). A Bewegung des Vorhofs (schlecht aufgezeichnet), B der Herzkammer, © Milzvolumen, D Vorderbein- volumen, beide onkographisch, E Blutdruck aus der art. femoralis, F Abszisse mit Signal der Injektion von Abkochung von 0,0037 & Kalbsnebennieren. @ Zeit in Sek. nur in ihrem Sinne Bestätigung gefunden haben: Das gilt insbesondere für die direkte Herzwirkung und den wesentlich peripherischen Ursprung der Grefäßverengerung. Was nun in genauerem Eingehen auf die Einzelheiten die Wirkung der intravenösen Injektion betrifft, so ist vorab zu bemerken, daß das hierzu verwendete Extrakt aus der Nebenniere mit Wasser oder Alkohol her- gestellt sein kann und durch Kochen nichts von seiner Wirksamkeit einbüßt (bestätigt von Gluzinski, Gourfein u. a.); sie tritt in der gleich zu be- ') Die erste Veröffentlichung liegt ein volles Jahr später als diejenige von Oliver u.Schäfer; also nicht „gleichzeitig“, wie in vielen Arbeiten späterer Forscher zu lesen ist! — *) Anz. d. Krakauer Akad., 4. Febr. u. 4. März 1895; Gazeta lekarska 1895, p. 299. — °) Les Capsules surr@nales, Paris 1897. — *) Pflügers Arch. 78, 97. 26 Hämodynamische Wirkung. schreibenden Weise eben nur bei direkter Einverleibung in die Blut- bahn, nicht auch bei subcutaner Injektion auf, und zwar bei allen Warmblütern in gleicher Weise. Wo nicht, wie bei manchen Kaninchen mit degenerierten Schilddrüsen, die Wirksamkeit des Herzvagus eine herab- gesetzte ist, muß im allgemeinen unterschieden werden, ob die Injektion bei intakten oder bei durchschnittenen oder durch Atropin ge- lähmten Vagis ausgeführt wird. Im erstgenannten Falle tritt bald nach Beginn der Drucksteigerung bedeutende Pulsverlangsamung auf, welche die Drucksteigerung zum Teil kompensiert und allmählich in dem gleichen Maße nachläßt, wie auch die durch die Extraktinjektion an und für sich erzeugte Drucksteigerung (siehe Fig. 2). Bei gelähmten Vagis nämlich kann sich, wenn nicht zu große aber doch zu maximaler Wirkung genügende Extraktmengen injiziert werden, die Drucksteigerung frei entwickeln und den doppelten bis dreifachen Wert des normalen bzw. bisher vorhanden Fie. 3. Hund von 24kg, Morphin, wenig Curare, künstliche Atmung, beide Vagi durchschnitten. Plezus brachialis rechts durchschnitten, links nicht (nach Oliver und Schäfer). A Nierenvolum \ ko: bez D Blutdruck, Carotis. B Volum .des rechten, ri E Abszisse mit Marke, Injektion des alkohol. J BlEbyeriggraplischt Extrakts von Y, Kalbs-Nebenniere. F Zeit in \/, Sek. C des linken Vorderbeins gewesenen Blutdruckes erreichen: ich habe Maximalwerte bis weit über 300 mm Quecksilber beobachtet; 240 bis 280 (1/; Atmosphäre!) werden sehr gewöhnlich erreicht. Nach einmaliger, relativ rasch erfolgter Injektion hält sich der Druck nur kürzere Zeit auf diesem Maximalwert, um dann langsam und allmählich wieder zur Norm abzusinken (siehe Fig.3). Hier sind die respiratorischen Blutdruckschwankungen erhalten geblieben, offenbar, da künstliche Atmung unterhalten wurde; gewöhnlich, wenn letzteres nicht der Fall ist, bleiben sie im Beginne und auf der Höhe der Extraktwirkung aus, entsprechend der gleich zu besprechenden Abflachung der natürlichen Atmung. Bei größeren Dosen und genügend langsamem Gang der Schreibfläche kann man geradezu ein senkrechtes Emporsteigen der manometrischen Schreib- spitze bzw. der Blutdruckkurve konstatieren (Fig. 3a). Die Frage nach dem Mechanismus dieser Blutdrucksteigerung ist bereits von Oliver und Schäfer selbst ganz richtig dahin gedeutet worden, daß sie durch peripherisch erzeugte Konstriktion der Gefäße, ins- Re Bldr. Ab u. Hämodynamische Wirkung. 97 besondere der kleineren Arterien erzeugt ist, unterstützt durch verstärkte Herztätigkeit infolge direkter Nebennierenextraktwirkung auf das Herz. Was die Beweise hierfür betrifft, so ist das Erblassen der Gewebe bzw. die Verengerung der kleineren Gefäße direkt ad oculos zu konstatieren; sie betrifft natürlich vorwiegend das Splanchnicusgebiet, wie in den Kurven von Oliver und Schäfer durch onkometrische Reeistrierunge der Volumen- schwankungen der Bauchorgane verdeutlicht ist. Siehe in Fige.2 und 3 die enorme Abnahme des Milzvolumens:; in letzterer Figur ist die Constrietion im Splanchnieusgebiet so stark, daß Blut in die Extremi- täten hineineedränst wird und dieselben eine Volumenzunahme (B und ©) auf- weisen; in anderen Fällen sinkt auch hier das Volumen stark, und zwar oleich- gültig, ob der Nervenplexus der Extremität durchschnitten ist oder nicht, was auf die peripherische Entstehung der Constrietion untrüglich hinweist. Fig. 3a. Ä | | wo. Ihn, Anne sp. MR er Teen tr Zr aEDEREREng Free Fre werde nocc nom 2. Inj. Neb. Hund, Nebennierenextrakt. — 1, nat. Gr. (Nach Boruttau.) Daß die Vasoconstriction peripherisch bedingt ist, folgerten schon Oliver und Schäfer daraus, daß sie auch nach hoher Rückenmarksdurch- schneidung oder Zerstörung der Medulla oblongata eintritt, welche Tatsache auch von Biedl!), Velich?), Langlois®) und mir) bestätigt worden ist; daß Szymonowicz und Cybulski die Blutdrucksteigerung nach Rückenmarksdurchschneidung ausbleiben sahen, muß auf Shok oder einen Versuchsfehler zurückgeführt werden; immerhin weisen einige Erfahrungen, so ein schnellerer primärer Druckanstieg bei Nebennierenextraktinjektion in die Carotis hirnwärts, gelegentlich auch bei intravenöser Injektion vor dem späteren länger dauernden eintretend, darauf hin, daß eine mehr neben- sächliche Erregung des bulbären Gefäßzentrums doch nicht ganz von der Hand zu weisen ist, für welche auch Cyon’) eintritt. !) Wien. klin. Wochenschr. 1896, S. 157. — ?°) Wien. med. Blätter 1896, Nr.15 bis 21. — °) Monographie aus den Travaux du labor. de Richet, p.131. — *) A. a. O0. — °) Pflügers Arch. 74, 97, 1898. 28 Herzwirkung der Nebennierenextrakte. Besonders eklatant wird die peripherische Wirkung ferner dadurch be- wiesen, daß Durchschneidung beider Splanchnici auf der Höhe der Extraktwirkung den Blutdruck kaum merklich und nur vorübergehend herab- setzt, und daß der durch diese Operation vorher stark gesunkene Blutdruck durch Nebennierenextraktinjektion auf die Dauer ihrer Wirkung bis über die Norm gesteigert werden kann. Schwieriger ist die Beantwortung der demnächst sich einstellenden Frage, ob die an der Peripherie stattfindende vasoconstrictorische Wirkung des Nebennierenextraktes an den peripherischen Neuronen des sym- pathischen Nervensystems oder an der glatten Muskulatur der Ge- fäße angreift. In letzterem Sinne schien Oliver und Schäfer die von ihnen gemachte Erfahrung zu sprechen, dab das Nebennierenextrakt die Tätigkeit des Herzens sowie der quergestreiften Körpermuskulatur zu ver- stärken imstande ist. Die Wirkung aufs Herz sei deshalb gleich hier und auch insofern mitbesprochen, als sie bei der Entstehung der Blutdruck- steigerung mit beteiligt sein kann. Oliver und Schäfer beobachteten, daß die Kontraktionen des an einer volumetrischen Vorrichtung arbeitenden Froschherzens auf Durchspülung mit Nebennierenextrakt hin vergrößert und beschleunigt wurden, und ich habe mit dem Jacobjschen Apparate gefunden, daß die Arbeitsleistung dabei in der Tat nicht unbeträchtlich gesteigert ist. Nach Oliver und Schäfer können Froschherzen, welche Gruppenbildlung der Systolen zeigen, durch die Extraktwirkung zu anhaltend regelmäßiger Tätigkeit gebracht werden; im weiteren Verlaufe wird die diastolische Erschlaffung unvoll- kommen und schließlich erfolgt systolischer Stillstand. Auch die durch Häkchen, Fäden und Schreibhebel direkt registrierten Herzsystolen der Warmblüter (bei geöffneter Brusthöhle) fanden dieselben Autoren stets vergrößert; dasselbe wurde von Gottlieb!), von mir (durch vergleichende Registrierung des intracardialen und arteriellen Drucks), sowie am isolierten Warmblüterherzen von Hedbom?) und Cleghorn’?) bestätigt; außer der Verstärkung ist übrigens bei vorher vorgenommener Vaguslähmung oft auch Beschleunigung (diese besonders deutlich bei der Schildkröte — Langloiıs) zu beobachten; sehr große Dosen können übrigens Pulsverlang- samung und Stillstand in Diastole machen. (vgl. weiter unten). Ob die Herzwirkung des Nebennierenextraktes eine direkt musku- läre ist oder durch Vermittelung des Herzsympathicus (bzw. Vagus) bzw. der intracardıalen Nervenelemente zustande kommt, wird natürlich von den Anhängern der myogenen Lehre, wie von denjenigen der neurogenen jedesmal in ihrem Sinne beantwortet. Für die muskuläre Wirkung ist die Erfahrung von Oliver und Schäfer herangezogen worden, daß sowohl beim Warmblüter als beim Kaltblüter die intravenöse Nebennierenextraktinjektion auf längere Zeit hinaus bei gleich- bleibender Reizstärke die Hubhöhe des quergestreiften Muskels ver- größert und ihre Dauer verlängert, ähnlich kleinen Veratrindosen; ich ') Arch. £f. exper. Pathol. u. Pharm. 30, 99,. 1896. — ?°) Skand. Arch. £. Physiol. 8, 147, 1898. — °®) Amer. Journ. of Physiol. 2, 273, 1899. Wirkung auf Iris, Darm usw. 29 fand dies, und zwar auch am ausgeschnittenen curaresierten Froschmuskel bestätigt, die Verlängerung, insbesondere des Erschlaffungsstadiums, jedoch etwas an das erste Ermüdungsstadium erinnernd. Eine endgültige Beantwortung der in Rede stehenden Frage scheint an- gebahnt, jedoch vorderhand durch Verwickelungen aufgehalten angesichts der Tatsache, daß das Nebennierenextrakt weitere Wirkungen. auf fast alle sympathisch innervierten Muskelapparate besitzt. Hier ist zunächst die zuerst von Lewandowsky!) gemachte, von mir, Langley?) und allen anderen Autoren bestätigte Beobachtung zu erwähnen, daß die intravenöse Nebennierenextraktinjektion starke Pupillenerweite- rung, sowie (bei geeigneten Tieren) Zurückziehung der Nickhaut und Re- tractio bulbi bewirkt: Diese Wirkung soll auch nach Degeneration des Sympathicus bestehen bleiben, ja nach allerneuster Mitteilung von Meltzer?) soll in diesem Falle auch die subcutane Injektion des Extraktes mydriatisch wirksam werden, die es normal niemals ist! Ferner bewirkt die Nebennierenextraktinjektion nach Lewandowsky Aufrichtung der Haare und nach Langley starke Speichelsekretion aus der Submaxillardrüse und verstärkte Tränensekretion, auch nach Nerven- degeneration oder Atropininjektion, doch hat sie keine Wirkung auf die Schweißdrüsen. Die Darmperistaltik wird, wie ich zuerst, sowie unabhängig davon Pal) beobachtete und Langley sowie Bottazzi bestätigen konnten, durch Nebennierenextrakt gehemmt; auch auf die Ösophagusmuskulatur ist nach unseren Beobachtungen bei Injektion wie bei direkter Applikation auf ausgeschnittene Muskelstreifen vom Froschösophagus die Wirkung eine rein erschlaffende; Kontraktionswirkung am Magen will dagegen neuerdings Dixon) gesehen haben. Wenn wirklich nur das erstere zutrifft und außer- dem die unten zu besprechende Atemhemmungswirkung in Betracht gezogen wird, so läge es nahe, alle verstärkenden oder tonisierenden Wirkungen des Nebennierenextraktes als direkt muskulär, alle erschlaffenden oder hemmenden als nervös anzusehen. Bemerkenswert ist aber die Beobachtung von Spina®), daß die Hirn- gefäße durch Nebennierenextrakt nicht verengert, vielmehr das Gehirn blutreicher wird; Brodie und Dixon’) geben allerjüngst dasselbe für die Lungengefäße an, und indem sie in der bekanntlich streitigen Frage nach den Gefäßnerven dieser beiden Organe neue experimentelle Argu- mente für deren Nichtexistenz beizubringen suchen, meinen sie eben, daß das Nebennierenextrakt überall die gleichen Effekte hervorbringe wie die Erregung des sympathischen Nervensystems, d. h. Kontraktion, wo dessen motorische, und Erschlaffung, wo dessen hemmende Elemente im Über- gewicht sind. Indessen sei an die gelegentliche passive Volumvergrößerung der Extremi- täten in Oliver und Schäfers Kurven erinnert, welcher auch in Gehirn und Lunge eine Gefäßerweiterung trotz Vorhandenseins von Vasomotoren ent- !) Zentralbl. f. Physiol. 12, 599, 1898; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899, S. 360. — °) Journ. of Physiol. 27, 237, 1901. — °) Zentralbl. f. Physiol. 17, 651f., 1904. — *) Zit. nach Lewandowsky. — °) Journ. of Physiol. 38, 73, 1902. — °) Pflügers Arch. 76, 204, 1899. — 7) Journ. of Physiol. 30, 476, 1904. > 30 N. Vagus und Nebennierenextrakt. sprechen könnte; darum erscheint mir die Frage definitiv doch noch nicht erledigt !). Einige kurze Worte erfordern noch die bei intravenöser Injektion von Nebennierenextrakt auftretende Pulsverlangsamung, sowie die Verände- rung der ÄAtembewegungen. Die erstere pflegt, wie schon oben erwähnt, bei kleinen Extraktdosen nur bei intakten Vagis aufzutreten; indessen ist sie an der Katze schon von Langley?) auch bei durchschnittenen Vagis beobachtet und von Ver- worn3) am Kaninchen hier ebenso oft wie bei intakten Vagis erhalten worden (siehe Fig. 4). Beim Hunde scheint sie am seltensten aufzutreten und dann meistens erst im späteren Verlaufe hoher Drucksteigerungen nach sehr großen Dosen; hier kann sie gelegentlich zu plötzlichem tödlichen Herzstillstand führen ). Während nun die im zweiten Falle, bei intakten Vagis erhaltene Puls- verlangsamung von Oliver und Schäfer, sowie Biedl und Reiner auf eine direkte Erregung des bulbären Vaguszentrums durch das Extrakt beide Vagi durchschnitten ! [ x NT N-E-Jnj. Kaninchen, Nebennierenextrakt. — 1, nat. Gr. (Nach Verworn.) zurückgeführt wurde, glaubt Verworn umgekehrt, dab letzteres das Vagus- zentrum lähme, weil er fand, daß auf der Höhe der Blutdrucksteigerung nach Nebennierenextraktinjektion Depressorreizung unwirksam ist (wie oben S.18 Livon bei der durch Hypophysenextraktinjektion hervorgerufenen Blut- drucksteigerung), insbesondere keine Pulsverlangsamung macht. Da anderer- seits nach seinen Erfahrungen Steigerung des Blutdrucks auf anderem Wege — Aortenkompression, Asphyxie — ebenso wie Sauerstoffmangel die Erreg- barkeit des Vaguszentrums erhöht, glaubt er, daß auch die bei intakten Vagis auftretende Pulsverlangsamung durch Nebennierenextrakt keine echte Vagus-, sondern direkte Herzwirkung sei. Hiergegen hat Kahn’) eingewendet, dab nach Gourfein®), Szymonowicz und Üybulski’) und Langley °) größere Dosen Nebennierenextrakt die peripherische Vagusreizung unwirksam machen (wenigstens mit bezug auf die Pulsfrequenz), und daß dies auch die Unwirk- ') Die neue große Arbeit von Elliott (Journ. of Physiol. 32, 401, 1905) konnte leider nicht mehr berücksichtigt werden; es soll dies im Supplementband erfolgen. — 2) A. a. O., 8. 247. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, S. 65. — *) Vgl. Oliver und Schäfers Kurve, Journ. of Physiol. 18, 261. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, 8. 522. — °) Compt rend. 1895, 5 aoüt. — °) Pflügers Arch. 74, 146, 1896. — °) A. a. O., S. 245. Wirksamer Bestandteil. 31 samkeit der Depressorreizung erkläre, ohne daß man mit Verworn eine Sonderstellung der Vaguspulse bei der Nebennierenextraktinjektion anzu- nehmen habe. Übrigens sah ich persönlich dieselben beim Hunde auch stets wegfallen, sobald ich Atropin einspritzte. Die Atembewegungen werden durch die Nebennierenextrakt- injektion sofort abgeflacht und ihre Frequenz vermindert, so dab eine oder mehrere längere exspiratorische Pausen eintreten (vgl. Fig. 8); dies soll nach Kahn!) nach wiederholter Injektion nicht mehr der Fall sein, sondern nur noch die Abflachung der Inspirationen auftreten, wie in Fig.5 (aus meiner Arbeit) deutlich zu erkennen ist. Während der Dauer dieser Wirkung ist die Form der speziell durch künstliche zentrale Vagusreizung zu erhaltenden Atemreflexe modifiziert, nach meinen Erfahrungen im Sinne leichter auftretender Hemmung. Ich habe die besprochenen Erschei- | nungen auf eine direkt hemmende bzw. Erregbarkeit vermindernde Wirkung des Extraktes auf das bulbäre Atemzentrum bezogen und muß trotz Kahns Zweifeln hierbei bleiben. Diese zahlreichen pharmakodynamischen Wirkungen der intravenösen Nebennierenextraktinjektion erfolgen schon nach Verwendung ganz geringer Fig. 5. Kaninchen, Atmung mit dem Gadschen Volumschreiber registriert. — Inspirationszacken nach unten 1 Nebennierenextrakt. (Nach Boruttau.) | Mengen (nach Oliver und Schäfer 0,55 mg Trockensubstanz pro Kilogramm ‚ Körpergewicht) von Substanz dieses Organs, welche aber, wie Oliver, \ Schäfer und Moore fanden und seither alle Untersucher bestätigten, dem | Nebennierenmark entnommen sein muß: Extrakte der Rindensubstanz ‚ sind völlig wirkungslos. Auf die Spur des offenbar sehr stark wirkenden | wirksamen Prinzips der Marksubstanz der Nebennieren mußten ‚ schon ältere Arbeiten führen: die Marksubstanz der Nebennieren wird auf ‚ dem Querschnitt, der Luft ausgesetzt, dunkel (siehe oben über die „atra bilis“), desgleichen Nebennierenextrakte erst rötlichgelb, später braun. Vulpian?) ı fand 1856, daß die Extrakte mit Fisenchlorid Grünfärbung, mit Alkalien an der Luft, sowie mit oxydierenden Reagenzien (Jod, Chlor- | wasser) Rosa- bis Karminfärbung geben. Man hat dann stets die „eisen- grünende“ und die farbegebende „chromogene“ Substanz |Virchow°)] | identifiziert, aber zunächst vergebens sich bemüht, sie rein zu isolieren [Arnold), Holm5)]; am weitesten gelangte Krukenberg), indem er fand, B die Substanz durch ihre Reaktionen dem Brenzkatechin ähnele, ') A. a. 0. — ?) Compt. rend. 43, 663, 1856 und Compt. rend. soc. de biol. 1856, p. 223. — °) Virchows Arch. 12, 18, 1857. — *) Ebenda 35, 64, 1866. — °) Journ. f. prakt. Chem. 1867, S. 150. — °) Virchows Arch. 101, 542, 1885. 32 Wirksamer Bestandteil. aber Stickstoff, und zwar im Verhältnis IN auf 5C enthalte; ja Brunner!) indentifizierte geradezu das Chromogen mit dem Brenzkatechin. Als Oliver und Schäfer die hämodynamische Wirkung der Nebennierenextrakte entdeckt hatten, untersuchte Moore?) ihr chemisches Verhalten und fand, daß das Neurin jedenfalls nicht die wirksame Substanz sei, da es schwache Blutdruckerniedri- Fig. 6. Bldr. \bse. Kesp. 2. ET ETSTET RE T AETEEEHT ED EN TREUEN ET DEE HT TEN TE ESTER N TE TEESTEEEETERNEHFT TEE TITERETEREE Inj. Pip. Hund, Piperidininjektion. — 1, nat. Gr. (Boruttau.) gung macht. Mühlmann°) sprach ohne weiteres dieselbe als Brenzkatechin an, eventuell in lockerer Verbindung. Die Unrichtigkeit dieser Annahme und die gänzlich verschiedene pharmakologische Wirkung des Brenzkatechins und Nebennierenextraktes wurden alsbald durch Moore*t), Fränkel°’), Lang- Fig.7. Bldr. Absc. Resp. Inj. Pip. Hund, Piperidininjektion. — !, nat. Gr. (Boruttau.) lois®) und mich’) erwiesen. Fränkel erhielt aus Nebennierenextrakten ein sirupöses Präparat von sehr starker physiologischer Wirksamkeit, welches er ') Schweiz. Wochenschr. f. Chem. u. Pharm. 1892. — ?) Journ. of Physiol. 17: Proc. physiol. Soc. 1895. — °) Deutsche med. Wechenschr., 25. Juni 1896. — 4 - R e b = S en 7 x 2 ) Journ. of Physiol. 21, 382, 1897. — °) Wien. med. Blätter 1896, Nr. 14, 15, 16. — SA: ra.) 0. N ARATO: ' Abse. Blar. Resp. „Adrenalin“. 39 „Sphygmogenin“ nannte, und welches Stickstoff in fester Form gebunden ent- halten und ein Benzoylierungsprodukt liefern sollte. Den Körper rein, wo- möglich kristallisiert zu erhalten, bemühten sich in der Folge vor allem Gürber!) (angeblich mit Erfolg), v. Fürth?), welcher unter Anwendung der Reduktion mit Zinkstaub in saurer Lösung (nach Hofmeister) und Fällung mit Äther eine Substanz erhielt, welche noch zu 0,000 025 g starke physiolo- gische Wirkung entfaltete, eine haltbare Eisenverbindung gab und von ihm als Suprarenin bezeichnet wurde, endlich Abelund Crawford), welche ein Ben- zoylierungsprodukt erhielten, ferner, wie ich schon lange vorher, beim Schmelzen mit Alkali Pyridingeruch wahrnahmen und bei Destillation mit Zinkstaub im Wasserstoffstrom Pyrrhol erhielten, weshalb sie ihr als „Epinephrin“ be- zeichnetes Produkt zur Pyridinreihe rechneten. Inzwischen hatte Tunni- cliffe*) die blutdrucksteigernde Wirkung des Piperidins entdeckt; Velich’) Fie. 8. Inj. Neb. Hund nach Piperidininjektion, Nebennierenextrakt. — !/; nat. Gr. (Boruttau.) und ich bestätigten sie, und ich fand gewisse Unterschiede gegenüber dem Nebennierenextrakt, so das Unwirksamwerden in wiederholten Dosen, die primäre Verstärkung und Beschleunigung der Atmung (siehe Fig. 6 und 7, welche die Wirkung zweier aufeinander folgender Piperidinhydrochloratinjek- tionen darstellen, und Fig. 8, welcher eine weitere Injektion von Nebennieren- extrakt zugrunde liegt). Gemeinsam ist beiden die mydriatische Wirkung aufs Auge. v. Fürth) vermutete, daß das Suprarenin ein hydriertes Derivat des Oxypyridins sei, ebenso Moore und ich. Das „Epinephrin“ von Abel’) erwies sich als ein durch Säurebehandlung im Autoklaven entstandenes Derivat der wirksamen Substanz, über deren Verhältnis zum „Suprarenin“ gestritten wurde. )) Sitzungsber. d. Würzb. physikal.-med. Ges. 1897, S. 54. — 2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 23, 124, 1897; 26, 15, 1898; 29, 105, 1900. — ?) John Hopkins Hosp. Rep., Nr. 76, July 1897. — *) Zentralbl. f. Physiol. 10, 777, 1897. — °) Wien. klin. Rundschau 1898, S. 521, 541, 572. — °) A. a. 0. — 7’) A. a. O. 1898, 1901; Amer. Journ. of Physiol. 1899; Zeitschr. f. physiol. Chem. 28, 318571:899: Nagel, Physiologie des Menschen. II. 5 Konstitution und Darstellung des Adrenalins. (3%) re Endlich gelang es Takamine!) und Aldrich?) fast gleichzeitig und unabhängig voneinander, den Körper möglichst rein und kristallinisch darzustellen; nach des ersteren Vorschrift wird er, an Salzsäure gebunden, in einer Kochsalz und Aceton (Chloräton) enthaltenden Lösung unter dem Namen „Adrenalin“ durch die amerikanische Firma Parke und Davis in den Handel gebracht und findet (wie schon früher das Extrakt) in der ophthal- mologischen und chirurgischen Praxis (als antiphlogistisches und hämosta- tisches Mittel) usw. Verwendung. Die neuesten Untersuchungen von Abel?), v. a und Pauly’) lassen die von Aldrich für das Adrenalin oder reine Suprarenin gefundene Formel C,H,;NO, als wahrscheinlich richtig erscheinen; es liefert beim Schmelzen mit Kali Protokatechusäure, ist linksdrehend, reagiert mit Phenyl- senföl und gibt schon bei mäbigem Erwärmen mit konzentrierten Alkalien leicht Methylamin ab, enthält also einen nicht hydrierten ringförmigen Komplex von der Art des Brenzkatechins mit stickstoffhaltiger Seitenkette ®). Die Darstellungsmethode des „Adrenalins“ ist weiterhin von F. Battelli’) verbessert worden. Danach wird die Marksubstanz der Nebenniere mit Glaspulver zerrieben, mit dem dreifachen Volumen Wasser eine Stunde lang maceriert und durch noch vier- malige Wiederholung erschöpft; die gesammelten Extrakte werden durch kurzes Erhitzen auf 80° enteiweißt, mit 2 pro Mille Bleiacetat gefällt, der Niederschlag ab- zentrifugiert und ausgewaschen, die Flüssigkeit mit Schwefelwasserstoff entbleit, vom Schwefelbrei abfiltriert, das Filtrat bei + 45 bis 50° im Vakuum auf '/;, Volum eingedampft, von dem entstandenen Niederschlage abfiltriert, dieser mit wenig Wasser erschöpft, die Gesamtflüssigkeit nunmehr mit sechs- bis siebenfachem Vo- lumen Alkohol gefällt. Das Filtrat wird von dem entstandenen rötlichen Nieder- schlage abfiltriert, wieder im Vakuum bei + 40 bis 45° auf ein Fünftel eingedampft, das vierfache Volum Wasser zugesetzt, wieder von dem entstandenen Niederschlage abfiltriert, das Filtrat wieder im Vakuum wie oben auf ein Fünftel eingedampft, jetzt Sublimat zugefügt, so lange ein reichlicher weißlicher Niederschlag entsteht, der abzentrifugiert und mit Wasser gewaschen wird, bis die Waschflüssigkeit nicht mehr mit Eisen Grünfärbung gibt. Die Gesamtflüssiekeit wird durch Schwefel- wasserstoff vom überschüssigen Quecksilber befreit, wieder abzentrifugiert und der Niederschlag erschöpft, die Flüssigkeit bei +4 45 bis 50° im Vakuum abgedampft bis zu schwach strohgelber Farbe bei stark saurer Reaktion; sie kann jetzt bei 0° durch Zusatz von einem Tropfen konzentrierter Ammoniakflüssigkeit auf je 2ccm gefällt werden; durch sofortiges Dichtabschließen des Gefäßes und Zentrifugieren erhält man nach 5 Minuten Ruhelassen das kristallinische Adrenalin, das mit Wasser, dann dreimal mit Äther und zweimal mit Alkohol gewaschen wird und, weil stark hygroskopisch, in wohlverschlossener Flasche aufbewahrt wird. Derselbe Autor hat auch eine quantitative Bestimmungsmethode des Adrenalins auf colorimetrischem Wege mit Eisenchlorid angegeben. Zur Hervorbringung der physiologischen (hämodynamischen) Wirkungen genügt vom reinen Adrenalin schon die Einverleibung !) Amer. Journ. of Pharm. 73 (1901). — °) Amer. Journ. of Physiol. 5, 457, 1901. — °?) Ebenda 8 (1903); Ber. d. deutsch. chem. Ges. 36, 1839, 1903. — *) Hofmeisters Beiträge i, 243, 1901; Sitzungsber. d. Wien. Akad. 112 (1903); Biochem. Zentralbl. 2, Nr. 1, 1903. — °) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 36, 2944, 1903. — °) Die neuesten Konstitutionsformeln, sowie das synthetisch dargestellte Adrenalin und seine Homologen sollen im Supplementband Berücksichtigung finden. — 7) Viele Notizen in Compt. rend. soe. de biol., vereinigt in Travaux du laborat. de physiol. de Geneve 3 (1903). | Herkunft und Schicksal des Adrenalins. 35 einer äußerst geringen Menge (!/,. mg pro Kilogramm Körpergewicht) in die Blutbahn. Nachdem ferner schon Cybulski, Gluzinski, Gourfein und Vincent die schnelle tödliche Wirkung starker Nebennierenextrakte bestätigt hatten (vgl. oben), untersuchten Battelli und Taramasio!) näher die Toxikologie des Adrenalins und fanden bei subeutaner Injektion beim Kaninchen bzw. Meerschweinchen 0,01 bis 0,02g pro Kilo Tier als töd- liche Dosis; bei intravenöser Injektion genügt der vierzigste Teil hiervon! Der Tod erfolgt durch Lungenödem. Frösche sind viel weniger empfindlich. Alle pharmakodynamischen und toxischen Wirkungen des Extraktes rühren nach Battelli wesentlich nur vom Adrenalin her; auch frühere Autoren hatten nach Zerstörung des Öhromogens keine oder unwesentliche blutdruckerniedrigende Wirkungen beobachtet. Das Adrenalin ist nach Swale Vincent?) inden Nebennieren bzw. analogen Gebilden aller Wirbel- tiere außer den Teleostiern enthalten und wirkt auch aufalle diese Tierarten in gleicher Weise ein. Nachdem bereits Vulpian?®) angegeben hatte, daß auch das aus den Nebennieren ausströmende Blut die mit Eisen Grünfärbung gebende Sub- stanz enthält, fand Cybulski), daß das Blut der Nebennierenvenen, in die Blutbahn eines anderen Tieres injiziert, dieselbe Blutdruck steigernde Wirkung besitzt wie das Nebennierenextrakt, und Langlois’) hat die Tatsache bestätigt; ja es gelang Battelli, das Adre- nalin selbst im Blute des allgemeinen Kreislaufes nachzuweisen. Rechnet man hinzu die schon beschriebene Beobachtung von Weiß und Strehl, daß nach Exstirpation der einen Nebenniere Zuklemmung der Nebennierenvene auf der anderen Seite Abfall des Blutdrucks und ihr Wiederöffnen W ieder- anstieg desselben zur Norm bewirkt, so muß es als bewiesen betrachtet werden, daß eine Funktion der Nebenniere darin besteht, be- ständig Adrenalin zu bilden und in die Blutbahn zu bringen, mit der Aufgabe, den normalen Tonus des Gefäßsystems, möglicher- weise auch das genügend kräftige Funktionieren des Herzens und der quergestreiften Muskulatur zu sichern. Doch knüpfen sich zum vollen Verständnis der Nebennierenfunktion hieran zunächst die Fragen: woraus wird das Adrenalin gebildet und welches ist sein Schicksal? In letzterer Beziehung ist ja bekannt, daß es durch Oxydation sehr leicht zerstört wird. Indessen konnten Oliver, Schäfer und Moore konstatieren, daß es mit Arterienblut zusammen lange wirksam bleibt, und schlossen daraus, das es erst in den Geweben zerstört werde: die Richtig- keit dieser Voraussetzung wurde durch Athanasiu und Langlois‘), sowie durch Battelli für die Leber erwiesen, insofern diese bei künstlicher Durch- blutung zugesetztes Adrenalin zerstört, wie letzterer Autor annimmt, durch Umwandlung in „Oxyadrenalin“. Was die Herkunft des Adrenalins betrifft, so haben angesichts der leichten Ermüdbarkeit der epinephrektomierten Frösche, welche durch Ex- !) Dissertation, Genf 1901. — ?) Journ. of Physiol. 22, 111, 1897; Proc. Royal ‚Soe. 61, 64, 1897. — °) A.a. 0. — ') A.a. 0. — °) A.a. 0. — °) Arch. de physiol. 1898, p. 124. 36 Theorie der Nebennierenfunktion. traktinjektion gebessert wurde, Langlois und ich versucht, die Entgif- tungshypothese mit der inneren Sekretion zu kombinieren durch die Annahme, daßtoxische Umsatzprodukte der Muskulatur durch die Nebenniere entgiftet und in den nützlichen und notwendigen Stoff, das Adrenalin, umgewandelt würden: zu demselben Schluß gelangt auch Battelli, obwohl er bei durch Muskelarbeit erschöpften Tieren (mit Roatta) eine beträchtliche Verminderung, bei der Erholung eine beträcht- liche Steigerung des Adrenalingehalts der Nebenniere konstatierte, was im Sinne unserer Annahme eine etwas verwickelte Vorstellung benötigt, wegen deren aufs Original verwiesen sei. Immerhin stände unserer Hypothese die Tatsache nicht im Wege, daß Adrenalininjektion die tödlichen Folgen der Epinephrektomie nicht hinaus- schieben kann, da ja zur Umwandlung des „Protoadrenalins“. wie Battellı die giftige Vorstufe nennt, in Adrenalin das Organ selbst nötig ist. Zugegeben werden muß, daß hinsichtlich der Nebennierenfunktionen manches noch dunkel ist, vor allem ihre Beziehungen zum Nerven- system. Zwar liegen einleitende Untersuchungen Biedls!) über die In- nervation der Nebennieren vor; auch hat Jacobj?) bei elektrischer Reizung der die Nebennieren mit dem Splanchuicus, bzw. dem Ganglion coeliacum verbindenden Nervenfäden, auch der Nebennieren selbst (nicht so Apolant °) Stillstand der Peristaltik gesehen; es wäre denkbar, daß das gebildete Adrenalin an Ort und Stelle auf visceroinhibitorische Elemente einwirken könnte. Zum Schluß müssen noch die merkwürdigen Angaben erwähnt werden, welche Biedl*) neuestens auch hinsichtlich der Nebennieren macht, die analog seinen oben erwähnten Annahmen über die Schilddrüse und die Epithelkörper sind: Bei den Selachiern (Knorpelfischen) finden sich getrennt die sogenannten Interrenalkörper und die sogenannten Suprarenalkörper (Balfour); nur letztere enthalten „chromaffine“ Zellen (siehe oben), und nur ihr Extrakt hat hämodynamische Wirkung, dasjenige der Interrenalkörper aber nicht (Vincent). Nun will Biedl bei Selachiern die Interrenalkörper exstirpiert haben, mit dem Erfolg, daß die Tiere binnen zwei bis drei Wochen unter allgemeiner Prostration zugrunde gingen; desgleichen will er Säuge- tiere, denen er die Nebennieren bis auf ein wenig Rindensubstanz entfernte, am Leben bleiben, solche, denen er nur Marksubstanz ließ, zugrunde gehen gesehen haben; es wäre danach die Rinde das lebenswichtige, wahr- scheinlich entgiftende, das Mark das secernierende Organ. DBe- stätigung bleibt natürlich abzuwarten. V. Thymus, Milz und Pankreas, sowie Nieren hinsichtlich innerer Sekretion. Daß man von einer „metakerastischen“ Funktion der eigent- lichen blutbildenden Organe reden kann, wurde schon erwähnt; in der frühesten Jugend funktioniert als solches die Thymus, indessen ist !) Arch. f. exp. Pathol. 29, 171. — °) Pflügers Arch. — °) Zentralbl. % Physiol. 12, 721, 1899. — *) „Innere Sekretion“ a. a. O. | | Innere Sekretion von Milz, Pankreas, Niere. 37 wiederholt konstatiert worden, daß auch die Funktion der Nebennieren, kenntlich an der Wirksamkeit ihres Extraktes, sowie diejenige der Schild- drüse hier schon nachweisbar ist. Den Tätigkeitsgrad der embryonalen Blutgefäßdrüsen zu vergleichen suchte neuerdings Svehla'!) und gibt an, daß beim Rinde die Nebennieren schon wirksames Extrakt liefern bei 265 mm Länge des Embryo, die Schilddrüse bei 500 mm, die Thymus in Tätigkeit tritt erst bei 600; da- gegen beginnt beim menschlichen Embryo die Thymus zuerst ihre Tätigkeit, dann die Schilddrüse und zuletzt erst die Nebennieren; beim erwachsenen Menschen ist die Intensitätsreihe der Tätigkeit der drei Organe die gleiche wie beim Tier. Thymusextrakte haben nach Oliver und Schäfer?) und Swale Vincent?) keinerlei spezifische Wirkungen, weder bei intravenöser, noch subeutaner Injektion. Thymusexstirpation beim Frosch soll tödlich sein nach Abelous und Billard ®). Daß Milzexstirpation von Tier und Mensch gesund überlebt werden kann, ist bekannt; indessen existieren interessante Angaben über eine „in- nere Sekretion“ dieses Organs, die zuerst von Schiff (1862) gemacht wurden, und für welche dann Herzen’) jahrelang eingetreten ist, ohne viel Beachtung zu finden: hiernach sollte bei der Verdauung die Milz anschwellen; entmilzte Tiere sollten keinen wirksamen Pankreassaft enthalten. Eine In- fusion von normalem Pankreas sollte kein wirksames Trypsin enthalten, sondern nur das Zymogen desselben, welches aber durch Zusatz von Milz- infus oder auch von Blut aus der Milzvene in wirksames Trypsin über- geführt werde, so daß die vorher Eiweiß nur langsam verdauende Flüssigkeit nunmehr es schnellstens löse. Es bereite somit die Milz ein inneres Sekretionsprodukt, welches die Funktion habe, das Protrypsin des Pankreas in wirksames Trypsin umzuwandeln: „trypsinogene Funktion der Milz“. Diese Angaben sind übrigens neuerdings durch Gachet und Pachon®) bestätigt worden, nachdem diese Forscher sich zuerst dagegen ausgesprochen hatten; ja Pugliese’) will neuestens sogar einen Einfluß der Milz auf die Zusammensetzung der Galle erkannt haben. Daß das Pankreas durch eine innere Sekretion Einfluß auf die Glykogenie der Leber haben solle, und daß damit der Diabetes nach der Ex- stirpation dieser Drüse zusammenhänge, wird besonders von französischen Forschern behauptet; da indessen viel zu wenig sicheres Material vorliegt, auch diese Fragen besser in dem betreffenden Abschnitt behandelt werden, soll hier nicht näher darauf eingegangen werden. Eine ständige innere Sekretion der Niere ist behauptet worden von Brown-Sequard und d’Arsonval°), indem sie zu finden glaubten, daß das Leben nephrotomierter Tiere durch Injektion von Nierenextrakt ver- längert werde; nach E. Meyer?) sollte die letztere Prozedur die periodische !) Arch. f. exp. Pathol. 43, 321, 1900. — ?°) Journ. of Physiol. 18. — ®) Ebenda 22. — *) Arch. de physiol. 1896, p. 898. — °) Siehe ebenda 1894; Arch. des sciences physiques et naturelles 4 (1897); Revue medicale de la Suisse romande, Mai 1898 u. a. — °) Gachet, These de Bordeaux 1897. — 7) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899, S. 70. — ®) Compt. rend. 1892, p. 1399; Arch. de physiol. 1893, p. 202. — °) Ebenda 1893 und 1894. 35 Keimdrüsen. Atmung künstlich urämisch gemachter Tiere wieder normal machen, nach Teissier und Fränkel!) die Ausscheidung von Giftstoffen im Harn er- leichtern! Tigerstedt und Bergman?) schrieben (im Gegensatz zu Oliver und Schäfer) der intravenösen Injektion von Nierenextrakt eine spezi- fische blutdrucksteigernde Wirkung zu, was aber durch Lewandowsky energisch in Abrede gestellt wurde. Trotzdem sind noch weiterhin in Frankreich Jaquet, Chatin und Guinard’’) und besonders Vitzou®) für die innere Sekretion der Niere aufgetreten, letzterer auf Grund ähnlicher An- gaben, wie sie seinerzeit Brown-Sequard und d’Arsonval gemacht hatten. Deren ernstliche Nachprüfung unternahm unter Pre&vosts Leitung Frl. Stern’), mit dem Ergebnis, daß von einer Verlängerung des Lebens von nephrektomierten Tieren durch Nierenextrakt, Nierenvenenblut oder -Serum gar nicht die Rede sein kann. Damit dürfte diese Frage doch wohl er- ledigt seien. VI. Keimdrüsen. 1. Allgemeines. Tatsachen, welche auf eine „chemische“ Beeinflussung von Körper- funktionen durch Produkte der Keimdrüsen hinweisen konnten, sind sehr lange bekannt, wurden aber, sobald wissenschaftliche Forschung sich mit ihnen zu beschäftigen begann, unter dem Einflusse der Erörterungen über „trophische Nervenwirkungen“ und der Entdeckung der Gefäßnerven vorwiegend gleichfalls auf nervöse Beeinflussung bezogen; erst die schon oben erwähnten, unten noch etwas genauer zu betrachtenden Mitteilungen von Brown-Sequard über die Wirkung von Hodenextrakteinspritzungen haben dazu geführt, an eine Erklärung jener älteren Beobachtungen auf Grund einer „inneren Sekretion“ der Keimdrüsen zu denken — eine Fr- klärung, welche durch die Forschungen der letzten Jahre in weitgehendem Maße Bestätigung gefunden hat. Durchgehends handelte es sich von vornherein um Beobachtung von Ausfallserscheinungen nach Kastration, und zwar bei beiden Ge- schlechtern, zunächst natürlich Ausfall von Geschlechtsfunktionen, nicht nur denjenigen der Keimdrüsen selbst, weiterhin Ausfall, genauer Nichtent- wickelung oder Rückbildung bzw. Umbildung der sekundären Geschlechts- charaktere. Weiterhin sind als Folge des Ausfalles der Keimdrüsen Stoffwechselstörungen beobachtet worden, wozu dann allerneustens Versuche über entsprechende bzw. entgegengesetzte Beeinflussung des Stoff- wechsels bei künstlicher Einverleibung von Keimdrüsensubstanz gekommen sind, neben Versuchen über Ausbleiben oder Aufhebung der Ausfalls- erscheinungen bei Wiedereinnähung bzw. Transplantation der exstir- pierten Keimdrüsen. !) Arch. de physiol. 1898, p. 108. — ?) Skandinav. Arch. f. Physiol. 8, 223, 1898. — °) Journ. de physiol. et de pathol. 3, 901, 926, 1901. — *) Arch. de medecine exp. 12, 137, 1900. — °) Travaux du labor. de physiol. de Geneve 3, 74, 1901/02. Borns Theorie. 39 9. Störungen der weiblichen Geschlechtsfunktionen durch Kastration. a) Transplantationsversuche. Rolle des Corpus luteum. Daß der gesamte weibliche Genitalapparat zu funktionieren aufhört und der regressiven Metamorphose anheimfällt, sobald beide Ovarien exstirpiert sind, ist eine am Menschen sehr häufig ge- machte Beobachtung, seitdem die Ovariotomie zur relativ gefahrlosen und häufiger geübten Operation geworden ist. Auch daß die Entwickelung der Genitalien bei Kindern und jungen Tieren durch die Kastration gehemmt wird, gehört hierher. Wegen der Literatur kann auf die Monographien von Hegar!) und Kehrer?) verwiesen werden. Schon Reins?°) hatte gefunden, daß möglichst vollständige Durch- schneidung der den Uterus versorgenden Nerven beim Tiere keine Atrophie desselben erzeugte, ja selbst Schwangerschaft wieder eintreten konnte, und Sokoloff*), welcher bei Hündinnen nach einseitiger Ovariotomie die Brunst wiederkehren, erst nach doppelseitiger sie dauernd ausbleiben und den Uterus der regressiven Metamorphose anheimfallen sah und letztere anatomisch genauer untersuchte, glaubte ein regulatorisches Nervenzentrum für die Ernährung des Uterus wenigstens in das Ovarium selbst verlegen zu müssen. Doch bereits um dieselbe Zeit hatte Knauer’) in Chrobaks Klinik die ersten erfolgreichen Transplantationen der Ovarien beim Kaninchen vorgenommen, bei welchem jede Uterusatrophie und sonstige Folgen völlig ausgeblieben waren, Ergebnisse, welche durch Ribbert), Gri- gorieff’) und Rubinstein °) völlig bestätigt wurden. Ja, Halban’) fand sogar, daß nach Transplantation beider Ovarien an jungen weiblichen Meerschweinchen die sonst nach Exstirpation unvermeid- liche Hemmung der Entwickelung der Genitalien ausbleibt, letztere vielmehr sich gänzlich normal ausbilden. Diese Ergebnisse lassen sich durch nervöse Einflüsse absolut nicht, wohl aber durch Annahme einer inneren Sekretion der Ovarien, deren Produkt für die Ernährung der übrigen Genitalien, besonders des Uterus notwendig ist, recht gut erklären. Freilich geben Jentzer und Beuthner'”) an, daß subceutane Injektion von Ovarialextrakten im Tierversuch die Transplantation durchaus nicht zu er- setzen vermag. Die Folgen der Ovariotomie und ihr Ausbleiben nach Transplantation konnte Halban'') übrigens auch am weiblichen Pavian bestätigen, was immerhin für die Beurteilung der Verhältnisse am Menschen sehr wichtig erscheint. Von der konstanten gleichmäßigen, Entwickelung bzw. Ernährung der Genitalien hebt sich nun ab die periodische Funktion des Uterus, ') Die Kastration der Frauen, Leipzig 1878. — ?) Beiträge zur klin. und exper. Geburtskunde, Gießen 1877. — °) Die Nerven der Gebärmutter, Jena 1867. — *) Arch. f. Gynäkologie 51, 286, 1897. — °) Zentralbl. f. Gynäkol. 1896, Nr. 20; Wien. klin. Wochenschr. 1899, Nr. 49 und Arch. f. Gynäkol. 60, 2. Heft 1900. — °) Arch. f. Entwickelungsmechanik 7, 688, 1898. — 7) Zentralbl. f. Gynäkol. 1897, 8. 663. — °) St. Petersburger med. Wochenschr. 1899, 8. 2831. — °) Monatsschr. £. | Geburtshilfe und Gynäkol. 12, 496, 1900. — !°) Zeitschr. f. Geburtshilfe 42, 66, 1900. — ") Sitzungsber. der Wiener Akad., math.-naturw. Kl., 110 (3), 71, 1902. 40 Borns Theorie. welche in Gestalt der Brunst der Tiere bzw. der menstruellen Blutung des menschlichen Weibes mit der gleichfalls periodischen Ovarial- funktion der Eireifung und Eiausstoßung (Ovulation) offenbar aufs innigste verquickt ist. Born!) hat kurz vor seinem Tode die Vermutung ausgesprochen, daß hier die Vermittelung stattfinde durch ein Produkt der inneren Se- kretion des (orpus luteum, jenes eigentümlichen, an Stelle des bei der Eiausstoßung geplatzten Graafschen Follikels auftretenden Gebildes, über dessen Histogenese lebhaft gestritten worden ist: Sobotta?) erklärte es für epithelialer Natur, welcher Annahme von Clark?) lebhaft wider- sprochen wurde, welcher es für bindegewebig hielt und seine Funktion etwas unklar als diejenige eines Zirkulationsregulators für das Ovarium, wohl ähnlich der Collateraltheorie der Schilddrüsen- und Hypophysenfunktion bezeichnete. Die Richtigkeit von Borns Vermutung wurde bestätigt durch die auf seine Anregung hin unternommenen Versuche von Fränkel und Cohn‘): Diese Forscher fanden, daß OÖvariektomie, wenn doppelseitig beim weib- lichen Kaninchen innerhalb des von ihnen zu 6 mal 24 Stunden ermittelten Zeitraumes zwischen der Befruchtung und Insertion des bzw. der befruchteten Eier vorgenommen, die Insertion und Entwickelung des Eies mit Sicherheit verhindert; daß in gleicher Weise aber auch Ausbrennung sämtlicher Corpora lutea mit einer glühenden Nadel wirke. Fränkel?°) fand ferner, daß letztere Operation, auch nach der Ei-Insertion ausgeführt, die Weiterentwickelung des bereits inserierten Eies hindert, lauter Tatsachen, welche zwingend darauf hinweisen, daß das Corpus luteum ein Produkt innerer Se- kretion liefert, welches den Uterus zur Eiaufnahme und Ernäh- rung des Eies fähig macht. Da sich nun bekanntlich das Corpus luteum auch im Anschluß an jede nicht zur Schwangerschaft führende Brunst bzw. Menstruation beim menschlichen Weibe entwickelt, wenn auch in geringeren Dimensionen und mit rascherer Rückbildung — darum früher als Corpus luteum spurium von dem Corpus luteum verum bei Gravidität unterschieden — so muß eben das Eintreten der Brunst bzw. Menstruation auch von der inneren Sekretion des Corpus luteum abhängig sein und darin ihr innerer Zusammenhang mit der Ovulation bestehen; daß sie nichts weiter als die Vorbereitung für die Insertion und Ernährung des eventuell befruchteten und dann entwickelungsfähigen Eies dar- stellt, war schon früher öfter von verschiedenen Autoren ausgesprochen worden, worauf Born bei der mündlichen Mitteilung seiner Theorie selbst hingewiesen hat. Fränkel hat dementsprechend auch klinisch den Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Corpora lutea und den Menstruations-, Graviditäts- und Laktationsanomalien zu verfolgen versucht, reichliches Material mit- geteilt und im Sinne der Bornschen Theorie gedeutet; auch hat er thera- ') Siehe die unten zitierte Arbeit von Fränkel und Cohn. — °) Anatomische Hefte 8, 469, 1897, — °) Arch. f. Anat. (u. Physicl.), physiol. Ableitung, 1898, S. 95. — *) Anatomischer Anzeiger 20, 294, 1901. — °) Arch. f. Gynäkol. 68, Nr. 2, 1903. 0 h. | Innere Sekretion des Hodens. 41 peutische Versuche mit Injektion oder Darreichung per os von Extrakten aus tierischen Üorpora lutea — „Luteinsubstanz“ — unternommen, freilich ohne entscheidende Ergebnisse. Es werden wohl gerade solche opo- therapeutische Versuche an in Wiederholung und Nachprüfung der Fränkel- schen Experimente zu operierenden Tieren weiterhin anzustellen sein. Fränkel hat endlich noch angegeben, daß dieZerstörung sämtlicher Corpora lutea beim Kaninchenweibchen auch dauernde Ernährungs- störung des Uterus, ja regressive Metamorphose desselben veranlasse, wie das nach den früher mitgeteilten Erfahrungen bei doppelseitiger Exstir- pation der Gesamtovarien der Fall ist. Es ist nun sicher, daß die Ernährung des Uterus gerade während seines Wachstums, vor Eintritt der Geschlechts- reife und damit der ersten Ovulation und Menstruation nicht gut von (orpora lutea abhängen kann, da zu dieser Zeit noch gar keine solchen ausgebildet sind; allerdings ist an eine Thätigkeit im Sinne innerer Sekretion des Ge- samtepithels des Ovarıums, wie insbesondere desjenigen der Graaf- schen Follikel zu denken (über hierher gehörige Versuche an Hündinnen haben Regaud und Policard!) berichtet), welche im Corpus luteum ge- steigert, vielleicht auch spezifisch verändert auftritt, und zwar hier periodisch. Die oben erwähnte Streitfrage nach der Histologie bzw. Histo- genese des Corpus luteum soll sich nach F. Cohns?) Versuchen eben dahin erledigen, daß es sich periodisch abwechselnd um Neu- und Rückbildung von Drüsenepithel handele, im letzteren Stadium mit Überwiegen neugebildeten Bindegewebes. Für die weiter unten zu besprechenden allgemeinen Stoffwechselwirkungen einverleibter Eierstocksubstanz bleibt es freilich recht zweifelhaft, ob hier nur die Epithelien, bzw. deren inneres Sekretionsprodukt maßgebend sein sollen. Auch darf nicht verschwiegen werden, daß den Angaben im Sinne der Bornschen Theorie neuerdings mehrfach kräftig entgegengetreten worden ist. Jedenfalls erscheint Nachprüfung der Versuche recht wünschenswert. b) Bedeutung einer etwaigen inneren Sekretion der Hoden für die männliche Geschlechtstätigkeit. Die Stützen für die Annahme der Abhängigkeit der männlichen Ge- schlechtstätigkeit von einer anderen Funktion der Hoden außer der Samen- bereitung sind bis jetzt ziemlich ungenügende. Daß Kastration die Fähigkeit zum Coitus, bzw. die Möglichkeit von Erektion und Ejakulation (natürlich nur von Prostatasekret) nicht aufzuheben braucht, ist seit alters bekannt. Schwerer als die mit ihr immerhin nicht verbundene Einschränkung des Ge- schlechtstriebes fällt ins Gewicht das senile Erlöschen desselben und die senile Impotenz, welche Hand in Hand geht mit der Atrophie der Hoden. Es ist bekannt, daß Brown-Söquard und seine Mitarbeiter‘) als Wirkung der Hodenextraktinjektionen neben Besserung allgemeiner Schwäche- zustände usw. auch Wiederauftreten von Erektionen usw. bei seniler oder auch sonstiger Art männlicher Impotenz berichtet haben. Diese Angaben, welche zu der modernen Begründung der Lehre von der inneren Sekretion ') Compt. rend. soc. de biol. 53, 449, 615, 1901. — ?°) Arch. f. mikroskop. Anat. 62, 745, 1903. — °) Siehe den Sammelber. von Brown-Sequard und d’Arsonval in Compt. rend. 48, 457, 1892. 49 Innere Sekretion und sekundäre Geschlechtscharaktere. den Anstoß gegeben haben, sind aber vielleicht deren allerminderwertigste Stütze. Uber die Allgemeinwirkungen der Hodenextrakte siehe noch weiter unten. Nach Walker!) soll Hodenextraktinjektion bei kastrierten männlichen Hunden eine sonst eintretende Atrophie der Prostata verhindern. 3. Innere Sekretion der Keimdrüsen und sekundäre Geschlechts- charaktere. a) Beim Weibe. Wenngleich die Milchdrüsenfunktion recht wohl den direkten, primären Geschlechtsfunktionen zugesellt werden darf, so sei doch zweckmäßig an dieser Stelle erwähnt, daß in Halbans oben erwähnten Versuchen nach Transplantation der Ovarıen an jüngeren weiblichen Meerschweinchen die Milchdrüsen und Brustwarzen sich normal entwickelten, während dies nach Ovariektomie nicht der Fall war, und daß in einem Versuche Ribberts bei einem weiblichen Meerschweinchen die aufs Ohr transplan- tierte Brustdrüse nach dem Wurf Milch secernierte. Halban be- merkt, daß die Abhängigkeit eventuell auch eine mittelbare, durch den Uterus, nicht direkt das innere Sekretionsprodukt der Ovarien vermittelte sein könne. b) Beim Manne. Die Nichtentwickelung, bzw. Rückbildung der männlichen sekundären Geschlechtscharaktere bei kastrierten männlichen Tieren, wie auch bei menschlichen Kastraten hat von jeher die Auf- merksamkeit erregt. Dementsprechend sind Hodentransplantations- versuche auch schon von Hunter angestellt worden, und Berthold?) wollte mit solchen positive Ergebnisse erhalten haben. Völlig negative Er- gebnisse — Zugrundegehen der eingepflanzten Hoden — erhielten dagegen Rud. Wagner’) und in neuerer Zeit @öbell®), Herlitzka’) und Foa#). Dagegen haben in einigen Fällen positive Ergebnisse erzielt Lode’) und Hanau), allerdings bei unvollständiger Kastration, an Hähnen. Transplan- tation bei vollständiger Kastration am selben Tier gelang endlich Foges°); dieser Forscher fand, daß Zurücklassung von Hodenresten zur Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere des Hahnes — Kamm, Bartlappen, Sporen, Stimme — genügt, wenngleich sie etwas vermindert sein können; in zwei Fällen völliger Entfernung beider Hoden bewirkte deren Trans- plantation völlige Ausbildung derselben und Ausbleiben des sonst un- vermeidlichen „Kapauncharakters“. Transplantation auf ein an- deres kastriertes Individuum desselben Geschlechts mißlang stets, ganz ebenso wie dies Herlitzka!°) für die Transplantation des Ovarıums bei !) John Hopkins Hosp. Reports 9, 242, 1900. — ?) Arch. f. Anat. u. Physiologie 1849, S. 42. — °) Nachrichten von der Göttinger Gesellsch. d. Wissensch. 1851, Nr. 8. — *) Zentralbl. f. allg. Pathologie 9, 737, 1898. — °) Arch. f. Entwickelungs- mechanik 9, 140, 1899. — °) Archives ital. de biol., 35, 337 und 364, 1901. — 7) Wiener klin. Wochenschr. 1895, 8. 345. — °) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 65, 516, 1897. — °) Ebenda 93, 39, 1902. — !°) Arch. ital. de biol. 34, 89, 1900. Kastration und Stoffwechsel. 43 weiblichen Tieren angegeben hat. Endlich mißlang auch die im Anschluß an gewisse hier nicht näher zu erörternde Vorstellungen von C. Herbst!) ver- suchte Transplantion von Hoden auf Hennen und Ovarien auf Hähne. Ein ganz besonderer Rinfluß der inneren Sekretion des Hodens war von Sellheim ?) auf das Knochenwachstum bezogen worden, indem er fand, daß Kastration beim Hahn den Abschluß desselben verzögert, so dab Vergrößerungen in bestimmten Dimensionen an Schädel-, Becken- und Ex- tremitätenknochen auftraten. Nachdem schon in früherer Zeit besondere Körper- länge der Eunuchen aufgefallen war, fanden ferner neuerdings Lannois und Roy?) bei kastrierten jungen Männern Ausbleiben der Epiphysenknorpel- Verknöcherung und Poncet*) dasselbe bei kastrierten Meerschweinchen und Rindern. Dementsprechend will Loewy’°’) durch Verfütterung von Hodensubstanz bei jungen Kapaunen normalere Skelettbildung, sowie bessere Ausbildung von Kamm und Bartlappen erzielt haben. Es leiten diese Ver- suche zu dem letzten Abschnitte über: 4. Allgemeine und Stoffwechselwirkungen der inneren Sekrete der Keimdrüsen. a) Weibliche. Störungen des Allgemeinbefindens bei Frauen nach doppel- seitiger Ovariotomie sind seit der größeren Häufigkeit dieser Operation oft genug beschrieben, doch größtenteils, und auch wohl mit Recht, auf nervöse Zusammenhänge bezogen worden. Anders der Fettansatz, bzw. die Zunahme des Körpergewichtes bei Frauen nach der Kastration, welche der wohlbekannten physiologischen Erscheinung im Klimakterium analog ist; hier ist weit eher an die Wirkung eines inneren Sekretions- produktes zu denken, so daß Versuche mit Einverleibung von Ovarial- extrakten, sowie Messungen des Stoffwechsels vor und nach der Kastration bzw. Extraktdarreichung nahe genug lagen. Loewy und Richter) fanden beim Hunde den respiratorischen Gaswechsel nach der Kastration stark vermindert, beim weiblichen Tiere bis um 20 Proz., beim männlichen bis um 14 Proz. des ursprünglichen Wertes pro Kilogramm Körpergewicht; in einem Falle blieb es noch 3!/, Jahre bei dem erreichten Minimum. Weiterhin aber fanden diese Forscher, daß Zufuhr von Ovariensubstanz beliebiger Tiere, subeutan oder per os, den gesunkenen respiratorischen Stoffwechsel wieder bis zur Norm, ja weit darüber hinaus heben kann. Dies gilt für weibliche wie für männliche kastrierte Tiere, dagegen ist Hodensubstanz in beiden Fällen weit weniger wirksam. Versuche, die wirksame Substanz besser zu definieren oder zu isolieren, hatten keine befriedigenden Ergebnisse; am wirksamsten blieben Glycerinextrakte. !) Formative Reize in der tierischen Ontogenese, Leipzig 1901. — *) Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkol. 1, 229, 1898; 2, 236, 1899. — °) Compt. rend. soc. de hbiol. 55 (1902). — *) Ebenda. — °) Mitteilung in seinem Sammelreferat in den „Ergebnissen der Physiologie“ 2, erste Hälfte, 130, 1903. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol., physiol. Abteil., 1899, S. 174; Berl. klin. Wochensehr. 1899, S. 1100. 44 Alleemeinwirkung der Hodenextrakte. Nicht genügend sicher beantwortet erscheint bis jetzt die Frage, wieweit an den vorgedachten Erscheinungen der Zerfall von Eiweiß beteiligt ist. Loewy fand nach Zufuhr von „Oophorin“ keine Steigerung der Stickstoff- steigerung, desgleichen Thumin!) bei kastrierten Frauen; wechselnde Er- gebnisse je nach den Versuchsbedingungen erhielten Neumann und Vas?). Charrin und Guillemonat?) fanden erhebliche Vermehrung der Harnstoff- ausscheidung auf Injektion von Ovarialextrakten (vom Schaf) bei trächtigen Meerschweinchen, nicht aber bei nichtträchtigen (sowie auch bei männlichen) Meerschweinchen. Geleugnet worden ist jeder Einfluß der Kastration auf den Stoffwechsel durch Lüthje‘), dem wieder Loewy und Richter entgegengetreten sind. Übrigens hat nach Loewys Bericht L. Zuntz in Versuchen an Frauen regelmäßige Be- einflussung des Gaswechsels weder durch Kastration noch durch Oophorindarreichung konstatieren können. Spezielles Interesse neben der Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels durch die weiblichen Keimdrüsen beansprucht diejenige des Kalk- und Phosphorstoffwechsels, seitdem Fehling fand, daß der krankhafte Zustand der Östeomalacie durch Kastration gebessert wird. Er untersuchte °) daraufhin die Kalk- und Phosphorsäureausscheidung bei Osteo- malacischen vor und nach der Kastration, fand schließlich aber keine wesent- lichen Veränderungen; dagegen wollte Neumann‘) solche konstatiert haben. Tierversuche in dieser Richtung haben Curatulo und Tarulli?) angestellt. Als Ergebnisse führen sie an, daß die beiderseitige Ovariotomie bei gesunden Tieren die Phosphorausscheidung einschränke, Zufuhr von Ovarialsubstanz sie vermehre. Nicht bestätigen konnte Falk‘) diese Ergebnisse, während Neumann und Vas°) beim Tier, ebenso Senator!°) bei einer osteomalaci- schen Frau Vermehrung der Kalk- und Phosphorsäureausscheidung angaben. b) Männliche. Was Stoffwechselbeeinflussungen durch innere Sekretion des Hodens anbetrifit, so ist ja die Körpergewichtszunahme, besonders der Fett- ansatz kastrierter Tiere, wie menschlicher Kastraten bekannt. Die Er- klärung durch die „fettzerstörende“ Wirkung eines Produktes innerer Sekretion experimentell zu stützen, hat Loisel!!) versucht; es sei übrigens auf die von Loewy und Richter (siehe oben) gefundene viel geringere stoff- wechselsteigernde Wirkung der Hoden- gegenüber den Ovarialextrakten ver- wiesen. Von den zuerst von Brown-Sequard betonten Allgemeinwirkungen der Injektion von Hodenextrakten ist schon mehrfach die Rede ge- wesen; es sei hier noch auf die kritische Arbeit von Buschan!?) hingewiesen. Wenngleich ein großer Teil der, besonders im Auslande, angegebenen Resul- !) Die Therapie der Gegenwart 2 (1898). — ?) Monatsschr. f. Geburtshilfe 15, Ergänzungsheft, 1902. — °) Compt. rend. 130, 1787, 1900. — *) Arch. f. exper. Pathol. 50, 268, 1903. — °) Arch. f. Gynäk. 39, 172; 48, 472, 1895. — °) Ebenda 51, 130, 1896. — 7) Bollet. Accad. medica di Roma 21, 334, 1896. — °) Arch. £. Gynäkologie 58, 565, 1899. — °) A. a. ©. — !°) Deutsche medizin. Wochenschr. 1897, Vereinsbeilage, $S. 28. — !!) Compt. rend. 135, 250, 1902. — '*) Die Brown- Sequardsche Methode und ihr therapeutischer Wert, Berlin 1895. Wirksamkeit der Bestandteile der Hodenextrakte. 45 tate unzweifelhaft auf Suggestionswirkung zurückzuführen ist, so können doch gewisse Tatsachen als solche kaum geleugnet werden, wie die Steige- rung der muskulären Leistungsfähigkeit nach Hodenextraktinjektionen, welche durch zahlreiche ergographische und andere Versuchsreihen seitens Zoth!) und Pregl?) erhärtet worden ist. Um so wichtiger bliebe hier die Definierung bzw. Isolierung wirksamer Stoffe aus den Extrakten, die indessen dadurch erschwert wird, daß charakteristische hämodynamische Effekte der intravenösen Injektion, wie wir sie bei Hypophysis und Neben- nieren kennen gelernt haben, bei den Keimdrüsenextrakten fehlen. Bekannt sind die Bemühungen Poehls°), die Wirkungen der Hodenextrakte auf das Spermin zurückzuführen, welches nach seinen Angaben nicht mit dem Äthylenimin C,H, — NH (Schreiner), noch mit dem Diäthylendiamin (Piperazin) identisch sein, vielmehr die Formel C,H,,N, besitzen soll und von ihm als kräftig wirkender Sauerstoffüberträger bzw. Aktivator, „physiolo- gischer Katalysator“ bezeichnet worden ist, welcher wahre Wunderwirkungen — Steigerung des Stoffwechsels, Hebung der Nerventätigkeit usw. — ausübe, gerade wie sie die Mitarbeiter Brown-Sequards von dem Hodenextrakt behauptet hatten. Poehls reklamehaft verfochtene Aufstellungen haben wenig Bestätigung, vielmehr oft wohlbegründete Zurückweisungen erfahren, wie denn überhaupt die maßlosen Ausschreitungen einer nicht genügend wissenschaftlich begründeten Organotherapie jetzt zum Glück etwas nachzu- lassen beginnen. Einer neuerlichen Untersuchung auf ihre wirksamen Bestandteile sind die Hodenextrakte durch Dixon*) unterzogen worden, welcher ge- funden hat, daß zu unterscheiden sind 1) die Effekte der Nucleo- proteide (eventuell oxydative und tonische, wie sie Poehl dem Spermin fälschlich zuschreibt), 2) diejenigen der Basen („Leukomaine“), toxisch wie eventuell jene anderen auch, bei denen aber das Spermin auch kaum be- teiligt ist. Insgesamt darf zusammenfassend behauptet werden, daß innere Sekre- tionsvorgänge der Keimdrüsen im allgemeinen zwar als sicher nachgewiesen gelten dürfen, aber im einzelnen viel weniger aufgeklärt sind, als die oben für die Schilddrüse und Nebennieren beschriebenen. !) Pflügers Arch. 62, 335, 1896; 69, 386, 1898. — *) Ebenda 62, 379, 1896. — ®) Siehe Deutsche medizin. Wochenschr. 1892, Nr. 49 und „Die physiolog.-chem. Grundlage der Spermintherapie“, erweiterte Ausg., Petersburg 1898. — *) Journ. of Physiol. 26, 245, 1901. Physiologie der männlichen Geschlechtsorgane von W. Nagel. Zusammenfassende Darstellungen, die im folgenden meist nur mit dem Namen des Verfassers zitiert werden: Leuckart, Artikel „Zeugung“, Wagners Handwörterbuch der Physiologie 4 (1853). Hensen, Physiologie der Zeugung. Hermanns Handbuch der Physiologie 6 (2) 1881. S. Exner, Physiologie der männlichen Geschlechtsfunktionen. Handbuch der Urologie, herausgegeben von v. Frisch und Zuckerkandl, 1903. I. Die männlichen Geschlechtsdrüsen und ihr Sekret. Der Hoden oder Testikel hat eine doppelte Funktion: einmal als Bildungs- stätte des wichtigsten Samenbestandteiles, der Samenfäden, und zweitens als Organ, das Substanzen an Blut und Lymphe abgibt, die für den Haushalt und die Funktion des ganzen Organismus von Bedeutung sind. Seine Ent- fernung durch Operation (Kastration) oder seine Zerstörung durch krankhafte Prozesse hebt daher erstens die Zeugungsfähigkeit auf, hat aber zweitens auch Wirkungen auf den Gesamtstoffwechsel und die Funktion anderer Or- gane. An dieser Stelle kommt nur die Bedeutung des Hodens als Samen- bildner zur Besprechung, während seine „innere Sekretion“ an anderer Stelle gewürdigt wird, im Zusammenhang mit den sogenannten „Drüsen ohne Aus- führungsgang !)*. 1. Die Bildung der Samenfäden. Der funktionell wichtigste Bestandteil des Samens wird in den ge- wundenen Samenkanälchen des Hodens gebildet; diese sind knäuelförmig zu- sammengewunden in durch bindegewebige Septa (unvollkommen) getrennten Fächern des Hodens gelegen und bilden dessen eigentliches Parenchym. Die Kanälchen sind wenig oder gar nicht verzweigt und zeigen Anastomosen wenn überhaupt, nur ganz selten. Ihre Gesamtlänge dürfte unter Zu- grundelegung der Berechnungen von Lauth?) und Krause?) auf 580 bzw. 340 m zu veranschlagen sein. . 1) Siehe oben 8. 42 bis 45. — °) Mem. sur le testicule humain. Mem. soc. hist. natur. de Strassbourg 1 (1830). — °) Müllers Arch. 1837, S. 20. Bildung der Samenfäden. 47 Mehrere gewundene Kanälchen vereinigen sich zu einem geraden Kanäl- chen, die in das netzartig kommunizierende Kanalsystem des Retetestis Halleri einmünden. Aus diesem wird der Inhalt in das Kanalsystem des Nebenhodens weiter geführt, dessen Anordnung aus Fig. 9 ersichtlich ist. Die Einzelheiten des histiologischen Baues des Hodens im allgemeinen und der Samenkanälchen im besonderen, sowie auch die Entstehung der Spermien oder Samenfäden aus dem Epithel der Kanälchen fallen außerhalb des Bereichs dieses Werkes. Hier können nur die folgenden physiologisch wichtigen Tatsachen Erwähnung finden !). Beim Neugeborenen sind, ebenso wie beim Fötus, die „Kanälchen“ noch lumenlos, d. h. mit großkernigen Zellen völlig ausgefüllt, die in zwei deut- lich gesonderte Arten zerfallen: die Spermatogonien oder Ursamenzellen und die Sertolischen sogenannten Follikelzellen. Appendix d. Rete Fig. 9. Conı kas 5 Wo, Epithel Albuginea —TZERNS ;3 KANTE I) Ductus deferens S Septula Canalieuli contorti Paradidymis ne 4 BD DAT > Ductus efferentes Appendix d. Rete x = 9- Ductus aberrans inf. 8 et Rete Io Er TE Lobulus< Mediastinum m Lobulus | Canaliceuli recti Schema des Verlaufs der Samenkanälehen im Hoden und Nebenhoden (nach Eberth). In der Pubertätszeit vermehren sich die Spermatogonien und liefern als ihr Teilungsprodukt die Spermatocyten, deren der Kanalachse nächst gelegene durch zweimalige Teilung bald die Samenzellen oder Sperma- tiden liefern. Diese letzteren verwandeln sich unter Bildung eines der Achse zugewendeten Schwanzes in die Samenfäden oder Spermien um. Die dichten Büschel der Schwänze erfüllen selbst im reifen Samenkanälchen den axialen Teil so vollständig, daß von einem eigentlichen Lumen, durch das etwa eine Flüssigkeit strömen könnte, im allgemeinen nicht zu sprechen ist. In der Zwischensubstanz des Hodens finden sich zahlreiche Zellen mit kristallischen oder kristalloiden Einschlüssen. Das Lymphgefäßsystem des Hodens ist besonders stark entwickelt und kann durch bloßes Einstechen einer Pravazspritze ins Parenchym mit einer Farblösung (z. B. Berlinerblau) injiziert werden, da es ein Netz vielfach kommu- nizierender Spalträume darstellt. en !) Näheres vgl. unter anderem bei Eberth, Die männlichen Geschlechtsorgane, in Bardelebens Handb. d. Anat. d. Menschen 1904. 45 Eigenschaften des Samens. 2. Der ejakulierte Same. a) Die Menge des entleerten Samens. Die Menge des bei einer Ejakulation entleerten Samens schwankt zwischen sehr niedrigen Werten (Bruchteilen eines Cubikcentimeters) und einem wahr- scheinlichen Maximum von 5 bis 6 ccm. Größere Mengen dürften große Selten- heiten sein. Als Durchschnittszahl wird 3ccm gerechnet werden können. Mantegazza!) gibt die Menge zu 0,75 bis 6ccm an, Lode?) zu 1,8 bis 5cem. Bei Wiederholung der Samenentleerungen in kurzen Zeiten, z. B. mehrerer innerhalb 12 Stunden, scheint die Menge abzunehmen, während von einem Tage zum anderen beim gesunden Menschen sich im allgemeinen die Flüssigkeitsmenge schon wieder ergänzt haben dürfte (über den Gehalt an Samenfäden unter diesen verschiedenen Umständen siehe unten S. 51). b) Die Beschaffenheit des entleerten Samens. Das spezifische Gewicht schwankt nach Lode?°) zwischen 1027 und 1046, beträgt im Mittel 1036. Die Konsistenz des ejakulierten Samens ist die einer fadenziehenden klebrigen Flüssigkeit, die in den ersten Minuten nach der Entleerung gela- tinierend wird, um nach einigen Minuten wieder dünnflüssiger und weniger klebrig zu werden. Das Aussehen ist schwach milchig, doch noch deutlich durchscheinend, häufig mit gelblichem oder grünlichem Schein. Der Samen im Ductus deferens vor der Beimischung der anderen Drüsensekrete ist noch milchiger. Die weiße Farbe kommt wie bei der Milch durch die Lichtreflexion an den körperlichen Bestandteilen her. Der Geruch, wahrscheinlich von dem aus der Prostata stammenden Spermin herrührend, ist eigenartig, übrigens nicht sehr intensiv. Von Leuk- kart‘) wird er mit dem Geruch von Knochenfeilspänen verglichen. Sehr ähnlich ist der Geruch der männlichen Blüten einiger Pflanzen (Berberis, Hedera, Castanea). ec) Die chemische Zusammensetzung des Samens. Der Samen enthält etwa 90 Proz. Wasser; unter den 10 Proz. festen Stoffen ist die größere Hälfte Muein (6 Proz.), der Rest besteht aus Salzen, Eiweiß- und Extraktivstoffen. Die Samenfäden ’) bestehen aus den Stoffen, die sich überhaupt in solchen Zellen finden, bei denen der Kern einen großen Teil des Ganzen aus- macht. Es finden sich also außer Eiweißstoffen Nuclein, Nucleinsäuren und Nucleinbasen, Cerebrosid (dem Cerebrin verwandt), daneben Cholesterin, Leecithin, Spuren von Fett, Salze. !) Gazz. med. italian. Lombardia 1866, No. 34. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 50. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 50. — *) Wagners Handwb. d. Physiol. 4, Artikel Zeugung, S. 819. — °) Einen sehr eingehenden Bericht über die Erfahrungen betreffs der Chemie der Spermatozoen findet man in den Ergebnissen der Physiologie 3, 1, 1904, referiert von R. Burian. Hier auch recht vollständiges Literaturverzeichnis. Bestandteile des Sperma. 49 Am genauesten ist das Sperma des Lachses durch Miescher!) unter- sucht worden. Die Nucleinsäure des Lachssamens ist an die reichlich vorhandene Base Protamin gebunden, die nach Balke?) die Biuretreaktion, nicht aber die Xanthoproteinprobe und die Millonsche Reaktion geben. Neuerdings sind ähnliche Substanzen (Protamine) im Sperma verschiedener Fische untersucht und als Ölupein, Sturin, Scombrin usw. unterschieden worden. Auch fand man verschiedene Histone. Vergleiche über diese zurzeit für die Physiologie noch ziemlich unfruchtbaren chemischen Untersuchungen die zitierte Über- sicht von Burian. Die Spermaflüssigkeit soll außer verschiedenen Eiweißstoffen und Salzen nach Posner?) eine der Prostata entstammende Albumose enthalten. Der- selben Herkunft ist, wenigstens teilweise, das Spermin, das den Riechstoff des Samens bildet. Es ist eine Base, nach ihrem Entdecker Schreiner) auch Schreinersche Base genannt und von der Zusammensetzung (C,H; N),, im Samen an Phosphorsäure gebunden; es tritt im eingetrockneten Samen in Form der sogenannten Schreinerschen oder Böttcherschen’) Kristalle auf. Ladenburg und Abel‘) bezeichnen es als Diäthylendiimin oder Piperazin. Das Spermin wurde auch in anderen Körperflüssigkeiten gefunden, so von Schreiner im Blute Leukämischer und im Sputum bei Bronchiektasie, wo es in Form der Öharcot-Leydenschen „Asthmakristalle“ erscheinen sol. Auch im Hoden selbst findet sich übrigens Spermin, ferner ist es im Eierstock, dem Pankreas, der Milz und Schilddrüse nachgewiesen (Poehl’). Der Prostatasaft allein liefert die erwähnten Kristalle nicht, sondern erst nach Zusatz von Ammoniumphosphat (Fürbringer‘°). Die Übereinstimmung der Schreinerschen und der Charcot-Leyden- schen Kristalle wird übrigens bestritten, da jene sich nicht wie diese in Formaldehyd und Alkalien lösen und auch die Kristallformen nicht überein- stimmen. Die von Florence’) angegebene Probe mit Kaliumtrijodür (KJ,) zum Nach- weis des Sperma in eingetrockneten Flecken liefert insofern kein eindeutiges Re- sultat, als auch andere organische Substanzen, die Cholin enthalten (Riehter'”), Bocarius''), auch Eiter (Gumprecht'?), dieselbe Reaktion geben; doch scheint bei menschlichem Samen die Reaktion besonders sicher einzutreten. Das Reagens besteht aus einer Lösung von Jod (2,54g) in Jodkaliumlösung (1,65 auf 308g). Dvornitschenko'*) hält sowohl positiven wie negativen Ausfall der Probe für nicht beweisend, Richter (l.c.) hält das Ausbleiben der Reaktion für einen Beweis der Abwesenheit von Samen, ebenso Secco!*), der übrigens die Reaktion des Cholin erst bei Zusatz von HCl eintreten sah. !) Verh. naturhistor. Gesellsch. Basel 6 (1874) u. Ber. d. deutsch. chem. Gesellsch. 7 (1874). — °) Journ. prakt. Chem., N. F., 47, 559, 1893 (auch Inaug.- Diss., Leipzig 1892). — *) Berl. klin. Wochenschr. 1888, Nr. 21; Zentralbl. f. d. mediz. Wissensch. 1850, Nr. 27. — *) Ann. d. Chem. u. Pharmak. 194 (1378). — °) Virchows Arch. 32 (1865). — °) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 21, 758, 1888; 23, 326 u. 3740; 24, 2400, 1891. — 7) Die physiologischen Grundlagen der Spermin- theorie, Petersburg 1898. — °) Die Störungen der Geschlechtsfunktion beim Manne, Nothnagels Pathologie u. Therapie 19, 3, 7. — °) Revue de med. leg., Paris 1897 und Arch. d’Anthrop. erimin. 10. — !”) Wiener klin. Wochenschr. 24 (1897). — ") Zeitschr. f. physiol. Chem. 34, 39, 1902. — '?) Zentralbl. f. allg. Pathol. und pathol. Anat. 9, 577, 1898. — '°) Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med. (3), 20, 12, 1900. — '*) Wiener klin. Wochenschr. 24 (1897). Nagel, Physiologie des Menschen. II. 4 30 Bau der Samenfäden. 3. Die Samenfäden. a) Bau der Samenfäden. An geformten Elementen enthält der normale Samen außer verschieden- artigen losgelösten Zellen des Hodens, der Prostata, der Samenblasen und der Samenwege, sowie verschiedenen Konkretionen!) als wichtigsten Be- standteil die Samenfäden oder Spermatozoen (auch als Spermien, Sper- matosomen, Spermatozoiden, Samentierchen, Samenkörper bezeichnet), die zu Fig. 10. Kopf ---- iS Verbindungs- --- stück Hauptstück ---- Endstück ------ Spermien des Menschen (nach Eberth). A von der Fläche, B im Profil, C ösenartig ein- gerollter Samenfaden. Vergrößerung 1000. den ersten durch das Mikroskop ent- deckten Objekten gehören (Leeu- wenhoek, 1677). Der einzelne Samenfaden hat den morphologischen Wert einer Zelle. Er setzt sich zusammen aus dem Kopf (dem Kernanteil), dem Verbindungsstück (Centrosomen- anteil) und dem Schwanzfaden (Protoplasmaanteil), siehe Fig. 10, aus der die Gestalt des Kopfes und die Größenverhältnisse der einzelnen Teile ersichtlich sind. Die Dimensionen sind beim menschlichen Samenfaden folgende: ') Vgl. bezüglich der Kristalle im männlichen Genitaltraktus Th. Cohn, Zentralbl. f. allg. Pathol. und pathol. Anat. 10, 940, 1899 und Reinke, Arch. f. mikr. Anat. 34 (1896). Fig.11. Schema eines Menschenspermiums, vorderer Teil. Originalzeichnung von Meves, Größe des Originals. Cp. Caput (Kopf); CI. Collum (Hals); Cd. Cauda (Schwanz); P. a. Pars anterior capitis (Vorderstück des Kopfes); L. Gal. Limes Galeae (Grenze der Kopf- klappe); P. p. Pars posterior capitis (Hinterstück des Kopfes); Nd. a. Noduli anteriores (vordere Cen- trosomknötchen, Halsknötchen); Ms. int. Massa inter- media (Zwischenmasse des Halses); Nd. p. Noduli posteriores (hintere Centrosomknötchen); Spir. Spiral- faden, Inv. Involuerum (Hülle des Achsenfadens im Verbindungsstück — blau); P. ce. Pars conjunctionis (Verbindungsstück); Mtch Mitochondria; Sb. int. Sub- stantia intermedia (Zwischensubstanz der Spiralhülle); Ann. Annulus (Schlußring); F. pr. Filum principale (Hauptfaden); Inv. Involuecrum (Hülle des Haupt- fadens — blau); P. pr. Pars prineipalis (Hauptstück des Schwanzes). Menge der Samenfäden. 541 Länge. des Kopfes 3 bis 5 u, Breite desselben 2 bis 3u; Länge des Mittel- stückes 64, Dicke lu; Länge des Schwanzes 40 bis 60 u, Gesamtlänge also 50 bis 70 u. Über den feineren Bau des Vorderstückes eines Samenfadens gibt Fig. 11 Aufschluß. Bezüglich der Einzelheiten muß auf die anatomisch-histiologi- schen Werke !) verwiesen werden (vgl. insbesondere Eberth, Die männlichen Geschlechtsorgane in Bardelebens Handbuch der Anatomie des Menschen, Lieferung 12, Jena 1904). Durch Verbindungsstück und Schwanz zieht als kontinuierlicher Strang der Achsenfaden, mit Ausnahme des kurzen Endstückes von einer zarten Hülle umgeben. Er besteht aus feinen Fibrillen, die sich bei manchen Tieren leicht voneinander trennen. Bei Tieren sind die Samenfäden vielfach abweichend gebaut, der Kopf kann anders gestaltet sein oder scheinbar ganz fehlen; im letzteren Falle ist am vor- deren Ende des Fadens nur ein durch seine Färbbarkeit sich unterscheidender Teil als Homologon des Kopfes erkennbar. Manche Tiere haben eine kontraktile un- dulierende Membran längs des Schwanzstückes. Bei niederen Tieren fehlt der Schwanz oft gänzlich. b) Menge der Samenfäden. Die Zahl der Samenfäden im Cubikmillimeter ejakulierten Samens wechselt nach Lode?) bedeutend; bei schnell sich folgenden Ergießungen nimmt ihre Zahl ab bis zum völligen Verschwinden. Nach zweitägiger Pause war aber der Gehalt an Samenfäden größer als nach sechstägiger Pause im Geschlechtsverkehr. Die Durchschnittszahl pro Oubikmillimeter beträgt nach Lode etwa 60000, die Gesamtmenge in einem normalen Ejakulat etwa 226000000 Samenfäden. Die Zahl der letzteren schwankte zwischen 0 und 551 Millionen. In Versuchen an Hunden konnte Lode durch wiederholt herbeigeführte Ejaku- lationen die Menge der Samenfäden bis auf Null herunterdrücken, ohne daß die Flüssigkeitsmenge entsprechend sank. In den nächsten Tagen nach solchen starken Samenverlusten stieg die Zahl der Spermien im Ejakulat weit über das Durchschnittsmaß. Längere Zeit (8 bis 10 Tage) nach einer Entleerung war aber diese Steigerung wieder rückgängig geworden und die Zahl der Samenfäden sogar abnorm gering, was Exner zu der Auffassung veranlaßte, an Zugrundegehen der Spermien in den Samenblasen zu denken. Als Azoospermie wird ein pathologisches Verhalten beschrieben, bei dem zwar Samen in mehr oder weniger normaler Weise entleert wird, dieser aber keine Samenfäden enthält und infolgedessen zur Befruchtung untauglich ist. ec) Der Bewegungsmechanismus der Samenfäden. Die Samenfäden innerhalb des Hodens und Nebenhodens bewegen sich nicht aktiv, während sie im entleerten Samen normalerweise in lebhafter Bewegung sind. Die Bewegungsweise der Samenfäden ist derjenigen mancher flagellaten Protisten in gewisser Hinsicht ähnlich, sofern sie durch die peitschenartigen !) Von älteren Forschern hat, wie der Vergleich mit den neuesten Angaben zeigt, Eimer (Verhandl. der Würzburger physik.-med. Gesellsch.) die Struktur des Samens aın richtigsten beschrieben. — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 50 278. 4* 53 Mechanismus der Samenfaden-Bewegung. Bewegungen eines Geibelfadens erfolgt, jenen aber auch wiederum insofern unähnlich, als der Geißelfaden nicht wie bei den meisten Flagellaten am Vorderende, sondern am Hinterende sitzt, der Mechanismus der Lokomotion also ein wesentlich anderer sein muß. Genaue Analyse der Bewegung ist wegen der großen Geschwindigkeit nicht wohl möglich, wenigstens solange der Samen in frischem normalem Zustande ist. Die Übertragung der bei träge gewordener Bewegung beobachteten Erschei- nungen auf die normalen Verhältnisse ist gewiß nicht ohne weiteres zulässig. Hensen, der die mechanischen Bedingungen der Lokomotion wohl am meisten zutreffend erörtert hat, geht von der Betrachtung der Wirkung der undulierenden Membranen aus, wie sie sich bei Amphibien finden, und gibt an der Hand eimes Diagrammes an, wie bei der Fortpflanzung von Wellen in dieser Membran vom Kopf zum Schwanz eine den Kopf vorwärts treibende Komponente resultiert. Für die langsamere Bewegung bezieht sich Hensen auf das neben- stehende Diagramm (Fig. 12). „Das Körperchen dreht sich um eine senkrecht durch seinen Schwerpunkt gehende translatorisch fort- bewegte Achse. Von der Ruhestellung links ausgehend biegt es sich zur Kurve a, dann zur Kurve b und c. Dabei entwickeln sich diejenigen Kraftkomponenten, welche die Pfeile verzeichnen. Die vertikalen, nach «ß gehenden, treiben den Schwerpunkt vorwärts, die horizontalen be- dingen eine Verschiebung des Teiles nach links, welche gleich nachher durch die von d aus beginnende Bewegung | Diagramm der Samen kompensiert wird‘ (Hensen’]3e,,3290) | a Diese Beschreibung Hensens scheint mir für viele Samenfädenpräparate zutreffend; das Öszillieren des Kopfes um den wahrscheinlichen Schwerpunkt ist häufig unverkennbar (auch beim menschlichen Sperma), es gibt der Bewegung das seltsam Taumelnde, Wackelnde, wobei eine erhebliche Energievergeudung vorliegen würde, falls die geradlinige Lokomotion der einzige Zweck der Bewegung wäre. Man sieht indessen gerade bei Warmblütersperma und menschlichem Sperma in | frischem Zustande sehr häufig Samenfäden in geradliniger Bewegung vorwärts streben, ohne das geringste Öszillieren des Kopfes; der Schwanz schlägt dann nicht als Ganzes hin und her, sondern macht schlängelnde Bewegungen mit von vorn nach hinten ablaufenden Wellen. Das Spermatozoid schwimmt dann nach Art der Molche, Aale oder der Ringelnatter, während die oben | beschriebene Bewegungsart dem Schwimmen der meisten Fische ähnelt, nur | daß bei diesen die ungleich größere Masse des Körpers (und die steuernde | j j RR 5 Fig. 12. Rückenflosse) diesen in geradliniger Bewegung vorwärts gleiten läßt, ohne das Oszillieren beim Schwanzschlag. Diese Schlängelbewegung ist es, die Hensen als Bewegung des frischen, schnellbeweglichen Samenfadens beschrieben hat. Man findet sie übrigens auch bei Spermien, die ihre Bewegungen so langsam ausführen, daß man deren einzelne Phasen genau verfolgen kann. Trotzdem schwimmen solche Fäden mit langsam | schlagender Geißel oft ganz ohne Wackelbewegung. Ich habe den Eindruck, dab letztere, wenn nicht immer, so doch häufig auf einer Widerstand beruht, der sieh | der Vorwärtsbewegung entgegensetzt. Beginnende Gerinnungen, Schleimfäden usw. im Präparate bieten dazu ja reichlich Anlaß. aM Mechanismus der Samenfaden-Bewegung. 53 Die normal schlängelnde Bewegung der Samenfäden kann durch nebenstehende schematische Figur (Fig. 13) veranschaulicht werden, bei der indessen der denkbar ein- fachste Fall einer derartigen Bewegung angenommen ist. Die Phasen 1 bis 7 folgen sich von links nach rechts. Eine Ausbiegung des Fadens gleitet schnell vom Kopfende zum 'Schwanzende unter allmählicher Abflachung. Dabei resultieren die bei Phase 2 angezeichneten Kraftkompo- nenten. Indem der bei a gelegene Teil der Ausbiesung caudalwärts gleitet, ergibt sich eine Komponente, die den ganzen Faden vorwärts schiebt, und eine, die die betreffende Partie des Fadens nach rechts treibt. In der 4 Gegend des Punktes b ergibt sich eben- Schema der Schlängelbewegung eines Samenfadens, falls eine vorwärtsschiebende Kompo- nente und eine seitwärts treibende, die der bei a entstehenden entgegenwirkt und sie, wenn der ganze Faden in sich hinreichend steif ist, kompensiert. Bei Phase 4, wo die Welle sich dem Ende des Schwanzes nähert, beginnt am Kopfteil eine neue Welle. Die dazu nötige Deformation des Fadens wird die Wirk- samkeit der ersten Welle zunächst etwas herabsetzen, jedoch nicht aufheben. Manche Autoren, namentlich Eimer), haben rotierende Bewegung der Samenfäden beschrieben, bei der der Schwanz eine trichterförmige Fläche durchlaufen sollte Hensen und v. Brunn?) konnten diese Beobachtung nicht bestätigen. Ich habe in frischem Sperma Rotation um die Längsachse (an dem platten Kopf erkennbar) deutlich konstatieren können, jedoch nur an einzelnen Individuen, während andere ebenso bestimmt eine solche Ro- tation vermissen ließen. Auch die Rotation halte ich (wie die Oszillation) für Folge eines Widerstandes gegen die Progressivbewegung, die, dem Zwecke des Spermatozoids entsprechend, in diesem Falle in eine bohrende Bewegung übergeht. Bei Betrachtung eines frischen Spermapräparates gewinnt man den Eindruck, als ob im ganzen Gesichtsfelde des Mikroskopes eine rhythmische Bewegung erfolge, mit etwa 10 Öszillationen pro Sekunde. Da dieser Rhythmus in dem Bewegungs- tempo der Samenfäden nicht wohl begründet sein kann und auch bei Betrachtung anderer Präparate mit schnellen Bewegungen erscheint, halte ich ihn für etwas rein Subjektives, in der Funktion des Auges Begründetes. Über die für die Befruchtungslehre wichtigen Beobachtungen v. Dun- gerns°®) über die Bewegungserscheinungen an tierischem Sperma vergleiche unten S. 56. Die Geschwindigkeit des einzelnen Schwanzschlages bei noch nicht ab- geschwächter Bewegung schätzt Hensen auf weniger als !/, Sekunde, was mir nach meinen Beobachtungen zutreffend erscheint. Die Geschwindigkeit der Lokomotion gibt Lott‘) zu 0,06mm in der Sekunde, 3,6 mm in der Minute an. Beim Kaninchen fand Bischoff das Sperma 9 bis 10 Stunden nach dem Coitus auf dem Ovarium, was mit der Lottschen Angabe wohl in Einklang zu bringen ist. Die Art, wie das Sperma zum Ei gelangt, wird weiter unten noch zu erörtern sein. Hier sei nur erwähnt, daß jedenfalls die Flimmerbewegung im i ') Verhandl. d. physik.-med. Gesellsch. Würzburg, N. F., 6. — ?°) Arch. f. mikrosk. Anat. 12 und 23. — °) Zeitschr. f. allgem. Physiol. 1 (1901) und Zentralbl. f. Physiol. 15 (1901). — *) Anat. u. Physiol. des Cervix uteri, Erlangen 1871. 54 Chemotaxis und Lebensdauer der Samenfäden. Uterus und Eileiter nicht die Beförderung des Samens besorgen kann, da sie in umgekehrter Richtung wirkt, der Samenbewegung entgegen. Es bleibt somit nur die Mögliehkeit der Fortbewegung durch Peristaltik oder durch die Eigenbewegung des Sperma. Die Samenfäden reagieren positiv chemotaktisch auf den Cervicalschleim (Chrobak!), wie sich auch im mikroskopischen Präparat zeigen läßt (Selig- mann?). Gegen den sauren Vaginalschleim scheint negative Chemotaxis zu bestehen. Massant?) hat bei den Samenfäden des Frosches chemotaktische Reaktionen nicht nachweisen können. Die wichtigsten Versuche auf diesem Gebiete sind diejenigen O0. Löws®), die die chemotaktische Wirkung des Uterus- und Tubenschleims deutlich erwiesen und auch stärker erscheinen ließen als die Chemotaxis in reinem Alkali gleicher Konzentration. Die neuen Versuche von Schücking’) an Echinodermeneiern und -spermien bieten zwar an und für sich nicht unerhebliches physiologisches Interesse, doch sind die Verhältnisse bei diesen Tieren allzu verschieden von den beim Menschen bestehenden, als daß hier mehr als ein flüchtiger Hinweis auf jene Versuche am Platze wäre. d) Die Widerstandsfähigkeit der Samenfäden gegen physikalische und chemische Einwirkungen‘°). Unter geeigneten Umständen haben die Samenfäden noch außerhalb des männlichen Organismus eine Lebensdauer von mehreren Wochen. Ahlfeld’) hat sie bei Körpertemperatur im Brütschrank acht Tage lebend und beweg- lich gesehen, Hausmann°) ebenso lange in den Genitalien des Weibes, Dührssen) hier gar dreieinhalb Wochen lang. Bei Tieren ist die Haltbarkeit des Samens zum Teil noch wesentlich größer; im Receptaculum seminis der Bienenkönigin bleibt der Same jahre- lang lebendig, im Uterus der Fledermaus den ganzen Winter hindurch. Im Wasser erlischt die Bewegung der Samenfäden, und es tritt die „ösenartige Einrollung“ des Schwanzes ein (siehe Fig. 10c auf S. 50). Auch saure Flüssigkeiten hemmen die Bewegung. Schwach alkalische Flüssigkeiten von geeigneter osmotischer Spannung begünstigen und erhöhen dagegen die Beweglichkeit, können auch (ebenso wie Zucker-, Salz- und Harnstofflösungen) die wasserstarr gewordenen Fäden wieder erwecken. Stärkere Alkalien, wie auch die stärkeren Lösungen sonst indifferenter Substanzen (Harnstoff, 5 5 - I Zucker, Chlornatrium) hemmen, ganz schwache ebenfalls, und nur bei einer für jede Substanz charakteristischen mittleren Konzentration sind sie unschäd- | yi | ; ‘ ” ich. Die Spermien sind also wie die übrigen Körperzellen auf eine andere [ osmotische Spannung eingestellt als die im Wasser frei lebenden Protisten. I Narkotica in geringer Menge lähmen vorübergehend, stärkere dauernd. \ !) Wiener klin. Wochenschr. Nr. 51, 1901. — *°) Zentralbl. f. Gynäkol, Jahrg. 20. — °) Bull. de !’Acad. science. Belge 15, $. 750. — *) Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wissensch. 111 (1902). — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 97, 58, 1903. — | °) Vgl. Engelmann, Jenaische Zeitschr. f. Med. und Naturkunde 4, 321. Anker-| mann, De motu et evolutione usw. JInaug.-Dissert. Regiomont. 1854. Kölliker, Zeitschr. f. wiss. Zool. 7, 181, 1856. — 7) Deutsche med. Wochenschr. 1880. — °) Über das Verhalten der Samenfäden, Berlin 1879. — °) Sitzungsber. d. Gesellsch. ie; j } (4 f. Geburtshilfe und Gynäk., Berlin 1893. | Bedeutung der Richtungsreize bei der Befruchtung. 55 Über den Einfluß verschiedener Temperaturen berichten Mantegazza!) und Engelmann?) Ein Optimum für die Beweglichkeit liegt bei 35° (Engelmann). Die obere Grenze, bei der das Leben der Fäden wenigstens noch einige Zeit bestehen bleiben kann, ist 43 bis 44%, letztere Zahl nach Mantegazza für menschliches Sperma gültig. Nach demselben Autor kann bei 0° aufbewahrter Same noch nach sechs Tagen wenigstens teilweise wieder belebt werden; selbst Einfrieren bei — 15° soll die Wiederbelebung nicht ausschließen. Ozon wirkt nach Abraham °) in hohem Grade schädlich, indem es bei den in indifferenten Lösungen befindlichen Samenfäden den Kopf zur Auf- blähung bringt. e) Das Verhalten der Samenfäden bei dem Befruchtungsakt. Die Befruchtung erfolgt in der Weise, daß ein Samenfaden in das Ei eindringt. Beim Menschen geschieht dies sehr wahrscheinlich meistens während der Wanderung des Eies durch den Eileiter. Im einzelnen sind die Vorgänge, die sich zwischen der Einführung des Samens in die weiblichen Genitalien und der Vereinigung der männlichen und weiblichen Keimzellen, dem eigentlichen Befruchtungsakte, abspielen, noch so gut wie ganz unaufgeklärt. Die Hauptmasse des Samens wird in die Vagina entleert und geht dort infolge der Einwirkung des sauren Schleimes bald zugrunde Die früher wohl geäußerte Vermutung, das Orificium externum wrethrae würde beim Coitus auf den äußeren Muttermund gepreßt und das Sperma so direkt in das Cavum uteri gespritzt, entbehrt jeder Begründung durch Beobachtungen. Viel mehr Wahrscheinlichkeit hat die Annahme für sich, daß während der sexuellen Erregung aus dem Muttermunde zäher elastischer Schleim hervor- trete, in den zahlreiche Spermien eindringen, um dann in diesem ihre Be- weglichkeit begünstigenden Medium den Cervix uteri zu passieren. Auch könnte bei der von Frauenärzten behaupteten nachherigen Zurückziehung des Cervixschleimes in den Uterushals eine große Menge Samenfäden gleich- zeitig in den Uterus hineinbefördert werden. Schwieriger ist die Weiterbewegung des Samens zu verstehen. Der Flimmerstrom des Epithels sowohl im Uterus wie in den Tuben geht gegen den Muttermund hin, kann also die Samenfäden sicherlich nicht nach oben zu bewegen. Dagegen wäre es leicht möglich, daß der Flimmerstrom indirekt von Bedeutung ist, indem er die Samenfäden anregt, gegen den Strom zu schwimmen. Daß eine solche „Rheotaxis“ der Samenfäden wahrschein- licher ist, als positive OChemotaxis zum Ei, darauf hat Verworn !) hin- gewiesen; die Spermien wandern auch aufwärts, wenn noch kein Ei aus dem Eierstock ausgetreten ist. Roth’) konnte auch in der Tat sowohl bei Bak- terien wie bei Samenfäden positive Rheotaxis nachweisen. Wenn, wie wohl kaum zu bezweifeln ist, die Auffassung zutreffend ist, daß die Befruchtung meistens im Eileiter erfolgt, kann man nicht umhin, einen Richtungsreiz anzunehmen, der die Samenfäden veranlaßt, in das uterine Tubenende einzudringen. Rheotaxis ist hierfür noch am annehmbarsten. ') Gazz. med. ital. Lombard. (5), 5 (1886). — °) Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturwiss. 4, 321. — °) Onderzoek. physiol. Labor. Utrecht (3) 3, 389. — *) All- gemeine Physiol., 2. Aufl. 1897, S. 450. — °) Deutsche med. Wochenschr. 1893, Nr. 15. 56 Bedeutung der Richtungsreize bei der Befruchtung. Weniger bestimmt kann behauptet werden, daß es ein Richtungsreiz sei, der das in die Nähe eines Eies gelangte Spermatozoon zum Eindringen in dieses veranlaßt. Pflanzenphysiologische Erfahrungen über Chemotaxis der Samenzellen liegen ja allerdings in nicht geringer Zahl und gut beglaubigt vor, vor allem von seiten Pfeffers!). Pfeffer gelang es auch, bestimmte chemisch wohl definierte Substanzen als Ursachen dieser Chemotaxis zu er- mitteln (Apfelsäure, Zucker). Für die tierischen Samenfäden sind entsprechende Reaktionen nicht mit hinreichender Sicherheit ermittelt, abgesehen von der oben erwähnten posi- tiven Chemotaxis gegen den alkalischen Üervical- und Tubenschleim, die nicht einmal das Einwandern der Spermien aus dem Uterus in die Tuben erklären. Der Schluß, daß die Spermien überhaupt nicht durch Chemotaxis gegen das Ei zur Befruchtung gebracht werden, wäre natürlich verfrüht. (rewisse sogleich zu erwähnende Beobachtungen v. Dungerns?) weisen doch auf eine Beeinflussung der Samenfäden durch Eisubstanzen hin, die freilich nicht als einfache chemotaktische bezeichnet werden kann. Bei Tieren, die wie die Seeigel und Seesterne Eier und Samen ins Wasser entleeren, muß eine Schutzvorrichtung gegen das Eindringen fremder Samenfäden in das Ei angenommen werden, da sonst Bastardbildungen all- täglich wären, wenn Seesterne und Seeigel im gleichen Behälter gehalten werden. Tatsächlich geschieht das aber nicht, sondern es besteht eine „Spe- zifizität der Befruchtung“, deren Wesen v. Dungern (l. ce.) näher unter- sucht hat; v. Dungern führt diese Erscheinung auf die Immunisierungs- erscheinungen zurück. In Seesterneiern finden sich hitzebeständige Substanzen, die schon in ge- ringer Dosis Seeigelspermien töten, für Seesternspermien aber unschädlich sind. Das umgekehrte Verhältnis besteht jedoch nicht, und so würde es zwar wohl verständlich, warum Seesternspermien nicht in Seeigeleier eindringen können, nicht aber, warum die Seeigelspermien außerstande sind, in Seesterneier sich einzubohren, die doch keine für sie tödlichen Stoffe enthalten. An- lockende Substanzen in den Eiern konnte v. Dungern so wenig finden, wie Buller°). Dagegen fand v. Dungern sowohl in Eiern der Seesterne wie der Seeigel „agglutinierende“ Stoffe, die ein Zusammenbacken der Samenfäden untereinander und mit der Gallerthülle bewirken, wenn es sich um Samen der anderen Art handelt. Für die Säugetierphysiologie kommen diese Dinge infolge der durch die innere Begattung veränderten Bedingungen kaum in Betracht. Die folgenden Beobachtungen sind dagegen auch im Hinblick auf die Säugerphysiologie beachtenswert. v. Dungern beschreibt (freilich in nicht ganz klarer Weise) modi- fizierende Einwirkung von chemischen und mechanischen Reizen auf die Lo- komotionsweise der Samenfäden; alle Reize, die von einem festen Körper ausgehen, an den der Samenfaden mit dem Kopf anstößt, wirken nach v. Dungern so, daß es dem Samenfaden unmöglich gemacht wird, sich | senkrecht gegen die Oberfläche des festen Körpers (des Eies) zu stellen. Das Spermatozoon gleitet vielmehr stets seitlich ab. Andererseits haben !) Untersuchungen aus dem bot. Instit. Tübingen 1 und 2. — ?) Zentralbl. f. Physiol. 1901, Nr. 1 und Zeitschr f. allgem. Physiol. 1, 1, 1901. — °) Report of Brit. Assoc. 1900, 387. Bau der Samenblasen. 57 Substanzen, die den Erregungszustand herabsetzen, die Wirkung, eine mehr geradlinige Bewegung anstatt der schraubenförmigen eintreten zu lassen, bzw. bei Berührung mit einem festen Körper den Kopf senkrecht gegen diesen zu stellen. Im letzteren Falle sind also die für das Einbohren des Spermatozoons in das Ei günstigsten Bedingungen gegeben. Ob derartige Beobachtungen das Zustandekommen der Befruchtung ge- nügend erklären, kann bezweifelt werden. Immerhin muß bedacht werden, daß für die Samenfäden, die einmal im Uterus oder in der Tube sind, das Ei normalerweise der einzige größere feste Körper ist, auf den sie treffen. Die Wandungen sind alle mit Flimmerzellen bekleidet, die den Ansturm der Spermien wohl abschlagen würden, auch wenn sie nicht, wie zu vermuten, durch eine Schicht zähen Schleimes schon davor geschützt bleiben sollten. Nimmt man nun noch hinzu, daß das reife Ei höchstwahrscheinlich dem Eindringen des ersten Spermatozoons keinen besonderen Widerstand ent- gegensetzt, es vielleicht sogar begünstigt, so erscheint es nicht mehr so wunderbar, daß der Samenfaden, nachdem er einmal an den richtigen Platz gelangt ist, vermittelst der beschriebenen Figentümlichkeiten seiner Bewe- gungen und Reaktionen die Befruchtung wirklich besorgt. | | | II. Die accessorischen Drüsen des männlichen Genitalapparates und ihre Sekrete. 1. Die Funktionen der Samenblasen. Die Samenblasen stellen schlauchartige Anhänge des Ductus deferens dar, 10 bis 12cm lang und 6 bis 7cm dick. Der Schlauch ist in mehr- fachen Windungen zusammengelegt, so daß die Gesamtlänge des von einer Bindegewebshülle umschlossenen Organs nur 6 bis Scm beträgt. Von dem Hauptschlauch gehen Divertikel von sehr wechselnder Zahl und Länge aus. Die Samenblasen münden mit einem ganz kurzen Endstück in den Samen- leiter hinter (unterhalb) dessen ampullenförmiger Erweiterung (Fig. 14). Die Wand der Samenblasen besteht außer aus dem Bindegewebe und spärlicher glatter Muskulatur aus einem Epithel, das sehr verschieden be- schrieben wird und offenbar je nach dem Tätigkeitszustande zwischen Platten- epithel- und Zylinderepithelformen schwankt. Bei Tieren ist Veränderung des Epithels durch die Begattung und die Reizung des sekretorischen Nerven beobachtet worden (Stilling !), Akutsu?). Die Zellen sind in der Ruhe größer und plasmareicher als im Tätigkeitszustande. Vielumstritten ist die Frage, ob die sog. Samenblasen als Behälter für den aus den Hoden zugeführten Samen („Receptaculum seminis“) funk- tionieren, oder ob ihre Bedeutung nur in der Bildung eines Sekretes liegt, das dem Samen beigemischt wird. Als eindeutig entschieden kann die Frage auch heute noch nicht gelten, doch wird neuerdings die sekretorische Funktion allgemein in den Vordergrund gestellt. Auffallend sind die großen Verschiedenheiten in der Lage, Größe und den sonstigen Figenschaften der Samenblasen bei verschiedenen Tieren. ') Virehows Arch. 98 (1884). — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 96, 1903. 58 Sekret der Samenblasen. Bei den Schnabeltieren, Beuteltieren, Walen, Raubtieren und unter den In- sektenfressern beim Maulwurf fehlen sie ganz, bei den Nagern dagegen und beim Igel sind sie stark entwickelt. Nicht überall münden sie in den Samenleiter, sondern bei einzelnen Familien in den Sinus urogenitalis. Nä- heres siehe bei OQudemans!), Rehfisch?), Disselhorst) und Steinach ?). Auch das Sekret des Samenblasenepithels ist bei den einzelnen Ord- nungen verschieden. Beim Menschen enthalten sie ein zähklebriges gelbliches Sekret, das nach Fürbringer’) im Ejakulat in Form gequollener Sagokörner erscheint, die sich bei der alsbald eintretenden Verflüssi- gung des Samens auflösen. Sie sollen in der Hauptsache aus Globulinen bestehen. - Ductus defer. Bei Nagetieren ist das Sekret noch zäher, beim Meerschweinchen und EIS Fig. 14. 1% ERETN {=} A NR MN 8@--- Divertikel Kaninchen breiig, weißlich trübe, nach -— - Adventitia der Ejakulation talgartig erstarrend 7 Mucosa (Leuckart*®). Landwehr’) fand als 2 5 ER : x te Bedingung für die Gerinnung Berührung mit Blut und hielt das Koagulat für -. Adventitia es u. etwas dem Blutfibrin Ähnliches; Kalk f VE 3 A Anl er jedoch nicht nachweisen. Nach j' / PN PEN: Camus und Gley °) ist zur Gerinnung 5 Ei die Berührung mit dem Prostatasekret in a rn notwendig; dieses enthält nach den ge- \ ea 7 nannten beiden Forschern ein Ferment, / 17 Vesiculase. Das Prostatasekret des Meerschweinchens kann auf 65 bis 69° ER N erhitzt werden, ohne die Fähigkeit zu der Samenblase verlieren, den Samenblaseninhalt zur Gerinnung zu bringen. Bei 70° verliert es diese Wirksamkeit. Im Vakuum einge- Linker Ductus deferens mit Ampulle undlinker trocknet kann aber der Prostatasaft über Samenblase (nach Eberth). . TR RE Frontalschnitt. Rückenansicht der vorderen 100° erhitzt werden, ohne die Gerinnung Schnittfläche. Natürliche Größe. 2 ; q erzeugende Wirkung zu verlieren ”). Das Prostatasekret des Meerschweinchens bringt auch Samenblasen- sekret von Ratte und Maus zum Gerinnen und umgekehrt. Auf Blut oder Milch übt das Sekret nicht die entsprechende Wirkung; andererseits läßt weder Blut noch Fibrinferment das Samenblasensekret erstarren; die üb- lichen gerinnungshemmenden Mittel, wie Oxalate, Fluoride, Blutegelextrakt und Pepton, haben keinen Einfluß auf die Gerinnung des Samenblaseninhalts. Daraus schließen Camus und Gley, daß hier eine ganz spezifische Wirkung nach dem Prinzip der Fermentwirkung vorliegt. ‘) Die accessorischen Geschlechtsdrüsen der Säugetiere. Haarlem 1892. — ”) Deutsche med. Wochenschr. 1899, Nr. 16. — °) Die accessorischen Geschlechts- drüsen der Wirbeltiere, Wiesbaden 1897. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 56 (1894). — °) Nothnagels Pathol. und Therapie 19, Teil 3. — °) Wagners Handwb. d. Physiol. 4, 900, 1853. — 7) Arch. f. d. ges. Physiol. 33. — °) Compt. rend. Acad. scienc, Paris 123, 194. — °) Compt. rend. de soc. biol. 1897. | | j | | Bedeutung der Samenblasen. 59 In mancher Hinsicht ähnlich, doch im einzelnen abweichend sind die Gerinnungserscheinungen, die bei dem Nager Myopotamus coypus und beim Igel im Samenblaseninhalt bei Gegenwart von Prostatasekret beobachtet wurden (Camus und Gley!). Die Erfahrungen bei Myopotamus sprechen jedoch nicht für die Gegenwart eines echten Ferments. Die Samenblasen erhalten motorische und sekretorische Innervation. Der motorische Nerv, der die Entleerung bewirkt, entstammt dem N. hypo- gastrieus (Langley ?). Mislawski und Bormann’°) sahen bei ihren Reizungen dieses Nerven zum Zweck der Untersuchung der Prostata beim Hunde Samen in die Urethra treten, was sie auf Entleerung der Samenblasen beziehen. Da nach allen anderen ‚An- gaben dem Hunde die Samenblasen fehlen, dürfte es sich um Entleerung von Sperma aus dem Ductus deferens gehandelt haben. Über die physiologische Bedeutung des Sekretes der Samen- blasen kann zurzeit nur das bestimmt ausgesagt werden, daß sie sicherlich bei verschiedenen Tieren verschieden ist. Als sehr wahrscheinlich kann bezeichnet werden, daß bei den Nagetieren das unter der Einwirkung des beigemischten - Prostatasekretes schnell erstarrende und reichliche Sekret dazu dient, einen festen Pfropf zu bilden, der nach dem Coitus die Vagina verschließt und das Ausfließen des Samens verhindert (Leuckart). In Korrelation hiermit steht die Tatsache, daß der Coitus bei diesen Tieren sehr viel schneller beendigt ist als bei anderen Tieren, bei denen der gleiche Zweck durch lange dauernde Immissio penis erreicht wird. Wenn die Bedeutung des Samenblasensekrets bei anderen Tieren und dem Menschen häufig als die der „Verdünnung“ des Sperma bezeichnet wird, so muß diese Angabe wohl dahin genauer bestimmt werden, daß es sich hauptsächlich darum handelt, dem Sperma größeres Volumen zu geben, damit die Ejakulation normal eintreten kann. Daß „Verdünnung“ des Samens durch das Sekret notwendig wäre, um dieses funktionsfähig zu machen, ist nicht erwiesen und nicht wahrscheinlich. Tarchanoff°) hatte angenommen, die Füllung der Samenblasen mit Samen zur Zeit der Brunst löse den Geschlechtstrieb und im speziellen den Klammerreflex des brünstigen Männchens aus; Eröffnung und Entleerung der Samenblasen und ebenso deren Exstirpation sollte nach Tarchanoff den Geschlechtstrieb aufheben und den Klammerreflex vernichten. Steinach) hat diese Angaben indessen nicht bestätigen können, fand vielmehr Tat- sachen, die mit der Anschauung Tarchanoffs nicht vereinbar sind. Wichtig ist zunächst, daß die Wasserfrösche überhaupt keine Samenblasen haben. Bei den Grasfröschen (mit denen Tarchanoff experimentiert hatte) tritt nach Steinachs Erfahrungen der Trieb zur Umklammerung häufig mehrere Tage vor der Füllung der Samenblasen auf, so daß also nicht wohl an die Erregung ihrer zentripetalen Nerven als Ursache des Klammerreflexes zu denken ist. Wenn Steinach die Samenblasen vor oder während der Brunst (auch während der dadurch nicht immer unterbrochenen Umklamme- !) Compt. rend. de soc. biol. 1900 und Compt. rend. Acad. Seiene. Paris 138. — 2) Journ. of Physiol. 12 (1891). Langley und Anderson, ebenda 19, 1895/96. — ®) Zentralbl. f. Physiol. 12, 181, 1898. — *)1. c. 8. 900. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 40, 330, 1887. — °) Ebenda 56, 304, 1894. 60 Bedeutung der Samenblasen. rung) exstirpierte, wurde im allgemeinen der Geschlechtstrieb nicht ver- nichtet, selbst die vom Weibchen abgenommenen Männchen umklammerten von neuem. Auch weiße Ratten hatten den Geschlechtstrieb nicht verloren, wenn nach Exstirpation der Samenblasen die Öperationswunde verheilt war, sie besprangen vielmehr die Weibchen aufs eifrigste. Bei der weiteren Beobachtung der der Samenblasen beraubten Tiere stellte sich aber heraus, daß die operierten Männchen bei weitem weniger günstige Befruchtungsresultate erzielten als intakte. Immerhin ist die Schädigung nicht so stark, wie wenn zugleich die Prostata entfernt wurde. Camus und Gley!) fanden ebenfalls nach Samenblasenexstirpation die Begattungsfäbigkeit zwar erhalten, die Fruchtbarkeit aber deutlich vermindert. Dafür, daß das Sekret für die Befruchtung entbehrlich ist, sprechen auch die erfolgreichen Befruchtungsversuche Iwanoffs?) an Hunden mit Sperma, das dem Nebenhoden entnommen war. Lode°) ging bei seinen Versuchen von dem Gedanken aus, daß, wenn die Samenblasen nur Reservoir für Hodensekret wären, einseitige Kastration zur Atrophie der betreffenden Samenblase führen müsse. Da nun eine solche (beim Meerschweinchen) nicht zu beobachten ist, die Blasen vielmehr gleich- mäßig gefüllt gefunden werden, schließt Lode auf Bildung des Inhaltes in den Samenblasen selbst. DBeiderseitige Kastration führt beim Rind, Pferd und Meerschweinchen zu starker Rückbildung der Blasen (sie sind beispiels- weise beim Stier 24cm, beim Ochsen 7 bis Scm lang). Das drüsige Epithel atrophiert, das Bindegewebe wird hyperplastisch. Diese Erfahrungen stimmen gut zu den älteren von Gruber*) und Pelikan’), wonach bei kastrierten Menschen (den Skopzen in Rußland) die Drüsen atrophisch und mit schleimiger Flüssigkeit gefüllt gefunden wurden. Rehfisch‘) erklärt auf Grund seiner Beobachtungen an Tieren und Menschen die Samenblasen sowohl für secernierende Organe als auch für Samenreservoirs. Bei Injektion verschiedener Flüssigkeiten in den Ductus deferens sah er, wie schon Regner de Graaf, die Samenblasen sich füllen, ehe ein Tropfen in die Harnröhre trat. Beim Menschen fand Rehfisch, wenn er per rectum auf die Samenblase drückte, nachher Sperma entweder im nächstentleerten Harn, oder er sah es direkt aus der Harnröhre austreten. Alle diese Versuche sind aber meines Erachtens nicht beweisend dafür, daß normalerweise alles durch den Ductus deferens kommende Sperma zunächst in die Samenblasen gelangen müsse und erst von diesen in den Ductus eja- culatorius getrieben werde. Ebensowenig entscheidend ist der Befund Für- bringers?), der bei etwa 60 menschlichen Leichen fast regelmäßig Sperma in den Samenblasen konstatierte, und derjenige Kaysers°), der ebenfalls bei sieben Männern Samenfäden vorfand. Es fehlt der Beweis, daß sie schon intra vitam eingedrungen sind. Bei der Agonie eintretende Kontraktionen ') Compt. rend. Soc. de Biol. 1897, p. 787. — *) Journ. de physiol. 2, 95. — “) Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. Wien, math.-naturw. Kl., 104 (1895). — *) Müllers Arch. 1847, 8. 463. — °) Gerichtl.-mediz. Unters. über d. Skopzentum in Rußland. Gießen 1876. — °) Deutsch. med. Wochenschr. 1896, Nr. 16. — 7) Noth- nagels Pathol. und Therap. 19, Teil 3. — *) Untersuchungen über die Bedeutung der Samenblasen. Inaug.-Diss. Berlin 1889. Br Bedeutung der Samenblasen. — Prostata. 61 des Ductus deferens könnten den Inhalt in die nachgiebigen Blasen hinein- getrieben haben. Mir scheint auf derartiges namentlich die Angabe Für- bringers hinzuweisen, daß das eingedrungene Hodensekret sich gegen das eigene Sekret der Samenblasen mit deutlicher Grenze absetze. Exner!) hat die Hypothese aufgestellt, die Samenblasen dienten (neben anderen Zwecken) auch als Resorptionsstätten für Samen, der nicht entleert wird. Neben manchem, was für die Richtiekeit dieser Hypothese Exners spricht, drängen sich doch auch einige Bedenken auf. Exner schließt aus dem Aus- bleiben oder Seltenerwerden der Pollutionen in späteren Lebensjahren, es müsse der Samen, der vom Hoden gebildet wird, auf andere Weise beseitigt werden, und denkt daher an die erwähnte Resorption in den Samenblasen. Aus den Untersuchungen Lodes geht nun aber hervor, daß nach längerer Abstinenz das erste Ejakulat relativ sehr wenig Samenfäden enthält, während nach mäßigem Geschlechtsverkehr deren Menge bedeutend steigt. Unter diesen Umständen erscheint es wenigstens als möglich, daß bei mangelndem Bedarf an Sperma dessen Übertritt aus dem Hoden in den Samenleiter auch sehr träge ist und infolgedessen keine Resorption überschüssigen Materials in Betracht kommt. Außerdem müßte, wenn die nicht gebrauchten Samenfäden unter physiologi- schen Bedingungen in den Samenblasen zugrunde gingen, deren Sekret für sie auf- lösende oder zum mindesten schädigende Eigenschaft haben, die sich schlecht mit der doch als regulär angenommenen Beimischung des Sekrets zum Ejakulat in Einklang bringen ließe. Fassen wir das bisher Festgestellte zusammen, so müssen wir zunächst unbedingt darauf verzichten, die Samenblasen und ihr Sekret bei den ver- schiedenen Tierklassen als funktionell ganz gleichwertige Gebilde aufzufassen. Wo das Sekret, wie bei den Nagetieren, zu einem die Scheide verschließen- den und den Rückfluß des Samens verhindernden Pfropf erstarrt, wird hierin eine der wesentlichen Funktionen des Samenblasensekretes zu sehen sein. Beim Menschen, wie auch in den übrigen Fällen, wo solche vollstän- dige Gerinnung nicht in Betracht kommt, dürfte immerhin das Zäh- und Gallertigwerden des Samens durch die Beimengung nicht unwesentlich sein; hier wird zugleich die Erhöhung der Ejakulatmasse wichtig sein. Daß die Samenblasen als Behälter dienen, in denen eine größere Menge Sperma zur Ejakulation bereit gehalten wird, scheint mir nach den vorliegenden Erfah- rungen auszuschließen zu sein. Daß sie als Resorptionsstätte für nicht ver- brauchtes Sperma dienen, halte ich zum mindesten für nicht sehr wahr- scheinlich. Als höchst wahrscheinlich kann es bezeichnet werden, daß das Sekret beim Menschen ebenso wie nach den oben erwähnten Erfahrungen von Steinach, Camus und Gley, Iwanoff an Tieren auch für die Potentia coeundi be- deutungslos ist, während es zurzeit noch als ganz unsicher gelten muß, ob es für die Potentia generandi beim Menschen wichtig ist. 2. Die Funktionen der Prostata. Die Prostata ist beim erwachsenen Menschen ein kompaktes Gebilde etwa von der Größe und Form einer Kastanie. Durch ihren vordersten Teil tritt die Harnröhre mit ihrer Pars prostatica hindurch, und von hinten oben münden die beiden Samenleiter, das Gewebe der Prostata durchsetzend in die Harnröhre ein (Fig. 15). BE: ce: 8. 234. 62 Bau der Prostata. Der Hauptbestandteil der Prostata (/; des Gesamtvolums nach Walker!) wird von Drüsensubstanz gebildet, die aus 30 bis 50 Läppchen besteht. Die Drüsen sind schlauchförmig mit alveolären Anhängen. Ihre Ausführungs- gänge, in der Zahl von 15 bis 32 münden auf dem Collieulus seminalis, in der Richtung gegen die Mündung der Ductus ejaculatorü. Fig. 15 gibt Fig. 15. ee s-o Musculus pubovesicalis DEE —— En = > =----- Musculus trigonulis > — —. Vasa — \ Collieulus seminalis u I } +. Ductus ejaculatorüü . Ductus glandularis . Glandula / ——. Kapsel Querschnitt durch die Prostata des Hundes mit Colliculus seminalis, Utrieulus prostaticus und den Ductus ejaculatorii (nach Eberth). Formalkohol, Paraffin, Hämatoxylin-Eosin, Kanada. Vergrößerung 5. die Anordnung der Drüsenschläuche auf einem Querschnitt durch die Pro- stata des Hundes wieder, die derjenigen des Menschen ähnlich ist. In den oft blasenförmig erweiterten Drüsen des Erwachsenen finden sich sehr häufig rundliche Einlagerungen, die amylumähnliche Reaktionen G N, I Eingekapselter Nervenendapparat aus der äußeren Bindegewebshülle der Prostata eines Hundes (nach Timofeew). a dicke markhaltige Nervenfaser, die in den terminalen bandförmigen Achsencylinder ausläuft; b dünnere markhaltige Nervenfaser, welche den terminalen Fadenapparat bildet. geben (daher die Bezeichnung „Amyloidkörper“) und nicht selten durch Kalkeinlagerung in sogenannte „Prostatasteine“ übergehen. Sie werden über Imm groß und können mit dem Sekret abgehen. Zwischen den Drüsenschläuchen liegt eine ansehnliche glatte Muskulatur, ferner reich- liche Lymphgefäße, Blutgefäße und Nerven. Die letzteren, mit Ganglien- !) Arch. f. Anat. u. Entwickelungsgesch. 1399. Bau und Sekret der Prostata. 63 zellen durchsetzt, gehören zu dem sympathischen Geflecht, das die Arteria hypogastrica begleitet. Die Kenntnis der Endorgane dieser Nerven verdanken wir Timofeew!). An den Drüsen finden sich freie Nervenendigungen, zwischen den Drüsen und in der Schleimhaut Endkolben mit geschichteter Kapsel und einge- lagerten Kernen. Eine neue Art von Kolben fand Timofeew ebenfalls in der Prostata (Fig. 16); sie stehen mit zwei Nervenfasern in Verbindung, deren eine in einem axialen Kolben endigt, welcher von einem Gewirr der anderen umsponnen wird. Die Prostata ist bei den meisten Säugetieren vorhanden, sie fehlt den Monotremen, Marsupialiern, Edentaten und Cetaceen, doch sind hier mehr - zerstreut gelegene Drüsenschläuche vorhanden, die wahrscheinlich dieselbe Funktion haben. Die verschiedene Entwickelung der Prostata in den verschiedenen Alters- stadien weist deutlich auf ihre Beziehung zur Geschlechtstätigkeit hin. Sie entwickelt sich mit der Pubertät stärker, bleibt in der Entwickelung zurück, wenn Kastration in der Jugend vorgenommen wurde. Auch im geschlechts- reifen Alter kann durch Kastration die Prostata noch zur Rückbildung ge- bracht werden. Dabei atrophiert hauptsächlich der drüsige Teil. Im Greisenalter kann die Prostata sowohl atrophieren wie hypertrophieren. Beiderlei Prozesse können sehr verschiedene Ursache haben. Insbesondere | gibt es eine Hypertrophie des Drüsengewebes, des Muskel- und des Binde- gewebes, endlich auch eine Vergrößerung der Drüse durch Anhäufung von verhärtetem Sekret in den erweiterten Drüsenschläuchen. Die rein drüsige Hypertrophie (die wie die anderen Formen durch Störungen der Harnent- leerung lästig werden kann) geht nach Kastration bedeutend zurück, so daß Heilung erzielt werden kann. Zwischen der senilen Impotenz und der se- nilen Prostatahypertrophie scheint kein ursächlicher Zusammenhang zu be- stehen, wohl aber zwischen der Entwickelungshemmung des Hodens und der Prostata (Griffiths). Das Sekret der Prostata ist dünnflüssig, etwas milchig getrübt, schwach alkalisch (nur in der Leiche sauer, Poehl?), nach Fürbringer *) auch im Leben sauer), enthält Eiweißstoffe, aber kein Muin. Mit ihm ent- leeren sich zuweilen die Amyloidkörper. Dem Prostatasekret verdankt der Samen seinen charakteristischen Geruch; er ist an die Gegenwart des Spermins oder von dessen basischen Salzen ge- bunden (Poehl?), verschwindet bei Ansäuerung, auch bei dem Sauerwerden des Sekrets in der Leiche. Die Sperminkristalle treten erst in der Leiche auf (Fürbringer ’!). Das Sekret kann nach Fürbringer beim lebenden Menschen durch Druck auf die Prostata in die Harnröhre getrieben und zur Untersuchung gewonnen werden. Es wirkt auf die Bewegung der Samenfäden deutlich anregend, und zwar, wie es scheint, spezifisch, nicht nur als indifferentes Verdünnungsmittel. In größeren Mengen soll es schädigend wirken, was !) Anatom. Anzeiger 9 (1894) und Inaug.-Dissert. Kasan 1896. — °) Joum. g g \of Anat. and Physiol. 24 (1890). — *) Die physiol.-chem. Grundlage der Spermin- theorie, Petersburg 1898. — *) Die Störungen der Geschlechtsfunktion des Mannes. Wien 1895 und Berliner klin. Wochenschr. 1886, S. 476. 64 Bedeutung des Prostatasekretes. aber möglicherweise nur auf Säurebildung beruht. Fürbringer fand die Samenfäden vor dem Zutritt des Prostatasaftes wenig beweglich, und erst danach in lebhaft wimmelnder Bewegung, während ich (wie Exner, l. c.) die Samenfäden auch schon im Nebenhoden lebhaft beweglich finde (Meer- schweinchen). Steinach (l. c.) fand die Samenfäden der Ratte viel länger beweglich, wenn er mit Prostatasaft vermengte Kochsalzlösung zusetzte, als wenn er bloß mit letzterer verdünnte. An Hundesperma machte Walker!) systematische Versuche, die folgendes ergaben: l. Samen aus dem Hoden zeigten keine Bewegung. 2. Samen aus dem Nebenhodenkopf ebensowenig. 3. Samen aus dem Nebenhodenschwanz zeigte an den Stellen des Prä- parates, wo die Flüssigkeit dünn war, etwas Bewegung. 4. Samen aus dem Samenleiter ebenfalls nur da, wo die Flüssigkeit dünn war; in der überwiegenden Masse war die Konsistenz eine diekflüssige und Bewegung fehlte. 5. Ein Gemisch von Hodensamen mit Prostatasekret zeigte zwar deut- liche, aber nicht lebhafte Bewegung. 6. Gemisch von Nebenhodensamen mit Prostatasaft zeigte lebhafte Be- wegung. 7. Gemisch von Nebenhodensamen mit physiologischer Kochsalzlösung ebenfalls, jedoch nur an den Stellen, wo die Flüssigkeiten sich gut gemischt hatten. Walker zieht aus seinen Beobachtungen den Schluß, dab das Prostata- sekret hauptsächlich durch die Verdünnung anregend auf die Sperma- bewegung wirke. Die längere Dauer der Beweglichkeit der mit Prostata- saft gemischten Samenfäden in Steinachs Versuchen erklärt sich Walker durch die Gegenwart ernährender Substanzen im Prostatasaft. Von Interesse ist eine Beobachtung Fürbringers?) an einem Falle von Spermatorrhoe: der ohne Coitus abgehende Same enthielt sehr wenig bewegliche Spermien, während der im Coitus ergossene Same normal be- wegliche Fäden enthielt. Fürbringer bezieht dies auf die bei normaler Ejakulation eintretende Beimengung von anregendem Prostatasekret, das in der spermatorrhoischen Entleerung gefehlt haben mag. Die Innervation der Prostata ist eine doppelte, indem sie Fasern vom Nervus erigens und direkt vom N. hypogastricus erhält. Die ersteren scheinen rein motorisch zu sein, die letzteren sind motorisch und sekretorisch. Eckhard?) sah bei Reizung des N. erigens beim Hunde Austreten des Se- kretes in die Harnröhre, bei weiter fortgesetzten Reizungen indessen nicht mehr, so daß es sich offenbar um Entleerung des angesammelten Sekretes infolge der Muskelkontraktion handelt. Mislawsky und Bormannt) kamen, ebenfalls am (curarisierten) Hunde arbeitend, zum gleichen Ergeb- nis und fanden außerdem, daß die vom (Ggl. mesentericum inferius her- kommenden Nervi hypogastrici sowohl auf die Muskulatur wie auf die Drüsenzellen wirken. Ihre Reizung ergibt also anhaltende Sekretion, und ') Arch. f. Anat. u. Entwickelungsgesch. 1899 u. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899. — ?) Berliner klin. Wochenschr. 23 (1886). — °) Beiträge z. Anat. u. Phy- siologie 3 (1863). — *) Zentralbl. f. Physiol. 12, 181, 1898. Cowpersche Drüsen. 65 wenn sie einige Zeit gereizt worden waren, ist auch die Erigens-Reizung für einen Augenblick wieder wirksam. Der Sekretionsdruck beträgt 16 bis 18mm Hg. Atropin macht die Reizung unwirksam, Pilocarpin erzeugt an- haltenden Sekretfluß. Wird in die Urethra eine Kanüle mit senkrechtem Steigrohr eingesetzt, so treibt Hypogastricus-Reizung das Sekret in dieser in die Höhe bis zum Überfließen, Erigens-Reizung dagegen treibt es nur für die Dauer der Reizung in die Höhe; ebenso wirkt Hypogastricus-Reizung nach Atropinvergiftung, ein Beweis dafür, daß auch dieser Nerv außer seinen sekretorischen Fasern motorische enthält, die zur Auspressung des Prostatasaftes führen. Kompression der Bauchaorta hebt die Sekretionsfähigkeit nicht auf. Reizung eines zentralen Hypogastricus-Stumpfes erzeugt reflektorische Sekre- tion der Drüse durch den Nerv der anderen Seite. Das Reflexzentrum liegt im @gl. mesentericum inferius, da der beschriebene Erfolg auch eintritt, wenn dieses vom übrigen sympathischen System und vom hückenmark abgetrennt ist. In einzelnen Fällen, bei kleinen harten Drüsen, bleibt der Reizerfolg gänzlich aus. Über die Frage der Beteiligung der Prostata bei der Fjakulation siehe unten 8.77. 2) 3. Die Cowperschen Drüsen (Glandulae bulbo-urethrales). Die sogenannten Cowperschen Drüsen sind erbsengroße Gebilde von tubulo-alveolärem Bau (wie die Prostatadrüsen). Sie liegen jederseits zwischen Prostata und Bulbus des Harnröhrenschwellkörpers und entleeren ihr Sekret durch je einen 3 bis cm langen engen Gang in den cavernösen Teil der Urethra. Glatte Muskelfasern umziehen die Drüsen, und diese sind außerdem zwischen die Bündel des quergestreiften M. sphincter wrogenitalis einge- schoben, dessen Kontraktion sie drücken und ihren Inhalt entleeren muß. Die Drüsenzellen sind vom N. pudendus innerviert. Das Sekret der Cowperschen Drüsen und seine Bedeutung ist nicht genau bekannt. Wahrscheinlich ist es gleichartig und von gleicher Funktion wie das der kleinen alveolären Drüsen, dıe in der Harnröhrenschleimhaut verteilt sind (Littresche Drüsen !). Man betrachtet wohl mit Recht die alkalische mucinreiche Flüssigkeit als ihre Absonderung, die am Schluß der Harnentleerung zuweilen aus der Urethra austritt, in reichlicherer Menge bei sexuellen Erregungen, die nicht bis zur Samenentleerung führen. Stilling?) vermutet, der alkalische Saft diene zur Beseitigung der nach der Harn- entleerung zurückbleibenden sauren Reaktion, die bekanntlich für die Samen- fäden schädlich ist. Daß die Cowperschen Drüsen nur im Dienste der Sexualtätigkeit funktionieren, ist deshalb nicht recht wahrscheinlich, weil sie bei Eunuchen von gewöhnlicher Größe sein sollen. Hugier?°) gibt indessen Vergrößerung der Drüsen zur Pubertätszeit an, Schneidemühl*) Atrophie bei kastrierten \) Description de /urethre de ’homme. Mem. acad. roy. Paris 1700 (1703). — °) Virchows Arch. 100 (1885). — °) Annal. science. nat. 1850. — *) Vergleich. anat. Uiwersuchungen über d. feineren Bau der Cowperschen Drüse. Inaug.-Dissert. Erlangen 1883. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 5 66 Erektion. Tieren, und Stilling (l. c.) beschreibt genau die Veränderungen des histiologischen Bildes der Drüsen bei längerer Abstinenz und nach dem Coitus. Danach kann zum mindesten das als sichergestellt gelten, daß die Drüsen beim Geschlechtsakt in Mitleidenschaft gezogen werden und ihr Inhalt ausgepreßt wird. Ill. Die Erektion. Die zur normalen Begattung notwendige Erektion des männlichen Gliedes besteht in einer starken Volumvergrößerung, einer ebenfalls sehr deutlichen Konsistenzänderung und einer Gestaltveränderung des männlichen Gliedes, wodurch dieses befähigt wird, die weiblichen Labien und die Wände der Scheide auseinanderzudrängen und die Scheide fast völlig auszufüllen. Eine weitere, nicht so auffällige Veränderung ist die Temperaturerhöhung des Gliedes. Fig. 17. ee —tn Vena dorsalis penis subeutanea ——— — Vena dorsalis penis Tunica albuginea corp. ——— subfascialis eavernosi penis ee ; 3 e R > Arteria dorsalis penis Septum penis —— Communicatio corpor. iR En cavern. penis Nervi dorsales penis Arteria corpor. cavern. — penis Tunica dartos penis Trabeculae corp. caver. Be WO= 7290 Ei 9 I \ Fi Be - Tela subeutanea penis Mmajores aa 9 \\ — Fascia penis Vena circumflexa penis -——- Corpus cavernos. ——— | | | | urethrae —— — — Tunica albuginea cor- poris cavernosi | urethrae i I Arteria corporis caver- nosi urethra® Querschnitt durch die Mitte des Penisschaftes des Erwachsenen. — Vergrößerung 3 (nach Eberth). Über das innere Wesen des Frektionsvorganges gehen die Meinungen noch immer etwas auseinander, wenn auch gewisse früher viel diskutierte Theorien jetzt nicht mehr ernstlich in Betracht gezogen zu werden brauchen. Unzweifelhaft fest steht es, daß gesteigerte Blutfülle des Gliedes und nur diese dessen Erektion bewirkt. Injektion der Penisarterien an der Leiche erzeugt Erektion (Regrer de Graaf 1668). Die alte Streitfrage, ob diese Blutanhäufung durch vermehrten Zustrom oder durch verminderten Ab- fluß, oder durch beide Momente zusammen bedingt sei, kann als im ersteren Sinne entschieden betrachtet werden. Behinderter Abfluß kann höchstens neben dem vermehrten Zustrom als unterstützendes Moment hin- | zukommen. ll Schwellkörper. 67 Die anatomischen Bedingungen erscheinen allerdings zunächst der Auf- fassung besonders günstig, wonach Hemmung des venösen Abflusses die Hauptrolle spielen sollte. Henle!) hat darauf hingewiesen, daß die Venen der Penis-Schwellkörper durch den M. transversus perinei profundus so hindurch- treten, daß dessen Kontraktion sie wohl zusammendrücken könnte. Freilich versagt diese Erklärung für die Erektion des Harnröhrenschwellkörpers, dessen Blut durch die Dorsalvene des Penis abfließt, also jenen Engpaß nicht passiert. Man dachte daher auch an die Mm. bulbo- und ischiocavernosi als Verengerer der abführenden Venen?). Teile dieser Muskeln könnten in der Tat die oberen Teile der Schwellkörper komprimieren. Endlich könnten auch an Ort und Stelle im Penis selbst durch plötzliche Arterienerweiterung die Raum- und Spannungsverhältnisse wohl so geändert werden, daß der Abfluß des Blutes durch die Venen erschwert wird. Bei all diesen Hypothesen würde anzunehmen sein, daß nahezu der volle Blutdruck der Penisarterien im Inneren der Schwellkörper herrscht, wenn diese in erigiertem Zustande sind. Dieser Druck ist nach Loven?) gleich ein Drittel bis zwei Drittel des Carotisdruckes. An völlige Sperrung des venösen Abflusses ist schon deshalb keinesfalls zu denken, weil im Zustande des sogenannten Priapismus der Penis stundenlang erigiert bleibt, und bei völliger Blutstockung natürlich gangränös werden müßte. Ein Umstand, der allen den verschiedenen Theorien der Erektion, die venöse Stauung voraussetzen, von vornherein den Boden entziehen mußte, ist erst von Exner gebührend gewürdigt worden. Handelte es sich um Stauung, so wäre nach allen sonstigen Erfahrungen zu erwarten, daß das erigierte Glied kühl würde, jedenfalls aber nicht wärmer wie im nichterigierten Zustande. Die tatsächlich zu beobachtende nicht unbeträchtliche Erwärmung des Gliedes bei der Erektion spricht aber für gesteigerten Blutzufluß und beschleunigten Blutumlauf, da an lokale Wärmebildung nicht wohl zu denken ist. Übrigens wird das Glied in der Erektion auch keineswegs cyanotisch, was bei venöser Stauung der Fall sein müßte. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen kann also bestimmt behauptet werden, daß Stauung durch Venenkompression nicht die Hauptursache für die Anschwellung und Verhärtung des Penis ist. Andererseits kann man aber auch nicht mit Sicherheit eine gewisse untergeordnete Beteiligung dieses Momentes ausschließen. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts wurde den Arteriae helicinae, die man für blind endigend hielt, eine besondere Bedeutung für die Erektion zugeschrieben. Ihre rankenförmigen Windungen haben wohl die Bedeutung, daß bei der starken Längen- und Dickenzunahme der Schwellkörper die Arterien nicht gezerrt zu werden brauchen, sondern unter einfacher Geradestreckung sich den veränderten Verhältnissen anpassen (Rouget‘), Langer’). Jedenfalls sind die Arteriae helicinae zuführende Gefäße für die Schwellkörper und endigen nicht blind (siehe unten). Für die aktive Erhöhung des Blutgehaltes des Penis kommen haupt- sächlich zwei eigentümliche Einrichtungen in Betracht: die durch Einlagerung !) Handbuch der Eingeweidelehre des Menschen, 2. Aufl., S. 544, 1873. — °) Krause, Müllers Arch. 1837; Houston (Dubl. Hosp. rep. 5 [1830]) beschrieb einen besonderen Musculus compressor venae dorsalis. — °) Ber. sächs. Akad. d. Wissensch. 1866. — *) Journ. de la physiol. 1, 325, 1858. — °) Wiener Sitzungsber., mathem.-naturw. Kl. 44 (1), 120, 1863. Zirkulation in den Schwellkörpern. [0 2) 6 reichlicher glatter Muskelzellen !) kontraktilen Trabekeln des Schwellgewebes und die Intimapolster der Penisarterien (v. Ebner?). Über die Anordnung der Muskeln in den Trabekeln und den feineren Bau der Schwellkörper können hier Einzelheiten nicht gebracht werden (man vgl. Eberth, Die männlichen Geschlechtsorgane, v. Bardelebens Handbuch der Anatomie des Menschen, 1904). Physiologisch wichtig ist, daß Kon- traktion der Muskulatur (unterstützt durch die reichlichen elastischen Fasern) die lakunären Räume in jeder Richtung verengt, so daß sie geradezu spalt- förmig werden. Für gewöhnlich muß diese Muskulatur in einer tonischen Spannung mäßigen Grades sein, die bei Eintritt sexueller Erregung völliger Erschlaffung infolge eines nervösen Hemmungsprozesses Platz macht, anderer- seits bei Einwirkung von Kälte (kaltes Bad!) bedeutend zunimmt. Der Penis nimmt im letzteren Falle an Volumen erheblich ab, auf !/, bis !/, seines gewöhnlichen Volumens, und dürfte dann nahezu blutleer sein. Wird die Gesamtheit der Blutlakunen des Harnröhrenschwellkörpers durch vermehrten Blutzustrom geschwellt, so müssen die Trabekel einem Zug in radiärer Richtung ausgesetzt sein. Da dieser Schwellkörper in seiner Achse ein membranöses Rohr enthält, kann es nicht ausbleiben, daß jener radıiäre Zug sich auf dessen Wandungen überträgt. Ob es zu einer wirk- lichen Erweiterung des Harnröhreniumens kommt, wie Exner vermutet und durch ein Schema veranschaulicht, möchte ich doch bezweifeln, weil ich mir nicht denken kann, was für einen Inhalt die klaffende Urethra haben sollte; Luft wird doch höchstens in den Eichelteil eindringen, an dem in der Tat Klaffen zu beobachten ist. Richtig wird aber gewiß sein, daß jener radiäre Zug die Wandungen der Harnröhre in hohem Grade entlastet und das Durch- spritzen des Sperma wesentlich erleichtert. Exner hebt ferner die Möglichkeit hervor, daß dieselbe Wirkung sich auch an der Arteria profunda penis geltend macht und deren Lumen er- weitert. Wohl die wichtigste Einrichtung am Penis, die den schnellen Wechsel in der Gefäßfüllung bedingt, liegt in den Intimapolstern der Penisarterien, die v. Ebner (l. ce.) entdeckt hat. Relativ starke Arterien von gewundenem Verlauf, die oben erwähnten Arteriae helicinae, ergießen ihr Blut direkt in die lakunären Räume des Schwellgewebes; solange nicht jene Polster das Lumen verengen oder ver- schließen, setzt sich also der arterielle Druck in die Lakunen fort. Die Penisarterien haben eine starke Ringmuskulatur. Bei den Arterien, die kleineren Durchmesser als 1mm haben, ist die Intima an einzelnen Stellen von gewöhnlicher Beschaffenheit, an anderen spaltet sich die elastische Mem- bran in mehrere Blätter, zwischen denen reichliche Längsmuskelbündel | eingelagert sind (s. Fig. 18). Kontraktion dieser Muskulatur läßt die Polster kugelförmig aufschwellen, so daß sie das Lumen der Arterie ganz oder teilweise verlegen, namentlich| wenn durch Verkürzung der Ringmuskelfasern die Arterie auch noch kon-| zentrisch eingeschnürt wird. ') Kölliker, Würzburger Verhandl. 2 (1851). — ?) Über klappenartige Vor- richtungen in den Arterien der Schwellkörper. Verhandlungen d. anat. Gesellsch. Pavia 1900 und Köllikers Handb. d. Gewebelehre. ee Zirkulation in den Schwellkörpern. 69 Diese Verschlußvorrichtungen finden sich namentlich an der Einmündungs- stelle der Arterien in die Lakunen und an ihren Teilungsstellen. Im Ruhezustande sind Ringmuskeln und Polstermuskeln tonisch kon- trahiert, bei Beginn der sexuellen Erregung erschlaffen beide und geben das Lumen frei, das Blut stürzt ın die Lakunen, deren Trabekel erschlaffen, so daß das blutstrotzende Gewebe prall und hart wird. Über die Veränderung der Durchblutung des Penis bei der Erektion liegen mehrere Untersuchungen vor. Eckhard!) fand zunächst, daß bei (durch Reizung des N. erigens erzeugter) Erektion das angeschnittene Corpus cavernosum viel stärker blutet als vorher. Loven?) und Nikolsky?°) be- Elastica interna -Elastische Lamellen Intimapolster Elastica externa Querschnitt durch eine Arterie des Bulbus urethrae eines zwanzigjährigen Mannes mit Weigertscher Färbung der elastischen Fasern. — Vergrößerung 300 (nach Eberth). stätigten diese Beobachtung, Lov&n fand auch die Druckzunahme in den Penisarterien bis auf ö/,, des Carotidendruckes. Die eingehendsten systematischen Versuche über die bei der Erektion auftretenden Druckänderungen in den Arterien und Venen des Penis ver- danken wir Francois-Franck !); sie sind am Hundepenis angestellt, in dessen Arterien bzw. Venen Kanülen eingebunden wurden, um den Druck mano- metrisch registrieren zu lassen. Gleichzeitig wurde das Volum der (beim Hunde sehr langen) Eichel registriert, die in ein weites Glasrohr eingeschoben war, auf dessen freien Rand das Präputium aufgebunden wurde. Das andere Ende des Rohres verengte sich und war durch einen Schlauch mit einem 5) Untersuchungen über d. Erektion d. Penis beim Hunde, Beitr. z. Anat. u. Physiol. 3, Gießen 1863. — ?) Ber. d. sächs. Akad. d. Wissensch. 1866. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879. — *) Arch. de physiol. 1895, p. 122. 70 Erektion. registrierenden Tambour in Verbindung. Ähnliche Versuche mit unvoll- kommenerer Anordnung hatten schon früher v. Anrep und Öybulski!), sowie Piotrowski?) ausgeführt. Die Figur 19 A und B (nach Francois-Franck) zeigt die Ergebnisse in instruktiver Weise. Fig. 19 A zeigt die Anschwellung der Eichel bei Reizung des N. erigens, mit a 2!/; Sekunden Latenz ein- z EN tretend, Fig. 19 B die Ver- ER minderung des Volumens bei ey] NG Reizung des N. pudendus. In Fig. 20 ist außer dem Eichel- volumen der Druck in der Dorsalarterie und Dorsal- R Sek. vene registriert. Man sieht ungefähr B A gleichzeitig den Druck im peripheren Stumpf der Arterie absinken und das Volumen der Eichel zu- nehmen, und etwa eine Sekunde später den Druck in der Vene stark ansteigen. Fig. 20. Letztere Tatsache beweist vor allem, daß die Erektion nicht durch Verhinderung des Abflusses des Schwell- körperblutes in die Venen bedingt sein kann. Der 1" Druckabfall im peripheren I Arterienstück erscheint auf den ersten Blick auffallend. Er erklärt sich wohl da- Art. Druck 50 mm Hg. Glans-Vol. durch, daß das mit anderen Ven Druckt 227 $ Arterien durch Vermitte- | Bee lung der Lakunen kommuni- zierende Arterienstück von TE seinem Binnendruck teil- weise entlastet wird, wenn die Schleusen zwischen dem arteriellen und venösen System durch Abflachung der oben erwähnten Intimapolster geöffnet werden und das Arterienblut schnell in die Lakunen und Venen abströmen kann. Die Zeit, die zwischen der Arterienerweiterung und der Drucksteigerung in der Vene verstreicht, ist jedenfalls diejenige, die zur Entfaltung der Schwellkörperhohlräume nötig ist. Die vermehrte Blutfülle des Penis bewirkt außer der Volumvergrößerung und Absteifung des Gliedes auch dessen Aufrichtung, „Erektion“. Diese ist | ') St. Petersburger mediz. Wochenschr., Nr. 20, 1884. — *) Przeglad lekarski, Krakow 1837. ! I | | 17, N eg Ko un [= > TEE Erektion. — Samenentleerung. al: unter normalen Verhältnissen bei kräftiger Anschwellung unausbleiblich. Sie ist nicht Folge einer Muskelkontraktion, sondern dadurch bedingt, daß die dorsale Fascie, eine Art Ligament, straffer und kürzer ist als die der Unter- seite, so daß bei der Anschwellung die Aufrichtung notwendig eintreten muß. Diese ist hauptsächlich Folge der Straffheit der Fascie an der Peniswurzel; aber auch auf der ganzen Dorsalseite ist sie weniger nachgiebig als unten, die Folge ist die nach oben schwach konkave Krümmung des erigierten Gliedes. Die Haut wird überall straff gespannt, die Präputialfalte verstreicht voll- ständig. Dadurch wird der Penis zum Eindringen in die Vagina geeigneter. Die straffe Spannung der Haut bewirkt gleichzeitig eine besonders hohe Er- regbarkeit der zentripetalen Penisnerven, deren mechanische Reizung (durch Reibung in der Scheide) an der Auslösung des Ejakulationsreflexes wenigstens beteiligt sein mag, wenn sie auch gewiß nicht die alleinige Quelle jenes Auslösungsreizes ist. IV. Die Herausbeförderung des Samens. 1. Der Transport des Samens vom Hoden bis zum Samenleiter. Über die Beförderung der Samenzellen aus dem Hoden in den Neben- hoden weiß man zurzeit nichts Sicheres. Im Hoden fehlt dem Sperma nach allen Angaben noch die Eigenbewegung. Daß die glatte Muskulatur der Albuginea, die erst in der Pubertät auftritt und nicht immer auf die Septa des Hodens überzugreifen scheint, den Samen heraustreibe, erscheint nicht - sehr glaublich, nicht zum wenigsten wegen der erwähnten Inkonstanz. Die Bewegung durch Nachschub neugebildeten Spermamaterials ist wohl als ein wichtiges Moment für die Entleerung des Samens anzusehen und wird meistens als Hauptmoment angeführt. Es ist indessen nicht zu leugnen, daß diese Auffassung eine sehr unbefriedigende ist. Zum mindesten wird anzu- nehmen sein, daß die (im Hoden reichlich vorhandenen) elastischen Fasern, durch die Füllung des Hodens gespannt und wahrscheinlich unterstützt durch die glatten Muskelzellen des Hodens, die Entleerung der prall gefüllten Kanälchen begünstigen, die bei den innen blind endigenden Röhren nur nach dem Rete testis zu erfolgen kann. Für sehr wahrscheinlich halte ich es, daß äußerer Druck auf die Hoden beim Gehen und Sitzen ein weiteres be- günstigendes Moment bildet, ähnlich wie für die Beförderung der Lymphe in den Lymphgefäßen der Extremitäten. Daß der bloße Nachschub neuer Samenmasse im völlig ruhenden, vor äußerem Druck geschützten Hoden die immerhin doch recht beträchtliche Spermamenge, die tatsächlich verfügbar ist, in die weiteren Leitungswege befördern sollte, erscheint nicht recht glaublich. Erklärt wäre die Samen- herausbeförderung aus den Hoden, wenn sich eine nennenswerte Flüssigkeits- abscheidung im Hoden nachweisen ließe, durch die das Sperma herausgespült würde. Meines Wissens fehlen indessen für eine solche Annahme tatsächliche Anhaltspunkte. Im Nebenhoden tritt die Eigenbewegung des Samens und die Wirkung des Flimmerepithels der hier schon recht weiten Gänge in Kraft. Die glatten Muskelzellen der Albuginea mögen unterstützend wirken. In den (onis vas- 12 Nebenhodengang. culosis ist das Sperma noch ohne Eigenbewegung, die Flimmerepithelzellen stehen hier noch nicht in zusammenhängender Schicht, sondern teils ver- einzelt, teils in Gruppen ‘von mehreren beisammen. Die Transportrichtung geht nach dem Ductus epididymidis hin, also vom Hoden weg. Bemerkens- werterweise ist übrigens die Flimmerbewegung schon beim Neugeborenen zu finden, also lange ehe Samen gebildet wird. Ob die flimmernden und nichtflimmernden Zellen der Coni vasculosi ver- schiedene Tätigkeitszustände des Epithels darstellen, oder ob es sich um dauernd verschiedene Zellarten handelt, ist unentschjeden. (Näheres hierüber vergleiche bei Eberth, Die männlichen Geschlechtsorgane in Bardelebens Handbuch der Anatomie des Menschen, 1904.) Das zylinderische Epithel des Nebenhodenganges (Ductus epididymidis) ist dem Flimmerepithel nur äußerlich ähnlich. Jede Zelle trägt einen zapfen- Fig. 21. Flimmerzellen Secernierende Zellen Secernierende Zellen | | Ringmuskeln Bindegewebe Teil eines Querschnittes durch einen Ductus efferens des Erwachsenen. Die Epithelien der Grübchen in Sekretion. Zwischen den Flimmerzellen der Epithelleisten vereinzelt secernierende Zellen. Vergrößerung 450 (nach Eberth). artigen Fortsatz, der in das Ganglumen hineinragt und bald homogen aus- sieht, bald wie ein Büschel zusammengebackener Haare (also ähnlich der Cupula terminalis in den Bogengangampullen. Nach Aigner!) handelt es sich indessen nicht um Flimmerhaare, sondern um Zellfortsätze ohne Eigen- bewegung, die mit der offenbar sekretorischen Tätigkeit des Epithels zu- sammenhängen und sich wahrscheinlich als Teile des Sekrets ab- und auf- lösen (Fig. 21). Im Anfangsteil (Kopf) des Nebenhodengangs sind die Samenfäden noch unbeweglich und zu kompakter Masse zusammengeballt, weiterhin gegen den Schwanz des Nebenhodens wird der Sekretinhalt reichlicher und das Sperma beweglich?2) Das Sekret entfaltet also im Nebenhoden schon für die Samen- fäden bewegungsanregende Wirkung. Über seine Zusammensetzung ist nichts sicheres bekannt. !) Sitzungsber. d. Akad. Wien, math.-naturw. Kl. 109 (1900). — °) Vgl. Hammar, Arch. f. Anat. u. Entwickelungsgesch. 1897, anat. Abteil., Suppl. Samenleiter. 73 2. Die Fortbewegung des Samens im Samenleiter. Die Muskulatur des Samenleiters ist eine glatte; sie besteht aus einer kräftigen Lage zirkulär angeordneter Faserzüge, die zwischen zwei Lagen längsverlaufender Fasern, eine äußere starke und eine innere schwache, ein- gelagert ist. Die Gesamtdicke dieser drei Schichten beträgt über lmm, wovon der etwas größere Anteil auf die Ringmuskulatur kommt. Das Lumen ist im Verhältnis zur Wanddicke auffallend eng. Beim Kaninchen ist es nicht nur relativ, sondern auch absolut weiter als beim Menschen und Hund. Adventitia —- Äußere Längsmuskeln 2 - Ringmuskeln Ä Schleimhautleisten ih Submucosa N Querschnitt durch die Pars descendens des Ductus deferens eines dreißigjährigen Mannes. Vergrößerung 18 (nach Eberth). Auch ist beim Kaninchen die Ringmuskulatur wesentlich schwächer. Dem- zufolge fühlt sich der Samenleiter des Kaninchens viel weicher an als der des Menschen, Hundes oder Katers. Budge!) beschrieb peristaltische Bewegung des Ductus beim Kaninchen und bei der Katze. L. Fick) bestätigte diese Beobachtung, sah aber beim Hunde keine Peristaltik, sondern eine Gesamtkontraktion des muskulösen Rohres, durch die etwas von dem Inhalt ausgepreßt wurde. M. Loeb), der ausschließlich am Kaninchen experimentierte, konnte auch bei diesem nichts von peristaltischer Bewegung finden, sondern nur kräftige Verkürzung. Von Beobachtungen am menschlichen Ductus deferens liegt eine ältere Angabe =) Arch. £f. pathol. Anat. 15, 115. — ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1856, 8. 473. — °) Beitr. z. Bewegung des Samenleiters und der Samenblase. Tnaug.- Diss. Gießen 1866. & 74 Kontraktion des Samenleiters. von Kölliker!) vor, der gemeinsam mit Virchow am Samenleiter eines Hingerichteten auf elektrische Reize starke Verkürzung, aber keine Peristaltik eintreten sah. Trotzdem also die vorliegenden Beobachtungen eher gegen als für die Annahme peristaltischer Bewegung des Samenleiters sprechen, scheint man doch im allgemeinen mehr der Auffassung zuzuneigen, daß eine solche vor- handen sein müsse, und Exner spricht sich ausdrücklich dahin aus, daß er auch beim Menschen der Peristaltik ähnliche Bewegung am Samenleiter für die wahrscheinlichste hält. Am auffälligsten ist der Widerspruch zwischen den Angaben von Fick und Loeb bezüglich des Samenleiters des Kaninchens.. Während Fick die Peristaltik hier aufs leichteste und sicherste sehen zu können glaubt, bestreitet sie Loeb. Ich?) habe mich durch neuerdings angestellte Versuchsreihen davon überzeugt, daß in der Tat auch beim Kaninchen die Entleerung des Samenleiters durch rasche ausgiebige Verkürzung desselben ohne eigentliche Peristaltik erfolgt. Man sieht allerdings bei elektrischer Reizung des Ductus selbst oder seines Nerven den bloßgelegten Ductus sich in schnellen wurm- artigen Windungen bewegen und muß zunächst geneigt sein, an Peristaltik zu denken. Tatsächlich handelt es sich aber nur um Verkürzung des in komplizierten Windungen daliegenden und durch Bindegewebseinhüllungen in der Bewegung teilweise behinderten Samenleiters. Der isolierte Samenleiter zeigt einfache Verkürzung. Ebenso liegen die Verhältnisse beim Kater. Daß Fick beim Hunde keine Verkürzung, sondern nur ein Härterwerden des Ductus bemerkte, könnte vielleicht darauf beruhen, daß auch beim Hunde (wie sicher bei Kaninchen und Kater) die bei der Freilesung des Samenleiters eintretende Abkühlung diesen zur fast maxi- malen Verkürzung bringt. Es ist bisher nicht beachtet worden, daß dieses Organ auf Kälte mit kräftiger Verkürzung reagiert. Ich habe daher die Wirkung elek- trischer und mechanischer Reize an dem in warmer Ringerlösung befindlichen Ductus untersucht. Übrigens haben auch Langley und Anderson°) beim Ductus deferens des Hundes nur unbedeutende Verkürzung auf Reizung vom Nerven aus gesehen. Sie führen diesen Unterschied gegenüber Kaninchen und Katze darauf zurück, daß beim Hunde die Ringmuskulatur im Samenleiter bedeutend überwiege. Unter diesen Um- ständen ist es wichtig, an die erwähnte Köllikersche Beobachtung am Menschen zu erinnern, derzufolge der menschliche Samenleiter sich kräftig verkürzen kann. Am isolierten Samenleiter des Kaninchens und Katers lassen sich noch folgende weitere Tatsachen feststellen (Nagel,a.a.0.). Die Verkürzungsreaktion erfolgt schon auf einzelne Induktionsschläge von sehr geringer Intensität, stärker auf den Öffnungs- als auf den Schließungsschlag. Die Latenzzeit ist kurz, aber ziemlich wechselnd (!/,, bis 1 Sekunde). Die Kontraktion erfolst schneller als bei den meisten glattmuskeligen Organen, bei frischen Präpa- raten fast so schnell wie am quergestreiften Muskel. Die Kontraktion dauert aber viel länger als bei diesem an, und nur langsam wird die Ruhe- lage wieder erreicht. Plötzliche Erwärmung auf 40 bis 42° ist bei dem erschlafften Organ (das bei etwa 30° gehalten wird) wirkunglos, bewirkt da- gegen bei dem unter Einfluß der Abkühlung auf etwa 5 bis 10° stark !) Mikrosk. Anat. 2, 423, 1852. — ?°) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1905 Suppl. — ®) Journ. of Physiol. 19, 125. “an allen in Reizzustand geratenden Stellen Kontraktion des Samenleiters. 75 kontrahierten Samenleiter eine schnelle noch weiter gehende Verkürzung, die alsbald der vollen Verlängerung auf die Ruhelage weicht (Fig. 23). Die durch elektrischen Reiz ausgelöste Erregung pflanzt sich viel leichter in der Richtung von der Samenblase zum Hoden als in umgekehrter Richtung fort, am ausgeschnittenen Organ sogar nur in ersterer Richtung. Die Wirkungen, die bei elektrischer Reizung vom Nerven aus eintreten, haben ganz ähnlichen Verlauf wie die durch direkte Reizung erzielten. Aus den mitgeteilten Beobachtungen geht zunächst nur hervor, daß die Verkürzung des gesamten Samenleiters der hauptsächlichste Reizerfolg ist. Untersucht man aber die Größe des Durchmessers während des Ablaufes einer Erregung mittels aufgelegter leichter Schreibhebel, so erkennt man (was auch Beobachtung mit bloßem Auge schon zeigt), daß keinesfalls eine merk- bare Einschnürungswelle über den Samenleiter hinläuft. Vielmehr macht sich Fig. 23. eine geringe Verdickung bemerklich, die aber nicht wellenförmig über das Organ = hinläuft. Möglich, jedoch sehr unwahrscheinlich wäre es, daß in den inneren Schichten der Muskulatur eine peristaltische Welle abläuft, die durch die starke Kontraktion der Längs- muskulatur verdeckt wird. Der Modus der Austreibung des im Samenleiter enthaltenen Samens ist wohl so zu denken, daß die vom Nerven aus an- geregte beträchtliche Verkürzung neben gleichzeitiger Kontraktion der Ringmuskeln he De den Binnenraum des Samenleiters bedeutend des Ductus deferens unter dem Einfluß verkleinert, und daß der Abfluß des In- 380° SER a een haltes am leichtesten nach der Urethra zu ee ea erfolgt. Nicht ausgeschlossen ist es, daß die een re natürliche Erregung vom Nerven aus die Kontraktion der Ringmuskulatur zuerst am Hodenende des Samenleiters bewirkt und diese Verengerung sich dann schnell zum Samenblasenende hin ausbreitet. Dies wäre keine richtige Peristaltik, und es wäre auch keineswegs unmöglich, daß diese fortschreitende Verengerung des Lumens der Beob- achtung von außen und der graphischen Registrierung sich entzöge. Das Hauptmoment dürfte aber immer die schnelle Verkleinerung des Binnen- raumes durch starke Verkürzung unter Konstanterhaltung der lichten Weite oder gar unter Verringerung dieser sein. Der Annahme wahrer Peristaltik bedarf es keineswegs. Am unteren (urethralen) Ende erweitert sich der Ductus deferens zu einer spindelförmigen „Ampulle* von etwa 4cm Länge und bis lem Dicke (s. Fig. 14). Die Diekenzunahme beruht hauptsächlich auf Lumenerweiterung. Die Schleimhaut ist stark gefaltet (was auf erhebliche Sekretion oder Aus- dehnungsfähigkeit hinweist) und zeigt zuweilen tiefe Einbuchtungen (Divertikel). Die Muskulatur ist verhältnismäßig schwächer als im übrigen Ductus, speziell die Längsmuskulatur ist wie am Dickdarm in Taenien zerlegt, was ebenfalls 76 Bedeutung der Ampulle. auf eine gewisse Aufblähbarkeit hindeutet. Die Ampullen könnten mit größerer Wahrscheinlichkeit als die Samenblasen für Samenreservoirs erklärt werden. Wie die Samenblasen sind die Ampullen in der Säugetierreihe sehr ver- schieden stark entwickelt !), doch geht die Entwickelung beider Organe weder parallel, noch auch besteht ein Ausgleich, indem etwa die Tiere ohne Samen- blasen immer Ampullen hätten und umgekehrt. Eine gewisse physiologische Parallele ist insofern zu statuieren, als die Säugetiere, die sowohl der Am- pullen wie der Samenblasen entbehren, im allgemeinen einen langdauernden Coitusakt haben, während bei den Tieren mit kurzem Coitus häufig beide Organe vorhanden sind, mindestens aber das eine. Man kann sich leicht denken, daß, wo Sperma in der Ampulle angesammelt ist, dieses schnell mit einem Male in die Urethra getrieben wird, eventuell gleichzeitig oder hinterher das Sekret der Samenblasen; die starke Füllung des oberen Urethrateiles muß einen kräftigen Reiz zur schnellen Ejakulation bilden. Bei langsam begattenden Tieren andererseits wird das portionenweise zugeführte Sperma entweder portionen- weise abgeführt oder (wahrscheinlicher) bildet der obere Urethrateil hier das Sammelbecken, wie in den erstgenannten Fällen die Ampullen. Von den Samen- blasen als Sammelbecken kann bei dieser Auffassung ganz abgesehen werden. Zu welchem Zeitpunkte dem Samen die Sekrete der Samenblasen und der Prostata beigemischt werden, läßt sich zurzeit nicht angeben. Wenn hier Ver- mutungen geäußert werden dürfen, so liegt es nahe, anzunehmen, daß das durch die Ductus ejaculatorii in die Harnröhre gelangende Sperma dort entweder das zur Belebung der Spermien nötige Quantum Prostatasaft schon vorfindet oder dieses ihm doch sogleich beigemischt wird. Das zähere, mit dem Samen sich nicht ohne weiteres mischende Sekret der Samenblasen dürfte vielleicht nicht nur bei den Nagetieren (wo es zur Bildung des die Scheide verschließenden Pfropfens dient), sondern auch beim Menschen hinter dem Gemisch von Sperma und Prostatasaft eintreten, wenn auch die ganze Masse bei der Ejakulation in nahezu gleichmäßige Mischung übergehen sollte, was nicht nachgewiesen ist. Da es mechanisch schwer denkbar erscheint, daß ein Austreibungsmechanismus, der seinen Sitz ausschließlieh am oberen Ende der Urethra hat, das doch recht spärliche Quantum Samen restlos oder auch nur zum allergrößtem Teile aus der langen Harnröhre herauszuspritzen vermag, wäre es sehr nützlich, namentlich für die Ersparnis an eigentlichem Sperma, wenn hinter diesem her eine reichliche, etwas konsistentere Masse, das Sekret der Samenblasen, denselben Weg hindurch getrieben würde. Dieses könnte sich schon gleichzeitis mit dem Sperma in der Harnröhre befinden, müßte aber hinter dieses geschichtet sein. Was von anatomischen und physiologischen Tatsachen bekannt ist, scheint mir mit dieser Auffassung nicht unvereinbar zu sein. 3. Die Ejakulation. Die Ejakulation des in die Harnröhre getretenen Gemisches von Sperma und Sekret der Samenblasen, vermehrt durch das Sekret der Prostata, erfolgt durch Muskelkraft. In Betracht kommt die Muskulatur der Prostata und der Pars membranacea urethrae (sog. Sphincter urelhrae membranaceee), der sog. Henlesche Sphinkter, sowie vor allem die M. bulbocavernosi und ischiocavernost. Genauer spezialisieren läßt sich die Funktion der einzelnen Muskeln zur- zeit nicht wohl. Daß die Prostatamuskulatur bei der Fjakulation beteiligt ‘) OQudemans, Die accessorischen Geschlechtsdrüsen der Säugetiere, Haarlem 1892, und Disselhorst, Die accessorischen Geschlechtsdrüsen der Wirbeltiere, Wiesbaden 1897. Ejakulation. — Colliculus. 77 sei, vermutet Exner deshalb, weil die Muskulatur kräftiger entwickelt ist, als es zum einfachen Auspressen des Sekretes nötig erscheint. Immerhin ist die Anordnung der Muskelfasern in dem kompakten Drüsengewebe gewiß wenig geeignet, ejakulatorisch zu wirken. Eher könnte man daran denken, daß sie das Zurücktreten des Urethrainhaltes, der plötzlich stark gedrückt wird, in die Drüsenräume der Prostata verhindert. Walker!) findet die einzelnen Drüsenläppchen von Muskelbindeln um- sponnen, die geeignet sein müssen, den abgesonderten Inhalt auszupressen. Günstiger müssen die Bedingungen für ejakulatorische Wirkung bei den übrigen genannten Muskeln sein, die den membranösen Teil der Harnröhre umschließen und bei gemeinsamer Tätigkeit komprimieren können. Am günstigsten sind ihre Wirkungsbedingungen dann, wenn der freie Teil der Harnröhre durch den von oben her eingetretenen Inhalt aufgetrieben ist und nun wie eine Art Ballon ausgedrückt wird. Auf Grund seiner anatomischen Forschungen nimmt Walker?) an, dab die Längsfasern des Henleschen Sphinkters den membranösen Teil der Harnröhre erweitern und so durch Ansaugung die Entleerung des Sperma und des Prostatasaftes in die Harnröhre begünstigen können. Der übrige (ringförmige) Teil dieses Sphinkters dient nach Walker auch nicht etwa zur Verhinderung des Abflusses aus der Blase, sondern zur Verhütung des Rück- trittes von Samen bei der Ejakulation. Das Tempo der einzelnen Ejakulationsstöße spricht übrigens, selbst wenn man die relativ rasche Kontraktionsfähigkeit mancher glatten Muskeln in Betracht zieht, mehr für quergestreifte Muskeln als Urheber der Ejakulation. Den Sphincter urethrae membranaceae fand J. Hunter”) bei kastrierten Tieren geschwunden, Walker (l. c.) beim kastrierten Schwein wenigstens reduziert; Griffiths*) sah ihn außerhalb der Brunstperiode. rückgebildet. Die Ejakulation ist eine rhythmische Bewegung, die vom Willen unab- hängig ist. Die Zahl der Einzelkontraktionen wechselt erheblich, ist auch im einzelnen Falle schwer anzugeben, weil häufig auf etliche kräftige Kontrak- tionen einzelne immer schwächer werdende folgen. Die Kontraktionsfolge ist übrigens häufig unregelmäßig. Zu Erklärungsversuchen für diese Rhythmizität fehlt einstweilen jeder brauchbare Anhalt. Die Bedeutung des Colliculus seminalis. Bekanntlich ist es bei starker Erektion meistens unmöglich, bei schwacher wenigstens nur schwer möglich, den Harn zu entleeren. Als Grund hierfür hat man lange Zeit hindurch eine bei der Erektion eintretende Schwellung des Colliculus seminalis angesehen, die den Teil der Harnröhre, der in der Prostata liegt, verschließen sollte. Man findet diese von E. H. Weber’) herrührende Auffassung noch in den meisten Lehrbüchern vertreten. Es wäre indessen, wie schon Walker und Exner hervorgehoben haben, nicht wohl einzusehen, wie bei einer bis zum Urethraverschluß führenden Schwellung des Samenhügels das Sperma und das Sekret der Samenblasen und der Prostata überhaupt noch in die Harnröhre eintreten sollte. Wenn !) Arch. f. Anat. u. Entwickelungsgeschichte 1899, S. 343f. — *) Ebenda 1899, S. 343f. — °) Zitiert nach Exner. — *) Journ. of Anat. and Physiol. 24 (1889) u. 28 (1894). — °) De vesica prostatica rudimento uteri in corpore masculino. otationes anat. et physiol. 1 (1836). 78 Ejakulation. — Begattungsreflexe. jene Anschwellung tatsächlich eintritt, was nicht bestritten werden soll, kann sie nicht so weit gehen, daß ein wirklicher fester Harnröhrenverschluß an dieser Stelle entsteht. Der Verschluß kann nur durch den Sphinkter der Blase erzeugt sein, wofür auch die Beobachtungen von Zeißl!) und Holz- knecht!) sprechen, die den Blasenverschluß im Röntgenbilde beobachtet haben. Walker hat darauf hingewiesen, daß die Substanz des Colliculus durch- aus nicht den Bau erektiler Organe besitzt, auch bei Injektion von den Ge- fäßen aus die Harnröhre nicht verschließt. Neben verschiedenen anderen Gründen, die gegen die Webersche Hypothese des Urethräverschlusses durch den Colliculus sprechen, betont Walker mit Recht, daß eine obturierende Schwellung dieses Gebildes jedenfalls auch die Ductus ejaculatorii und die auf gleicher Höhe mündenden Prostataausführungsgänge verschließen müßte. Da ferner die Harnentleerung bei starker Erektion nicht tatsächlich unmög- lich ist, vielmehr bei Geisteskranken beobachtet worden ist (so auch neuer- dings von Walker), muß angenommen werden, daß das in der Hegel be- stehende Hindernis für das Urinieren nicht nur auf einem Zuschwellen der oberen Harnröhrenpartie beruht, überhaupt nicht einfach mechanisch bedingt ist, sondern auf einem mit der hochgradigen sexuellen Erregung verknüpften nervösen Hemmungsprozeß, der die Lösung des Blasenverschlusses durch Sphinktererschlaffung für gewöhnlich nicht gestattet. Irrig ist die Angabe, der Colliculus bestehe größtenteils aus Muskelgewebe. Solches ist allerdings darin enthalten, nach Walker (l. c.) hauptsächlieh ringförmig um den sog. Utriculus (Uterus masculinus) herum, dessen schleimiger Inhalt da- durch ausgetrieben werden kann. V. Einfluß des Nervensystems auf Erektion und Ejakulation. 1. Erektion und Ejakulation als Reflexe. Erektion und Ejakulation sind Reflexvorgänge. Freilich ist der zentri- petale Teil des Reflexbogens nicht ein für allemal derselbe. Auch ist über- haupt nicht immer ein peripherer Reiz erkennbar, die Vorgänge können vielmehr scheinbar spontan vom Zentralnervensystem ausgelöst werden. Hierin stimmen die Begattungsreflexe ja aber mit vielen anderen Reflexen überein. Neben Reizen, die in der Gegend des reagierenden Organes einwirken und auf kurzer oder kürzester Bahn den Reflex auslösen, kommen andere, teilweise sogar durch Hirnnerven vermittelte und Gehirnbahnen passierende Erregungen in Betracht. Besonders ausführlich und gründlich ist die Innervation der Genital- organe von Langley und Anderson?) bearbeitet worden, auf deren wertvolle Untersuchungen bezüglich vieler Einzelheiten (namentlich auch bezüglich des Verlaufes der Genitalnerven bei Kaninchen, Katze und Hund) zu verweisen ist. Die Auslösung der Begattungsreflexe, der Erektion und Ejakula- tıon, kann zunächst durch mechanischen Reiz am Penis, insbesondere an der unteren Seite der Eichel erfolgen. Die hierbei erregten Nervenendorgane, den „Krauseschen Endkolben“* ähnlich gebaut, sind als „Wollustkörperchen“ bezeichnet worden. !) Wien. med. Blätter 1902, Nr. 10. — ?) Journ. of Physiol. 18, 67, 1895; 19, 71 u. 20, 372, 1896. Begattungsreflexe. — Pollution. 79 Da solehe Reibungen beim Gehen und Sitzen durch die Berührung mit der Kleidung unvermeidlich sind und dadurch doch keine Erektion ausgelöst wird, ist anzunehmen, daß noch andere Bedingungen erfüllt sein müssen, um den mechani- schen Reiz wirksam zu machen. Es muß eine bestimmte Disposition des Nerven- systems vorhanden sein, die das Zustandekommen des Reflexes ermöglicht. Die geeignete „Stimmung“ des Nervensystems läßt sich indessen weder genauer präzi- sieren, noch läßt sich die Zustandsänderung zurzeit näher lokalisieren. Derselbe Erregungszustand, der, schwach entwickelt, für die Wirkung mecha- nischen Reizes begünstigend wirkt, führt, wenn er sich steigert, auch ohne Ein- wirkung lokaler Reize zur Erektion, bei besonders erregbaren, namentlich psycho- pathischen Individuen vielleicht auch zur Ejakulation. Reizzustände im Inneren der Harnröhre, wie sie bei Infektionen oder nach Katheterisierung auftreten können, begünstigen endlich ebenfalls das Eintreten von Erektion, jedoch schwerlich in der Weise, daß direkt ein Reflex von den Harn- röhrennerven auf die Erektionsnerven erfolgt; wahrscheinlich wird durch die un- gewohnte Empfindung in der Harnröhre die Aufmerksamkeit auf die Geschlechts- organe gelekt und so eine Wirkung erzielt ähnlich der der sog. Aphrodisiaca. Als Priapismus wird ein oft stunden- oder tagelang anhaltender Erektions- prozeß bezeichnet, der im Gefolge mancher Geisteskrankheiten, aber auch bei solcher psychopathischer Veranlagung auftritt, die noch nicht als Geisteskrankheit auf- gefaßt zu werden pflegt. Auch Erregungen, die durch die höheren Sinnesorgane vermittelt werden, können die Begattungsreflexe auslösen. Gesichts- und Gehörseindrücke tun dies allerdings wohl nur in ganz indirekter Weise, indem sie zu erotischen Vorstellungen und Gedanken führen. Geruchseindrücke scheinen dagegen einen mehr direkten Einfluß auf die Sexualprozesse zu haben, indem sie bei manchen Menschen die sexuelle Erregbarkeit erhöhen, bei anderen, vereinzelten, wohl auch direkt Erektion herbeiführen mögen. Ähnlich wirken unter Um- ständen mechanische Hautreize an Stellen, die nicht in unmittelbarer Nähe der Genitalien liegen (Kitzeln usw.). Die verschiedenen Ursachen, die an und für sich die Ejakulation auslösen können, tun dies im allgemeinen um so leichter und sicherer, je mehr Samen zur Entleerung aufgespeichert ist. Nach den oben erwähnten Beobachtungen Lodes, die auch mit der sonstigen Erfahrung gut stimmen, geht die Auf- speicherung von Samen nicht etwa mit anhaltender Abstinenz immer weiter, sondern erreicht, wie es scheint, nach einigen Tagen ihr Ende. Zu diesem Zeitpunkte, einige Tage nach dem letzten Coitus, ist die Ejakulation am leichtesten auslösbar und am ergiebigsten. Bei länger dauernder Abstinenz kommt es zu „spontanen“ Samen- entleerungen (Pollutionen), die in der Norm nur während des Schlafens eintreten und meist von erotischen Träumen begleitet sind. Im jugendlichen Alter treten diese Pollutionen mit ziemlicher Regelmäßig- keit alle zwei bis drei Wochen auf, späterhin bei Abstinenz wohl meist un- regelmäßiger. Der Eintritt der ersten Pollution kennzeichnet den Eintritt der Geschlechts- reife, der im allgemeinen um etwa ein Jahr später erfolgt als der durchschnitt- liche Eintritt der Geschlechtsreife beim Weib, am häufigsten also in unserem Klima im 15. bis 16. Jahre. Einen Zeitpunkt, in dem die Zeugungsfähigkeit ıormalerweise zu erlöschen pflegte, ähnlich dem weiblichen Klimakterium, es nicht. Bis in das hohe Greisenalter hinein kommt noch Zeugungs- fähigkeit vor. s0 Reflexzentren der Erektion und Ejakulation. 2. Die Reflexzentren der Erektion und Ejakulation. Das Reflexzentrum für die Begattungsreflexe wird von den meisten Autoren in den untersten Teil des Lendenmarks verlegt. Sicher ist, daß es nicht in höheren Teilen des Rückenmarks oder gar im Gehirn liegt. Goltz?) zeigte, daß (beim Hunde) Quertrennung im Lendenmark den Erektionsreflex, der durch Reiben des Penis ausgelöst werden kann, nicht aufhebt. Brachet?) hatte auch Ejakulation unter diesen Umständen eintreten sehen. Neuerdings hat L. R. Müller?) ebenfalls gefunden, daß nur der unterste Teil des Markes erhalten sein muß. Das ganze Lumbalmark und der obere Teil des Sacral- marks kann entfernt sein, ohne daß der Reflex erlischt. Nur Konus und Epikonus müssen erhalten sein. Andererseits hat man beim Menschen Er- löschen des Penisreflexes, Unfähigkeit zur Erektion, bei Erkrankungen des untersten Rückenmarksendes beobachtet *). Wenn es somit unbedingt feststeht, daß die Integrität des untersten Rückenmarksstückes für das Zustandekommen normaler Erektion und Eja- kulation notwendig ist, so kann wohl nicht mit gleicher Bestimmtheit be- hauptet werden, daß die diese Reflexe beherrschenden Ganglienzellen an jener Stelle liegen, das Sacralmark also im wahren Sinne des Wortes Zentralorgan für sie ist. Die Möglichkeit besteht, daß die wichtigen Bahnen das Ende des Markes nur passieren. L. R. Müller’) ist auf Grund von Beobachtungen am Menschen und von Tierversuchen für die letztere Even- tualität eingetreten und möchte die sympathischen Geflechte des Beckens eher als Reflexzentren für die Genitalorgane angesehen wissen. Vgl. hierzu den Abschnitt über Rückenmark in Bd.IV, S.352f. dieses Handbuches. 3. Einfluß der höheren Teile des Zentralnervensystems. Wenn auch im Gehirn und überhaupt in den höheren Partien des Zentralnervensystems sicherlich kein eigentliches Zentrum für Erektion vor- handen ist, so besteht doch unzweifelhaft eine Einwirkung des Gehirns auf diesen Akt. Einerseits kann durch gewisse Vorstellungen auf sexuellem Gebiet, sowie durch verschiedene Sinnesreize, wie schon oben erwähnt wurde, direkt Erektion, ja Ejakulation herbeigeführt werden, ohne daß der Penis selbst gereizt wird. Unter diesen Umständen kann es nicht überraschen, daß Budge#) und Eckhardt”) durch experimentelle Reizung an den hö- heren Teilen des Rückenmarks, am Kopfmark und verschiedenen Gehirn- teilen (Peduneuli, Pons) ebenfalls Erektion auslösen konnten. Andererseits fehlt es vielleicht auch nicht an hemmendem Einfluß des Gehirns bzw. Rückenmarkes. Freilich sind die Versuche nicht eindeutig. Bei Segalas‘) altem Experiment: Ausbohrung des Rückenmarks beim Meer- schweinchen bewirkt Erektion und Ejakulation — dürfte es sich allerdings ) Arch. f. d. ges. Physiol. 8, 460, 1874. — °) Rech. exper. s. 1. fonetions du syst. nerveux ganglionaire, Paris 1839. — °) Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 21 | (1902). — *) Vgl. unter anderen: Clemens, Zeitschr. f. Nervenheilk. 9. — °) 1. ©. — °) Arch. f. path. Anat. 15. — ?) Beiträge zur Anat. u. Physiol. von Eckhard 3. | Gießen 1863. — ®) Untersuchungen zur Physiol. und Pathol. von Friedrich und | H. Nasse. Bonn 1835. a ur 4 ni - denken. Andererseits läßt Zentren der Begattungsreflexe. sl weniger um Wegfall cerebraler Hemmung, als um Wirkung des mechani- schen Reizes bei der Zerstörung des Markes handeln. Eher könnte schon an Wegfall der Hemmung gedacht werden, wenn bei Erhängten und Ent- haupteten Erektion eintritt !); Spina?) erzielte diese experimentell durch Quertrennung des Rückenmarks bei Meerschweinchen um so sicherer, je tiefer der Querschnitt angelegt wurde. Wichtig ist die Beobachtung von Goltz °), daß die reflektorische Erek- tion bei Reibung des Präputiums sicherer eintritt, wenn das Lumbalmark durcehtrennt, als wenn es intakt ist; hier ist offenbar an wegfallende Hemmung zu Fig. 24. \ ductus deferens | IN \\ sich bei intaktem Rücken- mark die Hemmung reflek- torisch verstärken, indem Hautreize appliziert werden, z. B. durch eine Hinterpfote ein elektrischer Reiz ge- schickt wird. Spina will die Auf- fassung Goltz’ bezüglich Wegfalls von Hemmungen bei Rückenmarksquertren- nung deshalb zum mindesten nicht als sicher zutreffend gelten lassen, weil die leich- tere Auslösbarkeit des Erek- tionsreflexes sich erst einige Tage nach der Quertrennung geltend macht. Spina hält anfängliche Shockwirkung und dadurch bedingte Uner- regbarkeit und nachherige Myelitis und dadurch be- dingte erhöhte Erregbarkeit für die möglichen Ursachen des Goltzschen Befundes. Mir scheint indessen die Annahme von Goltz besser mit sonstigen Er- fahrungen zu stimmen, daß das Ausbleiben der Erregbarkeitssteigerung in den ersten Tagen auf Reizungsvorgängen in dem abgetrennten unteren Rückenmarksende beruhe, die ebenso wirken, wie die normalerweise vom intakten Rückenmark herabkommenden Hemmungseinflüsse. Gerade das späte Auftreten der Erregbarkeitssteigerung spricht meines Erachtens entschieden für die Existenz solcher Hemmungen, also für Goltz und gegen Spina. ureter (X Nervus hypogastrieus 7 ee wa) N vom IH. S Ir m LE N RS vom IV. S Ubersicht über den Genitalnervenplexus und seine spinalen Wurzeln beim Kater. Nach Langley und Anderson. !) A. Götz, Über Erektion und Ejakulation bei Erhängten. Inaug.-Dissert. Berlin 1898 (dort auch die ältere Literatur). — ?) Wiener med. Blätter 1897. — ‘) Arch. f. d. ges. Physiol. 8 (1873). Nagel, Physiologie des Menschen. II. 6 Aphrodisiaca. — Penisnerven. [0 0) WW Ob dieselben Zellen Erektion und Ejakulation beherrschen, kann be- zweifelt werden, da Ejakulation ohne Erektion auch bei nicht krankhaftem Zustande eintreten kann. Remy!) fand auf der Vena cava inf. ein kleines Ganglion, dessen Reizung nur Ejakulation bewirkt. Da es auch beim Kaninchen leicht gelingt, durch Reizung des zum Ductus deferens ziehen- den Nerven (s. M. Loeb?) regelmäßig Samenleiterbewegungen ohne die geringste Erektion zu erzielen, ist jedenfalls nicht daran zu denken, den Ejakulationsreflex bloß auf stärkere Erregung derselben Zentren zurückzu- führen, die, schwächer erregt, Erektion erzeugen. Getrennte zentrifugale Bahnen für beide Reflexe sind sicherlich vorhanden, getrennte Zentralorgane wahrscheinlich. Das überaus komplizierte Gewirr der Beckennerven ist von Langley und Anderson (a.a.0.) untersucht worden. Fig. 24 (a.v.S.) zeigt nach den genannten Forschern die Entstehung der in Betracht kommenden Nerven aus dem Nervus hypogastricus und dem zweiten bis vierten Sacralnerven (Kanin- chen). Bei der Katze sind die Verhältnisse ähnlich. Zum Ductus deferens treten die (dem Hypogastricus entstammenden) Nervenäste am unteren (der Prostata zugewendeten) Ende des Ganges. Ihre Reizung löst Bewegungen des ganzen Ductus aus, auch wenn dieser samt Hoden und Nebenhoden völlig frei prä- pariert ist und nur noch mit Samenblasen und Prostata zusammenhängt. Von Gifteinflüssen auf die Tätigkeit der Genitalzentren ist zu erwähnen, daß nach Spina°) beim Meerschweinchen Opium und Strychnin die Reizbarkeit erhöhen, Chloroform sie herabsetzt, Curare in großen Dosen sie aufhebt. Atropin in Dosen, die den Vagus lähmen, lähmt die Erigensfunktion nicht [Nikolsky‘*) hatte dies behauptet]. Daß die sogenannten Aphrodisiaca (geschlechtstriebsteigernde Arzneimittel) auf die Zentren der Erektion und Ejakulation wirken sollten, ist zum mindesten zweifelhaft. Sofern sie überhaupt in dem behaupteten Sinne wirksam sind, dürften | sie teils auf die höheren Zentren, speziell die Rinde des Großhirns wirken, teils aber lokale Reizzustände in den Harn- und Samenwegen erzeugen (wie es beispiels- weise die Canthariden sicher tun). 4. Die Nerven des männlichen Gliedes zerfallen nach herkömmlicher Unterscheidung in cerebrospinale und sym- pathische, doch muß sogleich bemerkt werden, daß auch die ersteren sym- pathische Fasern in nicht geringer Zahl führen. Von den Spinalnerven kommen in erster Linie der Nervus pudendus und der N. erigens in Betracht, | ein dritter, N. ileoinguinalis, geht nur bis zur Wurzel des Penis. Von den vier Ästen des N. pudendus (der aus den Sacralnerven I bis IV stammt, be-| sonders aus III) haben nur der N. perinei und N. dorsalis penis Bedeutung für den Penis selbst. Ersterer innerviert die M. ischio- und bulbocavernosus, den BDulbus wrethrae und die Schleimhaut im oberen Harnröhrenteil. Der N. dorsalis penis verläuft mit der Dorsalarterie bis zur Eichel, innerviert deren Haut, das Präputium, die Schwellkörper des Penis und den vorderen’ Teil der Harnröhre. Da der N. pudendus für den Penis auch vasoconstrie- torische Fasern führt, müssen ihm sympathische Anteile beigemischt sein, die aus dem Plexus hypogastricus stammen. ER uf ') Journ. de l’anat. et de physiol. 1886. — *) Beitrag zu den Bewegungen des Samenleiters usw. Inaug.-Dissert. Gießen 1866. — °) Wiener med. Blätter 1897 Nr. 10 bis 13. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879. Penisnerven. 83 Der N. erigens enthält ebenfalls spinale und sympathische Fasern, erstere aus dem III. und IV. (beim Hunde nach Eckhard I. und II.) Sacralnerven, letztere im Plexus hypogastricus ihm beigemischt !), in den sie wiederum vom Plexus mesentericus herabsteigen. Aus diesen sympathischen Fasern entstehen weiterhin die Nervi cavernosi, welche die Schwellkörper innervieren. Von den genannten Nerven ist der N. perinei motorischer Nerv für die Ejakulationsmuskulatur, der N. dorsalis penis sensibler Nerv für den größten Teil des Penis, N. erigens hauptsächlich Vasodilatator für die Schwellkörpergefäße. Genauer lassen sich die Funktionen der einzelnen Nerven beim Menschen noch nicht präzisieren, doch dürften sie sich sehr ähnlich verhalten wie beim Hunde, bezüglich dessen die eingehenden Unter- tuchungen Eckhards?), sowie unter den neueren namentlich die Arbeiten Francois-Francks°) und Langleys*) befriedigende Klarheit geschaffen haben. Sowohl der N. erigens wie der N. pudendus führen reichliche Gefäß- fasern, und zwar beide sowohl Constrictoren wie Dilatatoren. Letztere über- wiegen im Erigens, erstere im Pudendus. Dieser ist zugleich, wie erwähnt, zentripetalleitender Nerv. Reizt man einen der beiden Nerven, die jederseits aus dem Sacralplexus heraustreten, oder auch die beiden Nerven einer Seite, so beginnt, wie zuerst Eckhard fand, ein Aufschwellen des Bulbus am Harnröhrenschwellkörper, das sich nach vorn fortpflanzt und auch auf die Peniskörper übergreift, die Erektion. Nikolsky°) wollte diesen Effekt nur dem unteren der beiden Nerven, der aus der zweiten Sacralöffnung kommt, zuerkennen, während der obere entsprechende Nerv antagonistisch dazu wirken und bei gleichzeitiger Reizung beider die Wirkung paralysieren sollte. Francois-Franck erhielt indessen im letzteren Falle wie Eckhard die typische Erigenswirkung. Es besteht ein Tonus des Erigens; wird dieser durchschnitten, so ver- engern sich die Gefäße der Schwellkörper, aus einer Schnittwunde fließt noch weniger Blut als in der Norm aus. Darüber, ob Reizung des N. hypogastrieus Erektion bewirkt, gehen die An- gaben auseinander. Budge‘) hatte für das Kaninchen, Francois-Franck’) für den Hund positive Angaben gemacht, während Langley und Anderson®) in keinem einzigen Falle Anschwellung, dagegen zuweilen Abschwellung des Penis sahen. Sie vermuten bei Francois-Franck als Fehlerquelle Stromschleifen oder Reflexe. Ich habe beim Kaninchen ebenfalls keine Erektion auf Hypogastriceusreizung gesehen. Daß die Erektionshemmung durch Vasoconstrictoren geschieht, hat beim Meerschweinchen Spina°) nachgewiesen, der zugleich zeigen konnte, daß diese Fasern im Rückenmark absteigen. Durchschneidung dieser Bahnen ist es nach Spina, welche bei der Quertrennung Erektion und Ejakulation auslöst. Eckhard!P) hat die Wirkung der Erigensreizung am Hunde studiert. Die Anschwellung des Corpus cavernosum urethrae beginnt am Bulbusende, pflanzt sich nach vorn fort und geht dann auf die Penisschwellkörper über. ‘) Vgl. hierzu die oben auf 8.81 wiedergegebene Figur nach Langley und Anderson. — ?)1.c. — °) Arch. de physiol. norm. et path. 27 (1895). — *) Journ. 0% Physiol. 12 (1891); 19 (1895/96). — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879, 8. 209. — ®)1. ce. — 7) Arch. de physiol. norm. et path. 1895. — °) Journ. of Physiol. 19, 103. — °) Wiener med. Blätter 1897. — !°) 1. ec. 3 (1863). 6* S4 Erigenswirkung. — Cremaster. War einer der Schwellkörper angeschnitten, so sickert in der Ruhe tropfen- weise dunkles Blut heraus, wenige Sekunden nach der Reizung aber fließt hellrotes Blut aus. Aus der Vena pudenda communis fließt etwa achtmal so viel Blut als im Ruhezustande, aus der Dorsalvene sogar l15mal so viel. Loven!) sah die kleinen Arterien bei Erigensreizung spritzen. Zu ähn- lichen Ergebnissen kam Nikolsky?), indem er das aus der Dorsalvene strömende Blut durch eine Kanüle ableitete und auffing. Nikolsky hatte auch angegeben, Atropin hebe die Erigenswirkung auf. Spina (]. c.) konnte dies indessen nicht bestätigen; es wäre auch sehr überraschend, da Atropin auf andere Vasodilatatoren, wie die Chordafasern, nicht lähmend wirkt. Nikolsky hatte den Erigens als einen Hemmungsnerven ähnlich dem Herz- vagus aufgefaßbt. Der Musculus cremaster, dessen Wirkung in einer Hebung des Hodensackes besteht, ist außer beim Menschen auch beim Hunde (nicht aber bei der Katze und beim Kaninchen) vorhanden. Er wird vom genitalen Aste des Genitocruralnerven (Langley und Anderson) innerviert, seine motorischen Fasern stammen aus dem 3. bis 4. Lumbalnerven. Sherrington') fand beim Affen (Rhesus) den 2. bis 4. Lumbalnerven in gleichem Sinne wirksam. Atneh’a.n o:, Die Wirkung der Geschlechtstätigkeit auf den @esamtorganismus. Der Begattungsakt ist nicht ohne Einfluß auf die Tätigkeit anderer Or- gane des Körpers. In der zur Begattung führenden Erregung dürfte der Puls wohl meistens beschleunigt sein, auf der Höhe der Erregung wird der Herzschlag langsam und stark, was auf Vaguserregung hinweist. Weahr- scheinlich spielen sich im Gebiete der Gefäßnerven beträchtliche Erregungs- vorgänge ab, wie überhaupt das ganze Nervensystem stark in Mitleiden- schaft gezogen wird; dies äußert sich im Gefühl von Erschöpfung nach dem Coitus, das übrigens außerordentlich wechseln dürfte. Charakteristisch ist der plötzliche Wechsel des psychischen Zustandes, der „Stimmung“. Die Behauptung, die sich in dem Salze: omne anima post coitum triste ausspricht, ist aber zum mindesten ganz bedeutend über- trieben. Bemerkenswert sind die Wechselbeziehungen zwischen Nase und Ge- schlechtsorganen. Einerseits hat, wie schon oben bemerkt, das Riechorgan entschieden eine gewisse Bedeutung für die Auslösung und Steigerung des Begattungstriebes, sicher bei vielen Tieren, wahrscheinlich auch bei nicht wenigen Menschen 5). Andererseits scheinen aber auch Beziehungen zwischen dem nicht-olfactorischen Teil der Nase und der Genitalsphäre zu bestehen. Das schwellkörperartige Gewebe mancher Partien der Nasenschleimhaut !) Ber. d. sächs. Akad. d. Wissenschaften 1866. — ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879,. 8. 209. — °) Journ. of Physiol. 19, 92. — *) Ebenda 13, 683, 1892. — °) Vgl. hierzu: A. Hagen, Die sexuelle Osphresiologie. Charlottenburg, Bars- dorf, 1901 und das zitierte Werk von Kuttner. rn EEE Nase und Genitalapparat. 35 beteiligt sich, wie es scheint, häufig an den An- und Abschwellungsvorgängen in den Genitalorganen. (Genaueres über diesen Zusammenhang und seinen biologischen Zweck ist nicht bekannt, doch darf wohl vermutet werden, daß jene An- und Abschwellung in der Nase nicht ohne Beziehung zur olfac- torischen Funktion der Nase ist. Daß von der Nase aus die Genitalorgane auf andere Weise als durch Geruchsreizwirkung beeinflußt werden können, dürfte außer Zweifel stehen. Die Literatur über diese Frage findet sich recht vollständig bei Kuttner (Die nasalen Reflexneurosen und die normalen Nasenreflexe, Berlin, Hirsch- wald, 1904). Die namentlich von Fliess!) etwas übertrieben dargestellte Verknüp- fung der nasalen und genitalen Pathologie und desselben Autors Lehre von der Dysmenorrhoea nasalis ist durch Kuttner (a. a. 0.) und andere Autoren auf ein weit bescheideneres Material von Tatsachen zurückgeführt worden. Als sicher gilt aber selbst den kritischsten Forschern, daß schon leichte Ein- griffe an der Nasenschleimhaut bei Schwangeren zum Abortus führen können, was Küppers?) zuerst ausgesprochen zu haben scheint °). Die erwähnten An- und Abschwellungsvorgänge in der Nase fehlen auch beim Manne nicht. Von eingreifendster Bedeutung sind Wirkungen einzelner Teile des Genitalapparates auf den Stoffwechsel im ganzen und auf die Entwickelung und Erhaltung gewisser Organe und Funktionen im speziellen. Nichts kennzeichnet diesen Zusammenhang besser als die Wirkung der Kastration. Da diese Frage schon oben (S. 41ff.) behandelt wurde, genüge hier der kurze Hinweis darauf. !) Die Beziehungen zwischen Nase und weiblichen Geschlechtsorganen, Leipzig und Wien 1897 und: Über den ursächlichen Zusammenhang von Nase und Ge- schlechtsorganen, Halle 1902. — °) Deutsche med. Wochenschr. 1884, S. 828. — ®) Auch hierüber Literatur und kritische Erörterungen bei Kuttner (a. a. O). Die Physiologie der weiblichen Genitalien von Hugo Sellheim. Vorwort. Im folgenden sind die periodischen Vorgänge im weiblichen Organismus während der Geschlechtsreife, die Fortpflanzungs- geschäfte und die Vorgänge beim Erlöschen der Geschlechts- funktionen eingehend behandelt. Die Beziehungen der Physiologie der weiblichen Genitalien zur Ent- wickelungsgeschichte !), der Einfluß der Keimdrüsen auf die Ausbildung der übrigen Generationsorgane, die vom Eierstock auf den wachsenden Organismus ausgehenden Fernwirkungen ?), sowie die in das anatomische Gebiet stark übergreifenden Fragen nach der normalen Lage der Generationsorgane und ihren physiologischen Lageveränderungen ®) konnten in dem Rahmen dieser Arbeit nur gelegentlich gestreift werden. Zusammenfassende Darstellungen, besonders solche, in denen die Litera- tur gesammelt ist, sind den einzelnen Abschnitten vorausgesetzt. Diese Arbeiten sind im Text nur mit dem Namen des Autors zitiert. Im übrigen sind unter dem Text noch so reichliche Literaturnachweise angegeben, daß man leicht auf die Quellen zurückgehen kann. !) Eingehende Abhandlungen über die Entwickelung der weiblichen Genitalien lieferten: Keibel, Archiv f. Anat. u. Physiol., Anat. Abteil. 1896; Nagel, im Handbuch der Gynäk., herausg. von J. Veit, I. Bd., Wiesbaden 1897; Bayer, Vor- lesungen über allgemeine Geburtshilfe, Straßburg 1903, dort findet sich auch eine zusammenhängende Darstellung der postfötalen Entwickelung des weib- lichen Geschlechtsapparates. — ?) Ältere Literatur bei Sellheim, Zur Lehre von den sekundären Geschlechtscharakteren, Hegars Beitr.1 (2), 1898 und Kastration und Knochenwachstum, Hegars Beitr. 2 (2), 1899. — °) Literatur bei Waldeyer, Das Becken, Bonn 1899. Vel. auch Sellheim, Der normale Situs der Organe im weiblichen Becken usw., Wiesbaden 1903. ne 5; Periodische Vorgänge. — Ovyulation. 87 I. Die periodischen Vorgänge während der Geschlechtsreife. Straßmann, Über den Beginn und den Begriff der Schwangerschaft, in v. Winckels Handbuch der Geburtshilfe, Band I, erste Hälfte, Wiesbaden 1903. A. Martin, Die Krankheiten der Eierstöcke und Nebeneierstöcke, Leipzig 1898, in dem von Wendeler bearbeiteten Kapitel über die Physiologie. Chrobak und v.Rosthorn, Die Erkrankungen der weiblichen Genitalien, Wien 1900, erster Teil. Die Zeit der Geschlechtsreife wird beim Weibe charakterisiert durch periodisch auftretende Erregungen und Beruhigungen, die sich sowohl in den Geschlechtsorganen als auch in den übrigen Abschnitten des Körpers ab- spielen. Wir betrachten zuerst die Vorgänge am Eierstock, dann in den ihm sub- ordinierten Abschnitten der Genitalien und zum Schluß im übrigen Organismus. 1. Die Vorgänge im Eierstock. a) Reifung, Austritt der Eier, Rückbildungsvorgänge am geplatzten Follikel (Ovulation). Die zur Reifung prädestinierten Primordialfollikel behalten ihr Aussehen von dem Augenblick ihrer Bildung im Embryonalleben bis zu dem Zeitpunkt im ge- schlechtsreifen Alter, in dem die Reihe für die Weiterentwickelung an sie kommt. Wir unterscheiden in dem Eierstock des ausgebildeten Individuums Primordial- follikel, wachsende Follikel und reifende Follikel. I & LE DIEET b Lee Z Eierstock einer geschlechtsreifen Person. Primordialfollikel. Rechts unten beginnendes Wachstum eines Follikels. Yergr. etwa 150. Die Primordialfollikel (Follieuli oophori primarii) bestehen aus der großen Eizelle mit dem Keimbläschen als Kern, dem Keimfleck als Kernkörperchen und einem Kranz länglicher, platter Zellen mit flachen Kernen, dem sogenannten Follikelepithel (Fig. 25). In wachsenden Follikeln findet man die Follikelepithelien eubisch und in mehreren Lagen um die Eizelle angeordnet (Fig. 26 a.£.$.). Innerhalb der Schichten des Epithels macht sich ‚die Bildung von Vakuolen und Liquor Folleuli bemerkbar tote) Periodische Vorgänge. — Ovulation. (Fig. 27). Der Teil des Follikelepithels, in welchem das Ei sitzt, liegt bald mehr‘ nach dem Hilus, bald mehr nach der Oberfläche des Eierstockes zu und wird als Cumulus oophorus bezeichnet. . Konzentrisch um den Follikel herum bildet sich eine bindegewebige Hülle, die Theca follieuli. Die Außenschicht dieser Kapsel (Tunica externa) besteht aus derben Bindegewebsfasern; die innere (Tunica interna) setzt sich aus runden und spindel- förmigen Elementen und zahlreichen Kapillaren zusammen. Mit den Veränderungen in dem Follikelepithel beginnt auch die Eizelle samt ihrem Kern und Kernkörperchen größer zu werden. Die Wachstums- periode des Eies wird mit der Bildung der Eischale, der sogenannten Zona pellueida, abgeschlossen. Diese Zona pellucida entsteht in dem an das Ei an- ©. eo» @ 8 as sw ® = © ar A 96958 ©2528 8 74 ® F, F2V, 4/20 PR Br, ,% ö wrf We Ro - Eierstock einer geschlechtsreifen Person. — Wachsende Follikel. Thekabildung. Vergr. 270. erenzenden Follikelepithel und besitzt nach v. Ebner!) eine feine radiäre Streifung. Zwischen Zona pellueida und Ei findet sich bisweilen ein perivitelliner Spalt- raum, dessen Existenz aber nur nach Ausstoßung der Richtungskörperchen oder nach eingetretener Degeneration des Eies von v. Ebner anerkannt wird. Im Laufe der Wachstumperiode des Eies macht sich eine teilweise Umwand- lung des Eiprotoplasmas in den Nahrungsdotter, das Deutoplasma, durch das Auftreten von krümeligen Elementen geltend. Nach Lindgreen’) tragen ein- gewanderte Granulosazellen zur Vermehrung des Dotters bei. Das nur noch mit einer dünnen Hülle von Protoplasma umgebene Keimbläschen wird an die Peri- pherie gedrängt oder gelangt durch sein geringes spezifisches Gewicht dorthin. !) v. Ebner, Über das Verhalten der Zona pellueida zum Ei. Anatom. Anz. 1900, S.55. — ?) Lindgreen, Studien über das Säugetierei, zitiert nach Straßmannl.c. Periodische Vorgänge. — Ovulation. 39 Eierstock einer geschlechtsreifen Person. Wachsender Follikel. Liquor folliculi, Cumulus oophorus, Corona radiata angedeutet. Vergr. etwa 150. Eierstock einer geschlechtsreifen Person. Frisch geplatzter Follikel. Provisorische Ausfüllung mit Blut. Starke Hyperämie in der Umgebung. i Vergr. 45. 90 Periodische Vorgänge. — ÖOvulation. | Die reifenden Follikel (Follieuli oophori vesiculosi Graafi) können bis etwa kirschgroß (etwa 15 mm und mehr im Durchmesser) werden. Die Zellen der Theca interna werden zahlreicher und größer. Das Follikelepithel (Stratum granu- Fig. 29. Eierstock einer geschlechtsreifen Person. — Frisches Corpus luteum. Vergr. 3. pl? Stück aus der Rindenschicht des frischen Corpus luteum in Fig. 29. L Luteinzellen, @ stark gefüllte Blutgefäße der Umgebung, B rote Blutkörperchen im Zentrum, € sogenannte Gefäßsprossen. Vergr. 75. !osum) kleidet in einer zwei- oder mehrreihigen Schicht die ganze Innenwand des Follikels aus. In den mit Liquor folliculi gefüllten Hohlraum des Bläschens ragt Periodische Vorgänge. — Ovulation. 91 der Cumulus oophorus hinein. In der unmittelbaren Umgebung des Eies ist das Follikelepithel strahlenkranzähnlich (Corona radiata) angeordnet und wird in diesem Bereich als Eiepithel bezeichnet. Den Grad des Wachstums des Eies läßt am besten der Vergleich der Maße am Anfang und Ende erkennen. Das Ei des Primordialfollikels hat einen Durchmesser von etwa 25 u. In der Zona pellucida ist das Ei 200 u dick ge- worden. Der Durchmesser des Keimbläschens beträgt jetzt Fig. 31. etwa 50 u und der des Keimflecks etwa 5u. Die Zona pellucida hat eine Dicke von etwa 10 u. Das fertige Ei hat sich danach gegenüber dem Primordialei um etwa das Achtfache ver- mehrt. Um diese sogenannten „fertigen“ Eier vollständig reif und befruchtungs- fähig zu machen, müssen erst noch durch zweimalige Teilung des Eikernes die sogenannten Polkörperchen oder Rich- tungskörperchen ausge- Eierstock einer geschlechtsreifen Person. stoßen werden. Älteres Corpus luteum. Vergr. 3]ı. Stück aus dem älteren Corpus luteum in Fig.28. — B Bindegewebe, L Luteinzellen. Verer. 73. i Unter fortwährender Zunahme des Follikelepithels durch Zellneubildung, Ver- mehrung der Follikelflüssiskeit und unter Zugrundegehen von Follikelepithelien kommt der reife Follikel zum Durchbruch. Das Ei wird mit einer größeren Anzahlihm anhaftender Granulosazellen herausgeschwemmt. 93 Periodische Vorgänge. — Rückbildung der geplatzten Follikel. Der geplatzte Follikel (Fig.28 a.8.89) füllt sich provisorisch mit Blut. Seine Wand durchsetzt sich mit Hämorrhagien. Um den Kern von geronnenem Blut bildet sich eine gelbliche Rinde, wie eine Kapsel, die in ihrer Hauptmasse aus den großen Luteinzellen besteht (Corpus luteum) (Fig. 29 u. 30 a.S. 90). Über die Herkunft dieser Zellen stimmen die Forscher nicht überein. Die einen nehmen an, sie seien epithialen Ursprungs und restierende Granulosazellen, die anderen vindizieren ihnen bindegewebigen Charakter und leiten sie von der Theca follieuli ab. Beide Ansichten können sich vielleicht vertragen, sofern Wen- deler'!) damit recht behält, daß das sogenannte Follikelepithel nicht vom Keim- epithel, sondern von dem bindegewebigen Stroma der Eierstocksanlage herrührt. Eierstock einer geschlechtsreifen Person. 1 Corpus fibrosum, zum Teil hyalin umgewandelt; 2 Corpus albicans. Vergr. 39. Die roten Blutkörperchen im Zentrum verschwinden rasch. Das Rinden- parenchym faltet sich, und das Zentrum wird durch gefäßhaltiges Bindegewebe ausgefüllt (Fig. 31 u. 32 a. v. S.). bleibenden Binderewebsmassen schrumpfen zusammen, so daß zunächst nur noch ein hyalin aussehender Bindegewebsstreifen kenntlich bleibt, der ohne scharfe Grenze in das umliegende Stroma übergeht und je nach der Art des Druckes, den die Umgebung auf ihn ausübt, korkzieherartis gewundene, bandartige, stern- förmige, halbmondförmige Gestalt annimmt und nun immer mehr und mehr dem sewöhnlichen Stroma des Ovariums ähnlich wird (Fig. 34). Schließlich ver- schwindet das fremdartig aussehende Bindegewebe ganz. Solange die Produkte der Rückbildung des Corpus luteum noch bindegewebigen Charakter haben, spricht man von Corpora fibrosa. Sind sie aber bereits, wie zuletzt, strukturlos geworden, so nennt man sie Corpora albieantia sive candicantia (Fig. 33). ll. sh, ER; Die Luteinzellen gehen verloren, die übrig- en ng Fre ————— Periodische Vorgänge. — Corpus luteum. 93 Es ist klar ersichtlich, daß dieser vorsichtige Rückbildungsprozeß des Corpus luteum den Zweck hat, eine ausgedehnte Narbenbildung und damit eine Verschlechterung der Zirkulation im Eierstock hintanzu- Fig. 34. j Anat. Eierstock einer geschlechtsreifen Person. — Verschiedene Endprodukte der Corpora albicantia. Vergr. 75. halten (Clark!). Wir haben es mit einer Assimi- lation der die rasch ent- standene Lücke vorläufig ausfüllenden Gewebswuche- rung zu tun. Die Rückbildung ver- läuft bei dem dieSchwanger- schaft begleitenden gelben Körper (Corpus luteum verum oder besser gravidi- tatis) in ganz ähnlicher Weise wie bei dem Corpus luteum nach eingetretener Menstruation (Corpus lu- teum falsum oder besser menstruationis). Es bestehen hier infolge der gesteigerten Fig. 35. Corpus luteum graviditatis aus der 4. Woche. — Vergr. ı. Ernährung und des dadurch begründeten anfänglich stärkeren Wachstums des gelben Körpers in der Schwangerschaft nur graduelle Unterschiede (Fig.35). Bei dem ') J. G. Clark, Ursprung, Wachstum und Ende des Corpus luteum. Arch. f. u. Physiol., anatomische Abteilung, 1898. 94 Periodische Vorgänge. — Physiologische Obliteration der Follikel. Corpus luteum menstruationis dauert die Rückbildung mindestens bis zur nächsten. Ovulation oder noch länger, denn man findet oft mehrere Corpora lutea in ver- Fig. 36. BERE aan & Se a 2 37 hi Eierstock einer geschlechtsreifen Person. — Frühes Stadium der Follikelatresie. Vergr. 45. Fig. 37. SEEN AEFNR SL ” 25 / N HER 7 DEREN En, #2, Z e2 ETERRE IRRE EEE Eierstock einer geschlechtsreifen Person. — Späteres Stadium der Follikelatresie. Vergr. 45. schiedenen Stadien der Rückbildung. Das Corpus luteum graviditatis verschwindet erst nach der Geburt vollständig. = Periodische Vorgänge. — Physiologische Obliteration der Follikel. 95 b) Die physiologische Öbliteration oder Artresie der Follikel. In der Entwickelungsgeschichte sehen wir, daß die Vermehrung und Neu- bildung von Primordialfollikeln im großen und ganzen mit der Geburt oder doch wenigstens sehr bald nach der Geburt abgeschlossen ist. Von den 100000 bis 400000 Primordialfollikeln, mit denen das Ovarium des Neugeborenen ausgestattet ist, kommen für die Zeit der Geschlechtsreife nur noch 30000 bis 40000 in Betracht. Die anderen sind schon im Kindesalter zugrunde gegangen. Berechnet man bei einer Dauer der Geschlechtsreife von etwa 30 Jahren unter der Voraussetzung, daß in jedem Jahre etwa 15 Follikel zur Berstung kommen, den Gesamtverbrauch auf etwa 500, so bleiben doch noch viele Tausende übrig, die nicht zur Ausreifung gelangen. Alle diese gehen zugrunde. So sehen wir im Kindesalter, in der Ge- schlechtsreife und im Klimax andauernd die überschüssigen Follikel in allen Graden der Entwickelung eine Rückbildung eingehen. Das Wesen dieser physiologischen Obliteration!) besteht in einer Degeneration der zellicen Elemente, in einem allmählichen Verschwinden des Follikelinhaltes und in einem konsekutiven Ersatz des Defektes durch eine Art jugendlichen Bindegewebes, welches nach und nach ganz die Struktur des angrenzenden Ovarialstromas annimmt und damit jede Spur einer Lücke verdeckt (Fig. 36 u. 37). Die Grenze zwischen Ovulation mit Aufbruch des Follikels und Entleerung des Eies und der Follikelatresie ist nieht ganz scharf, weil es vorkommt, daß ein Ei bei annähernd vollendeter Reife intrafollikulär zugrunde geht. In einem solchen Falle erfolgt die Rückbildung auch durch Vermittelung eines Corpus luteum (Straßmann). Das Verhältnis der Follikelreifung zu der Atresie ist nach dem Lebensalter verschieden. In der Kindheit und in den Pubertätsjahren findet man fast nie reife Follikel. Bilden sich in dieser Zeit gelegentlich kleine Bläschen, so gehen sie meist, ohne zu platzen, wieder zugrunde. Wir sehen daher vor der Geschlechts- reife die Oberfläche der Eierstöcke glatt, frei von narbigen Einziehungen, wie sie die Ovulation mit sich bringt, und vermissen gelbe Körper. Mit Eintritt der Geschlechtsreife scheint das Wachstum der Eier gra- datim vor sich zu gehen. Das Ovarium zeiet um .diese Zeit reifende Follikel der verschiedensten Stadien, daneben ein der Reife nahestehendes oder ein frisch geplatztes Bläschen und alle möglichen Phasen der Rückbildune. 2. Die periodischen Veränderungen an den übrigen Genitalien. a) Veränderungen am Uterus, die menstruelle Blutung. Unter Menstruation (Regel, Periode, Monatsfluß, Menses usw.) versteht man die alle Monate auftretende Blutabsonderung aus den Genitalien, welche dem Uterus entstammt. Die Menstruation erscheint in unserem Himmelsstrich durchschnittlich im 14. bis 15. Lebensjahr zum ersten Male. Die Zeit des Eintritts wird durch viele Momente beeinflußt, unter denen Klima, Rasse, Aufenthalt in der Stadt oder auf dem Lande die bekanntesten sind. Der regelmäßige Typus der Wiederkehr der Periode ist der 28tägige. Die Absonderung dauert durchschnittlich 4 bis 5 Tage. Die Menge ist schwer ‘) Slaviansky, Zur normalen und pathologischen Histologie der Graafschen Bläschen. Virchows Arch. 51 und Recherches sur la regression des follicules de Graaf chez la femme. Archives de physiol., 1874; Schottländer, Beiträge zur Kenntnis der Follikelatresie nebst einigen Bemerkungen über die unveränderten Follikel in den Eierstöcken der Säugetiere. Arch. f. mikrosk. Anat. 37 (1891) und Über den Graafschen Follikel, seine Entstehung beim Menschen und seine Schick- sale bei Mensch und Säugetier. Arch. f. mikrosk. Anat. 41 (1893); Wendeler, l. e., dort alle weitere Literatur. 96 Periodische Vorgänge. — Menstruelle Veränderungen der Uterusschleimhaut. mit Sicherheit festzustellen; sie schwankt nach älteren Angaben im Durchschnitt zwischen 100 und 300g, Hoppe-Seiler') fand neuerdings nur 30 bis 40 g. Das während der Menses ausgeschiedene Sekret ist kein reines Blut, sondern ist mit Schleim reichlich vermenst. Daher gerinnt es für gewöhnlich auch nicht. Unter dem Mikroskop findet man in ihm außer roten und weißen Blut- körperchen Plattenepithelien der Scheide und zylindrische Uterusepithelien. Objektiv kann man an dem Uterus eine bläuliche Verfärbung der Portio vagi- nalis nachweisen. Bei der Palpation fühlt sich der Uteruskörper weicher als ge- wöhnlich an und läßt sich in dem bequem zugänglichen untersten Abschnitt bis zu einem gewissen Grade komprimieren. Viel bedeutender sind die nachweisbaren Veränderungen in der Uterus- sehleimhaut. Sie beginnen in charakteristischer Weise mit einer Schwellung, Auflockerung, Hyperplasie der Schleimhaut und mit einer Erweiterung und Fig. 36. "r ER, Prämenstruelle Kongestion der Uterusschleimhaut. Starke Füllung der Capillaren, zum Teil schon Blutaustritte. Vergr. 75. stärkeren Füllung ihrer Blutgefäße (Fig.38). Die Dicke der Mucosa wächst da- durch von 2 bis 3mm auf 6 bis 7mm (Leopold). Dieses Stadium bezeichnet man als die prämenstruelle Schwellung. t Darauf folgt als zweites Stadium ein Austritt von roten Blutkörperchen zum Teil durch Diapedese, zum Teil durch Rhexis in die Spalträume der Mucosa und Ansammlung von größeren Blutergüssen in unregelmäßigen lacunären Lücken (Fig. 39). Insbesondere bilden sich durch den Aufbruch von Capillaren unter das Öberfiächenepithel die subepithelialen Hämatome Gebhards (Fig. 40). Von hier tritt das Blut in die Uterushöhle aus. Einzelne Epithelstücke reißen ab und werden mit fortgeschwemmt (Fig.41 a.S. 98). Die Ausdehnung und Intensität der Apoplexien in die Schleimhaut und die dadurch bedingte Degeneration des Gewebes ist individuell sehr verschieden. Das dritte Stadium ist die Regeneration. Mit der Blutung beginnt eine Abschwellung der Schleimhaut. Das noch im Gewebe zurückgebliebene Blut ') Zeitschrift für physiol. Chemie 42 (516), 545. Periodische Vorgänge. — Menstruelle Veränderungen der Uterusschleimhaut. 97 wird resorbiert. Das losgewühlte Oberflächenepithel legt sich zum großen Teil der Unterlace wieder an (Fig. 42. a. f. S... Die Stellen der Hämatome sind noch Fie. 39. ü RR DRERN ER Menstruierende Uterusschleimhaut. — Lacunenähnliche Blutergüsse zwischen den Drüsen. Verer. 75. Et ’ J DER sa € PR, \ vH ” In vr Menstruierende Uterusschleimhaut. — Subepitheliale Hämatome x. Vergr. 75. kurze Zeit durch ein gelbliches Pigment kenntlich. Die Verluste an Epithel und Stroma werden dureh zahlreiche Kernteilungen gedeckt. Nach etwa 14 Tagen ist der normale Zustand der Schleimhaut wiederhergestellt. Daran schließt sich eine nur sehr kurze Zeit der Ruhe; Nagel, Physiologie des Menschen. II. 7 98 Periodische Vorgänge. — Menstruelle Veränderungen der Uterusschleimhaut. denn schon etwa 10 Tage vor dem Eintritt der nächsten Periode beginnen die deutlichen Zeichen der prämenstruellen Zunahme, auf die dann mit der eintretenden Blutung wieder der Zerfall folgt. Die Grenze zwischen 6 Fig. 41. + er Eu Menstruierende Uterusschleimhaut. Aufbrechen der subepithelialen Hämatome %, Blutung in das Cavum uteri. Vergr. Fig. 42. Regeneration und Wiederanlegung des losgewühlten und gesprensten Oberflächenepithels an den Stellen der subepithelialen Hämatome. — Vergr. 75. Regeneration, Zunahme und Zerfall läßt sich nicht genau bestimmen. Die Über- eänge, erfoleen ganz unmerklich. Der Uterushals produziert während der Periode nur mehr Schleim als sonst, an der Blutung nimmt er nicht teil. Periodische Veränderungen an Genitalien und Gesamtorganismus. 99 b) Veränderungen an äußeren Genitalien, Scheide, Tuben und Brustdrüsen. Im Vereleich zu den Veränderungen an dem Uterus stehen die Erschei- nungen an den übrigen Abschnitten des Genitaltraktus an Intensität und Konstanz ihres Auftretens zurück. In der Scheide und an den äußeren Genitalien macht sich meistens eine stärkere Hyperämie durch eine bläuliche Verfärbung geltend. Die Tuben nehmen auch an der Kongestion teil; doch sondern sie unter normalen Verhältnissen kein Blut ab. An den Brustdrüsen tritt bei den Menstruierenden nicht selten unter spannendem Gefühl und Druckempfindlichkeit eine Ansehwellung und selbst eine Sekretion ein. 3. Die Veränderungen am Gesamtorganismus. Durch physikalische Hilfsmittel läßt sich eine den periodischen Ver- änderungen im Eierstock gleichlaufende Beeinflussung, eine Wellen- bewegung aller Lebensprozesse des Weibes nachweisen. Objektiv erkennbar sind regelmäßige Schwankungen in dem Verhalten von Pulszahl, Blutdruck, Wärmestrahlung, Muskelkraft, Lungenkapazität, In- und E Do @ 100 RR 75 REEL KL Kr BEE X 50 al SEE R ORRERERELLELLEELIELLEREEEEETN EL B B IE SER EL 25 0% 1% > R = SEE a fen Pr m [e7} Hr {=>} le -] fe] [>>] - o [eo] Graphische Darstellung der Wellenbewegung aller Lebensprozesse. Auf der Linie CD sind die Tage der Menstruationsperiode (1 bis 28) angegeben. An den zwischen m und n liegenden schraffierten Tagen findet die menstruelle Blutausscheidung statt. Die Zahlen auf der Linie E C geben den Intensitätsgrad der Gesamtheit aller untersuchten Lebensprozesse an. Exspirationskraft, Reaktionszeit des Patellarreflexes.. (Godmann'), Reinl’), w=0tt°) u. a.) Alle diese Prozesse sind vor der menstruellen Blutausscheidung gesteigert und nehmen unmittelbar vor oder mit der Blutung ab. Nur ') Godmann, The Cyelieal Theory of Menstruation. Americ. Jourm of Obst. 11, 673, 1878. — °) Reinl, Die Wellenbewecung des Lebensprozesses des Weibes. Volkmanns Sammlung klin. Vorträge, Nr. 243. — °) v. Oti, Les lois de la Perisdieit6E de la fonetion physiologique dans l’organisme feminine. Nouvelles archives d’obstetrique et de gynecol. 1890. 100 Ovulation, Menstruation und Wellenbewegung der Lebensprozesse. die Erregbarkeit des Nervensystems, sowie die Wärmestrahlung erreichen ihren Höhepunkt erst etwas später während der Blutung. Eiweißzersetzune und Harn- stoffausscheidung sollen nach Sehrader') vor der Menstruation eingeschränkt sein. Der respiratorische Stoffwechsel beteiligt sich dagegen nieht an den zyklischen Schwankungen (Zuntz’). Die Muskelkraft sinkt mit der Menstruation (Bossi°). Diese Wellenbewegung der physiologischen Prozesse illustriert am besten die v. Ottsche graphische Darstellung (Fig. 43 a. v.S.). Die Periodenzeit macht sich auch im Äußeren der Frau bemerk- lich. Die Menstruierenden zeigen häufig einen angegriffenen Gesichtsausdruck ; Erblassen und Erröten des Gesichtes folgen oft in raschem Wechsel. Viele tragen in dieser Zeit ein scheues Wesen zur Schau. Die Enereie ist nicht selten sichtlich vermindert. Außerdem ist bei den meisten Frauen die Regel von einer Summe ab- normer Empfindungen begleitet, die man als Unwohlsein kurzweg (Molimina menstrualia) bezeichnet. Es sind das gewisse Reizbarkeit, Verstim- mungen, Gefühl von Schwere im Unterleib, manchmal auch Unterleibsschmerzen, alle möglichen Erscheinungen in den von den Genitalien weiter ablierenden Unter- leibsorganen, im Magen und Darm, sowie auch Neuralgien der verschiedensten Art. Alle diese Beschwerden müssen wegen der Häufigkeit ihres Vorkommens und wegen ihres Auftretens bei sonst ganz normalen Individuen, wenn sie sich in mäßigen Graden halten, noch mit in das Bereich des Physiologischen gerechnet werden. 4. Der Zusammenhang zwischen Ovulation, Menstruation und Wellen- bewegung aller Lebensprozesse. Wir nehmen an, daß die Follikelberstung zeitlich mit der prämenstru- ellen Zunahme der Uterusschleimhaut und mit der Steigerung aller Lebens- prozesse zusammenfällt. An die Ovulation schließt sich die menstruelle Blutung. Dafür lassen sich einige Beweise bringen. Man findet bei Sektionen und Operationen an Menstruierenden meist einen frisch geplatzten Follikel oder ein junges Corpus luteum. Bei Frauen, die sich gut untersuchen lassen, fühlt man nicht selten einige Tage vor der erwarteten Menstruation einen Eierstock vergrößert durch eine kirschgroße pralle Hervorragung, entsprechend dem sprungfertigen Follikel, die mit der Menstruation verschwindet. Zwischen der Lösung des Eies und der Menstruation vergeht wahr- scheinlich eine gewisse Latenzzeit, die auf einen oder einige Tage zu be- messen ist (Straßmann). Für das regelmäßige Zusammentreffen von ÖOvulation und Menstruation in vierwöchentlichen Intervallen sprechen die Befunde an den Eierstöcken von jugendlich Verstorbenen. Dort entspricht die Zahl der Narben und Corpora lutea der Zahl der aufgetretenen Menstruationen. Weiterhin läßt sich die Beobachtung Döderleins anführen, der bei statisti- schen Zusammenstellungen fand, daß das Maximum der Schwangerschafts- dauer auf die 40. Woche nach der letzten Periode fällt. Daneben finden sich zum Beweise für den vierwöchentlichen Typus der Ovulation noch zwei relative Maxima, vier Wochen früher und vier Wochen später. Vergleicht man die Phasen der Schwankungen aller Lebens- prozesse mit den anatomischen Veränderungen der Uterusschleim- haut bei der Menstruation, so entspricht die Erhebung der zehntägigen !) Schrader, Stoffwechsel während der Menstruation. Zeitsehr. f. klin. Medizin 25. — ?) Zentralbl. f. Gynäkol. 1904, Nr. 13, 8. 434. — °) Arch. £. Gynäkol. 68, 3. Ovulation, Menstruation und Wellenbewegung der Lebensprozesse. 101 prämenstruellen Anschwellung. Mit dem Eintritt der Menses erfolgt ein bis tief unter die Norm gehendes Absinken. Die Erhebung der Kurve nach der Periode läuft der Regeneration der Gebärmutterschleimhaut gleich. Über die zeitlichen Beziehungen zwischen Ovulation und Menstruation nehmen wir an, daß die Follikelberstung vor, und zwar etwa 2 bis 3 Tage vor dem Eintritt der menstruellen Blutung erfolgt. Mit Rücksicht auf die Wellenbewegung im Gesamtorganismus müssen wir hinzufügen, daß ein späteres Platzen des Follikels sich auch nur schwer mit dem nachgewiesener- maßen vorhandenen Abfall des allgemeinen Blutdruckes vereinbaren ließe. Der kausale Zusammenhang zwischen den Veränderungen im Eier- stock, in der Uterusschleimhaut und im übrigen Körper ist so zu denken, daß der Eierstock das dominierende Organ ist, von welchem die Impulse zu den periodischen Schwankungen ausgehen. Die Souveränität des Eierstocks über den Uterus geht schon daraus hervor, daß menstruelle Veränderungen nur da eintreten, wo funktionierendes Eierstocksgewebe vorhanden ist, und daß sie mit dem Fortfall der Keim- drüsen durch Kastration oder mit der physiologischen Schrumpfung im Klimakterium aufhören. Doch ist es zum Zustandekommen einer Menstruation nicht unbedingt nötig, daß der Follikel nach außen aufbricht, wenn auch darin das gewöhnliche Verhalten zu erblicken ist. Es genügt zur Auslösung der Menstruation, daß ein heranreifendes Ei bei annähernd vollendeter Entwickelung intra- follikulär zugrunde geht. Es scheint dieses Ereignis in bezug auf den Effekt dem gewöhnlichen extra- follikulären Untergang eleichwertig zu sein (Straßmann). Die Rückbildung des Follikels erfolgt auch hier in gleicher Weise wie nach dem Platzen des Follikels und dem Austritt des Eies durch Vermittelung eines Corpus luteum. Wenn wir diesen intrafollikulären Untergang des Eies auch als eine Abnormität bezeichnen müssen, so ist es doch nicht nötig, immer nur pathologische Erhöhung des Wider- standes an der Oberfläche des Eierstockes als Grund anzuführen. Es läßt sich recht wohl denken, daß topographische Verhältnisse, wie sie im gesunden Eierstock vorkommen, nämlich eine primäre sehr tiefe Lage des Follikels, die Schuld tragen. Wenn in der Regel auch auf die Ovulation die Menstruation folgt, so sind Eireifung und Berstung des Follikels doch ganz unabhängig von der Menstruation. Man findet z. B. Ovulation bei einer aus irgend welchen Gründen (Krankheit, Laktation) vorhandenen Amenorrhöe. Die Ovulation wird weder durch die Totalexstirpation des Uterus (Abel!) noch durch die Verpflanzung des Eierstocks an eine andere Stelle des Bauches aufgehoben (Knauer?), Grigorieff?), Morris®). Im allgemeinen nimmt man an, daß der Follikel spontan platzt und das Ei entleert, sobald die Zeit der Reife gekommen ist. Demgegenüber wird aber auch dem Coitus ein Einfluß zugeschrieben. Chazan°) hält es für wahrscheinlich, !) Abel, Dauererfolge der Zweifelschen Myomektomie. Arch. f. Gynäkol. 57 (1899). — ?) Knauer, Einige Versuche über Ovarientransplantation beim Ka- ninchen. Zentralbl. f. Gynäkol. 1896, Nr. 20; Derselbe, Zentralbl. f. Gynäkol. 1897, Nr. 27. — °) Grigorieff, Schwangerschaft bei Transplantation der Eier- Stöcke. Zentralbl. f. Gynäkol. 1897, Nr. 22. — *) Amer. Journ. of obstetr. and dis. of women and children 1904, p. 9 bis 11. — °) Chazan, Volkmanns klin. Vor- träge, N. F., Nr. 269, S. 1762. 102 Ovulation, Menstruation und Wellenbewegung der Lebensprozesse. daß das Ei schon in der intermenstruellen Periode befruchtungsfähig wird und . bald auf violente Weise durch den Kohabitationsakt in der intermenstruellen Periode, bald spontan durch allmähliche Verdünnung und Eröffnung der Follikel- wand erst zur Zeit der Regel den Eierstock verläßt. Durch eine solche violente Ovulation würde ein ganz frisches und für die Erhaltung der Art am besten ge- eignetes Ei geliefert, während die spontane Ovulation nur die alten überflüssig ge- wordenen Eier fortschaffen soll. Notwendig ist zum Zustandekommen der Ovulation der Coitus sicher nicht, denn man findet bei intakten Personen regelmäßige Follikelberstungen. Für die Abhängigkeit des Uterus von dem Eierstock lassen sich auch noch weitere Tatsachen anführen. Der Uterus und die übrigen Abschnitte der Generationsorgane bilden sich nur bei Anwesenheit eines Eierstocks gut aus. Bei der Kastration in jugendlichem Alter bleiben die übrigen Genitalien in ihrem Wachstum zurück. Bei der Kastration in der Geschlechtsreife und bei der physiologischen Schrumpfung der Keimdrüsen im Klimakterium atrophieren Uterus, Scheide und Brustdrüsen !). Experimentelle Untersuchungen lassen die Vergrößerung des Follikels als den regelmäßigen Antrieb für die Wellenbewegung erscheinen. Ahmt man im FEierstock die physikalischen Erscheinungen nach, welche die Volumzunahme des wachsenden Follikels hervorruft, indem man durch Flüssigkeitsinjektionen den intraovariellen Druck steigert (Straß- mann?2), so löst man bei dem Versuchstier den gleichen Symptomenkomplex in der Uterusschleimhaut und im Benehmen aus wie bei der Ovulation. Ebenso wie die periodischen Veränderungen in Genitalorganen werden auch die Schwankungen aller Lebensprozesse von dem Eierstock diktiert. Das ist um so leichter verständlich, als wır wissen, dab schon eine regelmäßige permanente Beeinflussung des ganzen Or- ganismus von den Keimdrüsen ausgeht. Die große Bedeutung des Eierstockes im Körperhaushalt zeigt ein Blick auf die Folgen der künst- lichen Entfernung. Schneidet man einem jugendlichen Individuum die Ovarien heraus, so sieht man, daß, abgesehen von der darauffolgenden mangelhaften Ausbildung der so- genannten sekundären Geschlechtscharaktere, das Knochenwachstum sehr stark beeinflußt wird. Die Verknöcherung der während der Entwickelung knorpeligen Skelettabschnitte, besonders der Epiphysenscheiben an den Extremitäten- knochen und der Knochennähte wird auffallend verzögert. Die Folge sind sehr beträchtliche Veränderungen in den Proportionen der Extremitäten, des Schädels, des Beckens und des Brustkorbes (Sellheim °). Die gewaltige Einwirkung auf den Stoffwechsel demonstrieren die Vergleiche der Gasanalysen des Lungenstoffwechsels bei Kastrierten und Nicht- kastrierten. Die Entfernung des Eierstocks setzt nach Loewy und Richter‘) !) Hegar, Kastration der Frauen, Volkmanns klin. Vorträge 1878; Glaevecke, Körperliche und geistige Veränderungen im weiblichen Organismus nach künst- lichem Verlust der Ovarien einerseits und des Uterus andererseits, Arch. f. Gynäkol. 35; Alterthum, Die Folgezustände nach Kastration und die sekundären Geschlechts- charaktere, Beitr. z. Geb. u. Gynäkol. 2, Heft I; dort weitere Literatur. — ?) Straß- mann, Beitr. z. Lehre von der Ovulation, Menstruation und Konzeption. Arch. £. Gynäkol. 52, III, 1869. — *) Sellheim, Kastration und Knochenwachstum, Beitr. z. Geb. u. Gynäkol. 2, Heft II, 1899. — *) Loewy und Richter, Zur wissenschaft- lichen Begründung der Organtherapie. Berliner klin. Wochenschr. 1899; Dieselben, Über den Einfluß des Ovariums auf den Eiweißumsatz. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1899 und Berliner klin. Wochenschr. 1899. Ovulation, Menstruation und Wellenbewegung der Lebensprozesse. 103 den Sauerstoffverbrauch 3 bis 4 Monate nach der Operation bis auf 20 Proz. gegen früher herab, so daß allmählich beträchtliche Sparwirkungen an Fett erreicht werden. Der Gesamtstoffwechsel nimmt bei steigendem Körpergewicht um etwa 9 Proz. ab. Einverleibung von Eierstockssubstanz hat oxydationssteigernde Wirkung. Schließlich wird auch die gewaltige kontinuierliche Beeinflussung aller Körperfunktionen klar, wenn wir sehen, daß die Entfernung der Keimdrüse im geschlechtsreifen Alter und ihre Schrumpfung im Klimakterium nur unter merklichen Störungen dieser Funktionen einhergeht (vgl. den Ab- schnitt über das Klimakterium). | Die Beziehungen zwischen der Ovarialfunktion nad den be- | gleitenden Erscheinungen an den näher und ferner liegenden Teilen des Organismus werden wahrscheinlich zum Teil durch Nervenbahnen vermittelt. Dieser Weg erscheint sehr plausibel; wenigstens dringen, wenn die Beobachtungen von v. Herff!) und Riese?) richtig sind, Nervengeflechte in dem Eierstock bis ins Granulosaepithel vor. Sicher besteht aber auch noch eine andere Übertragung. Wir sehen, daß exstirpierte Eierstöcke an anderen Stellen der Bauchhöhle einheilen, weiter funktionieren, Brunst hervorrufen und selbst Schwangerschaft zustande kommen lassen (Knauer’°). Darin liegt der Beweis, daß in der Keimdrüse gewisse chemische Substanzen produziert werden, welche, durch die Zirkulation an die übrigen Organe herangebracht, dort den Einfluß der Eier- stocksfunktion geltendmachen. (Innere Sekretion von Brown-Sequard.) Durch die Einwirkung von chemischen Substanzen, die im Genitaltraktus ihren Ursprung nehmen, ist auch die Erscheinung zu verstehen, daß nach Durchschneidung aller zu den Milchdrüsen gehenden Nerven Goltz*) und Pfister’), ferner nach Transplantation einer einzelnen Milchdrüse unter die Ohrhaut des Kaninchens Ribbert‘) diese von den gewohnten ner- vösen Bahnen abgeschlossenen Organe bei eintretender Gravidität gerade wie sonst in Funktion versetzt werden. Ob bei der inneren Sekretion das Corpus _ luteum eine Rolle spielt, wie L. Fränkel’) will, bleibt noch dahingestellt. Der Zweck der verschiedenen während der Geschlechtsreife periodisch auftretenden Veränderungen ist nach diesen Feststellungen folgendermaßen aufzufassen: In den Keimdrüsen reift in regelmäßigen Intervallen von vier Wochen unter starker Vergrößerung des umgebenden Follikels ein Ei. Gleichzeitig mit der nahenden Reife bilden sich in den übrigen Teilen des Genitaltraktus Veränderungen aus, welche im Falle der Befruchtung des am Ende der Reife aus dem Follikel austretenden Eies (Ovulation) dessen Ansiedelung und Beherbergung günstig sein würden. Am meisten werden solche „Empfangs- vorbereitungen“ für die Implantation des befruchteten Eies in der Uterus- D) v. Herff, Über den feineren Verlauf der Nerven im Eierstock. Zeitschr. f. Geb. u. Gynäkol. 24 (1893). — ?) Riese, Die feinsten Nervenfasern und ihre Endigungen im Ovarium der Seesen und des Menschen. Arch. f. Gynäkol. 6. — 1. e. — *) Goltz, Pflügers Arch. 8; ebenda 9; ebenda 63. 5) Pfister, Über die reflektorischen Beziehungen zwischen Mammas und Genitalia muliebria. Beitr. 2. Geb. u. Gynäkol. 5, 421. — °) Ribbert; Über Transplantation von Ovarien, Hoden und Mammae. Arch. f. Entwickelungsmechanik 1898. — 7) Zentralbl. £. Gynäkol. 1904, 8. 621. 104 Ovulation, Menstruation und Wellenbewegung der Lebensprozesse. schleimhaut in Form einer Hyperämie und Wucherung getroffen (prämen- struelle Kongestion). Auch die Brustdrüsen werden durch die Reizung auf ihre Bestimmung aufmerksam gemacht. Kommt wirklich Befruch- tung zustande, so erfüllen diese Vorkehrungen ihren Zweck. Die prä- menstruelle Schwellung setzt sich in die für die Implantation des Eies charakteristische Deciduabildung der Gebärmutterschleimhaut fort. Die Brust- drüsen wachsen weiter. Meistens geht aber das austretende reife Ei unbefruchtet zu- grunde. Dann haben die Zurüstungen in dem Genitaltraktus ihren Zweck verfehlt und verlieren sich rasch. Die geschwollene und hyperämische Uterus- schleimhaut blutet sich aus (menstruelle Blutung) und kehrt unter Re- generation der verloren gegangenen Partien zur Ruhe zurück. Mit dem Heranreifen des nächsten Follikels beginnt das Spiel von neuem. Durch dieses regelmäßige Auf- und Abschwanken der geschlechtlichen Funktionen wird der ganze Organismus weit über die Grenzen des Genital- traktus hinaus erregt. Leib und Seele werden in Mitleidenschaft gezogen. Die Steigerung der Lebensprozesse unmittelbar vor der durch die Ovulation gegebenen Befruchtungsmöglichkeit ist in gleicher Weise wie die prämen- struellen Veränderungen in den Genitalien als Vorbereitung des Organismus für die Aufnahme eines befruchteten Eies aufzufassen. Ihr Absinken zeigt ebenso wie die menstruelle Blutung an, daß eine Ovulationsperiode ohne Be- fruchtung vorübergegangen ist. Welche Kraft in letzter Instanz diese Wellenbewegung beim geschlechts- reifen Weibe hervorruft, ist uns nicht bekannt. Nur so weit läßt sich ein kausaler Zusammenhang verfolgen, als wir wissen, daß die periodisch in dem Eierstock reifenden FollikeldenImpuls für die Veränderungen in Genitaltraktus und Gesamtorganismus abgeben. Während beim Tier regelmäßig mit der Brunst eine Steigerung des Geschlechtstriebes unverkennbar auftritt, ja diese Zeit die einzige ist, in welcher das Weibchen das Männchen annimmt, sind beim Menschen die Beziehungen zwischen der Wellenbewegung und der Neigung des Weibes zur geschlechtlichen Vereinigung viel weniger ausge- sprochen. Die Begattung kann jederzeit erfolgen; der Antrieb dazu ist | von allen möglichen seelischen Regungen, von Vorstellungen, von der Be- schäftigung abhängig und wird vom Willen beherrscht. Als Rest einer ursprünglichen Paarungssaison kann die in ausgesproche- nem Maße gesteigerte Zeugungstätigkeit im Frühjahr, vor allen Dingen im Monat Mai gelten, die neuerdings auch durch statistische Zahlen belegt wurde (Straßmann!). Spezielle Nachforschungen über den Einfluß der Wellen- | bewegung auf den Geschlechtstrieb haben zu keinem einheitlichen Resultat geführt. Die einen geben an, daß beim Weib in der antemenstruellen Zeit, andere, daß gegen Ende der Periode und bald danach der Trieb zur Ver- einigung am stärksten sei. Während der menstruellen Blutung soll sich das Weib vom Manne eher abgestoßen als angezogen fühlen. Inwieweit hier ästhetische Rücksichten, Erziehung, religiöse und ärztliche Vorschriften den natürlichen ursprünglichen Drang beeinflussen, läßt sich schwer entscheiden. )) Straßmann,].ce. Zustandekommen der Schwangerschaft. 105 II. Die Schwangerschaft. Straßmann, Vorgänge bei der Befruchtung. Erste Veränderung des Eies. In v. Winckels Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, erste Hälfte, Wiesbaden 1903. J. Pfannenstiel, Die ersten Veränderungen der Gebärmutter infolge der Schwanger- schaft. Die Einbettung des Eies. Die Bildung der Placenta, der Eihäute und der Nabelschnur. Die weiteren Veränderungen der genannten Gebilde während der Schwangerschaft. In v. Winckels Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, erste Hälfte, Wiesbaden 1903. A. v. Rosthorn, Anatomische Veränderungen im Organismus während der Schwanger- schaft. Die Veränderungen in den Geschlechtsorganen. In v. Winckels Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, erste Hälfte, Wiesbaden 1903. A. Goenner, Die Ernährung und der Stoffwechsel des Embryo und Fötus. In v. Winckels Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, erste Hälfte, Wiesbaden 1903. ÖOlshausen und Veit, Lehrbuch der Geburtshilfe. 5. Auflage, Bonn 1902. Bumm, Grundriß zum Studium der Geburtshilfe. Wiesbaden 1902. 1. Das Zustandekommen der Schwangerschaft. Ein neues Individuum entsteht aus der Vereinigung der männlichen und weiblichen Geschlechtszellen. Beide sind wie durch eine Art Arbeitsteilung (0. Hertwig) von der Natur mit sehr verschiedenen, einander ergänzenden Eigenschaften ausgestattet. Im der weiblichen Geschlechtszelle wird das Nährmaterial für die erste Zeit der Entwickelung des neuen Individuums aufgespeichert. Sie ist daher zur größten Zelle des Körpers herangereift. Die männliche Geschlechtszelle, der Samenfaden, entledigt sich dagegen jeg- lichen Ballastes, um in seiner Aufgabe, die Eizelle aufzusuchen, möglichst wenig gehindert zu sein. Er ist daher zu dem kleinsten Elementarteilchen geworden und hat sich mit einem Fortbewegungsorgan in Gestalt eines Schwanzes versehen. Die Samenfäden (Samenzellen, Spermien, Spermatozoen) entstehen in den Tubuli contorti des Hodens. Die Epithelien dieser Gänge sind zum Teil die sogenannten Ursamen-, Samenkeimzellen oder Spermatogonien. Durch mehrfache bestimmte Teilungen entstehen aus diesen Ursamenzellen als dritte Generation die Zellen, welche sich in die Spermatozoen umwandeln. Der Zellkern wird zum Kopf des Samenfadens, das sogenannte Centrosoma gelangt wahrscheinlich in das Mittelstück und das Protoplasma verwandelt sich in den Schwanz. Die Länge eines Samen- fadens beträgt 55 u, davon kommen auf den Kopf 5 und auf den Schwanz nebst dem Mittelstück 50 u. Der Samen stellt eine Aufschwemmung der Samenfäden in den Sekreten der Samenblasen, der Prostata und der Cowperschen Drüsen dar. Auf 1 mm’ des menschlichen Samens rechnet man ungefähr 60000 Samenfäden. Ein Ejakulat enthält nach Lode 226 Millionen Spermatofilen. Die männlichen Geschlechtszellen sind außerordentlich beweglich und sehr zählebig. Man fand bei Frauen in der Scheide, im Uterushals und in der Tube noeh Tage und Wochen nach der letzten Kohabitation lebende Spermatozoen. Die Entwickelung des Eies haben wir schon bei der Ovulation kennen gelernt. Bis das fertige menschliche Ei befruchtungsfähig wird, müssen sich an ihm wahr- scheinlich die gleichen Reifeerscheinungen geltend machen, wie man sie im Tier- reiche regelmäßig beobachten kann. Das Keimbläschen rückt an die Oberfläche des Eies und bildet sich zu einer Kernspindel um. Die eine Hälfte der Kernspindel wird an die Oberfläche des Eies ausgestoßen, die andere bleibt im Protoplasma zurück und wächst wieder zu einer Kernspindel aus, deren eine Hälfte abermals ausgestoßen wird. Die eliminierten Teile sind voll entwickelte kleine Zellen mit Nagel, Physiologie des Menschen. II. 7 106 Zustandekommen der Schwangerschaft. — Begattung. Protoplasma, Kern und manchmal sogar Deutoplasma. Sie bleiben meistens in der Zona pellueida liegen und werden als Polkörperchen oder Richtungskörper- chen bezeichnet. Sogar die Möglichkeit der Befruchtung dieser abortiven Eizellen wird angenommen und für die Entstehung von Eierstocksgeschwülsten (Embryome) verwertet (Bonnet). Die nach der zweiten Teilung zurückgebliebene Kernspindel wird zum Kern des nunmehr reifen Eies und heißt weiblicher Vorkern oder Eikern. Die reife Eizelle scheint ihr sogenanntes Centrosoma verloren zu haben. Unbefruchtete Eier gehen zugrunde. Die Vereinigung zwischen männlicher und weiblicher Keimzelle stellt die Be- fruchtung dar; dieser Vorgang vollzieht sich im Körper des Weibes. Wir stellen uns die Imprägnation des Eies mit dem männlichen Keimstoffe beim Menschen ähnlich vor wie beim Tiere, wo man bei gewissen Arten diese Verhältnisse mit dem Mikroskop gut beobachten kann. Über die Mittel und Wege, wie Same und Ei zusammenkommen, sind wir schon besser unterrichtet, wenn auch hier noch zu Vermutungen Gelegen- heit genug gegeben ist. Der Same wird durch die geschlechtliche Vereinigung in den weiblichen Körper übergeleitet. Durch die Ejakulation gelangt ein reich- licher Vorrat von Samenfäden in die Scheide. Gegenüber der Betätigung des Mannes verhalten sich die weiblichen Genitalien bei dem Begattungsakte meistens relativ passiv. Unter einer mehr oder weniger aus- gesprochenen sexuellen Erregung und Blutanfüllung der Geschlechtsteile erfolgt eine Erektion der Klitoris und der um den Vorhof gelagerten Schwellkörper. Die Drüsen des Vestibulum, besonders die Bartholinischen Drüsen secernieren dabei stärker. Die physiologische Bedeutung dieser vermehrten Feuchtigkeit besteht darin, den Introitus für die Aufnahme des erigierten männlichen Gliedes schlüpfrig zu machen. Ob normalerweise ein Geruch dieser Sekrete, ähnlich wie bei dem Tiere, den Mann anzieht und seine Libido erhöht, erscheint zweifelhaft). Bei intakten Personen muß der Introitus für den vordringenden Penis erst wegsam gemacht werden. Dehnt sich der Hymenalsaum nicht genügend, so wird durch Einrisse der nötige Platz gewonnen. Nach der Entleerung des Samens in die Scheide oder bei vollzogener Immissio in die Scheidengewölbe können Zusammen- ziehungen der Scheidenwände und der sie umschnürenden Beckenbodenmuskulatur noch insofern in dem Sinne einer Befruchtung günstig wirken, als sie den Samen am Abfließen verhindern. Wie gelangt der Same in den Uterus und in die Tube? Der An- nahme, daß das Ejakulat direkt in den Uterus gespritzt werde, widerspricht unter normalen Verhältnissen schon die fast rechtwinkelige Abbiegung der Uterusachse gegen die Scheidenachse, in deren Richtung die Ejakulation erfolgt. Da sich die Spermatozoen, wie es die Experimente Seligmanns°) wahrscheinlich machen, von dem sauren Vaginalsekret abgestoßen und zu dem alkalischen Cervixschleim hin- gezogen fühlen, so kann dem für gewöhnlich in der Cervixhöhle steckenden Schleimpfropf eine gewisse, für die Einleitung des Samens in den Uterus förderliehe Wirkung nieht abgesprochen werden. Ein solcher chemotaktischer Effekt könnte sich besonders gut entfalten, wenn, wie Kristeller annimmt, während des Geschlechts- aktes der Schleimpfropf etwas aus dem äußeren Muttermund hervorgepreßt und später wieder hineingesogen würde. Die durch den ‘Wimperschlag der Flimmer- epithelien in Uterus und Tuben erzeugte Strömung ist dem Vordringen der Samen- fäden entgegengerichtet. Man huldigt daher der Ansicht, daß die Spermatozoen durch eigene Kraft ihren Weg in die Tube finden. In dieser Richtung erscheint außer durch die enorme Anzahl von Spermatozoen, welehe auf die Suche naeh dem Eichen gehen, durch ihre bedeutende Lokomotionsfähigkeit gut gesorgt. Der Sehwanz der Samenzelle ist mit Sehwingungen begabt, welehe ein rasches Fort- schnellen bewirken. Die Größe der Geschwindigkeit ihrer Fortbewegung in gerader Riehtung und ohne entgegenstehende Hindernisse wird auf durchschnittlich 2 bis 3mm in der Minute veranschlagt. Man dürfte unter solch günstigen Umständen !) B. Carneri, Grundzüge der Ethik. — °) Seligmann, Zentralbl. £. Gyn. 1896. Zustandekommen der Schwangerschaft. — Befruchtung. 107 für die Durchwanderung der 16 bis 20 cm langen Strecke vom äußeren Muttermund bis zum Tubentrichter beim Menschen etwa °/, Stunden rechnen. Tierexperimente zeigten, daß Spermatozoen den Tubentrichter von der Scheide aus im Zeitraume von einer bis mehreren Stunden erreicht hatten. Schließlich wird auch noch an- genommen, daß eine durch den Reiz der Begattung ausgelöste, der Darmperistaltik ähnliche Bewegung des Genitaltraktus den Samen in die Ampulle und in das Infundibulum tubae empor befördert (Koßmann!). An diesen mechanischen Vorgängen scheint der Grad und die Art der psychi- schen Erregung des Weibes bei dem Coitus nichts zu ändern. Ein Orgasmus der Frau ist zur Befruchtung jedenfalls nicht notwendig. Das Ei hat keine Eigenbewegung und ist auf treibende Kräfte in seiner Umgebung angewiesen. Wenn man an dem aus dem Becken herausgenommenen Präparat das Verhältnis der Tube zu dem Eierstock betraehtet, so erscheint die Aufnahme des mit dem austretenden Liquor follieuli aus dem Ovarium herausgeschwemmten Eies in den Tubentrichter mit großen Schwierigkeiten verbunden. Hier zieht nur auf der Fimbria ovaica ein schmaler Steg von Flimmerepithel bis in die Nähe der Keimdrüse. Am Beckensitus erkennt man dagegen ganz enge räumliche Be- ziehungen des Tubentrichters zu dem Eierstock. Auf geschickt gewählten Schnitten (Bumm) gewinnt es sogar den Anschein, als ob das aus dem Follikel austretende Ei unfehlbar in die Strömung der Tube hineingelangen müsse, ohne daß noch eine besondere, den Eierstock umfassende Bewegung des Tubentrichters, an die man auch gedacht hat, nötig wäre. Die zahlreichen feinen Fransen des Infundibulum mit ihren nach dem Tubenkanal zu schlagenden Wimpern wirken, wie das Experi- ment zeigt, in der Umgebung des reifen Follikels als ein mächtiger Aspirator, der eine stetige Strömung nach dem Tubenlumen zu unterhält und alle kleinen Partikel- chen, die man in seinen Bereich bringt, mit großer Sicherheit aufnimmt und uterus- wärts transportiert). Die Tatsache, daß man an der gleichen Stelle der Tube befruchtete Eier in ihrer Furchung immer gleichweit fortgeschritten findet, spricht dafür, daß das Ei nach der Befruchtung jedesmal den gleichen Weg, und zwar vom Tubentrichter an durch die ganze Tube zurücklegt. Wenn also nicht die Spermatozoen sofort im Trichter das aus dem Follikel ausgetretene Ei befruchtet haben, so müßte das schon vorher ein Stück weit in der Tube durch die Flimmerbewegungen hinab- sewanderte Ei durch dieselbe Peristaltik, welche den Samen im Genitaltraktus auf- wärts befördert, in den Tubentrichter zurückgeschleudert werden, um an dieser Stelle sich mit dem Samen zu vereinigen (Koßmann°). Als Ort der Befruch- tung haben wir höchstwahrscheinlich die Strecke von der Austrittstelle des Eies aus dem Eierstock bis zum Tubentrichter oder den Tubentrichter selbst anzunehmen. Demnach beginnt jede Schwangerschaft in der Tube (Straßmann). Daß schließlich nach der Befruchtung eine der erst angenommenen Peristaltik entgegengesetzte Bewegung des muskulösen Tubenrohres dem Wimperstrom helfe, das Ei nach dem Uterus zu transportieren, erscheint nicht unmöglich, da man beim Tiere peristaltische Bewegungen sowohl von der Scheide nach der Tube, als auch umgekehrt hat ablaufen sehen. Bei dem Zusammentreffen von Samen und reifem Ei dringt in den Dotter eines gesunden Eies nur ein einziger Samenfaden ein. An der Annäherungs- stelle des zuerst ankommenden Spermatozoon entsteht in der Oberfläche des Dotters eine kleine Vorwölbung, der Empfängnishügel von Fol. Vielleicht ist diese Bildung nicht dem Eiprotoplasma eigentümlich, sondern hängt mit einer Quellung des Spermatozoenkopfes zusammen (Sobotta). Während sich der Samenfaden mit seinem Kopf in den Dotter einbohrt, bildet sich an der Dotteroberfläche eine feine Haut, die Dottermembran, welche die In- vasion weiterer Spermatozoen verhindert. An dem eingedrungenen Samenfaden geht der Schwanz verloren, der Kopf wandelt sich in ein kleines rundliches Körperchen, ') Koßmann, Allgem. Gynäkol., Berlin 1903, 8. 315. — ?) Lode, Arch. £. Gynäkol. 45, 292. — °) Koßmann, Allgem. Gynäkol., Berlin 1903, $. 310. 108 Zustandekommen der Schwangerschaft. — Befruchtung. den Samenkern (Spermakern, männlicher Vorkern) um. Was man von der Befruchtung sehen kann, ist die Verschmelzung des männlichen Samen- kerns mit dem weiblichen Eikern zu einem neuen Kern, dem Furchungs- kern oder Embryonalkern, von dem alle die unzähligen Zellkerne des neu entstehenden Individuums ihren Ursprung nehmen. Das Centrosoma ist wahr- scheinlich mit dem Mittelstück des Samenfadens in das Ei eingeführt worden und bildet nach der Kopulation von männlichem und weiblichem Vorkern den Ausgangs- punkt für die erste Kernteilungsfigur: die Frau ist schwanger geworden. Durch die erste Furehung erhält jeder der beiden neugebildeten Zellkerne die gleiche Menge XNucleochromatin von dem Ei- wie von dem Samenkern. Alle späteren Zellen, die durch Teilung von dem befruchteten Ei ihren Ursprung nehmen, enthalten gleichviel Chromosomen rein väterlicher und rein mütterlicher Herkunft. Gleichzeitig mit dieser für das Auge darstellbaren Kopulation der beiden Zellkerne müssen wir uns noch weitere, sehr komplizierte Vorgänge vorstellen, welche mit zu dem Wesen der Befruchtung gehören. Durch die Befruchtung werden alle von den Eltern vererbbaren Eigenschaften übertragen. Über den Zeitpunkt der Befruchtung gehen die Auffassungen etwas aus- einander. Im allgemeinen nimmt man an, daß die Möglichkeit zur Befruchtung sieh von seiten der Frau nicht öfter als alle vier Wochen einmal bietet, wenn ein reifes Ei vorhanden ist. Da Menstruation und Ovulation für gewöhnlich zusammen- fallen oder die Ovulation der Menstruation kurz vorausgeht, so wäre die ante- menstruelle Zeit, nach der Frau gerechnet, der wahrscheinlichste Termin zur Be- fruchtung. Um diese Zeit erscheinen durch die prämenstruelle Kongestion auch die Bedingungen für die Ansiedelung eines Eies in der Uterusschleimhaut am ünstigsten. Das aus dem Eierstock ausgestoßene Ei scheint sich nicht lange be- fruchtungsfähig zu erhalten. Dagegen bieten die einmal in den oberen Abschnitt des Genitaltraktus gelangten Spermatozoen durch ihre Masse und ihre große Zäh- lebiekeit eine größere Garantie für die Befruchtungsmöglichkeit. Es kann dadurch Befruchtung zustande kommen, auch wenn der Beischlaf von der Eilösung zeitlich entfernt ausgeübt wird. Die rasch in die Tube aufgestiegenen Spermatozoen können ein noch von der letzten Ovulation vorhandenes Ei rasch erreichen und befruchten oder sie können sich vielleicht noch so lange in dem Tubentrichter befruchtungs- fähig erhalten, bis der nächste Follikel platzt. Nach der Befruchtung erfolgt an dem Ei eine mächtige Zellwucherung nach den gewöhnlichen Gesetzen der Karyokinese, die als „Furchung“ bezeichnet wird. Auf diese Weise entsteht zuerst ein kugeliger Zellhaufe, die Morula, daraus die Hohlkugel, die Gastrula und weiterhin durch Ein- stülpung und Spaltung eine dreiblätterige Keimanlage. Der weitere Aufbau des embryonalen Körpers soll hier nicht erörtert werden. Als Termin für die Ankunft des befruchteten Eies in dem Uterus nimmt man den achten Tag nach der Befruchtung an (Minot). Das Ei wäre dann kaum größer als 0,2mm und hätte das Morulastadium durchgemacht. Über die Dauer der Schwangerschaft ist es nicht möglich, absolut verläßliche Angaben zu machen, da wir den Beginn, den Tag der Befruchtung, nicht ermitteln können. Die Erfahrung lehrt, daß etwa 280 Tage nach dem ersten Tage der letzten Periode der Geburtseintritt zu erwarten steht). Ob während der Schwangerschaft die Wellenbewegung ganz aufhört oder sich noch in der einen oder anderen Weise eine Andeutung geltend macht, steht dahin. Schatz?) hat entsprechend den Menstruattonsterminen in der Schwangerschaft Uteruskontraktionen beobachtet. '!) C£. von Winckel, Neuere Untersuchungen über die Dauer der menseh- lichen Schwangerschaft. Sammlung klinischer Vorträge von Volkmann, N. F, 1900, Nr..285. — *”) Deutsche Klinik am Eingange des 20. Jahrhunderts, 62. Liefe- rung, Wien 1902. | = u) 'yeu >; Bag "un 'yuu Pl BAT "un "you %, BAM un 'yau % way = "PRUORL "OL TUT "MUORL "GC "SIEUONL 'g SPP Opum wuy "SIUUOM "7 SOp Opury wvy 2 © » 5 nderungen am "A Schwangerschaftsver "TITULT SEE 110 Sehwangerschaftsveränderungen am Uterus. Der Mechanismus, nach welchem von dem befruchteten Ei aus der mächtige Wachstumsreiz auf die Generationsorgane und die Rückwirkung auf den gesamten Organismus übertragen werden, ist noch unklar. L.Fränkel!) vindiziert dem Corpus luteum eine Bedeutung für die Implantation des Eies; Mandl?) leugnete das. 2. Veränderungen an den Genitalien und in ihrer Umgebung. a) Veränderungen am Uterus im allgemeinen. Mit der Befruchtung und der Ankunft des befruchteten Eies in der Gebär- mutter beginnt in den Generationsorganen eine gewaltige Hyperämie und Wachstum der einzel- nen Muskelzelle des Uterus in der Schwan- gerschaft nach Bumm. a Faser aus einem nicht graviden Uterus; b Faser aus einem gra- viden Uterus des zehn- ten Monats. Gewebswucherung. Am Uterus fallen diese Verände- rungen naturgemäß am stärksten aus. Der Fruchthalter nimmt mit großer Regelmäßigkeit in allen Dimensionen bis zum Ende der Schwangerschaft zu. Die ursprüngliche Birnform des Uterus (Fig. 44a und b) geht mit der stärkeren Füllung in die Kugelgestalt (Fig. 44c) über. Vom fünften Monat an beginnt sich die für das hochschwangere Organ charakteristische Eiform mit stumpfem oberen und spitzem unteren Pole auszubilden (Fig. 44d). Die Wand des Uteruskörpers wird weich, elastisch, in ihren einzelnen Schichten verschieblich und bekommt die erhöhte Neigung, sich auf Reize hin zu- sammenzuziehen. In der ersten Zeit der Schwangerschaft macht sich häufig eine stärkere Anteflexionsstellung geltend. Im weiteren Verlaufe erhebt sich der Gebärmuttergrund und schiebt sich an der vorderen Bauchwand in die Höhe. An dem hochschwangeren Organe ist die Längs- achse in frontaler Richtung meistens mit ihrem oberen Teile nach rechts abgewichen. Dabei besteht in der Regel eine Torsion in der Richtung der Uhrzeiger, so daß die Uterusbreite sich dem von rechts hinten nach links vorn verlaufenden schrägen Durchmesser des Beckeneinganges nähert, eine Lage, die auch schon am jungfräulichen Uterus angedeutet ist, und deren Ursachen in die Ent- wickelungsgeschichte zurückreichen. Das Verhältnis der Längsachse des Uterus zur Senkrechten auf die Mitte des Beckeneinganges („Eingangsachse“) hängt von der Position der Frau ab. Bei Rückenlage neigt sich der Uterus nach hinten und schmiegt sich der Wirbelsäule an, bei auf- rechter Stellung sinkt er nach vorn und ruht auf der vorderen Bauchwand 3). Die Innenfläche des hochschwangeren Uterus mißt 940 qem (Barbour). Das Gewicht erreicht 1 kg. !) Arch. f. Gynäkol. 68, 2 und Zentralbl. f. Gymäkol. 1904, 8. 621. — ?) Festschr. f. Chrobak, Wien 1903. — ?) De Seigneux, Hegars Beitr. 4 (1901). Schwangerschaftsveränderungen an der Uterusschleimhaut. 1a An der Vergrößerung der Uteruswand nehmen alle Gewebselemente teil, die Muskelzellen am meisten. Ob es sich nur um eine Hypertrophie der schon vorhandenen Muskelfasern handelt oder ob auch Fasern neu gebildet werden, ist noch zweifelhaft. Die Länge der einzelnen Muskelzellen erreicht das Sieben- bis Elffache, die Breite das Drei- bis Fünffache des Normalen (Fig. 45). Die gewaltige Ausdehnung des Uterus wird weiterhin durch eine Trennung und gegenseitige Verschiebung einzelner Muskelblätter (Bayer!) verständlich. Das intermuskuläre Bindegewebe wird stark aufgelockert. Die elastischen Fasern vermehren sich nach der Konzeption (Woltke?). Die geschilderten Veränderungen betreffen vorzugsweise den Uterus- körper. Der Hals bleibt lange Zeit hindurch fester als der Körper. Auch die Schleimhaut des Halses wird wenig verändert. Nur eine stärkere Sekre- tion macht sich geltend und führt schon im ersten Monat der Schwangerschaft zur Bildung eines für diesen Zustand ziemlich charakteristischen Schleim- pfropfes im Cervicalkanal. Bei den meisten Erstgeschwängerten öffnet sich der äußere Mutter- mund schon etwas im neunten und zehnten Schwangerschaftsmonat. Nur bei wenigen bleibt er bis zum Eintritt der Geburt vollkommen geschlossen. Bei Mehrgebärenden kommt es meistens schon in früheren Monaten zur Er- weiterung. Die Blutgefäße nehmen an Umfang und an Länge zu. Besonders die Venen erfahren eine starke Ausdehnung, wobei sich ihre Media mit den be- nachbarten Muskelschichten innig verbindet (Uterinsinus). Die Lymphbahnen vermehren und erweitern sich. Unter der Serosa wachsen sie zu einem starken Netz von Kapillaren aus (Wallich?). Die Nerven werden dicker und länger. Das Ganglion cervicale kann den normalen Umfang um das Doppelte übertreffen (H. W. Freund). b) Veränderungen in der Uterusschleimhaut. Bildung der Placenta und der Eihüllen. Fruchtwasser. Die prämenstruelle Schwellung der Uterusmucosa bereitete dem Ei den Boden. Nach Eintritt der Befruchtung nimmt die schon begonnene Hypertrophie ihren Fortgang. Die Schleimhaut ist nach 14 Tagen bis '/);,cem dick geworden. Die | Oberfläche ist wulstig und mit beetartigen Erhebungen versehen. Auf dem Durch- schnitt sieht man deutlich eine oberflächliche, dem Cavum uteri zugekehrte kom- |pakte und eine tiefere nach der Muscularis zu gelegene spongiöse Schicht. Die Spongiosa ist etwa dreimal so dick wie die Compacta. j Zwischen Decidua spongios« und Muscularis soll noch ein etwa Y;mm dicker | Rest so gut wie gar nicht veränderter Schleimhaut bestehen bleiben (Pfannenstiel). Das Oberflächenepithel flacht sich ab, verliert seine Wimpern und degene- riert. Die Drüsen erscheinen in dem in’der Compacta steckenden Abschnitt kaum verändert. In der spongiösen Schicht sind sie dagegen stark gewuchert. Sie zeigen vielfache Ein- und Ausbuchtungen, sägeförmige Ränder. Die einzelnen Epithelien erscheinen ziemlich hoch, häufig in Form von Büscheln angeordnet. Die Zell- grenzen sind oft undeutlich, wie verwaschen. Das Protoplasma ist körnig getrübt. !) Bayer, Morphologie der Gebärmutter. In W. A. Freunds gynäkol. Klin. 1885. — ?) Zieglers Beitr. 27, 374, 1900. — °) Wallich, Recherches sur les vaisseaux Iymphatiques sussereux de l’uterus gravide et non gravide, These de Paris 1890. — %)H. W. Freund, Wien. med. Blätter 1885, 8. 1342. ET Tine er 112 Einnistung des Eies. Die Stromazellen sind vergrößert und in den oberflächlichen Schichten durch einen gesteigerten Saftreichtum der Interzellularsubstanz weiter auseinander gedrängt. Nach der Tiefe zu nehmen diese Veränderungen an Intensität ab. Der Zweck dieser Umbildung für die Eieinbettung ist klar. Die Hyperämie ist der Vorläufer der Nahrungszufuhr für das Ei. Das Ödem erleichtert das Ein- dringen und Vordringen des Eies in das Bindegewebe der Schleimhaut. Die Drüsen- wucherung lockert das Gefüge der tieferen Schleimhautschichten und bereitet diese für die Bildung der Placenta vor (Pfannenstie]). Die Wucherung der Schleimhaut nimmt von der dritten Woche an noch zu und erreicht mit dem Ende des zweiten Monats ihren höchsten Grad. Sie besitzt um diese Zeit eine Dicke von etwa °/,cm. Von da an verdünnt sie sich unter dem Drucke des wachsenden Eies. Das Oberflächenepithel und das Epithel in den oberflächlich gelegenen Abschnitten der Drüsen geht zum Fig. 46. D.p <— Rißstelle Schnitt durch die ausgestoßenen Eihäute am normalen Ende der Schwangerschaft. A Amnionepithel; Ch. Chorion; D. ce. Decidua eompacta; D. sp. Decidua spongiosa; E erhaltenes Drüsenepithel. Teil verloren. An den am Ende der Gravidität ausgestoßenen Eihäuten findet man gelegentlich auch in den oberen Schichten der Spongiosa, besonders an der nach der Muscularis zugekehrten Begrenzung der Drüsenspalten Epithelsäume (Fig. 46). In dem bindegewebigen Stroma erweitern sich die Blutgefäßkapillaren stark. Die Zellen des interglandulären Gewebes wandeln sich in große, vielgestaltige Deciduazellen um. Der Protoplasmahof vergrößert sich und enthält einen großen, meist rundlichen Kern. Außer dieser Vergrößerung findet unter einer mito- tischen Zellteilung auch eine Neubildung von Deciduazellen statt (Marchand). Diese Umwandlung der Schleimhaut nimmt von der Oberfläche nach der Tiefe an Stärke ab. In den tiefsten Schichten soll ein eiserner Bestand von Stroma und Drüsenepithelien bleiben, die nicht umgewandelt werden. Die Bildung der Decidua- zellen ist in physiologischem Sinne als ein degenerativer Prozeß aufzufassen, der den Zweck hat, die oberflächlichen Lagen der Uterusschleimhaut aufzulockern und in sich verschieblich zu machen (Pfannenstiel). Nachdem dieses Ziel erreieht 2 Einnistung des Kies. 113 ist, degenerieren die decidual umgewandelten Schleimhautabschnitte in der Schwanger- schaft oder gehen, soweit sie nicht schon unter der Geburt ausgestoßen werden, im Wochenbett zugrunde. Doch wird auch angenommen, daß die nach der Geburt im Uterus zurückbleibenden Deciduazellen sich zum Teil wieder in normale Stroma- zellen zurückverwandeln können. Nach dem jüngsten bis jetzt beobachteten menschlichen Ei (Peters) dürfen wir schließen, daß das Ei in ganz ähnlicher Weise sich zu der Uteruswand in Be- ziehung setzt, wie uns das von dem Ei des Meerschweinchens gut bekannt ist (Graf Spee). Das Ovulum zerstört an der Anlegungsstelle das Oberflächen- epithel und gelangt auf diese Weise in das subepitheliale Bindegewebe der Uterusschleimhaut. In dem Grade, wie tief sich das Ei in die Mucosa einsenkt, dürfen wir Ver- schiedenheiten annehmen. Bei oberflächlicher Versenkung muß die allseitige Ein- schließung von mütterlichem Bindegewebe durch eine Überwucherung der über die Oberfläche hervorragenden Eiabschnitte, durch eine „Reflexabildung“, zustande kommen. Wie der Verschluß an der Einbruchsstelle des Eies in die Uterusmueosa sich abspielt, wissen wir noch nicht genauer. In späteren Stadien findet man an dieser Stelle ein gefäßloses, meist aus Fibrin bestehendes Narbengewebe (Reichertsche Narbe). Die einzelnen Abschnitte der Decidua werden nach der Eikapselbildung mit verschiedenen Namen belegt. Den Teil, auf dem das Ei aufsitzt, bezeichnet man als die Decidua basalis, den nach der Uterushöhle zu das Ei abschließenden Teil als Deeidua reflexa und die übrige Auskleidung des Uteruscavum als Deeidua vera. Bei dem weiteren Wachstum drängt das Ei die deeidualen Wandungen allseitig auseinander und wölbt sich gleichzeitig gegen die Uterushöhle halbkugelig vor. Dabei erfolgt eine Art Spaltung der Vera dergestalt, daß sich sowohl die Re- flexa als auch die Basalis auf Kosten der angrenzenden Vera vergrößern. Bis zur 12. bis 14. Woche füllt das Ei die Uterushöhle so weit aus, daß die Peripherie der Eikapsel mit der Decidua reflera sich an die gegenüberliegende Vera anlegt. Der physiologische Zweck der Reflexa ist in einer Beihilfe zur Befestigung und Ernährung des Eies bis zur Bildung der Placenta zu sehen. Dieser Zweck ist mit der sechsten Woche, mit der Zeit, in welcher die Placentarbildung eine größere Rolle zu spielen beginnt, erreicht. Nach der älteren Ansicht sollen die miteinander in innige Berührung gekommenen Reflexa und Vera im vierten Monat verkleben und die Reflexa als schmaler Streifen bis zum Ende der Schwangerschaft bestehen bleiben. Neuerdings nimmt man an, daß die von der Kuppe der Reflexa in der Umgebung der Reichertschen Narbe schon frühzeitig beginnende fibrinös-hyaline Degeneration (Koagulationsnekrose) weiter nach der Peripherie fortschreitet und zu einem vollständigen Verschwinden der Reflexa führt, so daß im sechsten Monat das Chorion der Vera dicht anliegt. In der Deeidua basalis gehen im Interesse der Ausbildung der fötalen Ernährungs- wege bedeutende Veränderungen vor sich. Die Deciduazellen degenerieren ebenso wie in der Reflexa durch eine Koagulationsnekrose, deren Endprodukt hyalin- fibrinöse Massen sind. Das gebildete Fibrin fällt der Resorption anheim. Größere Gewebsinseln bleiben um die Gefäße während der ganzen Zeit der Schwangerschaft bestehen. Ebenso wie an dem Stroma macht sich auch an den Drüsen ein von der Oberfläche nach der Tiefe fortschreitender degenerativer Prozeß geltend - (Fig. 44, a, b, ec, d). Nur dicht an der Muskelgrenze bleiben einige Reste bestehen, von denen aus der Drüsenapparat an der Placentarstelle im Wochenbett wieder- hergestellt wird. Gleichzeitig mit diesen degenerativen Veränderungen an den Stromazellen und den Drüsen treten produktive Veränderungen an dem Gefäßapparate der Schleimhaut im Bereiche der Deeidua basalis auf. Schon Ende der zweiten Schwangerschaftswoche zeigen sich in der Basalis gegenüber der Vera die Gefäße beträchtlich erweitert. Später verschwinden die Capillaren und Venen mehr und mehr dadurch, daß sie bis auf die an der Muskelgrenze sowie an der Peripherie der Placenta gelegenen zu den sogenannten intervillösen Räumen umgewandelt werden (Pfannenstiel). Die Arterienstämme Nagel, Physiologie des Menschen. II. S 114 Placentarbildung. bleiben dagegen in den weit in das Gewebe des Mutterkuchens hineinragenden decidualen Septen bis ans Ende der Gravidität erhalten. In der ganzen Umgebung des Eies findet man, sowohl in der Decidua reflexa als auch in der basalis syncytiale Riesenzellen (Fig.47). Vom dritten bis sechsten Monat sind sie am reichlichsten in den tieferen Schichten der Basalis vor- handen und gehen auch bis weit in die Muscularis hinein. Über die Herkunft Fig. 47. Schnitt durch die Placentarstelle eines im dritten Monat schwangeren Uterus. M. Muskulatur, N. Gefäße der Uteruswand, zum Teil mit syneytialer Umwandlung, R. syneytiale Riesen- zellen, D. Decidua basalis, F. Fibrin, g. L. gewucherte Langhanssche Zellen, H. Haftzotten, E. Ernährungszotten, S. Syneytium, s. F. syneytiale Fortsätze, L. Langhanssche Zellschicht, Z. Zotten- gefäße, J. intervillöse Räume. Vergr. 75. dieser Zellen und ihren Zweck herrscht noch keine Übereinstimmung. Sie sind von dem Bindegewebe, von Elementen der Blutgefäße, von Leukocyten, von Muskel- fasern, vom Chorionepithel und vom Epithel des Uterus hergeleitet worden. Die Untersuchungen von Pfannenstiel machen ihre Abstammung von dem Binde- gewebe des Blutgefäßapparates wahrscheinlich. Um die Einrichtungen zu verstehen, durch welche das Ei in den Stand gesetzt wird, an der Decidua basalis die notwendigen Nahrungsmittel aus dem mütterlichen Eieinbettung. 115 Blute aufzunehmen, müssen wir nun zur Betrachtung der Veränderungen an dem Ei übergehen. Das Ei hat bei dem Einsinken in das Bindegewebe der Uterus- muecosa ungefähr einen Durchmesser von 1 mm. Embryonalanlage, Amnion, Dottersack und Exocoelom sind gebildet. Als den Haftstiel des Embryos bezeichnet man diejenige Stelle, an der die Embryonalanlage bei ihrer Abschnürung von der Peripherie der Keimblase dauernd mit letzterer in Verbindung bleibt. Diese Ver- bindung nimmt am caudalen Ende, und zwar an der Bauchseite des Embryos ihren Ursprung und wurde deshalb von His Bauchstiel benannt. Peripher inseriert der Bauchstiel in der Regel an der Implantationsstelle des Eies in der Mucosa (v. Franque). Furche Peterssches Ei. G. P. Gewebspilz, a bis b Einbruchspforte des Eies, U. E. Uterusepithel, Cap. Capsularis, Tr. Trophoblast, Ca. Mütterliche Capillaren, Dr. Drüsen, Bl.L. Blutlacunen, Ka. Keimanlage, Comp. Compacta, M. Mesoderm, Sy. Syneytium, U. Z. Umlagerungszone, —> Richtung gegen die im Schnitt noch ge- troffene, auf der Abbildung jedoch nicht mehr sichtbare Furche in der Decidua vera. Nach den Beobachtungen aus dem Tierreiche, zusammen mit den Befunden an jungen menschlichen Eiern nimmt man an, daß das Ei zottenlos in die Uterus- schleimhaut gelangt, die Zottenbildung aber sofort danach beginnt. Nach der Basalis zu, wo also im Bereiche der deceidualen Fruchtkapsel die Gefäßbildung am besten ist, entwickeln sich am reichlichsten Zotten. Am ungünstigsten liegen die Ernährungsverhältnisse an dem Reflexapole, wo man denn auch in der Regel schon in der vierten Woche bereits größere kahle Stellen findet (Chorion frondosum und laeve). Durch das stärkere Wachstum der sich baumartig verästelnden Zotten an der Basalis wird diese Stelle für die Bildung der Placenta vorbereitet. Man findet das Ei in den ersten 14 Tagen von einer zum Teil aus mütter- lichen, zum Teil aus fötalen Elementen zusammengesetzten Hülle umgeben, welche Hubrecht, weil sie zweifellos zur Ernährung des Eies in naher Beziehung steht, 116 Eieinbettung. als Trophosphäre bezeichnet hat. Die mächtige Ektoblastwucherung, welche das Ei bald nach der Einlagerung in die Gebärmutterschleimhaut umgibt und welche von vornherein zur Ernährung des Eies dient, heißt der Trophoblast (Fig.48 a.v.S. und 49). An dem frühesten uns bekannten Petersschen Ei erkennt man die noch nicht vascularisierten ersten Anfänge des Zottenstromas als offenbar von der Schematische Darstellung der Einbettung des Petersschen Eies (nach Bumm). 1 Ei, 2 Embryonalanlage, 3 Uterusepithel, an der Einbruchsstelle fehlend, 4 Drüsenmündungen, 5 Binde- gewebskörper der Schleimhaut, 6 gewuchertes Ektoderm des Eies (Trophoblast) mit beginnender Zottenbildung und weitverzweigten Synceytiumsprossen, die in ein Blutlacunennetz eintauchen, das Blutlacunennetz hängt mit den Capillaren (8) in der Umgebung des Eies zusammen, 7 Mesoderm- ausbreitung, 9 Drüsendurchschnitte, 10 Muscularis, 11 Gewebspilz aus Blut und Fibrin, die Einbruchs- stelle des Eies bedeckend. Somatopleura herrührende Ausläufer des fötalen Mesoblastes. Diese sind nach außen bedeckt von den Trophoblastzellen, und diese sind wieder, wenigstens teil- weise, überzogen von syneytialen Elementen, welche ihrerseits an die mit mütter- lichem Blute gefüllten Laeunen grenzen. Die mit mütterlichem Blute gefüllten Räume werden als enorm erweiterte und ausgewachsene Capillaren aufgefaßt. Pfannenstiel nimmt an, daß die syncytialen Gewebe, welche die nach dem Ei zu celegenen Grenzen dieser Blut- Entwickelune der Chorionzotten. all lacunen oder primär-intervillösen Räume bilden, aus dem Gefäßendothel oder vielleicht auch dem umgebenden Bindegewebe entstammen. Seine Ansicht erscheint dureh gute Bilder wohl begründet. Man stellt sich nun aus diesen Anfängen die Entwickelung der mit doppeltem Epithel belegten Chorionzotten so vor, daß das mütterliche Blut einerseits die Ektoblastschale dergestalt aushöhle, daß Säulen und Spangen : 50% : IF ne SEIN, 2% EZ EI, Schema der Bildung des primär-intervillösen Raumes und der Primärzotten nach Pfannenstiel. Die roten Fasern stellen den fötalen Mesoblast der Eiwandung, bzw. der Primärzotten dar. “Die roten Zellen bilden den fötalen Ektoblast, die Langhanssche Zellschicht. Der mütterliche Anteil der Ei- wandung ist schwarz gehalten. In der Decidua sieht man die mütterlichen Blutgefäße mit schraffiertem Inhalt. Die syneytiale Wandung dieser Bluträume bildet gegen das Ei hin Sprossen, welche ausgehöhlt und durch Ausweitung zu den primär-intervillösen Räumen umgewandelt werden. Durch Konfluenz der so gebildeten Gefäßsprossen oder Bluträume werden Teile der zelligen Eihülle abgeschnürt, die auf dem Querschnitt als Inseln erscheinen. Diese Inseln enthalten sowohl fötales Ektoderm als deciduale Zellen. Durch das sprossenartige Hervorwachsen des fötalen Mesoblasts mit bedeckendem Ektoblast einerseits, durch die geschilderte Sprossenbildung und Ausweitung der mütterlichen Gefäße andererseits entstehen die primären Zotten des Eies (a). Durch weitere Wiederholung dieses Vorganges an den Zottenenden verzweigen sich die Zotten (b). Die epitheliale Zottendecke besteht somit aus einer fötalen und einer maternen Schicht. Die primär-intervillösen Räume sind konfluierte, neugebildete mütterliche Gefäße. von Trophoblast stehen bleiben, welche durch die andererseits vom Ei her vor- dringenden mesoblastische Sprossenbildung zu Zotten umgeformt werden, wobei der epitheliale Zellbeiag des Trophoblastes sowohl wie des Syneytiums immer mehr zu dünnen, schließlich zu einschichtigen Lagen umgewandelt wird (Pfannenstiel) (Fig. 50). Die tiefere Zellschicht des Zottenbelages, die sogenannten Langhans- schen Zellea, stammen zweifellos von dem fötalen Ektoblast. Über die Herkunft des Synejtiums bestehen dagegen noch große Meinungsverschiedenheiten. Der 118 Bildung der intervillösen Räume. Streit dreht sieh darum, ob es fötalen oder mütterlichen Ursprunges sei. Die Ver- fechter der fötalen Abkunft leiten das Syneytium ebenso wie die Langhansschen Zellen von dem kindliehen Ektoderm ab. Auch Zellen der Membrana granulosa sollten die Matrix dafür abgeben können. Von anderen wird das Syneytium von dem Uterusepithel oder von den Wandungen der mütterlichen Gefäße hergeleitet (ef. oben). Die Anfänge der Chorionzotten flottieren bei dem weiteren Wachstum zum Teil frei in den intervillösen Räumen (Ernährungszotten), zum Teil setzen sie sich als sogenannte Haftzotten in dem umgebenden deeidualen Gewebe fest und bringen so eine festere Verbindung des Eies mit der Uteruswand zustande (Fig.47 a.8.114). Die Zotten bestehen aus einem Stroma und dem doppelten Epithel- besatz. Das Stroma stellt ein Übergangsgebilde zwischen Schleim- und Fasergewebe dar. Im Anfange fehlen die Gefäße. In der dritten Woche oder schon früher beginnt die Vascularisation. Später sieht man in jeder Zotte ein arterielles und ein venöses Gefäß, beide verbunden durch ein ausgedehntes Capillarnetz. Das Zottenstroma entstammt der Somatopleura, welche in der zweiten Woche durch das vom caudalen Ende der Embryonalanlage längs des Haftstieles nach dem Chorion wachsende viscerale Blutgefäßbindegewebe verstärkt wird. j Mit der Allantois hat diese Blutgefäß- und Bindegewebsversorgung der Somatopleura nichts zu tun. Die Allantois stellt beim Menschen ein Rudiment dar, welches in Gestalt eines feinen Kanals mit dem Bindegewebe nur bis zur Insertion des Bauchstieles mitwächst, um daselbst blind zu endigen. An den fertigen Zotten besteht die dem Stroma unmittelbar aufsitzende Sehicht aus einer Lage rundlicher bis cubischer Zellen mit deutlichen Zellgrenzen (Langhanssche Zellen). Die an den Enden der Haftzotten noch befindlichen mehrschichtigen Lagen, die sogenannten Zellsäulen, werden als Überreste des ursprünglich überall so stark gewucherten Trophoblastes aufgefaßt. Die äußere Epithellage zeigt niemals Zellgrenzen. In einem gemeinsamen Protoplasmahof liegen zahlreiche polymorphe, intensiv färbbare Kerne (Syneytium). Das Syney- tium bildet nach der Oberfläche hin keulenförmige Fortsätze mit zahlreichen Kernen (Fig. 47). Bei der Betrachtung von Eiern in der dritten und vierten Woche findet man in der Decidua basalis schon keine Capillaren mehr. Alle sind in der beschriebenen Weise in die primär-intervillösen Räume umgewan- delt. Diese primär-intervillösen Räume erweitern sich nun noch auf Kosten der in die Blutlacunen einmündenden Venen. Die frei flottierenden Zotten werden durch den Blutstrom von den Arterien weggespült und in die Venen hineingesogen (Fig. 51). Die Abzugskanäle des Blutes dehnen sich immer mehr und mehr auf Kosten des in Degeneration begriffenen Zwischengewebes aus. Die Venen werden enorm erweitert und tragen zur Vergrößerung des intervillösen Raumes bei. Nunmehr bilden die Venen zusammen mit den schon in ähnlicher Weise auf- gebrauchten Capillaren den definitiven, den sekundär-intervillösen Raum (Pfannenstiel) (Fig. 52). Von dem Zwischengewebe bleiben nur die von den Arterien durchsetzten Pfeiler und Inseln stehen und bilden die Placentarsepten. Die Venen münden schon an der Basis oder am Rande der Placenta (Fig. 44a bisd a. 8. 109). An den Haftzotten fehlt an der in dem miütterlichen Gewebe steckenden Spitze das Syncytium; es erscheint oft zur Seite der Zotte auf die Oberfläche der Decidua basalis geschoben. Die Langhanssche Zellschicht legt sich dagegen direkt an das mütterlicehe Stroma an und wuchert stellenweise in die Deeidua hinein (Fig. 47). Allmählich verliert sieh auch die Langhanssche Zellschicht, und das Stroma der Zotte geht direkt bis an die Deeidua heran: Mütterliches und fötales Bindegewebe treten in unmittelbare Beziehung. Daher die festere Verbindung. In der ersten Zeit der Schwangerschaft schiebt sich der Rand der Placenta fortwährend in der angrenzenden Vera vor. Die Placenta hat in den ersten vier Monaten napfförmige Gestalt, weil das Chorion frondosum in den Basalteil der Reflexa hineinragt. Sobald die Reflexa mit der Vera verschmilzt, wird die periphere Grenze der Placenta durch eine endgültige Differenzierung in Chorion frondosum Blutkreislauf in der Placenta. 119 und laeve gezogen. Die der Reflexa zugehörigen Zotten atrophieren, die der Basalis wuchern dagegen weiter und dringen unterhalb der dort angrenzenden Vera in die venösen Gefäße ein. So entsteht der Waldeyersche deciduale Schlußring der Placenta, die ringförmige Decidua subchorialis. Der Blutkreislauf in dem mütterlichen Teile der Plaeenta (Placenta materna) spielt sich so ab, daß jeder Zottenlappen (Cotyledo) sein eigenes Strom- Fig. 51. Ch. N ], N WEN ZI, v A. : N: Nam San VE Ne Schematische Darstellung des Vordringens der Zotten in die Decidua basalis (nach Pfannenstiel). Ch. Chorion mit den Chorionzotten, p. J. primär-intervillöser Raum. Schraffiert: Deeidua basalis. A. Arterien, V. Venen. ZGÜGE Schematische Darstellung der Entstehung der sekundär intervillösen Räume und der Septa placentae nach Pfannenstiel. Ch. Chorion mit Chorionzotten. Schraffiert: Decidua basalis mit den Anfängen der Septa placentae. P. J. primär-intervillöser Raum. s. J. erweiterte Venenmündungen in den primär-intervillösen Raum — sekundär-intervillöse Räume, A. Arterien, Y. Venen. gebiet hat. Die Arterien verlaufen in den deeidualen Septen und münden von da in die intervillösen Räume ein. Die an der Basis der Placenta parallel der Uterusfläche und am Rande (Randsinus) in kürzerem oder längerem Bogen ver- laufenden Venen führen durch feine Öffnungen das Blut wieder aus den inter- villösen Räumen ab. Der fötale Kreislauf ist ebenso wie der mütterliche in sich geschlossen. Die Nabelarterien. verzweigen sich in den einzelnen Zottenstämmcehen, lösen sich on — — — — U | 120 Amnion. — Fruchtwasser. in den Endzotten in stark geknäuelte, dieht unter dem Epithel gelesene "Capillar- schlingen auf. Aus diesen nehmen dann die Venen wieder ihren Ursprung und vereinigen sich zur Nabelvene. In den späteren Monaten gehen noch einige charakteristische Veränderungen in der Placenta vor sich. Das Zottenstroma wird dichter und wandelt sich in den stärkeren Stämmen in streifiges Bindegewebe um. Das Zottenepithel wird etwa von der 12. Woche ab einschichtig, indem die Lang- hansschen Zellen allmählich verschwinden. Das Syncytium bleibt bis zur Geburt erhalten. Fibrinbildung findet in dem Mutterkuchen vielfach in Form von Streifen, Knoten und Keilen statt. Die Prädilektionsstellen sind: An der Oberfläche der Decidua basalis, an den Septen, an der Chorionfläche der Placenta, besonders am Rande. Außerdem findet man auch ganz unregelmäßig gelagerte degenerierte Partien im Innern der Placenta. Die geborene Placenta ist bei ausgetragenen Früchten ein rundlicher, 15 bis 18cm.im Durchmesser haltender und ungefähr 2cm dieker Kuchen von etwa 500g Gewicht. Die Entstehung des Amnion dachte man sich seither nach demselben Schema, wie es Kölliker für die Säugetiere aufgestellt hat. Während sich der Embryo mit seiner Bauchseite abschnürt und gleichzeitig nach dem Dottersack zu einsinkt, sollte sich das äußere Keimblatt mit der parietalen Lamelle des Meso- dermes ringsum über ihm in Form einer Falte (Amnionfalte) erheben und zusammenwachsen. Die so gebildete innere Haut, der Amnionsack, sollte sich dann von der äußeren Haut, der sogenannten serösen Hülle, abschnüren. Der Befund einer vollkommen geschlossenen Amnionhöhle bei sehr jungen menschlichen Eiern mit noch wenig weit entwickeltem Embryo brachte Zweifel an dieser Entstehung des Amnion, und man neigte sich zu der Ansicht, daß bei Menschen, ähnlich wie bei den Säugetieren mit vorübergehender scheinbarer Keim- blattumkehr die Amnionhöhle durch eine frühzeitige primäre Spaltbildung im Ekto- blast ihren Anfang nehme. Die Untersuchungen von Selenka!) und Keibel’) an Affen und von Beneke°) am Menschen zeigen, daß die Amnionhöhle vorübergehend durch einen Amnionnabelstrang mit der Oberfläche des Chorion in Verbindung steht. Jeden- falls kommt es beim Menschen und Affen aber nicht zu einer so weiten Eröffnung der ursprünglichen Höhle wie beim Schwein, Schaf und Reh (Keibel*), wo sich dann später deutliche Amnionfalten bilden. Es ist daher unwahrscheinlich, daß es beim Menschen Amnionfalten gibt. Durch die Vermehrung der Flüssigkeit in dem Amnion (Liquor amni, Frucht- wasser) wird seine Höhle zu einem großen Sack ausgedehnt. Das Exocoelom wird allmählich ganz verdränset. Das Amnion legt sich dicht an den Chorionsack an. Der Dottersack wird mit dem Bauchstiel durch das allmählich sich nähernde Am- nion zu dem Nabelstrang zusammengedränst. Das Fruchtwasser ist eine alkalisch reagierende seifenwasserähnliche Flüssigkeit von einem spezifischen Gewicht von 1002 bis 1028. Die physiologische Menge schwankt am Ende der Gravidität zwischen '/, bis 1'/, Liter; der Durch- schnitt beträgt etwa 1 Liter. Die Analyse von Hoppe-Seiler ergab: 98,43 Proz. Wasser, 1,57 Proz. feste Stoffe, 0,19 Proz. Albumin, 0,566 Proz. lösliche anorganische Salze, 0,81 Proz. Ex- traktivstoffe, 0,024 Proz. unlösliche organische Salze. Harnstoff kommt von der vierten Woche an immer vor (Prochownik°). Von Fermenten soll das Fruchtwasser regelmäßig Diastase und Pepsin enthalten (Bondi°). Über die Herkunft des Fruchtwassers herrscht noch keine vollständige Klarheit. In letzter Instanz rührt das Amnionwasser jedenfalls von der Mutter her. Es fragt sich nur, ob es direkt aus den mütterlichen Geweben oder durch ') „Menschenaffen“, herausgegeben von Keibel. Wiesbaden 1903. — ?) Ana- tomenversammlung Jena 1904. — ?) Anatomenversammlung Heidelberg 1903 (De- monstration). — *) Arch. f. Anat. u. Physiol. (anatom. Abt.) 1902, S. 292. — °) Arch. f. Gyn. 11. — °) Zentralbl. f. Gyn. 1903, Nr. 21, S. 633. Veränderungen an Tuben, Bauchfell, Scheide, Blase, Beckengelenken. 1321 Sekretion von seiten des Fötus entsteht. Zuntz hat trächtigen Tieren indig- schwefelsaures Natron in die Jugularvene eingespritzt und diesen Farbstoff im Fruchtwasser wiedergefunden, ohne daß die Nieren des Fötus damit gefärbt waren. Dadurch ist bewiesen, daß das Fruchtwasser zum Teil sicher direkt von der Mutter stammt. In ähnlichem Sinne läßt sich die Anwesenheit von Diastase und Pepsin im Fruchtwasser verwerten, die im Serum der Erwachsenen sich finden, während sie in dem Serum der Neugeborenen fehlen oder nur in Spuren nachweisbar sind (Bondi). In den späteren Monaten wird mehr fötaler Harn geliefert und dem mütterlichen Anteile beigemischt. Daß regelmäßig fötaler Urin in das Frucht- wasser entleert wird und nicht nur bei besonderen Reizen (wie z. B. das Meco- nium bei Lebensgefahr abgeht), ist durch die Untersuchungen von Zange- meister!) wahrscheinlich gemacht. c) Veränderungen an den übrigen Genitalien und in ihrer Umgebung. An den Tuben scheint in der Gravidität weder eine Neubildung noch eine Hypertrophie von Gewebselementen stattzufinden. Eine Verlängerung ist nur durch Streckung bedingt (Mandl?). Nach dem vierten Schwangerschaftsmonat entwickeln sich häufig groß- zellige deciduaähnliche Wucherungen unter dem Serosaendothel des Bauchfelles am Boden des Douglasschen Raumes, an der hinteren Gebärmutter- und der vorderen Mastdarmwand, ebenso unter dem Keim- epithel der Eierstöcke, die im Wochenbett wieder verschwinden (Pels-Leusden, Schmorl, Kinoshita, Schnell und Lindenthal?). Die Eierstöcke werden, abgesehen von der Stelle, wo das Corpus luteum sitzt, platter. Reifende Follikel in vorgeschrittenen Stadien sind selten. Die Scheidenschleimhaut erscheint durch die starke Blutzufuhr blaurot, glatt, weich, wulstig. Das Lumen der Scheide wird länger und weiter. Die Muskelelemente der Wand vermehren und vergrößern sich, be- sonders in den uteruswärts gelegenen Abschnitten. Bei der reichlichen Ernährung der Scheidenwände kommt es zur Ver- mehrung des Scheidensekretes. Die Bildung des Schleimpfropfens in dem Halskanal vermindert die Zufuhr von alkalischem Cervixsekret, wodurch die saure Reaktion des Vaginalsekretes stärker wird. Die Harnblase wird durch den schwangeren Uterus in ihrer Aus- dehnungsfähigkeit behindert. An den Beckengelenken findet man, als mit der Gravidität einher- gehende anatomische Veränderungen, eine größere Menge von Synovia, ver- mehrte Weichheit und Succulenz der inneren faserigen Schicht der Gelenk- knorpel, Auflockerung der Bänder und als Folge davon eine etwas größere Beweglichkeit (Luschka, Hyrtl, Balandin ®). Die Bauchdecken werden entsprechend der Vergrößerung des Uterus sehr stark gedehnt. Die Muskeln erleiden eine Ausziehung über die Grenze ihrer Elastizität hinaus. Die papierdünne, bei der Jungfrau in sagittaler Richtung stehende Lamelle der Linea alba wird auseinander- gezerrt und dehnt sich zu einer etwa 3 bis 5mm breiten frontal ge- !) Zentralbl. f. Gyn. 1903, S. 800.— ?) Mandl, Monatsschr. f. Geb. und Gyn. '1897, Erg.-H., S. 130. — °) Lindenthal, Monatsschr. f. Geb. u. Gyn. 13, 707, 1901. — *) Literatur bei Sellheim, Das Becken und seine Weichteile, im Handbuch d. Geburtsh., herausgeg. von v. Winckel 10 (2), 902, 1903. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 8* 123 Veränderungen an Bauchdecken, Haut, Brüsten. stellten Aponeurose Die Bauchhaut nimmt im ganzen um 70 Proz. ihrer Flächenausdehnung zu (Kehrer'!), Hoffner?). Die Dehnung ist in der Nabelgegend und in der Richtung der von ihr ausgehenden Strahlen am größten. Nach der Peripherie hin nimmt sie ab. An der Bauchhaut, aber auch an der Haut der Oberschenkel, der Nates und Brustdrüsen macht sich die Ausdehnung durch das Auftreten von den sogenannten Schwangerschaftsstreifen bemerkbar. Sie erscheinen bei Erstgebärenden gewöhnlich im siebenten Monate zahlreicher und sind der Aus- druck der starken Zerrung der Cutis. Diese Striae gravidarum stellen glatte glänzende, bläulichrot gefärbte Streifen dar. Mit dem Mikroskop sieht man, daß das ursprünglich netzartig angeordnete Bindegewebe der Cutis zu parallelen, die Schwangerschaftsstreifen durchquerenden Fäden aus- gesponnen ist (Langer). Die elastischen Fasern erscheinen im Bereich der Striae zerrissen und in das benachbarte Gewebe zurückgeschnellt. Die dickeren Fasern sind in feinere zerfallen und in den Fasern, welche ihre Elastizität eingebüßt haben, ist das Elastin in Elacin umgewandelt (Unna). Die Papillen sind auffallend niedrig oder gänzlich verschwunden. Die An- ordnung der Striae wird durch die spezifischen Spannungsverhältnisse der Bauchhaut geregelt. Die Brustdrüse bildet sich während der Schwangerschaft aus und erreicht ihre vollkommene Entwickelung erst mit Beginn des Wochenbettes. Durch Neubildung von Drüsenbläschen tritt eine Vergrößerung der Drüse ein. Die vorhandenen Gefäße erweitern sich und neue werden ge- bildet. Im Bereich des Warzenhofes vermehrt sich das Pigment. Nicht selten greift die Bräunung über die ursprünglichen Grenzen des Warzen- hofes hinaus auf die Umgebung über (sekundäre Areola). Die kleinen in dem Warzenhof steckenden sogenannten Montgomeryschen Drüsen hypertrophieren und treten als kleine Knötchen stärker hervor. Auch die Brustwarze hypertrophiert in allen ihren Bestandteilen, besonders in ihrer glatten Muskulatur. Aus der Warze entleert sich auf Druck schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft das Colostrum. Obwohl die Montgomeryschen Drüsen wie Talg- und nicht wie Milchdrüsen ge- baut sind, sollen sie häufiger kleine Tröpfchen Colostrum und nur ausnahms- weise Talg enthalten (Kehrer). 3. Veränderungen in dem übrigen Organismus. Mit der Schwangerschaft sind Mehrleistungen des ganzen mütterlichen Körpers verknüpft, welche eine große Anzahl anatomisch wahrnehmbarer oder durch physikalische und chemische Untersuchungsmethoden erkennbarer Alterationen nach sich ziehen. Das Frauenblut weicht für gewöhnlich in seiner Beschaffenheit von dem Männerblut ab. Die Zahl der roten Blutkörperchen ist bei Frauen geringer (beim Mann durchschnittlich 5 000000, bei der Frau 4500000 auf ') Kehrer, Enzyklopädie der Geb. und Gyn. von Sänger und v. Herff 1900, 8. 258. — *?) Hegar, Beitr. 4 (1901). — °) Langer, Anz. d. k. k. Ges. d. Ärzte in Wien 1878 und Med. Jahrb. herausg. von Stricker, 1880. — *) Unna, Histopathologie der Haut, 1894 und Ziemssens Spez. Pathol. u. Therapie 14, 1. Hälfte. Veränderungen in dem übrigen Organismus: Blut, Herz. 133 lmm?. Die Blutkörperchen der Frau sind dagegen schwerer, hämoglobin- reicher, aber serumärmer als beim Manne. Die Gravidität verändert die Zahl der Erythrocyten nicht in nachweis- barem Grade. Der Hämoglobingehalt bleibt normal. Die Leukocyten er- scheinen in mäßigem Grade vermehrt. Die native Alkaleszenz ist leicht vermindert, die Molekularkonzentration normal. Auffallende Schwan- kungen in der Größe und Form der roten Blutzellen sprechen für lebhafte Regenerations- und Degenerationsvorgänge (v. Rosthorn). Das Blutserum Schwangerer zeichnet sich gegenüber dem Serum Nichtschwangerer nach Zangemeister!) aus durch eine Verringerung des spezifischen Gewichtes, des Eiweißgehaltes, der molekularen Konzentration, der Alkaleszenz; dagegen besteht eine Erhöhung des Gehaltes an Chloriden. Für eine Herzhypertrophie, die man vielfach anzunehmen geneigt war, lassen sich weder anatomische noch klinische Beweise erbringen. Die Verbreiterung, welche die absolute Herzdämpfung regelmäßig am Ende der Schwangerschaft erfährt, ist darauf nicht zu beziehen, sondern kommt durch die Verlagerung des Zwerchfelles zustande. Sie ist der Ausdruck einer Querstellung und stärkeren Anpressung des Herzens an die vordere Brustwand (Gerhardt?). Die Herzspitze wird dabei um etwa 2cm nach oben und außen verschoben. Die damit verbundene Kompression des Herzens erklärt auch die bei einer größeren Anzahl von Schwangeren auftretenden accıidentellen Herzgeräusche. Der Puls scheint durch keine besonderen Eigentümlichkeiten aus- gezeichnet (Vejas?), Heinricius*®), v. Rosthorn). Dagegen sieht man häufig Zirkulationsstörungen in den Nachbar- gebieten der Genitalien. Bei etwa drei Vierteln der Schwangeren bilden sich an den unteren Extremitäten, äußeren Genitalien, am Änus und an den Bauchdecken varicöse Ausdehnungen der Venen (Krampfadern, Kinds- adern). Verschiedene mechanische Momente sollen daran Schuld sein. Man rechnet mit einer intraabdominellen Drucksteigerung in der Schwangerschaft, welche das Blut nach den Nachbarteilen zurückstaut, oder mit einer Über- füllung der Vena iliaca communis durch den reichlichen Zufluß aus den in höherem Grade mit Blut versorgten Genitalien auf dem Wege der Hypo- gastrica, wodurch der Strom aus der Cruralis gehemmt werden soll. Bei Erstgebärenden führt man den Druck des in den letzten Monaten schon in das kleine Becken einrückenden Kopfes an. Ähnlich wie das Herz werden auch die Lungen durch die Dislokation des Zwerchfelles verschoben. Zwar ist der Stand des Zwerchfelles nur wenig höher als bei Nichtschwangeren, doch erscheint seine Kuppe durch das Eindrängen der resistenten Leber stärker konvex. Die Insertionspunkte des Zwerchfelles werden gezerrt, und die schwächste Stelle, die biegsamen Rippenknorpel der vorderen Thoraxwand, gibt nach, das Brustbein weicht nach hinten. Der Sagittaldurchmesser des Brustkorbes nimmt ab, der Quer- durchmesser zu (Dohrn). Die seitlichen Krümmungen der Rippen werden !) Zeitschr. f. Geb. und Gyn. 49 (1). — ?) De situ et magnitudine cordis gravidarum. Jenae 1882. — °) Volkmanns klin. Vortr., Nr. 269, S. 1943. — ?) Ex- perimentelle und klinische Untersuchungen über Zirkulationsverhalten der Mutter und der Frucht. Helsingfors 1889. 124 Lungen. — Stoffwechsel. stärker nach außen vorgewölbt. Der Umfang der Thoraxbasis vergrößert sich um 12,2 Proz., sein Breitendurchmesser um 9,7 Proz. (Kehrer). Die Brust- muskeln beteiligen sich an der Atmung stärker als sonst. Infolge dieser Kompensationen zeigt die Lungenkapazität keine Veränderung (Vejas). Die gewaltigen produktiven Leistungen, die zur Ausbildung der Geni- talien und zu dem raschen Aufbau des Kindes notwendig sind, müssen durch eine Veränderung in dem Stoffwechsel ausgeglichen werden !). Wenn man Schwangeren nur so viel Nährstoff zuführt, als für einen ruhenden Menschen unter gleichen physiologischen Verhältnissen zur Erhaltung seiner Körpermasse unbedingt notwendig ist, so stellt sieh doch noch eine Gewichts- zunahme ein (Gassner’) und Baumm°). Man muß daher der Frau in der Gravidität eine bedeutend gesteigerte Fähigkeit, aus der eingeführten Nahrung Organisiertes zu bilden, zuschreiben. Die bis ans Ende der Schwangerschaft fortschreitende Massenzunahme der Gravidae führt Gassner nach sorgfältigen Wägungen nicht allein auf die Vergrößerung des Eies und der Genitalien zurück, sondern er nimmt auch an, daß die übrigen Organe entsprechend zugenommen haben. Damit stimmen auch die Untersuchungen von Zacharjewsky‘) überein. Jägerroos’) fand bei seinen Untersuchungen an schwangeren Hündinnen eine kürzere oder längere Periode mit gesteigertem Eiweiß- zerfall, die er für etwas Charakteristisches zu halten geneigt ist. Im übrigen erschien der Organismus bestrebt, durch eine strenge Sparsamkeit die Stickstoff- ausgaben aufzuwägen. Die Harnabsonderung ist in der Schwangerschaft beträchtlich gesteigert (Mosler‘) und v. Winckel’). Die täglichen Ausscheidungen von Kochsalz, Schwefelsäure und wahrscheinlich auch Phosphorsäure in dem Harne er- scheinen ebenso groß wie bei Niehtschwangeren (v. Winckel). Diese Graviditäts- polyurie macht sich erst gegen die Mitte der Schwangerschaft bemerklich und bringt eine Verminderung des spezifischen Gewichtes des Harnes mit sich. Die Harnstoff- und Harnsäureausscheidung bewest sich in physiologi- schen Grenzen (v. Winckel, Heinrichsen, Zacharjewsky). Die Menge des in Harn und Kot ausgeschiedenen Stickstoffes überschreitet nicht das physiologische Maß. Das beweist aber nicht, daß sich die Zersetzungs- prozesse in dem Organismus Schwangerer ebenso vollziehen wie bei Nichtschwangeren. Vielmehr nimmt Zacharjewsky an, daß ein beträchtlicher Teil des aus dem Darm resorbierten Stickstoffes in dem Körper zurückgehalten und angesetzt wird. Die Retention macht sich besonders am Tage vor der Geburt geltend. Die Stickstoffaufspeicherung dient in der Schwangerschaft zur Er- nährung und Entwiekelung der Frucht. Vor der Geburt ist sie als ein Sparen für die bevorstehende Arbeitsleistung verständlich. Auch eine vermehrte Fettbildung scheint einzutreten, wenigstens konnte mit dem Fortschreiten der Schwangerschaft in den Leberzellen eine Kkontinuier- liche Zunahme des Fettes konstatiert werden (Miotti°®). Auf die Funktions- änderung der Leber weist auch die gleichmäßige Steigerung des Glykogen- gehaltes in der Schwangerschaft und die stärkere Ausscheidung von Glykogen durch den Harn bei Schwangeren hin (Charin und Guillemont’). ') Was Tatsächliches auf diesem Gebiete bis jetzt erwiesen wurde, hat v. Rosthorn in übersichtlicher Weise zusammengetragen. — °) Monatschr. f. Gebk. und Frauenkrankheiten 19 (1862). — °) Gewichtsveränderungen der Schwan- geren, Kreißenden und Wöchnerinnen usw. Inaug.-Dissert. München 1837. — *) Zeitschr. f. Biol., N. F. 12, 3, 1894. — °) Zentralbl. f. Gynäkol. 1903, Nr. 17. —., °) Inaug.-Dissert. Gießen 1858. — 7) Studien über den Stoffwechsel bei der Geburt und im Wochenbett im Anschluß an Harnanalysen bei Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen, Rostock 1865. — °) Annali di ost. e einec., Milano 1900, No. 11, p. 733. — °) Compt. rend. hebdom. des seances de la Soc. de biol. 12. Mai 1899, p. 3338. Veränderungen des Harns. 125 Die Glykosurie in der Schwangerschaft scheint kaum stärker als die normale physiologische des gesunden Menschen (Leduc'). Wenn sich gegen Ende der Schwangerschaft die Milchsekretion geltend macht, kann die Glykos- urie durch Laktosurie gedeckt werden (Leduc, Brocard?).. Nach den Untersuchungen von Jaksch°) und Lanz‘) scheint die Assimilationsgrenze für den Traubenzucker während der Schwangerschaft herabgesetzt und bis zur Reife der Frucht zu sinken. Eine geringe, das physiologische Maß nicht überschreitende Acetonurie kommt nach Stolz’) fast in allen Fällen vor, während Audibert und Baraja°) das nicht finden konnten. Gelegentlich fand Fischel’) in dem Harne Schwan- gerer Pepton. Andere konnten das nicht bestätigen °). Bei Schwangeren enthält der Urin sehr häufig Eiweiß. Diese Albu- minurie tritt erst in der zweiten Hälfte der Gravidität auf, steigert sich all- mählich bis zur Geburt und pflegt im Wochenbett rasch zu verschwinden. Wenn sich auch bei dieser Erscheinung die Grenze gegenüber der gewöhn- lichen Nephritis, die mit in die Schwangerschaft herübergenommen oder dort zum Ausbruch gekommen ist, oft schwer ziehen läßt, so dürfen wir doch für viele Fälle eine ausschließlich durch die Schwangerschaft hervorgerufene Nierenaffektion annehmen, die wir als „Schwanger- schaftsniere“ bezeichnen. Es handelt sich dabei nicht um entzündliche, sondern um degenerative Prozesse im Nierenparenchym (v. Leyden’?). Für das Zustandekommen dieser Nierenstörung werden verschiedene me- chanische Faktoren, eine Art Autointoxikation infolge des veränderten Stoff- wechsels und auch Mikroorganismen angeschuldigt. Jedenfalls handelt es sich um ein Mißverhältnis zwischen der Blutversorgung und der den Nieren in der Gravidität zugemuteten Arbeitslast (Zangemeister !P), In der zweiten Hälfte der Schwangerschaft treten in dem Urin regel- mäßig Epithelien der harnableitenden Wege und Leukocyten, seltener Erythrocyten und hyaline und granulierte Zylinder auf!!). Auch nicht organisierte Sedimente kommen häufiger vor. Alle Formelemente nehmen gegen Ende der Schwangerschaft auffallend zu und erreichen den Höhepunkt bei der Geburt. Durch die Einengung der Harnblase und durch eine Erschlaffung der Schließmuskulatur kommt es nicht selten während der Schwangerschaft zu Störungen in der Harnentleerung (häufiger Drang zum Wasserlassen, unwillkürlicher Abgang von Urin). Schließlich entwickelt sich in der Schwangerschaft auch eine Reihe von Störungen, deren Ursachen noch nicht ohne weiteres ersichtlich sind. In der Haut haben wir schon die Pigmentationen erwähnt, die sich aber nicht nur im Bereich der äußeren Genitalien und der Warzenhöfe, sondern auch !) Recherches sur les sucres uniaires psychol. des femmes en e&tat gravido- puerperal. These de Paris 1898 und Bull. med. 23, 11, 1898. — ?) These de Paris 1898. — °) Prager med. Wochenschrift 1895, S. 232. — *) Wiener med. Presse 1895, Nr. 49. — °) Arch. f. Gynäkol. 65 (3). — °) Ann. de gyn. et de l’obstretr. 1902, Januar bis März. — 7) Arch. f. Gynäkol. 24, 3 und 26, 1. Zentralbl. f. Gynäkol. 1889, S. 27, 473. — °) Koetnitz, Deutsche med. Wochenschr. 1888, S. 30 und 1889, S. 44 bis 46 und Thomson, Deutsche med. Wochenschr. 1889, 8. 44. — °) Zeit- schrift f. klin. Med. 2, 2 und 9, 1. Deutsche med. Wochenschr. 1886, Nr. 9. Charite- annalen 14, 8, 129, 1889. — !°) Arch. f. Gynäkol. 66. — '') Fischer, Prager med. Wochenschr. 1892, Nr. 17 und Arch. f. Gynäkol. 64, 218 und 262 und Trauten- roth, Zeitschr. f. Geb. und Gynäkol. 30, 98. 126 Hautveränderungen. — Östeophyt. — Körperhaltung. an der Bauchhaut, im Gesicht (Chloasma wterinum) und an den Armen häufig vorfinden. Neuerdings hat H. W. Freund!) auf ein bei Schwangeren fast immer ausgesprochenes Phänomen an der Haut, den sogenannten Dermographis- mus, aufmerksam gemacht. Nach dem Streichen der Brust- oder Bauchhaut mit einem härteren Gegenstand, z. B. dem Fingernagel, stellt sich entsprechend den gereizten Linien eine erhabene rote Zeichnung ein, die stundenlang be- stehen bleiben kann. Nach der Geburt verschwindet diese Erscheinung regelmäßig. In mehr als der Hälfte der Fälle entwickeln sich vom dritten Monat der Schwangerschaft ab an der Innenfläche der Schädelknochen Wucherungen und knöcherne Auflagerungen, die man als puerperales Osteophyt?) be- zeichnet. Die Zähne schwangerer Frauen sind abnorm zerbrechlich und empfind- lich. Die chemische Untersuchung ergab eine auffallende Verminderung des Fluorealeiums). Häufig begleiten die Schwangerschaft mancherlei funktionelle Stö- rungen derVerdauungs- und Zirkulationsorgane, welche, in stärkerem Grade ausgesprochen, schon an die Grenze des Pathologischen heranreichen. Die Körperhaltung ist bei den Schwangeren durch die Massen- zunahme des Bauchinhaltes dahin verändert, daß der ganze Körper oder doch wenigstens der Rumpf rückwärts geneigt wird. Die Halswirbelsäule ist dabei steiler aufgerichtet, die Brustwirbelsäule stärker kyphotisch ge- krümmt, die Lendenlordose meist flacher (Kuhnow!). 4. Physiologisches Verhalten der Frucht. In der allerersten Zeit der Entwickelung besitzt die Fruchtanlage noch keine eigenen Blutgefäße und ist auf eine Ernährung durch die Säfte der Umgebung angewiesen. Die ersten Blutgefäße dienen dazu, das in der Dotterblase noch vorhandene Nährmaterial aufzunehmen und dem Fötus zuzuführen — erster oder Dotterkreislauf. — Der geringe Nahrungs- vorrat reicht aber nicht weit. Schon in der zweiten Woche der Entwicke- lung entsteht neben dem Dotterkreislauf durch das Herantreten des blut- gefäßführenden Bindegewebes an die Eiperipherie und durch die hieraus sich entwickelnden Beziehungen zu den Blutgefäßen der Gebärmutterschleim- haut der Chorionkreislauf. Der Dotterkreislauf geht zugrunde und der zweite Kreislauf wird unter Ausbildung der Placenta zu dem Placentar- kreislauf. Mit dem Ende des zweiten Monats sind für das intrauterine Leben die Zirkulationsverhältnisse endgültig hergestellt. Das in der Placenta aufgefrischte Blut geht mit der Vena umbrlicalis durch den Nabelring in den Körper des Fötus hinein. Die ersten Äste werden teils direkt, teils nach Anastomosenbildung mit der Vena portae nach der Leber abgegeben. Die ‘) Verhandl. des VI. deutschen Dermatologen - Kongresses zu Straßburg. — *) Ducerest, Me&m. de la soc. med. obstetr. 2, 404, 1844 und Rokitansky, Hand- buch der pathol. Anatomie 1844, S. 237. — °) Terrier, De l’influence de la grossesse sur les dents. These de Paris 1899. — *) Arch. f. Gynäkol. 35, 424. — Physiologie der Frucht. 127 Hauptmasse des Blutes gelangt durch den Ductus venosus Arantii in die untere Hohlvene. Von dieser aus strömt das aus der Placenta kommende Blut zusammen mit dem venösen Blute der unteren Körperhälfte und der kurz vor dem Herzen einmündenden Lebervenen zum Herzen. Durch die Vermittelung der Valvula Eustachii wird das zunächst in die rechte Vor- kammer gelangte Blut durch das Foramen ovale in die linke Vorkammer ge- leitet. Außerdem münden in den linken Vorhof auch noch die Lungenvenen. Das Blut der Vena cava superior füllt den rechten Vorhof. Bei der Diastole ergießt sich vorwiegend das in der Placenta auf- gefrischte Blut der Cava inferior aus dem linken Vorhof in den linken Ven- trikel, während der rechte Ventrikel das venöse Blut der Cava superior erhält. Bei der Systole wird das arterielle Blut des linken Ventrikels durch die Aorta ascendens ın die großen Gefäße der oberen Körperhälfte ge- worfen. Der Rest fließt in die Aorta descendens. Das venöse Blut des rechten Ventrikels wird in den Stamm der Arteria pulmonalis gepumpt. Die Verzweigungen nach den Lungen sind noch eng und nehmen nur einen kleinen Teil des Blutes auf. Die Hauptmasse gelangt durch den weiten Ductus Botalli in die Aorta descendens und mischt sich mit dem vom linken Ventrikel dorthin gelangten, noch teilweise arteriellen Blute zur Versorgung der unteren Körperhälfte. Aus den Hypostricae entspringen beiderseits die Arteria umbilicales, welche das ausgenutzte Blut zur Auffrischung wieder in die Placenta schicken. Bei dieser Blutverteilung ist es natürlich, daß die mit arteriellem Blute besser versorgte obere Körperhälfte und vor allem die Leber in den ersten Monaten der Schwangerschaft vorwiegend wachsen. In der zweiten Hälfte der Schwangerschaft ändert sich dieses Verhältnis zu- gunsten der Lungen und der unteren Körperhälfte. Die Ausmündungsstelle der arterielles Blut einführenden Vena cava inferior rückt in dem rechten Vorhof mehr nach rechts und ergießt nunmehr einen Teil ihres Blutes in den rechten Vorhof. Dieser Zuwachs kommt den Lungen und, durch die Vermittelung des Ductus Botalli, auch der unteren Körperhälfte zugute. Unsere Kenntnisse über den Stoffwechsel des Fötus sind noch sehr lückenhafte. Die Untersuchungen über die molekularen Konzentrationen der Gewebssäfte, von denen man eine Klärung des Stoffaustausches zwischen Mutter und Kind erwartet, berechtigen noch nicht zu weitergehenden Schlußfolgerungen. Alles, was das Kind gebraucht, wird ihm durch das Blut der Nabelvene zugeführt. Alle Abfallstoffe werden durch den Placentarkreislauf aus- geschieden. DiePlacenta ersetzt dem Fötus Atmungs-, Ernährungs- und Ausscheidungsorgane. Die hierzu notwendigen Arbeiten müssen durch die zwischen kindlichem und mütterlichem Blut eingeschalteten leben- den Zellen, vor allem wohl durch das Syneytium geleistet werden. Es handelt sich dabei nicht um reine osmotische oder Diffusionsvorgänge, sondern um eine Auswahl und Umbildung der vorhandenen Nährstoffe, eine echte Drüsenfunktion!). Die dünnen Gefäßwände der Capillaren in den Chorionzotten und der Epithelüberzug der Zotten vermitteln zunächst !) Vgl. Straßmann, Das Leben vor der Geburt. Volkmanns klin. Vorträge INFE., Nr. 253. 128 Stoffwechsel der Frucht. den Gasaustausch zwischen Mutter und Kind. Weiterhin führen . diese Gewebe dem Kinde die Nahrung zu und befördern die Stoffe der regressiven Metamorphose zur weiteren Ausscheidung in den mütterlichen Kreislauf. Die Atmung des Fötus besteht darin, daß das fötale Blut in den Capillaren der Chorionzotten seine Kohlensäure abgibt und aus dem mütter- lichen Blute den Sauerstoff aufnimmt. Das Nabelvenenblut bekommt in- folgedessen ein hellrotes und arterielles Aussehen. Das Sauerstoffbedürfnis der Frucht ist verhältnismäßig gering, da sie von allen Wärmeverlusten, denen der Mensch ım extrauterinen Leben ausgesetzt ist, verschont bleibt. Die beim Aufbau des Körpers notwendigen Oxydationsprozesse erzeugen fortdauernd Wärme, welche sich zu der Tem- peratur summiert, auf welcher der Fruchtkörper durch den umgebenden mütterlichen Organismus erhalten wird. Daher findet man die Rectal- temperatur bei lebenden Früchten um etwa 1/,0C höher als bei der Mutter. Zu solchen Messungen bietet sich unter der Geburt bei Steißlagen Gelegenheit. Das rasche Wachstum der Frucht erfordert eine sehr reichliche Zufuhr von Nahrungsmaterial. Daß Wasser und darin lösliche Stoffe ebenso wie Gase von der Mutter zu dem Kinde und umgekehrt über- - treten können, ist experimentell nachgewiesen. Der Übergang von Fett und Eiweiß ist schwerer zu erklären; emulgiertes Fett geht nicht durch die Zottenwandungen; selbst wenn Fettsäuren übertreten, so erscheint das nicht genügend für den Bedarf des Fötus. Man denkt daher an die Bildung von Fett aus dem Eiweiß in dem Organismus des Kindes. Bei der Aufnahme des Eiweißes stellt man sich den Mechanismus so vor, daß die Chorionepithelien vielleicht ähnliche Eigenschaften betätigen wie die Darmepithelien und die Eiweißstoffe so umarbeiten (peptonisieren), daß sie für einen Weitertransport in den kindlichen Organismus geeignet werden. Ascoli!) fand schon in frühen Stadien der Schwangerschaft in der Placenta ein eiweißspaltendes Ferment. Eiereiweiß subeutan der Mutter einverleibt, läßt sich durch die biologische Reaktion im mütterlichen und im fötalen Serum nachweisen. Auch den weißen Blutkörperchen, die man in der Nabelvene reichlicher findet als in den Arterien, hat man eine Rolle bei der Eiweißaufnahme zugeschrieben. Das Fruchtwasser, welches nachweislich vom Kind verschluckt wird, kommt wegen seines sehr geringen Eiweißgehaltes (0,2 Proz.) als Nahrungs- mittel kaum in Betracht. Dagegen glaubt man, daß es zum Verdünnen der in konzentrierter Form aus dem mütterlichen Blute entnommenen Nahrungs- stoffe im Haushalt des Fötus Verwendung findet. Das spezifische Gewicht des Blutes beim Fötus ist gleich dem des Erwachsenen. Das spezifische Gewicht des Serum, der Gehalt an Hämoglobin und Fibrin sind geringer. Der Salzgehalt ist dagegen größer als beim mütterlichen Blute. Auch sollen Unterschiede im Gefrierpunkt und Agglutinationsvermögen zwischen dem Blute des Kindes und der Mutter bestehen. Einheitliche Anschauungen herrschen hier aber noch nicht (Veit?). . : !) Zentralbl. f. Physiol. 1902, Heft 5. — °) Literatur beiVeit-Olshausen, 8. 80, Funktionen der einzelnen Organe. 129 Da dem Fötus alles Nährmaterial anscheinend schon in einer für seinen Aufbau sofort brauchbaren Form zugeführt wird, braucht er keine Arbeit zu leisten und die Verbrennungsprozesse in dem kindlichen Organismus be- schränken sich auf das geringsteMaß. Daher sind die Absonderungen gering. Die Schlacken des Stoffwechsels werden wohl hauptsächlich durch die Placenta eliminiert. _Die fötale Harnsekretion ist minimal. Eine Entleerung von Harn in das Fruchtwasser scheint nach Zangemeister!) schon im fünften Schwangerschaftsmonat vorzukommen. Die Schweiß- und Talg- drüsen der Haut bilden eine schmierige Masse, die Vernix caseosa. Da der Verdauungsapparat noch brach liegt, finden sich seine Sekrete nur in beschränktem Maße. Der Speichel enthält gewöhnlich kein Ptyalin. In dem Magensaft findet sich schon Pepsin und Lab- ferment. Die Leber bildet Glykogen und scheidet Galle aus. Die in den Darm entleerte Galle bildet mit den nicht resorbierten Substanzen des ver- schluckten Fruchtwassers (Wollhaaren, Epidermisschuppen, Talgklümpchen) eine schwarze, pechartige Masse, das Kindspech oder Meconium. Durch peristaltische Bewegungen des Darmes gelangt das Kindspech bis in die unteren Partien des Diekdarms und des Mastdarms. Unter gewöhnlichen Verhältnissen erfolgt keine Entleerung in das Fruchtwasser. Der günstigen Stoffwechselbilanz des Fötus entspricht eine gewaltige Körpergewichtszunahme und ein starkes Wachstum, wie die fol- gende dem Bummschen Lehrbuch entnommene Tabelle zeigt. Alter: Länge Gewicht Ende des 1. Monats ... 7 bs 8mm — | 2 ; 2 e DIN RI | = nach His n n 3 7 ” 9 cm 35 & J Im 4. TO 17 .; 41 I) a 5 |. TEN 27 £; 222 „ | ” 6. n 28 ” 34 n 658 n | nee = BD cr le 1343 „ nach Hecker sn. 39 a2, 1609 „ 2, RT OR Al A 1993 „ 0 5 5 2 AT, 2450 „ ) Über die Ausbildung der einzelnen Organe sei nur bemerkt, daß Kontraktionen des Herzens schon mit drei Wochen vorhanden sind. Durch die mütterlichen Bauchdecken hindurch können wir den Herzschlag mit dem Stethoskop regelmäßig und bequem erst um die Mitte der Schwanger- schaft wahrnehmen. Anfänglich hört man einen einfachen systolischen Ton, später einen Doppelschlag, der sich etwa 140 mal in der Minute wiederholt. Bewegungen der Extremitäten werden vom 4. Monat an gemacht und von der Mutter regelmäßig um die Mitte der Schwangerschaft wahr- genommen. Gehirn und periphere Nerven scheinen nur in sehr be- schränktem Maße tätig zu sein. Auf äußere Reize erfolgen Reflexbewegungen. \) Zentralbl. f. Gynäkol. 1903, $. 800. Nagel, Physiologie des Menschen, II. 9 130 Haltung, Lage, Stellung der Frucht. Atmungs- und Ernährungsorgane erreichen ihre Funktionsfähigkeit. erst gegen Ende der Schwangerschaft. Ahlfeld!) machte auf flache intra- uterine Atembewegungen aufmerksam, welche als Vorübungen für später aufgefaßt werden sollen. Vor der 28. Woche geborene Früchte gehen meist rasch zugrunde. Nach der 28. Woche sind Respirations-, Zirkulations- und Verdauungsorgane so weit entwickelt, daß man imstande ist, unter sehr günstigen äußeren Bedingungen ein Kind am Leben zu erhalten. Erst mit der 40. Woche ist die Ausbildung des Organismus so weit abgeschlossen, daß für den Beginn des extrauterinen Lebens keine Gefahren mehr bestehen. Schon während der letzten Zeit der Schwangerschaft müssen wir mit Rücksicht auf die mechanischen Vorgänge bei der Geburt die räumlichen Beziehungen der Frucht zu der Gebärmutter und zu dem knöcher- nen Becken ins Auge fassen. Der Geburtshelfer gebraucht die Ausdrücke: Haltung, Lage, Stellung der Frucht und verbindet mit jedem dieser Worte einen bestimmten Sinn. Die Haltung ist das Verhältnis eines Kindsteiles zu einem anderen oder zu dem übrigen Körper. Bei der typischen oder normalen Haltung ist der Kopf in nur ganz mäßiger Beugung oder in einer Mittelstellung zwischen Beugung und Streckung. Doch wechselt der Grad der Beugung mit der Lage des Schwerpunktes des Fruchtkörpers zu der Unterstützungs- fläche. Die Wirbelsäule ist nach hinten oder nach der Seite convex. Die Arme liegen über der Brust gekreuzt, die Beine sind an den Bauch gezogen und in den Hüft- und Kniegelenken gebeugt. So erscheint die ganze Frucht auf einen möglichst kleinen Raum zusammengekrümmt und sehr geschickt in dem eiförmigen Raume des Uterus verpackt. Unter Lage versteht man das Verhältnis der Längsachse der Frucht zur Längsachse der Gebärmutter. Wir sprechen von der normalen oder physiologischen Lage nur dann, wenn die beiden Achsen zusammenfallen und der Kopf in normaler Haltung dem Becken zugekehrt ist: Schädellage oder Hinterhauptslage. Als Stellung bezeichnet man die Richtung, welche der Rücken der Frucht zu den Wänden der Gebärmutter einnimmt. Der Rücken ist immer etwas nach der einen Seite gekehrt. Liegt er links, so haben wir eine so- genannte erste, liegt er rechts, eine zweite Schädellage. Sieht der Rücken dabei mehr nach vorn, so besteht eine dorso-anteriore, sieht er mehr nach hinten, eine dorso-posteriore Unterart. Die erste Stellung ist die häufigere, und unter der ersten Stellung überwiegt die dorso-anteriore und unter der zweiten Stellung die dorso-posteriore Unterart. Daß am Ende der Schwangerschaft etwa 99,5 Proz. aller Früchte eine Längslage einnehmen, hat seinen Grund in der hierbei vorhandenen besseren Übereinstimmung der Gestalt des Fruchtkörpers mit der länglich geformten Gebärmutterhöhle. Bei jeder Abweichung von dieser Lage wird die Gebärmutter zu Kontraktionen gereizt, welche die Frucht in die Längslage einrichten. In ähnlichem Sinne wirkt eine straffe Bauchmuskulatur. !) Festschr. f. Karl Ludwig, Marburg 1890. o)I nee Geburt. 131 Schwieriger ist es, eine Erklärung zu geben, warum in 97 Proz. aller Fälle der Kopf vorliegt. Eine frischtote Frucht schwimmt in einer Salzlösung von gleichem spezifischen Gewicht mit dem Kopfende schräg nach unten (Gravitationstheorie). Es ist sehr zweifelhaft, ob in dem eng anschließenden Uterus dieses Moment ausreicht, um den Kopf so regelmäßig nach unten zu drehen. Jedenfalls spielen hier Bewegungen der Frucht, welche sich der ovoiden Form des Uterus anzupassen strebt, mit. Da der Kopf besser in das untere Uterinsegment paßt, so wird er, einmal dorthin gelangt, festgehalten. Dagegen wird er aus allen anderen Lagen sich herausbewegen können. Das geht nun in früherer Zeit der Schwangerschaft, in welcher die Lage noch häufig wechselt, so lange, bis sich der Kopf endlich in dem ihm konformen unteren Uterinsegment gefangen hat (Accommodationstheorie). Die Neigung des Fötus, mit dem Rücken nach einer Seite aus- zuweichen und dabei die linke Seite der Mutter zu bevorzugen, ebenso wie das Überwiegen der Drehung des Rückens bei Linkslagerung mehr nach vorn und bei Rechtslagerung mehr nach hinten, finden in den Raumver- hältnissen der Unterleibshöhle und der Lage der schwangeren Gebärmutter in derselben ihre Erklärung. Die Schwangeren wechseln tagtäglich von der aufrechten Stellung zur Rückenlage und umgekehrt. Bei aufrechter Stellung sinkt der Rücken des Kindes nach vorn, bei Rückenlage nach hinten. Durch ‚das Vorspringen der Lendenwirbelsäule muß dabei der Rücken nach der Seite ausweichen. Da nun ferner der schwangere Uterus in der Unterleibs- höhle so um seine lange Achse gedreht liegt, daß die linke Seite des Organes gegen die vordere Bauchwand, die rechte mehr nach hinten zu sieht, wird der nach vorn sinkende Rücken in der Regel nach links, der nach hinten sinkende nach rechts abgelenkt. Mit anderen Worten: bei der Linkslage des Rückens wird die dorsoanteriore, bei Rechtslage des Rückens die dorso- posteriore Unterart bevorzugt (Bumm). Ill. Die Geburt. Werth, Die Physiologie der Geburt in Müllers Handbuch der Geburtshilfe, Bd. 1, Stuttgart 1888. O0. Schäffer, Sellheim, Seitz, Stumpf, Die Physiologie der Geburt in von Winckels Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, zweite Hälfte, Wiesbaden 1904. Die größte physiologische Leistung der weiblichen Genitalien ist die Geburt. Unter Geburt versteht man die Ausstoßung der Frucht und ihrer Anhänge aus dem Uterus an die Außenwelt. Physiologischerweise muß die Trennung des reifen kindlichen Organismus von der Mutter ohne Schädi- gungen beider Teile und ohne künstliche Nachhilfe vor sich gehen. Ist auch bei Einstellung des Beckenendes, bei Vorderhaupts-, Gesichts- und Stirnlagen die Natur in vielen Fällen imstande, die Geburt allein zu vollenden, so sind diese Lagen doch schon als Abweichungen von dem gewöhnlichen Hergang zu bezeichnen. Wir betrachten hier wesentlich die Geburt in Schädel- lage oder Hinterhauptslage, welche in etwa 95 Proz. aller Fälle statthat. 9%* 132 Austreibende Kräfte. Zum Verständnis der Geburt müssen wir zuerst über die dabei in Be- trachtt kommenden mechanischen Faktoren einige Vorbemerkungen machen, dann ihr gegenseitiges Zusammenwirken betrachten und zuletzt nach der mechanischen Erklärung des Geburtsaktes suchen. 1. Die bei der Geburt in Betracht kommenden mechanischen Faktoren. Wir sehen bei der Geburt treibende Kräfte sich entfalten, welche durch einen bestimmt vorgezeichneten Geburtsweg das Geburtsobjekt wohlbehalten aus der Gebärmutterhöhle an die Außenwelt bringen. a) Die treibenden Kräfte. Die treibenden Kräfte werden dargestellt von den Kontraktionen des Uterus und von der „Bauchpresse“. Die Uteruskontraktionen sind, wie die Bewegungen glatter Muskel- elemente überhaupt, unabhängig vom Willen. Beim Tierversuch sieht man sie peristaltisch von den Tuben nach dem äußeren Muttermund verlaufen. Beim Menschen haben wir keinen Grund, etwas anderes anzunehmen, wenn auch hier der peristaltische Charakter nicht sicher nachgewiesen ist. Die Zusammenziehung läßt ein Stadium incrementi, akmes und decrementi erkennen. Die zur Austreibung des Kindes bestimmten Kon- traktionen sind vor allen anderen physiologischen Arbeitsleistungen des menschlichen Körpers durch ihre Schmerzhaftiskeit ausgezeichnet, was ihnen in der Sprache aller Völker die Bezeichnung als „Schmerzen“, „Wehen“ kurzweg eingetragen hat. Charakteristisch für die Tätigkeit des Uterusmuskels und mechanisch sehr bedeu- tungsvoll ist der regelmäßige Wechsel zwischen Arbeit und Ruhe. Wir haben Wehen und Wehenpausen. Eine Wehe dauert im ganzen durehschnitt- ıMin <— | | | 5 4 3 2 Wehenkurve aus der Eröffnungsperiode nach Schatz. > I lieh eine Minute; die Länge der Wehenpause schwankt sehr nach der Phase der Geburt, in welcher wir beobachten. Im Anfang liegen Zeiträume bis zu einer Viertelstunde und länger zwischen zwei Wehen, in den letzten Stadien der Aus- treibung des Kindes folgen die Kontraktionen Schlag auf Schlag. Die allseitigen Zusammenziehungen der Wände des Uterus setzen seinen Inhalt unter einen stärkeren Druck, den man nach Schatz!) als den allgemeinen inneren Uterus- druck bezeichnet. Manometrische Untersuchungen ließen die Größe der Kraft erkennen. Schatz!) hat darüber sehr schöne Kurven geliefert (Fig. 53). Der wirksame Druck wird nach Schatz erhalten durch Multiplikation des Flächeninhaltes des funktionierenden Kopfdurchschnittes mit der Höhe des gefun- denen Quecksilberdruckes und dem spezifischen Gewicht des Quecksilbers.. Da die durchschnittliche Größe des funktionierenden Kopfdurchschnittes 80 gem ist, so be- deutet jeder Centimeter Quecksilberdruck 1080 g, denn 13,5 X 80 = 1080, und jeder Millimeter 108g. Man braucht also die der Kurve beigeschriebenen Zahlen des !) Schatz, Beiträge zur physiologischen Geburtskunde; Archiv f. Gyn. 3, 58. Austreibende Kräfte. 15 wirklichen Quecksilberdruckes nur mit 108 oder rund 100 (was einem kleinen Kopf entsprechen würde) zu multiplizieren, d. i. zwei Nullen anzuhängen, um den Druck auf den Kopf in Grammen, oder man braucht auch nur ihre letzte Ziffer zur Deei- male zu machen, um den Druck auf den Kopf in Kilogrammen zu haben. Auf der Höhe der gezeichneten Wehen würde der Druck demnach 9,4 oder 7,2 kg betragen. Fig. 54. Plex. aort. thorae. N. vagus N. phren. N. splanchnieus H ER nr N. splanchnieus Ganglion solare Ganglion renale sup. Lumbalganglien des Grenzstranges des Sympathicus | Ganglion renale inf. > Gangl. genitale sup. et inf. 1 Plezus spermaticus Plexzus uterinus magnus 5 (N. N. ovariales) Plexus hypo- gastricus dext. Plexus | ® sacralis | 1 Ganglion cervicale dext. Ureter Genitalnervensystem bei der Frau nach Frankenhäuser, modifiziert nach Bumm. Mit den Uteruskontraktionen geht eine starke Verschiebung der auf- geblätterten und auseinandergezogenen Muskelfasern einher, die zu einer gegenseitigen Verfilzung und einer dauernden Verlagerung führen. Der Vor- gang macht sich in einer Wandverdickung und in einer bleibenden Verkleinerung der Uterushöhle bemerkbar, ähnlich wie wir das bei der Entleerung von Harn- blase und Mastdarm beobachten können. Die mechanische Bedeutung dieses Pro- zesses ist leicht einzusehen. Durch das Retraktionsvermögen wird, wie Bumm sich treffend ausdrückt, die glatte Muskulatur der Gebärmutterwand zu einer plastischen Substanz, die sich den jeweiligen. Füllungszuständen aufs beste anzu- 134 Innervation des Uterus. — Ursachen des Geburtseintritts. passen vermag, ohne daß dabei eine besondere Muskelleistung in Form dauernder Kontraktionszustände erforderlich wäre. Über die Innervation des Gebärorganes und über die Auslösung und Regulierung der Wehentätigkeit sind unsere Kenntnisse noch sehr unvollkommen. Die Genitalnerven gehen mit ihren Wurzeln auf die Ganglia coeliaca zurück (ef. Fig.54 a.v.S). Dort finden Verbindungen mit den Nerven aller Unterleibs- organe, Magen, Leber, Nieren, Nebennieren, Darm usw., statt. Dort gewinnen auch die Genitalnerven Anschluß an cerebrospinale Fasern durch die Anastomosen mit den Vagt, Phrenici, Splanchnici, so daß auch Bahnen angenommen werden können, welche eine direkte Verbindung zwischen Zentralnervensystem und Geschlechtsorganen herzustellen vermögen. Die Hauptmasse der zu den Geschlechts- organen ziehenden Fasern entstammt dem Sympathicus und zieht in dem Plexus aorticus nach unten. Spinalnerven gehen für die Generationsorgane in der Hauptmasse vom Lendenmark ab und gesellen sich als Rami communicantes zu dem Aortenplexus. Die Zuleitung ist für den Uterus und die Uterusanhänge verschieden. Eier- stoek und Tube beziehen jederseits analog dem hohen Ursprung ihrer Gefäße aus der Nierengegend ihre Nerven von den sich an die Ganglia renalia nach unten anschließenden Spermatikal- oder Genitalganglien. Alle zu dem Uterus hinziehenden Fasern vereinigen sich in dem Plexus aortae descendens, welcher deshalb auch als Plexus oder Nervus uterinus magnus (Tiedemann, Frankenhäuser) bezeichnet wird. In der Höhe des Promontorium teilt sich der Plerus aorticus in die beiden Plerus hypogastriei. Diese endigen in den an der Seite des Uterushalses gelegenen Cervicalganglien. Von den Kreuz- beinnerven ziehen teils Äste direkt zu den Genitalien, teils kommen indirekte Verbindungen durch Vermittelung der Plexus hypogastriei und der Cervical- ganglien zustande. Von den Ganglia cervicalia aus erfolgt die Versorgung von Uterus, Scheide, zum Teil auch Harnblase und Mastdarm. Zwischen den Uterus- und Ovarialnerven bestehen Anastomosen. Tierexperimente und Erfahrungenin der Pathologie des Menschen stellten fest, daß die motorischen Impulse dem Uterus durch den Plerus aorticus übermittelt werden und daß in der Medulla oblongata und im Lendenmark moto- rische Zentren für den Uterus liegen. Außerdem ist durch den Fortbestand einer geregelten Wehentätigkeit nach Unterbrechung der spinalen Leitung vom Gehirn her bei experimenteller Durchschneidung und krankhafter ‚Schädigung des Rückenmarkes die Anwesenheit von peripheren Zentren wahrscheinlich ge- macht. Der Sitz dieser Zentren ist im Plerus uterinus magnus, in den Cervical- ganglien und vielleicht im Uterus selbst zu suchen!),,. Man darf sich, ähnlich wie bei der Funktion von Blase und Darm, eine automatische Auslösung der Wehentätigkeit vom Gangliensystem des Sympathieus und eine Regu- lierung durch die motorischen Zentren im Lendenmark vorstellen. Da psychischen Erregungen ein gewisser Einfluß auf die Aktion des Uterus zu- zukommen scheint, kann auch eine Beteiligung des Gehirns an der Innervation nicht ganz ausgeschlossen werden. Über die Ursache des Geburtseintrittes hegen wir verschiedene Ver- mutungen: Zunahme der Erregbarkeit des Uterusmuskels unter der stärkeren Dehnung der Uteruswand durch das rasch wachsende Ei, Druck des vorliegenden Kindsteiles auf die Nervenzentren der Genitalganglien, Lockerung der Verbindungen zwischen Ei und Uteruswand infolge des Unterganges der Decidua, steigende Veno- sität des Placentarblutes, Anhäufung chemischer Stoffe unbestimmter Art, die nach Abschluß des Fruchtwachstums im Blute der Mutter sich anhäufen und den Reiz für die motorischen Zentren abgeben sollen. Die zweite Kraft, welche bei der Austreibung des Kindes eine große Rolle spielt, ist die Bauchpresse. Ihre Wirkungsweise ist von der alltäglichen Funk- ') Anmerkung bei der Korrektur: Neuere Beiträge lieferten Kurdinowski, Archiv f. Gyn. 73 und Archiv f. Anatomie und Physiologie, physiolog. Abt., Suppl. 1904 und Franz, Zeitschrift f. Geb. u. Gyn. 53, 3. Bauchpresse, Schwerkraft. — Geburtsweg. 135 tion bei der Entleerung von Harnblase und Mastdarm her bekannt. Es ist leicht einzusehen, daß bei der allseitigen Zusammenziehung und Feststellung der Bauch- wandungen sich der erzeugte Bauchpressendruck gleichmäßig durch das Abdomen verbreitet und sich zu dem dureh die Uteruskontraktionen hervorgebrachten inneren Uterusdruck, zu dem von Lahs sogenannten allgemeinen Inhaltsdruck addiert. Schatz hat das Verhältnis des Bauchpressendrucks zu dem durch die Kontrak- tionen des Uterus hervorgerufenen Druck graphisch dargestellt. Man sieht die Stöße der Bauchpresse als schroffe Zacken den durch die Uteruskontraktionen be- dingten flachen Erhebungen der Wehenkurve aufgesetzt (ef. Fig.53 a.S.132 und Fig. 55). Der Druck im Uterus steigt dadurch auf mehr als das Doppelte des durch Fig. 55. 243 122 | | 5 4 3. 2 a I ——— Preßwehenkurve in der Austreibungsperiode nach Schatz, die Kontraktionen der Gebärmutter allein erzeugten Druckes, wie die angeschriebenen Zahlen erkennen lassen (ef. Erläuterung der Kurvenzeichnung $S.132 u. 133). Als dritte Kraft kann noch die Schwerkraft der Frucht in Betracht kommen. Doch erscheint der Unterschied zwischen dem spezifischen Gewicht der Frucht und dem des Fruchtwassers zu gering und die Reibung des Fruchtkörpers im Geburts- kanal zu groß, als daß die Schwerkraft für die Erweiterung des Mutterhalses und die Austreibung der Frucht direkt nennenswert in die Wagschale fallen könnte; doch werden wir sehen, daß die Schwerkraft zur Erweichung des Gebärmutterhalses und zum Zustandekommen einer Beugung des Kopfes bei seinem Eintritt in den Geburtskanal beiträgt. b) Der Geburtsweg. Unter den bei der Geburt zu durchmessenden Teilen legt der Geburtshelfer dem knöchernen Becken eine sehr große Wichtigkeit bei, weil er häufig mit so starken Verengerungen des Beekens zu rechnen hat, daß der mechanische Vorgang der Geburt dadurch sehr verändert wird oder die Geburt per vias naturales über- haupt unmöglich erscheint. Das mag wohl der Grund sein, daß sich auch auf die mechanischen Vorgänge bei der physiologischen Geburt die Anschauung übertragen hat, als komme es dabei auf die Form des knöchernen Beckens sehr viel an. Hier ist man zu weit gegangen. Die Form des normal weiten, knöchernen Beckens spielt nur eine untergeordnete Rolle. Große Teile des Kreuzbeines können z. B durch Operation entfernt sein, ohne daß in dem gewöhnlichen Ablauf der Geburt eine Störung eintritt, wenn nur die eigenartige Stützfunktion für den elastischen Geburtsschlauch nieht wesentlich beeinträchtigt wird. Ein Gipsausguß des knöchernen Beckens zeigt uns seinen Raum als einen Zylinder mit abgestumpftem unteren Ende (siehe Tafel I, Fig. a, b,e). Daß durch 136 Geburtsweg. die den Beckenwänden angeschmiegsten Muskeln die Konfiguration des Raumes nicht wesentlich modifiziert wird, beweist ein Vergleich des Gipsausgusses des Muskel- beckens mit dem Gipsausguß des knöchernen Beckens (siehe Tafel I, Fig. d, e, f). Die Zylindergestalt ist trotz der Muskelauskleidung gewahrt geblieben, und die Weichteile machen sich erst im unteren Abschnitt des Beckens formverändernd geltend. Vorn unten ist der zylindrische Ausguß des Muskelbeckens vom unteren Schoßfugenrand nach der Steißbein- und Kreuzbeinspitze hin abgeschrägt. Diese schiefe Ebene entspricht der mit Weichteilen verschlossenen großen Lücke im knöchernen Beeken, die vom Schambogen und den Ligamenta sacro-spinosa um- geben wird. Hier ist die einzige Stelle, nach der ein Kindsteil ausweichen kann, wenn er einmal in dem Beckenzylinder mit seinem tiefsten Punkte bis auf den Boden heruntergetrieben worden ist. In dem starren Rahmen des Beckenausganges ist das Baumaterial für die Bildung des weichen Geburtsweges, der sich an das knöcherne Becken ansetzt, auf- Geburtskanal von innen präpariert mit Richtungslinie }). 1 Musculus ischio-coccygeus, 2 Musculus ileo-coceygeus, 3 Musculus pubo-coceygeus, 4 Musculus bulbo- cavernosus, 5 Sphincter ani externus, 6 Musculus obturatorius internus, 7 Musculus püriformis, 8 Plezus sacralis, 9 Anus, 10 Urethra, 11 Plattgedrückter Mastdarm, 12 Musculus psoas, 13 Musculus tliacus. *fo nat. Gr. gespeiehert. Wenn unterhalb des Beckenausganges auch keine vollständige feste Umsrenzung für den weiteren Weg des Kindsschädels mehr maßgebend ist, so zeichnen der Schambogen vorn, die Tubera ischiadica seitlich und die Steißbein- spitze hinten die Riehtung noch einigermaßen vor, in der die Weiehteile zur Bil- dung des letzten Abschnittes des Geburtskanales verarbeitet werden sollen. Die Riehtung des weichen Geburtskanales ist außer dureh die Einschließung in das knöcherne Becken durch die Riehtung des Cerviealkanals und der Scheide bestimmt und gewissermaßen vorgebohrt. Die Art und Weise, wie der Uterushals erweitert wird, betrachten wir in der „Eröffnungsperiode der Geburt“ noch im einzelnen. ') Bei den Bildern über die Geburtsmechanik ist die Frau immer in der Lage gezeichnet, in welcher sie gewöhnlich niederkommt. De Be TE LE a ae eb et BE A a ee Zu Seite 135/136. & von vorn u a! Gipsausguß des nom Auf '% na & Die punktierten Linien geben die Kontureriles d von vorn Nagel, Physiologie des Menschen. I. 7 Be Tafel 1. ı knöchernen Beckens. t (eigene Präparate). © von hinten an Muskelbeckens. erkleinert. psausgusses des knöchernen Beckens an. f von hinten (A DARK, K} Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig. 2 > = Geburtsweg. — Geburtsobjekt. 137 Bei der Dehnung der Scheide macht ihre Wand wenig Schwierigkeiten; dagegen erfordert ihre Umgebung eine bedeutende Umwälzung. Durch den Kopf, der mit einem den Umfang der Spalte im Diaphragma pelwis übertreffenden .Segment andrängt, werden die Weichteile des Beckenbodens zunächst durch den Beckenausgang nach außen vorgestülpt, ehe sie so weit in der Riehtung der Tan- genten an den Geburtskanal gedehnt sind, daß der Kopf passieren kann. Dadurch erfährt die präformierte Öffnung im Beckenboden in zweierlei Rich- tung gewaltige Veränderungen. Erstens wird die ganze Passage auf einen dem maßgebenden Planum suboccipito -frontale entsprechenden Umfang von etwa 32em exzentrisch so erweitert, daß die hinteren und seitlichen Partien stärker in Anspruch genommen werden als die vorderen. Zweitens erfährt die vordere Wand des Durchlasses im Beckenboden in der Richtung der Achse des Geburtskanales eine Verlängerung von 3 auf 5cm, die hintere von 4'/, auf etwa 15 cm (Sellheim) (Fig. 56 a. v.S.). Während man im Ruhezustande die beiden ziemlieh deutlich voneinander ge- trennten Systeme der Beckenbodenmuskeln, das Diaphragma pelvis und die Ab- kömmlinge des Sphincter cloacae beim Embryo (Diaphragma wrogenitale, Sehließ- muskeln der Scheide und des Mastdarmes), unterscheiden kann, zeigt uns die Betraehtung des Geburtskanales von innen und außen, daß alle diese Muskeln, die sonst so mannigfaltige Funktionen besitzen, sich jetzt zu einem einheitlichen System geordnet haben und nur dem einen gemeinsamen Zwecke dienen, ein Rohr für den Durehtritt des Kopfes zu formieren. Die einzelnen Muskelpartien erleiden eine enorme Entfaltung. Entsprechend einer kolossalen Verlängerung und Verbreite- rung auf etwa das Doppelte erfahren sie eine starke gegenseitige Verschiebung, Abplattung, Verdünnung und eine Lockerung der Fibrillen (Fig. 56). Die Harnblase wird in die Höhe gedrängt, die Harnröhre zusammengedrückt; der Mastdarm zieht in der linken Beckenbucht herunter und ist am Becken- boden sehr stark bandartig abgeplattet. Will man in dem Wege, den der Kopf einschlägt, eine Richtungslinie kon- struieren, so nimmt man am besten die von dem Mittelpunkt des in Beugehaltung eintretenden Kopfes zurückgelegte Strecke. In dem zylindrischen oberen Abschnitt wird dieser Punkt geradlinig in der Richtung der Senkrechten auf die Mitte des Beckeneinganges (Beekeneingangsachse) auf die Steißbeinspitze losgetrieben, bis der tiefste Punkt des Schädels annähernd auf dem Beckenboden auftrifft. In diesem Moment steht der ins Auge gefaßte Punkt um die halbe Höhe des Kopfes senkrecht über der Steißbeinspitze. Weiterhin verläuft die Achse des Geburts- kanals, mit einem scharfen Knie beginnend, im Bogen um den unteren Schoßfugen- rand herum immer etwa um einen halben Kopfdurchmesser von ihm entfernt (Fig. 56). e) Das Geburtsobjekt. Der größte, härteste und unnachgiebigste Teil der Frucht ist der Kopf. Im Ver- hältnis zu dem normalen knöchernen Becken ist er so groß, daß er in der gewöhn- liehen Durchtrittsweise nach allen Seiten hin lem und mehr Spielraum hat. Im großen und ganzen darf man den nicht konfigurierten Kindskopf als ein Rotations- ellipsoid!) bezeichnen, dessen einer Pol dem Hinterhaupt und dessen anderer Pol dem Kinn entspricht. Das Planum, mit welchem der Kopf vor Beginn der Geburt dem Beckeneinsang parallel opponiert ist, zieht etwa von der Stirn zum Hinterhaupt (Planum fronto-oceipitale). Das Ellipsoid steht also mit seiner Längsachse schief zu der Öffnung des Beckeneinganges. Bei dieser Ein- stellung stehen kleine und große Fontanelle ungefähr in gleicher Höhe. Der Kopf befindet sich in einer leichten Beugung zum Rumpf, die seine „natürliche Haltung“ darstellt. Das ändert sich mit dem Eintritt der Geburt. Das Planum, welches senkrecht zur Achse des Geburtskanals vorrückt, ist das Planum suboceipito- frontale oder ein ihm nahe gelegenes. Nach der Einstellung dieses Planum ist > ') Ob man als Vergleich ein Ovoid oder Ellipsoid wählt, ist mechanisch gleichgültig. Ich nehme ein Ellipsoid. s Geburtsobjekt. — Verlauf der Geburt. 1 [Sb die kleine Fontanelle gesenkt und mehr nach der Beckenmitte gerückt; die große Fontanelle steht hoch. Der Kopf ist in eine ausgesprochene Beugehaltung über- gegangen. Das eine Ende des Ellipsoids hat sich so weit gesenkt, daß die Ab- weichung seiner Längenachse von der Beckeneingangsachse beträchtlich geringer geworden ist als vorher. Der Umfang dieses bei der physiologischen Geburt funktionierenden Planum suboceipito-frontale beträgt etwa 32cm gegen- über 34cm beim Planum fronto-öceipitale. Vergleicht man den Kopf eines Kindes unter der Geburt oder kurz nach der Geburt in Schädellage mit dem eines durch Kaiserschnitt herausbeförderten oder in Beckenendlage rasch geborenen Kindes, so bemerkt man einen deutlichen Formunterschied. Der Schädel ist durch die Zusammensetzung aus mehreren in Nähten verschieblich aneinander befestigten, dünnen biegsamen Knochenplatten in gewissen Grenzen konfigurabel. Sein inkompressibler Inhalt verhindert aber eine nennenswerte Verkleinerung seines Volumens. Dureh den Druck des elastischen Geburtsschlauches erhält das Ellipsoid eine Schnürung an seiner dicksten Stelle. Es wird dort etwas schlanker und, soweit das in Wirkliehkeit noch nieht der Fall war, mehr walzenförmig gestaltet. Aus dem Ellipsoid wird ein Rotationskörper mit einem längeren zylindrischen Mittelstück und abgerundeten Polen. Natürlich spielt bei dieser Umformung auch der allgemeine Inhaltsdruck eine Rolle, wie wir in der Austreibungsperiode sehen werden. Die ganze Frucht ist in dem ruhenden Uterus in sehr kompendiöser Weise zu einem Ovoid, dessen spitzen unteren Pol der Kopf bildet, zusammengepackt. Die Wirbelsäule hat eine nach hinten und nach der Seite konvexe Ausbiegung. Die übrigen Knochen gehen wie Strebepfeiler nach allen Riehtungen zur Peri- pherie. Ein Radiogramm zeigt, daß dem Fruchtkörper bei aller Formbarkeit eine nicht unbedeutende Resistenz innewohnt. In dem ausgestreckten Zustande, in welchem der Rumpf den Geburtskanal passiert, liegen die dieksten Stellen an Schultern und Becken. Doch kommen sie im Vergleich zu dem vorangegangenen bedeutenden Kopfumfang als- mechanisches Hindernis nicht in Betracht. Weitere für die Geburt wichtige physikalische Eigenschaften der Frucht betrachten wir in dem Abschnitt über die Geburtsmechanik. 2. Verlauf der Geburt. Wenn wir auch den durch das Zusammenwirken der beschriebenen drei Faktoren erfolgenden Geburtsakt mechanisch als ein untrennbares Ganzes ansehen müssen, so hat sich doch für die Beobachtung am Kreißbett eine Einteilung der Geburt in drei natürliche Perioden als praktisch bewährt. - Zuerst muß der enge Kanal des Gebärmutterhalses eröffnet werden (Eröffnungsperiode). Dann erfolgt die Austreibung des Kindes (Austreibungs- periode). Den Schluß bildet die Elimination des Mutterkuchens mit den Eihäuten (Nachgeburtsperiode). a) Die Eröffnungsperiode. Am Ende der Schwangerschaft stellt der Uteruskörper einen weiten schlaffen Sack dar, der in der Hauptsache aus hypertrophischen Muskelzellen besteht und das Ei vollständig umschließt. Der Zusammen- hang zwischen Ei und Uteruswand ist locker. Der Gebärmutterhals ist noch ganz oder doch zum größten Teile in seiner ursprünglichen Formation als ein langer enger Kanal erhalten. Der Uteruskörper ist zu starken Zu- sammenziehungen gerüstet, der Uterushals erscheint durch seine zentrale Durchbohrung, durch die in hypertrophischen Falten liegende Schleimhaut- auskleidung, durch eine relative Armut an kontraktilen Elementen, vielleicht Eröffnungsperiode. 139 e auch durch eine andersartige Innervation als der Körper zur raschen Dehnung prädestiniert. Hypertrophische Prozesse ihrer Wände und Auflockerung ihrer bindegewebigen Befestigungen mit der Umgebung machen die Scheide zur schnellen Erweiterung geschickt. Zu diesen Vorbereitungen gesellt sich infolge eines stärkeren Blutzuflusses noch eine Erweichung und Auflockerung des gesamten Materials, aus dem der Geburtskanal formiert werden soll. n- E Fig. 57. bei einer Primipara bei einer Multipara Schematische Darstellung der Erweiterung des Gebärmutterhalses nach Bumm. Die Hyperämie kommt zum Teil auf Rechnung der allgemeinen Kon- gestion zu den schwangeren Genitalien, zum Teil läßt sie sich aber auch mechanisch erklären. Jede Steigerung des intraabdominellen Druckes, wie sie z. B. schon durch stärkere Körperbewegungen hervorgerufen werden kann, verdrängt das Blut aus der Abdominalhöhle nach den Stellen geringeren Druckes, vor allem nach den unteren Abschnitten der Genitalien (Lahs). Auch die Schwerkraft, welche die Frucht entsprechend dem Unterschied 140 Eröffnungsperiode. zwischen ihrem spezifischen Gewicht und dem spezifischen Gewicht des Fruchtwassers nach unten treibt, vermehrt durch diesen, wenn auch geringen, so doch unausgesetzt vorhandenen Zuwachs des Druckes auf das untere Uterinsegment die Stauung und die Auflockerung an diesen Teilen. Mit dem Auftreten der ersten Geburtskontraktionen gerät der Uterus durch die Verkürzung seiner Muskelfasern in stärkere Spannung. Fig. 58. Orificium tubae Placenta Vesica urinaria Orifieium uteri externum | Urethra | | Placenta Vena iliaca sinistra | Rectum | Rectum Vagina Orifieium Orificium uteri internum uteri externum (Geirierschnitt durch die Leiche einer Gebärenden im Beginn der Austreibungsperiode, nach W. Braune. Das Kind ist herausgenommen. 1, nat. Gr. Das vorher schlaffe Organ erhärtet und übt auf seinen im großen ganzen flüssigen, den hydrostatischen Gesetzen unterworfenen Inhalt einen hydrauli- schen Druck, den allgemeinen inneren Uterusdruck, aus. Dieser Druck wird von den gleichmäßig stark zusammengezogenen Wandungen des Uterus wieder zurückgegeben, ohne eine andere Wirksamkeit entfalten zu können, als daß das Gebärorgan seinen beweglichen Inhalt auf das kleinste Volumen zusammenzuschieben sucht. Eine Ausnahme macht die dem kleinen Becken zugekehrte Partie. Hier besteht von Anfang an eine im Vergleich zu Eröffnungsperiode. 141 der übrigen Uteruswand schwache Stelle, insofern als hier die Kontinuität durch die Öffnung des inneren Muttermundes unterbrochen ist. Die um diesen präformierten Durchlaß ringförmig angeordneten Muskelbündel sind mit längs- verlaufenden Bündeln des Körpers so verflochten, daß diese bei ihrer Ver- kürzung einen dilatierenden Zug auf die Muskelringe auszuüben vermögen. Die Bauchpresse kommt jetzt zwar noch zu keiner geregelten Mitwirkung. Immerhin verstärkt jede intraabdominelle Drucksteigerung den jeweils im Uterus herrschenden allgemeinen inneren Uterusdruck. rer Fig. 59. Orificium uteri internum Orifieium uteri internum Fruchtblase Orificium uteri externum Gefrierschnitt durch die Leiche einer Gebärenden im Beginn der Austreibungsperiode, nach W. Braune, mit eingezeichnetem Fruchtkörper. 1/, nat. Gr. Die vielfach wiederholten Druckerhöhungen im Uterus treiben den unteren Eipol in Gestalt eines kleinen Divertikels des Eihautsackes in den Cervicalkanal hinein. Dabei werden die Eihäute in der Umgebung des Muttermundes von der Unterlage losgeschoben. Die Aussackung der Eihäute bezeichnet man als „Fruchtblase“. Die Fruchtblase wölbt sich immer mehr vor. Der Halskanal wird teils durch den Druck der Fruchtblase von innen, teils durch den Zug der Längsmuskulatur nach außen Centimeter für Centimeter erweitert. 142 Blasensprung. Bei Erstgebärenden (Fig. 57 a. 8.139) schreitet die Dilatation regel- mäßig von oben nach unten fort; zuerst wird der innere Muttermund erweitert, dann der Halskanal entfaltet. Der zu einem dünnen Saum ausgezogene äußere Muttermund verstreicht zuletzt. Bei Mehrgebärenden (Fig. 57) weicht der äußere Muttermund schon bei den leichten Zusammenziehungen des Uterus in den letzten Wochen der Schwangerschaft auseinander. Unter der Geburt gehen dann Erweiterung des äußeren Muttermundes mit Entfaltung des Cervicalkanals und mit Dilatation des inneren Muttermundes mehr Hand in Hand, oder der äußere Muttermund eilt zeitweise dem inneren voraus. Nachdem einmal die Geburtsarbeit begonnen, macht sich eine Teilung der Funktionen deutlich geltend. Das Geburtsorgan zerfällt in einen Teil, der die Arbeit leistet, sich kontrahiert und verdickt, und einen anderen, welcher sich passiv verhält, gedehnt und zu dem Mund- stück für den Geburtskanal umgeschaffen wird. Die Dehnung erfolgt sowohl in der Richtung der Tangenten an die Peripherie des Geburtskanales, als auch in der Richtung der Achse des Geburtskanales. Die Grenze zwischen den beiden funktionell geschiedenen Abschnitten bezeichnet man passend als Grenzring!) (Fehling). Den Zustand des Geburtskanals nach vollendeter Eröffnung illustriert der Braunesche Gefrierschnitt (Fig.58 a.S. 140 und Fig.59 a. v.S.). Ob der gedehnte Teil dem Uterushals allein angehört, oder ob auch ein Stückchen des Körpers daran partizipiert, ob also der Grenzring mit dem inneren Muttermund zusammenfällt oder im Bereich des Körpers liegt, ist strittig. Mit dieser Streitfrage eng verknüpft ist auch die Meinungs- verschiedenheit über den Zeitpunkt, in dem der innere Muttermund entfaltet wird, ob schon in der letzten Zeit der Schwangerschaft oder erst im Beginn der Geburt. Für unsere mechanische Vorstellung kommt es auf beides nicht viel an. Bei der Dehnung des Uterushalses bis etwa zu dem Umfang des Kinds- kopfes, bei der sogenannten vollständigen Erweiterung, ist die Frucht- blase in einem sehr großen Umfange dem inneren Uterusdruck ausgesetzt und der stützenden Wand des Uterus entzogen. Sie zerreißt auf der Höhe einer Wehe. Mit diesem „Blasensprung“ fließt das zwischen dem vor- liegenden Kopf und der Fruchtblase angesammelte „Vorwasser“ und nicht selten eine noch neben dem rasch herunterrückenden Kopfe vorbeischießende Menge von Fruchtwasser nach außen ab. Damit ist die Eröffnung des Mutterhalses vollendet, der Uterus ist fertig zur Austreibung des Kindes. b) Die Austreibungsperiode. Die seitherige Umgestaltung des Geburtskanales vollzog sich ohne große Progressivbewegung der Frucht in bezug auf das feststehende Gerüst des Geburtskanales, das knöcherne Becken. Es ist nur eine Ortsverände- rung des Uterus gegen den Kopf derart eingetreten, daß der Grenzring sich an dem Fruchtkörper in die Höhe gezogen hat, wodurch immer weitere Abschnitte des Eies in den dilatierten und gestreckten Hals hinein verlagert ') Dieser Ausdruck erscheint besser als „Kontraktionsring“ von Schröder. nu u ng, Austreibungsperiode. 143 worden sind. Wenn in den folgenden Phasen der Geburt auch noch große Abschnitte des Geburtsweges erst gebahnt werden müssen, so unterscheidet sich diese Erweiterung von der Eröffnung des Uterushalses dadurch, daß -sie unter einer stärkeren Progressivbewegung des Kopfes durch das knöcherne Becken statthat, also die Austreibung als das Wesentliche im Gegensatz zur Eröffnungsperiode in die Augen fällt. Nachdem durch die Eröffnung des Halses das stärkste Hindernis über- wunden und die Bahn für die Austreibung freigegeben ist, ändert sich die Wirkungsweise der Druckkräfte, um die Austreibung des Kindes zu bewerk- stelligen. Seither wurde ein Teil der von dem Uterusmuskel geleisteten Kraft als „Rückstoß* unter Emporsteigen des Uterus verbraucht. Von nun an kommt die ganze Kraft zur Propulsion zur Verwendung. Der stark ausgezogene Hals mit seiner Befestigung an der Scheide und die in Spannung geratene Bänderbefestigung des Uterus, besonders die Ligamenta rotunda halten jetzt den sich kontrahierenden Teil des Uterus am Becken nieder. Die sich daranschließende Anspannung der Scheidenwand erleichtert dem beweglichen Fruchtkörper das Tiefergleiten wesentlich, ähnlich wie man dem Fuß beim Hineinschlüpfen in einen Stiefel durch Ziehen am Schaft eine Hilfe gibt. Damit der Kopf tiefer getrieben werden kann, finden in zwei Rich- tungen „Abdichtungen“ statt. Einmal legt sich der elastische Geburtsschlauch nach dem Blasensprung dem unter Senkung des Hinterhauptes rasch herunter- tretenden Kopf in Form des sogenannten Berührungsgürtels allseitig so eng an, daß dem weiteren Abfluß von Fruchtwasser eine Grenze gesetzt wird und der allgemeine Inhaltsdruck von dem maßgebenden Planum des Kopfes vollständig aufgefangen gedacht werden kann. Weiterhin wird durch das Tieferrücken des Kopfes in dem elastischen Geburtsschlauch der Becken- eingang ziemlich gut ausgefüllt und ein relativer Abschluß des kleinen Beckens gegen die übrige Bauchhöhle geschaffen. Dadurch kann jetzt auch der Bauchpressendruck seine Wirksamkeit auf das maßgebende Planum voll entfalten. Der Bauchpressendruck verteilt sich durch die ganze Bauch- höhle hindurch gleichmäßig und wird auch auf den Uterusinhalt übermittelt (Fig. 60 a.f.S.). Dort kann er aber nur wirksam werden nach der Stelle, auf die der Bauchpressendruck nicht von außen nach innen übertragen wird, also nur auf das maßgebende Planum und auf die unterhalb des- selben in das kleine Becken hineinragende Partie des vorliegenden Kopfes. Es ist ohne weiteres klar, daß in diesem Stadium der Geburt der Bauch- pressendruck sich zu dem durch die Kontraktionen des Uterus erzeugten allgemeinen inneren Uterusdruck, zu dem sogenannten allgemeinen Inhaltsdruck summiert, welcher die Austreibung des Kindes besorgt. Der allgemeine Inhaltsdruck trifft jeden Quadratcentimeter des im Berührungs- gürtel steckenden Kopfplanum mit der gleichen Kraft und treibt dieses Planum wie den Kolben in einem Dampfzylinder nach abwärts. Es ist der Einfachheit in der Vorstellung zuliebe wohl gestattet, den Druck sich auf dem Planum entfalten zu lassen, wenn in Wirklichkeit der Druck auch erst in den abwärts von dem Berührungsgürtel liegenden Wandungen des Schädels wirkt. Durch den allgemeinen Inhaltsdruck sind die Konfiguration des Schädels (von der Schädelbasis, als dem Punetum fieum, weg in der Richtung des noch zu 144 Austreibungsperiode. durchlaufenden Geburtskanals), die Faltung der Kopfhaut auf dem vorangehenden Teile und die blutig-seröse Durchtränkung dieses Abschnittes, die Bildung der sogenannten Kopfgeschwulst zu erklären. Am plausibelsten werden diese Ver- änderungen am Kopf, wenn man sich statt des Überdruckes oberhalb des Be- rührungsgürtels den im Vergleich dazu unterhalb des Berührungsgürtels herrschen- den Unterdruck wirksam vorstellt. Dann hat man eine Sauekraft, von deren Wirkung man leichter eine Vorstellung hat (Schröpfkopfwirkung). Fig. 60. Schematische Darstellung der austreibenden Kräfte. Die roten Pfeile bedeuten den durch die Kontraktionen des rot gehaltenen Uterus erzeugten all- gemeinen inneren Uterusdruck. Er wird, wie die kleinen roten Pfeile zeigen, nach allen Seiten gleichmäßig verteilt, kann aber nur in der Richtung des großen roten Pfeiles eine Wirksamkeit ent- falten. — Die von den Uteruskanten nach dem Becken herunterziehenden roten Streifen veranschau- lichen den Zug der Ligamenta teretia, welcher den allgemeinen inneren Uterusdruck etwas zu erhöhen vermag. — Die schwarzen Pfeile zeigen die Übertragung des durch die Kontraktionen der schwarz gehaltenen Bauchwandungen erzeugten Bauchpressendruckes. Er wird, wie die kleinen Pfeile an- deuten, auch in dem Uterus gleichmäßig nach allen -Seiten verteilt, kann aber eine Wirksamkeit ebenfalls nur nach unten nach dem kleinen Becken hin entfalten, was durch den großen schwarzen Pfeil zum Ausdruck gebracht ist. Austreibungsperiode. 145 Daß außer diesem allgemeinen Inhaltsdruck, der zunächst nur am Kopf angreift, noch ein besonderer konzentrierter Druck auf höher gelegene Frucht- abschnitte hinzukommt, wird von den meisten Autoren heutzutage angezweifelt. Jedenfalls gibt es keinen isolierten Druck auf den Steiß, welcher durch die Wirbelsäule auf den vorliegenden Kindsteil übertragen würde und die Trieb- kraft für diesen darstellte (sogenannter Fruchtachsen- oder Fruchtwirbel- säulendruck). Wenn außer dem allgemeinen Inhaltsdruck gar keine Kraft wirksam gedacht wird, so muß die Halswirbelsäule die Masse des übrigen Kindskörpers nachziehen wie der Kolben einer Dampfmaschine die seiner Kolbenstange aufgebürdete Last. Höchstens könnte die Schwerkraft des Fruchtkörpers sein Nachrücken erleichtern. Wenn wir aber sehen, daß der Uterusfundus in der Austreibungsperiode feststeht und der Querschnitt des Uterus sich verkleinert, so bleibt dem bis zu einem gewissen Grade form- baren Fruchtkörper gar nichts anderes übrig, als mit seinen unteren Partien vorzurücken. Es ist daher ein gewisser Antrieb auf den Fruchtkörper um so wahrscheinlicher, als es in der Austreibungsperiode fast immer zum Anliegen verschiedener prominenter und resistenter Stellen des Fruchtkörpers an die Uteruswandungen kommt. Das Röntgenbild der Frucht zeigt, daß es sich bei den hervorragenden Stellen um recht gute Angriffspunkte eines Druckes handelt. Sicherlich sind besondere Kräfte vorhanden, welche, wenn sie auch nicht gerade als Fruchtwirbelsäulendruck auf den Kopf wirken, doch dafür sorgen, daß der Rumpf dem Kopfe folgt. Bei viel Fruchtwasser über- wiegt der allgemeine Inhaltsdruck, der übrige Fruchtkörper folgt ohne große Reibung schon durch sein Gewicht nach. Bei wenig Fruchtwasser wirkt der allgemeine Inhaltsdruck auf den Kopf; der Rumpf, der jetzt eine größere Reibung zu überwinden hat, erhält noch einen besonderen Antrieb auf die den Uteruswandungen anliegenden Kindsteile. Nach der Geburt des Kopfes muß sich der Geburtsschlauch an den folgenden voluminösen Teilen des Frucht- körpers von neuem als ein Berührungsgürtel anlegen, wenn er weiter zur Wirkung eines allgemeinen Inhaltsdruckes kommen soll. Der Uterus verändert im Verlaufe der Geburt seine Gestalt, er wird durch die Dehnung des unteren Uterinsegmentes nach unten verlängert und ver- mindert seinen Querschnitt. Diese Formveränderungen sind die Ursachen der Streckung des Fruchtkörpers. Die Entfernung vom Kopf bis zum Steiß, die bei Beginn der Geburt bei der typischen C-förmigen Krümmung der Wirbel- säule 25cm betrug, wächst um etwa 10cm. Trotzdem der Fundus uteri während der Austreibungsperiode in ungefähr gleicher Höhe stehen bleibt, kann der Kopf beträchtlich tiefer rücken, ohne daß zunächst der Kontakt zwischen Frucht und Gebärmuttergrund aufgegeben zu werden braucht. Gewöhnlich erklärt man den Eintritt der Streckung durch das Aufsteigen des relativ engen Grenzringes an der Frucht. Alle dem Kopfe folgenden Teile werden genötigt, sich einem annähernd gleichen Umfang anzubequemen. Schließlich verläßt auch der Steiß den Fundus, die Oberschenkel gehen in Streckstellung über. Der entleerte Hohlmuskel weicht nach der Bauchseite der Frucht ab. Der Grund dafür liegt in der ungleichen Dehnung der Uteruswand. Da, wo der Rücken andrängte, war, besonders bei der unter der Geburt ein- tretenden stärkeren Beugung des Kopfes, die Dehnung stärker und hielt Nagel, Physiologie des Menschen. I. 10 146 Nachgeburtsperiode. länger an als an der Bauchseite der Frucht, wo schon früher eine Zusammen- ziehung stattfinden konnte. Die Vorgänge in der Austreibungsperiode lassen sich zum großen Teil von außen beobachten. Nach dem Blasensprung tritt meistens eine kurze Ruhepause in der Wehentätigkeit ein. Der Uterus accommodiert sich dem verminderten Inhalt. Dann beginnen von neuem und meist heftiger die Zu- sammenziehungen des Uterus, zu denen sich jetzt regelmäßig die Aktion der Bauchpresse gesellt (Preßwehen, Drangwehen). Unter den starken An- strengungen der Kreißenden wird bald während der Wehe der Damm etwas vorgewölbt. Diese Erscheinung wird mit den folgenden Wehen immer deut- licher. Mastdarm und Vulva kommen zum Klaffen, und schließlich wird in der Tiefe der Scheide ein Stückchen des andrängenden Kopfes sichtbar, um aber mit der Wehenpause wieder zurückzuweichen („Einschneiden des Kopfes“). Diese hin und her gehende Bewegung wiederholt sich mit den folgenden Wehen und Wehenpausen. Unter einer starken Dehnung des Dammes er- scheinen immer größere Abschnitte des Kopfes. Der Kopf bleibt während der Wehenpause sichtbar. Schließlich schneidet das maßgebende Planum suboccipito-frontale unter immer stärkerer Streckung der Halswirbelsäule durch den Vulvasaum. Stirn und Gesicht treten über den zurückweichenden und sich entspannenden Damm hervor. Die Austreibungsperiode endigt mit der vollendeten Ausstoßung der Frucht. ec) Nachgeburtsperiode. Die Placenta und die Eihäute können der Retraktion der Uterusinnen- fläche während der Austreibungsperiode nur teilweise nachkommen. Infolge- dessen legen sich die Eihäute in feine Falten, die Placenta wird etwas zusammengeschoben. Doch bleibt anfänglich im Bereiche des Placentarsitzes die Retraktion der Gebärmutterwand so bedeutend zurück, daß in der Regel der Mutterkuchen gegen Ende der Austreibungsperiode noch überall festsitzt und an dieser Haftstelle die Uteruswand annähernd gerade so dünn ist wie im Anfang der Geburt, im Gegensatz zu der stärkeren Verdickung der übrigen Abschnitte. Bald nach der Ausstoßung der Frucht setzen weitere Uteruskontrak- tionen ein, welche die Ablösung und Ausstoßung der Nachgeburtsteile be- werkstelligen und als Nachgeburtswehen bezeichnet werden. Dieser erneuten und stärkeren Verkleinerung der Haftfläche kann die Placenta nicht mehr folgen. Sie wird von der Uteruswand losgefaltet.e Aus den dabei eröffneten zartwandigen uteroplacentaren Gefäßen ergießt sich eine mehr oder weniger große Menge Blutes zwischen Uteruswand und los- gelösten Placentarlappen. Dieses retroplacentare Hämatom baucht die Nach- geburt nach dem Uteruslumen vor, vermehrt ihr Gewicht und den Zug der losgelösten Placentarteile an den noch anhaftenden. Unter weiteren Kon- traktionen wird der Mutterkuchen tiefer geschoben und zieht seinerseits die Eihäute, in welche er sich eingestülpt hat, in schonender Weise von der Uteruswand ab. Sobald die Nachgeburt den Grenzring passiert hat, ist sie der Einwirkung des Uterusmuskels entzogen. Sie bleibt in dem gedehnten Durchtrittsschlauch liegen, bis eine zufällige oder reflektorisch durch das Gefühl von Druck nach unten hervorgerufene Aktion der Bauchpresse die Nachgeburtszeit. 147 vollständige Austreibung besorgt. Da nach unseren Gebräuchen die Frau unmittelbar post partum ruhig in Rückenlage verharrt und meistens ängst- lich so gut wie alles vermeidet, was die Bauchpresse in Bewegung setzen könnte, so läßt dieser Schlußakt häufig lange auf sich warten. Beim Tier und bei den wilden Völkerstämmen erhebt sich die Mutter nach der Geburt oder macht sich wenigstens so weit Bewegung, daß die Bauchpresse in Aktion tritt und die Elimination des gelösten Mutterkuchens prompt besorgt. Bei zivilisierten Völkern fordert die Gehilfin bei der Geburt die Mutter im geeigneten Moment zum Mitpressen auf oder übt einen leichten Druck auf den Gebärmuttergrund in der Richtung der Beckeneingangsachse aus, um die gelöste Placenta herauszubefördern. Im einzelnen verläuft der Austritt der Placenta nach ihrem Sitze etwas verschieden. Bei der Insertion im Fundus wird die zentrale Partie zuerst gelöst und durch einen retroplacentaren Bluterguß vorgetrieben. Von da schreitet die Abtrennung peripher fort. Das Zentrum der dem Fötus ur- sprünglich zugewandten Fläche mit der Nabelschnurinsertion wird voraus durch den Geburtskanal getrieben. Das ergossene Blut sammelt sich in dem Sack der nach rückwärts geschlagenen Eihäute; nach außen erfolgt gewöhn- lich keine bedeutende Blutung während dieses sogenannten Schultzeschen Lösungs- und Ausstoßungsmechanismus (Fig. 61, a,b,c a.f.S.). Bei tieferem Sitz des Mutterkuchens löst sich dagegen meistens der untere Rand zuerst, und von da schreitet die Trennung nach oben hin fort, wobei es häufig nach außen blutet. Die gelöste Placenta wird mit der unteren Kante voran durch den Grenzring getrieben und verläßt auch in dieser Stellung den Introitus (Duncanscher Mechanismus; Fig. 62, a, b, c a.f.S... Unter Umständen geht der eine Modus in den anderen über, derart, daß die Placenta mit der Kante voran den Grenzring passiert, in dem weiten Durchtrittsschlauch sich aber dreht und mit der fötalen Fläche zuerst aus der Vulva tritt. Die groben Veränderungen des Uterus in der Nachgeburtsperiode lassen sich mit dem Auge und der aufgelegten Hand durch die schlaffen Bauch- decken hindurch verfolgen. Unmittelbar nach der Geburt des Kindes sieht und fühlt man die Gebärmutter als einen mäßig festen, kugeligen Körper, dessen obere Grenze etwa in Nabelhöhe steht. Unter dem Einfluß der als deutliche Erhärtungen bemerkbaren Nachgeburtswehen rückt der Fundus allmählich in die Höhe. Das Gebärorgan wird mit der Ausstoßung der Placenta kleiner und härter, es plattet sich deutlich von vorn nach hinten ab und steigt nicht selten bis zum Rippenbogen in die Höhe. Unterdessen zeigt auch das Vorrücken der Nabelschnur aus den Genitalien das Tiefer- treten des Mutterkuchens an. Bei leichtem Tasten fühlt man zwischen dem in die Höhe gestiegenen entleerten Uteruskörper und dem oberen Schoßfugen- rand eine umfängliche weiche Schwellung, welche den Durchtrittsschlauch auftreibt, die gelöste Nachgeburt nebst dahinterliegenden Blutgerinnseln. Nach der vollständigen Rlimination der Nachgeburt steht der fest kontra- hierte, abgeplattete Uterus etwa mit seinem Fundus am Nabel. Die Trennung der Placenta und der Eihäute von der Uteruswand erfolgt in der spongiösen Schicht der Decidua (Fig.46 u. 62). Im Bereich des Mutterkuchens geht die Ablösung mit einer starken Retraktion der Muskel- bündel einher, wodurch die bei dieser Trennung eröffneten uteroplacentaren 107 Nachgeburtszeit. 148 Einfluß der Geburt auf den Organismus der Mutter. 149 Gefäße so stark umschnürt werden, daß die Blutung sehr prompt steht. Immerhin kostet die Nachgeburtsperiode der Mutter durchschnittlich 400 bis 500cem Blut. Die Placenta enthält nach Lehmann!) etwa 120 bis 140g Blut. Die mittlere Geburtsdauer beträgt nach Bumm bei Primiparen 15 Stun- den, bei Pluriparen 10 Stunden, wovon auf die Austreibung 1!/, und 3/, Stunden kommen. Die Ausstoßung der Nachgeburt aus dem Uterus in den Durchtrittsschlauch ist in der Regel eine halbe Stunde nach der Geburt des Kindes vollendet. 3. Einfiuß der Geburt auf den Organismus der Mutter. Die Pulsfrequenz steigt während der Wehen und sinkt wieder in der Wehenpause. Die Differenz kann bis zu 36 Schlägen in der Minute betragen. (v. Winckel’). Die Atmung ist unter der Geburt im ganzen beschleunigt, während der Wehe jedoch etwas verlangsamt. Die Durchschnittstemperatur ist um 0,1 bis 0,2°C höher als in der Gravidität. Das Maximum fällt in die Austreibungsperiode. Die Temperatur des Uterus ist gegenüber der Schwangerschaft vermehrt, was sich besonders während der Wehen geltend macht. Die Konzentration des Blutserums und der Leukocytengehalt des Blutes nehmen während der Geburt) zu. Der Blut- druck ist erhöht (Krönig und Füth‘). Die Urinausscheidung ist schon am Ende der Schwangerschaft erhöht und steigt gegen die Geburt hin allmählich an. Während der Geburt sinkt sie bedeutend [Zangemeister]°). Spezifisches Gewicht, Gehalt an Harnstoff, Schwefel- und Phosphorsäure sind geringer als in der Gravidität, die Ausscheidung des Kochsalzes ist dagegen unter der Geburt gesteigert (v. Winckel®°). Unter den Schwangeren der letzten Monate findet man häufig eine, wenn auch vorübergehende Albuminurie. Geringe Eiweißmengen in den letzten Wochen gelten nicht für pathologisch. Der Geburtsurin enthält häufig Nieren- epithelien, weiße und rote Blutkörperchen, Zylinder und mehr Eiweiß. Die Zu- nahme der Albuminurine während der Geburt wird wahrscheinlich durch Blut- drucksteigerung bei der Wehentätigkeit bedingt. Gelegentlicher unwillkürlicher Harnabgang erklärt sich durch Miterregung der motorischen Blasenzentren. Harnverhaltung beruht auf Kompression der Ure- thra durch den gegen die Schoßfuge andrängenden Kopf. Nicht selten tritt durch reflektorische Erregung des Magens während der Geburt Erbrechen ein. Der Grad der physischen Alteration durch die Geburt hängt zum großen Teil vom Temperament ab. 4. Die Geburtsmechanik. Die normale Geburt bildet einen physiologischen Vorgang, der nach physikalischen Gesetzen abläuft. Die Ergründung dieser Gesetze ist ein Problem, welches die Geburtshelfer schon sehr lange beschäftigt. !) Über die Blutmenge der Placenta. Inaug.-Diss. Straßburg 1902. — *) Klinische Beobachtungen zur Pathologie der Geburt. Rostock 1869. — °) Zangemeister, Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. 49, Heft 1, und Zangemeister und Wagner, Deutsche med. Wochenschr. 1902, Nr. 31. Pankow, Archiv f. Gyn. 73, Heft 2. Dort eine sehr schöne graphische Darstellung der Zahl der weißen Blutkörperchen in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. — *) Verhandlungen der deutschen Ges. £. Gyn. in Gießen 1901, 8. 323. — °) Arch. f. Gyn. 66, 419, 1902. — °) Berichte u. Studien, 8. 275, Leipzig 1874. 150 Geburtsmechanik. Der Geburtskanal schließt sich an den Fruchthalter nach unten an. Er ist ein von elastischen Weichteilen allseitig umgebener Schlauch, der durch die Beckenknochen wie durch ein Gerüst vielfach gestützt und so befestigt ist, daß er sich bei dem Durchtritt des Kindes regelmäßig in der gleichen Form ausbildet. Sein Querschnitt ist rundlich. Im Anfangsteil verläuft er gerade, dann kommt ein ziemlich scharfes Knie, den Schluß bildet ein in sanftem Bogen auslaufendes Endstück. Der gebogene Abschnitt ist nach vorn oben, gegen den unteren Schoßfugenrand konkav (vgl. Fig.56 und 63). Da der elastische Geburtskanal so angelegt ist, daß er sich gar nicht anders als ein im Anfang gerader, später gekrümmter Schlauch unter der Geburt entwickeln kann, so ist es für die mechanische Vorstellung prinzi- piell einerlei, ob ich den Kanal erst unter dem Austritt des Kindes nach und nach entstehen lasse, oder ob ich ıhn in seiner vollendeten Form als von vornherein vorhanden betrachte. Graduell besteht freilich ein Unterschied insofern, als der mechanische Einfluß des Schlauches, der erst durch die Geburtskräfte geformt werden muß, wegen der größeren Widerstände viel präziser in Erscheinung tritt, als wenn er schon ausgebildet wäre. In Wirk- lichkeit macht sich ein solcher Unterschied bei Mehrlingsgeburten zwischen dem Durchtritt der ersten, zweiten und dritten Frucht geltend. Nehmen wir den fertigen Geburtskanal als gegeben an, so haben wir den großen Vorteil einer besseren räumlichen Vorstellung und eines Überblickes über den ganzen Hergang. Wir können aus jeder Geburts- phase heraus leicht Schlüsse über die abgelaufenen und die noch zu ge- wärtigenden Bewegungen machen. Die Geburtskräfte bestehen in intrauterinen Drucksteigerungen, welche durch intermittierende Zusammenziehungen der Gebärmutter- und Bauch- wandungen erzeugt werden. Die Übertragung auf den in dem Geburts- schlauch mit seinem vorangehenden Teile abgedichteten Fruchtkörper ge- schieht in der Hauptsache nach hydraulischen Gesetzen. Doch sind auch noch Druckwirkungen auf einzelne den Gebärmutterwandungen anliegende Abschnitte des durch Knochen teilweise versteiften Fruchtkörpers nachzu- weisen. Die Schwerkraft spielt nur eine geringe Rolle. Die Angriffspunkte der Geburtskräfte sind nach der Lage des Kindes verschieden. Das Kind kann mit dem Kopf oder Beckenende voran zur Welt kommen. Die Geburt in Kopflage stellt die Regel dar. Meistens geht der vorangehende Kopf gebeugt durch den Geburtskanal. Beim Menschen stellt diese sogenannte „Flexionshaltung“ oder Hinterhauptsgeburt den nor- malen Modus dar. Geburten mit „Deflexionshaltung“ des Kopfes, bei der das Gesicht zum vorangehenden Teil wird, sind beim Menschen selten. Bei vielen Säugetieren, Pferd, Kuh, Hund usw., bilden diese Gesichtsgeburten oder, wie man sie dort besser nennt, „Schnauzengeburten“ die Regel, so dab wir die Deflexionshaltungen bei einer universellen Betrachtung der Geburts- mechanik nicht außer acht lassen dürfen. Neben der einfachen Progressivbewegung, welche unter der Geburt der gesamte Fruchtzylinder durch den geraden und den gebogenen Abschnitt des Geburtskanales beschreibt, greifen regelmäßig „Veränderungen in der Haltung“ einzelner Kindesteile zu dem übrigen Körper Platz und die des Fruchthalters und des Geburtskanales, Geburtsmechanik. 1a Haltung des ganzen Körpers wird alteriert. Außerdem ändert sich nach be- stimmten Gesetzen das Verhalten der fötalen Körperflächen zur Innenfläche Es kommt zu sogenannten „Stellungsänderungen‘“. Am Ende der Schwangerschaft und bei Beginn der Geburt ist der Rücken des Kindes nach der einen Seite der Mutter hin, und zwar meist nach der linken gerichtet. Das ist also die „Ausgangsstellung“. Fig. 63. Tiefster Punkt des knöchernen Schädels etwa in der Ebene durch den unteren Schoßfugenrand parallel der Terminalebene. Achsengerechte Einstellung des Kopfes, Pfeilnaht gleich weit von Schoßfuge und Promontorium entfernt. Große und kleine Fontanelle etwa in gleicher Höhe links und rechts in der Nähe der Linea terminalis. i Beginnende Streckung der Brustwirbelsäule. 1/; nat. Gr. Die für die Geburt charakteristischen Haltungs- und Stellungsverände- rungen der Frucht betrachten wir am besten getrennt voneinander (vgl. Fig. 63 bis 68). Die „Haltungsveränderungen“ fallen an dem vorangehenden Kopfe am meisten auf. Der Kopf darf mechanisch als ein zweiachsiges oder Rotationsellipsoid, dessen einer Pol das Hinterhaupt und dessen anderer Pol das Gesicht oder 152 Geburtsmechanik. das Kinn ist, aufgefaßt werden. Er muß in dem elastischen Geburtskanal eine derartige Haltung einnehmen, daß seine lange Achse mit der Achse des Geburtskanales zusammenfällt. Der eine Pol, das Hinterhaupt, senkt sich und rückt auch in die Mitte zwischen Schoßfuge und Promontorium, wenn eine Abweichung nach vorn oder hinten bestand. Die Hauptsache bei dieser Haltungsänderung ist, daß bei der Senkung des Hinterhauptes Fig. 64. m Tiefster Punkt des knöchernen Schädels in der Parallelebene durch die Spinae ischiadicae. Pfeilnaht im”queren Durchmesser des Beckens. Kleine Fontanelle gesenkt und der verlängerten Ein- gangsachse genähert. Große Fontanelle rechts, höher als die kleine in der Nähe der seitlichen Becken- wand. Halswirbelsäule stark gebeugt, Brustwirbelsäule in stärkerer Streckung. 1/, nat. Gr. der Kopf aus einer mäßigen Flexion, die seine „natürliche Haltung“ darstellt, in eine ausgesprochene „starke Flexion“ übergeht (vgl. Fig. 63 a.v.S. und Fig. 64). Erst gegen Ende der Geburt beginnt eine immer mehr zunehmende Deflexion (vgl. Fig. 66 a. S. 154 und Fig. 67 a.8.155). Der geborene Kopf begibt sich sofort nach seinem Austritt aus der Schamspalte in die natürliche Haltung, in geringe Flexion zurück (Fig. 68 a.S. 156). Geburtsmechanik. 15 ww Die unter der Geburt sich ausbildenden Haltungsveränderungen des übrigen Fruchtkörpers bestehen im Geraderichten und Strecken der ganzen Wirbelsäule aus ihrer ursprünglichen C-förmigen Krümmung (vel. Fig. 65) und in der gegen Ende der Austreibung sich einstellenden Ausstreckung der unteren Extremitäten (Fig.66 bis 68). Daß die Ober- or Fig. 6 Tiefster Punkt des knöchernen Schädels auf dem Beckenboden (Kreuzsteißbeinverbindung). Pieilnaht im rechten schrägen Durchmesser des Beckens. Kleine Fontanelle etwas vor und unter der linken Spina ischiadica, große etwas hinter und über der rechten Spina ischiadica. Linke Schulter vor der linken Articulatio sacroiliaca, rechte Schulter in der Gegend des rechten Tuberculum ileopubicum. Schulterbreite in der Höhe des Beckeneinganges, durch die Drehung des Kopfes fast in den linken schrägen Durchmesser des Beckeneinganges hineingezogen. Beginnende Streckung der Halswirbelsäule. Brustwirbelsäule gestreckt. Beginnende Streekung der Lendenwirbelsäule. Die Oberarme werden auf der Brustseite zusammengepreßt. 1/, nat. Gr. arme in dem engen elastischen Geburtsschlauch durch zirkuläre Schnürung.nach der Brust zusammengedrängt werden, hat Chiari auf seinem Gefrierschnitt überzeugend dargestellt, ohne allerdings schon auf die geburtsmechanische Bedeutung dieser Erscheinung aufmerksam zu werden. ich habe den Einfluß dieser Haltungsveränderung auf die Schultern durch Untersuchungen an Neugeborenen studiert. Ahmt man die Verhältnisse in 154 Geburtsmechanik. dem elastischen Geburtskanal nach und rundet den Querschnitt der Schulter- gegend durch Anziehen einer zirkulär angelegten Binde, so stellt sich alsbald eine Haltung des Kindes ein, wie wir sie auf dem Ghiarischen Gefrierschnitt sehen: Ohne große Schwierigkeiten nähern sich auf der Brust die Oberarme einander parallel fast bis zur gegenseitigen Berührung. Gleichzeitig rücken, wie Fig. 66. „Einschneiden“ des Kopfes. Pfeilnaht im geraden Durchmesser des Beckenausganges. Kleine Fontanelle etwa in der Verbindungs- linie der Tubera ischiadica. Suboceiput an dem unteren Schoßfugenrande, Gegend der Stirn an der Steißbeinspitze. Schulterbreite im schrägen Durchmesser, etwa in der Parallelebene durch den unteren Schoßfugenrand. Halswirbelsäule in etwas stärkerer Streckung und etwas torquiert. Oberarme stark nach der Brust hin zusammengepreßt. Schultern kopfwärts geschoben. Brust- und Lendenwirbelsäule gestreckt. Beginnende Streckung der Oberschenkel. 1; nat. Gr. Radiogramme erkennen lassen, die Schultern unter steiler Aufrichtung der Schlüsselbeine und Elevation der Schulterblätter kopfwärts. Außerdem wird die Frucht mehr walzenförmig gestaltet. Die nach- rückenden Schultern füllen die in natürlicher Haltung zwischen Kopf und Rumpf bestehende Halseinschnürung aus (vgl. Fig. 66 und 67). Wir sind also berechtigt, von einem „Fruchtzylinder“ oder einer „Fruchtwalze* zu reden. Die steile Aufrichtung der Schlüsselbeine läßt sich übrigens ganz 1 | | | Geburtsmechanik. 15), regelmäßig unter der Geburt nach dem Austritt des Kopfes durch Nach- fühlen mit dem Finger konstatieren. Für die Gesichts- und Schnauzengeburt ist noch zu bemerken, daß hier der Kopf bei seinem Durchtritt in eine sehr starke „Deflexions-. haltung“ gerät und erst während der Austrittsbewegung seine normale Haltung wiedergewinnt. Fig. 67. Kopf im „Durchschneiden“. Suboceiput am unteren Schoßfugenrande, Gegend der Stirn am hinteren Vulvasaum, Gesicht [hinter dem Damm. Schulterbreite fast schon im geraden Durchmesser des Beckenausganges. Halswirbel- säule in stärkerer Streckung und Torsion. Arme stark auf der Brustseite zusammengepreßt. Schultern sehr stark kopfwärts geschoben. Oberer Teil der Brustwirbelsäule torquiert und stark lateral flektiert, unterer Teil der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule in starker Streckung. Ober- schenkel in einem stumpfen Winkel gestreckt. Beginnende Streckung der Unterschenkel. ;!/; nat. Gr. Geht der Steiß voran, so werden die Oberschenkel an der Bauch- seite emporgeschlagen und angepreßt. Damit sind unsere Kenntnisse über die Haltungsänderungen der Frucht unter der Geburt erschöpft. Die Stellung der Fruchtabschnitte ändert sich bei dem Durchtritt durch den geraden Anfangsteil des Geburtskanales so gut wie gar nicht. Zu auf- fälligen Stellungsänderungen kommt es erst in dem Knie des Ge- burtskanales. Dort dreht sich bei der gewöhnlichen Hinterhauptslage der 156 Geburtsmechanik. Kopf so, daß das ursprünglich nach der linken Seite gerichtete Hinterhaupt nach vorn zeigt (Fig. 64 bis 66). Die Schulterbreite bewegt sich aus dem queren oder schrägen Durch- messer des geraden Abschnittes des Geburtskanales in den von hinten nach vorn verlaufenden des gebogenen Abschnittes (Fig. 66 bis 68). Fig. 68. Kopf und Hals vollständig geboren. Äußere Drehung des Kopfes vollendet, Hinterhaupt nach links, Gesicht nach rechts gerichtet. Kopf in mäßiger Streckhaltung. Große und kleine Fontanelle etwa in gleicher Höhe. Schulterumfang fast im Vulvasaum. Schulterbreite im geraden Durchmesser der Vulva, vordere Schulter unter der Schoßfuge geboren, hintere hinter dem Damm. Halswirbelsäule in ihre natürliche Haltung zurückgekehrt. Brust- wirbelsäule stark lateral flektiert, Lendenwirbelsäule und Oberschenkel stark, Unterschenkel mäßig gestreckt. !/, nat. Gr. Bei Gesichtslage gelangt das Kinn nach vorn. Die Hüftbreite des vorangehenden Steißes dreht sich aus dem queren oder schrägen Durchmesser in den sagittalen. E Fassen wir dieFormenveränderungen der entspechenden Wirbel- säulenabschnitte ins Auge, unter welchen die Frucht das Knie des Geburtskanales passiert, so bemerken wir eine Abbiegung der Hals- wirbelsäule bei Hinterhauptslagen nackenwärts (Fig. 67), bei Geburtsmechanik. 157 Gesichtslagen kehlkopfwärts, der Brustwirbelsäuleschulterwärts (Fig. 68) und der Lendenwirbelsäule bei vorangehendem Steiß hüftwärts. Wenn wir von weiteren unwesentlichen Bewegungen absehen, so stellen die Progression, die Haltungs- und Stellungsveränderungen zusammen die Geburtsmechanik dar. Die Erklärung für das Vorrücken im Sinne des Geburtskanales liegt auf der Hand. Daß ein festweicher, biegsamer, walzenförmiger Körper wie der Fruchtzylinder in dem geradlinigen Abschnitt des Geburtsschlauches geradlinig vorgeschoben wird und in dem gebogenen Abschnitt sich während der Progression in einer der Kurve des (reburtskanales entsprechenden Weise abbiegt, ist ohne weiteres verständlich. Der Fruchtkörper ist also im Sinne des Geburtskanales „zwangsläufig“. Auch für die Haltungsveränderungen des Kopfes gibt es eine sehr einfache mechanische Deutung. Das Tiefertreten des Hinterhauptes oder in selteneren Fällen des Gesichtes, kommt durch die ellipsoide Gestalt des Kopfes zustande. Der Kopf gerät dadurch in diese „Zwangshaltung“, daß ‘sich die lange Achse des Ellipsoids bei seiner Vorwärtsbewegung in die Längsachse des elastischen Geburtsschlauches einrichtet. In der Regel steht von vornherein der Hinterhauptspol tiefer und gewinnt den Vorsprung. Die geringste Reibung wird bei dem Durchtritt erzielt, wenn die Längsachse des Ellipsoides mit der Längsachse des Geburtskanales zusammenfällt. Dies läßt sich leicht beweisen. Versucht man im Experiment ein Ellipsoid mit seiner Längsachse schräg zur Längsachse eines elastischen Schlauches vor- wärts zu treiben, so erfolgt alsbald die Einstellung bis zur Übereinstimmung beider Achsen. Wird der Kopf, wie es in Wirklichkeit der Fall ist, in einem noch unentfalteten Teile des Geburtsschlauches vorwärts getrieben, geht er also aus einem weiteren Abschnitt in einen engeren, konisch gestalteten über, so wird er wegen der stärkeren Widerstände erst recht mit seinem Hinter- hauptspole gesenkt. Lasse ich ein aufrecht sitzendes lebendes neugeborenes Kind aus einer zylindrischen Glasglocke mit dem Kopfe voran in einen Trichter gleiten, so tritt unter der Einwirkung der Schwerkraft regelmäßig eine starke Beuge- haltung ein, und das Hinterhaupt sucht die Mitte des Trichters einzunehmen. Nur wenn die Glasglocke so. geräumig ist, daß sie dem Kinde sehr viel Spiel- raum gewährt, kommt manchmal der Gesichtspol nach unten. Mathematisch läßt sich an dem schräg in dem elastischen Geburts- schlauch steckenden Kopfellipsoid die einrichtende Kraft durch ein Kräfte- paar veranschaulichen, das an den stärker ausgebogenen Stellen des Schlauches die beiden Pole nach der Schlauchlängsachse zu drückt (Fig. 69 und 70). Es ist auch ohne weiteres durch Experiment und Zeichnung klar zu machen, daß ein Ellipsoid sich in dem gebogenen Abschnitt des Schlauches in sofern „coaxial“ einstellt, als seine Längsachse jeweils eine Tangente an die gebogene Achse des Kanales bildet. Das hat schon Schatz betont. Strecken der Wirbelsäule, paralleles Zusammenführen der Arme auf der Brust, Vorschieben der Schultern kopfwärts, Ausstrecken der unteren Extremitäten werden durch Schnürung in dem elastischen Geburtsschlauch und durch Verminderung des Gebärmutterquerschnittes hervorgerufen. 158 Geburtsmechanik. Die Spannung der gedehnten Wände des Geburtskanales sucht die Oberfläche seines inkompressiblen, aber formbaren Inhaltes auf das Minimum zu reduzieren. Dieses Minimum ist die Zylinderform, weil es sich mathe- matisch nachweisen läßt, daß bei gegebenem Volumen der Zylinder die kleinste Oberfläche hat. Die Schwierigkeiten in der physikalischen Erklärung der Geburtsme- chanik liegen in den Stellungsveränderungen, in den Drehungen der einzelnen Abschnitte des Fruchtzylinders um seinen Längsdurchmesser. Auch hier hat man, wie bei den Haltungsveränderungen, die Bewegungen Fig. 69. Fig. 70. j | | | | | ) | I | ) | | | | | | | I | I des vorangehenden Kopfes bisher am meisten und vielfach einseitig ins Auge gefaßt. Das mag der Grund sein, warum man so lange Zeit nicht auf eine generelle Erklärung der Stellungsdrehungen aller Körperabschnitte ausging. Die seitherigen Explikationen der Stellungsdrehung des Kopfes sind sehr zahlreich und manchmal recht künstlich. Die verschiedensten Eigenschaften des Geburtskanales, des Geburtsobjektes und der austreibenden Kräfte werden zur Erklärung herangezogen. Am Geburtskanal verlegt man das drehende Moment, welches das Hinterhaupt nach vorn bringt, meistens in das kleine Becken. Die Konfi- guration des knöchernen Beckens im ganzen, die Gestalt der hinteren unteren Wand, die schiefen Ebenen an den Seitenflächen, das Loch in der vorderen Wand werden verantwortlich gemacht. Geburtsmechanik. 159 Von den Weichteilen räumt man sowohl den polsterartig den Becken- wandungen angeschmiegten Hüftmuskeln, als auch den Muskeln des Becken- verschlusses, vor allem dem Diaphragma pelvis eine Wirksamkeit ein. Selbst der angespannten hinteren Scheidenwand gesteht man einen Einfluß zu. Andere Erklärungen suchen den Grund für die Drehung höher. Entlang der Linea terminalis und entlang den Darmbeinschaufeln will man eine schraubenförmige Führung für die Schultern gefunden haben. Der mit der fortschreitenden Entleerung eintretenden Abplattung des Uterus von vorn nach hinten traut man eine primäre Drehung des Rückens zu, welche dem vorangehenden Kopf die Bewegung mit dem Hinterhaupt nach vorn diktieren soll. Bei der Frucht lag es am nächsten, die Eigenschaften, welchen man einen Einfluß auf die Drehung vindizierte, am vorangehenden Kopf zu ver- muten. Glätte und Rundung sollen das Hinterhaupt leichter zum Gleiten befähigen als die eckige Stirn mit dem unregelmäßig gestalteten Gesicht und so den Vorsprung gewinnen lassen. Der längere Hebelarm des Vorder- hauptes am querstehenden Schädel soll durch den Widerstand des entspre- chenden absteigenden Schambeinastes nach hinten geführt werden. Die ausgiebigere Biegsamkeit der Halswirbelsäule im Sinne einer Deflexion wurde mehrfach betont. Schließlich rechnet man bald mit einem allgemeinen Inhaltsdruck, der den in dem Geburtskanal abgedichteten Kopf wie den Kolben in einem Dampfzylinder vorwärts schiebt, bald mit einem an einem isolierten Punkte des Kopfes in der Umgebung des Hinterhauptsloches angreifenden Frucht- wirbelsäulendruck. Die Schwerkraft mußte herhalten. Formresti- tutionskraft des Uterus und auch negative Formrestitutionskraft sind zu Erklärungsversuchen herangezogen worden. Die meisten Autoren verquicken mehrere dieser Eigenschaften der drei mechanischen Faktoren miteinander, um eine einleuchtende Er- klärung der Geburtsmechanik zu geben. Für alle diese Auslegungen sind triftige Gründe geltend gemacht worden, und ich glaube auch, ohne mich hier im einzelnen auf eine Kritik einzulassen, daß alle gelegentlich zu dem Zustandekommen der Stellungsdrehung des Kopfes mehr oder weniger mit- wirken können. Doch wird das Zutrauen zu einer Erklärung der Geburts- mechanik um so geringer, je. komplizierter sie ist. Der Hauptgrund der Drehungen muß doch ein sehr einfacher sein, wenn man sieht, daß der mechanische Vorgang, trotzdem alle wirksamen Faktoren mit sehr starken individnellen Schwankungen ineinandergreifen können, sich in der Haupt- sache immer in der gleichen Weise abspielt. Mir gaben vielfache Experimente mit allen möglichen Geburtskanälen, mit Kindern, Kindsnachbildungen und Körpern von den verschiedensten physikalischen Eigenschaften und die Anwendung aller Arten von aus- treibenden Kräften den Schlüsssel zu einer sehr einfachen Erklärung. Ich kam zu der Überzeugung, daß die austreibenden Kräfte einen gleich- mäßig nach allen Richtungen biegsamen Fruchtzylinder durch den symmetrisch gebauten Geburtskanal ohne jede Stellungsänderung, also ohne jede Drehung um seinen Höhendurchmesser hindurchtreiben müßten. Das bestätigte das Experiment. 160 Geburtsmechanik. Wir können also schließen, daß weder die austreibende Kraft, welcher Art sie auch sein mag, noch die Gestalt des Geburts- schlauches für sich, noch beide zusammen allein die Drehungen des „Fruchtzylinders“ um seine Achse zu erklären imstande sind. Es muß noch ein Hauptfaktor für die Stellungsdrehung hinzukommen, welcher in den Eigentümlichkeiten des Kinds- körpers zu suchen ist. Ich habe diese Eigentümlichkeiten eingehend studiert. Ich experimentierte zunächst in verschiedener Weise. Ich preßte mit starkem Wasserleitungsdruck Kindsleichen durch Kopien des Geburtskanales und ließ Nachbildungen von Kindskörpern durch Luftdruck oder durch ihre eigene Schwere durch weiche, elastische und feste, gerade und krumme Röhren gleiten. Auch studierte ich den Körper lebender Neugeborener. Durch alle diese vielen Untersuchungen, auf die ich hier nicht im einzelnen eingehen will, gewann ich die Überzeugung, daß die wichtigste Ursache für die Stellungsdrehungen in der in den einzelnen Abschnitten des Fruchtzylinders nach verschiedener Richtung ungleichmäßigen Biegsamkeit zu suchen sei. Kaltenbach hatte schon die Biegungsverhältnisse der Halswirbelsäule hinsichtlich des Geburtsmechanismus zu untersuchen angefangen. ÖOster- mann schloß sich ihm an. Ich habe diese Studien noch fortgesetzt und systematisch die Biegungsverhältnisse der fötalen Wirbelsäule und ins- besondere des „Fruchtzylinders“, d. h. des Kindes in seiner Geburtshaltung in allen für den Geburtsvorgang bedeutungsvollen Abschnitten eingehend kennen zu lernen gesucht. Zuerst hielt ich die möglichen Verbiegungen der Wirbelsäule in den verschiedensten Richtungen an lebenden Neugeborenen in Radiogrammen fest. Dann wurden noch bei 50 Neugeborenen die Biegungsverhält- nisse in den einzelnen Abschnitten der Wirbelsäule miteinander verglichen. Auf diese Weise brachte ich heraus, wie weit sich die fötale Wirbelsäule an Hals, Brust, Lendengegend nach vorn, hinten, seitlich, auch vorn seitlich und hinten seitlich biegen läßt. Speziell an der Halswirbelsäule habe ich in noch exakterer Weise die Kraft bestimmt, welche notwendig ist, um den Kopf nach der einen oder anderen Richtung vom Rumpfe abzubiegen. Zu diesem Zwecke befestigte ich an den Köpfen lebender Kinder mittels Gipsbinden ein empfindliches Dynamometer. Dann wurde in einem besonderen Apparat auf dem Gradbogen an 12 Kindern festgestellt: erstens wie weit man mit einer gleichen Kraft den Kopf nach den verschiedenen Richtungen hin ab- biegen kann, und zweitens, eine wie große Kraft nötig ist, um den Kopf um einen bestimmten Winkel abzulenken. Ich will auf alle interessanten Ergeb- nisse dieser Untersuchungen, insbesondere auf die Unterschiede zwischen starken und schwachen Kindern, die größere Biegsamkeit der Lendenwirbel- säule bei Mädchen als bei Knaben, die rasche Abnahme der beim Neu- geborenen sehr hochgradigen Biegsamkeit nach der Geburt, im einzelnen hier nicht eingehen. Ich hebe nur das für die Geburtsmechanik wichtige Resultat hervor, daß die Kraft, welche nötig ist, die Wirbelsäule | nach den verschiedenen Richtungen zu biegen, also die „Bieg- samkeit“, sehr verschieden ist. | | | Geburtsmechanik. 161 An der Halswirbelsäule findet sich die Richtung der leichtesten Biegsamkeit, das „Biegungsfacillimum‘“, nach hinten, die Richtung der schwersten Biegsamkeit, das „Biegungsdifficillimum“, nach vorn. Die Biegsamkeit nach der Seite liegt in der Mitte. An der Brustwirbelsäule bestehen zwei gleiche Facillima nach links und rechts, während die Diffieillima untereinander wenig verschieden nach hinten und vorn liegen. Am Übergang der Brustwirbelsäule in die Lendenwirbelsäule besteht auch noch das Biegungsfacillimum nach lateralwärts. In der Lenden- wirbelsäule selbst und im Übergang der Lendenwirbelsäule in die Kreuz- wirbelsäule findet sich das Biegungsfacillimum nach hinten und seitlich, das Biegungsdifficillimum liegt nach vorn. An der Halswirbelsäule sind die Unterschiede zwischen Facilli- mum und Difficillimum sehr groß, an der Brust- und Lendenwirbelsäule und Kreuzlendenwirbelsäule geringer. Doch ändern sich diese Biegungsverhältnisse unter der Ge- burt an dem die Geburtshaltung einnehmenden Kindskörper, d.h. an dem „Fruchtzylinder“ noch bedeutend. Wenn der Kopf in dem Geburtskanal zu einer starken Flexionshaltung gezwungen wird, tritt zu der schon vorhandenen leichtesten Möglichkeit, sich zu deflektieren (Biegungsfacillimum), noch das Bestreben, sich in dieser Richtung zu bewegen, also eine „Deflexionstendenz“. Daß die Kraft des Deflexionsbestrebens nicht gering ist, zeigt das Dynamometer, welches bei etwas stärkerer Beugung einen Ausschlag von durchschnittlich 1,5 bis 2kg angibt. Man findet dıese hochgradige Deflexionstendenz auch hinreichend erklärt, wenn man an Querschnitten durch den Hals Neugeborener hinter der Wirbelsäule die gewaltige Auflagerung von elastischen Weichteilen sieht, welche bei forcierter Beugung in Spannung geraten. Bei Gesichtslage wird der Kopf mit großer Gewalt deflektiert. Der Kopf bekommt dadurch eine sehr starke „Flexionstendenz“, die sich auch am Dynamometer nachweisen läßt, während das primäre Biegungs- facillimum bei dieser von der natürlichen so stark abweichenden Haltung gar nicht in Betracht kommen kann. Es wird durch das starke Flexionsbestreben überkompensiert, und das Flexionsbestreben bleibt allein übrig. Das Biegungs- facillimum liegt jetzt trachealwärts. Wie stark die durch die Flexion und Deflexion unter der Geburt er- zeugte Spannung in den hinter und vor der Halswirbelsäule gelegenen Weichteilen ist, zeigte Kaltenbach durch den Nachweis von quer ver- laufenden Dehnungsstreifen, die sich in der an und für sich sehr elasti- schen Haut des Halses bei Hinterhauptslage im Nacken und bei Gesichtslage an der Trachealgegend finden. Die Exkursionen der Brustwirbelsäule in sagittaler Richtung werden unter der Geburt durch die wie Längsschienen der Brust angepreßten Ober- arme gehemmt oder fast ganz aufgehoben. Die Lateralflexion wird dagegen hierdurch nicht oder kaum behindert. Infolgedessen ist der Kontrast zwi- sehen dem Biegungsfacillimum in frontaler Richtung und dem Diffieillimum in sagittaler Richtung noch deutlicher geworden, als er primär schon war. Nagel, Physiologie des Menschen. II. al 162 Geburtsmechanik. 24 Bei vorangehendem Steiß verändern an der Lendenwirbelsäule die an der Bauchseite in die Höhe geschlagenen Oberschenkel die Bieg- samkeit beträchtlich. Das Facillimum liegt auch hier im Sinne der Lateral- flexion. Resümieren wir, so befindet sich das primäre Biegungsfacillimum des Fruchtzylinders an der Halswirbelsäule nackenwärts, an der Brustwirbelsäule schulterwärts und an der Lendenwirbelsäule nach seitlich und hinten. Dazu kommt durch die Geburtshaltung an der Halswirbelsäule bei der Hinterhauptslage eine Verstärkung des primären Biegungsfacillimum durch eine Deflexionstendenz und bei Gesichtslage eine das primäre Facillimum überkompen- sierende Flexionstendenz An der Brustwirbelsäule werden durch die Arme und bei vorangehendem Steiß an der Lenden- wirbelsäule durch dieemporgeschlagenen Beine größere Kontraste zwischen den in sagittaler Richtung liegenden Biegungsdiffi- cillima und den infrontaler Richtung liegenden Facillima erzeugt. Das mechanische Problem ist danach ein ziemlich einfaches geworden. Wir haben es bei dem Geburtsobjekt mit einem Zylinder zu tun, der sich unter der Geburt dem Knie des Geburtskanales ent- sprechend biegen muß, in dessen einzelnen Abschnitten aber eine ungleichmäßige Biegsamkeit herrscht, derart, daß Biegungs- facillimum und Difficillimum aufeinander senkrecht stehen (Brust- und Lendenwirbelsäule) oder in diametral entgegen- gesetzten Richtungen angeordnet sind (Halswirbelsäule). Sehen wir nun zu, wie gleichmäßig und ungleichmäßig bieg- same Zylinder, wenn sie verbogen werden, sich in ihrem mechani- schen Verhalten unterscheiden. Nehme ich einen in der Richtung zweier aufeinander senkrecht stehender Ebenen gleichmäßig biegsamen elastischen Zylinder, stecke ihn auf eine Achse, um die er drehbar ist, und verbiege ihn, so läßt er sich in jeder Richtung verbiegen und schnellt beim Nachlassen der verbiegenden Kraft wieder in seine Gleichgewichtslage zurück. Von einer Drehung um die Längsachse ist keine Rede. An zweiter Stelle nehme ich einen im übrigen ganz gleich gestalteten Zylinder, welcher sich aber nur in der Richtung der einen Ebene leicht, in der darauf senkrecht stehenden anderen Ebene schwer oder fast gar nicht verbiegen läßt, der also ein Biegungsfacillimum und senkrecht dazu ein Diffieillimum hat. Setze ich diesen drehbar auf eine Längsachse und verbiege ihn, so verhält er sich sehr verschieden, je nach der Richtung, in welcher er verbogen wird. Zieht die verbiegende Kraft in der Richtung des Facillimum, so biegt er sich, ohne sich um seine Längsachse zu drehen. Zieht die verbiegende Kraft dagegen in irgend einem Winkel dazu oder gar nahe der Richtung des Difficillimum, so dreht sich der Zylinder so lange um die Achse, bis das Facillimum mit der Rich- tung der verbiegenden Kraft zusammenfällt, ehe er oder während er die Biegung annimmt!). Man kann also sagen: Wird ein Stab '!) Vgl. Anmerkung 8. 163. | EEE > Sun nn Geburtsmechanik. 163 von verschiedenen Widerstandsmomenten nach verschiedenen Richtungen von einer Kraft verbogen, so sucht er sich so lange zu ‚drehen, bis die in ihm auftretenden Spannungen ein Minimum er- reicht haben, d.h. bis die Kraft in der Richtung des Facillimum wirkt, bıs also der Stab der Kraft den kleinsten Widerstand leistet. Ich darf dieses Gesetz von dem Verhalten ungleichmäßig biegsamer Zylinder bei eintretender Verbiegung auch auf den Fruchtkörper übertragen, nachdem ich an ihm die ungleichmäßige Biegsamkeit nachgewiesen habe. Tatsächlich ist auch die Wirkung der Verbiegung, die der Fruchtkörper unter der Geburt erleidet, die gleiche, die man nach vorstehenden Experimenten vorausberechnen kann. Der Fruchtzylinder dreht sich immer so lange um seine Längsachse herum, bis sein Biegungsfacillimum mit der Ebene, in welcher der Geburtskanal gebogen ist, zusammenfällt, d. h. bis im einzelnen der Nacken, die eine Schulter oder die eine Hüfte sich nach vorn gegen die Schoßfuge gewendet hat. Für die Drehung des Kopfes kommt noch ein zweiter beson- derer Mechanismus in Betracht, welcher sich durch die aus seiner Zwangshaltung entspringenden Einzelkräfte erklären läßt. Die wirksame Kraft ist bei Hinterhauptslage die „Deflexionstendenz“ und bei Gesichts- lage die „Flexionstendenz“. Ich führe den Beweis zunächst für die Verhältnisse bei Hinterhauptslage. Bewege ich an einem zu diesem Zwecke konstruierten Apparat den querstehenden Kopf geradlinig nach abwärts, wie es in dem oberen Ab- schnitt des Geburtskanales der Fall ist, so erfolgt keinerlei Drehung des Hinterhauptes nach vorn, wenn auch schon hier die Deflexionstendenz in Gestalt eines durch angehängte Gewichte wirkenden Kräftepaares vorhanden ist. Die eine Kraft des Paares zieht am Hinterhaupt nach aufwärts, die andere am Vorderhaupt nach abwärts. Sobald ich aber bei dieser Versuchsanordnung den querstehenden Kopf mit seiner Schädelwölbung etwas nach vorn ablenke, um eine suboceipito-frontale Achse drehe, also eine Bewegung ausführe, wie sie in dem gebogenen Ab- schnitt des Geburtskanales tatsächlich eingeleitet wird, so erfolgt prompt eine Drehung des Hinterhauptes nach vorn. Daß es wirklich nur die Deflexions- tendenz ist, welche den Kopf um seinen Höhendurchmesser dreht, läßt sich hier leicht beweisen. Die Drehung bleibt bei der Ablenkung aus, sobald ich vorher die Gewichte abgehängt habe, welche diese Deflexionstendenz veran- schaulichen !). Wir sehen also, daß bei der Hinterhauptslage die Wirkung des primären Biegungsfacillimum, die in einer durch das Verbiegen !) Auf die mechanische Überlegung, welche dazu dient, die Tatsachen der Drehung ungleichmäßig biegsamer Zylinder bei eintretender Verbiegung, sowie des Zustandekommens der Kopfdrehung infolge der Deflexionstendenz zu erklären, gehe ich hier nicht ein, weil zu einer klaren Darstellung einige Zeiehnungen und noch besser Apparate notwendig sind, wie ich sie anderwärts demonstriert habe (Sell- heim, Die mechanische Begründung der Haltungsveränderungen und Stellungs- drehungen des Kindes unter der Geburt, Vortrag auf der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Breslau 1904). 11% 164 Geburtsmechanik. in ungünstigem Sinne eintretenden Spannung besteht, durch die in der Geburtshaltung begründete Deflexionstendenz tatsächlich verstärkt wird. Es ist leicht einzusehen und an dem Apparat auch ohne viel Um- stände nachzuweisen, daß bei Gesichtslage die durch die Geburtshaltung bedingte Flexionstendenz des Kopfes das Kinn nach vorn führt. Im allge- meinen läßt sich sagen, daß diejenige Partie des Kopfes, welche das Be- streben hat, sich zu heben, regelmäßig nach vorn gerät. Nachdem ich in dieser Weise in dem Zusammenwirken der physikali- schen Eigenschaften des Kindskörpers mit der physikalischen Beschaffenheit des Geburtskanales die Ursache für die Stellungsänderungen der verschie- denen Abschnitte des Fruchtzylinders erkannt und im einzelnen bewiesen habe, mache ich noch die Probe auf das Exempel. Bis jetzt habe ich mit meinen mechanischen Untersuchungen und meinen physikalischen Versuchen immer nur die Tendenz und den Ansatz zu den Drehungen des Hinter- hauptes, des Kinnes. einer Schulter, einer Hüfte nach vorn nachweisen können. Konstruiere ich mir nun eine Nachbildung des Kindskörpers mit den geburtsmechanisch als wichtig erkannten physikalischen Eigentümlichkeiten und treibe dieses Phantom durch einen Kanal von der angeführten Beschaffen- heit des Geburtskanales hindurch, so müssen sich alle Bewegungen vollständig ausführen lassen. Wir müssen dann den Ablauf der Stellungsdrehungen beobachten können. Ich habe zu diesem Zwecke eine Puppe angefertigt, bei welcher das Biegungsfacillimum an der Halswirbelsäule nackenwärts liegt und bei starker Biegung sich eine Deflexionstendenz einstellt. Das Biegungs- facılllmum der Brustwirbelsäule liegt schulterwärts, das der Lendenwirbel- säule hüftwärts. Mache ich dieses Phantom in Hinterhauptslage auf einer Achse, die der des Geburtskanales genau nachgebildet ist, zwangsläufig und drücke es entlang dieser Achse!) durch einen Handgriff, der nur dem Schub dient, aber die Übertragung einer Drehbewegung mit Sicherheit ausschließt, so sieht man die Fruchtnachbildung ohne Stellungsänderung den geradlinigen Abschnitt des Geburtskanales durchmessen. An dem Knie dreht sich das Hinterhaupt aus jeder Lage nach vorn. Sobald die Brustwirbelsäule das Knie passiert, wendet sich die eine Schulter nach vorn. Auch an dıesem Modell kann ich die Richtigkeit meiner Behauptung, wo- nach das Ineinandergreifen der physikalischen Eigenschaften des Kindes und des Geburtskanales die Drehung bewirkt, durch eine Probe beweisen. Schalte ich an der Halswirbelsäule das Biegungsfacillimum nach hinten und die De- flexionstendenz durch I{ntspannung der dazu angebrachten beiden Spiral- federn aus, so passiert das Kind den Geburtskanal ohne jegliche Stellungs- änderung, in welcher Stellung ich es auch vorwärts schiebe. Umgekehrt ist es klar, daß die Biegung des Geburtskanales (Zwangs- läufigkeit) für das Zustandekommen der Stellungsdrehung unbedingt nötig ‘) Ich will noch bemerken, daß es mechanisch prinzipiell einerlei ist, ob ich den Fruchtzylinder in dieser Weise axial oder, wie esin Wirklichkeit ist, peripher an den Wandungen des gebogenen Kanales zwangsläufig mache. Ich habe den experi- mentellen Nachweis auch an gebogenen Schläuchen erbracht. Ich gebe der axialen Darstellung hier den Vorzug, weil sich dabei der Vorgang besser übersehen läßt. Geburtsmechanik. 165 ist, denn in dem geraden Teil erfolgte auch bei gespannten Federn keinerlei Stellungsdrehung. Bei vorangehendem Steiß dreht sich an dem Knie des Geburtskanales ‘die eine Hüfte nach vorn. Bei Gesichtslage muß die Flexionstendenz durch zwei Spiralfedern nachgeahmt werden, und dann dreht sich das Kinn aus jeder Stellung prompt in dem gebogenen Teile des Geburtskanales nach vorn. Die Schultern folgen wie bei Hinterhauptslage. Nach diesen Untersuchungen glaube ich die Ur- sache für die Stellungsdrehungen der Frucht unter der Geburt in befriedigender Weise erklären zu können. Der Fruchtzylinder besitzt in seinen einzelnen Abschnitten nach den verschiedenen Richtungen hin eine ungleichmäßige Biegsamkeit. Diese physi- kalischen Eigenschaften der Frucht sind in erster Linie in den primären Biegungsverhältnissen der fötalen Wirbelsäule zu suchen, werden aber unter der Geburt durch die „Zwangshaltung“ der Frucht noch prägnanter gestaltet. Der Fruchtzylinder ist entsprechend der Biegung des Geburtskanales „zwangsläufig“ und muß in dessen Richtung verbogen werden. Infolge der un- gleichmäßigen Biegsamkeit der einzelnen Abschnitte des Frucht- zylinders nach verschiedenen Richtungen erfolgen bei der in dem Knie des Geburtskanales notwendigerweise eintretenden Ver- biegung elastische Spannungen („Deviationsspannungen“), welche durch das fortgesetzte Verbiegen in ungünstigem Sinne immer von neuem erzeugt werden und den Fruchtzylinder an der be- treffenden Stelle so lange um seine Längsachse herumdrehen, bis die Stellung erreicht ist, in welcher die Abbiegung im Sinne des Geburtskanales am leichtesten erfolgen kann. Speziell bei dem Kopf wird dieser Drehmechanismus noch unterstützt (Hinterhauptslage) oder abgeändert (Gesichtslage) durch elastische Kräfte, welche durch die unter der Geburt not- wendigerweise eingenommene „Zwangshaltung“ hervorgerufen werden [Deflexions- und Flexionstendenz — („Haltungsspan- nungen“)]. Bei den während der Wehenpausen eintretenden Lockerungen des Rumpfes werden die Stellungsdrehungen des vorangehenden Kindsteiles auf den nach- folgenden Körper so lange übertragen, bis dieser an dem Knie des Geburts- kanales gezwungen wird, eine selbständige Stellungsdrehung zu machen. Nach Freigabe des vorangehenden Teiles von dem Geburtskanal werden die Stellungsdrehungen des nachfolgenden Körperabschnittes auf den geborenen Kindsteil übertragen (vgl. Fig. 63 bis 68). Schließlich läßt sich die ganze Geburtsmechanik in zwei Sätze zusammen- fassen: 1. Die Frucht nimmt, um mit der geringsten Reibung durch den Ge- burtskanal zu gehen, in allen Teilen möglichst Zylindergestalt an (Haltungs- veränderungen). 2. Die so entstandene „Fruchtwalze“ dreht sich, um mit dem geringsten Kraftaufwand das Knie des Geburtskanales zu durchdringen, so lange um ihre Längsachse herum, bis die Stellung erreicht ist, in der sie sich am 166 Wochenbett. — Allgemeines. leichtesten im Sinne der Kurve des Geburtskanales verbiegen läßt (Stellungs- drehungen). Die Bewegung des Kindes unter der Geburt ist die allgemeinste Art der Bewegung, die ein Körper überhaupt haben kann: nämlich „Translation“ und „Rotation“. Als Translation bezeichne ich die Vorwärtsbewegung durch den ganzen Geburtskanal. Die Rotation ist die Drehung der Frucht um ihre Längsachse. Diese Erklärung paßt für die Drehung des Kopfes aus jeder Stellung, für Beugehaltung und Streckhaltung, für den Schulterndurchtritt, für Kopf- und Steißlage, für lebendes und totes Kind, für Mensch und Tier. IV. Das Wochenbett. E. Börner, Über den puerperalen Uterus, Graz 1875. Ferd. Ad. Kehrer, Die Physiologie des Wochenbetts in Müllers Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, S. 526, 1838. Hermann Fehling, Die Physiologie und Pathologie des Wochenbetts, II. Aufl., Stuttgart, Enke, 1897. Temesväry, „Wochenbett“ in der Enzyklopädie der Geburtshilfe und Gynäkologie von Sänger und von Herff, Leipzig 1900. Olshausen und Veit, Lehrbuch der Geburtshilfe, V. Aufl., Bonn, Cohen, 1902. Knapp, Physiologie und Diätetik des Wochenbettes jn v. Winckels Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, 1. Teil, Wiesbaden 1904 '). 1. Allgemeines. Das Wochenbett (Puerperium) beginnt nach der Ausstoßung des Kindes und der Nachgeburt und endigt mit der vollendeten Rückbildung der Genitalien zu dem prägraviden Zustand. Gleichzeitig mit den lokalen Ver- änderungen an den Geschlechtsteilen vollzieht sich in allen während der Schwangerschaft stärker in Anspruch genommenen Organsystemen eine Rück- bildung zur früheren Beschaffenheit und gewöhnlichen Tätigkeit. Die Wieder- herstellung der ursprünglichen Verhältnisse nimmt an den einzelnen Teilen verschieden lange Zeit in Anspruch. Der Körperhaushalt ist bald nach der Entlastung durch die Geburt wieder in seiner alten Ordnung, soweit nicht noch durch die Laktation größere Anforderungen gestellt werden. Die Generationsorgane sind nach sechs bis acht Wochen im großen und ganzen restauriert. Die Wiederherstellung ihrer Funktionen dokumentiert sich durch die um diese Zeit bei Nichtstillenden zum ersten Male auftretende menstruelle Blutung. Da von nun an Ovulation und Menstruation regel- mäßig wiederkehren, begrenzt man mit diesem Termine gewöhnlich das Wochenbett im engeren Sinne. Bei Frauen, welche ihre Kinder säugen, beherrscht in den späteren Tagen des Wochenbettes die Funktion der Milchdrüse das Bild. Obwohl unter dem Einfluß der Laktation die Rückbildung der Genitalien prompter und energischer vor sich geht, als bei Frauen, die nicht nähren, so läßt doch !) Diese Arbeit konnte nicht mehr benutzt werden. Wochenbett. — Wiederherstellung der Genitalien. 167 der Wiedereintritt der Periode bei Stillenden in fast der Hälfte der Fälle bis zu dem erst in späteren Monaten sich einstellenden Versiegen der Milch auf sich warten. Die Ovulation kann davon ganz unabhängig schon früher eintreten, wie das Zustandekommen einer neuen Schwangerschaft, ohne daß sich in der Stillungsperiode eine menstruelle Blutung gezeigt hätte, beweist. Vielleicht besteht während der Laktationsamenorrhöe sogar eine regelmäßige alle vier Wochen sich wiederholende Ovulation oder Wellen- bewegung, und der Ausfall der menstruellen Blutung erklärt sich durch die Inanspruchnahme der Körpersäfte durch das Stillgeschäft. (Vgl. den Ab- schnitt Laktation). Im Gegensatz dazu nimmt Weinberg!) ein zeitweises Aufhören der Eireifung während des Stillens an. Für die Rückbildung einzelner Schwangerschafts- oder Wochenbetts- zeichen läßt sich kein bestimmter Termin angeben. Abgesehen von den das Säugen begleitenden Veränderungen an den Mammae bezeugen mangelhafte Zurückbildung der Bauchdecken oder der Placentarstelle oft noch monate- lang die vorausgegangene Geburt. Schließlich bleiben die von den Geburts- verletzungen herrührenden Narben immer bestehen, und auch sonst vollzieht sich an einzelnen Körperstellen die Rückbildung so unvollständig, daß man dort noch nach Jahren und Jahrzehnten die Kennzeichen der Mutterschaft nachweisen kann. Die Vorgänge im Wochenbett gliedern sich in die Wiederherstellung der Genitalien und die Rückkehr der übrigen Organsysteme zum Gleichgewichts- zustand. Die Laktation wird in einem besondern Abschnitt besprochen. 2. Die Wiederherstellung der Genitalien. In den ersten Tagen des Wochenbetts findet man die Ovarien und Tuben noch oberhalb der Linea terminalis im großen Becken (Fig. 71 a.f.S.). Dann folgen sie der Verkleinerung des Uterus und der damit verbundenen Senkung ins kleine Becken. Am Ende der zweiten Woche sind sie schon wieder an ihre alte Lager- stätte im Becken zurückgekehrt. Da während der Schwangerschaft in der Regel keine Follikel höhere Stadien der Reife erreichen, so sind die Ovarien im Beginn des Wochenbetts meistens platt und ziemlich glatt. Nach einigen Wochen haben sie durch die regelmäßig in Gang gekommene Ovulation wieder ihr gewöhnliches Aussehen erreicht. Weinberg”) schreibt der Laktationsamenorrhöe in dem ersten halben Jahr nach der Geburt einen ungünstigen Einfluß auf eine neue Konzeption zu, der sich durch eine mangelhafte Ovulation erklären würde. Das Beckenbauchfell ist gleich nach der Geburt im Überschuß vorhanden. Wo es, wie am Ligamentum latum, an den Uteruskanten und an der Beckenwand locker angeheftet ist, legt es sich in Falten. Am Fundus uterı und an einem großen Teil der vorderen und hinteren Uteruswand ist es unverschieblich und folgt der Retraktion der sich bunt durchflechtenden Muskelbündel, so daß die Gebär- mutteroberfläche ein unebenes, wulstiges, eckiges Aussehen bekommt. Wenn auch im Verlauf der nächsten Wochen die frühere Spannung einigermaßen wiederkehrt, so bleiben doch die einzelnen Bauchfellfalten sechlaffer und breiter, wie man be- sonders an dem Mesodesma des Ligamentum teres bemerken kann’). Die Harnblase bekommt nach der Entleerung des Uterus wieder mehr Spielraum und nimmt bei der Füllung Kugelgestalt an. ') Weinberg, Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 50, Heft 2, 1903. — ?) 1. c. — ®) Sellheim, Beitr. z, Geburtsh. u. Gynäkol. 4 (2), 201. 168 Wochenbett. — Wiederherstellung der Genitalien. Die stärksten Veränderungen zeigen sich an dem Uterus. Mit der Aus- stoßung der Nachgeburt sinkt der Fundus uteri, der kurz zuvor noch hoch oben fast am Rippenbogen stand, bis zu Nabelhöhe herab. Die Wände, welche eine Höhle | von vier bis fünf Liter Inhalt umfaßten, haben sich derart zusammengezogen, daß die hintere Wand fast unmittelbar auf der vorderen liegt oder zwischen ihnen nur | ein schmaler mit Blut ausgefüllter Spalt bleibt. Der Fundus steht unmittelbar | post partum (Fig.72a) 14cm über dem oberen Schoßfugenrand, die Breite des Uteruskörpers von einer Tubenecke zur anderen beträgt 10cm, der Sagittal- durchmesser Sem. Diese Maße stellen den Durchschnitt dar. Es bestehen nicht unbedeutende individuelle Schwankungen. Bei Mehrgebärenden ist der Uterus | ss, p ms R / um x ’ Ch (/// | a 77, | N // HIN / / 7 / in NL ‚N Y | KARL 7; M DE I \} Einblick von oben in das Becken bei einer Wöchnerin 53 Stunden post partum nach einem eigenen Präparat. Ut. Uteruskörper, L. t. Ligamentum teres, Ov. Ovarium, Tu. Tube, I. t. Infundibulum tubae, R. Rectum. gewöhnlich stärker entwickelt als bei erstmals Entbundenen. Der Uteruskörper ist leicht anteflektiert. Die Wandstärke beträgt vorn und hinten 4 bis 5cm, am Fun- dus meist etwas weniger. Die Placentarstelle ist am dicksten. Am Grenzring verjüngen sich die Uteruswände meist ziemlich plötzlich und gehen mit einem mehr oder weniger deutlich abgesetzten, nach innen vorspringenden | Wulst in die nur etwa '/, bis Icm dicken und 5 bis &6cm langen überdehnten Wände des Halses über. Die Cervixwandungen sind mehr zusammengefaltet als zusammengezogen. Nach unten gehen sie in die ebenfalls schlaffwandige Scheide | über. Die Muttermundslippen hängen als kaum abgesetzte lappige Gebilde in das Seheidenlumen (Fig. 72a). Die haltlosen Vaginalwände quellen mit ihren unteren Abschnitten nicht selten in die klaffende Vulva vor. Alle Befestigungen des Uterus sind so enorm gelockert, daß er durch Füllung von Blase und Mastdarm | I a ————————— | || Woehenbett. — Wiederherstellung der Genitalien. 169 bis zum Rippenbogen in die Höhe gehoben oder durch den Druck der Hand auf den Fundus mit der Portio vagınalis bis vor die Vulva geschoben werden kann. Nur bei völlig entleerten Nachbarorganen liegt der Uterus ziemlieh median und in schwacher Anteflexion. Mit der Füllung von Blase und Mastdarm wird der Uterus in die Höhe geschoben und dabei nach der Seite verlagert und torquiert. Rückbildung des Genitaltractus im Wochenbett. a) 3 Stunden post partum (eigenes Präparat). c) 5 Tage post partum (nach Schreiber‘). b) 2 Tage post partum (eigenes Präparat). d) 12 Tage post partum (mach Bumm). e) Vollständige Rückbildung bei einer Multipara (eigenes Präparat !). ') Sellheim, Topographischer Atlas zur normalen und pathologischen Ana- tomie des weiblichen Beckens. Leipzig 1900. — ?) Ebenda. — °) Schreiber, Beschreibung von Gefrierdurchschnitten durch den Rumpf einer Wöchnerin des Zunften Tages. Inaug.-Diss. Basel 1895. — *) Sellheim, Der normale Situs der Organe im weiblichen Becken usw. Wiesbaden 1903. 170 Wochenbett. — Wiederherstellung der Genitalien. Ebenso wie außerhalb der Fortpflanzungsgeschäfte sieht meistens die rechte Uterus- kante mehr nach rechts hinten und die linke nach links vorn. Je 100ccm Blasen- füllung sind imstande, den Uteruskörper um durchschnittlich 1cm zu heben (Pfannkuch). Im Verlauf des Wochenbettes macht der Uterus eine ständige Verkleine- rung durch (Fig. 72a bis ea.v.S). Eine Abnahme des Hochstandes ist schon inner- halb der ersten 12 Stunden und eine Abnahme der Breite innerhalb der ersten 24 bis 36 Stunden mit der Messung durch die Bauchdecken nachzuweisen. Börner hat das Fallen dieser beiden Maße in den ersten 22 Tagen des Wochenbettes in über- sichtlicher Weise auf einer Durchschnittskurve dargestellt (Fig. 73). Fig. 73. Tage des Wochenbettes. E20 222 Ann. nn In a nn ee NEN T EEE T EI cm | 2] el | ur 4 | [ HHH Een esilelalel: IE EFFErH EESSERFFH- EHRE au 10 Bass EEEFE HH Ken N 1 | N ER Pre =: H OT OL zeet [afajealı NEE 1eiee) Felajatı FEeaseiget ErrEeE L 4 jsıleat Hi 1 n TEEN ee 0% opieimglei BORBEEN CH IBEREEER HH 4 j2]- a ne [1 } nuE [ ale = | | jelei fallen 112 ala Eiajesielejeleimelzele ie een ai 1 I | | I = Eieninejaee | 1 - | — 5| | ui 2] El I | IL ea] | 1 | | | T T —— Stand des Fundus uteri über dem oberen Schoßfugenrand nach Aufrichtung des Uterus. Ammann Größte Breite des Uteruskörpers. Durchschnittskurve der Längen- und Breitenabnahme des puerperalen Uterus nach Börner, Während Börner zu seinen Messungen den anteflektierten Uterus jedesma aufgerichtet hat, ließ Fehling durch Zinsstag zahlreiche Messungen in der Lage, in welcher man den Uterus fand, vornehmen. Durchschnittlich stand der Fundus über dem oberen Schoßfugenrand am Abend des 1, ZEagessnar a rer Arien! Qu Tagesi. ı5 „le sr ee 2 N ee OL 2NA ıE Se a A Te Ser ee a Vereree]0 ges Re en. 5; FR ee un 10.2.0 er ee De EI are ee RT ER ON 1 1 len ee ao > u Sr u ER SNa u, 12., 22; Re Das Höhenmaß sinkt nach Börner am meisten innerhalb der ersten 12 Tage (von 11 bis 5,2em), dann langsamer bis zum 21. Tage (von 5,2 bis 4,6em). Der Wochenbett. — Wiederherstellung der Genitalien. ra Breitendurehmesser zeigt seine bedeutendste Abnahme bis zum neunten Tage (von 10 bis 6,6 em). Die tägliehe Abnahme der Höhe beträgt demnach in den ersten 12 Tagen im Durehsehnitt. 0,6 em, später bis zum 22. Tage nur O,lem. Die Breite fällt in den ersten neun Tagen täglieh im Mittel um 0,4em (Börner). Temesväry und Bäcker fanden etwas größere Maße. Von der Abnahme der Uteruslänge in den späteren Wochen geben uns die Hansenschen ') Sondenuntersuchungen ein anschauliches Bild (Fig. 74). Der Uterus zeiet im Wochenbett regelmäßige Kontraktionen, sogenannte Nachwehen, die mehrmals am Tage sich wiederholen und die ersten drei oder vier Tage, selten länger anhalten. Mehrgebärende empfinden diese Zusammen- ziehungen schmerzhaft. Erstgebärende haben meist einen im ganzen stärker kon- trahierten Uterus und spüren die Nachwehen gewöhnlich nicht. Diese Kontrak- tionen treten spontan auf, werden aber auch regelmäßig dureh das Anlegen des Kindes ausgelöst. Daher der günstige Einfluß des Stillens auf die Rückbildung des Fie. 74. 114 119 95 80 64 66 40 31 22 15 Messungen 10.Tag 15.Tag 3Wochen 4Wochen 5Wochen 6Wochen 7Wochen 8 Wochen 10 Wochen 12 Wochen cm12 T Graphische Darstellung der Abnahme der Sondenlänge des Uterus im Wochenbett nach Hansen. Uterus. Der stärkeren Zusammenziehung des Uteruskörpers und der Sehlaffheit des Halses entspricht ein deutlicher Konsistenzunterschied. Bei der inneren Untersuchung fühlt sich der Körper relativ fest, der Hals relativ weich an. Mit fortschreitender Rüekbildung wird der Hals fester. Damit geht eine Verengerung des Cervixkanales Hand in Hand. Schon 12 Stunden nach der Geburt beginnen die einzelnen Abschnitte des Halses sich zu formieren. Die Portio vaginalis ist wieder ausgeprägt. Am dritten Tage ist der innere Muttermund ohne Gewalt nur für einen Finger durchgängig. Vom achten bis zehnten Tage an kann der Zeigefinger den inneren Muttermund noch mit Mühe passieren. Gegen Ende der zweiten Woche ist es möglich, mit einem Finger bis zur Hälfte des Cer- vixkanales vorzudringen. In der vierten Woche wird auch der unterste Abschnitt des Uterushalses für den Finger unzugänglich. Der puerperale Uterus wiegt nach Fehling: unmittelbar nach der Geburt etwa . ..... .1000g ame Daper 0, 5 N 516005615700 ” 14. » n ” n n e 350 ” 400 ” 1m92, Monate. n 5 A ee ‘) Hansen, Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 13, 16. 37 Wochenbett. — Wiederherstellung der Genitalien. Mit der fortschreitenden Involution verändert die Gebärmutter ihre Lage in den meisten Fällen in einer ziemlich typischen Weise (Fig. 72a bis e). Von der Entbindung bis zu dem Zeitpunkt, in welchem der Fundus beim Tiefer- sinken die Höhe der Symphyse passiert, liegt der Körper in schwacher Anteflexion. Dann wird mit dem Eintritt in das kleine Becken die Abknickung nach vorn stärker, um aber nach kürzerer oder längerer Zeit in eine schwache Anteflexion überzugehen, welche als die normale Lage außerhalb des Puerperiums bei- behalten wird. Das Tempo, in welchem bei der einzelnen Frau die Rückbildung des Uterus vor sich geht, hängt außer von manchen anderen schwer kontrollierbaren indivi- duellen Faktoren vor allen Dingen davon ab, ob gestillt wird oder nicht. Bei Stillenden wird der Uterus rasch klein, und seine Größe kann sogar unter die Norm sinken. Von dieser „physiologischen Atrophie“ oder „Laktationsatropbie“ (Frommel, Thorn, Kleinwächter, P. Müller, L. Fränkel) werden scheinbar alle Frauen betroffen, welche während des Stillens amenorrhöiseh sind (Thorn). Meist beginnt der Zustand schon mit dem dritten Stillmonat und verliert sich in der Regel noch während des Stillens oder nach dem Absetzen des Kindes (L. Fränkel?). * An diesem makroskopisch gut verfolgbaren Rückbildungsprozeß des Uterus nehmen die Gewebselemente nach Maßgabe ihres Wachstums in der Sehwanger- schaft teil. Um die früheren Verhältnisse wiederherzustellen, spielen sich histolo- gische Vorgänge ab, die wir sonst nur in der Pathologie kennen, wie Thrombose und Obliteration von Gefäßen, Verfettung und Schrumpfung von Zellen. Am meisten müssen die stark vergrößerten Muskelfasern schrumpfen. Ihre Reduktion beginnt schon unter der Geburt durch die Uteruszusammenziehungen und wird unter dem Einfluß der Nachwehen fortgesetzt. Die rasch aufeinander- folgenden Kontraktionen bringen durch Kompression der Gefäße eine Anämie und langsame Verfettung der glatten Muskelfasern zustande, während ein Wiederersatz des oxydierten Protoplasmas durch die mangelhafte Blutzufuhr unterbunden wird. In dem Protoplasma stellt sich eine feinkörnige Trübung und am vierten bis sechsten Tage eine vorübergehende Fetteinlagerung ein, welche die Rückbildung der Zelle zur Norm begleiten. Es kommt nur ein Teil des Protoplasmas zum Zer- fall, der andere Teil und der Kern schrumpfen, werden aber erhalten. Danach bliebe also die gleiche Anzahl von Zellen bestehen (Sänger‘°). Während dieser Vorgänge sind auch Vacuolenbildung in den Muskelzellen, Glykogen- ausscheidung (Broes) und Vermehrung der Mastzellen konstatiert worden (d’Erehia‘). Nächst der Muskulatur muß das stark hypertrophierte Gefäßsystem eine Reduktion erfahren, die größeren Gefäße verengern sich bedeutend. An der Arteria uterina bleibt eine stärkere Schlängelung zurück. In der Media ceht die Rückbildung unter Verfettung der Muskelelemente vor sich. Die Intima zeigt Bindegewebsneubildung. Die kleineren Gefäße obliterieren durch diese von der Intima ausgehende Bindegewebswucherung und verschwinden allmählich ganz. Am meisten bedarf das Gefäßsystem an der Placentarstelle einer Rückbildung. Hier fangen die Veränderungen auch schon früh an. In den letzten Wochen der Schwangerschaft verödet eine Anzahl von Placentarsinus durch Thrombose (Friedländer). Die noch übrigen Gefäße werden unter der Geburt dureh die Retraktion des Uterusmuskels so vollständig geschlossen, daß unter normalen Ver- hältnissen für die Thrombose als zweites physiologisches Blutstillungsmittel nicht mehr viel zu tun übrig bleibt. Immerhin sieht man die nach der Uterushöhle gerichteten Lumina und Stümpfe von Thromben kappenförmig überlagert. In den tieferen Schichten der Uteruswand fehlen dagegen bei einer guten Retraktion des )) Thorn, Münch. med. Wochenschr. 1901, Nr. 47 u. 52. — °) Fränkel, Archiv f. Gynäkol. 62 (1). — °) Sänger, Beitr. z. pathol. Anatomie und klin. Med. Festsehr. Leipzig” 1887. "Weitere Literatur siehe bei Veit-Olshausen, S. 263, Anmerkung. — *) d’Erehia, Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 5, 595. Wochenbett. — Wiederherstellung der Genitalien. 173 Uterus Thromben. Die Masse des elastischen Gewebes der Gefäße und der Wand des Uterus wächst mit der Zahl der puerperalen Involutionen (Schwarz!). Die mit der Schwangerschaft hypertrophierten Nervenäste und Ganglien- zellen bilden sich auf den normalen Bestand wieder zurück. Die Wiederherstellung der Uterusschleimhaut”) beginnt mit einer stärkeren Leukocyteninfiltration der stehengebliebenen Deciduareste, welche die oberflächlichen Schichten der Schleimhaut zur Abstoßung brinst. Ob alle deeidual umgewandelten Bindegewebselemente samt und sonders verschwinden und die Neu- bildung nur von einem eisernen Bestand in ihrer ursprünglichen Form erhaltener Stromazellen ausgeht, oder ob auch einzelne Decidualzellen wieder kleiner werden und sich in gewöhnliche Stromazellen zurückverwandeln können, ist noch nicht entschieden. Jedenfalls geht in den zurückbleibenden tieferen Schichten des Stroma eine rasche Vermehrung der Gewebselemente vor sich. Durch die Ab- Fig. 75. 1ER KAITEENS "> Rz # RELEN ® EISEN a £ RE 2) ’ R T A ei TEE EBEN Fl ee AN Aa 7 5% u 5; RR h Ca 72 Ze; N, Y% y2y u ee ER k FL et ne? n D. sp. Schnitt durch die Wand eines puerperalen Uterus drei Stunden nach der Geburt. M. Museularis. Dr. Drüsensäume mit deutlichem cubischem Epithelbesatz. D. sp. Decidua spongiosa. stoßung der die Oberfläche überlagernden Deciduabalken werden! die Drüsenfundi oder auch höher gelegene Drüsenabschnitte der Spongiosa mit ihrer Epithelaus- kleidung frei gelegt, und nun beginnt von den Rändern dieser Epithelinseln aus die Überhäutung der gereinigten noch nackten Stromastümpfe. Diese Arbeit wird sehr erleichtert durch das bei der Verkleinerung der Uterusinnenfläche erfolgende nahe Zusammenrücken der in der Schwangerschaft auf einer größeren Fläche ver- teilten Drüsenfundi (Fig.75). Infolgedessen sieht man mit Verwunderung oft sehon in frühen Tagen des Wochenbettes größere Partien der Uterushöhle mit Epithel überzogen. Wormser beobachtete eine provisorische Bedeckung der Stromastümpfe durch seitliches Verschieben, Abplatten und aueh amitotische Ver- mehrung der zunächst -liegenden Epithelien. Indirekte Kernteilungen sah er in den Epithelien innerhalb der ersten 14 Tagen noch nicht. Dadurch, daß die Schleim- } ') Zentralbl. f. Gynäkol. 1903, Nr. 6, 8. 173. — ?) Literatur bei Wormser, Arch. f. Gynäkol. 69, 449 und Krönig, Archiv f. Gyn. 63, 26. 174 Wochenbett. — Wiederherstellung der Genitalien. haut in der Dieke stärker wächst, werden die anfänglich flachen Drüsenbuchten zu Schläuchen ausgezogen. Die serotinalen Riesenzellen gehen im Wochenbett in kurzer Zeit unter Fragmentation zugrunde (Wormser). Mit etwa drei Wochen ist der Überhäutungsprozeß vollendet, die Drüsen haben ihre typische Form be- kommen; nur das Gefäßnetz ist nicht vollständig ausgebildet, und an der Placentar- stelle bestehen noch Unregelmäßigkeiten. Im Prinzip geht die Rückbildung der Placentarstelle gerade so vor sich wie an anderen Stellen der Schleimhaut. Nur werden dem Überhäutungsprozeß durch die Thromben je nach ihrer Anzahl und Ausdehnung größere Schwierigkeiten entgegengesetzt. Die kappenförmig auf- sitzenden Blutpfröpfe werden durch das allseitigse Andrängen des wuchernden Epithels an ihrer Basis gelockert und zum Abfallen gebraeht. Zu den geschilderten Regenerationsvorgängen kommt hier noeh die Organisation der Thrombenreste und der obliterierten Gefäße hinzu. Die Placentarinsertion ist daher nicht selten nach mehreren Wochen als eine unebene, ein- bis zweimarkstückgroße Stelle kenntlich. Erst im dritten Monat verlieren sich die letzten Spuren. Die Risse, Abschürfungen, Quetschungen, Sugillationen an Cer- viealkanal, Portio waginalis, Scheide und äußeren Genitalien, die natürlicherweise bei Erstgebärenden intensiver ausgefallen sind als bei Mehr- gebärenden, weichen in ihrer Heilung nicht von dem bei Wunden anderer Körper- teile stattfindenden Modus ab. Die Läsionen verkleben entweder primär oder heilen nach Ausbildung einer granulierenden Fläche durch Überhäutung von den anstoßenden Epithelrändern aus. Nicht zu große Wunden sind im Laufe der zweiten Woche mit Epithel bedeckt. Die Scheidenwand gewinnt allmählich ihren Tonus wieder. Nach etwa acht Tagen findet man einen gut zusammengezogenen Kanal. Doch bleibt die Schleimhaut glatter, als sie vor der Geburt war. An der Beekenbodenmusku- latur findet man im Frühwochenbett mikroskopisch deutliche Spuren der starken Dehnung in Gestalt von Zerreißungen, blutiger Imbibition, Undeutlichwerden der Querstreifung an den Muskelfasern infolge von Atrophie (Kallischer'!). Doch erhält der Beckenboden seine Straffheit bald wieder. Die Vulva ist schon am zweiten Tage geschlossen. Der gewöhnlich in mehrere Stücke auseinandergesprengte Hymen geht in mehrere platte Läppchen, in die sogenannten Carunculae myrtiformes über, welche dureh narbige Zwischenräume getrennt sind. Hier gibt es bedeutende individuelle Unterschiede. Ein sehr rigider Hymen kann vollständig abgequetscht werden, ein nachgiebiger Saum braucht kaum einen Einriß aufzuweisen. Die ausgedehnte Wunde der Uterushöhle, die kleineren Verletzungen in Uterushals, Scheide und Vulva sondern ein reichliches Wundsekret ab, welches man als Wochenfluß oder Lochien bezeichnet. In den ersten beiden Tagen post partum besteht der Ausfluß fast aus reinem Blut, welches aus den eröffneten Gefäßen an den verschiedenen Wunden, besonders aber an der Placentarstelle nach- sickert (Lochia eruenta). Ungefähr vom dritten Tage an erscheint der Wochen- fluß blutwässerig (Lochia sanguinolenta), vom achten Tage ab macht sich eine Bei- mischung von Cervicalschleim geltend. Die zunehmende Zahl von Eiterkörperchen verleiht dem Wochenfluß vom 10. bis 12. Tage an ein weißliches, mehr eitriges Aussehen (Lochia alba). Dieser Farbenunterschied läßt sieh nicht streng durch- führen, weil zeitliche Schwankungen in dem Farbenwechsel vorkommen. Auch werden die schon entfärbten Lochien häufig beim Aufsitzen oder Aufstehen der Wöchnerin für einige Zeit wieder mehr blutig. Die in den ersten neun Tagen des Wochenbettes abgesonderte Lochialmenge nimmt Fehling zu 400 bis 500g an. Gassner hatte früher das Dreifache angegeben. Gelegentlich sieht man dem Wochenfluß schon mit bloßem Auge Deeidua- fetzen beigemischt. Die mit dem Mikroskop wahrnehmbaren Bestandteile wechseln in ihrer Häufigkeit je nach der Zeit, in welcher man untersucht. Man findet rote und weiße Blutkörperchen, teils gut erhaltene, teils zertrümmerte Zellen ‘) Kalliseher, Die Urogenitalmuskulatur des Dammes usw. Berlin 1900, Karger. - Rückkehr der übrigen Organsysteme zum Gleichgewichtszustand. 175 des Genitaltractus, und zwar Deciduazellen, Zylinderzellen und Plattenepithelien, sowie Schleim. Die Lochien haben einen eigentümlichen faden Geruch. Die reichliche Bei- mengung von Blutserum und Lymphe verleiht ihnen alkalische Reaktion. Von organischen Bestandteilen finden sich Albumin, Muein, Fett. Außerdem enthalten sie Salze. Die bakteriologische Untersuchung der gesunden puerperalen Uterus- körperhöhle ergab den meisten Untersuchern, wenigstens in den ersten Tagen des Wochenbettes Keimfreiheit '). Die bakterieide Kraft der Scheide (Krönig°) verschwindet unter der Massen- haftigkeit des Wundsekretes in den ersten Tagen des Wochenbettes.. Man findet ‘in den der Scheide entnommenen Lochien in der ersten Woche Bakterien in steigender Menge. Kehrer stellte durch Impfversuche am Tier fest, daß selbst normale Lochien die Eigenschaft besitzen, Entzündungen, Abscesse, ja sogar den Tod herbeizuführen. Die Virulenz der Erreger nimmt bis zum Ende der ersten Woche zu. Auch Streptokokken sollen sehr zahlreich [nach Bumm*) nahezu bei allen Wöchnerinnen] vorkommen. Eine Unterscheidung dieser Formen von den Streptokokken der Sepsis ist bis jetzt noch nicht gelungen. Kehrer nimmt an, daß erst nach dem Ausheilen der puerperalen Wunden mit dem Wiederauftreten der sauren Reaktion der unbeschränkten Wucherung aller möglichen Pilzformen in der Scheide Einhalt getan werde und normale Verhältnisse zurückkehren. Mit der vollendeten Rückbildung der Uterusschleimhaut versiegt der Lochialfluß in der dritten bis sechsten Woche nach der Geburt. Der Flächeninhalt der Bauchhaut nimmt im Wochenbett um 52 Proz. ab (Kehrer). Die Bauchdecken erscheinen in den ersten Wochen nach der Entbindung durch das Zusammenrücken der vorher auf einen größeren Bezirk veıteilten Pig- mentablagerungen intensiver gebräunt als die Umgebung. Hier wie an anderen Körperstellen verliert sich die Pigmentation allmählieh. Die blaurote Farbe der Striae an Schenkeln, Nates, Bauchhaut verschwindet erst in zwei bis drei Monaten und macht einer weißlichen, narbigen, quergerunzelten Beschaffenheit Platz. Wenn in der Schwangerschaft eine stärkere Auszerrung der Rectusscheide stattgefunden hat, so bleibt eine Diastase der Recti dauernd zurück. Jeden- falls läßt auch in anderen Fällen die Rückbildung der Bauchdecken zu ihrer ursprünglichen Straffheit sehr lange auf sich warten. In den meisten Fällen wird der frühere Zustand nicht mehr vollständig erreicht. 3. Die Rückkehr der übrigen Organsysteme zum Gleichgewichtszustand. Nach der Geburt fühlt sich die Frau etwas angegriffen, wie das die voraus- gegangene Muskelanstrengung und der Säfteverlust nicht anders erwarten lassen. Wenn sich die Wöchnerin von diesem Mattigkeitsgefühl auch bald erholt hat, so bleibt doch eine gewisse leichtere Reizbarkeit noch längere Zeit bestehen. Wir sehen eine stärkere Empfindlichkeit gegen starke Licht- und Schalleindrücke, die mit einer erhöhten Erregbarkeit des Nervensystems in Zusammenhang zu bringen ist. Gemütserregungen und Diätfehler, die unter gewöhnlichen Umständen keine oder nur eine geringe Reaktion im Gefolge haben würden, führen im Puer- perium sogar zu Temperatursteigerungen. Der Umsehwung in den Leistungen der einzelnen Organe nach der Entlastung durch die Geburt bringt vielerlei funktionelle Störungen zustande. Nach der Geburt des Kindes, manchmal erst nach der Ausstoßung der Placenta stellt sich nicht selten ein Frostanfall ein. Dieser findet seine hin- reichende Erklärung in der vielfachen Entblößung und Durchnässung der durch - !) Literatur bei Döderlein u. Winternitz, Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol. 3, 161. — ®) Krönig u. Menge, Bakteriologie des weiblichen Genitalkanales. Leipzig 1897. — ®) Bumm, Verhandl. d. d. Ges. f. Gynäkol. 1904, S. 578. 176 Rückkehr der übrigen Organsysteme zum Gleichgewichtszustand. die ungewohnte Muskelarbeit und Erregung in Schweiß geratenen Kreißenden. Wenn man die Frau während der Geburt vor Abkühlung bewahrt und nach der Entbindung gut zudeckt, kann der Frost verhütet werden. Man braucht nicht, wie Pfannkuch anzunehmen, daß sich die Geburt des Kindes als der Wegfall einer Wärmequelle in dieser Weise bemerklich mache. Die Körperwärme ist gleich nach der Geburt im Durchschnitt um 0,2°C höher als sonst. Im Anschluß an die Geburt beginnt dann die Temperatur noch um einige weitere Zehntel Grad zu steigen. Dieser Zuwachs plus der schon nach der Geburt vorhandenen Erhöhung beträgt im Durchschnitt 0,5°, kann aber bei Erstgebärenden selbst auf 0,50 steigen. Das Maximum dieser physiologischen Temperaturerhöhung wird etwa 8 bis 12 Stunden nach der Geburt erreicht. War die Geburt am Morgen und fällt diese Steigerung mit dem Tagesmaximum am Abend zusammen, so kann 38° erreicht oder gar etwas überschritten werden. Trifft die Steigerung umgekehrt mit dem Tagesminimum zusammen, so hält sich die Temperatur um 37°. Im dem weiteren Verlaufe des Wochenbettes darf die Körperwärme nicht mehr 38° erreichen. Das normale Wochenbett ist fieber- frei. Bei Erstentbundenen ist die Durchschnittstemperatur im allgemeinen etwas höher als bei Mehrentbundenen. Der Grund dafür ist wohl in den größeren Weichteilverletzungen nach der ersten Entbindung zu suchen. Eine stärkere An- schwellung und Schmerzhaftigkeit der Brustdrüsen verursacht nie eine merkbare Temperatursteigerung. Ein sogenanntes Milchfieber gibt es nicht. Die Pulsfrequenz ist im normalen Wochenbett gering. Sie geht nicht bloß wie sonst bei Bettruhe auf 60 bis 70 Schläge herunter, sondern eine Pulsverlang- samung auf 40 bis 60 Schläge ist verhältnismäßig noch recht häufig, während eine Frequenz unter 40 schon seltener zur Beobachtung kommt. Ausnahmsweise wurden auch nur 30 Schläge gezählt. Nach Kehrer bewegen sich die meisten Schwan- kungen zwischen 52 und 58. Diese Bradykardie tritt gewöhnlich zwischen dem zweiten bis fünften Tage zuerst auf und verschwindet mit dem Ablauf der ersten Woche oder dem Beginn der zweiten und geht allmählich in die frühere Häufig- keit über. Bei Mehrwöchnerinnen ist die Pulsverlangsamung häufiger als bei Erst- wöchnerinnen, weil bei letzteren leichter pulsbeschleunigende Momente entgegen- wirken (Fehling). Die Erklärungsversuche dieser Bradykardie sind sehr zahlreich: ver- mehrte arterielle Spannung, Ausschaltung eines großen Strombezirkes, Mehrarbeit des Herzens in der Schwangerschaft und nun im Wochenbett die Möglichkeit, die verminderte Arbeit mit einer geringeren Anzahl von Schlägen zu leisten, ruhige horizontale Rückenlage, knappe Diät, veränderte Blutbeschaffenheit, nervöse Ein- flüsse der verschiedensten Art, Resorption von Fett aus dem zerfallenden Uterus- muskel usw. Die Voraussetzungen dieser Theorien sind teils bewiesen, teils un- bewiesen. Alle diese Erklärungsversuche sind vielleicht hinfällig, wenn sich die Angaben von Heil!) bestätigen, daß sich schon in der Schwangerschaft in einer größeren Anzahl von Fällen als im Wochenbett eine Pulsverlangsamung findet. Ich vermute, daß es sich bei der Bradykardie in der Schwangerschaft und im Wochen- bett um einen ganz ähnlichen Vorgang handelt, wie man ihn bei gesunden Sportsleuten während des Trainings beobachtet. Die Arterienspannung ist vermindert (Meyburg?°), und der Puls ist deut- lich anakrot. Bei fast einem Viertel der Wöchnerinnen findet man eine meist rasch vorübergehende Ungleichheit der Einzelpulse und Arhythmie. Der Blut- druck ist gegenüber dem bei der Geburt herabgesetzt (Lebedeff und Paroch- jakow°). In der Pulskurve der Wöchnerin herrscht eine hohe breite Vor- wölbung der ersten Elastizitätsschwankung vor, während sich in der Schwangerschaft in der Mehrzahl der Fälle die erste Elastizitätsschwankung geringer ausgeprägt findet (Kehrer). Der Herzstoß nähert sich wieder mehr der Mittellinie und tritt um 1,9cm tiefer als in der Schwangerschaft (Kehrer). !) Heil, Arch. f. Gynäkol. 56 (2), 265 und Aichel, Zentralbl. f. Gynäkol | 1901, Nr. 42. — ?) Meyburg, Arch. f. Gynäkol. 12, 114 u. Zentralbl. f. Gynäkol. | 1878, Nr. 6. — ®) Parochjakow, Zentralbl. f. Gynäkol. 1884, Nr. 1. Rückkehr der übrigen Organsysteme zum Gleichgewichtszustand. 177 Bei 70 bis 75 Proz. der Niedergekommenen hört man Herzgeräusche, welche sich an die ersten Töne anschließen oder diese verdecken. Sie treten meist erst im Wochenbett auf, nehmen gegen den dritten bis fünften Tag an Stärke zu und verschwinden Ende der ersten oder im Verlauf der zweiten Woche (Fritsch, Löhlein, Kehrer). Die Gesamtblutmenge vermindert sich im Wochenbett entsprechend dem Ausfall des großen Uteroplacentargebietes. Die Leukocytenzahl ist in der Nach- geburtsperiode am größten und sinkt dann rapid, um 10 bis 12 Stunden post partum am kleinsten zu sein. Am zweiten bis vierten Tage ist dann wieder eine Vermehrung zu konstatieren. Menge der roten Blutkörperchen und Hämo- globingehalt nehmen im Anfang des Puerperium ab, erreichen aber im weiteren Verlaufe ihre normalen Werte wieder. Die Resistenzfähiekeit der roten Blut- körperchen ist namentlich im Anfang vermindert. Die Konzentration des Blut- serums erreicht neun bis zwölf Tage post partum wieder ihre ursprüngliche Be- schaffenheit (Zangemeister!'). Die Entleerung des Abdomen hat auf die Atmung einen mechanischen Einfluß. Bei der Mehrzahl der Wöchnerinnen wird der Querschnitt der Thorax- basis, der durch die Schwangerschaft querelliptisch geworden war, schmäler und in sagittaler Richtung länger (Dohrn?). Die Zahl der Atemzüge erscheint gegen- über Hochschwangeren vermindert und beträgt 15 bis 25 in der Minute. Während bei Schwangeren der costale Typus der Atmung vorherrscht, verteilt sich die Atmungsbewegung im Wochenbett, nachdem das Zwerchfell wieder an Exkursions- fähigkeit gewonnen hat, mehr auf Brustkorb und Zwerchfell. Wenn man Hoch- schwangere mit Wöchnerinnen vergleicht, so findet man bei der Mehrzahl der letzteren eine größere vitale Lungenkapazität (Dohrn). Die Gesamtharnmenge der ersten acht Tage ist bei den Wöchnerinnen gegenüber den Schwangeren um etwa 21 Proz. (377 ccm an der 24stündigen Menge) vermindert (Kehrer). Diese Abnahme wird in der Hauptsache auf den Verlust des Körpergewichtes durch die Geburt des Kindes zurückgeführt, weil auch sonst ein gewisser Parallelismus zwischen Körpergewicht und Harnausscheidung deutlich zu erkennen ist. Außerdem hängt die Abnahme der Urinmenge in den ersten Tagen wohl mit dem Auftreten der stärkeren Flüssigkeitsverluste des Körpers durch Schweiß, Lochial- und Milchsekretion zusammen. Im Gegensatz zur gesunden nicht schwangeren Frau ist der Harn in den ersten acht Tagen des Wochenbettes vermehrt. An den einzelnenWochenbettstagenist die Urinmenge verschieden. Die Schwankungen sind regelmäßig, die Kurve der Tagesmittel fällt vom ersten zum zweiten Tage ab, bleibt am dritten Tage auf derselben Höhe, steigt am vierten Tage mäßig, am fünften erheblich zum Maximum und fällt von da an stetig bis zum achten Tage. Im allgemeinen ist im Wochenbett die Harnstoffausscheidung gesteigert. Am ersten und zweiten Tage gering, steigt die Menge am dritten bis fünften Tage, um dann wieder abzunehmen und von da an mit geringen Schwankungen konstant zu bleiben (Kleinwächter‘). Der Prozentsatz an Harnstoff steigt vom ersten bis zum zweiten, auch vierten Tage, fällt dann aber und schwankt in mäßigen Grenzen. Diese Vermehrung bringt eine Steigerung des Stoffwechsels zum Ausdruck, die weniger der Rückbildung des Uterusmuskels, als der Umsetzung der Eiweißkörper zur Milchbildung ihren Ursprung verdankt (Fehling). Daher sinkt auch, wenn nicht gestillt wird oder aus irgend einem Grunde eine Unterbrechung in dem Säuge- geschäft eintritt, sofort die Menge des ausgeschiedenen Harnstoffes. Die Kochsalzausscheidung entspricht etwa der Norm und scheint haupt- sächlich von der Harnmenge und dem Kochsalzgehalt der eingeführten Speisen abhängig zu sein (Kleinwächter). Die Phosphat- und Sulfatprozente im Urin fallen vom ersten Tage zum zweiten ab, erreichen am dritten Tage ihre Maxima und schwanken dann diskon- tinuierlich auf und ab. !) Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 49 (1). — °) Dohrn, Monatsschr. f. Geburtsh. 24, 216 1864 und 28, 457, 1866. — °) Kleinwächter, Wien. akadem. Ber. 1876, 1 und Arch. f. Gynäkol. 9, 370, 1876. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 12 178 Rückkehr der übrigen Organsysteme zum Gleichgewichtszustand. Von morphologischen Bestandteilen findet man im Urin gleich nach. der Geburt fast immer Leukocyten, seltener rote Blutkörperchen und in 30 Proz. der Fälle vereinzelte hyaline Zylinder (Trautenroth!). Diese Gebilde ver- schwinden jedoch bald. Eine vorübergehende leichte Eiweißreaktion in dem Harn Frischent- bundener ist häufig und erklärt sich durch die starke Geburtsarbeit und die Stauungshyperämie in den Nieren. Durch Milchstauung wird leicht Laktosurie bedinst. Man findet besonders am zweiten bis fünften Tage des Wochenbettes Zucker im Harn; die Ausscheidung von Milchzucker durch die Nieren bei stillenden Frauen darf nach Fehlins als Zeichen einer gut milchenden Brust angesehen werden. In den ersten vier bis sieben Tagen kommt im Harn auch Pepton vor, dessen Erscheinen auf den Zerfall des Muskeleiweißes im Uterus zurückseführt wird. Ob Peptonurie, wie Fischel will, eine regelmäßige Begleiterscheinung des Wochenbettes ist, steht noch nicht fest. Der schon während der Geburt gesteigerte Acetongehalt des Urins ist auch in den ersten Wochenbettstagen noch höher als in der Schwangerschaft und sirikt erst allmählich ab [Costa ?), Stoltz°)]. Die erste Urinentleerung nach der Geburt erfolgt durchschnittlich nach einer längeren Pause als gewöhnlich und liefert auch eine größere Urinmenge als zu den anderen Zeiten des Wochenbettes. Als Ursache des geringen Grades von physiologischer Ischurie am ersten Tage werden angeführt: Knickung der Harnröhre, Abstumpfung des Ausdehnungsgefühles der durch die Entleerung des Uterus aus ihrem eingeklemmten Zustande befreiten Blase, Ungewohntheit das Wasser im Liegen zu lassen, mangelhafte Aktion der Bauchpresse, cystoskopisch nachweisbare Schädigung der Blase durch die Geburt‘). Innerhalb der ersten vier bis fünf Tage nach der Geburt zeigen die meisten Frauen eine stärkere Neigung zu transpirieren. Durch leichte Bedeckung und durch mäßige Zimmertemperatur läßt sich ein stärkeres Schwitzen hintan- halten. Es ist denkbar, daß der in der ersten Zeit mit Flüssigkeit überfüllte puerperale Organismus sich verschiedener Wege bedient, um den Überschuß los zu werden. Zeitlich fällt wenigstens ein Nachlassen der Neigung zum Transpirieren mit dem Eintritt einer stärkeren Milchsekretion zusammen. Eine gewöhnliche feste Kost wird fast ausnahmslos in den ersten zwei bis drei Tagen nicht verlangt und, wenn gereicht, auch nicht vertragen. Das Be- dürfnis nach flüssiger Nahrung herrscht vor, der Durst ist gesteigert. Erst vom dritten bis vierten Tage an reet sich die Lust nach konsistenten Speisen. Eine regelmäßige Begleiterscheinung des Frühwochenbettes ist die Stuhl- verstopfung. Mag es nun sein, daß die plötzliche Untätigkeit, die vermehrte Flüssigkeitsausscheidung, ein Fehlen des Motus peristalticus der Därme oder eine Funktionsstörung der Bauchpresse die Schuld träst, in den ersten zwei bis drei Tagen erfolgt fast nie eine spontane Stuhlentleerune. Alle diese mehr oder weniger großen Funktionsstörungen bleiben nicht ohne Rückwirkung auf den Organismus. Wir sehen regelmäßig einen Gewichts- verlust eintreten, der in den ersten Tagen des Wochenbettes '/, des Körper- gewichtes beträgt. Er setzt sich zusammen aus den Ausgaben durch Lochien, Milch, Schweiß, Exspirationsluft, Harn. Rechnet man zu diesem in dem Wochen- bett auftretenden Gewichtsverlust noch die Erleichterung durch die Geburt, so hat die Hochschwangere im Verlaufe von acht Tagen '/, ihres Körpergewichtes ein- gebüßt. Nach vier bis sechs Wochen ist die ursprüngliche Körperfülle wieder erreicht oder gar übertroffen. \) Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 30, 98 bis 176, 1894. — ?) Costa, Ann. di Ost. e Gin. 1901, März. — °) Stoltz, Zentralbl. f. Gynäkol. 1902, Nr. 43. — *) ©. Ruge, Monatsschr. f. Geb. u. Gynäkol. 20, Ergänzungsheft. Laktation. — Allgemeines. 179 V. Die Laktation. Heidenhain, Die Milchabsonderung. In Hermanns Handbuch der Physiologie, Bd. V Leipzig 1883. Kehrer, Physiologie des Wochenbettes. In Müliers Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, S. 527, Stuttgart 1888. Fehling, Die Physiologie und Pathologie des Wochenbettes. II. Aufl., Stuttgart 1897. Biedert, Die Kinderernährung. 4. Aufl., Stuttgart 1900. 3aumm und Illner, Die Frauenmilch, deren Veränderlichkeit und Einfluß auf die Säuglingsernährung. Volkmanns klin. Vorträge N. F. Nr. 105. Hoppe-Seylers Handbuch der physiologischen und pathologischen chemischen Ana- lyse. 7. Aufl., S. 536, Berlin 1903. Hammarsten, Lehrbuch der physiologischen Chemie. 4. Auflage, Wiesbaden 1899. v. Bunge, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. I, Leipzig 1901. Bottazzi, Physiologische Chemie. Bd. II, Deutsch v. Boruttau, Leipzig und Wien 1904. Bab, Die Colostrumbildung als physiologisches Analogon zu Entzündungsvorgängen. Berlin 1904. Knapp, Physiologie und Diätetik des Wochenbettes in v. Winckels Handbuch der Geburtshilfe. Wiesbaden 1904, Bd. II, 1. Teil!). ’ 1. Allgemeines. Während der Schwangerschaft entnimmt die Placenta aus dem mütter- lichen Kreislauf die für den Aufbau des Fötus notwendigen Stoffe. Wahr- scheinlich spielt dabei eine spezifische Tätigkeit der Chorionepithelien eine Rolle. Nach der Geburt tritt physiologischerweise die Mutterbrust als Er- nährungsorgan für den Säugling in Funktion. Der Umschwung scheint auf den ersten Blick gewaltig. In Wirklichkeit spürt das Neugeborene keinen wesentlichen Unterschied zwischen einst und jetzt. Die Brustdrüsen- epithelien treffen keine schlechtere Auswahl aus den mütterlichen Säften als die Chorionepithelien. Während des intrauterinen Lebens fielen Ausfuhrstelle aus der Mutter und Einfuhrstelle in das Kind räumlich zusammen. Nach der Trennung von der Mutter werden die in den Brustdrüsen ausgewählten Stoffe teils durch Zutun der Wöchnerin, teils durch Zutun des Säuglings auf einem weiten Wege in die noch zarten und ungeübten fötalen Verdauungsorgane befördert. Die Nahrung ist durch den mütterlichen Organismus schon so vorsorglich präpariert, daß sie ohne große Belastung der kindlichen Resorptions- und Exkretionsorgane verbraucht werden kann. Die Vorbereitungen zu dem Stillgeschäft lassen Ra weit zurück- verfolgen. Manchmal geht schon mit der fruchtbaren Ovulation eine starke Anschwellung und eine Sekretion der Brustdrüse einher, welche man als einen Ansatz zur Funktion deuten kann. Jedenfalls beginnen die Zu- rüstungen regelmäßig schon in den ersten Monaten der Schwanger- schaft. Wachstum der Brustdrüsen, stärkere Ausbildung des Drüsenparenchyms und Produktion eines wässerigen Sekretes sind als Zeichen der Frühschwangerschaft bekannt. Mit fortschreitender Gravidität !) Diese Arbeit konnte nicht mehr benutzt werden. 10 u 180 Laktation. — Colostrum. steigert sich beim Menschen die Absonderung nur wenig. Beim Säugetier erstarkt die Sekretion schon am Ende der Gestation oder während des Werfens, so daß das Junge unmittelbar nach der Geburt in dem Euter reichlich Nahrung vorfindet (Kehrer!). Bei Frauen kann man etwas Ähnliches künstlich zustande bringen. Ich erreichte durch methodisches Ansaugen der Brüste in den letzten Wochen der Schwangerschaft, daß bei der Geburt eine beträchtliche Menge Milch vorhanden war. Ohne solche Gymnastik stellen sich Zeichen der erwachenden Milchbildung in der Regel erst am zweiten bis dritten Wochenbettstage ein. Die subcutanen Venen erweitern sich. Die Brustdrüsen werden größer, fester, empfindlicher. Man fühlt durch die Haut hindurch die geschwellten Drüsenläppchen. Sekret tritt aus. Der Milchabfluß hält bei Nichtstillenden nicht lange an. Die Anschwellung geht, nachdem die Brust einige Zeit stärker gespannt war, wieder zurück. Die Milchbildung versiegt bald. Eine reichliche Sekretion wird nur durch ein regelmäßiges Anlegen des Kindes in Gang gebracht. Die Dauer der Milchproduktion ist individuell sehr verschieden und schwankt von wenigen Tagen bis zu einigen Jahren, wenn sie durch den Saugreiz unterhalten wird. Es ist im Interesse des Kindes nicht nötig, daß es länger als ein Jahr an der Brust gelassen wird. Durchschnittlich nähren auch nur wenig Frauen länger. Manchmal findet man, daß noch weiter gestillt wird, vielfach um eine neue Konzeption hintan- zuhalten, eine Hoffnung, die nicht selten zu Schanden wird. Nach dem Ab- setzen des Kindes hört die Absonderung allmählich auf. 9. Colostrum. Das Brustdrüsensekret der ersten Tage unterscheidet sich in Aussehen, Menge und Zusammensetzung wesentlich von der fertigen späteren Milch. Diese Anfangs- milch bezeichnet man ebenso wie alle Produkte der Milchdrüsen außerhalb der eigentlichen Laktation als Colostrum. Unter diesen Begriff fallen also auch die Sekrete zur Zeit der Ovulation, in der Schwangerschaft und beim Versiegen der Milch. Das Colostrum wird nur spärlich gebildet. Beim Druck auf die Brust entleeren sich helle, wässerige, häufig wolkig getrübte, mit weißen oder mehr gelblichen opaken Streifen gemischte Tropfen. Zieht man größere Mengen aus der Brust, so bekommt man eine gelbliche Flüssigkeit, aus der sich beim Stehen- lassen eine gelbliche Rahmschicht abscheidet, im Gegensatz zu dem weißen Rahm der reifen Milch. Der gelbe Farbstoff haftet an dem Colostrumfett. Unter dem Mikroskop sieht man viele Fettkügelchen, die sogenannten Milch- kügelehen, von ungleicher Größe und daneben zahlreiche Colostrumkörper- chen (Henie) oder Corps granuleux (Donn&). Diese Gebilde haben sehr ver- schiedene Gestalt. Sie bestehen aus einem von zahlreichen Fetttröpfchen erfüllten Protoplasmahof und einem oder zwei bis drei kleinen länglichen Kernen. Die Mehrzahl sind in die Drüsen eingewanderte Leukocyten (Mastzellen), welche sich durch Phagocytose mit Milchkügelchen beladen und zum Teil zusammengeballt haben. Andere stellen vielleicht gewisse Umwandlungsformen von Drüsenepithelien dar (Heidenhain). Colostrum ist spezifisch schwerer als reife Milch (1040 bis 1080). Die Reaktion ist schwach alkalisch oder sauer (Bottazzi). Die Gefrierpunkts- erniedrigung ist 4 = —0,56 bis — 0,60. !) Kehrer, Beitr. z. vergl. u. exper. Geburtskunde 1 (5), 64 und Arch. f. Gynäkol. 1, 124, 1870. Laktation. — Colostrum. 181 Die Bestandteile des Frauencolostrums zu verschiedenen Zeiten zeigen die älteren Untersuchungen von Clemm'): 4 Wochen 24 enden Proz. Substanz | vor 9 Tage vor nach | 2 Tage nach | der Geburt | der Geburt B das Geburt, ı der Geburt eu... nn], — 94,52 85,85 84,38 86,79 Trockensubstanz . . . - . || %,48—14,8 14,15 15,62 13,21 IRASeINn 2: er — = _ 2,18 Albumin und Globulin ie: 2,88— 6,9 8,97 — — ee ee OR AT 2,39 — 4,86 Nilchzucker . . 2». ... 1,73— 3,9 3,64 — 6,10 Sl 5 202. Dr AR 0,44 0,54 0,51 — Darin ist man einig, daß das Colostrum sehr wenig oder gar kein Kasein enthält. Seine Eiweißkörper sind das koagulierbare Laktalbumin und Lakto- globulin, welche nach neueren Forschungen (Lebelien*) in annähernd gleicher Menge zusammen etwa 15 Proz. betragen sollen. Fett ist in gleicher oder selbst größerer Menge [Ischl°) und Bottazzi] vorhanden wie in der fertigen Milch. Laktose und Salze sind gegenüber den späteren Tagen vermehrt (Clemm). Neuerdings gibt Bottazzi an, daß der Milchzuckergehalt geringer sein soll. Während in den ersten beiden Tagen nach der Geburt der hohe Gehalt an koagulierbarem Eiweiß das Brustdrüsensekret beim Kochen vollständig er- starren läßt, bilden sich in den folgenden Tagen höchstens noch Flocken. Die gelbliche Farbe verliert sich meistens schon nach einer Woche. Bis dahin sind dann auch Colostrumkörperehen, Albumin und Globulin verschwunden. Die Co- lostrumkörperchen stellen-nach Czerny Leukocyten dar, welche vor Beginn der Laktation bei nicht genügendem Milchverbrauch und nach dem Abstillen in die Brustdrüse einwandern, sich dort mit den Milchkügelchen beladen und dann wieder in die Lymphgefäße zurückgehen. Bab sieht in der Colostrumbildung nicht nur einen zweckmäßigen Milchresorptionsvorgang bei Milchstauung, sondern hält sie auch in den ersten Tagen post partum für eine geeignete Regulationseinrichtung für den Fettgehalt der ersten Milch. Er vindiziert ihr in Übereinstimmung mit anderen Autoren eine leicht abführende, den Säuglingsdarm vom Meeonium reinigende Wirkung. Seine interessanten Tee lronnyersuche mit Milch führten ihn dazu, in der Colostrumbildung ein physiologisches Analogon zu dem pathologischen Prozeß der Entzündung anzunehmen. 3. Die Milch. Die fertige Milch ist eine undurchsichtige Flüssigkeit von gleichmäßiger Farbe. In dicken Schichten erscheint sie gelblich-weiß, in dünnen Schichten bläulich-weiß. Sie riecht eigentümlich und hat einen süßlichen Geschmack. Das spezifische Gewicht beträgt im Mittel 1032 mit Schwankungen von 1026 bis 1036 (Baumm und Illner). Bei gut genährten Frauen soll man die höchsten, bei schlecht ernährten die niedrigsten Werte finden (Hammarsten). Die Reaktion ist auf Lackmus amphoter, auf Lackmoid alkalisch und auf Phenolphtalein sauer (Bottazzi). Die Gefrierpunktserniedrigung schwankt zwischen 4 = — 0,49 bis — 0,63. Unter dem Mikroskop sieht man in einer schwach gefärbten Flüssigkeit, dem Milchplasma, unzählige Fetttröpfchen, die Milchkügelchen suspendiert. Die Größe der Milchkügelehen schwankt von 0,001 bis 0,006mm (Bohr, Kehrer, !) Clemm, Inquisit. chem. et mikrosk. in mulier. ae bestiar. complur. lac. Taaug.-Diss. Göttingen 1845. — ?) Lebelien, The journal of Physiology 12, 95, 1891. — °) Ischl, Archiv f. Gyn. 50. | Eiweißkörper Nr. | | (nl - a rs = | eb) < un | | (@) pen 5) RR 5 > (da) = &n 5 = erg 35 =) rg E= pa DB] © Bez s f=) © © jan &n SS 5 = oa a = (eb) D © N -. rm — ww en & So [0 9] = © G =} in N am Bi 4 on © ii u _ Fi + a = © 2% es nm FH Keehı || N zanl = | oO m . I © © = a a ni Oo | | 20 | (®) rel Id! | © un | |. | | 4 & | a © a 00 un un ın un RT = 28 K > z ma Tidy Biel Tolmatscheff 5,13 2,95 86,27 86,3—88,8 Laktation. — Milchzusammensetzung. 5 2,6—5,4 5,8—6,6 3,15 1,28 | 0,34 1,68 4 5,6 2,56 3,3 ie) Gerber Öhristensen Pfeiffer 1 jährige Frauen \ 20- bis 30 jährige Frauen 30- bis 40 | || 0,52 0,28 0,16 5,4 5,9 5,8 6,0 4,3 3,2 2,9 1,79 1,9 1,6 1,72 M. de Leon 3,9, 2,53 1,8—4,8 | 87,79 10 11 Makris Söldner und Kamerer Lehmann und Hempel er la an AL 3,28 3,3 1,52 88,5 Baumm und Illner). Je besser die Milch ist, um so gleich- mäßiger sind die Fetttröpfehen an Größe. Neben diesen das Bild beherrschenden Gebilden findet man nur noch vereinzelt Reste von Drüsenzellen, weiße Blutkörperchen und Kerne. Kappentragende Milchkügel- chen sindnach Czerny Lymph- zellen, die einen. Fetttropfen einschließen, der größer ist, als sie selbst ursprünglich waren. Danach stellt die Milch eine Fettemulsion dar, deren Fetttröpfechen dureh diffuse Reflexion des Lichtes die Un- durchsichtigkeit und weiße Farbe verursachen. Läßt man die Milch stehen, so sammeln sich allmählich die Fetttröpfchen infolge ihres geringeren spezi- fischen Gewichtes an der Ober- fläche und bilden den Rahm. Dureh Rühren undSchlagen („Buttern“) kann man die Fett- tröpfehen zum Zusammen- schließen bringen und erhält die Butter. Die Widerstandsfähigkeit der Emulsion erklärt sich schon genügend durch die molekulare Attraktion der kleinen Fett- tropfen auf die nächsten Ei- weißteilchen. Eine wirkliche Kaseinhülle („Haptogenmem- bran“) um jedes Milchkügel- chen anzunehmen, ist nicht nötige. Das Kasein erleichtert nur die Emulgierung wie bei den künstlichen Emulsionen das Gummi. Bei der Kuhmilch ist allerdings von Storch eine Membran von einer beson- deren schleimigen Substanz um die Milchkügelehen nach- gewiesen !). Wenn man frische, mit Lackmus amphoter reagierende Milch kocht, so bleibt sie flüssig; nur an der Oberfläche bildet sich eine „Haut“, welche aus Laktalbumin, daneben auch aus Kasein und Kalk- salzen besteht. %). ef. Hammarstiems 1770, 92390: Laktation. — Milchzusammensetzung. 183 Läßt man die Milch längere Zeit stehen, so bildet sich durch die Tätig- keit von Mikroorganismen Gärungs-Milchsäure. Mit zunehinender Milchsäure steigt die Gerinnungsfähigkeit. Die Milch wird bei gewöhnlicher Temperatur all- mählich diek („Diekmilch“, „Sauermilch“). Beim Kochen tritt die Gerinnung der milehsäurehaltigen Milch auf einmal ein. Auf Zusatz von Lab gerinnt die Milch zu einem „Quark“, welcher Milch- serum („Molke“) auspreßt. Filtriert man Milch durch porösen Ton im Vakuum, so kann man außer den Fettkügelchen noch als ungelöst suspendierte, oder in gequolle- nem, gelatinösem Zustande befindliche große Mengen von Di- und Triealeium- phosphat nachweisen. Weiterhin finden sich in einem solchen ungelösten Zustande Caleium-Kasein. Alles wirklich Gelöste geht mit dem klaren Filtrat durch, welches das reine Milchserum darstellt. Die prozentische Zusammensetzung der Frauenmilch hat Bottazzi aus den verschiedenen Literaturangaben nebeneinander gestellt (siehe Tabelle auf vorhergehender Seite). Als weitere Bestandteile der Frauenmilch werden erwähnt: Gholestarın ee ee 22032, Proz: JAICEOMEN SÄULE ee ee alle . 0X085 2, Unbekannte Extraktivstoffe . -. . » »....0,78 Die Asche der menschlichen Milch enthält nach v. Bunge: ISO Ber 0,103.6155 057805 Promille INAEOT ae ee Eee 2 2.7:.052820,, 05257, ee Eee SE Rn::04328. 5.,.0,843 HVELO:NESTa Er 0064 70,06 IBNSENOxsy ler 250,004 705006 IEH0SPHOTSAuUGer re 0478 0,409 GHloOre a ne 0438 00,445 Gesamtasche pr su. a 2 220280 Die Gase der Frauenmilch (Pflüger und Külz!') sind: DETENSLOT N ee ee el 7 ıhıs. 1,44 Proz. DEICkSstof er cn ce er mas sad .„ 8,81 ISohlensäurescg... 2 cn 9,308, 9,87 In der Milch gesunder Mütter, die mit gewöhnlicher gemischter Kost ernährt werden und deren Kinder an der Brust fortgesetzt gedeihen, zeigen sich tägliche nicht unwesentliche Schwankungen in der Zusammensetzung. Die folgende Tabelle gibt in der ersten Zahl die Durchschnittswerte und in den Klam- mern die Minima und Maxima an: ' Baumm und Illner Szalärdi’) Ber... 9,033 (1,414 bis 3,500) 1,83 (1,26 bis 2,10) een... °.| 8,606 (1,420 „ 5,250) 3,38 (1,00 „ 4,89) SAN oc 6,402 (5,040 „ 7,756) 7.007 (6.5200 7217,50) Ben... 0,227 (0,160 „: 0,360) 0,20 (0,140 „ 0,25) Trockensubstanz . . . . . | 12,262 (9,609 „ 13,940) 12,41 Der Vergleich der Milch von verschiedenen ausreichend stillen- den Personen am selben Wochenbettstage untereinander zeigt im Durch- schnitt noch nicht einmal so eroße Abweichungen in der Zusammensetzung, wie bei jeder einzelnen Frau an verschiedenen Tagen (Baumm und Illner). Am meisten differieren die Mengen des Fettes. Ausnahmsweise kann der Fettgehalt Mm !) Zeitschr. f. Biologie 32. — °) Szalärdi, Zentralbl. f. Gyn. 1892, Nr. 27. 184 Laktation. — Milchzusammensetzung. sogar bis auf 10 Proz. steigen (Biedert). In zweiter Linie schwankt das Eiweiß. Am konstantesten sind Zucker und Asche. Wenn wir diesen „physiologischen Schwankungen“ Rechnung tragen, so besteht die Milch, in runden Zahlen aus- gedrückt, aus 88 Teilen Wasser und 12 Teilen fester Stoffe und enthält 2 Teile Eiweiß, 4 Teile Fett und 6 Teile Kohlehydrat. i Über die Konstitution der einzelnen Milchbestandteile sind wir in folgender Weise unterrichtet: a) Die Eiweißkörper der Milch. Der hauptsächlichste Eiweißkörper ist das Kasein. Das Kasein der Frauen- milch gehört zu den Nucleoalbuminen, d. h. den Körpern, die sich durch ihren Phosphorgehalt und die Abwesenheit von Xanthinstoffen und reduzierenden Sub- stanzen unter den durch Kochen mit Säuren entstehenden Spaltungsprodukten auszeichnen !) (Hammarsten’). Die Analyse des Frauenkaseins ergibt nach Wroblewsky°): Kohlenstoit en 2R2A Schwetel..-% ., ...: Eger ee eie Wasserstoit.. -..2. es. >32 Phospherr 2 2 nes Stickstoff 20 2 ale erg Bauerstoft: ... 2.2 a Dieses in der Milch präexistierende Kasein wird von den Autoren neuerdings als Kaseinogen bezeichnet (Halliburton). Man erhält es durch Ausfällen der Milch mit Säure oder beim spontanen Gerinnungsprozeß als einen durch wieder- holte Lösungs- und Fällungsversuche zu reinigenden, dann zu trocknenden, pulver- förmigen und in schwach alkalischer Flüssigkeit wieder leicht löslichen Körper. Während man früher annahm, daß das Kaseinogen durch Lab gefällt werde, ist man neuerdings darauf aufmerksam geworden, daß diese Fällung nur bei Gegenwart einer genügenden Menge von Kalksalzen zustande kommt. Dagegen wird das Kaseinogen durch Lab in eine andere Modifikation, lösliches Parakasein, übergeführt, das auch nach Abtötung des Fermentes durch Kochen nun bei Zusatz von Kalksalzen in einen denaturierten Eiweißkörper, das unlösliche Parakasein oder den Käsestoff, sich verwandelt. Es kommt also, wie bei der Blutgerinnung, den Kalksalzen eine große Be- deutung für die sogenannte Labfällung des Kaseinogens derart zu, daß durch Mangel an Kalksalzen die Gerinnung des Kaseinogens verzögert oder sogar ver- hindert wird (Hammarsten, Arthus, Pages). Das bei der Milchgerinnung entstehende Coagulum, der Quark, besteht zum größten Teil aus dem Kasein, welches das an ihm hängen gebliebene Fett ein- schließt. In der bei der Gerinnung durch Säure oder Lab ausgepreßten Molke verbleiben die übrigen Eiweißkörper, der größte Teil der Salze, des Milchzuckers und der Extraktivstoffe. Die süße Molke soll sich von der saueren, abgesehen von der Reaktion, durch die Anwesenheit des bei der Labeinwirkung aus dem Kasei- nogen in geringer Menge gebildeten, in der Hitze nicht koagulierbaren Lakto- proteins, welches von dem Enzym nicht weiter verändert wird, unterscheiden. Doch wird dieses Laktoprotein ebenso wie das von Wroblewsky aufgefundene Opalizin von Hammarsten‘*) als Laborationsprodukt betrachtet. Kaseinogen und (Para-) Kasein verhalten sich bei den einzelnen Tierarten etwas verschieden und haben wahrscheinlieh auch eine versehiedene chemische Zusammensetzung. Außer dem Kaseinogen enthält die Frauenmileh noch einen anderen Eiweiß- körper, ein Laktoglobulin, welches dem Serumglobulin des Blutes identisch zu !) Die Bildung von Pseudonuclein aus diesen Körpern bei der Pepsinverdauung scheint nicht charakteristisch, denn einmal ist die Menge des gebildeten Pseudo- nucleins beim Kuhkasein unter den verschiedenen Versuchsbedingungen verschieden (Salkowski), dann aber hat sich aus dem Frauenkasein ein Paranuclein nicht erhalten lassen (Szontagh, Wroblewsky). — ?°) l.e., p. 30 und 31. — °) Wroblewsky, Beiträge zur Kenntnis des Frauenkaseins.. Imaug.-Dissert. Bern 1894, und Anzeiger der Akademie der Wissensch. in Krakau 1898. — *) 8. 400. Laktation. — Milchzusammensetzung. 185 sein scheint. Aus diesem Laktoglobulin kann das Laktalbumin gewonnen werden, welches ein spezifisches Albumin der Mileh darstellt und im allgemeinen dem Serumalbumin nahesteht, aber mehr Schwefel enthält und ein geringeres spezi- fiiehes Drehungsvermögen hat. Die prozentische Zusammensetzung ist nach Lebelien: C 52,9, H 7,18, N 15,77, S 1,73, O 23,13. Laktalbumin gerinnt bei -+ 72° bis 84". Im Durehsehnitt enthält die Frauenmileh Kasein 1,03 Proz. und Albumin 1,26 Proz. b) Das Milchfett. Das Milchfett läßt sich als Rahm fast vollständige durch Zentrifugieren von der übrigen Mileh abtrennen. Die abgerahmte Mileh enthält höchstens noch 0,5 Proz. Fett. Das Fett stellt eine gelblichweiße, der Kuhbutter ähnliche Masse dar. Das spezifische Gewieht beträgt bei + 15°C 966. Der Schmelzpunkt liegt bei +4 34°, der Erstarrungspunkt bei + 20° C. Die menschliche Butter enthält 49,4 Proz. Ölsäure. In dem Rest finden sich außer Tristearin und Tripalmitin aueh Glyeeride der Buttersäure (3,7 bis 5,1 Proz.), der Capron- (2,0 bis 3,3 Proz.), Capryl-, Caprin-, Myristin- und Arachninsäuren. Aueh Laurinsäure will man bei Verseifung der Butter erhalten haben. Sehließlich sind noch kleine Mengen Leeithin, Cholesterin und ein gelbes Lipochrom vorhanden. Außer den genannten Fettsäuren sind wenig flüchtige (1,4 Proz.) und in Wasser lösliehe (1,9 Proz.) Fettsäuren naehgewiesen (Ruppel') und Laves’?). c) Die Kohlehydrate der Milch. Den Milehzucker (Laktose) gewinnt man, wenn man nach dem Ab- rahmen und nach der Entfernung des Kaseins die Molke filtriert, durch Sieden enteiweißt und den Zucker aus dem zurückbleibenden Sirup auskristallisieren läßt. Außer der Laktose soll die Mileh noeh ein anderes wasserlöslieches, nieht kristallisierendes Kohlehydrat enthalten. Herz will in der Milch Körner gefunden haben, welche sich wie Stärke mit Jod blau färbten. Die Milch kann auch nieht unerhebliche Mengen Zitronen- säure als Caleiumsalz enthalten, die ein typisches Produkt der Drüsentätigkeit zu sein scheint °). d) Die Extraktivstoffe. Die Extraktivstoffe, welche nach Neutralisierung und Fällung aller Eiweiß- stoffe durch Kupfersulfat oder Gerbsäure im Überschuß in der Milch gelöst bleiben, enthalten etwa '/, des Gesamtstickstoffes der Frauenmilch, nämlich Harnstoff 0,007 bis 0,01 pro Mille, Spuren von Kreatinin und wohl auch Alloxurbasen (Bottazzi). e) Die Mineralbestandteile. Die Mineralbestandteile der Mensehenmileh sind beträchtliche Mengen von unlöslichen, geringere von löslichen Kalksalzen, ferner Phosphate des Kaliums und Magnesiums. Auch der Übergang von baktericiden Substanzen aus dem Körper der Mutter in die Milch ist nachgewiesen *). 4. Die Quantität der Frauenmilch. Die Milehproduktion richtet sich in einem gewissen Grade nach dem Bedürfnis. Ein schwaches Kind trinkt wenig. Bei einer späteren Geburt derselben Frau findet auch ein starkes Kind genügend Nahrung oder es können gar Zwillinge und Drillinge gesäugt werden. Ich habe bei einer Zigeunerin erlebt, ') Ruppel, Zeitschr. f. Biologie 31. — °”) Laves, Zeitschr. f. physiol. Chem. 19, — ®) Literatur bei Bottazzi. — *) Literatur bei F. Sehenk, Monatsschr. f. Geb. u. Hyg. 19, 46. 186 Laktation. — Quantität der Frauenmilch. daß sie in der Klinik während einer Woche sechs bis sieben Neugeborene aus- reichend ernährte; dann lief sie davon. Bei physisch gut situierten Völkern gilt es als gar nichts Besonderes, daß eine Wöchnerin neben ihrem eigenen Kinde noch ein anderes anlegt und aufzieht, wenn dieses aus irgend einer Zufälligkeit von seiner Mutter nicht gestillt werden kann. Als Maß für die physiologische Quantität müssen wir die Mengen hinstellen, welehe der Säugling braucht. daß wir etwas zu wenige in Rechnung ziehen. Dabei machen wir den Fehler, Denn vielfach trinkt der Säugling nicht alles Produzierte aus, und dann fließt auch beim Stillen aus der freien Brust unbenutzte Milch ab. | Bei starken Kindern mit Bei mittelstarken Kindern mit einem | ,-: 3 ‚ Kindern m. einem Bei schwachen ea | en Anfangsgewieht 3500 & 3000 bis 3500. | Water 3000g Am 1. Lebenstag . 54 g | 208g 14 & 2. 112 75 41 3. e 261 168 120 We A 277 252 195 5% 5 332 3053 210 6. 340 | 359 226 res s re 387 | 367 298 In der 2. Lebenswoche = | 472 302 3. — | 512 287 4. N =. | 512 | 315 Rn = | 577 350 6. u | 613 425 7. - | 691 500 | [—m— ee en Die durchschnittliche Zeit Nahrung Milchaufnahme _ starker, | mittelstarker und schwa- u Z I DE Sry = cher Kinder berechneten 1. Tag 20 & Baumm und Illner (cf. 9, | 97 oberste Tabelle auf dieser 3, 211 Seite). Während bei einer MR 396 solchen siebenwöchigen 5. 364 Beobaehtung eine stän- 5 102 dige Zunahme der Milch- SEI | a: menge zu verzeichnen ist, e=) ee DR | es sieht man aus der unteren E 2. Woche . 502 bis zur 37. Woehe fort- S 3. bis 4. Woche 572 geführten Tabelle (Bie- RE EN 736 dert), daß die Milch- ED: | 797 produktion bis etwa zur 13% 6! 336 28. Woche steigt, um dann 20: | 867 0 un wieder abzu- ö | sinken. 2 3 | a: Die Angaben über die 25. 28 : 963 R 2 2 Absonderung der größten 3 | 99. bis 39, Woche | 916g Milchmengen schwanken = 38 36 | 909 nach den verschiedenen = | Ri H | Autoren (Pfeiffer, Ahl- = a | es feld, Hähner) zwischen Laktation. — Milchabsonderung. 157 der 15. und 28. Woche. Diese Schwankung in der Milehproduktion ist unab- hängig von der Ernährung, vorausgesetzt, daß die Wöchnerinnen ausreichend zu essen haben. Aus Tagesmengen lassen sich die für die Einzelmahlzeit nötigen Quantitäten im Durchsehnitt berechnen. Wenn man in runden Zahlen die das Nahrungs- bedürfnis des Säuglings deckende Menge veranschlagt für die erste Woche zu 600 & pro Tag zweite bis vierte 5 SU 0,002 re, fünfte bis siebente 5 »„ 908 und das Kind in 24 Stunden sieben- bis achtmal trinken läßt, so muß die Mutter in zwei- bis dreistündigen Pausen liefern in der ersten Woche 80g im ganzen oder aus jeder Brust 40 g zweiten bis vierten „ Oro, 5 “ x R Bby% fünften bis siebenten „, 130 & n a 65% (Baumm und Illner). 5. Die Milchabsonderung. Die Bildung des Sekretes läßt sich zum Teil durch die mikroskopische Be- trachtung der Milchdrüse erklären. Die Milchdrüse besteht beim Beginn der Sekretion aus etwa 15 bis 20 durch Bindegewebe voneinander geschiedenen großen Lappen. Die Hauptlappen zer- fallen in eine Anzahl kleiner Läppchen. Diese sind zusammengesetzt aus einer Anzahl von Endbläschen, Alveolen, welche stets noch besondere seitliche Aus- buchtungen besitzen. Die Alveolen gehen in kleine Ausführungsgänge über, welche sich zu größeren Abzugskanälen vereinigen und schließlich miteinander zu einem Milchgane zusammenfließen. Jeder Milchgeang erweitert sich kurz vor seiner Ausmündung an der Brustwarze zu einem länglichen Bläsehen, dem Milch- säckchen. Alveolen und Gänge sind von einem einschichtigen, niedrigzylindrischen, annähernd kubischen Epithel ausgekleidet. In der ruhenden Drüse ist also der Bau der Alveolen, welche als einfache Ausbuchtungen der Gänge zu betrachten sind, von demjenigen der Milchgänge nicht verschieden. Erst während der Sekretion findet man Unterschiede zwischen dem eigentlichen secernierenden Epithel und demjenigen der Ausführungsgänge. Das erstere unterliegt einer langen Reihe von Umwandlungen, während das letztere die ganze Zeit unverändert bleibt. In der ruhenden Drüse trifft man im Bindegewebe nur selten, zwischen den Epithelien oder im Lumen fast nie Mastzellen an. Während der Colostrum- bildung sind sie dagegen massenweise vorhanden und viel zahlreicher als die gewöhnlichen Leukocyten. Bei eintretender Absonderung wachsen die Drüsenzellen in die Länge. Im Protoplasma und besonders zahlreich in seinem lumenwärts gekehrten Ab- schnitte treten Fetttröpfchen auf (Heidenhain). Steinhaus!) hat in der Brustdrüse milchender Meerschweinchen mit der Altmannschen Fixationsmethode einen Zusammenhang zwischen den sich in der Zelle findenden fuchsinophilen Granulationen und der Fett- bildung nachgewiesen. Bei der Bildung des Sekretes in der Milchdrüse wachsen die Zellen speziell in ihrem Vorderteil und füllen sich mit Granulationen an. Diese Granulationen unterliegen einer zyklischen Metamorphosenreihe. Anfänglich kugelig, werden sie dann ovoid, stäbchenförmig, spirillen- und zuletzt spirochätenartig ge- wunden. Die im Protoplasma auftretenden Fetttropfen entstehen nach Steinhaus wahrscheinlich in der Weise, daß sich einzelne dieser fuchsinophilen Gra- nula mit Fett beladen. ')Steinhaus, Archiv f. Physiologie, physiol. Abt. 1892, Supplement 1892, 8.54. 188 Laktation. — Milchabsonderung. Die Kerne der Drüsenzellen vermehren sich, während der Sekretion, worauf auch Frommel') aufmerksam gemacht hat. Die Teilungsachse fällt bei diesen Teilungen mit der Längsachse der Zelle zusammen, so daß die Kerne übereinander liegen. Viele Zellen werden auf diese Weise zwei- kernig. Auch in den Kernen und meist in den lumenwärts gelegenen bilden sich Fettkugeln, welche immer mehr anwachsen, bis sie den ganzen Kern ausfüllen. Der an die Alveolarlichtung angrenzende Teil der Zelle zerfällt. Granula, Fetttropfen im Protoplasma und verfettete Kerne lösen sich von den Zellen ab und gehen in das Sekret über, in welchem sie weitere Veränderungen erleiden. Die zurückgebliebenen Zellreste sind ganz niedrig, regenerieren sich aber, insofern sie kernhaltig sind, und die Sekretion beginnt von neuem. Wie oft sich die Epithelien restaurieren können, ist nicht festgestellt. Sicher gehen aber auch ganze Zellen zugrunde. Benachbarte neugebildete Zellen decken den Verlust. Bei dieser Zellvermehrung zum Zwecke, den entstandenen Defekt aus- zufüllen, sehen wir im Gegensatz zu der Kernvermehrung zum Zwecke der Sekretion die Teilungsachse der mitotischen Kerne senkrecht zur Längsachse der Zelle gestellt, so daß zwei nebeneinander liegende Zellen entstehen (Steinhaus). Bei dem Versiegen der Milch bilden die Drüsenzellen beim Meerschweinchen (Steinhaus) in den ersten Tagen noch ihr Sekret weiter. Die Alveolen scheinen jedoch nur langsam und unvollkommen nach der Erschöpfung zur Norm zurückzukehren; in vielen Alveolen findet selbst dieses nicht statt. Die Zellen gehen zugrunde, verwandeln sich in Detritus, welcher resorbiert wird. Die Läppchen werden auf diese Weise kleiner, und die ganze Drüse bildet sich zurück. So sehen wir das Milchfett direkt durch die Tätigkeit der Drüsenzellen ent- stehen. Aber auch für die Bildung der übrigen Bestandteile der Milch müssen wir eine spezifische Funktion der zwischen Blutcapillaren und Al- veolenlichtung eingeschalteten Epithelien annehmen. Nur so erklärt sich die grundverschiedene Zusammensetzung von Milch und Blut oder Blutserum, aus dem zunächst das Material zur Milchbereitung genommen wird. Nur so wird die Anwesenheit von Bestandteilen in der Milch verständlich, die dem Blute fremd sind, wie z. B. das Kasein und der Milchzucker. Am besten erkennt man die Kluft zwischen der Zusammensetzung von Milch und Blut oder Blutserum in den Aschen auf der unten beigedruckten Tabelle (v.Bunge). Vergleichen wir dagegen hier die Zusammensetzung der Milch- asche mit der Asche des Säuglings, so sehen wir aus der Übereinstimmung der Zahlen, daß die Brustdrüse dem Blutserum der Mutter alle Aschen- bestandteile in einem bestimmten Prozentsatz, und zwar genau in dem Gewichtsverhältnis entnimmt, in welchem das Junge ihrer zu seinem Aufbau bedarf. 100 Gewichtsteile Asche enthalten: BE 27 e: Re: | Kanichen | Kaninchen- | Kaninchen- Kaninchen- | 14 Tage alt | milch blut blutserum Kali BE a: I no | 23,8 | 3,2 Natron? HN 6,0 7,9 31,4 54,7 Kalk ce ee E30 35,7 0,8 | 1,4 Magnesin 2... ver 2,2 2,2 | 0,6 | 0,6 Eisenoxydie. a | 0,23 0,08 6,9 | ) Phosphorsäure 4... „een. A, | 39,9 nl | 3,0 CHIOTS er 4,9 5,4 | 32,7 | 47,8 Es ist das große Verdienst v. Bunges, diese Zweckmäßiekeit in der Zu- sammensetzung der Muttermilch weitgehend aufgedeckt zu haben. ') Frommel, Verhandl. d. deutsch. Ges. f. Gyn. 4, 392, 1892. Laktation. — Milchabsonderung. 189 In der Tabelle fällt der verhältnismäßig hohe Eisengehalt des Säuglings- körpers gegenüber dem der Milch auf. Diese Abweichung von der sonstigen Über- einstimmung von Säuglingskörper und Milch erklärt sich dadurch, daß das Neugeborene bei seiner Geburt einen großen Eisenvorrat in seinen Geweben auf- gespeichert hat, der es dazu befähigt, mit einer relativ eisenarmen Milchnahrung eine Zeitlang zu wachsen. Der mütterliche Organismus hat es für zweckmäßiger gehalten, das schwer assimilierbare Eisen dem Kinde auf dem sicheren Wege des Placentarkreislaufes auf einmal mitzugeben, als es der unsicheren Resorption im Säuglingsdarm anzuvertrauen (v. Bunge). Eine so vollständige Harmonie in der Zusammensetzung der Milchasche und Säuglingsasche wie bei dem Kaninchen in obiger Tabelle besteht nur bei den rasch wachsenden Säugetieren. v. Bunge konnte zeigen, daß, je langsamer das Junge einer Tierspezies wächst, um so mehr die Konstitution der Milchasche von der Konstitution der Säuglingsasche abweicht, und zwar immer in demselben Sinne. Sie wird, wie die nächste Tabelle zeigt, reicher an Chloralkalien und relativ ärmer an Phosphaten und Kalksalzen. Die verglichenen Wesen sind dem Tempo ihres Wachstums nach rangiert. Das neugeborene Kaninchen verdoppelt sein Körpergewicht in 6, der Hund in 9, der Mensch in 180 Tagen. 100 Gewichtsteile Asche enthalten: | | - | o » {em] . 1 | As! | | ' Eee N: = 5 SE Tel EI U N a ae u RE 9 © o fe] eier =) Sn = S 233 | a | ei A=| zZ s8|78 3022| 33 N iz Se era ner A ee z a ı a9 = a: laas39| a 3 a le “+ en > “ | | Eat | = | 2 en an a in. 7. L ul Be. 00. 108 | 11,4 8,9 | 10,1 15,0 |22,1 | 35,2 Natron . | 60 | 10,6 10,0 I 7:9 88 [139 | 104 Kalk . | 35,0 | 29,5 33,5 | 35,7 | 27,2 20,0 | 14,8 Magnesia . ..... .:. | 232 | 1,8 1,3 | 22 1,02 | 2,62 02,3 Eisenoxyd | 023 | 0,72 | 1,0 | 0,08 | 0,12 | 0,04| 0,8 Phosphorsäure . || 41,9 39,4 37,7 | 39,98 | 34,2. |24,8- | 21,3 har ee Er: En: 8,8 5,4 16,9. .ı 2,3 0.197 Eine weitere Anpassung an die Bedürfnisse der verschiedenen Säugetiere ent- deckte v. Bunge in dem wechselnden Leeithingehalt der Milch. Da Leeithin hauptsächlich dem Wachstum des Nervensystems, insbesondere des Gehirnes dient, so steht der Leeithingehalt der Milch eines Tieres im Vergleich zum Eiweiß —, welches der Ernährung aller Gewebe dient, — um so höher, je höher das relative Gehirngewicht des Säuglings ist. 7 | Te ' Kalb | Hund | Mensch 1 SEE er 2 103 5 N RER TEE SE EEE Relatives Hirngewicht . . . . ee | 1.370 | 1:30 a Lecithingehalt der Milch in Proncnten Be kiweis INanT.ao: ||: Do WaE t0: Je rascher die Tierspezies wächst, um so reicher wird die Milch an denjenigen Nahrungsstoffen gefunden, die vorzugsweise zum Auf- bau der Gewebe dienen, also an Eiweiß und anorganischen Salzen. Das gleiche Verhältnis zwischen Schnelligkeit des Wachstums und Zusammen- setzung der Milch zeigt sich auch bei der Entwickelung des einzelnen Indivi- duums. Entsprechend dem Umstande, daß der Säugling anfangs am raschesten, später immer langsamer wächst, sind von der Natur zweckentsprechende Unter- 190 Laktation. — Milchabsonderung. schiede in der Zusammensetzung der Milch statuiert: Der Eiweißgehalt wird mit der fortschreitenden Zeit der Laktation niedriger gefunden (v. Bunge). Fett und Zuckergehalt schwanken bei den einzelnen Säugetieren be- deutend. Dafür lassen sich klimatische Einflüsse geltend machen. In einem warmen Klima ist eine zuckerreiche und fettarme, im kalten umgekehrt eine fett- reiche und zuckerarme Nahrung zuträglich. Dementsprechend ist auch die Milch der Tiere, die ursprünglich in einer warmen Zone lebten, reich an Zucker und arm an Fett (beim Kamel beträgt z. B. der Zuckergehalt 5,6 Proz., der Fettgehalt 3,1 Proz.); die Milch der nördlich wohnenden Tiere dagegen enthält wenig Zucker und viel Fett (beim Renntier beträgt z. B. der Zuckergehalt 2,8 Proz., der Fett- gehalt 17,1 Proz.). Die Zusammensetzung der Menschenmilch (Zucker 6,5 Proz., Fett 3,3 Proz.) spricht dafür, daß die Wiege des Menschengeschlechts in einem warmen Erdteil gestanden hat. Bei allen diesen schönen Nachweisen sehen wir, wie die Natur darauf bedacht ist, daß der Säugling alle erforderlichen Nahrungsstoffe im richtigen Verhältnis empfange. Die zur Erreichung dieses Zweckes not- wendige Auslese und Umbildung der Stoffe besorgen die Drüsen- epithelien in wunderbar exakter Weise. Das Geschäft muß außerordentlich kompliziert sein, denn Kasein, Laktalbumin, Fett, möglicherweise auch die Zitronensäure sind als Produkte der spezifischen Zelltätigkeit der Milchdrüsen aufzufassen. Die Bildung der Fetttröpfehen in dem Drüsenprotoplasma kann man mit dem Mikroskop sehen. Viele nehmen an, daß das Fett durch Eiweißspaltung ent- stehe, weil Eiweißnahrung in höherem Maße als Fettnahrung den Fettreichtum der Milch begünstigen soll (Zaleski'), Bottazzi). Vielleicht wird auch ein Teil des Fettes von der Drüse aus dem Blute auf- cenommen und mit dem Sekret eliminiert. Die Möglichkeit des Überganges von Nahrungsfett in die Milch ist nachgewiesen (Winternitz?), Spampani und Diadd72): Schließlich kann man auch noch die Vermutung hegen, daß die Milchdrüse aus den ihr mit dem Blute zugeführten Kohlehydraten Fett erzeugt. Daß wenigstens ein Teil des Milchfettes irgendwo im Körper gebildet wird, geht daraus hervor, daß ein Tier während längerer Zeit mit der Milch eine be- deutend erößere Menge Fett abgeben kann, als es mit der Nahrung aufnimmt. Inwieweit dieses Fett in der Milchdrüse selbst entsteht, oder aus anderen Organen und Geweben mit dem Blute der Drüse schon zugeführt wird, läßt sich jedoch noch nicht entscheiden (Hammarsten). Kasein und Laktose entstehen wahrscheinlich gleichzeitige. Das Brust- drüsenparenchym enthält außer anderen allgemeinen Zellbestandteilen vorwiegend ein Phosphoglykoproteid, durch dessen Spaltung einerseits das Kasein, andererseits der Milchzucker der Milch entsteht (Bottazzi). Dieses Nucleoproteid bildet sich in dem Drüsengewebe immer wieder neu. Die Tatsache, daß Raubtiere bei reiner Fleischnahrung fortfahren, Milchzucker mit der Milch auszuscheiden, stützt die Ableitung der Laktose von Eiweißkörpern. Auch Fett und Traubenzucker sollen nach Voit imstande sein Milch- zucker zu bilden. Nicht einmal die Ausscheidung des Milchwassers darf man als einen einfachen Filtrations- und Diffusionsvorgang ansehen. Die Flüssigkeit wird durch die Brustdrüsenepithelien ebenso wie durch die Epithelien anderer absondernder Organe (Heidenhain) nach Bedarf dem Capillarblut und der Lymphe ent- nommen. Von den Mineralbestandteilen zeigten uns die Vergleiche der Aschen, daß sie in der Milch sich in einem ganz anderen Mengenverhältnis finden als im Blutserum, also auch ausgelesen sind. ') Zaleski, Berl. klin. Wochenschr. 1888, Nr. 5. —?) Winternitz, Zeitschr. f. physiol. Chem. 24. — ®) Daddi, Malys Jahresber. 26, 298. Laktation. — Milchabsonderung. 191 Klinische Beobachtungen und Experimente machen es wahrscheinlich, daß die Milchsekretion von nervösen Einflüssen beherrscht wird. Wiederholtes Ansaugen der Brustwarzen bei jungen Tieren, Männern, männlichen Tieren, sowie bei dekrepiden Frauen kann in der vorher untätigen Drüse unter rascher Schwellung und allerlei Empfindungen eine reichliche, oft länger dauernde Milchabsonderung hervorrufen (Kehrer). Es gelang mir in ähn- licher Weise bei Frauen schon während der Schwangerschaft eine ergiebigere Milchproduktion anzuregen. Häufiges Anlegen des Neugeborenen bringt die Milchsekretion in Gang und steigert sie. Man kann mit Kehrer!) diese Er- fahrungen so deuten, daß durch Reizung sensibler Warzennerven ent- weder auf sekretorische oder auf Gefäßnerven reflektorisch gewirkt worden ist. Bei dem Saugakt wird teils durch Aspiration des Kindes, teils durch die Kompression des Warzenhofes die Brustdrüse entleert. Dazu kommt nach Kehrer bei den meisten Stillenden noch ein stärkerer Milchfiuß, der durch das Anlegen ausgelöst wird und den Frauen als Einschießen der Milch wohlbekannt ist: Einige Sekunden bis höchstens zwei Minuten nach dem Anlegen des Kindes entsteht ein eigentümliches Prickeln, Brennen, Schießen von der Peripherie der Brust nach der Warze hin. Dann fließt Milch aus beiden Warzen in Tropfen oder Strahlen aus. Dieser „Milchfluß“ dauert manchmal nur einige Minuten, in anderen Fällen über das Stillen fort. Neben diesem reflektorisch eingeleiteten sogenannten „Saugfluß* gibt es nach Kehrer auch einen „spontanen Milchfluß“ von verschiedener Dauer, der sich etwa zwei bis drei Stunden nach dem letzten Stillen einstellt und besonders dadurch entsteht, daß die Frau an ihr Kind oder an das Stillen denkt. Beim reflektorisch angeregten Milchfluß beträgt die Ausflußmenge im Mittel 8 Proz. der in der betreffenden Brust vorhandenen Menge, kann aber bis 16 Proz. steigen. Da beim Eintritt des Prickelns und Flusses die Venen, zumal am Wearzenhof, stark anschwellen, hat Kehrer die Erscheinung so gedeutet, daß durch periphere Erregungen (Saugen oder reichliche Milchansammlung) eine Reflexhyperämie eingeleitet wird. Die starke Füllung der in der relativ starrwandigen Brustdrüse verlaufenden Gefäße entleert diestrotzend gefüllten Milch- gänge teilweise nach außen. Ob neben dieser mechanischen Auspressung durch Kongestion noch eine stärkere Absonderung einhergeht, bleibt nach Kehrer fraglich. Die Versuche von Eckhard und von de Sinety mit der Durchschnei- dung der aus dem Nervus spermaticus externus zu den Brustdrüsen ziehenden Nerven bei Tieren hatten keinen nennenswerten Einfluß auf die Menge und Zusammensetzung der Milch. Auch Röhrig ist es nicht gelungen, durch elektrische und alle mögliche chemische Reizungen der zu den Muskeln der Milchgänge und zu den Gefäßen führenden Nerven echte sekretorische Drüsennerven nachzuweisen. Das Auftreten von Brustdrüsenschwellung und Absonderung im Anschluß an Menstruation, geschlechtliche Erregung, Genitalleiden, Schwangerschaft und Wochen- bett weist auf die Genitalien als Ursprungsort eines Reizes für die Brust- drüsen hin. Die Beobachtung, daß man ohne Einfluß auf ihre Entwickelung und Funk- tion die Milchdrüsen von jeder Nervenleitung von den Genitalien isolieren kann (Pfister?), ferner die Tatsache, daß man sowohl den Eierstock als auch die Brustdrüse im Körper verpflanzen kann, ohne daß die Beziehungen zwischen beiden Organen gestört werden, legt auch eine Vermittelung von Reizen und Re- flexerscheinungen auf dem Wege der Blutbahn nahe. (Vgl. den Abschnitt über die periodischen Vorgänge während der Geschlechtsreife.) ‘) Kehrer, Beitr. z. vergl. u. experiment. Geburtskunde 1 (4), 39, 1875. — %) Pfister, Beitr. z. Geburtsh. u. Gynäkol., herausgeg. v. Hegar, 5, 441, 1902. 192 Laktation. — Einflüsse auf die Milchsekretion. 6. Einflüsse auf die Milchsekretion. Vor allen Dingen findet bei den Einflüssen auf die Milchproduktion wie bei allen anderen physiologischen Vorgängen die Individualität oder Kon- stitution bei der Milchabsonderung ihren bestimmten Ausdruck (Kehrer). Diese Individualität wird in erster Linie durch die Rasse bestimmt. Japanerinnen, Jüdinnen, Türkinnen, Schwedinnen usw. sind durch gut funktionierende Brüste be- kannt. Die in allen Weltteilen zerstreuten Zigeunerweiber stechen meistens durch außerordentlich reichliche und langdauernde Sekretion von ihrer Umgebung ab. Innerhalb derselben Rasse zeichnen sich wieder gewisse Stämme aus. Nach den Angaben Fehlings sind bei uns die Mährinnen, Hessinnen und Unter- elsässerinnen gute Schenkammen. In der Umgebung jeder Stadt finden sich bestimmte Bezirke, aus denen die Ammen wegen ihrer guten Qualität mit Vor- liebe bezogen werden. In diesen kleineren Kreisen macht sich dann aber auch wieder die Individualität geltend. Schwere grobknochige, muskulöse und fette Frauen liefern im allgemeinen weniger Milch als kleine, zart und typisch weiblich gebaute Individuen mit viel- leicht weniger entwickelten Mammae (K.ehrer). Jedenfalls ist eine gute Brust mit reichlichem Drüsengewebe und gut faßbarer Warze die erste Voraussetzung für ein erfolgreiches Still- geschäft. Dem Lebensalter der Stillenden und der Zahl der vorausgegangenen Entbindungen wird in der älteren Literatur ein beträchtlicher Einfluß zu- geschrieben. Personen zwischen 20 bis 30 Jahren, die bereits zwei- oder dreimal geboren haben, gelten im allgemeinen für milehergiebiger als solche vor dem 20. und naeh dem 30. Jahr und Vielgebärende (Kehrer). Vernois und Beequerel!) fanden die Milch von Frauen unter 20 Jahren käse-, butter- und salzreicher, aber zuckerärmer als in der Norm, nach dem 30. Jahr dagegen wässeriger. Aueh Pfeiffer konstatierte in der Milch jüngerer Mütter einen höheren Fettgehalt. Im Gegensatz hierzu konnten Baumm und Illner bei einer achtwöchigen Beobachtungsdauer in den Altersgrenzen von 18 bis 40 Jahren irgend eine Regel- mäßigkeit in der Zu- bzw. Abnahme der Milchbestandteile infolge des Lebensalters nieht erkennen. Doch wird von ihnen zugegeben, daß sehr junge oder schon in höherem Alter stehende Frauen wegen einer um diese Zeit mangel- haften Ausbildung des Brustdrüsengewebes oft ungenügende Milchmengen absondern. Diese beiden letzten Forseher sind nicht geneigt, der Zahl der Geburten einen Einfluß auf die Qualität der Milch zuzugestehen. Wenn auch der Durehschnitt der Milchbestandteile bei Mehrgebärenden hinter dem allgemeinen Durchschnitt etwas zurückblieb, so erreichte diese Differenz doch noch lange nicht die Schwankungen, wie sie bei ein und derselben Person an verschiedenen Tagen vorkommen. Die Drüse solcher Frauen, welche schon früher gestillt haben, ist infolge dieser Tätigkeit oft besser entwickelt als bei Erstgebärenden. Daher findet auch dort gewöhnlich eine stärkere Milchproduktion statt als hier. Über die Wirkung, welche die Dauer des Stillens auf die Milchzusammen- setzung ausübt, haben wir nur spärliche und sich widersprechende Angaben. Ab- gesehen von einer unbedeutenden auf das Verschwinden des Colostrums zurück- zuführende Eiweißabnahme und Zuckerzunahme in den ersten Wochenbetts- tagen zeigt die ausgebildete Frauenmilch bezüglich ihrer chemischen Konstitution in den ersten zwei Monaten keine gesetzmäßigen Veränderungen, sondern regellose Schwankungen mit durchschnittlich konstanter Gleichmäßigkeit. Nach Baumm und Illner wäre eine Milch vom 10. oder spätestens 17. Tage an ebenso beschaffen wie die Milch von der vierten bis sechsten Woche. Nach Simon, Scherer, Marchand und Pfeiffer nimmt der Kaseingehait mit der Dauer des Stillens mindestens bis zum 10. Monat zu, während sich !) Compt. rend. 36, 188, 1857. Te; ii DS = >= DE IT ISA ern Laktation. — Einflüsse auf die Milchsekretion. 193 v. Bunge mit seiner Annahme eines Sinkens des Eiweißgehaltes in der späteren Zeit des Wochenbettes ebenfalls auf einige Autoren stützen kann. Der Zuckergehalt erreicht sein Maximum schon bald (Simon), nach drei bis vier Monaten (Pfeiffer) oder erst nach acht Monaten, schwankt dann und fällt ab. i Der Fettgehalt nimmt nach dem dritten bis vierten Monat (Pfeiffer) oder nach dem fünften Monat (Scherer) ab. Der Aschengehalt der Milch soll mit der Zeit des Stillens geringer werden (v. Bunge). Die Milchmenge nimmt mit der Dauer des Stillens bis zu einer gewissen Zeit zu, um dann mit der weiteren Entfernung von der Geburt früher oder später allmählich oder sprungweise abzunehmen. Über den Zeitpunkt der Abnahme gibt außer anderen allgemeinen ungünstigen Einflüssen besonders die Entwickelung der Brustdrüse den Ausschlag. Mit dem Versiegen der Milch geht der Eiweißgehalt in die Höhe, während die Fettmenge sinkt. Gleichzeitig treten wieder Colostrumkörperchen auf. Über- haupt wird das Sekret in diesem Stadium wieder dem Colostrum ähnlich oder gleich. Durch die Untersuchungen von Lami weiß man, daß durch häufige Ent- leerung die Milchmenge und die Fettproduktion gesteigert wird. Baumm und Illner zeigten, daß die entleerte Brust mehr Milch absondert als die teilweise oder ganz gefüllte. Daher das Versiegen der Milch, wenn nicht gestillt oder abgesetzt wird, und die reichliche Absonderung, wenn der Säugling regelmäßig und kräftig zieht. Beim jedesmaligen Stillen hat die zuerst und zuletzt gelieferte Portion eine sehr verschiedene Zusammensetzung, wie ein Blick auf die von Baumm und Illner gefundenen Werte zeigt: Eiweiß Fett Zucker | Asche Summa Proz. Proz. Brozes 2, Pro72 Proz. Anfangsmilch . . . . . . . || 2,014 4,110 6,315 | 0,160 12,599 Beemich. . . 20... 0... |» 123044 4,390 6,795. | 0,160 13,389 Lenz. ee re 0,030 0,280 0,480 | 0,0 0,790 Die Milch wird während der Entleerung eiweiß-, fett- und zuckerreicher. Für den vermehrten Fettgehalt der letzten Menge macht Heynsius ein festeres An- haften der größeren Fettkügelchen an den Alveolarrändern verantwortlich, während das Serum mit den feineren Milchkügelchen sich zuerst entleeren soll. Die beiden Brüste derselben Person können oft ungleiche Mengen und ebenso eine verschieden zusammengesetzte Mileh liefern [Sourdat!), Brunner), Mendes de Leon‘°)]. Häufig ist die linke Brust ergiebiger. Wenn aus irgend einem Grunde an die eine Brust nieht angelegt werden kann, so ist die andere imstande, vikariierend einzutreten und in einigen Tagen so viel zu secernieren, wie zur Ernährung des Kindes notwendig ist (Quillier‘). Auch ist die Milchmenge im alleemeinen abhängig von den auf die Brustdrüsen ausgeübten Reizen und kann oft bis zu einem Vielfachen der gewöhnlichen Quantität vermehrt werden _ (Schlossmann’°). Nach Bendix°) tritt die Periode bei etwa 60 Proz. der Stillenden ein, und zwar bei der Hälfte der Frauen schon drei bis acht Wochen nach der Geburt. Weinberg’) hält dagegen das Erscheinen der Menstruation während der Lakta- tion für etwas Seltenes. !) Sourdat, Compt. rend. 71, 87, 1870. — °) Brunner, Pflügers Archiv 7, 440, 1873. — °®) Leon, Über die Zusammensetzung der Frauenmilch. Dissert., Heidel- berg 1881. — *) L’obstetrique, H. 4, juillet 1902. — °) Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 17, (6). — °) Bendix, Chariteannalen 23. — 7?) Zeitsehr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 50 (1). Nagel, Physiologie des Menschen. I. 13 194 Laktation. — Einflüsse auf die Milchsekretion. Nach den Untersuehungen von Tilt!) bleibt dieses Ereignis in den meisten Fällen ohne Einfluß auf die Milehmenge. Nach Kehrer?) wird der physio- logische Milchfluß der Stillenden vor, während und nach der Periode häufig spärlicher oder bleibt öfters ganz aus. Bendix nimmt überhaupt eine Verminde- rung der Milehmenge an. Vernois und Becequerel geben an, daß bei Menstruierenden Käse, Bütter und Salz zunehmen. Pfeiffer sah den Zuckergehalt steigen. Monti und Bendix konstatierten eine Zunahme des Fettes. Nach den Angaben von Baumm und Illner ließ weder die physikalische noch chemische Beschaffenheit der Milch eine Abweichung von den gewöhnlichen Verhältnissen erkennen. Pfeiffer unterscheidet zwischen Frauen, bei denen die Menstruation schon früh, und solchen, bei denen sie erst gegen Ende der Stillungs- periode eintritt. In diesen letzten Fällen ist wohl meistens der Eintritt der Regel das Signal zu einer rapiden Abnahme der Milchsekretion, während bei den ersteren die Regel zwar auch die Ernährung des Kindes beeinträchtigt, jedoch nur vorübergehend. Pfeiffer ist auch geneigt, die vierwöchentlichen Schwan- kungen, welche Ahlfeld°®) und Fleischmann‘) festgestellt haben, auf den Ein- tritt der Menstruation oder doch wenigstens einer menstruellen Kongestion zurückzuführen. Zum Beweis dafür, daß der Säuglingsdarm schon für viel feinere Verände- rungen empfindlich ist, als sie sich im Reagenzglas nachweisen lassen, sei noch die Beobachtung angeführt, daß während der Menses die Kinder oft unruhig werden, viel schreien, Erbrechen, grüne Stühle und Durchfall be- kommen und an Gewicht abnehmen’). Im Anfang einer neuen Gravidität wird die Milchmenge nicht erheblich verändert, dagegen nimmt sie später bis zum vollständigen Versiegen ab. Zur gleichzeitigen Ernährung eines im Mutterleibe EEuaBneu und eines neugeborenen Kindes reichen die Kräfte nicht aus. Ein großer Wert wird bei den stillenden Müttern auf die Art der Ernäh- rung gelegt. Nach Kehrer wäre ein Einfluß der festen Nahrungsmittel auf die Milch in positivem Sinne nachgewiesen. Eine eiweißreiche Kost soll Butter und Kasein vermehren, Zucker und die Salze vermindern. Eine eiweißarme, vegetabilische Kost wirkt umgekehrt (Pfeiffer, Simon, Zalesky, Biedert). Mehlspeisen steigern den Fett- und Zuckergehalt (Marchand). Größere Wasserzufuhr bei sonst gleicher Nahrung kann die Milchmenge fördern. Zalesky hat bei einer Amme eine eiweiß- und fettreiche Milch durch Einschränkung von Fleisch und Bier auf den normalen Gehalt herabgesetzt. Nach den Prüfungen von Baumm und Illner konnte die Milechzusammen- setzung durch eine veränderte Ernährung nur in bezug auf den Fettgehalt modifiziert werden. Vermehrte Nahrungszufuhr machte die Milch reicher an Fett und demgemäß auch an Trockensubstanz. Forcierte Eiweißzufuhr ist imstande, das Milchfett zu vermehren. Kohlehydrate an sich bleiben ohne Einfluß auf die Milchkonstitution. Reichliche Flüssigkeitszufuhr ändert nur insofern die Be- schaffenheit der Milch, als damit gleichzeitig eine intensivere Ernährung und infolge davon eine Steigerung des Milchfettes stattfindet. Das Wasser der Nahrung selbst bleibt ohne Einfluß. Die Milehmenge erwies sich zwar abhängige von der aufgenommenen Nah- rung, jedoch ist es nach Baumm und Illner bei sich satt essenden Personen nur möglich, sie noch unbedeutend zu steigern. Weder reichliche Eiweißkost noch sehr bedeutende Beigabe von Flüssigkeit konnten den Milchertrag erhöhen. Selbst plötzlicher Ernährungswechsel blieb ohne Einfluß. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß in der Regel eine dem Säugling bekömmliche Milch produziert wird, wie auch immer die Mutter ge- !) Tilt, Med. Berl. Ztg. 1853, Febr., Nr. 8. — °) Kehrer, Beiträge 1 (4), 55. — °) Ahlfeld, Über die Ernährung der Säuglinge an der Mutterbrust. Leipzig 1878. — *) Fleischmann, Wien. klin. Wochenschr., III. Jahrg., 6 u. 7 Heft, Juni bis Juli 1877. — °) Planchan, L’obstetrique, Heft 3, Mai 1903. Bedeutung der Laktation. 195 nährt werden mag. Ein schlechter Trost für die Industrie, welche sich mit der Herstellung von Mitteln für die Steigerung der Milchproduktion Stillender abmüht! Dem Ernährungszustande der Mutter kann ein Effekt hinsichtlich der Milchbildung nicht abgesprochen werden. Gut genährte Individuen geben im . ganzen mehr und bessere Milch als schlecht genährte. Bei sehr reichlichem Fett- ansatz nimmt die Milchabsonderung zusehends ab. Vorübergehende Mästung der Mutter zeigte dagegen keine schädliche Wirkung. Baumm und Illner konnten in der Zusammensetzung der Milch kräftiger und schwächlicher Frauen eine fast vollständige Übereinstimmung konstatieren. Dagegen zeigte sich in der Milch der Mütter von schwachen Kindernin allen festen Bestandteilen außer Asche ein deutliches Plus gegen die Milch der Mütter von kräftigen Kindern, als ob die Natur der schwächeren Konstitution der Neugeborenen und ihrer geringeren Saugkraft dureh Spendung einer konzentrierteren Nahrung hätte Reehnung tragen wollen! Mangelhafte Ernährung und gar Hungern setzt die Menge und Güte der Milch herab, wie Decaisne') bei der Belagerung von Paris zu beobachten Gelegenheit hatte. Butter, Käse, Zucker und Salzgehalt sanken, während das Albumin zunahm. Muskelarbeit beschränkt, Ruhe vermehrt die Milchmenge. Mäßige Be- wegung scheint der Absonderung förderlich. Über den Einfluß von Gemütsbewegungen sind die Meinungen geteilt. Die modernen Beobachter sind geneigt, alle hierher gerechneten übeln Folgen für das Kind ins Gebiet der Fabel zu verweisen (Fehling). Jedenfalls ist in einzelnen Fällen der Nachweis erbracht, daß ein mächtiger Schreck, der sogar zum vor- zeitigen Eintritt der Menses führte, nicht die geringste Wirkung auf den Säugling ausgeübt hat (Biedert, Baumm und Illner). Früher neigte man zu der Ansicht, daß lebhafte Gemütsbewegungen die Milch in einer dem Säugling nachteiligen Weise verändern könnten. Selbst der Tod sollte bei vorher gesunden Kindern eintreten können, wenn sie unmittelbar nach einer leidenschaftlichen Erregung gestillt würden. Von diesen Wirkungen ist zu trennen die Beobachtung, daß es bei starken Gemütsbewegungen unmöglich sein kann, selbst reichlich vorhandene Milch aus- zumelken. Diese Störung erklärt sich durch die Zusammenziehung der Warzen- muskulatur. Von Medikamenten hat nur Jodkalium eine unzweideutige Wirkung auf die Milchsekretion. Die Absonderung kann durch den Gebrauch dieses Mittels beschränkt werden. 7. Bedeutung der Laktation. Dem Bestreben der Natur, dem Neugeborenen durch die Muttermilch alle erforderlichen Nahrungsmittel in zusagender Form und im richtigen Mengenverhältnis zu bieten, wird häufig nicht entsprochen. Wir sehen, daß eine große Anzahl der Mütter ihre Kinder nicht stillt. Der Kinderarzt, der Frauenarzt, der Physiologe haben versucht, die Generation über die deletären Folgen dieser Unterlassungssünde aufzuklären (Biedert, Hegar, v. Bunge). Nach Beobachtungen aus verschiedenen Gauen Deutsch- lands darf man annehmen, daß nur ein Drittel bis die Hälfte der Frauen physisch imstande ist, ihre Kinder !/, Jahr lang zu nähren. Die dem Neugeborenen gebührende Stillzeit von ?/, bis 1 Jahr einzuhalten sind noch weniger wie ein Drittel im stande. In anderen Ländern ist es teils besser, teils schlechter. Der Hauptgrund für diese Misere liegt in der Unfähigkeit zu stillen. Mangelhafte Ausbildung der Brustdrüsen und Brustwarzen machen ') Decaisne, Compt. rend. 1873, p. 119. 132 196 Bedeutung der Laktation. es den Frauen beim besten Willen unmöglich, ihr Kind zu nähren. Neben dieser Degeneration des Körpers bringen es bei anderen die Degene- rationihrer Lebensauffassung oder die Degeneration ihrer Lebens- verhältnisse mit sich, daß sie auf ihre Mutterpflichten verzichten. Bei der Sorgfalt, mit welcher die Natur die Muttermilch als Sauglings- nahrung präpariert hat, ist es uns unmöglich, einen vollwertigen Ersatz durch künstliches Ab- und Zutun an Tiermilchen zu erzeugen. Die mörderischen Folgen der künstlichen Aufpäppelung Neugeborener zeigt die erschreckende Statistik der Kindersterblichkeit (Biedert, Hegar, v. Bunge), deren außerordentliche Höhe sich zum größten Teil auf den Ausfall der dem Kinde in den ersten Lebensmonaten physiologischer- weise gebührenden Nahrung zurückführen läßt. Nach v. Bunges Rechnung kommt ein Todesfall auf dreizehn Brustkinder und einer auf zwei mit Tier- milch genährten Kinder. Abgesehen von einer besseren Ernährung würde die stillende Mutter ın vielen Fällen ihrem Kinde mehr Sorgfalt angedeihen lassen können, als wenn sie es der Gewinnsucht einer gewerbsmäßigen Ziehmutter preisgeben muß. Bei schlechten Brüsten ist wenig künstlich nachzuhelfen, nachdem wir gesehen haben, daß die Qualität der Frauenmilch in einer weitgehenden Unabhängigkeit von der Ernährung steht und die Quantität bei Personen, die sich satt essen, durch weitere Nahrungszufuhr nur unbedeutend gesteigert werden kann. Vielleicht nützt die Brustdrüsengymnastik in der Schwanger- schaft oder Ähnliches noch etwas. Geeignete Zuchtwahl durch den Freier (Hegar) und Entscheidung des Staates über die Tauglichkeit zum Heiraten (v. Bunge) werden noch lange auf sich warten lassen. Das Kind bleibt beim Stillen noch in den gleichen homologen Eiweibß- umsatz der Mutter eingeschaltet wie bei der intrauterinen Ernährung. Da das menschliche Organeiweiß spezifisch different von dem tierischen ist, so hat unter allen Umständen das Flaschenkind dem Brustkinde gegenüber die Mehrarbeit, das ihm verabreichte heterologe Eiweiß, um es ansetzen zu können, erst in ein homologes umzuwandeln. Damit stimmt auch die Er- fahrung, daß das Blutserum des Brustkindes eine beträchtlich höhere baktericide Kraft besitzt als das Blutserum künstlich ernährter Säug- linge (Wassermann!). Über die augenfälligen Nachteile, welche bei einer mangelhaften Säug- lingsernährung in Gestalt der hohen Kindersterblichkeit unmittelbar in Erscheinung treten, darf man die Schäden nicht vergessen, welche die bei künstlicher Ernährung Überlebenden an ihrer Konstitution für das spätere Leben mitbekommen (Hegar, v. Bunge, Biedert). Schließlich rächt sich die Unterdrückung der physiologischen Brust- drüsenfunktion auch an der Mutter. Wir kennen viele Frauenkrank- heiten, die sich auf eine mangelhafte Rückbildung der Genitalien im Wochen- bett zurückführen lassen. Das beste Vorbeugungsmittel wäre das Anlegen des Kindes gewesen; denn stillende Frauen werden durch eine viel promptere und energischere Rückbildung der Genitalien im Wochenbett belohnt (vgl. den Abschnitt über Wochenbett). Neuerdings ist man auch nach statistischen ') Deutsche med. Wochenschr. 1903, Nr. 1. Wechseljahre. — Allgemeines. 197 Feststellungen zu der Ansicht geneigt, daß dem Nichtstillen ein Einfluß auf die Entstehung des Brustkrebses zuzuschreiben sei (Lehmann !). Welch gewaltige Funktion beim Unterlassen des Stillens ausfällt, sieht man daraus, daß die Mammae während einjähriger Laktation durch fort- _ gesetztes Wachstum mit darauf folgendem Zerfall in den Drüsenepithelien das gesamte Material liefern für eine Zunahme des Kindes um 6 kg. Man darf danach wohl annehmen, daß Frauen von guter Konstitution, die auf ein so enormes Wachstum über die Schranken ihres Organismus hinaus eingerichtet sind, nicht ohne Schädigungihres übrigen Körpers dieses Glied aus der Kette der Fortpflanzungsvorgänge aus- schalten können. Wenn sich für solche nur ein Bruchteil der anerzogenen Ängstlichkeit, mit welcher die Frauen sonst über ihre Fortpflanzungsfunktionen, besonders über den regelmäßigen Ablauf ihrer Menstruation wachen, auf das Verhalten dem Neugeborenen gegenüber übertragen ließe, wäre schon manches geholfen. VI. Die Wechseljahre und die senile Involution. Kisch, Das klimakterische Alter der Frauen. Erlangen 1874. Börner, Die Wechseljahre der Frau. Stuttgart 1886. Wendeler, Die Physiologie des Eierstockes in Martins Handbuch der Erkrankungen der Eierstöcke. Leipzig 1899. 1. Allgemeines. Unter Wechseljahren (Klimakterium, Klimax) versteht man die Phase im Leben des Weibes, in welcher die Geschlechtsfunktionen erlöschen. Wie jede andere Erscheinung im Sexualleben der Frau den ganzen Organismus in Mitleidenschaft zieht, so macht auch der Schlußakt seinen Einfluß weit über die Grenzen des Genitalapparates hinaus geltend. In den Sexualorganen manifestiert sich der Wechsel durch Rückbildungsvorgänge. Zeitlich schließt sich daran die senile Involution des ganzen Organismus, welche die Schrumpfung der Genitalien fortsetzt. Die Grenze des Klimakterium gegen die Blütezeit der Geschlechts- funktionen ist ebensowenig scharf wie die Grenze gegen die senilen Ver- änderungen. Die Ausdehnung des Klimakterium wird durch die erste und letzte sichergestellte klimakterische Erscheinung, welcher Art sie auch sein mag, bestimmt (Börner?). Von postklimakterischer Zeit kann man erst reden, wenn die klimakterischen Erscheinungen über kürzere oder längere Zeit verschwunden sind. Die Dauer der klimakterischen Zeit schwankt sehr bedeutend. Selten vollzieht sich der Wechsel plötzlich. Meistens haben die Frauen lange Zeit darunter zu leiden. Ein bis drei Jahre gehen gewöhnlich darauf. Das Lebensalter, in welches die Wechselzeit fällt, ist sehr verschieden. Im Durchschnitt kann man das 40. bis 50. Lebensjahr annehmen. Für unseren ) Das Stillen der Frauen und sein Einfluß auf die Häufigkeit des Mamma- Careinoms. Inaug.-Diss., München 1903. — ?) Börner, Die Wechseljahre der Frau. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke, 1886. Daselbst die ältere Literatur. 198 Wechseljahre. — Funktionelle Veränderungen. Himmelsstrich engt sich die gewöhnliche Zeit auf das 45. bis 50. Lebens- jahr ein. Ausnahmsweise fällt der Beginn des Klimakterium schon beträcht- lich früher. Umgekehrt kommen gelegentlich Fälle von Fortdauer der Periode und der Konzeptionsfähigkeit bis ins hohe Alter vor. Für die Schwankungen in dem Zeitpunkte des Erlöschens der Geschlechtsfunktionen sind ähnliche Faktoren maßgebend wie für das frühere oder spätere Eintreten der Geschlechtsreife. Klima, Bodenbeschaffen- heit, höhere oder tiefere Lage des Wohnortes sind die bekanntesten. Am besten belehren uns Statistiken über den Einfluß der geographischen Lage. Nordländerinnen büßen ihre Geschlechtsfunktionen früher ein als Süd- länderinnen. Rasse, Konstitution, Temperament, Lebensweise und Lebens- verhältnisse bringen ebenfalls merkliche Verschiebungen zustande. Bei Jü- dinnen pflegt der Wechsel früh einzutreten. In bezug auf die Lebensweise scheinen allzu große geschlechtliche Tätigkeit, besonders aber zahlreiche rasch aufeinander folgende Geburten zu einem vorzeitigen Marasmus des weiblichen Körpers und zu einem verfrühten Eintritt des Klimakterium zu führen !). Bei Frauen arbeitenden und schlecht situierten Standes hören im allgemeinen die geschlechtlichen Funktionen früher auf als bei Wohllebenden und Reichen 2). In der Regel rechnet man mit einer bestimmten zeitlichen Ausdehnung der Sexualtätigkeit des Weibes von etwa 30 Jahren. Danach involviert früh- zeitiges Auftreten der Geschlechtsreife frühzeitiges Verblühen und umgekehrt. Am besten machen wir uns ein Bild von der Abrüstung des weiblichen Organismus, wenn wir zuerst die funktionellen Veränderungen ins Auge fassen und dann die gleichlaufenden anatomischen Prozesse berücksichtigen. 2. Die funktionellen Veränderungen. a) Die funktionellen Veränderungen in der Genitalsphäre. Wie man den Beginn der Geschlechtsreife von dem Eintritt der menstruellen Blutausscheidung an datiert, so nimmt man auch das Aufhören der Menstruation als äußerliches charakteristisches Symptom für das Erlöschen an. In bezug auf die Art und Weise des Versiegens der Periode kommen alle möglichen Verschiedenheiten zur Beobachtung. Die Blutabeänge dauern in der Zeit des Wechsels meistens länger, selten kürzer. Häufig alternieren auch lange anhaltende mit rasch vorübergehenden Blu- tungen. Die Quantität des ergossenen Blutes ist in der Regel gegen früher vermehrt. Wenn man zwischen starken Blutausscheidungen auch längere Zeiten mit geringen Abeängen beobachtet, so bleiben die Gesamtverluste doch nur selten hinter dem Durchschnitt der früheren regelmäßigen Perioden zurück. Auch die Qualität der Ausscheidung ist gegen früher verändert. Das Blut erscheint oft wässerige, oft aber auch dunkler mit mehr venösem Charakter, häufig mit vielem Schleim gemischt. Die Intervalle zwischen zwei Perioden werden länger oder kürzer. Am seltensten ist ein plötzliches Aufhören der Regel oder ein stetes Seltenerwerden mit immer kleineren Blutverlusten. Die schon vor dem Wechsel zu konstatierende Abnahme der Fruchtbar- keit, der jähe Abfall der Fruchtbarkeit mit dem Wechsel und schließlich die !) Seanzoni, Lehrbuch der Krankheiten der weiblichen Sexualorgane. 4. Aufl., S. 355. — ?) Kisch, Das klimakterische Alter der Frauen. Erlangen 1874. Wechseljahre. — Funktionelle Veränderungen. 199 regelmäßige Unfruchtbarkeit im postklimakterischen Alter lassen uns auf eine Sistierung der Ovulation schließen. Ebenso wie bei dem Aufhören der Periode kommen hier gelegentliche Ausnahmen vor und Frauen im 50. bis 56. Lebensjahre empfangen und gebären noch. Den Grund für eine solche lange währende Fruchtbarkeit sucht Krieger‘) in einer ungewöhnlichen Lebenskraft und Energie der Ovarien, die sich mit einer besonderen Kräftigkeit der allgemeinen Körperkonstitution paaren. Die sexuelle Erregbarkeit erfährt, soweit sie in dieser Zeit noch besteht, oder soweit sie überhaupt vorhanden war, meistens mit dem Wechsel bedeutende - Veränderungen. Die Libido sexualis, sowie die Sexualempfindung werden in der Regel auffallend gering oder verschwinden ganz. Manchmal bleibt die Geschlechts- lust über den ganzen Klimax hinaus bestehen. Gelegentlich tritt sogar eine Steigerung ein. Der Coitus wird infolge von Verengerungen, Verklebungen, Strikturenbildung in der Scheide, (Hegar?), wie sie die Involution mit sich bringt, vielfach zur Qual. Nicht selten stellen sich in der Genitalsphäre abnorme Empfindungen ein; die bekanntesten sind Schmerzen in der Gegend der Mammae und Jucken im Bereiche der äußeren Genitalien, das sich manchmal von da auf die Scheide oder bis zum Damm und zu den Schenkelfalten ausbreitet (Pruritus genitalium). b) Die funktionellen Veränderungen im übrigen Organismus. Die Erscheinungen, welche in dem allgemeinen Verhalten während der Wechseljahre hervortreten, sind außerordentlich vielgestaltig und in ihrer Inten- sität so verschieden, daß es oft schwer hält, im Einzelfall die Grenze zwischen Patho- logischem und Physiologischem richtig zu ziehen. An dieser Stelle soll nur Er- wähnung finden, was in mäßigem Grade auftretend noch als physio- logisch angesehen werden darf. Das Bild wechselt hier noch mehr, als wir das bei der Abnahme der geschlechtlichen Funktionen kennen gelernt haben. Manche Frauen kommen über ihren Wechsel hinaus, ohne überhaupt irgend eine Abweichung von ihrem seitherigen Befinden zu bemerken. Nur das Weg- bleiben der Periode gibt ihnen von dem Erlöschen der Geschlechtsfunktionen Kenntnis. Andere Frauen sind viele Jahre hindureh von diesen oder jenen Be- schwerden gequält. Eine Unzahl kleinerer oder größerer Übel verbittert wieder anderen fortwährend, oder mit freien Zwischenräumen oder auch in buntem Wechsel der Erscheinungen das Leben. Die lästigen Zustände werden oft ohne Klage getragen. Handelt es sich doch hier um Störungen, welche sehr häufig das Klimakterium begleiten und den Frauen teils aus eigener Beobachtung anderer, teils aus dem Munde dieser bekannt sind und deshalb gleichsam als selbstverständlich und notwendig ruhig hingenommen werden (Börner). Eine sehr wesentliche Begleiterscheinung des Wechsels ist eine mehr oder weniger deutlich hervortretende Änderung in der Sinnesart. Diese psyehische Alienation kann sehr verschiedene Qualität haben. Depression herrscht vor. Man merkt eine gewisse Herabsetzung, der Lebensenergie. Die gewohnten täglichen Beschäftigungen verlieren ihren Reiz. Alles flößt eine gewisse Gleich- gültickeit ein. Was sonst spielend verriehtet wurde, erscheint schwieriger. Fast aller Frauen bemächtigt sich, um Börners klassischer Schilderung zu folgen, ein gewisser Grad der Schwerlebigkeit, ein leiser oder mächtiger Hang zur melan- eholischen Verstimmung. Viel seltener inklinieren die Frauen zur gesteigerten Reizbarkeit, Ungeduld, Rastlosigkeit, Zornausbrüchen usw. Manchmal macht sieh auch gerade um die Zeit des Klimakterium eine normale, zufriedene, selbst heitere Stimmung geltend, wo eine solche bis dahin gefehlt hat. ') Krieger, Die Menstruation, eine gynäkologische Studie, Berlin 1869. — ) Hegar, Der Zusammenhang der Geschlechtskrankheiten mit nervösen Leiden usw. Stuttgart, Ferd. Enke, 1885. — 3) 1. c. 300 Wechseljahre. — Funktionelle Veränderungen. Gewöhnlich sind diese Änderungen der Sinnesart an gewisse Tageszeiten geknüpft. Oft fehlen sie Tage und Wochen gänzlich. Bei dem Zustandekommen dieser Verstimmungen scheinen die Reflexionen über die in Rede stehende Lebens- epoche (Betrachtungen über den Verlust der Jugendlichkeit und geschlechtliche Untüchtigkeit, Angst vor den Gefahren der Wechselzeit usw.) nur wenig mitzu- wirken. Der Stimmungswechsel ist vielmehr oft das erste, was auf den Klimax hindeutet. In der Zeit, in der sich schon Unregelmäßigkeiten in der Periode geltend machen, erscheinen diese physischen Alienationen häufig ganz außer Zu- sammenhang mit den Blutungen. Bei vielen Frauen wird die Zeit des Wechsels durch eine gewisse Nerven- schwäche charakterisiert. Hierher sind zunächst merkwürdige Zwangsvorstellungen zu rechnen. Ein leerer Platz, eine leere Straße erregt das Gefühl, als würde ein schmaler Steg beschritten und ruft die Furcht vor dem Hinunterstürzen wach (Platzangst). Ge- selligee Zusammenkünfte werden den Frauen verleidet, weil sie Angst haben, sie würden ein Bedürfnis bekommen, den Urin zu lassen und keine Gelegenheit dazu finden usw. Häufig sind leichtere oder schwerere Anfälle von Schwindel. Doch ist es falsch, diese Erscheinung, wie man wegen des Versiegens der Menstruation anzu- nehmen geneigt ist, auf die sistierte Blutausscheidung und eine dadureh bedingte Hyperämie des Gehirns zurückzuführen. Eher liest Grund vor, in dieser Zeit die Anämie als Ursache zu beschuldigen. Die veränderte Erreebarkeit des Nervensystems kommt in fast allen Fällen durch eine Reihe prägnanter Erscheinungen zum Ausdruck, die man wegen der mit ihnen einhergehenden subjektiven Empfindungen als Wallungen, heiße Übergießungen, fliegende Hitze bezeichnet und welehe meistens von Schweißausbrüchen gefolet sind. Diese abnormen Sensationen werden beschrieben als ein Gefühl plötzlich auf- steigender Hitze, als eine Empfindung, wie wenn der Oberkörper mit heißen Dämpfen überströmt würde. Objektiv nachweisbar ist eine deutliche Rötung der befallenen Körperteile. Die Schweiße unterscheiden sich von den gewöhnlichen Transpirationen durch ihr plötzliches Auftreten und durch eine eigentümliche Lokalisation. Während sonst gewisse Körperteile entsprechend der Größe und Zahl der vorhandenen Schweißdrüsen als Prädilektionsstellen des Schwitzens (Hand- flächen, Fußsohlen, Achselhöhlen) gelten, wechselt der Ort des klimakterischen Schweißausbruches.. Nur selten wird der ganze Körper befallen. Gewöhnlich bleibt das Schwitzen auf die obere Körperhälfte beschränkt. Bevorzugt sind circumscripte Stellen an Brust, Genick, behaarter Kopfhaut und Stirn. Meist erfolgt der Schweißausbruch spontan, sogar während der Nachtruhe. Schon leichte Körperbewegung, besonders aber psychische Erregung steigern Intensität und Häu- figkeit der Anfälle. Örtliche Hitzempfindungen, Wallungen und Schweiße treten meist in mehr oder weniger typischen Anfällen vereint und sehr häufig an derselben Körper- partie auf. Ein Gefühl allgemeiner Mattigkeit bildet gewöhnlich den Sehluß- akt. Die Erscheinungen kehren in der Regel nur mehrmals am Tage wieder, sie können aber auch durch eine alle paar Minuten eintretende Wiederholung außer- ordentlich lästig werden. Nur etwa ein Drittel aller Frauen macht den Wechsel ohne diese Symptome dureh. Die höheren Sinnesorgane werden vorübergehend von mancherlei Störungen heimgesucht. Die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen kann hier nur angedeutet werden. Wir begegnen gewissen Hyperästhesien, Parästhesien, Idiosynkrasien, Hyp- und Anästhesien. Die hauptsächliehsten Äußerungen sind: übergroße Empfindlichkeit gegen helles Licht, intensive Schalleindrücke, prägnante Gerüche jeder Art, Klagen über schlechten Geschmack, Ohrenklingen, dumpfes Summen und lautes Gedröhne in den Öhren, vorübergehende Schwerhörigkeit, Schwachsichtigkeit. Dazu kommen noch Neuralgien der verschiedensten Art. Besonders häufig sind Frontal- und Oeceipitalschmeraz. Wechseljahre. — Anatomische Veränderungen. 301 Von seiten des Herzens und des gesamten Verdauungstractus können alle möglichen Beschwerden in Erscheinung treten. Die den Wechsel so häufig begleitenden Variationen in der Körperfülle sind der Ausdruck eines veränderten Stoffwechsels wie er auch durch die Kastration veranlaßt wird (vgl. den Abschnitt über die periodischen Veränderungen in der Zeit der Geschlechtsreife). Nach den Untersuchungen von Tilt'!) werden etwas weniger als die Hälfte aller Frauen stärker, als sie früher waren, die eine Hälfte der übrigen bleibt sich gleich, die andere Hälfte magert gegenüber dem früheren Zu- stande ab. Die Fettablagerung betrifft besonders die Bauchdecken, Hüftgegenden und das Mesenterium. Alle diese Symptome dürfen als Teilerseheinungen der gewaltigen Umstimmung im Wechsel aufgefaßt werden, weil sie sich nach dem Klimakterium bei der gesunden Frau wieder verlieren. Manche Frauen scheinen sich sogar in der postklimakterischen Zeit hinsichtlich ihrer Nerven weit leistungsfähiger zu fühlen als in früheren Jahren (Kippenberg’). 3. Die anatomischen Veränderungen der Sexualorgane im Klimak- terium und Greisenalter. Die Wechselzeit begleiten charakteristische anatomische Veränderungen in den Genitalorganen. Unter allmählicher Verödung der Gefäße stellt sich an den einzelnen Abschnitten des Genitaltractus zuerst eine bindegewebige Wucherung und dann eine Schrumpfung unter Zugrundegehen der spezi- fischen Gewebsbestandteile ein. Elastische Fasern sind reichlich vorhanden. Man trifft bei gleichalterigen Frauen oft grobe Verschiedenheiten im Grade der Rückbildung. Das größte Interesse beanspruchen die Veränderungen in der Keimdrüse, weil man von hier aus den Anstoß zu allen übrigen Erscheinungen annimmt. Nach den Erfahrungen, die man nach der operativen Entfernung von einzelnen Abschnitten des Genitaltractus gemacht hat, bewirkt der Ausfall der Keimdrüse eine Schrumpfung aller übrigen Abschnitte desselben; alle anderen Abschnitte können aber entfernt werden, ohne eine trophische Veränderung der zurück- bleibenden Eierstöcke hervorzurufen. Die Frage, ob sich in dem Klimakterium die regressiven Veränderungen zuerst im Eierstock zeigen und sich daran die Atrophie der übrigen Abschnitte des Genitaltractus anschließt, oder ob an allen Teilen mehr gleichzeitig die Abrüstung anfängt, harrt noch ihrer Lösung durch systematische anatomische Untersuchungen. Wir müssen uns nach dem Stande unserer Kenntnisse damit begnügen, die Veränderungen in den einzelnen Teilen des Genitaltractus ohne ein abschließendes Urteil über das gegenseitige zeitliche Ver- hältnis ihres Auftretens zu betrachten. Wenn auch durch die jahrelange regelmäßige Ovulation und die fortwährende Follikelatresie im ganzen Leben der Follikelvorrat in der Keimdrüse sehr zu- sammengeschmolzen ist, so sind zur Zeit des beginnenden Wechsels immerhin noch so zahlreiche Follikel vorhanden, daß die anatomische Grundlage für das Erlöschen der Geschlechtsfunktionen wahrscheinlich nicht in einer Erschöpfung des Eierstockes zu suchen ist. Jedenfalls darf man aber annehmen, daß mit der Cessatio mensium im Alter von 45 bis 50 Jahren die periodische Reifung und Ausstoßung von Eiern in der Regel aufhört. Der Befund von Follikeln in verschiedenen Reifestadien und auch frischen gelben Körpern bald nach dem Aufhören der Menstruation läßt sich nur dahin verwerten, daß die Ovulation noch kurze Zeit nach dem Sistieren der Menses fortdauern kann. Einige Jahre nach dem Wechsel sind jedenfalls die Follikel vollständig verschwunden. !) Zitiert bei Börner, I. ce. — ?) Kippenberg, Klimakterium in Enzyklo- pädie der Geb. und Gyn. von Sänger und v. Herff, Leipzig, F. C. W. Vogel, 1900, 8. 494. 202 Wechseljahre. — Anatomische Veränderungen. Die Schrumpfung des Eierstockes ist augenfällig. Das Organ wird nach dem Wechsel kleiner und platter. Die Oberfläche ist unregelmäßig gestaltet, mit Wülsten und dazwischen liegenden tiefen Furchen besetzt; sie ähnelt der des Gehirnes (Fig.76). Sehr treffend wird das Organ in seinem Aussehen mit einem Pfirsichkern verglichen (Krieger'). Die Verkleinerung erfolgt sehr all- mählich; sie kann im Greisenalter so weit gehen, daß das Ovarium nur eine spindelige, bindegewebige, oft mit Kalkablagerungen durchsetzte Verdiekung am Eierstockbande darstellt. Als das histologische Charakteristikum der Eierstöcke alternder Frauen fand Wendeler?) in der Zona vasculosa stets eine immer weitere Gebiete ergreifende Endarteriitis obliterans®), welche auch an großen Gefäßverzwei- gungen sich geltend machte. Die bindegewebige Wucherung der Intima der Arterien führt bald zu einer geringeren, bald zu einer stärkeren Verengerung der Blutbahnen und gelegentlich sogar zum völligen Verschluß. Als die Folge dieser Gefäßveränderungen betrachtet Wendeler außer der Obliteration zahlreicher und schließlich sämtlicher noch vorhandener Follikel, eine massenhafte, herdweise auftretende und immer weiter um sich greifende hyaline Degene- ration kleiner und kleinster Gefäße, besonders an der Grenze zwischen Mark und Rinde. Die hyaline Degeneration greift von da auch auf das um- sebende Bindegewebe über und führt so zur Bildung eigentümlicher glasig durchscheinender glänzender Herde zellarmen sklerosierten Bindegewebes, Corpora Fig. 76. Adnexe einer 56jährigen Frau, die an Verbrennungen starb. Nat. Gr. fibrosa (Fig.77). Da auch Corpora lutea und obliterierte Follikel zur Bildung ähn- licher Corpora fibrosa führen, läßt sich oft nicht mit Sicherheit entscheiden, welchem von den drei Entstehungsmodi der vorliegende Bindegewebskomplex seinen Ursprung verdankt. Erst im weiteren Verlaufe der Imvolution scheint es dann zu Schrump- fungsvorgängen in diesen unregelmäßig zerstreuten und sehr mannig- fach gestalteten Bindegewebsherden und ihrer Umgebung zu kommen. Durch die unregelmäßige narbige Zusammenziehung wird die charakteristische Runzelung der Rindenschicht bewirkt. Von den Follikeln finden sich einige Jahre nach dem Wechsel nur noch kaum kenntliche Spuren (Waldeyer‘*) oder gar nichts mehr; das Oberflächenepithel bleibt dagegen bis ins hohe Alter gut erhalten. An den Tuben sind bis jetzt die frühesten anatomischen Veränderungen, die auf eine Involution hindeuten können, beschrieben worden. Grusdew’°) bemerkte schon von der zweiten Hälfte der geschlechtsreifen Epoche an eine stärkere Entwickelung des fibrösen Gewebes in der Umgebung der Schleim- !) l.e. — °?) Wendeler in Martins Handbuch der Erkrankungen der Eier- stöcke usw. Leipzig, A. Georgi, 1899, S. 98. — *) Wird nun neuerdings von Weber, Monatssehrift f. Geb. u. Gynäkol. 20, 973 bestritten. Die Webersche Arbeit konnte nicht mehr benutzt werden. — *) Waldeyer, Eierstock und Ei. Leipzig 1870, S. 30. — °) Grusdew, Zur Histologie der Fallopiaschen Tuben, Zentralbl. f. Gyn. 1897, 8. 257. Wechseljahre. — Anatomische Veränderungen. 203 hautgefäße. Später macht sich eine Bindegewebswucherung in der Mucosa selbst geltend, die besonders zur Zeit des Wechsels fortschreitet. Die Muskulatur der Tubenwand und hauptsächlich die längsverlaufenden Bündel schwinden mit dem Wechsel und werden allmählich durch Bindegewebe ersetzt. Bei 70 jährigen Frauen fehlt die Muskulatur vollständig (Ballantyne u. Williams'). An die Verbreiterung der Bindegewebsmassen schließen sich später auch hier Schrumpfungsprozesse an, die zu einer Verdünnung und meist auch zu einer Verkürzung der Tube im ganzen führen. Die Schrumpfung des Bindegewebes in der Schleimhaut bringt eine Vereinfachung in der Gliederung des Faltenappa- rates zustande. Das Tubenlumen wird enger. Die Epithelzellen verlieren ihre Eierstock einer 56 jährigen Frau. Vollständiges Fehlen von Follikeln. Große Herde zellarmen sklerosierten Bindegewebes. Obliteration und hyaline Degeneration der Gefüße. Vergr. ®). Cilien, werden niedrig, fast endothelartig und gehen schließlich streckenweise ganz zugrunde. Durch Verwachsung aneinander liegender Teile kann eine Obliteration der Tubenlichtung eintreten. Der Uteruskörper zeigt häufig im Anfang des Klimakterium infolge eines gesteigerten Blutgehaltes eine Volumzunahme. Dann folgt eine konzentrische Verkleinerung. Die das geschlechtsreife Organ auszeichnenden Vorwölbungen und Abrundungen der Kanten treten zurück (Chrobak und v. Rosthorn?). Die ‘) Ballantyne und Williams, The histology and pathology of the Fallo- pian tubes. The british med. Journal for 1891 Vol. I. — °) Chrobak und v. Rosthorn, Die Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane, Wien 1900, Alfr. Hölder, 1. Teil, $. 216. 204 Wechseljahre. — Anatomische Veränderungen. Wand wird dünner, die Höhle enger und kürzer. Im Greisenalter erreicht der Uterus wieder die Größe wie kurz vor der geschlechtlichen Entwickelung. Das Gewicht sinkt auf 20 bis 30g, die Sondenlänge auf Sem und weniger. Die Cer- vix nimmt besonders stark an Größe ab, sie wird kürzer, dünner und fühlt sich bald hart, bald schlapp an. Die Portio vaginalis ragt oft kaum noch in die Scheide hinein. Im hohen Greisenalter kann sie ganz verschwinden, so daß die Scheidenkuppel in einem trichterförmigen Ansatz am Collum uteri endigt. Mit dem Mikroskop erkennt man als Ursachen dieser Schrumpfung Gefäß- degenerationen, Schrumpfung des Bindegewebes und Schwund der Muskulatur. Mit eintretendem Wechsel nimmt in der Substanz des Uterus die Musku- latur allmählich ab. Im den sechziger Jahren wird ungefähr das Verhältnis von Muskulatur zu Bindegewebe wie beim Kinde erreicht; von der Gesamtmasse des ERS a 0 20 Sara, 07 DET EBEN, = fr) N‘ Ks Uterusschleimhaut bei einer 60jährigen Frau. — 0. Öberflächenepithel. Dr. Drüsen. M. Muskulatur. Myometriums rechnet man bloß 20 bis 30 Proz. auf die Muskulatur (Theilhaber!). Die Wand besteht um diese Zeit vorwiegend aus fibrösem Bindegewebe, welches dem Querschnitt eine derb sehnige Beschaffenheit und eine grauweiße Farbe ver- leiht. Die elastischen Fasern finden sich reichlich (Pick). Die Arterien zeigen häufig hyaline Degenerationen ihrer Muscularis. Auch Verkalkungen und Obli- terationen der Gefäße begegnet man nicht selten (Gebhard). Bei 60- bis 80 jäh- rigen Frauen fand Schwarz’) eine starke Angiosklerose mit einer bedeutenden Zunahme des elastischen Gewebes der Gefäßwand. ; Die Atrophie der Schleimhaut beginnt mit einer beträchtlichen Zu- nahme der Spindelzellen, welche derbe, parallel zur Oberfläche verlaufende !) Theilhaber, Beitr. z. Lehre von den Erkrankungen des Mesometriums Monatschr. f. Gyn. 14, 813. — °?) Gebhard, Pathol. Anatomie der weiblichen Sexualorgane. Leipzig, 8. Hirzel, 1899, 8. 9. — °) Revue de gynecologie 7, Heft 2 bis 4. Wechseljahre. — Anatomische Veränderungen. 205 Züge bilden. Die Dicke der Schleimhaut vermindert sich bedeutend, die Epi- thelien verlieren ihren Wimperbesatz und flachen sich ab (Fig. 78). Die Drüsen nehmen an Zahl ab, und manche verwandeln sich durch Obliteration ihrer Wan- dungen in kleine Cystchen. Durch streckenweises Zugrundegehen des Ober- flächenepithels kann es auch zur Verwachsung aneinanderliegender Schleim- hautflächen und zur Öbliteration der Uteruslichtung kommen. Am häufigsten verkleben auf diese Weise die Wände am Orificium internum. Manchmal wird da- durch eine Sekretstauung (Pyometra senilis) hervorgerufen. Mit dem Uterus zugleich atrophiert auch sein Bandapparat. Die Muskelfasern verschwinden aus den Ligamenta teretia, sacro-uterina und lata. Dazu gesellt sich eine Schrumpfung des gesamten Beckenbauchfelles. Die Bänder erscheinen dadurch kürzer und die Ercavatio vesico-uterina und recto-uterina flacher (Fritsch'). Die Scheide zeigt im Anfang des Wechsels ähnlich wie der Uterus fast regelmäßig eine starke Hyperämie. Die Blutfülle schwindet nach und nach durch Verödung der Gefäße (Börner”). Da dies an einzelnen Stellen früher als an anderen geschieht, so entsteht ein charakteristisches marmoriertes Aussehen. Dunkelrote Flecke wechseln mit ganz blassen Zwischenpartien ab. Zu diesen Zirkulationsstörungen gesellen sich nicht selten leichte chronische Entzündungs- m da Scheidenschleimhaut bei einer 61jährigen Frau. — Pl. Plattenepithel. zustände (Colpitis senilis haemorrhagica sive adhaesiva vetularum), die mit Epithel- verlusten und ganz leichten Blutungen einhergehen und zu Verklebungen, Ver- wachsungen und Strikturen führen können. Mit oder ohne diese Colpitis kommt es allmählich zu einer partiellen oder allgemeinen Schrumpfung. Das Scheidenrohr wird enger, kürzer, unelastisch, derb und läuft unter Abflachung der Scheidengewölbe nach oben konisch zu. Die Schleimhaut verliert nach und nach ihre Falten und zeigt eine fahle, graue, manchmal auch mehr gelbliche, verblichene Färbung und eine welke Be- schaffenheit. Mikroskopisch läßt sich Verdünnung des Plattenepithellagers, Abflachung der Papillen (Fig.79), Spärlichwerden der Muskulatur, Armut an Gefäßen, aber Reichtum an elastischen Fasern [Obermüller‘®), Schenk *)] nachweisen. Der Introitus vaginae zeigt die gleichen Schleimhautsveränderungen wie die Scheide selbst. Die großen und kleinen Schamlippen werden im Klimakterium und be- sonders im Greisenalter flacher. Fett- und Haarschwund an den äußeren Genitalien sind Teilerscheinungen der allgemeinen senilen Involution des Organismus. !) Fritsch, Die Krankheiten der Frauen. Leipzig, S. Hirzel 1901, S. 563. — >) Börner, 1. ce. — °) Obermüller, Inaug.-Diss., Freiburg i. B. 1899. — =) F. Schenk, Über elastische Gewebe in der normalen und pathologisch ver- _ änderten Scheide. Verhandl. d. deutschen Gesellsch. f. Gyn. Gießen 1901, 8.505. 4 206 Wechseljahre. — Anatomische Veränderungen. Mit den Rückbildungsprozessen an den Genitalien geht auch eine mehr oder weniger vollständige Schrumpfung des Brustdrüsengewebes Hand in Hand. Eine manchmal gerade in späteren Jahren zur Geltung kommende vollere Form der Brust hat in einer stärkeren Fettablagerung ihren Grund (Fettbrust, Fleischbrust). Wenn unsere Erfahrungen über die feineren anatomischen Veränderungen in den Sexualorganen älterer Frauen, insbesondere in den Övarien, auch noch sehr große Lücken aufweisen und wir vor allen Dingen über den Zeitpunkt, wann die ersten Abweichungen auftreten, noch recht wenig unterrichtet sind, so ergänzen Experiment und Pathologie doch unser Wissen in bezug auf die Ursache des Wechsels hier in glücklicher Weise. Börner!) warnte noch davor, zu viel von den Erscheinungen im Klimakterium den Veränderungen in den Genitalien zuzuschreiben. Heute sind unsere Kenntnisse über das Verhältnis des Sexualapparates zu dem übrigen Organismus so weit gediehen, daß wir alle klimakterischen Erscheinungen auf den Ausfall der Keim- drüsenfunktion beziehen dürfen. Vielfache Erfahrung lehrt uns, daß im geschlechtsreifen Alter die Kastration oder die krankhafte vollständige Degeneration der Eierstöcke alle jene anatomischen Veränderungen in den Genitalien und alle funktionellen Störungen in der Genitalsphäre und im übrigen Organismus hervorrufen können, welche dem natürlichen Ausfall der Eierstocksfunktion auf dem Fuße folgen ?2). Wie man das Reifen der ge- schlechtlichen Fähigkeiten mit dem: Erwachen der Eierstocks- tätigkeit in Zusammenhang bringt, so ist man auch berechtigt, das Erlöschen der Geschlechtsreife von dem Aufhören dieser Funktion abhängig zu machen. Über die Vermittelung dieser Einflüsse vom Eierstock auf die übrigen Genitalien und den Gesamtorganismus gilt das in dem Kapitel über die periodischen Veränderungen in der Geschlechtsreife Gesagte. Über dem Eierstock steht freilich noch eine unbekannte Kraft, welche wir seine Funktionen auslösen, regulieren und ihnen im geeigneten Augenblick Einhalt gebieten sehen. ) 1. ec. — ?) Alterthum, Die Folgezustände nach Kastration und die sekun- dären Geschlechtscharaktere. Beitr. z. Geb. u. Gyn. 2 (1), 13. Dort weitere Literatur. Glaevecke, Körperliche und geistige Veränderungen im weiblichen Organismus nach künstlichem Verlust der Ovarien einerseits und des Uterus an- dererseits. Arch. f. Gyn. 35. Die Absonderung und Herausbeförderung des Harnes von R. Metzner. Größere zusammenfassende Darstellungen der Nierentätigkeit zum Teil mit Aufstellung besonderer Theorien liegen vor von: Bowman, Philos. Transact. 1, 57, 1842. Ludwig, a) Wagners Handwörterbuch 2, 628 ff., 1844. b) Lehrbuch d. Physiol., 2. Aufl., 2, 373 u. 418, 1861. c) Strickers Handb. d. Lehre von den Geweben 1, 489 ff., 1871. (Anat.) Heidenhain, R., Hernıanns Handb. 5, 279 ff., Leipzig 1883. Starling, Schäfers Textbook 1, 639 ff., London 1898. Köppe, H., Handb. d. Urologie von v. Frisch u. Zuckerkandl (Wien 1903). Spiro u. Vogt, Ergebnisse d. Physiol. 1 (1), 414 ff. (Wiesbaden 1902). Die Niere. Erster Teil: Die Anatomie und Histiologie der Niere (einschl. der histio-physiologischen Versuche). In neuester Zeit hat die Anatomie der Niere eine zusammenfassende Bearbei- tung erfahren durch J. Disse: Handb. d. Anat. d. Menschen 8, hrsg. v. Bardeleben, Leipzig u. Jena 1902. Ebner: Köllikers Handb. d. Gewebelehre 3 (Leipzig, Engelmann, 1899). Die uns gestellte Aufgabe sowohl als der beschränkte Raum gestatten nur dasjenige hier anzuführen, was seit Heidenhains Bearbeitung an neuen, ein Verständnis der Funktion des Organs fördernden anatomischen Befunden erhoben worden ist. I. Gewundene Harnkanälchen (Tubuli contorti, Rindenkanälchen). (Was hier von den Zellen der Tub.cont. gesagt ist, gilt zum großen Teile auch für die Zellen der aufsteigenden Schleifenschenkel und des Schaltstückes; beide stehen sich wohl funktionell sehr nahe. Manche Autoren (z. B. Theohari!) ‘) Structure fine des cellules glandulaires ete., Paris 1900. 208 Bau der Rindenkanälchen. betrachten beide Epithelien als vollständig gleichartig in Bau und Leistung, was mir nicht zutreffend erscheint. Die Abweichungen siehe unten bei den Zellen der aufsteigenden Schleifenschenkel.) Die sehr langen (beim Menschen etwa 3mm langen), mit der Entfernung vom Glomerulus ab an Dicke zunehmenden Rindenkanälchen bilden ihre Windungen aus kurzen Stücken, die mit scharfen Umknickungsstellen sich zum geschlängelten Rohr zusammenfügen. Ihre Membrana propria ist nicht strukturlos, sondern dieselbe ist, wie Mall!), Rühle 2), Disse (l. c.) fanden, ein aus einem Netzwerk feiner Fäden gewobener Schlauch; die Fäden hängen ihrerseits wieder mit dem Reticulum des Nierenstroma zusammen (s. u.). Das Epithel der Rindenkanälchen ist bekanntlich in den einzelnen Abschnitten verschieden: In der Kapsel des Glomerulus dient als Auskleidung glattes Fig. 80. Verbindungskanälchen Vas efferens —— Tubul. cont. Markstrahl Schaltstück -Kapsel des Glomerulus +— Endstück Arterie Grenze zwischen Mark und Rinde Sammelrohr : \ Henlesche Schleife Ductus papillaris —- Papille Schema eines Rindenlappens, der aus Mark und Rinde besteht. Lage der einzelnen Abteilungen eines Harnkanälchens (nach Disse). Endothel, im Halse erhebt es sich zu kubischem, im eigentlichen Rinden- kanälchen zu einschichtigem, zylindrischem Epithel. Die Grenzen der Zellen sind an dem äußeren Blatte der Glomeruluskapsel leicht zu erkennen; am Gefäßblatte nicht (s. später beim Glomerulus); nur undeutlich oder gar nicht im Tub.contortus. Doch läßt Silberbehandlung die Grenzen durch Schwärzung einer Intercellularsubstanz hervortreten. Die Grenzen zeigen wohl hie und da welligen Verlauf, aber Böhm und Davidoffs „Riffstruktur* ist durch Mitschwärzung von „Stäbchen“ (s.u.) entstanden (Ebner l.c.). Der feinere Bau der Epithelzellen der Rindenkanälchen ist nicht leicht zu studieren, da es wohl wenige Organe gibt, deren Zellen nach Aufhören der Zirkulation so rasch und einschneidend verändert werden wie die Nierenepithelien. Mit diesen meinen Erfahrungen stimmen die von Disse, Sauer, Theohari '!) Abhandl. d. 8. G. d. W., math.-ph. Kl, 17 (1891), Nr. 4. — ?) Arch. & (Anat. u.) Physiol. 1897. EEE PEEEIEDS Bau der Rindenkanälchen. 309 und anderen gut überein. An unmittelbar nach dem Töten des Tieres mit geeigneten Reagenzien fixierten und gefärbten Nieren sieht man, daß die basale „Stäbehenstruktur“ Heidenhains nichts anderes darstellt als Körner- reihen, die senkrecht zur Membrana propria stehen. Altmann!), Roth- stein?) u. a. haben dies zuerst nachgewiesen: frische Präparate, d. h. dünne Rasiermesserschnitte des noch warmen Örgans, in Amniosflüssigkeit unter- sucht, lassen die granuläre Struktur der sog. „Stäbchen“ deutlich erkennen. Fetttropfen liegen häufig zwischen den Körnerreihen. | Sind alle Autoren einig betreffs der granulären Struktur der Stäbchen, so differieren die Meinungen noch über die Frage, ob diese Körnerreihen in eine Masse eingebettet, zu stäbchenartigen Gebilden zusammengefaßt sind (Ebner u. a.) oder aufgereiht auf Cytoplasma- (Spongioplasma-)Fäden (Disse). Ich finde an guten Osmiumpräparaten die Körnchen (fuchsinophile Granula) gleichsam an einen Doppelfaden gereiht, ganz ähnlich beschreibt Sauer °) die Anordnung an seinen Präparaten (Fixierung in Carnoy-Gehuchtens Gemisch). Arnold), welcher dieser Frage bei seinen „vitalen und supravitalen“ Fär- bungen (s. unten) besondere Aufmerksam- keit schenkte, fand, ähnlich wie bei den eosinophilen Granulationen der Leukocyten, nach Methylenblautinktionen die basalen dunkelblauen Granula in lichtblaue Stäb- chen eingebettet, sofern nur die Färbung lange genug fortgesetzt wird. In neuester Zeit haben Th£ohari (l.c.) und Ferrata ’) durch Hermannsches oder Flemming- sches Gemisch in den Nierenzellen ein nd. Oerehneeeen Cytoplasmanetz dargestellt, welches Längs- Rindenkanälchens. maschen bildet, deren größte Erstreckung Zustand der Anure. Zeiß Apschr, 2m. von der Basilarmembran zum Zellsaume eu. 6. Nach Sauer, archiv f. mikr. läuft und in dessen Fäden fuchsinophile Granula liegen. Benda6) rechnet die „Stäbchen“ den Mitochondria zu; für die von ihm angenommene Kontraktilität liegt aber kein sicherer Anhalt vor. Auf der dem Lumen zugekehrten Fläche tragen die Zellen den von Nußbaum’) entdeckten Bürstensaum; dieser ist nach der Ansicht von Lorenz, Sauer (l. c.), Tribondeau, Renaut, Regaud und Policard u.a. eine konstante Bildung und zeigt feinste Härchen, die auf einer bei Hunden (siehe Fig. 80a) sehr deutlichen Körnerreihe aufsitzen. Meine Präparate vom Kätzchen zeigen gleiche Bilder, wie Sauer sie gibt: der Eindruck ist für mich deutlich derselbe wie der, den man von dem Saume der Darmepithelien Fig. 80 a. !) Elementarorganismen, Leipzig 1890. — ?) Biologiska Förenings Forhand- Imgar 3 (1891), zit. n. Ebner. — °) Arch. f. mikr. Anat. 46 (1895). — “) Virchows Arch. 164, 1#f., 1902 u. Anat. Anz. Nr. 15, 21, 417 ff., 1902. — °) Arch. di Fisiol. ital. 2, 581 ff, 1905. — °) Verh. d. anat. Ges. XVII. Versamml. Heidelberg 1903 u. Merkel-Bonnet, Ergebn. d. Anat. 12 (1902). — 7) Pflügers Areh. 16 (1878). Nagel, Physiologie des Menschen. I. 14 310 Bau der Rindenkanälchen. erhält. Diese Struktur des Bürstensaumes tritt aber nicht immer mit gleicher Deutlichkeit hervor je nach dem Tätigkeitszustande der Niere, bzw. je nach der Natur des Fixierungsmittels. Untersucht man Nieren in herabgesetzter Tätigkeit, z. B. von Säugern nach Trockenfütterung — wobei zu bedenken, daß die einzelnen Kanälchen unabhängig voneinander und ungleichzeitig tätig sind, was schon aus v.Wittichs und Heidenhains Versuchen hervorgeht, und von den neueren Untersuchern durchaus bestätigt wird —, so findet man (s. Fig. 50a) viele Kanäl- chen mit spaltförmigem Lumen, hohen Epithelzellen ohne erkennbare Grenzen, der Zellsaum ist dunkel, anscheinend homogen (Disse) oder ganz leicht gestreift (v. d. Stricht, Theohari, Sauer). Bei winterschlafenden Fledermäusen (Disse!), deren Harnsekretion vollständig ruht, findet man in den anämischen Nieren diese engen Kanälchen fast aus- schließlich: sie sind daher auch wohl als Ruhestadien aufzufassen. (Genauer wäre die Bezeichnung „relative Ruhestadien“, nämlich in Beziehung auf die fehlende Harn- absonderung der Niere; eine innere Tätig- keit der Zellen soll damit nicht ausgeschlossen werden (siehe unten). Bei den wachen Fleder- mäusen — ebenso bei den tätigen Nieren anderer Tiere — trifft man dagegen neben den engen Kanälchen viele derselben mit weitem Lumen, niedrigen Epithelzellen, deren Protoplasma keine hellere Innenzone besitzt, aber einen sehr deutlichen Bürstensaum (s. Fig. 81). Nach Rothstein, v.d.Stricht, Hund. Querschnitt eines gewundenen P188e sollen die Körnerreihen des Zellproto- Rindenkanälchens. plasmas sich gegen das Lumen erstrecken Sekretion maximal gesteigert. Epithel a € « . niedrig, Lumen weit. Zeiß Apochr. 2 mm, und so den „Bürstenbesatz bilden. Ich Deul, 6. Nach Een mikr. Anat. gelbst habe an sehr gut konservierten Os- miumpräparaten die granuläre Struktur des Bürstenbesatzes niemals erkennen können. Ich sah nur feinste Härchen, die auf einer Körnerreihe aufsaßen, ganz wie am Darm. Gurwitsch?) gibt in Fig. 9, Taf. 1 vom Frosch ein Bild, das in dieser Beziehung mit den meinigen (Kätzchen) übereinstimmt, ebenso mit Sobieranskys°) Fig.1 und 3 auf Tafel II. Sauer (l.c. s.a. beist. Fig.) spricht sich eben- falls entschieden für echte Härchenstruktur des Besatzes aus, ebenso Theohari, Ferrata, Policard u. a. Nicolas#), der die Fußkörnchen der Bürstenhärchen Zuerst beschrieb, glaubte, daß diese Härchen auch insofern den Wimpercilien glichen, als jedes eine fibrilläre Fortsetzung in den Zellleib habe, aber nach Benda’) ist dies nicht der Fall. Solche weite Kanälchen traf Sauer an Säugernieren besonders dann zahlreich an, wenn starke Harn- absonderung vorhanden gewesen war (experimentelle Kochsalzdiurese),,. Wenn ') 1. ec. und Marb. Sitzungsber. 1900, Nr. 4. — ?) Pflügers Arch. 91 (1902). — ®) Ebenda 98 (1903). — *) Compt. rend. soc. de biol. 5, Serie 8, 1888 und Int. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. 8, 279 ff., 1891 (zit..n. Sauer). — °) Verh. d. Anat. Ges. XVII. Vers. Heidelberg 1903. Bau der Rindenkanälchen. 211 somit an den hohen Zellen der engen Kanälchen die innere Begrenzung oft homogen aussieht, so ist das noch kein Beweis, daß dieser homogene Streifen nicht den Bürstensaum darstellt, daß er, wie Disse (l. c.) will, hier fehle. Ich finde unter der homogenen Zone immer die Punktreihe der Fuß- körnchen (sie färben sich an Osmiumpräparaten scharf mit Säurefuchsin) und betrachte diesen Befund als einen sicheren Beweis der Konstanz des Bürstensaumes. Ein Hindurchtreten von Sekret kann an solchen fixierten Objekten sehr wohl eine Art Verklebung der Härchen bewirken und dadurch die scheinbare Homogenität des Saumes bedingen. Hier müssen neue Unter- suchungen eine Aufklärung bringen. Übergangsformen zwischen beiden Zelltypen finden sich immer, wobei Formen mit stark vorgetriebener Zellkuppe nicht selten sind (Sauer an Säuger- nieren mit mäßiger Sekretion (Fig. 32). Bei entsprechender Fixation sieht man in diesen meist hellen Kuppen so- wobl, als überhaupt im supranucleären Raume der meisten Zellen Körner von wechselnder Größe. Diese Körner in Verbindung mit den basalen Granula- reihen spielen in den neueren Unter- suchungen über die Tätigkeit der Niere eine große Rolle; es soll daher etwas näher auf sie eingegangen werden. Indes die feinkörnigen Granula- fäden im basalen Teile der Zelle sich befinden, liegen vornehmlich neben und über dem Kerne — hier und da eine Corona um ihn bildend (Ferrata) — bis zum Bürstensaum, oft auch ver- P : a Ratte. Querschnitt eines gewundenen Rinden- streut zwischen den Basalreihen größere kanälcheng: Granula (oder Vacuolen) von wechseln- Sekretion gering. Zeiß Apochr. 2mm, 0c. 6. 5 N Nach Sauer, Arch. mikr. Anat. 46 (1895). der Gestalt. An fixierten Präparaten färben sich die einen mit Eisenhämatoxylin, Weigerts Markscheidenfärbung, Safranın und Säurefuchsin, andere werden lebhaft von Methylgrün tingiert. Nach Theohari liegen sie innerhalb der Maschen des Cytoplasmas und spielen bei der sekretorischen Tätigkeit der Nierenzellen eine Rolle. Ferrata (l. ec.) und Tribondeau!), die, wie eine ganze Reihe von Autoren (siehe unten), diese Meinung teilen, lassen diese Granula dem Kern entstammen; und zwar schlüpft nach letzterem der Nucleolus heraus und bildet das „grain urinaire primordial“, aus dem dann die supranucleären Körner ent- stehen; nach Ferrata leiten sich die einen aus dem Chromatin, die anderen aus den acidophilen Kernkörpern ab. Da eine Beteiligung des Kerns an den Sekretionsvorgängen noch strittig und vor allem der Modus derselben noch wenig erkundet ist, so mag diese Angabe hier undiskutiert bleiben, hingegen lassen die Beobachtungen über die granulären Protoplasmaeinschlüsse an frischen Präparaten sich unschwer in einen Zusammenhang bringen mit den ') Compt. rend. soe. de biol. 54, 131 %., 1903. 14* 312 Versuche mit Farbstoffinjektionen. Beobachtungen über die Ausscheidung körperfremder gefärbter Substanzen durch die Nieren. R. Heidenhain') sah nach intravyenöser Einführung von Indigkarmin mit nachträglicher Salzfällung (K Cl) und Fixation durch absoluten Alkohol die Körper- gewebe nur blaßblau, die Nieren aber dunkelblau gefärbt. Die Untersuchung der Niere zeigte die Glomeruli farblos, die supranucleäre Zone der Rindenkanalzellen aber lebhaft gefärbt, ebenso die Zellen der aufsteigenden Schleifenschenkel; dabei wech- selten gefärbte und ungefärbte Rindenpartien ab, für Heidenhain ein Beweis, daß die Kanälchen alternierend funktionieren. Der Farbstoff fand sich ebenso in der Lichtung der Kanäle in amorphen Massen, und zwar überall auch dort, wo, wie in den absteigenden Schleifenschenkeln, die Epithelien ganz ungefärbt waren. Wird der Versuch am künstlich respirierten Tiere mit durchschnittenem Hals- mark ausgeführt, so zeigen sich, trotz völligen Sistierens der Harnabsonderung, nach 10 Minuten die Kanälchenzellen blau, sehr wenig Farbstoff im Lumen; nach 1 Stunde sind die Zellen entfärbt, die Lumina mit Indigkarmin gefüllt. Heiden- hain schließt daraus, daß die Glomeruli keinen Farbstoff absondern, daß nur die Zellen der Rindenkanälchen durch echte Sekretion ihn abscheiden. A. Schmidt’) hat den Ort und die Art und Weise der Karminabscheidung studiert; er hebt hervor, daß die Injektionen von Karminsuspensionen, wie sie Chrzonszcewsky und v. Wittich benutzten, zu Trugschlüssen führen. Die feinen suspendierten Körnchen passieren doppelte Filter, daher auch die Glomeruli, und finden sich dem- entsprechend auch in den Bowmanschen Kapseln wieder. Daß es sich dabei um Farbkörnchen und nicht um organisierte Granula, welche den Farbstoff gespeichert haben, handelt, läßt sich nach Schmidt (l. ec. S. 52) leicht nachweisen, da sie unter dem Mikroskop bei schwacher Vergrößerung schwarz erscheinen, hingegen die unten zu erwähnenden, in den Rindenepithelien liegenden Körner deutlich rot. Schmidt injizierte nun Kaninchen echte, durch Absitzen erhaltene und unter dem Mikroskop auf Körnerfreiheit geprüfte Lösungen von karminsaurem Ammo- niak (auch Natron- und Lithionkarmin lassen sich gut verwenden); er erhielt den Farbstoff gelöst im Harn. In den durch Kochen (Posner) fixierten Nieren sah er bei schwacher Vergrößerung eine feine Karminbestäubung der Zellen in den Tub. contort. an ihren supranueleären Teilen. Starke Vergrößerung zeigte den _ freien Rand des Bürstenbesatzes, bei reichlicher Ausscheidung auch den inneren Saum, sowie die daran grenzende Schicht des Zellprotoplasmas von roten Körnern besetzt; sie lagen auch zwischen den Bürstenhärchen, wo sie dann (l. c. S. 50), „in einer senkrechten Reihe angeordnet, beide Grenzen zu verbinden schienen“ (der Saum selbst schien immer schwach diffus gefärbt, ein Befund, den aueh Arnold mit Lithionkarmin [siehe unten] erhob). Im den Henleschen Sehleifen lagen die Körner zu größeren Massen zusammengeballt im Lumen. An frischen Nieren ließ sich leicht zeigen, daß die roten Körner nicht einfach Farbstoffpartikel sind, denn weder Wasser- noch Kochsalzlösungzusatz änderten etwas an dem Bilde; die rote, nicht schwarze Farbe der Gebilde zeigt, daß sie den Farbstoff verdünnt enthalten. Löst man nun die Körner in dünner Ammoniaklösung langsam auf, so werden sie allmählich blasser, behalten aber Form und Größe bei. Eine organische Grund- substanz (Granulum) hat also den Farbstoff gespeichert; daß sie dies neben Karmin zugleich mit Methylenblau kann, hat Schmidt (l. ec.) noch besonders konstatiert. (Nebenher sei erwähnt, daß auch in den Leukocyten des strömenden Blutes, vor allem aber der Milz nach Schmidt eine Speicherung des Farbstoffes in Form roter Schollen sichtbar wurde.) Ob im „Bodensatz“ des Harnes — welcher im übrigen eiweißfrei blieb — der ja den Farbstoff in Lösung enthält, die „Schatten“ der Granula zu finden sind, hat Sehmidt nicht untersucht (]. e. 8. 53). In den Nieren von mit Natronkarmin behandelten Fröschen erfüllten die roten Körner den ganzen supranucleären und circumnucleären Raum der Zellen des Halsstückes und den der oberen Partie des zweiten Abschnittes (s. u. Gaupp); diese blaßroten Granula sind bedeutend größer als die farblose übrige Körnune der ‘) Neben früheren Arbeiten s. Hermanns Handb. 5, 1; dort auch die Lit. bis 1883. — ?) Pflügers Arch. 48, 34ff., 1891. Versuche mit Farbstoffinjektionen. il Zelle. Der Bürstensaum war nur hier und da gefärbt, ganz spärliche Körner fanden sich im Lumen, wohl nach Schmidt die Folge des raschen, durch die Wimpern beschleunigten Wasserstromes; in tieferen Abschnitten fanden sich die Körner reichlich. In den Ausführungseängen waren außer den im Lumen lieren- den großen Körnermassen häufig Reihen von roten Körnern zwischen den Epithel- zellen zu treffen, auch manche Zellen ganz mit Farbstoff imbibiert, ein Zeichen, daß sie abgestorben waren. Ob diese Bilder, ebenso wie die Zusammenballune in den Schleifen und Sammelröhren der Säugerniere als Folge einer Resorption und Eindickung des Harns zu deuten sind, will Schmidt nicht entscheiden. Ribbert!) hat Schmidts Befunde bestätigt und dahin erweitert, daß sowohl Karmin als Indiekarmin granulär im supranucleären Protoplasma der Tub. cont., sowie der aufsteirenden Schleifensehenkel und Schaltstücke zur Abscheidung kommen. Ar- nold (l. ec.) hat durch subcutane, alle 10 Minuten wiederholte Injektionen von Indigkarmin (l1cem gesättigte Lösung pro dosi) bei Mäusen an den frischen, nicht postmortal veränderten — denn Protoplasma und Kern waren farblos — Zellen der Tub. cont. die innere, supranucleäre Zone mit feinen blauen Körnern erfüllt eefunden; ebenso gebläute Körner im Bürstensaum, ferner stellenweise massenhafte Farbansammlung im Lumen. Aber auch wo letztere fehlte, waren die intracellulären Körner vorhanden. Die übrigen Teile der Zelle — Kerne, Körnerstäbehen — waren immer ungefärbt. Lithionkarmin gab Ähnliche Resultate wie bei Schmidt und Ribbert. Daß auch in den Glomeruluskapseln sich Farb- stoffabscheidunge findet, kann naeh Arnold (S. 422) dureh Rückstau oder Ver- änderungen der Glomerulusschlingen erklärt werden (s. später Höber und Königsberg). Mit exquisit lipoidlöslichen, vitalen Farbstoffen, nämlich Methylen- blau und Neutralrot, fanden sich nach subeutaner Injektion ebenfalls die Granula im supranucleären Teil der Zelle gefärbt; nach einiger Zeit kommt bei Methylenblau auch eine diffuse Färbung der „Körnerstäbehen“ zustande. Arnold hat weiterhin postvitale Färbungen an Nieren vorgenommen, die dem eben getöteten Tier entnommen, in dünne Scheiben zerschnitten und in sehr dünne Lösungen von Neutralrot oder Methylenblau eingelegt wurden. Die Färbung trat auch hier in den dem Lumen der Kanäle benachbarten Zellteilen als granu- läre Speicherung auf; später mit dem Absterben der Zellen wurden auch die basalen Körnerfäden, wie schon oben erwähnt, tingiert. Die verschiedene Disposition zur Farbspeicherung der einzelnen Kanälchen, wie sie von allen Autoren bei vitaler Färbung bemerkt wurde, trat aber auch bei den Arnoldschen supravitalen Tink- tionen ausgeschnittener Nierenstücke hervor; die rasche, elektive Granulafärbung zeigte sich immer nur an einzelnen Kanälchen. Sie ist also wohl in einer verän- derten Natur der Protoplasmaelemente begründet. OÖ. Schultze’?) und Kühn’) haben mit Methylenblau an Amphibien die Farbspeicherung in Granulis der Nieren- epithelien erhalten; Kühn machte dabei die Beobachtung, daß die Granula der Blutkörperehen in der Leber ebenfalls sich bläuten ; die Granula der Leberzellen selbst dagegen nur dann, wenn eine Überhäufung der Niere mit Farbstoff vorhanden war. Ich selbst habe an Nieren von Kaninchen, denen Methylenblau intravenös infundiert war, die starke Tinktion großer, supranucleärer Granula der Rindenkanälchen be- obaehtet, aber die Zellen starben sehr rasch ab, so daß nach ganz kurzer Frist die diffuse Bläuung einsetzte. Höber u. Königsberg‘) erhielten mit Neutralrot oder Toluidinblau (vitalen Farben) nur diffuse Färbung. Interessant sind auch die Beobachtungen von Regaud und Polieard°) an den Nieren von Ophidiern. Hier, wie bei den Amphibien bleiben die isolierten Zellen lange genug lebend, um gute vitale Färbungen vornehmen zu können. Es zeiste sich, daß alle Zellen, welche einen Bürstensaum tragen, Granula enthalten, die sich mit Neutralrot fast augenblicklich elektiv färben. Die hohen Zellen der Kanälchen mit engem Lumen weisen zahlreiche große, tiefrot gefärbte Körner auf; bei den Kanälchen mit weiter Lichtung haben die niedrigen Zellen nur spärliche kleine Körnchen (als Mittel- ‘) Die normale und pathol. Physiol. u. Anat. d. Niere: Bibl. med., Kassel 1896, Abt. C. H. 4. — ?) Anat. Anzeiger 2, 684 ff., 1887. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1890, 8. 11. — *) Pflügers Arch. 108, 323 ff., 1905. — °) Compt. rend. soe. de bio]. 54, 131, 1902. 214 stadien betrachten Regaud und Policard Vacuolen (bzw. Granula) in den Epithelien. solche mit mitteleroßen Granulis, von denen aber viele ungefärbt sind). Preßt man die Körner aus frischen Zellen heraus und fügt dann Neutralrot hinzu, so färben sie sich nicht; das vitale Elektions- Fig. 82 a. Sammelrohr, in den Ductus deferens mündend III. Nieren- körperchen DV: Ein Harnkanälchen aus der Niere von Rana escu- lenta, nach Maceration in Salzsäure isoliert. Nach M. Nußbaum. I. Abschnitt —= flimmerndes Halsstück. II. Ab- schnitt — ZEpithelzellen mit Bürstensaum, Va- cuolen usw. (entspr. Tub. cont.).,. NIDII. Abschnitt wie I. IV. Abschnitt = Zellen mit basalen Körner- stäbehen, ohne Bürstenbesatz (entspr. aufsteig. Schleifenschenkel). V. Abschnitt —= gehört schon zu den ausführenden Kanalabschnitten. Fig. 32 b. Prem ae NENDLLUNLNN! on. = ie) oO ie} {9} a7 72 z or ., 9998 | 2 (L 2092 | DATE Zellen aus Rindenkanälchen (II. Abschnitt) der Froschniere. Verschiedene Sekretionsstadien nach Toluidinblau- fütterung. Fixierung in Sublimat, nachträgliche Molybdänierung, Nachfärbung mit Rubin. (Zellleib diffus rosa; die dunklen Körner der supra- und perinucleären Zone blau. Die hellen Vacuolen mit blauen Ringen von ausgefälltem Toluidinblau. Nach Gurwitsch, Pflügers Arch. 91 (1902), Taf. I, Fig. 6 und 8. vermögen ist also wohl einerVacuolen- haut eigen, -in welche die Körner im Zellplasma gebettet sind. Gegen Gurwitsch (siehe unten) bzw. Over- ton glauben Regaud und Policard anführen zu können, daß die Fett- körnchen, die man in den Zellen der Schlangennieren besonders häufig findet, niemals Neutralrot aufnehmen, obwohl doch die lipoiden Substanzen die elek- tive vitale Farbspeicherung bedingen sollen. Dagegen beobachtete Tribon- deau, daß bei Schlangennieren die in den Maschen des ÜOytoplasmanetzes liegenden, sich mit Osmium leicht schwärzenden Tröpfehen auch daneben Farbstoff aufnehmen; gleiche Befunde erhob Gurwitsch (siehe unten). Ist aus den vorstehenden Be- funden an einem Vorkommen von Granulis oder Vacuolen mit elek- tivem Vermögen nicht zu zweifeln und haben einige der genannten Autoren sowohl auf Verschieden- heiten des Chemismus dieser Gebilde hingewiesen, als auch aus ihrem Verhalten auf eine sekretorische Tätigkeit der Rindenkanälchen ge- schlossen, so hat doch nur Gur- witsch!!) versucht, in eingehenderer Weise Unterschiede der Granula (bzw. Vacuolenarten) festzustellen und ihre physiologische Bedeutung klarzulegen. Ausgehend von den Versuchen Pfeffers und ÖOvertons über das Speicherungsvermögen der Vacuolen, und speziell fußend auf der Feststellung Overtons?), daß nur diejenigen Stoffe — zu denen auch die „vitalen“ Farb- stoffe gehören — in lebende Zellen ein- zudringen vermögen, welche mehr oder weniger in den lipoiden Substanzen, d.h. Fetten, Cholesterin, Leeithin, löslich sind, hat Gurwitsch durch Verfütterung von Toluidinblau an Trocken- frösche eine Färbung der Vacuolen bzw. granulären Gebilde in den Nieren- zellen erzielt — bei völliger Farblosigkeit der übrigen Zellteile — so wie sie oben !) Pflügers Arch. 91, 71#f., 1902. — ?) Ich kann an dieser Stelle jedes Ein- gehen auf diese Erscheinungen unterlassen, da dieselben in einem besonderen Ab- schnitte dieses Handbuches durch Overton behandelt werden. Vacuolen (bzw. Granula) in den Epithelien. 215 an Hand der Resultate anderer Forscher eingehend geschildert wurde. Die Speicherung ‘des Farbstoffes, der ja hier vom Darme aus, also nur sehr all- mählich in den Säftestrom gelangte, zeigte, daß diese Granula Substanzen mit einem hohen Teilungskoeffizienten für den Farbstoff enthalten; es ließ sich auch hier nachweisen, daß er in ihnen in Lösung war, denn der Farbenton entsprach ‘dem einer solehen; erst Molybdänfällung nach geeigneter Vorbehandlung zeigte den Farbstoff körnig und in der violetten Nuance des festen Zustandes. Nach dem Befunde von osmierten Präparaten stellte Gurwitsch nun in den Zellen des I. Abschnittes der Nierenkanälchen, 3 Arten von Vacuolen entsprechend ihren Reaktionen auf verschiedene Fixierungsmittel auf. 1. Zahlreiche, mit Osmium sich intensiv schwärzende, große Vacuolen, welche den Farbstoff sehr stark speichern. Diese Fetttröpfchen sind ja seit langem bekannt, und ihr konstantes Vorkommen, das zum Teil unabhängig ist von Ernährung und Jahreszeit, ist nicht nur bei Fröschen, sondern auch bei Säugern leicht festzu- stellen. (Sie müssen nach meinen Erfahrungen reich an Leeithin sein, da sie auf Xylolbehandlung sehr rasch einen Teil ihrer Schwärzung verlieren. Der hohe Le- eithingehalt der Niere ist bekannt; da Cholesterin sich nieht mit Osmium schwärzt, ist auf diese Weise sein Nachweis mikrochemisch nicht zu erbringen.) 2. Kleinere, sehr zahlreiche Granula, welche auf Sublimat, Osmium usw. einen geronnenen Inhalt aufweisen, also wohl aus eiweißartigen Stoffen bestehen. (Sie entsprechen der Mehrzahl der obigen, über dem Kern und in seiner Um- gebung liegenden Körner.) 3. Größere, meist dicht an der Zelloberfläche gelegene, doch auch an der Basis vorkommende Vacuolen, deren Inhalt weder durch Sublimat, noch durch Osmium, noch durch Essigsäure zur Gerinnung gebracht wird, die also weder Fett, noch Eiweiß, noch Muein enthalten. Sie speichern meist nur geringe Mengen Farbstoff. Gurwitsch vermutet, daß diese, an Dünnschnitten als große Löcher imponierenden Vacuolen Salzlösungen enthalten. (Solche helle Vaceuolen sind auch in Katzennieren häufig anzutreffen.) Der Nachweis von drei verschiedenen Arten. von Vacuolen oder Granulis, erbracht durch ihr verschiedenes Verhalten gegen bestimmte Fixierungs- oder Fällungsmittel, schließt, wie Gurwitsch besonders hervorhebt, nicht aus, daß noch weitere chemische Verschiedenheiten ihres Inhaltes bzw. ihrer Konstitution be- stehen. Die Resultate Gurwitschs mit „vitalen“ Farbstoffen stehen einmal im Einklang mit denen anderer Untersucher, zum anderen auch entsprechen sie den Anschauungen Overtons über die Ursachen des leichten Eindringens dieser Stoffe in die lebenden Zellen. Es haben aber die Versuche mit Indigkarmin gleiche Resultate ergeben, obwohl dieser Farbstoff nach Overton!) überhaupt nicht in lebende Zellen eindrinst. Gurwitsch untersuchte noch zwei solcher nicht vitaler Stoffe, Kongorot und wasserlösliches Anilinblau; der Erfolg war der gleiche. Wie ist dies Eindringen zu erklären? Nun spricht ja in allen den oben angeführten Ver- suchen der Autoren kein Umstand mit absoluter Sicherheit gegen eine Resorption vom Lumen aus, denn wenn dafür sehr oft die Farblosigkeit des Glomeruli heran- gezogen wird, so wäre dem entgegen zu fragen, warum denn beim Eindringen vom Blut- oder Lymphstrom aus die den Gefäßen anliegende Zellbasis immer farblos gefunden wurde. Gurwitsch suchte dem zu begeenen, indem er den umgekehrten Nußbaumschen Versuch ausführte. Bekanntlich unterband Nußbaum, gestützt auf die Tatsache, daß die Glomeruli der Froschniere durch die Art. renalis, die Gefäße der Nierenkanälehen durch die Nierenpfortader gespeist werden, die Nieren- arterien, um von den Glomerulis allein den Blutstrom abzusperren. (Über Adamis und Beddards Einwände gegen diesen Versuch siehe unten.) Gurwitsch (l. e., S. 83) unterband die Nierenpfortader und erhielt, abgesehen davon, daß die be- treffende Niere etwas weniger Harn lieferte als die intakte Kontrollniere, auf Ver- fütterung von Farbstoff in letzterer eine intensive Färbung in den Epithelien und unter geeigneten Umständen bedeutende Farbmengen im Lumen — (vorwiegend des IV. Abschnittes) — indes die Harnkanäle des II. Abschnittes der operierten ‘) Jahrb. f. wiss. Bot. 34 (4), 671, 1899. 916 Vacuolen (bzw. Granula) in den Epithelien. Niere in allen Fällen völlig farblos waren und im Lumen sämtlicher Abschnitte nur minimale oder gar keine Farbniederschläge sich fanden. Es war damit nach Gurwitsch der Beweis geliefert, daß — wenigstens im II. Abschnitt der Rinden- kanälchen der Froschniere, — eine Resorption nicht stattfindet !), also die Farbstoffe von der Membrana propria her eingedrungen und aus den Zellen in die Kanal- lumina secerniert sein müssen. Da nun aber nach Pfeffers und Overtons Ver- suchen die drei obigen Farbstoffe in keine der von diesen Forschern geprüften Zellarten eindringen, so muß die Basis der Zellen der fraglichen Rindenkanälchen eine besondere Beschaffenheit besitzen. Daß ihr die lipoide Plasmahaut gänzlich fehlen müßte, wie Gurwitsch meint, ist damit noch nicht gesagt. — Nach der Gurwitschschen Annahme hätten von den in den Nierenepithelien vorhandenen sranulären Kondensatoren die einen die speichernde Fähigkeit ihrem lipoiden Charakter, die anderen dem Vorhandensein salzartiger Verbindungen zu verdanken, welehe z. B. auch die Speicherung der Harnsäure bewirken könnten. Höber und Königsberg (l. ce.) bestätigten durch umfassende Nachprüfung die Befunde Gurwitschs, soweit sie sich auf die vacuoläre oder granuläre Speicherung von vitalen sowohl als nicht vitalen Farbstoffen beziehen; sie glauben aber auch nicht, daß letztere einfach infolge des Fehlens einer lipoiden Plasmahaut in die Nierenzellen eindringen, und durch besondere Versuche machten sie es wahrscheinlich, daß überhaupt „die Permeabilität der Nierenepithelien sich nicht von der anderer Körperzellen unterscheidet“. Höber°) hat speziell für das Darmepithel ein Mittel angegeben, das die Frage, ob inter- oder intraepitheliale Resorption stattfindet, zu entscheiden gestattete. Lipoidlösliche Farbbasen, an Frösche verfüttert, werden in Vacuolen des Darmepithels gespeichert. Wird darauf Am- moniummolybdat, das lipoidunlöslich ist und zugleich die Farbbasen ausfällt, zur Resorption gebracht, so schwindet der Farbstoff aus den Vacuolen; um jeden Zellleib aber herum bildet sich eine Schicht von Farbniederschlag, indem die fällende, lipoidunlösliche Substanz, die nicht in die lebenden Zellen hinein kann, allmählich den Farbstoff zu sich herauszieht und niederschlägt. Mit dem gleichen Verfahren erhielten nun Höber und Königsberg (l. ce.) in der Froschniere, vor- nehmlich im zweiten Abschnitt, dieselben Intercellularbilder, wenn auch nicht mit derselben Regelmäßigkeit wie am Darm. Man hätte jedoch eher das Gegen- teil, nämlich ganz verschiedene Resultate erwarten sollen, da die Nierenzellen eben lipoidlösliche und lipoidunlösliche Farben gleich gut aufnehmen — aber es war wohl durch das Molybdat eine solche Änderung derselben gesetzt, daß die beschränkt, d. h. nur für Lipoide, durchgängige Plasmahaut jetzt mehr zur Geltung kam. Auch Gurwitschs Annahme, daß drei Sorten von Vacuolen von differenter chemischer Beschaffenheit vorhanden seien, die nun entsprechend ihren spezifischen Teilungs- koeffizienten die einen für den, die anderen für jenen Stoff als Kondensatoren dienen sollten, hielt der experimentellen Prüfung nicht stand. Denn als Höber und Königsberg mit lipoidlöslichem Neutralrot zugleich auch lipoidunlösliches wasserlösliches Anilinblau den Fröschen einverleibten, so zeigten wenigstens die Vacuolen des zweiten Abschnitts Mischfarbe aus beiden Komponenten; die übrigen Abschnitte enthielten allerdings nur reine rote Vacuolen, ihre Zellen speicherten nur den lipoiden Farbstoff. Höber und Königsberg schließen daraus mit Recht, daß für die Farbspeicherung in den Nierenepithelien das Prinzip der Teilungskoeffizienten nicht in der von Gurwitsch angenommenen einfachen Weise zur Erklärung ausreicht. Die Annahme von Gurwitsch, es möchte z. B. die Harnsäure zum Zwecke der Ausscheidung in solchen Vacuolen gespeichert werden, erhält eine Stütze durch die Ergebnisse früherer experimenteller Untersuchungen, und weiterhin liegen direkte Angaben über granuläre Sekretion derselben !) Daß der Gurwitschsehe Versuch eine Resorption nicht ausschließt, soll später näher erörtert werden; daß aber bei Amphibien die Resorption an und für sich gering ist, dafür hat Hüfner (siehe unten) Anhaltspunkte geeeben. — *) Pflügers Arch. 86, 199, 1901. Harnsäure in den Epithelien. 917 vor. So gewinnen, im Lichte dieser Hypothese betrachtet, die Untersuchungen von Sauer!) über die Orte der Harnsäureausscheidung in der Niere, die er noch in R. Heidenhains Laboratorium ausführte, ein neues Interesse. Wurde einem Kaninchen eine größere, in Piperazin gelöste Harnsäuremenge intravenös einverleibt, ein Verfahren, das auch Ebstein und Nicolaier) anwendeten, so trat erhebliche Diurese auf; der Harn enthielt bedeutende Mengen von Harnsäure. Die Nieren, 20 bis 60’ nach der Harnsäureinjektion frisch untersucht, zeigten die Lumina der Markkanälchen mit Harnsäure- konkrementen gefüllt; die entsprechenden perlmutterglänzenden Streifen konnten bis in die Rinde verfolgt werden. Die genauere Untersuchung ergab, daß die Glomeruli und deren Kapseln frei waren, ein Resultat, das auch Minkowski?°) erhielt; die Epithelien der gewundenen Kanäle waren an ihrem, dem Kanallumen zugekehrten Saume von gröberen und feineren Harnsäurekörnchen erfüllt; an manchen Stellen ließen sich die feineren Körnchen bis in die Mitte der Zelle hinein verfolgen; die Basis erreichten sie nie. Dagegen sah sie Minkowski (l. ec.) auch im basalen Teile der Zelle, wenigstens hier und da. Die Körnchen erfüllten auch mehr oder weniger die Kanälchen- lumina; durch ıhren Austritt aus der Zelle war der Bürstensaum zum Teil deformiert worden. Die Zellen der Markkanälchen waren freı von Harnsäure:; daß die ihr Lumen ausfüllenden Harnsäuremassen nur durch den Harnstrom aus den gewundenen Kanälchen (der Sekretionsstelle) hingeschwemmt worden, bewies der Ver- Querschnitt eines Tub. £ / ; R eont. vom Hund. (Zellen such mit partieller Rindenätzung, also Ausschaltung mit Silberuratkörnern SE R . gefüllt.) Vergr. etwa 800. einiger Glomerulusbezirke. Die unter der verschorften Nach Anten, Arch. J. . > ri S 5 2 d. Pharm. 8, 466, 1901, Rindenzone liegenden Tubuli contorti enthielten in Zell- Taf. Fig. 2. belag und Lumen die Harnsäureniederschläge wie die in den normalen Rindenpartien, aber in ihren dazugehörigen Markkanälchen fehlten sie vollkommen, indes die Markkanälchen unter der normalen Rinde wie sonst mit Harnsäure gefüllt waren. Anten*) hat bei Hunden in die Nierenarterie eine ammoniakalısche Lösung von Chlorsilber — eine Mitausfällung der Phosphate, des C1Na und von Eiweißsubstanzen soll dabei nicht eintreten — injiziert, wodurch er alle Harnsäure in Silberurat verwandelt zu haben glaubt; den Überschuß von Silberlösung spülte er mit Kochsalzlösung aus, fixierte die Nieren in Alkohol und fertigte Schnitte an, welche, mit Boraxkarmin nachgefärbt, die Körner des Silberurats scharf hervortreten ließen. Anten fand nun die Zellen der Tubuli contorti und die breiten, aufsteigenden Schenkel der Henleschen Schleifen mit feinen Körnern erfüllt; in den Glomerulis kamen sie nur ausnahmsweise (l. c. 8. 466) vor, nie im Raume der Bowman- schen Kapsel; den Zellen der absteigenden Schleifenschenkel und der Sammelröhren fehlten sie vollkommen. EA px > nf ER EIER Sa exe [ERS ‘) Arch. f. mikr. Anat. 53, 218, 1899. — °) Experimentelle Erzeugung von Harnsteinen, Wiesbaden 1891, und Arch.f. pathol. Anat. 146, 337, 1896. — °) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmak. 41, 375, 1898. — *) Arch. int. de Pharmakodynamie $, 455 #., 1901. 918 Harnsäure in den Epithelien. Todaro!) wies an Salpen drei Paare von Nierenkanälchen bzw. Nieren- säcken nach, welche in den Ösophagus und in den Magen münden. Der Harn dieser Tunicaten enthält vornehmlich Harnsäure (vom Verfasser durch die Murexidprobe nachgewiesen). Die Blutkörperchen und Lymphocyten, welche sich im Mesenchym um die Nierenorgane, um Ösophagus und Magen herum befinden, beladen sich mit Harnsäure (Murexidprobe). Zuerst ist in den Lymphocyten, ebenso in den Blutkörperchen ein kleines Granulum zu sehen, das sich mit Karmin rot färbt. Das Granulum wächst, der Kern schwindet; die Blutkörperchen stellen dann kleine runde Körper dar, mit hellem Hof, meist zu mehreren zusammengeballt in den Gefäßlacunen liegend. In diesen kleinen Kugeln treten teils weiße, teils braune Harnsäurekonkre- tionen auf; die weißen färben sich mit Kar- min noch lebhaft rot. In den drei paarigen Nieren- organen findet sich eine Zone von Pflasterepithel, welches nach Todaro den Glomerulis entspricht, Flüssigkeit liefert, und eine andere Zone mit Zylinder- epithel, dessen sehr hohe Zellen, zumal in der dritten Abteilung, die gleichen braunen und die sich rot färbenden Harnsäurekon- kretionen enthalten, die sich in dem dicht dar- unterliegenden, nur durch Fig. 84. Zylinderepithel von dem in der Nähe der Öffnung des dritten Paares gelegenen Teil der Nierenorgane von Salpa confoederata. eIMEe anscheinend homogene Nach Todaro, Arch. ital. 38 (1892). Membrana propria davon ers. secernierendes Nierenepithel. tp. Tunica propria. m. Mesen- chym. gsu. Blutkörperchen mit Uratkonkretionen. gm. Schleim- getrennten Mesenchym fin- kügelehen. gub. braungelbliche Uratkörnchen. gur. rote Urat- es . B korHehen. den (über die Ausschei- dung dieser Harnsäure- körper siehe unten). Courmont und Andre?) studierten vermittelst eines dem Antenschen ähnlichen Verfahrens die Harnsäureausscheidung bei vielen Wirbel- tierklassen. Sie fixierten die Nieren in dem Öarnoy-Gehuchtenschen Gemisch von Alcoh. abs., Eisessig und Chloroform, welches die Harnsäure nicht löst, riefen auf den sehr dünnen Nierenschnitten durch Argent. nitr. einen Niederschlag von Silberurat hervor, den sie mit Hydrochinon entwickelten; das Silberurat tritt dann in Form schwarzer Körner zutage. Die Schnitte können mit beliebigen Farbstoffen weiter nachgefärbt werden, nur nicht mit Eisenalaun, das die Silberkörner entfärbt. Durch Kontrollfällungen mit ammoniakalischer Chlor- silberlösung bzw. mit dem Ludwig-Salkowskyschen Reagens überzeugten sich die Verfasser, daß sie es mit Uratkörnern zu tun hatten, und daß nicht !) Arch. ital. de biol. 38, 33 ff., 1902. — °) Journ. de physiol. et pathol. gener. 7, 255 ff., 1905, sowie ebenda, 271 $f. Einfluß von Giften usw. 319 Fällungen von Eiweiß, Phosphaten oder Kochsalz vorlagen. Nur ist das Wort „Uratkörner“ in dem Sinne zu fassen, daß auch alle Verbindungen der Harn- säure mit Eiweißkörpern des Protoplasmas, sowie alle sonstigen Purinkörper (Xanthin usw.) mit gefällt sind. Bei Batrachiern, Reptilien, Fischen und Vögeln finden sich grobe Silberkörner, nach Courmont und Andr& Vacuolen des unfixierten Zustandes entsprechend, welche die Harnsäure gelöst ent- halten. Bei Säugern finden sich sehr kleine Körner, in denen die Harnsäure, nach Oourmonts und Andres Vermutung, einem Eiweißkörper adsorbiert ist, da diese Granula durch Silbernitrat nur schwer ausgefällt werden, dem- entsprechend aber nicht nur in Wasser, sondern auch in alkalischen Phosphat- lösungen und in Piperazin schwer löslich sind. Was nun die Orte des Auf- tretens anlangt, so finden sich die Uratkörner beim Frosch nur in denjenigen Kanalabschnitten, deren Zellen einen Bürstensaum tragen, sie liegen zwischen Kern und Bürstensaum, d. h. im supranucleären Teil der Zelle, also an den gleichen Orten wie die Vacuolen, die sich mit Neutralrot so rasch und lebhaft färben, bzw. wie die Vacuolen, welche die elektive Eisenhämatoxylinfärbung geben. Nach Courmont und Andre sollen sie mit Gurwitschs kristalloiden Vacuolen korre- er spondieren, aber niemals mit den lipoiden, d.h. Os- ae miumreaktion gebenden Vacuolen der tieferen Zell- fo . 1 > 4: N teile. Im Bürstensaum oder im Kanallumen fanden / z er sich niemals die großen Körner, wohl aber hier, \ Fam, ae II wie bei Vögeln, im Bürstensaum bzw. in der api- Beer kalen Zellzone ganz feine Granulationen. Ähnliche en Befunde wurden bei Kröten, Salamandern, Schild- en en an kröten, Nattern, Fischen, Vögeln (Huhn, Sperling, Camera luc. gezeichnet). Stäb- 2 chenkörner (migration ascen- Taube), Ratten, Hunden und an menschlichen sante). Die hellen Höfe sind die Nieren, die frisch bei Gelegenheit von Nephrek- onen. Anden ya tomien gewonnen waren, erhoben. Bei Schild- ed ar, kröten und bei Hunden lagen die Körner auch in den Zellen der Henleschen Schleifen, und zwar beim Hunde auch in den absteigenden Schenkeln derselben. Ebenso waren bei letzteren Tieren die Zellen der Tub. cont. mit den, wie bei allen Säugern, sehr feinen Körnern durchaus erfüllt, in denjenigen der Henleschen Schleifen nur die des oberen Teiles. Courmont und Andre haben nun durch Pilocarpinvergiftung und successive Untersuchung zuerst Schwund, dann ein Wiederauftreten der Körner hervorgerufen; sie glauben beim Schwund (erste bis zweite Stunde nach der Vergiftung mit 0,01g) eine Abnahme des Inhaltes einzelner Vacuolen konstatiert zu haben. Beim Wiederauftreten (mise en charge) der Körner (vierte Stunde) sieht man dieselben in mehr basalen Zellteilen, zum Teil haben sie Stäbchenform, was Courmont und Andre so erklären, daß sie im Vor- dringen gegen den Zellsaum fixiert wurden. Nach der sechsten Stunde haben die Körner wieder ihre normale Anordnung gewonnen. Bei stärkeren Pilo- carpindosen spielen sich die Vorgänge sehr rasch, aber sonst in gleicher Weise ab; nur sind beim Schwundstadium die Körner außerordentlich klein und sehr schwer mit Silbernitrat zu imprägnieren. Ihre Meinung, daß hier wirkliche Sekretionsvorgänge vorliegen, stützen Courmont und Andre ein- 220 Ausstoßung von Sekret. mal auf die Beobachtungen von Theohari!), der nach Pilocarpininjektionen die Höhe der Kanälchenzellen vermindert, das Lumen der Kanäle erweitert fand, und von Todde?), der daraufhin die Zahl der fuchsinophilen Granu- lationen der Rindenkanalzellen erst wachsen und dann sich vermindern sah, wobei die Körner sehr klein wurden; zum anderen konstatierten sie, daß bei schweren Störungen der Tubuluszellen, wie sie nach Ureterligatur, Ligatur des Nierengefäß-Nervenstumpfes und Leberexstirpation hervorgerufen werden, die Uratkörner ihre normale Anordnung behielten. Coffeininjektionen ver- mehrten die Uratkörner in den Zellen ganz außerordentlich (mit Auftreten von Stäbchenformen s. Fig. 55), desgleichen die Infusion von hypertonischen ClNa- Lösungen, zugleich waren die Lumina weit. Natürlich können nach Üoffein- injektionen nicht sämtliche Körner als Silberuratgranulationen angesprochen werden; das Coffein geht ja zum kleinen Teil k unzersetzt, zum Teil in verschiedenen Abbau- RO N “ produkten [Albanese?°) u. a.] in den Harn über au (über Silberfällung dieser Purinkörper s. oben). eu Lassen, wie schon erwähnt, die elektiven Färbungen, die Erscheinungen der Harnsäure- ansammlung in bestimmten Granulis oder Vacuolen nicht immer einen bindenden Schluß auf sekre- torısche Funktion der Nierenepithelien zu, derart, daß sie beweisen, dıe Materialien, welche dort gespeichert wurden, seien auch aus dem Blut- und Lymphstrom, der die Zellbasis umspült, be- Epithel des gewundenen Kanals . D des dritten Paares der Nieren. Z0gen und nicht vom Lumen aus resorbiert worden, organe von Salpa Tilesii. Nach go liegen doch andererseits Beobachtungen vor, u a - sts.aung. welehe unzweifelhaft eine Ausstoßung von Sekre- ee: AUrae tionsmaterial aus den Zellen in die Kanälchen ; dartun. So beschreiben Regaud und Policard‘) in den Nieren der Neunaugen und der Schlangen Blindsackdivertikel, seitenständig den Nierenkanälchen angefügt, soweit letztere ein Bürstensaum- epithel tragen. Die Zellen des Divertikelepithels tragen den gleichen Bürsten- saum, sie enthalten die gleichen Arten histologisch differenter Vacuolen, und in ihrem Lumen liegen Sekretmassen. Hier liegt nach Regaud und Policard die Annahme viel näher, daß diese Massen von den Zellen aus- gestoßen, als daß sie von dem nur an der Divertikelmündung vorbeistreichen- den Glomerulusstrome geliefert wurden. An der Urniere von Hühnerembryonen wurden zuerst von mir’) im Lumen der Kanälchen Tropfen beschrieben, die in allen Stadien des Heraus- tretens aus den Zellen beobachtet werden konnten und von Altmann (l. c.) auch in der Hundeniere nach Ureterenunterbindung dargestellt wurden. Nicolas‘) sah am Wolfschen Körper von Säugern das Hindurchtreten kleiner Tröpfchen durch den Bürstensaum, ebenso das Hervorquellen größerer Fie. 86. !) These de Paris 1900. — ?) Zentralbl. f. allg. Pathol. 15, 788 ff., 1904. — ®) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmak. 35 (1895). — *) Compt. rend. soc. biol. 54, 554, 1902; ebenda 55, 1028, 1903. — °) Siehe Altmann, Elementar- Organismen, 1890, Fußnote 8. 121. — ®)l. e. a u Ausstoßung von Sekret. Dal. wu Kugeln. v. d. Stricht!) beschreibt ebenfalls das Durchtreten kleiner Tröpfehen und größerer Kugeln; er erwähnt zugleich ähnliche Beobachtungen früherer Autoren, wie Muron, Bouillot, ÖCornil, Lahousse (s. die Literatur bei v. d. Stricht, l. ec... Er untersuchte ferner die Niere eines Kaninchens drei Tage nach einseitiger Nephrektomie, einer Operation, die ja eine ver- mehrte Tätigkeit der restierenden Niere bedingt. Die weiten Kanälchen zeigen Zellen mit normalem Bürstensaum, daneben andere mit hellen Calotten, die von Granulis erfüllt sind und in das Lumen vorspringen; in noch anderen ist der Bürstensaum zerfetzt. Todaro (l. e.), der, wie oben erwähnt, die Ansammlung aus dem Mesenchym stammender Harnsäuregranula in den Zellen der Nierenorgane von Salpen beobachtete, verfolgte auch die Aus- stoßung derselben. Die Harnsäure- granula werden in der Zelle von Schleimmassen umgeben, rücken nach dem freien Zellsaum vor und treten dort aus. Die herausquellenden Schleim- kugeln sind von einer dünnen Proto- plasmaschicht umgeben, die Harnsäure- körnchen in ihnen sind verschieden groß; bei Uyclosalpa pinnata z. B. wie ein feinster dunkler Staub darin verstreut. Die Protoplasmaschicht platzt schließlich, und die harnsäure- haltigen Schleimmassen ergießen sich ins Lumen (s. Figg. 84 und 86). Regaud und Policard?) sahen an der Igelniere die Ausstoßung von großen safranophilen Tropfen (boules Frosch. Querschnitt eines Nierenkanälchens. sarcodigues); Sauer (l.c.), der dies an (Zweite Abt.) Übermaß von harntreibenden den Nieren pilocarpinisierter Frösche en er ee beobachtete (s. beistehende Fig. 87), meint, daß nur bei exzessiver Tätigkeit die Sekretion unter solchen Formen sich abspiele.e Tribondeau?), der in ähnlicher Weise wie Gurwitsch eine Abgabe des Vacuoleninhalts in gelöster Form annimmt, beschreibt an Schlangennieren, wie die Tröpfehen — en perlant ä la surface — die Härchen des Bürstensaumes auseinanderbiegen und sie dabei zu Büscheln verkleben. Im Lumen finden sich Tropfen, wie Milchkügelchen, oft fein gekörnt, die Konturen gefärbt. Ich selbst habe an Kätzchennieren bei tadelloser Fixierung und Säure- fuchsintinktion das Durchtreten der Tropfen durch den Bürstensaum und ihre An- sammlung im Lumen beobachtet. Die Tropfen zeigten eine schwache Färbung, entsprechend einer geringen Menge in ihnen enthaltener gerinnungsfähiger Sub- stanz, hier und da eine etwas lebhafter gefärbte Kontur; ihre Verbindung mit der Zelle bestand aus einer mehr oder weniger schmalen Brücke, die zwischen den abgebogenen Bürstenhärchen lag (durch Serienschnitte von im Mittel 2\/, « Dicke !) Ann. Soc. med. Gand 71, 328ff., 1892 u. Compt. rend. Paris 1891, 27. April. — ?°) Compt. rend. soc. biol. 53, 1188, 1901. — °) Ebenda 54, 133, 1902. 292 Markkanälchen. konstatierte ich die vollkommene Erhaltung des Bürstensaumes über den anderen Partien der gleichen Zelle'). Höber und Königsberg?) fanden an Fröschen, die mit vitalen Farb- stoffen infundiert worden waren und bei denen sich, wie erwähnt, diese Farb- stoffe innerhalb der Nierenkanälchenzellen in großen Vacuolen speichern, diese Vacuolen nicht nur als zusammengeballte Massen im Kanallumen wieder, sondern auch im Harn. Neben freiem, gelöstem Farbstoff enthielt dieser die mit Bismarckbraun oder Bordeauxrot gefärbten Gebilde. Diese Befunde dürften doch mit Sicherheit für eine echte sekretorische Tätigkeit der Rindenkanälchen sprechen, und wenn man aus vergleichend anatomischen Daten Schlüsse ziehen darf, so spielt sich auch bei normaler Nierenabsonderung, nicht nur unter dem Einflusse von Giften, der Prozeß ganz oder teilweise in der Form der Ausstoßung von Protoplasmaeinschlüssen ab. (Gegen eine solche Auffassung ließe sich kaum geltend machen, daß der normale Harn eine klare Lösung darstellt, denn der Inhalt dieser Granula würde ja ausgelaugt und die „Schatten“ wohl kaum sichtbar sein. Zudem trübt sich der erkaltende Harn bekanntlich unter Bildung der „Nubecula“; diese besteht (Hammarsten) aus Harnmucoid, Epithelien, Schleimkörperchen und Uratkörnchen; wir wissen weiterhin, daß der normale Harn außer Spuren von Traubenzucker auch stets solche von Eiweiß enthält. Nach Mörner) enthält der Harn gesunder Menschen 22 bis 78mg Eiweiß im Liter, auch etwas Nucleoalbumin. Ob, wie Benda (l.c.) meint, durch Kontraktion der Körnerfäden der Zellsaum gegen die Zellbasis herabgezogen und dadurch Sekret durch den Bürstensaum gepreßt wird, darüber fehlen weitere Angaben. II. Die Markkanälchen. Das Epithel des Endstückes, das den Übergang in die Henlesche Schleife bildet, ist das gleiche wie in den Tub. contortis, nur niedriger. Auch hier hat man, sowohl an frischen als an fixierten Nieren, die Umwandlung des inneren Zellsaumes in helle Kuppen (Blasen) beobachtet [Schachowa®); Disse, l.e., v. destrieke 1... Im absteigenden Schenkel der Henleschen Schleife wird das Epithel nun plötzlich sehr niedrig, endothelartig, mit der bekannten wechselständigen Anordnung der Kerne, so daß das beträchtliche Lumen die Form eines ge- wellten Bandes erhält. Von eigentlichen Endothelien unterscheiden sich aber !) Nach Fertigstellung des Manuskripts kam mir das Buch von Rathery, Le tube contourne du rein (Paris 1905), in die Hände. Dieser Autor hält die aus- tretenden Tropfen für Gebilde, die durch die Fixation erst entstanden sind; er konnte sie an frischen Nierenschnitten durch Reagentien hervorrufen. Die Tat- sache mag richtig sein, andererseits aber habe ich an Schnittreihen sehr oft Rindenkanälchen gefunden, welche volleepfropft waren mit solchen kugeligen Gebilden, indes der Bürstensaum vollständig intakt und nirgends ein Aus- treten von Tropfen zu bemerken war. An Längsschnitten war dies besonders deutlich zu sehen. Diese Tropfen oder Kugeln waren also von höheren Teilen, wo sie austraten, hingeschwemmt worden. Ebenso fanden sich diese Tropfen in den absteirenden Henleschen Schleifen. Durch Einlegen eines Nierenstückes in ein Fixationsmittel ist es natürlich unmöglich, so etwas zu erzeugen. — ”) Pflügers Arch. 108, 323 ff., 1905. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 6. — *) Dissert., Bern 1876. ee: re Gefäßapparat. 2253 diese Zellen sehr deutlich. An meinen Präparaten enthalten sie eine große Menge fuchsinophiler Granula, die oft ein wenig länglich erscheinen. Wir haben es also mit einem echten Epithel zu tun, allerdings von sehr un- gewohnter Beschaffenheit. Die Wand dieser Kanälchen ist außer- ordentlich dünn. Beim Ubergang in den aufsteigenden Schleifen- schenkel bleibt das Lumen im allgemeinen ebenso weit, aber die Zellen werden wieder höher, nehmen ganz den Charakter hoher Epithelien an. Ihre basalen Teile tragen feine Körnerreihen, deren Elemente eher etwas länglich sind. Diese Verhältnisse sind an Kätzchen- und Kaninchennieren gut zu “ erkennen. Schon R. Heidenhain beschrieb streifigen (Stäbchen-) Charakter dieser Zellen. Der innere Teil ist hell, von veränderlicher Höhe, so daß damit auch das Lumen des Kanales sich ändert. Die höheren Zellen mit blasiger Kuppe zeigen sehr oft die im vorhergehenden Abschnitt beschriebene Aus- stoßung von. Tropfen oder blasigen Gebilden, und zwar vornehmlich im Glomerulusteil der Schleife. So nennt v. d. Stricht (l. c.) die gegen die Konvexität der Niere zu gelegenen Partien im Gegensatz zum unteren papillären Teil, der Zellen mit Bürstenbesatz trägt. Was diese Aus- kleidung der dicken aufsteigenden Schleifenschenkel aber von der der Rinden- kanälchen unterscheidet, ist das Fehlen jeglicher Zellgrenzen; auch mit denjenigen Methoden (Eisen-Hämatoxylin nach M. Heidenhain), welche die Grenzen in den T’ub. contortis deutlich her vortreten lassen, gelingt dies hier nicht. Durch das mit kubischem Epithel ausgekleidete gewundene Schalt- stück, sowie das kurze, gestreckte Verbindungsstück gehen die Kanäle in die Sammelröhren über, die sich zu immer größeren Stämmen (Ductus papillares) vereinigen. Ein helles Epithel kleidet sie aus. Das Stroma der Markpartien ist auffallend reichlich entwickelt, und schon Henle!) hebt hervor, daß die weiten Sammelröhren gänzlich der Membrana propria entbehren; ihr Epithel ist direkt in zylindrische Lücken des Stroma eingebettet. Eine ungeheure Menge von Blut- und Lymph- gefäßen erfüllt das Stroma. III. Gefäßapparat und Nerven der Niere. a) Blut- und Lymphgefäße (Stroma). Die Vaskularisation der Niere ist eine außerordentlich reiche: dem ent- spricht, daß die zuführenden Arterien als sehr weite Stämme im rechten Winkel von der Aorta abgehen. Ich maß bei einer Anzahl von Leichen die Weite der Arterie unter verschiedenen Drucken: bei 150mm Hg betrug der lichte Durchmesser bei mittelgroßen Männern im Durchschnitt etwa 6mm, bei Frauen etwa 5mm im Mittel. Der dorsale und ventrale Ast der Nierenarterie zerfallen im Nieren- becken je in vier bis fünf Zweige, deren jeder wieder bei seinem Eintreten in die Nierensubstanz in spitzen Winkeln mehrere (bis fünf) Reiser abgibt (Artt. interlobares). Von diesen gehen in der Richtung auf die Oberfläche des Organs zu und senkrecht zu ihr die Rindenarterien ab. Jeder Ast der Nierenarterie stellt eine Endarterie im Sinne Cohnheims dar, da Anasto- ‘) Gött. Abh. 10 (1862). 224 Gefäßapparat. mosen fehlen. Letzteres wird schon von Bowman (l. c. S.59, Fußnote) betont. Die Rindenäste, auf der Grenze der Läppchen zwischen den Markstrahlen laufend (Artt. interlobulares), geben nach allen Seiten hin kurze, 0,02 bis Fig. 38. Venenstern Vena interlobularis Arteria interlobularis Se R r ; & See Arteriola recta spuria = Vena corticalis A profunda J Ko SD i BR Vena arciformis a D SS Se Venula recta Arteriolae rectae verae Venennetz an der Papillenspitze Schema der Blutzirkulation in der Niere (nach Disse). Fig. 88 a. Vas afferens Glomerulus N Vas efferens Hund; Niere, Korrosionspräparat. Das Ende einer Art. interlobularis teilt sich in 2 Vas. af., an jedem sitzt ein Glomerulus mit dem | Vas. eff. an. Letzteres enger als das Vas. af. (nach Disse). Gefäßapparat. 225 0,04 mm weite Ästchen ab, welche die kurzen Stiele der Glomeruli (Malpighische Körperchen) bilden. Daneben gehen von einigen der‘ Artt. interlobulares dünne Rami capsulares durch die Nierenkapsel, um sich in der Fetthülle des Organs zu Capillarnetzen zu verzweigen. Teil eines Gefäßknäuels der Katze (Schnitt). Injektion mit Berliner Blau. Vergr. 700. e Epithel und »n Membr. propria der Bowmanschen Kapsel. g Gefäßschlingen (injiz.). h teilweise von der Oberfläche abgehobenes Häutchen ohne Kerne. s Knäuelsyneytium mit Kernen. v vacuolenartiger Raum (nach Ebner). Golubew!) zeigte, daß eine kleinere Zahl der Ästchen nicht eigent- liche Glomeruli bildet, sondern Wundernetze ohne Kugelform und ohne | Kapsel. Nach dem gleichen Autor gehen einige andere arterielle Zweige auch direkt in Venen über ohne dazwischen geschaltetes Öapillargebiet. Je nach dem Kontraktionszustande der einzelnen Äste kann also ein Teil des zur Fig. 90. Epitheldecke (Knäuelsyneytium) des Glomerulus der Kaninchen. — (Nach Drasch, Hermanns Handb. d. Physiol. 5, 1, S. 296.) Rinde strömenden Blutes, den Weg durch die Glomeruli vermeidend, direkt in die venösen Abflüsse gelangen. In der Hauptsache bilden aber die kurzen Zweige der Artt. interlobulares die Vasa afferentia der Glome- ruli; sie haben, vornehmlich infolge der auffallend stark entwickelten Museularis, eine relativ sehr dicke Wand. Das zum Knäuel geballte Wundernetz ihrer Capillaren ist in sich durch zahlreiche Anastomosen ver- ‘) Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. 10 (1893). Nagel, Physiologie des Menschen. II. 15 996 Gefäßapparat. knüpft, und aus seiner Mitte geht das beträchtlich engere Vas efferens hervor. Die Capillaren sind sehr weit, ihre Wand außerordentlich dünn und entbehrt der Endothelauskleidung; sie stellt eine kernlose Protoplasmamasse dar. Drasch!) fand, daß sie von feinen Poren durchsetzt ist, und V. Ebner) sieht eine indirekte Bestätigung der Existenz solcher Poren in dem Umstande, daß man an sehr gut gelungenen Injektionspräparaten (Ausspritzung der Nierenarterie mit Leim und Berlinerblau), welche sonst nirgends Extravasate in Capillargebieten zeigen, einzelne oder die Mehrzahl der Knäuel diffus blau gefärbt findet; die Masse ist zwischen Knäuelcapillaren und das innere Blatt der Bowmanschen Kapsel eingedrungen. Der Gefäßknäuel des Malpighi- schen Körperchens ist in die Bowmansche Kapsel eingestülpt, er durchbricht sie nicht; an der Eintrittsstelle der Gefäße geht das Kapselepithel in das Knäuelsynceytium über (Ebner, 1. c. S. 366). Während an der embryonalen Niere ein kubisches Epithel als inneres (— Gefäß-) Blatt der Kapsel den Knäuel umkleidet, wird nach der Geburt das Epithel niedrig; es besteht später nur noch aus einer ganz dünnen, durchsichtigen, kernhaltigen Platte, in der auf keine Weise Zellgrenzen nachzuweisen sind. Dieses Knäuel- syneythium läßt sich in toto als zusammenhängendes Häutchen isolieren (Drasch); es zeigt facettenartige Abdrücke der Gefäßschlingen (s. Fig. 90). Das äußere Blatt besitzt eine Auskleidung von niedrigen, polygonalen Zellen; es geht, wie oben erwähnt, direkt in das Epithel des Halses der Rindenkanälchen über. Bei Amphibien, Reptilien, Fischen ist dieser Hals mit Flimmerepithel besetzt, das sich bis in die Anfänge der Tubuli contorti fortsetzt. Von Gerlach, Krause u. a. wurde behauptet, das Flimmern lasse sich auch bei Säugernieren beobachten; doch hat Kölliker, der die Nieren zweier Justifizierter daraufhin untersuchte, die Flimmerbewegung beim Menschen nicht beobachten können. Das Vas efferens, in dem die Knäuelcapillaren sich vereinigen, ist, wie gesagt, enger als dasVas afferens, sonst aber wie dieses gebaut: also ein echtes arterielles Rohrstück mit gut entwickelter Ringmuskulatur. Es entspringt in der Mitte des Knäuels; Bowman (l. ce. S. 59 u. 61) und Ludwig?) zeigten an der Hand von In- jektionsversuchen, daß infolge davon der Knäuel sich nicht vom Vas efferens her füllen läßt; die eindringende Masse dehnt die zentralen Partien zuerst aus und verlegt sich damit den Weg zu den oberflächlichen Schlingen. Soll- mann (s. unten) hat an Modellen dies sehr gut nachzuahmen vermocht. Jeder überwiegende Druck von den durchaus klappenlosen Venen her muß also den Blutstrom der Glomeruli sofort zum Stillstand bringen. Wie bekannt, löst sich das Vas efferens zu dem engmaschigen Ca- pillarnetz auf, das die Rindenkanälchen umspinnt; auf der ganzen Strecke der Rindenläppchen sind die Capillaren weit, in den Markstrahlen dagegen werden sie bedeutend enger. [Die allseitige anastomotische Verknüpfung dieser Capillaren wurde schon von Bowman (l. c. S. 61) hervorgehoben. Er nennt diesen Capillarplexus um die Rindenkanälchen das große Blut- reservoir der Niere. ] Die Markpyramiden haben ein von der Rinde teilweise unabhängiges Capillarnetz; an ihrer Basis treten die Büschel der Vasa recta ein, der Papillen- !) Wiener Sitzungsberichte 76, III, 1877. — ®V 1. ce. 8. 368. — °) Wiener Sitzungsber. 48, II, 1863. > Blut- und Lymphgeefäße. OT, t spitze zustrebend (s. oben: Gefäßschema). Die Vasa recta kommen zum Teil als Arteriolae rectae verae (Arnold, C. Ludwig, Virchow) direkt aus den Zweigen der Art. renalis; in großer Anzahl (Art. rect. spuriae) sind sie Vas« efferentia der an der Grenze zwischen Mark und Rinde liegenden Glomeruli (Bowman, l. c. S. 61/62). Demnach ist das die Marksubstanz versorgende Blut gemischt aus arteriellem und aus Glomerulusblut der Rinde; Bowman bezeichnete den letztgenannten Weg als „a truly portal vein in miniature“ (l. ce. 8.63). Er beobachtete auch schon, daß es sehr große Glomeruli seien, deren Vasa efferentia, in die Marksubstanz herabsteigend, sich wie Arterien daselbst verzweigen. Drasch!) hat dann später zwei verschiedene Arten von Glomerulis — kleine und große — beschrieben, die sich einmal durch verschiedene Anordnung der Gefäße, durch Abweichungen im Bau der Ge- fäßwände und ihrer Umhüllungsmembran unterscheiden; er fand die großen vornehmlich an der Grenze von Rinde und Mark liegend. Die Venae rectae, welche als drittes Glied die Büschel der Vasa recta bilden helfen, führen Blut aus den Markcapillaren sowohl als aus dem Venennetz der Papille; sie münden in die Venae arciformes ein. Ein Teil des Rindenblutes wird in den kleinen Venae rectae corticales (Steinach) gesammelt und steigt zur Kapsel empor, wo die kleinen Venen sich von allen Seiten her in den Anfang der Venae interlobulares ergießen (Stellulae Verheyenii). Die letzteren führen das Blut hinab zur Grenzschicht, wo tiefe Rindenvenen mit ihnen zusammen sich in ein breites Bett ergießen, das auch noch die Venulae rectae des Markes aufnimmt. Dies an der Grenze von Mark und Rinde gelegene System der Venae arci- formes umfaßt als ein durch reichliche Anastomosen verknüpftes Ringmaschennetz die Basen der Pyramiden; von dort sammeln sich die Venen zu den größeren Markstämmen. Der ungehinderte Abfluß des venösen Blutes der Rinde wird einmal gesichert durch die doppelten Abzugskanäle der oben erwähnten Venae interlobulares und Venae corticales profundae, zum anderen dadurch erleichtert, daß das Aufnahmebett dieser Gefäße, die großen interlobularen Stämme, durch die Befestigung ihrer Wände an die Nierensubstanz stets klaffend erhalten wird. Ein Teil des Rindenblutes verläßt, wie bekannt, die Niere an ihrer Konvexität unter Durchbohrung der Haut, um sich in die Venen der Capsula adiposa renis zu ergießen (Steinach). Die Lymphgefäße der Niere, welche als außerordentlich dichtes Netz die Harnkanälchen umspinnen, laufen in einer Anzahl größerer Stämme zu- sammen, die am Hilus mit den Blutgefäßen heraustreten und in die oberen Lumbaldrüsen einmünden. Neben diesen Bahnen kommen aber von den oberflächlichen Partien des Organs, zumal von der Bindegewebskapsel her, noch Lymphgefäße, die, wie ein Teil der Venen, in die Fettkapsel eintreten und von hier direkt zu den Lumbaldrüsen ziehen. Die Wurzeln dieses weitverzweigten Lymphapparates sollten nach Ludwig und Zawarykin durch wandungslose Spalten im bindegewebigen Stroma der Niere repräsentiert sein; jedoch Ryndowsky°) sowohl als Stahr*) konnten ein Netz von echten Lymphcapillaren darstellen, das mit kubischen Maschen die Kanäle der Rinde und der Markstrahlen umzieht. Ich selbst fand an guten Osmiumpräparaten das außerordentlich reich ent- wickelte Markstroma (Reticulum) durch ein Netz miteinander durch Aus- läufer verbundener Sternzellen gebildet, die Zellen gleichsam die Knoten der ‘) Wiener Sitzungsber. 76, IH, 1877. — ?) Ebenda 90, IH, 1885. — °) Zentralbl. X d. med. Wiss. 1869, Nr. 10. — *) Arch. f. Anat. u. Entw.-Gesch. 1900, 8.41 bis 84. 19 228 Nerven. Netzstränge darstellend. Bei Malls (l. e.) Darstellung des Reticulum durch Trypsinverdauung sind diese Zellen natürlich nicht mehr vorhanden, dagegen bestätigten meine Präparate (s. beistehende Fig. 90a) die Angabe Malls, daß Fig. 90 a. Lympheapillare Bluteapillare Reticulum mit ein- gestreuten Sternzellen, die sowohl mit den Gefäß- als auch mit den Kanälchenwänden zusammenhängen. Sammelrohr Kätzchenniere; unteres Ende der Markpapille. Zeigt die Sternzellen des Reticulum, deren Ausläufer sowohl mit den Wänden der Blutgefäße als auch mit denen der Kanälchen zusammenhängen. (Kochsalz-Osmiumfixierung, Färbung mit Eisenhämatoxylin.) die Fäden des Reticulum (meine Zellfortsätze) mit den Wandungen der Blut- und Lymphgefäße und der Nierenkanäle zusammenhängen. Die Maschen dieses Netzes stehen nach meiner Ansicht direkt mit dem Lymphgefäßsystem in Verbindung. b) Nerven der Niere. Die Nerven der Niere haben in neuerer Zeit eine eingehende Bear- beitung erfahren, sowohl was ihre Wurzelgebiete als was ihre Verbreitung in den einzelnen Abschnitten des Organs anlangt. Nöllner!) hatte unter Eckhards Leitung gezeigt, daß beim Hunde mit dem Splanchnicus major und mit den als Splanchnicus minor zusammengefaßten drei Ästen für die Niere bestimmte Nerven zu dem oberhalb und hinter der Nebenniere gelegenen Nervennetze gelangen, in welchem durch eingestreute Ganglien die Fasern eine vielfältige Verknüpfung erfahren, ebenso wie sie durch Verbin- dungsfäden mit dem Plexus coeliacus in Austausch treten. Von hier aus laufen Bündel feiner Nervenfäden einmal zur Nierenarterie, um auf dieser ein fein- maschiges Geflecht zu bilden und mit ihr zum Nervenhilus zu ziehen; ein anderer Teil der Nerven steigt als mehr selbständige Stränge mit dem Harn- !) Eckhards Beitr. z. Anat. u. Physiol. 1869, IV, S. 139, Taf. IV. Nerven. 239 leiter zum Nierenbecken empor. Vom Sinus renalis ab kann man die Nerven immer als Begleiter der Gefäßzweige verfolgen. Retzius!) fand bei Ka- ninchen und Maus, daß bis zu den Vasa afferentia bzw. bis zu den Glomerulis die Nerven jeweils um die arteriellen Gefäßbahnen feine Geflechte bilden; von diesen Geflechten gehen Endverzweigungen ab, die sich wieder teilen und deren Zweige mit varicösen Verdickungen in der Wand der arteriellen Ästchen endigen, „offenbar zur Innervation der Arterienwand dienend“. Disse?) konnte aber weiterhin zeigen, daß diese selben Gefäßnerven zu den Rindenkanälchen Äste entsenden, welche diese Kanälchen umspinnen und Ausläufer ausschicken, die mit Endknöpfchen der Membr. propria anliegen. Ähnliche Befunde haben v. Ebner und Kölliker erhoben; letzterer be- obachtete auch Nerven im Grenzgebiete des Markes gegen die Rinde. V. Smirnow ®) hat vermittelst der Golgischen Silberimprägnierung sowohl als mit der Ehrlichschen vitalen Methylenblaufärbung die Nierennerven von Embryonen und erwachsenen Individuen des Menschen, sehr vieler Säuger, von Fischen, Amphibien, Reptilien und Vögeln untersucht. Er fand, daß in dem großen Geflechte des Sinus renalis auch Ganglien von größeren Nervenzellen eingestreut sind (nach Krause schon von Tyson an Ferkel- nieren 1870 beobachtet), die den Charakter sympathischer Ganglienzellen tragen; sie entsenden Achsenzylinderfortsätze, die teilweise eine Mark- hülle tragen. In der Wand des Nierenbeckens bis an den Ringgraben der Papillen sah Smirnow sowohl motorische Endigungen in den glatten Muskeln als auch sensible „Endsträußchen“ im subepithelialen Bindegewebe, sowie drittens interepitheliale Nervenfädchen im Epithel des Nierenbeckens. Also ähnliche Verhältnisse, wie sie im Harnleiter vorliegen. Mit den Blut- und Lymphgefäßen der fibrösen Nierenkapsel laufen Nerven, diese Gefäße mit motorischen und sensiblen (adventitiellen) Endigungen versorgend. Zugleich geben sie aber auch markhaltige Ver- zweigungen ab zu den Faserbündeln der Kapsel selbst; diese markhaltigen Fasern liefern schließlich Strähne von Achsenzylinderfibrillen, welche mit Büscheln varicöser Fäden frei im Fasergewebe der Kapsel endigen. Die renalen Arterien sowohl als die Capillaren und Venen aller unter- suchten Tiere, von den Fischen bis zum Menschen hinauf, fand Smirnow von Nerven begleitet. Die dichten Nervengeflechte der größeren Gefäße liegen im Bindegewebe der Adventitia und der Media; sie senden Fasern aus, welche sowohl freie motorische Endigungen auf den glatten Muskelzellen liefern, als auch sensible Quästchen und Büschelchen für die bindegewebigen Teile. Die motorischen und sensiblen Endigungen waren bei allen Verzweigungen bis zu den Artt. glomeruliferae und Vasa afferentia vorhanden; ebenso an den Venae interlobulares, den „Venensternen“ und den größeren Venen. Mit den Hauptverzweigungen des Vas afferens gelangen marklose, varicöse Fäserchen an die Knäuelschlingen, und ebenso ließen sich motorische Nervenendigungen an den Muskelzellen der Vasa efferentia darstellen, zumal dort, wo die glatten Muskeln am Ausgang aus der Bowmanschen Kapsel die Wand des Vas efferens als ununterbrochene Schicht umhüllen. ‘) Biol. Unters., N. F., 3 (1892). — ?) 1. e. u. Marb. Sitzungsber. 1898, Nr. 8. — “) Anat. Anz. 19, 347 #£. und Taf. IL, 1901. NG (Sb) oO Nerven. Von der Wandung des Vas afferens setzen sich nun aber einzelne Nerven- fasern auch auf die Kapselmembran fort und liefern auf der Glomerulus- Fig. 91. Querschnitt durch gewundenes Harnkanälchen vom Frosch (vitale Methylenblaufärbung der Nerven). Die an der Blutcapillare Geflechte bildende Nerven- faser gibt auch Epithelnervenfasern ab (v. Smir- now, Anat. Anz. 19 [1901)). Schnitt aus einem Stück Rindensubstanz der Niere eines Menschen. Nervenfärbung durch Methylen- blau. Gewundenes Kanälchen mit epilemmalen Nervenfasern, von denen epitheliale Aste abgehen (v. Smirnow, Anat. Anz. 19 [1901]). kapsel zahlreiche freie, verzweigte Endigungen. An manchen Gefäßen, z.B. der Nieren von Hunden, Katzen, Nagern, ließen sich Nervengeflechte auch unter dem Endothel der Intima nachweisen, welche marklose Fäser- chen abgaben, in Büscheln aus- einanderfahrend und in Form kleiner Knöpfe anscheinend im Niveau der Endothelien endend. An den Haargefäßen der Rinde, der Kapsel, besonders aber deutlich an den langen Rindencapillaren ließ sich die dichte Umspinnung mit Nervennetzen gut beobachten, ebenso die kleinen geknöpften zwei- und dreifachen Endreiser (s. Fig. 91). In Übereinstimmung mit Disse, Azoulay, Berkeley beobachtete nun Smirnow, daß aus den Gefäß- nervenstämmchen auch Nerven für die Harnkanälchen entspringen, ähnlich wie Smirnow es für das Lungenparenchym nachgewiesen hat. Diese marklosen Nerven bilden auf der Membr. propria ein Geflecht: von seinen Maschenfasern gehen varicöse Nervenfädchen ab, welche in kleinen, auf der äußeren Fläche der Membr. ypropria gelegenen Büscheln enden, — epilemmale Nervenendigungen, bisher nur an den Tb. contortis und auf der äußeren Oberfläche der Bowman- schen Kapseln beobachtet. Aber die Fasern des epilemmalen Geflechtes senden nun durch die Membr. pro- pria Fasern zwischen die Epithel- zellen der Kanälchen hinein, welche diese Zellen mit quasten- und wein- traubenartigen Endgebilden um- kleiden —hypolemmale Nerven- endigungen. Diese Endgebilde — welche sehr an die sogenannten sekretorischen Nervenendigungen in den Speichel-. und Milchdrüsen, den Brunnerschen, den Labdrüsen erinnern — finden sich sowohl in den m nn nn nn we Nerven. 231 gewundenen als in den geraden Harnkanälchen; in einfacherer Form auch in den Sammelkanälchen und in den Ductus papillares. Von den Nervenstämmchen, welche an den dorsalen arteriellen Haupt- ästen und an den venösen Arkaden verlaufen — also von den Basen der Malpighischen Pyramiden herkommend — gehen die Nerven ab für die Marksubstanz; sie ziehen anfänglich vornehmlich in der Längsrichtung, werden aber bald von schrägen und queren Faserbündeln durchkreuzt. die zumal an den Nierenwarzen sehr zahlreich sind. Diese Bündel liefern Ge- flechte sowohl für die Blutgefäße des Markes als für die Markkanälchen selber. Letztere Geflechte senden zarte Fasern zwischen die Epithelzellen hinein und geben zugleich auch kleine End- büschel — wohl sensibler Natur — für das interstitielle Bindegewebe ab. Haben also die neueren ÜUnter- suchungen ergeben, dab neben der außer- ordentlich reichen Versorgung der Nieren- gefäße mit Nerven auch solche für das Kanälchensystem vorhanden sind, die immer als Zweige der Gefäßnerven sich darstellen, so ist für die Frage nach der Provenienz dieser Nerven vorläufig nur der vasomoto- rische Anteil in den Dienst der experimen- tellen Prüfung gestellt worden. Durch Reizung der kleinen Nervenstämmchen, Zwei gerade Kanälchen und zwischen ihnen r z = eine Blutcapillare aus der Malpighischen welche zum Hilus der Niere ziehen, kann Pyramide der Niere eines Hamsters (Chrom- man leicht rasche und starke Volum- nun en Roi DE abnahme der Niere und Verminderung der Harnmenge erzielen. Rose Bradford!) hat vermittelst der onkometrischen Methode (s. später) versucht, die Wurzelanteile der Nierengefäßnerven festzustellen, welche, wie oben erwähnt, vornehmlich durch die Nn. splanchniei den Grenzstrang verlassen. Bei successiver Reizung der einzelnen ventralen Rückenmarkswurzeln zeigte sich, daß Nierenkontraktion (d. i. Volumvermin- derung) vom 6. Dorsal- bis zum 2. Lumbalnerven am Hunde zu erhalten war; da die vasomotorischen Fasern dieser Wurzeln aber nicht nur zu den Nieren, sondern mit mehr oder minder großen Anteilen zu den gesamten Baucheingeweiden verlaufen, so trat immer starke Blutdruckerhöhung auf, . welche natürlich bei Reizung der Nierenstämmchen fehlt. Diese für ein Organ von so geringer Ausdehnung außerordentlich große Zahl der innervierenden Rückenmarkssegmente wird verständlich, wenn man die Erstreckung der ersten Anlage in Betracht zieht. Jedoch sind die genannten Wurzeln keines- wegs von gleicher Bedeutung; die Hauptmenge der vasomotorischen Fasern für die Niere stammt vom 10., 11., 12. und 13. Dorsalsegment, deren Radices ventrales als eigentliche Nierennervenwurzeln zu bezeichnen sind, d. h. sie führen überwiegend Nierengefäßfasern im Vergleich zur Menge ihrer Vasomotoren für die übrigen Eingeweide. Indem Bradford die be- kannten Tatsachen der langsameren Degeneration der Vasodilatatoren gegen- ') Journ. of Physiol. 10, 358 ff£., Taf. XXIII bis XXVI, 1889. 232 Nerven. über den Constrietoren, des besseren Ansprechens der ersteren auf niedrige Reizfrequenzen und der langen Nachwirkung sich zunutze machte, konnte er nachweisen, daß die obengenannten untersten Dorsalwurzeln auch die Haupt- menge der gefäßerweiternden Fasern für die Niere führen (s. a. später). Zweiter Teil: Die Nierenabsonderung. Die vorstehend betrachteten anatomischen Verhältnisse lassen den Schluß zu, daß die Niere als echte Drüse aufzufassen ist, welche einmal Stoffe, die ihr durch Blut- und Lymphstrom zugeführt werden, zu speichern und zu secernieren vermag. Daneben ist sie imstande, auch blutfremde Stoffe selbst- ständig zu bilden und ebenfalls auszuscheiden, Beweis dafür die bekannten Durchblutungsversuche an ausgeschnittenen Nieren von Schmiedeberg und Bunge!). Wurden dem PBlute Benzoösäure und Glykokoll zugesetzt, so vermochte die Niere Hippursäure daraus zu bilden. Nun zeigt aber die Niere andererseits in ihrem Bau und in ihrer Vascu- larisation erhebliche Abweichungen von anderen Drüsen derart, daß ihre Kanäle eine Reihe verschiedenartig gebauter und verschieden funktionierender Drüsenabschnitte hintereinander geschaltet darstellen; weiterhin ist die Hauptmenge der von ihr ausgeschiedenen Stoffe doch im Blute schon fertig vorhanden und steht die Konzentration ihres Sekretes in einem ganz auf- fälligen Parallelismus mit der Wasseraufnahme und dem Wassergehalt des Organismus — alles Tatsachen, welche unwillkürlich die Annahme aufdrängen, daß in dieser Drüse die Bildung des differenten Sekretes mit ganz besonderen Hilfsmitteln sich vollziehe. In der Tat hat auch Bowman?), der zuerst den Bau der Malpighischen Körperchen erkannte und in seiner Bedeutung würdigte, aus seinen anatomischen Untersuchungen geschlossen, daß die Niere einmal als Filter wirke, um Wasser aus dem Blute abzuscheiden, zum anderen, daß sie dem Filtrat vermöge der sekretorischen Tätigkeit der Harnkanälchen bestimmte Stoffe beimenge und damit dieses Filtrat zum Harn gestalte. Für erstere Ansicht schien ihm zu sprechen, daß auf jedes gewundene Harn- kanälchen mit seiner außerordentlich bedeutenden Oberflächenentwickelung nur ein Malpighisches Körperchen komme, eingestülpt in das blinde Ende desselben, wodurch sein Gefäßknäuel direkt an die innere Oberfläche der secernierenden Röhre gelange, und daß dieser Gefäßknäuel (das Wundernetz) aus einem zuführenden Rohr (Vas afferens) entstehe und sich wieder zu einem abführenden Gefäß (Vas efferens) sammle, eine Einrichtung, die eine Verlangsamung der Strömung mit entsprechender Hochhaltung des Blut- druckes in den Knäuelgefäßen bedinge. Weiterhin ändere das Epithel der Kanälchen im Binnenraum des blinden Kanalendes plötzlich seinen Charakter; dieser Raum sei mit einem Flimmerepithel ausgekleidet (nur deutlich bei oben erwähnten Tieren), das den aus dem Knäuel filtrierenden Wasserstrom in das Harnkanälchen treibe, also jede Flüssigkeitsansammlung in der Kapsel ver- hindere und somit stets eine erhebliche Druckdifferenz zwischen dem Inhalt der Glomerulusgefäße und dem Kapselraum aufrecht erhalte, welche die !) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 6, 233, 1876. — ?) Phil. Transactions London 1, 57 ff., 1842. BT Nierenabsonderung. 2353 Filtration natürlich begünstigen müsse. Den zweiten Teil seiner Theorie, nach welchem den Harnkanälchen sekretorische Funktion zukomme, gründet er auf das Aussehen der auskleidenden Zellen, welche durchaus Drüsen- epithelien glichen, und auf die außerordentliche Ausdehnung ihrer durch die vielen Windungen vergrößerten Oberfläche. Ludwig!), dem wir die genaueste Kenntnis vom Bau und von der Vascularisation der Niere verdanken, begründete die Ansicht Bowmans von der Filternatur der Glomeruli noch fester durch den Nachweis, daß der Überzug, der die Capillaren vom Kapselraume trennt, dieselben einfach über- spannt und zusammenbheftet; weiterhin, daß das Vas efferens enger sei als das Vas afferens und ın der Tiefe des Knäuels beginne. „An diesen Punkten (den Glomerulis) nämlich wird durch den Blutstrom, der hier aus einem engeren Lumen (Vas afferens) in ein weiteres (den Glomerulus selbst) und dann wieder in ein engeres (Vasefferens) strömt, nach hydraulischen Gesetzen ein bedeutender Druck auf die Gefäßwandungen ausgeübt. Durch diesen Druck wird durch die feinen Gefäßhäute ein gewisses Quantum Flüssigkeit ausgepreßt werden müssen; dieser Teil unserer Ansicht kann wohl kaum hypothetisch genannt werden“ (l. c., b S. 637). Während aber Bowman die in den Glomerulis abgepreßte Flüssigkeit als Wasser ansprach, nahm Ludwig weiter hypothetisch an, daß die Wan- dungen der Knäuelgefäße die Eigentümlichkeit besitzen, von den flüssigen und aufgelösten Bestandteilen des Blutes nur Wasser, einen Teil der Ex- traktivstoffe und die freien, nur im Wasser gelösten Salze durch sich hindurch- treten zu lassen, während sie sämtliche Proteinsubstanzen, die Fette und die mit beiden in Verbindung befindlichen mineralischen Bestandteile zurück- halten. (Ludwig stützt sich dabei auf die von Brücke u. a. gemachten Erfahrungen, daß Membranen — wie Eischalenhäutchen — bei Endosmose für Eiweiß undurchgängig sind ?). Die somit abfiltrierte Flüssigkeit sei ein sehr diluierter Harn, er werde auf seinem Wege durch die langen Harn- kanälchen infolge von Wasserabgabe konzentriert. Dies sei verständlich, da die Capillaren, welche die Harnkanälchen umspinnen, aus den Vasa efferentia hervorgehen, also ein sehr konzentriertes Blut enthalten. Heidenhain?°) hat die Ludwigsche Hypothese bekämpft und ihr eine andere gegenübergestellt, der zufolge alle Vorgänge bei der Harnbereitung rein sekretorischer Natur seien (S. 361). Es sollen die den Glomerulis auf- liegenden Epithelzellen das Wasser und die Salze (ClNa u. a.) secernieren, die gewundenen Harnkanälchen die „spezifischen Harnbestandteile“ (Harn- stoff, Harnsäure, Hippursäure usw.); daneben scheiden sie auch unter Um- ständen etwas Wasser ab. „Der Grad der Tätigkeit der beiderlei Sekretions- zellen wird bestimmt: 1. durch den Gehalt des Blutes an Wasser bzw. an festen Harnbestandteilen; 2. durch die Blutgeschwindigkeit in den Nieren- capillaren, sofern von den letzteren die Versorgung der betreffenden Zellen teils mit dem für sie bestimmten Absonderungsmaterial, teils mit Sauerstoff abhängt. Die große Veränderlichkeit der Zusammensetzung des Harnes er- ) a) Wagners Handwörterbuch 2, 628 ff., 1844; b) Lehrb. d. Physiol., zweite Aufl., 2, 373, 418, 489, 1861; c) Handb. d. mikr. Anat. (Stricker). — °) Martin (Journ. of Physiol. 20, 364, 1896) hat auch durch Gelatinefilter eiweißfreie Filtrate erhalten. — °) Hermanns Hand. d. Physiol. 5, I, 279 #f., 1883. 234 Nierenabsonderung. klärt sich aus den Schwankungen in der Absonderungstätigkeit der beiderlei Zellen, deren relatives Verhältnis in breiten Grenzen wechselt“ (l.e.S.362 oben). Heidenhain war sich wohl bewußt, daß mit dieser „Erklärung“ noch wenig gewonnen ist; er hebt hervor, daß der Vorgang der „Zelltätigkeit“ vollständig dunkel, bzw. „daß die Annahme einer aktiven Zelltätigkeit nichts weniger als mechanisch verständlich sei“. Wollen wir diese Vorgänge näher ergründen, so müssen wir doch wieder zusehen, wie weit Filtration, Diffusions- und osmotische Vorgänge bei ihnen eine Rolle spielen, um den Umfang der dabei außerdem tätigen, noch unbekannten Kräfte auf ihr richtiges Maß zurückzuführen. Es wird sich empfehlen, hierbei dem Gedankengange Heidenhains zu folgen, den er bei der Abwägung aller Tatsachen für oder wider die einzelnen Theorien entwickelte, und zu untersuchen, wie nach dem jetzigen Stande des Wissens das pro und contra sich darstellt. A. Der sog. „wasserabsondernde‘“ Teil(Malpighische Körper). I. Glomerulusfiltrat und osmotischer Druck. Auch heute noch wird jeder, der sich die merkwürdige Einrichtung der Malpighischen Körper vor Augen führt, den gleichen Eindruck haben, den Bowman von ihr gewann, nämlich daß hier ein Apparat vorliege, geschickt, einen Flüssigkeitsstrom durch die Nierenkanälchen hindurchzutreiben. Nur meinte Bowman, diese Flüssigkeit sei Wasser, das allenfalls Salze enthielte, indes Ludwig das Knäuelfiltrat als ein Blutserum minus Eiweiß betrachtete. Daß von einer mechanischen Abfiltrierung des Blutwassers durch den arteriellen Knäueldruck nicht die Rede sein kann, haben die Untersuchungen von Dreser!) und Tammann) gezeigt. Beide Autoren gründeten ihre Untersuchungen auf die Tatsache, daß jede gelöste Substanz das Lösungsmittel (Wasser) festhält, und daß stets ein Aufwand von Energie nötig ist, der Lösung das Lösungsmittel zu entziehen. Ist die Lösung durch eine nur für Wasser durchgängige (semipermeable) Wand vom reinen Lösungsmittel oder von einer anders konzentrierten Lö- sung getrennt, so ist im ersten Falle eine Druckkraft gleich dem osmotischen Druck der Lösung nötig, das Wasser von ihr abzupressen, es durch die Wand hindurchzutreiben; im zweiten Falle ist sie gleich der Differenz der osmoti- schen Drucke. Die Größe des osmotischen Druckes einer Lösung läßt sich unter anderem durch die Gefrierpunktserniedrigung (7) ermitteln und unter Berück- sichtigung der gewechselten Volumina auch die zu leistende Arbeit (s. später). Die Gefrierpunktserniedrigung (J) des Blutes wird im Mittel zu — 0,560°C gefunden; es würde dies, bei 12 Atmosphären für 1° Gefrier- punktserniedrigung, einem Druck von etwa 7 Atmosphären entsprechen, oder über 5000 mm Hg). Nach Tammann (l. e.) ist der Anteil der osmotischen Drucke der organischen Substanz eines Pferdeblutes von — 0,56°C etwa mit 840 mm Hg anzusetzen; der des Traubenzuckers bei 0,05 bis 0,1 Proz. Gehalt !) Arch. f. exp. Pathol. 29, 303 ff., 1892. — °) Zeitschr. f. physik. Chem. 20, 180 ff., 1896. — °) Betreffs der Methodik osmotischer Druckbestimmungen und ihre Berechnung aus Gefrierpunktserniedrigung usw. muß ich wieder auf die von Overton in diesem Handbuch gegebene Darstellung verweisen. Filtration im Glomerulus. 335 mit 50 bis 100mm Hg, des Harnstoffes bei 0,01 bis 0,05 Proz. mit 30 bis 180mm Hg. Der osmotische Druck der Eiweißkörper ist, nach dem hohen Molekulargewicht zu schätzen, sehr gering; berechnet man ihn, wie Dreser (l. ec.) und Tammann taten, auf Grund der Differenz der Gefrierpunkts- erniedrigungen des normalen und des enteiweißten Serums, so erhält man ebenfalls sehr geringe Werte, aber die erhaltene Gefrierpunktsdifferenz von etwa 1/500°C fällt schon in den Bereich der Versuchsfehler der kryoskopischen Methoden. Starling'‘) hat daher versucht, durch einen sinnreichen Apparat den osmo- tischen Druck der Serumeiweißkörper. direkt zu bestimmen. Als colloidundurch- gängige Membran des Osmometers benutzte er zwei Schichten von Kalbs- peritoneum, durch eine Gelatinehaut getrennt und auf ein Rohr von Silbergaze montiert. Die Membran trennte ein Serum, das dureh Filtration vermittelst einer gelatinegetränkten Tonzelle hergestellt war — oder eine isotonische Salzlösung — von dem Rückstand auf dem Filter bzw. von einem Serum. Alles war vor Ver- dunstung geschützt, und es wurde nun der ganze Apparat tage- und wochenlang in schaukelnder Bewegung erhalten, um die Flüssirkeitsschiehten an beiden Seiten der Membran fortwährend zu erneuern. Ein mit dem Colloidrohr verbundenes He-Manometer gab die erhaltenen Drucke an. Starling fand im Mittel für 1 Proz. Colloidsubstanz etwa 4mm Hg- Druck; bei einem Gehalte des Blutserums von 7 bis 8 Proz. Eiweißkörpern ergäbe das 25 bis 30 mm Hg osmotischen Druck. W. Reid?) erhielt ähn- liche Werte für den osmotischen Druck pro 1 Proz. Eiweiß (Hühnereiweiß oder Blutserum), die ebenfalls wie bei Starling in einer gewissen Breite schwankten. Daß der osmotische Druck dieser Substanzen, wie aus den Untersuchungen von Reid (l. c.) hervorgeht, nicht auf die Eiweißkörper selbst, sondern auf Spaltprodukte der Proteide zu beziehen ist, ist für die vorliegende Betrachtung belanglos. Soll, wie von Bowman angenommen wurde, im Glomerulus Wasser vom Blutplasma abfiltriert werden, so könnte das nur unter Überwindung des osmotischen Druckes des letzteren geschehen, also eines Druckes, der 7 Atmosphären übersteigen müßte. Aber selbst wenn wir mit Heidenhain (l. ce. Handb., S. 361) annehmen, daß die Glomeruli mit dem Wasser auch die Salze des Blutes vom Plasma absondern und nur die freigelösten kristallini- ‚schen organischen Bestandteile (Harnstoff usw.) zurückbleiben, so mübte, ein Abpressen vorausgesetzt, ein sogar die Aortenspannung um ein Mehrfaches übertreffender Druck dazu benötigt werden (s. oben). Um ein Urteil darüber zu bekommen, von welchen Teilen des Plasmas ein Glomerulusfiltrat ab- gepreßt werden, um welche Plasmabestandteile ein solches Filtrat ärmer sein könne, müßten wir den Minimaldruck kennen, unter welchem über- haupt noch Harn abgesondert wird, oder gegen welchen Ureterdruck bei normalem Glomerulusdruck die Niere noch Harn absondern kann. Über ersteren Punkt, die Blutdruckgrenze, welche eben noch Harnsekretion 'er- laubt, geben die Versuche von Goll, von Ustimowitch, die bei 40mm noch Harnabsonderung, und von Grützner, der bei 30 mm Aortendruck noch einzelne Tropfen aus dem Ureter kommen sah, Auskunft. Das gäbe, wenn wir mit Tammann nach Wundt den Glomerulusdruck um 20 Proz. ) Journ. of Physiol. 19, 312, 1896 und 24, 317 ff., 1899. — ?) Ebenda 31, 438 ff., 1904. 236 Filtration im Glomerulus. geringer als den Aortendruck annehmen, 32 bzw. 24mm Knäueldruck. Schröder!) hat bei einem Kaninchen in Koffeindiurese bei einem durch‘ Chloralhydrat auf 40 bis 50 mm Hg herabgedrückten Aortendruck noch Harn- abscheidung erhalten. Der minimale Blutdruck, der noch Harnsekretion erlaubt, ist also, wie gefordert, ein wenig höher als der osmotische Druck der Eiweißkörper. Was den zweiten Punkt anlangt, so fand Heidenhain (Handb., S.326) am Hunde bei 100 bis 105mm Aortendruck einen Maximal- druck des Ureters von 64mm. Starling?) hat bei einem Diureseversuch mit Injektion von Diuretin bei 32mm Druckdifferenz zwischen Aorta- und Ureterendruck Gleichgewicht beobachtet. Er sieht in diesem Umstande ein ziemlich schwerwiegendes Argument für die Ludwigsche Ansicht, daß der in den Glomerulis sich abspielende Prozeß der einer Filtration ist. Die nahe Beziehung zwischen den Werten für den osmotischen Druck der Eiweißkörper und den Zahlen für die minimalen, noch Harn liefernden Blutdruck- höhen würde diese Ansicht auch noch stützen, wenn wir gemäß den Einwänden Heidenhains — oder in Konsequenz der Ludwigschen Hypothese einer Rückresorption aus den Kanälchen — den Stillstand des Ausflusses bei einem gewissen Ureterdruck nicht durch Aufhebung der Filtration bedingt ansehen, sondern als einen Gleichgewichtszustand, bei welchem in gleichem Ausmaße resorbiert wie secerniert wird. Gottlieb und Magnus’) glauben diese Heidenhainsche Auffassung durch ihre Versuche zu stützen, indem sie zeieten, daß der Ureterendruck bei gleichbleibendem oder sogar bei steigendem Carotis- druck fallen kann. Nun ist aber ja, wie unten noch näher erörtert wird, der Glomerulusdruck auch bei gleichbleibendem Blutdruck abhängig von den Wider- ständen der Strombahn, und andererseits geben Gottlieb und Magnus (l.c., S. 249) selbst an, daß raschen Schwankungen des arteriellen Druckes auch das Ureteren- manometer zu folgen pflegt. Weiterhin ist aber bei ihnen ein auffälliger Parallelis- mus zwischen Blutdruck und Harnsekretion zu bemerken, denn in dem Versuche von Gottlieb und Magnus, in welchem sie durch kontinuierliche intravenöse Infusion von warmer 0,9 proz. C1Na-Lösung eine profuse Diurese hervorriefen, dann aber durch wiederholte intravenöse Injektion von 4 Proz. Chloralhydratlösung den Blutdruck allmählich herabsetzten, fiel mit sinkendem Blutdruck gleichmäßig auch die abgesonderte Harnmenge. Letztere wurde an der rechten Niere bestimmt mit freiem Ureterausfluß; der linke Ureter war mit Manometer armiert. Bei einer Differenz zwischen Ureterdruck und Blutdruck von 6mm He der linken Niere wird von der rechten Niere in fünf Minuten noch 0,3 cm? Harn secerniert; der Blut- druck ist jetzt etwa 22 bis 23mm Hg; bei 16 mm Druck trat noch ein Tropfen Harn hervor. Das Ureterenmanometer ist mit sinkendem Blutdruck ebenfalls ge- fallen, bleibt dann auf etwa 18mm Hg stehen, um ganz am Schluß noch etwas abzusinken. Es ist nun keineswegs gesagt, daß bei dem niederen Blutdruck, wo derselbe dem Ureterendruck nahe kommt, die linke Niere auch noch secerniert habe; die gleichzeitige Sekretion der rechten Niere beweist dafür nichts. Es ist aus ihr nur zu entnehmen, daß bei ganz extremer Blutverdünnung auch Drucke unter 30 mm Hg noch etwas Sekretion erlauben. Ob das Sekret noch Glomerulus- filtrat ist oder von den Kanälchenepithelien geliefert wird, sei hier dahingestellt. Stellen wir uns auf den Standpunkt einer Filtration im Glomerulus auf Grund der dargelegten Bedingungen, so müßte das Filtrat ein Blutplasma sein, vermindert um das Bluteiweiß bzw. um die an Üolloide gebundenen Stoffe. Es müßte weiterhin die Stärke des Filtrationsstromes mit der Höhe des Blutdruckes gleichmäßig steigen und fallen, vorausgesetzt, daß mit diesen Druckänderungen keine Änderungen in der Beschaffenheit des Blutes und !) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 22, 39, 1887. — ?) Journ. of Physiol. 24, 322, 1899. — °) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 45, 248 ff., 1901. Filtration im Glomerulus. 937 der filtrierenden Wände gesetzt würden, wobei namentlich die Grenzschichten von Blut und Wand in Betracht kämen. Nun ist aber der Harn nur in ganz seltenen zufälligen Fällen einem Glomerulusfiltrat — etwa gemessen an der Gefrierpunktserniedrigung — gleichzusetzen ; unter gewöhnlichen Verhältnissen liegt sein Gefrierpunkt sehr viel niedriger; es muß also eine bedeutende Konzentration stattgefunden haben. Diese kann einmal geschehen sein durch Hinzutreten von Stoffen auf dem Wege vom Glomerulus durch die lange Bahn der Rinden- und Markkanälchen — im ersten Teile wurde gezeigt, daß alle histio- physiologischen Momente für eine echte Sekretion in gewissen Abschnitten dieser Bahn sprechen —, zum anderen kann eine Resorption von Wasser stattgefunden haben — was Ludwig annahm —, zugleich auch mit einer Rückresorption gelöster Substanzen. II. Einfluß des Blutdruckes auf die Harnabsonderung. Daß mit Steigen und Sinken des Druckes im arteriellen System bzw. in den Nierengefäßen die abgesonderte Harnmenge steigt und fällt, hatte schon Ludwigs Schüler Goll!) gezeigt; die betreffenden Tatsachen sind seitdem vielfältig bestätigt worden; ich erinnere nur an Hermanns Versuche mit Verengerung der Nierenarterie; an Cl. Bernards und Eckhards Beobach- tungen, daß auf Reizung der vasoconstrictorischen Nierennerven AÄnurie, nach Durchtrennung derselben Polyurie eintritt u.a. Der Einwand Heiden- hains (Handb., S. 524ff.), daß auf Abklemmung der Nierenvene die Harn- absonderung sofort stark herabgeht und in kürzester Zeit vollständig versiegt, obwohl hierbei der Knäueldruck rasch auf die Höhe des Wertes in der Art. renalis kommen muß, ist nicht stichhaltig.. Denn der Blutstrom in den Nierengefäßen muß dadurch zum Stillstand kommen, und zwar nach dem, was oben über die Gefäßanordnung im Glomerulus, über das Fehlen von Klappen im ganzen Venenbezirk gesagt wurde, fast momentan. Der starke Druck preßt jetzt noch etwas Glomerulusfiltrat hindurch, treibt also an der Wandschicht die Konzentration des Blutes sofort in die Höhe; da nun aber wegen des Stillstandes des Stromes neue, weniger konzentrierte Schichten nicht herantreten, so muß in kürzester Frist die Filtration versiegen. Die Konzentrationszunahme durch Abpressen von Quellungswasser der Üolloid- substanzen konnte so lange steigen, bis der Quellungsdruck derselben den Filtrationsdruck überwog. Daß bei diesem Versuch der wenige, anfänglich noch erscheinende Harn eiweißhaltig ist, kann wohl auf eine Veränderung der Wände der Glomeruluscapillaren bzw. des Knäuelsyneytiums, die unter dem vollen Arteriendruck übermäßig gespannt werden, zurückzuführen sein. Enthielte die in den Glomerulis strömende Flüssigkeit nur filtrierende Stoffe, so müßte die Druckerhöhung durch Venenstauung wie jede andere, nämlich verstärkend auf den Filtratstrom wirken. Tammann (l. c.) hat in Verbindung mit Kobert frische Ochsennieren mit Lösungen von 0,75 Proz. Chlornatrium, denen entweder Zucker oder Harnstoff oder Gummi arabicum zugesetzt war, unter einem Drucke von 100 mm Hg und bei Bluttemperatur perfundiert. Die aus dem Ureter strömende Flüssigkeit wurde genau analy- !) Zeitschr. f. rat. Med., N. F., 4, 86, 1854; s. auch Heidenhain, Handb,, S. 318 ff. 338 Filtration im Glomerulus. siert. War die Vene offen, so floß pro Minute 1 cm? Filtrat aus dem Ureter, indes zu gleicher Zeit 300 cm? Flüssigkeit durch die Gefäße strömten. Nach Abklemmung der Vene wuchs die Menge des Filtrats gewöhnlich um das Doppelte, in einigen Fällen sogar um das Zehnfache. Niemals verursachte die Venenabklemmung eine Verminderung oder Sistierung des Filtrates. Um dem Einwande eines eventuellen Nierendefektes zu begegnen, wurde am Ende jedes Versuches defibriniertes Blut durchgeleitet, das Ureterfiltrat wurde hierbei nicht blutig. Sein Gehalt an Trockensubstanz änderte sich im letz- teren Falle allerdings, wie zu erwarten war, indes bei obigen Lösungen der (Gehalt der einströmenden Flüssigkeit und des Ureterfiltrates nur um wenige Hundertelprozent differierten. Es konnten also ohne merkliche Konzen- trationsänderungen sowohl Kochsalz, Harnstoff und Rohrzucker, als auch Gummi arabicum (1 Proz. Lösung + 0,75 Proz. C1Na) durch die Wände des Glomerulusknäuels gepreßt werden. (Tammann läßt es dahingestellt, ob bei Ludwigs Versuchen, bei denen Gummi arabicum nicht filtrierte, etwa dies an der Versuchsanordnung gelegen habe.) Geht aus diesen Versuchen hervor, daß dem Drucke ein direkter Einfluß auf die Menge der Glomerulusabschei- dung zukommt, so zeigen sie andererseits, daß, im Falle die zu filtrierende Lösung einen nicht durchgehenden Bestandteil enthält — und nur um eine solche handelt es sich bei der Abscheidung von Harn aus Blutplasma — die Strömung, also die stete Erneuerung der vorbeipassierenden Lösung, eine wichtige Rolle spielt. Wird letztere oder ihre Wandschichten nur um ein weniges konzentrierter, so wird ohne Erneuerung die Filtration be- hindert. Ist also der Heidenhainsche Einwand gegen den Einfluß des Druckes hinfällig, so ist doch andererseits der Nachdruck, mit dem derselbe Forscher die Wichtigkeit rascher Strömung betont, vollkommen gerechtfertigt. Es wird sich dies zeigen sowohl bei der Beurteilung sogenannter reiner Plethoraversuche (Magnus) als bei den Versuchen, eine Überschlagsrechnung über die Blutmengen anzustellen, welche die Niere durchströmen, vor allem aber bei der Erörterung über die Möglichkeit einer Rückresorption von Wasser. Die genauen Angaben von Tammann und Kobert nebst den analytischen Belegen für das erhaltene Filtrat lassen einen Zweifel an der Richtigkeit ihrer Resultate nicht wohl aufkommen. Nun hat aber Sollmann!) an Hundenieren andere Resultate erhalten. Er hat an überlebenden bzw. toten Nieren (s. unten) gezeigt, daß die Perfusion mit Salzlösungen ein Ureterensekret liefert, das durch reinen Filtrationsprozeß zustande kommt; er hat nun weiter, wie schon Ludwig 1863, gefunden, daß Venenverenserung die Menge des Filtrates herabsetzt und daß Venenverschluß unter starkem Anschwellen der Niere die Sekretion so gut wie aufhebt, was auch Munk und Senator an ausgeschnittenen Hundenieren beobachteten. Er findet auch wie Paneth°), daß nach Aufhebung der Venen- kompression die Ausflußmenge noch eine Zeitlang herabgesetzt bleibt, und glaubt, daß dies auf die vorhergehende Zusammenpressung der Glomerulusschlingen zurück- zuführen sei. Die gegenteiligen Resultate von Schwarz°), welcher Blutgerinnung als die Ursache von Heidenhains Befund anspricht, konnten von de Souza®) nicht bestätigt werden; sie werden auch hinfällig durch das ausnahmslose Ver- siegen des Harnabflusses in Sollmanns Versuchen mit Salzlösung. Sollmann hat durch Experimente an Modellen die Überzeugung gewonnen, daß, ganz !) Amer. Journ. of Physiol. 13 (1905). — *) Pflügers Arch. 39, 515, 1886. — °) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 43, 1, 1900. — *) Journ. of Physiol. 26, 139, 1901. Onkometrie. 239 wie Ludwig es angab, die Ursache des Versierens in einer durch Ausdehnung aller Gefäße bedineten Kompression der Harnkanälchen und vielleicht auch der Glomeruluskapselräume zu suchen ist. Ob nun die anatomischen Verhältnisse in der Ochsenniere gegenüber denen der Hundeniere derart lieren, daß Tammanns Befund dadurch eine Erklärung fände, muß erst weiter untersucht werden. III. Die Größe der Nierendurchblutung (Onkometrie). Für die Beurteilung von Ludwigs Annahme, daß im Glomerulus ein enteiweißtes Blutplasma einfach filtriere, ist natürlich das Studium des Par- allelismus zwischen der Stärke des Blutstromes in der Niere und der Stärke der Harnabsonderung von großer Wichtigkeit. Solange man nur aus der Höhe des Aortendruckes Schlüsse auf die Nierendurchblutung zog, war die Beurteilung dieses Parallelismus eine unsichere, die auch nicht viel mehr Sicherheit gewann durch die Befunde nach experimenteller Kompression der E Fig. 94. Roys Onkometer. 4 äußere Schalen, B innere Schalen, C Fixierschraube, D Schließklinke, E Doppelkanüle (zur Füllung und zur Verbindung mit dem Registrierapparat), F Schließkork, @ Niere, H Membran, K Gefäßbündel der Niere, L Halbrinnen, die den Hals bilden. (14 nat. Gr.) Virchows Arch. 92, Taf. XII. Nierengefäße. Einen bedeutenden Fortschritt brachte hier die plethysmo- graphische Methode, wie sie von Roy!) bzw. von Roy und Cohnheim ) in Gestalt des Onkometers angewendet wurde. In zwei Metallschalen, die ein Scharniergelenk verbindet, werden durch zwei ebensolche, genau dareinpassende Schalen dünne Membranen (Kalbsperitoneum des Handels®) in mäßiger Spannung vermittelst Schrauben (0) fixiert, der Raum zwi- schen Kapsel und Membranen durch die hohlen Schrauben hindurch mit warmem Ol gefüllt und zwischen die Membranen die Niere ebenfalls in Öl gebettet. Die Nierengefäße und Nierennerven sowohl wie auch der Ureter treten durch eine Halbrinne (L) an jeder der Kapseln nach außen; werden letztere zugeklappt und mit einer Klinke (D) verschlossen, so bilden die Rinnen ein Rohr, in welchem die Ge- ‘) Journ. of Physiol. 3, 205, 1880. — ?) Virchows Arch. 92, 424, 1883. — °} Angegeben von Roy (Journ. of Physiol. 1 (18), 454; 2 (18), 225; 3 (18), 203. 240 Onkometrie. fäße mit Vaselin ohne Behinderung der Strömung abgedichtet werden können. Die eine Kapselschraubenöffnung wird dann durch einen Kork verschlossen, die andere mit einem volumetrischen Horizontalrohr oder mit einem Volumenschreiber ver- bunden, das Onkometer so zum Onkographen gestaltet. Eine von Schäfer!) bei Gelegenheit der Anwendung der Methode auf die Milz angegebene Modifikation des Onkometers durch Formung der Kapseln ad hoc aus Guttapercha bewährt sich auch für die Niere. Thompson’) hat es sehr zweckmäßig gefunden, die Ol temperatur durch Versenkung des Onkometers in einen Temperator, aus zwei Doppelhalbkugeln bestehend, deren Hohlraum von konstant temperiertem Wasser durchflossen wurde, auf der gewünschten Höhe zu halten. Es lassen sich auf diese Weise auch die kleinsten Volumenänderungen der Niere, hervorgerufen durch den wechselnden Blutstrom, nachweisen. Um aber die aufgezeichneten Volumschwankungen zur Gewinnung eines Bildes der Druck- und Strömungsverhältnisse in den Nieren zu verwerten, ist immer zu bedenken, daß einmal das Volumen abhängt sowohl von der Stärke des arteriellen Zuflusses als von der des venösen Abflusses — es muß also immer daneben eine Kontrolle des allgemeinen Blutdruckes einhergehen —; zum andern aber, daß bei der außerordentlich reichen, bis zu den kleinsten Ka- libern herabgehenden Versorgung der Nierengefäße mit Gefäßnerven die Schwankungen des Nierenvolumens keine Auskunft darüber geben, ob alle Teile des Nierengefäßsystems gleichmäßig oder nicht gleichmäßig daran teil- haben und welche Orte vornehmlich von den Veränderungen betroffen sind. Lamy und Mayer?) haben der onkometrischen Methode den Vorwurf gemacht, daß die mehr oder weniger starke und wechselnde Imbibition des Nieren- parenchyms Volumenänderungen hervorbringe, daß also aus diesen nicht zwingend auf eine Änderung der Durchblutung geschlossen werden könne, Abgesehen davon, daß die Volumänderungen sich sehr rasch vollziehen, gibt die Inspektion der Nierenvene (s. später) einen unzweideutigen Aufschluß darüber, ob wirklich die stärkere Blutdurchströmung für einen steigenden Onkometerausschlag die Ursache war, und umgekehrt. Behält man diese Verhältnisse im Auge, so stellt die onkometrische Methode eines der wert- vollsten Hilfsmittel zur Funktionsprüfung der Nieren dar, zumal sie der gleichzeitigen Messung der aus den Ureteren fließenden Harnvolumina kein Hindernis entgegenstellt. Die Angaben der onkographischen Kurven liefern ein sehr treues Bild der Schwankungen in der Nierendurchblutung; es könnten auch aus den mit Schwimmer erhaltenen Kurven nach Ficks Methode die Variationen der Geschwindigkeit in der Art. renalis abgeleitet werden, aber Maßangaben über die durchfließenden Blutmengen liefern sie natürlich nicht. Man hat auf verschiedene Weise versucht, eine Anschauung von den | Blutmengen, welche die Niere während eines gewissen Zeitabschnittes durch- | strömen, zu gewinnen. Heidenhain (Handb., 8.342) hat eine Überschlags- rechnung der in 24" durch die Nieren strömenden Blutmengen aufgestellt, um nachzuweisen, daß die Annahme einer Filtration in den Glomerulis mit folgender Rückresorption von Wasser in den gewundenen Kanälchen zu un- geheuerlichen Annahmen führe. So sehr berechtigt ein Teil der Heidenhain- schen Bedenken ist (s. unten), so ist doch seine Berechnung der Nierendurch- blutung kaum den wirklichen Verhältnissen entsprechend. r !) Journ. of Physiol. 20 (1896). — ?) Ebenda 25, 503/504, 1900. — °) Journ. de physiol. et pathol. gener. 6, 1069, 1904. Anteil der Nieren am Blutstrom. 241 Heidenhain nimmt, was wohl annähernd richtig ist, drei Kreisläufe pro Minute an; bei 6kg Blut in einem Individuum von 75kg Körpergewicht gibt das rund 26000 kg oder 24500 Liter Blutdurchfluß durch den Körper in 24h, Durch die Aorta flössen also 300 em® Blut pro Sekunde. Setzen wir, gemäß geltenden Annahmen, 500 mm/sec Längengeschwindigkeit in der Aorta, so resultierte ein Querschnitt der Aorta von 600 mm” —= 6cm?. Tigerstedt!) gibt 4,4 em? für den Querschnitt; dies ist wohl zu wenig, denn die Messungen von Suter?) über „Aortenumfang intra vitam“ ergeben bei Leichen von 151 bis 170cm Länge im Mittel 10,8” cm Umfang der unter 171mm Hg Druck gesetzten Aorta. Rechnen wir rund 10,5 cm, so entspricht das einem Radius von 1,7cm; die Wanddicke der Aorta unter 170mm Hg beträgt etwa 3mm; das ergäbe einen lichten Querschnitt von 6,2cm®. Dieser Wert weicht von dem durch obige Rechnung gefundenen nur wenig ab. Heidenhain nimmt nun an, daß das relative Gewicht der Nieren (= so, des Körpergewichts) auch als Maß ihres Anteils an der Blutdurchströmung gelten könne. Betrachtet man die außerordentlich reiche Vascularisation der Niere (schon Henle wies darauf hin), so muß diese Annahme unwahrscheinlich dünken. Auf Grund obiger Zahlen ließe sich vielleicht eine andere Rechnung aufmachen, um über diese Verhältnisse einen annähernden Überblick zu gewinnen. Die Strö- mungsgeschwindigkeit in der Nierenarterie des Menschen wird, wenn wir die Dogielschen Zahlen in Betracht ziehen, etwa mit 100 bis 120 mm/sec anzu- setzen sein. Dieser Wert wird eher dem minimalen entsprechen. Ich habe nun an Stümpfen der Nierenarterien von frischen, mittelgroßen Leichen Messungen angestellt, indem ich einmal diese Gefäße dehnte durch physiologische C1Na- Lösung unter Drucken von 100, 130, 150 und 170 mm Hg; ich erhielt Durchmesser (mit Kaliber außen gemessen) von 7,1, 7,1, 7,4, 7,6mm®*). Dehnte ich durch Ein- führen eines konischen Glasstabes die Arterie wieder auf 7,6 mm, so betrug die Wanddicke 0,3 mm; bei 7,1mm 0,5 mm. Für die lichte Weite wäre also bei mitt- leren Drucken als Radius 3mm bzw. 28,3 mm”? als Querschnitt anzusetzen. Für 3mm Radius und 100 mm/see Längengeschwindiekeit ergäbe das ein Sekund- volumen von 2,8 cm? bzw. 241 Liter/24h für eine und 482 Liter für beide Nieren. Für 120 mm/sec erhielten wir 588 Liter/sec 24h, es würden also die Nieren im einen Falle rund \;,, im anderen rund !/,, des Gesamtstromes als Anteil erhalten. Ich setze die minimalen Werte von 100 bzw. 120 mm Längengeschwindig- keit ein, da ich ja nicht, wie Suter an der Aorta, muskelfreie Gefäße dehnte, also für die Lichtung etwas hohe, einer Gefäßerschlaffung entsprechende Werte erhielt. Tigerstedt und Landergren‘*), welche direkt mit der Ludwigschen Stromuhr die Volumengeschwindickeit in der Art. renalis von Hunden maßen, beob- achteten eine außerordentlich starke Durchblutung der Nieren. Auf Grund der erhaltenen Daten rechnen sie für den Menschen bei reichlicher Harnabsonderung 480 kg Blut als Anteil beider Nieren in 24 Stunden. Eine andere Methode zur Bestimmung der Nierendurchblutung wandten Bareroft und Brodie°) an. Zur Messung des Gaswechsels der Niere (s. unten) hatten sie Hunde so hergerichtet, daß nur das Vordertier samt den Nieren, aber ohne Eingeweide und Hinterkörper vom Blutstrom durchflossen wurde. Das Blyt der Nierenvene konnte von Zeit zu Zeit in ein eraduiertes Glasrohr geleitet werden, und es wurde die Zeit bestimmt, welche zum Erguß von 10cm” benötigt wurde; da dies in drei bis sechs Sekunden geschah, war die Gefahr der Gerinnung ver- mieden, aber die Versuchsfehler mußten sich natürlich bei den daraus berechneten Minutvolumen durch Multiplikation erhöhen. In Experiment I wogen die Nieren 65 g — 0,722 Proz. oder '/,ss des Körpergewichtes. Bei normaler Harnsekretion flossen 40 cm® pro Minute Blut hindurch, das ergäbe pro 24 Stunden 57,6 Liter. Bei ‘) Physiologie des Kreislaufs, Leipzig. — ?) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 31, 328, 1895. — °) Einige der Nierenarterien waren deutlich konisch, sie verjüngten Sich ziemlich stark bis zum Abgang der Äste — es wurde bei diesen eine mittlere Stelle gemessen. Ebenfalls waren die Querschnitte nicht selten elliptisch, doch glich sich letzteres infolge ungleicher Wandbeschaffenheit bei der Dehnung größtenteils aus. — °) Skan. Arch. f. Physiol. 4, 291 ff., 1892. — °) Journ. of Physiol. 32, 18 ff., 1904/05. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 16 der folgenden Salzdiurese war das Minutvolumen 73 em? 109,4 Liter/24h oder 1,9mal so viel als vorher. Übertragen wir die Werte auf die Nieren eines Men- schen von 70kg, welche nach obiger Annahme 350g wiegen, so erhielten wir 311 Liter/24k in der Ruhe und 590,9 Liter/24k für eine Diurese. In Experiment II mit Nieren von 55,5 8 — 0,694 Proz. des Körpergewichts waren die entsprechen- | den Werte 176,5 em®/Minute (254,76 Liter/24h) in der Ruhe und 200 em®/Minute (287,2 Liter/24h) bei Diurese. Die Zahlen für die menschliche Niere wären dann 1601,2 Liter/24b bzw. 1809 Liter/24h. In Experiment III und IV, wo die Nieren- | gewichtszahlen nicht angegeben sind, fanden sich 100 em? und 133,3 em? Minut- volumen. Wenn auch diese Zahlen bei der Verteilung der gesamten Blutmasse auf | ein sehr reduziertes Gefäßgebiet des Körpers und bei der Bestimmung nur sehr kleiner Volumina mit Vorsicht aufzunehmen sind, so darf man doch aus ihnen schließen, daß die oben angesetzten Geschwindigkeitswerte eher minimale als maximale repräsen- tieren. Sind also die vorstehend berechneten Werte nur angenäherte, so kommen sie doch ohne Zweifel den wirklichen Zahlen näher als die von Heidenhain ein- gesetzten, und sie führen daher zu weniger paradoxen Annahmen über die Verhält- nisse der Bluteindiekung in den Glomerulis. Heidenhain (l. c., $. 341) gibt die Harnstoffmenge, welche in 24 Stunden !) abgesondert wird, zu 35g an; diese Zahl ist sehr hoch, die Angaben von Hammarsten u. a. lauten: 30 &/24h im Mittel für Männer, für Frauen weniger. + Der mittlere U-Gehalt des Blutes beträgt nach Jaksch) beim Menschen 0,5 r bis 0,6 pro Mille. Folgen wir der Heidenhainschen Rechnung (mit 30 g U/24h), so müßten 60 Liter/24h Flüssigkeit in den Glomerulis abgepreßt und — bei 2 Liter täglicher Harnmenge — davon 58 Liter Wasser wieder zurückresorbiert werden, | eine Schlußfolgerung, die nach Heidenhain um so bedenklicher wird, wenn man den Anteil der Nieren am Blutstrom nur mit Yo — 123 Liter normiert. Denn | dann müßte das Blut in den Glomerulis 50 Proz. seines Volumens an Flüssigkeit abgeben. Setzen wir aber nach obiger Rechnung 482 bzw. 588 Liter Nierenblut- quantum ein, so erhielten wir nur '/, bzw. '/, des Volumens Abgabe. Diese Werte | | | 4 | 949 Anteil der Nieren am Blutstrom. | { | | | f | ! wären nicht so ungeheuerlich, aber wir brauchten auch auf sie nicht zu rekurrieren. Denn, wie oben erwähnt, kann die sekretorische Tätigkeit der Niere nicht be- zweifelt werden; wird die Konzentration an Harnstoff zum Teil durch Abgabe in den Nierenkanälchen hergestellt, so ist eine so hohe Filtratmenge bzw. eine so be- | deutende Resorption von Wasser gar nicht gefordert. Und daß die Annahme einer | so hohen Filtratmenge trotz Hinwegräumung der Schwierigkeit einer zu starken | Bluteindiekung dennoch unwahrscheinlich ist, das beruht auf dem zweiten Bedenken | Heidenhains, nämlich der daraus folgenden Notwendigkeit einer Resorption von | 58 Liter Flüssigkeit (s. darüber später). | | | IV. Die Beziehungen zwischen Harnbeschaffenheit, Nieren- durchblutung und Harnmenge. Wird mit der Onkometrie die Aufsammlung und Analyse des Harns ver- bunden, so ist die Möglichkeit gegeben, der Frage, welche oben auf Grund. der osmotischen Vorgänge beleuchtet wurde, nämlich ob in dem Glomerulus ein Blutplasma minus Eiweiß filtriert oder ob Wasser secerniert werde, auch von anderer Seite nahe zu treten. Findet eine Filtration statt, so muß — wie Starling (l. c.) ausführt — 1. mit wachsender Absonderungs- geschwindigkeit ceteris paribus die Beschaffenheit des Harns nach Zusammensetzung, Reaktion und osmotischem Druck immer mehr der des Blutserums minus Eiweiß sich nähern; 2. muß die Harn- menge mit der Durchblutung der Niere steigen und fallen, und 3. ') Die „28 Stunden“ des Originals sind nur Druckfehler. — *) Festschr. £. Leyden 1 (1901); zit. nach Hammarsten. Harnbeschaffenheit und Diurese. 943 muß die absolute Menge der in gleichen Zeitabschnitten aus- geführten festen Stoffen wachsen. Die Beantwortung dieser Fragen ist eng mit derjenigen nach der Wirkungsweise der Diuretica verknüpft; dieselbe wird daher im folgenden mitbehandelt werden. 1. Änderung des Harns mit steigender Absonderungsgeschwindigkeit. Wächst durch Eingabe von Diureticis die Harnflut, so nimmt die Aci- dität des Harns ab, derselbe kann schließlich neutral oder schwach alkalisch werden. Diese von Rüdel!) gefundene Tatsache ist seitdem häufig bestätigt worden. Die Änderung der Konzentration bei der Diurese wird durch nachstehendes Beispiel erläutert. Starling (l. c., S. 323) injizierte einem Hunde 40 g Dextrose in 40 cm? Wasser gelöst. II | : | Harnmenge | Harn cm? Zeit | 5 = a 4 des Harns 4 des Blutes cm |pro 10 Minut. | | 2 I 2 11h 30'—12h 00° | 10— 3,3 2,360 0,625 (um 12 Uhr) 12h—12h 7’ Injektion der Zuckerlösung ) g 19h 7 —ıoh15 | 35 | 45 1 0,709 12h 16° —ı2h 20° 20 50 0,975 | = 12h 20’—12h 30° | 52 52 | 0,835 0,700 12h 30-—12h 40 45 | 45 Ep 0,675 12h 40’— 12h 50’ | 22 22 0,830 | 0,675 Die Abnahme der Konzentration des Harns mit steigender Harnflut tritt deutlich hervor; ebenso in den Versuchen von Galeotti?). Dieser injizierte bedeutende Mengen hochkonzentrierter Salz- oder Zuckerlösungen innerhalb weniger Minuten in die Cruralvene von Hunden und erzielte dadurch fast momentan eine profuse Diurese. _/ des Harnes, das vor der Einspritzung in den einzelnen Versuchen von etwa — 1,2% bis — 2,2° schwankte, fiel 15 Minuten nachher auf — 0,9° bis — 0,8° herab; zu gleicher Zeit (15’ p. inj.) betrug I des Blutes bei den Salzversuchen i.M. — 0,730°; bei den Versuchen mit Injektion von 100 ccm 30 proz. Traubenzuckerlösung — 0,7%. Einige mit Sublimat vergiftete Hunde (Galeotti, l. c., Versuche XI, XI und XIII) zeigten nach Infusion von ClNa-Lösung ein fast noch stärkeres Ansteigen der Sekretionsgeschwindigkeit; die molekulare Konzentration des Harnes war immer sehr gering, der des Blutes sehr nahestehend, ja den Schwankungen dieser letzteren folgend. Als Beispiel diene Versuch XI (8. 227 ff.): Junge große Hündin; erhielt vom 15. März bis 4. April subcutane Sublimat- einspritzungen alle 1 bis 3 Tage; 6. April von 9% 20’ bis 9% 40’ a. m. Infusion von 160 ccm einer 10 proz. ClNa-Lösung: Zeit | 4 des Blutes | 4 des Harnes GE | — 0,798 | — 0,848 KO gn Maren. 3... | — 0,796° | — 0,795° nem. ee | 0,0 | —083 ‘) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 30, 41, 1896. — ?°) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1902, 8. 200 ff. 16* D4A Einfluß der Nierendurchblutung. Die mikroskopische Untersuchung der Nieren ergab Ablösung des größten Teiles der Epithelzellen in den Kanälchen, aber keine bedeutenden Gefäß- veränderungen. Es hat also die Niere unter günstigen Filtrationsbedingungen (Hydrämie) bei Schädigung der eigentlichen Drüsensubstanz, aber intaktem Glomerulusapparat ein reichliches Sekret geliefert, dessen molekulare Kon- zentration der des Blutes gleich war. Bemerkenswert ist, daß auch vor der Einspritzung der Kochsalzlösung in den Versuchen XII und XIII das I des Harnes vom I des Blutes nicht sehr bedeutend abwich. Der Annahme einer Filtration von Plasma minus Eiweiß im Glomerulus entspräche das Resultat dieser an Nieren mit parenchymatöser Nephritis angestellten Versuche sehr wohl; schreibt man dem Glomerulus eine Wassersekretion (einschließlich einiger Salze) zu, so müßte der Erfolg befremden. 2. Einfluß der Nierendurchblutung. Starling fragte sich nun weiter: Welchen Anteil an der Diurese hat eine etwaige Erhöhung des Capillardruckes in den Glomerulis, welchen die raschere Durchströmung derselben, welchen der verminderte Gehalt des Blut- plasmas an Oolloiden ? Daß der Blutdruck einen bedeutenden Einfluß auf die Harnsekretion hat, war schon erwähnt worden. Von den Versuchen Ludwigs und seiner Schüler sei hier nur der von M. Hermann!) einwandfrei gezeigte Parallelis- mus zwischen Harnsekretion und Verengerung der Nierenarterie erwähnt. Cohnheim und Roy (l. c.) wiesen dann durch die onkometrischen Versuche nach, wie jedem Sinken des Blutdruckes auch eine Abnahme des Nieren- volumens gleich läuft; keineswegs aber ist dies bei Druckanstiegen der Fall. Denn hier bewirkt der in gewisser Breite von dem allgemeinen Gefäb- zustande unabhängige Tonus der Nierengefäße das eine Mal ein Steigen, das andere Mal ein Fallen des Onkometerstandes.. Wird der Blutdruck — wie bei der Erstickung, bei Strychninvergiftung oder bei Injek- tionen von Nebennierenextrakt — durch allseitige Vasoconstriction hinauf- getrieben, so schrumpft die Niere trotz sehr hoher Druckwerte,; aber eine Drucksteigerung etwa durch Erhöhung des Sekundvolumens von seiten des Herzens oder durch partielle Gefäßverengerung anderer Gebiete macht das Onkometer steigen. Die gleichzeitige Messung des Carotisdruckes ist daher bei Beurteilung etwaiger lokaler Nierengefäßwirkung vonnöten, und die sicherste Auskunft über eine solche wird das Steigen des Onkometers bei fallendem Carotismanometer geben. Natürlich muß, soll anders die onkometrische Kurve ein getreues Bild der Nierendurchblutung liefern, für einen ungehinderten Ablauf des Harnes gesorgt sein. Starling hatte früher, anschließend an die Beobachtungen von Limbeck?), daß die diuretische Wirkung von Salzen mit ihrem Wasseranziehungsvermögen, d.h. mit ihrem osmotischen Druck wachse, und von Heidenhain’°), daß die gleiche Beziehung zwischen den Salzen und ihrer lymphagogen Fähigkeit bestehe, durch Versuche wahrscheinlich gemacht, daß die letztere Wirkung auf der hydrämischen Plethora beruhe, welche die Einverleibung der Salze !) Wiener Sitzungsber., math.-phys. Kl., 45, 32$ ff., 1861. — °) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 25, 69, 1889. — °) Pflügers Arch. 49, 239 ff., 1891. Parallelismus zwischen Diurese und Nierendurchblutung. 345 ins Blut bedingt. Mit abnehmender Hydrämie ging die gesteigerte Lymph- absonderung wieder zurück. Entsprechende Versuche mit Salzinfusionen und Messung der Harnabsonderung hatten wohl einige Male eine Beendigung der Diurese mit der Plethora gezeigt, in anderen Fällen von Salzdiurese aber und stets bei Zuckerdiurese überdauerte diese die Hydrämie, und es trat eine entsprechende Konzentration des Blutes ein. Aus beistehender Kurve (s. Fig. 95) eines solchen Versuches ergibt sich, daß die Hydrämie, gemessen am relativen Hämoglobingehalt, rasch wieder verschwindet, die Diurese aber erst mit einem etwa 30 Proz. über der Norm liegenden Hb-Gehalt verschwun- den ist bzw. dann unter den Anfangswert herabsinkt. Der Versuch zeigt einmal, daß, wenn die Colloidkonzentration bzw. der Quellungsdruck derselben etwa 30 Proz. über die Norm steigt, die Harnabsonderung gering wird, Fig. 95. .r | .-. el 120 1 | Haemoglobin p-0- jı 40 gr dextrose I 70 4 in 40 ce. H, 0, | | | I u | ı 10 20. 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 Minutes wem Injektion von Dextroselösung. Untere Kurve: Urinmenge in cm?hjy. Obere Kurve: Prozent Hb des Blutes. Nach Starling (Journ. of Physiol. 34, 324, 1899). andererseits aber läßt sie vermuten, daß in der Niere durch das Diureticum besonders günstige Filtrationsbedingungen gesetzt wurden, welche auch bei etwas konzentrierterem Blute noch eine mäßige Diurese erlaubten. Nun haben die onkometrischen Untersuchungen von Roy und Cohnheim (l. ce.) gezeigt, daß salinische Diuretica eine starke Nierenschwellung infolge ge- steigerter Durchblutung hervorbringen. Starling stellte entsprechende Experimente mit Dextroseinjektionen an; er schrieb die Onkometerkurve synchron mit dem Carotisdruck, maß die aus Ureterkanülen ausfließende Harnmenge, sowie ihren Zuckergehalt und bestimmte in gewissen Intervallen den Grad der Hydrämie durch Messung des Hämoglobingehaltes. Die bei- stehende Kurve (s. Fig. 95a a.f.S.) diene als Typus der Versuche; sie zeigt, dab die Hydrämie mit Injektion der Zuckerlösung einsetzt und daß die Harnmenge parallel der Nierenschwellung läuft; ist die Niere zum anfänglichen Volumen zurückgekehrt, so ist auch die Diurese beendet; in diesem Falle zeigt das Blut etwa 15 Proz. mehr Hämoglobin. In einer anderen Reihe von Versuchen 246 Parallelismus zwischen Diurese und Nierendurchblutung. (s. beistehende Kurve, Fig. 96) wurde nun, ‚während die Dextroselösung in die Vena jugularis einfloß, aus der zweiten Carotis so viel Blut entzogen, daß der Onkometerstand sich nicht änderte. Solange der Önkometerzeiger seinen Stand beibehält, bleibt auch die Harnmenge auf der anfänglichen Höhe; sobald der Blutdruck wieder etwas angestiegen ist (etwa 25’ nach der Zuckerinfusion), nimmt auch das Nierenvolumen (die Durchblutung) wieder zu, und synchron damit erhebt sich ein wenig die Diurese; der Parallelismus zwischen Nieren- durchblutung und Harnabsonderung ist ein vollkommener. Die infolge der starken Blutentziehung nach einiger Zeit auftretende reflektorische Gefäß- kontraktion macht dann auch das Nierenvolumen rasch absinken. Der Hämo- globingehalt des Blutes fällt mit der Blutentziehung, es tritt die bekannte Fig. 95 a. 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 Minutes BEE (und + +) Injektion von starker Dextroselösung. Nach Starling (Journ. of Physiol. 24, 326, 1899). starke Transsudation aus den Geweben ein, das Blut wird hydrämisch, die Filtrationsbedingungen also günstig; aber der starke Abfall des Druckes läßt eine vermehrte Diurese nicht aufkommen. Sehr deutlich prägt sich auch die Abhängigkeit des Nierenvolumens einmal vom Blutdruck, zum anderen von dem Zustande der Nierengefäße aus. Das Diureticum setzt Erweiterung der Nierengefäße; bleibt der Blutdruck hoch, so schwillt die Niere mächtig an; sinkt er durch rasche ausgiebige Blutentziehung, so bleibt das Volumen der Niere wegen Erweiterung der Gefäße auf seiner Höhe; ergreift nun die durch die Blutdrucksenkung reflektorisch eingeleitete allgemeine Gefäbkon- traktion nach einiger Zeit auch die Nierengefäße, so nimmt das Nieren- volumen rasch ab, trotzdem der Blutdruck wieder einen etwas höheren Wert erreicht hat. Die Tatsache also, daß durch Hinderung einer stärkeren Nieren- durchblutung der diuretische Effekt der Dextrose paralysiert werden kann, Parallelismus zwischen Diurese und Nierendurchblutung. 24T ist ein starkes Argument zugunsten der Ansicht, daß die Zuckerdiurese nicht so sehr durch Reiz auf die Nierenzellen, als vielmehr durch eine dilatatorische Wirkung auf die Nierengefäße bewirkt wird, verbunden mit einer hydrämi- schen Plethora. In allen Versuchen zeigte der Harn am Ende des Versuches, als die Diurese schon abgeklungen war, immer noch einen sehr hohen Zuckergehalt; das Blut war also noch reich daran. Bildete dieser abnorme Zuckergehalt des Harns einen Reiz für die Nierenzellen und wäre nur dadurch die Diurese bedingt, so müßte dieselbe andauern; denn von der Tätigkeit anderer Drüsen ist bekannt, daß diese in ziemlich weiten Grenzen von der Blutkonzentration unabhängig sich gestaltet. In ganz ähnlicher Weise kommt die Salzdiurese zustande; eine Injektion von konzentrierter OlNa-Lösung z. B. — oder eines anderen Salzes — bewirkt starken Austausch derart, daß etwas Salz aus dem Blute in die Gewebe, dagegen reichlich Gewebsflüssigkeit in das Blut tritt, Fig. 96. \_---1 Percent. Hb 0, Kidney Volume 3 cc. Urine in 1O min. 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 BEE (und + +) Injektion von starker Dextroselösung. Nach Starling (Journ. of Physiol. 24, 327, 1899). hydrämische Plethora erzeugend. Zugleich erweitern sich die Nierengefäße bedeutend, und diese aktive Erweiterung (s. unten) muß auch bei gleich- bleibendem Blutdruck in den Glomerulis sehr viel günstigere Druck- und Strömungsverhältnisse hervorbringen. Dem Einwand, der Starlings Versuchen mit Herabsetzung der Nieren- durchblutung vermittelst starken Aderlasses gemacht werden könnte, nämlich daß dieser durch Schädigung der Nierenfunktion die Diurese unterdrückt habe, ist Cushny!) dadurch begegnet, daß er eine Nierenarterie durch eine Schraubklemme abwechselnd verengte, wobei er Sorge trug, daß der venöse Abfluß nicht behindert wurde. Die linke Niere, deren Arterie die Klemme trug, war zugleich mit dem Onkometer armiert. Nach Einlauf einer 3 proz. Salz- lösung begann das Onkometer rasch zu steigen; die Arterie wurde jetzt so weit verengt, bis die Niere auf ihr voriges Volumen zurückgebracht war. Die pulsatorischen Schwankungen blieben dabei aber noch sehr gut am Onko- meterrohr sichtbar. Die Urinmenge sank auf den Anfangswert vor der ') Journ. of Physiol. 28, 443 ff., 1902. 248 Parallelismus zwischen Diurese und Nierendurchblutung. Salzinjektion, indes die rechte Niere eine sehr große Steigerung aufwies; wurde die Klemme gelöst, so erreichte die Diurese der linken in drei Minuten den Wert der rechten Niere. Die Abklemmung wurde mehrmals mit gleichem Erfolge wiederholt. Die teilweise Abklemmung konnte bis zu einer halben Stunde aufrecht erhalten werden, ohne daß die Sekretion steckte; dabei war der Blutstrom durch die Niere, wie auch Hermann konstatierte, noch ein ziemlich starker. Voraussetzung bei der Einleitung einer Diurese durch Infusion hypertonischer Salzlösungen ist natürlich, daß der Wasservorrat des Körpers das Eintreten einer Hydrämie erlaubt. Dieser Punkt, auf den noch mehrfach zurückgegriffen werden sol, ist bei allen Versuchen über Diurese wohl zu beachten. Eine gleichmäßige Fütterung z. B. mit Rüben nach v. Sobieranskys und Löwis'!) Ubung sichert bei Kaninchen günstige Versuchsbedinsungen in bezug auf den Gehalt an Gewebs- wasser derart, daß leicht Diuresen zu erzielen sind. v. Limbeck (l. ec.) hat zur Herstellung eines gleichmäßigen, aber niedrigen Wassergehaltes die Tiere in Isolier- Fig. 97. mm Hg ccm 100 90 4,0 80 3,0 2,0 1,0 ) 5 10 15 20 25 30 Minuten mes Injektion von 12 1 Kilo CINa (10 9), Lösung (intravenös. — ——— = Onkometer. ---- = Diurese, Versuch III nach Gottlieb u. Magnus (Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 45, 235, 1901). käfigen zweimal 24 Stunden hungern und dursten lassen, am dritten und vierten Tage je 30 & pro Körperkilo trockenen Hafer verfüttert ohne Wasser, am fünften Tage kamen die Tiere zum Versuch. Nach v. Limbeck erhält man dadurch Tiere von niedrigem, aber annähernd gleichem Wasserbestand, deren normale Harn- sekretion gleich Null ist oder höchstens 1 bis 1'/, Tropfen pro 10 Minuten liefert. Solehe Dursttiere können auf Infusion konzentrierter Salzlösungen wohl noch Gewebswasser zur Blutverdünnung abgeben, wenn auch in geringeren Mengen. Geben sie demnach schwächere Diuresen, so gewähren sie andererseits den Vorteil, . daß man für Vergleichung der Wirkung diuretischer Mittel ein einheitlicheres Versuchsmaterial in den Händen hat; Magnus u. a. haben sich daher auch viel- fach so vorbereiteter Tiere bedient. Für Versuche aber über den Einfluß des Blutdruckes usw. bei ungeänderter Blutzusammensetzung werden solche Dursttiere weniger geeignet sein. Der Parallelismus zwischen Nierendurchblutung und Harnmenge ist nun unter anderem für Salzdiuresen von Gottlieb u. Magnus?) untersucht worden. Aus ihren Versuchen, welche unter Anwendung des Onkometers an ') Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 48 (1902). — °) Ebenda 45, 223 ff., 1901. 1} Parallelismus zwischen Diurese und Nierendurehblutung: 249 Kaninchen angestellt wurden, geht unzweideutig hervor, daß z. B. nach intravenöser Injektion von 1g ClNa pro Körperkilo in 10 proz. Lösung (. e., S. 235) die Schwankungen des Onkometers synchron mit dem Steigen und Sinken der Diurese erfolgen (siehe beistehende Kurve Fig. 97). Die Harnmenge ist in cm’/Körperkilo und für je fünf Minuten rechts auf- getragen, die Onkometerausschläge in Prozenten des Nierenvolumens auf der linken Seite verzeichnet. Die Anderungen des Nierenvolumens wurden während des Versuches an einer in \/,, cm* geteilten Horizontalröhre abgelesen, am Schlusse des Versuches das Volumen der Niere in einem kleinen graduierten Apparat ermittelt und danach die Onkometerausschläge auf Prozente des Nierenvolumens berechnet. In gleicher Weise verliefen die Versuche mit Harnstoff und Purinkörpern (Coffein, Diuretin). Daß auch die Durchblutungsversuche von Schwarz!) nur scheinbar diesem Resultat widersprechen, das haben Gottlieb u. Magnus durch Nachrechnung der betreffenden Protokolle gezeigt. Vornehmlich be- weisend ist aber obiger Versuch für die von Starling (l. c.) angegebene, aber aus seinen Versuchen nicht so schlagend ersichtliche lokale Nieren- gefäßerweiterung unter dem Einflusse des Diureticums; denn hier erfolgt das rapıde Wachsen des Nierenvolumens und die Diurese bei anfänglichem Sinken des Carotisdruckes. Schon aus Tigerstedt u. Landergrens (l. c.) Strom- uhrversuchen ging dies hervor, was um so bemerkenswerter, da diese Metho- dik ein Zerreißen, bzw. ein Zerquetschen der Nierennerven im Gefolge hat. Der Einfluß muß also wenigstens zum Teil ein direkter, sei es auf intrarenale Nervenapparate (Nierenbeckenganglien oder Nerven der Gefäßwände) oder auf die vasomotorische Muskulatur sein. Die Versuche, welche Abeles?) u. Munk°) an künstlich durchbluteten Nieren (s. unten) anstellten, ergaben ebenfalls, daß Harnstoff, Zucker, Kochsalz, Coffein dem Durchströmungsblut zugesetzt, die Nierengefäße erweitern und den Blutstrom bei gleichen Druck- werten beschleunigen. Diese Erfahrungen am überlebenden Organ sprechen am meisten für eine lokale Gefäßwirkung. Es ist aber schon bei Besprechung der Gefäßanatomie hervorgehoben worden, daß die betreffenden Einrichtungen ein so vielfältiges Spiel einmal des beschränkten oder vermehrten Zuflusses, zum anderen des gleichbleibenden Zuflusses, aber veränderter Abfluß- bedingungen vornehmlich des Glomerulusapparates, erlauben, daß aus einem Abweichen vom Parallelismus zwischen Nierenvolumen und Diurese keines- wegs auch auf ein Abweichen vom Parallelismus zwischen Blutdurch- strömung und Diurese geschlossen werden darf. a) Gesteigerte Nierendurchblutung ohne Volumenänderungen (Wirkung der Diuretica auf die Nierengefäße). In Versuchen an chloralisierten Kaninchen sahen Gottlieb u. Magnus (l. e., S. 233/234 und S. 238/240), was auch schon H&don*) beobachtete, daß die Diurese noch fortbestand, indes das Nierenvolumen schon wieder auf seinen Anfangswert reduziert worden war. Auch Bradford u. Philipps ’) vermißten oft eine Zunahme des Nierenvolumens während der Diurese. Der !) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 43, 1ff., 1899. — 2) Wien. Sitzungsber. 1883, II. Abt. — °) Virchows Arch. 107, 349, 1887. — *) Compt. rend. soc. biol. 1900, Nr. 23, zit. n. Gottlieb u. Magnus. — °) Journ. f. Physiol. 8, 117, 1887. 950 Wirkung der Diuretica auf die Nierengefäße. Schluß aber, daß dies gegen einen Parallelismus zwischen Diurese und Durch- blutungsmenge spreche, ist nicht berechtigt, wenn man die eben angezogenen Möglichkeiten im Auge behält, gerade in Anbetracht der Applikation von Chloralhydrat oder anderen den Gefäßtonus in so mannigfaltiger Weise beein- flussenden Mitteln. Die folgenden Untersuchungen erläutern diese Verhält- nisse näher. «) Das Coffein. Löwi') hatin einer besonderen Studie — in Gemeinschaft mit Fleteher u. Henderson — den Zusammenhang zwischen Diurese und Nierendurch- blutung unter Anwendung von Üoffein untersucht. Schröder?) hatte gezeigt, daß das Coffein eine von allgemeiner Blutdrucksteigerung unabhängige Diurese — z.B. an chloralisierten Tieren — bewirkt; da eine Nervendurchreißung der Nierengefäße und, wie eben erwähnt, die Chloralisierung an dem Resultat . nichts änderten, so glaubte v. Schröder nicht, daß eine vermehrte Durch- blutung der Niere die Ursache der gesteigerten Harnflut sei. Aber es ist schon ‘oben erwähnt worden, daß das Üoffein auch an der isolierten durch- bluteten Niere Vasodilatation macht, weiterhin haben ja schon ältere Ver- suche von Öyon, Heidenhain u. Grützner (1874 und 1877) gezeigt, dab Chloralhydrat keineswegs das Ansprechen von vasodilatatorischen Nerven bzw. ihres Zentrums hindert. Daß die Versuchsresultate, welche Bradford u. Philipps, ebenso Gottlieb u. Magnus hier und da erhielten — Aus- bleiben eines Wachsens des Nierenvolumens bei ÜCoffeindiurese, bzw. Eintreten der Diurese sogar bei schrumpfender Niere — wirklich nichts gegen eine Vasodilatation beweisen, zeigte nun Löwi, indem er die Niere, weiche durch Lumbarschnitt extraperitoneal luxiert wurde, eingipste. Folgende Tabelle gibt einen der Versuche (l. ec. S. 25) wieder: Versuch VI, 10. Mai 1904. Kaninchen 2kg, urethanisiert, linke Niere eingegipst; Arterien-, Venen- und Blasenkanüle: Harnmenge | Zeit | Fine ai Blutdruck Bemerkung | em? cm’ | mmHe | 12h 20’ Dis DH: VTREE 97 12257 7001 ee 0,8 | 1,3 97 12532 RE | — — — ı 2cm” 1proz. Coffein.. 195-307, bye ee 3,2 104 pur. intravenös. 1222358... 0 710 Re 1,0 6.2 98 12740. 2 VOTE 9 9,6 — 100 LO 2,1 3,0 — 15104 5200 te 2,7 — 1.20 Rn fx = en 3cm? 10proz. ClNa- 1 Lösung intravenös. 50.32 80..° 2 OO] 16:5 = | Bei den Versuchen mit eingegipster Niere wurde nun, ebenso wie bei anderen mit freiem Organ, auch die Inspektion der Vena renalis vorgenommen. Unbeteiligte Beobachter, die von der Injektion des Diureticums keine Nachricht ') Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 53, 1 ff., 1905. — °) Ebenda 22, 39 ff., 1887. m 00 nn Wirkung der Diuretica auf die Nierengefäße. 351 erhielten, sahen kurz nach der Injektion von Üoffein das bis dahin blau- rote Venenblut plötzlich mit rein arterieller Farbe daherschießen. Ein gleichzeitiger entsprechend hoher Blutdruckanstieg war auch hier nicht zu beobachten. Daß diese Wirkung auch an der entnervten Niere stattfand, davon überzeugte sich Löwi noch durch besondere Versuche — er durchriß die Nerven nicht nur, sondern bepinselte auch noch die Gefäße mit Phenol, entsprechend den Erfahrungen von Bayliss!), der mit diesem Mittel eine vollständige Aufhebung der Leitungsfähigkeit der Nerven erzielte. Man muß also einen Teil der diuretischen Wirkung des Coffeins darin suchen, daß es Widerstände in der Nierenblutbahn beseitigt, eine sehr rasche Erneuerung des Glomerulusblutes bewirkt und damit sehr günstige Filtrationsbedingungen schafft. Demzufolge sind aber die Erfahrungen begreiflich, daß wiederholte Coffeingaben keine bedeutenden Effekte mehr geben, bzw. daß die Diurese vor der Gefäßwirkung aufhört, obwohl auch letztere nach und nach geringer wird (Löwi, l.c. 5.28, 29); ebenso daß an trocken gefütterten Kaninchen und am wasserarmen Hunde nach v. Sobieransky?) das Coffein einen geringen diuretischen Effekt hat, und weiterhin, daß nach Coffeindiurese immer Bluteindickung beobachtet wird (v. Sobieransky, l.c. u.a.). Denn das Üoffein macht ja nicht, wie die konzentrierten Salzlösungen, durch An- ziehung von Gewebswasser eine Hydrämie. Auf die Gefäße anderer Organe hat jedoch das Coffein diese erweiternde Wirkung nicht; dafür spricht schon das Fehlen einer Carotisdrucksenkung. Löwi (l.c. S. 22, Taf.I) verband die Coffeininjektion mit der onkometrischen Untersuchung einer Darmschlinge; hier war keine gleichsinnige Erweiterung zu bemerken, ebensowenig bei Diuretininjektion. Auch die Entnervung des Darmstückes durch Splanchni- cus- oder Rückenmarksdurchschneidung änderte daran nichts, es war also auch nicht an eine Überkompensierung einer eventuellen peripheren Wirkung durch zentrale Constrictorenreizung zu denken. Die Nierengefäße nehmen also wohl gewissen Giften gegenüber eine besondere Stellung ein im Vergleich zu den Gefäßen anderer Organe. — Diese besondere Stellung erhellt auch aus sonstigen Versuchen. Thompson’) fand bei seinen Untersuchungen über die Wirkung der Albumosen und Peptone, daß dieselben wohl das ganze Gebiet der vom N. splanchnicus versorgten Eingeweidegefäße außerordentlich erweitern, die Gefäße erschlaffen, daß aber die Nierengefäße fast ganz von dieser Wirkung verschont bleiben. Während daher nach Peptoninjektion eine Reizung des N. splanchnicus keine oder nur eine ganz geringe Steigerung des Carotisdruckes hervorruft, zeigt das Onkometer zugleich eine außerordent- liche Verkleinerung des Nierenvolumens an; die Nierengefäße antworten mit annähernd gleich starker Constrietion wie unter normalen Verhältnissen. Nebenbei sei erwähnt, daß diese Versuche eine sehr anschauliche Vorstellung von den erheblichen Widerständen liefern, welche die eigentümliche Anord- nung des Nierengefäßsystems dem Blutstrome bietet. Sobald Pepton injiziert ‘ wird und die Darmgefäße erschlaffen, fließt die größte Menge des Blutes in dieselben — wie ja die berühmten Versuche aus Ludwigs Laboratorium zeigten —, die Niere aber bekommt fast kein Blut mehr; der Onkographen- ‘) Journ. of Physiol. 28, 224 oben, 1902. — ?) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 35, 144, 1895. — °) Journ. of Physiol. 24, 396 ff., 1899. 352 Wirkung der Diuretica auf die Nierengefäße. hebel in Thompsons Experimenten fiel so stark herab, daß eine ziemliche Menge Öl ins Onkometer nachgefüllt werden mußte, um wieder eine Regi- strierung zu erlangen. Thompson gibt an, daß die Schrumpfung sogar palpabel sei. ß) Die Salze. Es war schon oben erwähnt worden, daß die früheren Beobachter, namentlich aber Magnus u. Gottlieb (l. ce.) bei ihren ausgedehnten Unter- suchungen über Salzdiuresen, auf die Injektion von Salz- oder Harnstoff- lösung hin eine lokale Erweiterung der Nierengefäbße konstatierten. Löwi u. Alcock!) haben auch bei eingegipster Niere erhebliche Salzdiurese erzielen können, wobei das Blut aus der Nierenvene arteriell hervorschoß. Die Unter- suchung von Salzen derselben Gruppe, nämlich den einbasischer Säuren, welche in isoosmotischen Lösungen demselben Tiere abwechselnd injiziert wurden, ergab eine gleichstarke diuretische Wirkung — auch bei durch- rissenen Nierennerven — für NaCl, NaNO,, NaJ und ebenso gleichstarke und gleichartige Durchblutungsverhältnisse. Diese stärkere Durchblutung trat nicht sofort auf, d. h. nicht wenn in der Zeiteinheit die größten Salz- mengen an die Niere herangeführt wurden, sondern erst mit Entwickelung der Hydrämie; dementsprechend vermochte man sie auch nicht nur durch Injektion konzentrierterer Salzlösungen zu erzielen, sondern auch durch Lösungen, die mit dem Blute isotonisch und hypotonisch waren, was ebenfalls schon Thompson fand. Es ist wohl daraus der Schluß zu ziehen, daß die lokale Widerstandsverminderung im Gefäßapparat der Niere durch die Hydrämie bewirkt wird, nicht in einem spezifischen Reiz der chemisch so verschiedenen Salze zu suchen ist, und Löwi u. Alcock (l. e. S. 46, Fuß- note) glauben auch die Diurese nach Wassertrinken auf die gleichen Um- stände basieren zu dürfen. Bei der Wiederholung der Injektionen in mäßigen Intervallen ist hier sowohl wie bei Coffeininjektionen eine immer abnehmende Wirkung zu konstatieren, eine Art Ermüdung der Niere oder ihrer vaso- tonischen Regulationsmechanismen. Dabei ist aber zu beachten, daß die durch Coffeinreiz ermüdete Niere auf Salzinjektion wieder mit gesteigerter Durchblutung reagiert. Coffein und hydrämisches Blut greifen also wohl an verschiedenen Stellen des Vascularisationsapparates an. Da aber auf Grund histologischer Untersuchungen (siehe früher) eine Beeinflussung der Nieren- epithelien durch Coffein sehr wahrscheinlich ist, so dürften für die diuretische Wirkung des letzteren noch andere Momente ins Spiel kommen (siehe unten Resorption). y) Harnstoffwirkung. Wie schon erwähnt, fanden Roy, Munk u. a., daß Harnstoff lokale Gefäßerweiterung macht, und Gottlieb u. Magnus konstatierten, daß vaso- dilatatorische Wirkung und Diurese parallel liefen; Cushny, dessen Versuche später erwähnt werden sollen, ließ es unentschieden, ob Hydrämie dabei auf- trete. Löwi u. Henderson?) stellten diesbezügliche Versuche an, aus- gehend von der Beobachtung von Griyns, nämlich daß U dermaßen leicht in rote Blutkörperchen eindringt, daß bei Zufügung desselben in wässeriger !) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 53, 33 ff., 1905. — °) Ebenda 53, 49, 1905. Wirkung der Diuretica auf die Nierengefäße. 253 Lösung das Lösungsmittel Hämolyse macht, daß aber Zufügung von Ü zum Blute in isotonischer ClNa-Lösung keine Auflösung der roten Scheiben be- wirkt. Würde Harnstoff, so überlegten Löwi u. Henderson, ebenso leicht in die Zellen der als Wasserdepots fungierenden Gewebe eindringen, so würde sich keine osmotische Druckdifferenz etablieren, also auch kein Ge- webswasser austreten, bzw. keine Hydrämie entstehen. Sie beobachteten aber im Gegenteil auch bei der durch Ü-Iijektion an Kaninchen hervor- gerufenen Diurese eine erhebliche Blutverdünnung. Entsprechend fand auch Overton!), daß Harnstoff in Muskeln weniger rasch eindringt. Die bei der Harnstoffdiurese auftretende Nierengefäßerweiterung wäre nach Löwi u. Henderson wie bei den Salzen durch Hydrämie bedingt; seine schwere Resorbierbarkeit würde den Harnstoff als Diureticum zu den Salzen der Glaubersalzgruppe stellen. Mit der außerordentlichen Reaktionsfähigkeit des Gefäßapparates der Niere und der dadurch bedingten Beeinflussung des Harnstromes hängt es wohl auch zusammen, daß Blutentziehungen, welche ja sofort den vasomotorischen Mechanis- mus des Organismus in Tätigkeit setzen, die Harnabsonderung hemmen. Michaud’), der unter Ashers Leitung Blutentziehungen bei gleichzeitiger Applikation von diuretischen Mitteln an Kaninchen vornahm, beobachtete, daß eine durch Theo- phyllin (synth. 1,3-Dimethylxanthin- Präp. von PBöhringer u. Söhne; siehe Versuch II u. IV, S. 209 bis 210) erzeugte Diurese auf eine Blutentziehung von '/, bzw. '/, der vorhandenen Blutmenge 6 Minuten, bzw. 7,5 Minuten lang sistierte, dann aber wieder anstieg; in einem anderen Versuche (V), wo die Blutentziehung rasch nach dem Einlauf des Diureticums vorgenommen wurde, sistierte die Diurese nur 1 Minute lang, und in Versuch VI, wo nach der Blutentziehung sofort das Diureticum gegeben wurde, stieg 2,5 Minuten nach dessen Einlauf die durch die Blutentziehung unterdrückte Harnabsonderung rasch zu bedeutenderer Höhe an. Gefäßreflex und vasomotorische Wirkung des Diureticums spielen also in wechselnder Weise ineinander. Ersetzte man aber das entzogene Blut durch gleichzeitige Infusion von isotonischer Cl Na-Lösune, so wurde die Diurese nicht sistiert, sondern nur herabgemindert oder sie blieb gleich; die gesetzte Hydrämie konnte den Einfluß der Gefäßconstriction ganz oder zu einem Teile kompensieren. Das durch onko- metrische Versuche, verbunden mit Inspektion des Venenblutlaufes (siehe früher) festgestellte rasche Reagieren der Nierengefäße auf Eingriffe und der dabei beob- achtete Parallelismus zwischen Blutdurchströmung und Harnflut erhält durch diese Versuche eine gute Illustration. Da der Blutdruck nach den Blutentziehungen stark herunterging (l. c., S. 36), so hat natürlich dieses Moment ebenfalls eine Rolle gespielt. Michaud will zwar einen Einfluß der Blutentziehung auf die Glomeruluszirkulation nicht gelten lassen, um aber dies abzuweisen, müßten erst die Versuche bei entnervter Niere wiederholt werden. b) Einfluß der Plethora auf die Diurese. Bei der Beurteilung von Versuchen über den Einfluß der Plethora auf die Nierensekretion sind nun die Faktoren, welche bei der Wirkung der Diuretica sich geltend machen, nämlich neben ‘der stärkeren Füllung des Gefäßsystems die Hydrämie, der größere Gehalt des Blutes an filtrierbarem Wasser (Salzwasser) und die dadurch erzeugte Nierengefäßerweiterung, wohl zu beachten. Magnus?), der die Resultate Starlings (siehe oben) nicht so sehr der hydrämischen Plethora, sondern der Hydrämie bzw. dem ver- !) Pfiügers Arch. 92, 115, 1902. — ?) Zeitschr. f. Biol. 46, 198 ff., 1905. — °) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 45, 210 ff., 1901. 254 Einfluß der Plethora. mehrten Gehalte des Blutes an einem Salze zuschrieb, das einen Reiz für die secernierenden Nierenepithelien bilde, versuchte nachzuweisen, daß die Steigerung des arteriellen Druckes, bzw. die Änderungen des Nierenkreis- laufes von keinem Einflusse bei der Salzdiurese seien. Er rief eine reine Plethora ohne Änderung der Blutbeschaffenheit hervor durch Autotransfusion, indem er aus der Carotis eines Kaninchens das Blut desselben in die Vena jugularis eines zweiten strömen ließ. Der Harn des letzteren tropfte aus Ureterenkanülen und wurde in Intervallen von fünf bis zehn Minuten gemessen. Die Transfusion vollzog sich in zwei bis fünf Minuten. Sorgfältige Wägung der blutspendenden Tiere vor und nach der Transfusion zeigte, daß zwischen 70 bis 160 cm® Blut hinüberflossen, bzw. daß das Blut empfangende Tier zwischen 33 bis 70 Proz. seiner eigenen Blutmenge (mit 7 Proz. des Körper- gewichts berechnet) erhielt. Eine vermehrte Harnsekretion trat nun ent- weder nicht ein oder nur in geringem Maße und auch dann nur in der ersten Viertelstunde nach der Transfusion. Das gleiche Resultat ergaben Hunde (l. e. S. 218 bis 221), obwohl der Druck in der Schenkelarterie von 100 mm Hg auf 150mm Hg stieg und lange sehr hoch blieb, der Druck in der Vena femoralis um mehr als das Doppelte zunahm (von 65 auf 165mm Höhe einer MgSO,-Lösung), und obwohl die Niere bei einem solchen Versuche (S. 220) im Onkometer eine Volumzunahme von 6 Proz. aufwies. Hält man aber das im Auge, was oben über die Bedingungen vermehrter Glomerulus- filtration hinsichtlich der Blutbeschaffenheit usw. gesagt wurde, so kann das Resultat nicht überraschen. Magnus (l. c. S. 213) verwendete Dursttiere nach v. Limbecks (siehe oben) Präparation. Die Kaninchen waren zwei Tage ohne Wasser und Futter gehalten worden, hatten am dritten Tage nur trockenen Hafer erhalten und wurden am vierten Tage zum Versuche ver- wendet; die Hunde (l. c., S. 218) hatten 3 x 24" gehungert und gedurstet. Solche Tiere sondern, wie oben erwähnt, fast keinen Harn mehr ab. Ent- sprechend verschwanden auch von den transfundierten Blutmengen durch Flüssigkeitsaustritt aus der Gefäßbahn etwa 20 bis 50 Proz. (l. c. S. 216), und so rasch, daß bei einem Versuche (S. 215) der Hämoglobingehalt des Kaninchenblutes von 15,38 Proz. Anfangswert in 20 Minuten auf 19,78 Proz. gestiegen war. Es ist begreiflich, daß bei einer solchen Blutkonzentration die Filtration entweder gar nicht gesteigert war oder nach kurzer Steigerung trotz Druckerhöhung wieder herabging. Die gleichen Einwände, betreffend erhöhte Blutkonzentration, gelten auch für die älteren Versuche Ponficks!), welcher bei Hunden Plethora durch Injektion von Serum oder Blut hervorrief. Magnus (l. c., S. 221/222) glaubt nun den Einfluß capillarer Drucksteige- rung ohne Änderung der Blutzusammensetzung auf die Diurese noch sicherer negieren zu können dadurch, daß er dem blutspendenden Kaninchen vorher 0,6cm? pro Körperkilo einer 7,8 proz. Glaubersalzlösung infundiert. Obwohl nun nach seinen Untersuchungen über Salzinfusionen ?) die 7,8 proz. Glaubersalzlösung das Blut im Spendetiere nur auf 0,3 bis 0,4 Proz. Na, SO,-Gehalt gebracht hat, und diese geringe Salzmenge, mit dem Blute dem zweiten Tiere transfundiert, in diesem wieder eine Verteilung zwischen !) Virchows Arch. 42, 277 f£., 1875. — ?°) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 44, 68 ff., 1900. L Einfluß der Plethora. 255 Blut und Gewebe erfährt, findet Magnus, daß trotzdem eine Steigerung der Harnmenge eintritt, von 0,65cem in 20’ vor der Transfusion auf 2,25 ccm pro 20’ nachher, allerdings sehr geringe absolute Mengen. (Gerade dieser Versuch beweist aber keineswegs, wie Magnus meint, einen spezifischen Einfluß selbst geringer Glaubersalzmengen auf die Nierenepithelien, vielmehr geht daraus hervor, daß die starke, dem blutspendenden Dursttier infundierte Salzlösung diesem ziemliche Mengen Gewebswasser entzogen hat, und daß jetzt ein hydrämisches Blut transfundiert wurde. Eine direkte Bestätigung der Ansicht, daß das Versagen der von Magnus zur Hervorbringung einer Diurese erzeugten Plethora auf die Bluteindickung zurückzuführen ist, liefern die Versuche Cushnys!). Er fütterte eine An- zahl Kaninchen während zweier Wochen mit Mohrrüben (Naßfutter). Zwei Tiere wurden verblutet und das Serum abzentrifugiert; es war klar und ent- hielt 0,387 Proz. Chloride, was nach Abderhaldens?) Zahlen (0,3883 Proz.) normal ist. Einem dritten der Tiere von 965g Gewicht wurden in Urethan- narkose 40 ccm dieses Serums von 4" 15’ bis 4" 26’ in die Jugularvene infun- diert; der Harn durch Blasenkanüle gesammelt. Ä Harnmenge | Harnmenge | 8 ar En Er Bed... . | 0,7 5h 85’ bis 5h55’ _ | 13,87 35. te 1,86 N 17,98 4 35 | 2,46 (PS ar 8,02 es... | 2,84 GB 2,24 215 a | 7,6 Nach Abderhaldens Berechnung enthielt das Tier anfänglich etwa 75 cm3 Blut bzw. 47 cm? Plasma, die Injektion brachte das Plasma also etwa auf doppelte Höhe. Die Diurese stieg nur sehr langsam an, erreichte ihr ‘Maximum etwa in der zweiten Stunde, ganz wie bei Thompsons°) Hunden nach Injektion geringer Mengen von 0,6 bis 0,9 Proz. Kochsalzlösung. Einen anderen Satz Tiere hielt Cushny eine Woche lang auf Trockenheu-Futter und 24 Stunden unter Wasserkarenz. Vom Serum zweier Tiere wurden wie oben 50cm? einem dritten Tiere von 1320 g Gewicht von 3" 45’ bis 4" 05’ infundiert. | Harnmenge | Harnmenge | & | g 3h20' bis 340 .... | 0,51 4h 30’ bis dh40 . .. . | 0,37 35... | 0,29 2220), 0,26 ee 0.‘ 0,25 EEE 0,21 Zr id..... 1,45 10 | 0,28 | 5,93 50) 520 0,35 420 „A ST BE | 3,4 Der Unterschied der Wirkung des Trockenserums ist evident. Daß das Tier des letzten Versuches keineswegs weniger funktionstüchtige Nieren hatte, ‘) Journ. of Physiol. 28, 445, 1902. — ?) Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 65, 1898. — ®) Journ. of Physiol. 25, 487, 1899/1900. 356 Einfluß der Plethora. bewies eine Infusion von starker Salzlösung, die um 5" 20’ vorgenommen wurde und die eine profuse Diurese zur Folge hatte. Auch die lokale Plethora (die gesteigerte Nierendurchblutung) kann nicht allein zu profuser Diurese führen, die Hydrämie spielt dabei eine bedeutende Rolle. Ist schon eine irgendwie gesetzte Nierenplethora vorhanden, so wird das Hinzukommen der Hydrämie auch ohne oder mit nur geringer Steigerung der Nierendurchblutung eine bedeutende Diurese produzieren. Barceroft und Brodie, welche den Gaswechsel der Niere untersuchten, konnten keine bedeutende Steige- rung der Nierendurchblutung in der Diurese gegenüber der Normalsekretion beob- achten. Nun sind aber ihre Experimente nach außerordentlich eingreifenden Ope- rationen (siehe unten) ausgeführt worden, die Nierendurchblutung war schon anfänglich sehr hoch; sie injizierten dann relativ bedeutende Quantitäten von + U- oder Salzlösungen und erhielten starke Diurese ohne starke Durchblutungs- steigerung. Aber obwohl, wie erwähnt, schon vorher eine bedeutende Blutmenge in der Zeiteinheit durch die Niere floß, so wurde doch jetzt erst eine zweite Bedingung der Diurese, nämlich die Hydrämie, gesetzt, die nun auch mit einer mäßigen Durchblutungssteigerung eine ziemliche Harnflut hervorrief. Noch deut- licher erhellt der Einfluß der Hydrämie aber aus der eben angezosrenen Arbeit von Magnus über Salzdiurese. Die darin mitgeteilten Versuche ergeben, daß niemals durch konzentrierte Kochsalzlösungen eine so starke Diurese erzielt werden kann, als wenn man entsprechende Salzmengen als isotonische (0,9 proz.) oder so- genannte physiologische (0,6 proz.) CINa-Lösungen infundiert. In einem der letzteren Fälle erhielt Magnus (l. c., S. 69) von einem Kaninchen mit 1525 &« Körpergewicht in einer Stunde 725cm Harn, oder, wenn man aus der Mehrausscheidung gegen vorher den „diuretischen Effekt“ nach v. Schröder!) pro 100 g Tier berechnet, einen solchen von 45,4cm? für eine Stunde. Külz sowie Bock und Hoffmann’) haben Ähnliche Versuche angestellt. Letztere erhielten bei Infusion 1 proz. C1Na-Lösung 256 cm? Harn pro Stunde. (Magnus weist zur Veranschaulichung dieses Wertes darauf hin, daß die Nieren eines Menschen von 70 kg Gewicht in einer Stunde bei solchem Eifekt 33 Liter Harn produzieren müßten.) Auch bei Hunden, die ja im allgemeinen weniger stark diuretisch reagieren, erhielt Magnus (l. c. S. 82) 1,4 cm? bzw. 1,3 cm? Harn pro Minute und Kilogramm auf Einlauf von 0,9 proz. bzw. 0,6 proz. C1Na- Lösung; bei Infusion von konzentrierter Salzlösung war die Diurese geringe, der Harn auf der Höhe der Diurese sehr dünn. Also: wird mit dem Salze sehr viel Wasser gegeben, wird also rasch eine bedeutende Hydrämie erzeugt, so ist die Diurese am bedeutendsten; muß aber der Körper durch Einlauf konzentrierter Salz- lösungen Gewebswasser hergeben, so ist die Diurese viel geringer. Magnus (l. ce. S. 91) weist selbst darauf hin, wie empfindlich der Körper gegen Wasserentziehung ist; die Arbeiten von Nothwang, der an Tauben, Straub‘), der an Hunden | experimentierte, ebenso von Rost‘) zeigen, wie leicht er dagegen große Mengen Wasser aufnimmt und in Depots festhält. Haben schon frühere Arbeiten ergeben, daß dem Körper zur Elimination von Substanzen bzw. zur Aufrechterhaltung eines | konstanten osmotischen Druckes im Blute nicht unbedeutende Wassermengen zu Gebote stehen (v. Brasol für Zucker, Klikowiez, Moritz u. a. für Salze), so zeigt eine interessante, Studie von Engels°), daß die Muskeln vornehmlich diese Wasserdepots sind, daß sie außerordentlich leicht von eingeführtem Wasser große Mengen aufspeichern und bei Bedarf wieder abgeben können. Overton°) fand dies auch an isolierten Muskeln, und konstatierte, daß trotz wechselnden Wasser- gehaltes die Muskeln gut funktionierten. !) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 24, 90, 1888. — °) Zit. bei Heidenhain, Handb., $. 332/333. — °) Dissert., Marburg 1891; Zeitschr. f. Biol. 38, 537, 1899. — +) Arb. Kais. Gesundh.-Amt. 18 (1901) bzw. 19 (1902). — °) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 51, 346 ff., 1904. — °) Pflügers Arch. 92, 115, 1902. a EEEEESESEHEREUNBSSEBEESHERBRBHERBEBEGTSERRRREF Ausfuhrmengen gelöster Substanzen. 257 3. Mengenverhältnis der ausgeschiedenen Harnbestandteile (inkl. Ab- scheidung injizierter körperfremder Substanzen [Farbstoffe usw. ]). Nach Bowmans und Heidenhains Ansicht secernieren die Glomeruli Wasser oder höchstens Wasser und einige Salze, welche überall im Körper Begleiter des Wassers sind, dagegen werden daselbst weder Harnstoff noch Harnsäure (bzw. alle „spezifischen Harnbestandteile“) und ebensowenig etwa beigemengte abnorme Bestandteile (Farbstoffe usw.) abgeschieden. Wir haben A. intestin. comm. Fig. 98. "p. adipos. Ureter —— A. mesent. post. Vesie. seminalis — _ Rectum A. vesie. seminal. B Ir — Vesica urin. A. recto-vesical. I M. compr. cloa, = —— A. haemorrh. med. ventr. . .c BE — A. glutaea — —— - zZ M. pirif. en > Aa. pudend. | Es | \ | Yu cut. fem. post. A. vesical. dors. A. obturat. —A. haemorrh. post. —— M. sphincter ani Aa. urogenitales beim Männchen. Dazu: A. recto-vesicalis (A. epigastrico-vesicalis) und Aa. pudendae. Nach Gaupp, Anat. d. Frosch. 2, 331. oben eine Reihe von histologischen Tatsachen kennen gelernt, welche eine sekretorische Funktion der Rindenepithelien sehr wahrscheinlich machen, neben denen eine Glomerulusfiltration natürlich aber sehr wohl einhergehen kann. Heidenhain stützt seine Ansicht vornehmlich auf die Versuche mit Injektionen von Indigkarmin. Es war schon hervorgehoben worden, dab die Resultate solcher Injektionen auch von dem Standpunkte einer Re- sorption des mit dem Knäuelfiltrat herabströmenden Farbstoffes aus erklärt werden können, und v. Sobieransky!) hat mit Recht auf eine solche Mög- !) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 35, 1ff., 1895. Nagel, Physiologie des Menschen. I. aber 358 Ausfuhrmengen gelöster Substanzen. lichkeit hingewiesen und sie durch erneute Versuche zu erhärten gesucht, wie auch früher Runeberg. Beweisend sind aber die Versuche mit Farb- stoffen, welche, wie Indigkarmin, so leicht einer Reduktion mit Bildung des Leukoproduktes unterliegen, keineswegs. Daß in der Niere Reduktions- prozesse stattfinden, hat Dreser!) gezeigt. Nach Injektion von Methylenblau wurde ein schwach blauer Harn abgeschieden, der sich mit Eisenchlorid intensiv blau färbte. Farbstoffe, welche nur in alkalischer Lösung reduziert werden (Alizarin, Phenolphthalein, Fluorescin), wurden unreduziert ausgeschieden. Ebensowenig können die Versuche Nußbaums?), die Heidenhain als ge- wichtige Stütze gegen die Filtrations- und KResorptionstheorie heranzieht, noch als beweisend gelten. Gestützt auf die Tatsache, daß in der Niere des Frosches die Glomeruli durch die Artt. renales (Äste der Artt. urogenitales), die Harnkanälchen aber durch die Vena Jacobsoni, welche die Vena renalis advehens princeps (Nierenpfortader, V. iliaca communis) und die Venae renales Fig. 99. -V. cava post. Vv. renal. revehent. N El dorso-lumb. AI N Vv. ovidue. _—- Y. iliaca commun. Zu- und abführende Venen der rechten Niere, von der Dorsalseite. Nach Gaupp, Anat. d. Frosch. 2, 418. advehentes secundariae zusammenfaßt, gespeist werden®), unterband Nuß- baum die Nierenarterien des Frosches. Die Harnsekretion stockte danach vollkommen; injizierte er aber jetzt den Fröschen Harnstoff, so trat wieder Harnabscheidung auf. Heidenhain sieht darin eine von der Glomerulus- sekretion unabhängige Abscheidung von Wasser und gelösten Harnbestand- teilen. Adamis*) Einwände gegen Nußbaum wurden von letzterem’) zum Teil widerlegt, und Beddard*), der auf Starlings Veranlassung die Versuche wieder aufnahm, zeigte, daß die Unterbindung der arteriellen Ge- fäße die Zirkulation in den Glomerulis wirklich vollständig aufhebt, nur müssen zugleich auch die arteriellen Zweige, welche von den Geschlechtsorganen zur Niere laufen, ebenso die feinen Äste, welche oft von der Art. intestinalis communis (syn. Art. coeliaco-mesenterica) — am besten durch Cauterisation — ausgeschaltet werden. Es zeigte sich dabei, daß durch die Unterbindung des arteriellen Zuflusses alle Glomeruluscapillaren infarciert waren. Bei Fröschen, die nach der Adamischen Operationsmethode unterbunden waren, konnte ') Zeitschr. f. Biol. 21, 41, 1885. — °) Pflügers Arch. 16 (1878), 17 (1879). — ”) Die Einzelheiten dieser Kreislaufsverhältnisse siehe in Gaupps Bearbeitung von Ecker-Wiedersheims Anatomie des Frosches, II u. III (Braunschweig 1899 und 1904). — *) Journ. of Physiol. 6, 382, 1885. — °) Anat. Anz. 1886. — °) Journ. of Physiol. 28, 20 ff., 1902. Die experimentelle Ausschaltung der Glomeruli. 259 Beddard (l. ce. S. 23) durch Injektion immer noch mehr als 50 Proz. aller Glomeruli der oberen Nierenhälfte von der Aorta aus injizieren. War aber die Unterbindung eine genügende, d. h. ließen sich am Einde des Versuches durch Injektion keine oder nur ganz wenige Glomeruli injizieren, so trat niemals Urinsekretion auf, auch nicht nach Injektion von Harn- stoff. Trat eine solche Harnabsonderung auf U-Injektion auf, so ließen sich nachher stets viele Glomeruli mit Farbstoff injizieren. Die Versuche von Nußbaum, bei denen er eine Urinabscheidung nach U- Injektion erhielt, sind also solche mit. unvollkommener Ligatur gewesen, und Heidenhains daraus gezogene Schlußfolgerung, daß die Glomeruli für die Abscheidung der „spezifischen Harnbestandteile“* nicht in Betracht kommen, wird damit hinfällig. Beddard (l. c. S. 28) stellte aber noch weiterhin fest, daß bei vollkommener Arterienligatur auch die Epithelien der Nierenkanälchen eine Desquamation und Degeneration zeigten. Sie ist eine Folge der Unter- brechung des arteriellen Zuflusses und fehlte dementsprechend an den Orten, wo die zugehörigen Glomeruli — bei nicht ganz vollständiger Absperrung — sich injizieren ließen. Dieser Befund mahnt nun andererseits zur Vorsicht, aus dem Versiegen der Harnsekretion nach Glomerulusausschaltung den Schluß zu ziehen, daß eine Abscheidung von Harnbestandteilen in Lösung durch die Kanälchenepithelien nicht möglich sei. Konnten also die Heidenhainschen Einwände nichts gegen eine Aus- scheidung der „spezifischen Harnbestandteile“ im Glomerulus beweisen, so sprechen andererseits die Untersuchungen über die Mengenverhältnisse der ausgeschiedenen Harnfixa bei geringer oder starker Absonderung für ein Glomerulusprodukt, das alle nicht in colloidaler Form kreisenden Blutbestand- teile enthält. Es müssen dementsprechend alle diese Stoffe durch Diuretica in erhöhtem Maße ausgeführt werden; alle diejenigen, deren Fortschaffung durch eine Sekretion der Kanälchenepithelien erfolgt, werden ein solches Ver- hältnis vermissen lassen. Eine eventuelle Rückresorption wird bei sehr rascher Kanaldurchströmung dieses Verhältnis nicht stark verdecken können. Bei Coffeindiurese der Kaninchen beobachtete v. Schröder (l. ec.) mit dem Be- ginne der Diurese ein Steigen der Harnfıxa inklusive des Harnstoffes, ebenso fand Thompson!) bei der Kochsalzdiurese — die von ihm erzeugten Pepton- Kochsalzdiuresen 2) ließen sich auf Salzwirkung zurückführen — sowohl die Di: als auch die ClNa- Ausfuhr gesteigert. Es wurden während der Diurese (l.e.8.185) 47 Proz. mehr Harnstoff — bestimmt nach Mörner-Sjökvist — ausgeführt als vorher; bei den Chloriden — nach Volhards Methode be- stimmt — war die Ausfuhr nicht so bedeutend gesteigert, da der Prozent- gehalt an CINa des Diureseharns sehr gering war; auch ist Thompson (l. c. S. 502) durch Kontrollexperimente zu der Ansicht gekommen, daß die verringerte Chlorausscheidung durch das Anästheticum — Morphium und Chloroform-Äther-Mischung — bewirkt wurde. Löwi°), der die Verhältnisse genauer studierte (s. unten), hebt wohl mit Recht hervor, daß für die Frage nach dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ausscheidung des Wassers und ') Journ. of Physiol. 25, 487, 1900. — ?) Ebenda 8. 179 ff. — °) Arch. £. exp. Pathol. u. Pharm. 48, 410 ff., 1902. 17* 260 Ausfuhrmengen gelöster Substanzen. der frei gelösten Bestandteile nur die Änderung ihrer absoluten Ausschei- dungsgröße in Betracht kommt. Da wir nie wissen, ob und wieviel bei der vor der Diurese stattfindenden Harnabscheidung von einzelnen Substanzen zurückresorbiert wurde, so kann die prozentuale Änderung bei gesteigerter Harnflut keine Schlüsse erlauben. Dazu kommt, daß der Gehalt des Blutes an den einzelnen Substanzen ein wechselnder sein wird, zudem von der Natur des angewendeten Diureticums abhängt und im Verlaufe der Diurese sich ändern wird. Löwi zieht noch heran das von Rosemann!) und Rost?) gefundene Steigen und Fallen der N-Ausfuhr mit der Wasserausscheidung, indes die Ausscheidung von Phosphorsäure in des letzteren und Röskes°) Versuchen nicht so oder entgegengesetzt verlief. Cushny*) fand im Be- ginne von Salzdiuresen ebenfalls ein starkes Ansteigen der Kochsalzausfuhr, ebenso Rutschmann’), der mit steigender und fallender Diurese auch eine entsprechende Änderung der ClNa-Ausfuhr konstatierte _Katsuyama ®) bekam auf Theininjektionen an hungernden Kaninchen eine Steigerung der Ausfuhr der Harnalkalien; das Natrium erfuhr eine Steigerung um mehr als das Vierfache, die des Chlors wuchs ebenfalls sehr stark; die Kaliausfuhr stieg aber nur wenig oder gar nicht an. Ebenso erzielte er durch Diuretin und Harnstoff hohe Natrium- und Chloridausscheidung; ersteres trieb meist auch die Kaliausfuhr in die Höhe, der Harnstoff nicht. Allerdings ist, wie Löwi bemerkt, bei der Beobachtung 24stündiger Perioden ein Schluß auf die Ursachen der wechselnden Kaliausfuhrsteigerung nicht zu ziehen; eine Beobachtung in kurzen Perioden wäre dazu nötig. Löwis eigene Versuche (l. e. S. 416ff.) wurden an Kaninchen mit Naßfütterung (Rüben) in Chloral- oder Urethannarkose angestellt, der Harn aus Ureteren- oder Blasenkanülen aufgefangen, der Carotisdruck registriert und die Diuretica — Salze oder Coffeinpräparate — meist inträvenös, seltener per os appliziert. Die Harn- proben wurden in Intervallen von 15 Minuten analysiert: die Chloride nach Volhard-Salkowski bestimmt, die Phosphorsäure (s. unten) durch Uran- titration — mit Cochenilletinktur als Indikator — ermittelt. Die Versuche mit (off. natr. benz. in mehrfach wiederholten Infusionen ergaben nun mit jedem Ansteigen der Diurese eine bedeutende Steigerung der Trockensubstanz- menge, sowie der Chloridausfuhr, letztere wuchs nach den ersten Injektionen um das Drei-, Vier- und Fünffache; nach jeder folgenden Injektion war natür- lich infolge der Wasserverarmung des Organismus die Harnflut geringer und damit auch die Ausfuhr der Fixa. Das gleiche wurde durch Salzdiuresen erzielt, und zwar auch an Katzen und Hunden. Doch bewirkte Natriumnitrat eine stärkere Chloridausfuhr als Natriumsulfat, was Löwi (l. ce. S.419) durch das leichte Diffusionsvermögen des Natriumnitrats erklärt, welches dann Koch- salz diosmotisch aus dem Körper verdrängt. Dreser’), der die diuretische Wirksamkeit des synthetisch dargestellten Theocins (1,3- Dimethylxanthin von Bayer u. Co. in Elberfeld) untersuchte, fand ein ähnliches Hinaufgehen der Salzausscheidung mit der Diurese. !) Pflügers Archiv 65, 343, 1897. — °) Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheits- amt 19, Heft 1, 1902. — °) Dissert., Greifswald 1897. — *) Journ. of Physiol. 27, 429 f£., 1902. — °) Pflügers Archiv 91, 574#f., 1902 und ebenda 8. 627. — 6) Zeitschr. f. physiol. Chem. 28 (1899) und 32 (1901). — 7) Pflügers Arch. 102, 1 f£., 1904. Ausfuhrmengen gelöster Substanzen. 361 Er bestimmte (Selbstversuche) das einstündige Harnvolumen, berechnete es pro Minute zum Vergleich mit der mittleren normalen Sekretionsgeschwindig- keit/Minute, die sich aus einer täglichen Harnmenge von 1500 bis 1800 cm® zu 1,04 bis 1,25 cm°/Minute ergibt. Durch die Gefrierpunktserniedrigung (4) er- mittelte er die osmotisch wirksamen Bestandteile (Harnstoff und Salze); durch die ae . y ne 1 i Leitfähigkeit 4 = dem reziproken Werte des Widerstandes 5) die Salzausfuhr pro Minute, da eine direkte Analyse der einzelnen Bestandteile bei den kleinen Harnmengen unmöglich war. Ist v/t das Minutvolum des Harnes, 4 die Gefrier- punktserniedrigung, so gibt 4 X v/t die Gesamtzahl der Moleküle der ausgeschie- denen osmotisch wirksamen Bestandteile. Der elektrische Leitungswiderstand des Harnes (2) wird um so größer sein, je weniger Ionen (dissoziierte bzw. dissoziier- bare Salze) darin sind, also wird v/t X 2 oder z = 77 ein Maß für die ausgeschiedenen - 1l Salzmengen abgeben. Die Messung von A bzw. 73 geschah nach Kohlrausch in einem U-Gefäß'!) mit veränderlicher Kapazität bei 25°C. Als geeigneten Abstand der Elektroden wählte Dreser denjenigen, der für eine 1proz. CINa-Lösung bei 25°C einen Widerstand von 600.4 zeiete. Da der mittlere Tagesharn eine 1 proz. C1INa-Lösung darstellt, so stellen sich nach Dreser die Vergleichsdaten für Medi- ziner anschaulicher dar als durch Angabe in spezifischer Leitfähigkeit. Zu berück- sichtigen ist dabei, daß mit der Verdünnung die Dissoziation steigt; es entspricht eine 0,5 proz. CINa-Lösung nicht 1200 2, sondern 1158 2 Ah $ „2400 8, 2270 2 ED SE $ ne ,300,.0: 320 2 ” n + Um das Verhältnis der Nichtelektrolyte (U) zu den Elektrolyten [Salzen, vornehm- lich C1Na, wie Koranyi?) hervorhebt] festzustellen, bildete Dreser das Produkt 4x 2. Denn das Leitvermögen 4 = 2 wächst mit der Anzahl der dissoziierten Moleküle bzw. mit dem Salzgehalt; d. h. wenn bei gleichem 4 ein Teil des Harn- stoffes (der Nichtelektrolyte) durch die entsprechende Menge C1Na ersetzt ist, muß das Produkt 4 X 2 abnehmen; bei höherem U-Gehalt wird 4 X 2 steigen. Auf 0,4g Theocineinnahme steigerte sich nun mit der Diurese, welche durch Nachtrinken von Wasser in gleichem Quantum wie die entleerten Harnportionen unterhalten wurde, die Salzausscheidung sowohl als diejenige der Nichtelektrolyte (Harnstoff) ganz bedeutend. Das Theocin zeigte sich dabei im Hervorbringen einer Diurese dem Coffein und dem Theobromin sehr überlegen. Doch sind alle diese Diuretica nur wirksam bei hohem Wasser- gehalt des Organismus, bzw. wenn an Gesunden der Wasserverlust ersetzt wird, daher ihr hoher Wert bei hydropischen Zuständen. Diurese konnte Dreser durch Coffein und Theobromin auch beim Hunde erzeugen, wenn er das Harnwasser (als Milch) nachtrinken ließ. Die gegenteiligen Angaben (v. Schröder u. a.) über Versagen des Coffeins beim Hunde, der im all- gemeinen ja mit geringem Wasserwechsel lebt, beruhen also wohl auf dem Wassermangel. In Galeottis (l.c.) Versuchen erreichte ebenfalls die Elimi- nationsgeschwindigkeit der anorganischen Harnbestandteile auf der Höhe der Salzdiurese den größten Wert; je dünner der Harn, desto größer die Klimi- nationsgeschwindigkeit und umgekehrt. Die Eliminationsgeschwindigkeit der ‘) Asher (Zeitschr. f. Biol. 46, 12, 1905) hat ein Widerstandsgefäß konstruiert, das sich für medizinische Zwecke sehr gut eignet, da es nur einer geringen Flüssig- keitsmenge (1,7cm?) bedarf und leicht zu reinigen ist. — °) Zeitschr. f. klin. Mediz. 33, 1, 1897. 962 Ausfuhrmengen gelöster Substanzen. organischen Substanzen dagegen stieg nur anfänglich ein klein wenig, sie blieb im allgemeinen ziemlich konstant. Entsprechend der Annahme eines. Glomerulusexkretes, das nur enteiweißtes Plasma darstellt, zeigte sich (Dreser, l.c. 8.23/25), daß auch bei einer Diurese durch Trinken von großen Wasser- mengen die Ausfuhr der Fixa außerordentlich gesteigert war, allerdings nur so lange (etwa 70’ lang), als noch Salze dem Organismus entzogen werden konnten; sie stieg dementsprechend nach dem Mittagessen (Salzzufuhr) auch wieder an. Sehr deutlich ergab sich aber, daß alle Diuretica die einfache Wasserzufuhr in der Herbeiführung einer Ausfuhrsteigerung der Harnfixa bedeutend übertreffen, indem z. B. Theoein (s. Dreser, l.c. S. 31) auch ohne Nachtrinken von Wasser eine der Norm erheblich überlegene Stoffausfuhr bewirkt. Ob aber dies, wie Dreser will, auf einen besonderen „Reiz“ der Diuretica auf die secernierenden Epithelien zu schieben ist, oder ob nicht zum Teil auf die oben erwähnte, durch die Diuretica bewirkte, außerordentlich gesteigerte Nierendurchblutung, deren Angriffspunkt im Gefäßsystem der Niere selbst liegt und welche der Wasserwirkung nur im Maße ihrer Aussalzung des Organismus eignet, das wäre noch näher zu untersuchen. Eine parallel laufende Wirkung auf die Nierenepithelien ist auf jeden Fall nicht aus- zuschließen, scheint mir aber mehr darauf zu beruhen, daß die Diuretica der Puringruppe die Rückresorption der gelösten Stoffe in den Harnkanälchen hemmen, eine Ansicht, die ja schon v. Sobieransky ausgesprochen hat (s. unter Resorption). B. Die Resorption in den Markkanälchen. I. Wasserresorption. Um den höheren Gehalt des Harnes an gelösten Stoffen gegenüber dem des Blutes zu erklären, stellte Ludwig die Hypothese auf, daß beim Durch- fließen durch die Harnkanälchen das Knäuelfiltrat in Austausch trete mit dem Blute, das sehr viel konzentrierter aus den Glomerulis ausfließe und das außer- ordentlich dichte, um die Nierenkanälchen gesponnene Netz von Capillaren durchströme!). Er erweiterte dann die Hypothese noch durch Hinzuziehung der Lymphbahnen als resorbierender Wege. v. Sobieransky (]. c.) hat, wie schon erwähnt, die von Heidenhain nach Indigkarmininjektionen erhaltenen und als Beweise eines Sekretionsvorganges aufgefaßten Bilder so gedeutet, daß gerade an ihnen der Resorptionshypothese eine starke Stütze erwachse. Die resorbierenden Teile sollen nach ihm vornehmlich die mit Bürstensaum versehenen Epithelien der Nierenkanälchen sein. Auf Grund der früher dar- gelegten histologischen Befunde kommt diesen Kanalabschnitten wohl un- zweifelhaft eine sekretorische Funktion zu; eine Resorption war daneben nicht auszuschließen. Zieht man die eigentümliche, mehr einem Endothel gleichende Auskleidung der absteigenden Schleifenschenkel in Betracht, desgleichen das Fehlen des Bürstensaumes im größten Teile der Schleifen sowie in den Sammel- röhren, die ja nach der Ansicht vieler Autoren auch der Membrana propria entbehren sollen, so würde das „Mark“ vornehmlich als Resorptionsstätte an- zusprechen sein. Hüfner?) hatte auf Grund vergleichend-anatomischer Unter- !) Wagners Handwörterbuch 2, 638, 1844. — ?) Z. vgl. „Anat. u. Physiol. der Harnkanälchen“, Leipzig 1866. Resorption im Mark. 263 suchungen die gleiche Ansicht ausgesprochen; er fand bei Fischen und Fröschen, deren Organismus eine Wassersparung nicht benötigt, die den absteigenden Schleifenschenkeln entsprechenden Kanalabschnitte nicht so ausgebildet wie beim Säuger oder beim Vogel. Zudem sind, wie schon früher erwähnt, die unteren Schleifenteile, sowie die Sammelröhren in tieferen Papillargebieten durch ein sehr mächtiges Zwischengewebe voneinander getrennt. Für eine Eindickung im Marke spricht auch, wie früher erwähnt, daß bei Farbstoff- oder Harnsäure- injektionen die Massen in größerer Dichtigkeit in den Schleifen und geraden Harnkanälchen liegen. Ebenfalls drängt sich nach Ribbert!) eine solche Annahme auf bei Betrachtung von Albuminurienieren, wo, zumal in gekochten Präparaten, „das Eiweiß in den Glomeruluskapseln und in den gewundenen Harnkanälchen die gleiche, relativ geringe Dichtiekeit zeigt, in den Schleifen, den Schaltstücken und Sammelröhren viel dichter erscheint und so in Gestalt kompakter hyaliner Zylinder uns entgegentritt“. Daß das Eiweiß bei kranken Nieren, bzw. wenn es ın Form blutfremden Eiweißes kreist, durch die Glome- ruliabgeschieden wird, darüber herrscht Einstimmigkeit unter den Autoren. — Ribbert (l.c. S.11 u. 12) hat weiterhin auch durch Versuche zu er- weisen gesucht, daß die Resorption vornehmlich im Marke stattfindet. Er injizierte von Lithionkarmin- oder Indigkarminlösungen in die Markpapille einer aus dorsaler Wunde luxierten Kaninchenniere vermittelst Pravazspritze 1 ccm in 2 Minuten mit der Richtung gegen die Rinde. Auf der Oberfläche des Organs entstanden an mehreren benachbarten Stellen rote Fleeke: die betreffenden Partien, in Alkohol cehärtet, zeigten in mehreren Markstrahlen — entsprechend einer ge- wissen Anzahl durch die Spritze angeschnittener Markkanälchen — eine Anfüllung von geraden Harnkanälchen, auf- und absteigenden Schleifenschenkeln mit körnigem Karmin. Da die Nierensubstanz an und für sich keine Ausfällung des Farbstoffes bewirkt, so kann dies wohl nur aus einer Resorption des Lösungswassers erklärt werden. An der Spitze der betreffenden Markstrahlen enthielten auch einige Tubuli contorti Karmin, wenn auch nur in geringen Mengen. Es zeigte sich auch hier die eisentümliche Beziehung zum Bürstenbesatz, welche, wie schon früher erwähnt, Ribbert und sein Schüler A. Schmidt bei intravenöser Injektion der Karminlösungen erhalten hatten, nämlich daß der Farbstoff den Bürstensaum mit zarter diffuser Rötung tingiert hatte und auch in den supranucleären, an den Bürstensaum grenzenden Partien des Protoplasmas der Epithelzellen in Körnchen abgelagert war. Doch fehlten die bei intravenöser Injektion von größeren Karmin- mengen (siehe Ribbert, 1. ce. 8. 5 u. Fig. 4, Taf. I) sich findenden gröberen roten Granula der mittleren perinucleären Zellpartien. Ribbert stellt sich daher auf den Standpunkt von Sobieransky, daß auch in den gewundenen Kanälchen neben ihrer sekretorischen Tätigkeit eine Resorption stattfindet; der Bürstensaum würde dann die Rolle einer Membran spielen, durch welche endosmotische Vor- gänge sich vollziehen, denen zufolge die durch Zelltätirkeit (Vacuolen usw., siehe früher) bis an den Bürstensaum herangeführte Stoffe gegen Wasser ausgetauscht, Wasser in die Zellen mit aufgenommen würde. In vorliegendem Versuche wäre Karmin von den Zellen zugleich mit aufgenommen worden. Findet eine solche Harnkonzentration im Marke statt, so muß die Aus- schaltung desselben einen diluierten Harn liefern. Ribbert?) hat dies experi- mentell geprüft und sich dabei den Umstand zunutze gemacht, daß die Niere der Nager nur eine einzige Markpyramide hat. Mit einem Hohlmeißel wurde die Markpyramide einer Kaninchenniere entfernt und die andere Niere exstir- piert; die Tiere lebten 48 bis 60 Stunden. Der abgesonderte Harn war sehr viel verdünnter als bei Kontrolltieren; die Harnmenge sehr vermehrt und nur ') 1. e. Bibl. med. Kassel. — °) Virchows Arch. 93, 169, 1883. 964 Resorption im Mark (Wasser). Spuren von Albumen vorhanden. Boyd!), welcher die Experimente Ribberts mit etwas veränderter Technik wiederholte und vor allem gegenüber den bloßen Schätzungen Ribberts den Harn sowie das Naßfutter (Kohl) genau analysierte, erhielt bei vollständiger Markentfernung — welche nur schwer gelingt — Infarkt und damit Nekrose der Rinde. Bei unvollständiger Ent- fernung der Markpyramide trat keine vermehrte Harnsekretion auf. H.Meyer?) hat in Verbindung mit Hausmann die Ribbertschen Versuche wiederholt: rechte Niere vorher entfernt, dann Mark der linken Niere exstirpiert. Wie Ribbert erhielt er eine drei- bis vierfache Harnmenge: „der vor der Operation dunkle, leimige Harn (Haferkaninchen) von 1040 bis 1050 Dichte wurde als- bald hell, dünnflüssig und zeigte eine Dichte von 1009 bis 1011. Die Ana- lyse ergab das bemerkenswerte Resultat, daß, wie auch der Gehalt des Normal- harns an Ül:N gewesen sein mochte, er nach der Operation sich immer auf eine Höhe einstellte, die dem Gehalte des Blutes, d. h. eines aus dem Blute abgeschiedenen, eiweißfreien Filtrates nahe kam“ (l. c. 5.93). Die Harnmenge der nie länger als drei Tage die Operation überlebenden Tiere war nicht so groß, als bei intakter Rinde zu erwarten gewesen wäre; dementsprechend zeigte aber die von Disse vorgenommene Untersuchung der Nieren, daß nur ein Teil der Glomeruli funktioniert hatte. Bujniewicz?) hat einen Fall aus der menschlichen Pathologie beobachtet, wo Verhältnisse, ähnlich denen, die Ribbert experimentell erzeugt hatte, vorlagen. Bei einer Frau war durch einen Stoß die rechte Niere in drei Teile gespalten und der Ureter durch- rissen worden; nach Herausnahme von zwei Teilen der Niere und Unter- bindung der den Rest versorgenden Nierenarterie bildete sich eine Harn- leiterfistel, durch die eiweißfreier Harn ausfloß, bis zu 1 Liter in 24". 4 des Harns der gesunden linken Niere betrug im Mittel aus 7 Tagen — 1,24°C, A des Harns der rechten Niere im Mittel aus 6 Tagen — 0,29; der Prozent- gehalt an ClNa links 0,66, rechts 0,50. Der Nierenrest wurde exstirpiert und mikroskopisch untersucht: es fanden sich darin die Glomeruli unversehrt, während die gewundenen Kanälchen an vielen Stellen durch körnige Massen verstopft, ihr Epithel verschwunden oder abgestorben war. In der Markschicht bestanden krankhafte Veränderungen am Epithel der Henleschen Schleifen und der geraden Kanälchen. II. Resorption gelöster Substanzen. Die durch diese Erfahrungen gestützte Annahme einer Wasserresorption in der Niere geht aber, wie mannigfaltige Beobachtungen ergeben, mit einer Rückresorption im Harn gelöster Bestandteile einher. Die betreffenden Unter- suchungen sind von mehreren Seiten aus in Angriff genommen worden. H. Meyer und Halsey*) gingen von der Tatsache aus, daß die Eindiekung der flüssigen Ingesta im Darme verzögert werden kann durch Zusatz von Salzen, und daß dabei Kochsalz sehr schwach wirkt, die Salze der Glauber- salzgruppe aber sehr stark, und zwar infolge ihrer sehr langsamen Resorption. Würde Kochsalz in der Niere zurückresorbiert und in die Gewebe geführt — wobei natürlich der allgemeine Kochsalzbestand des Körpers berücksichtigt !) Journ. of Physiol. 28, 76 f£., 1902. — °) Marb. Sitzungsber., Juli 1902. — ®) Le Physiologiste russe 2, 196, 1904; zit. nach Ergebnisse 1 (1), 427. — *) Siehe oben l.c. Die Versuche wurden weeen Fortgang des Herrn Dr. Halsey abgebrochen. Ben #- Resorption im Mark (Wasser). 265 werden muß — so würde es eine weniger starke Diurese hervorrufen als das nicht oder sehr schwer resorbierbare Glaubersalz, welches dann eine ent- sprechend längere Hydrämie bedingen müßte. Sie brachten nun isoosmotische Lösungen von ClNa und Na,SO, in das Blut von Kaninchen und erhielten in der Tat eine stärkere Diurese durch Glaubersalz als durch Kochsalz. Magnus (l. c.), der wie Sollmann bei seinen Diureseversuchen mit iso- tonischen Salzlösungen schon die stärkere Wirkung des Glaubersalzes fand, schrieb ihm einen stärkeren Reiz auf die Nierenzellen zu. Cushny!) sowie Gottlieb und Magnus?) haben ähnliche Versuche angestellt bzw. sie durch gleichzeitige Einführung zweier Salze erweitert. Ausgehend von der Tatsache, daß die oben erwähnten Unterschiede der Wirkung verschiedener Salzgruppen auf deren Anionen beruhen, stellte sich Cushny für seine Versuche Lösungen von ClNa, Na,SO, und Na,HPO, her, welche 3,55 Proz. Cl, 9,6 Proz. SO, und 9,5 Proz. PO, enthielten — daneben zog er auch Harnstoff in Lösungen von 6 Proz. in den Kreis seiner Versuche —, und dementsprechend wurden auch die Chlor-, Sulfat- und Phosphat-Äquivalente im Harn aus den Analysen berechnet. Die Harnmengen wurden in sehr kleinen Intervallen (bis zu 5’ herab) bestimmt und jede Probe für sich analysiert, um möglichst genau den Verlauf der Aus- scheidung verfolgen zu können. Die Gesamtheit der gleichlaufenden Serum unter- suchungen konnte natürlich nicht an dem für das Harnanalyseexperiment benutzten Tiere vorgenommen werden, ohne eine neue Variable durch die benötigten starken Blutentziehungen einzuführen. Es wurden daher identische Experimente jeweils an einer Reihe von Tieren vorgenommen, eines davon auf der Höhe der Harnflut verblutet, ein anderes mit abklingender Diurese. Wurden nun z.B. (Exp.I, S.432) in 25 Minuten 50 ccm einer Mischung von gleichen Teilen der CINa- und NaSO,-Lösungen einem Kaninchen in die Jugularvene injiziert, so setzte nach wenigen Minuten eine starke Diurese ein, die auch am Ende des Versuches (nach 2!/, Stunden) noch nicht voll- ständig beendet war. Die Harnchloride stiegen mit der Harnflut, und zwar nicht nur in absoluter Menge, sondern auch prozentisch; sie erreichten ihr Maximum auf der Höhe der Diurese und fielen dann mit ihr in Gesamtbetrag und Prozentzahl — oft sogar unter den anfänglichen (Normal-)Gehalt. Das Steigen der absoluten Sulfatmengen deckte sich mit dem von Wasser und Chlor, aber das Fallen geschah viel langsamer. Der Prozentgehalt an Sulfat stieg also nicht nur mit wachsender Diurese, sondern fort und fort während des ganzen Versuches, so daß am Ende ein Harn mit 2 bis 3 Proz. Sulfat- gehalt austrat. Am Schlusse des Versuches war von den injizierten Chlor- und Sulfatmengen noch nicht alles ausgeschieden; im Körper war also sicher noch sehr viel Cl zu einer Zeit, wo der Harn fast nichts mehr davon enthielt. [Cushny erwähnt, daß auch Magnus (l. c.) nach Einlauf abgemessener Quantitäten dünner Salzlösungen eine normale Harnmenge erhielt zu einer Zeit, wo sich sicher noch ein großer Überschuß von Wasser und Salz im Körper befand.] Aber immer war die in der Versuchszeit ausgeschiedene Chlormenge viel geringer als die entfernte Sulfatmenge, selbst bei Berechnung auf aus- geschiedene Anionenquanten; im Anfang jedoch mit steigender Diurese war das Chlor im Überschuß. In Exp. II wurde mit dem Diureseversuch die Serum- untersuchung verbunden. Die Injektion von 25 cm? gleicher Teile CINa- und !) Journ. of Physiol. 27, 427 #f., 1901/1902. — ?) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 45, 1. 966 Resorption gelöster Bestandteile. . Na,SO,-Mischung dauerte 10 Minuten, in der 11. Minute, auf der Höhe der Diurese — es waren 28cm? Urin in 11 Minuten abgeflossen — wurde das Tier verblutet. Bei einem zweiten Tiere, das in 30 Minuten 40 cm? der Mischung erhalten und das den gleichen Verlauf der Ausscheidungen wie das erste auf der Höhe der Diurese gezeigt hatte, sammelte man am Ende der Diurese während 75 Minuten 12 cm’ Urin, dann verblutete man es. Die erhaltenen Zahlen sind: Chlor | Sulfat Proz. | Proz. > i BSerume ee 0,547 0,259 Exp. II (Diuresemaximum) | ik BT N a 0,546 3 £ $ ) j7SeRummee are ee 0,493 0,191 BXpP- Nachperiode) - - F a) N 0,094 2,000 Diese Zahlen weisen darauf hin, daß der Gehalt des Blutes an Salzen nicht der bestimmende Faktor für deren Ausscheidung sein kann, man müßte denn die unwahrscheinliche Annahme machen, daß die ausscheidenden Zellen im Ver- laufe der Diurese ihre Fähigkeit zur Ausscheidung gänzlich umkehren. Wenn der Gehalt an „harnfähigen“ Salzen das Eintscheidende wäre für ihre Aus- scheidung, so ist schwer einzusehen, warum am Ende des Versuches der hohe Chlorgehalt des Blutes nicht mehr wirksam gewesen wäre, der verminderte Sulfatgehalt aber sich zum stärkeren Stimulans ausgebildet hätte. Und mehr noch. Wird nur Sulfatlösung injiziert (Exp. IV, S.436), bleibt also die Chloridmenge des Körpers bzw. des Blutes ungeändert, so wird doch für eine kurze Zeit mit steigender Diurese mehr Uhlorid ausgeschieden als Sulfat, und viel mehr als im anfänglichen (Normal-)Harn. Ein anderes Gesicht bekommen diese Tatsachen, wenn man annımmt, daß das Glomerulusfiltrat ein Plasma minus Eiweiß ist, die Salze ım Verhältnis ihres Gehaltes im Blute enthaltend, daß aber auf dem Wege durch die Nierenkanälchen eine Resorption von Wasser und gelöster Substanzen eintritt, und daß für letztere ihre Resorbierbarkeit entscheidet, vielleicht noch modifiziert durch das Bedürfnis des Organismus an ihnen. Bei starker Harnflut, also rascher Durchströmung der Kanälchen, wird sowohl die Konzentration (Wasserresorption) noch gering sein, als auch der Unterschied im Salzgehalt gegen den des Blutes; mit ebbender Diurese aber muß das leicht resorbierbare und begehrte Kochsalz aus dem Harn schwinden, während die wachsende Konzentration infolge stärkerer Wasser- rücknahme den Gehalt des schwer resorbierbaren Sulfats, trotz stark ver- minderter Anwesenheit ım Blute, im Harn außerordentlich in die Höhe treibt. Daß die Zellen der Nierenkanälchen Sulfat schwer resorbieren, würde sie, wie schon erwähnt, in eine Reihe stellen mit den Darmepithelien und den roten Blutscheiben, und Cushny zieht wohl mit Recht auch‘ die Erfahrungen Hof- meisters heran, daß Gelatine aus Sulfatlösungen schwerer Wasser aufnimmt als aus Ühloridlösungen. Er hebt aber hervor, daß dies Verhalten gegenüber den Sulfaten nicht für alle Zellen gilt, wie Starling und Leathes sowie Magnus zeigten, welche die Pleura bzw. die Capillarendothelien ebenso leicht für Sulfat durchgängig fanden wie für Chloride. Der Frage, ob Sulfat vielleicht leichter den Glomerulus passiere als Chlorid, und daß dadurch, nicht durch Resorptionsverschiedenheiten, die Resorption gelöster Bestandteile. 267 Differenz hervorgebracht würde, -suchte Oushny (l. c.) noch auf anderem Wege näher zu treten. In obigem Versuche (Exp. II mit Serumanalyse auf der Höhe der Diurese) enthielten die 23 cm? Harn 0,153 g Sulfat und 0,1044 g Chlor. Nach dem Prozentgehalt des Serums (siehe oben) wären in 59 cm’ Serum 0,153 g Sulfat enthalten gewesen, an Chlor hätte es 0,3227 g geführt. Hätte ein Glomerulusfiltrat gleich Plasma minus Eiweiß passiert, so müßten 3lccem Wasser + 0,2183 g Chlor zurückresorbiert worden sein — im Falle ungleicher Permeabilität der Glomeruluswand müßte so viel mehr Sulfat hin- durchgegangen sein als Chlor. Dann müßte aber auch auf der Höhe der Diurese das Maximum der Sulfatausfuhr eher auftreten als das des Chlors, während, wenn wir gleiche Passierbarkeit annehmen und die Ungleichheit des Ausfuhrbetrages auf Rückresorption von Chlorid beziehen, in diesem Stadium hoher Harnflut, wo die Resorption nur wenig effektvoll ist, die Maxima der Ausfuhr annähernd zusammenfallen müssen. Cushnys Experi- mente mit sehr kurzen Intervallen der Harnsammlung bringen das letztere Fig. 100. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 65 60 65 Minuten WE Injektion der NaCl- u. Na,gSO,-Lösung. Die stark ausgezogene Linie — Harnmenge. Die dünn ausgezogene Linie — SO,-Aquivalente. Die punktierte Linie — Cl-Aquivalente. Nach Cushny (Journ. of Physiol. 27, 440, 1901/1902, Fig. 2). zur Evidenz (siehe beistehende Kurve, Fig. 100) und geben zugleich ein Bild von der Ausfuhrverschiebung durch Wirksamwerden der Resorption mit fallender Diurese. Alle drei Komponenten — Wasser, ClNa und Na,S0, — setzen gleichzeitig mit vermehrter Ausscheidung ein, ebenso werden die Maxima zu gleicher Zeit erreicht. Daß die absoluten Ul-Werte die von SO, übertreffen, ist erklärlich durch den ja vorher schon hohen Kochsalzgehalt des Blutes. Der Prozentgehalt der Chloride im Harn war nie höher als im Blute, näherte sich aber in manchen Fällen auf der Höhe der Diurese dem des Blutes (S. 441, 1. c.: 0,408 Proz. Chloride im Urin, 0,419 Proz. im Serum). Ähnliche Resultate wurden mit NaClund Na,HPO, erzielt bzw. mit Mischungen aller drei Substanzen. Beistehendes Diagramm (Fig. 101 a.f.S.) zeigt das Resultat des Exp. VII (S. 442, 1. e.). Die Linie des Phosphats (durch Titration mit Uranacetat bestimmt) läuft so dicht bei der Sulfatlinie, daß beide in der Kurve nicht isoliert nebeneinander darzustellen sind; nur in späteren Stadien des betreffenden Versuches sank die Phosphatausscheidung unter die des Glaubersalzes ab: ob durch Rückresorption in der Niere oder Ablagerung im Körper, ist hier nicht zu entscheiden. In den Experimenten mit Harnstoff- 368 Resorption gelöster Bestandteile. und Kochsalzinjektionen (siehe beistehende-Kurve, Fig. 102) zeigte sich beim Ansteigen und auf dem Maximum der Parallelismus, am Ende der Diurese aber ein langsameres Abfallen des U gegenüber dem ClNa. Der schweren Re- sorbierbarkeit des Harnstoffes — hier von vornherein zu erwarten — ist ja. Fig. 101. 120 135 150 Minuten we Injektion der ClNa-Na,SO,- u. NaaHPO,-Lösung. Die stark ausgezogene Linie — Harnmenge. Die schwach ausgezogene Linie — PO,- u. SO,-Aquivalente. (Die Kurven beider Salze lagen so. dicht beieinander, daß nur eine Kurve zu geben war.) Die gestrichelte Linie — Cl-Äquivalente.. Nach Cushny (Journ. of Physiol. 27, 444, 1901/1902). auch Overton begegnet bei seinen Versuchen an Pflanzenzellen bzw. an Kaulquappen. Die Ausscheidung des ClNa blieb allerdings bei allen Ver- suchen, wo Kochsalz mit Harnstoff zusammengegeben wurde, höher als sonst, ein Umstand, der vielleicht auf den Austauschverhältnissen im Körper beruht Fig. 102. 0 5 320 5 60 7 90 106 120 135 150 Minuten + we Injektion der CINa u. U-Mischung. Die stark ausgezogene Linie — Harnmenge. Die schwach + 7 ausgezogene Linie — U-Äquivalente. Die punktierte Linie — Cl-Aquivalente. Nach Cushny (Journ. of Physiol. 27, 445, 1901/1902). oder auf einer durch die abnormen kreisenden Harnstoffmengen hervor- gerufenen Schädigung der resorbierenden Fähigkeit der Epithelien. Die Versuche mit Harnstoff — Kochsalz geben aber auch eine weitere Stütze für die Ansicht, daß die absolut immer sehr hohe ClNa-Ausscheidung auf dessen nz Resorption gelöster Bestandteile. 269 höheren Gehalt im Blute zurückzuführen ist. Die Giftwirkung des Glauber- salzes verbot eine Erhöhung der injizierten Menge; beim Harnstoff ließ sich dies bewerkstelligen, und es ergab sich dann auch ein starkes Überwiegen der U-Ausscheidung über die des Chlors. In dem Versuche, den beistehende Kurve (Fig. 105) illustriert, wurden Chlor und Harnstoff nicht in äquimole- kulären Mengen, sondern im Verhältnis 3:10 injiziert. Die Verhältnisse der Harnstoffausscheidung bzw. seiner Rückresorption liegen jedoch viel ver- wickelter dadurch, daß seine Resorption vom Darmkanal aus eine gute ist — er würde daher den Sulfaten gegenüber ein gutes Diureticum abgeben —, vom Nierenepithel sollte sie schwieriger sein. An und für sich wäre dies nicht unmöglich, es könnte aber auch die selbst bei abklingender Diurese noch starke Harnstoffausscheidung auf einer Abscheidung desselben durch die secernierenden Epithelien beruhen. Cushny (l. c.) macht zugleich mit Recht darauf aufmerksam, wie groß die Arbeit der resorbierenden Nierenepithelien sein mußte, wenn in seinen Fig. 103. DEE ab 160, WAT 1080: „106. Minuten + wem Injektion von ca. 1g Cl u. 6g U. Wie Fig. 102: Der Maßstab aber viermal kleiner als in Fig. 102. Nach Cushny (Journ. of Physiol. 27, 447, 1901/1902). Versuchen aus einer sehr verdünnten Lösung, wie sie das Glomerulusfiltrat nach Injektion von geringen Glaubersalzmengen ins Blut darstellt, mit ab- klingender Diurese ein Harn von 2 bis 3 Proz. Sulfatgehalt ablief. Es ist also, selbst wenn nur Resorption im Spiele wäre, nicht an eine einfache Diffusion im Sinne Ludwigs zu denken, sondern es nfüssen hier, wie bei der Sekretion, besondere, uns noch unbekannte Mechanismen der Zellen in Tätigkeit treten. Weiterhin ist aber noch zu berücksichtigen, daß die Resorption auch durch das Bedürfnis bzw. den Gehalt des Organismus an den Substanzen, welche durch den Harn ausgeschieden werden, weil sie im Blute frei gelöst kreisen, beeinflußt wird. Gerade hier ist auch an eine Wirkung von Nerven auf die resorbierenden Zellen zu denken, welche den noch dunklen Mechanismus der Resorption in diesen Zellen beherrschen. Am deutlichsten zeigt sich der Ein- fluß des Körperbedürfnisses bei der Kochsalzausscheidung. Es entscheidet nicht allein die leichte Diffusionsfähigkeit. Löwi!) stellte in Hinblick auf die Kochsalzarmut der von Cushny verwendeten Tiere — der UlNa-Gehalt \) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 48, 435, 1902. 2370 Abhängigkeit d. Resorption vom Bedarf des Organismus. ihres Harns war von vornherein sehr niedrig — besondere Versuche an, um zu erfahren, ob die bei seinen, sonst mit denen Cushnys übereinstimmenden, Experimenten beobachtete viel höhere Chlorausfuhr bzw. der hohe, den Blut- gehalt übertreffende OlNa-Gehalt des normalen Harnes seiner Tiere auf ver- schiedenem Chlornatriumgehalt derselben beruhen möchte. Er fütterte Kanin- chen längere Zeit mit Heu, wobei diese Tiere in 24" 25cm? bzw. 22cm? Harn mit 2,3 Proz. bzw. 2,27 Proz. C1Na ausschieden, indessen die mit Rüben gefütterten Kaninchen 235 cm? und 205 cm? Harn in 24" mit einem Gehalte von 0,36 Proz. bzw. 0,49 Proz. C1Na entleerten. Einem solchen chlorreichen Heufuttertier injizierte nun Löwi 60cm? der Cushnyschen Na,HPO,-ClNa- und Glukosemischung; nach Abklingen der Salz-Zuckerdiurese rief er eine Diurese mit Coffein und darauf noch eine dritte mit Kalisalpeter hervor. Der Chlornatriumgehalt fiel durch die erste Diurese von 1,58 Proz. auf 0,67, stieg dann mit ebbender Harnflut, fiel nach Coffein wieder auf 0,66 Proz. und stieg dann auf 3,1 Proz., als die Harnmenge sich stark verminderte. Hier hat also der kochsalzreiche Organismus im Gegensatz zu Cushnys Versuchen auch für das leicht diffundierende ClNa mit fallender Diurese den Gehalt ebenso steigen lassen wie sonst nur für die schwer resorbierbaren Salze. Löwi prüfte dann aber weiter, wie sich das leicht diffundierende, aber körperfremde Jodnatrium zum Glaubersalz stellen würde, indem er eine Mischung beider Salze injizierte; mit abklingender Diurese stieg der Prozentgehalt des leicht diffundierenden JNa um 17 Proz., der des Na,SO, um 10 Proz. Löwi (l. ce. S. 436) macht noch besonders darauf aufmerksam, daß schon aus Versuchen von Cushny und Wallace!) hervorgeht, wie auch für die Resorbierbarkeit im Darm nicht allein die Diffusibilität entscheidet, wenn schon sie eine grobe Rolle spielt, und daß andererseits die besondere Stellung der Nierenepithelien, deren Zellen ja vor allem die Ausfuhr unbrauchbarer Stoffe überwachen, daraus hervorgeht, daß JNa vom Darmepithel leicht resorbiert wird. Für eine Resorption von Wasser sowohl als von gelösten Substanzen sprechen auch die Analysen des Sekretes, welches nach temporärem Ver- schluß des Ureters ausfließt, oder das während einer Erschwerung des Ab- flusses durch partielle Kompression des Ureters erhalten wird. Hermann’) fand im Inhalt eines ligierten Ureters den Harnstoffgehalt höher, den Chloridgehalt geringer als normal. In einem späteren Versuche‘), bei dem auch unvollständiger Verschluß zur Anwendung kam, war der Prozentgehalt an Harnstoff geringer, der an Kreatin höher. Lepine und Porteret*) verglichen am selben Hunde bei Salzdiurese den normal ausfließenden Harn der einen Niere mit dem der anderen, welcher unter Widerstand ausfloß. Bei hohem Widerstand fanden sie eine starke Verminderung der Harnmenge (Wasser) und der Chloride, dagegen eine geringe Abnahme von Harnstoff, ebenso von Sulfaten, Phosphaten und alkalischen Erden. Bei geringen Widerständen (15 mm Hg-Druck) nahm der + U-Gehalt rascher ab als der der Chloride und als die Harnmenge. Lindemann’) experimentierte auch an Hunden; er schob einen Ureterenkatheter zum Nieren- beeken vor und verband ihn mit einem T-Rohr, in dessen einem (Manometer-) Schenkel eine Ölsäule durch Kompression des anderen (Abfluß-) Schenkels auf ver- !) Ann. Journ. of Physiol. 1 (1898) und Pfiügers Arch. 77, 1899. — *) Wien. Sitzungsber. 36, 363, 1859. — °) Ebenda 45, 342, 1861. — *) Compt. rend. Ace. Ssc. 107, 74, 1888. — °) Zieglers Beitr. z. pathol. Anat. u. allgem. Pathol. 21, 500 ff., 1897. Resorption bei Ureterstauung. . DIRT schiedene Niveaus — entsprechend 7 bis 25mm Hg-Druck — eingestellt wurde; der Harn der anderen Niere floß frei ab. In seinen Versuchen (l. e., Tabelle 502) ist sowohl bei geringem, als bei größerem Widerstande der Prozentgehalt des + Stauungsharns an U gestiegen — mit Ausnahme eines einzigen Versuches —, der an CINa ist gleich geblieben, dagegen ist, entsprechend den viel geringeren Harn- + mengen, die absolute U-Ausfuhr gesunken. Er glaubt für die Unterschiede Änderungen der Zirkulation verantwortlich machen zu müssen und bezieht sich dabei einmal auf die Angaben von Timofeewski!), welcher nach Lindemann einen sehr ver- wickelten Einfluß des Gegendruckes auf die Innervation der Nierengefäße annimmt, zum anderen auf eigene Versuche (l. c. 8. 503/505), durch welche er bei 100 bis 200 mm He Ureterdruck eine Verlangsamung des Venenausflusses mit einer starken — onko- metrisch festgestellten — Schwellung der Niere fand. Die Harnanalysenversuche sind aber sämtlich bei viel geringeren (7 bis 23mm Hg) Ureterendrucken ausgeführt worden, und Cushny’”) hat bei solchen Drucken bis 40 mm Hg herauf keine Be- hinderung der Nierenzirkulation gesehen. Cushny führte seine Versuche an Kaninchen mit variabler Ureterstauung — auch unter Anwendung eines T-Rohres — bei Drucken von 15 bis 30mm Hg aus, meist bei 20 mm. Der Harn der ge- stauten sowohl als der Kontrollniere wurde analysiert, Mischungen von Salz- lösungen intravenös injiziert und im Anfange, ohne Stauung, kontrolliert, ob beide Nieren gleichviel bzw. in der physiologischen Schwankungsbreite secernierten. Als Beispiel sei Versuch I (l. c. 8.435) angeführt: Kaninchen von 1400 mit Urethan anästhesiert; im rechten Ureter Manometerkanüle. Von 35 30’ bis 3h 50’ Infusion von 30cem einer Lösung von 5,85 Proz. CINa + 14,2 Proz. Na,S0O,. Abfluß so weit gehindert, daß das Manometer 50mm Hg Druck zeigte: een), | Harn | cem | & % BE 370 his in) linke Niere ET N 24 | 008090 | 0,1080 rechter Niere’ 7 (2. su 8 0,0142 | 0,0667 Differenz (absorbiert) 16 | 0,0667 | 0,0413 Es sind also unter der Annahme, daß von beiden Nieren ein gleichartiges Glome- rulusfiltrat geliefert wurde, in der rechten Niere 66 Proz. der Harnmenge, 82 Proz. der Chloride und 38 Proz. der Sulfate resorbiert worden. Ähnliche Werte wurden bei anderen Versuchen erhalten; dabei zeigte sich — wenn vom Beginne der Salz- diurese in Intervallen von 5, 10 oder 15 Minuten die Analysen vorgenommen wurden —, wie schon früher erwähnt, auf der Höhe der Diurese, wo die Resorption gering ist, daß die von der Niere mit freiem Abfluß ausgeschiedenen Chloräquivalente ( 3.55/ - . Ö : - 2 die Sulfatäquivalente (3 >) übertreffen, daß erst mit ebbender Diurese das Ver- ’ hältnis sich umkehrt. In der gestauten Niere dagegen, wo auch auf der Höhe der Diurese vermöge der Stauung die Resorption sich abspielen kann, kommen die schwer resorbierbaren Sulfate den leicht resorbierbaren Chloriden gleich; in der abklingenden Diurese übertreffen sie dieselben weitaus. Ähnlich gestalten sich die Versuche mit Injektion von ClNa und U: der Harnstoffgehalt des Stauungsurins ist nieht so stark vermindert wie sein Chloridgehalt. Die Phosphatausscheidung hat Cushny nicht mit Stauungsversuchen geprüft in Hinblick auf ihr den Sulfaten so parallel laufendes Verhalten in den Diureseexperimenten. Der Harnfarbstoff ähnelt in seinem Verhalten den schwer resorbierbaren Sulfaten; während der Diureseharn infolge der starken Verdünnung wasserhell aus dem freien Ureter aus- ) Arb. a. d. Physiol. Lab. d. Universität Moskau (russisch) — mir nicht zu- gänglich. — ?) Journ. of Physiol. 28, 431 ff., 1902. 273 Resorption bei Ureterstauung. fließt, liefert die andere Niere, deren Ausfluß gehemmt ist, einen deutlich gefärbten Harn. Bei der Konzentration durch Resorption wird also der Farbstoff nicht mit aufgenommen. Die Tatsache, daß die Chloride im Stauungsharn gegenüber Sulfaten und Harnstoff so stark vermindert sind, und zwar in höherem Grade, als der Wasserresorption entspricht, beruht auf der Wasseranziehung der schwer resorbier- baren Stoffe. Denn als Cushny in drei weiteren Versuchen nur C1lNa-Lösung injizierte, wurden die Chloride genau im Verhältnis des Wassers resorbiert (zu 60 bis 70 Proz. vid. Exp. IV, S.439). Andererseits gibt dieser Ausfall der Versuche eine neue Stütze für die Auffassung, daß die stärkere diuretische Wirkung der Sulfate und des Harnstoffs gegenüber dem Kochsalz darauf beruht, daß sie die Resorption des Wassers hemmen und so ein reichlicheres, weniger konzentriertes Filtrat bis zum Ureter gelangen lassen. Daß die Harnstauung unter geringem Drucke keine Beschädigung der Nieren verursacht, ergab sich einwandfrei aus den Befunden nach Lösung der Stauung. Es sonderten jetzt beide Nieren wieder gleich viel ab, und der gelieferte Harn war von gleicher Zusammensetzung. Fälle von Ureterkompression sind auch von seiten der Pathologen beobachtet - worden. Steyrer') berichtet über drei solcher Fälle, bei denen die Harnmenge auf der Seite der Kompression im Verhältnis zu der gesunden Niere gesteigert war — in einem Falle von 1250 auf 1350, in einem anderen von 325 auf 500. Die Dichte des Harnes war dementsprechend geringer, vor allem aber die molekulare Konzentration ganz außerordentlich herabgesetzt. An der Abnahme waren organische wie anorganische Moleküle beteiligt, das Kochsalz war aber besonders stark vermindert. Pfaundler”) fand nach Ureterstauung ebenfalls einen weniger kon- zentrierten Harn; der Ü-Gehalt war wenig vermindert, wohl aber die anorganischen Harnbestandteile, wobei jedoch der CINa-Gehalt nicht bedeutend verringert war. Gurwitsch (l. c. S. 78ff., vgl. a. die Figg. 98 u. 99, S.257 u. 258) hat ver- sucht, durch das umgekehrte Nußbaum sche Experiment, d.h. Unterbindung der Vena Jacobsoni, bzw. ihrer Zuflüsse — der Vena vliaca com., Vena dorsolumbalis und der Venae oviducales — also durch Unterbrechung des Kreislaufs in den Gefäßen der Nierenkanälchen einen Beweis gegen die Resorption in der Niere des Frosches zu erbringen. An und für sich würde der Versuch am Frosch für die Säuger nicht viel beweisen, da ja, wie oben erwähnt, bei ersteren Tieren die resorbierenden Apparate relativ wenig ausgebildet sind. Aber auch für den Frosch wurde eher ein gegenteiliges Resultat zutage gefördert. Es wurden männliche Exemplare gewählt und in den Ureter (Ductus deferens) der ope- rierten sowohl wie der intakten Niere feine Glaskanülen eingebunden. Da Trockenfrösche benutzt wurden und diese fast keinen Harn lassen, so spritzte Gurwitsch vor der Operation größere Dosen U in den Darmtractus ein. Zum Vergleiche wurden die Harnmengen in den ersten Stunden nach der Operation verwertet, um vor Komplikationen infolge des sehr schweren Ein- griffs sicher zu sein. Ein solcher Frosch sonderte z. B. im Verlaufe von zwei Stunden durch die ligierte Niere 0,5ccm, durch die Kontrollniere 0,8 bis 1,0ccm Harn ab; eine genaue Vergleichung ist bei so geringen Mengen natürlich nicht tunlich. Die Epithelien der Harnkanälchen zeigten mehrere Stunden nach der Operation weder in ihrem mikroskopischen Bilde noch nach ihrem Verhalten gegen vitale Farbstoffe (siehe früher) Zeichen des Ab- gestorbenseins. Gurwitsch (l. c. S.79) erwartete nun, daß die operierte Niere reichlicher Harn absondern würde als die gesunde, da ja durch die Unterbindung der Harnkanälchenblutbahn eine Resorption von Wasser un- möglich gemacht war. Daß der Blutstrom der Rindenkanäle unterbrochen !) Hofmeisters Beitr. z. chem. Phys. u. Path. 2, 312ff., 1902. — ?) Ebenda 8. 366 ff. re i ’ Einwände gegen Resorption. 275 war, zeigten die Fütterungen mit indigschwefelsaurem Natron — die Kanäl- chen des II. Abschnittes der operierten Niere waren farblos und nur mini- male Farbstoffniederschläge in dem Lumen sämtlicher Kanäle. Da nun aber Gurwitsch selbst die Adamischen Anastomosen zwischen gewissen Teilen des arteriellen (Glomerulus-)Gebietes und dem Nierenpfortaderkreislauf an- erkennt, so hat sein Experiment für eine ziemliche Anzahl von Glomerulis den Effekt der Venenkompression (siehe früher) gehabt, d. h. es ist in allen den Glomerulis, welche (vgl. Gaupp-Wiedersheim, Anat. des Frosches 3, 259) ihre Vasa efferentia nicht direkt zur Vena cava posterior senden, sondern deren Vasa eff. sich mit den Capillaren vereinigen, welche die Harn- kanälehen umspinnen, der Blutstrom und damit die Flüssigkeitsabscheidung zum Stillstand gekommen. Daß eine solche Niere immer noch mindestens halb so viel Harn liefert als die gesunde, spräche vielmehr zugunsten der Ansicht, daß infolge der Ausschaltung der resorbierenden Teile kein oder nur wenig Wasser mehr zurückresorbiert wurde; der Befund von minimalen Farb- niederschlägen im Lumen der Kanäle kann diese Ansicht eher stützen. III. Wirkung von Diureticis auf die Resorptionsfähigkeit der Nierenepithelien. v. Sobieransky (l. ce.) hatte bei der Coffeindiurese der Kaninchen nach In- diekarmininfusion die sonst, bei normaler Harnsekretion, auftretende Färbung der Kanalepithelien vermißt und die Zellen gequollen gefunden. Er schloß daraus, daß Coffein die Resorption von gelösten Stoffen in den Zellen hindere und daß der vermehrte Wasserstrom — nach Löwis (s. oben) Nachweis an sich vermehrt durch verstärkte Nierendurchblutung infolge spezifischer Coffeingefäßwirkung — durch raschere Durchschwemmung des Farbstoffes in gleichem Sinne resorptions- hindernd wirke. Modrakowsky') konstatierte, daß Coffein die Epithelien der Nierenkanälchen veränderte, indem bei sonst ganz gleicher Behandlung wie an normalen Nieren die Färbbarkeit der Zellgranula mit Säurefuchsin’ nach Alt- mann gelitten hatte; es bedurfte zur gleichen Färbungsintensität einer viel län- geren Einwirkung des Säurefuchsins und einer sehr viel geringeren Differenzierung mit pikrinsaurem Alkohol. Aus Löwis Versuchen?) ergibt sich, daß bei Coffein- diurese die ausgeführten C1Na-Mengen nicht nur absolut, sondern sogar prozen- ‘tisch steigen, obwohl die Harnmenge um das Vierfache anwuchs.. Daß das Coffein aber mit der Kochsalzrückresorption auch diejenige des Wassers hindert, ist nicht unwahrscheinlich, da im angezogenen Versuch trotz gesteigertem Prozentgehalt an C1Na die Trockensubstanz prozentisch auf die Hälfte des An- fangswertes herabging. Ein Diuretinversuch von Löwi (l. c.) zeigt im Mittel von 40 Minuten einen gleich bleibenden Prozentgehalt an ClNa, während die Harnmense um 60 Proz. gesteigert war und dem entsprechend um den gleichen Betrag auch die absolute Kochsalzausfuhr. Löwi°) erwähnt allerdings, daß er in vier Versuchen an Hunden durch Coffein weder die Wasserresorption noch diejenige gelöster Stoffe beeinflußt fand, es könnte sich jedoch hier um eine Besonderheit der Hundeniere handeln, ent- sprechend v. Schröders Angabe, daß an Hunden überhaupt durch Coffein keine Diurese zu erzielen sei; es war früher schon erwähnt worden, daß diese Angabe v. Schröders nach neueren Versuchen dahin zu modifizieren sei, daß bei Hunden, denen man Milch pro rata des verlorenen Harnwassers zu trinken gebe, eine Diurese durch die Stoffe der Puringruppe zu erhalten ist, aber immerhin viel we- niger umfangreich als beim Menschen und beim Kaninchen. Pototzky‘*) fand !) Pflügers Arch. 98, 217, 1903. — ?) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 48, 416, 1902. — °) Ebenda 53, 27, 1905. — °*) Pflügers Arch. 91, 588, 1903. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 18 274 Einfluß der Diuretica auf die Resorption. am kochsalzarmen Tiere (Kaninchen nach Fütterung mit Sago und destilliertem Wasser) unter Einwirkung von Diuretin einen Harn, der dem Harn eines in bezug auf Chloride normal gefütterten Tieres entsprechen würde, indem unter Einwirkung dieses Purinkörpers die anfängliche CINa-Konzentration von 0,08 Proz. auf 0,64 Proz. bis 0,387 Proz., also auf das Acht- bis Elffache stieg. Wurde ein soleher Diuretinversuch durch 6'/, Stunden fortgesetzt, so ging allerdings infolee der starken ClNa-Verarmung des Tieres die prozentische Kochsalzausscheidung her- unter, aber sie war nach dieser Zeit immer noch höher als vor Einleitung der Diurese. Daß dies Verhältnis verdeckt wurde durch Injektion von 30ccm einer 10 proz. C1Na-Lösung in den Magen bei anderen Diuretinversuchen ist begreiflich bei den großen Mengen von Gewebswasser, welche das eingeführte Salz mobil macht; die absoluten C1Na-Mengen, die unter dem Einfluß des Diuretins in der Zeiteinheit herausgeschafft worden, steigen aber auch hier auf das Dreifache. Glaubersalzversuehe am Cl Na-armen Tiere zeigten auch eine Steigerung der Koch- salzkonzentration, aber das Glaubersalz hemmt die Kochsalzresorption nicht in dem Grade wie Diuretin; bei ersterem sinkt mit ebbender Harnflut auch die Cl Na- Konzentration, während sie bei Diuretin auch dann noch hoch bleibt. Dies ergibt sich besonders deutlich aus dem Versuche Pototzkys (l.c. 8. 594, Nr. 15) mit Glaubersalz und Äthyldiuretin. Hier steigert Äthyldiuretin — nachdem die Glaubersalzdiurese vor- übergegangen und dem von Hause aus kochsalzarmen Tiere noch ziemlich C1Na ent- zogen worden war, sodaß die OlNa-Konzentration sank — nicht nur sofort Harnflut und Kochsalzausfuhr, sondern es bleibt auch die letztere, nachdem die Diuretin- diurese abgeklunsen, noch abnorm hoch. Die Steigerung der Salzausfuhr beim Menschen durch Theocin war schon früher bei Dresers diesbezüglichen Ver- suchen erwähnt worden. Dreser hebt auch mit Recht hervor, daß diese Eigenschaft des Theocins bzw. aller Diuretica der Puringruppe, die Salze aus dem Körper zu entfernen, sie zur Bekämpfung hydropischer Zustände so wertvoll mache, denn mit jedem Gramm Kochsalz verlassen eben auch etwa 100% Wasser den Körper. Bier und andere alkoholische Getränke hindern die Rückresorption des Kochsalzes bzw. der gelösten Stoffe lange nicht in dem Maße, sie liefern daher einen außer- ordentlich verdünnten Harn. Dreser bemerkt, daß die Sitte, nach reichlichem Genuß alkoholischer Getränke schwarzen Kaffee zu trinken, neben der anregenden Wirkung auch durch Salzausfuhr die Herausschaffung der Wassermengen be- schleunige. Es möge an dieser Stelle noch einmal auf die früher (S. 243) angeführten Resultate von Galeotti hingewiesen werden. Dieser erhielt von Hunden, welche durch Vergiftung mit Sublimat sehr weitgehende Zerstörungen des gesamten Nierenparenchyms mit Ausnahme von Glomerulis und Gefäßen er- litten hatten, einen Harn, dessen molekulare Konzentration der des Blutes sehr nahe stand, ja bei rascherer Absonderung (Hydrämie-Diurese) ihr völlig gleich wurde und ihren Schwankungen gleichsinnig folgte. Hier war durch Ausschaltung der gesamten Epithelien nicht nur die Konzentrationsänderung durch Resorption von Wasser oder gelösten Stoffen verhindert, sondern auch diejenige, welche durch die Sekretion der Rindenkanälchen bedingt wird. C. Abscheidung von Harnbestandteilen durch die Epithelien der Kanäle. 1. Harnsäure und Harnstoff. Die früher dargelegten histologischen Befunde betreffend Harnsäure- ausscheidung durch die Nierenepithelien bzw. die Speicherung der Harn- säure durch dieselben können eine weitere Stütze durch Untersuchungen diuretischer Harne kaum erhalten. Die im Blute erhaltenen Mengen sind zu Die Sekretion in den Kanälchen (Harnsäure und Harnstoff). 275 klein, die Ausscheidungsgröße hängt in solchen Diureseversuchen zu sehr von veränderten Stoffwechselverhältnissen ab, als daß eindeutige Resultate zu er- warten wären. Hier müssen wir vorläufig die histologischen Befunde als die beweisenderen ansprechen für die Ansicht, daß bei der Ausscheidung der Harnsäure die Rindenepithelien eine gewichtige Rolle spielen. Ribberts (l.e.) Befunde nach Harnsäureinjektionen sprechen ebenfalls dafür. Heiden- hain!) war ja schon früher zu demselben Ergebnis gekommen; er hatte aber zugleich wahrscheinlich gemacht, daß mit der Harnsäure in den Rinden- epithelien daselbst auch eine Wassserabscheidung stattfinde. Für den Harnstoff sind wir noch nicht in der Lage, durch den mi- kroskopischen Nachweis seine Abscheidung in den Rindenkanälchen zu er- härten, bei seiner außerordentlich leichten Löslichkeit begreiflich. Daß er im Glomerulusfiltrat enthalten ist, nahm auch Heidenhain an, doch ließ er diese Quelle nur nebensächlich gelten gegenüber der Sekretion durch die Kanäle. Es wurde schon früher erwähnt, daß für die Konzentration bzw. für die ausgeschiedenen Tagesquanten im Falle der Einengung des Glome- rulusfiltrates allein durch Wasserresorption eine sehr große Wassermenge in der Niere hin und her bewegt werden müsse. Diese Annahme dünkt nicht sehr wahrscheinlich, unmöglich aber gerade nicht für einen gewissen redu- zierten Umfang. Das Vorkommen so verschiedenartiger Speichermechanismen (Vacuolen, Granula), wie sie Gurwitsch u.a. in den Rindenkanälchen nach- wiesen, bildet natürlich ein schwerwiegendes Argument dafür, daß auf diesem Wege auch Harnstoff secerniert werde. 2. Phosphorsäure. C. Ludwig?) erwähnt in der Darlegung seiner Theorie des Vorwurfs, den Valentin derselben gemacht hat, nämlich daß die im Harn enthaltenen festen Bestandteile sich nicht in demselben Verhältnis zueinander fänden, in welchem sie im Blute vorkämen, vornehmlich daß, während im Blute nur Spuren einzelner Stoffe gefunden werden, sie im Rückstande des Harnes den größten Teil ausmachen, wie z. B. der Harnstoff im Verhältnis zu den Salzen und die schwefelsauren Salze im Verhältnis zu den phosphorsauren und den salzsauren.. Ludwig erklärt den Vorwurf in bezug auf die Salze für gerechtfertigt, meint jedoch: „Vielleicht aber erklärt sich nach den einfluß- reichen Beobachtungen Liebigs, daß der Urin nach vielem Wassertrinken keine phosphorsauren Salze enthält, das abweichende Verhältnis der phos- phorsauren Salze des Urins zu denen des Blutes dahin, daß nur der Teil der phosphorsauren Salze in den Urin übergeht, der nicht in chemischer Verbin- dung mit den eiweißartigen Körpern ist, während der andere, normal viel- leicht größere Teil im Blute in Verbindung mit den eiweißartigen Körpern zurückgehalten wird.“ Löwi (l. c. S.249) hat nun, ohne, wie es scheint, die von Ludwig geäußerte Vermutung zu kennen, in einem weiteren Ausbau seiner Versuche über die absoluten Mengen der bei Diurese ausgeschiedenen Harnbestandteile die Tatsache konstatiert, daß im Gegensatz zu den Chlo- riden und zum Harnstoff mit der vermehrten Wasserausscheidung unter !) Pflügers Arch. 9, 23, 1875. — ?) Wagners Handwörterbuch 2, 638, 639, 1844 (Braunschweig). 18% 376 Sekretion (Phosphorsäure). dem Einfluß der verschiedenen Diuretica die Ausscheidung der Phosphor- säure sich nicht ändert. Bemerkenswert ist auch, daß Na, HPO,, per os. gegeben, keine Diurese beim Menschen macht und daß, wie Meyer (l.c.) fest- stellte, bei Eingabe von 20g Na,HPO, die großen Mengen von Phosphor- säure, welche im Harn erscheinen, ohne Vermehrung der Harnmenge heraus- geschafft werden. Sollte der Schluß berechtigt sein, daß die Phosphorsäure also nicht wie Kochsalz und Harnstoff frei gelöst im Blute kreise, sondern in der von Ludwig vermuteten Art und Weise gebunden sei und demgemäß nicht im Glomerulus filtriere, sondern durch einen Sekretionsprozeß ab- geschieden werde, so mußte Phosphorsäure, die im Überschuß über die selbst- verständlich begrenzte Bindungsfähigkeit der Blutcolloide ins Blut injiziert wurde, durch Diurese in ihrer Ausscheidung beeinflußt werden. Die Phos- phorsäure, direkt ins Blut gebracht, macht natürlich selbst Diurese; da aber, wie früher erwähnt, nach Cushny (l. ec.) und Magnus (l. c.) injizierte Phosphorsäure mit abklingender Diurese nur langsam ausgeschieden wird, so konnte ein nachgeschicktes Diureticum (Coffein und Natronsalpeter) noch genügend Vorrat von Phosphat im Blute finden, um sein Ausscheiden zu beeinflussen. Dieser Überlegung gemäß führte Löwi (l. c. S.422) folgenden Versuch aus. Versuch XI. 18. Juli 1902. Kaninchen 9, 1850g schwer. ıh 1,2. Chloral (10 proz. Lösung) 2h 45’ Blasen- und Venenkanüle: =! | 2 | | Harn in Pen] | 9 Zeit | Cubikeen-!) | Bemerkungen = | , absol. | 6) timetern | | Proz. | Be re. ie Men) | = I = = = == IT Z— = me == 1 3h10 330 | 1,7 a 3h 30’ — — | — | Einlauf von 60cem einer Mi- schung von Natriumphosph. | | 10,79 Proz., Natriumcehlor. | | \ 2,925 Proz., Glukose 13,5 Proz. 2 3h 30’—40’ 12 496:0 2 le, „Gi 0,24 | 3 3h 40’—50' 40,0 96 0,24 | + 3h 50'—4h | 14,5 Aa 03 5 4h—4h 10’ 5 22 |. 044 | 4h 10’ | — | — | — 2eem Coffein natr. benz. in- I oh | travenös 6 4h 10'—4h 20 19 \ 50 0,26 7 4h 20'— 30’ 15 eo Se OEL 8 4h 30'—40' 2 4 0,2 4h 40’ | — | — | .— 30cem 6 proz. NaN 0, intra- | | | venös 9 4h 40'— 50’ 9,5 19 0,2 Im Gegensatz zu den früheren Versuchen über die Ausscheidung gelöster Substanzen durch Diuretica ist nun hier die Phosphorsäureausscheidung jedesmal bei der Diurese gestiegen infolge der Anwesenheit frei gelöster Mengen derselben. Es führt dies Resultat dazu, mit Löwi (l. ce.) die Ver- mutung auszusprechen, daß überhaupt darüber, ob ein kristalloider Körper mit dem Wasser durch den Glomerulus filtriert oder durch echte Sekretion Sekretion (Traubenzucker). 977 entleert wird, jeweilen sein Zustand entscheidet, ob er nämlich in echter Lösung oder in colloidaler Bindung kreist. Es lag nahe, dies an der Aus- scheidung des Traubenzuckers zu prüfen. 3. Ausscheidung des Traubenzuckers in der Niere. Das Blut enthält normalerweise 1 bis 1,5 pro Mille Traubenzucker; dieser soll nach neueren Untersuchungen in colloidaler Form im Blute kreisen, ob als Jecorinlecithinglukose oder in eiweißartiger Bindung, sei hier nicht erörtert!). Demnach ist es erklärlich, daß der normale Harn nur Spuren von Zucker enthält, und daß jede Hyperglykämie, jeder über das colloidale Bindungsvermögen hinauswachsende Vorrat im Blute zur Glykosurie führen muß. Im letzteren Falle muß dann jede Diurese die Ausfuhr ebenso steigern wie die des Kochsalzes, des Harnstoffes und der überschüssig eingeführten Phosphorsäure, und es muß dann für den Erfolg gleichgültig sein, auf welche Art und Weise die Hyperglykämie zustande kam. Löwi (l. c. S.423) fand nun eine solche Steigerung, als er bei Hunden mit Pankreasdiabetes eine Salpeterdiurese herbeiführte; als Beispiel diene folgende Tabelle: Versuch XII, Hund 9 von 12kg. 27. Sepiember 1901 Totalexstirpation des Pankreas. 28. September morgens Harnmenge: 225 ccm mit 17 g Zucker (polar.). 30. September Harn um 8°/, Uhr mit Katheter entleert. Von 1 Uhr ab alle zwei Stunden katheterisiert. Harnmenge pro Zucker Perioden Stunde - —l| Bemerkungen cem absol. & Proz. 9—ıh 7a 0,4 5,1 1—3h 7,0 0,42 | 6,0 a | — = 100cem 10proz. NaN 0, | subeutan 3—5h 34,0 0,95 2,8 5—7h 14,0 0,15 1,1 Ähnlich verlief der 8. 276 angezogene Versuch am Kaninchen, wo außer Salzen auch Glukose injiziert wurde; auch stieg sowohl mit der Coffein- als auch mit der Salpeterdiurese die Zuckerausfuhr bedeutend an. Bei Phlo- rhizinglukosurie jedoch, wo die Glukosurie durch einen Nierenprozeß zustande kommt, dürfte eine experimentelle Diurese keine Vermehrung des Harnzuckers bewirken. Bei Löwis Hunden war dies auch der Fall (l. e. S.423). Bei den beiden angeführten, mit Phlorhizin vergifteten Hunden konnte durch salinische Diuretica keine vermehrte Zuckerausscheidung erzielt werden, indes die Chloride eine ganz außerordentliche Vermehrung erfuhren. Der Um- stand, daß hier die Chloride während der Diurese auch prozentisch höher waren als vorher, gibt vielleicht noch eine Stütze für die oben diskutierte Rückresorption des Kochsalzes; die durch das Gift geschädigten Nieren- epithelien resorbierten nicht mehr. ') Siehe hierüber Kolisch, Verh. d. Kong. für inn. Med. 1900 und die Lite- ratur bei Löwi, 1. c. S.423, ebenso Stiles u. Lusk, Amer. Journ. of Physiol. 10. Sekretion (Traubenzucker). ww 1 an Daß Phlorhizin seine Wirkung durch direkte Schädigung oder Veränderung der Nierenepithelien bewirkt, und daß es nicht, wie der Entdecker der Phlorhizin- olykosurie, Minkowski, zuerst annahm, selbst den Zuckergehalt des Blutes durch seine Spaltung in Phloretin und Zucker trotz fortwährender Ausfuhr auf seiner Höhe halte, ergibt sich aus den neueren Untersuchungen wohl mit Sicherheit. Pavy') hatte an Katzen nachgewiesen, daß nach Phlorhizinvergiftung eine leichte Hyperglykämie besteht, das gleiche fanden Coolen sowie Biedl u. Kolisch an Hunden; aber die Nephrektomie, welche bei anderen Hyperglykämien keinen Ein- fluß auf die Blutzuckermenge ausübt, läßt bei Phlorhizinvergiftung die Steigerung im Gehalte des Blutes an Zucker vermissen. Nun hatte schon Zuntz?) nach- gewiesen, daß auf Injektion von Phlorhizin in eine Nierenarterie beim Hunde der Harn aus dieser Niere früher zuckerhaltig wurde als der aus der anderen Niere; Pavy, Brodie und Siau°) bestätigten diesen Versuch von Zuntz. Nach Injek- tion von Phlorhizin in eine Nierenarterie war (l. c. S. 469) nach 8 Minuten der von ihr secernierte Harn zuckerhaltig, der der anderen noch frei davon; nach 9! waren im Harn der ersteren 31 pro Mille, in dem der zweiten 17 pro Mille Zucker. Bei künstlichen Nierendurchblutungen, verbunden mit Analyse des Blutes und des Harnes, wurde mehr Zucker ausgeschieden, als im Blute enthalten war, und von Hunden, denen sämtliehe Eingeweide außer den Nieren entfernt worden waren, wurde auf intravenöse Injektion von Phlorhizin auch dann immer noch Zucker ausgeschieden, als das Blut nur noch wenig Zucker enthielt. Der ausgeschiedene Zucker konnte nicht vom Phlorhizin stammen, da immer unter 1g — das 0,4e Zucker enthält — injiziert wurde und der Betrag des ausgeschiedenen Zuckers diese Menge um ein Vielfaches überstieg.. Pavy, Brodie u. Siau schließen daraus, daß unter dem Einflusse des Phlorhizins die Nierenzellen Zucker zu pro- duzieren vermögen, und zwar dadurch, daß sie denselben aus einem vom Blute zugeführten Stoffe abspalten, ähnlich wie die Milchdrüsenzellen Laktose aus dem Blute frei machen. Wenn aber Zucker durch die Kanälehenepithelien ausgeschieden wird und in das Lumen derselben tritt, so muß er in diesen auch eine gewisse Menge Wasser festhalten, die Resorption desselben einschränken, also eine Diurese be- wirken, die erst hinter dem Glomerulus zustande käme. Eine solche Diurese infolge von Resorptionshinderung kann aber dann die mit dem Glomerulusfiltrat heraustretenden Stoffe, z. B. das Kochsalz, nicht vermehren, im Gegensatz zu Diuresen, die dureh vermehrte Filtration zustande kommen. Löwi*) fand nun bei Hunden auf Phlorhizingaben eine starke Harnvermehrung, aber die in eleichen Zeiten ausgeschiedenen ClNa-Mengen blieben sich gleich. Erzeugte er aber bei einem solehen Phlorhizinversuche noch durch nachträgliche Injektion von Glukose eine Hydrämie und echte Filtrationsdiurese, so stieg mit den steigenden Harnmengen auch die Chloridausscheidung an. Die Möglichkeit, eine Diurese durch Behinderung der Wasserresorption zu erzeugen, ist im höchsten Grade bemerkenswert in Hinsicht auf die an anderer Stelle vorgetragene Hypothese vom Wesen des Diabetes insipidus; aber sie stützt auch indirekt die von Ludwig angenommene Filtration eines Plasma minus Eiweiß im Glomerulus. D. Wirkung von Drüsengiften und von Narcoticis auf die Nierenabsonderung. Die besondere Stellung der Niere als Drüse zeigt sich auch durch ihre Reaktion auf Narcotica und. Gifte. Schon oben war erwähnt worden, dab die von v. Schröder’) in seinen berühmten Versuchen über die Coffein- diurese beobachtete Begünstigung der Coffeinwirkung durch Ühloralhydrat nicht nur auf dessen gefäßlähmender Wirkung beruhen kann, und Löwi (l. ce.) !) Journ. of Physiol. 24, 479, 1899. — *) Arch.»f. Anat. u. Physiol. 1895, S. 370. — °) Journ. of Physiol. 29, 667 ff., 1903. — *) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 50, 326 ff£., 1903. — °) Ebenda 22, 39, 1887 und 24, 85, 1888, Wirkung von Giften. 279 hat daher auch hier und da Coffeindiuresen ohne Chloral erhalten; Alba- nese!) beobachtete bei Coffeininjektion stets eine geringe Zunahme. des Nierenvolumens. Die Untersuchungen von Cervello und Lo Monaco?) zeigten, daß auch Üurare, Natr. salieyl., Antipyrin und andere Stoffe die Coffeindiurese einzuleiten vermögen, bzw. aber auch eine schon bestehende Diurese unterdrücken. Es ist noch nicht bekannt, in welcher Weise diese Stoffe auf die Nierenepithelien wirken, ebensowenig wie Näheres über die so stark hemmende Wirkung des Morphins und die sowohl hemmende als be- günstigende des Chloroforms bekannt ist. Chloroform hemmt bei gleich- zeitiger Zufuhr mit Coffein die Diurese, aber nach vorausgegangener Chloro- formwirkung vermag Coffein sehr wohl diuretisch zu wirken. Die einseitige Durchreißung der Nierennerven verzögert die Wirkung nur etwas gegenüber der anderen Niere; da aber, wie schon erwähnt, mit dieser Durchreißung die auf den Gefäßen laufenden Nerven nicht ausgeschaltet sind, so wäre doch an eine vermittelnde Stellung von Nerven zu denken. Daß Chloroform, wenn es in solcher Menge im Blute kreist, wie sie einer Inhalation von 1 bis 3 proz. Chloroformdampf entspricht, stark lähmend auf den neuromusku- lären Apparat der Darm- und Nierengefäße wirkt, das haben Embley und Martin °) in einer eingehenden Untersuchung, die auch die isolierten, künst- lich durchbluteten Organe umfaßte, gezeigt. Die Hemmung der Nieren- sekretion durch Atropin ist durch Thompson) sowohl als Waltı’) fest- gestellt worden. Wie weit hier aber eine Schädigung des so eigenartig empfindlichen Gefäßapparates der Niere hineinspielt, darüber fehlen vorläufig nähere Untersuchungen; dafür spricht, daß Atropin die Wirkung der Diu- retica nichthemmt. Thompson sah auf 0,7 proz. C1Na-Lösung und 0,05 proz. Harnstofflösung trotz Atropin Diurese eintreten. Und weiter würde dafür sprechen, daß in Thompsons Versuchen gerade die durch echte Drüsen- tätigkeit eliminierte Harnsäure nicht beeinflußt wurde, wohl aber der Harn- stoff. Noch wahrscheinlicher wird die Annahme einer Gefäßwirkung durch den Umstand, daß auch Pilocarpin die Harnmenge eher mindert als steigert. Rene) beobachtete daher auch, daß Atropin die durch Pilocarpin hervor- gerufene Volumenzunahme der Niere und Diurese unterdrückte Löwi (l. ce.) hat die Wirkung des Pilocarpins auf die durch „Sekretion“ ausgeschiedene Phosphorsäure, die Harnsäure, den Phlorhizinzucker und den Gesamtstickstoff geprüft. Die Harnmenge war hier nicht gewachsen, die Phosphorsäure stark vermindert, die Harnsäure nur ein wenig vermehrt worden, der Zucker gleich geblieben in seiner Ausfuhr, der Gesamtstickstoff hatte ebenfalls ab- genommen. Also hatte das Gift von den durch echte Sekretion ausgeschiedenen Stoffen die einen vermehrt, die anderen vermindert, dagegen den N, von dem doch ein großer Teil mit dem Glomerulusfiltrat herausgeht, vermindert; also von einer reinen eindeutigen Steigerung der Drüsenfunktion kann nicht die Rede sein. Daß Pilocarpin aber unter Umständen rein durch vasomotori- schen Einfluß eine geringe Diurese hervorrufen kann, das zeigen ja die er- wähnten Beobachtungen von Rene (!. c.). U) Arch. Biol. ital. 16, 285, 1891. — ?) Arch. p. 1. seienze med. 14, 163, 1890, zit. nach Ergebnisse 1, 1. — °) Journ. of Physiol. 32, 147 ff., 1905. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1894, S. 17. — °) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 36, 411, 1895. — °) Arch. de physiol. 1894, p. 351. 380 Einfluß des Nervensystems. E. Einfluß des Nervensystems auf die Harnabsonderung. 1. Sekretorische und vasomotorische Nerven. In seiner eingehenden Darstellung, welche die Erfahrungen über die nervösen Einflüsse auf die Harnabsonderung bis zum Jahre 1883 umfaßt, kommt Heidenhain!) zu dem Schlusse, daß ein sicherer Nachweis spezifi- scher Sekretionsnerven der Niere noch nicht erbracht sei. Die eingangs dar- gelegten neueren anatomischen Forschungen haben nun gezeigt, daß Nerven- fasern, welche stets mit den vasomotorischen Faserzügen vereint laufen, nicht nur die Kanälchen der Nierenrinde umspinnen, sondern auch bis in die Zellen der Epithelien eindringen. Also Verhältnisse, wie wir sie bei denjenigen Drüsen treffen (Speicheldrüsen usw.), bei denen eine Beeinflussung der Se- kretion durch Reizung der zutretenden Nerven mit Sicherheit festgestellt ist. Bei der Niere haben solche Versuche neueren Datums aber eher zu einer Verneinung eines solchen spezifischen Einflusses geführt. Eine Reizung der zum Hilus ziehenden Nierennerven wird, entsprechend der er- wähnten engen Vergesellschaftung, stets die vasomotorischen Effekte in den Vordergrund rücken. Für den Nervus vagus, dessen Reizung am Halse ja Abnahme der Harnabsonderung bewirkt, war allgemein angenommen — seit den von Goll?) in Ludwigs Laboratorium ausgeführten Untersuchungen, die von Eckhardt u. a. wiederholt bestätigt wurden —, dab sein Einfluß auf Steigen und Sinken der Harnabsonderung parallel mit den Variationen der Schlagfolge des Herzens bzw. den dadurch bedingten Blutdruckänderungen laufe und darauf zurückzuführen sei. Walravens?), der die Onkometrie der Niere mit der Blutdruckmessung verband, sah bei der Vagusreizung die pul- satorischen Schwankungen am Onkometer schwinden; infolge des gesunkenen Blutdrucks, wie er glaubt, nicht infolge der Reizung vasoconstrictori- scher Nerven der Niere im Vagus, da ja mit dem Herzschlage die Harn- sekretion sistiere und da ja jeder Steigerung des Blutdrucks eine Steigerung der Harnmenge entspreche. Masius*®), der wie Arthaud und Butte°) zu der Überzeugung vom Vorhandensein solcher Fasern kam, stützte seine An- sicht auf das Ausbleiben der Nierenwirkung bei Vagusreizung nach Injek- tion von Chloralhydrat und von Atropin. Corin®) führt für den primären Einfluß des Vagus auf die Nierengefäße den Umstand an, daß bei protra- hierter Reizung des Vagus, wenn das Herz wieder schlägt, dennoch die Harnsekretion stockt. Nun ist aber bekannt, daß nach jeder Unterbrechung der Zirkulation in der Niere — z. B. temporärer Abklemmung der Art. renalis — auch nach Wiederherstellung der Zirkulation die Harnabsonderung eine Zeitlang stockt. Einen stichhaltigen Grund für die Annahme vasoconstric- torischer Nierenfasern im Vagus haben Schneider und Spiro (in noch nicht veröffentlichten Versuchen ?) gefunden, indem sie auf Vagusreizung, auch wenn diese keine Blutdrucksenkung hervorrief, dennoch eine Hemmung der Nierensekretion beobachteten. Durchrissen Schneider und Spiro die !) Hermanns Handb. 5, 362ff. — ?°) Zeitschr. f. rat. Med. N. F. 4, 86ff., 1854. — °) Arch. ital. biol. 25, 169, 1896. — *) Bull. R. Ac. Belg. 15, 528 und 16, 60, 1888. — °) Arch. d. physiol. 1890, p. 377, April. — °) Ann. med. chir. de Liege 1896 (zit. nach Anten). — 7) S. Ergebnisse 1, 1, 419, 1902. Einfluß des Nervensystems. 381 Nierennerven, so trat bei Vagusreizung in langsamem Tempo eine spät sich einstellende Beschleunigung der Harnabsonderung auf, analog der durch langsame Reizung vasomotorischer Nerven zu beobachtenden Vasodilatation. Anten!) der die Vaguswirkung auf die Niere bei Gelegenheit seiner Unter- suchungen über die Ursachen des Versagens der Coffeindiurese beim Hunde studierte, fand eine deutliche Hinderung der Harnsekretion infolge der Vagus- reizung. Entsprechend sah er auf Vagusdurchschneidung, auch wenn dieselbe unterhalb des Abganges der Herzfasern (entweder intrathoracal oder an der Cardia) ausgeführt wurde, die bislang nur mäßige Diurese, welche eine Coffeininjektion hervorgebracht hatte, bedeutend steigen. Er glaubt aber nicht wie Corin (l. c.), daß dieser Effekt durch Aufhebung des vasocon- strietorischen Einflusses der Vagusfasern (Vagustonus der Niere) hervor- gebracht wird. Seine onkometrischen Versuche sind aber aus denselben Gründen, die früher betr. Beurteilung der Nierenzirkulation aus Volumen- änderungen entwickelt wurden, nicht beweisend, und danach ebenso- wenig seine Annahme besonderer, echter Sekretionsnerven für die Niere im Vagus. Gegen die Annahme vasomotorischer Nierenfasern im Vagus spricht Bradfords (]. c.) Angabe, daß er keine Veränderung des Nierenvolumens auf Vagusreizung sah. Seine schon erwähnten genauen Versuche, durch welche er die Topographie der Nierenvasomotoren festlegte, wurden ver- mittelst des Onkographen unter gleichzeitiger Registrierung des Carotis- druckes ausgeführt. Die prompte Volumenverkleinerung, die auf Reizung einer der betreffenden Rückenmarkswurzeln (s. früher Anatomie der Nieren- nerven) eintrat, wich nach der Reizung nur langsam einem Anwachsen; im Verlaufe dieses Anstiegs waren häufig wiederholte Kontraktionen zu beob- achten, gleichsam Traubesche Wellen auf der Onkometerkurve markierend. Es ist hier wohl an Spontankontraktionen der Nierengefäße, die sich als Folge der Reizung hinstellen, zu denken; rein peripheren Ursprungs, von der glatten Muskulatur der Gefäße ausgehend. Soweit die betreffenden Wurzeln zugleich vasomotorische Fasern für die Eingeweide führten, war natürlich auch ein Steigen des Blutdruckes zu beobachten; die Reizung des N. splanch- nicus gab dies Resultat, das ja schon Cohnheim und Roy (l.c.) beobach- teten, in ausgesprochenster Weise. Echte Dilatatorennerven für die Niere waren in der 11. bis 13. Dorsalwurzel enthalten; am besten bewährte sich für ihren Nachweis die Reizung mit geringen Frequenzen (ein bis zwei Öffnungsschläge pro Sekunde; 1. c. 8. 387). Es gaben dann z. B. die 12. und 13. Dorsalwurzel bei Reizung mit 50/sec Nierenkontraktion und Blutdrucksteigerung, bei Reizung mit geringer Frequenz deutliche Nieren- ausdehnung bei gleichem oder sinkendem Blutdrucke. Wurde der N. splanch- nicus mit langsamen Induktionsschlägen gereizt, so sank der Blutdruck; die Vasodilatatorenwirkung konnte sich hier an der Niere aber kaum geltend machen, da das Blut sich in die allgemein erweiterten Darmgefäße ergoß. Hallion und Francois-Frank?), welche nach etwas anderer Methode volumetrische Untersuchungen an Nieren anstellten, fanden ebenfalls, daß vom 11. Dorsalsegment ab die sympathischen Bahnen neben Constrietoren auch dilatatorische Fasern für die Nieren führen. ') Arch. int. de pharmacodyn. et de ther. 8, 455 ff., 1901. — ?) Arch. d. physiol., serie V, 8, 478 ff., 1896. 283 Einfluß des Nervensystems (Reflexe; Rindenterritorien). 2. Reflexe auf Nierengefäße. Schon Roy hatte auf Reizung des zentralen Ischiadicusstumpfes Kon- traktion der Niere beobachtet; Bradford (l. c.) bestätigt dies und fügt hinzu, daß sie eine rasch eintretende und, entsprechend ihrer reflektorischen Natur, eine sehr lange anhaltende ist; er erhielt sie auch auf Reizung des zentralen Vagusstumpfes und ebenso in mäßigem Grade von dem zentralen Stumpfe eines Intercostalnerven. Die Reizung des zentralen Endes des N. depressor gab trotz der großen Blutdrucksenkung nur geringe Abnahme des Nieren- volumens; Bradford meint, daß eine Dilatation der Nierengefäße den Eifekt des sinkenden Blutdruckes auf die Nierendurchströmung neutralisiere. Die Reizung des zentralen Stumpfes hinterer Wurzeln gab begreiflicherweise weniger konstante Resultate, doch war meist eine bedeutende Steigerung des Blutdruckes die Folge, die noch rascher anstieg und noch länger auf der Höhe verweilte als bei Ischiadieusreizung, zugleich mit starker Nieren- ausdehnung. E. Wertheimer!) fand bei Applikation von Kälte auf die Haut, daß zugleich mit der durch die Hautgefäßkontraktion hervorgerufenen Blut- drucksteigerung Nierenvolumen und Abfluß der Nierenvene abnahmen. Der Druck in der Vene sank. Entsprechend fand Delezenne?), dab bei Hunden Abkühlung der Haut die Harnmenge herabdrückte, selbst bei Zucker- oder Harnstoffdiurese. 3. Einfluß des Gehirns. a) Großhirn. Wenn auch bislang, wie oben erwähnt, echte Sekretionsnerven für die Niere noch nicht einwandsfrei nachgewiesen sind, so ist doch andererseits ein Einfluß der nervösen Zentren auf das Zusammenspiel der einzelnen Nieren- abschnitte nicht zu verkennen, bzw. auf gesonderten Ausfall ihrer Funktionen oft beobachtet. W. v.-Bechterew °) untersuchte den Einfluß der Gehirnrinde auf die Harnsekretion, ausgehend von der Beobachtung, daß bei Depressionszuständen (wie Melancholie) gewöhnlich eine Herabsetzung der Harnsekretion zu beob- achten ist, die bei Hysterie sich bis zur Anurie steigern kann, daß andererseits bei maniakalischen Geistesstörungen Polyurie beobachtet wird. Mit Karpinski führte er Ureterenkanülen von Neusilber bei Hunden ein, nähte sie in die Bauch- wunde fest und wartete deren Heilung ab. Dann wurde die Hirnrinde einer Seite bloßgelegt; dies führte zu einer Sistierung der Harnsekretion, die für die gleichseitige Niere anhielt, in der gekreuzten Niere aber nach 5 bis 10 Mi- nuten von gesteigerter Absonderung gefolgt war. Sobald die Sekretion zur Norm gekommen war, wurde die Hirnrinde gereizt. Vom inneren Teile des vorderen Abschnittes des Gyrus sigmoideus bzw. vom Gyrus eruciatus lieb sich dann konstant eine Steigerung der Harnsekretion aus der gekreuzten Niere beobachten mit vermehrter N- und Chloridausfuhr. v. Bechterew nimmt an, was sehr wahrscheinlich, daß es sich vorzugsweise um eine Wir- kung auf die Nierenzirkulation handelt; daß diese und nicht allgemeine Blut- ') Arch. d. physiol. 1894, p. 308. — ?) Ebenda 1894, p. 446. — °) Arch. f. Physiol. 1905, S. 297 ff. Er Einfluß des Nervensystems (Piqüre). 2853 drucksteigerung die Ursache ist, schließt v. Bechterew daraus, daß die erwähnten Rindengebiete sich nicht oder nur zu einem kleinen Teile mit denen decken, die er (mit Mißlawski) als blutdrucksteigernde Territorien eruiert hat. b) Nachhirn. Die nach der Pigüre auftretende Polyurie (Diabetes insipidus) bedarf noch einer besonderen Erwähnung, da hier, wie schon Heidenhain in seiner zusammenfassenden Darstellung ausführte, seit den Untersuchungen von Claude Bernard und Eckhardt eine unzweifelhafte Beeinflussung der Nierenfunktion durch nervöse Apparate dargetan ist. Eckhardt fand die Pigüre allerdings auch bei durchrissenen Nieren- nerven wirksam, aber es waren auf diese Weise die Nerven, welche von der Aorta mit den Nierengefäßen zum Hilus ziehen, nicht ausgeschaltet. Daß auch beim Menschen die Beziehung der Rautengrube, wie sie am Tiere ex- perimentell festgestellt wurde, zur Polyurie existiert, steht außer Zweifel; Meyer!), der die Polyurie eingehend studierte, hat in Fällen von Gehirn- erkrankungen das Übergreifen der Krankheit auf die medullären Gebiete mit dem Auftreten des Diabetes zusammenfallend gefunden. Seine Arbeit ist aber vornehmlich deshalb von hohem Interesse, weil er einige Fälle echter, primärer Polyurie in bezug auf die Ausscheidung von Wasser, gelösten Bestandteilen, sowie auf die Wirkung von Diuretieis untersuchte und ebenso das Blut auf etwaige gleichlaufende Veränderungen. Was die echte primäre Polyurie betrifft, so unterscheidet sie sich sehr wohl wie Strubell?) und Meyer (l. c.) feststellten, von den Fällen, wo durch üble Gewöhnung (Potatorium usw.) eine Polydipsie und sekundär erst die Polyurie ent- standen ist. Bei der echten primären Polyurie wird durch Wasserentziehung der Harn nicht konzentrierter, er behält seine dünne Beschaffenheit, nur die Menge vermindert sich; es werden daher entsprechend weniger Stoffwechselprodukte aus- geschieden, und sehr bald stellen sich bedrohliche Alloemeinsymptome ein, die es verbieten, die Wasserentziehung weiter zu treiben, obwohl zu dieser Zeit noch immer Harn gelassen wird; die Blutkonzentration stieg bei solchen Versuchen (Strubell, 1. c.) auf 23,24 bis 23,26 Proz. gegen 21 Proz. der Norm. Die Fälle von Meyer zeigten außer der Polyurie keine Symptome von Nieren- oder Stoffwechsel- erkrankung; Herz und Blutdruck waren normal, der Puls weich, das Blut hatte seine normale Konzentration (4 = —0,56°C), Erscheinungen von seiten des Zentralnervensystems fehlten vollständig. Der Harn war sehr salzarm (4 = —0,22 bis —0,17°C), aber relativ N-reich — bei gemischter Kost betrug die N-Ausfuhr 11 g/24, wovon 0,6g Harnsäure (s. Tabelle II, S. 15, 1. c.), was bei 8000 cem Harn eine DR Pentration von 0,3 Proz. gibt, also sechsmal so hoch als die des Blutes. Mir scheint nun die Annahme naheliegend, die Polyurie sei be- dingt durch eine Schädigung der Wasserresorption, indes die Resorption selöster Bestandteile vor sich geht. Denn unter dieser Annahme würden die folgenden von Meyer beobachteten Tatsachen sich gut erklären lassen. Der Organismus des Polyurikers stand immer an der Grenze des Wassermangels, daher der fortwährende Durst und das Fehlen von Schweißabsonderung — dagegen Elendgefühl — in heißer Luft (Lichtbad), solange nicht reichlich zu trinken gegeben wurde. Sein Kochsalzstoffwechsel ist nicht gestört, die Niere nimmt nach Bedürfnis des Körpers das Salz aus dem Harn zurück; bekommt der Patient Kochsalz im Übermaß (20 & in Substanz), so wird noch etwas Gewebswasser mobil gemacht, die Harnmenge !) Deutsch. Arch. £. klin. Med. 83, 1 ff., 1905. — ?) Ebenda 62, 1898, zit. nach Meyer. 984 Einfluß des Nervensystems (Pigüre). steigt, aber trotz Wasservermehrung auch der Prozentgehalt an Kochsalz, so daß . in drei Tagen der UÜberschuß eliminiert ist. Wird aber ein Diureticum aus der Xanthingruppe — Theocin — gegeben, so steigt, weil die Wasserresorption schon an und für sich daniederiegt, die Harnmenge nicht, ebensowenig der N-Gehalt, wohl aber recht bedeutend der Gehalt an Kochsalz (z. B. Versuch vom 26./28. August, 1. cc. S. 20, wo der Prozentgehalt des Harns an ClNa auf das Dop- pelte gestiegen ist). Dies entspricht der oben erwähnten Eigenschaft dieser Di- uretica, nicht nur die Wasserresorption, sondern auch die der gelösten Substanzen zu hindern. Die Hinderung der Wasserresorption kann nicht mehr in Erschei- nung treten, nur die der gelösten Substanzen, soweit sie resorbiert werden, was ja für den Stickstoff nieht zutrifft. Diese hier aufgestellte Hypothese von der Ur- sache des Diabetes insipidus würde sich also als eine auf Schädigung gewisser medullärer Apparate beruhende Störung der Wasserresorption darstellen; da wir für diese, wie für die Resorption gelöster Substanzen eine echte Zelltätigkeit postu- lieren müssen, so wäre eine solche Schädigung an den Epithelien gewisser Kanal- partien infolge gestörter Innervation wohl denkbar, ohne daß die übrigen, von anderen Nerven versorgten Abteilungen dabei gelitten hätten und ohne daß die Regulierung der Nierendurchblutung bzw. der vasomotorische Apparat der Glome- ruli geschädigt worden wäre. Da nun andererseits die ungeheuren Harnmengen solcher Kranken bei entsprechender Trinkzufuhr ohne sonstige Störungen des Stoff- wechsels abgeschieden werden, ohne daß irgendwelche Abnormitäten sowohl des Körperkreislaufes als desjenigen der Nieren nachweisbar sind — solche der Lymph- bewegung werden sich kaum dokumentieren —, so ist die Vermutung naheliegend daß auch normalerweise sehr große Mengen Glomerulusfiltrat die Niere passieren, aber gelöste Substanzen sowohl als den größten Teil ihres Wassers wieder ab- seben. Da eine Abscheidung N-haltiger Substanzen durch Sekretion in den Kanälchen nach den histologischen Erfahrungen wohl sicher stattfindet, so ist es nicht nötig, die Glomerulusfiltratmenge so hoch anzunehmen, wie sie zur Deckung der N-Ausfuhr berechnet wurde — über 50 Liter —; dementsprechend ist ja auch der Harn des Polyurikers noch reicher an Harnstoff als das Blut. Die mittleren Harnmengen der Polyuriker — 10 bis 12 Liter in 24h — wären dann etwa als Menge des Glomerulusfiltrates der normalen Niere anzusetzen. Daß die sekre- torische Funktion der Niere beim reinen Diabetes insipidus nicht geschädigt ist, das beweisen Meyers Untersuchungen über die Phosphorsäure- und Harn- säureausscheidung seiner Patienten (l.e. 8. 61ff.).. Hier spielten sich die Ände-. rungen in der Ausscheidung auf Einwirkung von ClNa oder Na,HPO, in gleicher Weise wie am Gesunden ah. F. Die künstliche Nierendurchblutung, der Gaswechsel und die Arbeit der Niere. I. Die künstliche Nierendurchblutung. Die Durchblutung isolierter Organe ist durch Jacobj') zu einer hohen Voll- kommenheit gebracht worden, indem er mit seinem „Hämatisator“ einen rhyth- mischen Blutstrom erzeugte und zugleich eine Arterialisierung des Durchströmungs- blutes durch einen zwischengeschalteten Lungenkreislauf ermöglichte. Er hat auch die künstliche Nierendurchblutung in den Kreis seiner Untersuchungen gezogen, die ja schon von Locke 1849, von Bidder 1862 und vornehmlich in Ludwigs Laboratorium vorgenommen wurde (siehe die Literatur bei Jabobj, l.c.). Munk°), der eine große Reihe solcher Versuche durchführte, hatte gefunden, daß das erhaltene, immer spärliche Sekret mehr C1Na enthielt als das perfundierte Blut, es war also wohl noch Resorption von Wasser in der Niere möglich. Jacobj (.e.), der in seinen ersten Versuchen seine Aufmerksamkeit vornehmlich der Zirkulation in der Niere schenkte und die Möglichkeit einer guten Durchblutung konstatierte, ') Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 26, 388, 1890. — ?) Virchows Arch. 10% (1877); 111 (1884); mit Senator 114 (1888). Die künstliche Nierendurehblutung. 385 hat dann im Verein mit v. Sobieransky') auch die Harmnabscheidung des iso- lierten Organs untersucht und ebenfalls, wie die früheren Autoren, kein normales und immer nur spärliches Sekret erhalten. Pfaff und Vejnx Tyrode?) nahmen in letzter Zeit die Versuche wieder auf und konstatierten einmal, daß defibriniertes Blut, entsprechend den Erfahrungen, die von vielen Autoren an anderen Organen gemacht wurden, die Nierengefäße verengt — wie Thompson bei Peptoninjektion fand (siehe oben) gegen Sollmann (siehe unten) — und somit Hemmungen in der Durchblutung setzt: Zusatz von Chloroform, Äther oder Chloralhydrat beseitigte dieselbe sehr gut, so daß bis zu 10 bis 12 Liter Blut in der Stunde durch die Niere flossen; aber die Sekretion wurde dadurch nicht verbessert, immer war der Harn alkalisch, eiweißhaltig; Blutfarbstoff, rote Blutkörperchen und Zylinder waren bei- gemenst. Die Narkotica können diese Veränderung nicht bewirkt haben, denn Hunde, welche Pfaff und Tyrode (l.c. S.335) neun Stunden lang unter Chloro- formnarkose hielten, denen auch mehrmals Blut aus der Carotis entzogen wurde, sonderten wohl sehr wenig Harn ab, derselbe enthielt auch hier und da Spuren von Eiweiß und Zylindern — solche Befunde sind ja auch an Menschen in Chloroform- oder Äthernarkose erhalten worden —, aber niemals Blutfarbstoff bzw. Blut. Daß es das defibrinierte Blut war, das die Schädigung hervorbrachte, be- wiesen die Verfasser einwandfrei, indem sie das Blut eines Hundes in wieder- holten Aderlässen defibrinierten und ihm durch die Vena jugularis wieder zuführten; sehr bald wurde der normale Harn in obiger Weise verändert: sehr rot, alkalisch, Zylinder führend usw. Verbluteten sie jetzt denselben Hund aus der Carotis so weit, daß Atmung und Zirkulation gerade noch möglich waren, und verbluteten sie nun einen zweiten normalen, mit Chloroform narkotisierten Hund in die Vena jugularis des ersten, so trat sehr bald wieder ein klarer, zitronengelber Harn von neutraler oder sogar schwach saurer Reaktion auf, der gegen vorher einen höheren e U-Gehalt zeigte. Dieser Nachweis, daß defibriniertes Blut die Niere schwer schädigt, läßt natürlich alle Schlüsse, die sonst aus solehen Durchblutungsversuchen gezogen wurden, hinfällig werden. Pepton und oxalsaure Salze als gerinnungshemmende Zusätze zum Durchleitungsblute gaben auch nicht bessere Resultate, dagegen war ein nach Haycrafts Vorschrift hergestelltes Blutegelextrakt geeigneter. Die Harn- sekretion sowohl von lebenden Tieren, deren Blut durch das Extrakt ungerinnbar gemacht wurde, als auch von künstlich durchbluteten Nieren war besser, konstanter und dauerte länger an als bei den früheren Versuchen. Doch war auch hier in den besten Versuchen der Harn alkalisch, ammoniak- und eiweißhaltig und führte Hämoglobin. Die Harnstoffkonzentration desselben war aber bedeutend höher als die des zirkulierenden Blutes, so daß also nach dieser Richtung eine gewisse Funk- tionsfähigkeit der Niere — sei es nun in Form von Wasserresorption oder von Ü-Sekretion der Epithelien — erhalten war. Die Verfasser glauben, daß die Durch- blutung der Niere mit Blutegelextraktblut wohl noch Aussicht auf Erfolg geben kann nach Verbesserung der Methodik. Die Niere zeigt sich also auch hier als ein äußerst empfindliches Organ gegenüber Änderungen der normalen Verhältnisse; daß ihr Gefäßapparat etwas widerstandsfähiger ist und eine Zeitlang nach der Exzision noch reaktionsfähig sich erweist, das lehren die Versuche von Sollmann’°), welcher Nieren mit verschiedenen Flüssigkeiten perfundierte, dabei Onkometerstand, Venenabfluß und Harnproduktion registrierte. Er beobachtete, daß defibriniertes Blut, durch frisch exstierpierte Nieren geleitet, eine außerordentliche Gefäß- erweiterung, vornehmlich im Bereiche der Vasa efferentia hervorruft. Dies Re- sultat steht also in Widerspruch zu denen von Pfaff und Tyrode. Durchströmte er abgestorbene Nieren mit Salzlösungen, Gummilösung oder mit Blut, so war ein deutlicher Parallelismus zwischen Viskosität und venösem Abfluß zu beobachten, derart, daß letzterer mit steigender Viskosität entsprechend abnahm. Durchströmte er aber eine frisch exzidierte Niere mit physiologischer Kochsalzlösung und darauf mit defibriniertem Blut, so stieg der venöse Abfluß sofort bedeutend an, oft zum !) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 29, 25 ff., 1893. — *) Ebenda 49, 324 ff., 1903. — ®) Amerie. Journ. of Physiol. 13, 241 ff. u. 291 ff., 1905. 386 Die künstliche Nierendurcehblutung. dreifachen Wert; das Onkometer fiel rapid (zum Teil durch die erhöhte Viskosität); . ebenso ist hierauf der Abfall des venösen Abflusses vom anfänglichen extremen Wert auf einen mittleren, immer noch hohen zu beziehen; das einströmende:- Blut hat eben anfangs noch eine Zumischung der vorher durchgehenden Salzlösung. Dieser vasomotorische Effekt wurde mit abnehmender Lebensfrische der gewählten Nieren immer geringer. Serum, CO-Blut, bei 63°C lackfarbig gemachtes Blut saben denselben Effekt, nicht aber Lockesche Flüssigkeit (ohne Dextrose) oder Blut, das koaguliert und filtriert worden war. Sollmann schließt daraus, daß es ein organischer Körper ist, der ihn verursacht; dem entspricht auch, daß ver- schiedene Blutproben Unterschiede in der Wirkung zeigten. Was nun aber die Beobachtungen über den produzierten Harn angeht, so zeigen Sollmanns Ver- suche einmal, daß Durchströmung mit Lösungen steigender Viskosität den Ureter- ausfluß vermindert, ebenso das Nierenvolumen; darauf waren auch noch die ge- ringen durch Zuckerlösungen hervorgebrachten Effekte zu beziehen. Perfusionen mit Salzlösungen geben einen guten, venösen Abfluß, und ein Uretersekret, das als ein Filtrat anzusprechen ist, — Gefäßruptur war durch Kontrollversuche aus- - geschlossen. Die Nieren behalten nach der Exstirpation noch einen gewissen Grad von Funktionsfähigkeit — wie auch in den Versuchen von Schmiedeberg und Bunge (siehe oben, 1. ec.) nach 48 Stunden p. mortem die Hippursäuresynthese ge- lang —, der aber immer mehr abnimmt, sowohl durch Gefäßconstrietion als auch durch Änderung (Gerinnung) in den filtrierenden Zellhäuten. Venen- und Ureterausfluß, sowie der Onkometerstand, ebenso maximaler Venen- und Ureter- druck steigen und fallen mit dem Durchströmungsdruck; intermittierender Druck ist immer wirksamer als gleich hoher konstanter Druck. Die kleinen Abweichungen im Parallelismus sind durch Abströmen von Flüssigkeit durch die Kommunikation mit den Kapselvenen zu erklären (siehe früher Gefäßverteilung); an Modellen konnte Sollmann diese Verhältnisse nachahmen. - Sollmann fand weiter, daß an frischen und an toten Nieren bei Durch- strömung mit verschiedenen Salzlösungen Venen- und Ureterabfluß mit der mole- kularen Konzentration der Perfusionsflüssiekeit wechseln, und daß dies auf Schwel- lung bzw. Schrumpfung der Nierenepithelzellen beruht, wodurch die Lumina der Kanälehen und der Gefäße beeinflußt werden. Ähnliche Verhältnisse hat v. So- bieransky!) in histologischen Bildern erhalten; Schwellung der Epithelien nach Injektion von hypisotonischen, Schrumpfung nach hypertonischen Salzlösungen. Das Onkometer wird natürlich unter diesen Verhältnissen keine bedeutenden Vo- lumenänderungen anzeigen, da der Austausch eben innerhalb der Niere zwischen Lumen und Zellbekleidung der Kanälchen vor sich geht. Sollmann will die An- wendung der so gesammelten Erfahrungen auf die Verhältnisse im lebenden Orga- nismus nicht ganz abweisen, etwa mit Bezug auf den sehr konstanten Gehalt des Blutes an Salzen usw. Er stützt sich dabei auf die Erfahrungen von Galeotti?), der in Übereinstimmung mit anderen Untersuchern (siehe oben) die Stärke der Diurese dem Verdünnungsgrade des Blutes entsprechend fand, und welcher dabei beobachtete, daß die molekulare Konzentration des Blutes nach Injektion anisoto- nischer Salzlösungen oft nach 5 Stunden noch nicht auf den normalen Stand zurück- gekehrt war. II. Der Gaswechsel der Niere. Wie schon oben erwähnt, untersuchten Barcroft und Brodie®°) den Gas- wechsel der Niere. Sie analysierten arterielles und venöses Nierenblut bei geringer Sekretion, gaben dann ein Diureticum und wiederholten die Blutgasuntersuchung. Mit der Blutgasaufsaugung wurde auch gleichzeitig die Stärke der Harnabsonde- rung bestimmt. Die Defibrinierung der Tiere, welche Bareroft*) in Verbindung mit Star- ling’) bei Untersuchung des Gaswechsels des Pankreas und der Unterkieferdrüse !) Pflügers Archiv 92, 135, 1903. — °) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1902, S. 200 ff. — °) Journ. of Physiol. 32, 18 f£., 1904/05. — *) Ebenda 25, 275, 1900. — °) Ebenda 31, 496, 1904. u Gaswechsel der Niere. 387 _ so gute Dienste geleistet hatte, konnte ja nach Obigem für die Nierenuntersuchung nicht in Betracht kommen. Barcroft und Brodie fingen daher die kleinen Blutportionen, die sie für die Analyse benötigten — 5 bis 20 com — in Kalium- oxalat unter Öl auf. Die zu den Versuchen benutzten Hunde wurden in Narkose unter Unterbindung der Eingeweidegefäße ganz ausgeweidet; die Tiere vertrugen die Operation gut; in den 3 Stunden, um welche sie dieselbe überlebten, blieb der Blutdruck bis auf die letzte halbe Stunde hoch. Die Zirkulation des Hinterkörpers wird dann durch Unterbindung der Aorta dicht unter dem Abgange der Nieren- arterien ausgeschaltet; darauf die Vena cava inferior isoliert, so daß nur die beiden Nierenvenen und die linke Nebennierenyene — welche bei der Blutentnahme ab- geklemmt wird — in das mit Kanüle armierte Stück derselben einmünden. Da der Blutstrom durch die Niere ein sehr rascher ist und der Unterschied im Gasgehalt des arteriellen und des venösen Nierengefäßblutes oft nur ein sehr geringer, so mußte die Durehströmungsgeschwindiekeit sehr genau gemessen werden. Es wurde, wie schon erwähnt, die Zeit bestimmt, welche das Blut zur Durchlaufung eines bestimmten Rohrabsehnittes brauchte — in wenigen Sekunden war dies getan, die Gefahr der Gerinnung also vermieden. Die Gasanalysen wurden mit dem Apparat von Barceroft und Haldane!) (chemische Methode, nur 1cem Blut benötigt) aus- geführt. Die Ergebniszahlen mit solchen verglichen, die durch Auspumpen (8!/, bis 11), ccm Blut benötigt) gewonnen wurden, zeigten eine gute Übereinstimmung. Die Analysenproben entnahmen Barcroft und Brodie vor und während der Diurese. | Vor ı Während | Bei abklinge. | der Diurese | der Diurese Diurese E | ccm | cem | cem Experiment L., S. 23: (Salzdiurese) Sauerstoff, absorbiert pro Minute . . . . 1,16 | 4,05 | _ Kohlensäure, abgeschieden pro Minute . 3,04 3,00 | = + Experiment II, S. 23 (U-Diurese) Sauerstoff pro Minute .. . 2.2... .| 3,35 15,6 5,0 BenrosMinute:. 2,2 na | 8,65 13,8 385 (Urinmenge' pro Minute)... .2....| (0,13) (0,96) (0,36) A Experiment III, S.24 (U-Diurese, dann Salzdiurese) Bere Namuter-.. 2.0.20 ea dene sun. | 1,22 6,14 — CO, pro Minute . Dr | 3,84 3,89 — (Hara pro Minute) .. ...:...... ... ||(sehr wenig) (1,34) — fr Experiment IV, S. 24 (U-Diurese) BeroeNinutes ..°. 0 ee ee | 0,53 4,0 | — ParerroeMinutee. 2... So. don 4,40 1,8 | — Reno, Minute). 2 2] (0,24) (1,2) | — Die Zahlen zeigen, daß der O,-Konsum bei der Diurese immer steigt; die CO,-Produktion aber zeigt hier ein wechselndes Verhalten. In Versuchen, welche die Verfasser noch nicht veröffentlicht haben, war auch die Steigerung der C0,;- Produktion das Gewöhnliehe. Die Steigerung des O,-Verbrauchs ist aber immer da; sie kann das 3 bis 10fache betragen in der Diurese gegenüber der normalen Harnsekretion. Interessant ist aber der Vergleich des O,-Verbrauchs der Niere mit dem des Gesamttieres. Versuche von Barcroft und Brodie fanden an normalen Hunden 0,0166 cem pro Gramm/Minute. Die ruhende Niere in Experiment I ver- \) Journ. of Physiol. 28, 232, 1902. 288 Gaswechsel der Niere. — Berechnung der Nierenarbeit. brauchte 0,0178 eccem pro Gramm/Minute; in Experiment II 0,0604 cem. Bei der Diurese waren die entsprechenden Zahlen 0,0623 und 0,281 cem und in Experiment II bei sinkender .Diurese noch 0,0901 eem. Zieht man den Anteil der Niere am Sauerstoffkonsum des ganzen Tieres in der Ruhe in Betracht, so ist er für Experiment I 0,773 Proz. in der Nierenruhe, 2,70 Proz. in der Diurese, bei Experiment II aber 2,52 Proz. in der Ruhe und 11,75 Proz. auf der ß EN 2 ; 1 Höhe der Diurese. Da die Nieren des Hundes im Mittel 0,72 Proz. = =) des Körpergewichts ausmachen, so ist — außer in Experiment I — der Anteil der Nieren — wie zu erwarten — an dem Sauerstoffverbrauch höher, als ihr Anteil nach Gewichtsverhältnis sein sollte. Daß, wie in Experiment II die Niere bis 11,75 Proz. des Gesamtsauerstoffs auf der Höhe der Diurese für sich verbraucht, ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß der Hund in tiefer Narkose lag und dementsprechend sein Gesamtsauerstoffkonsum noch viel niedriger war als der “eines gewöhnlichen Ruhezustandes. Barcroft und Brodie haben in Kontroll- experimenten mit Chloroformnarkose gefunden, daß der Gesamtsauerstoffkonsum. nur die Hälfte desjenigen beim intakten, ruhenden Tiere ist. III. "Berechnung der Nierenarbeit. Es war schon oben erwähnt worden, daß von seiten Dresers!) der erste Anstoß erfolgte, die Vorgänge bei der Harnabsonderung vom Stand- punkte der van 't Hoffschen Theorie der Lösungen aus zu beleuchten. Von der Differenz der osmotischen Drucke, bzw. der Gefrierpunktserniedrigungen des Blutes und des Harnes ausgehend, stellte Dreser eine Überschlags- rechnung der Arbeit auf, welche die Niere zu leisten hätte. Der osmotische Druck des Blutes ist ein sehr konstanter und beträgt, entsprechend einer Gefrierpunktserniedrigung () von — 0,56°C, etwa 7 Atmosphären. Da für eine 1 proz. OÜlNa-Lösung / — — 0,613° ausmacht, so wäre die Summe der Partialdrucke, welche die einzelnen Bestandteile des Blutserums ausübten, gleich dem osmotischen Drucke einer OlNa-Lösung von 0,91 Proz. Ein Morgenharn von J = — 2,3 entspräche dann einer 3,75 proz. Kochsalz- lösung oder etwa 27!/, Atmosphären. Dreser berechnet nun für ein Quan- tum von 200 ccm eines solchen Harnes die Arbeit, welche die Niere während der Nachtruhe zur Abscheidung desselben zu leisten hatte, zu 37,037 kgm. Der Gang dieser Rechnung, die hier nicht näher dargelegt werden soll, wird erläutert durch das Beispiel, das Dreser (l. e.) gibt. Soll aus 100cem einer 0,9% prozentigen Cl,Na-Lösung eine 3 prozentige gemacht worden, sollen also 70 cem Wasser entfernt, bzw. durch eine semipermeable Membran gegen Wasser abgeprebt werden, so ist zu bedenken, daß mit wachsender Konzentration immer steigende Drucke nötige sind, um ein kleinstes Volumen Wasser abzupressen. Nimmt man dabei Schritte von 10 zu 10cem an und träct man sich diese Volumina als Ab- szissenstücke auf, die den jeweiligen Konzentrationen entsprechenden osmotischen Drucke als Ordinaten, so ist zur Entfernung der ersten 10 cem eine Druckkraft nötig, welche anfangs beim Volumen 100 durch die Konzentration 0,9 Proz., am Ende beim Volumen 90 durch die Konzentration 1 Proz., beim Volumen 80 durch die Konzentration 1,125 Proz. usw.. dargestellt wird. Beim Volumen 30 ist die gewünschte Konzentration von 3 Proz. erreicht. Das Mittel zwischen Anfangs- und Endkonzentration bzw. der entsprechenden Drucke, mit dem Volumen 10 mul- tipliziert, stellt die jeweilige Arbeit einer Etappe dar, repräsentiert durch ein Trapez, dessen Basis das Abszissenstück für 10 ccm, dessen Höhen die Ordinaten der Anfangs- und Endkonzentrationen sind. Die Summe der Trapeze stellt die Arbeitsfläche dar, ) Arch. f. experim. Pathol. und Pharm. 29, 303 ff., 1892. Berechnung der Nierenarbeit. 289 die zur Entfernung der 70cem Wasser benötigt wird. In der folgenden Tabelle sind die um je 10ccm fallenden Volumina, die entsprechenden Prozentgehalte der Lösung und die Höhenmittel der Trapeze, welche, mit 10 multipliziert, die Einzel- arbeiten ergeben, dargestellt: Volum re enalz| Mittel der | | Trapezhöhen ——— 100 0,9 | | 2085 90 1,0 \ | | 1,067 80 | 1,125 f ' | I\ 1,205 70 | 1,285 1/ } | \ 1,392 60 | 1,5 K ; | 1,65 50 1,8 J | ; \ 2,025 40 I > BE Ä ” I 2 22695 30 EN 3:0 y BE 10,914 x 10 = 109,1 Arbeitsareal. Verbindet man die Ordinatengipfel der rasch wachsenden Konzentrations- bzw. Druckhöhen, so erhält man eine hyperbolische Kurve; die Bedingungsgleichung der für kleinste Volumina (dv) ausgeführten Rechnung führt ebenfalls auf die Hyperbel, bzw. die zu berechnende Arbeit auf die Quadratur einer solchen. Nun sind aber die 70 ccm Wasser nicht geren reines Wasser in unendlicher Menge vom osmotischen Druck = Null abgepreßt worden, sondern gegen eine 0,9 proz. Lösung. Es wäre also von obigem Arbeitsareal von 109,1 ein solches von 0,9x 70 = 63 abzuziehen, der Rest von 46,1 repräsentierte den Hyperbelausschnitt der geleisteten Arbeit. Um dieses A in gebräuchlichem Maße auszudrücken, was Dreser nicht tut, könnte man in Annäherung diesen Ausschnitt gleich einem Rechteck mit der Basis 70 und einer (mittleren) Höhe von 0,66 setzen; diese Höhe entspräche der mittleren Konzentration, bzw. deren osmotischem Drucke. Für eine 1proz. Lösung von ClNa ist 4 = — 0,613° C; also 4 von 0,66 Proz. — — 0,405°C; 4 = — 1’C entspricht aber einem Drucke von 123m Wasser = 12,3 Atm.; demnach 4 von — 0,405° = 4,98 Atm. oder die Arbeit zur Abscheidung von 30 ccm einer 3 proz. C1Na-Lösung wäre an- nähernd gleich 49,8 X 0,07 —= 3,5 kgm; die obige Arbeit von 109,1 —= 8,25 kgm. Bei der Arbeitsberechnung von Dreser, welche die Konzentrations- arbeit der Niere darstellen würde, ist aber die Konzentrationsverschiebung der einzelnen Harnbestandteile nicht berücksichtigt, welche nun teils durch Resorptions-, teils durch Sekretionsarbeit der Kanälchenepithelien geleistet wird. Es würde dies z. B. bei der nicht seltenen molekularen Konzentration des Harnes gleich der des Blutes (ein Harn von I — 0,56°C), wie auch v.Frey!) hervorhebt, auf die widersinnige Annahme führen, daß die Arbeit der Niere dann gleich Null gewesen sei. Dreser führt nun weiter aus: Daß aus einem Glomerulusfiltrat, welches einem enteiweißten Blutplasma entspräche, durch die resorbierende und secernierende Tätigkeit der Nieren- epithelien bei normaler, langsamer Sekretion ein konzentriertes und in seiner Zusammensetzung verändertes Sekret entstehen kann, ist somit begreiflich; schwieriger aber gestaltet sich die Frage: auf welche Weise kommt ein Harn von so geringer Konzentration zustande, wie er nach starker Wassereinfuhr beobachtet wird, und bei dem, wie es Dreser z.B. nach reichlichem Biergenuß sah, 4 — 0,16°C sein kann? Da Dreser eine Rückresorption von festen !) Vorlesungen über Physiologie, Berlin 1904. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 19 290 Berechnung der Nierenarbeit. Bestandteilen für ausgeschlossen hielt, so mußte er schließen, daß die Niere aus. dem höher, aber bei der großen Menge immer annähernd gleich konzentrierten Blute einen Harn von niedrigerer Konzentration secerniere. Den „Sekretions- druck“ berechnet er für die von ihm erwähnte niedrigste Konzentration (4 —= —.0,16° C; Differenz gegen Blut von -— 0,56° © beträgt 0,40° x 122,7 m — 49m) auf 49m Wasser, das ist nur etwa !/,, des höchsten Wertes des osmotischen Resorptionsdruckes, den er bei einer Durstkatze, welche einen Harn von 1 — — 4,72°C abgesondert hatte, bei einer Blutkonzen- tration von JS —= — 0,66°’C beobachtete. [Der Gefrierpunktsunterschied zwischen Harn (— 4,72°) und Blut (0,66°) ist 4,06 x 122,7m = 498 m.] Zur Berechnung der „Sekretionsarbeit*“ ist, da hier immer aus einer großen Blutmasse eine relativ geringe Menge Sekret abgeschieden wird, nur die entsprechende Druckhöhe (z. B. für 7 — — 0,16° — 49m) mit dem abgeschiedenen Volumen zu multiplizieren, um die Arbeit in Kilogramm- metern zu erhalten. Galeotti hat bei seinen Diureseversuchen an Hunden ebenfalls die Arbeit der Niere aus den Daten von 7 des Blutes und / des Harnes berechnet, aber dabei noch die Temperatur berücksichtigt. Sind auch die Arbeitswerte, wie Galeotti (]. ec. p. 204) selbst hervorhebt, nur als minimale zu betrachten (s. oben), so sind sie doch immerhin für gleichartige Versuche untereinander vergleichbar. Von den schon früher beschriebenen Versuchen I bis III (l. e. p. 204—213) mit ClNa-Injektionen, die sich über eine sehr lange Dauer erstreckten, wurden I u. II in absoluter Karenz ausgeführt, während bei III das Tier nach Belieben Wasser trinken durfte. In nachfolgender Tabelle habe ich für je etwa 23 Stunden die eliminierten Fixa zusammengestellt bzw. aus den Galeottischen Konzentrationswerten berechnet; ebenso die Harn- mengen und die entsprechenden Arbeiten. | Harn- | Org. | Anorg. | Gesamt- et Versuchsnummer | menge | Dauer | Substanz Substanz Fixa BEN | | em? Bar & gem I. 160cm®? 10%, CINa| 458 | 23h 45' | 9,612 | 11,343 20,955 | 4,345,964 II. 150cm® 10%, CINa| 344 . | 22 a5 | 8,910 | 9,663 18,573 | 4,216,850 III. 160cm? 10%, CINa| 966 23 | 5,227!) | 18,465 | 23,692 | 4,204,780 (Wasser trinken | | | | | gestattet) | | | | | Die von den Karenztieren in gleichen Zeiten abgesonderten Harnmengen sind sehr viel geringer als diejenigen des Hundes, der seinen Durst stillen durfte. Entsprechende Verhältnisse zeigen auch die Mengen der ausgeschie- denen anorganischen Substanzen, während diejenigen der organischen Sub- stanzen sich umgekehrt verhalten. Der große Wasservorrat beim dritten Tiere erlaubt dem Organismus, große Mengen des Salzes ohne bedeutende !) Für die Zeit von 730’ p. m. bis 9b a. m. (= 13530’) fehlt bei Galeotti (Versuch III, Tab. S. 212 bis 213) die Bestimmung der-organischen Substanz. Ich habe sie mit 22 eingeschätzt nach der betreffenden Harnmenge und der moleku- laren Konzentration im Vergleich mit den Daten der letzten vierstündigen Periode. Zusammenfassung. 297: Arbeit (Filtration) zu eliminieren, während der Wassermangel der ersteren Tiere von der Niere eine große Resorptionsarbeit verlangte; dennoch be- wältigte die Niere nur geringere Mengen. Die Schwierigkeit, für diluierten Harn eine Wassersekretion in großem Maße fordern zu müssen, glaubt Köppe!) vermeiden zu können, wenn er ausgeht von einem osmotischen Gleichgewicht zwischen Glomerulusblut und der Gewebsflüssigkeit des Glomerulus-Kapselraumes im Zustande der Anurie. Tritt auf einer Seite dieser gleiche osmotische Drucke zeigenden, durch eine semipermeable Wand getrennten Flüssigkeiten ein hydrostatischer Druck auf (Blutdruck in den Glomerulusgefäßen), so kann wohl, selbst bei sehr geringer Höhe, ein kleinstes Volumen Wasser in den Kapselraum gepreßt werden, aber damit ist dann auch die osmotische Druckdifferenz gegeben (etwa 7 Atm., siehe früher), welche überwunden werden muß, wenn weiteres Wasser abgepreßt werden soll. Köppe glaubt, daß die Annahme einer für Wasser nur in der Richtung Blut — Kapselraum durchgängigen Wand des Glomerulus dieses Verhältnis beseitigen soll, was unrichtig ist. Die „Nierenarbeit“ spielt in der praktischen Medizin jetzt eine große Rolle, auf sie und die umfassende Darstellung v. Koranyis?) kann hier verzichtet werden. Doch sei erwähnt, daß sich für die Beurteilung von Nierenerkrankungen gewisse aus den Daten der Kryoskopie und der Leit- fähiekeitsbestimmungen berechnete „Werte“ als nützlich für diagnostische Zwecke erwiesen haben. So namentlich der Valenzwert (Strauss) — 1 X Urinmenge, der bei normaler Nierenfunktion nur zwischen 1563 bis 3126 liegen soll (v. Koranyi). G. Zusammenfassung. Fassen wir noch einmal kurz den Stand unseres Wissens über die Harn- absonderung zusammen, so kämen wir zu folgendem Ergebnis. 1. Die Ludwigsche Behauptung, daß ein Plasma minus Eiweiß dem Glomerulus entströme, ist als eine sehr wahrscheinliche zu betrachten. Bei Annahme einer einfachen Filtration, für welche vieles spricht: — (der anatomische Bau, die Annäherung der Harnkonzentration und Reaktion an die des Blutes bei rascher Durchströmung, der Parallelismus zwischen Nieren- durchblutung und Harnmenge) — ist sie gemäß den osmotischen Gesetzen auch die einzig zulässige. Sie ist wohl, wie auch Ludwig schon vermutete, dahin zu ergänzen, daß auch die an Colloide gebundenen Stoffe (Phosphor- säure, Zucker) nicht mit filtrieren. 2. Die hypothetische Annahme Ludwigs, das Glomerulusfiltrat werde auf seinem Wege durch die Harnkanälchen durch Wasserresorption konzen- triert, hat durch die neueren Untersuchungen eine starke Stütze erhalten. Eine einfache Diffusion ist dabei allerdings nur zum geringsten Teile im Spiele, es muß dafür eine aktive Tätigkeit der Epithelien in den Henleschen Schleifen, in den Tub. contort. und wohl auch in den Sammelröhren in Anspruch genommen werden, zumal da mit dieser Wasserentziehung eine auswählende Rückresorption gelöster Bestandteile verbunden ist, wobei zum Teil das Be- ') Handb. d. Urologie und Deutsche med. Wochenschr. 1903, Nr. 45. — °) Die wissenschaftlichen Grundlagen der Kryoskopie, Berlin 1904, 195 299 Zusammenfassung. dürfnis des Organismus entscheidet; daraus ergibt sich aber, daß beide Funktionen bis zu einem gewissen Grade unabhängig voneinander verlaufen können. 3. Harnsäure, Phosphorsäure und blutfremde Stoffe werden in den Harn- kanälchen (Tubuli cont. und Teile der aufsteigenden Schleifenschenkel) durch echte Sekretion abgeschieden. Das gleiche gilt sehr wahrscheinlich für den Harnstoff, der aber ım Glomerulus auch mit filtriert. Ist auch der Mecha- nismus dieser Sekretion noch teilweise ganz dunkel, so ist doch eine Beteiligung von „Kondensatoren“ (Vacuolen bzw. Granula mit hohen Teilungskoeffizienten für die zu secernierenden Substanzen) sehr wahrscheinlich gemacht. Doch können sie oder ähnliche vielleicht auch dem Resorptionsvorgange dienen. Diese Kondensatoren könnten zugleich in Zeiten der Anurie (z. B. bei Tieren im Winterschlafe) eine Speicherung der zu eliminierenden Stoffwechsel- produkte bewirken und damit den Organismus trotz fehlender Harnabsonde- rung entlasten. 4. Die Diuretica wirken einmal dadurch, daß sie erhöhte Nierenzirkula- tion hervorrufen, und zwar durch Wirkung auf den Gefäßapparat selbst; wie- weit sich dies vollzieht durch Vermittelung der peripheren vasomotorischen Nervenelemente, wieweit durch Wirkung auf die Gefäßmuskulatur selbst, ist nicht entschieden. Für die Salze ist vornehmlich die „Hydrämie“, für die Xanthinkörper ihre spezifische Wirkung die Ursache dieser Gefäßwirkung. Die salinischen Diuretica erhöhen weiterhin durch die von ihnen er- zeugte hydrämische Beschaffenheit des Blutes die Filtrierbarkeit; Coffein, Theoein usw. vermindern das Resorptionsvermögen sowohl für Wasser als für gelöste Stoffe. 5. Die Niere hat als echte Drüse die Fähigkeit, blutfremde Stoffe aus ihren Komponenten aufzubauen (Hippursäuresynthese). Unter dem Einflusse des Phlorhizins erhalten die Drüsenzellen der Niere die Fähigkeit, aus einem Stoffe des Blutes Zucker abzuspalten. 6. Die Vermutung Heidenhains, daß mit der Sekretion der Harn- säure usw. von den Zellen auch etwas Wasser abgeschieden wird, besteht wohl zu Recht. Ein schroffer Gegensatz zwischen Ludwigscher und Bowman-Heiden- hainscher Theorie besteht nicht; Ludwig hat nie die sekretorische Tätig- keit der Nierenepithelien in bezug auf Abscheidung der Harnsäure usw. ge- leugnet, Heidenhain sich ebenfalls nicht durchaus ablehnend gegen das Bestehen einer Rückresorption verhalten. Die Einwände Heidenhains gegen das Bestehen einer Glomerulusfiltration haben sich allerdings nicht als stichhaltig erwiesen. Ureterwellen. 395 Herausbeförderung (des Harns. A. Ureter. l. Die Ureterwellen. Beobachtet man an einem Kaninchen, einer Katze oder an einem Hunde den auf eine kleinere Strecke freigelegten Harnleiter, so sieht man in kürzeren oder längeren Intervallen Kontraktionswellen vom Nierenbecken zur Blase ablaufen. Es zeigt sich zuerst eine kleine, 2 bis 5mm lange Auftreibung des platt daliegenden Harnleiters — wobei seine Farbe von Rotgrau in Grau übergeht —, hervorgerufen durch Herabschiebung einer Harnportion von höherer, sich kontrahierender Stelle; zugleich bewegt sich der Ureter etwas nierenwärts. Darauf . 39%8 EN folgt eine in gleichem Tempo fort- „120 schreitende Einschnürung mit oA /\L NN einer Längsverschiebung blasen- wärts; letztere ist, zumal im ab- dominalen Teile, ziemlich be- 4h19 39°5 trächtlich. Diese Kontraktion verwandelt den Ureter auf 1,5 Fig. 104. bis 2mm Länge in einen sehr an 3 dünnen, drehrunden Strang, der galständig weiß wird (durch SEAN. BU on on Kompression seiner Gefäße. Die folgende Erschlaffung bekundet 45° sich in der wiederkehrenden Röte, #27 und zugleich gleitet der Ureter in seine alte Lage zurück. Enke ai So wie hier ist der Vorgang auch von Heidenhain!), Engel- mann?) und vielen anderen, in _5h55. 45° neuester Zeit wieder von Proto- \ S102 popow°) geschildert worden; Eule: h ı " BE ’ Engelm — a hat die ganze Ureterkontraktionen bei verschiedenen Temperaturen. Periode in drei Abschnitte geteilt. Nach L. Stern, Exp. VII, p. 35. l. Systole: vom Beginn der Zu- sammenschnürung bis zum Anfange der Erschlaffung; 2. Diastole: vom Beginn der Erschlaffung bis zur Wiederherstellung der ursprünglichen platten Form; 3. die Pause: vom Ende der Diastole bis zum Beginn der nächsten Systole. Bei Änderungen der Frequenz der peristaltischen Kontraktionen wird am stärksten die Pause betroffen; doch auch diastolische und systolische Zeiten ändern sich (Protopopow, l.c. 8.67, u.a.). Am deutlichsten ergibt \) Arch. f. mikr. Anat. 10, 35, 1874. — ?) Pflügers Arch. 2, 243, 256, 1869. — °) Ebenda 66, 1ff., 1897. 294 Einfluß des Harnstroms auf die Ureterwellen. sich das aus den Kurven von Lina Stern!), welche am herausgeschnittenen und in 0,8 proz. ClNa-Lösung versenkten Meerschweinchen-Ureter die Kon- traktionen graphisch registrierte. Am normalen, warmen Ureter und bei normaler Diurese beträgt die Zahl der Kontraktionen 3 bis 6 pro Minute, und die etwa 10 mm langen Wellen pflanzen sich um 20 bis 30 mm pro Sekunde fort. Die Schwankungen der Frequenz sind aber bedeutende: Vor allem ist der Ureter sehr empfindlich gegen Änderungen der Temperatur und der Blut- zufuhr (s. unten). Die vorstehende Kurve von Stern (l. c.) läßt den Einfluß der Temperaturänderungen deutlich erkennen; bei 48°C wird die obere Grenze erreicht, die Kontraktionen werden sehr frequent und schwach, und bald tritt Stillstand (Tod) ein. Nach unten ist die Grenze für Spontankontrak- tionen 37°C; wird der Ureter unter diese Temperatur abgekühlt, so hören sie auf, um mit Wiedererwärmung von neuem zu beginnen. Dem entsprechen auch die Beobachtungen Engelmanns u. a. am Ureter in situ: bald nach Eröffnung der Bauchhöhle geht die Frequenz der peristaltischen Kontraktionen herab; Erregbarkeit und Leitungsvermögen werden hierbei in gleicher Weise vermindert, denn es erreicht jetzt eine immer geringere Zahl der Wellen die Blase — sowohl der spontanen als der durch mechanische Reizung hervor- gebrachten —, und schließlich bleibt die Kontraktion auf den erregten Ort beschränkt. Diese von Engelmann (l.c.) eingehend studierten und jederzeit leicht beobachtbaren Verhältnisse lassen es daher überflüssig erscheinen, nach dem Vorgange von Lewin und Goldschmidt2), S. 61, eine Zielperistaltik, eine Streckenperistaltik und örtliche Kontraktionen zu unterscheiden. Den Einfluß der Blutzufuhr hat vor allem Protopopow eingehend studiert. Wird die Art. renalis, die mit einem ihrer Zweige den oberen Ureterabschnitt versorgt, abgeklemmt, so werden die Spontankontraktionen seltener oder hören ganz auf. Nicht selten erheben sie sich aber bald wieder zur anfänglichen Frequenz, im Falle nämlich sich in kurzer Frist ein Col- lateralkreislauf von tieferen Partien aus herstellt. (Nur sind infolge des Stillstandes der Nierensekretion die Kontraktionen leer, schaffen keinen Harn fort; dementsprechend sind sie wenig ausgiebig und laufen sehr rasch ab.) Die für den Collateralkreislauf in Betracht kommenden Gefäße sind nach den genauen Untersuchungen von Protopopow nicht nur die Art. uret. inf. aus der Art. vesicalis, sondern auch mittlere Zuflüsse von der Art. spermat. int., von der Aorta und Art. iliaca comm. (}. e. S. 21); dieser Autor ist daher der Meinung, daß das wechselnde Resultat nach Abklemmung der Nierengefäße nicht so sehr auf das Sistieren der Harnsekretion, als auf die mehr oder minder große Störung der Ureterdurchblutung zurückzuführen sei. Gemäß der Abhängigkeit vom Blutdruck bringt Aortenverschluß (Proto- popow, l. c. S. 60ff. und Kurventafel II) die Ureterperistaltik auf seltene Kontraktionen herab oder ganz zum Stillstand, indessen die Kompression der Vena cava dicht oberhalb des Nierenveneneintritts die Kontraktionen bis zu einer gewissen Grenze frequenter macht. Simultanverschluß beider Stämme verringert die Anzahl der Kontraktionen; Freigeben der Zirkulation zieht meist starke Zunahme der Frequenz unter Verkürzung der Pausen nach sich. Die Erregungserscheinungen im Anfangsstadium einer Asphyxie machen sich !) These de Geneve 1903. — ?) Virchows Arch. 134, 33 ff., 1893. ——————_. 2 Natur der Peristaltik. 295 auch am Ureter geltend (Protopopow, l. c. S. 53ff.); nach der zweiten Minute tritt darauf Verlangsamung und schließlich Stillstand ein noch vor dem des Herzens. Am herausgeschnittenen, in warme physiologische Koch- salzlösung versenkten Ureter konnte Stern (l. c.) durch Sauerstoffdurch- leitung hin und wieder eine Frequenzzunahme erzielen, Kohlensäure setzte dagegen dieselbe stets rasch herab und führte nach einiger Zeit zum Tode des Ureters; nach kürzerer CO,-Einwirkung konnte der gelähmte Ureter sich gut wieder erholen. Sauerstoffmangel — Eintragen in ausgekochte ClNa- Lösung — bewirkte sofort Lähmung. Zumischung von Chloroform zum Kochsalzbad tötete den Ureter sehr rasch, dagegen waren 0,01 proz. Lösungen von Atrop. sulf. oder 0,03 proz. von Pilocarpin ohne allen Einfluß. 2. Einfluß des Harnstromes. Daß der ins Nierenbecken bzw. den Ureter eintreftende Harn nicht unbedingt zum Zustandekommen der Ureterperistaltik nötig ist, hatte Engel- mann (l. c.) nachgewiesen; die Erfahrungen neuerer Forscher erhärten diese Tatsache. Vor allem belehrend sind die Beobachtungen von Stern (. c.) über normale Ureterperistaltik trotz einer mehrere Wochen vorher aus- geführten Nephrektomie oder Ligatur der Nierengefäße. Daß dagegen die Frequenz und der Umfang der Ureterwellen mit steigender Harnsekretion zunehmen, ist seit Mulders und Donders’ Beobachtungen immer wieder bestätigt worden. Protopopow stellte noch besondere Versuche an; er durchstieß zu dem Zwecke die Niere von der Konvexität her bis zum Nieren- becken mit einer konischen Kanüle, die eine als Tampon dienende, kugelige Auftreibung besaß — auf diese Weise größere Blutungen vermeidend —, und ließ nun unter konstantem schwachen Druck verschiedene Flüssig- keiten (Harn, 0,7 proz. C] Na-Lösung, 1 proz. Weingeist, destilliertes Wasser) langsam eintropfen. Er fand, daß jede in den Harnleiter injizierte Flüssig- keit dessen Bewegungen frequenter macht; die differenten Stoffe, wie. Wein- geist, Wasser, Harn, bewirken dies in höherem Grade. Daß die mechanische Dehnung der Ureterwand die Frequenz der Wellen beeinflußt, haben Soko- loff und Luchsinger!) am überlebenden Kaninchenureter, sowie am frischen Harnleiter des Hundes gezeigt: Wurde körperwarme physiologische ClNa-Lösung unter wechselnden Drucken infundiert, so stieg mit jedem Druckzuwachs die Frequenz der Wellen, um mit dem Drucke zu fallen; es trat bei höherem Drucke Gruppenbildung, ganz wie beim Herzen ein, zumal wenn der Druck sich dem Grenzwerte näherte, den der Ureter noch über- winden konnte. Jenseits dieses Wertes stand der Ureter still, um beim Herabgehen des Druckes die Kontraktionen wieder aufzunehmen. Gruppen- bildung mit Zwischenpausen von 30 bis 60” fand auch Fagge?) am Hunde- ureter, an welchem operativ manipuliert worden war (s. unten). 3. Natur der Peristaltik. Daß die „automatische Erregbarkeit der Uretermuskulatur“ die Ursache der regelmäßigen Peristaltik sei, dafür hat Engelmann (I. c.) eine Reihe von anatomischen und physiologischen Gründen angeführt, die nur zum Teil ') Pflügers Arch. 26, 464 ff., 1881. — ?) Journ. of Physiol. 28, 306, 1902. 296 Natur der Peristaltik. hinfällig geworden sind. Ersteres betrifft einmal das früher behauptete Fehlen jeglicher Ganglienzellen in der Muskelhaut, die angeblich viel geringere Zahl von Nervenendigungen gegenüber derjenigen der Muskelzellen, sowie die Angabe, daß die adventitiellen Ganglien nur am Nierenbecken- und Blasenteile des Ureters sich fänden. Protopopow (l. c. S. 32ff.) fand auch in der Muscularis vereinzelte Ganglienzellen; weiter bestätigte er gegen Disselhorst!) die Befunde von R. Maier?), daß auch in den mittleren Teilen des Ureters adventitielle Ganglien vorkommen, wenn auch die Haupt- anhäufung am Nieren- und Blasenende statthat. Die geringere Zahl der Nervenendigungen ist nach Retzius für glatte Muskeln die Regel, auch würde die von Engelmann selbst betonte physiologische und anatomische Kontinuität innerhalb der einzelnen Muskelbündel den Einwand entkräften. Diese Kontinuität ist auch an der Blasenmuskulatur (s. Abbildung in der folgenden Abteilung), am Darm und am Herzen vorhanden. Die physiologi- schen Gründe: Auftreten der peristaltischen und antiperistaltischen Be- wegungen an beliebiger Stelle des Harnleiters auf mechanischen Reiz, Auf- treten der spontanen Kontraktionen auch an kleinsten (bis 10mm Länge herab) überlebenden Harnleiterstücken, die geringe Schnelligkeit der Wellen, dıe fast eine Sekunde währende Unerregbarkeit des Ureters nach einer Kontraktion, sind auch heute noch, entsprechend den Erfahrungen am Herzen, starke Stützen der Engelmannschen Theorie. Dazu käme noch die Beob- achtung Sterns (s. oben), daß Eintragen des herausgeschnittenen Ureters ın Atropinlösung nichts an den rhythmischen Kontraktionen ändert, insofern als P. Schultz) das durch Atropin bewirkte Schwinden der rhythmischen Kon- traktionen am überlebenden Froschmagen als Beweis für deren neurogene Natur anführt. Unaufgeklärt bleibt noch immer, warum auch kleine aus- geschnittene Ureterstückchen bei Spontankontraktionen immer nur blasen- läufige Peristaltik zeigen, nie Antiperistaltik, was sie doch auf künstliche Reizung vermögen, und weiterhin ist noch dunkel, welcher Reiz am Nieren- becken die normale, dort beginnende Peristaltik auslöst. Daß Flüssigkeit, die in das Becken dringt, dies vermag, wurde oben gezeigt, andererseits sind die regelmäßigen „Leerkontraktionen“ bei Tieren sowohl als beim Men- schen stets beobachtet worden. Vermutlich spielen, ganz wie beim Herzen, die ersten Anfänge der Muskulatur im Nierenbecken hierbei eine große Rolle; die Muskulatur beginnt schon auf der Basis der Nierenpapillen (Henles Sphincter papillae), von hier ziehen Längs- und Schrägbündel über den Ring- graben (Fornix calicis) durch die Wand der Nierenkelche, in inniger Ver- bindung mit den Muskeln des Nierenbeckens. Es werden vielleicht durch Austreten von Harn aus den Papillen immer Kontraktionen ausgelöst, welche, bei sehr spärlichen Mengen, als Leerkontraktionen ablaufen, im Falle genügender Füllung des Nierenbeckens jedoch eine Harnportion zur Blase befördern. Daß das Nierenbecken die Befähigung zu automatischer Tätigkeit in weit höherem Maße besitzt als der übrige Ureter, das geht aus allen Untersuchungen hervor; stets setzt der Beckenstumpf des durchschnittenen Ureters seine Kontraktionen fort, der übrige Ureter entweder nur in ver- !) Anat. Hefte von Merkel-Bonnet 11, 133, 1894. — °) Virchows Arch. 85 (1881). — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol., Suppl. 1903. \ Nerveneinflüsse. 397 \ \ langsamter Folge oder er nimmt sie oft erst nach längerem Stillstande auf. Eine Schwierigkeit für diese Auffassung würde aber immer die beobachtete regelmäßige Peristaltik nach länger oder kürzer voraufgehender Nephrektomie bieten. Daß bei abundanter Harnabsonderung das Nierenbecken und der obere Ureter sich ziemlich stark füllen, ehe wieder eine Kontraktion auftritt, daß also trotz starker Dehnung die Frequenz nicht über eine mäßige Höhe hinausgeht, erklärt sich aus der oben erwähnten, ziemlich lange dauernden Unerregbarkeit des Ureters nach jeder Kontraktion. 4. Nerveneinflüsse. Wenn nun auch durch die neueren Arbeiten die Lehre Engelmanns vom myogenen Ursprung der Peristaltik nicht erschüttert ist, so ist anderer- seits durch diese Arbeiten der starke Einfluß des Nervensystems auf die Regulation der Peristaltik sichergestellt worden. Das Vorhandensein eines solchen Einflusses drängt sich jedem Beobachter auf, der beim Eröffnen der Bauchhöhle den infolge der Operation oft eintretenden Stillstand der Ureter- bewegungen beobachtet (Hemmung). Die anatomischen und physiologischen Untersuchungen weisen einmal eine Verbindung mit dem N. splanchnicus auf dem Wege des Plexus renalis nach, der ja, wie Guinardet und Duprat!) beim Menschen beobachteten, sowohl durch den Nierenhilus als auch von der Nierenkapsel aus (N. N. uretero-capsulares) Fäden zum Ureter sendet. Protopopow (l. c. S. 90,98) erhielt auf Splanchnicusdurchschneidung so- gleich eine starke Herabsetzung der Kontraktionsfrequenz oder sogar Still- stand des betreffenden Ureters; die Reizung des peripheren Stumpfes ergab, parallel mit der Blutdruckerhöhung, eine Beschleunigung und Verstärkung der Ureterwellen. Nephrektomie änderte nichts an diesem Resultat; Unter- bindung des Ureters am Nierenbecken unterbrach aber sofort die Wirkung der Splanchnicusreizung. War durch Ermüdung des N. splanchnicus keine Beschleunigung mehr zu erzielen, so trat diese dennoch ein auf Kompression der V. cava (s. oben), was nach Protopopow für eine nur sekundäre Be- teilisung der Blutdruckserhöhung an dem Effekt der Splanchnicusreizung spricht. L. Stern (l. c. S. 68ff.) hat nun die Experimente Protopopows wiederholt — ebenfalls an curaresierten Hunden —, aber der Erfolg war ein wechselnder, manchmal geringe Beschleunigung, manchmal keine Ände- rung, meist Verlangsamung oder Stillstand. Letzterer Effekt konnte nun stets hervorgerufen werden nach vorhergehender Injektion von Atropin; hier gab ausnahmslos Splanchnicusreizung starke Hemmung, welche die Reizung bis zwei Minuten überdauerte.. Wurde schon vor der Atropin- injektion der Hemmungseffekt erzielt, so hob ihn Pilocarpin auf; er trat aber wieder hervor, als jetzt darauf auch Atropin gegeben wurde. Die Reizung des peripheren Stumpfes der N. N. hypogastrici (syn. Anastomose zwischen Gangl. mesent. inf. und Plexus hypogastricus), welche ja ebenso wie der Plexus spermaticus kleine Nervenstränge zum mittleren Ureterteil abgeben (s. Langley und Anderson), ergab bei Stern meist Beschleunigung der Ureterkontraktionen, die Reizung des zentralen Stumpfes Verlangsamung ') Archives Guyon 1890, Nr. 8 (zit. nach Protopopow). — °) Journ. of Physiol. 20, 375, 1896. 998 Rückstau und Antiperistaltik. (Reflex auf Hemmungsfasern). In einem Falle (l. c., Exp. 39, S. 76) waren. nach erfolgreicher Reizung der N. N. hypogastrici die Nierengefäße ligiert und damit Stillstand der Ureterkontraktionen bewirkt worden; auf die jetzt folgende Reizung des N. hypogastricus begann die rhythmische Peristaltik wieder. Protopopow erhielt bei Reizung der N. N. hypogastriei keine kon- stanten Resultate. Dagegen sind die Ergebnisse von Fagge (l.c.) mit denen Sterns übereinstimmend. Die Reizung der N. N. hypogastrici ergab bei Fagge immer Ureterbewegungen, entweder Beschleunigung der schon be- stehenden, wobei Gruppenperistaltik auftrat, oder es erschienen solche Gruppen am vorher bewegungslosen Ureter. Nach den Resultaten Sterns ist die An- nahme sowohl von hemmenden als von accelerierenden Fasern im Splanchnicus naheliesend; daß der Splanchnicus Hemmungsnerv für den Darm ist, darf nach den neueren Untersuchungen ja als feststehend angesehen werden. 5. Rückstau und Antiperistaltik. Es war oben schon darauf hingedeutet worden, daß die Ureterkontrak- tionen normalerweise stets blasenwärts, peristaltisch verlaufen. Nun haben Lewin und Goldschmidt!) an Kaninchenböcken antiperistaltische Be- wegungen im Anschluß an plötzliches Aufsteigen von gefärbten, in die Blase injizierten Flüssigkeiten aus dieser in den Ureter beobachtet. Die Be- dingung für das Aufsteigen war eine in starker tonischer Kontraktion befindliche — dann immer wurst- oder fingerförmige — Blase, in der schon eine mäßige Flüssigkeitsmenge unter bedeutendem Drucke stand. War da- gegen die Blasenwand schlaff und wurde sie durch große injizierte Flüssig- keitsmengen stark gedehnt, so trat der Reflex nie ein, ein Beweis, daß der schräge Verlauf des intramuralen Ureterteils — Sappeys Flötenschnabel — gegen hohen Binnendruck als ein Verschluß wirkt, den nur ein selbsttätiges Öffnen des Orific. urethrale aufheben kann. Ein solches tritt nun anscheinend dann auf, wenn die Blasenmuskulatur kontrahiert ist und abnorme Reizungen — kalte Flüssigkeiten unter Druck, Handkompression der Blase, starke Reizungen der Harnröhre — einwirken. Daß die Anordnung der intra- muralen Uretermuskulatur eine selbständige Öffnung der Blasenmündung erlaubt, zeigt nebenstehende Abbildung. Dieses Öffnen wird auch bei Leer- kontraktionen der Ureteren, die bis zur Blase gelangen, von vielen Unter- suchern beschrieben (vgl. Stern (l. c.), Feodorow (russ.), zitiert bei Proto- popow), und es gelang auch Lewin und Goldschmidt, wenn sie die Injektion der Blase im Moment des Anlangens einer peristaltischen Welle an der Blase ausführten, den Ureter rückläufig zu füllen. Sie betonen dabei, dab, wenn antiperistaltische Bewegungen auftraten, dies erst im Anschluß an das Aufsteigen geschehen sei; Disse?) (l, 110) dagegen hält die aus- gelösten antiperistaltischen Wellen erst für die Ursache der Öffnung des Orifie. wrethr. Die abnorme Öffnung der Ureterenmündung scheint aber reflektorisch von der Blase aus eingeleitet werden zu können, wie auch Lewin und Goldschmidt an träge daliegenden Ureteren durch starken Druck auf die gefüllte Blase Kontraktionen auszulösen vermochten. Gegen !) Virchows Arch. 134, 33 f., 1893. — °) Handb. d. Harn- u. Geschlechtsorgane <, Teil. =Jena, 1902: Rückstau und Antiperistaltik. 299 eine direkte Übertragung des Reizes von der Blasenmuskulatur auf die des Ureters sprechen einmal die erfolglosen Versuche Engelmanns (I. c.), durch Reizung der Blasenmuskulatur in der Umgebung des Orific. urethris Harn- leiterkontraktionen zu erregen, und weiterhin die Befunde der Anatomen: Waldeyer !) hält die Ureterenscheide, d.h. das Stück adventitieller Längs- muskulatur, das sich auf den Ureter von der Blase her erstreckt, für rein der Blase angehörig und von der Uretermuskulatur durch einen Lymphraum getrennt; nach Disse (]. c.) gehört sie dagegen wohl zur Uretermuskulatur, diese aber bliebe auch intramural ganz selbständig und stecke in einer Lücke der Blasenmuskulatur. Zuckerkandl?) dagegen, der die Scheide wieWaldeyer der Blasenmuskulatur zuteilt, kann die Unabhängigkeit der Ureterenmusku- latur von jener der Blase nicht anerkennen; er führt für einen solchen Zu- Fig. 105. Muskeln des Ureters längslaufend Valvula wreteris Ureter — A IAR ES A ——— Orifieium ureteris Gefäße Wand der Blase Mensch, Längsschnitt durch die Blasenmündung des Ureter (nach Disse, l. ec. Fig. 62, p. 103). sammenhang die große Veränderung an, welche die Muskulatur des Trigonum erfährt beim Fehlen eines Ureters. Courtade und Guyon?°) haben die Versuche von Lewin und Goldschmidt wiederholt; sie erhielten Rückfluß an Kaninchen einzig bei so starkem Blasentonus, daß 15 bis 20 cem Flüssigkeit nur unter 15 bis 20 mın Hg-Druck hineingebracht werden konnten. Sie glauben nicht, daß das Gelingen von der Öffnung des Orific. urethr. allein abhänge, sondern von der mehr oder weniger bedeutenden Ausbildung der Ureterringmuskulatur im intramuralen Teile und dem dadurch bedingten Verschluß, und warnen daher davor, diese Verhältnisse einfach auf die menschliche Pathologie zu übertragen; denn beim Hunde, dessen Blasen- bzw. Ureterenverhältnisse den menschlichen sehr ähnlich seien, gelingt der Versuch sehr selten und nie wiederholt. Er gelingt dagegen stets, wenn vorher der Ring von Muskeln, der das intramurale Ureterstück umschließt, r ) Verh. d. Anat. Ges. 1902. — °) Handb. d. Urologie von Frisch u. Zucker- kandl 1, 23, Wien 1903. — °) Annales des maladies des organes genitourinaires (Guyon) 12, 561 ff., 1894. 300 .Kystoskopische Beobachtung. — Blasentonus und Blasenkontraktionen. getrennt wurde. Courtade und Guyon glauben daher, daß beim Menschen infolge sehr rascher Injektionen bei bestehendem Blasentonus der Rückstrom nicht ausgeschlossen ist, daß er aber bei gedehnter Blase (Retention) nicht vorkomme. Die, wenn auch wenigen, gelungenen Versuche am Hunde der beiden Autoren scheinen mir aber dafür zu sprechen, daß auch dieser intra- murale Verschluß reflektorisch geöffnet werden kann. 6. Kystoskopische Beobachtung der Ureterwellen. War früher, abgesehen vom Tierexperiment, die Beobachtung der stoßweisen Harneintreibung in die Blase beim Menschen auf pathologische Fälle (Exstrophia vesicae, usw.) beschränkt, so ist jetzt, dank der Erfindung Nitzes'), des Kystoskops, der Vorgang jederzeit am normalen Menschen zu beobachten. Das Kystoskop, eine Harnröhrensonde von 7 mm Kaliber mit kurzem Schnabel, trägt an dessen Spitze eine Mienonglühlampe; das erleuchtete Wandbild der durch aseptische Flüssiekeit mäßig dilatierten Blase wird durch ein total reflektierendes Prisma in das in der Sonde befindliche Fernrohr gelenkt, dessen Objektiv eine sehr kurze Brennweite hat. Das vom Objektiv entworfene reelle, umgekehrte Bildchen wird durch eine um etwas mehr als ihre doppelte Brennweite entfernte Linse in aufrechter Stellung in die Nähe der äußeren Öffnung des etwa 21cm langen Rohres gebracht und dort mit der Ocularlupe betrachtet. Mit Hilfe dieser endoskopischen Beleuchtungsvorrichtung gelingt dann auch die Katheterisierung der Ureteren von der Blase aus und damit die gesonderte Auffangung des Harnes der Niere jeder Seite. Die nicht geringen Gefahren des Deere vermeidet Luys’) durch eine einfachere, wenn auch nicht so exakte Methode der getrennten Harn- auffangung. Ein Doppelkatheter, dessen vesicales Ende eine ganz bestimmte, dem Blasenboden ancepaßte Krümmung besitzt, wird in die ‚Blase eingelegt und durch Spannung einer Kautschukmembran zwischen den zwei Kathetern eine Scheidewand errichtet, so daß der Urin je einer Niere durch je einen Katheter herausläuft. B. Harnblase. 1. Blasentonus und Blasenkontraktionen. Der durch die Ureteren in die Blase entleerte Harn sammelt sich da- selbst langsam an, um von Zeit zu Zeit entleert zu werden, je nachdem das Bedürfnis — Harndrang — sich geltend macht. Der Harndrang wird zweifellos erzeugt durch Spannung der Blasenwand; diese Spannung ist aber in weiten Grenzen unabhängig von der Füllung der Blase, sie hängt ab von dem Zustande der Wandmuskeln. Die glatten Muskelbündel besitzen in der Ruhe eine geringe Elastizität, und geringe Kräfte genügen zu einer ausgiebigen Dehnung; nur bei extremer Füllung der ruhenden, schlaffen Blase steigt die bis dahin minimale Spannung bzw. der intravesiculäre Druck rasch mit wachsender Dehnung, um bald die Grenze zu erreichen, bei der Zerreißung beginnt. Sobald aber die Wandmuskeln der Blase in Erregung sich befinden, so genügt das Einbringen von wenigen Öubikcentimetern Flüssigkeit, um eine weitere Füllung nur unter starkem Drucke zuzulassen. Die Resultate aller Untersuchungen an Menschen über die „Kapazität“ der Blase in vivo beleuchten diese Tatsachen. Während bei schlaffer Blase und !) Nitze, Max, Lehrb. d. Kystoskopie, Wiesbaden 1889. — *) Luys, Georges, La separation de l’urine des deux reins. Paris 1904. Blasentonus und Blasenkontraktionen. 301 sehr langsamer Füllung 600ccm einer warmen Flüssigkeit gut ertragen werden, können, je nach dem Tonus, oft schon 70 ccm unerträgliche Schmerzen hervorrufen. Die individuell sehr schwankende Reizbarkeit der Blasenschleim- haut beim Gesunden, welche noch alle Grade der Steigerung in Krankheits- zuständen erfahren kann, sowie die in gleicher Weise verschiedene Erregbar- keit der nervösen Zentralorgane erklären die wechselnde „Toleranz“ zur Genüge (vgl. z. B. Petersen: Über sectio alta!). Genouville?) fand, daß im Mittel bei 150 mm Wasserdruck der gesunde Mensch Harndrang empfindet, und daß ın der Ruhe, bzw. unter normalen Verhältnissen die Blase dabei 230 bis 250 ccm Harn enthält. Mosso und Pellacani (s. unten, ]. c. S. 313) fanden entsprechend an einer Hündin, daß bei den verschiedensten Füllungen, aber immer bei gleichen Drucken, die Unruhe des Tieres Harndrang bekundete. Bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über Blasen- kontraktionen, die auf Nervenreizung sich einstellen (s. später), fand Reh- fisch, daß eine Blase, die unter einem gewissen Drucke den größten Teil ihres Inhaltes ausgetrieben hatte, bei einer folgenden Kontraktion den Rest unter einen noch höheren Druck brachte. Gemäß der innigen, direkten und indirekten Verbindung mit dem Zentralnervensystem kann nun dieser Tonus der Blase durch Reizung irgend eines Nerven, der zentripetale Fasern enthält, verändert werden. Neben den älteren, von Beobachtungen P. Berts, sowie S. Mayer u. v. Baschs?) ausgehenden Uniersuchern haben in neuerer Zeit u. a Nawrocki und Skabitschewski*), Sokownin°’), Mosso und Pellacani‘), sowie Langley und Anderson’) dieser Tatsache ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Letztere zeigten, daß auch auf hectum, Anus, Uterus und die äußeren Genitalorgane jeder sensible Nerv reflektorisch wirken kann. Eine Ausnahme macht nur der Vagus, wie trotz früherer gegenteiliger Angaben die eingehen- den Untersuchungen, namentlich für die Blase, von Nawrocki und Skabit- schewski festgestellt haben. Sehr wirkungsvoll kommt die allseitige reflektorische Empfindlichkeit der Blase in den Experimenten von Mosso und Pellacani (l. ce.) zum Aus- druck. Diese registrierten plethysmographisch unter konstantem Druck die Blasenkontraktionen synchron mit den Atembewegungen, und zwar an Tieren ohne Öffnung der Bauchhöhle vermittelst Blasenscheitel-Fistelkanüle, oder an Menschen durch Katheter. Die leichtesten psychischen Einflüsse, schwächste taktile Reize usw., die auch nicht die geringste Änderung der Atmung hervor- rufen, bewirken mehr oder weniger heftige reflektorische Blasenkontraktionen, deren kürzeste sechs bis sieben Sekunden dauern. Außer diesen Blasenkontraktionen, die als Folge des durch äußere Anstöße entfesselten Spieles verwickelter höherer und niederer Reflexe auftreten, zeigen sich solche aber auch noch unter anderen Bedingungen. Alle Experimentatoren, welche das Verhalten der Blase bei Reizungen ihrer Nerven, ihrer Muskulatur studierten, berichten über die oft störenden rhythmischen Tonusschwankungen derselben. !) Arch. £. klin. Chirurgie 25, 752ff., 1880. — °?) Arch. de physiol. (5) 6, 322#f., 1894. — °) Vgl. die Literatur in Hermanns Handbuch (5) 2, 462. — *) Pflügers Arch. 48, 335 ff., 1891, und ebenda 49, 141#f., 1891. — °) Kasaner Uniy.-Nachr. (russ.), ref. in Hoffmann-Schwalbes Jahresber. 6 (3), 87, 1877 und Pfügers Arch. 8, 600ff., 1874. — °) Arch. ital. biol. 1, 97, 291, 1882. — ”) Journ. of Physiol. 18, 47 ff., 1895. Er 302 Blasentonus. — Harndrang. Nach Griffith'), Ashdown?), Langley und Anderson‘), Stewart‘) ist der Rhythmus dieser Kontraktionen sehr regelmäßig — wenn auch im einzelnen Falle sehr verschieden — und ihre Amplitude sehr gering. Diese Umstände erleichtern die Unterscheidung von den auf Eingriffe (Nerven- usw. Reizung) erfolgenden Blasenveränderungen. Auch nach Durchtrennung der Blasennerven — Sacral- und Lumbaranteile — dauern sie an; Sherrington’°) beobachtete bei Macacus und bei der Katze, daß nach Querdurchtrennung des Rückenmarks in Höhe der 12. Thoracalwurzeln, sobald die durch Schnittreizung verursachte starke Blasen- kontraktion vorüber ist, die rhythmischen Kontraktionen sofort wieder einsetzen. Nach Sherrington (l. c.) u. a. bringt tiefe Chloroformnarkose mit vor- gängiger Morphin- und Atropininjektion die Blase bald zur Ruhe, ein Zeichen, daß diese Kontraktionen zum Teil reflektorischer Natur sind. Aber nur zum Teil, denn Langley und Anderson (l. c.) beobachteten, daß die Blase, vornehmlich nach längerer Freilegung und nach häufigerem Manipulieren an ihr, sowie nach Ab- 'kühlung der füllenden physiologischen C1Na-Lösung — wenn sie also mehr dem „überlebenden“ Zustande sich nähert — in Tonusschwankungen eintritt, und daß, was auch Stewart erwähnt, öftere Reizungen der Sacralanteile der Blasennerven (s. später) das Auftreten dieser Schwankungen sehr begünstigen. Sherrington (1. c. S. 681) fand weiterhin, daß auch nach dem Tode des Tieres die Kontrak- tionen fast eine Stunde lang fortdauern, und daß die dem verbluteten Tiere ent- nommene Blase, wenn sie nur in 0,75 proz. C1INa-Lösung von 38°C unter 40 bis 80mm H,O-Druck gehalten wird, die Tonusschwankungen fortsetzt. Ja Stewart‘), der bei seinen Untersuchungen über die elatte Muskulatur sich der Harnblase der Katze bediente, konstatierte, daß auch die, ohne dehnende Füllung, 20 und mehr Stunden in der feuchten Kammer bewahrte Blase noch Spontankontraktionen ausführt. War schon durch Mosso und Pellacani (l.c. 8.103), Ashdown (I. c.), Sherrington (l. c.) festgestellt worden, daß diese Kontraktionen in der Blasen- wand selbst ihren Ursprung nehmen, so glauben letzterer sowie Stewart, Straub, Bottazzi u. a., daß sie myogener, Ranvier, Morgen, Schultz, Barbera dagegen, daß sie neurogener Natur seien. Die Frage soll hier nicht weiter disku- tiert, sondern auf den betreffenden Abschnitt dieses Werkes über glatte Muskulatur verwiesen werden. Die von Mosso und Pellacani (l. c.) an Frauen — wegen bequemer Katheterisierung — angestellten Versuche gewährten neben der Beobachtung psychischer Blasenreflexe auch die Möglichkeit, den Verlauf kommandierter Willkürakte zu verfolgen. Die Aufforderung, eine leichte Anstrengung zum Harnlassen zu machen, ergibt Jangdauernde Blasenkontraktion. Die hier- bei, wie beim Harnlassen, auftretenden konkomitierenden Änderungen der Atembewegungen können unterdrückt bzw. es kann die Atmung nach einem gezeigten Takte willkürlich ausgeführt werden. Es führt dies keine Ände- rung des Abdominaldruckes herbei, die Dauerkontraktion der Blase wird da- durch nicht im geringsten beeinflußt. Dies beweist nach Mosso und Pella- MR cani, daß die Bauchpresse bei dieser Druckerhöhung in der Blase keine Rolle f spielt, andererseits zeigt es aber, daß die dem Willensakt des „Harnlassen- wollens“ folgende Blasenkontraktion nur eine von diesem Akteingeleiteteist, daß wir aber nicht imstande sind — wie Rehfisch”) behauptet — direkt die glatte Muskulatur willkürlich zu kontrabieren. Daß die intendierte Blasen- kontraktion auch zur vollständigen Miktion führen, und daß dabei der Beginn I!) Journ. of Anat. and Physiol. 29, 254, 1894/95. — °) Ebenda 21, 316, 1886/87. — °) Journ. of Physiol. 16, 414, 1894. — *) Amer. Journ. of Physiol. 2 (1899). — °) Journ. of Physiol. 13, 680, 1891. — °) Amer. Journ. of Physiol. 4, 185 ff., 1901; siehe daselbst auch die Literatur über rhythmische Kontraktionen clatter Muskelfasern. — 7) Arch. f. pathol. Anat. 150, 111ff., 1897; ebenda 161, 529 ff., 1900. Blasentonus. — Harndrane. 305 der Harnentleerung in jeder Phase der Respiration eintreten kann, haben Mosso und Pellacani (l. c.) ebenfalls festgestellt; wird aber bei solchen Versuchen eine Anstrengung gemacht, die Harnentleerung zu unterbrechen (Kontraktion des willkürlichen quergestreiften Compressor urethrae), so erfolgt sofort eine tiefe Inspiration, und die Atmung wird etwas beschleunigt (vgl. l. c. S. 309 und Kurve 16, Taf. VI bei DD’). Es war oben gezeigt worden, wie alle Einflüsse auf unser Sensorium reflektorisch den Tonus der Harnblase mehr oder weniger erhöhen. Es ist klar, daß diese Kontraktionen auch ein mehr oder weniger deutliches Gefühl von Harndrang hervorrufen werden; umgekehrt läßt aber dieses Begleitgefühl auch ohne besondere Hilfsmittel in auffallender Weise die nervösen Einflüsse auf den Blasentonus hervor- treten. Dem entspricht der reiche Anteil, der den sensiblen Nerven — sowohl den sensiblen Epithelialfasern als den sensiblen intermuskulären Netzen — an der morphologisch nachweisbaren Nervenversorgung der Blase zufällt (siehe unten). Entsprechend dem oben Erwähnten lehrt die tägliche Erfahrung, daß Harndrang — das anfangs wenig bestimmte, dann immer deutlicher werdende dumpfe Gefühl hinter der Symphyse — bei recht verschiedener Blasenfüllung eintreten kann, und daß bei Behinderung der Entleerung dies Gefühl für kürzere oder längere Zeit wieder verschwinden, der Blasentonus also reflek- torisch herabgesetzt, die Blase einer stärkeren Füllung adaptiert werden kann (siehe unten: Hemmung). Bei jeder Wiederkehr ist das Harndranggefühl gesteigert, schließlich bis zu wehenartigen Schmerzen, und nur unter Zuhilfe- nahme der willkürlichen Harnröhrenschnürer läßt sich die Miktion noch eine Zeitlang unterdrücken — wobei kurzdauernde Tonusremissionen immer noch eintreten können —, bis schließlich der Wille erlahmt. Daß auch diese Grenze bei sehr verschiedener Füllung eintreten kann, lehrt ebenfalls die täg- liche Erfahrung; die ursächlichen Momente, Temperatur, Ermüdung, Rausch- zustände usw., können hier nicht aufgezählt werden, Genouville (l. c.) fand bei sehr heftigem Harndrange Drucke von über 1!/, m Wasser (etwa 1/, Atm.); dabei wechselten die Druckhöhen in sehr kurzen Intervallen (10 bis 15”), ein Zeichen, daß sich etliche Kontraktionen rasch folgten, bis dann wieder für einige Zeit der Tonus nachließ. Daß der Blasentonus im Schlafe stark ab- sinkt, ist von alters her bekannt, ebenso, daß nach dem Erwachen die Steige- rung des Tonus sich sehr rasch vollzieht, der Harndrang in kurzer Zeit heftig wird. Mosso und Pellacani (l. c.) haben eine Hündin in tiefen Chloral- hydratschlaf versenkt und den Blasendruck registriert. Mit zunehmender Tiefe des Schlafes sank auch der Blasentonus ab, allerdings unter merklichen Schwankungen, obwohl alle äußeren Reize ferngehalten wurden und die Atmung ganz regelmäßig war. Mosso und Pellacani betrachten sie daher auch als zu den oben erwähnten rhythmischen, autochthonen Blasenkontrak- tionen gehörig. Trat, wie gewöhnlich im weiteren Verlaufe des tiefen Schlafes, Gruppenatmen auf, so zeigte die Blase während der Pausen starke Kontrak- tionen asphyktischer Natur. Daß die Blase auch nach Durchschneidung aller Nerven bei Erstickung, Ver- blutung, Kompression der Bauchaorta an curaresierten Tieren in starke Kontrak- tionen gerät, ist leicht zu beobachten (vgl. auch Sokownin und Nawrocki u. Skabitschewsky (I. c.). Sehr bald nachdem mit beendeter Pause die raschen Atemzüge ein- gesetzt hatten, begann auch der Blasentonus zu sinken. Als das Tier durch Bewegungen, durch tiefe Atemzüge usw. Zeichen der Verflachung des Schlafes, des bevorstehenden Erwachens gab, stieg der Blasentonus in die Höhe, doch wurde dies Steigen durch starke Remissionen unterbrochen. Ganz ent- sprechend der Wirkung tiefen narkotischen Schlafes ist auch die an irgend einem Punkte vorgenommene Rückenmarksdurchschneidung von starker Tonus- verminderung gefolgt. In besonderen Versuchsreihen beobachteten Mosso und Pellacanı die Wirkung von Blutdruckschwankungen, ohne aber Tonusänderungen, die eindeutig als Folge geänderten Blutdrucks zu bezeichnen wären, feststellen zu können. Dagegen konstatierten sie, daß alle Einflüsse, welche Gefäßkontraktion bewirken, konkomitierende, stets gleichzeitig oder etwas früher einsetzende Blasenkontraktionen bewirken. Zu gleichen Resultaten gelangte Hane!), welcher fand, daß die bei seinen Versuchen in Frage kommenden blutdruck- steigernden Reflexe — Ischiadicusreizungen — gleichzeitig, nicht erst sekundär steigernd auf den Blasentonus wirken. Mosso und Pellacani bezeichnen daher die Blase sogar als „ein noch empfindlicheres Ästhesiometer, als es der Blutdruck ist“, indem schwache Reize, die auf letzteren wirkungslos sind, noch erhebliche Blasenkontraktionen hervorbringen. Im Zusammenhange damit steht wohl, daß bei den oben erwähnten Versuchen im tiefsten Chloral- schlafe starke taktile Reize weder Bewegungen noch sonstige Reaktionen hervorbrachten, mit Ausnahme starker Blasenzusammenziehung. Ganz ent- sprechend fanden Mosso und Pellacanı bei ihren Versuchen an Menschen, daß im tiefen Schlafe schon ein mäßiger Kältereiz, durch Abheben der Decke bewirkt, den Blasentonus beträchtlich steigerte. Daß direkte Einwirkung von Kälte auf die Blase starke Tonuserhöhung hervorbringt, ist zumal durch die Erfahrungen, die man seit Einführung der Kystoskopie mit Blasenein- läufen machte, allgemein bekannt. Mosso und Pellacani stellten Experi- mente an Hunden an: wurde z. B. Wasser von 37°C in die Blase eingeführt, so erzeugten 620 ccm einen Wasserdruck von 160 mm; dagegen mit Wasser von 16 bis 18°C stieg der Druck schon bei 480 ccm auf 180 mm. Bei den früher erwähnten Untersuchungen über den Einfluß der Temperatur auf glatte Muskeln fand Stewart (l. e., vgl. dort auch die Literatur), daß eine in der feuchten Kammer aufgehängte Katzenblase sich mit sinkender Temperatur verkürzt. Bei 10°C ist die Verkürzung vollständige; wird jetzt die Temperatur erhöht, so setzt rasch Erschlaffung ein, die dann langsam fortschreitet und bei etwa 40°C das Maximum erreicht. Macht es die geschilderte starke Abhängigkeit des Blasentonus von Re- flexen aller Art verständlich, daß, wie oben erwähnt, Harndrang bei sehr verschiedener Blasenfüllung eintritt, also die bei gleicher subjektiver Nötigung produzierten Miktionsquanta sehr verschieden sind, so ist es anderer- seitsinteressant zu beobachten, daß in den Fällen von Rückenmarkquerschnitts- erkrankungen oder von Zertrümmerung des Sacralmarkes, wo scheinbare Blasenlähmung besteht, d. h. kein Harnträufeln, sondern eine unbewußte Harnentleerung in mehr oder weniger großen Intervallen stattfindet, diese Entleerungen im jeweiligen Falle bei fast ganz gleichen Füllungsmengen 1) Arch. f. d. ges. Physiol. 73, 453 ff., 1898. der Blase eintreten, die nur des Nachts im Schlafe sich vergrößern, ent- sprechend den oben erwähnten Erfahrungen (verringerter Tonus). Die Ent- leerungen geschehen immer mit mehreren Unterbrechungen und sind nicht vollständig, aber der durch Katheter gewonnene Residualharn war auch stets von annähernd gleichem Volumen. Die Blase arbeitet hier selbständig, los- gelöst vom Willen bzw. von Reflexen, wie L. R. Müller!), der diese Zustände genauer untersuchte, ganz treffend bemerkt. 2. Mechanismus der Blasenentleerung. Die nähere Darlegung des Mechanismus der Harnentleerung sowohl als der Harnhaltung hat auszugehen von den anatomischen Verhältnissen. Alle Autoren stimmen darin überein, daß drei Schichten der Blasenmuskulatur bei Mensch und Säugetier unterschieden werden können: eine äußere, im großen Ganzen meridional verlaufende, die aber keine kontinuierliche ist, sondern nur durch mehr oder weniger große Zwischenräume getrennte Längsbündel aufweist; eine mittlere zirkuläre, welche, dicht zusammen- hängend, eine wirkliche Haut Fiec. 106. bildet; sie ist bei weitem die mächtigste und ganz be- sonders stark an der hinteren (dorsalen) Blasenwand ent- wickelt. Schließlich eine innere dünne Schicht; aus weiten, etwas in die Länge ge- zogenen Maschen bestehend, von der faltiren Schleimhaut überzogen, mit Zwischen- lagerung der gefäßhaltigen Tela submucosa.. Nur am Trigonum ist die innerste Blasenfläche glatt, die Mus- kulatur in dicken, gegen das Orifie. int. urethrae konver- gierenden Längsbündeln an- geordnet, die, von den Ureter- nd berk d e Anastomosierende Muskelbündel aus der Harnblase der Katze. munc ungen erkommen ‚mıt Zeichnung kombiniert aus einer Schnittreihe. (In der Gabelung diesen verbunden sind und des großen Bündels intermuskuläre Ganglienzellen mit mark- = 2 e r losem Nerv.) bis in die Harnröhre hinein- ziehen (Harnröhrenteil der Blase von Kalischer ?). Dabei ist zu betonen, worauf auch Griffith nachdrücklich hinweist, daß keine der drei Muskel- lacen von der anderen wirklich getrennt ist; denn ebenso wie die Muskel- oO oO bündel innerhalb der Schichten miteinander anastomosieren, so senden sie auch überall Zweige in die darüber- und darunterliegenden Lagen (s. Fig. 106). Seit Spigelius wird die äußere Schicht — von manchen Autoren auch in Verbindung mit der inneren Längsschicht — als Detrusor, die mittlere !) Zeitschr. f. Nervenheilkunde 21, 86 ff., 1902. — °) Die Urogenitalmuskulatur des Dammes mit besonderer Berücksichtisung des Blasenverschlusses. Berlin 1900. Nagel, Physiologie des Menschen. II, 20 306 Anatomie der Blasenwand. Schicht dort, wo sie am Ausgange der Blase (Annulus urethralis) ihre dich- teste Anordnung hat, als Sphincter vesicae angesehen. Als Detrusor ist aber meines Frachtens die Gesamtmuskulatur des Blasenkörpers zu be- zeichnen, wobei der Hauptanteil natürlich der Fig. 107. 5 Y Hintere Blasen- wand Hintere Längs- musk. d. Blase Blase Vordere Längs- —- \ musk. d. Blase Transv. Musk. d. Blase Muse. sphincter- trigonalis Muse. pubo- vesical. Symphyse Prostata Muse. sphincter-urogenitalis Sagittalschnitt durch Blase und Harnröhre (median), Mann (nach Kalischer). Fig. 108. Hint. Blasen- wand Hint. Längsm. d. Bl. Transvers. M. d. Bl. Vordere Längsm. d. Bl. M. sph.-trig. c NIE \s JE DER _ DB ; BR R Os pubis ——I N, FON Prostata Glatte Ringm. M. sph. urogenit. d. Harnr. Fie. 109. Transvers. M. d. Bl. Vord. Längsm. d. Bl. Transvers. M. d.uBl Hint. Längsm. d. Bl. M. sph.-trig. — — — Hint. Längsm. n = d. Bl. Os pubis urethro-vag.) Sagittalschnitt, lateral (Weib) (nach Kalische Tr). ——— —— Hint. Längsm. d. Bl. (zum Sept. stärksten, also der zirkulären, mittleren Schicht zu- fällt. Wäre nur eine solche Ringschicht vor- handen, so würde, ent- sprechend dem Wider- stande gegen die Ent- leerung, ein Teil der Kontraktionskraft ver- wendet werden, die blase zu oder weniger langen wurst- förmigen Gebilde dehnen, und die Ver- minderung des Lumens demgemäß gering aus- fallen. Die Längsfasern, deren Fixpunkt am Bla- senausgang an Knochen, Prostata, Beckenfascie usw. sich befindet, verhindern durch ihre Kontraktion diese Längsdehnung und be- wirken so, daß der Druck der mächtigen Zirkular- schicht vollständig der Verkleinerung der Höhle zugute komme. Die beistehenden Schemata (Figg. 107 bis 109) von Kalischer (l.c. 5.156 u. 157, Fig. 34, 35, 36), ent- worfen vom Autor nach den Befunden seiner aus- führlichen Schnittserien durch Becken von Kin- dern und Erwachsenen, stellen die Hauptzüge der Blasenmuskulatur dar und zeigen in sehr einem mehr zu übersichtlicher Weise die Fixation der Längsbündel am Schambein als starke M. M. pubo-vesicales, wobei die hinteren (dorsalen) Bündel beim Manne zum Teil in die Prostata und zur Harnröhre gehen, anderenteils in einigen schwächeren Zügen die Harnröhre umfassend, den vorderen, viel mächtigeren Anatomie der Blasenwand. 307 sich anschließen. Beim Weibe verlaufen die vorderen ganz gleich wie beim Manne, ebenso von den hinteren die Umfassungsbündel zur Symphyse, dagegen ziehen die übrigen Bündel zum Septum urethro-vaginale, um hier im straffen Bindegewebe ihren Fix- punkt zu erhalten. Es ist hier nicht der Ort, auf die Einzelheiten des Verlaufes der Muskelbündel auf der Blase selbst einzugehen, zumal dieser individuell außerordentlichen Schwankungen unterworfen ist, was auch Versari!) hervorhebt; eine Schilderung der Hauptzüge kann ge- nügen. Es ziehen an der Vorder- (Ventral)-Fläche der Blase ziemlich viele Längsbündel in mäßigen Ab- ständen gerade aufwärts; zwischen ihnen sieht man die Zirkulärschicht. Einzelne dieser Längsbündel wenden sich, einander überkreuzend, nach rechts und links; viele treten ın Verbindung mit den tiefen Lagen. Am Scheitel bilden sie Schleifen und treten mit den hinteren und den seit- lichen Bündeln in Verbindung. Die lateralen Längsbündel sind wenig zahlreich, es zieht hier jederseits vornehmlich ein einzelner dicker Strang zum Vertex empor. An der Hinterfläche läuft ein breiter Zug aufwärts; vom mittleren Drittel der Höhe an gibt er einzelne Quer- bündel zu den Zirkularfasern, andere gehen zu den Lateralbündeln; noch andere zum Geflecht mit den vor- deren am Scheitel: Schließlich gehen aber von allen Längsbündeln, wenn auch in stärkstem Maße von den vorderen, Züge ins Innere der Blase, um sich dort als innere Längs- bündel in geradem oder schrägem Verlaufe und in vielfacher Ana- stomosierung zum Blasenscheitel zu begeben. Diese Beschreibung gilt für die menschliche Blase sowohl, als Fig. 110. Harnblase der Katze, in maximaler Kontraktion fixiert: ventrale Seite. Vergr. 1:26. Fig. 111. Harnblase der Katze, in maximaler Kontraktion fixiert: dorsale Seite. Vergr. 1:26, ') Siehe auch Versari, Annales des maladies "des organes genito-urinaires, Tom. XV, p. 10, 1897 u. Ric. £. nel Lab. di An. norm. di R. Univ. di Roma 6, 59, 1897. 20* 308 Anatomie der Blasenwand. auch für Tierblasen. Letztere bieten aber den Vorteil, daß man sie im Zu- - stande der Kontraktion fixieren kann, wobei die Muskelzüge viel schärfer hervortreten. Wie umstehende Photogramme (s. Figg. 110 u.111a.v.S.) einer maximal kontrahierten Katzenblase zeigen, sind die Längsbündel an der vorderen (ventralen) Blasenfläche zu ziemlich dieht nebeneinander liegenden Streifen angeordnet; an der dorsalen und an den lateralen Flächen sind nur einzelne mächtige Züge vorhanden, am Vertex zu einer Kappe ausstrahlend und im ganzen Verlaufe innig verknüpft mit der Zirkulärlage durch starke Seiten- zweige. Der Vorteil, den solche maximal kontrahierte Muskelschichten für die Erkennung ihres Zusammenwirkens bieten, springt in die Augen. Die äußeren Längsbündel — im Verein mit denen der inneren Schicht — bilden gleichsam eine Klammer, welche die eigentliche austreibende, weil mächtigste, Zirkulärschicht in diesem Bestreben unterstützt. Ähnliche An- schauungen, wie die hier entwickelten, sind ja auch für das Herz namentlich von Krehl!) vertreten worden. Dabei ist zu beachten, daß, wie oben erwähnt, ein Teil der Längsbündel am Blasenausgange von der Blase weg zu be- nachbarten festen Gebilden (Knochen, Prostata, Scheidenseptum) strebt. Damit ist ein stärkerer, radiärer Druck auf die innere Harnröhrenmündung ver- mieden und wenigstens etwas entfernt Ähnliches erreicht, was Kohlrausch) (S. 14) dem Detrusor im alten Sinne als einem Dilatator des Sphinkters vin- dizierte. Diese von vielen Autoren angenommene Ansicht Kohlrauschs, in neuester Zeit von Versari wieder aufgegriffen, daß die Detrusorfasern in ihrer Hauptmenge in den Sphincter vesicae einstrahlend, sich dort zwischen dessen Bündeln inserieren und bei ihrer Kontraktion ersteren auseinander- zögen, also damit rein mechanisch den Blasenausgang eröffneten, muß ver- lassen werden, da nach Kalischer (l.c. 5.148 u.a.a.0.) und Zuckerkandl°) gegen Versari (l.c.) die Längsbündel in der Hauptsache neben der Faser- masse des Sphincter trigonalis und auch neben der starken Ringschicht der eigentlichen Blasenmuskulatur am Annulus wrethralis vorbeiziehen; nur ein geringer Bruchteil verliert sich in ihm oder zieht durch ihn hindurch. Der wohl charakterisierte Sphincter vesicae gehört nach Kalischer (l. ce. S.154 und 159) dem Trigonum und damit der Pars urethralis vesicae bzw. der Harnröhre selbst an. Seine Bündel sind, wie die des Trigonum, viel dichter als die der übrigen Blasenwand und nur durch ganz dünne Bindegewebsschichten getrennt. Er zieht schräg von dorsal oben nach ventral unten. Hinten umzieht er den Blasenausgang, indem das Trigonum seine Unterlage bildet; der vordere Bogen liegt unterhalb der verdiekten Ringmuskulatur der Blase in der Harnröhre, an die glatte Muskulatur der letzteren ununterbrochen anschließend und hinter der Symphyse noch zum Teil vom quergestreiften, willkürlichen M. sphincter wrogenitalis überdeckt. (Vgl., zumal beim Weibe, Kalischer, 5.106 u. Taf.XX und obige Schemata.) Versari (l.c.) hebt an den Sphinkterbündeln die gleichen Unterschiede gegen- über der anderen Blasenmuskulatur hervor wie Kalischer; er konstatiert den Sphinkter auch beim Kaninchen, sowie beim Affen (Macacus) und betont !) Abhandl. d. Sächs. Ges. d. Wiss., math. naturw.-Kl. 17, 5, 1891. — °) Zur Anat. u. Physiol. der Beekenoreane, Leipzig 1854. — °) Eulenburgs Realenzyklop. u. Handb. d. Urol. von Frisch u. Zuckerkandl, I. Teil, Wien 1903. Sphincter vesicae. — Innervation der Blase. 309 gegen Griffith (l.c.), daß er auch bei Katze und Hund gut ausgebildet sei!); Fagge?) dagegen findet keinen „special ring“ bei der Katze, wohl aber die glatte Zirkulärfaserschicht in starker Ausbildung bis weithin auf die Urethra fortgesetzt. Kalischer selbst (l. c. S. 167 u. Taf. XXXI u. XXXI) hat am Hunde die Verhältnisse des Sphincter trigonalis als ganz ähnlich wie die beim Menschen ermittelt, vornehmlich hebt er auch hier den besonderen Charakter der betreffenden Muskelbündel hervor, d. h. die oben erwähnten Unterscheidungsmerkmale, die sie vor der übrigen Blasenmuskulatur aus- zeichnen. Daß der glatte M. sphincter trigonalis es ist, der vornehmlich dem Harn den Austritt aus der Blase wehrt, und nicht, wie manche Autoren an- geben, die Muskulatur der Harnröhre, beweist die Tatsache, daß beim Menschen wie beim Tiere die Harnröhre bei Operationen bis zum Blasenausgange ge- spalten werden kann, ohne daß Harn ausfließt. Der quergestreifte Harn- röhrensphinkter — von Kalischer (l.c.) als Sphincter wrogenitalis bezeichnet, da er beim Weibe im oberen Teile auch Urethra und Vagina umgibt — läuft als größtenteils ununterbrochene Ringplatte beim Manne bis gegen den Bulbus urethrae, beim Weibe bis zum vordersten Drittel der Harnröhre, von wo ab der M. bulbo-cavernosus seine Funktion übernimmt. Physiologisch betrachtet ist er in seinem ganzen oberen Verlaufe ein Compressor urethrae, funktionell einem geschlossenen Ringe gleichwertig, wenn er auch beim Manne in der Pars prostatica nur vorn als muskulärer Bogen (Spange) die in die Prostata eingelagerte Harnröhre überspannt, bzw. wenn er in seinem unteren Verlaufe hinten nur durch die feste Bindegewebsmasse des Üentrum perineale (Waldeyer?) zum Vollring wird. Daß er nicht nur dem Geschlechtsakte dient, wie sein unterer Teil, — Üompressor glandulae Cowperi (Holl®), Accelerator seminis von John Hunter, Luschka u. a. — das beweist sein Hinaufreichen bis zur Blase und seine starke Ausbildung beim Weibe. Er ermöglicht die plötzliche willkürliche Unterbrechung des Harnstrahles; im äußersten Harndrang dient er als ein accessorischer, außerordentlich kräftiger, aber, im Gegensatz zu der ausdauernden glatten Muskulatur, bald ermüdender Blasenmundschließer dem eigentlichen Sphincter vesicae, dem Sphincter trigonalis zur Unterstützung. Er preßt mit dem M. bulbo-cavernosus zusammen auch die letzten Harntropfen aus. Daß die plötzliche, willkürliche Unterbrechung des Harnstrahles durch ihn geschähe, will Rehfisch (I. ce.) bestreiten, da auch bei einem bis in die Nähe der Blase hinauf liegenden Katheter die so- fortige Unterbrechung bewirkt werden könne; er meint, dies sei nur erklär- lich, wenn die Physiologie die Anschauung aufgebe, daß eine echte, direkte und sofortige Willkürkontraktion der glatten Muskulatur nicht in unserer Macht stände. Rehfisch übersieht dabei einmal, daß der quergestreifte Sphincter urogenitalis bis zur Blase und über den vorderen Bogen des glatten Sphincter trigonalis hinaufreicht (siehe Schema, Fig. 107), zum anderen ist gerade das von ihm gewählte Beispiel für eine willkürliche, plötzliche Kon- traktion — der Aeccommodationsmuskel des Auges beim Zielen — beim näheren Zusehen geeignet, die Beherrschung der glatten Muskulatur als eine ganz anders geartete als die der quergestreiften darzutun. ) l.e., ital. Publik., p. 74. — *) Journ. of Physiol. 28, 304 ff., 1902. — ®% Das Becken. Bonn 1899. — *) Muskeln und Fascien des Beckenausganges, Jena 1897; Bardelebens Handh. 7 (1). 310 Innervation der Blase. — Sphinktertonus. 3. Innervation der Blase. Daß der Sphincter trigonalis vesicae im Leben mehr oder weniger tonisch erregt ist, das beweisen die von Heidenhain und Öolberg erhobenen und seitdem von vielen Autoren bestätigten Befunde: nämlich, daß zur Sprengung des Blasenverschlusses in vivo ein höherer Druck nötig ist als an der Leiche. Nur haben Colberg und Heidenhain für den Fröffnungsdruck der toten Blasen, also für den physiologischen postmortalen Tonus des Sphinkters noch viel zu hohe Werte angegeben, da sie weder den tonussteigernden Reiz der Erstickung — worauf schon oben hingewiesen wurde — noch die Wirkung der Kälte- und der Totenstarre berücksichtigt haben. Lewandowsky und Schultz), welche bei ihren Untersuchungen über die Folgen der Durchschneidung der Blasen- nerven (siehe unten) den Eröffnungsdruck der Blase !/, Stunde nach dem Tode des Tieres bei einer Temperatur von 38° untersuchten, fanden viel ge- ringere Werte, und zwar bis zu 2mm Hg-Druck herab. Sie fanden dabei weiter, daß auch nach Durchschneidung aller vier Blasennerven, welche monatelang vorher vorgenommen wurde, „der Sphinkter nicht nur kontrak- tionsfähig, sondern auch dauernd tonisch kontrahiert ist“. Durch Auffüllen der Blase vom Ureter aus bestimmten sie den Eröffnungsdruck vor und nach dem Tode der operierten Tiere und fanden ihn wohl intra vitam ziemlich klein — entsprechend dem entnervten Zustande der Blase —, er sank aber nach dem Tode noch beträchtlich, z. B. von Smm auf 4mm Hg. Ob der Tonus des Sphinkters unabhängig ist von dem Tonus der übrigen Blasenmuskulatur bzw. ob hier ein Antagonismus besteht derart, daß Kontrak- tion der Blase mit Sphinktererschlaffung einhergeht, diese Frage wird von den _ meisten Untersuchern ebenfalls bejaht, und zwar als Folge des Spieles nervöser Apparate. a) Verlauf und Ursprung der Blasennerven. Der Beleuchtung dieser Frage ist eine kurze Skizze der Blaseninnervation vorauszuschicken; dieselbe muß sich vornehmlich an die Befunde bei Katze, Hund, Affe, Kaninchen anschließen, da am Tier das Experiment die funk- tionelle Dignität der einzelnen Nerven feststellen kann. Die Speisung der Beckeneingeweide mit Nerven geht vornehmlich vom Plexus hypogastrieus (syn.: Plerus pelvicus) aus, einem Geflechte von Nervenfasern ver- schiedener Provenienz mit eingestreuten Ganglien. Derselbe gehört dem autonomen Nervensystem (Langley) an und erhält Nerven für die Blase einmal vom Plerus sacralis, hauptsächlich von der 2. bis 3. Sacralwurzel, der sich auch solche von der 1. u. 4. zugesellen können (vgl. Eckhardt?), Budge®), Nawrocki und Skabi- tschewsky‘), Stewart’), Fagge‘), Langley und Anderson?), Sherrington?) (Affe), Griffith°) (Hund), Grünstein!?) (Frosch). Diese Fasern, im N. erigens (Eckhardt; syn.: Nervus pelvieus von Langley und Anderson!) laufend, ziehen ‘) Zentralbl. f. Physiol. 17 (1903), Nr. 16. — ?) Beitr. z. Anat. u. Physiol. 3, 128, 1863; 4, 69, 1867. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 6, 306, 1872. — *) Ebenda 48, 335 ff., 1891; 49, 141 ff., 1891. — °) Amer. Journ. of Physiol. 2, 182, 1899; 3, 1, 1899. — €) Journ. of Physiol. 28, 305 ff., 1902. — 7) Ebenda 19, 71, 1895; 20, 372, 1896. — ®) Ebenda 13, 678, 1892. — °) Journ. of. Anat. and Physiol. 29, 61, 1894 bis 1895. — \0) Arch. f. mikr. Anat. 55, 1, 1900.— ")Langley und Anderson (Journ. of. Physiol. 18, 71, 1895) rechtfertigen den Namen Plexrus pelvieus anstatt Plerus hypogastrieus damit, daß derselbe doch hauptsächlich von sacralen Wurzeln gespeist werde. Ebenso sei der Name Nervus pelvieus anstatt N. erigens vorzuziehen, da der Nerv ja neben dilatatorischen auch Kontraktionsfasern für Blase, Reectum usw. führe. Anatomie der Blasennerven (Ursprünge der Nerven). Dual meist in drei oder vier Ästen mit der Arterie und den Venen der Blase direkt zum Plexus, für den sie als direkte Rückenmarksnerven zu bezeichnen sind (vgl. die beistehende Darstellung von Langley und Anderson, sowie unten (Fig. 113, S.315) das Schema von Stewart, beide von der Katze genommen). Die meisten dieser Fasern ziehen durch ihn zur Blase hindurch (siehe später die Reizeffekte); doch ist die Frage noch offen, ob nicht einige als präganelionäre Fasern in den Ganglien des Plexus eine Zellschaltung erfahren. Zr inferior vena cava pulled aside AN / I) IV. L. ganglion Mi) N 1 / r | aorta V. L. ganglion l, spermatic. ganglion genito-erural nerve left spermatic artery ext. nl. cutaneous nerve nun infer. mesenteric. ganglia m IM IN VI. L. ganglion AH mama —— Spinal rami (N. N. mesenterici) art Non To UNI: -vas deferens (cut.) hypogastrie. nerves — crural nerve VII. L. ganglion I. S. ganglion en sacro-caudal muscs. yogastr. Bi. — Plexus obturator nerve Iwieus) seiatie nerve pelvie nerve _—_ilio-caudal muscle acetabulum ischio-caudal muscle pubo-caudal muscle cut and reflected. Ursprung und Verlauf der Blasennerven. (Nach Langley u. Anderson, Journ. of Physiol. 30 (1896), Plate XII.) Den Anteil sympathischer Fasern erhält der Plerus pelvieus (hypo- gastricus) vom Gangl. mesent. inf. durch die Nn. hypogastriei (syn.: doppelte Ana- stomose des @angl. mesent. inf. mit dem Plexus hypogastrieus). Das Gangl. mesent. inf. ist von verschiedener Form bei den verschiedenen Tieren, aber stets bilateral angelegt mit kommissuraler Verbindung; speziell bei der Katze besteht es meist aus vier Knoten (vgl. Nawrocki und Skabitschewsky, l. c.), je zwei bilateral symmetrisch gelegen und als oberes und unteres Paar durch Quer- und Längskommissuren verbunden. Nach v. Frankl-Hochwart und Fröhlich!) (8. 442) ist beim Hunde eine solche Zerlegung nicht möglich, man kann hier „nur von einem Ganglion schlechtweg reden“, das auf der Art. mesent. inf. reitet. Vier (Langley und Anderson’), Stewart (l. e.), seltener drei ') Arch. f. d. ges. Physiol. (Pflüger) 81, 420 ff., 1900. — ?) Journ. of Physiol. 20, 374, 1896, Fig. A, B, C. 3 Anatomie der Blasennerven (Variationen). oder fünf An. mesenterici (syn.: Rami spinales (Langley), Rami efferentes (v.Frankl- Hochwart und Fröhlich) speisen es vom 4. bis 5. oder auch 6. Lumbarganglion des Grenzstranges des Sympathicus (B Stewarts Schema); vom Plerus coeliacus bzw. vom Gangl. mesent. sup. zieht eine, meist doppelte Anastomose (= N. aorticus, Frankl-Hochwart und Fröhlich) zu ihm herab. Entlang der Art. mesent. inf. sendet das Ganglion beiderseits zahlreiche Nervenäste zum Colon, oberen Rectum und zum Ureter (colonie nerves von Langley und Anderson, schon von Sokownin beschrieben), während paarig die erwähnten, fast nur aus mark- losen Fasern!) bestehenden, ziemlich starken Nn. hypogastriei zum Plerus hypogastrieus ziehen, häufig begleitet von einem accessorischen N. hypogastricus [Langley und Anderson?)]. Die Nn. hypogastriei innervieren nicht nur die Blase, sondern auch Rectum, Uterus, Vagina, Scrotum usw. Beim Vorhandensein eines N. hypog. accessor. läßt sich leicht zeigen, daß dieser niemals Blasenfasern, sondern nur solche für die übrigen Beckenorgane enthält; Langley und Ander- son (l. ec.) haben dementsprechend nachgewiesen, daß dieser Zweig sich immer ohne große Mühe vom Stamme des N. hypogastricus isolieren läßt, daß also sein deutlich getrenntes Vorkommen nur eine Variation des Verlaufes ist. Die sympathischen Wurzeln des Gangl. mesent. inf. bzw. der Nn. mesenterici (Rami spinales) des Grenzstranges stammen bei der Katze von den Radd. antt. II, III, IV und V des Lumbarmarkes (Nawrocki und Skabitschewsky, Langley und Anderson, Stewart u. a.), beim Affen meist von den Radd. I, III, IV (Sherrington). Gemäß diesen Ursprüngen und dem Verlaufe der sympathischen Bahnen für die Blase ergibt nach Courtade und Guyon°), sowie nach Sherrington und Langley u. Anderson Reizung des durchschnittenen Grenzstranges über dem 3. oder unter dem 6. Grenzstrangganglion keinen Blaseneffekt, die sacralen Anteile erhalten also in der Regel keine sympathischen (Grenzstrang-)Fasern zu- gemischt. Indessen haben Langley und Anderson‘) auch einige Male Blasen- effekte vom 7. Lumbarganelion bzw. von darunterliegenden Grenzstrangpartien erhalten durch Fasern, die etwa bis zum 1. Sacralganglion herab vom Grenzstrang zum Plexus hypogastrieus herüberziehen. Andererseits hat v. Zeißl°’) durch Reizung der beiden Nn. splanchniee — ein Nerv allein gab keinen Effekt — deut- liche Blasenkontraktion mit Sphinkterüberwindung (siehe später) erhalten. Waren die Nn.erigentes und die Nn. hypogastriei durchschnitten, so war die Reizung erfolg- los. Der Erfolg bei alleiniger Durchschneidung der letzteren Nerven ist nicht ge- prüft worden, doch liegt es nahe, an Fasern zu denken, die in der Anastomose vom Plerus coel. zum Gangl. mesent. inf. (siehe oben) herabsteigen. Langley und Anderson erhielten in einem Falle, den sie als Ausnahme betrachten, schwache Blasenkontraktion auf Reizung dieser oberen Anastomose. Vor der Hand stehen diese Befunde ganz vereinzelt da. Vasomotorische Fasern für die Blase sind von Mosso und Pellacani in den geschilderten Bahnen bisher ohne Erfolge gesucht worden; Langley und Anderson fanden nur Andeutungen davon (siehe unten). Durch sorgfältige, mit allen Kautelen ausgeführte Wurzelreizungen sind von Nußbaum, Nawrocki u. Skabitschewsky, namentlich aber von Sherrington (l.c.) und Langley u. Anderson‘) die lumbalen (sympa- thischen) und sacralen Wurzelbezirke für die Blase, ebenso wie für Rectum, Anus, Uterus, Vagina, Penis festgestellt worden. Es haben sich dabei nicht un- bedeutende individuelle Schwankungen für jede der benutzten Tierarten ergeben, welche die Einteilung in drei bzw. zwei Klassen ermöglichten, gemäß den mehr eranialoder mehr caudal gelegenen Wurzelgebieten. Danach unter- scheidet man eine vordere (anterior), mittlere (median) und hintere (posterior) An- !) Ich fand in Serienschnitten des Nerven immer nur vereinzelte markhaltige Nervenfasern. Ebenso gering an solchen Fasern ist nach meinen mikroskopischen Befunden der Gehalt der „zentralen Anastomose“ des @angl. mesent. inf. — °) Journ. of Physiol. 19, 76, 1895 und ebenda 20, 386, 1896. — °) Arch. de physiol. (5) 8, 622 ff., 1896. — *) Journ. of Physiol. 19, 76, 1895 und Prot. II. — °) Wien. klin. Wochenschr. 9, 394/395, 1896. — °) Journ. of Physiol. 18, 82 ff., 1895; 19, 76 ff., 1895; 20, 372 #f., 1896. ee a Di a ee a Variationen der Blasennerven. ala ordnung — bzw. nur vordere und hintere —, um die Bezeichnungsweise von Langley u. Anderson zu gebrauchen. Sherrington (l. c. 8.636) spricht von prefixed und postfixed classes, doch ist hier die Einteilung mehr auf die Resultate der Wurzelreizung für die Muskeln der hinteren Extremität basiert. Die auf- geführten Unterschiede finden sich gleich häufig, Sherrington hebt noch besonders hervor, daß eine Normalklasse sich nicht aufstellen lasse. Bedeutendere Unter- schiede kommen vereinzelt auch beim Affen vor, aber als seltene sind sie nicht in die vorliegenden Abteilungen aufgenommen. Die folgende Tabelle gibt nach Langley u. Anderson (l.c. 19, 83), sowie nach Sherrington für die Blase die hauptsächlichsten Resultate. Die fett gedruckten Angaben bezeichnen das Maximum der Wirkung, das zu erzielen war: ® = keine Wirkung. SI?= eben merkliche Wirkung, Sl = schwache Wirkung, M = mittelstarke Wirkung, G = starke Wirkung. Nur bei G führt die Kontraktion zur Harnaustreibung. — Es kommt in dieser Tabelle auch die noch zu erörternde vergleichsweise viel schwächere Wirkung der Lumbar(sympath.)-Anteile gegenüber der sacralen Innervation zur Geltung; letztere enthalten allein das Zeichen G. Diese Befunde machen es auch verständlich, warum einzelne Autoren in ihren Angaben über die Effekte der Wurzelreizung differieren. Langley u. Anderson (l.e. S. 80) bemerken im besonderen, es sei darum zu schließen, daß Nußbaum (l. ce.) an Katzen vom anterioren, Nawrocki u. Skabitschewsky (l. ce.) mit solchen vom posterioren Typus experimentierten. Wieweit diese Angaben fruchtbar werden können für die Beurteilung mensch- licher Krankheitsfälle, das zu untersuchen ist eine vielleicht Iohnende Aufgabe der Pathologie. Lumbarnerven. ——— _ m — — umbar- | Hund | Katze Kaninchen | Ba meer er u wurzel ı Anter. | Post. | Anter. | Med. Post. | Anter. Post. | zZ rZ) | SrE. SS FTEaEEN & IT. 1 a a NE 151: 0) ® sı o IH. M M | M Sı Sl M sl IV, je) MS M M M M V. o | a er >; SI-M M M | M v1. fe) | Le 9 ee | ER ) | Sacralnerven. Lumbar- | Katze | Hund | Kaninchen wurzel || Anter. | Post. | Anter. | Post. Anter. |, Bost. = — — — | = - —— —— T — — ö — ——— u U ae OO: o | | | Sacralwurzel | I SI-M {6} SI-M 90 {6} II 6 G | F G SI-M oO 100% G G | G 6 | 6 G IV. je) je) | je) SI-M | M-G 6 V I er | ei | Il | I! Der Einfachheit halber sind alle Wurzeln von der I. Sacralwurzel ab fort- laufend gezählt: Die IV. ist die I. Coceyg.-Wurzel bei Hund und Katze; die V. die I. Coceyg.-Wurzel beim Kaninchen. 314 Anatomie der Blasennerven (Ganglienschaltung). Nach Sherrington (l. ce. 8.642 u. 653) für Macacus rhesus. Lumbar- | Prefixed Postfixed Sacrar} Prefixed | Postfixed wurzel | | wurzel | | | 4) ie) I. | Harn gelassen | Harn gelassen | Blasenbewegung | Blasenbewegung | 5 | & na) ; | R | : | 2 IV. | n | ” | | ve o | je) | a 0 9 | NE || je) au) | | Da, wie erwähnt, die Einteilung von SherringtonsKlassen nicht speziell nach Blasenbewegungen getroffen, der Grad der letzteren auch nicht besonders bemerkt wurde, so kommt hierbei der Klassenunterschied nicht zutage. Dafür tritt aber die Stärkedifferenz zwischen lumbaler (sympath.) und sacraler Innervation stark hervor; bei der ersteren nur Blasenbewegung, bei der letzteren Harnaustreibung. Wie aus obigem hervorgeht, wird also der Plexus hypogastricus durch lumbale (Grenzstrangweg) und durch sacrale Fasern gespeist. Die von ihm entspringenden Bilasennerven erläutert beistehende Zeichnungnach Stewart (l. e. a, S. 183), welche einen speziellen Fall der rechtsseitigen Innervation einer Katzenblase — etwas schematisiert — darstellt. Man sieht vier Stämmchen (drei beim Hunde: Griffith) vom Plexus hypogastricus zur Blase laufen, die dort den mit Ganglien durchsetzten Plexus vesicalis (J) bilden. Die Ganglien liegen, wie leicht zu konstatieren, vornehmlich an den Ureter- mündungen, an den lateralen Blasenteilen und am Blasenausgange; gar keine am Vertex vesicae (Grünstein, siehe unten). Diese Stämmchen, welche Terminaläste (H von Stewarts Schema) der Blasennerven darstellen, sind von Griffith als obere, mittlere und untere N. N. vesicales unterschieden worden. Vermittelst der Langleyschen Nikotinmethode haben Langley u. Anderson festgestellt, daß die sympathischen Wurzeln (N. N. mesenteriei) im Gangl. mes. inf. Station machen, die N. N. hypogastrici also post- ganglionäre Fasern repräsentieren. Stewart (l. c. S. 192) in Überein- stimmung mit Nawrocki u. Skabitschewsky (l. c.) beobachtete stets, dab gleich nach dem Tode des Tieres die Reizung der sympathischen Wurzeln, bzw. der N. N. mesenterici erfolglos wurde, während die N. N. hypogastrieci noch bis zu 50’ p. m. Blaseneffekte gaben. Es ist dies gemäß den Beobach- tungen Langendorffs!) eine weitere Stütze für die celluläre Station im Gangl. mes. inf. In den Plexus hypogastricus und vesicalis dagegen sollten nach Langley u. Anderson die N. N. hypogastriei keine weiteren Zell- schaltungen erfahren (siehe dagegen unten Stewart). Will man beim Menschen die homologen Stücke zu den eben geschil- derten und (siehe unten) funktionell durch das Experiment charakteri- sierten Anteilen der Blaseninnervation bezeichnen, so trifft man auf die Schwierigkeit, gute Abgrenzungen der sympathischen Geflechte und Ganglien- plexus untereinander und vornehmlich auch eine sichere Trennung von Bindegewebselementen zu erhalten, eine Schwierigkeit, die zumal früher zu !) Phys. Zentralbl. 5, 129, 1891. > Anatomie der Blasennerven (Ganglienschaltung, Mikroskopische Anatomie). 315 der Aufstellung einer überreichlichen Anzahl von Ganglien und Geflechten geführt hat (vgl. auch Henle!), S. 643). Waldeyer?) hat in neuester Zeit eine an die Ergebnisse der Tieranatomie und -Physiologie anschließende Dar- stellung gegeben, die in Verbindung mit den älteren Standartwerken von Henle (l.e.), Rüdinger?°) (a und b), Hirschfeld-Leveill&®), Schwalbe), die Verhältnisse im großen und ganzen zu übersehen gestattet. Danach entspricht der sympathischen Blasenbahn (siehe oben N. N. mesenterici, Gangl. mesent. inf. mit oberer Anastomose, N. N. hypogastriei zum Plexus hypogastricus) einmal die Reihe der Geflechte des Plexus aorticus abdom., Ganglion mesent. inf. und Plexus interiliacus, welche Zweige vom Bauch- sympathicus (N. N. mesenterici) erhalten. Rüdinger erwähnt, daß diese , Fig. 113. Nach Stewart: Rechtsseitige Nervenversorgung der Blase der Katze (einz. häufiger Fall). A Grenzstrang (Lumb. Th.).. B NN. mesenterici. C Ggl. mes. inf. D N. hypogastr. E-N. hypog. accessor. F' N. pelvicus (erigens). @ Plex. hypogastr. H NN. vesicales (Terminaläste). .J Plex. vesic. K Urethra. zum Teil von Lumbarganglien stammen, zum Teil direkte weiße Rami communicantes (wie beim Splanchnicus) der Lumbarwurzeln seien (l. e. b, Fig. 2; auch bei Henle, l. c., S. 631, Fig. 321). An sie schließen sich die paarigen Plexus hypogastr. supp. (syn.: Plex. hypogastr. Henle; Plex. haemorrh. medius Spalteholz ®), Fig. 834; N. N. hypogastrici Cunningham ’) an, welche als Geflechtsstränge zum Plexus hypogastriceus inf. (syn.: Plexus hypogastr. Cunningham (l. c.), Plexus haemorrh. Henle) herabziehen. Hier bei diesen Strängen stößt man vornehmlich auf die oben geschilderten Unter- schiede der Abgrenzung. Während die englischen Autoren, ebenso Schwalbe (l. e.S. 1010 vom Kinde), Henle (l. c. S. 644, Fig. 327 nach Tiedemann) schmale Stränge, den N. N. hypogastr. der Tiere ähnlich, darstellen, gibt Spalteholz (l. c. Fig. 834) breite, Ganglienmassen gleichende Gebilde. ') Handb. d. system. Anat. d. Menschen 3 (2), 630 ff., Braunschweig 1879. — ‘) Waldeyer u. Joessel, Lehrb. d. topogr. chirurg. Anat. 2, 588. Bonn 1899. — 2) a) Die Anat. der menschl. Rückenmarksnerven. Stuttgart 1870. b) Über die Rückenmarksnerven der Baucheingeweide. München 1866. — *) Traite et Icono- graphie du systeme nerveux. Paris 1866. — °) Handb. d. Anat., herausg. von Hoffmann 2,2, Neurologie. Erlangen 1881. — °) Handatlas d. Anat. d. Menschen 3. Leipzig 1903. — 7) Textbook of Anatomy. Edinburgh u. London 1902. 316 Mikroskopische Anatomie der Blasennerven. — Experimentelle Methodik. (Ich möchte hier darauf hinweisen, daß die etwas lateral, bzw. divergierend von den Pl. hypogastrieis, zum Rectum herabziehenden Plexus haemorrhoid. (Rüdinger l.c. a, Taf. XV. u. Spalteholz l. e., der sie N. N. haemorrhoid. supp. nennt), entsprechend den Ergebnissen der Tierversuche, wohl den N. N. hypogastrieis accessoriis der Katze, des Kaninchens (vgl. oben Stewart, sowie Langley u. Anderson) gleichzusetzen sind.) In den Plex. hypogastricus (weitere syn.: primärer Beckenplexus, Plexus pelvicus (Snow Beck), Plexus haemorrhoid. med.) treten nun außer den oberen sympathischen Bahnen die Rami viscerales der Sacralnerven (Cunningham) (Spalteholz: Rami visc. des Plexus pudendus) ein, von den Radd. sacrales (2) 3 u. 4 (5) stammend. Vom Plex. hypogastricus zweigt sich sekundär der dicht daran liegende Plexus vesicalis (Waldeyer u. a.) ab, von dem die N. N. vesicales supp. et inff. entspringen. b) Mikroskopische Anatomie. Die Ganglienzellen des Plexus vesicalis, bzw. der Blasenwandung, sowie die Nervenendigungen bei Frosch, Ratte, Maus, Katze, Hund sind von Grün- stein (l. c.) näher untersucht worden; ebenso beim Kaninchen von Retzius. Es fanden sich die Zellen von einem starken, pericellulären Geflecht (zu- leitender Apparat) umsponnen, das oft von mehreren, marklosen Fasern her- stammte (vgl. auch F. B. Hofmann, Herznervenzellen des Frosches !), ebenso wie nachgewiesen werden konnte, daß eine Faser Äste für die Geflechte mehrerer Zellen lieferte. Die Provenienz der zuleitenden Fasern war nicht festzustellen, die Bedeutung der Zellen nach Grünstein noch dunkel. Doch könnte die Endaufsplitterung sehr wohl von Fasern der Zellen des Plexus hypogastricus stammen. Bezüglich ihrer Achsenzylinder vermutet Grün- stein nach Analogie der Befunde von Arnstein u. Lawdowsky?) am Herzen, von Ploschko?°) am Larynx und an der Trachea, daß sie die End- apparate in den glatten Blasenmuskeln liefern. Die dieken, mark- haltigen Fasern des Blasennetzes erklärt Grünstein für nicht sympathischen, sondern cerebrospinalen Ursprungs und sensibler Natur; ihre Endigungen sind weitverzweigte Bäumchen mit Terminalknöpfchen. Für Grünsteins Ansicht spricht, daß die unzweifelhaft sensiblen Fasern, welche von den Pacinischen Körperchen im Mesenterium der Katze kommen, allerdings, wie leicht zu konstatieren, von sehr starkem Kaliber sind; andererseits ist durch Langley u. Anderson ) festgestellt, daß die dicken, markhaltigen Fasern im Sympathicus nicht die einzigen sensorischen sind, sondern auch solche von schwächerem Kaliber vorkommen. (Über afferente (sensorische) Blasen- nerven siehe unten.) Bei Säugern fand Grünstein nur intermuskuläre sensible End- apparate, ähnlich den von Agababow’°) im Ciliarkörper und Ploschko (l. e.) in der Trachea gefundenen; Retzius jedoch fand auch bei Kaninchen interepitheliale Endigungen, die bis fast an die Oberfläche und dann wieder in die Tiefe steigen, Nervenbögen bildend, welche nach seiner Meinung wegen !) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1902. — *) Arch. f. mikr. Anat. 29, 609, 1886. — ®) Diss. Kasa 1896, russ., zit. bei Grünstein, siehe auch Anat. Anz. 13, Nr. 12, 1897. — *) Journ. of Physiol. 17, 180 u. 184. — °) Diss., russ., Kasan 1893, zitiert nach Grünstein. | Experimentelle Methodik. — Effekte der Nervenreizung auf die Blase. 317 der umfangreichen Blasendehnungen und Kontraktionen nötig seien. Die Auffindung sowohl intermuskulärer wie interepithelialer sensibler Endapparate rechtfertigt wohl die Unterscheidung, welche Guyon (zit. bei Genouville, l. e.) zwischen „Schleimhautsensibilität“ und „Muskelsensibilität“ der Blase macht. Intramurale vesiculäre Reflexbögen, wie sie Dogiel!) in sympathischen Ganglien der Darmwand beschrieben, konnte Grünstein histologisch nicht feststellen. Daß zwischen, bzw. in den Muskelbündeln Ganglienzelleruppen vorkommen, davon kann man sich leicht überzeugen (s. mein Präparat vom Kätzchen Fig. 106). Daß die aufgezählten Nerven der Blase auch zentripetale Fasern führen, läßt sich leicht durch die Reizung ihrer zentralen Enden beweisen; von jedem derselben aus kann man auf diese Weise eine Blasenkontraktion herbeiführen. Die Impulse nehmen für die N. N. erigentes ihren Weg durch das Lumbalmark (obere Grenze II. Lum- balsegment Stewart (l. c. a, S. 185) und den gekreuzten, gleichnamigen Nerven zur Blase; wird dieser durchschnitten, so bleibt die Kontraktion aus, auch bei erhaltenen N. N. hypogastricis. 4. Methodik der Reizungen. Die experimentelle Untersuchung der Blaseninnervation hat sich verschiedener Methoden bedient. Um eine Reaktion der Blasenmuskulatur überhaupt festzustellen, genügte die Inspektion event. unter Zuhilfenahme von Lupen. Einige Autoren, wie Courtade u. Guyon, registrierten an der gespaltenen Blase Verkürzung der Längs- und der Ringfasern oder, wie Stewart, die Verkürzung der leeren, intakten, am Ausgange fixierten Blase. Zur Bestimmung des Blasendruckes wurden Mano- meter mit dem Blaseninnern verbunden, sowohl direkt durch Einbinden einer Kanüle in den Vertex vesicae oder vermittelst Uretersonden, als auch indirekt durch Urethralkanülen. Wassermanometer eignen sich bei den mäßigen in Betracht kommenden Drucken viel besser als Hg-Manometer; für ganz geringe Druck- unterschiede sind erstere als sogenannte „Horizontalmanometer“ (Stewart) einzu- richten, Glasröhren von enger Lichtung und nur wenig gegen die Horizontale geneigt. Zur Beurteilung der Nerveneinflüsse auf die Öffnung des Sphineter vesicae ist die Kombination des direkten (Vertex) Blasenmanometers mit dem Harnröhren- manometer am geeignetsten, zumal wenn sie als selbstregistrierende eingerichtet sind. Durch Curare wurde der Einfluß von Kontraktionen der Körpermuskulatur eliminiert; für Wurzelreizungen in Bauch- oder Seitenlage bewährte sich eine Drahtschutzkappe für die Blase (Stewart). Daneben wurden Durchschneidun- gen von Blasennerven ausgeführt und die Ausfallserscheinungen beobachtet (siehe unten.) 5. Effekte der Nervenreizung. Reizt man den peripheren Stumpf des durchschnittenen N. pelvicus einer Seite, so erfolgt sofort — nur mit einer Latenz, die derjenigen der glatten Muskelfasern entspricht — eine kräftige Kontraktion der gleich- seitigen Blasenhälfte und eine sehr schwache oder gar keine der gekreuzten Seite. Gianuzzi (Il. c.), Sherrington (I. c. S. 683), Stewart (l. c.a, 5. 191/192), ebenso Griffith (l. e. S. 73) beschreiben nur die ein- seitige Wirkung; letzterer zumal hebt hervor, wie die andere schlaffe Seite durch den steigenden Druck vorgewölbt werde. Mit Nachlaß der Reizung zeige dann die gedehnte Seite eine schwache Kontraktion wohl als Folge dieser Dehnung. Langley u. Anderson (l. ec. 19, 80, 1895), ?) Arch. mikr. Anat. 46 (1886); Anat. Anzeiger 2, Nr. 22, 1895. 318 Effekte der Nervenreizung (Kontraktion und Erschlaffung). dagegen erhielten oft die direkte, wenn auch sehr schwache gekreuzte Wirkung, selbst wenn sie die Blase in der Mitte vom Scheitel bis gegen den Blasenausgang spalteten; doch glauben sie, daß der Effekt durch direkte Muskelleitung sich auf die andere Seite verbreite. Gleichzeitige Reizung der peripheren Stümpfe beider N. N. erigentes (pelvici) führt auch bei mäßigen Reizstärken zu allseitiger Kontraktion der Blase und nach einiger Latenz zur Öffnung des Blasensphinkter (Miktion). Zum gleichen Resultat führt die Reizung der entsprechenden Sacralwurzeln (siehe obige Tabellen). Langley u. Anderson (l. c. 19, 79, 1895) bemerken noch, daß man die Reizung bei freiem Ausflusse sehr oft mit gleichem Erfolge wiederholen kann; hindert man dagegen die Blase an ihrer Entleerung (iso- metrisches Regime), so wird sehr bald die Nervenreizung minder effektvoll. Dies entspräche der Beobachtung, daß nach langer Harnverhaltung die Aus- treibung in relativ schwachem Strahle erfolgt. Reizt man den peripheren Stumpf eines oder beider N. N. hypogastriei, so sieht man nach einer wechselnden, aber immer sehr beträchtlichen Latenz eine relativ schwache Kontraktion bzw. einen Druckanstieg, der entweder langsam wächst — aber stets nur einen mäßigen Bruchteil der auf Sacral- nervenreizung erzielten Höhe erreicht — oder aber einem Druckabfall Platz macht, der das Manometer unter den ursprünglichen Stand herabbringt. Nach Stewart (l. c. a, S$. 190) verhalten sich Anstieg zu Abfall im Mittel wie 1:3. Gianuzzi, Mosso u. Pellacani, Nawrocki u. Skabitschewsky, Sherrington, Griffith und Fagge!) haben nur oder meist nur den ersten Effekt erzielt; sie sehen daher — abgesehen von der langen Latenz, welche der sympathischen Bahn entspricht, und abgesehen von den sehr viel stärkeren Reizen, welche benötigt werden gegenüber der Sacralnervenreizung — den Reizeffekt der N. N. hypogastriei als nur graduell von dem der N. N. eri- gentes verschieden an. Alle Autoren aber, die den Vorgang genauer ver- folgten, geben übereinstimmend an, daß die Blase nicht gleichzeitig in allen Teilen sich kontrahiere. Die einen beobachteten, daß die Kontraktion bei Reizung der N. N. hypogastrici vornehmlich in der Umgebung des Ureteren- eintritts erfolge und erst sekundär die übrige Muskulatur ergreife (z. B. Langley u. Anderson?); andere, daß sie nur auf das Trignonum und den Blasenausgang (Sphinkter) sich beschränke (vgl. Courtade u. Guyon (l. c.), Fagge (l.c. S. 314), v. Zeiss]). Langley u. Anderson, sowie Fagge haben bei Katze, Ratte und Hund beobachtet, daß die Kontraktion sich auch auf den Anfang der Urethra fortsetze. Die Wirkung ist eine doppelseitige, wenn die N. N. mesenterici oder die entsprechenden Lumbarwurzeln einer Seite gereizt werden, sie ist einseitig (wenigstens primär), wenn der periphere Stumpf eines N. hypogastricus gereizt wird; es findet also eine mutuelle Anastomosierung der Fasern im Grangl. mesent. inf. statt. Nebenbei sei erwähnt, was schon oben angedeutet, daß Langeley u. Ander- son (19, 75, 1895) bei Reizung der Lumbarnerven (Sympath.) eine sehr ge- ringe Kontraktion der Blasengefäße erhielten, während doch zugleich die Gefäße ‘) Journ. of Physiol. 28, 1902. — °) Ebenda 16, 416, 1894 und 19, 73, 1895. Zellrelais der constrietorischen und hemmenden Fasern. 319 des Rectum, des Uterus, des Penis in wenig Sekunden vollständig abblaßten. Das- selbe sah Langley') (S. 254) auf intravenöse Injektion von Nebennierenextrakt; wurde aber das Extrakt lokal der Blase appliziert, so trat vollständige Blässe ein. Neben der geringen Gefäßkontraktion tritt aber, wie Lewandowsky?) zuerst erwähnt und Langley (l. ce.) eingehend bestätigte, auf intravenöse Injektion von Nebennierenextrakt eine außerordentliche Blasen- Fig. 114. erschlaffung auf, die as > 4 aber nur eine sehr geringe A Dauer hat. Diejenigen Autoren, ZEN welche auch den oben er- | wähnten Hemmungs- | effekt (Blasendilata- tion) beobachteten, ge- Reizung Be ben an, daß er bei schon en | an sknden mäßb 18 kontrahierten Graphische Registrierung der Blasenkontraktion nach Stewart. Blasen nicht selten her- % durch direkte Muskelreizung, a) durch Reizung der N. N. hypo- gastrici »erhalten. (Amer. Journ. of Physiol. 3, 1900, Fig. 1.) vortritt, was ich für die Katze bestätigen kann; Langley (l.c. S. 252) erwähnt, daß er bei sehr lang- dauernder Reizung stets gut zu beobachten sei. Die fundamentale Wichtig- keit des Nachweises von Hemmungsnerven der Blase hat nun Stewart (l.e. b) veranlaßt, einmal die Blasenerschlaffung auf Hypogastricusreizung zweifellos festzustellen, zum andern, die Bedingungen für das Auftreten eines reinen Hemmungseffektes zu untersuchen. Zur Erreichung des ersten Zweckes registrierte er Fio. 115. den Verlauf einer Blasen- z kontraktion, die auf direkte Muskelreizung (Fig. 114, b) erfolgte, und einer solchen auf Reizung des peripheren Stumpfes der N. N. hypo- gastriei (a). Die bei- stehenden Abbildungen zeigen bei b die typische Kontraktionskurve der glatten Muskulatur, bei a ein Abbrechen der i | Nach Stewart: A NN. mesenteriei. B Gangl. mesent. inf. C N. hypo- Crescente und rasches gastr. D Plex. hypogastr. E Durchziehende Sacralnerven. F Plex. Absinken auf ein tieferes er Niveau, als das anfängliche war. Stewart varıierte die Versuche weiterhin, indem er auf eine direkte Muskelreizung im Verlaufe der Decrescente eine Hypogastricusreizung folgen ließ oder beide Reizarten a tempo der Blase zu- führte. Diese Versuche zeigten deutlich, „daß die Reizung der N. N. hypo- gastriei entweder die durch direkte Muskelreizung hervorgerufene Blasen- kontraktion unterbricht oder irgendwie eine aktive Muskelerschlaffung hervorbringt“ ec 352). Blase ı) Journ. of Physiol. 27, 237 ff., 1901/02. — ?) Zentralbl. f. Physiol. 1891. ’ 320 Zellrelais der constrietorischen und hemmenden Fasern. Der Versuchsplan für die zweite Untersuchungsreihe entsprang folgender Überlegung: Vorausgesetzt, das Langleysche Gesetz, nach welchem jede sympathische Nervenfaser von ihrem Ursprunge bis zu ihrem peripheren Ende nur eine einmalige Zellschaltung erfährt, ist richtig, so muß die (oben geschilderte) Anordnung und Verbindung des Gangl. mes. inf. mit dem Plexus hypogastr. und dem Plexus vesicalis die Vermutung erwecken, daß in den oberen Ganglien auch durchziehende Fasern vorhanden seien, die erst in einem folgenden Ganglion pericellulär enden. (Vgl. das umstehende Schema nach Stewart, Fig. 115 a.v.S.). (Die Befunde Grünsteins, welche gleich- falls zu solcher Annahme führen, habe ich oben erwähnt.) Zugleich aber liegt die Vermutung nahe, daß wiederum hemmende und constrietorische Fasern auch Verschiedenheiten der Relais-Stationen zeigen werden. Mittels der Langleyschen Nikotinmethode ließ sich dies ent- scheiden. Dieselbe ist bekanntlich darauf basiert, daß geringe Nikotin- mengen die Zellen vergiften, indessen die Nervenfasern noch ihre volle Leitungsfähigkeit besitzen. Dabei ist es gleichgültig, ob das Gift lokal auf ein Ganglion appliziert oder durch intravenöse Injektion rasch in den Kreislauf gebracht wird. Zur Prüfung wurde sowohl das Horizontal- manometer, als die graphische Registrierung (vgl. Stewart!) verwendet. Nach Bepinselung von B (Gangl. mes. inf.) mit Nikotin gibt Reizung der peripheren Stümpfe von A (Sympathicuswurzeln des Gangl. mesent. inf.) reine Erschlaffung der Blase, und zwar wiederholentlich in gleicher Weise. Erst wenn die Nikotinwirkung zu schwinden anfängt, bewirkt Reizung wieder Kontraktion bzw. Mischeffekt. Die Prüfung der peripheren Stümpfe der danach durchschnittenen N. N. hypogastriei (C) konnte dann bei intravenöser Injektion von Nikotin ausgeführt werden; auf Reizung erfolgte vor der Injektion die typische kurze Kontraktion mit folgender längerer Erschlaffung (siehe unten), nach der Injektion nur Kontraktion. Mit schwindender Nikotinwirkung war auch hier wieder das anfängliche Resultat zu erzielen. Waren auf diese Weise sowohl hemmende, bzw. kontraktions- lösende (Station im Gangl. mesent. inf.) als auch constrictorische Fasern (Station entweder im Plex. hypog. oder im Plex. vesicalis) in den sympathischen Bahnen der Blase nachgewiesen worden, so lassen Stewarts (l. c. a, S. 192) Beobachtungen, denen zufolge bei kontrahierten Blasen auch Reizung der Sacralnerven (wie auch auf Reizung des Rücken- 7 markes, Stewart a, S. 194) hier und da Erschlaffung erzeugte, solche Bahnen auch in den direkten Rückenmarksnerven vermuten. Nur ist im Zusammenhange damit zu beachten, daß, wie früher erwähnt, auch der Plexus sacralis Verbindungszweige vom Sacralteile des Grenzstranges erhält. | Courtade u. Guyon?) glauben dementsprechend, daß auch die N. N. erigentes solche sympathische Fasern enthalten; Langley u. Anderson?) halten | solches für möglich, obwohl sie in zwei Fällen nach Durchschneidung des 7 Grenzstranges vergeblich nach degenerierten Fasern suchten. | !) Americ. Journ. of Physiol. 4, 186, 1901. — ?) Arch. de plıysiol., serie V, 8, 622 ff., 1896. — °®) Journ. of Physiol. 19, 377, 1896. Sphinkter-Tonus und gekreuzte Innervatiun. 3: DD - 6. Sphinkter-Tonus und gekreuzte Innervation der Blase. Mag die Entscheidung darüber für oder gegen sympathische Beimischung ausfallen, auf jeden Fall sind alle diese Beobachtungen beachtenswert für die Beurteilung der v. Zeisslschen Versuche. Genannter Autor!) (a bis d) glaubte v. Baschs Prinzip der gekreuzten Innervation auch für die Blase nachgewiesen zu haben, derart, dab bei Reizung des N. erigens eine moto- rische Wirkung auf den Detrusor (Kontraktion) und gleichzeitig eine hem- mende auf den Sphincter vesicae (Erschlaffung) eintrete, bei Reizung der peripheren Stümpfe der N. N. hypogastrici aber Sphinkterkontraktion und Detrusorerschlaffung. v. Zeissl suchte bei seinen Experimenten den Einfluß der Detrusor- kontraktion auszuschalten, indem er ein weites Glasrohr vom Blasenscheitel aus bis gegen den Blasenausgang vorschob und die Blase um dieses Rohr festband. Wurde jetzt der Blasendruck durch Auffüllung auf eine Höhe gebracht, daß der Sphinkter eben schloß und durch’rückwärtige Kommuni- kation des Blasenrohrs mit einer weiten Flasche dafür gesorgt, daß auf Erigensreizung die Kontraktion des Detrusorrestes den Druck nicht steigern konnte, so war nach v. Zeiss] die Miktion auf eine solche Reizung hin nur durch Erschlaffung der Sphinkterfasern zu erklären. Eine andere Versuchs- anordnung war im übrigen der eben geschilderten ähnlich, nur war das Reservoir mit einem durch den Penis eingeführten Urethralrohre in Verbin- dung und es wurde das Einfließen in die Blase (durch Sphinkteröffnung) registriert. Meines Erachtens würde aber gerade bei dieser Methodik die oben erwähnte, wenn auch nicht im vollen von Kohlrausch postulierten Umfange stattfindende Sphinkteröffnung durch den Zug der Meridionalfasern (Detrusor im alten Sinne) am Blasenausgange in Betracht kommen, ein Be- weis also für hemmende Sphinkterfasern im N. erigens nicht geliefert sein. Auch Wlasow ?), der in allerletzter Zeit diese Frage experimentell prüfte, kommt zu dem Schlusse, daß die Öffnung des Sphinkters auf Reizung des N. erigens die Folge der besonderen anatomischen Verteilung der Muskel- fasern des Detrusors und Sphinkters sei. Gegen ein solches regelmäßiges Spiel zweier gekreuzt antagonistischer Fasersysteme, wie v. Zeissl sie den beiden peripheren Innervationsbahnen der Blase zuschreibt, sprechen nun einmal die Angaben früherer Untersucher, wie Gianuzzi?°), Mosso u. Pellacani (l. c.), Langley (l. cc. 12 (1891), Sherrington (l. c.), zum anderen haben auch die Nachprüfungen, welche Griffith (l.c. 3 (1894/95), Langley u. Anderson (l. c. 19 (1894/95), Courtade u. Guyon®), Rehfisch (I. e.), Stewart (l. c.), Wlasow (I. c.), Fagge (l.c.) anstellten, diese Autoren veranlaßt, sich gegen die v. Zeisslsche Hypothese ablehnend zu verhalten. Sie kommen, was den einen Teil, die Reizung der peripheren FErigensstümpfe betrifft, zu dem Schlusse, daß hierbei !) a) Pflügers Arch. 53, 560 ff., 1893; b) Ebanda 55, 569 ff., 1894; c) Ebenda 89, 605#£., 1902; d) Wien. med. Wochenschr. 51, Nr. 10 u. 25, 1901. — ?) Bar. d. Kais. Univ. Kasan 1903 (russ.) [Der Inhalt dieser Arbeit ist mir nur aus den beiden Referaten von Beck (Zentralbl. f. Physiol. 18, 776, Nr. 24, 1904) und von Samojloff (Jahresber. f. Fortschr. d. Physiol. 12, 75, Literat. 1903) be- kannt]. — °) Journ. de la physiol. 6, 22, 1863. — *) Arch. de physiol. 38, 622, 1896. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 91 3933 Sphinkter-Tonus und gekreuzte Innervation. der erhöhte Blasendruck den Sphinkter einfach überwindet. Stewart z. B. erhielt bei solcher Reizung die Sphinkteröffnung mit 180mm Wasserdruck; erhöhte er jetzt, nachdem die Blase erschlafft war, den Druck durch einfache Handkompression derselben, so öffnete sich der Sphinkter ebenfalls bei 180 mm Druck; das gleiche Resultat wurde drittens erzielt, wenn Stewart durch Hebung eines Druckgefäßes den Blasendruck steigerte. v. Frankl-Hoch- wart u. Fröhlich (siehe unten), welche ın letzter Zeit die Versuche v. Zeissls genau nach dessen Angaben wiederholten, erhielten niemals kon- stante Resultate. — An und für sich ist ja die Annahme solcher Tonus-min- dernder Fasern für den Sphinkter nicht unwahrscheinlich, zumal nach dem oben Dargelegten solche für den Detrusor mit Sicherheit in den N. N. hypo- gastricis nachgewiesen sind. Eine sichere Entscheidung können erst neue Versuche bringen. Wie diese Entscheidung aber auch ausfallen mag, sicher ist, daß bei einer Miktion, die unter dem Einflusse aller nervösen Mechanismen zustande | kommt, eine Herabsetzung des Sphinktertonus hineinspielt. Denn Mosso u. Pellacani (l. ec.) sowohl als Stewart u. a. fanden, daß bei Reizung der | peripheren Erigensstümpfe der Blasendruck nur nach Erreichung sehr hoher Werte den Sphinkter überwindet, indes z. B. bei Reflexversuchen oder Rei- | | zung der corticalen Blasenzentren (siehe später) dies schon bei bedeutend niedrigeren Drucken stattfindet. Schon die älteren Untersucher fanden, dab sich der Sphinktertonus sehr wohl herabsetzen läßt durch Ausschaltung der Impulse, welche vom Rückenmark zur Blase laufen. Masius, | Gianuzzi, Kupressow, Ott u. a.!) haben gezeigt, daß etwa in Höhe der fünften Lumbarwurzel ein „Zentrum“ liegt, das dem Sphincter vesicae toni- | sierende Reize zusendet; die Abtrennung desselben setzte den Sphinktertonus stark herab, manchmal (bei Gianuzzi, Rehfisch) bewirkte sie sogar Harn- träufeln; dies hängt natürlich von dem jeweiligen Blasendrucke ab. Stewart (l. ce. b) konnte das gleiche Resultat durch Nikotininjektion erzielen: vor | der Injektion wich der Sphinkter einem Drucke von 200mm H,O; nachher | genügten 40 bis 50mm. Da für die Unterhaltung dieses Tonus Reflexe die allergrößte Rolle spielen, so war von vornherein zu erwarten, daß auch Reizung sensibler Nerven diesen Tonus vermindern werde Stewart unter- nahm folgenden Versuch: bei 220 mm Wasserdruck — sei er durch Druck- gefäß hervorgebracht oder durch Reizung der unverletzten Sacralnerven — trat Ausfluß ein; nach Aufhören der Reizung: Ruhe der Blase bei 90mm | Druck; jetzt Reizung des zentralen Stumpfes des N. ischiadicus, es erfolgte bei 180 mm starker Ausfluß. Da der Versuch mehrere Male kreuzweise und immer mit gleichem Erfolge wiederholt wurde, so ist Ermüdung wohl aus- zuschließen. Wurde durch diesen Versuch eruiert, daß zentripetale Er- regungen das Blasenzentrum im Rückenmark so zu beeinflussen vermögen, daß die von ihm ausgehenden tonischen Sphinktererregungen um einen gewissen Betrag vermindert werden, so lag es nahe, auch die afferenten Fasern der Blasennerven selbst daraufhin zu untersuchen. Stewart (l. c. b) erzielte Tonusnachlaß auf Reizung der zentralen Stümpfe der N. N. hupogastriei; Courtade u. Guyon (l. ce.) konnten auch eine solche Ver- | !) Die Literatur siehe Hermanns Handt. 2 (2), 53 u. 66. | \ | | | Wirkung von Giften auf Sphinkter-Tonus usw. 32, minderung hervorbringen durch Reizung des zentralen Stumpfes eines der sacralen Blasennerven (Erigens). Nur liegen im letzteren Falle die Verhält- nisse so, daß die Unterschiede geringer sind, weil die Durchschneidung der Sacralnerven einer Seite an und für sich einen Teil der tonischen Impulse ‚abgetrennt hat. Da die Reizbarkeit bzw. die Anspruchsfähiskeit des Zentralnervensystems durch mannigfache Einflüsse sich ändert, so ist von vornherein verständlich, daß das Verhältnis von Blasendruck zu Sphinkteröffnung bzw. zur Ausflußmenge. bei reflektorischer Blasenkontraktion kein konstantes sein wird. In dieser Richtung sind die Versuche von Han& (l. c.) besonders lehrreich, welcher reflektorische Blasenkontraktion durch Reizung des zentralen Stumpfes des N. ischiadieus aus- löste und sowohl Blasendruck und Ausflußmenge, als auch die Zeit bis zur Blasen- kontraktion (Detrusorlatenz) und bis zum Ausflußbeginn (Sphinkterlatenz) bei kon- stanter Blasenfüllung bestimmte. (Es wurde zugleich auch der Blutdruck gemessen, siehe früher.) Für keine der beiden Faktorengruppen war ein kon- stantes Verhältnis zu beobachten; daß diese Inkonstanz bei reflektorischer Aus- lösung der Blasenkontraktion bzw. der Miktion auf den verschiedenen, vorläufig kaum übersehbaren Zuständen des Zentralorgans beruht, ließ sich durch Beein- flussung des letzteren vermittelst verschiedener Gifte dartun. Nach Han (|. ce.) lassen Morphin und Chloralhydrat den Ischiadicusreflex noch auf den Detrusor (Blasendruck erhöht), wenn auch schwächer, wirken, nicht mehr aber auf den Sphinkter (Tonus gar nicht erniedrigt, so daß trotz Druckanstieg nichts ausfließt). Atropin und Cocain schwächen beide Effekte, so daß das Verhältnis von Blasen- druck zu Blasenerguß das gleiche bleibt wie anfänglich vor Einverleibung der Gifte. Strychnin steigert anfänglich beide; dann aber erlischt der Sphinkterreflex, es fließt trotz hohen Blasendruckes nichts mehr aus. Doch ist die Strychnin- wirkung nicht immer gleichartig, indem auch reine Sphinktererschlaffung vor- kommt, also Ausfiuß ohne Blasendruckerhöhung, die erst einige Zeit nachher auf- tritt. Bei Muscarin und Nikotin, die beide ja neben ihrem Einfluß auf das Zentralnervensystem so stark auf periphere Apparate wirken, komplizieren sich die Verhältnisse durch spontane Blasendruckerhöhungen mit folgendem Ausfließen. Für das Nikotin darf man wohl diese Miktionen mit einiger Sicherheit auf Reizung der peripheren sympathischen Apparate beziehen; hat doch Langley') als erste Wirkung lokaler oder allgemeiner Applikation von Nikotin eine starke Reizung der sympathischen Ganglien (z. B. des Gangl. ciliare) nachgewiesen. Bei Nikotin kommt es daneben noch zu einer einseitigen Spontanwirkung, indem Miktion unter sehr geringer Druckerhöhung stattfindet. Der Reflexakt wird von beiden Giften anfänglich ähnlich wie von Morphin und Chloralhydrat beeinflußt; der Blasendruck steigt auf Ischiadicusreizung, aber der Sphinktertonus wird nicht ver- mindert. Bei Muscarin sieht man jedoch den Sphinkterreflex im weiteren Verlaufe der Giftwirkung wieder auftreten. Auf welchen Wegen laufen die tonusverstärkenden Fasern für den Sphinkter? Die Tatsache, daß Erigensdurchschneidung den Sphinktertonus herabsetzt — vgl. oben Courtade u. Guyon, ebenso Rehfisch (l. ce. 161, 545) u. a. —, spricht für einen Verlauf solcher Fasern im sacralen Anteil, doch fehlen noch einwandfreie Beweise. Denn das Ergebnis der Versuche von Mosso u. Pellacani, Stewart u. a., daß auf Reizung der peripheren Erigensstümpfe der Blasendruck nur nach Erreichung sehr hoher Werte den Sphinkter überwindet, steht in einem gewissen Widerspruche zu v. Zeissla Experimenten (siehe auch unten). Daß hingegen das Lumbarmark auf dem Wege der sympathischen Bahnen dem Sphincter vesicae constrietorische Im- pulse zusendet, das geht sowohl aus den oben erwähnten Resultaten der Aus- ‘) Journ. of Physiol. 27, 224 ff., 1901. 334 Constrietorische Fasern im Hypogastrieus für Sphinkter. schaltungsversuche hervor, als auch bekräftigen es die Ergebnisse der Hypo- gastricusreizung und -durchschneidung. Courtade u. Guyon (l. c.) sahen auf Reizung der peripheren Stümpfe der N. N. hypogastrici stets eine deut- liche Sphinkterkontraktion. Rehfisch (l. c. 161, 547 ff.) sowohl als Wlasow (l. c.) vermochten bei Ausflußversuchen durch Erhöhung des Blaseninnen- drucks stets eine Unterbrechung des Strahles zu erhalten vermittelst Reizung der N. N. hypogastrici, ebenso wurde dadurch ein aus dem Druckgefäß vermittelst Harnröhrenkatheter in die Blase geleiteter Strom sofort sistier. Fagge (l. c. S. 310) hat diese Befunde durch mannigfach variierte Versuche be- stätigt. Entweder bestimmte er den durch Reservoirhebung hervorgebrachten Blasendruck, welcher mit oder ohne Hypogastricusreizung Abfluß durch die Harnröhre ergab — dies trat ein ohne Reizung bei 120 mm Wasserdruck, mit Reizung bei 340 bis 460mm —; oder er steigerte den Blasendruck durch Erigensreizung — es trat Ausfluß bei 140mm Wasserdruck ein; reizte er jetzt Erigens und Hypogastricus zugleich, so schloß der Sphinkter noch bei 220mm (siehe auch beistehende Kurven). Ich selbst habe diesen I Fig. 116. e& jo r|+/ololals 1 Reizmarkierung — nr In TI Kurven des Blasenbinnendrucks, mit Hürthle-Manometer aufgenommen durch Blasenscheitelkanüle. In I wurden beide N. N. hypogastriei u. N. N. erigentes gleichzeitig gereizt. In II nur die N. N. erigentes. Miktion trat im Punkte M ein. Nach Fagge, Journ. of Physiol. 20, 310, 1902. letzteren Versuch mehrmals mit sicherem Erfolg demonstriert. — Hält man hiermit zusammen den oben geschilderten Nachweis der Blasenerschlaf- fung (Detrusorhemmung) auf Reizung gewisser, durch das Gangl. mes. inf. hindurchziehender, in den N. N. hypogastricis absteigender Bahnen, so wäre eine allseitige Bestätigung dieses Teiles der v. Zeisslschen Experimente gegeben. Daß die Muskulatur der männlichen Harnröhre außer durch die N. N. pud. auch Nervenfasern auf dem Wege der N. N. erigentes und N. N. hypo- gastrici erhält, ist sichergestellt unter anderen von v. Zeissl!). Dieser Autor glaubt auch hier eine gekreuzte Innervation aufgedeckt zu haben, so daß Erigensreizung Kontraktion der Längsmuskeln und Erschlaffung der Ringmuskeln, die Reizung der N. N. hypogastrici den umgekehrten Effekt hervorbringe. Eine Nachprüfung dieser Versuche hat meines Wissens noch nicht stattgefunden. Sehen wir vorläufig vom peripheren Ganglienapparat ab, so hätten wir folgende Innervationsbahnen der Blase als ziemlich gesichert anzuführen: Von Sacralwurzeln die Fasern, welche starke Kontraktion der Ge- samtmuskulatur der Blase bewirken. Von den Lumbarwurzeln, in sym- !) Wien. med. Wochenschr. 51, 1202 ff., 1901. Übersicht über die Blaseninnervation. 335 pathischen Bahnen laufend, Hemmungsfasern für den Detrusor (im hier gebrauchten Sinne), die eine starke Blasenerschlaffung bewirken — ganz wie sie gefordert werden durch die der Selbstbeobachtung auffällige Tatsache, daß der Harndrang bis zu einer gewissen Grenze stets wieder schwindet, wenn der Urin verhalten wird. Weiter laufen — ebenfalls im sympathischen Anteil , aber mit getrennten Zellrelais — constrictorische Fasern, die nur mäßige Druckerhöhungen hervorbringen können: nach Courtade.u. Guyon (1. ce. S. 625/626), weil sie einzig den Blasenausgang!), oder nach Langley u. Anderson (siehe oben) und Fagge (l. ec. S. 314), weil sie vornehmlich den trigonalen Abschnitt der Blase, mit Einschluß des Sphincter vesicae, sowie der funktionell gleichwertigen glatten Urethralmuskeln zur Kontraktion bringen. Ihnen untersteht vornehmlich der Sphinktertonus; werden die pressorischen (Detrusor-)Fasern innerviert, sei es reflektorisch, sei es auf An- stoß höherer Zentralorgaue, so wird er herabgesetzt. Hanc (l. c.) hebt mit Recht hervor, daß wir die Vorgänge, wie wir sie bei der reflektorischen Blasenkontraktion sich abspielen sehen, wohl auf den Akt des willkürlichen Harnlassens übertragen können. Es war oben gezeigt worden, daß manches dafür spricht, dem N. erigens constrictorische Fasern nicht nur für den Detrusor, sondern auch für den Sphinkter zu vindizieren. Im Anschluß an das eben Gesagte wäre nun beim willkürlichen Miktionsakte anzunehmen, daß diese Fasern eine Hem- mung der in ihnen ablaufenden tonischen Impulse erführen, also indirekt (funktionell) nach dieser Seite eine gekreuzte Innervation stattfände. Die Schaltung würde dann in tieferen Zentralteilen stattfinden. Als Stütze für die hier ausgesprochene Ansicht können die Versuche von v. Frankl-Hoch- wart und Fröhlich?) dienen. Diese Autoren riefen durch passend gewählte Cortexreizungen (siehe unten) an Hunden, denen die N. N. pudendi?) und N. N. hypogastrici durchschnitten waren, Miktion hervor, wobei sie durch ein dem v. Zeisslschen ähnliches Verfahren die durch Detrusorkontraktion bewirkte Druckerhöhung in der Blase abwechselnd aus- und einschalten konnten. Sie erhielten nun in einigen Versuchen außer der regelmäßig durch Detrusorkontraktion mit Drucksteigerung zu erzielenden Miktion auch eine solche bei mäßigem Binnendruck ohne diese, welche also auf Tonus- nachlaß des Sphinkters zu beziehen war. Aber oft mißlang der Versuch, ohne daß die Verff. die Gründe dafür mit Sicherheit anzugeben vermochten. Nach meiner Ansicht ist dies verständlich, da eine Beherrschung der in den einzelnen Abschnitten des Zentralnervensystems waltenden Erregbarkeits- zustände noch völlig außer unserer Macht liegt. Es ist daher zu erwarten, daß in einem Falle auf den vom Gehirn anlangenden Anstoß hin sowohl der pressorische, als auch der depressorische Effekt im Rückenmark zur Aus- !) Die Autoren sagen „col de la vessie“; dies Wort ist aber mißverständlich, da mit „Blasenhals“ von Klinikern und Anatomen etwas anderes, viel Umstrittenes bezeichnet wird, vgl. unter anderen Dreyssel, Urolog. Beitr. (Arch. f. Dermat. u. Syphilis 34, 358, 1896). — °) Neurol. Zentralbl. 23, 646 ff., 1904 (vorläufige Mit- teilung). — °) Zur Ausschaltung der willkürlichen Harnröhrenschließmuskeln ist dies Verfahren nach v. Frankl-Hochwart u. Fröhlich viel sicherer als die Cxraresierung, der ja auch der Sphincter ani viel besser widersteht als die Skelett- muskeln. 326 Einfluß des Zentralnervensystems. lösung gelangt, in anderen Fällen nur der eine oder der andere. Zwei Ver- suche der Verff. aber (l. c. S. 652, Versuch 3 u. 19) sprechen sehr deutlich dafür, daß Fasern für die Kontraktion des Sphäncter trigonalis im N. erigens (pelvicus) verlaufen, denn sie erhielten in diesen zwei Ausflußversuchen trotz Durchschneidung der N. N. pudendi und hypogastrici jedes Mal auf corticale Reizung eine Unterbrechung des ausfließenden Strahles.. Bei solchen Ver- suchen ist natürlich sorgfältig darauf zu achten, daß durch entsprechende Lagerung der Kanülen der Einfluß der Harnröhrenschnürer ausgeschaltet wird (s. a. das auf S.324 oben Gesagte). 7. Abhängigkeit der Blasenfunktion vom Zentralnervensystem. Zwei Wurzelgebiete („Zentren“) des Rückenmarkes sind es, wie wir sahen, welche die Blase beherrschen: das Lumbarmark vom 4. bis 6. und das Sacralmark vom 2. bis 4. Wurzelpaar; zwischen ihnen befindet sich eine Lücke, derart, dab die Zellgruppen der 7. Lumbar- und der 1. Sacralnervenwurzeln keinen Einfluß auf die Blase haben. Beide Zentren sind aber durch intraspinale Bahnen verknüpft, und beide werden durch Bahnen von höheren Rückenmarks- bzw. Hirnteilen beeinflußt, ebenso durch Erregungen, welche von der Peripherie her durch Nerven ihnen zufließen (Reflexe). Es werden die Bedingungen der Tätigkeit dieser „Zentren“ an anderer Stelle dieses Handbuches!) behandelt, doch ist bier der Bahnen zu gedenken, welche diesen Einflüssen zu (rebote stehen. Daß von allen sensiblen Nerven des Körpers mit Aus- nahme des Vagus Blasenreflexe bzw. Tonusschwankungen ausgelöst werden können, wurde schon erwähnt?). Anderer- N seits wurden die Angaben aus älteren Untersuchungen von N Budge, Valentin, nämlich daß Reizung des entblößten Rückenmarks, sowie höherer Hirnteile Blasenkontraktionen hervorruft, von Nußbaum, Mosso und Pellacanı, a Nawrocki und Skabitschewsky, Sherrington, Bech- A | V terew und Mislawski (s. später) bestätigt, bzw. von Ste- WA \ wart (l. c. S. 193) dahin erweitert, daß Blasenkontraktion durch Reizung irgend eines Ortes des Rückenmarks “FT VE erhalten werden kann. Bei intakten Nerven ist der Ver- Nach Stewart, lauf der Kontraktion der gleiche wie der auf Reizung der Am. Journ. of Phys. ö £ . 2, 194, 1899. Sacralnerven erhaltene; sind die Sacralnerven durchschnitten, so ist er vom Typus der sympathischen Reizung mit sehr langer Latenz, entsprechend den Angaben von Langley und Anderson (l.c.), daß die sympathischen Bahnen eine stärkere Blockierung im Rückenmark er- fahren. Nach Stewart (l. c.) wirken die absteigenden Blasenbahnen auf die !) S. Zentralnervensystem. — *”) Bemerkenswert ist, daß Mosso u. Pellacani (l. e.) und Stewart (l. c.) für die Reflexe durch das Lumbalmark, gar keine Behinderung durch Shock bemerkten; — sofort nach Abtrennung des Dorsal- marks war Blasenreflex auf Ischiadieus- oder Sacralnervenreizung zu erhalten (s. auch oben rhythmische Tonusschwankungen). Gekreuzte und ungekreuzte Bahnen im Rückenmark. 3927 Nerven der gleichen wie der gekreuzten Seite, und zwar sowohl auf die sympathischen als auf die direkten spinalen Blasennerven. Das gleiche, also gekreuzte und ungekreuzte Wirkung, gilt für die durch Reizung afferenter Bahnen (z. B. Reizung des zentralen Ischiadicusstumpfes) erzielten Blasen- reflexe. Nach Hemisektion des Rückenmarks im 12. Dorsalsegment, ver- bunden mit schrittweise nach unten vordringender Längsspaltung, ermittelte Stewart (l. c. S. 194) durch gleichseitige Reizung oberhalb des Halbschnitts bei durchtrennten Sacralnerven einer Seite, sowie beider N. N. hypogastrieci, daß gekreuzte Rückenmarksbahnen vorhanden sind und daß die untere Grenze der Kreuzung in Höhe der 5. Lumbarwurzeln liegt, sowohl für die Lumbar- als für die Sacralanteile der Blaseninnervation (siehe Fig. 117 a.S.326). Dabei stellte sich weiter heraus, daß dies Segment auch die untere Grenze für die gekreuzten Reflexe vom Ischiadicus aus auf die Blase bildet, und ebenso, daß ungekreuzte Bahnen im Rückenmark absteigen; diese Fig. 118. Reiz Hemisekt. i. unt. Dorsal- mark “ Querschnitt " zwischen Gangl. VI. u. V1l. ınes. inf. Luinb.- Wurz. NY Sympath. Wege zur Blase für Erregung vom Rückenmark aus. Nach Stewart. Die stark ausgezogene Linie bedeutet den im jeweiligen Experiment allein gangbaren Weg. müssen also, wie aus obigem erhellt, unterhalb des 5. Lumbarsegmentes mit den gekreuzten der anderen Seite zusammen herabziehen, soweit ihre Wirkung auf sacrale Wurzeln in Betracht kommt. Ähnliche Versuche, doch mit aufsteigender Spaltung des Rückenmarks vom Sacralmarke her, zeigten als obere Grenze der Kreuzung für direkte Reizung und Reflexe einen Schnitt dicht unter den 2. Lumbarwurzeln, und zwar für beide Nervenkategorien. Damit ist einmal zusammenzuhalten, daß, wie verschiedene Autoren, zuletzt Stewart (l.c. a), berichten, echte sensible Blasenfasern, sowie motorische Fasern für Rückenmarksblasenreflexe nur in den Sacralwurzeln verlaufen: zum anderen aber die Tatsache, daß die Durchschneidung der Lumbarwurzeln allein schon Blasenstörung erzeugt, daß also die beiden durch eine Lücke getrennten Wurzelgebiete (Zentren) für die Blase doch sehr abhängig mit- einander durch Rückenmarksbahnen verknüpft sind. Langley und Anderson!) wiesen nach, daß die Lumbarwurzeln jeder Seite in beiden N. N. hypogastricis Fasern zur Blase senden, und daß diese Fasern eine periphere Kreuzung im Gangl. mes. inf. erleiden (vgl. früher). Stewart (l. c. S. 196) zeigte durch eine Reihe besonders darauf gerichteter !) Journ. of Physiol. 17, 188, 1894; 16, 423, 1894; 19, 73, 1895/96. 328 Periphere Reflexapparate. Untersuchungen, daß die unvollständige Kreuzung der Rückenmarksbahnen nicht etwa, wie vermutet werden konnte, durch die Anordnung im Gangl. mes. inf. zu einer vollständigen gemacht wird, da alle Wege durch das Ganglion und seine Verbindungszweige sich als gangbar erwiesen. Der Gang der Versuche erhellt aus Figur 115 auf voriger Seite. In den über dem Lumbarsegment liegenden Rückenmarksteilen findet keine Kreuzung der Bahnen zur Blase statt bis zur 1. Cervicalwurzel. Dicht oberhalb derselben aber — Stewart (l. c.) vermutet innerhalb der Pyramidenkreuzung — ist eine Kreuzung von erheblichem Betrage vorhanden, und zwar in gleicher Weise für die Lumbal- wie für die Sacralnerven. Nach den Resultaten partieller Durchschneidungsversuche glaubten Mosso und Pellacanı (l. ce.) die Blasenbahnen des Rückenmarkes in die Hinterstränge und Hirnseitenstränge verlegen zu müssen, Ott!) be- schränkte sie auf die Seitenstränge. Stewart (l.c.) bestätigte dies und wies durch Reizung der vollständig isolierten dorsalen Partien der Seitenstränge nach, daß in ihnen allein die Leitung bis zum oberen Lum- barmark, also bis zum Beginn der „Blasenzentren“ herabläuft; abwärts vom 5. Lumbarsegment werden daselbst auch die afferenten Bahnen, welche vom N. ischiadicus aus Blasenreflexe vermitteln, angetroffen. Für die Blasenreflexe kommen vielleicht aber außer den spinalen Appa- raten noch die peripheren Blasenganglien in Betracht. Sokownin?) ent- deckte, daß Reizung des zentralen Stumpfes eines N. hypogastricus Blasen- kontraktionen hervorrufe, selbst wenn das Gangl. mes. inf. vollständig von seinen zentralen Verbindungen getrennt war, und weiter, daß nur die Durchschneidung des anderen N. hypogastricus den Reflex aufhebe; Nußbaum (. e.), Nawrocki u. Skabitschewsky (I. ce.) schlossen sich diesen Mitteilungen an. Langley u. Anderson), welche dem Reflex ein besonderes Studium widmeten und eine sichere Isolation des Ganglion bewirkten, bestätigten diese Angaben; sie erweiterten sie dahin, daß auch die anderen Wirkungen der Reizung des peripheren Stumpfes des N. hypogastri- ceus — d. i. Kontraktion des unteren Rectum, Erblassen der Rectalschleimhaut, einseitiges Erblassen des Uterus, bzw. des Vas defer. und der Prostata, Kon- traktion des Uterus, der Vagina und des Penis, hier und da leichtes Erblassen der Blase — in gleicher Weise, wenn auch graduell verschieden, reflek- torisch vom Gangl. mes. inf. zu erhalten sind. Langley u. Anderson (l.c. S.419) und in eingehender Weise Stewart (l.c. 8.186) bewiesen durch Reizung der zentralen Stümpfe, der Terminalfasern, daß der Reflex auch wirklich durch zur Blase gehörige Fasern ausgelöst wird und nicht durch solche anderer Organe, welche den N. N. hypogastricis beigemischt sind. Der Blasenreflex trat bei Reizung der Terminalfasern rein auf, ohne die Wirkung auf Rectum usw. Daß der Reflex im Ganglion durch Zellvermittelung bewirkt wird, konnten Langley und Anderson (l. ce. S. 420/21) ebenfalls dartun: 20 mg Nikotin in eine Vene injiziert, hoben ihn sofort auf; mit schwindender Gift- !) Med. Bull. Philadelphia 16, 410ff., 1894. — ?) Pflügers Arch. 8, 600 ff., 1874 und Ref. von Nawrocki über russ. Arbeit in Hoffmann-Schwalbes Jahrb. 6 (2), 87, 1877. — °) Journ. of Physiol. 15 (1893); 16, 412 ff., 1894. Der Miktionsakt und seine Regulierung. 329 wirkung kehrte er vollständig zurück. Dabei stellte sich auch heraus, daß das untere Ganglienpaar für sich allein Blasenkontraktionen, wenn auch schwächeren Grades, vermitteln konnte. Es ist somit sichergestellt, daß Blasenfasern in Verbindung mit Zellen des Gangl. mesent. inf. den Reflex vermitteln; die Frage aber nach dem trophischen Zentrum der im N. hypogastricus verlaufenden anscheinend afferenten Fasern ist nach Langley u. Anderson (l.c. 8.425 ff.) viel schwieriger zu beantworten. Es war von vornherein nicht unwahrscheinlich, daß Fibrae recurrentes — in den feinen Verbindungszweigen des Sacralplexus mit den N. N. hypogastrieis laufend — von Sacralwurzeln her den Reflex vermittelten; diese Annahme mußte neben der anderen, daß es echte afferente Blasenfasern seien, deren trophisches Zentrum (Mutterzelle) in dem Gangl. mesent. inf. läge, im Auge behalten werden. Die man- nigfachen Experimente mit Durchschneidung und Abwarten der Degeneration des N. hypogastrieus und der Rückenmarksverbindungen des Gangl. mesent. inf. usw. können hier nicht erörtert werden; so viel glauben die Verfasser gesichert zu haben, daß die Zentren nicht im Gangl. mesent. inf. und ebenso nicht in den Spinalganglien, sondern innerhalb des Lumbarmarks liegen, und daß von dort kommende efferente Fasern, welche Kollateralen zu Zellen des Gangl. mesent. inf. auf der gekreuzten Seite abgeben, den Reflex vermitteln. Damit läßt sich gut vereinen die Angabe von Stewart (l.c. a., S. 187), daß die Reizung der zentralen Stümpfe der Mesenterialnerven zum Gangl. mesent. inf. keinen Blasenreflex gibt, sensible Blasennerven in ihnen also nicht enthalten sind, sondern nur in den Sacralnerven. Ebenso entspricht dies den früheren Beobachtungen von Mosso und Pellacani (].c.), denen zufolge Durchschneidung der Mesenterialnerven die Sensibilität der Blase nicht störte, sowie von Griffith (l.c. 29, 76), daß der bekannte, durch Reizung sen- sibler Nerven am Tier hervorgebrachte Komplex von Allgemeinerscheinungen auf Reizung der zentralen Stümpfe der N. N. hypogastriei nicht zu erhalten war. Griffith (ebenda) konnte aber weiterhin nach Isolierung des Plexus hypogastricus auf elektrische, mechanische und thermische Reizung eines der Terminalnerven (H des Stewartschen Schemas, syn.: obere, mitt- lere, untere Blasenfasern von Griffith) Blasenreflexe erhalten; Stewart (l. e., 1la) wiederholte den Versuch mehrmals mit Erfolg. Es ist also noch ein zweiter peripherer Reflexapparat vorhanden, und es wäre zu untersuchen, ob auch hier wie nach Langley u. Anderson beim Gangl. mesent. inf. es nicht echte zentripetale, von der Blase zum Ganglion leitende Fasern sind, deren Erregung den Reflex auslöst. 8. Der Miktionsakt und seine Regulierung durch die nervösen Apparate. Die Vorstellungen, die wir uns von dem Akte der Auslösung und der Be- werkstelligung des Miktionsaktes machen können, sind nach dem oben Dar- gelegten folgende: Zuerst wäre der Akt so zu betrachten wie er beim neu- geborenen bzw. beim kleinen Kinde sich als reiner Reflex abspielt. Der von den Ureteren eintretende Harn dehnt langsam die Blase; hat die Dehnung einen gewissen Grad erreicht und haben damit die Erregungen in den sensiblen Nerven derselben eine gewisse Stärke erhalten, so lösen die letzteren in den Zentren des Rückenmarks motorische Impulse aus, die, vorwiegend auf den sacralen Bahnen laufend, die Blase zur Kontraktion bringen; zugleich werden die Impulse, welche den Sphinktertonus unterhalten, gehemmt und damit bereits bei mäßigem Blasendruck Harn entleert. Doch ist es wahrscheinlich, daß auch hier schon die Füllungsdehnung als direkter Reiz auf intramurale Apparate bzw. auf die Muskelzellen selbst wirkend die Blasenmuskulatur zu 330 Corticale Zentren. rhythmischen Kontraktionen veranlaßt und somit Druckschwankungen hervor- bringt, welche natürlich die sensiblen Wandnerven sehr viel stärker erregen und damit energischer auf das Rückenmark wirken werden. Mit zunehmendem Erwachen des Bewußtseins werden die begleitenden Empfindungen (Harndrang) lebhafter; bald wird aber auch von außen auf das Kind eingewirkt, die Miktionen von Ort und Zeit abhängig zu machen. Starke willkürliche Hemmungen müssen zur Erreichung dieses Zweckes auf die tieferen Zentren einwirken, damit von dort aus, also indirekt, auf der lumbaren Bahn, der Sphinktertonus erhöht, der Detrusortonus (also der der gesamten Blasenmuskulatur mit Ausnahme des Sphinct. trigon.) herabgesetzt wird. Wohl auf den gleichen absteigenden Rückenmarksbahnen wird die willkürliche Muskulatur erregt, welche der Harnverhaltung dient, der Sphincter wrogenitalis ev. zur Unterstützung desselben, durch Hebung des Beckenbodens, der Levator ani. Soll willkürlich Harn gelassen werden, so wird von Hirnzentren aus der Rückenmarksapparat der sacralen und lum- baren Leitung in Tätigkeit gesetzt, derart, daß durch Herabsetzung der Im- pulse auf den Sphinkter dessen Tonus geschwächt und starke Blasenkontrak- tion eingeleitet wird. Es wurde schon früher erwähnt, daß manche Autoren [u.a. Born!), Rehfisch (l.c.), Gianuzzi (l.c.), auch v. Czyhlarz u. Mar- burg (s. unten)] einen direkten Einfluß des Willens auf die glatte Musku- latur bei der willkürlichen Miktion annehmen, und es waren auch zugleich Gründe für die Abweisung dieser Vorstellung angezogen worden. Mit Recht weisen gerade Kliniker [Janet, L. R. Müller (l.c.), Genouville] darauf hin, daß manche Leute in Gegenwart anderer, etwa auf einem öffentlichen Pissoir oder beim Arzte, nicht willkürlich zu urinieren vermögen. Ebenso lehrt die Selbstbeobachtung, daß wir nicht willkürlich, wie Born will, die Blase kon- trahieren können, „denn sonst müßten wir dazu auch bei wenig gefüllter Blase imstande sein. Aber niemand vermag unter solchen Umständen Harn zu lassen“ (Genouville). Daß die Bauchpresse beim willkürlichen Harn- lassen ganz außer Spiel bleiben kann, also nicht, wie Schwartz?) behauptet, der alleinige Motor beim Harnlassen ist, wurde oben an Hand der Unter- suchungen von Mosso und Pellacani (l. c.) gezeigt, und es geht dies aus der ganzen Reihe der angeführten Tierexperimente hervor, bei denen Mik- tionen auch von der vollständig freigelegten Blase erzielt wurden. Anderer- seits zeigt aber die Selbstbeobachtung, daß wir durch die Bauchpresse in beliebiger Weise den Harnstrahl beschleunigen können. Diese letztere Beob- achtung hätte Rehfisch (l. c. b.) schon allein darauf hinweisen sollen, daß die Experimente, welche nach seiner Ansicht die Unmöglichkeit dartun, ver- mittelst der Bauchpresse auf die Blasenentleerung zu wirken, nicht auf den Menschen anwendbar sind, ganz abgesehen von anderen Einwänden, die gegen diese Versuche vorzubringen wären. Genauere Angaben über die corticalen Zentren für die Blase sind zuerst von Bochefontaine3) nach Versuchen in Vulpians Laboratorium gemacht worden. Danach kann man beim curaresierten oder tief chlorali- sierten Hunde auf Reizung des Gyrus marginalis eine mehr oder weniger !) Deutsche Zeitschr. f. Chir. 25 (1888). — °) Zeitschr. f. Geb. und Gynäkol. 1886. — °) Arch. de physiol. norm. et path. II. Serie 3, 140 ff., 1876. Corticale und subeorticale Zentren. 331 reıchliche Harnentleerung durch unmittelbare Blasenkontraktion erhalten. Dabei entleert sich die Blase auf eine Reizung hin nur zum Teil; man muß zwei-, drei- und viermal reizen, um die Blase ganz zu entleeren (l. c. S. 166), wobei von der rechten wie von der linken Hemisphäre der Erfolg gleich gut zu erhalten ist. Bestätigung dieser Angaben erfolgte durch Francois- Franck!), Bechterew u. Mislawski?); letztere Autoren geben an, daß Blasenkontraktion (Detrusorwirkung) vom inneren Teile des vorderen und hinteren Abschnittes des @. marg. zu erhalten ist, indes Bechterewu. Meyer) im äußeren Teile des hinteren Abschnitts ein „Zentrum“ für die Kontraktion des Sphincter vesicae (Blasenverschluß) konstatierten. v. Frankl-Hoch- wart und Fröhlich *) fanden das Blasenterritorium beim Hunde ungefähr lcm hinter dem Sulcus cruciatus und einige Millimeter bis lcm von der Mantelkante entfernt. Es liegt auf der linken und auf der rechten Hemi- sphäre auf völlig symmetrischen Punkten und deckt sich im großen und ganzen mit dem von den gleichen Autoren festgelegten Gebiet für den Sphincter ani-Apparat des Hundes. Sie fanden aber eine Abgrenzung einzeiner Territorien für die abwechselnd erhaltene Detrusorkontraktion, Sphinktererschlaffung und Sphinkterkontraktion (s. früher) nicht möglich. v. Czyhlarz u. Marburg’) kommen auf Grund klinischer Studien zu der Ansicht, daß beim Menschen das corticale Blasenzentrum auf beiden Hemisphären in der motorischen Region gelegen sei, dort, wo das Arm- in das Beinzentrum übergeht (Hüftzentrum auf Obersteiners Schema). Goldmann‘) hat einen Fall von reiner, corticaler Kompression (durch epiduralen Eiterherd) über den unteren zwei Dritteln der hinteren Zentralwindung (mit Übergreifen über die obere und untere Scheitel-, sowie die obere Schläfenwindung) beobachtet, wo bei völlig intaktem Sensorium Unfähigkeit, willkürlich Harn zu lassen, bestand. Die Störung schwand voll- ständig nach der operativen Beseitigung des Eiterdruckes. Aus Budges (l. c.) und anderer Autoren Experimenten ging hervor, dab die Impulse von diesen Zentren in den Hirnschenkeln absteigen; ihr Verlauf und ihre Kreuzungen in der Med. obl. bzw. im Rückenmark wurden schon erörtert (s. oben Stewart. Bechterew u. Mislawski (l. c.) zeigten aber weiter, daß bei Hunden die corticalen Bahnen im T’halamus opt. Station machen bzw. daß der Thalamus in seinem vorderen Abschnitt ein Blasen- zentrum enthält; die Blasenkontraktionen auf Reizung des letzteren konnten schon bei bedeutend schwächerer Faradisation erhalten werden, als sie zur Erzielung desselben Fffektes bei Cortexreizung angewendet werden mußte. Ebenso war der Blasenreflex auf Ischiadicusreizung (s. früher) nach Abtragung der Großhirnhemisphären mit ziemlich schwachen Strömen zu erhalten, indes nach Abtragung des Thalamuszentrums die Reize sehr verstärkt werden mußten; die Blasenkontraktionen waren aber auch dann noch kräftig. v.Czyhlarz u. Marburg (l.c. u. 7) postulieren auch für den Menschen ein weiteres bilate- rales Blasenzentrum im Corpus striatum für die auf bewußte Empfindung ) Lecons sur 1. fonet. motrices d. Cerveau. Paris 1837. 2) Neurol. Zentralbl. 7, 505, 1888. — °) Ebenda 12, 82, 1893. — *) Ebenda 23, 646 ff., 1904. — °) Jahrb. f. Psychiat. und Neurol. 20, 134 ff., 1901. — °) Beitr. z. kl. Chir. 42, 187 ff., 1904. — °) Wien. klin. Wochenschr. 15, 788 ff., 1902. 282 Periphere Zentren. automatisch erfolgende Miktion und ein drittes im Thalamus für die auf Affektreize stattfindenden Blasenbewegungen. Werden die Bahnen des Zentralnervensystems über dem Lumbar- mark irgendwo unterbrochen, ist also der Weg für das Harndranggefühl sowohl als für die willkürliche Miktion abgeschnitten, so tritt für einige Zeit — oft nur zwei bis drei Tage — Blasenlähmung ein. Die Blase ist sehr groß und muß von Zeit zu Zeit entleert werden; geschieht dies nicht, so „läuft sie über“, sobald der Binnendruck so hoch geworden, daß er den Sphinkter überwindet. Da aber Blasenkontraktionen fehlen, genügen sehr kleine ablaufende Mengen, um den Sphinkter wieder für kurze Zeit schließen zu machen (Ischuria paradoxa). liegt die Unterbrechung aber, wie erwähnt, über dem Lendenmark, ist der untere Teil des Rückenmarkes erhalten, so stellt sich bald die gestörte Blasenfunktion wieder her, indem sie auf die anfängliche Stufe des reinen Reflexaktes kommt. Die Blasenentleerung wird wieder durch echte Kontraktionen bewirkt, große Mengen von Urin werden in mehr oder weniger großen Intervallen im Strahl entleert (Goltz), S. 474; Müller, l.c., u.a... Nur sind, ganz entsprechend den allgemein bei Reflexen beobachtbaren Erscheinungen, mit der Abtrennung höherer Hirnteile die von dort ausgehenden Hemmungen weggefallen, so daß der Refiex jetzt auch durch die geringfügigsten äußeren Reize ausgelöst wird, sobald die Blase ziemlich gefüllt ist. Berühren der Vorhaut, Abwaschen der Aftergegend (Goltz, 1. c.), mäßige taktile Reizung der hückenhaut, Berühren der Hinter- beine, Abwaschen der Vulva (Müller, l.c.) machen die operierten Tiere sofort im Strahle harnen. Der Reflexapparat des Lendenmarkes kommt hier, wie Goltz (l ce.) ganz treffend bemerkt, am durchsichtigsten und reinsten zur Anschauung. Werden jetzt die unteren Rückenmarksteile zerstört, so tritt sofort wieder Blasenlähmung mit Harnansammlung auf, anfangs sogar oft Harn- träufeln (Goltz). Aber auch hier stellt sich, wenn auch erst nach zwei bis drei Wochen, die Blasenfunktion teilweise wieder her [Goltz und Ewald’), L. R. Müller (l. c.). Die durch übermäßige Füllung ad maximum gedehnte Blase zeigt wieder spontane Kontraktionen, welche eine partielle Entleerung herbeiführen, d. h. so weit, bis ein Grad der Druckverminderung erreicht ist, welcher der Reizung ein Ziel setzt. Hier wird immer ein bedeutender Resi- dualharn gefunden, eine vollkommene Entleerung kommt nie zustande; weiterhin ist zum Unterschiede von dem Zustande bei erhaltenem Lumbal- und Sacralmark stets eine bedeutende Sphinkterschwäche (Tonusver- minderung) vorhanden. Die Tiere verlieren beim Bellen, bei lebhaften Be- wegungen des Vordertieres (Goltz und Ewald), also bei Kompressionen der Bauchhöhle stets kleine Urinmengen. Aber in der Ruhe tritt dies niemals ein — Harnträufeln besteht nicht. Die Blase erkrankt jetzt leicht (Goltz und Ewald, l.c. S. 394). Was neben der sehr unvollkommenen Harnent- leerung aber vor allem diese Tiere von denen mit erhaltenem unteren Rücken- mark unterscheidet, ist das Fehlen von Urin- (und Kot-) Entleerung als Reflex auf Reizung der Haut, der äußeren Genitalien usw. Das Einführen !) Pflügers Arch. 8, 460 ff., 1874 (mit Freusberg und Fuld). — °) Arch. f£. d. ges. Physiol. 63, 362 ff., 1896. Die Hunde hatten fast kein Dorsal-, gar kein Lumbar- und Sacralmark mehr. Die „entnervte“ Blase. 335 eines Thermometers in das Rectum (Goltz, 1. c.) löst jedoch Blasenkontrak- tion aus; ob dieses ein Reflex von einem Eingeweide aus ist, oder direkte Reizung der immer ziemlich gefüllten Blase, ist nicht entschieden. Die Re- flexe der von gemeinsamen sympathischen Bahnen aus versorgten Beckenein- geweide aufeinander, wie wir sie experimentell sicher auftreten sehen (durch Gangl. mesent. inf. und Plexus hypogastricus), sind in bezug auf ihr Vor- kommen im Organismus zweifelhaft geworden durch die erwähnten Unter- suchungen von Langley u. Anderson, welche die Anwesenheit echter, zu diesen Ganglien afferenter Blasenfasern in Frage stellen. Dieser Umstand erregt aber auch Bedenken gegen die Auffassung Müllers (l. c. S. 136/137), daß das Gefühl des Harndranges von der Blase durch sympathische Ganglien- zellen hindurch in das Rückenmark und Gehirn geleitet werde, und daß dementsprechend der Vorgang der Harnausstoßung, soweit er Reflex ist, nur im sympathischen Nervensystem zustande komme. Erwähnt sei hier nochmals, daß Müller (l. ce.) an Menschen mit Zer- störung des unteren Rückenmarkes bei genauer Beobachtung das gleiche Bild wie an den entsprechend operierten Tieren konstatiert hat; immer, bei genügender Zeit, Herstellung einer gleichsam „peripheren“ Blasenfunktion, d. h. kein Harnträufeln, sondern Entleerungen, wenn auch unvollständige, in gewissen Intervallen bei schwachem Sphinktertonus. Wie weit hier die Muskulatur selbständig arbeitet, wie weit der periphere, sympathische Gan- glienapparat die Funktion unterhält, ist noch dunkel. Daß bei letzterem eine bisher latente Fähigkeit, losgelöst vom Rückenmark selbständig zu arbeiten, zutage träte, ist nicht unwahrscheinlich. Merkwürdig ist, daß die sympathi- schen Ganglien auf Allgemeinzustände, wie den „asphyktischen“, gar nicht reagieren durch Einleitung von Gefäßkontraktion usw., wie Langley'!) kon- statierte. Eine Entscheidung über die oben berührte Frage der Unterhaltung einer Blasenfunktion durch die peripheren Apparate wäre zu erwarten durch die Resultate der Durchschneidung sämtlicher Blasennerven. Leider liegen genügende Befunde hierüber noch nicht vor. v. Zeissl”) hat an sechs Hunden, welche die Resektion der N. N. erigentes und der N. N. hypogastriei überlebten, normal funktio- nierende Blasen gefunden. Lewandowsky u. Schultz°) aber kamen zu an- deren Resultaten. Sie konnten wohl feststellen, daß die Durchschneidung nur eines Nervenpaares — gleichgültig welches der beiden — niemals andere als vor- übergehende Blasenstörungen macht, wurden aber beide Paare durchtrennt, so schwand nur bei weiblichen Hunden die anfängliche Incontinentia wrinae, derart, daß die Tiere 100 bis 200 cem Harn halten und willkürlich zu entleeren vermochten. Bei männlichen Hunden aber trat neben einer schweren Darmstörung — Lähmung des Mastdarms und gleichzeitig kontinuierlicher Kotdrang allerhöchsten Grades — ein dauerndes Abtröpfeln von Harn auf; nur einer dieser männlichen Hunde vermochte nach 14 Tagen willkürlich größere Mengen von Urin zu ent- leeren. Ob letzteres infolge unvollkommener Operation gelang, konnte nicht ent- schieden werden. Die Verfasser nehmen für diese männliche Ausnahme event. das Gleiche an, was sie für die Hündinnen postulieren, nämlich eine dritte Nerven- bahn „möglicherweise im N. pudendus internus“. Lewandowsky u. Schultz heben hervor, daß dies Resultat nicht übereinstimmt mit den oben geschilderten Experimenten von Goltz und Ewald, sowie von L. R. Müller am Hunde mit ver- kürztem Rückenmark; obwohl auch bei ihren Hunden nicht jeder vom Ureter Y) Journ. of Physiol. 27 (1901). — °) Wien. klin. Wochenschr. 9, 394/395, 1896. — *) Zentralbl. f. Physiol. 17, 434 ff., 1903. 334 Resorption aus der Blase. anlangende Tropfen gleich aus der Blase floß, so wollen sie doch einen Zustand, der bei einer Blasenfüllung von 50 bis 80 cem schon zu Harnträufeln führt, nicht als Ischuria paradora, als „Überlaufen“ der Blase bezeichnen ; des weiteren spiele die Bauchpresse, welche ja bei dem anfänglichen fortwährenden Kotdrange die Ansammlung von größeren Harnmengen hindern könnte, nach den Autoren in späteren Stadien keine Rolle mehr. Zu bemerken ist aber, daß Lewandowsky u. Schultz den Sphincter vesicae ihrer Hunde noch dauernd tonisch erregt fanden, einem Eröffnungsdrucke von etwa 100mm Wasser weichend; ob dies als Inkontinenz zu bezeichnen ist, dafür fehlt es vorläufig an einer Norm. Da der Plezus hypogastrieus bei dieser Doppeldurchschneidung erhalten bleibt und auch Durchschneidung der N. N. mesenterici anstatt der N. N. hypogastrici — also Erhaltung des Zusammenhanges des Gangl. mesent. inf. mit der Blase — am Resultat nichts ‚ändert, glauben Lewandowsky u. Schultz den sympathischen Ganglien eine Bedeutung für die Regelung der Blasenfunktion vorläufig nicht beimessen zu können. 9. Gefäße, Epithel, Lymphgefäße, Resorption. Die verhältnismäßig reiche Vascularisation der Blasenschleimhaut muß jedem auffallen, der einmal kystoskopische Beobachtungen angestellt hat!). Der Anblick, den zumal die (trigonalen) Partien zwischen den Ureterenmündungen bieten, er- innert sehr an die ophthalmoskopischen Bilder [vgl. Nitze’) und E. Burck- hardt°®)]. Auch in der Blasenwand, wie am Ureter, dringen von dem reichen sub- mucösen Plexus Capillaren in die Schleimhaut ein. Letztere stellt bei kontra- hierter Blase ein vielschichtiges (etwa 50 «u hohes) Epithel dar; bei ausgedehnter Blase, ganz wie beim dilatierten Ureter, verwandelt es sich in einen sehr dünnen (etwa 4 u hohen), anscheinend nur ein- bis zweischichtigen Überzug. London‘), der wie Paneth und Överdieck die Mechanik dieses so plastischen Epithels untersuchte und Messungen anstellte, kommt zu dem Resultat, daß der Cubikinhalt des gesamten Epithels derselbe bei dilatierter und bei kontrahierter Blase sei, und daß in der so außerordentlich verdünnten Zellage der ausgedehnten Blase doch noch die Mehrschichtiekeit sich erkennen lasse. Es tritt nur eine außerordentliche Flächendehnung der Zellen auf, wobei elastische Kräfte geweckt werden, die bei der Entleerung der Blase die Zellen wieder in die früheren Verhältnisse zurück- führen. Das Gleichbleiben des Cubikinhaltes des Epithels läßt also die Vorstellung abweisen, daß etwa bei der Dehnung (Abplattung) Flüssigkeit aus den Zellen in mucöse Lymphräume verdrängt würde; damit würde übereinstimmen, daß, wie Gerota°) angibt, die Schleimhaut der Harnblase vollständig der Lymphgefäße ermangle. Nach Sakata°) fehlen dieselben auch der Mucosa und Submucosa des Ureters. Beide Autoren berichten dagegen, daß das Lymphgefäßnetz der Muskelscheide und der äußeren Oberfläche beider Organe reich entwickelt sei. Gerota (l. ce.) hat im Zusammenhange mit der Untersuchung des lymphatischen Apparates auch die- jenige der Resorption der Blasenwand verbunden. Paul Bert, Kaupp u.a. hatten ja die Resorption von Urin aus der Blase bei langer Retention behauptet, einige Autoren glaubten dies auch für die verschiedensten in die Blase injizierten Substanzen erwiesen zu haben, während von anderer Seite dies in Abrede gestellt wurde. Gerota zeiete, daß einmal bei solehen Versuchen das Eindringen der be- treffenden Flüssiekeit in die Urethra — von wo aus die Substanzen rasch in das Lymphgefäßsystem eindringen — vermieden werden muß und daß vor allem, abgesehen von etwaigen manipulatorischen Epithelverletzungen, es darauf ankommt, ob die Versuchsflüssiekeit für das Epithel different ist oder nicht. Die innerste Schicht des Epithels wird ja, wie die mikroskopische Untersuchung zeigt, und wie Dogiel”), !) Ich bin meinem während des Druckes dieser Arbeit leider verstorbenen Kollegen, Herrn Prof. E. Burckhardt-de Bary sehr zu Danke verpflichtet dafür, daß er mir Gelegenheit zu solchen Beobachtungen gegeben hat. — °) Lehrbuch der Kystoskopie. Wiesbaden 1889. — °) Atlas der Kystoskopie. Basel 1891. — *) Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1891, 8. 317ff. — °) Ebenda 1897, 8. 428ff. — °) Ebenda 1903, S. 1. — ?) Arch. f. mikrosk. Anat. 35, 389 ff., 1890. Resorption aus der Blase. 335 Disse!), Gerota (l. c.), London (l.c.) u. a. übereinstimmend angeben, von sehr großen, platten Zellen gebildet, deren oberflächlichste Schicht ein dichtes, vom körnigeren, basalen Teil deutlich unterschiedenes Gefüge zeigt [Cuticeularbildung nach Dogiel (l.c.)]. Diese Zellen sind, wie die Zellen der tieferen Lagen, durch eine hyaline, stark lichtbrechende Substanz miteinander verkittet. Gerota erhielt nun bei seinen Versuchen eine sehr langsame Diffusion von kristalloiden Harn- bestandteilen, ebenso von Glukose, Cyanwassersoff, Ferroeyannatrium, aus konzen- trierten Lösungen, welche durch die Intercellularsubstanz — die Berlinerblaureak- tion der mikroskopischen Präparate von Ferrocyannatriumversuchen zeiste dies — sich vollzieht; Substanzen also, welche indifferent für das Epithel sind. Die ebenfalls für die Zellen indifferenten Alkaloide (Strychnin, Cocain, Atropin) werden dagegen gar nicht resorbiert, ein Resultat, das auch Boyer und Guinard’) mit Eserin, Pilocarpin, Veratrin, Lewin und Goldschmidt’) mit Phenylhydroxylamin er- hielten. Daß aber Schädigungen des Epithels ganz andere Resultate hervorbringen können, das zeieten am besten die Versuche mit Jodkalium, welches in schwachen Konzentrationen für die Zellen indifferent ist, daher nach langem Verweilen keine Jodreaktion im Blute hervorbringt, dagegen in starker Konzentration die Schleim- haut verletzt und dann resorbiert wird. ") Handb. d. Anat. d. Menschen 7 (1). Jena 1902. — ?) Archives de med. exp. 6, 882, 1894. — °) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 37, 60, 18986. Der Harn von Otto Weiß. A. Allgemeines. I. Physikalische Eigenschaften. Der frisch entleerte menschliche Harn ist in der Regel eine homogene, klare Flüssigkeit. Nach längerem Stehen setzt sich in ihm eine zarte wol- kige Trübung am Boden des Gefäßes ab, welche man als Nubecula bezeichnet. Sie besteht aus Schleim, der aus den Harnwegen stammt, sowie aus Epithel- zellen und Rundzellen von gleicher Herkunft. Körnchen harnsaurer Salze können ebenfalls in der Nubecula enthalten sein. Nach neueren Unter- suchungen finden sich auch Zylinder im normalen Harn. Häufig kommt es vor, daß der Harn sich beim Erkalten trübt. Die Trübung rührt von harnsauren Salzen her; sie ist von gelber, gelbgrauer oder ziegelroter Farbe und geht beim Erwärmen in Lösung. Im Harn des Neugeborenen findet sie sich regelmäßig innerhalb der ersten Lebenstage.e Manchmal zeigt sich im menschlichen Harn eine Trübung, die schon bei der Entleerung vorhanden ist. Sie ist von hellgrauer Farbe und verschwindet beim Erwärmen nicht. Bedingt ist sie durch Erdphosphate (s. u... Der Harn der Pflanzenfresser ist gewöhnlich in ähnlicher Weise trübe; hier sind vorwiegend Karbonate und in geringem Betrage Phosphate der alkalischen Erden die Ursache davon. Die Farbe des Harnes kann von hellbernsteingelb bis zum Rotbraunen wechseln. Sie ist einmal abhängig vom Wassergehalt; beim Dürstenden und nach reichlicher Schweißabsonderung ist sie dunkel, bei kühlem Wetter und nach Aufnahme größerer Wassermengen ist sie hell. Außerdem ist sie ver- schieden je nach der Reaktion: alkalische Harne sind gewöhnlich blasser als saure. Man kann auch künstlich die Farbe des sauren Harnes heller machen, wenn man Alkali zusetzt. Endlich hängt die Farbe von der Natur der im Harn enthaltenen Farbstoffe ab. Hierüber siehe S. 379 bis 383. Der Harn absorbiert die Farben des Spektrums zunehmend nach dem violetten Ende hin. Die Exstinktionskoeffizienten für die einzelnen Farben hat Vierordt!) bestimmt. Die folgende Tabelle gibt seine Beobachtungen an sehr pigmentreichen nor- malen Harnen wieder. In ihr enthält die letzte Kolumne die Zahl, welche '!) Zit. nach Neubauer-Vogel, Anleitung zur qualit. u. quantit. Analyse des Harns, S. 502. 7 Allcemeines. — Physikalische Eigenschaften. 33 {==} y o I.) angibt, wieviel mal größer der Exstinktionskoeffizient des am stärksten absor- bierenden Harnes war als der des am schwächsten absorbierenden. Exstinktionskoeffizienten max. Ab- absolut | relativ Sr weichung als) N er) 0,0515 1 1,84 D87E — ESF 0,0819 1,59 2,14 ESF — E26F 0,0966 1,88 21 E26 F — E45 F | 0,1062 2,06 1,93 E45 F — E63 F 0,1159 | 2,25 1,83 E63 F — ES0OF 0,1259 2,44 it EIS0R — 0,1379 2,68 1,57 F—- F21G | 0,1768 3,37 | 1,40 F21G6 — F446 0,1995 | 3,87 1,47 F44G — F65G 0,2325. | 4,51 1,49 F65G — F37G 0,2818 | 5,47 1,68 E87G — G10H | 0,3298 6,40 1,68 Der Harn fluoresziert. Gelbroter Harn fluoresziert grün oder gelb, hell- gelber. blau. Die Ebene des polarisierten Lichtes dreht der Harn nach links. Der Geruch des Harnes ist von der Ernährung abhängig. Bei Genuß von Fleisch, Brot, Butter und Wasser ist er angenehm aromatisch, an den Geruch der Fleischbrühe erinnernd. Viele Stoffe, die Nahrungs- oder Genub- mitteln ihren charakteristischen Geruch verleihen, gehen unverändert in den Harn über, erinnert sei an das Aroma des Kaffees und der Erdbeeren. Die Aufnahme mancher Nahrungsmittel verleiht dem Harn einen besonderen Geruch, so der Genuß von Spargel (siehe unten). Der Geschmack des Harnes ist bei Prüfung mit den vorderen Teilen der Zunge bitter und salzig. Verschluckt man Harn, so kommen auch die aromatischen Stoffe mit zur Geschmacksempfindung, die dann auch das Aroma enthält, wie es der Geruch vermittelt. Die Dichte des Harnes hängt vom Verhältnis der Menge des Wassers und der festen Bestandteile ab. Sie ist gewöhnlich 1,017 bis 1,020. Nach heftigem Schwitzen kann sie auf 1,040 ansteigen, nach Aufnahme von viel Wasser bis zu 1,002 sinken. Der Harn Neugeborener hat eine geringe Dichte, 1,005 bis 1,007. Die Bestimmungen der Dichte des Harnes geschehen nach den in der Physik für die Dichtigkeitsbestimmung gebräuchlichen Me- thoden. Der osmotische Druck des Harnes ist, wie zu erwarten, großen Schwan- "kungen unterworfen. Die Gefrierpunktsdepression schwankt unter normalen Verhältnissen zwischen 1 — 0,87 bis 1 — 2,71 Grad. Bugarszky!) hat eine Beziehung zwischen Gefrierpunksdepression und spezifischem Gewicht ab- Ad E — 75 sein. Die Beziehung hat jedoch selbst für geleitet. Hiernach soll normale Harne nur annähernde Gültigkeit 2). !) Bugarszky, Pflügers Arch. 68, 389. — ?) Steyrer, Hofmeisters Beitr. 2, 312. 5 y g Y Nagel, Physiologie des Menschen. I. 9) 338 Allgemeines. — Chemische Eigenschaften. Die ausgedehnte Literatur über das physikalisch -chemische Verhalten des Harnes findet man bei Hamburger, Ösmotischer Druck und Ionenlehre I. 347 bis 384. II. Chemische Eigenschaften. Der menschliche Harn reagiert gewöhnlich sauer gegen Lackmuslösung. Im Stoffwechsel entstehen aus neutralen Substanzen, die mit der Nahrung aufgenommen werden, Säuren, die in den Harn übergehen, so z. B. aus den Proteiden Schwefelsäure, Phosphorsäure und organische Säuren. Hierdurch kommt es, daß die Säureäquivalente die Basenäquivalente übertreffen. Für die anorganischen Säuren und Basen zeigt dies folgende Zusammenstellung, die nach Bestimmungen von Stadelmann!) berechnet ist. Sowohl Säuren wie Basen sind auf ihre Wasserstoffäquivalente umgerechnet: Säureäquivalente: Cl] = 0,2784; SO, = 0,0580; PO, = 0,1284. Basenäquivalente: Na = 0,2382; K = 0,0662; NH, = 0,0351; Ca = 0,0020; Me:— 0,0073; Summe der Säureäquivalente: 0,4648; Summe der Basenäquivalente: 0,3188. Auf den Säuregrad des Harnes wirken besonders die Nährstoffe ein. Bei vorwiegend vegetabilischer Ernährung kann der Harn alkalisch werden. Dies tritt dann ein, wenn viel pflanzensaure Alkalien einverleibt worden sind. Die organischen Säuren derselben werden dann zu Kohlensäure und Wasser oxy- diert, und das fixe Alkalı bleibt in den Gewebssäften, von wo es ins Blut und weiter in den Harn übergeht. Auch während der Verdauung kann der Harn alkalisch werden, dadurch daß dem Blute durch die Bildung des Magensaftes Säure entzogen wird. Hierdurch muß natürlich die Alkalität des Blutes und damit auch die des Harnes vermehrt werden. Ob Muskelanstrengungen den Säuregrad des Harnes erhöhen, ist nicht ganz sicher, behauptet wird es von Hoffmann), Ringstedt°), Oddi und Tarulli ®), bestritten von Aducco’). Nach Hoffmann soll starke Schweißsekretion den Säuregrad des Harnes herabsetzen. Über die Wirkung von Einverleibungen freier Mineralsäuren auf die Harnacıdität siehe Seite 344. Der Harn der Fleischfresser ist, solange sie naturgemäß ernährt werden, stark sauer. Der Pflanzenfresserharn ist alkalısch, wird aber beim Hungern sauer. Bestimmung des Säuregrades des Harnes. Die Bestimmungen der Acidität des Harnes 6) können von zwei Gesichts- punkten aus unternommen werden. Man kann einmal versuchen, die Ge- wichtsmenge des Wasserstoffes, der durch Metall vertretbar ist, im Harn durch Titration zu bestimmen. Die Titrationsmethoden können auf diese Frage jedoch keinen genügenden Aufschluß geben, was durch die Natur der !) Stadelmann, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 17, 433. — ?) Hoffmann, siehe Malys Ber. 14, 213. — °) Ringstedt, ebenda 20, 196. — *) Oddi und Tarulli, ebenda 24, 542. — °) Aducco, ebenda 17, 179. — °) Ich folge hier den Ausführungen von Heffter, Erg. d. Phys. 1 (1), 438. Zusammensetzung. 339 Indikatoren !) bedingt ist. Zweitens kann man die Menge der im Harn enthaltenen freien Wasserstoffionen bestimmen. Dies hat mit Hilfe der Konzentrationskettenmethode zu geschehen. v. Rohrer?) hat auf diese Weise gefunden, daß in einem Liter Harn im Mittel 30.107 g Wasserstoffionen frei enthalten sind. Die Bestimmungen schwankten zwischen 4.107 und 76,4.10”g im Liter; bei Hoeber?°) schwankten sie zwischen 4,7.10” und 100.10” und betrugen im Mittel 49.107 im Liter. Eine Beziehung zwischen den Aciditätswerten, welche durch Titration, und denen, die durch die Gaskettenmethode gewonnen werden, besteht nicht. B. Zusammensetzung des Harnes. Die am Tage entleerte Harnmenge wird gewöhnlich gleich 1500 cem angegeben. Hierin sind etwa 60 g feste Bestandteile enthalten. Über ihre Verteilung auf die einzelnen Stoffe des Harnes gibt die folgende Tabelle Aufschluß. Anorganische Bestandteile 25& | Organische Bestandteile 35g Natriumehlorid (NaCl) ....15 g Harnstofbs - +... 02er. 22a Sehwefelsäure (SO,H,) - - . : 25, Harnsäure 37% er ee Ehosphorsäure (P,0,). -. . - . 2,5, Re oe ee OL... ...7..'83, EIFDPULSAULEN ee Benmonmiak (NH,) - - -. . -— 07, WibrıgevStolle , ne Eee Basnesia (MeO).. :»-..:.. 05, Kallk (CEO) Sur 6:73 Übrige SEEDIENEL er ER 02. Die Zusammensetzung des Harnes ist beträchtlichen Schwankungen unterworfen. Besonders wechselt die Quantität des abgesonderten Wassers sehr. Sie hängt teils von der Menge des aufgenommenen Wassers, teils von der Ausgiebigkeit der Wasserausscheidung auf anderen Wegen ab. So kann bei hoher Außentemperatur wegen der reichlichen Schweißabsonderung die Harnmenge auf 400, ja auf 300 ccm sinken. Die Aufnahme großer Quanti- täten Wasser vermehrt dagegen die Harnmenge sehr beträchtlich. Man hat die Tagesmenge auf 3000ccm und mehr steigen sehen. Beim normalen Menschen fällt das Maximum der Absonderung in die ersten Stunden nach dem Aufstehen und in die ein bis zwei Stunden nach den Mahlzeiten liegen- den Zeiten. Das Minimum fällt in die Zeit von 2 bis 4 Uhr Nachts. Die Menge der festen Stoffe wechselt weit weniger als die Wassermenge, wenigstens bei gleichmäßiger Ernährung. Man kann die Menge der festen Bestandteile nach der folgenden Formel annähernd berechnen. Wenn man das spezifische Gewicht des Wassers bei 15°C gleich 1000 setzt und das spezifische Gewicht des Harnes (entsprechend gemessen) mit h bezeichnet, so ist (A—1000) 2,33 die Menge der festen Substanz, die in 1000 ccm Harn enthalten ist. Die Zahl 2,33 ist von Haeser ermittelt, man nennt sie den Haeserschen Koeffizienten. ') Vgl. Ostwald, Die wissensch. Grundlage der analyt. Chemie 1901; Zeitschr. £ physikal. Chemie 3, 190. — ?) v. Rohrer, Arch. f. d. ges. Physiol. 86, 586. — ) Hoeber, Hofmeisters Beitr. 3, 525. 29* 340 Anorganische Bestandteile. — Säuren. Für gewisse Fragen des Stoffwechsels ist es von Interesse, die Beziehung. zwischen Kohlenstoffgehalt und Stickstoffgehalt des Harnes zu kennen. Der Y CR: 3 $ Quotient — ist in der Regel gleich 0,87, er schwankt zwischen 0,7 und 1 [Scholz, Bouchard, Pregl, Tangl?)]. I. Die anorganischen Bestandteile. Von anorganischen Säuren kommen im Harn vor: Salzsäure, Flußsäure, Phosphorsäure, Schwefelsäure, Kohlensäure, Kieselsäure, Salpetersäure, sal- petrige Säure, bei einigen Tieren auch schweflige Säure. An Basen enthält der Harn: Natron, Kali, Ammoniak, Kalk, Magnesia und Eisen. Über die täglich ausgeschiedene Menge dieser Substanzen gibt die Tabelle auf S. 339 Auskunft. Der Nachweis der anorganischen Bestandteile geschieht nach -den in der Chemie gebräuchlichen Methoden, so dab hier darauf nicht eingegangen werden soll. Man vergleiche die Handbücher der physiologischen Chemie. 1. Säuren. 1. Chlorwasserstoff. Der Gehalt des Harnes an Ohlorwasserstoff ist proportional der Menge der Chloride, die mit der Nahrung aufgenommen werden. In der täglich bei Ernährung mit gemischter Kost ausgeschiedenen Chloridmenge ist an Chlor 6 bis 10g enthalten. Tierharn ist ärmer an Chloriden als Menschenharn. Der Chloridgehalt des Harnes wird vermehrt durch reichlichen Wasser- genuß, durch Muskelanstrengungen, besonders aber durch Einnahme von Kalisalzen 2. Auch Einverleibung von Chloroform kann den Chlorgehalt des Harnes erhöhen ?2). Nach Ausrottung der Schilddrüse sinkt der Chlor- gehalt des Harnes®). Bei dauernder Entziehung des Kochsalzes sinkt der Chloridgehalt auf Spuren °). Von Berlioz und Lepinois®*) ist behauptet worden, daß sich Chlor auch in organischen Verbindungen im Harn finde; doch ist dieser Angabe vielfach widersprochen worden. 2. Fluorwasserstoff. Nach Berzelius’) sind Spuren von Fluor im Harn vorhanden. 3. Schwefelsäure. Die Schwefelsäure findet sich im Harn teils als selbständige Verbindung, teils gebunden an einen organischen Atomkomplex. Die freie Schwefelsäure wird auch A-Schwefelsäure, die gebundene auch als B-Schwefelsäure bezeichnet. Die täglich ausgeschiedene Schwefelsäuremenge beträgt als SO, ausgedrückt 1,5 bis 3g. Hiervon ist unter normalen Ver- !) Literatur siehe bei Pregl, Pflügers Arch. 75, 87; Tangl, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899. Supplbd. 8. 251. — *) Bunge, G., Zeitschr. f. Biol. 9, 121. — ®) Zeller, Zeitschr. f. physiol. Chem. 8, 74; Kast, A., ebenda 11, 277; Vitali, Chem. Zentralbl. 1899, II, 61. — *) Roos, E., ebenda 21, 25. — °) Müller, Fr., Zeitschr. f. klin. Med. 16, 496; Mester, ebenda 24, 441. — °) Berlioz u. Lepinois, siehe Chem. Zentralbl. 1894, I, 912; Petit u. Terrat, Journ. Pharm. Chim. 29, 585; Vitali, Chem. Zentralbl. 1897, II, 54; Ville et Moitessier, siehe Malys Ber. 31, 413; Meill&re, ebenda 31, 414; Bruno, ebenda 31, 414. — ”) Berzelius, General Views of the composition of animal fluids, 1812, p. 61. Anorganische Bestandteile. — Säuren. 341 hältnissen etwa der zehnte Teil gebundene Schwefelsäure, doch schwankt die Menge der gebundenen Schwefelsäure sehr. Über die Ursache dieses Verhaltens siehe Seite 372. Nicht aller Schwefel des Harnes ist in Form von Schwefelsäure vorhanden, sondern etwa 20 Proz. sind in anderer Form organisch gebunden; man bezeichnet ihn als neutralen Schwefel. Über seine Natur wird im folgenden noch berichtet werden. Hier sei nur erwähnt, daß der neutrale Schwefel den Organismus in Form von Rhodanwasserstoff, von Cystin, von Taurinderivaten, von Mercaptanen und von einigen kompli- zierten organischen Säuren verläßt. Aller im Harn ausgeschiedene Schwefel rührt von dem Zerfall eiweiß- artiger Substanzen beim Stoffwechsel her. Hierfür spricht die Tatsache, daß bei vermehrtem Abbau von Eiweiß im Organismus der Schwefelgehalt des Harnes zunimmt). Daher geht gewöhnlich die Schwefelausscheidung der Stickstoff- ausscheidung parallel; das Verhältnis des Stickstoffes zur Schwefelsäure ist etwa 5:1. Eine strenge Konstanz dieses Verhältnisses ist nicht zu erwarten, einmal weil ein wechselnder Teil des Schwefels als neutraler Schwefel aus- geschieden wird, und dann, weil der Gehalt der Eiweißkörper an Schwefel größeren relativen Schwankungen unterworfen ist als ihr hoher Stickstoffgehalt. Die im Harn möglichen schwefelsauren Salze sind mit alleiniger Aus- nahme des Kaliumsulfates leicht lösliche Körper. Nachweis: Der Harn wird stark mit Essigsäure angesäuert und danach mit Baryumchlorid versetzt. Ein entstehender feinpulveriger Niederschlag wird sogleich, (um dem Ausfallen der Harnsäure zuvorzukommen), mit verdünnter Salzsäure er- wärmt. Bleibt dann ein weißer Niederschlag bestehen, so ist die Gegenwart von A-Schwefelsäure dargetan. Zum Nachweise der B-Schwefelsäure verwendet man das Filtrat des mit Essigsäure und Baryumchlorid gefällten Harnes.. Es wird mit Salzsäure und Baryumchlorid erwärmt. Entsteht beim Erwärmen ein Niederschlag, so ist er auf die Gegenwart von B-Schwefelsäure zu beziehen. Der neutrale Schwefel wird im Harne nachgewiesen, nachdem A- und B-Schwefelsäure gefällt worden sind. Man entfernt das Baryum ‚durch Soda und dampft zur Trockne ein. Dann schmelzt man den Rückstand mit Salpeter, nimmt mit Wasser auf, säuert mit Salzsäure an und setzt Baryumchlorid hinzu. Ein weißer Niederschlag zeigt die Gegenwart von Schwefel an. 4. Thioschwefelsäure ist von Schmiedeberg?) und Meissner) im normalen Harn von Hunden nachgewiesen worden. Im menschlichen Harn findet sie sich nicht ®). 5. Phosphorsäure. Die Phosphorsäure geht zum größten Teil aus der Nahrung unverändert in den Harn über ’), zum kleineren ist sie das End- produkt des Zerfalles von Nucleinsubstanzen, Protagon und Lecithin $) beim Stoffwechsel. Daher ist der Phosphorsäuregehalt des Harnes groß bei phos- phorreicher Fleischkost 7), klein bei Pflanzenkost. Bei der Abhängigkeit der ') Beck und Benedikt, Pflügers Arch. 54‘, 27; Munk, Areh. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, S. 386. — ?) Arch. f. Heilk. 8, 422. — °) Zeitschr. f. rat. Med. (3) 31, 322. — *) Salkowski, Pflügers Arch. 39, 221. — °) Schetelig, Virchows Arch. 82, 437. — °) Gumlich, Zeitschr. f. physiol. Chem. 18, 508; Roos, ebenda 21, 19; Weintraud, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, S. 382. — 7) Ein Maß für die Zersetzung phosphorhaltiger Proteide ist an dem Phosphorgehalt des Harnes bisher nicht zu gewinnen. Milroy u. Malcolm, Journ. of Physiol. 23, 217; Röh- mann u.-Steinitz, Pflügers Arch. 72, 75; Löwi, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. #4, 1, 45, 157. 342 Anorganische Bestandteile. — Säuren. Phosphatausscheidung von dem Phosphatgehalt der Nahrung ist, wie zu er- warten, das Verhältnis des Stickstoffgehaltes zum Phosphatgehalt nicht kon- stant. Ehrström!) hat an sich selbst beobachtet, daß im Organismus eine beträchtliche Menge von Phosphersäure unabhängig vom Verhalten der Stick- stoffbilanz aufgespeichert 2) werden kann. Bei ganz bestimmter Ernährung kann aber das Verhältnis von Stickstoff- und Phosphorsäureausscheidung kon- stant werden, so ist es bei Fleischkost bei Hunden 8,1:1[Voit°)|. Beim Hungern wird das Verhältnis kleiner *#), weil außer der Muskelsubstanz und anderen stickstoffhaltigen Geweben auch ein phosphorhaltiges Gewebe stark abgebaut wird, nämlich die Knochensubstanz. Wenn die Nahrung viel Calcium und Mag- nesium enthält, so wird im Harn wenig Phosphorsäure selbst bei phosphat- reicher Nahrung ausgeschieden, weil alle Phosphate im Darm an Calcium und Magnesium gebunden werden. Bei Pflanzenfressern ist der Harn sehr arm an Phosphaten; denn hier werden (wenigstens subeutan injizierte) Phosphate durch den Darm ausgeschieden). Starke Muskelanstrengungen vermehren die Phosphatausscheidung beträchtlich ®). Die normalerweise ausgeschiedene Phosphorsäuremenge (P,0,) beträgt 1 bis 5g. Hiervon sind nach von Ott?) 6/0 als primäres und ®/,, als sekundäres Phosphat vorhanden. Es kommt vor, daß der Harn ein Sediment von Phosphaten zeigt, auch bei gesunden Indi- viduen. Es soll sich dabei um eine Vermehrung der Kalkausscheidung bei verminderter Phosphorsäureausscheidung, jedenfalls um Störung des Verhält- nisses der Phosphorsäure und der alkalischen Erden im Harn handeln °). Löslichkeitsverhältnisse der Phosphate. Leicht löslich sind die pri- mären, sekundären und tertiären Alkaliphosphate, schwerer löslich die Phosphate der alkalischen Erden des Harnes, des Magnesiums und des Calciums. Das pri- märe Phosphat des Magnesiums Mg(PO,)H, ist leicht löslich, von dem des Cal- ciums lösen sich 1°/-g in 1000 Teilen Wasser. Neutralsalze, die im Harn vorhanden sind, erhöhen die Löslichkeit, so daß alles Calcium im Harn als Phosphat gelöst sein könnte. Das sekundäre Phosphat des Magnesiums löst sich in einem Liter Wasser zu drei Teilen, das des Caleiums nur zu 0,15 Teilen; doch wird nach v. Ott die Löslichkeit durch die Gegenwart von Natriumchlorid und primärem Alkaliphosphat gehoben. Das Magnesium könnte so in Form des sekundären Phos- phates im Harn vollkommen gelöst sein, das Calcium dagegen nicht. Vielmehr muß dies zum Teil als primäres Phosphat im Harn vorhanden sein. Hierfür spricht auch, daß das sekundäre Caleciumphosphat aus dem Harn ausfällt, wenn man ihn mit Ammoniumhydrat oder Kalihydrat versetzt, bis die Reaktion nur noch ganz schwach sauer ist. Im schwach sauren Harnen findet sieh das sekundäre Caleciumphosphat zuweilen als kristallinisches Sediment. Man hat zu beachten, daß beim Erhitzen des Harnes zum Sieden das sekundäre Calciumphosphat sich in primäres und tertiäres verwandelt, wobei das tertiäre ausfällt und das primäre die Reaktion stark sauer macht. Die tertiären Phosphate der alkalischen Erden sind schwer löslich. Vom Magnesiumphosphat lösen sich nur 0,2g im Liter, vom ) Ehrström, Skand. Areh. f. Physiol. 14, 82. — *) Für eine solche Auf- speicherung sprechen auch die Beobachtungen bei Krankheiten, in denen die Aus- seheidung der Purine (s. u.) vermehrt ist. Hier kann sogar die Phosphatausscheidung im Harn herabgesetzt sein. — °) Voit, Handbuch d. Physiol. v. Hermann 6 (1), 79. — *) Munk, Vireh. Arch. 131, Supplbd. S. 158. — °) Bergmann, Areh. f. exp. Path. u. Pharm. 47, 77. — °) Preysz, Malys Jahresber. 21, 352; Klug u. Olsavszky, Pflügers Areh. 54, 21; Munk, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, 3.385. — 7) v. Ott, Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 1. — °) Panek, Malys Jahresber. 10, 112; Iwanoff, Biochem. Zentralbl. 1, 710; Soetbeer u. Krieger, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 72, 552. u A ZELDA U Aa oe Anorganische Bestandteile. — Basen. 343 Caleiumphosphat sogar nur 0,010. Beide können sich als Sedimente im Harn finden. Eine sehwer lösliehe Doppelverbindung sei noch erwähnt, die sich im normalen Harn selten, regelmäßig aber in faulendem, ammoniakhaltigem Harn als Sediment findet, das Ammonium-Magnesiumphosphat (Tripelphosphat). Aus diesen Eigenschaften der phosphorsauren Salze folgt, daß ein alkalischer Harn stets ein Sediment von tertiäirem Phosphat oder von Ammonium-Maenesium- - phosphat enthalten muß. 6. Die Kohlensäure findet sich im Harn teils als Gas (siehe unten), teils gebunden an Basen. Von den Karbonaten sind leicht löslich die der Alkalien, die Karbonate der alkalischen Erden sind schwerer löslich, die pri- mären leichter als die sekundären. Die Menge der gebundenen Karbonate wechselt sehr; sie kann nach der Aufnahme von Stoffen, die nach dem Abbau im Stoffwechsel freies Alkalı hinterlassen (pflanzensaure Salze), so groß werden, daß der Harn eine Trübung durch Magnesium- und Caleiumkarbonat erfährt. Bei vielen Pflanzenfressern ist dies die Regel. 7. Salpetersäure. In kleinen Mengen findet sich ım Harn Salpeter- säure!), die aus der Nahrung stammt. Aus ıhr bildet sich in stehendem Harn salpetrige Säure?). Nach Richter?°) soll sie auch im frischen Harn vorhanden sein. Kieselsäure ist im Harn in geringer Menge nachgewiesen worden. Wasserstoffsuperoxyd hat Schönbein‘) im Harn aufgefunden. 2. Basen. 1. Alkalien. 1. Kalium. Die Mengen des ausgeschiedenen Kaliums schwanken je nach der Ernährung. Im Mittel werden bei gemischter Kost in 24 Stunden 1,9 bis 3,2 Kalium ’) ausgegeben. Bei reiner Fleischernährung ist der Kalium- gehalt des Harnes am größten, kleiner bei Ernährung mit Fleisch und Brot, am kleinsten bei reiner Brotnahrung ®). Beim Hungern wird der Kaliumgehalt des Harnes erhöht, weil kalireiche Gewebe zerfallen. 2. Natrium. Die Natriummenge beträgt im Mittel 4 bis 5,4g am Tage. Zwischen Kalium- und Natriumausscheidung besteht ein merk würdiger Antagonismus. Durch Zufuhr von Kaliumphosphat oder -citrat wird die Na- triumausscheidung, in etwas geringerem Grade durch Zufuhr von Natrium- karbonat oder -citrat die Kaliumausscheidung gesteigert ®). 3. Ammonium (vgl. das Kapitel über die Harnstoffbildung). Die täg- liche Ammoniummenge schwankt zwischen 0,3 und 1,28; sie ist im Mittel 0,6 bis 0,8g. Das Ammonium rührt von den abgebauten Eiweißstoffen her. Daher ist seine Menge groß bei Fleischernährung, klein bei vegetabilischer Kost. Man nimmt an, daß das Ammonium zur Neutralisation des Säureüber- schusses diene, der bei den Verbrennungsprozessen im Organismus entsteht. ') Wulffius, Dissert., Dorpat 1861; Schönbein, Joum. f. prakt. Chem. 92, 152. — ?) Schönbein, a. a. O.; Röhmann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 5, 241; Karplus, Zentralbl. f. klin. Med. 14, 577. — °) Richter, Chem. Zentralb. 2, 176. — *) Schönbein, Journ. f. prakt. Chem. 92, 168. —'°) Salkowski, Virch. Arch. 53, 209; Stadelmann, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 17, 433; Beckmann, Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1890, 8.266. — °) Bunge, Zeitschr. f. Biologe. 9, 117. 344 Anorganische Bestandteile. — Basen. — Gase. Doch hat man zu bedenken, daß auch bei andauernder Zufuhr von viel Al-. kali Ammonium im Harn !) ausgeschieden wird. Wenn man dem Körper der Fleischfresser Ammonıumsalze einverleibt, deren Säure zu Kohlensäure oxydiert werden kann, so werden sie in Harnstoff verwandelt?2). Dasselbe geschieht mit eingegebenem Ammoniumkarbonat. Ammoniumsalze mit nicht oxydierbarer Säure werden dagegen unverändert im Harn ausgeschieden. Bei Pflanzenfressern wird ziemlich alles einverleibte Ammonium als Harnstoff ausgeschieden. Wenn es daher an Säuren gebunden war, die nicht zu Kohlensäure oxydiert werden können, so ist klar, daß der Organismus der Tiere reicher an Säure werden muß. Die Pflanzenfresser müssen nun diese Säurevermehrung im wesentlichen durch fixes Alkalı kompensieren und gehen daher zugrunde ?). Beim Fleischfresser und beim Menschen dagegen wird überschüssige Säure durch Ammonium neutralisiert. Daher vermehrt Säure- zufuhr bei diesen Tieren die Ammoniumausscheidung, bei organischen Säuren aber nur dann, wenn sie im ÖOrganısmus nicht zu Kohlensäure verbrannt werden *). 2. Alkalische Erden. Magnesium. Calcium. Die täglich ausgeschiedene Magnesiummenge beträgt im Mittel 0,11 bis 0,17 g, die Öaleciummenge im Mittel 0,09 bis 0,18 g °). Die Quantität dieser beiden Basen ist in hohem Grade von der Ernährung abhängig. Die Ausscheidung ist indessen kein Maß für die Menge der ein- genommenen Kalksalze und auch nicht für die Menge der resorbierten; denn es kommt vor, daß die resorbierten Kalksalze wieder in den Darm aus- geschieden werden, und ferner werden eingenommene Kalksalze bei Gegenwart von Alkaliphosphaten nicht resorbiert °). 3. Eisen. Eisen. Das Eisen läßt sich nur in der Harnasche nachweisen. Man nimmt an, daß es in Form einer organischen Verbindung sich im Harne finde”). Die Angaben über die tägliche Menge schwanken zwischen 0,5 und I1mg. Nach Kunkel und Garrod’) enthält die ausgefallene Harnsäure Eisen, sowohl die durch Salzsäure gefällte als auch die spontan ausgefallene, die letzte reichlicher. 3. Die Gase des Harnes. Im Liter Harn sind 100 bis 200 ccm Gas enthalten, davon sind 83 bis 95 Proz. Kohlensäure, 0,5 Proz. Sauerstoff, 6 bis 16 Proz. Stickstoff). !) Stadelmann (und Beckmann), Einfluß der Alkalien auf den Stoffwechsel, 1890; Camerer, Zeitschr. f. Biol. 43, 67. — ?) v.Knieriem, Zeitschr. f. Biol. 10, 263; Feder, ebenda 13, 256; Salkowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 1,1; J.Munk, ebenda 2, 29; Coranda, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 12, 76; Schmiede- berg, ebenda 7, 424; Walter, ebenda 7, 148; Hallervorden, ebenda 10, 125; Pohl und Münzer, ebenda 43, 28; Rumpf u. Kleine, Zeitsehr. f. Biol. 34, 65. — °) Winterberg, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 202. — *) Jolin, Skand. Arch. f. Physiol. 1, 449. — °) Neubauer (und Vogel), Anleitung zur qualitativen und quantitativen Analyse d. Harnes 1898, $S. 45. — °) Wildt, Chem. Zentralbl. 1875, 8. 74; Forster, Arch. f. Hygiene 2, 385. — 7) Kunkel, Sitzungsber. d. phys.- med. Ges. Würzburg 1881, S. 69; Garrod, Journ. of Path. and Bacter. November 1894, p. 104. — ®) Planer, Zeitschr. d. Ges. d. Wien. Ärzte 1859, S. 465; Pflüger, Pflügers Arch. 2, 165. Organische Bestandteile. — Harnstoff. Vorkommen. Bildung. 345 II. Organische Harnbestandteile. 1. Stiekstoffhaltige schwefelfreie Verbindungen. Von dem gesamten Stickstoff des Harnes erscheinen als Harnstoff 84 bis 91 Proz. Von dem Rest entfallen 2 bis 5 Proz. auf das Ammoniak, 3 Proz. auf das Kreatinin, 1 bis 3 Proz. auf die Harnsäure und die Purinkörper, der Rest von 6 Proz. auf Hippursäure, Indol, Farbstoffe u. dgl. 1. Harnstoff. N IH, (6 5 NH, Vorkommen. Der Harnstoff ist im Jahre 1773 von Rouelle im Menschenharn aufgefunden worden. Er kommt am reichlichsten im Harn der Fleischfresser, in geringer. Menge bei Pflanzenfressern vor. Der Mensch steht in der Mitte. Im menschlichen Harn finden sich täglich etwa 30g bei Männern, bei Frauen gewöhnlich etwas weniger. Diese Zahl hat aber nur für Menschen Gültigkeit, die sich mit gemischter Kost ernähren; bei reiner Fleischnahrung ist die Harnstoffausscheidung bedeutend vermehrt. Am geringsten ist sie bei stickstofffreier Nahrung, geringer als selbst beim Hungern, weil die Zufuhr stickstofffreier Nahrung sparend auf die Zersetzung des Körpereiweißes wirkt. Jeder Steigerung des Zerfalles dieses Körper- eiweißes folgt eine Vermehrung der Harnstoffausscheidung. Das zeigt sich besonders im Fieber. Man hat daher den Harnstoff als das hauptsächliche Endprodukt des Eiweißumsatzes zu betrachten. Nicht in allen Lebensaltern trifft dies in gleichem Grade zu. Vielmehr ist bei Kindern, besonders in den ersten Lebenstagen, das Verhältnis des Harnstoffes zu den übrigen stickstoff- haltigen Harnbestandteilen kleiner als bei Erwachsenen. Hiervon legt die folgende Tabelle Zeugnis ab: i Erwachsene Neugeborene Zarmakole \ u A Er ru 84 bis 91 Proz. 30 'bısıze Proz ET te le ne. de ara ten Did = 7,8 SH TREIBEN SE | Maar BOB SD Stickstoffhaltige Extraktivstoffe Ze D.. :, 7-3 Sauld Te Hiernach ist das Verhältnis bei Erwachsenen im Mittel 6,5:1, bei Kindern 3:1. Bildung. Außerhalb des Organismus ist es bisher auf folgende Weise gelungen, Harnstoff aus Bestandteilen des Tierkörpers herzustellen. l. Aus Eiweiß erhält man durch hydrolytische Spaltung Arginin. Dieses geht bei noch weiterer Spaltung unter Wasseraufnahme in ÖOrnithin und Harnstoff über. Diesen Weg hat zuerst Drechsel!) betreten. Den chemischen Vorgang erläutert die folgende Gleichung: !) Drechsel, Journ. f. prakt. Chem. 22, 476. 346 Harnstoff. Bildung. vn H, i 600 H—CH—C H,—-CH,-CH, NH CE + H,O j NNH | NH, | Arginin —= C00H—CH—CH,—CH,—CH,NH, — CO(NH,) | Harnstoff NH, | Ornithin | Bei den verschiedenen Eiweißkörpern ist die Ausbeute an Arginin, das allein Harnstoff zu liefern vermag, sehr verschieden. Die Eiweißstoffe, welche im Säugetierorganismus eine Rolle spielen, liefern zwischen 2 und 10 Proz. Arginin, also ebensoviel Harnstoff. Mithin kann nicht aller Harnstoff auf dem beschriebenen Wege aus Eiweiß gebildet werden. 2. Auf dem Wege der Oxydation gelang es Hofmeister!), aus Eiweiß | Harnstoff darzustellen. Er ließ Permanganat in ammoniakalıscher Lösung | bei Körpertemperatur auf Albumin oder Leim einwirken und konnte auf diese Weise Harnstoff gewinnen. Die Ausbeute an Harnstoff machte etwa 5 Proz. des Eiweißes aus. Größer waren die Harnstoffmengen, die Hofmeister aus | Spaltungsprodukten der Eiweißsubstanzen und aus verschiedenen Körpern | der Fettreihe bei Gegenwart von Ammoniak durch Oxydation gewinnen | konnte. Er untersuchte Asparaginsäure, Asparagin, Leucin, Glykokoll und | eine Reihe anderer Substanzen. Dabei gelang es ihm, aus Glykokoll 30 Proz. ' Harnstoff zu gewinnen. Es zeigte sich, daß gewisse Gruppierungen von | Atomen am Kohlenstoff für die Harnstoffbildung ungeeignet sind, z. B. die Methyl- (CH,—C=) und die Karboxyl- (COOH—C=)Gruppe. Hingegen können die für ÖOxysäuren und Amidosäuren charakteristischen Anordnungen (—CHÖOH—COOH, —CHNH,COOH) in Harnstoff übergeführt werden. Dasselbe gilt für die Nitrilgruppe —CN, die Alkoholgruppe —CH, OH und die Säureamidgruppe —CONH,, wenn auch nur bei einfachen Kohlenstoff- verbindungen. Nach Hofmeister tritt ein amidhaltiger Rest —CONH, mit j | dem bei Oxydation des Ammoniaks entstehenden Amidrest —NH, zusammen. 3. Aus Ammoniumkarbonat, das man aus Eiweiß gewinnen kann, läßt sich nach Basarow ?) durch Erhitzen auf 140° Harnstoff darstellen. 4. Aus karbaminsaurem Ammonium stellte Drechsel:) Harnstoff dar durch abwechselnde Oxydation und Reduktion, die vermittelst des Durch- leitens von Wechselströmen durch die Lösung erzeugt worden waren. Der Prozeß verläuft nach Drechsel folgendermaßen: 1. HHNOCONH, + 0 = H,NOCONH, + H,0 Ammoniumkarbamat er en 2. H,NOCONH, + H, = H,NCONH, + H,O Harnstoff Es ist nun zu entscheiden, welche von diesen Möglichkeiten der Harn- stoffbildung im Organismus realisiert ist. 1) Hofmeister, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. 37, 426; Schwarz, ebenda 41, 60; Halsey, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 325. — ”*) Basarow, Journ. f. prakt. Chem. 1 (2), 283. — *) Drechsel, Ber. d. Deutsch. chem. Gesellsch. 24, 3096; Abel u. Muirhead, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 31, 15. Harnstoff. Bildung. 347 Gegen die Möglichkeit der Harnstoffbildung durch hydrolytische Spal- tung ist nichts einzuwenden, da im Organismus auch sonst vielfach hydro- lytische Spaltungen vorkommen. Ebenso gut begründet ist die Theorie der Entstehung durch Oxydation (Hofmeister). Auch die von Drechsel ge- fundene Möglichkeit der Bildung aus karbaminsaurem Ammonium könnte im Organismus verwirklicht sein, wie es die aus kohlensaurem Ammonium (Basarow) wirklich ist. v. Schröder!) hat nämlich nachgewiesen, daß die Leber bei Hunden aus Ammoniumkarbonat Harnstoff bilden kann. Auch aus Ammoniumformiat entsteht Harnstoff, wenn es bei künstlicher Durchblutung der Leber dem Blute beigemischt worden ist. Die Versuche v. Schröders hat Salomon?) an der Hammelleber bestätigt. Nencki, Pawlow und Zaleski?®) haben hierzu noch beigetragen, daß im lebenden Tiere während der Verdauung in der Pfortader mehr Ammonium enthalten ist als in der Vena hepatica. Aus dieser Beobachtung folgt ebenfalls, daß Ammonium in der Leber verschwindet. Den chemischen Vorgang hat man sich nach Drechsel als eine Abspaltung von Wasser zu denken: ONH NH, cool 790 004 ONH, \NH, (Über die Harnstoffbildung aus Ammoniumsalzen vgl.S. 344). Man hat ferner beobachtet, daß Amidosäuren, wie Leucin, Glykokoll, Asparaginsäure, Asparagin, nach Einverleibung in den Tierkörper in Harnstoff übergehen können *). Nach Schmiedeberg’) werden Verbindungen, in denen die Gruppe NH,C H,— sich befindet, im Tierkörper zu Ammoniumkarbonat oxydiert und dann auf dem von v. Schröder gefundenen Wege in Harnstoff verwandelt. Drechsel bingegen nimmt an, daß durch die Oxydation der Amidosäuren karbamin- saures Ammonium entstehe, welches dann durch Wasserverlust ın Harnstoff übergeführt werde: ONH, NH, co/ 10 = 0X 5 \NH, NH, Zur Stütze der Theorie von der Bildung des Harnstoffes aus karbamin- saurem Ammonium können noch folgende Tatsachen angeführt werden. Hahn und Nencki®) haben bei Hunden, denen eine Ecksche Fistel an- gelegt worden war, Vergiftungssymptome gesehen, die den Erscheinungen nach Injektion von karbaminsauren Salzen ins Blut glichen. Wenn bei den operierten Tieren Karbaminsäure in den Magen eingeführt wurde, so zeigten sich dieselben Vergiftungserscheinungen, bei gesunden Tieren konnten solche !) v. Schroeder, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 15, 364; 19, 373; Zeitschr. f. Physiol. Chem. 14, 576. — ?) Salomon, Virchows Arch. 97, 149. — °) Nencki, Pawlow, Zaleski, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 37, 26; Salaskin, Arch. d. science. biol. de St. Petersb. 6, 483. — *) Schultzen u. Nencki, Zeitschr. f. Biol. 8, 124; v. Knieriem, ebenda 10, 263; Salkowski, Zeitschr. £. physiol. Chem. 4, 55; Salaskin, ebenda 25, 128; Löwi, ebenda 25, 511; Riehet, Compt. rend. 118, 368; Ascoli, Arch. f.d. ges. Physiol. 72, 340. — °) Schmiedeberg, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 8, 1. — °) Hahn, Massen, Nencki, Pawlow, Arch. d. seienc. biol. d. St. Pötersbourg 1, 401; Nencki, Pawlow u. Zaleski, Arch. f. exp. ro! u. Pharm. 37, 26; Salaskin u. Zaleski, Zeitschr. f. physiol. Chem. Mail; 348 Harnstoff. Bildung. Fütterungen dagegen ohne merkliche Störungen geschehen. Außerdem fanden sie im Harn der operierten Tiere den Ammoniumgehalt vermehrt, und zwar erschien das Ammonium in Form des Karbamates. Aus diesen Befunden schließen Nencki und Hahn, daß der Harnstoff in der Leber aus karbamin- saurem Ammonium gebildet werde. Von den übrigen Theorien der Harnstoffbildung soll nur noch die von Schultzen und Salkowski begründete Cyansäuretheorie erwähnt werden. Hiernach soll im Tierkörper aus Eiweiß Cyansäure und Ammonium ent- stehen und aus diesen beiden Harnstoff gebildet werden. Ob eine oder mehrere der bisher geschilderten Möglichkeiten der Harn- stoffbildung unter normalen Verhältnissen im Organismus verwirklicht ist, ist nicht entschieden worden. Die definitive Lösung dieser Frage muß daher der Zukunft überlassen werden. Ort der Bildung. Die alten Physiologen glaubten, daß der Harnstoff in der Niere gebildet werde. Durch die Beobachtungen von Prevost und Dumas, Meißner!) und von vielen anderen ist aber nachgewiesen worden, daß im Blute Harnstoff vorhanden ist und daß seine Menge im Blute nach Exstirpation beider Nieren größer wird. Über die Stätte, an welcher diese Bildung erfolgt, geben Beobachtungen von Meißner und von v. Schröder Auskunft. Meißner hat gefunden, daß die Leber das harnstoffreichste Organ des Körpers ist. v. Schröder hat gezeigt, daß die Leber imstande ist, Harnstoff zu bilden. Wie oben berichtet worden ist, hat er eine Bildung von Harnstoff bei Durchblutung der Leber gefunden, wenn dem Blute kohlensaures Ammonium zugesetzt worden war. Aber auch bei Durch- blutung der Leber mit dem Blute von Tieren, die in der Verdauung be- griffen waren, ließ sich eine Zunahme der Harnstoffmenge in dem Blute nachweisen; bei Durchblutung mit dem Blute von hungernden Tieren dagegen nicht (man vergleiche hierzu die Angaben von Nencki, Pawlow und Za- leski auf S.347). Somit ist ganz sicher nachgewiesen, dab in der Leber Harnstoff gebildet wird. Neuere Untersuchungen sprechen aber auch für eine Entstehung in anderen Geweben. So hat Kaufmann?) nach Aus- schaltung der Abdominalorgane aus dem Kreislauf eine Zunahme des Harn- stoffgehaltes im Blute der oberen Körperhälfte gefunden. Hiernach müssen außer der Leber noch andere Quellen für den Harnstoff vorhanden sein. Nähere Angaben lassen sich jedoch hierüber zurzeit nicht machen; denn die Beobachtungen über die Harnstoffausscheidung bei Erkrankung der Leber °) oder nach partieller Exstirpation oder nach Verödung der Leber?) können aus naheliegenden Gründen keine Auskunft über die Frage geben. !) Die Literatur findet sich bei v. Schröder, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 15, 364: 19, 373 und bei Voit, Zeitschr. f. Biol. 4, 140. — °) Kaufmann, Compt. rend. de la soc. de biol. 46, 93; Arch. de physiol. 6 (5), 531. — °) Hallervorden, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 12, 237; Weintraud, ebenda 31; 30; Münzer u. Winterberg, ebenda 39, 164; Fawitzki, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 45, 429; Münzer, ebenda 52, 199; Fränkel, Berl. klin. Wochenschr. 1878, S. 265; Richter, ebenda 1896, 8. 453; Mörner u. Sjögvist, Skand. Arch. f. Physiol. 2, 445: Gumlich, Zeitschr. f. physiol. Chem. 17, 10. — *) Nencki u. Hahn, a.a. O.; Slosse, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1890, S. 482; Lieklein, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 33, 318; Nencki u. Pawlow, Arch. d. seienc. biol. de St. Petersb. 5, 163; Salaskin u. Zaleski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 517. Harnstoff. Eigenschaften. 349 Eigenschaften. Harnstoff kristallisiert in wasserfreien, langen, farb- losen, vierseitigen Prismen mit schiefen Endflächen, deren Schmelzpunkt bei 130 bis 132° liegt. Der Harnstoff ist sehr leicht löslich in Wasser, leicht in Alkohol, unlöslich in Äther und in Chloroform. Seine Lösungen reagieren neutral. Mit Säuren und Salzen und Metalloxyden bildet er kristallisierende Verbindungen. Von den ersten sind der salpetersaure und der .oxalsaure Harnstoff durch ihre Schwerlöslichkeit in salpetersäure- und oxalsäurehaltigem Wasser ausgezeichnet. Salpetersaurer Harnstoff (CO(NH,),. NO,H) entsteht beim Versetzen von konzentrierter Harnstofilösung mit reiner konzentrierter Salpetersäure sogleich in Form von mikroskopischen Kristallen. Diese sind dünne rhom- bische Tafeln, deren spitzer Winkel 32° mißt, deren stumpfer oft abgeschnitten ist, so daß sechsseitige Täfelchen entstehen. Sie sind vielfach schuppenartig übereinander gelagert. In reinem Wasser ist der salpetersaure Harnstoff leicht löslich. — Oxalsaurer Harnstoff (2[CO(NXH,),]H,C,0,) entsteht beim Mischen konzentrierter wässeriger Lösungen von Harnstoff und von Oxal- säure. Er kristallisiert in kurzen, dicken rhombischen Prismen. Wenn man ihn aus seiner Lösung in Wasser kristallisieren läßt, so kann man große Kristalle erhalten. Dasselbe gilt vom salpetersauren Harnstoff. Von den Verbindungen des Harnstoffes mit Salzen ist die mit Palladium- chlorür durch ihre Schwerlöslichkeit ausgezeichnet 2[CO(NH,),]. Pd (],. Unter den Verbindungen mit Metalloxyden ist die mit Mercurinitrat und drei Molekülen Mercurioxyd von Bedeutung, 2[CO(NH,),|. Hg (NO,),.3(Hg0). Auf ihrer Bildung beruht die Methode seiner quantitativen Bestimmung nach Liebig. Auf der Eigenschaft des Harnstoffes, sich mit Aldehyden zu verbinden, fußt die Reaktion von Schiff. Harnstoff wird mit wässeriger Furfurollösung und Salzsäure versetzt; dabei entsteht eine von Gelb und Grün in Blau und Violett übergehende Färbung. Mit Formaldehyd und Salzsäure gibt der Harn- stoff eine unlösliche weiße Verbindung. Mit Phenylhydrazin und Essigsäure ent- steht dasschwerlösliche und farblose Phenylsemikarbazid (CONH,NHNHC,H;) (Jaffe). Durch andauerndes Erhitzen auf 130° entsteht aus dem Harnstoff Biuret, Ammoniak und Cyahsäure. Alkalien, Säuren und gewisse Mikroorganismen (Mikrococcus ureae) verwandeln den Harnstoff durch hydrolytische Spaltung in Kohlensäure und Ammoniak. Von unterchlorigsauren oder unterbromig- sauren Salzen wird er in Kohlensäure, Stickstoff und Wasser zerlegt. Der Nachweis des Harnstoffes geschieht auf Grund der angeführten Eigen- schaften, gewöhnlich mikroskopisch durch Erzeugung der Kristalle des salpeter- sauren Harnstoffes aus konzentrierter Harnstoftlösung. Darstellung. Der schwach angesäuerte Harn wird bei niederer Temperatur zur Sirupkonsistenz eingedampft, dann wird der Harnstoff mit reiner, konzentrierter Salpetersäure gefällt. Der Niederschlag wird abgepreßt und mit frisch gefälltem Baryumkarbonat neutralisiert. Von dem Baryumnitrat trennt man den Harnstoff durch Aufnehmen mit Alkohol. Durch Verdunsten des Alkohols erhält man Harn- stoffkristalle. Die erste Synthese des Harnstoffes hat Wöhler 1828 ausgeführt. Näher kansn auf diese und andere Synthesen des Harnstoffes hier nicht eingegangen werden. 350 Karbaminsäure. — Urethan. — Kreatinin. 2. Karbaminsäure, De Das Vorkommen von Karbaminsäure an im Harn ist, wie Nolf!) gezeigt hat, fraglich. [. Karbaminsäureäthylester (Urethan) ist, wie Jaffe?) bewiesen hat, kein physiologischer Bestandteil des Harnes, sondern entsteht durch Ein- wirkung von Alkohol auf Harnstoff. ] 4. Kreatinin. Ne Be u H,-C00 CM, Das Kreatinin ist zuerst von Liebig im menschlichen Harn aufgefunden worden. Später hat man es auch in dem Harn von Hunden, Pferden, Rindern, Schweinen und Kaninchen nachgewiesen. Es ist mit dem Kreatinin identisch, das durch Säurewirkung aus dem Muskelkreatinin entsteht [Top- pelius und Pommerehne, Wörner, bestritten von Johnson)|. Seine tägliche Menge beträgt 0,8 bis 1,3g, also im Mittel etwa 1g (Neubauer), 1,7 bis 2,1g (St. Johnson). Beim Hungern nimmt die Kreatininmenge ab, durch eiweißreiche Nahrung, besonders durch Fleischernährung (wegen des Kreatiningehaltes des Fleisches) wird sie vermehrt. Sie steigt und fällt ungefähr gleichen Schrittes mit der Harnstoffmenge. Muskelanstrengungen haben eine Vermehrung der Kreatininausscheidung zur Folge [Grocco, Moitessier, Gregor*)], in besonders hohem Grade sehr heftige Muskel- anstrengungen |Oddi und Tarulli’)]. Bei Säuglingen ist kein Kreatinin im Harn vorhanden, solange sie nur mit Milch ernährt werden. Kreatinin bildet farblose, stark glänzende, monokline prismatische Kri- stalle. Es löst sich in 11 Teilen kalten Wassers, in warmem Wasser dagegen leichter. Ebenso ist es in warmem Alkohol leichter als in kaltem löslich, in Äther löst es sich nicht. Das Kreatinin gibt mit Mineralsäuren kristalli- sierende, leicht lösliche Verbindungen. In saurer Lösung wird es von Phosphormolybdänsäure und von Phosphorwolframsäure kristallinisch gefällt. Von Mercurichlorid und von Mereurinitrat wird es ebenfalls gefällt. Von allen Kreatininverbindungen ist am meisten charakteristisch das Kreatinin- chlorzink (C,H,-N,0),ZnCl,. Es wird erzeugt dadurch, daß man Kreatinin- lösung mit schwach saurer Lösung von Zinkchlorid versetzt. Dabei dürfen keine freien Mineralsäuren zugegen sein. (regebenenfalls setzt man Natrium- acetat hinzu. Die aus dem Harn gewonnene Chlorzinkverbindung bildet ein sandiges gelbes Pulver, das sich aus mikroskopischen Nadeln zusammen- setzt. Diese sind in Form von Rosetten angeordnet. !) Nolf, Zeitschr. f. physiol. Chem. 23, 505. — ?) Jaffe, ebenda 14, 395. — ®) Toppelius u. Pommerehne, Arch. de pharm. 234, 380; Woerner, Zeitschr. f. physiol. Chem. 27, 1; Johnson, Proc. Roy. Soc. 43, 493; 50, 287. — *) Vgl. Grocco, zit. nach Malys Ber. 16, 199; Moitessier, ebenda 21, 182; Gregor, Zeitschr. f. physiol. Chem. 31, 9. — °) Oddi u. Tarulli, zit. nach Malys Ber. 24, 542. Kreatinin. — Xanthokreatinin. — Purine. 351 Nachweis. 1. Wenn man eine verdünnte Kreatininlösung mit einigen Tropfen Nitroprussidnatriumlösung vom spezifischen Gewicht 1,008 und einigen Tropfen Natronlauge versetzt, so entsteht eine rubinrote Färbung, die dann in Gelb über- geht (Weyl). Neutralisation der Lösung mit Essigsäure läßt einen kristallinischen Niederschlag entstehen, der aus einer Nitrosoverbindung des Kreatinins besteht (Kramm); Zusatz von Essigsäure bis zu saurer Reaktion läßt eine grüne, danach eine blaue Färbung entstehen, schließlich einen Niederschlag von Berlinerblau. 9%. Versetzt man eine Kreatininlösung mit einigen Tropfen wässeriger Pikrinsäure- lösung und von verdünnter Kalilauge, so entsteht eine intensiv rote Färbung (Jaffe). Durch Alkalien wird Kreatinin in der Wärme in Kreatin übergeführt. Langsam vollzieht sich diese Umwandlung auch in neutralen Kreatininlösungen. Beim Kochen mit Ätzbaryt bildet sich aus dem Kreatinin Methylhydantoin und Ammoniak. Durch Oxydationsmittel kann man das Kreatinin in oxalsaures Methvl- guanidin verwandeln. 3. Die reduzierende Eigenschaft des Kreatinins zeigt sich auch der Fehlingschen Lösung gegenüber. Daneben hält das Kreatinin das Kupfer- oxyd in Lösung. Aus dieser kann es durch Zusatz von Soda gefällt werden, und zwar als weißes Kupferoxydulkreatinin: Reaktion von Maschke. Darstellung. Um Kreatinin zu gewinnen, kann man es in Form seiner Chlorzinkverbindung abscheiden, aus der man es dann wiedergewinnt (Neubauer). Der Harn wird mit Kalkmilch alkalisch gemacht und mit Caleiumchlorid gefällt, filtriert, mit Essigsäure schwach angesäuert und auf dem Wasserbade zu Sirup- konsistenz eingedampft. Nun’fügt man etwas Natriumacetat hinzu, extrahiert mit Alkohol, filtriert und versetzt das klare Filtrat mit konzentrierter neutraler alko- holischer Chlorzinklösung. Der Niederschlag wird nach 48 Stunden abfiltriert und mit Alkohol gewaschen. Sodann löst man ihn in Wasser und kocht ihn eine Viertelstunde mit Bleihydrat, filtriert und dampft zur Trockne ein. Der Rückstand wird mit kaltem Alkohol auf dem Filter ausgewaschen. Aus dem Alkohol gewinnt man das Kreatinin durch Eindampfen. Auf dem Filter bleibt Kreatin zurück. 5. Xanthokreatinin hat Monari nach anstrengenden Märschen bei Menschen und bei Hunden nach Injektion von Kreatin in die Bauchhöhle gefunden !). Im Löwenharn kommt es reichlich vor |Colasanti?)]. Das Vorkommen bei Menschen und Hunden wird von Stadthagen) bestritten. 6. Purinkörper. Die im folgenden abzuhandelnden Körper, welche auch als Nucleinbasen (Kossel), als Alloxurkörper (Kossel und Krüger) oder als Nanthinbasen bezeichnet werden, sind von Emil Fischer größtenteils synthetisch dargestellt worden. Er leitet die Stoffe sämtlich von einer Ver- bindung ab, von dem Purin: Die Purinkörper kann man sich durch Substitution der Wasserstoffatome des Purins entstanden denken. Um über den Ort der Substitution ohne weiteres orientiert zu sein, numeriert man die Glieder des Purinkernes wie folgt: 1 N—06 Berl 3 20 50-N rl 20 3 N @ N 4 9 !) Gautier, Bull. de la soc. chim. (2), 48, 6; Monari, Malys Jahresber. 17, 182. — ?) Colasanti, Arch. ital. de biol. 15, 430. — °) Stadthagen, Zeitschr. f. klin. Med. 15, 383. 352 Purine. — Harnsäure. Vorkommen. Die Wasserstoffatome können in den Verbindungen ihren Ort wechseln, so daß für denselben Stoff verschiedene Konstitutionsformeln resultieren (Tautomerie, s. Harnsäure). Von den zahlreichen Verbindungen des Purins, die durch Substitution von Hydroxyl-, Amid- oder Alkylgruppen entstehen können, kommen im Harn folgende vor: 2,6,8-Trioxypurin = Harnsäure 2,6-Dioxypurin - —= Xanthin 1-Methyl-2,6-Dioxypurin = Methylxanthin 7-Methyl-2,6-Dioxypurin — Heteroxanthin 1,7-Dimethyl-2,6-Dioxypurin — Paraxanthin 6-Oxypurin 5 — Hypoxanthin 2-Amino-6-Oxypurin = Guanin 7-Methyl-2-Amino-6-Oxypurin . — Epiguanin 6-Aminopurin = Adenin Episarkin Karnin. Man nimmt allgemein an, daß die Purinkörper des Harnes von den Nucleinsubstanzen des Zellkernes abstammen, aus denen sie zum Teil durch hydrolytische Spaltung erhalten worden sind [Salomon !), Kossel2)]. Be- merkenswert ist auch, daß die einzelnen Substanzen durch Oxydation oder durch Reduktion ineinander übergeführt werden können. Die Menge der Purinkörper des Harnes ist sehr gering. Wenn man von der Harnsäure ab- sieht — die gesondert behandelt werden soll — so finden sich täglich bei gemischter Kost etwa 37 mg, bei anımalischer 44mg, bei vegetabilischer aus Erbsen und Kraut bestehender 72 mg, bei Ernährung durch Kohl und Äpfel lllmg [Flatow und Reitzenstein?) geben etwas geringere Werte an] Purinsubstanzen im Harn [Camerer®). Nach Salkowski?°) machen die Purine 8 bis 10 Proz. der Harnsäuremenge aus. Harnsäure. 2,6,8-Trioxypurin, (0,H,0,N;): HN—-CO N=C(OH) DER 00 C—NH\ oder (HO)C C-NH || y°e2 Neil ge HN—C—-NH Ne Vorkommen. Die Harnsäure ist zuerst von Scheele aus dem Harn dargestellt worden. Ihre tägliche Menge schwankt zwischen 0,2 und 1,25. Sie findet sich auch in dem Harn vieler anderer Säugetiere, besonders reich- lich im Harn der Vögel und der beschuppten Amphibien, bei denen sie in Form weißer Konkremente ausgeschieden wird. Entstehung) bei Säugetieren. Früher betrachtete man die Harn- säure als ein Produkt unvollkommener Oxydation des Eiweißes, als eine Vorstufe des Harnstoffes. Nach dieser Vorstellung, die besonders von | !) Salomon, Sitzungsber. d. bot. Ver. d. Provinz Brandenburg 1880. — 2) Kossel, Zeitschr. f. physiol. Chem. 22, 176. — °) Flatow u. Reitzenstein, | Deutsche med. Wochenschr. 23, 354, 1897. — *) Camerer, Zeitschr. f. Biologie 28, | 72. — °) Salkowski, Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1894, S. 514. — °) Eine gute Literaturübersicht findet man bei Wiener, Ergebnisse der Physiol. 1, 1. DB Harnsäure. Entstehung. 353 Lehmann!) und Neubauer?) vertreten wurde, müßte also aller Harnstoff aus Harnsäure hervorgehen. Hierfür schienen Beobachtungen von Wöhler und Frerichs°), Meißner *) und von vielen anderen zu sprechen. Sie fanden, daß in den Körper eingeführte Harnsäure als Harnstoff im Harn wieder- erscheint. Die Anschauung von der Entstehung der Harnsäure infolge ungenügender Oxydation ist. dann besonders von Bartels’) näher entwickelt worden. Nach ihm hat jeder Sauerstoffmangel des Blutes eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung zur Folge. So sollte auch die Zunahme der Harnsäureproduktion bei der Leukämie eine Folge der Verminderung des Sauerstoffgehaltes des Blutes, bewirkt durch die Abnahme der Zahl der roten Blutkörper, sein. Die Bartelssche Theorie hat einer experimentellen Prüfung nicht standhalten können. Experimente, die künstlich die Sauerstoffaufnahme verminderten, hatten keine Zunahme der Harnsäurebildung zur Folge. Ferner zeigten Pettenkofer und Voit‘), daß Leukämiker sich im Stickstoff- und Kohlenstoffgleichgewicht befinden, daß also von einer unvollkommenen Oxy- dation nicht die Rede sein kann. Daher wandte man sich wieder einer An- schauung zu, die zuerst von Meißner klar ausgesprochen worden war. Nach Meißner stammt die Harnsäure von den in den Geweben vorkommenden Xanthinbasen ab. Ihre Bildung ist nach ihm ganz unabhängig von der Entstehung des Harnstoffes; nur insofern hat sie eine Beziehung dazu, daß ein Teil der gebildeten Harnsäure nachträglich in Harnstoff übergeht. Wie richtig diese Anschauung Meißners gewesen ist, ist später durch die Untersuchungen von Horbazewski’) bewiesen worden. Ihm gelang es, aus Nucleinen der Milz, aber auch aus anderen Organen, deren Nucleine er in Alkalilauge löste und mit Blut versetzte, Harnsäure zu gewinnen. Später führte Spitzer‘) den Nachweis, daß bei solcher Harnsäurebildung die Nucleinbasen der Nucleine abnehmen, ja er konnte feststellen, daß auch zugesetzte Nucleinbasen — Xanthin und Ilypoxanthin in hohem Grade, Guanin und Adenin weniger — in Harnsäure verwandelt werden, eine Beobachtung, die Wiener‘) bestätigte. Horbazewski nahm daher mit Meißner an, daß die Nucleinbasen die Quelle der Harnsäure seien. Er dachte, daß zum Freiwerden dieser Basen Zellen zugrunde gehen müßten. Da ihm die Kerne der meisten Gewebs- zellen nicht in genügendem Maße zu zerfallen schienen, um aus ihnen die ausgeschiedene Harnsäure herzuleiten, so nahm er an, daß die farblosen Blut- körper — Gebilde, die einem regen Wechsel unterworfen sind — ausschließ- lich die Muttersubstanz der Harnsäure enthielten. Von dieser Ansicht aus- gehend suchte Horbazewsk1 Harnsäureausscheidung und Leukoceytenzerfall in Beziehung zueinander zu bringen. Das einzige Maß, welches ihm Auf- schluß über den Grad des Leukocytenzerfalles geben sollte, waren die Ände- rungen der Zahl der Leukocyten im Blute. Von vielen Autoren ist aber 5 !) Lehmann, Physiol. Chem. 1, 202. — ?) Neubauer, Ann. d. Chem. u. Pharm. 99, 206. — °) Wöhler u. Frerichs, ebenda 65, 335. — *) Meißner, Zeitschr. f. rat. Med. (3), 31, 144, 305. — °) Bartels, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1, 13. — °) Pettenkofer u. Voit, Zeitschr. £. Biol. 5. 319. — ”) Horbazewski, Monatsh. £. Chem. 3, 796; 8, 584; 10, 624; 12, 221. Kossel, Zeitschr. f. physiol. Chem. 3, 284; 5, 267; 7, 7; 10, 248. — °) Spitzer, Arch. f. d. ges. Physiol. #6, 192. — °) Wiener, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 42, 375. Er Nagel, Physiologie des Menschen. I. 23 354 Harnsäure. Entstehung. nachgewiesen worden, daß der Wechsel der Leukocytenzahl im Blute ein zuverlässiges Maß für den Zerfall derselben nicht sein kann. Daher ist die Theorie von Horbazewski heute durch keine Gründe mehr gestützt. Viel- mehr hat sich die Mehrzahl der Forscher der Anschauung angeschlossen, die einmal von Mares!) ausgesprochen ist, daß nämlich die Harnsäure das Endprodukt des Stoffwechsels der Zellkerne ıst. Hiernach ist ein Zerfall von Zellen nicht die notwendige Vorbedingung für die Bildung von Harnsäure. Außer dieser Quelle der Harnsäure gibt es noch eine zweite: das Nuclein der eingenommenen Nahrung ?). Diese Muttersubstanz ist erst spät erkannt worden. Den Grund hierfür hat man in der Wahl des Versuchstieres zu suchen. Die Fütterungsversuche wurden nämlich meist an Hunden gemacht. Gerade diese Tiere haben aber in besonders hohem Grade die Fähigkeit, Harnsäure in ihrem Organismus in Harnstoff umzuwandeln. Versuche an anderen Tieren und am Menschen haben ergeben, daß nach Einnahme von Nuclein und auch von Purinbasen die Harnsäureausscheidung zunimmt. Somit gibt es zwei Quellen für die Harnsäure, eine „endogene“, die Nucleinsubstanzen der Zellen, und eine „exogene*, die Nucleine der Nahrung. Das Verhältnis beider zueinander haben Burian und Schur?) zu bestimmen versucht. Nach ihnen ist die „endogen“ entstandene Harnsäuremenge beim Menschen 0,1 bis 0,2g täglich. Schließlich sei noch erwähnt, daß eine Harnsäurebildung durch Synthese von Wiener) wahrscheinlich gemacht worden ist. Entstehung bei Vögeln. Bei Vögeln entsteht nur ein kleiner Teil der Harnsäure aus Nucleinsubstanzen (v. Mach’). Der übrige Teil ist das Endprodukt des Eiweißstoffwechsels, also analog dem Harnstoff bei Säuge- tieren. Die vorliegenden Versuche sprechen dafür, daß die Hauptmenge der Harnsäure durch eine Synthese vorwiegend in der Leber gebildet werde. Wie v. Schröder‘) gefunden hat, wird durch Einverleibung von Ammonium- salzen die Harnsäurebildung vermehrt. Nach der Einverleibung von Harn- stoff haben Meyer und Jaffe’) dasselbe konstatiert. Daß in der Leber eine Synthese von Ammoniak und Milchsäure zu Harnsäure stattfindet, machte Minkowski‘) dadurch wahrscheinlich, daß er nach Exstirpation der Leber eine Vermehrung der Ammoniumausscheidung und zugleich eine Aus- scheidung von Milchsäure nachwies. Sichergestellt haben diese Bildung Kowalewski und Salaskin®). Sie haben bei künstlicher Durchblutung der Leber eine Bildung von Harnsäure gefunden, wenn dem Blute Ammonium- laktat oder ein anderes Ammoniumsalz mit organischer Säure zugesetzt worden war. In Versuchen von Wiener!") zeigte sich nach Verfütterung von Harnstoff und Milchsäure oder von anderen Oxy-, Keton- und zwei- basischen Säuren oder von ihren Ureiden eine Vermehrung der Harnsäure- D) Mares, Arch. slaves de biol. 3, 207; Monatsh. f. Chem. 13, 101. — 2) Horbazewski, a. a. ©. Richter, Zeitschr. f. klin. Med. 27, 290 (und viele andere). — °) Burian und Schur, Zeitschr. f. physiol. Chem. 23, 55; Arch. f. d. ges. Physiol. 80, 241; 87, 239. — *) Wiener, a. a. O., Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 2, 42. — °)v. Mach, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 24, 389. — 6) v. Schröder, Zeitschr. f. physiol. Chem. 2, 228. — ’) Meyer u. Jaffe, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 10, 1930. — °) Minkowski, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 21, 89; 31, 214; 41, 375. — °) Kowalewski u. Salaskin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 210. — !°) Wiener, a. a. O. Harnsäure. Entstehung. 355 ausscheidung. Weitere Versuche, in denen diese Substanzen mit dem Brei von Organen digeriert wurden, haben ergeben, daß auf diese Weise nur die Tartronsäure und die Dialursäure in Harnsäure umgewandelt werden. Wiener glaubt daher, daß die erwähnten Substanzen in Tartronsäure und weiter durch Addition eines’ Harnstoffrestes in Dialursäure und endlich durch Addi- tion eines weiteren Harnstoffrestes in Harnsäure umgewandelt werden. Für die Milchsäure ist dieser Prozeß so zu denken: CH, COOH HN—CO HN—CO | | uni RS CHOH CHOHN 0OC CHOH 0C C—NH\ | | =] N >C0 COOH COOH HN-—-CO HN—C—NH/ Milchsäure Tartronsäure Dialursäure Harnsäure Ort der Bildung. Daß die Harnsäure nicht, wie die alten Physiologen annahmen, in der Niere gebildet wird, hat Meißner!) bei Vögeln nach- gewiesen. Er konnte nämlich zeigen, daß nach Exstirpation beider Nieren bei Vögeln in den Geweben Ablagerungen von Harnsäure entstehen. Weiter verdanken wir Meißner den Nachweis, daß die Leber von den Organen des Vogels am meisten Harnsäure enthält. Dieser Befund, verbunden mit den Beobachtungen von Minkowski?), der nach Exstirpation der Leber die Harnsäureausscheidung aufhören sah, weisen zwingend darauf hin, daß beim Vogel die Harnsäure vorwiegend in der Leber entsteht. Über den Ort der Harnsäurebildung bei Säugetieren sind wir viel weniger sicher unterrichtet. Wie oben erwähnt worden ist, hat man gefunden, daß in Extrakten von ver- schiedenen Organen (Milz und Leber) aus Nucleinen Harnsäure entsteht. Welches Organ im Tierkörper die Harnsäurebildung besorgt, wissen wir nicht. Nur so viel ist sicher, daß die Harnsäurebildung nicht nur in der Milz stattfinden kann; denn nach Versuchen von Jackson und Mendel°) kann man bei Tieren, denen die Milz exstirpiert ist, noch reichliche Bildung von Harnsäure beobachten, wenn man sie mit nucleinreichen Geweben füttert. Zerstörung. Neben der Bildung findet im Organismus auch eine Zer- störung von Harnsäure statt. Bereits Wöhler und Frerichs*) haben ge- zeigt, daß an Hunde verfütterte Harnsäure als Harnstoff im Harn wieder er- schein. Von Organen ist für Leber, Muskeln und Nieren die Fähigkeit, Harnsäure zu zerstören, nachgewiesen worden. Somit ist es klar, daß die ausgeschiedene Harnsäuremenge kleiner sein muß als die gebildete. Burian und Schur haben versucht, aus der ersten Größe die zweite zu berechnen. Sie kommen zu dem Resultat, daß beim Menschen die Hälfte, bei Kaninchen 1/, und bei Fleischfressern !/,, bis !/s, der gebildeten Harnsäure ausgeschieden wird. Über die Endprodukte der Harnsäurezerstörung ist man noch nicht völlig im klaren. Wiener hat an Kaninchen eine Zunahme des Glykokoll- gehaltes der Tiere nach Harnsäureinjektionen gezeigt; auch konnte er eine ') Meißner, a. a. ©. — ?) Minkowski, a. a. O. — °) Mendel u. Jackson, Amerie. Journ. of Physiol. 4, 163. — *) Wöhler u. Frerichs, Ann. d. Chem. u. Pharm. 65, 335; vgl. auch Wiener, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 40, 313; 42, 375. Pohl, ebenda 48, 367. Poduschka, ebenda 44, 59. Salkowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 495. Mendel u. Brown, Americ. Journ. of Physiol. 3, 261. Chassevant u. Richet, Compt. rend. de la soe. d. biol. 48, 743; 49, 962. Ascoli, Arch. f. d. ges. Physiol. 72, 340. Jacoby, Virch. Arch. 157, 235. 23* 356 Harnsäure. Zerstörung. Eigenschaften. Vermehrung des Glykokollvorrates in der Rinderniere nachweisen, wenn er das Organ mit Harnsäure digerierte. Beim Hunde wird nach einigen Autoren die Harnsäure zu Allantoin abgebaut. Andere Forscher bestreiten dies. Auch eine Entstehung von Oxalsäure aus Harnsäure ist behauptet worden, wird aber bestritten. Eigenschaften. Die Harnsäure kristallisiert in mikroskopischen rhombi- schen Tafeln, deren Formen sehr wechseln können. Man hat sie daher auch wohl den Proteus unter den Kristallen genannt. Bei langsamer Kristallisation haben die Kristalle gewöhnlich die Form von Wetzsteinen, von denen mehrere rosettenförmig vereinigt sein können. Die Harnsäure ist schwer löslich ın reinem Wasser, ein Teil in 39480 TlIn. Wasser bei 18%, schwerer löslich ist sie in säurehaltigem Wasser, unlöslich in Alkohol und in Äther. Leicht lös- lich ist sie in konzentrierter Schwefelsäure und in Äthylamin, Propylamin, Piperazin, Piperidin, sowie in siedendem Glyzerin. In wässeriger Lösung sind 9,5 Proz. der Harnsäure dissoziert. Durch Phosphorwolframsäure und durch Pikrinsäure wird sie vollständig gefällt. In der Harnsäure sind die Imidwasserstoffatome durch Metall vertretbar. Sie bildet drei Reihen von Salzen: primäre oder Monometallurate; sekundäre oder Dimetallurate und sogenannte Quadriurate. Diese sind Additions- produkte der Harnsäure und primärer Urate. Die primären Urate sind beständige, schwerlösliche Körper, die sekundären können nur bei Alkalı- überschuß bestehen; die Quadriurate zerfallen bei Gegenwart von Wasser in primäre Urate und freie Harnsäure. In der Form des Quadriurates soll die Harnsäure im Harn enthalten sein (Roberts). Daß sie nicht ausfällt, soll nach Roberts durch die Gegenwart des primären Phosphates bewirkt werden. Auch der Harnstoff soll nach Rüdel lösend auf die Harnsäure wirken, was jedoch nach den Untersuchungen von His und Paul nicht richtig ist. Eine Lösung von sekundärem Natriumphosphat löst die Harnsäure unter Bildung von primärem Urat und primärem Phosphat. Das primäre Phosphat wirkt nach Smale nur wenig lösend auf die Harnsäure. Wenn der Harn viel Harnsäure enthält, so kommt es vor, daß beim Ab- kühlen die Urate sich als ziegelrotes Sediment ausscheiden. Dieses „Sedimen- tum latericium“ besteht nach Roberts aus Quadriurat, nach älteren An- schauungen besteht es aus primärem Urat. Alkalische Harne zeigen oft ein Sediment von primärem Ammoniumurat, das sich in Form stechapfelförmiger Körper ausscheidet. Wenn man Harnsäure mit Salpetersäure versetzt, dann unter Erwärmen zur Trockne eindampft, so erhält man einen rotgelben Rückstand, der auf Zusatz von Ammoniak schön purpurrot wird. Weiterer Zusatz von Kalı macht die Farbe violett. Die Farben rühren von dem Entstehen von Purpur- säure und von purpursauren Salzen her (Murexidprobe). Die Harnsäure kann durch Salpetersäureeinwirkung in Alloxan übergeführt werden. Wenn man dies tut, dann die Säure verdampft, ferner mit konzentrierter Schwefel- säure und etwas thiophenhaltigem Benzol den Rückstand versetzt, so entsteht eine blaue Färbung (Denig&s). Bringt man eine Lösung von Harnsäure in Natriumbikarbonat auf Papier, das mit Silbernitrat getränkt ist, so entsteht ein gelblich bis braunschwarzer Fleck. Zur Hervorrufung dieser Reaktion genügen 0,002 g Harnsäure. Harnsäure fällt aus ihrer Lösung durch Phosphor- Harnsäure. Eigenschaften. 357 molybdänsäurezusatz als blauer, metallisch glänzender Niederschlag, der aus mikroskopischen, sechsseitigen Prismen besteht. Alkalische Kupferoxyd- lösung wird von der Harnsäure reduziert. Ist wenig Kupfer vorhanden, so entsteht ein weißer Niederschlag von harnsaurem Kupferoxydul, bei An- wesenheit von mehr Kupfer wird gelbes Kupferoxydul gefällt. Durch die Zersetzung der Harnsäure entsteht eine Reihe von Produkten, die auch im Organismus als Stoffwechselprodukte vorkommen. Starkes Er- hitzen von Harnsäure liefert Harnstoff, Ammoniak, Cyanwasserstoff und Cyansäure. Beim Erhitzen mit Salzsäure im zugeschmolzenen Rohre wird sie in Ammoniak, Kohlensäure und Glykokoll gespalten. Einwirkung von Salpetersäure bewirkt in der Kälte durch Oxydation und Spaltung das Ent- stehen von Harnstoff und Alloxan (Mesoxalylharnstoff). Aus dem Alloxan wird beim Erwärmen mit Salpetersäure Kohlensäure und Parabansäure (Oxalylharnstoff). Diese geht durch Wasseraufnahme in Oxalursäure über. Durch Oxydation der Harnsäure mit Bleisuperoxyd entsteht Harnstoff, Allan- toin (Glyoxyldiureid), Oxalsäure, Kohlensäure. Auch durch Bakterien kann die Harnsäure in Harnstoff und Kohlensäure übergeführt werden. In alkali- scher Lösung kann die Harnsäure unter Wasser und unter Sauerstoffaufnahme in Uroxansäure verwandelt werden; diese geht dann in Oxonsäure über. Unter- bromigsaures Natrium zersetzt die Harnsäure. Hierbei gibt sie 47,8 Proz. ihres Stickstoffes ab. Beim Verbrennen der Harnsäure entweicht Cyanwasserstoff. Darstellung. Aus dem Harn gewinnt man die Harnsäure, indem man den filtrierten Harn mit !/,, seines Volumens 25 prozentiger Salzsäure versetzt. Nach zwei Tagen kann man durch Filtrieren die ausgeschiedene Harnsäure gewinnen. Sie ist dunkelbraun gefärbt und kann durch Auflösen in Alkali, Kochen mit Tierkoble und abermaliges Fällen gereinigt werden. Synthetisch ist die Harnsäure zuerst vonHorbazewskidurch Zusammen- schmelzen vom Harnstoff und Glykokoll und auch durch Erhitzen von Harn- stoff mit Trichlormilchsäureamid dargestellt worden. Auf zahlreiche andere Methoden der Harnsäuresynthese kann hier nicht eingegangen werden. Xanthin. 2,6-Dioxypurin, (C,H,N, 03): HN-—-CO lo, OC sone BZ HN-C—N | Das Xanthin ist von Marcet zuerst im Harn in Form eines Harn- steines gefunden worden. Strecker!) und Scherer?) haben gezeigt, dab es ein normaler Harnbestandteil ist. Seine Menge ist sehr gering. Krüger und Salomon?) konnten aus 10000 Litern Harn nur 13 g Xanthin gewinnen; nach Stadthagen) ist die Tagesmenge bei gemischter Kost 0,032 bis 0,025g. Es findet sich auch im Harn von Hunden und Schweinen. Das Xanthin kann sich in Kristalldrusen ausscheiden, die aus farblosen dünnen, glänzenden, rhombischen Platten zusammengesetzt sind. Es kristalli- !) Streeker, Ann. d. Chem. u. Pharm. 102, 208; 108, 140, 151. — °) Scherer, ebenda 10%, 314. — °) Krüger u. Salomon, Zeitschr. f. physiol. Chem. 21, 169. — *) Stadthagen, eit. nach Neubauer-Vogel, 8. 332. 358 Xanthin. — Methylxanthin. — Heteroxanthin. siert mit einem Molekül Kristallwasser. Löslich ist es in 13000 bis 14000 Tln. Wasser bei 16°, bei Siedetemperatur in dem zehnten Teil Wasser. Es ist unlöslich in Alkohol und Äther. In Lösung geht das Xanthin bei Zusatz von Alkalien, in verdünnten Säuren ist es schwer löslich. Kristallisierende Verbindungen entstehen durch Versetzen mit verdünntem Natriumhydrat und durch Zusatz von Salzsäure. Die Kristalle bestehen aus Xanthinnatron, C,H; NaN,0O,, und Xanthinsalzsäure, C;,H,N,0,;,HCl. Das Xanthinnatron ist in konzentrierter Natronlauge leicht löslich. Salpetersaures Xanthinsilber, 0, H,N,0,AgNO;, entsteht aus einer Lösung von salpetersaurem Xanthin bei Zusatz von Silbernitrat als flockiger Niederschlag, der sich bei mikroskopischer Betrachtung als kristallinisch erweist. Von Cupriacetat wird Xanthin beim Sieden, von Mercurichlorid und von ammoniakalischem Bleiessig in der Kälte gefällt. Farbenreaktionen des Xanthins. 1. Probe von Weidel. Die Substanz wird in der Wärme in frischem Chlorwasser gelöst und bei 100° zur Trockne ver- dampft. Dann wird der weiße oder gelbliche Rückstand in eine Ammoniakatmo- sphäre gebracht. Es entsteht eine dunkelrosenrote oder purpurrote Färbung, die bei Zusatz von Natriumhydrat in Blauviolett übergeht. E. Fischer hat die Probe modifiziert. Nach ihm kocht man im Reagenzglase mit Chlorwasser, verdampft dann die Flüssigkeit und versetzt den Rückstand mit Ammoniak. 2. Salpetersäure- probe. Die Substanz wird in heißer Salpetersäure gelöst, die Lösung zur Trockne verdampft. Der zurückbleibende, zitronengelbe Rückstand wird bei Zusatz von Natriumhydrat orangegelb, beim Eindampfen der Lösung wird die Farbe violett, der Rückstand ist purpurn und wird bei scharfem Trocknen indigofarben, beim Stehen an der Luft wieder violett. 3. Probe von Hoppe-Seyler. Bringt man in eine Mischung von Chlorkalk und Natriumhydrat Xanthin, so entsteht um dieses ein zuerst dunkelgrüner, dann braun werdender Hof. Xanthin zersetzt sich beim Erhitzen mit rauchender Salpetersäure zu Glyko- koll, Ammoniak, Kohlensäure und Ameisensäure. Methylxanthin. 1-Methyl-2, 6-Dioxypurin, (C,H, N,03): CH,N-CO Kl 00 C-NH Pulse 20H N-C-— N? Das Methylxanthin ist von Krüger!) im Harn gefunden und dann von Krüger und Salomon ?) näher untersucht worden. Es ist in Wasser schwer löslich, in Alkalien und verdünnten Säuren leicht löslich. Es hat kristal- linische Platin- und Golddoppelsalze. Es wird weder von Bleiessig noch von ammoniakalischem Bleiessig gefällt. Aus Salpetersäure läßt sich die Silber- nitratverbindung in schönen, zu Rosetten vereinigten Nadeln kristallisieren. Die Weidelsche Reaktion fällt positiv aus. Bei der Salpetersäureprobe entsteht nach dem Zusatz von Natriumhydrat eine Orangefärbung. Heteroxanthin. 7-Methyl-2,6-Dioxypurin, (C,H,N, 05): HN-CO ER CH, ; (0X 6; NL HIN—-C—N? !) Krüger, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1894, 8. 374. — °) Krüger w Salomon, Zeitschr. f. physiol. Chem. 24, 364. Paraxanthin. — Hypoxanthin. 359 Das Heteroxanthin ist von Salomon!) im Harn des Menschen und des Hundes nachgewiesen worden. Aus 1000 Litern Harn vom Menschen gewann er 1g. Heteroxanthin findet sich bei Hunden im Harn nach Verfütterung von Koffein oder Theobromin ?). Es kristallisiert in Nadeln, die bei 341 bıs 342° schmelzen. Sie sind in 1592 Tln. Wasser bei 18°, in 109 TIn. bei 100° löslich. Schwer löslich ist es in Alkohol, unlöslich in Äther. Leicht löst es sich in Alkalien. Das kristal- linische Natriumsalz ist in Wasser und in konzentrierter Lauge schwer löslich. Ebenso schwer löslich ist das kristallinische Chlorid. Von Phosphorwolfram- säure, Mercurichlorid, Cuprisulfat, Bleiessig und Ammoniak, Silbernitrat wird es gefällt. Die Silberverbindung kristallisiert aus verdünnter Salpetersäure in rhombischen Prismen, die oft miteinander kreuzförmige Figuren bilden. Die Weidelsche Reaktion fällt positiv aus, die Salpetersäureprobe negativ. Heteroxanthin zersetzt sich beim Erhitzen mit rauchender Salpetersäure zu Sarkosin, Ammoniak, Kohlensäure und Kohlenoxyd. Paraxanthin. 1,7-Dimethyl-2,6-Dioxypurin, (C,H, N,O,): CH,N-00 u CH Det Can Bel CH HN-C-N/ Das Paraxanthin ist von Thudichum) und Salomon) im mensch- lichen Harn aufgefunden worden. Es ist dem Theobromin isomer und ist daher von Thudichum Urotheobromin genannt worden. Das Paraxanthin ist im Harn in sehr geringer Menge enthalten, 10000 Liter Harn lieferten (Krüger u. Salomon) nur 12,5 g, 5 Liter 10 mg. Paraxanthin kristallisiert in sechsseitigen Tafeln, aus konzentrierten Lösungen in Nadeln. Seine Natriumverbindung ist schwer löslich, das Chlorid leicht löslich. Das Platinchlorhydrat kristallisiert schön in orangegelben Nadeln. Die Lösung der Silbernitratverbindung in heißer Salpetersäure setzt beim Erkalten makroskopische, weiße, seidenglänzende Kristallbüschel von salpetersaurem Paraxanthinsilber ab. Die Weidelsche Reaktion fällt positiv, die Salpetersäureprobe positiv ans. Hypoxanthin. 6-Oxypurin, (C,H; N,0): HN—CO Das Hypoxanthin findet sich in Spuren im menschlichen Harn °), etwas reichlicher im Hundeharn ®) (8,5 mg im Liter). Es kristallisiert in quadra- !) Salomon, Arch. £f. (Anat. u.) Physiol. 1885, S. 370; Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 412, 415. — °) Bondzynski u. Gottlieb, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 28, 1113; Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 36, 45. Albanese, ebenda 35, 449. — °®) Thudichum, Ann. of chem. med. 1, 163. — !) Salomon, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1882, S. 426; Ber. d. deutsch. chem. Ges. 18, 3406; Virchows Arch. 125, 565. Krüger u. Salomon, Zeitschr. f. physiol. Chem. 21, 169. — °) Salkowski, Virchows Arch.50, 195. Salomon, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1876, 8.775; 1882, 8.426; Zeitschr. f. physiol. Chem. 11,410, 411.— °) Baginski, Zeitschr. f. vhysiol. Chem. 8, 398. 360 Guanin. — Epiguanin. tischen Oktaödern. Löslich ist es in etwa 300 TIn. kalten und in 78 Tln. siedenden Wassers, unlöslich dagegen in Alkohol und Äther. Löslich ist es in Säuren und Alkalien. Die Salzsäureverbindung wird aus heißer Salzsäure beim Erkalten in perlmutterglänzenden, farblosen Tafeln abgeschieden. Die Silberverbindung des Hypoxanthins ist in heißer Salpetersäure schwer löslich. Beim Erkalten scheidet sich ein Gemenge von zwei Silberverbindungen ab, die durch Erwärmen mit Ammoniak bei Silbernitratüberschuß in eine von der Zusammensetzung 2(C,H, Ag, N,O)H;,O umgewandelt werden. Das Pikrat ist schwer löslich; aus der siedenden Lösung desselben wird mit neutraler Silbernitratlösung das Hypoxanthin vollkommen als Hypoxanthinsilberpikrat gefällt, (C,H, AgN,0C,H;, (N 0,),0H). Die Weidelsche Probe fällt negativ aus, ebenso die Salpetersäureprobe und die Probe von Hoppe-Seyler. Nach Behandlung mit Zink und Salzsäure gibt es bei Zusatz von Natronlauge im Uberschuß erst eine rubinrote und dann eine braunrote Färbung (Kossel). Guanin. 2-Amino-6-Oxypurin, (C; H;, N; O): HN—CO | NH,C C—NH I >cH NN Das Guanin ist im menschlichen Harn von Pouchet!) gefunden worden, im Harn ‘des Schweines von Pecile?) und von Salomon °). Guaninkristalle sind prismatisch oder pyramidenförmig, sie setzen sich zu kugeligen oder garbenförmigen, dem Kreatininchlorzink ähnlichen Aggregaten zusammen. Das Guanin ist unlöslich in Wasser, Alkohol und Äther, leicht löslich in Säuren und Alkalien, mit Ausnahme von Ammoniak. Mit verdünnten Säuren bildet es Salze. Von diesen kristallisiert das salzsaure Guanin leicht in stern- förmig sich gruppierenden Prismen oder Nadeln. Über sein charakteristisches Verhalten im polarisierten Lichte siehe Kossel*). Durch Metaphosphorsäure und Pikrinsäure wird das Guanin gefällt. - Die Silbernitratverbindung ist in Salpetersäure schwer löslich und fällt aus ihr beim Erkalten in Nadeln aus. Die Weidelsche und die Hoppe-Seylersche Reaktion fallen negativ aus, die Salpetersäureprobe dagegen positiv. Durch Einwirkung von Kaliumchlorat und Salzsäure zerfällt das Guanin in Guanidin und Parabansäure. Epiguanin. 7-Methyl-2-Amino-6-Oxypurin, (C,H-N,O): HN-00 CH NIE, O: CN SCH 0 NO Epiguanin ist von Krüger’) aus menschlichem Harn dargestellt worden. Kristalle gewinnt man durch Abkühlen einer Lösung in 33 proz. Natronlauge in Form von breiten, glänzenden, zugespitzten Nadeln. Das !) Pouchet, Contrib. A la connaiss. des matieres extract. de l’urine 1880. — 2) Pecile, Ann. d. Chem. 183, 141. — °) Salomon, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1884, 8. 175; Virchows Arch. 95, 527. — *) Kossel, Verhandl. d. physiol. Ges. Berlin 1890/91, Nr. 5 u. 6. — °) Krüger, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, S. 533. Adenin. — Episarkin. — Karnin. — Allantoin. 361 Epiguanin ist löslich in verdünnten Säuren und Alkalien mit Ausnahme von Ammoniak. Charakteristisch durch seine Kristallform (orangerote, glänzende, sechsseitige Prismen) ist das Chloroplatinat. Epiguanin wird weder von Bleiessig noch von ammoniakalischem Bleiessig gefällt. Dagegen gibt es mit Silbernitrat und Ammoniak eine gelatinöse Fällung. Die Weidelsche Reaktion fällt negativ aus, die Salpetersäureprobe da- gegen positiv. Adenin. 6-Aminopurin, (Ü,H,N,): N—CNH, I HC C-NH Tee: Deo N Das Adenin ist von Stadthagen!) im Harn eines Leukämikers ge- funden worden. Uber sein Vorkommen im normalen Harn ist bis jetzt nichts bekannt. Daher soll es hier nıcht näher behandelt werden. Episarkin. Das Episarkin ist von Balke?) im menschlichen Harn aufgefunden worden. Aus 1600 Litern konnte er 0,4g gewinnen. Im Harn der Rinder und Schweine ist es von Salomon nachgewiesen worden. Es kristallisiert aus schwach ammoniakalıscher Lösung in Nadeln und Prismen, ist leicht löslich in Salzsäure und Schwefelsäure, schwerer in Salpetersäure. Seine Natriumverbindung ist leicht löslich, es wird durch ammoniakalischen Bleiessig gefällt. Die Weidelsche Reaktion und die Salpetersäureprobe fallen negativ aus. Beim Verdampfen mit Salzsäure und Kaliumchlorat hinterläßt es einen weißen Rückstand, der in Ammoniakdampf violett wird. Karnin. Karnın ist von Pouchet°) im Menschenharn, von Albanese*) ım Hundeharn gefunden worden. Es kristallisiert in mikroskopischen Kri- stallen, die den Drusen des kohlensauren Kalkes ähnlich sind. Leicht löslich ist es in heißem, schwer in kaltem Wasser, unlöslich in Alkohol und Äther. Leicht löslich ist es auch in verdünnten Säuren und Alkalien mit Ausnahme von Ammoniak. DBleiessig und Silbernitrat fällen das Karnin. Charakte- ristisch ist die Verbindung mit Salzsäure (Nadeln in Rosetten angeordnet). Es gibt die Weidelsche Probe, wenn es mit wenig Chlorwasser ver- dunstet wird. Beim Erwärmen mit Salpetersäure liefert es Sarkin. Darstellung der Purine aus dem Harn. Man übersättigt den Harn mit Ammoniak und fällt mit Silbernitrat. Den Niederschlag zersetzt man mit Schwefel- wasserstoff, filtriert dann heiß und dampft ein zur Trockne. Den Rückstand nimmt man mit 3proz. Schwefelsäure auf. Die Purine außer der Harnsäure bleiben ungelöst zurück. 7. Allantoin. Glyoxyldiureid, (C,H,N,O;): RE ERRIERÖOBEEE co | NnHco !) Stadthagen, Virchows Archiv 109, 415. — °) Balke, Journ. f. prakt. Chem. 47, (2), 544, 563. — °) Pouchet, a..a. ©. — ?) Albanese, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 35, 457. 362 Allantoin. Das Allantoin ist von Wöhler!) im Harn säugender oder mit Milch ernährter Kälber gefunden worden. Es findet sich in den ersten acht Lebens- tagen auch im Harn der Kinder, im Harn Schwangerer ?2), aber auch im Männerharn ?). Im Harn von Hunden, Katzen und Kaninchen ist es von Meißner *) gefunden worden. Das Allantoin stammt bei Fleischfressern zum größten Teile vom Nuclein der Nahrung ab. Fütterung mit Pankreas oder Thymus vermehrt die Allantoimausscheidung bedeutend ’., Im den Magen eingeführtes Allantoın wird bei Hunden vollständig, bei Menschen nur zum Teil im Harn wieder ausgeschieden ®). Über die Bildung von Allantoin aus Harnsäure siehe S. 356. Durch Einverleibung einiger Gifte wird bei Hunden eine reichliche Allantoin- ausscheidung hervorgerufen, so durch Hydrazinsulfat’), Hydroxylamin, Amido- guanin und Semikarbazid °). Allantoin kristallisiert in langen, prismatischen Kristallen, die dem monoklinen System angehören. Sie sind oft sternförmig zu Drusen vereinigt. Löslich sind sie in heißem Wasser und Alkohol, schwerer ın kaltem, unlös- lich in Äther. Mit Basen und Säuren bildet es Verbindungen. Von diesen sind das Allantoinsilber und das Allantoinquecksilberoxyd für den Nach- weis des Allantoins von Bedeutung. Wässerige Allantoinlösung gibt mit Silbernitrat bei vorsichtigem Zusatz von Ammoniak einen weißen Nieder- schlag. Er besteht aus Tröpfchen und ist sowohl in Salpetersäure wie in Ammoniak löslich, entsteht aber beim Neutralisieren wieder. Allantoinqueck- silber entsteht beim Zusatz von Mereurinitrat zu Allantoinlösung. Das Allantoin reduziert bei langem Sieden Fehlingsche Lösung. Es gibt die Schiffsche Harnstoffreaktion, aber nicht die Murexidprobe In seinen Lösungen verwandelt es sich in Allantoinsäure. Beim Erhitzen mit Mineral- säuren zerfällt es in Harnstoff und Allantursäure, auch beim Kochen mit Alkalien; die Allantursäure wird dann aber weiter zerlegt in Hydantoinsäure und Parabansäure, die Parabansäure ın Oxalsäure und Harnstoff. Zum Nachweis läßt man das Allantoin nach einer der Methoden aus dem Harn auskristallisieren, z. B. nach der Methode von Meißner. Harn wird mit Ätzbaryt gefällt, der überschüssige Baryt mit Schwefelsäure genau ausgefällt. Nun filtriert man und setzt so lange Mercurichlorid hinzu, als noch ein Nieder- schlag entsteht. Man filtriert und neutralisiert das Filtrat mit Kali. Dann setzt man abwechselnd Mercurichlorid und Kali hinzu, bis bei neutraler Reaktion kein Niederschlag mehr entsteht. Die Quecksilberniederschläge werden gewaschen, in Wasser aufgeschwemmt, mit Schwefelwasserstoff zersetzt. Dann wird erwärmt, die Flüssigkeit heiß filtriert und zum Kristallisieren eingedampft. Zur Erkennung der Allantoinnatur verwendet man die oben angegebenen Reaktionen und bestimmt den Silbergehalt des Allantoinsilbers, der gleich 40,75 Proz. sein muß. !) Wöhler, Ann. d. Chem. u. Pharm. 70, 229. — °) Gusserow, Arch. f. Gynäk. 3, 269. — °) Ziegler, Hermann s. bei Gusserow. Pouchet, Contribution ä ]l. connaiss. des mat. extr. d. ur. 1880. — *) Meißner, Zeit- schrift f. rat. Med. 31, (3) 303. Salkowski, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 11, 500. — °) Minkowski, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 41, 375. Cohn, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 507. Salkowski, Zentralbl. f. d. med. Wissen- schaft 36, 913, 1898. Mendel u. Brown, Americ. Journ. of Physiol. 3, 261. — °) Poduschka, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 44, 59. — 7) Borissow, Zeitschr. f. physiol. Chem. 19, 499. — °) Pohl, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 48, 367. Oxalursäure. — Kynurensäure. 363 8. Oxalursäure, (H,N—CO—NHCOCOOH). Oxalursäure ist von Schunck!) und von Neubauer?) in Spuren im Harn gefunden worden. Um sie nachzuweisen, muß man etwa 150 Liter Harn in Arbeit nehmen. Sie bildet ein weißes, schwer lösliches Pulver. Ihre Alkalisalze sind löslich in Wasser, die übrigen Salze schwer oder gar nicht. Das oxalursaure Ammonium bildet schöne, lange, prismatische Kristalle, die sich in Doppelbüscheln oder Rosetten anordnen. Durch Säureeinwirkung wird die Oxalursäure in Oxal- säure und Harnstoff gespalten. Darstellung. Der Harn wird langsam durch eine kleine Menge Tierkohle filtriert, bis diese ihn nicht mehr entfärbt. Die Oxalursäure bleibt in der Kohle, aus der sie durch Alkohol ausgezogen wird. Eine der Oxalursäure ähnliche Verbindung hat Meißner°) im Harn eines Hundes gefunden, der mit Kartoffeln und Eiweiß genährt wurde. 9. Kynurensäure. -Oxy-ß-chinolinkarbonsäure, (0,,H, NO,): Die Kynurensäure ist zuerst von Liebig im Hundeharn entdeckt worden. Sie ist unter normalen Verhältnissen nur bei Hunden gefunden worden, aber nicht bei allen Exemplaren. Nachdem Gläßner und Langstein *) gezeigt hatten, daß sich unter den Produkten der pankreatischen Verdauung des Eiweißes ein in Alkohol löslicher, mit Aceton fällbarer Körper befindet, dessen Verfütterung eine starke Kynurensäureausscheidung beim Hunde bewirkt, fand Ellinger ’), von theoretischen Erwägungen ausgehend, daß die Mutter- substanz der Kynurensäure das Tryptophan ist. Er sah bei Hunden, die mit Milch und Brot ernährt wurden, sowohl nach Verfütterung wie nach sub- eutaner Injektion von Tryptophan eine bedeutende Steigerung der Kynuren- säuremenge im Harn. Auch im Kaninchenharn erscheint, wie er weiter festgestellt hat, nach Tryptophanfütterung oder -injektion Kynurensäure. Entsprechend den Ellingerschen Beobachtungen findet man nach Eiweiß- nahrung den Kynurensäuregehalt des Harnes höher als bei vegetabilischer Ernährung. Auch stimmt mit ihnen gut überein, daß nach Fütterung mit eiweißartigen Substanzen, die die Tryptophangruppe nicht enthalten, wie nach Leimfütterung, keine Vermehrung der Kynurensäureausscheidung statt- findet. Nach Fütterung von Thymus ist, wie Josephsohn‘) gezeigt hat, merkwürdigerweise die Ausscheidung nicht vermehrt; der Grund für diese Tatsache ist noch nicht aufgeklärt. !) Schunck, Proc. Royal. Soc. 16, 140. — ?) Neubauer, Zeitschr. f. anal. Chem. 7, 225. — °) Meißner, Zeitschr. f. rat. Med. 31, (5) 318. — *) Glaessner u. Langstein, Hofmeisters Beitr. 1, 34. — °) Ellinger, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 37, 1803; Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 325. (Hier Literatur.) — °) Joseph- sohn, Beiträge zur Kenntnis der Kynurensäureausscheidung beim Hunde. Dissert., Königsberg 1898. (Hier Literatur.) 364 Kynurensäure. — Urocaninsäure. — Lithursäure. — Hippursäure. Ob die Kynurensäureausscheidung nur von dem Tryptophan, das im Darm gebildet wird, abhänge, oder ob auch bei dem Abbau der Eiweißkörper . in den (Geweben aus eventuell entstehendem Tryptophan Kynurensäure gebildet werde, muß noch aufgeklärt werden. Für eine derartige Bildung spricht, daß auch hungernde Hunde noch Kynurensäure ausscheiden, sowie daß bei Vergiftungen (Phloridzin, Phosphor, Borax), die eine Vermehrung des Eiweißzerfalles zur Folge haben, ebenfalls die Kynurensäureausscheidung vermehrt ist. Sie kann dabei der Ausscheidung des Stickstoffes vollkommen parallel gehen. Für Menschen, Hunde und Kaninchen ist auch nachgewiesen worden, daß sie die Fähigkeit haben, eingenommene Kynurensäure zu zerstören. Die Kynurensäure ist von Camps!) synthetisch dargestellt worden. Über Eigenschaften und Nachweis siehe die Handbücher der physiologi- schen Chemie. 10. Urocaninsäure. Einmal hat Jaffe?) bei einem Hunde eine eigen- tümliche Säure gefunden, die er Urocaninsäure genannt hat. Die Säure ist noch einmal von Siegfried) gefunden. Sie scheint den Purinen verwandt zu sein. ll. Lithursäure. Im Harn von Kühen, die schwere Arbeit zu ver- richten hatten, hat Roster) eine Säure gefunden, die er Lithursäure ge- nannt hat. 2. Gepaarte Verbindungen. 1. Hippursäure. Benzoylaminoessigsäure, (C,H, N O,;): C,H,C0 HNCH,COOH Im menschlichen Harn findet sich täglich 0,1 bis 1g Hippursäure. Im Mittel 0,7g. Nach reichlicher Aufnahme von Gemüse oder von Obst kann ihre Menge bis auf 2g ansteigen. Im Fleischfresserharn ist die Hippursäure nur in Spuren vorhanden, reichlich dagegen im Harn der Herbivoren. Herkunft. Durch Wöhler ist bekannt geworden, daß in den Körper eingeführte Benzo&säure im Harn als Hıppursäure wieder erscheint. Das- selbe Schicksal haben Stoffe, die im Organismus durch Oxydation oder Reduktion in Benzoösäure übergeführt werden (Toluol, Zimtsäure, Hydro- zimtsäure, Chinasäure). Die Benzoösäure paart sich im Tierkörper mit Glykokoll. Das Glykokoll ist ein Derivat der Eiweißsubstanzen. Es fragt sich also, woher die Benzoösäure stammt. Sie scheint zwei Quellen zu haben, die beide in der Nahrung liegen: das Eiweiß und aromatische Substanz von Pflanzen. Für die erste Quelle spricht, daß ledielich mit Fleisch gefütterte ’), ja hungernde ©) Hunde Hippursäure im Harn ausscheiden. Man nimmt an, !) Camps, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 390. — *) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 7, 1669; 8, 811. — °) Zeitschr. f. physiol. Chem. 24, 399. — ') Ann. d. Chem. u. Pharm. 165, 104. — °) Meißner u. Shepard, Die Entstehung der Hippursäure im Organismus 1866. — °) Salkowski, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 11, 500. Hippursäure. 365 daß die Benzoösäure von der im Darm stattfindenden Eiweißfäulnis herrühre. Hierfür spricht die Beobachtung Baumanns!), der fand, daß nach Des- infektion des Darmes die Hippursäureausscheidung beim Hunde aufhören kann. Als Muttersubstanz der Benzo@säure hat man die Phenylpropionsäure anzusehen, die E. und H. Salkowski°) bei der Eiweißfäulnis entstehen sahen. Diese Säure wird im Organismus zu Benzoösäure oxydiert und als Hippursäure ausgeschieden. Die zweite Quelle für die Hippursäureausscheidung liegt in den Cuticularsubstanzen der oberirdischen Pflanzenteile [Meißner und Shepard ®)]. In ihnen finden sich Substanzen, welche in Benzoösäure über- gehen können. Eine davon ist vermutlich die Chinasäure. Vielleicht ist sie die Hauptquelle der Hippursäure bei den Herbivoren. Man muß aber auch bedenken, daß die Eiweißfäulnis im langen Darm der Pflanzenfresser be- sonders lebhaft und daher als Quelle für die Benzoösäure besonders in Betracht zu ziehen ist. Nach Weiske‘) findet nach Heuaufnahme keine Hippursäurebildung statt, wenn das Heu zuvor mit Schwefelsäure oder mit Alkalilauge ausgelaugt worden war. Eigenschaften. Der Ort der Hippursäurebildung ist bei Hunden die Niere °); bei Pflanzenfressern kann die Hippursäure auch in anderen Organen gebildet werden. Salomon ‘) fand bei Kaninchen, denen die Nieren exstirpiert worden waren, Hippursäure in der Leber und den Muskeln. Die Hippursäure kristallisiert in milchig weißen, durchscheimenden, vier- seitigen Prismen und Säulen vom Schmelzpunkt 187,5", die oft zu Drusen vereinigt sind. Die Grundform der Kristalle ist ein rhombisches Prisma. Sie lösen sich in 600 TIn. Wasser bei 0°, leichter in heißem Wasser. Die Lösung reagiert sauer. In Alkohol, Äthyläther und Essigäther ist die Hippur- säure löslich, unlöslich dagegen in Petroläther, Benzol und Schwefelkohlen- stoff. Mit Basen vereinigt sich die Hippursäure zu Salzen, von denen die der Schwermetalle (Silber, Kupfer, Blei) sehr schwer löslich sind. Das Eisen- oxydsalz ist ganz unlöslich. Leicht löslich in Wasser und Alkohol sind die Salze der Alkalien und alkalischen Erden. Bei andauerndem Erhitzen mit Alkalien oder mit Säuren zerfällt die Hippursäure in Benzoösäure und Gly- kokoll, eine hydrolytische Spaltung, die auch bei der Harngärung stattfindet. Nachweis. Wenn man Hippursäure mit konzentrierter Salpetersäure siedet und zur Trockne eindampft, dann den Rückstand in einem Glasröhrchen ‚erhitzt, so bildet sich Nitrobenzol. Dieses kann man leicht an seinem bittermandelölartigen Geruch erkennen (Lücke). Bei vorsichtirem Erhitzen schmilzt die Hippursäure und erstarrt beim Abkühlen zu einem Kristallbrei, bei stärkerem Erhitzen färbt die Schmelze sich rot, weiter sublimiert Benzoösäure. Zugleich entwickelt sich Heugeruch, dann der Geruch der Blausäure. Darstellung. Harn wird alkalisch gemacht durch Sodazusatz, filtriert, das Filtrat beinahe zur Trockne verdunstet. Der Rückstand wird mit Alkohol extra- hiert. Dann wird der Alkohol verdunstet und der wässerige Rückstand wiederholt mit Essigäther ausgeschüttet. Nunmehr verdampft man den Essigäther und ‘) Baumann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 131. — ?) Salkowski, E.u.H,, Ber. d. deutsch. ehem. Ges. 12, 648, 1438. — °) Meißner u. Shepard, a. a. 0. — ”) Weiske, Zeitschr. f. Biolog. 12, 241. — °) Meißner u. Shepard, a. a. 0. — °) Bunge u. Schmiedeberg, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 6, 233. Hofmann, ebenda 7, 233. Kochs, Pflügers Arch. 20, 64. Bashford u. Cramer, Zeitschrift f. ptysiol. Chem. 35, 324. Salomon, ebenda 3, 366. 366 Phenacetursäure. — Benzoe&säure. — Glykokollpaarungen der Benzolderivate. reinigt den Rückstand von Benzo&säure und Fett durch Ausziehen mit Petroläther. Dann kann man die Hippursäure umkristallisieren. Zum Nachweise dient die Kristallform, die Probe von Lücke, das Verhalten bei der Trockendestillation und die Feststellung des Schmelzpunktes. 2. Phenacetursäure, (C;,H,, NO,): C,H,—CH, | CO—HN-—-CH,COOH Die Phenacetursäure ist von E. u. H. Salkowskı!) aus Pferdeharn dar- gestellt worden. Auch im menschlichen Harn findet sie sich gelegentlich. Sie entsteht durch Paarung der im Darm bei der Eiweißfäulnis gebildeten Phenylessigsäure mit Glykokoll. Nach Verabreichung dieser Säure bei Hunden und bei Kaninchen ist sie im Harn in reichlicher Menge gefunden worden. Beim Menschen hat man sie nicht gefunden, auch nicht nach Verabreichung von 5g Phenylessigsäure. [3. Benzoösäure, (,H,COOH. Benzoösäure ist in Spuren im mensch- lichen Harn gefunden worden. Im Harn von Kaninchen und Hunden ist sie ebenfalls beobachtet worden. Ob sie im alkalischen Harn durch Ferment- wirkung aus Hippursäure entstehe, oder ob sie in den Nieren schon als Benzoösäure ausgeschieden werde, oder ob beides geschehe, ist noch unent- schieden. Für die erste Entstehungsmöglichkeit geben Versuche von Stokvis und van der Velde 2) den Beweis, für die zweite sprechen Beobachtungen von Schmiedeberg°) und Minkowskit), die gefunden haben, daß in den Organen des Tierkörpers (auch in der Niere) Hippursäure gespalten werden kann.] 4. Paarungen anderer Benzolderivate mit Glykokoll’). Hier muß eine Reihe von Verbindungen aufgeführt werden, die im Harn nach Verab- reichung von Benzolderivaten auftreten. Es ist nicht unbedingt notwendig, daß die Abkömmlinge des Benzols im Harn mehr oder weniger verändert wieder erscheinen, vielmehr kann eine Reihe von ihnen im Tierkörper voll- kommen verbrannt werden. Hierher gehören die Phenylaminopropionsäure, die Aminozimtsäure, das Tyrosin, die Phtalsäure. Wie R. Cohn gezeigt hat, sind unter den Biderivaten des Benzols die Orthoverbindungen am leichtesten verbrennlich. Wenn die Benzolderivate sich im Tierkörper zu Benzoösäure oxydieren, so werden sie bei Säugern als Hippursäure ausgeschieden. Im Vogelorganismus tritt, wie Jaffe‘) gezeigt hat, eine Paarung der Benzoösäure mit Ornithin (Diaminovaleriansäure) ein; es erscheint im Harn Ornithursäure. Im Säuge- tierorganismus paart sich, wie oben dargetan, die Benzoösäure mit dem Glykokoll. Hiermit verbindet sich auch eine große Reihe von Derivaten des Benzols. Zu diesen gehören die Oxybenzoösäuren und eine Reihe von sub- stituierten Benzoösäuren. Aus ihnen entstehen die substituierten Hippur- I) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 12, 653; Zeitschr. f. physiol. Chem. 9, 229. — 2) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 17, 189. — °) Ebenda 14, 379. — *) Ebenda 17, 445. — °) Eine Zitierung der sehr ausgedehnten Literatur ist hier nicht möglich. Man vergleiche Hammarsten, Lehrb. d. physiol. Chem. 1905. Die ältere Literatur findet sich bei O0. Kühling, Über Stoffwechselprodukte aromatischer Körper. Berlin 1887, Dissert. — °) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 10, 11. Paarungen der Benzolderivate mit Glykokoll. 367 säuren. So bildet sich aus der Orthooxybenzo&säure (Salieylsäure) die Sali- cylursäure, ebenso paart sich die Metaoxybenzoösäure wahrscheinlich, sicher die Paraoxybenzo@esäure mit Glykokoll.e. Aus Ühlorbenzoösäure wird Chlor- hippursäure, aus Nitrobenzoösäure Nitrohippursäure, aus Methylparaoxy- benzoösäure (Anissäure) Anisursäure. Die Aminobenzoösäuren gehen teils unverändert in den Harn über, teils als entsprechende Hippursäuren. Ein Teil der Aminobenzoösäure wird zu Uraminobenzoösäure. Die substituierten Aldehyde können ebenfalls einer Paarung mit Glyko- koll unterliegen, nachdem sie zu den entsprechenden substituierten Benzoö- säuren oxydiert worden sind. Von ihnen geht der Orthonitrobenzaldehyd beim Kaninchen zum geringen Teile diese Verwandlung ein, der größte Teil wird aber im Organismus verbrannt. Bei Hunden wird der Nitrobenzaldehyd nach Sieber und Smirnow in m-Nitrohippursäure, nach Cohn in m-nitro- hippursauren Harnstoff übergeführt. Bei Kaninchen findet außer der Oxy- dation des Aldehydes an der Nitrogruppe eine Reduktion statt, so daß sie zu einer Aminogruppe wird; an diese lagert sich Essigsäure, so daß schließlich m-Aminobenzoösäure entsteht. Vom p-Nitrobenzaldehyd wird ein Teil in p-Acetylaminobenzoösäure, ein Teil in Nitrobenzoösäure verwandelt, die im Harn miteinander gepaart ausgeschieden werden. Beim Hunde wird aus diesem Aldehyd nur p-nitrohippursaurer Harnstoff. Toluol, Äthylbenzol, Propylbenzol und viele analoge Benzolderivate mit aliphatischer Seitenkette werden im Organismus zu Benzoösäure oxydiert und demgemäß als Hippursäure ausgeschieden. Hat der Benzolkern mehrere Seitenketten, so wird nur eine derselben zu Karboxyl oxydiert und der Stoff dann als entsprechende Hippursäure ausgeschieden. So wird Xylol zu Toluylsäure oxydiert und als Tolursäure ausgeschieden, Mesitylen wird zu Mesitylensäure weiter zu Mesitylenursäure, Cymol zu Cuminsäure weiter zu Cuminursäure, Phenylessigsäure (%-Toluylsäure) wird zu Phenacetursäure (s. S. 366). (Phenylpropionsäure wird dagegen verbrannt zu Benzoäsäure, und Phenylaminoessigsäure wird zum Teil zu Mandelsäure.) Die durch Halogene substituierten Toluole werden bei Hunden in die entsprechenden substituierten Hippursäuren übergeführt, bei Kaninchen ver- hält sich das o- Bromtoluol ebenso, die m- und p-Toluole werden teils als Hippursäuren, teils als substituierte Benzoösäuren ausgeschieden, was mit allen drei Chlortoluolen ausschließlich geschieht. Das Phenylmethylketon (Acetophenon) wird im Organismus zu Benzoö- säure oxydiert und als Hippursäure ausgeschieden. Methylpyridin wird zu Pyridinkarbonsäure und nach Paarung mit Gly- kokoll zu &-Pyridinursäure. Thiophen wird zur Thiophensäure und nach Paarung mit Glykokoll als Thiophenursäure ausgeschieden. Auch Furfurol paart sich, nachdem es zu Schleimsäure oxydiert ist, mit Glykokoll zu Pyromykursäure (Pyromykornithursäure bei Vögeln). 5. Paarung mit Essigsäure und Glykokoll. Ein anderer Teil des Furfurols verbindet sich mit Essigsäure zu Furfurakrylsäure !), die sich mit Glykokoll paart: Furfurakrylursäure. !) Jaffe u. Cohn, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 21, 3461. 368 Paarungen mit Glukuronsäure, Cystein, Karbaminsäure usw. 6. Paarungen mit Glukuronsäure. Paarungen der Glukuronsäure mit Verbindungen der Fettreihe und auch mit aromatischen Verbindungen im Organismus sind häufig beobachtet. Von Körpern der Fettreihe paaren sich mit Glukuronsäure Alkohole, Aldehyde, Ketone nach Reduktion zu Alkoholen. So wird z. B. das Chloralhydrat zu Urochloralsäure. Von aro- matischen Verbindungen sind zu nennen die Phenole, ihre Homologen und ihre Substitutionsprodukte. Auch viele andere aromatische Verbindungen paaren sich mit Glukuronsäure, nachdem sie oxydiert sind oder eine Hydra- tation erfahren haben. Hierher gehören die cyklischen Terpene, Borneol, Menthol, Campher, Naphthalin, Terpentinöl, Oxychinoline und viele andere. Das o-Nitrotoluol geht in o-Nitrobenzaldehyd über und paart sich mit Glu- kuronsäure zu Uronitrotoluolsäure. Das Euxanthon, ein Oxyketon, wird zu Euxanthinsäure. Die Glukuronsäure paart sich auch mit den sogenannten Mercaptursäuren. (Baumann u. Preuße, Jaffe). Es sind dies Verbindungen, die nach Einführung‘ von CUhlor- oder Bromsubstitutionsprodukten des Benzols im Organismus entstehen. So geht das Brombenzol bei Hunden als Bromphenylmercaptursäure in den Harn über. 7. Paarungen mit Cystein. Von Friedmann!) ist gezeigt worden, daß die Mercaptursäuren substituierte Cysteine sind. Somit haben wir in der eben erwähnten Paarung eine experimentelle Cystinurie vor uns. 8. Paarungen mit Karbaminsäure, mit Methan und Ammoniak. Paarungen mit Karbaminsäure gehen ein Sarkosin, Taurin, Tyrosin, Amido- benzo@äsäure. Das Pyridin paart sich mit Methan und Ammoniak zu Methylpyridinammoniumhydroxyd. 9. Paarungen mit Schwefelsäure. Die Ätherschwefelsäuren des Harnes sind von Baumann?) entdeckt worden. Sie kommen im menschlichen Harn nur in geringen Mengen vor. Ihre absolute Menge schwankt sehr; sie ist abhängig von dem Grade der Eiweißfäulnis im Darme, da die Paar- linge der Schwefelsäure vorwiegend hierbei entstehen. Herabminderung der Fäulnisprozesse durch besondere Ernährung (Milch, Kohlehydrate) vermindert °) die Menge der Ätherschwefelsäuren. Auch Einnahme von Arzneimitteln, die antiputride Wirkungen haben, soll nach einigen Autoren dieselben Folgen haben; andere bestreiten *) dies allerdings. Die Ätherschwefelsäuren ent- stehen durch Paarung mit Phenolen, die bei der Darmfäulnis entstanden und resorbiert sind. Die Muttersubstanz dieser Phenole ist das Tyrosin. Außerdem paaren sich das Indol und das Skatol mit der Schwefelsäure, nachdem sie zu Indoxyl (und Skatoxyl?) oxydiert worden sind. Phenolschwefelsäure, (,H;OS0,0H, und Parakresolschwefelsäure, (6,H,0S0,0HCH,. Die Phenole sind von Städeler5) im Harn aufgefunden !) Hofmeisters Beitr. 4, 486. — ?) Baumann, Pflügers Arch. 12, 69; 13, 285. — °®) v. d. Velden, Virch. Arch. 70, 343. Herter, Zeitschr. f. physiol. Chem. 1, 244. Hirschler, ebenda 10, 302. Biernacki, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 49, 87. Roviehi, Zeitschr. f. physiol. Chem. 16, 20. Winternitz, ebenda 16, 439. Schmitz, ebenda 17, 40; 19, 378. — *) Baumann u. Morax, ebenda 10, 318. Steiff, Zeitschr. f. klin. Med. 16, 311. Rovighi, a. a. ©. Stern, Zeitschr. F. Hyg. 12, 83. Bartoschewitsch, Zeitschr. f. physiol. Chem. 17, 35. Mosse, ebenda 23, 160. — °) Ann. d. Chem. u. Pharm. 77, 17. Phenol-, Parakresol-, Brenzkatechin-, Indoxylschwefelsäure. 369 worden. Baumann!) hat erkannt, daß sie mit Schwefelsäure gepaart sind. Die Bestimmungen der Phenolmengen betreffen das Phenol und das Kresol zusammen. Das Kresol macht dabei die Hauptmenge aus. Im menschlichen Harn finden ‚sich nach Munk?) 0,017 bis 0,051 g täglich, nach Kossel und Penny?) 0,07 bis 0,106g. Ihre Menge wächst bei vegetabilischer Ernährung. Einführung von Phenol und Benzol vermehrt die Ausscheidung ®). Das Kalisalz der Phenolschwefelsäure ist von Baumann aus dem Harn von Hunden, Menschen und Pferden gewonnen worden. Es bildet kristal- linische, weiße, perlmutterglänzende Plättchen, die in Wasser und in siedendem Alkohol leicht löslich sind. Man gewinnt sie am besten aus dem Harn von Hunden, die mit Phenol gefüttert sind. Der Harn wird zur Sirupkonsistenz eingedampft und mit 96 proz. Alkohol extrahiert. Das Extrakt wird mit alkoholischer Oxalsäurelösung gefällt und filtriert. Das Filtrat wird mit Kali versetzt und nochmals filtriert. Dann läßt man verdunsten. In der Kälte kristallisiert die Phenolschwefelsäure aus. Die Kristalle werden aus siedendem Alkohol umkristallisiert. Das Kalıumsalz der Kresolschwefelsäure verhält sich ähnlich wie das der Phenolschwefelsäure. Dargestellt wird es folgendermaßen. Frischer Harn wird erst mit Bleizucker, dann mit Bleiessig gefällt. Durch das Filtrat wird Schwefelwasserstoff geleitet. Dann dampft man bis zur Sirupkonsistenz ein und läßt die Säure in der Kälte auskristallisieren. Endlich kristallisiert man aus heißem Alkohol um. Über den Nachweis der Schwefelsäure in den Ätherschwefelsäuren s. 8. 341. Die Paarlinge der Schwefelsäuren Phenol und Kresol weist man folgendermaßen nach. Harn wird mit Schwefelsäure versetzt, bis er 5 Proz. davon enthält, und dann destilliert. Neutrale Lösung von Ferrichlorid gibt eine intensive blauviolette Färbung. Bromwasserzusatz erzeugt sofort oder nach einiger Zeit einen Nieder- schlag von kristallinischem, gelblichweißem Tribromphenol (Landolt). Das Phenol gibt die Reaktion von Millon. Brenzkatechinschwefelsäure. Brenzkatechinschwefelsäure kommt regelmäßig im menschlichen und im Pferdeharn vor. Sie stammt von der Protokatechusäure, die mit pflanzlicher Nahrung aufgenommen worden ist. Indoxylschwefelsäure, Harnindikan, 0,H-NSO,. H C N HC C—C080,0H \ Die Tatsache, daß man aus dem Harn einen blauen und einen roten Farbstoff gewinnen kann, ist seit langer Zeit bekannt. Diese Farbstoffe sind mit den verschiedensten Namen ’) belegt worden. Jaffe‘) gelang es dann !) A.a. 0. — ?) Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1880, Suppl. 8.23. — °) Kossel u. Penny, Zeitschr. f. physiol. Chem. 17, 139. — *) Auerbach, Virch. Arch. 77, 226. Demetz, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1888, S. 526. Marfori, Arch. di Farm. e Terap. 2. Munk, Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1881, 8. 460. — °) Cyanurin, Uro- glaucein, Urorhodan, Urocyanin, Harnblau, Uroxanthin. — °) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1872, 8. 2, 481, 497. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 24 370 Indoxylschwefelsäure. zu zeigen, dab das Indol die Muttersubstanz des Harnindikans ist, und Bau- mann fand mit seinen Mitarbeitern !), daß es sich als Indoxylschwefelsäure im Harn findet. Die Indoxylschwefelsäure findet sich im menschlichen Harn in nur ge- ringer Menge |5 bis 20mg am Tage, Jaffe°). Die Menge wird gemessen an der Quantität des Indigo, den man aus dem Harn abscheiden kann. Hierbei kommt auch der aus der Indoxylglukuronsäure (siehe unten) stam- mende Indigo mit in Rechnung. Die Indikanmenge hängt unter normalen Verhältnissen von dem Grade der Eiweißfäulnis im Darme ab. Neugebo- rene 3), deren Darm keimfrei ist, und Brustkinder #), bei denen die Darm- fäulnis sehr gering ist, haben keine Spur von Indikan im Harn, ebensowenig Hunde, denen der Darm durch Kalomel desinfiziertt worden war’). Am größten ist der Indikangehalt des Harnes bei eiweißreicher Nahrung. Er- nährung mit Leim vermehrt dagegen den Indikangehalt nicht. Alle Erkran- kungen, die zu einem, wenn auch nur teilweisen Verschluß des Dünndarmes führen oder eine Behinderung der Dünndarmentleerung hervorrufen, haben eine Vermehrung der Indikanausscheidung zur Folge %). Störungen in der Entleerung des Dickdarmes dagegen in der Regel nicht. Hand in Hand mit der Indikanvermehrung geht immer eine Vermehrung des Phenols. Es ist aber nicht notwendig bei Vermehrung des Phenolgehaltes des Harnes auch der Indikangehalt vermehrt. Die Muttersubstanz des Harnindikans ist das Indol, wie Jaffe durch Verfütterung und subcutane Injektion von Indol nachgewiesen hat und wie >aumann und Brieger bestätigt haben. Nach Hoppe-Seyler kann auch die Örthophenylpropiolsäure in Indikan übergehen. Von Ellinger und Gentzen’) ist gezeigt worden, daß das Tryptophan die Muttersubstanz des Indols ist. Blumenthal°®), Rosenfeld®) und Lewin!?) behaupten, daß auch der Zer- fall von Körpergeweben (beim Hunger, bei Phloridzinvergiftung) zur Indikanbildung führen könne, was jedoch von Mayer!'), Scholz und Ellinger!'*) widerlegt sein dürfte. Harnack'*) und v. Leyen sahen nach Oxalsäurevergiftung eine Ver- mehrung der Indikanausscheidung, Scholz dagegen nicht. Morazewski'*) fand beim Diabetes Oxalsäure- und Indikanausscheidung einander parallel gehend. Das indoxylschwefelsaure Kalium kristallisiert in farblosen glänzenden Tafeln oder Blättchen, die leicht löslich in Wasser sind. Man gewinnt es nach Baumann und Brieger am besten aus dem Harn von Tieren, die mit Indol gefüttert sind. Der Harn wird zunächst bis zur Sirup- konsistenz eingedampft, der Sirup warm mit 90 proz. Alkohol extrahiert, der ') Baumann, Pflügers Arch. 13, 304; Baumann u. Brieger, Zeitschr. f. physiol. Chem. 3, 254. Baumann u. Tiemann, Ber. d. d. chem. Ges. 12, 1098, 13, 408. — °) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1872, 8. 2, 481, 497. — °) Senator, Zeitschr. f. physiol. Chem. 4, 1. — *) Hochsinger, Wiener med. Presse 40, 41. — °) Baumann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 129. — °) Jaffe, Pflügers Arch. 3, 448 (und viele andere). — 7) Hofmeisters Beitr. 4, 172. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, Supplbd. 275, 1902, S. 347. — °) Blumenthal und Rosenfeld, Charite-Annalen 27. — !°) Lewin, Hofmeisters Beitr. 1, 472. — '') Mayer, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1902, $S. 341; Zeitschr. f. klin. Med. 47, 68; Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 32. — ") Scholz, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 513. Ellinger, ebenda 39, 44. — '*) Harnack, ebenda 29, 205. — \*) Zentralbl. f. inn. Med. 1903, 8. 2. I ' Skatoxylschwefelsäure. — Skatolkarbonsäure. — Andere Paarungen usw. 37] Alkoholextrakt kalt mit Oxalsäure eefällt, filtriert, das Filtrat mit Kali versetzt. Nach nochmaliger Filtration wird die Flüssiekeit auf die Hälfte ihres Volumens eingedampft und mit dem gleichen Volumen Äther gefällt. Der Niederschlag wird mit Alkohol gewaschen, der Waschalkohol immer wieder mit Äther gefällt. So bleibt der Harnstoff schließlich in Lösung. Endlich werden die vereinigten Niederschläge in Alkohol aufgenommen und dann mit Ather gefällt. Die Trübung konsolidiert sich zu Kristallen, die auf Ätherzusatz sich vermehren. Der Nachweis des Indoxyls geschieht nach Jaffe folgendermaßen. Harn wird mit dem gleichen Volumen konzentrierter Salzsäure versetzt und einige Cubikcentimeter Chloroform hinzugefügt. Nun setzt man tropfenweise konzen- trierte Chlorkalklösung hinzu, indem man nach jedem Tropfen umschüttelt. Das Chloroform nimmt eine blaue Farbe an von Indigblau. Man hat sich vor zu reichlichem Zusatz von Chlorkalk zu hüten, da sonst der Indigo zu farblosen Ver- bindungen überoxydiert wird. Obermayer fällt zunächst den Harn mit Bleiessig und versetzt erst das Filtrat mit Salzsäure. Die Oxydation führt er mit Ferri- chlorid aus. Skatoxylschwefelsäure, C,H,NSO, H (& N 185 EUER I IN H0220726050,0H NDINZ CN HH Im normalen Harn ist die Skatoxylschwefelsäure bisher nicht nach- gewiesen worden, dagegen hat Otto!) sie aus dem Harn eines Diabetikers gewonnen, der an Verdauungsstörungen litt. Man nimmt an, daß sie aus dem Skatol des Darmes nach Oxydation desselben zu Skatoxyl im Organismus entstehe. Aus einverleibtem Skatol wird aber nur wenig Skatoxylschwefel- säure gebildet [Mester?2)|. Nach Salkowskı?°) findet sich das Skatol im normalen Harn als Skatolkarbonsäure, nach Mayer und Neuberg) als eine mit Skatoxyl gepaarte Glukuronsäure. Die Angaben über das Vorkommen von Skatolderivaten im normalen Harn sind noch etwas unsicher. Man schließt auf ihre Gegenwart aus dem Auftreten von roten und rotvioletten Farbstoffen bei der Indikanprobe. Die Existenz des Skatoxyls ist neuerdings fraglich geworden [Maillard’)]. Auf die Eigenschaften und Darstellungsmethoden der Skatoxylschwefei- säure kann nicht eingegangen werden. (Skatolkarbonsäure. Skatolkarbonsäure findet sich nach Salkow ski °) in Spuren im Harn.) Andere Paarungen mit Schwefelsäure. Außer den angeführten paaren sich noch zahlreiche andere aromatische Verbindungen im Organismus mit Schwefelsäure, und erscheinen im Harn als Ätherschwefelsäuren. Hierher gehören die hydroxylierten aromatischen Verbindungen und deren Abkömm- linge. Auch aromatische Säuren können eine Paarung mit Schwefelsäure ') Otto, Pflügers Arch. 33, 615. — ?*) Mester, Zeitschr. f. physiol. Chem. 12, 130. — °) Salkowski, ebenda 9, 8. — *) Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 256. — °) Maillard, ebenda 41, 451. 24* 372 Neutraler Schwefel. eingehen. Von ihnen seien genannt die p-Öxyphenylessigsäure, die p-Oxy- phenylpropionsäure, die Hydrochinonkarbonsäure (Gentisinsäure), endlich die Gallussäure und die Gerbsäure. Aromatische Ketone, die Hydroxylgruppen haben, paaren sich ebenfalls mit Schwefelsäure, so das Resacetophenon, Paraoxypropiophenon, Gallacetophenon. Über das Verhalten des Acetophenons siehe S. 367, über das des Euxanthons S. 368. Kohlenwasserstoffe mit einer Amino- oder Iminogruppe können, nachdem ihr Wasserstoff zur Hydroxyl- gruppe oxydiert ist, mit Schwefelsäure gepaart ausgeschieden werden. Hierher gehört z. B. das Anilin, welches in Paramidophenol übergeht und sich dann mit Schwefelsäure paart. Ebenso verhält sich das Acetanilid und das Karbazol. 3. Der neutrale Schwefel. Wie bereits S. 341 erwähnt, kommen im Harn Verbindungen vor, die schwefelhaltig sind, in denen aber der Schwefel nicht in Form von Schwefel- säure enthalten ist. Von ihnen sind erkannt worden: Mercaptane, Rhodan- wasserstoff, Chondroitinschwefelsäure, Oxyproteinsäure (Uroprotsäure), Alloxy- proteinsäure, Uroferrinsäure, Oystin. Die Hauptmenge des neutralen Schwefels machen die zuletzt genannten drei Säuren aus. Der neutrale Schwefel macht nach Salkowski!) 15, nach Stadthagen?) 13,1 bis 14,5, nach Lepine ’) 30, nach Harnack und Kleine) 19 bis 24 Proz. des Gesamtschwefels aus. Die Menge wird vermehrt durch Einführung von Schwefel mit der Nahrung, durch Steigerung des Eiweißzerfalles, wie z. B. beim Fieber, beim Hungern, bei Sauerstoffmangel, bei der Narkose; doch ist die Menge des neutralen Schwefels weniger von der Größe des Eiweibßzerfalles abhängig als die der Schwefelsäure. Das Verhältnis des neutralen Schwefels zur Schwefelsäure wechselt nach Harnack und Kleine in derselben Weise wie das Verhältnis der übrigen stickstoffhaltigen Bestandteile des Harnes zum Harnstoff. l. Methylmercaptan. Methylmercaptan ist von Nencki°) im Harn nach dem Genuß von Spargeln in Spuren gefunden worden. Durch seine Gegenwart wird der üble Geruch des Harnes nach Spargelgenuß bewirkt. 2. Äthylsulfid. AÄthylsulfid ist von Abel‘) im Hundeharn nach- gewiesen worden. Es entsteht erst nach Zusatz von freiem Alkalı zum Harn. Die Muttersubstanz des Äthylsulfides ist nicht bekannt. 3. Rhodanwasserstoff. Im menschlichen Harn findet sich nach :Gscheidlen’) etwa 0,035, nach Munk’°) 0,11, nach Bruylants?°) nur 0,003 Rhodankalium. Entdeckt ist es im Harn von Gscheidlen beim Menschen und bei Tieren; diese Angaben sind von Külz, J. Munk und Bruylants bestätigt worden. Nach dem letzten kommt das Rhodan nur im Harn von Tieren vor, die Harnstoff ausscheiden. Bei Reptilien und Vögeln fehlt es. Von der Ernährung ist der Rhodangehalt des Harnes unabhängig. !) Salkowski, Virchows Arch. 58, 172. Zeitschr. f. physiol. Chem. 9, 241. — ?) Stadthagen, Virchows Arch. 100, 426. — *) Lepine, Compt. rend. 91, 1074; 97, 1074. — *) Harnack und Kleine, Zeitschr. f. Biol. 37, 417.— °) Nencki. Arch. f. exp. Path. 28, 206. — °) Abel, Zeitschr. f. physiol. Chem. 20, 253. — ?) Gscheidlen, Pflügers Arch. 14, 401. — °) Munk, Virchows Arch. 69, 354. — °) Bruylants, Bull. Acad. med. Belgique 2, (4) 18. Neutraler Schwefel. 3753 Ein Teil desselben stammt aus dem Speichel. Nach Einverleibung von Ni- trilen ist der Rhodangehalt vermehrt, da diese als Rhodanwasserstoff aus- geschieden werden. Der Rhodanwasserstoff ist eine farblose, scharf riechende, mit Wasser, Alkohol und Äther sich mischende Flüssigkeit. Seine Salze sind fast alle löslich. Die Metallverbindungen haben zum Teil sehr charakteristische Farben, so ist das Eisenoxydsalz blutrot. Zum Nachweise dienen die Methoden von Gscheidlen, Munk und Bruylants. 4. Chondroitinschwefelsäure. Chondroitinschwefelsäure ist nach K. A. H. Mörner!) ein regelmäßiger Harnbestandteil. Sie ist eine amorphe, wasserlösliche Substanz. Ihre Lösungen reagieren stark sauer. Aus salz- haltiger Lösung wird sie durch Alkohol, aus wässeriger durch viel Eisessig gefällt. Zum Nachweise dient die Eigenschaft, mit Eiweiß in schwach saurer salzarmer Lösung unlösliche Verbindungen zu bilden. 5. Oxyproteinsäure. Oxyproteinsäure (Uroprotsäure) ist im mensch- lichen Harn zuerst von Töpfer?) gefunden worden. Sie kommt normaler- weise im Harn vor. Auch bei Hunden ist sie vorhanden. Bei ihnen ist ihre Menge nach Phosphorvergiftung beträchtlich vermehrt. Die Menge der Oxy- proteinsäure im menschlichen Harn beträgt täglich (als Barytsalz berechnet) 3 bis 4g, der Stickstoffgehalt macht 2 bis 3 Proz. des gesamten Harnstick- stoffes aus. Die Säure stammt wahrscheinlich vom Eiweiß ab. Sicheres ist hierüber zwar nicht bekannt, doch kann man nach den oben mitgeteilten Beobachtungen über die Ursachen, aus denen der neutrale Schwefel vermehrt ist, wohl vermuten, daß sie ein intermediäres Abbauprodukt des Eiweißes sei. Die Säure hat ein in Wasser lösliches, in Alkohol unlösliches Baryumsalz. Sie wird von Mercurinitrat und -acetat gefällt, aber nicht von Phosphor- wolframsäure und von Bleiacetat. Sie gibt nicht die Xanthoproteinsäure- reaktion und die Biuretreaktion, aber die Ehrlichsche Diazoreaktion und die Millonsche Reaktion. Ihre Formel ist nach Bondzynski und Gott- lieb) C,;H,,N,,SO;,, nach Cloetta) C;,H; 16 Nao S O4- 6. Alloxyproteinsäure. Alloxyproteinsäure ist von Bondzynski und Panek°) aus dem Harn dargestellt. Sie wird täglich in einer Menge von etwa 1,2g ausgeschieden. Ihr Stickstoffgehalt macht 0,68 Proz. des Gesamt- stickstoffes des Harnes aus. Ihr Schwefelgehalt beträgt 6 Proz. Die Analyse des Baryumsalzes hat ergeben: Ba 28,76 bis 32,05, C 27, N 8,20 bis 10,13, S 5,22 bis 3,41 Proz. Die Säure verhält sich ähnlich wie die vorige, wird aber von Bleiacetat gefällt und gibt nicht die Diazoreaktion. Zur Darstellung der beiden Säuren wird der Harn mit Baryt- und Kalkwasser gefällt, die überschüssigen Hydrate durch Kohlensäure gefällt. Das Filtrat wird verdunstet und mit Alkohol extrahiert. Der Rückstand wird mit Wasser gelöst und dann mit Mercuriacetat gefällt. Das Gefällte wird mit Schwefelwasserstoff aufgeschlossen, dann wird Kaliumhydrat zugesetzt. Die Alloxyprotsäure wird dann durch Bleiessig gefällt. Nun werden beide Säuren in ihre Barytsalze übergeführt. ) K. A. H. Mörner, Skand. Arch. 6, 378. — *) Töpfer, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 41, 705. — °) Bondzynski u. Gottlieb, ebenda 1897, 8. 577. — *) Cloetta, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 40, 29. — °) Bondzynski u. Panek, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 35 (3), 2959. 374 Neutraler Schwefel. — Organisch gebundener Phosphor. 7. Uroferrinsäure. Uroferrinsäure ist eine sechsbasische Säure, die Thiele!) zuerst aus dem Harn dargestellt hat. Sie bildet ein weißes Pulver, das löslich ist in Wasser, Ammonsulfat, Methylalkohol, schwer löslich in Alkohol, Chloroform und Äther. Phosphorwolframsäure, Mercurinitrat und -sulfat fällen sie. Sie gibt weder die Biuret- noch die Adamkiewiczsche Reaktion. Ihre spezifische Drehung beträgt — 32,5°. 8. Cystin, (0,H,5N5 5 0,) CH,S SH,C | CHNH, H,NHC | | COOH HOOC Öystin?) kommt bei manchen Individuen regelmäßig ım Harn vor bis zu einer Menge von 0,5g täglich. Daneben findet man gewöhnlich Putresein und Cadaverin®). Auch aus normalem Harn kann man nach Goldmann und Baumann) eine dem Üystin ähnliche Substanz in geringer Menge ge- winnen. 4. Der organisch gebundene Phosphor. Örganisch gebundenen Phosphor findet man in Form von Glyzerin- phosphorsäure und von Phosphorfleischsäure in geringen Mengen (0,05& P,0- entsprechend). 5. Stickstofffreie Verbindungen. 1. Kohlehydrate. Im normalen Harn findet man stets Kohlehydrate. Ihre Tagesmenge ist bedeutenden Schwankungen unterworfen, sie beträgt 1,5 bis 5,09g. Diese Zahlen sind mit Hilfe des Benzoylierungsverfahrens gewonnen worden. Die Kohlehydrate sind identifiziert worden als Trauben- zucker [Brücke, Abeles u. a.°)], als Isomaltose [Baisch, Lemaire)] und als tierisches Gummi [Landwehr, Wedenski, Baisch’?)]. Milchzucker findet man bei Wöchnerinnen im Harn. 2. Glukuronsäure. Von Derivaten der Kohlehydrate findet sich im Harn Glukuronsäure in einer täglichen Menge von 0,06 8°) (s. o.). Sie ist stets mit anderen organischen Atomkomplexen gepaart, vorwiegend mit Phenol. In geringer Menge auch mit Indoxyl und Skatoxyl (s. 0... Die gepaarten Glukuronsäuren drehen die Ebene des polarisierten Lichtes nach links. Ihnen hat der Harn seine optische Aktivität zu verdanken. Diese Drehung beträgt 0,01 bis 0,15 Grad. Die Glukuronsäuren reduzieren Fehlingsche Lösung. Sie können daher im Verein mit der Harnsäure und dem Kreatinin leicht das !) Thiele, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37, 251. — °) Literatur siehe Bren- zinger, Zeitschr. f. physiol. Chem. 16, 572. — *) Baumann u. Udransky, ebenda 13, 562. — *) Ebenda 12, 254. — °) Brücke, Wiener med. Wochenschr. 19, 20, 1858. Abeles, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 33, 209, 385, 1879. — °) Baisch, Zeitschr. f. physiol. Chem. 19, 364; 20, 248. Lemaire, ebenda 21, 446. — ”) Landwehr, Zeitschr. f. physiol. Chem. 6, 74; 8, 122; 9, 368; Pflügers Arch. 39, 193; 40, 35. Baisch, Zeitschr. f. physiol. Chem.-18, 193; 19, 339; 20, 249; hier die Literatur. — ®) Mayer u. Neuberg, Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 256. Aceton. — Flüchtige Fettsäuren. — Bernsteinsäure. — Oxalsäure. 375 Vorhandensein von Zucker ım Harn vortäuschen. Die Muttersubstanz der Glukuronsäure kann der Traubenzucker sein, doch ist dies nicht sicher be- wiesen [Mayer, Löwi?)]. 3. Aceton, CH, COCH;. Aceton ist von Petters?) und von Kau- lich3) im Harn von Diabetikern gefunden worden. Später hat es v. Jaksch‘) aus Harn von gesunden Menschen, von Katzen und Kaninchen dargestellt. Die Tagesmenge im menschlichen Harn ist höchstens 0,01 g. Uber die Her- kunft des Acetons weiß man nichts Sicheres. Nach neueren Untersuchungen stammt das Aceton aus dem Fett [Geelmuyden’)]. Die im diabetischen Harn vorkommende ß-Oxybuttersäure wird durch Oxydation zu Acetessig- säure. Diese zerfällt leicht in Aceton und Kohlensäure. Große Mengen von Aceton erkennt man schon an dem süßlichen obstartigen Geruch des Harnes. Durch Zusatz von alkalischer Jodlösung wird Aceton in Jodo- form übergeführt, dessen Kristalle sich abscheiden. Bei Gegenwart von nur 0,0001 mg entstehen nach 24 stündigem Stehen noch Jodoformkristalle. Zusatz von frischer alkalischer Nitroprussidnatriumlösung (Legal) bewirkt eine rubinrote Färbung. Diese verblaßt zu Gelb. Nach Zusatz von Essigsäure tritt dann eine karminrote oder purpurrote Färbung auf, die nach Tagen in Violett und Blau übergeht. Nimmt man statt Kali oder Natron Ammoniak zu der Nitroprussid- natriumlösung, so tritt die Reaktion auch ein (Le Nobel), nur langsamer. Die Legalsche Probe gibt auch der Aldehyd, die Le Nobelsche nicht. Die Darstellung des Acetons erfolgt durch Destillation des Harnes. 4. Flüchtige Fettsäuren. v. Jaksch‘‘) hat gefunden, daß jeder nor- male Harn kleine Quantitäten (8 bis 9mg) flüchtiger Fettsäuren enthält; v. Rokitanski’) konnte 54,5 mg gewinnen, nach ausschließlicher Fütterung mit Mehl sogar 0,406 bis 0,417 g. Von flüchtigen Fettsäuren sind im nor- malen Harn gefunden: Ameisensäure, Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure. Man gewinnt die flüchtigen Fettsäuren durch Destillation des Harnes. 5. Bernsteinsäure, COOH—CH,—CH,— COOH. Von Meissner‘) ist im Harn von Menschen und Tieren regelmäßig Bernsteinsäure aufgefunden worden, während dies Salkowski”) nicht gelang. Pouchet!) konnte da- gegen Meissners Angaben bestätigen. Bernsteinsäure kristallisiert in farblosen monoklinen Prismen vom Schmelzpunkt 180°. Sie löst sich in 16 Teilen kaltem Wasser, leichter in heißem, leicht auch in heißem Alkohol. Die Salze der alkalischen Erden und Schwermetalle sind schwer löslich. 6. Oxalsäure, COOH—COOH. Die Oxalsäure findet sich normalerweise wohl immer im Harn, wenn auch nur in geringer Menge [0,02 g täglıch, Für- bringer !!)]. Gelegentlich findet man Kristalle von oxalsaurem Kalk in Harn- sedimenten und in Harnsteinen. Das Calciumoxalat ist sehr schwer löslich !) Löwi, Arch: f. exp. Path. u. Pharm. 47, 56. — ?) Petters, Prager Viertel- jahrsschrift 55, 81. — °) Kaulich, ebenda 67, 58. — *) Über Acetonurie und Diaceturie, Berlin 1885. — °) Geelmuyden, Arkiv f. Math. vg. Naturvid eit. n. Maly 26, 850. — °) v. Jaksch, Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 536. — °) Roki- tanski, Wiener med. Jahrb. 2, (2) 206. — °) Meissner, Die Entstehung der Hippursäure im Organismus (und an vielen anderen Orten). — °) Salkowski, Pflügers Arch. 4, 95. — !°) Pouchet, Contr. & la connais. d. mat. extr. d. P’urine. Paris 1880, p. 23. — "') Fürbringer, Deutsches Arch. f. klin. Med.18, 143. Dunlop, Zentralbl. £. Physiol. 10, 237. 376 Oxalsäure. in Wasser. Das Ausfallen dieses Salzes aus dem Harn wird nach Modder- mann!) durch die Gegenwart der primären Phosphate verhindert. Die Herkunft der Oxalsäure ist noch nicht genügend aufgeklärt. Es ist möglich, daß ihre Aufnahme mit der Nahrung die Ausscheidung beein- flußt. Die Angaben der Autoren hierüber stehen nicht miteinander in Einklang. Nach Giunti?) soll die aufgenommene Oxalsäure bei Säugetieren größtenteils oxydiert werden. Hierfür sprechen auch die Untersuchungen von Salkowskiı°), Pierallini®), Stradomsky°) und von Klemperer und Tritschler*). Wie die Tiere soll sich auch der Mensch verhalten [Mar- fori’), Giunti°)|. Nach Gaglio”) und nach Pohl!P) wird die Oxalsäure bei Säugetieren unverändert im Harn ausgeschieden, was nach Gaglio und Giunti bei Vögeln ebenso ist. Vielleicht liegen die Widersprüche in den Angaben in der Methodik. Die Versuche bieten nämlich keine Garantie, daß die einverleibte Oxalsäure auch wirklich vollständig resorbiert worden ist. Ernährung mit reinem Eiweiß steigert die Oxalsäureausscheidung nicht [Sal- kowski!!)]; Genuß von Fleisch vermehrt sie dagegen, was Salkowski von dem Gehalte des Fleisches an Oxalsäure herleitet. Ernährung mit Leim- substanzen soll die Ausscheidung vermehren, zuweilen auch Aufnahme von Nucleinen !?). Bedingungen, welche eine Vermehrung des Zerfalles von Körpereiweib herbeiführen, können die Oxalsäureausscheidung steigern, z. B. Behinderung der Sauerstoffaufnahme [Reale und Boveri!’), v. Terray '%)]. Auch auf unvollkommene Verbrennung von Kohlehydraten !5) hat man die Entstehung von Oxalsäure zurückgeführt und auch auf Oxydation der Harn- säure im Tierkörper 1%). Beide Anschauungen sind jedoch nicht genügend gestützt. Bei Hunden hört die Oxalsäureausscheidung auch bei vollstän- digem Hungern nicht auf '!?). Dies spricht für ihre Natur als Endprodukt des Stoffwechsels. Die Oxalsäure kristallisiert mit zwei Molekülen Kristallwasser in farb- losen rhombischen Prismen, die in Wasser und in Alkohol leicht löslich sind. Am meisten charakteristisch ist ihre Caleciumverbindung. Diese kommt in zwei Formen vor: in monoklinischen Plättchen und in Oktaödern. Die ersten entstehen bei rascher Kristallisation und enthalten ein Molekül Kristall- wasser, die zweiten enthalten drei Moleküle Kristallwasser und entstehen bei langsamer Kristallisation. Sie sind löslich in Mineralsäuren, wenig löslich in organischen Säuren. Zum Nachweise der Oxalsäure setzt man dem Harn Calciumchlorid hinzu und übersättigt ihn mit Ammoniak. Der Niederschlag wird in Essigsäure gelöst, die !) Moddermann, Schmidts Jahrb. 104, 31. — ?) Giunti, Chem. Zentralbl. 2 (1897). — ®) Salkowski, Berl. klin. Wochenschr. 1900, 8. 434. — *) Pierallini, Virch. Arch. 160, 173. — °) Stradomsky, ebenda 163, 404. — °) Klemperer u. Tritschler, Zeitschr. f. klin. Med. 44, 337. — 7) Marfori, Zit. nach Malys 3er. 20, 27. — ®) Giunti, a. a. ©. — °) Gaglio, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 22, 246. — !°) Pohl, ebenda 37, 415. — ") Salkowski, a. a. ©. — ") Stra domsky, a. a. 0. Mohr u. Salomon, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 70, 486. — 13) Reale u. Boveri, Wiener med. Wochenschr. 1893, Mai. — \*) v. Terray, Arch. f. d. ges. Physiol. 65, 393. — ') Vgl. Hildebrandt, Zeitschr. £. physiol. Chem. 35, 141. P. Mayer, Zeitschr. f. klin. Med. 47, 68. — '%) Vgl. Wiener, Ergebnisse d. Physiol. 1, 1. — ”) Mills, Virchows Arch. 99, 305. -Lüthje, Zeitschr. f. klin. Med. 35, 271 (hier finden sich Literaturangaben). Aromatische Oxysäuren. — Paraoxyphenylessigsäure. 377 Lösung läßt man 24 Stunden stehen. Ein inzwischen entstandener Niederschlag wird abfiltriert und auf dem Filter mit Salzsäure übergossen. Dann bleibt vor- handene Harnsäure zurück, und Caleiumoxalat geht in Lösung. Aus dem Filtrat wird es mit Ammoniak gefällt. 7. Aromatische Oxysäuren. Die aromatischen Oxysäuren stammen zum Teil vom Tyrosin ab, das bei der Eiweißfäulnis im Darme entsteht. Nach Baumann können aus dem Tyrosin folgende Verbindungen hergeleitet werden: CH,OHCH,CH : ee: 1894, p. 109, Fig. 6. tiere verhält. Die Bürzel- drüse ist eine tubulöse Drüse, die Tubuli konvergieren gegen einen zentralen Hohlraum, der an der Spitze in einen Ausführungsgang übergeht. An jedem Tubulus lassen sich drei Zonen unterscheiden: die erste, distalste Zone, in ‘) Elementarorganismen, 2. Aufl., Leipzig 1894, $. 109. ®) Verh. d. Deutsch. @ermatolog. Ges. Breslau 1901. — °) Arch. f. mikr. Anat. 66 (1905). — *) Zeitschr. £. wissensch. Zool. 21 (1871). 390 Histologie der Bürzeldrüse. der sich zahlreiche Mitosen finden, zeigt Zellen von gleichem Bau wie in den Talgdrüsen der Haut; sie enthalten in ihren Protoplasmamaschen stark licht- brechende, mit alkalischem Scharlachrot sich lebhaft färbende Körnchen (Alt- manns Granula), die von der Peripherie aus gegen die Mitte um das Drei- bis Vierfache an Größe zunehmen. Sie wurden von Plato als lipophore Körnchen bezeichnet, Stern (l.c.) nennt sie Sekrettröpfehen, da sie schon eine Umwandlung erfahren haben. Färbt man nämlich Gefrierschnitte der Drüse mit einem Gemisch von Scharlachrot und Osmiumsäure, so findet man in den äußersten Zellreihen noch eine zweite Art Körnchen mit Osmium- reaktion, die besonders dicht neben dem Kern liegen. Diese „lipoiden Körnchen“ (Stern) werden nach dem Lumen des Tubulus zu spärlicher; sie Fig. 124. sind nicht so leicht löslich in ee Alkohol, Xylol, wie die Sekret- tröpfehen. Im Innern der ersten Zone liegt etwas Sekret, das teils rot, teils schwarz gefärbt ist. In der zweiten Zone findet man noch ebensoviele Mitosen wie in der ersten Zone, dagegen mehr zerfallende Zellen und eine größere Sekretmasse im Innern. Die Zellen der zweiten Zone sind aber weit protoplasma- reicher als die der ersten Zone; r statt der dort vorhandenen zar- S ten Maschen (Waben) finden sich hier dichtere, breitere Maschen, Sekrettröpfehen bergend, die > zum Teil widerstandsfähig gegen Alkohol und Xylol sind und Sk in Alkoholpräparaten sich mit Halber, etwas schräg getroffener Tubulus (Zone I), aus Hämatoxylin hellblau färben; ee sonst aber — an Gefrierschnitten Scharlachrotfärbung [im Original Körner (Sekrettröpf- ’ chen) und Sekret rot. Öl-Immersion. K ungefärbter nach Formolhärtung — zeigen Kern. S Sekrettröpfchen, von außen nach innen wach- } d x send. SK Pers an Branch. f. mikr. sje Scharlachreaktion wie die GR der ersten Zone. In Scharlach- Osmium färben sie sich schwarz in toto oder nur an der Peripherie, im Innern rot — auch mit Safranin lassen sie sich nach Alkoholwirkung färben. Altmann (l.c.) fand in den großen Talgdrüsenkonglomeraten nach Ösmierung ja ebenfalls Ringkörner (siehe auch Fig. 123 a. S. 339), die in der Peripherie Fett, im Innern Reste protoplasmatischer Substanz ent- hielten. In Zone III, die dem gemeinsamen Ausführungsgang am nächsten liegt, zerfallen die Zellen immer schneller, das Sekret wird reichlicher. Während nun die lipoiden Körner nur in Zone I auftreten, die Sekrettröpfchen in Zone I und II, finden sich in allen Zonen, sowie im Sekret und im inter- tubulären Bindegewebe allerfeinste Fettkörnchen, die innerhalb der Zellen stets im Protoplasmanetz liegen. u En - Ä n E j | Sekretbildung in der Bürzeldrüse. 391 Auf Grund des chemischen Nachweises, daß Nahrungsfett in das Sekret übergeht, nimmt Stern nun an, daß die Fettkörnchen durch den Blut- strom in die Drüse gelangen. Ein dichtes Netz von Blutkapillaren um die Tubuli hatte Kossmann (l. ce.) durch Injektionen nachgewiesen. Ein Teil der Fettkörnchen geht unverändert in das Sekret über — Triglyceride lassen sich in ihm nachweisen (s. u.) —, die Hauptmenge aber wird um- gewandelt derart, daß sich zuerst die lipoiden Körnchen und aus ihnen die Sekrettröpfchen bilden. Letztere entsprechen nach ihren Löslichkeitsverhält- nissen dem chemischen Verhalten der Oktadecylester. Da die Sekret- körnchen sich nicht osmieren lassen, müssen in ihnen die Ester der Ölsäure fehlen oder ganz zurücktreten, da ja nach Alt- mann (l. c., S. 117) das Osmium nicht ein Reagens auf Fette im allgemeinen, sondern nur auf freie Ölsäure und auf Olein ist, wobei zu beachten, daß die ölsäure- haltigen Gebilde auch nach der Osmierung noch in Alkohol lös- lich sind. Die lipoiden Körnchen, welche sich noch osmieren lassen, bilden wohl eine Zwischenstufe in dem Prozesse der Umwandlung der Oleine des Nahrungsfettes in die Ester des Oktadecylalkohols; ihre Färbbarkeit mit Safranin zeigt, daß sie zum Teil noch aus Eiweißsubstanzen bestehen. Stern schreibt also diesen Pro- Schräg geschnittener Tubulus aus der Übergangsstelle toplasmagebilden ähnliche Eı- von Zone I zu Zone II (Bürzeldrüse der Ente). - . Hämatox. Färbung. Öl-Immersion. KT Kernteilung. genschaften zu, wie Sıe von w wabiges Protoplasma. S Sekrettröpfchen, zum Teil 1 in Auflösung begriffen. KR Kerntrümmer. Nach Marg. Altmann d. e.); Krehl ) und Stern, Arch. f. mikr. Anat. 66 (1905), Taf. 18, Fig.3. mir?) bei der Fettaufnahme bzw. bei den Fettumsetzungen an Protoplasma-Granulis beobachtet wurden. Die Zellen der Bürzeldrüse bilden nach dem Vorstehenden ein charak- teristisches Sekret aus Fett, das der Drüse von außen zugeführt wird; erst nach- dem sich das Sekret in den Zellen angehäuft hat, zerfallen diese; Ähnliches gilt !) Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1890, S. 97 ff. — ?) Ebenda 1890, $. 82 ff. 392 Chemie des Hauttalegs. wohl auch für die Hauttalgdrüsen. Es ist also nicht so sehr eine fettige Metamorphose der Zellen, sondern eine echte Sekretion, wenn auch mit Unter- gang der Zellen, so wir wir sie als partiellen Zellzerfall in der Harderschen Drüse oder inden Hautdrüsen der Amphibien, z. B. der sogenannten „Par- otis“ des Salamanders, finden. 2. Chemie des Hauttalgs. Frisch abgesondert ist der Hauttalg eine ölige, halbflüssige Masse, die unter normalen Verhältnissen auf der Haut zu einem schmierigen Talg erstarrt; wie schon erwähnt, sind ihm immer Hornsubstanzen (Epithelien) beigemischt. Um größere Mengen zur Untersuchung zu erhalten, hat man den Inhalt großer Haut- bzw. Ovarialdermoideysten (Sotnitschewsky!)), Lieblein 2), E. Ludwig u. v. Zeynek?°), Linser u. a.), die Vernix caseosa (Ruppel®), das Sekret der Bürzeldrüse (de Jonge°), Plato (l. c.), Röh- mann), sowie den Wollschweiß, das Gemenge von Talg- und Schweißdrüsen- sekret aus der Schafwolle (Hartmann ’), E.Schulze und Urich®), Lieb- reich’), Buisine!0), Maumene!!), E. Schulze!2) Darmstädter und Lifschütz 13), Siebert und Röhmann!®) analysiert. In neuester Zeit haben Leubuscher!?’) und Linser !#) auch reinen menschlichen Hauttalg direkt gesammelt und untersucht, indem sie Fließpapierstreifen (Leubuscher) auf die Haut auflegten oder dieselbe mit Petrolätherbäuschehen (Linser) abrieben. Für die Vergleichung der erhaltenen Resultate ist aber wichtig zu bedenken, daß nur aus der Bürzeldrüse, einigermaßen auch bei Leu- buschers und Linsers Verfahren von der Haut ein Drüsensekret zur Untersuchung gelangte; in den anderen Fällen war dieses gemischt mit epi- dermoidalen Zellresten, Produkten des Stratum germinativum und der zu ihm gehörigen Haarscheiden usw. Hält man sich die oben geschilderten histologischen Befunde vor Augen, so befremdet es nicht, wenn alle Untersucher übereinstimmend in den Äther- extrakten nur einen sehr geringen Grehalt an wirklichen Fetten (Triglyceriden) angeben. Dagegen sollen diese Sekrete vornehmlich Gemenge von Estern hochmolekularer Säuren und hochmolekularer Alkohole mit anderen, C- und H-reichen, aber O-armen Körpern noch unbekannter Natur sein (Röhmann, l. e.). Nachdem Hartmann (|. c.) im Wollfett die Cholesterinester entdeckte und Schulze und Ulrich (l. ec.) die Tatsache bestätigten, hat Liebreich (l. e.) das Wollfett (Lanolin) genauer untersucht und hervorgehoben, daß es vornehmlich die Ester des Cholesterins seien, welchen die Hautfette ihre !) Zeitschr. f. physiol. Chem. 4, 345, 1880. — ?) Ebenda 21, 285, 1895. — 3) Ebenda 23, 38 u. 40ff., 1897. — *) Ebenda 21, 122 ff., 1895. — °) Ebenda 3, 225, 1879. — °) Hofmeisters Beitr. z. chem. Physiol. 5, 110 ff., 1904. — 7?) Inaug.- Dissert. Göttingen 1868. — °) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 5, 1075, 1872; 7, 570, 1874. — °) Virchows Arch. 121 (1890); Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1890, S. 363 #.; Verhandl. d. Deutsch. dermat. Ges. 4 (1894) u. Berliner klin. Wcehenschr. 1885. — ') Compt. rend. Paris 103 (1887); 10%, (1888); Bull. soc. chim. 2, 46. — '') Compt. rend. Paris 103 (1887). — '?) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 31, 1200, 1898. — 13) Ebenda 28, 3133, 1895; 29, 618 u. 1474 u. 2890, 1896; 31, 97 u. 1122, 1898. — 1) Zit. bei Röhmann, Zentralbl. f. Physiol. 19, 318, 1905. — '°) Verhandl. d. Kongr. f. inn. Med. 1899, 8. 457 ff. — !°) Habil. Schr. Tübingen 1904; Arch. f. klin. Medizin 80 (1905). Die Ester des Hauttalgs. 393 Resistenz gegen Bakterienzersetzung verdankten. Da aber Liebreich seine Ansicht hauptsächlich auf die Cholestolreaktion basierte, so machte Santi!) ihm gegenüber geltend, daß der positive Ausfall dieser Reaktion nur beweise, in den ätherlöslichen Substanzen der normalen Epidermis und ihrer Produkte sei wohl das Cholesterin vorhanden, der Schluß aber auf dessen Ester nicht zwingend. Zu dem kommt, daß die Wollfette sehr ver- schiedenen Gehalt an Cholesterin haben; Schulze fand bis zu 80 Proz., Darmstädter und Lifschütz andererseits nur wenige Prozente. Da- neben aber glaubten letztere andere für das Wollfett charakteristische Produkte, wie Carnaubasäure, Carnaubylalkohol — also Stoffe, die in den Wachsarten vorkommen —, und zwei Oxyfettsäuren, die Lanocerinsäure (C,0H;0 0,) und die Lanopalmitinsäure (C,;H;50,;), gefunden zu haben. Siebert, welcher unter Röhmanns (l. c.) Leitung die Angaben von Darm- städter und Lifschütz nachprüfte, fand, daß das Wollfett neben wech- selnden Mengen von Cholesterin- und Isocholesterinestern noch andere wachs- artige Substanzen — von Röhmann Lanocerin genannt — enthält, die bei der Verseifung mindestens eine hochmolekulare Säure liefern. Die nach Darmstädter und Lifschütz bei der Verseifung zu erhaltenden Säuren (Carnaubasäuse usw.) und Alkohole (Öarnaubylalkohol usw.) sind nach Röh- mann noch nicht genügend charakterisiert, um entscheiden zu können, wie weit es sich um chemische Individuen oder Gemenge handelt?2.. Da das Wollfett oder der „Wollschweiß“ außer Hauttalg auch die epidermoidalen Gebilde, sowie das Sekret der Schweißdrüsen enthält, so ist erstens sein wechselnder, aber immerhin nicht unbeträchtlicher Gehalt ‘an Cholesterin er- klärlich, zum anderen auch das Vorkommen bedeutenderer Mengen von Kalium, das außer an Fettsäuren (Essig-, Propion-, Butter-, Valerian-, Ca- pron- usw. Säuren) an Benzoösäure, Phenolschwefelsäure, Milchsäure, Äpfel- säure, Bernsteinsäure gebunden ist, sowie von Glykolsäure, Normalbrenz- weinsäure, Leucin, Tyrosin und Pigmenten (analog den Harnfarbstoffen ; vgl. A. u. F. Buisine, sowie Maumen&,|. c.). Das oben Gesagte gilt auch für den wechselnden Gehalt des Inhaltes der Dermoideysten, in denen Sotnitschewsky (l. c.) einen kristallini- schen, in Alkohol und Äther leicht löslichen Körper vom Schmelzpunkt 63° isolierte, mit 80 Proz. C und 13,5 Proz. H, den er als Cetylalkohol ansprach. E. Ludwig, v. Zeynek (l. c.) kamen zu dem gleichen Schluß; v. Zeynek erhielt daneben noch eine ölige Substanz, die sich nicht benzoylieren ließ. Linser (l. c.), der das Extrakt von großen Mengen gesammelter Dermoideysten analysierte, erhielt aus dem nicht verseifbaren Anteil einen kristallinischen Körper, der leicht löslich in kaltem Alkohol, Petroläther, Benzol, Toluol, Amylalkohol usw. war, schwer löslich aber in kaltem Aceton, worin er sich in der Wärme jedoch leicht auflöste. Dieser „Acetonkörper“ gab keine Cholestolreaktion, enthielt im Mittel 79,4 Proz. C (79,32 bis 79,5) und 13,9 Proz. H (13,69 bis 14,08) und ließ sich nicht ace- tylieren (es fehlte die OH-Gruppe). Nach den Elementaranalysen zu urteilen, hatten Sotnitschewsky und v. Zeyneck wohl denselben Körper in den ") Monatsschr. f. prakt. Dermat. 9 (1889). — ?) Nach einer gef. brieflichen Mitteilung des Herrn Prof. Röhmann. 394 Chemische Beschaffenheit des Bürzeldrüsensekrets. Händen, derselbe kann aber nach obigem kein Cetylalkohol sein. Daneben erhielt auch Linser einen öligen Körper von hoher Jodzahl, der sich eben- falls nicht acetylieren ließ. Röhmann nennt ersteren „Dermocerin“, letz- teren „Dermoolein“. Auch das Extrakt der Bürzeldrüse enthielt neben den Estern des Oktadecylalkohols (siehe unten) einen dem Lanocerin und dem Dermocerin ähnlichen Stoff, den Röhmann „Pennacerin“ benennt. Eigent- liche Fette fand auch Linser im Dermoideystentalg nur in geringen Mengen. Zur Gewinnung von reinem Hauttalg hat Linser mit entfetteten Petrol- ätherbäuschehen nach vorheriger Alkoholtrocknung die Rückenhaut abgerieben, um so möglichst vor der Beimengung fremder Fette sicher zu sein, und auf diese Weise von zwei Knaben (13 bis 14 Jahre) in drei Wochen 0,7 bzw. 0,8 g Ätherextrakt gewonnen; von einem mageren erwachsenen Individuum bei 0,5 m? benutzter Fläche 1,5 g; von zwei fetten Individuen bei 1m? benutzter Fläche 2,4 bzw. 2,7g in gleichen Zeiträumen (s. auch unten). Das Äther- extrakt war von goldgelber bis brauner Farbe, ohne besonderen Geruch; Schmelzpunkt 33% bis 36°C. Der nicht verseifbare Anteil betrug 40 bis 45 Proz. des Gesamtätherextraktes und bestand zum größten Teil aus obigem „Acetonkörper“ , ebenso fand sich ein „öliger“ Körper; jedoch nur O,1g — 1Proz. Cholesterin. Ahnliche Resultate lieferten 13,5 g Ätherextrakt von !/,kg garantiert „ungesalbter* Menschenhaare. Als ein Sekret, das ganz rein von Beimengungen zu gewinnen war, untersuchte de Jonge (l. c.) den Talg der Bürzeldrüsen von Gänsen und Enten. Außer Stoffen, welche von den Protoplasmateilen der Zellen stammen (Albumin usw.), außer Fetten, Lecithin u. a. glaubte er im unverseifbaren Anteil des Ätherextraktes 40 bis 41 Proz. Cetylalkohol gefunden zu haben (s. darüber oben. Röhmann mit Plato nahmen die Untersuchungen wieder auf und suchten dabei auch die von Neisser aufgeworfene Frage zu entscheiden, ob Nahrungsfett in das Sekret der Drüse übergehe. Aus dem Sekret bzw. aus den Bürzeldrüsen selbst erhielt Röhmann drei Extrakte. 1. Einen in verdünntem Alkohol löslichen, in starkem Alkohol un- löslichen Teil, der nicht näher untersucht wurde. 2. Einen in Äther und Chloroform löslichen Teil, der eine gegenüber den Hautfetten der Gänse sehr niedrige Verseifungszahl (— Milligramm KOH, die 1g des Fxtraktes. bindet) gab, also Ester von hochmolekularen Alkoholen bzw. solche Al- kohole selbst enthielt. Cholesterin bzw. Cholesterinester fanden sich in diesem reinen, ohne Beimengung epidermoidaler Gebilde erhaltenen Sekret nicht. Dagegen ein Alkohol, den Röhmann nicht wie de Jonge u. a. als Cetylalkohol (C,,H;,0), sondern als Oktadecylalkohol (C,;sH;;0) erkannte, da damit sowohl Schmelzpunkt wie Elementaranalyse aufs beste übereinstimmten, als auch diese Konstanten für die daraus dargestellten Palmitin- und Stea- rinsäureester. (S. hierüber und über die Darstellung bei Röhmann in Hof- meisters Beitr. 5, 115 ff., 1904.) Die Menge an Oktadecylalkohol beträgt 40 bis 45 Proz. des Bürzeldrüsenextraktes. Drittens erhielt Röhmann einen in Äther unlöslichen, in Chloroform löslichen Teil, der für 100 T. trockener extraktfreier Drüsensubstanz 9 bis 13 Proz. betrug. Die gesamte Menge der in Chloroform löslichen Stoffe machte mehr als die Hälfte der Drüsensub- stanz aus. Was die Natur der in der Bürzeldrüse enthaltenen Fette betrifft, so fand Röhmann in einem Bürzeldrüsenextrakt 67,5 Proz. der Fettsäuren Aue re ae ee ne a A ae Fr | RAR Die Bildung des Sekretes aus Fett. 395 als eigentliche Fette vorhanden, 32,5 Proz. als Oktadecylester; in dem flüssig bleibenden Teile eines anderen Extraktes wies er 34,6 Proz. der Fettsäuren in Form von Triglyceriden, 65,4 Proz. als Oktadecylester nach. Es reicht also die Menge des Oktadecylalkohols aus, um alle nicht an Glycerin ge- bundenen Fettsäuren esterartig zu binden, und es ergibt sich unter Berück- sichtigung des größeren Molekulargewichts des Oktadecylalkohols weiter, daß | der größere Teil des Bürzeldrüsenextraktes nicht aus Fett, sondern aus den ° Estern des Oktadecylalkohols besteht. Noch größer aber war dieser Anteil im ausgedrückten Sekret, d. h. es zeigten in diesem die Fette eine Ab- nahme gegenüber dem Bürzeldrüsenextrakt. Da nun die Fette der Nahrung in die Bürzeldrüse gelangen (s. unten), so nimmt Röhmann an, daß die Fette das Material zur Bildung der Oktadecylester liefern etwa nach folgendem Modus. Aus den Fetten entstehen durch fermentative Spaltung die Fettsäuren und Glycerin, von ersteren gehen Ölsäure und Stearin- säure durch Reduktion in Oktadeeylalkohol über: Cie 5,0, 3, 6,505 Olsäure Stearinsäure CH,;0; Sr 2H, = C,H,0 + H,O Stearinsäure Oktadeeylalkohol Für die Bildung der außer dem Oktadecylalkohol gefundenen, optisch aktiven beiden Säuren C,,H,,0, und C,,H,,0, (die wohl Isomere der Laurin- und Myri- stinsäure sind; s. hierüber d. Orig. S. 119ff.) und für das Pennacerin aus den C-reicheren Fettsäuren müßte ein oxydativer Abbau angenommen werden. Nach den Resultaten der chemischen Untersuchung sowohl als nach den histologischen Bildern (Abnahme der osmierbaren Ester im Fortschreiten der Sekretbildung) wird in den Talg liefernden Drüsen ein spezifisches, den Wachsarten nahestehendes Sekret gebildet, und zwar aus Fetten (Triglyce- riden). Die Fütterung von einer Anzahl Gänse mit entfettetem Gerstenschrot unter Zusatz von Sesamöl für eine Gruppe, von Palmin für eine andere ergab bei ersterer ein sesamölhaltiges Bürzeldrüsensekret. Das Material an Fett für die Sekretbildung wird also durch Nahrungsfett geliefert. Weitere Ver- suche mit reiner Kohlehydratfütterung zeigten — durch die Gewichtszunahme der Drüsen —, daß auch das aus den Kohlehydraten im Körper entstandene Fett zur Sekretbildung verwendet wird. Bei den geschilderten Versuchen ergab sich zudem, daß auf Ölfütterung viel mehr Sekret durch Ausdrücken der Drüse zu gewinnen war als auf Palminfütterung, Ölsäure also die Sekret- bildung besonders begünstigt. Daß die letztere langsam vor sich geht, zeigten Platos (l. c.) Versuche mit Sesamölfütterung und täglicher Sekret- prüfung; erst am 10. bis 18. Tage war die Reaktion positiv und blieb es nach dem Aussetzen der Sesamölfütterung bis zum 11. bis 19. Tage. 3. Bedingungen der Hauttalgabsonderung; abgesonderte Menge. Leubuscher, Linser u. a. geben übereinstimmend an, daß bei Kindern die Absonderung sehr gering ist, daß sie mit der Pubertät bedeutend an- steigt, um im Greisenalter wieder zu fallen. Zwischen den Geschlechtern sind wesentliche Differenzen nicht vorhanden; von sonstigen allgemeinen Unterschieden erwähnt Leubuscher, daß brünette Individuen mehr abzu- sondern scheinen als blonde. Individuell kommen sehr große Unterschiede 396 Bedingung der Hauttalgabsonderung. in den abgesonderten Mengen vor; Leute, welche trotz reichlicher Ernährung wenig Fett ansetzen, zeigen sehr vermehrte Hauttalgabsonderung, bei korpu- lenten Individuen liegen nach Leubuscher die Zahlen eher unter dem Durchschnitt. Dies würde im Sinne der oben geschilderten Bedingungen der Sekretbildung liegen. Die einzelnen Körperteile sondern sehr verschiedene Mengen ab. In 4cm?’Filtrierpapier waren nach einer Woche enthalten: von der - Stirn 0,12 g, vom Rücken 0,035 g, von der Brust 0,022 g, vom Oberarm 0,015 g, vom Bauch 0,01 g Hauttalg (Leubuscher). Von allen Hautpartien liefert nach Arnozan!) der Nasenrücken am meisten Sekret, was bei der früher geschilderten großen Entwickelung der dort befindlichen Drüsengruppen be- greiflich ist. Arnozan, der im allgemeinen zu ähnlichen Resultaten kam wie Leu- buscher, bediente sich einer originellen Methode. Bekanntlich geraten Campher- stückchen auf Wasser geworfen in lebhafte Rotation; jede Spur von Fett aber, in das Wasser gebracht, verhindert die Bewegung. Diese Reaktion ist so prompt, daß die Rotation sofort aufhört, wenn man die Spitze einer Nadel, mit welcher man durch das Kopfhaar gefahren ist, in das Wasser bringt. Arnozan brachte nun Campherstückehen in ein Glas Wasser und rieb mit einem Glasstabe die betreffende Hautpartie; war der Glasstab mit Fett in Berührung gekommen, so hörte sofort die Bewegung auf, im anderen Falle nicht. Letzteres trat ein bei der Haut der Palma manus, hier und da auch bei der Haut der Achselhöhle. Nach Leubuscher soll weiterhin der Gesamtkörper in acht Tagen 100g Talg absondern, bei einzelnen Individuen bis 300g. Linser, dessen Zahlen schon oben erwähnt wurden, hat viel geringere Mengen erhalten; bei der Gewinnung achtete er sorgfältig darauf, fremde Fette auszuschließen. Daß spezifische Nerven bei der Absonderung bzw. Ausstoßung des Talgdrüsensekretes eine Rolle spielen, ist noch niemals erwiesen worden. Arloing?) erhielt zwar auf Tetanisierung des Halssympathicus Hauttalg- absonderung, aber dies Resultat ist wohl eher im Sinne des früher Gesagten als durch Reizung der im Sympathicus verlaufenden pilomotorischen Nerven (Langley) erhalten zu erklären. Bei Aufrichtung der Haare preßt der M. arrect. pil. auch Hauttalg aus. Ebenso sind wohl Arloings Resultate bei Durch- schneidung des Halssympathieus (Hypersekretion) nicht auf das Wegfallen von Hemmungsnerven zu beziehen. Er operierte (l. c.) am Esel, der auf der inneren Hautfläche der Ohrmuschel feine Haare mit beigeordneten Talg- drüsen hat; an den kahlen Stellen gegen den Gehörgang zu sind große viellappige Talgdrüsen verstreut. Nach Durchschneidung des Halssympathieus ist am anderen Tage über der Mündung jeder Drüse eine kleine, halbfeste Talgeffloreszenz zu sehen. Hier hat wohl die lebhaftere Hautdurchblutung in- folge der Sympathieusdurchschneidung die stärkere Absonderung hervorgerufen. Ist durch Liebreichs (l. e.) Untersuchungen festgestellt, daß die Epi- dermis durch Bildung von Cholesterinestern in ihren Zellen selbst Mittel zum Hautschutze schafft3), so darf man doch nicht so weit gehen, dem !) Ann. d. Dermat. et de Syph. 3 (1892), zit. nach Kreidl. — ?°) Arch. de physiol. 5ieme serie, 3, 160 u. 241, 1891. — °) G. Lewin (Mediz. Zentralbl. 1886, S. 650 u. 651) wies auch mikrochemisch Cholesterinfett in der Körnerschieht der Epidermis nach. Er stellte die Cholestolreaktion an dünnen Hautschnitten an und erhielt immer dem Stratum granulosum entsprechend den Rosastreifen, der durch Violett in Grün überging. Cerumen. 397 Sekret der Fettdrüsen eine große Bedeutung für die Einfettung abzusprechen. Interessant sind in dieser Hinsicht die Versuche von Joseph). Er exstir- pierte einer Anzahl Enten die Bürzeldrüse und untersuchte 10 Tage nach der Operation das Verhalten der operierten Tiere gegen Wasser. Nach ge- nauer Wägung wurden sie in einen großen Kübel Wasser untergetaucht und sofort darauf wieder gewogen. Nachdem alsdann den Tieren in einem großen Raume Gelegenheit zum Abschütteln des Wassers gegeben war, wurden sie nach !/, Stunde wieder gewogen. Den gleichen Prozeduren wurde eine Anzahl normaler Tiere unterworfen. Es zeigte sich, daß die normalen und die der Bürzeldrüse beraubten Tiere gleichviel Wasser in ihr Federkleid auf- nehmen, aber letztere behalten 2 bis 21/,mal so viel Wasser darin zurück als erstere. Für normale Enten genügt eine kurze Bewegung, um das Wasser abzuschütteln, die operierten Tiere dagegen schütteln sich sehr stark und bedürfen einer langen Zeit, um ihre Federn wieder vom Wasser zu befreien. 4. Anhang. Anhangsweise mögen die Resultate der Untersuchung einiger dem Hauttalee zuzurechnender Sekrete angeführt werden, soweit ihrer nicht schon — wie des Bürzelfettes — vorher Erwähnung geschah. a) Cerumen. Im äußeren Teile des Gehörganges liegen mächtige Knäueldrüsen, meist an Haare angelegt, die aber nicht Schweiß, sondern das Öhrenschmalz absondern sollen, eine Ansicht, die sich namentlich auf Köllikers Ent- deckung von Fett in ihren Fpithelien stützte. Doch sind wohl mehrere Drüsengattungen, unter anderen auch pigmentliefernde, daran beteiligt. Benda?) fand in den Öhrenschmalzdrüsen (Knäueltypen) wenig Fett; er ver- mutet, daß sie den Farbstoff absondern. Sicher ist, daß ein Teil des Ohren- schmalzes von alveolären Talgdrüsen, die wie sonst, an den Haarbälgen stehen, abgesondert wird. Petrequin) wies im Cerumen Öl- und Stearin- säure, Kaliseifen und Cholesterin nach; Lamois und Martz*) einen roten, in Alkohol löslichen, bitterschmeckenden Stoff. Linser (l. e., S. 7/8) hat von 50 Individuen das Ohrenschmalz während eines Zeitraumes von vier Wochen zweimal wöchentlich ausgelöffelt und aus der gewonnenen Menge 4g Ätherextrakt erhalten. Dasselbe war von braungelber Farbe, Schmelz- punkt 36° bis 38°; die Menge der Fettsäuren etwa doppelt so groß wie die der nicht verseifbaren Substanzen. Unter letzteren bildete den Haupt- anteil eine anscheinend mit dem „Acetonkörper“ identische Substanz. Cho- lesterin fand sich nur in geringen Mengen; im ursprünglichen Alkoholextrakt war eine auffallend große Menge Seifen zurückgeblieben, aus denen durch Zusatz von Salzsäure noch etwa 0,5g Fettsäuren gewonnen werden konnten. — Bekannt ist, daß die abgesonderten Mengen individuell sehr verschieden sind; Linser fand solche Unterschiede auch hinsichtlich der Beschaffenheit \) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1891, 8.86 u. 87. — ?) Mitgeteilt bei Joseph: Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1891, 8. 85. — °) Compt. rend. Paris 1869, zit. nach Linser. — *) Malys Jahresber. f. Tierchemie 27, 40, 1897. 398 Sekret der Meibomschen Drüsen. — Smegma. — Epitheliale Bildungen. des Sekretes, das bei der Mehrzahl der Individuen aus einer goldgelben Masse von zähflüssiger Konsistenz besteht, bei manchen Personen aber feste, mehr oder weniger pigmentierte fettdurchtränkte Epithelmassen darstellt. b) Sekret der Meibomschen Drüsen. Linser (l. e., S. 9) zitiert die mikrochemischen Untersuchungen von Pest), der stets Cholesterin nachweisen konnte; mit Osmium erhielt er nur eine graugrünliche Färbung. Das gleiche Resultat ergeben nach meinen Fr- fahrungen auch die Hauttalgdrüsen, z. B. von der Katzenpfote, die ich etwas genauer daraufhin untersuchte. Die Schwärzung schwindet auf Alkohol, Xylol usw. sehr leicht; es würde dies nach Altmann für eine Anwesenheit freier Ölsäure sprechen. c) Smegma. Die sehr stark entwickelten Drüsen (Knäueltypus) der Vorhaut liefern ein reichliches Sekret, das nach Lehmann?) an Ätherextrakt 52,8 Proz., Alkohelextrakt 7,4 Proz., Wasserextrakt 6,1 Proz., Salzen 9,7 Proz., Albumi- naten 5,6 Proz. und an unlöslichem Rückstand 18,4 Proz. gibt. Die darin vorkommenden Ammoniakseifen können von zersetztem Harn herrühren. Linser (l. e., S. 8 u. 9) sammelte von einem Individuum das Smegma regelmäßig durch 8 Monate. Die erhaltene Menge — bei einem Trocken- rückstande von 0,2g — gab 0,6g Ätherextrakt, dessen Schmelzpunkt bei 37 lag. Die Anwesenheit niederer Fettsäuren verriet der Geruch; im nicht ver- seifbaren Anteil war nur wenig Cholesterin vorhanden. d) Epitheliale Bildungen (Atherome, Hornsubstanzen). Die als Atherome bezeichneten, wohl aus versprengten epithelialen Keimen hervorgegangenen Tumoren (vom Kopfe), welche Linser (l. c., 8. 13 ff.) untersuchte, bestanden nahezu ausschließlich aus verhornten Massen und lieferten ein Ätherextrakt von 42° bis 44 Schmelzpunkt, indes Linser aus geraspelten Pferdehuf- bzw. anderen Hornspänen ein solches von 40° bis 41° erhielt. Beide Substanzen ergaben in dem unverseifbaren Anteil einen hohen Cholesteringehalt. Dies stellt die epithelialen Gebilde bzw. die Horn- substanzen in deutlichen Gegensatz zu den Talgdrüsensekreten, welche ihrerseits, wie oben dargelegt, andere hochmolekulare C- und H-reiche Sub- stanzen enthalten. Der Übersichtlichkeit wegen sei hier die Tabelle Linsers (I. c., S. 16) mitgeteilt, welche die Unterschiede der einzelnen, hierher gehörigen Sub- stanzen hinsichtlich ihres chemischen Charakters zu übersehen gestattet. 5. Zusammenfassung. Die Bedeutung der Hauttalgsekretion läßt sich nach den neueren Unter- suchungen etwa wie folgt charakterisieren. Das Produkt der Talgdrüsen ist, wie dasjenige des Stratum germinativum, ein den Wachsarten nahestehender Stoff. Beide epidermoidalen Gebilde — die Drüsen und die Hornschicht — !) Nach Malys Jahresber f. Tierchemie 27, 46, 1897. — ?) Ber. Sächs. Ges. d. Wissensch. 1869, II. 399 >- Tabelle der Sekretzusammensetzuns. "IASOTJUO gI TODUOT UOLOTALD UT doıep “opuwmadun 910g tunz Agent WoAsSuLed ur (NoFLOdIg‘N) TELIOJEN erLynFosnz sep Tom ospe pATM vooqLtiogag op Ta "NONINZ ABIs (UOTNEZOEIMES "TSA) UEANBSYIaT ULF pun 9901 uoypmuasto orp UHHOYLIOIOS UHP TOANMUAIHS U9IDAI “PPUT.IOA YOIS YJyosTLWues UAPTIgENX UATBPIOULIEPTde Arunı yary>IoT UASNIPSTET APP YMPpoag SEpusasıudvgs um Om u opeu10g 19p Sumpf 19p Tot "uopunayosıoa ındg our ne sıq sosorp 981 ‘ossnyqy WOLDSE.L Yrur Iyogsoq UorVINOS OUOITUOTOL TYHS AUTO OM ‘980970 Vaoy.t4iogas 100 J9AN9S UOILISTNIHIL LOHOTTOSNYALOUM: ‚TO149T ur wop Ur “uogpwugus ULIOISHTON) DUO SUOIIORAIOA HUTO IST DONS M90LOgaS Op UONL.LosT pun uoyoddnyog UP ur HTMos EU wop UT U9819Z UOSMIPOTLTL, AOP IOANOS UOFTDSTULIOA UOPIIgestwiog Aut wop pun UHULTIL WOP UOUOSIMZ poryostoyu/) UOp Yormmop oydpom “ur usa Toap USSUNYURBINLOINEH Toq U9ZURIsgNg LOUOTSOTLOYIR OA Ssunyansıoyuf) aap oyegnsory orp aoqn (6T 'S) Saosurr opfequz, dop smw aaıy Oyoryos Yo (3 — '806T ug “pay 7 oo aop oskjwuy “taz )-I2Tpouag yDeN (j “Tora agos + + + era + + Suomn + — ıandg | 0% | 19 | — esı 177 | sg % "9° (UHUUOMOD | | ursT) 980270 "y4uogaS‘ — + | — | 29 | — Pal 619 829€ I rn MS YLOTaS“ > er ee Zu ze — 601 &‘61 66 I "20° („ mOuOpaLIOg) — Er cq | — I 98-01 L31—86 870 07 —9€ a er uineidai — se 08 | gr | — 96 #8 1r—0F ° lohnen = Bel 08 | 9% | Lg 06 | gg Er — or 8 "00 ougdsuiog — ee gg LE 9909 98 |. ge #7 —37 q ee aiorsunNg +++ 2. 0r—08 6-5 | 09 n-89 6rI—CIT | 89 —9°% 98.—08 00% eg ö AR gE | sr 69 SP I— 971 DOTE8 98— 88 g " uogskduosn.ıpötL ä m — IF = GPL Are Ana Ex) De I U SR SUN, Sue) + OP SE, 85 08 851 ag 88—98 v "=. 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Daß sie dabei die Wasserabgabe (Perspiratio | insensibilis) der Haut nicht hindern, ist bekannt (vgl. auch Schwenken- becher?); Wolpert®) fand, daß sogar ein Lanolinüberzug die Wasser- abgabe der Haut durch Verdunstung bei 33°C nicht ändert. Bei 28°C bringt die eingefettete Haut allerdings 50 Proz. weniger Wasser zur Verdampfung, bei 25° ist das Verhältnis 40:60; über 33°C (Maximum bei 40°) aber wächst der Unterschied der Verdampfungsgrößen sogar zugunsten der eingefetteten Haut von Grad zu Grad. Eine weitere wichtige Eigenschaft der fraglichen Sekrete besteht, wie schon erwähnt, in ihrer hohen Widerstandsfähigkeit gegen die Angriffe von Mikroorganismen, ganz im Gegensatz zu den Glycerin- estern der Fettsäuren. Worauf sie beruht, ist noch unbekannt. Die Fr- kenntnis aber, daß diese „Schutzstoffe“ durch echte Zelltätigkeit gebildet werden, daß eingreifende Umwandlungen des zugeführten Materials (Fett u.a.) dabei vor sich gehen, hat dazu geführt, daß wir jetzt kaum mehr den Stand- | punkt Heidenhains einnehmen, von dem aus er (s. Hermanns Handb.5, 406) schrieb, die Absonderung des Hauttalges habe „zwar an sich kein tiefer- gehendes physiologisches Interesse“. !) Der entwiekelungsgeschichtlich und physiologisch begründete innige Zu- sammenhang des Stratum germinativum und der Talgdrüsen macht sich auch be- merkbar bei den Regenerationsprozessen. Ribbert (Arch. f. Entwickelungsmechanik 18, 578f., 1904) hat die Abkratzung der Epidermis bis aufs Corium am Kaninchen- ohre viele Male wiederholen können; immer beobachtete er, daß neben der Rege- neration vom Wundrande aus auch das Epithel der Ausführungsgänge von Talg- drüsen im Wundfelde sich daran beteiliste.e Und andererseits trieb die untere Schicht der regenerierten Epidermis zahlreiche Epithelzapfen durch das neu- gebildete Bindegewebe in die "Tiefe, welche sich zu Talgdrüsen umformen, so daß im Bereiche des abgekratzten Feldes die Talgdrüsen dicht gedrängt standen, während sie im normalen Ohr in ziemlieh weiten Abständen angeordnet sind. — °) Arch. £. klin. Med. 79 (1904). — °?) Arch. f. Hygiene 41, 306 ff., 1902. Schweißabsonderung. 401 Schweibabsonderung. Zusammenfassende Arbeiten: Krause, Artikel: Schweiß in Wagners Handwörterbuch 2 (1844). Ludwig, Lehrbuch 2, 2. Aufl. 1861. Luchsinger, Die Schweißabsonderung und einige verwandte Sekretionen bei Tieren (Hermanns Handbuch 5, 421 ff. Leipzig 1883. H. Rabl, Histologie, S. 109 ff., im Handbuch der Hautkrankheiten, herausgeg. von Mracek. Wien 1901. A. Kreidl, Physiologie, S. 188 ff,, im Handbuch der Hautkrankheiten, herausgeg. von Mratek. Wien 1901. E. Waymouth Reid, in Schäfers Textbook 1, 669 ff. London 1898. Von der Wassermenge, welche vom menschlichen Körper in 24 Stunden ausgeschieden wird und welche man unter gewöhnlichen Verhältnissen auf rund 3000 cm? ansetzen kann, passiert ein erheblicher Teil — etwa 700 cm’ — die Haut, indessen der größte Teil — etwa 2000 cm? — auf den Harn entfällt. Da die Wasserabgabe durch die Haut wesentlich der Regulierung der Körpertemperatur dient, ist dieselbe vom Wasserbedürfnis oder Wasser- gehalt des Körpers ziemlich unabhängig, und ihre Organe, die Schweißdrüsen, entziehen daher im Bedarfsfalle — bei hohen Temperaturen und großen Muskelanstrengungen — dem Körper noch Wasser trotz erheblichen Wasser- verlustes der Gewebe. Aber nicht das gesamte Hautwasser wird von den Schweißdrüsen geliefert; es findet durch die Haut hindurch eine je nach den äußeren Umständen schwankende Verdunstung von Wasser statt; dafür sprechen die Versuche, welche an toter Haut von Erismann!), Barratt?), Wolpert°) u. a. angestellt wurden, und ebenso die Erfahrung, daß über ödematösen Hautpartien die Wasserdampfabgabe erhöht ist (vgl. Jansen), Peiper’). Die Feststellung, wie hoch sich der Anteil beläuft, den jeder der beiden Prozesse an der Hautwasserabgabe hat, ob und in welchem Umfange dieser Anteil wechselt, stößt auf große Schwierigkeiten. Die Darstellungen der Regulierung der Körpertemperatur und des Stoffwechsels ziehen die Per- spiratio insensibilis bzw. den gesamten Wasserwechsel der Haut notwendiger- weise in den Kreis ihrer Betrachtungen; hier soll nur gehandelt werden von den Bedingungen, unter denen die Schweißdrüsen, welche wohl ohne Zweifel den größten Anteil liefern, secernieren, bzw. von der Beschaffenheit ihres Sekretes. Es sei hier gleich anfänglich hervorgehoben, daß ein Zweifel dar- über, ob die Schweißdrüsen (Knäueldrüsen) des subceutanen Gewebes wirklich den Schweiß liefern oder nicht, kaum mehr besteht. Die von Meissner geäußerte, von Unna) wieder aufgegriffene Ansicht, daß der gesamten Hautfläche, bzw. dem Papillarkörper derselben die Produktion von Schweiß zukomme, der dann nur in die Schweißdrüsen einsickere, indessen diese der Talgproduktion vorständen, wird wohl von niemand mehr geteilt. Schon V) Zeitschr. f. Biol. 11 (1875). — °) Journ. of Physiol. 24 (1899). — ?) Arch. f. Hygiene 41, 307, 1902. — *) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 33, 334,.1883. — °) Untersuchungen über Perspiratio insensibilis. Wiesbaden 1889. — °) Kritisches und Historisches über die Lehre von der Schweißsekretion. Schmidts Jahrb. 1882. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 236 402 Verteilung und histologische Beschaffenheit der Schweißdrüsen. erwähnt wurde der wesentliche Anteil, welcher der Hautfläche an der Wasser- dampfabgabe zufällt, und im Abschnitt über „Hauttalgabsonderung“ ist auf das große Wasserbindungsvermögen der in der Epidermis enthaltenen Cho- lesterin- usw. -Ester Bezug genommen worden. Andererseits aber ist seit dem Jahre 1875, in welchem Goltz zeigte, wie die Reizung des peripheren Ischi- adicusstumpfes auf den Ballen der Katzenpfote Schweißtröpfchen hervortreten macht, unzweifelhaft dargetan worden, daß die Schweißsekretion auf einer wahren Drüsentätigkeit beruht. 1. Verteilung und histologische Beschaffenheit der Schweißdrüsen. Wie schon Luchsinger!) hervorhebt, zeigen die Schweißdrüsen je nach dem ungleichen Schwitzvermögen der verschiedenen Tiere bzw. der ver- schiedenen Hautstellen des gleichen Tieres eine nach Zahl, Größe und Form verschiedene Entwickelung. Als kleine ovale Säckchen von Gurlt beim Rind, als nur wenig geschlängelte Schläuche von Redtel bei den Fleder- mäusen nachgewiesen, stellen sie sich in der Haut des Menschen, des Affen Fig. 127. Suleus cutis Crista eutis Ductus $ sudoriferus IL E a „ Papillae corii Corpus papillare corü Hautpapillen der Fußsohle (Vergr. 21:1). Die Epidermis ist vollständig entfernt. Nach Spalteholz, Atlas 3, 837, Fig. 927, Leipzig 1903. und des Pferdes, in der nackten Sohlenhaut von Hund und Katze als lange, vielfach aufgeknäuelte .. d Y R = e .. 4 ET I. ER Pehluuche lar. Jedoch zeigen auch diese Knäuel des Fußrückens (Vergr. 0 nach drüsen (@landulae glomiformes bzw. sudoriparae) ae in frühen Stadien der Entwickelung die ein- K. Knäuel. A. Ausführungsgang. R 'B9. begleitendes Eindogenapes Au: facheren Formen. Was speziell den Menschen Rabl, Mra&eks Handb. d. Haut- krankh., Wien 1901, p. 110, Fig. 51. gehends — nur in der Achselhöhle und am Anus kommen Verzweigungen vor — unverzweigte Schläuche dar; der eigentliche secernierende Abschnitt (Corpus glandulae sudoriparae, auch Ampulle genannt) liegt als Knäuel an der Grenze von Corium und subcutanem Gewebe; von da führt der Ausführungsgang korkzieherartig gewunden nach oben bis zu einer kleinen Delle auf der Oberfläche des Stratum corneum. Über die ganze Oberfläche der Haut, mit Ausnahme der Glans penis und der inneren Lamelle des Präputiums, sind sie verbreitet, jedoch in ungleicher Dichtigkeit. Am dichtesten stehen sie an der Vola manus und Planta pedis, wo sie an den !) Hermanns Handbuch, 1. c.; vgl. auch daselbst die ältere Literatur. anlangt, so stellen die Drüsen lange, fast durch- Zellen der Schweißdrüsen. 403 Leisten münden; an der Ferse fand Rabl (l. c.) 438 Drüsen auf lcm?, Hörschelmann!) an der Vola manus 1111, am Fußrücken 641/cm?. Sehr dicht stehen sie auch in der Haut der Stirn, des Nasenrückens und der Wange. [Die Zahlen von Hörschelmann und von Rabl sind wesentlich höher als die von Krause, welcher auf 1 Quadratzoll (—= 11cm?) 2736 für Vola manus, 2685 für Planta pedis, 1490 für Handrücken, 1303 für Hals und Stirn (?), sowie 417 für Nacken und Gesäß angibt.] Dieser Verteilung ent- sprechend sind diese Orte Prädilektionsstellen der Schweißabsonderung, doch vermag auch die gesamte übrige Haut des Menschen unter geeigneten Um- ständen viel Schweiß abzugeben. Das gleiche gilt vom Pferde und vom Schafe, dagegen schwitzen behaarte Säuger sonst nur an gewissen Stellen, entsprechend der daselbst befindlichen massenhaften Anhäufung von Knäuel- drüsen. Beim Affen schwitzen Vola manus und Planta pedis sehr stark, der Nasenrücken weniger. Katzen schwitzen nur an den unbehaarten Sohlen- flächen, und zwar nach Luchsinger (l. c.) erst nach der zweiten Woche; bei Hunden schwitzen die gleichen Stellen, aber sehr viel weniger als bei Katzen, ebenso beim Igel. An Kaninchen, Ratten, Mäusen hat man über- haupt noch kein Schwitzen beobachtet. Beim Schwein und beim Rind schwitzen die Schnauzen sehr stark. Immerhin ist hieraus nicht auf ein Fehlen der Schweißdrüsen an anderen Hautorten zu schließen, denn die anatomische Untersuchung lehrt das Gegenteil. So kommen z. B. beim Hunde überall in der Haut Knäueldrüsen vor (vgl. Ellenberger und Baum, Anat. des Hundes. Berlin 1891, S. 593.). Dem entspricht, daß Hunde unter abnormen Verhältnissen am ganzen Körper schwitzen. Goltz und Ewald?) erwähnen in ihrer bekannten Arbeit „Der Hund mit verkürztem Rückenmark“, daß die Versuchstiere nach der Halsmarkstrennung in den Wärmekästen, in denen sie anfangs gehalten werden mußten, sehr bald ein von Schweiß nasses Haar- kleid bekamen. Dabei war keineswegs eine Überhitzung der Tiere vor- handen, denn es war weder Tachypnoe noch Tachycardie, noch abnorme Gefäßerweiterung am Kopfe zu bemerken, ebensowenig schwitzte der Kopf. Der secernierende Abschnitt des Knäuelschlauches ist von einer ein- fachen Epithellage ausgekleidet, über welche eine Schicht glatter Muskel- fasern gelegt ist. Über beide zieht die elastische Membrana propia, welche außen durch Bindegewebe mit elastischen Fasern verstärkt wird. An den Pfoten junger Kätzchen fand ich Fettgewebe, sehr dicht der inneren Kanal- wand angelagert, mit den typischen feinen Fettgranulis, die zum Teil das Konfluieren zu größeren Tropfen zeigten, wie sie von mir 3) in den Fettorganen der Inguinalgegend, der Niere usw. beschrieben wurden. In den Kanälen sah ich niemals Fett, bzw. geschwärzte Tropfen, Rabl (l. ce. S. 117) an Prä- paraten von Drüsen der Menschen ebenfalls nicht, doch gibt er ebenso wie Heynold, Unna und Kölliker an, daß in den Zellen solche osmierte Tropfen vorkommen sollen, deren Fettnatur aber noch nicht zweifellos fest- steht. Nach meinen Erfahrungen bei Kätzchen kommen daselbst auch in den Zellen niemals schwarze Tropfen vor; Joseph (s. unten) hat sie daselbst auch nie gefunden. Die Epithelzellen zeigen verschiedene Formen, je nach- ') Zit. bei Rabl, 8. 110. — °) Pflügers Archiv 63, 370, 1896. — °) Arch. f. Aaat. (u. Physiol.) 1890. 26% 404 Zellen der Schweißdrüsen. dem die Muskelschicht kontrahiert ist oder erschlafft. Joseph!) fand nach Ischiadicus-Reizung an den secernierenden Abschnitten der Drüse in der Katzenpfote die Muskelfasern im Zustande der Kontraktion, das Lumen der Drüse ganz eng, hohe Zylinderzellen bildeten die innere Auskleidung („Pfropf- stadium“ von Stricker und Drasch). Auf Pilocarpininjektion dagegen fand er die Muskeln flach (erschlafft), die fast cubischen Epithelzellen einen niedrigen Saum um das weite Lumen bildend („Ringstadium“ von Stricker und Drasch). Renaut?) fand an Pferden, die morgens nicht schwitzend getötet wurden, die Schweißdrüsen mit hohen Zylinderzellen, deren Proto- plasma hell war und deren Kerne nahe der Basis standen. Die Zellen ähnelten sehr den Schleimzellen der Submaxillaris. Bei Pferden aber, welche stark geschwitzt hatten, waren die Zellen der Schweißdrüsen granuliert, der Kern in der Mitte, das Lumen weit und mit geronnenem Sekret (Al- koholfixation) gefüllt. Letzterer Befund ist erklärlich durch den starken Eiweißgehalt des Pferde- schweißes (s. auch unten). Nach Rabl wechseln in den Knäuel- drüsen der Achselhöhle die Zell- höhen je nach dem Sekretions- zustande von 4 bis 44u. In den- selben Drüsen erscheinen die Zellen von stark lichtbrechenden Körn- chen erfüllt, die in Reihen stehen Partie aus Gen Querschnitt der Ampulle eines Schweiß- und so den Zellen ein gestreiftes drüsenganges. Haut der Achselhöhle eines Justi- P fizierten. (Starke Vergrößerung.) Ansehen verleihen; gegen das Lu- D.Drüsenzelle. ©. Cuticula derselben. M. quergeschnitt. men zu begrenzt die Zellen ein glatte Muskelfasern. Mp. Membr. propria des Schlauches. Mr 6 5 Bg. Bindegewebe. F. Fettzelle. Bl. Blutgefäß. Nach körnchenfreier Saum (Cuticula). Rabl, Mrateks er one Wien 1901, Er soll nach Rabl zuweilen eine feine Längsstreifung zeigen. An Schweißdrüsen der Katzenpfote konnte ich nur den hellen Saum, jedoch keine Streifung finden, wohl aber eine basale Reihe feinster Körnchen. Die feine Granulierung der secernierenden Zellen ist an diesen Katzen- präparaten gut zu beobachten; sie nehmen bei Fixierung mit O0s0, + Kal. bichr. (Altmann) lebhaft die Fuchsinfärbung an. Noll3), der das gleiche Objekt wie ich studierte, erwähnt, daß in den Schweißdrüsenzellen immer nur Körnchen, keine „Sekretgranula“ (Sekrettröpfehen), enthalten seien. Letztere zeigen ja in Altmann-Präparaten der Parotis z. B. die Fuchsinreaktion nicht mehr, wohl aber erscheinen in dieser Färbung daselbst die Körner des inter- granulären Netzes. Es ist hier nicht der Ort, auf die Frage einzugehen, ob aus letzteren die Sekrettröpfehen hervorgehen oder nicht, es genüge der Hinweis, daß für die Schweißdrüsen eine Absonderung spezifischer Stoffe noch nicht einwandfrei bewiesen ist, daß also vielleicht die kleinen Körnchen nur die !) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1891, 8.81 ff. — °) Compt. rend. soc. biol. 30 177 $£., 1878. — °) Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1902, Supplbd. 8. 175. Blutversorgung und Nervenendicungen. 405 Speicherung mit dem Blut zugeführter Substanzen (Salze, Harnstoff usw.) übernehmen. Zimmermann!) fand sowohl zwischen, als in den Zellen Gänge, welche er als Sekretcapillaren anspricht; dem gleichen Forscher ver- danken wir auch den Nachweis der hantelförmigen Üentrosomen (bzw. Di- plosomen) in den Schweißdrüsenzellen. Der Ausführungsgang der Knäueldrüsen ist enger (Diam. 36 bis 48 u) als die Ampulle (Diam. 52 bis 85 u für kleine, 90 bis 300 u für große Drüsen) und enthält gewöhnlich zwei Lagen cubischer Epithelzellen, deren innere Reihe eine stark lichtbrechende Cuticula hat. Diese färbt sich mit sauren Anilinfarben stärker als der Zelleib und bräunt sich durch 0sO,. An der Grenze des Ausführungsganges und des secernierenden Abschnittes sollen die Epithelzellen der inneren Schicht des ersteren in die secernierenden Zellen übergehen, die äußeren aber schrittweise sich in die Muskelzellen ver- wandeln; letztere also Abkömmlinge der Fpithelien sein (Rabl, 1. ce. S. 120). Die Blutversorgung der Schweißdrüsen geschieht, soweit sie die se- cernierenden Knäuel betrifft, unabhängig vom Papillarkreislauf durch Ar- teriolen, die direkt aus einer Hautarterie entspringen. Ungemein dichte Capillarschlingen umspinnen den Knäuel als Endaufzweigung dieses Zu- stromes, der auch den Ausführungsgang versorgt. Nur bekommt letzterer daneben noch Blut aus einem Aste des Papillarnetzes (vgl. Rabl, S. 127). Die Venen des letzteren ziehen aufwärts, um in höher gelegene Netze zu münden, die Venen aus den Knäuelcapillaren ergießen sich in das tiefe Netz an der Unterfläche des Coriums. Sappey?) hat an den Lymphgefäßen der Schweißdrüsen ebenfalls die Abfuhr in das oberflächliche Hautnetz bzw. in einen von diesem herabziehenden Stamm beobachtet; das Verhalten der Lymphgefäße im Innern des Knäuels ist noch nicht aufgeklärt. Die Nervenversorgung der Schweißdrüsen ist eine sehr reiche, aber der jeweilige Anteil, der von diesen Nerven auf den eigentlichen Drüsen- apparat oder auf den Muskelapparat oder auf die Blutgefäße entfällt, ist noch nicht sicher festgestellt. Ranvier) sah von dem äußeren Plexus (siehe unten) Nervenfasern ins Innere der Tubuli dringen und dort ein intermusku- läres Geflecht bilden. Arnstein®) erhielt von der Katze und namentlich vom Affen, bei welchem die Drüsenknäuel unter dem Corium des Nagel- gliedes eine zusammenhängende Schicht bilden, mit der Ehrlichschen Me- thylenblaumethode sehr gute Bilder der Schweißdrüsennerven. Er stellte fest, daß die zum Drüsenknäuel tretenden Nervenfasern um die Schlauch- windungen auf der Membrana propia einen Plexus bilden (epilemmales Ge- flecht); von ihm gehen Äste ab, welche die Membrana propria durchbohren (hypolemmale Fasern) und Endapparate für die Drüsenzellen hervorgehen lassen. Dazu lösen sich die Fasern in zahlreiche kurze Äste auf, die mit Körnchen besetzt sind, auf diese Weise trauben- oder maulbeerförmige Körper bildend. Allerdings gibt Arnstein selbst zu, daß die Entscheidung darüber, ob traubige Endapparate oder ob Zellgranula, die sich ja mitfärben, vor- liegen, hier, wie an anderen Drüsen, schwer zu treffen ist. An gleicher !) Arch. f. mikr. Anat. 52 (1898). — ?) Description et iconographie des vais- sesux Iymphatiques, Paris 1885 (zit. nach Rabl. — °) Journ. de micrographie 1887 (zit. nach Arnstein). — *) Anat. Anz. 4 (1889) und 10 (1895). 406 Chemie des Schweißes. Stelle (l. ce. 10 [1895]) beschreibt Arnstein auch die Befunde von Ostrou- mow, welcher vermittelst der Golgi-Methode ähnliche Bilder an den Mei- bomschen Drüsen erhielt. Ähnliches beobachtete Sfameni!) an mensch- lichen Schweißdrüsen; Coynes?) Angabe, daß die Nervenfasern an den Schweißdrüsen mit Ganglienzellen in Verbindung treten, ist von anderen Autoren nicht bestätigt worden. Über die zuführenden Bahnen der Schweiß- nerven im Sympathicus bzw. über ihre zentralen Ursprünge und Verbindungen s. später. 2. Chemie des Schweibes. Die chemische Untersuchung des Schweißes stößt insofern auf gewisse Schwierigkeiten, als das Sekret der Schweißdrüsen immer durch beigemischte Epithelschuppen und Hauttalg verunreinigt ist. Schützt man sich dagegen durch Hervorrufung profuser Schweibabsonderung (Heißluft- bzw. Lichtbäder, Applikation von Pilocarpin), so daß die gewonnenen großen Schweißmengen durch die fremden Beimengungen relativ wenig verändert sind, so kann der Einwand erhoben werden, daß das erhaltene Produkt infolge der abnormen Absonderungsgeschwindigkeit ein vom normalen abweichendes sei. Immerhin liefert der bei starkem Schwitzen — in Wassersäcken usw. — gewonnene Schweiß in bezug auf Reaktion und Zusammensetzung verläßlichere Angaben als der durch Abwischen mäßig schwitzender Hautstellen erhaltene. Der durch Filtrieren von beigemengten Epidermisprodukten und Fetttröpfchen befreite Schweiß stellt eine klare, ungefärbte, salzig schmeckende Flüssigkeit dar vom spez. Gew. 1001 bis 1010 und von meist saurer Reaktion. Doch als Trümpy und Luchsinger) nach vorhergegangener gründlicher Reini- gung der Haut mit Seife und Äther durch subeutane Injektion von 0,01 g Piloc. mur. Schweißsekretion hervorriefen, schlug die saure Reaktion der auf- gelegten Lackmuspapiere in 1 bis 7 Minuten in alkalische um. Heuss) findet auf Grund eingehender Versuche, daß mit der Zunahme der Schweib- absonderung (Heißluftbäder,. Pilocarpin) die Acidität abnimmt; auch W. Oa- merer’), Bogdan*) u.a. erhielten neben saurem auch alkalischen Schweiß. Hält man daneben die Angaben, daß die Säuren des Schweißes Fettsäuren sind, außer denen Neutralfette und Öholesterin vorkommen — unfil- trierter Schweiß ist trübe, opaleszierend — so ist die Annahme nicht un- wahrscheinlich, das Sekret der Schweißdrüsen reagiere alkalisch und werde nur durch die Beimengung des Hauttalges sauer. Diese Beimengung wird natürlich auch bei profusem Schwitzen infolge hoher Temperaturen nicht zu vermeiden sein, da die Wärme lebhafte Hautdurchblutung bewirkt und da- durch, sowie durch Flüssigmachen des Sekretes die Hauttalgabscheidung be- günstigt. Daß die Schweißdrüsen selbst, wie Meissner und Unna (siehe hierüber das Kapitel „Hauttalg“ in diesem Handbuche) meinten, keineswegs ) Boll. della R. Accad. delle scienze de Torino 1897/98 (zit. nach Rabl). — ?) Compt rend. Paris 86 (1878). — °) Pflügers Arch. 18 (1878). Es soll im fol- senden im allgemeinen nur die neuere Literatur genauer zitiert werden, bis zum Jahre 1883 sei auf die vortrefflichen Darstellungen von Drechsel und von Luch- singer in Hermanns Handbuch verwiesen, bzw. auf die daselbst befindlichen Literaturnachweise. Für die Chemie des Schweißes ss Hammarsten, Handb., 5. Aufl., 1904, 8. 603 ff. — *) Malys Jahresber. f. Tierchemie 22. — °) Zeitschr. f. Biol. 41, 271 ff., 1902. — °) Journ. de physiol. et de path. gener. 6, 1009, 1904. Anorganische und organische Stoffe im Schweiße. 407 Fett absondern, geht daraus hervor, daß bei profuser Schweißabsonderung das Ätherextrakt minimal wird. Linser!) erhielt aus 15 Litern Schweiß (in Heißluftbädern vermittelst Gummisackes gewonnen) nur 1,8g — 0,01 Proz. Ätherextrakt, zwei andere Proben von 10 Liter und 5 Liter. ergaben nur 0,5g bzw. 0,15g. (Durch Zusatz von Natr. carb. beim Eindampfen waren auch die flüchtigen Fettsäuren mit gewonnen worden.) Die höheren Zahlen von W. Camerer jr. (l. ec. S. 272) — 0,06 bis 0,17 Proz. Ätherextrakt — rühren wohl von etwas eingedicktem Schweiße her; es sind dementsprechend die Lichtbadzahlen (0,17 Proz.) höher als seine Dampfbadzahlen, und es ist auch besonders bemerkt, daß die wollenen Überdecken bei den Lichtbadversuchen durchnäßt waren. Katzenschweiß reagiert alkalisch (Luchsinger, Kreidl [l. e.] s. auch Tabelle von Kahn auf S. 413), ebenso wird beı Pflanzenfiressern derselbe meist alkalisch gefunden (Moriggia); stark alkalisch fand ihn Smith?) beim Pferde. Der Gehalt an festen Stoffen ist sehr gering (Wasser 977,4 bis 995,6 pro Tausend, im Mittel 982 pro Tausend), der Schweiß stellt das wasserreichste Sekret des Körpers dar, er übertrifft darin noch die Tränen- flüssigkeit und den Humor aqueus (Harnack°). Die zwischen 4,4 bis 22,6 pro Tausend schwankenden festen Stoffe sind zum kleineren Teil organische, zum größeren anorganische. Unter letzteren überwiegt bei weitem das Koch- salz, dessen schwankender Gehalt die sehr wechselnd gefundene Gefrier- punktserniedrigung bestimmt. Ardin-Delteil‘), weleher zuerst auf dies Verhältnis aufmerksam machte, erhielt Werte für 4, die je nach dem Individuum von —0,08° bis —0,46°C schwankten (Mittel für 4 aus einer größeren Reihe von Zahlen —0,237°C). Die Beziehungen zum ClNa-Gehalt ergeben sich aus folgenden, der Tabelle (l.c. 8. 845) entnommenen Zahlen: \ CINa in Anteil des CINa 4 Dichte 100 cm? Schweig| @ı der Gefrierpunkts- erniedrieung | 0,08 | 1001 0,08 0,048 0,12 | 1002 0,19 | 0,114 0,20 | 1004 0,25 0,150 0,37 1006 0,58 | 0,348 | Brieger und Disselhorst°) fanden als Mittel aus 50 Versuchen im Schweiße von gesunden und kranken Personen (im Glühlichtbad gewonnen) 4 = —0,608° C bei einem Gehalte von 0,707 Proz. CINa; im Minimum war J = —0,322°C (mit 0,29 Proz. C1Na), im Maximum 4 = —1,002°C (mit 1,35 Proz. ClNa). Auch Strauss‘) erhielt durch Sammlung des Schweißes eines Armes (im Gummibeutel) im totalen Heißluftbad von verschiedenen Personen sehr verschiedene Schweiß- konzentrationen, doch lag in der Mehrzahl der Fälle 4 zwischen —0,30 bis —0,50°°C. Nur konnte er konstatieren, daß für Nephritiker der chlorfreie Rest einen größeren Anteil an der stärkeren Gefrierpunktserniedrigung hatte, während bei Leuten, die an chronischem Rheumatismus oder an Neuralgien litten, der ‘) Habilit.- Schrift Tübingen 1904. — ?) Journ. of Physiol. 11 (1890). — °) Fortschr. d. Med. 11, 91 ff., 1893. — *) Compt. rend. Paris 131, 844 ff., 1900. — °) Deuteh. med. Wochenschr. 29 (1903). — °) Ebenda 30, 1236 ff., 1904. 408 Konzentration bei wechselnden Absonderungsmengen. höhere OlNa-Gehalt bestimmend war. Bogdan (l.c.) erhielt für profuse Schweiße nieht sehr voneinander abweichende Zahlen für 4 bei verschiedenen Individuen (im Mittel = —0,308°), er fand auch die Natur des schweißtreibenden Mittels (Heiß- luftbäder, Inhalation feuchter, überhitzter Luft, heiße Getränke, Pilocarpin) ohne größeren Einfluß auf die Konzentration. Aber er hat 4 jeweils nur an lcm? Schweiß (mit einem besonders konstruierten Apparat) bestimmt, daher seine Zahlen vielleicht mit Fehlern behaftet sind. Cramer!) hat durch lokales Schwitzen eines Armes (abgedichteter Gummizylinder darüber gezogen und in Lokalbad versenkt) ‘vom gleichen Individuum und bei gleicher Temperatur Schweiß von ziemlich nie- drigem (0,36 Proz. im Mittel), aber sehr gleiehmäßigem C1Na-Gehalt gewonnen (die Werte lagen zwischen 0,31 Proz. bis 0,40 Proz.) und darauf eine Berechnung der Schweißmengen aus den ausgeschiedenen C1Na-Mengen gegründet. Aber in seinen eigenen Versuchen variierte mit den Versuchsbedingungen bzw. mit der Person der ClNa-Gehalt; er sank mit wachsender Absonderung (bis 0,13 Proz. ClNa- Gehalt) herab. [Bei der Mengenberechnung (s. unten) würde dieser Umstand nur insofern in Betracht kommen, daß sich für die großen Schweißmengen zu kleine Zahlen ergeben; die Unterschiede zwischen Ruhe und Arbeit fielen dann noch be- deutender aus.] Auch aus den älteren Beobachtungen geht hervor, dab mit der Steige- rung der Absonderungsgeschwindigkeit die Menge der Fixa abnimmt. Doch zeigen die Funkeschen Zahlen (zit. bei Ludwig), daß die Abnahme mehr die organischen Stoffe als die Salze betrifft. Meines Wissens liegen neuere Untersuchungen darüber nicht vor. Daß von einem gewissen Werte der Ab- sonderungsgeschwindigkeit die Konzentration sich nicht mehr bedeutend ändert (Ludwig, l. c.), dafür sprechen auch die oben erwähnten Beobach- tungen von Bogdan u.a. über gleichmäßige Lage von bei sehr profusen Schweißen. Neben Kochsalz sind von anorganischen Stoffen noch geringe Mengen Chlorkalium, Alkalisulfat und Phosphat, sowie Fisenoxyd darin. Harnack (l. c.) erhielt von einem Rheumatiker in der Schwitzwanne inner- halb einer Stunde 710 cm? Schweiß (I. Portion) von 1005,8 spez. Gew., ebenso eine zweite Portion (II) nach zweistündigem Schwitzen von 595 cm? mit 1005,3 spez. Gew. DBeider Reaktion war neutral, in I waren 990,9 pro Tausend Wasser und 9,1 pro Tausend feste Stoffe, und zwar organische Substanzen 2,4 pro Tausend, anorganische Salze 6,7 pro Tausend. Von letzteren waren: Chlornatrumehr 2 en 25 2RprogNanısend Phosphorsaurer£Kalk ; 2... 20.0.2. 0,2085 R Bhosphorsaute, Macnesiae ».. Pe. 22. 0,1 Schwetelsäumer, mes u. ee GERN: R a ee el et a RE " Die Trockensubstanz des Schweißes zeigte also folgende Zusammen- setzung: Organische/Substanze ae... u... EEE RPEOZE AnorsanischeßSalzemener rn a Re 112, Der und zwar Chlornatrımm ee N er re 07a Ehosphorsaieer Kalk 2 ee 272 Phosphorsaure Magnesia . . 2.2... 0. 0m Li Schwefelsäure Teer Re RER ODE: Kan NT u Pr RE De !) Arch. f. Hygiene 11, 231 ff., 1890. Organische Stoffe. 409 Schon Favre fand, daß das Mengenverhältnis der Mineralstoffe im Schweiße ein anderes als im Harne sei, Kast!) bestimmte dasselbe nach fol- genden Zahlenverhältnissen : Chlor : Phosphaten : Sulfaten ImeSchweißer sen. u a: I L. Er) ImSHarnesesstar. teilen. 104 55252.0413205°272.0,397 Von organischen Stoffen finden sich außer den schon genannten (Fette, Cholesterin, Fettsäuren) einmal Spuren von Eiweiß (T. Gaube 2), die auch schon Leube nach heißen Bädern beobachtete (bis 0,023 Proz.), ebenso nach Pilocarpinvergiftung und beim Morbus Brightii. Im Pferdeschweiß ist Eiweiß immer in bedeutenderen Mengen vorhanden (Leclere?) und Smith, l. c.). Ferner finden sich Kreatinin (Capranica, Cramer, |. c.), aro- matische Oxysäuren, Ätherschwefelsäuren (Skatoxylschwefelsäure Kast [l. c.], zuweilen auch Indoxylschwefelsäure, aber von Kast vermißt) und Harnstoff, der mehr als die Hälfte der organischen Bestandteile ausmacht, sowie Spuren von Harnsäure (Tichborne). Kast (l. c.), welcher im Luftbade von 40° bis 45°R möglichst reinen Schweiß sammelte, fand auch die Mengen der Ätherschwefelsäuren wie die der Sulfate geringer als im Harne. Aber das gegenseitige Verhältnis Ätherschwefelsäure zum Sulfatschwefel (1:12 im Schweiße) wich nicht allzusehr von dem im Harne (1:16) gefundenen ab. Wurden jedoch aromatische Substanzen (Salol) gegeben, so kehrte sich das Verhältnis im Harne um, im Schweiße dagegen trat nur eine geringe Ände- rung ein. Auch diese konstantere Zusammensetzung des Schweißes stellt die Schweißdrüsen mehr den übrigen Drüsen als der Niere nahe. Die Menge des Harnstoffes, die mit dem Schweiße ausgeschieden wird, ist nicht un- bedeutend; sie darf nach Argutinskys°’) und Cramers*) Versuchen für die Gesamt-N-Ausscheidung nicht vernachlässigt werden. In einem Versuche mit starker Arbeitsleistung hei hoher Temperatur fand Cramer diesen Anteil bis zu 12 Proz. Nach W. Camererjjr. (l. c.) kamen vom Gesamt-N des Schweißes 34 Proz. auf Harnstoff- und 8 Proz. auf Ammoniakstickstoff, im ganzen also 42 Proz., dagegen machten bei Öramer beide zusammen gleich %/, des Gesamt-N aus. Die 11g Trockenrückstand, welche Hoelscher’) aus 1000g Schweiß gewann, und welche zur Hälfte aus anorganischer Sub- stanz bestanden, enthielten 0,69 Harnstoff; Strauß (l. c.) fand bei einem Gehalte von 40 bis 66 mg U in 100m Schweiß den Anteil des Harnstoff- stickstoffes (nach Schöndorff bestimmt) meist etwas weniger als die Hälfte des Gesamt-N betragend. Das Verhältnis von U zu CINa fand Cramer im frischen Schweiß rund wie 1:3. Bekannt ist, daß in Fällen von Versagen der Niere (Anurie bei Cholera, Urämie) die Menge des mit dem Schweiße + ausgeschiedenen U so groß wird, daß man die Kristalle auf der Haut ab- + gesetzt findet. Daß aber die U-Ausscheidung im Schweiße von der durch die Niere in gewissem Grade unabhängig ist, geht hervor aus den Angaben \) Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 501 bis 507, 1887. — ?) Malys Jahresber. f. Tierchemie 22 (1892).. — °) Compt. rend. Paris 107 (1888). — *) Lancet 1887. — °) Pflügers Arch. 46, 594 ff., 1890. — °) Arch. f. Hygiene 10, 231 ff., 1890. — 7) Zit. nach Jahresber. f. Tierchemie 34, 396, 1904. 410 N-Gehalt. — Körperfremde Stoffe. — Toxieität. von Leube, welcher beobachtete, wie beı starkem Schwitzen die U-Menge des Harnes sank, gegenüber einer vorher konstanten und nachher wieder erhöhten Ausscheidung, und wie diese Erscheinung auch nicht fehlte, als während des Schwitzens so viel Wasser getrunken wurde, daß die Harnmenge nicht vermindert, sondern sogar erhöht wurde. Körperfremde Substanzen, bzw. solche, welche nur unter besonderen Umständen im Körper gebildet bzw. von ihm ausgeschieden werden, gehen ebenfalls in den Schweiß über; so z. B. Jod, Quecksilberchlorid, Zucker beim Diabetes, ebenso nach Benzoe- säuregenuß sowohl diese selbst als auch Hippursäure. Auch von riechenden Stoffen, wie Knoblauch, Zwiebeln usw., wird die Ausscheidung im Schweiße angegeben. Die Absonderung von gefärbtem Schweiß (Chromhidrose) ist mehrfach beobachtet werden; Blaufärbung durch, Indigo (Bizio, Hofmann) Pyocyanin und Ferrophosphat (Kollmann). Kast (l. c.) glaubt, da er kein Indoxyl unter den Ätherschwefelsäuren nachweisen konnte und in Ansehung der sehr geringen absoluten Mengen der letzteren, daß die Chromhidrose mit Indigonachweis auf Wucherung chromogener Pilze zurückzuführen sei. Blutschwitzen ist ebenfalls beobachtet worden }). Der individuell wechselnde Geruch des Schweißes rührt größtenteils her von den beigemengten Hauttalgstoffen; doch sollen auch noch unbekannte Substanzen beigemengt sein (Arloing (s. unten). Die zuerst von Röhrig?) behauptete Toxicität des Schweißes gesunder Menschen ist nach Queirolo?°) bei reinem, sterilisiertem Schweiß nicht nach- weisbar; ebenso leugnen sie Capitan und Gley *), während Mavrojannis’’) und vor allem Arloing*) die Giftigkeit nachgewiesen zu haben glauben. Arloing hat aber auch in seiner letzten Arbeit keine stichhaltigen Beweise gebracht, welche die Angabe Queirolos und Briegers, daß filtrierter und sterilisierter Schweiß nicht toxisch wirkt, widerlegen könnten. Auch die von ihm gefundene Tatsache, daß ein durch länger dauernde Muskelanstrengung gewonnener Schweiß stärker wirkt als der durch schweißtreibende Mittel erhaltene, spricht eher gegen seine Ansicht. 3. Absonderung des Schweißes. Menge. Eine Angabe über die Menge des in 24 Stunden von den Knäuel- drüsen gelieferten Schweißes ist aus begreiflichen Gründen nicht zu machen. Bestimmt man etwa im Respirationsapparat die Größe der Wasserabscheidung durch Verdunstung und sammelt zugleich den mit-abgesonderten tropfbar flüssigen Schweiß (aus Kleidern usw.), so ist damit der Anteil, der auf die Schweißdrüsen kommt, nicht getrennt von der nicht unbedeutenden Wasser- menge, welche unabhängig von den Schweißdrüsen durch die Hautoberfläche abgegeben wird. Man darf allerdings den Anteil der Schweißdrüsen an der Perspiratio insensibilis nicht unterschätzen, da auch unter gewöhnlichen Umständen, bei nicht schwitzen- der oder nieht merklich schwitzender Haut die Schweißdrüsen in Tätigkeit sind. !) Die letztere Angabe zitiert nach Hammarsten, 8. 607. — ?) Jahrb. f. Balneologie 1873, zit. nach Arloing. — °) I sudore nelle mallatie infettive. Mai- land 1888, zit. nach Arloing. — *) Compt. rend. Soc. Biol. 48 (1896). — °) Ebenda 49 (1897) und 50 (1898). — °) Ebenda 48 (1896) und Compt. rend. Paris 125 (1897); Journ. d. physiol. 1, 249 ff., 1899. y- Abgesonderte Mengen. — Bedingungen für Drüsentätigkeit. 411 Die Methode von P. Aubert!) gibt dafür sicheren Anhalt. Befestigt man einem ruhenden, in kühler Umgebung sich befindenden Individuum auf gut rasierter und gereinigter Hautstelle Stückchen von feinem, trockenem Fließpapier, legt diese dann einige Zeit in eine 0,5 proz. Lösung von Arg. nitric. und bringt sie ins Sonnenlicht, so sieht man neben einer allgemeinen leichten Bräunung kleinste schwarze Pünkt- chen von reduziertem Chlorsilber (Silberchlorür), der Verteilung der Schweiß- drüsen entsprechend. Schwenkenbecher”) hat die Resultate vermittelst der gleichen Methode bestätigt. Andererseits kann auch das Schweißproduktionsvermögen, wie es während 1/, bis 1stündiger Heißluftbäder festgestellt wird, nicht auf längere Zeit- perioden umgerechnet werden. Es müssen daher die Angaben genügen, die man über die Leistungsfähigkeit der Schweißdrüsen während solcher Schwitz- prozeduren gewonnen hat. Strauss (]. ec.) erhielt durch Schwitzpackung in einer halben Stunde !/, bis 1 Liter Schweiß; Favre?) sammelte von einem Manne, der im Dunstbade auf einer Metallrinne lag, in 1!/, Stunden 1521 bis 2559 cm®. Bei der ungeheuren Menge von Schweißdrüsen ist diese Leistung einiger- maßen begreiflich; relativ noeh größer ist sie daher aber auch von einzelnen Körperstellen, wie Stirn, Wangen, Oberlippe, Nase, Kinnfurche, Sternum, Hand- teller und Fußsohle, sowie Achselhöhle, wo die Schweißdrüsen besonders dicht stehen. Das Verhältnis der secernierten Mengen auf gleichen Flächenstücken der Stirn, der Wangen und des Unterarmes wird wie 100:90:45 angegeben. Die Zahlen für die abgesonderten Mengen, welche Cramer (l. c.), wie oben erwähnt, aus den abgeschiedenen GlNa-Mengen berechnete, indem er letzteres in den Waschwässern der Unterkleidungsstücke bestimmte, geben — wenigstens für das untersuchte Individuum — gewisse Anhaltspunkte für die unter ge- wöhnlichen Verhältnissen abgesonderten Mengen. Danach war die tägliche Schweißmenge bei absoluter Ruhe im Bett 190 cm?, bei ruhigem Aufenthalt in der Stube 141cm?. Für den ruhigen Aufenthalt im Respirationsapparat geben Pettenkofer-Voiteine verdunstete Hautwassermenge von 618 9/24", also dreimal so viel an. Die neueren Werte sind sogar noch etwas höher; so erhielt Schwenken- becher*) mit einer sehr guten Methodik (Haarhygrometer) 28 g/Stunde Haut- verdunstungswasser bei mittlerer Temperatur, mittlerer relativer Feuchtigkeit und leichter Bekleidung für einen gesunden Mann, der sich mäßig nährt und keine anstrengende Arbeit leistet. Für 70kg Körpergewicht würde das mit Einschluß des Kopfes 672 g/24” geben, was der Zahl von Röhrig) (= 660 & sehr nahe kommt. Dagegen waren die Kleiderschweißmengen Cramers im Freien im Mi- nimum 814cm, im Maximum (Marsch im Sommer) 3208 cm’; indes Petten- kofer-Voits Zahlen für den arbeitenden Mann eine Wasserverdunstung von 1411,38 bzw. 2042,5g durch Haut und Lunge geben. Dabei sind in Cramers Zahlen die Kopfschweißmengen nicht enthalten. Auch Schier- beck$) schätzt nach seinen (mit Haarhygrometer angestellten) Versuchen die ‘) Annal. de dermatol. et de syphiligraphie 9 (1877/78). — *) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 79, 32, 1903. — °) Compt. rend. 35 (1853), zit. nach Ludwig. — *) Deutsch. Arch. £. klin. Med. 79, 29 ff., 1903. — °) Deutsche Klinik 1872, 8.211, zitiert nach Schwenkenbecher. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893 und Arch. f. Hygiene 16 (1893). 413 Bedingungen für Drüsentätigkeit. Wasserausscheidung eines bekleideten Menschen — unter gewöhnlichen Ver- hältnissen bei einer Kleiderlufttemperatur von etwa 32°C — auf zwei bis drei Liter in 24 Stunden. 4. Bedingungen für das Auftreten der Schweißabsonderung. Es wurde schon erwähnt, daß die Absonderung des Schweißes durch eine echte Drüsensentätigkeit erfolgt, bzw. daß sie unter der Herrschaft von Nerven steht. Wie nahe die Schweißdrüsen den anderen Drüsen stehen, ergibt sich aus den Versuchen Levy-Dorns!). Dieser schloß die Hinterpfote von Katzen in luftdicht befestigte Lampenzylinder ein, in denen der Druck beliebig ge- ändert werden konnte, und er beobachtete noch Sekretion auf Ischiadicus- reizung bei einem Außendruck, der denjenigen in den großen Blutgefäßen weit überstieg. Die nervösen Mechanismen können nun erregt werden durch zentrale Reize, durch Reflexe und durch periphere Reize. Unter allen Reizen ist der bekannteste und wirksamste die Erhöhung der Temperatur. Wird die Wärmeabgabe durch ein Vollbad von etwa Körpertemperatur gehindert, so kann man das rasch auftretende Schwitzen des Gesichtes oder eines Armes, der, vom Vollbade ausgeschlossen, mit einem Gummibeutel (s. oben Cramer) versehen ist, beobachten. Cramer (l. c.) richtete den Schwitzarm noch für ein Lokalbad ein und konstatierte, daß dieses Lokalbad schon auf recht grober Temperaturdifferenz gegen das Vollbad (20°R gegen 31°R) gehalten werden mußte, um das Schwitzen des Armes zu unterdrücken. Ebenso wie Hinderung der Abgabe wirkt Steigerung der Wärmeproduktion, was man am besten bei Zufuhr heißer Getränke und bei Muskelanstrengungen beob- achten kann. Die Erwärmung wirkt nun sowohl peripher als zentral; die periphere Wirkung äußert sich in einer erhöhten Anspruchsfähigkeit der Schweißdrüsen für Nervenreizung (Luchsinger u. a.) bei Hauterwärmung, und in Erfolgloswerden dieser Reizung durch Abkühlung, wenigstens soweit mäßige Reize in Betracht kommen (vgl. unten Levy-Dorn); daher auch für die Feststellung des Ursprungs und des Verlaufs von Schweißnerven ver- mittelst elektrischer Reizung (vgl. unten Langley, 1. c.) immer einer Ab- kühlung des Tieres bzw. der beobachteten Extremität vorgebeugt werden muß, denn Nerven, die sicher viele Schweißfasern enthalten, sprechen nicht an bei sinkender Körpertemperatur. Der gleiche Effekt wie durch Abkühlung wird aber auch durch übermäßige Erwärmung der Haut erzielt. Luchsinger tauchte bei warmem Wetter 10 Minuten lang eine Hand in Wasser von 45° bis 50°C, die andere in solches von 15° bis 30% C; eine darauffolgende Muskel- anstrengung ließ an der hoch erwärmten Hand erst nach viel längerer Zeit Schweiß auftreten als an der anderen. Die zentrale Wirkung der Temperatursteigerung läßt sich einmal demonstrieren vermittelst allgemeiner Erwärmung des Tieres mit gleich- zeitiger Durchschneidung der hinteren Wurzeln für die beobachtete Katzen- pfote, also indem man reflektorische Erregung ausschaltet, wobei allerdings die Wirkung des erwärmten Blutes auf die peripheren Apparate immer noch hineinspielt. Daß aber diese nicht von Belang ist, zeigt das Ausbleiben des ') Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, 8. 383. Zentrale Reize der Schweißnerven. 413 Pfotenschweißes trotz Temperatursteigerung nach Ischiadieusdurchschneidung. Der Angriffspunkt für die zentrale Wärmereizung liegt überwiegend in der Medulla obl. (bzw. in noch übergeordneten Zentren); durch Kahn!) ist dies in sehr eleganter Form demonstriert worden. Es wurde durch eine Vorrich- tung, wie man sie auch sonst zur Demonstration der Wärmetachypnoe ver- wendet, das Carotidenblut junger Katzen erwärmt oder abgekühlt, zugleich die Temperatur des Rachens und des Rectums bestimmt. II Tempe- Tempe- Zeit yatur im | ratur im Bemerkungen | Rachen Rectum | 5h 50m | 37,2 37,5 | Die Fußballen sind seit 30 Minnten blaß und | | | trocken. Erwärmung (des Carotis- | blutes) | 5,01 | 37,4 37,9 | Estreten kleine, alkalisch reagierende Tropfen | aus den Poren. Die Haut ist blaß. 5,93 | 40,0 37,5 | Die Haut wird vorsichtig mit Filtrierpapier | | abgewischt. 5,54 40,6 37,6 | Neuerlicher Ausbruch von Schweißtropfen. | | Die Haut rötet sich. Abkühlung | 5,58 238,00 37,4 | Abwischen. 6,3 37,5 EI | Die Haut ist blaß und trocken. Erwärmung | | | 40,4 | 37,5 || Die Haut ist sehr rot. Starke Schweißtropfen. Abkühlung | 6,10 | 37,3 37,6 | Abwischen. Bells 1.187,87 ı | . 37,6 | Die Haut ist blaß und trocken. Erwärmung | | 6,18 | 395 37,6 | Die Haut rötet sich, ist aber trocken. 6,20 40,0 | 37,6 | Es treten kleine Tropfen aus. 6,22 40,2 37,7 | Große Schweißtropfen. Die Haut ist sehr rot. | Vorsichtiges Abwischen. 6,24 | 40,8 37,8 | Große Tropfen. Abwischen. 6,26 | 41,6 37,8 | Desgleichen. 6,28 41,8 37,8 | Desgleichen. Die Haut ist sehr rot. Die vorstehende Tabelle zeigt deutlich, wie allein das Kopfblut seine Temperatur ändert, während die Körper- (Rectal-) Temperatur nur um einige Zehntel Grade schwankt. Trotzdem löst schon eine geringe Erhöhung der Kopfbluttemperatur Schweißsekretion aus, der sich mit weiterem Ansteigen die Rötung der Pfote zugesellt, ganz wie es Langley u. a. bei elektrischer Reizung der Schweißnerven beobachteten. Jede Abkühlung macht die Haut wieder blaß und trocken. Die spinalen Zentren reagieren ebenfalls, wenn auch weniger leicht als die Medulla, auf den Temperaturreiz, dies ist von Luchsinger, Adamkie- wicz u.a. gezeigt worden. Daß die Schweißdrüsen aber auch noch bei ziemlich tiefen Temperaturen ansprechen, hat Levy-Dorn?) nachgewiesen. !) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1904, Suppl., 8. 130 ff. — ?) Ebenda 1895, 8. 198. 414 Zentrale und reflektorische Reizung. Er erhielt bei abgekühlten Katzen mit 22°C Rectaltemperatur sowohl auf Dyspnoe, als durch reflektorische Erregung oder Nervenfaradisation Pfoten- schweiß, dessen Menge nicht unerheblich war. Eine starke zentrale Wirkung verursacht asphyktisches Blut (Luch- singer, Robillard!): Durchschneidet man einer Katze in künstlicher Respiration das obere Halsmark, wartet die Shockwirkung ab und setzt dann die Atmung aus, so fangen sehr bald die Pfoten an zu schwitzen, ebenso wenn die Durchtrennung bis zum neunten Dorsalsegment herab ausgeführt wird; der Erfolg bleibt der gleiche, wenn zugleich die hinteren Wurzeln der beobachteten Extremität abgetrennt werden. Reflektorische Schweibsekretion kann wohl von jedem zentripetalen Nerven ausgelöst werden. Bringt man Essig, Senf und andere Reizmittel auf die Zunge, so zeigt sich je nach der Individualität ein mehr oder weniger starkes Schwitzen des Gesichts, vornehmlich der Nase und der Stirn; die Pfoten der Katze zeigen Schweißperlen auf den Anblick eines Hundes, der Angstschweiß ist ebenfalls hierher zu rechnen. Greidenberg?) hat an Per- sonen mit pathologisch vermehrter Schweißabsonderung deren eventuelle Be- schleunigung durch lokale Reize an einer Extremität untersucht. Nach Ab- trocknen der Haut mit Fließpapier wurde die Zeit festgestellt, welche unter gewöhnlichen Umständen bis zum Wiederauftreten der Schweißperlen verging; darauf wurde die wieder getrocknete Haut mechanisch (Kitzeln mit Federbart) oder faradisch gereizt und abermals die Zeit beobachtet. Es zeigte sich, daß ceter. par. schwache Reize das Wiederauftreten des Schwitzens (um vier bis fünf Minuten) verzögeren, starke Reize es beschleunigen und zugleich die Sekretion vermehren. Zu den reflektorischen Wirkungen ist auch das lokale Schwitzen der Haut über den erregten Muskeln zu zählen, das viele Menschen bei Hantierungen (wie Schreiben usw.) zeigen. Doch ist diese assoziierte Schweiberregung, wenn man das unten Gesagte über die Beziehungen zwischen Schweißterritorien und den Feldern der sensiblen Hautnerven in Betracht zieht, wohl mehr auf letztere als auf sensible Muskelnerven zurückzuführen. Von peripheren Reizen, welche also direkt auf die Drüsen oder auf ihre Nervenendapparate wirken, ist vor allem das Pilocarpin zu nennen, ebenso das Physostigmin. Die stark schweißtreibende Wirkung des Pilocarpins wird durch überwiegende Mengen Atropin prompt sistiert, ebenso wie die auf Nervenreizung erfolgende; hat man dagegen ein Tier so weit atropinisiert, daß auch die stärkste Faradisierung des N. ischiadicus versagt — es sind dazu nach Luchsinger nur 0,0015 g nötig — so kann eine subeutane Injektion von Pilocarpin in genügender Menge die lokale Absonderung wieder herbei- führen, und zwar sah Luchsinger zuerst die Sekretion auf Nervenreizung wieder auftreten, später erfolgte auch spontane Absonderung. In Dosen von 0,001 bis 0,0048 bewirkt Pilocarpin nach Strauss) nur lokale Schweiß- sekretion in der Umgebung der Injektionsstelle.. Dagegen sind Muscarin, Campher, Ammon. acet., Nikotin, Strychnin, Pikrotoxin (Luchsinger) Gifte, welche mehr durch zentralen Reiz Schweißsekretion hervorrufen, denn Durch- schneidung des N. ischiadicus hebt ihre Wirkung auf. ') These de Lille 1880, zitiert nach W. Reid in Schäfers Textbook. — ”) (Russ.) Referat von Nawrocki in dem Jahresber. über die Fortschr. d. Anat. u. Physiol. 10, 81, 1881, 2: Abt. — °) Compt. rend. Paris v. 7. Juli 1879. Periphere Reize. — Schweißnerven. 415 Der Einfluß des Blutstromes bzw. der seiner Unterbrechung ist mehrfach geprüft worden. Daß trotz schlechter oder aufgehobener Durchblutung die Schweißdrüsen dennoch auf Nervenreize hin secernieren, das zeigen deutlich Angstschweiß und Todesschweiß. Besondere darauf gerichtete Versuche, Unterbindung der Bauchaorta (Luchsinger) oder Umschnürung einer Ex- tremität mit elastischem Schlauch (Max Levy!) ergaben, daß Nervenreizung noch Schweiß aus der Hinterpfote der Katze hervortreibt, und zwar bis 20 Minuten nach der Ligatur. Längere Absperrung dagegen läßt weder auf Nervenreizung noch auf Pilocarpininjektion mehr Schweiß hervortreten. Diese Luchsingerschen Angaben sind von M. Levy bestätigt worden, dagegen sah er im Gegensatze zu Luchsinger nicht nur nach etwa halbstündiger Anämisierung, sondern noch nach 5!/, Stunden Erholung eintreten. Daß die Schweißdrüsen auf die Nervenreizune hin in diesen anämischen Zu- ständen noch Schweiß secernieren, und nicht bloß die Erregung ihrer Muskel- hülle schon vorgebildeten Schweiß auspressen, ist trotz Luchsingers (l.c. 8. 424) Experiment keineswegs zweifellos feststehend. Levy-Dorn’) weist mit Recht auf die ziemlich großen Mengen des in den Drüsen enthaltenen Sekretes hin; er hat durch seine Versuche mit wachsender Anämie und Wiederfreigebung des Kreislaufs keine unzweideutige Sicherheit gewinnen können. Die N.N. ischiaeidi waren dabei durchschnitten. Gibt man rechtzeitig die Zirkulation wieder frei, so erholen sich die Drüsen; Max Levy (l.c.) sah dann nicht nur Übererregbarkeit derselben, son- dern sogar — wenn die Anämisierung mindestens 3'/, Stunden gedauert hatte — _ eine spontane, postanämische Sekretion auftreten. Bedenkt man die außerordent- liche Gefäßerschlaffung, die nach langdauernden Zirkulationsabsperrungen eintritt, derart, daß jetzt der Puls durch die Capillaren bis in die Venen spürbar ist, so ist die Deutung Levys, daß der außergewöhnlich große Puls als Reiz auf die Drüsen wirke, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, obwohl auch die übermäßige Durchblutung und Temperatursteigerung dabei eine Rolle spielen werden. 5. Die Schweißnerven. Wie schon erwähnt, sah Goltz im Jahre 1375 auf Reizung des peri- pheren Ischiadicusstumpfes neben starker Hyperämie große Schweißtropfen auf den Pfotenballen eines jungen Kätzchens erscheinen; in späteren Ver- suchen erhielt er den gleichen Fffekt am Hunde, und bald wurde diese Beob- achtung von anderer Seite bestätigt und erweitert. Ostroumow zeigte 1876, daß Reizung des Bauchsympathicus den gleichen Effekt gibt, daß Ligatur der Aorta das Zustandekommen nicht hindert und endlich daß Atropin ihn voll- ständig unterdrückt. Diese letzten beiden Umstände deuteten darauf hin, daß man es bei der Schweißabsonderung nicht mit einer einfachen Transsudation, _ sondern mit einer echten Drüsensekretion zu tun hatte. Luchsinger, der mit Kendall im gleichen Jahre die Untersuchung aufnahm, legte auf diesen Umstand besonderes Gewicht. Die beiden Forscher sahen noch 20 Minuten nach Amputation eines Beines die Schweißtropfen auf Ischiadieusreizung an der Pfote erscheinen; in besonderen Versuchen konnte Luchsinger mit vor- sichtig abgestuften Reizen ein viele Stunden lang dauerndes Schwitzen unter- halten und damit dem Einwande begegnen, daß es sich bei den auf Nerven- reizung erscheinenden Schweißperlen um ein bloßes Auspressen schon vorher ‘) Zeitschr. f. klin. Med. 21, 81 f., 1892. — ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1892, 8. 155 4X. 416 Wurzelgebiete der Schweißnerven. gebildeten Sekretes durch die Drüsenmuskulatur handle. Zugleich hatten Kendall und Luchsinger auch durch Reizung des Plexus brachialis die Schweißnerven für die vordere Extremität an Hund und Katze demonstriert, ebenso Luchsinger und weiter Nawrocki die Beobachtung von Östroumow über den Verlauf der Nerven im sympathischen System bestätigt, indem sie auf Reizung des Brustsympathicus dicht unterhalb des @gl. stellatum Schweiß- sekretion an der Vorderpfote erhielten, und auf Reizung des Halssympathicus beim Pferde und beim Schweine — von Luchsinger wurde die Rüsselscheibe desselben als ein sehr geeignetes Untersuchungsobjekt erkannt — eine solche am Kopfe. In beiden Fällen war es der N. infraorbitalis (Trigeminus I. Ast), der sowohl für die Wange des Pferdes, als für die Rüsselscheibe beim Schweine die Fasern führt und dieselben vom Plexus cavernosus (Sympathicusgeflecht) erhält; der N. facialis ergab ein negatives Resultat. Durch Vulpian und Ott wurden die Resultate bezüglich der Schweißnerven für die vordere Extremität bestätigt. Nawrocki und Luchsinger, sowie Vulpian stellten dann weiter- hin fest, daß diese Nerven den Grenzstrang des Sympathicus nur als peripheren Weg benutzen, und daß ihr Ursprung im Rückenmark liegt. Denn als Luchsinger einer Katze das Lendenmark in der Höhe des letzten Brustwirbels durchschnitt, auch das distale Stück des Markes exstir- pierte, so trat auf Hitze sowohl als auf Dyspnoe starkes Schwitzen an den Hinterpfotenballen auf, ebenso fand Adamkiewicz dies auf sensible Reizung des Vordertieres. Über die Wurzelhöhe dieses Ursprungs erzielten diese - Forscher keine Einigkeit; Luchsinger erklärte die drei unteren Thoracal- und die vier oberen Lendenwurzeln als Quellen der Schweißnerven des Bauch- stranges, Vulpian fand nur die beiden ersten Lendenwurzeln wirksam, Nawrocki die Radices XIII dorsalis und I, II lumbalis, Ott XI bis XII Tumbalis; ebenso war die Frage, ob neben den sympathischen Bahnen noch direkte, mit den Wurzelfasern für die Skelettmusku- latur direkt in die Nervenplexus übertretende Bahnen existierten, von ihnen nicht entscheidend erledigt worden. In einer außerordentlich gründlichen Versuchsreihe suchte Langley!) die Ursachen für dies Ausein- andergehen der Angaben zu erforschen, dabei weiterhin die Frage zu beant- worten, ob die sympathischen Fasern für die Schweißdrüsen in ihrem Verlaufe mit peripheren Nervenzellen verknüpft seien und, wenn ja, in welchen Gan- glien dies geschähe. Für solche Versuche eignen sich, wie schon Luchsinger angab, nur junge, aber erwachsene Katzen, bei alten Individuen ist die Schweißsekretion weniger gut zu erhalten. Daneben kommen individuelle Ver- schiedenheiten vor, und namentlich muß darauf geachtet werden, daß die Tempe- ratur nicht heruntergeht, was ja bei protahierten Versuchen leicht geschieht, wenn nicht durch besondere Schutzmaßregeln vorgebeugt wird. Eine haupt- sächliche Quelle auseinandergehender Angaben bilden nun die anatomischen individuellen Abweichungen in dem Anteil der Wurzelfasern für die Nerven, in besonders hohem Grade beim Vorhandensein überzähliger Wirbel. Langley fand unter 18 genau sezierten Katzen eine mit einem 14. Thoracalnerv, eine mit einem 8. Lumbarnerv. Die 16 Individuen mit normaler Wirbel- bzw. Nervenzahl lassen sich nach den Verschiedenheiten der Wurzelanteile vom !) Journ. of Physiol. 12, 347 ff., 1891 und 17, 296 ff., 1895. Wurzelgebiete der Schweißnerven. 417 N. genito-cruralis an bis zum N. ischiadicus herab in drei Klassen teilen; die erste Klasse (anteriorer Typus) enthält die Individuen, bei welchen die oberen Wurzelanteile größer waren als die unteren, sie führt durch die zweite Klasse (medianer Typus) mit mehr gleichmäßigen Wurzelfäden zur dritten Klasse (posteriorer Typus), wo die unteren Wurzelfäden die oberen an Stärke über- treffen. Als Beispiel diene der N. ischiadiceus: er erhält beim anterioren Typus von der VI. Rad. lumbalis einen viel größeren Zweig als von der I. Rad. sacralis; beim medianen Typus sind beide nicht sehr verschieden, und bei der posterioren Anordnung ist der VI. Lumbarzweig unbedeutend gegen den I. Sacralis geworden, ja der erstere kann ganz fehlen. Bei der Katze mit dem überzähligen Lendenwirbel war der Verlauf der ersten vier Lumbar- wurzelanteile so wie sonst für die drei ersten eines Individuums der dritten Klasse. Es geht aus dem Gesagten hervor, daß bei Experimenten zur Unter- suchung der Wurzelanteile für eine bestimmte Funktion (Schweißsekretion z. B.) die entsprechenden Lumbarnerven nur als teilweise homolog bei verschiedenen Individuen zu betrachten sind. Unter Berücksichtigung dieser Verhältnisse ergeben die Versuche Langleys, daß die größte Anzahl der sudori- paren Fasern im 1. und 2. Lumbarnerven laufen, daß der 13. Dorsal- nerv etwas weniger enthält, am wenigsten aber der 12. Dorsal- und der 3. Lumbarnerv. In den Fällen, wo ein überzähliger Lumbarnerv vorhanden war oder die Plexusbildung den stärksten Grad posteriorer Anord- nung zeigte, ergab auch die Reizung des 4. Lumbarnerven Schweißsekretion. Wir können daraus schließen, daß Luchsinger ein Tier mit dieser Anord- nung unter den Händen hatte. Langley konnte für solche Fälle aber auch regelmäßig die Verschiebung des maximalen Effektes auf den III. Lumbar- nerven feststellen. Was das Ansprechen der Drüsen betrifft, so findet Langley, daß im allgemeinen der Sohlenballen rascher Schweiß liefert als die Zehen- ballen. Was die Abgabeorte der Fasern an die Nervenplexus betrifft, so ergab sich folgendes: Durchschneidet man den Grenzstrang des Sympathicus oberhalb des 6. Lumbarganglions, so erhält man von keiner Stelle desselben oberhalb der Schnittstelle mehr auf Reizung eine Schweißabsonderung am Hinterbein; ebensowenig, wenn man unterhalb des 2. Sacralganglions durch- schneidet und den distalen Stumpf des Grenzstranges reizt. Die grauen Rami communicantes (Rami viscerales) des 6. und 7. lumbaren, sowie des 1. und 2. sacralen Grenzstrangganglion liefern also die sekretorischen Fasern für die Schweißdrüsen der Hinterpfote in die entsprechenden Spinalnerven. Und zwar gibt der Ramus lumbalis VII die größte Anzahl. Für ein Individuum der oben genannten ersten Klasse versagte einmal der graue Ramus lumbalis VI, öfters der Ramus sacralis II für Individuen der dritten Klasse. Daß der kamus lumbalis V niemals Schweißsekretion gab, entspricht der Tatsache, daß nur der N. ischiadicus die Schweißnerven für die Hinterpfote führt; dieser Nerv erhält auch keinen Anteil aus der 5. Lumbarwurzel. An jungen Katzen gelang es Langley, durch isolierte Reizung der grauen Ram. comm. auch die Verteilung ihrer sekretorischen Fasern auf dem Pfotenareal festzustellen. Die beistehenden Diagramme zeigen, daß gewöhnlich jeder Ram. comm. gris. das ganze haarlose Pfotenareal mit Schweißfasern versorgt, daß aber die Terri- torien mit maximaler Faserzahl bzw. mit maximalem Effekt für jeden Zweig vom inneren zum äußeren Fußrande wandern, wenn man von oben Nagel, Physiologie des Menschen. II. 97 418 Anteil der einzelnen Zweige an der Sekretion. nach unten schrittweise absteigend die Rami comm. der Reizung unterwirft. Auch hier macht sich der Einfluß der verschiedenen Plexusbildung geltend derart, daß der mediane Typus die Unterschiede weniger scharf hervortreten Fig. 129 (a bisd). 5) 4 ya In M |! N SS N / N G N G N | Z N G \ N Z N | 3 N | \ N T N J I g T ZÄ N GG N Y S 3 R Z \ g N G N Z N G I G N Q N Y N h v £ N 7 N 4 3 4 3 \ ul, h \ fl 4 ung), DR N a“ AU N DA y N Y S S 7 N N GG N N G S N G N I 0; I N # N G 3 Z N G Q : RI N Z NS L N 2 I N Z S Q G N G NN G x Z: G Z H FETT Lk ZZ Ka UNE SIUIÄN INN N III WMNLLEHÄDEERNG Diagramme der Erfolge einer successiven Schweißnerven- reizung an der Hinterpfote einer Katze von mittlerem Typus der Nervenverteilung. Die Dichte der Punkte auf den Feldern der Sohlen- und Zehenballen dient als Maß der daselbst erhaltenen Schweiß- mengen. Man erkennt das Wandern des Feldes größter Dichte vom inneren (2) zum äußeren (5) Sohlenrande mit dem Absteigen des Reizens vom 6. Lumbalnerven bis zum 2. Sacralnerven. a — Reizung des 6. Lumbalnerven; b des 7. Lumbalnerven; ce des 1. Sacralnerven; d des 2. Sacral- nerven. Nach Langley, Journ. of Physiol. 12 (1891), Tafel XIII, Fig.5. läßt, der anteriore auf der inneren Zone bei Reizung des VII. Lumbarnerven aus- gesprochenere Sekretion gibt gegenüber dem posterioren Typus. Nebenbei sei erwähnt, daß die vasomotorischen Be- zirke in bezug auf die Typen- verteilung sich annähernd mit den sekretorischen decken (vgl. auch Blasennerven). Man darf aber die für die grauen Rami comm. geltenden Ver- hältnisse der Territorialab- grenzung keineswegs auf die aus dem KRückenmark aus- tretenden sekretorischen Wur- zelfasern übertragen. Wenn, wie erwähnt, der 6. Lumb. Ram. comm. gris. vornehmlich die innere Sohlenhälfte, der II. Sacralis die äußere be- herrscht, so entspricht dem ersteren keineswegs der weiße Ram. comm. dorsalis XI bzw. dem letzteren der Lumbalis IV. Die sekretorischen Fasern einer Wurzel mischen sich vielmehr den grauen Ram. comm. meh- rerer Ganglien bei. Allerdings rückte in einem Experiment (l.e. 17, 305, 1895) mit succes- sive absteigender Reizung der spinalen Nerven vom XI. Dors. bis 4. Lumb. die Schweißsekre- tion vom inneren Fußrande nach dem äußeren. Vermittelst der Appli- kation von Nikotin in einer Dosis, welche die Erregbarkeit und Leitfähigkeit der Ganglienzellen, nicht aber die Erregbarkeit und Leitfähigkeit der Nervenfasern aufhebt, fand Langley die Reizung des Grenzstranges oberhalb des 6. Lumbarganglions ohne Effekt — die durch- ziehenden Fasern der Arrectores pilorum des Schweifes, der Vasomotoren für die Genitalien sprachen wie sonst an, ein Zeichen, daß nur die Zell- Frage der direkten Schweißnerven. — Hemmungsfasern. 419 relais unterbrochen waren — indes die Reizung der Ram. comm. gris. des 6. und 7. Lumbar- sowie des 1. und 2. Sacralganglions in normaler Weise Schweißabsonderung bewirkte. Es erfahren also alle sudoriparen Fasern eine Zellschaltung in einem der vier Ganglien, aber keine weitere in mehr peripher gelegenen sympathischen Stationen. Zugleich ließ sich durch Kombination dieser Versuche mit schrittweiser Durchschneidung der grauen Rami comm. zeigen, daß die postganglionären sekretorischen Fasern (die also von der Relaiszelle ausgehen) weiter als über das nächste Ganglion hinaus im Grenz- strang absteigen. In Übereinstimmung mit Nawrocki fand Langley, daß keine direkten, sudoriparen Wurzelfasern in den Ischiadicus eintreten, denn niemals gab die direkte Reizung einer der unteren Lumbar- oder irgend einer der Sacral- wurzeln Schweißsekretion; alle Schweißdrüsennervenfasern passieren den Sympathicus.. Es muß allerdings bei solchen Versuchen sehr darauf geachtet werden, daß nicht Stromschleifen auf die von oben eintretenden Rami comm. gris.übergehen. Für die vordere Extremität treten nach Langley die Schweiß- drüsenfasern durch die 4. bis 9. (eventuell 10.) Dorsalwurzel aus — die meisten durch die mittleren Wurzeln dieser Gruppe —; alle Fasern haben Zellrelais im Ganglion stellatum des Grenzstranges und sonst nirgends: direkte sekretorische Wurzelfasern existieren auch hier nicht. Der Nachweis für letztere Tatsache ließ sich unschwer führen. Die genannten grauen Rami communicantes führen ihre sudoriparen Fasern durch den Plexus brachia- lis dem Nervus medianus und ulnaris zu, jedoch gab die direkte Reizung der Wurzeln des achten Halsnerven und des ersten Brustnerven, aus denen die beiden genannten Nerven entspringen, niemals Schweißsekretion. Die Ver- sorgung der verschiedenen Bezirke der Vorderpfotenschweißdrüsen durch die einzelnen grauen Rami comm. ist nach den wenigen Experimenten Langleys (1. ce. 17, 307, 1895) ähnlich wie an der Hinterpfote; der 6. und 7. Ram. comm. geben bessere Sekretion auf dem inneren als auf dem äußeren Pfotenrande. Nebenbei sei erwähnt, daß die durch Untersuchungen von Sherrington, Langley u.a. fixierten sensiblen Territorien etwa den Schweißfaserterritorien entsprechen derart, daß die sensiblen Fasern eines Bezirks zur gleichnamigen Spinalwurzel laufen, deren zugehöriges Grenzstrangganglion durch seinen grauen Ram. comm. die sudoriparen Fasern desselben Bezirks liefert. Für ‚den Kopf sollen die Schweißfasern, welche im Halssympathicus laufen, durch die 2., 3. und 4. Thoracalwurzel das Rückenmark verlassen. Daß eine Kreuzung der Schweißfasern durch Vermittelung der Ana- stomosen zwischen den beiderseitigen Grenzstranghälften stattfindet, konnte Langley (l. e.) nachweisen; auf Reizung des Lumbargrenzstranges einer Seite erschien eine geringe Schweißabsonderung auf der gekreuzten Pfote. Neben diesen sudoriparen, allein im Sympathieus verlaufenden Nerven sollen nach Vulpian und Ott Antagonisten (Freno-sudorale Fasern) direkt mit den vorderen Wurzeln zu den Extremitätenplexus hinzutreten; das Schwitzen nach Durchschneidung des Halssympathicus, wie es namentlich am Pferde beobachtet wurde, soll sich aus dieser Annahme erklären. Allerdings hatte diese von Dupuy 1816 zuerst beobachtete Tatsache vorläufig nur als Stütze gedient für die Annahme, daß die Tätigkeit der Schweißdrüsen eine Funktion erhöhten Capillardruckes und damit vermehrter Transsudation sei. Wenn 97 * 420 Faserverlauf beim Menschen. wir nun auch wissen, daß die Schweißdrüsen als echte Drüsen in ihrer Tätig- keit abhängig von Nerven sind, so sind daneben Durchblutung und Haut- temperatur keineswegs von unbedeutendem Einfluß, und gerade bei dem an- geführten Versuche ist doch die Erklärung naheliegend, daß das vermehrte Schwitzen die Folge der Abtrennung der im Halssympathicus zum Kopfe auf- steigenden Nerven ist. Luchsinger ist daher auch geneigt, dieser Erklärung den Vorzug zu-geben. Dazu kommt noch, daß nach Luchsinger der Trige- minus auch einige direkte sudoripare Fasern führt; die auf die Sympathieus- durchschneidung erfolgte Anschoppung usw. löse dann einen Reflex von sensiblen Trigeminusfasern auf diese im gleichen Nerven heraustretenden sekretorischen Fasern aus. Damit stimmt überein, daß Luchsinger am chlora- lisierten Pferde auf Sympathicusdurchschneidung kein Schwitzen erhielt; reizte er aber während der Narkose den peripheren Stumpf des Sympathicus, so trat starke Schweißsekretion zutage. Doch werden von Langley u. a. die echten sudoriparen Quintusfasern bestritten. Ott stützte seine Ansicht auf die von ihm beobachtete Tatsache, daß eine durch Pilocarpininjektion hervor- gerufene Schweißabsonderung durch Reizung des peripheren Ischiadicus- stumpfes zum Stillstand gebracht wird. Die nächstliegende Annahme, daß der vasoconstrictorische Effekt der Reizung das Resultat bedinge, kann nicht als beseitigt gelten durch die zuerst von Luchsinger gemachte Beobachtung, daß auch am amputierten Gliede Schweißtröpfchen durch Ischiadieusreizung zu erhalten sind. Denn die pilocarpinisierte Drüse kann sich sehr wohl gegenüber der Absperrung der Blutzufuhr anders verhalten. Dies würde auch gelten für Arloings Experimente, welcher nach Sym- pathieusdurchschneidung auf Pilocarpininjektion auf der operierten Seite eine stärkere Sekretion erhielt. Arloing selbst ist geneigt, dies durch Wegfall hemmender, nicht direkt, sondern im Sympathicus verlaufender Fasern zu erklären; die Annahme, daß die Pilocarpinwirkung in der höher temperierten, sehr reich durchbluteten Haut sich vollkommener gestalte, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Was von dem Verlaufe und von der Verteilung der Schweißnerven beim Menschen bekannt ist, bezieht sich vorzugsweise auf den Halssympathicus bzw. das Gesicht. Daß hier der N. trigeminus Schweißfasern führt, die ihm vom Sympathicus zugeführt werden, und denen vielleicht auch direkte sudori- pare Fasern des Quintus sich beigesellen, wird nirgends bestritten; nicht die gleiche Übereinstimmung herrscht über Schweißfasern im N. facialis. Die weiben Rami comm., welche dem Halssympathicus die spinalen Schweißfasern zuführen, sind hauptsächlich diejenigen des II. und III., daneben auch des I. und des IV. Brustsegmentes.. Damit stimmt überein, daß von den Autoren (vgl. z. B. Seeligmüller!), Schlesinger?) auch bei Erkrankungen der beiden oberen Brustmarksegmente Störungen der Schweißsekretion des Kopfes (Hyper- hidrosis faciei) angegeben werden; bei Erkrankungen des Halsmarks sind wegen Beteiligung der spinalen sudoriparen Leitungsbahnen Schlüsse auf den Wurzelaustritt weniger leicht zu ziehen. Die Schweißnerven für Extremitäten laufen in deren größeren Nervenstämmen, auch hier aber ihnen durch Ver- mittelung des Sympathieus zugeführt. !) Zeitschr. f. Nervenheilk. 15, 159 ff., 1899. — °) Arch. f. Dermat., Ergän- zungsband 1900 (Kaposi-Festschrift), S. 243 ff. „Sehweißterritorien.“ — Rückenmarksbahnen. 421 6. Leitungsbahnen und Zentren. Schlesinger (l.c.) hat in jüngster Zeit nach den Literaturangaben und nach eigenen Beobachtungen dasjenige zusammengestellt, was über die ein- schlägigen Verhältnisse beim Menschen bekannt ist. Er hat bei gut diagno- stizierten lokalen Rückenmarksaffektionen (Fälle, bei denen extramedulläre Affektionen konkomitieren konnten, wie Tabes dors., diffuse syphilitische Er- krankungen und multiple Sklerose, wurden ausgeschlossen, dagegen verwertet Nekrosen und Hämatomyelien nach Traumen, Stichverletzungen, Tumoren und Syringomyelien), die mit Schwitzanomalien (Hyperhidrosis oder Anhidrosis) verbunden waren, etwa folgendes eruiert. Der ganzen Länge nach ist das Rückenmark von „Schweißbahnen“ durchzogen, die Kerne (im weiteren Sinne) bzw. die Kerngruppen der Nervenwurzeln stellen eine Art „Schweiß- zentren*“ dar, welche Schweißterritorien beeinflussen, die sich jeweils derart auf die beiden Körperhälften verteilen, daß die Mittellinie die genaue Be- grenzung bildet, ein Übergreifen nicht stattfindet. Beachtenswert ist (vgl. oben die experimentellen Resultate von Sherrington und Langley), dab die territorialen Begrenzungen bei ausgebildeter, zentraler (spinaler bzw. bul- bärer) Sensibilitätsstörung sich oft für sensible und sudorale Anomalien decken. Die paarigen „spinalen Schweißterritorien erster Ordnung“ sind: je eine Hälfte des Gesichtes, des Kopfes, des Halses, Nackens, des oberen Rumpfes und je eine obere und untere Extremität. Die Schweißsekretion in einer Gesichts- hälfte (vgl. 1. c. S. 250) „wird entweder von einem langgestreckten Zentrum (vielleicht im Halsmark) oder von einer Reihe kleiner, nahe beieinander liegender Zentren im unteren Halsmark besorgt, von denen jedes bzw. jeder Teil ein sich mit den anderen nicht völlig deckendes Schweißterritorium ver- sorgt“. Also auch hier, wie bei den experimentellen Feststellungen an Tieren, ein teilweises Übergreifen (vgl. a. Fig. 129, S.418). Daraus, daß bei spinalen Störungen wohl meist, aber nicht immer mit der Hyperhidrosis facıei auch Temperaturerhöhung bzw. Blutüberfüllung besteht, bzw. daß in seltenen Fällen auch Anhidrosis bestehen kann, schließt Schlesinger auf einen ge- trennten, wenn auch sehr benachbarten Verlauf der vasomotorischen und sudoralen spinalen Fasern für das Gesicht. Die Schweißbahnen im Rückenmark für Kopf, Hals, obere Extremität und obere Rumpfhälfte verlaufen getrennt und vereinigen sich zu Zentren niederer Ordnung — es kann z. B. im Beginn eines Rückenmarkleidens bald die Hand, bald die Schultergegend in höherem Maße die Hyperhidrosis bzw. Anhidrosis zeigen, meist aber ist die ganze Extremität (Beuge- und Streckseite) befallen. — Diese Zentren liegen aber einander so nahe, daß eine räumlich nicht ausgedehnte Erkrankung mit Schwitzanomalien einer ganzen oberen Körperhälfte einbergehen kann. Die Zentren für die untere Extremität sind der Lage nach nicht genau bekannt; sie sind von den ersterwähnten getrennt. Affektionen eines oder mehrerer derselben führten zu isolierten Schwitzanomalien der unteren Extre- mität. Außerdem müssen aber noch lange Schweißbahnen (von höheren Zentren herkommend) im Rückenmark die spinalen Zentren verknüpfen; ihre Erkrankung führt zu allgemeiner Schwitzanomalie in sämtlichen peripher vom Krankheitsherd gelegenen Hautpartien. Ob bestimnit lokalisierte, höhere 422 Perspiratio insensibilis und Schwitzen. Zentren (Hirnrinde) der Schweißsekretion vorstehen, ist noch nicht bekannt. Die Schweißsekretion, welche bei Hervorrufung epileptischer Krämpfe durch Rindenreizung beobachtet wurde, ist wohl nur als sekundäre Begleiterschei- nung aufzufassen (vgl. auch Tschermak, dieses Handbuch 4 [2] 44). Schlußbetrachtung. Die Rolle, welche die Schweißsekretion im Wärmehaushalt der homoiso- thermen Geschöpfe spielt, ist für die Bedeutung derselben weitaus das wich- tigste Moment. Es muß daher hinsichtlich dieser Rolle auf das Kapitel über den „Stoffwechsel und die Wärmeökonomie“ in diesem Handbuche verwiesen werden. Daselbst wird auch auf die Beziehung zwischen Perspiratio insen- sibilis und fühlbarer Schweißabsonderung eingegangen. Daß die Schweißdrüsen an der Perspir. insensib. einen Anteil haben, ergibt sich unter anderem auch aus der Tatsache, daß dieselbe bei Hunden nicht un- beträchtlich ist, daß sie mit steigender Temperatur zunimmt und daß über die ganze Haut des Hundes Knäueldrüsen verteilt sind, obwohl diese gewöhnlich nur an den Pfotenballen wirklich schwitzen. Weiter zeigten die oben erwähnten Versuche von P. Aubert undSchwenkenbecher, daß auch die Schweißdrüsen des Menschen an der Perspir. insensib. beteiligt sind. Andererseits war hervorgehoben worden, daß nach den Versuchen von Erismann u.a. über Wasserverdunstung durch tote Haut und die Erfahrung betreffs Vermehrung derselben über ödematösen Körper- teilen die Hautwasserabgabe nicht allein von den Schweißdrüsen bestritten wird. Allerdings sind die Ansichten über (den Mechanismus dieses Vorgangs verschieden. Nach den Untersuchungen von Reinhard!) und v. Willebrand?) verdunstet von allen Epidermiszellen fortwährend Wasser und wird dureh Nachdringen aus tieferen Schichten ersetzt; vornehmlich aber sind die Zellen der Ausführungsgänge der Schweißdrüsen sowohl, als die Oberhautzellen ihrer nächsten Umgebung von Schweiß imbibiert und liefern damit günstigste Verdunstungsbedingungen. Die Ansicht von Krause und Donders, daß in den Ausführungsgängen der Knäueldrüsen eine Schweißsäule stände und von deren im Porus gelegenen Oberflächenquerschnitt allein die Verdunstung stattfände, ist wohl zu verlassen. Die Hautwasserverdun- stung ist also auf einen physikalischen Prozeß zurückzuführen, der aber in voll- kommener Reinheit sich niemals darstellt, weil physiologische Faktoren — Zustand der Hautgefäße und damit auch Wechsel der peripheren Absonderungsbedingungen für die Schweißdrüsen — ihn fortwährend beeinflussen. Damit wird begreiflich, daß es noch nicht gelungen ist, die Zustände der Atmosphäre — relative Feuchtig- keit, Luftbewegung, Barometerstand — in ihrem Einfluß auf die Perspiration ganz eindeutig festzulegen. Sichergestellt' ist nur der Einfluß der Temperatur. Steigt diese gleichmäßig, so steigt proportional mit ihr auch die Hautwasserabgabe, selbst wenn die relative Feuchtiekeit der Luft zwischen 40 bis 55 Proz. schwankte. Jedoch von 30 bis 33°C an — die Schwankungen hängen vom Individuum ab — beobachteten Schierbeck (l. ec.) sowohl als v. Willebrand ein plötzliches sehr steiles Ansteigen der Perspirationskurve, und das betreffende Individuum hat eine Empfindung von Feuchtwerden der Haut. Der zentrale Wärmereiz hat jetzt bei dieser Temperaturgrenze die Schweißdrüsen zu bedeutend stärkerer Tätigkeit an- getrieben, die sich auch in einem plötzlichen Anwachsen der CO,-Abgabe durch die Haut auf das mehr als Dreifache dokumentiert (v. Willebrand, l. e.). Es ist wohl nicht fernliegend, anzunehmen, daß bis zu einer gewissen Grenze die steigende Temperatur dureh die Zustandsänderungen, die sie in und auf der Haut setzt, auch die Schweißdrüsen nur lokal beeinflußt — daß von der „kritischen“ Temperatur an aber der zentrale Reiz in mächtiger Weise zur Geltung kommt. Die nicht gering anzuschlagende Wichtigkeit der Schweißabsonderung für die Ausfuhr von N war schon oben betont worden, doch auch nach der Y) Zeitschr. f. Biol. 5, 28, 1869. -— ?) Skand. Arch. f. Physiol. 13, 337, 1902. Schweißabsonderung. 423 Seite der Wasserhaltung hin können die Schweißdrüsen den Nieren zur Unter- stützung dienen. Daß beide Organe hier in enger wechselseitiger Beziehung stehen, kommt vornehmlich bei Krankheiten zum Ausdruck: bei funktions- untüchtigen Nieren können die Schweißdrüsen bis zu einem gewissen Grade die Regulation übernehmen. Doch ist hier das in der Einleitung Gesagte zu wiederholen, nämlich daß die Schweißdrüsen nicht wie die Nieren in der Menge des Sekrets rasch und vollkommen dem Wasserbedürfnis bzw. dem Wassergehalte des Organismus sich anpassen. Sobald durch hohe Tempe- raturen oder durch zentrale Reize die Schweißdrüsen zur Tätigkeit angetrieben werden, so sondern sie ab, trotz gesunkenen Wasservorrats oder trotz anämi- scher Zustände (Ohnmacht). Von Arloing ist die fäulniswidrige Wirkung des Schweißes betont worden, und Levy-Dorn!) hat bei seinen Versuchen über die Wirkung des Firnissens der Haut auch auf die Säuberung derselben durch den, auch gegen bedeutenden Druck noch austretenden Schweiß hingewiesen. 2) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, 8. 383 ff. Die Physiologie der Leber E. Weinland. Die Tatsachen, die über den Bau der Leber bekannt sind, werden hier nicht mitgeteilt. Über die feinere Anatomie der Leber siehe V. v. Ebner im 3. Bd. von Köllikers Handbuch der Gewebelehre 1902, S. 212 bis 245. Die Beobachtungen über die morphologischen Änderungen der Leberzellen beim Ablauf nor- maler und anormaler Prozesse sind von R. Metzner in diesem Bande behandelt. Die Angaben, welche die Darstellung, Analyse und Eigenschaften der Stoffe betreffen, die in der Leber Veränderung erfahren, sind tunlichst kurz gefaßt, das Genauere ist in den betreffenden Handbüchern nachzusehen. Der Hauptraum ist der Darstellung der physiologischen Prozesse (chemische Umsetzungen, Sekretionen usw.) zugeteilt. Als sehr schwierig erwies sich die Abgrenzung der chemischen Prozesse, die in dem Kapitel Leber zu behandeln sind. Für eine Reihe derselben, z. B. Glykogen- bildung, Zuckerzersetzung, Harnstoffbildung, Gallensäurebildung, Gallenfarbstoff- bildung, Harnsäurebildung usw., ist zwar die Entscheidung gegeben; für die große Zahl der Paarungen (Glykokoll, Glykuronsäure usw.) aber z. B., welehe in den Körper eingeführte Stoffe erfahren, ist der Ort ihrer Bildung durchaus zweifelhaft. Ich habe hier nieht selten mit Rücksicht auf systematische Darstellung die Grenzen gewählt. Bei der Anordnung der chemischen Umsetzungen ist nicht mit Hinsicht auf den Weg, derihrer Ausscheidung dient, gruppiert worden, sondern möglichst mit Rück- sicht auf die Zusammengehörigkeit der betreffenden Umsetzungen, doch kann auch hierbei nicht allen Beziehungen genügt werden. Es ist deshalb durch Verweisungen dem abzuhelfen gesucht worden. Zusammenstellungen der Stoffe nach den Ausscheidungswegen sind z. B. für die Galle (S. 506) gegeben. - I. Gewicht der Leber. Die menschliche Leber hat beim Erwachsenen im Mittel ein Gewicht von etwa 11/, kg. Bischoff!) fand bei einem kräftigen Manne von 33 Jahren mit 69,7 kg Körpergewicht das Gewicht der Leber zu 1577 g (2,3 Proz.), davon 69 Proz. Wasser). H. Vierordt) findet das ungefähre Mittel für den Mann zu 1579 g, für die Frau zu 1526 @. !) Bischoff, Voit Physiol. des allgemeinen Stoffwechsels und der Ernährung, Leipzig 1881, 8. 346; Zeitschr. f. rat. Med., 3. Reihe, 20, 115, 1863. — ?) Über den Gehalt an Trockensubstanz siehe auch z.B. 8.457. — °) Vierordt, Anatom.- physiol. Tabellen, Jena 1893, 8.20 bis 23. EU 4 ee er 7 = Gewicht der Leber. 425 Frerichs!) gibt das Lebergewicht beim Erwachsenen zu !/y, bis Yo (4,2 bis 2,5 Proz) des Körpergewichts an (0,82 bis 2,1 kg). Bei Kindern ist die Leber relativ größer. Beim Neugeborenen fand Cramer?) Lebergewichte von 137 g (4,1 Proz.), 87 g (4,2 Proz.), 66 g (3,0 Proz.); Schlesinger°) fand Gewichte von nur 56 bis 54 g. Die einzelnen Zellen der Leber sind beim Neugeborenen beinahe gleich groß wie beim Erwachsenen (Toldt und Zuckerkand|). Beim Hunde fand Pavy) das Gewicht der Leber nach Fleischfütterung zwischen !/,; und /,, (3,0 bis 4,7 Proz., im Mittel 3,3 Proz.) des Körper- gewichts. Ich fand bei einigen Bestimmungen an Tieren, die nach mehr- tägigem Hunger mit Zucker gefüttert worden waren, die Leber zu 2,6 bis 4,2 Proz. des Körpergewichts, auch Schöndorff°) fand in zwei Tieren die Leber zu 2,5 bis 2,7 Proz. des Körpergewichts; bei kohlehydratreicher Nahrung fand Pavy 4,8 bis 9,5 Proz. des Körpergewichts, im Mittel 6,4 Proz., Schöndorff 4,1 bis 12,4 Proz., im Mittel 6,4 Proz. Beim Kaninchen berechne ich nach mehreren Versuchen, in welchen die Tiere nach mehrtägigem Hungern verschiedene Zucker erhalten haben, 2,5 bis 4,2 Proz. Leber am Gesamtgewicht des Körpers. Das Verhältnis des Lebergewichts zum Körpergewicht ist bei den drei aufgeführten Formen so gut wie völlig dasselbe (2,5 bis 4,7 Proz.), steigt jedoch bei kohlehydratreicher Nahrung stark an (12,4 Proz., Schöndorff). Ebenso ist bei Diabetischen eine Zunahme des Lebergewichts besonders durch Fett beobachtet worden (bis zu 14 Proz. bei einem Hund mit spontanem Diabetes, siehe S.458). Bei starker Arbeit sinkt das Gewicht der Leber ab, Külz‘) erhielt beim Hund ein mittleres Gewicht von 2,1 Proz. des Körper- gewichts (1,7 bis 2,5 Proz.), bei Hunger wurden noch niedrigere Werte beob- achtet (1,5 Proz. nach 28 Hungertagen, Pflüger’). E. Maurel‘) hat das Verhältnis des Lebergewichts zur Gesamtober- fläche des Tieres innerhalb verschiedener Tierarten (Säugetiere, Vögel) un- abhängig von Rasse und Alter konstant gefunden; das relative Lebergewicht “ist nach demselben größer bei jungen Tieren als bei erwachsenen. II. Die anorganischen Stoffe der Leber. Von Anionen ist abgesehen von PO, (S. 459) und SO, (S.479) zu nennen Cl; von Kationen K, Na (in geringerer Menge als K), Mg, Fe (S. 496), ferner Ca. Das Calcium?) ist beim Kalb in beträchtlich größerer Menge in der Leber enthalten (bis zum 1,7fachen), als beim erwachsenen Rind, welches etwa 0,07 Proz. der Trockensubstanz davon enthält. ') Frerichs, Klinik der Leberkrankheiten 1, 18, 1858. — ?) Cramer, Zeitschr. f. Biol. 24, 67, 1888. — °) Schlesinger, Hofmeisters Beiträge 4, 99, 101, 1904. — *) Pavy, Physiol. der Kohlehydrate 1895, deutsch von Grube. — °) Sehöndorff, Pflügers Arch. 99, 191, 1903. — °) Külz, Ebenda 24, 45, 1881. — 7?) Pflüger, Das Glykogen, 2. Aufl. 1905, S. 181; Böhm und Hoffmann sahen das Körper- gewicht bei der Katze unter verschiedenen Bedingungen zwischen Y, und Vs, des Körpergewichts schwanken (Arch. f. exp. Pathol. 8, 271 und 287, 1878.) — °) Maurel, Compt. rend. de la Societ6 de Biologie 55, 43 und 45, 1903 und Compt. rend. 135, 1002 und 136, 316 — °) Krüger, Zeitschr. f. Biol. 31, 392, 1895. 496 Anordnung der Bestandteile der Leber, Zufuhrwege. Der Gesamtaschengehalt wurde zu 1,1 bis 1,4 Proz. der frischen Leber bestimmt). Der Wassergehalt der Leber schwankt; so fand z. B. Bischoff?) bei einem 33jährigen Manne von 70kg 69 Proz. (Bibra®) 76 Proz.), bei einem Neugeborenen 80 Proz. Wasser °). III. Anordnung der Bestandteile der Leber, Zufuhrwege, Nerven. Das Parenchym der Leber setzt sich zusammen aus einer ungeheuren Menge gleichwertiger Einheiten (Zellen). Bei einer Schätzung des Leber- gewichts zu 1,5kg beim Menschen und bei einem mittleren Durchmesser der Leberzellen von 22u (18 bis 26u v. Ebner) ergibt eine ganz ungefähre Berechnung, wenn man ein Drittel der Leber für andere Gewebe usw. in Abzug bringt, viele Milliarden von Zellen (Tausende pro Millgramm) in diesem Organ. Jede dieser Zellen ist einzeln von Kanälen umzogen, welche Zu- und Abfuhr von Stoffen bewirken. Es ist also eine äußerst reichliche Kommuni- kation ermöglicht, wie sie im Versuch (nach Zerstörung der genannten Ordnung) bis jetzt auch nicht entfernt erzielt werden kann. An Wegen, welche Stoffe und andere Einwirkungsmittel zuleiten, besitzt die Leber eine größere Zahl als die meisten anderen Organe. Nämlich 1. die Vena portarum, 2. die Arteria hepatica, 3. Lymphbahnen, 4. Nerven. 1. Die Pfortader. Das die Hauptblutmenge enthaltende Zufuhrgefäß der Leberzellen ist ausgezeichnet dadurch, daß das in ihm bewegte Blut nicht direkt vom linken Ventrikel des Herzens stammt, sondern aus den Venen der Unterleibsorgane, besonders von Magen, Darm, Pankreas, Milz (nicht von den Nieren usw.), nachdem es in diesen Organen schon einmal in ein Capillarnetz ausgebreitet gewesen ist. Auf diesem Wege erhält und verliert dieses Blut verschiedene Stoffe, welche in den betreffenden Abschnitten nachzusehen sind. 2. Die Leberarterie. Dieses Gefäß führt weniger Blut als die Pfort- ader, und dieses Blut wird großenteils nicht direkt den Leberzellen zugeführt, sondern erst nachdem es eine capillare Bahn in der Glissonschen Kapsel usw. durchlaufen hat; die so sich bildenden Gefäße sind als Leberwurzeln der Pfortader anzusehen. Ein Teil des arteriellen Blutes tritt aber auch direkt in das (von der Pfortader gebildete) sehr reichmaschige Capillarnetz der Leberinselchen ein. Vielleicht ist es von Bedeutung, daß die Leberarterie bis in die feinsten Verzweigungen kräftige (glatte) Ringmuskeln besitzt. Über die Zusammensetzung des artiellen Blutes siehe die betreffenden Abschnitte. 3. Lymphbahnen. Sie durchziehen das Lebergewebe sehr zahlreich an der Oberfläche und in der Tiefe (mit den Gefäßen) und bilden in den Leberinselehen perivasculäre Lymphräume und Spalten. Die Lymphgefäße !) Vgl. Vierordt, Daten und Tabellen 1903, Volkmann u.a. — °) Bischoff, Zeitschr. f. rat. Med., 3. Reihe, 20, 75, 1363. — °) Bibra, Chem. Fragmente über die Leber, Braunschweig 1849; über das Verhalten der Leberzellen beim Durch- spülen der Leber mit Lösung verschiedener Neutralsalze, Säuren und Alkalien siehe Petry, Hofmeisters Beitr. 5, 245, 1904. — *) Weitere Angaben über anorganische Bestandteile der Leber siehe 8.499 und 507. Nerven der Leber. — Prozesse in der Leber. 437 führen 1. durch das Zwerchfell in die Brusthöhle, 2. zu kleinen Lymphdrüsen in der Leberpforte und den Eingeweideplexus. Die Lymphgefäße besitzen (im Gegensatz zu Pfortader und Lebervenen) Klappen (v. Ebner). Über die Zusammensetzung der Lymphe siehe den betreffenden Abschnitt. 4. Nerven. Sietreten zur Leber vom Nervus sympathicus und in kleineren Mengen vom N. vagıus; sie führen in ihrem Verlauf einige (spärliche) Gan- glien und breiten sich besonders mit der Leberarterie aus. Die Nervenfasern (marklose und markhaltige) treten einmal zur Gallenblase und zu den großen Gallengängen, zur Glissonschen Kapsel, zu den Lebervenen und zur Oberfläche (Hülle) der Leber, sodann aber dringen feinste Zweige in die Inselchen zwischen die Leberzellen ein. Wie diese verschiedenen Nerven endigen, ist “nicht entschieden !). Nach Francois-Franck und Hallion?) entspringen die Vasoconstric- toren für A. hepatica und Pfortader von der 6. Brust- bis zur 2. Lenden- wurzel des Rückenmarks. IV. Die Prozesse in der Leber. Bei der morphologischen Gleichwertigkeit aller Leberparenchymzellen ist es begründet, jeden der an der Leber beobachteten Vorgänge als von jeder Zelle ausführbar anzusehen. Gleichzeitig kann man sich aber innerhalb der kolossalen Zellenmenge der Leber große Schwankungen in der Tätigkeit der einzelnen Zelle in der Zeit denken, ohne daß dadurch das Gesamtresultat gestört zu werden braucht. Die Leberzelle läßt sich einem Gefäß vergleichen, in und an dem eine Reihe verschiedener chemischer und physikalischer Prozesse statthat. Diese Pro- zesse sollen im folgenden, soweit es möglich ist, kurz zusammengestellt werden. A. Die Prozesse, die sich an den Kohlehydraten, Fetten und den übrigen N-freien Stoffen abspielen. (Hier sind auch einige N-haltige Stoffe einbegriffen, wie z. B. Glukosamin, Jecorin, Chondroitinschwefelsäure usw.) Ein sehr großer Teil der Prozesse in der Leber bezieht sich auf die Ver- arbeitung der Kohlehydrate. 1. Das Glykogen, (C,H,,0;)n 3). Unter normalen Ernährungsbedingungen wird der Leber eines reichlich mit Kohlehydraten gefütterten Tieres vom Darm durch die Pfortader, deren Traubenzuckergehalt v. Mering hierbei auf 4 pro mille, Pavy beim Ka- ninchen sogar auf 5 pro mille*) ansteigen sah (gegenüber gewöhnlich etwa 1 bis ) Vgl. Wolff, Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1902, S. 155. — °)Francois-Franck und Hallion, Arch.d.physiol. (5), 8, 908, 923, 1896; siehe auch Cavazzani und Manka, Arch. ital. de biol. 24, 294, 1895. — ®) Max Cremer, Physiol. d. Glykogens; Ergebnisse der Physiol. 1, 803 bis 909, 1902; dort auch ausführliches Literaturver- zeichnis, auf welches hier in der Hauptsache verwiesen wird; E. Pflüger, Das Glykogen, Pflügers Arch. 96, 1 bis 398, 1903 und 2. Aufl, Bonn 1905. — *) v. Mering, Arch. f. Physiol. 1877, S. 379 u. 413; Pavy, Physiol. der Kohle- hydrate usw., 1895. 498 Eigenschaften des Glykogens. höchstens 2 pro mille, Claude Bernard!), J. Otto2), Seegen°) u. a.), Zucker in großer Menge zugeführt; auch durch den Chylus wird vermutlich indirekt Zucker der Leber zugeführt; Ginsberg*) fand in ihm nach Einführung von Zucker in den unteren Dünndarm bis zu 5 pro mille Zucker (Hund). Dieser Zucker verläßt die Leber nur zum Teil wieder. Ein (verschieden) großer Teil des- selben wird in den Leberzellen zurückgehalten, aufgespeichert. Popielski°) berechnet diese Menge nach Versuchen an Hunden, bei welchen durch eine Ecksche Fistel ein direkter Übergang des Blutes aus der Pfortader in die Vena cava inferior bewirkt wurde, aus der Menge des nach Zuckerfütterung ausgeschiedenen Zuckers auf höchstens 24 bis 41 Proz.; doch dürfte, da im normalen Fall das zuckerreiche Pfortaderblut die Leber zuerst durchströmt, diese Berechnung nicht zwingend sein. Der sichere Nachweis, daß Zucker in ° der Leber festgehalten wird, wird dadurch geliefert, daß das Blut nach Passieren der Leber zuckerärmer ist (etwa 1 pro mille) als beim Eintritt in die Leber (Pavy). Bei der Aufspeicherung in der Leber erfährt dieser Zucker eine Ver- änderung, er wird zu einem stärkeähnlichen Produkt, dem Glykogen (entdeckt von Claude Bernard) 1857, etwa gleichzeitig dargestellt von V.Hensen) umgewandelt’). a) Eigenschaften des Glykogens, (C,H,,0;)n°). Glykogen ist löslich in Wasser, Glycerin usw., die Lösung ist weißlich opaleszent; ob sie als eine wirklich echte Lösung oder als eine colloidale Lösung anzusehen sei, ist fraglich. In Beobachtungen Raehlmanns*’) mit dem Zsigmondy-Siedentopfschen Ultramikroskop ließ sich eine Glykogen- lösung als aus Partikeln zusammengesetzt erkennen; auf Zusatz von Diastase verschwanden diese Partikel allmählich. Das Molekulargewicht des Glykogens ist nicht festgestellt 10). Glykogen ist nicht löslich in absolutem Alkohol, Äther, Chierofonn usw. Nach Gatin-Gruzewska!!) fällt es in eigentümlichen Formen, auch in prisma- tischen kristallähnlichen Gebilden aus ganz reinen Lösungen durch Alkohol. Fällungen erhält man in Glykogenlösungen ferner durch gesättigtes Baryt- wasser, Gerbsäure, Bleiessig, Fisenchlorid, essigsaures Eisen usw. Synthetisch ist Glykogen bis jetzt nicht erhalten worden. 1) C1. Bernard, Lecons sur le diabete, Paris 1877, Bailliere. — °) J. Otto, Pflügers Arch. 35, 467, 1885. — °) Seegen, Zuckerbildung im Tierkörper, Berlin 1900. — *) Ginsberg, Pflügers Arch. 44, 306, 1889. — °) Popielski, Zentralbl. f. Physiol. 14, 193, 1900. — °) C£fr. L’oeuvre de Claude Bernard, Paris 1881. — ”) Das Vorkommen anderer Polysaecharide neben Glykogen in der Leber in ge- ringerer Menge dürfte nicht zu bezweifeln sein, besonders das von Dextrinen bzw. von einem keine Jodreaktion gebenden Achrooglykogen als Zwischenstufen zwischen Glykogen einerseits und Maltose (Glykose) andererseits; über Isomaltose in der Leber siehe Röhmann und Spitzer, Zentralbl. f. d.med. Wissensch. 31, 849, 1895. Böhm und Hoffmann konnten einen derartigen Stoff z. B. in einem Leberstück, das 24 Stunden gelegen hatte, nachweisen (siehe bei Abbau des Glykogens). — ®) Kekule, Pharmaz. Zentralbl. 1858, 8. 300. — °) E. Raehlmann, Berl. klin. Wochenschr. 1904, 8.186; Zeitschr. f. ärztl. Fortb. 1904, Nr. 5; Gatin-Gruzewska und Biltz, Pflügers Arch. 105, 115, 1904. — !) Gatin- Grauen ska, Pflügers Arch. 103, 282, 1904. — !") Dieselbe, Pflügers Arch. 102, 569, 1904 und 100, 634 u. 635, 1903. uf te ee “ Eigenschaften und Darstellung des Glykogens. 429 Glykogen gibt mit Jod eine intensiv braunrote bis violette Färbung; beim Erwärmen verschwindet die braunrote Farbe und tritt beim Erkalten wieder auf. Claude Bernard!) erhielt mit dem Glykogen aus Muskeln, die gelähmt oder zur Ruhe gezwungen waren (Kaninchen), bei der Jodprobe eine mehr blaue Färbung (wie bei Stärkemehl). Naunyn?) sah bei Hühnern das Muskelglykogen mit Jod eine violette Färbung annehmen, während das Leber- glykogen sich rotbraun färbte. Die verschiedenen Glykogenpräparate aus verschiedenen Organismen sind in ihrer Färbbarkeit durch Jod nicht gleich. Glykogen kann durch die Jodprobe im Gewebe nachgewiesen werden ?) (gelbe Färbung des Gewebes beweist nichts), doch muß man sich vor der Verwechs- lung mit Amyloid, Chitin usw. hüten). Glykogen bildet, bei 100° getrocknet, ein weißes Pulver ohne Geschmack und Geruch. Es besitzt starkes optisches Drehungsvermögen; nach den bisher genauesten Bestimmungen beträgt [%]» NaCHWOWamTe EI EEE se er ae eler 1c 200 Cremer‘). EN 2 a El N en Lg „ Gatin- ner ST N ee Re A RB et arden and Younor)ee . . . 198,3° Glykogen reduziert Kupferoxyd und andere de nicht, löst aber Kupferhydroxyd in alkalischer Lösung auf. Durch Erhitzen mit Säuren wird Glykogen (in wässeriger Lösung) ge- spalten. Dabei verschwindet die Opaleszenz, und es treten nacheinander Dextrine (Achrooglykogen), Maltose und endlich Glykose auf; ob hierbei eine Isomaltose zu unterscheiden ist, bedarf der Aufklärung. Ebenso wie durch Säure wird Glykogen durch die sehr weit verbreiteten diastatischen Fer- mente, z. B. des Speichels, des Pankreas, des Blutes, der Leber usw., gespalten. (Siehe unten Abbau des Glykogens.) Eine in letzter Zeit besonders von Pflüger und seiner Schule disku- tierte, schon von Ehrlich) aufgeworfene Frage ist es, ob das Glykogen im lebenden Gewebe als solches oder etwa als Glykogen-Eiweißverbindung (gebunden an eine Trägersubstanz) enthalten sei. Sichere Anhaltspunkte für die Auffassung, daß es sich hierbei um eine chemische Verbindung im engeren Sinne handle, sind bis jetzt nicht beigebracht. (Vgl. Cremer, Loeschke !?). Zur Darstellung und quantitativen Bestimmung des Glykogens sind verschiedene Methoden angegeben worden, die am geeigneten Orte nachzu- sehen sind !!). Im Prinzip beruhen dieselben meist auf der oben erwähnten Löslichkeit des Glykogens in Wasser, seiner Fällbarkeit durch Alkohol. Die das Glykogen einschließenden Gewebe werden gewöhnlich durch Kalilauge in Lösung gebracht, welche das Glykogen nicht angreift. Aus dieser Lösung !) Claude Bernard, Lecons sur le diabete, 1877, p. 553. — °) Naunyn, Arch. f. experiment. Pathol. 3, 85 u. 97, 1875..— °) Barfurth, Arch. f. mikrosk. Anat. 25, 259, 1885. — *) Gierke, Das Glykogen in der Morphologie des Zellstoff- wechsels, Jena 1905; Harden and Joung, l.c. — °) Cramer, Zeitschr. f.. Biol. 24, 67, 1888. — °) Cremer, Münch. med. Wochenschrift 41, 525, 1894. — ’)Gatin- Gruzewska, Pflügers Arch. 102, 569, 1904. — ®) Harden and Young, Transact. of the Chem. Soc. 81 (1902). — °) Ehrlich, Zeitschr. f. klin. Med. 6, 33, 1883. — ") Loeschke, Pflügers Arch. 102, 592, 1904. — "') Vgl. E.Pflüger, Das Glykogen, 2. Aufl. 1905, S. 53 usw. 430 Glykogenmenge. 2 kann das Glykogen direkt!) oder nach vorheriger Fällung der Eiweißkörper E (häufig mit Quecksilberjodid-Jodkalium in salzsaurer Lösung nach Brücke) ausgefällt werden. Pflüger empfiehlt, das erhaltene Glykogen zu invertieren (siehe unten) und die erhaltene Dextrose zu bestimmen. b) Glykogenmenge. Die Menge, in der das Glykogen in der Leber gefunden wird, ist eine sehr schwankende. In erster Linie ist sie abhängig von dem Ernährungs- zustande des Tieres. Die bis jetzt beobachteten maximalen Werte betrugen beim Hund bis zu 18,7 Proz. (Schöndorff2), beim Kaninchen 16,8 Proz. (J. Otto), beim Huhn 15,3 Proz. (J. Otto), bei der Gans 10,5 Proz. (Erwin Voit®). Mit dieser großen Anhäufung von Glykogen nimmt das Gewicht der Leber prozentual zum Körper bedeutend zu. Pavy sah dasselbe beim Hund von im Mittel 3,5 Proz. auf im Mittel 6,6 Proz. (9,9 bis 4,4 Proz.) steigen. Das Glykogen liegt in den Leberzellen als amorphe Masse zwischen den Maschen des Zelleninhaltes, häufig reichlicher in den Regionen der Zelle, die der Vena intralobularis zugekehrt sind. Im Zellkern ließ es sich beim gesunden Tiere nicht nachweisen. Die verschiedenen Partien der Leber scheinen keine beträchtlichen Unterschiede im Glykogengehalt aufzuweisen, wie diesbezügliche Unter- suchungen von Külz’) u. a. lehren. Dagegen ist das Verhältnis der Menge des Leberglykogens zum Glykogen des übrigen Körpers ein wechselndes, je nach verschiedenen Faktoren (Hunger, Muskelarbeit, Fütte- rung usw.) kann es wesentlich schwanken, beträchtlich weniger (Külz‘), sowie auch mehr als 1 bis zum 4fachen (Schöndorff beim Hund) betragen. Schöndorff fand beim Hund im Maximum bei sehr reichlicher Fütterung mit Fleisch und Kohlehydrat pro Kilogramm Körpergewicht 37,9 g Glykogen ’). Auch im Neugeborenen ist die Leber glykogenhaltig, Cramer®) fand in derselben 1,0 bis 2,2 Proz. Glykogen. Butte°) fand reichlich Gly- kogen in der Leber von neugeborenen Hunden und vom Hundefötus, dagegen relativ viel weniger in der Leber des Muttertieres am Ende der Schwanger- schaft. In der Leber von Föten vom Rind, Schwein, Lamm, aus der ersten Hälfte der Fötalperiode konnte Pflüger!) stets Glykogen nachweisen, meist in geringer Menge, hier und da aber auch reichlicher. Külz!!) wies Glykogen in der ersten Anlage des Hühnchens nach, nach etwa 60stündiger Be- brütung, jedoch in sehr geringer Menge. 1) F.W.Pavy, Physiol. d. Kohlehydrate, deutsch von Grube, 1895; Pflüger, Pflügers Arch. 53, 491, 1893; 55, 394, 1894; 93 (1903); 95, 17, 1903; 96, 1, 19035 Schöndorff, Pflügers Arch. 99, 191, 1903; Pflüger und Nerking, Pflügers Arch. 76, 531, 1899; 85, 321, 1901; u.a. — °) Schöndorff, Pflügers Arch. 99, 191, 1 » Mr 1903, — °) J. Otto, Zeitschr. f. Biol. 28, 245, 1891. — *) E.Voit, Ebenda 25, 543, \ 1889. — °) Külz, Ebenda, 22, 161, 1886; Cramer, Ebenda 24, 67, 1888; Grube, Pflügers Arch. 107, 483, 1905. — °) Külz, Beitr. z. Keuntn. d. Glykogens, Marburg 1890. — 7) Schöndorff, Pflügers Arch. 99, 221, 1903. — °) Cramer, Zeitschr. f. Biol. 24, 67, 1888. — °) Butte, Compt. rend. Soc. Biol. 46, 379, 1894. — 10) Pflüger, Pflügers Arch. 102, 305 bis 319, 1904 und 95, 19. — '') Külz, Pflügers Arch. 24, 61, 1881. Vorkommen, Bildung des Glykogens. 431 Am Ende des Winterschlafs findet sich beim Murmeltier Glykogen in der Leber, sowie im übrigen Körper (C. Voit u. a.!). Kaninchen enthalten, wie Gürber?) zeigte, im Sommer viel weniger Glykogen als im Winter. Ebenso ist bei Winterfröschen der Glykogengehalt größer als bei Sommer- fröschen; die Leber der Tiere enthält im Frühling am meisten Glykogen °). In der Leber von Winterfröschen fand Aldehofft) selbst nach zweimonat- licher Karenz noch relativ bedeutende Glykogenmengen, im Gegensatz zu dem Verhalten bei Sommerfröschen. In der Leber von Wintersalmen°), die in Bonn gefangen waren, fand sich kein Glykogen. e) Sonstiges Vorkommen des Glykogens. Das Glykogen findet sich, abgesehen von der Leber, wohl in sämtlichen Organen des Säugetierkörpers®). Für seine große Bedeutung im Lebensprozeß der Tiere spricht, daß es bis jetzt bei allen Tieren, Vertebraten und Evertebraten, bei welchen nach demselben gesucht worden ist, nachgewiesen wurde’), bei den Wirbellosen, zum Teil in sehr großen Mengen (bei Taenien bis zu 47 Proz., bei As- cariden bis zu 34 Proz. der Trockensubstanz des Gesamtkörpers, Weinland’). Es haben sich bis jetzt bei den Tieren nicht verschiedene Polysaccha- ride als Reservestoffe gefunden, sondern stets ein Glykogen. Dagegen besitzen bekanntlich die Pflanzen verschiedene Reservekolehydrate, z. B. ein Polysaccharid der Lävoluse, das Inulin, in den Knollen der Georginen und Dahlien, Mannan, ein Polysaecharid der Mannose, in den Früchten (Steinnüssen) von Phytelephas macrocarpa (Elfenbeinpalme) usw. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ein zweites Reservepoly- saccharid in einer Tiergruppe den Platz des Glykogens einnimmt, da, wie erwähnt, in sämtlichen größeren Tiergruppen Glykogen schon nachgewiesen ist. Bemerkens- wert ist, daß Glykogen auch in Pilzen, z. B. den Hefezellen°), als Reservestoff auftritt (Errera, Cremer). d) Bildung des Glykogens. Als Bildner von Glykogen hat man eine Reihe von Stoffen nachzuweisen gesucht. Ehe auf dieselben im einzelnen eingegangen werden kann, sind kurz die Wege dieses Nachweises zu erörtern. 1. Das glykogenarm (,„-frei“) gemachte (jedoch nicht kranke) Tier wird mit dem betreffenden Stoff gefüttert und nach einigen Stunden bis einem Tag usw. das Glykogen in der Leber (und dem übrigen Körper, wenn dies nötig erscheint) bestimmt. Um einen Ausgangspunkt zu haben für die Beurteilung der Menge des vor der Fütterung im Tier enthaltenen Glykogens dienen Kontrollbestim- mungen in völlig gleich vorbereiteten Tieren. Hierbei ist besonders bei den höheren Tieren zu beachten, daß die individuellen Verschieden- heiten sehr große sind; dies fällt besonders ins Gewicht, wenn, wie gewöhnlich, die Zahl der Kontroll- und Versuchstiere eine sehr kleine ist; sodann bleibt, ) Voit, Zeitschrift f. Biol. 14, 118, 1878; Külz, Pflügers Arch. 24, 74. — ®2) Gürber, Sitzungsberichte d. Würzb. med.-phys. Gesellsch. 1895, 8. 17. — ®) Athanasiu, Pflügers Arch. 74, 561, 1899; vgl. Pflüger, Ebenda 71, 318, 1898. — *) Aldehoff, Zeitschr. f. Biol. 25, 137, 1889; vgl. auch Werth- mann, Einfluß der Jahreszeit auf den Stoffwechsel, Diss, Würzburg 1894. — °) Pflüger, Pflügers Arch. 96, 130, 1903. — °) Schöndorff, Pflügers Arch. 99, 191, 1903. — 7) Vgl. Creighton, Mikroscopie Researches on Glycogen Part 1 and 2, London 1896 bis 1899, — °) Weinland, Zeitschr. f. Biol. 41, 69, 1901; Busch, Diss., Utrecht 1905. — °) Errera, Compt. rend. 101, 253, 1885. 439 Bildung des Glykogens. auch bei dem sicheren Nachweis der Steigerung im Glykogengehalt nach Zu- fuhr eines bestimmten Stoffes, die Frage offen, ob dieses Glykogen direkt aus dem zugeführten Stoff entstanden ist oder mittelbar, indem durch denselben ein Teil der an sich im Körper in Zersetzung gehenden Stoffe vor weiterer Zersetzung geschützt wird und als Glykogen zur Ablagerung gelangt, oder auch (in gewissen Fällen) indem eine Wanderung des Glykogens veranlaßt wird von einem Organ ins andere. Als solche im Körper in Zersetzung gehende Stoffe kommen Eiweiß und Fett in Frage. Ü. Voit!) hat im Hinblick darauf den während des Versuchs aus- geschiedenen Stickstoff bestimmt, daraus die diesem am Eiweiß entsprechende Menge Kohlenstoff berechnet und hieraus sodann unter Berücksichtigung des Kohlenstoffs der Exkrete die maximale aus dem Kohlenstoff des zersetzten Eiweiß ableitbare Menge von Glykogen berechnet (für das Kaninchen ent- spricht so 1g N —= 6,0 g Eiweiß 5,7 g Glykogen), War mehr Glykogen im Tier gebildet worden, als diese Menge betrug, so konnte dasselbe nicht aus dem zersetzten Eiweiß des Körpers herstammen. Über das Fett siehe weiter unten! Auf weitere Punkte die hier in Betracht kommen, z. B. die zeitlichen Ausscheidungsverhältnisse des Stickstoffs, vorübergehende Zurückhaltung stickstoffhaltiger Zersetzungsprodukte ım Tier, teilweisen Abbau des Eiweiß- moleküls usw., kann hier nicht eingegangen werden. Einfacher liegt die Möglichkeit des Nachweises von Glykogenbildung für manche niedere Tiere, welche sich in großer Individuenzahl mit geringerer individueller Verschiedenheit erhalten lassen, so daß die Kontrollbestimmungen eine größere Sicherheit gewähren. Doch bleiben auch hier die oben erwähnten Bedenken über die Herkunft des gebildeten Glykogens. Viel klarer ist dies zu beantworten bei anaöroben Tieren (Ascaris usw.), indem hier erstens eine Glykogenbildung aus Fett völlig ausgeschlossen ist, da die Tiere keinen Sauer- stoff aufnehmen, vielmehr die in ihnen gebildete Fettsäure ausscheiden, und zweitens auch das Eiweiß, das vom hungernden Tier (in sehr geringer Menge) zerzetzt wird, im extremsten Falle nur so viel Kohlehydrat zu bilden vermag, | als dem in demselben enthaltenen Sauerstoff (nicht dem Ü wie beim aöroben Tier) entspricht, wenn man nicht die Annahme machen will, daß der nötige Sauerstoff etwa aus Wasser entnommen wurde. Es ist aus diesen Gründen bei diesen Tieren ein besonders sicherer Entscheid über die Bildung von Glykogen aus einem zugeführten Stoff möglich. 2. Eine andere Methode besteht darin, daß nicht das Glykogen als solches im Tier nachgewiesen wird, sondern (siehe S. 427, sowie S. 444) derjenige Stoff, der sowohl als Bildungsmaterial wie als Abbauprodukt des Glykogens im Körper sicher erkannt ist, nämlich Traubenzucker. Dieser wird aus einem Organismus gewonnen, welcher diabetisch ist, oder künstlich diabetisch gemacht wird (durch Exstirpation des Pankreas von Mering und Minkowski), durch subeutane Injektion von Phloridzin (von Mering usw.); (siehe Diabetes, S. 464). . Auch auf diesem, Wege ist die Frage nach dem Mutterkörper der ausgeschiedenen Dextrose meist eine schwierige, aus denselben Gründen, wie denen, die oben angegeben sind. ) C. Voit, Zeitschr. f. Biol. 28, 245, 1891. Bildung von Glykosen aus Hexoaldosen. 433 3. Esläßt sich auf dem Wege der Bestimmung der Aufnahmen und Ausgaben eines Tieres (im Gesamtstoffwechselversuch) ein Schluß ziehen auf die Art der Umsetzung im Körper und damit auch (indirekt) auf die Frage nach der Bildung von Zucker (Glykogen) aus anderen Stoffen. 4. Es ist an die Methode zu erinnern, bei künstlicher Durchblutung der Leber unter Zusatz des zu prüfenden Stoffes die Glykogenbildung zu verfolgen, sowie än das Verfahren, im Preßsaft der Gewebe nach Zusatz eines Zuckers auf Glykogenbildung zu prüfen. Weitere methodische Angaben sind beim einzelnen Fall gegeben. Glykogenmengen unter 1 bis 2g sind beim Kaninchen nie für sicher bindende Schlüsse zu verwerten, da solche Mengen — auch während des Hungerns — aus dem zersetzten Eiweiß und nicht aus der verfütterten Sub- stanz abgeleitet werden können. %) Bildung von Glykogen aus stickstofffreien Stoffen. Kohlehydrate. Bei der Verdauung im Verdauungskanal werden die Poly- und Disaccha- ride vor ihrer Resorption gespalten. Es kommen somit nicht diese seibst auf dem Pfortaderweg an die Leberzellen, sondern (mit verschwindenden Aus- nahmen, z. B. von etwas Maltose!) nur Monosaccharide. Hexoaldosen. 1. Traubenzucker, (d-Glykose, r-Dextrose) entsteht aus Stärkemehl (durch Kochen mit verdünnten Säuren, durch die diastatischen Fermente), ferner aus Rohrzucker zur Hälfte neben Lävulose (ebenfalls os durch Kochen mit verdünnten Säuren, sowie durch Invertin) HOCH aus Milchzucker zur Hälfte neben Galaktose (durch Kochen on mit verdünnten Säuren und durch Laktase) usw. CH,OH Versuche von Erwin Voit2) bei der Gans, die 10,5 Proz. Glykogen in der Leber enthielt nach Fütterung mit Reis, ferner von C. Voit, Jacob Otto) am Kaninchen, welches 9,3 g (16,85 Proz.) Gly- kogen in der 55 g schweren Leber enthielt, als es 81/, Stunden nach Fütterung mit 80 g Dextrose getötet wurde, sodann Versuche am Huhn mit 15,3 Proz. Glykogen in der Leber von 35 g Gewicht (der Hahn hatte nach fünf Hunger- tagen 50 g Dextrose erhalten, worauf er nach 7!/, Stunden getötet wurde), sowie zahlreiche andere genügen sowohl den Forderungen in bezug auf mög- lichst geringen Anfangsglykogengehalt (mehrtägiger Hunger vor dem Versuch, Kontrolltiere mit verhältnismäßig sehr geringem Glykogengehalt) als auch der Voitschen Forderung betreffend das Verhältnis der N-Ausscheidung zum Glykogengehalt (siehe oben 8.432). In der künstlich durchbluteten und mit Dextrose gespeisten Leber (Katze) gelang ebenfalls der Nachweis einer Glykogenanhäufung (Brodies Perfusionsapparat). Die Bestimmung des ursprünglichen Glykogengehaltes !) Lepine und Boulud, Compt. rend. Soc. Biol. 53, 1061, 1901); Röhmann und Nagano, Pflügers Arch. 95, 533, 1903. — °) Erwin Voit, Zeitschr. f. Biol. 25, 543, 1889. — °) (J.Otto) C.Voit, Zeitsehr. f. Biol. 28, 245, 1891. Nagel, Physiologie des Menschen. LI. 98 434 Bildung von Glykogen aus Hexoaldosen, Hexosen. geschah in einem vor dem Versuch abgebundenen kleinen Stück der Leber !). Wird die Glykose subeutan zugeführt, so bewirkt sie ebenfalls reichlich An- satz von Glykogen ?). Bei Ascariden gelang der Nachweis der Bildung von Glykogen aus Dex- trose (s. oben S.432!), indem der Glykogengehalt von 5,9 Proz. bei zweimal täglicher Injektion von Dextrose auf 6,4 Proz. anstieg, während er in der- selben Zeit bei den Kontrolltieren auf 4,5 Proz.) absank. Bei allen Tieren, die bisher geprüft worden sind, hat die d-Glykose sich als ein Glykogenbildner erwiesen. CcOH 2. d-Galaktose, entsteht aus Milchzucker zur Hälfte neben en Dextrose durch Kochen mit verdünnten Säuren, durch Laktase, HOCH ist ferner verbreitet im Pflanzenreich, z. B. in Agar-Agar usw. a u Galaktose wurde als Glykogenbildner (beim Kaninchen) sicher cn nachgewiesen in Versuchen, welche der Voitschen Forderung in bezug auf das Verhältnis N zu Ü sicher genügten. (Weinland), Sommer ’). 3. Mannosen, z.B. ım Mannan verschiedener Pflanzen (z. B. Steinnüsse), im Salepschleim aus Orchisknollen usw. enthalten; weder r-Mannose, noch ls l-Mannose, noch i-Mannose haben sich bis jetzt mit Sicherheit HOCH als Glykogenbildner nachweisen lassen (vgl. Cremer), Neu- HOCH berg und P. Mayer’). een Ebenso sind alle anderen Aldohexosen, z.B. d-Sorbose CH,oHu (Neuberg und Mayer’), &-Glukoheptose (Wohlgemuth‘°), ferner Glukosamin (Fabian?) usw., zweifelhafte Glykogen- bildner, bzw. sicher nicht zur Glykogenbildung in den bisher darauf unter- suchten Tieren befähigt. Auch für Chitose!P), das amidfreie Derivat des Glukosamins, welches aus dem Chitin der Insekten usw. erhalten wird, eine Hexose von noch un- bekannter Konfiguration !!), hat sich kein sicheres Ergebnis gewinnen lassen !?). Ketohexosen. 1. d-Fruktose (d-Lävulose, Fruchtzucker), im Rohrzucker ein Disaccha- rid bildend (zu gleichen Teilen mit Dextrose), durch Kochen mit verdünnten Säuren, ferner durch Invertin aus diesem zu erhalten; im Inulin (in Georginen- knollen) ein Polysaecharid bildend (daraus durch Kochen mit Säuren zu er- halten) usw. Der sichere Nachweis, daß der Fruchtzucker ein Glykogenbildner ist, wurde (im Voitschen Sinne) erbracht z. B. beim Hahn (J. Otto) mit 4,0g (10,5 Proz.) Glykogen in der Leber 8 Stunden nach Fütterung mit !) Grube, Journ. of Physiol. 29, 276 und 266 (Brodie), 1903 und Pflügers Arch. 10%, 590, 1905. Vgl. Luchsinger, Diss., Zürich 1875, Doyon et Morel, Compt. rend. Soc. Biol. 56, 190, 1904. — ?) Lusk (Voit), Zeitsehr. v. Biol. 28, 288, 1891. — °) Ritter und Weinland, Zeitschr. f. Biol. 43, 490, 1902. — *) Wein- land, Ebenda 40, 374, 1900. — °) Sommer, Die Verwertung des Milchzuckers im tierischen Organismus, Würzburg 1899. — °) Cremer, Zeitschr. f. Biol. 29, 484, 1892 (Habilit.-Schrift). — ”) Neuberg und Mayer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37, 530, 1903. — ®) Wohlgemuth, Ebenda 35, 568, 1902. — °) Fabian, Ebenda 37, 167, 1899. — !”) Neuberg, Berichte 35, 4009, 1902. — '') Fischer und Leuchs, Ebenda 36, 24, 1903. — "?) Cathcart, Zeitsehr. f. physiol. Chem. 39, 423, 1903. Zeitlicher Verlauf der Glykogenablagerung. 435 54,8g Lävulose; das Tier hatte vor dem Versuch 4 Tage gehungert. Auf anderem Wege wies Minkowski beim Hunde, der durch Exstirpation des Pankreas diabetisch gemacht war, die Bildung von Glykogen aus Lävulose nach, indem nach Zufuhr von Lävulose eine sehr bedeutende Glykogenmenge in der Leber sich fand. Subeutane Zufuhr von Lävulose bewirkt ebenfalls reichliche Glykogen- anhäufung (C. Voit). Cremer!) hat beobachtet, daß der Hefepreßsaft nach Lävulosezugabe Vermehrung des Glykogengehaltes aufweist. Doyon und Morel erhielten Glykogenvermehrung in der mit Lävulose durchspülten Leber ?). Außer der Fruktose ist für keine Ketohexose der Nachweis erbracht, daß sie Glykogen im tierischen Körper zu bilden vermag. Was die Pentosen (C,H,,0;) betrifft, so ist Glykogenbildung bis jetzt weder aus l-Arabinose, noch d- und r-Arabinose, noch Xylose usw. sicher er- wiesen?). Auch für Rhamnose (eine Methylpentose) hat sich kein sicherer Beweis erbringen lassen (l-Arabinose erscheint in geringerer Menge im Harn als d-Arabinose !). Eine andere Frage ist diejenige, ob diese und andere Zucker, die nicht als eigentliche Glykogenbildner sich haben erweisen lassen, imstande sind, die Glykogenbildung bzw. den Verbrauch der Vorräte an Glykogen indirekt zu beeinflussen. Dies dürfte sich für mehrere derselben wahrscheinlich machen lassen. Der Pentosen-(l-Xylose-)-Gehalt der Leber ist nach Grund ’) etwa !/, Proz. der Trockensubstanz; eine Ablagerung von Xylan nach Zufuhr per os (Ka- ninchen) in der Leber sah Slowtzoff‘); für eine Entstehung von 1-Xylose aus d-Glukuronsäure durch Fäulnisbakterien brachten Salkowski und Neu- berg’) Beobachtungen bei. Von Tetrosen und Triosen wie von Heptosen, Oktosen, Nonosen ist bisher keine als sichere Glykogenbildnerin nachgewiesen worden. Der zeitliche Verlauf der Glykogenablagerung in der Leber nach Zufuhr von glykogenbildenden Zuckern ist abhängig neben anderem von der Menge des zugeführten Zuckers; je geringer diese ist, um so eher kommt es zu einem Maximum. Beim Huhn fand Hergenhahn’°) dieses Maximum un- gefähr 12 bis 20 Stunden nach der Fütterung mit Rohrzuckermengen von 10 bis 308. Beim Kaninchen, das längere Zeit gehungert hat, fand Külz’) 4 Stunden nach Reichung eines kohlehydratreichen Futters die Ablagerung von Glykogen beginnen, das Maximum der Glykogenanhäufung in der Leber !) Cremer, Berichte 32, 2062, 1899. — °) Doyon und Morel, Compt. rend. Soc. Biol. 56, 190, 1904. — °) Salkowski, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1893, 8.193; Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 393, 1901. Cremer, Zeitschr. f. Biol. 29, 484, 1892; 32, 49, 1895; 42, 428, 1901. J. Frentzel, Pflügers Arch. 56, 273, 1894. Neuberg und Wohlgemuth, Ber. 34, 1745, 1901 und Zeitschr. f. physiol. Chem. 85, 41, 1902. — *) Neuberg und Wohlgemuth, Ber. 34, 1745, 1901 und Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 41, 1902. — °) Grund, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 111, 1902. — °) Slowtzoff, Ebenda 34, 181, 1901. — ”) Salkowski und Neuberg, Ebenda 36, 261, 1902. — °) Hergenhahn, Zeitschr. f. Biol. 27, 215, 1890. — *) Külz, Pflügers Arch. 24, 1, 1881. 98% 436 Sterische Konfiguration und Glykogenbildung. fand sich mit beträchtlichen Schwankungen zwischen der 10. und 20. Stunde. Prausnitz!) sah beim Huhn das Maximum zwischen der 12. und 24. Stunde. A. Ott 2) fand beim Kaninchen in der Norm das Maximum in der Leber 12 bis 15 Stunden nach der Fütterung; im Fieber lag das Maximum etwas früher, vermutlich infolge rascheren Glykogenverbrauchs. Es ist bemerkenswert, daß die nächstverwandten, nur in der sterischen Konfiguration verschiedenen Monosaccharide sich so äußerst verschieden im Tierkörper verhalten. Auch bei anderen stereoisomeren Körpern, z. B. den Weinsäuren, sind Unterschiede gefunden worden in ihrem Verhalten im Tierkörper. Meso- und l-Weinsäure werden im Körper des Hundes reichlicher verbrannt als d-Wein- säure und als Traubensäure (Brion °). Ebenso zeigen die drei Arabinosen nach Neuberg und Wohlgemuth*) ein verschiedenes Verhalten im Tierkörper. Es kann nicht daran gezweifelt werden, daß derartige Unterschiede der zugeführten Stoffe weitgehend auf die Umsetzungen innerhalb der Zellen Einfluß nehmen. Es ist hierbei daran zu erinnern, daß E. Fischer es hat wahrscheinlich machen können, daß Fermente je nach der Konfiguration des Stoffes, auf den sie treffen, diesen zu spalten vermögen oder nicht. So konnte z.B. eine Emulsinlösung wohl eine bestimmte Glukosidform (ß-Methylglukosid) spalten, nicht aber den zugehörigen stereomeren Körper «-Methylglukosid °) /CH.O.CH, 0X (CHOH), _CH CHOH CH,OH der durch Hefenextrakte gespalten wird (Maltase). Allen echten Glykogenbildnern unter den Zuckern kommt eine weitgehende sterische Übereinstimmung zu, wie die folgende Zusammenstellung zeigt. CH,0OH CHO CHO [670] ERGO N HCOH HOCH HOCH HOCH HCOH HCOH HOCH HCOH HCOH HCOH CH,08 CH,0H CH,0H d-Fruktose d-Glukose d-Galaktose d-Fruktose und d-Glukose sind in vier Gliedern völlig gleich. Sie be- dürfen, um ineinander übergeführt werden zu können, nur einer Struktur- änderung an zwei Ü-Atomen der Kette. Dementsprechend - liefern beide Hexosen mit Phenylhydrazin dasselbe Osazon. d-Glukose und d-Galaktose unterscheiden sich nur in einem, dem Y-C-Atom, sind sonst völlig gleich. Es liest nahe, daran zu denken, daß damit die gemeinsame Fähigkeit dieser drei Hexosen zur Glykogenbildung zusammenhängt. Daß der tierische Körper gewisse Hexosen ineinander überzuführen vermag, scheint aus der !) Prausnitz, Jahresber. d. Gesellsch. f. Morphol. und Physiol. München 5, 21 und Zeitschr. f. Biol. 26, 377. — ?) A. Ott, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1871, Heft 2 und 3. — °) Brion, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 283, 1898. — *, Neuberg und Wohlgemuth, Ber. 34, 1745, 1901; vgl. Cremer, Zeitschr. f. Biol. 42, 441, 1901. — °) E. Fischer und Beensch, Berichte 27, 2985 und 3479; Fischer, Ebenda 28, 1433. 4 Glykogenbildung aus Di- und Polysacchariden. 437 Angabe von P. Mayer) hervorzugehen, daß 1-Mannose vom Kaninchen zum Teil als 1-Glukose ausgeschieden wird. C.-Voit hat eine Parallele gezogen zwischen dem Glykogenbildungs- vermögen und dem Gärungsvermögen bei der Hefe. Die Zucker, die am leichtesten zu vergären vermögen, Dextrose und Lävulose, sind auch in besonders kräftigem Maße imstande, Glykogen zu bilden. Cremer hat diesen Gedanken weiter ausgeführt 2). Di- und Polysaccharate. Es ist schon (S.433) bemerkt worden, daß die Di- und Polysaccharide bei der normalen Zufuhr durch den Darmkanal in diesem gespalten und im wesentlichen als Monosaccharide der Leber zugeführt werden. Es fällt des- halb die Frage nach ihrer Fähigkeit, Glykogen zu bilden, in der Hauptsache mit der Beantwortung derselben Frage für die Monosaccharide zusammen, nämlich in allen den Fällen, in welchen der Darm ein Ferment besitzt oder bilden kann, das die betreffenden Di- und Polysaccharide in Monosaccharide zu spalten vermag °). Daß die Leber ein Di- oder Polysaccharid, welches der Darm nicht zu spalten vermag, in Glykogen umsetzen kann, ist bis jetzt nicht beobachtet. Eine weitere Frage ist es, ob die Leber überhaupt Di- und Polysaccha- ride (speziell solche, die der Organismus im Darm enzymatisch zu spalten vermag), wenn sie direkt ins Blut gebracht werden (mit Umgehung des Darmes) in Glykogen überzuführen vermag. Die in dieser Hinsicht ange- stellten Versuche ergaben, daß der Körper Rohrzucker, sowie Milchzucker, die ihm auf diese Weise zugeführt werden, nicht zu verwerten vermag, dab - dieselben vielmehr im Harn vollständig oder fast vollständig wieder er- scheinen*). Es fehlt also ein hierzu fähiges Ferment im Blut, sowie in der Leber; nur durch länger dauernde subeutane Zufuhr von Rohrzucker hat sich ein solches (beim jungen Hund) erhalten lassen °). Für die Maltose liegt die Sache dadurch anders, daß das Blut, sowie die Leberzellen ein Ferment (Maltase) enthalten, welches Maltose in Glykose überzuführen vermag. Es ist damit dem Körper möglich, die Maltose auch nach subeutaner oder intravasculärer Zufuhr (bei Umgehung des Darmes) in Dextrose umzuwandeln. Ob dies für eine weitere Verarbeitung derartig zu- geführter Maltose zu Glykogen jedoch nötig ist, ist unbekannt. Ähnlich ist die Frage für Dextrine, Glykogen, Stärkemehl zu beurteilen °). Bemerkenswert sind Versuche (Miura ”) über die Bildung von Glykogen nach Fütterung von Inulin beim Kaninchen. Es waren unter denselben !) Paul Mayer, 20. Kongr. f. innere Medizin 1902; Neuberg und Mayer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37, 530, 1903. — ?) C. Voit, Zeitschr. f. Biol. 28, 245, 1891; Cremer, Ebenda 42, 438, 1901; u.a.a.0. — °) Claude Bernard, Lecons sur le Diabete, 1877; C. Voit für Rohrzucker, Röhmann, E. Weinland für Milch- zucker. Bei diesem Disaccharid tritt der Unterschied zwischen jungen (saugenden) und erwachsenen Tieren besonders scharf hervor. — *) Cl. Bernard, Dastre, Areh. d. physiol. 21, 718, 1891; F. Voit, Sitzungsber. d. Gesellsch. f. Morphol. und ‚Physiol. München 12, 71, 1896; Pavy, Journ. of Physiol. 24, 429, 1899; vgl. - P. Mayer, Fortschr. d. Medizin 21, 417, 1903. — °) Weinland, Zeitschr. f. Biol. 47, 279, 1905. — °) F. Voit, Sitzungsber. der Ges. f. Morphol. und Physiol. 13, 106 und 110, 1897. — 7) Miura, Zeitschr. f. Biol. 32, 255, 1895. 438 Glykogenbildung aus Glycerin, Fett. neben fast zweifellos positiven auch sicher negative, so daß man annehmen muß, daß auch hier (wie bei den anderen Di- und Polysacchariden) ein an- derer Faktor entscheidend mitspricht, nämlich derjenige, ob das Inulin vorher im Verdauungstraktus des betreffenden Individuums gespalten wird oder nicht. Dies dürfte wechseln, je nachdem die Säure des Magensafts in wech- selnder Stärke (Verdünnung) und Zeitdauer auf das zugeführte Inulin ein- wirkte, denn Inulin wird durch die Säure des Magensafts bei Körpertempe- ratur gespalten (Chittenden !), Weinland). Von den Säuren derZuckerarten ist für keine der Nachweis erbracht, daß sie ein echter Glykogenbildner sei. Külz?) glaubte dies z. B. für Gly- kuronsäureanhydrid beim Huhn nachgewiesen zu haben, doch sind die von ihm erhaltenen Gly- kogenmengen für den Beweis nicht ausreichend. Das Vorhandensein von Glykuronsäure in der Leber nach dem Tode ist von Lepine und Boulud°) angegeben worden. (Über die Paarungen der Glykuronsäure s. S. 454, ferner S. 451). Auch von den Alkoholen der Zucker hat sich bis jetzt keiner als Glykogenbildner erweisen lassen. Versuche über Duleit, Mannit, Erythrit usw. liegen von Külz vor. Dagegen hat sich ein anderer Alkohol, das Glycerin, C,H, (OH);, mit großer Wahrscheinlichkeit als Glykogenbildner erwiesen. Versuche, die hier- für sprechen, liegen einmal auf dem Wege der Bestimmung des Glykogens im Versuchs- und Kontrolltier vor, besonders von Sigmund Weiß*) und E. Külz beim Huhn und von Luchsinger’) am Huhn und Kaninchen. Sodann beobachteten Külz und v. Mering, daß bei gewissen Dia- betesformen auf Zufuhr von Glycerin eine beträchtliche Steigerung des ausgeschiedenen Traubenzuckers erfolgte, und in letzter Zeit hat Cremer) beim Hund im Phloridzindiabetes (siehe unten S. 465) nach Glycerinfütterung Dextroseausscheidung beobachtet in Mengen, welche die ohne Glyceringabe (vorher und nachher) beobachtete Größe weit überschritten, so daß das Ver- hältnis von Dextrose im Harn zu N im Harn von 3:1 auf 5, ja 6, sogar 8:1 während der Glycerinzufuhr stieg. Analoge Ergebnisse mit Werten des Verhältnisses von D:N bis zu etwa 14:1 erhielt darauf Lüthje’) bei Wieder- holung der Versuche am Hund mit Pankreasdiabetes (s. unten). Es sei be- merkt, daß bei der Bildung von Glykogen (oder Glykose) aus Glycerin eine Oxydation statthaben muß. Die Bildung von Glykogen bzw. Dextrose aus Fettsäure ist von ver- schiedener Seite behauptet bzw. angenommen worden, doch liegt zurzeit keine beweisende Beobachtung dafür vor. Die Entstehung von Zucker !) Chittenden, Amer. Journ. of Physiol. 2, XVII, 1898. — °) Külz, Fest- schrift für Ludwig 1890. — °) Lepine und Boulud, Compt. rend. Soc. Biol. 53, 1041, 1901. — ?) 8. Weiß, Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wiss. zu Wien 67 (8), 5 1873. — °) Luchsinger, Pflügers Arch. 9, 289, 1874. — °) Cremer, Münchner nıed. Wochensehr. 1902 und Sitzungsber. d. Ges. f. Morphol. u. Physiol. 1902, Heft 2. — 7) Lüthje, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 80, 98, 1904; vgl. auch Cremer, Erg. d. Biochem. 1, 890, 1902. Glykogenbildung aus Fett, Oxysäuren. 439 (Glykogen) aus Neutralfett (Fettsäure + Glycerin) ist ebenfalls angenommen worden; soweit sich dieselbe auf die Heranziehung des Glycerins am Fett (etwa 11 Proz.) beschränkt, wird sie im Prinzip kaum sich bestreiten lassen. Für die Hauptmasse des Fettes, die Fettsäuren, dagegen ist aus keiner Beob- achtung Sicheres zu entnehmen. Der Wege, die zum Nachweis der Zucker- bildung aus Fett eingeschlagen wurden, sind mehrere. Es wurden Leberpartikel mit Fett (Fettsäure) in der Wärme mit Luft digeriert (Seegen'), Weiß?) und dabei eine Zunahme des Trauben- zuckers gegenüber Kontrollpartien beobachtet. Welches die Quelle dieses Zuckers war, ist ungewiß geblieben. Die Wiederholung dieser Versuche durch Abderhalden und Rona°) ergab ein negatives Resultat (Leber des Hammels). Besonders erwähnt seien Versuche der Verfütterung von Fett bei Dia- betes (beim Menschen). Ein Diabetiker schied in 15 Tagen bei strengster Diät 99g N und 1170g Zucker aus (Rumpf). Auch beim Hund mit Phloridzindiabetes (Hartogh und Schumm?’) ließen sich Zuckermengen erhalten, die über die aus dem gleichzeitig ausgeschiedenen N ableitbaren hinausgingen. Ein Hund von 60kg lieferte in 24 Tagen 1288,3 g Zucker neben 252,2g N‘). Das Verhältnis von D zu N betrugim Mittel des ganzen Versuchs 5:1, während einzelner Perioden stieg es auf 9:1, während eines Tages sogar auf 13:1. Einen Anhaltspunkt für die Auffassung, daß Fett Dextrose zu bilden vermöge, liefern ferner die Ergebnisse von Respirationsversuchen: Beim Murmeltier geht im tiefen Winterschlaf der respiratorische Quotient (das Verhältnis der ausgeatmeten Kohlensäure zum aufgenommenen Sauerstoff) so weit herab, daß an eine Zurückhaltung von aufgenommenem Sauerstoff ge- dacht werden muß. In welchem Stoffe dieser Sauerstoff zurückgehalten wird (vielleicht in Kohlensäure ??), hat sich bis jetzt nicht erweisen lassen (Reg- nault und Reiset‘). Ü. Voit*) wies auf den reichlichen Glykogengehalt der Tiere am Ende des Winterschlafs hin und brachte ihn mit Zersetzung von Eiweiß oder Fett in Beziehung (vgl. Pembrey !P), Rafael Dubois u. a.). Auch Zuntz und Lehmann fanden beim Hungerer Cetti Werte für den respiratorischen Quotienten, die unter dem theoretischen Werte für Fettver- brennung liegen !!), ebenso kann der respiratorische Quotient beim schweren Diabetes bis auf 0,63 herabgehen. !) Seegen, Pflügers Arch. 39, 132 u. 137, 1896. — *) Weiß, Zeitschr. f. physiol. Chem. 24, 542, 1898. — °) Abderhalden u. Rona, Ebenda 41, 303, 1904. — *) Rumpf, Berlin. klin. Wochenschr. 1399, Nr. 9, S. 185 und Zeitschr. f. klin. Med. 45, 260, 1902, Deutsch. med. Wochenschr. 1900, 8. 639. — °) Har- togh und Schumm, Arch. f. exper. Path. 45, 11 u. 29, 1901. — °) Ve}. hierzu aber Landergreen, Skandinav. Arch. f. Physiol. 14, 112, 1903; Lüthje, Zeitschr. f. klin. Med. 39, 397, 1900. — 7) R. Dubois, Physiol. de la marmotte, Paris 1896, p- 88. — °) Regnault und Reiset, Ann. d. Chem. u. Pharm. 70, 275, 1850. — °) €. Voit, Zeitschr. f. Biol. 14, 112, 1878. — !°) Pembrey, Journ. of Physiol. 27, 66, 1901. — !!) Zuntz und Lehmann, Virch. Arch. 131, Supplbd., 197, 1893. Beim Hühnchen im Ei (Bohr, Skandinav. Arch. f. Physiol. 14, 398 u. 417, 1903), bei den Fliegenpuppen während der Metamorphose (Weinland, Zeitschr. f. Biol. 47, 186, 1905) sind ebenfalls sehr niedere respiratorisehe Quotienten beobachtet worden, vgl. auch Magnus-Levy, Verhandl. d. phys. Ges. zu Berlin 1903/4, S. 5 und Zeitschr. f. klin. Med. 1905, 8. 56. 440 Glykogenbildung aus Eiweiß. Für Oxysäuren, z. B. Milchsäure, C,H,0, (= !/, Glykose), ist bis jetzt eine Glykogenbildung beim Tier (wohl aber bei der Hefe, Laurent!) nicht erwiesen worden (vgl. Luchsinger?), doch erhielten Embden und Salomon?) beim pankreaslosen Hund auf Zufuhr von Natriumlaktat Ver- mehrung der Zuckerausscheidung. Ebensowenig wie aus Milchsäure wurde bis jetzt aus anderen N-freien Stoffen Glykogenbildung erzielt. ß) Bildung von Glykogen aus stickstoffhaltigen Stoffen. Der Nachweis für das Glykogen(Zucker)bildungsvermögen der Eiweib- stoffe ist in zahlreichen Untersuchungen auf verschiedenem Wege unter- nommen worden. Reichliche Schwierigkeiten haben sich demselben entgegen- gestellt. Die angehäufte Glykogenmenge in den Versuchen, in welchen nach Eiweißfütterung das Glykogen bestimmt wurde, ist niemals von ähnlicher Größe wie nach Verfütterung der glykogenbildenden Hexosen. Doch ist das Ergebnis zahlreicher Versuche insofern ein positives, als das Versuchstier (Kaninchen, Hund usw.) mehr Glykogen enthielt als das Kontrolltier. Alle diese Versuche (von Claude Bernard, von Mering*t), Wolffberg), Külz®), Bendix’) und zahlreichen anderen) (mit Kasein, Fibrin, Serum- albumin, Eieralbumin, Ovalbumin usw.) sind jedoch nicht sicher beweisend, besonders wenn man dem Glycerin am Fett ein Glykogenbildungsvermögen zuschreibt. Versuche, ob die überlebende Leber imstande sei, aus Pepton usw. Zucker zu bilden (Seegen u. a.), haben bis jetzt kein positives Ergebnis geliefert, ebensowenig wie die Versuche über Bildung von Zucker aus Fett in überlebenden Organen °). Butte®) sah in der herausgenommenen Leber nur so viel Zucker ent- stehen, als dem Glykogengehalt derselben entsprach; wenn kein Glykogen in der Leber enthalten war, entstand auch kein Traubenzucker. Dasselbe sah MontuoriP). Hirsch und Rolly !!) untersuchten, ob sich bei infektiösem Fieber eine Glykogenbildung aus Eiweiß nachweisen lasse. Sie machten Tiere (Kanin- chen) durch Strychnin möglichst glykogenarm und fanden nunmehr in den Kontrolltieren kein Glykogen, wohl aber in sämtlichen mit Bacterium coli commune infizierten Tieren. Rolly beobachtete ferner bei Kaninchen zur Zeit der prämortalen Stickstoffsteigerung im Harn das Vorhandensein von ") Ann. de la Soe. Belge de Microscopie 14, 29, 1890. — *) Luchsinger Beitr. z. Physiol. des Glykogens, Zürich 1875; Röhmann, Pflügers Arch. 39, 21 u. 35, 1886. — °) Embden und Salomon, Hofmeisters Beiträge 6, 63, 1904. — *) v. Mering, Pflügers Arch. 14, 274 u. 280, 1877. — °) Wolffberg, Zeitschr. f. Biol. 12, 277, 1876. — °) Külz, Beiträge zur Kenntnis des Glykogens, Marburg 1891. — 7) Bendix, Zeitschr. f. phys. Chem. 32, 479, 1901. — ®) Böhm und Hoff- mann, Hofmeister, Neumeister, Zuntz und Cavazzani, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1898, 8. 539; Fr. Kraus jun., Pflügers Arch. 90, 630, 1902 und 98, 452, 1903 (Durchblutungsversuche an der überlebenden Leber mit dem Apparat von E. Freund). In letzter Zeit hat Embden die Versuche mit Durchblutung der glykogenfrei gemachten Leber wieder aufgenommen (Hofmeisters Beiträge 6, 44, 1905). — °) Butte, Compt. rend. Soc. Biol. 46, 333, 1894. — '°) Montuori, Arch. italien. de biol. 25, 144. — !!) Rolly, Arch. £. klin. Med. 83, 107, 1905; Hirsch und Rolly, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 78, 380, 1903. Glykogenbildung aus Eiweiß. 441 Glykogen, während dieses bei in analoger Weise (mit Strychnin) behandelten Kontrolltieren vor der Periode der Stickstofisteigerung fehlte. Sodann sind wichtige Versuche an diabetischen Organismen an- gestellt worden. Beim Menschen mit schwerem Diabetes können auch bei möglichst kohlehydratfreier Kost fortwährend bedeutende Mengen von Zucker ausgeschieden werden, so sah z. B. Külz !) einen Diabetiker, der nur Kasein erhielt, in 5 Tagen 441,9g Zucker ausscheiden (s. oben bei Fett, vgl. F. Kraus?) und besonders Mohr). Beim Pankreasdiabetes (Hund) fand sich, daß die Zuckerausscheidung bei Fleischfütterung auf 1g N ım Urin 2,8 bis 3g Dextrose beträgt, unabhängig von der absoluten Höhe der N-Ausschei- dung (Minkowski®). Die Konstanz dieses Verhältnisses ward neuerdings von Pflüger bestritten. Beim Phloridzindiabetes ist, wenn derselbe durch tägliche mehrmalige Injektion von Phloridzin zum „totalen“ gemacht wird (von Mering’), Prausnitz‘), Cremer und Ritter, Lusk’), Löwi u. a.), die Zuckeraus- scheidung im Verhältnis zum N im Urin noch bedeutend größer, 3,8 bis . 4,2 Dextrose auf 1g N. (Geht man vom C aus, so können aus 1g N des Fleisches etwa 8g Dextrose gebildet werden, v. Mering, vgl. 5.432!) Hartogh und Schumm sahen bei einer 60 kg schweren Dogge das Ver- hältnis von D:N gar auf 9,0:1 (ja 13:1) steigen, so daß es Schwierigkeiten bereitet, sämtlichen Zucker (s. S. 439) aus zersetztem Eiweiß abzuleiten °). Auch durch Leimfütterung konnte Lusk beim total phloridzindiabetischen Tier eine starke Steigerung der ausgeschiedenen Dextrose erzielen ?). Kumagava u. Miura erhielten am 39. Hungertage von einem Hunde von 11 kg auf Injektion von Phloridzin innerhalb 5 Tagen 62g Zucker aus- geschieden !0). Nach diesen Befunden an diabetischen Organismen, die in längeren Perioden täglich viele Gramm von Dextrose parallel mit der N-Ausschei- dung im Urin lieferten, und denen sich in letzter Zeit weitere bestätigende Versuche von Lüthje !!) anschlossen, kann man der Auffassung (Pflüger), daß diese großen Zuckermengen sämtlich auf präformierten Zucker (als Glykogen an Eiweiß gebunden usw.) zurückzuführen seien, nicht beitreten. In letzter Zeit hat auch Pflüger diese Auffassung verlassen und das Fett als die Quelle dieses Zuckers angenommen. Hierbei ist jedoch zu bedenken, daß bei den genannten Versuchen nicht die Zufuhr von Fett, sondern die von Eiweiß Steigerung der Dextroseausscheidung bewirkt. Ob es überhaupt berechtigt ist, dem Zuckeranteil, der in gewissen Eiweiß- körpern, z. B. Mucin aus Sputum, F. Müller!2) enthalten ist, bei der Frage !) Külz, Arch. f. exp. Path. 6, 140, 1877”. — ?) F. Kraus, Berlin. klin. Wochenschr. 1904, S. 4. — °) Mohr, Zeitschr. f. klin. Med. 1904, 8.52. — *) Min- kowski, Arch. f. exper. Path. 31, 97, 1893. — °) v. Mering, Zeitschr. f. klin. Med. 16, 435, 1889; ein Hund von 26,2kg z.B. schied 275g Dextrose aus (die Dextrose des Phloridzins ist dabei nicht abgezogen) nach zweitätigem Hunger in 11 Tagen (v. Mering). — °) Prausnitz, Zeitschr. f. Biol. 29, 168, 1892. — 7) Lusk, ebenda 42, 31, 1901; Reilly, Nolan u. Lusk, Amer. Journ. of Physiol. 1, 395, 1898. — ®) Arch. f. exper. Path. 45, 11, 1901. — °) Vgl. Therman, Skandinav. Arch. f. Phys. 17, 1, 1905. — °) Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1898, S. 431. — ı) Lüthje, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 79, 499, 1904 und Pflügers Arch. 106, 160, 1904. — !?2) F. Müller, Zeitschr. f. Biol. 42, 468, 1901. a ’ 442 Glykogenbildung aus Eiweißspaltungsprodukten. nach der Bildung von Zucker aus Eiweiß eine große Bedeutung zuzuschreiben’ ist fraglich (Fr. Müller), wenn man bedenkt, daß ein Kohlehydrat einmal zahlreichen Eiweißkörpern, z. B. dem Kasein, völlig fehlt, daß es ferner auch da, wo es vorhanden ist, meist nur einen kleinen bis sehr kleinen Teil des Eiweiß ausmacht. Endlich ist für die Erörterung dieses Punktes beim hun- gernden diabetischen Tier zu bedenken, daß es eine durch nichts begründete Auffassung ist, der Tierkörper könne in Zeiten von Zuckermangel ohne weiteres alle Zuckerreste, die sich in den chemischen Verbindungen festgelegt finden (welche doch, mindestens zum Teil, seine Existenz erst ermöglichen), beliebig herausreißen, ohne seine Existenz zu gefährden oder gar unmöglich zu machen. Es muß ferner hier daran erinnert werden, daß die am diabetischen Organismus erhaltenen Resultate nie in demselben Maße beweisend sind wie jene, die ein in seinen Funktionen normaler Organismus liefert. Der dia- betische Organismus funktioniert abnorm, und man kann deshalb nicht wissen, wie weit die an ihm erhaltenen Resultate ebenfalls abnorm sind. Ein Moment endlich ist bei Beurteilung der Glykogenbildungsfrage für Fett wie für Eiweiß zu bedenken, nämlich die große Bedeutung, die dem Glykogen und Traubenzucker im tierischen Haushalt nach vielen Beobach- tungen zukommt. Diese Wichtigkeit läßt es nicht wahrscheinlich erscheinen, daß der Organismus für die Gewinnung dieses Stoffes nur einen Weg, den der Bildung aus einigen Kohlehydraten der Nahrung (sowie auch aus dem Zucker am Eiweiß) und etwa noch aus Glycerin besitze, daß er aber nicht imstande sei, wenn jene Quellen versagen, für diesen Zweck das Eiweiß- oder Fettsäuremolekül nutzbar zu machen. Es hat durchaus nichts Auffallendes, daß der Körper aus den für ihn häufigsten Zuckern Glykogen zu bilden ver- mag, nicht aber aus den selteneren, anders konfigurierten; und ebensowenig kann es auffallend erscheinen, dab er wiederum aus einigen anderen im Gang des Stoffabbaues in ihm reichlich gebildeten einfacheren Stoffen diesen Stoff aufzubauen imstande sei !). Für die N-haltigen einfacheren Spaltungsprodukte des Eiweiß, z. B. Leucin (F. Müller?), hat sich bis jetzt kein Glykogenbildungs- vermögen mit Sicherheit nachweisen lassen. R. Cohn?) fand nach Fütte- rung von 16 bis 530g Leucin beim Kaninchen nach mehrtägigem Hunger bis zu 2,38 Glykogen in der Leber, im Kontrolltier beträchtlich geringere Mengen. Simon ?) hatte ein direkt negatives Ergebnis (Kaninchen), ebenso Halsey’). Ebensowenig hat sich für Glykosamin‘), einen der Kohle- hydratanteile des Eiweiß, Glykogenbilgungsvermögen nachweisen lassen. Für : d-Alanin, CH,.CHNH,.COOH, «&-Amidopropionsäure, geben Neuberg und Langstein’) an, daß sie ein Glykogenbildner sei; sie fanden in mit 5 !) Es sei hier bemerkt, daß Pflüger in neuester Zeit ebenfalls den oben an- seführten Standpunkt verlassen hat, und zwar nicht das Eiweiß, wohl aber das Fett, hr und zwar auch dessen Fetttäureanteil als mögliche Glykogenquelle im Körper in Betracht zieht. — ?) F. Müller, Deutsch. med. Wochenschr. 1899, Nr. 13; Zeitschr. f. Biol. 42, 547, 1901. — ®) R. Cohn, Zeitschr. f. physiol. Chem. 28, 211, 18997 u. a. — *) Simon, ebenda 35, 315, 1902. — °) Halsey, Amer. Journ. of Physiol. 10, 229; vgl. übrigens auch Mohr, Zeitschr. f. klin. Med. 1904. (Ein Diabetiker schied bei Fütterung mit Leucin mehr Dextrose aus.) — °) Fabian, Zeitschr. f. physiol. Chem. 27, 167, 1899. — 7) Neuberg und Langstein, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, Supplbd., 8. 514. Int Glykogenvermehrende und sparende Stoffe. 443 Alanin gefütterten Kaninchen, die gehungert hatten, 1 bis 2g Glykogen in der Leber, daneben Milchsäure im Harn. Auch F. Kraus!) kam in Versuchen an mit Phloretin vergifteten Hungerkatzen zur Ansicht, daß inaktives Alanin ein Zuckerbildner sei, ebenso fanden Embden und Sa- lomon?) in Versuchen am pankreaslosen Hund regelmäßig auf Zufuhr von Alanin starke Vermehrung der Dextroseausscheidung. Ähnlich verhielt es sich aber bei Zufuhr von Glykokoll, sowie von Asparagin (s. unten). Ich füge hier noch an, daß Paul Mayer?) bei subcutaner Einführung von Diaminopropionsäure, (CH,NH,.CHNH,.COOH), beim Kaninchen im Harn Glycerinsäure, (CH,OH.CHOH.COOH), erhielt und diesen Be- fund mit der Bildung von Zucker in Zusammenhang bringt (über Asparagin, Glykokoll usw. s. unten. Endlich sei hier noch eine Beobachtung von Embden®) erwähnt: Embden fand bei Durchblutung der fast zucker- und glykogenfreien Leber (durch Strychnin) in dem Durchblutungsblut eine oft beträchtliche Zunahme des Zuckers; welches die Quelle dieses Zuckers ist, bleibt unbekannt. y) Glykogen sparende und vermehrende Stoffe. Nach den direkten Glykogenbildnern sind Stoffe zu nennen, welche die Bildung von Glykogen begünstigen, ohne selbst in das entstehende Gly- kogenmolekül einzutreten. Es ist oben (S. 435) bemerkt, daß hierunter wohl alle Zucker, Pentosen usw. gehören, nach deren Fütterung eine geringe Vermehrung des Glykogens sich nachweisen läßt. Ähnliche Beobachtungen, bei denen aber die Möglichkeit einer Wanderung des Glykogens in die Leber nicht ausgeschlossen ist, wurden gemacht (Röhmann ’) beim Kaninchen nach Beigabe von Ammon- karbonat, Glykokoll, Asparagin zur Nahrung; ebenso fand Külz®) nach Fütterung mit Harnstoff beim Huhn und Kaninchen eine geringe Vermehrung des Glykogens in der Leber. Ferner beobachtete Nebelthau (Berger) beim pankreasdiabetischen Hunde nach Zufuhr von Acetamid (absolut und relativ), sowie auch von Asparagin vermehrte Dextroseaus- scheidung ’), ebenso Embden und Salomon auf Glykokoll und Aspara- gin®). Knopf?) sah auch im Phloridzindiabetes auf Asparagingaben die Zuckerausscheidung steigen. Nebelthau sah bei zahlreichen Substanzen, z. B. bei Chloralhydrat, Paraldehyd, nach deren Fütterung den gesamten Gly- kogengehalt des Körpers beim Huhn vermehrt gegenüber dem Kontrolltier. Doch sind diese Steigerungen nie bedeutende. Cremer erzielte beim Ka- ninchen im Paraldehydschlaf in 15 Stunden 2g Glykogen in der Leber nach 4tägigem Hunger 10). Auch noch einige andere Narkotika, z. B. Chloral- amid, scheinen eine ähnliche Wirkung auszuüben. ) F. Kraus, Berliner klin. Wochenschr. 1904, S.4. — ?°) Embden und Salomon, Hofmeisters Beiträge 5, 507. — °) Paul Mayer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 42, 59, 1904. — *) Embden, Hofmeisters Beiträge 6, 44, 1904. — °) Röh- mann, Pflügers Arch. 39, 21, 1886. — °) Külz, Beitr. z. Kenntnis d. Glykogens 1891. — ”) Nebelthau, Zeitschr. f. Biol. 28, 138, 1891; Berger (Dissert.), Münchn. med. Wochenschr. 1902, S. 917. — ®) Embden und Salomon, Hofmeisters Beitr. 6, 63, 1905. — °) Knopf, Arch. f. exper. Path. 49, 123, 1903. — '°) Cremer, Zeitschr. f. Biol. 29, 489, 1892. AAA Spaltung des Glykogens in der Leber. Die Stoffe und Mittel, welche eine Verminderung des Glykogens zu be- wirken imstande sind, sind 8.444 ff. besprochen. 3. Die Spaltung des Glykogens in der Leber zu Dextrose und ihre Ursachen. Das Glykogen, welches in der Leber aufgespeichert und so dem Blut- kreislauf entzogen ist, erfährt keine weitere Kondensation mehr, so daß etwa ein stärkemehlähnliches Produkt aus ihm entstehen würde. Es verschwindet vielmehr durch bestimmte Ursachen, z. B. im Hunger, bei Muskelarbeit, durch Nerveneinfluß usw. (s. unten) innerhalb kurzer Zeit (wenige Tage, ja selbst Stunden, s. unten) aus der Leber vollständig oder zum größten Teil. Es ist deshalb kein Zweifel, daß es im Lebensprozeß der Zellen eine sehr bedeutende Rolle spielt. Die Leberzellen besitzen das Vermögen, Glykogen in Dextrose über- zuführen (Ül. Bernard!) u. a.). Die entstandene Dextrose wurde durch das Drehungsvermögen, Osazon, Gärungsvermögen usw. sicher als solche erkannt. Ob für die Verarbeitung des Glykogens in der Leber die Spaltung in Dextrose notwendig ist, ist fraglich. Nach Pavy?) sollte dies überhaupt nicht geschehen, die Leber vielmehr die Dextrose dem Blut entziehen und weiter verarbeiten ?), und zwar neben anderem zu Fett. Die Spaltung des Glykogens in der herausgenommenen Leber sollte lediglich ein postmortaler Vorgang sein. Das Vorhandensein einer Leberdiastase (s. unten, S.447) wäre unter diesen Umständen schwer verständlich, ebenso die sicheren Beobach- tungen über das Verschwinden des Leberglykogens unter Auftreten von Zucker im Blute bei bestimmten Ursachen (s. unten).. Über das im lebenden Körper eingehaltene Tempo in der Glykogenspaltung in der Leber (gegenüber der anfänglich beträchtlichen Geschwindigkeit des Prozesses in der heraus- genommenen Leber, vgl. Prausnitz) läßt sich nichts angeben. Die letztere Erscheinung erinnert an die Beschleunigung der Zuckerbildung in der Leber auf sensible Reize usw.) (siehe unten). Die Versuche, beim normalen Tiere (Cl. Bernard, Pavy, v. Mering, Otto®) u.a.) eine Zunahme des Lebervenen- und damit des arteriellen Blutzuckers gegenüber demjenigen der übrigen Venen nachzuweisen 7) (nur auf Insulte — Schmerz usw. — hat sich stets eine vermehrte Zuckerausfuhr aus der Leber erweisen lassen °), sind bis jetzt nicht sicher erfolgreich gewesen; doch bedeutet dies wenig, denn da das Blut fortwährend in rascher Bewegung immer neue Stoffmengen aufnehmen und zuführen kann, so braucht !) Cl. Bernard, Compt. rend. 85, 519, 1877 u. a. — °) Pavy, Physiol. d. Kohlehydrate, 1895. — *) Sicher ist, daß in der Leber außer Glykogen auch Zucker enthalten ist. Pavy fand in der ganz frisch untersuchten Leber 2 bis 3 pro Mille Zucker, selten nur 1 pro Mille (Hund, Katze, Kaninchen). (Physiol. der Kohle- hydrate.) — *) Prausnitz, Zeitschr. f. Biol. 26, 411, 1890. — °) Vgl. Seegen, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 87, 337. — °) J. Otto, Pflügers Arch. 35, 467, 1885. — ?) Vgl. J. Seegen, Zentralbl. f. Physiol. 1900, Nr. 22; Pavy, Physiol. d. Kohle hydrate, deutsch von Grube, 1895, S. 162. — ®) Abeles, Anzeiger d. k.k. Ges. d. Arzte, Wien, 13. Mai 1837 u.a. BE 2 er 7 Glykogenschwund durch Hunger, Arbeit; nervöse Einflüsse. 445 in der Zeiteinheit die Differenz im Dextrosegehalt des zugeführten Blutes gegen das abgeführte nur sehr klein zu sein und kann doch, auf längere Zeit ausgedehnt, große Beträge erreichen. Kleine Differenzen fallen aber hier in die Versuchsfehler der Methodik !,. Wenn es ferner auch sicher ist, daß Fett (Fettsäure) aus Glykogen entstehen kann (s. S. 447), so schließt dies doch eine vorhergehende Spaltung in Dextrose nicht aus. Nach Entfernung der Leber bis auf kleine Reste fand sich (Hund) nach Verlauf mehrerer Stunden noch etwa 0,5 pro Mille Dextrose im Blute, gegenüber etwa 1 pro Mille zu Beginn des Versuches. Die Schnelligkeit des Absinkens und die relative Abnahme schwankte sehr in verschiedenen Ver- suchen ?) (vgl. auch die Angaben bei Minkowski3),Seegen®),Schenck°) usw.). Es hat sich gezeigt, daß das Glykogen in der Leber reichlich in Dextrose - gespalten und zum Verschwinden gebracht werden kann (eine Bildung von Zucker aus anderem Material als Kohlehydrat hat sich in der überlebenden Leber bis jetzt nicht beweisen lassen, s. S.439 {f.). Dieses Verschwinden wird durch bestimmte Ursachen bewirkt. Beim hungernden Tier, welches keinerlei Nahrung zugeführt erhält, findet sich, daß das Glykogen in der Leber in wenigen Tagen stark abnimmt, doch ist es sehr schwer, im einzelnen Falle den Grad der Abnahme richtig anzugeben, da sehr bedeutende Schwankungen im Glykogengehalt auch bei hungernden Tieren ®) beobachtet werden. Es kann sich hierbei möglicher- weise um eine — besonders bei längerer Hungerdauer allmählich sich aus- bildende — vikariierende Neubildung von Glykogen handeln, aus Stoffen, die am Körper während des Hungers in Zersetzung kommen (s. S. 438 ff.), ferner um die Wirkung prämortaler Steigerung der Zersetzung N -haltigen Materials und damit des daraus sich bildenden Zuckers (s. S. 440 ff.) usw. So wird man z.B. den Befund Pflügers, der bei einem Hunde nach 23 Hunger- tagen noch 52,5 g Zucker (Glykogen) (auf 33,6 kg gegen ursprünglich 49 kg Körpergewicht) beobachtete, gewiß nicht ohne weiteres verallgemeinern wollen. Andere Ursachen, die den Glykogenbestand, besonders der Leber, ver- mindern, bestehen in längere Zeit andauernder, anstrengender Arbeit; so gelang es z. B. beim Hunde (Külz’), nach vorhergehender reichlicher Fütte- rung, durch fünf- bis siebenstündiges Ziehenlassen eines schweren Wagens die Leber bis auf Spuren glykogenfrei zu machen (auch das Tretrad ist ver- ‘wendet worden). Durch Vermittelung von Nerven kann die Zuckerbildung aus Glykogen in der Leber von anderen Stellen des Körpers aus angeregt werden. Der Zuckerstich (Cl. Bernard), eine Läsion am Boden des vierten Ventrikels in der Medianlinie, zwischen einer Linie, die den Ursprung der beiden Nerv: acustiei, und einer zweiten, die den der beiden Vagi verbindet, hat eine meist mehrere Stunden dauernde Zuckerausscheidung im Harn im Gefolge. Dabei !) Bing, Skand. Arch. z. Physiol. 9, 336; Flügge, Zeitschr. f. Biol. 13, 133, 1877. 2) Pavy und Siau, Journ. of Physiol. 29, 375, 1903. — °) Minkowski, Areh. f. exper. Pathol. 21, 41, 1886. — *) Seegen, Zuckerbildung im Tierkörper, 2. Aufl., Berlin 1900. — °) Schenck, Pflügers Arch. 57, 553, 1894. — °) Aldehoff, Beer re Biol.) 25, 157,01889;7 Pflüger, Pflügers Arch, 91, 11%, 719022 ?) Külz, Pflügers Arch. 24, 41, 1881 und Beitr. z. Kenntnis d. Glykogens, Mar- burg 1890. 446 Nervöse, chemische Einflüsse auf den Glykogengehalt. findet eine Vermehrung des Zuckers im Blute!) statt bis zu 0,4 Proz. (ähnlich _ wie beim Pankreasdiabetes, s.S.466). Der diese Wirkung vermittelnde Reiz wird durch den Nervus vagus (und andere periphere Nerven, z. B. die Nervi ischiadici) der Medulla zugeführt. Auch durch Einleitung 1 proz. Kochsalz- lösung ins Blut (Kaninchen), durch Morphium und einige andere Stoffe scheint dieses Zentrum in der Medulla gereizt werden zu können. Von der Medulla wird die Reizleitung durch das Rückenmark (bis zur Höhe des ersten Dorsal- wirbels) und weiter durch die Nervi splanchnici major und minor der Leber zugeführt. Durchschneidung der Nervi splanchnici macht den Zuckerstich unwirksam (©. Eekhard?), ebenso verhindert es den Kochsalz- oder Morphium- diabetes. Nur die Leber liefert den in diesen Fällen auftretenden Zucker (Moos), Moritz Schiff!). Die Zuschnürung der Lebergefäße (Schiff beim Frosch) hebt die Zuckerausscheidung auf. Ob es sich dabei um eine.» Wirkung auf die Blutgefäße der Leber (Cl. Bernard) handelt oder um eine spezifische Wirkung der Nerven auf die Leberzellen, durch welche diese zur Fermentproduktion angeregt werden (Pflüger), ist unentschieden. Aus- gehend von der letzteren Vorstellung kann man daran denken, daß eine ver- mehrte Bildung von Zucker (etwa beim Pankreasdiabetes, s. 5.464) bedingt sei durch das Fehlen eines Stoffes, der normalerweise vom Pankreas produ- ziert werde und die überstarke Bildung von Zucker in der Leber zu hemmen vermöge (Montuori®), Caparellı’), Pflüger u.a.). Auch die Beobachtung, daß durch sich Sträuben, Krämpfe, Verletzungen, Reizung sensibler Nerven, Schmerz usw. die Zuckersekretion der Leber ver- mehrt wird, ist hier anzuführen °). Dieselbe Wirkung hat z. B. Strychnin (Langendorff°), Frentzel!P) u.a.). Andere Gifte wirken durch Schädigung der Leber, z. B. Phosphor, Arsen; ferner liegen Angaben vor über Kohlen- oxyd, Amylnitrit, Chloroform, Atropin, Methylviolett, Curare, Nitrobenzol, Sub- limat (Gürber!!) usw,, welche ebenfalls Glykogenschwund bewirken. Ferner wird das Glykogen zum Schwinden gebracht durch den Wärmestich (Rolly 2), Fieber beschleunigt ebenfalls den Glykogenzerfall (May'?). Weiter wirken in ähnlicher Weise Injektionen von verdünnter Schwefelsäure in den Ductus choledochus (E. Piek!*). Dann sind zu nennen Versuche über künstliche Stauung der Galle (durch Unterbindung der Gallengänge F. v. Reuß®5), Asphyxie (Seegen !ö), Unterbindung der Darmarterien (Slosse !”) usw. Auch , !) Bock u. Hoffmann, Experimentalstudien über Diabetes, Berlin 1874, Oliven. F — 2) C. Eckhard, Beitr. z. Anat. u. Physiol. 4 — °) Moos, Arch. f. wiss. Heil kunde 4, 37. — *) Moritz Schiff, Untersuchung über die Zuckerbildung in der 3 Leber, Würzburg 1859. — °) Pflügers Arch. 96, 316, 1903; Das Glykogen, 2. Aufl, 1905, 8. 394. — °) Montuori, Arch. italiennes de biol. 25, 122, 1896. — °) Cappa- relli, Malys Jahrb. f. 1893, 23, 569. — °) Cavazzani (Pflügers Arch. 5% ° 181, 1894 u. a. a. O.) gibt an, daß auch Reizung des Plerus coeliacus (Hund) Zuckerbilduug aus Glykogen in der Leber zur Folge habe. — °) Langendorff, - Arch f. (Anat. u.) Physiol. 1886 (Suppl.), 8. 269. — '") Frentzel, Pflügers Arch.” 56, 273, 280, 1894. — !') Kissel (Gürber), Dissert., Würzburg 1894. — '?) Rolly, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 78, 249, 1903. — "?) Mäy, Zeitschr. £. Biol. 30,1, 1894. — \*) F. Pick, Arch. f. exper. Pathol. 33, 305, 1894, und E. Pick, ebenda 32, 382, 1893. — "°) v. Reuß, ebenda 41, 19. — !°) Seegen, Wien. klin. Wochen- schrift 16, 239, 1903. — 7) Slosse, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1890 (Suppl.), 8. 162 (siehe hierüber auch bei Zersetzung des Zuckers, 8.447). Das diastatische Ferment der Leber. 44T bei Pankreasdiabetes tritt eine starke Verminderung des Leberglykogens ein (s. unten, 3.467) usw. Dieses Verschwinden von Glykogen, das auf einer Umwandlung des- gelben in Dextrose beruht, geschieht durch ein diastatisches Ferment (Cl. Bernard). In den Leberzellen findet sich, selbst nach völligem Auswaschen der Blut- wege, ebenso wie in Blut und Lymphe ein diastatisches Ferment (Cl. Bernard, v. Wittich, Bial!), Borchardt?) u. a.), welches auch in der toten Leber noch wirksam ist (verschieden schnell, Butte) und sich aus den Geweben im wässerigen Extrakt gewinnen läßt, ebenso als Glycerin- oder wässeriger Extrakt aus der mit absolutem Alkohol gehärteten Leber (Pavy°). Dieses Ferment erscheint auch seiner quantitativen Wirkung nach, soweit eine solche bestimm- bar und unter den hier vorliegenden, sehr komplizierten Bedingungen mit denjenigen in den Leberzellen vergleichbar ist, wohl befähigt, die Überführung des Glykogens in Dextrose zu vollbringen. Auch bei Gegenwart von Chloro- form, das die Protoplasmawirkung aufhebt (Salkowski*), wirkt dieses Fer- ment; Arthus und Huber’) stellten dasselbe für Fluornatriumgegenwart fest. Dastre‘) rechnet die Leberdiastase unter die Endoenzyme. Ob es sich bei dieser Fermentwirkung um ein oder um zwei Fermente handelt, deren erstes die Spaltung nur bis zur Maltosestufe führt, während das zweite die Maltose spaltet, ist noch unentschieden. Sicher sind (in kleinen Mengen) Dextrin und Maltose neben Glykose (in der Hauptmasse) als Pro- dukte des Glykogens bei der Einwirkung dieses Fermentes nachgewiesen worden. Außer auf Glykogen vermag die Leberdiastase auch auf Stärkemehl spaltend zu wirken. Ist das Lebergewebe (in wässeriger Lösung) gekocht worden, so läßt sich keine diastatische Wirkung mehr konstatieren (Pavy und Siau’?). Auch in der Galle findet sich diastatisches Ferment, das ver- mutlich aus der Leber stammt (v. Wittich, Kaufmann [D’Alfort°)] beim Schwein, Schaf, Ochsen, nicht beim Hund’). 3. Die Zersetzungen des Zuckers in der Leber. Es hat sich ergeben, daß das aus Reservestoffen in der Leber auf- gespeicherte Glykogen (sowie die in geringer Menge vorhandenen Dextrine und Maltose) in dieser in Dextrose gespalten werden kännen. Es liegt bis jetzt kein Grund für die Annahme vor, daß das Glykogen als solches zersetzt werde, und ich bespreche deshalb die weiteren Umwandlungen, die die Kohle- hydrate in der Leber erfahren, an dieser Stelle. 2) Bial, Pflügers Arch. 52, 137, 1892; 55, 434, 1894; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, S.249. — ”) Borehardt, Pflügers Arch. 100, 259, 1903. — °) Pavy, Journ. of Physiol. 20, IV, 1896 und 22, 391, 1897/1898. Arthus u. Huber, Arch. de physiol. 1892, p. 651. — *) Salkowski, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1890, 8. 554; Pflügers Arch. 56, 351, 1894. — °) Arthus u. Huber, Arch. de physiol. 1892. — °) Dastre, Compt. rend. Soe. Biol. 53, 34, 1901. — 7) Pavy u. Siau, Journ. of Physiol. 27, 457, 1902. — ®) Kaufmann (D’Alfort), Compt. rend. Soc. Biol. 1889, p- 600 u. 611. — °) Über die Wirkung von Glycerin auf die Glykogenabnahme siehe Weiß, Sitzungsber. d. Wien. Akad. 67 (3), 13, 1873. O. Kissel (Gürber), Dissert. Würzburg 1894. W. B. Ransom, Journ. of Physiol. 8, 99, 1887. 448 Anaerobe Zersetzungen in der Leber. Dabei ist zugleich der Tatsache zu gedenken, daß auch andere Zucker als die echten Glykogenbildner, z.B. alle bisher darauf untersuchten Hexosen, Pentosen usw., in dem Organismus verwertet werden. Ihre Ausscheidung im Harn trifft stets nur einen Teil des zugeführten Zuckers, nie die gesamte Menge, wie bei den oben (8.437) erwähnten Disaechariden Rohrzucker und: Milchzucker. Es ist kein begründeter Zweifel daran zu hegen, daß wenig- stens ein Teil dieser Verwertung der Leber zufällt, und es ist deshalb bei den Zersetzungen des Zuckers in der Leber wohl in erster Linie an Dextrose zu denken, daneben aber sind auch die anderen Hexosen, z. B. Lävulose, Galaktose usw., zu nennen, ebenso wie im ferneren Umkreise die Pentosen und andere Monosaccharide, sowie vielleicht ihre Alkohole usw. Da jedoch über das Schicksal dieser zuletzt genannten Stofie nichts Sicheres bekannt ist, so wird sich die folgende Darstellung, wenn nichts Besonderes bemerkt wird, auf das Verhalten des Traubenzuckers beziehen. Die Zersetzungen der Dextrose in der Leber lassen sich in zwei Gruppen scheiden; einmal in solche, welche ohne Sauerstoffaufnahme möglich sind (anaörobe Zersetzungen), sodann in solche, welche mit Oxydation verbunden sein müssen (aörobe Zersetzungen). a) Die anaöroben Zuckerzersetzungen in der Leber!'). In Hinsicht auf die relativ geringe Blutmenge, welche die Arteria hepatica der Leber zuführt, im Gegensatz zur Vena portarum, deren Blut schon ein Capillargebiet durchlaufen hat und dementsprechend — in verschiedenem Grade — sauerstoffärmer die Leber passiert, ist die Möglichkeit von chemi- schen Prozessen ohne Sauerstoffaufnahme in der Leber besonders deutlich. Derartige Prozesse sind den Gärungsprozessen der niederen Pflanzen und Tiere anzureihen und müßten sich auch in ähnlicher Weise abspielen. Die Bildung von Fett aus Kohlehydrat im tierischen Organismus ist unzweifelhaft erwiesen. K. B. Lehmann und E. Voit sahen bei der Gans?), die mit Reis ge- füttert wurde, eine sehr starke Zurückhaltung von Ü im Körper. M. Rubner beobachtete dasselbe am Hunde), der mit Rohrzucker und Stärke gefüttert wurde. Der anaörob lebende Eingeweidewurm Ascaris lumbricoides vermag Glykogen (Dextrose) in Valeriansäure (in erster Linie) und Kohlensäure zu spalten und scheidet dabei die Fettsäure, die er nicht weiter verwerten kann, aus). ; Es liegt nahe, die beim Prozeß der Fettbildung im höheren Tiere nötigen Umsetzungen, speziell die Bildung der Fettsäure (natürlich neben Kohlen- säure) aus Dextrose wenigstens teilweise der Leber zuzuschreiben (vgl. No&@l Paton’); Pavy, s. unten). In neuester Zeit haben Hildesheim und Leathes?) angegeben, daß sie bei Digestion von Kaninchenleberbrei unter Luftdurch- !) Genauer (wenn auch sprachlich nicht einwandfrei) wäre ein Wort, welches nicht von der Luft, sondern vom Sauerstoff ausgeht, also etwa „anoxybiotische“ und „oxybiotische“ Zersetzungen unterscheiden ließe. — ?) K. B. Lehmann und E. Voit, Sitzungsber. d. Königl. Bayer. Akad. d. Wiss., math.-phys. Kl., 1885, S. 244 und Zeitschr. f. Biol. 42, 619, 1901. — °) Rubner, Zeitschr. f. Biol. 22, 272, 1886. — *) Weinland, ebenda 42, 55, 1901. — °) No&öl Paton, Journ. of Physiol. 19, 167 u. 202, 1895/1896. — °) Hildesheim u. Leathes, Journ. of Physiol. 31, I, 1904. Anaerobe Zuckerzersetzungen in der Leber. 449 leitung — freilich nicht stets — eine Zunahme des Fettgehaltes beobachteten, die bei Glykogenzusatz vermehrt war. Von anderer Seite werden besonders die Zellen des Unterhautbindegewebes mit der Bildung von Fett aus Kohle- hydrat in Beziehung gebracht!). Fr. Kraus fand in Kaninchenlebern, die er einige Wochen bakterienfrei bei Körpertemperatur aufbewahrte, zu Ende des Versuches nicht mehr Fett als zu Anfang). Magnus Levy?) hat bei der Autolyse der Leber einen solchen Prozeb der Fettsäurebildung vermutlich aus Kohlehydraten über Milchsäure (Gärungs- und d-Milchsäure) angenommen, aber die Mengen der erhaltenen Fettsäuren und Säuren usw. (Essigsäure, Buttersäure, Öapronsäure?, auch Ameisensäure, ferner Bernsteinsäure, Schwefelwasserstoff wurden gefunden) sind leider nicht groß genug, um sichere Schlüsse zuzulassen. Siegert?°) fand bei der Auto- lyse der Leber keine Vermehrung des Gehaltes an höheren Fettsäuren, auch der Ätherextrakt war nicht vermehrt. Die Annahme Pavys, daß in der Leber aus Glykogen Fett gebildet werde, wurde schon erwähnt (s. S. 444). Pembrey*) beobachtete, daß beim Murmeltier im Herbst bei vorwiegender Kohlehydratkost der resp. Quotient auf ein Mittel von 1,21 ansteigt, und bringt dies mit einer Bildung von Fett aus Kohlehydrat in Beziehung. Erinnert sei in diesem Zusammenhange auch an die Beobachtung von Liebig’), welche Magnus Levy?) bestätigt hat, daß Leberstücke, in Wasser bei 37° digeriert, reichlich Wasserstoff produzieren (vgl. die Wasserstoffbildung bei der bakte- riellen Buttersäuregärung). Eine anaörobe Glykolyse ®) wird von Stoklasa’) und seinen Mitarbeitern für den Preßsaft der Leber, sowie für ausgefällte Niederschläge desselben angegeben, wobei es sich im wesentlichen um eine alkoholische Gärung handeln soll°). Auch von der Bildung von Milchsäure und niederen Fett- säuren ist die Rede. Von anderer Seite, z. B. Arnheim und Rosenbaum’?), Feinschmidt!P) usw. konnte in bakterienfreien Versuchen der Alkohol nicht mit Sicherheit bzw. nicht in beträchtlicher Menge nachgewiesen werden (vgl. auch Magnus Levy, oben). Auch Landsberg!!) findet, daß sich die Menge des Alkohols bei der Autolyse nicht vermehrt, wohl aber beim Ein- treten von Fäulnis!?2). Die Resultate Stoklasas bedürfen noch weiterer !) Rosenfeld, Ergebnisse d. Physiol., Biochemie 1, 671. Fr. Kraus, Arch. £. exper. Pathol. 22, 174, 1887. — ?) Magnus Levy, Hofmeisters Beiträge 2, 261, 1902. — °) Siegert, ebenda 1, 114, 1902. — ?) Pembrey, Journ. of Physiol. 37, 407, 1901/1902. — °) Liebig, Chem. Briefe 1865, S. 286. — °) Glykolyse im Blute siehe z.B. Pavy u. Siau, Journ. of Physiol. 27, 451, 1901/1902. — 7) J. Stoklasa, Pfiügers Arch. 101, 311, 1904; Hofmeisters Beiträge 3, 460, 1903; Deutsche med. Wochenschr. 1904, 8. 198; Ber. 36, 4058, 1903; Ber. 35 (1903); Zentralbl. f. Physiol. 17, 465, 1903; 18, 793, 1904; Ber. 664, 1905 usw.; vgl. auch Bach u. Batelli, Degradation des hydrates de carbone dans l’organisme animal. — °) Vgl. neben anderen Rajewsky, Pflügers Arch. 11, 122, 1875, welcher den Nachweis erbrachte, daß geringe Alkoholmengsen in den Geweben enthalten sein können. — °) Arnheim und Rosenbaum, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 220, 1903. — ") Feinsehmidt, Hofmeisters Beiträge 4, 511, 1904; auch Portier (Compt. rend. Soe. Biol. 57, 129, 1904) konnte die Beobachtungen von Stoklasa nicht bestätigen. — ") Landsberg, Hoppe-Seilers Zeitschr. 41, 505, 1904; vgl. Batelli, Compt. rend. 137, 1079, 1903. — '?) R. Kaufmann (Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 434, 1903) machte darauf aufmerksam, daß die antiseptischen Stoffe große Bakterienmengen nicht zu töten vermögen, sondern nur kleine Mengen von Bakterien. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 99 450 Anaerobe Zuckerzersetzungen in der Leber. Verfolgung. Stoklasa erhielt z. B. auch eine Vergärung von Milchzucker durch die Lunge). In die letzte Zeit fallen Angaben von R. Hirsch ?), sowie besonders von Öohnheim°), nach welchen in Übereinstimmung mit einer Hypothese von Lepine*) Muskelbrei bzw. Leberbrei (R. Hirsch), mit Pankreasbrei versetzt, stärkere Glykolyse bewirkt als jede von beiden Komponenten einzeln. (Vgl. auch Arnheim und Rosenbaum (. c.), sowie Braunstein), der die Auf- fassung vertritt, daß es sich bei der Glykolyse nicht um eine kombinierte Wirkung zweier Agenzien handelt; ferner die Kritik der Cohnheimschen Versuche durch Embden und Claus), welche an Bakterienwirkungen denken.) Daran, daß die Zersetzung von Dextrose zu Fettsäure und Kohlensäure durch ein Ferment (oder durch ein Zusammenwirken einiger Fermente) be- wirkt wird, ähnlich demjenigen, welches in den Hefezellen die Zersetzung des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure bedingt (der von H. und E. Buchner entdeckten Zymase), wird man mit einer gewissen Berechtigung denken (auch bei Ascaris gelang es, ähnliche Resultate zu erzielen). Es ist hier noch des starken Reduktionsvermögens des Lebergewebes zu gedenken’); dasselbe läßt sich nachweisen durch Entfärbung zugesetzten Indigos oder Methylenblaus, Alizarinblaus usw., ferner durch Reduktion von Oxyhämoglobinlösung (Bernstein). Aus der von Helier‘°) vorgeschlagenen Messung des Reduktionsvermögens der Leber nach der Menge des reduzierten Permanganats dürften sich keine Schlüsse auf das Reduktionsvermögen der Leber ziehen lassen, da jede organische Substanz Permanganat reduziert. Abelous und Gerard?) erhielten mit wässerigen Extrakten (unter Zusatz von Chloroform, Thymol usw.) der Leber bei 37° Reduktion von Nitraten zu Nitriten, auch Methylenblau wurde entfärbt. Vielleicht ist die Entfärbung von Melaninen durch Leberbrei (Hellman!®) ebenfalls hierherzuziehen. b) Die Zersetzungen des Zuckers in der Leber, die mit Sauerstoff- aufnahme verbunden sind (oxybiotische Zersetzungen). Durch das Zusammenwirken der anoxybiotischen und oxybiotischen Zer- setzungen (wenn nicht durch diese allein) muß im Organismus Zersetzung der Kohlehydrate in CO, und Wasser zustande kommen. Es hat sich soeben gezeigt, daß über die anoxybiotischen Zersetzungen in der Leber sehr wenig bekannt ist, ebenso liegt die Sache für die Zersetzungen mit Sauer- stoffaufnahme. Eine Anzahl der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Leber einerseits und den Kohlehydraten andererseits zuzuschreibenden Pro- zesse sei im folgenden aufgeführt. !) Stoklasa, Deutsche med. Wochenschr. 1904, 8.198. — *°) Hirsch, Hof- meisters Beiträge 4, 535, 1904. — °) Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 336, 1903; 42, 401, 1904; 43, 547, 1905. — *) Lepine, Le diabete et son traite- ‘ment, Paris 1899 und La semaine medicale, 2. Dez. 1903. — °) Braunstein, Zeitschr. f. klin. Med. 51, 359. — °) Embden und Claus, Hofmeisters Beiträge 6, 214 u. 343, 1905. — °) Ehrlich, Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus, Berlin 1885; vel. Magnus-Levy, Hofmeisters Beiträge 2, 278, 1902; Bernstein, Unters. a. d. physiol. Inst. Halle, Heft 1, 1888, S. 135. — ®) Helier, Compt. rend. 128, 319. — °) Abelous und Gerard, ebenda 129, 56 u. 164, 1899. — '!") Hell- man, Arch. internat. de pharm. 12, 271, 1903. Aörobe Zuckerzersetzungen in der Leber. 151 Die Bildung von Glykuronsäure aus Dextrose. CHO.(CHOH),CH,0H 4 0,=COH.CHOH.CHOH.CHOH.CHOH.COOH—+H,0. Nach Fütterung der (hungernden) Tiere mit verschiedenen Stoffen, z. B. Chloralhydrat (Thierfelder!) kommt es zur Ausscheidung von Glykuronsäure (unter Wasseraustritt gepaart mit Trichloräthylalkohol, welcher durch Reduk- tion aus Chloralhydrat entsteht; Urochloralsäure). CC1,.CH0.H,0 + H, = CCLCH,OH + H,0 CCL,CH,OH + (C,H,,0;, = CC1,.CH,0C_H et Eos ro HC HCOH COOH E. Külz erhielt bei einem Hunde nach mehrstündiger Arbeit im Tretrad und l4tägiger Karenz auf Chloralgaben (65 &) im Harn 69,2 g Urochloralsäure. Paul Mayer?) beobachtete, daß Kaninchen, die durch 10 bis 12tägigen Hunger glykogenarm gemacht waren, nach Zufuhr von Campher nur sehr kleine Glykuronsäuremengen ausschieden; gab er aber gleichzeitig mit dem Campher auch Dextrose, so stieg die Glykuronsäureausscheidung (zu der Höhe, die sie vor dem Hunger innegehabt hatte). Ferner kann es z.B. bei Kaninchen bei Dyspnoe durch Luftabschluß zu vermehrter Ausscheidung von Glykuron- säure kommefi’). Im übrigen ist zu bemerken, daß die Entstehung der Glykuronsäure aus Dextrose noch nicht völlig sicher erwiesen ist. O. Loewi®) z. B. dachte an eine Bildung derselben aus Eiweiß. Endlich ist hier an die Beobachtung von Paul Mayer zu erinnern, daß Glukonsäure, COOH.(CHOH), .CH,0H, im Organismus in Zuckersäure, COOH (CHOH),COOH, übergeht), und daß Oxalsäure (s. S.461) sowohl aus dieser wie aus Dextrose und Glykuron- säure hergeleitet werden kann; in der Leber der Tiere (Kaninchen) finden sich nicht unbeträchtliche Oxalsäuremengen. Nach Zufuhr von Äthylenglykol, (CH,OH),, beobachtete Paul Mayer‘) beim Kaninchen Ausscheidung von Glykolsäure, (CH,OH.COOH), im Harn. Des weiteren findet sich im Harn nach Fütterung mit den Alkoholen d- und i-Arabit, Pentose (Neuberg und Wohlgemuth’?). Es liegt nahe, daran zu denken, daß hier ein Oxydationsprozeß möglicherweise in der Leber, die bei der Veränderung der Kohlehydrate große Bedeutung hat, stattfindet. Am winterschlafenden Murmeltier findet nach Dubois‘) u. a. während des Erwachens und des Sicherwärmens ein rapides Schwinden des !) Thierfelder, Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 163, 1886. E. Külz, Beitr. z. Kenntnis d. Glykogens 1890, S. 50; weiteres über die Glykuronsäuren s. 8. 454; vel. Fischer und Piloty, Ber. 24, 522, 1891. — °) Paul Mayer, Zeitschr. f. klin. Med. 47 (1/2), 1902; vgl. auch Hildebrandt, Arch. f. exper. Pathol, 44, 278, 1900 und Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 141, 1902. — °) Paul Mayer, Deutsche ned. Wochenschr. 1901, Nr. 16 u. 17, S. 243, 262. — *) Loewi, Arch. f. exper. Pathol. 47, 56, 1901. — °) Paul Mayer, Ber. 34, 492, 1901. — °) Derselbe, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 135, 1903. — 7) Neuberg und Wohlgemuth, Ber. 34, 1745, 1901; Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 41, 1902. — ®) R. Dubois, Phys. eomparee de la marmotte, Paris 1896. 29: 452 Oxydative Fermente der Leber. Leberglykogens statt. Gleichzeitig erwärmte sich die Leber, oft um 10° und mehr über die angrenzenden Geweba.. Wenn das Pfortaderblut ver- hindert wurde, durch die Leber zu fließen (Ligatur, Ecksche Fistel), so kam es nicht zur Erwärmung des Tieres. Schon Gl. Bernard beobachtete, daß das Lebervenenblut wärmer ist als das Pfortaderblut. Duboıs nımmt an, daß dieser Erscheinung eine Verbrennung des Zuckers zugrunde liege, der aus dem Glykogen entstanden ist, und daß diese Verbrennung die für das Tier zur Erwärmung nötige Kalorienmenge zum großen Teil liefere. Auch Cavazzani!) nimmt eine Beziehung des Zuckers der Leber zur Wärmebildung an. Über ein Versagen des Wärmestiches bei völlig glykogen- frei gemachten Tieren hat Rolly?) Mitteilung gemacht. Die nähere Untersuchung der Oxydationsprozesse der Leber hat ergeben, daß dieselben — wenigstens zum Teil — nicht an die organisierte Struktur gebunden sind, sondern daß gewisse Oxydationen durch Extrakte, die ver- schieden weitgehend gereinigt werden konnten und Fermenteigenschaften zeigten, hervorgebracht werden können. (Die hierher gehörigen Entdeckungen wurden von Schoenbein?) eingeleitet.) Von derartigen Fermenten seien hier genannt: Die Salicylase (Aldehydase), findet sich *) in der Leberzelle, wird durch Kälte nicht getötet, wohl aber verliert sie ihre Wirkung durch Kochen, ist leicht löslich in Wasser, kann durch Alkohol gefällt werden. Jacoby’) reinigte das Ferment durch Fällen mit Uranylacetat und erhielt ein eiweiß- freies Präparat. Dieses Ferment ist imstande, Salicylaldehyd zu Salieylsäure (Schmiedeberg*), Benzylalkohol zu Benzoösäure zu oxydieren und ähnliche Reaktionen, z. B. die Oxydation von Formaldehyd (Pohl?) zu Ameisensäure, auszuführen, es wirkt jedoch nicht auf sämtliche organische Stoffe oxy- dierend°): Stearinsäure, Palmitinsäure, Essigsäure z. B. vermag es nicht weiter zu oxydieren. Versuche von P. Mayer’), Äthylenglykol, CH,OH .CH,;,ÖH, durch Digestion mit Leberbrei zu oxydieren, waren ohne Erfolg. Die Salicylase wird wie die echten Fermente bei ihrer Wirkung nicht verbraucht. Junge Tiere sollen reicher an Salicylase sein (Abelous), während nach Pfaundler !0) die oxydative Energie der Organe beim Kinde in den ersten sechs Monaten schwächer ist als später (vgl. Zanichelli!!). Ob ein weiteres von Abelous und Biarn&s!?) unterschiedenes Oxyda- tionsferment, die Globulinoxydase, welche auf Salicylaldehyd ohne Wirkung ist, jedoch Gnajaktinktur zu bläuen vermag, in der Leber ebenfalls wirksam !) Cavazzani, Arch. ital. de biol. 33, 415, 1900. — °) Rolly, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 78, 250, 1903. — ?) Schoenbein, Zeitschr. f. Biol. 3, 325. — *) Abelous, Arch. de physiol. 95, 195, 239; Compt. rend. Soc. Biol. 48, 97, 262, 1896. — °) Jacoby, Virchows Arch. 157, 235, 1899; Zeitschr. f. physiol. Chem. 30, 35, 1900. — °) Sehmiedeberg, Arch. f. exper. Pathol. 14, 2838 u. 379, 1881. Jacquet, ebenda 29, 386, 1892. — ’) Pohl, ebenda 33 (1896). — °) Die Oxyda- tion von Phenol zu Brenzkatechin durch Leberbrei beobachtete Pfüger (Das Glykogen, 2. Aufl., S. 334). — ”) P. Mayer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 135, 1903. — '») Pfaundler, Jahrb. f. Kinderheilk. 1901, 8. 54. — !') Zanichelli, Arch. di Farmak. sperim. III, 3 (8), 315. — '?) Abelous und Biarnes, C»mpt. rend. Soc. Biol. 49, 285, 493, 559, 576; 50, 459; Arch. d. physiol. 1898, p. 664; vel. Erich Meyer, Münch. med. Wochenschr. 1903, Nr. 35. Oxydative Fermente der Leber. 453 ist, ist nicht entschieden, das Feıment ist nachgewiesen im Blut, FEiter usw. Ferner findet sich in der Leber eine Peroxydase (indirekte Oxydase), ein Ferment, welches nur in Gegenwart von Peroxyden, besonders von H,0,, zu wirken vermag (Lepinois!). [Ähnlich wie die Peroxydasen wirken bei manchen Pflanzen, z. B. dem Lackbaum (Rhus vernicifera) in Tongking, in dessen Oxydationsferıment, der Laccase, Mangansalze.]| Spitzer hat die Vermutung ausgesprochen, daß die Nucleoproteide, die wesentlichen Bestandteile des Zellkernes, vermöge ihres Gehaltes an organisch gebundenem Eisen eine besondere Bedeutung als Sauerstoff-Überträger und oxydierende Substanzen der Gewebe hätten, und er läßt die Glykolyse nur in O-haltigem Blute statifinden?). [Loeb°) hat in weiterer Verfolgung dieser Vorstellung den Kern als das Oxydationsorgan der Zelle aufgefaßt (vgl. auch Lillie‘), doch ist dem von verschiedener Seite widersprochen worden (Pro- wazek°), Verworn®); auch an das Vorhandensein von Kernen (allerdings z. B. bei Ascarıs in relativ geringer Zahl) in den Zellen der anaeroben Organismen ist hier zu erinnern.]| Spitzer hat solche Nucleoproteide speziell aus der Leber dargestellt. Auf weitere „Oxydasen“ der Leber wird unten, S. 486 (Purinkörper) die Rede kommen. Ob die eben genannten Oxydasen und Peroxydasen speziell mit der Oxydation des Zuckers und seiner Zersetzungsprodukte zu tun haben, ist nicht entschieden. Die genauere Aufklärung der hier als Stoffe bezeichneten Wirkungen ist noch nicht zu geben. Nach Bach und Uhodat’) hat man zu unter- scheiden zwischen Oxygenasen einerseits, eiweibartigen Körpern, die molekularen Sauerstoff aufnehmen und Peroxyde bilden, Peroxydasen andererseits, die nur in Gegenwart der Peroxyde wirken, indem sie deren Wirksamkeit außerordentlich erhöhen, und endlich Katalasen, die Wasser- stoffsuperoxyd in Wasser und Sauerstoff zerlegen (Loew‘°). Diese letztere Wirkung kommt auch dem Lebergewebe zu (Hepatokatalase, Batelli und Stern), und zwar nach Spitzer in einem Grade, der nur durch Blut und Milz übertroffen wird !. Nasse!!) dachte bei der Oxydation, z.B. des Zuckers, an eine Spaltung von Wasser, so, daß an Stelle des H OH tritt und H frei wird, welcher nunmehr Sauerstoff aktivieren könnte. Zurzeit scheint es begründet, für die Aufklärung der hier beobachteten Erscheinungen zunächst die anorganischen Analoga, speziell die Kata- Iyse des Hydroperoxyds, durch Platin (Schoenbein) heranzuziehen als die ‘) Lepinois, Compt. rend. Soc. Biol. 51, 428, 1899. Bach u. Chodat, Bioch. Zentralbl. 1, 417 u. 457, 1903; Linossier, Compt. rend. Soc. Biol. 50, 373, 1898. — *) Spitzer, Pflügers Arch. 67, 615, 1897; 60, 303, 1895; vgl. auch Böhmann und "Spitzer, Ber. 28, 567, 1895. — °) Loeb, Arch. f. Entwickelungsmechanik 8, 689, 1899. — *) Lillie, Amer. Journ. of Physiol. 7, 412, 1902. — °) Prowazek, Zeitschr. f. allgem. Physiol. 2, 385, 1903. — °) Verworn, Festschr. f. E. Haeckel, 1904. — 7) Bach und Chodat, Biochem. Zentralbl. 1, Nr. 11 u. 12, 1908, 8. 417 u. 457. — ©) Loew, Bull. of Agrieult. Dep. Washington 1900. [Batelli und Stern (Compt. rend. Soc. Biol. 58, 235) sahen die Katalase durch verschiedene Gewebsextrakte (z. B. der Leber) unwirksam gemacht werden (Antikatalase).] — °) Batelli und Stern, Compt. rend. 138, 923, 1904; Compt. rend. Soc. Biol. 1904, p. 374 u. 405; 58, 235. — !®) Spitzer, Pflügers Arch. 67, 621, 1897. — !!) Rostocker Zeitung 1895, S. 363. 454 Glykuronsäure. — Jecorin. einfachen Paradigmen und mit der Aufstellung verschiedener Fermente vor- sichtig zu sein. Daß beim Diabetes nach Pankreasexstirpation die Zuckerzersetzung im Organismus aufgehoben sei, hat sich nicht beweisen lassen !). 4. Glykuronsäure, COH.(CHOH),.COOH. Siehe oben, S.435, 438, 451. Die Glykuronsäure ist rechtsdrehend, liefert, mit Säure erhitzt, wie die Pentosen Furfurol. Die Glykuronsäure ?) paart sich im Organismus mit zahlreichen (auch körperfremden) Stoffen, welche eine Hydroxylgruppe besitzen, sowie mit anderen Stoffen, wahrscheinlich nachdem an denselben durch Oxydation, oder Reduktion, oder durch beides, eventuell auch durch Hydratation eine Hydroxylgruppe sich gebildet hat. Alle diese gepaarten Säuren drehen links. Die Glykuronsäure wurde von Lepine in der Leber beobachtet 3). Es ist zu vermuten, daß die Paarung der Glykuronsäure zum Teil in der Leber stattfindet. Bial*) gibt an, nach Mentholfütterung in der Galle (Hund) Mentholglykuronsäure konstatiert zu haben. J. Pohl’) zeigte, dab bei Vergiftung mit Äthylendiamin die Paarung bei den verschiedenen mit Glykuronsäure zusammentretenden Stoffen bald gar nicht (Phenolglykuron- säure), bald stark gehemmt ist (z.B. Urochloralsäure). Ob diese Erscheinung auf eine Verschiedenheit des Ortes der Bildung zu beziehen ist oder auf mehrere Momente, bleibt fraglich. Eine kurze Zusammenstellung der hauptsächlichen Paarungen der Gly- kuronsäure im Tierkörper wird an anderer Stelle (Harn) gegeben, so sei hier im wesentlichen darauf verwiesen und nur bemerkt, daß die in Paarung tretenden Stoffe sowohl der aliphatischen wie der ceyklischen Reihe angehören. Durch ihren Kohlehydratgehalt schließen sich einige Stoffe den bisher aufgezählten Stoffen an. Das Jecorin. Jecorin wurde von Drechsel*) aus der Leber (Pferd, Delphin) dar- gestellt, findet sich auch in anderen Organen, z. B. im Blut’) usw. Jecorin ist löslich in Äther, unlöslich in absolutem Alkohol; es reduziert (wie Traubenzucker) alkalische Kupferoxydlösung beim Kochen, gärt mit Hefe, läßt sich nach Bing zerlegen in Leeithin + Dextrose. Dementsprechend ') Über die Herabsetzung der Oxydationsprozesse im Tierkörper bei Phosphor- intoxikation liegen Beobachtungen von J. Bauer vor (J. Bauer, Zeitschr. f. Biol. 7, 63, 1871; 14, 527, 1878; vgl. hierzu Athanasiu, Pflügers Arch. 74, 511,5 1899; vgl. auch Jacoby). — *) Vgl. Neuberg, Erg. der Biochemie 3, 373, 1904. — ®) Lepine, Compt. rend. 135, 139, 1902; 134, 398, 1902; Compt. rend. Soc. Biol. 1901. — *) Bial, Zentralbl. f. Phys. 1904, S. 39;9vel. van Leersum, Hofmeisters } Beiträge 3, 522, 1903; siehe dagegen P. Mayer, Berl. klin. Wochenschr. 1903, Nr. 13. — °) J. Pohl, Arch. f. exper. Pathol. 41, 97, 1898; vgl. Embden, Hof- meisters Beiträge 2, 591, 1902. — °) Drechsel, Journ. f. prakt. Chem. 33, 425, 1886; Zeitschr. f. Biol. 33, 85, 1896; Baldi, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1837, Suppl., 8.100. — 7) Jacobsen, Skand. Arch. f. Physiol. 6, 262, 1895. Chondroitinschwefelsäure. 455 erhielt Bing!) beim Zusammenbringen von Lecithin mit Glykose in alkoholi- scher Lösung einen dem Jecorin sehr nahestehenden Stoff; ähnliche Stoffe in Verbindung mit Leecithin lieferten Galaktose, Lävulose, Saccharose, Arabinose; auch mit vielen anderen Stoffen, z. B. Alkaloiden, vermag Lecithin Verbin- dungen einzugehen; ferner mit Glukosiden, z. B. Phloretin, Phloridzin, mit Salzen, z. B. Laktaten, Oxybutyraten usw. Da das Jecorin reduziert und im Blut sich findet, so scheint, wenn das Jecorin eine tatsächlich;im lebenden Organismus vorkommende Verbindung ist, kein Zweifel, daß zum mindesten ein Teil des durch die Reduktionsprobe im Blut nachgewiesenen „Zuckers“ in diesem nicht frei, sondern als Jecorin enthalten ist. Die Frage bedarf weiterer Untersuchung. Eine Bindung des Zuckers im Blute hat auch OÖ. Loewi?) auf Grund seiner Versuche am phloridzindiabetischen Hunde angenommen, ebenso Lusk, Percy und Stiles?) u. a. Chondroitinschwefelsäure. Schmiedeberg*) wies die Chondroitinschwefelsäure im Knorpel nach. Sie ist eine gepaarte Ätherschwefelsäure, welche leicht in Chondroitin und Schwefelsäure zu spalten ist; das Chondroitin zerfällt beim Kochen mit Salz- säure in Essigsäure und ein stickstoffhaltiges, alkalische Kupferoxydlösung reduzierendes Kohlehydrat (Chondrosin); beim Kochen mit Barytlauge zer- fällt das Chondrosin weiter in Glukuronsäure und Glukosamin. Es ist demnach eventuell der Knorpel als eine Reservestelle für Glukuron- säure anzusehen. Nach Orgler und Neuberg’) ist jedoch im Chondrosin keine Glukuron- säure, sondern eine Tetraoxyaminocapronsäure, 0;,H,;0;,N, enthalten; auch das Vorhandensein von Glykosamin konnten sie nicht bestätigen. Bei der amyloiden Degeneration der Leber hat Oddi) in dieser nach dem Verfahren von Schmiedeberg Chondroitinschwefelsäure nach- weisen können. In der gesunden Leber fehlt dieselbe (Mensch, Rind). Krawkow zeigte, daß das Amyloid eine esterartige Verbindung der Chondroitinschwefelsäure mit Eiweiß ist’). Welche Bedeutung der Chondroitin- schwefelsäure in der Leber bei amyloider Degeneration zukommt, ist völlig ungeklärt. Fütterungsversuche mit Chondroitinschwefelsäure (Oddi, Kett- ner‘°) lieferten keine Aufklärung, amyloide Entartung trat nie ein. Neben dem Kohlehydratstoffwechsel findet in der Leber eine lebhafte Um- setzung anderer stickstofifreier Substanzen statt, welche bei der Besprechung der Zersetzungen der Dextrose zum Teil schon kurz genannt worden sind. D) Bing, Skand. Arch. f. Physiol. 9, 336, 1899; 11, 166, 1901; Zentralbl. f. Physiol. 12, 209, 1898; 13, 689, 1889. — ?) Loewi, Arch. f. exper. Path. 48, 410, 1902. — °) Lusk, Perey u. Stiles, Amer. Journ. of Physiol. 10, 67. — *)Schmiede- berg, Arch. f. exper. Path. 28, 355, 1891. — °) Orgler und Neuberg, Zeitschr. f. phys. Chem. 37, 399, 1903. — °) Oddi, Arch. f. exper. Path. 33, 376 f., 1894. — 7) Krawkow, ebenda 40, 195, 1898; Nowak, Virchows Archiv 152, 162, 1898; vgl. Lubarsch, ebenda 150, Heft 3. — ®) Kettner, Arch. f. exper. Path. 47, 178, 1902. 456 Fette. — Resorption. — Phosphorvergiftung. 5. Die Fette und Fettsäuren. Triglyceride [z. B. C,H, (C,;H;,0,);, Tristearin] der höheren Fettsäuren, besonders der Stearinsäure, C,;H;,0,, Palmitinsäure, C,;H;5 0,5, sowie der Ölsäure !), Cs H;3, O5, ferner der niederen Fettsäuren, besonders der Butter- säure, Valeriansäure, Capronsäure usw., sowie die entsprechenden freien Säuren und Seifen. Myristinsäure, C,,H,s0,, wurde von Lassar Cohn?) in der Galle vom Rinde gefunden, sie muß also in der Leber enthalten gewesen sein. No&l Paton fand den Gehalt der Leber an Fett zu etwa 3 Proz. Rosenfeld 3) gibt den Fettgehalt der Leber beim hungernden Hunde zu etwa 10 Proz. der Trockensubstanz an; das Leberfett hat einen etwas niedereren Schmelzpunkt als das Fett des Fettgewebes. In Seetieren finden sich in der Leber sehr große Fettmengen, so z. B. in der 8,5 kg schweren Leber des Eishaies (Lemargus borealis) etwa 6kg Fett (Rosen- feld *), in der lufttrockenen Substanz der Leber von Acanthias vulgaris“ 82,9 Proz. Bemerkenswert ist es, daß das Fett der Leber stets reichlich Fettsäure enthält (F. Hofmann’), nach I. Munk 5 bis 10 Proz. des Gesamtfettes. Thiemich*) fand in der Leber beim Kinde die Jodzahl der Fettsäuren stets etwas höher als bei den Fettsäuren des Unterhautfettgewebes. Bei Zufuhr von Fett durch den Darm ist ein Teil des resorbierten Fettes im Chylus in Form von Neutralfett nachzuweisen; die Hauptmenge gelangt ’), wie nicht zu bezweifeln ist, durch die Pfortader in gelöster Form in die Leber und kann dort zunächst festgehalten und aufgespeichert werden °). Außer vom Darm aus kann Fett noch aus anderen Organen zur Leber gelangen: es kann aus den Fettniederlagen, in welchen es als Reserve- stoff aufgespeichert ist (z. B. dem Unterhautzellgewebe), in die Leber einwandern. Derartige Vorgänge sind mehrfach beobachtet worden. Nach akuter Vergiftung mit Phosphor’) hat eine Ansammlung von Fett in der Leber statt. Das Organ wird äußerst reich an Fett. Eine Zunahme des Fettes auf Kosten von zersetztem Eiweiß läßt sich nicht nachweisen [v. Stark, Pflüger !%), Frank!!). Athanasiul2) fand bei Phosphorvergiftung von Fröschen die absolute Menge des Fettes im Orga- nismus nicht verändert, bei weißen Mäusen sahen sie Kraus und Sommer !°) sogar verringert; dagegen war der Fettgehalt der Leber vermehrt. Es muß ') No&l Paton, Journ. of Physiol. 19, 167, 1895/96. — ?) Lassar Cohn, Ber. 25, 1829, 1892 und Habilitationsschrift 1898. — °) Rosenfeld, Arch. £. (Anat. u.) Phys. 1892, 8.497; Erg. der Biochemie 1, 651, 1902; 2, 50, 1903; Zeitschr. f. klin. Med. 28, 264, 1895 und 36 (1889); vgl. No&l Paton, l.c. — *) Rosen- feld, Erg. der Biochemie 1, 672, 1902 und Wissenschaftl. Meeresunters., N. F. 5. Abt., 8. 57, Helgoland 1902. — °) F. Hofmann, Ludwigs Festschr. 1874, S.134. — °) Thiemich, Zeitschr. f. phys. Chem. 26, 189, 1898. — 7) O. Frank, Zeitschr. f. Biol. 36, 568, 1898. — °) I. Munk, Virchows Arch. 95, 407, 1884. — °) Lebedeff, Pflügers Arch. 31, 11, 1883. Leo, Zeitschr. f. phys. Chem. 9, 469, 1885. von Stark, Deutsches Arch. f. klin. Med. 35, 481, 1884. — !") Pflüger, Pflügers Arch. 71, 318, 1898; Kritik der Versuche Polimantis, ebenda 70, 349, 1898. — !!) Versuche am Frosch. — !?) Athanasiu, Pflügers Arch. 74, 511, 1899. — 1#) Kraus und Sommer, Hofmeisters Beitr. 2%, 86, 1902. % Fette bei Phloridzin und Pankreasdiabetes. 457 alsoeine Wanderung von Fettin die Leber stattgefunden haben. Ähnlich fand Lebedeff nach Fütterung eines Hundes mit Leinöl in der Leber dieses Hundes nach Phosphorvergiftung Leinöl abgelagert, welches sich vorher im Paniculus adiposus befunden hatte. Es war also auch hier eine Wanderung von Fett eingetreten. Auch E. Schwalbe!) hat Ähnliches beobachtet. Die Fettzunahme in der Leber nach Phosphorvergiftung wurde von zahlreichen Forschern gefunden, z.B. Rosenfeld?), Kraus und Sommer’), die Fettwanderung speziell haben Rosenfeld, Carazzat) u. a. gezeigt. Auch im Blut fanden Daddi und Rosenfeld nach Phosphorvergiftung eine (einer Fettwanderung entsprechende) Vermehrung des Fettgehalts ’); dabei ist der Glykogengehalt der Leber verringert‘). Ob die Kohlensäureproduktion im Körper bei der Phosphorvergiftung herabgesetzt ist, ist unentschieden ?), die Fettzersetzung bei der Phosphor- vergiftung dürfte jedoch nicht verringert sein °); eine Störung des inter- mediären Stoffwechsels ist jedenfalls nicht zu bestreiten (siehe Autolyse). Ähnlich wie Phosphor können Arsen, Antimon und andere Stoffe wirken. Eine Zufuhr von Fett zur Leber ist ferner [nachgewiesen bei der Phloridzinvergiftung. Rosenfeld’°) fand bei Hunden, welche mit Hammelfett gefüttert waren, nach mehrtägigem Hunger nur Hundefett in der Leber (etwa 10 Proz. der Trockensubstanz); nach Gaben von Phloridzin enthielt die vergrößerte Leber dieser Tiere außerdem Hammelfett in einer Menge bis zu 50 bis 60 Proz., im ganzen fanden sich in der Leber bis zu 25 bis 75 Proz. der Trocken- substanz an Fett; auf Zufuhr von Zucker verschwand dieses Fett wieder aus der Leber. Dieses Fett wurde der Leber auf dem Blutwege zugeführt, der Fettgehalt des Blutes war ebenfalls gesteigert. Bei weiterem Hungern ver- schwand dieses Fett wieder aus der Leber; der Eiweißgehalt der Leber war nicht wesentlich verändert. Bei Hunden, die nach totaler Pankreasexstirpation schwer dia- betisch werden, fand sich stets, wenn das Tier früh zum Tode kam, eine kolossale Verfettung der Leber (ohne daß eine andere Komplikation, z.B. Sepsis usw., bestand). So enthielt die Leber in einigen Fällen von Naunyn !?) bei einem Trockensubstanzgehalt von 27 bis 43,7 Proz. 42 bis 55 Proz. Äther- extrakt in der Trockensubstanz. Ebenso beobachteten v. Mering und Minkowski!!) bei pankreas- diabetischen Hunden eine Leberverfettung mit bis zu 31 bis 40 Proz., Pflüger bis zu 47,7 Proz. (s. S. 468) Fett in der frischen Substanz. Gleichzeitig !) E. Schwalbe, Verhandl. d. deutsch. pathol. Ges., Kassel 1903. — *”) Rosen- feld, Allg. med. Zentralztg. 1900, Nr. 89. — ?) Kraus und Sommer, Hofmeisters Beitr. 2, 86, 1902. — *) Carazza, Il Policlinico 9 (1903, 16. Jan.). — °) Daddi und Rosenfeld, Lo sperimentali 52, 215, 1898. — °) Athanasiu, Pflügers Arch. 74. 511, 1899, u.a. — 7) Bauer, Zeitschr. f. Biol. 7, 63, 1871 u. 14, 527, 1888; doch konnte Athanasiu (Pflügers Areh. 74, 511, 1899) dies bei Fröschen nicht be- stätigen. — °) Weber, Erg. der Biochemie 3, 233, 1904. — °) Rosenfeld, Zeitschr. f. klin. Med. 28, 226, 1895 und Verhandl. des Kongresses für innere Medizin 1894 und 1895, 8. 414, und 1901; Berl. klin. Wochenschr. 41, 587, 617, 1904. — ") Naunyn, Diabetes melitus, 1900, 8. 95 u. 122. — '') v. Mering und Min- kowski, Arch. f. exper. Path. 26, 371, 1889. Stadelmann, Deutsche med. Wochenschr. 1902, 8.49; Ver.-Beilage, 8. 349. 458 Fette. — Verhalten in der Leber. betrug das Lebergewicht z. B. bei Hunden im Gewicht von etwa 10kg in manchen Fällen über Ikg. In einem Falle (spontaner Diabetes beim Hunde) fanden sich bei 8800 & Körpergewicht 1250 g Leber, also etwa 14 Proz., während die Leber der Hunde bei rein animalischer Kost nur bis 5 Proz. des Körpergewichts wiegt (siehe oben, S. 425). Der Glykogengehalt der Leber dieser diabetischen Tiere ist bekanntlich gering. Das Blut enthielt bei dem letzten Beispiel 12,3 Proz. Ätherextrakt. Auch beim diabetischen Menschen ist nicht selten Liphämie nachgewiesen. worden [3,0, 4,5, 11,7 Proz., ja bis zu 15 Proz. (Stadelmann)]; hatte der Diabetes lange Zeit bestanden, so fand Sandmeyer!) nur noch wenig Fett in der Leber, 2 bis 3 Proz. des frischen Organs, ebenso Pflüger. Durch Zufuhr von Alkohol gelang es Rosenfeld ?) regelmäßig, Fett- anhäufung in der Leber zu erzeugen, wenn nicht neben dem Alkohol Kohle- hydrate gefüttert wurden. In der menschlichen Leber fand Rumpf) bis zu 56,6 Proz. der Trockensubstanz an Fett bei gewissen Erkrankungen, z.B. im frühen Stadium des Alkoholismus. Nach Gilbert und Jomier®) nimmt bei längerem Hungern der Fettgehalt der Leber zu, vermutlich durch Zu- fuhr aus anderen Teilen des Körpers. Aus den oben angeführten Daten ergibt sich, daß der Fettgehalt der Leber, ebenso wie der Glykogengehalt, sehr großen Schwankungen unterliegt. Völliges Schwinden des Fettes aus der Leber dürfte kaum zu erzielen sein. (Siehe oben, Sandmeyer). Oben ist erwähnt worden, daß Rosenfeld beobachtete, daß die Leber im Phloridzindiabetes nurd ann sehr fettreich wird, wenn sie arm ist an Kohle- hydrat, dasselbe beobachtete Pflüger ’), während umgekehrt eine sehr kohle- hydratreiche Leber wenig Fett enthielt. Eine ähnliche Wechselbeziehung zwischenFett-und Glykogengehalt der Leber ist auch z.B. bei Pankreas- diabetes und Vergiftung mit Arsen und Antimon (s. o.) usw. gefunden worden. Über eventuelle Veränderungen des Fettes in der Leber ist nichts bekannt. Nach Kotzlow ®) ist bei Fettfütterung (Hund) das Lebervenenblut reicher an reduziertem Hämoglobin als bei hungernden oder mit Kohlehydrat bzw. Eiweiß gefütterten Tieren. Über die Möglichkeit der Bildung von Fett in der Leber aus Kohle- hydrat ist einmal oben bei Glykogenabbau (S. 444) und bei Zersetzung der Dextrose (S. 448) gesprochen worden ?). Ob die Leber Beziehung hat zu einer Bildung von Fett aus Eiweiß, ist unbekannt. Fermentative Fettspaltung (durch eine Lipase) in der Leber ist von verschiedener Seite angegeben worden °). f Kastle und Löwenhart°’) erhielten von Leberextrakten (Schwein, Rind, Schaf, Ente usw.) beträchtliche Spaltung von Äthylacetat, Äthylbutyrat; auch Tribenzoicin C,H, 0,;(C-H,O), und Salol, C,H,(C0.0.C,H;)(OH) (1, 2) ‘) Sandmeyer, Zeitschr. f. Biol. 31, 12, 1895. — ?°) Rosenfeld, Erg. der Biochemie 1, 651, 1903; Pflüger, Das Glykogen, 2. Aufl., 1905, S. 349. — °) Rumpf, Virchows Arch. 174, 163, 1903. — *) Gilbert und Jomier, Compt. rend. Soc. Biol. 57, 494; Rosenfeld, Kongreß für innere Medizin 1901. — °) Pflüger, Das Glykogen, 2. Aufl., S. 513, 1905. — °) Kotzlow, zit. naeh Zentralbl. f. Phys 13, 125, 1899. — 7) Vgl. auch No&l Paton, Journ. of Phys. 19, 167, 1896. — °) Connstein, Erg. der Biochemie 3, 194, 1904. — °) Kastle und Löwenhart, Amer. Chem. Journ. 24, 491; Chem. News 83, 64, 1901. Leeithin. — Milchsäuren. 459 wurden in Versuchen von Nencki und Lüdy durch Leberbrei gespalten !), ferner Salicylsäureamylester ?2), Mandelsäureester °). Lecithin. | Leecithin, eine Verbindung des Cholins, N (CH;), (OH) (C,H,OH) (Tri- _ methyloxyäthylammoniumhydroxyd), mit dem Glycerinester der Phosphorsäure, — €CH,0H.CHOH.CH,OPO(OH),, in welchem die noch freien Hydroxyle des Glycerins durch Fettsäureradikale [Stearinsäure *), Palmitinsäure, Ölsäure] ersetzt sind, findet sich in größerer Menge im Gehirn, den Eisubstanzen usw. Das Lecithin ist im Ätherextrakt der Leber zu etwa 2,3 Proz. der Leber enthalten (No&l Paton), ebenso fand es Heffter 5) beim Kaninchen im Mittel u 2,2 Proz., auch in der Galle ist es in mäßiger Menge enthalten #). Ein Lecith- albumin wurde vonLiebermann’) aus der Leber beschrieben. Siwertzow‘) untersuchte den Leeithingehalt beim menschlichen Embryo und beim Kinde; er fand Lecithin in der Leber, jedoch in geringerer Menge als im Hirn; nach der Geburt nahm der Lecithingehalt monatelang nicht zu; erst später trat dies wieder ein. Nach Noöl Paton’) ist die Leber vielleicht ein Ort der Bildung des Lecithins. Beim Hungern nimmt der Leeithingehalt der Leber ab (Heffter). Szymkiewicz!P) untersuchte beim Rinde den Phosphorgehalt der Leberzellen und fand denselben am höchsten beim Fötus mit 1,6 bis 1,7 Proz. der Trockensubstanz; nach der Geburt sank derselbe bedeutend ab und betrug beim erwachsenen Rinde etwa 1,3 Proz.; ähnliche Zahlen fanden sich für den Menschen. Über das Jecorin, vermutlich eine Glykoseverbindung des Leeithins, s. S.454, auch auf das Protagon sei hier hingewiesen. Die Wirkung von elementarem Phosphor ist S. 456, 473, 488, 499 be- sprochen. 6. Milchsäuren, C,H, O;. #%-Oxypropionsäure, Fleischmilchsäure, wurde von Liebig im Fleisch entdeckt, ist optisch-aktiv (rechtsdrehend, die Salze drehen links), entsprechend dem Vorhandensein eines assymmetrischen C- Atomsin dem Molekül. Es ist nicht sicher (siehe unten), ob nur die &-Milchsäure im tierischen Körper erzeugt wird, jedenfalls wird im Verdauungskanal auch die inaktive Gärungsmilchsäure gebildet. Magnus-Levy gibt diese letztere auch neben #-Milchsäure als bei der Leberautolyse entstehend an (siehe S.449 und unten 11); auch die in der Leber nach dem Tode, vermutlich aus Glykogen, entstehende Milchsäure erkannte Morishima!?) in der Hauptmenge als !) Nencki und Lüdy, Areh. f. exper. Path. 20, 367 und 25, 347, 1889. — 2) Chenoz und Doyon, Journ. d. phys. et de path. gen. 2, 695, 1900; Magnus, Zeitschr. f. phys. Chem. 42, 149, 1904. — °) Dakin, Journ. of Physiol. 30, 253. — *) Hoppe-Seyler, Med.-chem. Unters., Heft 2 und 3. — °) Heffter, Arch. f. exper. Pathol. 28, 97, 1891. — °) Hammarsten, l. c.; Strecker, Ann. d. Chem. u. Pharm. 123. Hammarsten, Erg. der Biochemie 4, 15, 1905. Thudichum, Die chemische Konstitution des Gehirns, Tübingen 1901 usw. — 7) Liebermann, Pflügers Arch. 54, 573, 1893. — ®) Siwertzow, Biochem. Zentralbl. 1904, S. 310. — ®) Noel Paton, Journ. of Phys. 19, 167, 1896. — !°) Krüger (Szymkiewicz), Dissertat. Dorpat; Zeitschr. f. Biol. 31, 400, 1895. — '') Magnus-Levy, Hofmeisters Beiträge 2, 261, 1902. — !?) Morishima, Arch. f. exper. Pathol. 43, 217, 1900. AGO Milchsäuren. Gärungsmilchsäure, dagegen erwies sich die bei Arsenvergiftung vom leben- den Organismus ausgeschiedene Milchsäure als Fleischmilchsäure. Bei Vögeln (Gans, Ente, Huhn) fand Minkowski!) nach Exstir- pation der Leber (ein Eingriff, den diese Tiere einige Zeit lang überleben) reichliche Mengen von Fleischmilchsäure im Harn (als Ammoniumsalz), wäh- rend die Säure normalerweise im Harn fehlt. Das Vorhandensein auch nur eines kleinen Teiles der funktionsfähigen Leber ließ es nicht zur Milchsäure- ausscheidung kommen; es war in keiner Weise eine Abhängigkeit der Milch- säureausscheidung von einem eventuellen Mangel an Sauerstoff zu erkennen (siehe unten). Das Fehlen von Lebergewebe einzig und allein war die Ur- sache der Milchsäureausscheidung; die Milchsäureausscheidung war dabei bei reiner Fleischnahrung größer als bei Kohlehydratnahrung oder bei Hunger. Auch beim Säugetier (Hund) fand sich nach Leberexstirpation aktive Milch- säure ım Harn ?). Röhmann’) fand bei akuter Degeneration der Leber Fleischmilchsäure in der Leber. Bei der Phosphorvergiftung findet sich (Schultzen und Ries*) reichliche Ausscheidung von Milchsäure in den Harn (Mensch). Stadel- mann fand im Harn eines Diabetikers, der Acetonkörper (siehe S.461) enthielt, und Minkowski im Blut eines comatösen Diabetikers |-Milchsäure. Ferner fand sich [Arakı’) u. a.| Milchsäure im Harn von Hund, Kaninchen, Huhn usw. nach Einwirkung verschiedener Einflüsse, z. B. all- mählicher Verminderung der Sauerstoffzufuhr, Vergiftung mit Koblen- oxyd, Morphium, Amylnitrit, Strychnin, Curare, Blausäure, nach künstlicher Abkühlung (der warmblütigen Tiere ®) auf etwa 26", im Harn eines Epilepti- kers gleich nach dem Anfalle’) usw. in nachweisbaren Mengen. Auch in der Leber (in den Fällen, in welchen sie darauf untersucht wurde), z. B. beim Hunde bei allmählicher Verminderung der Sauerstoffzufuhr, bei CO- Vergiftung war Milchsäure enthalten. In einem Falle wird 1,09g milch- saures Zink angegeben °). Weitere Beobachtungen in dieser Richtung liegen von Zillesen vor’), der nach Unterbindung der Arteria hepatica beim Hunde (und Kaninchen) eine allmählich (mit Ausbildung eines arteriellen kollateralen Kreislaufes zur Leber) abnehmende Ausscheidung von Milchsäure im Harn sah (siehe oben). Wissokowitsch !®) beobachtete (unter Ludwigs Leitung), daß bei künst- licher Durchblutung der Leber der Milchsäuregehalt des Blutes zunahm, sowohl bei Zufuhr von arteriellem wie von Erstickungsblut. Nach diesen Beobachtungen wird man nicht daran zweifeln, dab nicht nur beim Vogel, sondern auch beim Säugetier eine Beziehung der Leber !) Minkowski, Arch. f. exp. Pathol. 21, 41, 1886; 31, 214,1893; Lang, Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 320, 1901. — *) Saleskin und Zaleski, ebenda 29, 517, 1900. — ®) Röhmann, Berl. klin. Wochenschr. 1888, Nr. 43 und 44. — *) Schultzen und Ries, Die akute Phosphorvergiftung und die akute Leberatrophie, Berlin 1869; vel. auch Röhmann, Berl. klin. Wochenschr. 1888, Nr. 43 und 44 und viele andere. — °) Araki, Zeitschr. f. phys. Chem. 15, 335, 546, 1891; 16, 453, 1892; 19, 422, 1894. — %) Milchsäure, auch im Blute vermehrt, fanden Saito und Katsuyama beim Huhn, Zeitschr. f. phys. Chem. 32, 214, 1901. — 7) Auch von Inouye und Saiki beob- achtet, ebenda 37, 203, 1902. — ®) Die Analysen des Zinksalzes sind oft etwas unbefriedigend. — °) Zillesen, Zeitschr. f. phys. Chem. 15, 387, 1891. — !°) Wisso- kowitsch, Arch. f. (Anat. u.) Plıysiol. 91, Suppl., 1887. Milehsäuren. — Oxalsäure. 461 zur Milchsäure besteht, die jedenfalls zum Teil in Zufuhr von Milchsäure zur Leber sich ausdrückt, vermutlich aber auch in Bildung von Milchsäure besteht; welches aber die Funktion der Leber diesem Stoffe gegenüber ist, ist nicht zu entscheiden. Nach sehr verschiedenartigen Einwirkungen, die durchaus nicht alle ungezwungen auf Sauerstoffmangel (und damit auf die Vorstellung einer gestörten Oxydation) sich beziehen lassen, ist die Milch- säureverarbeitung gestört !). Beim Vogel dürfte die Milchsäure neben anderem bei dem Aufbau der Harnsäure eine Bedeutung haben, siehe S.489; es ist ferner auch möglich, an eine Synthese der Milchsäure in der Leber zu denken ?) usw. Als Quelle der Milchsäure im lebenden Organismus hat sich die Dextrose bis jetzt nicht erweisen lassen °), über das Eiweiß siehe oben. Oxalsäure, COOH.COOH. Oxalsäure ist in der Leber nachgewiesen worden, Salkowski fand in der Leber 9 bis 12mg Oxalsäure pro Kilogramm (Rind und Kalb); zum Teil dürfte sie aus der Oxalsäure der Nahrung stammen +); Wöhler und Frerichs°’), Salkowski®) u. a. haben die Harnsäure als Quelle derselben vermutet. Von anderer Seite, z. Be Lommel’) (F. Voıt), wird auf ver- schiedene Nahrungsmittel, z.B. nucleinreiche Kost, ferner Leim, eine Bildung von Oxalsäure zurückgeführt. Klemperer und Tritschler °) nennen Glykokoll und Kreatin unter anderen als Oxalsäurebildner. Die Bildung von Oxalsäure aus Malonsäure, CH, (COOÖH),, ist von Pohl im Organismus des Kaninchens nachgewiesen worden. Über die Bildung von Oxalsäure aus Dextrose und Derivaten derselben siehe S. 451. Beim Diabetiker sah Moraczewski’) die Oxalsäureausscheidung auf Fleisch- (und Fett-) zufuhr zunehmen, während Vegetabilien eine Abnahme bewirkten. Ob der Organismus die Oxalsäure zu oxydieren vermag, ist noch nicht sicher bewiesen. Nach Pohl!P), Faust !!) u. a. ist derselbe hierzu nicht imstande. Lommel u. a. hatten dagegen positive Ergebnisse. 7. Acetonkörper. 8-Oxybuttersäure, Acetessigsäure, Aceton. Aceton, CH,COCH,, ist eine Flüssigkeit von charakteristischem Geruch; es wurde von Petters 1857 zuerst im Körper beobachtet. Aceton findet sich beim gesunden Menschen in sehr kleinen Mengen (einige Milligramm bis höchstens !) Asher und Jackson, Zeitschr. f. Biol. 41, 393, 1901. — ?) Ich erinnere hierbei an die Möglichkeit der Bildung von Glykogen bei der Hefe aus Milchsäure (Laurent). Bei der reichlichen Bildung der Acetonkörper, speziell der $-Oxy- buttersäure beim Diabetiker, ist möglicherweise auch an die Störung eines solchen (Kreis-) Prozesses zu denken. — °) Böhm, Pflügers Archiv 23, 44, 1880. Asher u. Jackson, Zeitschr. f. Biol. 41, 393, 1901, u.a. — *) Pierallini, Virchows Arch. 160, 173, 1900. — °) Wöhler und Frerichs, Ann. d. Chem. 45, 340, 1848. — 6) Salkowski, Berl. klin. Wochenschr. 37, 20, 1900. — ’) Lommel, Deutsches Arch. f. klin. Med. 63, 599, 1899. F. Voit, Sitzungsber. d. Ges. f. Morph. u. Phys., München 1899, Heft 1. — °) Klemperer und Tritschler, Zeitschr. f. klin. Med. 44, 337, 1901. — °) Moraczewski, ebenda 51, Heft 5/6, S. 475, 1904. — 10) Pohl, Arch. f. exper. Pathol. 37, 413, 1896. — !'!) Faust, ebenda 44, 217, 1900. 462 Acetonkörper beim Gesunden. Centirramme) in Harn und Ausatmungsluft; den Gehalt der Leber an Aceton fand Geelmuyden!) geringer als den anderer Organe. Acetessigsäure, CH,.CO.CH,.COOH, ist eine sehr flüchtige Säure, die sich beim Erwärmen (und Ansäuern) schon unter 100° in Aceton und Kohlensäure zersetzt; sie gibt mit einigen Tropfen Eisenchlorid Braunfärbung (violettrot) (Gerhardt). 8-Oxybuttersäure, CH,.CHOH.CH,.COOH, ist eine linksdrehende, nicht flüehtige Säure, die beim Erhitzen mit Mineralsäuren in «-Crotonsäure übergeht: CH,.CHOH.CH,.COOH = CH,.CH:CH.COOH + H,0, die «- Crotonsäure schmilzt bei 71 bis 72°. Acetessigsäure und 8-Oxybuttersäure sind beim gesunden Menschen für ge- wöhnlich nicht nachgewiesen. Die drei Acetonkörper gehen aller Wahrscheinlichkeit nach auseinander hervor, und zwar in der Reihenfolge: ß-Oxybuttersäure —> Acetessigsäure > Aceton. CH,. CH0#H7 CH,.C00H —> CHE2C02CHTC0 0 HE ICH OFIEE Daß Aceton leicht aus Acetessigsäure hervorgeht, ist schon bemerkt; dieser Übergang findet auch im Körper statt. Geelmuyden sah nach Gabe von Acet- essigsäure beim gesunden Menschen die Acetonausscheidung vermehrt!). Nach Fütterung mit ?-Oxybuttersäure hinwiederum sah z. B. Minkowski”) beim pan- kreasdiabetischen Hunde Acetessigsäure und Aceton auftreten. Werden die Stoffe dem gesunden Organismus beigebracht, so wird vom Aceton (Mensch) ein beträchtlicher Teil unverändert ausgeschieden, 35 bis 50 Proz. nach Müller‘); es ist demnach das Aceton für den Körper ein schwer oxydierbarer Stoff, der im normalen intermediären Stoffwechsel eine große Bedeutung wohl nicht haben dürfte. Beim Tier (Hund) ist die Oxydation eine noch schlechtere *). Acetessigsäure oxydiert der Mensch (und Hund) leichter. Ebenso wird -Oxybuttersäure vom Gesunden ganz oder fast ganz verbrannt [Waldvogel?’), Schwarz°)]. Es gibt Wege, beim Gesunden die Meng ge der ausgeschiedenen Acetonkörper zu steigern oder zu vermindern. Eine Steigerung tritt ein beim Hunger (F. Müller, Aceton bei den Hungerern Cetti und Breithaupt bis zu 0,78 8°); vergleiche auch die hohen Acetonkörperwerte, die Satta°®) beiHunger beobachtete: 23,6g in drei Tagen (Mensch). Dasselbe Verhalten wurde auch beim Hunde beobachtet (F. Voit’). Diese Wirkung ist ferner zu erzielen durch Zufuhr von Fett, Butter, Öl [Geelmuyden') u. a]. Da das Glycerin dem Fett ent- gegengesetzt wirkt (Hirschfeld''), so ist diese Steigerung auf die Fettsäure zu beziehen. Eine Verminderung der Acetonkörperausscheidung erfolgt nach Zufuhr von Kohlehydraten, sowie, wie bemerkt, von Glycerin (vgl. hierzu, S. 438, die große Wahrscheinlichkeit der Bildung von Dextrose aus Glycerin). Eiweiß (Fleischkost) übt keine scharf charakterisierte Wirkung aus '”). Eine Vermehrung der Acetonkörperausscheidung kann sodann eintreten, z. B. durch Gifte (die zum Teil allerdings durch Inanition wirken mögen) wie !) Geelmuyden, Skand. Arch. f. Physiol. 11, 97, 1901; Zeitschr. f. physiol. Chem. 41, 128, 1904 usw. — ?) Minkowski, Arch. f. exper. Pathol. 31, 181, 1893; Magnus-Levy, ebenda 42, 149. — °) Müller, XVI. Kongr. f. inn. Med., Wies- baden 1893; vgl. I. Schwarz, Arch. f. exper. Path. 40, 168, 1897. — h) Über die Bildung eines jodoformbildenden, flüchtigen Stoffes (Aceton 2) bei Durchblutung der Leber siehe Almagia und Embden, Hofmeisters Beitr. 6, 59, 1904. — °) Waldvogel, Die Acetonkörper, Stuttgart 1903, 8. 236. — °) Sehwarz, Deutsches Arch. f. klin. Med. 76, 233, 265, 1903. — 7) F. Müller, Virchows Arch. 131, Suppl. 135. — °) G. Satta, Hofmeisters Beitr. 6, 1, 13, 1905. — °) F. Voit, Deutsches Arch. f. klin. Med. 66, 564, 1899. — !°) Geelmuyden, Zeitschr. f. phys. Chem. 23, 431, 1897. — !!) Hirschfeld, Zeitschr. f. klin. Med. 28 (1895), 31 (1896); Deutsche med. Wochenschrift 1893. — !?) Vgl. aber Rosenfeld, Zentralbl. f. inn. Med. 1895, N. 01, 3.1233: Acetonkörper beim Diabetiker. 463 Phosphor (neben Glykosurie, Walko'), Phloridzin ?), Morphium, Narkosen °), dann durch Fieber *) usw. In einem ganz anderen Maße aber als durch alle diese Momente wird die Ausscheidung der Acetonkörper gesteirert beim Diabetes. Als einige maximale Werte führe ich an, daß Magnus-Levy°) bis zu 19 Aceton (einschließlich des Acetons, daß durch Zersetzung der Acetessiesäure ent- stand) beobachtete (dabei ist die Acetonausscheidung durch die Lunge nicht be- stimmt, die möglicherweise einige Gramm betrug). Von 8-Oxybuttersäure fand Naunyn‘°) in 24 Stunden in maximo eine Ausscheidung von 188g Natriumsalz (155,5 &g freie Säure), Külz’) sogar bis 225 & Natriumsalz. Bringt man dem diabetischen Kranken $-Oxybuttersäure bei, so scheidet er alle drei Acetonkörper aus (Minkowski, beim pankreasdiabetischen Hunde); ebenso tritt beim diabetischen Menschen nach subeutaner Zufuhr Vermehrung der Acetonausscheidung ein (Wald- vogel), im Gegensatz zur Zufuhr beim Gesunden (siehe oben). Die Herkunft dieser großen Stoffmengen beim Diabetiker ist nicht sicher aufgeklärt. Was zunächst das Eiweiß betrifft, so zeigte Magnus-Levy°®) an einem Falle mit sehr großer f-Oxybuttersäureausscheidung (über 100g pro Tag), daß diese Menge unmöglich aus dem Eiweiß des gleichzeitig ausgeschiedenen Stickstoffs herstammen konnte. Er erhielt z. B. zersetztes Eiweiß: 1170, 95, 50g und fand dabei #-Oxybuttersäure: 116g, 143g, S3,4g. Bei 50 Proz. C am Eiweiß liefern 100g Eiweiß nach der Berechnung von Magnus-Levy im höchsten Falle 100g 5-Oxybuttersäure. Ähnlich fand Nebelthau°) bei viertägigem, fast vollständigem Hungern Acetonkörper in soleher Menge, daß sie nicht wohl aus. dem zerfallenen Eiweiß sich ableiten lassen. Außerdem gehen Acetonkörperausscheidung und Eiweiß- zerfall nicht parallel !’). Große Mengen Eiweiß verminderten in Versuchen von Hirschfeld!!) die Acetonkörperausscheidung. Was die Fette betrifft (es ist schon bemerkt, daß es sich bei denselben nur um den Hauptbestandteil, die Fettsäuren, handeln kann), so erhöhen nach Ver- suchen Fettzulagen die Acetonkörperausscheidung, besonders die niederen Fett- säuren, z. B. Buttersäure, scheinen wirksam zu sein '”). Auf die Beobachtungen über Liphämie bei Diabetes (siehe 8. 458) ist vielleicht in diesem Zusammenhange hinzuweisen. Bemerkt sei auch, daß Rumpf”) an- gibt, in einigen Fällen von schwerem Diabetes flüchtige Fettsäuren ausgeschieden erhalten zu haben. Es ist demnach wahrscheinlich, daß die Acetonkörper- ausscheidung mit der Fettoxydation (wenn auch nicht ausschließlich und nicht direkt) zusammenhängt. Am schwersten aufzuklären ist die Beziehung der Kohlehydrate zu den Acetonkörpern beim Diabetiker. Zunächst ist die Menge der Acetonkörper oft (siehe oben) eine so große, daß sie nur schwer aus Kohlehydraten ableitbar ist. Sodann sind in der Wirkung der Kohlehydrate zwei entgegengesetzte Arten des Verhaltens beobachtet worden: Zufuhr von Kohlehydrat kann einerseits (wie im Fall der Inanition) eine Verminderung der Acetonkörperausscheidung bewirken und dem- entsprechend Kohlehydratentziehung Vermehrung der Acetonkörperausseheidung !) Walko, Zeitschr. f. Heilkunde 22, 1901. — °) Wright, Crocers research Sholarship leeture, London 1891; Azemar, Compt. rend. Soc. Biol. 49; Hedon, Traveaux de physiol. 1898, p. 151. — °) Becker, Virchows Arch. 140, 1, 1895. — “) v. Jacksch, Über Acetonurie und Diaceturie, Berlin 1885; E. Külz, Zeitschr. f. Biol. 23, 336, 1887. — °) Magnus-Levy, Arch. f. exper. Path. 42, 149, 1899. — °) Naunyn, Der Diabetes melitus 1900, 8. 183. — ?) Külz, Zeitschr. f. Biol. 20, 165, 1884. — ®) Magnus-Levy, Arch. f. exper. Path. 42, 149, 1899; 45, 389, 1901, u. a. — °) Nebelthau, Zentralbl. f. inn. Med. 1897, Nr. 38, S. 977. — !%) Palma, Zeitschr. f. Heilk. 15 (1895). — '') Hirschfeld, Zeitschr. f. klin. Med. 28, 176, 1895. — !?) Geelmuyden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 23, 431, 1897; 26, 381, 1898 (beim phloridzindiabetischen Hunde); 41, 128, 1904. Loeb und Mohr, Zentralbl. f. Stoffwechsel- u. Verdauungskrankh. 1902. Rumpf, Zeitschr. f. klin. Med. 45, 260, 1902. Pavy, The Lancet 1902. Schwarz, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 76, 233, 1903 u. a. — '”) Rumpf, Berl. klin. Wochenschr. 1895, Nr. 31. 462 Acetonkörper beim Gesunden. Centigramme) in Harn und Ausatmungsluft; den Gehalt der Leber an Aceton fand Geelmuyden!) geringer als den anderer Organe. Acetessiesäure, CH,.CO.CH,.COOH, ist eine sehr flüchtige Säure, die sich beim Erwärmen (und Ansäuern) schon unter 100° in Aceton und Kohlensäure zersetzt; sie gibt mit einigen Tropfen Eisenchlorid Braunfärbung (violettrot) (Gerhardt). 83-Oxybuttersäure, CH,.CHOH.CH,.COOH, ist eine linksdrehende, nicht flüehtige Säure, die beim Erhitzen mit Mineralsäuren in @-Crotonsäure übergeht: CH,.CHOH.CH,.COOH = CH,.CH:CH.COOH - H,0, die «- Crotonsäure schmilzt bei 71 bis 72°. Acetessigsäure und 8-Oxybuttersäure sind beim gesunden Menschen für ge- wöhnlich nicht nachgewiesen. Die drei Acetonkörper gehen aller Wahrscheinlichkeit nach auseinander hervor, und zwar in der Reihenfolge: $-Oxybuttersäure > Acetessigsäure > Aceton. CH; . CH0H7 CH,.000E7 —> 62 COACH 7C00 HE —ICHFACHFEENE Daß Aceton leicht aus Acetessigsäure hervorgeht, ist schon bemerkt; dieser Übergang findet auch im Körper statt. Geelmuyden sah nach Gabe von Acet- essigsäure beim gesunden Menschen die Acetonausscheidung vermehrt!). Nach Fütterung mit %-Oxybuttersäure hinwiederum sah z. B. Minkowski”) beim pan- kreasdiabetischen Hunde Acetessigsäure und Aceton auftreten. Werden die Stoffe dem gesunden Organismus beigebracht, so wird vom Aceton (Mensch) ein beträchtlicher Teil unverändert ausgeschieden, 35 bis 50 Proz. nach Müller°); es ist demnach das Aceton für den Körper ein schwer oxydierbarer Stoff, der im normalen intermediären Stoffwechsel eine große Bedeutung wohl nicht haben dürfte. Beim Tier (Hund) ist die Oxydation eine noch schlechtere *). Acetessigsäure oxydiert der Mensch (und Hund) leichter. Ebenso wird 8-Oxybuttersäure vom Gesunden ganz oder fast ganz verbrannt [Waldvogel’), Schwarz °)]. . Es gibt Wege, beim Gesunden die Menge der ausgeschiedenen Acetonkörper zu steigern oder zu vermindern. Eine Steigerung tritt ein beim Hunger (F. Müller, Aceton bei den Hungerern Cetti und Breithaupt bis zu 0,78 g°); vergleiche auch die hohen Acetonkörperwerte, die Satta°) beiHunger beobachtete: 23,62 in drei Tagen (Mensch). Dasselbe Verhalten wurde auch beim Hunde beobachtet (F. Voit’). Diese Wirkung ist ferner zu erzielen durch Zufuhr von Fett, Butter, Öl [Geelmuyden®) u. a]. Da das Glycerin dem Fett ent- gegengesetzt wirkt (Hirschfeld'!), so ist diese Steigerung auf die Fettsäure zu beziehen. Eine Verminderung der Acetonkörperausscheidung erfolgt nach Zufuhr von Kohlehydraten, sowie, wie bemerkt, von Glycerin (vgl. hierzu, S. 438, die große Wahrscheinlichkeit der Bildung von Dextrose aus Glycerin). Eiweiß (Fleischkost) übt keine scharf charakterisierte Wirkung aus '”). Eine Vermehrung der Acetonkörperausscheidung kann sodann eintreten, z. B. durch Gifte (die zum Teil allerdings durch Inanition wirken mögen) wie !) Geelmuyden, Skand. Arch. f. Physiol. 11, 97, 1901; Zeitschr. f. physiol. Chem. 41, 128, 1904 usw. — ?) Minkowski, Arch. f. exper. Pathol. 31, 181, 1893; Magnus-Levy, ebenda 42, 149. — °) Müller, XVI. Kongr. f. inn. Med., Wies- baden 1893; vgl. I. Schwarz, Arch. f. exper. Path. 40, 168, 1897. — *) Über die Bildung eines jodoformbildenden, flüchtigen Stoffes (Aceton?) bei Durchblutung der Leber siehe Almagia und Embden, Hofmeisters Beitr. 6, 59, 1904. — °) Waldvogel, Die Acetonkörper, Stuttgart 1903, S. 236. — °)Sehwarz, Deutsches Arch. f. klin. Med. 76, 233, 265, 1903. — 7) F. Müller, Virchows Arch. 131, Suppl. 135. — °) G. Satta, Hofmeisters Beitr. 6, 1, 13, 1905. — °) F. Voit, Deutsches Arch. £f. klin. Med. 66, 564, 1899. — !°) Geelmuyden, Zeitschr. f. phys. Chem. 23, 431, 1897. — '!) Hirschfeld, Zeitschr. f. klin. Med. 28 (1895), 31 (1896); Deutsche med. Wochenschrift 1893. — '?) Vgl. aber Rosenfeld, Zentralbl. f. inn. Med. 1895, 'Nr. 51, S. 1233. Acetonkörper beim Diabetiker. 463 Phosphor (neben Glykosurie, Walko!'), Phloridzin ?), Morphium, Narkosen °), dann durch Fieber *) usw. In eirem ganz anderen Maße aber als durch alle diese Momente wird die Ausscheidung der Acetonkörper gesteicert beim Diabetes. Als einige maximale Werte führe ich an, daß Magnus-Levy’°) bis zu 19& Aceton (einschließlich des Acetons, daß durch Zersetzung der Acetessigsäure ent- stand) beobachtete (dabei ist die Acetonausscheidung durch die Lunge nicht be- stimmt, die möglicherweise einige Gramm betrug). Von 8-Oxybuttersäure fand Naunyn‘) in 24 Stunden in maximo eine Ausscheidung von 188g Natriumsalz (155,5 g freie Säure), Külz’) sogar bis 225 g Natriumsalz.. Bringt man dem diabetischen Kranken $-Oxybuttersäure bei, so scheidet er alle drei Acetonkörper aus (Minkowski, beim pankreasdiabetischen Hunde); ebenso tritt beim diabetischen Menschen nach subeutaner Zufuhr Vermehrung der Acetonausscheidung ein (Wald- vogel), im Gegensatz zur Zufuhr beim Gesunden (siehe oben). Die Herkunft dieser großen Stoffmengen beim Diabetiker ist nicht sicher aufgeklärt. Was zunächst das Eiweiß betrifft, so zeigte Magnus-Levy°) an einem Falle mit sehr großer $-Oxybuttersäureausscheidung (über 100g pro Tag), daß diese Menge unmöglich aus dem Eiweiß des gleichzeitig ausgeschiedenen Stickstoffs herstammen konnte. Er erhielt z. B. zersetztes Eiweiß: 117g, 95g, 50g und fand dabei $-Oxybuttersäure: 116g, 143g, 83,42. Bei 50 Proz. C am Eiweiß liefern 100g Eiweiß nach der Berechnung von Magnus-Levy im höchsten Falle 100g 3-Oxybuttersäure. Ähnlich fand Nebelthau°) bei viertägigem, fast vollständigem Hungern Acetonkörper in solcher Menge, daß sie nicht wohl aus. dem zerfallenen Eiweiß sich ableiten lassen. Außerdem gehen Acetonkörperausscheidung und Eiweiß- zerfall nicht parallel!°). Große Mengen Eiweiß verminderten in Versuchen von Hirschfeld!) die Acetonkörperausscheidung. Was die Fette betrifft (es ist sehon bemerkt, daß es sich bei denselben nur um den Hauptbestandteil, die Fettsäuren, handeln kann), so erhöhen nach Ver- suchen Fettzulagen die Acetonkörperausscheidung, besonders die niederen Fett- säuren, z. B. Buttersäure, scheinen wirksam zu sein’). Auf die Beobachtungen über Liphämie bei Diabetes (siehe 8. 458) ist vielleicht in diesem Zusammenhange hinzuweisen. Bemerkt sei auch, daß Rumpf?) an- - gibt, in einigen Fällen von schwerem Diabetes flüchtige Fettsäuren ausgeschieden erhalten zu haben. Es ist demnach wahrscheinlich, daß die Acetonkörper- ausscheidung mit der Fettoxydation (wenn auch nicht ausschließlich und nicht direkt) zusammenhängt. Am schwersten aufzuklären ist die Beziehung der Koblehydrate zu den Acetonkörpern beim Diabetiker. Zunächst ist die Menge der Acetonkörper oft (siehe oben) eine so große, daß sie nur schwer aus Kohlehydraten ableitbar ist. Sodann sind in der Wirkung der Kohlehydrate zwei entgegengesetzte Arten des Verhaltens beobachtet worden: Zufuhr von Kohlehydrat kann einerseits (wie im Fall der Inanition) eine Verminderung der Acetonkörperausscheidung bewirken und dem- entsprechend Kohlehydratentziehung Vermehrung der Acetonkörperausseheidung !) Walko, Zeitschr. f. Heilkunde 22, 1901. — ”) Wright, Crocers research Sholarship lecture, London 1891; Azemar, Compt. rend. Soc. Biol. 49; Hedon, Traveaux de physiol. 1898, p. 151. — ®) Becker, Virchows Arch. 140, 1, 1895. — ®) v. Jacksch, Über Acetonurie und Diaceturie, Berlin 1885; E. Külz, Zeitschr. f£. Biol. 23, 336, 1887”. — °) Magnus-Levy, Arch. f. exper. Path. 42, 149, 1899. — °) Naunyn, Der Diabetes melitus 1900, 8. 183. — ?) Külz, Zeitschr. f. Biol. 20, 165, 1884. — ®) Magnus-Levy, Arch. f. exper. Path. 42, 149, 1899; 45, 589, 1901, u. a. — °) Nebelthau, Zentralbl. f. inn. Med. 1897, Nr. 38, S. 977. — !°) Palma, Zeitschr. f. Heilk. 15 (1895). — !') Hirschfeld, Zeitschr. f. klin. Med. 28, 176, 1895. — '?) Geelmuyden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 23, 431, 1897; 26, 381, 1898 (beim phloridzindiabetischen Hunde); 41, 128, 1904. Loeb und Mohr, Zentralbl. f. Stoffwechsel- u. Verdauungskrankh. 1902. Rumpf, Zeitschr. f. klin. Med. 45, 260, 1902. Pavy, The Lancet 1902. Schwarz, Deutsch. Areh. f. klin. Med. 76, 233, 1903 u. a. — !*) Rumpf, Berl. klin. Wochenschr. 1895, Nr. 31. 466 Pankreasdiabetes. von Glykose unter dem Einfluß des Giftes durch die Nieren; vgl. auch Loewis Versuche!). Beim länger dauerndem Phloridzindiabetes fand Mering bei Hungertieren 3-Oxybuttersäure ausgeschieden. Acetessigsäure beobachteten unter anderen Hartogh und Schumm’). Im Anschluß an diese Diabetesform ist vielleicht auch an die Ausscheidung von Dextrose als Glykuronsäure, gepaart mit einer Reihe von in den Körper eingeführten Stoffen, z. B. Chloral, Naphtalin, Phenol, Antipyrin, Menthol, Campher usw. zu er- innern°). b) Diabetesformen mit Hyperglykämie. Hierher gehören unter anderen: 1. der Pankreasdiabetes; derselbe entsteht (Hund, Vogel, Schildkröte, Frosch *) durch Exstirpation des Pankreas’) (v. Mering und Minkowski 1889), ist im späteren Verlaufe nicht selten mit Acetonkörperausscheidung verbunden (Minkowski‘), kann durch Einheilung eines Stückes Pankreas unter die Haut verhindert werden’). Fütterung mit Pankreas hebt den Pankreasdiabetes nicht auf. Nach Kaufmann®) folet nach Durchschneidung des Rückenmarks über dem ersten Dorsalwirbel — fast vollständige Aufhebung der Einwirkung des Zucker- zentrums auf die Leber (siehe S.446) — auf Pankreasexstirpation kein Diabetes’). Exstirpation der Speicheldrüsen (Reale'’) bewirkt ebenfalls gewöhnlich Gly- kosurie, ähnlich wirkt Exstirpation der Schilddrüse (Falkenberg unter Külz''). Auch durch Fütterung mit Thyreoidea kann es zu Diabetes kommen, doch nicht in allen Fällen'”). Ferner sei auf die elykosurische Wirkung des Adrenalins, einer in den Nebennieren enthaltenen Substanz, hingewiesen '°). 2. Diabetische Prozesse, die durch nervöse Einflüsse, speziell durch den Zuckerstich (Cl. Bernard, siehe S.445) hervorgerufen werden. Der Zuckerstich- diabetes dauert gewöhnlich nur kurze Zeit, höchstens einige Tage. 3. Glykosurien, welche bei verschiedenen Erkrankungen der Leber auf- treten, z. B. Lebereirrhose, Leberveränderung durch Zirkulationsstörungen (Arterio- sklerose), großen Blutreichtum in der Leber'*), Cholelithiasis, Zerfall der Leber- zellen durch Uransalze!’); weiter ist hier zu nennen z. B. Gicht, Fettsuelit usw. Biedl1'®) beobachtete beim Hund Glykosurie (selbst im Hunger) nach Aus- schaltung des Chylus- und Lymphstromes durch Unterbindung des Ductus thoracicus oder durch Ableitung der Lymphe des Brustganges. !) Loewi, Arch. f. experim. Pathol. 48, 410, 1902; siehe auch oben $.454 (Jecorin). — ”) Hartogh und Schumm, Arch. f. experim. Pathol. 45, 11, 1901. — ®) Schmiedeberg und H. Meyer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 3, 422, 1879; Ewald, Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1876; Manchot, Virchows Arch. 136, 368, 1894, u. a. — °*) Frösche, welchen Leber und Pankreas exstirpiert waren, lebten zwar einige Tage, zeigten aber nie Glykosurie, Exstirpation des Pankreas allein bewirkte meist Diabetes (Markuse, Arch. f. Physiol. 1894, S. 539). — °) v. Mering und Minkowski, Arch. f. experim. Pathol. 26, 371, 1889; Cowley, 1788; A. v. Haller; Hedon, Compt. rend. Soc. Biol. 1890, p. 571 und Traveaux de physiol., Paris 1898; Minkowski, Arch. f. experim. Pathol. 31, 85, 1893; Thiro- loix, Diabete pancreatique, 1892, u.a.; Sandmeyer, Zeitschr. f. Biol. 29, 86, 1892; 31, 12, 1895. — °) Minkowski, l1.c. — 7) Derselbe, l.c. — ®) Kaufmann, Arch. de physiol. 27, 287, 1896. — °) Über die steigernde Wirkung des Zuckerstichs beim Pankreasdiabetes siehe Hedon, Arch. de physiol. 1894, p. 269. — !°) Reale (und de Renzi) Berl. klin. Wochenschr. Nr. 23; siehe auch Minkowski 1893. — '!) Falkenberg, Verhandl. d. 10. Kongr. f. inn. Med. 10, 502, 1891. — !?) B&clere, Gaz. med., Paris 1894, p. 499, u.a. — !?) Klebs, Pathol. Anat. 1, 378. — '*) Cartier, Glycosurie toxique, Paris (Steinheil) 1891; nach Lepine und Boulud (Rev. de ıned. 1904, Nr. 1) ist diese Glykosurie nicht mit Hyperglykämie verbunden und dem Phloridzindiabetes näher stehend. — !°) Vgl. Bierry u. Gatin-Gruzewska, Compt rend. Soc. Biol. 58, 902, 904, 1905. — \*) Biedl, Zentralbl. f. Physiol. 12, 624, 1898; vgl. auch Lepine und Boulud, Compt. rend. 134 (1902); ebenda 110 (1890), und a.a.0. | ö Diabetes: Zuckergehalt des Blutes, Glykogen. 467 Böhm und Hoffmann!) beobachteten bei der Katze infolge von Fesselung eine im Durchschnitt mehrere Stunden andauernde Zuckerausscheidung. 4. Ein Hungerdiabetes wurde von Hofmeister?) bei Hunden beobachtet, wenn sie nach mehrtägigem Hunger mit Kohlehydrat (Stärke) gefüttert wurden. Es trat bei den Tieren — mit beträchtlichen individuellen Verschiedenheiten — Glykosurie ein, die in der Regel einige Stunden nach der Zufuhr der Stärke begann und rasch zurücktrat, jedoch bei passend gewählter — ungenügender — Nahrung wochenlang sich hinzog. Die Assimilationsgrenze der Tiere für Kohlehydrate war dabei herabgesetzt. j Auf Glykosurie durch Gifte, z.B. Strychnin, Curare, Phosphor, Arsen, Subli- mat, Kohlenoxyd, Amylnitrit, durch Narkosen (Chloroform. Äther®), Morphium), Nitrobenzol usw., sei hier nur hingewiesen. Diese Glykosurien gehören jedenfalls zum Teil den Formen ohne Hyperglykämie an, z.B. Glykosurie durch Sublimat®). Auch bei Tieren kann, wie bei Menschen, Diabetes spontan auftreten, z.B. beim Hund, Pferd, Affen. Der Zuckergehalt des Blutes steigt beim hyperglykämischen Diabetes von normalerweise etwa 1 pro Mille auf 5, 6, 8 pro Mille (Minkowski). Diese große Zucker- menge kann beim Säugetier von den Nierenzellen nicht zurückgehalten werden und wird ausgeschieden. Beim Vogel vermag die Niere dagegen auch so hohe Zucker- mengen (0,7 Proz.) zu ertragen und meist am Austreten zu verhindern (Kausch?). Das Glykogen der Leber (und der Muskeln) verschwindet gewöhnlich rasch bis auf geringe Mengen (v. Mering und Minkowski, Kausch beim Vogel), doch fand E. Külz®) in der Leber eines schweren Diabetikers in nicht ganz geringer Menge Glykogen (über 0,45 g in 1/10 der Leber). Frerichs’) sah Leberzellen, die lebenden Diabetikern entnommen waren, Glykogen enthalten (Jodprobe); die Leuko- eyten (Eiter, z.B. beim Hund) vermögen noch Glykogen in mäßiger Menge (0,8 Proz.) aufzuspeichern (Minkowski). Nach dem Ausgeführten kann Glykose — auch bei sehr hohem Gehalt des Blutes an ihr — nicht mehr in größerer Menge in der Form von Glykogen in den Organen zurückgehalten werden. Dagegen ist es sehr bemerkenswert, daß dies für Lävulose noch der Fall ist, daß nach Lävulosezufuhr beim pankreasdiabetischen Hunde sich reichlich Glykogen in der Leber anhäuft (Minkowski°) und dieses nur allmählich in Glykose übergeführt (und ausgeschie- den) wird °). Die absoluten Zuckermengen im Harn können oft sehr große sein, mehrere hundert Gramm im Tag sind nicht selten; Naunyn beobachtete einmal bei einem 19jährigen 1200g Zucker im Tag; aufs Körpergewicht berechnet fand Naunyn bis zu 2,4 Proz. Zucker ausgeschieden. Dabei ist zu bemerken, daß die Zuckerausscheidung im Pankreasdiabetes noch erhöht werden kann durch den Zuckerstich Cl. Bernards (Hedon) oder durch Phloridzininjektion !°) (Minkowski). - Tritt im Verlauf der Krankheit allmählich ein Absinken in der Zuckerausscheidung ein, durch Herunterkommen des Tieres usw., so sinkt mit der ausgeschiedenen Zuckermenge atch die Hyperglykämie ab (Hedon''). Für gewöhnlich besteht eine sehr ungefähre Beziehung zwischen Zuckerausscheidung und Zuckergehalt des Blutes (Frerichs,Naunyn). Es treten nunmehr aber im weiteren Verlauf Aceton- körper, f-Oxybuttersäure, Acetessigsäure, Aceton in den Harn über; über ihre Menge und die Zusammenhänge ihres Auftretens siehe oben S.461. Es ist möglich, ‘" *) Böhm und Hoffmann, Arch. f. experim. Pathol. 8 (1878). — ?) Hof- meister, ebenda 26, 355, 1890. — °) Seelig, ebenda 52, 481, 1905. — *) Kunkel, Toxikologie, 1901. — °) Kausch, Arch. f. experim. Pathol. 37, 274, 1896. — °) E. Külz, Pflügers Arch. 13, 267, 1876. — °) Frerichs, Über den Diabetes, Berlin 1884. — °) Minkowski, Arch. f. exper. Pathol. 31, 85, 165, 1893. — 2) Über das Verhalten der Lävulose beim Diabetiker siehe Naunyn, Der Diab. melitus. in Nothnagels Handb. 7 (1900). — !°) Hedon sah (Compt. rend. Soc. Biol. 1897, p. 60) selbst bei pankreasdiabetischen Hunden, welche so herabgekommen waren, daß sie keinen Zucker mehr im Harn ausschieden, auf Phloridzin- zufuhr wieder reichlich Zucker im Urin auftreten. — !') Hedon, Arch. med. experim. 1891. 30* 468 Diabetes: Verhalten des Fettes, der oxydativen Prozesse. daß dieselben aus dem alsdann in großer Menge angegriffenen Fett herstammen. Daß der Organismus durch die großen Mengen von Oxybuttersäure eine Säure- vergiftung erleiden kann, ist besonders von Stadelmann!) ausgeführt worden. Bei diabetischen Hunden (Pankreasdiabetes) fand sich häufig ein sehr großer Gehalt des Blutes an Fett, z. B. 12,3 Proz. Ätherextrakt (Gerhardt), auch beim diabetischen Menschen kann Ähnliches vorkommen. Ebenso enthielt die Leber der Hunde mit Pankreasdiabetes oft ganz enorme Mengen von Fett, z. B. 24 Proz. der feuchten Leber an Ätherextrakt, dabei war das Gewicht der Leber oft sehr groß, z. B. 1kg bei 10kg Körpergewicht. Im einem Fall von Pflüger’) betrug das Gewicht der Leber bei einem total pankreasdiabetischen Hunde nach 16 Tagen (ohne Nahrungszufuhr) 8,4 Proz. des Körpergewichts, mit 47,5 Proz. Fett bei 58,5 Proz. Trockensubstanz der frischen Organe. Es ist deshalb sehr möglich, daß auch das Fett schließlich in die Störung hereingezogen wird. Über die Bedeutung dieses Befundes siehe 8.463. Ob die Oxydation des Traubenzuckers bei Diabetes gestört bzw. aufgehoben ist, ist nicht entschieden. In diabetischem Blut verschwand (nach Ausschaltung der Leber) bei der „Glykolyse“ der Zucker ebenso schnell wie in demjenigen nicht diabetischer Organismen (Chauveau und Kaufmann’). Beim Vogel, bei dem es im Diabetes durch Pankreasexstirpation nicht zu Sekretion des Zuckers in den Harn, sondern nur zu Hyperglykämie kommt, wird ebenfalls sämtlicher Zucker ver- brannt, und Kausch‘) zeigte, daß hier bei pankreaslosen (“diabetischen“) Tieren nach Leberexstirpation (Enten) der Zucker fast ebensoschnell aus dem Blute verschwand, wie nach Exstirpation der Leber bei pankreasbesitzenden („nichtdiabetischen“) Tieren. Auch andere Oxydationen, z.B. von Milchsäure (Schultzen°), ferner von dem schwer oxydierbaren Benzol zu Phenol (Nencki und Sieber‘), von Zitronensäure (Strauss) führt der diabetische wie der gesunde Körper aus. Eine Schwächung der Glykolyse im Blute des Diabetikers (Lepine’) hat sich bis jetzt nicht sicher bestätigen lassen. Über ein eventuelles Zusammenwirken von Pankreas und Lebergewebe bei der Glykolyse ist oben S. 450 gesprochen worden. Dagegen möchte das Auftreten der Acetonkörper auf eine gewisse Störung des Oxydationsvermögens schließen lassen (siehe oben 8. 462ff.). Doch treten diese Stoffe einmal gewöhnlich erst im späteren Verlauf der Erkrankung auf, und zudem ist es nicht ausgeschlossen, daß es sich bei der reichlichen Bildung und Ausscheidung der 3-Oxybuttersäure möglicherweise um eine Störung synthetischer Vorgänge handelt. Auch die reichliche Ausscheidung von Milehsäure (siehe $. 459) bei Vögeln nach Leberexstirpation läßt sich möglicherweise so auffassen. Bemer- kenswert ist, daß bei fieberkranken Diabetikern die Zuckerausscheidung oft (doch nicht regelmäßig) sehr herabgeht. Die Erklärung dieser Beobachtung ist unsicher. Aronsohn erzeugte bei Kaninchen durch Injektion von Adrenalin Glykosurie und beobachtete in der Mehrzahl der Versuche, daß der Wärmestich diese Zuckeraus- scheidung hemmte*®). Ein Mißverhältnis zwischen Zersetzung und Sauerstoffaufnahme besteht beim Diabetes nicht (C. Voit’). Nach Leo!?), Weintraud und Laves!!) ist der respiratorische Quotient nach Einfuhr von Zucker (Fruktose und Glukose), ') Stadelmann, Arch. f. experim. Pathol. 17, 419, 443, 1883 und a.a. O.; vgl. Pavy, The Lancet, Juli u. August 1902; ferner Baer, Arch. f. experim. Pathol. 51, 271, 1904. — ?) Pflüger, Das Glykogen, 2. Auflage, 1905, 8.491. — °) Chauveau und Kaufmann, Mem. de la Soc. de Biol. 1893. — *) Kausch, Arch. f. experim. Pathol. 39, 219, 1897. — °) Schultzen, Berl. klin. Wochensch. 1372, Nr. 35. — ‘) Nencki und Sieber, Journ. f. prakt. Chem. 26, 1, 1882. — 7) Lepine, Le ferment glycolytique et la pathogenie du diabete, Paris 1891; Revue de med. 1392; Semaine med. 1893; vgl. Minkowski, Arch. f. experim. Pathol. 31,85 1893. — ®) Aronsohn, Virchows Arch. 174, 383, 1904. — °) C. Voit, Handb. usw. S.228; Pettenkofer und Voit, Zeitschr. f. Biol. 3, 428, 1867. — !°) Leo, Zeitschr. f. klin. Med. 19, Suppl., 8. 1,1891. — !!) Weintraud und Laves, Zeitschr. f. phys. Chem. 19, 603, 629, 1894 (Gaswechsel beim Hund mit Pankreasdiabetes). Cholesterin. 469 obgleich dieser ganz oder teilweise verschwindet, nicht oder kaum erhöht!). Magnus- Levy’) sah bei Diabetikern der schweren Form den Sauerstoffverbrauch fast durch- weg etwas erhöht. Was schließlich die Ursache der hyperglykämischen Diabetesformen betrifft, so hat Naunyn’) besonders auf die Störung der Glykogenaufspeicherung, die Dyszooamylie, hingewiesen und in diesem weitgehenden Ausfall einer nor- malerweise notwendigen Synthese diese für viele Fälle gesucht. Für die schweren Fälle, in welchen auch im Hunger Dextrose ausgeschieden wird, greift er zu der Hilfshypothese, daß die Zersetzung der Kohlehydrate gestört sei. Pflüger dachte als Ursache für die übermächtige Zuckererzeugung das Wegfallen oder Nichtgenügen der hemmenden Wirkung einer Antidiastase des Pankreas gesen die Diastase der Leberzellen*). In letzter Zeit hat er die Vermutung erörtert, es möge sich bei dem Pankreasdiabetes um eine Erkrankung handeln, die durch nervöse Ursachen bedingt werde, eine Reflexneurose°). Auf die Hypothese, daß es sich um Störungen der oxydativen Vorgänge handelt, ist schon die Rede gekommen. Auf weitere Hypothesen soll hier nicht eingegangen werden. (Über die Herkunft der bei der Pentosurie beobachteten i-Arabinose (Salkowski) und ihre Bsziehungen zur Galaktose siehe Neuberg°).) 9. Cholesterin, C,; H,,OH. Das Cholesterin ist ein einwertiger Alkohol von noch unbekannter, wahr- scheinlich cyklischer Konstitution’). Es ist löslich in siedendem Alkohol, in Äther, Chloroform usw., weniger löslich in den Lösungen gallensaurer Salze, (siehe diese), nicht löslich in Wasser, kaltem Alkohol usw. Cholesterin addiert Brom, kristallisiert aus heißem Alkohol in großen rhombischen Tafeln, besitzt optisches Drehungsvermögen (Linksdrehung). Cholesterin hat seinen Schmelz- punkt bei 145°. Das Cholesterin gibt verschiedene Farbenreaktionen, z.B. mit konzentrierter H,SO, eine zunächst rote Farbe, die bei Zusatz von etwas Jod bald violett, blau usw. wird. Es scheinen verschiedene Cholesterine im Körper vorzukommen. Im Wollfett der Schafe findet sich Isocholesterin, welches nicht mit Cholesterin identisch ist, sein Schmelzpunkt liegt bei 195°). Das Cholesterin findet sich in den meisten Geweben des Körpers, in der Leber nach No&l Paton°) in geringer Menge, 0,016 bis 0,06 Proz. (Kaninchen), (im Mittel nicht 1 Proz. des Ätherextrakts); ähnlich ist die Menge bei der Katze, im Mittel 0,3 pro Mille der Leber. Beim Hund fanden Doyen und Dufourt 3 bis S pro Mille Cholesterin in der Leber 10). Cholesterin wird vermutlich in der Leber, ob in den Zellen der Leber oder in den Zellen der Gallengänge!!) ist unbekannt, gebildet; verfüttertes Cholesterin vermehrt den Cholesteringehalt der ausgeschiedenen Galle (Gallen- !) Vgl. Magnus-Levy, Verhandl. d. phys. Gesellsch. Berlin 1903/04, 8.5; F. Voit, Zeitschr. f. Biol. 29, 129, 1892; Ber. d. Gesellsch. f. Morphol. 7, 105, 1891. — ?) Magnus-Levy, Zeitsehr. f. klin. Med. 56, 87, 1905. — °) Naunyn, Der Diabetes melitus, in Nothnagels Pathol. u. Therap. 7, 1, 1900. — *) Pflügers Arch. 96, 391, 1903; vgl. Hildebrandt, Virchows Arch. 131, 38, 1895. — 5) Pflüger, Das Glykogen, 2. Aufl. 1905; vgl. Thiroloix, Bull. Soc. Anat. 62, 583, 1891 (zitiert noch Hedon, Traveaux de physiol., Paris 1898, Doin). — ©) Neuberg, Ergebn. d. Biochemie 3, 428. — ’) Vgl. Diels und Abderhalden, Ber. 37, 3092, 1904; Windaus, Ber. 36, 3752, 1903; 37, 2027, 1904; Windaus und Stein, ebenda 8.3699, nehmen fünf reduzierte Ringe im Cholesterin an. — ®) E. Schulze, Ber. 6, 251, 1873. — °) No&öl Paton, Journ. of Physiol. 19, 167, 188, 1896. — !°) Doyen et Dufourt, Arch. de physiol. 5 (VIII), 587, 1896. — ı) Vgl. Jankau, Arch. f. experim. Pathol. 29, 237, 1891. 470 Cholsäure. fistel) nicht (Hund; Jankau!); vermutlich stammt also das Cholesterin nicht aus dem Cholesterin der Nahrung; über die Quelle des Cholesterins ist nichts bekannt. Bei Phosphorvergiftung soll das Cholesterin abnehmen (Waldvogel und Fintemann?). Das Cholesterin wird — in der Hauptmenge — in die Gallenwege aus- geschieden und bildet einen regelmäßigen Bestandteil der Galle (siehe S. 507), in der es nicht selten bei der Bildung von (kristallisierten) Steinen beteiligt ist. Als Lösungsmittel des Cholesterins in der Galle dienen die gallensauren Alkalıen. Eine physiologische Beziehung der pflanzlichen Cholesterine (Phyto- sterin usw.) zum Üholesterin ist nicht nachgewiesen °). 10. Cholsäure*) (Cholalsäure). Die Cholsäure, C;,H,00;, ist eine Säure von noch unbekannter Konsti- tution, in welcher drei Hydroxylgruppen (zwei primäre und eine sekundäre) sowie eine Karboxylgruppe enthalten sind (Mylius),. Senkowski gab an, aus Öholsäure durch Oxydation Phtalsäure erhalten zu haben, doch konnte dies Bulnheim nicht bestätigen ’). Die Cholsäure ist löslich in Alkohol, schwer löslich in Wasser, die Alkalı- salze sind leicht löslich in Wasser, weniger leicht in Alkohol, das Barytsalz leichter in Alkohol als in Wasser. Aus wässeriger Lösung kristallisiert die Säure in Tafeln, die ein Molekül Kristallwasser enthalten, aus alkoholischer Lösung mit einem Molekül Alkohol. Die Cholsäure ist von stark bitterem Geschmack. Die Cholsäure besitzt optisches Drehungsvermögen (kechtsdrehung), ebenso ihre Salze; sie gibt in alkoholischer Lösung mit Jodjodkaliumlösung versetzt, beim Verdünnen mit Wasser einen massigen Niederschlag, der unter dem Mikroskop aus feinen Nädelchen besteht, die im auffallenden Lichte gelb, im durchfallenden blau erscheinen (Mylius®). Die Cholsäure gibt bei Zusatz von etwas Rohrzucker zur wässerigen Lösung bei tropfenweiser Zugabe von konzentrierter H,SO,, wobei etwas Furfurol aus dem Zucker gebildet wird, Rotfärbung’) (Pettenkofers Probe). Die Cholsäure verbindet sich in der Leber mit Glykokoll (siehe S.475), mit Taurin (siehe S.477) zu den gepaarten Gallensäuren Glyko- cholsäure und Taurocholsäure; die Salze dieser Säuren bilden „Platners kristallisierte Galle“ ®); in der Form dieser Verbindungen wird die Chol- !) Jankau, zitiert nach Malys Ber. 21, 284, 1891; Doyen und Dufourt, Compt. rend. Soc. Biol. 48, 487, und Arch. de physiol. 28, 587. — °) Wald- vogel und Fintemann, Zentralbl. f. allgem. Pathol. 15, 97, 1904. — °) Vel. Burian, Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. Wien, mathem.-naturw. Kl., 106, Abt. 2, 6. Juli 1897; über einen cholesterinähnliehen Körper (Spongosterin) in dem Kieselschwamm Suberites siehe Henze, Zeitschr. f. phys. Chem. 4, 109, 1904. — *) Latschinoff, Ber. 20, 1043, 1887. Strecker, Ann. d. Chem. 65, 1; 67, 1; 70, 149, 1849. Pregl, Sitzungsber. d. Wiener Akad., mathem.-naturw. Kl., 3, Abt. 2b, 1024, 1903. Pregi, Pflügers Archiv 71, 303, 1898. — °) Bulnheim, Zeitsch. f. phys. Chem. 25, 296, 1898; vgl. auch Pregl, Pflügers Arch. 72, 266, 1898 u. Monatshefte f. Chem. 24, 19, 1903; Tappeiner, Zeitschr. f. Biol. 12, 60, 1876 und Ber. 12, 1627, 1879. — °) Mylius, Zeitschr. f. phys. Chem. 11, 314, 1887; Ber. 28, 385, 1895; 19, 369, 2000, 1886; 20, 683, 1968. — 7) Pettenkofer, Annal. d. Chem. u. Pharm. 52, 90, 1844; Mylius, Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 492, 1887; v. Udranszky, ebenda 12, 355, 1888, u.a. — ®) Platner, Annal.d. Chem. u. Pharm. 51, 105, 1844. i Choleinsäure. — Fellinsäure. 471 säure in die Gallenwege (als gallensaures Alkali) ausgeschieden (siehe auch bei Gifte der Leber, S. 504); die Säure ist ein normaler und Hauptbestandteil der Galle (siehe S. 507), macht z. B. beim Rind über 90 Proz. der Gallen- säuren aus!) und wird aus diesen durch längeres Kochen mit Atzbaryt oder Ätzalkali erhalten 2). Über das Bildungsmaterial der Cholsäure ist nichts bekannt. Nach Exstirpation der Leber (Gans) fanden Minkowski und Naunyn°) keine Spur von Gallensäure mehr in Harn und Blut, während nach Ligatur der Gallenausführungsgänge der Leber, diese Säuren sowie Gallenfarbstoff reichlich in Blut und Harn nachweisbar sind. Wird beim Säugetier der Ductus choledochus und außerdem der Ductus thoracicus unter- bunden, so gelingt es häufig, daß keine ÜUholate und Gallenfarbstoff in Blut und Harn treten, während dies nach Unterbindung des Ductus choledochus allein, auf dem Lymphwege, regelmäßig der Fall ist ®). Die Leberzellen sind höchstwahrseheinlich als Ort der Bildung der Gallensäuren anzusehen; im Sekret der Gallenblase finden sie sich nicht’) Choleinsäure ((C,,H,,0, Lassar-Cohn‘); C,,H,,0, Latschinoff). Nach Lassar-Cohn identisch mit der Desoxycholsäure, von Mylius aus faulender Rindergalle hergestellt, deren Konstitution noch ungeklärt ist; die Säure besitzt zwei Hydroxylgruppen (Latschinoff) neben einer Karboxyl- gruppe. Sie ist in Alkohol schwerer löslich als die Cholsäure und durch die Unlöslichkeit ihres Barytsalzes in Wasser von dieser zu trennen; die Cholein- säure gibt die Pettenkofersche Probe. Die wasserfreie Choleinsäure kristallisiert in hemiödrischen Formen des rhombischen Systems (Latschinoff). Die Choleinsäure ist wie die Cholsäure in der Leber (beim Rind) ent- halten und wird in die Galle — vermutlich in ähnlicher Verknüpfung wie die Cholsäure — jedenfalls zum Teil mit Glykokoll verbunden (Wahlgren’) — ausgeschieden, jedoch meist in viel geringerer (wenn auch wechselnder) Menge als die erstere. In der menschlichen Galle fand sie Lassar-Cohn‘). Über die Herkunft der Choleinsäure ist nichts bekannt. Fellinsäure. (C,,H,0, Sehotten; C,H,,0O, Lassar-Cohn.) Fellinsäure findet sich in der menschlichen Galle, neben der Cholsäure, in den Grallensäuren (Schotten). I) Lassar-Cohn, Ber. 26, 146, 1893, Die Säuren der Rinder- und Menschen- galle, 1898. — °) Mylius, Zeitschr. f. physiol. Chem. 12, 262, 1888. — °) Min- kowski u. Naunyn, Arch. f. experim. Pathol. 21, 1, 7, 1886. — *) Ludwig und Fleischl, Leipziger Ber. 1874, S.42; Harley, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, 8. 291. — °) Mayo Robson, Proc. Roy. Soc. 47, 499, 1890. °) Latschinoff, Ber. 20, 1043, 3274; Lassar-Cohn, Zeitschr. f. physiol. Chem. 17, 607, 1893 und Ber. 26, 146, sowie Habilitationsschr. 1898; Pregl, Pflügers Arch. 7, 72, 1898, usw. Monatsh. f. Chem. 24 (1903). — 7) Wahlgren, Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 556, 1902. — ®) Lassar-Cohn, ebenda 19, 563, 1894; vgl. auch Derselbe, Die Säuren der Rindergalle und der Menschengalle, Habilitationsschr. 1898. — °) Schotten, Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 175, 1886; 11, 268, 1887; Lassar-Cohn (ebenda 19, 563, 1894 und Ber. 27, 1339, 1894) gibt ihr die Formel 0,,H;,0,- 473 Zerlegung von Eiweißkörpern. Die Fellinsäure bildet ein schwer lösliches Barytsalz, ist in Alkohol und Äther löslich, nicht löslich in Wasser; Schotten erhielt sie kristallisiert. In alkoholischer Lösung ist sie rechtsdrehend; sie gibt die Myliussche Reaktion (mit Jod) nicht; die Pettenkofersche Reaktion gibt sie nicht ganz in der- selben Weise wie die Cholsäure; diese Säure ist ohne bitteren Geschmack. Bei anderen Tierformen sind andere, verwandte Säuren beobachtet worden; so die Hyocholsäure (Strecker und Gundelach!') in der Galle des Schweins, wie die Cholsäure an Glykokoll und Taurin gebunden; sie ist leicht löslich in Alkohol und Äther, nicht in Wasser. Eine Chenocholsäure findet sich an Taurin gebunden in der Gänse- alle (Heintz und Wislicenus’). j Eine Lithofellinsäure wurde aus orientalischen Bezoaren beschrieben. Eine Ursocholeinsäure (die der Choleinsäure homolog ist) beobachtete Hammarsten‘°) in der Galle des Eisbären. B. Die Prozesse, die sich an den stickstoffhaltigen Stoffen abspielen. Wie für die stickstofffreien Stoffe spielt die Leber auch für die stick- stoffhaltigen Stoffe des Körpers eine sehr wichtige Rolle. Von einer um- fangreichen synthetischen Funktion (etwa der Bildung von Eiweiß aus dessen Spaltungsprodukten) auf diesem Gebiet ist zwar bis jetzt nichts be- kannt ) wohl aber ist die Leber bei der Bildung zahlreicher N-haltiger Produkte, die teils in Ex-, teils in Sekreten des Körpers erscheinen, in hervor- ragendem Maße beteiligt. 1. Die Prozesse, die sich auf die Zerlegung von Eiweißkörpern beziehen (Autodigestion, Autolyse). Während in den vorgehenden Kapiteln von Stoffen bzw. Prozessen die Rede war, die sich in der Leberzelle finden bzw. abspielen, ohne deren Gewebe selbst direkt zu betreffen, sind mit den Eiweißkörpern Stoffe und Prozesse gegeben, von denen jedenfalls ein Teil auch das Gefäß betrifft oder betreffen kann, in dem sie sich abspielen). In den Leberzellen ist ein proteolytisches Ferment (Endotryps’n) enthalten (und in Extrakten gewinnbar), welches imstande ist, Eiweißkörper hydrolytisch in einfache Spaltstücke zu zerlegen, ähnlich wie dies z. B. im !) Strecker u. Gundelach, Ann. d. Chem. u. Pharm. 62, 205, 1847; Strecker, ebenda 70, 149, 1849; Jolin, Zeitschrift f. physiol. Chem. 12 u. 13. — ”*) Heintz u. Wislicenus, Pogg. Ann. 108, 547, 1859; und R. Otto, Zeitschr. f. Chem. 1868, 8.635. — °) Hammarsten, Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 525, 1902; 32, 435, 1901. — *) Ob die Beobachtungen von Thompson (Journ. of Phys. 25, 1, 1899), daß die Lebergefäße nach Injektion von Wittepepton und Albumose sich sehr stark erweitern, in diesen Zusammenhang zu stellen ist, ist völlig ungewiß. — 5) Nach Gorup-Besanez (Lehrb. d. physiol. Chem. 1862, S. 128) enthält die Leber 11 Proz. Eiweißstoffe. Halliburton beschrieb zwei Globuline und (in Spuren) ein Albumin aus der Lebersubstanz, ferner ein Nucleolbumin. Arch. d. physiol. 13, 806, 1892 (vgl. Plosz, Pflügers Arch. 7, 371, 1873). — Solange es nicht aus anderen Gründen notwendig erscheint, dürfte es keinen Nutzen, weder für die Darstellung, noch für das Verständnis der Vorgänge bringen, den Begriff eines lebenden Protoplasmas einzuführen. Vielleicht lohnt es sich, zu versuchen, alle Gewebe (und Prozesse) als „nicht lebende“ aufzufassen. Zerlegung von Eiweißkörpern. 473 Darm durch das Trypsin geschieht; durch Kochen wird dieses Ferment zerstört. \ Die Einwirkung dieses Fermentes trifft die Eiweißkörper der Leber selbst (Globulin leichter als Albumin), doch vermag dasselbe auch auf andere Stoffe, z. B. Gelatine !), zu wirken. Salkowski?) wies die Wirkung des Fer- mentes nach, indem er die frisch zerhackte Leber mit der zehnfachen Menge Chloroformwassers digerierte. Die Wirkung des autolytischen Fermentes ließ sich auch — langsam fortschreitend — nachweisen, wenn man die unter den Vorsichtsmaßregeln der Asepsis aus dem Tierkörper herausgenommene Leber ohne jeden weiteren Zusatz bei 37° digeriert ?): Das Leberstück löst sich allmählich zu einer ziemlich flüssigen Masse auf. Die stickstoffhaltigen Produkte, die hierbei zur Beobachtung kommen, sind besönders Ammoniak (in größerer Menge als bei der Trypsinwirkung), ferner vorwiegend Monoamidosäuren, Glykokoll, Leuein, Tyrosin u. a., weniger Diaminosäuren, sodann wahrscheinlich Tryptophan u. a. Albumosen treten, wenn überhaupt, in geringer Menge auf). Des weiteren fand sich (S. Lang’), daß die Leber (wie andere Or- gane) das Vermögen hat, aus zahlreichen Stoffen (z. B. Glykokoll, Leucin, Asparagin, Glutamin, Acetamid, Harnstoff, Glykosamin, Harnsäure) Ammo- niak zu entbinden, und es ist zu vermuten, daß dieser Desamidierungs- prozeß fermentativer Natur sei. Bei akuter Degeneration des Lebergewebes lassen sich ebenfalls Zersetzungsprodukte wie dieoben genannten nachweisen, einmal im Harn bei akuter Atrophie häufig Leucin und Tyrosin, oft auch sehr große Ammoniak- mengen 6) (eventuell in Zusammenhang mit gesteigerter Säurebildung), bei Phosphorvergiftung (s.S. 499) findet sich Leucin und Tyrosin seltener; dagegen ist Cystin oder ein ihm verwandter Körper gefunden worden”), ferner Oxy- proteinsäure in vermehrter Menge °); sodann findet sich in der Leber selbst bei Phosphorvergiftung Leucin, Tyrosin, bei akuter gelber Leberatrophie erhielt Taylor?) Leucin und Asparaginsäure 10%), Röhmann ‘) Amidofett- säure (Alanin, Leucin?) Tyrosin usw. Dementsprechend sah Jacoby die Autolyse in der herausgenommenen Leber des phosphorvergifteten Hundes gesteigert, nach 24 Stunden war be- reits der größte Teil des Leberbreies verflüssigt, und bis zu 29 Proz. des ») Arnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 234, 1903. — ?) Salkowski, Zeitschr. f. klin. Med. 17, Suppl., 77, 1890 und Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1881, S. 361 und 1890, S. 554; Biondi, Virch. Arch. 144, 373, 1896; vgl. auch Hedin and Rowland, Journ. of Physiol. 26, XLVIII, 1901. — °®) Hügounengq et Doyon, Arch. d. physiol. 5 (1), 917, 1899; M. Jacobys „Autolyse“, Zeitschr. f. physiol. Chem. 30, 149 u. 174, 1900 und 33, 126, 1901; Ergebn. d. Biochem. 1, 213, 1902. — *) Arnheim (bei Salkowski), Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 234, 1903. — °) S. Lang, Hofmeisters Beiträge 5, 321, 1904. — °) Soetbeer, Arch. f. exper. Path. 50, 294, 1903 ; vgl. auch Röhmann, Berlin. klin. Wochenschr. 1888, Nr. 43/44. Schultzen undRiess, Charite-Annalen 15, 1, 1869. —’) Goldmann u. Baumann, Zeitsehr. f. physiol. Chem. 12, 254, 1888. — ®) Bondzynski u. Gottlieb, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1897, Nr. 33. — °) Taylor, Zeitschr. f. physiol. Chem. 34, 580, 1902; vgl. auch Wakemann, ebenda 44 (1905). — !”) An das Entstehen von Bern- steinsäure aus Asparaginsäure (Asparagin) bei der Autolyse der Leber hat Magnus-Lewy (Hofmeisters Beiträge 2, 261 u. 289, 1902) gedacht. 474 Zerlegung von Eiweißkörpern. — Glykokoll. Stickstoffs waren als Ammoniak nachweisbar. Neuberg und Richter!) wiesen in einem Falle von akuter gelber Leberatrophie in 345 ccm Blut 0,78g Tyrosin, 1,1g Leucin, 0,24g Lysin nach, daraus berechnen sich auf 4 bis 5kg Blut etwa 30g freie Aminosäuren; dabei war der Harnstoff nicht vermindert: über den Ort der Bildung dieser Säuren ließ sich nichts ent- scheiden. Nach Schlesinger?) ist das autolytische Vermögen der Leber geringer bei Kindern, die an chronischen Krankheiten, z. B. Pädatrophie, zugrunde gingen, als bei normalen. Es erhebt sich nach diesen Beobachtungen die Frage, ob diese oder ähnliche Zersetzungen der . Eiweißkörper in den Leberzellen auch innerhalb des normalen Lebensablaufes unter dem Einfluß eines endocellulären proteolytischen Ferments sich abspielen, nur in viel geringerem Maßstabe, vielleicht entsprechend der fortwährend stattfindenden Einschmelzung von organisiertem Gewebe)? Auch an die Abnahme des Gewichtes der Leber beim Hunger sei hier erinnert; Ü. Voit*) berechnete diese bei 13 tägigem Hunger (Katze) zu über 50 Proz. der Trockensubstanz. Dafür, daß im lebenden Organismus die Wirkung dieses Endotrypsins jedenfalls eine verlangsamte sei, sind vielleicht Versuche von Hahn und Geret’) heranzuziehen, welche beobachteten, daß die Spaltung der Eiweiß- körper im Preßsaft der l.eber eine yiel langsamere war als bei dem Sal- kowskischen Autodigestionsverfahren. Baer und Loeb %) sahen in Leberbrei die Autolyse verlangsamt nach Zusatz von Blutserum, und Wiener’) konnte die Leberautolyse durch Zusatz geringer Mengen Essigsäure steigern, durch Zusatz von Alkali hemmen. 2. Das Verhalten der Eiweißspaltungsprodukte in der Leber. Nachdem erörtert ist, daß es in der Leber zur Spaltung von Eiweib- körpern kommt, ist das weitere Verhalten dieser Spaltungsprodukte in der- selben — soweit darüber etwas bekannt ist — zu verfolgen. Dabei ist hinzuzufügen, daß solche Spaltungsprodukte — ebenso wie Eiweißkörper — auch durch das Blut (besonders das der Pfortader nach Aufnahme von Eiweiß in den Darm) der Leber zugeführt werden dürften. Auch diese sind ın den folgenden Kapiteln mit einbegriffen. Für die Darstellung lassen sich mehrere Gruppen von Prozessen unter- scheiden, welche 1. die Paarungen des Glykokolls (S. 475), 2. die Umbildung des Cysteins (S. 477), 3. das Verhalten der Tyrosinkörper (S. 480), 4. die Bildung des Harnstofies (S. 481) betreffen °). a) Neuberg und Richter, Deutsch. med. Wochenschr. 1904, S. 498. — ?) Schlesinger, Hofmeisters Beiträge 4, 87, 1903. — °) Vgl. C. Voit, Physiol. d. allgem. Stoffwechsels, 1881, S. 301. — *) C. Voit, l.c. 1881, S. 97; vgl. auch die Angaben über die Organgewichte bei einem wohlgenährten und bei einem hungernden Hund. C. Voit, Zeitschr. f. Biol. 30, 510, 1894. — °) Ed. Buchner, H. Buchner und M. Hahn, Die Zymasegärung, 1903, S. 336. — °) Baer u. Loeb, Arch. f. exper. Pathol. 53, 1, 1905. — ?) Wiener Zentralbl. f. Physiol. 19, 349, 1905. — °) Über die Umbildung einiger weiterer dieser Spaltungsprodukte siehe z.B. S.427, dann S.486, 8.492 und Gifte S. 499. lersc Glykokoll. — Glykocholsäure. 47: OU a) Glykokoll (Glyein), Amidoessigsäure, CH,NH,COOH, und Derivate: Glykocholsäure, Glykocholeinsäure, Hippursäure usw. (S. oben S.472 Glykokoll als Produkt der Zersetzung von Eiweißstoffen, des Leims !)! auch aus Harnsäure (s. S. 486!) u.a. entsteht Glykokoll nach Wiener?) beim Kaninchen.) Glykokoll ist leicht löslich in Wasser, nicht löslich in Alkohol und Äther; die Salzsäureverbindung ist in Wasser und Alkohol leicht löslich; mit Kupfer- hydroxyd liefert es dunkelblaue Nadeln von Glykokoll-Kupferoxyd. Über seine Darstellungs- und Bestimmungsmethoden siehe die betreffenden Hand- bücher! Glykokoll scheint im Körper in verschiedener Weise verwertet zu werden. S.483 ist bemerkt, daß es höchstwahrscheinlich ein Harnstoffbildner ist, ge- wiß dürfte es zum Teil verbrannt werden; ferner ist es ähnlich wie die Glu- kuronsäure geeignet, im Körper mit einer Reihe von Stoffen Bindungen ein- zugehen. Die wichtigste derartige Paarung, die in der Leber stattfindet, ist die Bildung der Glykocholsäure, C,,H,,; NO,, welche durch Zusammentritt von Cholsäure mit Glykokoll höchstwahrscheinlich wie bei den anderen Bindungen (s. unten) unter Wasserabspaltung entsteht: C„H.0, 2 CH,NH,COOH —= (,,H,„0,NHCH,CO0H - H,0. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Acylierung ?), indem der Cholsäure- rest an den Stickstoff des Glykokolls angelagert wird. Die Glykocholsäure ist leicht löslich in Alkohol und in Alkalilaugen, auch in Barytlaugen, wenig löslich in Wasser und in Äther, doch wirkt die Gegenwart von Taurochol- säure in wässeriger Lösung ihrem Ausfallen entgegen. Die Glykocholsäure ist schwach rechtsdrehend, ebenso ihre Salze; sie kristallisiert in glänzenden Nadeln, gibt wie die Cholsäure die Pettenkoferschen Gallensäureprobe (s. S. 470). Zur Darstellung der Glykocholsäure sind verschiedene Verfahren angewendet worden, so z. B. von Hüfner *) das Ausfällen der Säure mit Salz- säure und Äther. Durch Kochen mit verdünnten Mineralsäuren oder mit Alkalilaugen wird die Glykocholsäure in Cholsäure. und Glykokoll gespalten. Ein Ferment, das dies bewirkte, ist bis jetzt nicht beobachtet. Die Glykocholsäure wird in Form ihrer Alkalisalze, besonders des Na- trıumsalzes, unter normalen Verhältnissen in die Gallencapillaren ausgeschieden. Sie bildet beim Menschen einen der hauptsächlichsten Bestandteile der Galle (Hammarsten’), Lassar-Cohn). Auch beim Rind ist sie reichlich in der Galle enthalten; dabei ist bemerkenswert, daß in verschiedenen Gegen- den die Zusammensetzung der Rindergalle wechselt (Hüfner‘). In der !) Vgl. Spiro, Zeitschr. f. physiol. Chem. 28, 174, 1899. — °) Wiener, Arch. f. exper. Path. 40, 313, 1898. — °) Vgl. Tauber, Hofieisters Beiträge 4, 323, 1903. — *) Hüfner, Journ. für prakt. Chem. 10, 267, 1874; 19, 302; 25, 97. — °) Hammarsten, Ges. d. Wiss. Upsala, 15. Juni 1893; Lassar-Cohn, Die Säuren der Rinder- und Menschengalle, 1898, Habilitationsschrift ; vgl. auch Bleib- treu, Pflügers Arch. 99, 187, 1903. — °) Hüfner (Journ. f. prakt. Chem. 10, 267, 1874) fand in Tübingen besonders reichlich Glykocholsäure in der Galle des Rindes; vgl. Emich, Monatsh. f. Chem. 3, 330, 1882; Bulnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 299, 1898. 476 Glykokollderivate. Galle von westamerikanischen Ochsen fanden sich z. B. nach dem Hüfner- schen Verfahren !) nur bei etwa 22 Proz. beträchtliche Mengen von Glyko- cholsäure. In der Galle des Hundes fehlt sie normalerweise?). Die Bildung dieses Körpers findet, soweit die bisherigen Beobachtungen eine Entscheidung möglich machen, kontinuierlich statt. Ein Teil der ausgeschiedenen Glyko- cholsäure wird vom Darm durch das Blut zur Leber zurückgeführt (s. S. 514, Stadelmann). Die Bedeutung der Glykocholsäure und Gallensäure für die Verdauung usw. ist in dem betreffenden Abschnitt nachzusehen. Ferner findet sich das Glykokoll in der Leber mit Choleinsäure (s.8.471) vereinigt zu Glykocholeinsäure, die Wahlgren°) in der Galle des Rindes nachgewiesen hat (auch beim Menschen findet sie sich, Örum ®). In der Galle des Schweines ist eine Verbindung des Glykokolis mit Hyochol- säure (s. 8.472) beobachtet worden, die Hyoglykocholsäure°). An diese Verbindungen, welche oben (s.8.470) teilweise mit der Cholsäure, die ihre Hauptmasse ausmacht, erörtert sind, reihen sich Verbindungen der Amido- essigsäure an, für die der Nachweis, daß sie ihre Bildung in der Leber erfahren, nicht erbracht ist, und deren Ausscheidung aus dem Körper nicht durch die Gallen- capillaren, sondern durch die Nieren (bzw. von der Leber in das Blut?) erfolgt). Die Stoffe, die dabei in Reaktion treten, sind Säuren; Stoffe, welche nicht Säuren sind, paaren sich nur, nachdem sie vorher durch Oxydation oder Hydratation oder beides in Säuren übergeführt sind. Die Paarlinge verteilen sich auf mehrere Stoffgruppen. A. Benzolderivate, (Karbonsäuren) z.B. Benzoösäure, gepaart als Hippur- säure im Harn besonders der Pflanzenfresser, ist der bekannteste der hier zu nennenden Stoffe; als Ort seiner Bildung ist bekanntlich beim Hunde die Niere nachgewiesen ’), bei anderen Tieren kommt diese Paarung von Benzo&säure und Glykokoll auch anderen Geweben (Leber?) zu (Kaninchen, Frosch ®). Es ist sehr bemerkenswert, daß die Leber ein Ferment, Histozym (Schmiedeberg °), enthält, welches befähigt ist, die Hippursäure in ihre beiden Komponenten zu spalten (Hund). Weitere hier zu nennende Verbindungen sind Toluol, Aethylbenzol, Benz- amid, Benzylamin, Chinasäure usw. B. Pyridinderivate, z. B. Pikolin (Methylpyridin) wir oxydiert zu Pyri- dinsäure, C,H,N.COOH, und ausgeschieden als Pyridinursäure. C. Furfuranderivate, z. B. Furfurol; dieses wird teilweise oxydiert zu Brenzschleimsäure (Furfurankarbonsäure, C,H,0.COOH). D. Thiophengruppe, z. B. Thiophenaldehyd, C,H,S.CHO, oxydiert sich zu Tiophensäure und wird ausgeschieden als Thiophenursäure. Endlich ist noch an die zahlreichen Derivate des Glycins zu erinnern, die Emil Fischer!) in den letzten Jahren beschrieben hat; inwieweit dieselben für die Prozesse im tierischen Körper direkt Bedeutung haben, ist noch nicht ent- schieden. Es ist zu bemerken, daß in zahlreichen der oben genannten Paarungen zugleich eine Schutzwirkung für den Organismus zu sehen ist, indem derselbe auf diese Weise vor den giftigen Eigenschaften des gebundenen Paarlings ge- schützt wird (s. S. 499). !) Marshall, Zeitschr. f. physiol. Chemie 11, 233, 1886. — *) Strecker, Ann. d. Chem. 70, 149, 1849, u.a. — °) Wahlgren, Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 556, 1902. — *) Örum, Skandinav. Arch. f. Physiol. 16, 273, 1904. — °) Strecker u. Gundelach, Ann. d. Chem. 62, 205, 1847, u. Strecker, ebenda 70, 149, 1849; vel. Jolin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 417, 1887; 12, 512, 1888; 13, 205, 1889. — — °) Näheres über dieselben ist beim Kap. Harn nachzuschlagen. — 7) Bunge und Schmiedeberg, Arch. f. exper. Path. 6, 239, 1876. — °) Salomon, Zeitschr. f. physiol. Chem. 3, 365, 1879. — °) Schmiedeberg, Arch. f. exper. Path. 14, 379, 1881. — !°) Emil Fischer, Berichte 37, 3103 usw., 1904. DS | Cystein. 47 b) Schwefelhaltige Körper. Cystein und Derivate (Cystin, Taurin, Taurocholsätire, Schwefel- säure usw). Cystein!) «&-Amido-ß-thiomilchsäure, CH,SH.CHNH,.COOH, ist ein Zersetzungsprodukt des Eiweiß. Das Öystein ist wasserlöslich, es besitzt optisches Drehungsvermögen (schwache Linksdrehung). Cystein geht durch leichte Oxydation über in Cystin S.CH,.CHNH,.COOH | S.CH,.CHNH,.COOH welches (s. S. 473) bei Phosphorvergiftung, sowie auch in manchen Fällen eines nicht ganz normalen Ablaufes des Stoffwechsels im Harn beobachtet wird ?2); durch Reduktion läßt sich aus Cystin wiederum Cystein gewinnen. Auch in der Leber konnte Cystin nachgewiesen werden °). Das Cystin ist in Wasser, Alkohol und Äther nicht löslich, löslich in Alkalien und Säuren, dreht in salzsaurer Lösung sehr stark nach links. Cystein verbindet sich im Körper mit Halogenbenzolen (Br, J, Cl) unter Zutritt von Essigsäure zu Halogenmercaptursäuren, welche im Harn ausgeschieden werden; Baumann) gab denselben die Formel: cH, CH,CO.NHC.SC,H,Br, COOH demnach würde sich bei denselben die Schwefelgruppe in «-Stellung befinden im Gegensatz zu ihrer Stellung bei dem oben beschriebenen Cystein, bei dem sich die Schwefelgruppe in ß- und die NH,-Gruppe in «-Stellung befindet. Friedmann’) hat nun nachgewiesen, daß auch bei der Mercaptursäure die S-Gruppe ß-, die NH,-Gruppe «-Stellung einnimmt, daß sie also ebenfalls auf die «-Amino-P-thiomilchsäure sich zurückführt: CH,8. C,H, Br CH.NH.CO.CH, CO0H !) Friedmann, Erg. d. Biochemie 1, 15, 1902; Neuberg, Berichte 85, 3161, 1902; Abderhalden, Biochem. Zentralbl. 2, 256, 1904; vgl. Magnus-Levy, Hof- meisters Beiträge 2, 261, 1902. — °) Baumann u. v. Udranszky, Zeitschr. f. physiol. Chem. 13, 562, 1889 und 15, 77, 1891; Baumann, ebenda 8, 299, 1864: Garzia, Zeitsch. f. physiol. Chemie 17, 577, 1893; Borissow, ebenda 19, 511, 1894; Moreigne, Compt. rend. Soc. Biol., 18. Febr. 1899, S. 138 u.a.; vgl. Neu- berg, Berichte 35, 3161, 1902; Neuberg u. Mayer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 44, 472. — °) Scherer, Jahresber. über die Fortschr. d. Chem. 1857, S. 561; Drechsel, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1891, S. 243; vgl. Mörner, Zeitschr. f. physiol. Chem. 34, 207, 1901 u. 28, 595, 1899. — *) Baumann und Preuße, Zeitschr. f. physiol. Chem. 5, 309, 1881 und Berichte 12, 806; Jaffe, ebenda, S. 1092 u. 1096; Bau- mann u. Schmitz, Zeitschr. f. physiol. Chem. 20, 586, 1895. — °) Friedmann, Hofmeisters Beiträge 4, 486, 1904, doch sei hier bemerkt, daß sich «-Thiomilch- säure unter den Spaltungsprodukten, z. B. der Keratinsubstanzen (Friedmann, l. c. 3, 184, 1903), findet, ebenso wie im Cystin der Cystinsteine nach Neuberg und Mayer (Zeitschr. f. physiol. Chem. 44, 472) sich der Schwefel in «@-Stellung befindet. 478 Taurin. — Taurocholsäure. Oystein wird durch Oxydationsmittel in Taurin, Amidoäthylsulfosäure: CH,.NH, CH,.S0,H übergeführt (Friedmann!); analog wird Cystein (Cystin) im Körper, ver- mutlich in der Leber, zu Taurin oxydiert unter Abspaltung von CO, und Oxydation des Schwefels zu Schwefelsäure ?2). v. Bergmann?) beobachtete beim Hund nach Cystingaben Vermehrung des Taurins der Galle (s. unten). Taurin, von Tiedemann und Gmelin®) (1827) entdeckt, von Redten- bacher’) (1846) als schwefelhaltig erkannt, ist wasserlöslich, reagiert neu- tral, kristallisiert in durchsichtigen Säulen. Wird Taurin dem Menschen in den Magen gebracht, so erscheint es zum größten Teil im Harn mit einem Harnstoffrest verknüpft: Bo - INPERAOER EICH, SOSE als Taurokarbaminsäure 6) (beim Kaninchen nicht); das Taurin scheint dem- zufolge schwer verbrennlich zu sein (s. S. 481). Das Taurin paart sich normalerweise in der Leber mit Cholsäure (S. 470) zu Taurocholsäure’), C,,H4, NO;S, einem der Hauptbestandteile der Galle. Es handelt sich dabei vermutlich um eine Acylierung unter Wasseraustritt °). Auf dem Wege der Verfolgung der Ausscheidung dieser Säure ist es ge- lungen, über die Herkunft des Taurins ein Ergebnis zu erhalten. Es zeigte sich zunächst, daß beim Hund Fütterung mit cholsaurem Natrium eine Ver- mehrung der Taurocholsäureausscheidung in die Galle bewirkte (Weiß, v. Bergmann), die jedoch nicht bedeutend war und sich auf die ersten 24 Stunden nach der Fütterung beschränkte, darauf folgte ein Abfall der Taurocholsäureausscheidung, der wohl durch die Erschöpfung des Taurin- vorrats bedingt wurde. Wurde nun außer dem cholsauren Natrium Uystin gegeben, so stieg die Taurocholsäureausscheidung wieder hoch an und hielt einen oder einige Tage an; die Mehrausscheidung an Taurocholsäure betrug etwa so viel, als dem Schwefel des gefütterten Cystins entsprach. Auch nach Eiweißfütterung ist eine Vermehrung des Taurins beob- achtet worden, was der Herkunft des Öysteins aus dem Eiweiß entspricht 19). Immerhin ist der Schwefelgehalt der Galle in weiten Grenzen unabhängig vom Schwefelgehalt der Nahrung. Die Taurocholsäure ist leicht löslich in Wasser und Alkohol, ebenso ihre Alkalisalze, auch das Barytsalz, sie löst sich nicht in Äther, dreht die Ebene des polarisierten Lichtes nach rechts. Zur Darstellung der Taurocholsäure kann das gegen Glykochol- säure und Cholsäure verschiedene Verhalten der Taurocholsäure gegen Blei- ) Friedmann, Hofmeisters Beiträge 2, 433, 1902. — ?) Derselbe, ebenda 3, 1 u. 184, 1903. — °) v. Bergmann, ebenda 4, 192, 1904. Mit Leber- brei erhielt Blume (ebenda 5, 1, 1904) kein positives Resultat. — *) Tiede- mann u. Gmelin, Poggend. Ann. 9, 326, 1827. — 5) Redtenbacher, Ann. d. Chem. 57, 170. — °) Salkowski, Virchows Arch. 58, 460, 1873; Berichte 6, 744, 1192 u. 1312, 1873. — 7”) Maly u. Emich, Monatshefte f. Chem. 4, 89, 1883. — ö) Tauber, Hofmeisters Beiträge 4, 323, 1904; Embden, ebenda 8.329 (Embden erhielt die Taurocholsäure künstlich, in Kristallen. — °) v. Bergmann, Hof- meisters Beiträge 4, 192, 1903; vgl. auch Wohlgemuth, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 81, 1903. — ") Kunkel, Pflügers Arch. 14, 344, 1877 und P. Spiro, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, Suppl., 8.50. Schwefelsäure und Derivate. 479 zuckerlösung dienen, welche die beiden ersteren fällt, nicht aber die Tauro- cholsäure !). Die Taurocholsäure wird normalerweise in die Gallenwege ausgeschieden (als Natriumsalz) und gelangt in den Darm. Über die Resorption und Rück- leitung derselben zur Leber, von der sie aufs neue ausgeschieden wird s. S. 514. In der menschlichen Galle findet sich Taurocholat gewöhnlich in ge- ringerer Menge?) als Glychocholat; beim Rind ist das Verhältnis sehr wechselnd, in manchen Gegenden ist mehr, in anderen weniger Tauro- cholat als Glykocholat in der Galle enthalten; in der Galle westamerikanischer Ochsen fand sie sich stets); in der Galle des Rindes in Tübingen fand Hüfner besonders reichlich Glykocholat). Die Galle des Hundes enthält normalerweise nur Taurocholsäure °). Eine Taurohyocholsäure ist in der Galle des Schweines enthalten. Eine Tau- rochenocholsäure ist aus der Gänsegalle erhalten worden °). Schwefelsäure und Derivate derselben. Die Oxydation des Schwefels am Cystein zu Sulfosäure ist (S. 478) be- sprochen worden; ob die reichlich statthabende Oxydation von in den Magen eingeführtem Schwefel zu Schwefelsäure”) ebenfalls in der Leber statthat, ist nicht entschieden. Die Schwefelsäure tritt im Körper mit ver- schiedenen Stoffen in chemische Bindung, einmal indem sich S an © direkt ‚anlegt, wie z. B. beim Taurin (s. oben), wobei Sulfonsäuren entstehen, oder durch Bildung esterartiger Produkte. Es liegen Anhaltspunkte vor für die Annahme, daß diese Paarung zum Teil in der Leber statthat °); so fand Hammarsten’) in der menschlichen Galle (in geringer Menge) ätherschwefelsaures Alkali (in größerer Menge in der Galle der Haifische !%), in der Galle des Hundes fand dagegen v. berg- mann!!!) keine Ätherschwefelsäure.. Embden und Gläßner!?) fanden bei Durchblutungsversuchen an der Hundeleber mit Phenol (C,H, OH) beträcht- liche Mengen Phenolschwefelsäure entstehen (neben einer anderen Phenol- verbindung); in Niere und Lunge erhielten sie ebenfalls ein positives Ergebnis (für Muskel und Darm war kein positives Resultat nachweisbar). Wie Kat- suyama 13) beobachtete, wird diese Synthese durch CO-Vergiftung gehemmt, !) Siehe ferner Hammarsten, Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 127, 1904. — ®) O0. Jacobson, Ber. d. deutsch. chem. Ges. (6) berichtet über menschliche Gallen, die völlig schwefelfrei waren. — °) Marshall, Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 233, 1886; Emich, Monatshefte f. Chem. 3, 330, 1882. — *) Hütner, Journ. f. prakt. Chem. 10, 267, 1874 u. 25, 97. — °) Ad. Strecker, Ann. d. Chem. u. Pharm. 10; vgl. Hammarsten (Erg. de Physiol. 4, 9, 1905), der einen sehr hohen Gehalt der Dorschgalle an mit Taurin verknüpfter Gallensäure beobachtete. — °) Marsson, Arch. d. pharm., 2. Reihe, 58, 138; Heintz u. Wislieenus, Poggend. Ann. 108 (184 d. ganzen Reihe); Otto, Ann. d. Chem. u. Pharm. 149. — ?) Krause, Dissert. Dorpat 1853; Heffter, Erg. d. Biochem. 2, 110, 1903. — °) Baumann, Pflügers Areh. 13, 285, 1876 und Christiani u. Baumann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 9, 350, 1878. — °) l.c. Upsala, Sept. 1893. — !°) Hammarsten, Zeitschr. f. physiol. Chem. 24, 321, 1398, gebunden an verschiedene „Scymnole“, die die Pettenkofer- sche Gallensäurereaktion geben. — ") v. Bergmann, Hofmeisters Beiträge 4, 192, 196, 1904. — 1?) Embden u. Gläßner, ebenda 1, 310, 1902. — '%) Katsuyama, Zeitschr. f. physiol. Chem. 34, 83, 1901. Phenylalanin und Derivate. ASO ebenso wirkt Amylnitrit. Kochs!) erhielt mit dem Brei der Leber die Synthese von Phenol und Schwefelsäure. Durch diese Paarung wird ebenso wie bei den Paarungen mit Glykuron- säure und mit Glykokoll der angelagerte Stoff, wenn er an sich für den Körper giftig war, wie z. B. Phenol, seiner giftigen Eigenschaften beraubt; er verliert sein Vermögen, auf die Prozesse in den (seweben störend einzu- wirken, und wird aus dem Körper ausgeschieden (s. auch S. 499). Die verschiedenen mit H,SO, sich paarenden Stoffe werden hier nicht aufgeführt, da sie im Kap. Harn zusammengestellt sind. Dieselben gehören den eyklischen Verbindungen an. Eine dritte schwefelhaltige Substanz in der Galle, die weder ein Taurin- derivat noch eine Ätherschwefelsäure ist, hat Hammarsten 2) zuerst beob- achtet, vielleicht steht dieselbe dem Jecorin nahe. Der Schwefelgehalt der Leberzellen war in Analysen von Krüger (Szymkiewicz) beim Rind in den verschiedenen Lebensstadien (Fötus, Kalb, erwachsenes Rind & und 9) nahezu gleich und betrug 1,7 bis 1,9 Proz. des Trockenrückstandes (mit individuellen Schwankungen von 1,5 bis 2,1 Proz.); beim erwachsenen Menschen betrug der Schwefelgehalt im Mittel 2,4 Proz. der Trockensubstanz. c) Phenylalanin und Derivate (Tyrosin usw.) (Tyrosinkörper). Es ist S. 473 bemerkt worden, daß Tyrosin häufig bei akuten Degenerations- prozessen der Leber *) beobachtet wird. Ferner findet sich Paraoxyphenylessigsäure und -propionsäure, OH.C,H,.CH,.CH,. COOH, (Hydroparacumarsäure) im Harn in gesteigerter Menge nach überreichlicher Zufuhr von Tyrosin °). Oxymandel- säure sahen Schultzen und Rieß°) bei akuter Degeneration der Leber im Harn. Röhmann’) sah in einem solchen Falle nicht Tyrosin, sondern Oxymandelsäure, C,H,(OH)CHOH.COOH, oder Oxyhydroparacumarsäure, (0,H,(Ö H)CH,.CHg . COOH, also tyrosinähnliche Körper ohne Ammoniakgruppe. Es ist deshalb mög- licherweise die Alkaptonurie (Bödeker®) mit Prozessen in der Leber in Zusammen- hang zu bringen, da der sie verursachende Stoff aus Tyrosin hervorgehen kann. CH COH CH CH CH / N ee H0o/ FR Au Be HCc/ \COH N Y n\ \ Gi \ He CH a SH HOC\ CH HOC\ ‚CH ae ee [6 C C C C CH, CH, CH, CH, COOH CHNH, CHNH, CHOH CO0H | COOH COOH COOH Phenylalanin, Tyrosin, Uroleueinsäure, Homo- Gentisinsäure, $-Phenyl- ß-p-Oxyphenyl- -2,5-Dioxyphe- gentininsäure, 2,5-Dioxy- e-amidopropion- e-amido- nyl-«-oxy- 2,5-Dioxyphe- benzoesäure säure propionsäure propionsäure nylessiesäure, Hydrochinon- \ essigsäure !) Kochs, Pflügers Arch. 20, 64, 1879 u. 23, 161, 1890. — °”) Hammarsten, Erg. d. Physiol. 4, 13, 1905. — °) Krüger (Szymkiewicz), Zeitschr. f. Biol. 31, 400, 1895. — #) Auch im Coma diabeticum wurde Tyrosin beobachtet (Abder- halden, Medizinische Klinik 1904, 8. 15). — °) Blendermann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 6, 234, 1882. — °) Schultzen u. Rieß, Charite-Ann. 15, 74, 1869. — 7) Röhmann, Berl. klin. Wochenschr. 1888, Nr. 43 u. 44. — ®) Bödeker, Zeitschr. f. rat. Med. 7, 130, 1859. , Homogentisinsäure. 481 Bei der Alkaptonurie kommt es zur Ausscheidung von Homogentisin- säure und von Uroleucinsäure in den Harn (Baumann u. Wolkow!). Es ist bemerkenswert, daß hier ein Stoff, der in alkalischer Lösung begierig O, aus der Luft aufzunehmen vermag, vom Körper nicht verändert wird. Baumann und Wolkow zeigten, daß durch Zufuhr von Tyrosin die Homogentisinsäureausscheidung bedeutend steigt, bis zu 93 Proz. der Tyrosinmenge erschienen als Homogentisinsäure ?) im Harn. Nimmt man hierbei eine Entstehung aus Tyrosin an, so ist bei dieser Umwandlung besonders bemerkens- wert, daß eine Wanderung der Hydroxylgruppe des Tyrosins dabei erfolgt ist. Bei eiweißreicher Kost ?), besonders bei Kaseinzufuhr, welches relativ viel Tyrosin liefert, steigt ebenfalls die Homogentisinsäureausscheidung, die übrigens auch im Hunger nicht ganz verschwindet, also vermutlich auch vom Körpereiweiß geleistet werden kann. Auch Phenylalanin ist befähigt, die Homogentisinsäureausscheidung reich- lich zu steigern (bis zu 89 Proz.*); ähnlich wirkt Phenylbrenztraubensäure, C,H, 20H,.C0.C00H°). Die absoluten Mengen an ausgeschiedener Homogentisinsäure betrugen gewöhn- lich 2 bis 10 und mehr Gramm im Tag. Der alkaptonurische Mensch scheidet zugeführte Homogentisinsäure zum größten Teil wieder aus, während sie im nor- malen Menschen bis auf kleine Reste, die im Harn erscheinen, verschwindet‘). Auch Gentisinsäure (2,5-Dioxybenzoösäure) vermag der Alkaptonuriker nur zum kleinen Teil zu verbrennen und scheidet sie fast vollständig aus’). Ob es sich bei der Alkaptonurie um einen abnormen Ausscheidungsprozeß handelt, oder ob schon die Bildung der beiden ausgeschiedenen Säuren abnorm ist, ist noch unentschieden. Betreffend den Bildungsort der Homogentisinsäure wurde von Baumann besonders an den Darm gedacht, und es sollten dabei ab- norme bakterielle Prozesse die Ursache bilden; es haben sich jedoch hierfür keine Beweise erbringen lassen. Unter abnormen Verhältnissen, bei sehr reichlicher Zufuhr kann sieh das Tyrosin im Organismus (Kaninchen) paaren zu Tyrosinhydantoin co EUNZONH C,H,(OH)CH,.CH.CO (unter Anlagerung von Harnstoff °). Über die Paarung eines Derivates des Tyrosins der p-Oxyphenylpropionsäure (Hydroparacumarsäure) mit Glykokoll zu Paraoxyhippursäure ist an anderer Stelle nachzusehen. Auch die Bildung von Oxyphenylmilchsäure aus Tyrosin wurde beim Kanin- chen von Blendermann beobachtet °). 3. Die Harnstoffbildung in der Leber. Die Hauptmenge der stickstoffhaltigen Zersetzungsprodukte verläßt beim Menschen und Säugetier in der Form des Harnstoffs 10), CO I (entdeckt von Rouelle, 1773), den Körper. !) Baumann u. Wolkow, Zeitschr. f. physiol. Chem. 15, 228, 1891; Huppert, ebenda 23, 412, 1897; Kirk, Brit. med. Journ. 2, 1017, 1886 u. 2, 1142, 1889; E. Meyer u. Langstein, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 78, 161, 1903; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, S. 383. — ?) Mittelbach, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 71, 50, 1901. — ?) Falta, ebenda 81, 231, 1904. — *) Langstein und Falta, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37, 513, 1903. — °) Neubauer u. Falta, ebenda 42, 81, 1904. — °) Embden, ebenda 18, 304, 1893. — 7) Neubauer u. Falta, l.c. — ®) Blender- mann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 6, 234, 1882; Jaffe, ebenda X, 306, 1883. — 9) Blendermann, ebenda 6, 234. — !°) M. Jacoby, Ergebnisse d. Biochem. 1, 532, 1902. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 31 482 Harnstoffbildung. Harnstoff ist leicht löslich in Wasser, Alkohol, nicht löslich in Äther, Chloroform, kristallisiert meist in langen, vierseitigen Prismen, im tetragonalen System. Harnstoff liefert Verbindungen mit Salpetersäure, Phosphorsäure, Oxal- säure, salpetersaurem Quecksilberoxyd usw., ferner bildet er mit o-Nitro- benzaldehyd ein in Alkohol und Wasser schwer lösliches Diureid: o-Nitro- bone „den die BRORCHER an ads) sw Aus die Meihoden des qualitativen und quantitativen Nachweises des Harnstoffs kann hier nicht eingegangen werden. _ v. Schröder!) hat beobachtet, daß ın der durchbluteten Leber des Hundes Harnstoff gebildet wird; in einem Versuche belief sich der Harn- stoffgehalt des Blutes zu Anfang des Versuches auf höchstens 0,5 g, am Schlusse des Versuches auf mindestens 1,7 g Harnstoff, es handelte sich also um eine Entstehung von mindestens 1,2 g Harnstoff. Des näheren erhielt Schröder ein positives Resultat: 1. wenn der Leber eines Hungertieres ebensolches Blut unter Zusatz eines Ammonsalzes (ameisen- saures, kohlensaures Ammon) zugeführt wird; 2. wenn die Leber eines in Verdauung befindlichen Tieres mit Blut eines ebensolchen Hundes (auch ohne Zusatz eines Ämmonsalzes) durchblutet wird. Es ist demnach kein Zweifel, daß die Leber Harnstoff, und zwar in be- deutender Menge zu bilden vermag, es ist aber noch unentschieden, ob andere Organe ebenfalls diese Fähigkeit besitzen. v. Schröder sah am nephrekto- mierten Tier, nach Ausschaltung der Leber bei Zufuhr von Ammonsalzen Harnstoff nicht sich im Blute anhäufen, während bei ungestörtem Leberkreis- lauf sich in solchen Tieren schnell Harnstoff im Blute ansammelte; diese Er- scheinung kann jedoch auf indirekten Ursachen beruhen. Die neueren Ver- suche von Salaskin und Zaleski?) lassen die Möglichkeit offen, daß auch außerhalb der Leber Harnstoff im Säugetierkörper gebildet wird®). Bemerkens- wert ist, daß sich in den Muskeln des Katzenhais (Scyllium catulus) reichlich Harnstoff findet®). Die Herkunft des Harnstoffs und die Art seiner Bildung in der Leber ist noch großenteils ungeklärt, zum Teil, weil die Methodik der Harnstoffbestimmung keine völlig ausreichende ist. Zum strengen Nachweis eines Stoffes als Harnstoffbildner ist einmal zu verlangen, daß Harnstoff nach Zufuhr desselben in vermehrter Menge auftritt, dies genügt aber nicht: Glykogen kann z. B. in der Leber in vermehrter Menge nach Ammoniaksalzgaben beobachtet werden (s. 8.443), aber doch un- möglich aus demselben gebildet sein; es müssen deshalb noch einige andere Forderungen erfüllt sein, z. B. entsprechende Abnahme des zu prüfenden Stoffes, ferner ist streng genommen der Nachweis der Nichtabnahme bzw. der Nichtbeteiligung der übrigen stickstoffhaltigen Stoffe zu verlangen. !) v. Schröder, Arch. f. exper. Pathol. 15, 364, 1882; 19, 373, 1885. Salomon, Virchows Arch. 97, 149, 1884. Schöndorff, Pflügers Arch. 54, 420, 1893. — ”) Salaskin und Zaleski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 517, 1900. — °) Vel. Sehöndorff, Pflügers Arch. 74, 307, 1899. — *) v. Schröder, Zeitschr. £. physiol. Chem. 14, 576, 1890. Städeler und Frerichs, Journ. f. prakt. Chem. 13, As 1858 Quellen des Harnstoffs. 483 Als Stoffe, aus denen Harnstoff hervorgehen kann, sind verschiedene zu nennen: erstens ist Ammoniak!), wie aus den Versuchen v. Schröders hervorgeht, als Harnstoffbildner anzusehen. Dasselbe wird der Leber zum Teil durch die Pfortader zugeführt; da Ammoniak zudem bei der Autolyse der Leber in vermehrter Menge auftritt (s. S. 472), dürften durch dasselbe als Zwischenstufe verschiedenartige Spaltungsprodukte des Eiweißes an der Harnstoffbildung beteiligt sein. Nach Salaskın?) wird der Leber durch die Pfortader zur Zeit der Ver- dauung reichlich Ammoniak (3 bis8 mg pro 100 ccm Blut) zugeführt, während der Ammoniakgehalt des Lebervenenblutes beträchtlich niedriger ist (1 bis 2mg pro 100ccm). Nach Nencki, Pawlow und Zaleski?) enthält das Pfortader- blut ım Mittel das Zwei- bis Dreifache an Ammoniak vom arteriellen Blut; auch mit einer verbesserten NH,-Bestimmungsmethode (unter Verwendung von Magnesia statt Kalkwasser) erhielten sie‘) ähnliche Resultate: im arteriellen Blut (Hund) im Mittel 0,41 mg NH; pro 100 ccm, im Pfortaderblut im Mittel das Drei- bis Fünffache. Nach Biedl und Winterbergs’) sorgfältigen Beobach- tungen ist jedoch eine derartige Differenz nur ausnahmsweise zu beobachten. Die Amidosäuren (Glykokoll, Leucin, Asparaginsäure), die bei der Eiweißspaltung im Körper entstehen, sind®) als Harnstoffbildner mit großer Wahrscheinlichkeit erwiesen. Einesteils verschwinden in der künstlich durch- bluteten Hundeleber beträchtliche Mengen (bis zu 100 Proz.) dieser Sub- stanzen, andererseits kommt es zu reichlicher Bildung einer harnstoffähnlichen oder mit Harnstoff identischen Substanz. Vielleicht ist auch die Beobachtung von v. Schröder, daß das Blut eines gefütterten Hundes ohne Ammoniak- zusatz Harnstoff zu bilden vermag, hierher zu stellen. Nach Stolte’) bilden von Monaminosäuren Glykokoll und Leucin kräftig Harnstoff; Alanin, Asparaginsäure, Glutaminsäure, Cystin vermehren den Harnstoffgehalt des Harnes, Tyrosin und Phenylalanın aber nicht. Das Arginin, ebenfalls ein Spaltungsprodukt des Eiweißes (bei der tryptischen Verdauung), wird (Kossel und Dakin°) durch ein im Gewebe der Leber enthaltenes Ferment, Arginase, in Harnstoff und Örnithin (1,4-Diamidovaleriansäure) gespalten. NH, NH CNH +H,0 =(C0 NH. + CH,NH,(CH,),CHNH,COOH NH.CH,.CH,.CH,.CHNH,.COOH De Es wird bei dieser Fermentwirkung — analog der Spaltung des Guanidin- komplexes durch kochendes Barytwasser — C von N losgelöst (nicht CO von N, wie z. B. durch tryptische Fermente). Die Arginase ist in frischem Leber- brei, auch im Leberpreßsaft enthalten, kann durch Wasser usw. extrahiert U) Es ist zu beachten, daß hier aus einer stark alkalischen Substanz im Orga- nismus eine fast neutrale Substanz gebildet wird. — ?) Salaskin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 449, 1898. — °) Nencki, Pawlow und Zaleski, Arch. f. exper. Pathol. 37, 26, 1895. — *) Horodynski, Salaskin und Zaleski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 246, 1902. — °) Biedl und Winterberg, Pflügers Arch. 88, 140, 1902; vgl. auch Münzer und Winterberg, Arch. f. exper. Pathol. 33, 164, 1894. — °) Schultzen und Nencki, Zeitschr. f. Biol. 8, 124, 1872. Salkowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 4, 55 u. 100, 1880. Salaskin, ebenda 25, 128, 1898 u.a. — 7) Stolte, Hofmeisters Beiträge 5, 15, 1904. — °) Kossel und Dakin, Zeitschr. f. physiol. Chem. +41, 321, 1904; 42, 181, 1904. 31* 484 Quellen des Harnstoffs. — Theorien der Harnstoffbildung. xO werden, ist fällbar durch Alkohol und Äther usw. Kossel erhielt z. B. in einem Versuche dureh 25g Leberbrei in sechs Stunden 5 g Arginin gespalten. Da das Arginin in den Eiweißkörpern, die hauptsächlich in der Nahrung der Säugetiere enthalten sind, nur in geringer Menge sich vorfindet, so kann von dieser Zersetzung nur ein kleiner Teil des ausgeschiedenen Harnstoffs stammen. Das von Richet!) aus der Leber beschriebene harnstoffbildende Ferment kann mit der Arginase Kossels bis auf weiteres nicht identifiziert werden, es ist bis jetzt die sichere Feststellung des durch das Richetsche Ferment gebildeten Körpers, der jedenfalls nicht Harnstoff ist, nicht gelungen). Für die Oxaminsäure, NH,COCOOH, schließt Schwarz), daß sie im Tierkörper (doch nur zum kleinen Teil) in Harnstoff übergeht, ohne daß vorher Ammoniak von ihr abgespalten wird, denn die im letzten Falle zu er- wartende Oxalsäure ließ sich nicht nachweisen. Für die Harnsäure (S. 486) wurde von verschiedener Seite versucht, den Nachweis der Harnstoffbildung zu erbringen *); daß im Säugerorganismus bei der Zersetzung der Harnsäure Harnstoff das Hauptendprodukt des Ammo- niakanteils ist, ist wohl nicht zu bezweifeln. Diesen direkten Harnstoffbildnern gegenüber sind die Mutterkörper der- selben, die verschiedenen Eiweißstoffe, Nucleoproteide usw., als indirekte Harn- stoffbildner zu nennen, auch die Nucleinsäuren dürften 5) unter diese vermut- lich zu zählen sein. H Über die Art, wie die Bildung des Harnstoffs in der Leber zu- stande kommt, sind verschiedene Vorstellungen gebildet worden, von denen die wichtigsten hier kurz wiedergegeben werden. Am einfachsten liegt der Fall für das Arginin, insofern es sich hierbei um eine enzymatische Spaltung handelt (Drechsel), die mit der großen Zahl der anderen hydrolytischen Fermentwirkungen, z. B. der Diastasewirkung, Lipasewirkung usw., in der Leber zusammenzustellen ist. Für die anderen Fälle hat man einmal (Schmiedeberg®) die Theorie aufgestellt, daß es sich um eine Anhydridbildung handle, so daß Ammo- niak sich an die in der Leber aus den verschiedensten Quellen reichlich vor- handene Kohlensäure anlagere zu kohlensaurem Ammonium, welches unter Abspaltung zweier Moleküle Wasser zu Harnstoff sich kondensiere: ONH' — mo = Com In ähnlicher Weisenahm Drechsel’) karbaminsaures Ammonium, welches sich leicht aus kohlensaurem Ammon bildet, als direkte Vorstufe des Harn- stoffs an; aus diesem würde durch abwechselnde Oxydation und Reduktion oder ebenfalls durch H,0-Entziehung Harnstoff entstehen: co 2 NE ON 19,0 !) Richet, Compt. rend. Soc. Biol. 46, 525, 1894; 49, 743, 1897. — ?) Gott- lieb und v. Schröder, Arch. f. exper. Pathol. 42, 238, 1899. Loewi, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 511, 1898. — °) Schwarz, Arch. f. exper. Pathol. 41, 60, 1898. — *) Ascoli, Pflügers Arch. 72, 340, 1898; vgl. Kutscher und Seemann, Zentralbl. f. Physiol. 17, 715, 1903. — °) Loewi, Arch. f. exper. Pathol. 45, 157, 1901. — °) Sehmiedeberg, ebenda 8, 1, 1877. — > Drechsel, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1891, 8.236; Journ. f. prakt. Chem., N. F., 22, 476. Abel und Muirhead, Arch. f. exper. Pathol. 31, 15, 1892. Theorien der Harnstoffbildung. — Uramidosäuren. 485 Eine zweite Theorie hat Hofmeister!) aufgestellt; nach derselben kann der Harnstoff durch eine oxydative Synthese gebildet werden; ein Bild dieser Auffassung gibt die Oxydation der Oxaminsäure?) (s. oben): NH, NH, C0.COONa+ NH, +0 —= 00.04, + 0007” zu Harnstoff und Kohlensäure. Es ist möglich, daß auch hier, wie bei der Glykogenbildung, verschiedene Wege dem Organismus gangbar sind. Eine weitere Theorie (Hoppe-Seyler u. a.) nahm eine Bildung von Cyansäure und von Ammoniak aus dem Eiweiß an und ließ aus diesen beiden Stoffen — analog der Wöhlerschen ersten Synthese des Harnstoffs aus iso- cyansauream Ammon — Harnstoff entstehen, Es ist bis jetzt nicht gelungen, Cyansäure im Körper nachzuweisen. Ein harnstoffspaltendes Ferment in der Leber hat Jacoby?) beschrieben. Im Anhang ist hier die Bildung von Uramidosäuren aus Amidosäuren im Tierkörper zu erwähnen (Schultzen, Salkowski). Es ist zwar nicht bewiesen, daß diese Umformungen in der Leber zustande kommen, es ist dies aber immerhin und teilweise möglich, so daß auch mit Rück- sicht auf die Frage nach der Bildung des Harnstoffs ihre Erwähnung hier er- forderlich ist‘). Bei diesen Körpern tritt an Stelle der NH,-Gruppe die Gruppe NH,CONH—. Aus Äthylaminkarbonat bildet sich (Hund) Äthylharnstoff und tritt in den Harn: NH,CH,CH, — C,H,.NH.CO.NH, (Schmiedeberg°). Aus m-Amidobenzoösäure entsteht Uramidobenzoösäure®) und wird im Harn ausgeschieden (Mensch, Hund usw.): C,H,NH,.COOH — NH,CONH.C,H,COOH. Aus o- und p-Amidosalieylsäure entsteht Uramidosalicylsäure’): NH,.C,H,0H.COOH — NH,CONH.C,H,(OH)(COOH). Taurin bildet Uramidoisaethionsäure (Salkowski°®) (Taurokarbaminsäure): NH,.CH,.CH,.S0,H — NH,CONH.CH,.CH,.$0,H. Sulfanilsäure bildet Sulfanilkarbaminsäure °): NH,C,H,S0,H — NH,CONH.C,H,.S0,H. Die Entstehung von Tryosinhydantoin aus Tyrosin sei hier ebenfalls erwähnt, da es sich bei derselben um die Bildung eines Harnstoffrestes handelt, der jedoch doppelt an Tyrosin gebunden ist (vgl. Harnsäure): 2.60) NH NH OH „ OHNHN GH, CH,.CHNH,.000H ° %H.0H,0H.co !) Hofmeister, Arch. f. exper. Pathol. 37, 426, 1896; vgl. Eppinger, Hof- meisters Beiträge 6, 481, 1905. — °) Halsey, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 325, 1898. — ®) Jacoby, ebenda 30, 167, 1900. — *) Über ein möglicherweise im Harn auftretendes Ureid von Zuckern siehe Neuberg und Neimann, Zeitschr. £. physiol. Chem. 44, 97, 1905 und besonders Schoorl, Rec. des trav. chim. des Pays-Bas 22, 31,1903. — °) Schmiedeberg, Arch. f. exper. Pathol. 8, 1, 1878. — °) Salkowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 7, 93, 1882; R. Cohn, ebenda 17, 274, 292, 1892. — ) Pruszinski, zit. nach Jahresber. d. Tierchem. 1892, S. 76. — °) Salkowski, Ber. 6, 744 u. 1312, 1873; Virchows Arch. 58, 460, 1873. — °) Ville, Compt. rend, 114, 228, 1892, 486 Uramidosäure. — Harnsäure. Die Entstehung dieser Stoffe läßt sich mit beiden oben genannten Theorien vereinigen. Doyon und Dufourt haben untersucht !), ob Aufhebung des Zuflusses arteriellen Blutes zur Leber das Verhältnis der Harnstoffmenge zum Gesamt- stickstoff im Harn ändert; sie fanden bei ihren Versuchen eine Verminderung des Harnstoffs im Verhältnis zum Gesamtstickstoff; Ligatur der Pfortader allein hatte keinen merklichen Einfluß. Ausgedehnte Leberverödung (Hund) durch Säureinfusion in den Ductus choledochus?) hatte wohl das Auftreten von Karbaminsäure (im Harn) zur Folge, ändert aber das Verhältnis der Ausscheidung von Ammoniak zu Gesamtstickstoff und Harnstoff kaum nennens- wert. Aurch Biedl und Winterberg?) konnten für Ammoniak bei der ge- nannten acuten Leberverödung ein wesentlich anderes Verhalten als unter normalen Verhältnissen nicht nachweisen. Die Ausscheidung des Harnstoffs erfolgt von. der Leber ins Bin wie z. B. die Durchblutungsversuche beweisen; über Ausscheidung in die Galle siehe bei dieser! 4. Die Harnsäurebildung in der Leber (Purinkörper). 6 C c=0 ==16) nA 2 A ıN | NH | NH v2 DT % : Ya 20 C—N CH cC-NH c=0 C-NH Ne N n \ S N | 08 N CH NH | CH Sein Non? Neon? es 6-Oxypurin, 2, 6-Dioxypurin, Purinkern Hypoxanthin (Sarkin) Xanthin % eC=0 PNZ\ Ve H, NH NH | N | % "A 2. C=0 C-NH C- x G-NH CH C—NH N S N \ NH =0 CH N CH NC-NH A Neon? 2, 6, 3-Trioxypurin, 2- ee 6-Aminopurin, Harnsäure Guanin Adenin ” co f Z (0) NH a | COLE RR co CHOoH > CH S NH ” co: NH.CH.NH.CO,.NH, NH NG n? :NH.0O Nco 7-Methylxanthin, Allantoin Tartronylharnstoff, Heteroxanthin Dialursäure Außer dem Harnstoff wird in den höheren Tieren (Säugetieren und in erster Linie Vögeln) besonders noch ein zweiter Stoff gebildet, der die Aus- ) Doyon u. Dufourt, Arch. de physiol. 30, 522, 1898. — °) Lieblein, Arch. f. exper. Pathol. 33, 318, 1894. — °®) Biedl u. Winterberg, Pflügers Arch. 88, 186, 1901. Purinkörper. 487 fuhr des Ammoniak aus dem Körper vermittelt, die Harnsäure (entdeckt von Scheele!) 1776), 2, 6, 8-Trioxypurin ?). Die Harnsäure ist sehr wenig löslich in Wasser, bei Zimmertemperatur 1:14000, bei 37° etwa 1:7000 bis 8000 3). Nach His und Paul®) ist jedoch die Löslichkeit in möglichst reinem Wasser, bei Anwendung aller Vorsichtsmaßregeln, viel geringer, bei 18% 1:39 000; die Harnsäure ist nicht löslich in Alkohol und Äther. Die Harnsäure kristallisiert in verschiedenen Formen und nimmt dabei sehr leicht Farbstoff auf, so daß die Kristalle häufig gefärbt erscheinen; sie ist eine zweibasische Säure und bildet als solche Mono- und Diurate. Diese Salze, besonders die Diurate, sind leichter in Wasser löslich als die freie Säure. Was den Nachweis der Harnsäure betrifft, so sei hier nur an die Murexid- probe erinnert: ein wenig Harnsäure, mit Salpetersäure auf einem Tiegeldeckel abgeraucht, hinterläßt beim Trocknen eine rote Masse, die mit Ätzammoniak purpurrot wird, es bildet sich das Ammonsalz der Purpursäure, vermutlich: SNFEIEACIORRSESNERN SS SLCIORENEHR. ONE. 00: : oo Nu das mit Natronlauge sich blauviolett färbt. Die übrigen Harnsäureproben, sowie die Methoden der quantitativen Bestimmung der Harnsäure können hier nicht wiedergegeben werden. Harnsäure ist in der Leber nachgewiesen worden beim Menschen, Rind, Schwein, Pferd, beim Hund höchstens in Spuren, ferner verhältnis- mäßig reichlich bei Vögeln (Meissner), außerdem auch in anderen Organen. Die Quellen der Harnsäure sind erstens besonders bei den Säuge- tieren die Nucleoproteide bzw. die Nucleine der Zellkerne®); diese werden durch Alkali bei gewöhnlicher Temperatur in Nucleinsäure und Eiweiß ge- spalten; die ersteren sind phosphorhaltig und liefern beim Kochen mit ver- dünnter Schwefelsäure Xanthinbasen (neben anderen organischen Verbindungen und Phosphorsäure); es liefern jedoch nicht alle Nucleinsäuren alle Xanthin- basen °), Thymusnucleinsäure z. B. besonders Adenin, dann Guanin. Die ent- stehenden Nucleinbasen sind: Xanthin, Hypoxanthin, Guanin, Adenin. Ein Nucleoproteid der Leber beschrieb Wohlgemuth°); dasselbe enthielt 2,98 Proz. Phosphor und lieferte bei der hydrolytischen Spaltung ein Kohle- hydrat, ‘dessen Osazon mit dem Xylosazon genügend übereinstimmte°’), und das sich als I-Xylose erwies, ferner Xanthin, Hypoxanthin, Adenin, Guanin und andere Körper. Die Nucleoproteide werden bei der Autodigestion der !) Scheele, Examen chemicum caleuli urinarii. Opuse. 2, 73, 1776. — ?) E. Fischer, Ber. 32, 435, 1899. — °) Camerer, Deutsche med. Wochenschr. 17, 356, 1891. — *) His und Paul, Zeitschr. f. physiol. Chem. 31, 1, 1900. — ®) v. Schröder, Beitr. z. Physiol. 1887, $. 89, 1887, €. Ludwig gewidmet. — ©) Miescher, Arch. f. exper. Pathol. 37, 100, 1896; Kossel, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1891, S. 181; 1893, 8. 157; 1894, 8. 194; Zeitschr. £. physiol. Chem. 22, 74, 1896 usw. — 7) Über die Art der Bindung der Xanthinbasen im Nucleinsäure- molekül (vermutlich am N-Atom '’7”) vgl. Burian, Ber. 37, 708, 1904. — °) Wohl- gemuth, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37, 475, 1903; 44, 530, 1905; Berl. klin. Wochenschr. 1900, Nr. 34. — °) Vgl. Levene, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 133, 1903. 488 Quellen der Harnsäure (Purinkörper). Organe, z. B. der Leber, gespalten (Salkowski!); Araki?) spricht direkt von einem nucleinspaltenden Ferment in der Leber. Aus Milzpulpa bildet sich (Horbaczewski?) bei Digestion mit sauerstoff- haltigem Blut Harnsäure; aus derselben Muttersubstanz, die bei Oxydation Harn- säure lieferte, wurde ohne Sauerstoffzufuhr Xanthin und Hypoxanthin erhalten; dasselbe wurde darauf mit Lebergewebe konstatiert); auch nach Zusatz von Xanthin und Hypoxanthin zu diesem, sowie zu Leberextrakt (Rind 5) wurde bei Sauerstoffzufuhr Harnsäure erhalten, das dies bewirkende Ferment nannte Burian Xanthinoxydase; in letzter Zeit ebenfalls sicher erwiesen ist dasselbe Verhalten für Guanin und Adenin ®), welche vor der Oxydation erst desamidiert werden müssen. Hierher sind auch die Beobachtungen zu stellen, daß bei Phosphorvergiftung”) (jedoch nicht stets gefunden), bei Leberver- ödung‘) und nach Anlegung einer Eckschen Fistel?) die Harnsäureaus- scheidung sich steigern kann; es dürfte sich in allen diesen Fällen neben anderem um eine Einschmelzung von Zellkernen handeln, welche zum ver- mehrten Auftreten der Harnsäure Anlaß gibt. Ähnlich wie sich durch Digestion von Körpergeweben eine Bildung von Harnsäure aus Nucleinbasen erhalten ließ, gelang es durch Fütterung mit Nucleinen, besonders beim Kaninchen und beim Menschen, eine Vermehrung der Ausscheidung der Harnsäure zu erreichen 10). Dasselbe wurde beim Menschen nach Zufuhr nucleinreicher Thymus beobachtet!!), Es ließ sich weiter zeigen, daß die Zufuhr von reinem (Eier) Eiweiß, Paranuclein (Eidotter) beim Menschen eine solche Steigung nicht bewirkt!?). Auch beim Hunde gelang es!?), nach Fütterung mit Salmonucleinsäure, Thymusnucleinsäure, Thymusdrüse eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung zu erhalten; die- selbe war etwas geringer als beim Menschen, und neben ihr kam es zu einer beträchtlichen Ausscheidung von Allantoin (s. unten). Gab man endlich die freien Nucleinbasen selbst, so fand sich ebenfalls ein Zuwachs an aus- geschiedener Harnsäure; am deutlichsten sah denselben Minkowski beim Menschen nach Hypoxanthinzufuhr, doch auch beim Hunde (wiederum wie oben neben Allantoin); Adenin lieferte ein zweifelhaftes Resultat, andere Spaltungsprodukte des Nucleins ergaben kein positives Ergebnis. !) Salkowski, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1890; Zeitschr. f. physiol. Chem. 13, 506 (u. 533), 1889. Vgl. Röhmann, Berl. klin. Wochenschr. 1888, Nr. 43/44. — ?) Araki, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 84, 1903. — °?) Horbaczewski, Monatsh. f. Chem. 10, 624, 1889; 12, 221, 1891. — *) Spitzer, Pflügers Arch. 76, 192, 1899; Wiener, Arch. f. exper. Pathol. 42, 375, 1899. — °) Burian, Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 497, 1905. — °) Schittenhelm, ebenda 42, 251, 1904; 43, 228, 1905; 45, 121, 152, 161, 1905; das die Desamidierung bewirkende Ferment nannten Jones und Partridge (Zeitschr. f. physiol. Chem. 42, 343, 1904) und Jones und Winternitz (ebenda 44, 1, 1905), wenn es die Umwandlung von Guanin in Xanthin vermittelt, „Guanase“, für die Bildung von Hypoxanthin aus Adenin „Adenase“; in der Leber fanden sie keine oder nur sehr wenig Guanase. Schitten- helm hält beide Fermente für identisch. — 7) Horbaezewski, Monatsh. f. Chem. 12, 221, 1891. — ®) Lieblein, Arch. f. exper. Pathol. 33, 318, 1894. — °) Nencki, Pawlow und Zaleski, ebenda 3%, 49, 1896. — ') Horbaczewski, Monatsh. f. Chem. 12, 221, 1891. — ") Weintraud, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, S. 382. — 12) Heß und Schmoll, Arch. f. exper. Pathol. 37, 243, 1896 u.a. — “°) Min- kowski, ebenda 41, 375, 1898 u.a. Quellen der Harnsäure (Purinkörper, Ammoniak). 489 Den Befunden entsprechend, daß sowohl aus der Zellkernsubstanz der Nahrung (Drüsen, Fleisch usw.), als des Körpers selbst Harnsäure entstehen kann, unterscheiden Burian und Schurr!) exogene von endogenen Harn- purinen (indem sie die neben Harnsäure ausgeschiedenen Nucleinbasen mit dieser zusammenfaßten) und suchten zu bestimmen, wie sich die Gesamtpurin- ausscheidung auf eine jede von beiden Gruppen verteile ?). Wie schon bemerkt, findet diese oxydative Bildung der Harnsäure in verschiedenen Geweben statt, beim Säugetier ist dieselbe besonders für die Milz und die Leber nachgewiesen; auch beim Vogel (Gans), nach Ausschaltung der Leber, mit sehr geringer Harnsäureausscheidung (s. unten), ließ sich nach Zufuhr von Xanthinbasen (Hypoxanthin) noch deutlich Harnsäurevermehrung nachweisen 3), doch ist nach Milroy*) dieser Weg zur Bildung von Harnsäure beim Vogel (Gans, Ente) zum mindesten von geringer Wichtigkeit, und es ist nicht sicher, daß die Steigerung der Harnsäureausscheidung nach Nuclein- säurefütterung eine direkte Entstehung der Harnsäure aus dem Purinradikal beweist. Zweitens ist ein Aufbau der Harnsäure im tierischen Organismus nachgewiesen. Zunächst ist vorauszuschicken, daß die Bildung von Xanthin- basen im tierischen Organismus in bestimmten Fällen festgestellt ist. Während in dem isolierten Dotternuclein des nicht bebrüteten Hühnereis keine Xanthin- basen nachweisbar sind, finden sich solche (Guanin, Hypoxanthin) reichlich in dem 14 Tage alten Hühnchenembryo°). Auch im saugenden Säugetier (Hund), welches in der Milch fast keine Nucleine erhält, fanden Burian und Schurr eine Zunahme an Xanthinbasen gegenüber dem Neugeborenen ®). Inwieweit diese Beobachtungen auf die erwachsenen Tiere übertragen werden dürfen, ist noch zu entscheiden. Die Bildung von Harnsäure aus Ammoniak und einem kohlenstoffhaltigen Komplex liest am klarsten bei den Vögeln, bei welchen die überwiegende Hauptmenge des Ammoniak nicht als Harnstoff, wie beim Säugetier, sondern als Harnsäure ausgeschieden wird; bei diesen Tieren wird das eingeführte Eiweiß, soweit es zersetzt wird, der Hauptmenge nach in Harnsäure über- geführt. Die aus Xanthinbasen entstehende Menge Harnsäure ist demgegen- über gering (s. oben, S. 488). Wird beim Vogel die Leber exstirpiert, so kommt es bei demselben zur Ausscheidung von milchsaurem Ammoniak durch die Niere (s. S. 460), gleichzeitig sinkt die Menge der ausgeschiedenen Harnsäure sehr stark ab, !) Burian und Schurr, Pflügers Arch. 80, 241, 1900; vgl. auch Camerer. — 2) Kutscher und Seemann (Zentralbl. f. Physiol. 17, 715, 1903) haben in letzter Zeit die Möglichkeit diskutiert, daß die Harnsäure das primäre Produkt sei und die Nucleinbasen sekundär aus ihr hervorgehen; verfütterte Nucleinbasen würden in dieser Auffassung als „Harnsäuresparer“ wirken und so eine vermehrte Harnsäure- ausscheidung bewirken. In diesem Zusammenhange sei auf die Angabe Nicolaiers hingewiesen, daß er nach subcutaner Injektion von Adenin (6-Aminopurin) ein direktes Oxydationsprodukt derselben, 6-Amino-2,8-dioxypurin, erhalten hat. Deutsche med. Wochenschr. 1902, Vereinsbeilage, S.105; vgl. Minkowski, ebenda, 8. 499; vgl. hierzu auch die Kritik Burians, Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 494, 1905. — °) v. Mach, Arch. f. exper. Pathol. 24, 389, 1888; 23, 148, 1887. — *) Milroy, Journ. of Physiol. 30, 47, 1904. — °) Kossel, Zeitschr. f. phsyiol. Chem. 10, 248, 1886. — °) Burian und Schurr, ebenda 23, 55, 1897. # 490 Harnsäurebildung beim Vogel. dieselbe verschwindet aber nicht vollständig!) (s. oxydative Quelle der Harn- säure); auch die Unterbindung der Lebergefäße der Vögel hat denselben Erfolg (Minkowski). Bei diesem Befunde ist nicht das Auftreten der Fleisch- milchsäure die Ursache der Hemmung in der Harnsäurebildung, denn wenn den Tieren Alkali gegeben wird, um die Säure zu binden, so steigt trotzdem die Harnsäure kaum nennenswert an, wohl aber sinkt die Ammoniakaus- scheidung beträchtlich ab ?); bleibt nur ein kleiner Rest der Leber funktions- fähig, so kommt es nicht zur Milchsäureausscheidung. Es scheint demnach die Fleischmilchsäure in der Vogelleber an dem Aufbau der Harnsäure be- teiligt zu sein; dieser Vorstellung entsprechend fanden Kowalewski und Salaskin?) bei der mit milchsaurem Ammonium durchbluteten Gansleber eine Zunahme der Harnsäure im Blute, und Wiener) erhielt bei Verfütterung von sehr viel Harnstoff (so daß ihn der Vogel nur zum kleinsten Teil in Harnsäure umwandeln konnte, der Rest aber als Harnstoff ausgeschieden wurde) an Vögel am meisten Harnsäure, wenn er dem Tiere gleichzeitig die zweibasischen Säuren der 3 Ü-Kette, z.B. Malonsäure (COOH.CH,.COOH), Tartronsäure, COOH.CHOH.COOH, Mesoxalsäure, COOH.CO.COOH, zuführte; auch die Oxy- und Ketosäuren, mit 3C-Atomen in der Kette, waren wirksam (also z. B. die Milchsäure), und ferner das Glycerin. Was den Ammoniakanteil bei der synthetischen Bildung der Harnsäure betrifft, so ist oben schon bemerkt, daß derselbe aus dem Eiweiß herrühren kann, und es sind demnach wohl die meisten Spaltungsprodukte desselben hierzu indirekt befähigt. Die oben genannten Versuche von Kowalewski und Salaskin ’), sowie Versuche von Schröder) (am Huhn) zeigten einmal, daß hierzu Ammoniak bzw. Ammonsalze befähigt sind, ferner zusammen- gesetzte Körper, z. B. das Arginin. Wiener fand dieselbe Möglichkeit der Beteiligung für den Harnstoff, und ferner liegen Beobachtungen vor, welche denselben aus Amidosäuren herleiten’). Für das Säugetier ist die Beantwortung der Frage nach einer Synthese der Harnsäure schwieriger (aus schon angegebenen Gründen). _ Zufuhr von fleischmilchsaurem Ammon und Harnstoff hatte bis jetzt kein positives Er- gebnis (Minkowski°) (bei Hund und Mensch); mit Thymin (nach Steudel’) (5-Methyl-2, 6-dioxypyrimidin): HN.co do Torch. H N.CH und anderen Pyridinderivaten erhielt Steudel!?) beim Hunde ebenfalls ein negatives Ergebnis. !) Minkowski, Arch. f.exper. Pathol. 21, 41, 1886; 31, 214, 1893. — °) Lang, Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 320, 1901. — °®) Kowalewski und Salaskin, ebenda 33, 210, 1901. — *) Wiener, Hofmeisters Beiträge 2, 42, 1902. — °) Kowalewski und Salaskin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 210, 1901. — °) v. Schröder, NH.C®O ebenda 2, 228, 1878. — 7) Isodialursäure, CO COH, verbindet sich bei Gegenwart NH.COH von Schwefelsäure leicht mit Harnstoff zu Harnsäure. — °) Minkowski, Arch. f. exper. Pathol. 41, 375, 1898 u.a. — °) Steudel, Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 285, 1901; vgl. auch ebenda 39, 136, 1903. — !°) Derselbe, ebenda 32, 285, 1901. Harnsäurebildung beim Säugetier. 491 Wiener!) hatte mit dem Brei der Leber beim Rinde mit Oxymalon- säure (Tartronsäure), COOHCHOH COOH, ein Resultat erzielt, sowie mit dem Ureid derselben (Öxymalonylharnstoff, Tartronylharnstoff, Dialursäure): HN.co CO CHOH. HN .CO Diese Beobachtung würde als einen Weg für die Harnsäurebildung eines- teils die Oxydation von Milchsäure durch die Leber zu Öxymalonsäure, anderer- seits den Zusammentritt dieser Säure mit 2 Mol. Harnstoff andeuten. Es ist hier daran zu erinnern, daß aus Isodialursäure (Dioxyuracyl): HN.cHoH OO pN.Cc0 und Harnstoff von Behrend und Roosen Harnsäure dargestellt worden ist). In neuester Zeit ist Burian ?) Wiener entgegengetreten und hat die Wirkung der Tartronsäure, sowie der Dialursäure nur in einer Beschleunigung der Xanthinoxydasewirkung gesehen. Für ein anderes Organ als die Leber hat sich eine Harnsäuresynthese bis jetzt nicht nachweisen lassen. Zersetzung der Harnsäure im Organismus. Während keine Veranlassung besteht, im Vogelorganismus eine nennens- werte Zersetzung von Harnsäure normalerweise anzunehmen, ist aus einigen oben gemachten Angaben zu vermuten, daß sich dies beim Säugetier anders verhält. Nur ein bestimmter Teil der eingeführten Harnsäuremenge erscheint hier im Harn, der übrige Teil wird im Säugerkörper verändert®). Bei den verschiedenen Säugetierformen ist die prozentuale Größe des der Zersetzung entgehenden Harnsäureanteils eine verschiedene, innerhalb derselben Art jedoch nach Burian und Schurr’) eine konstante. Die Genannten berech- neten nach ihren Befunden einen „Integrationsfaktor“ (100:die Zahl der Prozente vom Stickstoff der gefütterten Purinkörper, welche im Harn er- scheinen), der z.B. beim Menschen 2, beim Kaninchen 6, beim Hunde (Fleisch- fresser) 22 beträgt; wird mit diesem Faktor die in 24 Stunden ausgeschiedene Harnsäuremenge multipliziert, so erhält man nach ihnen die tatsächlich vor- handen gewesene Harnsäuremenge ®). Bemerkenswert ist, daß beim neugeborenen Hunde das Harnsäure- zersetzungsvermögen noch gering ist, erst allmählich kommt es zu der starken Ausbildung desselben”), die der erwachsene Hund besitzt. !) Wiener, Hofmeisters Beiträge 2, 42, 1902. — *) Behrend und Roosen, Ber. 21, 999, 1888. — °) Burian, Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 497, 1904. — *) Wöhler u. Frerichs, Ann. d. Chem. u. Pharm. 65, 335, 1848 u.a. — °) Burian und Schurr, Pflügers Arch. 87, 239, 1901; 94, 273, 1902. Burian, Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 532, 1904. — °) Vgl. hierzu O. Loewi, Untersuchungen über den Nucleinstoffwechsel, Marburg; Zeitschr. f. exper. Pathol. 44, 1, 1899. — 7) Spiegelberg, Arch. f. exper. Pathol. 41, 428, 1898. A923 Zersetzung der Harnsäure. — Zersetzung des Hämosglobins. Ju >- >- Der Ort der Zersetzung der Harnsäure ist zum Teil die Leber!); auch die durchblutete Leber?) (Hund, Schwein) besitzt diese Fähigkeit, die einem von der Xanthinoxydase verschiedenen uricolytischen Ferment zuzuschreiben sein dürfte. Burian und Schurr beobachteten, daß beim nephrektomierten Hunde sich keine Harnsäure im Blute ansammelte, während dies sofort eintrat, wenn beim nephrektomierten Hunde die Leber ausgeschaltet wurde. Wiener gibt das Vermögen, Harnsäure zu zersetzen, auch für die Nieren an. Als die Zersetzungsprodukte, die hierbei entstehen, werden besonders genannt Harnstoff (s. oben, $. 481), ferner Glykokoll?), Oxalsäure und vermutlich Allantoin *). Allantoin wurde (wie erwähnt) beim Hunde nach Pankreas- fütterung, Harnsäurefütterung, auch nach Thymusfütterung (Minkowski’) im Harn gefunden. Nach Poduschka*) kann der Organismus des Hundes eingeführtes Allantoin nicht zerstören, der des Menschen ist dazu für einen Teil imstande. Beim Hunde beobachtete Eppinger‘) nach Zufuhr von CH,.NH.CONE, NH,CONH.CO der Allantoinausscheidung, auch die mit glykolyldiharnstoffhaltigem Blut durchströmte Leber bildete Allantoin. Auf die. verschiedenartigen Zer- setzungen, welche die Harnsäure im chemischen Experiment unter verschie- denen Bedingungen erleidet, ist hier nicht einzugehen. Die Harnsäure wird von der Leber ans Blut abgegeben, in welcher Form sie dort enthalten ist, ist im Kapitel Blut einzusehen, die täglich ausgeschiedene Glykolyldiharnstoff, ‚ eine starke Vermehrung Menge im Kapitel Harn. 5. Die Verarbeitung des Hämoglobins durch die Leber. (Gallenfarbstoffe, Eisen usw.) Während für die embryonale Leber das Vermögen, rote, hämoglobin- haltige Blutkörper zu bilden, nachgewiesen ist, ist die Leber im späteren Leben hierzu nicht mehr imstande; es tritt nunmehr ein anderer Prozeß in der Leber hervor: die Zersetzung ‘des Hämoglobins, sei es daß die roten Blutscheiben innerhalb der Leber, speziell der Leberzellen’), oder an anderer Stelle zerfallen. Das Hämoglobin zerfällt bekanntlich in einen histonartigen Eiweißkörper, das Globin ‘), und den eisenhaltigen Farbstoff Hämatin; diesem wird von verschiedenen Forschern etwas verschiedene Zusammensetzung zugeschrieben; !) Stokvis 1860 (Leberbrei, Extrakt, zit. nach Brunton, Zentralbl. f£. Physiol. 19, 5, 1905); Jacoby, Virchows Arch. 157, 235, 1899; Wiener, Arch. f. exper. Pathol. 42, 375, 1899. — ?) Ascoli, Pflügers Arch. 72, 340, 1898. — °®) Wiener, Arch. £. exper. Pathol. 40, 313, 1898; 42, 375, 1899; Zentralbl. f. Physiol. 18, 690, 1904. — *) Poduschka, Arch. f. exper. Pathol. 44, 59, 1899. — °) Salkowski, Ber. 9, 719, 1876; Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1898, 8. 929. Swain, Amer. Journ. of Physiol. 6, 38, 1901. Minkowski, Arch. f. exper. Pathol. 41, 375, 1898 u.a. — °) Eppinger, Hofmeisters Beiträge 6, 285, 1905. — ”) Browicz, Ergebn. d. Biochem. 1, 517, 1902; Maly, Jahresber. 1899, 8. 402; Bain (Journ. of Physiol. 29, 352, 1903), zeigte, daß auch in der überlebenden und durchbluteten Leber Erythrocyten zerstört werden. — ®) Sehulz, Zeitschr. f. physiol. Chem. 24, 449, 1898; Bang, ebenda 27, 463, 1899; vgl. Kossel, Deutsche med. Wochenschr. 20, 146, 310. Zersetzung des Hämoglobins. 493 Nencki!) gibt ihm die Formel C,,H,,N,O,Fe, Nencki und Zaleski, sowie Küster haben der Ül-Verbindung desselben (Acethämin) die Formel (34 Hz; O4 N,ClFe zugeschrieben. Durch Abspalten des Eisens mittels HBr werden aus dem Hämatin unter Wassereintritt 2 Moleküle Hämatoporphyrin erhalten, C,,H}sN30;. Die Identifizierung des Hämatoporphyrins kann auf spektroskopischem Wege geschehen ?). Hämatoporphyrin wird vom Kaninchen in der Galle und im Harn aus- geschieden, wenn dem Tier Sulfonal zugeführt wurde (Stokvis, Neubauer); nach Stokvis ist dies auch der Fall, wenn das Tier kein Sulfonal erhalten hat, und zweifellos ist im Harn häufig auch bei normalen Tieren (sowie beim Menschen ®) Hämatoporphyrin enthalten. Als die Bildungsstelle des Hämato- porphyrins wird man zunächst geneigt sein die Leber zu vermuten; Neu- bauer untersuchte verschiedene Organe auf ihren Gehalt an Hämotoporphyrin und fand die Leber regelmäßig beträchtliche Mengen desselben enthaltend (der Befund im Blut, Knochenmark, Milz, Muskeln war negativ); da freilich die Leber die Hauptausscheidungsstelle des Hämatoporphyrins ist, so ist diese Beobachtung kein Beweis dafür, daß das Hämatoporphyrin wirklich in der Leber gebildet wird. Bemerkenswert ist, daß gefüttertes Hämatoporphyrin von den Tieren anscheinend quantitativ in der Galle ausgeschieden wurde. Demnach würde das Hämatoporphyrin keine größere Bedeutung im inter- mediären Hämoglobinstoffwechsel beanspruchen können. Beim Hund ist durch Sulfonalzufuhr Hämatoporphyrin weder im Harn noch in der Galle zu erhalten. Die Hauptmenge des in der Leber zersetzten Hämoglobins erscheint (in der Galle) in der Form des Bilirubins und seiner Derivate. Das Bilirubin dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Hämato- porphyrin isomer sein. Für beide wurde die Formel C,,H}sN;0, erhalten *). Küster konnte aus dem Bilirubin (bzw. Biliverdin) mittels Oxydation durch Chromate (in Eisessig) dieselben Säuren 0;H,NO, (Biliverdinsäure) und (nach Abspaltung von NH;) C;H,0O,; erhalten, welche er als „Hämatin- säuren“ aus dem Hämatin nach dem genannten Verfahren gewonnen hatte; beide Säuren führen weiter zu Methyläthylmaleinsäureanhydrid CH,.C.CO “ >O C5H,.C.CO Die Hämatinsäuren sind als dreibasische Säuren bzw. das Anhydrid der- selben aufzufassen, die Biliverdinsäure als das Imid derselben. ) Nencki u. Sieber, Arch. f. experim. Pathol. 24, 430, 1888; 18, 401; 20, 325; Ber. 17, 2267, 1884; Monatsh. f. Chem. 9, 115, 1888; Küster, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 391, 1903; Nencki u. Zaleski, ebenda 30, 394, 1900. — 2) Stokvis, Zeitschr. f. klin. Med. 28, 1, 1895; Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 34, 177, 1896; Malys Jahresber. 29, 841, 1899; A. Schulz, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1905, Suppl., 8.271. — °) Auch in der Galle, Brand, Pflügers Arch. 90, 491, 1902. — *) Nencki u. Sieber, Ber. 17, 2267, 1884; Küster, Zeitschr. f. physiol. Chem. 26, 314, 1898; Ber. 30, 1831, 1897; 32, 677, 1899; 35, 1268, 1902 u.a. 494 Bilirubin. Die Säureimidgruppe dürfte im Biliverdin vermutlich, ebenso wie im Hämatin und Hämatoporphyrin nicht als solche, sondern als Pyrrolring SH enthalten sein. Nencki und Zaleski!) gelang es, das von ihnen 6 aus dem Hämin (Öhlorhämatin, 035 H;; CIN,O,Fe) durch Reduktion mit Jod- wasserstoff und Phosphoniumjodid erhaltene Hämopyrrol, C;H,,N, dem möglicherweise die Formel ÖH, 0 ZEJOH, A\CH,-0H. CHÖH NH (Methylpropylpyrrol) zukommt, mit Zusatz von Ammoniak und sehr geringen Mengen von ammoniakalischer Zinklösung in eine fluoreszierende, rosa gefärbte Substanz überzuführen, deren Lösung im Spektrum übereinstimmte mit der des aus Bilirubin dargestellten Urobilins. Es kann demnach nicht bezweifelt werden, daß das Bilirubin sich aus dem Hämoglobin herleitet. Das Bilirubin besitzt schwach sauren Charakter, verbindet sich mit Basen und findet sich dementsprechend in der normalen Galle (doch nicht total) an Alkalien gebunden (löslich), in Gallensteinen an Kalk gebunden (unlöslich) vor. Bilirubin ist löslich in Chloroform, aus dem es in Kristallen gewonnen werden kann, nicht löslich in Wasser, wenig löslich in Äther, etwas löslich in Alkohol. Betreffend den Nachweis des Bilburins sei auf die Gmelinsche ?) Probe und ihre Modifikationen hingewiesen, welche auf der Oxydation (z. B. mit NHO,) des Bilirubins zu Biliverdin und anderen Körpern beruht und sich dementsprechend in der Entstehung einer Reihe von Farben ausdrückt, von denen die zuerst entstehende grüne (Biliverdin) charakteristisch ist. (Die Anwesenheit anderer Farbstoffe, z. B. von Urobilin, ist störend und zu ver- meiden 3). Das Bilirubin bildet nach den Gallensäuren den hauptsächlichsten Bestandteil der Galle Nach Hammarsten kann es (zusammen mit Mucin) in der Blasengalle des Menschen einige Prozent betragen ?). Das Bilirubin wird in der Leber gebildet, und zwar ohne Zweifel in den Zellen derselben, das Sekret der Gallenblase ist farblos’). Nach Ver- giftung mit Arsenwasserstoff tritt bei normalen Tieren (Gans) regelmäßig Gallenfarbstoff in die Saftbahnen über, und ein allgemeiner Icterus entsteht; entleberte Gänse blieben dagegen nach Zufuhr von Arsenwasserstoff frei von lceterus®). Werden bei Vögeln, z. B. Tauben’), die Gallenausführungsgänge unter- bunden, so sind reichlich (Cholate und) Gallenfarbstoff in Blut und Harn nach* !) Nencki und Zaleski, Ber. 34, 997, 1901; vgl. Marchlewski u. Burac- zewski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 410, 1904. — ?) Tiedemann u. Gmelin, Die Verdauung nach Versuchen 1, Heidelberg 1831. — ?) Munk,-Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1898, 8.361, u.a. — *) Hammarsten, Ges. d. Wiss., Upsala 15. Juni 1893; vgl. auch die Angaben von Dastre, Compt. rend. Soc. Biol. 1897 und Arch. de physiol. (5) 10, 209, usw., 1898, sowie Thudiehum, Virchows Arch. 156, 384, 1899. — °) Mayo-Robson, Proc. Roy. Soc. 47, 499, 1890. — °) Minkowski und Naunyn, Arch. f. exper. Pathol. 21, 1, 1886; Valentini, ebenda 24, 412, 1888. — ’) H. Stern, ebenda 19, 39, 1885. Derivate des Bilirubins. 495 weisbar; nach Unterbindung sämtlicher Zu- und Abfuhrgefäße der Leber ist kein Gallenfarbstoff mehr daselbst zu finden. Wird Hunden der Ductus choledochus unterbunden, so kommt es, wie S.471 erwähnt, zu einem Übertritt der Gallenbestandteile in die Lymphe und auf dem Wege über den Ductus thoracius zu leterus; wird nun außerdem auch der Brustgang unterbunden, so kann der Icterus oft viele Tage lang hintan- gehalten werden, Gallenfarbstoff erscheint weder im Blut noch im Harn !!). Wird Hämoglobin Tieren in die Blutbahn gebracht (Kühne u. a.), so steigt die Bildung des Gallenfarbstoffes stark an; bei geringen Mengen kann es zur Verstopfung der Gallencapillaren und Icterus kommen, bis schließlich bei ganz großen Mengen unveränderter Blutfarbstoff in Galle und Harn übertritt. Dieselbe Wirkung einer vermehrten Bilirubinbildung kann erzielt werden durch Einfuhr von Stoffen, welche die roten Blutkörperchen zu lösen geeignet sind, so daß freies Hämoglobin in der Blutbahn erscheint. Hierher gehört?) z. B. Einfuhr von gallensauren Salzen, von viel Wasser ins Blut, Vergiftung mit Arsenwasserstoff, Schwefelwasserstoff, Phosphor, Blausäure, Kaliumchlorat, arseniger Säure, Phenylhydrazin, Toluylendiamin 3), Pyro- gallol, Morcheln usw., auch Abkühlen des Blutes kann das Erscheinen von Hämoglobin in der Galle bewirken ®). Ebenso gelangt bei Tieren (Hund °), Kaninchen, Ente, Taube ®) subceutan injiziertes Hämozglobin der Hauptmenge nach in die Leber und gibt Anlaß zur Bildung von Gallenfarbstoff neben Ferratin in der Leber’) (s. unten). Erst bei Injektion großer Mengen tritt Hämoglobin unverändert in die Galle und in den Harn über. Injizierung von Hämoglobin in die Bauchhöhle wirkt wie subcutane Injektion °). Aus dem Bilirubin entstehen durch Oxydation und durch Reduktion mehrere verschiedene Stoffe, die jedoch bis jetzt nur wenig gekannt sind. Unter den durch Oxydation entstehenden ist zuerst zu nennen das grüne Biliverdin, welches z.B. aus einer alkalischen Bilirubinlösung an der Luft sich bildet, ebenso bei der Gmelinschen Probe usw. Biliverdin ist nach Hammarsten°?) in der Lebergalle des Menschen nicht enthalten, kommt aber in der Blasengalle vor. Das Biliverdin ist, im Gegensatz zum Bilirubin, nicht löslich in Chloro- form, dagegen leicht löslich in Alkohol. Die wahrscheinliche Formel 0,;H,sN,0, konnte Küster!) nicht bestätigen; das von ihm erhaltene Prä- parat hatte nur die Hälfte der entsprechenden Sauerstoffmenge aufgenommen !}), ") Fleischl, Ber. d. Kgl. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. zu Leipzig 1874, 8.42; Harley, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, 8. 291. — *) Frerichs, Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1856, 8.59; Kühne, Virchows Arch. 14, 310, 1858. — °) Joano- wiez, Zeitschr. f. Heilk. 1904, $. 25 (zitiert auch Zentralbl. £. Physiol. 18, 320, 1904). — *) Filehne, Virch. Arch. 117, 415, 1889; 121, 605, 1890; Wertheimer u. Meyer, Arch. de physiol. 1889, p.438. Auf die Bildung von Gallenfarbstoffen unter patho- logischen Bedingungen außerhalb der Leber kann hier nicht eingegangen werden. — — °) Krummacher, Zeitschr. f. Biol. 40, 228, 1900. — °) Laspeyres, Arch. £. experim. Pathol. 43, 311, 1900. — 7) Morishima, ebenda 41, 291, 1898. — ®) Goro- decki (Stadelmann), Diss, Dorpat 1889. — °) Ges. d. Wiss. Upsala 1893. — ") Küster, Zeitschr. f. physiol. Chem. 26, 314, 1898. — '') Vgl. Dastre, Journ. de physiol. 5, (IX), 725, 737, 1897. 496 Das Verhalten des Eisens in der Leber. Bei weiterer Oxydation sind beschrieben worden ein blauer Farbstoff, Biliceyanin !), der auch in menschlichen Gallensteinen vorkommt, dann ein violetter, dann ein roter Farbstoff, als letztes Produkt der Oxydation wird ein rotgelber Farbstoff, Choletelin, angegeben ?). Durch Reduktion entsteht aus Bilirubin wie aus Biliverdin unter Wasserstoffaufnahme Hydrobilirubin; dasselbe ist von braungelber Farbe, löslich in Alkohol, Chloroform usw.°). Hoppe-Seyler*) erhielt dasselbe bei der Einwirkung von nascierendem Wasserstoff auf Blutfarbstoff; Hammar- sten) sah dasselbe in geringer Menge in der Galle. Über dasdem Hydrobilirubin nahestehende Urobilin, daß nach Kimura) häufig neben Urobilinogen in der Blasengalle des Menschen (nicht des Neu- geborenen) sich findet, siehe beim Harn. Aus Leichengalle, Gallensteinen und anderem hat man ferner eigenartige Pigmente dargestellt, so z. B. ein alkohollösliches Bilifusein (aus menschlichen Gallensteinen), ferner ein Bilihumin usw., das in allen genannten Lösungsmitteln (Ather, Benzol) unlöslich, in Chloroform, Alkohol wenig löslich ist, sich jedoch in Ammoniak (wenig), Pyridin löst”). Küster beschrieb neben Bilirubin aus Gallen- steinen einen zweiten in Chloroform leicht löslicehen (roten) Farbstoff ®). In der (grünen) Galle vom Schaf und Rind hat Mac Munn’) einen grünen Farbstoff beschrieben unter dem Namen Cholehämatin; derselbe ist durch sein spektroskopisches Verhalten charakterisiert; Hammarsten!”) wies denselben auch in der Galle des Moschusochsen nach '!!). ' Das Schicksal des Eisens des in der Leber zersetzten Hämoglobins ist noch nicht geklärt; im folgenden sind die Tatsachen, die über das Verhalten des Eisens in der Leber vorliegen, kurz verzeichnet, ohne Rücksicht darauf, ob dieselben sich speziell auf das Eisen des zersetzten Hämoglobins beziehen. Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob nicht das gesamte Eisen des Blutfarbstoffs ausgeschieden wird. Es ließ sich feststellen, daß die Aus- scheidung von Eisen durch die Galle sehr gering ist; Young!?) fand 0,04 bis 0,11 pro Mille Eisen in der Galle des Menschen; dieses Eisen in der Galle ist wahrscheinlich anorganischer Natur und reicht nicht aus zur Deckung der Größe, die aus zersetztem Hämatin abzuleiten ist. !) Heynsius u. Campbell, Pflügers Arch. 4, 497, 537, 1871; Jaffe, Journ. f. prakt. Chem. 104, 401, 1868. — °?) Vgl. Stokvis, Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1872, Nr. 50; Maly, Journ. f. prakt. Chem. 104, 28, 1868 und Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wissensch. 59, (2), 602, 1869 und Zentralbl. £. d. med. Wissensch. 1871, Nr. 54. — °) Maly, Annal. d. Chem. u. Pharm. 163, 77, 1872. — *) Hoppe- Seyler, Ber. 7, 1065, 1874. — °) Hammarsten, Mitt. d. kgl. Gesellsch. d. Wissensch. zu Upsala 1893. — °) Kimura, Arch. f. klin. Med. 79, 274, 1904; Brand, Pflügers Arch. 90, 491, 1902. — 7) Städeler, Moleschotts Untersuchungen 9, 395, 1864; Vierteljahrsschr. d. naturforsch. Gesellsch. z. Zürich 8, 1, 1863; Ann. d. Chem. u. Pharm., neue Reihe, 56 (1864); v. Zumbusch, Zeitschr. f. physiol. Chem. 31, 446, 1900. — °) Küster, Ber. 35, 1268, 1902; Orndorff u. Teeple, Amer. Chem. Journ. 33, 215, 1905; vgl. auch die Angaben Kimuras (Deutsch. Arch. f. klin. Med. 75, 275) über einen braunen Farbstoff in der Galle nach Verschluß des Ductus eysticus (Mensch). — °) Mac Munn, Journ. of Physiol. 6, 22, 1885. — !°) Hammarsten, Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 109, 1904; siehe auch Dastre und Floresco, Compt. rend. Soc. Biol. 1897, p. 813; über einen besonderen braungelben Farbstoff der Eisbärengalle, der die Gmelinsche Reaktion nicht zeigte, siehe Hammarsten, Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 435, 1901. — ") Über Pigmente in einer melanotischen Leber siehe H. Wolff, Hofmeisters Beitr. 5, 476, 1904. — '”) Young, Journ. of Anat. and Physiol. 5, 158. Das Verhalten des Eisens in der Leber. 497 100 Teile Hämatin liefern 9 Teile Fe; auf 100 Teile Bilirubin fand Kunkel!) beim Hund nur 1,4 bis 1,5 Teile Fe in der Galle; auch bei der Steigerung des Hämoglobinumsatzes durch Vergiftung mit Arsenwasserstoff steigt der Eisengehalt der Galle nicht (Hund 2). Es muß demnach das Eisen, soweit es nicht im Organismus zurück- gehalten wird, über den Blutweg (bzw. Lymphweg) durch den Harn, der sehr wenig Eisen enthält, und durch den Darm?) ausgeschieden werden. Nach Zufuhr von löslichen Präparaten (Ferrum saccharatum solubile, Ferrum citricum) beobachtete Novi*) Vermehrung des durch die Galle aus- geschiedenen Eisens’), Lapicque zeigte, daß bei venöser Injektion von Hämoglobinlösung bei jungen Hunden der Eisengehalt der Leber zunimmt (von 0,10—0,14 pro Mille bis 0,30—0,34 pro Mille®). Bain’) fand den Eisengehalt der Leber (Katze) nach künstlicher Durchblutung bedeutend erhöht. Tatsächlich wird im Organismus — wenigstens unter bestimmten Be- dingungen — Eisen aufgespeichert, und zwar in gewissen Fällen in der Leber. (Unter anderen Bedingungen soll sich eine Anhäufung von Eisen in der Milz®) finden; Guillemonat und Lapicque’) fanden keinen Unter- schied im Eisengehalt der Milz je nach dem Geschlecht.) In der Leber der neugeborenen Tiere findet sich mehr Eisen als beim erwachsenen Tier. Zaleski!P) fand in der blutfrei gemachten Leber neu- geborener Hunde vier- bis neunmal so viel an Eisen als bei erwachsenen Tieren, Lapicque sah beim neugeborenen Kaninchen den Eisengehalt der Leber innerhalb einiger Wochen bedeutend absinken von 1 pro Mille auf 0,04 pro Mille der gewaschenen Leber. Krüger fand beim Rind in den fötalen Leberzellen etwa das Zehnfache des Gehalts des erwachsenen Tieres an Eisen; innerhalb der sechs ersten Lebenswochen des Kalbes sank der Eisengehalt rasch auf denjenigen des erwachsenen Tieres. Beim ausgewachsenen mensch- lichen Fötus fand Guillemonat!!) im Mittel 0,27 pro Mille Fe in der Leber gegenüber 0,23 pro Mille beim Manne und 0,09 pro Mille beim Weibe. Nach Bunge hängt dieser Reichtum an Eisen in dem neugeborenen Tiere zusammen mit der geringen Größe der Eisenzufuhr durch die Milch. Eine Aufspeicherung von Eisen in der Leber sah Hall!2) nach Fütterung von Mäusen mit Siegfrieds Carniferrin!°). Eine Steigerung des ) Kunkel, Pflügers Arch. 14, 353, 360, 1877. — ?) Basserin (Minkowski), Arch. f. experim. Pathol. 23, 145, 1887. — °) Bidder u. Schmidt, Die Verdauungs- säfte u. d. Stoffwechsel, Mitau 1852; vgl. Gottlieb, Zeitschr. f. physiol. Chem. 15, 371, 1891; F. Voit, Zeitschr. f. Biol. 29, 387, 1892. — *) Novi, Ann. di chim. e di pharmacol. 11, 3, 1890. — °) Über Abnahme der Fe-Ausscheidung im Hunger siehe Beccari, Arch. per le seiene. med. 20, 229, 1897. — °) Lapieque, Compt. rend. Soc. Biol. 1897, p. 464; Compt rend. 124, 1044, doch scheint außerdem besonders die Milz ein Ort der Eisenanhäufung zu sein. — 7) Bain, Journ. of Physiol. 29, 352, 1903. — ®) Krüger, Zeitschr. f. Biol. 27, 439, 1890. — °) Guille- monat u. Lapieque, Compt. rend. Soc. Biol. Juni/Juli 1896, p. 651, 760 und Arch. de physiol. (5) 8, 843; Lapieque, Compt. rend. Soc. Biol. 41, 435, 510, 1889; Tedeschi, Journ. de physiol. 1, 22, 1899; Bunge, Zeitschrift f. physiol. Chem. 16, 173, 1892; 17, 78, 1893, u.a. — !°) Zaleski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 453, 1886; Krüger, l.c. — '!) Guillemonat, Compt. rend. Soc. Biol., Januar 1897, p. 32; ebenda Juli 1896, p. 760. — "?) Hall, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1894, S. 456 und 1896, 8.49. — "?) Vgl. Tartakowsky, Pflügers Arch. 100, 586, 1903; 101, 423, 1904. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 39 498 Das Verhalten des Eisens in der Leber. Eisengehaltes der Leber (Siderosis) ist sodann bei einigen pathologischen Prozessen beobachtet worden, z. B. bei perniziöser Anämie (Quincke), Ver- giftung mit Arsenwasserstoff (Minkowski und Naunyn) usw., bei Leber- cirrhose, Diabetes; die Eisenmenge betrug bis 0,5 Proz. der Trockensubstanz. Die dabei beobachteten Körner geben die Reaktionen mit Schwefelammonium und mit Ferrocyankalium und Salzsäure. Normal dürfte beim Menschen der Gehalt an Eisen etwa 0,1 bis 0,2 Proz. der Trockensubstanz betragen !). Guille- monat und Lapieque?) fanden den Eisengehalt bei verschiedenen Individuen sehr wechselnd, beim Manne gewöhnlich etwas größer (über 0,2 pro Mille der frischen Leber), beim Weibe unter 0,2 pro Mille; über 0,5 pro Mille fanden sie sie nur in pathologischen Fällen. Bielfeld®) fand bei Frauen 0,5 bis 0,9 pro Mille, bei Männern 0,5 bis 3,7 pro Mille an Eisen in der Trocken- substanz des Lebergewebes. Nach Floresco*) enthält die Leber (und Haut) dunkelhaariger Tiere mehr Fe als die weißhaariger. Beim Igel fand Zaleski in der Lebertrockensubstanz 1,18 Prozent Fe, Guillemonat und Lapicque’) 0,15 bis 0,53 pro Mille der frisch ge- waschenen Leber, beim Hund Zaleski nur 0,03 Proz. der Trockensubstanz, Guille- monat und Lapicque 0,09 pro Mille der frischen Leber. Was die chemische Form betrifft, in der das Eisen in den Leber- zellen (abgesehen von Hämoglobin und Hämatin) enthalten ist, so sind verschiedene eisenhaltige Stoffe aus den Leberzellen erhalten worden. 1. ein eisenhaltiges Nuclein, „Hepatin“, wurde von Zaleski‘) aus dem durch Pepsinverdauung der möglichst gereinigten Leberzellen erhaltenen Rück- stand mit schwach ammoniakalischem Wasser extrahiert; aus dieser Lösung war es fällbar durch Alkohol; an salzsäurehaltigen Alkohol gab dieses Nuclein keine Spur Eisen ab, auch durch Schwefelammonium ist demselben das Eisen nicht zu entziehen. Der Nachweis des Eisens gelingt erst nach Zerstörung des Nucleinmoleküls. Neben diesem Hepatin vermutet Zaleski noch ein zweites eisenhaltiges Nuclein in der Leber, welches in Schwefelammonium allmählich eine Grünfärbung und Schwärzung (durch Bildung von Schwefeleisen) erfährt. Ferner ist aus dem Lebergewebe eine Ferrialbuminsäure (Ferratin) dargestellt worden (Schmiedeberg); dasselbe geht ins Dekokt des Leber- breies über und kann aus demselben mit Weinsäure gefällt werden’). Das Ferratin wird durch Schwefelammonium nur langsam geschwärzt, gibt die Farbenreaktion mit Ferrocyankalium und Kaliumrhodanid erst nach Ein- wirkung von verhältnismäßig starker Salzsäure, läßt sich mit salzsäurehaltigem Alkohol extrahieren; die frische Leber enthält bei Tieren nach Vay‘°) etwa 0,15 bis 0,3 Proz. Ferratin mit einem Fisengehalt von 0,01 bis 0,018g. Über das Verhalten des Ferratins im Hunger hat Venturoli Angaben gemacht’). ») Vay, Zeitschr. f. physiol. Chem. 20, 377, 399, 401, 1895. — ?°) Guille- monat und Lapieque, Arch. de physiol. (5) 8, 843, 1896; Compt. rend. Soc. Biol. 20. Juni 1896, p. 651. — °) Biglfeld, Hofmeisters Beitr. 2, 251, 1902. — *) Floresco, Compt. rend. 133, 828, 1901. — °) Guillemonat u. Lapieque, Compt. rend. Soc. Biol. 11. Juli 1896, p. 760. — °) Zaleski, l.c.; Bunge, l.c., Woltering, Zeitsch. f. physiol. Chem. 21, 202, 1895/96. — 7) Zaleski u. Schmiedeberg, Arch. f. experim. Pathol. 33, 101, 1893; Vay, Zeitschr. f. physiol. Chem. 20, 377, 1895. — ®) Vay, Zeitschr. f. physiol. Chem. 20, 397, 1895. — °) Venturoli, Bull. delle sc. med. di Bologna (7) 7 (1896); vgl. auch die Angaben von Dastre und Floresco, Arch. de physiol. (5) 10, 209, 1898, sowie von J. Novi, Ricerche di Biologia per il 25. anniversario eattedratico di P. Albertoni, Bologna 1901. Verhalten der Leber zu Giften. 499 C. Das Verhalten der Leber zu Giften. Im bisherigen sind hauptsächlich die Funktionen der Leber erwähnt, welche die Veränderungen der beim normalen stofflichen Betrieb des Körpers beteiligten Stoffe betreffen. Zahlreiche Stoffe sind nun befähigt, den normalen Ablauf der Zer- setzungen im tierischen Organismus mehr oder weniger zu verändern, bzw. aufzuheben; bei vielen von diesen ist die Leber in besonderem Maße an den entstehenden Wirkungen beteiligt. Es seien hier eine Anzahl hierher gehöriger Beobachtungen aufgeführt. Von anorganischen Stoffen werden Schwermetalle, wie Kupfer!), Blei?), Mangan), Zink, Quecksilber), in der Leber festgehalten, ebenso auch Arsen ’). Kupfer und Blei längere Zeit in kleinen Dosen gegeben, bewirken fettige Degenerationen des Plasmas der Leberzellen®). Dem Vorkommen in der Leber entsprechend finden sich die genannten Elemente hier und da auch in der Galle, so fand Oidtmann’) in Gallensteinen außer Fe, Cu, Mn, Zink, Arsen, Antimon, Quecksilber. Phosphor häuft sich in der Leber bei Phosphorzufuhr an; über seine Wirkung sei auf S.456, 459, 473 verwiesen. Nach Selmi°) soll er durch den Harn in Verbindungen ausgeschieden werden, die mit nascierendem Wasserstoff eine flüchtige phosphorhaltige Verbindung lieferten, die Silbernitratlösung schwärzte; auch Plavec’) kam zu dem Ergebnis, daß der resorbierte Phosphor im Körper nicht in freier Form wirkt, sondern in gebundener. Tellur wird nach Darreichung zum Teil methyliert und als Tellurmethyl ausgeschieden (besonders durch die Lungen !); ob diese Methylierung durch die Leber bewirkt wird, ist unbekannt; ein anderer Teil des zugeführten Tellurs (und Selens) wird nach Reduktion der Oxyde metallisch in den Zell- kernen vieler Gewebe, z. B. auch der Leber, abgelagert. Bromide!!) wurden nach Darreichung reichlich im Körper (auch in der Leber) zurückgehalten, erst nach längerer Zeit werden Einnahme und Aus- gabe gleich. Ammoniak wird in der Leber (durch Bildung von Harnstoff, S. 481, bzw. Harnsäure, S. 486) entgiftet. Wird nach Ausschaltung der Leber aus dem Kreislauf durch Ecksche Fistel (Einleitung der Pfortader in die untere !) Ellenberger u. Hofmeister, Arch. f. Tierheilk. 9 (1883); 10 (1884); Slowtzoff, Hofmeisters Beiträge 2, 307, 1902; Baum u. Seeliger Arch. f. Tier- heilkunde 24, 80, 128, 1899. — ?) Vgl. aber hierzu E. Harnack, Deutsch. med. Wochenschr. 28, 8, 1897. — °) J. Cohn, Arch. f. experim. Pathol. 18, 129, 1884. — *) E. Ludwig, Wiener klin. Wochenschr. 1890, Nr. 28 bis 30; Slowtzoff, 1. c. — 5) E. Ludwig, Chittenden, v. Zeynek, Zentralbl. f. Physiol. 15, 405, 1901; Slowtzoff, Hofmeisters Beitr. 1, 281, 1902 (beim Hund, wie Cu an die Nucleine der Leber geb.); Vamossy, Arch. de pharmacodyn. 13, 155, 1904. — °) Ellen- berger u. Baum, Arch. f. Tierheilk. 13; Trolldenier, ebenda 23, 301, 1898. — 7) Oidtmann, Die anorganischen Bestandteile der Leber usw., Würzburg 1858, Preisschrift. — ®) Selmi, Ber. 13, 2094 u. 2440, 1880; Zeitschr. f. anal. Chem. 21, 481, 1882. — °) Plavec, Pflügers Arch. 104, 1, 1904. — !°) Hofmeister, Arch. f. experim. Pathol. 33, 198, 1894; Heffter, Erg. d. Biochem. 2, 95, 1903. — '"') Nencki und Schoumow-Simanowsky, Arch. f. experim. Pathol. 34, 313, 1894. 99%* 32 500 Verhalten der Leber zu Giften. Hohlvene) und Ligatur der Arteria hepatica!) beim Hund karbaminsaures Salz (kohlensaures Ammon) zugeführt, so bleibt es in erheblicher Menge im Blut nachweisbar, während bei normalen Tieren nur sehr geringe Mengen sich nachweisen lassen; oft, jedoch nicht stets, zeigen Hunde mit Eckscher Fistel nach Fütterung mit Fleisch schwere Vergiftungserscheinungen, die nach Pawlow und Nencki mit dem kreisenden Ammoniak bzw. der Karbamin- säure in Beziehung stehen; doch stehen dem die Angaben von Rothberger und Winterberg?) gegenüber, welchen es nicht gelang, durch Ammoniak- zufuhr Hunde mit Eckscher Fistel zu vergiften. Nach einiger Zeit, wenn nicht sogleich, bildet sich bei der Eckschen Fistel ein Kollateralkreislauf durch die Leber, der für die Deutung der Erscheinungen berücksichtigt werden muß. Biedl und Winterberg sahen beim Hund nach fast vollständiger Aus- schaltung der Leber (Ecksche Fistel und Ligatur der Art. hepatica oder Ligatur der Arteria hepatica und sämtlicher Darmarterien im Tripus Halleri und der Vena portae am Leberhilus) eine mitunter sehr bedeutende Steigerung des Ammoniakgehaltes im Blut gegenüber Kontrollversuchen mit erhaltenem Leberkreislauf (in einem von acht Versuchen zeigte sich dieser Unterschied nicht). Doch bleibt bei diesen Befunden die Möglichkeit bestehen, daß das NH, auch außerhalb der Leber eine chemische Umsetzung erfährt. Treten giftige organische Stoffe in den Körper ein, so kommt es zu einer Reihe bemerkenswerter Vorgänge. Es erfolgt: 1. die Paarung solcher Stoffe mit Verbindungen, die der Körper in seinem Bestande enthält. Die gepaarten Stoffe sind leicht löslich und werden vom Körper aus- geschieden. Solche Stoffe sind besonders Schwefelsäure (S. 479), Glykuron- säure (8.454), Glykokoll (S. 475), Harnstoff (481), Cystöin (477), auch Essig- säure u.a. Repräsentanten der Paarlinge, die hierbei entstehen, sind bereits im vorhergehenden aufgeführt*). Übrigens sei hier besonders bemerkt, daß diese Paarungsreaktionen gewöhnlich nur einen kleineren (z.B. aliphatische Körper) oder größeren Teil (z. B. Chloralhydrat) der in Reaktion tretenden Substanz betreffen, der Rest derselben (z. B. des Phenols) wird im Organismus verbrannt. Es scheint, daß die so gepaarten Stoffe für die Agenzien des Körpers nicht mehr leicht angreiflich sind, denn es werden sogar Stoffe, die an sich sehr wohl zersetzbar für den Körper sind, wie Alkohol, wenn sie als ätherschwefelsaures Salz eingeführt werden (Hund), faßt quantitativ aus- geschieden’). Die giftige Wirkung des gebundenen Paarlings zeigt z. B. Phenolglykuronsäure nicht mehr), die Paarung wirkt also entgiftend. Gewöhnlich sind den einzelnen dieser Bindestoffe nur bestimmte chemisch charakterisierte Gruppen von schädlichen Stoffen zugänglich, so sind z. B. !) Hahn, Massen, Nencki und Pawlow, ebenda 32, 161, 1893; Nencki, Pawlow und Zaleski, ebenda 37, 26, 1896; Joannovics, Arch. int. de pharma- codyn. 12, 35, 1903; Salaskin u. Zaleski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 517, 1900. — ?) Rothberger u. Winterberg, Zeitschr. f. experim. Pathol. 1, 1, 1905; Bielka u. Karltreu, Arch. f. experim. Pathol. 45, 56, 1900; Münzer u. Winter- berg, Arch. f. experim. Pathol. 33, 164, 1894. — °) Biedl u. Winterberg, Pflügers Arch. 88, 140, 1902. — *) Siehe besonders auch das Kapitel Harn. — °) E. Sal- kowski, Pflügers Arch. 4, 91, 1871. — °) Külz, ebenda 30, 484, 1883. a a u ee EEE Ve Paarung giftiger organischer Stoffe in der Leber. 501 Schwefelsäure und Glykuronsäure geeignet, Alkohole bzw. Phenole zu binden; dabei paart sich die Schwefelsäure nur mit Phenolen, während Glykuronsäure auch mit Alkoholen der Fettsäurereihe zusammentritt. Glykokoll verknüpft sich mit Säuren (besonders cyklischen, iso- und heterocyklischen). Eine spezifische Beziehung scheint bei diesen in Paarung tretenden Stoffen meist nicht vorhanden zu sein; jeder derselben kann mit zahlreichen oder doch mehreren Fremdstoffen in Reaktion treten. Auch liegt die Möglichkeit vor, daß derselbe Fremdstoff mit dem einen und anderen Schutzstoff sich bindet (z. B. mit Schwefelsäure und mit Glykuronsäure), vielleicht abhängig von der Menge, in der beide vorhanden sind. Nicht direkt paarungsfähige Stoffe, die dem Körper zugeführt worden sind, können in demselben in vielen Fällen durch besondere Prozesse, z. B. durch Oxydation, Reduktion, Hydratation, in paarungsfähige übergehen. Auch zum Zusammentritt von drei Stoffen bei der „Paarung“ kann es kommen; z. B. bildet sich aus Glykokoll, Nitrobenzaldehyd und Harnstoff nitrohippur- saurer Harnstoff. Ob diese Prozesse alle in der Leber stattfinden, ist sehr fraglich; ich habe an den betreffenden Stellen einige derselben genannt, bei welchen gewisse Gründe für ihr Entstehen in der Leber sprechen !). Als Veränderung besonderer Art sei erwähnt, daß Pyridin im Körper methyliert wird zu Methylpyridiniumhydroxyd ?) (vgl. Tellur, S.499), wo dieser Prozeß statthat, ist nicht bekannt. Umgekehrt werden mehrfach methylierte Xanthinbasen, wie Coffein (1, 3, 7-Trimethyl-2,6-dioxypurin), Theobromin (3,7-Dimethyl-2,6-dioxypurin) zu niedriger methylierten abgebaut (oxydiert °) und zwar nach Albanese das Coffein vorzüglich in der Leber ®). Außer diesen Möglichkeiten, daß giftige Stoffe im Körper durch Zer- störung sowie durch Paarung und nachherige Ausscheidung des gebildeten leicht löslichen Körpers unschädlich werden, besteht noch eine dritte, bei welcher (ebenfalls) besonders die Leber beteiligt ist. Es kann nämlich das Gift festgehalten werden an einer bestimmten Stelle (s. oben Anorganische Stoffe, S.499) und so verhindert werden, mit den Säften an allen Stellen des Körpers forwährend einzuwirken. J. Munk’) beobachtete, daß Seifen, in die Blutbahn (Jugularvene) gebracht, eine sehr giftige Wirkung auf den Organismus (besonders auf das Herz) ausübten; brachte Munk jedoch die Seifen in die Pfortader, so daß sie zunächst die Leber passieren mußten, so wurde ein großer Teil derselben in diesem Organ zurückgehalten oder chemisch verändert und die giftige Wirkung war sehr abgeschwächt. Ein ähnliches Verhalten hat ferner besonders statt gegenüber Alkaloiden. Nikotin ®), Mor- phium, Strychnin ©), Veratrin, Cocain ’) u.a. werden nach Roger‘) vom Körper !) Über die Wirkung des Sulfonals siehe $. 493. — ?) W. His, Arch. f. experim. Pathol. 22, 253, 1887. — °) Albanese, ebenda 35, 449, 1895; Bondzynski u. Gottlieb, ebenda 36, 45, 1895; 37, 385, 1896; Krüger u. Schmidt, Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 1, 1902. — *) Albanese, zitiert nach Biochem. Zentralbl. 2, 498, 1904. — °) J. Munk, Arch. f. (Anat. u.) Phys. 1890, Suppl., 8. 116; vgl. Frank und Ritter, Zeitschr. f. Biol. 47, 267, 1905. — °) Rothberger und Winter- berg, Arch. de pharm. 15, 339, 1905. — 7) Gley, Compt. rend. Soc. Biol. 1891, p- 560 u. 638; vgl. Schupfer, Bull. d. R. Accad. med. di Roma 19B, 1897. — °) Heger, Journ. de med., de chirurg. et de pharmacolog. 1877; Roger, Action du foie sur les poissons, Paris 1887, These; Cinquantenaire de la Soc. Biol. 1900, No. 30. 502 Verhalten der Leber gegen Alkaloide. (Kaninchen) in größerer Menge vertragen bei Zufuhr durch die Pfortader, als durch die Ohrvene; entleberte Frösche gehen bei Nikotindosen zugrunde, welche einen normalen Frosch nicht vergiften. Diesen Stoffen wird ferner von Kotliar!) u.a. Atropin beigezählt (doch konnten Rothberger und Winterberg?) diese Befunde nicht bestätigen), sodann die giftigen Methyl- und Äthylester der Morphinglykolsäure, welche nach A. Schmidt in der Leber gespalten werden 3) (s. S.458). Nach Roger werden weiter Fäulnisptomaine durch die Leber zurückgehalten (Kaninchen); auch andere Stoffe, z.B. Galle, Harn, sollen weniger giftig sein, wenn sie durch die Pfortader eingespritzt werden, als bei Injektion durch eine periphere Vene, ähnlich auch Pepton. Die tödliche Dosis kann bei Zufuhr der ver- schiedenen genannten Stoffe durch eine Körpervene pro Kilogramm Tier (Kaninchen) schon bei der Hälfte der auf dem Pfortaderweg tödlichen Dosis erreicht sein. Cavazzanıt) beobachtete, daß Methylviolett, das gelöst im Blute kreist, durch die Leber (selbst in beträchtlichen Mengen) festgehalten wird, so daß das aus der Lebervene ausströmende Blut farbstofffrei ist; das Leber- gewebe besitzt diese Fähigkeit auch noch einige Stunden nach dem Tode; bei der embryonalen Leber ist dieselbe geringer. Ein Teil des Methylvioletts tritt in die Galle). Methylenblau, Menschen oder Hunden per os zu- geführt, wird zum Teil durch die Galle ausgeschieden, dabei kommt es, da der Farbstoff zum Teil (in der Leber?) reduziert wird, auch zum Auftreten von ungiftigem Leukomethylenblau in der Galle®). Auch Karmin, intravenös zugeführt, wird in den Zellen der Leber und anderer Gewebe festgehalten 7), ebenso Indigokörnchen ®). Vielleicht gehört in diese Gruppe auch das Chloro- form, das starke Veränderungen der Leberzellen hervorrufen kann (fettige Degeneration u.a.?). Auch Fermente, die subeutan beigebracht wurden, können in der Leber festgehalten werden; so fand Hildebrandt!P), daß Emulsin in der Leber (und in anderen Organen) deponiert wird und dort noch nachweisbar ist zu einer Zeit, in der es auf in Blut gebrachtes Amygdalin nicht mehr wirkt (keine HON-Vergiftung mehr hervorbringt). Über die Säurevergiftung, die nach Leberexstirpation !!), bei Diabetes durch das Auftreten von Acetessigsäure und ß-Oxybuttersäure bewirkt werden kann (Stadelmann 12), ist S.461 und 464 gesprochen worden 13). Was die morphologischen Veränderungen der Leberzellen durch verschie- dene Stoffe betrifft, so ist einiges schon bemerkt, in der Hauptsache sei auf den betreffenden Abschnitt verwiesen; erwähnt mag hier noch sein, daß Ellenberger !) Kotliar, Arch. de sc. biol. St. Petersbourg 2, 587, 1893. — *) Rothberger u. Winterberg, Arch. de pharm. 15, 339, 1905. — °) Schmidt, Dissertation, Heidelberg 1901; Jacoby, Ergebnisse der Biochem. 1, 243, 1902. — *) Cavazzani, Arch. ital. de biol. 26, 27. — °) Barb£ra, Bull. sc. med. di Bologna (7) 11 (1900). — °) Brauer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 182, 1903. — 7) Ribbert, Zeitschr. f£. allg. Physiol. 4, 43, 1905. — ®) Siebel, Virchows Arch. 104 (1886). — °) Mertens, Arch. de Pharmak. 2, 127, 1896. — !°) Hildebrandt, Virchows Arch. 131, 12, 1893. — !!) Salaskin und Zaleski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 517, 1900. — 1?) Stadelmann, Arch. f. exper. Path. 17, 419, 1883. — '?) Über die Wirkung von Adrenalin auf die Leber (bzw. das Glykogen in derselben) siehe Drummond und Paton, Journ. of Physiol. 31, 92, 1904. [3 ®) Gerinnungshemmende Wirkungen usw. 503 und Baum!) zwischen Mitteln, welche die Leberzellen zur Tätigkeit anregen (Pilocarpin, Muscarin, Alo&, auch Natrium salieylieum und benzoicum), und solchen unterscheiden, die ihre Tätigkeit hemmen (Atropin, Plumbum acelicum, auch Magnesium sulfuricum, Ammoniumchlorid, Kalomel, Kupfersulfat). Ein trophisches Zentrum für die Leberzellen nimmt Bonome in den Coeliacal- ganglien an ?). Gerinnungshemmende, koagulierende, toxische und antitoxische Wirkungen der Leber und Verwandtes. Einige Stoffe bzw. Wirkungen vermag die Leber (oder Produkte derselben) hervorzubringen, die selbst nicht indifferent bzw. sogar schädlich für den Organismus selbst oder für fremde Organismen sind. Wird einem Hunde Peptonlösung „Wittepepton“ (0,2 bis 0,7& pro Kilogramm Tier), auch Aalserum, Krebsleber-(Muskel)extrakt usw. in die Blutbahn injiziert °), so wird die Blutgerinnung gehemmt; wird die Leber eines Hundes mit einer peptonhaltigen physiologischen Kochsalzlösung durchströmt, so erhält man eine Flüssigkeit, welche gerinnungshemmend (auf Blut) zu wirken vermag; andere Organe bringen diese Substanz nicht oder in geringerem Maße. zustande; der hemmende Körper kommt zu einem beträchtlichen Teile durch die Lymphe ins Blut®). Die Gegenwart von Leukocyten scheint für die beobachtete Erscheinung eine notwendige Voraussetzung zu sein. Einspritzung von Eisensalzen vermag die Gerinnungshemmung zu verhindern. Bei dem Zustandekommen der gerinnungshemmenden Wirkung ist an den Antagonismus einer Gerinnung bewirkenden und einer Gerinnung hemmenden Sub- stanz zu denken. Ein Körper, der die Gerinnungshemmung durch Pepton ver- hindert, ließ sich ebenfalls erhalten (durch Injektion von Pepton°). Doyon und Kareff°) sahen beim Hunde nach Herstellung einer Anastomose von Pfortader und Vena cava und darauf folgender Abtragung der Leber die Gerinnbarkeit des Blutes abnehmen und beim Tode des Tieres ganz verschwinden. Auch bei Papayotinverdauung der Leber’) und ferner bei Autolyse der Organe ent- stehen nach Conradi°) gerinnungshemmende Substanzen ; derselbe beabachtete dabei ferner die Bildung bakterieider Substanzen. Kastle und Mc. Caw°) er- hielten durch das wässerige Extrakt der Leber verschiedener Wirbeltiere, mit Aus- nahme der Fische, Spaltung von Kaliummyronat (in Äthylsenföl, Zucker und saures schwefelsaures Kalium). Nürnberg!) fand, daß autolytische Leberextrakte koagulierend auf Albu- moselösung wirkten. Ein giftiges Agens, durch dessen intravenöse Injektion intra- vaseuläre Blutgerinnung und Tod bei Kaninchen erzeugt werden kann, enthält nach Mairet und Vires!!) der wässerige Auszug der Kaninchenleber; auch die !) Ellenberger und Baum, Arch. f. Tierheilk. 13 (1887) u. 25 (1898); Baum, Deutsch. Zeitschr. f. Tiermedizin 12 (1886) u.a. — ?) Bonome, Arch. ital. de biol. 17, 274. — °) Vgl. auch (oben 8.472) die Angabe von Thompson, daß auf Peptoninjektion der Blutgehalt der Leber stark anwächst. — *) Spiro und Ellinger, Zeitschr. f. physiol. Chem. 23, 114, 1897; Spiro und Pick (ebenda, 31, 235, 1900) nennen den hierbei wirksamen Stoff Peptozym. — °) Delezenne, Gley et Pachon, Contejean, Hedon et Delezenne, Gley, Camus et Gley, Dastre und Floresco, Camus, Abelous et Billard usw. in Compt. rend. Soc. Biol. 1895 f£.; Delezenne, Arch. d. pbysiol. (5) 8, 655; 9, 646; 10, 568, 1898 u.a. — °) Doyon und Kareff, Compt. rend. 138, 1007, 1904. — 7) Dastre et Floreseo, Cinquantenaire de la Soc. Biol. 1899, No.54 (Camus), Chittenden, Amer. Journ. of Physiol. 1, 255, 1898. — °) Conradi, Hofmeisters Beiträge 1, 136, 146 u. 193, 1902; die frischen Preßsäfte der parenchymatösen Organe dagegen wirkten gerinnungs- beschleunigend. — °) Kastle u. Me. Caw, Amer. Chem. Journ. 32, 372; Chem. Zentralbl. 2, 1477, 1904. — !%) Nürnberg, Hofmeisters Beiträge 4, 543, 1904. — ") Mairet und Vires, Compt. rend. 123, 1076, 1896; Compt. rend. Soc. Biol. 48, 1071, 1896. - 504 Exstirpation der Leber. Galle (Rind) wirkt (beim Kaninchen, Hund) intravenös injiziert nach Roger u..a.!) (S. 501) giftig. Über Veränderungen der Schilddrüse nach Ligatur des Gallenganges s. Hürthle’) u. a.; Galle ins Blut gebracht, wirkt vermindernd auf die Zahl der Herzschläge °) (s. 8.470, 515). Gallensaure Salze (Galle), subdural injiziert (Kaninchen, Cavia, Katze usw.), haben schon in geringer Menge schwere Vergiftungserscheinungen (stürmische Bewegung, klonische Krämpfe der Kaumuskeln usw.) zur Folge'); bei Injektion ins Blut tritt diese Wirkung nicht ein. Galle von gegen Typhus- und Colibazillen immunisierten Tieren besitzt nach Costani jun. agglutinierende Eigenschaften (Kaninchen, Cavia usw.), normale Galle nicht. Vinzenzi fand, daß die Galle eines an traumatischem Icterus gestorbenen Mannes kräftig antitoxische Eigen- schaften (gegen Tetanusgift) besaß; dasselbe beobachtete er bei Tieren’) (Kanin- chen, Cavia). Exstirpation der Leber. Wie im vorhergehenden an zahlreichen Punkten ersichtlich ist, ist die Leber ein unbedingt lebenswichtiges Organ. Totale Exstirpation ist beim Säugetier nur auf dem Wege der Anlegung einer Eckschen Fistel und Ligatur der Arteria hepatica möglich, wobei das Blut aus der Pfortader in die untere Hohlvene geleitet wird. Die Tiere (Hunde) können die unkom- plizierte Ecksche Fistel längere Zeit (monatelang ®) überleben. Die totale Exstirpation der Leber überleben die Tiere nur wenige Stunden; sie führt zu einer Erhöhung des Säuregehalts des Körpers, was bei der einfachen Eck- schen Fistel nicht der Fall ist. Beim Vogel ist die Entleberung durch- führbar, da bei ıhm das Blut der Pfortader durch die Vena communicans Ja- cobsoni in die Nierenvene abfließen kann. Die entleberten Tiere (Gans, Ente u. a.) überleben den Eingriff etwa 1 Tag (10 bis 20 Stunden ’”). Frösche °) überleben die Entleberung einige Tage, gewöhnlich 3 bis 4, in fließendem Wasser jedoch länger (bis zu 2 bis 3 Wochen; Roger’). Teil- weise Exstirpation der Leber erträgt der Säugerorganismus (Kaninchen) bis zu !/,, höchstens etwa ®/, des Organs!®); es tritt darauf eine lebhafte Re- generation von Lebergewebe ein, die selbst im genannten extremen Fall im Verlauf mehrerer Wochen wieder */, des ursprünglichen Organs erreichen kann. !) Polimanti, Bull. accad. med. di Roma 21, 360; vgl. Lugli, ebenda 22, 1895 (96) u. a. — *) Hürthle, Pflügers Arch. 56, 1 u. 9, 1894; Müller, Zieglers Beiträge zur pathol. Anat. 19; Wiener, Zentralbl. f. Physiol, 13, 142, 1899. — ») Röhrig, Arch. f. Heilkunde 3 (1863); Traube, Berl. klin. Woehenschr. 1864 u.a.; Mackay, Arch. f. exper. Pathol. 19, 279, 1885; Brandenburg, Berl. klin. Wochen- schrift 38, 865, 1903; Bordier, Compt. rend. Soc. Biol. 1897, p. 605 u.a. — ®) Bickel, Compt. rend. 124, 702, 1897; Biedl u. R. Kraus, Zentralbl. f. innere Med. 19, 1185, 1898. — °) Vinzenzi, Münchn. med. Wochenschr. 46, 1197, 1897 und Deutsch. med. Wochenschr. 24, 534, 1898; über Antitoxin in der Galle bei rabiatischen Tieren s. J. Lebell, Zentralbl. f. Bakteriol. 26, 635, 1899; über die Be- deutung der gallensauren Salze gegenüber dem Schlangengift s. Phisalix, Compt. rend. Soc. Biol. 1897, p. 1057 u. Compt. rend. 125, 1053. — °) Nencki, Pawlow u. Zaleski, Arch. f. exper. Path. 37, 26, 1896; Hahn, Massen usw. ebenda 32, 161, 1893; Filippi, Arch. ital. de biol. 31, 211, 1899; Salaskin u. Zaleski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 517, 1900; Bielka v. Karltreu, Arch. f. exper. Path. 45, 56, 1900. — 7) Minkowski u. Naunyn, Arch. f. exper. Pathol. 21, 1, 1886; Lang, Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 320, 1901. — ®) Stern, Arch. f. exper. Path. 19, 44, 1885. — °) Roger, Compt. rend. Soc. Biol. 1892, p. 529. — !°) Pon- fik, Virchows Arch. 118, 209, 1889 u. 119, 193, 1890. Exstirpation der Leber. — Ausfuhrwege, Lebervene, Lymphbahnen. 505 Daß die Galle nicht unbedingt lebenswichtig ist, beweisen die Beob- achtungen an Tieren (Hund usw.) mit Gallenfisteln. Die Tiere könnten bei geeigneter Nahrung lange leben !). Die hauptsächlichsten chemischen Prozesse, die in den Leberzellen ab- laufen, sind, soweit darüber etwas festgestellt ist, im vorhergehenden dar- gestellt. Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß bei vielen derselben, in erster Linie bei den oxydativen, Wärme frei werden muß, daß also hier ein Teil der Wärmeproduktion des Körpers seine Ursache findet. Es ist auffallend, wie groß die Zahl der chemischen Prozzesse in der Leber ist, obgleich gewiß eine große Zahl hierher gehöriger Prozesse zurzeit noch nicht erkannt ist. Ein großer Teil des intermediären Stoff- wechsels dürfte der Leber zufallen. Allein an Fermentwirkungen war eine beträchtliche Anzahl zu verzeichnen (Diastase, Lipase, Endotrypsin, Urease, Arginase, Katalase, Aldehydase, Histozym, Xanthinoxydase, Guanase, Harn- säure zersetzendes Ferment, Harnstoff spaltendes Ferment u. a.). Ich erwähne ferner die bei Zersetzung und Synthese besonders wich- tigen Fähigkeiten zu oxydieren und zu reduzieren, Wasser anzulagern und abzuspalten, und noch andere. Es legt sich hierdurch die Frage vor, wie diese Prozesse in der Leber nebeneinander zu denken seien. Zunächst ist zu bemerken, daß die Angaben über den Bau der Leberzellen keine Veran- lassung zu der Vermutung geben, daß besondere Zellen für jeden der ver- schiedenen Prozesse vorhanden sind; man wird geneigt sein, jeder Leberzelle jede der beschriebenen Funktionen — der Möglichkeit nach — zuzuteilen. Pfeffer?2), Wroblewski, Jacoby, Hofmeister u. a. haben deshalb die Vermutung ausgesprochen, daß die Fermente in der Zelle räumlich vonein- ander getrennt gelagert seien, und daß so ein geordnetes Funktionieren ermöglicht werde. Notwendig dürfte diese Annahme bis jetzt nicht für alle Fälle sein, da auch eine Variation der Funktion nach der Zeit (wie bei vielen Organen) möglich ist, so daß zur selben Zeit innerbalb der einzelnen Zelle stets nur eine Art von Prozessen abläuft, z. B. nur Oxydationen und Reduk- tionen, die neben ihnen möglich sind, nicht aber gleichzeitig Prozesse, die die Oxydation unmöglich machen usw. Bei der Regulierung der Fermentwirkung ist noch besonders an das Einsetzen antifermentativer Wirkungen zu denken. V. Die Apparate zur Ausfuhr von Stoffen und anderen Agenzien aus der Leber. Die Wege, welche die Leber besitzt, um die Produkte ihrer Tätigkeit weiterzugeben, sind 1. die Lebervene, 2. Lymphbahnen, 3. die Gallen- gänge. Welche Stoffe die einzelnen dieser drei Wege aufnehmen, scheint nur bedingt geregelt zu sein; ändern sich diese Bedingungen (s. unten), so ) Vgl. C. Voit, Zeitschr. f. Biol. 30, 523, 1884; s. auch Schwann, Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1844, 8. 127 u.a. — ?) Pfeffer, Pflanzenphysiol. 1 (1897); Wroblewski, Zentralbl. f. Physiol. 13, 296, 1899; Hofmeister, Die chem. Organ. d. Zelle, Braunschweig 1901; Jacoby, Erg. d. Biochem. ], 213, 1902. 506 Lymphbahnen. ändern sich auch die Wege, die den einzelnen Stoffen offen stehen, etwas; ferner wird z. B. Harnstoff sowohl ins Blut, wie (in geringer Menge) in die Gallengänge ausgeschieden (S. 509). Ferner ist zu fragen, ob Nerven vorhanden sind, um Wirkungen von der Leber (s. S.427) dem übrigen Organismus zuzuleiten. Die Lebervenen nehmen (s. die vorigen Kapitel!) verschiedene Stoffe aus der Leber auf, so z. B. Zucker, ferner Harnstoff, Harnsäure usw. Nä- heres darüber ist an anderer Stelle nachzusehen. Die Lymphbahnen führen ebenfalls in beträchtlicher Menge Stoffe aus der Leber ab; die Leberlymphe ist besonders reich an organischen Bestandteilen (darunter auch Eiweißstoffen !). Nach Beobachtungen von Starling u. a. wirken die lymphtreiben- den Mittel (1. Reihe der Lymphagoga 2?) Heidenhains), wie Pepton, Leber- und Darmextrakt (Hund), Krebsmuskelextrakt, Extrakt der Blut- egel, Nuclein usw., in erster Linie auf die Leber: nach Ligatur der por- talen Leberlymphgefäße blieb die lymphagoge Wirkung so gut wie voll- ständig aus. Ligatur der Vena cava über den Lebervenen bewirkt eben- falls eine starke Steigerung der Lymphproduktion in der Leber (Heiden- hain). Chinin vermag die Wirkung der ersten Gruppe der Lymphagoga zu hemmen °). ! Ebenso wie beim Blut nach Einführung von Pepton Ungerinnbarkeit eintritt (8.503), ist dies auch nach Einführung der Lymphagoga 1. Ordnung bei der Lymphe der Fall. Ferner ließ sich nach Einführung von Ammoniumtartrat oder Kaseinlösung in die Vena lienalis (beide veranlassen Harnstoffbildung in der Leber) oder durch Zuckerinjektion in diese Vene (Anregung der Glykogenbildung) eine Vermehrung der Lymphe im Ductus thoracicus (wahrscheinlich aus der Leber) bewirken, ebenso dureh Einführung von Gallensäuren *), sowie von Hämoglobin. Asher vertritt auf Grund dieser und anderer zum Teil in Gemeinschaft mit Barb£era u. a. ausgeführter Versuche und beobachteter Tatsachen die Auffassung, daß die Lymphe ein Maß darstellt für die Arbeit der Organe’). Versuche von Asher, nach welchen das lymphagog wirkende Pepton, Hunden intravenös injiziert, vermehrte Gallenabsonderung bewirken sollte, wodurch eine Steigerung der Lebertätigkeit bewiesen würde, hat Ellinger‘) wiederholt und gezeigt, daß es sich bei denselben vermutlich nicht um eine vermehrte Bildung von Galle, sondern um beschleunigte Entleerung besonders der Gallenblase handelt’?). E Über den Übertritt von Galle in die Lymphe nach Ligatur des Duetus chole- dochus s. 8.513. Ob für die Erklärung der Bildung der Lymphe die Gesetze der Osmose und Diffusion und Filtration ausreichen (vgl. Ellinger, Ergebnisse der Bioehemie 1, 355), oder ob dafür eine besondere „Sekretion“ durch die lebenden Zellen anzunehmen sei (Heidenhain, Hamburger u. a.), ist im Kapitel Lymphe nachzusehen. !) Starling, Journ. of Physiol. 14, 131, 1893; 16, (1894) und 17, 30, 1894; vel. Ellinger, Erg. d. Biochem. 1, 355, 1902. — ?) Heidenhain, Pflügers Arch. 49, 209, 1891. Über morphologische Änderungen in den Zellen der Leber durch lymphagoge Mittel s. Kusmine, Zeitschr. f. Biol. 46, 554, 1905. — °) Asher u. Gies, Zeitschr. f. Biol. 40, 180, 1900. — *) Bainbridge, Journ. of Physiol. 28, 204 u. 212, 1902; Asher, Zeitschr. f. Biol. 45, 121, 1904. — °) Asher, Zeitschr. f. Biol. 36, 154, 1897; 37, 261, 1899; 40, 180 u. 333, 1900. — °) Ellinger, Hof- meisters Beiträge 2, 297, 1902. — 7) Bainbridge, Journ. of Physiol. 28, 204, 1902. Gallenwege. 507 Die Gallenwege und die Galle !). Ein sehr bedeutender Teil der Produkte, die in der Leber gebildet werden, wird durch die Gallenwege abgeführt. Sowohl die Gallengänge wie die Gallenblase besitzen glatte Ring- und Längsmuskeln; die Kontraktions- form entspricht der der glatten Muskeln. Die langsamen Kontraktionen treten „spontan“ auf ?). Die motorischen Nerven für die Kontraktion sind die großen N. splanch- niei, auch Erweiterung der Gallengänge und Gallenblase auf nervösen Reiz ist möglich, die letztere z.B. durch Reizung des zentralen Splanchnicusstumpfes. a) Eigenschaften und Zusammensetzung der Galle. Die Galle setzt sich aus zwei Quellen zusammen: 1. aus dem Produkt der Leberzellen, welches dünnflüssig ist und dessen Beständteile im vorher- gehenden erörtert sind; 2. aus dem Produkt der Gallengänge, hierzu gehört vor allem das Mucin, bzw. ein Nucleoalbumin (s. unten). Die frische Galle aus der Leber ıst beim Menschen (auch Hund) von goldgelber °) bis olivgrüner (Capeman und Winston, s. unten) Farbe. Wenn es in der Galle durch Sauerstoffaufnahme zur Entstehung von Biliverdin (aus Bilirubin) gekommen ist, kann die Farbe grün werden; beim Schaf ist die normale Galle grünlich gefärbt, ähnlich beim Rind (doch nicht stets, Marshall). Die normale Galle ist zäh, schleimig, von bitterem Geschmack, besitzt alkalische Reaktion; das spezifische Gewicht bestimmte Robson zu 1008 bis 1009, in der Galle der Blase steigt es an auf 1030 bis 1040. Kimura) fand das spezifische Gewicht der menschlichen Blasengalle zu 1012 bis 1040; in der Galle der Gallenblase des Rindes fand es Marshall) zu 1016 bis 1037. Bestimmungen des Gefrierpunktes der Galle ergaben ©) bei verschie- denen Tieren (Schwein, Lamm, Rind) 7 zwischen — 0,45 und — 0,60°, H. Strauss’) fand bei der menschlichen Galle (aus Blasenfisteln) 7 zwischen — 0,54 und — 0,63° (auf Zugabe von Kochsalz), also ähnlich der Gefrier- punktserniedrigung des Blutes. Brand°) fand bei der menschlichen Galle A4= —0,535 bis 0,560°. Die täglich abgeschiedene Menge beträgt beim Menschen (aus Fisteln) 700 bis 800cem bei einem kleinen Individuum ?) (26 jährige Frau), 860 bis 1000 ccm bis 1130 cem (Maximum) (42 jährige Frau) (Mayo Robson) und dürfte beim Gesunden vielleicht noch ein wenig diese Größe überschreiten. Dastre erhielt beim Hund !?) von etwa 20kg Gewicht täglich im Mittel 250 cem, Colin pro Stunde 8 bis 15. !) Vgl. Hammarsten, Erg. d. Biochem. 4, 1, 1905. — *) Doyon, Arch. de physiol. 5, 678 u. 710, 1893 und 1894, p.19. — °) Hammarsten, Upsala 1893, l.c. — *) Kimura, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 75, 275, 1904. — °) Marshall, Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 233, 1886. — °) Messedaglia u. Coletti, ll Mor- gagni 44, 1, 1902 vgl. Brand ]l.c. — 7) H. Strauß, Berl. klin. Wochenschr. 1905, 8.261. — °®) Brand, Pflügers Arch. 90, 491, 1902. — °) Capeman and Winston, Journ. of Physiol. 10, 213; vgl. Brand, l.c. — !°) Dastre, Arch. d. physiol. 22, 800, 1890. Gallenmenge. 508 (on) oo S- aa Ho Hmoaxuo© ao aa oa na 2 0% | a >NKer ro ro a om = DM [eo LE DES = = Ss on e | a | ern. a5 In —_—_— u DE = laormxn bon oo a — lm sa oaw»eomHmmao mw ca u Be re | I\Yawoaonmooooo6 I) I | Stan os onon> =) Iso» .4oo—- on. rHn%09 ri Oo "MS MM DO. o o©- ca a | Haare Do ASS as ototorojoNoreoroszornD | [07 | © Hood oo60 l|owoaoy+4 ro 9 SS 2. 2 © | lar-raaonMo9 oo X el 4doaorm Mo 99060 ISsecsoaleegssse | [e7) | Io mr a DEF Io m © ıD a a a ur wa won | | | SERIES an oo© Si ©, o,.S [or] u | ar =) oO mM m | sooxn owon nr en | or HT» oo aa Ho © X | = Sr, 0.0 Sr (oo & a IE EEE = Seeocegescseäse © a S | el — | | Seo ook oyose Beten en era Ge ae EXTRAS AENTES a oa | a Hana m oa mo © m COS | a 2 SI ee | [on | | tt © a lo ooaor © - oO ao oa vw oO # > a oO a ao aa or OIROLIDTES | SE ee ee =) ==) | (er) | | 2 9 © © et rm Heer oO m nn [ae oseo»o 4x a “on IT oo ao oO So @nTco | INC EN er ehe er ten ei oe | | 3 | ou me -— - —— | A || 1} I} | | | ER. | = og D =) = ==, "oO 2 '« b £ an = © er S er: = oz u] ee N 2 8 Be = RE o=| SE Zr ee no = ee = = ID FD te > | n SEEN er che BelgıS: || ES ES Ss See oO m ee eG eo) EB SENAT Eee ra ee un. SE au Sara 7 N ee ET SE Re rer role Re een les Sc FrrAakvo mo Bo Colin!) bestimmte die pro Tag ausgeschiedene Gallenmenge: beim Pferd zu 5000 bis 6000 g Rinde 2000 „ 5000 „ Schaf „ um 330g Bidder und Schmidt?) berech- neten pro Kilogramm Körpergewicht auf den Tag: beim Hund . . 20 Katze Sn 15 Schafen u 25 Kanmeheng2.... 137% Cavia „alas ” Da die meisten der die Galle zu- sammensetzenden Stoffe schon er- örtert sind, genügt hier die Auf- führung und die Angabe ihres An-. teils an der Galle). In der nebenstehenden Tabelle ist die Zusammensetzung von sieben menschlichen Lebergallen und zwei Blasengallen nach Hammarstent) wiedergegeben. Nach der Tabelle schwankt beim Menschen die Trockensubstanz ın der Lebergalle von 16 bis 35 pro Mille, während sie in der Blasen- galle, welche während ihres Auf- enthalts in der Gallenblase wesent- liche Änderungen erfährt (s. unten), sich auf 16 bis 17 Prozent beläuft, also fast den 10 fachen Wert erreicht. !) Colin, Physiologie comparee 1, 850, 1886. — ?) 1. c. — °) Eine Zu- sammenstellunge der Analysen mensch- licher Gallen gibt J. Brand, Pflügers Arch. 90, 491, 1902. Über die Galle des Eisbären vgl. Hammarsten, Zeit- schrift f. physiol. Chem. 32, 435, 1901 u. 36, 525, 1902. Über die Galle des Isabellbären (aus Syrien) vgl. v. Zum- busch, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 426, 1902. Über die Galle des Moschus- ochsen ss. Hammarsten, Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 109, 1904 (Glyko- cholsäure, Glykocholeinsäure u. Tauro- cholsäure, ferner Cholehämatin). — ‘), Hammarsten, Ges. d. Wiss. Upsala, 15. Juni 1893; vgl. Brand, l.c. re TR Gallenbestandteile. 509 Mayo Robson fand 17,9 bis 18,2 pro Mille Trockensubstanz in der Galle eines Patienten. In der Galle des Menschen hat Hammarsten echtes Mucin nach- gewiesen, welches beim Kochen nicht koaguliert und nach Spaltung mit Mineralsäuren reduzierende Substanz liefert; dasselbe stammt wahrschein- lich aus den Drüsen der Gallengänge. Dagegen ist der Schleimstoff aus der Blasengalle des Rindes!) kein echtes Mucin. Dasselbe liefert, mit verdünnter Säure gekocht, keine reduzierende Substanz, besitzt einen sehr hohen Stick- stoffgehalt (16,1 Proz.), eine geringe Menge Phosphor und dürfte deshalb als ein Nucleoalbumin anzusehen sein. Beim Kochen in neutraler Lösung koa- guliert es nicht, bei der Digestion mit Pepsinsalzsäure kommt es zur Aus- scheidung von Nuclein. Die Menge dieses Schleimes ist sehr gering, um 0,1 Proz.; möglicherweise ist daneben noch echtes Mucin in Spuren vorhanden. Im reinen (normalen ?) Sekret der Gallenblase des Menschen, welches keine Gallenbestandteile enthielt, fand Wahlgren?) ebenfalls ein Nucleoalbumin. Gerinnbares Eiweiß enthält normale Galle nicht. Über die Gallenfarbstoffe s. 8.492. Von gallensauren Alkalien kommen in der menschlichen Galle neben den Taurin- und Glykokollpaarlingen der Cholsäure auch solche der Choleinsäure vor, sowie ferner Fellinsäure (s.S. 470 ff., 475,477). Cholesterin fanden Doyon und Dufourt?) beim Hund in der Fistelgalle 0,01 bis 0,03 Proz., in der Blasen- galle 0,11 bis 0,14 Proz. Jacobsen‘) fand in der Fistelgalle eines kräftigen Mannes 2,5 Proz. vom trockenen Gallenrückstand an Cholesterin (s. S. 469 5). Außer diesen charakteristischen Bestandteilen finden sich in der Galle reichlich Kohlensäure (Pflüger), ferner in kleinen Mengen Fettsäuren beim Rind (Lassar-Cohn‘), beim Menschen Stearinsäure, Palmitinsäure und Ölsäure (Lassar-Cohn”), auch Myristinsäure, sodann LecithinS), welches für die Löslichkeitsverhältnisse der Gallensäuren von großer Bedeutung ist; vom Lecithin werden von Thudichum°) Phosphatide unterschieden, in welchen die Relation von P:N im Molekül nicht — 1:1 ist, wie beim Lecithin, sondern wie 1:2, 1:4 usw.; ein solches Phosphatid beschrieb Thu- dichum aus der Rindergalle, Hammarsten ein anderes (Sphingomyelin Thudichums) aus der Eisbärengalle usw. Des weiteren enthält die Galle Ätherschwefelsäuren, die Hammarsten in der menschlichen Galle in geringer Menge nachweisen konnte !P), ferner Spuren von Harnstoff, besonders nach Unterbindung der Uretheren !!), Oxalsäure 12). !) Paijeull, Zeitschr. f. physiol. Chem. 12, 196, 1888. — ?) Wahlegren, Malys Jahresber. 32. — °) Doyon und Dufourt, Arch. d. physiol. (5) 8, 587, 1896. — *) Jacobsen, Ber. 6, 1026, 1873. — °) Hammarsten, Nova acta Reg. Soc. Scient. Upsala Ser. IH, 16; Brand, l.c. — °) Lassar-Cohn, Die Säuren der Rinder- und Menschengalle, 1898. — 7) Lassar-Cohn, Zeitschr. f. physiol. Chem. 19, 563, 1894. — ®) Hammarsten, Erg. d. Physiol. 4, 14, 1905. — °) Thudich- um, D. chem. Konstitution des Gehirns, Tübingen 1901, Virchows Arch. 159. — 1%) Hammarsten, Ges. d. Wiss. Upsala 1893; vgl. Brand, l.c.; Über die Scym- nole, vermutlich Alkohole, die als gepaarte Schwefelsäuren in der Galle von Fischen von Hammarsten beobachtet worden sind, s. Zeitschr. f. physiol. Chem. 24, 322, 1897 u.a.a.0. — !!) Lieberkühn und Strahl, Harnsäure im Blut usw., Berlin 1848 (zitiert nach Schöndorff, Pflügers Arch. 74, 308 u. 318, 1899; Michai- low, Petersburg. med. Wochenschr. 1892, Nr.2. u.a. — !?) Salkowski, Berliner klin. Wochenschr. 1900, Nr. 20. 510 Gallenbestandteile. Von Fermenten sind beobachtet worden: Diastatisches Ferment, welches zuerst durch v. Wittich'!) beim Menschen in der Galle (im Glycerin- extrakt) nachgewiesen wurde; ferner fand sich Diastase stets bei Rind, Schwein, Schaf ?), nicht beim Hund. Proteolytisches Ferment wurde ebenfalls gefunden ?). Auch Lipase wurde beobachtet; ferner ein oxyda- tives Ferment und Katalase®). Die anorganischen Bestandteile der Galle (vornehmlich die Salze des Serums) sind Chloride, Phosphate, Sulfate, Karbonate des Natriums (in über- wiegender Menge), Kaliums, Caleiums, Magnesiums, Eisens; Robson fand ferner Spuren von Kupfer und Silicium. In der Gallenblase erfährt die Galle (vgl. die Tabelle S. 508) eine Veränderung: sie verliert beträchtlich an Wasser, sowie an löslichen Salzen, während die anderen Bestandteile sich in der eingedickten Galle stark an- häufen. Bemerkt sei, daß nicht allen Säugetieren eine Gallenblase zukommt, sie fehlt z.B. bei den Walen, Perissodaktylen, Hirschen, dem Kamel, manchen Nagetieren. Auch bei manchen Vögeln fehlt sie, z. B. bei den Papageien, Tauben usw. Unter pathologischen Verhältnissen sind mannigfache Änderungen in der Zusammensetzung der Galle beobachtet worden; es können die Gallenpig- mente fehlen, so daß die Galle farblos wird (pigmentäre Acholie); diese scheint mit einer fettigen Degeneration der Leberzellen verbunden zu sein (Robin°). Bei amyloider Degeneration der Leber wurde fast völliges Fehlen der Gallensäuren beobachtet®). Nach Ligatur der Pfortader sah Colasanti’) bei Gallenfistel- hunden die Menge der Galle nur wenig (um '/,), die festen Stoffe in derselben fast um die Hälfte (°/,) abnehmen. Hauptsächlich waren Gallensäuren und Farbstoffe an dem Verluste beteiligt. Auch zur Ausscheidung sonst der Galle fremder Bestandteile in diese kann es kommen, abgesehen von Metallen (s. S. 499) sind hier zu nennen Jodkalium, Bromkalium, Alkaloide, gepaarte Glykuronsäuren (s. S. 454), von Athyl- und Amyl- alkohol (Hund ®), Methylviolett, Eiweiß’), Zucker (bei Pankreasdiabetes in den ersten Tagen !°), salicylsaures Natrium '') u. a.'?). %) v. Wittich, Pflügers Arch. 6, 181, 1872. — °) Kaufmann, Compt. rend. Soc. Biol. 41, 600, 1890. — ?) Pawlow (G. Bruno, zitiert nach Malys Jahresber. 27, 441, 1897) sah eine Steigerung der Wirkung des tryptischen Ferments durch Zusatz von Galle; Tschermak, Zentralbl. f. Physiol. 16, 329, 1902 (beim Menschen); Salkowski, Therapie der Gegenwart, N. F. 4, 169, 1902. — *) Dastre und Floresco, Arch. d. .physiol. 1897, p. 475. — 5) Robin, Malys Jahresber. 14, 471, 1884 u. a. — °) Hoppe-Seyler, Physiol. Chem. 1, 317, 1877; Winternitz (Zeitschr. f. physiol. Chem. 21, 387, 1896) beschrieb einen Fall, in welehem es nach Verschluß des Gallenganges durch Steine zu völli- gem Verschwinden der eigentlichen Gallenbestandteile in der erweiterten Gallen- blase gekommen war. Wahlgren (zitiert nach Malys Jahresber. 32, 508, 1902) erhielt ebenfalls ein farbloses oder fast farbloses Sekret aus der isolierten Gallen- blase des Menschen; er fand in demselben Albumin, Globulin und ein Nucleoalbu- min oder Nucleoproteid, kein Muein. — 7?) Colasanti, Bull. accad. med. di Roma 22, 487, 1896. — °) Brauer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 182, 1903. — °) Gürber und Hallauer (beim Kaninchen nach venöser Injektion von Casein), Zeitschr. f. Biol. 45, 372, 1904; von Phosphor- und Arsenvergiftung: Pilzecker, Zeitschr. f. physiol. Chem. 41, 157, 1904 usw. — !°) Brauer, l.c. — '') Linossier, Compt. rend. Soc. Biol. 53, 365, 1901; Nencki, Arch. f. exper. Pathol. 36, 400, 1895. — 12) {jber das Verhalten der Galle bei Vergiftung mit Phosphor und mit Arsen s. Pilzecker, Zeitschr. f. physiol. Chem. 41, 157. Sekretion der Galle. ala. Häufig kommt es zur Bildung von Konkrementen (Gallensteinen), besonders in der Gallenblase'),,. Beim Menschen bestehen dieselben am häufigsten im wesentlichen aus Cholesterin, Pigsmentsteine finden sich besonders häufig beim Rind in der Hauptmenge als Bilirubinkalk in den Gallengängen; daneben finden sich besonders Caleiumphosphat und -karbonat. Beim Menschen finden sich in den Pigmentsteinen ferner Biliverdin und andere Derivate des‘ Bilirubins (s. S. 492) wie Bilifusein, Bilihumin, Bilieyanin u. a.°). Über Metallbeimengungen (Zn, As, Cu, Mn, Sp, Hg) in den Gallensteinen ist S. 499 gesprochen. Fouquet°) beschrieb einen 3g schweren Gallenstein, der /, Stearinsäure, ebensoviel Kalk, ferner Phosphorsäure, Magnesia, Kali, Natron, Wasser und organische Substanz enthielt. Bei der Entstehung von Gallensteinen dürften nach neueren Unter- suchungen besonders entzündliche und eitrige Prozesse, z. B. in der Gallenblase, von Bedeutung sein‘). Einfaches Einbringen von Fremdkörpern, z. B. Cholesterin- steinen, in die Gallenblase gibt nicht zur Konkrementbildung Anlaß. Gallensteine können sich nach Hansemann’)im Verlauf einiger Monate bilden. b) Die Sekretion der Galle®°). Die Sekretion der Galle erfolgt kontinuierlich (Mensch, Hund); sie findet schon während des intrauterinen Lebens beim Fötus statt”) und soll auch beim winterschlafenden Tiere nicht unterbrochen sein. Beim hungernden Tier sinkt die Sekretion ab. C. Voit‘°) fand beim Hund nur die Hälfte bis ein Drittel an trockener Galle gebildet von der Menge, die bei reichlicher Nahrungsaufnahme zu finden war; mit der Dauer des Hungers nimmt die Abnahme zu. Lukjanow°) fand beim Meerschweinchen eine allmähliche Abnahme des Mittelwertes der abgeschiedenen trockenen Galle; dabei änderte sich die Zusammensetzung ein wenig, doch verschwand keiner der in der Norm vorhandenen Bestandteile. Auch Albertoni !°) sah beim Hunger- tier die Gallenabsonderung — bis zum Tode — stetig abfallend andauern. Innerhalb der 24stündigen Tagesperiode sind Schwankungen in der Menge der secernierten Galle zu beobachten. Beim Hunger (Hund) wird während der Nacht weniger trockene Galle abgeschieden, als am Tage; Mayo Robson sah dasselbe bei einer Frau mit Gallenfistel. 3 Fütterung (Hund) bewirkt ebenfalls Änderung in der Gallenabsonderung. Uber die Wirkung verschiedener Nahrungsstoffe liegen schwankende Angaben vor. Voit beobachtete auf Fleischfütterung ein Maximum (der trockenen Galle) in der ersten Stunde, von da ab Abfall; durch gleichmäßige Verteilung der Fütterung auf 24 Stunden wurde die Kurve der Sekretion eine ziemlich gleichmäßig ab- fallende. Fettfütterung bewirkte im ganzen keine Vermehrung der gelieferten Galle gegenüber dem Hunger; reines Stärkemehl veranlaßt eine steile Erhebung mit darauf folgendem ziemlich niederen Stande der Absonderungskurve "'). ') E. Ritter, Journ. de l’anat. et de physiol. Paris 1872, p. 60 u.a. — 2) Städeler, Vierteljahrsschr. der Naturf. Ges. zu Zürich 8 (1863) u. l.c. — ®) Fouquet, Chem. Zentralbl. 1, 713, 1896. — *) Naunyn, Klinik der Chole- lithiasis; Harley und Barrat, Journ. of Physiol. 29, 341, 1903; J. Mayer, ‘ Virchows Arch. 136, 561, 1894 u. a. — °) Hansemann, Virchows Arch. 154, 380, 1898. — °) Vgl. Heidenhain, Hermanns Handbuch d. Physiol. 5 (1), 209, 1883. — 7) Zweifel, Unters. über den Verdauungsapp. der Neugeb., Berlin 1874. — ®) C. Voit, Zeitschr. f. Biol. 30, 523, 1882/1894. — °) Lukjanow, Zeitschr. f. physiol. Chem. 16, 87, 1892. — !") Albertoni, Ric. sulla secrezione biliare, Istituto fisiologieo di Bologna 1893. Arch. ital. de biol. 20, 134, 1893. — "') C. Voit, Zeitschr. f. Biol. 30, 523; vgl. Dastre, Arch. de physiol. 22, 800; Hoppe-Seyler, physiol. Chem. 1878, 8.308; Barbera, Bull. delle se. med. di Bologna (7) 9, 1898 und Arch. ital. de biol. 31 (1899). IB 512 Sekretion der Galle. Einen deutlichen Einfluß der Art der Nahrung auf die Zusammensetzung der Galle (bzw. auf Schwefel- und Stickstoffgehalt derselben) konnte €. Voit!) bei Untersuchung zweier Gallenfistelhunde nicht feststellen. Spiro*) fand beim Hunde mit Gallenfistel bei zunehmender Eiweißnahrung eine — nicht proportional — wachsende Ausscheidung von S und N in der Galle, siehe die folgende Tabelle: S in der Galle N in der Galle ERNEST 00 0,195 & 125, Rlleische ne er 00 0,292, 500 „ „ a 3.805159, 0,3985 949 „ - EUROS 0,604 „ Eine Steigerung der Gallensekretion durch Medikamente z. B. Kalomel, Rha- barber, Evonymin, Terpentinöl, salieylsaures Na, Karlsbader Salz usw. (Cholagoga), hat sich bis jetzt nicht nachweisen lassen (Mayo Robson), ebensowenig durch Pepton, Blutegelextrakt usw. (s. S. 506). Auch Zufuhr von Natronsalzen ergab beim Hunde keine Änderung (Vermehrung) der Galle, änderte auch den Gehalt der Galle an Na und K nicht‘). Nur die gallensauren und cholsauren Salze selbst (und vielleicht Hämoglobin ?) haben sich als sichere Mittel hierfür ergeben ®). Ferner soll ein Sekretin, das, von der Schleimhaut des Duodenum und vordersten Jejunum auf verschiedene Reize, z. B. HCl (Rutherford) Chloralhydrat (Fa- loise), gebildet, ins Blut treten würde, die Gallensekretion anregen’). Nach Fleig®) soll diese Wirkung auch auf nervösem Wege zustande kommen. Von nervösen Einflüssen sah Heidenhain°) beim Hunde nach Splanch- nieusdurchsehneidung (Erweiterung der portalen Gefäße) Vermehrung des Gallen- flusses, dagegen sah Munk auf Reizung der Splanchniei (Kontraktion der Gefäße) Verminderung des Gallenflusses'®). Auch für den Vagus wurde eine Beeinflussung des Gallenflusses angegeben !'). Es ist hierbei einmal an Änderung der Blutzufuhr, dann an eine Wirkung auf die Muskeln der Gallengänge und Blase, vielleicht auch an spezifische Wirkungen zu denken. Ferner ist eine Beeinflussung der Gallensekretion durch den wechselnden Druck der umgebenden Organe (Zwerchfell usw.) in Betracht zu ziehen, vielleicht kommt dieses Moment bei der angegebenen Wirkung des Vagus auf die Gallensekretion in Frage. Wird die Blutzirkulation in der Leber durch Anastomosieren der Pfort- ader mit der Cava inferior '?) geändert, so geht die Gallensekretion weiter; Asp") beobachtete, daß nach Ligatur eines Pfortaderastes der zu der betreffenden Partie !) C.Voit, l.e. — °) P. Spiro, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880. Suppl, S.50. — °) Mayo Robson, Proc. Roy. Soc. 47, 199, 1890; Baldi, Arch. ital. de biol. 3 (1883); Nissen (Stadelmann), Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1890, S. 948; vgl. dagegen Bain, Journ. of Anat. and Phys. 33 (1899) und Brit. med. Journ. 1898, Sept.; Ellenberger und Baum, Arch. f. Tierheilkunde 25, 87, 1898, welche auf dem Wege der Beobachtung des morphologischen Verhaltens der Leberzellen (Tätigkeits- und Ruhezustand) Remedia cholagoga (z. B. Pilocarpin, Aloe, Na salic., Na benzoieum, Rheum usw.) und Remedia anticholagoga (z. B. Atropin, Mg sul- furie., Plumb. acet., Kalomel, Cupr. sulfur. usw.) unterschieden. — *) Glass, Arch. f. experim. Pathol. 30, 241, 1892; Med. Jahrb. 84, 159 u. a. — °) Stadelmann, Arch. f. exper. Pathol. 15, 337, 1882; Bainbridge, Journ. of Physiol. 28, 212, 1902. — °) Baldi, Paschkis, Malys Jahresber. 1884, S. 323; Pfaff und Balch, Journ. of exper. Med. 2, 49, 1897, Schiff u. a. — ”) Henri und Portier, Compt. rend. Soc. Biol. 54, 620, 1902; Fleig, Bull. de l’Acad. roy. de Belg. 1903, Nr. 12, p- 1095 („Krinin“); Falloise, Bull. d’Acad. roy. de Belg. (el. des Sc.) Nr. 8, 1. Aug. 1903, p. 1106, Liege, und Bull. de !’Acad. de med. de Belg. (4) 16, 945, 1903. — ®) Fleig, Compt. rend. 136, 701, 1903. — °) Heidenhain, Hermanns Hand- buch 5 (1), 266, 1883. — !°) Munk, Pflügers Arch. 8, 151 u. 160, 1874. — '!) Ar-| thaud et Butte, Compt. rend. Soc. Biol. 42, 44, 1890. — \”) Ore, zitiert nach Henle und Pfeufer, Jahresber. f. Anat. u. Physiol. 1856, S. 229. — “*) Asp, | Leipziger Ber. 1873, 8.482; vgl. Tappeiner, ebenda 1872, S. 193. Druck in den Gallenwegen. 513 tretende Ast der Arteria hepatica die Sekretion noch unterhalten konnte, aber in vermindertem Grade ; Verengerung der Pfortader bedingte ebenfalls Verminderung der Gallensekretion'). Ligatur der A. hepatica hob die Sekretion nicht auf?). Nach Ligatur der V. cava inferior erhielt Röhrig Verminderung der Gallensekre- tion®). Welchen Einfluß die besondere Zusammensetzung des Pfortaderblutes hat, ist nicht bekannt (s. bei NH, und Harnstoff!). Die maximale Steighöhe der Galle fand Heidenhaint) beim Hunde zu etwa 200 mm, dasselbe fand Bürker beim Kaninchen, Den normalen Gallendruck suchte Bürker’) zu bestimmen, indem er eine L-Kanüle in den Ductus choledochus einband und den Anstieg der Galle iın vertikalen Schenkel (zu 75 bis SO mm Galle) beobachtete (Kaninchen). Heidenhain schloß aus seinen Beobachtungen, daß der Gallendruck den Pfortaderdruck stets um Erhebliches übertreffe, denn er hatte den Pfort- aderdruck (beim selben Tier) beträchtlich niederer, zu 50 bis 90mm Soda- lösung, gefunden; inzwischen hat J. Munk®‘) den Druck in den Wurzeln der Pfortader beim Hunde zu 26 bis 30 mm Hg (350 bis 400mm H,O) ge- messen, also wesentlich höher, als der maximale Gallendruck beträgt. Bürker läßt bei seinen Veruchen die Frage, ob der Gallendruck den Pfortaderdruck übersteige, offen. Steigt der Druck in den Gallengängen höher (beim Menschen auf etwa 200mm Galle, Friedländer und Barisch), so tritt (wie z. B. nach Ligatur oder Verstopfung der Ausfuhrwege, auch an das Zähflüssigwerden der Galle nach Hämoglobininjektion sei hier erinnert) Resorption der Galle ein. Die Galle tritt dabei wahrscheinlich nicht direkt in das Blut über, sondern wird durch die Lymphwege dem Ductus thoracicus zugeführt, und gelangt auf diesem Wege in das Blut (Hund ’). Unterbindet man nun den Ductus thoracicus, so kann es gelingen, die Galle tagelang, eventuell sogar auf die Dauer (17 Tage lang), am Übertritt ins Blut zu verhindern. Dabei ist be- merkenswert, daß der Gehalt der Galle an Taurocholsäure nach dem Ver- schlusse abnahm, die Gallengänge erweiterten sich. Heidenhain °) vermutete ‘auf Grund von Versuchen mit indigschwefelsaurem Natrium, daß diese Re- sorption der Galle in den interlobulären Gallengängen (nicht in den Acinis und Leberzellen) erfolgt; dagegen schließt Bürker’) aus seinen Versuchen, daß dieselbe an der Peripherie der Acini statthabe (s.5.450, Reduktions- wirkung der Leber). Im Gegensatz zu den obengenannten Versuche Ludwigs sahen Wertheimer und Lepage!°) Indigokarminlösungen, wenn sie unter mäßigem Druck (30 cm) in den Ductus choledochus eingeführt wurden, früher im Harn erscheinen als in der Lymphe! Gallenfarbstoff in gleicher Weise ') Vgl. O. Schulz u. L. R. Müller, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 76, 544 bis 603, über einen Fall von Pfortaderthrombose. — °) Wertheimer, Arch. de physiol. (5), 4, 577, 1892. — °) Röhrig, Med. Jahrbücher Wien 2, 240, 1873. — *) Heidenhain, Hermanns Handbuch 5. Teil, 1883, 8. 268 u.a. — °) Bürker, Pflügers Arch. 83, 241, 1901. — °) Munk, Dub. Arch. 1890, Suppl., 8. 131. — 7) Ludwig und Fleischl, Leipziger Ber. 1874, $.42 und Ludwig und Budge, ebenda 1875, 8.136, 161; Harley, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, $.291 und Kongr. f. innere Med. 1892. — ®) Heidenhain, Studien des Physiol. Inst. Breslau (#) 1868, 8.233. — °) Bürker, Pflügers Arch. 83, 241, 1901. — !°) Wertheimer und Lepage, Arch. de physiol. 9 (5), 363, 1897; 10 (5), 334, 1898 und Compt. rend. Soc. Biol. Dez. 1896, p. 1077; Journ. de physiol. et path. gen. 1899, p. 259; vgl. Ugolino und Mazzocchi, Polielinico Soc. medica Fasc. 10 (1903). Nagel, Physiologie des Menschen. II. 33 514 Enterohepatischer Kreislauf der Galle. in 1 proz. Sodalösung zugeführt, wurde von Lymph- und Blutgefäßen resor- biert, in Versuchen, in welchen Ductus thoracicus und Gallengang unterbunden wurden (Hund) fanden sie regelmäßig, spätestens nach 21/, Tagen, Gallen- bestandteile im Harn. Tritt Galle ins Blut, so kommt es zu den Erscheinungen der Gelbsucht (Icterus), wobei Gallensäuren und Gallenfarbstoffe in den Harn übertreten. Mal- koff'!) fand beim Hunde nach Ligatur des Ductus choledochus Gallensäure am zweiten bis dritten, Gallenfarbstoff schon am zweiten Tage im Urin; anfangs nahm die Menge der Gallensäure zu, dann ab, so daß sie schließlich Null werden konnte; auch in der Gallenblase war gleichzeitig eine fortschreitende Abnahme an Gallen- säuren zu konstatieren, so daß es sich demnach um eine Verminderung der Bildung von Gallensäuren handelte. Die Gallenpigmentausscheidung hörte nicht auf. Doyon, Dufourt und Paviot”) sahen Hunde nach Resektion des Ductus choledochus zwischen zwei Ligaturen unter zunehmender Abmagerung bis auf die Hälfte des ursprünglichen Körpergewichts bis über sechs Monate leben, dabei kam es zur Schrumpfung der Leber. Auch die Zahl der roten Blutkörper nahm stark ab. ec) Die Resorption von Gallebestandteilen (aus den Blut- und Lymph- wegen bzw. dem Darm) durch die Leber. (Enterohepatischer Kreislauf der Galle.) Einige Bestandteile der Galle, besonders die Gallensäuren, doch auch ein Teil der Gallenfarbstoffe, treten aus dem Darm in die Körpersäfte, Blut und Lymphe über, werden durch diese (neben anderen Organen) wiederum der Leber zugeführt, von dieser aufgenommen und wieder in die Galle ausgeschieden. Es bewegen sich also diese Stoffe in einem Kreislauf zwischen Leber und Darm. Der Nachweis des Gesagten geschah erstens für die Gallensäuren °); Stadel- mann‘) sah beim Hund mit kompletter Gallenfistel nach Fütterung mit gallen- sauren Salzen eine starke Zunahme der Gallensäuren in der Galle. Weiß’) und ähnlich Stadelmann fütterte Gallenfistelhunden, die (s. S. 479) normalerweise Taurocholsäure in der Galle enthalten, reichlich Glykocholsäure (5 bis 9g täg- lich), am dritten Tage fanden sich in der Blasengalle des Hundes 25 bis 30 Proz. der Gallensäure an Glykocholsäure °). Tappeiner beobachtete, daß Cholate aus ab- gebundenen Dünndarmschlingen beim Hund resorbiert wurden und zwar aus dem Ileum Tauro- und Glykocholat, aus dem Jejunum nur Glykocholat, aus dem Duo- denum keines von beiden Salzen. Im Chylus aus dem Ductus thoracicus eines Hundes konnte Tappeiner sodann Cholate nachweisen. Im Blute ist bis in die letzte Zeit der Nachweis nicht [gelungen, nunmehr hat Croftan in demselben in einem Falle typische Formen von „Platners kristallisierter Galle“ gefunden’) (8. 470). Wird die Galle durch eine Fistel nach außen entleert, so nimmt die Gallen- menge beträchtlich ab°). Auch für die Gallenfarbstoffe’) wurde ein hier zu verwertender Befund erhoben. Wertheimer unterband beim Hunde die zuführenden Arterien und alle !) Malkoff, Malys Jahresber. 27, 785, 1897. — *) Doyon, Dufourt und Paviot, Journ. de phys. 3, 731, 1901. — °) Vgl. Schiff, Pflügers Arch. 3, 598, 1870. — *) Stadelmann, Zeitschr. f. Biol. 34, 1, 1896. — °) Weiß, Zentralbl. £ d. med. Wiss. 1885, S. 121 und Virchow-Hirsch, Jahresber. 1, 139, 1884. — °) Vgl. auch Br&evost und Binet, Compt. rend. 106, 1690, 1888 u. a.; Stadel- mann (l. ec.) vermutet, daß in der Hundegalle normalerweise ebenfalls Glykochol- säure enthalten sei). — 7) Tappeiner, Sitzungsber. d. Wien. Akad. %% (3), 1878; Crof- tan, Pflügers Arch. 90, 635, 1902. — ®) Vgl. Baldi, Lo sperimentale (37. Jahrg.) 5% 349 u. Arch. Ital. de Biolog. 3, 395, 1883; frühere Versuche von Schiff 1868, | Gesammelte Beiträge 4, 278. — °) Wertheimer, Arch. physiol. (5) 4, 577, 18935 Tarehanoff (Pflügers Arch. 9, 329, 1874) sah nach intravenöser Injektion von Bilirubin eine Zunahme des Gallenfarbstoffs in der ausgeschiedenen Galle (Gallen- tistelhund). Enterohepatischer Kreislauf der Galle. 515 Lymphbahnen um die Pfortader, wusch die Gallenblase aus und injizierte nach einiger Zeit in eine Mesenterialvene 1 bis 1,5 ccm Hammelgalle. Diese ist durch ihr spektroskopisches Verhalten („Cholehämatin“ ; 8.492) charakteristisch von der Hundegalle verschieden. Der Erfolg der Injektion war nun neben einem Ansteigen der Gallensekretion (Cholatwirkung) eine Änder ung der Farbe von Gelb (der nor- malen Farbe der Hundegalle) zu Grünlich (Farbe der Hammelgalle); die spektro- skopische Untersuchung ergab den charakteristischen Farbstoff der Hammelgalle. Es wird also zugeführte Galle direkt aus der Pfortader resorbiert, ohne daß sie vorher den großen Kreislauf zu passieren braucht. Waren die Arterien und Lymph- bahnen nicht unterbunden, so war das Resultat noch deutlicher, vermutlich da die beim ersten Durchgang durch die Leber nicht absorbierte Gallenmenge bei der zweiten Versuchsanordnung beim zweiten und dritten Passieren der Leber von dieser festgehalten werden konnte. Daß tatsächlich ein Teil der injizierten Galle bis in die Vena cava gelangte, bewies die Verlangsamung der Herzschläge nach der Injektion. Für zugeführtes Cholesterin ließ sich!) kein Übergang in die Fistelgalle des Hundes nachweisen. ‘) Jankau, Arch. f. exper. Pathol. 29, 237, 1892; Doyon et Dufourt, Arch. de phys. (5) 8, 587. 33* Die Physiologie der Verdauung und Aufsaugung von Otto Cohnheim. Vorbemerkung. In dem folgenden Artikel behandelt Herr Prof. Pawlow die „äußere Arbeit der Verdauungsdrüsen und ihren Mechanismus“. Die Sekretion der Drüsen ist daher im folgenden nur insoweit besprochen, als es der Zusammen- hang der Darstellung erforderte. Betreffs aller Einzelheiten sei auf den Pawlow- schen Artikel verwiesen, ebenso in bezug auf die Zitate der Arbeiten Pawlows und seiner Schüler. Einleitung. Die Aufgabe der Verdauung besteht darin, die von dem Tier verzehrten Nahrungsstoffe zur Aufnahme in den Körper vorzubereiten, der sie verbrennt oder zum Aufbau verwendet. Die Aufnahme in den Tierkörper erfolgt, so- weit wir wissen, in Form relativ einfacher chemischer Körper, und da die Nahrungsstoffe in der Regel einen viel komplizierteren Bau besitzen, werden sie bei der Verdauung zerlegt. Diese Zerlegung kann durch mechanische Einrichtungen unterstützt werden, in der Hauptsache geschieht sie durch spaltend wirkende hydrolytische Fermente. Die einfachste Form der Verdauungsorgane ist ein Schlauch, der durch die mit Flüssigkeit gefüllte Leibeshöhle hindurchgeht. Die Zellen, mit denen er ausgekleidet ist, secernieren Fermente und resorbieren die Verdauungs- produkte, die sich dann durch die Leibeshöhle hindurch zu den Organen des Körpers verbreiten. So ist es der Fall bei Seeigeln und Holothurien !), auch die Insektenlarven ?) zeigen noch ähnliche Verhältnisse. Bei den Schnecken 3) ist dadurch eine Komplikation eingetreten, daß der Darm in breiter Verbindung mit der Mitteldarmdrüse steht. Doch auch hier kommen die Nahrungsstoffe in direkte Berührung mit den Verästelungen dieser Drüse, deren Zellen gleich- mäßig Sekretion und Resorption besorgen. Einen höheren Grad nimmt das !) O0. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 9, 1901. — °?) W.Bieder- mann, Pflügers Arch. 72, 105, 1898. — ®)W. Biedermann u. P. Moritz, ebenda 75, 1, 189. Einleitung. 517 Verdauungssystem der Kephalopoden ein !)?). Hier sind besondere Organe für die Bereitung der fermenthaltigen Verdauungssäfte gebildet, die Nahrungs- stoffe bleiben den secernierenden Zellen fern und die notwendige Verbindung zwischen ihnen wird durch das Nervensystem hergestellt 3)*). Auch sind, wie zum Teil schon bei den Schnecken, besondere Organe vorhanden, die als Re- servoire dienen, in denen wohl schon die Verdauung beginnt, dagegen noch keine Resorption erfolgt. Bei allen Wirbeltieren sind die Verdauungsorgane nach einem sehr gleich- mäßigen Typus gebaut. Den Anfang des Verdauungsschlauches bildet die Mundhöhle mit den Zähnen. In sie münden die Speicheldrüsen, die ein Sekret entleeren, dessen verdauende Wirkung nur bei einigen Tieren vorhanden ist, das im wesentlichen mechanischen Zwecken zum Schlüpfrigmachen der Nah- rung dient. Dann schließt sich bei allen Wirbeltieren ein enger Kanal an, der Ösophagus, durch den die genossenen Speisen die Brusthöhle passieren und in den Magen gelangen. Der Magen ist ein Vorratsraum, in dem die Speisen mehr oder weniger lange liegen bleiben und bereits weitgehend ver- daut werden. Dagegen findet im Magen meist keine stärkere Resorption statt. An ihn schließt sich der Dünndarm, das eigentliche Zentrum der Ver- dauung, in dessen vorderen Abschnitt sich die Sekrete des Pankreas und der Leber ergießen. Das Pankreas enthält die wichtigsten Verdauungsfermente, aber auch die Wand des Dünndarms liefert Fermente, deren Tätigkeit sich an die des Pankreassaftes anschließt. Die Galle dient der Fettresorption. Alle diese Organe nun sind mit dem Dünndarm durch sehr verwickelte, wundervoll spielende nervöse oder chemische Mechanismen verbunden, deren Aufklärung erst in den letzten Jahren, hauptsächlich durch Pawlow, erfolgt ist. An den Dünndarm schließt sich der Diekdarm an, in dem die Ver- dauung nur bei manchen Pflanzenfressern eine größere Rolle spielt. Er resor- biert noch und ist vor allem Ausscheidungsorgan. I. Die Verdauung in der Mundhöhle. Das verdauende Sekret der Mundhöhle ist der Speichel, der teils von zahlreichen kleinen Drüsen secerniert wird, die in der Schleimhaut der Mund- höhle liegen, teils aus den sechs großen Speicheldrüsen stammt. Es gibt zwei Arten von Speicheldrüsen, die serösen oder Eiweißdrüsen — Parotis und (beim Hunde) Orbitalis, sowie ein Teil der kleinen Drüsen —, die ein nichtschleimiges, ziemlich dünnflüssiges, eiweißhaltiges Sekret absondern, und die Schleimdrüsen — Submaxillaris, Sublingualis und ein Teil der kleinen Drüsen. Sie sondern entweder ebenfalls ein dünnes, wasserhelles, nur wenig fadenziehendes, oder aber ein stark schleimhaltiges Sekret ab. Dementsprechend zeigen sie Unterschiede im Bau, betreffs deren auf Heidenhains klassische Schilderung in Hermanns Handbuch der Phy- siologie (V, 1, S. 33ff., 1883), sowie auf Metzners Abhandlung in Bd. II dieses Handbuches verwiesen sei. ') L. Frederieg, Arch. d. zool. experiment. 7, 535, 1878. — °) O. Cohn- heim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 396, 1902. — °) Ebenda. — °) R. Krause, Zentralbl. f. Physiol. 9, 273, 1895. 518 Sekretion des Speichels. Von der Chemie der Speicheldrüsen ist bekannt, daß ihre Extrakte koa- gulierbares, durch Säuren fällbares Eiweiß und Nucleoproteid!) enthalten. Das Mucin der Speicheldrüsen — Submaxillaris vom Rind — ist von Ham- marsten?) und seinem Schüler Folin®) dargestellt worden. Es ist, wie Holmgren*) gezeigt hat, als fertiges Mucin und nicht als Mucinogen in den Drüsen enthalten. Sodann kann man aus den Speicheldrüsen das Ptyalın extrahieren, und zwar enthalten es die Drüsen in fertigem Zustande, nicht als Zymogen’5). Endlich hat Frau Sieber‘) aus der Parotis des Hundes mit Kaliumnitrat eine Oxydase — vielleicht auch mehrere — extrahiert, die Guajaktinktur bläut, und durch die Tetanus- und Diphtherietoxine in der gleichen Weise wie durch Calciumsuperoxyd unwirksam gemacht werden. Gleiche Oxydasen ließen sich aus der Milz und aus dem Blutfibrin immuni- sierter Tiere gewinnen. Secerniert wird diese Oxydase nicht”), wirkt viel- mehr nur im Stoffwechsel der Drüse. 1. Der Vorgang der Absonderung. Im Jahre 1851 entdeckte Ludwig, daß die Speicheldrüsen durch elek- trische Reizung bestimmter Nerven zur Sekretion gebracht werden können, der erste Fall eines Sekretionsnerven. Eckhardt fand dann die doppelte Innervation; die genauere Aufklärung dieser Verhältnisse verdanken wir Heidenhain‘°). Nach ihm werden die Speicheldrüsen von zwei Nerven in- nerviert, vom N.sympathicus und von Gehirnnerven. Der Sekretionsnerv für Submaxillaris und Sublingualis ist die Chorda tympani vom N. facialis, für die Parotis der N. tympanicus vom N.glossopharyngeus, für die Orbitalis des Hundes der N. buccinatorius vom 3. Ast des Trigeminus. Doch sollen alle diese Sekretionsnerven in letzter Linie aus dem N. glossopharyngeus stammen, Als Ursprungskerne für die Speicheldrüsennerven hat Kohnstamm?) zwei Zellkomplexe in der Medulla oblongata beschrieben. — Die sympathischen Fasern stammen nach Langley!P) bei der Katze hauptsächlich aus dem 2. bis 4., gelegentlich auch noch aus dem 1. und 5. Thoracalnerven, und haben eine Station im Ganglion cervicale supremum. Die Schleimdrüsen, die Submaxillaris und Sublingualis, secernieren auf Reizung der Chorda schnell und reichlich ein dünnes, wenig fadenziehendes, wasserhelles, auf Sympathicusreizung langsamer und in geringerer Menge ein zähes, dickes, sehr mucinreiches Sekret, das durch feinste Körnchen von kohlensaurem Kalk getrübt erscheint. Alles Nähere siehe bei Pawlow. Bei der Katze ist nach Langley!!) der Submaxillarisspeichel dünnflüssiger als beim Hunde, und das Verhältnis von Chorda und Sympathicus kehrt sich um. !) 0. Hammarsten, Zeitschr. f. physiol. Chem. 12, 163, 1887. — *) Ebenda. — ®) O.Folin, ebenda 23, 347, 1897. — *) E.Holmgren, Malys Jahresber. f. Tierchemie 27,36, 1897. — °) J.Cohnheim, Virchows Arch. 28, 241, 1863; P.Grützner, Pflügers Arch. 12, 285, 1876; 20, 395, 1879. — °) N. Sieber, Zeitschr. f. physiol. Chem. 52, 573, 1901. — 7) M. Nencki, N. Sieber u. E. OÖ. Schoumow-Simanowski, Malys Jahresber. 29, 955, 1899. — °) R. Heidenhair, Zusammenfassung seiner und seiner Schüler Arbeiten in Hermanns Handbuch, 1. ce. — °) 0.Kohnstamm, 28. Wanderversamml. südwestdeutscher Neurologen 1903, 8.26. — !°) J. N.Lang- ley, Ergebnisse der Physiologie, II. Biophysik, 1903, S. 842. — "') Derselbe, Untersuch. a. d. physiol. Institut Heidelberg 1, 476, 1878. Sekretion des Speichels. SulB, Pawlow!) hat dann gezeigt, daß diese beiden Arten der Innervation auch durch verschiedene periphere Reize reflektorisch ausgelöst werden. Hunde mit permanenten Speichelfisteln secernieren dünnen, wässerigen „cere- bralen“ Speichel, „Verdünnungsspeichel“, auf schlechtschmeckende, reizende Substanzen, mucinreichen Sympathicus-, „Schmier- oder Gleitspeichel“ auf trockene, feste Nahrung, trockenes Brot, Zucker usw. Der sensible Nerv für diese Reflexe ist der N. trigeminus, auch in seinem nasalen Teil, neben ihm der N. glossopharyngeus. Außerdem hat Pawlow komplizierte „psychische“ Reflexe beobachtet, die auf der Bahn aller anderen Sinnesnerven zum Zentral- organ gelangen und hier durch Assoziationen auf die Sekretionszentren der Speicheldrüsen wirken. Für alles Nähere sei auf Pawlows eigene Dar- stellung in diesem Werke verwiesen, und nur das sei noch erwähnt, daß leb- hafte Begierde, wie sie sich in starken Bewegungsreaktionen der Hunde äußert, keinen Reiz für die Speicheldrüsen bildet. Wohl aber ist ihre Erreg- barkeit für gleiche Reize bei Hunger größer als bei Sättigung. Die reflektorische Speichelsekretion ist ein angeborener Reflex, und zwar scheint es zunächst der Saugakt zu sein, der diese Sekretion hervorruft. Denn neugeborene Hunde, die man an einer Hündin ohne Milch saugen läßt, secer- nieren auch reichlich Speichel ?). Bei der Tätigkeit der Speicheldrüsen gehen histologische Veränderungen vor sich, die Heidenhain’) entdeckt und genau untersucht hat. Vgl. Metzner in Bd. II dieses Handbuches. Hand in Hand mit der Reizung der cerebralen Sekretionsnerven geht, wie Cl. Bernard entdeckt hat, eine außerordentlich starke Erweiterung der Gefäße und damit eine mächtige Vermehrung und Beschleunigung des Blut- stromes in den Speicheldrüsen. Während in der Ruhe aus den Venen nur tropfenweise dunkles Blut fließt, strömt es bei Reizung im Strahle und mit hellroter Farbe heraus. Das Volum der Drüse nimmt, wie Bunch) plethys- mographisch zeigte, dabei zu. Ferner ist die Lymphbildung, wie Ham- burger’), Asher und Barbera®) und Bainbridge’) gezeigt haben, bei Tätigkeit der Speicheldrüsen stark vermehrt, eine Vermehrung, die nach Cohnheim °) und Asher und Barbera von der Vermehrung des Blutstromes unabhängig ist, vielmehr ausschließlich auf der vermehrten Tätigkeit der secernierenden Zellen beruht. Diese Vermehrung tritt nach Bainbridge ein, gleichgültig, ob die Drüse durch Reizung der Chorda, des Sympathicus oder durch Pilocarpin zur Sekretion veranlaßt wird, und hat nichts mit der Durchtränkung der Drüse mit Wasser zu tun. Denn wenn der Aus- führungsgang unterbunden wurde und die ganze Drüse anschwoll, ver- mehrte sich der Lymphstrom nicht. ') J. P.Pawlow, Asher-Spiro: Ergebnisse der Physiologie, III, 1, 177, 1904; 8. G. Wulfson, Dissert., St. Petersburg 1899; L. Tolotschinoff, Helsingforser Naturforscherversammlung, Sektion f. Anat. u. Phys. 1902, S.42; O. Cohnheim, Münch. med. Wochenschr. 1902, II, 2173. — ?) O0. Cohnheim und Fr. Soetbeer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37. 467, 1903. — °?) R.Heidenhain, Hermanns Handb., e-1. Näheres s. Metzner in Bd. II dieses Handbuches. — *) J. L. Bunch, Journ. ‘of Physiol. 26, 1, 1900. — °) H. J. Hamburger, Zeitschr. f. Biol. 30, 143, 1894. — ®) L.Asher u. A. G. Barb£ra, ebenda 36, 154, 1897. — 7) F.A.Bainbridge, Journ. of Physiol. 26, 79, 1900. — ®) J.Cohnheim, Vorlesungen über Allgemeine Pathologie, Bd. I, S.493, 1882. 5320 Sekretion des Speichels. Aus dem vermehrten Lymphstrom und der vermehrten Blutmenge, die die tätige Drüse durchströmt, ließ sich schon auf intensive chemische Vorgänge bei der Bildung des Speichels schließen, aber sie sind auch direkter beobachtet worden. Schon Ludwig!) hat eine Temperaturerhöhung der secernierenden Drüse über die Bluttemperatur hinaus beobachtet, und Barcroft?) fand in sorgfältigen Versuchen, daß die tätige Submaxillaris drei- bis viermal mehr Sauerstoff verbraucht und mindestens ebensoviel mal mehr Kohlensäure pro- duziert als in der Ruhe. Schaltete er die Wirkung der Chorda auf die secer- nierenden Zellen durch Atropin aus, so blieb auch die Vermehrung des Sauer- stoffverbrauches aus, die Kohlensäureproduktion ging etwas in die Höhe. Welche Stoffe dabei in der Drüse in Energie verwandelt werden, ist nicht sicher bekannt; Salaskin?°) vermutet, daß die Speicheldrüsen bei ihrer Tätigkeit Ammoniak bilden, Kühne‘) fand in ihnen ein proteolytisches Ferment, das bei saurer Reaktion wirkte. Beides würde für eine Umsetzung stickstofihaltigen Materials sprechen. Doch läßt sich eine solche nicht nachweisen ’). — Von der Art, wie sich die Drüse das Sekretionsmaterial verschafft, wissen wir durch Barcroft‘), daß in der ersten halben Minute der Chordareizung bei reichlicher Speichelsekretion das Blut deutlich an Wasser verarmt, und zwar gibt es mehr Wasser ab, als der Speichelmenge entspricht. Später vermindert sich, wie Bunch‘) plethysmographisch zeigte, das Volum der Drüse, und die Drüse verarmt außerdem nach Heidenhain‘) an festen Bestandteilen. Daß die Sekretion des Speichels ausschließlich eine Funktion des leben- den Protoplasmas der Drüsenzellen ist, das ist für die Speicheldrüsen mit ihrer leichten nervösen Reizbarkeit noch klarer als für die anderen secer- nierenden Organe des Körpers. Ihre gänzliche Unabhängigkeit von dem Blutdruck, der Blutgeschwindigkeit usw. hat Heidenhain durch eine Reihe klarer Experimente gezeigt, und Bunch®) und Löwi!P) haben die Unabhängig- keit der Sekretion von dem Blutstrome bestätigt. Dagegen besteht eine Ab- hängigkeit von der Zusammensetzung des Blutes. Cohnheim und Licht- heim !1) haben beobachtet, daß bei starker hydrämischer Plethora gleichzeitig mit den anderen Drüsen auch die Speicheldrüsen, anscheinend ohne besondere Reizung, ein reichliches wässeriges Sekret absondern, und Asher und Cutter!2) fanden, daß bei geringeren Graden der Hydrämie die Speichel- drüsen an sich nicht secernieren, daß aber ein viel geringerer Reiz genügt, um sie zur Sekretion zu veranlassen. Dabei sinkt die Konzentration des Sekretes, so daß also hauptsächlich Wasser aus dem Blute fortgeschafft wird. Auch die oben erwähnte Erscheinung, daß die Erregbarkeit der Speicheldrüsen verschieden ist, je nachdem das Tier oder der Mensch hungert oder satt ist, !) Zit.nach Heidenhain, 1. c. — ?)J. Barcroft, Journ. of Physiol. 25, 265, 1900; 27, 31, 1901. — °) 8. S. Salaskin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 448, 1898. — *) W. Kühne, Verhandl. des naturh.-med. Vereins Heidelberg (N. F.) 2, 1, 1877. — °) O. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 46, 9, 1905. — °) J. Bar- eroft, Journ. of Physiol. 25, 479, 1900. — °) J. L. Bunch, ebenda 26, 1, 1900. — ©) R. Heidenhain, Il. c. — °) J. L. Bunch, Journ. of Physiol. 26, 1, 1900. — 1) O0.Löwi, Zentralbl. f. Physiol. 18, 821, 1905. — !!) J.Cohnheim und L.Licht- heim, Virchows Arch. 69, 106, 1877. — !”) L. Asher und W. D.Cutter, Zeitschr. f. Biol. 40, 535, 1900. Zusammensetzung des Speichels. 521 wird von Pawlow auf die verschiedene Blutzusammensetzung bezogen. Ob es sich bei diesen Abhängigkeiten um eine direkte Beeinflussung der Zellen durch das zirkulierende Blut, bzw. die sie umspülende Gewebsflüssigkeit handelt, oder ob der Zusammenhang durch das Nervensystem vermittelt wird, ist unbekannt. 2. Das Sekret der Speicheldrüsen. Das Sekret der Parotis enthält koagulierbares Eiweiß, das nicht genauer untersucht ist, das der Schleimdrüsen Mucin von den gewöhnlichen Eigen- schaften desselben. (Vgl. die zitierten Arbeiten von Hammarsten und Folin, sowie OÖ. Cohnheim, Chemie der Eiweißkörper, 1904.) Die wechseln- den Mengenverhältnisse sind schon erwähnt. Konstanter ist der Gehalt des Speichels an anorganischen Bestandteilen. Der Speichel ist die salzärmste Flüssigkeit des Körpers; Heidenhain fand nur 0,2 bis 0,5 Proz. anorga- nische Bestandteile, Nolf!) 0,33 bis 0,65 Proz. Die Gefrierpunktserniedri- gung von Submaxillarisspeichel beträgt nach Nolf!) — 0,193 bis — 0,396, liegt also beträchtlich unter der des Blutes. Die Salze sind zum Teil Chlor- natrium, zum großen Teil aber Carbonate?), da der Speichel reichlich nur durch Säuren austreibbare Kohlensäure enthält. Die Acidität und Alkaleszenz des Speichels ist nach Külz°) unabhängig von den Schwankungen der Blut- alkaleszenz, wie sie die Absonderung des sauren Magensaftes bedingt. Der menschliche Speichel enthält außerdem, wie Treviranus*) 1814 gefunden hat, Rhodannatrium, dessen Bedeutung nicht bekannt ist. Seine Menge ist nach Grober’) wechselnd, ohne daß bisher Gesetzmäßigkeiten bestehen. Nach Grober soll kein anderes Tier Rhodansalze im Speichel ausscheiden. Der Parotisspeichel enthält mehr Ithodansalze als der der Submaxillaris $). Bei Überschwemmung des Blutes mit Harnstoff wird dieser wie Asher und Cutter?) feststellten, in kleinen Mengen mit dem Speichel ausgeschieden, ebenso wie der ÖUhlornatriumgehalt des Speichels steigt, wenn die Kochsalz- menge im Blute sehr stark vermehrt wird. Traubenzucker geht dagegen auch unter diesen Umständen nicht in den Speichel über. Endlich werden Jodide, ferner Lithiumsalze, Quecksilber, Wismut ünd Blei°) durch den Speichel ausgeschieden, nicht dagegen Arsen, Eisen und indigschwefelsaures Natron. — Für den Gasgehalt des Submaxillarisspeichels vom Hunde fand Pflüger) Sauerstoff .. . RL ee: 1.1 0:6 V.olumprozente Auspumpbare Kerken ge ea) - Durch Säuren austreibbare Kae 2 „ DIS oT N ee 0,8 = Für den Submaxillarisspeichel des Menschen fand Külz!0) ähnliche Zahlen. ) P. Nolf, Malys Jahresber. f. Tierchemie 31, 494, 1901. — ?) E. Pflüger, Pflügers Arch. 1, 686, 1868. — °) R. Külz, Zeitschr. f. Biol. 23, 321, 1886. — 4) Zitiert nach Grober. — °) J.A. Grober, D. Arch. f. klin. Med. 69, 243, 1901. — Über Rhodanwirkung cf. G. Treufel u. A. Edinger, Münchener med. Wochen- 55721900, 1, 717.u. 767; 1901, I, 1515; 1902, I, 563. — °) E. C. Schneider, Maivs Jahresber. f. Tierch. 31, 466, 1901. — E. Jürgens, ebenda 31, 466, 1901. — 7) L. Asher u. W. D. Cutter, Zeitschr. f. Biol. 40, 535, 1900. — ®) E. Rost, Deutsche Klinik am Anfang des 20. Jahrh., S. 172. — °) E. Pflüger, Pflügers Arch. 1, 686, 1868. — !°) R. Külz, Zeitschr. f. Biol., 23, 321, 1886. 599 Zusammensetzung des Speichels. Js Endlich enthält der Speichel bei vielen Tieren Fermente, beteiligt sich also, neben seiner mechanischen Wirkung, auch an der chemischen Verdau- ung. Im Speichel des Menschen und der untersuchten Pflanzenfresser findet sich reichlich Ptyalin oder Diastasee Beim Menschen produzieren alle Speicheldrüsen Ptyalin, beim Kaninchen und beim Schwein dagegen nur die Parotis, nicht aber die Submaxillaris!). Die Speicheldrüsen des Hundes produzieren kein Ptyalin!), doch hat Zuntz?) es einmal gefunden; es wäre daher denkbar, daß es auch beim Hunde bei Bedarf auftritt und sein Vor- kommen daher von der Nahrung abhängt. Der neugeborene Mensch besitzt trotz seiner ausschließlichen Milchnahrung bereits Ptyalin ?); bei Rindsföten glaubt Krüger?) es gefunden, bei Schafföten vermißt zu haben. Das Speichelptyalin ist wegen seiner leichten Zugänglichkeit und der Augen- fälligkeit seiner Wirkung oft untersucht worden. Es wurde schon 1863 von Cohnheim’) eiweißfrei dargestellt. Es wandelt Stärke, ganz analog wie dies Säuren tun, erst in lösliche Stärke, dann in Erythrodextrin, mehrere auf- einander folgende Achroodextrine, endlich in Maltose %) um, eine Umwandlung, die entweder durch das Verschwinden der Jodreaktion der Stärke oder durch das Auftreten reduzierender Substanzen verfolgt werden kann. Die Wirkung des Ptyalins ist eine rapide, indem wenigstens die ersten reduzierenden Substanzen nach unmeßbar kurzer Zeit auftreten. Nach Küss’) verdaut lccem menschlichen Parotisspeichels in 2!/, Stunden 1 g Stärke, bis zum Ver- schwinden der Jodreaktion. Wie Musculus und Gruber) und Musculus und v. Mering®) gefunden haben und Hamburger!) bestätigt hat, unter- scheidet sich die Wirkung der Speicheldiastase ebenso wie die anderer Dia- stasen aus dem Pankreas und aus der Hefe dadurch von der Spaltung der Stärke durch Salzsäure, daß sie nicht bis zum Traubenzucker führt, sondern nur bis zur Maltose. Die weitere Zerlegung der Maltose geschieht durch ein besonderes Ferment, die Maltase, die aber im Speichel nicht oder höch- stens in Spuren vorkommt. Der Einfluß der Reaktion auf die Ptyalinwirkung ist nicht ganz aufgeklärt. Der Speichel selbst reagiert auf Lackmuspapier alkalisch, gegen Phenolphtalein und andere für Kohlensäure empfindlichere Indikatoren erscheint er neutral oder ganz schwach sauer. Er verhält sich also nach Munk!!) wie eine Lösung von saurem kohlensauren Natron, besser vielleicht noch wie eine alkalische Lösung, die mit Kohlensäure gesättigt ist, womit die oben erwähnten Kohlensäurezahlen gut übereinstimmen. Eine derartige mit Kohlensäure gesättigte Alkalilösung ist nun nach Schier- beck!2) auch das Optimum für die Ptyalinwirkung. Deutlich alkalische Reaktion beeinträchtigt die Wirkung !3), ganz schwache Säuren sollen sie !) P. Grützner, Pflügers Arch. 12, 285, 1876; 20, 395, 1879. — ?) M. Nuß- baum, Arch. f. mikroskop. Anat. 13, 721, 1877. — °) P. Zweifel, Verdauungs- apparat Neugeborener, Straßburg 1874. — *) Fr. Krüger, Verdauungsfermente beim Embryo u. Neugeborenen, Wiesbaden 1891. — °) J. Cohnheim, Virchows Arch. 28, 241, 1863. — °) F. Musculus u. J. v. Mering, Zeitschr. f. physiol. Chem. 2, 403, 1878. — 7) G. Küss, Zentralbl. f. Physiol. 13, 91, 1899. — ®) F. Muscu- lus u. D. Gruber, Zeitschr. f. physiol. Chem. 2, 177,.1878. — °) F. Musculus u. J. v. Mering, ebenda 2, 403, 1878. — !°) C. Hamburger, Pflügers Arch. 60, 543, 1895. — '!) J. Munk, Zentralbl. f. Physiol. 16, 39, 1902. — '?) N.P.Schier- beck, Skandinav. Arch. f. Physiol. 3, 344, 1891. — %) S. W. Cole, Journ. of Physiol. 30, 202, 1903. Diastase. — Menge des Speichels. 523 nach Cole!) begünstigen, was mit dem Einfluß der Kohlensäure überein- stimmen würde. Doch ist auch ein spezifischer Einfluß der Kohlensäure denkbar. Stärkere Säure, wie im Magensaft, verhindert jedenfalls seine Tätigkeit ?) und zerstört es dann°). In salzfreiem Zustande wird es bei 60°, in salzhaltigem erst bei 70° zerstört®). Die Gegenwart der durch das Fer- ment gebildeten Spaltungsprodukte hemmt seine Tätigkeit; in einer Zucker- lösung von 3 Proz. ist die Stärkespaltung schon sehr verlangsamt’). — Die Frage, ob das Ferment bei seiner Tätigkeit verbraucht wird, ist für das Ptyalin noch so wenig entschieden wie für die anderen Fermente. Unter- suchungen über das „Zeitgesetz“ der Diastase sind von Brown und Glen- dinning®) angestellt worden, die Speicheldiastase scheint aber noch nicht untersucht zu sein. — Genau so wie auf Stärke wirkt die Diastase auf G]y- kogen, und damit hängt es wohl zusammen, daß ein diastatisches Ferment sich auch im Blute und den untersuchten Organen befindet. In ihrer Wirkung sind alle diese Diastasen und ebenso die Pankreasdiastase, wie Hamburger, Musculus und v. Mering gezeigt haben, mit der Speichel- diastase identisch. — Ein sehr wirksames diastatisches Ferment enthalten die Extrakte aller menschlichen Speicheldrüsen, und es ist nichts davon bekannt, daß die Diastase eine unwirksame Vorstufe, ein Zymogen, besitzt. Ein weiteres Ferment des Speichels hat, unter Riegels Leitung, Sticker’) gefunden: er beobachtete, daß menschlicher Speichel aus Rettich und ähnlichen Pflanzen Schwefelwasserstoff entwickelt. — Über die Oxydase der Speichel- drüsen s. o. S. 518. Was die Menge des Speichels anlangt, so liegen genaue Bestimmungen noch nicht vor. Ohne besonderen Reiz stockt der Speichelfluß ganz, wie man sich an Hunden mit nach Pawlow angelegten Fisteln leicht überzeugen kann. Doch sieht man an ösophagotomierten Hunden, daß gelegentlich stark schlei- miger Speichel auch von dem scheinbar nicht gereizten Hunde verschluckt wird. Küss°) sah an der Parotis des Menschen in der Ruhe 0,4ccm pro 30 Minuten, also äußerst wenig. Beim Kauen von einem Stück Zucker secer- niert die Parotis wie die beiden anderen zusammen je etwa ccm, also die sechs Drüsen etwa 12 ccm, auf Brot und Hundekuchen noch mehr, auf frisches Fleisch allerdings weniger. Aber auch bloßes Wasser kommt bei ösophagoto- mierten Hunden stark mucinhaltig aus der Halsöffnung, und v. Mering, Hirsch und Moritz sahen bei Hunden mit Pylorusfisteln?) häufig mehr Wasser aus dem Magen kommen, als gesoffen war, eine Vermehrung, die nur auf verschluckten Speichel bezogen werden konnte. Die Ergiebigkeit der Speichelsekretion ergibt sich auch aus den Beschreibungen, die Pawlow und sein Schüler Katschkowsky!P) von ösophagotomierten oder Hunden mit offener Magenfistel entwerfen, und die ich bestätigen kann. Solche Hunde leiden an fortwährendem, heftigem Durst und müssen große Flüssigkeits- mengen zugeführt erhalten, wenn sie sich wohl befinden sollen. ) S.W. Cole, Journ. of Physiol. 30, 202, 1903. — ?) J. N. Langley, Ebenda ‚246, 1882. — °) E. Biernacki, Zeitschr. f. Biol. 28, 49, 1891. — *) Derselbe, benda. — °) J. Cohnheim, Virchows Arch. 28, 241, 1863. — °)H. T. Brown und T.A. Glendinning, Proc. Chem. Soc.18, 42, 1902; Zit. nach Chem. Zentralbl. 1902, I, 70. — 7) G. Sticker, Münch. med. Wochenschr. 1896, 8. 561. — ®) G. Küss, Zentralbl. Phys. 13, 91, 1899. — °) S.u. 8. 560ff.— '°) P.Katschkowsky, Pflüg. Arch. 84, 6,1901. Zusammensetzung des Speichels. oO [0 LS) Endlich enthält der Speichel bei vielen Tieren Fermente, beteiligt sich also, neben seiner mechanischen Wirkung, auch an der chemischen Verdau- ung. Im Speichel des Menschen und der untersuchten Pflanzenfresser findet sich reichlich Ptyalin oder Diastase. Beim Menschen produzieren alle Speicheldrüsen Ptyalin, beim Kaninchen und beim Schwein dagegen nur die Parotis, nicht aber die Submaxillaris!). Die Speicheldrüsen des Hundes produzieren kein Ptyalin!), doch hat Zuntz?) es einmal gefunden; es wäre daher denkbar, daß es auch beim Hunde bei Bedarf auftritt und sein Vor- kommen daher von der Nahrung abhängt. Der neugeborene Mensch besitzt trotz seiner ausschließlichen Milchnahrung bereits Ptyalin ?); bei Rindsföten glaubt Krüger?) es gefunden, bei Schafföten vermißt zu haben. Das Speichelptyalin ist wegen seiner leichten Zugänglichkeit und der Augen- fälligkeit seiner Wirkung oft untersucht worden. Es wurde schon 1863 von Cohnheim’) eiweißfrei dargestellt. Es wandelt Stärke, ganz analog wie dies Säuren tun, erst in lösliche Stärke, dann in Erythrodextrin, mehrere auf- einander folgende Achroodextrine, endlich in Maltose ©) um, eine Umwandlung, die entweder durch das Verschwinden der Jodreaktion der Stärke oder durch das Auftreten reduzierender Substanzen verfolgt werden kann. Die Wirkung des Ptyalins ist eine rapide, indem wenigstens die ersten reduzierenden Substanzen nach unmeßbar kurzer Zeit auftreten. Nach Küss’) verdaut l ccm menschlichen Parotisspeichels in 2!/, Stunden 1g Stärke, bis zum Ver- schwinden der Jodreaktion. Wie Musculus und Gruber‘) und Musculus und v. Mering®°) gefunden haben und Hamburger!?) bestätigt hat, unter- scheidet sich die Wirkung der Speicheldiastase ebenso wie die anderer Dia- stasen aus dem Pankreas und aus der Hefe dadurch von der Spaltung der Stärke durch Salzsäure, daß sie nicht bis zum Traubenzucker führt, sondern nur bis zur Maltose. Die weitere Zerlegung der Maltose geschieht durch ein besonderes Ferment, die Maltase, die aber im Speichel nicht oder höch- stens in Spuren vorkommt. Der Einfluß der Reaktion auf die Ptyalinwirkung ist nicht ganz aufgeklärt. Der Speichel selbst reagiert auf Lackmuspapier alkalisch, gegen Phenolphtalein und andere für Kohlensäure empfindlichere Indikatoren erscheint er neutral oder ganz schwach sauer. Er verhält sich also nach Munk!!) wie eine Lösung von saurem kohlensauren Natron, besser vielleicht noch wie eine alkalische Lösung, die mit Kohlensäure gesättigt ist, womit die oben erwähnten Kohlensäurezahlen gut übereinstimmen. Eine derartige mit Kohlensäure gesättigte Alkalilösung ist nun nach Schier- beck!2) auch das Optimum für die Ptyalinwirkung. Deutlich alkalische teaktion beeinträchtigt die Wirkung !?), ganz schwache Säuren sollen sie !) P. Grützner, Pflügers Arch. 12, 285, 1376; 20, 395, 1879. — ?) M. Nuß- baum, Arch. f. mikroskop. Anat. 13, 721, 1877. — °) P. Zweifel, Verdauungs- apparat Neugeborener, Straßburg 1874. — *) Fr. Krüger, Verdauungsfermente beim Embryo u. Neugeborenen, Wiesbaden 1891. — °) J. Cohnheim, Virchows Arch. 28, 241, 1863. — °) F. Musculus u. J. v. Mering, Zeitschr. f. physiol. Chem. 2, 403, 1878. — 7) G. Küss, Zentralbl. f. Physiol. 13, 91, 1899. — ®) F. Muscu- lus u. D. Gruber, Zeitschr. f. physiol. Chem. 2, 177.-1878. — °) F. Museulus u. J. v. Mering, ebenda 2, 403, 1878. — !%) C. Hamburger, Pflügers Arch. 60, 543, 1895. — !) J. Munk, Zentralbl. f. Physiol. 16, 39, 1902. — '?) N.P.Schier- beck, Skandinav. Arch. f. Physiol. 3, 344, 1891. — "%) S. W. Cole, Journ. of Physiol. 30, 202, 1903. Diastase. — Menge des Speichels. 523 nach Cole!) begünstigen, was mit dem Einfluß der Kohlensäure überein- stimmen würde. Doch ist auch ein spezifischer Einfluß der Kohlensäure denkbar. Stärkere Säure, wie im Magensaft, verhindert jedenfalls seine Tätigkeit ?) und zerstört es dann®). In salzfreiem Zustande wird es bei 60°, in salzhaltigem erst bei 70° zerstört*). Die Gegenwart der durch das Fer- ment gebildeten Spaltungsprodukte hemmt seine Tätigkeit; in einer Zucker- lösung von 3 Proz. ist die Stärkespaltung schon sehr verlangsamt’). — Die Frage, ob das Ferment bei seiner Tätigkeit verbraucht wird, ist für das Ptyalin noch so wenig entschieden wie für die anderen Fermente. Unter- suchungen über das „Zeitgesetz“ der Diastase sind von Brown und Glen- dinning*) angestellt worden, die Speicheldiastase scheint aber noch nicht untersucht zu sein. — (Genau so wie auf Stärke wirkt die Diastase auf Gly- kogen, und damit hängt es wohl zusammen, daß ein diastatisches Ferment sich auch im Blute und den untersuchten Organen befindet. In ihrer Wirkung sind alle diese Diastasen und ebenso die Pankreasdiastase, wie Hamburger, Musculus und v. Mering gezeigt haben, mit der Speichel- diastase identisch. — Ein sehr wirksames diastatisches Ferment enthalten die Extrakte aller menschlichen Speicheldrüsen, und es ist nichts davon bekannt, daß die Diastase eine unwirksame Vorstufe, ein Zymogen, besitzt. Ein weiteres Ferment des Speichels hat, unter Riegels Leitung, Sticker”) gefunden: er beobachtete, daß menschlicher Speichel aus Rettich und ähnlichen Pflanzen Schwefelwasserstoff entwickelt. — Über die Oxydase der Speichel- drüsen s. o. S.518. Was die Menge des Speichels anlangt, so liegen genaue Bestimmungen noch nicht vor. Ohne besonderen Reiz stockt der Speichelfluß ganz, wie man sich an Hunden mit nach Pawlow angelegten Fisteln leicht überzeugen kann. Doch sieht man an ösophagotomierten Hunden, daß gelegentlich stark schlei- miger Speichel auch von dem scheinbar nicht gereizten Hunde verschluckt wird. Küss°) sah an der Parotis des Menschen in der Ruhe 0,4ccm pro 30 Minuten, also äußerst wenig. Beim Kauen von einem Stück Zucker secer- niert die Parotis wie die beiden anderen zusammen je etwa 3cem, also die sechs Drüsen etwa 12 cem, auf Brot und Hundekuchen noch mehr, auf frisches Fleisch allerdings weniger. Aber auch bloßes Wasser kommt bei ösophagoto- mierten Hunden stark mucinhaltig aus der Halsöffnung, und v. Mering, Hirsch und Moritz sahen bei Hunden mit Pylorusfisteln®) häufig mehr Wasser aus dem Magen kommen, als gesoffen war, eine Vermehrung, die nur auf verschluckten Speichel bezogen werden konnte. Die Ergiebigkeit der Speichelsekretion ergibt sich auch aus den Beschreibungen, die Pawlow und sein Schüler Katschkowsky!") von ösophagotomierten oder Hunden mit offener Magenfistel entwerfen, und die ich bestätigen kann. Solche Hunde leiden an fortwährendem, heftigem Durst und müssen große Flüssigkeits- mengen zugeführt erhalten, wenn sie sich wohl befinden sollen. ) S.W. Cole, Journ. of Physiol. 30, 202, 1903. — ?) J. N. Langley, Ebenda 3, 246, 1882. — °) E. Biernacki, Zeitschr. f. Biol. 28, 49, 1891. — ?) Derselbe, Ebenda. — °) J. Cohnheim, Virchows Arch. 28, 241, 1863. — °)H. T. Brown und T.A.Glendinning, Proc. Chem. Soc.18, 42, 1902; Zit. nach Chem. Zentralbl. 1902, I, 770. — 7) G.Sticker, Münch. med. Wochenschr. 1896, S. 561. — ®) G. Küss, Zentralbl. f. Phys. 13, 91, 1899. — °) S.u. 8. 560f£.— !") P.Katschkowsky, Pflüg. Arch. 84, 6,1901. 594 Bedeutung der Mundverdauung. odL Beim Pferd muß nach Tangl!) die Speichelsekretion mehrere Liter betragen. Beim Menschen, der ja die Nahrung viel intensiver kaut und einspeichelt als der Hund. muß die Sekretion sicher die des Hundes über- treffen. Küss?) beobachtete bei einem Manne, der eine Fistel des D. Steno- nianus hatte, daß die Parotis beim Kauen in 30 Minuten 20,4 cem secer- nierte, und berechnet die Sekretion in 24 Stunden allerdings recht unsicher auf 182cem. Schätzt man die Sekretion der sechs Speicheldrüsen auf 1 Liter pro Tag, so wird man eher unter, als über dem Richtigen bleiben. Bei Tabak kauenden und spuckenden Völkern müssen ganz enorme Werte vorkommen. Was nun die Bedeutung der Mundverdauung anlangt, so ist dieselbe in erster Reihe eine mechanische. Beim Fleischfresser spielt das eine geringere Rolle, beim Menschen aber ist die Zerkleinerung der Nahrung durch den Kauakt eine sehr beträchtliche. Nach Gaudenz?°) werden Stücke von mehr als 12mm Durchmesser selten verschluckt, und von Eiern 30, von Fleisch 20, von Käse 50, von Vegetabilien 30 Proz. bis zu feinsten Partikelchen von unter Imm Durchmesser zerrieben. Ähnliche Größen fand Fermi®). Ja von den Vegetabilien, Kartoffeln, Zwieback, Brot, wird ein Drittel bis die Hälfte, aber auch von Fleisch und Eiern wenigstens einiges schon aufgelöst, wobei die Wirkung der Diastase vielleicht schon beteiligt ist. Daß bereits während des Kauens reduzierende Substanzen auftreten, hat Burger’) ge- zeigt. Im wesentlichen wirkt die Diastase freilich erst im Magen. Siehe darüber S.570. Die Größe eines Bissens hat Gaudenz zu etwa 5cem, sein Gewicht zu 3,6 bis 6,3 g bestimmt. Endlich ist noch ein wichtiger Einfluß zu erwähnen, den das Verweilen der Speisen im Munde auf die Verdauung ausübt. Wie bei der Magen- verdauung auseinanderzusetzen sein wird, hat Pawlow gefunden, daß die Berührung der Resorptionsorgane der Mundhöhle reflektorisch Sekretion von Magensaft — psychischer oder Appetitsaft — hervorruft. Die Tatsache, daß die Magenverdauung besser abläuft, wenn die Speisen gekaut werden, als wenn sie direkt in den Magen gelangen, war aber bereits vorher für den Menschen von Riegel und Biernacki®) beobachtet, freilich irrtümlich auf Speichelwirkung bezogen worden. Sie ist nach Pawlows Entdeckung von Schreuer und Riegel?) und Reizenstein‘) bestätigt worden. Analog wie die Berührung des Mundes mit den Speisen beim Erwachsenen wirkt beim Säugling das Saugen, wie dies Pfaundler?) beim Menschen, Cohnheim und Soetbeer!P) beim ösophagotomierten Hunde nachgewiesen haben. Über die Bakterien in der Mundhöhle siehe S. 659. !) F. Tangl, Pflügers Arch. 63, 545, 1896. — ?) G.Küss, Zentralbl. f. Phys. 13, 91, 1899. — °) J. H. Gaudenz, Arch. f. Hyg. 39, 230, 1901. — *) C. Fermi, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, Suppl. 8.98. — °) F. Burger, Münchener med. Wochenschr. 1896, 8.220. — ®)E. Biernacki, Zeitschr. f. klin. Med. 21, 97, 1892. — ’) M. Schreuer und A.Riegel, Zeitschr. f. diätet. und physikal. Therapie 4, 492, 1901. — °) A. Reizenstein, Münchener medizin. Wochenschrift 1905, I, 551. — ") M. Pfaundler, 16. Versammlung der Gesellschaft für Kinderheilkunde, 8. 38, 1899. — 1%) O0. Cohnheim und Fr. Soetbeer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37, 467, 1903, Art des Schluckaktes. 5 D Qu II. Das Schlucken. Der in der Mundhöhle gebildete Bissen wird durch eine komplizierte Bewegung der Muskulatur des Pharynx und des Ösophagus in den Magen befördert. Unsere Kenntnis von der Koordination des Schluckens wurde im wesentlichen durch die Arbeiten von Kronecker und Meltzer!) begründet. Hinzugekommen sind Beobachtungen von Kroneckers Schüler Lüscher?), von Krehl), Starck), Katschkowsky’), Schreiber®) und insbesondere von Cannon und Moser’) und Cannon’). Den sensibeln Teil des Reflex- bogens hat R. H. Kahn?) aufgeklärt, die Innervation der Cardia haben v. Openchowski!P), Gottstein!!), Sinnhuber2), Mikulicz!®), Lang- ley!*) und Page May’) untersucht. Früher hat man den Schluckvorgang als eine Art von Peristaltik be- trachtet, die im Pharynx beginnt und sich über den Ösophagus hin fortsetzt. Demgegenüber beobachteten Kronecker und Meltzer am Menschen, daß verschluckte Flüssigkeiten schon nach Bruchteilen einer Sekunde den unteren Teil des Ösophagus erreichen. Sie glauben daher, daß zunächst durch eine kurze und schnelle Bewegung der Muskeln des Mundes, vor allem der Mylohyoidei das Verschluckte abwärts bis vor oder sogar durch die Cardia gespritzt wird. Erst nachher kontrahierten sich dann als „Ersatzreserve“ die Mm. constriec- tores pharyngis und die Ösophagusmuskeln, um in langsamerer, mehrere Se- kunden dauernder Peristaltik die an der Wand haften gebliebenen Reste vollständig herunter zu befördern. Dieser Lehre wurde auf Grund von Be- obachtungen an Mensch und Hund von Schreiber widersprochen, der das kurze Durchgespritztwerden leugnet und die peristaltische Welle wieder als Hauptsache betrachtet. Die Widersprüche scheinen durch Cannon und Moser aufgeklärt zu sein, die an unversehrten Tieren und Menschen mittels Röntgenstrahlen das Verschlucken wismuthaltiger Nahrung beobachtet haben. Danach existieren Unterschiede zwischen den Tierarten und außer- dem bei einer Tierart Unterschiede zwischen festen Bissen und Flüssigkeiten. Bei der Gans werden Flüssigkeiten und feste Speisen nur peristaltisch abwärts befördert, beide mit einer Geschwindigkeit von etwa 12 Sekunden. Auch bei der Katze überwiegt die Peristaltik: feste und halbfeste Massen werden mit einer Geschwindigkeit von 31/, bis 4!/,, flüssige von 1!/, Sekunden ') H. Kronecker und $. Meltzer, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1883, Suppl. 8.328; S.Meltzer, ebenda 1883, S.209; Derselbe, Journ. of exper. Med. 1892, 8.453 (zitiert nach 7); H. Kronecker u. Falk, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, S. 296. — °) F.Lüscher, Zeitschr. f. Biol. 35, 192, 1897. — ?) L.Krehl, Arch. f. (Anat. u.) Phys. 1892, Suppl. S. 278. — *) H. Starck, Münchener med. Wochenschr. 1904, II, 1512. — °)P.Katschkowsky, Pflügers Arch. 84, 6, 1901. — °) J. Schreiber, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 46, 414, 1901. — 7) W. B. Cannon und A. Moser, Americ. Journ. of Physiol. 1, 435, 1898. — °) W. B. Cannon, The Medical News 20, 5, 1905. — °) R.H. Kahn, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, Suppl. 8. 386. — '°) TT. v. Openchowski, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1883, 8.545; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1889, 8.549. — !!) A. Gottstein, zitiert nach '?). — '*) Sinnhuber, Zeitschr. f. klin. Med. 50, 102, 1903 (Literaturübersicht). — '°) J. v. Mikuliez, Mitteil. a. d. Grenzgeb. der Medizin und Chirurgie 12, 569, 1903. — '*) J. N. Langley, Erg. der Physiologie II, Biophysik, 1903; Arch. italiennes de biologie 36, 54. — ») W. Page May, Journ. of Physiol. 31, 260, 1904. 528 Schluckzentrum. stellen die Tonsillen, der Arcus palatoglossus und der Arcus palatopharyngeus; innerviert werden sie vom zweiten Äste des Trigeminus. Nebenschluckstellen sind der dorsale Teil des Kehlkopfeinganges und die dorsale Fläche und die Basis der Epiglottis (Laryngeus superior), endlich Teile der Pharynxwand (Glossopharyngeus). Der Laryngeus inferior erwies sich als erregbar, doch ließ sich keine von ihm innervierte Schleimhautstelle auffinden. — Für den Menschen fehlen genauere Untersuchungen, doch gilt vor allem die Zungen- wurzel als Schluckstelle. Das Schluckzentrum liegt in der Medulla oblongata und hat nach Meltzers Untersuchungen Beziehungen zu vielen benachbarten Zentren, z. B. eine sehr merkwürdige zu dem benachbarten Atemzentrum, von der man sich jederzeit an sich selbst überzeugen kann. Ein durch Anhalten des Atems erzeugtes Gefühl von Dyspnoe verschwindet, wenn man schluckt. Meltzers weitere Beobachtungen sind von größerem Interesse für Fragen der zentralen Innervation. In dem Zentrum ist die ganze Koordination des Schluckens präformiert, so daß auf einen einzigen Reiz das ganze System in der richtigen Reihenfolge in Bewegung gesetzt wird. Es ist das sehr schön von Mosso!), Kron- ecker und Meltzer und Lüscher am Ösophagus gezeigt worden: wenn man den Ösophagus in eine Anzahl Ringe zerlegt, die vollständig voneinander getrennt sind, von denen jeder einzelne aber durch ein Nervenstämmcehen mit dem N. recurrens in Verbindung steht, und nun durch Reizung des N. laryngeus superior einen Schluckakt auslöst, so läuft eine richtige, peristal- tische Welle über den ganzen Ösophagus hin. Entsprechend ist eine Beob- achtung von v. Mikulicz an einem Patienten, dem er wegen eines Carci- noms den Ösophagus am Halse teilweise reseciert hatte. Wenn er etwas in die Halsöffnung des Ösophagus einführte, so wurde keine Bewegung des Öso- phagus ausgelöst, sondern erst, wenn der Patient schluckte, begann die Peri- staltik des Ösophagus und beförderte den Bissen abwärts. Erreicht ist, wie Kronecker und Meltzer gefunden haben, das richtige Zusammenwirken der Speiseröhrenmuskulatur dadurch, daß die Latenzzeit für das Eintreten eines Reflexes um so länger ist, je weiter magenwärts die Muskeln liegen. Und zwar besteht hier noch ein besonderer Zusammenhang zwischen Kon- traktionsgeschwindigkeit und Kontraktionsintervall. Die Muskeln des Öso- phagus sind im oberen Teile quergestreift und gehen nach unten hin allmählich ın glatte über. Dementsprechend wird seine Bewegung nach unten immer langsamer, und ganz in gleichem Sinne verlängert sich seine Latenzzeit. Wie alle Zentren, die eine rhythmische Bewegung beherrschen, hat auch das Schluck- zentrum nach Kronecker und Meltzer eine ausgesprochene refraktäre Periode. Im Gegensatz zu dem oberen, vom Vagus regierten Ösophagus steht sein unterstes Stück und die Cardia im wesentlichen unter der Herrschaft auto- nomer, in den Organen selbst gelegener Zentren. Beim Frosch spielen sie sogar für den ganzen Ösophagus die Hauptrolle. Denn da nach dem bekannten Versuch von Goltz?) die Speiseröhre des Frosches in feste und dauernde !) A. Mosso, zitiert nach Kronecker und Meltzer. — ?°) F. Goltz, Pflügers Arch. 6, 616, 1872. Cardia. 529 Kontraktion gerät, wenn man den Vagus durchschneidet, so muß die Tonus- erzeugung in den Zentren der Wand selbst erfolgen und nur sein Zu- und Abfluß vom Zentralnervensystem geregelt werden. Bei den Säugetieren ist das autonome Nervensystem dagegen auf den untersten Teil des Ösophagus und die Cardia beschränkt. Der Osophagus mündet schräg in den Magen ein, und schon dadurch kommt eine mechanische Ventilwirkung zustande, die gerade bei hohem Druck und starker Füllung des Magens das Zurück- steigen von Speisen, Flüssigkeiten und Gasen erschwert!). Hauptsächlich aber wird dieser Verschluß von Muskelzügen des Fundus bewirkt, die den Mageneingang umgreifen ?). Zwischen ihnen ist hier bereits der Auerbach- sche Plexus entwickelt. Außerdem aber hat v.OÖpenchowski an der Cardia direkt unter der Serosa Ganglienhaufen entdeckt, die er für das Reflex- und Tonuszentrum dieser Sphinctermuskeln hält. Jedenfalls hat der Sphincter seinen eigenen, vom Zentralnervensystem nicht notwendig abhängigen Tonus. Nach Durchschneidung der Vagi sahen Krehl, Sinnhuber, Gottstein und Starck zwar zunächst eine schwere Störung des Cardiamechanismus, nach wenigen Tagen aber stellte sich der Tonus wieder her, und die Hunde konnten wieder normal schlucken. Auch Monate nach der Entnervung konnte Starck keine Zeichen von herabgesetztem Tonus des Ösophagus und der Cardia feststellen. Bei leerem Magen ist die Cardia, wie v. Öpenchowski an Hunden und Kaninchen feststellte, locker geschlossen. Im ösophagoskopischen Bilde stellt sie sich nach Gottstein, Sinnhuber, v. Mikulicz und Starck bald als schräg verlaufender Schlitz dar, bald zeigt sich ein Bild etwa wie der noch nicht‘ ganz verstrichene Muttermund. Bei gefülltem Magen scheint sie in der Regel einen festen Verschluß zwischen ihm und dem Ösophagus her- zustellen, doch beobachteten Basslinger°) und Sinnhuber beim Kaninchen, v. Öpenchowski beim Frosch, Cannon bei der Katze ganz regelmäßige rhythmische Öffnung und Schließung der Cardia. Der flüssige Mageninhalt kommunizierte mit dem Ösophagus, ohne nach oben zu gelangen. Das Verhältnis der Cardia zum Schluckakt stellt sich nach den Beob- achtungen von Kronecker und Meltzer, Cannon und Moser und vor allem von v. Mikulicz so, daß sich die Cardia auf einen schwachen, die untere Öso- phagusschleimhaut treffenden Reiz öffnet, auf stärkere Reize hingegen fester kontrahiert. Berührung der Ösophagusschleimhaut löst den Tonus, so daß ver- schluckte Flüssigkeiten und Speisen nun durch ihre Schwere oder durch den ihnen vom Pharynx und von den Muskeln der Speiseröhre erteilten Impuls die Cardia öffnen und in den Magen gelangen. Ohne diese reflektorische Eröff- nung ist ein Eindringen in den Magen anscheinend unmöglich; auch Ge- tränke, die die Pharynxmuskulatur herunterspritzt, kommen dabei nur bis vor, aber nicht durch die Cardia. Sehr schwache Reize bedürfen, um wirk- sam zu werden, einer Summierung. Bei häufigen kleinen Schlucken öffnet sich nach Kronecker und Meltzer die Cardıa nicht jedesmal, sondern erst nach jedem dritten bis vierten Schluck. Bei der Katze sahen Cannon und Moser gelegentlich ein Liegenbleiben des Bissens oberhalb der Cardıa !) W.His, Arch. £f. Anat. (u. Physiol.) 1903, S.345; C.Hasse u. F.Strecker, Anat. Anzeiger 25, 541, 1904. — ?) F. Strecker; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1905, 8.273. — °) Basslinger, Moleschotts Untersuchungen 7, 359, 1860 (zitiert nach Cannon). Nagel, Physiologie des Menschen. I. 34 530 Cardia. — Erbrechen. bis zur Dauer einer Minute. — Kaltes Wasser, Kohlensäure, ätzende Flüssig- keiten rufen einen festen Verschluß der Cardia hervor. ‚Darauf beruht es, daß Verätzungen des Ösophagus sehr häufig dicht über der Cardia sitzen, weil die ätzende Flüssigkeit hier festgehalten wird. Mit dem Zentralnervensystem steht dies automatische Reflexzentrum der Cardia durch den Vagus und den Sympathicus in Verbindung. Die sym- pathischen Fasern stammen nach Langley beim Kaninchen aus dem fünften bis neunten, nach v.Openchowski beim Hunde aus dem fünften bis achten Thoracalnerven und haben im Ganglion coeliacum eine Station. Die Vagus- fasern laufen teils im Stamm des Nerven, teils im Recurrens, so daß Durch- schneidung des Vagus: unterhalb des Recurrensabganges die Cardia nach Krehl und Starck sehr wenig beeinflußt. Von beiden Nerven aus lassen sich Öffnung und Schließung der Cardia bewirken. Doch erhielt Langley nach Reizung des Sympathicus (daher auch durch Vergiftung mit Neben- nierenextrakt) meist Öffnung, nach Reizung des Vagusstammes meist Kon- traktion der Öardia; nur wenn er vorher mit Atropin und Üurare vergiftete, bewirkte Vagusreizung Erschlaffung. v. Openchowski bekam vom Vagus- stamm auf ganz schwache Reize Öffnung, auf stärkere Schließung der Cardia. Er glaubt die im Vagus verlaufenden öffnenden und schließenden Fasern auch anatomisch trennen zu können, denn wenn er die direkt in die Cardia eintretenden Nervenstämmchen durchschnitt, so bewirkte Vagusreiz Kontrak- tion, durchtrennte er aber die zum Magen gehenden Stämmchen, so rief der- selbe Reiz Tonuslösung hervor. — Doch bedarf die ganze Frage der äußeren Innervation der Sphinkteren einer erneuten Bearbeitung vom Standpunkte der neueren Anschauung über nervöse Zentren. Höhere Zentren für Öffnung und Schließung der Cardia hat v. Open- chowski in den Vierhügeln und im Nucleus caudatus beschrieben, doch ver- mochte Page May seine Angaben nicht zu bestätigen. Ein ähnlicher komplizierter Reflex wie das Schlucken ist das Erbrechen. Über das Zustandekommen des Brechaktes existiert eine ausgedehnte ältere Literatur, die von S. Mayer in Hermanns Handbuch der Physiologie V, 2, S. 434, 1381 besprochen worden ist. Hinzugekommen sind seitdem die Arbeiten von v. Öpenchowski!) und Cannon?). v. Openchowski beob- achtete bei eröffneter Bauchhöhle im Wärmekasten, Cannon an intakten, mit Wismut gefütterten Tieren; ihre Angaben stimmen völlig überein. Danach wird zuerst ein starker Tonusfall des Magenfundus beobachtet, so daß die Cardia sich öffnet und das vordere Drittel des Magens ganz schlaff und weit wird. Dabei laufen schwache peristaltische Wellen vom Fundus her über den ganzen Magen hin, eine Antiperistaltik hat Cannon nur einmal gesehen. Allmählich nimmt dann die Kontraktion des Pylorusteiles immer mehr zu, bis der ganze Magen die Gestalt einer mit dem dicken Ende nach links und oben gerichteten Birne angenommen hat. Die Herausbeförderung des Inhalts erfolgt teils durch die Kontraktion des Pylorus bei erschlafftem Fundus, teils durch die Bauchpresse. Gleichzeitig wird reflektorisch der Mund geöffnet und werden Nase und Kehlkopfeingang wie beim Schlucken abgeschlossen. !) v. Openchowski, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1889, 8. 552. — °’)W. 3. Cannon, Amer. Journ. of Physiol. 1, 359, 1898. Wiederkauen. — Sekret der Speiseröhre. 531 Dem Brechakt stehen besondere Zentren in der Medulla oblongata und den Vierhügeln vor, die elektiv vergiftbar sind. Daß auch hier die Be- wegungen im Zentrum präformiert sind, davon kann man sich an ösophago- tomierten Hunden überzeugen, bei denen der Kopf alle Bewegungen mit- macht, obwohl das Erbrochene zur Halsöffnung herauskommt. Über die Lage der Zentren hat v. Openchowski Versuche gemacht. ‚Eine dritte koordinierte Bewegung des Magens, Ösophagus und Pharynx ist endlich das Wiederkauen, dessen Zustandekommen im Jahre 1884 Luchsinger!) an der Ziege untersuchte. Berührung der Schleimhaut des Pansens und Ausdehnung desselben sind die auslösenden Reize. Daraufhin wird die Cardia geöffnet, der Kehlkopf verschlossen, der Panseninhalt durch die Bauchpresse heraufbefördert und unter starkem Einspeicheln gekaut. Luchsinger fand, daß die Speichelsekretion und die Mahlbewegungen des Unterkiefers auch einsetzen, wenn der Ösophagus durchschnitten ist und die Stoffe also garnicht in die Mundhöhle kommen. Dagegen muß der Vagus intakt sein. Auch hier sind also die sämtlichen Bewegungen in dem Zentrum präformiert. Da das Gefressene bei den Wiederkäuern erst in den Pansen, nach dem Wiederkauen aber in den Drüsenmagen gelangt, muß hierfür eine besondere, reflektorische Einstellung des unteren Ösophagus und der Magen- eingänge stattfinden, deren Zustandekommen aber noch nicht genauer erforscht ist 2). — Auch bei Menschen ist gelegentlich Wiederkauen beobachtet worden °), bei dem dann ein besonderer, komplizierter Reflexmechanismus in anscheinend stets gleicher Weise in Tätigkeit tritt. Die Sekretion des Pharynx und der Speiseröhre beschränkt sich auf kleine Mengen Schleim. Er wird von kleinen Drüsen abgesondert, die den- selben Bau besitzen wie die Schleimdrüsen der Mundhöhle (Heidenhain l. e.). Nur im untersten Teile der Speiseröhre treten beim Menschen manch- mal, bei gewissen Tieren konstant Drüsen auf, die denen im cardialen Teile des Magens durchaus gleichen®). Beim Frosch wird das gesamte Pepsin, dagegen nicht die Salzsäure, im Ösophagus produziert°). Von einer Resorp- tion kann bei dem schnellen Passieren natürlich nicht die Rede sein. May- baum) hat aber bei einem Fall von Ösophagusdilatation, bei dem die Speisen stundenlang in der Speiseröhre. liegen blieben, gezeigt, daß die Schleimhaut einer Resorption auch gar nicht fähig ist. Ill. Die Magenverdauung. Der Magen ist hauptsächlich ein Vorratsraum, der es ermöglicht, daß man auf einmal größere Speisemengen zu sich nimmt, die dann erst allmählich im Laufe der nächsten Stunden verdaut und aufgesogen werden. Er ist daher nieht unbedingt notwendig für die Verdauung. Seine vollständige ) B.Luchsinger, Pflügers Arch. 34, 295, 1884. — ”) Tappeiner, Zeitschr. f. Biol. 19, 228, 1883; N. Zuntz, Pflügers Arch. 49, 477, 1891. — °) L.R. Müller, Münchener mediein. Wochenschrift 1902, II, 1293 und 1503. — *) V. v. Ebner, Köllikers Handbuch der Gewebelehre 3, 136. — °) H.v.Swiecicki, Pflügers Arch. 13, 444, 1876; C. Partsch, Arch. f. mikrosk. Anat. 14, 179, 1877; P. Grützner und v. Swiecicki, Pflügers Arch. 49, 638, 1891. — °) J. Maybaum, Arch. für Verdauungskrankheiten 1, 388, 1896. 34* 532 Form und Lage des Magens. Entfernung ist früher bei Hunden, neuerdings bei Menschen geglückt, und die betreffenden haben sie jahrelang bei gutem Verdauungszustande über- lebt!). Außerdem aber ist der Magen auch höchst wichtiges Verdauungs- organ; sein Sekret, der Magensaft, hydrolysiert mehrere Nahrungsstoffe und bereitet sie für die weitere Verdauung vor. Der Magen?) besteht aus dem mehr nach links gelegenen Fundusteil oder Hauptmagen?) und dem kleineren, rechts gelegenen Antrum pylori. Beide Teile sind durch eine Einschnürung mehr oder weniger deutlich ge- trennt, die His /ncisura angularis nennt. Die Größe des Magens ist durch- aus seinem Füllungszustande angepaßt, oder mit anderen Worten der Magen enthält niemals einen leeren Raum, sondern ist immer kontrahiert. Der leere Magen ist daher ein dünner, wurstförmiger Körper, der sich von der Cardia nach dem Pylorus schräg von links oben nach rechts unten senkt; die große Kurvatur liegt nach vorn. Bei der Füllung vergrößert sich das Antrum pylori wenig, der Fundusteil dagegen sehr erheblich nach vorn, unten und links; die große Kurvatur tritt nach unten, der Fundus dehnt sich links und ober- halb der Cardia mehr oder weniger weit aus. Beim Menschen ist auch der Pylorus selbst verschiebbar und der Magen erst am Duodenum aufgehängt, beim Hunde ist der Pylorus selbst an der hinteren Bauchwand fixiert. Das funktionell Wichtige bei diesen Verhältnissen ist, daß bei gefülltem Magen der Pylorus höher liegt als der Hauptmagen, so daß auch Flüssigkeiten zu ihrem Forttransport aus dem Magen stets der Muskeltätigkeit bedürfen. Näheres weiter unten S.561 ff. bei den Magenbewegungen. — Das Gewicht des mensch- lichen Magens geben Fermi und Repetto°) auf 165 bis 290g an, das ist l/,o, des Körpergewichts. Bei kleinen Tieren ist er relativ größer, beim Hunde macht er !/,oo des Körpergewichts aus, bei der Katze !/,,, bei den Pflanzenfressern noch mehr. Die Schleimhaut des Magens zeigt auch im entfalteten Zustande des Organs zahlreiche Falten, Fältchen und Grübchen: in diese Grübchen münden lange, enge, schlauchförmige Drüsen, die im Antrum pylori spärlich, im Fundus- teil dagegen dicht gedrängt stehen, so dab nach Heidenhains Schätzung etwa 7/, der Schleimhaut des Magens aus ihnen besteht. Die Kenntnis der Histologie der Magenschleimhaut verdanken wir hauptsächlich Heidenhain. Auf seine Darstellung in Hermanns Handbuch der Physiologie, Bd. V, 1, S. 91, sei daher verwiesen. Die Änderungen der Drüsen bei der Tätigkeit E werden in Bd. II dieses Handbuches von Metzner besprochen. Nach } Heidenhain ist die ganze Magenschleimhaut von einem Epithel überzogen, das Schleim produziert, wenn es auch von den Schleimzellen anderer Organe, etwa der Speicheldrüsen, histologisch abweicht. Die schlauchförmigen Drüsen des Fundus enthalten zwei Arten von Drüsen, die Heidenhain als Haupt- und Belegzellen unterscheidet, von denen die Hauptzellen das Pepsin, die Belegzellen die Salzsäure absondern. Die Drüsen des Pylorusteils, der keine Salzsäure secerniert, enthalten dementsprechend auch nur Haupt- !) A. Hofmann, Münchener med. Wochenschr. 1898, I, 560. — *) Vgl. für das Folgende W. His, Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1903, 8.345, woselbst die frühere Literatur. Außerdem auch €. Hasse und F. Strecker, Anat. Anzeiger 25, 541, 1904. — °) C. Fermi und R. Repetto, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, Suppl. S. 84, Chemie des Magens. 535 zellen. Beim Frosch liegen die Pepsin secernierenden Hauptzellen im Öso- phagus!); der Magen secerniert nur Salzsäure. Der Magen besitzt eine Rings- und. eine Längsmuskelschicht, in seinem Fundusteil außerdem schräg verlaufende Fasern. Die Muskeln sind im Pylorusteil am mächtigsten und bilden am Pylorus selbst einen starken Ring. Ebenso wird die Oardia von Muskelzügen umschlossen. (S.S.529.) Zwischen der Ring- und Längsmuskulatur liest der Auerbachsche Plexus. Von der chemischen Zusammensetzung des Magens sind die Angaben von Vincent und Lewis?) über die Muskeleiweißkörper zu erwähnen. Schleim- hautextrakte enthalten Mucin und Nucleinsäure, bzw. Verbindungen derselben. — Weinland?) beschrieb vor einigen Jahren einen merkwürdigen Körper, den er aus der Magenwand extrahieren konnte und den er als ein Anti- ferment gegen das Pepsin auffaßte. Indessen unterliegt seine Annahme sehr ernsten Bedenken. Denn das „Antiferment“ hemmt nicht nur die Verdau- ung von Fibrin durch Pepsin-Salzsäure, sondern es verhindert auch die Quel- lung des Fibrins, die in Salzsäure allein erfolgt, und diese seine Wirkung wird durch einen Überschuß von Salzsäure sofort aufgehoben. Es ist daher nach Weinlands Beschreibung viel wahrscheinlicher, daß es sich um ein Alkali oder einen Eiweißkörper handelt, die die Salzsäure neutralisieren, oder um ein Neutralsalz, das bekanntlich die Quellung des Fibrins in Salzsäure die Voraussetzung der Pepsinverdauung, unmöglich macht. Damit ist dann Weinlands Vorstellung, daß sich die Magenwand durch dies Antiferment vor der Selbstverdauung schütze, unmöglich geworden, und es bleibt nichts anderes übrig, als die Unangreifbarkeit des lebenden Magens gegen sein eigenes Sekret auch künftighin darauf zu beziehen, daß die Salzsäure in die Zellen nicht eindringen kann. Nach den übereinstimmenden Schilderungen von Matthes), Otte’) und Fermi®) werden auch alle anderen lebenden Gewebe von Fermenten nicht, bzw. erst dann angegriffen, wenn das Proto- plasma durch die Salzsäure geschädigt wird. Jacoby’) und Lust‘) haben in der Magenwand ein „Antikrotin* ge- funden. Ob es eine physiologische Bedeutung besitzt, ist nicht entschieden, aber möglich, da Krotin speziell auf die Verdauungsorgane giftig wirkt. } Endlich enthält die Schleimhaut des Magens, ebenso wie die des Darmes nach Pick und Spiro*”) das sogenannte „Peptozym“, einen hitzebeständigen Körper, auf den die Autoren die Giftwirkung der durch Magenextrakte be- reiteten Albumosen zurückführen. Albumosen an sich rufen danach keine Ungerinnbarkeit und keine Blutdruckerniedrigung hervor, sondern nur dieser ihnen von der Darstellung her anhaftende Körper. Underhill!‘) und Nolf1t) halten im Gegensatz hierzu an der Giftigkeit der Albumosen selbst fest. Am wichtigsten sind die Enzyme, bzw. Zymogene des Magens, die vor ihrer Sekretion in der Schleimhaut enthalten sind (s. unten). Außerdem !) H. v. Swiecicki, Pflügers Arch. 13, 444, 1876. — ?°) Sw. Vincent und T. Lewis, Journ. of Physiol. 26, 445, 1901. — °) E. Weinland, Zeitschr. f. Biol. 44, 45, 1902. — *) Matthes, Verhandl. des 12. Kongresses f. innere Medizin 1893, 8. 425. — °) P. Otte, Hermanns Jahresber. f. Phys. 1896, 311. — °) Cl. Fermi, Arch. ital. de biol. 23, 433, 1895. — 7) M. Jacoby, Hofmeisters Beitr. 4, 212, 1903. — °) F. A. Lust, ebenda 6, 132, 1904. — °) E. P. Pick und K. Spiro, Zeitschr. f. physiol. Chem. 31, 235, 1900. — !°) F. P. Underhill, Amer. Journ. of Physiol. 9, 345, 1903. — !!) P. Nolf, Arch. de biol. 20, 60, 1903. “ 334 Absonderung des Magensaftes. finden sich im Magen aber auch nicht zur Sekretion bestimmte, „autolytische* Fermente, die beim Extrabieren der Schleimhaut sich den echten Magen- fermenten beimengen (s. unten S.540 und 558). 1. Die Absonderung des Magensaftes. Die Drüsen des Magens stehen unter der Herrschaft von nervösen Zentren, die im Magen selbst gelegen sind. Weiteres über Ort und Bau ist nicht bekannt; ihre Existenz wurde von Popielski!) festgestellt, der nach Durchschneidung der Vagi, Entfernung des Rückenmarkes, des Plexus coelia- cus und des Grenzstranges des Sympathicus abwärts vom Zwerchfell Intakt- heit des Sekretionsreflexes von der Schleimhaut aus sah. Diese Zentren sind, wie ebenfalls Popielski!) fand, vom Blute aus — durch Einspritzung von Bouillon — nicht oder kaum in Tätigkeit zu setzen. Ihre Erregung erfolgt nach Pawlows2) großer Entdeckung vielmehr durch zwei sensible Bahnen. Erstens besteht ein Reflex von dem Epithel des Magens aus. Man könnte daran denken, daß es sich hier um eine direkte Einwirkung auf das secer- nierende Epithel des Magens handelte. Es ist das aber aus folgenden Gründen ausgeschlossen. Erstens liegen die secernierenden Zellen gar nicht an der Oberfläche der Schleimhaut, sondern in tiefen Drüsen, die kaum in direkte Berührung mit den eingeführten Körpern kommen können. Zweitens aber hat Pawlow?°) gezeigt, daß unter Umständen, beim Ablauf einer akuten Schädigung, die Magenschleimhaut secernieren, diese Sekretion aber vom Magen aus noch nicht hervorgerufen werden kann. Es muß also eine be- sondere, von dem secernierenden Organ verschiedene Einrichtung für die Reizaufnahme und Reizzuführung vorhanden sein, der Reiz ist also ein Reflex. Der zweite Reflex läuft von den Sinnesorganen des Kopfes, Auge, Nase, Ge- schmacksorgan, zum Gehirn und von dort in heute noch nicht erforschter Weise zum Ursprung des Nervus vagus und wird durch diesen den Zentren im Magen zugeführt. Eine geeignete Erregung der Geschmacks-, Geruchs- usw. -Organe bewirkt daher eine Sekretion des Magensaftes. Diesen Saft hat Pawlow psychischen oder Appetitsaft genannt. Pawlow‘) hat ihn am Hunde entdeckt, und er läßt sich dort nach ihm folgendermaßen demon- strieren. Wenn man einem Hunde einmal eine Magenfistel und zweitens eine Ösophagusfistel am Halse macht, so kann man den Hund füttern, ohne daß die Speisen wirklich in den Magen kommen (Scheinfütterung). Dann findet trotzdem eine reichliche Magensaftsekretion statt. Es genügt, dem Hunde die Speisen nicht zu geben, sondern bloß zu zeigen, um die Magensaft- sekretion hervorzurufen. Aber sie ist meist schwächer, als wenn der Hund wirklich frißt. Außer durch Reizung der Rezeptionsorgane ist es Pawlow auch gelungen, durch elektrische Reizung des N.vagus den Magen zur Sekre- tion zu bringen; neben diesen sekretorischen scheinen im Vagus indessen auch Hemmungsfasern zu verlaufen, beziehentlich hemmende Impulse auf die ') L. Popielski, Zentralbl. f. Physiol. 16, 121, 1902. — ?) J. P. Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen, deutsch v. Walther, Wiesbaden, Bergmann, 1898. — °) J.Sawriew, Dissertation St. Petersburg, Ref. O0. Cohnheim, Münch. med. Wochen- schr. 1902, II, 2173. — *) J.P.Pawlow u. E. OÖ. Schoumow-Simanowsky, Zen- tralbl. £. Phys. 1889 (!!!), S.113; Arch. f. (Anat.u.) Physiol. 1895, S.53; J. P. Pawz low, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen, deutsch v. Walther, Wiesbaden 1898. Absonderung des Magensaftes. H3D Zentren der Magenwand ausgeübt zu werden. Der Reflex von den Geschmacks- organen auf den Magen ist angeboren. Neugeborene Hunde, bei denen also noch keine Einwirkung früherer Reize vorhanden sein kann, sondern Magen- saft ab, wenn sie mit durchschnittener Speiseröhre saugen !). Die Geschmacks- organe spielen hierbei keine Rolle, da Hündchen Magensaft secernieren, wenn sie an den Zitzen einer Hündin ohne Milch saugen; ob aber der Geruch der Hündin oder die Bewegung des Saugens der wirksame Reiz ist, ist nicht bekannt. Für den Menschen sind diese Resultate Pawlows von Hornborg?) und besonders von Umber?) und Bickel®) an gastrostomierten Patienten mit Ösophagusstenose, von Schreuer und Riegel’) und Bulawinzeff$) auch an Gesunden vollständig bestätigt worden. Auch hier erweist sich neben der direkten Einwirkung auf die Geschmacksorgane ein „psychischer“ Reiz, der Anblick der Speisen, als wirksam. Ebenso fand Pfaundler’) beim menschlichen Säugling, daß Saugen Magensaftsekretion hervorruft. Ein weiterer Reflexbogen verbindet, wie Pawlow‘) fand, die Schleim- haut des Duodenums mit den Sekretionszentren des Magens, auf dem hem- mende Impulse dem Magen übermittelt werden, wenn Fett die Darmschleim- haut berührt. Endlich hat Popielski”) gefunden, daß Einführung von Bouillon ins untere Ileum beim Hunde Magensaftsekretion hervorruft, und Umber fand dasselbe bei Einführung eines Nährklystiers (Milch, Trauben- zucker, Eigelb, Kochsalz) ins Rectum seines Patienten. Wenn hier nicht doch die von Popielski verneinte Vermittelung durch das Blut vorliegt, müssen auch diese Teile des Darmes reflektorisch mit den Sekretionszentren des Magens verbunden sein. Eine Einwirkung des Sympathicus auf die Magensaftsekretion ist nicht bekannt. Beiden Arten von Sekretion, der chemischen und „psychischen“, ist ge- meinsam, daß sie — beim Hunde — eine Latenzzeit von ziemlich genau 51/, Minuten haben, die nur auf Umsetzungen in den Drüsen beruhen kann. Bei der Katze 10) und beim Menschen !!) beträgt die Latenzzeit nur 3 Minuten. Beiden ist gemeinsam, daß die auslösenden Reize streng spezifisch sind. Für die „chemische“ Sekretion des Hundes konnte Pawlow bisher nur finden, daß sie durch Wasser schwach, durch die Extraktivstoffe des Fleisches stark angeregt wird. Nach Clemm !?) wird die Sekretion durch Rohrzucker, nach Bönniger!3) durch Chlornatrium stark gehemmt. Salzsäure und Salz fand Pawlow unwirksam. Beim Menschen fand Lang!*), daß bei direkter Ein- führung in den Magen vegetabilisches Eiweiß (Roborat), Eiereiweiß und Butter 1) O. Cohnheim und F. Soetbeer, Zeitschr. f. physiol. Chemie 37, 467, 1903. — *°) F. A. Hornborg, Skandinav. Arch. f. Physiol. 15, 209, 1904. — *) F. Umber, Berliner klin. Wochenschr. 1905, Nr. 3. — *) A. Bickel, ebenda 1906; Verhandl. des Kongr. f. innere Medizin 1906. — °) M. Schreuer u. A. Riegel, Zeitschr. f. diätet. und physikal. Ther. 4, 462, 1901. — °) A. Bulawinzeff, Her- manns Jahresber. 1903, 8.211. — 7) M. Pfaundler, 16. Versammlung der Gesell- schaft für Kinderheilkunde, S. 38, 1901; Wiener klin. Wochenschr. 1899, 8. 1012. — °) Wirschubski, Dissertation St. Petersburg, Ref. O0. Cohnheim, Münchener med. Wochenschr. 1902, II, 2173. — °)L. Popielski, Zentralbi. f. Physiol. 16, 121, 1902. — !°) M. N. Riasantzew, Arch. des sciences biol. de St. Petersbourg 9, 3, 1895. — '') F. Umber, Berliner klin. Wochenschr. 1905, Nr. 3. — '?) W.N. Clemm, Therapeutische Monatsh. 1901, S. 403. — '?) M. Bönniger, Münch. med. Wochenschr. 1904, I, S.53. — '*) G. Lang, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 78, 302, 1903. 536 Erreger des Magensaftes. Sekretion hervorriefen, Zucker, Stärke und in der Regel auch Wasser wirkungslos waren. Zucker macht nach Strauss!) keine Sekretion; ebenso- wenig wird die Sekretion im fördernden oder hemmenden Sinne beeinflußt durch Salzsäure?) oder doppeltkohlensaures Natron®). Daß die Acidität des Mageninhaltes die Sekretion gar nicht beeinflußt, ist von besonderem Interesse. Beseitigt es doch den Einwand, daß bei den Pawlow schen Versuchen die Sekretion stärker sei als normal, weil der Magensaft nach außen abgeleitet würde. Die Hemmung der Sekretion durch Fett ist von Backmannt), Ver- haegen’), Ewald und Boas‘) und Moritz’) direkt beobachtet worden und liegt wohl auch der Fettdiät bei Hyperacidität zugrunde. Chlornatrium wirkt auch beim Menschen hemmend S). Die Reizung vom Munde aus ist von Pawiow an Hunden für Fleisch, Brot und Milch ausprobiert worden. Es ergab sich, daß die Sekretion je nach der Art des Reizes verschieden ist. Doch muß hierfür, um Wieder- holungen zu vermeiden, auf Pawlows eigene Darlegungen in diesem Hand- buche verwiesen werden. Beim Menschen hat Umber nach Fleisch, Butter- brot und Alkohol, Hornborg nach Fleisch, Kartoffeln und Leckereien, Schreuer und Riegel nach dem Probefrühstück — Tee, Brötchen — Sekretion beobachtet. Kaffee, Zitronenscheiben’), Kautabak und Gummi (Umber) wirken, wie zu erwarten, nicht?). Die Schwankungen sind beim Menschen viel größer und unregelmäßiger als bei den Hunden’), was viel- leicht auf die pathologischen Zustände der Untersuchten, vielleicht auch auf die stärkeren „psychischen“ Hemmungen zu beziehen ist. Mechanische Reizung sowohl der Mundhöhle, wie der Magenschleimhaut selbst ist, wie Pawlow sicher festgestellt hat, ohne jede Wirkung. Ebenso- wenig secerniert der Magen etwa kontinuierlich oder ohne besonderen Reiz. Der leere Magen des nüchternen Tieres enthält daher keine Spur von Magen- saft, die Magenwand ist sogar von alkalisch reagierendem Schleim überzogen. Bei den älteren gegenteilisen Befunden muß das Tier irgendwie erregt ge- wesen sein. Wohl aber kann der nüchterne Magen nach Pawlow und Bol- direff!°) unter Umständen etwas Pankreas-, Darmsaft und Galle enthalten. Für den gesunden menschlichen Magen gilt dasselbe, doch enthält ohne vor- herige Spülung der menschliche Magen meist kleine Flüssigkeitsmengen, die von verschlucktem Speichel — vielleicht auch Pankreas- und Darmsaft — und durch diesen bedingter Magensaftsekretion herrühren !!). Pathologisch kommt eine Sekretion ohne bekannten Reiz vor 12). Unter normalen Verhältnissen summieren sich die verschiedenen Arten der Erregung der Magendrüsen. Die Sekretion beginnt durch die von der ') H. Strauss, Zeitschr. f. klin. Med. 29, 221, 1896. — ?) Heichelheim und Kramer, Münchener med. Wochenschr. 1904, I, S. 330; A. Schüle, Zeitschr. f. klin. Med. 28, 465, 1895. — °) N. Reichmann, Arch. f. Verdauungskrankheiten 1, 44, 1896. — *) W. Backmann, Zeitschr. f. klin. Med. 40, 224, 1900 (zitiert nach Malys Jahresber. 30, 417). — °) A. Verhaegen, La Cellule 14, 29, 1897. — ®) C. A. Ewald und J.Boas, Virchows Arch. 101, 325, 1885; 104, 271, 1886. — ”) F. Moritz, Zeitschr. f. Biol. 42, 565, 1901. — °) M. Bönniger, Münchener med. Wochenschr. 1904, I, S.53. — °?) A. Schüle, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 71, 111, 1901. — !°) Siehe 8.564, 572 und 607. — !!) A. Verhaegen, La Cellule 14, 29, 1897; F. Moritz, Zeitschr. £. Biol. 42, 565, 1901. — 2) U. a. H. Strauss, Zeitschr. f. klin. Med. 29, 221, 1896. Erreger des Magensaftes. 537 "Mundhöhle kommenden Reize, und die bei der Verdauung frei werdenden Extraktivstoffe sorgen durch chemischen Reiz für ihre Fortführung. Die Folgen des Ausfalles der „psychischen“ Sekretion scheinen nicht immer die- selben zu sein. Pawlow beschreibt, daß Fleisch und Brot, die unbemerkt von den Hunden in den Magen gebracht werden, stundenlang unverdaut dort liegen bleiben, und Reizenstein!) sah bei einem gastrostomierten Patienten dasselbe. Andererseits durchschnitten Aldehoff und v. Mering?) Hunden die Vagi oberhalb des Zwerchfelles und sahen nur eine vorübergehende Ver- minderung der Sekretion, die sich in 14 Tagen ausglich. Erfahrungen an Kranken, die ohne Appetit essen oder die mit der Sonde ernährt werden und doch gut verdauen, lassen sich in demselben Sinne deuten. Es scheint daher, als ob sich der Magen an den Ausfall der vom Munde her kommenden Er- regungen einigermaßen adaptieren könne. Freilich weiß man bei den Kranken nicht, wie weit die psychische Sekretion ganz fehlte, und bei der Durch- schneidung der Vagusäste könnten Fasern, die in der Recurrensbahn laufen, erhalten sein. Nach Durchschneidung der Vagi am Halse treten äußerst schwere Störungen ein, die aber zum großen Teil auf Störung der Magen- motilität beruhen. Von ihnen wird S.565 die Rede sein. Nach ihrer Über- windung gelingt es, dieHunde am Leben zu erhalten; die Magensekretion ist vermindert, genügt aber für die Verdauung. Den Verlauf der tatsächlichen Magensaftsekretion für die einzelnen Nahrungsmittel hat am exaktesten Pawlow an dem sogenannten „kleinen Magen“ studiert, einem Blindsack der Fundusmagenwand, der mit dem übrigen Magen noch in nervöser Verbindung steht: Auch hier muß auf Pawlows eigene Darstellung verwiesen werden. Grützner?°) wendet gegen diese Methode ein, daß die Magenschleimhaut sich örtlich verschieden ver- halte, und daher ein Schluß aus dem „kleinen Magen“ auf den Gesamtmagen unzulässig sei. Indessen ist dieser Unterschied, wenn man das Antrum pylori abzieht, beim Hunde unerheblich, und die vielen, ganz gleichmäßigen Kurven Pawlows zeigen, daß seine Methode für Hunde zuverlässig ist. Für andere Tiere haben Grützner und sein Schüler Hohmeier*) Bestimmungen derart ausgeführt, daß sie in dem Mageninhalt von Tieren in verschiedenen Stadien der Verdauung Pepsinbestimmungen machten. Die erhaltenen Werte zeigen, wie bei Pawlow, daß die Sekretion rasch beginnt und schon in der ersten oder in der zweiten Stunde ihr Maximum erreicht. Hohmeiers Kurven für Fleischfütterung am Hunde zeigen im allgemeinen einen etwas langsameren Anstieg als die Pawlows; doch führt er das selbst auf indivi- duelle Verschiedenheiten der Hunde zurück, die auch Pawlow wiederholt aufstießen. Gegen Ende der Verdauung kam es in der Regel noch einmal zu einem Anstieg der Pepsinmenge. Beim Schwein setzt nach Bengen und Haane) bei reichlicher Haferfütterung die Sekretion später ein und erreicht erst in der dritten Stunde ihr Maximum. Grützners Resultate an anderen Tieren werden S.558 und 567 besprochen. Beim Menschen ist der Verlauf der ') A. Reizenstein, Münchener med. Wochenschr. 1905, I, 8.551. — ?) G. Alde- ' hoff und J. v. Mering, Kongreß für innere Medizin 1899, S. 333. — °) P. Grütz- ner, Pfiügers Arch. 106, 463, 1905. — *) F. Hohmeier, Dissertation, Tübingen 1901. — °) F. Bengen u. G. Haane, Pflügers Arch. 106, 267, 1905. 538 Verlauf und Menge der Absonderung. Sekretion von Umber!) an dem erwähnten gastrostomierten Patienten mit Ösophagusstenose für den „psychischen Saft“ bestimmt worden. Anstieg und Verlauf ähnelten in den besten Versuchen mit Fleisch den Pawlowschen am Hunde sehr. Interessant war das verspätete Eintreten und die geringe Menge bei Ermüdung und Appetitlosigkeit. Am Gesunden haben Penzoldt?) und seine Schüler, vor allem Kornemann?), ferner Pfaundler) und Ver- haegen’) den Verlauf der Absonderung untersucht, indem sie !/,, 1, 2 usw. Stunden nach Aufnahme der Probemahlzeit den Mageninhalt mit der Sonde entleerten und die secernierte Salzsäure bestimmten. Das Bedenken gegen diese Versuche besteht darin, daß sich der Mageninhalt durch Resorption und Wegtransport in den Darm fortdauernd vermindert und man also nur die Differenz zwischen dieser Sekretion und der Abfuhr ermittelt. Doch konnte Kornemann feststellen, daß nach der Probemahlzeit — 400g Bouillon, 200 g Beefsteak, 50 g Schwarzbrot, 200 g Wasser — die Salzsäuremenge schon nach 15 Minuten ihr Maximum erreicht und von da an 3 Stunden lang konstant bleibt, daß also die Sekretion genau im Tempo der Entleerung des Magens fortschreitet. Beim Probefrühstück — 25 g Semmel, 250 g Tee — wird das Maximum in 20 Minuten erreicht und nach 60 Minuten beginnt die Menge schon zu sinken. Pfaundler gibt folgende Zahlen: Genossen wurden 250g Bouillon, 75g Weißbrot, 130g Fleisch, 260g Kartoffelpuree, 250g Wasser. Darauf secernierte der Magen invderrerstenWStundemer eo Goicem. „E20 zweitens aa eh Free eatuleetcn . > I Sendritten 2; ee ON vierten „ ee ee N One, oe ” » Nach dem Probefrühstück secernierte der Magen in” der. ersten halben” Stunden. nr Per esäleem Ders zweiten. ® * EIER HRS DENE dritten ° , ne en RO Wenn diese Zahlen an Genauigkeit sich auch selbstverständlich nicht mit den Pawlowschen am „kleinen Magen“ vergleichen lassen, so zeigen sie doch jedenfalls das eine, daß die Sekretion des menschlichen Magens quali- tativ und quantitativ den Pawlowschen Resultaten am Hunde außerordent- lich ähnlich ist. — Verhaegen findet vor allem einen großen Unterschied der Sekretion bei den einzelnen Nahrungsmitteln. Auch seine Kurven stimmen im großen und ganzen gut mit den Pawlowschen-überein. Von besonderen Einwirkungen auf die Sekretion ist zu bemerken, daß nach Riegel) Atropin die Sekretion beiHund und Mensch stark herabsetzt. ‚Pilocarpin vermehrt die Menge, wobei aber die Salzsäure abnimmt. Was die Einwirkung gleichzeitiger Muskelarbeit auf die Magensaftsekretion anlangt, so ist auf Grund der Untersuchungen von Ranke’) die Anschauung sehr !) F. Umber, Berliner klin. Wochenschr. 1905, Nr. 3. — ?) F. Penzoldt, Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 51, 535, 1893; 53, 209, 1894. — °) H. Korne- mann, Arch. f. Verdauungskrankheiten 8, 367, 1902. — *) M. Pfaundler, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 65, 255, 1900. — °) A. Verhaegen, La Cellule 12, 33, 1896; 13, 393; 14, 29, 1897; 15, 407, 1898. — °) F. Riegel, Kongreß f. innere Medizin 1899, 8. 325. — 7) J. Ranke, Die Blutverteilung und der Tätigkeitswechsel der Organe, Leipzig 1871 (zitiert nach Malys Jahresber. 1871, S. 267). Beeinflussung der Absonderung. 539 allgemein verbreitet, daß starke Inanspruchnahme der Muskeln wegen der dorthin strömenden Blutmenge die Tätigkeit der Verdauungsorgane ver- mindern müsse. In der Tat fand Cohn!) beim laufenden Hunde eine beträcht- liche Verminderung der Magensaftsekretion gegenüber der Ruhe; Tangl?) und Scheunert?) sahen beim Pferde eine Verlangsamung der Magenentleerung; das Verhalten der Sekretion beim Pferde ist nicht klar. Die Flüssigkeits- menge im Magen war beim trabenden Pferde zwar erheblich vermehrt, die Aeidität aber vermindert und es ist entschieden daran zu denken, daß die Flüssigkeit im Magen verschluckter Speichel war, dessen Produktion der Reiz des Gebisses anregte. Selbst eine deutliche Verminderung der Magensaft- sekretion während der Muskelarbeit braucht indessen nicht direkt durch diese bedingt zu sein, sie kann vielmehr auf einer Wasserverarmung des Organis- mus beruhen. Die normale Sekretion des Magensaftes ist nämlich in hohem Maße abhängig von dem Wassergehalt des Körpers. Cohnheim und Licht- heim) beobachteten bei hydrämischer Plethora eine reichliche Sekretion in den Magen. Andererseits sah Tobler’) die Magensaftsekretion bis fast zum Versiegen abnehmen, wenn das Tier Durst litt. Bei Experimenten an Hunger- tieren ist stets Rücksicht darauf zu nehmen, daß der Wassergehalt des Körpers nicht sinkt. — Hunger ist dagegen ohne Einfluß — wenn nur der Körper über die erforderlichen Wasser- und Chlormengen verfügt: Pawlow®) sah bei einem hungernden, aber mit Kochsalzlösung versehenen Hunde während 17 Tagen normalen, fermentreichen Saft auf Scheinfütterung sich ergießen. — Monatelange ausschließliche Ernährung mit Milch scheint die Fähigkeit herabzusetzen, auf Fleisch normalen Magensaft zu secernieren ’”), was mit den Beobachtungen Pawlows am Pankreas übereinstimmen würde. Die wechselnde Zusammensetzung des Sekretes wird unten S. 542 und 552 besprochen. Es ist die Behauptung aufgestellt worden, daß außer dem eigentlichen, Pepsin und Salzsäure enthaltenden Sekret der Magen auch eine ganz andere Flüssigkeit absondern könne. v. Mering‘) und sein Schüler Miller®) scheinen die ersten gewesen zu sein, die die Verdünnung eingegossener Salzsäure im Magen beobachteten. Verhaegen!®) und Roth und Strauss!!) haben dann die Lehre von der Verdünnungssekretion aufgestellt. Verhaegen sah gegen Ende der Verdauung eine plötzliche Abnahme der Acidität, die er auf Sekretion eines alkalischen oder jedenfalls nicht sauren Sekretes bezog. Roth und Strauss führten Salz- und Zuckerlösungen von größerem, gleichem und geringerem osmotischen Drucke als das Blut in den Magen ein und be- obachteten, daß diese während des Verweilens dem Blute ähnlicher werden. Die Frage der Umwandlung von Salzlösungen im Magen wurde weiterhin !) J. Cohn, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 43, 239, 1888. — °) F. Tangl, Pflügers Arch. 63, 545, 1896. — °) A. Scheunert, ebenda 109, 145, 1905. — *)J. Cohnheim und L. Lichtheim, Virchows Arch. 69, 106, 1877. — °) L. Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. — °) P. Pawlow, Ref. Arch. f. Ver- dauungskrankheiten 4, 78, 1898. — 7) M. Cloetta, Münchener med. Wochenschr. 1902, U, 8. 1329. — °) L. v. Mering, Therapeut. Monatshefte 7, 201, 1893. — °) J. Miller, Arch. f. Verdauungskrankheiten 1, 231, 1896. — !°) A. Verhaegen, La Cellule 12, 33, 1896. — '') W. Roth u. H. Strauss, Zeitschr. f. klin. Med. 37, 144, 1899. 540 Verdünnungssekretion. — Ausscheidung. untersucht von Pfeiffer und Sommer!), Pfeiffer?), Bönniger?°) und unter Magnus’ Leitung von Otto®) und Kress’). Es ist danach sicher, daß konzentrierte Salz- oder Zuckerlösungen im Magen verdünnt werden, ohne daß salzsäurehaltiger Magensaft secerniert wird. Auch konnte Kress feststellen, daß die Verdünnung nicht etwa durch verschluckten Speichel ge- schieht. Eine eigentliche „Verdünnungssekretion“ aber braucht man darum nicht anzunehmen, Otto hat vielmehr einfach einen Diffusionsaustausch zwischen Blut und Mageninhalt beobachtet. Nur das ist fraglich, ob dieser Austausch einfach den Diffusionsgesetzen folgt, oder ob er durch die Epithe- lien der Magenschleimhaut, bzw. durch das Nervensystem geregelt wird. Vergleiche unten $.560 bei Besprechung der Resorption. Über die alkalischen Sekrete, die von den Magen der Wiederkäuer und Haifische abgesondert werden können, siehe unten S. 558. Hier sei auch die Ausscheidung in den Magen erwähnt, durch die eine Reihe körperfremder Substanzen aus dem Blute entfernt werden. Am wichtigsten ist das Morphium ®), das zur Hälfte auf diesem Wege den Körper verläßt, ferner Wismut’), Quecksilber und Schlangengift, dagegen nicht die Salicylsäure®). Eine Anzahl anderer Stoffe, Lithium, Bor- säure®) usw., erschienen nach subeutaner Zufuhr im Magensaft, aber nicht in größerer Konzentration als im Blute, so daß nicht von einer eigentlichen Auscheidung geredet werden kann. Vgl. S. 646. Der Blutzustrom ist während der Tätigkeit des Organs gesteigert, die Lymphbildung ist nicht untersucht, Galli!0) sah eine geringe Steigerung der Temperatur während der Sekretion. Von den chemischen Umsetzungen in der Magenschleimhaut wissen wir aus den Untersuchungen von Nencki, Pawlow und Zaleski!!) und von Salaskin!2), daß die Magenschleimhaut des nüchternen Tieres wenig mehr Ammoniak als andere Organe, die des verdauenden Tieres dagegen neben der Darmschleimhaut am meisten Ammo- niak von allen Organen enthält. Und da das auch der Fall war, wenn die Hunde „scheingefüttert* wurden, so kann es sich nicht um resorbiertes Ammoniak handeln. Es ist damit vielmehr bewiesen, dab die Magenschleim- haut bei der Tätigkeit Ammoniak bildet. Ferner enthält die Magenwand ein autolytisches Ferment, das bei alkalischer Reaktion Eiweiß verdaut und das bei allen Reaktionen Peptone in kristallinische Spaltungsprodukte um- wandelt!3). Außerdem scheint sie Fermente zu besitzen, die aus den Amino- säuren der Eiweißspaltung die endständige Carboxylgruppe abspalten. !) Th. Pfeiffer und A. Sommer, Arch. f. experim. Pathol. und Pharm. 43, 93, 1899. — ?) Th. Pfeiffer, ebenda 48, 439, 1902; 53, 261, 1905. — ?) Bön- niger, ebenda 50, 76, 1903. — *) E. Otto, ebenda 52, 370, 1905. — °) Kress, ebenda 54, 122, 1905. — °) Faust, ebenda 44, 217, 1900. — 7) E. Rost, Deutsche Klinik am Anfange des 20. Jahrhunderts, S. 173; H. Meyer und Stein- feld, Arch. f. experim. Pathol. und Pharm. 20, 40, 1886 (zitiert nach 9). — ®) M. Nencki, ebenda 36, 400, 1895. °) E. Rost, Arch. internat. de Pharm. 15, 291, 1905. — !°) E. Galli, Münchener med. Wochensehr. 1904, I, S. 700. — I) M. Nencki, J. P. Pawlow und J. Zaleski, Arch. f. experim.- Pathol. u. Pharm. 37, 26, 1898; M. Nencki und J. P. Pawlow, ebenda 38, 215, 1898. — 12) 8. 8. Salaskin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 448, 1898. — '*) H. Mal- fatti, ebenda 31, 43, 1900; F. Volhard, Münchener med. Wochenschr. 1903, PL,78.72199. Tätigkeit der Magenschleimhaut. 541 Lawrow!) fand Kadaverin und Putresein, Langstein?) Kadaverin und Oxyphenyläthylamin. Zusammen mit der Ammoniakbildung weist das darauf hin, daß der Magen bei seiner Tätigkeit stickstoffhaltige Produkte verbrauchen kann. Doch konnte ich bei Scheinfütterung keine Vermehrung der Stick- stoffausscheidung beobachten °). Wegen dieser autolytischen Fermente und ihrer Beziehungen zu dem sogenannten Pseudopepsin siehe S. 534/558. — Endlich scheint bei der Tätig- keit des Magens in seinem Lumen sich Kohlensäure anzusammeln. Schier- beck*) fand konstant im Magen eine beträchtliche Kohlensäurespannung. Parallel mit den entsprechenden histologischen Veränderungen nimmt während der Sekretion der Gehalt der Magenschleimhaut an Enzymen, bzw. an Zymogenen ab. Nach Grützner’), der die Erscheinung zuerst genauer untersucht hat, sinkt beim Hunde nach sehr reichlicher Fleischfütterung der Pepsingehalt bis zur dritten Stunde schnell, dann langsamer, steigt erst nach der neunten Stunde wieder an und erreicht erst nach zehn Stunden die frühere Höhe. Nach einer gewöhnlichen Mahlzeit nahm der Pepsingehalt schon von der vierten Stunde an zu. Ähnlich verhält es sich beim Schwein). Bei länger dauerndem Hunger nimmt der Gehalt dann wieder ab. Im Gegensatz hierzu sah Merzbacher’) bei winterschlafenden, also monatelang hungern- den Fledermäusen sehr hohen Fermentgehalt. — Diese Abnahme der Pepsin- menge in der secernierenden Magenwand hat seinerzeit Schiff veranlaßt, seine Ladungstheorie aufzustellen, nach der der Magen erst durch bestimmte „peptogene“ Stoffe geladen werden müsse, ehe er Pepsin bilden könne. Sie ist von Heidenhain‘) als irrtümlich dargetan worden. Neuerdings hat Herzen?) sie aber in der Form wieder aufgenommen, daß er behauptet, nach starker Erschöpfung seines Fermentgehaltes sondere der Magen unter Umständen, z. B. bei Genuß von Alkohol, ein zwar reichliches, aber pepsin- armes Sekret ab. Über die Bildung des Magensaftes wissen wir nur, daß er ein Produkt des lebenden Drüsenprotoplasmas ist. Auf welchem Wege die elektive Durchlässigkeit der Zellen nur für Chlor- und für Wasserstoflionen und nur nach einer Richtung zustande kommt, davon fehlt uns jede Vorstellung. Die früher viel zitierte Versuchsreihe von Maly!") über das Entstehen freier Salzsäure durch Umsetzungen besagt nur die uns heute geläufige Unabhängig- keit der Ionen in wässeriger Lösung. Nencki und Schoumow-Sima- nowsky!!) haben gefunden, daß die Magenschleimhaut hungernder Hunde 0,74 Proz. Chlornatrium und Chlorkalium enthält, d.h. beträchtlich mehr als alle anderen Organe und selbst mehr als das nach ihnen chlorreichste Serum. ) D. Lawrow, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 312, 1901. — °) L. Langstein, Hofmeisters Beiträge 2, 229, 1902. — *) OÖ. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Ohem. 46, 9, 1905. — *) N. P. Schierbeck, Skandinav. Arch. f. Physiol. 3, 437, 1891. — 5) P.Grützner, Pflügers Arch. 16, 105, 1878; 20, 395, 1879; vgl. auch Heiden- hain, l.c. — °) F. Bengen u. G. Haane, Pflügers Arch. 106, 267, 1905. — 7) L. Merzbacher, Mündliche Mitteilung. — °) R. Heidenhain, Hermanns Handbuch V, 1, 8. 153. — °) A. Herzen, Pflügers Arch. 84, 101, 1901; C. Rad- zikowski, ebenda 84, 513, 1901; M. Protapow-Pracaitis, These, Lausanne 1901; zitiert nach Malys Jahresber. 31, 498, 1901. — !°) Maly, Liebigs Ann. 175, 250, 1874. — !!) M. Nencki und E. O. Schoumow-Simanowsky, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 34, 313, 1899. 549 Tätigkeit der Magenschleimhaut. Das secernierte Chlor wird also vorher in den Magendrüsen gespeichert. Während der Sekretion sinkt der Chlorgehalt auf 0,71 Proz., ist also immer noch höher als der des Serums. Interessant ist die Beobachtung von Frouin!), daß subeutane Einspritzung von neutralisiertem Magensaft die Sekretion des Magens vermehrt. Die Chlorwasserstoffsäure kann, wie Külz?) und vor allem Nencki und Schoumow-Simanowsky°) gezeigt haben, durch Bromwasserstoffsäure ersetzt werden, da der Magen im Blut befindliche Bromide ebensogut zerlegt wie die Chloride. Jodwasserstoffsäure geht da- gegen höchstens in Spuren, Schwefelsäure gar nicht in den Magen über °). — Durch die starke Säureentziehung bei der Magensaftsekretion nimmt die Alkaleszenz des Körpers und daher auch die des Harnes*) zu. Für gewöhn- lich äußert sich das wenig, da die Sekretion der alkalischen Darmsekrete und die Resorption der Salzsäure im Darm das Defizit nahezu ausgleicht. Wird aber, wie bei den „scheingefütterten“ Hunden Pawlows, der Magen- saft nach außen abgeleitet, so wird das überschüssige Alkalı als Karbonat durch die Nieren entfernt, der Harn wird intensiv alkalisch und enthält große Mengen gebundener Kohlensäure’). — Nach Bohlen‘) zeigt die Magenschleimhaut einen „einsteigenden“ elektrischen Strom, der während der Sekretion seine Stärke ändert. 2. Der Magensatt. Alle die zahlreichen früheren Untersuchungen über die Zusammensetzung des Magensaftes waren nur „ein flüchtig Vorgefecht“. Erst seit Pawlow die Ösophagotomie und die Scheinfütterung und den „kleinen Magen“ ein- führte, konnte reiner Magensaft analysiert werden. Solchen reinen Hunde- magensaft haben Frau Schoumow-Simanowsky°), Nencki und Frau Sieber’) untersucht. Er ist bis auf vereinzelte Schleimflöckchen wasser- hell, klar und dünnflüssig. Sein spezifisches Gewicht beträgt 1,003 bis 1,0059, der Salzsäuregehalt 0,46 bis 0,58 Proz., die Gefrierpunktserniedrigung bei Magensaft von 0,577 Proz. Salzsäure nach Friedenthal°) —0,61° GC; Bickel®’) fand sie von — 0,52 bis — 1,21% schwanken. Neben der Salz- säure enthält der Magensaft im Mittel 0,506 Proz. feste Bestandteile, d. h. außerordentlich wenig. Beim Pferde scheint der Magensaft konzentrierter zu sein. Wenigstens fanden Ellenberger und Hofmeister nach Verfütte- rung von stickstofffreier Nahrung 1,17 bis 1,4 Proz. Eiweiß im Mageninhalt; auch beim Schweine bestimmten sie 0,3 Proz. Eiweiß. Es ist aber in beiden Fällen nicht sicher, wieviel auf den Magensaft, wieviel auf verschluckten Speichel kommt. Von den Bestandteilen des Magensaftes sind außer der Salzsäure bekannt: Eiweiß, Nucleinsäure, Lecithin, die Fermente und anorganische Bestandteile. !) A. Frouin, Compt. rend. Soc. biol. 58, 887, 1905.— °) E. Külz, Zeitschr. £. Biol. 23, 460, 1887. — ?) M.Nencki und E.O.Schoumow-Simanowsky, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 34, 313, 1894. — *) R. Maly, Liebigs Ann. 173, 227; zitiert nach Malys Jahresber. 1874, 8.241. — °).E. 0. Schoumow-Sima- nowsky, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 33, 336, 1894. — °) F. Bohlen, Pflügers Arch. 57, 97, 1894. — ’) M. Nencki und N. Sieber, Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 291, 1901. — °) H. Friedenthal, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1900, S. 181. — °) A. Bickel, Berliner klin. Wochenschr. 1905, S. 60. Te ng ng ar Zusammensetzung des Magensaftes. 543 Von dem festen Rückstande sind im Mittel 0,41 Proz. Phosphor, wovon ein Teil anorganische Phosphorsäure zu sein scheint, ein Teil dem Lecithin und der Nucleinsäure angehört, 0,42 Proz. sind Eisen, außerdem sind Kalk, Magnesia, Schwefelsäure (die aber aus dem Eiweiß stammen kann) und Rhodanwasserstoffsäure vorhanden. Rhodanwasserstoffsäure fand auch Umber!) im menschlichen Magensaft. Außerdem enthält der Magensaft Spuren von Ammoniak ?). Das Eiweiß und die Nucleinsäure (vielleicht auch das Lecithin) sind nach der Auffassung von Nencki und Sieber und von Pekelharing°) zu einem Nucleoproteid vereinigt, das die gewöhnlichen Eigenschaften eines solchen besitzt*). Es ist in Wasser und in stärkerer Salzsäure löslich, in sehr verdünnter Salzsäure dagegen unlöslich und läßt sich daher aus dem Magensaft durch Dialyse zur Ausscheidung bringen. Auch läßt es sich durch Aussalzen mit Ammonsulfat isolieren. Pekelharing konnte denselben Körper auch aus der Magenwand darstellen. Bei den meisten Fällungen erhält man mit diesem Nucleoproteid zusammen die Fer- mente des Magensaftes, und Nencki und Sieber und Pekelharing haben das Nucleoproteid daher für das Pepsin gehalten. Indessen ist es Brücke’), Glässner‘), Friedenthal”), Lauder Brunton‘°) und Kühne’) gelungen, das Pepsin eiweißfrei darzustellen. Es muß sich also um eine Beimengung handeln. Von Bedeutung für die Verdauung sind die Salzsäure und die Fermente. Die Salzsäure des Magensaftes, Hundemagensaft enthält nach Pawlow, Frau Schoumow-Sima- nowsky!P), Nencki und Frau Sieber!!) und Friedenthal!2), die mit Pawlowschen Hunden gearbeitet haben, 0,46 bis 0,58 Proz. Salzsäure. Der Gehalt schwankt je nach der Art des Reizes, d. h. der Nahrung, indem z. B. Fleisch einen saureren Saft entstehen läßt als Brot. Die Konzentration der Salzsäure und die des Pepsins laufen nicht parallel; die Drüsen können also die einzelnen Bestandteile variieren. Doch kann ein Teil dieser Unterschiede darauf beruhen, daß wir nicht das reine Drüsenrekret untersuchen, sondern daß es vor seinem Abfluß nach außen über die mit alkalischem Schleim be- deckte Magenwand läuft und dabei mehr oder weniger neutralisiert wird. Pawlow führt einen großen Teil der Konzentrationsdifferenzen darauf zurück, und die Zahlen von Bickel!?) und Umber!*) sprechen sehr für ein solches Phänomen. — Näheres über die wechselnden Konzentrationen siehe bei Pawlow. — Der Magensaft der Katze!) hat etwa den gleichen Gehalt !) F. Umber, Berliner klin. Wochenschr. 1905, Nr.3. — *) 8. 8. Salaskin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 448, 1898. — °) C. Pekelharing, ebenda 22, 233, 1896; 38, 8, 1902. — *) Vgl. O0. Cohnheim, Chemie der Eiweißkörper, 8. 223 und 228, Braunschweig 1904. — °) E. Brücke, Sitzungsber. der Wiener Akad. 43, 601, 1861; zitiert nach Neumeister, Lehrbuch der physiol. Chem. 1897, 8. 107. — ©) K. Glässner, Hofmeisters Beitr. 1, 1, 1901. — ”) H. Friedenthal und S. Miya- mota, Zentralbl. f. Physiol. 16, 1, 1902. — ®) L.Brunton, ebenda 16, 201, 1902. — °) K. Mays, Untersuchungen a. d. physiol. Institut Heidelberg 3, 378, 1880. — | )) E. OÖ. Schoumow-Simanowsky, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 33, 336, 1894 — !!) M. Nencki u. N. Sieber, Zeitschr. f. physiol. Chem. 22, 291, 1901. — =) H. Friedenthal, Arch. f. (Anat.u.) Physiol. 1900, 8. 181. — "®) A. Bickel, 2 Berliner klin. Wochenschr. 1905, $S. 60. — '*) F. Umber, ebenda 1905, Nr. 3. — DIN: Riasantzew, Arch. des Sciences Biol. de St. Petersburg, III, Nr. 3, 1895. 544 Salzsäure im Magen. an Pepsin und Salzsäure, enthält aber mehr feste Bestandteile und ist dick- flüssiger. Beim menschlichen reinen Magensaft fand Umber!) einen Salz- säuregehalt bis zu 0,55 Proz., und die allgemeine Annahme geht seit langem dahin, daß dies das Maximum der Salzsäurekonzentration sei. So rechnet Pfaundler?) 0,35 Proz., und bei den zahlreichen klinischen Magenunter- suchungen haben sich kaum je höhere Werte gefunden. Sichergestellt ist diese geringere Salzsäurekonzentration des menschlichen Magensaftes in- dessen keineswegs; denn Umber findet so bedeutende Gefrierpunktsernie- drigungen, daß das Vorhandensein fremder Stoffe neben der Salzsäure und ihre teilweise Neutralisation wahrscheinlich wird. Bei den Untersuchungen des Mageninhaltes muß stets an die Neutralisation durch verschluckten Speichel und die Verdünnung durch die Speisen gedacht werden. Gurewitsch?) fand denn auch 0,37 Proz., wobei eine Vermischung mit Speichel nicht ausgeschlossen ist, Moritz?) 0,38 Proz. Seiler) schätzt den Gehalt auf 0,32 bis 0,44 Proz. Verhaegen‘) fand Werte bis zu 0,48 Proz., und es ist wahrscheinlich, daß menschlicher Magensaft nicht weniger konzentriert ist als der des Hundes. Die Salzsäure ist in dem Magensaft als solche vorhanden’); nur ein sehr kleiner Teil scheint nach Nencki und Frau Sieber an das Nucleoproteid gebunden zu sein. Bugarszky und Liebermann‘) und Grober°) be- haupten auch eine Bindung an das Pepsin, haben aber nicht mit reinem Pepsin gearbeitet. — Im Mageninhalt wird die Salzsäure nun aber sofort zum großen Teil neutralisiert. Von Salzen kommen dafür allerdings nur die Karbonate des Speichels stärker in Betracht; Phosphate, von denen eine Zeit- lang sehr viel die Rede war, hat v. Tabora!?) weder im Magensaft, noch in den gebräuchlichen Nahrungsmitteln in irgend erheblicher Menge gefunden. Höchstens könnte man bei Genuß von Obst und frischem Gemüse an Um- setzungen mit den sogenannten pflanzensauren Alkalien denken. Um so wichtiger sind die Eiweißkörper der Nahrung, die ja ebenso wie ihre peptischen Spaltungsprodukte alle Basen sind. Es bilden sich daher im Magen sofort salzsaures Eiweiß, salzsaure Albumosen und Peptone. Nun verhalten sich diese Fiweißsalze allerdings anders als andere Öhloride. Denn die Eiweiß- körper sind so schwache Basen, daß ihre Salze hochgradig hydrolytisch disso- ziert sind, d. h. es sind in wässeriger Lösung nur zum Teil die Salze vor- handen, neben ihnen die freie Salzsäure und das freie Eiweiß !!). Der Grad dieser hydrolytischen Dissoziation hängt von der Konzentration und von dem Gehalt der Lösung an beiden Körpern ab. Die Dissoziation ist erstens um so größer, je verdünnter die Lösung, und sie ist zweitens um so kleiner, je größer der Überschuß an Salzsäure ist. Die Gegenwart dieser hydrolysierten Salze ist die Ursache, daß es prinzipiell unmöglich ist, einen Magensaft richtig !) F. Umber, Berliner klin. Wochenschr. 1905, Nr.3. — ?) M. Pfaundler, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 65, 255, 1900. — °) G. Gurewitsch, Dissertation, St. Petersburg, zitiert nach Hermanns Jahresber. f. Physiol. 1903, 8. 211. —! *) F. Moritz, Zeitschr. f. Biol. 42, 565, 1901. — °) F. Seiler, Deutsch. Arch. & klin. Med. 71, 269, 1901. — °) A. Verhaegen, La Cellule 12 bis 15 (1896 bis 1898). — ’) A.Frouin, Compt. rend. Soc. de biol. 56, 584, 1904. — ®) St. Bugarszky und L. Liebermann, Pflügers Arch. 72, 51, 1898. — °) A. Grober, Arch. f. expem-! Pathol. und Pharm. 51, 103, 1904. — !°) v. Tabora, Zeitschr. f. klin. Med. 56, 369, 1905. — !') Vgl. O. Cohnheim, Chemie der Eiweißkörper, 8.106 ff., Braun= | schweig 1904. Gebundene Salzsäure. 545 zu titrieren. Denn wenn man bei der Titration Natronlauge hinzufügt, so vermindert man dadurch den Salzsäureüberschuß; dadurch nimmt die Hydro- lyse zu, es wird salzsaures Eiweiß in Salzsäure und Eiweiß zerlegt. Dieser Prozeß nimmt zu, je mehr Natronlauge hinzugesetzt wird, und man bestimmt deshalb, wenn man mit den gebräuchlichen Indikatoren, Phenolphtalein, Rosolsäure usw., titriert, die gesamte Salzsäure so, als ob das Eiweiß, das sie neutralisiert hat, gar nicht vorhanden wäre, man bestimmt nicht die Kon- zentration an Säure-Ionen, sondern an „titrierbarer Säure“. Von anderen Indikatoren, die für das Eiweiß als Base empfindlich sind, gilt das nicht, und sie geben deshalb in einem semenge von Eiweiß und Salzsäure viel niedrigere Zahlen an, Zahlen, die für das sogenannte Günzburgsche Reagens (Phloro- glucin-Vanillin in Alkohol) und das Rollet-Boassche Reagens (Tropäolin in Alkohol) ungefähr mit dem Werte für Salzsäure und salzsaures Eiweiß über- einstimmen, die man mit physikalischen Methoden ermittelt hat!). Diese Eigenschaft der salzsauren Eiweiße, die man erst im Laufe der Zeit erkannte, hat die richtige Deutung der Verhältnisse im Mageninhalt lange verhindert. Man zögerte, den Stoff, der zwar sauer war, aber nicht die sogenannten „Re- aktionen auf freie Salzsäure“ mit Phloroglucin-Vanillin usw. gab, als Salz- säure zu bezeichnen. Dazu kam, dab in pathologischen Fällen beim Menschen Milchsäure im Magen gefunden ?), und daß die Häufigkeit dieses Vorkommens weit überschätzt wurde. Es ist vor allem das Verdienst von Sjöqvist°), die Beziehungen von Eiweiß und Salzsäure als eine wirkliche Salzbildung, eine wirkliche Neutralisation aufgeklärt zu haben. Dann haben Penzoldt*), Boas’), Langguth‘), Strauss’) u. a. mit Bestimmtheit festgestellt, daß im normalen Magen niemals, in kranken Magen auch nur recht selten, bei völligem Versiegen der Salzsäuresekretion und gleichzeitiger schwerer Moti- litätsstörung, Milchsäure vorkommt. Das sogenannte Uffelmann sche Rea- gens, das Milchsäure anzeigen sollte, erwies sıch als trügerisch. Auf derartige Irrtümer führen sich auch alle die älteren Angaben über Auftreten der Milchsäure vor der Salzsäure usw. zurück, die ohnehin durch Pawlow wider- legt sind. Neuerdings hat Gmelin‘) behauptet, daß neugeborene Hunde keine Salzsäure, sondern Milchsäure im Magen secernierten, seine Behauptung aber lediglich auf den negativen Ausfall der Günzburgschen und den posi- tiven der Uffelmannschen Reaktion gestützt. Sie ist durch den positiven Salzsäurebefund von Cohnheim und Soetbeer®’) direkt widerlegt worden. Im Mageninhalt findet man also nach eiweißfreier Mahlzeit, falls die- selbe überhaupt Sekretion hervorruft, nur Salzsäure, nach eiweißhaltiger salz- saure Eiweißkörper und daneben, falls die Menge der Salzsäure groß genug !) O0. Cohnheim, Zeitschr. f. Biol. 33, 489, 1896; Derselbe u. H. Krieger, ebenda 40, 95, 1900; F. A. Hoffmann, Zentralbl. f. klin. Med. 1889, Nr. 46; 1890, Nr. 29; 10. internat. med. Kongreß 1890, Abteilung 5. — °) A. Cahn und J. v. Mering, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 33, 233, 1886. — °) J. Sjöqvist, -Skandinav. Arch. f. Physiol. 5, 277, 1894; 6, 255, 1895; Zeitschr. f. klin. Med. 32, 451, 1896. — *) F. Penzoldt, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 53, 209, 1893. — >) J. Boas, Zeitschr. f. klin. Med. 25, 285, 1894. — °) F. Langguth, Arch. £. Verdauungskrankheiten 1, 355, 1896 (unter Riegels Leitung). — °) H. Strauss, Berliner klin. Wochenschr. 1896, 8. 385 (ebenfalls aus Riegels Laboratorium). — ®) W.Gmelin, Pflügers Arch. 90, 591, 1902; 103, 618, 1904. — °) O. Cohnheim u. F. Soetbeer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37, 467, 1903. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 35 546 Salzsäure im Magen. ist, noch Salzsäure. In der klinischen Literatur wird die Salzsäure als „freie Salzsäure“, die durch Eiweißkörper, Albumosen usw. neutralisierte, aber in- folge der hydrolytischen Dissoziation beim Titrieren abspaltbare als „gebundene Salzsäure“ bezeichnet. Dabei kann die Neutralisation ebensogut durch ge- löste Albumosen erfolgen wie durch das noch ungelöste Nahrungseiweiß, in das die Salzsäure eindringt. Die starke hydrolytische Dissoziation der salz- _ sauren Eiweiße bringt es mit sich, daß die Salzsäure trotz dieser ihrer Neu- tralisation noch wirkt, sie ermöglicht die Pepsinverdauung und verhindert Bakterienwachstum zwar weniger gut als die nicht neutralisierte, aber doch hinreichend. Denn beim Hunde tritt freie Salzsäure bei Fleischnahrung nicht sofort, sondern erst nach etwa einer Stunde auf und fehlt in dem aus dem Pylorus kommenden, weitgehend verdauten Ohymus ganz); bei Milch- nahrung pflegt sie überhaupt nicht aufzutreten. Beim Menschen tritt nach Penzoldt?) bei Fleischgenuß freie Salzsäure je nach der Menge des Fleisches erst nach ein bis drei Stunden auf, wenn schon ein erheblicher Teil des Fleisches hochgradig peptonisiert den Magen verlassen hatte. Nach dem Genuß von 200 g Beefsteak, 50 g Brot, 400 ccm Bouillon und 200 ccm Wasser sah Kornemann?°) die ablolute Menge der Salzsäure schon nach 15 Minuten ihr Maximum erreichen, „freie Salzsäure“ aber erst nach 60 Minuten auf- treten. Auf mehr als 0,3 Proz. scheint nach Fleischgenuß der Säuregehalt nicht zu steigen ?)t). Bei eiweißarmen Gebäcken, Brötchen, Zwieback, oder bei Getränken ist sie natürlich früher nachweisbar 2). Die Menge der „freien“ und der „gebundenen“ Salzsäure kann also niemals ein exaktes Bild der Sekretion geben. Denn sie hängt ab l. von der Sekretion; 2. von der Eiweißmenge in der Nahrung; 3. von der Schnelligkeit der Entleerung; 4. von der Schnelligkeit und Art der Resorption. Dazu kommt, wie Grützner) betont, die ungleichmäßige Mischung des Magen- inhaltes. (Vgl.S.561 u.567.) Um aber doch einen gewissen Anhalt zu haben, pfiegt man bei Magenuntersuchungen zwei Bestimmungen zu machen). Man gibt entweder das sogenannte Probefrühstück, das aus Tee ohne Milch und Zucker und einem Weißbrötchen besteht. Nach einer Stunde enthält der normale Magen größtenteils verflüssigten Inhalt mit einer Gesamtacidität von 40 bis 60 und 20 bis 40 freier Salzsäure. Oder man gibt die sogenannte „Probemahlzeit“, bestehend aus einem Teller Schleimsuppe, 250g Beefsteak, Kartoffelpüree, einem Brötchen, einem Glas Wasser. Nach drei Stunden soll der fast ganz verflüssigte Mageninhalt eine Gesamtacidität von 70 bis 100 und freie Salzsäure von 20 bis 50 aufweisen. Zur Bestimmung der „Gesamtaeidität“, die also Salzsäure und salzsaures Eiweiß umfaßt, dient häufig Phenolphtalein; wie Cohnheim und Krieger’) und Volhard’°) !) L.Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. — °) F. Penzoldt, Deutsch. Arch. £. klin. Med. 51, 535, 1893. — °) H. Kornemann, Arch. f. Ver- dauungskrankheiten 8, 367, 1902. — *) S. Rotschild, Dissertation, Straßburg 1886. Vgl. auch A. Verhaegen, l.c. — °) P. Grützner, Pflügers Arch. 106, 463, 1905. — °) Die Untersuchungsmethoden der einzelnen Kliniken differieren etwas. Nachfolgende Angaben verdanke ich Herrn Dr. Schütz in Wiesbaden. — 7)O.Cohn- heim u. H.Krieger, Zeitschr. f. Biol. 40, 95, 1900; Münchener med. Wochenschr. 1900, I, 381. — ®) F. Volhard, Münchener med. Wochenschr. 1903, II, 2185. Bestimmung der Salzsäure. 547 gezeigt haben, gibt es zu hohe Werte, weil die Eiweißkörper auf Phenol- phtalein als Säuren wirken. Rosolsäure ist daher vorzuziehen. Von den Indikatoren für „freie Salzsäure“ geben Tropäolin und Phlorogluein-Vanilin, wie erwähnt, richtige Werte, Kongorot dagegen nicht). Da unter pathologischen Bedingungen gelegentlich auch organische Säuren, vorallem Milchsäure, vorkommen können, hat man nach Bestimmungen gesucht, die nur die Salzsäure, nicht aber andere Säuren anzeigen sollten. Von diesen ist theoretisch wichtig die nach Sjöqvist2), bzw. in der Modifi- kation von Salkowski-Fawitzky°); sie besteht darin, daß der Mageninhalt verkohlt und mit überschüssigem kohlensaurem Baryum und Wasser behandelt wird, wobei die der vorhandenen Chloridmenge entsprechende Menge von Baryum in Lösung geht. Die Barytmenge wird dann irgendwie bestimmt. Annähernd richtige Werte liefert die Methode von Oohnheim und Krieger), die darin besteht, daß der Mageninhalt mit phosphorwolframsaurem Kalk ge- fällt und in dem Filtrat mit Rosolsäure titriert wird. Die Differenz der Titriermenge vor und nach der Fällung gibt die „gebundene Salzsäure“. Beide Methoden haben sich nicht eingebürgert, ebensowenig wie die Modi- fikation der Martius-Lüttckeschen Bestimmung von Reissner’). Es scheint neuerdings das Bedürfnis nach einer Salzsäurebestimmung geringer zu sein, seit man weiß, wie selten organische Säuren im Magen vorkommen. Die Salzsäure hat mehrere Funktionen: 1. ist sie für die Pepsinverdauung nötig; davon wird beim Pepsin die Rede sein; 2. hat sie selbst spaltende, hydrolytische Wirkung auf die Kohlehydrate, Stärke und Rohrzucker (siehe S. 556 u. 570); 3. verhindert sie stärkere Bakterienentwickelung im Magen. Im Magen bleiben die Speisen längere Zeit liegen; fetthaltige Nahrung bis zu 12 Stunden und darüber, andere Nahrung aber doch auch einige Stunden, und es müßten daher die Bakterien, die mit der Nahrung eingeführt werden, sich reichlich entwickeln können. Unter normalen Verhältnissen tun sie dies aber zweifellos nicht. Reaumur scheint der erste gewesen zu sein, der die fäulnishemmende Wirkung des Magensaftes beobachtet hat, in neuerer Zeit wurde die desinfizierende Bedeutung der Salzsäure besonders von Bunge#) hervorgehoben. Messungen ihrer bakterieiden Fähigkeiten haben Frau Sieber’), Cohn®) und Hirschfeld?) vorgenommen. Frau Sieber sah die Eiweißfäulnis von Fleisch in einer Salzsäurelösung von 0,1 Proz. 24 Stunden lang, in einer von 0,25 Proz. tagelang ausbleiben. Waren von vornherein viele Bakterien zugegen, so bedurfte es etwas stärkerer Lösungen, um ihre Entwickelung zu unterdrücken. Cohn und Hirschfeld fanden über- einstimmend, daß die Zersetzung des Traubenzuckers durch den Bac. acidi lactici zu Milchsäure durch Salzsäure von 0,01 bis 0,02 Proz. verlangsamt, durch solche von 0,07 bis 0,08 Proz. unterdrückt wird. Derartige Säure- !) 0. Cohnheim, Zeitschr. f. Biol. 33, 489, 1896. — ?) J. Sjöqvist, Zeitschr. f. physiol. Chem. 13, 1, 1889. — ®) A. Fawitzky, Virch. Arch. 123, 129, 1891. — %) l.c. — °) O. Reissner, Zeitschr. £f. klin. Med. 48, 101, 1903. — °) G. v. Bunge, Lehrbuch d. physiol. Chem. Leipzig, Vogel. — 7) N. Sieber, Journ. f. prakt. Chem. 19, 433, 1879. — °) F. O.Cohn, Zeitschr. f. physiol. Chem. 14, 75, 1889. — °) E. Hirschfeld, Pflügers Arch. 47, 510, 1889. 35* 548 Bakterien im Magen. grade aber weist der Magen immer auch trotz der Neutralisation der Salz- säure durch die Eiweißkörper auf!). Höchstens kann es im Innern des Speisebreies, in den der Magensaft nur langsam eindringt, zu einer gewissen Bakterienentwickelung kommen, die aber auch in dem Maße unterbrochen wird, als die Teile verflüssigt und mit der Salzsäure in Berührung gebracht werden. Zu einer Abtötung der Bakterien durch die Salzsäure und im lebenden Magen kommt es bei dem Bac. acidi lactici und den anderen untersuchten Gärungserregern nicht, sie sind vielmehr nach Passieren des Magens bei der alkalischen Reaktion des Darmes wachstumsfähig. Die Salzsäure wirkt nur während des Verweilens der Speisen im Magen, ohne den Darm vor bakte- riellen Invasionen zu schützen?). Doch ist es nach den Erfahrungen mit Cholerainfektion allerdings fraglich, ob das für alle Bakterien gilt, oder ob nicht etwa manche pathogene Keime im Magen abgetötet, vielleicht verdaut werden. Die untersuchten Gärungserreger scheinen gegen Pepsin resistent zu sein, ja Pepsinsalzsäure schädigt sie weniger als reine Salzsäure. Über die Einwirkung des Magensaftes auf Toxine siehe unten S. 557. Werden Nahrungsmittel genossen, die keine Magensaftsekretion machen, wie reiner Zucker, oder ist die Sekretion pathologisch vermindert, so kommt eszu mehr oder weniger starkem Bakterienwachstum im Magen. Dabei macht sich der bekannte Gegensatz der Kohlehydratgärung und der Eiweibfäulnis geltend. Sehr schwache Säuerung begünstigt die Gärung?°), stört aber die Fäulnis; da nun der Magensaft nur sehr selten ganz fehlt, so setzt zunächst Kohlehydratgärung ein und verhindert die Eiweißfäulnis (vgl. S. 662). Im Magen kommt es daher nur bei gänzlichem Salzsäuremangel und bei kohle- hydratarmer Nahrung zur Fäulnis, zur Bildung von Indol*) und Schwefel- wasserstoff #)°). Sonst tritt hauptsächlich Milchsäure auf®), daneben Essig- säure, Kohlensäure und Wasserstoff ”). Zu stärkeren Gärungserscheinungen kommt es indessen nur, wenn sich zu dem Salzsäuremangel noch Stagnation gesellt, wenn also neben der Sekretion auch die Motilität des Magens ge- schädigt ist‘). Das Pepsin. Chemisch hat das Pepsin die gewöhnlichen Eigenschaften eines Fer- mentes. Es wird im Magensaft wie in Extrakten der Magenschleimhaut gewöhnlich mit einem Nucleoproteid vergesellschaftet gefunden; doch wurde schon S. 543 ausgeführt, daß es sich eiweißfrei gewinnen läßt. Brücke erzeugt einen Niederschlag von phosphorsaurem Kalk, Glässner fällt mit Uranylacetat. Beide Niederschläge reißen Pepsin und Eiweiß mit und lassen dann das Ferment in Lösung gehen, während die Eiweißkörper | zurückgehalten werden. $ !) H. Strauss und F. Bialocour, Zeitschr. f. klin Med. 28, 567, 1895. — ”) R. Schütz, Berliner klin. Wochenschr. 1900, Nr. 25; Arch. f. Verdauungskrank- heiten 7, 43, 1901. — °) E. Hirschfeld, Pflügers Arch. 47, 510, 1889. — *) H. Strauss, Berliner klin. Wochenschr. 1896, 8. 385. — °) Dauber, Arch. f. Verdauungskrankheiten 3, 57 und 177, 1898. — °) A. Cahn und J. v. Mering, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 33, 233, 1886. — 7) E. Wissel, Zeitschr. f. physiol. Chem. 21, 234, 1895. — ®) H. Strauss, Zeitschr. f. klin. Med. 26, 514, 1894; 28, 967, 1895. Pepsin und Säure. 549 Das Pepsin verdaut nur in saurer Lösung, am besten in salzsaurer, doch können andere Säuren die Salzsäure vertreten; die Vertretung erfolgt nicht nach dem Grade der Dissoziation!), Praktisch kommt bei Versuchen ge- legentlich die Oxalsäure in Betracht?); auch Schwefelsäure ist verwendet worden®). Das Optimum für das Pepsin ist eine Salzsäurekonzentration von 0,3 bis 0,4 Proz., das ist weniger als im reinen Magensaft; der Magensaft ist also darauf eingerichtet, verdünnt und neutralisiert zu werden*). Doch hat Brücke’) festgestellt, daß nur bei viel Pepsin 0,3 bis 0,4 Proz. Salz- säure das Optimum bildet, daß wenig Pepsin dagegen besser mit verdünnterer Salzsäure wirkt. Es scheint also auf die absoluten Mengenverhältnisse der beiden Körper anzukommen, wie das auch für andere Fermente neuerdings festgestellt ist ®). Das Pepsin verdaut alle Eiweißkörper mit Ausnahme des Keratins und des Fibroins. Bei jeder Spaltung von Eiweißkörpern werden diese bekannt- lich zunächst denaturiert und dann auf dem Wege über eine Reihe von Zwischenprodukten, die Albumosen, Peptone und Peptide, in die Aminosäuren oder wie man sie im Gegensatz zu den noch eiweißartigen Albumosen oder Peptonen nennt, in abiurete oder kristallinische Spaltungsprodukte zerlegt. Es ist nun von Kühne’) festgestellt worden, daß die Pepsinverdauung nicht zu den Aminosäuren führt, sondern daß das Eiweiß nur bis zu Albumosen und Peptonen abgebaut wird. Dieser Kühneschen Feststellung ist im Laufe der Jahre öfter widersprochen, und es sind bei der Verdauung mit Pepsin und Salzsäure kleine Mengen Aminosäuren gefunden worden °). Da indessen zu den meisten Versuchen kein secerniertes Pepsin, sondern Extrakte der Magenschleimhaut gedient haben, und da die Schleimhaut autolytische Fer- mente”) enthält, beweisen die meisten dieser Versuche nichts für die Fähig- keiten des Pepsins. Die einzigen, die mit dem secernierten Pawlowschen Magensafte gearbeitet haben, sind Salaskin !P) und seine Schüler, und sie fanden bei wochenlanger Verdauung in der Tat kleine Mengen von Amino- säuren. Ob diese freilich durch die Pepsinverdauung oder durch protrahierte Säurewirkung auf die Peptone entstanden sind, bleibt dahingestellt. Nach Tobler!!) entstehen bei der normalen Magenverdauung keine Aminosäuren. 2). J. Sjöqvist, Skandinav. Arch. f. Physiol. 5, 277, 1894; A.Wroblewski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 21, 1, 1895; R. Pfleiderer, Pflügers Arch. 66. 605, 1897. — ?) O.Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 451, 1901. — °)L. Lang- Stein, Hofmeisters Beitr. 1, 507; 2, 229, 1902. — *) J. P. Pawlow, Arbeit der Verdauungsdrüsen. — °) E. Brücke, Sitzungsber. d. Wiener Akad.. math. nat. Kl., 37, 131, 1859. — ®) OÖ. Cohnheim, Arch. d. sciences biolog. de St. Petersbourg 11, 112, 1904 (Jubelband für Pawlow); Münchener med. Wochenschr. 1905, I, 479. — 7) W. Kühne, Untersuchungen a. d. physiol. Institut Heidelberg II, 62, 1878; Heidelberger naturhist.-med. Verein (N. F.) I, 236, 1876. — °) Lubavin, Hoppe- Seylers med.-chem. Untersuchungen, 8. 463, 1871; Möhlenfeld, Pflügers Arch. 5, 381, 1872; D. Lawrow, Zeitschr. f. physiol. Chem. 26, 513, 1899; 33, 312, 1901; L. Langstein, Hofmeisters Beitr. 1, 507; 2, 229, 1902. — °) H. Malfatti, Zeitschr. f. physiol. Chem. 31, 43, 1900; E. Zunz, Hofmeisters Beitr. 2, 435, 1902; F. Klug, Pflüsers Arch. 92, 281, 1902; S. Salaskin und K. Kowalewsky, Zeitschr. f. Physiol. Chem. 38, 571, 1903. — !°) S. S. Salaskin,-ebenda 32, 592, 1901; Der- selbe und K. Kowalewsky, ebenda 38, 567, 1903; S.S.Salaskin und S. Dzierz- gowsky, Zentralbl. f. Phys. 15, 249, 1901. — '') L. Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. 550 Eiweißverdauung durch Pepsin. Das Pepsin vermag also die Verkoppelung der Aminosäuren als Säureamide nicht oder schwer anzugreifen, die Zusammenfügung der so gebildeten Körper zu großen Komplexen aber leicht zu lösen. Nach E. Fischer und Abder- halden!) werden denn auch von reinem Magensaft die synthetisch gewon- nenen Polypeptide Glycyl-I-tyrosin, Dialanyleystin, Leucylalanin, Leucylelycin und Leucylleuein nicht gespalten. | Die Zwischenprodukte zwischen dem ursprünglichen Eiweiß und den Aminosäuren teilt man ein in?): 1. Albumosen. Sie sind Körper von noch sehr hohem Molekulargewicht, die noch den größten Teil der Spaltungsprodukte des Eiweiß enthalten und die meisten der Eiweißreaktionen geben. Sie werden alle durch Ammon- sulfat und Zinksulfat, zum Teil auch durch andere Salze ausgesalzen. Ihre 3ildung aus dem Eiweiß erfolgt in mehreren Stufen, ihre Einteilung wird auf Grund ihrer Aussalzbarkeit durch Ammonsulfat von verschiedener Kon- zentration oder durch andere Salze vorgenommen; die einzelnen so er- haltenen Albumosen sind aber nicht oder nur zum kleinsten Teile chemische Individuen. 2. Peptone. Sie haben nur noch einen Teil der chemischen Eigenschaften des Eiweiß, ihr Molekulargewicht ist viel kleiner, ihre Löslichkeit größer, ihre Fällbarkeit geringer als die der Albumosen. Auch von ihnen sind kaum einige in reinem Zustande bekannt. 3. Peptide. Sie unterscheiden sich von den Peptonen durch den Mangel der Biuretreaktion und werden als Übergang zu den synthetischen Peptiden angesehen, die E. Fischer und Curtius aus der Vereinigung mehrerer Aminosäuren darstellten. Sie sind nicht genauer chemisch untersucht und lassen sich nicht von den Peptonen trennen. Die Spaltung des Eiweiß durch die Pepsinsalzsäure beginnt damit, daß gelöste Eiweiße zunächst denaturiert, ungelöste, schon denaturierte in Lösung gebracht werden. In der Lösung ist in beiden Fällen anfangs viel Acid- albumin, d. h. einfach gelöstes Eiweiß, dann überwiegend Albumosen vor- handen. Später treten die Albumosen immer mehr zurück, und an ihrer Stelle findet man Peptone und Peptide. Doch treten Peptone und Peptide auch schon früh, zur gleichen Zeit wie die Albumosen auf. Worauf dieser verschieden schnelle Zerfall des Eiweiß beruht, ist heute noch nicht zu sagen. Es kann sich entweder um Loslösung kleiner, lockerer angehefteter Komplexe von einem größeren, festen Kern handeln, der allmählich zerfällt, oder es kann das Eiweißmolekül in eine Reihe größerer Bruchstücke von ver- schiedener Resistenz zerfallen3). Jedenfalls ist das sicher, daß die Eiweib- körper bei der Pepsinverdauung wie bei allen Spaltungen allmählich zerlegt werden, und daß man gleichzeitig die letzten Abbauprodukte neben unver- | ändertem Eiweiß trifft. Wie Tobler®) für den Hund bei Fleischfütterung | gefunden hat, verläßt das Eiweiß den Magen in allen Stufen des Abbaues. | Die größere Hälfte erreicht den Darm als Pepton (50 bis 57 Proz.), ein Bruch- | ») E. Fischer und E. Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 46, 57, | 1905. — ?) Näheres über die Eigenschaften dieser Körper siehe O. Cohnheim, | Chemie der Eiweißkörper, 8.87, Braunschweig 1904. — °) Vgl. Derselbe, ebenda | S. 69. — *) L. Tobler, l.c. Eiweißspaltung durch Pepsin. “a teil als Albumosen (11 bis 14 Proz.), daneben aber wird immer auch ungelöstes Eiweiß aus dem Magen entlassen (30 bis 34 Proz.), siehe unten 8.569. Wenn Fibrin, Muskelfleisch und einige andere Eiweißkörper in Salzsäure gebracht werden, so quellen sie stark auf, und nur in diesem gequollenen Zustande sind sie der Pepsinwirkung zugänglich. Die Quellung und damit auch die Verdauung wird durch Neutralsalze gehemmt, bei größerer Kon- zentration aufgehoben !), was beim Arbeiten mit salzhaltigen Pepsinpräparaten sehr zu berücksichtigen ist (vgl. z. B. S.533). Das Pepsin verdaut am besten bei etwa 39°C, doch ist selbst bei 0° eine Wirkung vorhanden?). Durch Erwärmen wird es in reinem Zustande schon bei 55 bis 58° zerstört, die Gegenwart von Salzen, Säuren und besonders Albumosen und anderen Eiweißkörpern schützt aber das Pepsin gegen Tem- peraturerhöhung und es wird dann erst bei 60 bis 70° zerstört®). Das Pepsinogen des Frosches leidet schon bei 38°). Doch ist das Pepsin selbst in reinem Magensaft wenig haltbar: bei Körpertemperatur wird es in wenig Tagen, bei Zimmertemperatur in zwei bis drei Wochen zerstört). Sehr empfindlich ist es gegen Alkalien, durch die es in wenigen Sekunden ver- nichtet wird®). Selbst gegen Magnesium- und Calciumkarbonat ist es empfindlich, so daß Pawlow’) zur Neutralisation von Magensaft Baryum- karbonat empfiehlt. Eine wirkliche Bestimmung des Pepsins ist wie bei allen Fermenten un- möglich; nur seine Wirkung kann man erkennen, und man hat dazu die Abnahme des koagulierbaren oder des ungelösten Eiweiß, die Zunahme des gelösten Stickstoffs, die Intensität der Biuretreaktion im Filtrat, die Schnellig- keit der Verflüssigung von Fibrin und anderes benutzt. Spriggs°’) mab die Abnahme der Viskosität von Eiweiblösungen bei der Verdauung, Volhard?) verdaute Kasein, fällte es mit Natriumsulfat und schloß aus der Salzsäure- menge, die an das Kasein gebunden blieb, also nicht mehr im Filtrat war, auf die Menge des unverdauten Kaseins. Sehr vielfach angewendet wurde in letzter Zeit die Methode von Mett, die durch die Autorität des Pawlow- schen Laboratoriums !?) gestützt wurde. Sie besteht darin, daß Hühnereiweib in dünne Glasröhren gesaugt und durch Eintauchen in 95°C warmes Wasser koaguliert wird. Von diesen Röhren werden Stückchen abgeschnitten und in die zu untersuchende Lösung getan. Nach zehn Stunden wird abgelesen, wieviel Millimeter von der Eiweißsäule verdaut sind. Der Vorteil der Methode !) P. Grützner, Pflügers Arch. 12, 285, 1876; A. Schmidt, ebenda 13, 93, 1376; K. Mays, Untersuchungen des physiol. Instituts Heidelberg 3, 378, 1880; R. Pfleiderer, Pflügers Arch. 66, 605, 1897; F. Umber, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 258, 1898; M. Bönniger, Münchener med. Wochenschr. 1904, I, 53. — *) M. Flaum, Zeitschr. f. Biol. 28, 443, 1891. — °) E. Biernacki, ebenda 28, 49, 1891. — *) J. N. Langley, Journ. of Physiol. 3, 269, 1882. — °) J. P. Pawlow, Arbeit der Verdauungsdrüsen. — °) J. N. Langley, "Journ. of Physiol. 3, 246, 1882; 7, 371, 1886. — 7?) J. P.-Pawlow u. $. W. Parastschuk, Zeitschr. f. physiol. Chem. 42, 415, 1904. — ®) E.I. Spriggs, ebenda 35, 465, 1902. — _°®) F.Volhard, Münch. med. Wochenschr. 1903, II, 2129; W. Löhlein, Hofmeisters Beitr. 7, 120. — !°) J.P.Pawlow, Arbeit der Verdauungsdrüsen, 8. 31; A. Ssamoj- low, Arch. des science. biol de St. Petersbourg 2, 699; S. Mett, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1894, 8.58; vgl. auch R.Schorlemmer, Arch. f. Verdauungskrankh. 8, 299, 1902. j a2 Bestimmung des Pepsins. besteht darin, daß die Ergebnisse in Zahlen ausdrückbar sind, und daß ein relativ schwer verdauliches Eiweiß genommen wird, so daß die Unterschiede deutlicher hervortreten als bei dem sehr leicht verdaulichen Fibrin. Der Nachteil ist die Stagnation der Flüssigkeit in dem Röhrchen, so daß also bei viel Pepsin, das eine lange Eiweißsäule verdaut, die Bedingungen der Wirkung sich zunehmend verschlechtern !)?). Besonders bei der Prüfung von wenig flüssigem Mageninhalt kommt das in Betracht !). Bequem und wohl nicht ungenauer als die Mettsche Methode ist die von Grützner?)°): er färbt Fibrin mit Karmin, das weder in wässeriger, noch in salzsaurer Lösung ausgezogen wird, sondern nur in Lösung geht, wenn das Fibrin sich auflöst. Der Grad der Rotfärbung der Flüssigkeit gibt einen Mabstab für die Intensität der Pepsinwirkung. Der Vorteil ist die Schnellig- keit der Ablesung, bevor erhebliche Mengen Verdauungsprodukte in Lösung gehen, nachteilig ist die bei hohem Pepsingehalt allzu leichte Verdaulichkeit des Fibrins. Beide Methoden geben also bessere Resultate, wenn die Pepsin- mengen klein sind, und erfordern daher unter Umständen eine Verdünnung der Lösungen, die zu Bedenken Anlaß geben kann. Beide Methoden sind innerhalb einer Reihe, bei vergleichenden Versuchen, wie die vielen mit ihnen gewonnenen Resultate zeigen, sehr gut verwendbar. Nur dürfen mit Aus- nahme des Pepsingehaltes keine anderen Bedingungen variiert werden. Denn es ist ja oben schon auseinandergesetzt, daß die Pepsinwirkung von der absoluten und relativen Menge der Salzsäure abhängt, und daß die Ver- dauungsprodukte des Eiweiß die Salzsäure neutralisieren. Die Salzsäure- menge ändert sich daher im Laufe eines Versuches fortwährend und wird auch wegen der starken hydrolytischen Dissoziation der Eiweißsalze durch Salzsäurezusatz oder Verdünnen in wechselndem Maße beeinflußt. Aus diesen Gründen ist auch für die Feststellung von Gesetzmäßigkeiten der Ferment- wirkungen das Pepsin von allen Fermenten denkbar ungeeignet, und die sog. Schütz-Borissowsche !) Regel, daß die Wirkung des Pepsins proportional der Quadratwurzel seiner Menge zunehme, vermag einer Kritik nicht stand- zuhalten °). Mittels der Mettschen Methode sind meist die Bestimmungen des Pepsins in Magensäften, die auf verschiedenen Reiz abgesondert werden, gemacht worden. Es sei hierfür wieder auf Pawlows Darstellung verwiesen. Die von Umber und Bickel (siehe oben S. 535) gewonnenen Resultate am Menschen stimmen mit denen Pawlows am Hunde gut überein. Das Pepsin ist, wie Grützner und Ebstein‘) gefunden haben und Langley’) bestätigte, in den Drüsen nicht als solches vorhanden, sondern in einer unwirksamen Vorstufe, dem sog. Pepsinogen. Von dem fertigen Pepsin unterscheidet es sich durch seine geringere Resistenz gegen Kohlen- ı) E. Nirenstein u. A. Schiff, Berl. klin. Wochenschr. 1903, S. 268. — ?®) P. Grützner, Pflügers Arch. 106, 463, 1905. — °) Derselbe, ebenda 8, 452, 1874; auch A. Korn, Tübinger Dissert. 1902. — *) E. Schütz, Zeitschr. f. physiol. Chem. 9, 577, 1885; Borissow, zitiert bei Pawlow; J. Schütz, Zeitschr. E. physiol. Chem. 30, 1, 1900; E. Schütz und Huppert, Pflügers Arch. 80, 470, 1900. — °) P. Grützner, Pflügers Arch. 106, 463, 1905. — °) W. Ebstein u. P. Grützner, ebenda 8, 122, 1874. — 7) J. N. Langley u. J. S. Edkins, Journ. of Physiol. 7, 371, 1886. Pepsin. bei Föten. — Labferment. 553 säure, vor allem aber durch seine Resistenz gegen Alkali, wodurch das Pepsin in wenigen Sekunden, das Pepsinogen gar nicht zerstört wird. Durch Alkohol wird es ebenso wie das Pepsin geschädigt, ebenso durch Trypsin, Galle und Papayotin zerstört!). Glässner!) konnte das Pepsinogen durch Uranylacetat eiweißfrei erhalten. Das Pepsinogen wird durch Salzsäure momentan in Pepsin übergeführt 2) '). Worin diese Umwandlung besteht, ist unbekannt, nur das ist sicher, daß die einmal eingetretene Umwandlung auch durch Entfernung der Salzsäure nicht rückgängig zu machen ist; es kann sich also nicht um Zusammenwirken zweier Körper, sondern es muß sich um Umwandlung eines Körpers in einen anderen durch einen dritten handeln. Was das Auftreten des Pepsins anlangt, so fehlt es bei neugeborenen Hunden 3)*)’) ganz, bei Menschen), Kaninchen?) und Kälbern’) ist eine gewisse Pepsinmenge schon bei der Geburt, ja auch schon während des Fötal- lebens°) vorhanden. Hartog”) fand in sich furchenden Froscheiern ein peptisches Ferment, das aber freilich nichts mit dem Magenpepsin zu tun zu haben braucht. Es ist schon lange bekannt, daß der Harn Pepsin enthält, und es ist von Frouin!‘) und von Matthes!!) der Beweis erbracht worden, daß dieses Pepsin aus dem Magen stammt und in ihm resorbiert wird. Ob dagegen die in anderen Organen gefundenen proteolytischen Fermente etwas mit dem Pepsin zu tun haben, ist unbekannt. Das Labferment. Die altbekannte Eigenschaft des Magensaftes und der Magenschleimhaut, das Kasein der Milch zum Gerinnen zu bringen, ist von Hammarsten?) auf ein besonderes Ferment zurückgeführt worden, das er Labferment nennt, und über dessen Eigenschaften und Wirkungsart sich seitdem eine Riesen- literatur angesammelt hat. Es wirkt bei saurer und neutraler Reaktion, bei saurer besser, doch ist seine Wirkung dann schwer festzustellen, da Säuren allein das Kasein fällen. Durch Alkali wird es, gerade wie das Pepsin, zerstört 13), seine Vorstufe, das Prochymosin, ist dagegen gegen Alkali be- ständig 12)14) und wird, wie das Pepsinogen, durch Säuren in das fertige Chymosin oder Lab umgewandelt. Zur Labgerinnung ist, wie Hammarsten, I) K. Glässner, Hofmeisters Beitr. 1, 1, 1901. — ?) J. N. Langley und J. S. Edkins, Journ. of Physiol. 7, 371, 1886. — °) O0. Hammarsten, Festschr. f. Ludwig 1875. — *) W. Gmelin, Pflügers Arch. 90, 590, 1902. — °) O. Cohn- heim u. Fr. Soetbeer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37, 467, 1903. — °) P. Zweifel, Untersuch. über den Verdauungsapparat Neugeborener, Berlin 1574. Auch eigene Beobachtung. — 7) Alex. Schmidt, Pflügers Arch. 13, 93, 1876. — °) O. Langen- dorff, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879, 8.95; Fr. Krüger, Verdauungselemente beim Embryo und Neugeborenen, Wiesbaden 1891. — °) M. Hartog, Journ. of Physiol. 31, XLVII, 1904. — !°) A. Frouin, Compt. rend. de la soc. de biol. 56, 204, 1904. — !!) M. Matthes, Arch. f. experim. Pathol. 49, 107, 1904. — =) ©. Hammarsten, Malys J. B. f. Tierchem. 2, 118, 1872; Kgl. Ges. der Wissenschaften zu Upsala 1877; Zeitschr. f. physiol. Chem. 22, 103, 1896. — =) J.N.Langley, Journ. of Physiol. 3, 246, 1882. — '*) K. Glässner, Hofmeisters Beitr. 1, 1, 1901. 554 Labferment. Halliburton!), Ringer?), Arthus°), Söldner?) und Courant’) fest- gestellt haben, die Anwesenheit von Kalk erforderlich; worin sonst die Um- wandlung des Kaseins, bzw. Kaseincaleiums in einen unlöslichen Körper besteht, ist unbekannt. Neutralsalze hemmen nach Hammarsten, Alex. Schmidt*) und Pfleiderer’), vielleicht aber nur durch Wirkung auf die Säure. Es wurde seit Hammarsten allgemein angenommen, daß das Labferment im Magen der Säugetiere die Funktion besitze, das Milchkasein zu koagulieren und die Milch so zur Verdauung vorzubereiten. Indessen mußten allmählich. Bedenken kommen. Lindemann°) und Zuntz?’) konnten keinen Unter- schied in der Verdauung von gelabter und ungelabter Milch entdecken. Wie Hammarsten !P) !1)12) zuerst gefunden hat, fehlt im Magen saugender Tiere, d. h. gerade während der Zeit der ausschließlichen Milchverdauung, das Lab (Hund) oder ist wenigstens in viel geringerer Menge [Mensch 10) 13), Kalb 1%) Kaninchen '!0)] vorhanden als beim Erwachsenen, während sonst die strenge Abhängigkeit der Verdauungsfermente von dem Bedarf die Regel ist. Dann wurde von Heidenhain!’) und Grützner !®) mit chemischen und histolo- gischen Methoden ein vollkommener Parallelismus zwischen Lab und Pepsin gefunden, und endlich wurde festgestellt, daß alle proteolytischen Fermente aller Organe!”), aller Tiere!) und der Pflanzen!”) Milch gerinnen lassen. Eine Funktion des Labferments außer der Milchgerinnung aber wurde nicht gefunden 2°). Es wirkte deshalb förmlich befreiend, als Pawlow ?!) kürzlich die Existenz eines besonderen Labferments bestritt. Nach seiner Auffassung handelt es sich nur um eine allen proteolytischen Enzymen zukommende Eigenschaft, Kasein zu koagulieren, wie dies feinverteilte Substanzen und alle möglichen chemischen und physikalischen Eingriffe auch tun. Die | früheren Angaben von Hammarsten und Glässner ??) über die Isolierung beider Fermente konnte Pawlow widerlegen und zeigen, daß es mit keinen Mitteln gelingt, Pepsin und Lab auch nur teilweise voneinander zu trennen. Selbstverständlich ist das kein ganz zwingender Beweis, aber er macht in !) W. D. Halliburton, Journ. of Physiol. 11, 448, 1890. — ?) S. Ringer, ebenda 12, 164, 1891. — °) M. Arthus, Arch de physiol. norm. et pathol. 1893, p. 673; 1894, p. 257. — *) F. Söldner, Diss. Erlangen 1888. — °) G. Cou- rant, Pflügers Arch. 50, 109, 1891. — °) Alex. Schmidt, ebenda 13, 93, 1876. — ”) R. Pfleiderer, ebenda 66, 605, 1897. — ®) W. Lindemann, Virchows Arch. 149, 51, 1897. — °) N. Zuntz, Arch. f: (Anat. u.) Physiol. 1900, S. 362. == ') 0. Hammarsten, Festschrift für Ludwig, 1875. — !!) O0. Cohnheim und F. Soetbeer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37, 467, 1903. — '”) W. Gmelin, Pflügers Arch. 90, 590, 1902. — '*) P. Zweifel, Untersuchungen über den Verdauungs- apparat Neugeborener, Berlin 1874. — ) A. Schmidt, Pflügers Arch. 13, 9, 1876. — '’) R.Heidenhain, Hermanns Handbuch V\, 1, 123 ff. — !*) P. Grützner, Pflügers Arch. 16, 105, 1878. — '’”) W. Kühne, Heidelberger Naturh.-med. Verein (N. F.) 1 (4), 1876;- W.D. Halliburton and F. G. Brodie, Journ. of Physiol. 20, 97, 1896; A. Löb, Zentralbl. f. Bakteriol. 32 (1), 471, 1902; A. Edmunds, Journ. of Physiol. 19, 466, 1896; A. Nürnberg, Hofmeisters Beitr. 4, 543, 1903. — '*) OÖ. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 396, 1902; R. Kobert, Pflügers Arch. 99, 116, 1903. — !?) R. Neumeister, Lehrbuch der physiol. Chem., Jena 1897, 8. 139 u. 179. — °°) Derselbe, ebenda, Jena 1897, 8. 139 u. 179. Eigene | Beobachtungen. — °!) J. P. Pawlow u. 8. W. Parastschuk, Helsingforser Naturforscherversammlung 1902; Zeitschr. f. physiol. Chem. 42, 415, 1904. — ””) K. Glässner, Hofmeisters Beitr. 1, 1, 1901; 1, 24, 1901. - Plastein. 555 Verbindung mit der biologischen Unverständlichkeit der Labwirkung es doch sehr wahrscheinlich, daß die Fähigkeit, Milch zu koagulieren, keinem beson- deren Ferment zukommt, sondern eine vermutlich bedeutungslose Eigenschaft aller proteolytischen Fermente ist. Die Plasteinbildung. Kühne!) hat beobachtet, daß in peptischen Verdauungslösungen teils spontan, teils auf Zusatz von Pankreasextrakt ein Niederschlag entsteht, den er Antialbumid nannte. Umber?) sah dasselbe, wenn er unreines Pepsin verwandte. Beide sehen in dem Niederschlag einen noch wenig verdauten Anteil des Eiweiß. Später beobachteten Danilewski und seine Schüler Okunew°), Lawrow), Sawjalow°) und Kurajeff®) die Entstehung des Niederschlages, wenn sie Labferment, d. h. das Extrakt der Magenschleim- haut zu einer peptischen Verdauungslösung setzten. Sie nennen den Nieder- schlag Plastein, halten ihn für Eiweiß, das aus den Albumosen regeneriert wird, und schreiben dem Vorgang daher die größte physiologische Bedeutung zu. Die Eigenschaft, Plastein zu bilden, sollte entweder dem Pepsin zu- kommen, das neben seiner spaltenden auch die umgekehrte Funktion aus- üben könne, oder dem Lab, dessen eigentliche Bedeutung hiermit gefunden se. Auch Pankreasextrakte und autolytische Fermente bewirken solche Niederschläge ‘). Später zeigten Lawrow und Salaskin‘), daß dieselben Niederschläge nicht nur durch die Extrakte, sondern auch durch die reinen Sekrete von Magen, Pankreas und Dünndarm hervorgerufen werden, und daß der Niederschlag jedenfalls kein Eiweiß ist. Bayer’) stellte fest, dab er auch keine Albumose, sondern ein unbekannter Körper ganz anderer Art ist, dem die Albumosen nur beigemengt sind. Um eine Eiweißregeneration handelt es sich also keinesfalls, es ist aber weder bekannt, welche Substanz die Fällung bewirkt, noch welche ausgefällt wird. Das fettspaltende Ferment des Magens. Volhard!°P) hat vor einigen Jahren im Mageninhalt ein Ferment be- schrieben, das Neutralfette in Glycerin und Fettsäuren zerlegt, also gerade sc wirkt wie das längst bekannte Steapsin des Pankreas. Es spaltet nur emul- giertes Fett und es wirkt am besten bei schwach saurer oder neutraler Re- aktion; durch Alkali wird es zerstört, ebenso aber auch durch stärker saure Reaktion. Volhard weist darauf hin, daß nach Pawlow Fettnahrung reflek- torisch die Magensaftsekretion vermindert. Es kann nach diesen Befunden Volhards keinem Zweifel unterliegen, daß im Mageninhalt ein starkes, Fette 2) W. Kühne u. R. H. Chittenden, Zeitschr. f. Biol. 19, 159. (1883). — °) F. Umber, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 258, 1898. —-°®) Okunew, Diss. St. Petersburg, Malys Jahresber. 1895, S. 271. — *) Lawrow, Diss. St. Petersburg, zit. nach Sawjalow. — °) W. W. Sawjalow, Pflügers Arch. 85, 171, 1901. — ©) D. Kurajeff, Hofmeisters Beitr. 1, 112, 1901. — .?’) A. Nürnberg, ebenda 4, 543, 1903. — ®) Maria Lawrow u. S. S. Salaskin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 277, 1902. — °) H. Bayer, Hofmeisters Beitr. 4, 554, 1903. — '°) F.Volhard, Münch. med. Wochenschr. 1900, I, S. 141 u. 195; Zeitschr. f. klin. Med. 42, 414; 43, 397, 1901; Malys Jahresber. f. Tierchemie 32, 400, 1902; W. Stade, Hof- meisters Beitr. 3, 291, 1902 (auch Gießener Dissert. 1902); A. Zinsser, ebenda X, 31, 1905; A. Fromme, ebenda 7, 51, 1905. 556 Wirkung des Macensaftes auf Fett und Zucker. spaltendes Ferment vorhanden ist, nur seine Sekretion durch die Drüsen des Magens ist nicht festgestellt. Pawlow!) hat nämlich gefunden, daß nach Einführung von Öl in den Magen das Öl nur sehr langsam entleert wird, daß aber trotzdem der Pylorus offen bleibt, so daß nun Pankreassekret und Galle in den Magen gelangen können. Das fettspaltende Ferment im Magen ist nach Meyer?) u. Winternitz Pankreassteapsin. Die Befunde von Sand- meyer?) und Rosenberg), die nach Pankreasexstirpation eine relativ gute Fettausnutzung sahen, sprechen allerdings sehr für ein zweites fettspaltendes Ferment im Organismus neben dem Steapsin des Pankreas. Aber Pawlow und Boldireff°) haben ein solches auch im Sekret des Dünndarmes ge- funden. Die Bildung eines Fettfermentes durch den Magen ist also nicht bewiesen wenn auch durchaus möglich. Die Wirkung des Magensaftes auf Kohlehydrate. Der Magensaft des Menschen und des Hundes enthält keine auf Kohle- hydrate einwirkenden Fermente, da die von Friedenthal‘) beobachtete Wirkung des Hundemagensaftes auf Stärke wohl sicher der Salzsäure allein zugeschrieben werden muß. Daß Hundemagensaft kein Invertin enthält, haben Lusk?) und Widdicombe‘) gezeigt. Der Schweinemagen secerniert dagegen nach Ellenberger*) und seinen Schülern !%) Ptyalin. Daß im Magen durch das Speichelptyalin und durch die Salzsäure eine weitgehende Verdauung von Stärke und Rohrzucker vor sich geht, davon wird 8.570 die Rede sein. Die Wirkung des Magensaftes auf Nucleoproteide und Hämoglobin. Wenn die Nucleoproteide der Kerne mit künstlichem Magensaft be- handelt werden, so geht das Eiweiß unter Peptonisierung in Lösung, die Nucleinsäure aber fällt aus!!). Meist ist die Nucleinsäure dabei nicht rein, sondern enthält noch Eiweiß, und dies Gemenge oder diese Verbindung wird seit Miescher'!2) als Nuclein bezeichnet. Doch haben Milroy !3) und Umber !#) gezeigt, daß nicht alle Nucleinsäure durch Magensaft gefällt wird, sondern daß ein Teil auch in Lösung geht. Der größte Teil der charakteristischen Bestandteile des Zellkernes ist also jedenfalls im Magensaft unlöslich. (Vgl. auch 8.588.) Auch in den phosphorhaltigen, sogenannten Nucleoalbuminen, vor allem dem Kasein, ruft Pepsinsalzsäure einen phosphorreichen Nieder- schlag hervor, das sogenannte Paranuclein. Ebenso wird das Hämoglobin durch Pepsinsalzsäure zerlegt, das gebildete Globin rasch verdaut und das Hämatin als unlöslicher Nieder- | schlag abgeschieden !t). )) W. Boldireff, Zentralbl. f. Physiol. 18, 457, 1904. — ?°) E. Meyer, 22. Kongr. f. innere Med. 1905; Winternitz, ebenda. — ®) W. Sandmeyer, Zeitschr. f. Biol. 31, 12, 1895. — *) S. Rosenberg, Pflügers Arch. 70, 371, 1898. — 5) Boldireff, l.e., 8.829. — °) H. Friedenthal, Arch. f. (Anat. u.) ‚Physiol. 1899, Suppl. S. 383. — 7) G. Lusk, Americ. Journ. of Physiol. 10, XX, 19047 8) J. H. Widdieombe, Journ. of Physiol. 28, 175, 1902. — °) Ellenberger u. Hofmeister, Arch. f. (Anat. u.) Phys. 1889, $. 187. — !°) F. Bengen und G. Haane, Pflügers Arch. 106, 267 u. 287, 1905. — ) F. Miescher, ‚Hoppe- Seylers med.-chem. Untersuch., 8. 441, 1871. — ') T. H. Milroy, Zeitschr. £. physiol. Chem. 22, 307, 1896. — "?) F. Umber, Zeitschr. f. klin. Med. 43, Hs u. 4 (1901). — "') R. v. Zeynek, Zeitschr. f. physiol. Chem. 30, 126, 1900. Wirkung des Magensaftes auf Toxine, — Menge des Magensaftes. Die Wirkung des Magensaftes auf Toxine. Nencki!) und seine Mitarbeiter haben gefunden, daß Magensaft, wie andere Verdauungssäfte, im hohen Maße die Fähigkeit besitzen, bakterielle und pflanzliche Toxine zu entgiften. Der Magensaft zerstört besonders die Giftwirkung von Tetanustoxin und Abrin, gegen Diphtherietoxin erwies er sich weniger wirksam, während Pankreassaft umgekehrt Diphtherietoxin am stärksten beeinflußt. Am wirksamsten erwies sich die Kombination von Pankreassaft und Galle. Auch Darmsaft und Darmextrakte erwiesen sich als wirksam, wenn auch schwächer. Speichel ist unwirksam. Die Versuche sind nicht mit Organextrakten, sondern mit den reinen, Pawlowschen Sekreten angestellt worden. Um eine Antitoxinwirkung handelt es sich nicht, sondern vermutlich um eine Umwandlung der Toxine in Toxoide. Die Wirkung kommt den Organen schon im Säuglingsalter zu ?). Die Menge des Magensaftes. Exakte Daten über die Menge des secernierten Magensaftes sind erst in letzter Zeit gewonnen worden, da das Nebeneinander von Sekretion und Ab- fuhr durch den Pylorus besondere Versuchsanordnungen erfordert. Am „kleinen Magen“ des Hundes beobachtete Pawlow°) auf je 100g Fleisch etwa 25 ccm, der große Magen muß also beträchtlich mehr secerniert haben. Tobler*) sah auf 100g Fleisch 300 bis 400g aus dem Pylorus kommen, ‚also eine Sekretion von mindestens 200 bis 300 cem; auf 300cem Milch wurden 300 ccm Magensaft secerniert. Moritz’) sah auf 197g Fleisch eine Sekretion von 375, auf 350 ccm Milch eine solche von 150cem. Beim Menschen fand Moritz‘) nach dem Genuß von 500ccm dickflüssiger Suppe bis zu 277 cem, nach dem Genub von 500g Milch, Gries- und Milchbrei bis zu 220 cem Magensaft im Magen. Da die Entleerung zweifellos schon vorher begonnen hatte und die Sekretion noch nicht beendet war, so müssen die wirklich abgesonderten Mengen noch bedeutend größer sein. Pfaundler®) bestimmte bei Aufnahme der „Probe- mahlzeit“ (250 g Bouillon, 250 g Wasser, 75 g Weißbrot, 130 g Fleisch, 260 g Kartoffelpüree) eine Sekretion von 600 ccm mit 2g Salzsäure und berechnet den vom Menschen in 24 Stunden secernierten Magensaft auf 1500 ccm mit 5g Salzsäure. Wenn die letzteren Zahlen auch nur ungefähre sind, und wenn sie auch individuell je nach der Nahrung stark schwanken, so zeigen sie doch die Größe der Magensaftsekretion. Pfaundlers letzte Zahl ergibt, daß die Hälfte des im Blutserum enthaltenen Wassers und nahezu die Hälfte des Chlors im Tage den Magen passieren. Rechnet man die Verdauungs- sekrete Speichel’), Magensaft, Pankreassaft °), Galle”) und Darmsaft 1°) zu- sammen, so ergibt sich, daß erheblich mehr als die im Blutserum enthaltene ') M. Nencki, Arch. f. Verdauungskrankh. 4, 382, 1898; Derselbe, N. Sieber u. E. Schoumow-Simanowski, Zentralbl. f. Bakteriologie I. Abt. 23, 840, 1898; N. Sieber u. E.Schoumow-Simanowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 244, 1902. — °) G. v. Zaremba, Arch. f.. Verdauungskrankh. 6, 403, 1900. — RIRUBE Pawlow, Arbeit der Verdauungsdrüsen, S. 26. Vgl. im übrigen Pawlows Dar- stellung. — *) L. Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. — °) F..Moritz, Zeitschr. f. Biol. 42, 565, 1901. — °) M. Pfaundler, D. Arch. f. klin. Med. 65, 255, 1900. — 7) Vgl. 8.524. — °) Vgl. 8.574. — °) Vgl. 8.589. — ') Vgl. S.593. 358 Mence des Magensaftes. — Pylorussekret. Wassermenge im Laufe eines Tages von den Verdauungsorganen secerniert und wieder resorbiert wird. Ein Zeichen für die wundervollen Regulations- einrichtungen des Körpers! — Beim Pferde fanden Ellenberger und Hof- meister!) und Goldschmidt?) in den Verdauungsorganen 30 bis 40 Liter, im Magen allein bis zu 1 Liter secernierte Flüssigkeit. " Das Pylorussekret. Die Drüsen des isolierten Pylorusteiles des Magens secernieren, wie Klemensiewicz, Heidenhain°), Pawlow, Akerman#), Kresteff°) und Frouin‘‘) gefunden haben, einen sehr mucinreichen, zähen, glasklaren alka- lischen, pepsinhaltigen Saft. Die Menge beträgt nur wenige Cubikcenti- meter pro Stunde. Betreflfs der Sekretion usw. sei auf Pawlows Darstellung verwiesen. Das secernierte Pepsin unterscheidet sich nicht von dem des übrigen Magens, nur ist es in geringerer Menge vorhanden. Untersucht man dagegen die Extrakte der Pylorusschleimhaut, so tritt neben der kleineren Pepsinmenge das autolytische Ferment der Schleimhaut stark hervor: wie Klug”) und Pawlow’‘) gezeigt haben, ist das sogenannte „Pseudopepsin“ von Glässner ’) nichts als das Gemenge von Pepsin mit dem autolytischen Ferment. Die Magensaftsekretion der Pflanzenfresser haben Bickel!?) und Grosser !!) untersucht, die einer Ziege einen kleinen Magen anlegten. Der Magensaft war verdünnter als der des Hundes und floß kontinuierlich, wenn auch zur Zeit der Fütterung viel stärker. Da der Verdauungskanal der Wiederkäuer außer nach sehr langen Hungern immer noch Speisereste ent- hält, bedeutet das wohl keine abweichende Art der Innervation. Bemerkens- wert ist dagegen, daß bei geringer Nahrungsmenge der Magensaft alkalisch reagieren kann. Von den Besonderheiten der Wiederkäuerverdauung wird S.632 im Zusammenhang die Rede sein. Der Mageninhalt des Kaninchens erhält dadurch ein eigentümliches Gepräge, daß die Tiere häufig ihren Kot fressen 12). Die Magenverdauung der Vögel ist von Grützner und Paira- Mall13) bearbeitet worden. Die Sekretion und die chemische Verdauung verläuft nicht anders als bei den Säugetieren. Nur kommt bei den körner- fressenden Vögeln noch der Muskelmagen hinzu, der eine kräftige Musku- latur und an seiner Innenwand eine Hornschicht !*) besitzt, und der gewaltiger mechanischer Kraftleistungen fähig ist. Die Magenverdauung der Haifische hat Weinland !’) erforscht; am bemerkenswertesten ist auch bei ihnen das zeitweise Auftreten alkalıscher Reaktion. !) Ellenberger u. Hofmeister, Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, '497, 1887. — ”) H. Goldschmidt, ebenda 11, 428, 1887. — *) R. Heidenhain, Pflügers Arch. 18, 169, 1878; 19, 156, 1878. — *) J. H. Akerman, Skandinav. Arch Physiol. 5, 134, 1895. — °) 8. Kresteff, Diss. Genf 1899; Zentralbl. f. Physiol. 14, 441, 1900. — °) A. Frouin, Compt. rend. Soc. biol. 58, 767, 1905. — °) F. Klug, Pflügers Arch. 92, 281, 1902. — °) S. S. Salaskin u. K. Kowalewsky, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 571, 1903. — °) K. Glässner, Hofmeisters Beitr. 1, 24 u. 105, 1901. — !°) A. Bickel, Berl. klin. Wochenschr. 1905, S. 144. — !!) P.Grosser, Zentralbl. f. Physiol. 19, 265, 1905. — "?) G. Swirski, Arch. f. exper. Path. und Pharmak. 48, 282, 1902; P.Grützner, Pflügers Arch. 106, 463, 1905. — \*) L. Paira- Mall, Pflügers Arch. 80, 600, 1900. Auch H. Breitmaier, Tübinger Diss. 1904. — 14) J. Hedenius, Skandinav. Arch. f. Physiol. 3, 244, 1891. — '°) E. Weinland, Zeitschr. £. Biol. 41, 35 u. 275, 1901. hesorption. 559 3. Die Resorption im Magen. Durch die Untersuchungen von Tappeiner!), v. Anrep?), Brandl’) und dann besonders durch llirsch *), v. Mering’) und Moritz‘) ist mit Sicherheit festgestellt worden, daß der Magen Wasser überhaupt nicht resor- biert, sondern Wasser und wässerige Lösungen vollständig, eventuell noch durch Speichel und Magensekret vermehrt, in den Darm entleert. Was die Resorption von in Wasser gelösten Stoffen, Salzen, Zucker, Peptonen anlangt, so geht aus den zitierten Versuchen hervor, daß sie jedenfalls für Flüssig- keiten, die den Magen rasch passıeren, gering ist. Tappeiner, v. Anrep und Brandl arbeiteten mit einer Magenfistel nahe dem Pylorus und ver- schlossen den Pylorus durch einen Gummibalion; gegen ihre und die Ver- suche von V.Otto‘) und v. Mering‘), die Cardia und Pylorus verschlossen, läßt sich einwenden, daß der Magen dadurch gestört wurde, aber die physio- logischeren Experimente von Hirsch, v. Mering, Moritz, E.Otto°) und Tobler !P), die Hunde mit hohen Duodenalfisteln untersuchten, führten zu den gleichen Resultaten. Nach Otto’) kommt von Magnesiumsulfat der weitaus größte Teil jenseit des Pylorus zum Vorschein, immerhin verschwanden in Versuchen mit konzentrierten, aber noch innerhalb der physiologischen Grenzen gelegenen Lösungen (7,1 Proz., 9 = — 1,225) 3 bis 13 Proz. Auch Jaworski!!) stellte eine deutliche Aufsaugung von Sulfaten und Phosphaten fest. Von Jodnatrium konnte v. Mering dagegen keine Resorption beob- achten. Von Traubenzucker wurden sehr kleine Mengen, lg von 40g, in 10 proz. Lösung resorbiert, etwas größere Mengen nur aus Konzentrationen von 20 bis 60 Proz., die schon kaum mehr normal genannt werden dürfen, da Lösungen von 10 Proz. Rohrzucker schon sehr süß sind. Bedeutender ist dagegen die Aufnahme von Eiweiß, bzw. dessen Verdauungsprodukten, die ja nur langsam in Lösung gehen. Tobler sah, daß 22 bis 30 Proz. des Eiweißstickstoffs im Magen verschwinden. Überhaupt ist daran zu denken, daß nur Tobler bei erhaltenem Pylorusreflex (s. u. S. 561) arbeitete, bei allen anderen Versuchen die Lösungen im Magen vielleicht abnorm kurze Zeit verweilten. Bedeutend ist im Magen die Resorption von Alkohol und von in Alkohol gelösten Stoffen !?), so daß durch gleichzeitige An- wesenheit von Alkohol auch die Aufnahme von Zucker, Chloral, Strych- nin usw., die sonst nur langsam übergehen, beschleunigt wird. Auch Kohlensäure wird nach v. Mering rasch resorbiert. Am menschlichen Magen fanden Roth und Strauss!) und v. Mering, soweit feststellbar, die Verhältnisse genau wie beim Hunde. '!) H.Tappeiner, Zeitschr. £. Biol. 16, 497, 1880. — ?) B.v.Anrep, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1881, S. 504. — °) J. Brandl, Zeitschr. f. Biol. 29, 277, 1892. — *) Hirsch, Zentralbl. f. klin. Med. 1893, S. 73, 377, 601. — °) J. v. Mering, 12. Kongr. f. innere Med. 1893, 8. 471; Therapeutische Monatshefte 7, 201, 1893. — °) F. Moritz, 12.Kongr. f. innere Med. 1893, $S. 486; Zeitschr. f. Biol. 42, 565, 1901; Münch. med. Wochenschr. 1895, 8. 49; 1898, II, $. 1143. — °) V. Otto, Arch. f. Verdauungskrankh. 8, 427, 1902. — ®) J. v. Mering, Klinisches Jahrb. 7, 341, 1900. — °) E. Otto, Arch. f. exper. Path. u. Pharmakol., 52, 370, 1905. — “) L. Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. — "') W. Jaworski, Zeitschr. f. Biol. 19, 397, 1884. — '*) Tappeiner, Brandl, v. Mering. — =) W. Roth u. H. Strauss, Zeitschr. f. klin. Med. 37, 144, 1899. 560 Resorption im Magen. Was die Stoffaufnahme im Magen noch besonders von der Resorption im Dünndarm unterscheidet, ist nicht nur ihre Geringfügigkeit, sondern besonders die Verhältnisse der Wasserbewegung, wie sie von den zitierten Autoren übereinstimmend geschildert wird. Im Dünndarm wird!) von dem Epithel des Darmes ein Wasserstrom hervorgerufen, der erst sekundär die in dem Wasser gelösten Bestandteile mitnımmt; daher wird am schnellsten reines Wasser resorbiert, und die Resorption wird um so langsamer, je mehr in dem Wasser gelöst ist. Immer aber erfolgt eine Verminderung des \Vassers. Im Magen dagegen passiert die Schleimhaut um so mehr von einer Substanz, je größer ihre Konzentration ist, und gleichzeitig damit tritt immer, mag es sich um Alkohol, um Zucker, Salze oder Peptone handeln, eine Vermehrung des Wassers ein, eine Vermehrung, die nach der Zu- sammensetzung der Flüssigkeit nicht salzsäurehaltiger Magensaft ist. Im Gegensatz zum Dünndarm macht also die Stoffaufnahme im Magen durch- aus den Eindruck einer Diffusion durch eine gewöhnliche Diffusions- membran. Damit stimmt gut überein, daß die Stoffaufnahme ins Blut durch die Magenwand bei Magenkranken nach v. Mering nicht geändert ist. Ob freilich die Stoff- und Flüssigkeitsbewegung sich durch Diffusionsaustausch zwischen Blut und Mageninhalt restlos erklären läßt, steht dahin. Vgl. oben S.540, sowie 8.563, wo von der Regelung des Ausflusses aus dem Magen die Rede ist. Ob in der Magenwand mit den resorbierten Stoffen noch etwas vorgeht, ist nicht bekannt. Die Angaben Glässners?), der eine Rückverwandlung von resorbierten Albumosen zu Eiweiß durch die überlebende Magenwand beobachtet haben wollte, vermögen einer Kritik nicht standzuhalten 3). 4. Die Bewegungen des Magens und des Magenausganges. Die Bewegungen des Magens sind auf die verschiedenste Weise unter- sucht worden. Hofmeister und Schütz?) beobachteten einfach die Be- wegungen des herausgenommenen, in einer feuchten Kammer liegenden Magens. Cannon?) mischte der Nahrung von Katzen Wismutpulver bei und beobachtete die Bewegungen des Magens mittels Röntgenstrahlen, Tappeiner‘) machte eine Magenfistel kurz vor dem Pylorus und vermochte dessen Bewegungen direkt zu fühlen. Hirsch’), v.Mering‘) und Moritz’) legten Hunden hohe Duodenalfisteln an und beobachteten den Austritt aus ) Vgl. S. 608. — °) K. Glässner, Hofmeisters Beitr. 1, 328, 1901. — ») O0. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 400, 1902; S. S. Salaskin, ebenda 35, 419, 1902.. — *) F. Hofmeister u. J. Schütz, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 20, 1, 1885. — 5) W. B. Cannon, Americ. Journ. of Physiol. 1, 359, 1898; 12, 387, 1904. 55. Session of the Americ. Medical Assoc. January 19055 The Medical News, May 1905; W. B. Cannon u. J.B. Blake, Gastroenterostomy 1905 (Sep.-Abdr.).. — °) H. Tappeiner, Zeitschr. f. Biol. 16, 497, 1880. — ?) A. Hirsch, Zentralbl. f. klin. Med. 1892, 8. 993; 1893, 8. 73, 377, 601; Zentral- blatt f. inn. Med. 22, 23, 1901. — °) J. v.Mering (mit Aldehoff u. Happel), 12. Kongr. f. innere Med. 1893, 8. 471; J. v. Mering, Therapeut. Monatshefte D 201, 1893. — °) F. Moritz, Zeitschr. f. Biol. 42, 565, 1901; Verhandl. des Kongr. f. innere Med. und der Naturforschervers. 1893; Münchener med. Wochenschr. 1895,89. A910 128: 718982 173719214 Hauptmagsen und Antrum pylori. 561 dem Pylorus. Pawlow und seine Schüler !) arbeiteten ebenfalls an Duodenal- fisteln, nur daß sie Kanülen nach Dastre ins Duodenum einführten und den Tieren gleichzeitig Magenfisteln anlesten. Mittels dieser Pawlowschen Methodik arbeiteten Otto?) und Tobler°’). Grützner*) tötete Ratten, Frösche, Kaninchen oder Hunde in verschiedenen Stadien der Verdauung und bei verschiedenem Futter, ließ ihre Mägen gefrieren und untersuchte Form und Inhalt. Moritz) endlich bestimmte am Menschen mittels der Schlund- sonde den Druck im Magen. Alle diese Untersuchungen haben zu durchaus übereinstimmenden Resultaten geführt. Der Magen zerfällt in zwei funktionell getrennte Hälften. Die linke, größere Hälfte, der Fundusteil oder Hauptmagen, zeigt bei keinem Füllungs- grade peristaltische Wellen. Seine Muskulatur befindet sich vielmehr in einem durch die Füllung regulierten Tonus und übt dadurch einen bestän- digen, aber sehr geringen gleichmäßigen Druck auf den Mageninhalt aus. So verkleinert sich der Fundus in dem Maße, wie ihn die Speisen verlassen, sein Inhalt bleibt aber unter gleichmäßigem Drucke. Diesen Druck bestimmte Moritz — und mit ihm übereinstimmend Kelling‘) und Schlippe’) — zu etwa 6 bis Scm Wasser; Herz- und Atemtätigkeit und wechselnde Darmfüllung lassen ihn etwas schwanken. Ganz anders die rechte Hälfte des Magens, das sogenannte Antrum pylori. Es hat eine viel kräftigere Mus- kulatur, und diese führt starke peristaltische Bewegungen aus, die an der Grenze beider Magenhälften beginnen und nach dem Pylorus hin gerichtet sind. Diese Wellen laufen außerordentlich regelmäßig ab: Cannon sah sie sieben Stunden lang in gleicher Stärke und in gleichem Tempo — sechs pro Minute — ablaufen, und ebenso betonen Moritz und Tobler, die die Wir- kung der Wellen an einer Duodenalfistel sehen konnten, die maschinenmäßige Gleichmäßigkeit, mit der das Antrum pylori arbeitet. Dabei ist die Peristaltik so kräftig, daß bedeutende Druckwerte erzielt werden, daß der Mageninhalt weit ins Duodenum hereingespritzt wird, und daß das Antrum pylori tiefe Einschnürungen erfährt. Die erste dieser Einschnürungen wird von Cannon als Querband bezeichnet. Boldireff‘) u. a. sprechen von einem Sphincter antri pylori, der das Antrum vom Hauptmagen völlig abschließen könne; Cannon hat eine solche gänzliche Trennung nie gesehen. Der Pylorus selbst ist von einem sehr starken Muskelring umgeben, dem Sphincter pylori, dessen Tonus vermehrt und verringert werden kann, und der dadurch den Pylorus öffnet und schließt. Diese Schließung wird durch Reflexe von der Duodenalschleimhaut aus geregelt, die zu den wichtigsten auf dem Gebiete der Verdauung gehören, und die so fein spielen, daß nach einem Zitat Cannons die alten Physiologen dem Pylorus einen Willen oder eine Seele zugeschrieben haben. !) A. Serdjukow, Diss. St. Petersburg, 1899; S.Lintwarew, Diss. St. Peters- burg, 1901; beide zitiert ©. Cohnheim, Münchener med. Wochenschr. 1902, II, 8. 2173; W. N. Boldireff, Arch. des sciences biolog. de St. Petersbourg , 1904. — °) E. Otto, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 52, 370, 1905. — ©) %. Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. — *) P. Grützner, Pflügers Arch. 106, 463, 1905. — °) F. Moritz, Zeitschr. f. Biol. 32, 313, 1895. — °) G. Kelling, Zeitschr. f. Biol. 44, 161, 1903. — °) P. Schlippe, D. Arch. f, klin. Med. 7b, 450, 1903. — ®) W. Boldireff, Zentralbl. f. Physiol. 18, 457, 1904. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 56 we 562 Pylorusreflexe. Nachdem schon Tappeiner die Entleerung des Magens als eine Funk- tion des Dünndarmes erkannt hatte, wurde der Pylorusreflex kurz nach und unabhängig voneinander erst von Hirsch, dann von v. Mering und Moritz gefunden. v.Mering und Moritz glaubten, daß die mechanische Anfüllung des Darmes den Pylorus sich schließen lasse, Hirsch und nach ihm besonders Pawlow konnten aber feststellen, daß viel stärker als dieser mechanische Einfluß die chemische Zusammensetzung der den Darm füllenden Flüssig- keiten den Pylorus beeinflußt. Wenn Wasser, Salzlösungen, Alkalı in den Dünndarm kommen, entleert sich der Magen, die Berührung der Duodenal- schleimhaut mit Säure und mit Fett verschließt den Pylorus. Pawlow hat die Fettwirkung so gezeigt, daß er in den Darm das eine Mal 50 ccm Wasser, das andere Mal 50cem Öl und in den Magen beide Male 200 ccm Wasser einführte. Im ersten Falle findet man nach 15 Minuten nur 20 bis 30 cem, im anderen nach einer Stunde noch 180 ccm Wasser im Magen. v. Mering und Moritz ließen Hunde mit Duodenalfisteln Wasser saufen und beob- achteten, wie entsprechend den Wellen, die das Antrum pylori entlang laufen, in regelmäßigem Abstande Guß auf Guß sich aus der Kanüle entleert. Moritz vergleicht den nüchtern trinkenden Hund, aus dessen Duodenum das Wasser in demselben Tempo herauskonımt, wie er trinkt, mit Münch- hausens bekanntem Pferd. Führten sie aber Milch in den abführenden Duodenalschenkel ein, so änderte sich das Bild. Die Güsse sistierten, und die Entleerung des Magens begann erst wieder, wenn die Milch fortgeschafft oder resorbiert war. Die Säurewirkung läßt sich am bequemsten demonstrieren, indem man durch eine Duodenalkanüle nach Dastre-Pawlow in den abführenden Darmschenkel abwechselnd kleine Mengen Salzsäure und Soda einführt; man kann so die Güsse aus dem Pylorus nach Belieben aufhören und wieder beginnen lassen. Die Latenzzeit zwischen der Einspritzung ins Duodenum und dem Schluß des Pylorus beträgt höchstens 15 Sekunden. Sehr deutlich zeigt sich die Wirkung der Salzsäure auf den Pylorus in den Versuchen Toblers. Er fütterte Hunde mit Fleisch und beobachtete die Entleerung des Mageninhalts aus einer Duodenalfistel, die er in der einen Versuchsreihe einfach geöffnet ließ, während er in der anderen die bei einem Vorversuch gewonnenen Verdauungsprodukte in den abführenden Schenkel des Dünn- darms einspritzte. Die vorher mit großer Regelmäßigkeit alle 15 bis 20 Sekunden kommenden Güsse sistierten auf Einspritzung von 10cem der sauren Flüssigkeit, um erst nach 3 bis 12 Minuten wieder zu beginnen. Bei offener Duodenalfistel dauerte die Verdauung von 100 g Fleisch im Magen 21/, bis 2!/,, bei erhaltenem Pylorusreflex hingegen 3!/, Stunden; die Ver- dauung war bei den letzteren Versuchen weiter vorgeschritten, die Resorption lebhafter. Der durch die Berührung mit Fett und mit Säure hervorgerufene Chemoreflex ist nicht der einzige Reflex von der Duodenalschleimhaut auf den Pylorus. Zweifellos wirkt auch die Dehnung des Duodenums hemmend auf die Magenentleerung. Das wird zwar nicht durch die Versuche von v. Mering bewiesen; denn er füllte den Darm mit Milch, deren Fettgehalt einen Chemoreflex hervorruft. Aber Tobler sah die Entleerung des Magens durch zu starkes Aufblasen eines im Duodenum befindlichen Gummiballons Pylorusreflexe. 563 gehemmt werden. Außerdem ist die Konsistenz der Nahrung von Einfluß. Bei erhaltenem Pylorusreflex sah Tobler nur Flüssiges oder höchstens Dünn- breiiges den Pylorus passieren, bei aufgehobenem auch größere Fleischstück- chen zum Vorschein kommen. Cannon konnte beobachten, wie sich vor großen Brocken der Pylorus jedesmal schloß. Eine weitere Beeinflussung der Magenentleerung hat Otto gefunden. Er sah, daß isotonische Lösungen von Magnesiumsulfat den Magen am schnellsten verlassen, reines Wasser und hypotonische sowohl wie hyper- tonische Lösungen länger im Magen verweilen und während dieser Zeit durch Osmose, Diffusion und Sekretion dem Blute ähnlicher werden, ohne daß dabei volle Isotonie erreicht wurde. Zu völlig übereinstimmenden Resul- taten wie Otto sind gleichzeitig Carnot und Chassevant!) gelangt. Ent- sprechendes fand Müller?) für den Einfluß der Temperatur auf die Magen- entleerung: Getränke von 38° verlassen den Magen am schnellsten, wärmere und kältere verweilen länger im Magen und werden in der Mundhöhle und während dieses Aufenthaltes im Magen erwärmt, bzw. abgekühlt. Im Magen geschah der Ausgleich nur teilweise durch Wärmeleitung, zum Teil durch Sekretion. Diese letzteren Reflexe werden offenbar nicht, oder nicht nur vom Duode- num, sondern auch direkt von der Magenschleimhaut ausgelöst. Cannon sah, wie sich der Pylorus vor gegen ihn andrängenden, groben Partikelchen schloß. Durch alle diese Reflexe wird jedenfalls erreicht, daß nur besonders vorbereitete Dinge ın den Darm kommen. Die Pylorusreflexe bilden einen Schutz gegen Überschwemmung des Darmes mit chemisch oder physikalisch zu differenten Stoffen” Der Darm kann allerdings kaltes destilliertes Wasser vertragen 3); wie schädlich dagegen Überschwemmung mit Nahrungsmitteln ihm werden und wie wenig er im allgemeinen der regelnden Tätigkeit des Magens entraten kann, davon wird S.601 noch die Rede sein. Worin nun der Pylorusreflex eigentlich besteht, das ist nicht für alle Fälle entschieden. Denn die Hemmung der Magenentleerung kann ja sowohl dadurch zustande kommen, daß sich bei erhaltener Peristaltik des Antrum pylori der Pylorus schließt, als auch dadurch, daß diese Peristaltik stillgestellt wird. Denn da der Pylorus höher liegt als der Magen, kann ja eine ener- gische Magenentleerung nur durch aktive Muskelbewegung zustande kommen. Daß der Pylorusreflex durch Säure auf einem Schluß des Pylorus beruht, ergibt sich aus den geschilderten Beobachtungen von Tobler, dem scharfen und vollständigen Abgeschnittenwerden der Magenentleerung durch eine Einspritzung ins Duodenum. Vor allem aber konnte Cannon direkt beob- achten, wie die Peristaltik des Antrums regelmäßig war, der Pylorus sich aber nicht bei jeder ankommenden Welle öffnete. Vergleicht man Cannons und Toblers Zahlen, so ergibt sich, daß im Durchschnitt etwa jede zweite Welle den Pylorus offen findet. Die Peristaltik bei geschlossenem Pylorus führt zu einer gründlichen Mischung des Antruminhaltes. — Bei dem Pylorus- reflex durch Fett liegen die Verhältnisse aber anscheinend anders. Spritzt ') P. Carnot et A. Chassevant, Compt. rend. soe. biol. 58, 173 (Zit. nach Biochem. Zentralbl. 3, 613, 1905. — ?) Joh. Müller, Zeitschr. f. diätet. u. physik. Therapie 8, H. 11, 1905 (zit. nach Biochem. Zentralbl. 3, 612). — °) O0. Cohn- heim, Zeitschr. f. Biol. 39, 1, 1900. 36* 564 Pylorusreflexe. man durch die Pawlowsche Kanüle Öl ins Duodenum, so sistieren die regel- mäßigen Güsse zwar auch, aber bei vollem Magen rinnt dauernd tropfenweise etwas von dem Inhalt heraus. Eine deutliche Verlangsamung der Magen- bewegung hat Cannon bei Fettfütterung gesehen. Vor allem aber wird ein wenigstens zeitweises Offenbleiben des Pylorus bei Vorhandensein von Fett im Duodenum durch die Versuche von Pawlow und Boldireff!) gezeigt. Sie brachten Öl ins Duodenum und fanden es dann stets, mit Galle und Pankreassaft untermischt, zum Teil im Magen vor. Fettreiche Nahrung bleibt immer lange im Magen liegen und wird dort nicht nur durch den Magensaft, sondern ebensosehr aurch Galle, Pankreas- und Darmsaft ver- daut. Diese Entdeckung Pawlows ist von der größten Bedeutung. Sie zeigt, daß der Pylorus unter bestimmten Bedingungen auch einen Transport in umgekehrter Richtung zuläßt, und sie zeigt, daß die Verdauung im Magen, wenn auch nicht durch die Magenfermente, eine ganz andere sein kann, als man bisher gewußt hat. Sie läßt es übrigens als möglich erscheinen, beim Menschen Galle und Pankreassaft in bequemer Weise zu erhalten. Dieses Eindringen von Darminhalt in den Magen kommt nach Boldireff vor 1., und das ist das Wichtigste, bei fettreicher Nahrung; 2. wenn beim Hunger- tier sich periodisch Verdauungssäfte im Darm ansammeln (s. S. 572 u. 607); 3. bei übermäßig hohem Säuregehalt im Magen. — Nebenbei ist bei Ein- führung von Öl ins Duodenum der Weitertransport nach den tieferen Darm- abschnitten ein merkwürdig langsamer, so daß Pawlow von einem Sphinkter zwischen Duodenum und Jejunum redet. — Sehr klar sind diese Verhält- nisse noch nicht. Bei reiner Fettnahrung könnte der Pylorus dauernd offen stehen und ein freies Hin- und Herfluten zwischen Magen und Duodenum gestatten, er kann aber auch meist geschlossen sein und sich auf bestimmte Reize bald in der einen, bald in der anderen Richtung öffnen. Auch ist nicht bekannt, wie sich die Reflexe auf Fett und auf Säure summieren; bei Milchnahrung findet man jedenfalls nie Galle im Magen. Cannon hat weiterhin die Frage aufgeworfen, durch welche Reize sich der Pylorus öffnete, und er will sie dahin beantworten, daß Salzsäure im Magen den Pylorus öffnet, im Duodenum ihn schließt. Indessen sind seine Ausführungen nicht zwingend, da über den Salzsäuregehalt im Magen bei seinen Versuchen gar nichts Sicheres bekannt ist, und die Tatsache, daß bei leerem Magen getrunkenes Wasser sofort, ehe es zur Magensaftsekretion kommen kann, entleert wird, widerspricht Cannons Vermutung. Nach den Beobachtungen an Pylorusfisteln scheint jede Welle des Antrum pylori den Pylorus offen zu finden oder zu öffnen, wenn nicht besondere Reflexe ihn schließen. Was aber diese Wellen anbelangt, so sahen Pawlow und Boldi- reif den nüchternen Magen ruhig oder nahezu völlig ruhig. Von Zeit zu Zeit — die Periode wechselt bei den einzelnen Hunden von 1 bis 21/, Stunden — treten aber 10 bis 20 Minuten dauernde Perioden von je etwa 15 Antrum- kontraktionen ein, die etwas schleimig alkalischen Inhalt — wohl Pylorus- sekret — herausbefördern. Diese Perioden fallen mit der periodischen llungertätigkeit des Dünndarms, des Pankreas und der Leber zusammen, durch das Auftreten von Säure werden sie unterdrückt (siehe unten S. 607). ') W. Boldireff, Zentralbl. f. Physiol. 18, 457, 1904. Innervation der Magenmuskeln. 565 Auf welchen Reiz hin die Peristaltik des gefüllten Magens erfolgt, ist nicht bekannt. Die bisherige Darstellung bezieht sich auf Hunde und Katzen. Indessen konnte Moritz beim Menschen für die Bewegungen des Fundus- und Pylorusteiles die volle Übereinstimmung mit den Beobachtungen am Hunde feststellen, ebenso Rieder!), als er Menschen Bismuthum subnitrieum ein- führte und sie mit Röntgenstrahlen untersuchte. Was die Entleerung durch den Pylorus anlangt, so schien Moritz neben dem Salzsäuregehalt auch die Konsistenz der Nahrungsmittel bestimmend. Ein Vergleich der Stoffe, die nach ihm wegen ihrer Dickflüssigkeit den Magen langsam verlassen, mit Pawlows Angaben über die Sekretmengen für die einzelnen Nahrungsmittel ergibt aber, daß auch beim Menschen Salzsäure und Fett die wichtigsten Erreger des Pylorusreflexes sind. Die hemmende Wirkung des Fettes auf die Magenentleerung ist beim Menschen bekannt und ergibt sich aus den Zahlen von Moritz, Penzoldt?) u.a. Die Verlangsamung der Entleerung durch Salzsäure hat auch Bender?) beobachtet. Üblornatrium wirkt so wenig wie beim Hunde *). Die Innervation der Magen- und Pylorusmuskulatur ist relativ wenig aufgeklärt. Sie steht in erster Reihe unter der Herrschaft automatischer, in der Wand des Organs gelegener Zentren. In Betracht kommen 1. der Auerbachsche Plexus, der zwischen den Muskelschichten des Magens liegt und sich über den ganzen Magen verbreitet, und 2. besondere Ganglienhaufen am Pylorus, die v. Öpenchowski’) unter der Serosa fand. Von außen heran treten einmal sympathische Nerven aus dem Plexus coeliacus, die nach v. Openchowski’) hauptsächlich aus den zehnten Thoracalnerven stammen, und zweitens Vagusfasern, die zum Teil im Stamme des Vagus, zum Teil aber im Recurrens verlaufen. Der herausgenommene, in einer feuchten Kammer®) oder in Ringerscher Lösung’) liegende Magen zeigt noch sehr sohön die Peristaltik des Antrum pylori, Öffnung und Schließung des Pylorus habe ich dagegen nicht beobachten können. Eine vollständige Abtrennung des Magens von den zuführenden Nerven ist bisher nicht vorgenommen worden. Eine Durchschneidung der beiden Vagı oberhalb des Zwerchfeils läßt nach Aldehoff und v. Mering‘) den Tonus und die Bewegungen des Magens und den Pylorusreflex monatelang unverändert. Dagegen bewirkt Durchschneidung beider Vagi am Halse, die Pawlow") geglückt ist, anfangs neben der sekretorischen auch eine schwere Motilitätsstörung des Magens. Die Speisen werden nicht ordentlich verdaut und nicht genügend fortgeschafft; sie zersetzen sich im Magen, und die Tiere gehen unter den Erscheinungen der Tetanie zugrunde. Durch regelmäßige Ausspülungen des Magens ge- lingt es, die Hunde am Leben zu erhalten, aber sie behalten dauernd eine !) H. Rieder, Münchener med. Wochenschr. 1904, II, 1548. — °) F. Pen- zoldt, Deutsches Arch. £. klin. Med. 51, 535, 1891; 53, 209, 1894. — °) F. Bender, Diss., Erlangen 1900. (Nach Malys Jahresber. 30, 410.) — *) M. Bönniger, Münchener med. Wochensehr. 1904, I, 53. — °) v. Openchowski, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1889, S. 549. — °) Hofmeister u. Schütz, l. c. — ’) Eigene Beob- achtung. — °) G. Aldehoff u. J. v. Mering, Kongr. f. innere Medizin 1899, S. 333. — °) P. Katschkowsky, Pflügers Arch. $4, 6, 1901. Daselbst eine höchst interessante Literaturübersicht. 566 Innervation des Magens. große Vulnerabilität des Verdauungskanales.. Ähnliche Beobachtungen über die Gefährdung der Tiere nach Operationen am Pylorus stammen von Krehl!), v. Mering, Moritz und Starck), und ich kann sie aus vielfältiger Er- fahrung bestätigen. Dabei kann die mechanische Behinderung nicht die Ursache sein®). Ausrottung des P!. coeliacus bewirkt nach Aldehoff und v. Mering anfangs Durchfälle, nachher Wiederherstellung; der Pylorusreflex bleibt erhalten. Nach Durchschneidung beider Vagi oberhalb der Cardia, beider Splarchniei und Ausrottung des Rückenmarks vom fünften Brustwirbel abwärts bleiben Hunde nach Friedenthal*) verdauungsgesund, die ein- zelner Funktionen sind nicht analysiert. Popielski’) sah nach Durch- schneidung des Pl. coeliacus eigentümliche Ernährungsstörungen des Magens. — Die Abhängigkeit des Magens vom Zentralnervensystem scheint dem- nach nicht unbeträchtlich zu sein, größer jedenfalls als beim Dünndarm (s. u. S. 605). Bei der künstlichen Reizung der zum Magen führenden Nerven läßt sich vom Vagus, wie vom Sympathicus sowohl Verstärkung, wie Verminderung der Antrumperistaltik und des Pylorustonus erzielen®)?). Nach Langley‘) überwiegt bei den Vagusfasern die motorische, bei den sympathischen die hemmende Wirkung auf den Magen und den Pylorus. Auch hier, wie bei der Cardia (s. o. 530) läßt sich nur sagen, daß die Frage des Zusammen- hanges der autonomen Nervennetze mit übergeordneten Zentren eine Neu- bearbeitung im Sinne der modernen, v. Uexküllschen’) Nervenphysiologie bedarf. Denn da die Erregung immer nach dem Orte des niedrigsten Tonus läuft, kann ein und dieselbe, von außen kommende Erregung je nach dem Tätigkeitszustande des Organs sowohl Vermehrung, wie Verminderung der Bewegungen bewirken, ohne daß die Annahme zweier anatomisch getrennter Faserarten in den Nerven notwendig ist. — Im Gehirn will v. Openchowski in der Gegend der Vierhügel ein Zentrum gefunden haben, von dem er Öffnung und Schließung des Pylorus auslösen konnte. Starling!?) und Page May konnte diese Angaben indessen nicht bestätigen. Daß die Bewegungen des Magens aber in naher Beziehung zum Zentralnervensystem stehen müssen, ergibt sich aus interessanten Beobachtungen Pawlows und Can- nons. Pawlow beobachtete auf Reizung sensibler Nerven auf lange hinaus Aufhören der Magenbewegungen, Cannon sah die Magenbewe- gungen sistieren, sobald die Katzen aufgeregt wurden. Bender!!) fand beim Menschen, Scheunert!?) beim Pferde, Cohn !3) beim Hunde, daß Gehen und Laufen die Magenentleerung verlangsamt. ) L. Krehl, Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1892, Suppl. 8.278. — *) H. Starck, Münchener mediz. Wochenschr. 1904, II, S. 1512. — °) W. Weintraud, Koner. f. innere Med. 16, 457, 1898. — *) H.Friedenthal, Arch. £f. (Anat. u.) Physiol. 1905, S. 127: Arch. des sciene. biol. de St. Pötersbourg 11, Suppl. S. 137. — °) L. Po- pielski, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, 8.338. — °) v. Openchowski, ebenda 1889, 8. 549. — 7) W. Page May, Journ. of Physiol. 31, 260, 1904. — °) J. N Langley, Ergebn. d. Physiol. 2, Biophysik, 1903, 8. 830. — °) J. v. Uexküll, Zeitschr. f. Biol. 46, 1, 1904. — !°) E.H. Starling, Ergebn. d. Physiol. I, Bio- physik, 1902, 8. 455. — !') F. Bender, Diss., Erlangen 1900 (zitiert nach Malys Jahresber. 30, 410.— '?) A. Scheunert, Pflügers Arch. 109, 145, 1905. — '*) J. Cohn, Deutsches Arch. f. klin. Med. 43, 239, 1888. n or) u | Vorgänge im Magen. 5. Die Vorgänge im Magen. Die bisher dargestellten Erscheinungen der Sekretion, der Resorption und der Motilität vereinigen sich zu dem folgenden Bilde der tatsächlichen Vorgänge im Magen. Wenn Wasser getrunken wird, so verläßt es sehr schnell den Magen, vermischt mit mucinhaltigem Speichel, etwas Magensaft und sehr wenig aus dem Blut herausdiffundierten Salzen. Salz- und Zuckerlösungen, daher die meisten Getränke, verweilen etwas länger und werden währenddessen durch Diffusion unbedeutend verändert. Milch gerinnt im Magen; die Molke ver- läßt den Magen anfangs rasch, dann infolge der Säure langsamer, Kasein und Fett bleiben zurück und werden nur sehr langsam unter Peptonisierung des Kaseins weiterbefördert. Bei Katzen fand Raudnitz!) noch nach drei Stunden den größeren Teil des Fettes und die Hälfte bis ein Drittel des Stick- stoffs im Magen. Diekflüssige Suppen, Brei und alle Speisen, die ja beim Kauen auch in einen mehr oder minder festen, speichelgetränkten Brei verwandelt werden, bleiben zunächst im Fundusteil liegen. Es ist schon von Moritz?), Ellen- berger u. Hofmeister‘) u. a. beobachtet worden, daß die Speisen sich im Magen nur sehr langsam vermischen, aber erst Grützner*) hat gezeigt, wie gering diese Vermischung ist. Gibt man Ratten — bei anderen Tieren ist es ähnlich — verschiedenfarbiges Futter zu fressen, so sieht man deutlich, wie das zuerst gefressene Futter zu äußerst der Schleimhaut anliegt, während das folgende sich von der Cardia her in das erste hineinschiebt, so dab äußerst zierliche Bilder entstehen. In diesen festen, wenig bewegten Klumpen dringt der Magensaft nur langsam ein, und während außen schon stark saure Reaktion herrscht und das Eiweiß peptonisiert wird, kann im Inneren das Ptyalin des Speichels die günstigsten Bedingungen zu seiner Wirkung finden. So ist denn auch durch Ellenberger’) und seine Mitarbeiter beim Schwein, durch Joh. Müller®), Burger”) und Dauber‘°) beim Menschen festgestellt worden, daß die im Munde eingeleitete Amylolyse im Magen energisch fort- geführt und der größte Teil der Stärke im Magen gelöst und mehr oder weniger weit gespalten wird. Wie langsam die Mischung erfolgt, das ersieht man auch aus den Beobachtungen Gallis?) an einer Patientin mit einer winzigen Magenfistel: 500cem Milch von 3° brauchten eine Stunde, um auf Körpertemperatur zu kommen. In dem Maße, wie die Verflüssigung der Speisen unter der Einwirkung des Magensaftes und des Speichels fortschreitet, werden die flüssigen Anteile ausgepreßt und in das Antrum pylori befördert. Es ist von Bedeutung, dab der von der Muskulatur des Hauptmagens ausgeübte Druck gering ist, so dab ) R. W. Raudnitz, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899, 8.53. :— ?*) F. Moritz, Zeitschr. f. Biol. 42, 565, 1901; Münchener med. Wochenschr. 1895, 8.49 u. 1143; 1898, S. 1521. — °) Ellenberger u. Hofmeister, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1889, 8.137. — *) P. Grützner, Pflügers Arch. 106, 463, 1905. — °) Ellenberger u. Hofmeister, Arch. £f. (Anat. u.) Physiol. 1889, S. 137. F. Bengen u. G. Haane, Pfiüßers Arch. 106, 287, 1905. — °) Joh. Müller, Kongr. f. innere Med. 1901, ‚8.321. — ”)F. Burger, Münchener med. Wochenschr. 1896, 8. 220. — ®) H. Dauber, Diss., Würzburg 1902 (Malys Jahresber. 32, 397). — °) G. Galli, Münchener med. Wochenschr. 1904, I, S. 700. 568 Scehnellickeit der Entleerung. das Ausgepreßtwerden nur langsam erfolgt und die Fermente sehr gründlich wirken können. Das aus dem Fundus Ausgedrückte kommt in das äußerst kräftige Rührwerk des Antrum pylori und wird infolge des Pylorusreflexes nur langsam und allmählich in den Darm befördert. So stellt der Magen ein vortreffliches Sortierwerk dar, das durch rein mechanische Mittel eine elektive Abfuhr ermöglicht. Dieser Mechanismus verschafft dem Magen „une veritable intuition chimique* !). Der größte Teil der Nahrung ist verflüssigt, wenn sie in den Darm gelangt. Nur stark schlüpfriges, gequollenes Fleisch, Kasein- tlöckchen und Ähnliches passieren in kleiner Menge den Pylorus. Sehr genau geregelt ist das Zusammenwirken von Sekretion und Ent- leerung. Es liegen hier zahlreiche Bestimmungen an Menschen vor, bei denen im Magen nicht resorbierbares Fett der Nahrung zugesetzt, nach ge- wisser Zeit der Magen ausgespült und durch Fettbestimmung oder Salzsäure- titrierung die Menge des restierenden Inhalts und des Mägensekretes fest- gestellt wurde?2). Danach ist das Verhältnis der Salzsäuremenge zum Inhalt sehr konstant, und die im Magen befindliche Salzsäure hält sich lange auf gleicher Konzentration. Der Hundemagen beginnt seine Entleerung nach Tobler:) bei Fleischfütterung 5 bis 12 Minuten nach der Aufnahme, und die Entleerung erfolgt dann mit außerordentlicher Regelmäßigkeit. Für den menschlichen Magen beobachtete Pfaundler nach Aufnahme einer Mahlzeit aus Bouillon, Fleisch, Brot und Kartoffelpüree ebenfalls einen sehr gleich- mäßigen Abfluß vier Stunden lang. Was die einzelnen Nahrungsmittel an- langt, so verlassen nach Cannon) Kohlehydrate den Magen am schnellsten, dann folgt das Gemenge von Kohlehydraten und Eiweiß, dann Eiweiß, dann Fett; am spätesten werden Fett und Eiweiß ausgestoßen. Auch Fermi’) sah Fette am längsten verweilen; dann folgt schwer lösliches Eiweiß. Die Be- ziehungen zur Salzsäuresekretion und zum Pylorusreflex sind deutlich. Beim Menschen wird das Probefrühstück, Tee, Semmel oder Zwieback, in 30 bis 60 Minuten entleert. Von 250 bis 300 ccm fetthaltiger gerösteter Mehlsuppe fand Seiler nach einer Stunde noch 50 bis 60 ccm, dazu etwa die gleiche Menge Sekret. Die „Probemahlzeit“, ein Filetbeefsteak von 250g, Kartoffel- püree, ein Brötchen, ein Teller Schleimsuppe, soll nach drei Stunden zum größten Teile entfernt sein. Etwas später ist der normale Magen leer. Für die einzelnen Nahrungsmittel sei auf die zitierten Arbeiten, insbesondere die von Penzoldt und Moritz verwiesen. Auch beim Menschen sieht man, dab der Fettgehalt und die Salzsäuremenge die Entleerung bestimmen. Es ist insbesondere von Moritz®) auf die große Bedeutung dieser durch den Pylorusreflex bedingten langsamen Entleerung für die Verdauung, für ') Blondlot, zitiert nach Grützner. — ?) F. Seiler, Deutsches Arch. f. klin. Med. 71, 269, 1901; 72, 567, 1902; 81, 551, 1904. M. Bönniger, Münchener med. Wochenschr. 1902, II, S. 1786. A. Matthieu, Arch. f. Verdauungskrank- heiten 1, 345, 1896. Vgl. auch A. Cahn, Zeitschr. f. klin. Med. 12, 34, 1887. F. Penzoldt, Deutsches Arch. f. klin. Med. 51, 535, 1893; 53, 209, 1894. M. Pfaundler, ebenda 65, 255, 1900. A. Schüle, Zeitschr. f. klin. Med. 28, 461, 1895; Fortschritte d. Med. 1901, S. 445. H.Kornemanr, Arch. f. Verdauungskrank- heiten 8, 367, 1902. F. Moritz, Zeitschr. f. Biol. 42, 565, 1901. — °) L. Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. — *) W. B. Cannon, Amer. Journ. of Physiol. 12, 387, 1904. — °) C.Fermi, Arch. f. (Anat.u.) Physiol. 1901, Suppl. 8. 1. — °) F. Moritz, a. a. O., sowie Münchener med. Wochenschr. 1898, II, S. 1521. Grad der Magenverdauuns. 569 die Wirkung von Arzneien, von Alkohol usw. hingewiesen worden. Dieselben Stoffe, die den leeren Magen in wenigen Minuten durcheilen und in voller Konzentration im Dünndarm resorbiert werden, brauchen, wenn sie auf vollen Magen treffen, stundenlang, um intensiv verdünnt aufgesaugt zu werden. Der klinische Begriff der Leicht- und Schwerverdaulichkeit bedeutet ja das kurze oder lange Verweilen im Magen. Leichtverdaulich sind fettarme Stoffe und solche, die wenig Magensaft secernieren lassen, am schwerverdaulichsten Gemische von Fett und Eiweiß, wo sich die Reflexwirkungen des Fettes und der Säure summieren. Nach Lehmann!) und Fermi?) begünstigt stärkere Verkleinerung der Nahrung das schnelle Verlassen des Magens. Doch sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die „Schwerverdaulichkeit* sich aus- schließlich auf den Magen bezieht. Ein Stoff, der lange im Magen liegen bleibt, kann gerade durch seine langsame Überführung in den Darm die Darm- verdauung schonen und umgekehrt. Von größter physiologischer Bedeutung ist die Frage, wie weit die Magenverdauung geht, ob die Stärke und das Eiweiß nur einfach gelöst, oder ob sie zu Maltose und zu Peptonen abgebaut werden. Die Frage kann natürlich durch künstliche Verdauungsversuche nicht gelöst werden, da die Wegschaffung des Verdauten die Verdauung beeinflußt?) und wir den kunst- vollen Mechanismus der Magenverdauung nicht nachmachen können. In- folgedessen hat Schmidt-Mülheim®) und nach ihm Zunz’) beim Hunde den Mageninhalt frisch getöteter Tiere untersucht und die Menge ungelöstes Eiweiß, Pepton usw. bestimmt, die er in verschiedenen Stadien der Verdauung fand. Ellenberger und Hofmeister‘) gingen in der gleichen Weise bei Schwein und Pferd vor, Ewald und Boas’), Cahn‘°‘) und Müller’) unter- suchten ausgeheberten menschlichen Mageninhalt. Sie fanden alle überein- stimmend die Umwandlungsprodukte nur in geringer Menge, was bei der fein geregelten Wegschaffung nicht wundernimmt. Offenbar erfüllt die ganze Methode ihren Zweck nicht, da die noch nicht beförderten Reste ja durchaus nicht mit dem übereinzustimmen brauchen, was den Pylorus passiert. Vgl. auch S. 622 über die gleiche Frage beim Darm. Man muß vielmehr das unter- suchen, was aus dem Pylorus herauskommt, und eine solche Untersuchung ist bisher nur von Tobler!P) für die Verdauung von Fleisch beim Hunde an- gestellt werden. Er fand in seinen normalsten Versuchen, dab von 2,98 Eiweißstickstoff 0,87 — 30,1 Proz. im Magen resorbiert wurden 0,6 = 20,6 „ den Pylorus passierten ungelöst oder als lösliches Eiweiß Bu 34 „ 5 R a als Albumosen 16 == 40 2 5 5 br als Peptone. ) K.B. Lehmann, Arch. f. Hyg. 43, 123 (zit. nach Malys Jahresber. 32, 400, 1902. — °) Cl. Fermi, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, Suppl. 8. 98. — °) S. Lea, Journ. of Physiol. 11, 226, 1890. — *) A. Schmidt-Mülheim, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879, 8.39. — °) E. Zunz, Hofmeisters Beitr. 3, 339, 1902. — ©) Ellenberger u. Hofmeister, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1889, 8. 137; 1890, 8. 280; Pflügers Arch. 41, 484, 1887. — 7) C. A. Ewald u. J. Boas, Virchows Arch. 104, 271, 1886. — ®) A. Cahn, Zeitschr. f. klin. Med. 12, 34, 1887. — °) Joh. Müller, Kongr. f. innere Med. 1901, 8. 321. — !’) L. Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. 570 Zusammensetzung des Pankreas. Der weitaus größte Teil des Eiweiß wird also bis zu Peptonen und Albumosen abgebaut, d. h. bis zu Produkten, die von den weiterhin ein- wirkenden Fermenten, dem Trypsin und dem Erepsin, mit Leichtigkeit in kristallinische Spaltungsprodukte zerlegt werden können. Die Magen- verdauung ist also eine viel intensivere, als man bisher angenommen hatte. Diese Zahlen beleuchten die elektive Abfuhr aus dem Pylorus.. Denn im Magen sind wohl Albumosen, dagegen in der Regel kein Pepton vorhanden !)2), während 57 Proz. des Eiweiß tatsächlich zu Pepton werden und nur 1] bis 14 Proz. den Magen als Albumosen verlassen. Für andere Eiweißkörper als die des Fleisches fehlen bisher derartige Untersuchungen, doch liegen bisher keine Gründe vor, weshalb die Verdauung bei ihnen weniger weit gehen sollte. Fettreiche Nahrung, z. B. Milch, verweilt so lange, daß ihr Eiweiß vermutlich sehr gründlich verdaut wird; denn der durch den Reiz des Fettes verminderte Magensaft wird ja hier vielleicht noch durch Pankreassaft ersetzt. Auch für Fette und Kohlehydrate fehlen bisher Untersuchungen wie die Toblers, aber von der Stärke wissen wir durch Ellenberger und Hof- meister, Müller und Cannon und Day’), daß selbst das im Magen Zurückbleibende schon zum größten Teil hydrolysiert ist; Rohrzucker wird nach Ferris und Lusk®) im Magen gespalten. Von emulgiertem Fett fanden Volhard und Zinsser’) im Magen ein Viertel gespalten. Es ist wahr- scheinlich, daß das durch den Pylorus Entleerte noch weiter abgebaut ist, daß also auch Kohlehydrate und Fett zum großen Teil schon im Magen ge- löst und verdaut werden. IV. Das Pankreas. Das Pankreas liegt beim Menschen hinter dem Magen, bei Hund und Katze ziemlich frei im Mesenterium in einer beweglichen Duodenalschlinge. Es mündet meist mit zwei Ausführungsgängen in das Duodenum, von denen der eine mit dem D. choledochus eine gemeinsame Öffnung besitzt. In der relativen Größe dieser Gänge kommen starke Variationen vor, auch werden mehrere kleine Gänge beobachtet ®). Betreffs der Histologie des Pankreas sei auf Heidenhains Darstellung in Hermanns Handbuch V, 1, sowie auf Metzners in Bd. 2 dieses Handbuchs verwiesen. Die Zusammensetzung des Pankreas ist die aller drüsigen Organe. Von den Eiweißkörpern ist ein großer Teil mit Nucleinsäure zu einem Nucleo- proteid vereinigt; die Nucleinsäure enthält alle vier Nucleinbasen und eine Pentose, die !-Xylose’). Das Nucleoproteid fällt in der Regel mit den Fer- menten zusammen aus°). Außerdem enthält das Pankreas Lecithin, Salze !) C.A. Ewald u. J. Boas, l.c. — °) O0. Cohnheim u. H. Krieger, Zeit- schrift f. Biol. 40, 95, 1900. — °) W. B. Cannon und H. F. Day, Amer. Journ. of Physiol. 9, 396, 1903. — *) S. J. Ferris und G. Lusk, ebenda 1, 277, 1898. — °) A. Zinsser, Hofmeisters Beitr. 7, 31, 1905. — ®°) Über die vielen beobachteten Variationen vgl. E. L. Opie, Diseases of the pancreas. Philadelphia u. London 1903. — 7) Vgl. O0. Cohnheim, Chemie der Eiweißkörper, 1904, 8. 227. — ‘) 0. Hammarsten, Zeitschr. f. physiol. Chem. 19, 19, 1893; F. Umber, :Zeitschr. f. klin. Med. 40 (1900). Sekretin. 571 und vor allem die spezifischen Fermente. Außerdem enthält es einen Körper !), der das glykolytische Ferment der Muskeln aktiviert und dadurch für die Kohlehydratverbrennung im Organismus nötig ist. Doch kann auf diese innere Sekretion des Pankreas, die häufig den sogenannten Langerhansschen Inseln in der Drüsensubstanz zugeschrieben wird, an dieser Stelle nicht ein- gegangen werden ?). 1. Die Absonderung des Pankreassaftes. Wie alle Abdominalorgane empfängt das Pankreas vom Zentralnerven- system auf zwei Wegen Fasern, 1. durch den Vagus, 2. durch den Splanchnicus, die aus dem 5. Thoracal- bis 2. Lumbalnerven stammen). Beide Nerven enthalten einmal F'asern, die auf die Blutgefäße der Drüse wirken, zweitens aber auch, wie Pawlow mit Bestimmtheit feststellen konnte, solche, die das secernierende Drüsenepithel fördernd oder hemmend beeinflussen. Die Ein- wirkung ist schwerlich eine direkte, sondern es ist noch das autonome Nerven- system der Drüse eingeschaltet. Indessen läßt sich dessen Erregung nicht mit solcher Sicherheit wie am Magen demonstrieren. Durch den Vagus werden fördernde und hemmende, durch den Splanchnicus überwiegend hemmende, daneben aber auch erregende Impulse übertragen. Vielleicht lassen sich die zum Teil widerspruchsvollen Versuchsresultate durch die Annahme deuten, daß auch für die Sekretionszentren das Uexküllsche Gesetz für den Erregungsverlauf in einfachen Nervennetzen gilt. v. Uexküll*) fand, daß der Tonus immer zu dem Punkte mit geringstem Tonus hinläuft, und daß die Erregung einer und derselben Nervenfaser daher den gegenteiligen Effekt haben kann, je nachdem der Muskel, dessen Repräsentanten sie trifft, kontrahiert oder erschlafft ist. Es wäre nicht überraschend, wenn dieselbe künstliche Nervenerregung Sekretion bewirkt, wenn die Drüse ruht, und Auf- hören der Sekretion, wenn sie tätig ist. Allerdings meint Pawlow, daß es einige Male gelungen sei, einzelne Äste zu isolieren, die entweder nur erregen oder nur hemmen. Bei der Erregung wurde meist eine Latenzzeit von zwei bis drei Minuten beobachtet. Von der Medulla oblongata ist es Heidenhain einige Male gelungen, Sekretion hervorzurufen. Die mangelnde Konstanz hängt vielleicht mit dem angeführten Grunde zusammen. Was die adäquaten Reize anlangt, so sah Pawlow „psychische“ Erregung von den Sinnesorganen des Kopfes, genau wie beim Magen. Die entscheidende Anregung aber, die vom Darm her, empfängt das Pankreas nach der Entdeckung von Starling und Bayliss’) gar nicht auf ‚nervösem, sondern auf dem Blutwege. Pawlow hatte gefunden, daß die Be- rührung der Duodenalschleimhaut mit Säuren Pankreassekretion veranlaßt, hatte es aber für einen Reflex gehalten. Starling und Bayliss bestätigten die Erregung durch Säure, aber sie fanden in der Darmschleimhaut einen Stoff, das Prosekretin, der durch Salzsäure in einen anderen, das Sekretin, ) 0. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 336, 1903; 42, 401, 1904. — RE) Vgl. z.B. Opie, l.c., sowie K. J. Karakascheff, Deutsches Arch. f. klin. Med. 82, 60, 1904. — °) J. N. Langley, Ergebn. d. Physiol. II, Biophysik, 1903, 8. 818. — *) J. v. VUexküll, Zeitschr. f. Biol. 39, 73, 1899; 44, 269, 1902; 46, 1, 1904. — °) W. M. Bayliss und E. H. Starling, Zentralbl. f. Physiol. 15 (23), 1902; Journ. of Physiol. 28, 325, 1902; 29, 174, 1903. 572 Reizung des Pankreas. umgewandelt wird. Wenn Sekretin durch das Blut dem Pankreas zugeführt wird, antwortet das Pankreas mit einer Sekretion. Das Prosekretin ist im Duodenum und im ganzen Jejunum enthalten, das Sekretin ist hitzebeständig, löst sich in Alkohol von 90 Proz. und ist, wenn auch langsam, dialysierbar. Durch Tannin wird es nicht gefällt, durch oxydierende Agenzien wird es zerstört. Es gehört also in eine Gruppe mit den Körpern der inneren Sekretion, der Nebenniere, Schilddrüse und des Pankreas. Auf Grund dieser seiner Eigenschaften läßt es sich von den Eiweißkörpern, Salzen und dem größten Teil der anderen Substanzen der Darmschleimhaut trennen, vor allem auch von einer blutdruckerniedrigenden Substanz, die in dem Extrakt der Darm- schleimhaut enthalten ist. Die Umwandlung von Prosekretin in Sekretin erfolgt durch die Salzsäure, ist sie aber einmal vollzogen, so kann die Salz- säure neutralisiert werden, das Sekretin bleıbt wirksam. Gereinigtes Sekretin wirkt streng spezifisch auf das Pankreas; nur auf die Leber ist nebenher eine schwache Wirkung zu erzielen. Die durch Sekretin bewirkte Sekretion stimmt in allen Punkten mit der natürlichen überein. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, daß die Erregung des Pankreas durch Sekretin die natürliche ist. Fleig!), der im übrigen die Angaben von Starling und Bayliss durchaus bestätigt hat, glaubt außerdem noch eine zweite nervöse Verknüpfung des Pankreas mit dem Darm bewiesen zu haben. Starling und Bayliss haben die Sekretinwirkung am Hunde entdeckt, sie dann aber bei einer großen Menge von Wirbeltieren aller Klassen in genau derselben Weise wieder- gefunden; auch hatten alle diese Tiere das gleiche Sekretin, das also auch auf ganz andere Arten wirkt. Ob das Sekretin auf die Drüsenzellen direkt oder auf in der Drüse ge- legene Nervenzentren wirkt, ist nicht bekannt. Auf das erstere könnte man vielleicht daraus schließen, daß das spezifisch sekretionshemmende Atropin nach Bayliss und Starling die Sekretinwirkung nicht beeinträchtigt. Die Bildung des Sekretins aus seiner Vorstufe erfolgt, wenn die Säure resorbiert wird und so die Darmwand durchsetzt. Im Lumen geht sie nicht vor sich, da Fleig gezeigt hat, daß Sekretin vom Darm nich* resorbiert wird. Die Umwandlung des Prosekretins in Sekretin geschieht nicht nur durch Salzsäure, sondern durch jede andere Säure, also auch durch die organischen Säuren, die etwa durch Bakterienwirkung aus der Nahrung entstehen. Die normale Erregung des Pankreas erfolgt also so, daß der Eintritt des Magen- inhalts in den Darm das Signal für die Tätigkeit des Pankreas bildet, das die Magenverdauung fortzuführen berufen ist. Wie Pawlow weiter gezeigt hat, ist indessen Säure nicht der einzige Erreger der Pankreassekretion vom Darm aus. Auch Wasser und vor allem Öl rufen ohne Dazutreten saurer Reaktion Pankreassaftsekretion hervor, und Pawlow und Boldireff?) haben weiterhin beobachtet, daß im Hunger- zustande das Pankreas alle 1!/, bis 2!/, Stunden eine gewisse Menge nor- malen, fermentreichen Saft absondert. Im Gegensatz zu der verdauenden ist diese Hungersekretion an das Vorhandensein nicht saurer Reaktion im Ver- dauungskanal gebunden. (Siehe unten S. 607.) I) C. Fleig, Arch. gener. de medecine, 80. Ann., 1903, T. I, p. 1473. — ”) W. Boldireff, Zentralbl. f. Physiol. 18, 489, 1904. Beziehung von Reiz und Fermenten. 573 Endlich wird nicht nur die Sekretion des Pankreas an sich, sondern auch die Zusammensetzung des Sekretes vom Darm her geregelt. Am besten be- kannt ist dieser Einfluß bei dem Milchzucker spaltenden Ferment, der Laktase. Während die früheren Untersucher Laktase im Pankreas vermißt hatten, ge- lang es Weinland!), sie im Pankreas junger saugender Hunde nachzuweisen, und es gelang ihm ferner ?), durch Fütterung erwachsener Hunde mit Milch- zucker deren Pankreas von neuem zur Produktion von Laktase zu veranlassen. Dabei erwiesen sich sowohl subeutane Einführung von Milchzucker und von seinen Spaltungsprodukten als auch Verfütterung seiner Spaltungsprodukte als unwirksam; Laktase wurde vielmehr nur gebildet, wenn Milchzucker mit der Darmschleimhaut in Berührung kommt. Die Art der Milchzuckerwirkung hat später Bainbridge?°) aufgeklärt. Es handelt sich nicht um einen Reflex, sondern der Milchzucker läßt ın der Darmschleimhaut einen Stoff entstehen, der, ins Blut gebracht, mit einer Latenzzeit von zwei Tagen Laktase im Pankreassaft auftreten läßt. Der betreffende vermittelnde Körper wird durch Kochen zerstört, sonst ist er nicht genauer bekannt; von dem Sekretin ist er verschieden. Viel weniger genau sind wir darüber unterrichtet, wie sich die anderen Fermente des Pankreas dem Bedarf anpassen. Pawlow und Waither glaubten einmal für Trypsin, Steapsin und Diastase eine zweck- mäßige Regelung gefunden zu haben, je nachdem Fleisch, Brot oder Milch gefüttert wurde. Da die Untersuchung vor die Entdeckung der Zymogene im Saft fällt, ist sie nur für die Diastase beweisend, die bei Brotnahrung viel reichlicher abgesondert wird als bei Fleisch- oder Milchnahrung. Bestätigt wird diese Anpassung indessen für Diastase, Invertin und auch für Trypsin durch die Beobachtung von Heile*) am Chymus, in dem das Trypsin also aktiviert ist. Bei Fleischfütterung enthielt der Chymus am Ende des Dünndarmes kein Invertin und wenig Diastase, löste eine Fibrinflocke aber in 20 bis 40 Minuten, bei Fütterung mit Kohlehydraten löste er eine Fibrinflocke gar nicht, enthielt aber achtmal mehr Diastase und Invertin. Die Abhängigkeit des Pankreas- sekretes von der Zusammensetzung der Nahrung zeigt sich auch in einer anderen Beobachtung von Pawlow und Lintwarew: Pankreassaft enthält das Trypsin bei Ernährung mit Brot, Milch und Kartoffeln als Zymogen, bei reiner Fleischdiät dagegen als fertiges Enzym, bei gemischter Nahrung teils als Zymogen, teils als Ferment. Bei Wechsel der Ernährung trat die Ände- rung hier, wie in den Versuchen von Walther nicht sofort ein, sondern be- durfte ebenso wie die Entstehung der Laktase nach Weinland und Bain- bridge einer gewissen Latenzzeit, ein bemerkenswerter Unterschied von der nervös vermittelten Abhängigkeit der Magenpepsinmenge vom Reiz. Es er- öffnet sich hier übrigens zum ersten Male ein physiologisches Verständnis dafür, weshalb plötzliche Diätänderungen unter Umständen dem Körper Schwierigkeiten bereiten, jedenfalls einen energischen Einfluß auf ihn aus- üben können. Alkali hemmt, wie Pawlow zeigte, die Pankreassekretion. Ob es sich hier um eine echte Hemmung handelt, oder ob nur etwa vorhandene Säure neu- ') E. Weinland, Zeitschr. f. Biol. 38, 607, 1899. — ?) Derselbe, ebenda 40, 386, 1900. — °) F. A. Bainbridge, Journ. of Physiol. 31, 98, 1904. — *”) B. Heile, Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Medizin u. Chirurgie 14, 474, 1905. 574 Sekretion des Pankreas. tralisiert und damit an der weiteren Sekretinbildung verhindert wird, ist aus den Versuchen nicht mit Sicherheit zu ersehen. Endlich läßt sich das Pankreas wie andere Drüsen auch durch Pilocarpin zur Sekretion bringen. Indessen hat gerade hier Starlings Schüler de Zilwa!) gezeigt, daß man durch Pilocarpin sehr viel weniger und vor allem einen anormal zusammengesetzten Saft be- kommt. Es geht dann eine große Menge Nucleoproteid in den Saft über, die Zellen werden geschädigt. “Was den Verlauf der Absonderung des Saftes während einer Verdau- ungsperiode anlangt, so haben ihn am Hunde Heidenhain und Pawlow an Pankreasfisteln untersucht, die, ohne die Drüse selbst zu berühren, so angelegt waren, dab ein Stückchen Duodenum, das die Einmündung des einen Ausführungsganges trägt, von dem übrıgen Darm losgelöst und nach außen verlagert wird. Heidenhain schnitt einen ganzen Ring, Pawlow nur ein kleines Schleimhautstückchen aus dem Darme heraus; erst Pawlows Ver- yesserung hat es ermöglicht, an einem g material einwandfreie | g hat e glicht groben Versuchsmaterial df Zahlen zu erhalten. Die bisher erwähnten Feststellungen Pawlows über Erregung des Pankreas vom Darm aus sind alle an solchen Fisteln gewonnen worden. Danach secerniert beim Hunde ım nüchternen Zustande die Drüse gar nicht; sie beginnt aber, auf psychischen Reiz, die Sekretion gleich nach der Nahrungsaufnahme noch vor dem Magen und hält dann, wie nach ihrer Erregung durch die Salzsäure im Duodenum zu erwarten, mit der Ent- leerung des Magens Schritt. Im einzelnen muß hier auf Pawlows Dar- stellung verwiesen werden. Als Beispiel diene?), dab ein großer Hund in den fünf Stunden, nachdem er 100g Fleisch gefressen hatte, secernierte: 39, 45, 30, 17, 1lcem Pankreassaft, das sind zusammen 152cem. Nach dem Genuß von 250 g Brot war die Sekretion reichlicher (16Sccm) und zog sich bis zur achten Stunde hin, auf 600 cem Milch dagegen wurden nur 46 ccm Pankreassaft ergossen, die Sekretion setzte später ein, blieb gering und zog sich bis zur sechsten Stunde hin. Die Milchzahlen sind besonders instruktiv, weil sie die Abhängigkeit des Pankreas von der Tätigkeit des Magens zeigen. Fett hemmt die Sekretion des Magensaftes und verzögert die Entleerung seines Inhaltes, es kommt also weniger und langsamer Salzsäure ins Duode- num, worauf das Pankreas mit verminderter und verlangsamter Sekretion reagiert. Ein spezifischer Einfluß soll nebenher nicht geleugnet werden. — Heidenhain erhielt bei Fleischfütterung einen viel langgestreckteren Ver- lauf; die Kurve zeigt ein Maximum innerhalb der ersten drei Stunden, dann ein Sinken bis zur fünften bis siebenten, und ein zweites, wenn auch viel schwächeres Maximum in der neunten bis elften Stunde. Die Menge des Fleisches ist nicht angegeben; sie war offenbar erheblich größer als bei Pawlow. Doch ist bei allen diesen Zahlen daran zu erinnern, daß nur der eine Aus- führungsgang des Pankreas nach außen führt, das ganze Pankreas also erheb- lich mehr secerniert. Soweit Vergleiche möglich sind, scheint danach das Pankreas beim Hunde nicht viel weniger zu secernieren als der Magen. Für den Menschen liegen keine genaueren Beobachtungen vor, da man erst seit ganz kurzer Zeit durch Pawlow erfahren hat, daß unter Umständen ) L: A. E. de Zilwa, Jeurn. of Physiol 31, 230, 1904. — ?) J. P. Pawl0oW Arbeit der Verdauungsdrüsen, 8. 50. j I j j j I } Tätigkeit des Pankreas. 575 Pankreassekret in den Magen treten und damit erreichbar werden kann (5.564). Man ist auf Beobachtungen an Fistelkranken angewiesen, bei denen bisher nur Menge und Zusammensetzung bestimmt wurde. Im nüchternen Zustande secernierte das Pankreas nicht, die Tagesmenge betrug in dem Falle von Schumm!) 293 bis 53l cem, in dem von Glässner?) 450 bis 848 cem, in dem von Pfaff?) 600 ccm. Da es sich dabei um Patienten handelte, die vermutlich nicht sehr reichlich ernährt wurden, und da außerdem ebensowenig wie bei den Pankreasfisteln am Hunde der gesamte Saft nach außen floß, darf man wohl auch beim Menschen annehmen, daß die Sekretmenge nicht oder wenig hinter der des Magens zurückbleibt. Von der Art der Erregung ist durch Starling und Bayliss festgestellt worden, daß der menschliche Darm Sekretin enthält. Beim Pflanzenfresser ist nach Heidenhains Zi- taten die Absonderung kontinuierlich, freilich nach der Fütterung stark ver- mehrt. Da man den Darm der Pflanzenfresser aber außer nach sehr langem Hungern niemals leer findet, braucht das keine andere Art der Innervation zu bedeuten. Die Pankreassekretion ist von histologischen Veränderungen an den Drüsenzellen begleitet. Außerdem ist die Zirkulation vermehrt und be- schleunigt. Die Erscheinungen sind besonders deshalb interessant, weil das Pankreas die einzige Drüse ist, an der sich die Vorgänge an den Zellen und den Blutgefäßen am lebenden Tiere mikroskopisch beobachten lassen; Kühne und Lea*) ist das am Kaninchen gelungen. Aber auch makroskopisch läßt sich die Veränderung der Zellen erkennen. Das ruhende Pankreas sieht weiß, das tätige braun aus, ein Unterschied, der nicht auf dem veränderten Blutgehalt beruht, da er ebenso deutlich bleibt, wenn dem Tiere alles Blut mit Kochsalzlösung ausgespült wird. Ferner ist, ganz analog wie bei den Speicheldrüsen, bei der Tätigkeit des Pankreas der Lymphstrom vermehrt °) und der Sauerstoffverbrauch und die Kohlensäureproduktion bedeutend ge- steigert®). Welche Stoffe es sind, die bei dieser Oxydation Energie liefern, das wissen wir beim Pankreas so wenig wie bei den anderen Drüsen. Nencki, Pawlow und Zaleski’) und Salaskin‘) haben einen hohen Am- moniakgehalt des Pankreasvenenblutes festgestellt. Ob das Pankreas aber proteolytische, Lecithin und Nucleinsäure spaltende Fermente enthält, die innerhalb seiner Zellen autolytisch wirken, läßt sich nicht sagen, da sie sich bisher von den zur Sekretion bestimmten nicht trennen lassen. Ein Zucker verbrennendes Ferment hat sich im Pankreas nicht auffinden lassen ®). Die Bildung von Kadaverin und Oxyphenyläthylamin aus den Aminosäuren durch autolytische Pankreasfermente ist behauptet, von Kut- scher und Otori!°) aber auf bakterielle Prozesse zurückgeführt worden. ) 0.Schumm, Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 292, 1902. — ?) K.Glässner, ebenda 40, 465, 1903. — °) F. Pfaff, Zentralbl. £. Physiol. 11, 652, 1897. — “) W. Kühne und A. S. Lea, Untersuchungen a. d. physiol. Institut Heidelberg 2, 448, 1878. — °) F. A. Bainbridge, Journ. of Physiol. 32, 1, 1904. — \ J. Ban- eroft und E. H. Starling, Journ. of Physiol. 31, 491, 1904. — °) M. Nencki, J. P. Pawlow und J. Zaleski, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 37, 26, 1898. — °) 8.8. Salaskin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 448, 1898. — °) O0. Cohnheim, ebenda 39, 336, 1903. — !°) F. Kutscher u. J. Otori, ebenda 43, 93, 1904. 576 Pankreas und Milz. — Pankreassaft. Guanidin !) tritt bei der Selbstverdauung des Pankreas auf, doch ist nicht sicher, ob es aus Arginin entsteht oder aus Nucleinsäure. Während der Tätigkeit vermindert sich, analog wie beim Magen, der Fermentvorrat des Pankreas, um mit abnehmender Sekretion wieder anzu- steigen 2). Die Menge des Trypsins, bzw. Trypsinogens in der Drüse war etwa umgekehrt proportional der secernierten Menge. Doch erfordert die Ansammlung Zeit. Von Schiff°®) und mit einigen Modifikationen von Herzen) ist ein Einfluß der Milz auf diese Bildung der Pankreasfermente behauptet worden. Schiffs Angaben sind indessen von Heidenhain‘’) widerlegt worden, und Frouin‘) und in besonders sorgfältiger Versuchs- anordnung Prym’) konnten überhaupt keinen Einfluß der Milz auf das Pan- kreas entdecken. Von einem Einfluß der Blutzusammensetzung auf die Bildung des Pan- kreassaftes ist außer beim Sekretin wenig bekannt. Bei hydrämischer Plethora wird das Pankreas sehr stark ödematös, secerniert aber nicht°). Die Alka- leszenz des Pankreassaftes nimmt bei länger dauernder Reizung ab, läßt sich aber durch Injektion von Alkali in die Blutbahn steigern ”). Davon, daß die Alkaleszenzentziehung durch die Magensaftsekretion direkt Pankreas- sekretion hervorriefe, ist nichts bekannt. Das Pankreas enthält im Gegensatz zum Magen bei der Geburt, ja schon in ziemlich früher Fötalzeit, alle Fermente in guter Wirksamkeit!0). Bei jungen Hunden und Katzen scheint es relativ größer zu sein als bei den erwachsenen Tieren. Die Sekretionsverhältnisse sind beim Neugeborenen nicht untersucht. Eine Eigentümlichkeit des Pankreas ist, daß es in seiner Substanz, ver- mutlich in den Ausführungsgängen Bakterien enthält. Nencki und Gia- cosa!!) sahen im Gegensatz zu anderen Organen bei Pankreasdrüsen, die unter antiseptischen Kautelen entnommen und aufbewahrt wurden, die Fäulnis mit derselben Geschwindigkeit auftreten, wie wenn man die Drüsen einfach an der Luft liegen ließ. Die sogenannte leichte „Fäulnisfähigkeit“ des Pan- kreas beruht hierauf; beim Arbeiten mit Pankreasdrüsen ist ihr konstanter Bakteriengehalt zu berücksichtigen. 2. Der Pankreassatt. Erst seit Pawlows Fisteloperationen und seit der Entdeckung des Sekretins ist man imstande gewesen, mit Sicherheit normalen Pankreassaft zu analysieren, da man früher entweder durch die Art der Fistelanlegung die Drüse schädigte oder im akuten Experiment sie nicht reizen konnte. Genauere Angaben macht Starlings Schüler de Zilwa°) für den Hund, ') F. Kutscher u. J. Otori, ebenda 43, 93, 1904. — °) R. Heidenhain, Hermanns Handbuch V, 1, 190. — °) M. Schiff, zitiert nach Heidenhain. — *) A. Herzen, Pflücers Arch. 84, 115, 1901. — °) R. Heidenhain, l.c. — °) A. Frouin, Compt. rend. soe. biol. 54, 418 und 798, zitiert nach Malys Jahresber. 32, 403 und 413, 1902. — 7) O0. Prym, Pflügers Arch. 104, 433, 1904. — *) J. Cohn- heim u. L.Lichtheim, Virchows Arch. 69, 106, 1877. — °) L. A. E. de Zilwa, Journ. of Physiol. 31, 230, 1904. — !") O. Langendorff, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879, S. 95. — !!) M. Nencki und P. Giacosa, Journ. f. prakt. Chem., N. F., 20, 34, 1879. Pankreassaft. 577 Schumm!) und Glässner?) für menschliches Fistelsekret, das anscheinend ebenfalls normal war. Der Pankreassaft ist eine klare, wasserhelle Flüssigkeit, die nicht faden- ziehend, sondern im Gegenteil ziemlich dünnflüssig ist. Die Konzentration und den Gehalt an den einzelnen Bestandteilen zeigt folgende Tabelle: | Zilwa Schumm | Glässner | Glässner | g E ar I Spezifisches Gewicht. . . . — ; 1,0098 1,0075 | 1,0076 Gefrierpunktserniedrigung . | — 0,61 _ se Foren 0149 NV ASSET A TE | 79850 WETOZ: 98,5 Proz. 98,7 Proz. | 98,7 Proz. EinDekensuhstanze ln SE | Ws au En WerD ST rt ala Os Ol OT ls BIckSto Een ehr DOT: 0,08 „ 0,1 B 0,08 JARICNEER 06 EN JAUzER 0,85 „ 0,500 > I SONaE In Alkohol lösliche organi- SCHERDLOHE nee ge. — om In Or 0,42 „ Alkaleszenz in NaOH... | 049 „ 043, 7, | — 4 Von dem Eiweiß ist ein Teil nach de Zilwa Nucleoproteid, das koagulierbare Eiweiß hat zwei Koagulationspunkte, von 55 und 75°, und läßt sich nach Glässner auch durch Aussalzen mit Ammonsulfat in zwei Fraktionen sondern. Nencki und Sieber°) fanden Lecithin. Die Asche enthält eine kleine Menge Chloride, außerdem Eisen, Kalk, Schwefel- und Phosphorsäure, wovon die beiden letzteren vielleicht erst durch die Verbrennung der Eiweißkörper, des Lecithins und der Nucleinsäure entstehen. Von den anorganischen Stoffen ist am wichtigsten die bedeutende Menge von kohlensaurem Natron. Der Pankreassaft ist nicht viel weniger alkalisch, als der Magensaft sauer ist (78:100), und so wird durch Pankreassaft und Galle der Magensaft von seinem Eintritt in den Darm an neutralisiert. Dadurch wird die Wirkung des Pepsins abgebrochen, die der Pankreasfermente aber erst ermöglicht. Bunge*) legt nebenbei Wert darauf, daß durch die Kohlensäureentwickelung bei der Neutralisation eine mechanische Lockerung des Speisebreies stattfinden müsse. Nach Schier- beck5) wirken die Pankreasfermente am besten in einer mit Kohlensäure gesättigten Lösung. Über Variationen der Alkaleszenz und der Konzentration des Pankreas- saftes im Laufe der Absonderung und bei verschiedener Nahrung liegen Angaben von Heidenhain, Pawlow und de Zilwa vor, ohne daß sich bisher wirkliche Gesetzmäßigkeiten ergeben hätten. Der wichtigste Bestandteil des Pankreassaftes sind seine Fermente. !) 0.Schumm, Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 292, 1902.- — *) K. Glässner, ebenda 40, 465, 1903. — °) M. Nencki und N. Sieber, ebenda 32, 291, 1901. — *) G.v.Bunge, Lehrbuch der physiol. Chem. 1901, S. 212. — °) N. P. Schierbeck, Skandinav. Arch. f. Physiol. 3, 344, 1891. Nagel, Physiologie des Menschen. II, 37 73 Tryptische Eiweißspaltung. ot Das Trypsin. Während die proteolytischen Eigenschaften des Pankreassaftes schon Cl. Bernard und Corvisart bekannt waren, ist es Kühne!) gewesen, der sie auf ein besonderes Ferment, das Trypsin, zurückführte, und der zeigte, daß das Trypsin im Gegensatz zu dem Pepsin die Eiweißkörper über die Peptone hinaus bis zu Aminosäuren zerlegt. Allerdings ist diese Zerlegung nicht so vollständig wie durch siedende Säuren. Ebenso wie gegen das Pepsin und gegen alle anderen spaltenden Eingriffe sind die einzelnen Teile des Eiweißmoleküls gegen Trypsin verschieden resistent. Während durch gut wirksames Trypsin ein Teil ganz rapide zerfällt, geht ein anderer nur langsam in Lösung und wird überhaupt nicht vollständig zerlee. Kühne nannte diesen Teil die Antigruppe des Eiweiß, das zurückbleibende Pepton Antipepton. Später zeigte Kutscher?), daß durch gut und lange wirkendes Trypsin dies Antipepton auch noch seiner Biuretreaktion beraubt wird. Aber E. Fischer und Abderhalden’) beobachteten, daß auch bei noch so lange dauernder Trypsinwirkung ein mehr oder weniger großer Rest des Eiweiß zurückbleibt, der zwar keine Biuretreaktion gibt und dem Eiweiß vielleicht schon recht fern steht, der aber durch Kochen mit Säuren noch weiter in Aminosäuren zerlegt werden kann. Wird das Eiweiß erst durch Pepsin, dann durch Trypsin verdaut, so ist der unangreifbare Rest kleiner, als wenn das Trypsin allein wirkt, aber er ist auch dann noch vorhanden. Auf die Natur dieses Körpers und die übrigen Fragen der tryptischen Eiweißspaltung kann hier nicht eingegangen werden*). Doch ist zu bedenken, daß dieses Peptid beim Edestin z. B. nahezu die Hälfte des Eiweiß ausmacht’). Für die Verdauung kommen drei Eigenschaften des Trypsins in Betracht: 1. Durch Einwirkung des Trypsins wird das ungespaltene Eiweiß oder das Eiweiß, das im Magen schon weitgehend verdaut ist (S.569), zum großen Teil sehr schnell in Aminosäuren zerlegt. Das Trypsin vermag in kürzester Zeit, bei den günstigen Bedingungen der Darmverdauung in Minuten, alle oder nahezu alle bekannten aus dem Eiweiß hervorgehenden Aminosäuren entstehen zu lassen. 2. Ein mehr oder weniger großer Teil des Eiweiß erweist sich aber als widerstandsfähig gegen das Trypsin und muß daher, falls nicht noch andere Fermente eingreifen, in Form von größeren Komplexen, die mehrere Amino- säuren umfassen, zur Resorption gelangen. 3. Ein anderer Teil des Eiweiß kann zwar durch lange dauernde Trypsin- wirkung schließlich gespalten werden. Aber er ist relativ resistent, seine Zerlegung in biuretfreie Produkte erfordert im künstlichen Verdauungs- versuche Tage, Wochen oder Monate; das ist das, was Kühne und Sieg- fried Antipepton nennen. Es ist möglich, daß im Dünndarm günstigere Be- dingungen vorliegen und daß auch das Antipepton noch gespalten wird, aber !) W. Kühne, Virchows Arch. 39, 130, 1867; Verhandlungen des Heidel- bereer naturh.-med. Vereins (N.F.) I, 236; III, 463, 1884. — *) F. Kutscher, Zeitschr. f. physiol. Chem. 28, 88, 1899; Endprodukte der Trypsinverdauung, Mar- burger Habilitationsschrift, Straßburg 1899. — °) E.Fischer und E. Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 81, 1903; 40, 215, 1903; 46, 159, 1905. — *) Vgl. 0. Cohnheim, Chemie der Eiweißkörper 1904, S. 66 und 96. — °) E. Abder- halden u. PB. Reinbold, Zeitschr. f. physiol. Chem. 46, 159, 1905. ig Trypsin und Eiweiß. 579 man muß damit rechnen, daß im Dünndarm sehr leicht lösliche Körper auf- treten, die nur langsam verdaut, und die daher recht wohl vor der Spaltung wegresorbiert werden können. Das Trypsin wirkt auf das Eiweiß wie siedende Säuren. Es greift an der Stelle an, wo die Bausteine des Eiweiß, die Aminosäuren, als Säureamide miteinander verkoppelt sind. Die zweite, im Eiweiß vorkommende Verkettung, die Imidbindung im Arginin, zerlegt es dagegen nicht, so daß, wie bei der Säurespaltung, das Arginin Endprodukt ist und nicht etwa Ornithin, Harn- stoff oder Guanidin. Das Trypsin verdaut daher — mit den oben angeführten Einschränkungen — alle natürlich vorkommenden Eiweißkörper, für die ja die Säureamidverkoppelung die wichtigste Bindung ist. Allerdings ist die Verdaulichkeit der Eiweißkörper sehr verschieden, und zwar sind hier zwei voneinander unabhängige Dinge zu unterscheiden. Einmal sind einige Eiweiß- körper durch das Trypsin nur schwer in Lösung zu bringen. Dahin gehören die Eiweißkörper des Blutserums!)?) und des Hühnereiweiß?) im genuinen, unveränderten Zustand. Mit der chemischen Struktur dieser Eiweißkörper hat das gar nichts zu tun, da sie im koagulierten Zustande leicht verdaulich sind. Zum Teil scheint es auf dem Vorhandensein von Antifermenten zu beruhen, doch meinte Kühne, daß ganz unverändertes, kolloidales Eiweiß dem Trypsin überhaupt keine Angriffsfläche bietet. So ist reines Hämoglobin sehr schwer angreifbar, wird aber bei den geringsten chemischen Eingriffen, Zusatz von Säure, Alkali, Desinfizientien sehr leicht verdaut. Dahin gehört auch die Unangreifbarkeit von frischem kollagenen Gewebe durch Trypsin, die Kühne und Ewald) gefunden haben, während vorhergehende Säure- wirkung die Bindegewebsfibrillen verdaulich macht, dahin auch die Schwer- verdaulichkeit mancher anderer Gerüstsubstanzen, wie des Keratins, des Elastins und des Albumoids. Etwas anderes ist der wechselnde Anteil der Hemi- und der Antigruppe an dem Aufbau der einzelnen Eiweißkörper, und infolge davon die größere oder kleinere Menge von unverdaulichen Peptiden, die die Eiweiße liefern. Hier sind Leim und Serumglobulin besonders resistent gegenüber dem verdaulicheren Kasein. Von nicht natürlich vorkommenden Eiweißkörpern spaltet das Trypsin einen Teil der synthetischen Peptide, die dieselbe Struktur haben wie das Eiweiß ®). E. Fischer und Abderhalden geben folgende Tabelle auf S. 580. Bei Racemkörpern findet die Hydrolyse asymmetrisch statt, indem nur die eine Hälfte des Racemkörpers angegriffen wird. — Irgend welche andere Verbindungen außer den Eiweißkörpern und den Peptiden werden dagegen. von Trypsin nicht gespalten °). !) C. Oppenheimer u. H. Aron, Hofmeisters Beitr. 4, 279, 1903. — ?) E. P. Catheart, Journ. of Physiol. 31, 497, 1904. — °) A. Ewald und W. Kühne, Verhandl. des naturh.-med. Vereins Heidelberg (N. F.) I, S.451, 1876; A. Ewald, Zeitschr. f. Biol. 26, 1, 1890. — *) E. Fischer und P. Bergell, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 36, II, 2592, 1903; E. Abderhalden und P. Bergell, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 9, 1903; E. Fischer und E. Abderhalden, ebenda 46, 52, 1905; T.Curtius, Journ. f. prakt. Chem. (N. F.) 70, 57, 1904; M.Schwarzschild, Hofmeisters Beitr. 4, 155, 1903. — °) W.Gulewitsch, Zeitsch. f. physiol. Chem. 27, 540, 1899. 37% 580 Bedingungen der Trypsinwirkung. es ET EEE Es werden gespalten: Es werden nicht gespalten: Alanyl-glyein Glyceyl-alanin Alanyl-alanin Glyeyl-elycin Alanyl-leucin A Alanyl-leucin B Leucyl-isoserin A Leueyl-alanin Glyeyl-l-tyrosin Leucyl-glyein Leucyl-l-tyrosin Leucyl-leuein Alanyl-glyeyl-glyein Aminobutyryl-glyein Leucyl-glyeyl-glyein Aminobutyryl-aminobuttersäure A Glyeyl-leueyl-alanin Aminobutyryl-aminobuttersäure B Alanyl-leucyl-glyein Aminoisovaleryl-glyein Dialanyl-cystin Glycyl-phenylalanin Dileucyl-eystin Leueyl-prolin Tetraglyeyl-glyein Diglyeyl-elyein Triglyeyl-glyeinester i Triglyeyl-glyein Dileucylelyeyl-glyein Die Wirkung des Trypsins geschieht nach den meisten Angaben am besten bei der schwach alkalischen Reaktion, wie sie in verdünnten Lösungen von Alkalikarbonaten herrscht. Heidenhain!) hat beobachtet, daß die günstigste Konzentration des Natriumkarbonats um so höher liegt, je mehr Trypsin vorhanden ist, so daß es auf die absoluten Mengen der beiden Körper anzukommen scheint. Gute Trypsinlösungen scheinen nach den Beobachtungen von Weinland ?), Mays?) u. a. bei einem Sodagehalt von 0,2 bis 0,3 Proz. Fibrin am raschesten zu lösen. Fbenso wie das Natriumkarbonat wirken Lösungen gleicher Alkaleszenz von Baryum-, Calcium- und Strontiumhydrat ®), ebenso auch das basische Arginin °). Indessen beziehen sich alle Angaben über die bessere Trypsinwirkung bei alkalischer Reaktion nur auf die Auflösung von Eiweiß, speziell Fibrin, dürch Trypsin. Die tiefere Spaltung bis zu Aminosäuren geht nach Kut- scher‘) und Weinland?) ebensogut, vielleicht besser bei neutraler Reak- tion vor sich. Über die Möglichkeit, daß mehrere proteolytische Fermente im Pankreassaft vorkommen, siehe unten. — Endlich verdaut das Trypsin auch bei saurer Reaktion, wenn auch erheblich langsamer ’)S). Stärkere Säuren, besonders aber Pepsin und Salzsäure zerstören das Trypsin ?). Beachtung verdient endlich die Angabe von Schierbeck’), wonach das Trypsin ebensogut wie das Ptyalin am besten in einer alkalischen, mit Kohlensäure gesättigten Lösung wirkt, die also nur sehr wenig oder gar keine O H-Ionen enthält (vgl. auch 5.522 und 601). Außer in Wasser löst sich Trypsin auch in wässerigem Glycerin, was häufig zu seiner Darstellung gedient hat, da derartige Glycerinextrakte halt- bar und bequem zu handhaben sind. !) R. Heidenhain, Pflügers Arch. 10, 557, 1875. — °) E. Weinland, Zeit- schrift f. Biol. 45, 292, 1903. — °) K. Mays, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 428, 1903. — *) A. Dietze, Dissertation, Leipzig 1900. — °) D. Lawrow, Zeitschr. f£. physiol. Chem. 28, 303, 1899. — °) F. Kutscher, Endprodukte der Trypsin- verdauung, Marburger Habilitationsschrift 1899. — 7) K. Mays Untersuchungen a. d. physiol. Institut Heidelberg 8, 378, 1880. — °) K. B. Rachford, Journ. of Physiol. 25, 165, 1899. — °) N. P. Schierbeck, Skandinav. Arch. f. Physiol. 3, 344, 1891. Ohemie des Trypsins. 581 Durch Alkohol wird Trypsin bald gefällt, nach Vernon!) durch 3 Vol. Alkohol fast vollständig. Doch ist es gegen Alkohol, zumal verdünnten, empfindlich. Durch Sättigung seiner Lösungen mit Ammonsulfat wird das Trypsin ausgesalzen, und zwar in reinem Zustande nach Jakoby?) erst bei voller Sättigung; in eiweißhaltigen fällt ein Teil des Trypsins aber früher >). Andere Salze fällen Trypsin nicht oder unvollkommen®). Durch Aussalzen mit Ammonsulfat und nachfolgende Dialyse ist es Kühne) und Mays°) gelungen, recht wirksame und dabei von Verunreinigungen nahezu freie Trypsinpräparate zu erhalten. Zur Bestimmung des Trypsins werden dieselben Methoden verwendet wie beim Pepsin. Sehr viel benutzt sind in den letzten Jahren die Mett- schen Röhrchen. Sonst ist hauptsächlich die Zeit bestimmt worden, in der eine Fibrinflocke zerfällt, und da die Auflösung des Fibrins durch Trypsin meist viel langsamer erfolgt als durch Pepsin, bekommt man größere Aus- schläge. Auch fehlt beim Trypsin die Komplikation durch die Salzsäure. Den Verlauf der Trypsinwirkung haben Henri’) und Bayliss®) durch Bestimmung der elektrischen Leitfähigkeit und andere physikalisch-chemische Methoden ermittelt. Falls hemmende Wirkungen ausgeschaltet werden, steigt die Wirkung in gerader Linie an; im anderen Falle entstehen Kurven, die noch nicht sicher zu übersehen sind. Durch die Produkte, die das Trypsin aus dem Fiweiß entstehen läßt, wird seine weitere Wirksamkeit verzögert, wenn auch nie ganz aufgehoben, nach Bayliss‘) haben hier die Amino- säuren eine stärker hemmende Wirkung als die als Zwischenprodukte auf- tretenden Albumosen und Peptone. Eine Aufklärung wird durch die Bildung von Zwischenstufen erschwert, die dann weiter zerlegt werden; Versuche mit ein- facheren Verbindungen, Peptiden, auf die das Trypsin ja auch wirkt, gaben Bayliss bisher kein Resultat. Bayliss hat Beobachtungen gemacht, nach denen es zum mindesten wahrscheinlich ist, daß das Irypsin sowohl mit den zu ver- dauenden Eiweißkörpern als mit den entstandenen Spaltungsprodukten Ver- bindungen eingeht. Die ersteren sind die Voraussetzung seiner Wirkung, die letzteren die Ursache der Hemmung durch die Spaltungsprodukte. Auch mit verschiedenen Salzen geht das Trypsin, wie Kühne’) und sein Schüler Biernacki°) beobachtet haben, Verbindungen ein, die zum Teil auch durch Dialyse schwer oder nicht zu zerlegen sind. Diese Dinge werden für eine künftige Chemie des Trypsins von Bedeutung werden, einstweilen sind einige von ihnen für das praktische Arbeiten wichtig. So wird nach Biernacki und Weiss°) die Trypsinwirkung durch die Gegenwart kleiner Mengen von Chlornatrium und anderer Neutralsalze begünstigt, durch größere Mengen gestört. Auch die erwähnte Sodawirkung gehört hierher. In gesättigter !) H. M. Vernon, Journ. of Physiol. 29, 302, 1903. — ?) M. Jakoby, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 46, 28, 1901. — °) K. Mays, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 428, 1903. — *%) W. Kühne, Verhandlungen des naturh.-med. Vereins Heidelberg (N.F.) I, S. 194, 1877. — °) V. Henri, Compt. rend. Soc. biol. 1905 u. 1904, zitiert nach Bayliss. — °) W. M.Bayliss, Arch. des sciences biologiques de St. Petersbourg 11, Suppl., 261, 1904 (Jubelband für Pawlow). — ’) W.Kühne, Naturh.-med. Verein Heidelberg, N. F., III, S. 463, 1886. — °) E. Biernacki, Zeitschr. f. Biol. 28, 49, 1891. — °) H. R. Weiss, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 480, 1903. 582 Chemie des Trypsins. Kochsalzlösung ist die tryptische Verdauung sehr verzögert, aber noch vor- handen. Sulfate wirken in jeder Konzentration stark störend. Trypsinlösungen sind wenig haltbar. Wie Biernacki'), Vernon?), Mays°)und Bayliss*) beobachtet haben, verlieren gereinigte Trypsinlösungen, zumal bei alkalischer, also für ihr Wirken günstiger Reaktion, bei Körper- temperatur in Stunden, bei Zimmertemperatur in wenig Tagen ihre ver- dauende Fähigkeit ganz oder zum größten Teil. Selbst bei 0°, in gefrorenem und festem Zustande sah Bayliss ım Laufe der Zeit eine deutliche Ab- schwächung eintreten. Bei 45 bis 50° werden Trypsinlösungen in wenigen Minuten unwirksam. Bayliss hat nun beobachtet, daß eine beim Stehen unwirksam gewordene Trypsinlösung beim Zusammenbringen mit Eiweiß nach wie vor die Veränderungen der Leitfähigkeit zeigt, aus denen er auf eine Bindung des Trypsins an das Eiweiß schließt. Er setzt daher das Un- wirksamwerden des Trypsins in Parallele mit der Umwandlung der Toxine in Toxoide, wie sie Ehrlich beobachtet hat, und spricht von einem Übergang des Trypsins in ein „Zymoid“, das zwar nicht mehr verdaut, aber sich durch seine haptophore Gruppe noch mit dem Eiweiß vereinigen kann. In seinen Verbindungen mit Eiweißkörpern und Salzen unterliegt das Trypsin dieser Umwandlung nicht oder doch viel langsamer. Native Eiweißkörper, Peptone, Aminosäuren und Salze „schützen“ daher, wie Biernacki zuerst beobachtet hat und Vernon’) und Mays bestätigen konnten, das Trypsin. Es ist in Gegenwart von Eiweiß, z. B. im natürlichen Pankreassaft, bei Zimmertempe- ratur sehr lange haltbar und verträgt auch Erwärmen auf 55°; erst jenseit 60° wird es zerstört. Ob der im Verlaufe einer Eiweißspaltung eintretende Fermentverlust auf einem Verbrauch des Fermentes bei seiner Wirkung beruht, oder auf der trotz Anwesenheit von Peptonen und Aminosäuren stattfinden- den Umwandlung in Zymoid, ist nach Bayliss noch nicht aufgeklärt. Wie gegen andere Kolloide kann man Tiere auch gegen Trypsin immu- nisieren. Außerdem aber kommen im Organismus von selbst „Antitrypsine“ vor, d.h. Körper, welche die Verdauung von gleichzeitig vorhandenem Eiweiß durch Trypsin verhindern. Von dem Antitrypsin des Darmes wird S. 597 die Rede sein. Im Blutserum haben Hahn), Glässner’), Cathcart), Öppenheimer und Aron®) und Bayliss!P) ein derartiges Antitrypsin ge- funden. Seine Wirkung ist nach Bayliss streng spezifisch und nur auf das Trypsin beschränkt. Seine biologische Bedeutung ist unklar. Trypsinogen und Enterokinase. Wie Heidenhain!!) gefunden hat und wie seitdem vielfach bestätigt worden ist, enthält die Pankreasdrüse das Trypsin nicht als solches, sondern in einer unwirksamen Vorstufe, als Zymogen, und Pawlow zeigte dann, !) E. Biernacki, Zeitschr. f. Biol. 28, 49, 1891. — *) H. M.Vernon, Journ. of Physiol. 26, 405, 1901. — °) K. Mays, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 428, 1903. — *) W. M. Bayliss, Arch. des sciences biologiques de St. Petersbourg 11, Suppl., 261, 1904 (Jubelband für Pawlow). — °) H. M. Vernon, Journ. of Physiol. 31, 346, 1904. — °) Hahn, Berliner klin. Wochenschr. 1897, Sep. — 7) K. Glässner, Hofmeisters Beitr. 4, 79, 1903. — °) E. P. Catheart, Journ. of Physiol. 31, 497, 1904. — °) C. Oppenheimer und H. Aron, Hofmeisters Beitr. 4, 279, 1903. — °°) W. M. Bayliss, Arch. des sciences biol. de St. Petersbourg 11, Suppl., 261, 1904 (Jubelband für Pawlow). — '') R.Heidenhain, Pflügers Arch. 10, 557, 1875. Trypsinogen und Enterokinase. 583 daß das Trypsin meist auch noch als Zymogen secerniert wird. Die Identität des secernierten und des in der Drüse vorhandenen Zymogens steht nicht fest. Die Umwandlung des secernierten Zymogens in das fertige Trypsin wird nach Pawlows!) Entdeckung durch einen besonderen, von der Dünndarmschleimhaut secernierten Körper bewirkt, die Enterokinase, Sie ist im Darmsaft nicht immer enthalten, sondern wird nur dann ab- gesondert, wenn Trypsin ins Darmlumen gebracht wird. Die Einwirkung des Pankreassaftes auf die Kinasebildung ist spezifisch. Andere proteo- lytische Fermente, z. B. das der Galle, rufen sie nicht hervor. Ob das Trypsin selbst oder ein anderer Körper im Pankreassaft die Sekretion hervor- ruft, läßt sich einstweilen nicht entscheiden und ebensowenig, ob es sich um einen Reflex oder um direkte Beeinflussung der secernierenden Zellen handelt; Enterokinase eines Tieres aktiviert auch Trypsin einer anderen Art2). Die Enterokinase ist nicht kochbeständig, wird aber erst bei 67 bis 70° zerstört), d. h. bei einer höheren Temperatur als die meisten Fermente, In Alkohol von etwa 90 Proz. ist die Enterokinase löslich*), ob auch in stärkerem, das ist nicht untersucht. Die Enterokinase zeigt dadurch Ähn- lichkeiten mit den Körpern der inneren Sekretion, wie etwa dem Sekretin, von dem sie aber natürlich verschieden ist. Sie fällt zusammen mit den Nucleoproteiden aus und läßt sich daher aus Schleimhautextrakten durch Essigsäure fällen °). Die Enterokinase ist von Pawlow beim Hunde entdeckt, dann von Hamburger und Hekma°) und Glässner®) auch beim Menschen gefunden worden. Auch bei der Katze ist sie nachgewiesen). Die Enterokinase wird ausschließlich von den Epithelien des Dünndarms 7) ?) produziert. Delezenne°) hatte geglaubt, sie auch in den Leukocyten des Blutes und der Lymphdrüsen gefunden zu haben, und ihr Vorkommen in Darmextrakten auf die Leukocyten der Peyerschen Plaques bezogen. Seine Angaben sind indessen von Starling und Bayliss’) und von Hekma’) widerlegt worden. Dagegen scheint sie in manchen Bakterien vorzu- kommen °) ?). Die Umwandlung des Trypsinogens in Trypsin durch Enterokinase erfolgt nach Bayliss!®) bei Körpertemperatur momentan. Worin sie besteht, ist noch nicht entschieden. Starling und Bayliss!!) konnten mit einer kleinen Menge von Enterokinase sehr erhebliche Mengen von Trypsinogen in Trypsin umwandeln und mit einer kleinen Menge des Gemisches neues !) J. P. Pawlow, Das Experiment usw., Wiesbaden 1900; Schepowal- nikoff, Dissertation, St. Petersburg 1898; Lintwarew, ebenda 1901; Sawitsch, Russki Wratsch 1, 679, 1902; Walther, Intern. Physiol. Kongreß 1901. — 2) A. Frouin, Compt. rend. soc. biol. 56, 806, 1904. — °) J. H. Ham- burger und E. Hekma, Journ. de physiol. et de pathol. gener. 1902, p. 805; Derselbe auch Akademie van Wetenschapen te Amsterdam, Mai 1902. — ‘) O.Cohn- heim, Arch. des sciences biol. de St. Pötersbourg 11, Suppl., 112, 1904 (Jubelband für Pawlow). — °) H. Stassano et F. Billon, Compt. rend. soc. biol. 54, 623, 1902. — °) K. Glässner, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 465, 1903. — ?) W. M. Bayliss and E. H. Starling, Journ. of Physiol. 30, 61, 1903. — °) C. Dele- zenne, Compt. rend. soc. biol. 54, 281, 283, 590, 693, 890, 893, 896, 998, 1902; Compt. rend. 135, 328, 1902. — °) E. Hekma, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1904, 8.343. — !%) W. M. Bayliss, Arch. des sciences biol. de St. Petersbourg 11, Suppl., 261, 1904 (Jubelband für Pawlow). — '') W. M. Bayliss and E. H. Starling, Journ. of Physiol. 30, 61, 1903; 32, 129, 1905. 584 Umwandlung des Trypsinogens. Trypsinogen aktivieren. Sie schließen daraus, daß die Enterokinase aus dem Trypsinogen das Trypsin macht, ohne selbst in die Reaktion einzutreten. Hamburger und Hekma und ich fanden andererseits, daß Trypsinogen und Enterokinase in einem bestimmten Mengenverhältnis stehen müssen, und daß ein Zuviel der Enterokinase die Bildung des Trypsins erst stört, dann völlig aufhebt. Wir folgern daraus, daß die beiden Körper sich chemisch zum Trypsin vereinigen wie Amboceptor und Komplement zum Hämolysin. Gegen die erstere Auffassung läßt sich einwenden, daß durch Dissoziation eine nachträgliche Abspaltung der Enterokinase vom Trypsinogen und ihr Heran- treten an neue Fermentmengen möglich ist. Die Überschußhemmung ließe sich andererseits auf das Vorhandensein eines hemmend wirkenden Körpers neben der Enterokinase zurückführen; Hamburger und Hekma haben sie aber auch bei dem Dünndarmsekret beobachtet, in dem ein solcher Körper nicht anzunehmen ist. Das Trypsinogen wird am schnellsten und vollständigsten zu Trypsin durch Enterokinase, die Umwandlung erfolgt aber auch durch andere Dinge. Zunächst ist es eine Erfahrung, die zuerst von Heidenhain!), dann von Mays2), Vernon°®) und Hekma®) gemacht worden ist, daß in Pankreas- drüsen oder wässerigen Extrakten sich allmählich spontan Trypsin bildet. Nach Vernon erfolgt die Umwandlung erst langsam, dann ziemlich plötzlich, und sie erfolgt nach Vernon und Mays ausgiebiger, wenn mehrere Drüsen gemischt werden. Viel schneller geschieht die Trypsinbildung durch Säuren, wie sie Heidenhain, Kühne’) u.a. beobachtet haben, und die von Hekma mit Unrecht bestritten wird. Die Ursachen der spontanen Umwandlung und das Verhältnis der Aktivierung durch Säuren zu dem durch Enterokinase bedürfen weiterer Untersuchung. Die Extrakte ganz frischer Pankreasdrüsen verhalten sich bei ver- schiedenen Tierarten in bezug auf ihren Gehalt an Trypsinogen und Trypsin verschieden. Die von Katzen enthalten meist gar kein aktives Trypsin, gelegentlich auch die von Hunden und Schweinen, meist erhält man bei diesen Tieren und bei Rindern Extrakte mit etwas Trypsin neben mehr Trypsinogen. Bei Hunden kann man bisweilen Drüsen finden, deren frische Extrakte sofort sehr reichlich wirksames Trypsin enthalten. Das Sekret, das man durch Sondieren des Pankreasganges von Hunden, etwa bei Sekretinwirkung, erhält, ist, darin stimmen Pawlow, Starling und Bayliss®) und Delezenne’) überein, stets trypsinfrei, enthält viel- mehr nur Trypsinogen. Bei dem Sekret aus Dauerfisteln hingegen fand Pawlow die S. 573 erwähnten Differenzen je nach der Ernährung der Hunde, Differenzen, die sicher nicht, wie Delezenne und Frouin‘) an- nehmen, auf Versuchsfehlern beruhen. !) R. Heidenhain, Pflügers Arch. 10, 557, 1875. — °) K. Mays, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 428, 1903. — °) H. M. Vernon, Journ. of Physiol. 27, 269, 1901. — *) E. Hekma, Kon. Akad. van Wetenschappen te Amsterdam 1903, p. 34; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1904, S. 343. — °) W.Kühne, Untersuchungen a. d. Physiol. Institut Heidelberg 1, 222, 1878; A. Ewald, Zeitschr. f. Biol. 26, 5, 1890. — °) W. M. Bayliss and E. H. Starling, Journ. of Physiol. 30, 61, 1903. — ”) C. Del&zenne, Compt. rend. soc. de biol. 54, 691 u. 693, 1902. — ®) A. Frouin, Compt. rend. soc. biol. 58, 1025, 1905. - Einheit des Trypsins. 585 Bisher war immer nur von dem Trypsin als einem einheitlichen Körper die Rede. Es ist aber mehrmals angenommen worden, daß es im Pankreas mehrere proteolytische Fermente gebe. Nachdem schon Vernon!) wegen der verschiedenen Resistenz verschiedener Trypsine gegen Alkalien und gegen Wärme an eine Verschiedenheit der Fermente gedacht hatte, glaubte Pollak?) sie dadurch beweisen zu können, daß er Pankreasextrakte mit Säure versetzte und nach einiger Zeit wieder neutralisierte. Dann vermochte der Extrakt zwar noch Gelatine, aber nicht mehr Serumeiweiß zu verdauen. Versetzte er andererseits wirksame Extrakte mit gekochtem Pankreasextrakt, so wurden die Serumeiweiße ebensogut wie sonst, Gelatine dagegen merklich schlechter verdaut. Gegen diese Beweiskraft der Versuche läßt sich ein- wenden, daß die Verdauung der Serumeiweiße bei 34 bis 36, die der Gelatine bei 14 bis 20° vorging, und daß man nicht wissen kann, was die Temperatur- differenz in einem so komplizierten Gemenge wie einem Pankreasextrakt tut. Vernon?) beobachtete andererseits, daß die fibrinlösende und die pepton- _ spaltende Wirkung von Pankreasextrakten gar nicht parallel gingen, und daß durch fraktionierte Alkoholfällung, Aussalzung oder Alkalibehandlung die Unterschiede noch größer werden können. Er nimmt daher an, daß das Pankreas zwei Fermente enthalte, 1. ein Trypsin, das auf native Eiweiß- körper und auf Peptone wirkt, und 2. ein Erepsin analog dem des Darmes, das nur Peptone spaltet, native Eiweißkörper aber gar nicht löst. Eine Reihe von Widersprüchen in den bisherigen Angaben würden sich durch diese An- nahme von Vernon am leichtesten auflösen, bewiesen ist sie indessen noch nicht, da die Umwandlung des Zymogens im Enzym, andererseits des Enzyms in Zymoid während der Versuche unübersehbare Komplikationen schafft. Auch ist im Extrakt mit der Anwesenheit von Antifermenten zu rechnen, die eventuell nur das Eiweiß, aber nicht die Peptone schützen. Endlich würde eine Vielheit von Fermenten im Pankreasextrakt noch keinesfalls den Schluß zulassen, daß auch das für die Verdauung allein in Betracht kommende Sekret mehr als ein Ferment enthält, da es im Pankreas zweifellos eine Auto- lyse gibt (vgl. S.575). Starling und Bayliss*) nehmen allerdings auch im Pankreassaft zwei proteolytische Fermente an, das eigentliche Trypsin, das immer als Zymogen secerniert wird, und ein erepsinartiges Ferment, das daneben schwach auf native Eiweißkörper wirkt, und das durch das spezifische Antitrypsin nicht beeinflußt wird. Auch diese Annahme ermangelt bisher noch des zwingenden Beweises. Das Labferment des Pankreas. Wie Kühne) und nach ihm Halliburton $) beobachtet haben, enthält das Pankreas ein Labferment, durch das Milchkasein in derselben Weise verändert wird wie durch das Lab des Magens. Nur ist sein Nachweis schwerer, da die Kaseingerinnsel durch das Trypsin wieder gelöst werden; 1) H. M. Vernon, Journ. of Physiol. 26, 405, 1901; 31, 346, 1904. — ®) L. Pollak, Hofmeisters Beitr. 6, 95, 1904. — °) H. M. Vernon, Journ. of Physiol. 30, 330, 1903. — *) W. M. Bayliss and E. H. Starling, ebenda 30, 61, 1903; W. M. Bayliss, l. c. 1904. — °) W. Kühne, Heidelberger naturh. - med. Verein, N.F., I, H.4, 1876. — °) W. D. Halliburton and F. G. Brodie, Journ. of Physiol. 20, 97, 1896. 586 Lab im Pankreas. — Steapsin. die von Halliburton betonten Abweichungen von dem Magenlab dürften hierauf zurückzuführen sein. Von dem Pankreaslab gilt dasselbe wie von dem des Magens: nach Pawlow und Parastschuk!) ist es kein Ferment, sondern eine Eigenschaft des Trypsins. Den völligen Parallelismus zwischen Trypsin und Lab hat auch Vernon?) beobachtet. Auch Plastein wirkung des Pankreassaftes ist beobachtet (vgl. S. 555). Steapsin oder Lipase. Dies seit langem bekannte Ferment wandelt Neutralfette in Fettsäuren und Glycerin um. Im Gegensatz zu den nur bei saurer Reaktion gut wirk- samen pflanzlichen Lipasen wirkt es gleichgut bei alkalischer, neutraler und saurer Reaktion 3). Wenn es bei alkalischer Reaktion wirkt, erscheinen die Fettsäuren teilweise als Seifen. Man kann das Steapsin aus der Drüse mit Wasser oder Glycerin extrahieren, beim Stehen geht seine Wirkung aber sehr bald zurück *), wenn die Extrakte Trypsin enthalten. Im anderen Falle ist sie nach Kastle und Loevenhart’) tagelang beständig. Die Wirkung läßt. sich am leichtesten durch das Auftreten saurer Reaktion in einer Emulsion von Neutralfett demonstrieren. Die Gegenwart kleiner Mengen von Alkohol und Äther stört die Enzymwirkung nicht, ebensowenig die der lipoidlöslichen Antiseptika ’). Früher wurde großer Wert auf die alkalische Reaktion des Pankreassaftes und die dadurch ermöglichte Emulgierbarkeit der Fette gelegt; auch die Galle sollte die Emulgierbarkeit befördern und dadurch die Fett- resorption unterstützen. Das Steapsin spaltet aber auch unemulgierte Fette; über die Wirkung der Galle und die Fettspaltung überhaupt siehe 8.589 und 618. Die Wirkung des Steapsins ist häufig unterschätzt worden, da sie weniger in die Augen fällt als die der anderen Fermente, und da der größte Teil des Steapsins nicht als solches im Pankreas vorkommt, sondern als Zymogen. Nencki®), Zuntz’) und Pawlow°) haben beob- achtet, daß die fettspaltende Wirkung von Pankreasextrakt und Pankreas- saft dadurch auf das Drei- und Mehrfache gesteigert wird, daß man Galle hinzufügt. Die Galle enthält selbst kein fettspaltendes Ferment, aber einen Körper, der das Steapsinogen des Pankreassaftes aktiviert. Näheres ist über diesen Körper und über sein Zusammenwirken mit dem Steapsin nieht bekannt. Eine gewisse Menge Steapsin enthält der Pan- kreassaft als fertiges Ferment. — Wie S.564 erwähnt ist, hat Pawlow gefunden, daß bei Einführung von Öl in den Magen sich der Pylorus in umgekehrter Richtung öffnet und der Duodenalinhalt in den Magen fließt. So erfolgt ein großer Teil der Fettverdauung im Magen, wenn auch durch das Pankreassteapsin. !) J. P.Pawlow u. 8. Parastschuk, Zeitschr. f. physiol. Chem. 42, 415, 1904. — °) H. M. Vernon, Journ. of Physiol. 28, 302, 1903. — °) J. Lew- kowitsch and J.J. Macleod, Proc. Roy. Soe. 72, 31, 1903. — *) W. N. Bol- direff, Arch. des sciences biol. de St. Petersbourg 11, 1, 1904. — °) J. H. Kastle and A. 8. Loevenhart, Amer. Chem. Journ. 24, 491, 1900. — °) M. Nencki, Arch. f. exp. Path. u. Pharmak. 20, 367, 1886. — °) N. Zuntz (u. Ussow), Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1900, S. 3890. — °) J. Lintwarew, Diss., St. Peters- burg 1901. Ptyalin. — Invertin, Maltase, Laktase. 587 Außer auf die eigentlichen Fette wirkt das Pankreassteapsin auf eine große Reihe ähnlich gebauter Ester !) ?), von denen für einige Untersuchungen besonders der Buttersäureäthylester in Betracht kommt. Das Steapsin ist neben der Maltase das einzige Ferment, von dem bisher neben seiner spal- tenden auch eine synthetische Wirkung beobachtet worden ist. Kastle und Loevenhart?) fügten den Glycerinextrakt von Schweinepankreas zu einer wässerigen Lösung von Buttersäure und Alkohol hinzu und sahen Butter- säureäthylester auftreten. Diastase oder Ptyalin. Der Pankreassaft enthält dasselbe Ferment wie der Speichel, das Stärke auf dem Umwege über Dextrin in Maltose umwandelt. Es stimmt mit dem Speichelferment in allen Punkten überein. Ein Zymogen konnte Pawlow nicht finden, doch wollen Zuntz°), Pozerski*) und Vernon ’) etwas derartiges beobachtet haben. Aus Glycerinlösungen wird Diastase im Gegensatz zum Trypsin nach Vernon®) erst durch einen starken Über- schuß von Alkohol gefällt; durch verdünnten Alkohol wird es sehr schnell zerstört. Die Diastase wurde im Pankreas aller untersuchten Tiere (Pferd ’), Rind ?), Mensch °), Fleischfresser usw.) gefunden. Bei Hunden und Katzen ist sie schon bei der Geburt vorhanden ?), bei Menschen tritt sie nach Zweifel!) erst später, aber doch schon während der Säuglingsperiode auf. Menschliche Säuglinge nutzen Stärke daher schon gut aus !!). In der Fötal- zeit könnte die Diastase eventuell mit dem Glykogenverbrauch zu tun haben. Invertin, Maltase, Laktase. Nach den übereinstimmenden Angaben von E. Fischer und Niebel 12) (Pferd, Rind), Glässner!?) (Mensch) und Miura!®) (Hund) enthält das Pankreas kein Invertin; nach E. Fischer und Niebel auch keine Fermente, die Trehalose, Melitose oder Glykoside spalten. Dagegen enthält es nach Fischer und Niebel und Hamburger!) etwas Maltase, wenn sie auch an Menge neben der Diastase stark zurücktritt. Die Stärke wird durch Pankreassaft daher zunächst überwiegend zu Maltose, daneben tritt aber auch Traubenzucker auf. Laktase enthält nur das Pankreas saugender oder mit Milchzucker gefütterter Säugetiere. Über ihr Auftreten ist S.573 geredet worden. ) M. Nencki, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 20, 367, 1886; M. Gonner- mann, Pflügers Arch. 95, 278, 1903. — ?) J. H. Kastle and A.S. Loevenhart, Amer. Chem. Journ. 24, 491, 1900. — °) N. Zuntz (u. Ussow), Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1900, S. 380. — *) E. Pozerski, Thöse de Paris 1902. — °) H. M. Vernon, Journ. of Physiol. 28, 137, 1902. — °) Derselbe, ebenda 29, 302, 1903. — 7°) E. Fischer u. W. Niebel, Preuß. Akad. d. Wiss. 1896, 8. 73. — ®) K. Glässner, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 465, 1903. — °) O. Langendorff, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879, S.95. — !") P. Zweifel, Verdauungsapparat Neu- geborener, Straßburg 1874 — '!) J. Hedenius, Arch. f. Verdauungskrankh. 8, 379, 1902. — '*) E. Fischer und W. Niebel, Preuß. Akad. d. Wiss. 1896, 8.73. — =) K. Glässner, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 465, 1903. — '*) K. Miura, Zeitschr. f. Biol. 32, 266, 1895. — ") C. Hamburger, Pflügers Arch. 60, 543, 1895. Wirkung auf Nuclein und Leeithin. ot [0 2) &. Nuclease. Wie Kossel und Gumlich!) und Umber?) gezeigt haben, löst sich die Nucleinsäure, die im Magen zum großen Teil gefällt wird, in dem alka- lischen Pankreassaft auf. Werden Nucleoproteide oder Nucleine, die aus ihnen im Magen entstehen, mit Pankreasextrakt behandelt, so wird ihre Verbindung zerlegt?), und es befinden sich in der Flüssigkeit neben- einander die Spaltungsprodukte des Eiweiß, Peptone und Aminosäuren, und Nucleinsäure, bzw. deren Spaltungsprodukte?). Dabei wird die Nuclein- säure nicht etwa einfach gelöst, sondern sie erleidet, wie Iwanoff>), Plenge*), Araki’) und Sachs‘) gezeigt haben, unter dem Einfluß von Fermenten dieselbe chemische Umwandlung wie durch Kochen mit Säuren oder Alkalien, die gelatinierende Nucleinsäure « geht in die löslichere und nicht mehr gelatinierende Nucleinsäure b über”). Die diese Umwandlung bewirkenden Fermente hat Iwanoff®) Nucleasen genannt. Wie Sachs®) gezeigt hat, ist die Nuclease des Pankreas ein von dem Trypsin verschiedenes Ferment, wenn es auch nicht immer gelingt, sie von dem Trypsin zu trennen. Beim Stehen von wässerigen Pankreasextrakten wird die Nuclease sehr rasch unwirksam, ob infolge Zerstörung durch Trypsin oder infolge Zymoidbildung, ist nicht bekannt). Weiter als bis zur Nucleinsäure b hat man Nuclein- säure durch Pankreasextrakte bisher nicht verändern können. Überläßt man dagegen Pankreas der Selbstverdauung, so entstehen, wie Kutscher°) gezeigt hat, die kristallisierten Spaltungsprodukte der Nucleinsäure, vor allem die Purinbasen. Ob diese freilich bei der Verdauung entstehen, muß einst- weilen dahingestellt bleiben. Da im Pankreas autolytische Prozesse ablaufen (vgl. S.575) und da Spaltungsprodukte der Nucleinsäure bei der Autolyse anderer Organe gefunden sind !0), so wäre es möglich, daß ihr Auftreten bei der Selbstverdauung des Pankreas auf autolytische, nicht auf zur Sekretion bestimmte Fermente zurückzuführen ist (vgl. auch S. 630). Den Umstand, daß die Nucleine im Magen gefällt, durch den Pankreas- saft dagegen gelöst werden, benutzt A.Schmidt !!)zu diagnostischen Zwecken; er schließt aus dem Erscheinen von Zellkernen im Kot auf eine Störung der Pankreastätigkeit. Es ist indessen dazu zu bemerken, daß nach Umber beträchtliche Mengen Nucleinsäure im Magen gelöst werden, und nach Gumlich und Araki der Darmsaft Nucleine aufzulösen vermag. Das Lecithin spaltende Ferment des Pankreas. Kutscher und Lohmann !?) haben im Pankreas ein Ferment entdeckt, das aus Lecithin Cholin — und wohl auch die anderen Bausteine desselben — !) Gumlich, Zeitschr. f. physiol. Chem. 18, 508, 1893. — °) F. Umber, Zeitschr. f. klin. Med. 43, Heft 3 u. 4, 1901. — °) L. Iwanoff, Zeitschr. £. physiol. Chem. 39, 31, 1903. — *) H. Plenge, ebenda 39, 130, 1903. — °) T. Araki, ebenda 38, 84, 1903. — °) Fr. Sachs, ebenda 46, 337, 1905 (bei beiden die frühere Literatur). — 7) A. Neumann, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899, Suppl., 8.552; S. Kostytscheff, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 545, 1903; vgl. auch OÖ. Cohn- heim, Chemie der Eiweißkörper, 1904, S. 217. — ®) Fr. Sachs, Heidelberger med. Diss., 1905. — °) Fr. Kutscher, Marburger Habilitationsschrift, 1899; Fr. Kutscher u. Lohmann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 159, 1903. — !°) Fr. Kutscher, ebenda 34, 114, 1901. — !') Ad. Schmidt, Funktionsprüfung des Darmes. Wies- baden 1904. — !?) Fr.Kutscher u. Lohmann, Zeitschr. f. phys. Chem. 39, 159, 1903. Galle. 589 frei macht. Da bisher nur Extrakte und nicht das Sekret untersucht sind, läßt sich nicht entscheiden, ob es sich lediglich um ein autolytisches oder um ein verdauendes Sekret handelt. Doch ist bei der großen Ähnlichkeit zwischen Fett und Lecithin das letztere wohl wahrscheinlich. Das Superoxyde spaltende Ferment des Pankreas. Wie Nencki und Zaleski!) gefunden haben, werden Calcium- und Benzoylsuperoxyd vom Pankreassaft, besser noch von Pankreassaft plus Galle unter Sauerstoffentwickelung zerlegt. Ob diese Zerlegung durch ein eigenes Ferment geschieht oder durch das Steapsin — die Atomverkettung der Superoxyde ist ja esterartig — bleibt dahingestellt. Über die Wirkung des Pankreassaftes auf Toxine siehe S. 557. V. Die Galle als Verdauungssekret. Da die Physiologie der Leber an anderer Stelle eingehend behandelt wird, soll hier nur von der Galle als Verdauungssekret die Rede sein. Die Sekretion der Galle ist früher an Gallenblasenfisteln studiert worden. Nun ist aber die Gallenblase bekanntlich als seitenständiges Reservoir in den Weg der Galle von der Leber zum Darm eingeschaltet. Galle, die aus einer Gallenblasenfistel herausfließt, kann daher zur Sekretion, sie kann aber auch dazu bestimmt sein, einstweilen in der Gallenblase aufgesammelt zu werden. Gallenblasenfisteln können wohl etwas über die Tätigkeit der Leber aussagen, nicht aber über die Bedingungen, unter denen die Galle in den Darm entleert wird. Pawlow 2) änderte daher die Technik und ersetzte die Gallenblasen- fistel durch eine Fistel, die die Einmündung des Ductus choledochus nach außen führte. Es ergab sich, daß es nur zwei wirksame Reize für die Gallen- sekretion gibt, die Berührung der Duodenalschleimhaut mit Fett und mit Albumosen. Dagegen konnte Pawlow weder einen psychischen Einfluß, noch eine Beeinflussung vom Magen her oder durch die Säure des Magen- saftes zu beobachten. Auch das Sekretin wirkt nach Bayliss und Starling°) nicht gallentreibend. Im Gegensatz hierzu wollen Falloise*) und Frouin’) vermehrte Gallensekretion beobachtet haben, wenn sie Salzsäure ins Duodenum einführten. Indessen sind Falloises Versuche an narkotisierten Hunden mit abgebundener Gallenblase angestellt und können daher nichts beweisen. Die Erfahrungen Ellingerss) über toxische Reizwirkungen auf die Muskeln der Gallenwege mahnen hier dringend zur Vorsicht. — Über den genaueren Verlauf und die Menge der Sekretion liegen noch keine Angaben vor. Dagegen hat Boldireff?) beobachtet, daß bei fettreicher Nahrung durch den sich rückwärts öffnenden Pylorus zusammen mit Pankreas- und Darm- saft auch Galle in den Magen gelangt (vgl. 8.564). !) M. Nencki u. J. Zaleski, Zeitschr. f. phys. Chem. 27, 487, 1899. — °) J. P. Pawlow, Arbeit der Verdauungsdrüsen; G. @. Bruno, Arch. des sc. biol. de St. Petersbourg 7, 87, 1899. — ®) W. M. Bayliss and E. H. Starling, Journ. of Physiol. 28, 325, 1902; 29, 174, 1903. — *) A. Falloise, Acad. roy. de Belgique (Classe des sciences) 1903, p. 757. — °) A. Frouin, Compt. rend. soc. biol. 56, 461, 1904. — °) A. Ellinger, Hofmeisters Beitr. 2, 297, 1902. — 7) W. N. Boldireff, Zentralbl. f. Physiol. 1904, S. 457. 590 Galle und Fett. Von den Bestandteilen der Galle haben, soweit bekannt, die Gallenfarb- - stoffe, das Cholesterin und das Lecithin, keine Bedeutung für die Verdauung. Das reichlich vorhandene Natriumkarbonat unterstützt die Wirkung des Pankreassaftes. Der Aktivator des Steapsins ist schon besprochen worden (S. 586). Von einer Unterstützung der Trypsinwirkung durch die Galle ist öfter die Rede gewesen !), sie ist aber nur gering und erstreckt sich nach Pawlow und Lintwarew ?) nur auf schon aktiven Saft. Die verstärkende Wirkung der Galle hat also nichts mit der Enterokinase zu tun und beruht eher auf Veränderungen der Alkaleszenz, Ausfällung hemmender Stoffe oder Ähnlichem. Außerdem enthält die Galle kleine Mengen eines proteolytischen Fermentes ?), das aber zu schwach ist, um eine Rolle bei der Verdauung zu spielen. Desto wichtiger sind die Cholate, die Natronsalze der Glykochol- und der Taurocholsäure, und zwar in zwei Richtungen. Erstens bilden native Eiweißkörper und ein Teil der Albumosen mit Taurocholsäure unlösliche Salze. Diese Salze verhalten sich aber so wie die Salze der Alkaloidreagenzien mit Eiweiß; sie werden bei neutraler oder alka- lischer Reaktion hydrolytisch dissoziiert und dadurch aufgelöst. Die Tauro- cholsäure fällt daher Eiweiß nur bei saurer, nicht bei neutraler oder alka- lischer Reaktion. Das äußert sich darin, daß der sich entleerende Mageninhalt, der ja von der Eiweißverdauung her Albumosen und ungespaltenes Eiweiß enthält, beim Zusammentreffen mit Galle eine Fällung entstehen läßt, von der man sich an Hunden mit Duodenalfisteln gut überzeugen kann. Gewinnt im weiteren Verlaufe die alkalische Reaktion die Oberhand, so gehen die Albu- mosen in Lösung und werden dann sofort weiter verdaut. Die Bedeutung dieser Fällung hat man früher darin gesehen, daß das Pepsin von ihr nieder- gerissen und dadurch das Trypsin vor der schädigenden Wirkung des Pepsins geschützt würde Da diese Wirkung ohnedies durch Neutralisation des Mageninhaltes erreicht wird, dürfte sie noch in anderer Riebtung zu suchen sein, nämlich als eines der Mittel, die der Organismus anwendet, um sich vor der Resorption von nicht weit genug gespaltenem Eiweiß zu schützen. Von erheblicher Bedeutung kann diese Funktion der Galle nicht sein. Ist es doch seit alters bekannt, daß der Ausschluß der Galle vom Darm die Eiweiß- verdauung nicht beeinträchtigt. Selbst sehr große Eiweißmengen werden von Gallenfistelhunden normal ausgenutzt *). Die zweite Eigenschaft der gallen- sauren Salze ist, daß sie Seifen in Lösung halten, und daß die Auflösung von Seifen in gallensaurem Natron ihrerseits freie Fettsäuren auflöst. Diese für die Fettresorption äußerst wichtige Eigenschaft ist von Moore und Rock- wood’) entdeckt, später besonders von Pflüger‘) eingehend untersucht worden. Er fand, daß 100 ccm Rindergalle bei Gegenwart einer kleinen Menge von Natron 19g Fettsäuren zu lösen vermögen. Ein Teil dieser Fettsäuren muß Ölsäure sein, da nur sie sich direkt in Galle löst. Durch ihre Vermittelung können dann aber auch beträchtliche Mengen von Stearin- N) N. Zuntz (u. Ussow), Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1900, S. 380. — ?) J. Lintwarew, Diss., St. Petersburg 1901. — °) A. Tschermak, Zentralbl. f. Physiol. 16, 329, 1902. — *) S. Rosenberg, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, S. 528; F. Röhmann, Pflügers Arch. 29, 509, 1882. — °) B. Moore and D. P. Rockwood, Journ. of Physiol. 21, 58, 1897. — °) E. Pflüger, Pflügers Arch. 82, 203, 1900; 88, 299, 1902. Ausscheidungen mit der Galle. — Dünndarm. 9a und Palmitinsäure gelöst werden. Für die Fettresorption hat sich erst mit diesem Befunde ein wirkliches Verständnis eröffnet, denn ehe man diese fett- säurenlösende Wirkung der Galle kannte, mußte man annehmen, daß das gespaltene Fett vollständig in Seifen überführt werden mußte, um wasserlös- lich und damit aufgesogen zu werden. Und das stimmte mit dem tatsäch- lichen Befund im Darm wenig überein. Es ist seit alters bekannt, daß bei Abschluß der Galle vom Darm die Fettresorption schwer geschädigt wird. Wir kennen heute zwei Funktionen der Galle, durch die sie die Aufsaugung des Fettes unterstützt. Erstens enthält sie den Aktivator für das Steapsin des Pankreas, und zweitens vermag sie das gespaltene Fett in wasserlösliche Form überzuführen. Von der Form, in der das Fett resorbiert wird, wird S.618 im Zusammenhange die Rede sein. Endlich ist früher oft von einer fäulnishemmenden Wirkung der Galle die Rede gewesen. Bakteriologische Untersuchungen haben sie aber nicht bestätigen können !). Was das Schicksal der secernierten Gallensäuren anlangt, so wird ein kleiner Teil durch den Kot ausgeschieden 2). Die Hauptmasse aber wird resorbiert und macht einen intermediären Kreislauf durch. Für gewisse Fragen der Eiweißresorption ist endlich der Befund von Gürber und Hallbauer) von Wichtigkeit, wonach ins Blut eingespritzte, körperfremde Eiweißkörper durch die Galle ausgeschieden werden können (vgl. S.623), ein Befund, der freilich nicht unwidersprochen geblieben ist !). — Auch Methylenblau ’), Fluoreszein, Salicylsäure*) und Lithium werden durch die Galle ausgeschieden, Methylenblau in größerer Menge als durch den Harn ;). V1. Der Dünndarm. Der Dünndarm verläuft als ein vielfach gewundenes Rohr vom Pylorus zu der Einmündung in den Dickdarm. Über die Unterschiede seiner Länge und Entwickelung bei den einzelnen Tierarten vgl. S. 631. Seine innere Oberfläche ist durch die Zotten und die Lieberkühnschen Krypten aufs Mehrfache vergrößert und größtenteils von einem Epithel überzogen, das nur einzelne Schleimzellen zeigt, sonst aber nicht gestattet, resorbierende von secernierenden Zellen zu unterscheiden. Betreffs der histologischen Eigen- schaften des Fpithels sei auf Metzners Darstellung verwiesen. Das Epithel zeigt Lücken, an denen lymphatisches Gewebe an die Oberfläche tritt, die Solitärfollikel und die Peyerschen Plaques. Von der Chemie des Dünn- darmes ist nur das sogenannte Retieulin zu nennen, ein Albuminoid, das Siegfried’) aus dem nach Entfernung der Muskeln, Zellen usw. übrig bleibenden reticulären Gewebe darstellte. Prosekretin, Enterokinase und der 1) L. Brauer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 182, 1903. — °) M. Ser- kowski, Malys Jahresber. f. Tierchemie 32, 513, 1902; J. Tsuboi, Zeitschr. f., Biol. 35, 68, 1897”. — °) A. Gürber u. B. Hallbauer, Zeitschr. f. Biol. 45, 372, 1904. — *) L. B. Mendel and E. W. Rockwood, Amerie. Journ. of Physiol. 12, 336, 1904. — °)L. Brauer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 182, 1903.— °)M.Nencki, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. 36, 400, 1895. — 7) M. Siegfried, Habili- tationsschrift, Leipzig 1892. 592 Sekretion im Dünndarm. die Laktasebildung beherrschende Körper sind genannt, die Fermente werden weiter unten besprochen. Der Dünndarm ist das eigentliche Zentrum der Verdauung. Wie sich entwickelungsgeschichtlich die anderen Verdauungsdrüsen als Ausstülpungen des Dünndarmes darstellen, wie sich phylogenetisch die anderen Organe aus dem ursprünglichen einfachen Darmrohre differenziert haben, so bilden die pankreatische und die Verdauung durch die Galle physiologisch einen Teil der Darmverdauung. Es ist schon eingehend davon die Rede gewesen, wie die Magenentleerung vom Dünndarm aus geregelt wird und wie die Sekretion und die Fermentbildung des Pankreas und die Sekretion der Leber vom Dünndarm aus beherrscht werden. So geht denn der größte Teil der Ver- dauung im Dünndarm vor sich, und die Resorption erfolgt fast ausschließlich hier. An dieser Verdauung beteiligt sich der Dünndarm, indem er Fermente produziert und den sogenannten Darmsaft secerniert. Der Darmsaft oder Succus entericus. Der Darmsaft, wie er aus Thiryschen oder Vellaschen Fisteln bei Hunden !), Ziegen?2), Rindern?) und Schafen), aus entsprechenden, nach Operationen zurückgebliebenen Fisteln an Menschen’) gewonnen werden kann, ist eine gelbliche, meist etwas opaleszente, stark alkalische Flüssigkeit. Hamburger und Hekma°) fanden: Wasser. Dr ee Beer EI SWET DIE Hester Bestandterleme ne Se ee Gefrierpunktserniedrigung . . » 2 2.2.2.2... — 02° C NEO. 2.0.0.8 oe 8 Dr 5 Bo en N 1 NER oe ee ec Die anderen Beobachter fanden ähnliche Zahlen, nur meist eine höhere Alkaleszenz, die 0,4 bis 0,5 Proz. Soda entsprach. Nach Nagano®) werden von 20cm Darm bis zu 35 mg Soda secerniert. Der Saft enthält etwas schwer koagulierbares, schleimartiges Eiweiß, das man meist als Mucin an- gesprochen hat, das aber nach Kutscher’) wenigstens beim Menschen zu den Nucleoalbuminen gehört, die ja vielfach die eigentlichen Mucine vertreten. Außerdem enthält der Darmsaft die gleich zu besprechenden Fermente. End- lich finden sich in ihm geformte Elemente, Leukocyten, abgestoßene mehr oder weniger veränderte Epithelien, Bakterien und Detritus. Im Gegensatz zu den anderen Verdauungssekreten wird der Darmsaft auf mechanische Reizung abgesondert‘°), außerdem aber haben Hamburger !) Gumilewski, Pflügers Arch. 39, 556, 1886. Fr. Krüger, Zeitschr. f. Biol. 37, 229, 1897. A. Frouin, Compt. rend. soc. biol. 56, 319, 461, 1904; 58, 653 u. 1025, 1905. — °) K. B. Lehmann, Pflügers Arch. 33, 180, 1884. — ®) A. Frouin, Compt. rend. soc. biol. 56, 806, 1904. — *) Fr. Pregl, Pflügers Arch. 61, 359, 1895. — °) H. J. Hamburger u. E. Hekma, Journ. de physiol. et de path. generale 4, 805, 1902; Kon. Akad. van Wetenschapen te Amsterdam, Mai 1902. — °) J. Nagano, Pflügers Arch. 90, 389, 1902; Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Medizin u. Chirurgie 9, 393, 1902. — 7) F. Kutscher, Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Medizin u. Chirurgie 10, 473, 1902. — °) Außer den Zitierten noch Pawlows | Schüler W. W. Sawitsch, Russki Wratsh I, S. 200, 1902; ref. Journ. de physiol. | 4, 751, 1902. | Sekretion im Dünndarm. 593 und Hekma, Pregl und Frouin eine Fernwirkung beobachtet: der Saft floß aus dem abgetrennten Darmstück reichlicher, wenn der übrige Darm in Tätig- keit war. Auf welchen Wegen diese Sekretionssteigerung veranlaßt wird, ist nicht bekannt; wirksame Reize sind nach Frouin die Salzsäure des Magen- saftes und Seifen, außerdem Äther und Chloral. Alle vier erregen bei direkter Berührung und bei Einführung in entfernte Schlingen Sekretion. Außerdem wird der Darmsaft ebenso wie Galle und Pankreassaft vom hungernden Hunde alle 11/, bis 2!/, Stunden für 10 bis 20 Minuten secerniert. Was die Menge des Darmsaftes anlangt, so sind die meisten Zahlen nur Minimalwerte, da der Darm resorbiert, und da bei den Thiry- und Vella-Fisteln der direkte Reiz schwer zu erhalten ist. Auch nimmt an derart isolierten Schlingen die Sekretion allmählich ab!). Außerdem verhalten sich die einzelnen Teile des Dünndarmes durchaus nicht gleich, das obere Duodenum secerniert drei- mal mehr als das untere, und nach abwärts nimmt die Sekretion noch mehr ab. Von einer 25 cm langen Schlinge unmittelbar unter der Pankreasmündung sah Frouin ?) 23,9 ccm während fünfstündiger Verdauung secerniert werden, von einer 30 em langen Duodenalschlinge 60 bis 80 ccm pro Tag; hinzu- kommende direkte Säurewirkung erhöht aufs Doppelte. Die Gesamtmenge bei einem mittelgroßen Hunde darf man nach Frouins Angaben auf mehrere 100 ccm pro Tag schätzen, nach Nagano käme man auf 150 bis 200 ccm in einer Verdauungsperiode.e Aus ihrem kurzen Darmstück bekamen Ham - burger und Hekma beim Menschen bis zu 170 ccm in 24 Stunden. Busch) berechnet beim Menschen noch höhere Zahlen, Pregl beim Schaf viele Liter. Ellenberger und Hofmeister*) und Goldschmidt’) fanden im Pferde- darm mehrere Liter Flüssigkeit, die zum Teil Darmsaft war. Sehr viel höhere Zahlen erhält man unter bestimmten pathologischen Eingriffen. Moreau hat zuerst beobachtet, daß sich Darmschlingen, deren Nerven er durchschnitt, in wenigen Stunden mit Flüssigkeit füllen, und die eingehenden Untersuchungen von Hanau®), Mendel’) und Falloise‘°) haben gezeigt, daß dieser „para- lytische Darmsaft“ nicht etwa ein Exsudat, sondern normaler Darmsaft mit allen Eigenschaften desselben ist. Am nächsten liegt es, die paralytische Speichelsekretion zum Vergleich heranzuziehen, doch kann man auch an eine verminderte Resorption oder an den gesteigerten Tonus von Muskelrepräsen- tanten denken, deren Tonus der Abfluß versperrt ist. — Eine andere außer- ordentliche Steigerung erfährt die Sekretion in den Darm bei hydrämischer Ple- thora. Nach Cohnheim und Lichtheim?°), Magnus!P) und Mac Öallum!!) findet man bei starker Verwässerung des Blutes die Darmschlingen schwappend mit Flüssigkeit gefüllt. Allerdings ist es durchaus nicht sicher, ob es sich dabei um ein wirkliches Sekret handelt und nicht vielmehr nur um ein Transsudat; Mac Callum sah Traubenzucker und Harnstoff in den Darm ) A. Frouin, Compt. rend. soc. biol. 58, 653, 1905. — °) Ebenda 56, 461, 1904. — °) W. Busch, Virchows Arch. 14, 140, 1858. — °*) Ellenberger u. Hofmeister, Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 497, 1887. — °) H. Goldschmidt, ebenda 11, 286 u. 428, 1887. — °) A. Hanau, Zeitschr. f. Biol. 22, 195, 1886. — ?) L. B. Mendel, Pflügers Arch. 63, 425, 1896. — °) A. Falloise, Arch. internat. de physiol. 1, 261, 1904. — °) J. Cohnheim u. L. Lichtheim, Virchows Arch. 69, 106, 1877. — !%) R. Magnus, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 42, 250, 1899. — !!) J. Bruce Mae Callum, University of California Publie., Physiology 1, 125, 1904. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 38 594 Sekretion im Dünndarm. — Fermente des Dünndarmes. übergehen. — Beim Menschen sind zwei Fälle beschrieben !), bei denen aus dem Anus sich gelegentlich eine für Darmsaft gehaltene Flüssigkeit entleerte; sie wurden als Sekretionsneurosen des Darmes angesehen. — Von großem Interesse für die Erkenntnis der Drüsenarbeit ist endlich eine Beobachtung von Frouin?): er sah die Darmsaftsekretion sich vermindern, wenn der Darmsaft nach außen entleert, sich vermehren, wenn dem Tiere Darmsaft eingespritzt wurde. Der secernierte Saft wird schnell wieder resorbiert, in Vellaschen Darmfisteln findet man nach mehrtägiger Ruhe in der Regel einen dicken, bandwurmartig aussehenden Schleimfaden, der mit Leukocyten und Epithelien besetzt ist, ein Beweis übrigens, daß das Auftreten dieser Formelemente im Darmsaft normal ist. Dünndarmschlingen, die er aus der Kontinuität des Darmes herausschnitt, zu einem Ringe vereinigte und in die Bauchhöhle versenkte, sahen Hermann’) und nach ihm Voit*) im Verlaufe von ein bis zwei Wochen sich prall mit einem gelblichen Brei anfüllen. Sie schlossen darauf auf eine reichliche Ausscheidung fester Stoffe in den Dünn- darm, doch macht Klecki’) darauf aufmerksam, daß der Schlingeninhalt zum weitaus größten Teil aus Bakterien besteht, die sich unter den abnormen Bedingungen des verhinderten Forttransportes abnorm vermehrt hätten; auf die normale Ausscheidung im Dünndarm könne man daraus nicht schließen. Von der Ausscheidung in den Darm wird S. 644 beim Diekdarm im Zu- sammenhange die Rede sein. Von den mit der Tätigkeit des Darmes einhergehenden Veränderungen in dem Organ ist durch Nencki, Pawlow und Zaleski°) und Salaskin’?) bekannt, daß dabei eine reichliche Ammoniakbildung statthat. Von auto- lytischen Fermenten, die meist zugleich auch Verdauungsfermente sind oder doch sein können, wissen wir nichts. Über die histologischen Veränderungen des Epithels und der Iymphatischen Apparate°) bei verschiedener Tätigkeit sei auf Metzners Abhandlung in Bd. 2 dieses Handbuchs verwiesen. Die Geschwindigkeit des Blutstromes und die Gefäßweite sind bei der Tätigkeit des Darmes sehr vermehrt. Die gefäßerweiternden und gefäß- verengernden Nerven laufen nach Bunch’) im N. splanchnicus und stammen aus dem 2. Thoracal- bis 4. Lumbalnerven. Die Fermente des Dünndarmes. Bei der Erforschung der Fermente des Dünndarmes ergibt sich ganz allgemein die Schwierigkeit, die für die Verdauung der genossenen Nahrung bestimmten von den autolytischen Fermenten zu trennen. Magen, Pankreas und Leber beteiligen sich an der Verdauung nur durch ihre Sekrete, und seit !) H. Richartz, Münchener med. Wochenschr. 1904, I, S. 105; H. Geißler, ebenda 1904, I, S. 521. — ?) A. Frouin, Compt. rend. soc. biol. 58, 702, 1905. — ®) L. Hermann, Pflügers Arch. 46, 93, 1890; W. Ehrenthal u. Blitstein, ebenda 48, 74, 1891; M. Berenstein, ebenda 53, 52, 1893. — *) F.Voit, Zeitschr. f. Biol. 29, 325, 1893. — °) K. Klecki, Zentralbl. f. Physiol. 7, 736, 1893. — €) M. Nencki, J. P. Pawlow u. J. Zaleski, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. 37, 26, 1898; 38, 215, 1898. — 7) S. S. Salaskin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 448, 1898. — °) L. Asher u. A. Erdely, Zentralb. f. Physiol. 14. März 1903; A. Erdely (u. L. Asher), Zeitschr. f. Biol. 46, 1, 1904. — °) J. L. Bunch, Journ. of Physiol. 24, 72, 1899. a Fermente des Dünndarmes. — Proteolytische Enzyme. 595 es die Pawlowsche Methodik ermöglicht, diese Sekrete jederzeit rein zu er- halten, läßt sich entscheiden, ob ein Ferment für die Verdauung in Betracht kommt oder nicht. So ist es für den Magen gelungen (vgl. S. 558), das sogenannte Pseudopepsin als Gemenge eines autolytischen Fermentes mit Pepsin zu erkennen und damit als Verdauungsferment zu beseitigen. Beim Dünndarm liegt das anders, weil er zugleich das hauptsächliche Resorptions- organ ist und die Nahrungsstoffe nicht nur mit seinem Sekret in Berührung kommen, sondern auch seine Substanz durchsetzen müssen und auf diesem Wege verändert werden können. So gelangt das Prosekretin überhaupt nicht ins Lumen), sondern kommt nur innerhalb der Schleimhaut mit der Salz- säure, die es zu Sekretin macht, in Berührung. So ergibt sich für das Invertin, das nur in der. Darmschleimhaut vorkommt und das allen resor- bierten Rohrzucker spaltet, daß es im Darmsaft nur in geringer Menge vor- kommt, während es in Extrakten der Darmwand sich in seiner Wirksamkeit entsprechender Menge findet?). Dasselbe gilt von den Verdauungsfermenten der Echinodermen®). Diese Tiere besitzen keine andere Verdauungsorgane außer einem einfachen Darmrohr; im Gegensatz zu dem Magen und dem Pankreas der höheren Tiere und anderen nur secernierenden Organen bei Wirbeltieren ist bei ihnen der Darmextrakt sehr viel wirksamer als das Sekret. Zu dieser prinzipiellen Schwierigkeit kommt heute hinzu, daß wir die adäquate Reizung der Dünndarmschleimhaut noch nicht so beherrschen, wie die des Magens und des Pankreas. Auf mechanische Reizung erhält man zwar Sekret, aber dies Sekret enthält keine Enterokinase, die nur ab- gesondert wird, wenn Pankreassaft ins Darmlumen kommt). — Finden wir also ein Dünndarmferment in reichlicher Menge im Darmsekret, so ist es sicher ein Verdauungsferment; finden wir es dort nicht oder nur wenig davon, in Schleimhautextrakten aber viel, so kann es trotzdem für die Ver- dauung bedeutungsvoll sein, es kann aber auch ein autolytisches Ferment sein. Bisher sind folgende Dünndarmfermente bekannt, denen allen gemeinsam ist, daß sie nicht auf die Nahrungsstoffe selbst wirken, sondern auf die Zwischenprodukte, die durch die Fermente des Magens und des Pankreas entstehen, daß sie also deren Wirkung vollenden. Proteolytische Enzyme. Erepsin. Antitrypsin. Der Darmsaft enthält, darüber sind alle Beobachter, Pawlow und seine Schüler, Hamburger und Hekma°), Kutscher und Seemann‘), Kut- scher’), Salaskin °), Falloise?’), Krüger !P), Mendel!!) usw., einig, kein proteolytisches Ferment, das Fibrin oder andere native Eiweibe auflöst. !) C. Fleig, Arch. gener. de Med., 80. Annee, T.I, p. 1473 (1903). — ?) F. Röhmann, 5. internat. Physiol.-Kongr. zu Turin 1901; auch J. Nagano, Pflügers Arch. 90, 389, 1902. — °) O0. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 9, 1901. — *) W. W. Sawitsch, ref. Journ. de physiol. et de path. gener. 4, 751, 1902. — °) J.H.Hamburger u. E.Hekma, Journ. de physiol. et de path. gen. IV, 805, 1902; Amsterdamer Akad. van Wetensch. 1902, p. 733. — °) Fr. Kutscher u. J. Seemann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 432, 1902. — 7) Fr. Kutscher, Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Medizin u. Chirurgie 10, 473, 1902. — °) S. S. Salaskin, = Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 419, 1902. — °) A. Falloise, Arch. internat. de Bephysiol. 1, 261, 1904. — .°) Fr. Krüger, Zeitschr. f. Biol. 37, 229, 1897. — = A ") L. B. Mendel, Pflügers Arch. 63, 425, 1896. 38% 596 Erepsin. — Antitrypsin. Ganz geringe Spuren eines solchen, wie sie Kutscher und Seemann!) und Salaskin?) bisweilen fanden, durch die eine Fibrinflocke in 5 bis 15 Tagen teilweise gelöst wurde, müssen auf Reste von zerfallenen Bakterien und Leukocyten, die der Darmsaft ja immer enthält, bezogen werden. Es ist in den letzten Jahren, unter dem Eindruck der Autolyseversuche, bei denen mit. kleinen Fermentmengen gerechnet werden muß, nicht selten der Fehler gemacht worden, Verdauungsversuche übermäßig auszudehnen. Für die normale Verdauung aber können offenbar nur Fermente in Frage kommen, die in relativ kurzer Zeit, innerhalb einiger Stunden oder auch eines Tages wirken. Ein derartiges proteolytisches Ferment fehlt dem Dünndarmsaft sicher, im Extrakt des Dünndarmes ist es nicht nachzuweisen. Indessen könnte es dort durch die hemmende Wirkung der Enterokinase verdeckt sein (siehe unten). Dafür enthält der Dünndarm das Erepsin, das native Eiweißkörper mit Ausnahme des Kaseins nicht angreift, dagegen Albumosen und Peptone in kristallinische Produkte zerlegt. Es ist von mir °) in Schleimhautextrakten entdeckt, von Kutscher und Seemann), Salaskin’) und Falloise‘) beim Hunde, von Hamburger und Hekma’) beim Menschen im Sekret des Dünndarmes gefunden worden. Es wirkt am besten bei schwach alkalı- scher Reaktion, doch hat es nach Weinland °) sein Optimum bei schwächeren Alkaleszenzgraden als das Trypsin (vgl. S. 580 u. 602). Es wird von Ammon- sulfat bei 60 Proz. Sättigung gefällt und kann dadurch und durch nachfolgende Dialyse von Trypsin und einem großen Teil der Eiweißkörper getrennt werden. Läßt man Eiweiß erst durch Pepsinsalzsäure, dann durch Erepsin verdauen, so findet man, soweit bestimmt, dieselben Spaltungsprodukte wie bei der Trypsinspaltung. Das Erepsin verhält sich zum Pepsin also so wie die Maltase zur Diastase, mit der des Trypsins läuft seine Tätigkeit teilweise parallel. In bezug auf die Wirkung des Erepsins auf die einzelnen Zwischen- stufen zwischen Eiweiß und Aminosäuren ist zu sagen, daß Peptone im Kühneschen Sinne durch Erepsinlösungen außerordentlich schnell, in Minuten oder Stunden ihrer Biuretreaktion beraubt werden, sehr viel schneller, als ich dies jemals auch durch aktive Pankreasextrakte beobachtet habe. Auf die verschiedenen Albumosen wirkt es sehr viel langsamer, es vergehen Wochen bis zum Verschwinden der Biuretreaktion, was ja freilich ein etwas trüge- risches Zeichen ist. Diese Unterschiede seien gegenüber Kutscher und Seemann und Weinland betont, die Erepsin nur auf Albumosen wirken ließen und infolge des langsamen Verschwindens der Biuretreaktion dem Erepsin keine wesentliche Bedeutung für die Verdauung zuschreiben wollten. Tobler ?) hat die Albumosen und Peptone, wie sie aus dem Magen kommen, also dem Erepsin normal angeboten werden, mit Darmextrakten in Berührung ») Fr. Kutscher u. J. Seemann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 432, 1902. — 2) S.S. Salaskin, ebenda 35, 419, 1902. — °) O. Cohnheim, ebenda 33, 451, 1901; 35, 134, 1902; 36, 13, 1902. — *) Fr. Kutscher u. J. Seemann, ebenda 35, 432, 1902. — °) S. S. Salaskin, ebenda 35, 419, 1902. — °) A. Falloise, Arch. internat. de physiologie I, 261, 1904. — ”) J.H. Hamburger u. E. Hekma, Journ. de physiol. et de Path. gener. IV, 805, 1902; Koninkl. Akademie van Wetensch. te Amsterdam 1902, p. 733. — ®) E. Weinland, Zeitschr. f. Biol. 45, 292, 1903. — °) L. Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. Eiweißspaltung im Darm. 597 gebracht und eine äußerst rasche Wirkung selbst sehr verdünnter Extrakte konstatiert. Es ist müßig, darüber zu streiten, welchem der proteolytischen Fermente der größere Teil der Eiweißspaltung zukommt. Nach Tobler!) scheint die Pepsinspaltung im Magen nicht immer gleich weit zu gehen; es ist wahrscheinlich, daß die drei Fermente sorgfältig aufeinander abgestimmt sind, um das eine die Arbeit des anderen zu vollenden. Wichtiger ist es zu wissen, ob das Erepsin nicht teilweise ar autoly- tisches Ferment aufzufassen ist. Hat doch Vernon 2), dessen Angaben ich teilweise bestätigen kann, in der Niere, der Milz und anderen vegetativen Organen Erepsine gefunden, die kaum weniger intensiv wirkten als das des Darmes, und die ja sicher autolytische Fermente sein müssen. Daß das Erepsin zum Teil Verdauungsferment ist, geht daraus hervor, daß es sich im Darmsaft findet, ob es daneben im Stoffwechsel des Darmes tätig ist, läßt sich aus den oben angeführten Gründen nicht entscheiden. Erschwert wird die Untersuchung der Eiweißspaltung im Dünndarm weiterhin dadurch, daß die Darmschleimhaut einen Körper enthält, der der Eiweißverdauung entgegenwirkt. Weinland) hat zuerst gesehen, daß der Zusatz von Darmextrakten zu Trypsinlösungen deren Wirkung auf Fibrin aufhebt oder mindestens stark verlangsamt, und seitdem ist dieser „Fibrin- schutz“ mehrmals, z. B. von Matthes) und mir’), bestätigt worden. Weinland wollte ihn auf ein besonderes Antitrypsin zurückführen, das er auch einigermaßen isolieren zu können glaubte und dem er es zuschrieb, daß die Darmwand von den in ihrem Lumen befindlichen Fermenten nicht angegriffen wird. Demgegenüber konnte ich ’5) zeigen, daß die Enterokinase des Darmextraktes zwar in kleinen Mengen des Trypsinogen aktiviert, bei steigendem Zusatz hingegen die Wirkung abnehmen läßt und schließlich auf- hebt. Es ist ja selbstverständlich möglich, daß der Darmextrakt zwei ver- schiedene Körper enthält, die Enterokinase und das Antitrypsin. Da aber beide gleiche Löslichkeitsverhältnisse besitzen und da Hamburger und Hekma eine Überschußhemmung auch beim Darmsaft gefunden haben, in dem niemand Antitrypsin annehmen wird, so ist es jedenfalls viel wahrschein- licher, daß der Fibrinschutz nur auf einem Zuviel von Enterokinase beruht und das Antitrypsin in der Darmwand nicht existiert. Jedenfalls wird durch die trypsinhemmende Wirkung von Darmsekreten und -Extrakten die Untersuchung erschwert; ein etwa vorhandenes tryptisches Ferment, das in der lebenden Darmwand getrennt von der Enterokinase wirken könnte, kann auf diese Weise verborgen bleiben. Die biologisch wichtigste Frage in bezug auf die Eiweißfermente des Dünndarmes ist aber die, ob das Erepsin die Eiweißkörper völlig aufspaltet, so wie siedende starke Säuren, oder ob wie gegen Trypsin ein gewisser Teil des Eiweiß auch gegen Erepsin resistent ist. Ich habe gefunden ®), daß nach kombinierter Verdauung durch Pepsin und Erepsin von dem Stickstoff ) L. Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. — *) H.M. Vernon, Journ. of Physiol. 32, 33, 1904. — °) E. Weinland, Zeitschr. f. Biol. 44, 45, 1902. — *) M. Matthes, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 51, 442, 1904. — ®} 0. Cohnheim, Arch. des sciences biol. de St. Petersbourg, 11, Suppl., S. 112, 1904; Münchener med. Wochenschr. 1905, I, S.479. — °) Derselbe, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 136, 1902. 5398 Arginase. — Nuclease. — Lipase. des Syntonins 29,9 Proz. durch Phosphorwolframsäure fällbar sind, während bei der Säurespaltung 27,14 Proz. auf Arginin, Lysin, Histidin und die Huminstoffe fallen. Das spricht sehr dafür, daß kein Peptid übrig bleibt, aber es könnten die Arginase, vielleicht auch andere, autolytische Fermente eingegriffen haben, so daß der Schluß nicht eindeutig ist. Kossel und Dakin!) haben gefunden, daß aus Clupein durch Erepsin ebensoviel Arginin gebildet wird wie durch die Säurespaltung, was entschieden für eine gänz- liche Zerlegung spricht. Aber die komplexen Eiweiße könnten sich anders verhalten. Die Frage bedarf erneuter Untersuchung; doch ist jedenfalls so viel sicher, daß ein etwa zurückbleibender Peptidrest sehr viel kleiner sein muß als beim Trypsin, wo er beim Edestin fast die Hälfte des Eiweiß ausmacht ?). Die Arginase. Kossel und Dakin?®) haben in der Darmschleimhaut ein Ferment gefunden, das Arginin in Ornithin und Harnstoff zerlegt. Es spaltet also die zweite Atomverkettung auf, die in den Eiweißkörpern vorkommt, und die von Trypsin und Erepsin nicht angegriffen wird. Am meisten Arginase ent- hält die Leber, dann folgen Niere, Thymus und Lymphdrüsen, dann erst die Darmschleimhaut; immerhin ist die Wirkung deutlich, durch die also wenig- stens ein Teil des Eiweiß über die Trypsin-Erepsinstufe hinaus verwandelt wird. Die Arginase hat ähnliche, doch nicht dieselben Lösungsverhältnisse wie das Erepsin, da gereinigte Erepsinlösungen bisweilen, aber nicht immer Arginase enthalten. Ob die. Arginase auch secerniert wird, ist nicht sicher, wird aber dadurch wahrscheinlich, daß Kutscher und Seemann) im Darminhalt im Vergleich zu den anderen Spaltungsprodukten des Eiweiß auf- fallend wenig Arginin fanden. Die Nuclease. (Genau so wie durch Pankreasextrakte (s. S.588) vermochte Araki’) durch Extrakte der Darmschleimhaut die Nucleinsäure a« in die Nuclein- säure b umzuwandeln. Dagegen ist es hier ebensowenig wie beim Pankreas sicher, ob die Verdauung über die Nucleinsäure b hinaus zu den kristallini- schen Spaltungsprodukten fortschreitet. Kutscher und Seemann) fanden diese zwar, als sie den Darm der Autolyse überließen, aber, da der Darm sicher Trypsin enthielt, kann die Nuclease aus dem Pankreas stammen, und selbst wenn sie von dem Darm produziert ist, so kann sie ein autolytisches Fer- ment sein. Lipase. Während alle früheren Beobachter ein fettspaltendes Ferment im Darm- saft vermißt hatten, ist es Pawlow’”’) kürzlich gelungen, ein solches zu !) A. Kossel u. H. D. Dakin, Münchener med. Wochenschr. 1904, I, S. 545; Zeitschr. f. physiol. Chem. 41, 321, 1904. — ?) E. Abderhalden u. B. Reinbold, Zeitschr. f. physiol. Chem. 46, 159, 1905. — °) A. Kossel u. H.D. Dakin, Münch. med. Wochenschr. 1904, I, 8.545; Zeitschr. f. physiol. Chem. 41, 321, 1904; 42, 181, 1904. — *) F. Kutscher u. J. Seemann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 34, 528, 1902. — °) T. Araki, ebenda 38, 84, 1903. — °) F. Kutscher u. J. Seemann, ebenda 35, 432, 1902. — 7) Boldireff, Zentralbl. f. Physiol. 18, 460, 1904; Arch. des sciences biol. de St. Petersbourg 11, 1, 1904. Kohlehydratfermente. 599 finden. Es unterscheidet sich von der Lipase des Pankreas dadurch, daß es schwächer wirkt, aber dafür viel haltbarer ist. Seine Tätigkeit setzt lang- samer ein, dauert aber länger an, durch Galle ist es nicht aktivierbar; es spaltet nur emulgierte Fette. Kohlehydratfermente. Der Darmsaft und der Extrakt der Darmschleimhaut enthalten bei allen untersuchten Tieren, darin sind alle Beobachter !) einig, eine sehr kleine Menge von Ptyalin, aber nicht mehr, nach Hamburger sogar weniger als das Blut. Eine spezifische Bedeutung ist dieser kleinen Menge daher nicht zuzuschreiben. Dagegen ist charakteristisch für den Dünndarm das Auftreten der Fermente, die Disaccharide spalten, Invertin, Maltase und Laktase. Invertin. Der Dünndarm ist das einzige Organ des Tierkörpers, das Invertin produziert?.. Es wurde von Miura°), Pautz und Vogel®), Mendel5), Widdicombe®*) und Falloise’) beim Hund, von Miura und Nagano°) beim Menschen, von E. Fischer und Niebel?) beim Pferd gefunden, beim Rind jeden Alters dagegen vermißt?). Auch Katzen und Kaninchen haben im Dünndarm Invertin. Röhmann !°) und Miura) fanden im oberen Dünndarm mehr Invertin als im unteren. Da der Rohrzucker niemals als solcher, sondern nur nach vorheriger Spaltung resorbiert wird !?), kommt dem Invertin eine große Bedeutung zu. Trotzdem findet man es nach Röhmann !?2) im Sekret immer in viel geringerer Menge als im Extrakt. Das Ferment spaltet den Rohrzucker offenbar während seines Durchtrittes durch die Wand, und diese Spaltung ist die Voraussetzung für die Resorption. So kommt es, daß nach Röhmann '’) Rohrzuckerlösungen in dem fermentreicheren Jejunum schneller aufgesogen werden als im Ileum, dem an sich die größere Resorptionsfähigkeit zukommt. Daß übrigens auch beim Invertin unaufgeklärte Dinge eine Rolle spielen, ergibt sich daraus, daß nach meinen Beobachtungen Invertin das frühest auftretende Verdauungs- ferment ist. Neugeborene Hunde und Katzen haben es ausnahmslos; aber auch bei ganz unausgetragenen Föten dieser Tiere fand ich es, wenn ich noch kein anderes Ferment nachweisen konnte. Eine Funktion ist nicht bekannt, auf eine solche deutet vielleicht der Befund von Langendorif!®), daß im Darmkanal von Föten eine Kupfersulfat reduzierende Lösung vor- ') W. Kühne, Heidelberger naturh.-med. Verein, N. F.,. I, 1, 1877; C. Ham- burger, Pflügers Arch. 60, 543, 1895; L. B. Mendel, ebenda 63, 425, 1896; E. Fischer u. W. Niebel, Preuß. Akad. d. Wiss. 30. Jan. 1896; J. H. Ham- burger u. E. Hekma, Journ. de phys. et de path. gen. 4, 805, 1902; Amster- damer Akad. d. Wiss. 1902, S. 733; J. Nagano, Mitt.‘a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 9, 393, 1902. — ?) E. Weinland, Zeitschr. f. Biol. 47, 279, 1905. — ®) K. Miura, ebenda 32, 266, 1895. — *) W. Pautz u. J. Vogel, ebenda 32, 304, 1895. — °) L. B. Mendel, Pflügers Arch. 63, 425, 1896. — °) J. H. Widdi- eombe, Journ. of Physiol. 28, 175, 1902. — 7) A. Falloise, Arch. internat. de physiol. 1, 261, 1904. — °) J. Nagano, Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 9, 393, 1902. — °) E. Fischer u. W.Niebel, Preuß. Akad. d. Wiss. 30. Jan. 1896. — ") F. Röhmann, Pflügers Arch. 41, 411, 1887. — '!) Vgl. 8.616. — !?) F. Röh- mann, 5. Internat. Physiol.-Kongr. zu Turin 1901. — '*) Derselbe, Pflügers Arch. 41, 411, 1887. — '%) O. Langendorff, Arch. f. (Anat. u.) Phys. 1879, S. 95. 600 Maltase. — Laktase. kommt. Hartog!) hat Invertin in Froscheiern gefunden. Ich 2) fand Invertin auch bei Wirbellosen, deren Nahrung, soweit bekannt, keinen Rohrzucker aufweist. — Der Verlauf der Fermentwirkung und die Eigenschaften des Fermentes sind beim Invertin aus Hefe wiederholt 3) studiert worden. Das Darminvertin, das nicht mit ihm identisch ist), scheint nicht untersucht zu sein. Maltase. Sie wurde von Pautz und Vogel, Mendel, Hamburger, E. Fischer und Niebel, Nagano und Falloise bei allen untersuchten Tierarten ge- funden. Auch sie ist nach Pautz und Vogel und Röhmann im oberen Dünndarm in größerer Menge anzutreffen als im unteren und ist nach Röhmann im Sekret viel weniger reichlich zu finden als im Extrakt der Schleimhaut. Auch für ihre Resorption gilt nach Röhmann und W. Reid’), daß sie von der vorherigen Spaltung abhängig ist, im oberen Dünndarm schneller erfolgt als im unteren und ganz anderen Gesetzen gehorcht als die der einfachen Zucker. — Nach Pautz und Vogel wird durch die Maltase auch die Isomaltose gespalten. Laktase. Das Ferment, das den Milchzucker in je ein Molekül Dextrose und Galaktose spaltet, ist im Dünndarm verschiedener Tiere bald gefunden, bald vermißt worden ®). Die Widersprüche wurden, entsprechend einer Vermutung von E. Fischer und Niebel, von Weinland’) aufgeklärt. Danach haben junge Säugetiere, soweit untersucht, stets Laktase, und sie läßt sich auch bei Erwachsenen wieder erzeugen, wenn man ihnen Milchzucker zuführt. Die Art dieses Wiederauftretens ist beim Dünndarm nicht mit der Sicherheit festzustellen, wie beim Pankreas. Bei Nichtsäugetieren ist Laktase bisher nicht nachgewiesen. Nach Pautz und Vogel kommt sie nur im Jejunum reichlich, im Ileum nicht oder in geringerer Menge vor. Von anderen Kohlehydratfermenten haben E. Fischer und Niebel im Dünndarm des Rindes meist, aber nicht konstant ein Ferment gefunden, das Trehalose in Traubenzucker umwandelt. Dasselbe fanden sie im Blutserum einiger Fische, besonders des Karpfens. Pautz und Vogel fanden im Darm des Hundes ein Raffinose spaltendes Ferment, das E. Fischer und Niebel beim Pferd, Rind und Schaf vermißten. Endlich fanden sie beim Pferd ein Ferment, das ß-Methylglykosid, beim Pferd und Kaninchen ein solches, das Amygdalin spaltete. Körperfremde Fermente konnte Weinland °) in keinem Falle zur Entstehung bringen. !) M. Hartog, Journ. of Physiol. 31, XLVIL, 1904. — °) ©. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 9, 1901. — °) W. A. Osborne, ebenda 28, 399, 1899; M. Kolle, ebenda 29, 429, 1900; V. Henri, Zeitschr. f. physikal. Chem. 39, 194, 1901; 8. W. Cole, Journ. of Physiol. 30, 281, 1903. — *) E. Fischer u. W. Niebel,. Preuß. Akad. d. Wiss. 30. Jan. 1896. — °) W. Reid, Journ. of Physiol. 26, 427, 1901. — °) E. Fischer u. W. Niebel, Preuß. Akad. d. Wiss. 30. Jan. 1896; W. Pautz u. J. Vogel, Zeitschr. f. Biol. 32, 304, 1895; R. Orban, Prager med. Wochenschr. 1899, 8. 33. (Nach Maly 29, 384); F. Röhmann u. Sappe, Ber. d. deutsch. chem. Ges. 28, 2506 (zit. nach E. Fischer u. Niebel); A. Falloise, Arch. internat. de phys. 1, 261, 1904. 7) E. Weinland, Zeitschr. f. Biol. 38, 16, 1899; Auch F. A. Bainbridge, Journ. of Physiol. 31, 98, 1904. — ®) E. Weinland, Zeitschr. f. Biol. 47, 279, 1905. —— Brunnersche Drüsen. — Dünndarminhalt. 601 Die Brunnerschen Drüsen. Im Anfangsteil des Duodenums liegen die sogenannten Brunnerschen Drüsen, die von den Lieberkühnschen Krypten des Dünndarmes ganz ver- schieden sind. Pawlow und Ponomarew haben das Sekret dieses Darm- abschnittes untersucht. Es enthielt einerseits Pepsin, Steapsin und Diastase, andererseits Invertin, Erepsin und Enterokinase, also Fermente, die sonst im Magen, im Pankreas und im Darm vorkommen. Die Sekretion war konti- nuierlich; durch den Genuß von Öl wurde sie gesteigert. Der Inhalt des Dünndarmes. Mit Ausnahme seines untersten Stückes findet man den Dünndarm auch während der Höhe der Verdauung niemals gefüllt. Infolge der vorzüglichen Regelung durch den Pylorusreflex geht immer nur so viel über, wie resor- biert oder fortgeschafft werden kann. Vom Pylorus bis in das unterste Viertel des Ileums findet man bei Fleischfressern und beim Menschen selten Flüssigkeit, meist unbedeutende Mengen eines schleimigen, häufig von Luft- bläschen durchsetzten, mehr oder weniger dünnflüssigen Breies. Beim Pflanzenfresser pflegt die Konsistenz größer, der Darm etwas voller zu sein. Doch hat auch hier der Name Jejunum, Leerdarm, sein Recht: der Darm ist niemals wurstförmig, sondern immer flach zusammengelegt. Nur beim Pferde fand Goldschmidt!) 4 bis 6 Liter Flüssigkeit. Erst im untersten Teile des Deums nimmt dıe Konsistenz zu und wird bei Fleischnahrung pechartig, bei Pflanzennahrung mehr krümelig. Macfadyen, Nencki und Sieber) fanden beim Menschen an der Einmündung des Ileums ins Coecum 4,9 (viel Fleisch) bis 11,23 Proz. (Erbsennahrung) feste Bestandteile. Formbestand- teile sieht man makroskopisch kaum, mikroskopisch Muskelstückchen, Stärke- körner und andere Pflanzenreste, Bakterien, Zellen, Fetttröpfehen, Detritus und amorphe Flocken 2). Was die Reaktion anlangt, so werden die anor- 'ganischen Säuren, d. h. im wesentlichen die Salzsäure, von den Alkalien, die aus Galle, Pankreas- und Darmsaft stammen, beträchtlich überwogen, aber dieser Überschuß wird durch Kohlensäure und organische Säuren gedeckt oder übertroffen ?). Die organischen Säuren sind teils Fettsäuren, die durch die Wirkung des Steapsins aus den Fetten entstehen, und durch die Galle wasserlöslich werden °), teils Säuren, die von den Bakterien aus den Kohle- hydraten der Nahrung gebildet werden. Von diesen Bakterien und ihrer Wirkung wird S. 659 ff. noch eingehend die Rede sein. Im menschlichen Chymus aus dem unteren Ende des Dünndarmes fanden Macfadyen, Nencki und Sieber überwiegend Milchsäure, und zwar beide Formen, daneben haupt- sächlich Essigsäure. Die Frage nach der Reaktion des Dünndarmcehymus ist lange diskutiert, ihre Lösung aber dadurch verzögert worden, daß man sich über die Leistungen der Indikatoren nicht immer klar gewesen ist. Nach Matthes und Marquardsen®), Pflüger, Macfadyen, Nencki und !) H. Goldschmidt, Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 286 u. 428, 1887. — 2) A. Macfadyen, M.Nencki u. N.Sieber, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 28, 311, 1891. — °) E. Pflüger, Pflügers Arch. 88, 431, 1902. —:*).M. Matthes u. F. Marquardsen, 16. Kongr. f. innere Med. 1898, S. 358. Zit. nach dem folgen- den; Zentralbl. f. Physiol. 16, 145, 1902. 602 Darminhalt. Sieber, Schmidt!), Moore und Rockwood) und vor allem Munk) darf man jetzt wohl als sicher annehmen, daß der Dünndarminhalt ziemlich genau neutral ist. Indikatoren gegenüber verhält er sich wie eine mit Kohlensäure übersättigte Alkalilösung, er reagiert auf Lackmus alkalisch, auf die für Kohlensäure empfindlichen Indikatoren neutral oder schwach sauer 3). Hydr- oxylionen in stärkerer Konzentration enthält der Chymus nie, Wasserstoff- ionen höchstens im obersten Stück, ehe die Neutralisation des Mageninhaltes vollendet ist. Von da an fand Munk durch den ganzen Dünndarm gleich- mäßig neutrale Reaktion. Ob diese Gleichmäßigkeit trotz der fortwährenden Säurebildung lediglich durch die Sättigung des Gemisches mit Kohlensäure oder durch eine genau regulierte Darmsaftsekretion bewirkt wird, ist nicht bekannt. Nach Schierbeck *) bietet gerade dies neutrale, aber mit Kohlen- säure gesättigte Medium die günstigsten Bedingungen für die Wirkung der Verdauungsfermente. Die chemische Untersuchung des Dünndarminhaltes ist wiederholt vor- genommen worden, da man sich von ihr entscheidende Aufklärungen über den Zustand versprach, in dem die Nahrungsstoffe resorbiert werden. Mit welchem Rechte, das wird in dem Kapitel über Resorption (S. 622) auseinander- gesetzt werden. Man findet im Chymus die anorganischen und organischen Bestandteile der Verdauungssekrete, Salze, Eiweiß, Nucleinsäure, Cholesterin, Gallensäure, Gallenfarbstoffe und Fermente, und man findet die Nahrungs- stoffe auf allen Stufen vom unverdauten bis zum völlig gespaltenen Zustande. Für das Eiweiß liegt vor allem die grundlegende Untersuchung von Ludwig und Schmidt-Mülheim’) am Hunde vor, die von Ellenberger und Hofmeister‘) am Schwein bestätigt, später von Kutscher und See- mann’) ergänzt und berichtigt wurde. Schmidt-Mülheim fand vor allem den allmählichen Übergang aus dem Magen und die geringe Menge, die jeweils im Dünndarm vorhanden ist. Er fand daselbst 1. koagulierbares Eiweiß, das allerdings zum großen Teile nicht Nahrungs- eiweiß ist, sondern den Verdauungssekreten entstammt. Tobler°) hat ge- zeigt, wie wenig von dem genossenen Eiweiß als solches den Pylorus passiert; zumal das gelöste Eiweiß ist wohl meist secerniert. Seine Menge fanden Macfayden, Nencki und Sieber?) unter 1 Proz., Goldschmidt!) beim Pferd bei stickstofffreier Nahrung zu 1 Proz.; 2. fand Schmidt-Mülheim, ebenso wie vorher Kühne !!), nach ihm Macfadyen, Nencki und Sieber’) Albumosen und Peptone. Kutscher und Seemann haben deren konstantes Vorkommen zwar bestritten, nach meinen Erfahrungen findet man aber im Dünndarminhalt nach Entfernung des Eiweiß regelmäßig eine zwar schwache, aber unverkennbare Biuretreaktion; ‘) Ad. Schmidt, Arch. f. Verdauungskrankh. 4, 137, 1898. — ?) B. Moore und D. P. Rockwood, Journ. of Physiol. 21, 58, 1897. — °) J. Munk, Zentralbl. f. Physiol. 16, 33 u. 146, 1902. — *) N. P. Schierbeck, Skandinav. Arch. £ Physiol. 3, 344, 1891. — °) A. Schmidt-Mülheim, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879, 8. 39. — °) Ellenberger u. Hofmeister, ebenda 1889, S.137; 1890, 8. 280. — ”) F. Kutscher u. J. Seemann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 34, 528, 1902. — ®) L. Tobler, ebenda 45, 185, 1905. — °) A.Macfadyen, M.Nencki u. N. Sieber, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 28, 311, 1891. — !°) H. Goldschmidt, Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 428, 1887. — ") W. Kühne, Virchows Arch. 39, 130, 1867. d Darminhalt. — Darmbewegungen. 603 3. hat Abderhalden !) im Darminhalt Peptide gefunden; 4. endlich enthält der Dünndarminhalt, wie schon früher von Kühne u.a., dann aber in entscheidender Weise von Kutscher und Seemann festgestellt worden ist, die kristallinischen Spaltungsprodukte des Eiweiß. Sie fanden Leuein, Tyrosin, Lysin und Arginin; es kann wohl keinem Zweifel unter- liegen, daß auch die anderen, schwerer nachweisbaren vorhanden sind. Den Stickstoffgehalt des Darminhaltes bestimmten Macfadyen, Nencki und Sieber auf 0,4 bis 0,44 Proz. der feuchten, 4,5 bis 6,8 Proz. der Trocken- substanz; auf Eiweiß umgerechnet würden das 28 bis 42 Proz. sein. Bei Zuführung von Doppelzuckern ?) findet man im Dünndarm neben- einander die ungespaltenen Zucker und die aus ihnen entstandenen Mono- saccharide. Bei Fütterung mit Stärke enthält der Dünndarm immer noch unveränderte Stärke °) *), daneben ihre sämtlichen Abbauprodukte, die ver- schiedenen Dextrine, Maltose und Traubenzucker, diese aber nie in bedeu- tender Menge®). Nach Ellenberger und Hofmeister’) steigt auch bei reichlicher Stärkenahrung der Gehalt des Dünndarminhaltes an reduzierender Substanz auf höchstens 1 Proz. und bleibt oft darunter. Macfadyen, Nencki und Sieber fanden Schwankungen von 0,3 bis 4,75 Proz.; von dem festen Rückstande machten die Kohlehydrate etwa die Hälfte aus, wovon die Hauptmasse freilich die Cellulose ist. Beim Fett findet man in der Regel etwas ungespaltenes Fett, haupt- sächlich aber Seifen und in Galle gelöste Fettsäuren ®). Über die Resorption siehe Kapitel VII, S. 607, über die Ausscheidung in den Darm S. 644, über die Bakterien des Darmes S. 659. Die Bewegungen des Dünndarmes. Die Bewegungen des Dünndarmes, ihr Zustandekommen und ihre Innervation sind durch die Untersuchungen von Starling und Bayliss’) und von Magnus‘) aufgeklärt worden. Beobachten kann man sie, in- dem man entweder in einem Bade von körperwarmer physiologischer Koch- salzlösung die Bauchhöhle eröffnet, oder indem man den Darm aus dem Tiere entfernt und ihn in körperwarme, sauerstoffgesättigte Ringersche Lösung legt?). Cannon!?) hat die Darmbewegungen an Katzen studiert, die er mit wismuthaltiger Nahrung fütterte und mittels Röntgenstrahlen beobachtete. Die Beobachtungen sind an Katzen, Hunden und Kaninchen !) E. Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chem. 44, 33, 1905. — ?) C.Voit, Zeitschr. f. Biol. 28, 245, 1891; W. Reid, Journ. of Physiol. 26, 427, 1901. — ®) Ad. Schmidt, Arch. f. Verdauungskrankh. 4, 137, 1898. — *) A. Macfadyen, M. Nencki u. N. Sieber, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 28, 311, 1891. — ®) Ellenberger u. Hofmeister, Pflügers Arch. 41, 484, 1887; F. Bengen u. G. Haane, ebenda 106, 287, 1905. — °) B. Moore und D. P. Roekwood, Journ. of Physiology 21, 58, 1897; E. Pflüger, Pflügers Arch. 82, 303, 1900. — 7) W. M. Bayliss und E. H. Starling, Joum. of Physiol. 24, 99, 1899; 26, 125, 1901; E. H. Starling, Ergebnisse der Physiol. I, Biophysik 1902, S. 455; J. L. Bunch, Journ. of Physiol. 25, 212, 1900. — °®) R. Magnus, Pflügers Arch. 102, 123 u. 349; 103, 515 u. 525, 1904; 108, 1, 1905; 111, 152, 1906; Kress, ebenda 109, 249, 1905; J. N. Langley u. R. Magnus, Journ. of Physiol. 33, 34, 1905. — °) O0. Cohnheim, Zeitschr. f. Biol. 38, 419, 1899. — !°) W. B. Cannon, Americ. - Journ. of Physiol. 6, 251, 1902; 12, 387, 1904. 604 Peristaltik. — Pendelbewegungen. angestellt; ein prinzipieller Unterschied zwischen diesen Tieren hat sich nicht gefunden. Der Dünndarm besitzt drei Muskelschichten. Zunächst unter der Serosa liegt eine Schicht von Längsmuskeln, nach innen zu von ihr folgt die Ring- muskelschicht, dicht unter der Schleimhaut liegt die schwache Muscularis mucosae. Zwischen Ring- und Längsmuskulatur liegt der Auerbachsche, in der Submucosa der Meissnersche Nervenplexus. Die Muscularis mucosae hat besondere Funktionen, für die Bewegungen des ganzen Darmes kommen nur die Ring- und die Längsmuskulatur in Betracht. Mit ihnen führt der Dünndarm zwei verschiedene Bewegungen aus, 1. peristaltische und 2. rhyth- mische Pendelbewegungen. | Die peristaltischen Bewegungen erfolgen nur auf besonderen Reiz, der nach Bayliss und Starling in der Norm ein mechanischer, die Berührung der Darmschleimhaut mit festen Körpern ist. Doch löst auch lokalisierte starke mechanische, chemische oder elektrische Reizung der Außenfläche des Darmes den Reflex aus. Der Reflex besteht darin, daß „jeder Reiz, der eine bestimmte Stelle der Darmwand trifft, zu einer Bewegungssteigerung bzw. Kontraktion in den magenwärts gelegenen benachbarten Darmpartien führt; gleichzeitig tritt in den afterwärts vom Reizort gelegenen Abschnitten eine Hemmung bzw. eine Erschlaffung ein, und es ist klar, daß auf diese Weise ein Kotballen, von dem ein solcher Reiz ausgeht, afterwärts verschoben wird und nun von seinem neuen Orte den gleichen Vorgang auslösen muß1).“ Den wesentlichen Anteil an der Peristaltik hat also die Ringmuskulatur; doch wirkt die Längsmuskulatur synergistisch oder antagonistisch mit. Das Zentrum dieses Reflexes liegt in der Darmwand, da er auch noch am isolierten Darme besteht. Der Reflex ist im Zentrum fest vorgebildet, die Peristaltik kann nur vom Magen nach dem After, aber in keinem Stück des Dünndarmes um- gekehrt laufen. Ellinger und Prutz?) haben durch sorgfältige Beobach- tungen festgestellt, daß bei Gegenschaltung eines Darmstückes die Peristaltik immer an der oberen Nahtstelle Halt macht. Es kommt an dieser Stelle zu einer Stauung und zu Erweiterung des Darmes, ein Transport fester Bestand- teile über sie heraus aber ist unmöglich; eine Antiperistaltik existiert also nicht. Von chemischen Finflüssen auf die Peristaltik hat Eckhard?) beob- achtet, daß Galle keinen solchen besitzt. Über die Wirkung der Abführmittel auf die Peristaltik vgl. R. Magnus, Ergebnisse der Physiologie II, Biophysik, 1903, S. 661. Die zweite Art der Darmbewegungen sind die‘ sogenannten Pendel- bewegungen. Wenn man den mit Flüssigkeit prall gefüllten Darm in Ringerscher Lösung beobachtet, so sieht man hauptsächlich eine rhythmische Streckung und Wiederausdehnung der Schlingen, die auf abwechselnder Ver- kürzung und Verlängerung der Längsmuskelschicht beruht. Ist der Darm aber, den natürlichen Verhältnissen entsprechend, wenig gefüllt, so bemerkt man ebenfalls noch von der Längsmuskulatur ausgehende Krümmungen und Streckungen, daneben sieht man aber, und Magnus hat es graphisch noch deutlicher zur Anschauung gebracht, wie alternierend mit der Längsmuskel- !) R. Magnus, l. c. — °) W.Prutz u. A. Ellinger, Arch. f. klin. Chirurgie 67, Heft 4 (1902): 72, Heft 2 (1904). — °) C. Eckhard, Zentralbl. f. Physiol. 13, 49, 1899. Innervation und Bedeutung der Bewegungen. 605 sich auch die Ringmuskelschicht rhythmisch kontrahiert und wieder ausdehnt. Durch die Kombination dieser beiden Bewegungen entsteht das Bild, das Cannon auf dem Röntgenschirm zu Gesicht bekam und unter dem Namen „rhythmic segmentations“ anschaulich beschreibt. Er sah, wie sich an irgend einer Stelle des Dünndarmes eine Ohymusmasse stellte, und sah dann längere Zeit hindurch in sehr gleichmäßigem Rhythmus den Strang in kleine Stück- chen sich verteilen, die wieder zusammenfließen, in andere Stückchen zer- fallen, sich wieder vereinigen, von neuem teilen usw. Die Bewegung dauert an einer Stelle !/, bis 1 Stunde ganz gleichmäßig an und ist nach Cannon bei weitem die häufigste der am Dünndarm sichtbaren Bewegungen. Sie ist die Ursache, daß die Nahrung in verschiedenster Form den Dünndarm erreicht und doch vollständig ausgenutzt wird. Der die Pendelbewegungen auslösende Reiz ist nicht bekannt; sie erfolgen „spontan“. Cannon konnte sie natürlich sehen, wo wismuthaltiger Darm- inhalt vorhanden war. Am isolierten Darm zeigen sie sich insofern durch den Verdauungszustand des Tieres beeinflußt, als sie bei hungernden Tieren schwächer ausgeprägt sind als bei verdauenden!). Durch Anwesenheit von Trauben- und Rohrzucker werden sie aufgehoben oder doch gestört. — Der Rhythmus und die Geschwindigkeit der Pendelbewegungen werden ausschließlich von der Temperatur beeinflußt, bei Körpertemperatur erfolgen nach Magnus 10 bis 12 Pendelbewegungen in der Minute, deren jede 5 bis 6 Sekunden dauert. Die Erregungsleitung bei den Pendelbewegungen läuft auf Nervenbahnen, die in der Muskulatur gelegen sind, ihr Zentrum ist der Auerbachsche Plexus?). In den im Darm gelegenen Reflexbogen greifen Fasern aus dem Zentral- nervensystem ein, die teils im Splanchnicus, teils im Vagus verlaufen. Nach Bayliss und Starling und Bunch führt der Splanchnicus ausschließlich hemmende, der Vagus erregende und hemmende Fasern. Sind beide Nerven vorhanden, so überwiegt die Splanchnieuswirkung; nach deren Durchschneidung erhält man vom Vagus erst Hemmung, dann Bewegungsverstärkung. — In- dessen ist der Einfluß dieser von außen kommenden Nerven auf die Inner- vation des Dünndarmes kein großer. Denn Magnus und Langley und Magnus haben 5 bis 14 Tage nach Durchschneidung der postganglionären Nerven alle Reflexe in normaler Form und kaum verminderter Stärke beob- achtet, und selbst an dem aus dem Körper entfernten Darm sind die Be- wegungen noch in normaler Art, nur mit vielleicht etwas gesteigerter Leb- haftigkeit, erhalten °). Durch die Peristaltik findet eine Fortschaffung, durch die Pendel- bewegungen hingegen ein Hin- und Herfluten von flüssigem, ein gründliches Durchkneten und Durchmischen von festem und breiigem Darminhalt statt. Nun passiert aber wenigstens bei Fleischnahrung, wie Tobler*) gezeigt hat, die Nahrung den Pylorus bereits ganz überwiegend in flüssigem Zustande, !) R. Magnus, 1. c. 102, 143. — ?) Derselbe, 1. e. 103. Auf die ent- scheidenden Aufklärungen, die die Lehre von den rhythmischen Bewegungen und ihrer Innervation durch die Versuche von Magnus erfahren hat, kann hier nicht eingegangen werden. — °) Über die Einwirkung von Giften auf die Darmbewegungen vgl. R. Magnus, Pflügers Arch. 108, 1, 1905; J. N. Langley a. R.; Magnus, 1.c. — *) L. Tobler, Zeitschr. f. Bas, GR 45, 185, 1905. 606 Cellulose und Peristaltik. wir dürfen daher bei cellulose- und knochenfreier Nahrung diese Pendel- bewegungen als die weitaus wichtigeren ansehen. Die eigentliche Peristaltik tritt ihnen gegenüber zurück, und die Fortschaffung des Darminhalts erfolgt trotz fortwährender, intensiver Darmbewegungen recht langsam. Beim Hunde sahen Kutscher und Seemann!) bei Verfütterung von 500 g Fleisch erst nach sechs Stunden die ersten Portionen in der Mitte des Dünndarmes an- langen. Bei der Katze erreichte Fleisch nach Cannon?) selten vor der sechsten Stunde den Diekdarm. Durch die wenig entwickelte Peristaltik beim Fleischfresser erklärt sich, daß Hunde mit teilweise gegengeschaltetem Darm nach Prutz und Ellinger lange in gutem Ernährungszustande leben bei Knochenfütterung dagegen sofort sterben. Eine schnellere Peristaltik kommt nur dann vor, wenn der Dünndarm- chymus viel Festes, Ungelöstes enthält, d. i. im wesentlichen Cellulose, beim Fleischfresser auch Knochen. Cannon konnte nach Verfütterung von Reis den Dünndarm sich lebhafter bewegen sehen als bei Fleisch oder Fett, und er sah zweitens, daß Stärke, Reis und andere Kohlehydrate den Dickdarm oft schon in der dritten, Fleisch und Fett erst in der sechsten und fünften Stunde erreichten. Beim Pferde langt das erste Futter schon in vier Stunden im Coecum an’). Verfütterte Knochen passieren nach Fr. Müller‘) in vier Stunden nicht nur den Dünndarm, sondern den ganzen Verdauungskanal. Macfadyen, Nencki und Sieber’) beobachteten bei einer Patientin eine Darmfistel am untersten Ende des lIleums. Sie sahen bei einer Kost, die neben Fleisch, Pepton und Zucker auch reichlich Griesbrei und Brot, bis- weilen auch Erbsen enthielt, die ersten Nahrungsmengen in 2!/, bis 3, die Hauptmasse in 31/, bis 5!/, Stunden anlangen. Der Transport war also trotz des viel längeren Darmes erheblich schneller als beim Hunde bei Fleisch- nahrung. Die Schnelligkeit der Dünndarmperistaltik ist also wesentlich eine Funktion des Cellulosegehaltes der Nahrung; es wird S. 649 bei Besprechung der Kotbildung von der großen Bedeutung dieser Eigenschaft der Cellulose die Rede sein. Im Gegensatz zu der Peristaltik machen die Pendelbewegungen auch einen aufwärts gerichteten Transport von Flüssigkeiten und in Flüssigkeiten suspendierten kleinsten festen Teilchen möglich. Grützner‘) hat bei Hunden und Ratten beobachtet, daß Lykopodium, aber auch Zinnober und Wismut vom Anus her aufwärts wandern. Einzelne, kleine Partikelchen können bis in den Magen gelangen; die Versuche gelingen nur, wenn der Darm zwar Flüssigkeit, aber wenig festen Inhalt enthält, d. h. bei Mangel an Peristaltik. Grützners Befunde sind von Hemmeter’) auch am Menschen bestätigt worden. Ganz anders als die der anderen Muskelschichten ist die Funktion der Muscularis mucosae, die Exner‘) gefunden hat. Wenn ein spitzer Körper, 2) F. Kutscher und J. Seemann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 34, 528, 1902. — 2) W. B. Cannon, Amer. Journ. of Physiol. 12, 387, 1904. — ?) H. Goldschmidt, Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 286, 1887. — *) Fr. Müller, Zeitschr. f. Biol. 20, 327, 1884. — °) A.Macfadyen, M. Nencki u. N.Sieber, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 28, 311, 1891. — °) P. Grützner, Deutsche med. Wochenschr. 1894, S. 897; 1899, S. 239; Pflügers Arch. 71, 492, 1898. — 7) J. C. Hemmeter, Arch. f. Verdauungskrankheiten 8, 59, 1902. — ®) A.Exner, Pflügers Arch. 89, 253, 1902. Leertätigkeit. — Resorption. 607 etwa ein Knochensplitter, eine Nadel, oder Ähnliches die Darmschleimhaut berührt, so wird diese berührte Stelle lokal anämisch, und es ruft die lokale Berührung an der Reizstelle einen Tonusfall, an allen benachbarten Punkten eine Tonussteigerung hervor. Dadurch weicht die Darmwand vor der Spitze aus, hält aber gleichzeitig den Fremdkörper in der Nähe seines spitzen Endes fest, und die von den anderen Muskelschichten ausgeführte Peristaltik dreht ihn dann so herum, daß er mit dem nichtspitzen Ende nach vorn forttrans- portiert wird. Durch diesen Reflex der Muscularis mucosae schützt sich der Darmtractus vor Verletzungen. Das Zentrum für diesen Reflex dürfte im Meissnerschen Plexus liegen, da er nach Exner bestehen bleibt, wenn die Serosa und die Muscularis, also auch der Auerbachsche Plexus entfernt werden. Über den Sphincter ileocoecalis oder die sogenannte Bauhinsche Klappe siehe unten bei den Bewegungen des Dickdarmes S. 637. Im Anschluß an die Bewegungen des Darmes sei die eigentümliche perio- dische Tätigkeit des ganzen Verdauungskanales erwähnt, die Pawlow und Boldireff!) beobachteten. Wenn man Hunde hungern läßt, so gerät alle 1!/, bis 2!/, Stunden für 20 bis 30 Minuten der Magen und der Dünndarm in lebhafte Bewegungen, und es werden gleichzeitig bis zu 30 cem Pankreas- saft, Darmsaft und Galle secerniert, die arm an Alkali, aber reich an Fer- menten und an Trockensubstanz sind. Bei Beginn der Verdauung und auch schon der Magensaftsekretion hört diese periodische Tätigkeit auf, auch die Einführung anderer Säuren läßt sie stocken. Bei länger dauerndem Hunger oder auch bei Krankheiten hört diese periodische „Leertätigkeit“ auf. — Ähnliches hat übrigens schon vor Jahren Busch?) am Menschen gesehen. VO. Die Resorption der Nahrungsstoffe. Vom Magen aus können wasserlösliche Stoffe durch Diffusion ins Blut gelangen, der Dickdarm resorbiert Wasser und in ihm gelöste Stoffe, der Löwenanteil der Resorption fällt aber auf den Dünndarm. Es ist bei Be- sprechung des Magens auseinandergesetzt worden, daß Wasser im Magen gar nicht, Fette anscheinend auch nicht, Kohlehydrate nur unerheblich resor- biertt werden. Nur vom Eiweiß ist die Resorption nicht unbedeutend. Tobler 3) beobachtete bis zu 30 Proz. Wie wenig andererseits von den Nah- rungsstoffen unter normalen Verhältnissen in den Dickdarm gelangt, das ergibt sich aus den Beobachtungen von Heile®) an Hunden mit Blinddarm- fistteln, von Macfadyen, Nencki und Sieber’), Honigmann®) und Schmidt’) an Menschen mit Fisteln in der lleocoecalgegend. Es konnte der Chymus am untersten Ende des Dünndarmes untersucht werden, und es ergab sich beim Menschen, daß die löslichen Kohlehydrate vollständig, Eiweiß ) W.Boldireff, Zentralbl. f. Physiol. 18, 489, 1904; Arch. des sciences biol. de St. Petersbourg 11, 1, 1904. — ?) W. Busch, Virchows Arch. 14, 140, 1858. — ®) L. Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. — *) B. Heile, Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. und Chirurgie 14, 474, 1905. — °) A. Macfadyen, M. Nencki und N. Sieber, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 28, 311, 1891. — 0. Honigmann, Arch. f. Verdauungskrankh. 2, 296, 1896. — ?) Ad. Schmidt, ebenda 4, 137, 1898. 608 Die bei der Resorption wirksamen Kräfte. und Fett nahezu vollständig im Dünndarm aufgesaugt werden, d. h. aus der Fistel nicht mehr zum Vorschein kommen. Bei Hunden sah Heile von dem Stickstoff von 250 bis 500 g Pferdefleisch 98 Proz. im Dünndarm resorbiert werden, 75 g Rohrzucker verschwanden ganz, 100g Rohrzucker bis auf 1g. Nur bei unaufgeschlossener Pflanzennahrung, deren Cellulosehüllen den Ver- dauungssäften den Zutritt verwehren, passieren etwas größere Mengen von Eiweiß, von Stärke oder von anderen Kohlehydraten unresorbiert den Dünn- darm. Es wird hiervon noch anläßlich der Ausscheidung in den Darm und der Kotbildung $.650 die Rede sein. Von Wasser erreichten in dem Nenckischen Falle 560 cem den Dick- darm, aber die Nahrung enthielt 1500 ccm Wasser, und die secernierten Ver- dauungssäfte werden nicht unter 3 Liter betragen haben. Also auch hier die Hauptresorption im Dünndarm, wenn auch die Fähigkeit des Dickdarmes, Wasser zu resorbieren, nach Moritz!) nicht unbedeutend ist. Die bei der Resorption wirksamen Kräfte. Seit sich die Physiologen mit derartigen Problemen befaßt haben, war es den meisten von ihnen klar, dab die Aufsaugung des Nahrungsbreies im Dünndarm kein einfacher Diffusionsvorgang sei. Trotzdem fand Heiden- hain?) lebhaften Widerspruch, als er im Jahre 1894 die Frage nach den bei der Darmresorption wirksamen Kräften von neuem aufgriff und sie mit Zuhilfenahme der neuen physikalischen Methoden dahin entschied, daß nur von den Zellen des Darmes gelieferte Kräfte die Resorption zu bewirken im- stande sind. Mehrere Jahre wurde eifrig diskutiert, ob der Wasser- und Stofftransport aus dem Darm ins Blut nicht doch das Ergebnis eines osmo- tischen Druckgefälles, der Quellung, des Blutdruckes oder einer Kombination mehrerer dieser Kräfte sein könne. Heute ist „Das Kampfgeschrei verstummt. Der Tag ist richtbar.“ Das Ergebnis der Diskusion aber ist die vollständige Bestätigung der Heiden- hainschen Anschauungen. Ja, um die Unmöglichkeit der Zurückführung der Darmresorption auf osmotische Druckgefälle oder irgend welche Differenzen in der Zusammensetzung der beiden in Betracht kommenden Flüssigkeiten darzutun, dazu waren eigentlich besondere Beweise nicht vonnöten. Das- selbe Blut kreist in den Capillaren des Magens und des Darmes, dieselbe Flüssigkeit befindet sich erst im Magen und unmittelbar hinterher im Darm, und doch findet nur im Darm Resorption statt, nicht im Magen. Damit allein ist die entscheidende Bedeutung der Darmwand bewiesen: alle Resorp- tionstheorien, die von den Eigenschaften der beiden Flüssigkeiten, ihrem osmotischen Druck, ihrer Oberflächenspannung oder Ähnlichem ausgehen, sind damit undiskutabel. Aber es hat sich auch noch eine Reihe direkter experimenteller Be- weise dafür erbringen lassen, daß die Resorption im Dünndarm das Werk des Dünndarmprotoplasmas ist, und es hat sich die Tätigkeit dieses Proto- plasmas auch noch weiter auflösen lassen. ») F.Moritz, Münchener med. Wochenschr. 1898, II, 8. 1521. — ?) R. Heiden- hain, Pflügers Arch. 56, 579, 1894. Tätigkeit des Epithels bei der Resorption. 609 Folgendes sind die Beweise dafür, daß die Resorption einen Arbeits- aufwand erfordert: 1. Die Resorption erfolgt ohne osmotisches Druckgefälle. Voit und Bauer!), Heidenhain und Reid?) haben gezeigt, daß das Blutserum des betreffenden Tieres resorbiert wird, das abgesehen von dem Fibrinogengehalt, in allen physi- kalischen und chemischen Eigenschaften mit dem Blute übereinstimmt. 2. Die Resorption erfolgt gegen ein osmotisches Druckgefälle. Heiden- hain hat zunächst gezeigt, daß Kochsalzlösungen von beträchtlich höherem wasseranziehenden Vermögen als dem des Blutes resorbiert werden. Ich habe dann dasselbe für Lösungen von Traubenzucker zeigen können). Gegen diese Resultate ist von Höber*) eingewendet worden, daß die einzelnen Be- standteile von Lösungen unabhängig voneinander diffundieren. Da nun das Blut ja neben dem Chlornatrium noch andere osmotisch wirksame Stoffe ent- halte, so könnten diese Stoffe, nachdem der osmotische Druck durch Herein- diffundieren des überschüssigen Chlornatriums, bzw. Zuckers ins Blut aus- geglichen wäre, doch immer von neuem Wasser aus dem Darm an sich ziehen; dadurch stiege die Konzentration der Lösung im Darm, die nun wieder zu einer Diffusion ins Blut führte usw. Die Versuche von Heidenhain, Reid’) und mir?) mit vergiftetem oder sonst geschädigtem Epithel zeigen, daß auf diese Weise die Erscheinungen nicht erklärbar sind. Denn die von Höber vermuteten Diffusionsvorgänge würden sich ja dadurch nicht ver- ändern. Außerdem zeigt ein Vergleich zwischen den großen resorbierten Mengen und den kleinen Konzentrationsunterschieden zwischen Blut und physiologischer Kochsalzlösung, daß hier die wirksamen Kräfte nicht gesucht werden können. Die Differenz zwischen Blut und zwischen den resorbierten Lösungen könnte hingegen, analog wie in Dresers‘) Berechnungen bei der Niere, eine Bestimmung der minimalen Arbeit des Darmepithels ermöglichen. — Anschaulicher als in diesen Resorptionsversuchen am Säugetier tritt die gegen das osmotische Druckgefälle gerichtete Arbeit des Darmes in Experi- menten hervor, die ich mit dem Darm von Oktopoden ausgeführt habe’). Ich legte den herausgenommenen Darm in das verdünnte Blut dieser Tiere, füllte ihn mit verdünnter Jodnatriumlösung und leitete stundenlang Sauerstoff durch das Blut. Nach Beendigung des Versuches fand sich das gesamte Jodnatrium in der Außenflüssigkeit, im Darm war kein Jod nachzuweisen. Dieser restlose Transport von einer Seite der Wand auf die andere kann bei Ausschluß der Zirkulation selbstverständlich nur durch von den Zellen erzeugte Triebkräfte bewirkt worden sein. Auch hier zeigte sich, daß mangelhafte Sauerstoff- versorgung diese Fähigkeit des Darmes vernichtete. 3. Die Resorption erfolgt bei Ausschluß der Zirkulation. Hamburger‘) hatte die Hypothese aufgestellt, daß die Resorption im Darme so zustande t) @. Voit und J. Bauer, Zeitschr. f. Biol. 5, 536, 1869. — °) E. Way- mouth Reid, Philophical Transact. Roy. Soc. of London, Ser. B., Vol. 192, p. 211, 1900. — °) O. Cohnheim, Zeitschr. f. Biol. 36, 129, 1897; 37, 443, 1898. — “) R. Höber, Pflügers Arch. 70, 624, 1898; 74, 225, 1899. — °) W. Reid, Journ. of Physiol. 20, 298; 28. 241, 1902; Proc. of the Physiol. Soe., March 1898; Brit. med. Journ., Sept. 1898; Philosoph. Transaet. Roy. Soe., Ser. B, Vol. 192, p. 211, 1900. — °) H. Dreser, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 29, 303, 1892. — °) O. Cohn- heim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 416, 1902. — °) H. J. Hamburger, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1896, S. 36 und 126; Zentralbl. f. Physiol. 1896, Nr. 22. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 39 610 Tätigkeit des Epithels. kommen könne, daß die Darmwand sich mit der im Darmlumen befindlichen Flüssigkeit imbibiert, und daß das an der anderen Seite der Darmwand vor- überfließende Blut das Imbibitionswasser mechanisch mitnimmt. Die Resorp- tion läßt sich indessen auch am zirkulationslosen Darm beobachten. Ich!) habe Därme von Katzen und Hunden in Blut oder Ringersche Lösung getan und sie mit Wasser, Ringerscher, Zucker- oder Kochsalzlösung ge- füllt. Damit war der Blutdruck und die Blutbewegung ausgeschlossen, und es bestand in einer Reihe von Versuchen keine Differenz in der Zusammen- setzung der Flüssigkeiten in und außerhalb des Darmes. Trotzdem konnte ich, falls reichlich Sauerstoff durch das Blut oder die Ringersche Lösung geleitet wurde, beobachten, wie bis zu 24 ccm in einer Stunde aus dem Darm verschwanden, und konnte durch Wiegen des Darmes vor- und nachher fest- stellen, daß die Flüssigkeit von innen nach außen transportiert wurde und nicht etwa, wie Reid?)und Hamburger®)für möglich halten, in der aufgequollenen Wand steckte. Damit übereinstimmend ist die Methode von Reid*), der ein Stück Darmwand zwischen zwei Glasröhren klemmt und nun ebenfalls eine von der Darmwand hervorgerufene Flüssigkeitsbewegung beobachten konnte. Nur erfolgte der Strom bald von innen nach außen, bald umgekehrt, was Reid auf den verschiedenen physiologischen Zustand der Darmwand be- zieht, die ja nicht nur resorbiert, sondern auch secerniert. 4. Die Resorption hört auf, sobald das Epithel der Darmwand irgendwie geschädigt wird. Heidenhain und ich) haben es mit Fluornatrium, Arse- nik und Chinin vergiftet, ich habe die Versuche am toten, durchspülten Hunde ausgeführt, Reid‘) hat das Epithel mechanisch oder durch Absperrung des. Blutes geschädigt. Immer verhielt sich die Darmwand dann wie andere Membranen des Körpers, die nicht speziell auf die Resorption eingestellt sind, etwa die Peritonealhöhle. Osmotischer Druck und Blutdruck scheiden also als treibende Kräfte der Resorption aus. Man kann aber auch nicht auf Membrandurchlässigkeiten und chemische Affinitäten des Protoplasmas rekurrieren, von denen infolge der Untersuchungen Overtons’) in den letzten Jahren viel die Rede ge- wesen ist. Infolge chemischer Affinitäten kann ein Stoff dem Blute entzogen und in einem Organ gespeichert werden. Wissen wir doch auch sonst, z. B. von den Korallen, daß sie aus dem Meerwasser Salze in sich aufnehmen, in unlöslicher Form fixieren und so Stoffe in großer Menge in sich aufsammeln, die im Wasser nur in geringster Konzentration vorkommen. Auch die Speicherung in manchen Pflanzenzellen, elektive Giftwirkungen und manche Erscheinungen bei der Drüsensekretion lassen sich vielleicht auf chemische Affinitäten zurückführen. Aber Bewegungen von einem Hohlraum in einen anderen durch eine Membran hindurch vermögen sie nicht zustande zu bringen. Ähnliches gilt von der Durchlässigkeit von Zellen und Membranen für be- !) O0. Cohnheim, Zeitschr. f. Biol. 38, 419, 1899. — °?) E. W. Reid, Journ. of Physiol. 26, 436, 1901. — °) J. H. Hamburger, Osmotischer Druck und Ionen- lehre, 2 (1903). — *) W. Reid, Brit. med. Journ. 1892, I, p. 1133; Journ. of Physiol. 26, 436, 1901. — °) O. Cohnheim, Zeitschr. f. Biol. 36, 129, 1897; 37, 443, 1898. — %) W. Reid, Journ. of Physiol. 20, 298; Philosoph. Transact. Roy. Soc. of London, Ser. B, Vol. 192, p. 211, 1900. — 7) Vgl. Overtons Aufsatz in dem gleichen Bande dieses Werkes. Tätieckeıt des Epithels. 611 stimmte Stoffe. Wenn eine Membran etwa einem bestimmten Stoff gegenüber semipermeabel ist, so kann das Auftreten dieses Stoffes in oder außerhalb der Zelle einen Wasserstrom hervorrufen. Ist sie für ihn in besonderer Weise durchlässig, so kann sie sich mit ihm füllen, ihn durch sich hindurch verbreiten lassen. Es kann durch solche bestimmte Durchlässigkeit eine bestehende Bewegung reguliert, auch in bestimmter Weise abgeändert werden. Ein Transport von Flüssigkeiten oder von in Flüssigkeiten gelösten Körpern aber ist offenbar nur dadurch möglich, daß die Durchlässigkeit in rascher Folge wechselt. Ein derartiges Beispiel ist die von Wilson!) aufgeklärte Wasser- sekretion der Nektarien gewisser Pflanzen. Hier sondern die Zellen zunächst eine konzentrierte Zuckerlösung nach außen ab, dann wird die Zelle plötzlich für Zucker undurchgängig, und nun entzieht die Zuckerlösung durch osmo- tische Saugung der Zelle Wasser. Aber hier leistet ja der osmotische Druck nicht eine von der Zelle unabhängige Arbeit, er ist vielmehr nur das Werk- zeug, dessen sich die Zelle bedient. Das Entscheidende ist, daß auch hier die Sekretion Arbeitsaufwand erfordert. Von den speziellen Regulationen der Durchlässigkeit am Darm wird so- gleich noch die Rede sein. Das Prinzipielle der Resorption besteht in dem Wasserstrom, der immer nur in einer Richtung läuft. Die körperfremden Nahrungsstoffe könnten ja durch Diffusion ins Blut gelangen; die Schwierig- keit liegt bei der Darmresorption, wie bei allen Sekretionen, bei allen Flüssig- keitsverschiebungen im Organismus in dem Wasserstrom. Bei dem Versagen physikalischer Ursachen muß man zur Erklärung der beobachteten Bewegungen im Körper nach anderen Kräften suchen, und diese anderen Kräfte können, soweit wir es heute übersehen, nur solche sein, die in den betreffenden Mem- branen erzeugt sind. Erzeugt natürlich nur in dem Sinne, daß sie aus nicht- mechanischen Kräften hervorgehen. So gut wie der Muskel mechanische Arbeit aus chemischen Spannkräften macht, ebensogut kommt anderen Zellen des Tierkörpers diese Fähigkeit zu. Im Protoplasma müssen maschinelle Vorrichtungen vorhanden sein, durch die die Energie der Nahrungsmittel sich in Bewegung von Wasser und gelösten Substanzen umsetzt. Die Aufgabe der biologischen Untersuchung kann einstweilen hier nur sein, das Wirkungs- bereich der verschiedenen Kräfte abzugrenzen. Das aber scheint gerade bei der Darmresorption in weiterem Maße gelungen zu sein als bei den ent- sprechenden Vorgängen in der Niere oder bei der Lymphbildung. Ich konnte den Resorptionsvorgang dadurch genauer analysieren, daß ich?) die Resorption von Traubenzuckerlösungen im Darm untersuchte und sie mit der in anderen Hohlräumen verglich. In den nicht speziell für die Resorption eingerichteten serösen Höhlen werden eingespritzte Zuckerlösungen dadurch verändert, daß zwischen ihnen und Leibesflüssigkeit ein Diffusions- austausch eintritt: Der Zuckergehalt vermindert sich durch Diffusion ins Blut, daneben treten dessen charakterische Bestandteile, Chlornatrium, Soda, Eiweiß, in die Zuckerlösung ein. Neben dieser Diffusion kommt nun aber außerdem eine Verminderung der Flüssigkeit zustande, die nicht auf Diffu- \) Zitiert nach A. Nathansohn, Jahrbücher f. wissenschaftliche Botanik 38, 241, 1902. — °) O. Cohnheim, Zeitschr. f. Biol: 36, 129, 1897; 37, 443, 1398; 39, 1, 1900, 39* 612 Tätigkeit des Epithels. sion beruht, und die durch Gifte — Fluornatrium, Chinin, Chloroform — vermindert wird, also vermutlich auf einer aktiven Tätigkeit des Epithels beruht. Diese Kombination von physikalischem Diffusionsaustausch und ak- tiver Resorption scheint weit verbreitet zu sein. Denn in genau derselben Weise fand ich sie bei den Därmen der Echinodermen !) und Wessely?) bei dem subkonjunktivalen Gewebe des Auges. Beim Darm der Säugetiere aber fand ich anderes Geschehen: 1. erfolgte die Resorption schneller; 2. diffun- dierte der Zucker nicht unabhängig von der Flüssigkeit, sondern der Wasserstrom und die Stoffaufnahme waren bis zu einem gewissen Grade mit- einander verkettet; 3. treten auch bei lange dauernder Resorption die Be- standteile des Blutes nur in verschwindender Menge in die Flüssigkeit im Darm ein. Die Darmwand zeigt also eine „Seitigkeit“. Sie ist für Kochsalz und die anderen Salze des Blutes, die ja leicht resorbierbar sind, von außen nach innen leicht, von innen nach außen fast gar nicht durchlässig. Es müssen demnach in der Darmwand zwei Fähigkeiten unterschieden werden: 1. diese einseitige Undurchlässigkeit; 2. der Wasserstrom, der unabhängig von osmotischem Druckgefälle, ja häufig gegen ein solches, Wasser und die in ihm gelösten Substanzen vom Darmbecken ins Blut transportiert. Die beiden Fähigkeiten des Darmes lassen sich getrennt vernichten. Durch schwache Fluornatriumlösungen wird der Flüssigkeitsstrom aufgehoben, während die einseitige Undurchlässigkeit bestehen bleibt. Durch schwache Arsenikwirkung wird umgekehrt die letztere vernichtet, während der Darm noch resorbieren kann. Ich habe daher die Vermutung ausgesprochen, dab der Flüssigkeitsstrom von dem Epithel, die Verhinderung der Diffusion der Blutsalze von dem Capillarendothel hervorgerufen werde. Die Resorption erfolgt am schnellsten, wenn der von der Darmwand er- zeugte Wasserstrom nichts zu transportieren hat, d. h. wenn destilliertes Wasser im Darm ist. Im Dünndarm von Hunden wurden von 40 und 55 ccm, durch die der Darm gerade gefüllt wird, in 15 Minuten je 32 ccm resorbiert. Die Resorption ist um so langsamer, je konzentrierter die zu untersuchende Lösung ist. So resorbierte eine Vella-Fistel am Hunde von einer Traubenzuckerlösung von: in 25 Minuten in 40 Minuten 2,3» Proz. . . 5ölcem 2,3, PrOZ Em elleem! 4,4 „ Ar 43° 12 on En re Me 5 R 33°. Was nun die einzelnen chemischen Körper anlangt, die in dem Wasser gelöst sein können, so bestehen in bezug auf die Schnelligkeit und sogar die Mög- lichkeit der Resorption weitgehende Verschiedenheiten zwischen ihnen, die weder mit ihrer Diffusionsgeschwindigkeit noch mit dem übereinstimmen, was wir sonst von der Durchlässigkeit tierischer und pflanzlicher Zellen wissen. Höber?) glaubt bei der Resorption der Salze einen Parallelismus zwischen Resorptions- und Diffusionsgeschwindigkeiten feststellen zu können. Doch kann man aus seinen Zahlen nicht mehr entnehmen, als daß Uhlornatrium !) O0. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 9, 1901. — °) K. Wessely, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 49, 417, 1903. — °?) R. Höber, Pflügers Arch. 74, 246, 1899. Membrandurchlässiekeit. 613 von allen Salzen am schnellsten resorbiert wird, daß die anderen Chloride und einige andere Salze !) etwas langsamer, und die Sulfate äußerst schlecht resorbiert werden. Roth-Schulz und v. Körösy?) haben die besondere Resorptionsgeschwindigkeit von Chlornatrium bestätigt und auch bei der toten Dünndarmwand eine besonders große Durchlässigkeit für Chlornatrium beobachtet. Interessanter ist die Frage, inwieweit die verschiedenen organischen Verbindungen vom Dünndarm aufgesogen werden, und ob sich dabei Be- ziehungen zu dem Eindringungsvermögen in andere tierische und pflanzliche Zellen ergeben haben. Bekanntlich hat Overton?) in den letzten Jahren ein Gesetz aufgestellt, das wegen seiner bestechenden Einfachheit und wegen der großartigen Einseitigkeit, mit der Overton die verschiedensten Lebens- erscheinungen darauf zurückführt, vielen Anklang gefunden hat. Danach sind die Zellen, bzw. ihre Grenzschichten, durchlässig zwar für Wasser, da- gegen nicht für wasser-, sondern nur für lipoidlösliche Körper. Ein Körper dringt um so schwerer in eine Zelle ein, je leichter er sich in Wasser löst: dahin gehören alle Salze. aber auch die Zuckerarten, Peptone u. v.a. Mit der größten Leichtigkeit dringen alle in Fetten, Leeithin usw. löslichen, bzw. mit ihnen mischbaren Körper ein. Ich sehe von dem hypothetischen Teile von Overtons Lehre ab, wonach die Außenschicht der Zellen eine aus Lecithin und Cholesterin bestehende Plasmahaut sei, gegen die Nathan- sohn) ernste Bedenken erhoben hat. Bedeutungsvoller sind die Einwände Nathonsohns gegen die experimentelle Begründung Overtons. Overton hat Pflanzenzellen in Lösungen der zu prüfenden Körper gebracht und hat ihr Eindringen oder Nichteindringen danach beurteilt, ob Plasmolyse zu be- obachten war. Nathansohn wendet mit Recht ein, daß aus dem Eintritt von Plasmolyse nicht geschlossen werden darf, daß die Verbindung gar nicht, sondern nur, daß sie nicht bis zur Erreichung der Isotonie eindringt. Ent- sprechendes gilt von Overtons Versuchen an Froschmuskeln: wenn ein Muskel in der Lösung eines zu untersuchenden Stoffes nicht quillt, so zeigt das, daß der Stoff nicht völlig, aber es ist kein Beweis dafür, daß er gar nicht eindringt. Noch gewichtiger ist aber ein anderer Einwand, dem sich auch Overton selbst nicht verschließt. Nach ihm wäre allen Nahrungsmitteln mit Ausnahme der Fette und aller Salze, d. h. allen physiologisch wichtigen Körpern der Eintritt in das Protoplasma gesperrt. Für diese Körper will dann Overton eine von der allgemeinen Gesetzlichkeit abweichende aktive Tätigkeit des Protoplasmas annehmen. Das Overtonsche Gesetz gilt also für alle die Tausende von Verbindungen, mit denen man experimentieren kann, für diejenigen Verbindungen aber, die im Laufe des physiologischen Geschehens mit einer Zelle in Berührung kommen können, hat es keine Gültigkeit, hier gibt es besondere Regulationen und Anpassungen. ) Die Unterschiede zwischen diesen Salzen sind nicht groß und nicht konstant genug, um bestimmte Schlüsse daraus zu ziehen. — °) G. Roth-Schulz et K. de Körösy, Arch. internat. de physiol. 1, 477, 1904. — °) E. Overton, Viertel- Jahrsschr. der naturf. Ges. in Zürich 1899, S.88; 1895, S. 34; 1896; Pflügers Arch. 92, 115, 1902; Zeitschr. f. physikal. Chem. 22, 189, 1897; Die Narkose, Jena 1901. — -*) A. Nathansohn, Jahrbücher für wissenschaftl. Botanik 38, 241, 1902; 39, 607, 1903. 614 Resorption und Durchlässigkeit. Was nun den Dünndarm anlangt, so ist er für Wasser, wie besprochen, äußerst durchlässig, dagegen ist sonst die Overtonsche Gesetzmäßigkeit gerade umgekehrt, indem Fette nicht, die wasserlöslichen Salze und andere Körper dagegen sehr leicht aufgenommen werden. Bei den Fetten besteht (siehe unten S. 618) die Verdaung darin, sie durch Spaltung und vermittelst der Galle in wasserlösliche Form zu überführen. Lecitkin scheint (vgl. S. 630) sich wie die Fette zu verhalten; fettlösliche Farbstoffe werden nach Pflüger!) wie die Fette mittels der Galle in wässerige Lösung gebracht. Alkohole werden anscheinend leicht resorbiert. Von den Salzen ist oben erwähnt, daß Chlornatrium besonders schnell, die übrigen auch schnell aufgesogen werden. Eine Ausnahme bilden die Sulfate, die äußerst schwer und langsam resorbiert werden. Es handelt sich um eine spezifische, in ihrem Zustandekommen und ihrer Bedeutung unklare Eigenschaft des Darmes, die anderen Organen, z.B. der Niere, abgeht. Die Sulfate sind nun nicht nur selbst von der Resorption ausgeschlossen, sondern sie halten ihr Lösungswasser fest, und auf diese Weise kommt ihre abführende Wirkung zustande. Ob sie daneben auch einen Flüssigkeitserguß bewirken, ist nicht sicher?). Eine Schädigung des Epithels wie etwa die Fluoride bewirken sie jedenfalls nicht. — Auch die Kalksalze werden nach F. Voit?) sehr schlecht resorbiert, doch ist bei ihnen wegen der Ausscheidung in den Darm die Beurteilung erschwert. Sehr interessant sind die Verhältnisse bei den Zuckerarten. Die Löslich- keiten der einfachen und der Doppelzucker sind gleich, die Diffusions- geschwindigkeiten des einfachen Zuckers sind untereinander gleich und nicht viel größer als die der Doppelzucker. Dagegen sind nur die einfachen Zucker resorbierbar, und auch unter diesen bestehen noch besondere Unter- schiede derart, daß die natürlich vorkommenden schneller resorbiert werden als die anderen *). Die Doppelzucker aber sind als solche überhaupt nicht resorbierbar und bedürfen zu ihrer Aufnahme der vorherigen Spaltung. Für Maltose und Rohrzucker spielt das bei Menschen und Hunden keine Rolle, da sie durch die Fermente der Darmschleimhaut sofort gespalten werden. Anders bei der Laktose. Wie erwähnt, fehlt den meisten erwachsenen Indi- viduen Laktase, und die Laktose ist dann von der Resorption ausgeschlossen. Milchzuckerlösungen wirken daher abführend, so gut wie die schwefelsauren Salze’). Die Bedeutung dieser besonderen Anpassung auf dem Gebiete der Zuckerarten ist klar, da die Doppelzucker im Stoffwechsel nicht verwertbar sind, ihr Zustandekommen dagegen unaufgeklärt. — Die höheren Zucker, vor allem die kolloidalen Polysaccharide, scheinen als solche unresorbierbar zu sein. Ebenso schnell wie die Monosaccharide werden Peptonlösungen resorbiert, obwohl bei ihnen neben der Resorption eine wahrscheinlich vollständige Spal- tung in die Aminosäuren erfolgt. NachRöhmanns®), Reids und meinen’) Beobachtungen vermag der Darm eines Hundes von Magenpepton so viel zu resorbieren, daß der Eiweißbedarf des Tieres in ein bis zwei Stunden gedeckt !) E. Pflüger, Pflügers Arch. 81, 375, 1900; 85, 152, 1901. — °) J. B. Mac Callum, University of California Publications, Vol. 1, p. 115, 1904. — °) F. Vor Zeitschr. f. Biol. 29, 325, 1893. — *) J. Nagano, Pflügers Arch. 90, 389, 1902. — °) E. Weinland, Zeitschr. f. Biol. 38, 16, 1899; W. Röhl, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 83, 523, 1905. — °) F. Röhmann, Pflügers Arch. 41, 411, 1887. — ”) O.Cohn- heim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 13, 1902. Ort und Art der Resorption. 615 wird. Auch Lösungen von nativem Eiweiß können resorbiert werden (vgl. 8. 622), aber die Resorption des Eiweiß erfolgt langsamer als die des Wassers und der etwa vorhandenen Salze. Nun hat aber das Eiweiß nur ein mini- males wasseranziehendes Vermögen. Es hält daher sein Lösungswasser nicht fest wie die Sulfate und der Milchzucker, sondern es bleibt im Darm liegen, wie man dies an der Eindickung von Serum oder von Eiereiweiß im Anfang der Resorption gut beobachten kann. Endlich sei noch eine Reihe einzelner spezieller Regulationen erwähnt. Kobert!) hat gefunden, daß Mangansalze, trotzdem sie doch dem Eisen chemisch so nahe stehen, vom Darm nicht aufgesogen werden, während Fisen- salze reichlich resorbiert werden. Fleig?) beobachtete, daß Sekretin im Gegensatz zu Prosekretin nicht resorbiert wird, Auch Toxine und Antitoxine wirken, per os gegeben, nicht oder anders. Es ist aber auch möglich, daß ihre Unwirksamkeit vom Darm auf einer Zerstörung durch die Verdauungs- fermente beruht. Auch über die Resorption von Fermenten besteht noch keine Sicherheit). — Weiteres siehe in den folgenden Abschnitten über die Resorption der Nahrungsstoffe. Was den Ort der Resorption anlangt, so hat Höbert) die Ansicht ver- treten, daß ein Teil der gelösten Stoffe durch die Zellen, ein anderer Teil zwischen den Zellen hindurch gehe. Er sucht sie durch mikroskopische Bilder bei der Resorption von Farbstoffen und Salzen zu stützen, doch ist bekannt, wie schwer eine derartige Lokalisation mikroskopisch festzustellen ist. Physiologisch müssen wir einstweilen die Epithelauskleidung des Darmes als ein Ganzes ansehen. Von histologischen Veränderungen des Dünndarm- epithels speziell bei der Resorption scheint nichts bekannt zu sein. Vgl.8.594 und Metzners Abhandlung in Bd. II dieses Handbuches. Die Sauerstoff- versorgung des Epithels ist zur Resorption notwendig, nicht aber der Blut- strom, wie aus der oben besprochenen Resorption am isolierten, überlebenden Darm hervorgeht. Auch die Möglichkeit, das Epithel elektiv zu vergiften, ist dort erwähnt. — Von der Stoffumsetzung bei der Tätigkeit des Darm- epithels ist nichts bekannt. Es scheint nach Beobachtungen an Wirbellosen, als ob ein Teil des Zuckers schon bei der Resorption verbrannt wird ’), und auch von dem resorbierten Fett konnte Zawilski®) nur einen Teil im D.tho- racicus finden, ein kleiner Teil war in Verlust gegangen. Es ist nicht unmög- lich, daß er direkt zur Ernährung der Darmwand verbraucht worden ist. Eine Temperatursteigerung wurde bei der Tätigkeit des Dünndarmes von Nagano’) vermißt. Es ist endlich fraglich, inwieweit die Resorption unter der Herrschaft des Nervensystems steht. Reid’) hat keine nervöse Beeinflussung fest- stellen können, Fleig?) und Leubuscher und Tecklenburg?) haben da- !) R. Kobert, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 16, 361, 1883. — ®) C. Fleig, Arch. gener. de med., 80. Ann., t. I, p. 1473 (1903). — °) J. Grober, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 83, 309, 1905. — *) R. Höber, Pflügers Arch. 74, 246, 1899; 86, 199, 1901; 94, 337, 1903. — °) O. Cohnheim, Zeitschr. £. physiol. Chem. 33, 9, 1901; 35, 396, 1902. — °) Zawilski, Arbeiten aus dem physiol. Institut Leipzig 11, 149, 1876. — 7) J. Nagano, Mitteil. a. d. Grenzgebiete zwischen Medizin und Chirurgie 9, 393, 1902. — °) Waymouth Reid, Philos. Transact. Roy. Soc. London, Ser. B, Vol. 192, p. 211, 1900. — °) Leubuscher und A. Tecklenburg, Virchows Arch. 138, 364, 1894. 614 Resorption und Durchlässigkeit. Was nun den Dünndarm anlangt, so ist er für Wasser, wie besprochen, äußerst durchlässig, dagegen ist sonst die Övertonsche Gesetzmäßigkeit gerade umgekehrt, indem Fette nicht, die wasserlöslichen Salze und andere Körper dagegen sehr leicht aufgenommen werden. Bei den Fetten besteht (siehe unten 8. 618) die Verdaung darin, sie durch Spaltung und vermittelst der Galle in wasserlösliche Form zu überführen. Leecitkin scheint (vgl. S. 630) sich wie die Fette zu verhalten; fettlösliche Farbstoffe werden nach Pflüger!) wie die Fette mittels der Galle in wässerige Lösung gebracht. Alkohole werden anscheinend leicht resorbiert. Von den Salzen ist oben erwähnt, daß Chlornatrium besonders schnell, die übrigen auch schnell aufgesogen werden. Eine Ausnahme bilden die Sulfate, die äußerst schwer und langsam resorbiert werden. Es handelt. sich um eine spezifische, in ihrem Zustandekommen und ihrer Bedeutung unklare Eigenschaft des Darmes, die anderen Organen, z.B. der Niere, abgeht. Die Sulfate sind nun nicht nur selbst von der Resorption ausgeschlossen, sondern sie halten ihr Lösungswasser fest, und auf diese Weise kommt ihre abführende Wirkung zustande. Ob sie daneben auch einen Flüssigkeitserguß bewirken, ist nicht sicher?). Eine Schädigung des Epithels wie etwa die Fluoride bewirken sie jedenfalls nicht. — Auch die Kalksalze werden nach F. Voit?) sehr schlecht resorbiert, doch ist bei ihnen wegen der Ausscheidung in den Darm die Beurteilung erschwert. Sehr interessant sind die Verhältnisse bei den Zuckerarten. Die Löslich- keiten der einfachen und der Doppelzucker sind gleich, die Diffusions- geschwindigkeiten des einfachen Zuckers sind untereinander gleich und nicht viel größer als die der Doppelzucker. Dagegen sind nur die einfachen Zucker resorbierbar, und auch unter diesen bestehen noch besondere Unter- schiede derart, daß die natürlich vorkommenden schneller resorbiert werden als die anderen *). Die Doppelzucker aber sind als solche überhaupt nicht resorbierbar und bedürfen zu ihrer Aufnahme der vorherigen Spaltung. Für Maltose und Rohrzucker spielt das bei Menschen und Hunden keine Rolle, da sie durch die Fermente der Darmschleimhaut sofort gespalten werden. Anders bei der Laktose. Wie erwähnt, fehlt den meisten erwachsenen Indi- viduen Laktase, und die Laktose ist dann von der Resorption ausgeschlossen. Milchzuckerlösungen wirken daher abführend, so gut wie die schwefelsauren Salze®). Die Bedeutung dieser besonderen Anpassung auf dem Gebiete der Zuckerarten ist klar, da die Doppelzucker im Stoffwechsel nicht verwertbar sind, ihr Zustandekommen dagegen unaufgeklärt. — Die höheren Zucker, vor allem die kolloidalen Polysaccharide, scheinen als solche unresorbierbar zu sein. Ebenso schnell wie die Monosaccharide werden Peptonlösungen resorbiert, obwohl bei ihnen neben der Resorption eine wahrscheinlich vollständige Spal- tung in die Aminosäuren erfolgt. NachRöhmanns®), Reids und meinen’) Beobachtungen vermag der Darm eines Hundes von Magenpepton so viel zu resorbieren, daß der Eiweißbedarf des Tieres in ein bis zwei Stunden gedeckt !) E. Pflüger, Pflügers Arch. 81, 375, 1900; 85, 152, 1901. — °) J. B. Mac Callum, University of California Publications, Vol. 1, p.115, 1904. — °) F. Voit, Zeitschr. f. Biol. 29, 325, 1893. — *) J. Nagano, Pflügers Arch. 90, 389, 1902. — °) E. Weinland, Zeitschr. f. Biol. 38, 16, 1899; W. Röhl, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 83, 523, 1905. — °) F. Röhmann, Pflügers Arch. 41, 411, 1887. — ”) O.Cohn- heim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 13, 1902. Ort und Art der Resorption. 615 wird. Auch Lösungen von nativem Eiweiß können resorbiert werden (vgl. 8. 622), aber die Resorption des Eiweiß erfolgt langsamer als die des Wassers und der etwa vorhandenen Salze. Nun hat aber das Eiweiß nur ein mini- males wasseranziehendes Vermögen. Es hält daher sein Lösungswasser nicht fest wie die Sulfate und der Milchzucker, sondern es bleibt im Darm liegen, wie man dies an der Eindickung von Serum oder von Eiereiweiß im Anfang der Resorption gut beobachten kann. Endlich sei noch eine Reihe einzelner spezieller Regulationen erwähnt. Kobert!) hat gefunden, daß Mangansalze, trotzdem sie doch dem Eisen chemisch so nahe stehen, vom Darm nicht aufgesogen werden, während Eisen- salze reichlich resorbiert werden. Fleig?) beobachtete, daß Sekretin im Gegensatz zu Prosekretin nicht resorbiert wird. Auch Toxine und Antitoxine wirken, per os gegeben, nicht oder anders. Es ist aber auch möglich, daß ihre Unwirksamkeit vom Darm auf einer Zerstörung durch die Verdauungs- fermente beruht. Auch über die Resorption von Fermenten besteht noch keine Sicherheit 3). — Weiteres siehe in den folgenden Abschnitten über die Resorption der Nahrungsstoffe. Was den Ort der Resorption anlangt, so hat Höbert) die Ansicht ver- treten, daß ein Teil der gelösten Stoffe durch die Zellen, ein anderer Teil zwischen den Zellen hindurch gehe. Er sucht sie durch mikroskopische Bilder bei der Resorption von Farbstoffen und Salzen zu stützen, doch ist bekannt, wie schwer eine derartige Lokalisation mikroskopisch festzustellen ist. Physiologisch müssen wir einstweilen die Epithelauskleidung des Darmes als ein Ganzes ansehen. Von histologischen Veränderungen des Dünndarm- epithels speziell bei der Resorption scheint nichts bekannt zu sein. Vgl.S.594 und Metzners Abhandlung in Bd. II dieses Handbuches. Die Sauerstoff- versorgung des Epithels ist zur Resorption notwendig, nicht aber der Blut- strom, wie aus der oben besprochenen Resorption am isolierten, überlebenden Darm hervorgeht. Auch die Möglichkeit, das Epithel elektiv zu vergiften, ist dort erwähnt. — Von der Stoffumsetzung bei der Tätigkeit des Darm- epithels ist nichts bekannt. Es scheint nach Beobachtungen an Wirbeilosen, als ob ein Teil des Zuckers schon bei der Resorption verbrannt wird 5), und auch von dem resorbierten Fett konnte Zawilski®) nur einen Teil im D.tho- racicus finden, ein kleiner Teil war in Verlust gegangen. Es ist nicht unmög- lich, daß er direkt zur Ernährung der Darmwand verbraucht worden ist. Eine Temperatursteigerung wurde bei der Tätigkeit des Dünndarmes von Nagano’) vermißt. Es ist endlich fraglich, inwieweit die Resorption unter der Herrschaft des Nervensystems steht. Reid‘) hat keine nervöse Beeinflussung fest- stellen können, Fleig?) und Leubuscher und Tecklenburg?) haben da- !) R. Kobert, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 16, 361, 1883. — ®) C. Fleig, Arch. gener. de med., 80. Ann., t. I, p. 1473 (1903). — °) J. Grober, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 83, 309, 1905. — *) R. Höber, Pflügers Arch. 74, 246, 1899; 86, 199, 1901; 94, 337, 1903. — °) O. Cohnheim, Zeitschr. £. physiol. Chem. 33, 9, 1901; 35, 396, 1902. — °) Zawilski, Arbeiten aus dem physiol. Institut Leipzig 11, 149, 1876. — 7) J. Nagano, Mitteil. a. d. Grenzgebiete zwischen Medizin und Chirurgie 9, 393, 1902. — ®) Waymouth Reid, Philos. Transact. Roy. Soc. London, Ser. B, Vol. 192, p. 211, 1900. — °) Leubuscher und A. Tecklenburg, Virchows Arch. 138, 364, 1894. 616 Resorption von Kohlehydraten. gegen Verminderung der Resorption beobachtet, wenn sie die Mesenterial- | nerven durchschnitten. Es sei in diesem Zusammenhange an den S. 593 erwähnten „paralytischen Darmsaft“ erinnert, eine massenhafte Sekretion von Darmsaft ins Lumen des Darmes, die nach Durchschneidung der Mesenterial- nerven eintritt. Auch beim toten Tier, dessen Gefäßsystem mit Kochsalz- lösung durchströmt wird, oder bei hydrämischer Plethora!) füllt sich der Darm mit Flüssigkeit, und bei schlecht ausgeführten Resorptionsversuchen kann man es ebenfalls erleben, daß die Resorption durch einen Flüssigkeits- erguß ersetzt wird. Eine Herabminderung der Resorption bei stärkeren Ein- griffen besagt also nichts. Eine Verlangsamung der Resorption von in den Magen eingeführten Giften hat Exner?) beobachtet, wenn er Adrenalin intraperitoneal gab; über den Mechanismus dieser Störung ist aber nichts bekannt. Es kann eine Gefäßverengerung im Magen oder im Darm, es kann aber auch eine Bewegungsstörung oder noch anderes vorliegen. Daß eine Beeinflussung der Resorption durch den Zustand des Gesamtorganismus mög- lich ist, dafür spricht die Beobachtung, daß Alkohol viel intensiver wirkt, wenn er durstig oder kurz vor der Mahlzeit getrunken wird, d. h. zu einer Zeit, wo die Verdauungsorgane eine Zufuhr „erwarteten“. Vielleicht spielt der Pylorusreflex hierbei eine wichtige Rolle; doch ist außerdem eine Beein- flussung der Resorption auf dem Nerven- oder Blutwege möglich. Die Aufnahme der Nahrungsstoffe. Die wichtigste Frage der Verdauungsphysiologie ist die nach dem Zu- stande, in dem die Nahrungsstoffe resorbiert, nach vollendeter Verdauung dem Organismus zugeführt werden. Wir können sie heute wohl für Kohlehydrate und Fette, nicht aber für die Eiweißkörper beantworten. 1. Kohlehydrate. In der Einleitung wurde die Aufgabe der Verdauung dahin definiert, daß sie die komplizierten Nahrungsstoffe in einfachere Verbindungen über- führt. Am deutlichsten ist dieser Prozeß bei den Kohlehydraten zu verfolgen, die als Stärke und Doppelzucker genossen, als einfache Zucker resorbiert werden. Daß die Resorption der Kohlehydrate ausschließlich in Form der Monosaccharide erfolgt, das läßt sich auf folgende Weise zeigen. Erstens kennen wir höchst wirksame Fermente, die Stärke und Doppelzucker bis zu den Monosacchariden abbauen, und diese sind auch im Darmkanal in über- wiegender Menge neben den Zwischenprodukten zu finden. Darum könnten freilich auch Rohrzucker, Maltose und Milchzucker resorbiert werden, die sich auch im Darm finden, dagegen aber sprechen die Beobachtungen, die Reid) machte, als er Maltose in Dünndarmschlingen einführte und entweder bei intaktem oder bei geschädigtem Epithel resorbieren ließ. Nur im letzteren Falle sammelte sich Dextrose an; bei gesundem Epithel wurde die Dextrose in dem Maße wegresorbiert, wie sie gebildet wurde, so daß im Lumen keine !) J. Cohnheim und L. Liehtheim, Virchows Arch. 69, 106, 1877. — ?) A. Exner, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 50, 313, 1904. — °) W. Reid, Journ. of Physiol. 26, 427, 1901. Resorption von Kohlehydraten. 617 oder sehr geringe Mengen sich fanden, ein Resultat, das den osmotischen Eigenschaften der beiden Zucker widerspricht. Röhmann!) fand, daß die Resorption der Doppelzucker von der Fermentwirkung abhängt und nicht von ihren osmotischen Eigenschaften. Sehr deutlich zeigen die Unfähigkeit der Doppelzucker, ungespalten den Darm zu passieren, die Versuche von Wein- land). Brachte er Milchzucker in den Darm von Tieren, die keine Laktase besaßen, so wurde der Milehzucker nicht resorbiert, sondern blieb lange im Dünndarm zurück, bis er schließlich von den Bakterien zersetzt wurde. Bei laktasefreien Individuen wirkt der Milchzucker als Abführmittel, bildet aber kein Glykogen. Besitzt aber ein Tier Laktase, so resorbiert es den Milch- zucker so gut wie Rohrzucker und Maltose und bildet Glykogen aus ihm. Den direkten Beweis für die Spaltung der Doppelzucker vor der Resorption hat endlich F. Voit?) erbracht: er injizierte Lösungen der Zuckerarten subeutan und sah Dextrose, Lävulose und Galaktose im Körper verschwinden, Rohr- und Milchzucker quantitativ im Harn ausgeschieden werden. Für die Maltose ist dieser Beweis nicht zu führen, da Blut und Organe Maltase ent- halten. Das gleiche Resultat ergibt sich aus den Versuchen von C. Voit) über die Glykogenbildung aus den verschiedenen Zuckern: bei Fütterung per os bilden Rohrzucker und Traubenzucker gleich reichlich Glykogen, bei subeutaner Einführung bildet Traubenzucker fast ebensoviel, Rohrzucker und Milchzucker dagegen kein Glykogen. Im Blut ist denn auch immer nur Traubenzucker gefunden worden, keine höheren Zucker. Mit dieser vorherigen Spaltung der Zucker hängt auch die verschiedene Toleranz des Organismus für die einzelnen Kohlehydrate zusammen, die Worm Müller’) und Miura®) an Mensch und Hund beobachtet haben. Gibt man 50 & Dextrose nüchtern, so geht beim Hund schon etwas, bei 380g ziemlich viel in den Harn über, beim Menschen liegen hier starke individuelle Schwankungen vor, doch erscheint bei 100g häufig, bei größeren Mengen regelmäßig etwas im Harn. Von Lävulose wurde bei 150 g etwas ausgeschieden. Rohrzucker ließ da- gegen erst bei Verfütterung von 250g beim Hunde, 320g beim Menschen Traubenzucker im Harn erscheinen, Stärke auch bei noch größerer Zufuhr nicht. Rohrzucker als solcher wurde auch bei dieser Überschwemmung des Verdauungstraktus nur in Spuren aufgenommen und in den Harn aus- geschieden. Von den nicht zu den regelmäßigen Nahrungsbestandteilen gehörigen Monosacchariden hat Nagano’) einige in Dünndarmschlingen vom Hunde resorbieren lassen. Fruktose und besonders Mannose wurden deutlich lang- samer aufgesogen als Dextrose und Galaktose, noch langsamer die Pentosen, und von ihnen wieder Xylose besser als Arabinose. Die Weiterführung der resorbierten Kohlehydrate erfolgt, wie durch v. Mering‘) festgestellt worden ist, nicht durch die Lymphe, sondern aus- schließlich durch das Blut. ) F. Röhmann, Pflügers Arch. 41, 411, 1887. — ?) FE. Weinland, Zeitschr. £. Bio]. 38, 16, 1899. — °) F. Voit, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 58, 523, 1897. — *) C. Voit (mit J. G. Otto, A. C. Abbott, G.Lusk u. F. Voit, Zeitschr. f. Biol. 28, 245, 1891. — °) Worm Müller, Pflügers Arch. 34, 576, 1824. — °) K. Miura, Zeitschr. f. Biol. 32, 281, 1895. — 7) J. Nagano, Pflügers Arch. 90, 389, 1902. — °) J. v. Mering, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1877, 8.379. 618 Resorption der Fette. 2. Fett. Die Verdauung und Resorption der Fette folgt insofern demselben Ge- setze wie die der Kohlehydrate, als auch hier ein Reservematerial, das bei allen Tieren chemisch gleich oder ähnlich zusammengesetzt ist, gespalten und nachher, vor weiterer Verwendung im Körper, wieder aufgebaut wird. Der Unterschied ist, daß die Kohlehydrate als Monosaccharide ins Blut gelangen und erst in der Leber zu Glykogen werden, während die Spaltungsprodukte der Fette bereits im Epithel des Dünndarmes wieder zu Fett restituiert werden, also nur als Neutralfett in den Körper gelangen. Die Lehre, daß die Triglyceride der Olein-, Palmitin- und Stearinsäure im Darmkanal in Glycerin und Fettsäuren zerlegt und bereits bei der Re- sorption wieder aufgebaut werden, stammt von Kühne und Radziejewski!) und erhielt in der Folgezeit von Munk?) und Frank?) weitere experimen- telle Stützen. Folgende sind die beobachteten Tatsachen, aus denen sich der Beweis ableiten läßt. Man findet bereits im Magen und noch mehr im Darm das Fett über- wiegend im gespaltenen Zustande und nicht als Neutralfett. Zumal in den unteren Teilen des Darmes finden sich nach den übereinstimmenden Angaben von Munk®), Nencki’) und Pflüger‘) fast nur Seifen und Fettsäuren. Dagegen kann man in dem Epithel keine Seifen beobachten. Man sieht mikroskopisch vielmehr in den dem Lumen zugewandten Teilen der Zellen einen außerordentlich feinen Fettstaub, der sich nach der Basis der Zelle hin zu größeren Tropfen verdichtet. Dies Verhalten konnte übereinstimmend an dem Darm von Wirbeltieren und von Insekten beobachtet werden. Diese mikroskopischen Bilder sind nun freilich nicht eindeutig. Bei Betrachtung im ungefärbten Bilde kann man die feinen und größeren Fetttröpfchen mit- unter recht deutlich sehen, aber man erkennt dann nur das Vorhandensein eines Stoffes, der sich mit dem wässerigen Protoplasma nicht mischt und ein starkes Lichtbrechungsvermögen besitzt. Das sind keine Seifen, aber es können sowohl Fettsäuren wie Neutralfett sein, und diese beiden lassen sich auch durch Reagenzien nicht unterscheiden. Mit dem bekannten Reagens auf Fett, der Osmiumsäure, färbt sich das Triolein, ebensogut aber die Öl- säure, und auch die verschiedenen anderen Farbstoffe, Alkanna, Sudan usw., geben hier, wie Pflüger’) gezeigt hat, keine Differenz, da sie sich ebenso- gut wie in Neutralfett auch in Ölsäure und in einer Auflösung von Seifen und Fettsäuren in Galle lösen. Die histologische Untersuchung allein kann deshalb nicht entscheiden. Radziejewski, Frank und Munk haben daher zum Experiment gegriffen und gezeigt, daß man im Gegensatz zum Darm- inhalt jenseits des Epithels niemals mehr Fettsäuren und Seifen findet, sondern immer nur Neutralfett. Auch fand Munk‘°), daß Seifen intensiv giftig sind, ihre Resorption also schon deshalb unmöglich ist. Erleichtert werden die 1) 8. Radziejewski, Virchows Arch. 43, 268, 1868; 56, 211, 1872. — 2) J. Munk, ebenda 80, 10, 1880; 95, 407, 1884. — °) O. Frank, Arch. f. (Anat. und) Physiol. 1892, 8. 497; 1894, 8. 297; Zeitschr. f. Biol. 36, 568, 1898. — *) J. Munk, Zentralbl. f. Physiol. 16, 33, 1902. — °) A.Macfadyen, M. Nencki u. N. Sieber, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. %8, 311, 1891. — °) E. Pflüger, Pflücers Arch. 88, 431, 1902; 90, 1, 1902. — 7) Derselbe, ebenda 81, 375, 1900; 85, 1, 1901. — ®) J. Munk, Zentralbl. f. Physiol. 13, 657, 1900. Resorption der Fette. 619 Untersuchungen über die Fettresorption durch die Tatsache, daß die Fette nicht in das Blut hinein aufgesogen werden, sondern daß sie aus den Zotten zum großen Teil in die Lymphe und erst durch den Ductus thoracicus ins Blut gelangen!,. Munk und Frank fanden nun nicht nur im Brustgang ausschließlich Fett, gleichgültig, ob sie Fette, Fettsäuren oder Seifen ver- fütterten, sondern Munk konnte auch, als er die im Tierkörper nicht vor- kommende Erucasäure aus Rüböl verfütterte, ihr Triglycerid im Brustgang mit Wahrscheinlichkeit nachweisen. Noch schlagender ist der Versuch von Frank, der den Äthylester der Palmitinsäure und des Gemenges aller drei Säuren verfütterte und in der Lymphe des Brustganges ausschließlich Glycerin- ester vorfand. Damit ist es bewiesen, daß ein Teil des Fettes erst gespalten und dann synthetisiert wird, und es ist nur noch die Frage, ob alles Fett sich so ver- hält, oder ob ein Teil des Fettes ohne vorherige Spaltung als feine Emulsion aufgenommen wird. Hofbauer?) und Exner?) haben die Frage dadurch zu entscheiden gesucht, daß sie Farbstoffe verfütterten, die sie für ausschließlich fettlöslich hielten; Pflüger) zeigte, daß sie sich auch in Fettsäuren und in einer Auflösung von Fettsäuren und Seifen in Galle lösen, und daß die Ver- suche daher nichts beweisen. Auf andere Weise suchten Levin’), Cunning- ham®) und Rosenberg’) zu einer Entscheidung zu gelangen. Sie ent- fernten Hunden das Pankreas und beobachteten eine starke Herabsetzung, aber keine völlige Aufhebung der Fettresorption. Da man heute weiß, daß außer dem Pankreas auch der Darm ein lipolytisches Ferment absondert °), haben auch diese Versuche keine Beweiskraft. Dasselbe gilt von den Ver- suchen von Jodlbauer?) und Tappeiner!°), die eine Fettresorption in ab- geschlossenen Dünndarmschlingen beobachteten. Wichtiger ist ein Versuch von Connstein!!): er verfütterte an Tiere das sogenannte Lanolin oder Wollfett, das aus Cholesterinestern der Fett- säuren besteht und den echten Triglyceriden physikalisch sehr ähnlich und leicht emulgierbar ist, aber von dem Steapsin nicht gespalten wird. Es wurde gar nicht resorbiert. Ebensowenig wird nach Henriques und Hansen !2) Paraffin resorbiert, das auch emulgierbar, aber nicht spaltbar ist. Diese Ver- suche sprechen durchaus in dem Sinne, daß eine vorherige Spaltung in der Tat die Voraussetzung der Resorption ist. Dazu kommt die Entdeckung von Moore und Rockwood!3), daß die Galle durch Vermittelung einer kleinen Menge von Seifen große Mengen Fettsäure zu lösen vermag. Es ist jetzt verständlich geworden, wieso im Dünndarm bei neutraler oder saurer Reaktion große Mengen Fettsäure in Lösung sein können, und die Einwände, die sich aus der Beschaffenheit des Darminhaltes gegen die vollständige Spaltung !) Zawilski, Arbeiten a. d. physiol. Institut Leipzig 11, 149, 1876. — ®) L. Hofbauer, Pflügers Arch. 81, 263, 1900; 84, 619, 1901; Zeitschr. £. klin. Med. 47, 475, 1902. — °) S. Exner, Pflügers Arch. 84, 628, 1901. — *) E. Pflüger, ebenda 81, 375, 1900; 85, 1, 1901. — °) J.Levin, ebenda 63, 171, 1896. — °) R.H.Cunningham, Journ. of Physiol. 23, 209, 1898. — 7) S.Rosen- berg, Pflügers Arch. 70, 371, 1898. — ®) S. S. 598. — °) A. Jodlbauer, Zeitschr. £. Biol. 45, 239, 1903. — !°) H.v. Tappeiner, ebenda 45, 223, 1903. — "') W.Conn- stein, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899, S. 30. — !?) V. Henriques u. C. Hansen, Zentralbl. f. Physiol. 14, 313, 1900. — %) B. Moore and D.P.Rockwood, Journ. of Physiol. 21, 58, 1897. 620 Resorption der Fette. der Fette erheben ließen, sind hinfällig geworden. Hat doch Pflüger!) gezeigt, daß 100g Galle 19g Fettsäuren durch Vermittelung einer kleinen Menge Alkali in Lösung halten können, daß die Fettsäuren daher im Darm in viel konzentrierterer Form auftreten können, als die Zucker und die Eiweißspaltungsprodukte dies je tun. Auch die Beobachtung von Frank, daß Stearinsäure sehr viel schlechter resorbiert wird als die beiden anderen Säuren, beruht auf ihrer Schwerlöslichkeit in Galle. . Der von Pflüger?) energisch betonte Standpunkt, daß alles Fett vor seiner Resorption erst gespalten werden müsse, entspricht also durchaus den heutigen Kenntnissen. „Daß der größte Teil des Fettes vor seiner Resorption gespalten und damit in wasserlösliche Form überführt wird, ist sicher, und es existiert kein einziger Grund und keine einzige Beobachtung, weshalb sich nicht alles Fett ebenso verhalten soll, wenn auch der negative Beweis, daß nicht ein gewisser Teil des Fettes in Emulsion die Epithelien passiert, noch nicht erbracht ist und außer durch Überlegungen allgemeiner Natur schwer zu erbringen sein dürfte ?).* Eine solche Überlegung ist die, daß die ganze Fettverdauung überhaupt nur unter dem Gesichtspunkt verständlich erscheint, daß sie das Fett vor- übergehend wasserlöslich macht. Bei den Kohlehydraten und noch mehr bei den Eiweißkörpern werden durch die Verdauung die Stoffe dem Körper adä- quat gemacht, die Fette aber werden in derselben Form abgelagert, in der sie genossen sind. Nach Radziejewski, Munk und Voit kann man bei einem Hunde beliebig Hammelfett und Gänsefett erzeugen, ja selbst körper- fremde Fette zur Ablagerung bringen. Also muß die Spaltung der Fette eine andere Bedeutung haben. Friedenthal*) hat zwar geltend gemacht, daß nach Overton (vgl. S. 613) lebende Zellen ganz allgemein für lipoid- lösliche Stoffe sehr leicht durchgängig sind. Aber der Dünndarm hat mit der Einstellung für die Resorption wasserlöslicher Substanzen diese Eigen- schaft verloren; die so deutliche Sichtbarkeit des Fettes im Dünndarmepithel beweist, daß Fett und Protoplasma hier nicht mischbar sind. Es ist von verschiedenen Autoren der Versuch gemacht worden, die Fettsynthese im Darm auf die Wirkung von Fermenten zurückzuführen. In der Tat haben ja auch Kastle und Lövenhart’) gefunden, daß das fett- spaltende Ferment des Pankreas zu einer Synthese befähigt ist. Dagegen ist es bisher nicht geglückt, mittels der üherlebenden Darmschleimhaut oder Extrakten derselben eine solche Synthese zustande zu bringen. Die positiven Angaben von Ewald*), Hamburger”) und anderen können einer Kritik nicht standhalten. Moore°®) und Frank und Ritter’) haben bei diesen Versuchen etwas Eigentümliches gefunden. Als sie Seifen mit dem Proto- plasma beziehentlich dem wässerigen Extrakt des Darmes in Berührung !) E. Pflüger, Pflügers Arch. 88, 299, 1902. — ?) Derselbe, ebenda 80, 111, 1900; 82, 303 und 381, 1900; 88, 431, 1902. — °) O. Cohnheim, Biochem. Zentralbl. 1, 169, 1903. — *) H. Friedenthal, Pflügers Arch. 87, 467, 1901. — °) J. H. Kastle und A. S. Lövenhart, Amer. Chem. Journ. 24, 491, 1900. — 6) C. A. Ewald, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1883, Suppl. — 7) J.H. Hamburger, Malys Jahresber. 29, 381, 1899. — °) Moore, Proc. Roy. Soc. 1903, Separatabdruck; zitiert Biochem. Zentralbl. 1, 741. — °) OÖ. Frank u. A. Ritter, Zeitschr. f. Biol. 47, 251, 1905. Resorption der Fette und Eiweißkörper. 621 brachten, erfolgte eine Umsetzung dergestalt, daß Fettsäuren aus den Seifen in Freiheit gesetzt wurden. Den Grund dieser Umsetzung sehen Frank und Ritter in der Kohlensäure, doch kommt daneben wohl auch das Eiweiß in Betracht. Jedenfalls ist sie bei allen Versuchen über Fettsynthese zu berücksichtigen, denn Fette und Fettsäuren sind mikroskopisch gar nicht und chemisch oft nicht leicht zu unterscheiden. Jodibauer!) hat Ähnliches beobachtet, und auch bei den Versuchen von Rosenberg?), wonach auch die Resorption von Seifen durch die Galle stark unterstützt wird, spielt die Bil- dung von Fettsäuren aus Seifen eine Rolle. — Jodlbauer°) und v. Tap- peiner*) haben ferner gefunden, daß die Resorption von Fetten aus isolierten Darmschlingen durch Senföl vermehrt wird, Hamburger’) sah sie unter den gleichen Bedingungen durch Zusatz von Seife verbessert werden. Eins ist bei der Fettverdauung noch bemerkenswert. Sie stellt offen- bar bedeutende Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Darmes. Es ist durch den Pylorusreflex dafür gesorgt, daß immer nur kleine Mengen von Fett auf einmal ın den Dünndarm kommen, und diese scheinen auch im Darm noch eine gewisse Hemmung bzw. Verzögerung der Bewegung zu bedingen. Wenigstens fand Pawlow, als er Fett ins Duodeum einführte, dasselbe noch nach langer Zeit im obersten Darmabschnitt vor, während man seinen Weiter- transport eigentlich hätte erwarten sollen. Die Fettverdauung zieht sich daher immer über eine sehr lange Zeit hin. Zawilski sah nach reichlicher Mahlzeit bei Hunden erst in 24 Stunden das Fett ganz aus Magen und Darm verschwinden. Er und Frank sahen pro Stunde nur 4,3 Proz. den Magen verlassen und fanden im Dünndarm gleichzeitig nie mehr als 5,5 Proz. vor. An Hunden mit Magenfisteln kann man sich leicht überzeugen, wie sehr sich die Entleerung des Magens auch durch kleine Fettmengen verzögert. Der Weitertransport des Fettes aus dem Darm erfolgt, wie Zawilski und Frank gezeigt haben, zum größten Teile nicht durch das Blut, sondern durch die Lymphe, also den Ductus thoracieus. Indessen fanden sie in der Brustganglymphe niemals die gesamte resorbierte Fettmenge vor. Ein Teil muß also auch durch die Blutcapillaren der Leber zugeführt werden. In der Brustganglymphe fand Frank®) bis zu 6,26 Proz. Fett, das waren 12,53 g pro Stunde. 3. Eiweibkörper. Es ist in den vorhergehenden Kapiteln auseinandergesetzt worden, daß die Eiweißkörper schon im Magen zum größeren Teil peptonisiert werden, und daß weiterhin zwei Fermente auf sie einwirken, von denen das Trypsin sowohl das noch ungespaltene Eiweiß als die Magenpeptone zum größten Teile in Aminosäuren zerlegt, einen gewissen Rest indessen unangegriffen läßt. Das Erepsin führt diese Zerlegung ebenfalls durch; ob es sie ganz vollenden kann, oder ob beim Trypsin eine gewisse Menge Polypeptid un- gespalten bleibt, ist noch nicht sicher, doch ist schon S. 597 darauf hin- gewiesen worden, daß ein etwaiger, der Erepsinspaltung entgehender Peptid- ») A. Jodlbauer, Zeitschr. f. Biol. 45, 239, 1903. — *) 8. Rosenberg, Pflügers Arch. 85, 152, 1901. — °) A. Jodlbauer, Zeitschr. f. Biol. 45, 239, 1903. — *) H.v. Tappeiner, ebenda 45, 223, 1903. — °) J.H.Hamburger, Malys Jahresber. 29, 381, 1899. — °) O. Frank, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1894, S. 297. 622 Eiweißresorption. rest nur sehr klein sein kann. Daraus ergibt sich, daß die Eiweißkörper der Nahrung jedenfalls zum größten Teile im Verdauungskanal bis zu Amino- säuren gespalten werden können; und die S. 602 erwähnten Befunde von Kühne!) und von Kutscher und Seemann?), die erhebliche Mengen von Aminosäuren im Darminhalt nachwiesen, zeigen, daß ein Teil auch wirklich vor der Resorption bis zu Aminosäuren gespalten wird. Ob aber alles Eiweiß in dieser Weise verändert wird, das läßt sich natürlich aus Untersuchungen über den Darminhalt nicht entnehmen, die Frage ist vielmehr exakt nur so zu lösen, daß man das resorbierte Eiweiß jenseit der Darmwand nachweist. Und zwar müßte man, wenn man bindende Schlüsse ziehen wollte, den Verbleib der Gesamtmenge des Eiweiß nachweisen, so wie es bei den ein- facheren Verhältnissen des Magens Tobler getan hat. Ein solcher Nach- weis ist aber bisher nicht gelungen. Die Resorption des Eiweiß verteilt sich auf eine so lange Zeit, daß in dem jeweilig zirkulierenden Blute immer nur Spuren vorhanden sein können. Rechnet man beim Hunde auf die Resorp- tion von 100g Fleisch, das sind 3g Eiweißstickstoff, 31/, Stunden, und rechnet man, daß in dieser Zeit das Blut 500 mal durch den Körper kreist, so würden während eines Blutumlaufes 6 mg Stickstoff aufgenommen. Wenn das resorbierte Eiweiß sofort weiter verbrannt oder in den Organen ab- gelagert oder ausgeschieden wird, so besteht mit den heutigen Methoden kaum eine Möglichkeit, derart geringe Mengen exakt nachzuweisen. Ich habe den Stofftransport bei einem anatomisch einfachen Wirbellosen, beim Seeigel, untersucht °). Das Tier hat keine Zirkulation, die resorbierten Nahrungs- stoffe müssen durch Diffusion sich in der mit Wasser gefüllten Leibeshöhle verbreiten. Da das Tier lebt, sich bewegt und fortpflanzt, müssen während der Verdauung irgendwelche Stoffe diesen Weg gehen, und doch fand ich, wenn ich nicht die Zufuhr künstlich herauf- oder den Verbrauch künstlich herabsetzte, organische Substanz in der Leibeshöhle immer nur in Spuren vor. Dazu kommt, daß ein Teil des Eiweiß als solches resorbiert werden könnte, und daß dieses dann neben dem Bluteiweiß kaum nachzuweisen wäre. Kleine Mengen der Eiweißspaltungsprodukte aber neben dem Blut- eiweiß zu bestimmen, ist ebenfalls schwierig, und wenn man sie findet, so ist damit noch nicht gesagt, daß sie aus dem Nahrungseiweiß stammen. Folgendes sind die Möglichkeiten und die wirklich beobachteten Tatsachen. „Es ist zunächst sicher, daß native Eiweißkörper in wässeriger Lösung vom Darme aufgesaugt werden können, wie dies Voit und Bauer), Heiden- hain), Friedländer‘) und Waymouth Reid’) bewiesen haben. Denn der Einwand, daß das bei den Versuchen verwendete Serum- oder Eiereiweiß erst durch der Darmwand anhaftendes Trypsin peptonisiert worden sei, kann gegenüber der reichlichen und schnellen Eiweißresorption aus gereinigten Schlingen nicht erhoben werden. Daß die Spuren Trypsin, die in einer gut ausgespülten Darmschlinge noch vorhanden sind, in 50 Minuten 6,18g der ») W. Kühne, Virchows Arch. 39, 130, 1867. — ?) Fr. Kutscher und J. Seemann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 34, 528, 1902. — ?) ©. Cohnheim, ebenda 33, 9, 1901. — *) €. Voit u. J. Bauer, Zeitschr. f. Biol. 5, 536, 1869. — °) R. Heidenhain, Pflügers Arch. 56, 579, 1894. — °) G. Friedländer, Zeitschr. f. Biol. 33, 264, 1896. — 7”) E.Waymouth Reid, Philosophical Transact., Ser. B., Vol. 192, p. 211, 1900. Parenterale Eiweißzufuhr. 623 schwer verdaulichen Serumeiweiße peptonisieren könnten (Heidenhain, S. 596), wird wohl niemand für möglich halten. Der von den Darmepithelien erzeugte Wasserstrom nimmt ebensogut wie andere gelöste Substanzen, die in die Zellen einzudringen vermögen, auch das gelöste Eiweiß mit !)“. Ebenso sicher ist es freilich auch, daß diese Art der Resorption in praxi kaum eine Rolle spielt. Die. Nahrung des Pflanzenfressers enthält nur ungelöstes und in den Verdauungssäften meist auch unlösliches Eiweiß. Der Fleischfresser bekommt, wenn er lebende Tiere frißt, wohl etwas gelöstes nicht denaturiertes Eiweiß, in der Hauptsache aber nährt er sich von Albuminoiden und von Muskeleiweiß. Die Albuminoide sind ohne Spaltung nicht aufzulösen, das Muskeleiweiß aber wird so schnell wie kein anderes Eiweiß durch den Magen- saft denaturiert. Die menschliche Nahrung endlich enthält natives Eiweiß wohl nur, wenn rohe Eier, rohe Milch und vielleicht manche Frutti di mare genossen werden, d. h. bei der großen Mehrzahl aller erwachsenen Menschen überhaupt nicht. Daß diese Aufnahme tatsächlich keine Rolle spielt, ergibt sich auch daraus, daß die Eiweißkörper bei Fütterung niemals, dagegen bei jeder „parenteralen“, d. h. mit Umgehung des Verdauungskanales aus- geführten Einführung, bei intravenöser, subeutaner und intraperitonealer In- jektion, Präzipitinbildung hervorrufen ?). Ganz zwingend ist der Schluß frei- lich nicht, da nicht feststeht, ob die Eiweißkörper selbst oder irgend welche Beimengungen Präzipitinbildner sind. Aber der Unterschied zwischen der normalen und der parenteralen Einführung ließ sich auch noch in anderer Weise nachweisen. Szumowski°) benutzte dazu das Zein, das infolge seiner Alkohollöslichkeit leicht erkennbar ist. Verfüttertes Zein ließ sich niemals jenseits der Darmwand auffinden, intravenös eingeführtes wurde in der Leber abgelagert und konnte lange Zeit im Blut nachgewiesen werden. Was das Schicksal parenteral eingeführter Eiweißkörper anlangt, so ‚werden manche von ihnen ohne weiteres ganz oder teilweise im Harn aus- geschieden, so nach Munk und Lewandowsky*) Kasein und Eiereiweib, nach Mendel und Rockwood’’) das Pflanzeneiweiß Excelsin. Andere, wie die Serumeiweiße *) ®), falls dem Serum durch Erwärmen seine hämolytischen Eigenschaften genommen sind, oder das Edestin °), verblieben zwar zunächst im Organismus, nach Ausweis der Präzipitinreaktion im Blut, aber sie führen dann zur Bildung von spezifischen Präzipitinen und verschwinden später in noch unbekannter Weise’). Gürber und Hallauer ‘) glauben gefunden zu haben, daß parenteral eingeführtes Kasein durch die Galle in den Darm aus- geschieden wird, also schließlich doch noch verdaut wird. Indessen ist ihr Nachweis des Kaseins in der Galle nicht ganz überzeugend, und Mendel und Rockwood°) haben ihn für andere Eiweißkörper auch nicht bestätigen können. — Der einzige Eiweißkörper, der von den Verdauungsorganen her ") 0. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 397, 1902. — °) F. Ham- burger u. B. Sperk, Wiener klin. Wochenschr. 1904, Nr. 23. — °®) W.Szumowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 198, 1902. — *) J. Munk u. M. Lewandowsky, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899, S.531. — °) L. B. Mendel und E. W.Rockwood, Americ. Journ. of Physiol. 12, 336, 1904. — °) H. Friedenthal u. M. Lewan- dowsky, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899, Suppl., S. 73. — 7) H. Sachs, ebenda 1963, S. 494. — ®) A. Gürber u. B. Hallauer, Zeitschr. f. Biol. 45, 372, 1904. — ®) L. B. Mendel u. E. W. Rockwood, Americ. Journ. of Physiol. 12, 336, 1904. 626 Resorption von Eiweiß. stimmen durchaus mit denen von Erben!) und Abderhalden und Oppen- heimer?) überein, daß das Blut keine Albumosen oder Peptone in nach- weisbarer Menge enthält. Daß gewisse Mengen davon das Blut passieren, ist natürlich dadurch nicht ausgeschlossen. Gegen die Wahrscheinlichkeit der Resorption von Albumosen und Peptonen ist häufig die von Schmidt-Mül- heim) und Fano*) entdeckte Giftigkeit der oder mancher Albumosen verwertet worden, die den Gefäßtonus im Splanchnicusgebiet lähmen, und die Gerinnbarkeit des Blutes herabsetzen. Allerdings haben Pick und Spiro;) diese Giftigkeit auf eine Beimengung bezogen, die den bei der natürlichen Verdauung entstehenden Albumosen fehlt, Underhill‘) und Nolf?) be- streiten das aber und behaupten die Giftigkeit der Albumosen selbst. Nolf®) hat diese Giftigkeit noch zu einer Reihe anderer Versuche benutzt: er fand, daß Albumosen nicht nur giftig sind, wenn er sie direkt ins Blut, sondern auch, wenn er sie in die Peritonealhöhle einspritzte, und führte sie nun in großen Mengen in den Dünndarm von Hunden ein, um zu sehen, ob sie auch so auf Blutdruck und Blutgerinnung wirkten oder wenigstens dem Tiere eine gewisse Immunität verliehen. Er beobachtete in der Tat eine gewisse Wirkung, aber sie war recht schwach, obwohl er den Darm mit Mengen überschwemmte, wie sie bei der normalen Verdauung jedenfalls aus- geschlossen sind, so daß seine Resultate eher für eine Umwandlung der Albu- mosen in der Darmwand als für ihren unveränderten Übertritt sprechen. Indessen ist die Giftigkeit der Albumosen überhaupt nicht geeignet, die Frage nach ihrer Resorption zu lösen. Tobler’) hat gefunden, daß der größte Teil des Eiweiß als Pepton, und nur ein unerheblicher als Albumosen den Dünndarm erreicht, und auch von den Albumosen scheint nur ein Teil giftig zu sein; aus dem heute nicht auflösbaren Gemenge von „Albumosen und Peptonen“ kann der giftige Teil zerlegt, der ungiftige aber wohl resorbiert werden. — Wichtiger ist der Befund von Neumeister!0), der Albumosen und Peptone „parenteral“, d. h. mit Umgehung des Verdauungskanales direkt ins Blut brachte. Sie wurden nicht verwertet, sondern durch die Niere oder in den Darm ausgeschieden, verhielten sich also wie Fremdkörper, gleichgültig, ob sie in eine andere Vene oder in einen Pfortaderast gelangten. Auch dieser Versuch ist freilich nicht ganz beweisend, da es neben den von Neumeister untersuchten andere Peptone und Albumosen geben. kann, die sich anders verhalten. Die synthetischen Polypeptide werden, soweit unter- sucht, bei subeutaner Einführung nicht ausgeschieden 11), Sonach läßt sich durch das direkte Experiment nur zeigen, dab ein Teil des Nahrungseiweiß im Darm zu Aminosäuren wird. Daß ein anderer Teil !) F. Erben, Zeitschr. £. Heilkunde 24, 70, 1903. — °) E. Abderhalden u. C. Oppenheimer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 42, 155, 1904. — °) Schmidt- Mülheim, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, S. 33. — *) Fano, ebenda 1881, 3. 277.— °) E. P. Pick u. K. Spiro, Zeitschr. f. physiol. Chem. 31, 235, 1900. — °) F. P. Underhill, Americ. Journ. of Physiol. 9, 345, 1903. — 7) P. Nolf, Arch. ‚de biologie (van Beneden u. van Bambeke) 20, 55, 1903. — °) Derselbe, Bull. de l’Acad. roy. de Belgique (Classe des sciences) 1903, p. 1129 u. 1149; 1904, p- 153. — °) L. Tobler, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 185, 1905. — '") R. Neu- meister, Zeitschr. f. Biol. 24, 272, 1888. — !!) E. Abderhalden u. P. Rona, Zeitschr. f. physiol. Chem. 46, 176; E. Abderhalden u. F. Samuely, ebenda 46, 187, 1905. Resorption von Eiweiß. 627 in Form von komplizierteren Abbauprodukten, Peptonen usw., resorbiert wird, ist unwahrscheinlich, aber nicht widerlegt. Ob aber die resorbierten Stücke des Eiweiß als solche ins Innere des Organismus gelangen, oder ob sie bereits beim Passieren der Darmwand irgendwie umgewandelt werden, darüber ergeben die bisherigen Versuche gar nichts. Man ist daher auf indirekte Beobachtungen angewiesen, und diese er- geben zunächst, daß das Eiweiß der Nahrung, bevor es Körpereiweiß wird, weitgehend abgebaut werden muß. Denn die Eiweißkörper der Nahrung und die Eiweißkörper des Tieres bauen sich aus ganz verschiedenen Bruchstücken auf. So haben Kossel und Kutscher!) gefunden, daß einige unserer wich- tigsten Nahrungseiweiße, der Kleber des Weizens und das Zein des Mais, lysinfrei sind, während alle Eiweißkörper der Tiere reichlich Lysin enthalten. Das Kasein der Milch ist in seinen Spaltungsprodukten gründlich von den Körpereiweißen verschieden, zu deren Aufbau es das saugende Tier benutzt. Wie Zuntz und Kauffmann?) gefunden haben, kann das gewöhnliche Nahrungseiweiß durch ein Gemenge von Leim mit den diesem fehlenden Spaltungsprodukten Tyrosin, Tryptophan und Cystin ersetzt werden. Abder- halden und Samuely?) entzogen einem Pferde große Mengen Blut und fütterten es dann mit Gliadin, das fünf- bis sechsmal mehr Glutaminsäure enthält als die Serumeiweiße des Pferdes; trotzdem änderte sich die Zu- sammensetzung dieser Serumeiweiße nicht. Wie weit herab freilich diese Zertrümmerung des Eiweiß gehen muß, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Kossel*) hat auseinandergesetzt, daß bei der Umwandlung das Muskeleiweiß in Spermaeiweiß beim Lachs keine volle Zertrümmerung des Eiweißmoleküls notwendig ist, sondern möglicher- weise nur äußere Gruppen von einem Kern abgespalten werden, der als solcher intakt bleibt. Ähnliches wäre bei der Verdauung denkbar, oder es könnten wenigstens einzelne größere Gruppen noch zusammenhängend zur Resorption gelangen. Man hat die Frage, wieweit herunter das Eiweiß bei der Verdauung abgebaut werde, dadurch zu entscheiden gesucht, daß man statt des gewöhnlichen Nahrungseiweiß seine Spaltungsprodukte verfütterte und nachsah, ob das Tier dabei ebensogut im Stickstoffgleichgewicht blieb wie bei Ernährung mit ungespaltenem Eiweiß, oder ob es von den Eiweiß- körpern seiner Gewebe zehren müsse. Daß Albumosen und Peptone das Eiweiß dergestalt ersetzen können, ist bereits früher zu wiederholten Malen festgestellt worden 5). Wichtiger ist die Frage nach dem Verhalten der kri- stallinischen Spaltungsprodukte.e Da haben nun zuerst Löwi‘), später Henriquez und Hansen’) Hunde, bzw. Ratten mit den Selbstverdauungs- produkten des Pankreas gefüttert und damit Stickstoffgleichgewicht und Stickstoffansatz erzielt. Abderhalden und Rona‘) gelang dasselbe, indem ') A. Kossel u. F. Kutscher, Zeitschr. f. physiol. Chem. 31, 165, 1900. — ®) M. Kauffmann, Pflügers Arch. 109, 440, 1905. — °®) E. Abderhalden u. F. Samuely, Zeitschr. f. physiol. Chem. 46, 193, 1905. — *) A. Kossel, ebenda 44, 347, 1905. — °) A. Ellinger, Zeitschr. f. Biol. 33, 190, 1896; daselbst die ältere Literatur; E. J. Lesser, ebenda 45, 497, 1904. — °) O. Löwi, Arch. £. exper. Path. u. Pharmak. 48, 303, 1902. — °) V. Henriquez u. C. Hansen, Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 417, 1905. — °) E. Abderhalden u. P. Rona, ebenda 42, 528, 1904; 44, 198, 1905. 40* 628 Resorption von Eiweiß. sie Mäuse und Hunde mit durch Trypsin verdautem Kasein fütterten; ich selbst verfüge über einen Versuch am Hunde, dem ich die durch Pepsin und Erepsin bis zum Verschwinden der Biuretreaktion verdauten Eiweißkörper des Muskelfleisches zu fressen gab, und der ebenfalls fünf Tage im Stick- stoffgleichgewicht war. Demgegenüber steht ein Versuch von Lesser!), der mit den tryptischen Verdauungsprodukten des Fibrins, auch wenn sie reich- lich gefüttert wurden, den Eiweißverlust vom Körper nicht zu verhindern ‚vermochte. Vor allem aber sahen Henriquez und Hansen und Abder- halden und Rona einen entscheidenden Unterschied, je nachdem sie durch Fermente oder durch Säure gespaltenes Eiweiß verfütterten. Tryptisch gespaltenes Eiweiß verhält sich auch quantitativ wie unverdautes; die Säure- spaltungsprodukte vermögen dagegen das Eiweiß nicht zu ersetzen, die Ver- suchstiere, Ratten und Hunde, gaben vielmehr von ihrem Körpereiweiß so: viel ab, als ob sie gar kein Eiweiß in der Nahrung erhalten hätten. Es fragt sich, wie man diesen Unterschied erklären soll. Da ist zu- nächst an einen Punkt zu erinnern, der bei allen derartigen Verdauungs- versuchen mit künstlicher Nahrung sehr zu berücksichtigen ist, daß man nämlich die normalen Verdauungsreflexe unterdrückt. Löwi, Lesser und ich beobachteten bei Verfütterung der tryptischen oder der peptisch-ereptischen Verdauungsprodukte häufig Erbrechen, und wenn es auch möglich ist, daß mit den Fermenten irgendwelche Giftstoffe aus der Magen- und Darmwand oder dem Pankreas extrahiert wurden, so erscheint es wahrscheinlicher, daß die Überschwemmung des Verdauungskanales mit den Spaltungsprodukten an den Schädigungen schuld war. Auch die Ausscheidung von verfütterten Aminosäuren beim Cystinuriker gehört wohl hierher?2). Henriques und Hansen und Abderhalden und Rona wußten sie denn auch zu vermeiden, indem sie das Gemenge mit Fett und Stärke oder Zucker zu einer Masse zusammenkneteten, die von den Versuchstieren gut gefressen wurde. Aber auch so fehlt die normale Erregung der Magensaftsekretion ganz oder teil- weise, und die stickstoffhaltigen Bestandteile werden nicht im Laufe vieler Stunden in kleinen Schüben, sondern sehr viel rascher, d. h. auch in viel größerer Konzentration in den Darm gebracht. Wenn irgendwelche Eiweiß- spaltungsprodukte, und zu ihnen gehören ja auch viele Nährpräparate, quantitativ schlechter vertragen, ausgenutzt und angesetzt werden, so ist diese Überschwemmung statt der normalen langsamen Zufuhr daran schuld °). Dadurch kann indessen wohl die quantitative Minderwertigkeit der Spaltungsprodukte erklärt werden, nicht aber der scharfe Unterschied zwischen den Körpern der tryptischen und der Säurespaltung. Sie kann entweder darauf beruhen, daß die geringe Menge von Peptiden, die der Trypsin- und vielleicht der Frepsinverdauung entgehen, von Bedeutung ist, oder sie kann darin ihre Ursache haben, daß bei der Eiweißspaltung durch Säuren im Gegensatz zu der durch Fermente einige der gebildeten Aminosäuren zer- stört, zu Huminsubstanzen oder sonstwie weiter verwandelt werden. So scheint das Tryptophan ganz zu verschwinden, das Lysin und etwaige Kohle- I) E. J. Lesser, Zeitschr. f. Biol. 45, 497, 1904. — ?°) A. Löwi u. CO. Neu- berg, Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 338, 1904. — °) Vgl. N. Zuntz, Ber. d. deutsch. pharmaz. Ges., 12. Jahrg. 1902, 8. 363. Resorption von Eiweiß. 629 hydratkomplexe mindestens sehr vermindert zu werden). Auch spielt vielleicht eine partielle Racemisierung oder sonstige sterische Differenzen eine Rolle. Hier können nur weitere Versuche entscheiden. Also haben auch diese Stoffwechselversuche bisher zu keiner Entscheidung geführt, in welcher Form das Eiweiß resorbiert wird. Nur das ergibt sich aus ihnen ebenso wie aus allem früher Angeführten, daß ein sehr großer Teil zu Aminosäuren wird. Ob aber alles so vollständig gespalten wird, oder ob ein Teil regelmäßig in Form größerer, noch zusammenhängender Bruchstücke, Peptone oder Peptide, den Darm verläßt, das bleibt unentschieden. Ebenso ist das weitere Schicksal der resorbierten Spaltungsprodukte nach Eintritt in das Darmepithel noch unbekannt. Hofmeister?) hat im Jahre 1881 auf Grund des von ihm und Salvioli3) beobachteten Ver- schwindens der Peptone in Berührung mit der Darmwand die Hypothese aufgestellt, das Eiweiß werde, analog wie das Fett, im Verdauungskanal ge- spalten, bei der Resorption aber wieder zu Eiweiß restituiert. Heidenhaint), Shore) und Neumeister‘) schlossen sich der Ansicht Hofmeisters an, und sie blieb Jahre hindurch herrschend. Die experimentelle Grundlage wurde dieser Anschauung entzogen, als ich’) nachwies, daß das Verschwinden der Peptone in Hofmeisters und Neumeisters Versuchen auf ihrer Weiter- spaltung durch Erepsin beruht. Darum bleibt eine Restitution der Peptone und Aminosäuren zu Eiweiß in der Darmwand immer noch möglich, wenn auch keine für einen solchen Vorgang sprechenden Tatsachen bekannt sind. Da wir aber heute die große Verschiedenheit der einzelnen Eiweiße kennen, und da nach den heutigen Anschauungen über den Stoffwechsel und die Ver- brennung im Körper dem Eiweiß keineswegs die überragende Bedeutung zu- kommt, die man ihm ehemals zuschrieb, so spricht eigentlich nichts für eine Restitution des verdauten Eiweiß vor seinem Eintritt in den Organismus. Kutscher und Seemann‘) und Löwi?) haben eine Bindung der resorbierten Spaltungsprodukte an die Eiweißkörper des Blutes oder des Darmes vermutet, sie aber auch nicht beweisen können. Mir erscheint es auf Grund meiner oben erwähnten Befunde an Wirbellosen, an Oktopoden 10), das wahrschein- lichste, daß das Eiweiß in Form von Aminosäuren resorbiert und in dieser Form den Organen zugeführt wird, um dort je nach Bedarf verbrannt oder zu einer Synthese verwandt zu werden. Was den Resorptionsweg anlangt, so geht dieser, wie Schmidt-Mül- heim !!) gezeigt hat und spätere Beobachter, wie Munk !?), bestätigen konnten, nicht durch den Ductus thoracicus, die Aufsaugung erfolgt vielmehr aus- schließlich durch die Blutgefäße. 2) E. Hart, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 347, 1901. — °) F. Hofmeister, ebenda 6, 51 u. 69, 1881. Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 19, 1, 1885; 20, 291, 1886; 22, 306, 1887. J. Pohl, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 25, 31, 1889. — *) G.Salvioli, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, Suppl., 8.95. — *) R. Heiden- hain, Pflügers Arch. 43, Suppl. (1888). — °) L. Shore, Journ. of Physiol. 11, 528, 1890. — °) R. Neumeister, Zeitschr. f. Biol. 27, 309, 1890. — 7) O0. Cohn- heim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 451, 1901; 36, 13, 1902. — °) F. Kutscher u. ). Seemann, ebenda 34, 528, 1902. — °) O. Löwi, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 48, 303, 1902. — !°) O0. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 396, 1902. — \!) A.Schmidt-Mülheim, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1877, 8. 549. — =) J. Munk, Zentralbl. f. Physiol. 11, 585, 1897.. 630 Resorption von Eisen. Andere Körper. Von dem Lecithin, das in seinem chemischen und physikalischen Ver- halten den Fetten so nahe steht, ist schon erwähnt, daß es nach den Befunden von Kutscher und Lohmann!) durch ein Ferment des Pankreas zerlegt wird. Doch ist auch schon darauf hingewiesen worden, daß es sich hier vielleicht um ein autolytisches Ferment handeln kann. Man darf daher wohl vermuten, daß sich das Lecithin wie die Fette verhalten wird; untersucht ist es aber nicht. Das gleiche gilt von der Nucleinsäure. Durch die Untersuchungen von Gumlich?), Umber°), Araki*) und Sachs’) ist gezeigt worden, daß sich die Nucleinsäure in Pankreas- und Darmsaft auflöst, wobei sie einer der Peptonisierung des Eiweiß analogen Umwandlung unterliegt. Ob sie aber in diesem wenig veränderten Zustande resorbiert, oder ob sie durch die von Kutscher®) und Kutscher und Lohmann’) im Pankreas, von Kutscher und Seemann°) im Darm gefundenen Nucleasen erst ganz gespalten wird, ist nicht bekannt. Was die unorganischen Stoffe unserer Nahrung anlangt, so werden die löslichen Salze leicht und schnell resorbiert mit Ausnahme der Sulfate, die nicht nur selbst zurückbleiben, sondern auch ihr Lösungsmittel festhalten (vgl. S. 615). Von besonderem Interesse sind die Resorptionsverhältnisse des Eisens. Hier sind zwei Fragen zu unterscheiden, nämlich erstens, ob und wo das Fisen aufgenommen wird, und zweitens, in welcher Form es geschieht. Fast alle Nahrungsmittel enthalten Eisen in kleinerer oder größerer Menge, aber sie enthalten es nicht als Ion, sondern in sogenannter organischer Bindung. Eisen ist daher im Hämatin wie in den Kernsubstanzen durch Reaktionen, die das Eisenion mit Rhodankalium, Ferro- oder Ferricyankalium oder Schwefel- ammonium gibt, nicht nachzuweisen, sondern erst nach Zerstörung der organischen Substanz. Es ist nun zunächst durch die Untersuchungen von Kunkel’), Abderhalden !P), Honigmann!!) u. a. nachgewiesen worden, daß auch ionisiertes Eisen resorbiert wird. Daß diese Resorption früher be- stritten wurde, liegt daran, daß der Darm nicht nur Resorptions-, sondern auch Ausscheidungsorgan für das Eisen ist. Wie Quincke und Hochhaus?) zuerst gezeigt und Hofmann'3), Abderhalden!*), Honigmann!!) und Külbs!5) dann ausgedehnt bestätigt haben, wird das Eisen im oberen Teile des Dünndarmes resorbiert und in den Dickdarm ausgeschieden, so daß bei !) F.Kutscher u. Lohmann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 159, 1903. — 2) Gumlich, ebenda 18, 508, 1903. — °) F. Umber, Zeitschr. f. klin. Med. 45, Heft 3 u. 4 (1901). — *) T. Araki, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 84, 1903. — °) Fr. Sachs, ebenda 46, 44, 1905. — °) F. Kutscher, Marburger Habilitations- schrift 1899. — ?) F. Kutscher u. Lohmann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 159, 1903. — ®) Fr. Kutscher u. J. Seemann, ebenda 35, 432, 1902. — °) A. Kunkel, Pflügers Arch. 61, 595, 1895. — '!°) E. Abderhalden, Zeitschr. f. Biol. 39, 113, 193 u. 483, 1900. — "!) G.Honigmann, Arch. f. Verdauungskrankh. 2, 296, 1896. — 2) H. Quincke u. H. Hochhaus, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 37, 159, 1896. — '?) A. Hofmann, Virchows Arch. 151, 488, 1898. Daselbst gute Literatur- übersicht. — '*) E. Abderhalden, Zeitschr. f. Biol. 39, 113, 193 u. 483, 1900. — 15) Külbs, Münchener med. Wochenschr. 1905, I, 8. 830. Diekdarm: Anatomie. 631 einem im Eisengleichgewicht befindlichen Organismus nahezu die gesamte Eisenmenge der Nahrung im Kot wieder aufgefunden werden kann. Die Ausscheidung in den Harn ist minimal). Was nun die Form anlangt, so konnten Quincke und Hochhaus, und ebenso Hofmann und Abderhalden verfütterte Eisensalze in den Epithelien des Duodenums und in denen des Dickdarmes durch die gewöhnlichen Eisen- reaktionen nachweisen, das Eisen wird also als Ion resorbiert und als Ion wieder ausgeschieden. Als sie nun Tiere untersuchten, die keine Eisensalze erhalten, sondern lediglich ihr gewöhnliches Futter mit den darin enthaltenen organischen Eisenverbindungen gefressen hatten, so fanden sie hier mikro- skopisch im Darmepithel weniger Eisen, aber in der gleichen Form wie bei der Füttterung mit Eisensalzen, so daß sich der Schluß ergibt, daß das organisch gebundene Eisen oder mindestens ein Teil davon vor der Resorption ionisiert und in ionisiertem Zustande resorbiert wird. Andererseits zeigt die von Kunkel und Abderhalden bewiesene Verwertbarkeit der Eisensalze zur Blut- und Organbildung, daß der Organismus das Eisen ebensogut auch entionisieren kann. Ebenso wie das Eisen verhalten sich die Halogene. Auch sie kann der Körper beliebig ionisieren und entionisieren. Durch welche Fermente die Abspaltung des Eisens aus dem Hämatin, dem Chlorophyll und anderen organischen Verbindungen erfolgt, ist nicht bekannt; Pepsinsalzsäure zerlegt das Hämatin nicht. Bei den Halogenverbindungen steht nicht einmal fest, ob die Herauslösung des Jods usw. aus den Jodfetten und Jodeiweißen während der Verdauung oder erst jenseit der Darmwand im Stoffwechsel erfolgt. VIII. Der Diekdarm. Während die anderen Verdauungsorgane durch die ganze Wirbeltier- reihe hindurch im großen und ganzen gleichartig gebaut sind, zeigen sich beim Diekdarm erhebliche Unterschiede, Unterschiede, die nicht durch die Verwandtschaft der Tiere und ihre Stellung im System bestimmt werden, sondern ausschließlich durch ihre Nahrung. Bei den Fleischfressern ist der Dickdarm und besonders sein Anfangsstück, der Blinddarm, der durch die seitliche Einmündung des Dünndarmes in den Dickdarm gebildet wird, kurz und eng, bei den Pflanzenfressern sind Diekdarm und Blinddarm zu riesigen, dabei meist dünnwandigen Hohlräumen entwickelt. Der. Unterschied ist schon beim Dünndarm vorhanden, der bei den Fleischfressern aus allen Wirbeltierklassen kürzer, aber muskelstärker ist als bei den entsprechenden Pflanzenfressern, aber erst die gewaltige Entwickelung des Dickdarmes bedingt die großen Differenzen in der Darmentwickelung und Darmlänge. Beim er- wachsenen Frosch und beim Hecht ist der Darm ein kaum gewundenes Rohr, bei der Katze ist er 3mal, beim Hund 4 bis 6 mal, beim Schwein dagegen schon l4mal so lang als der Körper, und bei den echten Pflanzenfressern, Schaf und Ziege, übertrifft seine Länge die des Körpers um das 27 fache?). Trotz der stärkeren Muskulatur des Fleischfresserdarmes ist das Gewicht dabei nicht ) R. Stockman u. E.D. W. Greig, Journ. of Physiol. 21, 53, 1897. — ®) Claus, Zoologie; C. Fermi u. R. Repetto, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, Suppl. S. 84. 632 Diekdarm: Anatomie. verschieden, bei Hund und Kaninchen !/;, des Körpergewichts!). Beim Menschen gibt Gegenbaur die Länge des Darmes zu 7 bis Sm an, also das 7 bis Sfache der Körperlänge vom Kopf bis Steiß, wie sie bei den anderen Tieren gerechnet wird. Aber auch bei ein und derselben Tierart läßt sich durch verschiedene Fütterung während der Entwickelung die Darmlänge in demselben Sinne verändern. Babak?) fütterte Kaulquappen teils mit Fleisch, teils mit Pflanzen, teils mit der ihnen natürlichen, aus beiden gemischten Nahrung: unmittelbar vor der Metamorphose war der Darm bei den Tieren mit Fleischkost . . . . . 3,5 bıs 4,5 mal „, Pilanzenkost. An tn. 2 Renee „. »gemischter: Kont "2. m. mans Se ana ” so lang als der Körper. Auch die Weite und Dicke war verschieden. Die (resamtoberfläche, berechnet Babak, sei bei den pflanzenfressenden Tieren doppelt so groß gewesen als bei den anderen. Bei der Metamorphose wandelt sich der Darm in den kurzen, nur 1,1 der Körperlänge messenden Darm des insektenfressenden Frosches um. — Für den Menschen wird angegeben, dab bei den Reis essenden Japanern der Darm um ein Drittel länger sein soll, als bei den Europäern. Die Ursache für diese verschiedene Entwickelung des Darmes liegt darin, daß die Fleischfresser eine direkt und fast ganz verdauliche Nahrung ver- zehren. Pflanzliche Nahrung enthält dagegen neben einer relativ geringen Menge von verdaulichen Eiweißkörpern und Kohlehydraten eine ungeheure Menge von Ballast, und außerdem sind die Eiweißkörper und Kohlehydrate in ihr häufig gar nicht direkt zugänglich, sondern von Cellulosehüllen um- geben, die erst aufgeschlossen werden müssen, ehe sie den Verdauungssäften den Zutritt gestatten. Nun fehlt aber den Wirbeltieren mit Ausnahme der Fische, bei denen Zuntz und Knauthe?) ein Cellulose lösendes Ferment, eine Cytase, fanden, die Möglichkeit, Cellulose in Lösung zu bringen*). Nur durch Bakterien kann sie zersetzt und aufgelöst werden, deren Entwickelung erfordert Zeit, und so sind denn bei den Pflanzenfressern Einrichtungen ge- troffen, um die Nahrung längere Zeit im Verdauungsapparat liegen zu lassen. Bei den Wiederkäuern ist das zunächst der Pansen; in ihn kommt das ge- fressene Heu usw. und bleibt dort, reichlich mit Flüssigkeit durchtränkt, stundenlang liegen. Während dieser Zeit nun wird es von Bakterien auf- geschlossen, die hier symbiotisch angesiedelt sind, und ohne die eine normale Verdauung unmöglich ist. Diese Bakterien lösen die Cellulose auf, aus der ja die Pflanzen zum größten Teile bestehen, und vergären sie unter Bildung von Säuren, Methan, Kohlensäure und Wasserstoff 5) — saure Sumpfgasgärung. Dann werden die nun aufgeschlossenen Pflanzenmassen noch einmal ge- kaut, kommen in den eigentlichen Magen, und von hier an verläuft die Wiederkäuerverdauung durch Magen-, Pankreas-, Darmsaft, Galle nicht anders !) Claus, Zoologie; €. Fermi u. R. Repetto, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, Suppl., 8. 84. — ?) F. Babak, Biol. Zentralbl. 23, 477 u. 519, 1903. — ®) N. Zuntz u. K. Knauthe, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1898, S. 149; Über Cytase bei Wirbellosen s. W. Biedermann u. P. Moritz, Pflügers Arch. 73, 219, 1898. — *) W. v. Knieriem, Zeitschr. f. Biol. 21, 67, 1885. — °) H. Tappeiner, ebenda 19, 228, 1883; 20, 52, 1884. | | | | Sekretion im Dickdarm. 633 als bei den anderen Säugetieren. Erst im Coecum und Colon bleibt der Nahrungsbrei zum zweiten Male liegen, um hier in ähnlicher Weise — es werden nur die Säuren durch alkalische Sekrete neutralisiert — durch Bakterien zersetzt und erst damit noch gründlicher aufgeschlossen zu werden. Auf diese Weise können die geringen in Gras und Heu enthaltenen Mengen von Nahrungsstoffen verwertet werden. Über die Frage der Cellulose- ausnutzung s.u.S.650. Bei den anderen Pflanzenfressern, Pferd, Kaninchen, Meerschweinchen, deren Nahrung relativ reicher an verdaulichen Stoffen, ärmer an Cellulose ist, fehlt die erste Gärung im Pansen, bei ihnen ist daher der Dickdarm von großer Bedeutung für die Verwertung der Nahrung, be- sonders von deren Cellulose. Näheres bei der Kotbildung und Ausnutzung der Nahrung überhaupt S. 651 ft. Der Mensch steht in der Entwickelung des Dickdarmes wie in der ganzen Ausbildung seines Verdauungsapparates in der Mitte zwischen Pflanzen- und Fleischfressern, aber den Fleischfressern, zumal dem Hund, entschieden näher. Weiteres siehe auch hier weiter unten bei Besprechung der Kotbildung. Die Verschiedenheiten der Form, Größe und Entwickelung des Dickdarmes bei einer Reihe von Säugetieren — Ratte, Meerschweinchen, Kaninchen, Katze, Hund, Igel, Frettchen — sind in der Arbeit von Elliot und Barclay- Smith!) gut beschrieben. Sekretionen und Fermente des Diekdarmes. Fermente des Dickdarmes sind nicht bekannt; nur im obersten Teil, im Coecum, hat Pawlow eine geringe Menge von Erepsin beobachtet, das ich in Schleimhautextrakten des übrigen Dickdarmes bei Hund und Katze ver- mißt habe?2). Auch Invertin hat Miura°) ın Dickdarmschleimhautextrakten nicht finden können. Nach Diastase und Trypsin ist oft, doch stets ver- geblich gesucht worden. Die Verdauung im Dickdarm ist vielmehr auf die Tätigkeit der Bakterien (vgl. u. S. 650 u. 659) und auf die aus den oberen Ver- dauungsabschnitten stammenden Reste von Fermenten angewiesen. Was die letzteren anlangt, so hat Grober‘) im Dickdarm von Hund und Kaninchen in der Regel kleine Mengen Trypsin, Hemmeter’) im menschlichen Colon- inhalt etwas Trypsin, dagegen beträchtlichere Mengen von Steapsin und Diastase gefunden, Heile‘) fand am unteren Ende des Dünndarmes Trypsin, ‚ Diastase und Invertin. Aus der Art, wie dies Trypsin Fibrinflocken in Lösung bringt, glaubt Grober mit Sicherheit entnehmen zu können, daß es sich um Pankreastrypsin und nicht etwa um von Bakterien produziertes handelt, was im Effekt übrigens gleichgültig ist. Die von Heile gefundenen Fermente müssen vom Körper stammen, da im Dünndarm wenig Bakterien vorhanden sind. Über die Fermente der Bakterien s. u. S. 661. Von der Exkretion, die im Dickdarm sehr entwickelt ist; wird weiter unten S. 644 die Rede sein. Von einem eigentlichen Sekret, das bestimmte Funktionen zu erfüllen hätte, wie das des Dünndarmes, weiß man dagegen ) T. R. Elliot u. E. Barelay-Smith, Journ. of Physiol. 31, 272, 1904. — *) 0. Cohnheim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 451, 1901. — °) K. Miura, Zeitschr. f. Biol. 32, 266, 1895. — *) J. Grober, Deutsches Arch. f. klin. Med. 83, 309, 1905. — °) J. C. Hemmeter, Pflügers Arch. 81, 151, 1900. — °) Heile, Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 14, 474, 1905. 634 Resorption im Diekdarm. wenig. Petersen!) beobachtete beim Menschen, daß ein etwa 30 cm langes Stück des Colon transversum, das nach Art einer Thiryfistel vom übrigen Darm getrennt war, in den ersten Tagen nach der Operation je etwa 10 ccm bräunlichen, zähen Schleim, später höchstens 1 cem einer hellen, schleimigen Flüssigkeit absonderte.e Pawlow sah das isolierte Coecum eines Hundes eine kleine Menge einer schleimigen Flüssigkeit secernieren. Doch sprechen einige Angaben dafür, daß der Dickdarm auf die normalen Reize nicht un- “bedeutende Mengen alkalischer Flüssigkeit secernieren muß. Hemmeter und Grober fanden in Übereinstimmung mit älteren Angaben die Reaktion des Dickdarminhaltes ungefähr neutral. Da nun erhebliche Mengen organi- scher, durch Gärung entstandener Säuren, dagegen kaum Ammoniak vor- handen war, so muß die entsprechende Alkalimenge von der Darmwand geliefert worden sein. Dasselbe ergibt sich aus der Beobachtung von Tappeiner?), der im Dickdarm der Wiederkäuer dieselben Produkte der bakteriellen Gärung fand wie im Pansen, Kohlensäure, Butter-, Propion-, Essigsäure, Methan usw., aber nicht wie dort saure, sondern neutrale Reaktion; die gebildeten Säuren müssen also durch vom Darm geliefertes Alkali neu- tralisiert worden sein. Bei einem stark resorbierenden Organ, wie dem Dick- darm, erhält man immer nur den nicht gleich wieder resorbierten Anteil der Sekrete; auch aus Vellafisteln des Dünndarmes bekommt man meist nur wenig schleimige Flüssigkeit, während die Menge des wirklich secernierten Darm- saftes bedeutend ist (vgl. S. 593). Im Coecum und Colon des Pferdes fanden Ellenberger und Hofmeister?) bei stickstofffreier Nahrung große Flüssig- keitsmengen, 9 bis 11 Liter mit 100 & Eiweiß und mehr; es ist aber nicht be- kannt, ob es sich um Sekret des Dieckdarmes oder der oberen Darmabschnitte handelt. — Unter pathologischen Bedingungen kann die Sekretmenge an- scheinend erheblich zunehmen, besonders können bedeutende Mengen Schleim abgesondert werden ?). Resorption im Dickdarm. Die Resorption im Dickdarm ist niemals in der Weise systematisch untersucht worden wie die im Dünndarm. Von dem Wasser der Nahrung und der Verdauungssäfte wird der weitaus größte Teil schon im Dünndarm resorbiert (vgl. S. 607), immerhin gelangten nach den dort zitierten Beob- achtungen von Macfadyen, Nencki und Sieber, Honigmann und Schmidt bei Menschen mit Fisteln in der Coecalgegend noch bis zu 500 cem Wasser ins Coecum, wovon unter normalen Bedingungen höchstens 100 cem mit dem Kote entleert werden. Der Chymus am Ende des Dünndarmes ent- hält nach Macfadyen, Nencki und Sieber’) 90 bis 95 Proz., der Kot nach Rubner‘) und Müller‘) nur 70 bis S0 Proz. Wasser. Es findet also im Dickdarm zwar absolut keine große Wasserresorption statt, aber die Ein- !) W. Petersen, Münchener med. Wochenschr. 1902, S. 41. — °)H. Tappeiner, Zeitschr. f. Biol. 20, 52, 1884. — °) Ellenberger u. Hofmeister, Zeitschr. f. phys. Chem. 11, 497; H. Goldschmidt, ebenda 11, 428, 1887. — *) Vgl. u.a R. Sehütz, Münchener med. Wochenschr. 1905, II, 8. 1669 u. 1727. — °) A. Mac- fadyen, M. Nencki und N. Sieber, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 28, 311, 1891. — °) M. Rubner, Zeitschr. f. Biol. 15, 115, 1879; 19, 45, 1883. — 7) Fr. Müller, ebenda 20, 327, 1884. Resorption im Dickdarm. 635 diekung des Chymus ist bedeutend. Dementsprechend gibt Moritz!), aller- dings ohne weitere Begründung an, die Resorptionsfähigkeit des Diekdarmes für Wasser sogar größer gefunden zu haben als die des Dünndarmes. Die Resorptionsfähigkeit des Diekdarmes für die verschiedenartigsten Nahrungsstoffe ist bei der Einführung von Nährklystieren häufig geprüft worden, und die Beobachtungen von Leube?2), Schönborn’), Ewald), Mochizuki°), Barbianı‘), Reach’) u. v. a. haben mit Sicherheit gezeigt, daß alle drei Arten von Nahrungsstoffen, Arzneimittel und anderes in be- trächtlichen Mengen resorbiert und verwertet werden. Aber sie stimmen auch alle darin überein, daß die Resorption selbst von einfachen Zuckern und von Peptonen sehr viel schlechter geschieht als bei Zufuhr per os, sehr viel langsamer erfolgt, und daß bei den einzelnen Versuchen sich ganz auf- fallend große Unterschiede zeigen. Es scheint zwar eine gewisse Zeit, aber nicht auf die Dauer möglich zu sein, ein Tier rectal zu ernähren. Bei alledem geht aber aus diesen Beobachtungen nicht hervor, ob die betreffenden Stoffe wirklich im Diekdarm resorbiert werden. Grützner‘°) hat gezeigt, daß kleine, leichte, in Wasser aufgeschwemmte Partikelchen vom Reetum durch die Bauhinsche Klappe bis in den Magen aufwärts wandern können, und vor allem hat Cannon?) das Hineingelangen von Nährklystieren bis in den Dünndarm direkt sehen können. Er führte Katzen ein Gemenge von Milch, Ei, Stärke und Wismutnitrat in das Rectum ein und sah nun auf dem Röntgenschirm deutlich, wie sich der Bauhinsche Sphinkter (s. unten S$. 637 öffnete und die Antiperistaltik des Colons (s. unten S. 638) die Massen ins Ileum hineinschob, die dort dieselbe Bewegungsform hervorriefen, wie auch sonst der Chymus. Die Resorption bei Nährklystieren kann also sehr wohl gar nicht im Colon, sondern im unteren Ileum erfolgen. Daß sich die Schleim- haut des Colons indessen an der Resorption doch beteiligt, wird durch die Beobachtung von Schönborn wahrscheinlich, daß nach Einführung von Traubenzucker ins Rectum Glykosurie auftreten kann. Er bezieht das darauf, daß das venöse Blut des Rectums nur zum Teil zur Pfortader, zum Teil direkt in die Y. iliaca strömt. Sichergestellt ist die Aufsaugung durch die Dickdarmschleimhaut nur bei den Patienten von Üzerny und Latschenberger!?) und von Heile}), bei denen der ganze Dickdarm oder ein Teil von ihm von dem übrigen Darm völlig getrennt war, und bei Heiles entsprechend operierten Hunden. Heile fand, daß bei Menschen und Hunden kleine Mengen von Traubenzucker, selbst aus konzentrierten Lösungen nur bis zu 5,9g pro Stunde und noch geringere Mengen von Rohrzucker resorbiert wurden. Salze, auch solche organischer Säuren, schienen besser resorbiert zu werden. Von Wasser wurden 70 bis ') F. Moritz, Münchener med. Wochenschr. 1898, II, S. 1521. — *) W. O. Leube, Deutsch. Arch. £. klin. Med. 10, 1, 1872. — °) S. Schönborn, Disser- tation, Würzburg 1897. — *) C. A. Ewald, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899, Suppl., 8. 160. — °) J. Mochizuki, Arch. f. Verdauungskrankheiten 7, 221, 1901. — °) Barbiani, Malys Jahresber. 31, 520, 1901. — °) F. Reach, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 47, 231, 1902. — °) P. Grützner, Pflügers Arch. 71, 492, 1898. — °) W. B. Cannon, Amer. Journ. of Physiol. 6, 251, 1902. — 1) V. Czerny und J. Latschenberger, Virchows Arch. 59, 161, 1874. — ") B. Heile, Grenzgeb. d. Med. u. Chirurgie 14, 474, 1905. 636 Resorption im Dickdarm. 80 ccm pro Stunde aufgenommen. Als er dagegen Hühnereiweiß und Nutrose einführte, war die Menge des Stickstoffs in einer Stunde sogar vermehrt. In länger dauernden Versuchen sahen Czerny und Latschenberger aber Hühnereiweiß, emulgiertes Fett und Stärkekleister verschwinden. Offenbar mußten diese Stoffe erst durch Bakterien abgebaut werden. Daß bei der Eindickung des Chymus im Dickdarm nicht nur Wasser, sondern auch Nahrungsstoffe, bzw. deren Umwandlungsprodukte resorbiert werden, ergibt sich auch aus den Beobachtungen an Blinddarmfisteln, wie sie Macfadyen, Nencki und Sieber!), Honigmann?), Schmidt?) und Heile*) am Menschen, Heile auch an Hunden gemacht haben und die schon S.607 besprochen sind. Bei Ernährung mit Fleisch, Speck und Zucker ist zwar die Aufsaugung im Dünndarm vollständig oder fast vollständig. Schon bei Milch sah Heile beträchtliche Mengen den Dünndarm unresorbiert ver- lassen, und bei gemischter Kost enthielt der Chymus nach Macfadyen, Nencki und Sieber an dieser Stelle noch 0,45 bis 0,8 Proz. koagulierbares Eiweiß, Pepton, 0,3 bis 4,75 Proz. Zucker und bei nicht ganz aufgeschlossener, cellulosereicher Nahrung auch noch unveränderte Stärkekörner, ferner Essig- säure, Milchsäure, wohl auch andere organische Säuren. Die Menge dieser unresorbierten Stoffe hängt von der Schnelligkeit ab, mit der der Chymus den Darm passiert, und diese ist wieder, wie oben S. 606 ausgeführt, eine Funktion seines Cellulosegehaltes. Bei leichtverdaulicher Nahrung ist- die Bedeutung des Dickdarmes als Verdauungsorgan beim Menschen gering, mit steigendem Cellulosegehalt nimmt sie auch beim Menschen zu. Denn alle diese Stoffe fehlen im Kot (s. unten S. 647), gelangen also im Dickdarm noch zur Aufsaugung. Bei unaufgeschlossener Nahrung kann man von einer Art „Nachverdauung“ 3) reden. In welcher Form die Nahrungsstoffe im Diekdarm resorbiert werden, ist nicht bekannt. Am nächsten liegt die Annahme, daß Eiweiß und Stärke wie im Dünndarm erst vollständig gespalten werden. Es müßte das durch die im Chymus noch vorhandenen Fermente und durch Bakterien, im Falle der - Nährklystiere wohl ausschließlich durch diese geschehen, wozu sie ja imstande sind, aber wie die Differenz zwischen den Versuchen von Özerny und Latschenberger und von Heile beweisen, Zeit brauchen. Was die Fett- resorption im Dickdarm anlangt, so hat Hamburger) die Resorption von Fetten und Seifen im Dickdarm beobachtet und hat ferner beobachtet, daß Seifen durch die zerriebene Diekdarmschleimhaut zerlegt werden. Er schließt daraus, daß auch der Diekdarmschleimhaut die Fähigkeit zukommt, Fette synthetisch aufzubauen. Seine Versuche sind nach den letzten Beobachtungen von Moore#) und von Frank und Ritter’) nicht beweisend (s. oben S. 620), doch ist die Synthese der Seifen zu Fetten in der Diekdarmschleimhaut sehr wahrscheinlich, da die direkt resorbierten Seifen ja giftig wirken würden. ') A. Macfadyen, M. Nencki und N. Sieber, Arch. f. exper. Pathol. und Pharm. 28, 311, 1898. — °) G. Honigmann, Arch. f. Verdauungskrankh. 2, 296, 1896. — °®) Ad. Schmidt, ebenda 4, 137, 1898. — *) B. Heile, Grenzgeb. d. Med. u. Chirurgie 14, 474, 1905. — °) H. J. Hamburger, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1900, 8.433. -—- °) Moore, Proc. Roy. Soc., Separatabdr. 1903; Biochem. Zentralbl. 1, 741. — 7) O0. Frank und A. Ritter, Zeitschr. £. Biol. 47, 251, 1905. Sphincter ileo-colicus. 637 Die Bewegungen des Dickdarmes. Die Untersuchung der Bewegungen des Dickdarmes war lange Zeit sehr vernachlässigt und ist erst in jüngster Zeit in Angriff genommen worden. Starling und Bayliss!) und in Langleys Laboratorium Elliot und Barclay-Smith?) haben bei eröffneter Bauchhöhle die Bewegungen beob- achtet und zum Teil auch, wie die des Dünndarmes, graphisch registriert; Starling und Bayliss beobachteten Hunde und Kaninchen, Elliot und Barelay-Smith noch eine Reihe anderer Tiere. Sodann hat Cannon’), ganz wie bei seinen Magenuntersuchungen, Katzen mit wismuthaltiger Nahrung gefüttert und die auf diese Weise sichtbar gemachten Därme mit Röntgen- strahlen auf dem Fluoreszenzschirm beobachtet. Endlich haben Langley und Magnus) die Bewegungen des herausgenommenen, in Ringerscher Lösung schwimmenden Kaninchendarmes untersucht. Speziell die Innervation des Sphincter ileo-colicus, der den Eingang zum Dickdarm beherrscht, hat Elliot) erforscht. Die Resultate dieser Untersuchungen stimmen gut über- ein, und die tatsächlichen Bewegungsformen sind dadurch bekannt geworden, wenn auch ihr Zustandekommen und ihre Innervation noch vielfach unauf- geklärt sind. Der Dünndarm mündet bekanntlich nicht endständig, sondern seitlich in den Dickdarm ein; den beide trennenden Abschluß bezeichnet man in der menschlichen Anatomie als Valvula Bauhinii. Nach Elliot ist es aber nicht eigentlich eine Klappe, die den Abschluß bildet. Beim Menschen mündet der Dünndarm zwar schräg ein, und es kommt dadurch eine Art Klappenventil zustande, bei den untersuchten Tieren, Katzen, Hunden, Kaninchen, mündet der Dünndarm hingegen rechtwinkelig zur Wand des Üolons, und der Ab- schluß des Dünndarmes wird bei ihnen ausschließlich, beim Menschen in der Hauptsache, durch einen starken, ringförmigen Muskel gebildet, der die Dünndarmmündung umfaßt. Bei der Katze ist er 1Omm breit. Elliot be- zeichnet ihn als Sphincter ileo-colicus. Innerviert wird der Sphinkter nach Elliot durch den Splanchnicus, die Nerven stammen aus dem 13. Thoracal- und 1. und 2. Lumbalnerven. Eine genügende periphere Innervation scheint er nicht zu besitzen; nach Durchschneidung dieser Nerven degeneriert er, und der Inhalt von Dünn- und Dickdarm kommuniziert dann frei miteinander. Die nach Zerstörung des Rückenmarkes vorübergehend auftretenden Durch- fälle 6) hängen vielleicht hiermit zusammen. Interessant ist jedenfalls, daß die Verdauung rückenmarkloser Tiere wieder anscheinend ganz normal werden kann‘), während der Sphinkter dauernd gelähmt bleibt. Die Reize, durch die der Sphincter ileo-colicus zum Öffnen und Schließen veranlaßt wird, sind nicht bekannt. Cannon beschreibt, wie sich oberhalb des Sphinkters eine Kotsäule staut, wie der Darm längere Zeit die regelmäßigen, rhythmischen, von ihm als „segmentations“?) bezeichneten Bewegungen ausführt, und wie dann D) W.M.Bayliss and E. H. Starling, Journ. of Physiol. 26, 107, 1900. — 2) T.R. Elliot and E.Barclay-Smith, ebenda 31, 272, 1904. — ®) W.B. Cannon, Amer. Journ. of Physiol. 6, 251, 1902. — *) R. Magnus, Zentralbl. f. Physiol. 19, 317, 1905; J. N. Langley and R. Magnus, Journ. of Physicl. 33, 34, 1905. — °) T. R. Elliot, Journ. of Physiol. 31, 157, 1904. — °) F. Goltz und J. R. Ewald, Pflügers Arch. 63, 362, 1896. — 7) Vgl. S. 605. 638 Innervation des Dickdarms. plötzlich die Kotmasse durch den sich öffnenden Sphinkter in das Colon ge- | schoben wird. Auch Heile!) berichtet von stoßweise erfolgenden Ent- leerungen aus dem Dünndarm und beschreibt ferner, daß die Aufblähung des Colons durch einen Gummiballon die Entleerungen aus dem Dünndarm für eine halbe Stunde sistierte, also ein durch mechanischen Reiz des Colons reflektorisch hervorgerufener Sphinkterschluß. Darüber sind jedenfalls alle Beobachter einig, daß der Sphinkter unter normalen Bedingungen einen festen Abschluß der beiden Darmabschnitte bewirkt; auch einem starken Andrängen der Colonmuskulatur gegenüber erweist er sich als suffizient; einmal in den Dickdarm eingetretener Chymus kann nicht mehr in den Dünndarm zurück- gelangen. Anders dagegen, wenn es sich nicht um den normalen Darminhalt handelt, sondern um Nährklystiere. Einen wismuthaltigen Brei von Milch, Ei und Stärke, den er Katzen per clysma gegeben hatte, sah Cannon erst eine Zeitlang im Coecum Halt machen, dann aber ins Ileum hinein gelangen. Auch die Grütznersche Antiperistaltik (s. oben S. 606) setzt eine zeitweise Öffnung des Sphinkterabschlusses voraus. Ob bei diesem verschiedenen Ver- halten des Sphinkters die verschiedene Konsistenz eine Rolle spielt, oder ob es sich um Uhemoreflexe handelt, ist nicht untersucht. Am Dickdarm lassen sich nach den englischen Forschern vier Formen der Bewegung unterscheiden, die bei allen untersuchten Tierarten vorhanden, aber je nach Form und Größe des Diekdarmes verschieden entwickelt sind: 1. Pendelbewegungen, die denen des Dünndarmes durchaus ähneln. 2. Peristaltik, die denselben Gesetzen folgt, wie sie Bayliss und Starling für den Dünndarm ermittelt haben. Auf einen mechanischen Reiz kommt es oberhalb der Reizstelle zur Kontraktion, unterhalb zur Erschlaffung, wodurch der reizende Gegenstand abwärts transportiert wird. Sie steht unter der Herrschaft eines peripheren Nervensystems und ist durch von außen kommende Nerven wenig beeinflußbar. Beim Hunde hat der Splanchnieus eine schwach hemmende, die Nerven des Beckenplexus eine bewegungs- verstärkende Wirkung. Bei der Ratte ist die Peristaltik unmittelbar nach rückenmarkszerstörung sehr deutlich, einige Wochen später erfolgt sie da- gegen viel kraftloser. Die Peristaltik ist im Coecum und im oberen oder proximalen Teile des Colon nur selten zu erhalten, sehr ausgeprägt ist sie dagegen im intermediären und distalen Teile des Colons, das beim Menschen etwa dem Colon descendens entsprechen würde. Am schönsten zu beobachten ist sie am herausgenommenen Kaninchendickdarm nach LangleyundMagnus, und zwar am besten an seinem untersten, ins Rectum übergehenden Stück. Man sieht hier, wie die kleinen, harten Kotballen abwärts transportiert und entleert werden. 3. Antiperistaltik. Auch sie steht unter der Herrschaft eines lokalen Nervensystems, wird infolgedessen durch Nikotinvergiftung nicht aufgehoben und ist weder vom Splanchnicus, noch vom Beckenplexus her zu beeinflussen. Bei der Ratte gilt dasselbe wie von der Peristaltik, daß sie nach Rücken- markszerstörung zunächst besonders deutlich, später aber sehr schwach erfolgt. Die Antiperistaltik beschränkt sich auf das Coecum und das obere proximale Oolon. Sie beginnt, sobald sich der Diekdarm vom Dünndarm her ‘) B. Heile, Grenzgeb. d. Med. und Chirurgie 14, 474, 1905. Fr Bewegungen des Dickdarms. 639 füllt; sie läßt die Inhaltsmassen nicht weiter abwärts gehen, sondern schiebt _ sie immer wieder gegen das blinde Ende des Coecums hin und führt so eine sehr gründliche Durchmischung und Durchknetung des weichen Speisebreies herbei. Mit dieser Antiperistaltik hängt es zusammen, daß der proximale Teil des Colons bei der Katze, übrigens auch bei anderen Tieren selbst durch langen Hunger und Abführmittel kaum je ganz zu entleeren ist. 4. Im Gegensatz zu den beiden Arten der Peristaltik gerät die distale Hälfte des Colons auf Reizung der Nerven des Beckenplexus in eine gleich- mäßige tonische Kontraktion. Der Ursprung dieser Nerven ist von Elliot und Barclay-Smith erforscht worden. Sie entspringen bei der Ratte dem sechsten und siebenten Lumbalnerven, beim Meerschweinchen dem ersten bis dritten Sacralnerven, beim Kaninchen dem dritten und vierten Sacralnerven, bei der Katze dem zweiten und dritten Sacralnerven, beim Hunde dem zweiten und dritten Sacralnerven, beim Frettchen dem ersten Sacralnerven. Nach Starling und Bayliss erhält man auf Reizung der betreffenden Nerven beim Hunde erst eine vorübergehende Hemmung, dann erst eine ı Kontraktion, beim Kaninchen sofort eine Kontraktion, die aber nicht lange ‚ anhält. Bei allen Tieren bewirkt Reizung der aus dem Brustsympathicus ‚ stammenden Splanchnicusfasern Erschlaffung. Starling und Bayliss tragen Bedenken, diese tonische Kontraktion als physiologisch zu bezeichnen. Wie man beim Ösophagus durch Vagusreizung eine gemeinsame Kontraktion des ganzen Rohres hervorrufen könne, während | das Organ doch normal nur eine Peristaltik zeige, so werde es auch hier | sein. In der Tat zeigt ja nach der Beobachtung von Langley und Magnus | gerade der betreffende distale Teil des Colons bei Kaninchen die ausgesprochenste | Peristaltik. Andererseits hat vielleicht die tonische Kontraktion der ge- | samten Längsmuskulatur, die bei Hunden und Katzen nach Elliot und Barclay-Smith den Haupteffekt der Reizung darstellt, eine Bedeutung für | die Kotentleerung. Wenigstens sah Cannon bei Katzen das distale Colon | sich bei der Defäkation im ganzen nach abwärts verschieben. Vielleicht ver- ! halten sich hier die Tierarten verschieden. Die tatsächlich beobachteten Bewegungen des Dickdarmes sind bei den | einzelnen Tierarten die folgenden: Die Katze besitzt trotz ihres sonst so deutlichen Fleischfressertypus ein leidlich entwickeltes Coecum, und die Anti- peristaltık und das durch sie bewirkte Hin- und Herwogen ist hier und im | proximalen Teile des Oolons gut zu sehen. An der Katze ist die Antiperistaltik | des Colons von Cannon entdeckt worden. Der leere Dickdarm ist ruhig |oder zeigt nur gelegentlich schwache Einkerbungen. Sobald er sich vom Dünndarm her füllt, so beginnen antiperistaltische Bewegungen, die in Perioden von zwei bis acht Minuten auftreten; während dieser Perioden folgen sich ziemlich genau elf Wellen in zwei Minuten. Zwischen den Perioden liegen | Pausen von völliger Ruhe des Colons. Nach einer gewissen Zeit, die Cannon nicht genauer angibt, die aber anscheinend nach Stunden zählt, hört die Antiperistaltik dann plötzlich auf, und der Inhalt des oberen Öolonteiles wird /nun ziemlich rasch durch eine starke, abwärts laufende peristaltische Welle oder durch eine allgemeine tonische Kontraktion seiner Muskulatur ins Colon 640 Bewegungen des Diekdarms. — Kotentleerung. descendens geschoben, wo sich die Kotmassen sammeln und wieder eine Zeit- lang liegen bleiben, bis sie durch abwärts gerichtete peristaltische Wellen rectalwärts transportiert werden. Beim Igel, der kein Öoecum hat, ist die Antiperistaltik des proximalen Colons trotzdem deutlich, wenn auch schwach, ebenso beim Hunde mit seinem kleinen, aber muskelkräftigen Blinddarm; dessen Entleerung erfolgt durch eine gleichmäßige Kontraktion seiner gesamten Muskulatur. Besonders schön “ist nach Elliot und Barelay-Smith die Antiperistaltik bei der Ratte zu sehen, bei der das Coecum stark entwickelt ist. Bei Kaninchen und Meer- schweinchen ist dagegen der Mischapparat für die Kotmassen vor allem das mächtige, proximale Colon, das energische Bewegungen, tief einschneidende Wellen zeigt. Das Coecum ist beim Meerschweinchen relativ klein und durch eine Klappe abgeschlossen; es entleert sich von Zeit zu Zeit, und immer dann setzt die Antiperistaltik des Colons besonders lebhaft ein. Beim Kaninchen ist das Coecum größer, aber auch wesentlich ein passiver Vorratsraum, indem die Nahrung lange stagniert und während dieser Zeit von Bakterien zersetzt wird. Gut illustriert wird diese Bedeutung des Coecums als Haupt- ort bakterieller Wirksamkeit beim Kaninchen durch den Versuch von Zuntz und Ustjanzew!), die Kaninchen den Blinddarm exstirpierten und nun gerade die Stoffe erheblich schlechter verwertet fanden, zu deren Verdauung bakterielle Mitwirkung erforderlich ist (vgl. unten S. 650). In einem be- stimmten Augenblick schlägt auch beim Kaninchen die Antiperistaltik des oberen Dickdarmes in eine abwärts gerichtete Peristaltik um, der Kot tritt in das deutlich abgesetzte, viel engere distale Colon über und wird von hier aus ziemlich rasch peristaltisch abwärts befördert. Beim Pferde verweilt die Nahrung mindestens vier Stunden, meist viel länger im Öoecum?). Der große Unterschied des Diekdarmes gegenüber dem Dünndarm besteht also darin, daß ein und derselbe Darmteil Bewegungen in verschiedener Richtung zeigen kann. Es ist Cannons großes Verdienst, diese Verhältnisse aufgeklärt zu haben. Wodurch der Umschlag in der Bewegungsrichtung der Colonmuskulatur bedingt ist, weiß man nicht; zeitlich fällt er mit einer Änderung in der Konsistenz des Öoloninhaltes zusammen. Im Gebiete der Antiperistaltik, im oberen Colon, ist der Inhalt ziemlich weich, breiig, noch recht ähnlich dem Chymus im Dünndarm. Unterhalb des Gebietes der Anti- peristaltik, im Colon descendens, findet sich harter Kot. Es kann wohl kein Zweifel sein, daß hier ein Zusammenhang besteht, und daß offenbar die Peri- staltik so lange aufwärts gerichtet ist, bis die Eindiekung einen gewissen Grad erreicht hat, um dann in umgekehrter Richtung zu laufen. Ob es aber chemische oder mechanische Reize sind, die diesen Umschlag bewirken, steht dahin. | Die Kotentleerung. Die Kotentleerung ist ein komplizierter Reflex, an dem die glatte Mus- kulatur des unteren Colons und des Rectums, die beiden Sphinkteren und in der Regel auch noch quergestreifte Muskeln des Beckens beteiligt sind. !) N. Zuntz und W. Ustjanzew, Arch. f. (Anat. und) Physiol. 1905, S. 403 (Berliner physiol. Ges.).. — ?°) H. Goldschmidt, Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 286, 1877. i Kotentleerung. 641 Genauer untersucht ist nur die Innervation und Tätigkeit der Sphinkteren, die Beteiligung des Darmes an den Defäkationsvorgängen ist wenig auf- geklärt. Es scheint nur, als ob weitgehende Verschiedenheiten zwischen den Tieren obwalteten. Beim Kaninchen enthält das Colon von der oben be- schriebenen, auch anatomisch deutlichen Stelle an, wo die Antiperistaltik auf- hört, die bekannten kleinen harten Skybala und diese werden nach der Be- obachtung von Langley und Magnus!) durch die Peristaltik abwärts transportiert. Zu einer stärkeren Kotansammlung im Rectum scheint es nicht zu kommen. Bei der Katze hat Cannon?) dagegen nach Zufuhr wis- muthaltiger Nahrung mittels Röntgenstrahlen einen sehr komplizierten Vor- gang beobachtet. Im distalen Teil des Colons hatte sich eine Kotsäule gestaut. Plötzlich verschob sich das ganze Colon, das ja bei den Fleischfressern ein langes Mesenterium hat, distalwärts, dann trat an einer Stelle eine kräftige Kontraktion der Ringmuskeln ein, wodurch die Kotsäule in zwei Stücke zer- fiel und gleichzeitig verkürzte sich das distale Stück des Colons von der Einschnürungsstelle an bedeutend, so daß der in ihm enthaltene Kot nach unten befördert und nun gleich entleert wurde. Beim Hunde, der nach der anatomischen Entwickelung seines Darmes und der Beschaffenheit seiner Faeces zweifellos sich der Katze gleich verhält, haben v. Frankl-Hochwart und Fröhlich?) festgestellt, daß eine peristaltische Kontraktion des unteren Dickdarmes in der Regel eine Erschlaffung der Sphinkter hervorruft; die beiden Vorgänge sind also miteinander verknüpft. Ferner haben die Durchschneidungs- und Exstirpationsversuche von Goltz*), Geltz und Ewald) und L. R. Müller#) am Sacralmark des Hundes gezeigt, daß bei Zerstörung oder Abtrennung derselben Zentren, die die Sphinkteren beherrschen (s. unten), stets schwerste Obstipation eintritt; der Kot bleibt lange im Dickdarm liegen, wird ohne Nachhilfe, zumal unmittelbar nach der Rückenmarksausschaltung, häufig gar nicht entleert. Beim Menschen ist über die physiologische Tätig- keit des unteren Darmabschnittes kaum etwas bekannt. Die Ansammlung des Kotes scheint im S romanum zu erfolgen und das Rectum sich erst unmittel- bar vor der Entleerung, dann, wenn Stuhldrang auftritt, zu füllen. Bei allen Verletzungen oder Erkrankungen des Sacralmarkes besteht auch hier schwerste Obstipation; Stuhlgang kann nur durch Abführmittel hervorgerufen werden’). Sehr vielfach untersucht ist die Innervation der beiden Ringmuskeln, die das Rectum abschließen, des glatten Sphincter ani internus und des quer- gestreiften Sphincter ani externus, die wie alle derartigen Muskeln einen be- ständigen Tonus besitzen, von dem aus sie sich entweder fester kontrahieren oder erschlaffen können. Die ersten nervösen Zentren dieser Muskeln nun, von denen ihr Tonus abhängt, ihre Repräsentanten, liegen in der Substanz der Muskeln selbst. Denn ihr Tonus stellt sich, wie zuerst Goltz und Ewald, dann v. Frankl-Hochwart und Fröhlich) und L. R. Müller gezeigt ) R. Magnus, Zentralbl. f. Physiol. 19, 317, 1905. — °) W. B. Cannon, Amer. Journ. of Physiol. 6, 251, 1902. — °) L. v. Frankl-Hochwart u. A.Fröh- lich, Wiener klin. Rundschau 1901, Nr. 41. — *) F. Goltz (und Freusberg), Pflügers Arch. 8, 460, 1874. — °) F. Goltz und J. R. Ewald, ebenda 63, 362, 1896. — °) L. R. Müller, Deutsch. Zeitschr. f. Nervenheilkunde 21, 86, 1901. — 7) Vgl. besonders Derselbe, ebenda 14, 1, 1898; 19, 303, 1901; 21, 86, 1901. — ) L. v. Frankl-Hochwart u. A. Fröhlich, Pflügers Arch. 81, 420, 1900. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 41 642 Kotentleerung. haben, nach Entfernung des Rückenmarkes und auch der sympathischen Ganglien!) wieder her. Der Sphincter internus verhält sich darin wie die übrige glatte Muskulatur des Darmes; sehr überraschend war aber der Befund von Goltz und Ewald, daß auch der Sphincter externus nach Lostrennung vom Rückenmark nicht degeneriert und seinen Tonus nicht auf die Dauer verliert. Ist er doch histologisch und nach seinem Zuckungsverlaufe ein quergestreifter Muskel. Daß er aber Zentren, bzw. ein Nervennetz in sich trägt, das ergibt sich auch daraus, daß auf einen elektrischen oder mecha- nischen Reiz sich stets der ganze Muskel kontrahiert, sowie aus seiner Immu- nität gegenüber Üurare. In der Norm werden die Repräsentanten von übergeordneten Zentren im Rückenmark und diese wieder von höheren Zentren in der Hirnrinde beeinflußt. Die Verbindung mit dem Rückenmark geschieht, wie Langley bei Katze und Kaninchen gezeigt hat und v. Frankl-Hochwart und Fröhlich für den Hund bestätigen konnten, durch zwei Bahnen. Erstens entspringen aus dem zweiten bis vierten Lumbalnerven — also aus dem sym- pathischen System im engeren Sinne — Fasern, die durch das Ganglion mesentericum inferius und den N. hypogastricus zum Rectum ziehen. Zweitens führt der N. erigens — Langley nennt ihn N. pelvicus — Fasern aus dem zweiten und dritten Sacralnerven zum Anus. In beiden Bahnen laufen zentri- petale und zentrifugale Fasern, d. h. von beiden Bahnen lassen sich sowohl Konstriktion, wie Erschlaffung der Sphinkteren erzielen, so daß die Durch- schneidung eines Nervenpaares nach v. Frankl-Hochwart und Fröhlich und Lewandowsky und Schultz?) das normale Fungieren der Sphinkteren kaum beeinträchtigt. Doch überwiegt beim Hunde beim N. erigens die ver- engernde, beim N. hypogastrieus die erweiternde Wirkung in der Regel, bei der Katze ist es nach Langley umgekehrt. Beim Menschen stehen nach L. R. Müllers klinischen Beobachtungen sowohl das zweite Sacral-, wie das fünfte Sacral- und das erste Coccygealsegment dem Defäkationsakt vor; nach Langley müssen außerdem Beziehungen des zweiten und dritten Lumbalsegmentes vorhanden sein. Das Centrum anale in der Hirnrinde liegt. beim Hunde nach den übereinstimmenden Angaben von v. Bechterew), Ducceschi#), Merzbacher’) und v. Frankl-Hochwart und Fröhlich) an der Außenseite des Gehirns etwas nach hinten vom Sulcus cerucictus, etwa lcm unterhalb der Mantelkante; die Örtlichkeit scheint individuell etwas zu schwanken. Es ließ sich sowohl Kontraktion, wie Erschlaffung der Sphinkteren erzielen ®). Beim anthropoiden Affen liegt die Stelle nach Sherrington’) ganz oben im Gebiet der vorderen Zentralwindung in näch- ster Nachbarschaft der Beinzentren, beim niederen Affen nach Sherrington an der medialen Seite des Lobulus paracentralis ®). Zur normalen Defäkation ist nicht nur die Leitung vom Gehirn und Rückenmark zum Anus, sondern auch der entsprechende zentripetale Teil !) L. v. Frankl-Hochwart u. A. Fröhlich, Pflügers Arch. 81, 420, 1900. — ?2) M. Lewandowsky u. P. Schultz, Zentralbl. f. Physiol. 17, 433, 1903. — ®) W. v. Bechterew, Neurol. Zentralbl. 1893, 8. 81. — *) V. Ducceschi, zit. nach 3 u. 4. — °) L. Merzbacher, Pflügers Arch. 92, 585, 1902. — °) L. v. Frankl-Hochwart u. A. Fröhlich, Jahrbücher f. Psychiatrie u. Neurologie 1902 (Sep.-Abdr.).. — 7) C. v. Monakow, Ergebnisse der Physiol. I, Biophysik, S. 616. ST ———— Kotentleerung. 645 des Reflexbogens erforderlich. Wie Merzbacher!) gefunden hat, wirkt eine Durchschneidung der hinteren Wurzeln des Sacralmarks wie die Entfernung des Rückenmarks: von der sensibel gemachten Schleimhaut des Darmes werden die Defäkationsbewegungen nicht ausgelöst, und der Sphinkteren- tonus, der also reflektorisch ist, verschwindet zunächst nach dem Eingriff. — Wird die Leitung an irgend einer Stelle unterbrochen, so erfolgt nunmehr vor allem die Kotentleerung ohne Beeinflussung durch den Willen und ohne daß sie gefühlt wird. Flüssiger Kot läuft durch den klaffenden Anus einfach heraus. Fester Kot — und es ist schon erwähnt, daß in der Regel Obstipation besteht — sammelt sich im Rectum an und fällt nur gelegentlich oder geschoben durch die Vis a tergo des Colons, zum After heraus, ohne daß die Menschen davon Kenntnis haben, ohne daß Hunde die gewöhnliche Hock- stellung einnehmen. An den Sphinkteren hat dabei Goltz 2) die merkwürdige Beobachtung gemacht, daß ihr Tonus zwar sehr herabgesetzt ist, daß sie nun aber auf mechanischen oder Kältereiz mit einer Reihe von rhythmischen Zu- sammenziehungen antworten. Nach einiger Zeit nimmt nun aber die Selbst- ständigkeit der abgetrennten Zentren zu, und es stellt sich eine der Norm ähnliche Kotentleerung wieder her. Die Sphinkteren werden wieder schließ- fähig, wenn auch ihr Tonus meist etwas herabgesetzt ist und sie immer noch die Neigung zu rhythmischen Zusammenziehungen haben. Ebenso erfolgt nun die Kotentleerung wieder in ziemlich regelmäßigen Zwischen- räumen. Verloren bleibt nur die Fähigkeit, den Kot nach Eintritt ins Rec- tum willkürlich zurückzuhalten, und die Kenntnis der Entleerung. Dabei ist es anscheinend gleichgültig, an welcher Stelle die Leitungs- unterbrechung erfolgt. Goltz?°) hat anfangs das Rückenmark im Lumbal- oder Dorsalteil durchschnitten, später hat er Hunden das Sacralmark ganz herausgenommen *); die Wiederherstellung des Sphinkterentonus und der Kotausstoßung erfolgte im letzteren Falle wohl langsamer, aber anscheinend ebenso vollständig. Ebenso betont L. R. Müller’), daß Querschnittsläsionen oberhalb und Zerstörung des ganzen Sacralmarks bei Menschen sowohl in der ersten Zeit wie nach Wiederherstellung des Sphinktertonus im wesent- lichen die gleichen Symptome hervorrufen. Indessen hat Müller die aus dem Lumbal- und untersten Thoracalmark stammende sympathische Inner- vation, die im Hypogastrieus läuft, nicht hinlänglich berücksichtigt. Daß auch die eingeschalteten sympathischen Ganglien nicht entscheidend für den Tonus der Sphinkteren sind, schließen Goltz und v. Frankl-Hochwart und Fröhlich daraus, daß Nikotinvergiftung, die diese Ganglien sonst lähmt, den Tonus bestehen läßt. Hier sind für die Frage des Ineinander- greifens der Zentren noch interessante Aufklärungen zu erwarten; das ergibt, sich aus einer Beobachtung von Lewandowsky und Schultz‘), die mit, den sonstigen Angaben im Widerspruch steht. Sie durchschnitten Hunden. beiderseits die N. erigentes und hypogastriei; darauf waren die Sphinkteren. gelähmt, es bestand aber zugleich höchstgradiger Tenesmus, die Tiere ver- ») L. Merzbacher, Pflügers Arch. 92, 585, 1902. — °?) F. Goltz (u. Freus- berg), ebenda 8, 460, 1874; E. Fuld, Dissert. Straßburg 1895. — °) F. Goltz {u Freusberg), Pflügers Arch. 8, 460, 1874. — *) F. Goltz u. J. R. Ewald, ebenda 63, 362, 1896. — °) L. R. Müller, D. Zeitschr. f. Nervenheilk. 21, 86,. 1901. — °) M. Lewandowsky u. P. Schultz, Zentralbl. f. Physiol. 17, 433, 1903.. 41% 644 Kotentleerung. — Kotbildung. harrten dauernd in Hockstellung und arbeiteten fortwährend mit der Bauch- presse. Vielleicht bestand nur Wundreizung, vielleicht aber Komplizierteres. Auch hier glich sich nach einiger Zeit die Störung wieder aus. Von quergestreiften Körpermuskeln beteiligen sich an der Kotentleerung der M. levator ani, der die kotzurückhaltende Wirkung der Sphinkteren unterstützt und anscheinend auch bei der Austreibung beteiligt ist, ferner unter Umständen die Bauchpresse. Endlich nehmen erwachsene Tiere beim Koten ja eine ganz bestimmte Körperhaltung ein. Bei Goltz und Merz- bacher finden sich Angaben, wonach Einnehmen dieser Hockstellung oder auch bestimmte Beinbewegungen bei Hunden mit quer durchtrenntem Rücken- mark oder durchschnittenen hinteren Wurzeln öfter zur Kotentleerung zu führen scheinen. Ob es sich hier um rein mechanische Wirkungen oder nervöse Verknüpfungen handelt, ist nicht entschieden. Endlich ist an die enge Verkettung von Kot- und Harnentleerung zu erinnern, die nach L. R. Müller!) nicht bei verletztem, sondern nur bei intaktem Rückenmark be- steht, also auf nervöser Verkoppelung der Zentren beruht. Die Ausscheidung in den Darm. Die Kotbildunge. Bei manchen niederen Tieren, z. B. den Seeigeln und Holothurien, ist der Darm das einzige Exkretionsorgan für feste und flüssige Stoffe. Bei den höheren Tieren übernimmt die Niere den wichtigsten Teil der Ausscheidung, immerhin findet aber in den Darm, zumal in den Dickdarm, eine reichliche Exkretion statt. Als Prinzip kann man hierbei festhalten, daß die löslichen Stoffe durch die Niere, die unlöslichen oder schwer löslichen durch den Darm entfernt werden. Am klarsten zeigt sich dies in einer Versuchsreihe von Rüdel?) über die Ausscheidung des Kalkes. Der Kalk wird zum größten Teil mit dem Kot, zum Teil aber auch mit dem Harn entleert, und Rüdel konnte die im Harn ausgeschiedene Menge dadurch herauf- oder herabsetzen, dab er die Löslichkeit des Kalkes durch Gaben von Salzsäure oder von phos- phorsaurem Natron vermehrte oder verminderte. Nach der Zusammen- stellung von F. Voit3) werden bei Pflanzenfressern nur 3 bis 6 Proz. des Kalkes mit dem Harn entleert, bei den Fleischfressern mit ihrem sauren Harne dagegen bis zu 27 Proz. — Doch wird die Ausscheidung durch die Niere oder durch den Darm auch noch durch spezifische Eigenschaften der Körper bestimmt. Die durch den Darm ausgeschiedenen Stoffe verlassen den Körper als Kot. Da aber der Kot außer ihnen auch unresorbierte Nahrungsreste ent- halten kann, ist es oft schwierig, diese beiden Klassen zu trennen. Anderer- seits ist die Möglichkeit zu erwägen, daß Körper in den oberen Teilen des Darmes ausgeschieden, in den unteren wieder zum Teil resorbiert werden, die Ausscheidung in den Darm also in Wirklichkeit größer ist, als es nach der Untersuchung des Kotes scheint. Endlich ist daran zu denken, daß durch !) L. R. Müller, Deutsch. Zeitschr. f. Nervenheilkunde 21, 86, 1901. — 2) G. Rüdel, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 33, 79, 1894. — °) F. Voit, “Zeitschr. £. Biol. 29, 325, 1893. Ausscheidung von Eisen und Kalk. 645 die Galle und in den Magen Körper ausgeschieden werden, die also in den Darm gelangen, aber nicht durch eine Tätigkeit der Darmschleimhaut. Von dem Kot als Ganzem wird unten die Rede sein; hier seien zunächst die Ausscheidungsverhältnisse einer Reihe von anorganischen Körpern besprochen. Von den anorganischen Bestandteilen der Nahrung wird das Eisen fast ganz in den Darm ausgeschieden. Wie auf S.630 besprochen, wird das Eisen im Duodenum und im oberen Jejunum aufgenommen und läßt sich bei seinem Wege durch die Dünndarmschleimhaut mikrochemisch beobachten. Dieselben Bilder erhielten nun Quincke und Hochhaus!) bei Maus, Ratte und Meerschweinchen im ÜÖoecum und Colon, wo das Eisen in der Aus- scheidung begriffen war. Abderhalden?) hat ihre Resultate für die ver- schiedenen Formen des Eisens und an einem großen Tiermaterial, Hunden, Katzen, Kaninchen, Hofmann?) auch für den Menschen bestätigt. Daß das Eisen im oberen Dünndarm resorbiert wird, um erst im Dickdarm wieder ausgeschieden zu werden, ergibt sich auch aus einer Beobachtung von Honig- mann®). Er gab einer Patientin mit einer Fistel am unteren Ende des Dünndarmes zitronensaures Eisenoxyd, sah aber aus der Fistel fast nichts zum Vorschein kommen. F. Voit’) sah Eisen sich in dem Inhalt isolierter Dünn- darmschlingen ansammeln. Ein zweites Metall, das zum weitaus größten Teile den Körper auf dem Wege der Ausscheidung in den Darm verläßt, ist der Kalk. Doch ist es gerade hier sehr schwer, ausgeschiedenen und unresorbierten Kalk zu trennen. Der Kalk ist in den Nahrungsmitteln zum Teil als phosphorsaurer Kalk vor- handen, der sich wohl im Magen, aber nicht mehr im Dünndarm löst, und er trifft im Dünndarm mit Kohlensäure und Fettsäuren zusammen, mit denen er schwer oder nicht lösliche Salze bildet. Honigmann) fand bei der erwähnten Patientin den größten Teil des Kalkes am Ende des Dünndarmes vor. Auch beim Hunde entspricht nach Heile‘) der reichlichen Kotbildung nach Milch, die auf ihrem phosphorsauren Kalk beruht, ein reichlicher Rück- stand schon am Ende des Dünndarmes. Nun könnte die Ausscheidung des Kalkes ja freilich schon im Dünndarm erfolgen, aber gegen eine bedeutende Resorption des Kalkes sprechen die Experimente von F. Voit’) und der Be- fund von Rüdel°), der beim Hunde von subcutan eingespritztem Kalk 12 bis 34, von verfüttertem nur 1 bis 3 Proz. im Harn erscheinen sah. Ein Teil des im Kote enthaltenen Kalkes ist aber sicher ausgeschieden; denn Fr. Müller?) und F. Voit fanden Kalk im Hungerkot, F. Voit’) in den in isolierten Dünndarmschlingen sich sammelnden Massen. Auch die oben erwähnten Befunde von Rüdel u. a., wonach die Verteilung des Kalkes zwischen Harn und Kot von der Reaktion der Säftemasse abhängt, erweisen, daß ein Teil des Kotkalkes ausgeschieden sein muß, und derselbe Schluß er- ') H. Hochhaus u. H. Quincke, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 37, 159, 1896. — ?°) E. Abderhalden, Zeitschr. f. Biol. 39, 113, 193 u. 483, 1900. — °®) A. Hofmann, Virchows Arch. 151, 488, 1898. — *) G. Honigmann, Arch. £. Ver- dauungskrankh. 2, 296, 1896. — °) F. Voit, Zeitschr. f. Biol. 29, 325, 1893. — °) B. Heile, Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 14, 494, 1905. — 7?) F. Voit, Zeitschr. f. Biol. 29, 325, 1893. — ®) G. Rüdel, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 33, 79, 1894. — °) Fr. Müller, Zeitschr. £. Biol. 20, 327, 1884. 646 Phosphorsäure. — Körperfremde Stoffe. gibt sich aus den Beobachtungen von Soetbeer !), Soetbeer und Krieger?) und Tobler°), daß unter pathologischen Bedingungen der Kalk im Harn auf Kosten des Kotkalkes erheblich — aufs 3 bis 4fache — vermehrt sein kann. Von besonderem Interesse ist, daß bei diesen Patienten stets ein Darmkatarrh vorlag, daß also eine Erkrankung des Darmes mit einer Behinderung der Ausscheidung zusammengeht. Im Harn werden bei gewöhnlicher Diät vom ‚Menschen etwa 0,1 bis 0,2g, im Kot mehrere Gramm ausgeschieden. Beim Pferd sah Tangl*) 0,7 bis 2,7 g im Harn, 17 bis 22g im Kot; bei Wieder- käuern gehen nach Voit nur 3 bis 6 Proz. in den Harn, beim Hund er- heblich mehr. Das dritte in den Darm ausgeschiedene Metall ist das Magnesium, das sich nach Gumpert’) beim Menschen etwa zu gleichen Teilen auf Harn und Kot verteilt; pro Tag sind es je etwa 0,1g. Beim Pferde gehen nach Tangl®) 70, nach Wolff*) 60 Proz. in den Kot über. Die anorganische Säure, die der Darm ausscheidet, ist die Phosphor- säure. Auch von ihr ist ein Teil von vornherein unlöslicher Nahrungs- rückstand, der größere Teil aber Produkt der Ausscheidung. Ihre Verteilung auf Harn und Kot hängt von der Art der vorhandenen Basen ab. Ist wenig Kalk in der Nahrung enthalten, so geht sie zum größten Teil — 5/, und mehr ®) —, an Natrium, Kalium, Magnesium gebunden, in den Harn, bei hohem Kalkgehalt der Nahrung kann die Hälfte der Phosphorsäure mit dem Kot den Körper verlassen, ihre Menge 2 g und mehr betragen *). Beim Pferd geht nach Tangl nahezu die gesamte Phosphorsäure in den Kot. Sie ist im Kot zum größten Teil als unlöslicher phosphorsaurer Kalk vorhanden, doch fand selbst bei hohem Kalkgehalt Soetbeer’) einen Phosphorsäureüberschuß der mindestens zum Teil an Magnesia gebunden ist. Im Gegensatz zu den Alkalien, die den Körper im Harn in kurzer Zeit verlassen, zieht sich die Ausscheidung des Kalkes usw. in den Darm nach einmaliger Aufnahme über viele Tage hin. Besonders deutlich hat sich das in Mendels und Thachers’°) Versuchen mit subceutaner Einspritzung von Strontium gezeigt. Im Harn waren nur am ersten Tage kleine Mengen vor- handen, der größte Teil verläßt den Körper im Kot, aber erst vom 3. bis 20. Tage. Versuche über Kalk- und Phosphorumsatz erfordern daher längere Perioden. Von körperfremden Stoffen werden außer dem Eisen und dem Strontium, das dem Kalk ja sehr nahe steht, die meisten Schwermetalle, Wismut, Queck- silber usw., in den Darm ausgeschieden, dagegen Arsen z. B. nicht. In- dessen ist bei allen diesen Versuchen zu bemerken, daß ein bloß qualitativer Nachweis, zumal wenn die betreffenden Körper in so minimalen Mengen nachweisbar sind, wie viele Metalle, noch nicht eine eigentliche Ausscheidung beweist. Es kann sich nur um ein spurweises Übergehen in den Darmsaft ) F. Soetbeer, Jahrb. f. Kinderheilk. 54, 1, 1901. — °) Derselbe u. H. Krieger, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 72, 553, 1902. — °) L. Tobler, Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 52, 116, 1904. — *) F. Tangl, Pflügers Arch. 89, 227, 1902. — °) E. Gumpert, Medizinische Klinik 1905, Nr. 41. — ®) J. Kaup, Zeitschr. f. Biol. 42, 221, 1903. — °) F. Soetbeer, Jahrb. f. Kinderheilk. 54, 1, "1901. — ®) L. B. Mendel u. H. C. Thacher, Americ. Journ. of Physiol. 11, 5, 1904. Körperfremde Stoffe. 647 und in andere Körpersäfte handeln. So hat Rost!) gezeigt, daß die Bor- säure im Magen, im Dickdarm und besonders im Dünndarm gut nachweisbar ist, daß aber selbst bei intravenöser Einspritzung von 3,44 g Borax innerhalb 22 Minuten im ganzen nur 10 mg in den Darmkanal entleert wurden. Die Bor- säure wird vielmehr fast quantitativ durch die Niere ausgeschieden. Geht ein Körper, wie etwa die Schwermetalle mit dem Schwefelwasserstoff, im Darm eine unlösliche Verbindung ein, so kann sich der Körper vielleicht seiner entledigen, wenn auch nur sehr kleine Mengen in der Zeit den Darm pas- sieren. Sonst aber, darin stimme ich mit Jordan?) überein, muß von einem Ausscheidungsorgan verlangt werden, daß es den betreffenden Körper kon- zentriert. Wie weit das aber bisher für den Darm feststeht, das ist meist schwer zu sagen. Von den Alkaloiden geht, wie Alt?) zuerst gezeigt hat, das Morphium zum größeren Teile in den Darmkanal, in der Hauptsache freilich in den Magen über, sonst gilt z. B. von den vielen von Bongers) untersuchten Körpern, zum großen Teil das oben gesagte. Das Methylenblau des Kotes stammt aus der Galle. Von den einzelnen organischen Körpern, die in den Darm aus- geschieden werden, kann erst nach der allgemeinen Besprechung der Kot- bildung die Rede sein. Die Grundfrage der Lehre vom Kot ist, wieweit er Nahrungsrest ist, wieweit Ausscheidungsprodukt. Da ist nun zuerst von Voit5), später ins- besondere von Rubner‘), Müller”) und Prausnitz°) der Nachweis er- bracht worden, daß beim Fleischfresser und beim Menschen wenigstens bei animalischer und völlig aufgeschlossener Pflanzennahrung der Kot so gut -wie gar keine Verdauungsreste enthält, sondern ausschließlich Produkt der Verdauungsorgane ist. Der Beweis gründet sich auf folgende Tatsachen: 1. Finden sich im Kote keine der chemisch und histologisch charakte- ristischen Stoffe der Nahrung. Er enthält keine löslichen Kohlehydrate und Eiweißkörper, keine Albumosen und Peptone, anscheinend auch keine Aminosäuren. Er enthält, wie Prausnitz, Micko und Müller gezeigt haben, nach Fütterung mit Milch und Milchpräparaten weder Kasein noch Paranuclein. Er läßt nach Verfütterung von rohem Fleisch nach Ker- mauner beim Hunde gar nicht, beim Menschen nur in Spuren die charak- teristischen quergestreiften Muskeln erkennen. Ebensowenig findet man nach Schmidt) im Kot gesunder Menschen nach Aufnahme rohen Fleisches das so charakteristische Bindegewebe, nach Aufnahme von Thymus die sonst deutlichen Zellkerne. !) E.Rost, Arch. internat. de Pharmacodynamie 15, 291, 1905. — ”)R. Jordan, Pflügers Arch. 105, 365, 1904. — °) Alt, Berliner klin. Wochenschr. 1889, S. 560. — @) P. Bongers, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 35, 415, 1895. — '°) C. Voit, Zusammenfassung in Hermanns Handbuch 6, 2; Zeitschr. £. Biol. 25, 232, 1889. — *) M. Rubner, Zeitschr. f. Biol. 15, 115, 1879; 16, 119, 1880; 19, 45, 1883; 42, 261, 1901. — ’) Fr. Müller, ebenda 20, 327, 1884; C.Lehmann, Fr. Müller, J.Munk,H.Senator, N. Zuntz, Virchows Arch. 131, Suppl. (1893). — ®) W.Praus- nitz (mit J. Möller, F. Kermauner, H. Hammer|), Zeitsehr. f. Biol. 35, 287, 1897; Derselbe (mit K. Micko, P. Müller u. H. Poda), ebenda 39, 277, 1900. — °) Adolf Sehmidt, Die Funktionsprüfung des Darmes mittels der Probekost. Wiesbaden 1904. 648 Kotbildung. 9%. Fanden Hermann!) und seine Schüler und Fr. Voit in Dünndarm- schlingen, die aus der Kontinuität ausgeschaltet waren, nach Tagen oder Wochen eine dem Kot in Aussehen, Beschaffenheit und chemischer Zusammen- setzung durchaus ähnliche Masse, die reichlich Phosphorsäure, Kalk und Eisen enthielt. 3. Scheiden hungernde Tiere, wie Voit fand und seitdem vielfach bestätigt ist, ebenfalls Kot ab; und dieser Hungerkot unterscheidet sich nach Müller, Prausnitz, Rubner, Rieder?), Tsuboi®), Röhl®) u. a. nur durch seine Menge, nicht durch seine Eigenschaften von dem Kot, der nach Fütterung mit Fleisch, Eiern, Rohr - und Milchzucker, Stärke, Speck und Butter entleert wird. 4. Wird, nach Rubner’), vom Menschen bei den verschiedensten Nahrungsformen, solange die cellulosereichen Gemüse- oder Brotarten aus- geschlossen sind, ein Kot mit nahezu gleicher Verbrennungswärme entleert. Ob die Hauptmasse der Nahrung aus Fett oder aus Kohlehydraten besteht, ist für den Kot gleichgültig. Der Hungerkot des Hundes, wie ihn Müller $) zuerst beschrieben hat, ist eine dunkelbraune, zähe, pechartige Masse; je nach der Größe des Hundes werden täglich 0,66 bis 5,4g Trockenkot, das sind 0,06 bis 0,32 g pro Kilo- gramm, entleert. Der Wassergehalt beträgt etwa 70 Proz., der Trockenkot enthält etwa 5 Proz. Stickstoff, 17,7 bis 48 Proz. Ätherextrakt, etwa 20 Proz. Asche, die fast ganz aus Phosphorsäure, Kalk und Magnesia besteht. Der Hungerkot des Fötus, das Meconium, ist etwas wasserreicher, da er 80 Proz. Wasser enthält; in der Asche finden sich neben Kalk und Magnesia Alkalien, sonst ist er dem Hungerkot ähnlich. Der Fleischkot des Hundes ist fest, geformt, außen pechschwarz, im Innern dunkelbraun; er riecht fade, nicht eigentlich fäcal. Er enthält etwa 66 bis 75 Proz. Wasser, in der Trockensubstanz sind 5 bis 6,5 Proz. Stick- stoff, 20 bis 23 Proz. Asche, in der Hauptsache Phosphorsäure, Kalk und Magnesia. Die Menge ist etwas größer, als beim Hunger, nimmt aber keines- wegs proportional der verzehrten Fleischmenge zu. Leim und Sehnen ver- halten sich wie Fleisch, der Zusatz von Zucker, Stärke und Fett zur Nahrung beeinflußt den Kot nicht; nur bei übermäßigen Fettmengen gehen Fette, Fettsäuren oder Seifen mit dem Stuhl ab und verändern dadurch seine Zu- sammensetzung. Der Hund Rieders’) schied pro Tag aus: beit Hungerars rer 1,32 Trockenkot mit 0,094 g N bei Fütterung mit 70 g& Stärke und 6,4g Fett. . 3,04 „ a „ 0,11g N und 0,47 & Asche 140 & Stärke und 11,3g Fett . 5,95 „ = N ET a 900. Kleisehte ne 2,18 „ x OR 500 „ Er Bar 0,24 „ n ” Röhls 5) Hund zeigte ganz ähnliche Werte. Von dem Stickstoff des Fleisches gehen bei diesen Ernährungsformen nach Müller nur 1 bis 1!/, Proz. in den ») L. Hermann, Pflügers Arch. 46, 93, 1890; W. Ehrenthal (u. Blit- stein), ebenda 48, 74, 1891; M. Berenstein, ebenda 53, 52, 1893. — ?) H. Rieder, Zeitschr. f. Biol. 20, 378, 1884. — ®) J. Tsuboi, ebenda 35, 68, 1897. — *) W. Röhl, Deutsch. Areh. f. klin. Med. 83, 523, 1905. — °) M. Rubner, Zeitschr. f. Biol. 42, 261, 1901. — °) Fr. Müller, ebenda 20, 327, 1884. — ?) H. Rieder, ebenda 20, 378, 1884. — ®) W. Röhl, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 83, 523, 1905. a Las 2. Kost bei unaufgeschlossener Nahrung. 649 Kot über. 1g Trockenkot hat nach Rubner!) eine Verbrennungswärme von 6,127 bis 6,510 Kalorien. Für den Menschen liegen Beobachtungen über den Kot bei entsprechen- der Nahrung vor von Rubner)°), Rieder*), Prausnitz’) und Röhl); über den Hungerkot in der zitierten Arbeit von Müller‘) u. a. Die beiden Hungerer schieden pro Tag aus 3,30 Trockenkot mit. .... 0,316 g& N und 12,47 Proz. Asche und 2g “ 2 A 0,lorse oe = n In der Asche überwogen Kalk und Phosphorsäure. Der Kot war nicht fest, sondern gelb und breiig und enthielt viel Fettsäuren. Bei einer den Bedarf deckenden reinen Fleischnahrung scheidet der Mensch nach Rubner 26 g aschefreie Trockensubstanz im Kot aus, was 5,1 Proz. der verfütterten Trockensubstanz und 2,6 Proz. des Stickstoffs entspricht. 1g Fleischkot gibt 6,403 Kalorien. — Bei stickstofffreier Kost (Zucker, Stärke, Schmalz, Salze) schied Rieder aus: Bei 485 & trockener Nahrung 13,4g Kot mit 0,54 (= 4 Proz.) N und 3,7 g (= 27,6 Proz.) Asche ds, n N Lay a 0,87, 557 Proz.) N’ und’32e (= 22,2 Proz.) Asche 147... x z 13,358, ie „5 0378: 2. =: 5;85,Prozu)aN Röhl schied bei ähnlicher Nahrung im Durchschnitt 6,6g Trockenkot mit 3,8 bis 5,8 Proz. Stickstoff aus. Im Mittel sind bei Rieder 8 Proz., bei Röhl 15 Proz., bei den Hungerern mit ihrer höheren Sticktoffausscheidung im Harn 1 und 2,38 Proz. des ausgeschiedenen Stickstoffs im Kot enthalten. Der Kot war fest und enthielt bei Röhl 71 bis 74 Proz. Wasser. — Wie bei dem gleichartigen Ursprung dieser Kotarten zu erwarten, ist nach Rubner die Verbrennungswärme dieser Kotarten eine sehr gleichmäßige. 1g liefert 5,9 bis 6,4 Kalorien. Anders gestaltet sich die Zusammensetzung des Kotes, wenn Mensch oder Hund in ihrer Nahrung unverdauliche Bestandteile erhalten, die einmal selbst die Menge des Kotes vermehren, und die außerdem eine vermehrte Ausscheidung aus dem Darm veranlassen. Wie aus den bisher aufgeführten Zahlen hervorgeht, wird zwar nicht die Zusammensetzung verändert, wohl aber die Menge aller Kotbestandteile vermehrt, wenn größere Mengen von Fleisch, Zucker usw. verdaut werden. In viel höherem Maße ist das aber der Fall, wenn unlösliche Stoffe in der Nahrung enthalten sind. Es können das beim Hunde Knochen sein, deren organische Bestandteile verdaut werden, deren Kalksalze aber ungelöst den Darm passieren, durch ihre Konsistenz die Peristaltik anregen und den Verdauungskanal des Hundes in wenig Stunden passieren (s.S.606). In derselben Weise vermehrt der phosphor- saure Kalk der Milch die Kotmenge. Eine viel größere Bedeutung hat aber die Cellulose; der Gehalt der Nahrungsmittel an Cellulose ist entscheidend für alles, was mit der Kotbildung zusammenhängt. Bekanntlich fehlt den Wirbeltieren — mit Ausnahme I) W. Röhl, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 83, 523, 1905. — °) M. Rubner, Zeitschr. f. Biol. 42, 261, 1901. — °) Derselbe, ebenda 15, 115, 1879. — *) H. Rieder, ebenda 20, 378, 1884. — 5) W. Prausnitz, ebenda 35, 335, 1897. — °) Virchows Arch. 131, Suppl. (1893). 650 Cellulose. mancher Fische, s. o. S. 632 — ein Cellulose lösendes Ferment, die Cellulose kann nur durch die Bakterien des Verdauungskanales in Lösung gebracht werden, und das ist meist nur in sehr beschränktem Maße der Fall. Nach den Untersuchungen von v. Knieriem!) wird von Hunden, Hühnern und Gänsen Cellulose gar nicht angegriffen, im menschlichen Darmkanal wird die ganz dünne Cellulose des Salats zu 25 Proz., die festere der Schwarzwurzel zu höchstens 4 Proz. angegriffen. Anders bei den Pflanzenfressern: v. Knie- riem sah im Kaninchendarm von der harten Cellulose der Nußschalen 5, von nicht verholzter Cellulose bis zu 80 Proz. verschwinden. In den Versuchen von Zuntz und Ustjanzew?) nutzten Kaninchen bei Verfütterung von Hafer und Heu die Cellulose zu 8 bis 9, von Wicken und Heu dagegen zu 36 bis 43 Proz. aus. Wie schon S. 633 erwähnt, geschieht diese Zerlegung der Öellulose durch Bakterien beim Kaninchen im Blinddarm und oberen Dick- darm 2), nach operativer Ausschaltung des Blinddarmes sahen Zuntz und Ustjanzew die Ausnutzung der Üellulose auf die Hälfte sinken. Auch beim Pferd ist der Blinddarm der Ort lebhaftester Gärung?)*). Bei den körner- fressenden Vögeln ist die auflösende Wirkung der Bakterien durch die mechanisch zermalmende Tätigkeit ihres Muskelmagens ersetzt, wie ihn zuletzt Paira-Mall’) beschrieben hat. Noch viel cellulosereicher als die des Kanin- chens und des Pferdes ist die Nahrung der grasfressenden Wiederkäuer, und die ganze komplizierte Einrichtung ihres Verdauungsapparates hat ja den Zweck, die Auflösung der Cellulose durch die Bakterien zu ermöglichen. Vgl. darüber S. 632. Diese Bakterientätigkeit im Pflanzenfresserdarm ist von Bedeutung nicht nur, weil dadurch die Cellulose verwertet werden kann, sondern die Zerstörung der Üellulosehüllen erleichtert auch die Verdauung der in ihnen eingeschlossenen Eiweißkörper und verdaulichen Kohlehydrate. Aber die Cellulose wird niemals ganz gelöst, ein bedeutender Anteil von ihr wird vielmehr mit dem Kote entleert. Mit dem Gehalt an Cellulose ändert sich die Beschaffenheit und Menge des Kotes. Wie der Dünndarmehymus durch Üellulosebeimengung eine lockere Konsistenz empfängt (s. S. 601), so tritt an Stelle des spärlichen festen oder pechartigen Fleischkotes der bröckelige, mürbe Kot des Kaninchens und des Pferdes. Beim Menschen sinkt die Verbrennungswärme von 6 bis 6,5 auf 5,2 Kalorien ®), der Stickstoffgehalt von 8 bis 9 auf 5 Proz.?). Mikroskopisch °) sind neben der gut erkennbaren Cellulose Stärkekörner und die verschieden- sten sonstigen pflanzlichen Bildungen, Zellen und Cuticularsubstanzen, bei grünen Gemüsen Chlorophyll erkennbar. Denn die Cellulosehüllen verhindern den Zutritt der Verdauungssäfte zu Eiweiß und Stärke, und im Unterschied vom Fleischfresserkot enthält der der Pflanzenfresser daher noch unausgenutzte Nahrungsstoffe. Schon in der menschlichen Nahrung können bei Pumper- nickel und anderen Brotarten, die aus grobem, wenig fein zerkleinertem Mehle !) W. v. Knieriem, Zeitschr. f. Biol. 21, 67, 1885. — °) N. Zuntz % W. Ustjanzew, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1905, S. 403. — °) N. Zuntz, Pflügers Arch. 49, 477, 1903. — *) H. Tappeiner, Zeitschr. f. Biol. 19, 228, 1883; 30, 52, 1884. — °) L. Paira-Mall, Pflügers Arch. 80, 600, 1900. — °) M. Rubner, Zeitschr. f. Biol. 42, 261, 1901. — 7’) Derselbe, ebenda 19, 45, 1883. — ®) W. Praus- nitz und J. Möller, ebenda 35, 237 u. 335, 1897; auch W. Caspari, Pflügers Arch. 109, 473, 1905. Cellulose. 65l gebacken werden, beträchtliche Menge von Stärke unresorbiert den Darm- kanal passieren (vgl. die Tabelle auf S. 653). Nach glaubwürdigen Berichten wird auf manchen nordamerikanischen Farmen das Rindvieh mit nur ganz grob zerkleinertem Mais gefüttert, und die Ausnutzung ist dann so schlecht, daß die Faeces dieser Tiere nachher noch als Schweinefutter dienen. Wichtiger ist, daß auch die vom Körper stammenden Anteile des Kotes vermehrt sind. Die Gründe dieser Vermehrung sind nicht ganz klar. Sie kann darin ihren Grund haben, daß die Bakterien des Kotes, die ja einen größeren oder geringeren Teil von ihm ausmachen, vermehrt sind, es kann aber auch entweder die Cellulose oder die aus ihr entstehenden Säuren eine vermehrte Sekretion des Dickdarmes zur Folge haben, es können infolge der vermehrten Arbeit alle Verdauungssäfte in größerer Menge secerniert werden, und es ist endlich auch möglich, daß die schnellere Peristaltik, die (s. o. S. 606) von der Cellulose bewirkt wird, zu einer weniger vollständigen Resorption des Chymus führt. Was nun aber auch die Gründe sein mögen, an Stelle der 1 bis 2,6 Proz. bei Fleischnahrung von Mensch und Hund werden beim Kaninchen bei Fütterung mit Hafer und Heu über die Hälfte, bei Fütterung mit Weizen und Heu immer noch 30 bis 40 Proz. des Stickstoffs in den Kot ausgeschieden!). Die Menge des trockenen Kotes betrug 11 bis 27 g pro Tag. Beim-Pferd werden nach Tangl?) am Tage etwa 50g Stickstoff im Kot, und je nach der Nahrung 70 his 100g im Harn ausgeschieden. Die Menge des feuchten Kotes beträgt 13 bis 14kg pro Tag. Beim Wiederkäuer über- steigt die Stickstoffmenge des Kotes die des Harnes in der Regel bedeutend. Doch auch den Hund braucht man nur mit Brot oder Hundekuchen zu füttern, um den Kot locker und massig werden und die in ihm enthaltene Stickstoff- menge°) auf 15 bis 20 Proz. des überhaupt ausgeschiedenen anschwellen zu lassen. . Beim Menschen wird die Menge des Kotes und des in ihm enthaltenen Stickstoffs durchaus durch den Cellulosegehalt der Nahrungsmittel bestimmt. Rubner) hat Menschen mehrere Tage hindurch, soweit möglich, mit einem einzelnen Nahrungsmittel oder mit Kombinationen einzelner Nahrungsmittel mit anderen, in bezug auf ihre Kotbildung bekannten, Stoffen ernährt und hat so die Menge Trockenkot und die Menge Stickstoff bestimmt, die auf die wichtigsten Nahrungsmittel kommt. Es kommen auf 1006 Trockensubstanz in Weißbrot . » x.» » 20.2. 000. 4,5 & Trockenkot 100 „ = SIR: 0.8" 160 Mau Mer RB a en EEE 41, 5 100 „ e PVC DTO TI een DOM R 100 „ a 2 lern SR 51, z 100 „ = „ enkizeln Sa 0 0 Sea oo oa 4,9 „ “ 100 „ n „Biken Vers! 9: Bra ale oe 9,205 = 100 „ A remischter Kost... ..-.... Ds, ? 100 „ i SENmIchentiE Käse ee 6,4, 100 „ 2 te 6,79; 2 100, : BT ER a a N EN 8 gi 3 ) N. Zuntz u. W. Ustjanzew, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1905, 8. 403. — ®) FE. Tangl, Pflügers Arch. 89, 227, 1902. — °) Fr. Müller, Zeitschr. f. Biol. 20, 327, 1884. — *) M. Rubner, ebenda 15, 115, 1879. 652 Cellulose. 109g Trockensubstanzj in Milch, zus Vers Ge 0 Trockenkot 100 „ 5 „tBErbsen!). 39 ai en a 3 100 „ 3 4, Karbottelng se er Kae Or © 100 „ e SE WAIssino’kohllgeg es Eee ng n 100 „ 2 "U SChWarzDrOtep. vr ee 5 . 100 „ 5 „u zelbenehubeng Zr 20 a Rubner berechnet daraus die Kotmenge, die ein Mensch in 24 Stunden ausscheiden würde, falls er sich nur von einem einzigen Nahrungsmittel in den Bedarf deckender Weise ernähren würde. Es würde organische Substanz ausgeschieden bei Ernährung mit IENGISCHUR ee ee NE er 050, MaIS HELD END OR gelben Rüben . ....2. 2. series Malckaronı rn ce ee ‚Wärsingskohl” +, na Weißhrot= 5 nme sole „Kartotteln rk eur Berr re Milchirarr Sn Pe 42 SChwarzbrot. 2 Bee Reis Era ser che De Ferner kommen auf TOOJSSINELNHLEISCHE re N er 2,60 N im Kot TOO AT ee en een EEE Te. 72 BEORE 26 Fi: 100%, %, @Milchlund® Käse a. 0 229 Ah 1 Ss mALOPE ee Ta 1003 3.7 MUCH WAREN ER EN IR ES SONG 5 SZ 160:,:.5%,° Birbsent- Sr RE ER HER 1 FLO, DET Me 100: +33 #Makkaroni mit. Kleber, 3, 1 Kr Yan rer RD 1.005,32, Makkanonis ee ie ee dee ee a7 100.5,2,..5. Wätsinekohl 2. 78..2. van Pre ee te ee Sn 1:004,.-2,40, Sa MalS. 0 a re ers, one Ber neh nee, KoaL 1.n 5 2 Fe 1005, 5, 5 Spätzeln ee ar re 2 0) 100%... Bess a 0 11007-200527, Wielßbrotgen m en ST ENISRZD STE ; 1:00...” "4SCchwarzbrotes N ee N BI) > 100',,27575 Kartoiteln Rn 2. I RT ER BEER? 2, De 100.5.) 50 gelben-RübenT „Nr EN EEE LES SE en 100: Ampeln, Feigen, Apfelsinen?) Amir anf in aee F 100 Red ri ee 300.1, -; SIraubend)i 72 +... une a ind a Bier SF SE Bei mittlerer Kost scheidet der Mensch nach Rubner 131g feuchten Kot mit 34 g Trockensubstanz aus, das sind 5,5 Proz. der Nahrung, mindestens 10 Proz. des Stickstoffs. — Von besonderem Interesse sind die zuletzt an- geführten Beobachtungen Casparis, da sie von wochenlang fortgesetzten Versuchen an einem körperlich gesunden, an derartige Kost gewöhnten In- dividuum stammen. Sie zeigen, ein wie großer Teil vom Stickstoff des rohen Obstes den Darm einfach unverwertet passiert, und daß bei dieser unzweck- mäßigen Kost außerdem noch beträchtliche Mengen Verdauungssäfte entleert werden. Auch sonst kommt es bei unzubereiteter, vegetarischer Rohkost leicht vor, daß 25 bis 30 Proz. und mehr des Stickstoffs im Kot erscheinen). !) M. Rubner, Zeitschr. f. Biol. 16, 119, 1880. Der Versuch ist mit 600g Erbsen angestellt. Bei 959 & wurde die Kotmenge relativ viel größer. — ?)M. Rubner, ebenda 16, 119, 1880. — °) W. Caspari, Pflügers Arch. 109, 473, 1905. Cellulose. 653 Selbst bei gut verdaulicher, aber fleischarmer Kost werden bis zu 20 Proz. des Stickstoffs aus Kot ausgeschieden !). Wie man sieht, ordnen sich die Nahrungsmittel ausschließlich nach dem Cellulosegehalt; nur die Milch macht eine Ausnahme, da sie in dem phosphor- sauren Kalk einen anderen im Darm unlöslichen Bestandteil enthält, wobei es für die Kotbildung ja gleichgültig ist, ob der Kalk unresorbiert oder wieder ausgeschieden ist. Die Kotbildung bei ausschließlicher Milchnahrung — Kuh- und Frauenmilch — haben Schloßmann und Moro2) untersucht und einen Parallelismus zwischen der Gesamtmenge des Kotes und seinem Aschegehalt — bei Kuhmilch 27, bei Frauenmilch 19 Proz. der Trocken- substanz — beobachtet. Bei Kuhmilch wurden 5,1, bei Frauenmilch 12 Proz. des Stickstoffs mit dem Kot entleert. Wie sehr aber sonst der Cellulosegehalt der Nahrung für die Kotbildung bestimmend ist, das ergibt sich aus einer Versuchsreihe Rubners3) über die Kotmengen, die von verschiedenen Brotsorten gebildet werden. Die Nahrung unterschied sich hier also nicht durch die chemische Zusammensetzung, sondern nur dadurch, daß verschiedene Mengen der cellulosereichen Kleie dem Mehl beigemengt waren. Es ergab sich folgende Tabelle: | | Trocken- | r Kot |Trocken- ee | 2 des Art des Brotes | feucht | substanz | der ein- | N a ee | geführten ı führten | Bl g In Proz S@AFEPror g Brot aus feinstem Mehl | 182,7 | 2418 | 408 | 2,17 | 20,07 | 2,38 Brot aus mittelfeinem Mehl . | 252,8 40,8 . | 6,66 | 3,24 24,56 3,9 Kleiebrot . | 317,8 | 75,79 | 12,23 | 3,80 | 30,47 | 8,34 In einer anderen Versuchsreihe fanden sich nachstehende Zahlen, denen noch die Mengen an löslichen Kohlehydraten beigefügt sind, die durch die Cellulosehüllen vor der Verdauung geschützt werden und daher mit dem Kot zu Verlust gehen. (Vgl. o. S. 650). Trocken- Stickstoff | Lösl. Kohle- ' substanz der vom | hydrate 7,4 R : 2 | von den eingeführten | eingeführten | eingeführten Proz. Proz. | Proz. Brot aus feinstem Mehl . ..... 4,0 20,7 11 no N ee eh | 4,4 22,2 11 EINEN ee 5,6 19,9 2,89 | 6,66 24,56 | 2,57 Benehbrot . 7... . 0. Seo 10,10 22,2 6,82 Brot aus ganzem Korn ....... | 12,23 30,47 | 7,37 BHernDrOtK ee al 15 32,0 10,9 eerrickel . ..0..200 02000 19,3 43,0 | 13,79 !) R. H. Chittenden, Physiological Eeonomy in Nutrition, New-York, Stokes Comp. 1905. — ?) A. Schloßmann u. E. Moro, Zeitschr. f. Biol. 45, 261, 1903. — °®) M. Rubner, ebenda 19, 45, 1883. Ausnutzung. +1 90% x I el = 8‘ GL FE 6FI GUT I 31T s’eIl op 16 ATI FE E61 #27 RT CHI 961 FF 66 LT er ee Giez e'8 er z'e1 07 ak 901 (Ur: 007 sol Zr; 07 T6 — 29 62 — ey] L‘8T &Ll ger 361 gg 109) 39 nz za | zo | won 5 usI1ynJoO WOHUNFEdUR | Gayıynzoad -ut9 ap ee -uId SEP N zueisqng ILSAIIUT IYOSTUBDIAO 08 —ır 1 83° — 36 I 761871 6 — Er %8 c—SE'1 L6 IL IE g1— 9 Tes— 9 sIHr —L'9E 90,— 8'0e—3'63 E93 —T'6L e'19— 87 Fege— ‘IE 08-—8'81 Srı—8'87 099 — 8'823 F8I— 211 en uU9Y90.14 SOIIBHT a ee e Kaya eye 701 WeUE.LH) “ “ DR an Brr IOAQUIONZULCH) « “u OD ON JOAAqTIOM “ “ 0000 gorqwegeng © JOAqUIOoyNZurg " chin ° 0INWETE.LN IOIQUIONZULH « “ yoaqgeaM & * 201IQWEUEIN w “ JOAQLIONZUBL RE oT ANEN ZEN ‘UOTE 019 UI yeın « [1 fi IOAQUIOYZUBX) u [ M yoaqgtaM NZep ‘SON 9YqOSTuLaK) DEN OT We nsYeiwr ce, He) leule, re, ie; Du BET EC . 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Bei Verfütterung von Hafergrütze er- schienen bei Mensch und Hund 14 bis 26 Proz. des Stickstoffs im Kot; als er aber aus der Hafergrütze das Eiweiß extrahierte, gab dies Ei- weiß nicht mehr Kotstickstoff als das Fleisch, und kurz gekochte Hafer- grütze ließ mehr Kot entstehen als solche, die durch längeres Kochen voll- ständiger aufgeschlossen war. — Es kommt neben dem absoluten Gehalt an Cellulose eben offenbar sehr wesentlich der Zerkleinerungsgrad des Mehles und anderer Substanzen in Betracht. Kartoffelpüree bildet wenig, Kartoffel- schnitte®) viel Kot. Woods und Merrill und Snyder haben beobachtet, wie die Brotarten je nach der größeren oder kleineren Menge Kot, die sie bilden, in vitro schwerer oder leichter verdaulich sind, und sie haben die verschiedene Korngröße bei den einzelnen Brotarten durch instruktive mikroskopische Bilder des Brotes und des Kotes erläutert. Rubner und die Amerikaner betonen, daß eine Brotsorte analytisch mehr Eiweiß und Kohlehydrate enthalten und doch dem Körper weniger Nährmaterial liefern kann. Ehe man erkannte, daß der größte Teil des Kotes nicht Nahrungsrest ist, sondern dem Organismus entstammt, sprach man von leichterer oder schwererer Verdaulichkeit der Nahrungsmittel; man zog die Substanz- oder Stickstoff- menge im Kot von der Nahrung ab und bezeichnete die Differenz als die „Ausnutzbarkeit“ einer Nahrung. Als sich der wirkliche Sachverhalt ergab, hat man den Ausdruck „Ausnutzung“ trotzdem beibehalten, da bei Pflanzen- nahrung im Kot ja wirklich „unausgenutzte“ Stoffe vorhanden sein können, und da die Menge des ausgeschiedenen Kotes ein annäherndes Maß abgibt für die von dem Verdauungskanal ergossenen Sekrete, die stofflichen Selbst- kosten der Verdauungsarbeit. Man erhält die Ausnutzung eines Nahrungs- mittels, indem man die mit dem Kot ausgeschiedenen Mengen abzieht. Ver- schieden davon ist, wie Rubner*) und Atwater°) auseinandersetzen, seine Verwertbarkeit oder „availability“. Für Fette und Kohlehydrate besteht dieser Unterschied nicht, da sie, sobald sie resorbiert sind, vom Körper auch vollständig verbrannt werden. Für die Eiweißkörper ist er bedeutend, weil von ihrem Verbrennungswert der Verbrennungswert des Harnstoffs und der anderen stickstoffhaltigen Harnbestandteile abgezogen werden muß. Von dem Gesamtbrennwert eines Nahrungsmittels muß die Verbrennungswärme des Kotes und Harnes abgezogen werden. Es ist daher gerade für die Berechnung des Energiewertes der menschlichen Kost von so großer Bedeutung, daß nach Rubner die Verbrennungswärmen des Kotes (und des Harnes) bei den ver- schiedensten Nahrungsformen nahezu völlig übereinstimmen. Die erforder- !) U. S. Department of Agriculture, Office of Experiment Stations, Bulletin Nr. 85, 101, 126, 145. — °) E. W. Rockwood, American Journ. of Physiol. 11, 355, 1904. — °®) J. Möller (u. W. Prausnitz), Zeitschr. f. Biol. 35, 291, 1897. — *) M. Rubner, ebenda 42, 261, 1901. — °) W. O. Atwater, Report of the Storrs (Connecticut) Agrieultural Experiment Station for 1899, p. 69 ff. Hier sind $. 13 bis 23 Atwaters sämtliche Nahrungsmittelanalysen zusammengestellt. 656 Ausnutzung. lichen Abzüge sind bereits gemacht, wenn man die Rubnerschen sogenannten Standardzahlen ra ann or a rare 9,3 Kalorien 17, Kohlehydrap 2 2. ee. 4,1 S 12° Pi wer ee: 4,1 2 bei der Nährwertberechnung benutzt!). Aus den Rahmen herausfallen tun nur die cellulosereichen Stoffe, und dadurch sind die zuletzt besprochenen Verhältnisse des Auftretens der Öellulose im menschlichen Kot so wichtig für die menschliche Ernährungslehre. Physiologisch betrachtet zerfallen unsere Nahrungsmittel, wie ein Blick auf die S. 651 u. 652 angeführten Rubnerschen Tabellen lehrt, in zwei Klassen. Auf der ersten Seite stehen die Brotarten aus grobem Mehl, gelbe Rüben, Kartoffeln, die Kohlarten und anderen Gemüse, auf der anderen Seite alle übrigen. Auf die Herkunft der Nahrung aus dem Pflanzen- und Tierreich kommt es also nicht an. Denn von irgend welchen für die Ernährung in Betracht kommenden Unterschieden zwischen pflanz- lichen und tierischen Eiweißkörpern, pflanzlichen und tierischen Fetten, Stärke und Zucker oder Glykogen wissen wir nichts. Vor allem sei betont, | daß von einer Sonderstellung des Fleisches bei der Ernährung, so oft davon geredet wird, gar nichts bekannt ist. Das einzige, was eine Reihe aus dem Pflanzenreich stammender menschlicher Nahrungsmittel auszeichnet, ist ihr Gehalt an Cellulose und das Eingeschlossensein von Eiweiß und Stärke in Cellulosehüllen. Aber gerade bei den wichtigsten pflanzlichen Nahrungs- mitteln der Kulturmenschen sind diese Cellulosehüllen künstlich beseitigt. Rohrzucker, Weißbrot und alle anderen aus feinem Mehle hergestellten Ge- bäcke, Makkaroni, selbst Reis, Mais, Erbsen bei bestimmter Zubereitung ge- hören physiologisch in eine Gruppe mit Fleisch, Milch und Eiern. Nur die oben genannten groben Brotarten usw. gehören physiologisch zur Pflanzen- nahrung. An den Unterschied der beiden Klassen von Nahrungsstoffen lassen sich nun aber noch andere physiologische Folgerungen knüpfen?). Bekanntlich ist in der Nahrung aller bisher untersuchten Menschen und Völker eine ge- wisse, und zwar ziemlich gleichmäßige Menge von Eiweiß, ungefähr 100g pro Tag, enthalten, und diese Menge ist unabhängig von der Muskelarbeit, da die Tätigkeit der Muskeln nicht auf Kosten von Eiweiß zu erfolgen braucht, Der Gesamtnahrungsbedarf eines Menschen wird ja wesentlich von seiner Muskelarbeit bestimmt. Wenn dergestalt „die Gesamtmenge der Kalorien je nach der Arbeit verschieden, die Eiweißmenge für alle Menschen etwa gleich ist, so ergibt sich daraus eine wichtige Schlußfolgerung. Es muß nämlich die Nahrung körperlich nicht arbeitender Menschen relativ eiweiß- reicher sein, da sie die gleiche absolute Eiweißmenge in einer kleineren Gesamtmenge enthalten muß?). Die eiweißreichsten Nahrungsmittel sind das Fleisch, die anderen aus dem Tierreich stammenden Produkte“ und auch noch die anderen cellulosearmen Pflanzenstoffe, die in bezug auf ihre Verdaulichkeit mit den tierischen Nahrungsmitteln zusammen- !) Atwaters Zahlen sind etwas niedriger: 8,9, 4,0, 4,0. L. c. S. 110. — ®2) O0. Cohnheim, Süddeutsche Monatshefte, Septemberheft 1905. Verhandlungen des International Congress of Arts and Scienses, St. Louis, 1904. M. Rubner, Lehrbuch d. Hygiene, 6. Aufl., 1900, S. 461. Bedeutung der Cellulose. 657 gehören. Eiweißarm sind hingegen die groben Brotsorten, Kartoffeln usw., kurz die Nahrungsmittel der zweiten cellulosereichen Gruppe. Nun nimmt im Laufe der Kulturentwickelung die Muskeltätigkeit der Menschen ständig ab, die geistig arbeitenden Klassen, aber auch schon die städtischen Arbeiter bedürfen weniger Kalorien als die Landarbeiter. „Denn die Beaufsichtigung und Lenkung der komplizierten Maschinen wie jede andere gelernte quali- fizierte Arbeit erfordert Aufmerksamkeit, Intelligenz und Geschicklichkeit, aber nicht entfernt soviel Muskelarbeit als Mähen, Dreschen und Holzfällen.“ Wir sehen denn, wie im Laufe der Entwickelung die Nahrung der Menschen immer celluloseärmer wird. In den industriell entwickeltsten Ländern, in England und Nordamerika, ist die Cellulose aus der menschlichen Nahrung fast verschwunden, aber auch in Deutschland nimmt sie mit dem steigenden Fleisch-, Zucker- und Buttergenuß und der Verfeinerung des Brotes sehr stark ab. Es ist aber schon oben!) davon die Rede gewesen, daß die Üellu- lose von entscheidender Bedeutung für die Peristaltik des Darmes, für die Fortbewegung des Darminhaltes ist. Denn die Peristaltik kommt ja, wie Starling und Bayliss gefunden haben, durch einen mechanischen Reiz auf die Darmschleimhaut zustande, und die Öellulose ist als der einzige unver- dauliche Bestandteil der menschlichen Kost allein imstande, einen stärkeren mechanischen Reiz auszuüben; v. Knieriem?) konnte sie durch die eben- falls unverdaulichen Hornspäne ersetzen. Daneben kommt ihr nach Rubners?) Vermutung vielleicht noch eine chemische Wirkung zu: durch die bei cellu- losereicher Nahrung vermehrten Gärungen entstehen mehr organische Säuren, die vielleicht zu schnellerer Entleerung des Diekdarmes Anlaß geben. v. Knie- riem?) sah Kaninchen bei cellulosefreier Nahrung zugrunde gehen — die eigentümliche Koprophagie hungernder Kaninchen*) gehört vielleicht auch hierher —, beim Menschen droht Cellulosearmut der Nahrung stets zu Obsti- pation mit ihren unerfreulichen Folgen zu führen. Hier und nicht in mechanichen Ursachen dürfte der Zusammenhang zwischen sitzender Lebens- weise und Obstipation liegen, von hier geben unbewußt die Reformbestrebungen der Vegetarianer u. a. aus. Der Üellulosemangel der eiweißreichen Nahrung ist auch die einzige, physiologisch faßbare Ursache, weshalb mangelnde Muskelarbeit den Menschen schlecht bekommt, sie wird damit zur physio- logischen Wurzel des Sports. Was, abgesehen von der Bedeutung der Cellulose und dem, was damit zusammenhängt, die Beeinflussung der Ausnutzung und der Kotbildung an- langt, so wird sie nach Atwaters’) Beobachtungen auch durch schwere Muskelarbeit nicht geändert. Auch verhalten sich nach V oit‘) und Rubner’) alle untersuchten Menschen sehr gleichmäßig; insbesondere hat sich kein Unterschied in der Ausnutzung der Nahrungsmittel je nach der voraus- ‚gegangenen Ernährung auffinden lassen. Für die Pankreasfermente hat Pawlow®) Anpassungen an Kostformen gefunden; sie müssen aber entweder ) Vgl. S. 606. — ?) W. v. Knieriem, Zeitschr. f. Biol. 21, 67, 1885. — °) M. Rubner, ebenda 19, 45, 1883. — *) G. Swirski, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. 48, 282, 1902. — °) W. O. Atwater, l. c. auf 8. 655, sowie Ergebnisse ‚der Physiologie, Biochemie, 1904; Derselbe u. H. C. Sherman, U. S. Departm. -o£ Agrieulture, Office of Experiment Stations, Bull. 98 (1901). — °) C. Voit, Zeitschr. £. Biol. 25, 232, 1889. — 7) M. Rubner, ebenda 42, 261, 1901. — °) Siehe 8. 573. Nagel, Physiologie des Menschen. II, 49 658 Zusammensetzung des Kotes. sehr rasch wechseln, oder der Körper verfügt im weiteren Verlaufe der Ver- dauung über Regulationsmöglichkeiten; denn gewohnte und ungewohnte Nahrungsmittel werden gleich gut ausgenutzt. Selbst durch pathologische Zustände des Darmkanals wird die Ausnutzung der Nahrung wenig gestört. Die Kliniker haben in letzter Zeit nach dem Vorgange von Ad. Schmidt!) großen Wert auf die mikroskopische Untersuchung der Faeces gelegt und bei Störungen der Verdauungsorgane das Auftreten von Nahrungsresten, Muskel- fasern, Bindegewebe, Pflanzenzellen, Stärkekörnern, Fetttröpfehen und Fett- säurenadeln usw. beobachtet. Aber der mikroskopische Augenschein hat offenbar- zu einer erheblichen Überschätzung der Quantität dieser Dinge geführt. Nach den eingehenden und sorgfältigen Untersuchungen von Röhl?) wird durch Abführmittel und die meisten Erkrankungen des Darmes die Menge des Stickstoffs und der organischen Substanz im Kot sehr wenig vermehrt. Selbst bei schweren Diarrhöen steigt nur der Wassergehalt der Faeces erheb- lich, die festen Bestandteile nehmen quantitativ nur ganz unbedeutend zu und verändern sich in ihrer Zusammensetzung fast gar nicht. Die Zusammensetzung des Kotes. Soweit der Kot bei Pflanzennahrung unverdaute Reste enthält, ent- sprechen diese in ihrer Zusammensetzung der Nahrung. Merkwürdig wenig bekannt ist dagegen die Ühemie des wichtigeren, aus dem Körper stammen- den Anteiles. Der Fleischkot des Hundes und der, wie besprochen, kaum von ihm abweichende Kot des Menschen bei animalischer und voll verdaulicher Pflanzennahrung hat nach M.V oit?) und den zitierten Arbeiten von Fr. Müller, Rubner, Prausnitz, Rieder und Röhl folgende prozentische Zusammen- setzung: 65 bis 75 Proz. sind Wasser. Die Trockensubstanz enthält: 5 bis 9 Proz. Stickstoff 12 „ 18 „ Atherextrakt Int 722 Asche. Die Asche ist, wie erwähnt, in der Hauptsache Kalk und Phosphorsäure, daneben enthält sie Eisen und Magnesia. Von dem Ätherextrakt kommt ein Teil auf das stets vorhandene Lecithin *), der Rest sind Fettsäuren und deren Salze. Neutralfett ist konstant vorhanden, aber in sehr kleiner Menge. Von bekannten chemischen Körpern sind ferner im Kot enthalten: 1. Cholalsäure’) und ihre Umwandlungsprodukte. 2. Koprosterin. v. Bondzynski®) fand im menschlichen Kot in einer Menge von etwa lg pro die einen dem Cholesterin sehr nahe stehenden Körper, das Koprosterin, das aus dem Cholesterin offenbar durch bak- terielle Einwirkung entsteht; im Meconium ist es durch Cholesterin ersetzt. v. Bondzynski gibt ihm die Zusammensetzung (,;H,,O gegenüber dem Cholesterin C,, H4,0. n !) Ad. Schmidt, Die Funktionsprüfung des Darmes mittels der Probekost,. Wiesbaden 1904; Ad. Schmidt u. J. Strasburger, Faeces des Menschen, Berlin 1901 bis 1903; R. Schütz, Berliner klin. Wochenschr. 1899, Nr. 26 u. 28; Kongr. f. inn. Med. 1905, 8. 489. — ?) W. Röhl, Deutsches Arch. f. klin. Med. 83, 523, 1905. — °) M. Voit, Zeitschr. f. Biol. 45, 79, 1903. — ) W. Prausnitz u. P. Müller, ebenda 39, 451, 1900. — °) J. Tsuboi, ebenda 35, 68, 1897. — °) 8. v. Bondzynski, Ber. deutscher chem. Ges. 29, I, 476, 1896. Zusammensetzung des Kotes. — Bakterien. 659 3. Purinkörper. Weintraud!) und Krüger und Schittenhelm?) fanden im menschlichen Kot Purinbasen. Krüger und Schittenhelm be- stimmten in dem Kot von 42 Tagen 2,363g Guanin | _ 0,112g Hanthin 1,83 „ Adenin 0,5 „ Hypoxanthin. Das sind O0,11g der Basen am Tage, also etwa siebenmal mehr, als in der gleichen Zeit im Harn ausgeschieden wurden. Aus der Nahrung können diese Purinbasen nicht stammen, da sie sonst resorbiert oder zersetzt worden wären. Die weitaus größte Masse des Kotes ist chemisch unaufgelöst. Ein be- trächtlicher Teil von ihr sind die Leiber von Bakterien. Daß der Kot zahl- reiche Bakterien enthält, ist ja selbstverständlich, doch ist die Menge der aus dem Kot zu züchtenden Bakterien nicht groß genug, um für die Zusammen- setzung irgendwie ins Gewicht zu fallen. Strasburger?°) hat demgegenüber die Vermutung geäußert, daß ein sehr erheblicher, unter Umständen der größte Teil des Kotes aus toten Bakterien besteht, und in der Tat würden sich durch diese Annahme alle Tatsachen am besten erklären lassen, die Art der Zusammensetzung wie die Gleichmäßigkeit und Unabhängigkeit von der Nahrung. Auch Klecki*) glaubt, daß der kotähnliche Inhalt isolierter Darm- schlingen zum größten Teil aus toten oder lebenden Bakterien besteht. Be- weisend ist die Methodik Strasburgers indessen wohl nicht ganz, und gegen seine Annahme spricht auch, daß das sterile Meconium dem Kot außer- ordentlich ähnelt. IX. Die Bakterien im Darmkanal. Der Darm des Neugeborenen ist bakterienfrei, doch schon wenige Stunden nach der Geburt treten Bakterien auf und sind nun in allen Ab- schnitten des Verdauungskanales vorhanden. In der menschlichen Mund- höhle 5) sind mit dem Mikroskop massenhafte Bakterien zu sehen, aber es gelingt nicht oder zum kleinsten Teile, sie zu züchten, und etwa vorhandene pathogene Keime, wie der Pneumokokkus, zeigen eine sehr verminderte Virulenz, ohne daß ein Grund für dies Verhalten bekannt wäre; insonderheit hat der Speichel keine bakteriziden Eigenschaften. Im Magen ist das Wachstum der Bakterien auffallend gering, wofür in der Regel die Salzsäure des Magen- saftes verantwortlich gemacht wird. Es ist schon S. 547 erwähnt, daß sie in der Tat selbst in viel geringerer Konzentration, als sie im Magen auftritt, die Fäulnis wie die Kohlehydratzersetzung hemmt. Aber die eigentümliche, S. 567 besprochene Schichtung der verschluckten Nahrung im Fundus läßt ja die Salzsäure lange Zeit gar nicht ins Innere des Speisebreies eindringen, und doch kommt es unter normalen Vehältnissen niemals zu einer stärkeren Bakterienwirkung. Nur wenn fettreiche Nahrung, zumal ein Gemenge von Fett mit Eiweiß und Kohlehydraten, sehr lange im Magen verweilt, treten organische Säuren und andere Produkte von Bakterien auf; eine stärkere ') W. Weintraud, Kongr. f. innere Medizin 1896. — °) M. Krüger u. A.Schittenhelm, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 153, 1902. --°) J. Strasburger, Zeitschr. f. klin. Med. 46, 413, 1902. — *) K. Klecki, Zentralbl. f. Physiol. 7, 736, 1893. — °) M. Schottelius, Arch. f. Hyg. 42, 48, 1902. 42* 660 Darmbakterien. Zersetzung der Nahrung findet sich nur bei pathologischer Stauung. Zur Erklärung kann beim Menschen dienen, daß unsere Kost in der Regel sehr arm an Bakterien ist, und daß daher zur Entwickelung stärkerer Gärung oder Fäulnis eine längere Zeit vergehen muß. Sonst muß man an entwicke- lungshemmende Einwirkungen des Speichels oder unbekannte Einflüsse des Magens denken. Aus dem Dünndarminhalt vollends lassen sich, darüber sind Schütz !), Kohlbrugge?), Klein), Ballner*) und Rolly und Lieber- meister‘) einig, in der Regel keine Bakterien züchten. Mikroskopisch kann man sie aber auch hier wohl immer sehen, und daß sie bei irgendwelchen Störungen sofort vermehrungsfähig sind, zeigt die Gefahr der Peritonitis bei jeder Verletzung des Darmes, und das ergibt sich aus den Versuchen von Hermann‘). Er vereinigte aus der Kontinuität losgelöste, aber an ihrem Mesenterium befestigte Dünndarmschlingen zu einem Ring und versenkte sie in die Bauchhöhle: nach einiger Zeit fand er sie dann prall mit einer meist aus lebenden oder toten Bakterien bestehenden Masse angefüllt. Erst vom untersten Teile des Ileums an beherbergt der Darm massenhaft Bakterien, so massenhafte, daß nach der zwar nicht bewiesenen, aber recht wahrscheinlichen Annahme Strasburgers’) der Kot bei cellulosefreier Kost mindestens zur Hälfte aus Bakterien besteht. (Vgl. o. S. 659.) Aber auch hier wieder die gleiche Differenz: zu sehen sind zahllose, zu züchten unvergleichlich viel weniger’) °). Worauf dies eigenartige Verhalten der Darmbakterien beruht, ist nicht ganz aufgeklärt. Vor allem kommen die Beobachtungen von Conrady und Kurpjuweit®°) in Betracht, die in Kulturen von Darmbakterien Hemmungs- stoffe auftreten sahen, die von den Bakterien selbst gebildet, deren weiteres Wachstum hemmten. Andererseits hat Schütz!) einen fremden, leicht kenntlichen Bazillus, den Vibrio Metschnikoff, in großen Massen in den Hundedünndarm eingeführt und gesehen, wie die Bakterien in kürzester Frist abgetötet oder doch so verändert wurden, daß sie sich nicht mehr auf künstlichen Nährböden züchten ließen. An der Wirkung des Magensaftes konnte das nicht liegen, denn Schütz sah keinen Unterschied, ob er die Bak- terien verfütterte, oder ob er sie durch eine Duodenalfistel mit Umgehung des Magens direkt in den Darm brachte. Und diese Abtötung geschah gerade im Dünndarm, der nur wenig Bakterien enthält, so daß die Hemmungs- stoffe von Conrady und Kurpjuweit kaum als Erklärung dienen können. Rolly und Liebermeister, die seine Versuche aufnahmen, fanden auch Pan- kreassaft, Galle, Darmsaft und die Kombination dieser Sekrete wirkungslos, auch normaler Darminhalt tötet nach v. Mieczkowskı!P) und Ballner Bakterien nicht ab. Schütz fand dagegen große Mengen der Vibrionen im Kot, als erin !) R.Schütz, Arch. f. Verdauungskrankh. ”, 43, 1901; Berliner klin. Wochenschr. 1900, Nr. 25. — ?) J. H. F. Kohlbrugge, Zentralbl. f. Bakteriologie, I. Abt., 29, 571: 30, 10 u. 70, 1901. — °) A. Klein, Arch. f. Verdauungskrankh. 9, 50, 1902. — ‘) F. Ballner, Zeitschr. f. Biol. 45, 380, 1904. — °) O. Rolly u. G. Liebermeister, Deutsches Arch. f. klin. Med. 83, 413, 1905. — °) L. Hermann, Pfiügers Arch. 46, 93, 1890; 48, 74, 1891; 53, 52, 1893. — 7) J. Strasburger, Zeitschr. f. klin. Med. 46, 413, 1902. — ®) F. Ballner, l.c. — °) Conrady u. Kurpjuweit, Münchener med..Wochenschr. 2, 1761, 2164, 2228, 1905. — !°) L. v. Mieczkowski, ‚Mitt. a. «d. Grenzgeb. v. Medizin u. Chirurgie 9, 405, 1902. Darmbakterien. 661 die normalen Verhältnisse eingriff und den Darm durch Kalomel zu desinfizieren versuchte. Man muß also zurzeit mit Rolly und Liebermeister die Tätig- keit der lebenden Darmwand für die Abtötung fremder Bakterien und die eigenartige Regulierung des Bakterienwachstums verantwortlich machen. Daß diese Schutzvorrichtungen des Darmes auch einmal versagen können, beweist eine Beobachtung von Schütz!), der bei einer Patientin als Ursache eines schweren chronischen Leidens eine von Geburt an bestehende ganz massenhafte Bakterienentwickelung im Darmkanal sah. Die schwierige Züchtbarkeit der Darm- und Kotbakterien ist die Ursache, daß ihre Bestimmung und Klassifizierung noch sehr im argen liegt. Als der Hauptbewohner des untersten Ileums, des Coecums und Colons gilt bei Menschen, Säugetieren und Vögeln?) das Dacterium coli in seinen verschie- denen Varietäten. Macfadyen, Nencki und Sieber?) haben aus dem Chymus der Ileocoecalgegend mehrere Arten von Bazillen, Hefen und Kokken gezüchtet. Escherisch*) fand neben dem B. coli konstant einen Bazillus, den er B. lactis aörogenes nennt, ebenso Hammerl); Moro®) beobachtete im Stuhl von Brustmilchkindern konstant statt des B. coli und B. lactis aerogenes den Bae. acidophilus, eine Streptothrixart, die hohe Säuregrade bevor- zugt. Bienstock’”) hat mit den aöroben Bakterien einen obligaten Anaöroben vergesellschaftet gefunden, den Baec. putrificus, dessen Wachstum durch diese Symbiose ermöglicht wird, und der die Eiweißfäulnis im Darm bewirken soll. Auch sonst ist von Anaöroben im Darminhalt öfter die Rede gewesen. Auf- geklärt sind die Verhältnisse noch nicht. Nur darin stimmen alle Beobachter überein, daß unter normalen Verhältnissen die Bakterienflora des Diekdarmes eine sehr konstante ist. „Wilde“, aus der Nahrung stammende Bakterien treten zurück oder fehlen, und auch durch medikamentöse Eingriffe oder Diät scheint sie wenig beeinflußbar zu sein. Von einer Desinfizierung des Darmes, wie man wohl geglaubt hat, kann keine Rede sein°). Die Bakterien des Darmes wirken auf alle drei Nahrungsstoffe, indessen ist die Zersetzung der Fette keine bedeutende. Man findet wohl gelegentlich Capronsäure und andere Fettsäuren, von denen es aber keineswegs feststeht, daß sie der Fettzersetzung ihren Ursprung verdanken. Im wesentlichen treten zwei Prozesse miteinander in Konkurrenz, die Gärung der Kohlehydrate und die Fäulnis der Eiweißkörper. Auf die Kohlehydrate wirken die Bak- terien zunächst wie die Verdauungsfermente, sie zerlegen die Polysaccharide in die einfachen Zucker. Aus diesen entstehen dann Milchsäure°?), Butter- säure®), Essigsäure®), Kohlensäure, bisweilen auch Alkohol, Wasserstoff und Methan; besonders bei der Cellulosegärung im Pansen der Wiederkäuer und im Blinddarm aller Pflanzenfresser beobachteten Tappeiner!°) und Zuntz!!) die beiden Gase. !) R.Schütz, Deutsches Arch. f. klin. Med. 80, 580, 1904. — *) M.Schottelius, Arch. f. Hygiene 42, 48, 1902. — °) A. Macfadyen, M. Nencki u. N. Sieber, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. 28, 311, 1891. — *) Escherisch, zit. nach °). — 5) H. Hammerl, Zeitschr. f. Biol. 35, 355, 1897. — °) E. Moro, Jahrb. f. Kinder- heilkunde 52, 38, 1900. — 7) Bienstock, Arch. f. Hyg. 36, 335, 1899; 39, 290, 3901. — °®) L. v. Mieczkowski, Il. c.. — °) Macfadyen, M. Nencki u. N. Sieber, l.c. — '°) H. Tappeiner, Zeitschr. f. Biol. 19, 228, 1883; 20, 52, 1884. — !!) N. Zuntz, Pflügers Arch. 49, 477, 1891. 662 Fäulnis und Gährung. Native Eiweißkörper werden, wie Pfaundler!) fand, von den Darm- bakterien nicht angegriffen, wohl aber deren erste Spaltungsprodukte, die Albumosen und Peptone!)?), eine interessante Anpassung an die Lebens- bedingungen. Aus den Peptonen entstehen bei der Fäulnis wie bei der Ver- dauung die Aminosäuren, und diese, die den besten Nährboden für die Bakterien darstellen, werden weiter abgebaut?). Aus den Aminosäuren wird Ammoniak abgespalten, und es bilden sich so die entsprechenden einfachen Säuren der Fettreihe von der Ameisensäure bis zur Capronsäure, daneben die betreffenden Oxysäuren, also zum Teil die gleichen Produkte wie bei der Kohlehydratzersetzung. Charakteristischer sind die Fäulnisprodukte, die aus den aromatischen Gruppen des Eiweiß entstehen, Indol*), Skatol und Phenol. Sie scheinen keine Produkte des normalen Stoffwechsels zu sein®) und sind außerdem mehr oder weniger giftig. Sie werden daher vom Organismus ent- giftet, indem sie sich mit Schwefelsäure zu phenol- und indoxylschwefel- saurem Natron paaren. Seit Baumann’) diese Bildung der gepaarten Schwefelsäuren entdeckt hat, sind sie im Harn sehr häufig bestimmt worden, da man sie als ein Maß der Darmfäulnis betrachtete. In der Tat steigt ihre Menge rapide, wenn die Resorption der Fäulnisprodukte im Darm, etwa durch Stauung, zunimmt®). Doch ist die Resorption keineswegs gleichmäßig, und ein Teil des Phenols wird gar nicht als gepaarte Schwefelsäure ausgeschieden. Die gepaarten Schwefelsäuren des Harns als Maß der Darmfäulnis zu be- nutzen, ist daher unzulässig ’); eher scheint das mit gewissen Einschränkungen mit dem Indikan möglich zu sein °). Von größter Bedeutung für die Verhältnisse im Darm ist es nun, daß Eiweißfäulnis und Kohlehydratgärung nicht zusammen vorkommen. Daß eine stärkere Eiweisfäulnis niemals zustande kommt, wenn Kohlehydrate zugegen sind, das ist lange bekannt’), aber man hat die Vergärung häufig auf die aus den Zuckern entstehenden Säuren zurückgeführt. Erst Iwanoff!P) hat den Zusammenhang aufgeklärt, indem er bei der Gärung die Bildung eines flüch- tigen Körpers nachwies, der jede, also auch die bakterielle Proteolyse hemmt. Beim Menschen !!) kommt es in der Regel nur zur Gärung, nicht zu stärkerer Fäulnis, es finden sich organische Säuren, aber wenig Indol oder Skatol, wenig Schwefelwasserstoff oder Mercaptan. Bei den verschiedenen Tieren hängt es von dem Mengenverhältnis der beiden Bestandteile ab, welcher Prozeß überwiegt. Bei den Pflanzenfressern, zumal bei den Wiederkäuern ») M. Pfaundler, Zentralbl. f. Bakt., I. Abt., 31, 113, 1902. — ?) L. Laufer, Malys Jahrb. 32, 477, 1902. — °) OÖ. Cohnheim, Chemie der Eiweißkörper, 8.51, Braunschweig 1904. — *) A. Ellinger u. M. Gentzen, Hofmeisters Beitr. 4, 171, 1903. — °) E. Baumann u. E. Herter, Zeitschr. f. physiol. Chem. 1, 244, 1877. — 6) E. Salkowski, Ber. d. deutschen ehem. Ges. 9, I, 138; U, 1598, 1876; 10, II, 842, 1877. — 7”) R. Schütz, Berliner klin. Wochenschr. 1900, Nr. 25; Arch. £. Verdauungskrankh. 7, 43, 1901. — ®) A. Ellinger, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 178; 39, 44, 1903; 41, 20, 1904. — °) H. Winternitz, ebenda 16, 460, 1892. F. Schmitz, ebenda 19, 378, 1894. SS. Simnitzki, ebenda 39, 99, 1903. K. Blumenthal, Zeitschr. f. klin. Med. 28, "Heft 3 u. 4; Virchows Arch. 146, 65, 1896. W. Backmann, Zeitschr. f. klin. Med. 44, 458, 1902. — !°) L. Iwa- noff, Zeitschr. f. physiol. Chem. 42, 464, 1904. — '!) A. Macfadyen, M. Nencki u. N. Sieber, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. 28, 311, 1891; A. Schmidt, Arch. f. Verdauungskrankh. 4, 137, 1898. Bedeutung der Darmbakterien. 663 treten die Eiweißkörper hinter der Stärke und Cellulose der Nahrung so weit zurück, daß die Fäulnis in ihrem Darm kaum eine Rolle spielt; stärkere Fäulnis findet sich nur bei den reinen Fleischfressern. Der angenehm säuer- liche Geruch des Kuhstalles und der scheußliche Gestank des Raubtierhauses veranschaulichen den Gegensatz. Auf die anderen Nahrungsbestandteile wirken die Bakterien kaum direkt, aber der bei der Gärung und Fäulnis entstehende Wasserstoff reduziert das Cholesterin zu Koprosterin!), das Bilirubin zu Urobilin, das daher erst im Diekdarm, nicht im Dünndarm zu finden ist?); der Schwefelwasserstoff der Fäulnis bildet Schwefeleisen usw. Verfütterte Harnsäure scheint im Darm zerstört zu werden °). Was nun die Bedeutung der Bakterien im Darm anlangt, so ist zunächst die Frage, ob und inwieweit sie dem Organismus ihres Wirtes nutzbare Nahrung entziehen. Es ist zwar selbstverständlich, daß die durch die Bakterien bewirkte Verbrennung und Wärmebildung im Darm dem Körper ebenso zu- gute kommen muß wie die durch seine eigenen Fermente; dafür sorgt die chemische Wärmeregulation. Trotzdem können die Bakterien dem Körper auf dreierlei Weise Nahrung entziehen: 1. bilden sie ihre Leibessubstanz auf Kosten des Chymus, und die Bakterienleiber werden mit dem Kot ent- leert. Die Größe dieses Verlustes ist nicht sicher, da über die Masse der Kotbakterien keine Einigkeit besteht. (Vgl. S. 659.) Nach der älteren An- schauung ist sie neben den Exkreten des Darmkanales nur minimal. Hat aber Strasburger*) recht, und besteht der Kot zum größten Teil aus Bakterienleibern, so verliert der Körper auf diese Weise schon bei gut aus- nutzbarer Nahrung 2 bis 10 Proz. des Stickstoffs und der Energie seiner Nahrung, bei hohem Cellulosegehalt noch beträchtlich mehr. Vgl. S. 648 bis 658). 2. kann die Zersetzung des Chymus durch die Bakterien zu anderen Produkten führen als die im Stoffwechsel des Körpers; diese Stoffe werden resorbiert, können aber dann nicht verbrannt, sondern müssen ausgeschieden werden. Die aus den Kohlehydraten und Eiweißkörpern entstehenden niederen Fettsäuren werden leicht verbrannt und bedingen daher keinen Verlust. Dagegen verliert der Körper das Phenol, Indol und Skatol, die mit dem Harn ‚entleert werden; quantitativ ist der Verlust minimal; ob er unter Umständen von Bedeutung ist, vermögen wir bei unserer Unkenntnis des intermediären Eiweißstoffwechsels nicht zu sagen. 3. können durch den Bakterienstoff- wechsel gasförmige Produkte von hohem Verbrennungswert entstehen, die ‚per os oder per anum den Körper verlassen. Beim Menschen und bei Fleischfressern spielt das eine geringe Rolle, aber bei Pflanzenfressern und besonders bei Wiederkäuern werden bedeutende Mengen Wasserstoff (1g = 34,4 Kalorien) und Methan (1g — 13,2 Kalorien) entleert. Beim Pferd beobachtete Zuntz5) 15 bis 22g Methan in 24 Stunden, bei den Wieder- käuern berechnet Tappeiner$) diese Verluste so hoch, daß die massenhaft vergorene Cellulose nur einen sehr geringen Nährwert darstellt. Henne- !) P. Müller, Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 129, 1900. — ?) Macfadyen, Nencki u. Sieber, 1. e.; Ad. Schmidt, l. e. — °) F. Soetbeer u. J. Ibrahim, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 1, 1902. — *) J. Strasburger, Zeitschr. f. klin. Med. 46, 413, 1902. — °) N. Zuntz, Pflügers Arch. 49, 477, 1891. — °) H. Tap- peiner, Zeitschr. f. Biol. 19, 228, 1883; 30, 52, 1884. 664 Bedeutung der Darmbakterien. berg und Stohmann!) haben dem zwar widersprochen, Zuntz?) konnte aber zeigen, daß der Wiederkäuer nicht nur die Cellulose, sondern auch die: Stärke schlecht verwertet, weil auch sie von den Bakterien zersetzt wird. Weiterhin ist die Frage, ob sonst den Darmbakterien eine besondere Bedeutung zukommt; zunächst etwa eine schädliche. Man hat es von vorn- herein für selbstverständlich angesehen, daß die Anwesenheit von Milliarden von Bakterien im Körper nicht gleichgültig sein könne, und man hat alle möglichen Krankheiten auf die Resorption von Bakteriengiften aus dem Darm, die sogenannte Autointoxikation, zurückgeführt, ja Metschnikoff erklärt Altern und Tod des Individuums für eine Wirkung der Darmbakterien. Be- kannt ist hierüber indessen nichts. Von Giften kennen wir nur das Phenol und seine Derivate, deren prompte Entgiftung im Körper eben erwähnt ist. Ob sonst noch von den Bakterien schädliche Stoffe gebildet, und ob solche Stoffe resorbiert werden, ist nicht bekannt. Und in den Körper können die Darmbakterien im allgemeinen nicht eindringen, da die Schleimhaut des Intestinaltractus „keimdicht“ ist?).. Nur in den Mesenterialdrüsen fand Ficker?®) bei Hunden gelegentlich, bei Kaninchen häufiger einzelne Bak- terien. Die Schleimhaut neugeborener Säugetiere erweist sich dagegen als durchlässiger. Mit dem Bakteriengehalt des Darmes steht es vielleicht ım Zusammenhang, daß das regionäre Lymphdrüsensystem des Darmes so außer- ordentlich entwickelt ıst. Bei Schweinen, aber auch bei Katzen kann man. eine dreifache Kette von Lymphdrüsen sehen, die in den Weg vom Darm nach dem D. thoracicus eingeschaltet sind. Andererseits hat Pasteur*) die Vermutung ausgesprochen, daß die Bakterien im Darm nützlich, ja vielleicht unentbehrlich für das Leben der höheren Tiere sind, daß hier also eine zweckmäßige Symbiose vorliegt, wie wir sie vielfach bei Pflanzen kennen. Daß die Bakterien für die Ausnutzung der cellulosereichen, unaufgeschlossenen Pflanzennahrung erforderlich sind, das ist längst bekannt und S. 632 u. 650 eingehend besprochen. Daß ihre An- wesenheit aber auch bei verdaulicher Nahrung notwendig sei, dem hat Nencki°) widersprochen. Thierfelder und Nuttal®) und Schottelius’) haben die Frage dadurch experimentell zu entscheiden gesucht, daß sie neugeborene Tiere in sterilem Raum mit steriler Nahrung aufzogen. Thierfelder und Nuttal konnten durch den Kaiserschnitt zur Welt gebrachte Meerschweinchen bis zu 13 Tagen mit Kuhmilch und Cakes erhalten und beobachteten dabei eine (Grewichtszunahme, die nicht oder kaum geringer war als bei gleich un- physiologisch ernährten, aber nicht sterilen Kontrolltieren. Schottelius‘ experimentierte an Hühnchen, die in dem sterilen Apparat aus gründlich ge- reinigten Eiern auskrochen und die er mit gekochtem Hühnereiweiß und mit Hirse fütterte.e. Auch diese Tierchen lebten 14 bis 29 Tage, während hungernde Hühnchen in längstens 12 Tagen starben, aber sie nahmen dauernd ') W. Henneberg u. F. Stohmann, ebenda 21, 613, 1885; H. Wilsing, ebenda 21, 625, 1885. — ?) N. Zuntz, Pflügers Arch. 49, 477, 1891. — ?) M. Ficker, Arch. f. Hyg. 52, 179, 1905. — *) Compt. rend. 100, 66, 1886. Zit. nach Nencki. — °) M. Nencki, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol.+20, 385, 1885. — °) G. H. F. Nuttal u. H. Thierfelder, Zeitschr. f. physiol. Chem. 21, 109, 1895; 22, 62, 1896; 23, 231, 1897. — 7) M. Schottelius, Arch. f. Hyg. 34, 210, 1896; 42, 48, 1902. Zeitschr. f. diätet. und physikal. Therapie 6, Heft 3, 1902 bis 1903. Bedeutung der Darmbakterien. 665 an Gewicht ab und gingen zugrunde, wenn sie nicht nachträglich noch infiziert wurden. Auch fraßen und defäzierten sie viel mehr als die Kontroll- tiere; über die Beschaffenheit des Kotes macht Schottelius keine Angaben. — Die beiden Versuchsreihen haben also entgegengesetzte Resultate ergeben. An eine prinzipielle Verschiedenheit der Tierarten zu glauben, fällt schwer. Am nächsten liegt es anzunehmen, daß die Üellulosehüllen der Hirse die Schuld trugen, daß die Hühnchen nicht leben konnten; dem widerspricht aber die Angabe von Knieriems'), daß Hühner Cellulose nicht verwerten. Man müßte schon an eine Lockerung der Cellulosehüllen ohne eigentliche Auflösung denken. Schottelius vermutet, daß die Milch, mit der die Meerschweinchen ausschließlich oder teilweise ernährt wurden, eine Ausnahmestellung einnimmt. Jedenfalls ist die Frage nach der Notwendigkeit und Bedeutung der Darm- bakterien, außer für die Verwertung cellulosehaltiger Nahrung, noch nicht entschieden. Endlich hat Schütz?) eine Vermutung geäußert, der sich Bienstock°) und Kohlbrugge*) angeschlossen haben. Schütz hat, wie erwähnt, beobachtet, daß fremde in den Darm eingeführte Bakterien daselbst rasch zugrunde gehen. Er hält es für möglich, daß die eigene Bakterien- flora des Darmes an dieser Abtötung beteiligt ist, so daß die Darm- bakterien eine Schutztruppe wären im Kampfe des Organismus gegen fremde Keime. Wie weit dabei die von den Bakterien gebildeten antibakteriellen Substanzen von Conrady und Kurpjuweit?’) eine Rolle spielen, ist noch ganz ungewiß, da die Darmbakterien erst im unteren Dünndarm wachsen, die Abtötung aber schon im oberen erfolgt. !) W. v. Knieriem, Zeitschr. f. Biol. 21, 67, 1885. — *) R. Schütz, Berliner klin. Wochenschr. 1900, Nr. 25; Arch. f. Verdauungskrankh. 7, 43, 1901. — ®) Bienstock, Arch. f. Hyg. 39, 390, 1901. — *) J. H. F. Kohlbrugge, Zentralbl: f. Bakteriol., I. Abt., 30, 10 u. 70, 1901. — °) Conrady u. Kurpjuweit, Münchner medizin. Wochenschr. 2, 2228, 1905. Die äussere Arbeit der Verdauungsdrüsen und ihr Mechanismus ) von I. Pawlow. Einleitung. Beim Studium der Arbeit einer jeden Verdauungsdrüse, wie auch eines jeden Organs überhaupt, muß man zwei Kategorien von Bedingungen dieser Arbeit unterscheiden: die beständigen, normalen und die außerordent- lichen, künstlichen Bedingungen. Während das Studium dieser letzteren einerseits als Mittel der Analyse dienen, andererseits aber uns Material liefern kann, um uns in Zukunft zur Charakteristik der lebenden Substanz überhaupt zu verhelfen, klärt uns die Kenntnis der ersteren entweder den Zusammenhang des betreffenden Organismus mit der äußeren Welt oder den Zusammenhang der einzelnen Teile des Organismus untereinander auf, d. h. sie gestattet uns, die Frage von dem inneren oder äußeren Gleich- gewichte des Organismus zu berühren. Dieses aber ist eben die nächste naturwissenschaftliche Aufgabe des Studiums der großen, aus lebender Substanz aufgebauten Individuen, der höheren tierischen Organismen. Es versteht sich, daß der äußerst kompliziert aufgebaute Organismus nur unter der Grundbedingung fortbestehen kann, daß die einzelnen, ihn zusammen- setzenden Teile in ihrer Funktion untereinander und der Komplex der- selben mit den umgebenden äußeren Bedingungen genau im Gleichgewicht stehen. Dieselben Verhältnisse bestehen in einem jeden anderen, wenn auch toten System. Dieses ist der allgemeinste und gesetzmäßigste Begriff, den man sich von dem Organismus machen kann. Das beständige Trachten nach Aufrechterhaltung dieses Gleichgewichtes kann entweder als Anpassung angesehen werden, wenn man sich auf den Standpunkt der Darwin- schen Lehre stellt, oder aber als Zweckmäßigkeit, wenn man den Or- !) Eine klassische Darstellung der Sekretionsprozesse hat Heidenhain in L. Hermanns Handbuch der Physiologie (1880) gegeben. In Schäfers Textbook of Physiology (1893) findet sich eine im höchsten Grade durchdachte und um- fassende Darstellung der Physiologie der Speicheldrüsen von Langley. Sowohl die erste als auch die zweite Veröffentlichung, namentlich letztere, sind reichlieh mit Literaturangaben versehen. Die Resultate unseres Laboratoriums über die Arbeit der Verdauungsdrüsen sind in meinen Buche: „Die Arbeit der Verdauungsdrüsen“, 1898, dessen französische Übersetzung 1901 und englische Übersetzung mit den Zusätzen 1902 erschien, gesammelt. Einleitung. 667 ganismus überhaupt vom subjektiven, anthropomorphen Standpunkte aus betrachtet. Gegen diese Ausdrücke, welche konventionelle Bezeichnungen be- stimmter tatsächlicher Beziehungen darstellen, kann man natürlich nichts ein- wenden, solange man über keinen rein tatsächlichen, objektiven Terminus ver- fügt. Die in dem oben erwähnten Sinne aufgefaßte Idee von den Anpassungen oder der Zweckmäßigkeit bildet eine unerschöpfliche Quelle für verschiedene wissenschaftliche Voraussetzungen, dient als beständiges wissenschaftliches Thema, verleiht einen mächtigen Antrieb zu weiterem Studium der Fragen von dem Wesen der Lebenserscheinungen. Ganz anderes steht es natürlich mit ausschließlich theoretischen Betrachtungen über dieses Thema, welche rasch in bodenlose Phantasien ausarten. Augenscheinlich haben die Über- treibungen der Naturphilosophie und einiger philosophisch angehauchter zeit- genössischer Biologen, welche die Zweckmäßigkeit in der Physiologie wörtlich nehmen, in der Wissenschaft einen in letzter Zeit übrigens wieder zum Teil schwindenden Abscheu gegen dieses Wort geschaffen. Die Anwendung des- selben sogar zur Bezeichnung rein tatsächlicher, bestimmter Beziehungen gibt strengen Objektivisten Anlaß dazu, hierin eine Neigung zu teleologischer Denk- weise zu sehen. Andererseits ist es dem Umstande, daß die Vorstellung vom Organismus, als von einem ganzen System nicht genügend fest in uns wurzelt und daß eben dieselben Worte: Anpassung und Zweckmäßigkeit eine subjektive Färbung mit sich bringen, zuzuschreiben, daß neu entdeckte Fälle von An- passung oftmals als etwas ganz Unerwartetes und Außerordentliches be- trachtet werden, obgleich gerade sie eine wesentliche Eigenschaft des als komplizierter Apparat angesehenen Organismus bilden. Der Schwerpunkt der Sache liegt natürlich in der Art der Unter- suchung der zur erwähnten Kategorie gehörigen Tatsachen. Hier müssen, wie oben erwähnt, erstens die Bedingungen der Tätigkeit des Organs, welche bei normalem Lebensverlauf bestehen, beachtet werden. Zweitens müssen eben unter diesen Bedingungen die Funktionen des Organs, d. h. alle Varia- tionen derselben in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen untersucht werden. Drittens endlich muß die Bedeutung gerade der betreffenden und nicht einer anderen Tätigkeit in jedem betreffenden Falle von normaler Arbeit bestimmt werden. Zu diesem Zwecke kann man die Tätigkeit des Organs absichtlich entstellen, in einer Richtung verändern, welche den betreffenden normalen Bedingungen nicht entspricht. In der letztgenannten Reihe von Untersuchungen müssen die Versuche nach Möglichkeit variiert werden, da nur auf diese Weise eine zufällige Kongruenz der Erscheinungen und folglich auch eine dem wirklichen Tatbestande nicht entsprechende Abschätzung der Bedeutung, welche gewisse Details der Arbeit des betreffenden Organs unter gewissen Bedingungen für das System des Organismus besitzen, vermieden werden kann. Die ersten zwei Kategorien von Versuchen geben nur die Grundlage für Voraussetzungen über die Bedeutung gewisser Wechsel- beziehungen ab, und erst die letzte Kategorie kann diesen Voraussetzungen einen festen Boden verleihen und die Lehre von dem Gleichgewicht der ein- zelnen Teile des Organismus begründen. Das Studium der normalen Funktionsbedingungen der Verdauungs- drüsen, ebenso wie auch eines jeden anderen Organs, ergibt also einen genauen speziellen Zusammenhang zwischen bestimmten Bedingungen und 668 Einleitung. in gleicher Weise bestimmter Arbeit der Organe, d. h. begründet die Lehre von der spezifischen Reizbarkeit des Organismus überhaupt. Der spezifische Charakter des Reizes, sowie entsprechend auch der Reaktion äußert sich einerseits durch dieselben Vorgänge im Organismus, welche sich uns als An- passung und Zweckmäßigkeit darstellen, andererseits aber sind sie die direkte Folge der äußerst vorgeschrittenen Differenzierung des Weltstoffes, welche im lebenden Organismus zu beobachten ist, und zwar um so mehr, je höher der Organismus auf der botanischen und zoologischen Stufenleiter steht. Die spezifische Reizbarkeit der Organismen stellt jedoch durchaus nichts Aus- schließliches, prinzipiell nur der lebenden Substanz Angehöriges dar, sie zeugt im Gegenteil von der nahen Verwandtschaft der lebenden Substanz mit der toten. Stellen wir uns eine möglichst komplizierte chemische Substanz, z. B. aus der Gruppe der Kohlenstoffverbindungen, vor. Wirken wir auf dieselbe mit einer anderen chemischen Substanz ein, so findet eine bestimmte chemische Reaktion nur in einem bestimmten Punkte unserer Substanz, in der einen oder der anderen der zahlreichen, sie zusammensetzenden Gruppen statt, während alle übrigen Gruppen ganz intakt bleiben. Wir können weiter will- kürlich bald auf die eine, bald auf die andere Gruppe chemisch einwirken. Ist nun das nicht dieselbe spezifische Reaktion, wie wir sie sowohl im ganzen Organismus, als auch in seinen einzelnen Organen beobachten? Einen riesigen Unterschied bietet natürlich nur die immense Zahl von spezifischen Reaktionen der als höhere Organismen sich uns darstellenden lebenden Substanz im Vergleich zu allen übrigen der Ühemie bekannten Substanzen. Sind einmal die normalen oder anders gesagt spezifischen Reize für das betreffende Organ festgestellt, so drängt sich folgende physiologische Aufgabe auf: den Mechanismus der Einwirkung dieser Reize zu analysieren oder zu bestimmen, worauf sie speziell einwirken und wo sich ihr Angriffs- punkt befindet. Der spezifische Reiz kann die Drüsen und ihre Zellen ent- weder durch Vermittelung des inneren, den ganzen ÜOrganismus zu einem einzigen Ganzen vereinigenden Mediums, nämlich seiner flüssigen Bestand- teile, des Blutes und der Lymphe, oder durch Vermittelung des speziellen (rewebes, dessen Aufgabe darin besteht, die einzelnen Teile des Organismus untereinander, sowie den ganzen Organismus mit der äußeren Welt in Ver- bindung zu setzen, nämlich des Nervensystems, oder endlich durch Vermitte- lung beider zu gleicher Zeit treffen. ‚Je verschiedenartiger die spezifischen Reize, je mannigfaltiger die Wechselbeziehungen des Organs sind, desto mehr tritt der zweite Modus in den Vordergrund. Dieses macht sich besonders beim Studium des Mechanismus der Einwirkung spezifischer Reize auf ver- schiedene Verdauungsdrüsen bemerkbar. Die im Anfangsteile des Verdau- ungskanales gelegenen Speicheldrüsen richten sich fortwährend nach den mannigfaltigen Erscheinungen der äußeren Welt, und ihre Tätigkeit wird fast ausschließlich durch den Nervenapparat bedingt. An ihnen äußert sich, im Gegensatz zu den anderen, tiefer gelegenen Verdauungsdrüsen, die Ein- wirkung dieses Apparates in ganz hervorragender Weise und sind jene be- sonders komplizierten Erscheinungen, welche als psychische bezeichnet werden, zu beobachten. Je tiefer eine Verdauungsdrüse im Magen-Darmkanal liegt, desto geringer wird die Teilnabme des Nervenapparates an ihrer Tätigkeit,' und desto mehr tritt die Vermittelung der Blutflüssigkeit in den Vord ren j Methodik der Speichelversuche. 669 1. Die Arbeit der Speicheldrüsen. 1. Die normale Arbeit der Speicheldrüsen. Die Speicheldrüsen werden in vielen Beziehungen stets ein ganz be- sonderes physiologisches Objekt darstellen. Da sie anatomisch leicht zu erreichen sind, was die experimentelle Methodik bedeutend erleichtert, paar- weise liegen und ihre Funktion eine verschiedenartige, jedoch verhältnismäßig einfache ist, so bieten sie dem Experiment einen weiten Spielraum, der in anderen Teilen des Organismus nicht zu erzielen ist, und deshalb dienen sie und werden auch noch vielen Forschern, welche sich die mannigfaltigsten physiologischen Aufgaben stellen, als Untersuchungsobjekt dienen. Das die normale Arbeit der Speicheldrüsen behandelnde Thema könnte auf weiter vergleichend-physiologischer Grundlage bearbeitet werden, jedoch in Anbetracht dessen, daß unsere Kenntnisse von der physiologischen Rolle des Speichels bei verschiedenen Tieren sehr lückenhafte sind, sowie in An- betracht der speziellen Aufgabe dieses Handbuches wollen wir uns nur auf die gegenwärtig ziemlich reichhaltigen Ergebnisse beschränken, welche haupt- sächlich in Versuchen an Hunden, die von allen in dieser Richtung über- haupt genau studierten Tieren dem Menschen am nächsten stehen, gewonnen wurden. _ Bei Hunden beschränken sich die physiologischen Untersuchungen ge- wöhnlich auf drei Paare von Speicheldrüsen: die sublingualen, submaxillären und Öhrspeicheldrüsen; bedeutend seltener ist das Paar der orbitalen Drüsen untersucht worden. In acuten Versuchen, d.h. .bei sofort zum Experiment vorbereiteten und der Bequemlichkeit wegen gewöhnlich in verschiedener Weise vergifteten Tieren, werden die zum Auffangen des Speichels bestimmten Kanülen ent- weder in die aufgeschnittenen Drüsenausführungsgänge oder von der Mund- höhle aus in die normalen Öffnungen der Ausführungsgänge eingeführt und hier mit Fäden fixiert. Zu chronischen Versuchen, welche an ganz normalen Tieren angestellt werden, verfährt man am besten in folgender Weise: Es werden vermittelst einer kleinen Operation die natürlichen Mündungen der Ausführungsgänge nach außen verpflanzt. Hierzu wird das die Mündung des Ausführungsganges umgebende Stückchen der Mundschleimhaut aus- geschnitten und dann der Ausführungsgang sorgsamst in einiger Entfernung abpräpariert. Sodann wird die Mundhöhlenwandung an der betreffenden Stelle durchschnitten, das Schleimhautstückchen nach außen verpflanzt und hier an die Wundränder angeheftet. Auf diese Weise wird die Transplantation der Ausführungsgänge sämtlicher vier Drüsenpaare ausgeführt. Die Ausführungs- gänge der Submaxillar- und der Sublingualdrüsen, deren Mündungen sehr nahe beieinander liegen, werden zusammen verpflanzt. Will man eine Fistel nur von einer der Drüsen haben, so durchschneidet man den Ausführungs- gang der anderen im Frenulum linguae. Da jedoch der Speichel der Sub- lingual- und der Submaxillardrüse von gleichem Charakter ist, aus der ersteren sich nur verhältnismäßig wenig Speichel ausscheidet und der Verlauf der Sekretion in beiden Drüsen ein paralleler ist, so kann man den Speichel bequem aus beiden Drüsen zugleich sammeln. In dieser Weise vorbereitete 670 Methodik der Speichelversuche. Hunde können viele Jahre hindurch zu Versuchen verwendet werden. Für jeden einzelnen Versuch wird entsprechend der Speicheldrüsenfistel ein mit einem breiten Rande versehener Trichter an die Haut geklebt; in die Spitze des Trichters sind Häkchen hineingelötet, an welche kleine kalibrierte Probier- gläschen angehängt werden. Die erwähnte Methodik ist als durchaus tadellose anzusehen. Das Tier befindet sich die ganze Zeit über in vollkommen normalem Zustande und wird durchaus keinen auberordentlichen Reizen ausgesetzt. Der Speichel wird sehr genau und ganz rein aufgefangen. Der Umstand, daß im Munde der Speichel von einer oder zwei Drüsen fehlt, kann in Anbetracht der paar- weisen Verteilung und der Multiplizität der Speicheldrüsen weder auf das Tier, noch auf die Funktionen der zu untersuchenden Drüsen in irgendwie merklicher Weise einwirken. An derartig vorbereiteten Tieren sind in den letzten Jahren von meh- reren Autoren: Glinsky !), Wulfson?), Snarsky°), Malloizel®), Hey- mann’) und Sellheim®) sehr zahlreiche Versuche angestellt worden, dank welchen das früher lückenhafte Material (Mitscherlich, Claude Bernard, Zassaione) teilweise in ein System gebracht, teilweise in bedeutendem Grade vervollständigt worden ist. Den Tieren wurde entweder irgendwelche Nahrung gereicht, oder es wurden ihnen verschiedene, ihnen widerstrebende Substanzen zwangmäßig in den Mund eingeführt. Die verschiedenen Pro- zeduren wurden eine bestimmte Zeit lang (z. B. 1’) fortgesetzt, sodann die Menge des in diesem Zeitraume ausgeflossenen Speichels, sein ganzer Trocken- rückstand, sein Gehalt an organischen Stoffen, Asche, Mucin und Amylase (seiner Wirkung nach), sowie seine Viskosität (durch die Zeit, welche ein bestimmtes Volumen Speichel brauchte, um durch ein bestimmtes dünnes Glasröhrchen zu fließen) bestimmt. Wir lassen eine Tabelle der Mittelwerte, welche wir den Veröffentlichungen zweier Autoren entnommen haben, folgen (Tab. ID). Aus dieser Tabelle geht mit Deutlichkeit hervor, daß die Arbeit der Speicheldrüsen je nach der Quantität und Qualität des von der Mund- höhle aus ausgeübten Reizes bedeutenden Schwankungen ausgesetzt ist, wobei (Quantität und Qualität nicht im allen Fällen in gleicher Art miteinander verbunden sind, sondern oftmals sich ganz unabhängig voneinander ver- ändern. Die speziellen Schwankungen bei den einzelnen Reizen können in gewissem Grade systematisiert werden. Werden dem Tiere eßbbare Stoffe eingegeben, so ergießt sich aus den Schleimdrüsen um so mehr Speichel, je fester und trockener diese Stoffe sind. Eine krasse Ausnahme hiervon (und zwar gerade an den Schleimdrüsen) stellt die Milch dar, auf welche sich viel mehr Speichel ergießt als wie auf Fleisch. Auf eßbare Substanzen ergießt sich überhaupt aus denselben Drüsen ein zähflüssiger, klebriger Speichel mit reichlichem Gehalt an festen, speziell organischen Stoffen, mit reichlicherem Mucin- und Amylasegehalt als wie in dem auf dem Tiere widerstehende Substanzen ergossenen Speichel. In der Ohrspeicheldrüse macht sich die Abhängigkeit der Speichelbeschaffenheit von der Festigkeit und der Trockenheit der in die Mundhöhle eingeführten Stoffe deutlicher !) Sitzungsbericht d. Ges. russ. Ärzte zu St. Petersburg 1895. — ?) Dissert., St. Petersb. 1898. — ®) Dissert., St. Petersb. 1901. — *) Journ. de physiol. et pathol. gener. 1902. — °) Dissert., St. Petersb. 1904. — °) Dissert., St. Petersb. 1904. 671 Spezifische Reaktion der Speicheldrüsen. Dr 980 = z —ı 3 2861.02 1,048:0. |7687.0 uel 3°0 61 ER er a SDSED eibs vr} | ir a: BEN hen N us Bin 0° 62 A N untsoATg = — 1860 | 8990 vor 1 1880. | To9°0 | 2880 | ull 5% gr a) | | SunsopanespPpAy»g — -- \ 2920 gero 00% 1 1810 F0g°0 1820 | „OL 0° er ("Z014 9‘0) Sansgfeangsziug an 2: — . er Be = — | Pa 1‘ ec ° (aosse \ 109 00T N% uorFdort [) uorsmwoToFuag = — | 096% g8r‘o ser 0080 039°0 0860 | nel 0% > | » (zog. 07) Sunsopepog 9100°0 50 osr0 | eero £e88‘0 ı820 |osro | 220 | u6 0% 0% (z014 05) SunsgrzesypoM = _ _— | — — 128.0. | 009.0, | 1890: | 8 el 8: |.Czoxa:op) Sunsnurrenoous = = - - — gro | Krro | 999°0 n8 07 8‘ | (’zoags‘o) Sumsorureunog ‘ ‘ ‘ | ‘ ‘ . . . . . . . > y = — Zu => = 155 0 8750 r950 url 20 61 anıssound "47277 UOA (ZOAG [) Sunsorg — - vor 1 998°0 99HI 698°0 | zı9‘%0 | 9BrL uslr 61 vr on aaApndypston 300 — 10°0 88 I. — — 9960 | 1880 | 2281 u891% Ei) er 5 Fer AUOBISTHN SUCH z r 5 Tr = 1860 | 63700 | 91r1 ulsıE co v% ae 5 a SL = | = #82‘0 | 6680 gst‘l ı96°0 | 997°0 | esrt u9Tur 97 08 " 2 95°, TourwesjoTqgTTte AN kur —e — Zn Tai 36<°0 LLE'O 696°0 us8,L 01 3 Sr OA TON yorodg REN ER \|® ZONTRUTE | "ZOAT ul osnap t OSNL.LP woo[L BIOEPSDERE es "ZOLL puxgs eoid =) "ZOIT purgs -endung SE ‚| -endur 3 aayonz Su | 977098 opoIsg ‘t I -[oyprods ur sun % $ ur -yona ur -NONL -qng pun -qng pun 2 ur ‘osepkwy | oyasıun | ___" i _ || oyosıu = ! -IUO UOUND0.1I9 a a OUOSY | -UONOOL], SydsYy | -UONOOLL, || -ABITIXBUL. | -TBI[IXB U 2 =) 19p 9SuoM || -%9.10 -BO.LO 5 a9p sne : sap sduoW 9ZURD OP azuwd aop| -qng sn® -qng sn® K 4 DE BEN £ er 125 zuvegsqng ONLUNFOITUTO : as e[yoypunyr 9Tp UT Ssn.Ip OENAIP osnapjoyqprods osnaıpjendurmang pun spypradg | mo ur spoyprodg -AEIIKBWIqNg |-AEIIIKeWANnS io ap snw [oypred wifxewqng sne [oyorod a sop oduo aop sn® 1op sn® „yo A19P Taydteds Ale zerugnB ers TSUSTSEB | aasoststr [% W T9ZIOJIeW yoeN wrayfIos UDeN I oTloquL, 672 Spezifischer Charakter der Drüsenarbeit. bemerkbar. Ein konzentrierterer Speichel mit reichlicherem Gehalt an orga- nischen Stoffen ergießt sich aus dieser Drüse sowohl auf Nahrungsstoffe, sowie auf Säure und Soda von den verweigerten Stoffen, auf die übrigen von dem Tiere verweigerten Substanzen ergießt sich ein Speichel mit bedeutend geringerem Gehalt an organischen Substanzen. Weiter müssen noch folgende Tatsachen erwähnt werden. Wasser, ebenso wie auch physiologische Kochsalzlösung rufen gar keine Speichel- sekretion hervor, ganz gleich, ob sie in den Mund hineingegossen werden, oder ob der Hund sie selbst trinkt. Werden Steinchen in großer Masse und sogar mit einiger Kraft dem Hunde in den Mund geworfen, so fließt auch kein Speichel, angenommen, daß die Steinchen ganz rein und gar nicht löslich sind. Der besondere spezifische Charakter der Speicheldrüsenarbeit ist also in dem Falle, wenn verschiedene Substanzen in die Mundhöhle eingeführt werden, ein in die Augen springendes Faktum. Welche physiologische Be- deutung hat nun der besondere Verlauf dieser Arbeit in den verschiedenen Fällen? Ganz präzise kann man auf diese Frage nur in seltenen Fällen antworten, da hierzu spezielle Versuche angestellt werden müssen, was in der Mehrzahl der Fälle noch nicht bewerkstelligt worden ist. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Speichel vor allem die Rolle von Wasser zu spielen hat. Dieses ist aber in der Mundhöhle dann nötig, wenn das Tier feste, trockene Nahrung einnimmt, um in ıhr alles Lösliche aufzulösen, wodurch ihr chemischer Bestand mit Hilfe der speziellen, sozusagen chemischen (Geschmacks-) Nerven erkannt werden kann, um ihrer mechanischen Bear- beitung Vorschub zu leisten, sie des physischen Zustandes, welcher für ihre \Weiterbewegung längs dem Magen-Darmkanal ungeeignet oder sogar schädlich ist, zu entledigen. Daß dem wirklich so ist, beweist ein alter Versuch von Claude Bernard, welcher ein Pferd, bei dem nur der Öhrspeichel nicht in den Mund gelangte, nur mit großer Schwierigkeit trockene Nahrung (Hafer, Heu) verschlucken sah. Es ist also klar, wie zweckmäßig für die Nahrungs- verdauung folgende mehr oder weniger allgemeine Beziehung ist: je trockener, fester die Nahrung, desto mehr Speichel ergießt sich auf sie aus allen Speichel- drüsen. Die oben erwähnte, die Milch betreffende Ausnahme aus dieser Regel findet ihre befriedigende Erklärung darin, daß [nach Billard et Dieulate!) und Borissow ?)] die mit schleimigem Speichel vermengte Milch ein lockeres, nicht festes Koagulum gibt, was die weitere Bearbeitung des- selben mit Magensaft bedeutend erleichtert. Daß diese Deutung dem wirk- lichen Tatbestande entspricht, wird in gewissem Maße dadurch dargetan, daß erstens eben auf Milch sich ein sehr konzentrierter, den reichlichsten Gehalt an organischen Stoffen aufweisender Speichel ergießt, und daß zweitens sich auf Milch viel Speichel hauptsächlich aus den Schleimspeicheldrüsen ergießt, so daß nur in diesem Falle das gewöhnliche quantitative Verhältnis zwischen Schleimspeichel und Parotisspeichel sehr bedeutend gestört wird (vel. Tab. I). Der Schleim aber dient hauptsächlich sozusagen zum Beölen alles dessen, was aus der Mundhöhle weiter befördert werden muß; ein Beweis !) Compt. rend. de la soc. de biol. ä Paris 1902. — ?°) Russkij Wratsch 1903 (russisch). | | | | Spezifischer Charakter der Drüsenarbeit. 675 hierfür ist, daß alle eßbaren Stoffe aus den Schleimspeicheldrüsen einen mucinreichen, sehr schleimigen Speichel erhalten. Sodann dient der Speichel, was ein jeder aus eigener Erfahrung weiß, wie Wasser, oft zur Verdünnung allzu konzentrierter Lösungen von in den Mund geratenden Substanzen, sowie zur Abspülung schädlicher oder ekel- erregender Substanzen aus der Mundhöhle. Hiermit stimmt die Tatsache, daß auf dem Tiere widerstehende Substanzen aus den Schleimspeicheldrüsen sich stets nur dünnflüssiger Speichel entleert, vollkommen überein; Schleim wäre ja in diesen Fällen auch ganz unnütz. Von den verschiedenen, dem Tiere widerstehenden chemischen Substanzen erfordern einige infolge ihrer besonders starken chemischen Wirkung ganz besondere Maßnahmen; diese werden augenscheinlich von der Öhrspeicheldrüse, welche auf Säure und Alkali, ganz im Gegensatz zu allen übrigen stark irritierenden Substanzen, einen sehr eiweißreichen Speichel ausscheidet, ergriffen; hierdurch wird in gewissem Maße die zerstörende Wirkung dieser Substanzen auf die Mund- schleimhaut vermindert. Daß durch sämtliche angegebene Maßnahmen in der Tat die schädliche Wirkung einiger Substanzen neutralisiert wird, kann durch folgende Tatsachen bewiesen werden. Man kann viele Male und in großen Portionen eine 0,5 proz. Salzsäurelösung einem Hunde in den Mund gießen, ohne auch nur die geringste Schädigung der Mundschleimhaut zu beobachten; taucht man jedoch die Zunge des Hundes im Laufe einiger Minuten in eine mit einer derartigen Lösung gefüllte Schale, so löst sich die oberflächliche Epithelschicht ab, ganz wie bei Verbrühung mit heißer Flüssigkeit. Interessant ist das Verhalten zu unlöslichen festen Körpern. Steinchen rufen keine Speichelsekretion hervor, auf Sand jedoch ergießt sich der Speichel in reichlichem Maße. Es ist klar, daß die Entfernung von Steinchen aus der Mundhöhle durch Flüssigkeit nicht gefördert werden kann; die Steinchen können, selbst wenn sie der Mundhöhlenwandung anhaften sollten, dank ihrem Eigengewicht und mit Hilfe der Muskelapparate des Mundes von dieser losgelöst werden. Sand hingegen könnte ohne Mitwirkung von Flüssig- keit nicht leicht aus der Mundhöhle entfernt werden; durch Beimengung von schleimiger Flüssigkeit sammelt er sich zu Häufchen an, welche ausgespieen werden, einzelne zurückgebliebene Sandkörner aber werden von dem Strome des wässerigen Speichels fortgeschwemmt. Wasser und physiologische Kochsalzlösung rufen keine Speichelsekretion hervor, was ja auch ganz begreiflich ist: wozu könnte hier der Speichel dienen ? Mit dem bisher Wiedergegebenen sind jedoch die Beziehungen der Speicheldrüsen zu den Objekten der äußeren Welt durchaus noch nicht er- schöpft; es existiert noch eine ganze Gruppe unmittelbar hierher gehöriger Erscheinungen, welche jedoch gleichsam ganz anderer Art sind. Die Objekte der äußeren Welt, von denen bis jetzt die Rede war, wirken auch von einiger Entfernung aus, d. h. auch dann, wenn sie noch nicht in die Mundhöhle gelangt sind und also durch Vermittelung anderer sensibler Flächen, der Nase, des Auges, des Ohres, auf die Arbeit der Speicheldrüsen ein. Dieses ist die sogenannte psychische Reizung der Speicheldrüsen. Schon die all- tägliche Beobachtung hat seit langem die Tatsache des Speichelflusses beim Nagel, Physiologie des Menschen, II. 43 674 Psychische Reizung der Speicheldrüsen. Anblick von Nahrung, und zwar sowohl beim Menschen als auch bei Tieren festgestellt. Ganz ebenso ist beim Menschen diese Erscheinung zu wieder- holten Malen beim Anblick einiger unangenehmer Stoffe beobachtet worden. In neuester Zeit hat Wulfson, dessen Ergebnisse von allen späteren Autoren (Malloizel, Snarsky, Tolotschinow usw.) bestätigt worden sind, diese Frage an Tieren einem experimentellen Studium unterworfen. Das Ergebnis seiner Versuche war, daß alle die Arbeit der Speicheldrüsen mannigfaltig beeinflussenden Stoffe ganz ebenso, jedoch nur in geringerem Maßstabe, aus der Entfernung einwirken. Trockenes Fleischpulver ruft beim Hunde be- deutendere Speichelsekretion hervor als wie Fleisch, obgleich augenscheinlich das Tier durch den Anblick von Fleisch bedeutend mehr interessiert sein kann. Der Anblick von Säure ruft beim Hunde Sekretion von dünnflüssigem Speichel aus den Schleimspeicheldrüsen, der Anblick von Brot dagegen Se- kretion von konzentriertem Speichel hervor usw. Sellheim jedoch hat eine Ausnahme aus dieser Regel feststellen können: beim Anblick von Säuren und Alkalien scheiden sich beim Hunde mit dem Sekret der Öhrspeicheldrüse nicht mehr organische Stoffe als wie Salze aus, wie das bei Einführung der- selben in die Mundhöhle zu beobachten ist, sondern weniger. Fälle von sogenannter psychischer Reizung der Speichen können am passendsten als weitere Anpassung dieser Drüsen an die äußere Welt angesehen werden; diese Organe fangen schon präventiv, sobald die betreffen- den Objekte dem Munde genähert werden, an, entsprechend zu arbeiten; dieses kann in jedem speziellen Falle nur zu erfolgreicherer Ausführung des physiologischen Zweckes dieser Arbeit führen. Werden z. B. dem Munde des Tieres unzuträgliche Substanzen genähert, so wird dank der präven- tiven Speichelsekretion einerseits die benetzte Schleimhaut gegen die unmittel- bare Berührung mit der Substanz geschützt und andererseits diese letztere sofort verdünnt und mehr oder weniger unschädlich gemacht. Mit allem oben Erwähnten haben wir natürlich noch lange nicht alle jene feinen speziellen Beziehungen erschöpft, welche zwischen den chemischen Eigenschaften, der Form und dem physikalischen Zustande der in die Mund- höhle geratenden Substanzen und dem besonderen Verlauf der Arbeit der Speicheldrüsen bestehen. Wir wissen sehr wenig von allen Fermenten des Speichels und den Sckwankungen ihres Gehaltes unter verschiedenen Be- dingungen, und auch die übrigen Bestandteile des Speichels sind fürs erste nur in groben Zügen analysiert worden. Im allgemeinen aber muß man zu- geben, daß alle physischen und chemischen Eigenschaften des Speichels (wie auch eines jeden physiologischen Objektes) ihre Anwendung, ihren Platz und ihre Bedeutung im System des Organismus haben müssen. Die bereits fest- gestellten Tatsachen genügen jedoch, um in betreff des allgemeinen Satzes von der Spezifizität und Anpassung der als Verdauungsorgane funktionierenden Speicheldrüsen keine Zweifel aufkommen zu lassen. Außer ihrer Teilnahme an dem Verdauungssystem dienen die Speichel- drüsen mit ihrem Sekret dem Organismus noch in anderer Weise. So sehen wir z.B., daß die Tiere sich mit Speichel abwaschen und vor allem denselben bei äußeren Verletzungen benutzen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß im letzteren Falle die Anwendung des Speichels eine curative Bedeutung besitzt, wobei die Wunde nicht nur gereinigt, sondern durch die Speichelschicht Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. 675 gegen die Außenwelt geschützt wird, vielleicht mit dieser etwas Heilwirkendes (Oxydase?) erhält. In Übereinstimmung mit dieser Beobachtung sieht man bei mit Speichelfisteln versehenen Tieren bei jeder zerstörenden Einwirkung auf die Haut (Verbrennung, Stiche usw.) eine mehr oder weniger bedeutende Speichelsekretion eintreten. Dieselbe Erscheinung beobachtet man auch jedesmal, wenn man das Tier die Absicht merken läßt, ihm eine Hautver- letzung beizubringen, d. h. unter Einwirkung des psychischen Affektes [Tolotschinow!)]. Schließlich muß noch erwähnt werden, daß auch einige innere Prozesse, wie z. B. Erstickung, Vergiftung mit eigenen oder von außen einverleibten Giften, die Arbeit der Speicheldrüsen anregen. Der physiologische Wert dieser Erscheinungen liegt wahrscheinlich darin, daß mit dem Speichel ge- wisse Stoffe aus dem Organismus entfernt werden. 2. Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. Eine weitere Frage ist folgende: worin besteht der Mechanismus des Zusammenhanges, welcher zwischen den entweder der Mundhöhle genäherten oder mit ihrer Schleimhaut in Berührung gebrachten Objekten der Außen- welt und den Speicheldrüsen besteht ? Auf diese Frage kann man eine über allen Zweifel erhabene Antwort geben: dieser Zusammenhang ist ein ausschließlich durch Nerven vermittelter. Durchschneidet man die in der Speicheldrüse sich verzweigenden Nerven, so ruft weder der Anblick von Nahrung, noch auch die Reizung der Mundhöhle mit einer solchen auch nur die minimalste Speichelsekretion hervor. Auf diese Weise deckt sich also die Frage von dem Zusammenhange der Objekte der äußeren Welt mit den Speicheldrüsen mit der Frage von dem Nervenapparate dieser Drüsen. Die gegenwärtige physiologische Forschung gestattet, in diesem Nerven- apparate folgende einzelne Teile zu unterscheiden. Die Nerven, welche in der Richtung zu dem Organ verlaufen und die physiologische Tätigkeit des- selben beeinflussen, sind die zentrifugalen (dem Sinne der Sache nach kom- mandierenden) Nerven. Hierbei können noch die Nervenendigungen als besondere Apparate, welche die Nerven mit den Zellen des betreffenden Organs verbinden, besonders unterschieden werden. Die zentrifugalen Nerven entspringen aus besonderen Konstruktionen des zentralen Nervensystems, welche als Zentren bezeichnet werden. Sodann gibt es Nerven, welche von den die normalen Reize aufnehmenden Flächen ausgehen, in den Zentren enden und durch deren Vermittelung mit den zentrifugalen Nerven kommuni- zieren; dieses sind die zentripetalen (dem Sinne der Sache nach signali- sierenden) Nerven. Schließlich sind die eigen- und verschiedenartig ein- gerichteten Enden der zentripetalen Nerven, auf welche die äußeren Reize direkt einwirken, zu vermerken. Alle diese einzelnen Teile des nervösen Speichelapparates sind bereits untersucht worden, jedoch in sehr verschiedenem Grade; selbst in den gün- stigsten Fällen ist aber dieses Studium von einem befriedigenden Abschluß noch sehr weit entfernt. Am meisten Mühe und Gedankenarbeit ist auf das !) Verhandl. d. Kongr. in Helsingfors 1902. 45* 676 Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. Studium der zentrifugalen Nerven verwandt worden; hiermit hat überhaupt die systematische Bearbeitung der Frage begonnen. Ludwig hat als erster im Jahre 18511) nachgewiesen, daß die Er- regung des vom N. lingualis zur Gl. sublingualis sich abzweigenden Nerven- ästchens jedesmal ausgiebige Speichelsekretion aus dieser Drüse hervorruft. Später hat derselbe Autor die sekretorische Einwirkung des Halssympathicus. auf dieselbe Drüse festgestellt. Dank den Versuchen anderer Physiologen wurden sodann auch die Sekretionsnerven der übrigen Speicheldrüsen aus- findig gemacht und zugleich der Verlauf sämtlicher sekretorischer Nerven- fasern, vom zentralen Nervensystem aus beginnend, verfolgt. Es erwies sich, daß sämtliche Speicheldrüsen von zwei Quellen, aus dem Gehirn durch Ver- mittelung der Kopfnerven und aus dem Rückenmark durch Vermittelung des N. sympathicus, mit sekretorischen Nervenfasern versehen werden, Die sekretorischen Nerven der Sublingual- und Submaxillardrüsen ver- lassen das Gehirn mit dem N. facialis, verlaufen sodann in dessen Trommel- höhlenast, schließen sich, nachdem sie die Trommelhöhle verlassen haben, in geringer Erstreckung dem N. lingualis an und zweigen sich als dünne Nervenäste von diesem ab, um zu den entsprechenden Drüsen hin zu ver- laufen [Schiff 2), Claude Bernard ’°), Eckhardt ®)]. Die sekretorischen Fasern der Öhrspeicheldrüse verlassen das (Gehirn mit dem N. glossopharyngeus, verlaufen in dessen Trommelhöhlenast, dem N. Jacobsonii, weiter im N. petrosus superficialis minor, durchziehen das Ganglion oticum, schließen sich sodann dem N. trigeminus an und erreichen als Ast dieses letzteren, als N. auriculotemporalis, die Drüsen [Claude Bernard’), Schiff®), Nawrocki?), Loeb), Heidenhain’?)]. Für die @l. orbitalis verlaufen sekretorische Fasern in dem N. bussinatortus. Die sympathischen Sekretionsfasern verlaufen im Halssympathicus und durch das obere Halsganglion zu allen Speicheldrüsen. Die Fasern für die Unterkieferdrüsen verlassen das Rückenmark hauptsächlich mit dem zweiten Brustnervenpaar, in geringerer Menge mit dem dritten und vierten, in sehr spärlicher Menge und zudem nicht beständig mit dem ersten und fünften Paare [Langley !®)]. Die meisten Versuche sind mit der Chorda tympani dort, wo sie sich. von dem N. lingualis abgezweigt hat, sowie mit dem N. lingualis selbst ober- halb der Abzweigung der N. Chorda und zudem in bezug auf die Sub- maxillardrüsen des Hundes angestellt worden; auf sie beziehen sich infolge- dessen vor allem die unten aufgezählten experimentellen Angaben. Bei Erregung dieser Nerven scheidet sich eine oder mehrere Sekunden nach Beginn der Reizung reichlicher Speichel aus der Drüse ab. Es wird um so mehr Speichel secerniert, je bedeutender (in gewissen Grenzen) der Reiz (gewöhnlich ein Induktionsstrom) ist. Bei starken Reizen scheidet sich im Verlaufe mehrerer Minuten eine Speichelmenge, deren Gewicht dasjenige U) Zeitschr. f. rat. Med., N. F. 1 (1351). — ?) Arch. £. physiol. Heilkunde 1851. — ”) Lecons sur la physiologie et la pathologie du systeme nerveux, T. II, 1858. — *) Eckhardts Beiträge 2 (1860). — °) 1. c. — °) Lehrbuch der Muskel- und Nerven- physiologie, 1858—1859. — °) Studien d. physiol. Instituts zu Breslau 4 (1868). — ®) Eckhardts Beiträge 5 (1869). — °) Pflügers Archiv 17 (1878). — '’) Phil. Trans. London 1892. Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. 677 der Drüse selbst um ein Mehrfaches übertrifft, aus. Nach Ende des Reizes vermindert sich der Speichelstrom allmählich und stockt schließlich ganz. Bei langdauerndem tetanischen Reizen mit rhythmisch wiederholten Pausen sammeln sich im Laufe einiger Stunden über Hundert Cubikcentimeter Speichel an. Durch die Schwankungen der Stärke und Dauer des Reizes wird nicht nur die Quantität des ausgeschiedenen Speichels, sondern auch dessen Be- stand in bezug auf den Gehalt an Salzen, sowie an organischen Stoffen bedingt. Der Prozentgehalt an Salzen im Speichel steigt und fällt genau in Über- einstimmung mit der Sekretionsgeschwindigkeit (d.h. der Menge des in einer Zeiteinheit secernierten Speichels), diese Geschwindigkeit aber hängt ihrer- seits hauptsächlich von der Reizstärke ab [Heidenhain!), Werther?) und Langley, Fletcher)]. Tabelle II haben wir den Veröffentlichungen dieser letzteren Autoren entnommen: Tabelle II. Dieselben Verhältnisse kann man == auch auf Tab. I, bei normaler Speichel- Menge des Speichels | Salzgehalt sekretion konstatieren: Trotz der Ver- 1 U 1 Pr . - . ” ” nn er = schiedenartigkeit der Reize ist der = By Prozentgehalt an Salzen stets der 0,400 | 0,472 j Bee sa | es Sekretionsgeschwindigkeit parallel. 0,700 | - Was den Prozentgehalt an organi- 0.900 0,616 schen Substanzen ‚anbetrifft, ‚50 ge 1,333 | 0,628 stalten sich hier die Verhältnisse viel komplizierter. Erregt man die ruhende Drüse, so wächst bei jeder Zunahme der Drüsensekretion durch Verstärkung des Reizes zugleich der Prozentgehalt an organischen Stoffen im Speichel. Sowie jedoch die Drüse infolge von immer fortdauernder Sekretion erschöpft wird, setzt dieses Verhältnis aus, d. h. jetzt bleibt bei Verstärkung der Drüsen- sekretion der Prozentgehalt an organischen Stoffen entweder derselbe oder er nimmt sogar ab [Heidenhain ®)]. Als Beweis hierfür diene Tabelle III. Tabelle III. Prozentgehalt Nummer | | der | Eins | EnzE ‚as der organischen Prozentgehalt sche | der Spiralen | Speichels in 1’ | Stoffe der Salze 1 ee | 0,18 | 1,15 | 0,29 2 \ .220—210 | 2,2 |: 1,84 | 0,44 3 | 315—295 0,22 | 1,59 0,32 4 | 100—80 | 2,0 2,09 0,58 5 | 320-290 | 0,15 1,85 | 0,34 6 | 200— 180 | 3,2 1,29 0,58 7 315-295 | 0,19 0,98 0,25 8 | .240—200 1,6 0,86 0,37 9 ' .100—50 | 2,5 1,30 0,57 !) Stud. d. physiol. Instit. zu Breslau 1868 und Pflügers Arch. 17 (1878). — ®) Pflügers Arch. 38 (1886). — °) Phil. Trans. London 1889. — *) Studien d. physiol. Instit. zu Breslau 1868 und Pflügers Archiv 17 (1878). 678 Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. In den ersten vier Versuchen wächst mit Verstärkung des Reizes sowohl die Sekretionsgeschwindigkeit, als auch der Prozentgehalt an organischen Stoffen an; in Versuch 6 und 8 jedoch führt die Verstärkung des Reizes neben der Beschleuni- eung der Sekretion zur Verminderung des Prozentgehaltes an organischen Stoffen, und nur in Versuch 9, wo der Reiz sehr bedeutend verstärkt wurde, stellt sich das frühere Verhältnis wieder ein. Der Prozentgehalt an Salzen wächst jedesmal mit der Sekretionsgeschwindigkeit an. Während der Prozentgehalt an Salzen, stets einen der Reizstärke und der Sekretionsgeschwindigkeit parallelen Verlauf nimmt, beschränkt sich die: Wirkung eines starken Reizes, welcher eine Verstärkung des Gehaltes an organischen Stoffen hervorgerufen hat, nicht auf die Speichelmenge, welche sich hierbei ausscheidet, sondern auch noch auf einen darauf folgenden schwächeren Reiz; auf diesen scheidet sich nämlich ein Speichel mit einem bedeutenderen Gehalt an organischen Substanzen aus, als auf einen eben- solchen, jedoch vor dem starken Reize ausgeübten [Heidenhain!)]. Tabelle IV illustriert diese Verhältnisse. Tabelle IV. \ Menge des in 1’ | Prozentgehalt Stärke des Reizes | ausgeschiedenen | der organischen engen! | Speichels Stoffe eSnzt Schwach Pe et era 0,17 0,84 0,20 Sr 0,72 2,06 0,46 Schwach a | 0,17 1,67 0,26 Unter sonst gleichen Bedingungen fällt der Prozentgehalt an organischen Stoffen um so stärker, je länger der Reiz andauert [Becher und Ludwig?)]. Tabelle V entstammt der Veröffentlichung dieser Autoren. Tabelle V. e | Prozentgehalt Nummer | : Prozentgehalt . der organischen = der Portion Stoffe der Salze ——— | Sr = ——+ | = 1 | 1,12 0,61 2 | 1,07 0,61 3 0,93 0,67 4 0,58 0,64 Der Prozentgehalt der Salze aber verändert sich nicht in bedeuten- dem Maße. Auch im Falle einer künstlichen Erregung der zentrifugalen Nerven können also bedeutende Schwankungen des Gehaltes an organischen Stoffen im Speichel hervorgerufen werden, ganz wie das in sehr eklatanter Weise bei normaler Erregung der Speicheldrüsentätigkeit (cf. Tab. I) zu beobachten war. Bei progressiv anwachsender Kompression der die Drüse mit Blut ver- sehenden Gefäße vermindert sich bei Reizung der Chorda unter sonst 1) Studien d. physiol. Instit. zu Breslau 1868 und Pflügers Archiv 17 (1878). — ?) Zeitschr. f. rat. Med., N. F. 1 (1851). | Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. 679 gleichen Bedingungen die Menge des Speichels allmählich und kann auf Null herabsinken, wobei auch nach Wiederherstellung der Blutzirkulation der frühere Reiz erst mit der Zeit seine frühere Wirkung wiedererlangt; war die Blutzirkulation jedoch lange Zeit über unterbrochen, so kann der Reiz über- haupt zu wirken aufhören. Der Gehalt an organischen Stoffen im Speichel wächst bei solcher Behinderung der Blutzirkulation auch nicht an [Heiden- hain!)]. Einen Beweis hierfür bietet folgender Versuch dieses Autors: Carotis offen, R.-A. 150 bis 85, 0,28 ccm pro Minute, Gehalt an festen Teilen 1,37 Proz.; Carotis geschlossen, R.-A. 85 bis 70, 0,13ccm pro Minute, Gehalt an festen Teilen 1,33 Proz. Unter etwas veränderten Bedingungen konnten jedoch Ergebnisse er- zielt werden, welche in bezug auf den Gehalt an organischen Stoffen etwas anders lauten. Injiziert man dem Tiere Pilocarpin, welches die Speichel- sekretion bedeutend anregt, so scheidet sich nach einer Blutentziehung ein Speichel mit bedeutend stärkerem Gehalt an organischen Stoffen aus, als wie vor dieser [Langley, Fletcher 2)]. Cf. Tabelle VI, welche der Veröffentlichung dieser Autoren entnommen ist. Tabelle VI. ee Prozentgehalt = e- a der organischen En Bemerkungen eit in Stoffe er Salze | 0,417 0,379 0,572 | Injektion von 3mg Pilocarpin 0,2152 0,905 | 0,566 |nach Entleerung von 160 cem | Blut und Injektion von 3mg Pilocarpin » || . .- ” 0,233 0,464 0,502 nach Injektion von 150 ccm einer | 0,2proz.. NaCl-Lösung (für | einen anderen Versuch) 0,117 0,939 0,457 nach Entleerung von 200 cem | Blut und Injektion von 3mg | Pilocarpin 0,217 0,374 0,436 |nach Injektion von 350 cem einer 0,2 proz. NaCl-Lösung. Auch bei Erregung der Chorda tympani nach Durchschneidung des Rückenmarks, welche bekanntlich bedeutende Verlangsamung der Blut- zirkulation zur Folge hat, scheidet sich der Speichel viel langsamer aus und enthält mehr organische Stoffe [Zwerner)]. Bei Gefäßkontraktion und Blutentleerungen wächst der Prozentgehalt der Salze an. Es ist im höchsten Grade wünschenswert und interessant, durch weitere Versuche festzustellen, wie sich die Verhältnisse hier gestalten, weshalb zwei Reihen von dem Wesen der Sache nach anscheinend gleichartigen Versuchen zu verschiedenen Ergebnissen führen. !) Pflügers Archiv 17 (1878). — ?) Phil. Trans. 1882. — °) Mediz. Jahr- bücher 1887. 630 Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. Ausschließlich im Interesse der weiteren Analyse der nervösen Einwir- kungen wollen wir noch folgende Tatsachen anführen. Alles weitere Material, das bei Erregung der Nerven sich ergab und das den Sekretionsprozeß charakterisiert, muß natürlicherweise in dem besonderen Abschnitte dieses Handbuches, welcher die innere Arbeit der Drüsen behandelt, Platz finden. Hierher gehört die von Ludwig gleichzeitig mit der Entdeckung der sekretorischen Wirkung der Chorda tympani festgestellte Tatsache, daß der Druck, unter welchem sich der Speichel aus dem Ausführungsgange ergießt, den gleichzeitig in den Blutgefäßen bestehenden Druck übertrifft. Hieraus folgt, daß die Speichelsekretion nicht als Filtrationsprozeß anzusehen ist. Ludwig!) hat weiter nachgewiesen, daß die Speichelsekretion mit be- deutender Wärmeentwickelung in der Drüse Hand in Hand geht. Dieser Befund ist von anderen Autoren bestätigt worden, jedoch haben die späteren Nachprüfungen von Baylıss und Hill?) zu entschieden negativen Ergeb- nissen geführt, weshalb weitere Untersuchungen, welche diesen Widerspruch der tatsächlichen Befunde zu erklären haben, erforderlich sind. Die Wirkung der Chorda tympani auf die Drüse äußert sich auch in elektrischen Erscheinungen: der im Ruhezustande der Drüse zu beobachtende Strom (die äußere Drüsenfläche verhält sich zu dem Drüsenhilus negativ) wächst nämlich bei Erregung dieses Nerven bedeutend an [Bayliss und Bradford), Bradford ®)]. Ein höchst wichtiger histologischer Befund ist von Heidenhain’) erhoben worden. Dieser Forscher wies nämlich an entsprechend bearbeiteten Präparaten nach, daß der Ruhezustand und der Aktionszustand der Drüse mikroskopisch sich scharf unterscheiden (Genaueres siehe im histologischen, die Verdauungsdrüsen betreffenden Teile. Langley‘) bestätigte diesen Befund an frischen Präparaten, wobei sich erwies, daß die ruhenden körnigen Drüsenzellen während der Sekretionsperiode allmählich ihr körniges Aussehen einbüßen und daß sich an der Peripherie der Zellen ein heller, keine Körn- chen aufweisender Saum bildet. Aus diesen mikroskopischen Bildern schloß man, daß sich im Ruhezustande der Drüse in den Zellen spezifische Stoffe bilden, die sich als Granula anhäufen; während der Sekretionsperiode dienen diese Stoffe als organischer Speichelbestandteil und lagern sich an der Peri- pherie der Zelle neue chemische Stoffe aus dem Blute ab. In welcher quantitativen Beziehung stehen nun diese Prozesse zuein- ander? Schon die oben erwähnte Tatsache, daß der Gehalt an organischen Stoffen im Speichel bei fortdauernder Sekretion abnimmt, spricht dafür, daß die Ablagerung von neuem Material aus dem Blute in die Drüse hinter der Ausscheidung von spezifischen Stoffen aus der Drüse in den Speichel zurück- bleibt. Dieses wird auch durch den mikroskopischen Befund bestätigt, da nämlich die Zellen während der Sekretion an Größe abnehmen. Einen weiteren Beweis hierfür gibt die Tatsache ab, daß die arbeitende Drüse weniger wiegt als wie die paarige ruhende, wobei die erstere noch zudem einen bedeutenderen Wassergehalt aufweist |Heidenhain’), Zu dem näm- !) Sitzungsber. d. Wien. Akad., mathem.-naturw. Kl., XXV, 1857 und Wien. med. Wochenschr. 1860. — ?) Journ. of Physiol. 16 (1904). — *) Proc. Roy. Soc. London 1886. — *) Journ. of Physiol. 8 (1887). — °) Studien d. physiol. Instit. zu Breslau 4. — ®) Journ. of Physiol. 2. — 7) Studien d. physiol. Instit. zu Breslau 4 (1868). nn EEE Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. 681 lichen Ergebnisse führten quantitative Stickstoffbestimmungen in arbeitenden und ruhenden Drüsen [Pawlow!), Werchowsky?), Henderson ’)]. Wird die Wirkung der Assymmetrie der Drüsen ausgeschlossen, so kann die Ver- minderung des Gesamtstickstoffes in der arbeitenden Drüse im Vergleich zu demjenigen der ruhenden im äubßersten Falle 26 Proz. erreichen. Fügt man ‚jedoch den Gesamtstickstoff der arbeitenden Drüse dem Stickstoff des Speichels hinzu, so erhält man eine Zahl, die diejenige des (Gresamtstickstoffes der ruhenden Drüse übertrifft, d. h. während der Sekretion wird ein Teil der ‚eingebüßten Substanz durch aus dem Blute aufgenommene Stofle ersetzt. Sowohl der Prozentsatz des wirklichen ewichtsverlustes der Drüse, als auch derjenige seines Ersatzes schwankt in bedeutendem Maße, so daß die Frage aufgeworfen werden kann, wie sich die Dinge bei normaler Sekretion ver- halten, ob nicht vielleicht anders? Werchowsky hat aus seinen Zahlen den Schluß gezogen, daß die relative Restitution der Drüse eine um so aus- giebigere ist, je mehr organische Substanz die Drüse mit dem Speichel aus- ‚geschieden hat, d.h., daß die Restitution eine um so energischere ist, je bedeutender der Zerfall war. Bei Erregung der Chorda wächst in der Drüse sowohl der Sauerstoff- verbrauch, als auch die Kohlensäureausscheidung um das drei- bis vierfache {[Barcroft®)]. Die Einwirkung der Uhorda tympani auf die Zelle wird durch Atropin- injektion paralysiert [Keuchel)]. Ist die Atropinvergiftung eine schwache, so nimmt bei Erregung der Chorda tympani sowohl die Speichelmenge, als auch der Gehalt an organischen Stoffen ab [Langley®)]. Nach Atropini- sation verändert sich bei Reizung der Chorda der Sauerstoffverbrauch durch die Drüse nicht, wohl aber wächst die Kohlensäureausscheidung im Laufe ‚eines gewissen Zeitraumes an [Bareroft’)]. Die Chorda tympani ruft abgesehen von der Anregung der Speichel- sekretion Verstärkung der Blutzirkulation in der Drüse hervor, so daß bei elektrischer Erregung dieses Nerven die aus der Vene ausfließende Blutmenge sich um das Mehrfache vergrößert, das Blut hellrote Färbung annimmt und beim Ausfließen pulsiert [Claude Bernard). Nach Atropinvergiftung bleibt die Einwirkung der Chorda tympani auf die Blutgefäße bestehen [Heidenhain?)]. Bei Erregung der Chorda tympani wächst der Lymphstrom aus der Drüse an; nach Atropinvergiftung fällt dieser Effekt aus [Bainbridge!P)]. Bei Durchschneidung der Chorda tympani findet ihre totale Degeneration bedeutend langsamer als wie in vielen anderen Nerven statt, indem sie bei einigen Tieren mehrere Dekade von Tagen fortdauert. Dieses hängt augen- scheinlich von den zahlreichen Nervenzellen, welche den Verlauf des Nerven bis zum Drüsenhilus unterbrechen, ab [Langley !!)]. Einige Zeit nach Durchschneidung der Chorda tympanı (ein bis drei Tage) beginnt die Drüse kontinuierlich im Laufe mehrerer Wochen in geringen !) Wratsch (russisch) 1890. — ?) Diss., St. Petersb. 1890. — °) The ameriec. Journ. of Physiol. 3 (1900). — *) Journ. of Physiol. 27 (1901). — °) Diss., Dorpat 1878. — °) Journ. of Physiol. 9 (1888). — °) 1. ce. — °) Compt. rend. 1858. | ®) Pflügers Archiv 5 (1872). — !°) Journ. of Physiol. 26 (1900—1901). — !') Ebenda 11 (1890). 682 Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. Mengen Speichel zu secernieren [Claude Bernard!)] (sogenannte para- lytische Speichelsekretion). Zugleich nimmt die Drüse progressiv an Gewicht ab, atrophiert. Dyspno@ verstärkt, Apno& aber verringert die paralytische Speichel- sekretion [Langley?)l. Durchschneidung des Halssympathieus bringt diese Sekretion nicht zum Stocken. Der Halssympathicus erregt die Speichelsekretion stets in geringerem Grade (und zwar bei allen Tieren) als die Chorda tympani. Die Sekretion beginnt ziemlich energisch, verlangsamt sich jedoch sehr bald und stockt schließlich trotz fortdauernder Erregung ganz. Man kann jedoch genügend Speichel gewinnen, wenn man den Nerven mit regelmäßig und oft wieder- holten Pausen tetanisiert; die anfangs stockende Sekretion setzt wieder ein und dauert während der ganzen Erregungsperiode in langsamem Tempo fort [Heidenhain °)]. Ein anderes charakteristisches Abzeichen der sympathischen Sekretion der Unterkieferdrüse des Hundes besteht darin, daß in diesem Falle der Be- stand des Speichels ein anderer ist, daß derselbe nämlich zwei- bis dreimal mehr organische Substanzen enthält als der chordale Speichel [Eck- hardt®)]; dementsprechend ist der Speichel zähflüssig und trüb. Es verdient hierbei erwähnt zu werden, daß bei der Katze im Gegenteil der sympathische Speichel gewöhnlich weniger konzentriert ist, als der chordale [Langley’)]. Bei lange andauernder Sekretion verringert sich auch im sympathi- schen Speichel allmählich der Gehalt an organischen Stoffen, wobei sich dementsprechend auch sein Aussehen verändert, so daß er allmählich dem chordalen Speichel ähnlich wird [Heidenhain ®)]. Folgender Versuch von Heidenhain veranschaulicht diese Verhältnisse: Der Speichel wurde im Laufe von 4'/, Stunden gesammelt; die erste Portion enthielt 3,734 Proz., die letzte aber 1,488 Proz. organische Substanzen. Der sekretorische Druck des Sympathicusspeichels ist ungefähr der nämliche wie derjenige des chordalen [Langley’)]. Die Erregung des Sympathbicus ruft in der Drüse einen Strom hervor, dessen Richtung derjenigen des nach Reizung der Ohorda tympani entstehenden Stromes entgegengesetzt ist, d. h. in diesem Falle verhält sich die Außen- fläche der Drüse zu dem Hilus positiv [Bradford )]. Die Sekretionswirkung des Sympathicus wird beim Hunde entweder gar nicht durch Atropin paralysiert, oder nur durch große Dosen desselben |Heidenhain®). Aus dem Vergleiche der paralysierenden Wirkung des Atropins auf die Chorda und der Unwirksamkeit oder nur schwachen Ein- wirkung desselben auf den N. sympathicus hat man geschlossen, daß das Atropin nicht die Drüsenzellen, sondern die peripherischen Endigungen des Nerven beeinflußt, da es auf den Nerven selbst nicht einwirkt. Da zwischen Atropin und Pilocarpin ein gegenseitiger Antagonismus besteht, so schließt man hieraus weiter, daß das Pilocarpin, welches die Speichelsekretion selbst !) Journ. de Vanat. et physiol. 1 (1864). — ?) Journ. of Physiol. 6 (1885). — °) Studien d. physiol. Instit. Breslau 4 (1868). — *) Fekhards Beiträge 2 (1860). — >) Journ. of Physiol. 1 (1878). — °) Studien d. physiol. Instit. zu Breslau 4 (1868). — 7) Schäfers Text-Book of Physiol. 1898. — °) Journ. of Physiol. 8 (1887). — °) Pflügers Arch. 5 (1872). Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. 653 nach Degeneration der Chorda stark anregt, auch seinen Angriffspunkt in den peripherischen Nervenendigungen hat. Der Sympathicus übt auf die Blutgefäße der Drüse eine verengernde Wirkung aus, welche bei starken Reizen die Blutzirkulation in der Drüse ganz zum Stocken bringen kann. Die Erregung des N. sympathicus verstärkt, ebenso wie diejenige der Chorda, den Lymphstrom in der Drüse [Bainbridge!)]. Die sympathischen Nervenfasern werden im oberen Halsganglion durch Nervenzellen unterbrochen. Durchschneidet man den N. sympathicus am Halse, so büßt sein oberes Ende nach drei bis vier Tagen seine Reizbarkeit ein; bei Erregung des Nerven jenseits des Ganglions tritt seine Wirkung wiederum deutlich zutage. Nach Exstirpation des oberen Halsganglions aber verliert der Sympathicus seine Erregbarkeit in seiner ganzen Er- streckung [Langley ?2)]. Die Durchschneidung des N. sympathicus hat weder paralytische Sekre- tion, noch auch Atrophie der Drüse zur Folge, sondern führt eher zur Hyper- trophie derselben [Bradford )]. Die Wechselwirkung beider Sekretionsnerven äußert sich in vielem. Die zwischen zwei Erregungen der Chorda tympani eingeschaltete elek- trische Reizung des N. sympathicus vermindert den Gehalt an organischen Stoffen bei der zweiten Erregung der Chorda in bedeutendem Maße und auch umgekehrt [Heidenhain ®)]. Dieses beweist folgender Versuch. Tabelle VII. | E Prozentgehalt | Zerlaurr der organischen | der Erregung = | = Stoffe 1 I Erregung des N. sympath.. . . . . . | 10 U. 12914 557 5,92 = deraChorda 02 20 cr 61020 57/3, U... «6. 452 2,02—0,82 x des N. sympath. . | a 5 U. 45’ | 2,38 x deräChorda .). per: 2,950 18—9 U. 207 2,39 4 des N. sympath.. .. -. . | bir 0= 28% _ n deraCHoLda er er EB 30/3. U 132° 1,01 Erregt man mit einem schwachen elektrischen Strome beide Nerven zu gleicher Zeit, so entspricht die hierbei ausgeschiedene Speichelmenge ungefähr der Summe jener Speichelmengen, welche sich bei Erregung beider Nerven einzeln ausscheiden. Bei starkem, gleichzeitigem elektrischen Reize wird weniger Speichel ausgeschieden als bei Erregung der Chorda allein; der N. sympathicus äußert auf die chordale Sekretion eine hemmende Wirkung [Langley 5)]. Dagegen verstärkt die vorhergehende Erregung der Chorda die sekre- torische Wirkung einer darauf folgenden Erregung des N. sympathicus in bedeutendem Maße. Diese verstärkende Wirkung der Chorda bleibt einige ) Journ. of Physiol. 26 (1900—1901). — ?) Ebenda 21 (1890). — °) Ebenda 9 (1888). — *) 1. ce. — °) Journ. of Physiol. 1 (1878). ''abelle VIIL. Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. =523 a Ee Ran 9858 HoorHmo@ © 4 sıorvwanı9 ri are On a sea oO) ao A Oo © BwLTEe 5 I 5 Dec © A EI an Hooavon».a Se aaacamnm dam o u Ser er eo erere Sr Ss » Bee PS jez e wand Ho ee en ES en | ee e Q Ra) near OR = a ns = 3 ® ws og 20 0 rm cn 0 7 Yon © Br DHOaXuam@ TEE SISTERS ESES! no aaa am E ee) Lu =| ) ee: je 2! je} DS Sr > .- - Ze = ın a Sr us eur DucWemte) [e) 3 1° [55 un -i —- SS S x = a =! - en D D > = © - _ Pa rs oO Oo mM. rn b my -mı) m ıNn — B Ye a = a Dan mm w e To — WE Tore. Were. ie) A © ie ee er ER ne = = ara Be Ns, 3 ®) 9 oO oO ma a -rmrrnm ES n- S S [S ol So = Be SF = HM Sm oe Du A ee ee - &) I ee © aa 4 re R DIS NBERESNS An Ss S S S 5 7.5 97.877558 RB a A> DS 2 8 SS SS © 6395.51 8.5375 = SI RE N RS [eb) IS, Sn 3,.8,.83 “> Do SE SE _ Ss o © ES ESSEN EHSTANDS En = 8 IR Sen da © an Io =. - a co DD = =} zn = Minuten, nachdem die chordale Sekretion aufgehört hat, bestehen. Nach Atropini- sation des Tieres büßt die Chorda diese ihre Wirkung ein [Langley !)]. Nach vor- hergehender Reizung der Chorda bei ge- schlossenem Drüsenausführungsgang führt die darauf folgende Erregung des N. sym- pathieus anfangs zu deutlicher Volumen- zunahme der Drüse, welche später einer Abnahme desselben infolge eintretender Gefäßkontraktion Platz macht [Bunch?)]. Schneidet man die Unterkieferdrüse des Hundes aus und läßt man sodann einen Blutstrom dieselbe passieren, so beginnt eine lebhafte spontane Speichel- sekretion [Owsjanitzky °)], welche durch Atropin paralysiert wird [Mathews)]. Die Beziehungen der Kopfnerven und des N. sympathicus zu den übrigen Speicheldrüsen gleichen, soweit sie unter- sucht worden sind, den eben beschriebe- nen, so daß darüber nicht erst besonders zu berichten ist. Hier sollen nur einige Ergebnisse der an der G/. parotis an- gestellten Untersuchungen wiedergegeben werden, da diese Drüse einerseits einiges Besondere bietet und da sie andererseits in einigen Beziehungen ganz besonders genau untersucht worden ist. Der N. sym- pathicus ruft, durch den elektrischen Strom erregt, gewöhnlich durchaus keine Sekretion hervor. Lange andauernde Er- regung desselben aber ruft bedeutende Veränderungen im mikroskopischen Bilde der Drüse hervor. In Übereinstimmung hiermit führt die gleichzeitige (oder die vorhergehende) Erregung des sympathi- schen Nerven und eines Kopfnerven zu auffallender Erhöhung des Prozentgehaltes an organischen Stoffen im Speichel im Vergleich zu derjenigen, welche bei Er- regung eines Kopfnerven allein zu beob- achten war [Heidenhain’5)]. Tabelle VI gibt einen Versuch dieses Autors wieder. !) Journ. of Phys. 10 (1889). — °) Ebenda 26 (1900—1901). — °) Diss. St. Petersburg 1891. — *) The amerie. Journ. of Physiol. 4 (1900). — 5) Pflügers Archiv 17 (1878). Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. 685 Behinderung der Blutzirkulation durch Unterbindung eines Blutgefäßes führt nicht zu erhöhtem Gehalt an organischen Stoffen, was aus Tabelle IX (die einen Versuch desselben Autors wiedergibt) deutlich ersichtlich ist. Tabelle IX. Unterbindung beider Art. subelaviae, Freilegung beider Carotiden. Reizung des linken N. Jacobsonii in der Paukenhöhle abwechselnd bei offenen und ee- schlossenen Carotiden. Sekret aus der linken Parotis aufgefangen. | Sekret Prozent- | Dauer der Reizung et pro Minute | gehalt an | ; ccm festen Teilen I Carotiden, offen... . | 11 U. 43’—11 U. 55’ | 150—85 | 0,27 1,41 E geschlossen | 10 U. 57'’—-11 U. 10° | 85—70 | 0,24 1,41 , ofen... |11 U. 13-11 U. 23°| :75—65 0,25 1,42 5 geschlossen | 12 U. 26'—12 U. 50° | 65—50 | 0,10 | 1,28 offen. 2 I WTANUE Ba 12 U 6 50 0,17 0,92 Andererseits ist nachgewiesen worden [Langley!)], daß auch die Reizung des N. sympathicus beim Hunde, wenn ihr vor kurzem Reizung des N. Jacobsonii voraufgegangen ist, jedesmal Speichelsekretion aus der Parotis, wie das auch bei der Unterkieferdrüse beobachtet wurde, hervorruft. Wie soll nun dieses hier in seinen Hauptzügen wiedergegebene Versuchs- material, welches die die Speichelsekretion beeinflussenden Nerven behandelt, | gedeutet werden? Zieht man alles, was vor kurzem oder auch noch jetzt ‚in der physiologischen Literatur hierüber ausgesagt worden ist, in Betracht, ‘so findet man hier sehr verschiedene Meinungen geäußert: einerseits werden sekretorische, d. h. direkt auf die Drüsenzellenden einwirkende Nerven ganz | negiert und nur die Gefäßnerven und die auf die kontraktilen Elemente der Drüse einwirkenden Nerven anerkannt [freilich ist diese Meinung nur ver- einzelt, so z.B. von Mathews?), geäußert worden], andererseits aber werden } außer den Gefäßnerven drei Sorten von Nervenfasern, welche direkt auf die | Speicheldrüsen einwirken, zugegeben, und zwar 1. Fasern, welche die Aus- \ scheidung von anorganische Stoffe mit sich führender Flüssigkeit bedingen (sekretorische Fasern), 2. Fasern, welche die Anhäufung von organischen Stoffen im Speichel bedingen (trophische Fasern), und 3. Fasern, welche | einerseits die Wiederherstellung der Drüse nach ihrer funktionellen Zer- \störung hervorrufen, andererseits aber die Sekretion hemmen (anabolische, / hemmende Fasern). Was spricht überhaupt dafür, daß es besondere, von den Gefäßnerven verschiedene Sekretionsnerven gibt? Vor allem liegt kein theoretischer Grund vor, weshalb man den nervösen Apparat der Drüsen sich als besonders einfach denken sollte. Wenn das \Muskelgewebe sich unter Einwirkung spezieller, von den Gefäßnerven unab- hängiger motorischer Nerven befindet, warum sollten dann nicht für das Drüsengewebe dieselben Verhältnisse bestehen ? Die Beziehungen der Speichel- ‘) Journ. of Physiol. 10 (1889). — ?) Annals of the New-York Acad. of Seiene. 11 (1898), and The amerie. Journ. of Physiol. 4 (1900). 686 Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. drüsen z. B. zu dem Organismus und zu der äußeren Welt sind, wie das zu Anfang dieses Kapitels dargetan worden ist, durchaus nicht einfacher als diejenigen des Muskelgewebes. Zweitens verfügen wir jetzt über genaue histologische Befunde (cf. den histologischen Teil), welche den unmittelbaren und zudem mannigfachen Zusammenhang der Nervenfasern mit den Drüsen- zellen beweisen. Drittens ist gegenwärtig eine beträchtliche Reihe von Fällen konstatiert worden, wo die Prozesse der Blutzirkulation und der Speichel- sekretion entweder ganz oder in bedeutendem Maße auseinandergehen. Die Reizung der Chorda tympani an einem abgeschnittenen Hundekopfe ruft deutliche, eine Zeitlang fortdauernde Speichelsekretion hervor. Die Durch- schneidung des N. sympathicus vegt wohl die Blutzirkulation in den Drüsen an, ohne jedoch auch nur die geringste Speichelsekretion hervorzurufen, während eine schwache Reizung der Chorda tympani, welche die Blut- zirkulation nur unbedeutend anregt, sofort zu Speichelsekretion Anlaß gibt. Wie oben erwähnt, beeinträchtigt das Atropin, welches die sekretorische Funktion der Chorda paralysiert, die vasodilatatorische Wirkung derselben durchaus nicht. Mathews bezweifelt die Beweiskraft dieses Falles von Inkongruenz beider Funktionen. Die spontane Sekretion, welehe nach vollkommener Stockung und darauffolgender Wiederherstellung der Blutzirkulation eintritt, wird durch Atropin paralysiertt. Da die Stoekung der Blutzirkulation 15 bis 30° andauern kann, so hält sich Mathews für berechtigt anzunehmen, daß hier von Nervenelementen nicht die Rede sein kann und daß die paralysierende Wirkung des Atropins sich also auf die sekretorische Zelle selbst bezieht. Jedoch ist die Annahme von dem kompletten Absterben sämtlicher nervöser Elemente (den Nervenfasern, Nerven- zellen und Nervenendigungen) eine ganz willkürliche und durchaus nicht bewiesene. Wie wünschens- und lobenswert auch immer die beständige Kritik der landläufigen physiologischen Ansichten sein mag, wie sorgfältig aufgereiht und verlockend auch immer die Menge der von Mathews in seiner Arbeit gegen die Lehre von den besonderen sekretorischen Nerven der Drüsen aufgestellten Beweise ist, so kann «diese Arbeit, wie uns scheint, kaum an der Richtigkeit dieser Hypothese zweifeln machen. Bei der Kompliziertheit des physiologischen Materials kann man vieles bestreiten oder auch zugeben, indem man einfach Tatsachen aus sehr verschiedenen Gruppen von Erscheinungen zusammenstellt. Indem man dieselbe Methode, jedoch mit größerem Rechte, benutzt, da es sich um dasselbe Tier und um dasselbe Gebiet der Verdauungsdrüsen handelt, kann man auf Tatsachen aus der Physiologie des Pankreas hinweisen. Atropin paralysiert die sekretorische Wirkung sowohl des N. vagus, als auch des N. sympathicus auf das Pankreas und beeinflußt zugleich die sekretorische Wirkung von Säure auf dieselbe Drüse vom Darm aus ganz und gar nicht. Das Atropin paralysiert also infolgedessen in der Tat irgend welche Teile des Nervenapparates, nicht aber die secernierende Zelle selbst. Es müßte den Anschein haben, als wenn den besten Beweis für das Vorhandensein von den Gefäßfasern verschiedener Sekretionsnerven die Tat- sache der sekretorischen Einwirkung des N. sympathicus abgeben könnte; in ‚diesem Nerven ist diese Funktion mit der vasoconstrictorischen gepaart, was geradezu die sekretorische Arbeit der Drüse nicht als Ergebnis verstärkter 3lutzirkulation betrachten läßt. Die besonderen Eigenschaften der sym- pathischen Speichelsekretion, welche bekanntlich sehr spärlich ist und ge- wöhnlich schon während der Reizung stockt, haben einige Physiologen veranlaßt, den N. sympathicus sozusagen als mechanischen Sekretionsnerven anzusehen und seine sekretorische Wirkung in der Weise auszulegen, dab bei seiner Erregung der bereits ohne Zutun dieses Nerven produzierte Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. 687 Speichel aus der Drüse herausgepreßt wird. Daß dem nicht so ist, daß viel- mehr der N. sympathieus ein echter Sekretionsnerv ist, wird durch zwei oben angeführte Tatsachen dargetan: durch die lange andauernde (im Laufe mehrerer Stunden) unaufhaltsame Sekretion, welche Heidenhain bei Rei- “zung des N. sympathicus erzielen konnte, und durch die Veränderung des che- mischen Bestandes des Speichels im Laufe einer lange andauernden Reizung des N. sympathicus und bei Einschaltung der sympathischen Sekretion zwischen zwei Reizungen den Chorda tympani. Es leuchtet ein, daß es sich hier um eine selbständige Sekretionsarbeit, nicht aber um die Auspressung alten Materiales handelt. In demselben Sinne sind die oben erwähnten Tatsachen (Vergrößerung des Drüsenvolumens bei Erregung des N. sympathicus und gleichzeitiger Unterbindung des Ausführungsganges und die Verstärkung des Lymphstromes bei Reizung beider Drüsennerven) zu deuten. Sehr viel hat die Physiologen eine andere Frage beschäftigt: was bedingt den Unterschied im Bestande des beim Hunde aus ein und derselben Unter- kieferdrüse bei Reizung der Chorda und des N. sympathicus ausgeschiedenen Speichels? Heidenhain!) vertritt die Ansicht, daß alle die Einwirkung von Nerven auf die Drüse betreffenden Tatsachen am einfachsten erklärt werden können, wenn man das Vorhandensein zweier Arten von Sekretions- fasern anerkennt: der den Flüssigkeitsstrom bedingenden sekretorischen und der den Übergang von organischen Stoffen der Drüse in den lösbaren Zu- stand bedingenden trophischen Fasern. Dieser Ansicht nach überwiegen in der Chorda tympani quantitativ die sekretorischen Fasern, im N. sympathicus aber die trophischen, was die Verschiedenheiten in der Menge und dem Be- stande des Speichels bei Reizung des einen und des anderen Nerven voll- kommen erklärt. Diese Annahme erklärt auch ganz ungezwungen die Fälle von unparallelem Verlauf der. Speichelmenge mit dem Gehalte an Salzen einerseits und dem Gehalte an organischen Stoffen andererseits unter ver- schiedenen Bedingungen der Reizung ein und desselben Nerven. Besonders auffallend war in dieser Beziehung die Tatsache, daß die Reizung des N. sympathicus beim Hunde, welche gewöhnlich durchaus nicht zu Speichel- sekretion aus der GI. parotis Anlaß gibt, nichtsdestoweniger bedeutende Ver- änderungen im mikroskopischen Bilde der ruhenden Drüse bedingt und zu bedeutendem Gehalt an organischen Stoffen in dem bei darauf folgender Er- regung eines cerebralen Nerven ausgeschiedenen Speichel führt. Werden beide Nerven zu gleicher Zeit erregt, so wird viel Speichel mit hohem Gehalt an organischen Stoffen ausgeschieden. Im Sinne der Heidenhainschen Hypothese sind auch die elektrischen Erscheinungen in den Drüsen zu verwerten. Die beiden verschiedenen Pro- zesse werden von zwei in entgegengesetzter Richtung verlaufenden Strömen begleitet. Der eine von diesen entspricht der Flüssigkeitssekretion, der an- dere der Ausscheidung von organischen Stoffen, der eine fällt zeitlich mit der Funktion der sekretorischen Nerven, der andere mit derjenigen der trophi- schen Nerven zusammen. Eine andere Erklärung für den Unterschied in der Wirkung beider Nerven auf die Drüse könnte nur in folgendem bestehen: es könnte nämlich !) Pflügers Arch. 17 (1878). 688 Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. angenommen werden, ob er nicht etwa von der verschiedenen Kombination der sekretorischen Fasern mit vasomotorischen und zwar in der Chorda mit vasodilatatorischen, im N. sympathieus mit vasoconstrictorischen Fasern abhängt, d.h., daß einmal die Drüsentätigkeit unter Bedingungen der Blut- fülle, das andere Mal unter Bedingungen von mangelhafter Blutzirkulation angeregt wird. Die Menge des Speichels könnte jedenfalls in gewissem Grade von dieser Bedingung abhängen; wie steht es nun aber mit dem che- mischen Bestande des Speichels? Unmittelbar auf diesen Punkt gerichtete Versuche haben, wie wir oben sahen, Heidenhain veranlaßt, diese zweite Deutung als dem wirklichen Tatbestande nicht entsprechende zu verwerfen. In der Unterkieferdrüse, sowie in der Parotis erhöht die Reizung der cere- bralen Nerven zugleich mit dem Verschluß der Blutgefäße der Drüse den Gehalt an organischen Stoffen im Speichel im Vergleich zur Erregung der- selben Drüsen bei normaler Blutzirkulation durchaus nicht. In demselben Sinne zeugt auch die Tatsache (Langley), daß bei Katzen, bei denen die Gefäßfasern in den Drüsennerven genau ebenso verteilt sind wie beim Hunde, bei Erregung des N. sympathicus trotzdem ein weniger konzentrierter Speichel ausgeschieden wird als bei Erregung der Uhorda. Die Heidenhainsche Hypothese von den zwei Sorten von Sekretions- fasern könnte also als Grundsatz angenommen werden. Der Umstand aber, daß die physiologischen Erscheinungen so komplizierte sind, zwingt uns stets zu besonderer Vorsicht in unseren Schlußfolgerungen. Eine kein Ende findende Variation der Versuche, soweit der menschliche Scharfsinn überhaupt aus- reicht, dieses ist die Hauptregel der physiologischen Arbeit. Und die von Langley erdachten Variationen bestätigten augenscheinlich noch einmal diesen Satz. Erstens stellte sich heraus, daß bei schwacher Atropinver- giftung und starker Reizung der Chorda auch nicht einmal eine Spur von Inkongruenz beider besonderen Wirkungen auf die Drüse (Erhöhung des Prozentgehaltes an organischen Stoffen bei gleichzeitiger Verminderung der Speichelmenge) zu beobachten ist, was jedoch zu erwarten war, da beim Hunde das Atropin die sympathische Sekretion nicht paralysiert. Zweitens und hauptsächlich aber findet bei Erregung der Drüse durch Pilocarpin und gleichzeitiger Blutentziehung eine auffallende Erhöhung des Prozentgehaltes an organischen Stoffen im Vergleich zu dem nach Pilocarpinvergiftung, jedoch ohne Blutentziehung ausgeschiedenen Speichel statt (Langley, Fletcher). Dieses Ergebnis des Versuches bewirkt, daß fürs erste die Heidenhainsche Auffassung immer noch Hypothese bleibt und daß man jedenfalls mit beiden Möglichkeiten rechnen muß: vielleicht existieren in der Tat die zwei von Heidenhain aufgestellten Sorten von Drüsenfasern, viel- leicht aber besteht nur eine Sorte solcher Fasern, welche jedoch in Gemein- schaft mit den zwei verschiedenen vasomotorischen Nerven verschieden wirken. Eine Neubearbeitung dieser Frage ist dringend erwünscht. Die auf natürlichen Reiz stattfindende Speichelsekretion, wie sie in Tabelle I dargestellt ist, kann vom Standpunkte beider Hypothesen gedeutet werden. Wir sehen dort oftmals eine und dieselbe Sekretionsgeschwindigkeit bei sehr verschiedenem Gehalt an organischen Stoffen, wobei sich dieses in ein und demselben Versuche beliebig oft wiederholen kann. Man kann für den Fall der Sekretion von konzentriertem Speichel eine gleichzeitige starke Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. 639 Reizung der sekretorischen und der trophischen Fasern von Heidenhain, für den Fall der Sekretion von dünnem Speichel eine starke Reizung der sekretorischen und eine schwache Reizung der trophischen Fasern annehmen. Man kann sich die Befunde aber auch als Ergebnis einer verschieden starken Reizung des Drüsennerven einerseits und der Gefäß- nerven andererseits ausdeuten: zur Sekretion von konzentriertem Speichel wäre dann die Kombination eines starken Reizes des Drüsennerven und ‚eines schwachen Reizes des vasoconstrietorischen Nerven, zur Sekretion von ‚dünnem Speichel aber die Kombination eines schwachen Reizes des Drüsen- nerven und eines starken Reizes der Vasodilatatoren erforderlich, Die Tat- sache aber, daß die Sekretion mit gleicher Schnelligkeit stattfinden kann, spricht eher für die Heidenhainsche Hypothese als für die andere, jedoch hat Malloisel!) nachgewiesen, daß bei Durchschneidung des N. sym- pathicus und bei Einwirkung von eßbaren Stoffen der Speichel ein konzen- trierter bleibt, sogar mehr, als vor Durchschneidung des Nerven. Als weiteres Material zur Lösung derselben Frage können folgende von Mal- loisel festgestellte Tatsachen dienen: bei Atropinvergiftung eines mit einer Speichelfistel versehenen Hundes ergießen sich sowohl auf eßbare Stoffe (Fleisch), als auch auf verweigerte Stoffe (Salz) einige Tropfen eines dickflüssigen Speichels, und zwar im letzteren Falle in geringerer Menge, als im ersteren, obgleich unter normalen Verhältnissen es gerade umgekehrt ist. Dieselben Verhältnisse sind an einem Hunde mit nach Durchschnei- dung regenerierender Chorda zu beobachten. Die Frage von den zentrifugalen Drüsennerven beschränkt sich jedoch nicht auf die oben erwähnten Punkte. Einige Tatsachen ließen das Vor- handensein von besonderen die Drüsentätigkeit hemmenden Fasern annehmen. &Czermak?) äußerte sich als erster für das Vorhandensein solcher Fasern im N. sympathicus, und zwar aus dem Grunde, weil eine gleichzeitige oder vor- hergehende starke Reizung des N. sympathicus die sekretorische Wirkung ‚der Chorda entweder bedeutend abschwächt oder sogar ganz aufhebt. Spä- tere Autoren erkannten wohl die eben erwähnte Tatsache an, erklärten sie jedoch durch indirekte Wirkung des N. sympathicus oder dadurch, daß der konzentrierte zähflüssige sympathische Speichel in seiner Fortbewegung durch ‚die dünnen Ausführungsgänge behindert ist [Eckhard )] oder auch durch Paralyse der secernierenden Zellen infolge von Sauerstoffmangel (Heiden- hain*) oder endlich überhaupt durch Verminderung des Blutgehaltes der Drüse [Langley’)l. Da bei schwacher Reizung beider Nerven sogar eine Summierung ihrer sekretorischen Effekte zu beobachten ist und außerdem bei Hemmung der Blutzirkulation durch Verengerung des Gefäßlumens auch ‚eine Verminderung der sekretorischen Wirkung der Chorda zu beobachten ist, so liegt in diesem Punkte kein Grund vor, das Vorhandensein von Hem- mungsnerven anzuerkennen. Es sind jedoch andere Tatsachen bekannt geworden, welche für diese Annahme sprechen. Bradford*) hat darauf hingewiesen, daß bei der Katze die Reizung des N. sympathicus wohl zur )1.e. — ?) Sitzungsber. d. Wien. Akad., math.-naturw. Kl. 25 (1857). — ®) Eckhards Beiträge 2 (1860). — *) Pflügers Arch. 17 (1878). — °) Journ. of Physiol. 1 (1878). — °) Ebenda 9, (1888). Nagel, Physiologie des Menschen. II. 44 690 Die zentrifugalen Nerven der Speicheldrüsen. Sekretion von dünnem Speichel Anlaß gibt, daß aber die Durchschneidung dieses Nerven nicht zu Atrophie der Drüse führt, wie die Durchschneidung der Chorda. Indem Bradford auf dem Standpunkte der Heidenhainschen Lehre steht, welche lautet, daß die sekretorischen Fasern zweierlei Art sind und daß infolgedessen in dem N. sympathicus der Katze sowohl sekretorische als auch trophische Fasern in genügender Anzahl vorhanden sind, glaubte er den Unterschied der Ergebnisse der Durchschneidung beider Nerven in bezug auf den darauf folgenden Zustand der Drüse dadurch erklären zu können, daß er das Vorhandensein einer besonderen dritten Art von Fasern in der Chorda, der anabolischen Fasern, welche die Restitution der Sekre- tionszellen nach deren funktioneller Zerstörung bedingen, annahm. Dieselben Fasern müssen seiner Meinung nach auf die Sekretion hemmend einwirken, da ja dieser Prozeß dem Restitutionsprozeß entgegengesetzt ist. In Über- einstimmung hiermit sieht er natürlich die paralytische Sekretion als Ergebnis der Durchschneidung dieser Fasern an. Was die erste Annahme anbetrifft, so kann sie nicht auf genügende Beweiskraft Anspruch machen, und zwar erstens, weil sie auf der Heidenhainrschen Hypothese von den zwei Sorten von Sekretionsfasern, die selbst noch erst bewiesen werden muß, aufgebaut ist, und zweitens, weil der erwähnte Unterschied in den Ergebnissen der Nervendurchschneidung viel einfacher in der Weise erklärt werden kann, daß nach Durchschneidung der Chorda die Drüse zu arbeiten aufhört; ein Reflex auf die Sekretion durch den übrig bleibenden N. sympathicus konnte bis jetzt weder beim Hunde, noch bei der Katze beobachtet werden [Heiden- hain!), Pawlow2)l. Die Untätigkeit der Drüse muß aber natürlich zur Atrophie derselben führen. Was die zweite Annahme Bradfords?°) anbe- trifft, so verdient sie größere Beachtung, da sie die Frage nach den Ursachen der paralytischen Sekretion berührt. Von sämtlichen Erklärungen dieser Sekretion entspricht dem wirklichen Tatbestande am meisten die Annahme, daß sie durch eine von den peripherischen Nervenzellen ausgehende Erregung eines lokalen nervösen Mechanismus bedingt wird (Langley*). Wenn dem so. ist, so erscheint es in gewissem Grade wahrscheinlich, daß unter normalen Ver- hältnissen dieser Reiz durch Vermittelung eines speziellen Nerven vom zentralen Nervensystem aus gehemmt wird. In demselben Sinne deutet Owssjanitzky ’) die Tatsache, daß die ausgeschnittene Drüse bei Erneuerung der Blutzirkulation nach zeitweiliger Stockung derselben spontan zu secernieren beginnt. Es hat also die Physiologie aus dem ganzen Nervenapparate der Speichel- drüsen den einfachsten Teil dieses Apparates, das Endglied desselben, welches direkt die Drüse angreift und welches bei künstlicher Reizung unter ver- schiedenen Bedingungen alle Schwankungen in der Funktion der Drüsen die bei ihrer normalen Tätigkeit beobachtet werden können, hervorruft, aus- geschieden, jedoch noch bei weitem nicht genügend analysiert. 3. Die zentripetalen Nerven der Speicheldrüsen. Einen weiteren, auch verhältnismäßig einfachen Teil des Apparates bilden die zentripetalen Nerven, welche im Übermaß vorhanden sind. Die !) Hermanns Handb. d. Physiol. 1880. — ?) Wratsch (russisch) 1890. — ®) 1. c. — *) Journ. of Physiol. 6 (1885). — °) Dissert. St. Petersburg 1891. Die zentripetalen Nerven der Speicheldrüsen. 691 Reizung der zentralen Enden sowohl des N. lingualis, als auch des N. glosso- pharyngeus ruft profuse Speichelsekretion hervor. Dasselbe Ergebnis kann jedoch auch durch Erregung einer Menge anderer zentripetaler Nerven, so z. B. des N. vagus, splanchnicus, auricularis, ulnaris, eruralis, ischiadieus usw., erzielt werden [Claude Bernard!), Owssjanikow und Tschirjew 2), Buff) und andere). Das Ergebnis dieser Erregungen ist oftmals ein ein- seitiges, d. h. der Speichel ergießt sich nur auf der Seite, welcher der erregte Nerv angehört. Die Reflexe spielen sich nur bei erhaltener Chorda tympani ab, durch Vermittelung des N. sympathicus kann gewöhnlich keine reflek- torische Sekretion erzielt werden. Abweichende und in gewisser Beziehung ganz hervorragende Ergebnisse sind von Ostrogorsky*) (in unserem Laboratorium) erzielt worden. In Anbetracht der Eigenartigkeit der von Ostrogorsky festgestellten Tatsache, sowie in Anbe- tracht dessen, daß sie in der physiologischen Literatur ganz unbekannt ist, erlauben wir uns, die Untersuchungen dieses Autors genauer zu besprechen. Indem Östro- gorsky (namentlich an Katzen, seltener an Hunden) die auf die Speichelsekretion nach Durchsehneidung der Chorda tympani ausgeübten Reflexe studierte, fand er, daß nach Pilocarpinvereiftung in der Phase der erlöschenden Sekretion durch Er- regung verschiedener sensibler Nerven jedesmal eine deutliche Verstärkung der Sekretion hervorgerufen wird. Man müßte annehmen, daß nun der Reflex auf den N. sympathicus zutage getreten war. Die Wiederholung desselben Versuches, wobei die Chorda durchschnitten und das Tier nicht mit Pilocarpin, sondern mit Strychnin vergiftet oder, entweder der Speichelfluß durch rhythmische Reizungen der Chorda aufrecht erhalten wurde, erwies, daß das Ergebnis weder von erhöhter Reizbarkeit des zentralen Sekretionsapparates, noch von erhöhter Reizbarkeit der secernierenden Zellen abhing, noch auch mit dem Strom der Flüssigkeit selbst im Zusammenhange stand. Besonders angestellte Versuche wiesen nach, daß dieses Ergebnis auch nicht irgend welchen Veränderungen des Blutdruckes zu verdanken war. Kompression der Aorta, welche den Druck ebenso erhöhte wie die Reizung von sensiblen Nerven, ergab jedoch keine Verstärkung der Sekretion, eine nach solch einer Druckerhöhung ausgeübte Erregung der sensiblen Nerven steigerte die Sekretion in auffallender Weise, ohne den Druck weiter zu erhöhen. Verschiedene sensible Nerven wirkten durchaus nicht parallel auf den Blutdruck und auf die Speichelsekretion ein. Es muß hinzugefügt werden, daß bei den Versuchen die vollständige Curarisation des Tieres streng durchgeführt wurde. Das Uner- wartete an dem Versuche war, daß sich dieselbe Erscheinung, jedoch in schwä- cherem Grade, auch nach Durchschneidung des N. sympathicus (zweimal wurde die Exstirpation des oberen Halsganglions ausgeführt) äußerte. Da Ostrogorsky trotz aller Mühe und Aufmerksamkeit keine Nebenwirkung eines sensiblen Reizes auf die Sekretion feststellen konnte, so nahm er eine paralysierende Wirkung des Pilocarpins auf die voraussichtlich existierenden hemmenden Drüsennerven an und mußte zugeben, daß es außer den bereits bekannten noch andere zu den Drüsen verlaufende Nervenbahnen gibt. Der Umstand, daß der Versuch leicht wiederholt werden kann und sein Ergebnis ein so auffallendes ist, könnte wohl eine Wieder- holung desselben motivieren. Bei Reizung von zentripetalen Nerven kann man nicht nur verschiedene Speichelmengen, sondern auch verschiedenen Bestand des Speichels erzielen. In der Unterkieferdrüse erzielte Heidenhain durch Erregung des N. ischia- dicus nicht nur bedeutendere Sekretionsschnelligkeit, sondern auch zugleich konzentrierteren Bestand des Speichels, welcher mehr organische Stoffe ent- bielt. Dasselbe Ergebnis konnte auch bei durchschnittenem N. sympathicus: !) Zitiert bei Langley. — ?) Melang. biol. Acad. imp. d. sc. de St. Peters- bourg 8 (1872). — °) Eekhardts Beiträge 12 (1888). — *) Dissert. St. Petersburg 1394. 44* 692 Die zentripetalen Nerven der Speicheldrüsen. erzielt werden, woraus zu schließen ist, daß die Variation des Speichel- bestandes durch Vermittelung der Chorda tympani allein hervorgerufen werden kann. Nach Heidenhain!) wird die reflektorische Einwirkung auf den Speichelbestand auch durch den N. sympathicus übermittelt. Wenn man den N. ischiadicus erregt und den Speichel aus beiden Drüsen sammelt, wobei vordem auf der einen Seite der N. sympathicus durchschnitten wird, so ent- hält der auf der anderen Seite secernierte Speichel mehr organische Stoffe. Schließlich konnte in einigen Fällen eine reflektorische Hemmung der Speichelsekretion nachgewiesen werden [Pawlow 2)]. Dieses in seinen Grundzügen dargestellte Material ist natürlich wiederum in jeglicher Beziehung ein sehr spärliches. Besonders fühlbar macht sich der Mangel an genauen Angaben über die reflektorischen Beziehungen sämt- licher Kopfnerven zu den Speicheldrüsen; oft zuwiderlaufend und unbestimmt sind die Angaben über die einseitige Reflexwirkung, nur vereinzelt sind die Angaben über reflektorische Veränderungen des Speichelbestandes.. Klar jedoch ist der allgemeine Grundsatz: Durch Reizung von zentripetalen Nerven kann die Speichelsekretion hervorgerufen und sowohl in quantitativer, als auch in qualitativer Beziehung variiert werden. 4. Die peripherischen Endigungen der zentripetalen Nerven. Einen weiteren komplizierteren Teil des nervösen Apparates, welcher jedoch nicht nur nicht bearbeitet worden ist, sondern dessen Wichtigkeit noch nicht einmal genügend anerkannt und von den Physiologen beachtet worden ist, bilden die peripherischen Endigungen der zentripetalen Nerven. Im normalen Leben des Organismus werden durch sie der Moment der Speicheldrüsentätigkeit, ihr Grad und ihr besonderer Verlauf bedingt; sie leiten die mannigfaltigen, höchst minutiösen, aber zugleich auch genauen gesetzmäßigen Beziehungen der Speicheldrüsen zu denjenigen Objekten der äußeren Welt, welche mit der Speichelsekretion in sachlichem Zusammen- hange stehen, ein. Dieses erhellt schon daraus, daß sie zuerst mit diesen Objekten in Berührung kommen. Diese Objekte wirken auf die Drüse ein oder nicht, je nachdem ob die durch sie reizbaren peripherischen Nerven- endigungen mit ihnen in Berührung kommen oder nicht. Obgleich die Speicheldrüsen in bezug auf das Studium der Physiologie der peripherischen Endigungen der zentripetalen Nerven ein ganz besonders bequemes Objekt abgeben, so nahmen doch die Untersuchungen über hierher gehörige Fakta | er des Neru | Macn | urrleisch 4 Bro al! 1 32 3,95 5,2 | 0,350 2 2,4 | 3,2 5,6 | 0,361 3 | 2,3 | 4,0 | 6,15 | 0,382 4 2,3 3,65 | 6,3 | 0,367 Wie aus der Tabelle ersichtlich, sind nur in jeder horizontalen Reihe die Portionen in bezug auf Acidität und Verdünnung ausgeglichen. Die versehiedenen Saftsorten werden gleichfalls auf ihren Trockenrückstand nach Verdampfung verglichen. In untenstehender Tabelle, welche gleichfalls von ‚Kersten stammt, sind die Zahlen für Milch- und Brotsaft, die am meisten «differieren, angegeben. D)lere. Verdauungskraft bei verschiedener Nahrung. 70 | Tabelle XII. x Il 4 Fe; E Fi Sure E | Verdauungskraft| Proz. des Trocken- Saftsorten R } | in mm | rückstandes Milchsaft 2,9 | 0,210 R es 2,3 | 0,325 i | 3,4 0,380 IBEOtsattn nen he 6,15 0,710 a ee 6,3 | 0,825 7,0 | 0,865 Die nach Alkoholzusatz entstehenden Niederschläge erwiesen sieh in den ver- schiedenen Saftsorten auch als verschieden, und zwar in demselben Sinne, wie aus untenstehender Tabelle ersichtlich. Tabelle XIV. en | z er zent re er: en ei 2 undese eh Fleisch | Brot Milch | Fleisch | Brot | | 2 Jimi: EV e = 1 | 2,5 | 4,5 7,0 0.046 | -OLll | 0,299 p) | 2,0 | 3,6 4,6 0,029 0,70 | 0,195 Ganz dasselbe ergibt sich auch für die beim Aufkochen des Magensaftes entstehenden Niederschläge, wie folgende Tabelle (aus der Veröffentliehung von Kersten) beweist. Tabelle XV, | Bozen des sich beim Aufkochen Saftsorte I rn Bilden | schlages INHChsa tz || 1,4 | 0,008 ä N 1,75 0,003 Wleischsaft.... . ok | 3,75 | 0,053 L ee | 4,05 | 0,049 . re 4,15 | 0,057 BroiBatbe. SL 5,75 0,163 RT | 5,8 0,139 a a en 6,0 . 0,189 In den beiden letzten Fällen verhielten sich die Niederschlagsmengen oftmals wie die Quadrate der Millimeterzahlen, welche die Verdauungskraft vergegenwärtigten. In Anbetracht der eben angeführten Zahlen und der in dem methodischen Teile auseinandergesetzten Erwägungen kann man in durchaus begründeter M Weise die Fermentmengen, welche von den Pepsindrüsen auf die gleiche Menge von in den verschiedenen Nahrungssorten dargereichtem Eiweiß secerniert werden, berechnen. Folgende Tabelle gibt die entsprechenden Zahlen (nach Chishin). Tabelle XVI. Auf Brot ergießen sich 42 cem Saft mit einer Verdauungskraft von 6,16 mm Beshlleischy , SE TRE " ; E n nr AO "eo Nılch, ;, 34 3. lae, n n n n n „ 45° 708 Verdauungskraft bei verschiedener Nahrung. Nehmen wir die Quadrate der Millimeterzahlen, so erhalten wir 38 für 3rot, 16 für Fleisch und 10 für Milch. Diese letzteren Zahlen entsprechen den relativen Fermentmengen in einer Raumeinheit verschiedener Saftsorten. Multiplizieren wir diese Zahlen mit der Anzahl der Cubikcentimeter des Saftes. so erhalten wir 1600 für Brot, 430 für Fleisch und 340 für Milch. Diese letzteren Zahlen vergegenwärtigen also die relative Menge des Fer- mentes, welche auf die gleiche, vom Tiere mit den verschiedenen Nahrungs- sorten aufgenommene Eiweißmenge sich ergießbt. Was die Acidität anbetrifft, so ist hier die Reihenfolge der Saftsorten eine andere: an der Spitze steht hier der sich auf Fleisch ergießende Magen- saft, die geringste Acidität zeigt der sich auf Brot ergießende Saft, eine Mittelstellung nimmt der Milchsaft ein. Die klinische Untersuchung konnte, augenscheinlich infolge der Mangel- haftigkeit ihrer Methodik, bis jetzt dieselben Verhältnisse am Menschen nicht bestätigen. Obgleich einige Autoren ein verschiedenes Verhalten der Magen- drüsenarbeit in Abhängigkeit von der Nahrungssorte konstatieren konnten, sind von den Klinikern in dieser Beziehung noch keine allgemein gültigen Sätze aufgestellt worden. Von großer Wichtigkeit ist natürlich die Frage: Welche Bedeutung besitzen die Schwankungen, die in der Arbeit der Pepsindrüsen bei Fütterung des Hundes mit verschiedenen Speisesorten zu vermerken sind? Schon a priori kann man nicht zugeben, daß diese Schwankungen zufällige sind und daß sie zu den Eigenschaften der einverleibten Nahrung in keiner Be- ziehung stehen. Leider verfügen wir gegenwärtig nicht über irgend welches Material, um diese Frage streng wissenschaftlich zu beantworten. Man kann jedoch auch schon gegenwärtig nicht umhin, einige zweckmäßige Beziehungen zwischen dem Charakter der Nahrung und der Magensekretion zu ver- merken. Für das Eiweiß der Milch liefern die Pepsindrüsen die geringste Menge Ferment und zudem in der schwächsten Konzentration. Hiermit stimmt die der physiologischen Chemie bekannte Tatsache, daß das Kasein neben dem Fibrin zu den am leichtesten verdaulichen Eiweißsorten gehört. Auf das Broteiweiß ergießt sich verhältnismäßig sehr reichliches Ferment und in sehr bedeutender Konzentration. Diesem entspricht ihrerseits die Tatsache, daß die pflanzlichen Eiweißsorten zu den für die Fermente am schwersten zu bewältigenden gehören. Das Fleischeiweiß nimmt in jeglicher Beziehung, d.h. was Menge und Konzentration des Fermentes anbetrifft, eine Mittel- stellung ein. Bei gleichen Gewichtsmengen von Brot und Fleisch scheidet sich auf ersteres viel mehr Ferment aus als auf letzteres; zu gleicher Zeit aber stellt sich heraus, daß, wenn man die Menge und die Acidität des Magensaftes ın Betracht zieht, sich viel mehr Salzsäure auf das Fleisch ergießt als wie auf das Brot. Dieses wird auch begreiflich, wenn man bedenkt, daß für Fleisch eine größere Säuremenge erforderlich ist, um das in ihm enthaltene Binde- gewebe rascher aufzulösen. Beim Brot aber wäre ein Überschuß an Säure nicht nur nicht nützlich, sondern könnte sogar die Stärkeverdauung sowohl im Magen, als auch in den weiteren Abschnitten des Magendarmkanals schädigen. Mechanismus der Pepsindrüsenarbeit. 709 Bei Fütterung mit Fleisch und Brot, wo die eingegebene Nahrung sofort bearbeitet werden muß, ergießt sich in den ersten Stunden der Sekretions- periode die reichlichste Quantität Magensaft. Bei Fütterung mit Milch ver- läuft die Sache ganz anders. Die in den Magen gelangende Milch beginnt schon nach einigen Minuten zu gerinnen, hiernach jedoch gehen im Laufe eines bedeutenden Zeitraumes die flüssigen Milchbestandteile in den Darm über; um diese Zeit ist die Magensaftsekretion eine sehr träge; erst gegen Ende der zweiten Stunde und namentlich im Laufe der dritten, wo nur die Kaseinflocken übrig geblieben sind, ergießt sich die größte Menge Magensaft; wäre der Gang der Sekretion ein anderer, so wäre eine bedeutend größere Menge Magensaft erforderlich, um dieselbe Kaseinmengs zu verdauen. 3. Der Mechanismus der Pepsindrüsenarbeit. Die Analyse des Mechanismus der Pepsindrüsenarbeit kann natürlich nur eine sehr komplizierte sein und muß in mehrere einzelne Aufgaben zer- legt werden. Die Sekretionsarbeit der Pepsindrüsen, welche viele Stunden lang andauert und in verschiedenen Richtungen mannigfaltige Schwankungen aufweist, muß auf elementare Bedingungen, auf elementare Reize zurück- geführt werden; die Anzahl dieser letzteren aber ist eine sehr bedeutende. Außer den elementaren Substanzen, aus denen die Nahrung besteht, muß man einerseits mit den Zersetzungsprodukten, welche im Laufe der Verdauungs- periode sich aus der Nahrung bilden, andererseits mit anderen Verdauungs- flüssigkeiten, welche sich auf die Nahrung ergießen, während dieselbe den Verdauungskanal passiert, rechnen. Sodann müssen die Reize lokalisiert werden, d. h. es müssen die Punkte der Oberfläche des Verdauungskanals, auf welche sie direkt einwirken, ausfindig gemacht werden. Schließlich muß noch bestimmt werden, in welcher Weise der Reiz auf die Sekretionszellen übertragen wird, ob durch das Blut oder durch Vermittelung des Nerven- systems. Gegenwärtig hat sich schon ein reichliches Material, welches alle er- wähnten Teile des uns hier interessierenden Mechanismus betrifft, an- gesammelt. In den Pepsindrüsen ruft, ebenso wie in den Speicheldrüsen, der bloße Anblick der Nahrung (also die Wirkung derselben aus einiger Entfernung) oder die Einwirkung derselben auf ein anderes Sinnesorgan Saftsekretion hervor; dieses ist die sogenannte psychische Magensaftsekretion, auf weiche Bidder und Schmidt!) bereits im Jahre 1851 hingewiesen haben. Von den späteren Autoren haben die einen diese Tatsache bestätigt, die anderen jedoch negiert. In unserem Laboratorium sind entsprechende Versuche im Laufe von 15 Jahren unzählige Male wiederholt worden, so daß dieser Befund über allen Zweifel erhaben ist. Unter Berücksichtigung einiger Bedingungen (das Versuchstier muß ganz gesund sein, durch nicht zu langes Hungern vorbereitet werden, es muß geschickt, ohne daß es die Absicht des Experimen- tators merkt, durch den Anblick einer Nahrung, welche es überhaupt gern ißt, gereizt werden) kommt man ohne Ausnahme zu einem positiven Ergeb- nis. Jedoch beobachtet man bei den Tieren auch stets grobe Verschieden- ‘) Die Verdauungssäfte usw. 1852. 710 Erregung der Magendrüsen. heiten, was die Menge des secernierten Saftes anbelangt; während das eine Tier unter bestimmten Bedingungen nur einige Cubikcentimeter Magensaft ausscheidet, erhält man bei einem anderen unter denselben Bedingungen mehrere hundert Cubikcentimeter. Wird das Tier durch den Anblick von Milch gereizt, so scheidet sich gewöhnlich weniger Magensaft als wie beim Anblick von Fleisch und Brot aus. Ein deutlicher Unterschied macht sich sogar in den Eigenschaften des ausgeschiedenen Saftes bemerkbar; der Milch- saft enthält stets weniger Pepsin als wie der Fleisch- und Brotsaft, selbst wenn die Sekretionsgeschwindigkeit durch Veränderung der Reizungsdauer in allen Fällen ausgeglichen wird. Die erwähnten Variationen der Magen- saftsekretion hängen nicht von dem Grade der Begierde des Tieres, so- weit man denselben nach den Bewegungen desselben beurteilen kann, ab [Sokolow!)]. Diese psychische Erregung der Magendrüsen konnte lange Zeit über nicht beim Menschen nachgewiesen werden. Es muß jedoch bemerkt werden, daß, wenn schon bei Tieren derartige Versuche einige Vorsicht erheischen, letztere in Versuchen am Menschen noch mehr erforderlich ist. Meist ver- fahren jedoch die Kliniker sehr einfach, indem sie z. B. dem Versuchsobjekt eine Tasse Kaffee vorsetzten. In den Versuchen von Bulawinzew?) der sehr viel Mühe und Scharfsinn daran setzte, um in dem Versuchsobjekt die Eßgier wachzurufen, war dagegen das Ergebnis stets ein mit den Ergebnissen der Tierversuche übereinstimmendes. Die Nahrungsaufnahme und die Bearbeitung der Nahrung im Munde bilden den Eßakt. Wie wirkt nun derselbe auf die Arbeit der Pepsindrüsen ein? Die ersten Angaben hierüber stammen von Blondlot und Richet; letzterer hat einen infolge von Speiseröhrenverätzungsstenose gastrostomierten Kranken beobachtet. Er fand, daß die Gegenwart von starken Würzstoffen im Munde zu Magensaftsekretion führt. An Tieren ist die die Pepsindrüsen- arbeit anregende Wirkung des Eßaktes in exakter und beständiger Form von uns in Gemeinschaft mit K. Schumowa-Ssimanowsky nachgewiesen worden; wir benutzten hierzu gastro- und ösophagotomierte Hunde, wie hier- von schon in dem die Methodik betreffenden Teile berichtet worden ist. Dank der Durchschneidung des Ösophagus am Halse vollzieht das Tier nur den Eßakt, ohne daß die Nahrung in den übrigen Teil des Darmkanals gelangt. Und dennoch beobachtet man beim normalen Hunde hierbei stets eine reich- liche Magensaftsekretion, welche gewöhnlich 5’ nach Beginn der Scheinfütte- rung anfängt und sich zuweilen noch zwei bis drei Stunden, nachdem die- selbe aufgehört hat, fortsetzt. Die Intensität der Magensaftsekretion ist eine maximale. Die Konzentration des Saftes ist eine das Mittelmaß mehr oder weniger übersteigende. Gleichviel wie lange die Sekretion andauert und wie ausgiebig sie ist (bis zu 1!/, Liter auf einmal bei einem großen Hunde), jedenfalls beobachtet man keine Anzeichen von Erschöpfung des Fermentvorrates. Die letzten Portionen besitzen gerade im Gegenteil bedeutendere Verdauungskraft als wie die früheren, was augenscheinlich vom Anwachsen der Konzentration des Magensaftes infolge von vermindertem Wassergehalt des Körpers abhängt. Will man deshalb durch Schein- fütterung reichlichere Magensaftmengen gewinnen, so muß man dem Tiere zu !) Verhandl. d. Kongresses in Helsingsfors 1902. — °) Diss. St. Petersburg 1903. Erregung durch Scheinfütterung. za gleicher Zeit Flüssigkeit ins Reetum einverleiben, am besten 1proz. Kochsalz- lösung. Wir!) ließen einen gastro- und ösophagotomierten Hund absolut hungern und führten an ihm fast täglich im Laufe von zwei Wochen die Scheinfütterung aus. Am dritten bis vierten Tage hörte das Tier auf, Magensaft auszuscheiden. Man brauchte ihm jedoch nur in der einen oder der anderen Weise Wasser einzu- verleiben, um wiederum Erneuerune der Saftsekretion zu beobachten. Um den zehnten Tag herum erlosch trotz reichlicher Wasserzufuhr die Sekretion wieder. Nahm man nun zu Kochsalzlösung anstatt Wasser seine Zuflucht, so erlangte die Scheinfütterung ihre Wirksamkeit wieder. Jedoch bis zum letzten Versuchstage ließ nichts an Mangel von Pepsin in den Magendrüsen denken; an’ diesem Tage besaß nämlich der Saft normale Konzentration. Diese Tatsache wollen wir später noch verwerten. Scheinfütterung wirkt auf die Pepsindrüsen verschieden ein, je nach dem, was das Tier ißt. Bei Milchfütterung wird gewöhnlich weniger Saft aus- geschieden als wie bei Brot- und Fleischfütterung; außerdem besitzt dieser Saft geringere Verdauungskraft, und das auch in dem Falle, wenn die Sekretionsgeschwindigkeit hier und dort die gleiche ist (Sokolow). Sowohl die psychische Sekretion, als auch die Scheinfütterung können sehr gut als Kriterium für die Brauchbarkeit der Operation des isolierten kleinen Magens überhaupt und in jedem einzelnen Falle dienen. Wenn in beiden Fällen bei ein und demselben Hunde sowohl im großen (durch eine gewöhnliche Magen- fistel beobachtet), als auch im kleinen Magen die Sekretion zu gleicher Zeit be- ginnt, dieselben Schwankungen beobachten läßt und zu gleicher Zeit aufhört, außerdem auch in beiden Höhlen die gleiche Verdauungskraft besitzt, so ergibt dieses einen wichtigen Beweis für den Erfolg der Operation und ihre methodische Bedeutung. Zugleich kann hierbei das Verhältnis der Sekretionsflächen des großen und des kleinen Magens leicht bestimmt werden. Daß der Eßakt die Tätigkeit der Pepsindrüsen anregt, dieses geben auch alle Kliniker, welche in letzter Zeit Beobachtungen mit der Magensonde und an gastrostomierten Subjekten vorgenommen haben, zu. Es ist also klar, daß bei normalem Essen der Beginn der Sekretions- periode von dem Eßakt abhängen muß. Dieses wird durch den Befund bestätigt, daß in der ersten Zeit nach Beginn des Essens ebenso viel und ebenso konzentrierter Magensaft secerniert wird als wie bei Scheinfütterung. Ganz unumstößlich wird dieses jedoch durch eine neue Form des Versuches, bei welcher der Eßakt ganz ausgeschlossen wird, dargetan. Führt man dem Hunde irgend eine Nahrung direkt in den Magen durch eine ge- wöhnliche Magenfistel ein, so ist die Arbeit der Drüsen eine ganz andere, namentlich für einige Nahrungssorten. Sie beginnt nun nie früher als wie nach acht bis zehn Minuten, der Saft besitzt geringere Verdauungskraft; bei einigen Nahrungssorten tritt die Sekretion gar nicht ein oder erst sehr spät, nach Stunden. Bei diesen Versuchen ist von wesentlicher Bedeutung, daß die Einführung der Nahrung in den Magen nicht psychische Erregung der Pepsindrüsen zur Folge hat; dieses aber kann nur durch besondere Aufmerk- samkeit des Experimentators erzielt werden. Besonders bequem kann man während des Schlafes die Fütterung des Tieres vornehmen [Lobassoff?)]. Einfache Beobachtungen beweisen jedoch, daß die reizende Wirkung des Eßaktes auf die Pepsindrüsen nicht genügt, um die ganze Nahrung zu ver- ») Botkins Hospitalwochenschr. 1897. — ?) St. Petersburger Arch. d. Sciene. biolog. 4 (1896). al Unwirksamkeit meehanischer Reize. dauen und um im Laufe der ganzen Sekretionsperiode die Magensekretion aufrecht zu erhalten. Wie bereits erwähnt wurde, setzt sich die Magensaft- sekretion nach Abschluß der Scheinfütterung im äußersten Falle noch zwei bis drei Stunden fort. Nach reichlicher Speiseaufnahme aber kann die Sekretionsperiode zehn Stunden und länger dauern; also muß die Nahrung die Pepsindrüsen, abgesehen von der Mundhöhle, auch von den übrigen Ab- schnitten des Verdauungskanals, anregen. Am nächsten liegt natürlich der Gedanke, daß die Drüsen von der Magenoberfläche aus gereizt werden. Wodurch und wie wird nun dieser Reiz ausgeübt? Bis zuletzt konnte man in allen Lehrbüchern lesen, daß die mechanischen Eigenschaften der Nahrung genügen, um einen, wenn auch nicht sehr bedeutenden Reiz auszuüben. Versuche, welche in unserem Laboratorium von zahlreichen dort arbeitenden Ärzten angestellt und sodann von uns viele Male sowohl vor Zuhörern, als auch vor sachverständigen Gästen des Laboratoriums wiederholt wurden, ergaben in Übereinstimmung mit den Angaben vereinzelter früherer Forscher (Blondlot) ohne Ausnahme, daß mechanische Reizung der Magenschleimhaut, gleichviel ob sie schwach oder stark ist, ob sie lokal oder diffus wirkt, nicht nur nicht imstande ist, eine auch nur spärliche Sekretion hervorzurufen, sondern ebensowenig die Reaktion der Magenoberfläche zu einer sauren umgestalten kann. Als eklatanter und beständiger Beweis dafür, daß mechanische Reize für die Pepsindrüsen indifferent sind, dienen für einen jeden, der sich mit Versuchen am isolierten kleinen Magen abgibt, die Kaut- schukröhren, welche in denselben zum Aufsammeln des Magensaftes ein- geführt werden. Wird sonst kein effektiverer Reiz auf die Magenschleim- haut ausgeübt, so kann man die Röhre im Magen liegen lassen oder sie darin herumbewegen, soviel man will, die Reaktion der Schleimhaut bleibt eine alkalische. In Gegenwart der Röhre beginnt die saure Reaktion erst, wenn wirklich reizende Substanzen in den Magen gelangen, und verschwindet die- selbe, sobald diese Substanzen ihre Wirksamkeit einbüßen. Die entgegen- gesetzte Meinung, welche sich in der Physiologie vollständig eingebürgert hatte, verdankt ihre Existenz augenscheinlich der mangelhaften Methodik, und zwar dem Umstande, daß es einerseits nicht für nötig und möglich gehalten wurde, den Versuch bei vollkommener Ruhe der Pepsindrüsen, bei alkalischer Reaktion der Magenoberfläche zu beginnen, und daß andererseits die psychische Erregung der Pepsindrüsen außer acht gelassen wurde. Das indifferente Verhalten von mechanischen Reizen der Magenschleimhaut gegen- über wird auch von einigen Klinikern bestätigt (Schüle). Als Reize bleiben also die chemischen Eigenschaften der einverleibten Nahrung und ihrer im Verdauungskanale entstehenden Zersetzungsprodukte, sowie schließlich die chemischen Eigenschaften anderer Verdauungssäfte, welche mit der Nahrung zusammen in den Magen gelangen, übrig. Das Experiment bestätigt diese Annahme vollkommen. Ebenso wie im Falle des isolierten Eßaktes ist es auch hier bei Analyse dieser Erscheinungen angezeigt, daß man zuerst die vom Magen aus auf die Pepsindrüsen aus- geübte Wirkung ganz unabhängig vom Ebakt, von den im Darme statt- findenden Prozessen und von dem schnelleren oder langsameren Übergange der Nahrung aus dem Magen in den Darm genau studiert; später aber muß an gleicher Weise die isolierte Wirkung vom Darme aus allein untersucht rn Chemische Reize für die Magendrüsen. 713 werden. Diesen Anforderungen entsprechen, soweit das überhaupt möglich ist, die Versuche von Ssokolow !), welche an kompliziert operierten Hunden angestellt und in dem die Methodik behandelnden Kapitel beschrieben worden sind. Deshalb wollen wir die hierher gehörigen Tatsachen in erster Reihe in der Form der Versuche Ssokolows wiedergeben. Direkt in den geschlossenen Magen dieser Tiere einverleibtes Fleisch ruft bedeutende Magensaftsekretion hervor. Wenn Fleisch lange Zeit über im Magen liegen bleibt, ohne in den Darm übergehen zu können, so nimmt die Saftsekretion allmählich ab; der Grund hier- für liegt, wie spezielle Versuche nachgewiesen haben, in der hemmenden Wirkung, welche die Säure des sich ansammelnden Magensaftes auf die Pepsindrüsen ausübt. Derselbe Befund ist, nur unter komplizierteren Bedingungen, bei un- behindertem Übergange des Speisebreies in den Darm, von vielen Autoren erhoben worden. Besondere Aufmerksamkeit darauf, daß bei diesen Ver- suchen das psychische Moment nicht störend mitwirke, hat Lobassow ?) gerichtet. Er stellte sich außerdem zur Aufgabe, diese Sekretion mit der- jenigen, welche bei normaler Ernährung mit derselben Menge Fleisch statt- findet, zu vergleichen. Nach Lobassow beginnt bei intraventriculärer Einverleibung von Fleisch die Sekretion viel später, außerdem besitzt der ausgeschiedene Saft geringere Verdauungskraft und verlängert sich die Sekretionsperiode, obzwar unbedeutend. Was wirkt im Fleische als Reiz? Vielleicht das in ihm enthaltene Wasser, ‚oder die Lösung der Eiweißsubstanzen, oder endlich die Lösung der Extraktiv- stoffe? In den Versuchen von Ssokolow riefen alle diese drei Bestandteile Magensaftsekretion hervor, jedoch eine in verschiedenen Richtungen sehr verschiedene. Wasser und eine Lösung von Extraktivstoffen (und zwar eine 7prozentige Lösung von Extractum Liebig) riefen eine Saftsekretion hervor, welche 10 bis 15’ nach Einverleibung dieser Substanzen begann, wobei sich auf die Lösung von Extraktivstoffen eine Magensaftmenge ergoß, die die auf ‚das gleiche Volumen Wasser ausgeschiedene um ein Mehrfaches übertraf. Auf flüssiges Eiereiweiß beginnt der Magensaft sich nach 1 Std. 10 Min. zu ergießen. Eine der Veröffentlichung von Ssokolow entnommene Tabelle soll diesen wichtigen Befund veranschaulichen. Tabelle XVII. Sekretion im Laufe von je 15 Minuten nn = Extraetum Liebig Rohes Eiereiweiß | 0,0 ee 0,0 | 0,0 0,77 | 0,0 0,8 | 0,4 sel E 0,5 0,5 | 2 0,2 0,4 0,3 Nach 1 Std. 10 Min. zeigte der Schleim zuerst saure Reaktion. !) Diss. St. Petersburg 1904. — °) 1. e. 714 Chemische Reize für die Magendrüsen. Was die die Magensaftsekretion reizende Wirkung des Wassers und der Extraktivstofflösungen, welche direkt in, den Magen, jedoch bei freier Passage in den Darm, einverleibt werden, anbetrifft, so ist auch diese Erscheinung von zahlreichen Autoren beobachtet worden. Nur vom rohen Eiereiweiß ist behauptet worden (Chishin, Lobassow), daß es nicht als chemischer Reiz vom Magen aus wirkt. Dieses differente Verhalten läßt sich leicht dadurch erklären, ‘daß bei freier Passage durch den Pylorus (wie dieses bei diesen Autoren der Fall war) das Eiweiß den Magen bald verläßt. Wie hat man nun die langsame Wirkung von flüssigem Eiereiweiß zu deuten? Dasselbe wirkt entweder als sehr schwacher Reiz, der sich nur nach geraumer Sum- mationszeit fühlbar machen kann, oder es wirkt unmittelbar überhaupt nicht. Im letzteren Falle könnte man annehmen, daß zu Beginn das im Eiweiß ent- haltene Wasser eine sehr spärliche Saftsekretion hervorruft und daß sodann der hierbei ausgeschiedene Saft aus dem Eiweiß Produkte bildet, die als Hauptreiz wirken. Daß letztere Annahme dem wirklichen Tatbestande entspricht, hierfür zeugt unter anderem die Tatsache, daß die Verdauungsprodukte von Eiweiß- substanzen die Tätigkeit der Pepsindrüsen anregen, eine Tatsache, welche in den Versuchen von Ssokolow deutlich zutage tritt. Dieser selbe Befund ist auch von anderen Autoren bestätigt worden. In vollständiger Übereinstimmung hiermit befindet sich folgende Tat- sache: Gut ausgekochtes Fleisch, aus dem alles Wasser herausgepreßt worden ist, irritiert, direkt in den Magen eingeführt, die Pepsindrüsen nicht. Da in diesem Falle alles im Wasser Lösliche und chemisch Wirkende aus dem Fleische entfernt ist, so wirkt dieses letztere jetzt nur als mechanischer Reiz: und kann infolgedessen die Tätigkeit der Pepsindrüsen nicht anregen. Wie leicht zu begreifen ist, wirken auch direkt in die Magenhöhle einverleibte Stückchen von gesottenem Eiereiweiß ganz und gar nicht auf diese Drüsen [Schiff!), Lobassow u. a.]. Sämtliche erwähnte Substanzen (Fleisch, Wasser, Lösungen von Extrak- tivstoffen, Verdauungsprodukten der Eiweißsubstanzen) erregen, wenn sie direkt in den Darm einverleibt werden, wobei natürlich wiederum jegliche: psychische Einwirkung ausgeschlossen werden muß, die Pepsindrüsen ent- weder gar nicht oder in bedeutend schwächerem Grade als wie vom Magen aus. [Die Tatsache, daß überhaupt vom Darm aus die Pepsindrüsen angeregt werden können, ist zuerst von mir?2), später von Leconte) beobachtet. worden.| Derartige Versuche lassen sich an den Ssokolowschen Hunden in exakter Weise anstellen. Versuche an Hunden mit lateralen Darmfisteln,. ohne Trennung von Magen und Darm, können diese Frage nicht in be- friedigender Weise lösen, da stets ein Teil des Darminhaltes in den Magen. zurückbefördert werden kann, was unter gewissen Bedingungen sehr leicht stattfindet. Wir geben hier einen vergleichenden Versuch mit Fleischpüre wieder; in dieser Form kann nämlich das Fleisch am leichtesten in verschiedene Höhlen des Verdauungs- kanals eingeführt werden, ohne daß das Tier etwas davon merkt (Ssokolow). ') Lecons sur la Digestion 1867. — ?) Botkins Hospitalwochenschr. 1897. — *) La Cellule 17 (1900). Chemische Reize für die Magendrüsen. 715 Tabelle XVII. 100 Fleisch - \ » > S Dasselbe Gemisch + 100cem Wasser |. ; : } | in den Magen ein- Stunden in den Darm ein- | i a N Fr | verleibt, Saftmenge verleibt, Saftmenge | . : B : : i > ı in Cubikcentimeter | in Cubikeentimeter | I see u: 1,0 2,7 Irene 0,4 2,0 I 0,1 155 Ve — 1,4 Ne — 152 Flüssiges Eiereiweiß erregt, direkt in den Darm einverleibt, die Magen- saftsekretion gar nicht, was schon aus den Versuchen mit Einverleibung von Eieralbumin in den Magen, aus welchem letzteres bald in den Darm über- geht, zu ersehen ist. Schließlich wurden alle oben erwähnten Substanzen per rectum in den Dickdarm einverleibt. Von hier aus übten sie durchaus keine Wirkung auf die Magendrüsen aus. In dieser Richtung ging Dr. Lobassow besonders energisch vor, indem er zu Klystieren riesige Mengen des stärksten chemischen Erregers der Pepsindrüsen, des Liebigschen Extraktes, verwandte. Die Tatsache, daß direkt in den Magen einverleibtes Wasser und ebenso ein- verleibte Lösung von Extraktivstoffen auf die Pepsindrüsenarbeit anregend einwirken, ist von zahlreichen Klinikern beobachtet worden; ganz ebenso- haben sie nachweisen können, daß bei rectaler Einverleibung derselben Stoffe diese Wirkung nicht ausgeübt wird. In den bis jetzt aufgezählten Tatsachen, welche sowohl den Eßakt, als auch die chemische Erregung der Pepsindrüsen betreifen, findet der normale Gang der nach Fleischfütterung zu beobachtenden Magensekretion seine genügende Erklärung. Die durch den Eßakt angeregte und 5’ nach Beginn desselben einsetzende Saftsekretion geht in den ersten Viertelstunden in die- jenige, welche durch die bedeutende chemische Wirkung der Fleischmasse im Magen bedingt wird, über. Dieses gibt die zwei ersten Stunden der maxi- malen Saftsekretion ab, von denen bald die eine, bald die andere etwas über- wiegt, je nachdem, welches Moment die Oberhand gewinnt. Sobald nun der Speisebrei in den Darm, von dem aus er, wie oben angegeben, viel weniger reizend wirkt, überwandert, nimmt die Sekretion allmählich ab und fällt schließlich, wenn der noch nicht verdaute und resorbierte Rest in solche Ab- schnitte des Darmkanals, von denen aus keine Wirkung auf die Pepsindrüsen ausgeübt wird, gelangt, bis auf Null. Brot läßt ebenso, wie auch ausgekochtes Fleisch und gesottenes Bier- eiweiß, direkt in den Magen (und natürlich wiederum unter Vermeidung _ jeglicher psychischer Erregung) einverleibt, die Pepsindrüsen ganz unberührt. Um also die bei Brotfütterung besonders andauernde Sekretionsperiode zu bedingen, bedarf es chemischer Reize, die im Verdauungskanal selbst ent- stehen. Derartige Reize können entweder in der Mundhöhle oder in der Magenhöhle durch die sich in dieselben ergießenden Säfte gegeben werden; letztere wirken entweder selbst sekretionserregend oder es erlangen dank 716 Chemische Reize für die Magendrüsen. ihnen die in der Brotmasse enthaltenen reizenden Substanzen, angenommen, daß solche dort vorhanden sind, die Fähigkeit, ihre reizende Wirkung zu äußern. Direkt in den Magen einverleibtes Brot vermag die Pepsindrüsen nicht zu erregen, da es kein freies Wasser enthält und das in ihm vorhandene Wasser chemisch oder physisch gebunden ist. Man kann also erwarten, daß der Speichel, welcher, wie oben erwähnt, sich in bedeutender Menge auf das Brot ergießt, sowohl selbständig (vermittelst seines Wassers) die Pepsindrüsen- tätigkeit erregen kann oder auch dadurch, daß er die im Brote voraussicht- lich enthaltenen chemisch reizenden Substanzen auflöst. Ssokolow hat an seinen Hunden mehrere Versuche angestellt, in welchen er ihnen eine gewisse Menge Speichel direkt in den Magen goß; das Ergebnis dieser Versuche war ein einheitliches und exaktes: der in bedeutenden Mengen (100 bis 200 ccm) in den Magen einverleibte Speichel äußert eine sekretionserregende Wirkung, welche derjenigen des Wassers nicht nur nicht nachsteht, sondern sie eher etwas übertrifft. Das Brot selbst enthält, vom Wasser abgesehen, keine fertigen, sekre- tionserregenden, chemischen Substanzen: ein Gemisch von zerkleinertem Brot und Wasser wirkt vom Magen aus nicht stärker, sondern schwächer als wie dasselbe Volumen Wasser. Auf Grund des oben Gesagten aber entstehen im Brote, nachdem es beim normalen Eßakt mit dem Magensaft in Berührung gekommen ist, in gewisser Menge Verdauungsprodukte der Eiweißsubstanzen, welche sodann weitere Magensaftssekretion anregen. In Anbetracht dessen, daß die pflanz- lichen Eiweißstoffe sehr schwer verdaulich sind und ihr Gehalt im Brote zu- dem ein geringer ist, kann die Menge der im Magen sich ansammelnden Verdauungsprodukte nie eine besonders bedeutende sein. Nach Leconte!) hemmt eine in den Darm einverleibte 25 prozentige Glykoselösung die Magensaftssekretion; eine Lösung von Rohrzucker wirkt ebenso, jedoch schwächer. Die eben besprochenen Tatsachen erklären uns den Unterschied in dem Umfange der Magensekretion, welcher zwischen dem Beginn der Sekretions- periode nach Brotfütterung und dem weiteren Verlaufe derselben besteht. Zu Beginn, nach dem Eßakte, besitzt der sekretorische Reiz dieselbe Kraft wie bei Fleischfütterung, später aber, in der Phase der chemischen Wirkung, wird er sofort in fühlbarer Weise schwächer. Hieraus ergibt sich, daß im Laufe der zweiten Stunde gewöhnlich zwei- bis dreimal weniger Magensaft secerniert wird als wie im Laufe der ersten. Daß die zweite Phase durch Wirkung der bei der Brotverdauung entstehenden Produkte bedingt wird, kann auch dadurch bewiesen werden, daß bei einigen Hunden, welche aus dem isolierten kleinen Magen überhaupt wenig Saft secernieren, oft eine auf- fallende Abnahme, zuweilen sogar Stockung der Sekretion nach der ersten Stunde zu beobachten ist, worauf dann die Sekretion wieder beginnt oder anwächst. In der Abnahme der Sekretion nach Ablauf der ersten Stunde spielt vielleicht die hemmende Wirkung der sich bildenden Glykose eine Rolle. Was die in der Milch enthaltenen chemischen Reize der Magensaft- sekretion anbetrifft, so verhält sich hier die Sache etwas komplizierter. ol.we: Hemmungswirkung des Fettes. elörf Direkt in den Magen gegossene Milch erregt die Magensaftsekretion, sie enthält also chemisch reizende Substanzen. Den ersten Reiz gibt wohl das in ihr enthaltene Wasser ab. Später entstehen derartig reizende Substanzen aus dem Milcheiweiß, welches ganz besonders leicht verdaulich ist. Es kann auch die reizende Wirkung einiger anderer in der Milch enthaltener Sub- stanzen angenommen werden. Zu den Bestandteilen der Milch sehört jedoch auch einer, der die Magensaftsekretion nicht nur nicht anregt, sondern im Gegenteil hemmt; dieses ist das Fett. Den ersten laboratorischen Hinweis darauf, daß das Fett auf die Pepsindrüsenarbeit hemmend einwirkt, finden wir bei Ohishin. Lo- bassow hat eine beträchtliche Anzahl von Versuchen angestellt, die diesen Befund vollkommen bestätigen. Gießt man einem Hunde 50 bis 100 cem Olivenöl in den Magen und läßt man ihn nach einer Stunde z. B. Fleisch fressen, so ruft dieses letztere oftmals sogar ım Laufe einer Stunde keine Magensaftssekretion hervor; die hiernach beginnende Sekretion bleibt sodann im Laufe einer geraumen Zeit (im Lauf vieler Stunden) eine im Vergleich zur normalen sehr spärliche. Ganz ebenso beginnt auch in dem Falle, wenn man das Öl nach Fütterung mit Fleisch oder Brot in den Magen gießt, die schon bestehende Sekretion bald sich zu vermindern und kann sogar eine Zeitlang ganz stocken. Die hemmende Wirkung des Fettes auf die Magen- saftsekretion ist auch durch zahlreiche Beobachtungen am Menschen bestätigt worden. Daß dieses nicht das Ergebnis einer mechanischen Wirkung des Öles, welches den Zugang der chemisch reizenden Substanzen zu der Magenwand hemmt, sondern eine direkte Beeinflussung des Sekretionsprozesses ist, wird gegenwärtig durch zahlreiche unumstößliche Versuche dargetan. Lobassow versuchte unter sonst gleichen Verhältnissen durch Scheinfütterung bei einem ösophagotomierten, mit einer Magenfistel und einem isolierten kleinen Magen versehenen Hunde einmal bei leerem großen Magen und ein anderes Mal nach Einverleibung einer gewissen Menge flüssigen Öles in denselben Magen- saftsekretion hervorzurufen. In der zweiten Reihe von Versuchen fand ent- weder gar keine Sekretion aus dem kleinen Magen statt, oder sie trat später ein und war spärlicher als wie in der ersten Reihe von Versuchen. Diese Versuche sind sehr leicht zu deuten: Der Sekretionsprozeß, welcher in den Drüsen des isolierten Magens zu beobachten ist und durch den Ebakt an- geregt wird, wird durch das aus dem übrigen Teile des Verdauungskanal wirkende Öl gehemmt. Nicht minder überzeugend sind die Versuche von Ssokolow, welche er an seinen in komplizierter Weise operierten Hunden vorgenommen hat. Als Erreger der Saftsekretion wurde Fleisch in den großen Magen gebracht, wo es auch liegen blieb; Öl wurde durch die Fistel ins Duodenum gegossen, und nur in diesem Falle konnte eine bedeutende sekretionshemmende Wir- kung beobachtet werden. Es leuchtet aus diesem Versuche ein, daß zwei verschiedene Oberflächen des Verdauungskanals zur Erregung und Hemmung der Magensaftsekretion dienen. Auch in diesem Falle kann natürlich nicht von einer indirekten hemmenden Wirkung des Fettes die Rede sein. Weitere Beobachtungen und Versuche ergaben, daß auf die Rolle, welche das Fett in der Tätigkeit der Pepsindrüsen zu spielen vermag, sich nicht 718 Wirkung des Fettes vom Darm aus. seine sekretionshemmende Wirkung beschränkt. Direkt in den Magen ein- verleibtes Fett regt eine und sogar zwei Stunden die Drüsentätigkeit nicht nur nicht an, sondern hemmt, wie wir gesehen haben, die Wirkung anderer sekretionserregender Substanzen. Beobachtet man jedoch einen Hund, welcher eine bedeutende Dosis Fett in den Magen einbekommen hat, noch weiter, so gewahrt man, daß etwa in der dritten Stunde sich Magensaft abzuscheiden beginnt; diese Sekretion dauert sehr lange an und liefert eine nicht geringe Menge Magensaft. Diese Tatsache wurde in der sorgfältigsten Weise mehr- mals nachgeprüft, um etwaige psychische Einwirkungen gänzlich auszu- schließen. Nach alledem mußte als unumstößlich anerkannt werden, daß nach intraventriculärer Einverleibung von Fett sehr spät, nicht früher als wie nach zwei Stunden, die Pepsindrüsentätigkeit angeregt wird. Was hat sie nun zu bedeuten ? Man kann hier zweierlei annehmen: erstens, ob nicht die aus dem Darm in den Magen beförderten Säfte (eine solche Rück- beförderung der Verdauungssäfte aus dem Darm in den Magen findet ziemlich häufig und, unter anderem, bei reichlichem Fettgehalt in dem Darminhalte statt) sekretionserregend wirken, und zweitens, ob nicht bei Zersetzung der Fette im Darme derartig wirkende Substanzen entstehen ? Diese Annahmen wurden auf ihre Richtigkeit geprüft. Einerseits beob- achtete Ssokolow an seinen Hunden eine bedeutende sekretionserregende Wirkung des Pankreassaftes und der Galle, welche in den Magen einverleibt wurden. Jedoch kann die oben erwähnte Wirkung des Fettes wohl in ihrem ganzen Umfange hierdurch erklärt werden, da die Rückbeförderung der oben erwähnten Säfte bei weitem nicht so beständig ist wie der Befund, den sie zu erklären hat. In der Tat hat Piontkowsky!) nachgewiesen, daß das Glycerin auf die Magendrüsen gar nicht einwirkt, während hingegen Seifen, welche aus der Säurekomponente des Fettes entstehen, sehr energische Er- reger der Magensaftsekretion sind. Sie wirken vom Darm aus und äußern ihre Wirkung, wenn sie direkt in denselben einverleibt werden. Vermengt man Fett mit Pankreassaft und Galle und läßt man das Gemisch eine Zeit- lang im Brutschrank stehen, so erregt es hiernach vom Darm aus die Magensekretion ebenso bald. ÖOleinsäure und Galle, welche jede für sich allein vom Darm aus nicht auf die Magensekretion einwirken, tun das in exakter Weise, wenn sie miteinander vermengt werden. Es verdient er- wähnt zu werden, daß, wenn man ein Gemisch von Fett und Seife in den Magen oder den Darm einverleibt, die hemmende Wirkung des ersteren sich in eklatanter Weise bemerkbar macht und daß die Seife hiernach ihre Wir- kung später und schwächer äußert. Unter diesen Umständen ist es ganz begreiflich, daß das Fett, welches langsam aus dem Magen in den Darm weiterbefördert wird und sich dort endgültig zersetzt, so spät die Magen- sekretion anzuregen beginnt. Man kann also als bewiesen annehmen, daß das Fett auf die Pep- sindrüsen in zweierlei Weise vom Darm aus wirkt: an und für sich übt es eine bedeutende hemmende Wirkung aus, durch die Seifen aber, welche aus seinen Zersetzungsprodukten entstehen, eine stark sekretionserregende; beide Wirkungen werden vom Darm aus ausgeübt. !) Sitzungsber. d. Gesellsch. d. russ. Ärzte in St. Petersburg 1904. I I ee Die erwähnten, das Fett betreffenden Befunde verhelfen uns zu einer befriedigenden Erklärung des Verlaufes der Sekretion bei einigen Nahrungs- sorten, welche viel Fett enthalten und unter denen die Milch natürlich an erster Stelle steht. Als man die hemmende Wirkung des Fettes kennen lernte, kam man in natürlicher Weise zu der Annahme, dab die anfangs sehr spärliche Magen- saftsekretion bei Milchfütterung durch die Wirkung des Fettes zu erklären ist. Dieses wird durch verschiedene Variationen des Versuches bestätigt. ‚Gibt man dem Tiere Milchrahm zu trinken, so ist die Sekretion eine noch spärlichere und bleibt noch länger eine solche. Milch, aus der durch Filtra- tion die Fettkügelchen entfernt worden sind, ergibt, gleichviel ob sie direkt in den Magen gegossen oder in natürlicher Weise geschluckt wird, eine ganz andere Kurve der Magensaftsekretion, wobei in diesem Falle das Maximum der Sekretion in den meisten Fällen der ersten Stunde entspricht [|Wolko- witsch!)]. Schließlich ergaben Versuche von Ssokolow, in denen die Milch ‚direkt in den Magen gegossen wurde und hier die ganze Zeit über verblieb, .d. h. wo sie ihre hemmende Wirkung (welche ja nur vom Darm aus ausgeübt wird) nicht äußern konnte, daß das Maximum der Sekretion ebenfalls auf .die erste Stunde fiel. Bei Milchfütterung wird also die Erregung, welche durch den Eßakt und die chemische Wirkung anderer Milchbestandteile hervorgerufen ist, ‚durch das Fett gedämpft. Wie erklärt man sich nun das allmähliche An- wachsen der Sekretionsenergie fast bis zum Ende der dritten Stunde? Ist ‚das eine Abschwächung der hemmenden Wirkung oder ein Anwachsen der ‚erregenden Wirkung oder endlich beides zusammen ? Ersteres könnte durch ‚Zersetzung und allmählichen Schwund des Fettes, letzteres durch allmähliche Anhäufung der Verdauungsprodukte des Milcheiweißes und die Bildung von Seifen bedingt werden. Eine mehr oder weniger bedeutende Teilnahme der ‚ersten zwei Faktoren ist nach dem oben Erwähnten von selbst einleuchtend. Daß aber auch der letzte Faktor (Seifenbildung) in der erwähnten Erschei- nung eine große Rolle spielt, darauf kann man aus den Versuchen, in ‘welchen die Tiere mit Eidotter [Ssoborow ?)] und sehr fettem Fleisch: ver- schiedenen natürlichen Sorten desselben (Gänsefleisch, Schweinefleisch) oder magerem, aber mit viel Fett vermengtem Fleisch [Wirschubsky °)] gefüttert wurden, schließen. Eidotter ergibt ein riesiges, jedoch sehr spät eintretendes Maximum, welches auf die 4. bis 5. Stunde nach der Fütterung fällt; ganz ‚ebenso verhält sich auch fettes Fleisch Zu Beginn aber ist die Sekretion sowohl in dem einen, als auch in dem anderen Falle eine sehr spärliche, und -erst im Laufe von Stunden wächst sie allmählich an. Daß der Kernpunkt hier in der Tat in der anfänglich hemmenden Wirkung des Fettes und in ‚der späteren erregenden Wirkung der sich bildenden Seifen liegt, erhellt aus Versuchen von Ssokolow. Dem Hunde verfütterter Eidotter ergab in dem ‚Falle, wo der Magen mit dem Darme verbunden wurde, nach lange andauern- -dem Minimum ein bedeutendes Maximum erst in der 4. bis 5. Stunde, in dem Falle aber, wo die Verbindung zwischen Magen und Darm aufgehohen wurde, ‚ein viel geringeres Maximum und schon während der ersten Sekretionsstunde. Wirkung des Fettes. JuNS) \) Dissert. St. Petersburg 1898. — °) Ebenda 1899. — °*) Ebenda 1900. 730 Wirkung des Fettes. Die beschriebenen Versuche, welche eine zweifache Wirkung des Fettes ! erkennen lassen, müssen besonders die Kliniker interessieren, und zwar des- | gehend, Fettdiät zur Behandlung der Hypersekretion anwenden. Auch hier ! liegt der Schwerpunkt in der angewandten Dosis des Fettes und in der Kombination desselben mit verschiedenen anderen Nährstoffen. Das bisher gesammelte Material genügt also, um in ausgiebigem Maße den die Menge des Magensaftes betreffenden Gang seiner Sekretion bei ver- schiedenen dem Tiere verfütterten, reinen Nahrungssorten zu deuten. Es erübrigt aber noch die Frage nach den Veränderungen des Magen- saftbestandes in Abhängigkeit von verschiedenen Nahrungssorten und dem Zeitpunkte der Sekretionsperiode. In dem Versuchsmaterial, welches reinen Magensaft betrifft, finden wir " bis heute keine Hinweise darauf, daß die Sekretion von Säure und diejenige von Wasser unabhängig voneinander verlaufen. Schwankungen der Aci- dität des Magensaftes sind fortwährend zu beobachten und erreichen oft ! bedeutende Grade, sie sind jedoch stets von der Sekretionsgeschwindigkeit abhängig, und zwar in folgender Weise: je bedeutender die Geschwindigkeit ist, einen desto höheren Säuregrad zeigt der Magensaft und umgekehrt. In Anbetracht dieses Befundes kann man annehmen, daß die Pepsindrüsen einen Saft von stets gleicher Acidität produzieren und daß die zu beobachtende Acidität durch die in bedeutenderem oder geringerem Grade stattfindende \ Neutralisation der Säure mit dem alkalischen Magenschleim, der sich ihr beimengt, während der Magensaft bald rascher, bald langsamer die Wände entlang fließt, bedingt wird [Ketscher!)l. Ein sehr schlagender Beweis \ zugunsten dieser Annahme ist darin zu sehen, daß, wie schon oben erwähnt wurde, bei einem hungernden Hunde, an dem die Scheinfütterung zu wieder- ) holten Malen angestellt wird, schließlich, sobald sich der Chlorgehalt des | Organismus in bedeutendem Maße verringert, die Saftsekretion ganz stockt, wobei in dem secernierten Magensafte bis zu den letzten Portionen desselben die Acidität in normalen Grenzen schwankt. Jedoch ist die Möglichkeit, daß ein tieferer Zusammenhang zwischen der Acidität und Sekretions- geschwindigkeit des Magensaftes besteht, ganz ebenso wie das im Speichel in bezug auf den Salzgehalt und die Geschwindigkeit der Fall ist, nicht aus- geschlossen. Schließt man sich unserer Deutung an, so kann man auber- | dem Schwankungen der Acidität auch in Abhängigkeit von der Menge der Schleimsekretion im Magen erwarten. Vielleicht besteht in einigen beson- deren Fällen der Mechanismus der Aciditätsschwankungen gerade hierin. | Es ist leicht einzusehen, daß im Falle von profuser Schleimabsonderung | dieser Faktor sehr schwer ins Gewicht fallen kann. Ganz anders verhält es sich mit dem Fermentgehalte des Magensaftes. | Die Sekretion der sauren Lösung und diejenige des Fermentes (Kiweib- ferment) sind zwei voneinander ganz unabhängige Funktionen. Wie schon aus den früher angeführten Tabellen der Saftsekretion bei verschiedenen | Nahrungssorten zu ersehen war, bilden die Sekretionsgeschwindigkeit, d. h. | die Sekretion der sauren Lösung, und die Konzentration des Saftes, d. h. die >) Ic! Verlauf der Sekretion bei verschiedener Nahrung. 721 Fermentsekretion, miteinander sehr mannigfaltige Kombinationen. Man kann als unumstößliche Tatsache nur von verschiedenen Konzentrationen j des Fermentes im Magensafte reden, daher von der verschiedenen Geschwin- * digkeit der Fermentsekretion im Vergleich zur Sekretion der sauren Lösung. H Um weiter zu gehen und von dem Prozeß der Fermentbildung in der Drüse oder von dem Übergange des Fermentes aus dem latenten Zustande in den aktiven zu reden, wie das Herzen !), der die Ansicht von Schiff verteidigt und die Bezeichnung Pepsinogenie gebraucht, tut, dazu besitzen wir gegen- wärtig kein genügendes Material. Jedenfalls kann man auf Grund des vor- handenen Materials behaupten, daß in den Pepsindrüsen niemals diejenige Abwesenheit von Pepsin (Apepsie) zu beobachten ist, von der Herzen in seinen Schlußfolgerungen ausgeht. Wir brauchen nur an die Tatsache, wie groß die Magensaftsekretion bei Scheinfütterung und namentlich bei 14 Tage hungernden Tieren ist, zu erinnern. Der Saft besitzt hierbei eine bedeutende Verdauungskraft. In betreff der Fermentsekretion sind zwei maßgebende Tatsachen bekannt. Zusatz von reiner Stärke zu den dem Magen einverleibten Substanzen (Fleisch, Lösung von Liebigschem Extrakt) führt zu Fermentvermehrung in dem secernierten Magensafte. Dasselbe behauptet Herzen?) in bezug auf einige andere Kohlehydrate. Zusatz von Fett vermindert im Gegenteil den Fermentgehalt des Magen- saftes. Obgleich das Fett zugleich auch die Sekretion der sauren Lösung hemmt, so äußern sich beide Wirkungen des Fettes häufig in nicht paralleler Weise: schwache Fermentkonzentration ist ebenso oft bei spärlicher als wie bei reichlicher Sekretion zu beobachten. Durch die angeführten Tatsachen läßt sich vieles in den Schwankungen der Magensafteigenschaften bei verschiedener Nahrung erklären. Die ver- verschiedene Acidität der auf Brot, Fleisch und Milch sich ergießenden Magensaftsorten hängt in exakter Weise von der mittleren Sekretions- geschwindigkeit in einer Stunde ab. Im allgemeinen wird der Saft während der Sekretionsperiorde am raschesten bei Fleischfütterung ausgeschieden; dementsprechend besitzt der Fleischsaft die höchste Acidität. Der Brotsaft stellt sowohl im ersten, als auch im letzten Punkte das gerade Gegenteil des Fleischsaftes dar. An der verhältnismäßig niederen Acidität des Brotsaftes ist wohl zum Teil auch die Schleimsekretion, welche bei Brotfütterung aus- giebiger ist als wie bei Fleisch- und Milchfütterung, schuld. Die bedeutende Verdauungskraft des Brotsaftes erklärt sich dadurch, daß im Brot Eiweiß und Kohlehydrate sich paaren, ebenso wie die niedrige Verdauungskraft des Milchsaftes dadurch zu erklären ist, daß in der Milch sich Eiweiß und Fette paaren. Die Verdauungskraft ist bei Fütterung mit Rahm eine noch niedrigere als wie bei Milchfütterung, augenscheinlich weil der Fettgehalt | hier ein noch bedeutenderer ist. Die Verdauungskraft des Fleischsaftes steht ? zwischen derjenigen des Brot- und Milchsaftes und nähert sich mehr dieser letzteren. Man kann mit einigem Recht annehmen, daß auch bei Fleisch- fütterung die Magensaftkonzentration durch das Fett, welches in der Menge von einigen Prozenten selbst im mageren Fleische enthalten ist, herabgedrückt wird. Eine Lösung von Liebigschem Extrakt (Extraktivstoff ist derjenige k ») Pflügers Arch. 84 (1901). — °) 1. e. und Pflügers Arsch. 85 (1901). Nagel, Physiologie des Menschen, I. 46 y : B 739 Leitungswege der Drüsenreize. Bestandteil des Fleisches, welcher am meisten die Magensaftssekretion anregt) ergibt einen Magensaft mit stärkerer Verdauungskraft als wie Fleisch. Die geringere Verdauungskraft des Milchsaftes im Vergleich zu derjenigen des Fleischsaftes könnte eventuell von der verschiedenen Verteilung des Fettes in der Masse der beiden Nahrungsmittel abhängen. Alle bisher erhobenen Befunde, mit deren Hilfe der Mechanismus der Einwirkung verschiedener Nahrungssorten auf die Sekretion der Pepsindrüsen erklärt werden soll, stellen augenscheinlich nur das erste Stadium der Ana- lyse dar. Eine weitere Aufgabe besteht darin, zu untersuchen, in welcher Weise die von bestimmten Oberflächen des Verdauungskanales aus wirkenden bestimmten Reize die Pepsindrüsen erreichen. Die Erregung der Pepsindrüsen durch aus der Entfernung wirkende Nahrung, die sogenannte psychische Erregung derselben, kann natürlich nur auf nervösem Wege stattfinden. Es versteht sich von selbst, daß gegen- wärtig der ganze Weg, den diese Reize zu durchlaufen haben, nicht verfolgt werden kann, da diese Erscheinung zu den kompliziertesten sich im Nerven- system abspielenden Prozessen gehört. Eine objektive Analyse dieses psy- chischen Reizes, einer kompliziert nervösen Erscheinung, ist fast noch nicht ' vorgenommen worden, und ist der Gegenstand bis zur letzten Zeit vom Standpunkte der subjektiven Psychologie aus behandelt worden. Wir haben versucht, die Erscheinung mit dem, was wir subjektiv als Appetit kennen, in Verbindung zu bringen, und den auf diese Weise secernierten Saft als Appetitsaft bezeichnet. Meisl!) hat den Appetit in seinen Beziehungen zu der Magensekretion vom psychologischen Standpunkte aus einer Analyse unterworfen. Vom rein objektiven, physiologischen Standpunkte aus ist fürs erste sehr wenig zur Erklärung dieser Erscheinung getan worden. Einige Autoren haben mit Bestimmtheit festgestellt, daß keine psychische Erregung der Pepsindrüsen stattfindet, sobald die Nn. vagi beim Tiere durchschnitten werden. Gerwer?) behauptet, daß nach Entfernung gewisser Hirnrinden- bezirke die Pepsindrüsen nicht mehr psychisch erregt werden können. Künst- liche Erregung dieser Bezirke ruft nach Gerwer Magensaftsekretion hervor; nach Durchschneidung der Nn. vagi bleibt diese Erregung wirkungslos. Der Eßakt (Scheinfütterungsversuch) dient, wie oben nachgewiesen worden ist, als sehr starker Erreger der Pepsindrüsen. Schon aus der An- ordnung des Versuchs erhellt, daß auch hier der Zusammenhang zwischen Eßakt und Pepsindrüsen ein rein nervöser ist. Die Nahrung gleitet so rasch durch den oberen, zudem sehr geringe Resorptionsfähigkeit besitzenden Ab- schnitt des Verdauungskanals, daß hierbei wohl kaum irgend etwas ins Blut geraten kann. Daß der Zusammhang hier in der Tat ein ausschließlich nervöser ist, folgt aus der unumstößlich nachgewiesenen Tatsache, daß Scheinfütterung ganz aufhört sekretionserregend zu wirken, sobald die Nn. vagi sei es am Halse, oder in der Brusthöhle, oder schließlich unter dem Dia- phragma durchschnitten werden. Hier sind also dieselben Verhältnisse zu beob- achten wie in den Speicheldrüsen nach Durchschneidung der Chorda tympani. Das Ergebnis der Scheinfütterungsversuche vor und nach Durchschneidung der Nn. vagi hat überhaupt als Ausgangspunkt beim Studium des Inner- !) Wien. klinische Rundschau 1903 und 1904. — ?) Obosrenie psichiatrii (russisch) 1899. Leitungswege der Drüsenreize. 723 vationsapparates der Pepsindrüsen gedient. Es folgte aus ihm unumstößlich, daß in dem Nn. vagi die zentrifugalen Nervenfasern, durch deren Vermitte- lung der Reiz vom zentralen Nervensystem auf die Pepsindrüsen übertragen. wird, verlaufen. Einen letzten Beweis hierfür mußten Versuche, in denen die peripherischen Enden dieser Nerven gereizt wurden, abgeben. Wir haben in Gemeinschaft mit K. Schumowa-Ssimanowsky'!) derartige Ver- suche angestellt und konnten hierbei ein durchaus positives Ergebnis er- zielen. An Hunden wurden in gewissen Abständen, im Laufe mehrerer Wochen, folgende Operationen ausgeführt: die gewöhnliche Magenfistel, die Ösophagotomie, wie sie oben beschrieben worden ist, und die Durchschnei- dung des rechten N. vagus unterhalb der Abzweigung des N. laryngeus in- ferior. Einen Tag vor dem Reizungsversuche wurde der linke N. vagus am Halse durchschnitten und dann sein mit einem Faden versehenes peripheri- sches Ende direkt unter die Haut, welche mit zwei bis drei Nähten zugenäht wurde, gebracht. Am Tage des Versuches wurden bei dem in einem ent- sprechenden Gestell befindlichen Tiere die Hautnähte getrennt und der Nerv auf diese Weise entblößt. Reizung des Nerven mit alle Sekunde wiederholten Induktionsschlägen rief bedeutende Magensaftsekretion hervor. Der Zweck der Versuchsanordnung war, jeden sonstigen sensiblen Reiz auszuschließen, da Versuche von Netschajew ?) ergeben hatten, daß sensible Reize die Magen- saftsekretion bedeutend vermindern und sogar auf mehrere Stunden zum Stocken bringen können. Spätere Autoren [Axenfeld3), Oontejean *), Schneyer’), Uschakow ®)]| haben auch in acuten Versuchen an verschie- denen Tieren positive Ergebnisse erzielen können. Aus mehreren anderen Befunden, welche darın bestanden, daß zwischen der Sekretion und ver- stärkter Blutzirkulation kein beständiger und exakter Zusammenhang fest- zustellen war, daß nach Atropineinverleibung die sekretorische Einwirkung verschwand und daß bei Verstärkung des Reizes die Konzentration des Magensaftes anwuchs, muß man schließen, daß im N. vagus spezielle sekre- torische Fasern zu den Pepsindrüsen verlaufen. Uschakow hielt sich für berechtigt, auf Grund des Befundes, daß Reizung des N. vagus sogar bei Hunden, bei welchen jeglicher sensible Reiz ausgeschlossen war, Magensaft- sekretion erst viele Zehner von Minuten nach Beginn der Reizung hervorrief, zu schließen, daß in dem N. vagus auch besondere sekretionshemmende Fasern enthalten sind. Kann die Tatsache, daß zwischen Eßakt und Pepsindrüsen der Zu- sammenhang ein ausschließlich nervöser ist, nicht bezweifelt werden, so gehen in betreff des Mechanismus dieses Vorganges die Meinungen der ver- schiedenen Autoren noch sehr weit auseinander. Unser Laboratorium vertritt in dieser Beziehung, was Hunde anbetrifft, den Standpunkt, daß es sich in diesem Falle nicht um einen einfachen, von der Mundhöhle ausgehenden Reflex handelt, sondern um eine kompliziert nervöse Erscheinung (psychische Erregung, lebhafte Aufmerksamkeit nach der Nahrung, Appetit (Sanotz- ki?) u. a.). Diese Ansicht gründet sich auf folgendes. Reizung desjenigen ) l. ec. — °) Dissert. St. Petersburg 1882. — °) Atti e rendic. della aead. med. chirurg. di Perugia 1890. — *) These de Paris 1892. — °) Deutsch. med. Wochenschr. 1896. — °) St. Petersburger Arch. de Scienc. biolog. 1896. — 7) Ebenda 1 (1892). 46* 794 Leitungswege der Drüsenreize. Teiles des Verdauungsapparates, den die Nahrung bei Scheinfütterung pas- siert, mit verschiedenen reizenden Substanzen: Lösungen von Säuren, Salzen, Bitterstoffen, einer Senfölemulsion, Steinchen usw., ergibt keinen Tropfen Magensaft, angenommen, dab man jegliche psychische Erregung durch den Anblick von Nahrung vermeidet und sich die Pepsindrüsen im Ruhezustande befinden. Es könnte jedoch noch angenommen werden, daß eben gerade die chemischen Eigenschaften der Nahrungsmittel von der Mundhöhle aus als spezifische Reize wirken. Doch auch diese Annahme wird durch folgende Beobachtung widerlegt. Zieht der Hund stets oder zu einer gewissen Zeit Fleisch dem Brote oder umgekehrt Brot dem Fleische vor, so wirkt nur das- jenige Nahrungsmittel stark sekretionserregend, welches das Tier im gege- benen Moment gern zu sich nimmt, und dieses sogar in dem Falle, wenn das Tier irgend eine andere Nahrungssorte frißt und der Experimentator in zu vergleichenden Fällen für gleiche Stärke des Reizes (z. B. Größe und Anzahl der Bissen) sorgt. Unsere Annahme ist um so mehr berechtigt, als bei einigen besonders gierigen Tieren die durch die aus der Entfernung wirkende Nahrung hervorgerufene Magensaftsekretion ihrem Umfange nach ganz und gar der nach Scheinfütterung zu beobachtenden gleichkommt. Es ist voll- kommen begreiflich, daß bei Scheinfütterung die die psychische Erregung hemmenden Momente, welche bei Erregung aus einiger Entfernung eine Rolle spielen, ganz fortfallen. Borissow!) dagegen besteht darauf, daß es sich beim Eßakt um eine gewöhnliche reflektorische Erregung von der Mund- höhle aus handelt, und sieht als Beweis hierfür die von ihm beobachtete Tatsache an, daß nach Bepinselung der Mundhöhle mit Bitterstoffen (welche an und für sich auch nach Borissow die Magensaftsekretion nicht anregen) Scheinfütterung bedeutendere Magensaftsekretion hervorruft als wie vordem. Es ist jedoch klar, daß es sich hier nicht um einen einfachen Reflex, sondern um eine komplizierte Einwirkung handelt; die sogenannte psychische Erre- gung sehen wir aber eben als kompliziert nervöse Erscheinung an. In Beobachtungen und Versuchen, die an Menschen angestellt worden sind, bestätigt sich auch die sekretionserregende Wirkung des Eßaktes, nur gehen auch hier die Meinungen der Autoren über die Details der Sache aus- einander. Einige sind geneigt, die Einwirkung des Kauaktes und die Mund- höhle einfach mechanisch reizender Substanzen anzuerkennen, andere beob- achteten unter den chemischen Substanzen eine sekretionserregende Wirkung ‘von der Mundhöhle aus nur bei Nahrungsstoffen, und zwar nur dann, wenn die betreffenden Substanzen einen normalen, dem Versuchsobjekt angenehmen Geschmack und Geruch besaßen. Die neuesten, an Menschen angestellten Versuche, welche in methodischer Beziehung am meisten tadellos sind, sprechen für die in unserem Laboratorium herrschenden Ansichten [Horn- borg?)]. Die Analyse des Mechanismus der Nahrungswirkung vom Magen und Darm aus auf die Magensaftsekretion stößt sofort auf große Schwierigkeiten. Da in diesen Höhlen ein Übergang der Nahrungsstoffe, ihrer Zersetzungs- produkte und der Verdauungsflüssigkeiten ins Blut möglich und auch in der Tat zu beobachten ist, so muß man unbedingt mit beiden möglichen Arten ') Russischer Arzt 1903. — ?) Skand. Arch. f. Physiol. 25 (1903). Leitungswege der Drüsenreize. 725 des Zusammenhanges zwischen Reiz und Sekretionselement, der durch Ver- mittelung des Nervensystems und durch Vermittelung des Blutes stattfin- denden, rechnen. Aus dem Befunde, daß ein Innervationsapparat der Pep- sindrüsen sicherlich besteht, folgt noch durchaus nicht, daß die Wirkung der Nahrung im Magen und im Darme dem Innervationsapparat zu verdanken ist. Möglicherweise beschränkt sich seine Teilnahme auf den Eßakt. Diese Frage muß folglich durch eigens zu diesem Zwecke angestellte Versuche gelöst werden. Hinerseits müßte eine partielle oder totale Zerstörung des Innervationsapparates vorgenommen werden; letztere ist jedoch nicht immer ausführbar. Andererseits müssen die zu untersuchenden Substanzen ent- weder direkt ins Blut oder von anderen Oberflächen des Verdauungskanals als wie die normalen aus einverleibt werden. Die Einverleibung von Nährstoffen direkt ins Blut, namentlich von Gemischen derselben, kann den Blutbestand in so eigenartiger und schroffer Weise verändern, daß irgend eine andere physiologische Funktion der Drüsen und nicht ihre Verdauungs- funktion (so z. B. ihre Fähigkeit, das Blut von nachteiligen Beimengungen zu befreien, den Blutbestand auszugleichen) in den Vordergrund tritt. In diesem Falle wäre also die Wirkung eine bedeutendere als wie bei normalem Durchgange dieser Substanzen vom Darmkanal ins Blut; das Ergebnis kann jedoch auch ein geringeres sein. Die Resorption aus gewissen Abschnitten des Verdauungskanals durch bestimmte Verdauungsoberflächen, kann dazu führen, daß im Blute Substanzen auftreten, die in den injizierten Gemischen nicht vorhanden sind und die aus der Darmwand selbst stammen. Letzterer Umstand ist vor kurzem von Bayliss und Starling in ihrer Veröffent- lichung über das Pankreas, über die wir am betreffenden Orte noch berichten wollen, hervorgehoben worden. Unter den bestehenden Verhältnissen kann man von den bereits an- gestellten analytischen Studien keine endgültigen Ergebnisse erwarten. Das allgemeine und zweifellose Ergebnis sämtlicher, sowohl alter, als auch neuerer Untersuchungen gipfelt darin, daß Sekretion des Magensaftes auch ohne Nn. vagi stattfinden kann. Eine besonders exakte vergleichende Unter- suchung der Arbeit der Pepsindrüsen bei normaler Fütterung vor und nach Durchschneidung der Nn. vagi ist in neuester Zeit von Orbeli!) am isolierten Magen vorgenommen worden. Zuerst wurde die Tätigkeit des isolierten kleinen Magens, dessen Innervationsapparat intakt war, unter- sucht, sodann die seromuskulöse Brücke, welche den isolierten kleinen Magen mit dem großen Magen verbindet, d. h. also die Verästelungen des N. vagus, durchschnitten und dann eine Reihe ebensolcher Untersuchungen vor- genommen. Die an zwei Hunden vorgenommenen Untersuchungen ergaben durchaus übereinstimmende Resultate. Chemische Reize, wie Wasser und eine Lösung von Liebigschem Extrakt, welche vom großen Magen aus wirkten, riefen im isolierten kleinen Magen Sekretion eines Magensaftes von normaler Verdauungskraft hervor, dessen Menge jedoch (höchstens um das Doppelte) geringer war als wie normal. Es ist möglich, dab sich diese quantitative Abnahme nicht auf Beseitigung der Nn. vagi, welche in der Norm am Prozeß der Nahrungseinwirkung vom Magen und vom Darm aus teilnehmen, sondern I) Sitzungsber. d. Gesellsch. d. russ. Ärzte in St. Petersburg 1903 bis 1904. 7936 Leitungswege der Drüsenreize. auf Verminderung der Arbeitsfähigkeit der Pepsindrüsen überhaupt nach Durchschneidung der Nn. vagi gründet. Die hemmende Wirkung des Fettes, welche sich an der Saftmenge äußert, fällt nach Abtrennung des kleinen. Magens vom großen fort. Da in diesem Falle bei Brotfütterung die Ver- minderung der Verdauungskraft eine besonders eklatante war, so schloß Orbeli hieraus, daß auch die Einwirkung der Stärke oder ihrer Verdauungs- produkte auf die Fermentanreicherung durch Vermittelung der Nn. vagi statt- findet. Jedoch vermehren nach Herzen!) die Kohlehydrate auch vom Rectum aus die Fermentkonzentration des Magensaftes. Um die Bedeutung der Nn. vagi für die normale Arbeit der Pepsindrüsen in vollem Maße zu veranschaulichen, halten wir es für nötig, zwei hierher gehörige Tabellen aus der Veröffentlichung von Orbeli wiederzugeben. Tabelle XIX. | Hund Nr. 1 | Saftmenge in Cubik- | Verdauungskraft in | centimeter | Millimeter Nahrung | vor nach | vor nach ' Durehschneidung der Durchschneidung der | Nn. vagi | Nn. vagi | Y EN | | t | R 600 cem Mileh ee | 18,1 | 14,4 | 3,0 2,6 100/e#Rleisch” 2... 17,6 | 6,6 9,9 4,8 F00SEBLot re er 10,2 | 3,1 | 6,8 3,8 Tabelle XX. Hund Nr. 2 Stunden der 100g Brot 100 & Fleisch | 600 com Milch Sekretions- | ” periode vor nach | vor nach | vor nac Durchschneidung | Durchschneidung | _Durchschneidung der Nn. vagi | der Nn. vagi | der Nn. vagi 1 1.93,8 N 2,6. u BR 2 | 1,2 0,2 5,3 2,1 | 5,6 | 3,0 3 | 1,3 0,4 5,0 1,5 5,6 1,1 4 0,9 _ | 3,8 0,2 | 5,3 0,2 5 0,5 u 2,2 — 1108 = 6 0,2 = 2,3 — Rn _ Vielleicht wirken die chemischen Reize auch noch durch Vermittelung anderer Nerven, außer den Nn. vagi. Für die Teilnahme des N. sympathicus an der Magensaftsekretion könnte in gewissem Maße der Versuch von Arthus?) sprechen, der darin besteht, daß ein ganz ausgeschnittenes und in die Bauchwunde mit der Schleimhaut nach außen eingenähtes Stück der ) 1. ec. — °) Compt. rend. de la Soc. de biol. a Paris 1903. Leituneswege der Drüsenreize. MT: Magenwand niemals saure Sekretion beobachten läßt. Popelsky!) zerstörte alle nervösen Verbindungen des Magens mit dem zentralen Nervensystem und auch das Ganglion solare, und trotzdem blieb die Wirkung des Liebig- schen Extraktes auf die Pepsindrüsen bestehen. In Anbetracht dieses Be- fundes mußte man entweder das Vorhandensein eines peripherischen reflek- torischen Apparates in der Magenwand selbst (was Popelsky annimmt) oder eine durch das Blut übertragene Wirkung zugeben. Da der Reflex- apparat aus der Magenwand nicht zu entfernen ist, so muß man zu einem End- ergebnis zu kommen trachten, indem man die zweite Möglichkeit ausschließt. Lösungen von Fleischextraktivstoffen wurden zu wiederholten Malen Tieren per rectum einverleibt, ohne irgendwie sekretionserregend auf den Magen einzuwirken. Lobassow?) hat derartige Experimente mit besonderer Sorgfalt angestellt, doch auch immer mit negativem Ergebnis. Direkte intravenöse Einverleibung von Liebigschem Extrakt rief bei Lobassow eine spärliche Magensaftsekretion hervor, wobei jedoch zugleich das Bild der allgemeinen Erregung, Brechbewegungen und Speichelsekretion zu beob- achten waren, so daß dieser Versuch wohl kaum einen Beweis für die vom Blut aus ausgeübte sekretionserregende Wirkung der Extraktivstoffe unter normalen Bedingungen abgeben kann. In Versuchen Ssokolows wirkte eine solche Lösung viel schwächer, wenn sie ins Duodenum gegossen wurde, als wie vom Magen aus. Dasselbe Verhalten war auch beim Wasser zu be- obachten. Von diesem letzteren namentlich mußte als unwiderlegliche Tat- sache angenommen werden, dab es die Pepsindrüsen nicht dadurch erregt, daß es ins Blut gelangt. Schließlich ist nachgewiesen worden [Ssanotzky°)], daß das Atropin, welches den Sekretionsnerven der Pepsindrüsen paralysiert, auch jegliche Magensaftsekretion stocken macht. Auf diese Weise ist also eine Wirkung durch Vermittelung des Nervensystems sehr wahrscheinlich. Ganz ausgeschlossen kann jedoch die zweite Möglichkeit nicht werden, da . die Annahme, ob nicht vielleicht von dem durch die Magenwand resorbierten Wasser oder der Lösung von Liebigschem Extrakt irgend etwas Reizendes mitgenommen wird, nicht durch entsprechende Versuche geprüft worden ist. Wie bereits erwähnt, ist mit der Arbeit der Pepsindrüsen bei Fütterung mit reiner Nahrung die gesamte vitale Tätigkeit dieser Drüsen nicht erschöpft; sie müssen außerdem noch auf den von anderen, nicht nahrhaften Substanzen, die mit der Nahrung in den Magen-Darmkanal gelangen, ausgeübten Reiz im Interesse des Organismus in der einen oder der anderen Weise reagieren. Alles hierher gehörige Material kann gegenwärtig noch nicht systemati- siert werden. Wir wollen hier in Anbetracht des bedeutenden praktischen und theoretischen Interesses, den dieser Gegenstand bietet, eine Substanz kurz erwähnen, welche ein Mittelding zwischen echten Nährstoffen und anderen zufälligen Reizen des Magen- Darmkanals darstellt. Wir meinen den Alkohol, welcher in letzter Zeit die Auf- merksamkeit sowohl der experimentellen, als auch der klinischen Forscher in be- deutendem Grade auf sich lenkt. Alle behaupten einstimmig, daß er auf die Pepsindrüsen energisch sekretionserregend wirkt. Ebenso kann wohl kaum be- zweifelt werden, daß der Alkohol direkt auf die Sekretionszelle einwirkt. Dieses schließt jedoch die Möglichkeit nicht aus, daß diese Wirkung auch durch das Nervensystem vermittelt wird. Für diese letztere Annahme spräche der bedeuten- !) Russischer Arzt 1903. — ?)l.c. — ’)l. ce. 728 Die Arbeit des Pankreas. dere Sekretionseffekt des Alkohols vom Magen aus, als aus dem Rectum. In gleicher Weise bestätigen sämtliche Autoren, daß der sich auf Alkohol ergießende Saft wenig Ferment enthält. Es wäre jedoch übertrieben zu behaupten, daß sich auf Alkohol ein ganz fermentloser Saft, d. h. eine reine Salzsäurelösung ergießen kann. Die in dieser Richtung gemachten Angaben müssen der mangelhaften Methodik zugeschrieben werden. Außer dem Magensaft und an derselben Oberfläche, wie dieser, wird im Magen von speziellen Sekretionselementen, dem Deckepithel, noch ein anderes Sekret, der Schleim, produziert. Leider ist in betreff der Physiologie dieses. Sekretes uns nur sehr weniges bekannt. Auch sie variiert natürlich, was sowohl ihre Menge, als auch Qualität anbetrifft. Der ausgeschiedene Schleim ist bald zäh, bald dünnflüssig, zuweilen, wie z. B. bei Fleischfütterung, ist, namentlich zu gewissen Stunden, überhaupt keine Schleimsekretion zu beobachten; bei Brotfütte- rung ist diese Sekretion wohl spärlich, aber konstant. Riesige Schleimmengen scheiden sich ab, wenn lokal stark reizende Substanzen in den Magen gelangen. Dieses ist, wie man annehmen muß, die Hauptmaßnahme zur Schadlosmachung dieser Substanzen, ganz wie im Munde dieses durch den Speichel erzielt wird. Daß an der Schleimsekretion wenigstens zum Teil das Nervensystem teilnimmt, wird einerseits durch die Versuche Uschakows!) bewiesen, welcher bei Reizung des N. vayus zu Beginn derselben sich ganz reinen Schleim in ausgiebiger Mense ergießen sah, andererseits durch den Befund, daß bei Brotfütterung im isolierten kleinen Magen Schleimabsonderung zu beobachten ist, sobald das Brot auf die Oberfläche des großen Magens einwirkt. Dageren kann jedoch hier auch eine direkte Reizung der Epithelzellen durch die betreffende Substanz angenommen werden. III. Die Arbeit des Pankreas. 1. Methodik. Nicht rascher und mit nicht geringeren Schwierigkeiten als für die Pepsindrüsen ist von der Physiologie auch die Methodik der Untersuchung des Pankreas ausgearbeitet worden. Eine geringe Menge ganz reinen Pan- kreassaftes zu gewinnen, hat dank dem weiten Ausführungsgange der Drüse freilich keine besonderen Schwierigkeiten. Die unfehlbare Gewinnung einer reichlichen Saftmenge blieb jedoch lange ein pium desiderium. Gewöhnlich beobachtete man, wenn man durch einen Schnitt in die Wand des Aus- führungsganges eine Kanüle in das Lumen derselben hineinsteckte (sogenannte temporäre Fistel, Claude Bernard), nur sehr spärliche Sekretion, häufig aber auch gar keine, trotzdem das Tier (Hund) sich mitten in der Verdauungs- periode befand. Häufig half in solchen Fällen auch langes Warten nicht. Augenscheinlich hemmte die Operation, welche dem Tier einen heftigen sen- siblen Reiz beibrachte, die Sekretion in beträchtlichem Maße. In glücklichen Fällen wurden einige Cubikcentimeter Saft secerniert, aber selbstverständlich genügte die Methodik nicht, um die normale Arbeit der Drüse zu studieren. Es stand also die Aufgabe bevor, eine permanente Fistel des Ausführungs- ganges anzulegen. Leider blieben die in dieser Richtung gemachten Ver- suche lange Zeit über erfolglos. Ein in den Ausführungsgang vernähtes Rohr oder ein in denselben eingeführter und L-artig gebogener weicher Draht funktionierte höchstens einige Tage; später fiel die Kanüle heraus und wuchs die Fistel trotz des Drahtes zu. An den wenigen Tagen, wo das Lumen des Ausführungsganges noch offen war, konnten keine tadellosen Ver- ak @- Pankreasfisteln. 729 suche angestellt werden, da die Drüse infolge der Operation sich im Zustande permanenter Reizung befand und ganz unabhängig von der Nahrungs- aufnahme ein sehr dünnes Sekret ausschied. Im Jahre 1872 haben wir!) und im Jahre 1880 unabhängig von uns Heidenhain?) diese Aufgabe in fast identischer Weise gelöst. Wir brachten ein Stückchen der Duodenal- wand mit dem sich hier eröffnenden normalen Ausführungsgange an die Hautoberfläche und vernähten dasselbe mit den Rändern der Hautwunde; auf diese Weise erhielten wir eine permanente Fistel, dank der man die Arbeit der Drüse beobachten kann, ohne mit den oben erwähnten anormäalen Ver- hältnissen zu tun zu haben. Nun traten jedoch neue Schwierigkeiten ein. Einerseits reizte der sich ergießende Saft die Bauchwand in dem Maße, daß sich an derselben in bedeutender Erstreckung Hauterosionen bildeten, wes- halb der Saft verunreinigt wurde und der Zustand des Tieres sehr erschwert wurde. In gewissem Grade kann dem dadurch abgeholfen werden, daß man die Bauchwand öfters abwäscht, das Tier im Laufe des Tages lange Zeit über mit einem unten am Bauche angebundenen Trichter zwecks Aufsammlung des Pankreassaftes in einem Gestell stehen läßt und während der übrigen Zeit das Tier auf einer porösen Unterlage liegen ließ. Es bestand aber auch ein noch größeres Übel. Die Tiere erkrankten augenscheinlich infolge allzu großen Saftverlustes nach einigen Wochen oder Monaten (unter besonderen Krankheitserscheinungen) und gingen rasch ihrem Ende entgegen. Durch mäßige Ernährung, hauptsächlich mit Brot und Milch, sowie durch Zusatz von Soda zur Nahrung oder durch Eingießen einer Sodalösung in den Magen konnte man der Erkrankung vorbeugen, sie hinausschieben und abschwächen. Vollständig wurde der Zweck jedoch nur selten und zufällig erreicht; augen- scheinlich dank ihrer entsprechenden Individualität leben einige mit Pan- kreasfisteln versehene Tiere viele Jahre lang, ohne irgend welche Krankheits- zeichen zu offenbaren. Es mußte also die Methodik weiter ausgearbeitet werden. Man mußte den Saft entweder nur aus einem kleinen Teile des Pankreas zu gewinnen suchen oder nur im Laufe des Versuches und ihn sonst in den Darm abfließen lassen. Ersteres könnte am Hunde, welcher bekanntlich zwei Pankreasausführungsgänge besitzt, am einfachsten in der Weise verwirklicht werden, daß man den kleinen und nicht den großen Aus- führungsgang in der Hautwunde vernähte. Dieses ist nur einmal erprobt worden, wobei sich erwies, daß aus dem kleinen Ausführungsgange sehr wenig Saft ausgeschieden wird und die Sekretion sehr unregelmäßig verläuft. Eine andere Variation dieser Methode war folgende: bei bestehender Fistel des großen Ausführungsganges wurde entweder das Pankreas unweit von dem Ausführungsgange durchschnitten, wobei die in einem großen Bündel verlaufenden Gefäße und Nerven verschont wurden, oder in einer ebensolchen Entfernung von der Fistel der Ausführungsgang allein partiell reseciert (Ssokolow). Das Ergebnis war ein ziemlich günstiges. Da jedoch die Lagerung und die Verbindung der Ausführungsgänge in der Drüse sehr stark variieren, kann die Methode noch nicht als vollständig ausgearbeitet gelten. Schließlich wurde auch erprobt, den Saft nur während des Ver- !) Arbeit. d. St. Petersb. Gesellsch. d. Naturforsch. 11 (1879). — ?) Hermanns Handbuch d. Physiol. 1880. 730 Pankreasfisteln. suches aus der Fistel fließen zu lassen. Fodera!) hat vorgeschlagen, eine besondere Metallkanüle in dem Pankreasausführungsgange zu befestigen und verheilen zu lassen, dank welcher der Saft sich bald nach außen, bald in den Darm ergießen kann. Diese Methode ist bis jetzt außer vom Autor noch von niemand angewandt worden. In neuester Zeit ist es in unserem Labora- torıum Dr. Babkin gelungen, eine Fistel anzulegen, welche augenscheinlich die Aufgabe in trefflicher Weise löst. Wie Delezenne und Frouin?) nach- gewiesen haben, behält die die Öffnung des Ausführungsganges bei einer permanenten Fistel umgebende Schleimhaut wenigstens einige ihrer normalen Eigenschaften bei und unter anderen diejenige, daß das von ihr produzierte spezifische Ferment, die Kinase [Schepowalnikow°) aus unserem Labora- torium], den Pankreassaft, welcher nach Delezenne und Frouin in ganz inaktivem Zustande von der Drüse ausgeschieden wird, aktiviert. Hieraus erwuchs die Aufgabe, bei Anlegung der Fistel dieser Aktivierung vorzubeugen, so daß der Saft so, wie er von der Drüse ausgeschieden wird, gewonnen würde. Es wird zuerst eine gewöhnliche permanente Fistel angelegt. Ist die Wunde verwachsen, so schneidet man das gewöhnlich kleine Stück (ein Oval, dessen Längsdurchmesser 8 bis 12 mm beträgt) Schleimhaut sorgfältig aus und befestigt das Lumen des zurückgebliebenen Ausführungsganges durch vier Nähte an den Rändern der kleinen Hautwunde. Verwächst auch diese, so bildet sich eine kleine Hautnarbe, welche das Lumen des Ausführungs- ganges zu schließen trachtet. Führt man während des Versuches eine kurze Kanüle durch diesen Narbengang in den Ausführungsgang der Drüse ein, so erhält man einen ganz reinen, frei aus der Drüse fließenden Saft. Außerhalb des Versuches zieht sich der Narbengang zusammen und behindert den Abfluß des Saftes. Die Bauchwand bleibt ganz normal, weil einerseits der Saft wenig. aktiv ist, und weil er andererseits außerhalb des Versuches entweder gar nicht oder nur in sehr spärlicher Menge aus der Fistelöffnung fließt. In diesem Falle bleibt also vom Standpunkte einer idealen Methodik nur noch ein Mangel übrig: Während außerhalb des Versuches dank der Anastomose der Ausführungsgänge und der Schließung der Fistelöffnung sämtlicher Pankreassaft in den Darm fließt, findet während des Versuches die Ver- dauung nur unter sehr geringer Teilnahme des Pankreassaftes statt. 2. Normale Arbeit des Pankreas bei Fütterung mit reiner Nahrung. Auf Grund von Versuchen an Hunden, die mit einer Pankreasfistel ver- sehen waren, ist von zahlreichen Autoren [Bernstein®t), Heidenhain’), Kuwschinsky®) u. a.] die Sekretionsarbeit des Pankreas bei der Verdauung beschrieben worden. Von sämtlichen hierher gehörigen Versuchen verdienen die von Dr. Walther’), einem jungen, talentvollen Physiologen, dessen hoff- nungsvolles Leben durch einen Unfall ein jähes, unerwartetes Ende gefunden hat, angestellten ganz besonders hervorgehoben zu werden, da der Zustand des Versuchstieres, welches in unserem Laboratorium mehrere Jahre lang mit !) Moleschotts Untersuchungen zur Naturlehre usw. 16 (1896). — °) Compt. rend. de l’acad. d. science. 1902. — °) Diss. St. Petersb. 1899. — *) Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1869. — °) Hermanns Handbuch d. Physiol. 1830. — °) Diss. St. Petersb. 1888. — 7) St. Petersb. Arch. d. Science. biolog. 1899. Sekretion des Pankreas. 73l der Fistel lebte, stets ein tadelloser war, und die angestellten Versuche ganz besonders zahlreich und systematisch angeordnet waren. Diese Versuche wollen wir hier auch wiedergeben. Da der Hund von Walther außerdem auch eine gewöhnliche Magenfistel besaß, so konnte durch Öffnen derselben kontrolliert werden, ob der Magen leer ist und sich die Pepsindrüsen im Ruhezustande befinden, und dann erst der Versuch begonnen werden. Als Nahrung wurden dem Tiere einzeln Fleisch, Brot und Milch, Repräsentanten verschiedener Nährstofigemische, in bezug auf den Stickstoffgehalt äquivalen- ter Mengen (600 cem Milch, 100 g Fleisch, 250g Brot) gereicht. Untersucht wurden die nach Zeiteinheiten eingeteilte Saftmenge im Laufe der ganzen Sekretionsperiode, der Gehalt an festen Bestandteilen, organischer Substanz und Asche, die Alkaleszenz der Asche in der Gesamt- menge des Saftes, welcher sich auf die verschiedenen Nahrungssorten ergießt, die Fermentwirkung der stündlichen Portionen und der Gesamtmenge des Saftes.. Während die ersten der oben aufgezählten Befunde ihren vollen wissenschaftlichen Wert behalten, erscheinen die letzten Bestimmungen (der Fermentwirkung), dank den neuesten Fortschritten der Chemie der Fermente, gegenwärtig als ungenügend und müssen infolgedessen von neuem nachgeprüft werden. Bis vor kurzem wurde die Bestimmung der Ferment- wirkung des Pankreassaftes in dessen natürlicher Gestalt vorgenommen, wobei man nur für möglichst gleiche allgemeine physikalische und chemische Bedingungen Sorge trug. Seit der Entdeckung der Kinase, welche das Eiweißferment des Pankreassaftes aus einem untätigen in einen tätigen Zustand umwandelt, und seitdem genau nachgewiesen worden ist, daß das Eiweißferment sich im Safte in untätigem Zustande ausscheiden kann [Lintwarew!)], muß man zur Bestimmung des Fermentgehaltes in dem Safte das Ferment erst vollkommen aktivieren. Erschwert wird die Untersuchung der Fermente dadurch, dab nicht für alle von ihnen die die- selben aktivierenden Substanzen entdeckt worden sind. Für das Eiweibß- ferment kennen wir dieselbe und wird sie von der Darmwand secerniert. Was das Fettferment anbetrifft, so wird nach dem Vorgange von Nencki?) auf die günstige Wirkung von Gallezusatz hingewiesen. Worauf beruht nun diese? Auf Begünstigung für die Fermentwirkung passender chemischer Be- dingungen oder auf Aktivierung, auf Umwandlung des Zymogens in ein aktives Ferment? Vor kurzem standen Dr. Babkin Pankreassaftsorten zur Verfügung, welche an und für sich für Monobutyrin sich als ganz unwirksam erwiesen, im Gemenge mit Galle aber diese Substanz sehr energisch zersetzten. Man muß also zugeben, daß auch das Steapsin zuweilen nur als Zymogen im Pankreassafte enthalten ist und daß folglich zwecks Bestimmung des Ge- samtgehaltes an Fettferment im Pankreassafte diesem unbedingt Galle hinzugefügt werden muß. Mit dem Stärkeferment ist man noch ganz im Unsicheren. Sowohl Galle, als auch Darmsaft verstärken seine Wirkung häufig in ganz bedeutender Weise, aber über ein untrügliches Kriterium, inwieweit hier Aktivierung und inwieweit allgemeine Begünstigung der Reak- tion eine Rolle spielt, verfügen wir nicht, und wir können infolgedessen nicht bestimmen, welche Versuchsbedingungen geschaffen werden müssen, damit !) Diss. St. Petersb. 1901. — ?) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 20. WS} 100 eem Saft 0,588 | Asche in Proz. Na,C0, auf Alkaleszenz der Prozent des Stickstoffs 0,68 0,39 0,24 Prozent der organischen Substanzen 4,399 2,298 1,558 | Prozent der Asche 0,869 0,907 standes Tabelle XXT. Prozent des | Trockenrück- | 30'—0,85 cem tionsgesch windig- 4 Std. Dauer der Sekretion keit (im Laufe v. 5’) und mittlere Sekre- ı Menge des ab- geschiedenen | Pankreassaftes 45,7 Nahrung 600 cem Milch Menge und Art der 250 g Brot . 100 & Fleisch . Sekretion des Pankreas. der Fermentgehalt im Safte genau bestimmt werden kann. Außer der Bestimmung der Ge- samtmenge des (sowohl aktiven, als auch in- aktiven) Fermentes kann natürlich auch die wissenschaftliche Aufgabe erwachsen, zu be- . stimmen, in welchem Zustande sich das Ferment im Safte befindet und wie sich der aktive und der inaktive Teil des Fermentes quantitativ zu- einander verhalten. In diesem Falle muß man jedoch sicher sein, daß die im Safte zu beob- achtende Äußerung des Fermentes nicht eine zu- fällige, während des Versuches entstandene, sondern eine wirklich gesetzmäßige, normale Erscheinung ist. Delezenne!) und seine Mit- arbeiter beweisen, daß das Pankreas unter nor- malen Verhältnissen das Eiweißferment stets im absolut inaktivem Zustande ausscheidet. Die in vielen Fällen zu beobachtende schwache (zuweilen aber auch bedeutende) Wirkung des Saftes schreibt er verschiedenen zufälligen Ursachen zu: der An- wesenheit von Kinase in frischem Fibrin und in Leukocyten, sowie Bakterien. Jedoch konnten sich einige andere Autoren nicht stets davon über- zeugen, daß die von Delezenne bezeichneten Bedingungen in der Tat bestehen und von Wich- tigkeit sind. Trotzdem die Versuche von Dele- zenne sehr exakt sind, wäre es gegenwärtig ver- früht, die Frage als endgültig entschieden zu betrachten. Obgleich die physiologische Bedeutung des Protrypsins im Pankreassaft eine deutliche ist, da das im Pankreassaft vorhandene Eiweiß- ferment die Existenz der übrigen Fermente be- droht (Hanicke), so sind doch die Fälle von aktivem Zustande des Fermentes so zahlreich, dab die Behauptung Delezennes ohne Nachprüfung dieser Fälle nicht ohne weiteres als zu Recht bestehend anerkannt werden kann. In Anbetracht dieser Erwägungen erscheinen die von Walther festgestellten (als eklatante Beispiele der An- passung) interessanten Befunde, welche den Fermentgehalt des Saftes betreffen, als fraglich und müssen erst von dem erwähnten Standpunkte aus umgearbeitet werden, weshalb wir sie be- sonders und nur kurz besprechen wollen. Untenstehende Tabellen sind der Veröffent- lichung von Dr. Walther entnommen. !) Compt. rend. de la soc. de biol. Paris 1902 u. 1903. Sekretion des Pankreas. 733 Tabelle XXII. = Eiweißferment Stärkeferment Fettferme Nahrungssorte ; ST as IMFER ermen! | in Millimeter in Millimeter in cem Lauge 1} Milch er ee 4,54 | 6,75 9.09 ERBE, or 3,81 | 6,16 2,7 So ag ee IR BR Fra 3,56 4,29 | 5,7 Das Eiweißferment wurde nach Mett bestimmt, das Stärkeferment gleichfalls an Stärkestäbchen, gleich den Mettschen Eiweißstäbehen, das Fettferment durch Titrieren des zersetzten Monobutyrins mit Lauge. Aus den angegebenen Befunden erhellt, daß die Arbeit des Pankreas für eine jede Nahrungssorte durchaus eigenartig und charakteristisch ist. Die Gesamtsaftmenge entspricht weder dem Gesamtgewicht, noch der Menge der festen Bestandteile, noch auch der Eiweißmenge der verwandten Nahrungs- sorten und richtet sich also nur nach der Summe der physikalischen und chemischen Eigenschaften der jedesmal verwandten Nahrung. Ganz ebenso differiert auch die Qualıtät des Saftes ın sämtlichen Fällen sehr bedeutend. Besonders bemerkenswert sind die Differenzen des Gehaltes an organischen Stoffen, deren im Brotsaft fast doppelt und im Fleischsaft fast dreimal so wenig enthalten sind als im Milchsaft. Außerdem ist auch der Salz- gehalt und die Aschealkaleszenz der verschiedenen Saftsorten zu beachten. Sehr weit gehen die verschiedenen Saftsorten auch in bezug auf die Ferment- konzentration, sowie auf die allgemeine Masse eines jeden Fermentes aus- einander. Schließlich ist auch der nach Stunden eingeteilte Gang der Sekretion für jede Nahrungssorte ein besonderer. Bei Brot- und Fleischfütterung fällt die energischste Sekretion auf die beiden ersten Stunden, wobei im zweiten Falle die Sekretion rasch auf Null hinabgeht, während bei Brotfütterung sich an die erste Periode eine zweite Sekretionsperiode, während welcher die Sekretion wohl schwächer ist, jedoch nur allmählich auf Null fällt, anschließt. Bei Milchfütterung ist im Gegenteil während der ersten zwei Stunden die Sekretion eine sehr träge und während der zweiten Stunde oft sogar eine schwächere als während der ersten und entwickelt sich erst in der dritten Stunde ein in die Augen springendes Maximum der Sekretion, nach welchem dieselbe rasch auf Null fällt. Indem wir fürs erste von der Beurteilung der physiologischen Bedeu- tung der Sekretion des einen oder des anderen Fermentes absehen, da uns keine genauen diesbezüglichen Angaben zur Verfügung stehen, wollen wir die Menge des Saftes, d. h. die Menge der mineralischen Sodalösung näher betrachten. Die erste physiologische Aufgabe der Darmverdauung besteht augenscheinlich darin, daß das für chemische Reaktionen im Magen erforder- liche, stark saure Medium in ein neutrales oder sogar alkalisches, wie es für die Wirkung der Darmfermente und vor allem der Pankreasfermente erforder- lich ist, umgewandelt werden muß. Da bei Milchernährung der Magensaft einerseits neutralisiert und andererseits sehr stark verdünnt wird, so bedarf es dementsprechend einer viel geringeren Menge Alkali, um die Reaktion des Mageninhaltes im Darm zu verändern. Dieses ist auch in der Tat der Fall, 734 Sekretion des Pankreas. denn auf die Milch ergießt sich besonders wenig Pankreassaft, wobei seine Alkaleszenz, sowie diejenige seiner Asche bedeutend geringer ist als bei anderen Nahrungssorten. Bei den oben angegebenen Portionen gelangt bei Brotfütterung im ganzen mehr Säure in den Darm als bei Fleisch- fütterung, und dementsprechend ergießt sich auch die größte Menge Pankreas- saft auf Brot. Dieses ist von um so größerer Bedeutung, als von sämtlichen Pankreasfermenten das auf Stärke wirkende am wenigsten mit sogar schwach saurer Reaktion vorlieb nehmen kann. Selbst wenn man mit den gegen- wärtigen Bestimmungen des Fermentgehaltes im Pankreassafte nicht rechnet, sondern nur die Bestimmungen der organischen Substanz zur Richtschnur nimmt, deren Gehalt im allgemeinen ein dem Fermentgehalte paralleler ist, so gewahrt man sicherlich einige in die Augen springende zweckmäßige Be- ziehungen. Auf die oben angegebenen Mengen Fleisch und Milch scheidet die Drüse fast gleiche Quantitäten organischer Stoffe aus, angenommen, daß. man die Saftmenge neben der Fermentkonzentration in Rechnung zieht. Auf | Brot dagegen ergießt sich fast doppelt soviel Saft. Und dieses entspricht sowohl der geringeren Verdaulichkeit des Broteiweißes im Vergleich zum Fleisch- und Milcheiweiß, als auch dem enormen Stärkegehalt gegenüber dem Fettgehalt in Milch und Fleisch. Dasselbe bestätigen auch die ausgeführten Fermentbestimmungen (Walther). 3. Die einzelnen Sekretionsreize der Nahrung und die Lokalisation ihrer Wirkung an der Oberfläche des Verdauungskanals. Wie man aus genaueren (in viertelstündlichen Abschnitten gezeichneten) Kurven der Sekretion ersieht, beginnt dieselbe 1 bis 1!/, Minuten nach der Nahrungsaufnahme mit einer geringen, aber deutlichen Steigung, welche 10 bis 20’ andauert und bei Fleisch-, sowie Brotfütterung in eine stärkere Sekretion, bei Milchfütterung aber in eine schwächere übergeht. Es ist ganz natürlich, anzunehmen, daß für das Pankreas diese anfängliche Sekretion ebenso wie für die Pepsindrüsen mit dem Eßakt im Zusammenhange steht, was durch das uns zur Verfügung stehende experimentelle Material zur Genüge nachgewiesen wird [Krewer!). Bei einem ösophagotomierten Hunde, der außerdem eine gewöhnliche Magenfistel, sowie eine Pankreasfistel besitzt, beginnt jedesmal bei Scheinfütterung, 1 bis 1!/,' nach Beginn der- selben, Pankreassaft sich auszuscheiden, also zu einer Zeit, wo die Magen- drüsen sich noch im Ruhezustande befinden, die Reaktion des Magens noch überall eine alkalische ist. Auch in dem Falle, wo der Hund neben einer Pankreasfistel eine laterale Duodenalfistel hat, kann man bei Brot- und Fleischfütterung 1 bis 1!/,’ nach Beginn derselben Pankreassekretion ge- wahren, welche 10 bis 15’ fortdauert, während zu gleicher Zeit das Duodenum leer bleibt und alkalische Reaktion zeigt. Das nämliche ist schließlich auch an einem Hunde mit einer lateralen Duodenalfistel allein nachzuweisen. Bei einem vordem hungernden Tiere ergießt sich 1 bis 1!/,' nach Beginn der Fleisch- oder Brotfütterung aus der Fistel eine klare, farblose Flüssigkeit, welche stark alkalisch reagiert, Eiweiß energisch verdaut und in der Menge von 2 bis 3cem ausgeschieden wird. ') Diss. St. Petersburg 1899. Erreger für das Pankreas. 39 u | Wie jedoch bereits erwähnt wurde, führt der Eßakt nur zu mäßiger Pankreassaftsekretion. Was regt nun die energische, normale Drüsentätig- keit an, wenn die Sekretion 100 cem pro Stunde erreicht? Becker !), welcher die Wirkung von mit CO, gesättistem Wasser und einer schwachen Soda- lösung auf das Pankreas untersuchte, fand, daß die letztere Lösung schwächer wirkte als reines Wasser, die Kohlensäurelösung aber bedeutend stärker. Gottlieb2), welcher lokal stark reizende Substanzen (ziemlich starke Lösungen von Säuren, Alkalien, Senf) auf das Duodenum einwirken ließ, beobachtete hierbei Verstärkung oder Anregung der Pankreassekretion. Dolinsky’’) verlieh dem Befunde, daß Säure auf die Pankreassekretion anregend einwirkt, dadurch eine besondere physiologische Bedeutung, daß er darauf hinweise, daß eine jede Nahrung im Magen dank dem Magensaft eine saure Reaktion erlangt. Die Wirkung der Säure erwies sich in den Grenzen, welche im Verdauungskanal unter normalen Verhältnissen zu beobachten sind, als eine ganz eklatante.e Der Grad der Wirkung hing vollständig von der Acidität der einverleibten Flüssigkeit ab, wobei sogar eine Flüssigkeit, welche von der Zunge kaum als saure erkannt wurde, eine stärkere Wirkung ausübte als Wasser. Reiner Magensaft wirkte ganz ebenso wie eine dem Grade der Acidität nach ihm entsprechende Lösung von Salzsäure oder irgend einer anderen Säure. Bei Scheinfütterung eines (ösophagotomierten, mit gewöhn- licher Magen- und Pankreasfistel versehenen) Hundes beobachtet man, wenn man die Magenfistel öffnet und also den Magensaft abfließen läßt, eine sehr unbedeutende Pankreassekretion; sie wird wieder bedeutender, wenn man die Magenfistel schließt und den Magensaft in den Darm abfließen läßt. Ver- schiedene Nahrungsstoffe, wie flüssiger Stärkekleister, Zuckerlösung, Milch usw., wirkten, in reiner Gestalt in den Magen gebracht, auf das Pankreas sehr wenig sekretionserregend ein, übten jedoch in dem Falle, wo sie angesäuert wurden, je nach dem Grade ihrer Acidität eine sehr bedeutende Wirkung aus. Flüssiges Eiereiweiß und Fleischpüree, welche vermittelst der Sonde in den Magen gegossen wurden, riefen fast gar keine Pankreassaftsekretion hervor, wirkten jedoch in dem Falle, wenn sie in natürlicher Weise in den Magen gelangten, dank dem Appetitsaft sehr stark sekretionserregend auf das Pankreas. Gießt man dem (mit drei Fisteln versehenen) Hunde einmal Milch in den Magen und stellt man zugleich einmal Scheinfütterung mit Milch im Laufe von 3 bis 4’, ein anderes Mal unter gleichen Verhältnissen dieselbe Scheinfütterung ebensolange mit Fleisch an, so erhält man im zweiten Falle während der ganzen Sekretionsperiode viel mehr Pankreassaft als im ersten (Krewer). Und dieses hängt augenscheinlich davon ab, daß bei Scheinfütterung mit Fleisch viel mehr Magensaft ausgeschieden wird als bei Scheinfütterung mit Milch. Scheinfütterung allein übt auf die Pankreas- sekretion eine nur unbedeutende Wirkung aus, und zwar eine von der Nahrungssorte ganz unabhängige. Schließlich hemmte in dem Falle, wo während der normalen Magenverdauung energische Pankreassekretion eintrat, in den Magen gegossene Lauge oder Pankreassaft die Pankreassaftsekretion sofort, und zwar in bedeutendem Maße. Alle diese angeführten Tatsachen \) St. Petersburger Arch. d. Sciene. biolog. 1893. — *°) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 33 (1894). — °?) St. Petersburger Arch. d. Sciene. biolog. 1894. 736 Erreger für das Pankreas. lassen mit Sicherheit annehmen, daß bei normalem Verlauf der Verdauung gerade die Säure als energischer Reiz für die Pankreastätigkeit anzusehen ist. Eine Reihe von Forschern [Gottlieb !), Popelsky°), Wertheimer und Lepage°)] hat nachgewiesen, daß die sekretionserregende Wirkung der Säure aufs Pankreas nur vom Duodenum und dem oberen Abschnitte des Dünndarmes aus ausgeübt wird, während sie in den übrigen Abschnitten des Verdauungskanals ganz ausbleibt. Reines Wasser erregt die Pankreastätigkeit gleichfalls, jedoch viel schwächer als schwache Säurelösungen. Die Wirkung des Wassers kann mit Sicherheit nur an Hunden, die eine Magen- und Pankreasfistel besitzen, nachgewiesen werden, und zwar dadurch, dab es, in den ganz ruhigen, alka- lisch reagierenden Magen gegossen, die Pankreassekretion bedeutend früher anregt, als es selbst dank der viel später eintretenden Magensaftsekretion angesäuert wird. Das Wasser wirkt von denselben Oberflächen aus sekre- tionserregend wie die Säure. Zu den selbständigen Erregern der Pankreastätigkeit gehören noch: Fett [Damaskin®)] und Seifelösungen |Babkin°’)|. Daß auch hier nicht die Wirkung der Säure hinzukommt, wird durch eine der oben beschriebenen gleiche Versuchsanordnung verbürgt. Dem Grade seiner Wirkung nach nähert sich der letztgenannte Reiz in stärkeren Konzentrationen der Säure. Fett wirkt viel schwächer und übertrifft in dieser Beziehung das Wasser nur um ein geringes. Die erwähnten normalen Erreger der Pankreassekretion unterscheiden sich nicht nur nach der von ihnen hervorgerufenen Saftmenge voneinander. Sehr verschieden ist auch die Qualität des sich auf sie ergießenden Saftes, Der Säuresaft enthält die geringste Menge organischer Stoffe, welche zu- weilen sogar dem Aschegehalte nachsteht; seine und seiner Asche Alkaleszenz ist die bedeutendste von allen zu beobachtenden, der Fermentgehalt dagegen der minimalste. Die auf Seifen, Fett und Wasser sich ergießenden Saftsorten gehören zu den konzentrierten, namentlich die erstere; sie enthalten fünf- bis sechsmal soviel organische Substanzen als der Säuresaft, weniger Asche und zeigen eine geringere Alkaleszenz. Der erwähnte Unterschied in der Zusammensetzung der Säfte bleibt auch dann bestehen, wenn die Sekre- tionsgeschwindigkeit bei Einwirkung von Säure und Seife die gleiche ist. Auf Grund der angeführten Tatsachen kann man in gewissem Maße den Gang der Sekretionsarbeit des Pankreas bei normaler Ernährung analysieren. In Anbetracht der streng differenten Wirkung der Säure und der anderen Sekretionserreger kann man schon aus dem Säftebestande auf die Teilnahme des einen oder des anderen Reizes an der Drüsenarbeit schließen. Je geringer der Prozentgehalt an organischen Stoffen, je schwächer der Saft in bezug auf seine Fermentwirkung und je höher sein Aschegehalt ist, desto größeren Anteil nimmt im gegebenen Falle augenscheinlich die Säure, und umgekehrt. Noch ein, wenn auch weniger sicheres Kriterium gibt die Sekretionsgeschwin- digkeit ab, welche z.B. bei Säureeinwirkung eine maximale sein muß. Dieses ')l.c. — ?) Diss. St. Petersburg 1896. — °) Journ. d. physiol. et de pathol. 1901. — *) Sitzungsber. d. Ges. d. russ. Arzte in St. Petersburg 1896. — °) Ver- handlungen d. Kongr. in Helsingfors 1902. Mechanismus und Pankreassekretion. 137 bestätigt sich auch, wenn man die Sekretion des sauren Magensaftes mit der- jenigen des Pankreassaftes vergleicht. Bei Fleisch- und Brotfütterung ist die Magensaftsekretion in der ersten Zeit nach der Nahrungsaufnahme am energischsten, dementsprechend ist um dieselbe Zeit auch die Pankreas- sekretion am stärksten, wobei der um diese Zeit abgeschiedene Saft den geringsten Gehalt an organischen Stoffen und Fermenten aufweist. Bei Milch- fütterung ist die Magensaftsekretion zu Anfang eine schwache und verstärkt sich in der Mitte der Sekretionsperiode (während der dritten Stunde); ganz den- selben Verlauf nimmt auch die Pankreassekretion. Bei Fleisch- und Brot- fütterung sind die stündlichen Sekretionsmaxima des Magensaftes bedeuten- der als bei Milchfütterung, ebenso auch die des Pankreassaftes. Bei Fleisch- fütterung ist die Magensaftsekretion im Laufe einiger Stunden eine bedeu- tendere, ebenso weist auch die Pankreassekretion in diesem Falle eine bedeutendere Geschwindigkeit auf, und der abgeschiedene Saft ist ein dünnerer. Bei Brotfütterung ist die Magensaft-, ebenso wie auch die Pan- kreassekretion im Laufe der ersten Sekretionsperiode eine bedeutendere als im Laufe der übrigen Sekretionszeit. Die auf den ersten Blick zuweilen auffallenden Inkongruenzen bestätigen bei näherer Betrachtung im Gegenteil unseren Standpunkt. Die im Laufe der ersten Stunde auf Brot ergossene Magensaftmenge ist eine im Vergleich zur zweiten Stunde doppelt bis dreimal so große; die Pankreassaftsekretion im Gegenteil ist in diesem Falle während der zweiten Stunde eine maximale; dieses ist jedoch begreiflich, wenn man bedenkt, daß der Brotbrei und mit ihm zusammen die Säure erst von der zweiten Hälfte der ersten Stunde an in größeren Massen aus dem Magen in den Darm gelangen. Ein anderer scheinbarer Widerspruch besteht darin, daß für die Magensaftsekretion ein bedeutenderes stündliches Maximum dem Fleische, bei der Pankreassekretion dagegen dem Brote (und zwar während der zweiten Stunde) entspricht; doch auch dieser Widerspruch ist leicht zu erklären; obgleich bei Fleischfütterung sich, was die stündliche Menge an- betrifft, bedeutend mehr Magensaft abscheidet als bei Brotfütterung, so wird im ersteren Falle die Säure bedeutend mehr durch das Fleischeiweiß gebunden als im letzteren, wo das Eiweiß mit einer bedeutenden Quantität Stärke untermengt ist. 4. Der Mechanismus der Wirkung der einzelnen Reize auf die Pankreas- sekretion (nervöser Apparat und Vermittelung der Körpersäfte). Wie in jedem Falle, wo es sich um das gegenseitige Verhalten der Organe und ihren Mechanismus bei höheren Tieren handelt, muß man auch bei Analyse des betreffenden Mechanismus des Pankreas vor allem an den nervösen Apparat denken. Ist er einmal als wirklich bestehend nachgewiesen, so wird hiermit natürlich auch seine Teilnahme an der Tätigkeit des Organs unzweifelhaft. Eine weitere Frage betrifft den Grad und das Maß dieser Teilnahme, da der nervöse Apparat einen anderen, humoralen Zusammenhang noch nicht ausschließt. Die das Vorhandensein eines nervösen Pankreasapparates nachweisenden Befunde sind gegenwärtig ziemlich zahlreich und einige von ihnen sind durchaus über allen Zweifel erhaben. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 47 [1 Pankreas und N. vagus. u. [0 6) Vor allem fanden sich indirekte Hinweise auf die Teilnahme eines solchen Apparates. Es war bemerkt worden [Claude Bernard !)], daß Er- brechen die normale Pankreassekretion aufhebt oder wenigstens hemmt. Dementsprechend fand man später [Bernstein ?)], daß die Reizung des zentralen Vagusendes die unter Einwirkung der Fütterung stattfindende Pankreassekretion zum Stocken bringt oder bedeutend hemmt. Weitere Versuche [Afanassjew und Pawlow ?)] ergaben, daß das gleiche Ergebnis durch Reizung eines beliebigen sensiblen Nerven erzielt werden kann. Eine direktere und positivere, obgleich nicht ganz beständige Einwirkung konnte Heidenhain*) bei Reizung des verlängerten Markes beobachten. Schließlich sind noch Nerven ausfindig gemacht worden [Pawlow’’)], welche stets in zentrifugaler Richtung das Pankreas anregen, dieses sind die N. vagi. Ein Erfolg konnte mit diesen Nerven, welche auch früher, jedoch mit negativem Ergebnis gereizt worden waren, dank einer besonderen Versuchsanordnung, welche die auf die Drüse durch den operativen Eingriff am Tiere ausgeübte deprimierende Wirkung vollkommen ausschloß, erzielt werden. In diesem Falle stellt man die Nervenerregungsversuche an Tieren an, welche in einem Gestell stehen und während des Versuches gar keine sensiblen Reize ver- spüren, weil sie durch vorhergehende Operationen dazu vollständig vorbereitet waren, oder es werden auch frisch operierte Tiere verwandt, denen man jedoch gleich zu Anfang des Versuches das Rückenmark rasch durchschneidet. Diese für den erwähnten Versuch günstigen Bedingungen verdienen deshalb besonders hervorgehoben zu werden, weil einige Physiologen, welche diese Versuchsbedingungen nicht eingehalten haben und infolgedessen unter ge- wöhnlichen Verhältnissen keine genügend überzeugenden Ergebnisse erzielen konnten, augenscheinlich die erwähnte sekretorische Wirkung der betreffenden Nerven nicht für ganz erwiesen ansehen, obgleich dieser Befund viele hun- dert mal von verschiedenen Untersuchern erhoben worden ist (Pawlow, Mett, Kudrewetzky, Morat, Popelsky, Ssawitsch). Als Dolinsky nachwies, daß der Magensaft ein energischer Erreger der Pankreassekretion ist, wurde in unserem Laboratorium [von Popelsky ®)] ein ergänzender Versuch angestellt, welcher darin bestand, daß bei der Rei- zung des N. vagıs dem Übergange des sauren Mageninhaltes in den Darm vorgebeugt wurde, wobei das Ergebnis das nämliche war. Ziemlich oft findet bei den ersten Reizungen des Nerven keine Saft- sekretion statt; dieselben müssen wiederholt werden, damit sie ihre Wirk- samkeit erlangen. Bei effektiven Reizungen tritt die Wirkung derselben ziemlich spät, ein bis zwei und sogar mehr Minuten vom Beginn der Reizung an, zuweilen sogar, nachdem die Reizwirkung bereits aufgehört hat, ein. Bei Wiederholung der effektiven Reizungen nähert sich der Beginn der sekretori- schen Wirkung immer mehr dem Beginn der Reizung. Daß der N. vagus, in welchem nach einigen Autoren vasodilatatorische Fasern des Pankreas verlaufen, Pankreassaftsekretion nicht durch Erweite- rung der Pankreasgefäße, sondern durch eine spezifische sekretorische Ein- !) Memoire sur le panereas 1856. — ”) Ber. d. Kgl. Sächs. Ges. d. Wiss. zu Leipzig 1869. — °) Pflügers Archiv 16. — *) Ebenda 10. — °) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1893. — °) Dissert. St. Petersburg 1896. Pankreas und Sympathieus. 739 wirkung hervorruft, wird durch den Befund unumstößlich bewiesen, daß Atropin diese Wirkung des N. vayıs auf das Pankreas paralysiert. Die Annahme, daß im gegebenen Falle das Atropin nicht den Sekretionsnerven, sondern die secernierende Zelle selbst paralysiert, wird dadurch endeültig widerlegt, daß Säure nach Atropineinwirkung ganz ebenso Pankreassaft- sekretion hervorruft wie vor derselben, d.h., daß also die secernierende Zelle im gegebenen Falle ganz intakt ist [Wertheimer und Lepage !)]. Während Säure Sekretion eines sehr dünnen Pankreassaftes mit ge- ringem Prozentgehalt an organischen Stoffen, mit schwacher Fermentwirkung auf sämtliche Nahrungsstoffe hervorruft, scheidet sich bei Reizung des N. vagus ein sehr konzentrierter Saft mit hohem Fermentgehalt aus, zudem braucht in diesem Falle die Sekretionsgeschwindigkeit der bei Säureeinwirkung zu beobachtenden nicht nachzustehen [Ssawitsch 2). Der Saft wurde auf seine Fermentwirkung nach Aktivierung mit Kinase und Galle untersucht. Ebensolche sekretorische Fasern für das Pankreas verlaufen auch in dem N. sympathicus [Kudrewetzky )]. Gewöhnlich gelingt es nicht, durch tetanische Reizung des frisch durchschnittenen N. sympathicus Pankreassaft- sekretion zu erzielen. heizt man jedoch den vor drei bis vier Tagen durch- schnittenen Nerven oder auch den frisch durchschnittenen, jedoch durch mechanische Insulte oder durch je ein bis zwei Minuten wiederholte Induktions- schläge, so beobachtet man deutliche Pankreassekretion. Der sich ergießende Saft besitzt dieselben Eigenschaften wie der bei Reizung des N. vagus aus- geschiedene; Atropin paralysiert auch diese sekretorische Wirkung. In An- betracht dessen, daß die zur Äußerung der sekretorischen Wirkung des N. sympathicus angewandten Methoden mit denen identisch sind, welche zur Differenzierung der vasokonstriktorischen Effekte von den vasodilatatorischen in einem gemischten Nerven gebräuchlich sind, kann man annehmen, daß bei gewöhnlicher Reizung des N. sympathicus seine auf das Pankreas aus- geübte sekretorische Wirkung durch die gleichzeitige Erregung der vaso- konstriktorischen Nerven verdeckt wird. Die oben beschriebene besondere Erscheinung bei Erregung des N. vagus, nämlich die verzögerte Äußerung und allmähliche Verstärkung und Be- schleunigung der sekretorischen Wirkung bei Wiederholung der Reizung, darf nicht auf denselben Umstand zurückgeführt werden, weil die beim N. sympa- thicus angewandten Maßnahmen beim N. vagus das gewöhnliche Bild der Erscheinung nicht verändern. Daß die erwähnte Erscheinung wenigstens nicht ihren einzigen Grund in dem Depressionszustande der Drüse infolge der Operation hat, erhellt aus folgender Tatsache: Ist durch wiederholte Reizungen des einen N. vagıus schließlich rasches Eintreten des sekretorischen Effektes erreicht, so wieder- holt sich bei Reizung des anderen, intakten Vagus dieselbe Reihe von Er- scheinungen wie bei Reizung des ersten. Man muß also an ein temporäres Hindernis für Äußerung des sekretorischen Effektes im Nerven selbst denken. Da eine Einwirkung der vasokonstriktorischen Fasern ausgeschlossen war, so erschien die Annahme von besonderen sekretionshemmenden Fasern plau- !) Compt. rend. de la soc. de biol. Paris 1901. — ?) Verhandl. d. Kongr. in Helsingfors 1902. — °?) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1894. 47% 740 Innervation des Pankreas. sibel. Dementsprechend fand Popelsky!), indem er die zum Pankreas und in demselben verlaufenden Nerven reizte, sowohl solche, nach deren Er- regung sofort reichliche Pankreassaftsekretion zu beobachten war, als auch solche, welche hierbei nur die durch Säureeinwirkung angeregte Sekretion hemmten, d. h. er konnte gleichsam die sekretionserregenden von den sekre- tionshemmenden Fasern isolieren. Augenscheinlich kann die beim Eßakt zu beobachtende geringe Pankreas- saftsekretion (vgl. den oben beschriebenen Versuch mit Scheinfütterung bei Ausschluß der Säurewirkung des Magensaftes) nur auf der Tätigkeit des. nervösen Apparates beruhen. Die Frage, was dieses darstellt, ob eine kompliziert-nervöse (psychische) Erscheinung oder einen einfachen, von der Mundhöhle aus wirkenden Reflex, bleibt fürs erste unentschieden. Kuwschinsky konnte wohl eine bedeutende Pankreassaftsekretion beim An- blick der Nahrung konstatieren, jedoch äußerte sich bei ihm hierin augen- scheinlich die vermittelnde Wirkung des Magensaftes. Ein weiteres detailliertes Studium des für die normale Pankreasfunktion eingerichteten nervösen Apparates muß in Zerstörungen von Teilen dieses Apparates und in genauem Vergleich seiner Tätigkeit vor und nach diesem Eingriffe bestehen. Diesbezügliche Untersuchungen sind fürs erste noch sehr: spärlich. Nach Durchschneidung sämtlicher Nerven, welche neben der das Pankreas mit Blut versehenden Arterie nach demselben zu verlaufen, sah Bernstein 2), ebenso wie auch früher Claude Bernard’), an Hunden mit frischer Pan- kreasfistel unaufhörliche Pankreassaftsekretion, welche nunmehr weder von der Nahrungsaufnahme, noch von der Reizung des zentralen Vagusendes ab- hing. Die Bedeutung dieses Versuches wurde dadurch sehr vermindert, daß: die Beobachtung sich auf wenige Tage nach der Operation beschränkte und daß das besondere Verhalten der Pankreassekretion in bedeutendem Maße durch die bedeutende operative Reizung der Drüse erklärt werden konnte, da die Fisteloperation und die Durchschneidung der Nerven zu gleicher Zeit ausgeführt wurden. Zudem war folglich die Pankreassekretion nicht an ein und demselben Tiere vor und nach Durchschneidung der Nerven ver- gleichend untersucht worden. In den letzten Jahren sind sehr zahlreiche und sehr mannigfaltige Ver- suche mit den einzelnen Erregern des Pankreas, namentlich der Säure, bei den verschiedensten Zerstörungen des Nervensystems angestellt worden. Für die Einwirkung der Säure auf das Pankreas erwiesen sich weder die N. vagi, noch die N. sympathiei als notwendig. Ja noch mehr: Es kann das ganze Nervensystem (außer den obenerwähnten Nerven das Rückenmark und die großen Bauchganglien) [Popelsky*), Wertheimer und Lepage’)] zer- stört werden, und trotzdem erregt die in den Darmkanal eingeführte Säure die Pankreassekretion in gewohnter Weise. Aus dem Umstande, daß die ins. Rectum oder direkt ins Blut einverleibte Säure keine Wirkung auf das Pan- kreas äußert, schlossen die oben erwähnten Autoren, daß es sich in den eben !) Dissert. St. Petersburg 1896. — *) l.c. — °) Lecons sur la propriete phys. de liqu. de l’organ. 1859. — *) Botkins Hospital-Wochenschrift 1900. — °) Journ. de physiol. et de pathol. gener. 1901. MB Erregung des Pankreas vom Darm aus. 741 angeführten Versuchen um Erregung eines peripherischen Nervenapparates, dessen Zentren in der Drüse selbst gelagert sind, handelt. Jedoch verhalfen die Versuche von Bayliss und Starling!) einer anderen Ansicht über diesen Gegenstand zu Recht. Nachdem sie in der betreffenden Dünndarmschlinge sämtliche Nerven zerstört hatten, fanden sie, daß nichtsdestoweniger durch Einwirkung von Säure Pankreassekretion ausgelöst werden kann. Dieses führte sie zu der Annahme, daß die Säurewirkung sich nicht durch Ver- mittelung der Nerven, sondern durch Vermittelung des Blutes äußert; da jedoch Injektion von Säure keine Sekretion hervorruft, so mußte zugegeben werden, daß die die Pankreassekretion anregende Substanz dann entsteht, wenn die Säure die Darmwand passiert. Das Experiment bestätigte diese Annahme vollkommen. Ein saures Extrakt der Darmschleimhaut erwies sich bei intravenöser Einverleibung als auf das Pankreas wirkendes, stark saft- treibendes Agens. Die aus der Darmschleimhaut extrahierte Substanz be- zeichneten die Autoren als Sekretin. Als wesentliche Argumente für die Richtigkeit ihrer Deutung des Mechanismus der Säureeinwirkung auf das Pankreas geben Bayliss und Starling folgende an: Es wirkt erstens nur ein saures Extrakt und zweitens nur ein aus dem Duodenum und dem oberen Drittel des Dünndarmes angefertigtes Extrakt in oben- erwähnter Weise, ganz ebenso wie auch die Säure nur von diesem Darm- abschnitt aus die Pankreassekretion anregt. Die Veröffentlichung der beiden erwähnten Autoren wandte in ganz verdienter Weise das allgemeine Interesse auf sich und gab zu zahlreichen Nachprüfungen Anlaß. Die Tatsache, daß das obenerwähnte Extrakt auf das Pankreas sekretions- erregend einwirkt, fand überall ihre Bestätigung. Weiter konnte nach- gewiesen werden, daß das Blut eines Tieres, welches Säure in den Darm einverleibt bekommen hatte, in dem Falle, wenn es einem anderen Tiere sub- kutan injiziert wurde, Pankreassaftsekretion erregt [Enriques et Hallion 2)]. Einen sehr schwerwiegenden Beweis dafür, daß das Sekretin in dem Mechanis- mus der Säurewirkung eine hervorragende Rolle spielt, hat der Befund, daß die Sekretinsekretion, ganz wie auch die Säuresekretion, nicht durch Atropin paralysiert wird, im Gegensatz zu der nach Reizung des N. vagus und N. sympathicus zu beobachtenden Sekretion. Andererseits ist von einigen Autoren behauptet worden, daß auch Extrakte aus der Schleimhaut anderer Abschnitte des Magen-Darmkanals, wie des Magens und Rectums, eine wohl spärlichere Pankreasekretion hervorrufen. Außerdem ist von einigen Autoren konstatiert worden, daß das Duodenalextrakt auch auf andere Sekretions- prozesse, wie die der Gallen-, Speichel- und Magensaftsekretion, obzwar nicht so energisch und nicht so regelmäßig einwirkt. Diese Befunde gaben meh- reren Autoren Anlaß, an der Rolle des Sekretins für die physiologische Er- regung des Pankreas zu zweifeln. Obgleich in den Versuchen der letzt- genannten Autoren die Unbeständigkeit und der komplizierte Bestand des zum Versuch verwandten Präparates eine ziemlich bedeutende Rolle spielt, so weisen sie dennoch einen Punkt auf, welcher wenigstens zu einiger Vor- sicht in den Schlußfolgerungen über die physiologische Bedeutung des Sekre- !) Journ. of Physiol. 28 (1902). — °) Compt. rend. de la soc. de biolog. Paris 1903. 142 Pankreas. tins mahnt. In der Physiologie der Verdauungsdrüsen, deren Ausführungs- gänge sich an der Oberfläche des direkt mit der äußeren Welt im Zusammen- . hange stehenden Magen-Darmkanals eröffnen, darf man ihre exkretorische, blutreinigende Funktion auch nicht einen Moment aus dem Auge verlieren. An diese Funktion muß man namentlich dann denken, wenn ein fremdartiger und zumal komplizierter Stoff direkt ins Blut einverleibt wird. Von diesem Standpunkte aus erscheint die Tatsache besonders wichtig, daß das Sekretin nach subkutaner Injektion und von den serösen Höhlen aus nur unbedeutend auf das Pankreas einwirkt. Es bleibt also noch einiges, freilich sehr weniges aufzuklären, damit wir mit absoluter Gewißheit von der Teilnahme des Sekretins an dem normalen Mechanismus der Säureeinwirkung auf das Pankreas reden können. Von einigen Autoren [Wertheimer!), Fleig?)] wurde die Wirkung der Säure auf das Pankreas von einer Darmschlinge aus auch dann beob- achtet, wenn das diese Schlinge durchziehende Blut aus dem allgemeinen Blutkreislaufe ausgeschlossen wurde. Man mußte also für die Säure die Wirkung beider Mechanismen, des nervösen und des humoralen, zugeben. Mit Seifen ist auch eine Reihe von Versuchen angestellt worden, welche den Mechanismus ihrer Wirkung aufklären sollten. Die Versuche von Ssawitsch) ergaben, dab das Atropin die Wirkung der Säure und der Seifen ganz verschieden beeinflußt. Während es den bei Einverleibung von Säure in den Darm zu beobachtenden Sekretionseffekt durchaus nicht ver- ändert, hebt es die gleichnamige Wirkung der Seifen ganz oder fast ganz auf. Nach Ssawitschs Meinung beweis dieses, daß der Mechanismus der Seifewirkung ein nervöser ist. Dahingegen räumt Fleig!) auf Grund seiner Versuche den Seifen nur eine humorale Wirkung ein; das mit Seife ver- mengte Extrakt aus Duodenum und oberem Jejunumteile ruft bei intravenöser Einverleibung Pankreassekretion hervor; ebenso einverleibte Seife wirkt nicht in dieser Weise. Vom Darm aus, dessen Nerven unversehrt sind, dessen Blut aber nicht in den allgemeinen Kreislauf gelangt, bedingt Seife keine Pankreassaftsekretion. In Anbetracht der verschiedenen chemischen Be- ziehungen des Seifen- und des Säureextraktes und der verschiedenen Extraktionsbedingungen gibt Fleig zu, daß die sekretionserregenden Stoffe in beiden Fällen verschiedene sind. Er schlägt vor, diese Stoffe mit dem Gattungsnamen Krinine zu be- zeichnen und zu den Artnamen die Bezeichnungen der Substanzen, mit denen das Extrakt angefertigt wurde, zu verwenden (Sapokrinin, Oxykrinin usw.). Diese so komplizierte Darstellung einer überhaupt sowohl vom physio- logischen als auch vom chemischen Standpunkte aus wenig studierten Er- scheinung ist wohl kaum berechtigt. Die Möglichkeit, daß die beschriebene Erscheinung eine exkretorische ist, ist auch hier nicht experimentell analy-_ siert, sondern nur auf Grund wenig überzeugender theoretischer Er- wägungen abgewiesen worden. !) Journ. de physiol. et de pathol. generale 1901. — *) Compt. rend. de la soc. de biolog. 1903. — °) Sitzungsber. d. Ges. d. russ. Arzte in St. Petersburg 1903. — *) Journ. de physiol. et pathol. 1904. Pankreas. 143 5. Wirkung fremdartiger Stoffe. Außer den Nahrungsstoffen oder den aus ihnen während der Verdauung im Magen-Darmkanale entstehenden Substanzen sind auch einige fremdartige Stoffe auf ihre Pankreassekretion vom Darmkanal aus erregende Wirkung untersucht worden. Hierbei stellte sich die gewichtige Tatsache heraus, daß lokal reizende Substanzen die Pankreassekretion wohl anregen, jedoch bei weitem nicht alle: Senfölemulsion und Chloralhydrat wirkten in diesem Sinne, Pfeffer- und Ürotonöl jedoch nicht [Wertheimer und Lepage!)]. Was die Wirkung der ersteren Stoffe anbetrifft, so ist deren Mechanismus von mehreren Autoren und mit einigem Rechte sowohl als nernöser als auch als humoraler angesehen worden. DR Ic: Uber den Mechanismus der Resorption und der Sekretion von E. Overton. Einleitung. In allen lebenden Zellen des Pflanzen- und Tierkörpers werden fort- während gewisse Stoffe aus den die Zellen umgebenden Medien aufgenommen, die, zum Teil mit den Bestandteilen dieser Zellen in chemische Wechsel- wirkung tretend, neue Produkte schaffen, die ihrerseits je nach ihrer beson- deren Natur entweder aus den Zellen alsbald entfernt werden oder auf kürzere oder längere Zeit selber zu integrierenden Bausteinen der Zellen werden. — Bei den einzelligen Wesen steht die Zelloberfläche in unmittel- barem Verkehr mit der Außenwelt und entnimmt dieser die zu der Ernährung und zum Wachstum der Zellen erforderlichen Stoffe und gibt andererseits die Produkte ihres regressiven Stoffwechsels direkt an die Außenwelt ab. Ein Teil dieser Stoffe, wie Wasser und Sauerstoff, werden von der ganzen Zell- oberfläche aufgenommen oder aber von derselben, wie die Kohlensäure, ab- gegeben; andere Stoffe dagegen, so namentlich die festen Nährstoffe, werden wenigstens bei den höheren Protozoen nur an bestimmten, dazu besonders eingerichteten Stellen aufgenommen, die als Mund bezeichnet werden, während das von der ganzen Zelloberfläche eindringende Wasser, wahrscheinlich mit gewissen darin gelösten Stoffen, vielfach ebenfalls an bestimmten Stellen der Zelloberfläche mittels sogenannter pulsierender Vacuolen nach außen ent- leert wird. Bei den höher organisierten vielzelligen Tieren, so namentlich bei allen Wirbeltieren steht dagegen nur ein kleiner Teil der Zellen in direktem Ver- kehr mit der Außenwelt und selbst diese nur mit einer ihrer Flächen, während sie sonst wie die übrigen Zellen des Körpers von einem besonderen Safte, den man als Gewebesaft bezeichnet, umspült werden. Aus letzterem nehmen sämtliche lebende Zellen der höheren Tiere einen großen Teil der zu ihrer Funktionsvollziehung erforderlichen Stoffe auf und geben wieder an- dere Stoffe an diesen Saft ab, Stoffe, die wie Kohlensäure teils bloß als Schlacke aufzufassen sind, teils noch im Dienste des Gesamtorganismus | stehen. Einleitung. 745 Unter den Zellen und Zellkomplexen, die mit ihrer einen Fläche in unmittelbarer Relation zu der Außenwelt stehen, kommt den einen die Aufgabe zu, Stoffe aus dem Außenmedium aufzunehmen und an das all- gemeine Innenmedium zu befördern, die erst aus diesem letzteren von den übrigen Zellen des Organismus aufgenommen werden, Ein Teil der Stoffe, die unmittelbar in der Außenwelt gegeben sind, muß schon vor seiner Auf- nahme aus dem Außenmedium gewisse Veränderungen erfahren, die durch besondere Ausscheidungen, die in gewissen Zellen des Organismus gebildet werden, bewirkt werden. Auch nachdem die resultierenden Produkte in das Innenmedium gelangt sind, können diese wiederum weiteren Umwandlungen unterworfen werden, ehe sie allen Zellen des Organismus zugute kommen können. Ein anderer Teil der Zellen, die in mehr oder weniger direktem Konnex mit der Außenwelt stehen, hat die Aufgabe, solche Substanzen, die im Stoff- wechsel des Organismus gebildet worden und in das Innenmedium gelangt sind, sofern sie dem Organismus nicht weiter zugute kommen können oder sich in dem Innenmedium in zu hoher Konzentration befinden, aus dem Or- ganismus herauszuschaffen. Jene Elemente, denen in erster Linie die Funktion zufällt, Stoffe der Außenwelt in veränderter oder unveränderter Form an das Innenmedium des Organismus zu befördern, nennt man resorbierende Elemente, solche dagegen, die in auffälliger Weise Stoffe aus dem Innenmedium aufnehmen und in ver- arbeiteter oder in unveränderter Gestalt aus dem Organismus entfernen bzw. in eine seiner Höhlen ergießen, bezeichnet man als secernierende oder excer- nierende Elemente. Die Differenz in der Tätigkeit dieser beiderlei Elemente scheint zwar zunächst, wenn man nur die Beziehungen des Organismus zu der Außenwelt in Betracht zieht, recht bedeutend; in Wirklichkeit ist indessen zwischen beiden Tätigkeiten kaum ein prinzipieller Unterschied zu erblicken. In beiden Fällen werden von der einen Fläche einer Membran oder der sie zu- sammensetzenden Zellen Stoffe aufgenommen und von der gegenüberliegenden Fläche dieselben Stoffe oder aber dafür andere abgeschieden. Bei den Lungen- und Kiemenepithelien, sowie bei den Hautepithelien der Amphibien, Fische und vieler Wirbelloser wird durch dieselben Zellen häufig eine ungefähr gleich große Menge Stoffe von außen aufgenommen (Sauerstoff) und in die Gewebe- lymplie und indirekt in das Blut befördert, wie aus der Gewebelymphe auf- genommen und an die Außenwelt abgegeben (Kohlensäure usw.). — Es kommt hinzu, daß diejenigen Zellflächen, die für gewöhnlich vorwiegend als secernierende bzw. excernierende erscheinen, unter besonderen normalen oder abnormen Umständen gewissen Stoffen gegenüber sich als resorbierende Flächen verhalten und umgekehrt, Zellflächen, die sonst in erster Linie als resorbierende Flächen dienen, unter Umständen als excernierende Flächen fungieren. So werden z. B. Alkohol und viele andere Verbindungen, wenn sie direkt in das Blut eingeführt werden, von den Magen- und Darmepithelien zum Teil an das Lumen des Magens und des Darmes abgegeben. Sehr ein- dringlich tritt die Schwierigkeit, eine scharfe Grenze zwischen resorbierenden und excernierenden Elementen zu ziehen, vor Augen bei Betrachtung der seit Jahren dauernden Streitfrage, ob den Epithelien der Harnkanälchen in erster 746 Einleitung. Linie die Aufgabe zufällt, gewisse Stoffe (z. B. Kochsalz), die von den Mal- pighischen Knäueln mit dem Harnwasser abgegeben werden sollen, wieder aus dem Lumen der Harnkanälchen aufzunehmen und der Gewebelymphe und dem Blute der Nieren zuzuführen, oder ob diese Epithelien umgekehrt . vorwiegend dazu dienen, andere Stoffe (Harnstoff usw.) aus der Gewebe- lymphe der Nieren an sich zu ziehen, um sie weiter an die Harnkanälchen abzutreten. Jedenfalls wird durch die erste Hypothese die Aufgabe der be- treifenden Zellen in keinerlei Weise vereinfacht, wie dies von einigen Autoren angenommen zu sein scheint. Es ist ferner kein prinzipieller Unterschied darin zu erblicken, wenn die einen Zellen des Organismus Stoffe aus der Gewebelymphe aufnehmen und dafür andere Stoffe, die zum Teil noch im Dienste des Gesamtorganismus stehen, an diese I,ymphe abgeben, andere Zellen dagegen einen Teil der von ihnen abgegebenen Stoffe statt an die Gewebelymphe an das Lumen einer Drüse abtreten. Nur die augenfälligen Massenbewegungen haben die Auf- merksamkeit auf diese letzten in ihrem (resamteffekt leichter zu beob- achtenden Vorgänge frühzeitiger gelenkt. Daß in wachsenden und sich teilenden Zellen des Organismus not- wendig Nährstoffe aus der Gewebelymphe fortwährend aufgenommen und dafür die Schlacke ihres Stoffwechsels an die Gewebelymphe abgegeben werden muß, ist ohne weiteres ersichtlich, aber auch in dem aus- gewachsenen Organismus, und zwar an Orten, wo keine Zellenvermehrung und Zelienwachstum mehr erfolgt, findet der Hauptverbrauch der Nähr- stoffe innerhalb der Zellen (z. B. den Muskelfasern, Nervenzellen) statt, nicht, wie früher vielfach angenommen, in den Säften selber. — Vielen Gewebezellen des Organismus, so namentlich den Zellen des Leberparen- chyms und den Fettzellen fällt weiterhin unter anderen die Aufgabe zu, die Konzentrationen der einzelnen Nährstoffe im Innenmedium (Blut, Lymphe) zu regulieren, indem sie diese Nährstoffe in veränderter oder unveränderter Form je nach den obwaltenden Umständen bald in sich selbst aufstapeln, bald die von früher her aufgestapelten Stoffe an die Gewebelymphe und das Blut allmählich abtreten. Bei der Mehrzahl der Metazoen bestehen besondere Einrichtungen (Cir- kulationsorgane), um Massenbewegungen des die Elemente des Organismus umspülenden Innenmediums zu bewirken und dadurch die Veränderungen, die dieses an verschiedenen Punkten des Organismus erfährt, zum größten Teil rasch auszugleichen. Speziell bei den Wirbeltieren ist das System der Cirkulation ein geschlossenes, d. h. das Blut im engeren Sinne ist überall durch die Wändungen der Blutgefäße von der Gewebelymphe, welche die Gewebselemente unmittelbar umspült, getrennt. Der Mechanismus des Blutkreislaufs bildet für sich einen besonderen Teil der Physiologie, und wir werden es in der Folge bloß mit dem Mecha- nismus des Stoffaustausches zwischen dem Blute und den Gewebesäften einerseits, zwischen den Gewebesäften, den Gewebezellen und der Außenwelt andererseits zu tun haben. Speziell die Aufnahme von -gasförmigen Stoffen aus der Atmosphäre und die Abgabe anderer im Organismus gebildeter Stoffe, die beim Verkehr der Organismen mit der Atmosphäre Gasform an- nehmen, wird in der Physiologie der Atmung behardelt. “ Einleitung. 747 > Viele Stoffe, die in den Sekreten vorkommen, z. B. Kasein, Mucin, viele Enzyme, werden erst durch die besondere Tätigkeit (Lebensvorgänge). der secernierenden Elemente gebildet. Die chemischen Vorgänge in den betreffenden Zellen, die zu ihrer Bildung führen, sind uns zurzeit so gut wie völlig unbekannt und können daher nicht behandelt werden; die histologischen Änderungen der secernierenden Zellen, die sie begleiten, sind in einem anderen Teile dieses Handbuches beschrieben. Aber auch bei der Aufnahme mancher Stoffe aus dem Blute und der Gewebelymphe oder aus einer Körperhöhle seitens der Zellen und deren Wiederabgabe in chemisch unveränderter Form an die Gewebelymphe oder an das Sekret (Exkret) einer Drüse spielen vielfach jene stetigen und mannigfaltigen chemischen und physikalischen Vorgänge innerhalb der Zellen, deren Ge- samteffekt wir als den Lebensprozeß der betreffenden Zellen bezeichnen, eine wichtige Rolle. Es führt indessen zu Mıißverständnissen und Verwirrung, wenn man die Resorption oder Sekretion (Exkretion) schlechthin als eine Lebensäußerung bezeichnet. Es muß vielmehr für jeden einzelnen Bestandteil eines Sekrets (Exkrets) oder einer zur Resorption gelangenden Lösung die Frage gestellt werden, ob derselbe durch eine besondere Zellentätigkeit oder (im wesent- lichen) unabhängig von einer solchen durch die Zellen oder eventuell durch die Intercellularen hindurch befördert wird. Es gibt tatsächlich sehr zahl- reiche Verbindungen, die alle lebenden Zellen durchsetzen können, ohne daß die Lebensvorgänge der Zellen bei dieser Durchwanderung überhaupt er- forderlich sind oder dabei irgend eine wesentliche Rolle spielen. Die Entschei- dung, ob in einem gegebenen Falle ein Stoff mit oder ohne aktive Beteiligung der Drüsenzellen oder anderer Körperzellen aufgenommen und abgeschieden wird, ist freilich häufig recht schwierig, und auch nachdem die aktive Be- teiligung der betreffenden Zellen bei dem Vorgange sicher erwiesen ist, wird man sich zurzeit meist mit diesem Nachweis begnügen müssen und sich auf die Untersuchung der quantitativen Verhältnisse beschränken, ohne im- stande zu sein, die spezielle Art und Weise anzugeben, wie die in der Zelle stattfindenden Vorgänge bei der Beförderung des ins Auge gefaßten Stoffes durch die Zelle hindurch eingreifen. Eine möglichst umfassende Kenntnis der Eigenschaften flüssiger und fester Lösungen und der im Innern derselben stattfindenden Vorgänge ist für ein Verständnis der Resorptions- und Sekretionsvorgänge äußerst wichtig, und nachdem in den letzten 50 Jahren sich allmählich ein großes Material über die Eigenschaften der Lösungen angehäuft hat, ist es in den letzten 20 Jahren vielfach gelungen, die gegenseitigen Beziehungen dieser Eigen- schaften aufzudecken. Es würde den hier zur Verfügung stehenden Raum weit überschreiten, auch nur eine gedrängte Übersicht über diesen ganzen Gegenstand zu geben; speziell die Erscheinungen der Hydrodiffusion, der Osmose (inklusive des osmotischen Druckes) und der Quellung spielen aber bei allen Sekretions- und Resorptionserscheinungen eine so wichtige Rolle, daß es unumgänglich notwendig erscheint, ein Kapitel über die drei genannten Erscheinungen hier voranzustellen, während bezüglich der übrigen Eigen- schaften der Lösungen und ihrer Beziehungen untereinander auf die nach- stehende Literatur verwiesen werden muß: Diffusion. Be | H= [0 0] W. Ostwald, Lehrbuch der allgemeinen Chemie, 2. Aufl., 3 Bde., 1891 bis 1902. Nernst, Theoretische Chemie, 3. Aufl. 1898. Van’t Hoff, Vorlesungen über theoretische und physikalische Chemie, 1898. Svante Arrhenius, Lehrbuch der Elektrochemie, 1901. Kohlrausch und Holborn, Leitvermögen der Elektrolyte, 1898 (enthält alle erforder- lichen Vorschriften für die praktische Ausführung von Leitfähigkeitsbestimmungen und Tabellen über die zuverlässigsten der bisher ermittelten Daten). Winkelmann, Handbuch der Physik, namentlich der Artikel Diffusion im ersten Bande, 1891 (zweite Auflage im Erscheinen begriffen). Text Books of Physical Chemistry, herausgegeben von Sir William Ramsay. 3isher sind erschienen: The Phase Rule von A. Findlay (auch in deutscher Über- setzung) 1904; Electro-chemistry, 1. Teil von R. A. Lehfeldt, 1904; Chemical Sta- tics and Dynamics von J. W. Mellor, 1904. Eine sehr wertvolle Sammlung der wichtigeren Daten (Zahlenwerte) über die Eigenschaften der verschiedensten Lösungen (meist mit Literaturangabe) findet man in den Physikalisch-Chemischen Tabellen von Landolt-Börn- stein, 2. Aufl. 1893; 3. Aufl. 1905 (in dieser letzten Auflage sind die Daten der anorganischen Chemie gegenüber denjenigen der organischen Chemie stärker bevorzugt als in der zweiten Auflage). Von Werken, die sich speziell mit der Darstellung der Bestrebungen, die zur Anwendung der neueren Ansichten über die Natur der Lösungen auf physiologische Verhältnisse gemacht worden sind, beschäftigen, wären in erster Linie zu nennen: H. T. Hamburger, Osmotischer Druck und Ionen- lehre, 3 Bde., 1902 bis 1904, und R. Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe, 1902. Das erste Werk strebt eine möglichste Vollständigkeit der Literaturangaben an, das zweite enthält eine gute Auswahl der Literatur. Erstes Kapitel. Über Diffusion, Osmose und Quellung. 1. Diffusion. Wenn zwei oder mehrere Gasarten in unmittelbare Berührung mitein- ander gebracht werden, so tritt selbst in dem Falle, daß die Gase nach ab- nehmenden spezifischen Gewichten übereinander geschichtet werden, ein Vorgang der gegenseitigen Mischung der einzelnen Gase ein, der stets erst dann seinen Abschluß erreicht, nachdem ein vollständig homogenes Gas- gemisch hergestellt ist. Dieser Vorgang wird als Gasdiffusion bezeichnet. Die Geschwindigkeit, mit der sich die einzelnen Gase durchdringen, ist durch ein einfaches Gesetz geregelt und steht im Zusammenhang mit den Mole- kulargewichten der Gase. Mannigfaltiger ist das Verhalten verschiedener tropfbarer Flüssigkeiten, die zusammengebracht werden. Es lassen sich hier drei Hauptfälle unter- scheiden. 1. Es findet scheinbar überhaupt keine Mischung der verschiedenen Flüssigkeiten statt, wie z. B. bei einem fetten Öl und Wasser oder bei Queck- silber und den meisten anderen Flüssigkeiten. (Eine minimale, wenn auch mit den gegenwärtigen Hilfsmitteln nicht direkt nachweisbare gegenseitige Lösung findet wahrscheinlich bei allen Flüssigkeiten statt.) nz nr ERLERNT Grahams Versuche über Hydrodiffusion. 749 2. Es erfolgt nur eine partiale Mischung der ungleichen Flüssigkeiten, indem ein Gleichgewichtszustand sich einstellt, sobald die gegenseitige Mi- schung einen gewissen Grad erreicht hat, ohne daß ein einheitliches Flüssig- keitsgemisch zustande kommt. Dies gilt z. B. bei gewöhnlicher Zimmer- temperatur für die Flüssigkeitspaare Wasser — Äthyläther, Wasser — Benzol, Alkohol— Olivenöl, sofern nicht die eine Flüssigkeit dieser Paare an Menge stark überwiegt. 3. Es erfolgt so lange ein gegenseitiges Durchdringen der in Berührung gebrachten ungleichen Flüssigkeiten, bis ein vollständig einheitliches, homo- genes Flüssigkeitsgemisch hergestellt ist, ähnlich wie bei der gegenseitigen Diffusion verschiedener Gase. Beispiele für diesen letzten Fall sind z. B. die Flüssigkeitspaare: Wasser — Äthylalkohol, Benzol — Äther, eine konzen- triertere und eine weniger konzentrierte Lösung irgend einer Verbindung in einem und demselben Lösungsmittel. Für die Physiologie besonders wichtig ist der Ausgleich der Konzen- trationen zweier wässeriger Lösungen von ursprünglich quantitativ und eventuell auch qualitativ ungleicher Zusammensetzung. Der Vorgang der freiwillig stattfindenden totalen oder partialen Ver- mischung verschiedener Flüssigkeiten inklusive des Ausgleichs der Konzen- trationen zweier Lösungen in demselben Lösungsmittel wurde von Th. Gra- ham, der die Erscheinung zuerst eingehender studierte, als „liquid Diffu- sion“, von A. Fick als Hydrodiffusion bezeichnet. Im folgenden soll sich die Darstellung dieser Verhältnisse zunächst auf yässerige Lösungen beschränken. Die Vorgänge bei der Diffusion in wässerigen Lösungen lassen sich am besten überblicken, wenn die Diffusion in einem zylindrischen Gefäß vor sich geht, und es mögen zunächst einige Versuche Grahams mitgeteilt werden, welche ein plastisches Bild vom allgemeinen Verlaufe der Diffusion von Ver- bindungen mit sehr ungleicher Diffusibilität zeigen. Fünf zylindrische Gefäße von 152mm Höhe und 87 mm Breite wurden zunächst mit je 700 ccm destilliertem Wasser beschickt und dann 100 ccm einer 10 proz. Lösung von Natriumchlorid, Magnesiumsulfat, Rohr- zucker, Gummi arabicum und Tannin mittels einer feinen Pipette am Boden der einzelnen Gefäße so eingeführt, daß keine mechanische Mischung mit dem oben liegenden Wasser stattfand. Die Höhe der ganzen Flüssigkeits- säule in den einzelnen Gefäßen betrug dann 127 mm. | Die Gefäße wurden während 14 Tage bei einer möglichst gleichmäßigen Temperatur von 10°C sich selbst überlassen und darauf die Lösungen von oben nach unten in Portionen von je 50cem abgehebert und die in jeder dieser Fraktionen befindliche Menge fester Substanz bestimmt. Die ganze Flüssigkeitssäule wurde also in 16 Schichten zerlegt, die beiden untersten Schichten wurden indessen zusammen genommen. Die Ergebnisse dieser Versuche sind in der folgenden Tabelle!) zu- sammengestellt. !) Liquid Diffusion applied to Analysis, Phil. Trans. 1861; Liebigs Ann. 121 (1862). Die Tabelle ist aus zwei Tabellen Grahams auf 8. 558 und 559 der Che- mical and Physical Researches kombiniert. 750 Der Ficksche Satz. Nummer der Natrium- | Maenesium- | ' Gummi | Schicht von oben | | Rohrzucker | Tannin nach unten gezählt chlorid | sulfat | arabicum 1 | 0,104 | 0,007 | 0,005 0,003 0,003 2 | 0,129 | 0,011 0,008 0,003 0,003 3 0,162 | 0,018 0,012 0,003 0,004 4 | 04198. = | 0,027 0,016 0,004 0,003 5 I: 0,267 | 0,049 0,030 0,003 0,005 6 0,340 | 0,085 0,059 0.004 0,007 7 0429 4.21215:0,133 0,102 0,006 0,017 8 0,535 0,218 0,180 0,031 0,031 9 12 15.0:654. 2, a2 033 0305, 215 170.097 0,069 10 | 0,766 0,499 0,495 0,215 0,145 17 0,881 | 0,730 0,740 0,407 | 0,288 12 | 0,991 1,022 1,075 0,734 0,556 13 1.090 | 1,383 1,435 1,157 1,050 14 Ne 803 1,758 1,731 1,719 15 und 16 | 2,266 3,684 8,783: | 5601 6,097 Die sehr geringen Mengen von Gummi arabicum und von Tannin in den oberen Schichten bei diesen Versuchen sind zweifellos vorwiegend durch nicht ganz vermeidbare grob-mechanische Störungen in dieselben hinein gelangt, wie die unregelmäßige Verteilung in den einzelnen Schichten zeigt; übrigens werden auch die schneller diffundierenden Verunreinigungen die Resultate für diese obersten Schichten stören. Ein großer Teil von Grahams sehr zahlreichen Versuchen (namentlich den früheren) über Diffusion sind zwar sehr geeignet, um die relative Ge- schwindigkeit der Diffusion verschiedener Substanzen zu zeigen, worauf wir später zurückkommen werden, erweisen sich aber einer eingehenderen Analyse wenig zugänglich. Im Jahre 1856 hat A. Fick), der von der vielfachen Analogie der Hy- drodiffusion mit der Wärmeleitung in festen Körpern geleitet wurde, das Elementargesetz für die Diffusion in einem zylindrischen Gefäße theo- retisch entwickelt, das dem Satze für die Wärmeleitung in linearen Leitern völlig analog ist. Bezüglich der experimentellen Verifikation des Satzes be- gnügte sich Fick allerdings mit dem Nachweis, daß derselbe wenigstens in erster Annäherung die tatsächlichen Verhältnisse bei der Diffusion von Koch- salz treffend darstellt. Um sich den Satz ohne eingehende mathematische Analyse anschaulich zu machen, denke man sich einen mit destilliertem Wasser gefüllten, unten und oben offenen Zylinder mit seinem unteren Ende wasserdicht und senk- recht in einem größeren Gefäß befestigt, das seinerseits mit einem Brei an- gefüllt ist, der aus der gesättigten Lösung und fester Substanz eines nicht zu leicht löslichen Anelektrolyten besteht. Bei einer solehen Verbindung sind nämlich die Verhältnisse am einfachsten, wenigstens sofern die gelöste Verbindung nur einerlei Gattung Molekeln enthält. ‘!) Poggendorffs Ann. 94, 59ff., 1855. (Ficks Gesammelte Schriften 1, 208 bis 243.) Der Ficksche Satz. 151 Wird der so beschaffene Apparat in ein größeres Gefäß voll destil- lierten Wassers gesetzt und die Temperatur während der Dauer des Versuchs möglichst konstant gehalten, so diffundiert die gelöste Substanz allmählich durch den Zylinder, und nach Verlauf einer gewissen Zeit wird in der Zeit- einheit eine konstante Menge der gelösten Substanz durch das obere Ende des Zylinders in das äußere Wasser übertreten, und zwar genau so viel, wie unten während derselben Zeit von der Substanz aufgelöst wird. Es geht also, nachdem dieser stationäre Zustand erreicht ist, in gleichen Zeiten eine genau gleiche Menge der Substanz durch jede Schicht der Flüssigkeitssäule hindurch. Am La untersten Ende des Zylinders bleibt die Lösung ur stets gesättigt, da sie mit dem im Überschuß anwesenden Brei in Berührung bleibt. Ganz oben im Zylinder herrscht eine Konzentration, die nicht wesentlich von Null differiertt. Für die zwischen- liegenden Schichten gilt nach dem Fickschen Satze die Beziehung, daß die Konzentration in jeder Elementarschicht dem Abstande der Shiett — It 3em vom oberen Ende des Zylinders proportional ist. Die Verbindung sei z. B. bei der Versuchs- temperatur zu genau 10 Proz. in Wasser löslich und der Diffusionszylinder habe eine Länge von lOcm, dann wird nach diesem Satze, nachdem der stationäre Zustand eingetreten ist, die Kon- zentration der Lösung in der Elementarschicht a, die lcm vom oberen Ende des Zylinders entfernt ist (s. Fig. 130), 1 Proz. betragen, in der Schicht b, die 2cm von oben entfernt ist, 2 Proz. In der Schieht dß, die einen Abstand von 4,2cm von oben besitzt, beträgt die Konzentration 4,2 Proz.; in einer Schicht, die 4,21cm von oben absteht, 4,21 Proz. usf. In etwas unreiner Form kommen solche stationäre Diffusionszustände, wenigstens während kleinerer Zeitintervalle, z. B. bei dem Übergang des gelösten Sauerstoffs von einem bestimmten Punkte- der Capillaren in die Gewebezellen, vor. Der Ficksche Satz sagt weiter aus, daß die treibende Kraft, welche den gelösten Körper von Orten höherer zu solchen niederer Konzentration hinüber- _ führt, dem Konzentrationsgefälle, d. h. der Konzentrationsdifferenz an zwei einander unendlich nahen Elementarschichten, proportional ist, und daß mithin die Geschwindigkeit, mit welcher die gelöste Substanz durch das Lösungs- mittel hindurchwandert, ebenfalls dem Konzentrationsgefälle proportional ist. Bei Geltung dieses Grundgesetzes für die Diffusion läßt sich der Diffu- sionsvorgang mathematisch vollständig formulieren und die von Fourier für die Wärmeleitung entwickelten Sätze auf dieselbe übertragen. Nach diesem Gesetze muß die Salzmenge dS, welche in der Zeit d, durch den Querschnittg eines Diffusionszylinders wandert, wenn an der 10cm Brei aus gesättigter Lösung und fester Substanz 739 Relative Geschwindiskeit der Diffusion. L > Stelle x dieses Zylinders im ganzen Querschnitt die Konzentration e herrscht, an der Stelle x + dx aber die Konzentration ce + de besteht dS = —Kq = dt sein. X bedeutet dabei eine Konstante, die für jede Verbindung in einem ge- gebenen Lösungsmittel und bei einer bestimmten Temperatur eigentümlich ist und der Diffusionskoeffizient der betreffenden gelösten Verbindung heißt. Am schärfsten wurde der Ficksche Satz im Jahre 1878 von H. Weber!) auf elektrischem Wege geprüft, und zwar für die Diffusion von Zinksulfatlösungen. Es beruhte Webers Methode darauf, daß, wenn amal- gamierte Zinkstäbchen mit einem Ende in eine Zinksulfatlösung tauchen, deren Konzentration an den beiden Berührungsstellen mit den Zinkstäbchen eine ungleiche ist, und die anderen Enden der Zinkstäbchen zu einem metallischen Kreise geschlossen sind, ein elektrischer Strom auftritt, dessen Spannung (bei nicht zu großen Konzentrationsdifferenzen) der Differenz der Konzentrationen der Lösung an der Berührungsstelle der beiden Elektroden direkt propor- tional ist. Weber fand, daß Ficks Satz, wie von vornherein zu erwarten wars zwar nicht genau, aber doch recht annähernd zutrifft. Webers Methode ist leider nur bei den Salzen einiger Schwermetalle anwendbar, und gerade bei den Sulfaten der zweiwertigen Metalle, namentlich bei konzentrierteren Lösungen derselben, sind größere Abweichungen zu er- warten als bei Salzen, die aus einwertigen (stärkeren) Säuren und Basen ge- bildet sind. Kurz nach dem Erscheinen von Webers Abhandlung wurden diejenigen Diffusionsversuche von Graham, die sich überhaupt dazu eignen, einer ein- gehenden mathematischen Analyse von Stefan ?) unterzogen, der daraus eben- falls die angenäherte Richtigkeit des Fickschen Satzes bestätigen konnte. Die Geschwindigkeit der Diffusion der einzelnen Verbindungen wird durch die Diffusionskoeffizienten ausgedrückt, die gegenwärtig folgender- maßen definiert werden: Der Diffusionskoeffizient X; ist diejenige Menge Substanz (in Grammen), welche bei stationärem Zustande und bei der Temperatur ft in einem Tage durch 1 gem fließen würde, wenn in derselben Richtung die Konzentration sich auf lcm um eins ändert. Da der Diffusionskoeffizient sich mit der Konzentration an der betrach- teten Stelle bei konzentrierteren Lösungen etwas ändert, so sollte die Konzen- tration an dieser Stelle angegeben werden. Bezüglich der einzelnen Wege, auf welchen die Diffusionskoeffizienten aus den experimentellen Daten berechnet werden können, muß auf die unten- stehende Literatur verwiesen werden 3). Die Diffusionskoeffizienten einiger besonders wichtiger Verbindungen mögen hier mitgeteilt werden. ') Vierteljahrsschr. d. Züricher naturf. Gesellsch. 1879, S. 1 bis 42 und Wied. Ann. 7, 469 und 536, 1879. — ?) Wien. Akad. Ber. 79, (2), 161, 1879, — °) Stefan in Wien. Akad. Ber. 78 (2), 957 und 79 (2), 161; Scheffer, Chem. Ber. 15, 788 und 16, 1903; ferner Zeitschr. f. physikal. Chem. 2, 390. Relative Geschwindigkeit der Diffusion. 753. Diffusionskoeffizienten einiger Verbindungen. a) Aus Versuchen Grahams für 10 proz. Lösungen von Stefan berechnet. Chloomamumper . . 2.2.27 5%0 Kt 0,765 Chlornatrium bei . . . A ee Kı 0,856 Chiorkalumapere. re. Kr 1,410 Natrzenmsultabzbeis ik... 200751055 Kt 0,480 Rohrzuckerbeir .. .. 20..2...10 Kt 0,456. Albuninubeiwrs ‚rzecwealis ua Kt 0,063 b) Nach Versuchen von Scheffer für 1g Substanz auf ng Wasser. n t Kt DAZSAULee ee ee 21 11 2,12 Chlornatrzume ee 5 5,5 0,73 Nabeiummiteatee ee rn 8 10,5 0,76 Natzıumacetater a 5243 4,5 0,52 Kalnıtmmrabeee Ner3l 7 0,85 Magnesiumsulfat "..2 2. ....30 10 0,27 Galetumtehloride a Sr 10 0,68 Baeyumehloriderg. 277720222746 8 0,66 c) Nach Versuchen verschiedener Autoren zusammengestellt. Konzentration in Mol./Liter t Kt NEST: 2 oe Se ar; 11 0,62 (Thovert) EOIV GET er RD 10,1 0,350 ? be DNS 7. gie 14,8 94, | Heimbrodt) Kohlensäure (in H-Gas) .......— 10,25 1,26 2 E N 20,4 1,54 SAUELSEOE N ra ke DT 1,62 "(Hüfner) Se 2RT, ie: BVASSEHSTOFBIEE Rn er ee ee 16,0 4,09 Vollständigere Angaben über Diffusionskoeffizienten findet man in den Landolt-Börnsteinschen Tabellen !) zusammengestellt, wo auch die Lite- ratur ausführlich angegeben ist. Wichtig sind die folgenden Daten über die relative Diffusions- geschwindigkeit einiger Verbindungen ?). Nach den Versuchen von Graham diffundieren die Chloride, Bromide und Jodide einer und derselben Base unter denselben Umständen fast genau gleich schnell. Die Nitrate diffundieren etwas langsamer als die Haloid- salze, während die Karbonate und Sulfate der nämlichen Base viel lang- samer diffundieren. HCl, HBr und HJ haben unter sich die gleiche Diffusionsgeschwindig- keit, sie diffundieren schneller als irgend ein Salz. Die Natriumsalze diffundieren durchweg langsamer als die entsprechen- den Kaliumsalze (für die Karbonate, Sulfate, Sulfite, Hyposulfite, !) Physikalisch-chemische Tabellen, 2. Aufl. 1893 und 3. Aufl. 1905. — ?) Zu- meist nach Graham, Physieal and Chemical Researches, p. 444—571 aus Phil. Trans. 1850 und 1861. Übersetzung in Liebigs Ann. 77, 56 bis 89 und 129 bis 160, 1851 und 121, 1 bis 77, 1862. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 48 754 Kürze der Diffusionsstrecken in den Organismen. Sulfovinate, Oxalate, Acetate, Tartrate, sowie für die Hydroxyde von Graham geprüft). Die Diffusion der entsprechenden Kalium- und Ammoniumsalze ist eine fast gleiche. Nach Versuchen von Schuhmeister ist die Diffusion von Lithiumchlorid langsamer als die von Natriumchlorid. Das Chlorid und das Nitrat von Baryum diffundieren etwas schneller als die entsprechenden Salze des Strontiums, diese etwas schneller als die bezüglichen Caleiumsalze und letztere wiederum schneller als die ent- sprechenden Magnesiumsalze. Die Diffusionsgeschwindigkeit der wässerigen Lösungen von Gasen ist durchaus von derselben Größenerdnung wie diejenige der Salze. Nach Stefan!) ist der Diffusionskoeffizient der Kohlensäure in Wasser bei 16 bis 17°C 1,4 (in Alkohol 2,7), also dem des Kaliumchlorids sehr nahe. Derselbe ist etwa 8600 mal kleiner als der Diffusionskoeffizient, durch welchen die Geschwindigkeit der Verbreitung der Kohlensäure in der atmo- sphärischen Luft (bei gewöhnlichem Luftdrucke) bestimmt ist. Sauerstoff und Stickstoff diffundieren durch Wasser wie durch Al- kohol schneller als die Kohlensäure, und noch rascher diffundiert Wasser- stoff (vgl. die in der Tabelle mitgeteilten Werte von Hüfner?). Der Diffusionskoeffizient zweier Gase ist bei mäßigen Druckgrößen dem Drucke, unter welchem die diffundierenden Gase stehen, umgekehrt propor- tional; bei sehr großen Drucken wird der Diffusionskoeffizient vermutlich in noch schnellerem Verhältnis abnehmen, so daß die Geschwindigkeit der Diffusion in immer stärker komprimierten Gasen sich den Verhältnissen der Diffusion in einem tropfbar-flüssigen Medium immer mehr nähern wird (Stefan). Um sich einen Begriff von der großen Langsamkeit, mit der gelöste Substanzen durch Diffusion allein auf längere Strecken befördert werden, zu bilden, ist eine Rechnung von Stefan sehr lehrreich. Man denke sich in einem zylindrischen oder prismatischen Gefäße von bedeutender Höhe den Boden 10 cm};hoch mit einer Kochsalzlösung bedeckt, welche 10 & Salz enthält. Darüber sei reines Wasser bis zu einer größeren Höhe (z. B. 10m) geschichtet. Bis durch Diffusion Img Kochsalz einen Quer- schnitt des Gefäßes, der einen Meter über dem Boden steht, passiert hat, werden 319 Tage vergehen. — Von Rohrzucker würde unter denselben Bedingungen erst nach 2 Jahren, 7 Monaten, — von Eiweiß erst nach 14 Jahren img auf 1m Höhe befördert werden. In den Organismen sind die durch reine Diffusion zu durchlaufenden Strecken unter normalen Verhältnissen immer sehr kurz. Dies gilt insbesondere für alle Gewebe und Organe, die, wie die Muskeln und Drüsen der Vögel und Säugetiere, einen regen Stoffwechsel besitzen; hier wird die größte Entfernung von der nächsten Capillare kaum jemals 100 « erreichen und meist bedeutend unter dieser Größe bleiben. Das Diffusionsgefälle einer im Blutplasma gelösten Verbindung zwischen der nächsten Capillare und dem entferntesten Punkte der Gewebezellen bleibt also ein ziemlich hohes, selbst wenn die Konzentration der Verbindung im Blutplasma eine absolut niedrige ist (z. B. bloß 0,01 bis 0,1 Proz. beträgt), sofern die Verbindung in den Gewebezellen gänzlich aufgebraucht wird, d. h. ihre Kon- zentration am gegebenen Punkte durch den Stoffwechsel auf Null gehalten wird, oder im Falle des Nichtverbrauchs, bis die Konzentration auf etwa °/,, von der- jJenigen Konzentration, die im Blutplasma herrscht, steigt®). — Nur bei dem !) Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wiss., 2. Ab., März-Heft 1878. — ?) du Bois- Reymonds Archiv, Jahrg. 1897, S.112 bis 131. — °) Um den Komplikationen, die durch die verschiedenen Teilungskoeffizienten der einzelnen Phasen der Zelle für die fremde Verbindung entstehen, vorläufig zu entgehen, denke man sich an dem von den Blutcapillaren entferntesten Punkte der Zelle eine kleine Vacuole vor- handen. Im Zustande des Gleichgewichts muß dann eine fremde Verbindung (für en EEE u. Bo ni m ee yo, rn Temperatur und Diffusionsgeschwindigkeit. — Diffusion durch Gallerte usw. 755 Knorpel, der Linse und bei den mit Gefäßen spärlich versorgten Nerven und Sehnen, sowie bei einem Teile des Fettgewebes wird das Diffusionsgefälle zwischen den Capillaren und gewissen Punkten dieser Gewebe ein recht niedriges sein. Diese zuletzt genannten Gewebe und Organe besitzen aber in der Tat einen sehr trägen Stoffwechsel. Einfluß der Temperatur auf die Diffusionsgeschwindigkeit. Der Einfluß der Temperatur auf die Diffusionsgeschwindigkeit ist sehr bedeutend und ist einer der Umstände, welche die genaue Bestimmung der Diffusionskoeffizienten sehr erschweren. Nach der Mehrzahl der Forscher wächst die Diffusionsgeschwindigkeit in nahezu linearer Weise mit der Temperatur!). Dieselbe ist bei 20°0 ungefähr zweimal, bei 40°C ungefähr dreimal so groß wie bei 0°C. Ein quantitativ ganz entsprechender Einfluß der Temperatur ergibt sich für die Diffusionsgeschwindigkeit von Giften usw. durch die Ge- webelymphe überlebender Organe (z. B. isolierter Froschmuskeln). Diffusion durch Gallerte usw. Schon Graham machte die merkwürdige und wichtige Entdeckung, daß eine 1Oproz. Kochsalzlösung durch eine 2proz. Agar-Gallerte fast ebenso schnell diffundiert wie durch reines Wasser. Da in einer solchen Gallerte die durch mechanische Erschütterungen und durch Konvektionsströme bewirkten Störungen der Diffusion in reinem Wasser wegfallen, so schien es, als ob die Anwendung solcher Gallerte als Diffusionsmedium wesentliche Vorteile bieten dürfte. Ausgedehntere Untersuchungen über Diffusion wurden z. B. auf diesem Wege von Voigtländer?) ausgeführt. Es muß indessen bemerkt werden, daß aus der sehr geringen Verzögerung der Diffusion von Kochsalz in einer solchen Gallerte keineswegs a priori folgt, daß eine ebenso geringe Verzögerung bei der Diffusion aller anderen Verbindungen in diesem Medium stattfindet. Der starke Einfluß z.B. von Calciumsalzen auf den Quellungs- grad zahlreicher kolloidaler Substanzen legt vielmehr die Vermutung nahe, daß in vielen Fällen die Diffusion durch eine solche Gallerte bedeutend lang- samer erfolgen wird als durch reines Wasser, indem sich häufig im Zustande der Dissoziation befindliche Verbindungen zwischen der diffundierenden Sub- stanz und der Gallerte bilden dürften. Gänzlich unrichtig aber sind die in der biologischen Literatur vielfach vorkommenden Angaben, daß die Diffusion allgemein durch colloidale Körper ebenso schnell stattfindet wie durch Wasser. Die Diffusionsgeschwindigkeit von in Wasser leicht löslichen Verbindungen ist vielmehr innerhalb solcher Colloidkörper, die in Wasser nur wenig oder mäßig stark gequollen sind (z.B. nicht mehr als 20 bis 25 Proz. Wasser enthalten), im allgemeinen viel lang- samer als in reinem Wasser, wie jedermann, der plasmolytische Versuche an- stellt, häufig zu beobachten Gelegenheit hat. welche die Zelle leicht durchlässig angenommen wird) an diesem Punkte im wesentlichen die gleiche Konzentration wie das Blutplasma besitzen, gleichgültig was für Konzentrationen in den übrigen Phasen der Zellen dem Gleichgewichts- zustande entsprechen. ) Vgl. namentlich H. Weber, l.c. (Vierteljahrsschr.) S. 37 bis 38. Auch de Heen und Nernst geben ähnliche Werte für den Einfluß der Temperatur an. — ?) Zeitsch. f. physik. Chemie 3, 316 bis 335, 1889. 48* 756 Diffusionsgeschwindigkeit zu anderen physikalischen Größen. Beziehungen der Diffusionsgeschwindigkeit zu anderen physi- kalischen Größen. Sehr bemerkenswerte Resultate ergibt der Vergleich zwischen dem Ein- fluß der Temperatur auf die Diffusionsgeschwindigkeit wässeriger Lösungen und auf die Zähigkeit des Wassers und ebenso ein soleher zwischen der Größe der Diffusionskoeffizienten und der elektrischen Leitfähigkeit der Elektrolyte, worauf mehrere Forscher aufmerksam gemacht haben. Was den ersten an- betrifft, so gilt für die Zunahme der Diffusionsgeschwindigkeit und für die Abnahme der Zähigkeit des Wassers mit der Temperatursteigerung im wesent- lichen derselbe Zahlenausdruck. — Bei verdünnteren Lösungen starker Elektrolyte sind die molekulare Leitfähigkeit und die Diffusions- geschwindigkeit einander proportionale Größen, was in Nernsts Theorie der Diffusion der Elektrolyte eine einleuchtende Erklärung findet. Da die molekulare Leitfähigkeit für eine große Anzahl starker Elektrolyte bekannt ist, für welche keine direkten Daten über die Diffusionsgeschwindigkeit vor- liegen, kann man aus der Leitfähigkeit einer Verbindung deren Diffusions- geschwindigkeit häufig annähernd berechnen. Bei schwachen Elektrolyten ist eine solche Proportionalität nicht vorhanden, was die Theorie ebenfalls vorauszusehen gestatten würde, da die nicht-ionisierten Molekeln wohl an der Diffusion, nicht aber an der elektrischen Leitung direkt beteiligt sind. Obgleich weitblickende Forscher wie UÜl. Maxwell, Stefan u. a. schon vor längerer Zeit die intimeren Vorgänge bei der Diffusion in wässerigen Lösungen für prinzipiell gleicher Natur wie die Diffusion der Gase ansahen und die weit geringere Diffusionsgeschwindigkeit bei wässerigen Lösungen der außerordentlich starken Verkürzung der freien Bahnen der gelösten Molekeln zuschrieben, so war es doch erst nach Feststellung der Molekular- gröbe der gelösten Molekeln auf osmotischem Wege und durch Gefrierpunkts- bestimmungen, sowie nach Aufstellung und Begründung der Hypotbese der elektrolytischen Dissoziation der Elektrolyte in wässeriger Lösung möglich, eine gut gefügte Theorie der Diffusion gelöster Verbindungen aufzu- bauen. Diese von Nernst ausgearbeitete Theorie geht aus von der Lehre des osmotischen Druckes einerseits, der ungleichen Wanderungs- geschwindigkeit der Ionen andererseits. Nernst sieht die eigentliche trei- bende Kraft bei der Hydrodıffusion im osmotischen Druck der gelösten Molekeln und Ionen. Er gelangt zugleich unter Berücksichtigung der Spannungen, welche durch die im allgemeinen ungleiche Wanderungsgeschwindigkeit der beiden entgegengesetzt geladenen Ionen eines Elektrolyten bedingt sind, die in den sogenannten Überführungszahlen der Ionen ihren Ausdruck findet, zu einer Theorie der Flüssigkeitsketten, die gerade für die Physiologie ein großes Interesse besitzt. Da sich indessen diese Theorie nicht gut in Kürze dar- stellen läßt, so muß bezüglich ihrer näheren Begründung auf Nernsts Arbeiten!) - und die bezüglichen Kapitel in den Hand- und Lehrbüchern der Physik und Elektrochemie ?) verwiesen werden. !) Zeitschr. f. physik. Chemie 2, 613 bis 637, 1888 und 4, 129 bis 181, 1889. ”) Ostwald, Lehrb. d. allgem. Chemie, Bd. 2, Buch 2, Kap. 7; Nernst, Lehrb. d. theor. Chem., sowie die Hand- und Lehrb. d. Physik von Winkelmann und Wüllner; Lehrbücher der Elektrochemie von 8. Arrhenius und von Le Blane usw. Diffusion durch heterogene Medien. IT Über die Diffusion durch heterogene Medien und durch feste Substrata. Bei den Vorgängen der Stoffwanderungen im Organismus spielt die Diffusion durch heterogene Medien eine so wichtige Rolle, daß die bei der- selben in Betracht kommenden Prinzipien wenigstens mit einigen Worten an- gedeutet werden müssen. Es wird zweckmäßig sein, zunächst den Fall zu betrachten, in welchem ein Gas A, dessen partialer Druck p an einem Ende des Diffusionsweges als konstant gehalten angenommen werden soll, erst durch eine Säule B einer anderen Gasart. dann durch eine Flüssigkeitssäule C diffundiert. Da ein Gas durch eine andere Gasart (von atmosphärischem Druck) mehrere tausendmal schneller diffundiert als durch eine Flüssigkeit, so läßt sich, sofern die Länge der Gassäule von gleicher Größenordnung ist wie die Flüssigkeitssäule C, die Zeit für die Diffusion durch die Gassäule B vernach- lässigen. Die elementare Flüssigkeitsschicht, die unmittelbar an die Gas- säule B grenzt, absorbiert (löst) das Gas A zunächst so lange, bis diese Ele- mentarschicht der Flüssigkeit dem Sättigungswert für den Partialdruck p des Gases entspricht. Von dieser Grenzschicht aus, die infolge dauernder Absorp- tion des Gases stets praktisch gesättigt bleibt, diffundiert das gelöste Gas durch die Flüssigkeitssäule C nach dem allgemeinen Gesetze der Hydrodiffu- sion. Daraus ergibt sich, daß die Menge des Gases, die bei einer bestimmten Temperatur t durch die Flächeneinheit einer bestimmten Flüssigkeitssäule durchtritt, nachdem ein stationärer Zustand erreicht worden ist (man denke sich z. B., daß das gelöste Gas am anderen Ende der Flüssigkeitssäule voll- ständig chemisch gebunden wird), dem Partialdruck p des Gases, dessen Ab- sorptionskoeifizient & bei der Temperatur { und dem Diffusionskoeffizienten K;+ proportional sein muß, der Länge der Diffusionssäule dagegen umgekehrt proportional). Noch wichtiger ist der Fall, daß die diffundierende Substanz durch zwei oder mehrere flüssige, bzw. teils flüssige, teils feste (speziell bei den lebenden Geweben meist fest-weiche) Medien M,, M,, M; usw., die miteinander nicht mischbar sind, durchtreten muß, daß also die Diffusion durch ein System von mehreren flüssigen und festen Phasen stattfindet. Soweit es sich bloß um die Diffusion durch flüssige Medien handelt, wird es genügen, den Fall spezieller ins Auge zu fassen, in welchem die diffun- dierende Substanz erst durch die Flüssigkeit A, dann durch die Flüssigkeit B und endlich jenseits von B wieder durch eine zweite Masse der Flüssigkeit A,, die wir als A, bezeichnen wollen, sich verbreitet. Dieser Fall läßt sich leicht verwirklichen, wenn der unterste Teil einer U-förmigen Röhre mit der spezifisch schwereren Flüssigkeit B, die beiden Schenkel mit der Flüssigkeit A beschickt werden; doch ist es für die Behandlung zweckmäßiger, ohne sich zunächst um die praktische Realisierung des Falles zu bekümmern (die Schwierigkeiten, die durch die ungleichen spezifischen Gewichte der verschie- denen Flüssigkeiten verursacht werden, könnten übrigens durch die Herstellung geeigneter Gele überwunden werden), die Annahme zu machen, daß in einer ) Vgl. z.B. Stefan, Sitzungsber. d. Wiener Akad. 7X, 371, 1878; Wro- hlewski, Wied. Ann. 2, 481, 1877 und 8, 29, 1879. 758 Diffusion durch heterogene Medien. zylindrischen Röhre B über A und A, über B liegt, wobei A und A, wiederum eine und dieselbe Flüssigkeit (Lösungsmittel, Diffusionsmedium) bedeuten. Man denke sich zunächst die Flüssigkeitssäule B entfernt, so das A und A, miteinander in Berührung sind. Erst nachdem die Diffusion, deren Gefälle von unten nach oben gehend gedacht sein soll, einen stationären Zustand er- reicht hat, soll die Flüssigkeitssäule B zwischen A und A, eingeschaltet werden. Es wird dann so viel von der in der obersten Elementarschicht der Flüssigkeitssäule A gelösten Substanz an die unterste Elementarschicht der Flüssigkeitssäule B abgegeben, als dem Teilungskoeffizienten der gelösten Sub- stanz zwischen den beiden Lösungsmitteln, aus denen die Säulen A und B be- stehen, entspricht. Geht die Teilung sehr stark zugunsten der Flüssigkeit in B, so wird die Konzentration der gelösten Substanz in der obersten Ele- mentarschicht von A zunächst fast auf Null sinken, und es entsteht also in der Flüssigkeitssäule A ein steileres Diffusionsgefälle. Von der untersten Elementarschicht von BD diffundiert die gelöste Substanz durch die ganze Flüssigkeitssäule 5. Der Diffusionskoeffizient der Substanz in der Flüssig- keitssäule D, der gewissermaßen von dem Reibungswiderstand bei der Diffu- sion bestimmt ist, wird im allgemeinen einen anderen Wert haben als in der Flüssigkeitssäule A. Eigentlich würde in dem anfänglich supponierten Falle des erreichten stationären Zustandes der Diffusion durch die Flüssigkeitssäulen A und As, bei Einschaltung der Flüssigkeitssäule B zunächst auch ein Übertritt der ge- lösten Substanz aus den untersten Schichten von A, in die obersten Schichten von 5 stattfinden; da aber dies an der schließlichen Verteilung der gelösten Substanz durch die drei Flüssigkeitssäulen nichts ändert, können wir der Ein- fachheit wegen von diesem Teile des Vorganges absehen. An der obersten Elementarschicht der Flüssigkeitssäule B angelangt, teilt sich die gelöste Substanz wieder den Teilungskoeffizienten entsprechend zwischen dieser Elementarschicht und der untersten Elementarschicht von 4s, von wo aus dann die Diffusion durch die ganze Flüssigkeitssäule A, erfolgt. In dem ursprünglich supponierten Falle wird ein Übertritt der gelösten Sub- stanz aus der Flüssigkeitssäule 5 in A, erst längere Zeit, nachdem die Substanz die oberste Schicht von DB erreicht hat, erfolgen, weil sich in den untersten Schichten von A, die gelöste Substanz bereits befindet. Wenn aber die Kon- zentration der Substanz in der obersten Schicht von A, fortwährend (etwa durch chemische Fällung) auf Null oder auf einem niedrigen Werte gehalten wird, müßte nach Ablauf einer gewissen Zeit die Konzentration der Substanz in der untersten Schicht von A, niedriger sinken, als ihrer Konzentration in der ober- sten Schicht von 5 nach dem Teilungsverhältnis im Zustande des Gleichgewichts entspricht, und von dieser Zeit an wird die gelöste Substanz tatsächlich aus der obersten Elementarschicht von B in die unterste von A, übertreten und von da durch die ganze Flüssigkeitssäule A, sich bewegen. Man sieht leicht ein, daß, nachdem sich schließlich ein neuer stationärer Zustand der Diffusion eingestellt hat, die Konzentration der gelösten Substanz in der ganzen Flüssigkeitssäule B zwar bedeutend höher steigen kann als in der Säule A, wenn der Teilungskoeffizient der Substanz stark zugunsten des Lösungsmittels in B ausfällt, daß aber die Konzentration in der untersten Elementarschicht von A, dennoch nie höher steigen kann als in der obersten Diffusion durch feste Medien. 759 Elementarschicht von A und im allgemeinen, solange der Diffusionsvorgang dauert, niedriger sein mub als in dieser Schicht. Denn je stärker das Teilungs- verhältnis der Substanz zwischen A und B zugunsten von B ausfällt, muß es in gleichem Verhältnis zwischen B und A, zuungunsten von Ay erfolgen. Für den Fall, daß das Teilungsverhältnis der gelösten Substanz zwischen den Lösungsmitteln in A und B sehr stark zugunsten des Lösungsmittels in B ausfällt, daß die Flüssigkeitssäule RP im Verhältnis zu A und A, kurz ist und der Diffusionskoeffizient der Substanz größer, gleich oder nicht bedeutend kleiner für die Diffusion durch die Säule B als für die Diffusion durch A ist, kann im Zustande des stationären Gleichgewichts die Konzentration der diffundierenden Substanz in der untersten Schicht von A, die Konzentration in der obersten Schicht von A fast erreichen. Durch die Gegenwart der Säule B kann also in keinem Falle die Menge der in der Zeiteinheit durch die Flüssigkeitssäule A, diffundierenden Substanz größer sein als bei Mangel der Säule B, sondern höchstens praktisch ebenso groß. Fällt der Teilungskoeffizient der diffundierenden Substanz zuungunsten der Flüssigkeit in 5 aus, so findet eine Stauung der Substanz an der Grenze von A und D statt, die um so stärker wird, je ungünstiger das Teilungsver- hältnis ist. Für den Grenzfall, daß die Substanz in der Flüssigkeit B völlig unlöslich ist, verhält sich die Flüssigkeitssäule B wie eine impermeable Wand für die Substanz, und es gelangt nichts von dieser in die Flüssigkeitssäule A,. Bei Gegenwart einer größeren Anzahl Medien, durch welche die Diffusion erfolgt, gelten genau dieselben Prinzipien, nur werden die Verhältnisse natür- lich noch verwickelter. Es ist schon seit langer Zeit bekannt, daß eine Diffusion auch durch ge- wisse feste Körper erfolgen kann; so diffundiert z. B. Quecksilber ziemlich rasch durch einen Bleistab, weniger rasch auch durch mehrere andere Metalle (selbst bei gewöhnlicher Zimmertemperatur). Wasserstoff diffundiert durch Palladıum, Platin, heißes Eisen usw., Kohlensäure durch Kautschuk usw. Graham sowie Wroblewski!) haben ferner gezeigt, daß die Diffusion durch Kautschuk nach denselben Gesetzen geschieht wie durch ein tropfbar-flüssiges Medium. Wahrscheinlich können alle amorphen Substanzen in fester Form für geeignete Verbindungen als Lösungsmittel dienen, und wo dies der Fall ist, werden die betrefienden Verbindungen durch die bezüglichen amorphen Medien mehr oder weniger schnell diffundieren. . So werden die einzelnen Bestandteile der pflanzlichen und tierischen Ge- webe, die in ihrer Konsistenz sich bald mehr einem flüssigen, bald mehr einem starren (Cellulose, Holz, Grundsubstanz des Knorpels, Bindegewebsfasern, Membranae propriae) Medium anschließen, allen Verbindungen gegenüber, für die sie ein Lösungsvermögen besitzen, auch als Diffusionsboden dienen. Da im lebenden Organismus die Mehrzahl dieser Gewebebestandteile sich in auf- gequollenem Zustande befindet, so sind dieselben wahrscheinlich eigentlich als gemischte Lösungsmittel aufzufassen (ähnlich wie wässeriger Alkohol, wässeriges Glycerin oder Alkohol-Äther), wobei Wasser als der eine, Cellu- lose, die Proteide usw. als die anderen Komponenten des gemischten (festen) Lösungsmittels anzusehen sein würden. Für die Diffusion durch ein hetero- D) Wied. Ann. 8, 29, 1879. 760 Osmose. genes System von flüssigen und festen Medien gelten dieselben Betrach- tungen wie für die Diffusion durch zwei miteinander nicht mischbare Flüssig- keiten, d.h. der Gang der Diffusion wird einerseits durch die Teilungskoeffi- zienten der diffundierenden Substanz zwischen den einzelnen Medien (Phasen) des Systems, andererseits durch die Diffusionskoeffizienten, die im allgemeinen für eine und dieselbe diffundierende Verbindung in den einzelnen Phasen des Systems ungleiche Werte besitzen werden, bestimmt. Endlich muß wenigstens kurz darauf hingewiesen werden, daß, wenn zwei miteinander nicht mischbare Flüssigkeiten sich in Form einer Emulsion be- finden, das Lösungsvermögen des Systems infolge seiner großen Oberflächen- entfaltung für eine beliebige dritte Verbindung eine etwas andere ist, als der- selben Menge der beiden Lösungsmittel in unverteilter Form zukommen würde. Dasselbe gilt für jedes heterogene System, das aus sehr zahlreichen in regelmäßiger oder unregelmäßiger Weise durcheinander gemengten Teilchen von zweifacher oder mehrfacher Art aufgebaut ist, wie dies unter anderem bei den Gewebezellen stets der Fall ist. Durch diese Verhältnisse wird die Diffusion und die schließliche Verteilung einer fremden Verbindung in den einzelnen Phasen der Gewebe stets mehr oder weniger modifiziert. Indessen liegen zurzeit so wenige experimentelle Daten über diesen Gegenstand vor, daß derselbe hier kaum mit Nutzen erörtert werden kann !). 2. Osmose und osmotischer Druck. Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts machte der Abb& Nollet die Beobachtung, daß ein mit Weingeist gefülltes Gefäß, das mit tierischer Blase dicht verschlossen war, beim Untertauchen in Wasser seinen Inhalt vermehrte, die Blase nach außen vorgewölbt wurde und der Druck im Gefäß unter Um- ständen so hoch stieg, daß die Blase zum Bersten kam. Obgleich ähnliche Beobachtungen beiläufig später auch von anderen Forschern mitgeteilt wurden, so wurde die Erscheinung erst von Dutrochet?) eingehender untersucht und deren große physiologische Bedeutung richtig gewürdist. Dutrochet benutzte zu seinen Versuchen vorwiegend einen sehr ein- fachen Apparat, den er einen Endosmometer nannte. Dieser Apparat bestand aus einem unten mit tierischer Blase verschlossenen, oben mit einer Steigröhre versehenen Gefäß, das bis zu einer bestimmten Stelle der Steig- röhre mit einer wässerigen Lösung, reinem Wasser oder mit einer anderen Flüssigkeit gefüllt war und darauf zum Teil in ein größeres äußeres Gefäß gesteckt wurde, das mit einer von dem Inhalt des ersten Gefäßes verschiedenen Flüssigkeit beschickt war. Enthielt der Endosmometer eine beliebige Salzlösung oder eine mit Wasser mischbare organische Flüssigkeit, so bemerkte Dutrochet stets eine allmäh- !) Einige Ansätze zur theoretischen Behandlung des Problems haben z. B. W. Gibbs (Equilibrium of Heterogeneous Substances) und J. J. Thomson, Appli- cation of Dynamics to Physies and Chemistry, Chap. 16 (1888) gemacht. — ?) Von Du- trochets zahlreichen Abhandlungen über die Endosmose sind die beiden abgeklär- testen „De l’Endosmose“ in seinen M&moires pour servir ä l’Histoire anat. et physiol. des Vegetaux et des Animaux 1, 1—99, 1837 und der Artikel Endosmosis in Todds Cyelopaedia 2, 98—111. Dutrochets Arbeiten. 761 ‚liche, lange Zeit hindurch andauernde Steigung der Lösung in der Steigröhre, sobald der Endosmometer in reines Wasser gesetzt wurde. Wenn dagegen reines Wasser in den Endosmometer, eine Salzlösung in das äußere Gefäß ein- geführt wurde, beobachtete Dutrochet ebenso regelmäßig ein Sinken der Flüssigkeit in der Steigröhre. Für die Lösung einer und derselben Verbindung in dem gleichen Endos- mometer erwies sich die anfängliche Geschwindigkeit der Volumzunahme im Endosmometer der Konzentration der Verbindung direkt proportional. Bei gleicher Konzentration war dagegen die Geschwindigkeit der Volumzunahme für die Lösungen verschiedener Verbindungen eine sehr ungleiche. Dutrochet suchte ferner den Druck zu bestimmen, gegen den eine Volumzunahme der Lösung im Endosmometer unter verschiedenen Bedin- gungen eben noch erfolgen konnte. Für die Lösung einer und derselben Verbindung fand er diesen Druck wie die (anfängliche) Geschwindigkeit der Volumzunahme der Konzentration der Lösung annähernd propor- tional, wobei als die wirksamen Konzentrationen jene gerechnet wurden, die nach Eintreten der maximalen Drucke herrschten. Daß selbst bei Verwendung der von Dutrochet benutzten Membranen, obgleich sie für alle Kristalloide mehr oder weniger leicht durchlässig sind, diese Drucke sehr beträchtlich sein können, zeigen Dutrochets Versuche, nach denen z. B. bei einer 25 proz. Rohrzuckerlösung Wasser in den Endos- mometer übertrat, bis der Druck in demselben 1238 mm Hg betrug!). Diese von Dutrochet beobachteten Drucke bleiben freilich weit hinter jenen Werten zurück, welche Rohrzuckerlösungen von denselben Konzentrationen bei Anwen- dung von für Zucker impermeablen Membranen aufweisen, wie sich später zeigen wird, doch berechtigten sie Dutrochet zu seiner Annahme, daß die Turgor- erscheinungen bei Pflanzen durch Endosmose bedingt sind, und ebenso wurde seine Behauptung, daß die makroskopischen Bewegungen im Pflanzenreich durch endosmotische Vorgänge verursacht werden, im großen und ganzen durch die späteren viel genaueren Versuche von Pfeffer und de Vries bestätigt. Sehr verdienstvoll waren auch Dutrochets Untersuchungen über den Einfluß der Natur der Membranen?) auf die Endosmose. Er zeigte z. B., daß wenn Weingeist und Wasser durch tierische Blase getrennt sind, die Geschwindigkeit des Wasserübertritts zum Weingeist weit größer ist als die des Übergangs vom Weingeist zum Wasser, daß aber bei Verwendung einer dünnen Kautschukmembran genau das Entgegengesetzte stattfindet, indem es hier der Weingeist ist, der rascher durch die Membran tritt. Dutrochet ist in dieser Angelegenheit der Wahrheit sehr nahe gekommen, als er meinte, daß dıese Verschiedenheit im Verhalten der beiden Membranen daher rühre, daß die Blase eine größere „Affinität“ zu Wasser, die Kautschukmembran eine größere Affinität zu Alkohol besitze und daß allgemein jene Flüssigkeit in größerer Menge durch die Membran treten wird, welche die größere Affinität zu der trennenden Membran besitzt. Bemerkenswert ist weiterhin die Feststellung Dutrochets, daß, wenn ein mit tierischer Blase eingerichteter Endosmometer mit verdünnten Säuren beschickt und in reines Wasser gesetzt wird, von einem bestimmten Ver- lc. 39. ee 1E 762 Endosmotische Äquivalente. dünnungsgrade der Säuren an der Inhalt des Endosmometers abnimmt, statt wie bei der Beschiekung mit allen anderen Lösungen zuzunehmen, d. h. es tritt ein größeres Volum der reinen Säure in der Zeiteinheit nach außen als von Wasser nach innen. Man bezeichnete diese Erscheinung vielfach als „negative“ Endosmose!). Wird indessen an Stelle von tierischer Blase Pergamentpapier verwendet, so bewirken verdünnte Säuren wie Salzlösungen eine positive Endosmose. So mannigfaltig und lehrreich seine Versuche waren, blieben Dutrochets Ansichten über den Mechanismus der Osmose sehr unklar. Im besonderen machte er die eigentümliche und physikalisch kaum begreifliche Annahme, dal bei der Exosmose nicht allein die gelöste Substanz, sondern gleichzeitig mit derselben auch Wasser in einer zum endosmotischen Strom umgekehrten Richtung durch die Membran wandert, daß mit anderen Worten es in der Membran zwei sich kreuzende Ströme gibt, von denen der eine aus reinem Wasser (bzw. einem anderen Lösungsmittel) besteht, der andere (entgegen- gerichtete) aus Wasser plus gelöster Substanz. Dabei hielt Dutrochet da- für, daß das Vorbandensein beiderlei Ströme (Endosmose und Exosmose) zu dem Wesen eines jeden endosmotischen Vorgangs gehöre ?). Andererseits hat aber Dutrochet durch eine vorzügliche Experimentalkritik die Unhalt- barkeit der verschiedenen Hypothesen, die von seinen Zeitgenossen wie Poisson, Magnus u. a. über die Endosmose aufgestellt wurden, dargetan. In der Folge wurden viele Ergebnisse Dutrochets lange Zeit hindurch in ihrer Bedeutung nicht richtig gewürdigt und die ganze Aufmerksamkeit auf die sogenannten endosmotischen Äquivalente bei der Endosmose gerichtet. Jolly°) glaubte nämlich gefunden zu haben, daß, wenn die gleiche Membran bei den osmotischen Versuchen verwendet wird, für jede gelöste Substanz ein bestimmtes Verhältnis bestehe zwischen der Menge (dem Gewicht) dieser Sub- stanz, die nach außen abgegeben wird, und der Menge Wasser, die zur Lösung hinübertritt. Dieses Verhältnis sollte bei gleicher Temperatur für die Lösung einer und derselben Verbindung ganz unabhängig von ihrer Konzentration eine Konstante darstellen, dagegen für Lösungen verschiedener Verbindungen ungleiche Werte besitzen. Obgleich namentlich Ludwig?) die Konstanz der endosmotischen Äquivalente für alle Konzentrationen leugnete und überhaupt die größere Bedeutung dieser Äquivalente für die Physiologie bezweifelte, spielten sie jahrelang die Hauptrolle bei der Behandlung der Osmose in physikalischen und physiologischen Lehrbüchern. Obgleich man heute den endosmotischen Äquivalenten ’) jede tiefere all- gemeine Bedeutung für die Theorie der Osmose absprechen muß, so ist ein ') 1. ec. 8. 46 bis 67. — °) Durch einen Endosmometer, der mit einer toten tierischen Membran hergestellt wird, findet allerdings neben einem Eintritt von Wasser eine Filtration der im Endosmometer befindlichen Lösung nach außen statt, wenn die Lösung unter Druck steht. Dieser Vorgang hat aber mit den osmotischen Vor- sängen als solchen nichts zu tun, auch sind solche Filtrationsvorgänge von Du- trochet nicht gemeint, wenn er auch wohl gerade durch sie getäuscht worden ist. — °) Zeitschr. f. rationelle Medizin 7, 334, 1849 und Pogg. Ann. 78, 261. — *) Zeitschr. f. rationelle Medizin 8, 1, 1849 und Pogg. Ann. 78, 307. — °) Die Zahlenwerte der endosmotischen Äquivalente findet man, außer bei Jolly, in’ Wagners Handwörterbuch der Physiologie 3, 640, (2), angegeben. Niederschlagesmembranen. 765 gewisser Zusammenhang zwischen denı Verhalten gewisser Verbindungen im Organismus und ihren endosmotischen Äquivalenten kaum zu leugnen, indem z. B. Salze mit hohen endosmotischen Äquivalenten, wie Glaubersalz, die Tar- trate der Alkalimetalle usw., im allgemeinen als Kathartica, die Salze mit kleineren endosmotischen Äquivalenten als Diuretica wirken, worauf schon Liebig hingewiesen hat. Im besonderen werden diese für Membranen aus tierischer Blase gefundenen endosmotischen Äquivalente, die inımerhin inner- halb eines ziemlich breiten Konzentrationsbereichs von den Konzentrationen der Lösungen nur wenig abhängig sind, ein ungefähres Maß für die relative Geschwindigkeit der Diffusion der betreffenden Verbindungen durch die binde- gewebigen Septa, wohl auch durch solche homogene Membranen, wie den häutigen Teil der Linsenkapsel, die Descemetsche Haut und die Menibranae propriae der Drüsen usw. geben. Durch Grahams Entdeckung, dab reine Lösungen der Colloide in einem Endosmometer zum Teil nur minimale, zum Teil überhaupt keine nachweis- baren Mengen der gelösten Verbindung durch die Membran an das äußere Wasser abgeben, aber dennoch einen nach innen gerichteten Wasserstrom veranlassen, der selbst gegen einen ziemlich hohen Druck erfolgen kann, wurde definitiv bewiesen, daß ein doppelter Strom (Exosmose und Endosmose) bei einem endosmotischen Vorgange nicht unbedingt erforderlich ist, wie schon von A. Fick vermutet wurde. Graham sagt darüber: Es scheine ihm, daß die Bewegung des Wassers bei einem osmotischen Versuche durch Hydration und Dehydration in der Substanz der Membran oder anderer colloidaler Scheidewand bedingt wird und daß die Diffusion der Salzlösung (d. h. die Exosmose des Salzes), die sich innerhalb des Osinometers befindet, wenig oder nichts mit dem osmotischen Vorgange zu tun hat, außer insofern, als dieselbe den Zustand der Hydration der Scheidewand beeinflußt. Er hob besonders hervor, daß auch in Wasser unlösliche aber quellbare Colloide wie Tragant- gummi, die in gepulverter Form in einen Ösmometer gebracht werden, einen lebhaften nach innen gerichteten Wasserstrom veranlassen, obgleich eine Exosmose und somit ein doppelter Strom in solchen Fällen völlig aus- geschlossen ist. Bedeutend später hat dann M. Traube!) Membranen (sogenannte „Nieder- schlagsmembranen“) herzustellen gelehrt, die selbst für viele Kristalloide (in gelöster Form) undurchlässig, für Wasser dagegen leicht durchlässig sind. Auch bei diesen Membranen ist also eine Exosmose im Sinne Dutrochets in vielen Fällen unmöglich, oder anders ausgedrückt, die endosmotischen Äqui- valente sind in diesen Fällen unendlich grob. Solche Niederschlagsmembranen entstehen nach Traube auf ver- schiedene Weise: 1. Bei vorsichtigem Zusammenbringen von zwei gelösten colloiden Stoffen, welche einen Niederschlag bilden, kann dieser in Form einer Mem- bran auftreten, welche zellenartig geschlossen ist, sobald die eine Lösung in Gestalt eines Tropfens in die andere eingebracht wird; so verhält sich eine Lösung nicht-gelatinierenden Leimes (f-Leim) beim Zusammenbringen mit einer Lösung von Gerbsäure. !) Zentralblatt f. d. med. Wissensch. 1864, S. 609 bis 615; ebenda 1866, 8. 97 bis 100 und 113 bis 115; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1867, S. 37 u. 129. 764 Eigenschaften und Natur der Niederschlagsmembranen. 2. Beim Zusammenbringen der Lösung eines Colloids mit der Lösung gewisser Kristalloide, für welche die Membran dann undurchdringlich ist, so z. B. aus Gerbsäure und neutralem oder basisch essigsaurem Blei- oxyd oder essigsaurem Kupferoxyd oder aus Wasserglaslösung und essigsaurem Bleioxyd und Kupferoxyd. 3. Können Membranen in einigen Fällen auch aus den Lösungen zweier Kristalloide entstehen, die einen amorphen Niederschlag geben, und sind dann undurchdringlich für beide Membranbildner (Membranbildner oder Membranogene nennt Traube die beiden Körper, aus deren Zusammen- wirkung eine Membran entsteht). So entstehen die zartesten Membranen aus Blutlaugensalz einerseits, Kupferacetat, Cuprichlorid, Mer- curonitrat, basisch essigsaurem Bleioxyd oder Ferrichlorid an- dererseits. Die durch chemische Fällung gewonnenen Membranen, wenn auch impermeabel für ihre Membranogene, verhalten sich ungleichartig gegenüber anderen Körpern, von denen sie einigen den Durchgang gestatten, anderen nicht. Dabei verhalten sich die aus verschiedenen Membranogenen gebildeten Membranen sehr ungleich. Eine Membran von gerbsaurem Leim ist nach Traube z. B. leicht permeabel für Wasser, Schwefelsäure, Salmiak, Chlornatrium, Ammoniumsulfat, Kaliumsulfat, Baryumchlorid und Baryum- nitrat, läßt aber keine Spur.von Blutlaugensalz und selbstverständlich ebensowenig von Gerbsäure und Leim hindurchtreten. Bedeutend dichter ist die (infolge ihrer Dünne) fast farblose Membran von Ferrocyankupfer, die (nach Traube)leichtdurchlässigfür Wasser, Salmiak und Chlorkalium ist, dagegen keine Spur von Kaliumsulfat!), Ammoniumsulfat, Galeciumchlorid oder Baryumchlorid durchläßt und ebensowenig Ferrocyankalium und Kupfersalze. Besonders wichtig ist der Umstand, daß die Impermeabilität dieser Mem- branen für gewisse Substanzen im allgemeinen nur so lange besteht, als die Membran mit ihren beiden Membranogenen in Berührung steht. Denn falls ein einseitiger Druck auf die Membran wirkt, so entsteht eine Diskontinuität der Membran, wenn die Membranogene fehlen; bei deren Anwesenheit da- gegen wird die Membran nur in der Fläche vergrößert, da jede durch das Auseinanderdrängen ihrer Molekeln entstehende Lücke sofort durch Neu- bildung (infolge der für den Augenblick an dieser Stelle wieder möglichen Reaktion der Membranogene) ausgefüllt wird ?). Traube selber faßte seine Niederschlagsmembranen gewissermaßen als Molekülsiebe auf, ja er sagt geradezu, daß dieselben Atomsiebe?) dar- stellen, die zur Bestimmung der relativen Größe der Atome?) be- ') Nach Pfeffer ist eine Ferrocyankupfermembran für Kaliumsulfat, wenn auch nur sehr langsam, durchlässig. — ?) Es besteht ein gewisser Parallelismus in dieser Beziehung zwischen dem Verhalten einer Niederschlagsmembran in Anwesen- heit ihrer beiden Membranogene und dem des lebenden Protoplasts einerseits und dem Verhalten der Niederschlagsmembran bei Abwesenheit ihrer Membranogene und jenem des toten Protoplasts andererseits, worauf schon Pfeffer aufmerksam ge- macht hat. — ?) Die Bezeichnung Atom wurde zur Zeit, als Traubes Abhandlung erschien, noch häufig angewandt, wo wir jetzt von Molekül sprechen. Pfeffers osmotische Untersuchungen. 765 nützt werden können. Dabei sollten den verschiedenen Membranen un- _ gleich große Molekülinterstitien zukommen. So sollten die Interstitien der Gerbsäure-Leim-Membranen z. B. größer sein als die der Ferrocyan- kupfermembranen und daher auch größeren Molekeln den Durchgang ge- statten. Diese Auffassung suchte Traube unter anderem dadurch zu stützen, daß er die Permeabilität der primär entstandenen Membranen durch nach- trägliche Einlagerung unlöslicher Niederschläge anderer Verbindungen in denselben verringerte. So kann man z.B. nach ihm den Gerbsäure-Leim- Membranen ihre Permeabilität für Ammonsulfat benehmen, wenn man in derselben einen Niederschlag von Baryumsulfat erzeugt, während die Per- meabilität für Wasser und Ammoniumchlorid bestehen bleibt. Indem man ferner eine Membran von Ferrocyankupfer mit Chlorsilber im- prägniert, wird die Membran für Ammoniumchlorid und Kaliumchlorid undurchlässig, wahrscheinlich sogar nach Traube für alle in Wasser lös- lichen festen Körper, während die Permeabilität für Wasser auch in diesem Falle noch erhalten bleibt. Traubes Ansicht, daß für die Permeabilität oder Niecht-Permeabilität einer bestimmten Niederschlagsmembran für eine gegebene Verbindung nur die Molekülgröße der letzteren maßgebend sei, ist indessen nicht sehr wahr- scheinlich, wenn auch zugegeben werden muß, daß die Frage bisher zu wenig experimentell in systematischer Weise untersucht worden ist, um eine defi- nitive Entscheidung zu gestatten. Plausibler scheint die Annahme Tammanns!), daß solche Niederschlagsmembranen ein größeres oder geringeres Lösungs- vermögen für gewisse Verbindungen besitzen. Es würden dann diese Ver- bindungen auf dem Wege der Diffusion die Membran durchwandern in ganz ähn- licher Weise wie Kohlendioxyd Kautschuk, oder Wasserstoff Palla- diumblech durchdringt. Es scheint eben allen amorphen Substanzen ein enger oder weiter begrenztes Feld des Lösungsvermögens für andere Ver- bindungen eigen zu sein, genau so wie den tropfbar-flüssigen Lösungs- mitteln. Die Beeinflussung der Durchlässigkeit der Niederschlagsmembranen durch Imprägnierung derselben mit Baryumsulfat, Chlorsilber usw. ist allerdings schwer mit Tammanns Annahme zu vereinigen. Die Niederschlagsmembranen sind wegen ihrer großen Zartheit nicht ohne weiteres imstande, einem einseitigen Drucke Widerstand zu leisten, und sie waren deswegen in ihrer Anwendung zu osmotischen Versuchen großen Einschränkungen unterworfen. Diese Einschränkungen wurden erst von Pfeffer in seinen epoche- machenden „Osmotischen Untersuchungen“ ?) zum großen Teil überwunden. Pfeffer wurde zu diesen Untersuchungen veranlaßt, um eine Erklärung für die sehr bedeutenden Drucke?®) (die meist mehrere Atmosphären betragen) zu suchen, die der Zellsaft und das Protoplasma gegen die Wand von lebenden Pflanzenzellen ausüben. Die osmotischen Einrichtungen bei der lebenden Pflanzenzelle gewisser- maßen als Modell nehmend, ließ Pfeffer seine Niederschlagsmembranen gleich \) Zeitsehr. f. physik. Chem. 9, 97, 1892; vgl. auch Walden, ebenda 10, 699. — °) Pfeffer, Osmotische Untersuchungen, Leipzig 1877. — °) Vel. z. B. Pfeffer, Pflanzenphysiologische Untersuchungen. 1873. 766 Herstellung der Pfefferschen Zellen. bei ihrer Entstehung sich einer porösen starren Wand anlehnen, die einen größeren einseitigen Druck aushalten konnte, ohne die osmotischen Vorgänge sonst stärker zu beeinflussen. Zu diesem Zwecke verwendete Pfeffer kleinere, poröse Tonzellen, deren Wände nach gründlicher Reinigung, zunächst unter Zuhilfenahme der Luftpumpe mit Wasser injiziert und darauf mindestens einige Stunden in eine 3 proz. Kupfervitriollösung gestellt und auch im Innern mit dieser Lösung angefüllt wurden. Sodann wurde das Innere der Zelle mehrmals schnell mit Wasser ausgespült, mit Filtrierpapier abgetrocknet und nach kurzem Stehen an der Luft, bis sie sich nur eben noch feucht anfühlten, mit einer 3proz. Lösung von Ferrocyankalium gefüllt und die Zelle unmittelbar darauf wieder in die Kupfervitriollösung gesetzt. Es bildet sich so auf der Innen- wand der Zelle eine Niederschlagsmembran aus Ferroeyankupfer. — Bei einigen Versuchen hat Pfeffer statt Niederschlagsmembranen aus Ferrocyan- kupfer, solche aus Berlinerblau oder Calciumphosphat verwendet, über deren Herstellung im Original nachgeschlagen werden muß. Schon vor der Erzeugung der Niederschlagsmembranen in den Tonzellen wurden diese mit geeigneten Verschlußstücken versehen, die mit einem Mano- meter in Verbindung standen, über deren Beschaffenheit und Anordnung eben- falls im Original nachzusehen ist. Damit die Versuche mit diesen Zellen gut gelingen, muß eine ganze Reihe Vorsichtsmaßregeln und Kunstgriffe angewandt werden, über die Pfeffer ausführliche Angaben macht. Nachdem die Tonzellen mit ihren Verschlußstücken und Niederschlags- membranen fertiggestellt worden sind, wurden sie mit den Lösungen gefüllt, die auf ihr osmotisches Verhalten geprüft werden sollten, worauf die Zellen in reines Wasser eingesetzt wurden. In der Regel wurde der Lösung im Innern der Zelle etwas Blutlaugensalz zugesetzt, und in diesem Falle wurde die Zelle, statt in reines Wasser, in eine schwache Lösung von Kupfernitrat gesetzt, und zwar hat Pfeffer die Konzentration dieser beiden Membranogene so gewählt, daß beide dieselben osmotischen Drucke besaßen und deswegen die osmotische Leistung der zu prüfenden Lösung nicht beeinflußten. Der Zweck dieser Beigabe der Membranogene besteht darin, daß etwelche irgend- wie entstehende Risse in den Niederschlagsmembranen sofort bei ihrer Ent- stehung ausgebessert werden. Pfeffer verwendete meist 0,1 Proz. Ferro- eyankalium und 0,09 Proz. Kupfernitrat, bisweilen die doppelte Konzen- tration dieser beiden Verbindungen. Die wichtigsten Versuchsergebnisse bezüglich des osmotischen Druckes, die mit Hilfe dieser Zellen eruiert wurden, sind die folgenden, wobei zunächst der Fall ins Auge gefaßt werden soll, daß die zu prüfende Verbindung durch die Niederschlagsmembran nicht merklich diffundiert, wie dies beispielsweise für Rohrzucker gilt. Diese Verbindung ist auch diejenige, mit der Pfeffer die meisten Versuche anstellte. 1. Wenn die kunstgerecht präparierte und mit der zu prüfenden Lösung gefüllte Zelle in reines Wasser, bzw. 0,1 proz. Kupfernitrat gesetzt wird, so geht reines Wasser so lange in die Zelle über, bis ein bestimmter hydrostati- scher Druck in der Zelle erreicht wird, ein Druck, dessen Größe von der Konzentration der Lösung, von der chemischen Natur des gelösten Körpers und in geringem Grade auch von der Versuchstemperatur abhängig ist. Wird Pfeffers Versuchsergebnisse. 767 “der Druck in der Zelle über dieses Maß hinaus auf irgend eine Weise künst- lich gesteigert, so tritt reines Wasser aus der Zelle heraus. Der Druck, bei dem Wasser von der Zelle weder aufgenommen noch abgegeben wird, heißt der osmotische Druck der betreffenden Lösung. 2. Bei Rohrzuckerlösungen ist der osmotische Druck zwischen ein und sechs Prozent der Konzentration der Lösung sehr annähernd proportional, wie die folgende von Pfeffer entlehnte Tabelle zeigt. 1 proz. Rohrzucker besitzt einen osmotischen Druck von 53,8 cm Quecksilber. 2 Proz. Pr » D) b) b) ” 101,6 5) 4 proz. ” „ n n „ ” 208,2 „ 6 Proz. n n n n n n 307,5 Die Versuche wurden bei Temperaturen von 13,7 bis 14,7°C ausgeführt. Auf indirektem Wege ergab sich, daß bei konzentrierteren Lösungen von Rohrzucker der osmotische Druck schneller zunimmt als die Konzentration, ein Punkt, auf den weiter unten zurückzukommen sein wird. 3. Die Lösungen von colloiden Substanzen besitzen einen viel geringeren osmotischen Druck als diejenigen von Kristalloiden von gleicher Konzentration, sofern die betreffende kristalloide Substanz durch die verwendete Membran nicht merklich diosmiert. 4. Der osmotische Druck einer Lösung nimmt mit steigender Tem- peratur langsam zu. So fand Pfeffer z.B. für eine 1 proz. Rohrzucker- lösung bei 15,5°C einen osmotischen Druck von 52,1cmHg, bei 36,0° C aber 56,7 cm Hg. 5. Die Geschwindigkeit des Einstromes von reinem Wasser für eine und dieselbe Zelle und bei gleicher Temperatur ist dem osmotischen Drucke der Lösung innerhalb der Zelle proportional und steigt viel rascher mit der Tem- peratur als der osmotische Druck der Lösung. Als Beispiele der sehr bedeutenden und recht ungleichen osmotischen Drucke von gleich konzentrierten Lösungen verschiedener Verbindungen mögen die folgenden von Pfeffer angegebenen Werte für 1 proz. Lösungen der betreffenden Verbindungen dienen: BKohrzucker ee a: 25 47,1cm.Hg EP a en nn an 16 Serra a TS Kealrumswllate m 2000 +, 92,6 Zu den in dieser Tabelle angegebenen Werten ist noch zu bemerken, daß Salpeter und Kaliumsulfat durch eine Ferrocyankupfermembran merklich diosmieren und daß daher ihre volle osmotische Leistungsfähig- keit nicht zur Geltung kommen kann. In einer Zelle, die keine merk- liche Permeabilität für Salpeter und Kaliumsulfat besitzt, sind in der Tat die von 1lproz. Lösungen dieser Verbindungen (namentlich des Salpeters) ausgeübten osmotischen Drucke bedeutend größer. Wenn nun nach den Untersuchungen von Pfeffer die hohen osmotischen Spannungen, die in den lebenden Pflanzenzellen bestehen, nichts Überraschen- des mehr boten, so konnten diese Untersuchungen für sich allein nicht zu einer befriedigenden Theorie des osmotischen Druckes führen, indem die künstlichen Zellen sich nur für eine geringe Anzahl der geprüften Verbin- 768 Versuche von de Vries. dungen als nicht merklich permeabel erwiesen. Die osmotischen Leistungen von Verbindungen, deren Lösungen durch die Osmometer diosmieren, sind aber weder unter sich vergleichbar, noch mit der osmotischen Leistung von ) nicht diosmierenden Verbindungen, da die relativen Werte dieser Leistungen mit der Natur des verwendeten Osmometers gänzlich verschieden ausfallen müssen. Dies kommt um so mehr ın Betracht, als schon eine geringfügige | Diosmose der zu prüfenden Verbindung zu einer Unterschätzung der osmoti- | schen Leistungsfähigkeit desselben Stoffes für den Fall, daß er überhaupt nicht diosmieren sollte, führen kann. So wurde Pieffer selber durch seine ' vergleichenden Versuche mit Zellen, deren Niederschlagsmembranen bzw. aus Ferrocyankupfer, aus Berlinerblau und aus Calciumphosphat her- gestellt wurden, zu dem Irrtum verleitet, daß die osmotische Leistungsfähigkeit eines Stoffes auch noch in dem Falle von der Beschaffenheit der Niederschlags- | membran abhängt, wenn diese für die betreffende Verbindung impermeabel ' ist. So gibt er an, daß eine I proz. Rohrzuckerlösung in einer Zelle, deren Niederschlagsmembran aus Berlinerblau bestand, einen osmotischen Druck von 38,6cmHg ausübte, in einer Zelle mit Calciumphosphat als Niederschlags- membran 36,1 cm Hg, während in Ferroeyankupferzellen der osmotische Druck rund 50cmHg betrug. Jedenfalls wurde eine geringe Diosmose des Rohr- zuckers durch die Membranen aus Berlinerblau und aus Caleciumphosphat übersehen.ä Pfeffers Annahme, daß die Beschaffenheit der Membran die Größe des osmotischen Druckes auch nicht diosmierender Verbindungen beeinflussen könne, ist später stillschweigend verlassen worden, und Pfeffer!) selber hat in einer späteren Arbeit die Unhaltbarkeit einer solchen Annahme dar- getan, indem er durch Betrachtung eines geeigneten Kreisprozesses zeigte, daß die Annahme gegen das Prinzip des ausgeschlossenen Perpetuum mobile verstoßen würde. Die Herstellung der künstlichen, mit Niederschlagsmembranen ver- sehenen Zellen war zu umständlich und zeitraubend, um die Lösungen einer größeren Anzahl Verbindungen auf ihre osmotische Leistungsfähigkeit zu prüfen, und die Aussicht, auf diesem Wege zu wichtigen Beziehungen zwischen der chemischen Natur einer Verbindung und ihrer osmotischen Leistung zu gelangen, um so weniger hoffnungserweckend, als die Molekulargröße und die chemische Konstitution gerade derjenigen Verbindungen, für welche die Nieder- schlagsmembranen sich bis dahin als impermeabel erwiesen hatten, meist wenig sicher bekannt waren. Es gelang denn auch erst dann, eine Theorie des osmotischen Druckes auszubilden, nachdem de Vries?) auf anderem Wege die relative osmotische Leistung einer größeren Anzahl Verbindungen festgestellt hatte. De Vries benutzte lebende Pflanzenzellen als Osmometer, deren Protoplasma für zahlreiche Verbindungen wenigstens so weit impermeabel ist, daß bei zweck- mäßiger Wahl der Pflanzen und geeigneter Anordnung der Versuche ein größerer Fehler in der Bestimmung der relativen osmotischen Leistung der lösungen der betreffenden Verbindungen ausgeschlossen ist. !) Abhandl. der math.-physik. Klasse d. Kgl. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. 16, 302 bis 304. — ?) Eine Methode zur Analyse der Turgorkraft, Jahrb. f. wissensch. Botanik 14, 427 bis 601, 1884. Plasmolyse von Pflanzenzellen. 769 Diese Methode, die ım Prinzip schon Nägeli bekannt war, beruht darauf, daß geeignete Pflanzenzellen in die Lösung einer nicht schädigenden Verbin- dung von bekannter Konzentration c gesetzt werden. Wenn diese Verbin- dung wohl durch die Zellwand (Cellulosemembran) eindringen kann, nicht dagegen in das lebende Protoplasma übergeht, so zieht sich, nachdem die Konzentration c einen gewissen Wert übersteigt, das Protoplasma von der Zellwand stellenweise zurück, und zwar ist diese Zurückziehung eine um so weitergehende, je höher die Konzentration c ist. Diese Erscheinung ist den Pflanzenphysiologen seit mehr als 50 Jahren bekannt und war namentlich von Nägeli eingehend studiert und im wesentlichen richtig gedeutet worden. De Vries hat für diese Erscheinung die Bezeichnung Plasmolyse eingeführt, eine Bezeichnung, die sich seither allgemein eingebürgert hat. Speziell die Konzentration einer Verbindung, die bei einer gegebenen Zelle gerade aus- reicht, um eine eben merkliche Plasmolyse hervorzurufen, wird als die Grenz- konzentration der betreffenden Verbindung für diese Zelle bezeichnet, und den bezüglichen Zustand der Zelle nennt man die Grenzplasmolyse. Da die speziellen osmotischen Eigentümlichkeiten der Zelle und der Ge- webe in einem besonderen Abschnitt (die Zelle als osmotisches und quellbares System) eingehender besprochen werden müssen, wird es vorerst genügen an- zudeuten, wie de Vries die Erscheinung der Plasmolyse benutzen konnte, um die relativen osmotischen Leistungen verschiedener Verbindungen zu bestimmen. Das erste Anzeichen der Plasmolyse tritt bei lebenden Pflanzenzellen ein, wenn die plasmolysierende Lösung den gleichen oder, genauer gesagt, einen eben merklich höheren osmotischen Druck als der Zellsaft besitzt, wobei vor- ausgesetzt werden muß, daß die Lösung nicht schädlich auf die betreffenden Zellen einwirkt und daß die gelöste Verbindung nicht in das Protoplasma merklich eindringt (die Fälle, wo diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, werden erst später zu behandeln sein). Die Konzentrationen aller Verbindungen, die bei einer und derselben Zelle, bzw. bei verschiedenen Zellen, deren Zell- saft den gleichen osmotischen Druck besitzt, eine solche eben merkliche Plas- molyse bewirken, haben denselben osmotischen Druck wie der Zellsaft dieser Zellen oder, um die Ausdrucksweise von de Vries anzuwenden, sind alle isotonisch mit dem betreffenden Zellsaft und deswegen auch unter sich isoto- nisch. Es handelte sich also vor allen Dingen darum, Versuchsobjekte aufzufinden, bei denen die beginnende Plasmolyse möglichst scharf und bequem festgestellt werden kann. In den FEpidermiszellen der Außenseite erwachsener Blatt- scheiden von Curcuma rubricaulis (dunkelrote Varietät) und ım den Zellen der Epidermis der Blattunterseite von Tradescantia discolor, und zwar speziell den Zellen auf und unmittelbar neben den Mittelnerven fand de Vries Versuchs- objekte von gewünschter Beschaffenheit. Die genannten Zellen besitzen einen gefärbten Zellsaft, und der osmotische Druck des Zellsafts in benachbarten Blattpartien ist sehr annähernd gleich und ändert sich in gesetzmäßiger Weise nach der Blattregion, was die Auffindung der isotonischen Konzentrationen sehr erleichtert. Da es de Vries in erster Linie darum zu tun war festzustellen, welchen Anteil die verschiedenen ım Zellsaft vorkommenden Verbindungen an dem osmotischen Drucke (Turgor) des Zeilsafts besitzen, so untersuchte er vor- Nagel, Physiologie des Menschen. II. 49 770 Isotonische Koeffizienten. wiegend solche Verbindungen, die im Zellsafte tätsächlich aufgefunden worden waren. Infolge dieser Einschränkung kam de Vries zu gewissen allgemeinen Sätzen, die sich später, nachdem eine größere Anzahl Verbindungen mit anderen Methoden untersucht worden war, als nicht völlig zutreffend er- wiesen. Es sollen dennoch die empirischen Regeln, die de Vries aufstellte, zum Teil hier mitgeteilt werden, da sie für die wichtigeren für die Physiologie in Betracht kommenden Verbindungen in erster Annäherung zutreffen und sich dem Gedächtnis gut einprägen. Nach den .Versuchen von de Vries stehen die isotonischen Konzen- trationen der verschiedensten Verbindungen, d. h. also die Konzentrationen derselben, dieden gleichen osmotischen Druck ausüben, in einem einfachen Zusammenhang mit dem Molekulargewichtund der chemischen Naturder Verbindungen. Wenn man nämlich die Konzentrationen der Lösungen, statt nach Gewichtsprozenten, nach Molekularkonzentrationen rechnet, so läßt sich eine beschränkte Anzahl Gruppen aufstellen, innerhalb deren die Lösungen der einzelnen Glieder von gleicher molekularer Konzentration (also mit einer gleichen Zahl gelöster Molekeln in der Volumeinheit) auch sehr annähernd den gleichen osmotischen Druck ausüben, während andererseits sich die relative Größe des osmotischen Druckes, welchen dieselbe Molekularkonzentration in den ver- schiedenen Gruppen bewirkt, approximativ durch einfache ganze Zahlen ausdrücken läßt, die von de Vries „isotonische Koeffizienten“ genannt wurden. Mit anderen Worten würde innerhalb der einzelnen Gruppen für den osmotischen Druck eine der Avogadrosche Regel analoge Beziehung be- stehen, die aber, um auf Glieder aus verschiedenen Gruppen anwendbar zu sein, erst einen weiteren Faktor, den isotonischen Koeffizienten der be- treffenden Gruppen, enthalten müßte. Indem de Vries den isotonischen Koeffizienten des Kalisalpeters, dessen Lösungen er stets als Vergleichslösung benutzte, willkürlich zu 3 wählte, berechnete er für die isotonischen Koeffizienten der übrigen Verbindungen aus den experimentell gefundenen isotonischen Konzentrationen die folgenden Werte (siehe Tabelle auf nebenstehender Seite). Zu dieser tabellarischen Übersicht sind noch folgende Bemerkungen zu machen. Was zunächst die erste Gruppe anbetrifft, so ist schon aus den mitgeteilten Werten zu ersehen, daß bei den organischen Säuren die iso- tonischen Koeffizienten deutlich höher als bei den indifferenten organi- schen Verbindungen liegen; bei Oxalsäure hatte de Vries selber einen noch höheren Wert gefunden (etwa 2,25); da aber diese Säure auf die untersuchten Zellen schädlich wirkte, so schenkte de Vries den Versuchsergebnissen mit derselben kein großes Zutrauen. (Gegenwärtig wissen wir indessen aus an- deren Untersuchungen, daß der Oxalsäure und allen stärkeren organi- schen Säuren, z. B. der Trichloressigsäure, bedeutend höhere isotonische Koeffizienten als den indifferenten organischen Verbindungen zukommen müssen, und dasselbe gilt für die starken organischen Basen, wie die quaternären Ammoniumbasen (NR,.OH). ‘ Weiterhin ist zu bemerken, daß die zweiten Decimalstellen nur Rechnungs- zahlen sind, da die Versuchsfehler nach de Vries schon die erste Decimal- stelle etwas unsicher machen. Isotonische Koeffizienten. era Übersichtstabelle der isotonischen Koeffizienten. ans Koeftizienten | I Untersuchte Stoffe Formeln | | Erste Gruppe: Organische metallfreie Verbindungen (isotonischer Koeffizient rund 2) LIE Nr 0RH%07 1,81 Vase N | C,H,:0; | 1,88 PRRAUDENZUCKOTZE EEE ea | Or EE 0), 1,91 nu en er 2 | O7HRU: 1,98 TORE 0 "area De ee | C,H50; 2,02 Eiironensäute een er | 0,H,07; | 2,02 Zweite Gruppe: Salze der Alkalien mit je einem Atom Metall im Molekül (isoton. Koeffiz. rund 3) BallpetersaureseNatrlume Der NaNO, | 3 inlagkaltint de ol ho a Er! Kcl | 3 Chlornatrium NaCl | 3,05 Chlorammonium . 2.2 2.2. | NH, Cl | 3 Essigsaures Kalium. . . . So DR do K(C,H,0, 3 Doppelsaures eitronensaures Kalium: SHE KH,C,H,07, 3,05 Dritte Gruppe: Salze der Alkalien mit je zwei Atomen Metall im Molekül (isoton. Koeffiz. rund 4) VxalsauresgKalumen Ar ve ee || K,0,0, | 3,93 Schwefelsaures Kalium . .. 2.2.2...) K,S0, | 3,92 Phosphorsaures Kalium . at er || KR, EMEO, | 3,96 NVeinsautese Kalium ee K,C,H,0, | 3,99 Kipfelsaures Kalum u. once. | 07 H70: | 411 Einfachsaures citronensaures Kalium .... | K,HC,H,O07 | 4,08 Vierte Gruppe: Salze der Alkalien mit je drei Atomen Metall im Molekül (isoton. Koeffiz. rund 5) Cihronensaures. Kallıum du... ee ne] K,C,H,0, | 5,01 Fünfte Gruppe: Salze der Erdalkalien mit je einem Atom Säure im Molekül (isoton. Koeffiz. rund 2) 1,88 1,96 Äpfelsaures Magnesium . . 222.222... | MgC,H,0, Schwefelsaures Magnesium. „u... 2... | MeSO, | Sechste Gruppe: Salze der Erdalkalien mit je zwei Atomen Säure im Molekül (isoton. Koeffiz. rund 4) Citronensaures Magnesium .........| Mg,(C,H,07,) | 3,88 OmloEmapnesiumn ee Senn. | M&C], 4,33 Chlorealeium | CaC], 4,33 De Vries war geneigt zu glauben, daß wenigstens für verdünntere Lösungen die isotonischen Koeffizienten aller Glieder einer Gruppe den- selben Wert besitzen und daß die kleinen Abweichungen der Versuchsergeb- nisse auf Versuchsfehler zurückzuführen sein dürften, doch ist dies in vielen Fällen sicher nicht der Fall. Es ist sogar wahrscheinlich, daß bei nur mäßig 49% 7793 Isotonische Koeffizienten. verdünnten Lösungen kleine Differenzen zwischen allen Gliedern mit ver- schiedenem Molekulargewicht bestehen, wenn auch speziell innerhalb der ersten und zweiten Gruppe (mit Ausschluß der organischen Säuren und Basen) . die Differenzen meist sehr gering zu sein scheinen. De Vries!) hielt es auch für wahrscheinlich, daß bei größerer Genauig- keit der Untersuchungsmethoden die ganzzahligen isotonischen Koeffi- zienten (in der Tabelle eingeklammert) sich als die wahren Werte zeigen dürften. Die bedeutenden Abweichungen bei den Chloriden der Erdmetalle von ganzen Zahlen sind zwar gröber, als die Versuchsfehler betragen können, doch meinte de Vries?), daß diese Abweichungen bei geringeren Konzentratio- nen, als zur Plasmalyse erforderlich sind, verschwinden dürften. Wäre diese An- sicht zutreffend gewesen, so mübte eine große Wahrscheinlichkeit bestehen, daß die ganzzahligen isotonischen Koeffizienten einer rationellen Fr- klärung zugänglich sein dürften. Die spätere elektrolytische Disso- ziationstheorie von S. Arrhenius und die sich daran anschließenden Untersuchungen lassen indessen keinen Zweifel mehr übrig, daß den ganz- zahligen isotonischen Koeffizienten keine rationelle Bedeutung zukommt, ob- gleich sie als angenäherte Werte für die wichtigeren Verbindungen in dem betreffenden Konzentrationsbereich, die sich leicht dem Gedächtnis einprägen, sich häufig recht nützlich erweisen. Eine weitere von de Vries?) aufgestellte Regel lautet folgendermaßen: Jede Säure und jedes Metall hat in allen Verbindungen denselben partiellen isotonischen Koeffizienten; der Koeffizient eines Salzes ist gleich der Summe dieser partiellen Koeffizienten für die kon- stituierenden Bestandteile. Diese partiellen isotonischen Koeffizienten sind: für jede Atomgruppe einer Säure 2 für jedes Atom eines Alkalimetalls 1 für jedes Atom eines Erdalkalimetalls 0. Aus diesen partiellen Koeffizienten läßt sich der Koeffizient eines jeden beliebigen Salzes (annähernd) berechnen, z. B.: Korea 3; SO) K,0,H,0, = 730 297 — ri: MgS0O, = MgC, = 0.4 2x 2 —A. Auch diese Regel ist rein empirischer Natur und von nur annähernder Gültigkeit. Bei den Salzen der Schwermetalle würden mehrfach große Ab- weichungen von der Regel zu konstatieren sein. Für Überschlagsrechnungen der osmotischen Drucke von Lösungen, deren Zusammensetzung bekannt ist, läßt sich indessen die Regel meist mit Vorteil anwenden. Aus dieser letzten Regel folgt ferner ohne weiteres, daß bei den kreuz- weisen Umsetzungen von Salzen in Lösungen sich der totale osmotische. Druck nicht ändert, sofern sich kein festes Salz ausscheidet. Durch plasmolytische Versuche mit den Zellen von verschiedenen Pflanzen, deren Zellsäfte sehr ungleiche osmotische Drucke besaßen, konnte de Vries feststellen, daß innerhalb des bei plasmolytischen Versuchen in Betracht 1 ec 8.517. LIEBE) TIEHBT 5 Ähnlichkeit des gelösten Zustandes mit dem gasförmigen Zustande. 03 kommenden Konzentrationsbereichs der isotonische Koeffizient einer be- stimmten Verbindung für verschiedene Konzentrationen sehr annährend den- selben Wert behält. Er zeigte ferner, daß der totale osmotische Druck einer zusammengesetzten Lösung (sofern die einzelnen Bestandteile nicht chemisch aufeinander einwirken) gleich der Summe der osmotischen Drucke ist, welchen jeder gelöste Bestandteil in der bezüglichen Konzentration für sich ausüben würde, wenn er sich allein in der Lösung befände. Schon de Vries hat auf die Relationen hingewiesen, die zwischen der osmotischen Leistung einer in Wasser gelösten Verbindung und der durch ihre Auflösung bedingten Verminderung der Dampfspannung des Wassers, der Erniedrigung des Dichtigkeitsmaximums und der Herab- setzung des Gefrierpunktes bestehen!). Insbesondere sind die Be- ziehungen zwischen den isotonischen Koeffizienten und der Gefrierpunkts- erniedrigung von organischen Verbindungen und Salzen nach den Versuchen von Coppet und Raoult eingehender besprochen und als Ergebnis der Be- trachtungen hervorgehoben, „daß in weitaus den meisten und wich- tigsten Beziehungen eine volle Übereinstimmung zwischen den Gesetzen der isotonischen Koeffizienten und denen der Gefrier- punktserniedrigungen obwaltet?)“. Der theoretische Zusammenhang zwischen der Erniedrigung des Gefrierpunktes und der Herabsetzung der Dampfspannungen war schon viel früher von Güldberg°) aufgedeckt. Durch die Untersuchungen von Pfeffer und de Vries über den osmo- tischen Druck, von Raoult über die Gesetze der Gefrierpunktserniedrigung gewann die Analogie zwischen dem gelösten Zustande und dem Gaszustande, die schon lange aufgefallen war *), einen viel tieferen Gehalt, und die weitere Verfolgung dieser Analogie wurde durch dieselben geradezu herausgefordert. Schon ein Jahr nach dem Erscheinen der de Vriesschen Untersuchungen hat denn auch van ’t Hoff°), der damals zusammen mit de Vries an der Uni- versität Amsterdam wirkte, die wichtigsten noch fehlenden Schritte getan, um die Darlegung dieser Analogie ihrer Vollendung entgegenzuführen. van ’t Hoff hat nämlich darauf hingewiesen, daß der von Pfeffer erhaltene Wert für den osmotischen Druck von 1proz. Lösungen von Rohrzucker dieselbe Größe besitzt, die eine gleiche Menge Rohrzuckerdampf bei gleicher Temperatur in einem dem Volumen- der Lösung gleichen Raume nach der Avogadroschen Regel aus- üben müßte und daß auch die Änderung des osmotischen Druckes mit der Temperatur der Lösung, die von Pfeffer gefunden wurde (siehe S. 767), von gleicher Größenordnung ist wie die Druck- änderung eines Gases bei konstant gehaltenem Volumen für die gleiche Temperaturänderung. Weiterhin hat van ’t Hoff den theore- tischen Zusammenhang zwischen osmotischem Druck und Gefrierpunkts- erniedrigung auseinandergesetzt, deren Beziehungen durch die Arbeiten von ID) 1.e. 8. 522 bis 527. — 1. e. 8. 527. — °) Compt. rend. 1870, tomeI, p- 1349. — *) Schon Gay-Lussae hat auf die weitgehende Analogie zwischen einem Verdampfungsprozeß und einem Auflösungsvorgange aufmerksam gemacht. — °) L’equilibre chimique dans les systemes gazeux ou dissous & Petat dilue. Archives Neerlandais 20, 239; Ostwalds Klassiker Nr. 110. Ausführlicher Auszug von van ’t Hoff selber in Zeitschr. f. physik. Chem. 1. 774 Beziehungen zwischen osmotischem Druck und Dampfdruckerniedrigung. de Vries und Raoult nur empirisch konstatiert waren. Den Begriff der isotonischen Koeffizienten als wirkliche Konstanten hielt van ’t Hoff bei, halbierte aber ihre Werte, so daß die indifferenten organischen Verbindungen den isotonischen Koeffizienten 1 erhielten. Es geschah dies deshalb, weil van ’t Hoff durch Einführung des Faktors i (isotonischer Koeffizient) in die Gasgleiechung diese so modifizieren wollte, daß sie auch für verdünnte wässerige Lösungen gelten sollte, und da bei den verdünnten Lösungen indifferenter organischer Verbindungen die Gasgleichung ohne Änderung für den osmotischen Druck der Lösungen gültig ist, mußte für sie dem Faktor i der Wert 1 erteilt werden. Da es bei physiologischen Untersuchungen häufig bequemer oder sogar erst möglich ist, den osmotischen Druck einer Lösung, statt auf direktem Wege zu messen, auf indirektem Wege durch Ermitte- lung der Gefrierpunktserniedrigung oder der Her- absetzung der Dampfspannung der Lösung zu be- rechnen, so wird es zweckmäßig sein, den theoretischen Zusammenhang dieser Erscheinungen zu besprechen. Was zunächst die theoretischen Beziehungen zwischen dem osmotischen Druck einer Lösung und ihrer Dampf- spannung betrifft, so werden diese für den Fall, daß der gelöste Körper bei der Versuchstemperatur (praktisch) nicht flüchtig ist, sehr anschaulich durch eine Betrachtung, die ursprünglich von Lord Kelvin (Sir William Thomson!) ausgesonnen wurde, um die Beziehungen zwischen der Oberflächengestalt einer einheitlichen Flüssigkeit und ihrer Dampfspannung zu überblicken, später dann von Arrhe- nius?) u.a. auf die uns hier interessierende Frage über- Fig. 131. tragen wurde. Man denke sich eine sehr lange, teilweise mit einer verdünnten Lösung gefüllte Röhre r, die oben offen, unten dagegen mit einer halbdurchlässigen Membran verschlossen ist, die nur Wasser- molekeln, nicht aber die Molekeln des gelösten Körpers durchläßt (Fig. 131). Diese Röhre tauche mit ihrem unteren Ende senkrecht in ein Gefäß (G@) von reinem Wasser, und das Ganze sei in einem weiteren Rohr R eingeschlossen, das evakuiert worden ist und überall genau die gleiche Temperatur t besitzt. Es wird dann durch Wasseraufnahme oder Wasserabgabe durch die semi- permeable Membran das Niveau (S) der Lösung in der Röhre r so lange sinken oder steigen, bis der hydrostatische Überdruck der Flüssigkeitssäule in der Röhre r auf der Innenseite der Membran dem osmotischen Drucke der Lösung gleich geworden ist. Bezeichnen wir die Höhendifferenz der Niveaus (S und S’) der Lösung in r und des Wassers in @ mit A, sojmuß, damit Gleichgewicht besteht, der Dampfdruck in der ganzen Ebene S überall gleich sein und somit der Dampf- druck des reinen Wassers in G größer sein als der Dampfdruck der in der !) Proceedings of the Royal Society of Edinburgh, Febr. 7, 1870; vgl. auch Cl. Maxwell, Theory of Heat, 10. Edition, p. 239—291. — ?°) Zeitschr. f. phys. Chem. 3, 115 bis 119, 1889; vgl.auch Gouy et Chaperor, Ann. chim. phys., serie 6, 13, 124, 1888. Beziehungen zwischen osmotischem Druck und Dampfdruckerniedrigung. 775 Röhre r befindlichen Lösung, und zwar im Verhältnis, wie der Druck des Wasserdampfes in der Ebene S’ größer ist als in der Ebene $8. Dieser Druck- unterschied ist aber gleich dem Gewichte der Dampfsäule h über der Flächen- einheit. Nehmen wir z. B. an, daß das Quadratcentimeter die Flächeneinheit darstellt, daß die Temperatur £ 20°C ist, und daß die Strecke h 10m beträgt, was dem osmotischen Druck einer 1'/, proz. Rohrzuckerlösung ungefähr ent- sprechen würde, so müßte der Druck des Wasserdampfes pro Quadratcenti- meter in der Ebene S’ — 1,7406 x 13,6 — 23,67216 g betragen, da bei 20°C die Spannung des gesättigten Wasserdampfes 17,406 mm Quecksilber beträgt. Es hat ferner eine 10 m hohe Säule mit einem Querschnitt von l qem ein Volum von 1 Liter, und das Gewicht einer solchen Säule von Wasser- dampf von der Spannung 17,406 mm und der Temperatur 20°C beträgt en 760 293 Es ist also der Druck des Wasserdampfes in der Ebene S$ pro Quadrat- centimeter 23,67216 — 0,0175g. Während bei Lösungen von geringerem osmotischen Drucke (z. B. bis zu etwa 10 Atmosphären) die Differenz des Dampfdruckes in den Ebenen S und 5’ sehr annähernd der Höhe h propor- tional ist, ähnlich wie die Differenz im Barometerstande unter sonst gleichen Bedingungen bei geringeren Erhebungen über dem Meere diesen Erhebungen ohne wesentlichen Fehler gleich gesetzt werden kann, so ist dies nicht mehr der Fall, wenn die Größe h mehrere hundert oder tausend Meter beträgt. Man muß vielmehr in diesem Falle, um die Lage der Ebene S, die (bei ge- gebener Temperatur) einer bestimmten Dampfdruckverminderung entspricht, zu berechnen, eine Formel, die der hypsometrischen Formel nachgebildet ist, anwenden. Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß bei konzentrierteren Lösungen leicht löslicher Verbindungen der osmotische Druck der Lösung schneller wächst als die Verminderung des Dampfdruckes derselben. Man ersieht ferner, daß zwei konzentrierte Lösungen von verschiedenen Verbindungen, die gleichen Dampfdruck besitzen, im allgemeinen nicht den gleichen osmotischen Druck besitzen werden, denn wenn man die beiden Lösungen in zwei Röhren r und r', die unten mit semipermeablen Membranen versehen sind, eingeschlossen denkt, die wie vorher in das Gefäß @ eingetaucht und oben offen sind, so müssen, damit Gleichgewicht besteht, die Niveaus der Lösungen in den beiden Röhren notwendig in derselben Ebene S liegen, denn nur in diesem Falle können die Dampfdrucke beider Lösungen gleich sein. Es müssen aber dann die osmotischen Drucke der beiden Lösungen ihren spezifischen Gewichten proportional sein !). — Bei stark verdünnten Lösungen werden die spezifischen ') Die Dampfdruckverminderung einer 9proz. Rohrzuckerlösung (mit einem spezifischen Gewicht von etwa 1,036) ist daher um etwa 3 Proz. geringer als die- jenige einer mit ihr isosmotischen Kochsalzlösung und da die Gefrierpunkts- depression einer Lösung der Dampfdruckerniedrigung (bei einer dem Gefrierpunkte der Lösung nahen Temperatur) genau proportional ist, so muß die Gefrierpunkts- depression einer 9 proz. Rohrzuckerlösung ebenfalls um etwa 3 Proz. geringer sein als die Gefrierpunktsdepression einer mit ihr (bei der Gefriertemperatur) isosmo- tischen Kochsalzlösung. Aus demselben Grunde müssen solche Proben von Blut, Blutplasma und Lymphe, die bei Temperaturen von 0° bis — 1°C unter sich 776 Einfluß der Membran auf den effektiven osmotischen Druck. Gewichte der Lösungen (im gleichen Lösungsmittel) zu wenig verschieden sein, als daß ihre Nichtberücksichtigung einen wesentlichen Fehler bedingt, wobei wir aber unter verdünnten Lösungen solche verstehen müssen, die nicht nur eine geringe molekulare, sondern auch eine geringe gewichts- prozentige Konzentration besitzen. Dieser theoretische Zusammenhang zwischen dem verminderten Dampf- druck und dem osmotischen Drucke muß, wie ohne weiteres ersichtlich, in ganz ähnlicher Weise für die Lösung in jedem beliebigen Lösungsmittel L gelten, indem man bloß an Stelle der Dampfspannung und des Gewichtes der Dampfsäule des Wassers jene von L bei der in Betracht kommenden Temperatur zu setzen hat und auch das spezifische Gewicht der Lösung kennen muß. Aus der experimentell ermittelten Dampfdruckerniedrigung eines be- liebigen Lösungsmittels bei einer gegebenen Temperatur durch Auflösung irgend einer Verbindung in bekannter Konzentration (wobei noch das spezi- fische Gewicht der betreffenden Lösung zu bestimmen ist) läßt sich der osmo- tische Druck berechnen, den diese Lösung in einer Röhre mit semipermeabler Membran bei dieser Temperatur ausüben müßte, wenn diese Membran gleich- zeitig in das reine Lösungsmittel L tauchte und nur für die Molekeln von L durchlässig, für die Molekeln der gelösten Verbindung aber völlig undurch- lässig wäre. Ob für jedes Lösungsmittel und für jede gelöste Verbindung eine solche semipermeable Membran sich in praxi herstellen läßt, ist für die theoretische Betrachtung ohne Belang. Wenn man gegenwärtig schlechtweg von dem osmotischen Druck einer Lösung spricht, so versteht man darunter stets den Druck, welchen die be- treffende Lösung gegen eine solche „ıdeale semipermeable Membran“ unter den bezeichneten Umständen im Zustande des Gleichgewichts aus- üben würde), Ist die tatsächlich vorliegende Membran auch für die Molekeln der ge- lösten Substanz mehr oder weniger leicht durchlässig, so wird der experi- mentell direkt gemessene osmotische Druck stets geringer sein, als die Rech- nung für die „ideale semipermeable Membran“ ergibt, wird aber überhaupt keinen konstanten, sondern einen mit dem Zeitpunkte der Messung veränder- lichen Wert besitzen. Dies ist z. B. bei toten tierischen Membranen gegen- über den Lösungen aller Kristalloide stets der Fall und selbst bei Nieder- schlagsmembranen recht häufig. Ist die Membran für den gelösten Stoff sehr leicht durchlässig, so wird sogar die Lösung des letzteren überhaupt (auf osmotischem Wege) keinen Druck auf die betreffende Membran ausüben, ein Fall, der in Wirklichkeit bei Pflanzen- und Tierzellen sehr häufig vor- kommt und später behandelt wird. isosmotisch sind, ungleiche Gefrierpunkte besitzen. Sind z.B. die spezifischen Gewichte der drei genannten Flüssigkeiten der Reihe nach 1,06, 1,03 und 1,01 —, so wird die Gefrierpunktsdepression der Lymphe um etwa 5 Proz., diejenige des Blutplasmas um etwa 3 Proz. größer sein als die des Blutes. Diese Verhältnisse sind bisher in der physiologischen Literatur gänzlich übersehen worden. !) Die Nichtbeachtung dieses Punktes ist die Quelle vieler Mißverständnisse gewesen, so neuerdings wieder bei Traube (siehe Pflügers Archiv 105, 541 ff.). Depression des Gefrierpunkts bei Lösungen. MIT Wenn endlich eine Membran für einzelne gelöste Verbindungen (a, b, c) einer zusammengesetzten Lösung undurchlässig, für andere gelöste Stoffe (m, n, 0) in derselben Lösung dagegen, wie für das Lösungsmittel, sehr leicht durchlässig ist, so wird der wirklich gegen die Membran ausgeübte Druck Pa, b, ce (osmotischen Ursprungs) nur gleich der Summe der osmotischen Drucke der Verbindungen a, b und c in den bezüglichen Konzentrationen sein. Man kann diesen Druck »., ı, .c als den „effektiven osmotischen Druck“ !) der Lösung gegenüber der betreffenden Membran bezeichnen. Die Beziehungen zwischen der Depression des Gefrierpunktes und der Verminderung des Dampfdruckes durch aufgelöste Verbindungen sind unmittelbar dadurch gegeben, daß der Gefrierpunkt (Schmelzpunkt) derjenige Temperaturpunkt ist, bei dem das feste Lösungsmittel (Eis) und die Lösung in Gleichgewicht sind, so nämlich, daß die geringste Erwär- mung über diesen Punkt hinaus zur Verschmelzung eines Teiles des festen Lösungsmittels unter Wärmeabsorption, die geringste Wärmeentziehung da- gegen zur Ausscheidung einer gewissen Menge des Lösungsmittels unter Wärmeentwickelung führte Nun haben eine unterkühlte Flüssigkeit und ihre feste Phase bei derselben Temperatur einen ungleichen Dampfdruck, wie von Kirchner theoretisch abgeleitet, von Sir W. Ramsay für Wasser experimentell festgestellt wurde, und zwar. liegt die Dampfdruckkurve des festen Lösungsmittels tiefer als die der unterkühlten flüssigen Phase. Beide Kurven müssen sich aber im Gefrierpunkte (Schmelzpunkte) treffen (schneiden), da sonst die beiden Phasen nicht im Gleichgewicht sein könnten. Wäre auch in diesem Punkte eine Ungleichheit des Dampfdruckes beider Phasen vorhanden, so müßte ein isothermer Destillationsprozeß vor sich gehen, der das Gleichgewicht sofort stören würde. Im ganzen ist bei verdünnten flüssigen Lösungen die Bestimmung des Gefrierpunktes mit der erforderlichen Genauigkeit leichter, bzw. allgemeiner ausführbar als die direkte Messung des osmotischen Druckes oder der Herab- setzung des Dampfdruckes, und obgleich, streng genommen, Lösungen, die bei ihren Gefrierpunkten isosmotisch sind, es nicht bei anderen Temperaturen zu sein brauchen, hat die Erfahrung gezeigt, daß dies bei verdünnten wässerigen Lösungen, wenigstens noch innerhalb des für die Physiologie wichtigeren Temperaturbereichs in der Regel sehr annähernd der Fall ist. Wenn es die Umstände gestatten, ist bei physiologischen Untersuchungen die direkte Bestimmung sowohl des osmotischen Druckes als auch des Ge- frierpunktes der zu prüfenden Lösung (Blutplasma, Harn, Speichel usw.) immer wünschenswert, da dann die zwei Bestimmungen sich gegenseitig zur Kontrolle dienen können. Fine einfache Methode zur direkten Bestimmung des osmotischen Druckes von Magensaft, Galle usw. existiert zurzeit nicht, und da bei diesen Säften auch die Methode der Dampfdruckerniedrigung sich nicht mit Vorteil anwenden läßt, so ist man hier vorläufig allein auf die Be- stimmung der Gefrierpunktserniedrigung angewiesen, um den osmotischen Druck dieser Säfte zu ermitteln. !) Diese Bezeichnung ist vom Verf. seit vielen Jahren angewendet, sie wurde auch gelegentlich in gleichem Sinne von anderen Autoren (er 18% a) ge- braucht. TErER Ausführung einer Gefrierpunktsbestimmung. Aus thermodynamischen Betrachtungen!), auf die hier nicht ein- gegangen werden soll, läßt sich bei Kenntnis der Schmelzwärme des Lösungsmittels die absolute Gefrierpunktserniedrigung, die bei Auflösung einer beliebigen indifferenten Verbindung in bekannter molekularer Konzen- tration bewirkt wird, berechnen, und die durch Erfahrung und Berechnung gewonnenen Werte stimmen gut miteinander überein. Die Bestimmung des Dampfdruckes von tierischen Säften, um ihren osmotischen Druck zu ermitteln, hat bisher fast keine Anwendung in der physiologischen Methodik gefunden und kann schon infolge der in diesen Säften aufgelösten Gase nicht in gewöhnlicher Weise ausgeführt werden; in der Form, wie sie im nächsten Abschnitt (über Quellung) beschrieben wird, ließe sie sich aber in vielen Fällen mit Vorteil anwenden. Bemerkungen über die Ausführung einer Gefrierpunkts- bestimmung. Bezüglich der Details bei der Ausführung von Gefrierpunktsbestimmungen muß auf die unten zitierten Arbeiten verwiesen werden?). An dieser Stelle können nur einzelne Bemerkungen darüber gemacht werden. Die Bestim- mung wird gegenwärtig fast allgemein mittels eines der Beekmannschen Apparate ausgeführt. Eine genaue Bestimmung des Gefrierpunktes einer Lösung ist weit umständlicher und mühsamer, als gewöhnlich angenommen wird, und der großen Mehrzahl der in der physiologischen und klinischen Literatur angehäuften Daten werden Fehler bis zu 5 Proz. und darüber anhaften. Der häufigste und wichtigste Fehler, der begangen wird, beruht auf der An- wendung einer zu stark abgekühlten Kältemischung, wodurch die schein- bare Gefrierpunktserniedrigung der untersuchten Lösung tiefer liegt als die wirkliche. Die Bedingungen für die Erreichung möglichst genauer Werte sind von Nernst und Abegg im Jahre 1894 untersucht und seither die Gefrierpunktserniedrigung durch bestimmte Konzentrationen einiger weniger Verbindungen von Raoult, Abegg, Loomis u. a. mit einem hohen Grade von Genauigkeit festgestellt worden. Um solche möglichst genauen Resultate zu erzielen, muß vor allen Dingen die Temperatur des Kältebades so gewählt werden, daß die „Konvergenztemperatur“ und die Gefrier- temperatur der Lösung (z. B. eines tierischen Saftes) möglichst zusammen- fallen. Unter Konvergenztemperatur versteht man die Temperatur, welche der Inhalt des Gefriergefäßes bei gegebenem Kältebad und gegebener Rührgeschwindigkeit, ohne zu gefrieren, annehmen würde. Die Konvergenz- temperatur hängt in erster Linie von der Temperatur des Kältebades ab, und zwar so, daß innerhalb eines nicht zu großen Temperaturbereichs die !) Vgl. die bezüglichen Abschnitte in den Lehr- und Handbüchern der theore- thischen Chemie von Ostwald (Lehrb. d. allgem. Chem.), Nernst und van ’t Hoff. van ’t Hoff hat auch den direkten theoretischen Zusammenhang des osmotischen Druckes mit der Gefrierpunktserniedrigung (Ostwalds Klassiker Nr. 110); vgl. auch Ostwald, l.c. — °) Fuchs, Anleitung zu Molekulargewichtsbestimmungen, Leipzig 1895; Raoult, Zeitschr. f. physik. Chem. 27, 617, 1898; Nernst u. Abegg, ebenda 15, 681, 1894; Loomis, Wiedemanns Ann. 51, 57 und 60, 1894 bis 1897; _ Östwald-Luther, Hand- und Hilfsbuch zur Ausführung physiko-chemischer Messungen, 2. Aufl., Kap. 14, 1902. Elektrolytische Dissoziation. 719 Differenz zwischen diesen beiden Temperaturen bei gegebenem Apparat an- nähernd konstant ist. Beim Beckmannschen Apparat von üblichen Dimen- sionen liegt für Temperaturen in der Nähe von 0°C und für eine Rühr- geschwindigkeit von etwa einem Hub pro Sekunde die Konvergenztempe- ratur um etwa 0,3°C über der Badtemperatur (nach Ostwald-Luther). Ohne mechanisch betriebenes Rührwerk für Gefriergefäß und Kältebad können die genauesten Resultate nicht erhalten werden. Für physiologische Zwecke ist im allgemeinen ein Thermometer mit fixer Skala vorzuziehen, da es sich hier fast immer um Gefrierpunktsbestimmungen von wässerigen Lösungen handeln wird, und zwar um Lösungen, deren Ge- frierpunkt meist zwischen 0° und — 4°C liegt; aber auch bei einem solchen Thermometer sollte vor und nach jeder Versuchsreihe der Nullpunkt desselben (d. h. der Gefrierpunkt des reinen Wassers) kontrolliert werden, da durch verschiedene Umstände kleine Verschiebungen des Nullpunktes am Thermo- meter bedingt werden können. Das zur Bestimmung des Nullpunktes ver- wendete destillierte Wasser muß frei von Kohlensäure sein. Bei jeder genauen Gefrierpunktsbestimmung sind mehrere Vorversuche erforderlich, um die Konvergenztemperatur des Inhalts des Gefriergefäßes zu bestimmen und die Temperatur des Kältebades ausfindig zu machen, welche die Konvergenztemperatur und den Gefrierpunkt der untersuchten Lösung im Gefriergefäß möglichst zur Deckung bringt. Der Einfluß geringer Ab- weichungen dieser beiden Temperaturen auf den scheinbaren Gefrierpunkt der Lösung kann aus der Schmelzwärme des Wassers berechnet werden. Die Lösung wird zu einer Zeit, in der sie noch etwas überkältet ist, mit einem kleinen Eisstückchen geimpft. Die Gefrierpunktserniedrigung für 1proz. Lösungen einiger besonders sorgfältig untersuchter Verbindungen möge hier mitgeteilt werden !). 1 Proz. Rohrzucker . . 0,0546°0 (Abegg, Ponsot, Raoult). 1 Proz. Natriumchlorid 0,589°%C. 1 Proz. Kaliumchlorid 0,461°C (extrapoliert nach Daten von Abegg für naheliegende Konzentrationen). Zur Einübung der Methode der Gefrierpunktsbestimmung ist es sehr zweckmäßig, eine lproz. Kaliumchloridlösung zu verwenden und den Grad der Übereinstimmung mit dem genau bestimmten Wert — 0,461°0 — zu vergleichen. Kaliumchlorid ist viel leichter ganz wasserfrei zu erhalten als Natriumchlorid und daher als Vergleichslösung zweckmäßiger. Elektrolytische Dissoziation (lonisation) wässeriger Lösungen von Salzen, Säuren und Basen. Es ist bereits hervorgehoben worden, daß der osmotische Druck von ver- dünnten Rohrzuckerlösungen denselben Wert besitzt, wie der Rohrzucker- dampf bei gleicher Temperatur haben müßte, wenn die gleiche Gewichtsmenge ‘) Eine Zusammenstellung der neueren genaueren Bestimmungen der Gefrier- “ punktserniedrigungen von wässerigen Lösungen mit Jahreszahl der Bestimmung und näheren Literaturangaben findet man in der kürzlich erschienenen dritten Auf- lage von Landolt-Börnsteins Physikalisch- chemischen Tabellen, 1905, S. 481 bis 496. 730 Elektrolytische Dissoziation. Rohrzucker wie in der Lösung in einem dem Volum der Lösung gleichen Dampfraum verteilt wäre und der Dampfdruck des Rohrzuckers sich normal verhielte. Aus den Untersuchungen von de Vries ergibt sich dann weiter, daß alle indifferenten organischen Verbindungen mit dem isoto- nischen Koeffizienten 2 oder nach van ’t Hoffs modifizierter Definition der isotonischen Koeffizienten mit dem van ’tHoffschen Koeffizienten i —= 1 sich in dieser Beziehung wie Rohrzucker verhalten. Man kann also den allgemeinen Satz aussprechen, daß der osmotische Druck einer verdünnten wässerigen Lösung einer indifferenten organischen Verbindung dem Dampfdrucke gleich ist, den sie in derselben Konzentration nach der Avogadroschen Regel bei gleicher Tem- peratur in Dampfform ausüben würde. Diejenigen Verbindungen mit einem isotonischen Koeffizienten, der größer ist als 2, bzw. wo i größer als 1 ist, also nach de Vries die meisten Salze und nach Raoult auch die stärkeren Säuren und Basen, würden sich demnach in wässeriger Lösung, wenn wir die Analogie zwischen Stoffen in Dampfform und gelöster Form weiter ausdehnen wollen, so ver- halten, wie wenn in der Lösung eine größere Anzahl gelöster Molekeln vorhanden wäre, als nach der Formel des betreffenden Salzes (Säure, Base) sich berechnen würde. Der Koeffizient ö (der halbe Wert der de Vriesschen isotonischen Koeffizienten) würde dabei das Verhältnis der Anzahl der aus dem osmotischen Drucke, bzw. dem Gefrierpunkte bei Geltung der Gasgesetze zu berechnenden Molekeln zu der nach der chemischen Formel (unter der Annahme, daß keine Dissoziation der Molekeln eintritt) zu berechnenden Anzahl darstellen. “s entstand also die Frage, ob nicht bei diesen Lösungen von Salzen, Säuren und Basen eine Spaltung (Dissoziation) der gelösten Molekeln an- genommen werden könnte, ähnlich wie dies bei gewissen Dämpfen, z. B. von Salmıak, die den Gasgesetzen nicht zu gehorchen schienen, nachgewiesen worden ist. Man könnte zunächst daran denken, daß ein gelöstes Salz in wässeriger Lösung zum Teil in Säure und Base gespalten sei. Obgleich dieser Fall (als hydrolytische Dissoziation bezeichnet) bei Salzen schwacher Säuren oder schwacher Basen, z. B. Anilinsalzen, Salzen der Amino- säuren, tatsächlich häufig vorkommt und speziell für die Physiologie große Bedeutung besitzt, so wäre eine solche Annahme unzulässig bei Salzen wıe Kochsalz oder Salpeter und überhaupt bei allen Salzen, die aus starken Säuren mit starken Basen gebildet sind. Denn wäre die Annahme auch für diese Salze richtig, so müßte bei vielen dieser Salze eine merkliche Trennung der Bestandteile durch Diffusion usw. möglich sein, was nicht der Fail ist. Zudem wäre durch jene Annahme das Verhalten der Lösungen der starken Säuren und Alkalien doch nicht erklärt. Es blieb also von einfacheren Annahmen nur noch die zu erwägen übrig, ob in.den wässerigen Lösungen solcher Verbindungen wie HCl oder NaÜl eine teil- weise Spaltung in die Bestandteile H und Cl bzw. K und Ül irgendwie plau- sibel erscheine. Daß solche Bestandteile in der Lösung nicht in derselben Form existieren, in der man sie als klemente kennt, war von vornherein klar, teils aus denselben Gründen, die gegen die Spaltung von NaCl in NOH und HC] sprechen, teils aus anderen naheliegenden Gründen. Beziehung zwischen den isotonischen und den Aktivitätskoeffizienten. 781 Weiteres Licht über diese Frage hat erst eine berühmt gewordene Ab- handlung von Svante Arrhenius!) ergossen. Arrhenius machte zunächst darauf aufmerksam, daß nur bei Verbindungen. die in wässeriger Lösung, relativ gute Leiter der Elektrizität sind (Elektrolyten), der Wert von i wesentlich größer als l ist und daß weiterhin auch diese Verbin- - dungen, wenn sie sich in Lösungsmitteln befinden, in denen sie den Strom nicht leiten, sich ganz wie die indifferenten Verbindungen ver- halten, daß also in solchen Lösungsmitteln gelöst auch bei ihnen ö nahezu den Wert 1 besitzt. Teils durch eigene Untersuchungen, teils durch die früheren Unter- suchungen von Kohlrausch war Arrhenius schon früher zu der Über- zeugung gelangt, daß in den Lösungen der Elektrolyte von mittlerer Kon- zentration nur ein Teil der Molekeln an der Stromleitung beteiligt ist, daß aber bei fortgesetzter Verdünnung der Lösung ein immer größerer Teil der Molekeln daran partizipiert, bis endlich in sehr großer Verdünnung praktisch sämtliche Molekeln an der Leitung beteiligt sind. Diejenigen Molekeln einer Elektrolytenlösung, die sich an der Strom- leitung beteiligen, wurden von Ärrhenius als aktive, diejenigen dagegen, die sich nicht daran beteiligen, als inaktive Molekeln bezeichnet. Bei unbegrenzter Verdünnung wären also alle Molekeln desElektrolyten aktiv. Bei einer und derselben höheren oder mittleren Konzentration ist aber das Verhältnis der aktiven zu den inaktiven, bzw. zur Gesamtzahl der gelösten Molekeln bei verschiedenen Elektrolyten sehr ungleich, bei HCl oder KÜl z. B. sehr viel größer als bei Essigsäure. Diese Schlüsse wurden durch Kombination des Faradayschen Gesetzes einerseits und der experi- mentell gefundenen Beziehungen zwischen dem Verdünnungsgrade und Leitfähigkeit bei den verschiedenen Elektrolyten andererseits gefolgert. Die ersten Hypothesen über die Natur der Verschiedenheit zwischen den aktıven und den inaktiven Molekeln, die Arrhenius versuchte, waren un- genügend, und erst durch Auffindung der Beziehung zwischen den isotonischen Koeffizienten und den Aktivitätskoeffizienten der Elektrolyte in wässeriger Lösung gelang es Arrhenius in der zitierten Abhandlung, eine befriedigende Theorie der Erscheinungen zu geben. Unter Aktivitäts- koeffizienten versteht man das Verhältnis der aktiven Molekeln zu der Gesamtzahl der gelösten Molekeln eines Elektrolyten. Diese Theorie heißt die Dissoziationstheorie der Elektrolyte. Nach ihr besteht der Unterschied zwischen aktiven und inaktiven Molekeln darin, dab erstere in ihre Ionen gespalten sind, letztere nicht. Nur die freien Ionen sind an der Elektrizitätsleitung beteiligt; sie verhalten sich in der Lösung in den meisten Beziehungen wie selbständige Molekeln; da aber die ungleich- namigen Ionen auch mit hohen elektrischen Ladungen von entgegen- gesetztem Zeichen versehen sind. so kann eine durch analytische Methoden nachweisbare Trennung der ungleichnamigen Ionen durch Diffusion (wie dies bei den Spaltprodukten der hydrolytischen Dissoziation möglich ist) nicht bewerkstelligt werden, indem die durch eine solche Trennung auftreten- \) Zeitschr. f. physik. Chem. 1, 631, 1887. 782 Beziehung zwischen den isotonischen und den Aktivitätskoeffizienten. den elektrischen Spannungen die mittlere kinetische Energie der Ionen bei weitem überwiegt. Die Beziehungen zwischen den isotonischen Koeffizienten ö (nach der van ’t Hoffschen Bezeichnungsweise) und den Aktivitätskoeffi- zienten & gestalten sich nun folgendermaßen: Wir nehmen an, daß eine teilweise Dissoziation bei den wässerigen Lö- sungen der Elektrolyte tatsächlich vorhanden ist, daß jedes ursprüngliche Molekül bei seiner Dissoziation in n Teilmolekeln zerfällt und daß «& den Bruchteil der dissoziierten Molekeln bedeutet. Bezeichnet dann N die Anzahl der Molekeln vor der Dissoziation, so repräsentiert N (1 —«) die Zahl der nicht dissoziierten, N\n& die Zahl der Teilmolekeln in der Lösung. van 't Hoffs Koeffizient ? ist also gleich dem Quotienten en Eu woraus sich © — 1+(n — 1) ergibt. Indem man nun von der Arrheniusschen Hypothese ausgeht, daß die molekulare Leitfähigkeit (bei verdünnten Lösungen) dem Bruchteil der aktiven Molekeln, d.h. derZahl der Ionen proportional ist, und daß bei unbegrenzter Verdünnung alle Molekeln eines Elektrolyten aktiv, d.h. in ihre Ionen gespalten sind, kann man % aus der Leitfähigkeit bestimmen. Denn bezeichnet u, die molekulare Leitfähigkeit einer Lösung bei einer gegebenen endlichen Verdünnung v® und u, den Grenzwert, den die molekulare Leit- fähigkeit bei unbegrenzter Verdünnung erreichen würde, so ist bei der bezüg- lichen Verdünnung v ER ri Un und demnach u. i—=1+(m— 1) —: Un Letztere Formel gibt also die Beziehung zwischen der Abweichung der Lösungen der Elektrolyte in bezug auf ihre osmotischen Drucke, Gefrier- punktserniedrigungen usw., von denen der indifferenten Verbindungen in wässeriger Lösung und der elektrischen Leitfähigkeit der Elektrolyte. Der Vergleich der experimentell erhaltenen Daten der Gefrierpunkts- erniedrigungen und der Leitfähigkeit zahlreicher Verbindungen hat die Rich- tigkeit dieser aus der Arrheniusschen Hypothese abgeleiteten Beziehung im, großen und ganzen vollauf bestätigt, wenn auch in einzelnen Fällen (z.B. den Sulfaten vieler zweiwertiger Metalle) diese Beziehung durch verschiedene Komplikationen mehr oder weniger stark verdeckt wird. Da die elektrische Leitfähigkeit mit bedeutend größerer Präzision aus- geführt werden kann als eine Gefrierpunktsbestimmung, namentlich bei sehr verdünnten Lösungen, so gelang es, die Gesetze der Dissoziation der Elektro- lyte in wässeriger Lösung durch Bestimmung ihrer Leitfähigkeit viel gründ- licher zu untersuchen, als dies mit Hilfe der Gefrierpunktserniedrigungen möglich gewesen war. Dabei ergab sich vor allem, das der van ’t Hoffsche Koeffizient 2 für einen und denselben Elektrolyten selbst in verdünnten Lösungen keine wirkliche Konstante ist, sondern sich mit der Verdün- nung der Lösung ändert, und zwar so, daß wenigstens bei den schlechteren Natur des osmotischen Druckes. 183 Leitern die Dissoziation des gelösten Elektrolyten in seine Ionen den all- gemeinen Gesetzen der Dissoziation gehorchen. — Bei Lösungen geeigneter Elektrolyte gelang es dann, auch dieses Ergebnis durch die verbesserten Methoden der Gefrierpunktsbestimmung (sog. Präzisions-Kryoskopie) zu bestätigen. Es darf indessen nicht verschwiegen werden, daß die Übereinstimmung der Werte für den Koeffizienten ’, die durch die Methoden der Leitfähig- keitsbestimmung, der Gefrierpunktserniedrigung und der Plas- molyse erhalten wurden, obgleich eine naheliegende, doch nicht immer als eine ganz befriedigende zu bezeichnen ist. Dies gilt besonders für die Be- stimmung mittels der beiden letzten Methoden, indem der aus der Gefrier- punktsdepression berechnete Wert gewöhnlich etwas größer ist als der durch Plasmolyse und ihr analoge Methoden abgeleitete Wert!). Keine der bisher gemachten Erklärungsversuche für diese Abweichungen erweisen sich als über- zeugend, so daß eine Aufklärung derselben der Zukunft vorbehalten bleibt. Bemerkungen über die Natur des osmotischen Druckes. Für die meisten gegenwärtigen physiologischen Probleme, bei denen der osmotische Druck eine Rolle spielt, genügt es eigentlich, die Gesetze der os- motischen Vorgänge zu kennen, ohne daß bestimmte Vorstellungen über den Mechanismus der osmotischen Erscheinungen erforderlich wären. Immerhin dürften einige Bemerkungen über diesen viel umstrittenen Gegenstand hier am Platze sein. Früher war man geneigt, alle osmotischen Erscheinungen auf eine Anziehung zwischen dem Lösungsmittel und der gelösten Substanz zurückzuführen. Gegen diese Hypothese läßt sich indessen namentlich bei verdünnteren Lösungen mancherlei einwenden, und besonders seitdem die Größe des isotonischen Koeffizienten in den meisten Fällen bloß als Ausdruck für den Grad der Dissoziation der gelösten Verbindung erkannt worden ist, hat diese Hypothese sehr an Wahrscheinlichkeit verloren. Wäre die Hypo- these zutreffend, so müßte man erwarten, daß die in einem gegebenen Lösungs- mittel leichter löslichen Verbindungen in der gleichen molekularen Konzentra- tion einen größeren osmotischen Druck bewirken würden als weniger leicht- lösliche Verbindungen. Besonders schwerwiegend gegen die genannte Hypothese spricht ferner der Umstand, daß ein gelöster Körper in allen Lösungsmitteln denselben oder sehr annähernd denselben osmotischen Druck bewirkt, wenn er in allen diesen Lösungsmitteln den gleichen molekularen Zustand bewahrt und gleiche Konzentration besitzt, wie aus der Gefrierpunktserniedrigung und Dampfdruckdepression einer und derselben Verbindung in verschiedenen Lösungsmitteln gefolgert werden muß. Dies ist auch dann der Fall, wenn beim Schütteln der Verbindung mit zwei Lösungsmitteln, die sich nicht mischen, der Teilungskoeffizient sehr stark zugunsten des einen Lösungsmittels aus- fällt. Wo aber eine solche sehr ungleiche Verteilung der gelösten Verbindung zwischen zwei Lösungsmitteln stattfindet, scheint es sehr plausibel, eine größere Anziehung anzunehmen zwischen der gelösten Substanz und dem Lösungs- !) Die Niehtberücksicehtigung der ungleichen spezifischen Gewichte der Lösungen ist zum Teil an der mangelnden Übereinstimmung schuld. 784 Natur des osmotischen Druckes. mittel, zu dessen Gunsten sie sich teilt, als zwischen der gelösten Substanz und dem anderen Lösungsmittel, Eine wahrscheinlichere Vorstellung von der Natur des osmotischen Druckes kann man durch Betrachtungen, wie die folgenden, erlangen: Es sei ein Zylinder mit gasdicht passendem und sich ohne Reibung be- wegendem Kolben mit einem Gemisch von Sauerstoff und Stickstoff teilweise gefüllt, und zwar soll, um die Vorstellungen zu fixieren, der partiale Druck des Sauerstoffs in dem Zylinder zu anfangs 990 Atm., der partiale Druck des Stickstoffs zu 10 Atm. angenommen werden. Der Kolben wie die Zylinder- wände seien zunächst für beide Gase impermeabel gedacht und der Kolben so weit belastet, als einem Drucke von 1000 Atm. entspricht. Ein solches Gas- gemisch wäre bezüglich seiner Dichte und der mittleren Entfernung der gleichnamigen und ungleichnamigen Molekeln untereinander etwa mit einer l proz. wässerigen Harnstofflösung wenigstens vergleichbar, wobei die Stick- stoffmolekeln den gelösten Harnstoffmolekeln und die Sauerstoffmolekeln den Molekeln des Lösungsmittels (des Wassers) entsprechen würden. Man denke sich diesen Zylinder in einen zweiten viel größeren Zylinder gesetzt, der mit reinem Sauerstoff unter einem Drucke von 1000 Atm. gefüllt ist, und gleich- zeitig die Belastung des Kolbens des ersten Zylinders aufgehoben. Es bleibt dann der Kolben des ersten Zylinders in seiner ursprünglichen Lage. Wenn aber der Kolben statt für beide Gase nur für den Stickstoff impermeabel, für - Sauerstoff dagegen leicht permeabel gedacht wird, so werden trotz des gleichen Gesamtgasdruckes in beiden Zylindern Sauerstoffmolekeln aus dem zweiten in den ersten Zylinder durch den semipermeablen Kolben übergehen, weil der Sauerstoffdruck im zweiten Zylinder größer ist als der partiale Sauerstoff- druck im ersten. Da durch diesen Vorgang der Gesamtgasdruck im ersten Zylinder größer wird als im zweiten, so wird sich der Kolben nach außen bewegen. Infolge dieser Bewegung des Kolbens wird aber, solange dieselbe noch erfolgen kann, der partiale Druck des Sauerstoffs im ersten Zylinder dauernd kleiner als der Sauerstoffdruck im zweiten Zylinder bleiben, sofern der Sauerstoffdruck im letzteren konstant auf 1000 Atm. erhalten wird. Freilich wird durch die Bewegung des Kolbens nach außen der partiale Stick- stoffdruck im ersten Zylinder allmählich sinken; solange aber der Kolben Bewegungsfreiheit besitzt, wird er sich allmählich beliebig weit nach außen verschieben, weil sonst ein gewisser Überdruck im ersten Zylinder sich ein- stellen müßte. Um eine solche Verschiebung des Kolbens nach außen zu verhindern, müßte er entweder entsprechend belastet werden, oder es müßte noch ein Gas in den äußeren Zylinder eingeführt werden, für welches der Kolben impermeabel ist. Es ist, wie leicht ersichtlich, ursprünglich der niedrigere Partialdruck des Sauerstolfs im ersten Zylinder, der eine Bewegung des Sauerstoffs vom äußeren Zylinder durch den semipermeablen Kolben bedingt, aber sobald dieser Übertritt des Sauerstoffs begonnen hat, ist es in einem gewissen Sinne der partiale Druck des Stickstoffs in dem ersten Zylinder, welcher den Über- druck in diesem Zylinder veranlaßt und dadurch den Kolben nach außen verschiebt. — In einem ähnlich angeordneten Versuch mit einer wässerigen Lösung, etwa von Harnstoff, wobei die Harnstoffmolekeln den Stickstoffmolekeln, reines Wasser dem Sauerstoff in dem äußeren Zylinder und das Lösungswasser Chevreuls Versuche über Quellung. 785 dem Sauerstoff in dem ersten Zylinder entsprechen würden, und der Kolben bloß für Wassermolekeln, nicht aber für Harnstoffmolekeln permeabel zu denken wäre, würde es ursprünglich der niedrigere Binnendruck des Wassers in der Harnstofflösung sein, der die erste Veranlassung zum Übergang von Wassermolekeln zu der Harnstofflösung bilden würde, worauf dann der par- tiale Druck der Harnstoffmolekeln (der osmotische Druck des Harnstoffs) den Kolben vorwärts schieben würde. Eine weitere Ausführung des Vergleiches zwischen beiden supponierten Fällen mit verschiedenen Modifikationen der Versuchsanordnung würde nicht ohne Interesse sein, muß aber hier unter- bleiben. 3. Über Quellung. Neben osmotischen Vorgängen und der Hydrodiffusion spielen Quellungs- erscheinungen eine so wichtige Rolle bei Stoffwanderungen durch die Gewebe, daß sie hier etwas ausführlicher besprochen werden müssen, um so mehr, als diese Erscheinungen in den Lehrbüchern der Physik und Chemie kaum mehr als beiläufig berührt werden. Es ist schon seit sehr langer Zeit bekannt, daß gewisse organisierte Körper, wie z. B. Holz, wenn sie in Berührung mit Wasser gebracht werden, allmählich unter Wasseraufnahme eine erhebliche Volumvergrößerung er- fahren und daß diese Vergrößerung mit bedeutender Kraftentfaltung ge- schehen kann. Die ersten Versuche über Quellung, die von physiologischen Gesichts- punkten aus unternommen wurden, dürften die von Stephen Hales!) gewesen sein. Hales brachte trockene Erbsen in einen eisernen Zylinder von 23/, Zoll Durchmesser mit Wasser zusammen, bedeckte dieselben mit einem Deckel aus Blei von etwas geringerem Durchmesser, so daß Luft und Wasser zwischen Zylinderwand und Deckelrand aus- und eintreten konnte, und belastete den Deckel mit einem Gewicht von 184 Pfund, so daß ein Druck von etwa 21/, Atm. auf den Erbsen lastete.e Trotzdem absorbierten die Erbsen Wasser unter so greoßer Volumzunahme, daß der Deckel in die Höhe gehoben wurde. Bei Be- lastung mit 400, 300 und 1600 Pfund (einem Drucke von etwa 5!/,, 11 und 12 Atm. entsprechend) erfolgte zwar keine Hebung des Deckels mehr, die Erbsen quollen aber so auf, daß sich zwischen denselben keine Interstitien mehr befanden, indem die Erbsen die Gestalt von regelmäßigen Dodekaedern annahmen. Die nächste wichtigere Untersuchung über Quellung ist erst im Jahre 1321 von dem berühmten französischen Chemiker Chevreul?) ausgeführt worden. Diese Arbeit ist das Prototyp der meisten späteren Untersuchungen auf zoophysiologischem Gebiete geblieben und ist von den letzteren meist nicht übertroffen worden. Chevreul benutzte zu seinen Untersuchungen Sehnengewebe, elastisches Gewebe, Ohrenknorpel, knorpelige Bänder, Fibrin, die Cornea und Eieralbumin. Er wies darauf hin, daß alle diese Substanzen in wasserfreiem Zustande bezüglich ihrer optischen und !) Stephen Hales, Statical Essays, vol. 1, Exp. 32, 1727. — ?) Chevreul, De l’Influence que l’eau exerce sur plusieurs substances azotees solides. Ann. de chim. et de physique, tome XIX, p. 32—57, 1821. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 50 786 Quellungsversuche. mechanischen Eigenschaften einander so ähnlich erscheinen, daß es schwer fällt, dieselben (makroskopisch) zu unterscheiden; daß sie aber nach Über- führung in Wasser unter starker Wasserabsorption allmählich wieder das Aussehen und die mechanischen Eigenschaften der frischen Gewebe annehmen. Weiterhin bestimmte Chevreul den normalen Wassergehalt der genannten . Substanzen und ebenso die Wassermengen, welche gewogene Mengen der über konzentrierter Schwefelsäure getrockneten Substanzen beim Eintauchen in Wasser wieder aufnehmen. Er fand, daß die getrockneten Gewebsbestand- teile beim längeren Eintauchen in Wasser im allgemeinen ungefähr dieselbe Wassermenge aufnehmen, wie die frischen Präparate beim Trocknen ab- geben. Es mögen einige der von ihm erhaltenen Zahlen mitgeteilt werden (siehe Tabelle auf nebenstehender Seite). Bei jenen Quellungsversuchen Chevreuls, die mehrere Tage dauerten, werden zwar die Ergebnisse durch Fäulnisprozesse zweifellos beeinflußt ge- wesen sein; während der ersten 24 Stunden dagegen wird ein solcher Einfluß keine nennenswerte Rolle gespielt haben. Chevreul erkannte ferner, daß ein sehr beträchtlicher Teil des Wassers in einem mit Wasser gesättigten Gewebestück diesem schon durch mäßigen Druck wieder entzogen werden kann; 100 Tln. frischer Sehnen, die an der Luft etwa 53 Tle. Wasser verloren hatten, konnte z.B. Chevreul 37,6 Tle. durch eine Kopierpresse (presse a papier) entziehen, und 100 Tle. elastisches Gewebe, die an der Luft 48,8 Tle. Wasser abgegeben hätten, verloren durch den nämlichen Druck schon 35 Tle. Dabei werden diese Gewebe durch- sichtig und leiden Einbuße sowohl an ihrer Biegsamkeit als auch an ihrer Elastizität. Chevreul sagt sehr treffend, daß man in einem mit Wasser gesättigten Gewebe das bloß durch Kapillarität festgehaltene von dem durch chemische Affinität!) gebundenen Wasser zu unterscheiden hat, und vergleicht die frischen Gewebe in dieser Hinsicht mit einem vollgesogenen Schwamme, wo ebenfalls das Wasser teils durch Kapillarität, teils durch Affinität festgehalten wird. Weiterhin hat Chevreul die Quellung verschiedener Gewebe in kon- zentrierten Kochsalzlösungen untersucht und gefunden, daß im all- gemeinen aus solchen Lösungen weniger Wasser pro Gewichtseinheit des trockenen Gewebes aufgenommen wird als aus reinem Wasser. So absor- bierten 100 Tle. im Vakuum getrocknetes elastisches Gewebe nach 20 Tagen aus einer gesättigten Kochsalzlösung bloß 36,88 Tle. der Lösung. Die in Kochsalzlösungen aufquellenden Gewebe nehmen außer Wasser auch Salz auf. Bei Gelegenheit anderer Untersuchungen ist die Quellbarkeit von ge- trockneter Harnblasenwand von Ludwig?), sowie von Cloetta?) berührt. Beide Forscher wiesen nach, daß Salz und Wasser von der getrockneten !) Zur Zeit, wo Chevreuls Arbeit erschienen ist, wurden auch die Lösungs- vorgänge allgemein zu den chemischen Erscheinungen gerechnet, wie das noch heute viele Chemiker tun. Wie bei allen solehen Einteilungen handelt es sich bloß um eine Zweckmäßigkeitsfrage, deren Beantwortung im vorliegenden Falle am besten der Zukunft überlassen wird. — ?°) Zeitschr. f. rat. Med. 8, Heft 1. — *) Diffusionsversuche durch Membranen mit zwei Salzen, 1851 (Züricher Dissertation unter Ludwigs Leitung). = ee i 4 r i Quellungsversuche. 787 100 Tle. derselben Gewebe im getrockneten Zustande Wasser nehmen während der nachstehend angegebenen Es enthielten 100 Tle. der nachstehenden Gewebe in frischem Zu- stande | Zeiten folgende Wasser- menesen auf: Tle. 2 Tle. Dünne Sehnen einer 30- | Innerhalb 12 bis 24 Stunden 147,9 jährigene Braun 62 s SriDapewn. er 271,8 - 9 hie Dünne Ochsensehnen .| 57,7 2 12718 2 AUEEEn 132 5 8 Tage mindestens 148 ElastischesGewebe eines Innerhalb 24 Stunden . . . 99 Inlefanvenwrr- een 49,5 5 2 Taverne 147 Elastisches @ewebe eines & SASStundensewe 99,4 OcChsensr en a ae 50,2 £ ID DaO ee: 148 Innerhalb 4 Tage ..... 226,4 (nach 48 weiteren Stunden war die absorbierte Wasser- menge nicht größer, Sätti- gung war also erreicht) Knorpeld.äußeren Ohres eines Mannes von 40 Jahren (nach Maceration in Was- re un] 69,4 Knieknorpel einer 30 jähr. Frau (nach Maceration in (Zeitdauer nicht angegeben) | 319 NVasser)sr cn SR ne 76,8 Fibrin (Wassergehalt des frischen Fibrins wegen seiner feinen Zerteilung schwer zu bestimmen) Aus arteriellem Blut . 81,75 nuchtahestimmit 2 er: — Aus Venenblut .... 79 " ® Sa a ne — Innerhalb 24 Stunden . . . 268,2 5 A Dagen 461,3 Cornea, proz. Wassergehalt (Eine weitere Wasserauf- der frischen Cornea von nahme erfolgte während Chevreul nicht mitgeteilt der: nächsten 48 Stunden (nach anderen Angaben) . (76) nicht, Sättigung also er- | reicht !) Blasenwand in anderen Verhältnissen aufgenommen werden, als sie sich in der tränkenden Lösung befinden, und zwar so, daß Wasser in höherem Maße aufgenommen wird als das gelöste Salz, wodurch eine Konzentrierung der umspülenden Lösung, bzw. eine Ausscheidung von Salz aus der gesättigten Lösung bewirkt wird. Etwas genauere Angaben darüber macht Uloetta. Er fand, daß das Verhältnis des Salzes in der äußeren imbibierenden Lösung !) Nach Erfahrungen des Verfassers nimmt eine trockene Cornea viel mehr Wasser auf, als von Chevreul hier angegeben. 50* 788 Verminderte Quellung in Salzlösungen. zu dem in der imbibierten Lösung bei Kochsalz für alle Konzentrationen fast gleich bleibt, wie die folgende Tabelle zeigt. = Prozentgehalt der Prozentgehalt der Versuchs- Verhältnis = n = äußeren Lösung an |imbibierten Flüssigkeit dauer in | (Gehalt der äußeren ersuchs | 7 \& , Flüssigkeit an Salz | NaCl | an NaCl Stunden Se esta) 1. 24,062 20,022 76 0,83 2. 24,288 20,427 Tan = 0,84 3. 6,005 | 4,679 Mer 0,77 | 5,540 | 4,545 TE 0,82 | | 5. | 5,493 | 4,512 76 0,82 Bei Lösungen von Glaubersalz veränderte sich dagegen das Verhält- nis des Salzes in der imbibierten Flüssigkeit zu dem in der Außenlösung recht stark mit der Konzentration der Lösung, bei einem Prozentgehalt der äußeren Flüssigkeit von 4,35 war das Verhältnis wie 0,57 ::1, bei einem Prozent- gehalt der äußeren Flüssigkeit von 11,7 wie 0,39:1. Wenn die getrocknete Harnblasenwand in einer Lösung, die beiden Salze (Kochsalz und Glaubersalz) enthielt, aufquoll, blieb das Verhältnis des Kochsalzes in der imbibierten Lösung zu dem in der Außenlösung dasselbe wie beim Verweilen in einer reinen Kochsalzlösung, dagegen wurde die relative Menge des Glaubersalzes in der imbibierten Flüssigkeit herabgesetzt. Eingehende Untersuchungen über die Quellung der Cornea in gesät- tigten Lösungen von Harnstoff und von Kochsalz wurden von H.Büchner!)angestellt. Er fand, daß die frische Üornea nach anfänglichem (Gewichtsverlust in diesen Lösungen später eine sehr bedeutende Gewichts- zunahme erfährt und daß nach 24 bis 48 Stunden die Konzentration des Harnstoffs und des Chlornatriums in der Quellungsflüssigkeit der Cornea ungefähr die gleiche ist wie in der umspülenden Lösung. Eine neue Reihe von Untersuchungen über die Quellung wurde von F. Hofmeister eröffnet. Hofmeister suchte zunächst die Versuche da- durch präziser zu gestalten, daß er homogenes Material der Quellung unter- warf. Dazu dienten ihm Platten aus Gelatine und Agar. Die erste Abhandlung?) ist vorwiegend einem Studium der Quellungs- erscheinungen von Agar in reinem Wasser gewidmet. Hofmeister sucht - darin eine Beziehung zwischen der Wassermenge, die von der Gewichtseinheit der trockenen Substanz von. bekannter Dicke aufgenommen wird, und der Dauer des Quellungsvorganges zu finden. Er glaubt eine solche Beziehung durch die folgende Formel ausdrücken zu können: W=P/1-— = a 20, ") Zeitschr. f. Biol. 12, 142 ff., vgl. ferner denselben Autor in 10, 380 if. der- selben Zeitschrift, wo auch Angaben über das Verhalten von Muskeln und Nerven in denselben Lösungen, jedoch nur während der ersten 15 Minuten nach Anfang des Versuchs mitgeteilt werden. — ?) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 27, 394 bis 413, 1890. Hofmeisters Versuche über Quellung. 789 In dieser Formel bedeutet: W das Gewicht Wasser, das von einem Gewichtsteil trockener Substanz in t Minuten aufgenommen wird; P die höchste seitens der (Gewichtseinheit Substanz zur Aufnahme gelan- gende Wassermenge (das Quellungsmaximum für die betreffende Tem- peratur); C eine aus der Versuchsreihe zu berechnende Konstante; . D den Diekendurchmesser des Scheibchens in maximal gequollenem Zustande in Millimetern; t die Zeitdauer (in Minuten). Es wurde angenommen, daß das Quellungsmaximum bei den zu den Versuchen verwendeten Scheibchen in 5000 Minuten praktisch erreicht wurde. Obgleich nun Hofmeister eine relativ gute Übereinstimmung zwischen seinen Versuchsergebnissen mit Agar und dieser Formel findet, kann den- noch der Formel keine allgemeine Gültigkeit zukommen, wie die Untersuchung der statischen Verhältnisse bei der Quellung unzweifelhaft dartut (vgl. weiter unten). Gerade während der ersten und für das Verständnis der Verhältnisse wichtigsten Stadien des Quellungsvorganges gestattet die von Hofmeister benutzte Untersuchungsmethode keine experimentelle Prüfung der Formel. In einer zweiten Mitteilung!) wird die Quellung von Gelatineplatten in Lösungen einer größeren Anzahl Neutralsalze von verschiedener Konzen- tration untersucht. Hofmeister kommt zu dem Schlusse, daß die Quellungs- größe ın Salzlösungen (im Vergleich mit reinem Wasser) bis zu einer bestimmten, für jedes Salz eigentümlichen Konzentration mit der Konzentration der Lösung zunimmt, bei höheren Konzentrationen dagegen herabgesetzt wird. In Lösungen von Natriumsulfat, Natriumtartrat, Natriumecitrat und Natriumacetat wird das Maximum der Quellung schon bei einer relativ niedrigen Konzentration erreicht, und bei höheren Konzentrationen dieser Salze sinkt die Wasseraufnahme unter jene Größe, welche sie bei Quellung in salzfreiem Wasser unter gleichen Bedingungen erreicht. Bei längerer Dauer der Quellungsversuche ist nach Hofmeister das Verhältnis der Salzmenge zu dem Wasser in der gequollenen Gelatinemasse demjenigen in der umspülenden Salzlösung nahezu oder völlig gleich. Seine Versuche schließen aber jedenfalls nicht aus, daß jenes Verhältnis in der gequollenen Masse bei gewissen Salzlösungen (weniger konzentrierten) einen etwas höheren Wert annehmen kann, denn es wurden wasserdurchtränkte?), nicht wasserfreie Gelatinescheiben in die Salzlösungen gebracht, und die Versuchs- dauer dürfte kaum lange genug gewesen sein, als daß ein praktisches Gleich- gewicht bei der Verteilung der Salze zwischen Salzlösung und den gequollenen Gelatinemassen erreicht wurde 3). — Nach Spiro*) ist dagegen bei der Fäl- lung von Kasein durch eine ?/,„-gesättigte Natriumsulfatlösung das !) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 28, 210 bis 238, 1891. — *) Da das Trocken- gewicht dieser Scheiben nur etwa 18 Proz. betrug, wird es sich bei Hofmeisters Versuchen wohl eigentlich um Scheiben aus einer Gelatinegallerte (also aus einem wahrscheinlich zweiphasigen System) handeln, was die Beurteilung der Ver- suchsergebnisse bedeutend erschwert. -— °) Weitere Versuche in derselben Richtung machte Pauli. — *) Hofmeisters Beiträge 4, 307; vgl. auch die oben zitierten An- gaben von Cloetta für die Harnblasenwand. 790 Kontraktion bei dem Quellungsvorgange. Verhältnis des Salzes zum Wasser im Kaseinniederschlag bedeutend geringer (etwa ?/;) als in der über dem Niederschlag befindlichen Salzlösung. Spiro fand z. B. folgende Mittelwerte aus vier Versuchen. Es enthielt der Kaseinniederschlag (über Fließpapier getrocknet) 62,08 Proz. Aq, 12,08 Proz. Na,S0, und 25,84 Proz. Kasein, die Salz- lösungschicht (über dem Niederschlag) 77,54 Proz. Ag, 20,08 Proz. Na,S0, und 2,38 Proz. Kasein. Bei dem Quellungsvorgange findet, wenigstens in sehr vielen Fällen, wie z. B. aus Versuchen von H. Quincke!) hervorgeht, eine deutliche Kon- traktion statt, d. h. die Summe der Volumina des Quellungsmittels und der quellenden Substanz ist kleiner nach als vor der Quellung. So fand Quincke, daß beim Aufquellen von je 100g der nachstehenden Substanzen in Wasser folgende Kontraktionen in Cubikcentimetern erfolgten: Volumabnahme in cem Gekochtes Eiweiß beim Aufquellen in. . . . . 163,9 Wasser 4,175 Rippenknorpel eines Kindes beim Aufquellen in 237,2, H 2,694 Harnblase vom Ochsen beim Aufquellen in... 90,1, 2 0,889 Ähnliche Kontraktionserscheinungen sind bei der Mischung zweier ein- heitlicher Flüssigkeiten und bei der Verdünnung von Lösungen überaus häufig, so z. B. beim Mischen von Alkohol und Wasser und bei der Verdün- nung von Salzlösungen mit Wasser. Da bei letzterem Vorgange, wenn auch selten die umgekehrte Erscheinung, also eine Volumvergrößerung bei der Mischung erfolgen kann, so ist es vorerst nicht ausgeschlossen, daß eine solche auch bei gewissen Quellungsvorgängen, wenigstens in einzelnen Stadien der Aufquellung, stattfindet, doch ist bisher eine derartige Volumvergrößerung beim Aufquellen nicht bekannt geworden. Von anderen Erscheinungen bei einem Quellungsvorgang ist die Wärme- entwickelung bemerkenswert, die schon von Pouillet?) beobachtet wurde, dann von E. Wiedemann und Lüdeking?°), C.Nägeli?) u.a. etwas genauer untersucht wurde. Als Beispiel der bei einem Quellungsvorgange frei werdenden Wärme- menge sei ein Versuch von Nägeli mit Stärkekörnern angeführt’): 100 g Weizenstärke®), die bei 80 bis 90°C getrocknet war, wurde mit der gleichen Gewichtsmenge Wasser zusammengebracht, worauf sich der Brei um 11,6°C erwärmte. Als aber zu 100g lufttrockener Stärke, die auf 100 g Stärke 15,1g Wasser enthielt, 84,9 Wasser zugesetzt wurden, erfolgte nur eine Temperaturerhöhung von 2,700. Mithin kommt auf die zuerst auf- genommenen 15,1 g Wasser eine Temperaturerhöhung von 11,6 — 2,70 =8,5UV: Die weitaus größten Wärmemengen werden jedenfalls stets in den ersten Stadien der Quellung entwickelt, während in der Nähe des Quellungsmaxi- mums die weitere Wärmetönung sehr gering ist, ja der Umstand, daß bei !) Pflügers Arch. 3, 332 bis 338, 1870; vgl. auch du Bois-Reymond, Verh. d. Gesellsch. Deutsch. Naturf. u. Ärzte 1903, 8.437 bis 440. — °) Ann. de chim. et de physique 20, 141, 1822 und Gilberts Ann. 73, 356. — *) Wiedemanns Ann. 25, 145. — *) Theorie der Gährung, 1879. — °) l. c. S. 133 bis 135. — °) Weizenstärke hat eine spezifische Wärme von etwa 0,27 bis 0,3. Wärmebildung während des Quellungsvorgangs. 791 manchen stark quellbaren Substanzen (z.B. Gelatine, Agar) die Quellungs- größe (d. h. die Menge des aufgenommenen Quellungsmittels pro Gewichts- einheit der quellbaren Substanz) mit steigender Temperatur zunimmt, spricht dafür, daß die späteren Quellungsstadien unter Wärmebindung stattfinden können. — Genauere quantitative Messungen der frei werdenden oder absor- bierten Wärmemengen während aufeinander folgender Stadien der Quellung wären sehr wünschenswert und dem Experiment teils auf direktem, teils auf indirektem Wege leicht zugänglich. Die zahlreichen Untersuchungen der Botaniker !) über die Quellung der Stärkekörner und der Zellwände von Pflanzenzellen sind zum größten Teil im Interesse histologischer und entwickelungsgeschichtlicher Fragen ausgeführt worden und haben für die Theorie der Quellung nur geringe Bedeutung. Nägeli hat zwar eine sehr geistreiche Hypothese (die sog. Micell-Theorie) über die Natur der Quellung aufgestellt, die aber auf ungenügender experi- menteller Grundlage aufgebaut wurde und den heutigen Anforderungen ohne sehr starke Modifikationen nicht entsprechen kann. Was nun die Natur der bisher unter der Bezeichnung Quellung zu- sammengefaßten Erscheinungen anbetrifft, so gehen die Ansichten darüber noch ziemlich weit auseinander. Den meisten Forschern, die sich mit dem Gegenstande beschäftigt haben, ist eine gewisse Analogie zwischen den Quel- lungserscheinungen und den Lösungserscheinungen aufgefallen, doch ist die Art der bisherigen Untersuchungen wenig geeignet gewesen, den Grad dieser Analogie näher zu präzisieren. Schon lange hat man zwar zwischen „be- grenzt quellbaren“ und „unbegrenzt quellbaren“ Substanzen unter- schieden; merkwürdigerweise ist man aber bei den theoretischen Betrachtungen gerade von der begrenzten Quellbarkeit ausgegangen, wohl deshalb, weil letztere physiologisch wichtiger erschien, während der natürlichste und ein- fachste Ausgangspunkt das Studium der Quellungserscheinungen bei unbegrenzt quellbaren Substanzen gewesen wäre. Eine colloidale Substanz wird als unbegrenzt quellbar in einem ge- gebenen Quellungsmittel bezeichnet, wenn sie mit beliebigen Mengen dieses Quellungsmittels bei der Versuchstemperatur eine vollständig homogene Masse (ein einphasiges System) bilden kann. Dies trifft z. B. beim Zusammenbringen von trockenem Albumin?) und Wasser zu. Das Albumin quilit in dem Wasser so lange auf, bis in jedem Volumelement des Systems gleich viel Eiweib und Wasser enthalten sind. War die Wassermenge im Vergleich zu der Menge trockenen Albumins klein, so bleibt die Masse nach gewöhnlichem Sprachgebrauch fest und ist nur weicher geworden. Bei steigenden Wasser- mengen durchläuft das System eine stetige Änderung der Konsistenz, indem !) Die botanische Literatur über die Quellung findet man in folgenden Schriften zusammengestellt: Sachs in Handb. d. Exper.-Physiol. d. Pflanzen &, 12. Abhandl,, 398 bis 464, 1865; Derselbe, Lehrb. der Botanik, 4. Aufl., S. 635 ff., 1874; Nägeli und Schwendener, Das Mikroskop, 2. Aufl., $S.427 bis 433, 1877, Zimmermann, Morphologie und Physiologie der Pflanzenzelle, S.167ff., 1887; Pfeffer, Handb. der Pflanzenphysiologie, 2. Aufl., 8.59 bis 72. — °) Beim Trocknen und beim Auf- bewahren von Albumin geht allerdings ein kleiner Teil des Albumins gewöhnlich aus dem unbegrenzt quellbaren in den begrenzt quellbaren Zustand über; davon wird hier der Einfachheit wegen abgesehen. 793 Begrenzte und unbegrenzte Quellbarkeit. es von einem festweichen allmählich in einen sirupösen Zustand, und aus diesem schließlich bei genügendem Wasserzusatz in einen dünnflüssigen Zu- stand übergeht, der sich nicht wesentlich von einer gewöhnlichen Lösung unterscheidet. In einem derartigen Falle unterscheidet sich der Quellungs- vorgang von dem Lösungsvorgange eines kristallinischen Körpers nur dadurch, daß, während bei letzterem (wenigstens in typischen Fällen) ın allen Stadien des Auflösungsprozesses eine scharfe Grenze zwischen dem festen Körper und seiner Lösung besteht, dies während des Aufquellens des Albumins in Wasser nicht der Fall ist, daß hier vielmehr der Übergang zwischen der Lösung und dem „festen“ Albumin ein stetiger ist, indem das Albuminstück von außen nach innen im Anfange des Quellungsvorganges alle Konsistenzgrade auf- weist, so daß nur eine willkürliche Grenzlinie zwischen dem schon verflüssigten und dem noch festen Albumin gezogen werden kann. Beim Aufquellen des Albumins findet eben eine gegenseitige Durchdringung (Diffusion) von Wasser in das Albumin und von Albumin in das Wasser statt. -Ganz ähnlich ver- hält es sich beim Zusammenbringen von Gummi arabicum und Wasser. In dieser Beziehung verhalten sich also die unbegrenzt quellbaren Substanzen zu ihren Quellungsmitteln eher wie zwei miteinander vollständig mischbare Flüssigkeiten von sehr verschiedener Viskosität, als wie ein fester kristalli- nischer Körper zu seinem Lösungsmittel, ja amorphe Körper schließen sich überhaupt in sehr vielen Beziehungen den echten Flüssigkeiten an. Die Vor- gänge beim Aufquellen eines unbegrenzt quellbaren Körpers in seinem Quellungsmittel entsprechen vollkommen denen, die z. B. beim Überschichten von Glycerin mit Wasser stattfinden, indem auch hier ein gegenseitiges Durchdringen (Diffusion) der beiden Verbindungen stattfindet, bis ein homo- genes System zustande kommt; infolge des großen Molekulargewichts der colloidalen Verbindungen verläuft aber die Diffusion dieser in ihre Quellungs- mittel sehr viel langsamer als die Diffusion des Quellungsmittels in die colloide Substanz. Wenn man das Aufquellen einer unbegrenzt quellbaren Substanz mit dem. gegenseitigen Durchdringen (Auflösen) von zwei miteinander in allen Verhältnissen mischbaren Flüssigkeiten vergleicht, so scheint es naturgemäß, die begrenzte Quellung, wie sie z. B. durch das Quellen von Gelatine oder Agar in kaltem Wasser repräsentiert wird, mit dem Verhalten von zwei Flüssigkeiten, die nur unvollständig miteinander mischbar sind, und welche also bei gewissen Mengenverhältnissen (wenn nämlich die eine Flüssigkeit an Menge nicht zu sehr überwiegt) ein stabiles zweiphasiges flüssiges (mit Einschluß eines Verdampfungsraumes ein dreiphasiges) System bilden, paralleli- sieren. Indessen ist hier die Analogie, wenigstens scheinbar, eine weniger durchgreifende als im ersten Falle. Bei einem Paare typischer Flüssigkeiten A und .D ist nämlich der Lösungsvorgang in allen näher untersuchten Fällen ein gegenseitiger, d. h. es findet eine teilweise Lösung sowohl der Flüssigkeit A in B wie von B in A statt. Wenn man aber z. B. Wasser und trockene Cellulose zusammenbringt, so nimmt zwar die Cellulose bedeutende Mengen Wasser (über 20 Proz.) in sich auf, dagegen läßt sich ein teilweises Auflösen der Cellulose in dem Wasser nicht nachweisen. Dabei ist indessen zweierlei zu berücksichtigen: Erstens ist eine solche (vielleicht bloß schein- bar) einseitige Aufnahme bei der begrenzten Quellung keine allgemeine Regel. Lösung und weitgehende Quellung schwer zu unterscheiden. 793 Wenn man z. B. trockenes Öollodium mit einer nicht zu großen Menge wasserfreien Alkohols zusammenbringt, so quillt das Collodium unter Aufnahme von Alkohol nur mäßig stark auf; in der darüber stehenden Schicht von Alkohol findet sich aber eine gewisse, leicht nachweisbare Menge Üollo- dium aufgelöst, wobei beide Teile des Systems in vollständigem Gleichgewicht sein können. Hier ist also die Analogie mit dem Verhalten von einem Flüssig- keitspaare wie Wasser und Äther oder Triolein und Äthylalkohol (in der Kälte) vorhanden. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse beim Auf- quellen von amorphemInulin in kaltem Wasser, indem auch hier ein kleiner (aber leicht nachweisbarer) Teil des Inulins in dem Wasser aufgelöst wird !). Zweitens ist zu beachten, daß, wenn bei den wenigen bisher wirklich genauer untersuchten Fällen gegenseitiger Lösung zweier sich nur begrenzt lösender Flüssigkeiten der Betrag der gegenseitigen Lösung mehr oder weniger von gleicher Größenordnung ist, dies sehr wohl auf einem Zufall beruhen kann. Dabei scheint es auch eine ziemlich allgemeine Regel zu sein, daß die Flüssigkeit mit dem höheren Siedepunkt größere Mengen von der Flüssigkeit mit niedrigerem Siedepunkt auflöst als umgekehrt; so werden Äther, Chloroform, Äthylacetat usw., die alle niedriger sieden als Wasser, in größeren Mengen von Wasser aufgelöst, als sie ihrerseits Wasser zu lösen vermögen, während umgekehrt Butyl- und Amylalkohol, (1)-Buttersäure, Valeriansäure, Phenol, Anilin und die meisten anderen Flüssigkeiten, die höher als Wasser sieden, imstande sind, größere Mengen Wasser aufzulösen, als Wasser seinerseits von ihnen aufzunehmen vermag. Die quellbaren Substanzen aber würden, wenn sie überhaupt unzersetzt sieden könnten, dies erst bei viel höherer Temperatur als ihre Quellungsmittel tun. Wie es häufig bei zwei Flüssigkeiten bloß von der Temperatur ab- hängt, ob sie miteinander in allen oder nur in begrenzten Verhält- nissen mischbar sind, so geht nicht selten beı der Erhöhung der Temperatur eine vorher begrenzte Quellbarkeit in eine unbegrenzte über. So verhält es sich z. B. bei Gelatine und bei Agar. Andererseits kann durch gewisse Zusätze zu dem Quellungsmittel eine vorher unbegrenzte Quellung in eine begrenzte übergehen (Gummi arabicum beim Zusatz von Alkohol zum Quellungswasser, Aussalzen der Eiweißkörper usw. in gewissen Fällen), wie die unbegrenzte Löslichkeit zweier Flüssigkeiten durch Zusatz einer dritten Verbindung in eine begrenzte gegenseitige Löslichkeit verwandelt werden kann. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß es nicht selten recht schwierig ist zu entscheiden, ob eine Substanz wirklich in ihrem Quellungsmittel un- begrenzt quellbar ist, oder ob die Quellung nur eine so weit gehende ist, daß die Kohäsions- und Lichtbrechungsverhältnisse der gequollenen Substanz sich nur noch sehr wenig von denjenigen des reinen Quellungsmittels, bzw. einer ver- dünnten (echten) Lösung der quellbaren Substanz im Quellungsmittel unter- scheiden. Wenn z. B. ein Teil der quellbaren Substanz bei der Versuchs- temperatur 100 Tle. (aber nicht mehr) Wasser aufzunehmen (auf- zulösen) imstande wäre, und andererseits 1000 Tle. Wasser 1 oder 2 Tle. ') Hardy gibt das Gleiche für Agar an, doch ist Agar schwerlich eine ein- heitliche chemische Verbindung. 794 Lösung und weitgehende Quellung schwer zu unterscheiden. der quellbaren Substanz in wahrer Auflösung enthielte, würde im all- gemeinen ein heterogenes System entstehen, das unter Umständen nur sehr schwer von einer homogenen Lösung zu unterscheiden wäre, — dann näm- lich, wenn die beiden Phasen eine dauernde (eventuell ultramikroskopische) Emulsion miteinander bilden !). Das Auge ist immerhin so empfindlich für kleine Differenzen in der Lichtbrechung, daß ein solches System meist durch seine Opaleszenz Verdacht bezüglich seiner Homogenität erwecken wird. In den stark opali- sierenden „Lösungen“ von Glykogen z.B. befindet sich das Glykogen höchst- wahrscheinlich nur in stark gequolleneu Zustande in Form einer Suspen- sion oder Emulsion. In anderen Fällen (so vielfach bei Gummi arabicum) ist aber die Öpaleszenz der Lösungen nur durch kleine Mengen ver- unreinigender Substanzen mit begrenzter Quellung bedingt. — Es ist besonders zu betonen, dab im allgemeinen bei Verbindungen mit hohem Molekulargewicht die Entscheidung, ob der Körper sich im Quellungsmittel wirklich gelöst oder nur im Zustande weitgehender aber begrenzter Quellung befindet, durch Gefrierpunktsbestimmungen und ähnliche Methoden nicht ge- troffen werden kann, da eine submaximal gequollene Substanz ebenso eine Gefrierpunktserniedrigung bewirken muß wie eine wirklich gelöste Ver- bindung. Von ganz besonderer Bedeutung für die Beurteilung der Natur der Quellungsvorgänge sind die Beziehungen zwischen dem chemischen Aufbau der quellbaren Substanzen und der chemischen Natur jener Mittel, in denen eine stärkere Quellung erfolgt. Diese Be- ziehungen sind aber denjenigen zwischen kristallinischen Ver- bindungen und ihren Lösungsmitteln vollkommen analog. So sind z. B. die amorphen Kohlenhydrate und verwandte Verbindungen (Gly- kogen, Stärke, Inulin, Öellulose und die meisten anderen wesentlichen Bestandteile der pflanzlichen Zellmembranen, Gummi arabicum usw.) in Wasser ziemlich stark oder selbst unbegrenzt quellbar, in Alkohol kaum, in Äther und Benzol nicht merklich quellbar, was der Leichtlöslichkeit der kristallinischen Kohlenhydrate (Traubenzucker, Rohrzucker, Milchzucker, Raffinose usw.) in Wasser, deren Schwerlöslichkeit in Alkohol und praktischer Unlöslichkeit in Äther, Benzol usw. ent- spricht. Ebenso sind die Proteine und Proteide alle in Wasser begrenzt oder unbegrenzt quellbar, — in Äther, Benzol usw. nicht merklich quell- bar, was mit der mehr oder weniger großen Löslichkeit der kristallinischen Amidosäuren in Wasser, — deren praktischer Unlöslichkeit in Äther, Benzol und ähnlichen Lösungsmitteln korrespondiert. Auf der anderen Seite quellen Kautschuk und die harzartigen Substanzen (meist amorphe Gemenge von aromatischen Säuren, Säureanhydriden, Estern, aro- matischen und alieyklischen Kohlenwasserstoffen usw.) in Wasser nicht auf, während sie in Äther, Benzol, Terpentin usw. begrenzt oder unbegrenzt quellbar sind, was in der praktischen Unlöslichkeit, bzw. Schwer- 2) Über die elektrische Ladung solcher suspendierter Teilchen siehe Hardy in Journ. of Physiology 24, 288 bis 304. Weitere Literatur über den gleichen Gegen- stand bei Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe, Kap. VII. Festigkeit der Bindung des Quellungsmittels. 7195 _ löslichkeit der flüssigen oder kristallinischen Kohlenwasserstoffe, aromatischen Säuren, Säureanhydide, Ester usw. in Wasser, ‘ihrer Leichtlöslichkeit in Äther, Benzol usw. seine Parallele findet. Ganz besonders instruktiv in dieser Beziehung ist die Änderung, die das Quellungsvermögen der amorphen Kohlenhydrate bei der Ersetzung des Wasserstoffs ihrer Hydroxyle durch Nitrogruppen, Acetyle, Ben- zoyle usw. erfährt, indem die durch den succesiven Ersatz der Hydroxyle jener Substanzen durch die genannten Radikale resultierenden Verbindungen ihr Quellungsvermögen gegenüber Wasser immer stärker einbüßen, während ihre Quellbarkeit in Alkohol, Aceton usw. zunimmt. Es sei z. B. an das Collodium, an die Schießbaumwolle usw. erinnert. Dies entspricht voll- kommen der Änderung in den Löslichkeitsverhältnissen der kristallinischen mehrwertigen Alkohole, Zuckerarten usw. bei der Substitution des Wasserstoffs ihrer Hydroxyle durch die nämlichen Radikale. Von großer Wichtigkeit für die Theorie der Quellung im allgemeinen, wie im besonderen für das Verständnis des Verhaltens jener colloidalen Sub- stanzen, die am Aufbau der Drüsen und anderer Gewebe beteiligt sind, bei der Wasserentziehung;, — und damit zugleich für die Wasserbewegung zwischen dem Blute und den Geweben einerseits, den Drüsenzellen und Sekre- tionskanälen andererseits — ist die Ermittelung der Festigkeit, mit der die Bindung des Quellungsmittels durch die quellende Substanz in ver- schiedenen Graden der Quellung erfolst. Die Vorliebe, mit der man sich in den letzten Jahren der Quellung in Salzlösungen zugewandt hat, war für einen erfolgreichen Angriff dieser funda- mentalen Frage wenig günstig, da bei chemisch nicht einheitlichen Quellungs- mitteln die Schwierigkeiten der Untersuchung sehr bedeutende sind und erst nach Feststellung der Verhältnisse in einheitlichen Quellungsmitteln überhaupt überwunden werden können. Bei der Quellung in einem einheitlichen Quellungsmittel wird die Festig- keit der Bindung zwischen quellender Substanz und Quellungsmittel da- durch gemessen, daß man auf direktem oder indirektem Wege den Druck bestimmt, der erforderlich ist, um bei einem gegebenen Quellungsgrade eine unendlich kleine Menge des Quellungsmittels vom gequollenen Körper zu trennen. Im Maximum der Quellung ist dieser Druck unend- lich klein; bei einem ungesättigten Quellungsgrade dagegen kann der er- forderliche Druck, je nach der Entfernung vom Sättigungspunkte, einen beliebig kleinen Wert bis zu Hunderten und Tausenden von Atmosphären annehmen. Der direkte Weg der Bestimmung ist nur in wenigen Fällen anwendbar und führt nicht zu sehr genauen Resultaten. Derselbe ist z.B. von Reinke!) betreten worden, der zeigte, daß lufttrockene Stücke von Laminariastiften bei einer Belastung von 41,2 Atm. noch 16 Proz. Wasser aufzunehmen ver- mögen, daß aber bei höherer Belastung ein Teil des aufgenommenen Wassers wieder abgegeben wird. Weit allgemeiner läßt sich der „Quellungsdruck“ in einem bestimmten Grade der Quellung dadurch ermitteln, daß man zunächst die relative Dampf- !) Botan. Abhandl. von Hanstein 4, 1ff., 1879. 796 Bestimmung des Quellungsdrucks. druckerniedrigung feststellt, welche das Quellungsmittel innerhalb der quellen- den Substanz im betreffenden Grade der Quellung erleidet. Dies geschieht am einfachsten in der Weise, daß man die Konzentration der Lösung einer kristallinischen Verbindung in demselben Quellungsmittel bestimmt. welche die gleiche relative Dampfdruckerniedrigung bewirkt. In Praxi verfährt man am besten so, daß man umgekehrt die maximale Menge des Quellungsmittels bestimmt, die eine gegebene Menge der quellbaren Substanz absorbieren kann, wenn sie in den gesättigten Dämpfen der Lösung einer kristallinischen (bei der Versuchstemperatur nicht flüchtigen) Verbindung im betreffenden Quellungsmittel verweilt, deren relative Dampfdruckerniedrigung gegenüber dem Dampfdrucke des reinen Quellungsmittels bekannt ist oder durch Rech- nung ermittelt werden kann. Es wird beispielsweise 1 & vorher über konzentrierter Schwefelsäure getrocknetes Glykogen!) oder in derselben Weise getrocknete Gelatine!) so lange in den Dämpfen über einer 5 proz. Kochsalzlösung suspendiert, bis das Gewicht des Glykogens sich nicht mehr merklich ändert. Es muß dann die Dampfspannung des im Glykogen enthaltenen (aufgelösten) Wassers die gleiche sein wie diejenige der 5proz. Kochsalzlösung, wobei vorausgesetzt werden muß, daß die Temperatur des Apparats überall gleich ist (was streng genommen nie völlige zutrifft°). Durch die Gewichtszunahme des Glykogens ist die aufgenommene Wassermenge bestimmt. Aus der relativen Dampfdruckerniedrigung einer 5 proz. Kochsalzlösung, die rund 2!/, Proz. des Dampfdruckes des reinen Wassers beträgt, läßt sich dann durch einen der hypsometrischen Formel völlig analogen Ausdruck die Höhe (h) jener Quer- schnittsebene der Dampfsäule über reinem Wasser bestimmen, in welcher der Dampfdruck des reinen Wassers denselben Wert besitzt wie die Dampfschicht un- mittelbar über der 5 proz. Kochsalzlösung (s. oben, S. 774 u. 775). Indem man nun die Höhe h mit dem spezifischen Gewichte des Glykogens in dem betreffenden Quellungs- zustande multipliziert, erhält man den Druck (in Werten des Wasser manometers ausgedrückt), der erforderlich wäre, um eine unendlich kleine Menge Wasser aus dem gequollenen Glykogen zu entfernen (auszupressen). Dies ist der Quellungs- druck, der dem betreffenden Quellungsgrad entspricht. Hat man in ähnlicher Weise die Gleichgewichtszustände zwischen dem Wasser- gehalt (allgemeiner Gehalt des Quellungsmittels) der quellbaren Substanz und der relativen Dampfdruckerniedrigung des in der gequollenen Substanz enthaltenen (aufgelösten) Wassers für eine größere Anzahl relativer Dampfdruckerniedrigungen zwischen etwa ', und 99'/, Proz. ermittelt und daraus, wie vorhin, die Quellungs- drucke für die einzelnen Werte des Wassergehalts der gequollenen Substanz be- rechnet, so läßt sich eine Kurve gewinnen, welche den Quellunesdruck für jeden beliebigen Wassergehalt der submaximal gequollenen Substanz im Zustande des Gleichgewichts graphisch repräsentiert. Aus dieser Kurve läßt sich weiterhin mit Leichtirkeit die Arbeit berechnen, die aufgewandt werden muß, um den Wasser- gehalt einer gegebenen Menge der quellbaren Substanz von einer bestimmten höheren Quellungsstufe auf die verlangte niedrigere Quellungsstufe zu reduzieren. Für viele Zwecke genügt es übrigens, die relative Dampfdruckerniedrigung, welche das in der gequollenen Substanz enthaltene (aufgelöste) Quellungsmittel in den verschiedenen Quellungsgraden besitzt, zu bestimmen, bzw. die Konzentration selöster Kristalloidkörper in dem Quellunssmittel, welche dieselbe relative Dampf druckerniedrigung bewirken. ') In Praxi wird man aus hier nicht zu erörternden Gründen das Trocknen über konzentrierter Schwefelsäure in der Regel erst am Schlusse der Versuchsreihe ausführen. — *) Dieses bildet die Hauptschwierigkeit solcher Untersuchungen, und die hierdurch entstehenden Fehler, namentlich bei Versuchen über verdünnteren Salzlösungen, können nur durch Anwendung besonderer Einrichtungen auf einen genügend kleinen Wert reduziert werden. Quellungsdruck und osmotischer Druck. . 797 Ein Gramm trockener Substanz nimmt in den gesättigten Dämpfen der notierten Lösungen die in der Tabelle angegebenen Mengen Wasser (in Milli- grammen) auf. 64,7 Proz. 152,15 Proz. 43,74 Proz. |25 Proz. 10 Proz. |5 Proz. 2'/, Proz. H,S0, H,80, | H,SO, | NaCl | NaCl | NaCl | NaCl Bannin: iu. |, 61 114 | © 150,5 196 | 380* | 600* 770* Gummi arab. | 75 3 172 248 880* | 1280* Glykogen | 61,5 lo 3 e 147,5 7 | 620° Weizenstärke. | 705 118 ot 86 Schafwolle. . ' 47 88 114 150 Verbandwatte 25 47 63 94 Die mit Sternen (*) bezeichneten Werte sind etwas weniger genau als die übrigen. In der beistehenden Tabelle ist der Wassergehalt einiger quellbarer Substanzen angegeben, bei dem diese Substanzen denselben Dampfdruck be- sitzen wie die in der Horizontalreihe verzeichneten Salz- und Schwefelsäure- lösungen bei derselben Temperatur. Die Werte gelten für mittlere Zimmer- temperaturen (17 bis 20°C). | Aus der bekannten relativen Dampfdruckerniedrigung einer 25 proz. Kochsalzlösung und dem spezifischen Gewichte der Gelatine in der betreffenden Quellungsstufe läßt sich nach dem oben angedeuteten Verfahren berechnen, daß, um aus gequollener Gelatine mit einem Wassergehalt von 28,4 Teilen auf 100 Teile völlig getrockneter Gelatine eine unendlich kleine Wassermenge auszupressen, einDruck von über 200 Atmosphären erforderlich sein würde. Man sieht ferner aus der Tabelle sofort, daß beı geringerem Wassergehalt der Quellungsdruck (oder das Wasseranziehungsvermögen) der in Wasser quellbaren Colloidkörper mit sinkendem Wassergehalt sehr rasch zunimmt, um schließlich in annähernd wasserfreiem Zustande dieser Substanzen enorme Werte anzunehmen. In der Tat nehmen alle in Wasser leichter quellbaren Colloide nach Trocknen über konzentrierter Schwefelsäure bedeutende Mengen Wasser auf, selbst aus den Dämpfen der gesättisten Lösungen der am leichte- sten löslichen Salze wie Caleiumchlorid oder Kaliumacetat. Alle diese Colloide sind daher auch hygroskopisch in dem üblichen Sinne des Wortes, d. h. sie nehmen (in wasserfreiem Zustande) erhebliche Wassermengen aus Luft von mittlerer Feuchtigkeit auf und ändern an der freien Luft ihren Wassergehalt mit der Luftfeuchtigkeit. Bei den unbegrenzt quellbaren Öolloiden ist man vollkommen berechtigt, ‚statt von ihrem Quellungsdruck, von ihrem osmotischen Drucke zu sprechen. Beide Ausdrücke sind hier gleichwertig. In höheren Konzentrationen dieser Körper nimmt also ihr osmotischer Druck viel schneller zu als ihre Konzentra- tion. Dies ist indessen keine Eigentümlichkeit der Lösungen von Colloiden, sondern findet auch allgemein bei den konzentrierteren Lösungen leicht lös- licher indifferenter Kristalloide und selbst vieler Elektrolyte statt; bei letzteren sınd indessen die Verhältnisse durch die abnehmende lonisation bei wachsen- !) Die Resultate einer ausgedehnten, mehrjährigen Untersuchung über diesen Gegenstand werden in nächster Zeit erscheinen. 798 Quellungsdruck und osmotischer Druck. — Gele. der Konzentration kompliziert, indem letztere Erscheinung, für sich betrachtet, eine Herabsetzung des osmotischen Druckes bewirkt. Es läßt sich im all- gemeinen der Satz aussprechen, daß bei Lösungen von gleicher mole- . kularer Konzentration eine merkliche Abweichung von den ein- fachen Gasgesetzen (d. h. den Formeln, die mit für die meisten Zwecke genügender Genauigkeit das Verhalten der Gase bei verschiedenen Drucken bis zu etwa 100 Atm. angeben) um so früher eintritt und um so erheblicher ist, je größer das Molekulargewicht der gelösten Verbindung ist. Daher kommt es, daß die Lösungen der ColJoidkörper mit ihren meist sehr großen Molekulargewichten bereits bei recht geringer molekularer Konzen- tration so erhebliche Abweichungen von den einfachen Gasgesetzen aufweisen. Schon bei konzentrierteren Lösungen solcher Kristalloide, wie Rohrzucker und der gallensauren Alkalien sind die Abweichungen von der einfachen Proportionalität zwischen Konzentration einerseits, osmotischem Druck und relativer Dampfdruckerniedrigung andererseits sehr stark. Während z. B. eine 6,7 proz. Rohrzuckerlösung nur etwa den gleichen Dampfdruck wie eine gleich temperierte 0,67 proz. Kochsalzlösung ausübt, besitzt eine 67 proz. Rohr- zuckerlösung fast denselben Dampfdruck wie eine 181/, proz. Kochsalzlösung von gleicher Temperatur. Die noch stärkeren Abweichungen bei sehr kon- zentrierten Lösungen von Tannin, Gummi arabicum, Albumin usw. von den einfachen Gasgesetzen waren also von vornherein zu erwarten. Schon für das Verhalten stark komprimierter Gase bei weiterer Kom- pression spielt die Molekülgröße eine Rolle, die in der van der Waals- schen Zustandsgleichung einen Ausdruck findet. Gele. Von der einfachen Quellung ist die Gelbildung!) zu unterscheiden. Was man unter der letzteren versteht, wird am besten durch das bekannte Beispiel der Gelatine illustriert. Wenn man trockene Gelatine mit der 20- bis 50fachen Menge Wasser erwärmt, bis das Ganze eine homogene flüssige Masse bildet, und darauf beispielsweise auf 20°C abkühlt, so erstarrt die Masse nach einiger Zeit zu einer scheinbar homogenen Gallerte mit eigen- tümlichen elastischen Eigenschaften, während trockene Gelatine, wenn sie von vornherein in Wasser von 20°C gebracht wird, zwar spontan stark auf- quillt, aber bei dieser Temperatur bei weitem nicht die 20- bis 50fache Menge Wasser aufzunehmen vermag und ganz andere elastische Eigenschaften auf- weist. Höchstwahrscheinlich handelt es sich im ersten Falle um ein hetero- genes System, das einerseits aus der bei der betreffenden Temperatur maximal gequollenen colloidalen Substanz (in dem angeführten Beispiele Gelatine), andererseits aus dem eingeschlossenen, aber sehr fein verteilten Quellungsmittel besteht, das vielleicht in einigen oder allen Fällen eine gewisse Menge der quellbaren Substanz in echter Auflösung enthält. Solche Gele können, wie Graham zeigte, in sehr verschiedener Weise erhalten werden, und !) Über Gele vgl. Graham, Chemical and Physical Researches, p. 577—598 und p. 618—625; aus Phil. Trans. 1861, p. 183—224 (Übers. in Liebigs Ann. 121, 1 bis 77, 1862) und aus Journ. of the Chem. Soc. 1864. Hardy, Proc. of the Royal Soc. 66, 110, 1900 und Journ. of Physiol. 24, 321, 1899. Lebende Zelle als osmotisches und quellbares System. 799 ihre Bildung ist in gewissen Fällen, wie in dem angeführten Beispiel der Gelatine, ein reversibler Prozeß, in anderen dagegen beruht sie auf irrever- siblen Vorgängen. Letzteres ist unter anderem bei der Koagulation der Proteine der Fall. Über die feinere Struktur solcher Gele ist zwar in den letzten Jahren viel geschrieben worden, doch kann bezüglich dieses Gegenstandes sehr wenig als feststehend betrachtet werden. Wahrscheinlich ist die Struktur nicht bei allen Gelen dieselbe, wofür namentlich die Untersuchungen von Hardy sprechen. Zweites Kapitel. Die lebende Zelle als osmotisches und quellbares System. Grundlegende Arbeiten und Werke, in denen ausführliche Literaturangaben zu finden sind: W. Pfeffer, Osmotische Untersuchungen, 1877; Derseibe, Zur Kenntnis der Plasmahaut und der Vacuolen, Abhandl. d. Königl. Sächs. Ges. d. Wiss., math.- phys. Kl. 16, 149 bis 344, 1890; Derselbe, Handb. d. Pflanzenphysiol.1 (1897) (botan. Literatur bis 1896). H. de Vries, Eine Methode zur Analyse der Turgorkraft, Jahrb. f. wiss. Bot. 14, 427 bis 601, 1884; Derselbe, Plasmolytische Studien über die Wand der Vacuolen, Jahrb. f. wiss. Bot. 16, 455 bis 598, 1885. E. Overton, Über die osmotischen Eigenschaften der lebenden Pflanzen- und Tier- zelle, Vierteljahrsschr. d. Naturf.-Ges. in Zürich 1895, 40. Jahrg., S. 1 bis 43; Derselbe, Uber die allgemeinen osmotischen Eigenschaften der Zelle, ihre ver- mutlichen Ursachen und ihre Bedeutung für die Physiologie, ebenda 44, 88 bis 135, 1899. H. T.Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre, drei Bände (1902 bis 1904). R. Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe, 1902. Das Verständnis des osmotischen Verhaltens lebender Gewebe wird sehr erleichtert, wenn man von den Untersuchungen über die osmotischen Eigen- schaften der Pflanzenzellen ausgeht. Einerseits sind diese Zellen in isoliertem Zustande bzw. in der Form von einfachen Zellreihen dem Experiment in unversehrtem Zustande viel leichter zugänglich, und andererseits ist die Aus- wahl eine sehr große, so daß man in weitgehendem Grade für jede spezielle Fragestellung ein besonders geeignetes Versuchsobjekt ausfinden kann. In mancher Hinsicht sind die Verhältnisse bei gewissen Pflanzenzellen so günstig, daß sie einem idealen physikalischen Apparat kaum nachstehen. Nachdem einmal die richtige Deutung analoger Erscheinungen bei tierischen Geweben durch den Vergleich mit dem Verhalten von Pflanzenzellen angebahnt ist, können freilich die tierischen Zellen und Gewebe zur Entscheidung mancher Fragen herangezogen werden, die bei alleiniger Verwendung von Pflanzen- zellen als Versuchsobjekte kaum lösbar scheinen. Die Grundlage unserer Kenntnisse bezüglich der osmotischen Eigenschaften der lebenden Zelle legte Nägeli schon im Jahre 1855 in zwei Abhandlungen über den Primordialschlauch und die Diosmose der Pflanzenzelle!) dar. In !) Pflanzenphysiologische Untersuchungen von Kar! Nägeliund KarlCramer, 1. Heft, Zürich 1855. 300 Nägelis Untersuchung über den Plasmaschlauch. diesen Arbeiten bewies Nägeli, daß das Protoplasma für die osmotischen Eigenschaften der Zelle ebenso oder in noch höherem Grade maßgebend ist als die Zellmembran (Cellulosehaut), und daß mit dem Tode des Proto- plasmas die charakteristischen osmotischen Eigenschaften der lebenden Zelle schwinden. Nägeli bewies dies durch die Feststellung der folgenden Tatsachen: Erstens zeigte er, daß der etwa im Zellsafte gelöste Farbstoff (Erythrophylil, Anthocyan), solange die Zelle lebt, weder aus der Zelle exosmiert, wenn man letztere in Wasser überführt, noch das Protoplasma färbt, während beides nach dem Tode des Protoplasmas geschieht. Weiter wies Nägeli darauf hin, daß während des Lebens das Protoplasma mit einem gewissen Drucke gegen die Zeillmembran geprebt wird, wodurch die Zellmembran eine entsprechende Dehnung erfährt und straff gespannt erscheint (turgesziert), während mit dem Absterben der Zelle und in gleichem Schritte mit der Exosmose der im Zellsafte gelösten Verbindungen dieser Spannungszustand abnimmt und die Zellmembran schließlich ganz schlaff wird. Diese Erscheinung kann man besonders schön bei dickeren Spirogyrafäden und bei den Internodialzellen der Öharaceen beobachten. Endlich gab Nägeli die Erklärung einer eigentümlichen Erscheinung, die schon seit den vierziger Jahren bekannt war, aber von den früheren Forschern noch nicht richtig gedeutet wurde. Wenn man nämlich lebende Pflanzenzellen in eine Zucker- oder Salzlösung setzt, so zieht sich, sobald die Konzentration der Lösung eine gewisse Höhe überschreitet, das Protoplasma von der Zellwand zurück, und ein Teil der Lösung tritt zwischen die Zellwand und die äußere Begrenzung des Protoplasmas. Wenn der Zellsaft gefärbt ist, wie z. B. bei den Epidermiszellen zahlreicher Blumenblätter, so wird die Lösung des Farbstoffs ım Zellsafte konzentrierter, indem nur Wasser, kein Farb- stoff den Zellsaft verläßt. Wırd die Zelle nachträglich in reines Wasser oder in eine verdünntere Lösung übertragen, so dehnt sich der Protoplast aus, bis das Protoplasma sich wieder an die Zellwand lehnt. Das Zurück- weichen des Protoplasmas von der Zellwand, eine Erscheinung, die man nach de Vries’ Vorgang als Plasmolyse bezeichnet, ist um so stärker, je konzentrierter die Zucker- oder Salzlösung genommen wird, sofern die Konzentration nicht so hoch gewählt wird, daß der Tod oder eine dauernde Schädigung der Zelle eintritt. Im letzterem Falle geht die Plasmolyse nach Überführung der Zelle in reines Wasser im allgemeinen nicht mehr zurück. Nägeli erkannte schon, daß eine solche Lösung, deren Konzen- tration gerade hinreicht, um eine beginnende Plasmolyse zu bewirken, die- selbe osmotische Leistung wie der Zellsaft der betreffenden Zelle besitzen mub. Nägeli hat zwar nur die völlige Impermeabilität des lebenden Proto- plasmas für die im Zellsafte vorkommenden Farbstoffe streng bewiesen, doch - sprach er schon die Vermutung aus, daß eine solche vollkommene Undurch- lässigkeit des lebenden Protoplasmas auch für manche andere Verbindung, welche die Zellwand leicht zu durchdringen vermag, bestehen dürfte; immer- hin war auch er noch weit davon entfernt, die außerordentlich weitgehende Impermeabilität des Protoplasmas für die verschiedensten Salze und andere W. Hofmeisters Versuche. sol Verbindungen zu erkennen, und blieb im allgemeinen in der Lehre der sog. endosmotischen Aquivalente noch mehr oder weniger befangen !). Nägeli ist selber auf diesen Gegenstand nicht mehr zurückgekommen. Seine Angaben wurden einige Jahre später von Wilh. Hofmeister?) be- stätigt und erweitert. Hofmeister hat namentlich darauf hingewiesen, dab, wenn Stücke zuckerreicher Früchte in Wasser gelegt werden, der Zucker nicht aus den noch lebenden Zellen in das umgebende Wasser übertritt, und daß, sobald Zucker in diesem Wasser nachweisbar wird, die mikroskopische Untersuchung stets zeigt, daß der Protoplasmaschlauch der betreffenden Zellen zerrissen oder anderweitig beschädigt ist. Hofmeister faßt die Hauptresultate bezüglich der damals bekannten osmotischen Eigenschaften der Pflanzenzelle in den zwei folgenden Sätzen zusammen: 1. „Dem Durchgang in Wasser gelöster Stoffe setzt es (das Protoplasma) großen Widerstand entgegen. Aus vielen wässerigen Lösungen nimmt das Protoplasma nur Wasser auf und läßt nur ihr Wasser durch. Sein Wider- stand gegen die Aufnahme und den Durchgang in Wasser gelöster Stoffe ist in allen der Beobachtung zugänglichen Fällen noch größer) als der der Zellhäute.“ 2. „Die Widerstandsfähigkeit gegen in Wasser gelöste Stoffe besitzt das Protoplasma nur im unveränderten, lebendigen Zustande. Sie wird aufgehoben durch alle die Schädlichkeiten, welche den Vegetationsprozeß überhaupt vernichten: durch längeres Verweilen unter abnormen Verhält- nissen, wie in Zuckerlösung oder in Wasser, in zu hoher oder zu niedriger Temperatur, durch Einwirkung von Giften, durch Zerreißung oder Quetschung. Das durch solche Schädlichkeiten veränderte Protoplasma nimmt, gleich allen nicht organischen porösen Körpern, Farbstoffe aus ihren Lösungen gierig auf und läßt farbige Lösungen mit Leichtigkeit diffundieren.* Auf diese Änderung der osmotischen Eigenschaften des Protoplasmas mit dessen Tode wird noch zurückzukommen sein. Dieselbe ist bei Pflanzen- zellen so auffällig, daß sie keinem aufmerksamen Beobachter entgehen konnte. Ihre Nichtberücksichtigung seitens vieler Physiologen, die sich mit osmotischen Untersuchungen an tierischen Zellen beschäftigt haben, ist bis zum heutigen Tage die Quelle sehr vieler irrtümlicher Deutungen gewesen. Nägeli und Hofmeister scheinen angenommen zu haben, daß das ganze Protoplasma bezüglich seines osmotischen Verhaltens gleichwertig ist. Pfeffer dagegen stellte später die Hypothese auf, daß nur den Grenz- schichten des Protoplasmas die eigentümlichen osmotischen Eigenschaften zukommen, also einerseits der äußeren Grenzschicht, die sich unter normalen Umständen unmittelbar an die Zellwand lehnt, andererseits der innersten Lage des Protoplasmas, welche den Zellsaftraum umschließt oder sonstige !) So meinte Näceli, daß die Erhaltung des Turgors von Wasserpflanzen nur durch die fortwährende Neubildung von osmotisch wirksamen Verbindungen seitens der Pflanze möglich sei, und er spricht die Vermutung aus, daß während des latenten Lebens dieser Pflanzen im Winter der Turgor fast auf Null sinken dürfte. Letzteres ist aber keineswegs der Fall; im Gegenteil pflegt der osmotische Druck des Zellsaftes von Wasserpflanzen während des Winters mehr oder weniger erhöht zu sein (eigene Beobachtung). — *°) Lehre von der Pflanzenzelle, 1867, 5.4. — ®) Dies gilt nicht für die zahlreichen organischen Verbindungen, die in Ather leicht löslich sind. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 51 802 Plasmahaut und Vacuolenhaut. etwa im Protoplasma befindliche Vacuolen unmittelbar auskleidet. Die äußere Grenzschicht des Protoplasmas bezeichnet Pfeffer als Plasmahaut oder Plasmamembran, die innere Grenzschicht, die den Zellsaft oder andere Vacuolen umschließt, als Vaeuolenhaut. Im folgenden sollen zum Teil diese Bezeichnungen beibehalten werden, zum Teil nur von den Grenzschichten des Protoplasmas, mit den etwa nötig erscheinenden näheren Bestimmungen, ge- sprochen werden. Ob auch die Protoplasmaschichten, welche den Zellkern und die Chromatophoren (Chlorophyllkörner und homologe Gebilde) begrenzen, dieselben Eigenschaften wie die Vacuolenhäute besitzen, wird von Pfeffer unentschieden gelassen. In der nebenstehenden Figur ist eine schematische Darstellung der Pflanzenzelle als osmotisches System beigefügt, die zur vorläufigen Orientierung Fig. 132. genügen wird. Wenn eine Vaeuole im Protoplasma gelöste Verbindung aus der m | Zellsaft plm. int. plm. ext. Umgebung der Zelle in den je ur: EN EN Zellsaft oder umgekehrt aus GER FERETEIESRSÜSEIERERSEFREREIE Foöghe ER dem Zellsaft in das die Zelle umspülende Medium gelangen soll, so muß sie nach Pfeffers Schema drei osmotisch wirksame m nuc, Flächen durchsetzen: 1. die h eigentliche Zellwand (m), 2. die äußere Plasmahaut (plm. ext.) und drittens die innere Plasmahaut (plm. int... Das Protoplasma zwischen plın. ext. und plm. int. würde dagegen dem Durchgang der Verbindung nur einen ähnlich großen Widerstand wie etwa eine Gelatinegallerte entgegensetzen. Die Zellwand, sofern sie nicht verkorkt oder cuticularisiert ist (und von verkorkten und cutieularisierten Zellen soll hier gänzlich abgesehen werden), pflegt für alle in Wasser gelösten Kristalloide relativ leicht durchlässig zu sein, so daß in qualitativer Hinsicht nur die beiden (lebenden) Plasmahäute darüber ent- scheiden, ob eine gegebene Verbindung von außen in den Zellsaft gelangen soll oder nicht. Wenn aber die Plasmahäute dem Durchgange der be- treffenden Verbindung keinen größeren Widerstand leisten, so kann die Ge- schwindigkeit des Überganges der Verbindung in den Zellsaft durch die besondere Beschaffenheit der Zellhaut (Dicke, Quellungszustand) stark be- einflußt werden. Pfeffers Hauptargument!) für die Annahme, daß nur die Grenz- schichten des Protoplasmas sowohl in quantitativer, als auch in qualitativer Hinsicht maßgebend sind, geht darauf hinaus, daß, wenn eine gelöste Ver- \ / N \ Hi ı Y plm.' int. Zellsaft plm. ext. Schema einer Pflanzenzelle in osmotischer Hinsicht. a) in normalem, b) in plasmolysiertem Zustande. !) Osmotische Untersuchungen, S. 121 ff. Morpholoeischer Wert der Plasmahäute. 303 bindung einmal die Grenzschichten passiert hat, sie schon durch die Proto- plasmaströme über die übrigen Teile des Protoplasmas verteilt werden muß. Dieses Argument wäre aber für die Mehrzahl der tierischen Zellen nicht bindend, da bei den eigentlichen Gewebezellen der Tiere Plasmaströmungen bisher nicht oder nur in seltenen Fällen nachgewiesen worden sind. Die Frage, ob Pfeffers Annahme zutreffend ist und ob sie auch für die tierischen Zellen und speziell für die Drüsenzellen gilt, ist von außerordent- lich großer Tragweite, da bei ihrer Gültigkeit alle durch die Zellenleiber hindurch stattfindenden Resorptions- und Exkretionsvorgänge haupt- sächlich von den Eigenschaften und Veränderungen der Plasmaschichten, die einerseits an die Gewebelymphe, andererseits an das Drüsenlumen grenzen, bzw. welche die in den Drüsenzellen befindlichen Vacuolen auskleiden, ab- hängig sein müßten, während das übrige Protoplasma der Drüsenzellen nur sekundär an den Vorgängen beteiligt sein würde. Für die Sekretionsvorgänge im engeren Sinne, wo die Sekretionsprodukte von den Drüsenzellen selbst geliefert werden, würden die Verhältnisse natürlich viel komplizierter liegen. Eine direkte Entscheidung der Frage, ob das zwischen den beiden Grenzschichten befindliche Protoplasma unter normalen Umständen, wenn es in vollständiger Ruhe gedacht wird, für solche Verbindungen permeabel ist, für welche die Grenzschichten imparmeabel sind, scheint kaum möglich. Auf indirektem Wege läßt sich indessen die wesentliche Richtigkeit von Pfeffers Annahme mit größter Wahrscheinlichkeit dartun, indem man die Geschwin- digkeit bestimmt, mit welcher der Gleichgewichtszustand erreicht wird, wenn eine schwer durchdringende Verbindung in Zellen mit verschieden dicker Plasmalage eindringt. Auf diesen Gegenstand wird weiter unten zurückzukommen sein. Bezüglich des morphologischen Wertes der äußeren Plasmahaut und der Vacuolenhaut gehen die Ansichten noch weit auseinander. Pfeffer!) meint, daß beide Plasmahäute unter gewissen Umständen sich aus dem übrigen Protoplasma differenzieren können; dagegen hat de Vries?) die Hypothese aufgestellt, daß die äußere Plasmahaut und die Vacuolenhaut jede für sich morphologisch selbständige Organe der Zelle sind, die sich nur durch Wachstum und Teilung vermehren, nie aber aus dem übrigen Proto- plasma hervorgehen können. De Vries stützt seine Ansicht teils auf Analogieschlüsse, teils auf direkte Beobachtung. Was zunächst die äußere Plasmahaut anbelangt, würde die Analogie allerdings zugunsten von de Vries’ Ansicht sprechen. Erst wenige Jahre bevor de Vries seine Hypothese auf- stellte, war die Richtigkeit von Flemmings Lehre: „Omnis nucleus e nucleo“ zur allgemeinen Anerkennung gelangt, und kurz darauf wurde namentlich durch die Arbeiten von Schmitz und von Schimper der Beweis erbracht, daß auch die Öhromatophoren (Chloroplasten, Ghromoplasten und Leukoplasten) sich nur durch Teilung vermehren, nicht, wie früher an- genommen, durch Differenzierung aus dem Cytoplasma entstehen können. Der Vergleich der äußeren Plasmahaut mit den Chromatophoren, namentlich !) Osmot. Untersuchungen, 8.124; ferner Abhandl. d. math.-phys. Kl. d. Königl. Sächs. Ges. d. Wiss. 16, 193 bis 253, 1890. — ?°) Intracellulare Pangenesis, S. 129 u. 156 und Jahrb. f. wiss. Botanik 16, 489 bis 540. 51* 804 Plasmahaut. — Vacuolenhaut. mit jener Form derselben, die man als Leukoplasten bezeichnet, war recht naheliegend. Wie eine der Hauptfunktionen der Chromatophoren die Bildung von Stärke ist, so ist (bei der Pflanzenzelle) die Bildung der Cellulose und anderer Zellwandbestandteile eine der wichtigsten Aufgaben der Plasmahaut. Die Erscheinungen bei der Teilung vieler Pflanzen- und Tierzellen lassen die Deutung sehr wohl zu, daß die neugebildeten Teile der Plasmahaut durch Wachstum und Einschnürung der Plasmahäute der Elternzellen entstehen. Ein Vergleich der Vacuolenhaut (innere Plasmahaut) mit den Chromatophoren ist viel weniger naheliegend, indessen hat die Vacuolenhaut sehr viel Gemein- sames mit der äußeren Plasmahaut. Wie den Chromatophoren die Bildung der Stärke und der äußeren Plasmahaut die Bildung der Wandsubstanzen zukommt, so schreibt de Vries der Vacuolenhaut die Bildung (Synthese) eines Teiles jener im Zellsafte befindlichen Verbindungen, welche den Turgor der Zelle bedingen, zu. Obgleich die Vacuolenhaut unter normalen Bedin- gungen gegen das übrige Protoplasma hin nicht scharf abgegrenzt erscheint, so meint de Vries, daß eine solche scharfe Abgrenzung tatsächlich besteht, und er hat eine Methode angegeben, durch deren Anwendung die Vacuolen- wände, wenigstens scheinbar, als selbständige Gebilde auftreten, wobei aber das übrige Protoplasma (UÜytoplasma) abgetötet wird. Die Methode beruht auf dem Zusatze von 10 Proz. Kalisalpeter zu dem Präparat; dieses tötet das Cytoplasma in sehr vielen Fällen sofort ab, während eine dünne Plasmaschicht mit doppelter Kontur, die den Zellsaftraum, bzw. die im Protoplasma liegenden Vacuolen unmittelbar umkleidet, sehr oft in ihren Eigenschaften im wesentlichen unverändert bleibt. Namentlich behält diese Schicht auf längere Zeit ihre Impermeabilität für viele Kristalloide und für die gelösten Farbstoffe des Zellsaftes bei. Diese Verhältnisse treten sehr klar zutage, wenn man der Salpeterlösung etwas Eosin zusetzt!),. Das ab- gestorbene Cytoplasma nimmt das Eosin gierig auf, während die be- treffende Plasmaschicht, die den Zellsaftraum umgibt, farblos bleibt und auch kein Eosin in den Zellsaftraum übertreten läßt.” Diese Plasmaschicht kann zuweilen durch vorsichtige Anwendung von Druck oder durch einen glück- lichen Zufall ganz oder teilweise von dem abgestorbenen Cytoplasma getrennt werden und erscheint dann als selbständiges Gebilde. Dies wäre nach de Vries die isolierte Vacuolenwand, die er, wie gesagt, als besonderes autonomes Organ der Zelle ansieht und Tonoplast nennt. Die Tonoplasten sollen ın gewissen Entwickelungsstadien als solide Gebilde auftreten können und erst nachträglich durch Ausscheidung von osmotisch wirksamen Stoffen in ihrem Inneren zu Hohlgebilden (Vacuolen samt Wand) werden. Die Tonoplasten können einerseits durch Teilung sich vermehren, andererseits auch durch Verschmelzung miteinander ihre Zahl verkleinern. In einer vorzüglichen Arbeit über die Veränderungen, die der Inhalt der Zellen der Tentakelstiele von Drosera?) nach der Reizung aufweist, eine Arbeit, welche die Angaben von Ch. Darwin?) über denselben (regenstand wesentlich ergänzt, zeigte de Vries, wie aus dem ursprünglich einheitlichen Zellsaftraume dieser Zellen !) Jahrb. f. wiss. Botanik 16, 466 bis 467, 1885. — *) Botan. Ztg. 1886, S.1ff. mit Tafel. — °) Insektenfressende Pflanzen, Kap. III; vgl. auch Fr. Darwin, Mikrosk. Journ. 16, 309. Teilung der Vacuolen. 305 durch succesive Teilung zahlreiche Vacuolen hervorgehen, die ihrerseits sich weiter teilen. Infolge des Farbstoffgehaltes des Saftraumes und der aus dem- selben hervorgehenden Vacuolen lassen sich die Verhältnisse bei diesem Objekt besonders gut überblicken. Weitere Untersuchungen über das Verhalten der Vacuolenhaut und über die Vermehrung der Vacuolen wurden von de Vries’ Schüler Went!) aus- geführt, der unter anderen Dingen die Verhältnisse in der embryonalen Sub- stanz der Vegetationspunkte, wo ein besonderer Zellsaftraum noch nicht aus- gebildet ist, studierte. Wenn aber Went aus der Turgeszenz dieser Gewebe ein Argument zugunsten des Vorhandenseins von Tonoplasten auch an diesen Stellen zu finden glaubt, so muß dem entgegengehalten werden, daß die Turgeszenz ebensogut durch den Quellungsdruck des Protoplasmas, wie durch den osmotischen Druck des Inhaltes von Vaeuolen bewirkt werden könnte. Nach dem Vorausgehenden kann es nicht zweifelhaft sein, daß die Ver- mehrung der Vacuolen sehr häufig wirklich durch Teilung erfolgt, was übrigens in manchen Fällen schon vor den Arbeiten von de Vries und von Went bekannt war. Damit ist aber weder bewiesen, daß die Vermehrung nur durch Teilung geschehen kann, noch daß die Teilung durch die besonderen Dispositionen der Vacuolenwand geregelt wird. Es spricht im Gegenteil sehr viel dafür, daß die Teilung und Verschmelzung von Vacuolen im wesentlichen ein passiver Vorgang ist, der durch Bewegungen des Protoplasmas und andere äußere Ursachen bewirkt wird. Die Teilung kann häufig künstlich, z. B. durch sehr starke Plasmolyse erzielt werden. Sehr fein ausgesonnene Versuche von Pfeffer?) haben einen fast zwin- genden Beweis erbracht, daß neue Vacuolen unabhängig von den bereits vor- handenen frei entstehen können. Zu diesem Zwecke setzte Pfeffer die beweglichen Plasmodien von Chondrioderma difforme (en Myxomycet, Schleimpilz) in gesättigte Lösungen schwer löslicher Verbindungen, wie Gips und Asparagin. Die Lösungen enthielten noch Kriställchen der festen Substanzen, welche von den Plasmodien in ähnlicher Weise aufgenommen werden, wie dies bei Amöben oder weißen Blutkörperchen geschieht. Die Kriställchen von Gips, Asparagin usw. lagen zunächst nicht in besonderen Vacuolen, sondern einfach im Protoplasma der Plasmodien eingebettet. Wurden aber die Plasmodien, nachdem sie viele solcher Kriställchen aufgenommen hatten, in reines Wasser übergeführt, so bildete sich um jedes Kristälichen eine Vacuole, die so lange wuchs, bis die Kriställchen völlig aufgelöst waren. Bei einem solchen Versuche wäre die Annahme, daß die Anlagen der betreffen- den Vacuolen schon vor der Aufnahme der festen Stoffe vorhanden waren, sehr gesucht und unwahrscheinlich. Die Verhältnisse bei tierischen Geweben sprechen ebenfalls entschieden dafür, daß Vacuolen im Protoplasma unter gewissen Umständen frei entstehen können. Bei den Plasmodien der Schleimpilze konnte sich ferner Pfeffer?) davon überzeugen, daß, wenn er einen Protoplasmafortsatz durchschnitt, sich eine ») Jahrb. f. wiss. Botanik 19, 295, 1888. — °) Abhandl. d. math.-phys. Klasse d. Königl. Sächs. Ges. d. Wiss. 16, 197 £. — °) l.c. 8.193 ff. 806 Neubildung der Plasmahaut. neue Plasmahaut an der Schnittfläche zum Teil aus dem inneren körnigen Protoplasma bildete, nicht allein durch Umbiegung und Coaleszenz der Wund- ränder. Bei den quergetreiften Muskelfasern scheint es sich ähnlich zu ver- halten; wenn sie durchschnitten werden, so bildet sich eine Plasmahaut in der Nähe der Schnittfläche, die bei isolierten Muskeln bei dem allmählichen Ab- sterben der Muskelfasern von dieser Ebene aus sich an der jeweiligen Grenz- fläche zwischen bereits abgestorbener und noch lebender Muskelsubstanz immer wieder neu bildet. Die osmotischen Eigenschaften verletzter Muskeln lassen sich wenigstens kaum anders deuten. Nach Pfeffers!) Ansicht sind die Bedingungen für die Entstehung einer Plasmahaut unter Umständen überall gegeben, wo Protoplasmamassen freie Oberfläche darbieten, während andererseits die Teilchen der Plasmahaut sich in dem Protoplasma verteilen, wenn jene allseitig von Protoplasma umgeben wird. Es wären also zwei entgegengesetzte Vorgänge im lebenden Protoplasma tätig, von welchen der eine auf Bildung, der andere auf Zerstörung der Plasmahaut hinarbeitet. Als Resultante dieser antagonistischen Vorgänge kann die Plasmahaut nach innen unbestimmt begrenzt sein, was auch dem Augenschein entspricht. Die Bildung neuer Vacuolen, wo dies nicht durch Teilung erfolgt, hat sehr viel Analogie mit dem Auftreten einer neuen Phase innerhalb eines bis dahin homogenen, aber übersättigten Systems, z. B. mit der Entstehung von Gasblasen innerhalb einer übersättigten Gaslösung, der Ausscheidung von Öltropfen beim Abkühlen einer Lösung von Triolein in Alkohol usw. Ursprünglich beruht die Vacuolenbildung wohl auf prinzipiell gleichen Ur- sachen, d. h. auf der Ausscheidung einer wässerigen Lösung innerhalb einer übermaximal gequollenen und daher im Zustande des labilen Gleich- gewichts befindlichen Komponente des Protoplasmas. Der Vorgang ist aber dadurch komplizierter als die gewöhnliche Trennung eines homogenen Systems in zwei Phasen, daß die Vacuolenhaut sich anders verhält als die Grenzfläche zweier Phasen, und sie stellt wohl selber eine besondere Phase, vielleicht sogar ein heterogenes (mehrphasiges) System dar. Im übrigen bleibt sehr viel, sowohl bezüglich der Bildung der äußeren Plasmahaut als auch der Vacuolen, aufzuklären ?). Ganz besondere Schwierigkeiten bietet die Erklärung des rhythmischen Spieles der bei den Protozoen und Schwärmsporen so ver- breiteten pulsierenden Vacuolen. Die bisherigen Erklärungsversuche sind so wenig begründet, daß es zwecklos wäre, dieselben hier anzuführen. ') Osmot. Untersuchungen, 8.124. — *) Die „Grenzfläche“ zweier typischer Phasen, z.B. zwischen zwei miteinander nicht mischbaren Flüssigkeiten, ist zwar ziemlich sicher ebenfalls keine einfache Fläche in mathematischem Sinne, besitzt vielmehr eine Dicke von endlicher Kleinheit, innerhalb welcher die Eigenschaften der zwei Phasen ganz kontinuierlich ineinander übergehen. Die eigentümlichen osmotischen Eigenschaften der Vacuolenhaut lassen sie aber dennoch mit einer der- artigen Grenzfläche nicht wohl ohne weiteres vergleichen. Möglich, daß bei der Bildung der Vacuolenhaut und der äußeren Plasmahaut die Tatsache eine Rolle spielt, daß bei Anwesenheit einer geringen Menge von Stoffen mit geringer Ober- flächenspannung (wozu Leeithin und Cholesterin gehören) neben dem Haupt- bestandteil von größerer Oberflächenspannung (die gequollenen Proteide usw.) die Stoffe mit geringer Oberflächenspannung nach Gibbs die Tendenz haben, in die Oberfläche zu gehen und dort ihre Spannung zur Geltung zu bringen. Salze der Wasserpflanzen verschieden von denen des umgebenden Mediums. 807 Bis auf die Arbeiten von de Vries war eigentlich die Impermeabilität des lebenden Protoplasmas bzw. der Plasmahäute nur für die Farbstoffe des Zellsaftes und für Rohrzucker auf direkte Weise nachgewiesen worden. Wenn dennoch W. Hofmeister und andere Pflanzenphysiologen schon frühzeitig eine weitgehende Undurchlässigkeit des lebenden Protoplasmas für sehr viele Verbindungen angenommen haben, so geschah dies besonders im Hinblick auf die quantitative Zusammensetzung der löslichen Salze der untergetauchten Meer- und Süßwasserpflanzen, die in außerordentlich hohem Grade von der Zusammensetzung des Mediums, in welchem diese Pflanzen leben, abweicht. Wenn das lebende Protoplasma dieser Pflanzen nicht der freien gegenseitigen Diffusion der löslichen Salze innerhalb und außerhalb der Zellen große Hinder- nisse entgegensetzte, so müßte ein annähernder Ausgleich der Konzentrationen der bezüglichen Salze zwischen dem Zellsafte und dem Außenmedium statt- finden, denn die Zellmembranen der Wasserpflanzen sind für alle löslichen Salze ziemlich leicht durchlässig. Zwar wäre es sehr wohl denkbar, daß durch fortwährenden Verbrauch der Nitrate, Sulfate usw. zur Bildung der Proteine usw. die Konzentration speziell dieser Salze stets geringer als deren Konzentration im Außenmedium gehalten und daß dadurch die Bedingungen für einen dauernden Zufluß derselben durch Diffusion geschaffen werden; dagegen ließ die Tatsache, daß viele Salze im Zellsafte eine weit höhere Konzentration besitzen als in dem Wasser, in welchem sie wachsen, die An- nahme einer freien Durchlässigkeit des lebenden Protoplasmas nicht zu. Da genau dieselben Argumente auch gegen die freie Durchlässigkeit der Zellen von Wassertieren sprechen und im allgemeinen noch heute viel zu wenig gewürdigt werden, so mögen einige der bei Wasserpflanzen festgestellten Daten hier angeführt werden. Zunächst sei eine Aschenanalyse von vier Fucusarten, welche an der Westküste von Schottland am Ausflusse des Clyde gesammelt waren und deren Analyse von Gödechen ausgeführt wurde, mitgeteilt: Fucus Fucus Fucus Fucus digitatus | vesiculosus nodosus | serratus Behr... 22,40 15,23 10,07 4,51 m ee le. 029 | File, 15,50 IE BEE en. re en. 11,86 ET INLZEEO 16,36 Rene re 1 Fe 7,44 716 | 10,93 | 19,66 BIEENORyea SR Dr 0,62 0,33 0,29 | 0,34 Eibloknahkrum ua. a 1228,89 25.10 1 | 20,16. 0718.76 EnaLEIHTn 3 0 een 13,62 0,37 0,54. | 1,33 Schwefelsäure. 1. ee lei: 13,26 28,16 | 26,69 21,06 Phosphorsänre, - » 2... .- 2,56 1,36 1,52 1.7349 Kieselsäure . Ze N 21,56 1,35 120 | 043 Prozentgehalt der Gesamtasche in der | | | | Trockensubstanz der Pflanzen . . | 20,04 | 16,39 | 16,19 | 15,63 Wie man ohne weiteres aus dieser Tabelle sieht, weichen die relativen Mengen der Salze bei den verschiedenen Arten dieser nahe verwandten Pflanzen, die im gleichen Wasser lebten, ziemlich stark voneinander ab, 308 Salze der Meertangen. andererseits sind dieselben völlig verschieden von den relativen Mengenver- hältnissen derselben Salze im Meerwasser. Diese Unterschiede wären noch viel bedeutender ausgefallen, wenn nicht ein bedeutender Teil der Salze dieser Meertangen den stark gequollenen Zellmembranen und den Intercellularen entstammen würde, und gerade dieser Teil der Salze sich in seiner Zusammen- setzung viel weniger von der Komposition der Salze des Meerwassers unter- scheiden wird, als jener Teil der Salze, die im Protoplasma und im Zellsafte enthalten waren. Natürlich werden gewisse Salze, wie der größere Teil der Sulfate und ein kleinerer Teil der Phosphate, erst bei der Veraschung aus den Proteinen, Nucleinen usw. des Protoplasmas gebildet worden sein, wie ja die bei der Veraschung erhaltenen Werte nie ein ganz zutreffendes Bild von den in den lebenden Geweben befindlichen Salzen gibt; dennoch lassen die betreffenden Aschenanalysen keinen Zweifel bestehen, daß die quan- titative Zusammensetzung der Salze auch in den lebenden Pflanzen eine völlig andere ist als in dem Medium, in welchem sie aufgewachsen sind. Nicht anders verhält es sich bei den submersen Pflanzen des Süß- wassers, wie die folgenden Daten!), welche einerseits die Aschenanalysen von verschiedenen Pflanzen, die im gleichen Gewässer beieinander wuchsen, andererseits die Zusammensetzung des betreffenden Wassers enthalten. * ä | Die Asche der Pflanzen enthielt in 1000 Teilen Das umgebende Wasser enthielt —— — in 1000 Teilen | Chara foetida Hottonıa | Stratiotes | 1. | 11. palustris | aloides Kal 20, 02 22.00 20:0094 | 49. | 2,3 83,4 | 308,2 Natron? we ae 1,8 1,2 31,8 12,3 Chlornatrıum 22.222.8.2.0.0885 1,4 | 0,8 89,4 22 Bisenoxyde 2er. 18pur 0,4 1,6 | 18,2 3,8 Kalk 13... NeBE0533. | Bars 548,4 1 | 0219,90 4 rare Magnesia, re BER 5,7 7,9 39545 | AEE Phosphorsäure . . . . . 0,0006 | 3,1 1,6 | 28,8 | 28,7 Schwefelsäure . . » . . 0,0072 | 2,4 28... | 69.0 ae Kohlensäuger . 2.2. ...72.0,0506 | 426 428,6 212,9 303,7 Kieselsäure. . . . . . . Spur | 0 3:30 | >96 18,1 Bei Hottonia kommen auf 1000 Teile der frischen Pflanze etwa 100 Teile Trockensubstanz mit 16 Teilen Asche. Dividiert man also die angeführten Zahlen der vorletzten Kolumne mit 16/,900; so erhält man die Konzentrationen der Aschenbestandteile der lebenden Pflanze (mit der schon angegebenen Ein- schränkung) im Vergleich zu jenen des umgebenden Wassers. Die Unter- schiede sind vielfach enorm. Es wäre sehr wünschenswert, daß eine Unter- suchung über die Salze der wässerigen Auszüge solcher Wasserpflanzen statt der Asche der ganzen Pflanzen ausgeführt würde. Die ersten ausgedehnten direkten Untersuchungen über die Permeabilitäts- verhältnisse der lebenden Pflanzenzelle sind von de Vries?) ausgeführt worden. !) Schulz-Fleeth in Pogg. Ann. 48, 80, 1851; zit. nach Sachs im Hand- buch der Experimental-Physiologie der Pflanzen 4, 166, 1865. Daselbst noch weitere Daten über denselben Gegenstand. — ?°) Jahrb. f. wiss. Botanik 14, 427 bis 590, besonders S. 427 bis 511. Versuche von de Vries über die Impermeabilität. 309 Die wichtigste der von ihm angewandten Methoden, die schon bei der Be- sprechung der Ösmose bzw. der isotonischen Koeffizienten erwähnt wurde, besteht darin, daß lebende Pflanzenzellen von unter sich gleichem osmo- tischen Drucke des Zellsaftes in verschieden konzentrierte Lösungen der zu untersuchenden Verbindung gesetzt werden, wobei nur solche Lösungen benutzt werden, die innerhalb der Versuchsdauer nicht tödlıch auf die Zellen wirken. Bei einer gewissen Konzentration (y) wird im allgemeinen bei solchen Ver- bindungen, die nicht oder nur langsam durch das lebende Protoplasma ein- dringen, eine eben merkliche Plasmolyse der Zellen eintreten (srenzplasmo- lyse); jede höhere Konzentration der Verbindung bewirkt eine stärkere Plasmolyse. Wenn nun der Grad der Plasmolyse 24 Stunden oder darüber unverändert bleibt, so ist dies ein Anzeichen dafür, daß die Verbindung nicht merklich in den Zellsaft eindringt. Da es de Vries in seiner Hauptarbeit weniger darum zu tun war, die Durchlässigkeitsverhältnisse des Protoplasmas im allgemeinen festzustellen, als den Anteil zu bestimmen, welchen die ver- schiedenen im Zellsafte vorkommenden Verbindungen an dem Zustande- kommen des Turgors besitzen, so stellte er seine Studien vornehmlich an solchen löslichen Verbindungen an, die bei chemischen Analysen der Pflanzensäfte häufiger gefunden werden. Es sind dies einerseits die Alkali- und Erd- alkalisalze der Mineralsäuren und der organischen Säuren, andererseits verschiedene Zuckerarten. In den Lösungen aller dieser Verbindungen blieb die einmal eingetretene Plasmolyse bei den untersuchten Zellen über 34 Stunden bestehen, sofern die Zellen während dieser Zeit am Leben blieben. Die Protoplasten müssen also für diese Verbindungen unter gewöhn- lichen Umständen fast oder völlig impermeabel sein. Es ist sehr bemerkenswert, daß in wachsenden Teilen von Landpflanzen (de Vries) und ebenso bei Süßwasserpflanzen (Överton) in der großen Mehrzahl der Fälle die plasmolytische Grenzlösung einer 0,6 bis 1,3 proz. Kochsalzlösung ent- spricht, und zwar am häufigsten einer 0,8 bis 1,0 proz. Lösung, d.h. der osmotische Druck des Zellsaftes der wachsenden Teile von Land- und Süßwasserpflanzen ist von derselben Größenordnung wie derjenige des Blutes und des Gewebesaftes der Wirbeltiere. Bei Reservestoffbehältern und Früchten, ferner bei marinen Wasserpflanzen und unter gewissen Umständen bei Schimmelpilzen ist da- gegen der osmotische Druck der Zellsäfte häufig viel höher, bei den Zuckerrüben z. B. kann derselbe einer 3 bis 4 proz. Kochsalzlösung entsprechen ; ‚bei gewissen Schimmelpilzen kann der osmotische Druck des Zellsaftes bis zur Aquivalenz mit einer gesättigten Kochsalzlösung steigen. Einige Jahre später hat G. Klebs!) das langsame Eindringen von Glycerinlösungen in gewisse Algen durch Beobachtung des allmählichen Rückganges der Plasmolyse in diesen Lösungen festgestellt. Kurz darauf wurde von de Vries?) in ähnlicher Weise ein langsames Eindringen von Harnstoff bewiesen. Schon früher hatte Pfeffer’) durch den Farben- umschlag, den der rote Zellsaft verschiedener Pflanzenzellen durch sehr ver- dünnte, nicht schädliche Lösungen von Ammoniak erfährt, das Eindringen dieser Verbindung in noch lebende Zellen nachgewiesen. Ch. Darwin) hat !) Untersuchungen a. d. botan. Institut zu Tübingen 2, 540f., 1887; vgl. auch de Vries, Botan. Ztg. 1888, 8. 229. — *) Botan. Ztg. 1889, 8. 309. — °) Osmbot. Untersuchungen, S. 140 bis 141. — *). Journ. of the Linnean Soc. 1972392, 18895 vgl. auch Ch. Darwin in Inseetivorous Plants, p. 64 (1875). 810 Permeabilität des Protoplasmas für gewisse Stoife. das rasche Eindringen von Ammoniumkarbonat (bzw. des hydrolytisch abgespaltenen Ammoniaks) in zahlreiche lebende Pflanzenzellen an den eigen- tümlichen Niederschlägen erkannt, welche diese Verbindung im Zellsafte zahl- reicher Pflanzenzellen bewirkt, eine Erscheinung, die später von Pfeffer!) näher verfolgt wurde. Pfeffer?) hat ferner die Permeabilität des lebenden Protoplasmas für gewisse Anilinfarben und für Wasserstoffsuperoxyd°) nachgewiesen und zur Klärung verschiedener physiologischer Fragen ver- wertet. In einer Reihe von Arbeiten, unter Benutzung verschiedener Methoden, wurden die Permeabilitätsverhältnisse des lebenden Protoplasmas, namentlich für organische Verbindungen, systematisch von Overton*) untersucht. Dabei stellte es sich heraus, daß es unter diesen Verbindungen alle denkbaren Über- gänge gibt zwischen solchen Verbindungen, die so rasch durch das lebende Protoplasma in den Zellsaft gelangen, daß deren Konzentration im Zellsafte fast momentan praktisch denselben Wert erreicht wie in der umgebenden Lösung, und solchen Verbindungen, die selbst nach 48 Stunden nicht in merk- licher Menge in den Zellsaft übergetreten sind. Mit der plasmolytischen Methode allein ist es allerdings nicht oder doch nur durch zahlreiche um- ständliche Kontrollversuche möglich zu entscheiden, ob eine Verbindung gar nicht oder nur äußerst langsam durch das lebende Protoplasma eindringt, da ein allmähliches Zurückgehen der Plasmolyse auch ohne das Eindringen der geprüften Verbindung infolge von Stoffwechselvorgängen im Innern der zu den Versuchen verwendeten Zellen erfolgen kann’). Bei gewissen Pflanzen, so namentlich bei einigen Schimmelpilzen, kann der osmotische Druck des Zellsaftes durch solche Stoffwechselvorgänge recht rasch steigen und unter Umständen eine Höhe von über 200 Atm. erreichen, ohne daß die speziell geprüfte Verbindung überhaupt einzudringen braucht. Aus diesem Grunde sind die Schimmelpilze und sich ähnlich verhaltende Pflanzen für solche Ver- suche unbrauchbar. Von den verschiedenen Methoden, die zur Erforschung der Durchlässig- keit des Protoplasmas lebender Pflanzenzellen dienen, mögen die folgenden erwähnt werden. Mehrere derselben können mit gewissen Modifikationen auch zur Feststellung der Permeabilitätsverhältnisse der tierischen Zellen verwendet werden. 1. Die plasmolytische Methode: Das Prinzip dieser Methode, die als die wichtigste zu bezeichnen ist, ist bereits angegeben worden. Die Methode wurde von Overton) so modifiziert, daß sie auch für viele ziemlich schwer lösliche, bzw. in etwas höheren Konzentrationen schädlich wirkende Verbin- dungen noch angewandt werden kann. Diese Modifikation geht von der Er- fahrung aus, daß im allgemeinen der osmotische Druck einer gemischten Lösung sehr annähernd der Summe der partialen osmotischen Drucke der !) Untersuchungen a. d. botan. Institut zu Tübingen 2, 239f., 1886. — 2) Ebenda, S. 186 bis 269. — °) Abhandl. d. math.-phys. Klasse d. Köniel. Sächs. Ges. d. Wiss. 15, 375. — *) Vierteljahrsschr. d. Naturf. Ges. in Zürich 40, 1 bis 43, 1895; 41, 383 bis 406, 1896; 44, 88 bis 135, 1899; Jahrb. f. wiss. Bot. 34, 669 bis 701, 1900. Vgl. auch Overton, Studien über die Narkose, Jena 1901. — °) Dieser Umstand ist von verschiedenen Autoren völlig übersehen worden. — °) Vierteljahrsschr. 40, 14; 41, 391. Messung der Geschwindigkeit des Eindringens. sll einzelnen gelösten Verbindung gleich ist. Eine Lösung z. B., die 6 Proz. Rohrzucker neben 2 Proz. Glykokoll enthält, besitzt einen osmotischen Druck, der gleich der Summe der osmotischen Drucke ist, die 6 Proz. Rohr- zucker und 2 Proz. Glykokoll ausüben würden, wenn jede dieser Verbindungen für sich allein in der Lösung enthalten wäre. Man verfährt bei Anwendung dieser Methode so, daß die plasmolytische Grenzlösung von Rohrzucker (oder einer anderen unschädlichen Verbindung, von der bekannt ist, daß sie nicht merklich eindringt) für das untersuchte Objekt aufgesucht wird. Darauf wird in dieser Zuckerlösung eine gewisse Menge der auf ihr Eindringungsvermögen zu prüfenden Verbindung aufgelöst. Wenn letztere Verbindung nicht in den Protoplast eindringt, so nimmt der Grad der Plasmolyse zu, und zwar dauernd zu. Wenn die Verbindung ziemlich langsam eindringt, so verstärkt sich die Plasmolyse nur vor- übergehend, um nach einiger Zeit auf den ursprünglichen Stand zurück- zugehen. Dieser Rückgang der Plasmolyse ist um so schneller, je rascher die Verbindung eindringt. Ist endlich das lebende Protoplasma sehr leicht für die untersuchte Substanz durchlässig, wie dies für die große Mehrzahl der nicht salzartigen organischen Verbindungen gilt, so nimmt der Grad der Plasmolyse nicht einmal während der ersten Sekunden zu. Bei dieser letzten Gruppe ven Verbindungen, deren Konzentration im Zellsafte schon nach wenigen Sekunden praktisch den gleichen Wert wie in dem umgebenden Medium erreicht, läßt sich die relative Geschwindig- keit des Eindringens der einzelnen Glieder der Gruppe eben wegen des äußerst raschen Eintrittes des Gleichgewichtszustandes nicht ermitteln, obgleich Unter- schiede in dieser Geschwindigkeit auch hier zweifellos bestehen werden. Bei solchen Verbindungen dagegen, deren Konzentration erst nach einer bis mehreren Stunden dieselbe Höhe im Zellsafte der Versuchsobjekte wie im Außenmedium erreicht, läßt sich leicht in jedem Zeitpunkte des Versuches sehr annähernd bestimmen, wie weit der Ausgleich der Konzentrationen der Verbindung in der umgebenden Lösung und im Zellsafte schon vor- geschritten ist. Nehmen wir z.B. an, daß es sich um Zellen handelt, die erst durch eine Sproz. Rohrzuckerlösung merklich plasmolysiert werden, und daß diese Zellen während einer gewissen Zeit in 2,3 proz. Glycerinlösung!) verweilt haben, einer Lösung, die mit 8 Proz. Rohrzucker ungefähr isosmotisch ist. Um die nach einer bestimmten Zeit erreichte Glycerinkonzentration im Zell- safte zu ermitteln, stellt man 2,3 proz. Glycerinlösungen dar, die außer Glycerin verschiedene (bekannte) Mengen Rohrzucker enthalten, und über- trägt die Zellen in diese neuen Lösungen. Tritt dann beispielsweise in einer Lösung, die neben 2,3 Proz. Glycerin 4 Proz. Rohrzucker enthält, eine eben merkliche Plasmolyse ein, so muß die Glycerinkonzentration im Zell- safte in diesem Moment eine Höhe erreicht haben, die mit einer 4proz. Rohr- zuckerlösung isosmotisch ist, und dementsprechend etwa 1,15 Proz. betragen. Ist im späteren Verlaufe des Versuches zur merklichen Plasmolyse !) Es ist keineswegs notwendig, daß die Glycerinlösung gerade die zur Plasmolyse erforderliche Konzentration besitzt; sie hätte im Princip ebensogut eine lproz. Lösung sein können, nur werden die relativen Beobachtungsfehler bei An- wendung einer verdünnteren Lösung größer. s12 Sind nur die Plasmahäute für die Durchlässigkeit maßgebend ? eine Lösung, die neben 2,3 Proz. Glycerin 6 Proz. Rohrzucker enthält, erforderlich, so ist die Konzentration des eingedrungenen Glycerins im Zellsafte bereits so weit gestiegen, daß deren osmotischer Druck einer 6 proz. Rohrzuckerlösung entspricht und also etwa 1,7 Proz. beträgt. Ist endlich nach längerer Zeit erst eine Lösung, die neben 2,3 Proz. Glycerin 8 Proz. Rohrzucker enthält, zum Eintritt von Plasmolyse ausreichend, so muß die Konzentration des Glycerins im Zellsafte bereits die gleiche Höhe erreicht haben wie in der umspülenden Lösung, im supponierten Falle also 2,3 Proz. betragen. In der Folge bleibt dann die Glycerinkonzentration im Zellsafte bei Fortdauer des Versuches konstant, sofern die Konzentration des Glycerins in der Außenlösung unverändert gehalten bleibt. Es wird hierbei allerdings vorausgesetzt, daß Gleichheit der Konzentration einer durch das Protoplasma in den Zellsaft diffundierenden Verbindung im Zellsaft und in der umgebenden Lösung dem physikalischen Gleichgewichtszustande entspricht, was bei den meisten Land- und Süßwasserpflanzen, wo der normale Zellsaft nur eine verdünnte Lösung darstellt, in der großen Mehrzahl der Fälle zutrifft. Wenn etwa ım Zellsafte Substanzen anwesend sind, welche die Löslichkeit (richtiger die koordinierte Konzentration!) der eindringenden Verbindung im Zellsafte gegenüber der Löslichkeit in reinem Wasser bzw. in dem plasmolysierenden Medium erhöhen oder herabsetzen, so wird eine entsprechend höhere oder niedrigere Konzentration der Verbindung im Zell- safte als in dem Außenmedium den Gleichgewichtszustand darstellen. Eine nähere Erörterung dieses letzten Falles, der bisher nicht untersucht worden ist, kann hier nicht gegeben werden. Reagiert die eindringende Verbindung mit einem Bestandteile des Zell- saftes, so wird natürlich eine entsprechend größere Menge der Verbindung vom Zellsafte aufgenommen werden, aber die Konzentration des chemisch nicht veränderten Anteils der Verbindung wiederum die gleiche Höhe wie im Außenmedium erreichen. Die Ermittelung der Geschwindigkeit des Eindringens mäßig schnell bis sehr langsam in die Zellen eindringender Verbindungen hat für die Theorie der osmotischen Eigenschaften der lebenden Zellen eine überaus große Bedeutung. Einmal kann man hierdurch die früher aufgeworfene Frage entscheiden, ob das gesamte Protoplasma oder nur dessen an die Zell- membran und an den Vacuoleninhalt grenzende Schichten für die Durch- lässigkeitsverhältnisse der lebenden Protoplasten maßgebend sind. Zweitens dürften durch Aufsuchen der Beziehungen zwischen der relativen Ge- schwindigkeit des Eindringens einer großen Reihe dieser Verbindungen und ihren übrigen physikalischen und chemischen Eigenschaften am ehesten die Ursachen für die leichtere oder schwerere Durchlässigkeit der lebenden Zellen für verschiedene Verbindungen aufgefunden werden. ‘) Unter koordinierten oder korrespondierenden Konzentrationen einer Verbindung in einem heterogenen System verstehe ich die Konzentrationen der Verbindung in den einzelnen Phasen des Systems, die dem Gleiehgewichts- zustande entsprechen. Zwei wässerige Lösungen von verschiedener Zusammen- setzung, die durch eine für beide impermeable Wand getrennt sind, verhalten sich gegenüber einer fremden Verbindung, für welche die Wand permeabel ist, wie zwei miteinander nicht mischbare Flüssigkeiten (Lösungsmittel). Dicke des Protoplasmabelags ohne Bedeutung für die Durchlässigkeit. 813 Die Bedeutung dieser Verbindungen für die Entscheidung der ersten Frage wird durch die folgenden Betrachtungen sofort ersichtlich: Man denke sich zwei gleich große Zellen von gleicher Form, die sich nur durch die Mächtigkeit der zwischen der Zellmembran und dem Zellsafte befindlichen Protoplasmalage unterscheiden, in die Lösung einer langsamer eindrin- genden Verbindung, z.B. Glycerin, gesetzt. Es wird dann der Ausgleich der Glycerinkonzentrationen zwischen dem Zellsaft und der Außenlösung bei der Zelle mit dicekem Protoplasmabelag unter sonst gleichen Umständen viel langsamer erfolgen müssen als bei der Zelle mit dünnem Proto- plasmabelag, wenn der Protoplasmabelag in seiner ganzen Dicke eine gleiche Bedeutung für die Durchlässigkeitsverhältnisse der Protoplasten be- sitzt, und zwar müßte die für den Ausgleich erforderliche Zeit eine Funktion der Dicke des Protoplasmabelags sein. Wenn dagegen nur die an die Zellmembran und an den Zellsaftraum grenzenden Schichten des Protoplasmas (äußere Plasmahaut und Vacuolenhaut) für den Grad der Durch- lässigkeit des Protoplasmas bestimmend sind, so wird der Ausgleich der Glycerinkonzentrationen bei beiden Zellen ungefähr gleich schnell er- folgen oder die Geschwindigkeit des Ausgleiches wenigstens von gleicher Größenordnung sein. Die Protoplasmaströme können leicht aufgehoben werden, ohne die Zellen zu schädigen. Geeignete Objekte für einen solchen Versuch sind leicht aufzufinden. So haben beispielsweise die Zellen der verschiedenen Spirogyra-Arten stets äußerst dünne (kaum lu messende), die jüngeren Internodialzellen der Nitellen und Uharen sehr dieke (bis 20u und darüber) Protoplasmabeläge, und es lassen sich leicht Spirogyrafäden und Internodialzellen von Characeen auswählen, die von sehr annähernd gleichem Dickendurchmesser sind. Die jüngeren Wurzelhaare verschiedener Pflanzen- arten (Hydrocharis morsus ranae. Trianea bogatensis ( Hydromystria stolonifera) besitzen ferner 10 bis 20mal so dicke Plasmabeläge als die älteren Wurzel- haare derselben Arten, während der Durchmesser der Haare annähernd gleich bleibt. In allen diesen Fällen zeigt es sich, daß der Ausgleich der Kon- zentrationen zwischen Zellsaft und Außenflüssiekeit für eine und dieselbe langsam eindringende Verbindung bei großer und geringer Mächtig- keit des Protoplasmabelags ziemlich gleich schnell erfolgt, sofern nur das Verhältnis der Oberfläche zum Volumen der verglichenen Zellen dasselbe bleibt. Es mag gleich hier eingeschaltet werden, daß die Zeit, die zur Erreichung des Gleichgewichtszustandes zwischen der Konzentration einer langsamer eindrin- senden Verbindung im Innern einer Muskelfaser und ihrer Konzentration außerhalb der Muskelfaser erforderlich ist, ebenfalls die gleiche Größenordnung besitzt wie für den Ausgleich der Konzentrationen derselben Verbindung zwischen Zellsaft und umspülender Lösung bei einem Spirogyrafaden von gleichem Durchmesser wie die Muskelfaser, obgleich die Muskelfaser keinen Zellsaftraum besitzt, sondern in ihrer ganzen Dicke aus differenziertem Protoplasma besteht. Je größer das Verhältnis der Oberfläche der Zellen zu ihrem Volumen ist, um so schneller wird natürlich ceteris paribus der Ausgleich erreicht, bei Algenfäden von geringem Durchmesser z.B. viel schneller als bei solchen von grobem Durchmesser. Wie die Bestimmung der relativen Geschwindigkeit des Ausgleiches der Konzentrationen zwischen Außenmedium und Zellsaft bei einer größeren Zahl 814 Bestimmung der Durchlässigkeit mittels Farbstofflösungen. von Verbindungen zur Aufklärung der Ursachen für die besonderen Durch- lässigkeitsverhältnisse der lebenden Zellen für verschiedene Verbindungen beitragen kann, wird sich weiter unten ergeben. Zweite Methode. Eine weitere Methode zur Erforschung der Durchlässigkeitsverhältnisse lebender Zellen, die zuerst von Pfeffer!) mit positivem Erfolge benutzt wurde, beruht darauf, daß man lebende Zellen in Lösungen von Farb- stoffen setzt, wobei die Konzentrationen der Farbstoffe so niedrig gewählt werden müssen, daß sie keine giftigen Wirkungen auf die Zellen ausüben. Erfolgt eine deutliche Färbung oder die Bildung einer farbigen Ausscheidung innerhalb des Protoplasmas oder des Zellsaftes, so ist das Eindringen des Farbstoffes in die Zelle natürlich bewiesen, doch sind häufig weitere Ver- suche erforderlich, um entscheiden zu können, ob das Eindringen auf einem reinen Diffusionsvorgange beruht oder ob das Protoplasma bei der Aufnahme des Farbstoffes aktiv beteiligt ist. — Findet selbst nach mehreren Tagen keine deutliche Färbung des Protoplasmas oder des Zellsaftes statt, so kann die Impermeabilität des lebenden Protoplasmas für den betreffenden Farbstoff nur dann mit Sicherheit geschlossen werden, wenn noch eine zehn- fach verdünntere Lösung des Farbstoffes in einer Capillare von gleichem Durchmesser wie die untersuchte Zelle deutlich gefärbt erscheint. Wenn also ein Farbstoff scheinbar nicht eindringt, müssen zuletzt immer Versuche an Zellen von möglichst großem Durchmesser angestellt werden, wozu sich besonders die großen Internodialzellen gewisser Characeen eignen, die einen Durchmesser bis über lmm besitzen. Bei Farbstoffen, welche in die Zellen eindringen, kann die Konzentration des Farbstoffes im Zellsaft oder in einem Bestandteil des Protoplasmas annähernd geschätzt werden, indem man die Intensität der Färbung mit jener einer Anzahl Lösungen des betreffenden Farbstoffes von bekanntem Gehalt, in feinen Capillaren von ge- eigneten Dimensionen und in zweckmäßigen Medien gelöst, unter dem Mikro- skop vergleicht?). Pfeffer benutzte seine Versuche über das Eindringen von Anilinfarben, um verschiedene Moden der Stoffaufnahme und Stoffspei- cherung in der Zelle zu illustrieren, ohne die Beziehungen der Aufnahme- fähigkeit der Farbstoffe mit ihrer chemischen Natur näher zu untersuchen. Letzteres wurde von Overton?°) untersucht, wobei sich herausstellte; daß das lebende Protoplasma für die gewöhnlichen Salze aller basischen Anilinfarbstoffe äußerst leicht durchlässig ist, während die Salze der sulfosauren Farbstoffe meist gar nicht durchgelassen werden, einige wenige, wie Methylorange, sehr langsam aufgenommen werden (die Aufnahme von Indigkarmin durch gewisse Drüsenzellen ist kein passiver Vorgang, das Protoplasma der betreffenden Zellen ist daran aktiv beteiligt), Das lebende Protoplasma erwies sich auch für einige natürliche Farbstoffe, wie Curcumin, Carthamin usw., permeabel. !) Untersuchungen aus dem botan. Institut zu Tübingen 2, 179 bis 321. — ?) In einwertigen Phenolen lassen sich sehr konzentrierte Lösungen der basi- schen Anilinfarbstoffe herstellen, die selbst in den feinsten Capillaren ziemlich in- tensiv gefärbt erscheinen. — °) Jahrbuch f. wiss. Botanik 34, 669 bis 701, 1900. Verwendung von gerbstoffhaltigen Zellen zur Bestimmung der Durchlässigkeit. 815 Dritte Methode. Eine dritte sehr wichtige Methode, die Durchlässigkeitsverhältnisse des Protoplasmas für zahlreiche Verbindungen zu untersuchen, beruht auf der Verwendung solcher Zellen, die Gerbstoff in ihrem Zellsaft enthalten ?). Gerbstofflösungen haben nämlich die Eigenschaft, selbst mit sehr verdünnten . Lösungen fast aller organischen Basen (aliphatischer primärer, se- kundärer und tertiärer Amine, Alkaloide usw.) und vieler Lactone und Anhydride schwer lösliche Niederschläge zu bilden. Wird z. B. eine gerbstoffhaltige Spirogyra-Art in Lösungen von 1:100000 bis 1:1000 000 der freien Alkaloide gesetzt, so entsteht sofort ein Nieder- schlag der gerbsauren Alkaloide im Zellsaft, ein Niederschlag, der bei Ver- wendung sehr verdünnter Lösungen sein Maximum erst nach längerer Zeit erreicht, um dann bei Überführung der Zellen in noch verdünntere Lösungen abzunehmen und eventuell ganz zu verschwinden, während bei Übertragung der Zellen in konzentriertere Lösungen die Größe des Niederschlags zunimmt. Die beiden letzten Erscheinungen sind darauf zurückzuführen, daß die gerb- sauren Salze der organischen Basen hydrolytisch dissoziierbare Verbin- dungen sind und daß die Dissoziation mit der Konzentrationszunahme des freien Anteils der betreffenden Basen abnimmt, mit der Konzentrationsabnahme dagegen zunimmt. Infolge der außerordentlichen Empfindlichkeit der Reaktion läßt sich stets mit so verdünnten Lösungen der betreffenden organischen Basen usw. arbeiten, daß sie keine schädliche Wirkung auf die Zellen aus- üben. Da die gerbstoffhaltigen Pflanzenarten äußerst zahlreich sind und (mit Ausnahme der Pilze) in fast allen größeren Abteilungen des Pflanzen- reichs vertreten sind, so läßt sich die allgemeine Durchlässigkeit der Pflanzen- zellen für diese organischen Basen usw. leicht dartun. Vierte Methode. In einem System von zwei oder mehreren miteinander nicht mischbaren Lösungsmitteln verteilt sich eine in diesen Lösungsmitteln lösliche Verbindung so, daß ihre Konzentrationen in den verschiedenen Mitteln unabhängig von der Menge der letzteren in einem bestimmten Verhältnis ?) stehen, und zwar so, daß die Konzentration in jenem Lösungsmittel, welches das größte Lösungs- vermögen für die betreffende Verbindung besitzt, im Zustande des Gleich- gewichts am höchsten liest. Ist das Lösungsvermögen eines der Lösungs- mittel sehr viel größer für die. in Betracht kommende Substanz als jenes der übrigen Lösungsmittel, so kann der Übergang der Substanz in das erste Lösungsmittel ein so weitgehender sein, daß ihre Konzentration hier über 1000 mal höher als in den übrigen Lösungsmitteln wird. So ist z.B. Laurinsäure bei 40°C erst in etwa 300 000 Teilen Wasser löslich, dagegen in fetten Ölen unbegrenzt löslich. Wenn also eine größere Menge einer ge- sättigten oder annähernd gesättigten Lösung von Laurinsäure in Wasser mit einem Tropfen Triolein kräftig durchgeschüttelt wird, so geht ein relativ !) Vierteljahrsschr. d. Naturf. Ges. in Zürich 41, 383 bis 406. — *) Dieses Ver- „hältnis ändert sich häufig bei verschiedenen Konzentrationen. - Namentlich werden die Erscheinungen ziemlich kompliziert, wenn der Molekularzustand der gelösten Substanz in den verschiedenen Lösungsmitteln ein ungleicher ist. 816 Durchlässigkeit der Zellen für höhere Fettsäuren usw. sehr großer Teil der Laurinsäure in den Tropfen Triolein über, dessen Vo- lumen dadurch bedeutend vergrößert werden kann. Hierauf gründet sich eine Methode, um die Durchlässigkeit des lebenden Protoplasmas für Verbindungen zu prüfen, die in Wasser nur spurweise, in fetten Ölen dagegen sehr leicht, bzw. unbegrenzt löslich sind. Es ist näm- lich aus dem Vorausgehenden ohne weiteres ersichtlich, daß, wenn eine Zelle, die größere Öltropfen in ihrem Protoplasma enthält, in eine annähernd ge- sättigte wässerige Lösung, z. B. von Laurinsäure, gesetzt wird, ein großer Teil der Laurinsäure allmählich in die im Protoplasma befindlichen Öltropfen übergehen muß, wenn das Protoplasma für die gelöste Laurinsäure durch- lässig ist. Der Übergang der Laurinsäure müßte, wenn derselbe stattfindet, an der Volumzunahme der Öltropfen erkennbar sein. Dies trifft in der Tat zu, womit die Durchlässigkeit des Protoplasmas für Laurinsäure bewiesen ist. In ganz ähnlicher Weise läßt sich die Durchlässigkeit des lebenden Proto- plasmas für viele in Wasser äußerst schwer lösliche Säuren und manche andere organische Verbindungen nachweisen. Die Methode läßt sich bei der Prüfung des Eindringungsvermögens gewisser Verbindungen (namentlich der in Wasser schwerer löslichen Phenole) noch dadurch verschärfen, daß man in der Lösung der auf ihr Durchdringungsvermögen zu untersuchenden Ver- bindung eine sehr geringe Menge einer basischen Anilinfarbe auflöst. Während nämlich die fetten Öle für sich allein aus den wässerigen Lösungen der meisten basischen Anilinfarben (in Form ihrer Salze) keine merkliche Menge des Farbstoffes entziehen, tun sie dies, wenn sie vorher mit den ein- wertigen Alkoholen von höherem Molekulargewicht, mit Phenolen oder Aldehyden gemischt werden !. Wird z. B. eine Zelle, die größere Öltropfen enthält, in eine halbgesättigte ?2) wässerige Lösung von Thymol, die gleichzeitig 1:50000 Methylenblau oder Fuchsin enthält, so geht ein großer Teil des Thymols in die Öltropfen über, die dadurch die Figen- schaft erlangen, die genannten Anilinfarben mit großer Begierde aufzu- nehmen, und deswegen mehr oder weniger stark gefärbt hervortreten. Außer diesen allgemeinen Methoden, die Permeabilitätsverhältnisse des lebenden Protoplasmas zu untersuchen, kann in gewissen Fällen der Über- gang einer Verbindung aus der umgebenden Lösung in den Zellsaft durch spezielle chemische Reaktionen nachgewiesen werden, doch sind bisher sehr wenige Versuche in dieser Richtung angestellt worden. Schon in seinen ersten Arbeiten ?) gab Overton eine Reihe empirischer Regeln, welche die praktische Impermeabilität oder die leichtere und schwe- rere Permeabilität des lebenden Protoplasmas für eine große Anzahl organi- scher Verbindungen aus deren physikalischen Eigenschaften und chemischer Konstitution vorauszusagen gestatten. Dabei wurde streng unterschieden zwischen der rein passiven Durchlässigkeit des Protoplasmas für die be- treffenden Verbindungen, die unter allen Umständen und bei allen oder der großen Mehrzahl aller Zellen (pflanzlicher wie tierischer) bestehen bleibt, und‘ jener Durchlässigkeit, die nur unter bestimmten Bedingungen einzelnen Zell- !) Näheres über diesen Gegenstand bei Overton in Jahrb. f. wiss. Bo- tanik 34, 694—699. — *) Auf viele Zellen wirkt eine Thymol-Lösung von dieser Stärke allerdings schon tödlich. — °?) Vierteljahrsschr. 1895, S. 28 bis 30; ebenda 1896, S. 392 bis 395. Plasmahaut für in Ölen lösliche Stoffe durchlässig. 817 arten zukommt und bei der das Protoplasma in irgend einer Weise aktiv beteiligt ist. Die aufgestellten Regeln gelten nur für die erste Art der Durchlässigkeit. Als umfassendster Ausdruck für die Abhängigkeit des Eindringungs- vermögens der verschiedensten Verbindungen in lebende Zellen (ohne eine aktive Beteiligung des Protoplasmas an der Aufnahme) von den physikali- schen Eigenschaften der betreffenden Verbindungen wurde später !) hervor- gehoben, daß: alle Verbindungen, die neben einer merklichen Löslichkeit in Wasser sich in den einwertigen Alkoholen von höherem Molekular- gewicht, in Äther, Benzol und fetten Ölen leicht lösen oder wenig- stens in den genannten Lösungsmitteln nicht bedeutend weniger löslich sind als in Wasser, in alle lebenden Zellen äußerst rasch eindringen. Je mehr aber der Teilungskoeffizient der Verbin- dung zwischen Wasser und den genannten Lösungsmitteln zu- gunsten des Wassers liegt, um so langsamer dringt die Verbin- dung in die Zelle ein. Wenn die Löslichkeit einer Verbindung in Wasser mehr denn etwa 50000 mal größer ist als in den soeben genannten organischen Lösungs- mitteln, so läßt sich in der Regel ein Eindringen der Verbindung in die lebende Zelle innerhalb der meistens notwendig ziemlich beschränkten Ver- suchsdauer nicht mehr sicher nachweisen. — Sofern die geprüfte Substanz weder eine chemische Verbindung mit einem Bestandteil der Zelle eingeht noch auf andere Weise erheblich „gespeichert“ wird, so pflegt bei Zellen von mittleren Dimensionen und sehr leicht durchlässigen Zellwänden schon innerhalb einer Minute die Konzentration einer Substanz im Zellsaft an- nähernd die gleiche Höhe wie in der umgebenden Lösung zu erreichen, wenn Konzentration in Äther der Teilungskoeffizient der Substanz nicht Konzentration in Wasser kleiner als etwa 0,2 ausfällt. Erst wenn der Teilungskoeffizient einer Ver- bindung noch mehr zugunsten des Wassers ausfällt, ist eine genauere ab- solute Messung der Eindringungsgeschwindigkeit bei einer isolierten Zelle möglich, wobei aber das Verhältnis der Zelloberfläche zum Zellvolumen von großer Bedeutung ist. Bei sehr kleinen Zellen ist der Ausgleich, selbst wenn der Teilungskoeffizient der Verbindung viel kleiner als 0,2 ist, sehr rasch erreicht. — Sind die Zellwände recht dick, cuticularisiert oder in- folge sonstiger Eigentümlichkeiten des chemischen oder physikalischen Auf- baus schwer durchlässig, so ist der Ausgleich natürlich ein langsamer. Solche Zellen sind aber ungeeignet, um die relative Eindringungsgeschwin- digkeit verschiedener Verbindungen durch die Protoplasten, was uns hier allein angeht, zu studieren, da sie die Verhältnisse sehr komplizieren. Als Ursache der sehr ungleichen Durchlässigkeit des lebenden Proto- plasmas oder vielmehr der Plasmahäute für verschiedene Verbindungen nimmt Overton eine Imprägnation der Plasmahäute durch Stoffe von ähnlichem Lösungsvermögen wie die hochmolekularen ein- wertigen Alkohole, Äther, Olivenöl usw. an. Alle Verbindungen, welche !) Vierteljahrsschr. 1899, S. 106 ff. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 39 818 Plasmahäute wahrscheinlich mit Leeithin und Cholesterin imprägniert. in diesen imprägnierenden Substanzen leicht löslich sind, dringen in die Zellen rasch ein; die Verbindungen, die in denselben bedeutend weniger lös- lich sind als in Wasser, dringen langsamer ein, und zwar um so langsamer, je mehr sich der Teilungskoeffizient zugunsten des Wassers verschiebt. Die Verbindungen endlich, die in den imprägnierenden Substanzen praktisch un- löslich sind, dringen überhaupt nicht merklich in die Zellen ein (vgl. S. 759). Unter solchen Substanzen, die zu den imprägnierenden Stoffen gehören könnten, kommen in erster Linie Leceithin und Cholesterin in Betracht, einerseits deswegen, weil sie allgemeine Bestandteile des Protoplasmas sind, andererseits weil ihnen gewisse Eigentümlichkeiten bezüglich des Lösungs- vermögens zukommen, die z. B. den echten Fetten, sowie den Wachs- arten abgehen, Eigenschaften, die zur Erklärung der tatsächlichen Durch- lässigkeitsverhältnisse der Zellen unentbehrlich sind, wenn diese Durchlässig- keitsverhältnisse wirklich auf einem selektiven Lösungsvermögen der Plasmahäute beruhen. Lecithin und Cholesterin (letzteres nur in amor- pher, geschmolzener oder gelöster Form) besitzen nämlich im Gegensatz zu den fetten Ölen und Wachsarten ein sehr großes Lösungsvermögen für die Salze der basischen Anilinfarben!!), für welche das lebende Proto- plasma, wie schon hervorgehoben, eine große Durchlässigkeit besitzt. In Le- cithin?2) löst sich ferner eine bedeutende Menge Wasser (bei ge- wöhnlicher Temperatur über 40 Proz. °), was die leichte Durchlässigkeit der meisten Protoplasten für Wassermolekeln gut erklären würde, während fette Öle und Wachsarten *) nur Spuren Wasser auflösen, die viel zu gering sind, um den raschen Durchtritt des Wassers zu erklären, wenn die Plasmahäute vorwiegend durch diese Stoffe imprägniert wären. Es ist indessen sehr wohl möglich, daß bei solchen Protoplasten, die für Wasser schwerer durchlässig sind, die Plasmahäute von einem Gemisch von Stoffen imprägniert sind, welches in seiner Zusammensetzung von jenem abweicht, das die Plasmahäute der gewöhnlichen Zellen imprägniert — z. B. weniger Lecithin und mehr Cholesterin oder Wachsarten enthält. ‚Die An- nahme einer absolut gleichen Zusammensetzung der imprägnierenden Sub- stanzen der Plasmahäute bei allen Zellarten ist überhaupt wenig wahrscheinlich, wenn auch die weitgehende Übereinstimmung in den osmotischen Eigenschaften aller untersuchten Protoplasten es sehr wahrscheinlich macht, daß die imprägnierenden Stoffe und deren relatives Mengenverhältnis bei den meisten Zellarten nur wenig verschieden sind. In neuester Zeit hat Traube’) eine Hypothese aufgestellt, wonach das Ein- dringen oder Nichteindringen, bzw. die Geschwindigkeit des Eindringens verschie- dener Lösungen von ihrer Oberflächenspannung abhängig sein soll. Die Hypothese steht aber in völligem Widerspruch mit der hundertfältig bewiesenen !) Overton in Jahrb. für wiss. Botanik 34, 669 bis 701. — *) Dasselbe gilt für Protagon und Cerebrin. — °) Selbst in dem Dampfraum über einer 25proz. Lösung von Natriumchlorid nimmt trockenes Leeithin mehr als 15 Proz. Wasser auf. — *) Auch das sogenannte Lanolin löst nur Spuren von Wasser auf, wie kürzlich auch von Filehne (Hofmeisters Beiträge 5, 450 f.) richtig hervorgehoben wurde. Filehnes Methode, dies nachzuweisen, ist zwar nicht einwandfrei, die- selbe könnte indessen nur ein wesentlich zu großes, nicht ein wesentlich zu kleines Lösungsvermögen des Lanolins für Wasser ergeben. — °) Pflügers Arch. 105, 541 bis 558 und 559 bis 572. Regeln bezüglich der Durchlässigkeit der Plasmahäute usw. 819 Tatsache, daß aus einer gemischten Lösung die Aufnahme oder Nichtaufnahme der einzelnen gelösten Stoffe im wesentlichen voneinander unabhängig ist. Aus einer Lösung von 6 Proz. Rohrzucker + 3 Proz. Äthylalkohol oder 0,06 Proz. Chlornatrium 4 3 Proz. Äthylalkohol geht so viel Alkohol in die Zelle über, bis seine Konzentration im Zellsaft ebenfalls 3Proz. beträgt, während Rohr- zucker und Chlornatrium aus den betreffenden Lösungen gar nicht in die Zellen übertreten. Wenn ferner Traube!) verlangt, daß gezeigt werden soll, daß die Reihenfolge der Stoffe in bezug auf die osmotische Geschwindigkeit durch Pergament- papier usw. eine ganz andere sei als bei den lebenden Protoplasten, so ist zu bemerken, daß dieser Beweis längst erbracht worden und jedem Physiologen bekannt ist. Da in den Lehr- und Handbüchern der Chemie keine allgemeinen An- gaben enthalten sind, mit deren Hilfe man aus dem chemischen Aufbau einer Verbindung voraussagen kann, ob dieselbe in Wasser oder in Äther und ähnlichen Lösungsmitteln eine größere Löslichkeit besitzen wird, und noch viel weniger die ungefähren Teilungskoeffizienten der Verbindung zwischen diesen Lösungsmitteln, so dürften die folgenden empirischen Regeln von Nutzen sein, indem sie zugleich die schwerere oder leichtere Durchlässig- keit des lebenden Protoplasmas (der Piasmahäute) für die große Mehrzahl aller besser bekannten organischen Verbindungen ausdrücken, soweit diese Durchlässigkeit eine rein passive, von der Tätigkeit des Protoplasmas unab- hängige ist. Da die Regeln ebensogut für tierische wie pflanzliche Zellen gelten, wird ihre Anführung an dieser Stelle die spezielle Besprechung der Verhältnisse der einzelnen Zellarten vereinfachen. Regeln betreffend den Zusammenhang der chemischen Natur einer Verbindung und ihrer Teilungsverhältnisse zwischen Wasser einerseits, Äther - Bone fetten Ölen, einwertigen Alkoholen von höherem 1 Molekulargewicht, Leci- thin und Lecithin-Cholesteringemischen andererseits. Ein ähnlicher Zu- sammenhang besteht zwischen der chemischen Natur der Verbindung und der Geschwindigkeit ihres Eindringens in lebende Zellen ’): 1. Die Teilung aller organischen Verbindungen, die nur aus Kohlen- stoff und Wasserstoff bestehen, zwischen den Lösungsmitteln Wasser und Äther (bzw. zwischen Wasser und den übrigen oben genannten organi- schen Solventien) geht stets stark zugunsten des Äthers usw. Das gleiche gilt für die Halogen- und Nitroderivate der Kohlenwasserstoffe und für die Nitrile (nur Methyleyanid wird sich wohl meist zugunsten des Wassers teilen, jedoch nicht sehr stark). Alle diese Verbindungen dringen aus ihren wässerigen Lösungen äußerst rasch in alle lebenden Zellen ein, so daß die Gleichgewichtszustände sehr schnell erreicht werden. Beispiele: Methan, Pentan, Amylen, Acetylen, Benzol,Xylol, Naphtalin, Phenanthren, Äthylehlorid, Äthylbromid, Methyl- jodid, Äthylenchlorid, Chloroform, Nitroäthan, Propionitril. Je größer die Anhäufung von Hydroxylen in einer Verbindung, um so stärker fällt (bei Molekülen von gleicher Größenordnung) der Teilungs- koeffizient der Verbindung zugunsten des Wassers aus. Einen ent- gegengesetzten aber schwächeren Einfluß übt die Vermehrung der Kohlenstoffeim Molekül aus. Auch die Art der Verkettung der Kohlenstoffe Delsc- Ss. 552 ff. — ?) Mit einigen Ergänzungen nach Overton in Pflügers Archiv 92, 261 bis 265 52* 320 Regeln bezüglich der Durchlässigkeit der Plasmahäute usw. 2 spielt dabei eine gewisse Rolle, indem bei sonst gleicher Zusammensetzung des Moleküls der Isomer mit stärker verzweigter Kohlenstoffkette eine größere Neigung in das Wasser überzutreten verrät, als der Isomer mit unverzweigter oder weniger verzweigter Kohlenstoffkette. Beispiele: Die Teilung von Methylalkohol, Äthylalkohol, Pro- pylalkohol usw. zwischen Wasser und den oben genannten organischen Lösungsmitteln geht weniger zugunsten des Wassers als die Teilung von Äthylenelykol, Propylenglykol, Butylenglykol usw.; die Teilung von Propylengelykol, Butylenglykol ihrerseits viel weniger zugunsten des Wassers als die Teilung von Glycerin und die Teilung letzterer Verbindung wiederum viel weniger als die Teilung von Erythrit. Letztere Verbindung ist schon äußerst wenig löslich in Äther usw., und die Löslichkeit der noch höherwertigen Alkohole und Kohlenhydrate in Äther, Benzol usw. ist zu klein, um mit gewöhnlichen Methoden nach- weisbar zu sein. — Die Butylalkohole, Amylalkohole usw. gehen zu viel größerem Teil in Äther usw. über als Methyl- und Äthylalkohol; ter- tiärer Butylalkohol und tertiärer Amylalkohol zu geringerem Teil in Äther über als die normalen Alkohole und die Isoverbindungen mit der entsprechenden Anzahl Koblenstoffatome. Pinakon teilt sich weniger zugunsten des Wassers als Äthylenglykol, die Oetylglycerine weniger als das gewöhnliche Glycerin usw. Diesen Teilungsverhältnissen entsprechend dringen alle einwertigen Al- kohole (gesättigte und ungesättigte) noch sehr rasch aus wässerigen Lösungen durch das lebende Protoplasma; bedeutend langsamer, aber immer noch recht rasch die zweiwertigen Alkohole. Das Gleichgewicht z. B. zwischen dem Gehalt von Äthylenglykol innerhalb mittelgroßer Zellen und der Außenlösung ist nach 5 bis 15 Minuten, bei sehr kleinen Zellen fast augen- blicklich im wesentlichen erreicht. Pinakon (mit 6 Kohlenstoffatomen) dringt nicht unbeträchtlich rascher in die Zellen ein als Äthylenglykol. — Die Permeabilität lebender Zellen für das gewöhnliche Glycerin ist wieder- um viel schwerer als für die zweiwertigen Alkohole, aber viel leichter als für Erythrit. Der Nachweis des Eindringens der zuletzt genannten Ver- bindung bereitet indessen noch keine ernsteren Schwierigkeiten. Ein merk- licher Eintritt von Quercit und Arabinose (mit fünf Hydroxylgruppen, bzw. mit vier Hydroxyl- und einer Aldehydgruppe) ist meist erst nach sehr langer Zeit zu erkennen, und das Erreichen des Gleichgewichtszustandes würde viele Tage in Anspruch nehmen. — Bei Mannit, bei den Hexosen, Disacchariden, Trisacchariden usw. läßt sich ein Eindringen in lebende Zellen in vielen Fällen überhaupt nicht nachweisen, und wo dieser Nachweis gelingt, bleibt es sehr zweifelhaft, ob die Aufnahme ohne eine aktive Tätigkeitdes Protoplasmas erfolgt. Zu einem nur annähernden Ausgleich der Konzentrationen dieser Zuckerarten usw. innerhalb der Zellen und in der umspülenden Lösung scheint es überhaupt nie zu kommen. . Die Einführung einer Aldehydgruppe in ein Molekül hat quali- tativ Valneeiben Einfluß auf den Teilungskoeffizienten und auf die Ver- zögerung des Eindringens der Verbindung wie der Eintritt einer Hydr- oxylgruppe. Regeln bezüglich der Durchlässigkeit der Plasmahäute usw. 821 4. Ähnlich wie die Anhäufung von Hydroxylen, und zwar in noch höhe- rem Grade hatdieAnhäufung von Amidogruppen im Molekül die Tendenz, die Löslichkeit der betreffenden Verbindung in Wasser zu erhöhen, ihre Löslichkeit in Äther usw. dagegen herabzusetzen, oder allerwenig- stens den Teilungskoeffizienten zugunsten des Wassers zu verschieben. Auch bei diesen Verbindungen hat die Zunahme der Zahl der Kohlenstoff- atome, wie überall, die entgegengesetzte Wirkung!). Beide Einflüsse lassen sich z. B. bei den Säureamiden gut überblicken, so sind die Amide der einwertigen Säuren in den niedrigsten Gliedern der Reihe viel leichter löslich in Wasser als in Äther, während bei den höheren Gliedern sich die Teilung allmählich immer mehr zugunsten des Äthers vollzieht. Die Ver- bindungen, welche zwei Amidogruppen neben einer einzigen oder einer nur geringeren Anzahl Kohlenstoffatome haben, wie z. B. Harnstoff oder Thioharnstoff, sind schon äußerst wenig löslich in Äther, aber sehr leicht löslich in Wasser. Ebenso sind die aliphatischen Diamine, z. B. Äthy- lendiamin, Tetramethylendiamin (Putrescin), Pentamethylen- diamin (Cadaverin), in Wasser sehr viel leichter löslich als in Äther. In den Rosanilinen und ähnlichen Verbindungen mit drei Amidogruppen oder mit zwei Amidogruppen und einer Imidgruppe ist der Einfluß dieser Gruppen auf die Löslichkeitsverhältnisse durch den entgegengesetzten Einfluß der großen Zahl der Kohlenstoffatome zum Teil kompensiert, aber immer noch sehr deutlich. Diesen Löslichkeitsverhältnissen vollkommen entsprechend dringen die ersten Glieder der Säureamide einwertiger Säuren ungefähr so schnell (etwas schneller) in lebende Zellen ein wie die zweiwertigen Alkohole mit der gleichen Zahl Kohlenstoffatome, und zwar dringen, wie bei den zwei- wertigen Alkoholen, die höheren Homologe der Reihe schneller ein als die niedrigeren Homologe. Harnstoff und Thioharnstoff, Äthylendiamin, Putrescin und Cadaverin gehen in unversehrte Zellen von nicht zu ge- ringen Dimensionen ziemlich langsam über. Die freien Alkaloide und die basischen Anilinfarbstoffe dringen dagegen rasch in die Zellen ein. Ä e eye C0O.OH : 5. Verbindungen, welche die Atomkombination } il |} 1% | “u 2. (Be ee | le | ae Slesalee || ER MER ER Ines = EA: 28], 2|3| = | 8 |s|e/s|,| sa leiseiels|sle|2|2|2| 5 | % |elSj» Schleimspeichel absondernden Abteilung basieren der Submaxillaris des Menschen, da nl A? — Halbmonde mit Körnchen. Frisch in. WO „seröse“ und „mucöse“ Zellen ge- 0,6 Proz. C1 Na-Lösung. Vergr.800.— Nach Noll, . - - . Arch. 1. (Anat. u.) Physiol, 1902, Suppl., Tat. v. mischt vorkommen. Fig.154 gibt das 3ild eines „serösen“ Tubulus aus der — ———— Drüse des Menschen, worin nach Solger Halbmonde nicht vorkommen. In den mit matten großen Granulis erfüllten Zellen kann man hin und wieder einen !) Festschrift für Gegenbaur, Leipzig 1896. — *) Compt. rend. Acad. Sc. 118, 1894. — °) Zeitschr. f. wissensch. Zoologie 64 (1898). — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893 u. 1896. — °) Arch. f. mikr. Anat. 58, 1ff., 1901. — °) Arch. 2 (Anat. u.) Physiol., Suppl. 1902. — 7°) Ber. d. Sächs. Ges. d. Wissensch., math.- physik. Kl., 17, 68, 1865. | Gem. Schleimspeicheldrüsen. — @l. submazx. usw. (Körner i. intergranul. Protopl.) 943 blassen Kern erkennen, ebenso im intergranulären Protoplasma kleinste dunkle Körnchen (Noll, 1. c., ebenso von mir beobachtet). Diese in das homogene inter- granuläre Protoplasma eingelagerten Körnchen haben auch E. Müller!) und Held?) an der Submaxillaris des Kaninchens, Noll?) an der Tränendrüse der Katze, ich selbst an der Parotis und Retrolingualis desselben Tieres beob- achtet (s.a.später). Sie liegen meist in größerer Anzahl, als kleine Häufchen in der Nähe des Kerns, im perinucleären Protoplasma; je nach der pralleren oder mäßigeren Füllung der Zellen mit Sekretgranulis sind sie mehr oder weniger dicht gedrängt und daher leichter oder schwerer zu unterscheiden. An Präparaten mit Altmanns Gemisch fixierter und mit Fuchsin-Pikrin ge- färbter Drüsen (Noll, l.c.; vgl. auch daselbst Fig.9) sieht man die matten Granula der Schleimzellen nicht mehr, dafür das „Netz“, welches der inter- granulären Substanz entspricht, und das hier und da kleinste rote Körnchen enthält; die Halbmonde dagegen sind mehr oder weniger dicht mit erhaltenen, rot gefärbten Granulis gefüllt, zwischen denen das intergranuläre Protoplasma homogen, in gelblichem Pikrinton liegt. An der Stelle der Kerne, welche am frischen Präparat ebenso wie die der Halbmonde als blasse Kugeln oder Ovoide zu sehen sind, liegt hier basal eine diffus rot gefärbte zackige Masse, von welcher mehr oder weniger deutlich die roten „Netz- fäden“ oder „Wabenwände“ ihren- Ausgang nehmen. . Ich konnte an solchen Fuchsin- oder Eisenhämatoxylin- Sekretgefüllte Zellen aus der präparaten, von denen Serien sehr dünner (2!/,u bis „, ee a 21/, u im Mittel) Schnitte angefertigt worden waren), carpin (Fuchsin-Pikrinfär- B ä er ? bung). In der basalen Proto- oft in der roten Masse einen eiförmigen, glatt kon- plasmazone sind die Kerne turierten Kern mit Kernkörperchen sehen. Es scheint I Cpigerin erkennen ig mir daher der „zackige Kern“ der ruhenden Schleim- und Schleimspeicheldrüsen, wie ihn zuerst Heidenhain und Lavdowsky an Alkoholpräparaten beschrieben, und wie er von den neueren Autoren auch mit anderen Methoden erhalten wurde, nicht der Kern an sich allein zu sein, sondern der Kern umhüllt von dem in ruhenden Drüsen spärlichen basalen Protoplasma. Die „Zacken“, die sich in das „Netz“ fortsetzen, ließen sich dann wohl erklären, denn in der frischen Drüse erkennt man an günstigen Stellen gut, daß die intergranuläre, homogene Masse auch den Kern um- gibt. Ob die kleinen Protoplasmakörner, welche in der perinucleären und intergranulären Protoplasmamasse liegen, ganz oder teilweise vom Kern ab- stammen, wie Galeotti5) u.a. behaupten, wage ich nicht zu entscheiden; Michaelis (l.c.) spricht sich eher gegen diese Annahme aus. Ob überhaupt der Kern der Zellen bei der Sekretion der Speicheldrüsen eine direkte Rolle spielt, soll weiter unten, im Anschluß an die Beobachtungen am Pankreas besprochen werden, weil hier die Nebenkerne, von Nußbaum zuerst beschrieben, !) Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1896. — °) Ebenda, anat. Abt., 1899. — ®) Arch. f. mikr. Anat. 58 (1901), Habilitationsschrift. — *) Bei der sehr mühsamen Arbeit des Anfertigens solcher lückenlosen Serien wurde ich in dankenswertester Weise durch Fräulein L. Egger, welche seit einigen Jahren am hiesigen physiolo- gischen Institut tätig ist, unterstützt. — °) Internat. Zeitschr. f. Anat. u. Physiol. 12, 440 ff., 1895. 944 GI. submax. usw. (Beobachtungen an fixierten Präparaten von Ruhedrüsen). nach Ogata u.a. für die Bildung des Sekretionsmaterials in Betracht kommen sollen und weil vielfach deren Abstammung vom Zellkern behauptet wird. An Präparaten, von sehr jungen oder neugeborenen Tieren stammend, welche mit der Kochsalz-Osmiummethode fixiert und mit Eisenalaun-Toluidin- blau gefärbt, sieht man die Zellen vollständig mit gefärbten Granulis erfüllt (vgl. Fig. 8, Taf. III). In der Peripherie der Alveolen sind die Granula etwas kleiner, opakblau, mit dazwischen durchschimmernder, grünlicher Inter- granulärsubstanz, die im basalen Teile eine homogene grüne Masse um den hier und da sichtbaren Kern bildet. Andere Zellen enthalten zwischen den dunkelblauen Granulis solche von etwas mehr violetter Farbe, die ein wenig größer sind; sehr viele Zellen aber enthalten fast nur solche größere, violette Granula, die größten von ganz blasser Farbe (die letzteren nur schlecht kon- serviert). Diese Zellen liegen gegen das Lumen zu; ihre Kerne sind im Gegensatz zu den ovoiden oder kugeligen Kernen der anderen Zellen mehr länglich, mit ihrer Längsachse der Membrana propria parallel liegend, so daß man den Eindruck erhält, sie seien durch eine prallere Füllung der Zelle bzw. durch stärkeren Druck deformiert. Halbmondzellen heben sich an diesen Präparaten, von Tieren ohne Karenzvorbereitung stammend, nicht so deutlich ab, obwohl bei schwacher Vergrößerung die mit kleineren, opakblauen Gra- nulis erfüllten peripheren Zellen im allgemeinen der Peripherie der Alveolen ein dunkleres Aussehen geben gegenüber den hellen, blasseren, zentralen Zellen. An der ruhenden Submaxillaris (Hungerzustand) (vgl. Fig. 11, Taf. III) heben sich allerdings die dunkelblau granulierten „Halbmonde* sehr scharf ab von den mit sehr mattblauen Granulis gefüllten inneren Zellen, aber sobald die Drüse im Zustande mäßiger Tätigkeit fixiert wurde, ist das Bild ein ganz anderes. Z.B. an der Drüse eines Hundes, der eine schwache Morphiumdosis erhalten hatte, sah ich die meisten Zellen von helleren oder dunkleren Toluidinblaugranulis erfüllt; hier erschienen dann nur noch an wenigen Stellen rein dunkle Halbmonde abgesetzt. Im Lumen der Schaltstücke bzw. der Speichelröhren sieht man auch bei Hungertieren hier und da blaue oder violette Schleimgranula bzw. blaue fädige Massen. An Präparaten frischer Drüsen, die eine Zeitlang nach der Anfertigung unter sucht werden (vgl. Fig. 150, S.932), findet man an entsprechenden Stellen, wie schon früher bei den reinen Schleimdrüsen erwähnt, helle Schleimstraßen oder Fäden von dem Alveolus gegen das Schaltstück hinziehend. Untersucht man frische Drüsen von Tieren, welche kurz vorher ge- füttert oder deren Drüsennerven gereizt wurden !), so findet man die Lumina der Alveolen oft erweitert, in vielen Drüsenzellen nur an der inneren Zone die matten Granula, in der Peripherie weniger und kleinere Granula; manche Zellen sind ganz von den kleineren, mäßig hellen, noch andere ganz von den kleinen, dunkeln Körnern, wie die Halbmonde der ruhenden Zellen, erfüllt. In manchen Zellen erkennt man blasse, große Flecken, vielleicht Vacuolen entsprechend. Solche längere Zeit tätige Drüsen, mit Kochsalz-Osmium- mischungen fixiert und mit Eisenalaun-Toluidinblau gefärbt, zeigen, ganz ähnlich wie die unten zu schildernden Eiweißdrüsen Langleys, bei schwacher ‘) Einmal erhielt ich bei einem neugeborenen Kätzchen, als ich etwa 0,48 Chloralhydrat per rectum zur Narkose appliziert hatte, neben der enormen Gefäß- erweiterung auch merklichen Speichelfluß. Gl. submaz. usw. (Beobachtungen an überleb. u. an fixiert, Präp. tätiger Drüsen. 945 Vergrößerung ein eigentümliches Bild. Auf größeren Flächen sieht man Alveolen und Tubuli in homogenem, mattem Grünblau, nur ein schmales dunkelblaues Band säumt die an die Lumina grenzenden Zelloberflächen. Bei starker Ver- größerung (vgl. die Fig.7 der Taf. III) löst sich das Band in blaue Schleim- speichelgranula auf; man sieht diesen Granulasaum dann bis in die feinsten Endzweige der Alveolengänge (Sekretcapillaren) hinein die Zellen begleiten. Es sind also fast alle Granula mit deutlicher Schleimreaktion verbraucht worden, doch ist die Zelle keineswegs leer, sondern es liegen noch reichlich Körner in ihr, welche schwach grünblau sich im Protoplasma abheben. (Im Präparat, das den Fig. 7 und 12, Taf. III zugrunde lag, hat durch eine unbeabsichtigte Wässerung die Färbbarkeit der Granula etwas gelitten). Die Fuchsin-Pikrinfärbung (Fig. 12, Taf. III) des gleichen Präparates zeigt noch zahlreiche graue oder weißliche Granula; letztere dem blauen Saume der Toluidinpräparate entsprechend, erstere in den mittleren Zellpartien, da sie als Vorstufen der Mucingranula nur schwach den Pikrinton annehmen. Zwischen ihnen liegen ganz zarte Züge allerfeinster fuch- sinophiler Körnehen; die Kerne sind groß, mit deut- lichen Kernkörperchen. Ziemlich zahlreiche Fett- körnchen liegen perinu- cleär und im basalen Teile der Zellen; dieselben sind auch bei genauem Beob- Feine Granula SS {1 R (dunkel) umgeschlagene achten und günstiger Be- Stelle leuchtung im Toluidin- helle Zelle, nicht deutliche Granula räparat al warz & Data ; sch nr Gl. submax. vom neugeborenen Kätzchen, das auf Chloralhydrat Körnchen von den im all- stärkste Gefäßerweiterung und merklichen Speichelfluß zeigte. Optischer Querschnitt eines Alveolus im frischen Präparat mit Sen nen etwas größeren, Spur Ringerlösung (Homog. Imm. Vergr. 500). dunkelblauen Granulis zu unterscheiden. Dem Bilde der Fig. 7, Taf. III sind aus anderen Partien des gleichen Schnittes bzw. aus anderen Schnitten der gleichen Serie Zellen beigefügt, welche noch die Erfüllung mit blauen Schleimgranulis wie in der Ruhe zeigen, an anderen sieht man blaßgraublaue Granula die Zelle bis auf den Kern und eine Vacuole einnehmen: anscheinend zu Schleim- granulis sich umwandelnde Körner, zwischen denen ein grünes Protoplasma mit vielen feinsten Fettkörnchen sich befindet. Die Vacuolen lassen meist in ihrem Inhalt mehr oder weniger intakte oder gequollene Granula er- kennen. An einem 16 bis 17tägigen Kätzchen, das 24" vor der Tötung 0,03 g salzsaures Pilocarpin erhalten hatte, dessen Drüsen also sich in der Erholung von einer über das physiologische Maß hinaus gesteigerten Tätig- keit befanden, waren die Lumina der Alveolen weit und von einer geronnenen Masse erfüllt, die neben formlos gefällten Gerinnseln auch Granula enthielt, welche im Toluidinblaupräparat (Fig. 10, Taf. III) in grünlicher Farbe eben erkennbar, in Fuchsinpräparaten deutlich rot hervortraten, also wohl infolge der abnormen Tätigkeit schon vor der schleimigen Umbildung ausgestoßene Protoplasmagranula waren. Die Zellen vieler Alveoli bieten das in der Figur Nagel, Physiologie des Menschen. II. 60 946 Gl. retroling. (ruhender und tätiger Zustand). dargestellte Bild; die Zellen sind bis zur Hälite oder bis zu zwei Dritteln mit opakblauen Granulis gefüllt, zwischen denen das intergranuläre Proto- plasma grün hindurchschimmert und das deutlich mit der größeren basalen Protoplasmamasse zusammenhängt. In letzterer liegen, mehr oder weniger deutlich, grüne oder grünlichblaue Granula, neben ihnen Fetttropfen. Ihr Kern ist groß, glatt konturiert. An Fuchsinpräparaten sieht man kleinere fuchsinophile Körnchen im Protoplasma. Die dem ruhenden Zustande wieder zustrebende Drüse zeigt also in ihrem oberen Teile wieder fertige Sekret- granula, während gegen die Basis zu ihre Vorstufen zu erkennen sind. Sehr auffällig tritt die verschiedene Füllung der Zellen mit Sekretgranulis je nach Ruhe oder Tätigkeit zumal an der @/. retroling. hervor. An jungen Kätzchen, wo die Drüse schalenförmig — nach Ranviers treffendem Ausdruck — das orale Ende der Submaxillaris umfassend, sich schon durch eine etwas grau- rötlichere Farbe von letzterer abhebt, kann man rasch frische Präparate zur Untersuchung oder zur Fixation gewinnen. In der Ruhe sind die Zellen vieler Alveoli und Tubuli — der tubulo-alveoläre Bau tritt hier sehr deutlich hervor — ganz oder fast ganz mit Granulis gefüllt, welche Schleim- reaktion zeigen und auch, was Kern, perinucleäres und intergranuläres Protoplasma betrifft, ganz wie Schleimspeicheldrüsenzellen sich darstellen. Mit anderen Worten, die Zellen bieten, abgesehen von Fetttröpfchen Gl. retroling. vom neugeborenen Kätzchen, das auf Chloraihydrat sehr starke Gefäßerweiterung u. merklichen Speichelfluß zeigte, Optischer Querschnitt eines Al- veolus vom frischen Präparat. Einzelne Zellen mit sehr großen, sich gegenseitig abplattenden Granuliis an der Innenseite; solche Granula auch im Lumen. Andere Zellen, leer von großen Granulis, enthalten in der peri- nucleären Zone kleinste Körn- chen und stark glänzende Tropfen Fett). Wieder andere Zellen mit feinen Körnern ganz erfüllt. «Homog. Imm. Vergrößer. 500). ihrer geringeren Größe, ein den Submaxillariszellen sehr ähnliches Bild. An manchen Alveolen sieht man aber zwischen ihnen auch Zellen, welche ein homo- genes Protoplasma erfüllt, in dem nur hier und da feinste eingestreute Protoplasmakörnchen, meist in der Nähe des großen Kernes zu erkennen sind. Manche Zellen wiederum sind bis zu etwa zwei Drittel mit matten Granulis verschiedener Größe erfüllt, wieder andere auch ganz mit kleineren, etwas stärker lichtbrechenden Körnern, die aber größer sind als die kleinen Protoplasmakörnchen. Die Kerne sind relativ sehr groß und haben ebenso auffallend große Nucleolen. Der nicht von matten Sekretgranulis eingenommene basale Raum der Zelle ist homogen, nur stark lichtbrechende (Fett-)Tröpfchen liegen in ihm zerstreut. Unter- sucht man eine solche Drüse im tätigen Zustande — man erreicht dies am besten, wenn man die Tierchen 8 bis 9 Stunden hungern läßt und dann mit einem Milchfläschehen säugt, aus dem nur auf kräftiges Saugen Milch fließt —, so fallen sofort die stark erweiterten Lumina der Alveolen und Tubuli ins Auge; in ihnen liegt eine glasige, mit geschwollenen Granulis durchsetzte Schleimmasse (s. Fig.158). Die Zellen, welche zum Teil kegelförmig in das Lumen vorragen (vgl. dafür Fig. 157, S.945 der GI. submax.), sind nur am vorderen Drittel mit sehr großen, matten Granulis erfüllt, die durch gegen- seitigen Druck stark deformiert erscheinen, dort aber, wo sie bei der Zupf- präparation frei geworden, vollständig kugelig sind. Im übrigen Raume der Zelle ist der große Kern meist gut erkennbar, im Verhältnis zu der Ruhelage etwas Gl. retroling. (ruhender und tätiger Zustand). 947 von der Basis gegen das Lumen zu abgerückt — eine Beobachtung, welche ja schon Heidenhain an Speicheldrüsen machte und die von den neueren Unter- suchern bestätigt wurde —; in seiner Nähe kleine Fetttröpfehen und auch sonst im homogenen Protoplasma dunkle Körnchen verstreut. Manche Zellen erscheinen auch jetzt noch durchaus mit Sekretgranulis erfüllt, die aber wiederum in den verschiedenen Zellen Unterschiede im Lichtbrechungs- vermögen aufweisen. Vacuolen, d.h. größere, helle Räume, mit blassen Massen erfüllt, sieht man hier und da. Die fixierten und mit Eisenhämatoxylin- Toluidinblau gefärbten Präparate geben von der ruhenden Drüse ein Bild, das viele Zellen mit blassen Schleimgranulis ganz oder zum größten Teile erfüllt zeigt, an der Basis den Kern mehr oder weniger deutlich in der homo- genen Protoplasmamasse erkennen läßt, von letzterer ausgehend das zarte intergranuläre Protoplasma. Daneben viele Zellen mit homogenem Proto- plasma — hier und da blaßgrüne oder grünblaue Granula erkennen lassend. Ob dies Schleimzellen, welche im Stadium der Umbildung der Protoplasma- granula zu Granulis mit Schleimreaktion sind oder besondere Zellen anderer Funktion, kann ich vorläufig nicht entscheiden. Die opakblauen Schleim- speichelgranula treten so stark hervor, daß man die matten, grünlichblauen Körner der Zellbasis nur schwer er- kennt. Zwischen diesen matten Körnern liegen die osmierten schwarzen Fett- tröpfehen. Viel besser als am frischen Präparat sieht man hier, daß auch in | = i y die Anfänge der Schaltstücke, oft auch a a ee en ee führende Zellen eingesprengt sind. den blauen und helle den grünen oder grünlich- . . = blauen Granulis des Präparates. Ringe an der Fast ganz identisch mit dem oben an Zellbasis—Fetttröpfchen. (Hom. Imm. Ver. 500). der frischen tätigen Drüse geschilderten, war hinsichtlich des Aussehens der Drüsenschläuche das Bild, welches ich im fixierten Präparat von der Retrolingualis eines einen halben Tag.alten Kätz- chens erhielt, das vor der Tötung viel getrunken hatte (sein Magen war prall mit Milch gefüllt); sehr ähnlich auch das eines drei Monate alten Hundes, welcher längere Zeit in Narkose lag und dabei stark speichelte. Jedoch waren die Lumina nur an einigen Älveolen weit, an anderen eng, entsprechend dem oft betonten Umstande, daß nicht alle Drüsenläppchen gleichzeitig in Funktion treten, und weiterhin enthielten die Lumina nur fädigen Schleim mit wenigen Mucingranulis, nicht die vielen Granula und Protoplasmateile der pilocarpini- sierten Drüse. Auch in der Retrolingualis des Hundes waren alle Übergänge in der Ausbildung der Schleimgranula zu beobachten — Zellen gefüllt mit violettblauen, großen Granulis, andere, welche gegen das Lumen zu violett- blau, gegen die Basis zu blaue, hellblaue und grünblaue enthalten; oft ist auch an der Basis eine kompakte Masse von grünen, also rein die Eiweib- bzw. Protoplasmareaktion zeigenden Granulis zu sehen. Einige Zellen, namentlich in den Alveolen mit weiten Lichtungen, ragen stumpf kegelförmig oder mit abgerundeten Kuppen in das Lumen vor und tragen auf der Peripherie dieser Hervorragungen blaue Schleimgranula, oft aber auch nur 60* 948 GT. retroling. (ruhender und tätiger Zustand). ganz schwach gefärbte, grünblaue Körner (s. Fig. 159 a.v.S.). Der übrige Teil der Zellen erscheint in letzterem Falle homogen, blaugraue Körner scheinen manchmal in geringer Zahl eingestreut; an der Basis liegen rundliche helle Lücken, in denen nur hier und da (an dickeren Schnitten) ein grauer Ton anzeigt, daß hier osmiertes Fett oder ein fettähnlicher Stoff in Tröpfchen gelegen hat, der aber schon nach kurzer Xylolbehandlung (Einbetten usw.) herausgelöst wurde. An Fuchsinpräparaten zeigen die entsprechenden Zellen der Drüse gegen das Lumen zu entweder ganz helle (Schleim-)Granula, umgeben von spär- licher, roter Intergranulärsubstanz, oder braun- Fig. 160. RE graue bis graurötliche, etwas kleinere Granula pP } (Ubergangsstadien) mit mächtiger roter Inter- —S = granulärsubstanz und entsprechend großer, roter %Y basaler Masse; daneben schließlich fast ganz rote 7 Zellen, die nur gegen das Lumen zu einzelne graue Retroling. (Subling. monostom.) Granula erkennen lassen. An sehr dünnen Schnitten eines neugeborenen Hündchens. (etwa,l1/, W)rerscheint die-rote Masse /diesernZellen Bei a fast ganz mit Granulis ge- 2 eo füllte Schleimzelle, daneben zwei aus allerfeinsten roten Körnchen zusammengesetzt. nicht sekrethaltige Zelle it 5 : . : tadigem Protoplasma. (Frischs Daneben — und dies ist an der Retrolingualis Präparat in 0,6 Proz. ClNa- > me ea des Hundes besonders deutlich kommen dunkle Noll, Arch. f. (Anat.u.) Physio. graurote Zellen vor, oft als Halbmonde, in denen 1902, Suppl., Taf. V. B 2 rundliche Flecke, umgrenzt von Zügen allerfeinster fuchsinophiler Protoplasmakörnchen, zu erkennen sind. Durch die schritt- weise Verfolgung an Serienschnitten kann man den Zusammenhang dieser Zellen durch einen mehr oder weniger schmalen Hals mit dem Lumen gut feststellen; auch an Toluidinblaupräparaten, wo diese Zellen ungefärbt homogen, nur mit blassen, runden Schatten durchsetzt erscheinen, kann man den Hals, Fig. 161. durch zwei dunklere Linien begrenzt, erkennen. ER Aber das Auftreten von Schleimgranulis konnte RERT ich bislang in ihnen nicht feststellen, bzw. keine Big NE 7 Übergänge von ihnen zu schleimgranulahaltigen N 1, We Zellen beobachten. a Noll (l.e. 1902, S.193 ff.), welcher in neuerer Retroling. (Subling. monostom.) Zeit ausgezeichnete Beobachtungen an der Gl. nach kurzer Reizung der Chorda. „otyoling. des Hundes anstellte, kommt zu etwa Zwei Zellen mit Körnchen nach 2 ae Is der Spitze zu. Der übrige Tel gleichen Resultaten wie ich am Kätzchen. Auch der Zellen enthält Protoplasma 3 a mit fädigen Bildungen. (Präpa- er findet bei hungernden oder bei neugeborenen rat der frischen Drüse in 0,6 Proz. . > . y . ER . CINA Lösung yprgn?800) Tieren (Ruhedrüsen) in Sublimatpräparaten die Nach Noll, Arch. f. (Anat. u.) / r SAT SIR 5 Physiol. 1902, Suppl., Taf. V. Mehrzahi der Alveolen mit Schleimzellen versehen, indes die Alveolen mit dunkeln Zellen selten sind, während nach Reizung der Chorda die dunkeln Zellen vermehrt, die Schleim- zellen (hellen Zellen) vermindert sind; dabei trifft man, im Gegensatz zu ersteren, vielfach auffallend weite Lumina (vgl. l.c. Taf. V, Fig.20u.21). An frischen Drüsen fällt ihm auch auf, daß das Bild der Zellen nicht überall ein granuliertes ist; neben denen mit großen, hellen Schleimgranulis liegen solche mit kleineren, dunkeln Körnchen, und außerdem bei neugeborenen Hündchen solche, welche nur nach der Spitze (gegen das Lumen des Alveolus) zu mit Granulis gefüllt, bzw. ganz granulafrei waren (vgl. Fig. 160). In Drüsen nach @Gl. retroling. (Fädengebilde im Zellplasma). 949 Chordareizung, welche vereinzelte Granulazellen aufwiesen, sowohl als auch in Drüsen neugeborener Hündchen, viel seltener aber bei Hungertieren konnte er bei angestrengter Beobachtung das Protoplasma der granulafreien oder granulaarmen Zellen von schmalen, in der Längsrichtung verlaufenden Fäden durchzogen sehen, welche manchmal den Eindruck machten, als be- ständen sie zum Teil aus Körnchen (s. Fig. 160 u. 161). InAltmann-Präparaten fand er Gebilde — den nur an der Spitze mit Granulis gefüllten Zellen der frischen Drüse entsprechend —, welche gegen das Lumen zu mit dem Schleim- netz versehen, an der basalen Hälfte dagegen von fuchsinophilen Fäden und Körnern durchsetzt waren; die beide verbindende Zwischenzone wurde ge- wöhnlich von einer stark rot gefärbten, nicht körnigen Schicht gebildet. Nach der von Noll gegebenen Darstellung ähneln diese Bilder sehr denen, die ich von Kätzchendrüsen nach Reizung erhielt; Maximow!), der ähnliche Bilder fand, hält diese Zellen für solche, die im Begriffe stehen, ihr Sekret auszu- stoßen, und Noll (l.c.) stimmt ihm darin bei. Daß ich der gleichen Meinung bin, geht aus den obigen Schilderungen hervor; bestärkt werde ich in dieser Meinung dadurch, daß ich zuweilen den im Lumen befindlichen Schleim im Zusammenhang mit solchen Zellen sah. Die ganz granulafreien Zellen fand Noll an Altmann-Präparaten durch und durch vom gleichen Aussehen wie den basalen Teil der eben erwähnten Zellen und auch entsprechend dem von ihm gefundenen Aussehen der gleichen Zellen der frischen Drüse. Fuchsino- phile Fädchen und Körnchen durchziehen sie in der Längsrichtung; auch sieht man, obwohl Noll dies nicht besonders erwähnt, an der Bas dieser Zellen die gleichen runden Lücken wie in meinen Präparaten. Doch sah ich in meinen, ganz schleimgranulafreien Zellen, wie erwähnt, nur ganz zarte, aus allerfeinsten, fuchsinophilen Elementen bestehende Körnchenzüge, aber das mag der verschiedenen Fixation bzw. Nachbehandlung zuzuschreiben sein, und es mögen also wohl die gleichen Zellen vorliegen. Mit Noll stimme ich darin überein, daß Maximow (l.c.) die mit Granulis an der Spitze ver- sehenen Zellen zu Unrecht für seröse Zellen hält; meine Präparate stützen diese Meinung insofern, als ich, wie oben erwähnt, die vereinzelten Granula oft ın deutlicher Blaufärbung (Schleimreaktion) fand. Dagegen kann ich noch keinen Beweis dafür erbringen, daß die ganz granulafreien Zellen sekretleere Schleimspeichelzellen sind; die Möglichkeit, daß hier noch andere Elemente vorliegen, muß ich zugeben, obwohl die Wahrscheinlichkeit letzterer Annahme für mich nicht groß ist und ich eher Noll zuneige, der erstere Meinung vertritt. Was die fädigen Gebilde der tätigen bzw. sekretarmen Zellen anlangt, welche bei mir nur als Körnchenreihen imponieren, so sind sie von Altmann?) in der Submaxillaris der Katze nach Pilocarpin- injektion beobachtet worden, desgleichen die fuchsinophilen Körner unter denselben Umständen. Michaelis (l.c.) konnte durch supravitale Färbungen frischer Drüsen (s. früher) an der Submaxillaris der Maus, und zwar in deren hinteren Lappen, welcher allein nach Michaelis Schleimzellen enthält, Fäden darstellen, welche in der frischen ungefärbten Ruhedrüse nicht zu er- kennen waren, aber mit Janusgrün sich spezifisch färbten. Auf Pilocarpin- vergiftung sah Michaelis unregelmäßig runde Sekrettropfen in diesen Zellen ") Arch. f. mikr. Anat. 58 (1901). — °) Elementarorganismen, Taf. 23 u. 24. 950 Die Giannuzzischen Halbmonde. auftreten, daneben auch Fädchen oder Stäbchen, jedoch nicht in so präg- nanter Weise wie in Eiweißdrüsen (s. später Parotis und Pankreas). Diese Fädchen bzw. Körnchenreihen sind eher mit den von Altmann, Maximow, Noll und mir beobachteten Gebilden zu vergleichen, und sie stellen wohl, wie diese, die Vorstufen der Schleimgranula dar. E. Müllers!) Befunde an den Zungendrüsen junger Katzen wurden oben erwähnt (S. 941, Fig. 153). In den Submaxillariszellen fand er das Protoplasma durchsetzt von allerfeinsten Körnchen, die E. Müller in Übereinstimmung mit dem oben Gesagten als Vorstufen der Sekretgranula ansieht. Dagegen konnte er nicht beobachten, daß die Fäden, welche nach stärkster Pilocarpinreizung auftraten, in Körner zerfallen oder aus Körnern hervorgehen. Weitere Aufklärungen über diese Gebilde stellt er in Aussicht. Daß alle diese Fädengebilde mit Solgers?) Basalfilamenten nicht einfach zu identifizieren sind, glaube ich mit Noll annehmen zu dürfen, obwohl Solger?) selbst in neuerer Zeit der Ansicht von Bensley*) zuzuneigen scheint, der die von ihm in den Magenfundusdrüsen, in den Ösophagealdrüsen des Frosches usw. gefundenen Basalfilamente als präzymogene Fäden auffaßt. Der Ansicht, daß solche Fäden an der Bildung von Sekretkörnern der Drüsenzellen beteiligt sind, ist auch Garnier’); er nennt sie Ergastoplasmagebilde und stellt sie, wie Bensley, in eine Reihe mit den Fädengebilden der „Stäbchenzellen“ in den Speichelröhren (s. später). Da er jedoch, wie auch andere Autoren, für diese Gebilde einen innigen Zusammenhang mit dem Kern, bzw. ihre teilweise Entstehung aus Kernsubstanz annimmt, sollen sie im Abschnitt über die Beteiligung des Kerns an den Sekretionsvorgängen noch eine kurze Erörterung finden. 6. Die Giannuzzischen Halbmonde und die Sekretcapillaren (Endgänge). Die Frage nach den Vorstufen der Schleimgranula bzw. des Sekretes der Schleim- und Schleimspeicheldrüsen war oben schon gestreift und dabei ge- zeigt worden, daß in der Submaxillaris sowohl als in der Orbitalis die Über- gänge von nicht schleimhaltigen, meist fuchsinophilen Protoplasmakörnern kleinen Kalibers über größere solche Granula mit beginnender schwacher Schleimreaktion bis zu den ausgebildeten Mucingranulis sich darstellen lassen. Ich hatte am gleichen Orte geschildert, wie je nach dem ruhenden oder tätigen Zustande der Drüse die Zahl der von Schleimvorstufen-Granulis er- füllten Zellen wechselt und wie das tätige Organ viel geringere Unterschiede im Aussehen der Zellen bietet als das ruhende. Die Frage hängt aber eng mit derjenigen nach der Natur der von Giannuzzi‘) bei der GI. submazx. des Hundes entdeckten Halbmondzellen zusammen. Bei Gelegenheit seiner in Ludwigs Laboratorium unternommenen Untersuchungen über „die Folgen des beschleunigten Blutstromes für die Absonderung des Speichels“ beob- achtete er zweierlei zellige Elemente in der @I. submax. des Hundes, deren eines halbmondförmig (kuppenartig) in der Peripherie gelegen war. Es wurden !) Zeitschr. f. wissensch. Zoologie 64, 641, 1898. — *) Gegenbaur-Festschrift 1896. — °) Verhandl. d. anat. Gesellsch. 1898. — *) Quarterly Journ. of mikr. Science 1898. — °) Journ. de l’Anat. et de physiol. 36 (1900). — °) Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. Kl., 17, 68 bis 84, 1865, mit Tafel. Die Giannuzzischen Halbmonde (Phasentheorie, Theorie der spezif. Elemente). 951 die Halbmonde dann bald auch an den Schleimspeicheldrüsen anderer Tiere und des Menschen gefunden, ebenso ihr Vorkommen an reinen Schleim- drüsen behauptet. Die Deutung der Halbmonde Giannuzzis als Ersatzzellen der bei der Sekretion zugrunde gehenden Schleimzellen durch R. Heidenhain, Lavdowsky, Beyer mußte aufgegeben werden, als, wie schon erwähnt, Vassale und Bizzozero das Fehlen jeder Mitosenvermehrung in tätigen Drüsen als zwingenden Grund gegen die Heidenhainsche Lehre ins Feld ‘ führten, und sie kann jetzt auch widerlegt werden durch den Nachweis, dab größere Zellteile oder gar ganze Zellen bei der normalen Sekretion nicht ab- gestoßen werden bzw. zugrunde gehen. Daß nach starken Pilocarpingaben solches vorkommt, beweist nur, daß die Tätigkeit der Drüsen dann eine pathologische geworden ist. Dem entspricht auch Krauses Angabe!), daß er selbst nach mehrstündiger Chordareizung nur ein einziges Mal Schleimzellen Schema der Entstehung der Halbmonde. Protoplasma gekörnt, Sekret hell gezeichnet. In I sind die Zellen 5, in IV die Zellen a die „Halbmonde*“. I Querschnitt eines Schleimdrüsentubulus mit sechs Drüsenzellen. Drei a, a9 az sind sekretgefüllt und haben die drei sekretleeren Zellen (b, db, b,) vom Drüsenlumen abgedrängt. — II Derselbe Querschnitt etwas später. Die Zellen a, a, a, haben ihr Sekret zum Teil entleert, sind kleiner geworden. Die Zellen by ba b, reichen wieder bis zum Lumen und beginnen an dieser Seite Sekret zu bilden. — III Der- selbe Querschnitt noch später. Die Zellen a, ag a, haben den größten Teil ihres Sekretes abgegeben, sind noch kleiner geworden. In den Zellen b, by b, hat sich das Sekret stark vermehrt, so daß diese Zellen die größeren sind und auf ihre Nachbarn a, a3 a, drücken. — IV Derselbe Querschnitt wieder später. Die Zellen a, a, a.» sind jetzt völlig leer und von den jetzt ganz sekretgefüllten Zellen bı ba ba vom Drüsenlumen abgedrängt. — Nach Stöhr, Lehrb. d. Histol., 8. Aufl., S. 58, Fig. 21. im Sekret gefunden hat. Hebold?) und in entschiedener Weise Stöhr’) stellten dann die sogenannte Phasentheorie auf, nach der die Giannuzzi- schen Halbmonde sekretleere, von den sekretgefüllten Nachbarzellen zurück- gedrängte Drüsenzellen gleicher Funktion seien. Schon A. Ewald) sprach die Meinung aus, daß die Randzellen und die zentralen Zellen gleichwertig und erstere nur durch den Mangel an Schleim von letzteren unterschieden seien. Der Unterschied zwischen gereizten und ungereizten Drüsen beruht nach ihm nur darauf, daß in letzteren die Zellen mit Schleim angefüllt, in ersteren desselben verlustig gegangen seien. In dem Maße, als sich die Zellen mit Schleim füllen, werde Kern und Protoplasma am Rande zusammengedrängt. An Hand der beistehenden Schemata Stöhrs lassen sich die einzelnen Phasen verfolgen, welche von der sekretleeren Halbmondzelle, die nur durch einen schmalen Gang mit dem Lumen kommuniziert, durch allmähliche Anfüllung mit Sekret — oder nach der hier und von anderen Autoren vertretenen An- ») Arch. f. mikr. Anat. 49 (1897). — °) Inaug.-Dissert. Bonn 1879. — °) l.c. und Sitzungsber. d. Würz. phys.-med. Ges. 1884; Arch. f. mikr. Anat. 47 (1896). — *) Beitr. z. Histol. u. Physiol. d. Speicheldrüsen des Hundes. Dissert. Berlin 187v. 952 Die Giannuzzischen Halbmonde (Phasentheorie, Theorie der spezif. Elemente). schauung durch Umbildung der kleinen Protoplasmakörner zu großen Schleim- sekretgranulis — zur großen, mit breiter Oberfläche an das Lumen grenzen- den Schleimzelle führen. Diese Anschauung wurde bekämpft durch v. Ebner), welcher ihr die andere gegenüberstellte, daß es sich bei den Halbmonden um secernierende, nicht sekretleere Drüsenzellen handele, welche von den Schleimzellen spezifisch verschieden seien. Nachdem v. Ebner die Zungenschleimdrüsen frei von Halbmonden gefunden — eine Tatsache, die übrigens von Hebold (l.c.) bestritten wurde, da er, wie schon Beermann, an der gereizten Kaninchenzunge das Vorkommen von Lunulis in den Alveolen sah —., meinte er, daß das Vorkommen der Halbmonde an der Hunde- submaxillaris nicht gut anders erklärt werden könne, als indem man das Vorhandensein zweier verschiedener Zellarten (Schleimzellen und seröse Zellen [|Halbmonde]) annehme, zumal ja in den Labdrüsen des Magens ähnliche Einrichtungen nachgewiesen worden seien. Dem Einwande, daß an der gereizten Drüse doch der Unterschied der Zellen kaum mehr hervortrete, begegnet er mit der Annahme, daß man eben wegen äußerlicher Übereinstimmung die beiden Drüsenarten in tätigem Zustande nicht unter- scheiden könne. Vornehmlich die Befunde aber an der GI. submax. des Meer- schweinchens, wo er stets Alveolen, die nur mit Schleimzellen, und andere, die nur mit eiweißhaltigen Zellen erfüllt sind, antraf, bestimmten ihn, die Lehre von der Spezifität der Halbmonde oder Randzellenkomplexe aufzustellen. Langley (l.c.), welcher, wie schon erwähnt, in seiner grund- legenden Arbeit über das Verhalten frisch untersuchter Schleimdrüsen die Halbmondzellen von kleineren, dunkleren Granulis als die der Schleimzellen erfüllt sieht, spricht sich entschieden für die seröse Natur der Halbmonde aus; Solger (l.c.), dem wir die eingehendste Untersuchung frischer menschlicher Unterkieferdrüsen verdanken, kommt zum gleichen Schlusse. Er führt als wichtigstes Argument (Gegenbaur-Festschrift, S.234 ff.) die Resultate der Untersuchung frischer Gefrierschnitte und solcher von Formolpräparaten ins Feld und weist darauf hin, daß die Halbmonde im gemischten Teile der Gl. submax. des Menschen keineswegs „sekretleere Zellen“ sind, sondern dieselben stark lichtbrechenden Körner führen, wie die Zellen des rein serösen Abschnittes. Daß diese Körner nicht Schleimkörner sind, gehe nicht nur aus ihrem optischen Verhalten, sondern auch daraus hervor, daß in Formolpräparaten — dieses Reagens löst die Schleimgranula ziemlich bald auf, wie Solger in besonders darauf gerichteten Versuchen konstatierte — die Granula der serösen (Eiweiß-)Zellen und diejenigen der Halbmonde wohl erhalten sich darstellen. Ohne irgendwie die seröse Natur der Halb- mondzellen in der GI. submax. des Menschen, welche nach Solger eine ge- mischte Drüse ist, bezweifeln zu wollen, da ich keine eigenen Untersuchungen an menschlichem Material anstellen konnte, kann ich doch das obige Argument nicht gelten lassen. An reinen Schleimdrüsen — wie der Orbitalis von Hund oder Katze, die ja überall als reine Schleimdrüsen gelten, und nach Ellen- berger und Hofmeister?) ebensowenig wie die Buccal- und Palatinaldrüsen Ferment produzieren — habe ich oben gezeigt, wie sowohl an der frischen ') Arch. f. mikr. Anat. 8 (1872) u. Handb. 3, 1, 50 ff. — ?) Arch. f. wissensch. u. prakt. Tierheilk. 11, 68/69, 1885. Die Giannuzzischen Halbmonde (Phasentheorie, Theorie der spezif. Elemente). 953 Drüse außerordentlich deutliche Unterschiede in der Liehtbrechung der Gra- nula, als auch in derem Verhalten gegen fixierende und fürbende Reagenzien vorhanden waren. Die Eigenschaften der Halbmondgranula — ihre ge- ringere Größe, stärkere Lichtbrechung, Resistenz gegen Reagenzien — können wohl darauf beruhen, daß sie als Vorstufen der Schleimgranula noch ihren protoplasmatischen (Eiweiß-)Charakter haben, ohne daß damit die sie ent- haltenden Zellen als spezifisch verschieden von den Schleimzellen, als seröse Zellen bezeichnet werden dürfen, deren Sekret von dem der Schleimzellen differiere. Küchenmeister!) tritt nach Untersuchungen an der Submaxillaris der Katze und des Menschen für die spezifische Natur der Halbmonde ein, allerdings auch für die Zweischichtiekeit des Epithels der Drüsenschläuche. Was letzteren Punkt betrifft, so konnte ich nach eingehendem Studium von Serienschnitten der Katzensubmaxillaris nur die Überzeugung gewinnen, daß alle Zellen die Membrana propria erreichen, wenn auch nur mit einer schmalen Spitze oder mit einem kleinen, seitlichen basalen Ausläufer — Flügelfortsatz nach Krauses treffendem Ausdruck —, also von einem zweischichtigen Epithel, derart, daß die Basis einer zentralen Zelle auf der Oberfläche einer peripheren oder nur auf ihren Seitenflächen allein säße, kann hier nicht die Rede sein. Es ist in neuerer Zeit auch von vielen anderen Autoren für sonstige Drüsen die Annahme eines zweischichtigen Epithels zurückgewiesen worden; ob, wie Oppel (l. ce.) will, diese Zweischichtigkeit innerhalb der Reihe hierhergehöriger Organe überhaupt nicht existiert, kann ich nicht beurteilen. Ranvier?) hält die Giannuzzischen Halbmonde auf Grund ihrer Kör- nung (Granulierung) für seröse Drüsenzellen, welche das Ferment zu liefern hätten. Andererseits gibt es nach Ranvier Schleimdrüsen (Retrolingualis des Meerschweinchens), welche keine Randzellen besitzen, und ferner kommen bei der gemischten GI. retrolingualis der Ratte im gereizten Zustande die Schleimzellen in gleicher Zahl vor und werden nicht durch die gekörnten Zellen ersetzt. Mislawsky und Smirnow?°) glauben, daß die Halb- monde in der Gl. submax. des Hundes seröse Zellen wie die serösen „Parotis- zellen“ seien. Die Verfasser haben nach 24stündigem Hungern einerseits, nach langdauernder Reizung der Chorda tympani und des Sympathicus andererseits Präparate von ruhen- den, und von tätigen Drüsen gewonnen. Die Fixation geschah einmal in gesättigter wässeriger Sublimatlösung und 1proz. Osmiumlösung ana partes; Färbung mit Dahlia. Damit erhielten sie, wie zu erwarten, eine vollständige Zerstörung der Schleimgranula, also in den betreffenden Zellen das „Netz“, in den Halbmonden dicht gedrängte, kleine Granula. In Altmann-Präparaten trafen sie ähnliche Verhältnisse, nur lagen in den Netzmaschen der Schleimzellen gefärbte Granula, welche kleiner waren als die Halbmondgranula, dafür aber dickere Netzfäden, also hier partielle Zerstörung der Granula. Nach gleichzeitiger Reizung der Chorda und des Sympathiecus konstatieren sie im Altmann-Präparat eine große Differenz zwischen Schleimzellen und Halbmonden; in ersteren finden sich keine Granula mehr, nur ein Netz mit teilweise zerrissenen Maschen, in den letzteren spärlichere Granula und ein eng- masehiges Netz. Daraus schließen sie, daß die Unterkieferdrüse ein in „morpholo- gischer und physiologischer Beziehung höher differenziertes Organ darstelle als die Parotis; in morphologischer Beziehung besteht diese Differenzierung darin, daß hier zwei Arten von Drüsenzellen existieren, die sich in ihrer Form, ihrer Lagerung, !) Arch. f. mikr. Anat. 46 (1895). — ?) Journ. de micrographie 8 (1834) u. 12 (1888). — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1896, S. 93 ff., dazu Taf. IV. 954 Sekretcapillaren. ihrem Verhalten zu chemischen Reagenzien und Farbstoffen, sowie auch in ihrer Struktur voneinander unterscheiden, in physiologischer Hinsicht dagegen äußert sich diese Differenzierung in einer Arbeitsteilung betreffs der Produktion der Be- standteile des Drüsensekretes“ (l.c. 8. 103). Die beiden Autoren fassen also auf Grund dieser allerdings sehr summa-_ risch mitgeteilten Befunde die Halbmonde als spezifische Zellen auf; nach den gegebenen Bildern könnte man im Gegenteil annehmen, daß infolge längerer angestrengter Tätigkeit der Drüse die Halbmondgranula zum größten Teile aus ihrem protoplasmatischen Anfangszustande in Schleimgranula über- gegangen sind (vgl. betr. dieser Drüse auch unten Noll). Kolossow!) unterscheidet als scheinbare Halbmonde’°) die sekretleeren Schleimzellen reiner Schleimdrüsen (Lippen- bzw. Mundwinkeldrüsen und der Sub- lingualis der Katze) von den echten Halbmonden der Gl. submax., welche Zellen eigener Art darstellen, die weder leere Sekretzellen (Schleimzellen) seien, wie es der Phasentheorie entspräche, noch identisch mit den Zellen der serösen Drüsen, was ja Solger, Küchenmeister, Müller, R. Krause annehmen. Denn in Kolossows Präparaten (in 0sO,-Mischung fixiert und mit Tannin behandelt) erscheinen in den Zellen der serösen Drüsen Körner im Maschenwerk des Proto- plasmas, in den Halbmonden der Submaxillaris aber nieht. Sehen wir davon ab, daß Kolossows Untersuchungen an einer gewissen Unvollständigkeit leiden, da er frische Drüsen nicht untersuchte, seine Schlüsse einzig auf fixiertes Material gebaut hat, so ist er wohl berechtigt, aus dem verschiedenen Verhalten gegen Reagenzien auf einen Unterschied im Chemismus dieser Elemente zu schließen. Aber wenn er weiter schließt: Da in reinen Schleimzellen die sekretleeren Zellen anders aussehen als: in den Halbmonden der Submaxillaris, einer Drüse, welehe doch neben Schleim auch Ferment usw. absondert, so können die Halbmonde nicht sekretleere Zellen sein, so begeht er denselben Fehler wie Krause, Solger u.a., welche daraus, daß die Halbmonde anders aussehen wie Schleimzellen, schlossen, es seien. „seröse“ Zellen. Das ganze Verhalten der Schleimspeichel absondernden Sub- maxillariszellen — siehe oben die Schilderung ihres verschiedenen Verhaltens. gegenüber Reagenzien — ist ein anderes als das der Zellen reiner Schleimdrüsen ;. sind also die sogenannten scheinbaren Halbmonde der letzteren nichts anderes als sekretleere Zellen — und meine Erfahrungen sprechen sehr dafür —, so können das die wahren Halbmonde der Submaxillaris auch sein. Kolossow behauptet allerdings, die Schleimspeichelzellen der Gl. submax. würden nie ganz sekretleer, und schon deswegen könnten die Halbmonde derselben keine leeren Schleimspeichel- zellen sein; aber die Phasentheorie schließt doch nicht aus, daß die Halbmonde auch nur partiell entleerte Zellen sein können. Für meine Ansicht, daß die so- senannten scheinbaren Halbmonde der reinen Schleimdrüsen (Orbitalis) wie die Halbmonde der Schleimspeichel liefernden Submaxillaris leere oder halbleere Sekret- zellen sind, sprechen vielleicht auch die unten erwähnten Befunde E. Müllers, welcher an den Halbmonden der Orbitalis vom Hunde Sekretcapillaren fand. Eine Reihe anderer Autoren — Ramon y ÜCajal, Retzius, R. Krause, Garnier, E. Müller, Laserstein, Oppel — sind ebenfalls für die v. Ebnersche Lehre von der Spezifität der Randzellenkomplexe (Halbmonde) eingetreten, und zwar gestützt, neben anderen Argumenten, auf das Vor- handensein von Sekretcapillaren. a) Sekretcapillaren. Schon in früherer Zeit hatten verschiedene Autoren (Langerhans, Pflüger, Saviotti, Ewald) durch Injektion vom Ausführungsgange aus V) Arch. f. mikr. Anat. 52, 14 ff., 1898. — *) Nicht zu verwechseln mit durch Schräg- schnitte an fixierten Präparaten gewonnenen unvollständigen Zellbildern, welche man auch als „scheinbare“, besser als Pflügersche Halbmonde bezeichnet; s. auch 8. 958. Sekretcapillaren. 955 in Drüsen (Pankreas, Speicheldrüse) feinste Kanälchen mit Berlinerblau füllen und sogar die pericelluläre Umspinnung der Drüsenzellen durch solche Kanäle darstellen können. Von den axialen Lichtungen der Tubuli und der Alveolen aus zogen sich drehrunde Kanälchen und Spalten auf den Seitenflächen der Zellen hin, fast oder ganz bis zur Membrana propria laufend. Daß hier durch den Druck der Injektion Spalten oder Röhrchen erst eröffnet wurden, war der naheliegende Einwand, aber derselbe wurde zurückgedrängt durch die von Ramon y Cajal!) und Oppel gemachte Ent- deckung, daß mit der Golgischen Silberimpräg- nationsmethode das Sekret in den Gängen der Drüsen sich bis auf die letzten Spuren schwarz färbt. Die damit erhaltenen Bilder boten ähnliche pericelluläre Kanalnetze wie obige Injektionen, und en Retzius?) zeigte, daß in reinen Schleimdrüsen Golgimethode. Ruhestadium. sich allein die Lichtungen der Alveolen imprägnieren, ee E05 in den zentralen Enden der Zellen nur hier und da "*® en at kurze tropfenförmige Anhänge hereinragen, während bei gemischten Drüsen zu den in der Tiefe liegen- Fig. 164. den Halbmonden Kanäle dringen, die sich um die \ Halbmondzellen herum verzweigen. In serösen Drüsen sieht man überall die Gänge (Sekret- capillaren) zwischen die Zellen eindringen, aber wie bei den Halbmonden nie die Membrana propria erreichend. Allerdings zeigte E. Müller’), daß in der @I. orbitalis des Hundes, einer reinen Schleim- drüse, die dort vorhandenen Halbmonde aufs reichste mit einem pericellulären Astwerk von Sekretcapilla- ren versehen sind, im übrigen aber bestätigte er Retzius’ Resultate an Eiweißdrüsen (@l. parotis _Sekretcapillaren. Submaxillaris vom Menschen, @I. submax. vom Kaninchen, Pan- Sr > 3 3 Ruhe. Golgimethode. Winkel, kreas), ein Befund, der für die spezifische Natur O0bj. 8, Oe. Iv.— Nach Laser- der Halbmonde sprechen sollte. Allerdings scheinen ee ae en mir, nach der Fig. 8, Taf. I des E. Müllerschen Werkes Capillaren, verästelt oder mit.nur kurzen Seitenzweigen, auch in oder zwischen die schleim- gefüllten Zellen einzudringen. Laserstein®) kommt auf Grund seiner in Langendorffs Laboratorium ausgeführten Golgi-Imprägnationen zu der gleichen Ansicht wie Retzius über die Bedeutung der Halbmonde als selbständiger, sekre- ee torischer Zellen; sie sollen nach ihm Wasser Om inter-och intracellulära Kör- \ . . telgängar 1894, Taf. I, Teil’ von und Salze des Speichels liefern. 7 Fig. 8. Fig. 163. Fig. 165. Gl. orbitalis vom Hund. !) Nuevas aplicaciones del metodo de eoloraeiön de Golgi. Barcelona 1889, zitiert nach v. Ebner. — ?) Biolog. Untersuch., N. F., 3 (9), 1892. — a), Om inter- och intracellulära Körtelgängar. Akademisk Afhandl. Stockholm 1894. — *) Pflügers Arch. 55 (1894) u. Inaug.-Dissert. Rostock, 956 Sekretcapillaren. In neuerer Zeit sind von E. Müller!) und R. Krause?) die Sekret- capillaren auch vermittelst des Biondischen Dreifarbengemisches und der M. Heidenhainschen Eisenhämatoxylinmethode dargestellt worden; ebenso zeigt sie die Fuchsin-Pikrinfärbung. R. Krause hat in einer unlängst er- schienenen Studie °) durch Injektion von Indigkarmin in die Vena femoralis des lebenden Tieres gezeigt, daß die Ausscheidung dieses Farbstoffes an der Submaxillaris des Hundes hauptsächlich durch die Halbmonde, zum Teil auch durch die Speichelröhren geschieht. In den Zellen der Halbmonde waren auch die Granula blau gefärbt, und ebenso fanden sich blaue Granula in den Schleimcapillaren. Dies Resultat wurde nur erhalten von Drüsen in starker Tätigkeit, denn auch bei den Tieren, welche weder Pilocarpin erhalten noch einer Chordareizung unterworfen waren, bestand während des Versuches sehr starker Speichelfluß (l. c. S.409). Krause gibt aber auch an (l. c. S.413), daß in wenigen Fällen eine deutliche Ausscheidung von Farbstoff auch durch die Schleimzellen geschah, und zwar durch sekretleere; es waren dann die Protoplasmafäden nebst dem Kern blau gefärbt und der ganze Zelleib mit Farbstoff durchtränkt. Vermittelst der Biondi- und Eisenlackfärbung glaubte man auch den Streit entscheiden zu können, ob die Sekretcapillaren nur peri- bzw. „epicellulär“ (Oppel) gelegen sind oder auch ins Innere der Zellen dringen; der Streit ist aber noch nicht zu Ende gebracht, indem Laserstein, Küchenmeister, R. Krause letzteres bejahen, K.W. Zimmermann) dagegen durch das Vor- handensein von Kittleisten, welche an den Sekretcapillaren vorhanden sind und doch nur zwischen den Rändern freier Zelloberflächen vorkommen, nach- weist, daß intracelluläre Sekretgänge nicht vorhanden sind; auch E. Müller hat sich dagegen ausgesprochen; ebenso gibt Kolossow’’) an, dab die Sekret- capillaren der Halbmonde intercelluläre Kanälchen seien. Für R. Krauses Ansicht würde dagegen sehr ins Gewicht fallen, wenn der Befund dieses Autors, wonach er an isolierten Schleimzellen Sekretcapillaren beobachtet hat, sich bestätigen sollte. Er bildet solche Zellen (l.c. 45 [1895], Taf. VII) von der Retrolingualis des Igels, einer reinen Schleimdrüse, ab. Wie aus dem (iesagten hervorgeht, kann das Vorhandensein von Sekret- capillaren die Frage, ob die Halbmonde Zellen spezifischer Natur seien. doch nicht zur Entscheidung bringen, denn die epicellulären Gänge der prall ge- füllten Schleimdrüsen können sehr wohl komprimiert, sekretleer und damit unsichtbar sein; erwähnt doch selbst v. Ebner (l. c. Handbuch 3 [1], 49), daß auch die Zellen an Eiweißdrüsen, für welche ja die Sekretcapillaren charakteristisch sein sollen, oft so nahe aneinander liegen, daß kein Röhrchen zwischen ihnen wahrgenommen werden kann. Und dann erhebt sich die weitere Frage, wie weit diese Capillaren präformiert sind, wie weit sie erst ad hoc sich bilden; von dem Saume, den sie an Fuchsin- und an Eisenhämatoxylinpräparaten zeigen, ist es noch nicht sicher bewiesen, daß er eine dauerhafte Wand darstellt. Auch Stöhr‘) hat die an die Befunde von Sekretcapillaren geknüpften Beweise nicht als zwingend gegen die Phasentheorie anerkannt. !) Arch. f. mikr. Anat. 45 (1895). — °) Ebenda 45 (1895); 49 (1897). — ®) Ebenda 59 (1901). — *) Ebenda 52 (1898). — °) Ebenda. — °) Ebenda 47 (1896). Halbmonde an überlebenden Präparaten von Drüsen in verschiedenen Stadien. 957 b) Die Halbmonde an überlebenden Drüsenzellen. Noll (l. c. 1902) hat auf anderem Wege die Frage, ob verschiedene Phasen der gleichen Zellart oder spezifische Zellen vorliegen, zu ent- scheiden gesucht und, wenigstens für die GI. submaxillaris des Hundes, dahin entschieden, daß die Halbmonde nicht Zellen sui generis, sondern sekretleere bzw. sekretneubildende Scheimspeichelzellen sind. Er stützt sich dabei in erster Linie auf die Befunde an frischen Drüsen. Die Granula der Halbmonde findet er keineswegs — wie Solger an der menschlichen Submaxiliaris — gleich aussehend wie die Sekretgranula der Ei- weißdrüsen (vgl. beistehende Figuren nach Noll l.c. und Fig. 155, S.942); sie sind viel kleiner und erscheinen stets dunkler als etwa die der Hungerparotis des gleichen Tieres. Kürzere oder längere Reizung der Chorda bzw. kombinierte Reizung von Chorda und Sympathicus ergaben nun Übergangsbilder, welche eine Verminderung der Schleimzellen mit großen matten Granulis, da- für aber das Auftreten von Zellen zeigten, deren Granula auch matt, aber etwas kleiner (s. b in Fig.166a) waren; andere enthielten Granula mit gleichen optischen Eigenschaften, aber von noch geringerer Größe (Fig. 166a bei c) und schließlich fanden sich Zellen mit dunkeln Körn- chen, welche denen der Halbmonde nichtgereizter Drüsen entsprachen (s. ebenda bei h). Dabei lagen die Körnchenzellen teils als Halbmonde an- geordnet, teils nicht. An Altmann-Präparaten der gleichen Drüse waren, entsprechend der Ver- minderung der Zellen mit großen Schleimgranulis der frischen Drüse, die Zellen mit weitem Proto- plasmanetz vermindert; daneben lagen helle Zellen mit engerem Netz und dickeren Fäden, gewöhnlich eine breitere basale Protoplasma- masse mit spärlichen eingestreuten fuchsino- philen Körnchen enthaltend. Weiter aber kamen breite Randzellen vor mit reichlichem Inhalt an fuchsinophilen Elementen — Körner bzw. auch Fädchen —, der Lage nach den frischen Zellen mit dunkeln Körnern entsprechend und Über- gänge zu Schleimzellen zeigend, indem hier und da nach dem Lumen zu ein Netz von mittlerer Weite vorhanden war. Der Übergang der ba- salen Körner in die Netzfäden war deutlich zu erkennen. Normale Drüsen — d.h. solche, die Fig. 166. Parotis eines Hundes, der 11 Tage gehungert hatte. Sekretgranula in den sekretgefüllten serösen Zellen. Fig. 166 bis 166 b von frischen Prä- paraten in 0,6 Proz. C1Na-Lösung. Vergr. 800. — Nach Noll, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1902, Suppl., MaraVve Submaxsillaris nach kurzer Reizung der Chorda., a Granula von normaler Größe. b u. c kleinere Granula. Ah Zelle mit den Körnchen der Halbmonde. nach Reizung der Chorda. h Halbmond. Bei a in einer Schleim- Submaxillaris 1l/, stündiger normale Granula, Körnchen und größere Vacuolen. zelle 958 Halbmonde an überlebenden Präparaten von Drüsen in verschiedenen Stadien. nicht künstlicher Reizung unterworfen wurden — zeigten bei aufmerksamer Durchmusterung zahlreicher Schnitte ebenfalls solche Übergangszellen. In sehr lange (1!/,®) gereizten Drüsen zeigen sich die Zellen mit großen matten Granulis ausgiebig reduziert (l.c. S.178), daneben fanden sich auch noch Zellkomplexe mit kleinen Körnchen, welche aber meist nicht mehr wie Halb- monde lagen. Außerdem aber traten in einigen Zellen Vacuolen auf mit einem wohl flüssigen Inhalt, in den gleichen Zellen lagen dann auch daneben nor- male Granula und kleine Körnchen. Auch Randzellenkomplexe mit solchem Gemisch aus kleinen Körnern und Granulis waren vorhanden, innerhalb welcher sich aber die einzelnen Zellen nicht abgrenzen ließen; andere wieder enthielten reichlich protoplasmatische Substanz. Die Verkleinerung der Alveolen und ihre unregelmäßigeKonturierung gegenüber denen ruhen- der Drüsen, welche schon Heidenhain beschrieb und Kühne und Lea am Pankreas des lebenden Tieres beobachteten (s. unten), waren auch hier deutlich zu sehen. Die entsprechen- den Altmann-Präparate zeigen ein Überwiegen der mit Fuchsin färbbaren Zellen — was ja auch Alt- mann an der Pilocarpinsubmaxillaris sah — ; sie ent- Altmann (Taf. 23 der Elementarorganismen). Sie halten rot gefärbte Körnchen und Fäden — wie bei s 002 ö 2 150238 3 000: können als Halbmonde (ohne Netzandeutung) er 92230032 92% 5 scheinen, aber daneben kommen solche Zellen vor ERSTERNL SE RE TE DE “ die ein ziemlich dickes, mit größeren Vacuolen ver- sehenes Zellnetz und an der Basis eine zusammen- hängende Protoplasmamasse tragen, welche spärliche und kleine fuchsinophile Körnchen enthält. Sie stellen Submaxillaris vom Hund, 11 tägiger Hunger. h Halbmonde, welche mit kleinen Granulis erfüllt sind. Außerdem sekretgefüllte Schleimzellen. (Frisch. Prä- parat in 0,6 Proz. ClNa- Lösung. Vergr. 800.) — Nach Noll, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1902, Suppl., Taf. V. also Übergänge zu Schleimzellen dar (vgl. oben meine Befunde an der Retrolingualis), d.h. an der Basis hat die Zelle den Charakter der Halbmondzellen, mit deutlichem Kern, nach dem Lumen ein vacuoli- siertes Schleimnetz (natürlich „Netz“ als Fixations- produkt). Die Hohlräume der Altmann- Präparate entsprachen, wie Noll (l.c. S.180) hervorhebt, den frisch gesehenen Vacuolen. Es ist also an Drüsen, die zu lebhafter Sekretion gebracht worden waren, das granuläre Sekretmaterial der Schleimzellen reduziert, das Protoplasma anscheinend verdichtet; dazu tritt bei protra- hierter Reizung die ausgiebige Vacuolisierung. Es kann im Laufe der Sekretion die Schleimzelle zur Halbmondzelle werden und umgekehrt; die körnige Be- schaffenheit kennzeichnet sie alsdann. Noll (l.c. S.101) schließt sich be- treffend der Frage, ob Halbmondzellen auch unverändert bleiben, ob sich also in Präparaten gereizter Drüsen dieselben Halbmonde wie vor der Reizung wiederfinden können, der Ansicht v. Ebners an, daß nämlich eine Bejahung dieser Frage, zu welcher Ranvier sowohl als Mislawsky und Smirnow gelangten, ebensowenig wie eine Verneinung der Frage mit Sicherheit gegeben werden kann. Ich selbst glaube, der Entscheidung wird immer der schon mehr- fach erwähnte Umstand, daß nämlich selbst bei intensiver Reizung nicht alle Drüsenläppchen gleichzeitig in Funktion treten, hinderlich sein. Vielleicht aber wird die mit den von mir angegebenen Methoden hervortretende Farbnuan- Halbmonde an überlebenden Präparaten von Drüsen in verschiedenen Stadien.’ 959 ‚cierung der Untersuchung dieser Frage sich förderlich erweisen. Für die Ent- scheidung dieser Frage bedeutsam ist die andere: Können Drüsen durch lange Ruhe überhaupt halbmondfrei werden? Seidenmann !) bejahte diese Frage für die GI. submax., aber Noll, dem zwei Hunde mit 11 bzw. 12 tägiger Karenz ‚zur Verfügung standen, konnte an der Unterkieferdrüse dieser Tiere Seiden- manns Angabe nicht bestätigen; es fanden sich immer noch Halbmonde, aber sie waren bei dem einen dieser Tiere, bei welchem „besondere Sorge dafür getragen wurde, daß während des Fastens jeglicher Reiz fern blieb, der bei ‚dem Tiere zu reflektorischer Speichelsekretion Veranlassung geben konnte“ (l.c. 8.181), von einer höchst bemerkenswerten Beschaffenheit. Die Halb- monde waren viel voluminöser als gewöhnlich, und sie enthielten nicht überall ‚die charakteristischen dunkeln Körnchen, sondern meist kleine Granula von einer Beschaffenheit, die derjenigen der großen sehr ähnlich war. Der Vergleich der beistehenden Zeichnung (Fig. 167) der frischen Drüse mit der in Fig. 166 a, 5.957 gegebenen Abbildung (Noll, Fig.1, Taf. V und der Fig. 2, Taf. V) läßt die Hungerdrüse ganz wie eine kurz gereizte Drüse erscheinen. Noll (l. c. S. 182) bemerkt weiterhin, daß die Schleimzellengranula wohl noch etwas größer als sonst waren; auch „machten ‚die Alveolen den Eindruck, als seien sie durch reich- Fig. 168. a) $ 6 ar Submaxillaris eines neu- liche Anfüllung mit sekrethaltigen Zellen maximal ausgedehnt“. Dementsprechend fanden sich in Alt- mann-Präparaten reichlichere fuchsinophile Körner nur an der Basis, die Granula der Halbmonde nicht konserviert, sondern ein Netz wie sonst in den Schleimzellen bei dieser Behandlung; fuchsinophile Körner lagen innen an der Basis und in die Netz- geborenen Hündchens. Eine in der Sekretbildung begriffene Schleimzelle, zu etwa 2/, mit Granulis gefüllt, an der Basis homogenes Pro- toplasma, in welchem Körn- chen sich befinden. Kern mit Kernkörperchen. (Frisch. Präparat in 0,6 Proz. C1Na- Lösung. Vergr. 800.) — Nach Noll, Arch. f. (Anat. u.) : 5 x 3 2 Physiol. 1902, Suppl., Taf. V. fäden eingestreut. Und weiterhin gab Thioninfärbung von Sublimatpräparaten an weitaus den meisten Halbmonden die rote meta- ‚chromatische Färbung der Schleimzellen, die anderen erschienen in einer blaurötlichen Übergangsfarbe. Zur Erklärung des Umstandes, daß trotz langer Ruhe nicht alle Zellen die gleichmäßige Ausbildung bis zur reifen Schleimzelle erfahren hatten, daß also Halbmonde in Übergangsstufen noch vorhanden waren, spricht Noll die nicht unwahrscheinliche Vermutung aus, „daß die prall gefüllten Alveolen eine weitere Ausdehnung der Zellen nicht zuließen, daß es also der entwickelten Drüse nie möglich wurde, lauter sekretvolle Schleimzellen nebeneinander zu besitzen“. Sehr interessante Beobachtungen hat Noll (l. c. S. 183 ff.) an den Sub- maxillarisdrüsen neugeborener Hündchen gemacht. Chievitz?), welcher bei seinen Untersuchungen über die erste Anlage und Entwickelung der Speichel- drüsen auch die histologischen Verhältnisse berücksichtigt hatte, gab an, daß beim 16 wöchigen menschlichen Embryo sich schon Mueinzellen finden sollen; Falcone?) jedoch, der Föten von Mensch, Hund und Ratte unter- ‚suchte, bemerkt, daß die hellen Zellen, deren Auftreten Ghievitz beobachtet !) Internat. Monatsschr. f. Anat. und Physiol. 10 (1893). — °) Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1885. — °) Monitore zool. ital. 9 (1898), mir nur aus den Referaten in den Arch. ital. Biol. 30 (1898) und von Oppel (l.c. 3, 579) bekannt. 960 Entwiekelung der Halbmonde. hatte, nicht schleimhaltig sind. Die Anfänge der funktionellen Tätigkeit zeigen sich auch hier durch Auftreten von Körnern (Granulis) an; diese Körnchen erreichen jedoch vor der Geburt nicht die volle Größe wie in den Drüsenzellen erwachsener Individuen, immerhin können sie nach Falcone schon von der Zelle ausgestoßen werden, also der Sekretion dienen. Noll, welcher junge Hündchen 5 Stunden nach dem Wurfe tötete, fand die Lumina auffallend weit); zahlreiche Zellen enthielten nur an der Spitze (Oberflächenteil) .Granula von geringerer Größe als an den reifen Drüsen, an der Basis homo- genes Protoplasma mit eingestreuten Körnchen von der gleichen Beschaffenheit wie die Körnchen der Halbmonde. Aber handzellenkomplexe (Halbmonde), welche durchaus von solchen Körnchen erfüllt gewesen wären, sah Noll an frisch untersuchten Drüsen nicht. In Präparaten fixierter Drüsen kamen durch Schrägschnitte Halbmondbilder zutage, welche aber als Pflügersche oder scheinbare Halbmonde anzusprechen sind. Altmann- Präparate gaben nur im innern Zellabschnitte Netzstrukturen, verschieden weite Maschen zeigend, die aber meist nicht die Weite derjenigen vollreifer Drüsen erreichten; im basalen Protoplasma lagen fuchsinophile Körner und Fädchen. Übereinstimmend mit meinen Befunden am Kätzchen traf auch Noll an einem zweiten Hündchen des gleichen Wurfes, das gleichzeitig mit dem ersten von der Mutter genommen, aber erst nach dreitägigem Hungern getötet wurde, die Menge des Sekretmateriales gewachsen auf Kosten der protoplasmatischen Bestandteile der Zellen; viele derselben waren aber auch hier noch in Reifung begriffen. Aber auch in den Zellen, welche schon ganz mit Schleimgranulis gefüllt waren — Noll traf sie ebenso wie ich in nicht geringer Anzahl an —, waren diese Granula kleiner als die der Drüsenzellen erwachsener Tiere. Das Hündchen, das am 12. Tage nach dem Wurfe getötet wurde, zeigte schon größere Granula und mehr sekretgefüllte Zellen, auch schon Andeutungen von Randzellenkomplexen (Halbmonden) mit großem Körnchenreichtum. Noch besser traten dieselben aber an einem Tiere hervor, welches Anfang der fünften Woche nach dem Wurfe getötet wurde. Die Halbmonde nahmen hier aber noch einen breiteren Raum in den Alveolen ein als bei Drüsen erwachsener Tiere. Es würde nach Noll aus dem Gesagten hervorgehen, daß, je mehr sekretgefüllte Zellen sich im Laufe der Entwickelung heranbilden, um so mehr sekretleere Zellen als „Halbmonde“ von der breiteren Berührung mit dem Lumen abgedrängt werden. Ich möchte hierzu noch bemerken, daß man bei der Untersuchung von Drüsen sehr junger Tiere sehr wohl darauf achten muß, ob sekretorische Tätigkeit (d. h. Saugen an der Mutter) schon stattfand oder nicht. Die oben geschilderten Befunde an Kätzchen — die Sub- maxillaris betreffend — zeigen, daß bei jungen Tieren durch Tätigkeit der Zellen sehr viel leichter Stadien erreicht werden, wo nur der innere Zellteil noch Granula enthält; daß dies nicht an der noch unvollendeten Reifung liegt, zeigen die Drüsen neugeborener Kätzchen, die noch nicht gesogen hatten. Insofern aber stimmen meine Befunde mit den von Noll mit- geteilten überein, als bei meinem achttägigen Kätzchen, das vorher stark an ') Ob die Tierchen schon an der Mutter gesogen hatten, ist nicht angegeben ; dies ist aber zu vermuten, da Noll gefällte Schleimmassen im Lumen der Alveolen fixierter Drüsen fand. S TEE HÄTTEN TEE u a: Bee E13 A N } r u r s 4 . BI Y f a { u b {) N Y 2 ; -: > y ' v { j 2 2 ir © el . Es en £ % u f \ 2 Kal “ ’ d . ' j } j { f 5 N r 1 5 f r ö \ Pak! x i A he [4 h . ey a y { ' z s ‘ ie” E Li r Ps a ee Er he e. ii Tat „iz 7 5 „ De ‚ fi s E . “ ’ Ge a Eh I m, SE Re BETT: re De A u at P3 y Di. 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