v: •A\ > t-^rVS -^Zty--^ l^^>..^ > .^i^ -^ ^ ;v^v:w-,^ <^ W^-'r^ .V i^ ■M 'J^^^^ v% ^ :i-t> iL'O.f ^^ / . /• -m. "^ / A^ ,^ <^ y^^ i V ' ^"^^-^ V^i^' -^tj b^ ^y tr ^ '^t^ ¥' ■: J^y'*^ HANDBUCH DER PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IN VIER BÄNDEN BEARBEITET VON CHE. BOHR-KoPENHAGEN, R. DU BOIS-REYMOND-Berlin, H. BORUTTAU-GöTTiNGEN, 0. COHNHEIM-Heidelberg, M. CREMER- MüNCHEN, 0. FRANK- GIESSEN, M. VON FREY- Würzburg, A. GÜRBER- WüRZBURG, F. B. HOFMANN -Innsbruck, J. von K R I E S - Freiburg i. br., 0. LANGENDORFF-RosTOCK, R. METZNER-Basel, W. NAGEL-Berlin, E. OVERTON-Würzburg, I. PAWLOW-St. Petersburg, K. L. SCHAEFER- Berlin, fr. SCHENCK-Marburg, P. SCHULTZ-Berlin, H. SELLHEIM- Freiburgi.br., T. THUNBERG-Upsala, R. TIGER STEDT-Helsingfors, A. TSGHERMAK-Halle, E. WEINLAND-München, 0. WEISS -Königsberg, 0. ZOTH-Graz heb aus gegeben von W. NAGEL in BERLIN MIT ZAHLREICHEN EINGEDRÜCKTEN ABBILDUNGEN ZWEITER BAND PHYSIOLOGIE DER DRÜSEN, PHYSIOLOGIE DER INNEREN SEKRETION, DER HARN-, GESCHLECHTS- UND VERDAUUNGSORGANE BRAUNSCHWEIG DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN 1906 HANDBUCH DER PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN HERAUSGEGEBEN VON W. NAGEL IN BERLIN ZWKITE-R-BAND // r ^7\ PHYSIOLOGIE DER DRUSEN, PHYSIOLOGIE DER INNEREN SEKRETION, DER HARN-, GESCHLECHTS- UND TERDAUUNGSORGANE BEARBEITET VON H. BORU TT AU- Göttingen, 0. CO HN HEIM-Heidelberg, R. METZNER-Basel, W. N AGEL-Berlin, E. 0 VERTON-Würzburg, I. P A W L 0 W - St. Petersburg , H. SELLHEIM- Freiburg i. breisgau, E. WEINLAND-MüNCHEN, 0. WEISS-Königsberg ERSTE HÄLFTE MIT 118 EINGEDRUCKTEN ABBILDUNGEN UND 1 TAFEL BRAÜNSCHWEIG DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN 1906 Alle Rechte, namentlich dasjenige der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Published March 10, 1906. Privilege of Coiayright in the United States reserved under the Act approved March 3, 1905 by Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig, Germany. li^H ALTS VERZEICHNIS. Innere Sekretion. Von Heinrich Boruttau. Seite I. Allgemeines und Historisches 1 IL Die Schilddrüse 3 1. Anatomisch-histologische Grundlagen ihrer Funktion. Theorien derselben 3 2. Die Schilddrüsenexstirpation und ihre Folgen, sowie die Wiederein- pflanzung des Organs 6 3. Injektionen von Schilddrüsensaft und Schilddrüsenfütterung ; wirksamer Stoff der Schilddrüse und Chemismus ihrer Funktion 11 III. Hirnanhang 15 IV. Die Nebennieren 18 1. Anatomisches. Historisches. Vermuteter Zusammenhang der Neben- nieren mit Pigmentanomalien 18 2. Nebennierenexstirpations- und Wiedereinpflanzungsversuche 19 3. Die Wirkungen des Nebenniereuextrakts ; sein wii'ksamer Bestandteil ; Chemismus der Nebennierenfunktion ; Beziehungen der Nebennieren zum Nervensystem 24 V. Thymus, Milz und Pankreas, sowie Nieren hinsichtlich innerer Sekretion 36 VI. Keimdrüsen 38 1. Allgemeines 38 2. Störungen der weiblichen Geschlechtsfunktionen durch Kastration ... 39 a) Transplantationsversuche. Bolle des Corpus luteum 39 b) Bedeutung einer etwaigen inneren Sekretion der Hoden für die männ- liche Geschlechtstätigkeit 4-1 3. Innere Sekretion der Keimdrüsen und sekundäre Geschlechtscharaktere . 42 a) Beim Weibe 42 b) Beim Manne 42 4. Allgemeine und Stoffwechselwirkungen der inneren Sekrete der Keimdrüsen 43 a) Weibliche 43 b) Männliche 44 Physiologie der männlichen Geschlechtsorgane. Von W. Nagel. I. Die männlichen Geschlechtsdrüsen und ihr Sekret 46 1. Die Bildung der Samenfäden 46 2. Der ejakulierte Same 48 ^S'i^'^ VI Inhaltsverzeichnis. Seite a) Die Menge des entleerten Samens 48 b) Die Beschaffenheit des entleerten Samens 48 c) Die chemische Zusammensetzung des Samens 48 3. Die Samenfäden 50 a) Bau der Samenfäden 50 b) Menge der Samenfäden 51 c) Der Bewegungsmechanismus der Samenfäden 51 d) Die Widerstandsfähigkeit der Samenfäden gegen physikalische und chemische Einwirkungen 54 e) Das Verhalten der Samenfäden bei dem Befruchtungsakt 55 II. Die accessorischen Drüsen des männlichen Genitalapparates und ihre Sekrete 57 1. Die Funktionen der Samenblasen 57 '2. Die Funktionen der Prostata 61 3. Die Cowp ersehen Drüsen (Glamhilae lidho-iirefhrales) 65 III. Die Erektion 66 IV. Die Herausbeförderung des Samens 71 1. Der Transport des Samens vom Hoden bis zum Samenleiter 71 2. Die Fortbewegung des Samens im Samenleiter 73 3. Die Ejakulation 76 V. Einfluß des Nervensystems auf Erektion und Ejakulation ... 78 1. Erektion und Ejakulation als Reflexe 78 2. Die Eeflexzentren der Erektion und Ejakulation 80 3. Einfluß der höheren Teile des Zentralnervensj'stems 80 4. Die Nerven des männlichen Gliedes 82 Anhang. Die Wirkung der Geschlechtstätigkeit auf den Gesamt- organismus 84 Physiologie der weiblichen Geschlechtsorgane. Von Hugo Sellheini. Vorwort 86 I. Die periodischen Vorgänge während der Geschlechtsreife ... 87 1. Die Vorgänge im Eierstock 87 a) Eeifung, Austritt der Eier, Eückbildungsvorgänge am geplatzten Follikel (Ovulation) 87 b) Die physiologische Obliteration oder Atresie der Follikel 95 2. Die periodischen Veränderungen an den übrigen Genitalien 95 a) Vei'änderungen am Uterus, die menstruelle Blutung 95 b) Veränderungen an äußeren Genitalien, Scheide, Tuben und Brust- drüsen 99 3. Die Veränderungen am Gesamtorganismus 99 4. Der Zusammenhang zwischen Ovulation, Menstruation und Wellen- bewegung aller Lebenspi-ozesse 100 II. Die Schwangerschaft 105 1. Das Zustandekommen der Schwangerschaft 105 2. Veränderungen an den Genitalien und in ihrer Umgebung 110 a) Veränderungen am Uterus im allgemeinen 110 Inhaltsverzeichnis. VII Seite b) Veränderungen in der Uterusschleimhaut. Bildung der Placenta und der Eihüllen. Fruchtwasser 111 c) Veränderungen an den übrigen Genitalien und in ihrer Umgebung . 121 3. Veränderungen in dem übrigen Organismus 122 4. Physiologisches Verhalten der Frucht 126 III. Die Geburt 131 1. Die bei der Geburt in Betracht kommenden mechanischen Faktoren . 132 a) Die treibenden Kräfte 132 b) Der Gebiu'tsweg 135 c) Das Geburtsobjekt 137 2. Verlauf der Geburt 138 a) Die Eröffnungsperiode 138 b) Die Austreibungsperiode 142 c) Nachgeburtsperiode 146 3. Einfluß der Geburt auf den Organismus der Mutter 149 4. Die Geburtsmechanik 149 IV. Das Wochenbett 166 1. Allgemeines 166 2. Die Wiederherstellung der Genitalien 167 3. Die Eückkehr der übrigen Organsysteme zum Gleichgewichtszustand . 175 V. Die Laktation 179 1. Allgemeines 179 2. Colostrum 180 3. Die Milch 181 a) Die Eiweißkörper der Milch 184 b) Das Mücbfett 185 c) Die Kohlehydrate der Milch 185 d) Die Extraktivstoffe 185 e) Die Mineralbestandteile 185 4. Die Quantität der Frauenmilch 185 5. Die Milchabsonderung 187 6. Einflüsse auf die Milchsekretion 192 7. Bedeutung der Laktation 195 VI. Die Wechseljahre und die senile Involution 197 1. Allgemeines 197 2. Die funktionellen Veränderungen 198 a) Die funktionellen Veränderungen in der Genitalsphäre 198 b) Die funktionellen Veränderungen im übrigen Organismus 199 3. Die anatomischen Veränderungen der Sexualorgane im Klimakterium und Greisenalter 201 Die Absouderiing und Herausbeförderung des Harnes. Von R. Metzner. Die Niere 207 Erster Teil: Die Anatomie und Histiologie der Niere (einschließ- lich der histio-physiologischen Versuche) 207 I. Gewundene Harnkanälchen (Tubuli contorti, Eindenk anälchen) . 207 II. Die Markkanälchen 222 VIII Inhaltsverzeichnis. Seite ITT. Grefäßapparat und Nerven der Niere 223 a) Blut- und Lymphgefäße (Stroma) 223 b) Nerven der Niere 228 Zweiter Teil: Die Nierenabsonderung 232 A. Der sog. „wasserabsondernde" Teil (Malpighische Körper) .... 234 I. Grlomerulusfiltrat und osmotischer Druck 234 IT. Einfluß des Blutdruckes auf die Harnabsonderung 237 III. Die Größe der Nierendurchblutung (Onkometrie) 239 IV. Die Beziehungen zwischen Harubeschaffenheit , Nierendurch- blutung und Harnmenge 242 1. Änderung des Harns mit steigender Absonderungsgeschwindig- keit 243 2. Einfluß der Nierendurchblutung 244 a) Gesteigerte Nierendurchblutung ohne Volumenäuderungen (Wirkung der Diuretica auf die Nierengefäße) 249 «) Das Coffein 250 ß) Die Salze 252 y) Harnstoffwirkung 252 b) Einfluß der Plethora auf die Diurese 'i53 3. Mengenverhältnis der ausgeschiedenen Harnbestandteile (inkl. Abscheidung injizierter körperfremdej- Substanzen [Farb- stoffe usw.]) 257 B. Die Resorption in den Markkanälchen 262 I. Wasserresorption 262 II. Resorption gelöster Substanzen 264 ni. Wirkung von Diureticis auf die Resorptionsfähigkeit der Nieren- epithelien 273 C. Abscheidung von Harnbestandteiien durch die Epithelien der Kanäle 274 1. Harnsäure und Harnstoff 274 2. Phosphorsäure 275 3. Ausscheidung des Traubenzuckers in der Niere 277 cD. Wix'kung von Drüsengiften und von Narcoticis auf die Nieren- absonderung 278 E. Einfluß des Nervensystems auf die Harnabsonderung 280 1. Sekretorische und vasomotorische Nerven 280 2. Refle.xe auf Nierengefäße 282 3. Einfluß des Gehirns 282 a) Großhirn 282 b) Nachhirn 283 F. Die künstliche Nierendurchblutung, der Gaswechsel und die Arbeit der Niere 284 I. Die künstliche Mierendurchblutung 284 IL Der Gaswechsel der Niere 286 TU. Berechnung der Nierenarbeit 288 G. Zusammenfassung 291 Herausbeförderung des Harns 293 A. Ureter 293 1. Die Ureterwellen 293 2. Einfluß des Harnstromes 295 3. Natur der Peristaltik 295 4. Nerveneinflüsse 297 5. Rückstau und Antiperistaltik 298 6. Kystoskopische Beobachtung der Ureterwellen 300 Inhaltsverzeichnis. IX Seite B. Harnblase 300 1. Blasentonus und Blasenkontraktionen 300 2. Mechanismus der Blasenentleerung 305 3. Innervation der Blase 310 a) Verlauf und Urspi'ung der Blasennerven 310 b) Mikroskopische Anatomie 316 4. Methodik der Eeizungen 317 5. Effekte der Nervenreizung 317 6. Sphinkter- Tonus und gekreuzte Innervation der Blase .... 321 7. Abhängigkeit der Blasenfunktion vom Zentralnervensystem . 326 8. Der Miktionsakt und seine Regulierung durch die nervösen Apparate 329 9. Gefäße, Epithel, Lymphgefäße, Eesorption 334 Der Harn. Von Otto Wei ß. A. Allgemeines 336 I. Physikalische Eigenschaften 336 II. Chemische Eigenschaften 338 Bestimmung des Säuregrades des Harnes 338 B. Zusammensetzung des Harnes 339 I. Die anorganischen Bestandteile 340 1. Säuren 340 1. Chlorwasserstoff 340 2. Fluorwasserstoff 340 3. Schwefelsäure 340 4. Thioschwefelsäure 341 5. Phosphorsäui'e 341 6. Kohlensäure 343 7. Salpetersäure .); ihnen trat Brown-Sequard") entgegen auf Grund der nunmehr sichergestellten Beobachtung, daß ein- seitige bzw. unvollständige Entfernung das Überleben der Ver- suchstiere veranlassen kann. Gegen die Lebenswichtigkeit der Neben- ') Abhandlungen aus der menschl. usw. Anat. u. Physiol., Halle 1806. — ^) Job. Müllers Arcb. f. Anat. u. Physiol. 1836. — ^) Skand. Arch. f. Physiol. 9, 73, 1899. — ") Compt. rend. soc. de biol. 43, 422, 542, 1856; Arch. generales de med. 1856, p. 385, 572. — ^) Compt. rend. soc. de biol. 43, 468, 1856. — *) Ebenda, S. 904. — ") Ebenda 44, 246; 45, 1036, 1857; Journ. de la physiol. 1, 160, 1858. 20 ■ Nebennierenexstii'pation. nieren wandten sich übrigens damals noch Berutti und Perosino, Harley^), Martin- Magron 2) und vor allem Schifft) (1868). Gratiolet und Harley operierten an Ratten, welche auch nach den neueren Erfahrungen von Bein et und anderen die „Epinephrektomie" am besten vertragen; Martin-Magron sah eine Katze zehn Tage, eine andere sieben Wochen die doppelseitige Exstir- pation überleben. Nach langer Pause nahm Nothnagel 1880 in seinen schon erwähnten Versuchen den Gegenstand wieder auf, desgleichen mehrere italienische Autoren, unter ihnen vorzugsweise Tizzoni'*), welcher wieder, ähnlich wie Brown - Sequard in seinen allerersten Mitteilungen, auch die Entfernung nur einer Nebenniere für tödlich erklärte, vorausgesetzt, daß man lange genug warte, bis die oft spät eintretenden Folgen sich bemerkbar machten; diese Vor- stellung wurde von Stilling'') abfällig und eingehend kritisiert, ferner be- stritten, daß die von Tizzoni beobachteten Degenerationen im Zentralnerven- system als Folge der Nebennierenexstirpation auftreten; indessen wurden sie von Alezais und ArnandtJ), welche übrigens die Lebenswichtigkeit des Organes leugneten, ßoinet, de Dominicis'^) u. a. bestätigt. Am besten von den Säugetieren scheinen in der Tat die kleinen Nager die Operation zu vertragen — Ratten und Meerschweinchen — , schlechter schon die Kaninchen, am schlechtesten der Hund, wie ins- besondere aus den Versuchen von Langlois^^) hervorgeht; dieser Forscher sah Hunde die doppelseitige Exstirpation nicht länger überleben als 36 Stunden, wofern nicht mindestens Yii ^i^ Ve c^ci" einen Drüse übriggelassen war, während Thiroloix^) ganz ähnliche Zeiten angibt, Szymonowiczi") die Hunde nur 15 Stunden im Durchschnitt die Operation überleben sah, Strehl und 0. Weißi^), welche eine große Zahl der verschiedenartigsten Tiere operiert haben, zwischen 22 und 75 Stunden, PaP^) endlich meist 7 bis 8 Tage, doch blieb ein von ihm operierter Hund 4 Monate und 8 Tage am Leben: Biedl !■''), welcher dieses Tier obduziert hat, meint neuerdings wohl mit Recht, daß es sich hier zwar nicht um accessorische Nebennieren, wie sie bisweilen in der Bauchhöhle vorkommen, hier aber nicht gefunden wurden, gehandelt habe, wohl aber um solche an den Hoden (Zwischenzellen von Leydig, Hofmeister u. a.) oder Ovarien (Kornzellen von His und Plato): die besondere Widerstandsfähigkeit der Ratten gegen die Epinephrektomie soll sogar von dem geradezu regelmäßigen Vorkommen dieser letzteren her- rühren. Wie schon Supino^^), so fanden Hultgren und Anders sou i''), daß die Überlebensdauer, speziell bei der Katze, nicht unerheblich verlängert wird, *) Transact. pathol. soc. London 9, 401; Brit. medical Eev. 1858, No. 41 u. 42. — ^) These d'agregation, Paris 1863. — ^) L'imparziale 1863, p. 234; Union medicale 1863, p. 347, — •*) A. a. 0. — ^) Eevue de m^decine 1890. — ^) Marseille medical 1894, p. 11, 94, 131, 195. — ^ Arch. de physiol. 1894, p. 810; Wien. med. Wochenschr. 1897, 8.18, — ") Compt. rend. soc. de biol. 1892, p. 388 (mit Abelous); ebenda 1893, p. 444; Arch. de physiol. 1894, p. 410; Travaux du labor. de Riebet 4 (1897). — ^) Soci^te anatomique 1892, p. 207 u. 1893. — i") Pflügers Arch. 64, 19. — ") Ebenda 86, 107, 1901. — '■-=) Wien. klin. Wochenschr. 1894, S. 48; Semaine medicale 1894, p. 508 (mit Berdach). — '^) „Innere Sekretion", in Wien. Klinik 1903. — 1*) Arch. ital. de biol. 18, 327, 1892, und Riforma niedica 1892, p. 685. — 1') A. a. 0. Polgen der Nebennierenexstirpation. 21 wenn man zwischen der Exstirpation der einen und der anderen Nebenniere einige Zeit verfließen läßt bzw. dieselbe in getrennten Sitzungen ausführt; ja Kaninchen können in diesem Falle monatelang gesund am Leben bleiben. Auch Kastration soll die Überlebensdauer bei Katzen etwas verlängern (nach dem oben Erwähnten würde man das Gegenteil vermuten !). Was nun die Erscheinungen betrifft, unter welchen die Folgen der Nebennierenexstirpation sich zeigen, so können sie bei Vermeidung von Nebenverletzungen, Shock und Infektion unmittelbar nach der Operation recht geringfügig sein , insbesondere beim Meerschweinchen. Ob weiterhin der thyreopriven Tetanie analoge Ki-ämpfe regelmäßig vorkommen, erscheint zweifelhaft; sicherer ist die allgemeine Prostration, sowohl psychischer Natur, als speziell in Gestalt wirklicher Muskelschwäche; letztere ist nicht nur beim Kaltblüter, wovon unten ausführlicher zu sprechen sein wird, sondern auch beim Warmblüter (Langlois, Strehl und Weiß) konstatiert. Erhöhte Giftigkeit des Harns ist, abweichend von der Schilddrüsen- exstirpation , hier nicht gefunden worden, wohl aber gelegentlich Polyurie, auch wohl vermehrte Phosphatausscheidung, wogegen, speziell beim Menschen in Addisonscher Krankheit Verminderung der Harnstoffausscheidung und Vermehrung des Indicans sichergestellt ist. Eine von Szymonowicz be- hauptete Steigerung der Blutkörperchenzahl nach Nebennierenexstirpation konnten Hultgrßn und Andersson nicht bestätigen, auch die Beobachtun- gen hierüber an Addison-Kranken sind sehr schwankend. Bei zu Tode führender vollständiger Exstix'pation ist Appetitlosigkeit und kontinuierlich abnehmendes Körpergewicht die Regel; in der letzten Zeit (24 bis 48 Stunden) vor dem Tode tritt ein charakteristischer starker Abfall der Körpertemperatur ein (Langlois, Strehl iind Weiß, Hult- gren und Andersson); subcutane Injektionen von Nebennierenextrakt ver- mögen dann vorübergehend die Temperatur zu steigern und das Allgemein- befinden zu bessern, welches letztere auch Brown-Sequard 1892 i) konstatiert hat, ohne daß indessen die Lebensdauer der Tiere hierdurch wesentlich ver- längert worden wäre. Ein letztes Symptom endlich, welches erst in letzter Zeit, seitdem die hämodynamischen Wirkungen der intravenösen Nebennierenextraktinjektion entdeckt worden sind (siehe unten), Beachtung gefunden hat, ist die Er- niedrigung des arteriellen Blutdrucks. Man hat wohl darauf hinge- wiesen, daß eine solche überhaupt bei moribunden Tieren die Regel sei; indessen glaube ich hier mit allem Nachdruck darauf hinweisen zu müssen, daß Strehl und O.Weiß-) gezeigt haben, daß auch nach einseitiger Nebennierenexstir- pation der zunächst hoch bleibende Blutdruck sofort abfällt, wenn die abführende Vene der zweiten intakten Nebenniere zugeklemmt wird; sobald die Klemme gelöst wird , steigt der Blutdruck wieder zur Norm an (Fig. 1 u. 1 a a. f. 8.) ; hiermit istgeradezudie innere Sekretion des blutdrucksteigernden Prinzips bewiesen (siehe unten). Langsames Einfließenlassen von Nebennierenextrakt in das Gefäßsystem eines beiderseitig ope- rierten Tieres vermag den Blutdruck stundenlang hoch zu halten, freilich die Lebensdauer auch nicht in infinitum zu verlängern, ') Compt. rend. soc. de hiol. 1893, p. 467. — '') A. a. 0. 22 Entgiftende P'unktion. was schon für eine daneben existierende entgiftende Funktion spricht. Eine solche ist begründet worden speziell von Langlois und seinen Mit- arbeitern auf Nebennierenexstirpationsversuche am Frosch. Abelous =1^ r-=. - Oi 'x ^ 6IJ.-. ^s 3 © CO -S 3 ü CJ -, ^= rO ,^ lli ^ « • :5 0 g I Ö- und Langlois fanden 1), daß Frösche, welchen sie beide Nebennieren (Supra- renalkörper, als ..Corpora heterogenia^ schon von Swammerdam entdeckt) vollständig oder bis auf weniger als ein Viertel (Länge) der einen austrennten, ') Compt. rend. soc. de biol. 1891, p. 292, 835. Entgiftende Funktion. 23 regelmäßig starben, und zwar Winterfrösche nach 12 bis 13 Tagen, Sommer- frösche durchschnittlich nach 48 Stunden: nach den Erfahrungen von Alba- nese^) und Gourfein^) kommt es anscheinend mehr auf die Temperatur an , in welcher die Frösche gehalten werden. Vom zweiten Tage nach der Operation ab fällt dabei große Trägheit der Muskelbewegungen auf, die schließlich in Lähmung der Hinterextremitäten übergeht; der Tod tritt unter Pupillenverengung und Atemlähmung ein und wird be- schleunigt durch häufige Anreizung zu Muskelbffwegungen , welche dann um 80 schneller erlahmen. Da fei'ner diese Autoren in einem vorgerückteren Stadium die indirekte Erreg- barkeit der Muskeln (vom N. ischiadicus aus) aufgehoben fanden , während die direkte noch bestand, so verglichen sie die von ihnen ja als Autointoxikation ge- deutete Wirkung der Epinephrektomie mit derjenigen des Curares, ein Vergleich, welcher übrigens durch Gourfein und andere Autoren sehr bekämpft worden ist. Abelous undLanglois fanden weiterhin"^), daß Injektion des Blutes von einem der Nebennieren beraubten Frosche in die Blutbahn eines anderen ebenso operierten Frosches die Erschöpfungs- erscheinungen rasch verstärkt und den Tod beschleunigte; Analoges gilt nach ihnen auch für den Warmblüter (Meerschweinchen); endlich soll •nach ihren Versuchen das alkoholische Extrakt der Muskeln von epine- phrektomierten Fröschen, in die Blutbahn ebensolcher injiziert, ebenso wirken, ja sogar bei gesunden vorübergehende Kontrakturen erzeugen : viel aus- gesprochener, ja tödlich wurde die Wirkung des Muskelextrakts, wenn die zu seiner Herstellung verwendeten operierten Frösche vorher tetanisiert worden waren; ja es wirkte auch das Extrakt tetanisiert er Muskeln nicht operierter Tiere in gleicher Weise. Da inzwischen auch Albanese^) die leichtere Er- müdbarkeit der epinephrektomierten Tiere konstatiert hatte, so nahmen Abelous und Langlois ') an, daß die Nebennieren die Funktion haben, giftige Produkte der Muskeltätigkeit, welche eventuell die Er- müdungserscheinungen bewirken, unschädlich zu machen. Hieran schlössen sich noch Versuche über die Muskelermüdung bei Addison- kranken®); Langlois gab an, daß die sehr vei'kürzte ergographische Kurve bei solchen Patienten ein normaleres Aussehen gewinnt, d. h. die Hubhöhen größer werden und der Eintritt der Ermüdung verzögert wii-d , wenn man den Kranken mit Nebennierenextrakt behandelt. Ferner untei'suchten Langlois und Charrin'') das Verhalten (Hypertroi^hie, Degeneration) der Nebennieren bakteriellen Infektionen gegenüber, sowie ihre etwaige antitoxische Wirkung auf die Infektionsgifte. Eine wichtige Stütze sowohl für die Entgiftungs-, als auch für die sekre- torische Theorie wäre nach dem, was wir bezüglich der Schilddrüse erfahren haben, von gelungenen Versuchen zu erwarten, die Nebennieren wieder einzupflanzen („greffe surrcnaJe"'). Positive Ergebnisse in dieser Richtung ') Arch. italiennes de biol. 17, 239, 1892; 18, 49, 1893. — *) Revue medicale de la suisse romande 1896. Gourfein ist Schüler Schiff s, welcher in seinen letzten Lebensjahren seine Ansicht (vgl. oben) wieder zugunsten der Lebenswichtigkeit der Nebenniere änderte. — ') A. a. 0. u. Compt. rend. soc. de biol. 1892, p. 165, 623. — ") A. a. 0. — ') Arch. de physiol. 1892, p. 269, 465; 1893, p. 437, 720. — *) Ebenda 1892, p. 721; Compt. rend. soc. de biol. 1892, p. 623; Presse medicale, 19. sept. 1896; Artikel „Addison" in Richets Dict. de physiol. — ^) Cornjit. rend. soc. de biol. 1893, p. 812; 1894, p. 410; 1896, p. 131, 708. 24 Transplantation der Nebennieren. will an Fröschen Abelous^) erhalten haben, ebenso Gourfein^); dagegen gelang letzterem Autor keine erfolgreiche Wiedereinpflanzung der Neben- nieren beim Meerschweinchen, ebenso mißlang die Transplantation auch Langlois, Hultgren und Andersson, Poll^), sowie Strehl und Weiß; eine vorläufige Mitteilung über erfolgreiche Einheilung exstirpierter Neben- nieren beim Kaninchen hat 1902 Schmieden'*) gemacht, doch ist ausführ- lichere Bestätigung bisher nicht erfolgt. Somit stützen sich ui>sere weiteren Fortschritte in der Erkenntnis der Nebennierenfunktion vornehmlich auf die Versuche mit Extrakten dieser Organe. 3. Die Wirkungen des Nebennierenextrakts; sein wirksamer Bestand- teil; Chemismus der Nebennierenfunktion; Beziehungen der Neben- nieren zum Nervensystem. Schon 1879 sah Pellacani^) als Folge der subcutanen Injektion von Nebennierenextrakt bei Säugetieren Vergiftungserscheinun- gen und den Tod eintreten, glaubte aber, daß diese toxischen Wirkungen den meisten Organextrakten gemeinsam seien; von Ziino*^) und di Mattei'^) wurden sie sogar einfach als Fäulnisvergiftung oder Infektion gedeutet. Da- gegen fanden etwas später Foa und Pellacani, daß sich im alkoholischen Extrakt der Organe eine spezielle giftige Substanz befinden müsse. Guarnieri und die Gebrüder Marino-Zuco "*) suchten sie im Wasserextrakt und hielten sie mit dem hierin gefundenen Neurin für identisch; Neurininjektion sollte dasselbe Symptomenbild hervorrufen wie Nebennierenexstirpation , was in- dessen von Supino-') und allen späteren Forschern durchaus in Abrede gestellt wurde. Allerdings enthält die Nebenniere Neurin; aber weder dieses noch die von Nabarro^*^) gefundenen Eiweißkörper derselben — „Zell- globulin" und Nucleoproteide, noch auch die von Manasse^^) angegebene und für Jecorin gehaltene, von Moore^^) nicht wiedergefundene reduzierende Substanz sind das eigentlich charakteristische und wirksame Prinzip des Organs; und obwohl die älteren, gleich zu erwähnenden Er- fahrungen über den Farbstoff bzw. das Chromogen der Nebenniere auf die richtige Spur hindeuteten, so brachten doch wirkliche Klarheit erst 1894 die Versuche von Oliver und Schäferin), welche das Verhalten des Blut- drucks und der Atmung bei intravenöser Injektion von Neben- nierenextrakt untersuchten und die merkwürdige Tatsache kon- statierten, daß unmittelbar nach der Einspritzung auch sehr geringer Extraktmengen der Blutdruck außerordentlich stark ansteigt, ^) Compt. rend. soc. de bioL, 12. nov. 1892; Arch. ital. de biol. 22 (1895). — '^) A. a. 0. — ^) Zentral«, f. Physiol. 12, Nr. 10, 1898. — ■») Pflügers Arch. 90, 113, 1902. — ^) Arch. per le scienze med. 2, 1, 1879. — ^) Giornale interuaz. di scienze med. 3 (1880). — ^ Arch. per le scienze med. 6, 245, 1883. — ") Arch. ital. de biol. 10 (1888) u. Moleschotts Untersuchungen 14, 59, 617, 1892. — ") A. a. O. — '") Journ. of Physiol. 17, Proceed. physiol. soc. 1895, p. 17. — ") Zeitschr. f. physiol. Chem. 20, 478, 1895. — ^'0 Siehe Schäfers Textbook of Physiol. 1, 91. — >^) Journ. of Physiol. 16, Proc. physiol. soc. 1894, p. 1; 17, Proc. physiol. soc, p. 9; 18, 231, 1895. Nebennierenextrakte. 25 welche Wirkung bis zu einigen Minuten dauert, um dann allmäli- licli zurückzugehen, im allgemeinen ohne jede dauernde Schädi- gung des Versuchstieres. Dieses selbe Ergebnis wurde später i) angeblich unabhängig auch von Szymonowicz und Cybulski^) erhalten und weiterhin von allen Forschern bestätigt; größere, die hierhergehörigen Erfahrungen zusammenfassende Arbeiten sind insbesondere von Langlois^) und von mir^) veröffentlicht worden; indessen muß hier betont werden, daß alles Wissenswerte über die hämodynamische Wirkung des Nebennierenextraktes eigentlich schon von Oliver und Schäfer selbst in ihrer ausführlichen Veröffentlichung richtig beschrieben worden ist, so daß einige weiterhin streitig gewordene Punkte Fie. 2. Hund vuii 9' , kg, nur Murphiumnarkose (nach Oliver vind Schäfer). A Bewegunfj des Vorhofs (sclilecht aufjjezeichnet), B der Herzkammer, C Milzvolumen, D Vorderbeiu- volumen, beide onkographisch, E Blutdruck »us der art. femoralis, J^ Abszisse mit Signal der Injektion von Abkochung von (1,0037 g Kalbsnebennieren. O Zeit in Sek. nur in ihrem Sinne Bestätigung gefunden haben : Das gilt insbesondere für die direkte Herzwirkung und den wesentlich peripherischen Ursprung der Gefäßverengerung. Was nun in genauerem Eingehen auf die Einzelheiten die Wirkung der intravenösen Injektion betrifft, so ist vorab zu bemerken, daß das hierzu verwendete Extrakt aus der Nebenniere mit Wasser oder Alkohol her- gestellt sein kann und durch Kochen nichts von seiner Wirksamkeit einbüßt (bestätigt von Gluzinski, Gourfein u. a.); sie tritt in der gleich zu be- *) Die erste Veröffentlichung liegt ein volles Jahr später als diejenige von Oliver u. Schäfer; also nicht „gleichzeitig", wie in vielen Arbeiten späterer Forscher zu lesen ist! — '^) Anz. d. Krakauer Akad., 4. Febr. u. 4. März 1895; Gazeta lekarska 1895, p. 299. — ^) Les Capsules surrenales, Paris 1897. — ") Pflügers Arch. 78, 97. 26 Hämodynamische Wirkung. schreibenden Weise eben nur bei direkter Einverleibung in die Blut- bahn, nicht auch bei subcutaner Injektion auf, und zwar bei allen AYarmblütern in gleicher Weise. Wo nicht, wie bei manchen Kaninchen mit degenerierten Schilddrüsen, die Wirksamkeit des Herzvagus eine herab- gesetzte ist, muß im allgemeinen unterschieden werden, ob die Injektion bei intakten oder bei durchschnittenen oder durch Atropin ge- lähmten Vagis ausgeführt wird. Im erstgenannten Falle tritt bald nach Beginn der Drucksteigerung bedeutende Pulsverlangsamung auf, welche die Drucksteigerung zum Teil kompensiert und allmählich in dem gleichen Maße nachläßt, wie auch die durch die Extraktinjektion an und für sich erzeugte Drucksteigerung (siehe Fig. 2). Bei gelähmten Yagis nämlich kann sich, wenn nicht zu große aber doch zu maximaler Wirkung genügende Extraktmengen injiziert werden, die Drucksteigerung frei entwickeln und den doppelten bis dreifachen Wert des normalen bzw. bisher vorhanden Ficr. 3. Hund von 24 kg , Morphin , wenig Curare , künstliche Atmung , beide Vagi durchschnitten. Plextts hrachialis rechts durchschnitten, links nicht (nach Oliver uiid Schäfer). A Nierenvolum \ , ■. D Blutdruck, Carotis. B Volum des rechten, ' , „ . " ° „,\;,„i. ^ Abszisse mit Marke, Injektion des alkohol. C des linken Vorderbeins j Plethysmographisch. Extrakts von l/^ Kalbs-Nebenniere. J^ Zeit in 1/2 Sek. gewesenen Blutdruckes erreichen: ich habe Maximalwerte bis weit über 300mm Quecksilber beobachtet; 240 bis 280 (V3 Atmosphäre!) werden sehr gewöhnlich erreicht. Nach einmaliger, relativ rasch erfolgter Injektion hält sich der Druck nur kürzere Zeit auf diesem Maximalwert, um dann langsam und alimählich wieder zur Norm abzusinken (siehe Fig. 3). Hier sind die respiratorischen Blutdruckschwankungen erhalten geblieben, offenbar, da künstliche Atmung unterhalten wurde; gewöhnlich, wenn letzteres nicht der Fall ist, bleiben sie im Beginne und auf der Höhe der Extraktwirkung aus, entsprechend der gleich zu besprechenden Abflachung der natürlichen Atmung. Bei größeren Dosen und genügend langsamem Gang der Schreibfläche kann man geradezu ein senkrechtes Emporsteigen der manometrischen Schreib- spitze bzw. der Blutdruckkurve konstatieren (Fig. 3 a). Die Frage nach dem Mechanismus dieser Blutdrucksteigerung ist bereits von Oliver und Schäfer selbst ganz richtig dahin gedeutet worden, daß sie durch peripherisch erzeugte Konstriktion der Gefäße, ins- Hämodynamische Wirkung. 27 besondere der kleineren Arterien erzeugt ist, unterstützt durch verstärkte Herztätigkeit infolge direkter Nebennierenextraktwirkung auf das Herz. Was die Beweise hierfür betrifft, so ist das Erblassen der Gewebe bzw. die Verengerung der kleineren Gefäße direkt ad oculos zu konstatieren; sie betrifft natürlich vorwiegend das Splanchnicusgebiet, wie in den Kurven von Oliver und Schäfer durch onkometrische Registrierung der Volumen- schwankungen der Bauchorgane verdeutlicht ist. Siehe in Fig. 2 und 3 die enorme Abnahme des Milzvolumens; in letzterer Figur ist die Constrictiou im Splanchnicusgebiet so stark, daß Blut in die Extremi- täten hineingedrängt wird und dieselben eine Volumenzunahme (B und C) auf- weisen; m anderen Fällen sinkt auch hier das Volumen stark, und zwar gleich- gültig, ob der Nervenplexus der Extremität durchschnitten ist oder nicht, was auf die peripherische Entstehung der Constriction untrüglich hinweist. Fig. 3 a. Inj. Neb. Huiul, Nebennierenextrakt. — Va nat. Gr. (Nach Boruttau.) Daß die Vasoconstriction peripherisch bedingt ist, folgerten schon Oliver und Schäfer daraus, daß sie auch nach hoher Rückenmarksdurch- schneidung oder Zerstörung der Medulla ohlongata eintritt, welche Tatsache auch von BiedP), Velich^), Langlois^) und mir*) bestätigt worden ist; daß Szymonowicz und Cybulski die Blutdrucksteigerung nach Rückenmarksdurchschneidung ausbleiben sahen, muß auf Shok oder einen Versuchsfehler zurückgeführt werden; immerhin weisen einige Erfahrungen, so ein schnellerer primärer Druckanstieg bei Nebennierenextraktinjektion in die Carotis hirnwärts, gelegentlich auch bei intravenöser Injektion vor dem späteren länger dauernden eintretend, darauf hin, daß eine mehr neben- sächliche Erregung des bulbären Gefäßzentrums doch nicht ganz von der Hand zu weisen ist, für welche auch Cyon^) eintritt. ') Wien. klin. Wochenschr. 1896, S. 157. — '^) Wien. med. Blätter 1896, Nr. 15 bis 21. — ^) Monographie aus den Travaux du labor. de Riebet, p. 131. — ■•) A. a. O. — *) Pflügers Arch. 74, 97, 1899. 28 Herzwirkung der Nebennierenextrakte. Besonders eklatant wird die peripherische Wii'kung ferner dadurch be- wiesen, daß Durchschneidung beider Splanchnici auf der Höhe der Extraktwirkung den Blutdruck kaum merklich und nur vorübergehend herab- setzt, und daß der durch diese Operation vorher stark gesunkene Blutdruck durch Nebennierenextraktinjektion auf die Dauer ihrer Wirkung bis über die Norm gesteigert werden kann. Schwieriger ist die Beantwortung der demnächst sich einstellenden Frage, ob die an der Peripherie stattfindende vasoconstrictorische Wirkung des Nebennierenextraktes an den peripherischen Neuronen des sym- pathischen Nervensystems oder an der glatten Muskulatur der Ge- fäße angreift. In letzterem Sinne schien Oliver und Schäfer die von ihnen gemachte Erfahrung zu sprechen, daß das Nebennierenextrakt die Tätigkeit des Herzens sowie der quergestreiften Körpermuskulatur zu ver- stärken imstande ist. Die Wirkung aufs Herz sei deshalb gleich hier und auch insofern mitbesprochen, als sie bei der Entstehung der Blutdruck- steigerung mit beteiligt sein kann. Oliver und Schäfer beobachteten, daß die Kontraktionen des an einer volumetrischen Vorrichtung arbeitenden Froschherzens auf Durchspülung mit Nebennierenextrakt hin vergrößert und beschleunigt wm-den, und ich habe mit dem Jacobj sehen Apparate gefunden, daß die Arbeitsleistung dabei in der Tat nicht unbeträchtlich gesteigert ist. Nach Oliver und Schäfer können Froschherzeu, welche Gi'upijenbüdung der Systolen zeigen, durch die Extraktwirkung zu anhaltend regelmäßiger Tätigkeit gebracht Averden; im weiteren Verlaufe wird die diastolische Erschlaifung unvoll- kommen und schließlich ei-folgt systolischer Stillstand. Auch die durch Häkchen, Fäden und Schreibhebel direkt registrierten Herzsystolen der Warmblüter (bei geöffneter Brusthöhle) fanden dieselben Autoren stets vergrößert; dasselbe wurde von Gottlieb i), von mir (durch vergleichende Registrierung des intracardialen und arteriellen Drucks), sowie am isolierten Warmblüterherzen von Hedbom^) und Cleghorn'^) bestätigt; außer der Verstärkung ist übrigens bei vorher vorgenommener Vaguslähmung oft auch Beschleunigung (diese besonders deutlich bei der Schildkröte — Langlois) zu beobachten; sehr große Dosen können übrigens Pulsverlang- samung und Stillstand in Diastole machen (vgl. weiter unten). Ob die Herzwirkung des Nebennierenextraktes eine direkt musku- läre ist oder durch Vermittelung des Herzsympathicus (bzw. Vagus) bzw. der intracardialen Nervenelemente zustande kommt, wird natürlich von den Anhängern der myogenen Lehre, wie von denjenigen der neurogenen jedesmal in ihrem Sinne beantwortet. Für die muskuläre Wirkung ist die Erfahrung von Oliver und Schäfer herangezogen worden, daß sowohl beim Warmblüter als beim Kaltblüter die intravenöse Nebennierenextraktinjektion auf längere Zeit hinaus bei gleich- bleibender ReizstärTie die Hubhöhe des quergestreiften Muskels ver- größert und ihre Dauer verlängert, ähnlich kleinen Veratrindosen; ich *) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 30, 99, 1896. — ^) Skand. Arch. f. Physiol. 8, 147, 1898. — *) Amer. Journ. of Physiol. 2, 273, 1899. Wirkung auf Iris, Darm usw. 29 fand dies , und zwar auch am ausgeschnittenen curaresierten Froschmuskel bestätigt, die Verlängerung, insbesondere des Erschlaffungsstadiums, jedoch etwas an das erste Ermüdungsstadium erinnernd. Eine endgültige Beantwortung der in Rede stehenden Frage scheint an- gebahnt, jedoch vorderhand durch Verwickelungen aufgehalten angesichts der Tatsache, daß das Nebennierenextrakt weitere Wirkungen auf fast alle sympathisch innervierten Muskelapparate besitzt. Hier ist zunächst die zuerst von Lewandowsky i) gemachte, von mir, Langley2) und allen anderen Autoren bestätigte Beobachtung zu erwähnen, daß die intravenöse Nebennierenextraktinjektion starke Pupillenerweite- rung, sowie (bei geeigneten Tieren) Zurückziehung der Nickhaut und Be- tradio hulhi bewirkt: Diese Wirkung soll auch nach Degeneration des Sympathicus bestehen bleiben, ja nach allerneuster Mitteilung von Meltzer') soll in diesem Falle auch die subcutane Injektion des Extraktes mydriatisch wirksam werden, die es normal niemals ist! Ferner bewirkt die Nebennierenextraktinjektion nach Lewandowsky Aufrichtung der Haare und nach Langley starke Speichelsekretion aus der Submaxillardrüse und verstärkte Tränensekretion, auch nach Nerven- degeneration oder Atropininjektion , doch hat sie keine Wirkung auf die Schweißdrüsen. Die Darmperistaltik wird, wie ich zuerst, sowie unabhängig davon Pal'*) beobachtete und Langley sowie Bottazzi bestätigen konnten, durch Nebennierenextrakt gehemmt; auch auf die Ösophagusmuskulatur ist nach unseren Beobachtungen bei Injektion wie bei direkter Applikation auf ausgeschnittene Muskelstreifen vom Froschösophagus die Wirkung eine rein erschlaffende; Kontraktionswirkung am Magen will dagegen neuerdings Dixon-^) gesehen haben. Wenn wirklich nur das erstere zutrifft und außer- dem die unten zu besprechende Atemhemmungswirkung in Betracht gezogen wird, so läge es nahe, alle verstärkenden oder tonisierenden Wirkungen des Nebennierenextraktes als direkt muskulär, alle erschlaffenden oder hemmenden als nervös anzusehen. Bemerkenswert ist aber die Beobachtung von Spina 6), daß die Hirn- gefäße durch Nebennierenextrakt nicht verengert, vielmehr das Gehirn blutreicher wird; Brodie und Dixon'^) geben allerjüngst dasselbe für die Lungengefäße an, und indem sie in der bekanntlich streitigen Frage nach den Gefäßnerven dieser beiden Organe neue experimentelle Argu- mente für deren Nichtexistenz beizubringen suchen , meinen sie eben , daß das Nebennierenextrakt überall die gleichen Effekte hervorbringe wie die Erregung des sympathischen Nervensystems, d. h. Kontraktion, wo dessen motorische , und Erschlaffung , wo dessen hemmende Elemente im Über- gewicht sind. Indessen sei an die gelegentliche passive Volumvergrößerung der Extremi- täten in Oliver und Schäfers Kurven erinnert, welcher auch in Gehirn und Lunge eine Gefäßerweiterung trotz Vorhandenseins von Vasomotoren ent- ') Zentralbl. f. Physiol. 13, 599, 1898; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899, S. 360. — *) Journ. of Physiol. 27, 237, 1901. — *) Zentralbl. f. Physiol. 17, 651 f., 1904. — •*) Zit. nach Lewandowsky. — ') Journ. of Physiol. 28, 73, 1902. — ^) Pflügers Arch. 76, 204, 1899. — 0 Journ. of Physiol. 30, 476, 1904. 30 N. Vagus und Nebenuierenextrakt. sprechen könnte ; darum erscheint mir die Frage definitiv doch noch nicht erledigt i). Einige kurze Worte erfordern noch die bei intravenöser Injektion von Nebennierenextrakt auftretende Pulsverlangsam ung, sowie die Verände- rung der Atembewegungen. Die erstere pflegt, wie schon oben erwähnt, bei kleinen Extraktdosen nur bei intakten Vagis aufzutreten; indessen ist sie an der Katze schon von Langley^) auch bei durchschnittenen Vagis beobachtet und von Ver- worn^) am Kaninchen hier ebenso oft wie bei intakten Vagis erhalten worden (siehe Fig. 4). Beim Hunde scheint sie am seltensten aufzutreten und dann meistens erst im späteren Verlaufe hoher Drucksteigerungen nach sehr großen Dosen; hier kann sie gelegentlich zu plötzlichem tödlichen Herzstillstand führen *). Während nun die im zweiten Falle, bei intakten Vagis erhaltene Puls- verlangsamung von Oliver und Schäfer, sowie Biedl und Reiner auf eine direkte Erregung des bulbären Vaguszentrums durch das Extrakt Fig. 4. i" beide Vagi iJlf durchschnitten ! AM^'f^^m^mf^' N-E-Jnj. Kaiiiiiclien, Nebenuierenextrakt. — ^'4 nat. Gr. (Xach Verworn.) zurückgeführt wurde, glaubt Verworn umgekehrt, daß letzteres das Vagus- zentrum lähme, weil er fand, daß auf der Höhe der Blutdrucksteigerung nach Nebennierenextraktinjektion Depressorreizung unwirksam ist (wie oben S. 18 Li von bei der durch Hypophysenextraktinjektion hervorgerufenen Blut- drucksteigerung), insbesondere keine Pulsverlangsamung macht. Da anderer- seits nach seinen Erfahrungen Steigerung des Blutdrucks auf anderem Wege — Aortenkompression, Asphyxie — ebenso wie Sauerstoffmangel die Erreg- barkeit des Vaguszentrums erhöht, glaubt er, daß auch die bei intakten Vagis auftretende Pulsverlangsamung durch Nebennierenextrakt keine echte Vagus-, sondern direkte Herzwirkung sei. Hiergegen hat Kahn-') eingewendet, daß nach Gourfein*;), Szymonowicz und Cybulski ') und Langley ^) größere Dosen Nebennierenextrakt die peripherische Vagusreizung unwirksam machen (wenigstens mit bezug auf die Pulsfrequenz), und daß dies auch die Unwirk- ') Die neue große Arbeit von Elliott (Journ. of Physiol. 32, 401, 1905) konnte leider nicht mehr berücksichtigt werden; es soll dies im Supplementband erfolgen. — *) A. a. 0., S. 247. — ^) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, S. 65. — ■*) Vgl. Oliver und Schäfers Kurve, Journ. of Physiol. 18, 261. — ^) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, S. 522. — ^) Compt rend. 1895, 5 aoüt. — ') Pflügers Arch. 74, 146, 1896. — ") A. a. 0., S. 245. Wirksamer Bestandteil. 31 samkeit der Depressorreizung erkläre, ohne daß man mit Verworn eine Sonderstellung der Yaguspulse bei der iS'ebennierenextraktinjektion anzu- nehmen habe. Übrigens sah ich persönlich dieselben beim Hunde auch stets wegfallen, sobald ich Atropin einspritzte. Die Atembewegungen werden durch die Nebennierenextrakt- injektion sofort abgeflacht und ihre Frequenz vermindert, so daß eine oder mehrere längere exspiratorische Pausen eintreten (vgl. Fig. 8); dies soll nach Kahn^) nach wiederholter Injektion nicht mehr der Fall sein, sondern nur noch die Abflachung der Inspirationen auftreten, wie in Fig. 5 (aus meiner Arbeit) deutlich zu erkennen ist. Während der Dauer dieser Wirkung ist die Form der speziell durch künstliche zentrale Vagusreizung zu erhaltenden Atemreflexe modifiziert, nach meinen Erfahrungen im Sinne leichter auftretender Hemmung. Ich habe die besprochenen Erschei- nungen auf eine direkt hemmende bzw. Erregbarkeit vermindernde Wirkung des Extraktes auf das bulbäre Atemzentrum bezogen und muß trotz Kahns Zweifeln hierbei bleiben. Diese zahlreichen pharmakodynamischen Wirkungen der intravenösen Nebennierenextraktinjektion erfolgen schon nach Verwendung ganz geringer Fig. 5. Kuniuchfii, Atmung mit dem Gadscheu Volumschreiber registriert. — luspiratiouszackeu nach unten. Nebennierenextrakt. (Nach Boruttau.) Mengen (nach Oliver und Schäfer 0,55 mg Trockensubstanz pro Kilogramm Körpergewicht) von Substanz dieses Organs, welche aber, wie Oliver, Schäfer und Moore fanden und seither alle Untersucher bestätigten, dem Nebennieren mark entnommen sein muß: Extrakte der Rindensubstanz sind völlig wirkungslos. Auf die Spur des offenbar sehr starkwirkenden wirksamen Prinzips der Marksubstanz der Nebennieren mußten schon ältere Arbeiten führen: die Marksubstanz der Nebennieren wird auf dem Querschnitt, der Luft ausgesetzt, dunkel (siehe oben über die ,^atra hilis''), desgleichen Nebennierenextrakte erst rötlichgelb, später braun. Vulpian2) fand 1856, daß die Extrakte mit Eisenchlorid Grünfärbung, mit Alkalien an der Luft, sowie mit oxydierenden Reagenzien (Jod, Chlor- wasser) Rosa- bis Karminfärbung geben. Man hat dann stets die „eisen- grünende" und die farbegebende „chromogene" Substanz [Virchow^)] identifiziert, aber zunächst vergebens sich bemüht, sie rein zu isolieren [Arnold*), Holm^)]; am weitesten gelangte Krukenberg e), indem er fand, daß die Substanz durch ihre Reaktionen dem Brenzkatechin ähnele. ') A. a. 0. — ^) Compt. rend. 43, 663, 1856 und Compt. rend. soc. de biol. 1856, p. 223. — ') Virchows Arch. 12, 18, 1857. — ") Ebenda 35, 64, 1866. — =■) Journ. f. prakt. Chem. 1867, S. 150. — *) Vircliows Arch. 101, 542, 1885. 32 Wii'ksamer Bestandteil. aber Stickstoff, und zwar im Verhältnis IN auf 5C enthalte; ja Brunner ^) indentifizierte geradezu das Chromogen mit dem Brenzkatechin. Als Oliver und Schäfer die hämodynamische Wirkung der Nebennierenextrakte entdeckt hatten, untersuchte Moore ^j ihr chemisches Verhalten und fand, daß das Neuriu jedenfalls nicht die wirksame Substanz sei, da es schwache Blutdruckerniedri- Fig. 6. iuj. Pii Hund, Piperidiniiijektion. — l/^ nat. Gr. (Boriittau. gung macht. MühlmannS) sprach ohne weiteres dieselbe als Brenzkatechin an, eventuell in lockerer Verbindung. Die Unrichtigkeit dieser Annahme und die gänzlich verschiedene pharmakologische Wirkung des Brenzkatechins und Nebennierenextraktes wurden alsbald durch Moore^), Fränkel''), Lang- Ficr. 7. Inj. IM] Hund, l'iiieridiniiijoktiou j, nat. Gr. I lliir u 1 1 ;ui.) lois'"') und mich'') erwiesen. Fränkel erhielt aus Nebennierenextrakten ein sirupöses Präparat von sehr starker physiologischer Wii'ksamkeit, welches er ') Schweiz. 'Wochensclir. f. Chem. u. Pharm. 1892. — '■') Journ. of Physiol. 17: Proc. physiol. See. 1895. — '*) Deutsche med. Wochenschr., 25. Juni 1896. — ") Journ. of Physiol. 21, 382, 1897. — ^) Wien. med. Blätter 1896, Nr. 14, 15, 16. — *) A. a. O. — ") A. a. O. .Adrenalin". 33 „Sphygmogenin" nannte, und welclies Stickstoff in fester Form gebunden ent- halten und ein Benzoylierungsprodukt liefern sollte. Den Körper rein, wo- möglich kristallisiert zu erhalten, bemühten sich in der F^olge vor allem Gürberi) (angeblich mit Erfolg), v. Fürth^), welcher unter Anwendung der Reduktion mit Zinkstaub in saurer Lösung (nach Hofmeister) und Fällung mit Äther eine Substanz erhielt, welche noch zu 0,000 025 g starke physiolo- gische Wirkung entfaltete, eine haltbare Eisenverbindung gab und von ihm als Suprarenin bezeichnet wurde, endlich AbelundCrawford^), welche ein Ben- zoylierungsprodukt erhielten, ferner, wie ich schon lange vorher, beim Schmelzen mit Alkali Pyridingeruch wahrnahmen und bei Destillation mit Zinkstaub im Wasserstoffstrom Pyrrhol erhielten, weshalb sie ihr als „Epinephrin" be- zeichnetes Produkt zur Pyridinreihe rechneten. Inzwischen hatte Tunni- cliffe*) die blutdrucksteigernde Wirkung des Piperidins entdeckt; Velich') Fie:. 8. Kes] Inj. Neb. Hund nacli Piperidiiiinjektion, Nebennierenextrakt. i/a nat. Gr. (Bor ut tau.) und ich bestätigten sie, und ich fand gewisse Unterschiede gegenüber dem Nebenuierenextrakt, so das ünwirksamwerden in wiederholten Dosen, die primäre Verstärkung und Beschleunigung der Atmung (siehe Fig. 6 und 7, welche die Wirkung zweier aufeinander folgender Piperidinhydrochloratinjek- tionen darstellen, und Fig. 8, welcher eine weitere Injektion von Nebennieren- extrakt zugrunde liegt). Gemeinsam ist beiden die mydriatische Wirkung aufs Auge. V. Fürth ^) vermutete, daß das Suprarenin ein hydriertes Derivat des Oxypyridins sei, ebenso Moore und ich. Das „Epinephrin" von AbeP) erwies sich als ein durch Säurebehandlung im Autoklaven entstandenes Derivat der wirksamen Substanz, über deren Verhältnis zum „Suprarenin" gestritten wurde. ') Sitzungsber. d. Würzb. physikal.-med. Ges. 1897, S. 54. — ^) Zeitschr. f. physiol. Chem. 23, 124, 1897; 26, 15, 1898; 29, 105, 1900. — ^) John Hopkins Hosp. Eep., Nr. 76, July 1897. — ■■) Zentralbl. f. Physiol. 10, 777, 1897. — ^) Wien, klin. Eundschau 1898, S. 521, 541, 572. — ^) A. a. 0. — 0 A. a. 0. 1898, 1901; Amer. Journ. of Physiol. 1899; Zeitschr. f. physiol. Chem. 28, 318, 1899. Nagel, Plij'siologie des Menschen. II. 3 34 Konstitution und Darstellung des Adrenalins. Endlich gelang es Takamine^) und Aldrich^) fast gleichzeitig und unabhängig voneinander, den Körper möglichst rein und kristallinisch darzustellen; nach des ersteren Vorschrift wird er, an Salzsäure gebunden, in einer Kochsalz und Aceton (Chloräton) enthaltenden Lösung unter dem Namen „Adrenalin" durch die amerikanische Firma Parke und Davis in den Handel gebracht und findet (wie schon früher das Extrakt) in der ophthal- mologischen und chirurgischen Praxis (als antiphlogistisches und hämosta- tisches Mittel) usw. Verwendung. Die neuesten Untersuchungen von AbeP), v. Fürth^) und Pauly'') lassen die von Aldrich für das Adrenalin oder reine Suprarenin gefundene Formel C., H^sNO;, als Avahrscheinlich richtig erscheinen; es liefert beim Schmelzen mit Kali Protokatechusäure, ist linksdrehend, reagiert mit Phenyl- senfül und gibt schon bei mäßigem Erwärmen mit konzentrierten Alkalien leicht Methylamin ab, enthält also einen nicht hydrierten ringförmigen Komplex von der Art des Brenzkatechins mit stickstoffhaltiger Seitenkette ''). Die Darstellungsmethode des „Adrenalins" ist weiterhin von F. Battelli") verbessert worden. Danach wird die Marksubstanz der Nebenniere mit Glaspulver zerrieben , mit dem dreifachen Volumen Wasser eine Stunde lang maceriei-t und durch noch vier- malige "Wiederholung erschöpft ; die gesammelten Extrakte werden durch kurzes Erhitzen auf 80" enteiweißt, mit 2 pro Mille Bleiacetat gefällt, der Niederschlag ab- zentrifugiert und ausgewaschen , die Flüssigkeit mit Schwefelwasserstoil: entbleit, vom Schwefelbrei abfilti-iert, das Filtrat bei -\- 45 bis 50" im Vakuum auf Vg,, Volum eingedampft, von dem entstandenen Niederschlage abfiltriert, dieser mit wenig Wasser erschöpft, die Gesamtflüssigkeit nunmehr mit sechs- bis siebenfachem Vo- lumen Alkohol gefällt. Das Filtrat wird von dem entstandenen rötlichen Nieder- schlage abfiltriert, wieder im Vakuum bei + 40 bis 45" auf ein Fünftel eingedampft, das vierfache Volum Wasser zugesetzt, wieder von dem entstandenen Niederschlage abfiltriert, das Filtrat wieder im Vakuum wie oben auf ein Fünftel eingedampft, jetzt Sublimat zugefügt, so lange ein reichlicher weißlicher Niederschlag entsteht, der abzentrifugiert und mit Wasser gewaschen wird, bis die Waschflüssigkeit nicht mehr mit Eisen Grünfärbung gibt. Die Gesamtflüssigkeit wird durch Schwefel- wasserstoif vom überschüssigen Quecksilber befreit, Avieder abzentrifugiert und der Niederschlag erschöpft, die Flüssigkeit bei -\- 45 bis 50" im Vakuum abgedampft bis zu schwach strohgelber Farbe bei stark saurer Reaktion ; sie kann jetzt bei 0" durch Zusatz von einem Tropfen konzentrierter Ammouiakflüssigkeit auf je 2 ccm gefällt werden; durch sofortiges Dichtabschließen des Gefäßes und Zentrifugieveu erhält man nach 5 Minuten Ruhelassen das kristallinische Adrenalin, das mit Wasser, dann dreimal mit Äther und zweimal mit Alkohol gewaschen wird und, weil stark hygroskopisch, in wohlverschlossener Flasche aufbewahrt wird. Derselbe Autor hat auch eine quantitative Bestimmungsmethode des Adrenalins auf colorimetrischem Wege mit Eisenchloi'id angegeben. Zur Hervorbringung der physiologischen (hämodynamischen) Wirkungen genügt vom reinen Adrenalin schon die Einverleibung ') Amer. Journ. of Pharm. 73 (1901). — ''') Amer. Journ. of Physiol. 5, 457, 1901. — ^) Ebenda 8 (1903); Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 36, 1839, 1903. — ■") Hofmeisters Beiträge 1, 243, 1901; Sitzungsber. d. Wien. Akad. 112 (1903); Biochem. Zentralbl. 2, Nr. 1, 1903. — ^) Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 3G, 2944, 1903. — ^) Die neuesten Konstitutionsformeln , sowie das synthetisch dargestellte Adrenalin und seine Homologen sollen im Supi^lementband Berücksichtigung finden. — ^) Viele Notizen in Compt. rend. soc. de biol., vereinigt in Travaux du lataorat. de physiol. de Geneve 3 (1903). Herkunft und Schicksal des Adrenalins. 35 einer äußerst geringen Menge (1/400 mg pro Kilogramm Körpergewicht) in die Blutbahn. Nachdem ferner schon Cybulski, Gluzinski, Gourfein und Vincent die schnelle tödliche Wirkung starker Nebennierenextrakte bestätigt hatten (vgl. oben), untersuchten Battelli und TaramasioO näher die Toxikologie des Adrenalins und fanden bei subcutaner Injektion beim Kaninchen bzw. Meerschweinchen 0,01 bis 0,02 g pro Kilo Tier als töd- liche Dosis; bei intravenöser Injektion genügt der vierzigste Teil hiervon! Der Tod erfolgt durch Lungenödem. Frösche sind viel weniger empfindlich. Alle pharmakodynamischen und toxischen Wirkungen des Extraktes rühren nach Battelli wesentlich nur vom Adrenalin her; auch frühere Autoren hatten nach Zerstörung des Chromogens keine oder unwesentliche blutdruckerniedrigende Wirkungen beobachtet. Das Adrenalin ist nach Swale Vincent 2) in den Nebennieren bzw. analogen Gebilden aller Wirbel- tiere außer den Teleostiern enthalten und wirkt auch auf alle diese Tierarten in gleicher Weise ein. Nachdem bereits Vulpian^) angegeben hatte, daß auch das aus den Nebennieren ausströmende Blut die mit Eisen Grünfärbung gebende Sub- stanz enthält, fand Cybulski *), daß das Blut der Nebennierenvenen, in die Blutbahn eines anderen Tieres injiziert, dieselbe Blutdruck steigernde Wirkung besitzt wie das Nebennierenextrakt, und Langlois'') hat die Tatsache bestätigt; ja es gelang Battelli, das Adre- nalin selbst im Blute des allgemeinen Kreislaufes nachzuweisen. Rechnet man hinzu die schon beschriebene Beobachtung von Weiß und Strehl, daß nach Exstirpation der einen Nebenniere Zuklemmung der Nebennierenvene auf der anderen Seite Abfall des Blutdrucks und ihr Wiederöffnen Wieder- anstieg desselben zur Norm bewirkt, so muß es als bewiesen betrachtet werden, daß eine Funktion der Nebenniere darin besteht, be- ständig Adrenalin zu bilden und in die Blutbahn zu bringen, mit der Aufgabe, den normalen Tonus des Gefäßsystems, möglicher- weise auch das genügend kräftige Funktionieren des Herzens und der quergestreiften Muskulatur zu sichern. Doch knüpfen sich zum vollen Verständnis der Nebennierenfunktion hieran zunächst die Fragen: woraus wird das Adrenalin gebildet und welches ist sein Schicksal? In letzterer Beziehung ist ja bekannt, daß es durch Oxydation sehr leicht zerstört wird. Indessen konnten Oliver, Schäfer und Moore konstatieren, daß es mit Arterienblut zusammen lange wirksam bleibt, und schlössen daraus, das es erst in den Geweben zerstört werde: die Richtig- keit dieser Voraussetzung wurde durch Athanasiu und Langlois^')» sowie durch Battelli für die Leber erwiesen, insofern diese bei künstlicher Durch- blutung zugesetztes Adrenalin zerstört, wie letzterer Autor annimmt, durch Umwandlung in „Oxyadrenalin'". Was die Herkunft des Adrenalins betrifft, so haben angesichts der leichten Ermüdbarkeit der epinephrektomierten Frösche, welche durch Ex- ') Dissertation, Genf 1901. — ') Jouru. of Physiol. 23, 111, 1897; Proc. Eoj-al See. 61, 64, 1897. — ^) A. a. 0. — ') A. a. 0. — *) A. a. 0. — **) Arch. de physiol. 1898, p. 124. 36 Theorie der Nebennierenfunktion. traktinjektion gebessert wurde, Langlois und ich versucht, die Entgif- tungshypothese mit der inneren Sekretion zu kombinieren durch die Annahme, daß toxische Umsatzprodukte der Muskulatur durch die Nebenniere entgiftet und in den nützlichen und notwendigen Stoff, das Adrenalin, umgewandelt würden: zu demselben Schluß gelangt auch Battelli, obwohl er bei durch Muskelarbeit erschöpften Tieren (mit Roatta) eine beträchtliche Verminderung, bei der Erholung eine beträcht- liche Steigerung des Adrenalingehalts der Xebenniere konstatierte , was im Sinne unserer Annahme eine etwas verwickelte Vorstellung benötigt, wegen deren aufs Original verwiesen sei. Immerhin stände unserer Hypothese die Tatsache nicht im Wege, daß Adrenalininjektion die tödlichen Folgen der Epinephrektomie nicht hinaus- schieben kann, da ja zur Umwandlung des „Protoadrenalins", wie Battelli die giftige Vorstufe nennt, in Adrenalin das Organ selbst nötig ist. Zugegeben werden muß, daß hinsichtlich der Nebennierenfunktionen manches noch dunkel ist, vor allem ihre Beziehungen zum Nerven- system. Zwar liegen einleitende Untersuchungen Biedls^) über die In- nervation der Nebennieren vor; auch hat Jacobj -) bei elektrischer Reizung der die Nebennieren mit dem Splanchnicus, bzw. dem Ganglion coeliacum verbindenden Nervenfäden, auch der Nebennieren seihst (nicht so Apolant^) Stillstand der Peristaltik gesehen; es wäre denkbar, daß das gebildete Adrenalin an Ort und Stelle auf visceroinhibitorische Elemente einwirken könnte. Zum Schluß müssen noch die merkwürdigen Angaben erwähnt werden, welche Biedl*) neuestens auch hinsichtlich der Nebennieren macht, die analog seinen oben erwähnten Annahmen über die Schilddrüse und die pjpithelkörper sind: Bei den Selachiern (Knorpelfischen) finden sich getrennt die sogenannten Interrenalkörper und die sogenannten Suprarenalkürper (Balfour); nur letztere enthalten .,chromaffine" Zellen (siehe oben), und nur ihr Extrakt hat hämodynamische Wirkung, dasjenige der Interrenalkörper aber nicht (Vincent). Nun will Biedl bei Selachiern die Interrenalkörper exstirpiert haben, mit dem Erfolg, daß die Tiere binnen zwei bis drei Wochen unter allgemeiner Prostration zugrunde gingen ; desgleichen will er Säuge- tiere, denen er die Nebennieren bis auf ein wenig Riudensubstanz entfernte, am Leben bleiben, solche, denen er nur Marksubstanz ließ, zugrunde gehen gesehen haben; es wäre danach die Rinde das lebenswichtige, wahr- scheinlich entgiftende, das Mark das secernierende Organ. Be- stätigung bleibt natürlich abzuwarten. V. Thymus, Milz uud Pankreas, sowie Nieren hinsichtlich innerer Sekretion. Daß man von einer „metakerastischen" Funktion der eigent- lichen blutbildenden Organe reden kann, wurde schon erwähnt; in der frühesten Jugend funktioniert als solches die Thymus, indessen ist ^) Arch. f. exp. Patliol. 29, 171. — "') Pflügers ArcL. — ^) Zentralbl. f. Physiol. 12, 721, 1899. — ') „Innere Sekretion" a. a. 0. Innere Sekretion von Milz, Pankreas, Niere. 37 wiederholt konstatiert worden, daß auch die Funktion der Nebennieren, kenntlich an der Wirksamkeit ihres Extraktes, sowie diejenige der Schild- drüse hier schon nachweisbar ist. Den Tätigkeitsgrad der embryonalen Blutgefäßdrüsen zu vergleichen suchte neuerdings Svehla^) und gibt an, daß beim Rinde die Nebennieren schon wirksames Extrakt liefern bei 265 mm Länge des Embryo, die Schilddrüse bei 500 mm, die Thymus in Tätigkeit tritt erst bei 600; da- gegen beginnt beim menschlichen Embryo die Thymus zuerst ihre Tätigkeit, dann die Schilddrüse und zuletzt erst die Nebennieren; beim erwachsenen Menschen ist die Intensitätsreihe der Tätigkeit der drei Organe die gleiche wie beim Tier. Thymusextrakte haben nach Oliver und Schäfer 2) und Swale Vincent^) keinerlei spezifische Wirkungen, weder bei intravenöser, noch subcutaner Injektion. Thymusexstir pation beim Frosch soll tödlich sein nach Abelous und Billard^). Daß Milzexstirpation von Tier und Mensch gesund überlebt werden kann, ist bekannt; indessen existieren interessante Angaben über eine „in- nere Sekretion" dieses Organs, die zuerst von Schiff (1862) gemacht wurden, und für welche dann Herzen'') jahrelang eingetreten ist, ohne viel Beachtung zu finden : hiernach sollte bei der Verdauung die Milz anschwellen ; entmilzte Tiere sollten keinen wirksamen Pankreassaft enthalten. Eine In- fusion von normalem Pankreas sollte kein wirksames Trypsin enthalten, sondern nur das Zymogen desselben , welches aber durch Zusatz von Milz- infus oder auch von Blut aus der Milzvene in wirksames Trypsin über- geführt werde, so daß die vorher Eiweiß nur langsam verdauende Flüssigkeit nunmehr es schnellstens löse. Es bereite somit die Milz ein inneres Sekretion sprodukt, welches die Funktion habe, dasProtrypsindes Pankreas in wirksames Trypsin umzuwandeln: „trypsinogene Funktion der Milz". Diese Angaben sind übrigens neuerdings durch Gachet und Pachon^) bestätigt worden, nachdem diese Forscher sich zuerst dagegen ausgesprochen hatten; ja Pugliese") will neuestens sogar einen Einfluß der Milz auf die Zusammensetzung der Galle erkannt haben. Daß das Pankreas durch eine innere Sekretion Einfluß auf die Glykogenie der Leber haben solle, und daß damit der Diabetes nach der Ex- stirpation dieser Drüse zusammenhänge, wird besonders von französischen Forschern behauptet; da indessen viel zu wenig sicheres Material vorliegt, auch diese Fragen besser in dem betreffenden Abschnitt behandelt werden, soll hier nicht näher darauf eingegangen werden. Eine ständige innere Sekretion der Niere ist behauptet worden von Brown-Sequard und d'ArsonvaT^), indem sie zu finden glaubten, daß das Leben nephrotomierter Tiere durch Injektion von Nierenextrakt ver- längert werde; nach E. Meyer ^) sollte die letztere Prozedur die periodische ') Arch. f. exp. Pathol. 43, 321, 1900. — -) Journ. of Physiol. 18. — ^) Ebenda 22. — ") Arch. de physiol. 1896, p. 898. — *) Siehe ebenda 1894; Arch. des scieuces physiques et naturelles 4(1897); Eevue m^dicale de la Suisse romande, Mai 1898 u. a. — *) Gachet, These de Bordeaux 1897. — ^ Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899, S. 70. — ") Compt. rend. 1892, p. 1399; Arch. de physiol. 1893, p. 202. — ") Ebenda 1893 und 1894. 38 Keimdrüsen. Atmung künstlich urämisch gemachter Tiere wieder normal machen, nach Teissier und Fräukel^) die Ausscheidung von Giftstoffen im Harn er- leichtern! Tigerstedt und Bergman^) schrieben (im Gegensatz zu Oliver und Schäfer) der intravenösen Injektion von Nierenextrakt eine spezi- fische blutdrucksteigernde Wirkung zu, was aber durch Lewandowsky energisch in Abrede gestellt wurde. Trotzdem sind noch weiterhin in Frankreich Jaquet, Chatin und Guinard •*) und besonders Vitzou*) für die innere Sekretion der Niere aufgetreten, letzterer auf Grund ähnlicher An- gaben, wie sie seinerzeit Brown-Sequard und d'Arsonval gemacht hatten. Deren ernstHche Nachprüfung unternahm unter Prevosts Leitung Frl. Stern''), mit dem Ergebnis, daß von einer Verlängerung des Lebens von nephrektomierten Tieren durch Nierenextrakt , Nieren veuenblut oder -Serum gar nicht die Rede sein kann. Damit dürfte diese Frage doch wohl er- ledigt seien. YI. Keimdrüsen. 1. Allgemeines. Tatsachen, welche auf eine ..chemische" Beeinflussung von Körper- funktionen durch Produkte der Keimdrüsen hinweisen konnten, sind sehr lange bekannt , wurden aber , sobald wissenschaftliche Forschung sich mit ihnen zu beschäftigen begann , unter dem Einflüsse der Erörterungen über „trophische Nervenwirkungen" und der Entdeckung der Gefäßnerveu vorwiegend gleichfalls auf nervöse Beeinflussung bezogen; erst die schon oben erwähnten, unten noch etwas genauer zu betrachtenden Mitteilungen von Brown-Sequard über die Wirkung von Hodenextrakteinspritzungen haben dazu geführt, an eine Erklärung Jener älteren Beobachtungen auf Grund einer „inneren Sekretion" der Keimdrüsen zu denken — eine Er- klärung, welche durch die Forschungen der letzten Jahre in weitgehendem Maße Bestätigung gefunden hat. Durchgehends handelte es sich von vornherein um Beobachtung von Ausfallserscheinungen nach Kastration, und zwar bei beiden Ge- schlechtern, zunächst natürlich Ausfall von Geschlechtsfunktionen, nicht nur denjenigen der Keimdrüsen selbst, weiterhin Ausfall, genauer Nichtent- wickelung oder Rückbildung bzw. Umbildung der sekundären Geschlechts- charaktere. Weiterhin sind als Folge des Ausfalles der Keimdrüsen Stoffwechselstörungen beobachtet worden, wozu dann allerneustens Versuche über entsprechende bzw. entgegengesetzte Beeinflussung des Stoff- wechsels bei künstlicher Einverleibung von Keimdrüsensubstanz gekommen sind, neben Versuchen über Ausbleiben oder Aufhebung der Ausfalls- erscheinungen bei Wiedereinnähung bzw. Transplantation der exstü'- pierten Keimdrüsen. ') Arch. de physiol. 1898, p. 108. — -) Skandiuav. Arch. f. Physiol. 8, 223, 1898. — ^) Journ. de physiol. et de pathol. 3, 901, 926, 1901. — •*) Arch. de m^decine exp. 12, 137, 1900. — ^) Travaux du labor. de physiol. de Geneve 3, 74, 1901/02. Borns Theorie. 39 2. Störungen der weiblichen Geschlechtsfunktionen durch Kastration. a) Transplantationsversuche. Rolle des Corpus luteum. Daß der gesamte weibliche Genitalapparat zu funktionieren aufhört und der regressiven Metamorphose anheimfällt, sobald beide Ovarien exstirpiert sind, ist eine am Menschen sehr häufig ge- machte Beobachtung, seitdem die Ovariotoraie zur relativ gefahrlosen und häufiger geübten Operation geworden ist. Auch daß die Entwicklung der Genitalien bei Kindern und jungen Tieren durch die Kastration gehemmt wird, gehört hierher. Wegen der Literatur kann auf die Monographien von Hegar^) und Kehrer 2) verwiesen werden. Schon Reins^) hatte gefunden, daß möglichst vollständige Durch- schneidung der den Uterus versorgenden Nerven beim Tiere keine Atrophie desselben erzeugte, ja selbst Schwangerschaft wieder eintreten konnte, und Sokoloff ^), welcher bei Hündinnen nach einseitiger Ovariotomie die Brunst wiederkehren, erst nach doppelseitiger sie dauernd ausbleiben und den Uterus der regressiven Metamorphose anheimfallen sah und letztere anatomisch genauer untersuchte, glaubte ein regulatorisches Nervenzentrum für die Ernährung des Uterus wenigstens in das Ovarium selbst verlegen zu müssen. Doch bereits um dieselbe Zeit hatte Knauer'') in Chrobaks Klinik die ersten erfolgreichen Transplantationen der Ovarien beim Kaninchen vorgenommen, bei welchem jede Uterusatrophie und sonstige Folgen völlig ausgeblieben waren, Ergebnisse, welche durch Ribbert^), Gri- gorieff^) und Rubinstein **) völlig bestätigt wurden. Ja, Halban-') fand sogar, daß nach Transplantation beider Ovarien an jungen weiblichen Meerschweinchen die sonst nach Exstirpation unvermeid- liche Hemmung der Entwickelung der Genitalien ausbleibt, letztere vielmehr sich gänzlich normal ausbilden. Diese Ergebnisse lassen sich durch nervöse Einflüsse absolut nicht, wohl aber durch Annahme einer inneren Sekretion der Ovarien, deren Produkt für die Ernährung der übrigen Genitalien, besonders des Uterus notwendig ist, recht gut erklären. Freilich geben Jentzer und Beuthner'") au, daß subcutane Injektion von Ovarialextrakten im Tierversuch die Transplantation durchaus nicht zu er- setzen vermag. Die Folgen der Ovariotomie und ihr Ausbleiben nach Transplantation konnte Halban'^) übrigens auch am weiblichen Pavian bestätigen, was immerhin für die Beurteilung der Vei'hältnisse am Menschen sehr wichtig er.=cheint. Von der konstanten gleichmäßigen , Entwickelung bzw. Ernährung der Genitalien hebt sich nun ab die periodische Funktion des Uterus, ') Die Kastration der Frauen, Leipzig 1878. — ^) Beiträge zur klin. und exper. Geburtskunde, Gießen 1877. — ^) Die Nerven der Gebärmutter, Jena 1867. — ") Arch. f. Gynäkologie .51, 286, 1897. — *) Zentralbl. f. Gynäkol. 1896, Nr. 20; Wien. klin. Wochenschr. 1899, Nr. 49 und Arch. f. Gynäkol. 60, 2. Heft 1900. — ^) Arch. f. Entwickelungsmechanik 7, 688, 1898. — ^) Zentralbl. f. Gynäkol. 1897, S. 663. — 8) St. Petersburger med. Wochenschr. 1899, S. 281. — ») Monatsschr. f. Geburtshilfe und Gynäkol. 12, 496, 1900. — '") Zeitschr. f. Geburtshilfe 42, 66, 1900. — '') Sitzungsber. der Wiener Akad., math. - naturw. Kl., 110 (3), 71, 1902. 40 Borns Theorie. welche in Gestalt der Brunst der Tiere bzw. der menstruellen Blutung des mensclilichen Weibes mit der gleichfalls periodischen Ovarial- funktion der Eireifung und Eiausstoßung (Ovulation) offenbar aufs innigste verquickt ist. Borni) hat kurz vor seinem Tode die Vermutung ausgesprochen, daß hier die Vermittelung stattfinde durch ein Produkt der inneren Se- kretion des Corpus luteum, jenes eigentümlichen, an Stelle des bei der Eiausstoßung geplatzten Graafschen Follikels auftretenden Gebildes, über dessen Histogenese lebhaft gestritten worden ist: Sobotta-) erklärte es für epithelialer Natur, welcher Annahme von Clark '^j lebhaft wider- sprochen wurde, welcher es für bindegewebig hielt und seine Funktion etwas unklar als diejenige eines Zirkulationsregulators für das Ovarium, wohl ähnlich der Collateraltheorie der Schilddrüsen- und Hypophysenfunktion bezeichnete. Die Richtigkeit von Borns Vermutung wurde bestätigt durch die auf seine Anregung hin unternommenen Versuche von Fränkel und Cohn*): Diese Forscher fanden, daß Ovariektomie, wenn doppelseitig beim weib- lichen Kaninchen innerhalb des von ihnen zu 6 mal 24 Stunden ermittelten Zeitraumes zwischen der Befruchtung und Insertion des bzw. der befruchteten Eier vorgenommen, die Insertion und Entwickelung des Eies mit Sicherheit verhindert; daß in gleicher Weise aber auch Ausbrennung sämtlicher Corpora lutea mit einer glühenden Nadel wirke. Fränkel^) fand ferner, daß letztere Operation, auch nach der Ei-Insertion ausgeführt, die Weiterentwickelung des bereits inserierten Eies hindert, lauter Tatsachen, welche zwingend darauf hinweisen, daß das Corpus luteum ein Produkt innerer Se- kretion liefert, welches den Uterus zur Eiaufnahme und Ernäh- rung des Eies fähig macht. Da sich nun bekanntlich das Corpus luteum auch im Anschluß an jede nicht zur Schwangerschaft führende Brunst bzw. Menstruation beim menschlichen Weibe entwickelt, wenn auch in geringeren Dimensionen und mit rascherer Rückbildung — darum früher als Corpus luteum spurium von dem Corpus luteum verum bei Gravidität unterschieden — so muß eben das Eintreten der Brunst bzw. Menstruation auch von der inneren Sekretion des Corpus luteum abhängig sein und darin ihr innerer Zusammenhang mit der Ovulation bestehen; daß sie nichts weiter als die Vorbereitung für die Insertion und Ernährung des eventuell befruchteten und dann entwickelungsf ähigen Eies dar- stellt, war schon früher öfter von verschiedenen Autoren ausgesprochen worden, worauf Born bei der mündlichen Mitteilung seiner Theorie selbst hingewiesen hat. Fränkel hat dementsprechend auch klinisch den Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Corpora lutea und den Menstruations-, Graviditäts- und Laktationsanomalien zu verfolgen versucht, reichliches Material mit- geteilt und im Sinne der Bornschen Theorie gedeutet; auch hat er thera- ') Siehe die unten zitierte Arbeit von Fränkel und Cohn. — '^) Anatomische Hefte 8, 469, 1897. — ^) Arch. f. Auat. (u. Physiol.), physiol. Ableitung, 1898, S, 95. — ■*) Anatomischer Anzeiger 20, 294, 1901. — ") Arch. f. Gynäkol. 68, Nr. 2, 1903. Innere Sekretion des Hodens. 41 peutische Versuche mit Injektion oder Darreichung per os von Extrakten aus tierischen Corpora lutea — „Luteinsubstanz" — unternommen, freilich ohne entscheidende Ergebnisse. Es werden wohl gerade solche opo- therapeutische Versuche an in Wiederholung und Nachprüfung der F ränkei- schen Experimente zu operierenden Tieren weiterhin anzustellen sein. Fränkel hat endlich noch angegeben, daß die Zerstörung sämtlicher Corpora lutea beim Kaninchenweibchen auch dauernde Ernährungs- störung des Uterus, ja regressive Metamorphose desselben veranlasse, wie das nach den früher mitgeteilten Erfahrungen bei doppelseitiger Exstir- pation der Gesamtovarien der Fall ist. Es ist nun sicher, daß die Ernährung des Uterus gerade während seines Wachstums, vor Eintritt der Geschlechts- reife und damit der ersten Ovulation und Menstruation nicht gut von Corpora lutea abhängen kann, da zu dieser Zeit noch gar keine solchen ausgebildet sind; allerdings ist an eine Thätigkeit im Sinne innerer Sekretion des Ge- samtepithels des Ovariums, wie insbesondere desjenigen der Graaf- schen Follikel zu denken (über hierher gehörige Versuche an Hündinnen haben Regaud und Policard i) berichtet), welche im Corpus luteum ge- steigert, vielleicht auch spezifisch verändert auftritt, und zwar hier periodisch. Die oben erwähnte Streitfrage nach der Histologie bzw. Histo- genese des Corpus luteum soll sich nach F. Cohns^) Versuchen eben dahin erledigen, daß es sich periodisch abwechselnd um Neu- und Rückbildung von Drüsenepithel handele, im letzteren Stadium mit Überwiegen neugebildeten Bindegewebes. Für die weiter unten zu besprechenden allgemeinen Stoffwechsehvirkungen einverleibter Eierstocksubstanz bleibt es freilich recht zweifelhaft, ob hier nur die Epithelien, bzw. deren inneres Sekretionsprodukt maßgebend sein sollen. Auch darf nicht verschwiegen werden, daß den Angaben im Sinne der Bornschen Theorie neuerdings mehrfach kräftig entgegengetreten worden ist. Jedenfalls erscheint Nachprüfung der Versuche recht wünschenswert. b) Bedeutung einer etwaigen inneren Sekretion der Hoden für die männliche Geschlechtstätigkeit. Die Stützen für die Annahme der Abhängigkeit der männlichen Ge- schlechtstätigkeit von einer anderen Funktion der Hoden außer der Samen- bereitung sind l)is jetzt ziemlich ungenügende. Daß Kastration die Fähigkeit zum Coitus, bzw. die Möglichkeit von Erektion und Ejakulation (natürlich nur von Prostatasekret) nicht aufzuheben braucht, ist seit alters bekannt. Schwerer als die mit ihr immerhin nicht verbundene Einschränkung des Ge- schlechtstriebes fällt ins Gewicht das senile F>löschen desselben und die senile Impotenz, welche Hand in Hand geht mit der Atrophie der Hoden. Es ist bekannt, daß Brown-Sequard und seine Mitarbeiter'') als Wirkung der Hodenextraktinjektionen neben Besserung allgemeiner Schwäche- zustände usw. auch Wiederauftreten von Erektionen usw. bei seniler oder auch sonstiger Art männlicher Impotenz berichtet haben. Diese Angaben, welche zu der modernen Begründung der Lehre von der inneren Sekretion 'j Compt. rend. soc. de biol. 53, 449, 615, 1901. — ^) Arch. f. mikroskop. Auat. 62, 745, 1903. — *) Siehe den Sammelber. von Brown-Sequard und d'Arsonval in Compt. rend. 48, 457, 1892. 42 Innere Sekretion und sekundäre Geschlechtscharaktere. den Anstoß gegeben haben, sind aber vielleicht deren allerminderwertigate Stütze. Über die Allgemeinwirkungen der Hodenextrakte siehe noch weiter unten. Nach Walker ') soll Hodenextraktiujektion bei kastrierten männlichen Hunden eine sonst eintretende Atrophie der Prostata verhindern. 3. Innere Sekretion der Keimdrüsen und sekundäre Geschlechts- charaktere. a) Beim Weibe. Wenngleich die Milchdrüsenfunktion recht wohl den direkten, primären Geschlechtsfunktionen zugesellt werden darf, so sei doch zweckmäßig an dieser Stelle erwähnt, daß in Haibans oben erwähnten Versuchen nach Transplantation der Ovarien au jüngeren weiblichen Meerschweinchen die Milchdrüsen und Brustwarzen sich normal entwickelten, während dies nach Ovariektomie nicht der Fall war, und daß in einem Versuche Ribber ts bei einem weildichen Meerschweinchen die aufs Ohr transplan- tierte Brustdrüse nach dem Wurf Milch secernierte. Halban be- mei-kt, daß die Abhängigkeit eventuell auch eine mittelbare, durch den Uterus, nicht direkt das innere Sekretiousprodukt der Ovarien vermittelte sein könne. 1)) Beim Manne. Die Nichtentwickelung, bzw. Rückbildung der männlichen sekundären Geschlechtscharaktere bei kastrierten männlichen Tieren, wie auch bei menschlichen Kastraten hat von jeher die Auf- merksamkeit erregt. Dementsprechend sind Hodentransplantations- versuche auch schon von Hunter angestellt worden, und Berthold^) wollte mit solchen positive Ergebnisse erhalten haben. Völlig negative Er- geljnisse — Zugruudegehen der eingepflanzten Hoden — erhielten dagegen Rud.Wagner^) und in neuerer Zeit GöbelH), Herlitzka'') und Foä''). Dagegen haben in einigen Fällen positive Ergebnisse erzielt Lo de ') und Hanau"*), allerdings bei unvollständiger Kastration, an Hähnen. Transplan- tation bei vollständiger Kastration am selben Tier gelang endlich Foges'^): dieser Forscher fand, daß Zurücklassung von Hodenresten zur Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere des Hahnes — Kamm, Bartlappen, Sporen, Stimme — genügt, wenngleich sie etwas vermindert sein können; in zwei Fällen völliger Entfernung beider Hoden bewirkte deren Trans- plantation völlige Ausbildung derselben und Ausbleiben des sonst un- vermeidlichen „Kapauncharakters". Transplantation auf ein an- deres kastriertes Individuum desselben Geschlechts mißlang stets, ganz ebenso wie dies Herlitzka i*^) für die Transplantation des Ovariums bei ') .John Hopkins Hosp. Reports 9, 242, 1900. — '^) Arch. f. Anat. u. Physiologie 1849, S. 42. — ^) Nachi'ichten von der Göttinger Gesellsch. d. Wissensch. 1851, Nr. 8. — *) Zentralbl. f. allg. Pathologie 9, 737, 1898. — ^) Arch. f. Entwickelungs- mechanik 9, 140, 1899. — ^) Archives ital. de bioL, 35, 337 und 364, 1901. — '') Wiener klin. Wochenschr. 1895, S. 345. — ^) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 65, 516, 1897. — ») Ebenda 93, 39, 1902. — '") Arch. ital. de biol. 34, 89, 1900. Kastration und Stoff^ve(•hsel. 43 weiblichen Tieren angegeben hat. Endlich mißlang auch die im Anschluß an gewisse hier nicht näher zu erörternde Vorstellungen von C. Herbst i) ver- suchte Transplantion von Hoden auf Hennen und Ovarien auf Hähne. Ein ganz besonderer Einfluß der inneren Sekretion des Hodens war von Seilheim 2) auf das Knochenwachstum bezogen worden, indem er fand, daß Kastration beim Hahn den Abschluß desselben verzögert, so daß Vergrößerungen in bestimmten Dimensionen an Schädel-, Becken- und Ex- tremitätenknochen auftraten. Nachdem schon in früherer Zeit besondere Körper- länge der Eunuchen aufgefallen war, fanden ferner neuerdings Lannois und Roy^) bei kastrierten jungen Männern Ausbleiben der Epiphysenknorpel- Verknöcherung und Poncet'*) dasselbe bei kastrierten Meerschweinchen und Rindern. Dementsprechend will Loewy"») durch Verfütterung von Hodensubstanz bei jungen Kapaunen normalere Skelettbildung, sowie bessere Ausbildung von Kamm und Bartlappen erzielt haben. Es leiten diese Ver- suche zu dem letzten Abschnitte über: 4, Allgemeine und Stoffwechselwirkungen der inneren Sekrete der Keimdrüsen. a) Weibliche. Störungen des Allgemeinbefindens bei Frauen nach doppel- seitiger Ovariotomie sind seit der größeren Häufigkeit dieser Operation oft genug beschrieben, doch größtenteils, und auch wohl mit Recht, auf nervöse Zusammenhänge bezogen worden. Anders der Fettansatz, bzw. die Zunahme des Körpergewichtes bei Frauen nach der Kastration, welche der wohlbekannten physiologischen Erscheinung im Klimakterium analog ist; hier ist weit eher an die Wirkung eines inneren Sekretions- produktes zu denken, so daß Versuche mit Einverleibung von Ovarial- extrakten, sowie Messungen des Stoffwechsels vor und nach der Kastration bzw. Extraktdarreichung nahe genug lagen. Loewy und Richter*') fanden beim Hunde den respiratorischen Gaswechsel nach der Kastration stark vermindert, beim weiblichen Tiere bis um 20 Proz., beim männlichen bis um 14 Proz. des ursprünglichen Wertes pro Kilogramm Körpergewicht; in einem Falle blieb es noch 3^2 Jahre bei dem erreichten Minimum. Weiterhin aber fanden diese Forscher, daß Zufuhr von Ovariensubstanz beliebiger Tiere, subcutan oder per os, den gesunkenen respiratorischen Stoffwechsel wieder bis zur Norm, ja weit darüber hinaus heben kann. Dies gilt für weibliche wie für männliche kastrierte Tiere, dagegen ist Hodensubstanz in beiden Fällen weit weniger wirksam. Versuche, die wirksame Substanz besser zu definieren oder zu isolieren, hatten keine l)efriedigenden Ergebnisse; am wirksamsten blieben Glycerinextrakte. ') Formative Reize in der tierischen Ontogenese, Leipzig 1901. — ') Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkol. 1, 229, 1898; 2, 236, 1899. — ^) Compt. rend. soc. de hiol. 55 (1902). — ■*) Ehenda. — ^) Mitteilung in seinem Sammelreferat in den „Ergebnissen der Physiologie" 2, erste Hälfte, 130, 1903. — ®) Arch. f. (Anat. u.) Phj^sioL, physiol. Abteil., 1899, S. 174; Berl. klin. Wochenschr. 1899, S.' 1100. 44 Allgemeinwirkung der Hodenextrakte. Nicht genügend sicher beantwortet erscheint bis jetzt die Frage, wieweit an den vorgedachten Erscheinungen der Zerfall von Eiweiß beteiligt ist. Loewy fand nach Zufuhr von „Oophorin" keine Steigerung der Stickstoff- steigerung, desgleichen Thumini) bei kastrierten Frauen; wechselnde Er- gebnisse je nach den Versuchsbedingungen erhielten Neumann und Vas^). Charrin und Guillemonat^) fanden erhebliche Vermehrung der Harnstoff- ausscheidung auf Injektion von Ovarialextrakten (vom Schaf) bei trächtigen Meerschweinchen, nicht aber bei nichtträchtigen (sowie auch bei männlichen) Meerschweinchen. Geleugnet worden ist jeder Einfluß der Kastration auf den Stoffwechsel durch Lüthje"), dem Avieder Loewy iind Richter entgegengetreten sind. Übrigens hat nach Loewy s Bericht L. Zuntz in Versuchen an Frauen regelmäßige Be- einflussung des Gaswechsels weder durch Kastration noch durch Öophorindarreichung konstatieren können. Spezielles Interesse neben der Beeinflussung des Gesamtstoffwechsels durch die weiblichen Keimdrüsen beansprucht diejenige des Kalk- und Phosphorstoffwechsels, seitdem Fehling fand, daß der krankhafte Zustand der Osteomalacie durch Kastration gebessert wird. Er untersuchte ■') daraufhin die Kalk- und Phosphorsäureausscheidung bei Osteo- malacischen vor und nach der Kastration, fand schließlich aber keine wesent- lichen Veränderungen ; dagegen wollte Neumann''') solche konstatiert hal)en. Tierversuche in dieser Richtung haben Curatulo und Tarulli^) angestellt. Als Ergebnisse führen sie an, daß die beiderseitige Ovariotomie bei gesunden Tieren die Phosphorausscheidung einschränke, Zufuhr von Ovarialsubstanz sie vermehre. Nicht l^estätigen konnte Falk^) diese Ergebnisse, während Neumann und Vas'') beim Tier, ebenso Senator i^) bei einer osteomalaci- schen Frau Vermehrung der Kalk- und Phosphorsäureausscheidung angaben. 1)) Männliche. Was Stoffwechselbeeinflussungen durch innere Sekretion des Hodens anbetrifft, so ist ja die Körpergewichtszunahme, besonders der Fett- ansatz kastrierter Tiere, wie menschlicher Kastraten bekannt. Die Er- klärung durch die „fettzerstörende" Wirkung eines Produktes innerer Sekretion experimentell zu stützen, hat Loisel^^) versucht; es sei übrigens auf die von Loewy und Richter (siehe oben) gefundene viel geringere stoff- wechselsteigernde Wirkung der Hoden- gegenül^er den Ovarialextrakten ver- wiesen. Von den zuerst von Brown-Sequard betonten Allgemeinwirkungen der Injektion von Hodenextrakten ist schon mehrfach die Rede ge- wesen; es sei hier noch auf die kritische Arbeit von Buschan i^) hingewiesen. Wenngleich ein großer Teil der, besonders im Auslande, angegebenen Resul- ^) Die Therapie der Gegenwart 2 (1898). — '^) Monatsschr. f. Geburtshilfe 15, Ergänzungsheft, 1902. — ^) Compt. reud. 130, 1787, 1900. — ■•) Arch. f. exper. Pathol. 50, 268, 1903. — *) Arch. f. Gynäk. 89, 172; 48, 472, 1895. — «) Ebenda 51, 130, 1896. — 0 Bellet Accad. medica di Borna 21, 334, 1896. — ") Arch. f. Gynäkologie 58, 565, 1899. — ^) A. a. 0. — ^*') Deutsche medizin. Wochenschr. 1897, Vereinsbeilage, S. 28. — ") Compt. rend. 135, 250, 1902. — '') Die Brown- Sequardsche Methode und ihr therapeutischer Wert, Berlin 1895. "Wirksamkeit der Bestandteile der Hodenextrakte. 45 täte unzweifelhaft auf Suggestion swirkung zurückzuführen ist, so können doch gewisse Tatsachen als solche kaum geleugnet werden, wie die Steige- rung der muskulären Leistungsfähigkeit nach Hodenextraktinjektionen, welche durch zahlreiche ergographische und andere Versuchsreihen seitens Zothi) und Pregl^) erhärtet worden ist. Um so wichtiger bliebe hier die Definierung bzw. Isolierung wirksamer Stoffe aus den Extrakten, die indessen dadurch erschwert wird, daß charakteristische hämodynamische Effekte der intravenösen Injektion, wie wir sie bei Hypophysis und Neben- nieren kennen gelernt haben, bei den Keimdrüsenextrakten fehlen. Bekannt sind die Bemühungen Poehls^), die Wirkungen der Hodenextrakte auf das Spermin zurückzuführen, welches nach seinen Angaben nicht mit dem Äthylenimin C2H4 = NH (Schreiner), noch mit dem Diäthylendiamin (Pij^erazin) identisch sein, vielmehr die Formel C5H14N2 besitzen soll und von ihm als kräftig wirkender Sauerstoffüberträger bzw. Aktivator, „physiolo- gischer Katalysator" bezeichnet worden ist, welcher wahre Wunderwirkungen — Steigerung des Stoffwechsels, Hebung der Nerventätigkeit usw. — ausübe, gerade wie sie die Mitarbeiter Brown-Sequards von dem Hodenextrakt behauptet hatten. Poehls reklamehaft verfochtene Aufstellungen haben wenig Bestätigung, vielmehr oft wohlbegründete Zurückweisungen erfahren, wie denn überhaupt die maßlosen Ausschreitungen einer nicht genügend wissenschaftlich begründeten Organotherapie jetzt zum Glück etwas nachzu- lassen beginnen. Einer neuerlichen Untersuchung auf ihre wirksamen Bestandteile sind die Hodenextrakte durch Dixon^) unterzogen worden, welcher ge- funden hat, daß zu unterscheiden sind 1) die Effekte der Nucleo- proteide (eventuell oxydative und tonische, wie sie Poehl dem Spermin fälschlich zuschreibt), 2) diejenigen der Basen („Leukomaine"), toxisch wie eventuell jene anderen auch, bei denen aber das Spermin auch kaum be- teiligt ist. Insgesamt darf zusammenfassend behauptet werden, daß innere Sekre- tionsvorgänge der Keimdrüsen im allgemeinen zwar als sicher nachgewiesen gelten dürfen, aber im einzelnen viel weniger aufgeklärt sind, als die oben für die Schilddrüse und Nebennieren l)eschriebenen. ') Pflügers Arch. 62, 335, 1896; 69, 386, 1898. — ") Ebenda 62, 379, 1896. — ^) Siehe Deutsche medizin. Wochenscbr. 1892, Nr. 49 und „Die physiolog.-chem. Gi-undlage der Spermintherapie", erweiterte Ausg., Petersburg 1898. — '') Journ. of Physiol. 26, 245, 1901. Physiologie der männlichen Geschlechtsorgane von W. Nag-el. Zusammenfassende Darstellungen, die im folgenden meist nur mit dem Namen des Verfassers zitiert werden: Leuckart, Ai'tikel „Zeugung", Wagners Handwörterbuch der Physiologie 4 (1853). Hansen, Physiologie der Zeugung. Hermanns Handbuch der Physiologie 6 (2) 1881. S. Exner, Physiologie der männlichen Geschlechtsfunktionen. Handbuch der Urologie, herausgegeben von v. Frisch und Zuckerkandl, 1903. I. Die mäunliclieu Geschlechtsdrüsen und ihr Sekret. Der Hoden oder Testikel hat eiue doppelte Funktion : einmal als Bildungs- stätte des wichtigsten Samenbestandteiles, der Samenfäden, und zweitens als Organ, das Substanzen an Blut und Lymphe abgibt, die für den Haushalt und die Funktion des ganzen Organismus von Bedeutung sind. Seine Ent- fernung durch Operation (Kastration) oder seine Zerstörung durch krankhafte Prozesse hebt daher erstens die Zeugungsfähigkeit auf, hat aber zweitens auch Wirkungen auf den Gesamtstoffwechsel und die Funktion anderer Or- gane. An dieser Stelle kommt nur die Bedeutung des Hodens als Samen- bildner zur Besprechung, während seine „innere Sekretion" an anderer Stelle gewürdigt wird, im Zusammenhang mit den sogenannten „Drüsen ohne Aus- führungsgang 1)". 1. Die Bildung der Samenfäden. Der funktionell wichtigste Bestandteil des Samens wird in den ge- wundenen Samenkanälchen des Hodens gebildet; diese sind knäuelförmig zu- sammengewunden in durch bindegewebige Septa (unvollkommen) getrennten Fächern des Hodens gelegen und bilden dessen eigentliches Parenchym. Die Kanälchen sind wenig oder gar nicht verzweigt und zeigen Anastomosen wenn überhaupt, nur ganz selten. Ihre Gesamtlänge dürfte unter Zu- grundelegung der Berechnungen von Lauth^) und Krause^) auf 580 bzw. 340 m zu veranschlagen sein. ') Siehe oben S. 42 bis 45. — '■') jSlem. sur le testicule liumain. Mem. bist, natur. de Strassbourg 1 (1830). — ^) Müllers Arcb. 1837, S. 20. Bilduno; der Samenfäden. 47 Mehrere gewundene Kanälchen vereinigen sich zu einem geraden Kanäl- chen, die in das netzartig kommunizierende Kanalsystem des Hetetestis Haller i einmünden. Aus diesem wird der Inhalt in das Kanalsystem des Nebenhodens weiter geführt, dessen Anordnung aus Fig. 9 ersichtlich ist. Die Einzelheiten des histiologischen Baues des Hodens im allgemeinen und der Samenkauälchen im besonderen, sowie auch die Entstehung der Spermien oder Samenfäden aus dem Epithel der Kanälchen fallen außerhalb des Bereichs dieses Werkes. Hier können nur die folgenden physiologisch wichtigen Tatsachen Erwähnung finden i). Beim Neugeborenen sind, ebenso wie beim Fötus, die .Jvanälchen" noch lumenlos, d. h. mit großkernigen Zellen völlig ausgefüllt, die in zwei deut- lich gesonderte Arten zerfallen: die Spermatogonien oder Ursamenzeilen und die Sertolischen sogenannten Follikelzellen. Fig. 9. Appendix d. Bete Epithel - Alhuginea Septula Canaliculi contori Lohulus Mediastimim' — Ductus deferens Paradidymis Ductus efferentes ■ Appendix d. Rete Ductus aherrans inf. Canaliculi recii Schema des Verlaufs der Samenkauälchen im Hoden und Nebenhoden (nach Eberth). In der Pubertätszeit vermehren sich die Spermatogonien und liefern als ihr Teilungsprodukt die Spermatocyten, deren der Kanalachse nächst gelegene durch zweimalige Teilung bald die Samenzellen oder Sperma- tiden liefern. Diese letzteren verwandeln sich unter Bildung eines der Achse zugewendeten Schwanzes in die Samenfäden oder Spermien um. Die dichten Büschel der Schwänze erfüllen selbst im reifen Samenkauälchen den axialen Teil so vollständig, daß von einem eigentlichen Lumen, durch das etwa eine Flüssigkeit strömen könnte, im allgemeinen nicht zu sprechen ist. In der Zwischensubstanz des Hodens finden sich zahlreiche Zellen mit kristallischen oder kristalloiden Einschlüssen. Das Lymphgefäßsystem des Hodens ist besonders stark entwickelt und kann durch bloßes Einstechen einer Pravaz spritze ins Parenchym mit einer Farblösung (z. B. Berlinerblau) injiziert werden, da es ein Netz vielfach kommu- nizierender Spalträume darstellt. ^) Näheres vgl. unter anderem bei Eberth, Die männlichen Geschlechtsorgane, in Bardelebens Handb. d. Anat. d. Menschen 1904. 48 Eigenschaften des Samens. 2. Der ejakulierte Same, a) Die Menge des entleerten Samens. Die Menge des bei einer Ejakulation entleerten Samens schwankt zwischen sehr niedrigen Werten (Bruchteilen eines Cubikcentimeters) und einem wahr- scheinlichen Maximum von 5 bis 6 ccm. Größere Mengen dürften große Selten- heiten sein. Als Durchschnittszahl wird 3 ccm gerechnet werden können. Mantegazza^) gibt die Menge zu 0,75 bis 6 ccm an, Lode^) zu 1,8 bis 5 ccm. Bei Wiederholung der Samenentleerungen in kurzen Zeiten, z. B. mehrerer innerhalb 12 Stunden, scheint die Menge abzunehmen, während von einem Tage zum anderen beim gesunden Menschen sich im allgemeinen die Flüssigkeitsmenge schon wieder ergänzt haben dürfte (über den Gehalt an Samenfäden unter diesen verschiedenen Umständen siehe unten S. 51). b) Die Beschaffenheit des entleerten Samens. Das spezifische Gewicht schwankt nach Lode^) zwischen 1027 und 1046, beträgt im Mittel 1036. Die Konsistenz des ejakulierten Samens ist die einer fadenziehenden klebrigen Flüssigkeit, die in den ersten Minuten nach der Entleerung gela- tinierend wird, um nach einigen Minuten wieder dünnflüssiger und weniger klebrig zu werden. Das Aussehen ist schwach milchig, doch noch deutlich durchscheinend, häufig mit gelblichem oder grünlichem Schein. Der Samen im Ductus deferens vor der Beimischung der anderen Drüsensekrete ist noch milchiger. Die weiße Farbe kommt wie bei der Milch durch die Lichtreflexion an den körpei'lichen Bestandteilen her. Der Geruch, wahrscheinlich von dem aus der Prostata stammenden Spermin herrührend, ist eigenartig, übrigens nicht sehr intensiv. Von Leuk- kart*) wird er mit dem Geruch von Knochenfeilspänen verglichen. Sehr ähnlich ist der Geruch der männlichen Blüten einiger Pflanzen (Berheris, Hedera, Castanea). c) Die chemische Zusammensetzung des Samens. Der Samen enthält etwa 90 Proz. Wasser; unter den 10 Proz. festen Stofi'en ist die größere Hälfte Mucin (6 Proz.), der Rest besteht aus Salzen, Eiweiß- und Extraktivstoffen. Die Samenfäden') bestehen aus den Stoffen, die sich überhaupt in solchen Zellen finden, bei denen der Kern einen großen Teil des Ganzen aus- macht. Es finden sich also außer Eiweißstoffen Nuclei'n, Nucleinsäuren und Nucleinbasen, Cerebrosid (dem Cerebrin verwandt), daneben Cholesterin, Lecithin, Spuren von Fett, Salze. ') Gazz. med. italian. Lombardia 1866, No. 34. — -) Arch. f. d. ges. Physiol. 50. — ■') Arch. f. d. ges. Physiol. 50. — ■*) Wagners Handwb. d. Physiol. 4, Artikel Zeugung, S. 819. — ■ ^) Einen sehr eingehenden Bericht über die Erfahrungen betreffs der Chemie der Spermatozoen findet man in den Ergebnissen der Physiologie 3, 1, 1904, referiert von E. Burian. Hier auch recht vollständiges Literaturverzeichnis. Bestandteile des Sperma. 49 Am genauesten ist das Sperma des Lachses durch Miescher^) unter- sucht worden. Die Nucleinsäure des Lachssamens ist an die reichlich vorhandene Base Protamin gebunden, die nach Balke-) die Biui-etreaktion , nicht aber die Xanthoproteinprobe und die Millon sehe Reaktion geben. Neuerdings sind ähnliche Substanzen (Protamine) im Sperma verschiedener Fische untersucht und als Clupein. Sturin, Scombrin usw. unterschieden worden. Auch fand man verschiedene Histone. Vergleiche über diese zurzeit für die Physiologie noch ziemlich unfruchtbaren chemischen Untersuchungen die zitierte Über- sicht von Burian. Die Spermaflüssigkeit soll außer verschiedenen Eiweißstoffen und Salzen nach Posner 3) eine der Prostata entstammende Albumose enthalten. Der- Oselben Herkunft ist, wenigstens teilweise, das Spermin, das den Riechstoff des Samens bildet. V.s ist eine Base, nach ihrem Entdecker Schreiner*) auch Schreinersche Base genannt und von der Zusammensetzung (C2H-, N)2, im Samen an Phosphorsäure gebunden: es tritt im eingetrockneten Samen in Form der sogenannten Schreinerschen oder Böttcherschen ') Kristalle auf. Ladenburg und Abel*^) bezeichnen es als Diäthylendiimin oder Piperazin. Das Spermin wurde auch in anderen Körperflüssigkeiten gefunden, so von Schreiner im Blute Leukämischer und im Sputum bei Bronchiektasie. wo es in Form der Charcot-Leydenschen .,Asthmakri8talle" erscheinen soll. Auch im Hoden selbst findet sich übrigens Spermin, ferner ist es im Eierstock, dem Pankreas, der Milz und Schilddrüse nachgewiesen (Poehl-). Der Prostatasaft allein liefert die erwähnten Kristalle nicht, sondern erst nach Zusatz von Ammoniumphosphat (Fürbringer "*). Die Übereinstimmung der Schreinerschen und der Charcot-Leyden- schen Kristalle wird übrigens bestritten, da jene sich nicht wie diese in Formaldehyd und Alkalien lösen und auch die Kristallformen nicht überein- stimmen. Die vou Florence*) angegebene Probe mit Kaliumtrijodür (KJ3) zum Nach- weis des Sperma in eingetrockneten Flecken liefert insofern kein eindeutiges Re- sultat, als auch andere organische Substanzen, die Cholin enthalten (Richter'"). Bocarius'*), auch Eiter (Gumprecht '^), dieselbe Reaktion geben; doch scheint bei menschlichem Samen die Reaktion besonders sicher einzutreten. Das Reagens besteht aus einer Lösung von Jod (2,54 g) in Jodkaliumlösung (1,65 auf 30 g). Dvornitschenko '^) hält sowohl positiven wie negativen Ausfall der Probe für nicht beweisend, Richter (I.e.) hält das Ausbleiben der Reaktion für einen Beweis der Abwesenheit von Samen, ebenso Secco''*), der übrigens die Reaktion des Cholin erst bei Zusatz von HCl eintreten sah. ') Yerh. naturhistor. Gesellsch. Basel 6 (1874) u. Ber. d. deutsch, ehem. tresellsch. 7 (1874). — -) Journ. prakt. Chem., N. F., 47, 559, 1893 (auch Inaug.- Diss., Leipzig 1892). — ■') Berl. klin. Wochenschr. 1888, Nr. 21; Zentralbl. f. d. mediz. "Wissensch. 1850, Nr. 27. — ") Ann. d. Chem. u. Pharmak. 194 (1878). — '") Virchows Arch. 32 (1865). — ') Ber. d. deutsch, chem. Ges. 21, 758, 1888; 23, 326 u. 3740; 24, 2400, 1891. — 0 Die physiologischen Grundlagen der Spermiu- theorie, Petersburg 1898. — ®) Die Störungen der Geschlechtsfunktion beim Manne, Nothnagels Pathologie u. Therapie 19, 3, 7. — ^) Revue de med. leg., Paris 1897 und Arch. d'Anthrop. crimin. 10. — '") Wiener klin. Wochenschr. 24 (1897). — ") Zeitschr. f. physiol. Chem. 34, 39, 1902. — '^) Zentralbl. f. allg. Pathol. und pathol. Anat. 9, 577, 1898. — ^''') Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med. (3), 20, 12, 1900. — ") Wiener klin. Wochenschr. 24 (1897). Nagel, Physiologie des Menschen. II. ^ 50 Bau der Sameufäden. 3. Die Samenfäden, a) Bau d e i" Samenfäden. An geformten Elementen enthält der normale Samen außer verschieden- artigen losgelösten Zellen- des Hodens, der Prostata, der Samenblasen und der Samenwege, sowie verschiedenen Konkretionen i) als wichtigsten Be- standteil die Samenfäden oder Spermatozoon (auch als Spermien, Sper- matosomen, Spermatozoiden, Samentierchen, Samenkörper bezeichnet), die zu Fig. 10. Fig. 11. ABC r y^ — \ "^ Kopf -- Verbindungs- -. stück L. Gal. Haiiptstück -- Spermien des Menschen (nach Eberth). A von der Fläche, B im Profil, C ösenartig ein- gerollter Samenfaden. VergröiJerung inOO. den ersten durch das Mikroskop ent- deckten Objekten gehören (Leeu- wenhoek, 1677). Der einzelne Samenfaden hat den morphologischen Wert einer Zelle. Er setzt sich zusammen aus dem Kopf (dem Kernanteil), dem Verbindungs stück (Centrosomen- anteil) und dem Schwanzfaden (Protoplasmaanteil), siehe Fig. 10, aus der die Gestalt des Kopfes und die Größenverhäitnisse der einzelnen Teile ersichtlich sind. Die Dimensionen sind beim menschlichen Samenfaden folgende : p. 1). ') Vgl. bezüglich der Kristalle im männlichen Genitaltraktus Th. Colin, Zentralbl. f. allg. Patliol. und pathol. Anat. 10, 940, 1899 und Reinke, Arcli. f. miki-. Anat. 34 (1896). Schema eines Meuschenspermiums, vorderer Teil. Originalzeichnung von Meves, Größe des Originals. Cp. Caput (Kopf); C\. Collum (Hals); Cfl. Cauila' (Schwanz); P. a. Pars anterior capitis (Vorderstück des Kopfes); L. Gal. Limes &aleae (Grenze der Kopf- klappe); P. p). Pars posterior capitis (Hinteratück des Kopfes); Nd. a. Nodidi anteriores (vordere Cen- trosomknötchen, Halsknötchen); Ms. int. Miissa inter- media (Zwischenmasse des Halses); Nd. p. NoduU jiosteriores (hintere Centrosomknötchen); Spir. Spiral- faden , Inv. Involueritm (Hülle des Achsenfadens im Verbindungsstück — blau); P. c. Pars conjimctionis (VerbinduuHSStück); Mich Mitochondria; Sl>. int. Suh- stantiü intcriiii'ilia (Zwischensubstanz der Spiralhülle); Ann. Annulus (Schlußring); J*'. jjr. Piliim principah- (Hauptfaden); Inv. Invohicrutn (Hülle des Haupt- fadens— blau); P. p)-. Pars principalis (Hauptstück des Schwanzes). Menge der Samenfäden. 5 1 Länge des Kopfes 3 bis 5^, Breite desselben 2 bis 3(i: Länge des Mittel- stückes 6fiA, Dicke 1^: Länge des Schwanzes 40 bis 60^, Gesamtlänge also 50 bis 70 ^u-. Über den feineren Bau des Vorderstückes eines Samenfadens gibt Fig. 1 1 Aufschluß. Bezüglich der Einzelheiten muß auf die anatomisch-histiologi- schen Werke 1) verwiesen werden (vgl. insbesondere Eberth, Die männlichen Geschlechtsorgane in Bardelebens Handbuch der Anatomie des Menschen, Lieferung 12, Jena 1904). Durch Verbindungsstück und Schwanz zieht als kontinuierlicher Strang der Achsenfaden, mit Ausnahme des kurzen Endstückes von einer zarten Hülle umgeben. Er besteht aus feinen Fibrillen, die sich bei manchen Tieren leicht voneinander trennen. Bei Tieren sind die Samenfäden vielfach abweichend gebaut, der Kopf kann anders gestaltet sein oder scheinbar ganz fehlen ; im letzteren Falle ist am vor- deren Ende des Fadens nur ein durch seine Färbbarkeit sich unterscheidender Teil als Homologon des Kopfes erkennbar. Manche Tiere haben eine kontraktile un- dulierende Membran längs des Schwanzstückes. Bei niederen Tieren fehlt der Schwanz oft gänzlich. b) Menge der Samenfäden. Die Zahl der Samenfäden im Cubikmillimeter ejakulierten Samens wechselt nach Lo de 2) bedeutend; bei schnell sich folgenden Ergießungen nimmt ihre Zahl ab bis zum völligen Verschwinden. Nach zweitägiger Pause war aber der Gehalt an Samenfäden größer als nach sechstägiger Pause im Geschlechtsverkehr. Die Durchschnittszahl pro Cubikmillimeter beträgt nach Lode etwa 60000, die Gesamtmenge in einem normalen Ejakulat etwa 226000000 Samenfäden. Die Zahl der letzteren schwankte zwischen 0 und 551 Millionen. In Versuchen an Hunden konnte Lode durch wiederholt herbeigeführte Ejaku- lationen die Menge der Samenfäden bis auf Null herunterdrücken, ohne daß die Flüssigkeitsmenge entsprechend sank. In den nächsten Tagen nach solchen starken Samenverlusten stieg die Zahl der Spermien im Ejakulat weit über das Durchschnittsmaß. Längere Zeit (8 bis 10 Tage) nach einer Entleerung war aber diese Steigerung wieder rückgängig geworden und die Zahl der Samenfäden sogar abnorm gering, was Exner zu der Auffassung veranlaßte, an Zugrundegehen der Spermien in den Samenblasen zu denken. Als Azoospermie wird ein pathologisches Verhalten beschi'ieben, bei dem zwar Samen in mehr oder weniger normaler Weise entleert wird, dieser aber keine Samenfäden enthält und infolgedessen zur Befruchtung untauglich ist. c) Der Bewegungsmechanismus der Samenfäden. Die Samenfäden innerhalb des Hodens und Nebenhodens bewegen sich nicht aktiv, während sie im entleerten Samen normalerweise in lebhafter Bewegung sind. Die Bewegungsweise der Samenfäden ist derjenigen mancher flagellateu Protisten in gewisser Hinsicht ähnlich, sofern sie durch die peitschenartigen ^) Von älteren Forschern hat, wie der Vergleich mit den neuesten Angaben zeigt, Eimer (Verhandl. der Würzburger physik.-med. Gresellsch.) die Struktur des Samens am richtigsten beschrieben. — ■^) Arch. f. d. ges. Physiol. 50 278. 4* 52 Mechanismus der Samenfaden-Bewegung. Bewegungen eines Geißelfadens erfolgt, jenen aber auch wiederum insofern unähnlich, als der Geißelfaden nicht wie bei den meisten Flagellaten am Vorderende, sondern am Hinterende sitzt, der Mechanismus der Lokomotion also ein wesentlich anderer sein muß. Genaue Analyse der Bewegung ist wegen der großen Geschwindigkeit nicht wohl möglich, wenigstens solange der Samen in frischem normalem Zustande ist. Die Übertragung der bei träge gewordener Bewegung beobachteten Erschei- nungen auf die normalen Verhältnisse ist gewiß nicht ohne weiteres zulässig. Hensen, der die mechanischen Bedingungen der Lokomotion wohl am meisten zutreffend erörtert hat, geht von der Betrachtung der Wirkung der undulierenden Membranen aus, wie sie sich bei Amphibien finden, und gibt an der Hand eines Diagrammes an, wie bei der Fortpflanzung von Wellen in dieser Membran vom Kopf zum Schwanz eine den Kopf vorwärts treibende Komponente resultiert. Für die langsamere Bewegung bezieht sich Hensen auf das neben- stehende Diagramm (Fig. 12). „Das Körperchen dreht sich um eine senkrecht durch seinen Schwerpunkt gehende translatorisch fort- bewegte Achse. Von der Ruhestellung links ausgehend biegt es sich zur Kurve a, dann zur Kurve f> und c. Dabei entwickeln sich diejenigen Kraftkomponenten, welche die Pfeile verzeichnen. Die vertikalen, nach aß gehenden, treiben den Schwerpunkt vorwärts, die horizontalen be- dingen eine Verschiebung des Teiles nach links, welche gleich nachher durch die von d aus beginnende Bewegung Diagramm der Samen- kompensiert wird" (Hensen, 1. c, S. 90). faden -Bewe^Kung nach pj^g^ Beschreibung Hensens scheint mir für viele Samenfädenpräparate zutreffend; das Oszillieren des Kopfes um den wahrscheinlichen Schwerpunkt ist häufig unverkennbar (auch beim menschlichen Sperma), es gibt der Bewegung das seltsam Taumelnde, Wackelnde, wobei eine erhebliche Energievergeudung vorliegen würde, falls die geradlinige Lokomotion der einzige Zweck der Bewegung wäre. Man sieht indessen gerade bei Warmblütersperma und menschlichem Sperma in frischem Zustande sehr häufig Samenfäden in geradliniger Bewegung vorwärts streben, ohne das geringste Oszillieren des Kopfes; der Schwanz schlägt dann nicht als Ganzes hin und her, sondern macht schlängelnde Bewegungen mit von vorn nach hinten ablaufenden Wellen. Das Spermatozoid schwimmt dann nach Art der Molche, Aale oder der Ringelnatter, während die oben beschriebene Bewegungsart dem Schwimmen der meisten Fische ähnelt, nur daß bei diesen die ungleich größere Masse des Körpers (und die steuernde Rückenflosse) diesen in geradliniger Bewegung vorwärts gleiten läßt, ohne das Oszillieren beim Schwanzschlag. Diese Schlängelbewegung ist es, die Hensen als Bewegung des frischen, schnellheweglichen Samenfadens beschrieben hat. Man findet sie übrigens auch bei Spermien, die ihre Bewegungen so iangsam ausführen, daß man deren einzelne Phasen genau verfolgen kann. Trotzdem schwimmen solche Fäden mit langsam schlagender Geißel oft ganz ohne Wackelbewegung. Ich habe den Eindruck, daß letztere, wenn nicht immer, so doch häufig auf einem Widerstand beruht, der sich der Vorwärtsbewegung entgegensetzt. Beginnende Gerinnungen, Schleimfäden usw. im Präparate bieten dazu ja reichlich Anlaß. Mecliauismus der Sameufadeu-Bew eguug. 53 Die normal schlängelnde Bewegung der Samenfäden kann durch nebenstehende schematische Figur (Fig. 13) veranschaulicht werden, bei der indessen der denkbar ein- fachste Fall einer derartigen Bewegung angenommen ist. Die Phasen 1 bis 7 folgen sich von links nach rechts. Eine Ausbiegung des Fadens gleitet schnell vom Kopfende zum Schwanzende unter allmählicher Abflachung. Dabei resultieren die bei Phase 2 angezeichneten Kraftkompo- neuten. Indem der bei « gelegene Teil der Ausbieguug caudalwärts gleitet, ei'gibt sich eine Komponente, die den ganzen Faden vorwärts schiebt, und eine, die die betreffende Partie des Fadens nach rechts treibt. In der Gegend des Punktes b ergibt sich eben- Schema der Schlängelbewegung eines Samenfadens, falls eine vorwärtsschiebende Kompo- nente und eine seitwärts treibende , die der bei a entstehenden entgegenwirkt und sie, wenn der ganze Faden in sich hinreichend steif ist, kompensiert. Bei Phase 4, wo die "Welle sich dem Ende des Schwanzes nähert, beginnt am Kopfteil eine neue Welle. Die dazu nötige Deformation des Fadens wird die Wirk- samkeit der ersten Welle zunächst etwas herabsetzen, jedoch nicht aufheben. Manche Autoren, namentlicli Eimer i), haben rotierende Bewegung der Samenfäden beschrieben, bei der der Schwanz eine trichterförmige Fläche durchlaufen sollte. Mensen und v. Brunn 2) konnten diese Beobachtung nicht bestätigen. Ich habe in frischem Sperma Rotation um die Längsachse (an dem platten Kopf erkennbar) deutlich konstatieren können, jedoch nur an einzelnen Individuen, während andere ebenso bestimmt eine solche Ro- tation vermissen ließen. Auch die Rotation halte ich (wie die Oszillation) für Folge eines Widerstandes gegen die Progressivbewegung, die, dem Zwecke des Spermatozoids entsprechend, in diesem Falle in eine bohrende Bewegung übergeht. Bei Betrachtung eines frischen Spermapräparates gewinnt man den Eindruck, als ob im ganzen Gesichtsfelde des Mikroskopes eine rhythmische Bewegung erfolge, mit etwa 10 Oszillationen pro Sekunde. Da dieser Ehythmus in dem Bewegungs- tempo der Samenfäden nicht wohl begründet sein kann und auch bei Betrachtung anderer Präparate mit schnellen Bewegungen erscheint, halte ich ihn für etwas rein Subjektives, in der Funktion des Auges Begründetes. Über die für die Befruchtungslehre wichtigen Beobachtungen v. Dun- gerns^) über die Bewegungserscheinungen an tierischem Sperma vergleiche unten S. 56. Die Geschwindigkeit des einzelneu Schwanzschlages bei noch nicht ab- geschwächter Bewegung schätzt Hensen auf weniger als V4 Sekunde, was mir nach meinen Beobachtungen zutreffend erscheint. Die Geschwindigkeit der Lokomotion gibt Lott*) zu 0,06 mm in der Sekunde, 3,6 mm in der Minute an. Beim Kaninchen fand Bischoff das Sperma 9 bis 10 Stunden nach dem Coitus auf dem Ovarium, was mit der Lottschen Angabe wohl in Einklang zu bringen ist. Die Art, wie das Sperma zum Ei gelangt, wird weiter unten noch zu erörtern sein. Hier sei nur erwähnt, daß jedenfalls die Flimmerbewegung im ') Verhandl. d. physik.-med. Gesellsch. Würzburg, N. F., G. — ^) Arch. f. mikrosk. Anat. 12 und 23. — ^) Zeitschr. f. allgem. Physiol. 1 (1901) und Zentralbl. f. Physiol. 15 (1901). — ") Anat. u. PhysicJ. des Cervix uteri, Erlangen 1871. 54 Cheuiotaxis und Lebensdauer der Samenfäden. Uterus und Eileiter nicht die Beförderung des Samens besorgen kann, da sie in umgekehrter Richtung wirkt, der Samenbewegung entgegen. Es bleibt somit nur die Möglichkeit der Fortbewegung durch Peristaltik oder durch die Kigenbewegung des Sperma. Die Samenfäden reagieren positiv chemotaktisch auf den Cervicalschleim (Chrobak^), wie sich auch im mikroskopischen Präparat zeigen läßt (Selig- mann^). Gegen den sauren Vaginalschleim scheint negative Chemotaxis zu bestehen. Massant'') hat bei den Samenfäden des Frosches chemotaktische Reaktionen nicht nachweisen können. Die wichtigsten Versuche auf diesem Gebiete sind diejenigen 0. Löws^), die die chemotaktische Wirkung des Uterus- und Tubenschleims deutlich erwiesen und auch stärker erscheinen ließen als die Chemotaxis in reinem Alkali gleicher Konzentration. Die neuen Versuche von Schücking^^) an Echinodermeneiern und -Spermien bieten zwar an und für sich nicht unerhebliches physiologisches Interesse, doch sind die Verhältnisse bei diesen Tieren allzu verschieden von den beim Menschen bestehenden, als daß hier mehr als ein flüchtiger Hinweis auf jene Versuche am Platze wäre. d) Die Widerstandsfähigkeit der Samenfäden gegen physikalische und chemische Einwirkungen**). Uuter geeigneten Umständen haben die Samenfäden noch außerhalb des männlichen Organismus eine Lebensdauer von mehreren Wochen. Ahlfeld') hat sie bei Körpertemperatur im Brütschrank acht Tage lebend und beweg- lich gesehen, Hausmann"^) ebenso lange in den Genitalien des Weibes, Dührssen^) hier gar dreieinhalb Wochen lang. Bei Tieren ist die Haltbarkeit des Samens zum Teil noch wesentlich größer; im Receptaculum seminis der Bienenkönigin bleibt der Same jahre- lang lebendig, im Uterus der Fledermaus den ganzen Winter hindurch. Im Wasser erlischt die Bewegung der Samenfäden , und es tritt die „ösenartige EinroUuug" des Schwanzes ein (siehe Fig. 10 c auf S. 50). Auch saure Flüssigkeiten hemmen die Bewegung. Schwach alkalische Flüssigkeiten von geeigneter osmotischer Spannung begünstigen und erhöhen dagegen die Beweglichkeit, können auch (ebenso wie Zucker-, Salz- und Harustofflösungen) die wasserstarr gewordenen Fäden wieder erwecken. Stärkere Alkalien, wie auch die stärkeren Lösungen sonst indifferenter Substanzen (Harnstoff, Zucker, Chlornatrium) hemmen, ganz schwache ebenfalls, und nur bei einer für jede Substanz charakteristischen mittleren Konzentration sind sie unschäd- ich. Die Spermien sind also wie die übrigen Körperzellen auf eine andere osmotische Spannung eingestellt als die im Wasser frei lebenden Protisten. Xarkotica in geringer Menge lähmen vorübergehend, stärkere dauernd. 0 Wiener klin. Wochenschr. Nr. 51, 1901. — '') Zentralbl. f. Gynäkol., Jahrg. 20. — '■') Bull, de l'Acad. scienc. Beige 15, S. 750. — ') Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wissensch. 111 (190'2). — ^) Arch. f. d. ges. Physiol. 97, 58, 1903. — *) Vgl. Engelmann, Jenaische Zeitschr. f. Med. und Naturkunde 4, 321. Anker- manni De motu et evolutione usw. Inaug.-Dissert. Regiomont. 1854. KöUiker, Zeitschr. f. wiss. Zool. 7, 181, 1856. — 0 Deutsche med. Wochenschr. 1880. — *) Über das Verhalten der Samenfäden, Berlin 1879. — ") Sitzungsber. d. Gesellsch. f. Geburtshilfe und Gynäk., Berlin 1893. Bedeutung der Eichtiingsreize bei dei- Befruchtung. 55 Über den Einfluß verschiedener Temperaturen berichten Mantegazza ^) und Engelmann-). Ein Optimum für die Beweglichkeit liegt bei 35" (Engel mann). Die obere Grenze, bei der das Leben der Fäden wenigstens noch einige Zeit bestehen bleiben kann, ist 43 bis 44*^, letztere Zahl nach Mantegazza für menschliches Sperma gültig. Nach demselben Autor kann bei 0'^ aufbewahrter Same noch nach sechs Tagen wenigstens teilweise wieder belebt werden; selbst Einfrieren bei — 15*' soll die Wiederbelebung nicht ausschließen. Ozon wirkt nach Abraham'^) in hohem Grade schädlich, indem es bei den in indifferenten Lösungen befindlichen Samenfäden den Koj^f zur Auf- blähung bringt. e) Das Verhalten der Samenfäden bei dem Befruchtungsakt. Die Befruchtung erfolgt in der Weise, daß ein Samenfaden in das Ei eindringt. Beim Menschen geschieht dies sehr wahrscheinlich meistens während der Wanderung des Eies durch den Eileiter. Im einzelnen sind die Vorgänge, die sich zwischen der Einführung des Samens in die weiblichen Genitalien und der Vereinigung der männlichen und weiblichen Keimzellen, dem eigentlichen Befruchtungsakte, abspielen, noch so gut wie ganz unaufgeklärt. Die Hauptmasse des Samens wird in die Vagina entleert und geht dort infolge der Einwirkung des sauren Schleimes bald zugrunde. Die früher wohl geäußerte Vermutung, das Orißcinni externum urethrae würde beim Coitus auf den äußeren Muttermund gepreßt und das Sperma so direkt in das Cavum uteri gespritzt, entbehrt jeder Begründung durch Beobachtungen. Viel mehr Wahrscheinlichkeit hat die Annahme für sich, daß während der sexuellen Erregung aus dem Muttermunde zäher elastischer Schleim hervor- trete, in den zahlreiche Spermien eindringen, um dann in diesem ihre Be- weglichkeit begünstigenden Medium den Cervix uteri zu passieren. Auch könnte bei der von Frauenärzten behaupteten nachherigen Zurückziehung des Cervixschleimes in den Uterushals eine große Menge Samenfäden gleich- zeitig in den Uterus hineinbefördert werden. Schwieriger ist die Weiterbewegung des Samens zu verstehen. Der Flimmerstrom des Epithels sowohl im Uterus wie in den Tuben geht gegen den Muttermund hin, kann also die Samenfäden sicherlich nicht nach oben zu bewegen. Dagegen wäre es leicht möglich, daß der Flimmerstrom indirekt von Bedeutung ist, indem er die Samenfäden anregt, gegen den Strom zu schwimmen. Daß eine solche „Rheotaxis" der Samenfäden wahrschein- licher ist, als positive Chemotaxis zum Ei, darauf hat Verworn^) hin- gewiesen; die Spermien wandern auch aufwärts, wenn noch kein Ei aus dem Eierstock ausgetreten ist. Roth •') konnte auch in der Tat sowohl bei Bak- terien wie bei Samenfäden positive Rheotaxis nachweisen. Wenn, wie wohl kaum zu bezweifeln ist, die Auffassung zutreffend ist, daß die Befruchtung meistens im Eileiter erfolgt, kann man nicht umhin, einen Richtungsreiz anzunehmen, der die Samenfäden veranlaßt, in das uterine Tubenende einzudringen. Rheotaxis ist hierfür noch am annehmbarsten. ') Gazz. med. ital. Lombard. (5), 5 (1886). — '^) Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturwiss. 4, 321. — =*) Onderzoek. physiol. Labor. Utrecht (3) 3, 389. — ^) All- gemeine PhysioL, 2. Aufl. 1897, S. 450. — '"") Deutsche med. Wochenschr. 1893, Nr. 15. 5(j Bedeutung der Rielitungsieize bei der Befruchtung-. Weniger bestimmt kann behauptet werden, daß es ein Ricbtungsreiz sei, der das in die Nähe eines Eies gelangte Spermatozoon zum Eindringen in dieses veranlaßt. Pflanzenphysiologische Erfahrungen über Chemotaxis der Samenzellen liegen ja allerdings in nicht geringer Zahl und gut beglaubigt vor, vor allem von selten Pfeffers i). Pfeffer gelang es auch, bestimmte chemisch wohl definierte Substanzen als Ursachen dieser Chemotaxis zu er- mitteln (Apfelsäure, Zucker). Für die tierischen Samenfäden sind entsprechende Reaktionen nicht mit hinreichender Sicherheit ermittelt , abgesehen von der oben erwähnten posi- tiven Chemotaxis gegen den alkalischen Cervical- und Tubenschleim, die nicht einmal das Einwandern der Spermien aus dem Uterus in die Tuben erklären. Der Schluß , daß die Spermien überhaupt nicht durch Chemotaxis gegen das Ei zur Befruchtung gebracht werden, wäre natürlich verfrüht. Gewisse sogleich zu erwähnende Beobachtungen v. Duugerns-) weisen doch auf eine Beeinflussung der Samenfäden durch Eisubstanzen hin, die freilich nicht als einfache chemotaktische bezeichnet werden kann. Bei Tieren, die wie die Seeigel und Seesterne Eier und Samen ins Wasser entleeren, muß eine Schutzvorrichtung gegen das Eindringen fremder Samenfäden in das Ei angenommen werden , da sonst Bastardbildungen all- täglich wären, wenn Seestei'ne und Seeigel im gleichen Behälter gehalten werden. Tatsächlich geschieht das aber nicht, sondern es besteht eine „Spe- zifizität der Befruchtung", deren Wesen v. Dungern (I. c.) näher unter- sucht hat; V. Dungern führt diese Erscheinung auf die Immunisierungs- erscheinungen zurück. In Seesterneiern finden sich hitzebeständige Substanzen, die schon in ge- ringer Dosis Seeigelsperniien töten, für Seesternspermien aber unschädlich sind. Das umgekehrte Verhältnis besteht jedoch nicht, und so würde es zwar wohl verständlich, warum Seesternspermien nicht in Seeigeleier eindringen können, nicht aber, warum die Seeigelspermien außerstande sind, in Seesterneier sich einzubohren , die doch keine für sie tödlichen Stoffe enthalten. An- lockende Substanzen in den Eiern konnte v. Dungern so wenig finden, wie Buller 3). Dagegen fand v. Dungern sowohl in Eliern der Seesterne wie der Seeigel ..agglutinierende" Stoffe, die ein Zusammenbacken der Samenfäden untereinander und mit der Gallerthülle bewirken, wenn es sich um Samen der anderen Art handelt. Für die Säugetierphysiologie kommen diese Dinge infolge der durch die innere Begattung veränderten Bedingungen kaum in Betracht. Die folgenden Beobachtungen sind dagegen auch im Hinblick auf die Säugerphysiologie beachtenswert. V. Dungern beschi-eibt (freilich in nicht ganz klarer Weise) modi- fizierende Einwirkung von chemischen und mechanischen Reizen auf die Lo- komotionsweise der Samenfäden; alle Reize, die von einem festen Körper ausgehen, an den der Samenfaden mit dem Kopf anstößt, wirken nach V. Dungern so, daß es dem Samenfaden unmöglich gemacht wird, sich senkrecht gegen die Oberfläche des festen Körpers (des Eies) zu stellen. Das Spermatozoon gleitet vielmehr stets seitlich ab. Andererseits haben ') Untersuchungen aus dem bot. Instit. Tübingen 1 und 2. — '^) Zentralbl. f. Pbysiol. 1901, Nr. 1 und Zeitschr f. allgem. Physiol. 1, 1, 1901. — ^) Report of Brit. Assoc. 1900, 387. Bau der Sameiiblasen. 57 Substauzeu , die den Erregungszustand herabsetzen, die \\'irliung, eine mehr geradlinige Bewegung anstatt der schraubenförmigen eintreten zu lassen, bzw. bei Berührung mit einem festen Körper den Kopf senkrecht gegen diesen zu stellen. Im letzteren Falle sind also die für das Einbohren des Spermatozoons in das Ei günstigsten Bedingungen gegeben. Ob derartige Beobachtungen das Zustandekommen der Befruchtung ge- nügend erklären, kann bezweifelt werden. Immerhin muß bedacht werden, daß für die Samenfäden, die einmal im Uterus oder in der Tube sind, das Ei normalerweise der einzige größere feste Körper ist, auf den sie treffen. Die Wandungen sind alle mit Flimmerzellen bekleidet, die den Ansturm der Spermien wohl abschlagen Avürden, auch wenn sie nicht, wie zu vermuten, durch eine Schicht zähen Schleimes schon davor geschützt bleiben sollten. Nimmt man nun noch hinzu, daß das reife Ei höchstwahrscheinlich dem Eindringen des ersten Spermatozoons keinen besonderen Widerstand ent- gegensetzt, es vielleicht sogar begünstigt, so erscheint es nicht mehr so wunderbar, daß der Samenfaden, nachdem er einmal an den richtigen Platz gelangt ist, vermittelst der beschriebenen Eigentümlichkeiten seiner Bewe- gungen und Reaktionen die Befruchtung wirklich besorgt. II. Die accessorischen Drüsen des männlich eu (xenitalapparates und ilire Sekrete. 1. Die Funktionen der Samenblasen. Die Samenblasen stellen schlauchartige Anhänge des Ductus dcfcrens dar, 10 bis 12cm lang und ü bis 7 cm dick. Der Schlauch ist m mehr- fachen Windungen zusammengelegt , so daß die Gesamtlänge des von einer Bindegewebshülle umschlossenen Organs nur 6 bis 8 cm beträgt. ' Von dem Hauptschlauch gehen Divertikel von sehr wechselnder Zahl und Länge aub. Die Samenblasen münden mit einem ganz kurzen Endstück in den Samen- leiter hinter (unterhalb) dessen ampullenförmiger Erweiterung (Fig. 14). Die Wand der Samenblasen besteht außer aus dem Bindegewebe und spärlicher glatter Muskulatur aus einem Epithel , da« sehr verschieden be- schrieben wird und offenbar je nach dem Tätigkeitszustande zwischen Platten- epithel- und Zylinderepithelformen schwankt. Bei Tieren ist Veränderung des Epithels durch die Begattung und die Reizung des sekretorischen Nerven beobachtet worden (Stilling'), Akutsu^). Die Zellen sind in der Ruhe größer und plasmareicher als im Tätigkeitszustande. Vielumstritten ist die Frage, ob die sog. Samenblasen als Behälter für den aus den Hoden zugeführten Samen („Receptacuhim seminis''^) funk- tionieren, oder ob ihre Bedeutung nur in der Bildung eines Sekretes liegt, das dem Samen beigemischt wird. Als eindeutig entschieden kann die Frage auch heute noch nicht gelten, doch wird neuerdings die sekretorische Funktion allgemein in den Vordergrund gestellt. Auffallend sind die großen Verschiedenheiten in der Lage , Größe und den sonstigen Eigenschaften der Samenblasen bei verschiedenen Tieren. ') Yirchows Arch. 98 (tS84). — ') Arch. f. d. ges. Physiol. 9G, 1903. Ductus defer. Divertikel 58 Sekret der Samenhlasen. Bei den Schnabeltieren, Beuteltieren, Walen. Raubtieren und unter den In- sektenfressern beim Maulwurf fehlen sie ganz, bei den Nagern dagegen und beim Igel sind sie stark entwickelt. Nicht überall münden sie in den Samenleiter, sondern bei einzelnen Familien in den Sinns urngenitaVis. Nä- heres siehe bei Oudemansi), Rehfisch^), Disselhorst ') und Steinach ^). Auch das Sekret des Samenblasenepithels ist bei den einzelnen Ord- nungen verschieden. Beim Menschen enthalten sie ein zähklebriges gelbliches Sekret, das nach Fürbringer •'') im Ejakulat in Form gequollener Sagokörner erscheint, die sich bei der alsbald eintretenden Verflüssi- gung des Samens auflösen. Sie sollen in der Hauptsache aus Globulinen bestehen. Bei Nagetieren ist das Sekret noch zäher, beim Meerschweinchen und Kaninchen breiig, weißlich trübe, nach der Ejakulation talgartig erstarrend (Leuckart '■'). Landwehr") fand als Bedingung für die Gerinnung Berührung mit Blut und hielt das Koagulat für etwas dem Blutfibrin Ähnliches; Kalk konnte er jedoch nicht nachweisen. Nach Camus und Gley '') ist zur Geriuuung die Berührung mit dem Prostatasekret notwendig; dieses enthält nach den ge- nannten beiden Forschern ein Fei'ment, Vesiculase. Das Prostatasekret des Meerschweinchens kann auf 65 bis 69*^ erhitzt werden, ohne die Fähigkeit zu verlieren, den Samenblaseninhalt zur Gerinnung zu bringen. Bei 70*^ verliert es diese Wirksamkeit. Im Vakuum einge- trocknet kann aber der Prostatasaft über 100^ erhitzt werden, ohne die Gerinnung erzeugende Wirkung zu verlieren •'). Das Prostatasekret des Meerschweinchens bringt auch Samenblasen- sekret von Ratte und Maus zum Gerinnen und umgekehrt. Auf Blut oder Milch übt das Sekret nicht die entsprechende Wirkung; andererseits läßt weder Blut noch Fibrinferment das Samenblasensekret erstarren: die üb- lichen gerinnungshemmenden Mittel, wie Oxalate, Fluoride, Blutegelextrakt und Pepton, haben keinen Einfluß auf die Gerinnung des Samenblaseninhalts. Daraus schließen Camus und Gley, daß hier eine ganz spezifische Wirkung nach dem Prinzip der Fermentwirkung vorliegt. Einmündung ~" der Samenblase Linker Ductus äefercns mit Ampulle und linker Samenblase fnach Eberth). Frontalschaitt. Rückenansicht der vorderen Schnittfläche. Natürliche Größe. ^) Die accessorischen Geschlechtsdrüsen der Säugetiere. Haarlem 1892. — ') Del^tsche med. Wochenschr. 1899, Nr. 16. — ^) Die accessorischen Geschlechts- drüsen der Wirbeltiere, Wiesbaden 1897. — ') Arch. f. d. ges. Physiol. 56 (1894). — =■) Nothnagels Pathol. mid Therapie 19, Teil 3. — «) Wagners Handwb. d. Physiol. 4, 900, 1853. - 0 ^^^^ f_ ^ g.g^_ Physiol. 33. — «) Compt. rend. Acad. scienc. Paris 123, 194. — ") Compt. rend. de soc. biol. 1897. Bedeutung der Sameublasen. 5f) In mancher Hinsicht ähnlich , doch im einzelnen abweichend sind die Gerinnungserscheinungen , die bei dem Nager Myopotamus coypus und beim Igel im Samenblaseninhalt bei Gegenwart von Prostatasekret beobachtet wurden (Camus und Gley i). Die Erfahrungen bei Myopotamus sprechen jedoch nicht für die Gegenwart eines echten Ferments. Die Samenblasen erhalten motorische und sekretorische Innervation. Der motorische Nerv, der die Entleerung bewirkt, entstammt dem N. hypo- gastricKS (Langley^). 3Iislawski und Bormann'*) sahen bei ihren Eeizungen dieses Nerven zum Zweck der Untersuchung der Prostata beim Hunde Samen in die Urethra treten, was sie auf Entleerung der Samenblasen beziehen. Da nach allen anderen An- gaben dem Hunde die Sameublasen fehlen, dürfte es sich um Entleerung von Sperma aus dem Ductus deferens gehandelt haben. Über die physiologische Bedeutung des Sekretes der Samen- blasen kann zurzeit nur das bestimmt ausgesagt werden, daß sie sicherlich bei verschiedenen Tieren verschieden ist. Als sehr wahrscheinlich kann bezeichnet werden, daß bei den Nagetieren das unter der Einwirkung des beigemischten Prostatasekretes schnell erstarrende und reichliche Sekret dazu dient, einen festen Pfropf zu bilden, der nach dem Coitus die Vagina verschließt und das Ausfließen des Samens verhindert (Leuckart*). In Korrelation hiermit steht die Tatsache, daß der Coitus bei diesen Tieren sehr viel schneller beendigt ist als bei anderen Tieren, bei denen der gleiche Zweck durch lange dauernde Immissio penis erreicht wird. Wenn die Bedeutung des Samenblasensekrets bei anderen Tieren und dem Menschen häufig als die der „Verdünnung" des Sperma bezeichnet wird, so muß diese Angabe wohl dahin genauer bestimmt werden, daß es sich hauptsächlich darum handelt, dem Sperma größeres Volumen zu geben, damit die Ejakulation normal eintreten kann. Daß „Verdünnung" des Samens durch das Sekret notwendig wäre, um dieses funktionsfähig zu machen, ist nicht erwiesen und nicht wahrscheinlich. Tarchanoff'') hatte angenommen, die Füllung der Samenblasen mit Samen zur Zeit der Brunst löse den Geschlechtstrieb und im speziellen den Klammerreflex des brünstigen Männchens aus; Eröffnung und Entleerung der Samenblasen und ebenso deren Exstii'pation sollte nach Tarchanoff den Geschlechtstrieb aufheben und den Klammerreflex vernichten. Steinach ^') hat diese Angaben indessen nicht bestätigen können, fand vielmehr Tat- sachen, die mit der Anschauung Tarchanoffs nicht vereinbar sind. Wichtig ist zunächst, daß die Wasserfrösche überhaupt keine Sameublasen haben. Bei den Grasfröschen (mit denen Tarchanoff experimentiert hatte) tritt nach Steinachs Erfahrungen der Trieb zur Umklammerung häufig mehrere Tage vor der Füllung der Samenblasen auf, so daß also nicht wohl an die Erregung ihrer zentripetalen Nerven als Ursache des Klammerreflexes zu denken ist. Wenn Steinach die Samenblasen vor oder während der Brunst (auch während der dadurch nicht immer unterbrochenen Umklamme- ') Compt. reud. de soc. biol. 1900 und Compt. reud. Acad. Scienc. Paris 128. — -) Journ. of Physiol. 12 (1891). Langley und Anderson, ebenda 19, 1895/96. — ä) Zentralbl. f. Physiol. 12, 181, 1898. — ") 1. c. S. 900. — =■) Arch. f. d. ges. Phj'siol. 40, 3:50, 1887. — '•) Ebenda 56, 304, 1894. 60 Bedeutung der Hamenblaseu. rung) exstirpierte, wurde im allgemeinen der Geschlechtstrieb nicht ver- nichtet, selbst die vom Weibchen abgenommenen Männchen umklammerten von neuem. Auch weiße Ratten hatten den Geschlechtstrieb nicht verloren, wenn nach Exstirpation der Samenblasen die Operationswunde verheilt war, sie besprangen vielmehr die AVeibcheu aufs eifrigste. Bei der weiteren Beobachtung der der Samenblasen beraubten Tiere stellte sich aber heraus, daß die operierten Männchen bei weitem weniger günstige Befruchtungsresultate erzielten als intakte. Immerhin ist die Schädigung nicht so stark, wie wenn zugleich die Prostata entfernt wurde. Camus und Gley^) fanden ebenfalls nach Samenblasenexstirpation die Begattungsfähigkeit zwar erhalten, die Fruchtbarkeit aber deutlich vermindert. Dafür, daß das Sekret für die Befruchtung entbehrlich ist, sprechen auch die erfolgreichen Befruchtungsversuche Iwanoffs-) an Hunden mit Sperma, das dem Nebenhoden entnommen war. Lode^) ging bei seinen Versuchen von dem Gedanken aus, daß, wenn die Samenblasen nur Reservoir für Hodensekret wären, einseitige Kastration zur Atrophie der betreffenden Samenblase führen müsse. Da nun eine solche (beim Meerschweinchen) nicht zu beobachten ist, die Blasen vielmehr gleich- mäßig gefüllt gefunden werden, schließt Lode auf Bildung des Inhaltes in den Samenblasen selbst. Beiderseitige Kastration führt beim Rind, Pferd und Meerschweinchen zu starker Rückbildung der Blasen (sie sind beispiels- weise beim Stier 24 cm, beim Ochsen 7 bis 8 cm lang). Das drüsige Epithel atrophiert, das Bindegewebe wird hypei-plastisch. Diese Ei"fahrungen stimmen gut zu den älteren von (iruber^) und Pelikan ^), wonach bei kastrierten Menschen (den Skopzen in Rußland) die Drüsen atrophisch und mit schleimiger Flüssigkeit gefüllt gefunden wurden. Rehfisch''') erklärt auf Grund seiner Beobachtungen an Tieren und Menschen die Samenblasen sowohl für secernierende Organe als auch für Samenreservoirs. Bei Injektion verschiedener Flüssigkeiten in den Ductus deferens sah er, wie schon Regner de Graaf, die Samenblasen sich füllen, ehe ein Tropfen in die Harnröhre trat. Beim Menschen fand Rehfisch, wenn er per rectum auf die Samenblase drückte, nachher Sperma entweder im uächstentleerten Harn, oder er sah es direkt aus der Harnröhre austreten. Alle diese Versuche sind aber meines Erachtens nicht beweisend dafür, daß normalerweise alles durch den Ductus deferens kommende Sperma zunächst in die Samenblasen gelangen müsse und erst von diesen in den Ductus eja- culatorius getrieben werde. Ebensowenig entscheidend ist der Befund Für- bringers ''), der bei etwa 60 menschlichen Leichen fast regelmäßig Sperma in den Samenblaseu konstatierte, und derjenige Kaysers"*), der ebenfalls bei sieben Männern Samenfäden vorfand. Es fehlt der Beweis , daß sie schon intra vitam einsfedrunsfen sind. Bei der Aoonie eintretende Kontraktionen ') Compt. rend. Soc. de Biol. 1897, p. 787. — ■) Journ. de physiol. 2, 95. — ^) Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. Wien, math.-naturw. KL, 104 (1895). — ■*) Müllers Arch. 1847, 8. 463. — ^) Gerichtl.-mediz. Unters, über d. Skopzentum in Rußland. Gießen 1876. — '^) Deutsch, med. Wochenschr. 1896, Nr. 16. — 0 Noth- nagels Pathol. und Therap. 19, Teil 3, — ") Untersuchungen über die Bedeutung der Sanienblasen. luaug.-Diss. Berlin 1889. Bedeutune; der Sameiiblasen. — Prostata. 61 des Ductus deferens könnten den Inhalt in die nachgiebigen Blasen hinein- getrieben haben. Mir scheint auf derartiges namentlich die Angabe Für- bringers hinzuweisen, daß das eingedrungene Hodensekret sich gegen das eigene Sekret der Samenblasen mit deutlicher Grenze absetze. Exner^) hat die Hypothese aufgestellt, die Samenblasen dienten (neben anderen Zwecken) auch als Resorptionsstätten für Samen, der nicht entleert wird. Neben mauchem, was für die Richtigkeit dieser Hypothese Exner.s spricht, drängen sich doch auch einige Bedenken auf. Exner schließt aus dem Aus- bleiben oder Seltenerwerden der Pollutionen in späteren Lebensjahren, es müsse der Samen, der vom Hoden gebildet wird, auf andere Weise beseitigt werden, und denkt daher an die erwähnte Resorption in den Samenblasen. Aus den Untersuchungen Lodes geht nun aber hervor, daß nach längerer Abstinenz das erste Ejakulat relativ sehr wenig Samenfäden enthält, während nach mäßigem Geschlechtsverkelir deren Menge bedeutend steigt. Unter diesen Umständen erscheint es wenigstens als möglich, daß bei mangelndem Bedarf an Sperma dessen Übertritt aus dem Hoden in den Samenleiter auch sehr träge ist und infolgedessen keine Resorption überschüssigen Materials in Betracht kommt. Außerdem müßte, wenn die nicht gebrauchten Samenfäden unter physiologi- schen Bedingungen in den Samenblasen zugrunde gingen, deren Sekret für sie auf- lösende oder zum mindesten schädigende Eigenschaft haben, die sich schlecht mit der doch als regulär angenommenen Beimischung des Sekrets zum Ejakulat in Einklang bringen ließe. Fassen wir das bisher Festgestellte zusammen, so müssen wir zunächst unbedingt darauf verzichten , die Samenblasen und ihr Sekret bei den ver- schiedenen Tierklassen als funktionell ganz gleichwertige Gebilde aufzufassen. Wo das Sekret, wie bei den Nagetieren, zu einem die Scheide verschließen- den und den Rückfluß des Samens verhindernden Pfropf erstarrt, wird hierin eine der wesentlichen Funktionen des Samenblasensekretes zu sehen sein. Beim Menschen, wie auch in den übrigen Fällen, wo solche vollstän- dige Gerinnung nicht in Betracht kommt, dürfte immerhin das Zäh- und Gallertigwerden des Samens durch die Beimengung nicht unwesentlich sein; hier wird zugleich die Erhöhung der Ejakulatmasse wichtig sein. Daß die Samenblasen als Behälter dienen, in denen eine größere Menge Sperma zur Ejakulation bereit gehalten wird, scheint mir nach den vorliegenden Erfah- rungen auszuschließen zu sein. Daß sie als Resorptionsstätte für nicht ver- brauchtes Sperma dienen , halte ich zum mindesten für nicht sehr wahr- scheinlich. Als höchst wahrscheinlich kann es bezeichnet werden, daß das Sekret beim Menschen ebenso wie nach den oben erwähnten Erfahrungen von Steinach, Camus und Gley, Iwanoff an Tieren auch für die Potentia coeundi be- deutungslos ist, während es zurzeit noch als ganz unsicher gelten muß, ob es für die Potentia generandi beim Menschen wichtig ist. 2. Die FunktioDen der Prostata. Die Prostata ist beim erwachsenen Menschen ein kompaktes Gebilde etwa von der Größe und Form einer Kastanie. Durch ihren vordersten Teil tritt die Harnröhre mit ihrer Pars prostatica hindurch, und von hinten oben' münden die beiden Samenleiter, das Gewebe der Prostata durchsetzend in die Harnröhre ein (Fig. 15). ^) 1. c. S. 234. 62 Bau der Prostata. Der Hauptbestandteil der Prostata (Yg des Gesamtvolums nach Walker i) wird von Drüsensubstanz gebildet, die aus 30 bis 50 Läppchen besteht. Die Drüsen sind schlauchförmig mit alveolären Anhängen. Ihre Ausführungs- gänge, in der Zahl von 15 bis 32 münden auf dem ColJiculus neminalis. in der Richtung gegen die Mündung der Ductus ejaculatorü. Fig. 15 gibt Fis:. 15. Mjisculus puhovesicalis Musculus trigonalis Vasa 1__ UrefJira - CüUiculus seminalis . Ductus ejaculatorü . Ductus glandularis 3-, — Glandula Querschnitt durcli die Prostata des Hundes mit Culliculus seminalis , Utriculus prostaticus und den Ductus ejaculatorü (nach Ebertb). Formalkohol, Paraffin, Hämatoxylin-Kosin, Kanada. Vergrößerung 5. die Anordnung der Drüsenschläuche auf einem Querschnitt durch die Pro- stata des Hundes wieder, die derjenigen des Menschen ähnlich ist. In den oft blasenförmig erweiterten Drüsen des Erwachsenen finden sich sehr häufig rundliche Einlagerungen, die amylumähnliche Reaktionen riff. 16. Eingekapselter Nervenendapparat aus der äußeren Bindegewebshülle der Prostata eines Hundes (imcb Tiinof eew;. a dicke markhaltige Nervenfaser, die in den terminalen bandförmigen Achsencylinder ausläuft; l dünnere markhaltige Nervenfaser, welclie den terminalen Fadeuapparat bildet. geben (daher die Bezeichnung „Amyloidkörper") und nicht selten durch Kalkeinlagerung in sogenannte „Prostatasteine" übergehen. Sie werden 'über 1 mm groß und können mit dem Sekret abgehen. Zwischen den Drüsenschläuchen liegt eine ansehnliche glatte Muskulatur, ferner reich- liche Lymphgefäße, Blutgefäße und Nerven. Die letzteren, mit Ganglien - ') Arch. f. Auat. u. Entwickelungsgesch. 189ii. Bau und Sekret der Prostata. (;3 Zellen durchsetzt, gehören zu dem sympathischen Geflecht, das die Arteria hypogasirica begleitet. Die Kenntnis der Endorgane dieser Nerven verdanken wir Timofeew^). An den Drüsen finden sich freie Nervenendigungen , zwischen den Drüsen und in der Schleimhaut Endkolben mit geschichteter Kapsel und einge- lagerten Kernen. Eine neue Art von Kolben fand Timofeew ebenfalls in der Prostata (Fig, 16); sie stehen mit zwei Nervenfasern in Verbindung, deren eine in einem axialen Kolben endigt, welcher von einem Gewirr der anderen umsponnen wird. Die Prostata ist bei den meisten Säugetieren vorhanden, sie fehlt den Monotremen, Marsupialiern, Edentaten und Cetaceen, doch sind hier mehr zerstreut gelegene Drüsenschläuche vorhanden, die wahrscheinlich dieselbe Funktion haben. Die verschiedene Entwickeluug der Prostata in den verschiedenen Alters- stadien weist deutlich auf ihre Beziehung zur Geschlechtstätigkeit hin. Sie entwickelt sich mit der Pubertät stärker, bleibt in der Entwickeluug zurück, wenn Kastration in der Jugend vorgenommen wurde. Auch im geschlechts- reifen Alter kann durch Kastration die Prostata noch zur Rückbildung ge- bracht werden. Dabei atrophiert hauptsächlich der drüsige Teil. Im Greisenalter kann die Prostata sowohl atrophieren wie hypertrophieren. Beiderlei Prozesse können sehr verschiedene Ursache haben. Insbesondere gibt es eine Hypertrophie des Drüsengewebes . des Muskel - und des Binde- gewebes, endlich auch eine Vergrößerung der Drüse durch Anhäufung von verhärtetem Sekret in den erweiterten Drüsenschläuchen. Die rein drüsige Hypertrophie (die wie die anderen Formen durch Störungen der Harnent- leerung lästig werden kann) geht nach Kastration bedeutend zurück, so daß Heilung erzielt werden kann. Zwischen der senilen Impotenz und der se- nilen Prostatabypertroi^hie scheint kein ursächlicher Zusammenhang zu be- stehen, wohl aber zwischen der Entwickelungsbemmung des Hodens und der Prostata (Griff iths 2). Das Sekret der Prostata ist dünnflüssig, etwas milchig getrübt, schwach alkalisch (nur in der Leiche sauer, Poehl-'), nach Fürbringer*) auch im Leben sauer), enthält Eiweißstoffe, aber kein Muin. Mit ihm ent- leeren sich zuweilen die Amyloidkörper, Dem Prostatasekret verdankt der Samen seinen charakteristischen Geruch; er ist an die Gegenwart des Spermins oder von dessen basischen Salzen ge- bunden (Poehl-'), verschwindet bei Ansäuerung, auch bei dem Sauerwerden des Sekrets in der Leiche. Die Sperminkr ist alle treten erst in der Leiche auf (Fürbringer *). Das Sekret kann nach Fürbringer beim lebenden Menschen durch Druck auf die Prostata in die Harnröhre getrieben und zur Untersuchung gewonnen werden. Es wirkt auf die Bewegung der Samenfäden deutlich anregend, und zwar, wie es scheint, spezifisch, nicht nur als indifferentes Verdünnungsmittel. In größeren Mengen soll es schädigend wirken , was ^) Anatom. Anzeiger 9 (1894) und Inaug.-Dissert. Kasan 1896. — -) Jouru. of Anat. and Physiol. 24 (1890). — ") Die physiol.-chem. Grundlage der Spermin- theorie, Petersburg 1898. — "•) Die Störungen der Geschlechtsfunktion des Mannes. AVien 1895 und Berliner kliu. Woclienschr. 1886, S. 476. G4 Bedeutung des Prostatasekretes. aber möglicherweise nur auf Säurebildung beruht. Fürbringer fand die Samenfäden vor dem Zutritt des Prostatasaftes wenig beweglich , und erst danach in lebhaft wimmelnder Bewegung, während ich (wie Exner, 1. c.) die Samenfäden auch schon im Nebenhoden lebhaft beweglich finde (Meer- schweinchen). Steinach (1. c.) fand die Samenfäden der Ratte viel länger beweglich, wenn er mit Prostatasaft vermengte Kochsalzlösung zusetzte, als wenn er bloß mit letzterer verdünnte. An Hundesperma machte Walker^) systematische Versuche, die folgendes ergaben : 1. Samen aus dem Hoden zeigten keine Bewegung. 2. Samen aus dem Nebenhodenkopf ebensowenig. 3. Samen aus dem Nebenhodenschwanz zeigte an den Stellen des Prä- parates, wo die Flüssigkeit dünn war, etwas Bewegung. 4. Samen aus dem Samenleiter ebenfalls nur da , wo die Flüssigkeit dünn war; in der überwiegenden Masse war die Konsistenz eine dickflüssige und Bewegung fehlte. 5. Ein Gemisch von Hodensamen mit Prostatasekret zeigte zwar deut- liche, aber nicht lebhafte Bewegung. 6. Gemisch von Nebenhodensamen mit Prostatasaft zeigte lebhafte He- wegung. 7. Gemisch von Nebenhodensamen mit physiologischer Kochsalzlösung ebenfalls, jedoch nur an den Stellen, wo die Flüssigkeiten sich gut gemischt hatten. Walker zieht aus seinen Beobachtungen den Schluß, daß das Prostata- sekret hauptsächlich durch die Verdünnung anregend auf die Sperma- bewegung wirke. Die längere Dauer der Beweglichkeit der mit Prostata- saft gemischten Samenfäden in Steinachs Versuchen erklärt sich Walker durch die Gegenwart ernährender Substanzen im Prostatasaft. Von Interesse ist eine Beobachtung Fürbrin gers 2) an einem Falle von Spermatorrhoe: der ohne Coitus abgehende Same enthielt sehr wenig bewegliche Spermien, während der im Coitus ergossene Same normal be- wegliche Fäden enthielt. Fürbringer bezieht dies auf die bei normaler Ejakulation eintretende Beimengung von anregendem Prostatasekret, das in der spermatorrhoischen Entleerung gefehlt haben mag. Die Innervation der Prostata ist eine doppelte, indem sie Fasern vom Nervus erigens und direkt vom i\". JujpogastricKS erhält. Die ersteren scheinen rein motorisch zu sein, die letzteren sind motorisch und sekretorisch. Eckhards) sah bei Reizung des X. erigens beim Hunde Austreten des Se- kretes in die Harnröhre , bei weiter fortgesetzten Reizungen indessen nicht mehr, so daß es sich offenbar um Entleeritng des angesammelten Sekretes infolge der Muskelkontraktion handelt. Mislawsky und Bormann^) kamen, ebenfalls am (curarisierten) Hunde arbeitend, zum gleichen Ergeb- nis und fanden außerdem, daß die vom Gigl. mcsentcricum inferms her- kommenden Nervi hypogasirici sowohl auf die Muskulatur wie auf die Drüsenzellen wii'ken. Ihre Reizung ergibt also anhaltende Sekretion , und ') Arch. f. Anat. .u. EntAvickelungsgesch. 1899 u. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899. — '^) Berliner klin. Wochenschr. 23 (1886). — '') Beiträge z. Anat. u. Phy- siologie 3 (1863). — ■') Zentralbl. f. Physiol. 12, 181, 1898. Co^vpersche Drüsen. 65 wenn sie einige Zeit gereizt worden waren, ist auch die JErigens-ReizvLXig für einen Augenblick wieder wirksam. Der Sekretionsdruck beträgt 16 bis 18 mm Hg. Atropin macht die Reizung unwirksam, Pilocarpin erzeugt an- haltenden Sekretfluß. Wird in die Urethra eine Kanüle mit senkrechtem Steigrohr eingesetzt, so treibt Hy2)ogastricus-Jieizung das Sekret in dieser in die Höhe bis zum Überfließen, i^W^ens- Reizung dagegen treibt es nur für die Dauer der Reizung in die Höhe; ebenso wirkt Hypogastricus -Heizung nach Atropinvergiftung , ein Beweis dafür , daß auch dieser Nerv außer seinen sekretorischen Fasern motorische enthält, die zur Auspressung des Prostatasaftes führen. Kompression der Bauchaorta hebt die Sekretionsfähigkeit nicht auf. Reizung eines zentralen Hi/jpogastricusStum-pies erzeugt reflektorische Sekre- tion der Drüse durch den Nerv der anderen Seite. Das Reflexzentrum liegt im Ggl. mesentericum inferms, da der beschriebene Erfolg auch eintritt, wenn dieses vom übrigen sympathischen System und vom Rückenmark abgetrennt ist. In einzelnen Fällen, bei kleinen harten Drüsen, bleibt der Reizerfolg gänzlich aus. Über die Frage der Beteiligung der Prostata bei der Ejakulation siehe unten S. 77. 3. Die Cowp er sehen Drüsen (Glandulae bulbo-urethrales). Die sogenannten Cowperschen Drüsen sind erbsengroße Gebilde von tubulo-alveolärem Bau (wie die Prostatadrüsen). Sie liegen jederseits zwischen Prostata und Bulbus des Harnröhrenschwellkörpers und entleeren ihr Sekret durch je einen 3 bis 4 cm langen engen Gang in den cavernösen Teil der Urethra. Glatte Muskelfasern umziehen die Drüsen , und diese sind außerdem zwischen die Bündel des quergestreiften M. sphinder urogenitalis einge- schoben, dessen Kontraktion sie drücken und ihren Inhalt entleeren muß. Die Drüsenzellen sind vom N. pudendus innerviert. Das Sekret der Cowperschen Drüsen und seine Bedeutung ist nicht genau bekannt. WahrscheinHch ist es gleichartig und von gleicher Funktion wie das der kleinen alveolären Drüsen, die in der Harnröhrenschleimhaut verteilt sind (Littresche Drüsen i). Man betrachtet wohl mit Recht die alkalische mucinreiche Flüssigkeit als ihre Absonderung, die am Schluß der Harnentleerung zuweilen aus der Urethra austritt, in reichlicherer Menge bei sexuellen Erregungen, die nicht bis zur Samenentleerung führen. Stilling^) vermutet, der alkalische Saft diene zur Beseitigung der nach der Harn- entleerung zurückbleibenden sauren Reaktion, die bekanntlich für die Samen- fäden schädlich ist. Daß die Cowperschen Drüsen nur im Dienste der Sexualtätigkeit funktionieren, ist deshalb nicht recht wahrscheinlich, weil sie bei Eunuchen von gewöhnlicher Größe sein sollen. Hugier^) gibt indessen Vergrößerung der Drüsen zur Pubertätszeit an, SchneidemühH) Atrophie bei kastrierten ') Description de l'urethre de rhomme. Mein. acad. roy. Paris 1700 (1703). — ^) Virchows Arch. 100 (1885). — '*) Annal. scienc. nat. 1850. — ") Vergleich, anat. Untersuchungen über d. feineren Bau der Cowperschen Drüse. Inaug.-Dissert. Erlangen 1883. Nagel, Physiologie des Menschen. II. c 66 Erektion. Tieren, und Stilling (1. c.) beschreibt genau die Veränderungen des bistiologischen Bildes der Drüsen bei längerer Abstinenz und nach dem Coitus. Danach kann zum mindesten das als sichergestellt gelten, daß die Drüsen beim Geschlechtsakt in Mitleidenschaft gezogen werden und ihr Inhalt ausgepreßt wird. III. Die Erektion. Die zur normalen Begattung notwendige Erektion des männlichen Gliedes besteht in einer starken Volum Vergrößerung, einer ebenfalls sehr deutlichen Konsistenzänderung und einer Gestaltveränderung des männlichen Gliedes, wodurch dieses befähigt wird, die weiblichen Labien und die Wände der Scheide auseinanderzudrängen und die Scheide fast völlig auszufüllen. Eine weitere, nicht so auffällige Veränderung ist die Temperaturerhöhung des Gliedes. Fig. 17. — _-_>i.^- Vena (lorsdlis penis suhcutanea Vena äorsalis penis suhfascialis Tuniea albuginea cor}). — cavernosi penis Septum penis — Cammunicatio corpor. — cavern. penis Arieria corpor. cavern. — penis Tralieculae corp. caver. — majores Vena circumflexa penis — ^ '■ ■ Corpus cavernos. urethrae ~~ Arte7'ia äorsalis jjciiis Nervi dorsales penis - Tuniea dartos penis - Tela subcutanea penis - Fascia penis — Tela suhfascialis y ■ Arteria Tuniea albuginea cor- poris cavernosi urethrae Arteria corporis caver- nosi urethrae Querschnitt ilurch die Mitte des Penisschaftes des Erwachsenen. — Vergrößerung 3 (nach Ebertli). Über das innere Wesen des Erektionsvorganges gehen die Meinungen noch immer etwas auseinander, wenn auch gewisse früher viel diskutierte Theorien jetzt nicht mehr ernstlich in Betracht gezogen zu werden brauchen. Unzweifelhaft fest steht es, daß gesteigerte Blutfülle des Gliedes und nur diese dessen Erektion bewirkt. Injektion der Penisarterien an der Leiche erzeugt Erektion (Regner de Graaf 1668). Die alte Streitfrage, ob diese Blutanhäufung durch vermehrten Zustrom oder durch verminderten Ab- fluß, oder durch beide Momente zusammen bedingt sei, kann als im ersteren Sinne entschieden betrachtet werden. Behinderter Abfluß kann höchstens neben dem vermehrten Zustrom als unterstützendes Moment hin- zukommen. SchAvellkörper. 67 Die anatomischen Bedingungen erscheinen allerdings zunächst der Auf- fassung besonders günstig, wonach Hemmung des venösen Abflusses die Hauptrolle spielen sollte. Henle^) hat daraufhingewiesen, daß die Venen der Penis-Schwellkörper durch den M. transversus perinei profundus so hindurch- treten, daß dessen Kontraktion sie wohl zusammendrücken könnte. Freilich versagt diese Erklärung für die Erektion des Harnröhrenschwellkörpers, dessen Blut durch die Dorsalvene des Penis abfließt, also jenen Engpaß nicht passiert. Man dachte daher auch an die Mm. huTbo- und ischiocavernosi als Verengerer der abführenden Venen ^). Teile dieser Muskeln könnten in der Tat die oberen Teile der Schwellkörper komprimieren. Endlich könnten auch an Ort und Stelle im Penis selbst durch plötzliche Arterienerweiterung die Raum- und Spannungsverhältnisse wohl so geändert werden, daß der Abfluß des Blutes durch die Venen erschwert wird. Bei all diesen Hypothesen würde anzunehmen sein, daß nahezu der volle Blutdruck der Penisarterien im Inneren der Schwellkörper herrscht, wenn diese in erigiertem Zustande sind. Dieser Druck ist nach Loven^) gleich ein Drittel bis zwei Drittel des Carotisdruckes. An völlige Sperrung des venösen Abflusses ist schon deshalb keinesfalls zu denken, weü im Zustande des sogenannten Priapismus der Penis stundenlang erigiert bleibt, und bei völliger Blutstockung natürlich gangränös werden müßte. Ein Umstand, der allen den verschiedenen Theorien der Erektion, die venöse Stauung voraussetzen , von vornherein den Boden entziehen mußte, ist erst von Exner gebührend gewürdigt worden. Handelte es sich um Stauung, so wäre nach allen sonstigen Erfahrungen zu erwarten, daß das erigierte Glied kühl würde, jedenfalls aber nicht wärmer wie im nichterigierten Zustande. Die tatsächlich zu beobachtende nicht unbeträchtliche Erwärmung des Gliedes bei der Erektion spricht aber für gesteigerten Blutzufluß und beschleunigten Blutumlauf, da an lokale Wärmebildung nicht wohl zu denken ist. Übrigens wird das Glied in der Erektion auch keineswegs cyanotisch, was bei venöser Stauung der Fall sein müßte. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen kann also bestimmt behauptet werden, daß Stauung durch Venenkompression nicht die Hauptursache für die Anschwellung ufid Verhärtung des Penis ist. Andererseits kann man aber auch nicht mit Sicherheit eine gewisse untergeordnete Beteiligung dieses Momentes ausschließen. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts wurde den Arteriae helicinae, die man für blind endigend hielt, eine besondere Bedeutung für die Erektion zugeschrieben. Ihre rankenförmigen Windungen haben wohl die Bedeutung, daß bei der starken Längen- und Dickenzunahme der Schwellkörper die Arterien nicht gezerrt zu werden brauchen, sondern unter einfacher Geradestreckung sich den veränderten Verhältnissen anpassen (Eouget*), Langer'). Jedenfalls sind die Arteriae helicinae zuführende Gefäße für die Schwellkörper und endigen nicht blind (siehe unten). Für die aktive Erhöhung des Blutgehaltes des Penis kommen haupt- sächlich zwei eigentümliche Einrichtungen in Betracht : die durch Einlagerung ') Handbuch der Eingeweidelehre des Menschen, 2. Aufl., S. 544, 1873. — ■^) Krause, Müllers Arch. 1837; Houston (Dubl. Hosp. rep. 5 [1830]) beschrieb einen besonderen Musculus compressor venae dorsalis. — ^) Ber. sächs. Akad. d. Wissensch. 1866. — *) Journ. de la physiol. 1, 325, 1858. — ') Wiener Sitzungsber., mathem.-naturw. Kl. 44 (l), 120, 1863. 5* G8 Zirkulation in den Schwellkörpem. reichlicher glatter Muskelzellen i) kontraktilen Trabekeln des Schwellgewebes und die Intimapolster der Penisarterien (v. Ebner 2). Über die Anordnung der Muskeln in den Trabekeln und den feineren Bau der Schwellkörper können hier Einzelheiten nicht gebracht werden (man vgl. Eberth, Die männlichen Geschlechtsorgane, v. Bardelebens Handbuch der Anatomie des Menschen, 1904). Physiologisch wichtig ist, daß Kon- traktion der Muskulatur (unterstützt durch die reichlichen elastischen Fasern) die lakunären Räume in jeder Richtung verengt, so daß sie geradezu spalt- förmig werden. Für gewöhnlich muß diese Muskulatur in einer tonischen Spannung mäßigen Grades sein, die bei Eintritt sexueller Erregung völliger Erschlaffung infolge eines nervösen Hemmungsprozesses Platz macht, anderer- seits bei Einwirkung von Kälte (kaltes Bad!) bedeutend zunimmt. Der Penis nimmt im letzteren Falle an Volumen erheblich ab, auf Vs bis ^/g^ seines gewöhnlichen Volumens, und dürfte dann nahezu blutleer sein. Wird die Gesamtheit der Blutlakunen des Harnröhrenschwellkörpers durch vermehrten Blutzustrom geschwellt, so müssen die Trabekel einem Zug in radiärer Richtung ausgesetzt sein. Da dieser Schwellkörper in seiner Achse ein membranöses Rohr enthält, kann es nicht ausbleiben, daß jener radiäre Zug sich auf dessen Wandungen überträgt. Ob es zu einer wirk- lichen Erweiterung des Harnröhrenlumens kommt, wie Exner vermutet und durch ein Schema veranschaulicht, möchte ich doch bezweifeln, weil ich mir nicht denken kann, was für einen Inhalt die klaffende Urethra haben sollte; Luft wird doch höchstens in den Eichelteil eindringen, an dem in der Tat Klaffen zu beobachten ist. Richtig wird aber gewiß sein, daß jener radiäre Zug die Wandungen der Harnröhre in hohem Grade entlastet und das Durch- spritzen des Sperma wesenthch erleichtert. Exner hebt ferner die Möglichkeit hervor, daß dieselbe Wirkung sich auch an der Ärteria profunda penis geltend macht und deren Lumen er- weitert. Wohl die wichtigste Einrichtung am Penis, die den schnellen Wechsel in der Gefäßfüllung bedingt, liegt in den Intimapolstern der Penisarterien, die V. Ebner (1. c.) entdeckt hat. Relativ starke Arterien von gewundenem Verlauf, die oben erwähnten Ärteriae helicinae, ergießen ihr Blut direkt in die lakunären Räume des Schwellgewebes; solange nicht jene Polster das Lumen verengen oder ver- schließen, setzt sich also der ai'terielle Druck in die Lakunen fort. Die Penisarterien haben eine starke Ringmuskulatur. Bei den Arterien^ die kleineren Durchmesser als 1 mm haben, ist die Intima an einzelnen Stellen von gewöhnlicher Beschaffenheit, an anderen spaltet sich die elastische Mem- bran in mehrere Blätter, zwischen denen reichliche Längsmuskelbündel eingelagert sind (s. Fig. 18). ^ Kontraktion dieser Muskulatur läßt die Polster kugelförmig aufschwellen, so daß sie das Lumen der Arterie ganz oder teilweise verlegen , namentlich wenn durch Verkürzung der Ringmuskelfasern die Arterie auch noch kon- zentrisch eingeschnürt wird. *) Kölliker, Würzburger Verhandl. 2 (1851). — ') Über klappenartige Vor- richtungen in den Arterien der Scbwellkörper. Verhandlungen d. anat. GeseUsch. Pavia 1900 und Köllikers Handb. d. Gewebelehre. Zirkulation in den Schwellkörpern. 69 Diese Verschluß Vorrichtungen finden sich namentlich an der Einmündungs- stelle der Arterien in die Lakunen und an ihren Teilungsstellen. Im Ruhezustande sind Ringmuskeln und Polstermuskeln tonisch kon- trahiert, bei Beginn der sexuellen Erregung erschlaffen beide und geben das Lumen frei, das Blut stürzt in die Lakunen, deren Trabekel erschlaffen, so daß das blutstrotzende Gewebe prall und hart wird. Über die Veränderung der Durchblutung des Penis bei der Erektion liegen mehrere Untersuchungen vor. Eckhard i) fand zunächst, daß bei (durch Reizung des N. engens erzeugter) Erektion das angeschnittene Corpus cavernosum viel stärker blutet als vorher. Loven^) und Nikoisky^) be- rig. 18. ^^ Elastica interna Elastische Lamellen ^^s^a^' Quersclinitt durch eine Arterie des Bulbus urethrae eines zwanzigjährigen Mannes mit "We i g e r t scher Färbung der elastischen Fasern. — Vergrößerung 300 (nach Eberth). stätigten diese Beobachtung, Loven fand auch die Druckzunahme in den Penisarterien bis auf ^/iq des Carotidendruckes. Die eingehendsten systematischen Versuche über die bei der Erektion auftretenden Druckänderungen in den Arterien und Venen des Penis ver- danken wir Frangois-Franck*); sie sind am Hundepenis angestellt, in dessen Arterien bzw. Venen Kanülen eingebunden wurden, um den Druck mano- metrisch registrieren zu lassen. Gleichzeitig wurde das Volum der (beim Hunde sehr langen) Eichel registriert, die in ein weites Glasrohr eingeschoben war, auf dessen freien Rand das Präputium aufgebunden wurde. Das andere Ende des Rohres verengte sich und war durch einen Schlauch mit einem ') Untersuchungen über d. Erektion d. Penis heim Hunde, Beitr. z. Änat. u. Physiol. 3, Gießen 1863. — *) Ber. d. sächs. Akad. d. Wissensch. 1866. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879. — ^) Arch. de physiol. 1895, p. 122. 70 Erektion. Sek. L i4^ B ^1^ 4 ^\ ^^^-> _— — ' H^^^^^^^ Sek. registrierenden Tambour in Verbindung. Ähnliche Versuche mit unvoll- kommenerer Anordnung hatten schon früher v. Anrep und Cybulskii), sowie Piotrowski^) ausgeführt. Die Figur 19 A und B (nach Frangois-Franck) zeigt die Ergebnisse in instruktiver Weise. Fig. 19 A zeigt die Anschwellung der Eichel bei Reizung des N. erigens, mit 2Y4 Sekunden Latenz ein- tretend, Fig. 19 B die Ver- minderung des Volumens bei Reizung des N. pudendus. In Fig. 20 ist außer dem Eichel- volumen der Druck in der Dorsalarterie und Dorsal- vene registriert. Man sieht ungefähr gleichzeitig den Druck im peripheren Stumpf der Arterie absinken und das Volumen der Eichel zu- nehmen, und etwa eine Sekunde später den Druck in der Vene stark ansteigen. Letztere Tatsache beweist vor allem, daß die Erektion nicht durch Vei'hinderung des Abflusses des Schwell- körperblutes in die Venen bedingt sein kann. Der Druckabfall im i^eripheren Arterienstück erscheint auf den ersten Blick auffallend. Er erklärt sich wohl da- durch, daß das mit anderen Arterien durch Vermitte- lung der Lakunen kommuni- zierende Arterien stück von seinem Binnendruck teil- weise entlastet wird, wenn die Schleusen zwischen dem arteriellen und venösen System durch Abflaehung der oben erwähnten Intimapolster geöffnet werden und das Arterienblut schnell in die Lakunen und Venen abströmen kann. Die Zeit, die zwischen der Arterienerweiterung und der Drucksteigerung in der Vene verstreicht, ist jedenfalls diejenige, die zur Entfaltung der Schwellkörperhohlräume nötig ist. Die vermehrte Blutfülle des Penis bewirkt außer der Volumvergrößerung und Absteifung des Gliedes auch dessen Aufrichtung, „Erektion". Diese ist Fig. 20 Art. Druck Glans-Vol. Ven. Druck T«" llllli Hl Stik. ') St. Petei-sburger mediz. Wochenschr., Nr. 20, 1884. — '') Przeglad lekarski, Krakow 1887. Erektion. — Sameuentleeruug. 71 unter oormalen Verhältnissen bei kräftiger Anschwellung unausbleiblich. Sie ist nicht Folge einer Muskelkontraktion, sondern dadurch bedingt, daß die dorsale Fascie, eine Art Ligament, straffer und kürzer ist als die der Unter- seite, so daß bei der Anschwellung die Aufrichtung notwendig eintreten muß. Diese ist hauptsächlich Folge der Straffheit der Fascie an der Peniswurzel; aber auch auf der ganzen Dorsalseite ist sie weniger nachgiebig als unten, die Folge ist die nach oben schwach konkave Krümmung des erigierten Gliedes. Die Haut wird überall straff gespannt, die Präputialfalte verstreicht voll- ständig. Dadurch wird der Penis zum Eindi-ingeu in die Vagina geeigneter. Die straffe Spannung der Haut bewirkt gleichzeitig eine besonders hohe Er- regbarkeit der zentripetalen Penisnerven, deren mechanische Reizung (durch Reibung in der Scheide) an der Auslösung des Ejakulationsreflexes wenigstens beteiligt sein mag, wenn sie auch gewiß nicht die alleinige Quelle jenes Auslösunffsreizes ist. IV. Die Heralisbeförderung des Samens. 1, Der Transport des Samens vom Hoden bis zum Samenleiter. Über die Beförderung der Samenzellen aus dem Hoden in den Neben- hoden weiß man zurzeit nichts Sicheres. Im Hoden fehlt dem Sperma nach allen Angaben noch die Eigenbewegung. Daß die glatte Muskulatur der Albuginea, die erst in der Pubertät auftritt und nicht immer auf die Septa des Hodens überzugreifen scheint, den Samen heraustreibe, erscheint nicht sehr glaublich, nicht zum wenigsten wegen der erwähnten Inkonstanz. Die Bewegung durch Nachschub neugebildeten Spermamaterials ist wohl als ein wichtiges Moment für die Entleerung des Samens anzusehen und wird meistens als Hauptmoment angeführt. Es ist indessen nicht zu leugnen, daß diese Auffassung eine sehr unbefriedigende ist. Zum mindesten wird anzu- nehmen sein, daß die (im Hoden reichlich vorhandenen) elastischen Fasern, durch die Füllung des Hodens gespannt und wahrscheinlich unterstützt durch die glatten Muskelzellen des Hodens, die Entleerung der prall gefüllten Kanälchen begünstigen, die bei den innen blind endigenden Röhren nur nach dem B,ete testis zu erfolgen kann. Für sehr wahrscheinhch halte ich es, daß äußerer Druck auf die Hoden beim Gehen und Sitzen ein weiteres be- günstigendes Moment bildet, ähnlich wie für die Beförderung der Lymphe in den Lymphgefäßen der Extremitäten. Daß der bloße Nachschub neuer Samenmasse im völlig ruhenden, vor äußerem Druck geschützten Hoden die immerhin doch recht beträchtliche Spermamenge, die tatsächlich verfügbar ist, in die weiteren Leitungswege befördern sollte, erscheint nicht recht glaublich. Erklärt wäre die Samen- herausbeförderung aus den Hoden, wenn sich eine nennenswerte Flüssigkeits- abscheidung im Hoden nachweisen ließe, durch die das Sperma herausgespült würde. Meines Wissens fehlen indessen für eine solche Annahme tatsächliche Anhaltspunkte. Im Nebenhoden tritt die Eigenbewegung des Samens und die Wirkung des Flimmerepithels der hier schon recht weiten Gänge in Kraft. Die glatten Muskelzellen der Albuginea mögen unterstützend wirken. In den Conis vas- 72 Nebenhodengang. culosis ist das Sperma noch ohne Eigenbewegung, die Flimmerepithelzellen stehen hier noch nicht in zusammenhängender Schicht, sondern teils ver- einzelt, teils in Gruppen von mehreren beisammen. Die Transpoi'trichtung geht nach dem Ductus epididymidis hin, also vom Hoden weg. Bemerkens- werterweise ist übrigens die Flimmerbewegung schon beim Neugeborenen zu finden, also lange ehe Samen gebildet wird. Ob die flimmernden und nichtflimmernden Zellen der Goni vasculosi ver- schiedene Tätigkeitszustäude des Epithels darstellen, oder ob es sich um dauernd verschiedene Zellarteu handelt, ist unentschieden. (Näheres hierüber vergleiche bei Eberth, Die männlichen Geschlechtsorgane in Bardelebens Handbuch der Anatomie des Menschen, 1904.) Das zylinderische Epithel des Nebenhodenganges (Ductus epididymidis) ist dem Flimmerepithel nur äußerlich ähnlich. Jede Zelle trägt einen zapfen- Flimmerzellen Fig. 21. Secemierende Zellen Secernierencle Zellen Kingmuskeln llin.l. j. \m Ijc Teil eines Quersclinittes durch einen Ductus efferens des Erwachsenen. Die Epithelien der Grübchen in Sekretion. Zwischen den Flimmerzellen der Epithelleisten vereinzelt secemierende Zellen. Vergrößerung 450 (nach Eberth). artigen Fortsatz, der in das Ganglumen hineinragt und bald homogen aus- sieht, bald wie ein Büschel zusammengebackener Haare (also ähnlich der CupuJa terminalis in den Bogengangampullen). Nach Aigner^) handelt es sich indessen nicht um Flimmerhaare, sondern um Zellfortsätze ohne Eigen- bewegung, die mit der offenbar sekretorischen Tätigkeit des Epithels zu- sammenhängen und sich wahrscheinlich als Teile des Sekrets ab- und auf- lösen (Fig. 21). Im Anfangsteil (Kopf) des Nebenhodengangs sind die Samenfäden noch unbeweglich und zu kompakter Masse zusammengeballt, weiterhin gegen den Schwanz des Nebenhodens wird der Sekretinhalt reichlicher und das Sperma beweglich ^) Das Sekret entfaltet also im Nebenhoden schon für die Samen- fäden bewegungsanregende Wirkung. Über seine Zusammensetzung ist nichts sicheres bekannt. 0 Sitzungsber. d. Akad. Wien, math.-naturw. Kl. 109 (1900). — ^) Vgl. Harn mar, Arch. f. Anat. u. Entwickelungsgesch. 1897, anat. Abteil., Suppl. Hamenleitei-. 73 2. Die Fortbewegung des Samens im Samenleiter. Die Muskulatur des Samenleiters ist eine glatte; sie besteht aus einer kräftigen Lage zirkulär angeordneter Faserzüge, die zwischen zwei Lagen längsverlaufender Fasern, eine äußere starke und eine innere schwache, ein- gelagert ist. Die Gesamtdicke dieser drei Schichten beträgt über 1 mm, wovon der etwas größere Anteil auf die Ringmuskulatur kommt. Das Lumen ist im Verhältnis zur Wanddicke auffallend eng. Beim Kaninchen ist es nicht nur relativ, sondern auch absolut weiter als beim Menschen und Hund. Fiff. 22. Adveniitia - Äußere Länasmuskeln _^^.-;,-.',y,V\- - Kingmuskeln _ „ _ — i-, —i— Innere Lüngsmuskeln 'S^-V Schleimhautleisten Querschnitt durch die Pars (lescendens des Ductus deferens eines dreißigjährigen Mannes. Vergrößerung 18 (nach Eberth). Auch ist beim Kaninchen die Ringmuskulatur wesentlich schwächer. Dem- zufolge fühlt sich der Samenleiter des Kaninchens viel weicher an als der des Menschen, Hundes oder Katers. Budge^) beschrieb peristaltische Bewegung des Ductus beim Kaninchen und bei der Katze. L. Fick-) bestätigte diese Beobachtung, sah aber beim Hunde keine Peristaltik, sondern eine Gesamtkontraktion des muskulösen Rohres, durch die etwas von dem Inhalt ausgepreßt wurde. M. Loeb'^), der ausschließlich am Kaninchen experimentierte, konnte auch bei diesem nichts von peristaltischer Bewegung finden, sondern nur kräftige Verkürzung. Von Beobachtungen am menschlichen Ductus deferens liegt eine ältere Angabe ') Arch. f. pathol. Anat. 15, 115. — ^) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1856, S. 473. — ^) Beitr. z. Bewegung des Samenleiters und der Samenblase. Inaug.- Diss. Gießen 1866. 74 Kontraktion des Samenleiters. von Kölliker') vor, der gemeinsam mit Virchow am Samenleiter eines Hingei-ichteten auf elektrische Reize starke Verkürzung, aber keine Peristaltik eintreten sah. Trotzdem also die vorliegenden Beobachtungen eher gegen als für die Annahme peristaltischer Bewegung des Samenleiters sprechen, scheint man doch im allgemeinen mehr der Auffassung zuzuneigen, daß eine solche vor- handen sein müsse, und Exner spricht sich ausdrücklich dahin aus, daß er auch beim Menschen der Peristaltik ähnliche Bewegung am Samenleiter für die wahrscheinlichste hält. Am auffälligsten ist der Widerspruch zwischen den Angaben von Fick und Loeb bezüglich des Samenleiters des Kaninchens. Während Fick die Peristaltik hier aufs leichteste und sicherste sehen zu können glaubt, bestreitet sie Loeb. Ich 2) habe mich durch neuerdings angestellte Versuchsreihen davon überzeugt, daß in der Tat auch beim Kaninchen die Entleerung des Samenleiters durch rasche ausgiebige Verkürzung desselben ohne eigentliche Peristaltik erfolgt. Man sieht allerdings bei elektrischer Reizung des Ductus selbst oder seines Nerven den bloßgelegten Ductus sich in schnellen wurm- artigen Windungen bewegen und muß zunächst geneigt sein , an Peristaltik zu denken. Tatsächlich handelt es sich aber nur um Verkürzung des in komplizierten Windungen daliegenden und durch Bindegewebseinhüllungen in der Bewegung teilweise behinderten Samenleiters. Der isolierte Samenleiter zeigt einfache Verkürzung. Ebenso liegen die Verhältnisse beim Kater. Dai3 Fick beim Hunde keine Verkürzung, sondern nur ein Härterwerden des Ductus bemerkte, könnte vielleicht darauf beruhen, daß auch beim Hunde (wie sicher bei Kaninchen und Kater) die bei der Freilegung des Samenleiters eintretende Abkühlung diesen zur fast maxi- malen Verkürzung bringt. Es ist bisher nicht beachtet worden, daß dieses Organ auf Kälte mit kräftiger Verkürzung reagiert. Ich habe daher die AVirkung elek- trischer und mechanischer Reize an dem in warmer Ringerlösung befindlichen Ductus untersucht. Übrigens haben auch Langley und Anderson^) beim Ductus deferens des Hundes nur unbedeutende Verkürzung auf Reizung vom Nerven aus gesehen. Sie führen diesen Unterschied gegenüber Kaninchen und Katze darauf zurück, daß beim Hunde die Ringmuskulatur im Samenleiter bedeutend überwiege. Unter diesen Um- ständen ist es wichtig, an die erwähnte KöUikersche Beobachtung am Menschen zu erinnern, derzufolge der menschliche Samenleiter sich ki'äftig verkürzen kann. Am isolierten Samenleiter des Kaninchens und Katers lassen sich noch folgende weitere Tatsachen feststellen (N a g e 1 , a. a. 0.). Die Verkürzungsreaktion erfolgt schon auf einzelne Induktionsschläge von sehr geringer Intensität, stärker auf den Üffnungs- als auf den Schließungsschlag. Die Latenzzeit ist kurz, aber ziemlich wechselnd (Vio bis 1 Sekunde). Die Kontraktion erfolgt schneller als bei den meisten glattmuskeligen Organen, bei frischen Präpa- raten fast so schnell wie am quergestreiften Muskel. Die Kontraktion dauert aber viel länger als bei diesem an, und nur langsam wird die Ruhe- lage wieder erreicht. Plötzliche Erwärmung auf 40 bis 42^ ist bei dem erschlafften Organ (das bei etwa 30" gehalten wird) wirkunglos , bewirkt da- gegen bei dem unter Einfluß der Abkühlung auf etwa 5 bis 10" stark ') Mikrosk. Anat. 2, 423, 1852. — '^) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1905 Suppl. — ^) Journ. of Physiol. 19, 125. Kontraktion des Samenleiters. 7o kontrahierten Samenleiter eine schnelle noch weiter gehende Verkürzung, die alsbald der vollen Verlängerung auf die Ruhelage weicht (Fig. 23). Die durch elektrischen Reiz ausgelöste Erregung pflanzt sich viel leichter in der Richtung von der Samenblase zum Hoden als in umgekehrter Richtung fort, am ausgeschnittenen Organ sogar nur in ersterer Richtung. Die Wirkungen, die bei elektrischer Reizimg vom Nerven aus eintreten, haben ganz ähnlichen Verlauf wie die durch direkte Reizung erzielten. Aus den mitgeteilten Beobachtungen geht zunächst nur hervor, daß die Verkürzung des gesamten Samenleiters der hauptsächlichste Reizerfolg ist. Untersucht man aber die Größe des Durchmessers während des Ablaufes einer Erregung mittels aufgelegter leichter Schreibhebel, so erkennt man (was auch Beobachtung mit bloßem Auge schon zeigt), daß keinesfalls eine merk- bare Einschnürungswelle über den Samenleiter hinläuft. Vielmehr macht sich Fig. 23. an allen in Reizzu^stand geratenden Stellen eine geringe Verdickung bemerklich, die aber nicht wellenförmig über das Organ hinläuft. Möglich, jedoch sehr unwahrscheinlich wäre es, daß in den inneren Schichten der Muskulatur eine peristaltische Welle abläuft, die durch die starke Kontraktion der Längs- muskulatur verdeckt wird. Der Modus der Austreibung des im Samenleiter enthaltenen Samens ist wohl so zu denken , daß die vom Nerven aus an- geregte beträchtliche Verkürzung neben gleichzeitiger Kontraktion der Ringmuskeln den Binnenraum des Samenleiters bedeutend verkleinert, und daß der Abfluß des In- haltes am leichtesten nach der Urethra zu erfolgt. Nicht ausgeschlossen ist es, daß die natürliche Erregung vom Nerven aus die Kontraktion der Ringmuskulatur zuerst am Hodenende des Samenleiters bewirkt und diese Verengerung sich dann schnell zum Samenblasenende hin ausbreitet. Dies wäre keine richtige Peristaltik, und es wäre auch keineswegs unmöglich, daß diese fortschreitende Verengerung des Lumens der Beob- achtung von außen und der graphischen Registrierung sich entzöge. Das Hauptmoment dürfte aber immer die schnelle Verkleinerung des Binnen- raumes durch starke Verkürzung unter Konstanterhaltung der lichten Weite oder gar unter Verringerung dieser sein. Der Annahme wahrer Peristaltik bedarf es keineswegs. Am unteren (urethralen) Ende erweitert sich der Ductus deferens zu einer spindelförmigen „Ampulle" von etwa 4cm Länge und bis lern Dicke (s. Fig. 14). Die Dickenzunahme beruht hauptsächlich auf Lumenerweiterung. Die Schleimhaut ist stark gefaltet (was auf erhebliche Sekretion oder Aus- dehnungsfähigkeit hinweist) und zeigt zuweilen tiefe Einbuchtungen (Divertikel). Die Muskulatur ist verhältnismäßig schwächer als im übrigen Ductus, speziell die Längsmuskulatur ist wie am Dickdarm in Taenien zerlegt, was ebenfalls Graphische Darstpllung der Verkürzung des Ductus üeferens unter dem Emtluü von Kälte. Bei * wird das Präparat in 38" warme Kingersche Flüssigkeit ge- taxicht , es folgt eine schnelle weitere Verkürzung, dann schnelle Verlängerung. Dauer der ganzen durch die Kurve dar- gestellten Bewegung 40 Sekunden. 76 Bedeutung der Ampulle. auf eine gewisse Aufblähbarkeit hindeutet. Die Ampullen könnten mit größerer Wahrscheinlichkeit als die Samenblasen für Samenreservoirs erklärt werden. Wie die Samenblasen sind die Ampullen in der Säugetierreihe sehr ver- schieden stark entwickelt i), doch geht die Entwickelung beider Organe weder parallel, noch auch besteht ein Ausgleich, indem etwa die Tiere ohne Samen- blasen immer Ampullen hätten und umgekehrt. Eine gewisse physiologische Parallele ist insofern zu statuieren, als die Säugetiere, die sowohl der Am- pullen wie der Samenblasen entbehren, im allgemeinen einen langdauernden Coitusakt haben, während bei den Tieren mit kurzem Coitus häufig beide Organe vorhanden sind, mindestens aber das eine. Man kann sich leicht denken, daß, wo Sperma in der Ampulle angesammelt ist, dieses schnell mit einem Male in die Urethra getrieben wird, eventuell gleichzeitig oder hinterher das Sekret der Samenblasen; die starke Füllung des oberen Urethrateiles muß einen kräftigen Reiz zur schnellen Ejakulation bilden. Bei langsam begattenden Tieren andererseits wird das portionenweise zugeführte Sperma entweder portionen- weise abgeführt oder (wahrscheinlicher) bildet der obere ürethrateil hier das Sammelbecken, wie in den erstgenannten Fällen die Ampullen. Von den Samen- blasen als Sammelbecken kann bei dieser Auffassung ganz abgesehen werden. Zu welchem Zeitpunkte dem Samen die Sekrete der Samenblasen und der Prostata beigemischt werden, läßt sich zurzeit nicht angeben. "Wenn hier Ver- mutungen geäußert werden dürfen , so liegt es nahe , anzunehmen , daß das durch die Ductus ejacidatorii in die Harnröhre gelangende Sperma dort entweder das zur Belebung der Spermien nötige Quantum Prostatasaft schon vorfindet oder dieses ihm doch sogleich beigemischt wird. Das zähere, mit dem Samen sich nicht ohne weiteres mischende Sekret der Samenblasen dürfte vielleicht nicht nur bei den Nagetieren (wo es zur Bildung des die Scheide- verschließenden Pfropfens dient), sondern auch beim Menschen hinter dem Gremisch von Sperma und Prostatasaft einti-eten, wenn auch die ganze Masse bei der Ejakulation in nahezu gleichmäßige Mischung übergehen sollte, was nicht nachgewiesen ist. Da es mechanisch schwer denkbar erscheint, daß ein Austreibungsmechanismus, der seinen Sitz ausschließlich am oberen Ende der Urethra hat, das doch recht spärliche Quantum Samen restlos oder auch nur zum allergrößtem Teile aus der langen Harnröhre herauszuspritzen vermag, wäre es sehr nützlich, namentlich für die Ersparnis an eigentlichem Sperma, wenn hinter diesem her eine reichliche, etwas konsistentere Masse, das Sekret der Samenblasen, denselben Weg hindurch getrieben würde. Dieses könnte sich schon gleichzeitig mit dem Sperma in der Harnröhre befinden, müßte aber hinter dieses geschichtet sein. Was von anatomischen und physiologischen Tatsachen bekannt ist, scheint mir mit dieser Auffassung nicht unvereinbar zu sein. 3. Die Ejakulation, Die Ejakulation des in die Harnröhre getretenen Gemisches von Sperma und Sekret der Samenblasen, vermehrt durch das Sekret der Prostata, erfolgt durch Muskelkraft. In Betracht kommt die Muskulatur der Prostata und der Pars membranacea zcrethrac (sog. Sphincter nreihrae memhratiaceae), der sog. Henlesche Sphinkter, sowie vor allem die M. hulbocavernosi und ischiocavernosi. Genauer spezialisieren läßt sich die Funktion der einzelnen Muskeln zur- zeit nicht wohl. Daß die Prostatamuskulatur bei der Ejakulation beteiligt ') Oudemans, Die accessoi-ischen Geschlechtsdrüsen der Säugetiere, Haarlem 1892, und Disselhorst, Die accessorischen Geschlechtsdrüsen der Wirbeltiere, Wiesbaden 1897. Ejakulation. — Colliculus. 77 sei, vermutet Exner deshalb, weil die Muskulatur kräftiger entwickelt ist, als es zum einfachen Auspressen des Sekretes nötig erscheint. Immerhin ist die Anordnung der Muskelfasern in dem kompakten Drüsengewebe gewiß wenig geeignet, ejakulatorisch zu wirken. Eher könnte man daran denken, daß sie das Zurücktreten des Urethrainhaltes , der plötzlich stark gedrückt wird, in die Drüsenräume der Prostata verhindert. Walker 1) findet die einzelnen Drüsenläppchen von Muskelbündeln um- sponnen, die geeignet sein müssen, den abgesonderten Inhalt auszupressen. Günstiger müssen die Bedingungen für ejakulatorische Wirkung bei den übrigen genannten Muskeln sein, die den membranösen Teil der Harnröhre umschließen und bei gemeinsamer Tätigkeit komprimieren können. Am günstigsten sind ihi'e Wirkungsbedingungen dann, wenn der freie Teil der Harnröhre durch den von oben her eingetretenen Inhalt aufgetrieben ist und nun wie eine Art Ballon ausgedrückt wird. Auf Grund seiner anatomischen Forschungen nimmt Walker 2) an, daß die Längsfasern des Hen leschen Sphinkters den membranösen Teil der Harnröhre erweitern und so durch Ansaugung die Entleerung des Sperma und des Prostatasaftes in die Harnröhre begünstigen können. Der übrige (ringförmige) Teil dieses Sphinkters dient nach Walker auch nicht etwa zur Verhinderung des Abflusses aus der Blase, sondern zur Verhütung des Rück- trittes von Samen bei der Ejakulation. Das Tempo der einzelnen Ejakulationsstöße spricht übrigens, selbst wenn man die relativ rasche Kontraktionsfähigkeit mancher glatten Muskeln in Betracht zieht, mehr für quergestreifte Muskeln als Urheber der Ejakulation. Den Sjphincter urethrae memhranaceae fand J. Huuter^) bei kastrierten Tieren geschwunden, AValker (1. c.) beim kastrierten Schwein wenigstens reduziert; Griffiths^) sah ihn außerhalb der Brunstperiode rückgebildet. Die Ejakulation ist eine rhythmische Bewegung, die vom Willen unab- hängig ist. Die Zahl der Einzelkontraktionen wechselt erheblich, ist auch im einzelnen Falle schwer anzugeben, weil häufig auf etliche kräftige Kontrak- tionen einzelne immer schwächer werdende folgen. Die Kontraktionsfolge ist übrigens häufig unregelmäßig. Zu Erklärungsversuchen für diese Rhythmizität fehlt einstweilen jeder brauchbare Anhalt. Die Bedeutung des Colliculus seminaJis. Bekanntlich ist es bei starker Erektion meistens unmöglich, bei schwacher wenigstens nur schwer möglich, den Harn zu entleeren. Als Grund hierfür hat man lange Zeit hindurch eine bei der Erektion eintretende Schwellung des Colliculus seminälis angesehen, die den Teil der Harnröhre, der in der Prostata liegt, verschließen sollte. Man findet diese von E. H. Weber ■^) herrührende Auffassung noch in den meisten Lehrbüchern vertreten. Es wäre indessen, wie schon Walker und Exner hervorgehoben haben, nicht wohl einzusehen , wie bei einer bis zum ürethraverschluß führenden Schwellung des Samenhügels das Sperma und das Sekret der Samenblasen und der Prostata überhaupt noch in die Harnröhre eintreten sollte. Wenn ^) Arch. f. Anat. u. Entwickelungsgeschichte 1899, S. 343 f. — ^) Ebenda 1899, S. 343 f, — ä) Zitiert nach Exner. — *) Jom-n. of Anat. and Physiol. 24 (1889) u. 28 (1894). — ^) De vesica prostatica rudimento uteri in corpore masculino. Annotationes anat. et physiol. 1 (1836). 78 Ejakulation. — Begattungsreflexe. jene Anschwellung tatsächlich eintritt, was nicht bestritten werden soll, kann sie nicht so weit gehen , daß ein wirklicher fester Harnröhrenverschluß an dieser Stelle entsteht. Der Verschluß kann nur durch den Sphinkter der Blase erzeugt sein, wofür auch die Beobachtungen von ZeißP) und Holz- knecht i) sprechen, die den Blasenverschluß im Röntgenbilde beobachtet haben. Walker hat darauf hingewiesen, daß die Substanz des Colliculus durch- aus nicht den Bau erektiler Organe besitzt, auch bei Injektion von den Ge- fäßen aus die Harnröhre nicht verschließt. Neben verschiedenen anderen Gründen, die gegen dieWebersche Hypothese des Urethraverschlusses durch den Colliculus sprechen, betont Walker mit Recht, daß eine obturierende Schwellung dieses Gebildes jedenfalls auch die Ductus ejaculatorU und die auf gleicher Höhe mündenden Prostataausführungsgänge verschließen müßte. Da ferner die Harnentleerung bei starker Erektion nicht tatsächlich unmög- lich ist, vielmehr bei Geisteskranken beobachtet worden ist (so auch neuer- dings von Walker), muß angenommen werden, daß das in der Kegel be- stehende Hindernis für das Urinieren nicht nur auf einem Zuschwellen der oberen Harnröhrenpartie beruht, überhaupt nicht einfach mechanisch bedingt ist, sondern auf einem mit der hochgradigen sexuellen Erregung verknüpften nervösen Hemmungsprozeß, der die Lösung des Blasen verschlusses durch Sphinktererschlaffung für gewöhnlich nicht gestattet. Irrig ist die Angabe, der Colliculus bestehe größtenteils aus Muskelgewebe. Solches ist allerdings darin enthalten, nach Walker (1. c.) hauptsächlich ringförmig um den sog. Utriculus ( Uterus maseidinus) herum , dessen schleimiger Inhalt da- durch ausgetrieben werden kann. T. Einfluß des Nervensystems auf Erektion und Ejaliulation. 1. Erektion und Ejakulation als Reflexe. Erektion und Ejakulation sind Reflexvorgänge. Freilich ist der zentri- petale Teil des Reflexbogens nicht ein für allemal derselbe. Auch ist über- haupt nicht immer ein peripherer Reiz erkennbar, die Vorgänge können vielmehr scheinbar spontan vom Zentralnervensystem ausgelöst werden. Hierin stimmen die Begattungsreflexe ja aber mit vielen anderen Reflexen überein. Neben Reizen , die in der Gegend des reagierenden Organes einwirken und auf kurzer oder kürzester Bahn den Reflex auslösen, kommen andere, teilweise sogar durch Hirnnerven vermittelte und Gehirnbahnen passierende Erregungen in Betracht. Besonders ausführlich und gründlich ist die Innervation der Genital- organe von Langley und Anderson 2) bearbeitet worden, auf deren wertvolle Untersuchungen bezüglich vieler Einzelheiten (namentlich auch bezüglich des Verlaufes der Genitalnerven bei Kaninchen, Katze und Hund) zu verweisen ist. Die Auslösung der Begattungsreflexe, der Erektion und Ejakula- tion, kann zunächst durch mechanischen Reiz am Penis, insbesondere an der unteren Seite der Eichel erfolgen. Die hierbei erregten Nervenendorgane, den „Kraus eschen Endkolben" ähnlich gebaut, sind als „Wollustkörperchen" bezeichnet worden. ') Wien. med. Blätter 1902, Nr. 10. — -) Journ. of Pliysiol. 18, 67, 1895: 19, "1 u. 20, 372, 1896. Begattungsreflexe. — Pollution. 79 Da solche Reibungen beim Gehen und Sitzen durch die Berührung mit der Kleidung unvermeidlich sind und dadurch doch keine Erektion ausgelöst wird, ist anzunehmen, daß noch andere Bedingungen erfüllt sein müssen, um den mechani- schen Eeiz Avirksam zu machen. Es muß eine bestimmte Disposition des Nerven- systems vorhanden sein , die das Zustandekommen des Reflexes ermöglicht. Die geeignete „Stimmung" des Nervensystems läßt sich indessen weder genauer präzi- sieren, noch läßt sich die Zustand sänderung zurzeit näher lokalisieren. Derselbe Erregungszustand, der, schwach entwickelt, für die "VVii-kung mecha- nischen Reizes begünstigend wirkt, führt, wenn er sich steigert, auch ohne Ein- wirkung lokaler Reize zur Erektion, bei besonders erregbaren , namentlich psycho- Ijathischen Individuen vielleicht auch zur Ejakulation. Reizzustände im Inneren der Harnröhre , wie sie bei Infektionen oder nach Katheterisierung auftreten können, begünstigen endlich ebenfalls das Eintreten von Erektion , jedoch schwerlich in der Weise , daß direkt ein Reflex von den Harn- röhrennerven auf die Erektionsnerven erfolgt; wahrscheinlich wird durch die un- gewohnte Empündung in der Harnröhre die Aufmerksamkeit auf die Geschlechts- organe gelekt und so eine Wirkung erzielt ähnlich der der sog. Aphrodisiaca. Als Priapismus wird ein oft stunden- oder tagelang anhaltender Erektions- prozeß bezeichnet, der im Gefolge mancher Geisteskrankheiten, aber auch bei solcher psychopathischer Veranlagung auftritt, die noch nicht als Geisteskrankheit auf- gefaßt zu werden pflegt. Auch Erregungen, die durcli die höheren Sinnesorgane vermittelt werden, können die Begattungsreflexe auslösen. Gesichts- und Gehörseindrücke tun dies allerdings wohl nur in ganz indirekter Weise , indem sie zu erotischen Vorstellungen und Gedanken führen. Geruchseindrücke scheinen dagegen einen mehr direkten Einfluß auf die Sexualprozesse zu haben, indem sie bei manchen Menschen die sexuelle Erregbarkeit erhöhen, bei anderen, vereinzelten, wohl auch direkt Erektion herbeiführen mögen. Ähnlich wirken unter Um- ständen mechanische Hautreize an Stellen, die nicht in unmittelbarer Nähe der Genitalien liegen (Kitzeln usw.). Die verschiedenen Ursachen, die an und für sich die Ejakulation auslösen können, tun dies im allgemeinen um so leichter und sicherer, je mehr Samen zur Entleerung aufgespeichert ist. Nach den oben erwähnten Beobachtungen L 0 d e s , die auch mit der sonstigen Erfahrung gut stimmen , geht die Auf- speicherung von Samen nicht etwa mit anhaltender Abstinenz immer weiter, sondern erreicht , wie es scheint , nach einigen Tagen ihr Ende. Zu diesem Zeitpunkte, einige Tage nach dem letzten Coitus, ist die Ejakulation am leichtesten auslösbar und am ergiebigsten. Bei länger dauernder Abstinenz kommt es zu „spontanen" Samen- entleerungen (Pollutionen), die in der Norm nur während des Schlafens eintreten und meist von erotischen Träumen begleitet sind. Im jugendlichen Alter treten diese Pollutionen mit ziemlicher Regelmäßig- keit alle zwei bis drei Wochen auf, späterhin bei Abstinenz wohl meist un- regelmäßiger. Der Eintritt der ersten Pollution kennzeichnet den Eintritt der Geschlechts- reife, der im allgemeinen um etwa ein Jahr später erfolgt als der durchschnitt- liche Eintritt der Geschlechtsreife beim Weib, am häufigsten also in imserem Klima im 15. bis 16. Jahre. Einen Zeitpunkt, in dem die Zeugungsfähigkeit normalerweise zu erlöschen pflegte , ähnlich dem weiblichen Klimakterium, gibt es nicht. Bis in das hohe Greisenalter hinein kommt noch Zeugungs- fähisfkeit vor. 80 Keflexzentreu der Erektion und Ejakulation. 2. Die Reflexzentren der Erektion und Ejakulation. Das Reflexzentrum für die Begattungsreflexe wird von den meisten Autoren in den untersten Teil des Lendenmarks verlegt. Sicher ist, daß es nicht in höheren Teilen des Rückenmarks oder gar im Gehirn liegt. Goltz i) zeigte, daß (beim Hunde) Quertrennung im Lendenmark den Erektionsreflex, der durch Reiben des Penis ausgelöst werden kann, nicht aufhebt. Brächet^) hatte auch Ejakulation unter diesen Umständen eintreten sehen. Neuerdings hat L. R. Müller'^) ebenfalls gefunden, daß nur der unterste Teil des Markes erhalten sein muß. Das ganze Lumbaimark iind der obere Teil des Sacral- marks kann entfernt sein, ohne daß der Reflex erlischt. Nur Konus und Epikonus müssen erhalten sein. Andererseits hat man beim Menschen Er- löschen des Penisreflexes, Unfähigkeit zur Erektion, bei Erkrankungen des untersten Rückenmarksendes beobachtet •*). Wenn es somit unbedingt feststeht, daß die Integrität des untersten Rückenmarksstückes für das Zustandekommen normaler Erektion und Eja- kulation notwendig ist, so kann wohl nicht mit gleicher Bestimmtheit be- hauptet werden , daß die diese Reflexe beherrschenden Ganglienzellen an jener Stelle liegen , das Sacralmark also im wahren Sinne des Wortes Zentralorgan für sie ist. Die Möglichkeit besteht, daß die wichtigen Bahnen das Ende des Markes nur passieren. L. R. Müller '') ist auf Grund von Beobachtungen am Menschen und von Tierversuchen für die letztere Even- tualität eingetreten und möchte die sympathischen Geflechte des Beckens eher als Reflexzentren für die Genitalorgane angesehen wissen. Vgl. hierzu den Abschnitt über Rückenmark in Bd. IV, S. 352f. dieses Handbuches. 3. Einfluß der höheren Teile des Zentralnervensystems. Wenn auch im Gehirn und überhaupt in den höheren Partien des Zentralnervensystems sicherlich kein eigentliches Zentrum für Erektion vor- handen ist, so besteht doch unzweifelhaft eine Einwirkung des Gehirns auf diesen Akt. Einerseits kann durch gewisse Vorstellungen auf sexuellem Gebiet, sowie durch verschiedene Sinnesreize, wie schon oben erwähnt wurde, direkt Erektion, ja Ejakulation herbeigeführt werden, ohne daß der Penis selbst gereizt wird. Unter diesen Umständen kann es nicht überraschen, daß Budge '') und Eckhardt') durch experimentelle Reizung an den hö- heren Teilen des Rückenmarks , am Kopfmark und verschiedenen Gehirn- teilen (Pedunculi, Pons) ebenfalls Erektion auslösen konnten. Andererseits fehlt es vielleicht auch nicht an hemmendem Einfluß des Gehuns bzw. Rückenmarkes. Freilich sind die Versuche nicht eindeutig. Bei Segalas'*) altem Experiment: Ausbohrung des Rückenmarks beim Meer- schweinchen bewirkt Erektion und Ejakulation — dürfte es sich allerdings ') Arch. f. d. ges. Physiol. 8, 460, 1874. — ^) Eech. exper. s. 1. fonctions du syst, nerveux ganglionatre , Paris 1839. — ^) Deutsche Zeitsclir. f. Nervenheilk. 31 (1902). — ") Vgl. unter anderen: Clemens, Zeitsclir. f. Nervenbeilk. 9. — *) 1. c. — ") Arch. f. path. Anat. 15. — 0 Beiträge zur Anat. u. Physiol. von Eckhard 3. Gießen 1863. — *) Untersuchungen zur Physiol. und Pathol. von Friedrich und H. Nasse. Bonn 1835. Zentren der Begattuugsreflexe. 81 Jucius deferens I Ureter Nervus hypogastriciis weniger um Wegfall cerebraler Hemmung, als um Wirkung des mechani- schen Reizes bei der Zerstörung des Markes handeln. Eher könnte schon an Wegfall der Hemmung gedacht werden, wenn bei Erhängten und Ent- haupteten Erektion eintritt i) ; Spina 2) erzielte diese experimentell durch Quertrennung des Rückenmarks bei Meerschweinchen um so sicherer , je tiefer der Querschnitt angelegt wurde. Wichtig ist die Beobachtung von Goltz ^''), daß die reflektorische Erek- tion bei Reibung des Präputiums sicherer eintritt , wenn das Lumbaimark durclitrennt , als wenn es intakt ist; hier ist offenbar t is ^S- 24. an wegfallende Hemmung zu denken. Andererseits läßt sich bei intaktem Rücken- mark die Hemmung reflek- torisch verstärken , indem Hautreize appliziert werden, z. B. durch eine Hinterpfote ein elektrischer Reiz ge- schickt wii'd. Spina will die Auf- fassung Ciroltz' bezüglich Wegfalls von Hemmungen bei Rückenmarksquertren- nung deshalb zum mindesten nicht als sicher zutreffend gelten lassen, weil die leich- tere Auslösbarkeit des Erek- tionsreflexes sich erst einige Tage nach der Quertrennung geltend macht. Spina hält anfängliche Shockwirkung und dadurch bedingte Uner- regbarkeit und nachherige Myelitis und dadurch be- dingte erhöhte Erregbarkeit für die möglichen Ursachen des Goltz sehen Befundes. Mir scheint indessen die Annahme von Goltz besser mit sonstigen Er- fahrungen zu stimmen, daß das Ausbleiben der Erregbarkeitssteigerung in den ersten Tagen auf Reizungsvorgängen in dem abgetrennten unteren Rückeumarksende beruhe , die ebenso wirken , wie die normalerweise vom intakten Rückenmark herabkommenden Hemmungseinflüsse. Gerade das späte Auftreten der Erregbarkeitssteigerung spricht meines Erachtens entschieden fiir die Existenz solcher Hemmungen, also für Goltz und gegen Spina. vom IV. S Übersicht über den Genitalnervenplexus und seine spinalen Wurzeln beim Kater. Nach Langley und Anderson. ') A. Götz, Über Ei-ektion und Ejakulation bei Erhängten. Inaug.-Disserf. Berlin 1898 (dort auch die ältere Literatur). — ^) Wiener med. Blätter 1897. — =*) Arch. f. d. ges. Physiol. 8 (1873). Nagel, Physiologie des Menschen. II. g 32 Aphrodisiaca. — Penisnerven. Ob dieselben Zellen Erektion und Ejakulation beherrschen, kann be- zweifelt werden, da Ejakulation ohne Erektion auch bei nicht krankhaftem Zustande eintreten kann. Remy i) fand auf der Vena Cava inf. ein kleines Ganglion, dessen Reizung nur Ejakulation bewirkt. Da es auch beim Kaninchen leicht gelingt, durch Reizung des zum Ductus cleferens ziehen- den Nerven (s. M. L o e b ^) regelmäßig Samenleiterbewegungen ohne die geringste Erektion zu erzielen, ist jedenfalls nicht daran zu denken, den Ejakulationsreflex bloß auf stärkere Erregung derselben Zentren zurückzu- führen, die, schwächer erregt, Erektion erzeugen. Getrennte zentrifugale Bahnen für beide Reflexe sind sicherlich vorhanden, getrennte Zentralorgane wahrscheinlich. Das überaus komplizierte Gewirr der Beckennerven ist von L angle y und Anderson (a.a.O.) untersucht worden. Fig. 24 (a. v. S.) zeigt nach den genannten Forschern die Entstehung der in Betracht kommenden Nerven aus dem Nervus Jiypogastricus und dem zweiten bis vierten Sacralnerven (Kanin- chen). Bei der Katze sind die Verhältnisse ähnlich. Zum Ductus deferens treten die (dem Hypogastricus entstammenden) Nervenäste am unteren (der Prostata zugewendeten) Ende des Ganges. Ihre Reizung löst Bewegungen des ganzen Ductus aus, auch wenn dieser samt Hoden und Nebenhoden völlig frei prä- pariert ist und nur noch mit Samenblasen und Prostata zusammenhängt. Von Gifteinflüssen auf die Tätigkeit der Genitalzentren ist zu erwähnen, daß nach Spina ^) beim Meerschweinchen Opium und Strychnin die Eeizbai-keit erhöhen, Chloroform sie herabsetzt, Curare in großen Dosen sie aufhebt. Atropin in Dosen, die den Vagus lähmen, lähmt die Erigensfunktion nicht [Nikolsky") hatte dies behauptet]. Daß die sogenannten Aphrodisiaca (geschlechtstriebsteigernde Arzneimittel) auf die Zentren der Erektion und Ejakulation wirken sollten, ist zum mindesten zweifelhaft. Sofern sie überhaupt in dem behaupteten Sinne wirksam sind, dürften sie teils auf die höheren Zentren, speziell die Rinde des Großhirns wirken, teils aber lokale Reizzustände in den Harn- und Samenwegen erzeugen (wie es beispiels- weise die Canthariden sicher tun). 4. Die Nerven des männlichen Gliedes zerfallen nach herkömmlicher Unterscheidung in cerebrospinale und sym- pathische, doch muß sogleich bemerkt werden, daß auch die ersteren sym- pathische Fasern in nicht geringer Zahl führen. Von den Spinalnerven kommen in erster Linie der Nervus pudendus und der N. erigens in Betracht, ein dritter, N. üeoinguinalis, geht nur bis zur Wurzel des Penis. Von den vier Ästen des N. pudendus (der aus den Sacralnerven I bis IV stammt, be- sonders aus III) haben nur der N. perinei und N. dorsalis penis Bedeutung für den Penis selbst. Ersterer innerviert die M. ischio- und bidbocavernosus, den Bulbus uretlirae und die Schleimhaut im oberen Harnröhrenteil. Der N. dorsalis penis verläuft mit der Dorsalarterie bis zur Eichel, innerviert deren Haut, das Präputium, die Schwellkörper des Penis und den vorderen Teil der Harnröhre. Da der N. pudendus für den Penis auch vasoconstric- torische Fasern führt, müssen ihm sympathische Anteile beigemischt sein, die aus dem Plexus hypogastricus stammen. ') Journ. de l'anat. et de physiol. 1886. — ^) Beitrag zu den Bewegungen des Samenleiters usw. Inaug.-Dissert. Gießen 1866. — ^) Wiener med. Blätter 1897, Nr. 10 bis 13. — ") Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879. Penisnerven. 83 Der N. erigens enthält ebenfalls spinale und sympathisclie Fasern, erstere aus dem IIL und IV. (beim Hunde nach Eckhard I. und II.) Sacralnerven, letztere im Plexus hypogastricus ihm beigemischt i), in den sie wiederum vom Plexus mesentericus herabsteigen. Aus diesen sympathischen Fasern entstehen weiterhin die Nervi cavernosi, welche die Schwellkörper innervieren. Von den genannten Nerven ist der JSf. perinei motorischer Nerv für die Ejakulationsmuskulatur , der N. dorsalis penis sensibler Nerv für den größten Teil des Penis , N. erigens hauptsächlich Vasodilatator für die Schwellkörpergefäße. Genauer lassen sich die Funktionen der einzelnen Nerven beim Menschen noch nicht präzisieren , doch dürften sie sich sehr ähnlich verhalten wie beim Hunde, bezüglich dessen die eingehenden Unter- tuchungen Eckhards 2), sowie unter den neueren namentlich die Arbeiten Frangois-Francks 3) und Langleys *) befriedigende Ivlarheit geschaffen haben. Sowohl der N. erigens wie der N. pudendus führen reichliche Gefäß- fasern, und zwar beide sowohl Constrictoren wie Dilatatoren. Letztere über- wiegen im Erigens, erstere im Pudendus. Dieser ist zugleich, wie erwähnt, zentripetalleitender Nerv. Reizt man einen der beiden Nerven, die jederseits aus dem Sacralplexus heraustreten, oder auch die beiden Nerven einer Seite, so beginnt, wie zuerst Eckhard fand, ein Aufschwellen des Bulbus am Harnröhrenschwellkörper, das sich nach vorn fortpflanzt und auch auf die Peniskörper übergreift, die Erektion. Nikolsky^) wollte diesen Effekt nur dem unteren der beiden Nerven, der aus ■der zweiten Sacralöffnung kommt , zuerkennen , während der obere entspi-echende Nerv antagonistisch dazu wirken und bei gleichzeitiger Reizung beider die Wirkung paralysieren sollte. Fran^ois-Franck erhielt indessen im letzteren Falle wie Eckhard die typische Sn^reHS Wirkung. Es besteht ein Tonus des Erigens; wird dieser durchschnitten, so ver- engern sich die Gefäße der Schwellkörper , aus einer Schnittwunde fließt noch weniger Blut als in der Norm aus. Darüber, ob Reizung des N. hypogastricus Erektion bewirkt, gehen die An-» gaben auseinander. Budge") hatte für das Kaninchen, FranQois-Franck '^) für den Hund positive Angaben gemacht, während Langley und Anderson*) in keinem einzigen Falle Anschwellung, dagegen zuweilen Abschwellung des Penis sahen. Sie vei'muten bei Frangois-Fr anck als Fehlerquelle Stromschleifen oder Reflexe. Ich habe beim Kaninchen ebenfalls keine Erektion auf Hypogastriciisreizang gesehen. Daß die Erektionshemmung durch Vasoconstrictoren geschieht, hat beim Meerschweinchen Spina y) nachgewiesen, der zugleich zeigen konnte, daß diese Fasern im Rückenmark absteigen. Durchschneidung dieser Bahnen ist es nach Spina, welche bei der Quertrenjiung Erektion und Ejakulation auslöst. Eckhard 10) hat die Wirkung der Erigens reiziing am Hunde studiert. Die Anschwellung des Corpus cavernosum urethrae beginnt am Bulbusende, pflanzt sich nach vorn fort und geht dann auf die Penisschwellkörper über. ^) Vgl. hierzu die oben auf S. 81 wiedergegebene Figur nach Langley und Anderson. — ^) 1. c. — ^) Arch. de physiol. norm, et path. 27 (1895). — *) Journ. of Physiol. 12 (1891); 19 (1895/96). — ") Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879, S. 209. — ^) 1. c. — 0 Arch. de physiol. norm, et path. 1895. — ") Journ. of Physiol. 19, 103. — ^) Wiener med. Blätter 1897. — i") 1. c. 3 (1863). 6* 84 Erigenswirkung. — Cremaster. War einer der Schwellkörper angeschnitten, so sickert in der Ruhe tropfen- weise dunkles Blut heraus, wenige Sekunden nach der Reizung aber fließt hellrotes Blut aus. Aus der Vena pudenda communis fließt etwa achtmal so viel Blut als im Ruhezustande, aus der Dorsalvene sogar 15 mal so viel. Loven^) sah die kleinen Arterien bei i"W^e»sreizung spritzen. Zu ähn- lichen Ergebnissen kam Nikolsky^), indem er das aus der Dorsalvene strömende Blut durch eine Kanüle ableitete und aiiffing. Kikolsky hatte auch angegeben, Atropin hebe die Erigenswirkung auf. Spina (1. c.) konnte dies indessen nicht bestätigen; es wäre auch sehr überraschend, da xVtropin auf andere Vasodilatatoren , wie die Chordafasern , nicht lähmend wirkt. Nikolsky hatte den Erigens als einen Hemmungsnerven ähnlich dem Herz- vagus aufgefaßt. Der Muscuhis cremaster, dessen Wirkung in einer Hebung des Hodensackes besteht, ist außer beim Menschen auch beim Hunde (nicht aber bei der Katze und beim Kaninchen) vorhanden. Er wird vom genitalen Aste des Genitocruralnerven (Langley und Anderson^) innerviert, seine motorischen Easern stammen aus dem 3. bis 4. Lumbalnerven. Sherrington *) fand beim Affen (Rhesus) den 2. bis 4. Lumbalnerven in gleichem Sinne wirksam. .j\. n li a n g'. Die Wirkung- der Gesclilechtstätigkeit auf den Gesamtorganismus. Der Begattungsakt ist nicht ohne Einfluß auf die Tätigkeit anderer Or- gane des Körpers. In der zur Begattung führenden Erregung dürfte der Puls wohl meistens beschleunigt sein , auf der Höhe der Erregung wird der Herzschlag langsam und stark, was auf Vaguserregung hinweist. Wahr- scheinlich spielen sich im Gebiete der Gefäßnerven beträchtliche Erregungs- •vorgänge ab, wie überhaupt das ganze Nervensystem stark in Mitleiden- schaft gezogen wird; dies äußert sich im Gefühl von Erschöpfung nach dem Coitus, das übrigens außerordentlich wechseln dürfte. Charakteristisch ist der plötzliche Wechsel des psychischen Zustandes, der „Stimmung". Die Behauptung, die sich in dem Satze: omne an/ma post coitum triste ausspricht , ist aber zum mindesten ganz bedeutend über- trieben. Bemerkenswert sind die Wechselbeziehungen zwischen Nase und Ge- schlechtsorganen. Einerseits hat, wie schon oben bemerkt, das Riechorgan entschieden eine gewisse Bedeutung für die Auslösung und Steigerung des Begattungstriebes, sicher bei vielen Tieren, wahrscheinlich auch bei nicht wenigen Menschen ^). Andererseits scheinen aber auch Beziehungen zwischen dem nicht-olfactorischeu Teil der Nase und der Genitalsphäre zu bestehen. Das schwellkörperartige Gewebe mancher Partien der Nasenschleimhaut ^) Ber. d. sächs. Akad. d. WissenFchaften 1866. — ^) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879, S. 209. — ^) Journ. of Physiol. 19, 92. — ") Ebenda 13, 683, 1892. — *) Vgl. hierzu: A. Hagen, Die sexuelle Osphresiologie. Charlottenburg, Bars- dorf, 1901 und das zitierte Werk von Kuttner. Nase und Geuitalapparat. 85 beteiligt sich, wie es scheint, häufig an den An- und Abschwellungsvorgängen in den Genitalorganen. Genaueres über diesen Zusammenhang und seinen biologischen Zweck ist nicht bekannt, doch darf wohl vermutet werden, daß jene An- und Abschwellung in der Nase nicht ohne Beziehung zur olfac- torischen Funktion der Nase ist. Daß von der Nase aus die Genitalorgane auf andere Weise als durch Geruchsreizwirkung beeinflußt werden können , dürfte außer Zweifel stehen. Die Literatur über diese Frage findet sich recht vollständig bei Kvittner (Die nasalen Reflexneurosen und die normalen Nasenreflexe, Berlin, Hirsch- wald, 1904). Die namentlich von Fliess i) etwas übertrieben dargestellte Verknüp- fung der nasalen und genitalen Pathologie und desselben Autors Lehre von der Dysmenorrhoea nasalis ist durch Kuttner (a. a. 0.) und andere Autoren auf ein weit bescheideneres Material von Tatsachen zurückgeführt worden. Als sicher gilt aber selbst den kritischsten Forschern, daß schon leichte Ein- griffe an der Nasenschleimhaut bei Schwangeren zum Abortus führen können, was Küppers-) zuerst ausgesprochen zu haben scheint 3). Die erwähnten An- und Abschwellungsvorgänge in der Nase fehlen auch beim Manne nicht. Von eingreifendster Bedeutung sind Wirkungen einzelner Teile des Genitalapparates auf den Stoffwechsel im ganzen und auf die Entwickelung und Erhaltung gewisser Organe und Funktionen im speziellen. Nichts kennzeichnet diesen Zusammenhang besser als die Wirkung der Kastration. Da diese Frage schon oben (S. 41 ff.) behandelt wurde, genüge hier der kurze Hinweis darauf. ') Die Beziehungen zwischen Nase und weiblichen Geschlechtsorganen, Leipzig und Wien 1897 und: Über den ursächlichen Zusammenhang von Nase und Ge- schlechtsorganen, Halle 1902. — -) Deutsche med. Wocheuschr. 1884, S. 828. — ") Auch hierüber Literatur und kritische Erörterungen bei Kuttner (a. a. 0). Die Physiologie der weiblichen Genitalien vou Hugo Seilheim. Vorwort. Im folgenden sind die periodisclien Vorgänge im weiblichen Organismus während der Geschlechtsreife, die Fortpflanzungs- geschäfte und die Vorgänge beim Erlöschen der Geschlechts- funktionen eingehend behandelt. Die Beziehungen der Physiologie der weiblichen Genitalien zur Ent- wickelungsgeschichte ^) , der Einfluß der Keimdrüsen auf die Ausbildung der übrigen Generationsorgane, die vom Eierstock auf den wachsenden Organismus ausgehenden Fern Wirkungen 2) , sowie die in das anatomische Gebiet stark übergreifenden Fragen nach der normalen Lage der Generationsorgane und ihren physiologischen Lageveränderungen ^) konnten in dem Rahmen dieser Arbeit nur gelegentlich gestreift werden. Zusammenfassende Darstellungen, besonders solche, in denen die Litera- tur gesammelt ist, sind den einzelnen Abschnitten vorausgesetzt. Diese Arbeiten sind im Text nur mit dem Namen des Autors zitiert. Im übrigen sind unter dem Text noch so reichliche Literaturnachweise angegeben, daß man leicht auf die Quellen zurückgehen kann. *) Eingehende Abhandlungen über die Entwickelung der weiblichen Genitalien lieferten: Keibel, Archiv f. Anat. u. Physiol., Anat. Abteil. 1896; Nagel, im Handbuch der Gynäk., herausg. von J.Veit, I. Bd., Wiesbaden 1897; Bayer, Vor- lesungen über allgemeine Geburtshilfe, Straßburg 1903, dort findet sich auch eine zusammenhängende Darstellung der postfötalen Entwickelung des weib- lichen Geschlechtsapparates. — *) Ältere Literatur bei Seilheim, Zur Lehre von den sekundären Geschlechtscharakteren, Hegars Beitr. 1 (2), 1898 und Kastration und Knochenwachstum, Hegars Beitr. 2 (2), 1899. — ^) Literatur bei WaMeyer, Das Becken, Bonn 1899. Vgl. auch Seilheim, Der normale Situs der Organe im weiblichen Becken usw., Wiesbaden 1903. Periodische Vorgänge. — Ovulation. 87 I. Die periodischen Vorgänge wälirend der Gesclilechtsreife. Straßmann, Über den Beginn und den Begriff' der Schwangerschaft, in v. Winckels Handbuch der Geburtshilfe, Band I, erste Hälfte, Wiesbaden 1903. A. Martin, Die Krankheiten der Eierstöcke und Nebeneierstöcke, Leipzig 1898, in dem von Wendeler bearbeiteten Kapitel über die Physiologie. Chrobak und v. Rosthorn, Die Erkrankungen der weiblichen Genitalien, Wien 1900, erster Teil. Die Zeit der GescUeclitsreife wird beim Weibe charakterisiert durcb periodisch auftretende Erregungen und Beruhigungen, die sich sowohl in den Geschlechtsorganen als auch in den übrigen Abschnitten des Körpers ab- spielen. Wir betrachten zuerst die Vorgänge am Eierstock, dann in den ihm sub- ordinierten Abschnitten der Genitalien und zum Schluß im übrigen Organismus. 1. Die Vorgänge im Eierstock, a) Reifung, Austritt der Eier, Rückbildungsvorgänge am geplatzten Follikel (Ovulation). Die zur Eeifung prädestinierten Primordialfollikel behalten ihr Aussehen von dem Augenblick ihrer Bildtmg im Embryonalleben bis zu dem Zeitpunkt im ge- schlechtsreif en Alter, in dem die Reihe für die Weiterentwickelung an sie kommt. Wir unterscheiden in dem Eierstock des ausgebildeten Individuums Primordial- follikel, wachsende Follikel und reifende Follikel. Fig. 25. Eierstock einer geschleclitsreifen Person. Primordialfollikel. Kechts unten beginnendes Wachstum eines Follikels. VergT. etwa 150. Die Primordialfollikel (Folliculi oophori primarii) bestehen aus der großen Eizelle mit dem Keimbläsche'n als Kern, dem Keimfleck als Kernkörperchen und einem Kranz länglicher, platter Zellen mit flachen Kernen, dem sogenannten Follikelepithel (Fig. 25). In wachsenden Follikeln "findet man die Follikelepithelien cubisch und in mehreren Lagen um die Eizelle angeordnet (Fig. 26 a. f. S.). Innerhalb der Schichten des Epithels macht sich die Bildung von Vakuolen und Liquor Folliculi bemerkbar 88 Periodische Vorgänge. — Ovulation. ' (Fig. 27). Der Teil des Follikelepithels , in welchem das Ei sitzt, liegt bald mehr nach dem Hilus, bald mehr nach der Oberfläche des Eierstockes zu und wird als Cumulus oophorus bezeichnet. Konzentrisch um den Follikel herum bildet sich eine bindegewebige Hülle, die Theca folliculi. Die Außenschicht dieser Kapsel (Tunica erterna) besteht aus derben Bindegewebsfasern ; die innere (Tunica interna) setzt sich aus runden und spindel- förmigen Elementen und zahlreichen Kapillaren zusammen. Mit den Vei'änderungen in dem Follikelepithel beginnt auch die Eizelle samt ihrem Kern und Kernkörperchen größer zu werden. Die Wachstums- periode des Eies wii-d mit der Bildung der Eischale, der sogenannten Zona pellucida, abgeschlossen. Diese Zona pellucida entsteht in dem an das Ei an- Fiff. 26. Eierstock einer geschlechtsreif eu Person. — Wachsende Follii' i n i .ibiUhing. Vergr. 27(1. grenzenden Follikelepithel und besitzt nach v. Ebner') eine feine radiäre Streifung. Zwischen Zona pellucida und Ei findet sich bisweilen ein perivitelliner Spalt- raum, dessen Existenz aber nur nach Ausstoßung der Eichtungskörperchen oder nach eingetretener Degeneration des Eies von v. Ebner anerkannt wird. Im Laufe der Wachstumperiode des Eies macht sich eine teilweise Umwand- lung des Eiprotoplasmas in den Nahrungsdotter, das Deutoplasma, durch das Auftreten von krümeligen Elementen geltend. Nach Lindgreeu'O tragen ein- gewanderte Granulosazellen zur Vermehrung des Dotters bei. Das nur noch mit einer dünnen Hülle von Protoplasma umgebene Keimbläschen wird an die Peri- pherie gedrängt oder gelangt durch sein geringes spezifisches Gewicht dorthin. ') V. Ebner, Über das Verhalten der Zona pellucida zum Ei. Anatom. Anz. 1900, S. 55. — ^) Lindgreen, Studien über das Säugetierei, zitiert nach Straßmann 1. c. Periodische Voro-äDo-e. Ovulation. 89 Yisr.27. Eierstock einer geschlechtsreifen Person. Wachsender Follikel. Liquor folliculi, Cumulus oophorus, Corona radiata angedeutet. Vergr. etwa lud. Fig. 28. "V;, .-, .Ä>^:^?^?^4^'^^i;v:kf^i=Ä^;&^SÄ Eierstock einer gesolüecbtsreiieu Person. Frisch geplatzter Follikel. Provisorische Ausfüllung mit Blut. Starke Hyperämie in der Umgebung Vergr. 45. 90 Periodisclie Vorgänge. — Ovulation. Die reifenden Tollikel (Folliculi oophori vesiculosi Graafi) können bis etwa kirschgroß (etwa 15 mm und mehr im Durchmesser) werden. Die Zellen der Theca interna werden zahlreicher und größer. Das Follikelepithel (Stratum granu- Fig. 29. Eierstock einer gescblechtsreifeu Person. — Frisches Corpus luteum. Vergr. ^Jj. Fig. :50. stück aus der Kindenscliicht des frischen Corpus luteum in Fig. 29. L Luteinzellen , G stark gefüllte Blutgefäße der Umgebung, B rote Blutkörperchen im Zentrum, C sogenannte Gefäßsprossen. Vergr. 75. losum) kleidet in einer zwei- oder mehrreihigen Schicht die ganze Innenwand des Follikels aus. In den mit Liquor folliculi gefüllten Hohlraum des Bläschens ragt Periodische Vorgänge. — Ovulation. 91 der Cumulus oophorus hinein. lu der unmittelbaren Umgebung des Eies ist das Follikelepithel strahlenkranzähnlich {Corona radiata) angeordnet und wird in diesem Bereich als Eiepithel bezeichnet. Den Grad des Wachstums des Eies läßt am besten der Vergleich der Maße am Anfang und Ende erkennen. Das Ei des Primordialfollikels hat einen Durchmesser von etwa 25 ,«. In der Zona pelhocida ist das Ei 200 fi dick ge- worden. Der Dui'chmesser des Keimbläschens beträgt jetzt etwa 50 ^ und der des Keimflecks etwa 5 ,M. Die Zona pellucida hat eine Dicke von etwa 10 w. Das fertige Ei hat sich danach gegenüber dem Primoi'dialei um etwa das Achtfache ver- mehrt. Um diese sogenannten „f ertigen"Eier vollständig reif und hef ruchtungs- fähig zu machen, müssen erst noch durch zweimalige Teilung des Eikemes die sogenannten Polkörperchen oder Rich- tungskörperchen ausge- stoßen werden. Fi»-. 31. Eierstock einer geschlechtsreifen Person. Älteres Corpus luteum. Vergr. -^/i. Fig. 32. Stück aus dem älteren Corpus luteum in Fig. 28. — iJ Bindegewebe , i Luteinzellen. Vergr. Unter fortwährender Zunahme des Follikelepithels durch Zellneubildung, Ver- mehrung der Follikelflüssigkeit und unter Zugrundegehen von Follikelepithelien kommt der reife Follikel zum Durchbruch. Das Ei wird mit einer größeren Anzahl ihm anhaftender Granulosazellen herausgeschwemmt. 92 Periodische Vorgänge. — Rückbildung der geplatzten Follikel. Der geplatzte Follikel (Fig. 28 a. S. 89) füllt sich provisorisch mit Blut. Seine "Wand durchsetzt sich mit Hämorrhagien. Um den Kern von geronnenem Blut bildet sich eine gelbliche Rinde, wie eine Kapsel, die in ihi-er Hauptmasse aus den großen Luteiuzellen besteht (Corpus luteum) (Fig. 29 u. 30 a. S. 90). Über die Herkunft dieser Zellen stimmen die Forscher nicht überein. Die einen nehmen an, sie seien epithialen Ursprungs und restierende Granulosazellen, die anderen vindizieren ihnen bindegewebigen Charakter und leiten sie von der Theea folliculi ab. Beide Ansichten können sich vielleicht vertragen, sofern Weu- deler^) damit recht behält, daß das sogenannte FoUikelepithel nicht vom Keini- epithel, sondern von dem bindegewebigen Stroma der Eierstocksaulage herrührt. Fig. 33. W>;^. :■■■ ;i?'«. :<■■ Kierstock einer get1=, Blutung in das Cdvum nteri. Vergr. 75. Fig. 42. fr'. ;.:, .^ Kegeneratioii und Wiederanlegiuig des losgewülilten und gesprengten Oberflächenepitbels au den Stelleu der snbepithelialen Hämatome. — Vergr. 75. Kegeneration , Zunahme und Zerfall läßt sich nicht genau bestimmen. Die Über- gänge, erfolgen ganz unmerklich. Der Uterushals produziert während der Periode nur mehr Schleim als sonst, an der Blutung nimmt er nicht teil. Periodische Veränderungen an Genitalien und Gesamtorganismus. ül» b) Veränderungen au äußeren Genitalien, Scheide, Tuben und Brustdrüsen. Im Vergleich zu den Veränderungen an dem Uterus stehen die Erschei- nungen an den übrigen Abschnitten des Genitaltraktus an Intensität und Konstanz ihres Auftretens zurück. In der Scheide und an den äußeren Genitalien macht sich meistens eine stärkere Hyi^erämie durch eine bläuliche Verfärbung geltend. Die Tuben nehmen auch an der Kongestion teil; doch sondern sie unter normalen Verhältnissen kein Blut ab. An den Brustdrüsen tritt bei den Menstruierenden nicht selten unter spannendem Gefühl und Druckempfindlichkeit eine Anschwellung und selbst eine Sekretion ein. 3. Die Veränderungen am Gesamtorganismus. Durch physikalische Hilfsmittel läßt sich eine den periodischen Ver- änderungen im Eierstock gleichlaufende Beeinflussung, eine Wellen- bewegung aller Lebensprozesse des Weibes nachweisen. Objektiv erkennbar sind regelmäßige Schwankungen in dem Verhalten von Pulszahl, Blutdruck, Wärmestrahlung, Muskelkraft, Lungenkaioazität , In- und Fig. 4.S. 100 75 50 25 6 14 15 16 17 18 19 D ürapliische Darstellung der Welleubewegung aller Lebeusprozesse. Auf der Lluie CD siud die Tage der Menstruationsperiode (1 bis 28) angegeben. An den zwischen m und n liegenden schraffierten Tagen findet die menstruelle Blutausscheidung statt. Die Zahlen auf iler Linie E C geben den Intensitätsgrad der Gesamtheit aller untersuchten Lebensprozesse an. Exspirationskraf t , Eeaktionszeit des PateUarreflexes. (Godmaun^), Eeinl"), V. Ott^) u. a.) Alle diese Prozesse sind vor der menstruellen Blutausscheidung o:esteio-ert und nehmen unmittelbar vor oder mit der Blutung ab. Nur ^) Godmann, The Cyclical Theory of Menstruation. Americ. Journ. of Obst. 11, 673, 1878. — '^) Keinl, Die Wellenbewegung des Lebensprozesses des Weibes. A^olkmanns Sammlung klin. Vorträge, Nr. 243. — ^) v. Ott, Les lois de la periodicite de la fonction physiologique dans l'organisme feminine. Nouvelles archives d'obstetrique et de gynecol. 1890. 100 Ovulation, Menstruation und Wellenbewegung der Lebensprozesse. die Erregbarkeit des Nervensystems, soAvie die Wärmestrahlung erreichen ihren Höhepunkt erst etwas später während der Blutung. Eiweißzei-setzung und Harn- stoffausseheidung sollen nach Sehrader ^) vor der Menstruation eingeschränkt sein. Der respiratorische Stoffwechsel beteiligt sich dagegen nicht an den zyklischen Schwankungen (Zuntz^). Die Muskelkraft sinkt mit der Menstruation (Bossi*). Diese Wellenbewegung der physiologischen Prozesse illustriert am besten die v. Ottsche graphische Darstellung (Fig. 43 a. v. S.). Die Periodenzeit macht sich auch im Äußeren der Frau bemerk- lich. Die Menstruierenden zeigen häufig einen angegriffenen Gesichtsausdruck: Erblassen und Erröten des Gesichtes folgen oft in raschem Wechsel. Viele tragen in dieser Zeit ein scheues Wesen zur Schau. Die Energie ist nicht selten sichtlich vermindert. Außerdem ist bei den meisten Frauen die Eegel von einer Summe ab- normer Empfindungen begleitet, die man als Unwohlsein kurzweg (Molimina menstrualia) bezeichnet. Es sind das gew'isse Reizbarkeit, Verstim- mungen, Gefühl von Schwere im Unterleib, manchmal auch Unterleibsschmerzeu, alle möglichen Erscheinungen in den von den Genitalien weiter abliegenden Unter- leibsorganen, im Magen und Darm, sowie auch Neuralgien der verschiedensten Art. Alle diese Beschwerden müssen wegen der Häufigkeit ihres Vorkommens und wegen ihres Auftretens bei sonst ganz normalen Individuen, wenn sie sich in mäßigen Graden halten, noch mit in das Bereich des Physiologischen gerechnet werden. 4. Der Zusammenhang zwischen Ovulation, Menstruation und Wellen- bewegung aller Lebensprozesse. Wir nehmen an, daß die Follikelberstung zeitlich mit der prämenstru- ellen Zunahme der Uterusschleimhaut und mit der Steigerung aller Lebens- prozesse zusammenfällt. An die Ovulation schließt sich die menstruelle Blutung. Dafür lassen sich einige Beweise bringen. Man findet bei Sektionen und Opei'ationen an Menstruierenden meist einen frisch geplatzten Follikel oder ein junges Corpus luteum. Bei Frauen, die sich gut untersuchen lassen, fühlt man nicht selten einige Tage vor der erwarteten Menstruation einen Eierstock vergrößert durch eine kirschgroße pralle Hervorragung, entsj)rechend dem sprungfertigen Follikel, die mit der Menstruation verschwindet. Zwischen der Lösung des Eies und der Menstruation vergeht wahr- scheinlich eine gewisse Latenzzeit, die auf einen oder einige Tage zu be- messen ist (Straß mann). Für das regelmäßige Zusammentreffen von Ovulation und Menstruation in vierwöchentlichen Intervallen sprechen die Befunde an den Eierstöcken von jugendlich Verstorbenen. Dort entspricht die Zahl der Narben und Corpora lutea der Zahl der aufgetretenen Menstruationen. Weiterhin läßt sich die Beobachtung Döderleins anführen, der bei statisti- schen Zusammenstellungen fand, daß das Maximum der Schwangerschafts- dauer auf die 40. Woche nach der letzten Periode fällt. Daneben finden sich zum Beweise für den vierwöchentlichen Typus der Ovulation noch zwei relative Maxima, vier Wochen früher und vier Wochen später. Vergleicht man die Phasen der Schwankungen aller Lebens- prozesse mit den anatomischen Veränderungen der Uterusschleim- haut bei der Menstruation, so entspricht die Erhebung der zehntägigen ^) Schrader, Stoffwechsel während der Menstruation. Zeitsehr. f. klin. Medizin 25. — ') Zeutralbl. f. Gynäkol. 1904, Nr. 13, S. 434. — ^) Areh. f. Gynäkol. 68, 3. Ovulatiou, Menstruation und Welleubeweguno; der Lebensprozesse. 101 prämenstruellen Anschwellung. Mit dem Eintritt der Menses erfolgt ein bis tief unter die Norm gehendes Absinken. Die Erhebung der Kurve nach der Periode läuft der Regeneration der Gebärmutterschleimhaut gleich. Über die zeitlichen Beziehungen zwischen Ovulation und Menstruation nehmen wir an, daß die Follikelberstung vor, und zwar etwa 2 bis 3 Tage vor dem Eintritt der menstruellen Blutung erfolgt. Mit Rücksicht auf die Wellenbewegung im Gesamtorganismus müssen wir hinzufügen, daß ein späteres Platzen des Follikels sich auch nur schwer mit dem nachgewiesener- maßen vorhandenen Abfall des allgemeinen Blutdruckes vereinbaren ließe. Der kausale Zusammenhang zwischen den Veränderungen im Eier- stock, in der Uterusscbleimhaut und im übrigen Körper ist so zu denken, daß der Eierstock das dominierende Organ ist, von welchem die Impulse zu den periodischen Schwankungen ausgehen. Die Souveränität des Eierstocks über den Uterus geht schon daraus hervor, daß menstruelle Veränderungen nur da eintreten, wo funktionierendes Eierstocksgewebe vorhanden ist, und daß sie mit dem Fortfall der Keim- drüsen durch Kastration oder mit der physiologischen Schrumpfung im Klimakterium aufhören. Docli ist es zum Zustandekommen einer Menstruation nicht unbedingt nötig, daß der Follikel nach außen aufbricht, Avenn auch darin das gewöhnliche Verhalten zu erblicken ist. Es genügt zur Auslösung der Menstruation, daß ein heranreifendes Ei bei annähernd vollendeter Entwickelung intra- follikulär zugrunde geht. Es scheint dieses Ereignis in bezug auf den Effekt dein gewöhnlichen extra- follikulären Untergang gleichwertig zu sein (Straßmann). Die Rückbildung des Follikels erfolgt auch hier in gleicher Weise wie nach dem Platzen des Follikels und dem Austritt des Eies durch Vermittelung eines Corpus luteum. Wenn wir diesen intrafollikulären Untergang des Eies auch als eine Abnormität bezeichnen müssen, so ist es doch nicht nötig, immer nur pathologische Erhöhung des Wider- standes an der Oberfläche des Eierstockes als Grund anzuführen. Es läßt sich recht wohl denken, daß topographische Verhältnisse, wie sie im gesunden Eierstock vorkommen, nämlich eine primäre sehr tiefe Lage des Follikels, die Schuld tragen. Wenn in der Regel auch auf die Ovulation die Menstruation folgt, so sind Eireifung und Berstung des Follikels doch ganz unabhängig von der Menstruation. Man findet z. B. Ovulation bei einer aus irgend welchen Gründen (Krankheit, Laktation) vorhandenen Amenorrhoe. Die Ovulation wird weder durch die Totalexstirpation des Uterus (AbeP) noch durch die Verpflanzung des Eierstocks an eine andere Stelle des Bauches aufgehoben (Knauer^), Grigorieff 3), Morris*). Im allgemeinen nimmt man an, daß der Follikel spontan platzt und das Ei entleert, sobald die Zeit der Reife gekommen ist. Demgegenüber Avird aber auch dem Coitus ein Einfluß zugeschrieben. Chazan*) hält es für wahrscheinlich, ') Abel, Dauererfolge der Zweifeischen Myomektomie. Arch. f. Gjmäkol. 57 (1899). — *) Knauer, Einige Versuche über Ovarientransplantation beim Ka- ninchen. Zentralbl. f. Gynäkol. 1896, Nr. 20; Derselbe, Zentralbl. f. Gynäkol. 1897, Nr. 27. — ^) Grigorieff, Schwangerschaft bei Transplantation der Eier- stöcke. Zentralbl. f. Gynäkol. 1897, Nr. 22. — '') Amer. Journ. of obstetr. and dis. of women and children 1904, p. 9 bis 11. — ") Chazan, Volkmanns klin. Vor- träge, N. F., Nr. 269, S. 1762. 102 Ovulation, Menstruation und Wellenbewegung der Lebensprozesse. daß das Ei schon in der iutermenstruellen Periode befruchtungsfähig wird und bald auf violente Weise durch den Kohabitationsakt in der intermeustruellen Periode, bald sisontan durch allmähliche Verdünnung und Eröffnung der Follikel- wand erst zur Zeit der Regel den Eierstock verläßt. Durch eine solche violente Ovulation würde ein ganz frisches und für die Erhaltung der Art am besten ge- eignetes Ei geliefert, während die spontane Ovulation nur die alten überflüssig ge- wordenen Eier fortschaffen soll. Notwendig ist zum Zustandekommen der Ovulation der Coitus sicher nicht, denn man findet bei intakten Personen regelmäßige Eollikelberstuugen. Für die Abhängigkeit des Uterus von dem Eierstock lassen sich auch noch weitere Tatsachen anführen. Der Uterus und die übrigen Abschnitte der Generationsorgane bilden sich nur bei Anwesenheit eines Eierstocks gut aus. Bei der Kastration in jugendlichem Alter bleiben die übrigen Genitalien in ihrem Wachstum zurück. Bei der Kastration in der Geschlechtsreife und bei der physiologischen Schrumpfung der Keimdrüsen im Klimakterium atrophieren Uterus, Scheide und Brustdrüsen i). Experimentelle Untersuchungen lassen die Vergrößerung des Follikels als den regelmäßigen Antrieb für die Wellenbewegung erscheinen. Ahmt man im Eierstock die physikalischen Erscheinungen nach, welche die Volumzunahme des wachsenden Follikels hervorruft, indem man durch Flüssigkeitsinjektionen den intraovariellen Druck steigert (Straß- mann^), so löst man bei dem Versuchstier den gleichen Symptomenkomplex in der Uterusschleimhaut und im Benehmen aus wie bei der Ovulation. Ebenso wie die periodis eben Veränderungen in Genitalorganen werden auch die Schwankungen aller Lebensprozesse von dem Eierstock diktiert. Das ist um so leichter verständlich, als wir wissen, daß schon eine regelmäßige permanente Beeinflussung des ganzen Or- ganismus von den Keimdrüsen ausgeht. Die große Bedeutung des Eierstockes im Körperhaushalt zeigt ein Blick auf die Folgen der künst- lichen Entfernung. Schneidet man einem jugendlichen Individuum die Ovai'ien heraus, so sieht man, daß, abgesehen von der darauffolgenden mangelhaften Ausbildung der so- genannten sekundären Geschlechtscharaktere, das Knochen Wachstum sehr stark beeinflußt wird. Die Verknöcherung der während der Entwickelung knorpeligen Skelettabschnitte, besonders der Epiphysenscheiben an den Extremitäten- knochen und der Knochennähte wird auffallend verzögert. Die Folge sind sehr beträchtliche Veränderungen in den Proportionen der Extremitäten, des Schädels, des Beckens und des Bi-ustkorbes (Seilheim*). Die gewaltige Einwirkung auf den Stoffwechsel demonstrieren die Vergleiche der Gasanal\'sen des Lungenstoffwechsels bei Kastrierten und Nicht- kastrierten. Die Entfernung des Eierstocks setzt nach Loewy und Richter^) ^) Hegar, Kastration der Frauen, Volkmanns klin. Vorträge 1878; Cilaevecke, Körperliche und geistige Veränderungen im weiblichen Organismus nach künst- lichem Verlust der Ovarien einerseits und des Uterus andererseits, Arch. f. Gynäkol. 35; Alterthum, Die Folgezustände nach Kastration und die sekundären Geschlechts- chai'aktere, Beitr. z. Geb. u. Gynäkol. 2, HeftI; dort weitere Literatur. — '') Straß - mann, Beitr. z. Lehre von der Ovulation, Menstruation und Konzeption. Arch. f. Gynäkol. 52, 111,1869. — *) Sellheim, Kastration und Knochenwachstum, Beitr. z. Geb. u. Gynäkol. 2, Heft II, 1899. — ■*) Loewy und Richter, Zur wissenschaft- lichen Begründung der Organtherapie. Berliner klin. Wocheuschr. 1899; Dieselben, Über den Einfluß des Ovariums auf den Eiweißumsatz. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1899 und Berliner klin. Wochenschr. 1899. Ovulation, Menstruation und Wellenbewegung der Lebensprozesse. 103 den Sauerstoffverbrauch 3 bis 4 Monate nach der Operation bis auf 20 Proz. gegen früher herab, so daß allmählich beträchtliche Sparwirkungen an Fett erreicht werden. Der Cxesamtstoffwechsel nimmt bei steigendem Körpergewicht um etwa 9 Proz. ab. Einverleibung von Eierstockssubstanz hat oxydationssteigernde Wirkung. Schließlich wird auch die gewaltige kontinuierliche Beeinflussung aller Körperfunktionen klar, wenn wir sehen, daß die Entfernung der Keimdrüse im geschlechtsreifen Alter und ihre Schrumpfung im Klimakterium nur unter merklichen Störungen dieser Funktionen einhergeht (vgl. den Ab- schnitt über das Klimakterium). Die Beziehungen zwischen der Ovarialf unktion und den be- gleitenden Erscheinungen an den näher und ferner liegenden Teilen des Organismus werden wahrscheinlich zum Teil durch Nervenbahnen vermittelt. Dieser Weg erscheint sehr plausibel; wenigstens dringen, wenn die Beobachtungen von v. Herff ^) und Riese 2) richtig sind, Nervengeflechte in dem Eierstock bis ins Granulosaepithel vor. Sicher besteht aber auch noch eiue andere Übertragung. Wir sehen, daß exstirpierte Eierstöcke an anderen Stellen der Bauchhöhle einheilen, weiter funktionieren, Brunst hervorrufen und selbst Schwangerschaft zustande kommen lassen (Knauer •). Darin liegt der Beweis, daß in der Keimdrüse gewisse chemische Substanzen produziert werden, welche, durch die Zirkulation an die übrigen Organe herangebracht, dort den Einfluß der Eier- stocksfunktion geltend machen. (Innere Sekretion von Brown- Sequard.) Durch die Einwirkung von chemischen Substanzen, die im Genitaltraktus ihren Ursprung nehmen, ist auch die Erscheinung zu verstehen, daß nach Durchschneidung aller zu den Milchdrüsen gehenden Nerven Goltz ^) und Pfister''), ferner nach Transplantation einer einzelnen Milchdrüse unter die Ohrhaut des Kaninchens Ribbert'') diese von den gewohnten ner- vösen Bahnen abgeschlossenen Organe bei eintretender Gravidität gerade wie sonst in Funktion versetzt werden. Ob bei der inneren Sekretion das Corpus luteum eine Rolle spielt, wie L. Fränkel") will, bleibt noch dahingestellt. Der Zweck der verschiedenen während der Geschlechtsreife periodisch auftretenden Veränderungen ist nach diesen Feststellungen folgendermaßen aufzufassen : In den Keimdrüsen reift in regelmäßigen Intervallen von vier Wochen unter starker Vergrößerung des umgebenden Follikels ein Ei. Gleichzeitig mit der nahenden Reife bilden sich in den übrigen Teilen des Genitaltraktus Veränderungen aus, welche im Falle der Befruchtung des am Ende der Reife aus dem Follikel austretenden Eies (Ovulation) dessen Ansiedelung und Beherbergung günstig sein würden. Am meisten werden solche „Empfangs- vorbereitungen" für die Implantation des befruchteten Eies in der Uterus- ') V. Herff, Über den feineren Verlauf der Nerven im Eierstock. Zeitschr. f. Geb. u. Gynäkol. 24 (1893). — *) Eiese, Die feinsten Nervenfasern und ihre Endigungen im Ovarium der Säugetiere und des Menschen. Arch. f. Gynäkol. 6. — ^) 1. c. — ") Goltz, Pflügers Arch. 8; ebenda 9; ebenda 63. — '") Pf ister, Über die reflektorischen Beziehungen zwischen Mammae und Genitalia inuliebria. Beitr. z. Geb. u. Gynäkol. 5, 421. — '^) Bibbert, Über Transplantation von Ovarien, Hoden und Mammae. Arch. f. Entwickelungsmechanik 1898. — ') Zentralbl. f. Gvnäkol. 1904, S. 621. X04 Oviüatiou, Menstruation und Wellenbewegung der Lebensprozesse. Schleimhaut in Form einer Hyperämie und Wucherung getroffen (prämen- struelle Kongestion). Atich die Brustdrüsen werden durch die Reizung auf ihre Bestimmung aufmerksam gemacht. Kommt wirklich Befruch- tung zustande, so erfüllen diese Vorkehrungen ihren Zweck. Die prä- menstruelle Schwellung setzt sich in die für die Implantation des Eies charakteristische Deciduabildung der Gebärmutterschleimhaut fort. Die Brust- drüsen wachsen weiter. Meistens geht aber das austretende reife Ei unbefruchtet zu- grunde. Dann haben die Zurüstungen in dem Genitaltraktus ihren Zweck verfehlt und verlieren sich rasch. Die geschwollene und hyperämische Uterus- schleimhaut blutet sich aus (menstruelle Blutung) und kehrt unter Re- generation der verloren gegangenen Partien zur Ruhe zurück. Mit dem Heranreifen des nächsten Follikels beginnt das Spiel von neuem. Durch dieses regelmäßige Auf- und Abschwanken der geschlechtlichen Funktionen wird der ganze Organismus weit über die Grenzen des Genital- traktus hinaus erregt. Leib und Seele werden in Mitleidenschaft gezogen. Die Steigerung der Lebensprozesse unmittelbar vor der durch die Ovulation gegebenen Befruchtungsmöglichkeit ist in gleicher Weise wie die prämen- struellen Veränderungen in den Genitalien als Vorbereitung des Organismus für die Aufnahme eines befruchteten Eies aufzufassen. Ihr Absinken zeigt ebenso wie die menstruelle Blutung an , dai3 eine Ovulationsperiode ohne Be- fruchtung vorübergegangen ist. Welche Kraft in letzter Instanz diese Wellenbewegung beim geschlechts- reif en Weibe hervorruft, ist uns nicht bekannt. Nur so weit läßt sich ein kausaler Zusammenhang verfolgen, als wir wissen, daß die periodisch in dem Eierstock reifenden Follikel den Impuls für die Veränderungen in Genitaltraktus und Gesamtorganismus abgeben. Während beim Tier regelmäßig mit der Brunst eine Steigerung des Geschlechtstriebes unverkennbar auftritt, Ja diese Zeit die einzige ist, in welcher das Weibchen das Männchen annimmt, sind beim Menschen die Beziehungen zwischen der Wellenbewegung und der Neigung des Weibes zur geschlechtlichen Vereinigung viel weniger ausge- sprochen. Die Begattung kann jederzeit erfolgen; der Autrieb dazu ist von allen möglichen seelischen Regungen, von Vorstellungen, von der Be- schäftigung abhängig und wird vom Willen beherrscht. Als Rest einer ursprünglichen Paarungssaison kann die in ausgesproche- nem Maße gesteigerte Zeugungstätigkeit im Frühjahr, vor allen Dingen im Monat Mai gelten, die neuerdings auch durch statistische Zahlen belegt wurde (Straßmann ^). Spezielle Nachforschungen über den Einfluß der Wellen- bewegung auf den Geschlechtstrieb haben zu keinem einheitlichen Resultat geführt. Die einen geben an, daß beim Weib in der antemenstruellen Zeit, andere, daß gegen Ende der Periode und bald danach der Ti'ieb zur Ver- einigung am stärksten sei. Während der menstruellen Blutung soll sich das Weib vom Manne eher abgestoßen als angezogen fühlen. Inwieweit hier ästhetische Rücksichten, Erziehung, religiöse und ärztliche Vorschriften den natürlichen ursprünglichen Drang beeinflussen, läßt sich schwer entscheiden. ') Straßniann, 1. c. Zustandekommen der Schwangerschaft. 105 IL Die Schwangerschaft. Straßmann, Vorgänge bei der Befruchtung. Erste Veränderung des Eies, hi v. Wiiitkels Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, erste Hälfte, Wiesbaden 1903. J. Pfannenstiel, Die ersten Veränderungen der Gebärnnutter infolge der Schwanger- schaft. Die Einbettung des Eies. Die Bildung der Placenta, der Eihäute und der Nabelschnur. Die weiteren Veränderungen der genannten Gebilde während der Schwangerschaft. In v. Winckels Handbuch der Geburtshilfe , Bd. I , erste Hälfte, Wiesbaden 1903. A. V. Rosthor n, Anatomische Veränderungen im Organismus während der Schwanger- schaft. Die Veränderungen in den Geschlechtsorganen. In v. Winckels Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, erste Hälfte, Wiesbaden 1903. A. Goenner, Die Ernährung und der Stoffwechsel des Embryo und Fötus. In V. Winckels Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, erste Hälfte, Wiesbaden 1903. Olshausen und Veit, Lehrbuch der Geburtshilfe. 5. Auflage, Bonn 1902. Bumm, Grundriß zum Studium der Geburtshilfe. Wiesbaden 1902. 1. Das Zustandekommen der Schwangerschaft. Ein neues Individuum entsteht aus der Vereinigung der männlichen imd weiblichen Geschlechtszellen. Beide sind wie durch eine Art Arbeitsteilung (0. Hartwig) von der Natur mit sehr verschiedenen, einander ergänzenden Eigenschaften ausgestattet. In der weiblichen Geschlechtszelle Avird das Nährmaterial für die erste Zeit der Entwickelung des neuen Individuums aufgespeichert. Sie ist daher zur größten Zelle des Körpers herangereift. Die männliche Geschlechtszelle, der Samenfaden, entledigt sich dagegen jeg- lichen Ballastes, um in seiner Aufgabe, die Eizelle aufzusuchen, möglichst wenig gehindert zu sein. Er ist daher zu dem kleinsten Elementarteilchen geworden und hat sich mit einem Fortbewegungsorgan in Gestalt eines Schwanzes versehen. Die Samenfäden (Samenzellen, Spermien, Sijermatoznen) entstehen in den Tuiuli contorti des Hodens. Die Epithelien dieser Gänge sind zum Teil die sogenannten Ursamen-, Samenkeimzellen oder Spermatogonien. Durch mehrfache bestimmte Teilungen entstehen aus diesen Ursamenzellen als dritte Generation die Zellen, welche sich in die Spei-matozoen umwandeln. Der Zellkern wird zum Kopf des Samenfadens, das sogenannte Centrosoma gelangt wahrscheinlich in das Mittelstück und das Protoplasma verwandelt sich in den Schwanz. Die Länge eines Samen- fadens beträgt 55 t/, davon kommen auf den Kopf 5 und auf den Schwanz nebst dem Mittelstück 50 u. Der Samen stellt eine Aufschwemmung der Samenfäden in den Sekreten der Sameublasen , der Prostata und der Cowperschen Drüsen dar. Auf 1 mm^ des menschlichen Samens rechnet man ungefähr 60 000 Samenfäden. Ein Ejakulat enthält nach Lode 226 Millionen Spermatofllen. Die männlichen Geschlechtszellen sind auiSerordentlich beweglich und sehr zählebig. Man fand bei Frauen in der Scheide, im Uterushals und in der Tube noch Tage und Wochen nach der letzten Kohabitation lebende Spermatozoen. Die Entwickelung des Eies haben wir schon bei der Ovulation kennen gelernt. Bis das fertige menschliche Ei befruchtungsfähig wird, müssen sich an ihm wahr- scheinlich die gleichen Reifeerscheinungen geltend machen, wie man sie im Tier- reiche regelmäßig beobachten kann. Das Keimbläschen rückt an die Oberfläche des Eies und bildet sich zu einer Kernspindel um. Die eine Hälfte der Kernspindel wird an die Oberfläche des Eies ausgestoßen , die andere bleibt im Protoplasma zurück und wächst wieder zu einer Kernspindel aus , deren eine Hälfte abermals ausgestoßen wird. Die eliminierten Teile sind voll entwickelte kleine Zellen mit Nagel, Phys^iologie des Mensclien. II. ^j* 3^06 Zustandekommen der Schwangerschaft. — Begattung. Protoplasma, Kern und manchmal sogar Deutoplasma. Sie bleiben meistens in der Zona pellucida liegen und werden als Polkörperchen oder Eichtungskörper- chen bezeichnet. Sogar die Möglichkeit der Befruchtung dieser abortiven Eizellen Avird angenommen und für die Entstehung von Eierstocksgeschwülsten (Embi-yome) verwertet (Bonnet). Die nach der zweiten Teilung zurückgebliebene Kernspindel wird zum Kern des nunmehr reifen Eies und heißt weiblicher Vor kern oder Eikern. Die reife Eizelle scheint ihr sogenanntes Centrosoma verloren zu haben. Unbefruchtete Eier gehen zugrunde. Die Vereinigung zwischen männlicher und weiblicher Keimzelle stellt die Be- fruchtung dar; dieser Vorgang vollzieht sich im Körper des "Weibes. "Wir stellen uns die Imprägnation des Eies mit dem männlichen Keimstoffe beim Menschen ähnlich vor wie beim Tiere , wo man bei gewissen Arten diese Verhältnisse mit dem Miki-oskop gut beobachten kann. "Über die Mittel und "Wege, wie Same und Ei zusammenkommen, sind wir schon besser unterrichtet, wenn auch hier noch zu Vermutungen Gelegen- heit genug gegeben ist. Der Same wird durch die geschlechtliche Vereinigung in den weiblichen Körper übergeleitet. Durch die Ejakulation gelangt ein reich- licher Vorrat von Samenfäden in die Scheide. Gegenüber der Betätigung des Mannes verhalten sich die weiblichen Genitalien bei dem Begattungsakte meistens relativ passiv. "Unter einer mehr oder weniger aus- gesprochenen sexuellen Erregung und BlutanfüUung der Geschlechtsteile erfolgt eine Erektion der Klitoris und der um den Vorhof gelagerten Schwellkörper. Die Drüsen des Vestibulum, besonders die Bartholinischen Drüsen secernieren dabei stärker. Die physiologische Bedeutung dieser vei-mehrten Feuchtigkeit besteht darin, den Introitus für die Aufnahme des erigierten männlichen Gliedes schlüpfrig zu machen. Ob normalerweise ein Geruch dieser Sekrete, ähnlich wie bei dem Tiere, den Mann anzieht und seine Libido erhöht, erscheint zweifelhaft*). Bei intakten Personen muß der Introitus für den vordringenden Penis erst wegsam gemacht werden. Dehnt sich der Hymenalsaum nicht genügend, so wird durch Einrisse der nötige Platz gewonnen. Nach der Entleerung des Samens iu die Scheide oder bei vollzogener Immissio in die Scheidengewölbe können Zusammen- ziehungen der Scheidenwände und der sie umschnürenden Beckenbodenmuskulatur noch insofern in dem Sinne einer Befruchtung günstig wirken, als sie den Samen am Abfließen verhindern. "Wie gelangt der Same in den Uterus und in die Tube? Der An- nahme, daß das Ejakulat direkt in den Uterus gespritzt werde, widerspricht unter normalen Verhältnissen schon die fast rechtwinkelige Abbiegung der Uterusachse gegen die Scheidenachse, in deren Eichtung die Ejakulation erfolgt. Da sich die Spermatozoon, wie es die Experimente Seligmanns^) wahrscheinlich machen, von dem sauren Vaginalsekret abgestoßen und zu dem alkalischen Cervixschleim hin- gezogen fühlen, so kann dem für gewöhnlich in der Oervixhöhle steckenden Schleimpfropf eine gewisse für die Einleitung des Samens in den Uterus förderliehe Wirkung nicht abgesprochen werden. Ein solcher chemotaktischer Effekt könnte sich besonders gut entfalten, wenn, wie Kristeller annimmt, während des Geschlechts- aktes der Schleimpfropf etwas aus dem äußeren Muttermund hervorgepreßt imd später wieder hineingesogen würde. Die durch den Wimperschlag der Flimmer- epithelien in Uterus und Tuben erzeugte Strömung ist dem Vordringen der Samen- fäden entgegengerichtet. Man huldigt daher der Ansicht, daß die Spermatozoon durch eigene Kraft ihren Weg in die Tube finden. In dieser Eichtung erscheint außer durch die enorme Anzahl von Spermatozoon, welche auf die Suche nach dem Eichen gehen, durch ihre bedeutende Lokomotionsfähigkeit gut gesorgt. Der Schwanz der Samenzelle ist mit Schwingungen begabt, welche ein rasches Fort- sehnellen bewirken. Die Größe der Geschwindigkeit ihrer Fortbewegung in gerader Eichtung und ohne entgegenstehende Hindernisse wird auf durchschnittlich 2 bis 3 mm in der Minute veranschlagt. Man dürfte unter solch günstigen Umständen *) B. Carneri, Grundzüge der Ethik. — "') Seligmann, Zentralbl. f. Gyn. 1896. Zustandekommen der Schwangerschaft. — Befruchtung. 107 für die Durchwanderung der 16 bis 20 cm langen Strecke vom äußeren Muttermund bis zum Tubentrichter beim Menschen etwa j^ Stunden rechnen. Tierexperimente zeigten, daß Spermatozoen den Tubentrichter von der Scheide aus im Zeiträume von einer bis mehreren Stunden erreicht hatten. Schließlich wird auch noch an- genommen, daß eine durch den Reiz der Begattung ausgelöste, der Darmperistaltik ähnliehe Bewegung des Genitaltraktus den Samen in die Ampulle und in das Infii^nAihidum tubae empor befördert (Koßmann^). An diesen mechanischen Vorgängen scheint der Grad und die Art der psychi- schen Erregung des Weibes bei dem Coitus nichts zu ändern. Ein Orgasmus der Frau ist zur Befruchtung jedenfalls nicht notwendig. Das Ei hat keine Eigenbewegung und ist auf treibende Kräfte in seiner Umgebung angewiesen. Wenn man an dem aus dem Becken herausgenommenen Präparat das Verhältnis der Tube zu dem Eierstock betrachtet, so erscheint die Aufnahme des mit dem austretenden Liquor folliculi aus dem Ovai'ium herausgeschwemmteu Eies in den Tubentrichter mit großen Schwierigkeiten verbunden. Hier zieht nur auf der Fimbria ovaica ein schmaler Steg von Flimmerepithel bis in die Nähe der Keimdrüse. Am Beckensitus erkennt man dagegen ganz enge räumliche Be- ziehungen des Tubentrichters zu dem Eierstock. Auf geschickt gewählten Schnitten (Bumm) gewinnt es sogar den Anschein, als ob das aus dem Follikel austretende Ei unfehlbar in die Strömung der Tube hineingelangen müsse, ohne daß noch eine besondere , den Eierstock unifassende Bewegung des Tubentrichters , an die man auch gedacht hat, nötig wäre. Die zahlreichen feinen Fransen des Infundibulum mit ihren nach dem Tubenkanal zu schlagenden Wimpern wirken, wie das Experi- ment zeigt, in der Umgebung des reifen Follikels als ein mächtiger Aspirator, der eine stetige Strömung nach dem Tubenlumen zu unterhält und alle kleinen Partikel- chen, die man in seinen Bereich bringt, mit großer Sicherheit aufnimmt und uterus- wärts transportiert*). Die Tatsache , daß man an der gleichen Stelle der Tube befruchtete Eier in ihrer Furchung immer gleichweit fortgeschritten findet , spricht dafür , daß das Ei nach der Befruchtung jedesmal den gleichen Weg, und zwar vom Tubentrichter an durch die ganze Tube zurücklegt. Wenn also nicht die Spermatozoen sofort im Trichter das aus dem Follikel ausgetretene Ei befruchtet haben , so müßte das schon vorher ein Stück weit in der Tube durch die Flimmerbewegungen hinab- gewanderte Ei durch dieselbe Peristaltik, welche den Samen im Genitaltraktus auf- wärts befördert , in den Tubentrichter zurückgeschleudert werden , um an dieser Stelle sich mit dem Samen zu vereinigen (Koßmann^). Als Ort der Befruch- tung haben wir höchstwahrscheinlich die Strecke von der Austrittstelle des Eies aus dem Eierstock bis zum Tubentrichter oder den Tubentrichter selbst anzunehmen. Demnach beginnt jede Schwangerschaft in der Tube (Straßmann). Daß schließlich nach der Befruchtung eine der erst angenommenen Peristaltik entgegengesetzte Bewegung des muskulösen Tubenrohres dem Wimperstrom helfe, das Ei nach dem Uterus zu transportieren , erscheint nicht unmöglich , da man beim Tiere peristaltische Bewegungen sowohl von der Scheide nach der Tube, als auch umgekehrt hat ablaufen sehen. Bei dem Zusammentreffen von Samen und reifem Ei dringt in den Dotter eines gesunden Eies nur ein einziger Samenfaden ein. An der Annäherungs- stelle des zuerst ankommenden Spermatozoon entsteht in der Oberfläche des Dotters eine kleine Vorwölbung, der Empfängnishügel von Fol. Vielleicht ist diese Bildung nicht dem Eiprotoplasma eigentümlich, sondern hängt mit einer Quellung des Spennatozoenkopfes zusammen (Sobotta). Während sich der Samenfaden mit seinem Kopf in den Dotter einbohrt, bildet sich an der Dotteroberfläche eine feine Haut, die Dottermembran, welche die In- vasion weiterer Spermatozoen verhindert. An dem eingedrungenen Samenfaden geht der Schwanz verloren, der Kopf wandelt sich in ein kleines rundliches Körperchen, ^) Koßmann, AUgem. GynäkoL, Berlin 1903, S. 315. — ') Lode, Arch. f. Gynäkol. 45, 292. — ^) Koßmann, Allgem. Gynäkol., Berlin 1903, S. 310. 108 Zustandekommou der Schwangerschaft. — Befruchtung. deu iSanienkeru (Spermakeru , männlicher Vorkern) um. Was man von der Befruchtung sehen kann, ist die Verschmelzung des männlichen Sanien- kerns mit dem Aveiblicheu Eikern zu einem neuen Kern, dem Turchungs- kern oder Embryonalkern, von dem alle die unzähligen Zellkerne des neu entstehenden Individuums ihren Ursprung nehmen. Das Centrosoma ist wahr- scheinlich mit dem Mittelstück des Samenfadens in das Ei eingeführt worden und bildet nach der Kopulation von männlichem und weiblichem Vorkern den Ausgangs- punkt für die erste Kernteilungsfigur: die Frau isf schwanger geworden. Durch die erste Furchung erhält jeder der beiden neugebildeten Zellkerne die gleiche Menge Xncleochromafin von dem Ei- wie von dem Sainenkern. Alle späteren Zellen, die durch Teilung von dem befruchteten Ei ihren Ursprung nehmen, enthalten gleichviel Cliromosomen rein väterlicher und rein mütterlicher Herkunft. Gleichzeitig mit dieser für das Auge darstellbaren Kopulation der beiden Zellkerne müssen wir uns noch weitere, sehr komplizierte Vorgänge vorstellen, welche mit zu dem Wesen der Befruchtung gehören. Durch die Befruchtung werden alle von den Eltern vererbbaren Eigenschaften übertragen. Über den Zeitpunkt der Befruchtung gehen die Auffassungen etwas aus- einander. Im allgemeinen nimmt man an , daß die Möglichkeit zur Befruchtung sich von selten der Frau nicht öfter als alle vier Wochen einmal bietet, wenn ein reifes Ei vorhanden ist. Da Menstruation und Ovulation für gewöhnlich zusammen- fallen oder die Ovulation der Menstruation kurz vorausgeht, so wäre die ante- menstruelle Zeit, nach der Frau gerechnet, der wahrscheinlichste Termin zur Be- fruchtung. Um diese Zeit erscheinen durch die prämenstruelle Kongestion auch die Bedingungen für die Ansiedelung eines Eies in der Uterusschleimhaut am günstigsten. Das aus dem Eierstock ausgestoßene Ei scheint sich nicht lange be- fruchtungsfähig zu erhalten. Dagegen bieten die einmal in den oberen Abschnitt des Genitaltraktus gelangten Spermatozoen durch ihre Masse und ihre große Zäh- lebigkeit eine größere Garantie für die Befruchtungsmöglichkeit. Es kann dadui'ch Befruchtung zustande kommen, auch wenn der Beischlaf von der Eilösung zeitlich entfernt ausgeübt wird. Die rasch in die Tube aufgestiegenen Spermatozoen können ein noch von der letzten Ovulation vorhandenes Ei rasch erreichen und befruchten oder sie können sich vielleicht noch so lange in dem Tubentrichter befruchtungs- fähig erhalten, bis der nächste Follikel platzt. Nach der Befruchtung erfolgt an dem Ei eine mächtige Zellwucherung nach den gewöhnlichen Gesetzen der Karyokinese, die als „Furchung" bezeichnet wird. Auf diese Weise entsteht zuerst ein kugeliger Zellhaufe, die Morula, daraus die Hohlkugel, die Gastrula und weiterhin durch Ein- stülpung und Spaltung eine dreiblätterige Keimanlage. Der weitere Aufbau des embryonalen Körpers soll hier nicht erörtert werden. Als Termin für die Ankunft des befruchteten Eies in dem Uterus nimmt man den achten Tag nach der Befritchtung an (Minot). Das Ei wäre dann kaum größer als 0,2 mm und hätte das Morulastadiitm durchgemacht. Über die Dauer der Schwangerschaft ist es nicht möglich, absolut verläßliche Angaben zu machen, da wir den Beginn, den Tag der Befruchtung, nicht ermitteln können. Die Erfahrung lehrt, daß etwa 280 Tage nach dem ersten Tage der letzten Periode der Geburtseintritt zu erwarten steht i). Ob während der Schwangerschaft die Wellenbewegung ganz aufhört oder sich noch in der einen oder anderen Weise eine Andeutung geltend macht, steht dahin. Schatz 2) hat entsprechend den Menstruationstermiuen in der Schwangerschaft Uteruskontraktionen beobachtet. ') Cf. von Winckel, Neuere Untersuchungen über die Dauer der mensch- lichen Schwangerschaft. Sammlung klinischer Vorträge von Volk mann, N. F., 1900, Nr. 285. — ^) Deutsche Klinik am Eingänge des 20. Jahrliuuderts, 62. Liefe- runo;, Wien 1902. Schwaugerschaftsveräuderungen am Uterus. 109 II hr ^ tH » S ä OJ a 110 Seliwaugerschaftsveränderungeu am Uterus. Der Mechanismus , nach welchem von dem befruchteten Ei aus der mächtige Wachstumsreiz auf die Generationsorgane und die Rückwirkung auf den gesamten Organismus übertragen werden, ist noch unklar. L. FränkeH) vindiziert dem Corpus luteum eine Bedeutung für die Implantation des Eies; MandP) leugnete das. Fig. 45. 2. Veränderungen an den Genitalien und in ihrer Umgebung. a) Veränderungen am Uterus im allgemeinen. Mit der Befruchtung und der Ankunft des befruchteten Eies in der Gebär- mutter beginnt in den Generationsorganen eine gewaltige Hyperämie und Gewebswucherung. Am Uterus fallen diese Verände- rungen naturgemäß am stärksten aus. Der Fruchthalter nimmt mit großer Regelmäßigkeit in allen Dimensionen bis zum Ende der Schwangerschaft zu. Die ursprüngliche Birnform des Uterus (Fig. 44 a und b) geht mit der stärkeren Füllung in die Kugelgestalt (Fig. 44 c) über. Vom fünften Monat an beginnt sich die für das hochschwangere Organ charakteristische Eiform mit stumpfem oberen und spitzem unteren Pole auszubilden (Fig. 44 d). Die Wand des Uteruskörpers wird weich, elastisch, in ihren einzelnen Schichten verschieblich und bekommt die erhöhte Neigung, sich auf Reize hin zu- sammenzuziehen. In der ersten Zeit der Schwangerschaft macht sich häufig eine stärkere Anteflexionsstellung geltend. Im weiteren Verlaufe erhebt sich der Gebärmuttergrund und schiebt sich an der vorderen Bauchwand in die Höhe. An dem hochschwangeren Organe ist die Längs- achse in frontaler Richtung meistens mit ihrem oberen Teile nach rechts abgewichen. Dabei besteht in der Regel eine Torsion in der Richtung der Uhrzeiger, so daß die Uterusbreite sich dem von rechts hinten nach links vorn verlaufenden schrägen Durchmesser des Beckeneinganges nähert, eine Lage, die auch schon am jungfräulichen Uterus angedeutet ist, und deren Ursachen in die Ent- wickelungsgeschichte zurückreichen. Das Verhältnis der Längsachse des Uterus zur Senkrechten auf die Mitte des Beckeneinganges („Eingangsachse") hängt von der Position der Frau ab. Bei Rückenlage neigt sich der Uterus nach hinten und schmiegt sich der Wirbelsäule an, bei auf- rechter Stellung sinkt er nach vorn und ruht auf der vorderen Bauchwand ^). Die Innenfläche des hochschwangeren Uterus mißt 940 qcm (Barbour). Das Gewicht erreicht 1kg. Wachstum der einzel- nen Muskelzelle des Uterus in der Schwan- gerschaft nach Bunim. o Faser aus einem nicht graviden Uterus; 6 Faser aus einem gra- viden Uterus des zehn- ten Monats. ') Arch. f. Gynäkol. 68, 2 und Zentralbl. f. Gynäkol. 1904, S. 621. — ^) Festschr. f. Chrobak, Wien 1903. — "*) De Seigneux, Hegars Beitr. 4 (1901). Schwangerschaftsveränderungjen an der Uterusschleimhaut. H 1 An der Vergrößerung der Uterus wand nehmen alle Gewebselemente teil, die Muskelzellen am meisten. Ob es sich nur um eine Hypertrophie der schon vorhandenen Muskelfasern handelt oder ob auch Fasern neu gebildet werden, ist noch zweifelhaft. Die Länge der einzelnen Muskelzellen erreicht das Sieben- bis Elffache, die Breite das Drei- bis Fünffache des Normalen (Fig. 45). Die gewaltige Ausdehnung des Uterus wird weiterhin durch eine Trennung und gegenseitige Verschiebung einzelner Muskelblätter (Bayer ^) verständlich. Das intermuskuläre Bindegewebe wird stark aufgelockert. Die elastischen Fasern vermehren sich nach der Konzeption (Woltke^). Die geschilderten Veränderungen betreffen vorzugsweise den Uterus- körper. Der Hals bleibt lange Zeit hindurch fester als der Körper. Auch die Schleimhaut des Halses wird wenig verändert. Nur eine stärkere Sekre- tion macht sich geltend und führt schon im ersten Monat der Schwangerschaft zur Bildung eines für diesen Zustand ziemlich charakteristischen Schleim- pfropfes im Cervicalkanal. Bei den meisten Erstgeschwängerten öffnet sich der äußere Mutter- mund schon etwas im neunten und zehnten Schwangerschaftsmonat. Nur bei wenigen bleibt er bis zum Eintritt der Geburt vollkommen geschlossen. Bei Mehrgebärenden kommt es meistens schon in früheren Monaten zur Er- weiterung. Die Blutgefäße nehmen an Umfang und an Länge zu. Besonders die Venen erfahren eine starke Ausdehnung, w^obei sich ihre Media mit den be- nachbarten Muskelschichten innig verbindet (Uterinsinus). Die Lymphbahnen vermehren und erweitern sich. Unter der Serosa wachsen sie zu einem starken Netz von Kapillaren aus (Wallich 3). Die Nerven werden dicker und länger. Das Ganglion cervicale kann den normalen Umfang um das Doppelte übertreffen (H. W. Freund*). b) Veränderungen in der Uterusschleimhaut. Bildung der Placenta und der Eihüllen. Fruchtwasser. Die prämenstruelle Schwellung der Uterusmucosa bereitete dem Ei den Boden. Nach Eintritt der Befruchtung nimmt die schon begonnene Hypertrophie ihren Fortgang. Die Schleimhaut ist nach 14 Tagen bis Va cm dick geworden. Die Oberfläche ist wulstig und mit beetartigen Erhebungen versehen. Auf dem Durch- schnitt sieht man deutlich eine oberflächliche, dem Cavum uteri zugekehrte kom- pakte und eine tiefere nach der Muscularis zu gelegene spongiöse Schicht. Die Spongiosa ist etwa dreimal so dick wie die Compacta. Zwischen Decidua spongiosa und Muscularis soll noch ein etwa Vomm dicker Best so gut wie gar nicht veränderter Schleimhaut bestehen bleiben (Pfannenstiel). Das Oberflächenepithel flacht sich ab, verliert seine Wimpern und degene- riert. Die Drüsen erscheinen in dem in der Compacta steckenden Abschnitt kaum verändert. In der spongiösen Schicht sind sie dagegen stark gewuchei-t. Sie zeigen vielfache Ein- und Ausbuchtungen, sägeförmige Bänder. Die einzelnen Epithelien erscheinen ziemlich hoch , häufig in Form von Büscheln angeordnet. Die Zell- grenzen sind oft undeutlich, wie verwaschen. Das Protoplasma ist körnig getrübt. ^) Bayer, Morphologie der Gebärmutter. In W. A. Freunds gynäkol. Klin. 1885. — *) Zieglers Beitr. 27, 374, 1900. — ^) Wallich, Eecherches sur les vaisseaux lymphatiques sussereux de l'uterus gravide et non gravide, These de Paris 1890. — •*) H. W. Freund, Wien. med. Blätter 1885, S. 1342. 112 Einnistuus: des Eies. Die Strouiazelleu sind vergrüßei't uud in den obei'Häcliliclien Schicliteu durch einen gesteigerten Saftreichtum der Interzellularsubstanz weiter auseinander gedrängt. Nach der Tiefe zu nehmen diese Veränderungen an Intensität ab. Der Zweck dieser Umbildung für die Eieinbettung ist klar. Die Hyperämie ist der Vorläufer der Nahrungszufuhr für das Ei. Das Ödem erleichtert das Ein- dringen und Vordringen des Eies in das Bindegewebe der Schleimhaut. Die Drüsen- wucherung lockert das Gefüge der tieferen Schleimhautschichten und bereitet diese für die Bildung der Placenta vor (Pfannenstiel). Die Wucherung der Schleimhaut nimmt von der dritten Woche an noch zu und erreicht mit dem Ende des zweiten Monats ihren höchsten Grad. Sie besitzt tim diese Zeit eine Dicke von etwa ^/^ cm. Von da an verdünnt sie sich unter dem Drucke des wachsenden Eies. Das Oberflächenepithel und das Epithel in den oberflächlich gelegenen Abschnitten der Drüsen geht zum Fig. 46. /^i. ' ■.i^f^t.' -f^- ''^ ?'?.*' ■ '^"^^^i'^^iefdM ■M -T ^?^o7 Ä^ -& w ^j^^iT^/^rm^ Rißstelle Schnitt durcli die ausgestoßenen Eihäute am noniuileu Ende der Schwangerschaft. A Aumionepithel; Ch. Chorion; D. c. Decidua compacta; D. sp. Deiiihia spongiosa; E erhaltenes Drüsenepithel. Teil verloren. An den am Ende der Gravidität ausgestojjenen Eihäuten findet man gelegentlich auch in den oberen Schichten der Spongiosa , besonders an der nach der Muscularis zugekehrten Begrenzung der Drüsenspalten Epithelsäume (Fig. 46). In dem bindegewebigen Stroma erweitern sich die Blutgefäßkapillaren stark. Die Zellen des interglandulären Gewebes wandeln sich in große, vielgestaltige Deciduazellen um. Der Protoplasmahof vergrößert sich und enthält einen großen, meist rundlichen Kern. Außer dieser Vergi'ößerung findet unter einer mito- tischen Zellteilung auch eine Neubildung von Deciduazellen statt (Marchand). Diese Umwandlung der Schleimhaut nimmt von der Oberfiäche nach der Tiefe an Stärke ab. In den tiefsten Schichten soll ein eiserner Bestand von Stroma und Drüsenepithelien bleiben, die nicht umgewandelt werden. Die Bildung der Decidua- zellen ist in physiologischem Sinne als ein degenerativer Prozeß aufzufassen , der den Zweck hat, die oberflächlichen Lagen der Uterusschleimhaut aufzulockern und in sich verschieblich zu machen (Pf annen stiel). Nachdem dieses Ziel erreicht Einnistung des Eies. ]_]^3 ist, degenerieren die decidual umgewandelten Schleimliautabschnitte in der Schwanger- schaft oder gehen, soweit sie nicht schon unter der Geburt ausgestoßen werden, im "Wochenbett zugrunde. Doch wird auch angenommen, daß die nach der Geburt im Uterus zurückbleibenden Deciduazellen sich zum Teil wieder in normale Stroma- zellen zurückverwandeln können. Nach dem jüngsten bis jetzt beobachteten menschlichen Ei (Peters) dürfen wir schließen, daß das Ei in ganz ähnlicher Weise sich zu der Uteruswand in Be- ziehung setzt , wie uns das von dem Ei des Meerschweinchens gut bekannt ist (Graf Spee). Das Ovulum zerstört an der Anlegungsstelle das Oberflächen- epithel und gelangt auf dieseWeise in das subepitheliale Bindegewebe der Uterusschleimhaut. In dera Grade, wie tief sich das Ei in die Mucosa einsenkt, dürfen wir Ver- schiedenheiten annehmen. Bei oberflächlicher Versenkung muß die allseitige Ein- schließung von mütterlichem Bindegewebe durch eine ÜberAvucherung der über die Oberfläche hervorragenden Eiabschnitte, durch eine „Reflexabildung", zustande kommen. Wie der Verschluß an der Einbruchsstelle des Eies in die Uterusmueosa sich abspielt, wissen wir noch nicht genauer. In späteren Stadien flndet man an dieser Stelle ein gefäßloses, meist aus Fibrin bestehendes Narbengewebe (E. eiche rtsche Narbe). Die einzelnen Abschnitte der Decidua werden nach der Eikapselbildung mit verschiedenen Namen belegt. Den Teil , auf dem das Ei aufsitzt , bezeichnet man als die Decidua basalis, den nach der Uterushöhle zu das Ei abschließenden Teil als Decidua reflera und die übrige Auskleidung des Uteruscavum als Decidua vera. Bei dem weiteren Wachstum drängt das Ei die deeidualen Wandungen allseitig auseinander und wölbt sich gleichzeitig gegen die Uterushöhle halbkugelig vor. Dabei erfolgt eine Art Spaltung der Vera dergestalt, daß sich sowohl die Ee- flexa als auch die Basalis auf Kosten der angrenzenden Vera vergrößern. Bis zur 12. bis 14. Woche füllt das Ei die Uterushöhle so weit aus, daß die Peripherie der Eikapsel mit der Decidua reßexa sich an die gegenüberliegende Vera anlegt. Der physiologische ZAveck der Eeflexa ist in einer Beihilfe zur Befestigung und Ernährung des Eies bis zur Bildung der Placenta zu sehen. Dieser Zweck ist mit der sechsten Woche, mit der Zeit, in welcher die Placentarbildung eine größere Rolle zu spielen beginnt, erreicht. Nach der älteren Ansicht sollen die miteinander in innige Berührung gekommenen Eeflexa und Vera im vierten Monat verkleben und die Eeflexa als schmaler Streifen bis zum Ende der Schwangerschaft bestehen bleiben. Neuerdings nimmt man an , daß die von der Kuppe der Eeflexa in der Umgebung der Eeichertschen Nai-be schon frühzeitig beginnende fibrinös-hyaline Degeneration (Koagulationsnekrose) weiter nach der Peripherie fortschreitet und zu einem vollständigen VerschAvinden der Eeflexa führt, so daß im sechsten Monat das Chorion der Vera dicht anliegt. In der Decidua basalis gehen im Interesse der Ausbildung der fötalen Ernährungs- wege bedeutende Veränderungen vor sich. Die Deciduazellen degenerieren ebenso Avie in der Eeflexa durch eine Koagulationsnekrose , deren Endprodukt hyalin- fibrinöse Massen sind. Das gebildete Fibrin fällt der Eesorption anheim. Größere Gewebsinsein bleiben um die Gefäße während der ganzen Zeit der Schwangerschaft bestehen. Ebenso wie an dem Stroma macht sich auch an den Drüsen ein von der Oberfläclie nach der Tiefe fortschreitender degenerativer Prozeß geltend (Fig. 44, a, b, c, d). Nur dicht an der Muskelgrenze bleiben einige Beste bestehen, von denen aus der Drüsenapparat an der Placentarstelle im Wochenbett wieder- hergestellt wird. Gleichzeitig mit diesen degenerativen Veränderungen an den Stromazellen und den Drüsen treten produktive Veränderungen an dem Gefäßapparate der Schleimhaut im Bereiche der Decidua basalis auf. Schon Ende der zweiten Schwangerschaftswoche zeigen sich in der Basalis gegenüber der Vera die Gefäße beträchtlich erweitert. Später verschwinden die Capillaren und Venen mehr und mehr dadurch, daß sie bis auf die an der Muskelgrenze sowie an der Peripherie der Placenta gelegenen zu den sogenannten interviUösen Bäumen umgewandelt werden (Pfannenstiel). Die Arterienstämme Nagel, Physiologie des Menschen. II. o 114 Placentarbilduno;. bleiben dagegen in den weit in das Gewebe des Mutterkuchens hiueiurageudeu decidualen Septen bis ans Ende der Gravidität erhalten. In der ganzen Umgebung des Eies findet man , sowohl in der Decidua reflexu als auch in der hasalis syncytiale Eiesenzellen (Fig. 47). Vom dritten bis sechsten Monat sind sie am reichlichsten in den tieferen Schichten der Basalis vor- handen und gehen auch bis weit in die Muscularis hinein. Über die Herkunft Fig. 47. Schnitt durch die Placentarstelle eines im dritten Monat schwangeren Uterus. il. Muskulatur, N. Gefäße der Uteruswand, zum Teil mit syncytialer Umwandlung, B. syncytiale Kiesen- zellen, D. Decidua hasalis, F. Pibrin, g. L. gewucherte Langhans sehe Zellen, B. Haftzotten, i?. Ernährungszotten, S. Syncytiuni, s. F. syncytiale Fortsätze, L. Langhans sehe Zellschicht, Z. Zotteu- gefäße, J. intervillöse Eäume. Vergr. 75. dieser Zellen und iliren Zweck herrscht noch keine Übereinstimmung. 8ie sind von dem Bindegewebe, von Elementen der Blutgefäße, von Leukocyten, von Muskel- fasern , vom Chorionepithel und vom Epithel des Uterus hergeleitet worden. Die Untersuchungen von Pfannenstiel machen ihre Abstammung von dem Binde- gewebe des Blutgefäßapparates wahrscheinlich. Um die Einrichtungen zu verstehen, durch welche das Ei in den Stand gesetzt Avird, an der Decidua hasalis die notwendigen Nahrungsmittel aus dem mütterlichen Eieinbettung. 115 Blute aufzunehmen, müssen wir nun zur Betrachtung der Veränderungen au dem Ei übergehen. Das Ei hat bei dem Einsinken in das Bindegewebe der Uterus- mueosa ungefähr einen Durchmesser von 1 mm. Embryonalanlage, Amnion, Dottersack und Exocoelonr sind gebildet. Als den Haftstiel des Embryos bezeichnet man diejenige Stelle, an der die Embryonalanlage bei ihrer Abschnürung von der Peripherie der Keimblase dauernd mit letzterer in Verbindung bleibt. Diese Ver- bindung nimmt am caudalen Ende, und zwar au der Bauchseite des Embi-yos ihren Ursprung und wurde deshalb von His Bauchstiel benannt. Peripher inseriert der Bauchstiel in der Eegel an der Implantationsstelle des Eies in der Mucosa (v. Franque). Fig. 48. U.Z. Cap. U. E U. Z. Tr. Petersscbes Ei. G. P. Gewebspilz, a bis h Einbruchspforte des Eies, U. E. Uterusepitbel, Cap. Capsularis, Tr. Trophoblast, Ca. Mütterliche Capillaren , Dr. Drüsen, Bl. L. Blutlaciinen , Ka. Keimanlage, Comp. Compacta, M. Mesoderm, Sy. Syncytium, U. Z. Umlagerungszone, — >■ Richtung gegen die im Schnitt noch ge- troffene, auf der AbbUdimg jedoch nicht mehr sichtbare Furche in der Deciäua vera. Nach den Beobachtungen aus dem Tierreiche , zusammen mit den Befunden au jungen menschlichen Eiern nimmt man an, daß das Ei zottenlos in die Uterus- schleimhaut gelangt, die Zottenbildung aber sofort danach beginnt. Nach der Basalis zu, wo also im Bereiche der decidualen Fruchtkapsel die Gefäßbüdung am besten ist, entwickeln sich am reichlichsten Zotten. Am ungünstigsten liegen die Ernährungsverhältnisse an dem Eeflexapole, wo man denn auch in der Eegel schon in der vierten Woche bereits größere kahle Stellen findet (Chorion frondosiim und laeve). Durch das stärkere Wachstum der sich baumartig verästelnden Zotten an der Basalis wird diese Stelle für die Bildung der Placenta vorbereitet. Man findet das Ei in den ersten 14 Tagen von einer zum Teil aus mütter- lichen, zum Teil aus fötalen Elementen zusammengesetzten Hülle umgeben, welche Hubrecht, weil sie zweifellos zur Ernährung des Eies in naher Beziehung steht. 116 Eieinbettung. als Trophosphäre 1)62610111161 hat. Die mächtige Ektoblastwucherung , welche das Ei bald nach der Einlagerung in die Gebärmutterschleimhaut umgibt und welche von vornherein zur Ernährung des Eies dient, heißt der Trophoblast (Fig. 48 a. V. S. und 49). An dem frühesten uns bekannten Petersschen Ei erkennt man die noch nicht vascularisierten ersten Anfänge des Zottenstromas als offenbar von der Schematische Darstelluug der Einbettung des Petersschen Eies (mich Bunini). 1 Ei, 2 Embryonalanlage, 3 Uterusepithel, an der Einbruchsstelle fehlend, 4 Drüsenniündungen, 5 Binde- gewebskörper der Schleimhaut, 6 gewuchertes Ektoderm des Eies (Trophoblast) mit beginnender Zottenbildung und -weitverzweigten Syncj'tiunisprossen, die in ein Blutlacuuennetz eintauchen, das Blutlacunennetz hängt mit den Capillaren (8) iu der Umgebung des Eies zusammen, 7 Mesoderm- ausbreitung, 9 Drüsendurchschnitte, 10 Muscularis, 11 Gewebspilz aus Blut und Eibrin, die Einbruchs- stelle des Eies bedeckend. Somatopleura herrührende Ausläufer des fötalen Mesoblastes. Diese sind nach außen bedeckt von den Trophoblastzellen , und diese sind wieder, wenigstens teil- Aveise , überzogen von syncytialen Elementen , welche ihrerseits an die mit mütter- lichem Blute gefüllten Laeunen grenzen. Die mit mütterlichem Blute gefüllten Räume werden als enorm erweiterte und ausgewachsene Capillaren aufgefaßt. Pfannenstiel nimmt an, daß die syncytialen Gewebe, Avelche die nach dem Ei zu gelegenen Grenzen dieser Blut- Eiitwickeluutr der Chorionzotten. 117 lacunen oder priniär-iutervillösen Eänme bilden, aus dem Gefäßendothel oder vielleicht auch dem umgebenden Bindegewebe entstammen. Seine Ansicht erscheint durch gute Bilder wohl begründet. Man stellt sich nun aus diesen Anfängen die Entwickelung der mit doppeltem Epithel belegten Chorionzotten so vor, daß das mütterliche Blut einerseits die Ektoblastschale dergestalt aushöhle, daß Säulen und Spangen J^-^J^S^f, ""^^"^^mi^w^mß^ Schema der Bildung des primär -mterviUösen Baumes und der Priraärzotten nach Pfannenstiel. Die roten Fasern stellen den fötalen Mesoblast der Eiwandung, bzw. der Primärzotten dar. Die roten Zellen bilden den fötalen Ektoblast, die Langhanssche Zellscliiclit. Der mütterliche Anteil der Ei- wandung ist schwarz gehalten. In der Decidua sieht man die mütterlichen Blutgefäße mit schraffiertem Inhalt. Die syncytiale Wandung dieser Bluträume bildet gegen das Ei hin Sprossen, welche ausgehöhlt und durch Ausweitung zu den primär-iutervillösen Bäumen umgewandelt werden. Durch Konfluenz der so gebildeten Gefäßsprossen oder Bluträiime werden Teile der zelligen Eihülle abgeschnürt, die auf dem Querschnitt als Inseln erscheinen. Diese Inseln enthalten sowohl fötales Ektoderm als deciduale Zellen. Durch das sprosseuartige Hervorwachsen des fötalen Mesoblasts mit bedeckendem Ektoblast einerseits, durch die geschilderte Sprossenbildung und Ausweitung der mütterlichen Gefäße andererseits entstehen die primären Zotten des Eies (a). Durch weitere Wiederholung dieses Vorganges an den Zottenenden verzweigen sich die Zotten (b). Die epitheliale Zottendecke besteht somit aus einer fötalen und einer maternen Schicht. Die primär-intervillöseu Räume sind konfluierte, neugebildete mütterliche Gefäße. von Trophoblast stehen bleiben , welche durch die andererseits vom Ei her vor- dringenden mesoblastische Sprossenbildung zu Zotten umgeformt werden , wobei der epitheliale Zellbelag des Trophoblastes sowohl wie dos Syncytiums immer mehr zu dünnen, schließlich zu einschichtigen Lagen umgewandelt wird (Pfannenstiel) (Fig. 50). Die tiefere -Zellschicht des Zottenbelages, die sogenannten Langhans- sehen Zelle 3, stammen zweifellos von dem fötalen Ektoblast. Über die Herkunft des Syncj tiums bestehen dagegen noch große Meinungsverschiedenheiten. Der 118 Bildung der iutervillösen Eäume. Streit drelit sich darum, ol) es fötalen oder mütterlielien Ursprunges sei. Die Ver- fechter der fötalen Abkunft leiten das Syncytium ebenso wie die Langhansscheu Zellen von dem kindliehen Ektoderm ab. Auch Zellen der Metnbrana granulosa sollten die Matrix dafür abgeben können. Von anderen "vvird das Syncytium von dem Uterusepithel oder von den Wandungen der mütterlichen Gefäße hergeleitet (cf. oben). Die Anfänge der Chorionzotten flottieren bei dem weiteren Wachstum zum Teil fi-ei in den intervillösen Eäumen (Ernähruugszotten), zum Teil setzen sie sieh als sogenannte Haftzotten in dem umgebenden decidualen Gewebe fest und bringen so eine festere Verbindung des Eies mit der Uteruswand zustande (Fig. 47 a. S. 114). Die Zotten bestehen aus einem Stroma und dem dopjjelten Epithel- besatz. Das Stroma stellt ein Übergangsgebilde zwischen Schleim- und Fasergewebe dar. Im Anfange fehlen die Gefäiäe. In der dritten Woche oder schon früher beginnt die Vascularisation. Später sieht man in jeder Zotte ein arterielles und ein venöses Gefäß , beide verbunden durch ein ausgedehntes Capillarnetz. Das Zottenstroma entstammt der Somatopleura, w^elche in der zweiten Woche durch das vom caudalen Ende der Embryonalanlage längs des Haftstieles nach dem Chorion wachsende viscerale Blutgefäßbindegewebe verstärkt wird. Mit der AUantois hat diese Blutgefäß- und Bindegewebsversorgung der Somatopleui'a nichts zu tun. Die AUantois stellt beim Menschen ein Eudiment dar, welches in Gestalt eines feinen Kanals mit dem Bindegewebe nur bis zur Insertion des Bauchstieles mitwächst, um daselbst blind zu endigen. An den fertigen Zotten besteht die dem Stroma unmittelbar aufsitzende Schicht aus einer Lage rundlicher bis cubischer Zellen mit deutlichen Zellgrenzen (Langhans sehe Zellen). Die an den Enden der Haftzotten noch befindlichen mehrschichtigen Lagen , die sogenannten Zellsäulen , werden als Überreste des ursprünglich überall so stark gewucherten Trophoblastes aufgefaßt. Die äußere Epithellage zeigt niemals Zellgrenzen. In einem gemeinsamen Protoplasmahof liegen zahlreiche polymorphe, intensiv färbbare Kerne (Syncytium). Das Syncy- tium bildet nach der Oberfläche hin keulenförmige Fortsätze mit zahlreichen Kernen (Fig. 47). Bei der Betrachtung von Eiern in der dritten und vierten Woche findet man in der Decidua basalis schon keine Capillaren mehr. Alle sind in der beschriebenen Weise in die primär-intervillösen Bäume umgewan- delt. Diese primär-intervillösen Eäume erweitern sich nun noch auf Kosten der in die Blutlacunen einmündenden Venen. Die frei flottierenden Zotten werden durch den Blutstrom von den Arterien weggespült und in die Venen hineingesogen (Fig. 51). Die Abzugskanäle des Blutes dehnen sich immer mehr und mehr auf Kosten des in Degeneration begriffenen Zwischengewebes aus. Die Venen werden enorm erweitert und tragen zur Vergrößerung des intervillösen Eaumes bei. "Nunmehr bilden die Venen zusammen mit den schon in ähnlicher A\eise auf- gebrauchten Capillaren den definitiven, den sekundär-intervillösen Eaum (Pfannenstiel) (Fig. 52). Von dem Zwischengewebe bleiben nur die von den Arterien durchsetzten Pfeiler und Inseln stehen und bilden die Plaeentarsepten. Die Venen münden schon an der Basis oder am Eande der Placenta (Fig. 44 a bis d a. S. 109). An den Haftzotten fehlt an der in dem mütterlichen Gewebe steckenden Sjjitze das Syncytium ; es erscheint oft zur Seite der Zotte auf die Oberfläche der Decidua basalis geschoben. Die Langhans sehe Zellschicht legt sieh dagegen direkt an das mütterliche Stroma an und wuchert stellenweise in die Decidua hinein (Fig. 47). Allmählich verliert sieh auch die Langhanssche Zellschicht, und das Stroma der Zotte geht direkt bis an die Decidua heran: Mütterliches und fötales Bindegewebe treten in unmittelbare Beziehung. Daher die festere Verbindung. In der ei-sten Zeit der Schwangerschaft schiebt sich der Eand der Placenta fortwährend in der angrenzenden Vera vor. Die Placenta hat in den ersten vier Monaten napfförmige Gestalt, weil das Chorion frondosum in den Basalteil der Eeflexa hineinragt. Sobald die Eeflexa mit der Vera verschmilzt, wird die periphere Grenze der Placenta durch eine endgültige Differenzierung in Chorion frondosum Blutkreislauf in der Piacent a. 119 und laece gezog-eu. Die der Eeflexa zugehörigen Zotten atropliieren, die der Basalis wuchern dagegen weiter und dringen unterhalb der dort angrenzenden Vera in die venösen Gefäße ein. So entsteht der Waldey ersehe deciduale Schlußring der Placenta, die ringförmige Decidua subchorialis. Der Blutkreislauf in dem mütterlichen Teile der Placenta {Placenta maierna) spielt sich so ah, daß jeder Zottenlappen (Cotyledo) sein eigenes Strom- Fig.51. Schematische Darstellung des Vordringens der Zotteu iu die Denilua hnsalis (nach Pf aunenstiel). Ch. Chorion mit den Chorionzotten, p. J. primär-intervillöser Kaum. Schraffiert: Decidua basalis. A. Arterien, V. Venen. Fig. 52. Scheraatische Darstellung der Entstehving der sekundär intervillösen Kaume und der Sepia placeniai nach Pf anneustiel. Ch. Chorion mit Chorionzotten. Schraffiert: Decidua basajjs mit den Anfängen der Septa placentae p. J. primär-intervillöser Kaum. s. J. erweiterte Venenmündungen in den primär-intervillösen Raun ^ sekundär-intervillöse Käume, A. Arterien, Y. Venen. gebiet hat. Die Arterien verlaufen in den decidualen Septen und münden von da in die intervillösen Bäume ein. Die an der Basis der Placenta parallel der Uterusfläche und am Bande (Eandsinus) in kürzerem oder längerem Bogen ver- laufenden Venen führen durch feine Öffnungen das Blut wieder aus den inter- villösen Räumen ab. Der fötale Kreislauf ist ebenso wie der mütterliche in sich geschlossen. Die Nabelarterien verzweigen sich in den einzelnen Zottenstämmchen , lösen sich 120 Amuiou. — Fruchtwasser. in den Endzotteu in stark gekuäuelte, diclit unter dem Epitliel gelegene Capillar- schlingen auf. Aus diesen nehmen dann die Venen wieder ihren Ursprung und ■vereinigen sich zur Nahelvene. In den späteren Monaten gehen noch einige charakteristische A'^eränderungen in der Placenta vor sich. Das Zottenstroma wii'd dichter und wandelt sich in den stärkeren Stämmen in streifiges BindegeAvebe um. Das Zottenepithel wird etwa von der 12. Woche ah einschichtig, indem die Lang- hans sehen Zellen allmählich vei-sch winden. Das Syucytium bleibt bis zur Geburt erhalten. Fibrinbildung findet in dem Mutterkuchen vielfach in Form von streifen, Knoten und Keilen statt. Die Prädilektionsstellen sind : An der Oberfläche der Decidua hasalis, an den Septen, an der Chorionfläche der Placenta, besonders am Rande. Außerdem findet man auch ganz unregelmäßig gelagerte degenerierte Partien im Innern der Placenta. Die geborene Placenta ist bei ausgetragenen Früchten ein rundlicher, 15 bis 18 cm im Durchmesser haltender und ungefähr '_' cm dicker Kuchen von etwa 500 g Gewicht. Die Entstehung des Amnion daclite man sich seither nach demselben Schema, wie es Kölliker für die Säugetiere aufgestellt hat. Während sich der Embryo mit seiner Bauchseite abschnürt und gleichzeitig nach dem Dottersack zu einsinkt, sollte sich das äußere Keimblatt mit der parietalen Lamelle des Meso- dermes ringsum über ihm in Form einer Falte (Amnionfalte) erheben und zusammenwachsen. Die so gebildete innere Haut , der Amnionsack , sollte sich dann von der äußeren Haut, der sogenannten serösen Hülle, abschnüren. Der Befund einer vollkommen geschlossenen Amnionhöhle bei sehr jungen menschlichen Eiern mit noch wenig weit entwickeltem Embryo brachte Zweifel an dieser Entstehung des Amnion, und man neigte sich zu der Ansicht, daß bei Menschen, ähnlich wie bei den Säugetieren mit vorübergehender scheinbarer Keim- blattumkehr die Amnionhöhle durch eine frühzeitige primäre Spaltbildung im Ekto- blast ihren Anfang nehme. Die Untersuchungen von Selenka') imd Keibel'^) an Affen und von Beneke^) am Menschen zeigen, daß die Amnionhöhle vorübergehend durch einen Amnionnabelstrang mit der Oberfläche des Chorion in Verbindung steht. Jeden- falls kommt es beim Menschen und Affen aber nicht zu einer so weiten Eröffnung der ursprünglichen Höhle wie beim Schwein, Schaf und Eeh (Keibel *), wo sich dann später deutliche Amnionfalten bilden. Es ist daher unwahrscheinlich , daß es beim Menschen Amnionfalten gibt. Durch die Vermehrung der Flüssigkeit in dem Amnion {Liquor aninii, Frucht- wassex-) wird seine Höhle zu einem großen Sack ausgedehnt. Das Exocoelom wird allmählich ganz verdrängt. Das Amnion legt sich dicht an den Chorionsack an. Der Dottersack wird mit dem Bauchstiel durch das allmählich sich nähernde Am- nion zu dem Nabelstrang zusammengedrängt. Das Fruchtwasser ist eine alkalisch reagierende seifenwasserähnliche Flüssigkeit von einem spezifischen Gewicht von 1002 bis 1028. Die physiologische Menge schwankt am Ende der Gravidität zwischen Vä bis lYo Liter; der Durch- schnitt beträgt etwa ] Liter. Die Analyse von Hoppe-Seiler ergab: 98,43 Proz. Wasser, 1,57 Proz. feste Stoffe, 0,19 Proz. Albumin, 0,566 Proz. lösliche anoi'ganische Salze, 0,81 Proz. Ex- traktivstoffe, 0,024 Proz. unlösliche organische Salze. Harnstoff kommt von der vierten Woche an immer vor (Prochownik^). Von Fermenten soll das Fruchtwasser regelmäßig Diastase und Pepsin enthalten (Bondi«). Über die Herkunft des Fruchtwassers herrscht noch keine vollständige Klarheit. In letzter Instanz rührt das Amnionwasser jedenfalls von der Mutter her. Es fragt sich nur, ob es direkt aus den mütterlichen Geweben oder durch ') „Menschenaffen", herausgegeben von Keibel. Wiesbaden 1903. — ") Ana- tomenversammlung Jena 1904. — ^) Anatomenversammlung Heidelberg 1903 (De- monstration). — ") Arch. f. Anat. u. Physiol. (anatom. Abt.) 1902 , S. 292. — '■) Arch. f. Gyn. 11. — ") Zentralbl. f. Gyn. 1903, Nr. 21, S. 633. Teräuderungen an Tuben, Bauchfell, Scheide, Blase, Beckengelenken. 121 Sekretion von selten des Fötus entsteht. Zuntz hat trächtigen Tieren indig- schwefelsaui-es Natron in die Jugularvene eingespritzt und diesen Farbstoff im Fruchtwasser Aviedergefunden , ohne daß die Nieren des Fötus damit gefärbt waren. Dadurch ist bewiesen , daß das Fruchtwasser zum Teil sicher direkt von der Mutter stammt. In ähnlichem Sinne läßt sich die Anwesenheit von Diastase und Pepsin im Fruchtwasser verwerten, die im Serum der Erwachsenen sich finden, während sie in dem Serum der Neugeborenen fehlen oder nur in Spuren nachweisbar sind (Bondi). In den späteren Monaten wird mehr fötaler Harn geliefert und dem mütterlichen Anteile beigemischt. Daß regelmäßig fötaler Urin in das Frucht- wasser entleert wird und nicht nur bei besonderen Beizen (wie z. B. das Meco- nium bei Lebensgefahr abgeht), ist durch die Untei-suchungen von Zange- meister^) wahrscheüilich gemacht. c) Veränderungen an den übrigen Genitalien und in ihrer Umgebung. An deu Tuben scheint in der Gravidität weder eine Neubildung noch eine Hypertrophie von Gewebselementen stattzufinden. Eine Verlängerung ist nur durch Streckung bedingt (Man dl 2). Nach dem vierten Schwangerschaftsmonat entwickeln sich häufig groß- zellige deciduaähnliche Wucherungen unter dem Serosaendothel des Bauchfelles am Boden des Douglasschen Raumes, an der hinteren Gebärmutter- und der vorderen Mastdarmwand, ebenso unter dem Keim- epithel der Eierstöcke, die im Wochenbett wieder verschwinden (Pels-Leusden, Schmorl, Kinoshita, Schnell und Lindenthal 3). Die Eierstöcke werden, abgesehen von der Stelle, wo das Corpus luteum sitzt, platter. Reifende Follikel in vorgeschrittenen Stadien sind selten. Die Scheidenschleimhaut erscheint durch die starke Blutzufuhr blaurot, glatt, weich, wulstig. Das Lumen der Scheide wird länger und weiter. Die Muskelelemente der Wand vermehren und vergrößern sich, be- sonders in den uteruswärts gelegenen Abschnitten. Bei der reichlichen Ernährung der Scheidenwände kommt es zur Ver- mehrung des Scheidensekretes. Die Bildung des Schleimpfropfens in dem Halskanal vermindert die Zufuhr von alkalischem Cervixsekret, wodurch die saure Reaktion des Vaginalsekretes stärker wird. Die Harnblase wird durch den schwangeren Uterus in ihrer Aus- dehnungsfähigkeit behindert. An den Beckengelenken findet man, als mit der Gravidität einher- gehende anatomische Veränderungen, eine größere Menge von Synovia, ver- mehi'te Weichheit und Succulenz der inneren faserigen Schicht der Gelenk- knorpel, Auflockerung der Bänder und als Folge davon eine etwas größere Beweglichkeit (Luschka, Hyrtl, Balandin*). Die Bauchdecken werden entsprechend der Vergrößerung des Uterus sehr stark gedehnt. Die Muskeln erleiden eine Ausziehung über die Grenze ihrer Elastizität hinaus. Die papierdünne , bei der Jungfrau in sagittaler Richtung stehende Lamelle der Linea alba wird auseinander- gezerrt und dehnt sich zu einer etwa 3 bis 5 mm breiten frontal ge- ^) Zentralbl. f. Gyn. 1903, S. 800.— ^) Mandl, Monatsschr. f. Geb. und Gyn. 1897, Erg.-H. , S. 130. — ^) Lindenthal, Monatsschr. f. Geb. u. Gyn. 13, 707, 1901. — ■*) Literatur bei Sellheim, Das Becken und seine Weichteile, im Handbuch d. Geburtsh., herausgeg. von v. Winckel 10 (2), 902, 1903. 2Jagel, Physiologie des Mensclien. II. 3* 122 Veränderungen an Bauehdecken, Haut, Brüsten. stellten Aponeurose. Die Bauchhaut nimmt im ganzen um 70 Proz. ihrer Flächenausdehnung zu (Kehrer '), Hoffner^). Die Dehnung ist in der Nabelgegend und in der Richtung der von ihr ausgehenden Strahlen am größten. Nach der Peripherie hin nimmt sie ab. An der Bauchhaut, aber auch an der Haut der Oberschenkel, der Nates und Brustdrüsen macht sich die Ausdehnung durch das Auftreten von den sogenannten Schwangerschaftsstreifen bemerkbar. Sie erscheinen bei Erstgebärenden gewöhnlich im siebenten Monate zahlreicher und sind der Aus- druck der starken Zerrung der Cutis. Diese Striae gravidarum stellen glatte glänzende, bläulichrot gefärbte Streifen dar. Mit dem Mikroskop sieht man, daß das ursprünglich netzartig angeordnete Bindegewebe der Cutis zu parallelen, die Schwangerschaftsstreifen durchquerenden Fäden aus- gesponnen ist (Langer 3). Die elastischen Fasern erscheinen im Bereich der Striae zerrissen und in das benachbarte Gewebe zurückgeschnellt. Die dickeren Fasern sind in feinere zerfallen und in den Fasern, welche ihre Elastizität eingebüßt haben, ist das Elastin in Elacin umgewandelt (Unna^). Die Papillen sind auffallend niedrig oder gänzlich verschwunden. Die An- ordnung der Striae wird durch die spezifischen Spannungsverhältnisse der Bauchhaut geregelt. Die Brustdrüse bildet sich während der Schwangerschaft aus und erreicht ihre vollkommene Entwickelung erst mit Beginn des Wochenbettes. Durch Neubildung von Drüsenbläschen tritt eine Vergrößerung der Drüse ein. Die vorhandenen Gefäße erweitern sich und neue werden ge- bildet. Im Bereich des Warzenhofes vermehrt sich das Pigment. Nicht selten greift die Bräunung über die ursprünglichen Grenzen des Warzen- hofes hinaus auf die Umgebung über (sekundäre Areola). Die kleinen in dem Warzenhof steckenden sogenannten Montgomery sehen Drüsen hypertrophieren und treten als kleine Knötchen stärker hervor. Auch die Brustwarze hypertrophiert in allen ihren Bestandteilen, besonders in ihrer glatten Muskulatur. Aus der Warze entleert sich auf Druck schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft das Colostrum. Obwohl die Montgomery sehen Drüsen wie Talg- und nicht wie Milchdrüsen ge- baut sind, sollen sie häufiger kleine Tröpfchen Colostrum und nur ausnahms- weise Talg enthalten (Kehr er). 3. Veränderungen in dem übrigen Organismus. Mit der Schwangerschaft sind Mehrleistungen des ganzen mütterlichen Körpers verknüpft, welche eine große Anzahl anatomisch wahrnehmbarer oder durch physikalische und chemische Untersuchungsmethoden erkennbarer Alterationen nach sich ziehen. Das Frauenblut weicht für gewöhnlich in seiner Beschaffenheit von dem Männerblut ab. Die Zahl der roten Blutkörperchen ist bei Frauen geringer (beim Mann durchschnittlich 5 000 000, bei der Frau 4 500 000 auf ') Kehr er, Enzyklopädie der Geb. und Gyn. von Sänger und v. Her ff 1900, S. 258. — *) Hegar, Beitr. 4 (1901). — '") Langer, Anz. d. k. k. Ges. d. Ärzte in Wien 1878 und Med. Jahrb. herausg. von Stricker, 1880. — ") Unna, Histopathologie der Haut, 1894 undZiemssens Spez. Pathol. u. Therapie 14, I.Hälfte. Yeränderuugen iu dem übrigen Organismus: Blut, Herz. 123 1 mm^'. Die Blutkörperchen der Frau sind dagegen schwerer, hämoglobiu- reicher, aber serumärmer als beim Manne. Die Gravidität verändert die Zahl der Erythrocyten nicht in nachweis- barem Grade. Der Hämoglobingehalt bleibt normal. Die Leukocyten er- scheinen in mäßigem Grade vermehrt. Die native Alkaleszenz ist leicht vermindert , die Molekularkonzentration normal. Auffallende Schwan- kungen in der Größe und Form der roten Blutzellen sprechen für lebhafte Regenerations- und Degenerationsvorgänge (v. Eosthor n). Das Blutserum Schwangerer zeichnet sich gegenüber dem Serum Nichtschwangerer nach Zangemeister i) aus durch eine Verringerung des spezifischen Gewichtes , des Eiweißgehaltes , der molekularen Konzentration, der Alkaleszenz; dagegen besteht eine Erhöhung des Gehaltes an Chloriden. Für eine Herzhypertrophie, die man vielfach anzunehmen geneigt Avar, lassen sich weder anatomische noch klinische Beweise erbringen. Die Verbreiterung, welche die absolute Herzdämpfung regelmäßig am Ende der Schwangerschaft erfährt, ist darauf nicht zu beziehen, sondern kommt durch die Verlagerung des Zwerchfelles zustande. Sie ist der Ausdruck einer Querstellung und stärkeren Anpressung des Herzens au die vordere Brustwand (Gerhardt-). Die Herzspitze wird dabei um etwa 2cm nach oben und außen verschoben. Die damit verbundene Kompression des Herzens erklärt auch die bei einer größeren Anzahl von Schwangeren auftretenden accidentellen Herzgeräusche. Der Puls scheint durch keine besonderen Eigentümlichkeiten aus- gezeichnet (Vejas**), Heinricius ■*), v. Rosthorn). Dagegen sieht man häufig Zirkulations Störungen in den Nachbar- gebieten der Genitalien. Bei etwa drei Vierteln der Schwangeren bilden sich an den unteren Extremitäten, äußeren Genitalien, am Anus und an den Bauchdecken varicöse Ausdehnungen der Venen (Krampfadern, Kinds- adern). Verschiedene mechanische Momente sollen daran Schuld sein. Man rechnet mit einer intraabdominellen Drucksteigerung in der Schwangerschaft, welche das Blut nach den Nachbarteilen zurückstaiat, oder mit einer Uber- füllung der Veva iliaca communis durch den reichlichen Zufluß aus den in höherem Grade mit Blut versorgten Genitalien auf dem Wege der Hj^po- gastrica, wodurch der Strom aus der Cruralis gehemmt werden soll. Bei Erstgebärenden führt man den Druck des in den letzten Monaten schon in das kleine Becken einrückenden Kopfes an. Ähnlich wie das Herz werden auch die Lungen durch die Dislokation des Zwerchfelles verschoben. Zwar ist der Stand des Zwerchfelles nur wenig höher als bei Nichtschwangeren . doch erscheint seine Kuppe durch das Eindrängen der resistenten Leber stärker konvex. Die Insertionspunkte des Zwerchfelles werden gezerrt, und die schwächste Stelle, die biegsamen Rippenknorpel der vorderen Thoraxwand, gibt nach, das Brustbein weicht nach hinten. Der Sagittaldurchmesser des Brustkorbes nimmt ab, der Quer- durchmesser zu (Dohrn). Die seitlichen Krümmungen der Rippen werden ') Zeitsclir. f. Geb. und Gyn. 49 (l). — ") De situ et magnitudine cordis gravidarum. Jenae 1882. — ^) Yolkmanns klin. Vortr., Nr. 269, S. 1943. — ") Ex- perimentelle und klinische üntersucliungen über Zirkulationsverhalten der Mutter und der Frucht. Helsingfors 1889. 124 Lungen. — Stoffwechsel. stärker nacli außen vorgewölbt. Der Umfang der Thoraxbasis vergrößert sich um 12,2 Proz., sein Breitendurchmesser um 9,7 Proz. (Kehr er). Die Brust- muskeln beteiligen sich an der Atmung stärker als sonst. Infolge dieser Kompensationen zeigt die Lungenkapazität keine Veränderung (Vejas). Die gewaltigen produktiven Leistungen, die zur Ausbildung der Geni- talien und zu dem raschen Aufbau des Kindes notwendig sind, müssen durch eine Veränderung in dem Stoffwechsel ausgeglichen werden i). Wenn man Schwangeren nur so viel Nährstoff zuführt , als für einen ruhenden Menschen unter gleichen physiologischen Verhältnissen zur Erhaltung seiner Körpermasse unbedingt notwendig ist, so stellt sich doch noch eine Gewichts- zunahme ein (Gassner ^) und Baumm^). Man muß daher der Frau in der Gravidität eine bedeutend gesteigerte Fähigkeit, aus der eingeführten Nahrung Organisiertes zu bilden, zuschreiben. Die bis ans Ende der Schwangerschaft fortschreitende Massenzunahme der Gravidae führt Gassner nach sorgfältigen Wägungen nicht allein auf die Vergi-ößerung des Eies und der Genitalien zurück , sondern er nimmt auch an , daß die übrigen Organe entsprechend zugenommen haben. Damit stimmen auch die Untersuchungen von Zacharjewsky ■') überein. Jägerroos^) fand bei seinen Untersuchungen an schwangeren Hündinnen eine kürzere oder längere Periode mit gesteigertem Eiweiß- zerfall, die er für etwas Charakteristisches zu halten geneigt ist. Im übrigen erschien der Organismus bestrebt, durch eine strenge Sparsamkeit die Stickstoff- ausgaben aufzuwägen. Die Harnabsonderung ist in der Schwangerschaft beträchtlich gesteigert (Mosler") und v. Winckei^). Die täglichen Ausscheidungen von Kochsalz, Schwefelsäure und wahrscheinlich auch Phosphor säure in dem Harne er- scheinen ebenso groß wie bei Nichtschwangeren (v. Win ekel). Diese Graviditäts- polym-ie macht sich erst gegen die Mitte der Schwangerschaft bemerklich und bringt eine Verminderung des spezifischen Gewichtes des Harnes mit sich. Die Harnstoff- und Harnsäureausscheidung bewegt sich in physiologi- schen Grenzen (v. Winckel, Heinrichsen, Zacharjewsky). Die Menge des in Harn und Kot ausgeschiedenen Stickstoffes überschreitet nicht das physiologische Maß. Das beweist aber nicht, daß sich die Zersetzungs- prozesse in dem Organismus Schwangerer ebenso vollziehen wie bei Nichtschwangeren. Vielnaehr nimmt Zacharjewsky an, daß ein beträchtlicher Teil des aus dem Darm resorbierten Stickstoffes in dem Körper zurückgehalten und angesetzt wird. Die Eetention macht sich besonders am Tage vor der Geburt geltend. Die Stickstoffaufspeicherung dient in der Schwangerschaft zur Er- nährung und Entwickelung der Frucht. Vor der Geburt ist sie als ein Sparen für die bevorstehende Arbeitsleistung verständlich. Auch eine vermehrte Fettbildung scheint einzutreten, wenigstens konnte mit dem Fortschreiten der Schwangerschaft in den Leberzellen eine kontinuier- liche Zunahme des Fettes konstatiert Averden (Miotti"). Auf die Funktions- änderung der Leber weist auch die gleichmäßige Steigerung des Glykogen- gehaltes in der Schwangerschaft und die stärkere Ausscheidung von Glykogen durch den Harn bei Schwangeren hin (Charin und Guillemont ^). ^) Was Tatsächliches auf diesem Gebiete bis jetzt erwiesen wurde , hat V. Eosthorn in übersichtlicher Weise zusammengetragen. — ^) Monatschr. f. Gebk. und Frauenkrankheiten 19 (1862). — ^) Gewichtsveränderungen der Schwan- geren, Kreißenden und Wöchnerinnen usw. Inaug.-Dissert. München 1887. — ") Zeitschr. f. BioL, N. F. 12, 3, 1894. — ^) Zentralbl. f. Gynäkol. 1903, Nr. 17. — *) Inaug.-Dissert. Gießen 1858. — ") Studien über den Stoffwechsel bei der Geburt und im Wochenbett im Anschluß an Harnanalysen bei Schwangeren , Gebärenden und Wöchnerinnen, Eostock 1865. — ") Annali di ost. e ginec, Milano 1900, No. 11, p. 733. — ") Compt. rend. hebdom. des seances de la Soc. de biol. 12. Mai 1899, p. 3338. Veränderungen des Harns. 125 Die Glykosurie in der Schwangerschaft scheint kaum stärker als die normale physiologische des gesunden Menschen (Leduc'). Wenn sich gegen Ende der Schwangerschaft die JVIilchsekretion geltend macht, kann die Glykos- urie durch Laktosurie gedeckt werden (Leduc, Brocard*). Nach den Untersuchungen von Jaksch^) und Lanz^) scheint die Assimilationsgrenze für den Traubenzucker während der Schwangerschaft herabgesetzt und bis zur Eeife der Frucht zu sinken. Eine geringe, das physiologische Maß nicht überschreitende Acetonurie kommt nach Stolz ^) fast in allen Fällen vor, während Audibert und Baraja*^) das nicht finden konnten. Gelegenthch fand Fisch el'') in dem Harne Schwan- gerer Pepton. Andere konnten das nicht bestätigen"). Bei Schwangeren enthält der Urin sehr häufig Eiweiß. Diese Albu- minurie tritt erst in der zweiten Hälfte der Gravidität auf, steigert sich all- mählich bis zur Geburt und pflegt im Wochenbett rasch zu verschwinden. Wenn sich auch bei dieser Erscheinung die Grenze gegenüber der gewöhn- lichen Nephritis, die mit in die Schwangerschaft herübergenommen oder dort zum Ausbruch gekommen ist, oft schwer ziehen läßt, so dürfen wir doch für viele Fälle eine ausschließlich durch die Schwangerschaft hervorgerufene Nierenaff ektion annehmen, die wir als „Schwanger- schaftsniere" bezeichnen. Es handelt sich dabei nicht um entzündliche, sondern um degenerative Prozesse im Nierenparenchym (v. Leyden^). Für das Zustandekommen dieser Nierenstörung werden verschiedene me- chanische Faktoren, eine Art Autointoxikation infolge des veränderten Stoff- wechsels und auch Mikroorganismen angeschuldigt. Jedenfalls handelt es sich um ein Mißverhältnis zwischen der Blutversorgung und der den Nieren in der Gravidität zugemuteten Arbeitslast (Zangemeister 'f"). In der zweiten Hälfte der Schwangerschaft treten in dem Urin regel- mäßig Epithelien der harnableitenden Wege und Leukocyten, seltener Erythrocyten und hyaline und granulierte Zylinder auf ^^). Auch nicht organisierte Sedimente kommen häufiger vor. Alle Formelemente nehmen gegen Ende der Schwangerschaft auffallend zu und erreichen den Höhepunkt bei der Geburt. Durch die Einengung der Harnblase und durch eine Erschlaffung der Schließmuskulatur kommt es nicht selten während der Schwangerschaft zu Störungen in der Harnentleerung (häufiger Drang zum Wasserlassen, unwillkürlicher Abgang von Urin). Schließlich entwickelt sich in der Schwangerschaft auch eine Reihe von Störungen, deren Ursachen noch nicht ohne weiteres ersichtlich sind. In der Haut haben wir schon die Pigmentationen erwähnt, die sich aber nicht nur im Bereich der äußeren Genitalien und der Warzenhöfe, sondern auch ^) Eecherches sur les sucres uniaires psychol. des femmes en etat gravido- puerperal. These de Paris 1898 und Bull. m^d. 23, 11, 1898. — ^) These de Paris 1898. — ^) Prager med. Wochenschrift 1895, S. 282. — ") Wiener med. Presse 1895, Nr. 49. — ^) Arch. f. Gynäkol. 65 (3). — *) Ann. de gyn. et de l'obstretr. 1902, Januar bis März. — '') Arch. f. Gynäkol. 24, 3 und 26, 1. Zentralbl. f. Gynäkol. 1889, S. 27, 473. — ") Koetnitz, Deutsche med. Wochenschr. 1888, S. 30 und 1889, S. 44 bis 46 und Thomson, Deutsche med. Wochenschr. 1889, S. 44. — ^) Zeit- schrift f. kUn. Med. 2, 2 und 9, 1. Deutsche med. Wochenschr. 1886, Nr. 9. Charite- annalen 14, 8, 129, 1889. — ^°) Arch. f. Gynäkol. 66. — ") Fischer, Prager med. Wochenschr. 1892, Nr. 17 und Arch. f. Gynäkol. 64, 218 und 262 und Trauten- roth, Zeitschr. f. Geb. und Gvnäkoh 30, 98. 126 Hautveräuderungen. — Osteophyt. — Köri^erhaltung. an der Bauchhaut, im Gesicht {Chloasma uierimim) und an den Armen häufig vorfinden. Neuerdings hat H. W. Freund i) auf ein bei Schwangeren fast immer ausgesprochenes Phänomen an der Haut, den sogenannten Dermographis- mus, aufmerksam gemacht. Nach dem Streichen der Brust- oder Bauchhaut mit einem härteren Gegenstand, z. B. dem Fingernagel, stellt sich entsprechend den gereizten Linien eine erhabene rote Zeichnung ein, die stundenlang be- stehen bleiben kann. Nach der Geburt verschwindet diese Erscheinung regelmäßig. In mehr als der Hälfte der Fälle entwickeln sich vom dritten Monat der Schwangerschaft ab an der Innenfläche der Schädelknochen Wucherungen und knöcherne Auflagerungen, die man als puerperales Osteophyt 2) be- zeichnet. Die Zähne schwangerer Frauen sind abnorm zerbrechlich und empfind- lich. Die chemische Untersuchung ergab eine auffallende Verminderung des Fluorcalciums ^). Häufig begleiten die Schwangerschaft mancherlei funktionelle Stö- rungen derVerdauungs- und Zirkulationsorgane, welche, in stäi'kerem Grade ausgesprochen, schon an die Grenze des Pathologischen heranreichen. Die Körperhaltung ist bei den Schwangeren durch die Massen- zunahme des Bauchinhaltes dahin verändert, daß der ganze Körper oder doch wenigstens der Rumpf rückwärts geneigt wird. Die Halswirbelsäule ist dabei steiler aufgerichtet , die Brustwirbelsäule stärker kyphotisch ge- krümmt, die Lendenlordose meist flacher (Kuhnow^). 4. Physiologisches Verhalten der Frucht. In der allerersten Zeit der Entwickelung besitzt die Fruchtanlage noch keine eigenen Blutgefäße und ist auf eine Ernährung durch die Säfte der Umgebung angewiesen. Die ersten Blutgefäße dienen dazu, das in der Dotterblase noch vorhandene Nährmaterial aufzvinehmeu und dem Fötus zuzuführen — erster oder Dotterkreislauf. — Der geringe Nahrungs- vorrat reicht aber nicht weit. Schon in der zweiten Woche der Entwicke- lung entsteht neben dem Dotterkreislauf durch das Herantreten des blut- gefäßführenden Bindegewebes an die Eiperipherie und durch die hieraus sich entwickelnden Beziehungen zu den Blutgefäßen der Gebärmutterschleim- haut der Chorionkreislauf. Der Dotterkreislauf geht zugrunde und der zweite Kreislauf wird unter Ausbildung der Placenta zu dem Placentar- kreislauf. Mit dem Ende des zweiten Monats sind für das intrauterine Leben die Zirkulations Verhältnisse endgültig hergestellt. Das in der Placenta aufgefrischte Blut geht mit der Vena umbilicalis durch den Nabelring in den Körper des Fcitus hinein. Die ersten Äste werden teils direkt, teils nach Anastomosenbildung mit der Vena portae nach der Leber abgegeben. Die ^) Verhandl. des VI. deutschen Dermatologen - Kongresses zu Straßburg. — ^) D.ucrest, Mem. de la soc. m6d. obstetr. 2, 404, 1844 und Eokitansky, Hand- buch der pathol. Anatomie 1844, S. 237. — ^) Terrier, De rinfluence de la «^rossesse sur les dents. These de Paris 1899. — ") Arch. f. Gynäkol. 35, 424. Phjsiologie der Frucht. 127 Hauptmasse des Blutes gelangt durch den Ductus venosus Ärantii in die untere Hohlvene. Von dieser aus strömt das aus der Placenta kommende Blut zusammen mit dem venösen Blute der unteren Körperhäifte und der kurz vor dem Herzen einmündenden Lebervenen zum Herzen. Durch die Vermittelung der Valmila Eustachii wird das zunächst in die rechte Vor- kammer gelangte Blut durch das Foramen orale in die linke Vorkammer ge- leitet. Außerdem münden in den linken Vorhof auch noch die Lungenvenen. Das Blut der Vena cava superior füllt den rechten Vorhof. Bei der Diastole ergießt sich vorwiegend das in der Placenta auf- gefrischte Blut der Cava inferior aus dem linken Vorhof in den linken Ven- trikel, während der rechte Ventrikel das venöse Blut der Cava supe.rior erhält. Bei der Systole wird das arterielle Blut des linken Ventrikels durch die Aorta ascendens in die großen Gefäße der oberen Körperhälfte ge- worfen. Der Rest fließt in die Aorta descendens. Das venöse Blut des rechten Ventrikels wird in den Stamm der Arteria puJmonalis gepumpt. Die Verzweigungen nach den Lungen sind noch eng und nehmen nur einen kleinen Teil des Blutes auf. Die Hauptmasse gelangt durch den weiten Ducttis BotaJU in die Aorta descendens und mischt sich mit dem vom linken Ventrikel dorthin gelangten, noch teilweise arteriellen Blute zur Versorgung der unteren Körperhälfte. Aus den Hypostricae entspringen beiderseits die Arteria timbilicales, welche das ausgenutzte Blut zur Auffrischung wieder in die Placenta schicken. Bei dieser Blutverteilung ist es natürlich , daß die mit arteriellem Blute besser versorgte obere Körperhälfte und vor allem die Leber in den ersten Monaten der Schwangerschaft vorwiegend wachsen. In der zweiten Hälfte der Schwangerschaft ändert sith dieses Verhältnis zu- gunsten der Lungen und der unteren Körperhälfte. Die Ausmündungsstelle der arterielles Blut einführenden Vena cava inferior rückt in dem rechten Vorhof mehr nach rechts und ergießt nunmehr einen Teil ihres Blutes in den rechten Vorhof. Dieser Zuwachs kommt deu Lungen und . durch die Vermittelung des Ductus Botalli, auch der unteren Körperhälfte zugute. Unsere Kenntnisse über den Stoffwechsel des Fötus sind noch sehr lückenhafte. Die Untersuchungen über die molekularen Konzentrationen der Gewebssäfte, von denen man eine Klärung des Stoffaustausches zwischen Mutter und Kind erwartet, berechtigen noch nicht zu weitergehenden Schlußfolgerungen. Alles, was das Kind gebraucht, wird ihm durch das Blut der Nabelvene zugeführt. Alle Abfallstoffe werden durch den Placentarkreislauf aus- geschieden. Die Placenta ersetzt dem Fötus Atmungs-. Ernährungs- und Ausscheidungsorgane. Die hierzu notwendigen Arbeiten müssen durch die zwischen kindlichem und mütterlichem Blut eingeschalteten leben- den Zellen , vor allem wohl durch das Syncytium geleistet werden. Es handelt sich dabei nicht um reine osmotische oder Diffusionsvorgänge, sondern um eine Auswahl und Umbildung der vorhandenen Nährstoffe, eine echte Drüseufunktion i). Die dünnen Gefäßwände der Capillaren in den Chorionzotten und der Epithelüberzug der Zotten vermitteln zunächst ') Vgl. Straßmann, Das Leben vor der Geburt. Volkmauns kliu. Vorträge N. F., Nr. 253. 128 Stoffwechsel der Frucht. den Gasaustauscli zwischen Mutter und Kind. Weiterhin führen diese Gewebe dem Kinde die Nahrung zu und befördern die Stoffe der regressiven Metamorphose zur weiteren Ausscheidung in den mütterlichen Kreislauf. Die Atmung des Fötus besteht darin, daß das fötale Blut in den Capillaren der Chorionzotten seine Kohlensäure abgibt und aus dem mütter- lichen Blute den Sauerstoff aufnimmt. Das Nabelvenenblut bekommt in- folgedessen ein hellrotes und arterielles Aussehen. Das Sauerstoff bedürfnis der Frucht ist verhältnismäßig gering, da sie von allen Wärmeverlusten, denen der Mensch im extrauterinen Leben ausgesetzt ist, verschont bleibt. Die beim Aufbau des Körpers notwendigen Oxydationsprozesse erzeugen fortdauernd Wärme, welche sich zu der Tem- peratur summiert, auf welcher der Fruchtkörper durch den umgebenden mütterlichen Organismus erhalten wird. Daher findet man die Rectal- temperatur bei lebenden Früchten um etwa 1/2" C höher als bei der Mutter. Zu solchen Messungen bietet sich unter der Geburt bei Steißlagen Gelegenheit. Das rasche Wachstum der Frucht erfordert eine sehr reichliche Zufuhr von Nahrungsmaterial. Daß Wasser und darin lösliche Stoffe ebenso wie Gase von der Mutter zu dem Kinde und umgekehrt über- treten können, ist experimentell nachgewiesen. Der Übergang von Fett und Eiweiß ist schwerer zu erklären; emulgiertes Fett geht nicht durch die Zottenwandungen; selbst wenn Fettsäuren übertreten, so erscheint das nicht genügend für den Bedarf des Fötus. Man denkt daher an die Bildung von Fett aus dem Eiweiß in dem Organismus des Kindes. Bei der Aufnahme des Eiweißes stellt man sich den Mechanismus so vor, daß die Chorionepithelien vielleicht ähnliche Eigenschaften betätigen wie die Darmepithelien und die Eiweißstoffe so umarbeiten (peptonisieren), daß sie für einen Weitertransport in den kindlichen Organismus geeignet werden. Ascoli^) fand schon in frühen Stadien der Schwangerschaft in der Placenta ein eiweißspaltendes Ferment. Eiereiweiß subcutan der Mutter einverleibt, läßt sich durch die biologische Eeaktion im mütterlichen und im fötalen Serum nachweisen. Auch den weißen Blutkörperchen, die man in der Nabelvene reichlicher findet als in den Arterien, hat man eine Rolle bei der Eiweißaufnahme zugeschrieben. Das Fruchtwasser, welches nachweislich vom Kind verschluckt wird, kommt wegen seines sehr geringen Eiweißgehaltes (0,2 Proz.) als Nahrungs- mittel kaum in Betracht. Dagegen glaubt man, daß es zum Verdünnen der in konzentrierter Form aus dem mütterlichen Blute entnommenen Nahrungs- stoffe im Haushalt des Fötus Verwendung findet. Das spezifische Gewicht des Blutes beim Fötus ist gleich dem des Erwachsenen. Das spezifische Gewicht des Serum , der Gehalt an Hämoglobin und Fibrin sind geringer. Der Salzgehalt ist dagegen größer als beim mütterlichen Blute. Auch sollen Unterschiede im Gefrierpunkt und Agglutinationsvermögen zwischen dem Blute des Kindes und der Mutter bestehen. Einheitliche Anschauungen herrschen hier aber noch nicht (Veit 2). ') Zeutralbl. f. Physiol. 1902, Heft 5. — ^) Literatur bei Veit -Olshausen, S. 80. Funktionen der einzelnen Orsrane. 129 Da dem Fötus alles Xährmaterial anscheinend schon in einer für seinen Aufbau sofort brauchbaren Form zugeführt wird, braucht er keine Arbeit zu leisten und die Verbrennungsprozesse in dem kindlichen Organismus be- schränken sich auf das geringste Maß. Daher sind die Absonderungen gering. Die Schlacken des Stoffwechsels werden wohl hauptsächlich durch die Placenta eliminiert. Die fötale Harnsekretion ist minimal. Eine Entleerung von Harn in das Fruchtwasser scheint nach Zangemeister i) schon im fünften Schwangerschaftsmonat vorzukommen. Die Schweiß - und Talg- drüsen der Haut bilden eine schmierige Masse, die Vernix caseosa. Da der Yerdauungsappar at noch brach liegt, finden sich seine Sekrete nur in beschränktem Maße. Der Speichel enthält gewöhnlich kein Ptyalin. In dem Magensaft findet sich schon Pepsin und Lab- ferment. Die Leber bildet Glykogen und scheidet Galle aus. Die in den Darm entleerte Galle bildet mit den nicht resorbierten Substanzen des ver- schluckten Fruchtwassers (Wollhaaren, Epidermisschuppen , Talgklümpchen) eine schwarze, pechartige Masse, das Kindspech oder Meconium. Durch peristaltische Bewegungen des Darmes gelangt das Kindspech bis in die unteren Partien des Dickdarms und des Mastdarms. Unter gewöhnlichen Verhältnissen erfolgt keine Entleerung in das Fruchtwasser. Der günstigen StofEwechselbilanz des Fötus entspricht eine gewaltige Körpergewichtszunahme und ein starkes Wachstum, wie die fol- gende dem Bumm sehen Lehrbuch entnommene Tabelle zeigt. Alter : Länge Gewicht Ende des 1. Monats 2. 3. Im 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 7 bis 8 mm 22 „ 25 „ 10 „ 17 18 n 27 28 „ 34 35 n 38 39 , 41 41 n 44 45 , 47 35 g 41 ^ 222 „ 658 „ 1343,, 1609 „ 1993 „ 2450 „ nach His nach Hecker Über die Ausbildung der einzelnen Organe sei nur bemerkt, daß Kontraktionen des Herzens schon mit drei Wochen vorhanden sind. Durch die mütterlichen Bauchdecken hindurch können wir den Herzschlag mit dem Stethoskop regelmäßig und bequem erst um die Mitte der Schwanger- schaft wahrnehmen. Anfänglich hört man einen einfachen systolischen Ton, später einen Doppelschlag, der sich etwa 140 mal in der Minute wiederholt. Bewegungen der Extremitäten werden vom 4. Monat an gemacht und von der Mutter regelmäßig um die Mitte der Schwangerschaft wahr- genommen. Gehirn und periphere Nerven scheinen nur in sehr be- schränktem Maße tätig zu sein. Auf äußere Beize erfolgen Reflexbewegungen. *) Zentralbl. f. Gynäkol. 1903, S. 800. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 130 Haltung, Lage, Stellung der Frucht. Atmungs- und Ernährungsorgane erreichen ihre Funktionsfähigkeit erst gegen Ende der Schwangerschaft. Ahlfeld i) machte auf flache intra- uterine Atembewegungen aufmerksam , welche als Vorübungen für später aufgefaßt werden sollen. Vor der 28. Woche geborene Früchte gehen meist rasch zugrunde. Nach der 28. Woche sind Respirations-, Zirkulations- und Verdauungsorgane so weit entwickelt, daß man imstande ist, unter sehr günstigen äußeren Bedingungen ein Kind am Leben zu erhalten. Erst mit der 40. Woche ist die Ausbildung des Organismus so weit abgeschlossen, daß für den Beginn des extrauterinen Lebens keine Gefahren mehr bestehen. Schon während der letzten Zeit der Schwangerschaft müssen wir mit Rücksicht auf die mechanischen Vorgänge bei der Geburt die räumlichen Beziehungen der Frucht zu der Gebärmutter und zu dem knöcher- nen Becken ins Auge fassen. Der Geburtshelfer gebraucht die Ausdrücke : Haltung, La'^e, Stellung der Frucht und verbindet mit jedem dieser Worte einen bestimmten Sinn. Die Haltung ist das Verhältnis eines Kindsteiles zu einem anderen oder zu dem übrigen Körper. Bei der typischen oder normalen Haltung ist der Kopf in nur ganz mäßiger Beugung oder in einer Mittelstellung zwischen Beugung und Streckung. Doch wechselt der Grad der Beugung mit der Lage des Schwerpunktes des Fruchtkörpers zu der Unterstützungs- fläche. Die Wirbelsäule ist nach hinten oder nach der Seite convex. Die Arme liegen über der Brust gekreuzt, die Beine sind an den Bauch gezogen und in den Hüft- und Kniegelenken gebeugt. So erscheint die ganze Frucht auf einen möglichst kleinen Kaum zusammengekrümmt und sehr geschickt in dem eiförmigen Räume des Uterus verpackt. Unter Lage versteht man das Verhältnis der Längsachse der Frucht zur Längsachse der Gebärmutter. Wir sprechen von der normalen oder physiologischen Lage nur dann, wenn die beiden Achsen zusammenfallen und der Kopf in normaler Haltung dem Becken zugekehi't ist: Schädellage oder Hinterhauptslage. Als Stellung bezeichnet man die Richtung, welche der Rücken der Frucht zu den Wänden der Gebärmutter einnimmt. Der Rücken ist immer etwas nach der einen Seite gekehrt. Liegt er links, so haben wir eine so- genannte erste, liegt er rechts, eine zweite Schädellage. Sieht der Rücken dabei mehr nach vorn, so besteht eine dorso-anteriore, sieht er mehr nach hinten, eine dorso-posteriore Unterart. Die erste Stellung ist die häufigere, und unter der ersten Stellung überwiegt die dorso-anteriore und unter der zweiten Stellung die dorso-posteriore Unterart. Daß am Ende der Schwangerschaft etwa 99,5 Proz. aller Früchte eine Längslage einnehmen, hat seinen Grund in der hierbei vorhandenen besseren Übereinstimmung der Gestalt des Fruchtkörpers mit der länglich geformten Gebärmutterhöhle. Bei jeder Abweichung von dieser Lage wird die Gebärmutter zu Kontraktionen gereizt, welche die Frucht in die Längslage einrichten. In ähnlichem Sinne wirkt eine straffe Bauchmuskulatur, ') Festschr. f. Karl Ludwig, Marburg 1890. Geburt. 131 Schwieriger ist es, eine Erklärung zu geben, warum in 97 Proz. aller Fälle der Kopf vorliegt. Eine frischtote Frucht schwimmt in einer Salzlösung von gleichem spezifischen Gewicht mit dem Kopfende schräg nach unten (Gravitationstheorie). Es ist sehr zweifelhaft, ob in dem eng anschließenden Uterus dieses Moment ausreicht, um den Kopf so regelmäßig nach unten zu di'ehen. Jedenfalls spielen hier Bewegungen der Frucht, welche sich der ovoiden Form des Uterus anzupassen strebt, mit. Da der Kopf besser in das untere Uterinsegment paßt, so wird er, einmal dorthin gelangt, festgehalten. Dagegen wird er aus allen anderen Lagen sich herausbewegen können. Das geht nun in frühei'er Zeit der Schwangerschaft, in welcher die Lage noch häufig wechselt, so lange, bis sich der Kopf endlich in dem ihm konformen unteren Uterinsegment gefangen hat (Accommodationstheorie). Die Neigung des Fötus, mit dem Rücken nach einer Seite aus- zuweichen und dabei die linke Seite der Mutter zu bevorzugen , ebenso wie das Überwiegen der Drehung des Rückens bei Linkslagerung mehr nach vorn und bei Rechtslagerung mehr nach hinten, finden in den Raumver- hältnissen der Unterleibshöhle und der Lage der schwangeren Gebärmutter in derselben ihre Erklärung. Die Schwangeren wechseln tagtäglich von der aufrechten Stellung zur Rückenlage und umgekehrt. Bei aufrechter Stellung sinkt der Rücken des Kindes nach vorn, bei Rückenlage nach hinten. Durch das Vorspringen der Lendenwirbelsäule muß dabei der Rücken nach der Seite ausweichen. Da nun ferner der schwangere Uterus in der Unterleibs- höhle so um seine lange Achse gedreht liegt, daß die linke Seite des Organes gegen die vordere Bauchwand, die rechte mehr nach hinten zu sieht, wird der nach vorn sinkende Rücken in der Regel nach links , der nach hinten sinkende nach rechts abgelenkt. Mit anderen Worten : bei der Linkslage des Rückens wird die dorsoanteriore , bei Rechtslage des Rückens die dorso- posteriore Unterart bevorzugt (Bumm). III. Die Gebiut. Werth, Die Physiologie der Geburt in Müllers Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, Stuttgart 1888. 0. Schäffer, Sellheim, Seitz, Stumpf, Die Physiologie der Geburt in von Winckels Handbuch der Geburtshilfe, Bd. I, zweite Hälfte, Wiesbaden 1904. Die größte physiologische Leistung der weiblichen Genitalien ist die Geburt. Unter Geburt versteht man die Ausstoßung der Frucht und ihrer Anhänge aus dem Uterus an die Außenwelt. Physiologischerweise muß die Trennung des reifen kindlichen Organismus von der Mutter ohne Schädi- gungen beider Teile und ohne künstliche Nachhilfe vor sich gehen. Ist auch bei Einstellung des Beckenendes, bei Vorderhaupts-, Gesichts- und Stirnlagen die Natur in vielen Fällen imstande, die Geburt allein zu vollenden , so sind diese Lagen doch schon als Abweichungen von dem gewöhnlichen Hergang zu bezeichnen. Wir betrachten hier wesentlich die Geburt in Schädel- lage oder Hinter h au ptslage, welche in etwa 95 Proz. aller Fälle statthat. 9* 132 Austreibende Kräfte. Zum Verständnis der Geburt müssen wir zuerst über die dabei in Be- tracht kommenden mechanischen Faktoren einige Vorbemerkungen machen, dann ihr gegenseitiges Zusammenwirken betrachten und zuletzt nach der mechanischen Erklärung des Geburtsaktes suchen. 1. Die bei der Geburt in Betracht kommenden mechanischen Faktoren. Wir sehen bei der Geburt treibende Kräfte sich entfalten, welche durch einen bestimmt vorgezeichneten Geburtsweg das Geburtsobjekt wohlbehalten aus der Gebärmutterhöhle an die Außenwelt bringen. a) Die treibenden Kräfte. Die treibenden Kräfte werden dargestellt von den Kontraktionen des Uterus und von der „Bauchpresse". Die Uteruskontraktiouen sind , wie die Bewegungen glatter Muskel- elemente überhaupt, unabhängig vom Willen. Beim Tierversuch sieht man sie peristaltisch von den Tuben nach dem äuiäeren Muttermund verlaufen. Beim Menschen haben wir keinen Grund, etwas anderes anzunehmen , wenn auch hier der peristaltische Charakter nicht sicher nachgewiesen ist. Die Zusammenziehung läßt ein Stadium incrementi, akmes und decrementi erkennen. Die zur Austreibung des Kindes bestimmten Kon- traktionen sind vor allen anderen physioL^gischen Arbeitsleistungen des menschlichen Körpers durch ihre Schmerzhaftigkeit ausgezeichnet, was ihnen in der Sprache aller Völker die Bezeichnung als „Schmerzen", „Wehen" kurzweg eingetragen hat. Charaktei'istisch für die Tätigkeit des Uterusmuskels und mechanisch sehr bedeu- tungsvoll ist der regelmäßige Wechsel zwischen Arbeit und Ruhe. Wir haben Wehen und Wehen pausen. Eine Wehe dauert im ganzen dui'chschnitt- riff. 53 4 3 2 1 Min. ■<- Wehenkurve aus CO O >.'^_ cc" irT --. vo »o~ iC »o vn CO irjcoco |ir3Cf;_co Kugeln. V. d. Stricht i) beschreibt ebenfalls das Durchtreten kleiner Tröpfchen und größerer Kugeln ; er erwähnt zugleich ähnliche Beobachtungen früherer Autoren, wie Muron,Bouillot, Cornil, Lahousse (s. die Literatur bei V. d. Stricht, 1. c). Er untersuchte ferner die Niere eines Kaninchens drei Tage nach einseitiger Nephrektomie, einer Operation, die ja eine ver- mehrte Tätigkeit der restierenden Niere bedingt. Die weiten Kanälchen zeigen Zellen mit normalem Bürstensaum,, daneben andere mit hellen Calotten, die von Granulis erfüllt sind und in das Lumen vorspringen; in noch anderen ist der Bürstensaum zerfetzt. Todaro (1. c), der, wie oben erwähnt, die Ansammlung aus dem Mesenchym stammender Hanisäuregranula in den Zellen der Nierenorgane von Salpen beobachtete, verfolgte auch die Aus- stoßung derselben. Die Harnsäure- granula werden in der Zelle von Schleimmassen umgeben, rücken nach dem freien Zellsaum vor und treten dort aus. Die herausquellenden Schleim- kugeln sind von einer dünnen Proto- plasmaschicht umgeben, die Harnsäure- körnchen in ihnen sind verschieden groß; bei Cydosalim pinnata z. B. wie ein feinster dunkler Staub darin verstreut. Die Protoplasmaschicht platzt schließlich, und die harnsäure- haltigen Schleimmassen ergießen sich ins Lumen (s. Figg. 84 und 86). Regaud und Polic ard 2) sahen an der Igelniere die Ausstoßung von großen safranophüen Tropfen {houJes sarcodiqiies); Sauer (I.e.), der dies an den Nieren pilocarpinisierter Frösche beobachtete (s. beistehende Fig. 87), meint, daß nur bei exzessiver Tätigkeit die Sekretion unter solchen Formen sich abspiele. Tribondeau ''), der in ähnlicher Weise wie Gurwitsch eine Abgabe des Vacuoleninhalts in gelöster Form annimmt, beschreibt an Schlangennieren, wie die Tröpfchen — en perlant ä la surface — die Härchen des Bürstensaumes auseinanderbiegen und sie dabei zu Büscheln verkleben. Im Lumen finden sich Tropfen, wie Milchkügelchen, oft fein gekörnt, die Konturen gefärbt. Ich selbst habe an Kätzchennieren bei tadelloser Fixierung und Säure- fuchsintinktion das Durchtreten der Tropfen durch den Bürstensaum und ihre An- sammlung im Lumen beobachtet. Die Tropfen zeigten eine schwache Färbung, entsprechend einer geringen Menge in ihnen enthaltener gerinnungsfähiger Sub- stanz, hier und da eine etwas lebhafter gefärbte Kontur; ihre Verbindung mit der Zelle bestand aus einer mehr oder weniger schmalen Brücke, die zwischen den abgebogenen Bürstenhärchen lag (durch Serienschnitte von im Mittel 2^/^ jli Dicke Frosch. Querschnitt eines Nierenkanälchens. (Zweite Abt.) Übermaß vqn harntreibenden Mitteln. Zeiß Apochr. 2 mm. Ocul. 4; Nach Sauer, Arch. mikr. Anat. 46 (1895). 1) Ann. Soc. med. Gand 71, 328 ff., 1892 u. Compt. rend. Paris 1891, 27. April. — *) Compt. rend. soc. biol. 53, 1188, 1901. — ^) Ebenda 54, 13.S, 1902. 222 Markkanälchen. konstatierte ich die vollkommene Erhaltung des Bürsteasaumes über den anderen Partien der gleichen Zelle '). Höber und Königsberg ^j fanden an Frösclien, die mit vitalen Farb- stoffen infundiert worden waren und bei denen sich, wie erwähnt, diese Farb- stoffe innerhalb der Nierenkanälchenzellen in großen Yacuolen speichern, diese Vacuolen nicht nur als zusammengeballte Massen im Kauallumen wieder, sondern auch im Harn. Neben freiem, gelöstem Farbstoff enthielt dieser die mit Bismarckbraun oder Bordeauxrot gefärbten Gebilde. Diese Befunde dürften doch mit Sicherheit für eine echte sekretorische Tätigkeit der Rindenkanälchen sprechen, und wenn man aus vergleichend anatomischen Daten Schlüsse ziehen darf, so spielt sich auch bei normaler Nierenabsonderung, nicht nur unter dem Einflüsse von Giften, der Prozeß ganz oder teilweise in der Form der Ausstoßung von Protoplasmaeinschlüssen ab. Gegen eine solche Auffassung ließe sich kaum geltend machen, daß der normale Harn eine klare Lösung darstellt, denn der Inhalt dieser Granula würde ja ausgelaugt und die „Schatten" wohl kaum sichtbar sein. Zudem trübt sich der erkaltende Harn bekanntlich unter Bildung der „Nubecula"; diese besteht (Hammarsten) aus Harnmucoid, Epithelien, Schleimkörperchen und Uratkörnchen : wir wissen weiterhin, daß der normale Harn außer Spuren von Traubenzucker auch stets solche von Eiweiß enthält. Nach Mörner^j enthält der Harn gesunder Menschen 22 bis 78 mg Eiweiß im Liter, auch etwas Nucleoalbumin. Ob, wie Benda (I.e.) meint, durch Kontraktion der Körnerfäden der Zellsaum gegen die Zellbasis herabgezogen und dadurch Sekret durch den Bürstensaum gepreßt wird, darüber fehlen weitere Angaben. II. Die Markkanälchen. Das Epithel des Endstückes, das den Ut)ergang in die Henlesche Schleife bildet, ist das gleiche wie in den Tuh. coiifortis, nur niedriger. Auch hier hat man, sowohl an frischen als an fixierten Nieren, die LTmwandlung des inneren Zellsaumes in helle Kuppen (Blasen) beobachtet [Schachowa "*); Disse, I. c, V. d. Stricht, 1. c.]. Im absteigenden Schenkel der Hen leschen Schleife wird das Epithel nun plötzlich sehr niedrig, endothelartig, mit der bekannten wechselständigen Anordnung der Kerne, so daß das beträchtliche Lumen die Form eines ge- wellten Bandes erhält. Von eigentlichen Endothelien unterscheiden sich aber ') Nach Fertigstellung des Manuskripts kam mir das Buch von Eathery, Le tube contournö du rein (Paris 1905), in die Hände. Dieser Autor hält die aus- tretenden Tropfen für Gebilde, die durch die Fixation erst entstanden sind; er konnte sie au frischen Nierenschnitten durch Reagentien hervorrufen. Die Tat- sache mag richtig sein , andererseits aber habe ich an Schnittreihen sehr oft Kindenkanälchen gefunden, welche vollgepfropft waren mit solchen kugeligen Gebilden, indes der Bürstensaum vollständig intakt und nirgends ein Aus- treten von Tropfen zu bemerken war. An Längsschnitten war dies besonders deutlich zu sehen. Diese Tropfen oder Kugeln waren also von höheren Teilen, Avo sie austraten, hingeschwemmt worden. Ebenso fanden sich diese Tropfen in den absteigenden Henle sehen Schleifen. Durch Einlegen eines Nierenstückes in ein Fixationsmittel ist es natürlich unmöglich, so etwas zu erzeugen. — '0 Pflügers Arch. 108, 323 ff., 1905. — '■') Skand. Arch. f. Physiol. 6. — ") Dissert., Bern 1876. Gefäiäapparat. 223 diese Zellen sehr deutlich. An meinen Präparaten enthalten sie eine große Menge fuchsinophiler Granula, die oft ein wenig länglich erscheinen. Wir haben es also mit einem echten Epithel zu tun, allerdings von sehr un- gewohnter Beschaffenheit. Die Wand dieser Kanälchen ist außer- ordentlich dünn. Beim Übergang in den aufsteigenden Schleifen- schenkel bleibt das Lumen im allgemeinen ebenso weit, aber die Zellen werden wieder höher, nehmen ganz den Charakter hoher Epithelien an. Ihre basalen Teile tragen feine Körnerreihen, deren Elemente eher etwas länglich sind. Diese Verhältnisse sind an Kätzchen- und Kaninchennieren gut zu erkennen. Schon E. Heidenhain beschrieb streifigen (Stäbchen-) Charakter dieser Zellen. Der innere Teil ist hell, von veränderlicher Höhe, so daß damit auch das Lumen des Kanales sich ändert. Die höheren Zellen mit blasiger Kuppe zeigen sehr oft die im vorhergehenden Abschnitt beschriebene Aus- stoßung von Tropfen oder blasigen Gebilden, und zwar vornehmlich im Glomerulusteil der Schleife. So nennt v. d. Stricht (1. c.) die gegen die Konvexität der Niere zu gelegenen Partien im Gegensatz zum unteren papillären Teil, der Zellen mit Bürstenbesatz trägt. Was diese Aus- kleidung der dicken aufsteigenden Schleifenscheukel aber von der der Rinden- kanälchen unterscheidet , ist das Fehlen jeglicher Zellgrenzen ; auch mit denjenigen Methoden (Eisen-Hämatoxylin nach M. Heidenhain), welche die Grenzen in den Tub. contortis deutlich hervortreten lassen, gelingt dies hier nicht. Durch das mit kubischem Epithel ausgekleidete gewundene Schalt- stück, sowie das kurze, gestreckte Verbindungsstück gehen die Kanäle in die Sammelröhren über, die sich zvi immer größeren Stämmen (Ductus XXipiUares) vereinigen. Ein helles Epithel kleidet sie aus. Das Strom a der Markpartien ist auffallend reichlich entwickelt, und schon Henle ^) hebt hervor, daß die weiten Sammelröhren gänzlich der Membrana propria entbehren ; ihr Epithel ist direkt in zylindrische Lücken des Stroma eingebettet. Eine ungeheure Menge von Blut- und Lymph- ofefäßen erfüllt das Stroma. III. Gefäßapparat und Nerven der Niere. a) Blut- und Lymphgefäße (Stroma). Die Vaskularisation der Niere ist eine außerordentlich reiche: dem ent- spricht, daß die zuführenden Arterien als sehr weite Stämme im rechten Winkel von der Aorta abgehen. Ich maß bei einer Anzahl von Leichen die Weite der Arterie unter verschiedenen Drucken: bei 150mm Hg betrug der lichte Durchmesser bei mittelgroßen Männern im Durchschnitt etwa 6 mm, bei Frauen etwa 5 mm im Mittel. Der dorsale und ventrale Ast der Nierenarterie zerfallen im Nieren- becken je in vier bis fünf Zweige, deren jeder wieder bei seinem Eintreten in die Nierensubstanz in spitzen Winkeln mehrere (bis fünf) Reiser abgibt (Arit. interlobares). Von diesen gehen in der Richtung auf die Oberfläche des Organs zu und senkrecht zu ihr die Rindeuarterien ab. Jeder Ast der Nierenarterie stellt eine Endarterie im Sinne Cohnheims dar, da Anasto- 1) Gott. Abb. 10 (1862). 224 Gefäßapparat. mosen fehlen. Letzteres wird schon von Bowman (h c. S. 59, Fußnote) betont. Die Rindenäste, auf der Grenze der LäpiDchen zwischen den Markstrahlen laufend (Ärtt. interlohilarcs), geben nach allen Seiten hin kurze, 0,02 bis Arteria interlohuUiris Arteriola reda spxiria Arteriolae reetae verae Fiff. 88. Vena interlohnUirts Vena corticalis profunda Vena ardformis Venula recta Venennetz an der Papillenspitze ScheiiKi der Blutzirkulatiou iu der Niere (nach Bisse). rig. 88 a. Vas afferens Glomcyidiis Vas e('ff)-('n.'i Art. hüertoJmhiris Vas efferevs ^ Hund; Niere, Korrosionspräparat. Das "Ende einer Art. Interlolnüaris teilt sich in 2 Vas. äff., an jedem sitzt ein GlomerttUis mit dem Vas. eft'. an. Letzteres enger als das Vas. äff. (nach Bisse). Gefäßapparat. 225 0,04mm weite Ästchen ab, welche die kurzen Stiele der Glomeruli (Malpighische Körpercheu) bilden. Daneben gehen von einigen der Arti. interJohidares dünne Jiami capsulares durch die Nierenkapsel, um sich in der Fetthülle des Organs zu Capillarnetzen zu verzweigen. Fie:. 89. ^^:l!i^f.v'^^*^^ ''V Teil eines Gefäßknäuels der Katze (Schnitt). Injektion mit Berliner Blau. Vergr. 700. e Epithel und in Memhr. propria der Bowm ansehen Kapsel, g Gefäßschlingen (injiz.). h teilweise von der Oberfläche abgehobenes Häutchen ohne Kerne. .1 Knäuelsyncytium mit Kernen, v vacuolenartiger Eaum (nach Ebner). Golubew 1) zeigte, daß eine kleinere Zahl der Ästchen nicht eigent- liche Glomeruli bildet, sondern Wundernetze ohne Kugelform und ohne Kapsel. Nach dem gleichen Autor gehen einige andere arterielle Zweige auch direkt in Yenen über ohne dazwischen geschaltetes Capillargebiet. Je nach dem Kontraktionszustande der einzelnen Äste kann also ein Teil des zur ^ Epitheldecke (Knäuelsyncytium) des Glonierulus der Kaninchen. — (Nach Drasch, Hermanns Handb. d. Physiol. 5, 1, S. 296.) Rinde strömenden Blutes, den Weg durch die Glomeruli vermeidend, direkt in die venösen Abflüsse gelangen. In der Hauptsache bilden aber die kurzen Zweige der Artt. interlohulares die Vasa afferente a der Glome- ruli; sie haben, vornehmlich infolge der auffallend stark entwickelten Muscularis, eine relativ sehr dicke Wand. Das zum Knäuel geballte Wundernetz ihrer CajDÜlaren ist in sich durch zahlreiche Anastomosen ver- ') Intern. Mouatsschr. f. Anat. u. Physiol. 10 (1893). Nagel, Physiologie des Menschen. II. 15 226 Gefäßapparat. knüpft, und aus seiner Mitte geht das beträchtlich engere Vas efferens hervor. Die Capillaren sind sehr weit, ihre Wand außerordentlich dünn und entbehrt der Endothelauskleidung; sie stellt eine kernlose Protoplasmamasse dar. Drasch i) fand, daß sie von feinen Poren durchsetzt ist, und V. Ebner '-) sieht eine indirekte Bestätigung der Existenz solcher Poren in dem Umstände, daß man an sehr gut gelungenen Injektionspräparaten (Ausspritzung der Nierenarterie mit Leim und Berlinerblau), welche sonst nirgends Extravasate in Capillargebieten zeigen, einzelne oder die Mehrzahl der Knäuel diffus blau gefärbt findet; die Masse ist zwischen Knäuelcapillaren und das innere Blatt der Bowmanschen Kapsel eingedrungen. Der Gefäßknäuel des Malpighi- schen Körperchens ist in die Bow mansche Kapsel eingestülpt, er durchbricht sie nicht; an der Eintrittsstelle der Gefäße geht das Kapselepithel in das Knäuelsyncytium über (Ebner, 1. c. S. 366). Während an der embryonalen Niere ein kubisches Epithel als inneres (= Gefäß-) Blatt der Kapsel den Knäuel umkleidet, wird nach der Geburt das Epithel niedrig; es besteht später nur noch aus einer ganz dünnen, durchsichtigen, kernhaltigen Platte, in der auf keine Weise Zellgrenzen nachzuweisen sind. Dieses Knäuel- syncythium läßt sich in toto als zusammenhängendes Häutchen isolieren (Drasch); es zeigt facettenartige Abdrücke der Gefäßsclilingen (s. Fig. 90). Das äußere Blatt besitzt eine Auskleidung von niedrigen, polygonalen Zellen; es geht, wie oben erwähnt, direkt in das Epithel des Halses der Rindenkanälchen über. Bei Amphibien, Reptilien, Fischen ist dieser Hals mit Flimmerepithel besetzt, das sich bis in die Anfänge der Tubuli contorti fortsetzt. Von Gerlach, Krause u. a. wurde behauptet, das Flimmern lasse sich auch bei Säugernieren beobachten; doch hat Kölliker, der die Nieren zweier Justifizierter daraufhin untersuchte, die Flimmerbewegung beim Menschen nicht beobachten können. Das Vas efferens, in dem die Knäuelcapillaren sich vereinigen, ist, wie gesagt, enger als das Fas afferens, sonst aber wie dieses gebaut: also ein echtes arterielles Rohrstück mit gut entwickelter Ringmuskulatur. Es entspringt in der Mitte des Knäuels; Bowman (1. c. S. 59 u. 61) und Ludwig s) zeigten an der Hand von In- jektionsversuchen, daß infolge davon der Knäuel sich nicht vom Vas efferens her füllen läßt; die eindringende Masse dehnt die zentralen Partien zuerst aus und verlegt sich damit den Weg zu den oberflächlichen Schlingen. Soll- mann (s. unten) hat an Modellen dies sehr gut nachzuahmen vermocht. Jeder überwiegende Druck von den durchaus klappenlosen Venen her muß also den Blutstrom der Glomeruli sofort zum Stillstand bringen. Wie bekannt, löst sich das Vas efferens zu dem engmaschigen Ca- pillarnetz auf, das die Rindenkanälchen umspinnt; aiif der ganzen Strecke der Rindenläppchen sind die Capillaren weit, in den Markstrahlen dagegen werden sie bedeutend enger. [Die allseitige anastomotische Verknüpfung dieser Capillaren wurde schon von Bowman (1. c. S. 61) hervorgehoben. Er nennt diesen Capillarplexus um die Rindenkanälchen das große Blut- reservoir der Niere.] Die Markpyramiden haben ein von der Rinde teilweise unabhängiges Capillarnetz; an ihrer Basis ti-eten die Büschel der Vasa rec/a ein, derPapillen- 1) Wiener Sitzungsberichte 76, III, 1877. — *) 1. c. S. 368. — «) Wiener Sitzungsber. 48, II, 1863. Blut- und LymphgefäJJe. 227 spitze zustrebend (s. oben: Gefäßschema). Die Vasa rccta kommen zum Teil als Arteriolae rectae verae (Arnold, C. Ludwig, Vircbow) direkt aus den Zweigen der Ali. renalis; in großer Anzahl (Art. red. spuriae) sind sie Vasa efferentia der an der Grenze zwischen Mark und Rinde liegenden Glomeruli (Bowman, 1. c. S. 61/62). Demnach ist das die Marksubstanz versorgende Blut gemischt aus arteriellem und aus Glomerulusblut der Riude: Bowman bezeichnete den letztgenannten Weg als „a truly portal vein in miniature" (1. c. S. 63). Er beobachtete auch schon, daß es sehr große Glomeruli seien, deren Vasa efferentia, in die Marksubstanz herabsteigend, sich wie Arterien daselbst verzweigen. Drasch i) hat dann später zwei verschiedene Arten von Glomerulis — kleine und große — beschrieben, die sich einmal durch verschiedene Anordnung der Gefäße, durch Abweichungen im Bau der Ge- fäßwände und ihrer Umhüllungsmembran unterscheiden; er fand die großen vornehmlich an der Grenze von Rinde und Mark liegend. Die Venae rectae, welche als drittes Glied die Büschel der Vasa recta hilden helfen, führen Blut aus den Markcapillaren sowohl als aus dem Venennetz der Papille; sie münden in die Venae arciformes ein. Ein Teil des Eiudenblutes wird in den kleinen Venae rectae corticales (Steinach) gesammelt und steigt zur Kapsel empor, wo die kleinen Venen sich von allen Seiten her in den Anfang der Venae interlohulares eingießen (Stelhdae Verheyenii). Die letzteren führen das Blut hinab zur Grenzschicht, wo tiefe Eindenvenen mit ihnen zusammen sich in ein breites Bett ergießen, das auch noch die Vennlae rectae des Markes aufnimmt. Dies an der Grenze von Mark und Rinde gelegene System der Venae arci- formes umfaßt als ein durch reichliche Anastomosen verknüpftes Eingmaschennetz die Basen der Pyramiden ; von dort sammeln sich die Venen zu den größeren Mark stäm m en . Der ungehinderte Abfluß des venösen Blutes der Rinde wird einmal gesichert durch die doppelten Abzugskanäle der oben erwähnten Venae inierlohulares und Venae corticales frofnndae, zum anderen dadurch erleichtert, daß das Aufnahmebett dieser Gefäße, die großen interlobularen Stämme, durch die Befestigung ihrer Wände an die Nierensubstanz stets klaffend erhalten wird. Ein Teil des Rindenblutes verläßt, Avie bekannt, die Niere an ihrer Konvexität unter Durchbohrung der Haut, um sich in die Venen der Capsula adiposa renis zu ergießen (Steinach*). Die Lymphgefäße der Niere, welche als außerordentlich dichtes Netz die Harnkanälchen umsjjinnen, laufen in einer Anzahl größerer Stämme zu- sammen, die am Hilus mit den Blutgefäßen heraustreten und in die oberen Lumbaidrüsen einmünden. Neben diesen Bahnen kommen aber von den oberflächlichen Partien des Organs, zumal von der Bindegewebskapsel her, noch Lymphgefäße, die, wie ein Teil der Venen, in die Fettkapsel eintreten und von hier direkt zu den Lumbaidrüsen ziehen. Die Wurzeln dieses weitverzweigten Lymphapparates sollten nach Ludwig und Zawarykin durch wandungslose Spalten im bindegewebigen Stroma der Niere repräsentiert sein; jedoch Ryndowsky-*) sowohl als Stahr*) konnten ein Netz von echten LymphcapilJaren darstellen, das mit kubischen Maschen die Kanäle der Rinde und der Markstrahlen umzieht. Ich selbst fand an guten Osmiumpräparaten das außerordentlich reich ent- wickelte Markstroma (Reticulum) durch ein Netz miteinander durch Aus- läufer verbundener Sternzellen gebildet, die Zellen gleichsam die Knoten der 1) Wiener Sitzungsber. 76, IH, 1877. — *) Ebenda 90, in, 1885. — ^) ZentralbL f. d. med. Wiss. 1869, Nr. 10. — ") Arch. f. Anat. u. Entw.-Gesch. 1900, S. 41 bis 84. 15* 228 Nerven. Netzstränge darstellend. Bei Mails (1. c.) Darstellung des Reticulum durch Trypsinverdauung sind diese Zellen natürlich nicht mehr vorhanden, dagegen bestätigten meine Präparate (s. beistehende Fig. 90a) die Angabe Mails, daß Lymphcapillare Reticulum mit ein- gestreuten Stei-nzellen, die sowohl mit den Gefäß- als auch mit den Kanälchenwäudeu zusammenhängen. Sammelrohr Kätzchenniere; unteres Ende der Markpainlle. Zeigt die Sternzellen des Reticulum, deren Ausläufer sowohl mit den Wänden der Blutgefäße als auch mit denen der Kanälchen zusammenhängen. (Kochsalz-Osmiumflsierung, Färbung mit Eisenhämatoxylin.) die Fäden des Reticulum (meine Zellfortsätze) mit den Wandungen der Blut- und Lymphgefäße und der Nierenkanäle zusammenhängen. Die Maschen dieses Netzes stehen nach meiner Ansicht direkt mit dem Lymphgefäßsystem in Verbindung. b) Nerven der Niere. Die Nerven der Niere haben in neuerer Zeit eine eingehende Bear- beitung erfahren, sowohl was ihre \Yurzelgebiete als was ihre Verbreitung in den einzelnen Abschnitten des Organs anlangt. Nöllner^) hatte unter Eckhards Leitung gezeigt, daß beim Hunde mit dem Splanchnicus major und mit den als Splanchnicus minor zusammengefaßten drei Asten für die Niere bestimmte Nerven zu dem oberhalb und hinter der Nebenniere gelegenen Nervennetze gelangen, in welchem durch eingestreute Ganglien die Fasern eine vielfältige Verknüpfung erfahren, ebenso wie sie durch Verbin- dungsfäden mit dem Plexus coeliacus in Austausch treten. Von hier aus laufen Bündel feiner Nervenfäden einmal zur Nierenarterie, um auf dieser ein fein- maschiges Geflecht zu bilden und mit ihr zum Nervenhilus zu ziehen ; ein anderer Teil der Nerven steigt als mehr selbständige Stränge mit dem Harn- 1) Eckhards Beitr. z. Auat. u. Physiol. 1869, IV, S. 139, Taf. IV. Nerven. 229 leiter zum Nierenbecken enapor. Vom Sinus renalis ab kann man die Nerven immer als Begleiter der Gefäßzweige verfolgen. Retzius^) fand bei Ka- ninchen und Maus, daß bis zu den Vasa afferentia bzw. bis zu den Glomerulis die Nerven jeweils um die arteriellen Gefäßbabnen feine Geflechte bilden; von diesen Geflechten gehen Endverzweigungen ab, die sich wieder teilen und deren Zweige mit varicösen Verdickungen in der Wand der arteriellen Ästchen endigen, „offenbar zur Innervation der Arterienwand dienend". Disse^) konnte aber weiterhin zeigen, daß diese selben Gefäßnerveu zu den Rindenkanälchen Äste entsenden, welche diese Kanälcheu umspinnen und Ausläufer ausschicken, die mit Endknöpf eben der Memhr. propria anliegen. Ahnliche Befunde haben v. Ebner und Kölliker erhoben; letzterer be- obachtete auch Nerven im Grenzgebiete des Markes gegen die Rinde. V. Smirnow 3) hat vermittelst der Golgischen Silberimprägnierung sowohl als mit der Ehrlich sehen vitalen Methylenblaufärbung' die Nierennerven von Embryonen und erwachsenen Individuen des Menschen, sehr vieler Säuger, von Fischen, Amphibien, Reptilien und Vögeln imtersucht. Er fand, daß in dem großen Geflechte des Sinus renalis auch Ganghen von größeren Nervenzellen eingestreut sind (nach Krause schon von Tyson an Ferkel- nieren 1870 beobachtet), die den Charakter sympathischer Ganglienzellen tragen; sie entsenden Achsenzylinderf ortsätze , die teilweise eine Maik- hülle tragen. In der Wand des Nierenbeckens bis an den Ringgraben der Papillen sah Smirnow sowohl motorische Endigungen in den glatten Muskeln als auch sensible „Endsträußchen" im subepithelialen Bindegewebe, sowie drittens interepitheliale Nervenfädchen im Epithel des Nierenbeckens. Also ähnliche Verhältnisse, wie sie im Harnleiter vorliegen. Mit den Blut- und Lymphgefäßen der fibrösen Nierenkapsel laufen Nerven, diese Gefäße mit motorischen und sensiblen (adventitiellen) Endigungen versorgend. Zugleich geben sie aber auch markhaltige Ver- zweigungen ab zu den Faserbündeln der Kapsel selbst; diese markhaltigen Fasern liefern schließlich Strähne von Achsenzylinderfibrillen, welche mit Büscheln varicöser Fäden frei im Fasergewebe der Kapsel endigen. Die renalen Arterien sowohl als die Capillaren und Venen aller unter- suchten Tiere, von den Fischen bis zum Menschen hinauf, fand Smirnow von Nerven begleitet. Die dichten Nervengeflechte der größeren Gefäße liegen im Bindegewebe der Adventitia und der Media; sie senden Fasern aus, welche sowohl freie motorische Endigungen auf den glatten MuskelzeUen liefern, als auch sensible Quästchen und Büschelchen für die bindegewebigen Teile. Die motorischen und sensiblen Endigungen waren bei allen Verzweigungen bis zu den Artf. glomeruliferae und Vasa afferentia vorhanden ; ebenso an den Venae interlohulares. den „Venensternen" und den größeren Venen. Mit den Hauptverzweigungen des Vas afferens gelangen marklose, varicöse Fäserchen an die Knäuelschlingen, und ebenso ließen sich motorische Nervenendigungen an den Muskelzellen der Vasa effercntia darstellen, zumal dort, wo die glatten Muskeln am Ausgang aus der Bowm an sehen Kapsel die Wand des Vas efferens als ununterbrochene Schicht umhüllen. ') Biol. Unters., N. F., 3 (1892). — '') 1. c. u. Marb. Sitzungsber. 1898, Nr. 8. — 0 Anat. Anz. 19, 347 ff. und Taf. II, 1901. :>30 Nei'ven. Von der Wandung des Vas afferens setzen sich nun aber einzelne Nerven- fasern auch auf die KaiJselmembran fort und liefern auf der Glomerulus- ji^Q. g, kapsei zahlreiche freie, verzweigte Endigungen. An manchen Gefäßen, z. B. der Nieren von Hunden, Katzen, Nagern, ließen sich Nervengeflechte auch unter dem Endothel der Intima nachweisen, welche marklose Fäser- chen abgaben, in Büscheln aus- einanderfahrend und in Form kleiner Knöpfe anscheinend im Niveau der Endothelien endend. An den Haargefäßen der Rinde, der Kapsel, besonders aber deutlich an den langen Rindencapillaren ließ sich die dichte Umspinnung mit Nervennetzen gut beobachten, ebenso die kleinen geknöpften zwei- und dreifachen Endreiser (s. Fig. 91). In Übereinstimmung mit Disse, Azoulay, Berkeley beobachtete nun Smirnow, daß aus den Gefäß- nervenstämmchen auch Nerven für die Harnkanälchen entspringen, ähnlich wie Smirnow es für das Lungenparenchym nachgewiesen hat. Diese marklosen Nerven bilden auf der Menibr. propria ein Geflecht: von seinen Maschenfasern gehen varicöse Nervenfädchen ab, welche in kleinen, auf der äußeren Fläche der Memhr. propria gelegenen Büscheln enden, = epilemmale Nervenendigungen, bisher nur an den Tub. contortis und auf der äußeren Oberfläche der Bow man- schen Kapseln beobachtet. Aber die Fasern des epilemmalen Geflechtes senden nun durch die Menibr. pro- pria Fasern zwischen die Epithel- zellen der Kanälchen hinein, welche diese Zellen mit quasten- und wein- traubenartigen Endgebilden um- kleiden = hypolemmale Nerven- endigungen. Diese Endgebilde — welche sehr an die sogenannten sekretorischen Nervenendigungen in den Speichel- und Milchdrüsen, den Briinner sehen, den Labdrüsen erinnern — finden sich sowohl in den Querschnitt durcli gewundenes Harnkanälchen vom Frosch (vitale Methylenblaulärbung der Nerven). Bie an der Blutcapillare Geflechte bildende Nerven- faser gibt auch Epithelnervenfasern ab (v. Smir- now, Anat. Anz. 19 [1901]). Fio-. 92. Schnitt aus einem Stück Kiudensubstanz der Niere eines Menschen. Nervenfärbung durch Methylen- blau. Gewundenes Kanälchen mit epilemmalen Nervenfasern, von denen epitheliale Äste abgehen (v. Smirnow, Anat. Anz. 19 [1901]). Nerven. 231 Fig. 93. gewundenen als in den geraden Harnkanälchen ; in einfacherer Form auch in den Sammelkanälchen und in den Ductus papilläres. Von den Nervenstämmchen, welche an den dorsalen arteriellen Haupt- ästen und an den venösen Arkaden verlaufen — also von den Basen der Malpighi sehen Pyramiden herkommend — gehen die Nerven ab für die Marksubstanz; sie ziehen anfänglich vornehmlich in der Längsrichtung, werden aber bald von schrägen und queren Faserbündeln durchkreuzt, die zumal an den Nierenwarzen sehr zahlreich sind. Diese Bündel liefern Ge- flechte sowohl für die Blutgefäße des Markes als füi- die Markkanälchen selber. Letztere Geflechte senden zarte Fasern zwischen die Epithelzellen hinein und geben zugleich auch kleine End- büschel — wohl sensibler Natur — für das interstitielle Bindegewebe ab. Haben also die neueren Unter- suchungen ergeben, daß neben der außer- ordentlich reichen Versorgung der Nieren- gefäße mit Nerven auch solche für das Kanälchensystem vorhanden sind, die immer als Zweige der Gefäßnerven sich darstellen, so ist für die Frage nach der Provenienz dieser Nerven vorläufig nur der vasomoto- rische Anteil in den Dienst der experimen- tellen Prüfung gestellt worden. Durch Reizung der kleinen Nervenstämmchen, welche zum Hilus der Niere ziehen, kann man leicht rasche und starke Volum- abnahme der Niere und Verminderung der Harnmenge erzielen. Rose Bradford ^) hat vermittelst der onkometrischen Methode (s. später) versucht, die Wurzelanteile der Nierengef äßnerven festzustellen, welche, wie oben erwähnt, vornehmlich durch die Nn. splanchnici den Grenzstrang verlassen. Bei successiver Reizung der einzelnen ventralen Rückenmarkswurzeln zeigte sich, daß Nierenkontraktion (d. i. Volumvermin- derung) vom 6. Dorsal- bis zum 2. Lumbalnerven am Hunde zu erhalten war ; da die vasomotorischen Fasern dieser Wurzeln aber nicht nur zu den Nieren, sondern mit mehr oder minder großen Anteilen zu den gesamten Baucheingeweiden verlaufen, so trat immer starke Blutdruckerhöhung auf, welche natürlich bei Reizung der Nierenstämmchen fehlt. Diese für ein Organ von so geringer Ausdehnung außerordentlich große Zahl der innervierenden Rückenmarkssegmente wird verständlich, wenn man die Erstreckung der ersten Anlage in Betracht zieht. Jedoch sind die genannten Wurzeln keines- wegs von gleicher Bedeutung; die Hauptmenge der vasomotorischen Fasern für die Niere stammt vom 10., 11., 12. und 13. Dorsalsegment, deren Hadices ventrales als eigentliche Nierenne rvenwurzeln zu bezeichnen sind, d. h. sie führen überwiegend Nierengefäßfasern im Vergleich zur Menge ihrer Vasomotoren für die übrigen Eingeweide. Indem Bradford die be- kannten Tatsachen der langsameren Degeneration der Vasodilatatoren gegen- Zwei gerade Kanälchen und zwischen ihnen eine Blutcapillare aus der Malpighi^chen Pyramide der Niere eines Hamsters (Chrom- silbermethode von Golgi) nach v. Smir- now (Anat. Anz. 19 [1901]). ') Journ. of Physiol. 10, 358 ff., Taf. XXIII bis XXVI, 1889. 232 Nerven. über den Constrictoren, des besseren Ansprechens der ersteren auf niedrige Reizfrequenzen und der langen Nachwirkung sich zunutze machte, konnte er nachweisen, daß die obengenannten untersten Dorsalwurzeln auch die Haupt- menge der gefäßerweiternden Fasern für die Niere führen (s. a. später). Zweiter Teil: Die Nierenalbsonderimg. Die vorstehend betrachteten anatomischen Verhältnisse lassen den Schluß zu, daß die Niere als echte Drüse aufzufassen ist, welche einmal Stoffe, die ihr durch Blut- und Lymphstrom zugeführt werden, zu speichern und zu secernieren vermag. Daneben ist sie imstande, auch blutfremde Stoffe selbst- ständig zu bilden und ebenfalls auszuscheiden. Beweis dafür die bekannten Durchblutungsversuche an ausgeschnittenen Nieren von Sclimiedeberg und Bunge 1). Wurden dem Blute Benzoesäure und Glykokoll zugesetzt, so vermochte die Niere Hippursäure daraus zu bilden. Nun zeigt aber die Niere andererseits in ihrem Bau und in ihrer Vascu- larisation erhebliche Abweichungen von anderen Drüsen derart, daß ihre Kanäle eine Reihe verschiedenartig gebauter und verschieden funktionierender Drüsenabschnitte hintereinander geschaltet darstellen; weiterhin ist die Hauptmenge der von ihr ausgeschiedeneu Stoffe doch im Blute schon fertig vorhanden und steht die Konzentration ihres Sekretes in einem ganz auf- fälligen Parallelismus mit der Wasseraufnahme und dem Wassergehalt des Organismus — alles Tatsachen, welche unwillkürlich die Annahme aufdrängen, daß in dieser Drüse die Bildung des differenten Sekretes mit ganz besonderen Hilfsmitteln sich vollziehe. In der Tat hat auch Bowman^), der zuerst den Bau der Malpighi sehen Körperchen erkannte und in seiner Bedevxtung würdigte, aus seinen anatomischen Untersuchungen geschlossen, daß die Niere einmal als Filter wirke, um Wasser aus dem Blute abzuscheiden, zum anderen, daß sie dem Filtrat vermöge der sekretorischen Tätigkeit der Harnkanälchen bestimmte Stoffe beimenge und damit dieses Filtrat zum Harn gestalte. Für erstere Ansicht schien ihm zu spi'echen , daß auf jedes gewundene Harn- kanälchen mit seiner außerordentlich bedeutenden Oberflächenentwickelung nur ein Malpighisches Körperchen komme, eingestülpt in das blinde Ende desselben, wodurch sein Gefäßknäuel direkt an die innere Oberfläche der secernierenden Röhre gelange, und daß dieser Gefäßknäuel (das Wundernetz) aus einem zuführenden Rohr (Vas afferens) entstehe und sich wieder zu einem abführenden Gefäß (Vas eff'erens) sammle, eine Einrichtung, die eine Verlangsamung der Strömung mit entsprechender Hochhaltung des Blut- druckes in den Knäuelgefäßen bedinge. Weiterhin ändere das Epithel der Kanälchen im Binnenraum des blinden Kanalendes plötzlich seinen Charakter; dieser Raum sei mit einem Flimmerepithel ausgekleidet (nur deutlich bei oben erwähnten Tieren), das den aus dem Knäuel filtrierenden Wasserstrom in das Harnkanälchen treibe, also jede Flüssigkeitsansammlung in der Kapsel ver- hindere und somit stets eine erhebliche Druckdifferenz zwischen dem Inhalt der Glomerulusgefäße und dem Kapselraum aufrecht erhalte, welche die 0 Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. G, 233, 1876. — "0 Phil. Transactions Loudou 1, 57 ff., 1842. Nierenabsonderung. 233 Filtration natürlich begünstigen müsse. Den zweiten Teil seiner Theorie, nach welchem den Harnkanälchen sekretorische Funktion zukomme, gründet er auf das Aussehen der auskleidenden Zellen , welche durchaus Drüsen- epithelien glichen, und auf die außerordentliche Ausdehnung ihrer durch die vielen Windungen vergi'ößerten Oberfläche. Ludwig 1), dem wir die genaueste Kenntnis vom Bau und von der Vascularisation der Niere verdanken, begründete die Ansicht Bowmans von der Filternatur der Glomeruli noch fester durch den Nachweis, daß der Überzug, der die Capillaren vom Kapselraume trennt, dieselben einfach über- spannt und zusammenheftet; weiterhin, daß das Vas efferens enger sei als das Vas afferens und in der Tiefe des Knäuels beginne. „An diesen Punkten (den Glomerulis) nämlich wird durch den Blutstrom, der hier aus einem engeren Lumen (Vas afferens) in ein weiteres (den Glomerulus selbst) und dann wieder in ein engeres (Vas efferens) strömt, nach hydraulischen Gesetzen ein bedeutender Druck auf die Gefäßwandungen ausgeübt. Durch diesen Druck wird durch die feinen Gefäßhäute ein gewisses Quantum Flüssiglceit ausgepreßt werden müssen; dieser Teil unserer Ansicht kann wohl kaum hypothetisch genannt werden" (1. c, b S. 637). Während aber Bowman die in den Glomerulis abgepreßte Flüssigkeit als Wasser ansprach, nahm Ludwig weiter hypothetisch an, daß die Wan- dungen der Knäuelgefäße die Eigentümlichkeit besitzen, von den flüssigen und aufgelösten Bestandteilen des Blutes nur Wasser, einen Teil der Ex- traktivstoffe und die freien, nur im Wasser gelösten Salze durch sich hindurch- treten zu lassen, während sie sämtliche Proteinsubstanzen, die Fette und die mit beiden in Verbindung befindlichen mineralischen Bestandteile zurück- halten. (Ludwig stützt sich dabei auf die von Brücke u. a. gemachten Erfahrungen, daß Membranen — wie Eischalenhäutchen — bei Endosmose für Eiweiß undurchgängig sind 2). Die somit abfiltrierte Flüssigkeit sei ein sehr diluierter Harn, er werde auf seinem Wege durch die langen Harn- kanälchen infolge von Wasserabgabe konzentriert. Dies sei verständlich, da die Capillaren, welche die Harnkanälchen umspinnen, aus den Vasa effcrentia hervorgehen, also ein sehr konzentriertes Blut enthalten. Heidenhain") hat die Ludwigsche Hypothese bekämpft und ihr eine andere gegenübergestellt, der zufolge alle Vorgänge bei der Harnbereitung rein sekretorischer Natur seien (S. 361). Es sollen die den Glomerulis auf- liegenden Epithelzellen das Wasser und die Salze (ClNa u. a.) secernieren, die gewundenen Harnkanälchen die „spezifischen Harnbestandteile" (Harn- stoff, Harnsäure, Hippursäure usw.); daneben scheiden sie auch unter Um- ständen etwas Wasser ab. „Der Grad der Tätigkeit der beiderlei Sekretions- zellen wird bestimmt: 1. durch den Gehalt des Blutes an Wasser bzw. an festen Harnbestandteilen; 2. durch die Blutgeschwindigkeit in den Nieren- capillaren, sofern von den letzteren die Versorgung der betreffenden Zellen teils mit dem für sie bestimmten Absonderungsmaterial, teils mit Sauerstoff abhängt. [)ie große Veränderlichkeit der Zusammensetzung des Harnes er- ') a) Wagners Handwörterbuch 2, 628 ff., 1844; b) Lehvb. d. Physiol., zweite Aufl., 2, 373, 418, 489, 1861; c) Handb. d. mikr. Anat. (Stricker). — '') Martin (Jouru. of Physiol. 20, 364, 1896) hat auch durch Gelatinefilter eiweißfreie Filtrate erhalten. — ^) Hermanns Haudb. d. Physiol. 5, I, 279 ff., 1883. 234 Nierenabsonderung. klärt sich aus den Schwaukungen in der Absonderungstätigkeit der beiderlei Zellen, deren relatiyes Verhältnis in breiten Grenzen wechselt" (1. c. S. 362 oben). Heidenhain war sich wohl bewußt, daß mit dieser „Erklärung" noch wenig gewonnen ist; er hebt hervor, daß der Vorgang der „Zelltätigkeit" vollständig dunkel, bzw. „daß die Annahme einer aktiven Zelltätigkeit nichts weniger als mechanisch verständlich sei". Wollen wir diese Voi'gänge näher ergründen, so müssen wir doch wieder zusehen, wie weit Filtration, Diffusions- und osmotische Vorgänge bei ihnen eine Rolle spielen, um den Umfang der dabei außerdem tätigen, noch unbekannten Kräfte auf ihr richtiges Maß zurückzuführen. Es wird sich empfehlen, hierbei dem Gedankengange Heidenhains zu folgen, den er bei der Abwägung aller Tatsachen für oder wider die einzelnen Theorien entwickelte, und zu untersuchen, wie nach dem jetzigen Stande des Wissens das pro und contra sich darstellt. A. Der sog. „wasserabsondernde" Teil (Malpighische Körper). I. Glomerulusflltrat und osmotischer Druck. Auch heute noch wird jeder, der sich die merkwürdige Einrichtung der Malpighischen Körper vor Augen führt, den gleichen Eindruck haben, den Bowman von ihr gewann, nämlich daß hier ein Apparat vorliege, geschickt, einen Flüssigkeitsstrom durch die Nierenkanälchen hindurchzutreiben. Nur meinte Bowman, diese Müssigkeit sei Wasser, das allenfalls Salze enthielte, indes Ludwig das Knäuelfiltrat als ein Blutserum minus Eiweiß betrachtete. Daß von einer mechanischen Abfiltrierung des Blutwassers durch den arteriellen Knäueldruck nicht die Rede sein kann, haben die Untersuchungen von Dreser^) und Tammann^) gezeigt. Beide Autoren gründeten ihre Untersuchungen auf die Tatsache, daß jede gelöste Substanz das Lösungsmittel (Wasser) festhält, und daß stets ein Aufwand von Energie nötig ist, der Lösung das Lösungsmittel zu entziehen. Ist die Lösung durch eine nur für Wasser durchgängige (semipermeable) Wand vom reinen Lösungsmittel oder von einer anders konzentrierten Lö- sung getrennt, so ist im ersten Falle eine Druckkraft gleich dem osmotischen Druck der Lösung nötig, das Wasser von ihr abzupressen, es durch die Wand hindurchzutreiben ; im zweiten Falle ist sie gleich der Differenz der osmoti- schen Drucke. Die Größe des osmotischen Druckes einer Lösung läßt sich unter anderem durch die Gefrierpunktserniedrigung (^) ermitteln und unter Berück- sichtigung der gewechselten Volumina auch die zu leistende Arbeit (s. später). Die Gefrierpunktserniedrigung (z/) des Blutes wird im Mittel zu — 0,560° C gefunden; es würde dies, bei 12 Atmosphären für 1" Gefrier- punktserniedrigung, einem Druck von etwa 7 Atmosphären entsprechen, oder über 5000mm Hg 3). Nach Tammann (1. c.) ist der Anteil der osmotischen Drucke der organischen Substanz eines Pferdeblutes von — 0,56'^ C etwa mit 840 mm Hg anzusetzen: der des Traubenzuckers bei 0,05 bis 0,1 Proz. Gehalt 1) Arch. f. exp. Pathol. 29, 303 ff., 1892. — "") Zeitschr. f. pliysik. Chem. 20, 180 ff., 1896. — ^) Betreffs der Methodik osmotischer Druckbestimmungeu und ihre Berechnung aus Gefrier])unktserniedrigung usw. muß ich wieder auf die von Overton in diesem Handbuch gegebene Darstellung verweisen. Filtration im Glomerulus. 235 mit 50 bis 100 mm Hg, des Harnstoffes bei 0,01 bis 0,05 Proz. mit 30 bis 180 mm Hg. Der osmotische Druck der Eiweißkörper ist, nach dem hohen Molekulargewicht zu schätzen, sehr gering; berechnet man ihn, wie Dreser (1. c.) und Tammann taten, auf Grund der Differenz der Gefrierpunkts- erniedrigungen des normalen und des enteiweißten Serums, so erhält man •ebenfalls sehr geringe Werte, aber die erhaltene Gefrierpunktsdifferenz von etwa ^^200*' C fällt schon in den Bereich der Versuchsfehler der kryoskopischen Methoden. Starling') hat daher versucht, durch einen sinnreichen Apparat den osmo- tischen Druck der Serumeiweißkörper direkt zu bestimmen. Als colloidundurch- gängige Membran des Osmometers benutzte er zwei Schichten von Kalbs- peritoneum, durch eine Gelatinehaut getrennt und auf ein Hohr von Silbergaze montiert. Die Membran trennte ein Serum, das durch Filtration vermittelst einer gelatinegetränkten Tonzelle hergestellt war — oder eine isotonische Salzlösung — von dem Rückstand auf dem Filter bzw. von einem Serum. Alles war vor Ver- -dunstung geschützt, und es wurde nun der ganze Apparat tage- und wochenlang in schaukelnder Bewegung erhalten, um die Flüssigkeitsschichten an beiden Seiten der Membran fortwährend zu erneuern. Ein mit dem Colloidrohr verbundenes Hg-Manometer gab die erhaltenen Drucke an. Starling fand im Mittel für 1 Proz. Colloidsubstanz etwa 4mm Hg- Druck; bei einem Gehalte des Blutserums von 7 bis 8 Proz. Eiweißkörpern •ergäbe das 25 bis 30 mm Hg osmotischen Druck. W. Reid-) erhielt ähn- liche Werte für den osmotischen Druck pro 1 Proz. Eiweiß (Hühnereiweiß oder Blutserum), die ebenfalls wie bei Starling in einer gewissen Breite schwankten. Daß der osmotische Druck dieser Substanzen, wie aus den Untersuchungen von Reid (1. c.) hervorgeht, nicht auf die Eiweißkörper selbst, sondern auf Spaltprodukte der Proteide zu beziehen ist, ist für die vorliegende Betrachtung belanglos. Soll, wie von Bowman angenommen wurde, im Glomerulus Wasser vom Blutplasma abfiltriert werden , so könnte das nur unter Überwindung des osmotischen Druckes des letzteren geschehen , also eines Druckes , der 7 Atmosphären übersteigen müßte. Aber selbst wenn wir- mit Heidenhain (1. c. Handb., S. 361) annehmen, daß die Glomeruli mit dem Wasser auch die Salze des Blutes vom Plasma absondern und nur die freigelösteu kristallini- schen organischen Bestandteile (Harnstoff usw.) zurückbleiben, so müßte, ein Abpressen vorausgesetzt, ein sogar die Aortenspannung um ein Mehrfaches übertreffender Druck dazu benötigt werden (s. oben). Um ein Urteil darüber zu bekommen, von welchen Teilen des Plasmas ein Glomerulusfiltrat ab- gepreßt werden, um welche Plasmabestandteile ein solches Filtrat ärmer sein könne, müßten wir den Minimaldruck kennen, unter welchem über- haupt noch Harn abgesondert wird, oder gegen welchen Ureterdruck bei normalem Glomerulusdruck die Niere noch Harn absondern kann. Über ersteren Punkt, die Blutdruckgrenze, welche eben noch Harnsekretion er- laubt, geben die Versuche von Goll, von Ustimowitch, die bei 40 mm noch Harnabsonderung, und von Grützner, der bei 30 mm Aortendruck noch einzelne Tropfen aus dem Ureter kommen sah, Auskunft. Das gäbe, wenn wir mit Tammann nach Wuudt den Glomeruliisdruck um 20 Proz. ') Journ. of Physiol. 19, 312, 1896 und 2-t, 317 ff., 1899. — '^) Ebenda 31, 438 ff., 1904. 236 Filtration im Glomerulus. geringer als den Aortendruck annehmen, 32 bzw. 24 mm Knäueldruck. Schröder^) hat bei einem Kaninchen in Koffeindiurese bei einem durch Chloralhydrat auf 40 bis 50 mm Hg berabgedrückten Aortendruck noch Harn- abscheidung erhalten. Der minimale Blutdruck, der noch Harnsekretion erlaubt, ist also, wie gefordert, ein wenig höher als der osmotische Druck der Eiweißkörper. Was den zweiten Punkt anlangt, so fand Heidenhain (Handb., S. 326) am Hunde bei 100 bis 105 mm Aortendruck einen Maximal- druck des Ureters von 64 mm. Starling-) hat bei einem Diureseversuch mit Injektion von Diuretin bei 32 mm Druckdifferenz zwischen Aorta- und Ureterendruck Gleichgewicht beobachtet. Er sieht in diesem Umstände ein ziemlich schwerwiegendes Argument für die Ludwigsche Ansicht, daß der in den Glomerulis sich abspielende Prozeß der einer Filtration ist. Die nahe Beziehung zwischen den Werten für den osmotischen Druck der Eiweißkörper und den Zahlen für die minimalen, noch Harn liefernden Blutdruck- höhen würde diese Ansicht auch noch stützen, wenn wir gemäß den Einwänden Heidenhains — oder in Konsequenz der Ludwig sehen Hypothese einer Rückresorption aus den Kanälchen — den Stillstand des Ausflusses bei einem gewissen Ureterdruck nicht durch Aufhebung der Filtration bedingt ansehen, sondern als einen Gleichgewichtszustand, bei welchem in gleichem Ausmaße resorbiert wie secerniert wird. G o 1 1 1 i e b und Magnus^) glauben diese Heidenhainsche Auffassung durch ihre Versuche zu stützen, indem sie zeigten, daß der Ureterendruck bei gleichbleibendem oder sogar bei steigendem Carotis- druck fallen kann. Nun ist aber ja, wie unten noch näher erörtert wird, der Glomerulusdruck auch bei gleichbleibendem Blutdruck abhängig von den Wider- ständen der Strombahn, und andererseits geben Gottlieb und Magnus (I.e., S. 249) selbst an, daß raschen Schwankungen des arteriellen Druckes auch das Ureteren- manometer zu folgen pflegt. Weiterhin ist aber bei ihnen ein auffälliger Parallelis- nius zwischen Blutdruck und Harnsekretion zu bemerken, denn in dem Versuche von Gottlieb und Magnus, in welchem sie durch kontinuierliche intravenöse Infusion von warmer 0,9 proz. ClNa-Lösung eine profuse Diurese hervorriefen, dann aber dui'ch wiederholte intravenöse Injektion von 4 Proz. Chloralhydratlösung den Blutdruck allmählich herabsetzten, fiel mit sinkendem Blutdruck gleichmäßig auch die abgesonderte Harnmenge. Letztere wurde an der rechten Niere bestimmt mit freiem Ureterausfluß; der linke Ureter war mit Manometer armiert. Bei einer Differenz zwischen Ureterdruck und Blutdruck von 6 mm Hg der linken Niere wird von der rechten Niere in fünf Minuten noch 0,3 cm^ Harn secerniert ; der Blut- druck ist jetzt etwa 22 bis 23 mm Hg; bei 16 mm Druck trat noch ein Tropfen Harn hervor. Das Ureterenmanometer ist mit sinkendem Blutdruck ebenfalls ge- fallen, bleibt dann auf etwa 18 mm Hg stehen, um ganz am Schluß noch etwas abzusinken. Es ist nun keineswegs gesagt, daß bei dem niederen Blutdruck, wo derselbe dem Ureterendruck nahe kommt, die linke Niere auch noch secerniert habe; die gleichzeitige Sekretion der rechten Niere beweist dafür nichts. Es ist aus ihr nur zu entnehmen, daß bei ganz extremer Blutverdünnung auch Drucke unter 30 mm Hg noch etwas Sekretitm erlauben. Ob das Sekret noch Glomerulus- filtrat ist oder von den Kanälchenepithelieu geliefert wii'd, sei hier dahingestellt. Stellen wir uns auf den Standpunkt einer Filtration im Glomerulus auf Grund der dargelegten Bedingungen , so müßte das P'iltrat ein Blutplasma sein, vermindert um das Bluteiweiß bzw. um die an Colloide gebundenen Stoffe. Es müßte weiterhin die Stärke des Filtrationsstromes mit der Höhe des Blutdruckes gleichmäßig steigen und fallen, vorausgesetzt, daß mit diesen Druckänderungen keine Änderungen in der Beschaffenheit des Blutes und ') Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. '^2, 39, 1887. — -) Journ. of Physiol. 24, 322, 1899. — '■') Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 45, 248 ff., 1901. Filtration iai Glonierulus. 237 der filtrierenden Wände gesetzt würden, wobei namentlich die Grenzschichten von Blut und Wand in Betracht kämen. Nun ist aber der Harn nur in ganz seltenen zufälligen Fällen einem Glomerulusfiltrat — etwa gemessen an der Gefrierpunktserniedrigung — gleichzusetzen ; unter gewöhnlichen Verhältnissen liegt sein Gefrierpunkt sehr viel niedriger ; es muß also eine bedeutende Konzentration stattgefunden haben. Diese kann einmal geschehen sein durch Hinzutreten von Stoffen auf dem Wege vom Glomerulus durch die lange Bahn der Rinden- und Markkanälchen — im ersten Teile wurde sfezeist, daß alle histio - physiologischen Momente für eine echte Sekretion in gewissen Abschnitten dieser Bahn sprechen — , zum anderen kann eine Resorption von Wasser stattgefunden haben — was Ludwig annahm — , zugleich auch mit einer Rückresorption gelöster Substanzen. II. Einfluß des Blutdruckes auf die Harnabsonderung. Daß mit Steigen und Sinken des Druckes im arteriellen System bzw. in den Nierengefäßen die abgesonderte Harnmenge steigt und fällt, hatte schon Ludwigs Schüler GolP) gezeigt; die betreffenden Tatsachen sind seitdem vielfältig bestätigt worden: ich erinnere nur an Hermanns Versuche mit Verengerung der Nierenarterie: an Cl. ßernards und Eckhards Beobach- tungen, daß auf Reizung der vasoconstrictorischen Nierennerven Anurie, nach Durchtrennung derselben Polyurie eintritt u. a. Der Einwand Heideu- hains (Handb., S. 324 ff.), daß auf Abklemmung der Nierenvene die Harn- absonderung sofort stark herabgeht und in kürzester Zeit vollständig versiegt, obwohl hierbei der Knäuel druck rasch auf die Höhe des Wertes in der Ali. renalis kommen muß, ist nicht stichhaltig. Denn der Blutstrom in den Nierengefäßen muß dadurch zum Stillstand kommen, und zwar nach dem, was oben über die Gefäßanordnung im Glomerulus, über das Fehlen von Klappen im ganzen Venenbezirk gesagt wurde, fast momentan. Der starke Druck preßt jetzt noch etwas Glomerulusfiltrat hindurch, treibt also an der Wandschicht die Konzentration des Blutes sofort in die Höhe; da nun aber wegen des Stillstandes des Stromes neue, weniger konzentrierte Schichten nicht herantreten, so muß in kürzester Frist die Filtration versiegen. Die Konzentrationszunahme durch Abj^ressen von Quellungswasser der Colloid- substanzen konnte so lange steigen, bis der Quellungsdruck derselben den Filtrationsdruck überwog. Daß bei diesem Versuch der wenige, anfänglich noch erscheinende Harn eiweißhaltig ist, kann wohl auf eine Veränderung der Wände der Glomeruluscapillaren bzw. des Knäuelsyncytiums, die unter dem vollen Arteriendruck übermäßig gespannt werden, zurückzuführen sein. Enthielte die in den Glomerulis strömende Flüssigkeit nur filtrierende Stoffe, so müßte die Druckerhöhung durch Venenstauung wie jede andere, nämlich verstärkend auf den Filtratstrom wirken. Tammann (1. c) hat in Verbindung mit Kobert frische Ochsennieren mit Lösungen von 0,75 Proz. Chlornatrium, denen entweder Zucker oder Harnstoff oder Gummi arabicum zugesetzt war, unter einem Drucke von 100 mm Hg und bei Bluttemperatur pei'fundiert. Die aus dem Ureter strömende Flüssigkeit wurde genau analy- ') Zeitschr. f. rat. Med., N. F., 4, 86, 1854; s. auch Heidenhaiii, Haudb., S. 318 ff. 238 Filtration im Glomerulus. siert. War die Vene offen, so floß pro Minute 1 cm' Filtrat aus dem Ureter, indes zu gleicher Zeit 300 cm'' Flüssigkeit durch die Gefäße strömten. Nach Abklemmung der Vene wuchs die Menge des Filtrats gewöhnlich um das Doppelte, in einigen Fällen sogar um das Zehnfache. Nieraals verursachte die Venenabklemmung eine Verminderung oder Sistierung des Filtrates. Um dem Einwände eines eventuellen Nierendefektes zu begegnen, wurde am Ende jedes Versuches defibriniertes Blut durchgeleitet, das Ureterfiltrat wurde hierbei nicht blutig. Sein Gehalt an Trockensubstanz änderte sich im letz- teren Falle allerdings, wie zu erwarten war, indes bei obigen Lösungen der Gehalt der einströmenden Flüssigkeit und des Ureterfiltrates nur um wenige Hundertelprozent differierten. Es konnten also ohne merkliche Konzen- trationsänderungen sowohl Kochsalz, Harnstoff und Eohrzucker, als auch, Gummi arabicum (1 Proz. Lösung -|- 0,75 Proz. ClNa) durch die Wände des Glomerulusknäuels gepreßt werden. (Tammann läßt es dahingestellt, ob bei. Ludwigs Versuchen, bei denen Gummi arabicum nicht filtrierte, etwa dies an der Versuchsanordnung gelegen habe.) Geht aus diesen Versuchen hervor, daß dem Drucke ein direkter Einfluß auf die Menge der Glomerulusabschei- dung zukommt, so zeigen sie andererseits, daß, im Falle die zu filtrierende Lösung einen nicht durchgehenden Bestandteil enthält — und nur um eine solche handelt es sich bei der Abscheidung von Harn aus Blutplasma — die Strömung, also die stete Erneuerung der vorbeipassierenden Lösung, eine wichtige Rolle spielt. Wird letztere oder ihre Wandschichten nur um ein weniges konzentrierter, so wird ohne Erneuerung die Filtration be- hindert. Ist also der Hei denhainsche Einwand gegen den Einfluß des Druckes hinfällig, so ist doch andererseits der Nachdruck, mit dem derselbe Forscher die Wichtigkeit rascher Strömung betont, vollkommen gerechtfertigt. Es wird sich dies zeigen sowohl bei der Beurteilung sogenannter reiner Plethoraversuche (Magnus) als bei den Versuchen, eine Überschlagsrechnung über die Blutmengen anzustellen, welche die Niei-e durchströmen, vor allem aber bei der Erörterung über die Möglichkeit einer Rückresorption von Wasser. Die genauen Angaben von Tammann und Kobert nebst den analytischen, Belegen für das erhaltene Filtrat lassen einen Zweifel an der Eichtigkeit ihrer Resultate nicht wohl aufkommen. Nun hat aber Sollmann') an Hundenieren andere Resultate erhalten. Er hat an überlebenden bzw. toten Nieren (s. unten) gezeigt, daß die Perfusion mit Salzlösungen ein Ureterensekret liefert, das durch reinen Filtrationsprozeß zustande kommt; er hat nun weiter, wie schon Ludwig^ 1863, gefunden, daß Venenverengerung die Menge des Filtrates herabsetzt und daß Venen Verschluß unter starkem Anschwellen der Niere die Sekretion so gut wie aufhebt, was auch Munk und Senator an ausgeschnittenen Hundenieren beobachteten. Er findet auch wie Paneth*), daß nach Aufhebung der Venen- kompression die Ausflußmenge noch eine Zeitlang herabgesetzt bleibt, und glaubt, daß dies auf die vorhergehende Zusammenpressung der Glomerulusschlingen zurück- zuführen sei. Die gegenteiligen Resultate von Schwarz^), welcher Blutgerinnung- als die Ui-sache von Heidenhains Befund anspricht, konnten von de Sonza*) nicht bestätigt werden ; sie werden auch hinfällig durch das ausnahmslose Ver- siegen des Harnabflusses in Sollmanns Versuchen mit Salzlösung. Sollmann hat durch Experimente an Modellen die Überzeugung gewonnen, daß, ganz ') Amer. Journ. of Physiol. 13 (1905). — ') Pflügers Arch. 39, 515 ff., 1886. — '■') Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 43, 1, 1900. — ") Journ. of Physiol. 26, 139, 1901. Onkometrie. 239 wie Ludwig es augab, die Ursache des Versiegens in einer durch. Ausdehnung aller Gefäße bedingten Kompression der Harnkanälchen und vielleicht auch der Glomeruluskapselräume zu suchen ist. Ob nun die anatomischen Verhältnisse in der Ochsenniere gegenüber denen der Hundeniere derart liegen, daß Tammanns Befund dadurch eine Erklärung fände, muß erst weiter untersucht werden. III. Die Größe der Nierendurchblutung (Onkometrie). Für die BeurteiluDg von Ludwigs Annahme, daß im Glomerulus ein enteiweißtes Blutplasma einfach filtriei'e, ist natürlich das Studium des Par- allelismus zwischen der Stärke des Blutstromes in der Xiere und der Stärke der Harnabsonderung von großer Wichtigkeit. Solange man nur aus der Höhe des Aortendruckes Schlüsse auf die Nierendurchblutung zog, war die Beurteilung dieses Parallelismus eine unsichere, die auch nicht viel mehr Sicherheit gewann durch die Befunde nach experimenteller Kompression der E Fig. 94. Fig. 94 a. "1 -L K o y s Onkometer. A äußere Schalen, B innere Schalen, C Fixierschraube, D Schließkliuke, E Doppelkanüle (zur Füllung und zur VerbimUmg mit dem llegistrier.apparat), F Schließkork, G Niere, H Membran, K Gefäßbündel der Niere, L Ilalbrinnen, die den Hals bilden. (V^ nat. Gr.) Virchows Arch. 92, Taf. XII. Nierengefäße. Einen bedeutenden Fortschritt brachte hier die plethysmo- graphische Methode, wie sie von Roy^) bzw. von Roy und Cohnheim 2) in Gestalt des Onkometers angewendet wurde. In zwei Metallschalen , die ein Scharniergelenk verbindet, werden durch zwei ebensolche, genau dareinpassende Schalen dünne Membranen (Kalbsperitoneum des Handels^) in mäßiger Spannung vermittelst Schrauben (C) fixiert, der Raum zwi- schen Kapsel und Membranen durch die hohlen Schrauben hindurch mit warmem Ol gefüllt und zwischen die Membranen die Niere ebenfalls in Öl gebettet. Die Nierengefäße und Nierennerven sowohl wie auch der Ureter treten durch eine Halbrinne {L) an jeder der Kapseln nach außen; werden letztere zugeklappt und mit einer Klinke (D) verschlossen, so bilden die Rinnen ein Rohr, in welchem die Ge- ^) Journ. of Physiol. 3, 205, 1880. — *) Virchows Arch. 92, 424, 1883. — ^) Angegeben von Roy (Journ. of Physiol. 1 (18), 454; 2 (18), 325; 3 (18), 203. 240 Onkometrie. fäße mit Vaselin ohne Behinderung der Strömung abgedichtet werden können. Die eine Kapselschrauhenöffnung wird dann durch einen Kork verschlossen, die andere mit einem volumetrischen Horizontalrohr oder mit einem Volumenschreiber ver- bunden, das Onkometer so zum Onkographen gestaltet. Eine von Schäfer') bei Gelegenheit der Anwendung der Methode auf die Milz angegebene Modifikation des Onkometers durch Formung der Kapseln ad hoc aus Guttapercha bewährt sich auch für die Niere. ThomiDson'^) hat es sehr zweckmäßig gefunden, die 01- temperatur durch Versenkung des Onkometers in einen Temperator. aus zwei Doppelhalbkugeln bestehend, deren Hohlraum von konstaut temperiertem Wasser durchflössen wurde, auf der gewünschten Höhe zu halten. Es lassen sich auf diese Weise aucli die kleinsten Volumenänderungen der Niere, hervorgerufen durch den wechselnden Blutstrom, nachweisen. Um aber die aufgezeichneten Volumschwankungen zur Gewinnung eines Bildes der Druck- und Strömungsverhältnisse in den Nieren zu verwerten, ist immer zu bedenken, daß einmal das Volumen abhängt sowohl von der Stärke des arteriellen Zuflusses als von der des venösen Abflusses — es muß also immer daneben eine Kontrolle des allgemeinen Blutdruckes einhergehen — ; zum andern aber, daß bei der außerordentlich reichen, bis zu den kleinsten Ka- libern herabgehenden Versorgung der Nierengefäße mit Gefäßuerven die Schwankungen des Nierenvolumens keine Auskunft darüber geben, ob alle Teile des Nierengefäßsystems gleichmäßig oder nicht gleichmäßig daran teil- haben und welche Orte vornehmlich von den Veränderungen betroffen sind. Lamy und Mayer 3) haben der onkometrischen Methode den Vorwurf gemacht, daß die mehr oder weniger starke und wechselnde Imbibition des Nieren- parenchyms Volumenänderungen hervorbringe, daß also aus diesen nicht zwingend auf eine Änderung der Durchblutung geschlossen werden könne. Abgesehen davon, daß die Volumänderungen sich sehr rasch vollziehen, gibt die Inspektion der Nierenvene (s. später) einen unzweideutigen Aufschluß darüber, ob wirklich die stärkere Blutdurchströmung für einen steigenden Onkometerausschlag die Ursache war, und umgekehrt. Behält man diese Verhältnisse im Auge, so stellt die onkometrische Methode eines der wert- vollsten Hilfsmittel zur Fuuktionsprüfung der Nieren dar, zumal sie der gleichzeitigen Messung der aus den Ureteren fließenden Haruvolumina kein Hindernis entgegenstellt. Die Angaben der onkographischen Kurven liefern ein sehr treues Bild der Schwankungen in der Nierendurchblutung; es könnten auch aus den mit Schwimmer erhaltenen Kurven nach Ficks Methode die Variationen der Geschwindigkeit in der Arf. renalis abgeleitet werden, aber Maßangaben über die durchfließenden Blutmengen liefern sie natürlich nicht. Man hat auf verschiedene Weise versucht, eine Anschauung von den Blutmengen, welche die Niere während eines gewissen Zeitabschnittes durch- strömen, zu gewinnen. Heidenhain (Handb., S. 342) hat eine Überschlags- rechnung der in 24^ durch die Nieren strömenden Blutmengen aufgestellt, um nachzuweisen, daß die Annahme einer Filtration in den Glomerulis mit folgender Bückresorption von Wasser in den gewundenen Kanälchen zu un- geheuerlichen Annahmen führe. So sehr berechtigt ein Teil der Heidenhain- schen Bedenken ist (s. unten), so ist doch seine Berechnung der Nierendurch- blutung kaum den wirklichen Verhältnissen entsprechend. 0 Journ. of Physiül. 20 (1896). — '^) Ebenda 25, 503/504, 1900. — ^) Journ. de physich et pathol. gener. 6, 1069, 1904. Anteil dei' Nieren am Blutstrom. 241 Heidenhain nimmt, was wohl annähernd richtig ist, drei Kreisläufe pro 3Iinute an ; bei 6 kg Blut in einem Individuum von 75 kg Körpergewicht gibt das rund 26 000 kg oder 24 500 Liter Blutdurchfluß durch den Körper in 24ii. Durch die Aorta flössen also 300 cm^ Blut pro Sekunde. Setzen wir, gemäß geltenden Annahmen, 500 mm/sec Längengeschwindigkeit in der Aorta, so resultierte ein Querschnitt der Aorta von 600 mm''' = 6 cm*. Tigerstedt') gibt 4,4 cm* für den Querschnitt; dies ist wohl zu wenig, denn die Messungen von Suter*) über „Aortenumfang intra vitam" ergeben bei Leichen von 151 bis 170 cm Länge im Mittel 10,87 cm Umfang der unter 171 mm Hg Druck gesetzten Aorta. Eechnen wir rund 10,5 cm, so entspricht das einem Kadius von 1,7cm; die "Wanddicke der Aorta unter 170 mm Hg beträgt etwa 3 mm; das ergäbe einen lichten Querschnitt von 6,2 cm°. Dieser Wert weicht von dem durch obige Eechnung gefundenen nur wenig ab. Heidenhain nimmt nun an, daß das relative Gewicht der Nieren (= Yäoo des Körpergewichts) auch als Maß ihres Anteils an der Blutdurchströmung gelten könne. Betrachtet man die außerordentlich reiche Vascularisation der Niere (schon Henle wies darauf hin), so muß diese Annahme unwahrscheinlich dünken. Auf Grund obiger Zahlen ließe sich vielleicht eine andere Eechnung aufmachen, um über diese Verhältnisse einen annähernden Überblick zu gewinnen. Die Strö- mungsgeschwindigkeit in der Nierenarterie des Menschen wird, wenn wir die Dogielschen Zahlen in Betracht ziehen, etwa mit 100 bis 120 mm/sec anzu- setzen sein. Dieser Wert Avird eher dem minimalen entsprechen. Ich habe nun an Stümpfen der Nierenarterien von frischen, mittelgroßen Leichen Messungen angestellt, indem ich einmal diese Gefäße dehnte durch physiologische ClNa- Lösung unter Drucken von 100, 130, 150 und 170 mm Hg; ich erhielt Durchmesser (mit Kaliber außen gemessen) von 7,1, 7,1, 7,4, 7,6 mm*). Dehnte ich durch Ein- führen eines konischen Glasstabes die Arterie wieder auf 7,6 mm, so betrug die Wanddicke 0,3 mm; bei 7,1mm 0,5 mm. Für die lichte Weite wäre also bei mitt- leren Drucken als Eadius 3 mm bzw. 28,3 mm^ als Querschnitt anzusetzen. Für 3 mm Eadius und 100 mm/sec Längengeschwindigkeit ergäbe das ein Sekund- volumen von 2,8 cm^ bzw. 241 Liter/24li für eine und 482 Liter für beide Nieren. Pur 120 mm/sec erhielten wir 588 Liter/sec 24^^; es würden also die Nieren im einen Falle rund ^/-^q, im anderen rund ^/^^ des Gesamtstromes als Anteil erhalten. Ich setze die minimalen Werte von 100 bzw. 120 mm Längengeschwindig- keit ein, da ich ja nicht, wie Suter an der Aorta, muskelfreie Gefäße dehnte, also für die Lichtung etwas hohe, einer Gefäßerschlaffung entsprechende Werte erhielt. Tigerstedt und Landergren *), welche direkt mit der Ludwigschen Stromuhr die Volumen geschwindigkeit in der Art. renalis von Hunden maßen, beob- achteten eine außerordentlich starke Durchblutung der Nieren. Auf Grund der erhaltenen Daten rechnen sie für den Menschen bei reichlicher Harnabsonderung 480 kg Blut als Anteil beider Nieren in 24 Stunden. Eine andere Methode zur Bestimmung der Nierendurchblutung wandten Barcroft und Brodie*) an. Zur Messung des Gaswechsels der Niere (s. unten) hatten sie Hunde so hergerichtet, daß nur das Vordertier samt den Nieren, aber ohne Eingeweide und Hinterkörper vom Blutstrom durchflössen wurde. Das Blut der Nierenvene konnte von Zeit zu Zeit in ein graduiertes Glasrohr geleitet werden, und es wurde die Zeit bestimmt, welche zum Erguß von 10 cm^ benötigt wurde; da dies in drei bis sechs Sekunden geschah , war die Gefahr der Gerinnung ver- mieden, aber die Versuchsfehler mußten sich natürlich bei den daraus berechneten Minutvolumen durch Multiplikation erhöhen. In Experiment I wogen die Nieren 65 g = 0,722 Proz. oder Vigg des Körpergewichtes. Bei normaler Harnsekretion flössen 40 cm'"* pro INIinute Blut hindurch, das ergäbe pro 24 Stunden 57,6 Liter. Bei *) Physiologie des Kreislaufs, Leij^zig. — ^) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 31, 328, 1895. — ^) Einige der Niereuarterien waren deutlich konisch, sie verjüngten sich ziemlich stark bis zum Abgang der Äste — es wurde bei diesen eine mittlere Stelle gemessen. Ebenfalls waren die Querschnitte nicht selten elliptisch, doch glich sich letzteres infolge ungleicher Wandbeschaffenheit bei der Dehnung größtenteils aus. — ■») Skan. Arch. f. Physiol. 4, 291 ff., 1892. — ^) Journ. of Physiol. 32, 18 ff., 1904/05. Nagel, Phj'siologie des Menschen. II. ig 242 Anteil dei- Nieren am Blutstrom. der folgenden Salzdiurese war das Minutvolumen 73 cm'^ 109,4 Liter/24li oder 1,9 mal so viel als vorher. Übertragen wir die Werte auf die Nieren eines Men- schen von 70 kg, welche nach obiger Annahme 350g wiegen, so erhielten wir 311 Liter/24li in der Ruhe und 590,9 Liter/24li für eine Diurese. In Experiment 11 mit Nieren von 55,5 g = 0,694 Proz. des Körpergewichts waren die entsprechen- den Werte 176,5 cm^Minute (254,76 Liter/24li) in der Euhe und 200 cm^/Minute (287,2 Liter/24li) bei Diurese. Die Zahlen für die menschliche Niere Aväx-en dann 1601,2 Liter/24li bzw. 1809 Liter/24li. In Experiment III und IV, wo die Nieren- gewichtszahlen nicht angegeben sind, fanden sich 100 cm^ und 133,3 cm' Minut- volumen. Wenn auch diese Zahlen bei der Verteilung der gesamten Blutmasse auf ein sehr reduziertes Gefäßgebiet des Körpers und bei der Bestimmung nur sehr kleiner Volumina mit Vorsicht aufzunehmen sind, so darf man doch aus ihnen schließen, daß die oben angesetzten Geschwindigkeitswerte eher minimale als maximale repräsen- tieren. Sind also die vorstehend berechneten Werte nur angenäherte, so kommen sie doch ohne Zweifel den wirklichen Zahlen näher als die von Heidenhain ein- gesetzten, und sie führen daher zu weniger paradoxen Annahmen über die Verhält- nisse der Bluteindickung in den Glomefulis. Heidenhain (1. c, S. 341) gibt die Harnstoffmenge, welche in 24 Stunden ^) abgesondert wird, zu 35 g an ; diese Zahl ist sehr hoch, die Angaben von Hammarsten u. a. lauten: 30 g/24li im Mittel für Männer, für Frauen weniger. Der mittlere U-Gehalt des Blutes beträgt nach Jaksch^)beim Mensehen 0,5 bis 0,6 pro Mille. Folgen wir der Heidenhainscheu Rechnung (mit 30gU/24i), so müßten 60 Liter/24h Flüssigkeit in den Glomerulis abgepreßt und — bei 2 Liter täglicher Hai'nmenge — davon 58 Liter Wasser wieder zurückresorbiert werden, eine Schlußfolgerung, die nach Heidenhain um so bedenklicher wird, wenn man den Anteil der Nieren am Blutstrom nur mit Ygoo = 123 Liter normiert. Denn dann müßte das Blut in den Glomerulis 50 Proz. seines Volumens an Flüssigkeit abgeben. Setzen wir aber nach obiger Rechnung 482 bzw. 588 Liter Nierenblut- quantum ein, so erhielten wir nur Vg bzw. '/g des Volumens Abgabe. Diese Werte wären nicht so ungeheuerlich, aber wir brauchten auch auf sie nicht zu rekurrieren. Denn, wie oben erwähnt, kann die sekretorische Tätigkeit der Niere nicht be- zweifelt werden; wird die Konzentration an Harnstoff zum Teil durch Abgabe in den Nierenkanälchen hergestellt, so ist eine so hohe Filtratmenge bzw. eine so be- deutende Resorption von Wasser gar nicht gefordert. Und daß die Annahme einer so hohen Filtratmenge trotz Hinwegräumung der Schwierigkeit einer zu starken Bluteindickung dennoch unwahrscheinlich ist, das beruht auf dem zweiten Bedenken Heidenhains, nämüch der daraus folgenden Notwendigkeit einer Resorption von 58 Liter Flüssigkeit (s. darüber später). IV, Die Beziehungen zwischen HarnbeschafFenheit, Nieren- durchblutung und Harnmenge. Wird mit der Onkometrie die Auf sammlung und Analyse des Harns ver- bunden, so ist die Möglichkeit gegeben, der Frage, welche oben auf Grund der osmotischen Vorgänge beleuchtet wurde, nämlich ob in dem Glomerulus ein Blutplasma minus Eiweiß filtriert oder ob Wasser secerniert werde, auch von anderer Seite nahe zu treten. Findet eine Filtration statt, so muß — wie Starling (h c.) ausführt — 1. mit wachsender Absonderungs- geschwindigkeit ceteris panhus die Beschaffenheit des Harns nach Zusammensetzung, Reaktion und osmotischem Druck immer mehr der des Blutserums minus Eiweiß sich nähern; 2. muß die Harn- menge mit der Durchblutung der Niere steigen und fallen, und 3. ') Die „28 Stunden" des Oiiginals sind nur Druckfehler. — '^) Festschr. f. Leyden 1 (1901); zit. nach Hammarsten. Harnbeschaffenheit und Diurese. 243 muß die absolute Menge der in gleichen Zeitabschnitten aus- geführten festen Stoffen wachsen. Die Beantwortung dieser Fragen ist eng mit derjenigen nach der Wirkungsweise der Diuretica verknüpft; dieselbe wird daher im folgenden mitbehandelt werden. 1. Änderung des Harns mit steigender Absonderungsgeschwindigkeit. Wächst durch Eingabe von Diureticis die Harnflut, so nimmt die Aci- dität des Harns ab, derselbe kann schließlich neutral oder schwach alkalisch werden. Diese von Rudel ^) gefundene Tatsache ist seitdem häufig bestätigt worden. Die Änderung der Konzentration bei der Diurese wird durch nachstehendes Beispiel erläutert. Starling (1. c, S. 323) injizierte einem Hunde 40 g Dextrose in 40 cm^ Wasser gelöst. Zeit Harnmenge Harn cm* pro 10 Minut. J des Harns ^ des Blutes 11h 30'— 121100' 12h 7'— 12h 15' 12li 16'— 12h 20' 12h 20'— 12h 30' 12h 30'— 12h 40' 12h 40'— 12h 50' 10— 3,3 2,360 12h— 12h 7' Injektion der Zuckerlösung 35 20 52 45 22 45 50 52 45 22 1,210 0,975 0,835 0,825 0,830 0,625 (um 12 Uhr) 0,709 0,700 0,675 0,675 Die Abnahme der Konzentration des Harns mit steigender Harnflut tritt deutlich hervor; ebenso in den Versuchen von Galeotti^). Dieser injizierte bedeutende Mengen hochkonzentrierter Salz- oder Zuckerlösungen innerhalb weniger Minuten in die Cruralvene von Hunden und erzielte dadurch fast momentan eine profuse Diurese. /I des Harnes, das vor der Einspritzung in den einzelnen Versuchen von etwa — l,2o bis — 2,2" schwankte, fiel 15 Minuten nachher auf — 0,9° bis — 0,8° herab; zu gleicher Zeit (15' p. inj.) betrug z/ des Blutes bei den Salzversuchen i. M. — 0,730''; bei den Versuchen mit Injektion von 100 ccm 30 proz. Traubenzuckerlösung — 0,7°. Peinige mit Sublimat vergiftete Hunde (Galeotti, 1. c. Versuche XI, XII und XIII) zeigten nach Infusion von Cl Na -Lösung ein fast noch stärkeres Ansteigen der Sekretionsgeschwindigkeit; die molekulare Konzentration des Harnes war immer sehr gering, der des Blutes sehr nahestehend, ja den Schwankungen dieser letzteren folgend. Als Beispiel diene Versuch XII (S. 227 ff.) : Junge große Hündin; erhielt vom 15. März bis 4. April subcutane Sublimat- einspritzungen alle 1 bis 3 Tage; 6. April von 9^ 20' bis 9^ 40' a. m. Infusion von 160 ccm einer 10 proz. ClNa-Lösung: Zeit A des Blutes J des Harnes 9h 35' a. m. 10h 05' a. m. 11h 30' a. m. — 0,798» — 0,796» — 0,840» ^) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 30, 41, 1896. Physiol. 1902, S. 200 flF. — 0,848» — 0,795» — 0,843» ^) Arch. f. (Anat. u.) 16* 244 Einfluß der Nierendurcliblutung. Die mikroskopische Untersuchung der Nieren ergab Ablösung des größten Teiles der Epithelzellen in den Kanälchen, aber keine bedeutenden Gefäß- veränderungen. Es hat also die Niere unter günstigen Filtrationsbedingungen (Hydrämie) bei Schädigung der eigentlichen Drüsen Substanz, aber intaktem Glomerulusapparat ein reichliches Sekret geliefert, dessen molekulare Kon- zentration der des Blutes gleich war. Bemerkenswert ist, daß auch vor der Einspritzung der Kochsalzlösung in den Versuchen XII und XIII das z/ des Harnes vom z/ des Blutes nicht sehr bedeutend abwich. Der Annahme einer Filtration von Plasma minus Eiweiß im Glomerulus entspräche das Resultat dieser an Nieren mit parenchymatöser Nephritis angestellten Versuche sehr wohl; schreibt man dem Glomerulus eine Wassersekretion (einschließlich einiger Salze) zu, so müßte der Erfolg befremden. 2. Einfluß der Nierendurcliblutung. Starling fragte sich nun weiter: Welchen xlnteil an der Diurese hat eine etwaige Erhöhung des Capillardruckes in den Glomerulis, welchen die raschere Durchströmung derselben, welchen der verminderte Gehalt des Blut- plasmas an CoUoiden ? Daß der Blutdruck einen bedeutenden Einfluß auf die Harnsekretion hat, war schon erwähnt worden. Von den Versuchen Ludwigs und seiner Schüler sei hier nur der von M. Hermann i) einwandfrei gezeigte Parallelis- mus zwischen Harnsekretion und Verengerung der Nierenarterie erwähnt. Cohnheim und Roy (1. c.) wiesen dann durch die onkometrischen Versuche nach, wie jedem Sinken des Blutdruckes auch eine Abnahme des Nieren- volumens gleich läuft; keineswegs aber ist dies bei Druckanstiegen der Fall. Denn hier bewirkt der in gewisser Breite von dem allgemeinen Gefäß- zustande unabhängige Tonus der Nierengefäße das eine Mal ein Steigen, das andere Mal ein Fallen des Onkometerstandes. Wird der Blutdruck — wie bei der Erstickung, bei Strychninvergiftung oder bei Injek- tionen von Nebennierenextrakt — durch allseitige Vasoconstriction hinauf- getrieben, so schrumpft die Kiere trotz sehr hoher Druckwerte; aber eine Drucksteigerung etwa durch Erhöhung des Sekundvolumens von selten des Herzens oder durch partielle Gefäßverengerung anderer Gebiete macht das Onkometer steigen. Die gleichzeitige Messung des Carotisdruckes ist daher bei Beurteilung etwaiger lokaler Nierengefäßwirkung vonnöten, und die sicherste Auskunft über eine solche wird das Steigen des Onkometers bei fallendem Carotismanometer geben. Natürlich muß, soll anders die onkometrische Kurve ein getreues Bild der Nierendurchblutung liefern, für einen ungehinderten Ablauf des Harnes gesorgt sein. Starling hatte früher, anschließend an die Beobachtungen von Limbeck^), daß die diuretische Wirkung von Salzen mit ihrem Wasseranziehungs vermögen, d. h. mit ihrem osmotischen Druck wachse, und von Heidenhain''), daß die gleiche Beziehung zwischen den Salzen und ihrer lymphagogen Fähigkeit bestehe, durch Versuche wahrscheinlich gemacht, daß die letztere Wh-kung auf der hydrämischen Plethora beruhe, welche die Einverleibung der Salze *) Wiener Sitzungsber., math.-phys. Kl., 45, 329 ff., 1861. — ^) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 25, 69, 1889. — ^) Pflügers Arch. 49, 239 ff., 1891. Parallelismus zwischen Diurese und Nierendurctiblutuug. 245 ins Blut bedingt. Mit abnehmender Hydrämie ging die gesteigerte Lympb- absonderung wieder zurück. Entsprechende Versuche mit Salzijifusionen und Messung der Harnabsonderung hatten wohl einige Male eine Beendigung der Diurese mit der Plethora gezeigt, in anderen Fällen von Salzdiurese aber und stets bei Zuckerdiurese überdauerte diese die Hydrämie, und es trat eine entsprechende Konzentration des Blutes ein. Aus beistehender Kurve (s. Fig. 95) eines solchen Versuches ergibt sich, daß die Hydrämie, gemessen am relativen Hämoglobingehalt, rasch wieder verschwindet, die Diurese aber erst mit einem etwa 30 Proz. über der Norm liegenden Hb-Gehalt verschwun- den ist bzw. dann unter den Anfangswert herabsinkt. Der Versuch zeigt einmal, daß, wenn die Colloidkonzentration bzw. der Quelluugsdruck derselben etwa 30 Proz. über die Xorm steigt, die Harnabsonderung gering wird, Fiff. 95. Urine ^.-.• ''Ha Bmog obin ,--'■ ---' / ^ > ' /-" Do{ 71ri l08 ' ( Inj 40 ^s. d in 40 nn extro H2O le V / \ / \ 1 f '^ \, / \ \ / \ / \ ' \ p.c. Urine 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 Minntes ■■ Iniektiou von Dextroi?elösmig. Untere Kurve: Urinmenge in cni^/i,,'. Obere Kurve: Prozent Hb des Blutes. Nach Starling (.Tourn. of Phjsiol. 24, 324, 1899). andererseits aber läßt sie vermuten, daß in der Niere durch das Diureticum besonders günstige Filtrationsbedingungen gesetzt wurden, welche auch bei etwas konzentrierterem Blute noch eine mäßige Diurese erlaubten. Nun haben die onkometrischen Untersuchungen von Roy und Cohnheim (1. c.) gezeigt, daß salinische Diuretica eine starke Nierenschwellung infolge ge- steigerter Durchblutung hervorbringen. Starling stellte entsprechende Experimente mit Dextroseinjektionen an; er schrieb die Onkometerkurve synchron mit dem Carotisdruck , maß die aus Ureterkanülen ausfließende Harnmenge, sowie ihren Zuckergehalt und bestimmte in gewissen Intervallen den Grad der Hydi'ämie durch Messung des Hämoglobingehaltes. Die bei- stehende Kurve (s. Fig. 95 a a. f. S.) diene als Typus der Versuche; sie zeigt, daß die Hydrämie mit Injektion der Zuckerlösung einsetzt und daß die Harnmenge parallel der Nierenschwellung läuft; ist die Niere zum auf anglichen Volumen zurückgekehrt, so ist auch die Diurese beendet ; in diesem Falle zeigt das Blut etwa 15 Proz, mehr Hämoglobin. In einer anderen Reihe von Versuchen 246 Parallelismus zwischen Diurese und Nierendurchblutung. (s. beistehende Kurve, Fig. 96) wurde nun, während die Dextroselösung in die Vena jugidaris einfloß, aus der zweiten Carotis so viel Blut entzogen, daß der Onkometerstand sich nicht änderte. Solange der Onkometerzeiger seinen Stand beibehält, bleibt auch die Harnmenge auf der anfänglichen Höhe; sobald der Blutdruck wieder etwas angestiegen ist (etwa 25' nach der Zuckerinfusion), nimmt auch das Nierenvolumen (die Durchblutung) wieder zu, und synchron damit erhebt sich ein wenig die Diurese; der Parallelismus zwischen Niereu- durchblutung und Harnabsonderung ist ein vollkommener. Die infolge der starken Blutentziehung nach einiger Zeit auftretende reflektorische Gefäß- kontraktion macht dann auch das Nierenvolumeu rasch absinken. Der Hämo- globingehalt des Blutes fällt mit der Blutentziehung, es tritt die bekannte Fig. 95 a. (\ ^ S, ^^ 1 s s. Art. BP. mm Hg. • -+ K^ ^ -^ "^ Eaemoglobin ---" — • — '■ Pero mt. N ^.. ,--'■ \ 1 \ / ^> A ,..' ■'' v / ' / \ v N r V / "S \ k c^ s \ ^ Eir^nei: ^nn,« — ■^ "v.^ — i y 1 _ Urine I ^"■— — ' ■ ^ : : 1 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 Minutes ■■i (und + +) Injektion von starker Dextroselösmig. Nach S ta rling (.Tourn. of Physiol. 24, 32(i, 1899). starke Transsudation aus den Geweben ein, das Blut wird hydrämisch, die Filtratiousbedingungen also günstig; aber der starke Abfall des Druckes läßt eine vermehrte Diurese nicht aufkommen. Sehr deutlich prägt sich auch die Abhängigkeit des Nierenvolumens einmal vom Blutdruck, zum anderen von dem Zustande der Nierengefäße aus. Das Diureticum setzt Erweiterung der Nierengefäße; bleibt der Blutdruck hoch, so schwillt die Niere mächtig an; sinkt er durch rasche ausgiebige Blutentaiehung, so bleibt das Volumen der Niere wegen Erweiterung der Gefäße auf seiner Höhe: ergreift nun die durch die Blutdrucksenkung reflektorisch eingeleitete allgemeine Gefäßkon- traktion nach einiger Zeit auch die Nierengefäße, so nimmt das Nieren- volumen rasch ab, trotzdem der Blutdruck wieder einen etwas höheren Wert erreicht hat. Die Tatsache also, daß durch Hinderung einer stärkeren Nieren- durchblutung der diuretische Effekt der Dextrose paralysiert werden kann, Parallelismus zwisclien Diurese und Nierendurchblutunp;. 247 ist ein starkes Argument zugunsten der Ansicht, daß die Zuckerdiurese nicht so sehr durch Reiz auf die Niereuzellen, als vielmehr durch eine dilatatorische Wirkung auf die Nierengefäße bewirkt wird, verbunden mit einer hydrämi- schen Plethora. In allen Versuchen zeigte der Harn am Ende des Versuches, als die Diurese schon abgeklungen war, immer noch einen sehr hohen Zuckergehalt; das Blut war also noch reich daran. Bildete dieser abnorme Zuckergehalt des Harns einen Reiz für die Xierenzellen und wäre nur dadurch die Diurese bedingt, so müßte dieselbe andauern ; denn von der Tätigkeit anderer Drüsen ist bekannt, daß diese in ziemlich weiten Grenzen von der Blutkonzentration unabhängig sich gestaltet. In ganz ähnlicher Weise kommt die Salzdiurese zustande ; eine Injektion von konzentrierter ClNa-Lösung z. B, — oder eines anderen Salzes — bewirkt starken Austausch derart, daß etwas Salz aus dem Blute in die Gewebe, dagegen reichlich Gewebsflüssigkeit in das Blut tritt, Fier. 96. „— + + 90 80 70 60 \ V -- Percent. Hb O2 Y — — ,^ P Art «rial BP. mm. Hg. \ \ 50 40 30 20 10 \ i v \ \ Kidney Volnme - - ' — ■ ^ , n " H cc. Urine in 10 min. 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 I^H (und + +) Injektion von starker Dextroselösung. Nach Starling (Joum. of Physiol. 24. .S27,{]899). hydrämische Plethora erzeugend. Zugleich erweitern sich die Xierengefäße bedeutend, und diese aktive Erweiterung (s. unten) muß auch bei gleich- bleibendem Blutdruck in den Glomerulis sehr viel günstigere Druck- und Strömungs Verhältnisse hervorbringen. Dem Einwand, der Starlings Versuchen mit Herabsetzung der Nieren- durchblutung vermittelst starken Aderlasses gemacht werden könnte, nämlich daß dieser durch Schädigung der Nierenfunktion die Diurese unterdrückt habe, ist Cushny^) dadurch begegnet, daß er eine Nierenarterie durch eine Schraubklemme abwechselnd verengte, wobei er Sorge trug, daß der venöse Abfluß nicht behindert wurde. Die linke Niere, deren Arterie die Klemme trug, war zugleich mit dem Onkometer armiert. Nach Einlauf einer 3proz. Salz- lösung begann das Onkometer rasch zu steigen ; die Arterie wurde jetzt so weit verengt, bis die Niere auf ihr voriges Volumen zurückgebracht war. Die pulsatorischen Schwankungen blieben dabei aber noch sehr gut am Onko- meterrohr sichtbar. Die Urinmenge sank auf den Anfangswert vor der 1) Joum. of Physiol. 28, 443 ff., 1902. :248 Parallelismus zwischen Diurese und Nierendurchblutuuo-. Salzinjektion , indes die rechte Niere eine sehr große Steigerung aufwies ; wurde die Klemme gelöst, so erreichte die Diurese der linken in drei Minuten den Wert der rechten Niere. Die Abklemmung wurde mehrmals mit gleichem Erfolge wiederholt. Die teilweise Abklemmung konnte bis zu einer halben Stunde aufrecht erhalten werden, ohne daß die Sekretion stockte; dabei war der Blutstrom durch die Niere, wie auch Hermann konstatierte, noch ein ziemlich starker. Voraussetzung bei der Einleitung einer Diurese durch Infusion hypertonischer Salzlösungen ist natürlich, daß der Wasservorrat des Körpers das Eintreten einer Hydrämie erlaubt. Dieser Punkt, auf den noch mehrfach zurückgegriffen werden Süll, ist bei allen Versuchen über Diurese wohl zu beachten. Eine gleichmäßige Fütterung z. B. mit Rüben nach v. Sobieranskys vmd Löwis ') Übung sichert bei Kaninchen günstige Versuchsbedingungen in bezug auf den Gehalt an Gewebs- wasser derart, daß leicht Diuresen zu erzielen sind. v. Limbeck (1. c.) hat zur Herstellung eines gleichmäßigen, aber niedrigen Wassergehaltes die Tiere in Isolier- Fig. 97. Jj, Blutdruck \ / -^^ 20 s fi \ \ 1 1 1 I \ ^ < ! \ \ 10 1 \\ 1 1 '^ \ 1 1 \\ s. / ' \ s \, /; ^^ ^ --r--i 4,0 3,0 2,0 1,0 mm Hg 100 90 80 0 10 15 20 25 30 Minuten Onkometer. ■ ^^ Injektion von lg 1 Kilo ClNa (10 % Lösung (intravenös. Versuch III nach Gottlieb u. Magnus (Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 45, 235, 1901). käfigen zweimal 24 Stunden hungern und dursten lassen , am dritten und vierten Tage je 30 g pro Körperkilo trockenen Hafer verfüttert ohne Wasser, am fünften Tage kamen die Tiere zum Versuch. Nach v. Limbeck erhält mau dadurch Tiere von niedrigem, aber annähernd gleichem Wasserbestand, deren normale Harn- sekretion gleich Null ist oder höchstens 1 bis l'/g Tropfen pro 10 Minuten liefert. Solche Dursttiei'e können auf Infusion konzentrierter Salzlösungen wohl noch Gewebswasser zur Blutverdünnung abgeben, wenn auch in geringeren Mengen. Geben sie demnach schwächere Diuresen, so gewähren sie andererseits den Vorteil, daß man für Vergleichung der Wirkung diuretischer Mittel ein einheitlicheres Versuchsmaterial in den Händen hat; Magnus u. a. haben sich daher auch viel- fach so vorbereiteter Tiere bedient. Für Versuche aber über den Einfluß des Blutdruckes usw. bei ungeänderter Blutzusammensetzung werden solche Dursttiere weniger geeignet sein. Der Parallelismus zwischen Nierendurchblutung und Harnmenge ist nun unter anderem für Salzdiuresen von Gottlieb u. Magnus 2) untersucht worden. Aus ihren Versuchen, welche unter Anwendung des Onkometers an ') Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 48 (1902). — '^) Ebenda 45, 223ff., 1901. Parallelismus zwischen Diurese und Nierendurchblutung. 249 Kaninchen angestellt wurden, geht unzweideutig hervor, daß z. B. nach intravenöser Injektion von lg ClNa pro Körperkilo in lOproz. Lösung (1. c, S. 235) die Schwankungen des Onkometers synchron mit dem Steigen und Sinken der Diui'ese erfolgen (siehe beistehende Kurve Fig. 97). Die HarnmeDge ist in cmyKörperkilo und für je fünf Minuten rechts auf- getragen, die Onkometerausschläge in Prozenten des Nierenvolumens auf der linken Seite verzeichnet. Die Änderungen des Nierenvolumeus wurden während des Versuches an einer in V20 cm'^ geteilten Horizontalröhre abgelesen, am Schlüsse des Versuches das Volumen der Niere in einem kleinen graduierten Apparat ermittelt und danach die Onkometerausschläge auf Prozente des Nieren volumens berechnet. In gleicher "Weise verliefen die Versuche mit Harnstoff und Purinkörpern {Coffein, Diuretin). Daß auch die Durchblutungsversuche von Schwarz i) nur scheinbar diesem Resultat widersprechen, das haben Gottlieb u. Magnus durch Nachrechnung der betreffenden Protokolle gezeigt. Vornehmlich be- weisend ist aber obiger Versuch für die von Starling (1. c.) angegebene, aber aus seinen Versuchen nicht so schlagend ersichtliche lokale Nieren- gefäßerweiterung unter dem Einflüsse des Diureticums ; denn hier erfolgt das rapide Wachsen des Nierenvolumens und die Diurese bei anfänglichem Sinken des Carotisdruckes. Schon aus Tigerstedt u. Landergrens (1. c.) Strom- uhrversuchen ging dies hervor, was um so bemerkenswerter, da diese Metho- dik ein Zerreißen, bzw. ein Zerquetschen der Nierennerven im Gefolge hat. Der Einfluß muß also wenigstens zum Teil ein direkter, sei es auf intrarenale Nervenapparate (Nierenbeckenganglien oder Nerven der Gefäßwände) oder auf die vasomotorische Muskulatur sein. Die Versuche, welche Abeles 2) u. IMunk'^) an künstlich durchbluteten Nieren (s. unten) anstellten, ergaben ebenfalls, daß Harnstoff, Zucker, Kochsalz, Coffein dem Durchströmungsblut zugesetzt, die Nierengefäße erweitern und den Blutstrom bei gleichen Druck- werten beschleunigen. Diese Erfahrungen am überlebenden Organ sprechen am meisten für eine lokale Gefäßwu'kung. Es ist aber schon bei Besprechung der Gefäßanatomie hervorgehoben worden, daß die betreffenden Einrichtungen ein so vielfältiges Spiel einmal des beschränkten oder vermehrten Zuflusses, zum anderen des gleichbleibenden Zuflusses, aber veränderter Abfluß- bedingungen vornehmlich des Glomerulusapparates, erlauben, daß aus einem Abweichen vom Parallelismus zwischen Nierenvolumen und Diurese keines- wegs auch auf ein Abweichen vom Parallelismus zwischen Blutdurch- strömung und Diurese geschlossen werden darf. a) Gesteigerte Nierendurchblutung ohne Volumenänderungen (Wirkung der Diuretica auf die Nierengefäße). In Versuchen an chloralisierten Kaninchen sahen Gottlieb u. Magnus (1. c, S. 233/234 und S. 238/240), was auch schon Hedon^) beobachtete, daß die Diurese noch fortbestand, indes das Nierenvolumen schon wieder auf seinen Anfangswert reduziert worden war. Auch Bradford u. Philipps-') vermißten oft eine Zunahme des Nieren volumens während der Diurese. Der 0 Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 43, 1 f£., 1899. — 2) Wien. Sitzungsber. 1883, III. Abt. — ^) Virchows Arch. 107, 349, 1887. — ") Compt. rend. soc. biol. 1900, Nr. 23, zit. n. Gottlieb u. Magnus. — '") Journ. f. Physiol. 8, 117, 1887. 250 "Wirkung; der Diuretica auf die Nierengefäße. Schluß aber, daß dies gegen einen Paralleliemus zwischen Diurese und Durch- bhitungsmenge spreche, ist nicht berechtigt, wenn man die eben angezogenen Möglichkeiten im Auge behält, gerade in Anbeti-acht der Applikation von Cbloralhydrat oder anderen den Gefäßtonus in so mannigfaltiger Weise beein- flussenden Mitteln. Die folgenden Untersuchungen erläutern diese Verhält- nisse näher. «) Das Coffein. Löwi ') hat in einer besonderen Studie — in Gemeinschaft mit Fletcher u. Henderson — den Zusammenhang zwischen Diurese und Nierendurch- blutung unter Anwendung von Coffein untersucht. Schröder 2) hatte gezeigt, daß das Coffein eine von allgemeiner Blutdrucksteigerung unabhängige Diurese — z. B. an chloralisierten Tieren — bewirkt ; da eine Nervendurchreißung der Nierengefäße und, wie eben erwähnt, die Chloralisierung an dem Resultat nichts änderten, so glaubte v. Schröder nicht, daß eine vermehrte Durch- blutung der Niere die Ursache der gesteigerten Harnflut sei. Aber es ist schon oben erwähnt worden , daß das Coffein auch an der isolierten durch- bluteten Niere Vasodilatation macht, weiterhin haben ja schon ältere Ver- suche von Cyon, Heidenhain u. Grützner (1874 und 1877) gezeigt, daß Chloralhydrat keineswegs das Ansprechen von vasodilatatorischen Nerven bzw. ihres Zentrums hindert. Daß die Versuchsresultate, welche Bradford u. Philipps, ebenso Gottlieb u. Magnus hier und da erhielten — Aus- bleiben eines Wachsens des Nierenvolumens bei Coffeindiurese, bzw. Eintreten der Diurese sogar bei schrumpfender Niere — wirklich nichts gegen eine Vasodilatation beweisen, zeigte nun Löwi, indem er die Niere, welche durch Lumbarschnitt extraperitoneal luxiert wurde, eingipste. Folgende Tabelle gibt einen der Versuche (1. c. S. 25) wieder: Versuch VI, 10. Mai 1904. Kaninchen 2kg, urethanisiert. linke Niere eingegipst; Arterien-, Venen- und Blasenkanüle : Zeit Harnmenge Blutdruck rechte linke Bemerkung cm' cm* mm Hg 12^20' bis 25' 0,9 1,8 97 12 25 ..30 0,8 1,3 1 97 12 32 12 30 ..35 3,2 3,2 104 2 cm^ 1 ijroz. Coffein, pur. intravenös. 12 35 .,40 7,0 ! 6,2 98 12 40 „60 9,2 9,6 — 1 00 ,.10 V 3,0 — 1 10 1 20 1 20 „20 ..30 1,6 5,0 2,7 6,5 ! — 3cm^ lOproz. ClNa- Lösung intravenös. Bei den Versuchen mit eingegipster Niere wurde nun, ebenso wie bei anderen mit freiem Oi-gan, auch die InsjDektion der Vena renalis vorgenommen. Unbeteiligte Beobachter, die von der Injektion des Diureticums keine Nachricht ') Arcli. f. exp. Path. u. Pharm. 53, 1 ff., 1905. — ^) Ebenda 22, 39 ff., 1£ Wirkung der Diuretica auf die Nierengefäße. 251 erhielten, sahen kurz nach der Injektion von Coffein das bis dahin blau- rote Venenblut plötzlich mit rein arterieller Farbe daherschießen. Ein gleichzeitiger entsprechend hoher Blutdruckanstieg war auch hier nicht zu beobachten. Daß diese Wirkung auch an der entnervten Niere stattfand, davon überzeugte sich Löwi noch durch besondere Versuche — er durchriß die Nerven nicht nur, sondern bepinselte auch noch die Gefäße mit Phenol, entsprechend den Erfahrungen von Bayliss^), der mit diesem Mittel eine vollständige Aufhebung der Leitungsfähigkeit der Nerven erzielte. Man muß also einen Teil der diuretischen Wirkung des Coffeins darin suchen, daß es Widerstände in der Nierenblutbahn beseitigt, eine sehr rasche Erneuerung des Glomerulusblutes bewirkt und damit sehr günstige Filti-ationsbedingungen schafft. Demzufolge sind aber die Erfahrungen begreiflich, daß wiederholte Coffeingaben keine bedeutenden Effekte mehr geben , bzw. daß die Diurese vor der Gefäßwirkung aufhört, obwohl auch letztere nach und nach geringer wird (Löwi, I.e. S. 28, 29); ebenso daß an trocken gefütterten Kaninchen und am wasserarmen Hunde nach v. Sobieransky 2) das Coffein einen geringen diuretischen Effekt hat, und weiterhin, daß nach Coffeindiurese immer Bluteindickung beobachtet wird (v. Sobieransky, I.e. u.a.). Denn das Coffein macht ja nicht, wie die konzentrierten Salzlösungen, durch An- ziehung von Gewebswasser eine Hydrämie. Auf die Gefäße anderer Organe hat jedoch das Coffein diese erweiternde Wirkung nicht; dafür spricht schon das Fehlen einer Carotisdrucksenkung. Löwi (1. c. S. 22, Taf. I) verband die Coffeininjektiou mit der onkometrischen Untersuchung einer Darmschlinge; hier war keine gleichsinnige Erweiterung zu bemerken , ebensowenig bei Diuretininjektion. Auch die Entnervung des Darmstückes durch Splanchni- cus- oder Rückenmarksdurchschneidung änderte daran nichts, es war also auch nicht an eine Uberkompensierung einer eventuellen peripheren Wirkung durch zentrale Constrictorenreizung zu denken. Die Nierengefäße nehmen also wohl gewissen Giften gegenüber eine besondere Stellung ein im Vergleich zu den Gefäßen anderer Organe. — Diese besondere Stellung erhellt auch aus sonstigen Versuchen. Thompson -^ fand bei seinen Untersuchungen über die Wirkung der Albumosen und Peptone, daß dieselben wohl das ganze Gebiet der vom N. splanchniciis versorgten Eingeweidegefäße außerordentlich erweitern, die Gefäße erschlaffen, daß aber die Nierengefäße fast ganz von dieser Wirkung verschont bleiben. Während daher nach Peptoninjektion eine Reizung des N. splanclinicus keine oder nur eine ganz geringe Steigerung des Carotisdruckes hervorruft, zeigt das Onkometer zugleich eine außerordent- liche Verkleinerung des Nierenvolumens an; die Nierengefäße antworten mit annähernd gleich starker Constriction wie unter normalen Verhältnissen. Nebenbei sei erwähnt, daß diese Versuche eine sehr anschauliche Vorstellung von den erheblichen Widerständen liefern, welche die eigentümliche Anord- nung des Nierengefäßsystems dem Blutstrome bietet. Sobald Pepton injiziert wird und die Darmgefäße erschlaffen, fließt die größte Menge des Blutes in dieselben — wie ja die berühmten Versuche aus I^udwigs Laboratorium zeigten — , die Niere aber bekommt fast kein Blut mehr; der Onkographeu- ') Journ. of Physiol. 28, 224 oben, 1902. — '') Arcli. f. exp. Path. u. Pharm. 35, 144, 1895. — ^) Journ. of Physiol. 24, 396 ff., 1899. 252 Wirkung der Diuretica auf die Nierengefäße. hebel in Thompsous Experimenten fiel so stark herab, daß eine ziemliclie Menge Öl ins Onkometer nachgefüllt werden mußte, um wieder eine Regi- strierung zu erlangen. Thompson gibt an, daß die Schrumpfung sogar palpabel sei. ß) Die Salze. Es war schon oben erwähnt worden , daß die früheren Beobachter, namentlich aber Magnus u. Gottlieb (1. c.) bei ihren ausgedehnten Unter- suchungen über Salzdiuresen , auf die Injektion von Salz- oder Harnstoff- lösung hin eine lokale Erweiterung der Nierengefäße konstatierten. Löwi u. Alcock') haben auch bei eingegipster Niere erhebliche Salzdiurese erzielen können, wobei das Blut aus der Nierenvene arteriell hervorschoß. Die Unter- suchung von Salzen derselben Gruppe, nämlich den einbasischer Säuren, welche in isoosmotischen Lösungen demselben Tiere abwechselnd injiziex't wurden , ergab eine gleichstarke diuretische Wirkung — auch bei durch- rissenen Nierennerven — für NaCl, NaNO^, NaJ und ebenso gleichstarke und gleichartige Durchblutungsverhältnisse. Diese stärkere Durchblutung trat nicht sofort auf. d. h. nicht wenn in der Zeiteinheit die größten Salz- mengen an die Niere hei^angeführt wurden, sondern erst mit Entwickelung der Hydrämie ; dementsprechend vermochte man sie auch nicht nur durch Injektion konzentrierterer Salzlösungen zu erzielen , sondern auch durch Lösungen, die mit dem Blute isotonisch und hypotonisch waren, was ebenfalls schon Thompson fand. Es ist wohl daraus der Schluß zu ziehen, daß die lokale Widerstandsverminderung im Gefäßapparat der Niere durch die Hydrämie bewirkt wird, nicht in einem spezifischen Reiz der chemisch so verschiedenen Salze zu suchen ist, und Löwi u. Alcock (1. c. S. 46, Fuß- note) glauben auch die Diurese nach Wassertrinken auf die gleichen Um- stände basieren zu dürfen. Bei der Wiederholung der Injektionen in mäßigen Intervallen ist hier sowohl wie bei Coffeininjektionen eine immer abnehmende Wirkung zu konstatieren, eine Art Ermüdung der Niere oder ihrer vaso- tonischeu Regulationsmechanismen. Dabei ist aber zu beachten, daß die durch Coffeinreiz ermüdete Niere auf Salzinjektion wieder mit gesteigerter Durchblutung reagiert. Coffein und hydrämisches Blut greifen also wohl an verschiedenen Stellen des Vascularisationsapparates an. Da aber auf Grund histologischer I^ntersuchungen (siehe früher) eine Beeinflussung der Nieren- epithelien durch Coffein sehr wahrscheinlich ist, so dürften für die diuretische Wirkung des letzteren noch andere Momente ins Spiel kommen (siehe unten Resorption). y) H am st off Wirkung. Wie schon erwähnt, fanden Roy, Munk u. a. , daß Harnstoff lokale Gefäßerweiterung macht, und Gottlieb u. Magnus konstatierten, daß vaso- dilatatorische Wirkung und Diurese parallel liefen; Cushny, dessen Versuche später erwähnt werden sollen, ließ es unentschieden, ob Hydrämie dabei auf- trete. Löwi u. Henderson-) stellten diesbezügliche Versuche an, aus- + gehend von der Beobachtung von Griyns, nämlich daß U dermaßen leicht in rote Blutkörperchen eindringt, daß bei Zufügung desselben in wässeriger ') Arch. f. exp. Patli. u. Pharm. 53, 33 ff., 1905. — "') Ebenda 53, 49, 1905. Wii'kung der Diuretica auf die Nierengefäße. 253 + Lösung das Lösungsmittel Hämolyse macht, daß aber Zufügung von U zum Blute in isotonischer Cl Na -Lösung keine Auflösung der roten Scheiben be- wirkt. Würde Harnstoff, so überlegten Löwi u. Henderson, ebenso leicht in die Zellen der als Wasserdepots fungierenden Gewebe eindringen, so würde sich keine osmotische Druckdifferenz etablieren , also auch kein Ge- webswasser austreten, bzw. keine Hydrämie entstehen. Sie beobachteten + aber im Gegenteil auch bei der durch U- Injektion an Kaninchen hervor- gerufenen Diurese eine erhebliche Blutverdünnung. Entsprechend fand auch Overton i), daß Harnstoff in Muskeln weniger rasch eindringt. Die bei der Harnstoffdiurese auftretende Nierengefäßerweiterung wäre nach Löwi u. Henderson wie bei den Salzen durch Hydrämie bedingt; seine schwere Resorbierbarkeit würde den Harnstoff als Diureticum zu den Salzen der Glaubersalzgruppe stellen. Mit der außerordentlichen Eeaktionsfähigkeit des Gefäßapparates der Niere und der dadurch bedingten Beeinflussung des Harnstromes hängt es wohl auch zusammen, daß Blutentziehungen, welche ja sofort den vasomotorischen Mechanis- mus des Organismus in Tätigkeit setzen, die Harnabsonderuug hemmen. Michaud*), der unter Ashers Leitung Blutentziehungen bei gleichzeitiger Applikation von diuretischen Mitteln an Kaninchen vornahm, beobachtete, daß eine durch Theo- phyllin (synth. 1, 3-DimethyLxanthin- Präp. von Böhringer u. Söhne; siehe Versuch III u. IV, S. 209 bis 210) erzeugte Diurese auf eine Blutentziehung von Yg bzw. Vg der vorhandenen Blutmenge 6 Minuten , bzw. 7,5 Minuten lang sistierte, dann aber wieder anstieg; in einem anderen Versuche (V), wo die Blutentziehung rasch nach dem Einlauf des Diureticums vorgenommen wurde, sistierte die Diurese nur 1 Minute lang, und in Versuch VI, wo nach der Blutentziehung sofort das Diureticum gegeben wurde, stieg 2,5 Minuten nach dessen Eiulauf die durch die Blutentziehung unterdrückte Harnabsonderung rasch zu bedeutenderer Höhe an. Gefäßreflex und vasomotorische Wirkung des Diureticums spielen also in wechselnder Weise ineinander. Ersetzte man aber das entzogene Blut durch gleichzeitige Infusion von isotonischer ClNa-Lösung, so wurde die Diurese nicht sistiert, sondern nur herabgemindert oder sie blieb gleich; die gesetzte Hydrämie konnte den Einfluß der Gefäßconstriction ganz oder zu einem Teile kompensieren. Das durch onko- metrische Versuche, verbunden mit Inspektion des Venenblutlaufes (siehe früher) festgestellte rasche Reagieren der Niereugefäße auf Eingriffe und der dabei beob- achtete Parallehsmus zwischen Blutdurchströmung und Harnflut erhält durch diese Versuche eine gute Illustration. Da der Blutdruck nach den Blutentziehungen stark herunterging (1. c, S. 36), so hat natürlich dieses Moment ebenfalls eine Eolle gespielt. Michaud will zwar einen Einfluß der Blutentziehung auf die Glomeruluszirkulation nicht gelten lassen, um aber dies abzuweisen, müßten -erst die Versuche bei entnervter Niere wiederholt werden. b) Einfluß der Plethora auf die Diurese. Bei der Beurteilung von Versuchen über den Einfluß der Plethora auf die Nierensekretion sind nun die Faktoren, welche bei der Wirkung der Diuretica sich geltend machen , nämlich neben der stärkeren Füllung des Gefäßsystems die Hydrämie, der größere Gehalt des Blutes au filtrierbarem Wasser (Salzwasser) und die dadurch erzeugte Nierengefäßerweiterung, wohl zu beachten. Magnus 3), der die Resultate Starlings (siehe oben) nicht so sehr der hydrämischen Plethora, sondern der Hydrämie bzw. dem ver- 0 Pflügers Arch. 92, 115, 1902. — ''^) Zeitschr. f. Biol. 46, 198 ff., 1905. ^) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 45, 210 ff., 1901. 254 Einfluß der Plethora. mehrten Gehalte des Blutes an einem Salze zuschrieb, das einen Reiz für die secernierenden Nierenepithelien bilde, versuchte nachzuweisen, daß die Steigerung des arteriellen Druckes, bzw. die Änderungen des Nierenkreis- laiifes von keinem Einflüsse bei der Salzdiurese seien. Er rief eine reine Plethora ohne Änderung der Blutbeschaffenheit hervor du^rch Autotransfusion, indem er aus der Carotis eines Kanincliens das Blut desselben in die Vena jugulahs eines zweiten strömen ließ. Der Harn des letzteren tropfte aus Ureterenkanülen und wurde in Intervallen von fünf bis zehn Minuten gemessen. Die Transfusion vollzog sich in zwei bis fünf Minuten. Sorgfältige Wäguug der blutspendenden Tiere vor und nach der Transfusion zeigte, daß zwischen 70 bis 160 cm^ Blut hinüberflossen , bzw. daß das Blut empfangende Tier zwischen 33 bis 70 Proz. seiner eigenen Blutmenge (mit 7 Proz. des Körper- gewichts berechnet) erhielt. Eine vermehrte Harnsekretion trat nun ent- weder nicht ein oder nur in geringem Maße und auch dann nur in der ersten Viertelstunde nach der Transfusion. Das gleiche Resultat ergaben Hunde (1. c. S. 218 bis 221), obwohl der Druck in der Schenkelarterie von 100 mm Hg auf 150 mm Hg stieg und lange sehr hoch blieb, der Druck in der Vena femoralis um mehr als das Doppelte zunahm (von 65 auf 165 mm Höhe einer Mg SO4- Lösung), und obwohl die Niere bei einem solchen Versuche (S. 220) im Onkometer eine Volumzunahme von 6 Proz. aufwies. Hält man aber das im Auge, was oben über die Bedingungen vermehrter Glomerulus- filtration hinsichtlich der Blutbeschaffenheit usw. gesagt wurde, so kann das Resultat nicht überraschen. Magnus (1. c, S. 213) verwendete Dursttiere nach V. Limbecks (siehe oben) Präparation. Die Kaninchen waren zwei Tage ohne Wasser und Futter gehalten worden, hatten am dritten Tage nur trockenen Hafer erhalten und wurden am vierten Tage zum Versuche ver- wendet; die Hunde (1. c. , S. 218) hatten 3 X 24'' gehungert und gedurstet. Solche Tiere sondern , wie oben erwähnt , fast keinen Harn mehr ab. Ent- sprechend verschwanden auch von den transfundierten Blutmengen durch Flüssigkeitsaustritt aus der Gefäßbahn etwa 20 bis 50 Proz. (1. c. S. 216), und so rasch, daß bei einem Versuche (S. 215) der Hämoglobingehalt des Kaninchenblutes von 15,38 Proz. Anfangswert in 20 Minuten auf 19,78 Proz. gestiegen war. Es ist begreiflich, daß bei einer solchen Blutkonzentration die Filtration entweder gar nicht gesteigert war oder nach kurzer Steigerung trotz Druckerhöhung wieder herabging. Die gleichen Einwände, betreffend erhöhte Blutkonzentration, gelten auch für die älteren Versuche Ponficks ^), welcher bei Hunden Plethora durch Injektion von Serum oder Blut hervorrief. Magnus (1. c. , S. 221/222) glaubt nun den Einfluß capillarer Drucksteige- rung ohne Änderung der Blutzusammensetzung auf die Diurese noch sicherer negieren zu können dadurch, daß er dem blutspendenden Kaninchen vorher 0,6 cm^ pro Körperkilo einer 7,8 proz. Glaubersalzlösung infundiert. Obwohl nun nach seinen Untersuchungen über Salzinfusionen ^) die 7,8 proz. Glaubersalzlösung das Blut im Spendetiere nur auf 0,3 bis 0,4 Proz. Nag S O4 - Gehalt gebracht hat, und diese geringe Salzmenge, mit dem Blute dem zweiten Tiere transfundiert, in diesem wieder eine Verteilung zwischen ^) Virchows Arch. 42, 277 ff., 1875. — "") Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 44, 68 ff., 1900. Einfluß dei- Plethora. 255 Blut und Gewebe erfährt, findet Magnus, daß trotzdem eine Steigerung der Harnmenge eintritt, von 0,65 ccm in 20' vor der Transfusion auf 2,25 ccm pro 20' nachher, allerdings sehr geringe absolute Mengen. Gerade dieser Versuch beweist aber keineswegs, wie Magnus meint, einen spezifischen Einfluß selbst geringer Glaubersalzmengen auf die Xierenepithelien, vielmehr ^eht daraus hervor, daß die starke, dem blutspeudenden Dursttier infundierte Salzlösung diesem ziemliche Mengen Gewebswasser entzogen hat, und daß jetzt ein hydrämisches Blut transfundiert wurde. Eine direkte Bestätigung der Ansicht, daß das Versagen der von Magnus zur Hervorbx'ingung einer Diurese erzeugten Plethora auf die Bluteindickung zurückzuführen ist, liefern die Versuche Cushnys ^). Er fütterte eine An- zahl Kaninchen während zweier Wochen mit Mohrrüben (Naßfutter). Zwei Tiere wurden verblutet und das Serum abzentrif ugiert ; es war klar und ent- hielt 0,387 Proz. Chloride, was nach Abderhaldens 2) Zahlen (0,3883 Proz.) normal ist. Einem dritten der Tiere von 965 g Gewicht wurden in Urethan- narkose 40 ccm dieses Serums von 4^^ 15' bis 4^' 26' in die Jugularvene infun- diert; der Harn durch Blasenkanüle gesammelt. Harnmenge g Harnmenge g 3l>55' bis 4I1 15' 4 15 „ 4 35 . 4 35 „ 4 55 . 4 55 „ 5 15 . 5 15 „ 5 35 . 0,7 1,86 2,46 2,84 7,6 5I1 35' bis 5h 55' 5 55 „6 15 6 15 „6 35 6 35 ,.6 55 13,87 17,98 8,02 2,24 Nach Abderhaldens Berechnung enthielt das Tier anfänglich etwa 75 cm^ Blut bzw. 47 cm' Plasma, die Injektion brachte das Plasma also etwa auf doppelte Höhe. Die Diurese stieg nur sehr langsam an, erreichte ihr Maximum etwa in der zweiten Stunde, ganz wie bei Thompsons-^) Hunden nach Injektion geringer Mengen von 0,6 bis 0,9 Proz. Kochsalzlösung. Einen anderen Satz Tiere hielt Cushny eine Woche lang auf Trockenheu-Futter und 24 Stunden unter Wasserkarenz. Vom Serum zweier Tiere wurden wie oben 50 cm' einem dritten Tiere von 1320 g Gewicht von 3^ 45' bis 4*^ 05' infundiert. Harnmenge g Harnmenge g 31120' bis 3I140' .... 0,51 4I13O' bis 4I140' . . . . 0,37 3 40 „ 3 50 ; 0,29 4 40 „ 4 50 ... . 0,26 3 50 „ 4 — 0,25 4 50 „5 — .... 0,21 4 — „ 4 10 1,45 5 — „ 5 10 ... . 0,28 4 10 „ 4 20 5,93 5 10 „ 5 20 ... . 0,35 4 20 „ 4 30 3,4 Der Unterschied der Wirkung des Trockenserums ist evident. Daß das Tier des letzten Versuches keineswegs weniger funktionstüchtige Nieren hatte, ') Journ. of Physiol. 28, 445, 1902. — '^) Zeitscbr. f. 1898. — ^) Journ. of Physiol. 25, 487, 1899/1900. physiol. Cham. 25, 65, 256 Einfluß der Plethora. bewies eine Infusioii von starker Salzlösung, die um 5^' 20' vorgenommen wurde und die eine profuse Diurese zur Folge hatte. Auch die lokale Plethora (die gesteigerte Nierendurchblutung) kann nicht allein zu profuser Diixrese führen, die Hydrämie spielt dabei eine bedeutende ßolle. Ist schon eine irgendwie gesetzte Nierenplethora vorhanden, so wird das Hinzukommen der Hydrämie auch ohne oder mit nur geringer Steigerung der Nierendurchblutung eine bedeutende Diurese produzieren. Barcroft und Brodie, welche den Gaswechsel der Niere untersuchten, konnten keine bedeutende Steige- rung der Nierendurchblutung in der Diurese gegenüber der Normalsekretion beob- achten. Nun sind aber ihre Experimente nach außerordentlich eingreifenden Ope- rationen (siehe unten) ausgeführt worden , die Nierendurchblutung war schon anfänglich sehr hoch ; sie injizierten dann relativ bedeutende Quantitäten von + U- oder Salzlösungen und erhielten starke Diurese ohne starke Durchblutungs- steigerung. Aber obwohl , wie erwähnt , schon vorher eine bedeutende Blutmenge in der Zeiteinheit durch die Niere floß, so wurde doch jetzt erst eine zweite Bedingung der Diurese, nämlich die Hydrämie, gesetzt, die nun auch mit einer mäßigen Durchblutungssteigerung eine ziemliche Harnflut hervorrief. Noch deut- licher erhellt der Einfluß der Hydrämie aber aus der eben angezogenen Arbeit von Magnus über Salzdiurese. Die darin mitgeteilten Vei-suche ergeben, daß niemals durch konzentrierte Kochsalzlösungen eine so starke Diurese erzielt werden kann, als wenn man entsj^rechende Salzmengen als isotonische (0,9 proz.) oder so- genannte physiologische (0,6 proz.) Cl Na -Lösungen infundiert. In einem der letzteren Fälle erhielt Magnus (1. c, S. 69) von einem Kaninchen mit 1525 g Körpergewicht in einer Stunde 725 cm Harn, oder, wenn man aus der Mehrausscheidung gegen vorher den „diuretischen Effekt" nach v. Schröder ') pro 100 g Tier berechnet, einen solchen von 45,4 cm^ für eine Stunde. Külz sowie Bock und Hoffmann*) haben ähnliche Versuche angestellt. Letztere erhielten bei Infusion 1 proz. ClNa-Lösung 256 cm^ Harn pro Stunde. (Magnus weist zur Veranschaulichung diesesWertes daraufhin, daß die Nieren eines Menschen von 70 kg Gewicht in einer Stunde bei solchem Effekt 33 Liter Harn produzieren müßten.) Auch bei Hunden, die ja im allgemeinen weniger stark diuretisch reagieren, erhielt Magnus (1. c. S. 82) 1,4 cm' bzw. 1,3 cm^ Harn pro Minute und Kilogramm auf Einlauf von 0,9 proz. bzw. 0,6 proz. ClNa- Lösung; bei Infusion von konzentrierter Salzlösung war die Diurese gering, der Harn auf der Höhe der Diurese sehr dünn. Also : wird mit dem Salze sehr viel "Wasser gegeben, wird also rasch eine bedeutende Hydrämie erzeugt, so ist die Diurese am bedeutendsten ; muß aber der Körper durch Einlauf konzentrierter Salz- lösungen Gewebswasser hergeben, so ist die Diurese viel geringer. Magnus (1. c. S. 91) weist selbst darauf hin, wie empfindlich der Körper gegen Wasserentziehung ist; die Arbeiten von Nothwang, der an Tauben, Straub"), der an Hunden experimentierte, ebenso von B o s t '') zeigen , wie leicht er dagegen große Mengen Wasser aufnimmt und in Depots festhält. Haben schon frühere Arbeiten ergeben, daß dem Körper zur Elimination von Substanzen bzw. zur Aufrechterhaltung eines konstanten osmotischen Druckes im Blute nicht unbedeutende Wassermengen zu Gebote stehen (v. Brasol für Zucker, Klikowicz, Moritz u. a. für Salze), so zeigt eine interessante Studie von Engels^), daß die Muskeln vornehmlich diese Wasserdepots sind, daß sie außerordentlich leicht von eingeführtem Wasser große Mengen aufspeichern und bei Bedarf wieder abgeben können. Overton") fand dies auch an isolierten Muskeln, und konstatierte, daß trotz wechselnden Wasser- gehaltes die Muskeln gut funktionierten. ') Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 24, 90, 1888. — '') Zit. bei Heidenhaiu, Handb., S. 332/333. — *) Dissert., Marburg 1891; Zeitschr. f. Biol. 38, 537, 1899. — ") Arb. Kais. Gesundh. -Amt. 18 (1901) bzw. 19 (1902). — *) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 51, 346 ff., 1904. — ') Pflügers Arch. 92, 115, 1902. Ausfuhrmengen gelöster Substanzen. 257 3. Mengenverhältnis der ausgeschiedenen Harnbestandteile (inkl. Ab- scheidung injizierter körperfremder Substanzen [Farbstoffe usw.]). Nach Bowmans und Heidenhains Ansiebt secernieren die Glomeruli Wasser oder höchstens Wasser und einige Salze, welche überall im Körper Begleiter des Wassers sind, dagegen werden daselbst weder Harnstoff noch Harnsäure (bzw. alle „spezifischen Harnbestandteile") und ebensowenig etwa beigemengte abnorme Bestandteile (Farbstoffe usw.) abgeschieden. Wir haben A. infest in. comm. Fig. 98. Corp. adipos. Gl. suprarenal. Ureter Vesic. seminalis A. vesic. seminal. A. redo-vesical. M. compr. cloac. A. glutaea Art. Ureter. A. inesent. post. Kectum Vesica urin. A. Iiaemorrh. med. ventr. A. haemorrh. post. 3/. sphincter ani A. cut. fem. post. A. vesival. dors. A. obtiirat. Aa. urogenitales beim Männchen. Dazu: A. reeto-vesicalis (A. epigastrico-vesicalis) und Aa. pudendae. Nach Gaupp, Anat. d. Prosch. 2, 331. oben eine Reihe von histologischen Tatsachen kennen gelernt, welche eine sekretorische Funktion der Rindenepithelien sehr wahrscheinlich machen, neben denen eine Glomerulusfiltration natürlich aber sehr wohl einhergehen kann. Heidenhain stützt seine Ansicht vornehmlich auf die Versuche mit Injektionen von Indigkarmin. Es war schon hervorgehoben worden, daß die Resultate solcher Injektionen auch von dem Standpunkte einer Re- sorption des mit dem Knäuelfiltrat herabströmenden Farbstoffes aus erklärt werden können, und v. Sobieransky i) hat mit Recht auf eine solche Mög- ^) Arcli. f. exp. Patliol. u. Pharm. 35, 1 ff., 1895. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 17 258 Ausfulirmengen gelöster Substanzen. lichkeit hingewiesen und sie durcli erneute Versuche zu erhärten gesucht, wie auch früher Runeberg. Beweisend sind aber die Versiache mit Farb- stoffen, welche, wie Indigkarmin, so leicht einer Reduktion mit Bildung des Leukoproduktes unterliegen , keineswegs. Daß in der Niere Eeduktions- prozesse stattfinden, hat Dreseri) gezeigt. Nach Injektion von Methylenblau wurde ein schwach blauer Harn abgeschieden, der sich mit Eisenchlorid intensiv blau färbte. Farbstoffe, welche nur in alkalischer Lösung reduziert werden (Alizarin, Phenolphthalein, Fluorescin), wurden unreduziert ausgeschieden. Ebensowenig können die Versuche Nußbaums 2), die Heidenhain als ge- wichtige Stütze gegen die Filtrations- und Resorptionstheorie heranzieht, noch als beweisend gelten. Gestützt auf die Tatsache, daß in der Niere des Frosches die Glomeruli durch die Artt. renales (Äste der Artt. urogenitales), die Harnkanälchen aber durch die Vena Jacobsoni , welche die Vena renalis advehens princeps (Nierenpfortader, V. iliaca communis) und die Venae renales Fig. 99. V. eava post. cohsonii Vv. renal, revehent. { V. (Jorso-lwnl). Vv. oviiluc. - V. iliaca cominun. Ureter Zu- und abführende Venen der rechten Niere, von der Dorsalseite. Nach Gaupp, Anat. d. Frosch. 2. 418. advehentes secundariae zusammenfaßt, gespeist werden^), unterband Nuß- baum die Nierenarterien des Frosches. Die Harnsekretion stockte danach vollkommen; injizierte er aber jetzt den Fröschen Harnstoff, so trat wieder Harnabscheidung auf. Heiden hain sieht darin eine von der Glomerulus- sekretion unabhängige Abscheidung von Wasser und gelösten Harnbestand- teilen. Adamis^) Einwände gegen Nußbaum wurden von letzterem'') zum Teil widerlegt, und Beddard^), der auf Starlings Veranlassung die Versuche wieder aufnahm, zeigte, daß die Untei-bindung der arteriellen Ge- fäße die Zirkulation in den Glomerulis wirklich vollständig aufhebt, nur müssen zugleich auch die arteriellen Zweige, welche von den Geschlechtsorganen zur Niere laufen, ebenso die feinen Äste, welche oft von der Art. intestinalis communis (syn. Art. coeliaco-mesenterica) — am besten durch Cauterisation — ausgeschaltet werden. Es zeigte sich dabei, daß durch die Unterbindung des arteriellen Zuflusses alle Glomeruluscapillaren infarciert waren. Bei Fröschen, die nach der Adamischen Operationsmethode unterbunden waren , konnte ') Zeitschr. f. Biol. 21, 41, 1885. — *) Pflügers Arch. 16 (1878), 17 (1879). — ^) Die Einzelheiten dieser Kreislaufsverhältnisse siehe in Gaupps Bearbeitung von Ecker-Wiedersheims Anatomie des Frosches, II u. III (Braunschweig 1899 und 1904). — ■•) Journ. of Physiol. 6, 382, 1885. — ^) Anat. Anz. 1886. — ^) Journ. of Physiol. 28, 20 ff., 1902. Die experimentelle Ausschaltung der Glomeruli. 259 Beddard (1. c. S. 23) durch Injektion immer noch mehr als 50 Proz. aller Glomeruli der oberen Nierenhälfte von der Aorta aus injizieren. War aber die Unterbindung eine genügende, d. h. ließen sich am Ende des Versuches durch Injektion keine oder nur ganz wenige Glomeruli injizieren, so trat niemals Urinsekretion auf, auch nicht nach Injektion von Harn- stoff. Trat eine solche Harnabsonderung auf U-Injektion auf, so ließen sich nachher stets viele Glomeruli mit Farbstoff injizieren. Die Versuche von Nußbaum, bei denen er eine Urinabscheidung nach U-Injektion erhielt, sind also solche mit unvollkommener Ligatur gewesen, und Heidenhains daraus gezogene Schlußfolgerung, daß die Glomeruli für die Abscheidung der „spezifischen Harnbestandteile" nicht in Betracht kommen, wird damit hinfällig. Beddard (1. c. S. 28) stellte aber noch weiterhin fest, daß bei vollkommener Arterienligatur auch die Epithelien der Nierenkanälchen eine Desquamation und Degeneration zeigten. Sie ist eine Folge der Unter- brechung des arteriellen Zuflusses und fehlte dementsprechend an den Orten, wo die zugehörigen Glomeruli — bei nicht ganz vollständiger Absperrung — sich injizieren ließen. Dieser Befund mahnt nun andererseits zur Vorsicht, aus dem Versiegen der Harnsekretion nach Glomerulusausschaltung den Schluß zu ziehen, daß eine Abscheidung von Harnbestandteilen in Lösung durch die Kanälchenepithelien nicht möglich sei. Konnten also die Heide nhainschen Einwände nichts gegen eine Aus- scheidung der „spezifischen Harnbestandteile" im Glomerulus beweisen, so sprechen andererseits die Untersuchungen über die Mengenverhältnisse der ausgeschiedenen Harnfixa bei geringer oder stax'ker Absonderung für ein Glomerulusprodukt, das alle nicht in colloidaler Form kreisenden Blutbestand- teile enthält. Es müssen dementsprechend alle diese Stoffe durch Diuretica in erhöhtem Maße ausgeführt werden; alle diejenigen, deren Fortschaffung durch eine Sekretion der Kanälchenepithelien erfolgt, werden ein solches Ver- hältnis vermissen lassen. Eine eventuelle Rückresorption wird bei sehr rascher Kanaldurchströmung dieses Verhältnis nicht stark verdecken können. Bei Coffeindiurese der Kaninchen beobachtete v. Schröder (1. c.) mit dem Be- ginne der Diurese ein Steigen der Harnfixa inklusive des Harnstoffes, ebenso fand Thompson ') bei der Kochsalzdiurese — die von ihm erzeugten Pepton- Kochsalzdiuresen ^) ließen sich auf Salzwirkung zurückführen — sowohl die + U- als auch die ClNa-Ausfuhr gesteigert. Es wurden während der Diurese (1. c. S. 185) 47 Proz. mehr Harnstoff — bestimmt nach Mörner-Sjökvist — ausgeführt als vorher; bei den Chloriden — nach Volhards Methode be- stimmt — war die Ausfuhr nicht so bedeutend gesteigert, da der Prozent- gehalt an ClNa des Diureseharns sehr gering war; auch ist Thompson (1. c. S. 502) durch Kontrollexperimente zu der Ansicht gekommen, daß die verringerte Chlorausscheidung durch das Anästheticum — Morphium und Chloroform-Äther-Mischung — bewirkt wurde. Löwi-^), der die Verhältnisse genauer studierte (s. unten), hebt wohl mit Recht hervor, daß für die Frage nach dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ausscheidung des Wassers und ') Journ. of Physiol. 25, 487, 1900. — ^) Ebenda S. 179 ff. — ^) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 48, 410 ff., 1902. 17* ;OßQ Ausfuhrmengen gelöster Substanzen. der frei gelösten Bestandteile nur die Änderung ihrer absoluten Ausschei- dungsgröße in Betracht kommt. Da wir nie wissen, ob und wieviel bei der Yor der Diurese stattfindenden Harnabscheidung von einzelnen Substanzen zurückresorbiert wurde, so kann die prozentuale Änderung bei gesteigerter Harnflut keine Schlüsse erlauben. Dazu kommt, daß der Gehalt des Blutes an den einzelnen Substanzen ein wechselnder sein wird, zudem von der Natur des angewendeten Diureticums abhängt und im Verlaufe der Diui'ese sich ändern wird. Löwi zieht noch heran das von Rosemann ^) und Rost 2) gefundene Steigen und Fallen der N- Ausfuhr mit der Wasserausscheidung, indes die Ausscheidung von Phosphorsäure in des letzteren und Röskes^) Versuchen nicht so oder entgegengesetzt verlief. Cushny^) fand im Be- ginne von Salzdiuresen ebenfalls ein starkes Ansteigen der Kochsalzausfuhr, ebenso Rutschmann''), der mit steigender und fallender Diurese auch eine entsprechende Änderung der ClNa-Ausfuhr konstatierte. Katsuyama*') bekam auf Theininjektionen an hungernden Kaninchen eine Steigerung der Ausfuhr der Harnalkalien; das Natrium erfuhr eine Steigerung um mehr als das Vierfache, die des Chlors wuchs ebenfalls sehr stark; die Kaliausfuhr stieg aber nur wenig oder gar nicht an. Ebenso erzielte er durch Diuretin und Harnstoff hohe Natrium- und Chloridausscheidung ; ersteres trieb meist auch die Kaliausfuhr in die Höhe, der Harnstoff nicht. Allerdings ist, wie Löwi bemerkt, bei der Beobachtung 24 stündiger Perioden ein Schluß auf die Ursachen der wechselnden Kaliausfuhrsteigerung nicht zu ziehen ; eine Beobachtung in kurzen Perioden wäre dazu nötig. Löwis eigene Versuche (1. c. S. 416 ff.) wurden an Kaninchen mit Naßfütterung (Rüben) in Chloral- oder Urethannarkose angestellt, der Harn aus Ureteren- oder Blasenkanülen aufgefangen, der Carotisdruck registriert und die Diuretica — Salze oder Coffeinpräparute — meist intravenös, seltener per os appliziert. Die Harn- proben wurden in Intervallen von 15 Minuten analysiert: die Chloride nach Volhard-Salkowski bestimmt, die Phosphorsäure (s. unten) durch Uran- titration — mit Cochenilletinktur als Indikator — ermittelt. Die Versuche mit Coff. natr. hens. in mehrfach wiederholten Infusionen ergaben nun mit jedem Ansteigen der Diurese eine bedeutende Steigerung der Trockensubstanz- menge, sowie der Chloridausfuhr, letztere wuchs nach den ersten Injektionen um das Drei-, Vier- und F'ünffache ; nach jeder folgenden Injektion war natür- lich infolge der Wasserverarmung des Organismus die Harnflut geringer und damit auch die Ausfuhr der Fixa. Das gleiche wurde durch Salzdiuresen erzielt, und zwar auch an Katzen und Hunden. Doch bewii-kte Natriumnitrat eine stärkere Chloridausfuhr als Natriumsulfat, was Löwi (1. c. S. 419) durch das leichte Diffusionsvermögen des Natriumnitrats erklärt, welches dann Koch- salz diosmotisch aus dem Körper verdrängt. Dreser^), der die diuretische Wirksamkeit des synthetisch dargestellten Theocins (1,3-Dimethylxanthin von Bayer u. Co. in Elberfeld) untersuchte, fand ein ähnliches Hinaufgehen der Salzausscheidung mit der Diurese. ') Pflügers Archiv 65, 343, 1897. — '^) Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheits- amt 19, Heft 1, 1902. — ^) Dissert., Greifswald 1897. — ") Journ. of Physiol. 27, 429 ff., 1902. — *) Pflügers Archiv 91, 574 ff., 1902 und ebenda S. 627. — *) Zeitschr. f. physiol. Chem. 28 (1899) und 32 (1901). — 0 Pflügers Arch. 102, Iff., 1904. Ausfuhrmengen gelöster Substanzen. 261 Er bestimmte (Selbstversuclie) das einstündige Harnvolumen, berechnete es pro Minute zum Vergleich mit der mittleren normalen Sekretionsgeschwindig- keit/lVIinute , die sich aus einer täglichen Harnmenge von 1500 bis 1800 cm'' zu 1,04 bis 1,25 cmVMinute ergibt. Durch die Gefrierpunktserniedrigung (//) er- mittelte er die osmotisch wirksamen Bestandteile (Harnstoff und Salze); durch die Leitfähigkeit a (= dem reziproken Werte des Widerstandes -j die Salzausfuhr pro jVIinute, da eine direkte Analyse der einzelnen Bestandteile bei den kleinen Harnmengen unmöglich war. Ist v/t das Minutvolum des Harnes, J die Gefrier- punktserniedrigung, so gibt J X vjt die Gesamtzahl der Moleküle der ausgeschie- denen osmotisch wii-ksamen Bestandteile. Der elektrische Leitungswiderstand des Harnes (.ß) wird um so größer sein, je weniger Ionen (dissoziierte bzw. dissoziiei'- V bare Salze) darin sind, also wird vjt X "^ oder- — - ein Maß für die ausgeschiedenen Xi X .-i Salzmengen abgeben. Die Messung von A bzw. — geschah nach Kohlrausch in einem U - Gefäß ') mit veränderlicher Kapazität bei 25" C. Als geeigneten Abstand der Elekti'oden wählte Dreser denjenigen, der für eine 1 proz. Cl Na -Lösung bei 25" C einen Widerstand von 600 i2 zeigte. Da der naittlere Tagesharn eine 1 proz. ClNa- Lösung darstellt, so stellen sich nach Dreser die Vergleichsdaten für Medi- ziner anschaulicher dar als durch Angabe in spezifischer Leitfähigkeit. Zu berück- sichtigen ist dabei, daß mit der Verdünnung die Dissoziation steigt; es entspricht eine 0,5 proz. ClNa- Lösung nicht 1200 i2, sondern 1158 ü „ 0,25 „ „ „ 2400 i2, „ 2270 St „ 2,0 , „ „ 300 i2, „ 320 i2 + Um das Verhältnis der Nichtelektrolyte (U) zu den Elektrolyten [Salzen, vornehm- lich ClNa, wie Koranyi""^) hervorhebt] festzustellen, bildete Dreser das Produkt J X i2. Denn das Leitvermögen A ^ — wächst mit der Anzahl der dissoziierten 3Ioleküle bzw. mit dem Salzgehalt ; d. h. wenn bei gleichem // ein Teil des Harn- stoffes (der Nichtelektrolyte) durch die entsprechende Menge ClNa ersetzt ist, muß das Produkt J X i2 abnehmen; bei höherem U- Gehalt wird J y< ü steigen. Auf 0,4 g Theocineinnalime steigerte sicli nun mit der Diurese, welche durch Nachtrinken von Wasser in gleichem Quantum wie die entleerten Harnijortionen unterhalten wurde, die Salzausscheidung sowohl als diejenige der Nichtelektrolyte (Harnstoff) ganz bedeutend. Das Theocin zeigte sich dabei im Hervorbringen einer Diurese dem Coffein und dem Theobromin sehr überlegen. Doch sind alle diese Diuretica nur wirksam bei hohem Wasser- gehalt des Organismus, bzw. wenn an Gesunden der Wasserverlust ersetzt wird, daher ihr hoher Wert bei hydropischen Zuständen. Diurese konnte Dreser durch Coffein und Theobromin auch beim Hunde erzeugen, wenn er das Harnwasser (als Milch) nachtrinken ließ. Die gegenteiligen Angaben (v. Schröder u. a.) über Versagen des Coffeins beim Hunde, der im all- gemeinen ja mit geringem Wasserwechsel lebt, beruhen also wohl auf dem Wassermangel. In Galeottis (I.e.) Versuchen ei-reichte ebenfalls die Elimi- nationsgeschwindigkeit der anorganischen Harnbestandteile auf der Höhe der Salzdiurese den größten Wert; je dünner der Harn, desto größer die Elimi- nationsgeschwindigkeit und umgekehrt. Die EHminationsgeschwindigkeit der ^) Asher (Zeitschr. f. Biol. 46, 12, 1905) hat ein Widerstandsgefäß konstruiert, das sich für medizinische Zwecke sehr gut eignet, da es nur einer geringen Flüssig- keitsmenge (1,7 cm'*) bedarf und leicht zu reinigen ist. — ^) Zeitschr. f. klin. Mediz. 33, 1, 1897. 262 Ausfuhrmengeu gelöster Substanzen. organischen Substanzen dagegen stieg nur anfänglich ein klein wenig, sie blieb im allgemeinen ziemlich konstant. Entsprechend der Annahme eines Glomerulusexkretes, das nur enteiweißtes Plasma darstellt, zeigte sich (Dreser, 1. c. S. 23/25), daß auch bei einer Diurese durch Trinken von großen Wasser- mengen die Ausfuhr der Fixa außerordentlich gesteigert war, allerdings nur so lange (etwa 70' lang), als noch Salze dem Organismus entzogen werden konnten; sie stieg dementsprechend nach dem Mittagessen (Salzzufuhr) auch wieder an. Sehr deutlich ergab sich aber, daß alle Diuretica die einfache Wasserzufuhr in der Herbeiführung einer Ausfuhrsteigerung der Harnfixa bedeutend übertreffen, indem z. B. Theocin (s. Dreser, 1. c. S. 31) auch ohne Nachtrinken von Wasser eine der Norm erheblich überlegene Stoffausfuhr bewirkt. Ob aber dies, wie Dreser will, auf einen besonderen ,,Reiz" der Diuretica auf die secernierenden Eplthelien zu schieben ist, oder ob nicht zum Teil auf die oben erwähnte, durch die Diuretica bewirkte, außerordentlich gesteigerte Nierendurchblutung, deren Angriffspunkt im Gefäßsystem der Niere selbst liegt und welche der Wasserwirkung nur im Maße ihrer Aussalzung des Organismus eignet, das wäre noch näher zu untersuchen. Eine 2)arallel laufende Wirkung auf die Nierenepithelien ist auf jeden Fall nicht aus- zuschließen, scheint mir aber mehr darauf zu beruhen, daß die Diuretica der Puringruppe die Rückresorption der gelösten Stoffe in den Harnkanälchen hemmen, eine Ansicht, die ja schon v. Sobieransky ausgesprochen hat (s. unter Resorption). B. Die Resorption in den Markkanälchen. I. Wasserresorption. Um den höheren Gehalt des Harnes an gelösten Stoffen gegenüber dem des Blutes zu erklären, stellte Ludwig die Hypothese auf, daß beim Durch- fließen durch die Harnkanälchen das Knäuelfiltrat in Austausch trete mit dem Blute, das sehr viel konzentrierter aus den Glomerulis ausfließe und das außer- ordentlich dichte, um die Niere nkanälchen gesponnene Netz von Capillaren durchströme i). Er erweiterte dann die Hypothese noch durch Hinzuziehung der Lymphbahnen als resorbierender Wege. v. Sobieransky (1. c.) hat, wie schon erwähnt, die von Heidenhain nach Indigkarmininjektionen erhaltenen und als Beweise eines Sekretionsvorganges aufgefaßten Bilder so gedeutet, daß gerade an ihnen der Resorptionshypothese eine starke Stütze erwachse. Die resorbierenden Teile sollen nach ihm vornehmlich die mit Bürstensaum versehenen Epithelien der Nierenkanälchen sein. Auf Grund der früher dar- gelegten histologischen Befunde kommt diesen Kanalabschnitten wohl un- zweifelhaft eine sekretorische Funktion zu; eine Resorption war daneben nicht auszuschließen. Zieht man die eigentümliche, mehr einem Endothel gleichende Auskleidung der absteigenden Schleifenschenkel in Betracht, desgleichen das Fehlen des Bürstensaumes im größten Teile der Schleifen sowie in den Sammel- röhren, die ja nach der Ansicht vieler Autoren auch der Membrana propria entbehren sollen, so würde das „Mark" vornehmlich als Resorptionsstätte an- zusprechen sein. Hüfner^) hatte auf Grund vergleichend-anatomischer Unter- ') Wagners Handwörterbuch 2, 638, 1844. — -) Z. vgl. „Auat. u. Physiol. der Harnkanälchen", Leipzig 1866. Eesorption im Mark. 263 sucliuDgen die gleiche Ansicht avisgesprochen; er fand bei Fischen und Fröschen, deren Organismus eine Wassersparung nicht benötigt, die den absteigenden Schleifenschenkeln entsprechenden Kanalabschnitte nicht so ausgebildet wie beim Säuger oder beim Vogel. Zudem sind, wie schon früher erwähnt, die unteren Schleif enteile, sowie die Sammelröhren in tieferen Papillargebieten durch ein sehr mächtiges Zwischeugewebe voneinander getrennt. Für eine Eindickung im Marke spxicht auch, wie früher erwähnt, daß bei Farbstoff- oder Harnsäure- injektionen die Massen in größerer Dichtigkeit in den Schleifen und geraden Harnkanälchen liegen. Ebenfalls drängt sich nach Eibberti) eine solche Annahme auf bei Betrachtung von Albuminurienieren, wo, zumal in gekochten Präparaten, „das Eiweiß in den Glomeruluskapseln und in den gewundenen Harnkanälchen die gleiche, relativ geringe Dichtigkeit zeigt, in den Schleifen, den Schaltstücken und Sammelröhren viel dichter erscheint und so in Gestalt kompakter hyaliner Zylinder uns entgegentritt". Daß das Eiweiß bei kranken Vieren, bzw. wenn es in Form blutfremden Eiweißes kreist, durch die Glome- ruli abgeschieden wird, darüber herrscht Einstimmigkeit unter den Autoren. — Kibbert (I.e. S. 11 u. 12) hat weiterhin auch durch Versuche zu er- weisen gesucht, daß die Resorption vornehmlich im Marke stattfindet. Er injizierte von Lithionkarmin- oder Indigkarminlösungen in die Markpapille einer aus dorsaler Wunde luxierten Kaninchenniere vei'mittelst Pravazspritze 1 ccm in 2 Minuten mit der Richtung gegen die Einde. Auf der Oberfläche des Organs entstanden an mehreren benachbarten Stellen rote Flecke: die betreffenden Partien, in Alkohol gehärtet, zeigten in mehreren Markstrahlen — entsprechend einer ge- wissen Anzahl durch die Spi'itze angeschnittener Markkanälchen — eine AnfüUung von geraden Harnkanälchen, auf- und absteigenden Schleifenschenkeln mit körnigem Karmin. Da die Nierensubstanz an und für sich keine Ausfällung des Farbstoffes bewirkt, so kann dies wohl nur aus einer Eesorption des Lösungswassers erklärt werden. An der Spitze der betreffenden Markstrahlen enthielten auch einige Tuhiili contorti Karmin, Avenn auch nur in geringen Mengen. Es zeigte sich auch hier die eigentümliche Beziehung zum Bürstenbesatz, welche, wie schon früher erwähnt, Eibbert und sein Schüler A. Schmidt bei intravenöser Injektion der Karminlösungen erhalten hatten, nämlich daß der Farbstoff den Bürstensaum mit zarter diffuser Eötung tingiert hatte und auch in den supranucleären , an den Bürstensaum grenzenden Partien des Protoplasmas der Epithelzellen in Körnchen abgelagert war. Doch fehlten die bei intravenöser Injektion von größeren Karmin- mengen (siehe Eibbert, 1. c. S. 5 u. Fig. 4, Taf. I) sich findenden gröberen roten Granula der mittleren perinucleären Zellpartien. Ribbert stellt sich daher auf den Standpunkt von Sobieransky, daß auch in den gewundenen Kanälcheu neben ihrer seki-etorischen Tätigkeit eine Eesorption stattfindet; der Bürstensaum würde dann die Eolle einer Membran spielen, durch welche endosmotische Vor- gänge sich vollziehen , denen zufolge die durch Zelltätigkeit (Vacuolen usw. , siehe früher) bis an den Bürstensaum herangeführte Stoffe gegen Wasser ausgetauscht, Wasser in die Zellen mit aufgenommen würde. In vorliegendem Versuche wäre Karmin von den Zellen zugleich mit aufgenommen worden. Findet eine solche Harnkonzentration im Marke statt, so muß die Aus- schaltung desselben einen diluierten Harn liefern. Ribbert-) hat dies experi- mentell geprüft und sich dabei den Umstand zunutze gemacht, daß die Niere der Nager nur eine einzige Markpyramide hat. Mit einem Hohlmeißel wurde die Markpyramide einer Kaniuchenniere entfernt und die andere Niere exstk- piert; die Tiere lebten 48 bis 60 Stunden. Der abgesonderte Harn war sehr viel verdünnter als bei Kontrolltieren; die Harnmenge sehr vermehrt und nur ') 1. c. Bibl. med. Kassel. — ") Virchows Arch. 93, 169, 1883. 264 Resorption im Mark (Wasser). Spuren von Albumen vorhanden. Boyd i), welcher die Experimente Eibberts mit etwas veränderter Technik wiederholte und vor allem gegenüber den bloßen Schätzungen Ribberts den Harn sowie das Naßfutter (Kohl) genau analysierte, erhielt bei vollständiger Markentfernung — welche nur schwer gelingt — Infarkt und damit Nekrose der Rinde. Bei unvollständiger Ent- fernung der Markpyramide trat keine vermehrte Harneekretion auf. H.Meyer'-) hat in Verbindung mit Hausmann die Ribbertschen Versuche wiederholt: rechte Niere vorher entfernt, dann Mark der linken Niere exstirpiert. Wie Ribbert erhielt er eine drei- bis vierfache Harnmenge: „der vor der Operation dunkle, leimige Harn (Haferkaninchen) von 1040 bis 1050 Dichte wurde als- bald hell, dünnflüssig und zeigte eine Dichte von 1009 bis 1011. Die Ana- lyse ergab das bemerkenswerte Resultat, daß, wie auch der Gehalt des Normal- harns an C1:N gewesen sein mochte, er nach der Operation sich immer auf eine Höhe einstellte, die dem Gehalte des Blutes, d. h. eines aus dem Blute abgeschiedenen, eiweißfreien Filtrates nahe kam" (1. c. S. 93). Die Harnmenge der nie länger als drei Tage die Operation überlebenden Tiere war nicht so groß, als bei intakter Rinde zu erwarten gewesen wäre; dementsprechend zeigte aber die von Disse vorgenommene Untersuchung der Nieren, daß nur ein Teil der Glomeruli funktioniert hatte. Bujniewicz •'■) hat einen Fall aus der menschlichen Pathologie beobachtet, wo Verhältnisse, ähnlich denen, die Ribbert experimentell erzeugt hatte, vorlagen. Bei einer Frau war durch einen Stoß die rechte Niere in drei Teile gespalten und der Ureter durch- rissen worden; nach Herausnahme von zwei Teilen der Niere und Unter- bindung der den Rest versorgenden Nierenarterie bildete sich eine Harn- leiterfistel, durch die eiweißfreier Harn ausfloß, bis zu 1 Liter in 24'\ z/ des Harns der gesunden linken Niere betrug im Mittel aus 7 Tagen — 1,124*^ C, z/ des Harns der rechten Niere im Mittel aus 6 Tagen — 0,29; der Prozent- gehalt an ClNa links 0,66, rechts 0,30. Der Nierenrest wurde exstirpiert und mikroskopisch untersucht: es fanden sich darin die Glomeruli unversehrt, während die gewundenen Kanälcheu an vielen Stellen durch körnige Massen verstopft, ihr Epithel verschwunden oder abgestorben war. In der Markschicht bestanden krankhafte Veränderungen am Epithel der Heule. sehen Schleifen und der geraden Kanälchen. II. Resorption gelöster Substanzen. Die durch diese Erfahrungen gestützte Annahme einer Wasserresorption in der Niere geht aber, wie mannigfaltige Beobachtungen ergeben, mit einer Rückresorption im Harn gelöster Bestandteile einher. Die betreffenden Unter- suchungen sind von mehreren Seiten aus in Angriff genommen worden. H. Meyer und Halsey"*) gingen von der Tatsache aus, daß die Eindickung der flüssigen Ingesta im Darme verzögert werden kann durch Zusatz von Salzen, und daß dabei Kochsalz sehr schwach Avirkt, die Salze der Glauber- salzgruppe aber sehr stark, und zwar infolge ihrer sehr langsamen Resorption. Würde Kochsalz in der Niere zurückresorbiert und in die Gewebe geführt — wobei natürlich der allgemeine Kochsalzbestand des Körpers berücksichtigt ') Journ. of Physiol. 28, 7&ff., 1902. — ') Marb. Sitzungsber. , Juli 1902. — ^) La Physiologiste russe 3, 196, 1904; zit. nach Ergebnisse 1 (l), 427. — ■*) Siehe oben 1. c. Die Versuche wurden Avegen Fortgang des Herrn Dr. Halsey abgebrochen. Eesorption im Mark (Wasser). 265 werden muß — so würde es eine weniger starke Diurese hervorrufen als das nicht oder sehr schwer resorbierbare Glaubersalz, welches dann eine ent- sprechend längere Hydrämie bedingen müßte. Sie brachten nun isoosmotische Lösungen von ClNa und Na2S04 in das Blut von Kaninchen und erhielten in der Tat eine stärkere Diurese durch Glaubersalz als durch Kochsalz. Magnus (1. c), der wie Sollmann bei seinen Diureseversuchen mit iso- tonischen Salzlösungen schon die stärkere Wirkung des Glaubersalzes fand, schrieb ihm einen stärkeren Reiz auf die Nierenzellen zu. Cushny^) sowie Gottlieb und Magnus 2) haben ähnliche Versuche angestellt bzw. sie durch gleichzeitige Einführung zweier Salze erweitert. Ausgehend von der Tatsache, daiä die oben erwähnten Unterschiede der Wirkung verschiedener Salzgrupi^en auf deren Anionen beruhen, stellte sich Cnshny für seine Versuche Lösungen von ClNa, ISTa^SO^ und Na^HP O4 her, welche 3,55 Proz. CI, 9,6 Proz. SO4 und 9,5 Proz. PO^ enthielten — daneben zog er auch Harnstoff in Lösungen von 6 Proz. in den Kreis seiner Versuche — , und dementsprechend wurden auch die Chlor-, Sulfat- und Phosphat-Äquivalente im Harn aus den Analysen berechnet. Die Harnmengen wurden in sehr kleinen Intervallen (bis zu 5' herab) bestimmt und jede Probe für sich analysiert, um möglichst genau den Verlauf der Aus- scheidung verfolgen zu können. Die Gesamtheit der gleichlaufenden Serum Unter- suchungen konnte natürlich nicht an dem für das Harnanalyseexperiment benutzten Tiere vorgenommen werden, ohne eine neue Variable durch die benötigten starken Blutentziehungen einzuführen. Es Avurden daher identische Experimente jeweils an einer Eeihe von Tieren vorgenommen, eines davon auf der Höhe der Harnflut verblutet, ein anderes mit abklingender Diurese. Wurden nun z.B. (Exp. I, S. 432) in 25 Minuten 50 ccm einer Mischung von gleichen Teilen der ClNa- und NaS04-Lösungen einem Kaninchen in die Jugularvene injiziert, so setzte nach wenigen Minuten eine starke Diurese ein, die auch am Ende des Versuches (nach 2^2 Stunden) noch nicht voll- ständig beendet war. Die Harnchloride stiegen mit der Harnflut, und zwar nicht nur in absoluter Menge, sondern auch prozentisch; sie erreichten ihr Maximum auf der Höhe der Diurese und fielen dann mit ihr in Gesamtbetrag und Prozentzahl — oft sogar unter den anfänglichen (Normal-) Gehalt. Das Steigen der absoluten Sulfatmengen deckte sich mit dem von Wasser und Chlor, aber das Fallen geschah viel langsamer. Der Prozentgehalt an Sulfat stieg also nicht nur mit wachsender Diurese, sondern fort und fort während des ganzen Versuches, so daß am PCnde ein Harn mit 2 bis 3 Proz. Sulfat- gehalt austrat. Am Schlüsse des Versuches war von den injizierten Chlor- und Sulfatmengen noch nicht alles ausgeschieden; im Körper war also sicher noch sehr viel Cl zu einer Zeit, wo der Harn fast nichts mehr davon enthielt. [Cushny erwähnt, daß auch Magnus (1. c.) nach Eiulauf abgemessener Quantitäten dünner Salzlösungen eine normale Harnmenge erhielt zu einer Zeit, wo sich sicher noch ein großer Überschuß von Wasser und Salz im Körper befand.] Aber immer war die in der Versuchszeit ausgeschiedene Chlormenge viel geringer als die entfernte Sulfatmenge, selbst bei Berechnung auf aus- geschiedene Anionenquanten; im Anfang jedoch mit steigender Diurese war das Chlor im Überschuß. In Exp. H wurde mit dem Diureseversuch die Serum- untersuchung verbunden. Die Injektion von 25 cm-'' gleicher Teile ClNa- und ^) Journ. of Physiol. 27, 427 ff., 1901/1902. — -) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 45, 1. 2(36 Resorption gelöster Bestandteile. NagSO^ -Mischung dauerte 10 Minuten, in der 11. Minute, auf der Höhe der Diurese — es waren 28 cm^ Urin in 11 Minuten abgeflossen — wurde das Tier verblutet. Bei einem zweiten Tiere, das in 30 Minuten 40 cm^ der Mischung erhalten und das den gleichen Verlauf der Ausscheidungen wie das erste auf der Höhe der Diurese gezeigt hatte, sammelte man am Ende der Diurese während 75 Minuten 12 cm'^ Urin, dann verblutete man es. Die erhaltenen Zahlen sind: Exp. II (Diuresemaximum) •! Serum Urin Chlor Proz. Sulfat Proz. . , , i Serum 0,493 Exp. III (Nachpenode) • • J ^.^..^^ ^^^^^ 0,547 0,259 0,372 0,546 0,191 2,000 Diese Zahlen weisen darauf hin, daß der Gehalt des Blutes an Salzen nicht der bestimmende Faktor für deren Ausscheidung sein kann, man müßte denn die unwahrscheinliche Annahme machen, daß die ausscheidenden Zellen im Ver- laufe der Diurese ihre Fähigkeit zur Ausscheidung gänzlich umkehren. Wenn der Gehalt an „harnfähigen" Salzen das Entscheidende wäre für ihre Aus- scheidung, 80 ist schwer einzusehen, warum am Ende des Versuches der hohe Chlorgehalt des Blutes nicht mehr wirksam gewesen wäre, der verminderte Sulfatgehalt aber sich zum stärkeren Stimulans ausgebildet hätte. Und mehr noch. Wird nur Sulfatlösung injiziert (Exp. IV, S. 436), bleibt also die Chloridmenge des Körpers bzw. des Blutes ungeändert, so wird doch für eine kurze Zeit mit steigender Diurese mehr Chlorid ausgeschieden als Sulfat, und viel mehr als im anfänglichen (Xormal-)Harn. Ein anderes Gesicht bekommen diese Tatsachen, wenn man annimmt, daß das Glomerulusfiltrat ein Plasma minus Eiweiß ist, die Salze im Verhältnis ihres Gehaltes im Blute enthaltend, daß aber auf dem Wege durch die Nierenkanälchen eine Resorption von Wasser und gelöster Substanzen eintritt, und daß für letztere ihre Resorbierbarkeit entscheidet, vielleicht noch modiflziert durch das Bedürfnis des Organismus an ihnen. Bei starker Harnflut, also rascher Durchströmung der Kanälcbeu, wird sowohl die Konzentration (Wasserresorption) noch gering sein, als auch der Unterschied im Salzgehalt gegen den des Blutes; mit ebbender Diurese aber muß das leicht resorbierbare und begehrte Kochsalz aus dem Harn schwinden, während die wachsende Konzentration infolge stärkerer W^asser- rücknahme den Gehalt des schwer resorbierbaren Sulfats, trotz stark ver- minderter Anwesenheit im Blute, im Harn außerordentlich in die Höhe ti-eibt. Daß die Zellen der Nierenkanälchen Sulfat schwer resorbieren, würde sie, wie schon erwähnt, in eine Reihe stellen mit den Darmepithelien und den roten Blutscheiben, und Cushny zieht wohl mit Recht auch die Erfahrungen Hof- meisters heran, daß Gelatine aus Sulfatliisungen schwerer Wasser aufnimmt als aus Chloridlösungen. Er hebt aber hervor, daß dies Verhalten gegenüber den Sulfaten nicht für alle Zellen gilt, wie Starling und Leathes sowie Magnus zeigten, welche die Pleura bzw. die Capillarendothelien ebenso leicht für Sulfat durchgängig fanden wie für Chloride. Der Frage, ob Sulfat vielleicht leichter den Glomerulus passiere als Chlorid, und daß dadurch, nicht durch Resorptionsverschiedenheiten, die Eesor23tion gelöster Bestandteile. 267 Differenz hervorgebi-acht würde, suchte Cushuy (1. c.) noch auf anderem Wege näher zu treten. In obigem Versuche (Exp. II mit Serumanalyse auf der Höhe der Diurese) enthielten die 28 cni'* Harn 0,153 g Sulfat und 0,1044 g Chlor. Nach dem Prozentgehalt des Serums (siehe oben) wären in 59 cm^ Serum 0,153 g Sulfat enthalten gewesen, an Chlor hätte es 0,3227 g geführt. Hätte ein Glomerulusfiltrat gleich Plasma minus Eiweiß passiert, so müßten 31 ccm Wasser -|- 0,2183 g Chlor zurückresorbiert worden sein — im Falle ungleicher Permeabilität der Glomeruluswand müßte so viel mehr Sulfat hin- durchgegangen sein als Chlor. Dann müßte aber auch auf der Höhe der Diurese das Maximum der Sulfatausfuhr eher auftreten als das des Chlors, während, wenn Avir gleiche Passierbarkeit annehmen und die Ungleichheit des Ausfuhrbetrages auf Rückresorption von Chlorid beziehen , in diesem Stadium hoher Harnflut, wo die Resorption nur wenig effektvoll ist, die Maxima der Ausfuhr annähernd zusammenfallen müssen. Cushnys Experi- mente mit sehr kurzen Intervallen der Harnsammlunsf bringen das letztere Fig IOC . , 1 N // l\ / / \i ) f > =^ \L H N '^ — 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Minuten ■^Injektion der Na Gl- u. NaäSOi-Lösung. Die stark ausgezogene Linie = Harnmenge. Die dünn iui^aezosene Linie = S04-Äquivalente. Die punktierte Linie =: Cl-Aquivalente. Nach Cushny (Journ. of Physiol. 27, 410, 1901/1902, Fig. 2). zur Evidenz (siehe beistehende Kurve, Fig. 100) und geben zugleich ein Bild von der Ausfuhrverschiebung durch Wirksamwerden der Resorption mit fallender Diurese. Alle drei Komponenten — Wasser, ClXa und NaaSO^ — setzen gleichzeitig mit vermehrter Ausscheidung ein, ebenso werden die Maxima zu gleicher Zeit erreicht. Daß die absoluten Cl- Werte die von SO4 übertreffen , ist erklärlich durch den ja vorher schon hohen Kochsalzgehalt des Blutes. Der Prozentgehalt der Chloride im Harn war nie höher als im Blute , näherte sich aber in manchen Fällen auf der Höhe der Diurese dem des Blutes (S. 441, 1. c: 0,408 Proz. Chloride im Urin, 0,419 Proz. im Serum). Ähnliche Resultate wurden mit NaCl und Nag HPO4 erzielt bzw. mit Mischungen aller drei Substanzen. Beistehendes Diagramm (Fig. 101 a. f. S.) zeigt das Resultat des Exp. VII (S. 442, 1. c). Die Linie des Phosphats (durch Titration mit Uranacetat bestimmt) läuft so dicht bei der Sulfatlinie, daß beide in der Kurve nicht isoliert nebeneinander darzustellen sind; nur in späteren Stadien des betreffenden Versuches sank die Phosphatausscheidung unter die des Glaubersalzes ab: ob durch Rückresorption in der Niere oder Ablagerung im Körper, ist hier nicht zu entscheiden. In den Experimenten mit Harnstoff- 268 Resorption gelöster Bestandteile. und Kochsalzinjektionen (siehe beistehende Kurve, Fig. 102) zeigte sich beim Ansteigen und auf dem Maximum der Parallelismus, am Ende der Diurese aber ein langsameres Abfallen des U gegenüber dem ClNa. Der schweren Re- sorbierbarkeit des Harnstoffes — hier von vornherein zu erwarten — ist ja Fig 101. 1 \ / N y / s \ ; ^ / \ 1 / ^ ^ \ i 1 1 / \ \\ ^ / / \ -- i 'A. — ~ — .. ^ ^ t ^ ^^ - ^ ^ ^ ^ = 0 15 30 45 60 75 90 105 120 135 150 Minuten ^^ Injektion der ClNa-Na2S0,- n. NagHPOi -Lösung. Die stark ausgezogene Linie =: Harnmenuv. Die schwach ausgezogene Linie := PO4- u. SO4- Äquivalente. (Die Kurven beider Salze lagen so dicht beieinander, daß nur eine Kurve zu geben war.) Die gestrichelte Linie = Cl- Äquivalente. Nach Cushny (Journ. of Physiol. 27, 444, 1901/1902). auch 0 verton begegnet bei seinen Versuchen an Pflanzenzellen bzw. an Kaulquappen. Die Ausscheidung des ClNa blieb allerdings bei allen Ver- suchen, wo Kochsalz mit IlarnstoiT zusammengegeben wurde, höher als sonst,, ein Umstand, der vielleicht auf den Austauschverhältnissen im Körper beruht Fig. 102. — / \ / 1 ' 1 / > / 1 \ ' / / \ \ , / r \ \ / / / s} \ — ji / / \ i\ 1/ / \ y / f / \ y / \ K f ^ _^ t— .^ Ig H H — — — ~~ 5$i — ■ 0 15 30 45 60 75 90 105 120 135 150 Minuten + ■■i Injektion der CINa u. U-Mischung. Die stark ausgezogene Linie = Harnmenge. Die schwach + .. ausgezogene Linie = U-Äquivalente. Die inmktierte Linie = Cl-Äquivalente. Nach Cushny (Journ. of Physiol. 27, 445, 1901/1902). oder auf einer durch die abnormen kreisenden Harnstoffmengen hervor- gerufenen Schädigung der resorbierenden Fähigkeit der Epithelien. Die Versuche mit Harnstoff -\- Kochsalz geben aber auch eine vv^eitere Stütze für die Ansicht, daß die absolut immer sehr hohe CINa -Ausscheidung auf dessen Resorption gelöster Bestandteile. 269 liöheren Gehalt im Blute zurückzuführen ist. Die Giftwirkung des Glauber- salzes verbot eine Erhöhung der injizierten Menge; beim HarnstofI: ließ sich dies bewerkstelligen, und es ergab sich dann auch ein starkes Überwiegen der U-Ausscheidung über die des Chlors. In dem Versuche, den beistehende Kurve (Fig. 103) illustriei't , wurden Chlor und Harnstoff nicht in äquimole- kularen Mengen, sondern im Verhältnis 3:10 injiziert. Die Verhältnisse der Harnstoffausscheidung bzw. seiner Rückresorption liegen jedoch viel ver- wickelter dadurch, daß seine Resorption vom Darmkanal aus eine gute ist — er würde daher den Sulfaten gegenüber ein gutes Diureticum abgeben — , vom Nierenepithel sollte sie schwieriger sein. An und für sich wäre dies nicht unmöghch, es könnte aber auch die selbst bei abklingender Diurese noch starke Harnstoffausscheidung auf einer Abscheidung desselben durch die secernierenden Epithelien beruhen. Cushny (1. c.) macht zugleich mit Recht darauf aufmerksam, wie groß die Arbeit der resorbierenden Nierenepithelien sein mußte, wenn in seinen Fig. 103. \ \ 1 1 '\\ 1 \ 1 / , » / / / / f \\\ r w \ \k ^ XJ ^ ^ = ^ =. ^ 45 105 Minuten ^■i Injektion von ca. 1 g Cl u. 6 g Ü. Wie !Fig. 102: Der Maßstab aber viermal kleiner als in Fig. 102. Nach Cvishny (Joiirn. of Physiol. 27, 447, 1901/1902). Versuchen aus einer sehr verdünnten Lösung, wie sie das Glomerulusfiltrat nach Injektion von geringen Glaubersalzmengen ins Blut darstellt, mit ab- klingender Diurese ein Harn von 2 bis 3 Proz. Sulfatgehalt ablief. Es ist also, selbst wenn nur Resorption im Spiele wäre, nicht an eine einfache Diffusion im Sinne Ludwigs zu denken, sondern es müssen hier, wie bei der Sekretion, besondere, uns noch unbekannte Mechanismen der Zellen in Tätigkeit treten. Weiterhin ist aber noch zu berücksichtigen, daß die Resorption auch durch das Bedürfnis bzw. den Gehalt des Organismus an den Substanzen, welche durch den Harn ausgeschieden werden, weil sie im Blute frei gelöst kreisen, beeinflußt wird. Gei'ade hier ist auch an eine Wirkung von Nerven auf die resorbierenden Zellen zu denken, welche den noch dunklen Mechanismus der Resorption in diesen Zellen beherrschen. Am deutlichsten zeigt sich der Ein- fluß des Körperbedürfnisses bei der Kochsalzausscheidung. Es entscheidet nicht allein die leichte Diffusionsfähigkeit. Löwi^) stellte in Hinblick auf die Kochsalzarmut der von Cushny verwendeten Tiere — der ClNa- Gehalt 0 Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 48, 435, 1902. 270 ' Abliängigkeit d. Resorption vom Bedarf des Organismus. ihres Harns war von vornherein sehr niedrig — besondere Versuche an, um zu erfahren, ob die bei seinen, sonst mit denen Cushnys übereinstimmenden, Experimenten beobachtete viel höhere Chlorausfuhr bzw. der hohe, den Blut- gehalt übertreffende ClNa- Gehalt des normalen Harnes seiner Tiere auf ver- schiedenem Chlornatriumgehalt derselben beruhen möchte. Er fütterte Kanin- chen längere Zeit mit Heu, wobei diese Tiere in 24^ 25 cm^ bzw. 22 cm^ Harn mit 2,3 Proz. bzw. 2,27 Proz. ClNa ausschieden, indessen die mit Rüben gefütterten Kaninchen 235 cm^ und 205 cm*^ Harn in 24'^ mit einem Gehalte von 0,36 Proz. bzw. 0,49 Proz. ClNa entleerten. Einem solchen chlorreichen Heufuttertier injizierte nun Löwi 60 cm^ der Cushny sehen Nag HP04-ClNa- und. Glukosemischung; nach Abklingen der Salz-Zuckerdiurese rief er eine Diurese mit Coffein und darauf noch eine dritte mit Kalisalpeter hervor. Der Chlornatriumgehalt fiel durch die erste Diurese von 1,58 Px'oz. auf 0,67, stieg dann mit ebbender Harnflut, fiel nach Coffein wieder auf 0,66 Proz. und stieg dann auf 3,1 Proz., als die Harnmenge sich stark verminderte. Hier hat also der kochsalzreiche Organismus im Gegensatz zu Cushnys Versuchen auch für das leicht diffundierende ClNa mit fallender Diurese den Gehalt ebenso steigen lassen wie sonst nur für die schwer resorbierbaren Salze. Löwi prüfte dann aber weiter, wie sich das leicht diffundierende, aber körperfremde Jodnatrium zum Glaubersalz stellen würde, indem er eine Mischung beider Salze injizierte; mit abklingender Diurese stieg der Prozentgehalt des leicht diffundierenden JNa um 17 Proz., der des Na,,S04 um 10 Proz. Löwi (1. c. S. 436) macht noch besonders darauf aufmerksam, daß schon aus Versuchen von Cushny und Wallacei) hervorgeht, wie auch für die Resorbierbarkeit im Darm nicht allein die Diffusibilität entscheidet, wenn schon sie eine große Rolle spielt, und daß andererseits die besondere Stellung der Nierenepithelien, deren Zellen ja vor allem die Ausfuhr unbrauchbarer Stoffe überwachen, daraus hervorgeht, daß JNa vom Darmepithel leicht resorbiert wird. Für eine Resorption von \Yasser sowohl als von gelösten Substanzen sprechen auch die Analysen des Sekretes, welches nach temporärem Ver- schluß des Ureters ausfließt, oder das während einer Erschwerung des Ab- flusses durch partielle Kompression des Ureters erhalten wird. Hermann*) fand im Inhalt eines ligierten Ureters den Harnstoffgehalt höher, den Chloridgehalt geringer als normal. In einem späteren Versuche"), hei dem auch unvollständiger Verschluß zur Anwendung kam , war der Prozentgehalt an Harnstoff geringer, der an Kreatin höher. Lepine und Porteret ■*) verglichen am selben Hunde bei Salzdiurese den normal ausfließenden Harn der einen Niere mit dem der anderen , welcher unter "Widerstand ausfloß. Bei hohem Widerstand fanden sie eine starke Verminderung der Harnmenge (Wasser) und der Chloride, dagegen eine geringe Abnahme von Harnstoff, ebenso von Sulfaten, Phosphaten und alkalischen Erden. Bei geringen "Widerständen (15 mm Hg-Druck) nahm der + U-Gehalt rascher ab als der der Chloride und als die Harnmenge. Lindemann ") experimentierte auch an Hunden; er schob einen Ureterenkatheter zum Nieren- becken vor und verband ihn mit einem T-Eohr, in dessen einem (Manometer-) Schenkel eine Ölsäule durch Kompression des anderen (Abfluß-) Schenkels auf ver- ') Ann. Journ. of Physiol. 1 (1898) und Pflügers Arch. 77, 1899. — ^) Wien. Sitzungsber. 36, 363, 1859. — ^) Ebenda 45, 342, 1861. — ■*) Compt. rend. Acc. Ssc. 107, 74, 1888. — '") Zieglers Beitr. z. pathol. Anat. u. allgem. Pathol. 21, 500 ff., 1897.' Eesorption bei Ureterstauung. 271 schiedene Niveaus — entsprechend 7 bis 25 mm Hg-Druck — eingestellt wurde-; der Harn der anderen Niere floß frei ab. In seinen Versucben (1. c, Tabelle 502) ist sowohl bei geringem, als bei größerem "Widerstände der Prozentgehalt des + Stauungsharns an U gestiegen — mit Ausnahme eines einzigen Versuches — , der an Gl Na ist gleich geblieben, dagegen ist, entsprechend den viel geringeren Harn- + mengen, die absolute U- Ausfuhr gesunken. Er glaubt für die Unterschiede Änderungen der Zirkulation verantwortlich machen zu müssen und bezieht sich dabei einmal auf die Angaben von Timofeewski'), welcher nach Linde mann einen sehr ver- wickelten Einfluß des Gegendruckes auf die Innervation der Nierengefäße annimmt, zum anderen auf eigene Versuche (1. c. S. 503/505), durch welche er bei 100 bis 200 mmHg Ureterdruck eine Verlangsamung des Venenausflusses mit einer starken — onko- metrisch festgestellten — Schwellung der Niere fand. Die Harnanalysen versuche sind aber sämtlich bei viel geringeren (7 bis 25 mm Hg) Ureterendrucken ausgeführt worden, und Cushny'^) hat bei solchen Drucken bis 40 mm Hg herauf keine Be- hinderung der Nierenzirkulation gesehen. Cushny führte seine Versuche an Kaninchen mit variabler Ureterstauung — auch unter Anvvendung eines T- Rohres — bei Drucken von 15 bis 30 mm Hg aus , meist bei 20 mm. Der Harn der ge- stauten sowohl als der Kontrollniere wurde analj^siert, Mischungen von Salz- lösungen intravenös injiziert und im Anfange, ohne Stauung, kontrolliert, ob beide Nieren gleichviel bzw. in der physiologischen Schwankungsbreite secernierten. Als Beispiel sei Versuch I (1. c. S. 435) angeführt: Kaninchen von 1400 g mit Urethan anästhesiert; im rechten Ureter Manometerkanüle. Von 3^30' bis 31150' Infusion von 30 ccm einer Lösung von 5,85 Proz. ClNa -{- 14,2 Proz. Na^SO^. Abfluß so weit gehindert, daß das Manometer 30 mm Hg Druck zeigte : ,, „^, , . , , , f hnke Niere ! 24 0,0809 I 0,1080 4^ 37' bis 4^ 47' ; , \ rechte Niere i 8 i 0,0142 i 0,0667 Differenz (absorbiert) 16 i 0,0667 0,u413 Es sind also unter der Annahme, daß von beiden Nieren ein gleichartiges Glome- rulusfiltrat geliefert Avurde, in der rechten Niere 66 Proz. der Harnmenge, 82 Proz. der Chloride und 38 Proz. der Sulfate resorbiert worden. Ähnliche Werte wurden bei anderen Versuchen erhalten; dabei zeigte sich — wenn vom Beginne der Salz- diurese in Intervallen von 5, 10 oder 15 Minuten die Analysen vorgenommen wurden — , wie schon früher erwähnt, auf der Höhe der Diurese, wo die Resorption gering ist, / Cl \ daß die von der Niere mit freiem Abfluß ausgeschiedenen Chloräquivalente ( -— — ) \3,5o/ die Sulfatäquivalente l j übertreffen , daß erst mit ebbender Diurese das A'er- hältnis sich umkehrt. In der gestauten Niere dagegen, wo auch auf der Höhe der Diurese vermöge der Stauung die Eesorption sich abspielen kann, kommen die schwer resorbierbaren Sulfate den leicht resorbierbaren Chloriden gleich; in der abklingenden Diurese übertreffen sie dieselben weitaus. Ähnlich gestalten sich die Versuche mit Injektion von ClNa und U; der Harnstofügehalt des Stauungsurins ist nicht so stark vermindert wie sein Chloridgehalt. Die Phosphatausscheidung hat Cushny nicht mit Stauungsversuchen geprüft in Hinblick auf ihr den Sulfaten so parallel laufendes Verhalten in den Diureseexperimenten. Der Harnfarbstoff ähnelt in seinem Verhalten den schwer resorbierbaren Sulfaten; während der Diureseharn infolge der starken Verdünnung wasserhell aus dem freien LTreter aus- ^) Arb. a. d. Physiol. Lab. d. Universität Moskau (russisch) — mir nicht zu- gänglich. — '^) Journ. of Physiol. 28, 431 ff., 1902. 272 Resorption bei Ureterstauung. fließt, liefert die andere Niere, deren Ausfluß gehemmt ist, einen deutlich gefärbten Harn. Bei der Konzentration durch Eesorption wird also der Farbstoff nicht mit aufgenommen. Die Tatsache, daß die Chloride im Stauungsharn gegenüber Sulfaten und Harnstoff so stark vermindert sind, und zwar in höherem Grade, als der Wasserresorption entspricht, beruht auf der "Wasseranziehung der schwer resorbier- baren Stoffe. Denn als Cushny in drei weiteren Versuchen nur Gl Na -Lösung injizierte , wurden die Chloride genau im Verhältnis des "Wassers resorbiert (zu 60 bis 70 Proz. vid. Exp. IV, S. 439). Andererseits gibt dieser Ausfall der Versuche eine neue Stütze für die Auffassung , daß die stärkere diuretische "Wii-kung der Sulfate und des Harnstoffs gegenüber dem Kochsalz darauf beruht, daß sie die Eesori^tion des Wassers hemmen und so ein reichUcheres , weniger konzentriertes Filtrat bis zum Ureter gelangen lassen. Daß die Harnstauung unter geringem Drucke keine Beschädigung der Nieren verursacht, ergab sich einwandfrei aus den Befunden nach Lösung der Stauung. Es sonderten jetzt beide Nieren wieder gleich viel ab, und der geheferte Harn war von gleicher Zusammensetzung. Fälle von Ureterkompression sind auch von selten der Pathologen beobachtet worden. Steyrer') berichtet über drei solcher Fälle, bei denen die Harnmenge auf der Seite der Kompression im Verhältnis zu der gesunden Niere gesteigert war — in einem Falle von 1250 auf 1350, in einem andei-en von 325 auf 500. Die Dichte des Harnes war dementsprechend geringer, vor allem aber die molekulare Konzentration ganz außerordentheh herabgesetzt. An der Abnahme waren organische wie anorganische Moleküle beteiligt, das Kochsalz war aber besonders stark vermindert. Pfaundler^) fand nach Ureterstauung ebenfalls einen weniger kon- + zentrierten Harn; der U-Gehalt war wenig vermindert, wohl aber die anoi'ganischen Harnbestandteile, wobei jedoch der ClNa-Gehalt nicht bedeutend verringert Avar. Gurwitsch (1. c. S. 78ff., vgl. a. die Figg. 98 u. 99, S. 257 u. 258) hat ver- sucht, durch das umgekehrte Nußbaum sehe Exj^eriment, d.h. Unterbindung der Vena Jacohsom, bzw. ihrer Zuflüsse — der Vena Uiaca com., Vena dorsolwubalis und der Venae oviducales — also durch Unterbrechung des Kreislaufs in den Gefäßen der Nierenkanälchen einen Beweis gegen die Resorption in der Niere des Frosches zu erbringen. Au und für sich würde der Versuch am Frosch für die Säuger nicbt viel beweisen, da ja, wie oben erwähnt, bei ersteren Tieren die resorbierenden Apparate relativ wenig ausgebildet sind. Aber auch für den Frosch wurde eher ein gegenteiliges Resultat zutage gefördert. Es wurden männliche Exemplare gewählt und in den Ureter {Ductus deferens) der ope- rierten sowohl wie der intakten Niere feine Glaskanülen eingebunden. Da Trockenfrösche benutzt wurden und diese fast keinen Harn lassen, so sj^ritzte + Gurwitsch vor der Operation größere Dosen U in den Darmtractus ein. Zum Vergleiche wurden die Harnmengen in den ersten Stunden nach der Operation verwertet, um vor Komplikationen infolge des sehr schweren Ein- griffs sicher zu sein. Ein solcher Frosch sonderte z. B. im Verlaufe von zwei Stunden durch die ligierte Niere 0,5 ccm, durch die Kontrollniere 0,8 bis 1,0 ccm Harn ab; eine genaue Vergleichung ist bei so geringen Mengen natürlich nicht tunlich. Die Epithelien der Harnkanälchen zeigten mehrere Stunden nach der Operation weder in ihrem mikroskopischen Bilde noch nach ihrem Verhalten gegen vitale Farbstoffe (siehe früher) Zeichen des Ab- gestorbenseins. Gurwitsch (1. c. S. 79) erwartete nun, daß die operierte Niere reichlicher Harn absondern würde als die gesunde, da ja durch die Unterbindung der Harnkanälchenblutbahn eine Resorption von W^asser un- möglich gemacht war. Daß der Blutstrom der Rindenkanäle unterbrochen ^) Hofmeisters Beitr. z. ehem. Phys. u. Path. 2, 312 ff., 1902. — *) Ebenda S. 366 ff. Einwände gegen Eesorption. 273 war, zeigten die Fütterungen mit indigschwefelsaurem Natron — die Kanäl- chen des IL Abschnittes der operierten Niere waren farblos und nur mini- male Farbstofi'niederschläge in dem Lumen sämtlicher Kanäle. Da nun aber Gurwitsch selbst die Adamischen Anastomosen zwischen gewissen Teilen des arteriellen (Glomerulus-)Gebietes und dem Nierenpfortaderkreislauf an- erkennt, so hat sein Experiment für eine ziemliche Anzahl von Glomerulis den Effekt der Venenkompression (siehe früher) gehabt, d. h. es ist in allen den Glomerulis, welche (vgl. Gaupp-Wiedersheim, Anat. des Frosches 3, 259) ihre Vasa efferentia nicht direkt zur Vena cava posterior senden, sondern deren Vasa eff. sich mit den Capillaren vereinigen, welche die Harn- kanälchen umspinnen, der Blutstrom und damit die Flüssigkeitsabscheidung zum Stillstand gekommen. Daß eine solche Niere immer noch mindestens halb so viel Harn liefert als die gesunde, spräche vielmehr zugunsten der Ansicht, daß infolge der Ausschaltung der resorbierenden Teile kein oder nur wenig Wasser mehr zurückresorbiert wurde; der Befund von minimalen Farb- niederschlägen im Lumen der Kanäle kann diese Ansicht eher stützen. III. "Wirkung von Diureticis auf die Eesorptionsfähigkeit der Nierenepithelien. V. Sobieransky (1. c.) hatte bei der CoiSemdiurese der Kaninchen nach In- digkarmininfusiou die sonst, bei normaler Harnsekretion, auftretende Färbung der Kanalepithelien vermißt und die Zellen gequollen gefunden. Er schloß daraus, daß Coffein die Eesorption von gelösten Stoffen in den Zellen hindere und daß der vermehrte "Wasserstrom — nach Löwis (s. oben) Nachweis an sich vermehrt durch verstärkte Nierendurchblutung infolge spezifischer Coffein gefäßwirkung — durch raschere Durchschwemmung des Farbstoffes in gleichem Sinne resorptions- hindernd wirke. Modrakowsky ') konstatierte, daß Coffein die Epithehen der Nierenkanälchen veränderte , indem bei sonst ganz gleicher Behandlung wie an normalen Nieren die Färbbarkeit der Zellgranula mit Säurefuchsin nach Alt- mann gelitten hatte; es bedurfte zur gleichen Färbungsintensität einer viel län- gereu Einwirkung des Säurefuchsins und einer sehr viel geringeren Differenzierung mit pikrinsaurem Alkohol. Aus Löwis Versuchen*) ergibt sich, daß bei Coffein- diurese die ausgeführten ClNa-Mengen nicht nur absolut, sondern sogar prozen- tisch steigen, obwohl die Harnmenge um das Vierfache anwuchs. Daß das Coffein aber mit der Kochsalzrückresorption auch diejenige des "Wassers hindert, ist nicht unwahrscheinhch, da im angezogenen Versuch trotz gesteigertem Prozentgehalt an ClNa die Trockensubstanz prozentisch auf die Hälfte des An- fangswertes herabging. Ein Diur et in versuch von Löwi (1. c.) zeigt im Mittel von 40 Minuten einen gleich bleibenden Prozentgehalt an ClNa, während die Harnmenge um 60 Proz. gesteigert war und dem entsprechend um den gleichen Betrag auch die absolute Kochsalzausfuhr. Löwi^) erwähnt allerdings, daß er in vier Versuchen an Hunden durch Coffein weder die Wasserresorption noch diejenige gelöster Stoffe beeinflußt fand, es könnte sich jedoch hier um eine Besonderheit der Hundeniere handeln, ent- sprechend V. Schröders Angabe, daß an Hunden überhaupt durch Coffein keine Diurese zu erzielen sei ; es war früher schon erwähnt worden , daß diese Angabe V. Schröders nach neueren Versuchen dahin zu modifizieren sei, daß bei Hunden, denen man Milch pro rata des verlorenen Harnwassers zu trinken gebe , eine Diurese durch die Stoffe der Puringruppe zu erhalten ist, aber immerhin viel we- niger umfangreich als beim Menschen und beim Kaninchen. Pototzky"*) fand 0 Pflügers Arch. 98, 217, 1903. — "") Arch. f. e.xper. Path. u. Pharm. 48, 416, 1902. — =*) Ebenda 53, 27, 1905. — ") Pflügers Arcli. 91, 588, 1903. Nagel, Physiologie des Menschen. II. lo 274 Einfluß der Diiiretica auf die Kesorption. am kochsalzarmen Tiere (Kaninclien uacli Fütterung mit Sago und destilliertem Wasser) unter Einwirkung von Diuretin einen Harn, der dem Harn eines in bezug auf Chloride normal gefütterten Tieres entsprechen würde , indem unter Einwirkung dieses Purinkörpers die anfängliche ClNa-Konzentration von 0,08 Proz. auf 0,64 Proz. his 0,87 Proz., also auf das Acht- bis Elffache stieg. Wurde ein solcher Diuretinversuch durch ö'/a Stunden fortgesetzt , so ging allerdings infolge der starken Cl Na-Verarmung des Tieres die prozentische Kochsalzausscheidung her- unter, aber sie war nach dieser Zeit immer noch höher als vor Einleitung der Diurese. Daß dies Verhältnis verdeckt wurde durch Injektion von 30 ccm einer 10 proz. ClNa-Lösung in den Magen bei anderen Diuretinversucheu ist begreiflich bei den großen Mengen von Gewebswasser, welche das eingeführte Salz mobil macht ; die absoluten Cl Na-Mengen , die unter dem Einfluß des Diuretins in der Zeiteinheit herausgeschafft worden , steigen aber auch hier auf das Dreifache. Grlaubersalzversuehe am Cl Na-armen Tiere zeigten auch eine Steigerung der Koch- salzkonzentration , aber das Glaubersalz hemmt die Kochsalzresorptiou nicht in dem Grade wie Diuretin ; bei ersterem sinkt mit ebbender Haruflut auch die Cl Na- Konzentration, während sie bei Diuretin auch dann noch hoch bleibt. Dies ergibt sich besonders deutlich aus dem Versuche Pototzkys (1. c. S. 594, Nr. 15) mit Glaubersalz und Athyldiuretin. Hier steigert Athyldiuretin — nachdem die Glaubersalzdiurese vor- übergegangen und dem von Hause aus kochsalzarmen Tiere noch ziemlich ClNa ent- zogen worden Avar, sodaß die Cl Na-Konzentration sank — nicht nur sofort Harnflut und Kochsalzausfuhr, sondern es bleibt auch die letztere, nachdem die Diuretiu- diurese abgeklungen , noch abnorm hoch. Die Steigerung der Salzausfuhr beim Menschen durch Theocin war schon früher bei Dresers diesbezüglichen Ver- suchen erwähnt worden. Dreser hebt auch mit Eecht hervor, daß diese Eigenschaft des Theo eins bzw. aller Diuretica der Puringruppe, die Salze aus dem Körper zu entfernen, sie zur Bekämpfung hydropischer Zustände so wertvoll mache, denn mit jedem Gramm Kochsalz verlassen eben auch etwa 100 g Wasser den Körper. Bier und andere alkoholische Getränke hindern die Eückresorption des Kochsalzes bzw. der gelösten Stoffe lange nicht in dem Maße , sie liefern daher einen außei*- ordentlich vei-dünnten Harn. Dreser bemerkt, daß die Sitte, nach reichlichem Genuß alkoholischer Getränke schwarzen Kaffee zu trinken, neben der anliegenden Wirkung auch durch Salzausfuhr die Herausschaffung der Wassermengen be- schleunige. Es möge an dieser Stelle noch einmal auf die früher (S. 24. S) angeführten Resultate von Galeotti hingewiesen werden. Dieser erhielt von Hunden, welche durch Vergiftung mit Sublimat sehr weitgehende Zerstörungen des gesamten Nierenparenchyms mit Ausnahme von Glomerulis und Gefäßen er- litten hatten, einen Harn, dessen molekulare Konzentration der des Blutes sehr nahe stand, ja bei rascherer Absonderung (Hydrämie-Diure.se) ihr völlig gleich wurde und ihren Schwankungen gleichsinnig folgte. Hier war durch Ausschaltung der gesamten Epithelien nicht nur die Konzentrationsänderung durch Resorption von Wasser oder gelösten Stoffen verhindert, sondern auch diejenige, welche durch die Sekretion der Rindenkanälchen bedingt wird. C. Abscheidung von Harnbestandteilen durch die Epithelien der Kanäle. 1. Harnsäure und Harnstoff. Die früher dargelegten histologischen Befunde betreffend Harnsäure- ausscheidung durch die Nierenepithelien bzw. die Speicherung der Harn- säure durch dieselben können eine weitere Stütze durch Untersuchungen diuretischer Harne kaum erhalten. Die im Blute erhaltenen Mengen sind zu Die Sekretion in den Kanälclien (Harnsäure und HarnstoiS). 275 klein, die Ausscheidungsgröße hängt iu solchen Diureseversuchen zu sehr von veränderten Stoffwechselverhältnissen ab, als daß eindeutige Resultate zu er- warten wären. Hier müssen wir vorläufig die histologischen Befunde als die beweisenderen ansprechen für die Ansicht, daß bei der Ausscheidung der Harnsäure die Rindenepithehen eine gewichtige Rolle spielen. Ribberts (I.e.) Befunde nach Harnsäureinjektionen sprechen ebenfalls dafür. Heiden- hain i) war ja schon früher zu demselben Ergebnis gekommen; er hatte aber zugleich wahrscheinhch gemacht, daß mit der Harnsäure in den Rinden- epithehen daselbst auch eine Wassserabscheidung stattfinde. Für den Harnstoff sind wir noch nicht in der Lage, durch den mi- kroskopischen Nachweis seine Abscheidung in den Rindenkanälchen zu er- härten, bei seiner außerordentlich leichten Löslichkeit begreiflich. Daß er im Glomerulusfiltrat enthalten ist, nahm auch Heidenhain an, doch ließ er diese Quelle nur nebensächlich gelten gegenüber der Sekretion durch die Kanäle. Es wurde schon früher erwähnt, daß für die Konzentration bzw. für die ausgeschiedenen Tagesquanten im Falle der Einengung des Glome- rulusfiltrates allein durch Wasserresorption eine sehr große Wassermenge in der Niere hin und her bewegt werden müsse. Diese Annahme dünkt nicht sehr wahrscheinhch, unmöglich aber gerade nicht für einen gewissen redu- zierten Umfang. Das Vorkommen so verschiedenartiger Speichermechanismen (Vacuolen, Granula), wie sie Gurwitsch u. a. in den Rindenkanälchen nach- wiesen, bildet natürlich ein schwerwiegendes Argument dafür, daß auf diesem Wege auch Harnstoff secerniert werde. 2. Phosphorsäure. C. Ludwig 2) erwähnt in der Darlegung seiner Theorie des Vorwurfs, den Valentin derselben gemacht hat, nämlich daß die im Harn enthaltenen festen Bestandteile sich nicht in demselben Verhältnis zueinander fänden, in welchem sie im Blute vorkämen, vornehmlich daß, während im Blute nur Spuren einzelner Stoffe gefunden werden , sie im Rückstande des Harnes den größten Teil ausmachen, wie z. B. der Harnstoff im Verhältnis zu den Salzen und die schwefelsauren Salze im Verhältnis zu den phosphorsauren und den salzsauren. Ludwig erklärt den Vorwurf in bezug auf die Salze für gerechtfertigt, meint jedoch: „Vielleicht aber erklärt sich nach den einfluß- reichen Beobachtungen Liebigs, daß der Urin nach vielem Wassertrinken keine phosphorsauren Salze enthält, das abweichende Verhältnis der phos- phorsauren Salze des Urins zu denen des Blutes dahin, daß nur der Teil der phosphorsauren Salze in den Urin übergeht, der nicht in chemischer Verbin- dung mit den eiweißartigen Körpern ist , während der andere , normal viel- leicht größere Teil im Blute in Verbindung mit den eiweißartigen Körpern zurückgehalten wird." Löwi (1. c. S. 249) hat nun, ohne, wie es scheint, die von Ludwig geäußerte Vermutung zu kennen, in einem weiteren Ausbau seiner Versuche über die absoluten Mengen der bei Diurese ausgeschiedenen Harnbestandteile die Tatsache konstatiert, daß im Gegensatz zu den Chlo- riden und zum Harnstoff mit der vermehrten Wasserausscheidung unter ^) Pflügers Arcli. 9, 23, 1875. — ^) Wagners Handwörterbuch 2, 638, 639, 1844 (Brauuschweig). 18* 276 Sekretion (Phosphorsäure). dem Einfluß der verschiedenen Diuretica die Ausscheidung der Phos p ho r- säure sich nicht ändert. Bemerkenswert ist auch, daß Na2HP04, per os gegeben, keine Diurese beim Menschen macht und daß, wie Meyer (I.e.) fest- stellte, bei Eingabe von 20 g Na2HP04 die großen Mengen von Phosphor- säure, welche im Harn erscheinen, ohne Vermehrung der Harnmenge heraus- geschafft werden. Sollte der Schluß berechtigt sein, daß die Phosphorsäure also nicht wie Kochsalz und Harnstoff frei gelöst im Blute kreise, sondern in der von Ludwig vermuteten Art und Weise gebunden sei und demgemäß nicht im Glomerulus filtriere, sondern durch einen Sekretionsprozeß ab- geschieden werde, so mußte Phosphorsäure, die im Überschuß über die selbst- verständlich begrenzte Bindungsfähigkeit der Blutcolloide ins Blut injiziert wurde, durch Diurese in ihrer Ausscheidung beeinflußt werden. Die Phos- phorsäure, direkt ins Blut gebracht, macht natürlich selbst Diurese; da aber, wie früher erwähnt, nach Cushny (1. c.) und Magnus (1. c.) injizierte Phosphorsäure mit abklingender Diurese nur langsam ausgeschieden wird, so konnte ein nachgeschicktes Diureticum (Coffein und Natronsalpeter) noch genügend Vorrat von Phosphat im Blute finden, um sein Ausscheiden zu beeinflussen. Dieser Überlegung gemäß führte Löwi (1. c. S. 422) folgenden Versuch aus. Versuch XL 18. Juli 1902. Kaninchen ^, 1850g schwer. Ih 1,2 g Chloral (10 proz. Lösung) 2Ji 45' Blasen- und Venenkanüle : Zeit Harn in Cubikcen- timetern Phosph orsäure O 'S Ol absol. mg Proz. Bemerkungen 1 3h io'-3li30' 1,75 — — 2 3h 30' 3h 30'— 40' 26,0 61 0,24 Einlauf von 60 com einer Mi- schung von Natriumphosph. 10,79 Proz., Natriumchlor. 2,925 Proz., Glukose 18,5 Proz. 3 3h 40'— 50' 40,0 96 0,24 4 3h 50'— 4h 14,5 44 0,3 5 4h— 4h 10' 5 22 0,44 6 4h 10' 4h 10'— 4h 20 19 ÖO 0,26 2 com Coffein natr. benz. in- travenös 7 4h 20'— 30' 15 23 0,16 8 4h 30'— 40' 2 4 0,2 • 4h 40' — — — 30 com 6 proz. NaNOa intra- veiaös 4h 40'— 50' 9,5 19 0,2 Im Gegensatz zu den früheren Versuchen über die Ausscheidung gelöster Substanzen durch Diuretica ist nun hier die Phosphorsäureausscheidung jedesmal bei der Diurese gestiegen infolge der Anwesenheit frei gelöster Mengen derselben. Es führt dies Resultat dazu, mit Löwi (1. c.) die Ver- mutung auszusprechen, daß überhaupt darüber, ob ein kristalloider Körper mit dem Wasser durch den Glomerulus filtriert oder durch echte Sekretion Sekretion (Traubenzucker). 277 entleert wird, jevveilen seia Zustand entscheidet, ob er nämlich in echter Lösung oder in coUoidaler Bindung kreist. Es lag nahe , dies an der Aus- scheidung des Traubenzuckers zu prüfen. 3. Ausscheidung des Traubenzuckers in der Niere. Das Blut enthält normalerweise 1 bis 1,5 pro Mille Traubenzucker; dieser soll nach neueren Untersuchungen in colloidaler Form im Blute kreisen, ob als Jecorinlecithinglukose oder in eiweißartiger Bindung, sei hier nicht erörtert^). Demnach ist es erklärlich, daß der normale Harn nur Spuren von Zucker enthält, und daß jede Hyperglykämie, jeder über das colloidale Bindungsvermögen hinauswachsende Vorrat im Blute zur Glykosurie führen muß. Im letzteren Falle muß dann jede Diurese die Ausfuhr ebenso steigern wie die des Kochsalzes, des Harnstoffes und der überschüssig eingeführten Phosphorsäure, und es muß dann für den Erfolg gleichgültig sein, auf welche Art und Weise die Hyperglykämie zustande kam. Löwi (1. c. S. 423) fand nun eine solche Steigerung, als er bei Hunden mit Pankreasdiabetes eine Salpeterdiurese herbeiführte; als Beispiel diene folgende Tabelle: Versuch XII, Hund $ von 12kg. 27. September 1901 Totalexstirpation des Pankreas. 28. September morgens Harnmenge: 225 com mit 17 g Zucker (polar.). 30. September Harn um 8'y^ Uhr mit Katheter entleert. Von 1 Uhr ab alle zwei Stunden katheterisiert. Perioden Harnmenge pro Zucker Bemerkungen com absol. g Pi-oz. 9—111 1— 3I1 ah 3-511 5— 711 7,7 7,0 34,0 14,0 0,4 0,42 0,95 0,15 5,1 6,0 2,8 1,1 100 com lOproz. NaNOg subcutan Ähnlich verlief der S. 276 angezogene Versuch am Kaninchen, wo außer Salzen auch Glukose injiziert wurde; auch stieg sowohl mit der Coffein- als auch mit der Salpeterdiurese die Zuckerausfuhr bedeutend an. Bei Phlo- rhizinglukosurie jedoch, wo die Glukosurie durch einen Nierenprozeß zustande kommt, dürfte eine experimentelle Diurese keine Vermehrung des Harnzuckers bewirken. Bei Löwi s Hunden war dies auch der Fall (1. c. S. 423). Bei den beiden angeführten, mit Phlorhizin vergifteten Hunden konnte durch salinische Diuretica keine vermehrte Zuckerausscheidung erzielt werden, indes die Chloride eine ganz außerordentliche Vermehrung erfuhren. Der Um- stand, daß hier die Chloride während der Diurese auch prozentisch höher waren als vorher, gibt vielleicht noch eine Stütze für die oben diskutierte Rückresorption des Kochsalzes; die durch das Gift geschädigten Nieren- epithelien resorbierten nicht mehr. ') Siehe hierüber Kolisch, Verh. d. Kong. für inn. Med. 1900 und die Lite- ratur bei Löwi, 1. c. S. 423, ebenso Stiles u. Lusk, Amer. Journ. of Physiol. 10. 271 Sekretion (Traubenzucker). Daß Phlorhizin seine Wirkung durch direkte Schädigung oder Veränderung der Nierenepithelien bewirkt, und daß es nicht , wie der Entdecker der Phlorhizin- glykosurie , Minkowski, zuerst annahm, selbst den Zuckergehalt des Blutes durch seine Spaltung in Phloretin und Zucker trotz fortwährender Ausfuhr auf seiner Höhe halte , ergibt sich aus den neueren Untersuchungen wohl mit Sicherheit. Pavy') hatte an Katzen nachgewiesen, daß nach Phlorhizinvergiftung eine leichte Hyperglykämie besteht, das gleiche fanden Coolen sowie Biedl u. Kolisch an Hunden ; aber die Nephrektomie , welche bei anderen Hyperglykämien keinen Ein- fluß auf die Blutzuckermenge ausübt, läßt bei Phlorhizinvergiftung die Steigerung im Gehalte des Blutes an Zucker vermissen. Nun hatte schon Zuntz*) nach- gewiesen , daß auf Injektion von Phlorhizin in eine Nieren arterie beim Hunde der Harn aus dieser Niere früher zuckerhaltig wurde als der aus der anderen Niere; Pavy, Brodie und Siau^) bestätigten diesen Versuch von Zuntz. Nach Injek- tion von Phlorhizin in eine Nierenarterie war (1. c. S. 469) nach 8 Minuten der von ihr secernierte Harn zuckerhaltig, der der anderen noch frei davon; nach 9' waren im Harn der ersteren 31 pro Mille, in dem der zweiten 17 pro Mille Zucker. Bei künstlichen Nierendurchblutungen, verbunden mit Analyse des Blutes und des Harnes, wurde mehr Zucker ausgeschieden, als im Blute enthalten war, und von Hunden , denen sämtliche Eingeweide außer den Nieren entfernt worden waren, wurde auf intravenöse Injektion von Phlorhizin auch dann immer noch Zucker ausgeschieden, als das Blut nur noch wenig Zucker enthielt. Der ausgeschiedene Zucker konnte nicht vom Phlorhizin stammen, da immer unter lg — das 0,4g Zucker enthält — injiziert wurde und der Betrag des ausgeschiedenen Zuckers diese Menge um ein Vielfaches überstieg. Pavy, Brodie u. Siau schließen daraus, daß unter dem Einflüsse des Phlorhizins die Nierenzellen Zucker zu pro- duzieren vermögen, und zwar dadurch, daß sie denselben aus einem vom Blute zugeführten Stoffe abspalten , ähnlich wie die Milchdrüsenzellen Laktose aus dem Blute frei machen. Wenn aber Zucker durch die Kanälchenepithelien ausgeschieden wird und in das Lumen derselben tritt, so muß er in diesen auch eine gewisse Menge Wasser festhalten, die Eesorption desselben einschränken, also eine Diurese be- wirken, die erst hinter dem Glomerulus zustande käme. Eine solche Diurese infolge von Resorptionshinderung kann aber dann die mit dem Ulomerulusfiltrat heraustretenden Stoffe, z. B. das Kochsalz, nicht vermehren, im Gegensatz zu DiureseTi, die dui'ch vermehrte Filtration zustande kommen. Löwi*) fand nun bei Hunden auf Phlorhizingaben eine starke Harnvermehrung, aber die in gleichen Zeiten ausgeschiedenen ClNa-Mengen blieben sich gleich. Erzeugte er aber bei einem solchen Phlorhizinversuche noch durch nachträgliche Injektion von Glukose eine Hydrämie und echte Filtratiousdiurese, so stieg mit den steigenden Harnmengen auch die Chhn-idausscheidung an. Die Möglichkeit, eine Diurese durch Behinderung der Wasserresorption zu erzeugen, ist im höchsten Grade bemerkenswert in Hinsicht auf die an anderer Stelle vorgetragene Hypothese vom Wesen des Diabetes insipidus; aber sie stützt auch indirekt die von Ludwig angenommene Filtration eines Plasma minus Eiweiß im Glomerulus. D. Wirkung" von Drüseng'iften und von Narcoticis auf die Nierenabsonderung-. Die besondere Stellung der Niere als Drüse zeigt sich auch durch ihre Reaktion auf Narcotica und Gifte. Schon oben war erwähnt worden, daß die von v. Schröder ■'') in seinen berühmten Versuchen über die Coffein- diurese beobachtete Begünstigung der Coffeiuwirkung durch Chloralhydrat nicht nur auf dessen gefäßlähmender Wirkung beruhen kann, und Löwi (I.e.) ') Journ. of Physiol. 24, 479, 1899. — '') Arch. f. Anat. u. Physiol. 1895, S. 370. — =*) Journ. of Physiol. 29, 667 ff., 1903. — ') Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 50, 326 ff., 1903. — ") Ebenda 22, 39, 1887 und 24, 85, 1888. Wirkung von Giften. 279 hat daher auch hier und da Coffeindiuresen ohne Chloral erhalten; Alba- nese^) beobachtete bei Coffeininjektion stets eine geringe Zunahme des Nierenvolumens. Die Untersuchungen von Cervello und Lo Monaco 2) zeigten , daß auch Curare , Natr. salicyl., Antipyrin und andere Stoffe die Coffeindiurese einzuleiten vermögen, bzw. aber auch eine schon bestehende Diurese unterdrücken. Es ist noch nicht bekannt, in welcher Weise diese Stoffe auf die Xierenepithelien wirken, ebensowenig wie Näheres über die so stark hemmende Wirkung des Morphins und die sowohl hemmende als be- günstigende des Chloroforms bekannt ist. Chloroform hemmt bei gleich- zeitiger Zufuhr mit Coffein die Diurese, aber nach vorausgegangener Chloro- formwirkung vermag Coffein sehr wohl diuretisch zu wirken. Die einseitige Durchreißung der Nierennerven verzögert die Wirkung nur etwas gegenüber der anderen Niere; da aber, wie schon erwähnt, mit dieser Durchreißung die auf den Gefäßen laufenden Nerven nicht ausgeschaltet sind, so wäre doch an eine vermittelnde Stellung von Nerven zu denken. Daß Chloroform, wenn es in solcher Menge im Blute kreist, wie sie einer Inhalation von 1 bis 3 proz. Chloroformdampf entspricht, stark lähmend auf den neuromusku- lären Apparat der Darm- und Nierengefäße wirkt, das haben Embley und Martin ■'■) in einer eingehenden Untersuchung, die auch die isolierten, künst- lich durchbluteten Organe umfaßte , gezeigt. Die Hemmung der Nieren- sekretion durch Atropin ist durch Thompson^) sowohl als Walti ■'') fest- gestellt worden. Wie weit hier aber eine Schädigung des so eigenartig empfindlichen Gefäßapparates der Niere hineinspielt, darüber fehlen vorläufig nähere Untersuchungen; dafür spricht, daß Atropin die Wirkung der Diu- retica nicht hemmt. Thompson sah auf 0,7 proz. ClNa-Lösung und 0,05 proz. Harnstoftlösung trotz Atropin Diurese eintreten. Und weiter würde dafür sprechen, daß in Thompsons Vei'suchen gerade die durch echte Drüsen- tätigkeit eliminierte Harnsäure nicht beeinflußt wurde , wohl aber der Harn- stoff. Noch wahrscheinlicher wird die Annahme einer Gefäßwirkung durch den Umstand, daß auch Pilocarpin die Harnmenge eher mindert als steigert. Rene'^) beobachtete daher auch, daß Atropin die durch Pilocarpin hervor- gerufene Volumenzunahme der Niere und Diurese unterdrückte. Löwi (1. c.) hat die Wirkung des Pilocarpins auf die durch „Sekretion" ausgeschiedene Phosphorsäure, die Harnsäure, den Phlorhizinzucker und den Gesamtstickstoff geprüft. Die Harnmenge war hier nicht gewachsen , die Phosphorsäure stark vermindert, die Harnsäure nur ein wenig vermehrt worden, der Zucker gleich geblieben in seiner Ausfuhr, der Gesamtstickstoff hatte ebenfalls ab- genommen. Also hatte das Gift von den durch echte Sekretion ausgeschiedenen Stoffen die einen vermehrt, die anderen vermindert, dagegen den N, von dem doch ein großer Teil mit dem Glomerulusfiltrat herausgeht, vermindert; also von einer reinen eindeutigen Steigerung der Drüsenfunktion kann nicht die Rede sein. Daß Pilocarpin aber unter Umständen rein durch vasomotori- schen Einfluß eine geringe Diurese hervorrufen kann, das zeigen ja die er- wähnten Beobachtungen von Rene (1. c). 1) Arch. Biol. ital. 16, 285, 1891. — '^) Arch. p. 1. scienze med. 14, 163, 1890, zit. nach Ergebnisse 1, 1. — '■') Journ. of Physiol. 32, 147 ff., 1905. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1894, S. 17. — ^) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 36, 411, 1895. — ^) Arch. de physiol. 1894, p. 351. 280 Einfluß des Nervensystems. E. Einfluß des Nervensystems auf die Harnabsonderung. 1. Sekretorische und vasomotorische Nerven. In seiner eingehenden Darstellung, welche die Erfahrungen üher die nervösen Einflüsse auf die Harnabsonderung bis zum Jahre 1883 umfaßt, kommt Heidenhain 1) zu dem Schlüsse, daß ein sicherer Nachweis spezifi- scher Sekretionsnerven der Niere noch nicht erbracht sei. Die eingangs dar- gelegten neueren anatomischen Forschungen haben nun gezeigt, daß Nerven- fasern, welche stets mit den vasomotorischen Faserzügen vereint laufen, nicht nur die Kanälchen der Nierenrinde umspinnen , sondern auch bis in die Zellen der Epithelien eindringen. Also Verhältnisse, wie wir sie bei denjenigen Drüsen treffen (Speicheldrüsen usw.), bei denen eine Beeinflussung der Se- kretion durch Reizung der zutretenden Nerven mit Sicherheit festgestellt ist. Bei der Niere haben solche Versuche neueren Datums aber eher zu einer Verneinung eines solchen spezifischen Einflusses geführt. Eine Reizung der zum Hilus ziehenden Nierennerven wird, entsprechend der er- wähnten engen Vergesellschaftung, stets die vasomotorischen Effekte in den Vordergrund rücken. Für den Nervus vagus, dessen Reizung am Halse ja Abnahme der Harnabsonderung bewirkt, war allgemein angenommen — seit den von GolP) in Ludwigs Laboratorium ausgeführten Untersuchungen, die von Eckhardt u. a. wiederholt bestätigt wurden — , daß sein Einfluß auf Steigen und Sinken der Harnabsonderung parallel mit den Variationen der Schlagfolge des Herzens bzw. den dadurch bedingten Blutdruckänderungen laufe und darauf zurückzuführen sei. W^alravens^), der die Onkometrie der Niere mit der Blutdruckmessung verband, sah bei der Vagusreizung die pul- satorischen Schwankungen am Onkometer schwinden; infolge des gesunkenen Blutdrucks, wie er glaubt, nicht infolge der Reizung vasoconstrictori- scher Nerven der Niere im Vagus, da ja mit dem Herzschlage die Harn- seki'etion sistiere und da ja jeder Steigerung des Blutdrucks eine Steigerung der Harnmenge entspreche. Masius*), der wie Arthaud und Butte ^) zu der Überzeugung vom Vorhandensein solcher Fasern kam, stützte seine An- sicht auf das Ausbleiben der Nierenwirkung bei Vagusreizung nach Lijek- tion von Chloralhydrat und von Atropin. Corin '') führt für den primären Einfluß des Vagus auf die Nierengefäße den Umstand an, daß bei protra- hierter Reizung des Vagus, wenn das Herz wieder schlägt, dennoch die Harnsekretion stockt. Nun ist aber bekannt, daß nach jeder Unterbrechung der Zirkulation in der Niere — z. B. temporärer Abklemmung der Art. renalis — auch nach Wiederherstellung der Zirkulation die Harnabsonderung eine Zeitlang stockt. Einen stichhaltigen Grund für die Annahme vasoconstric- torischer Nierenfasern im Vagus haben Schneiderund Spiro (in noch nicht veröffentlichten Versuchen ") gefunden , indem sie auf Vagusreizung , auch wenn diese keine Blutdrucksenkung hervorrief, dennoch eine Hemmung der Nierensekretion beobachteten. Durchrissen Schneider und Spiro die ') Hermanns Handb. 5, 362 f£. — ^) Zeitsclir. f. rat. Med. N. F. 4, 86 ff., 1854. — ^) Arch. ital. biol. 25, 169, 1896. — ") BuU. E. Ac. Belg. 15, 528 und 16, 60, 1888. — ') Arch. d. pliysiol. 1890, p. 377, April. — ^) Ann. med. chir. de Liege 1896 (zit. nach Anten). — ') S. Ergebnisse 1, 1, 419, 1902. Einfluß des Nervensystems. 281 Nierennerven, so trat bei Yagusreizung in langsamem Tempo eine spät sich einstellende Beschleunigung der Harnabsonderung auf, analog der durch langsame Reizung vasomotorischer Nerven zu beobachtenden Vasodilatation. Anten ^) der die Vaguswirkung auf die Niere bei Gelegenheit seiner Unter- suchungen über die Ursachen des Versagens der Coffeindiurese beim Hunde studierte, fand eine deutliche Hinderung der Harnsekretion infolge der Vagus- reizung. Entsprechend sah er auf Vagusdurchschneidung, auch wenn dieselbe unterhalb des Abganges der Herzfasern (entweder intrathoracal oder an der Cardia) ausgeführt wurde, die bislang nur mäßige Diurese, welche eine Coffeininjektion hervorgebracht hatte, bedeutend steigen. Er glaubt aber nicht wie Corin (1. c), daß dieser F^ffekt durch Aufhebung des vasocon- strictorischen Einflusses der Vagusfasern (Vagustonus der Niere) hervor- gebracht wird. Seine onkometrischen Versuche sind aber aus denselben Gründen, die früher betr. Beurteilung der Nierenzirkulation aus Volumen- änderungen entwickelt wurden, nicht beweisend, und danach ebenso- wenig seine Annahme besonderer, echter Sekretionsnerven für die Niere im Vagus. Gegen die Annahme vasomotorischer Kierenfasern im Vagus spricht Bradfords (1. c.) Angabe, daß er keine Veränderung des Nierenvolumens auf Vagusreizuug sah. Seine schon erwähnten genauen Versuche , durch welche er die Topographie der Nierenvasomotoren festlegte , wurden ver- mittelst des Onkographen unter gleichzeitiger Registrierung des Carotis- druckes ausgeführt. Die prompte Volumenverkleinerung, die auf Reizung einer der betreffenden Rückenmarkswurzeln (s. früher Anatomie der Nieren- nerven) eintrat, wich nach der Reizung nur langsam einem Anwachsen; im Verlaufe dieses Anstiegs waren häufig wiederholte Kontraktionen zu beob- achten, gleichsam Traubesche Wellen auf der Oukometerkurve markierend. Es ist hier wohl an Spontankontraktionen der Nierengefäße , die sich als Folge der Reizung hinstellen, zu denken ; rein peripheren Ursprungs, von der glatten Muskulatur der Gefäße ausgehend. Soweit die betreffenden Wurzeln zugleich vasomotorische Fasern für die Eingeweide führten, war natürlich auch ein Steigen des Blutdruckes zu beobachten ; die Reizung des N. spJandi- nicus gab dies Resultat, das ja schon Cohnheim und Roy (I.e.) beobach- teten, in ausgesprochenster Weise. Echte Dilatatorennerven für die Niere waren in der 11. bis 13. Dorsalwurzel enthalten; am besten bewährte sich für iliren Nachweis die Reizung mit geringen Frequenzen (ein bis zwei Offnungsschläge pro Sekunde ; 1. c. S. 387). Es gaben dann z. B. die 12. und 13. Dorsalwurzel bei Reizung mit 50/sec Nierenkontraktion und Blutdrucksteigerung, bei Reizung mit geringer Frequenz deutliche Nieren- ausdehnung bei gleichem oder sinkendem Blutdrucke. Wurde der N. splanch- nicus mit langsamen Induktionsschlägen gereizt, so sank der Blutdruck; die Vasodilatatoren Wirkung konnte sich hier an der Niere aber kaum geltend machen, da das Blut sich in die allgemein erweiterten Darmgefäße ergoß. Hallion und Frangois-Frank -), welche nach etwas anderer Methode volumetrische Untersuchungen an Nieren anstellten, fanden ebenfalls, daß vom 11. Dorsalsegment ab die sympathischen Bahnen neben Constrictoren auch dilatatorische Fasern für die Nieren führen. ^) Arch. int. de pliarmacodyn. et de tlier. 8, 455 ff., 1901. — -) Arch. d. physiol., Serie V, 8, 478 ff., 1896. 282 Einfluß des Nervensystems (Reflexe; Rindenterritoi'ien). 2. Reflexe auf Nierengefäße. Sclion 1a oy hatte auf Reizung des zentralen Ischiadicusstumpfes Kon- traktion der Niere beobachtet; Bradf ord (L c.) bestätigt dies und fügt hinzu, daß sie eine rasch eintretende und, entsprechend ihrer reflektorischen Natur, eine sehr lange anhaltende ist; er erhielt sie auch auf Reizung des zentralen Vagusstumpfes und ebenso in mäßigem Grade von dem zentralen Stumpfe eines Intercostalnerven. Die Reizung des zentralen Endes des N. depressor gab trotz der großen Blutdrucksenkung nur geringe Abnahme des Nieren- volumens; Bradford meint, daß eine Dilatation der Nierengefäße den Effekt des sinkenden Blutdruckes auf die Nierendurchströmung neutralisiere. Die Reizung des zentralen Stumpfes hinterer Wurzeln gab begreiflicherweise weniger konstaute Resultate, doch war meist eine bedeutende Steigerung des Blutdruckes die Folge, die noch rascher anstieg und noch länger auf der Höhe verweilte als bei Ischiadicusreizung, zugleich mit starker Nieren- ausdehnung. E. Wertheimer 1) fand bei Applikation von Kälte auf die Haut, daß zugleich mit der durch die Hautgefäßkontraktion hervorgerufenen Blut- drucksteigerung Nierenvolumen und Abfluß der Nierenvene abnahmen. Der Druck in der Vene sank. Entsprechend fand Delezeune-), daß bei Hunden Abkühlung der Haut die Harnmenge herabdrückte, selbst bei Zucker- oder Harnstoff diurese. 3. Einfluß des Gehirns. a) Großhirn. Wenn auch bislang, wie oben erwähnt, echte Sekretionsnerven für die Niere noch nicht einwandsfrei nachgewiesen sind, so ist doch andererseits ein Einfluß der nervösen Zentren auf das Zusammenspiel der einzelnen Nieren- abschnitte nicht zu verkennen, bzw. auf gesonderten Ausfall ihrer Funktionen oft beobachtet. W. V. Bechterew^) untersuchte den Einfluß der Gehirnrinde auf die Harnsekretion, ausgehend von der Beobachtung, daß bei Depressionszuständen (wie Melancholie) gewöhnlich eine Herabsetzung der Harnsekretion zu beob- achten ist, die bei Hysterie sich bis zur Anurie steigern kann, daß andererseits bei maniakalischen Geistesstörungen Polyurie beobachtet wird. Mit Kar pinski führte er Ureterenkanülen von Neusilbei' bei Hunden ein, nähte sie in die Bauch- wunde fest und wai'tete deren Heilung ab. Dann wurde die Hirnrinde einer Seite bloßgelegt; dies führte zu einer Sistierung der Harnsekretion, die für die gleichseitige Niere anhielt, in der gekreuzten Niere aber nach 5 bis 10 Mi- nuten von gesteigerter Absonderung gefolgt war. Sobald die Sekretion zur Norm gekommen war, wurde die Hirnrinde gereizt. Vom inneren Teile des vorderen Abschnittes des Gyrus sigmoideus bzw. vom Gyrus cruciatus ließ sich dann konstant eine Steigerung der Harnsekretion aus der gekreuzten Niere beobachten mit vermehrter N- und Chloridausfuhr. v. Bechterew nimmt an, was sehr wahrscheinlich, daß es sich vorzugsweise um eine Wir- kung auf die Nierenzirkulation handelt; daß diese und nicht allgemeine Blut- *) Arch. d. physiol. 1894, p. 308. — '') Ebenda 1894, p. 446. — ■') Avch. f. Physiol. 1905, S. 297 ff. Einfluß des Nervensystems (Piqüre). 283 drucksteigerung die Ursache ist, schließt v. Bechterew daraus, daß die erwähnten Rindengebiete sich nicht oder nur zu einem kleinen Teile mit denen decken, die er (mit Miß law ski) als blutdrucksteigernde Territorien eruiert hat. b) Nachhirn. Die nach der Piqure auftretende Polyurie (Diabetes insipidus) bedarf noch einer besonderen Erwähnung, da hier, wie schon Heiden hain in seiner zusammenfassenden Darstellung ausführte , seit den Untersuchungen von Claude Bernard und Eckhardt eine unzweifelhafte Beeinflussung der Nierenfunktion durch nervöse Apparate dargetan ist. Eckhardt fand die Piqüre allerdings auch bei durchrissenen Nieren- nerven wirksam, aber es waren auf diese Weise die Nerven, welche von der Aorta mit den Nierengefäßen zum Hilus ziehen, nicht ausgeschaltet. Daß auch beim Menschen die Beziehung der Rautengrube, wie sie am Tiere ex- perimentell festgestellt wurde, zur Polyuiüe existiert, steht außer Zweifel; Meyer 1), der die Polyurie eingehend studierte, hat in Fällen von Gehirn- erkrankungen das Übergreifen der Krankheit auf die medullären Gebiete mit dem Auftreten des Diabetes zusammenfallend gefunden. Seine Arbeit ist aber vornehmlich deshalb von hohem Interesse, weil er einige Fälle echter, primärer Polyurie in bezug auf die Ausscheidung von Wasser, gelösten Bestandteilen, sowie auf die Wirkung von Diureticis untersuchte und ebenso das Blut auf etwaige gleichlaufende Veränderungen. Was die echte primäre Polyurie betrifft , so unterscheidet sie sich sehr wohl wie Strubell*) und Meyer (1. c.) feststellten, von den Fällen, wo durch üble Gewöhnung (Potatorium usw.) eine Polydipsie und sekundär erst die Polyui-ie ent- standen ist. Bei der echten primären Polyurie wird durch Wasserentziehung der Harn nicht konzenti'ierter, er behält seine dünne Beschaffenheit, nur die Menge vermindert sich; es werden daher entsprechend weniger Stoffwechselprodukte aus- geschieden, und sehr bald stellen sich bedrohliche Allgemeinsymptome ein, die es verbieten , die Wasserentziehung weiter zu treiben , obwohl zu dieser Zeit noch immer Harn gelassen wird; die Blutkonzentration stieg bei solchen Versuchen (Strubell, 1. c.) auf 23,24 bis 23,26 Proz. gegen 21 Proz. der Norm. Die Fälle von Meyer zeigten außer der Polyurie keine Symptome von Nieren- oder Stoffwechsel- erkrankung; Herz und Blutdruck waren normal, der Puls weich, das Blut hatte seine normale Konzentration (^ = — 0,56" C), Erscheinungen von selten des Zentralnervensystems fehlten vollständig. Der Harn war sehr salzarm {J = — 0,22 bis — 0, 17''C), aber relativ N-reich — bei gemischter Ko.st betrug die N-Ausfuhr 11 g/24 , AV'ovon 0,6 g Harnsäure (s. Tabelle II, S. 15, 1. c), was bei 8000 ccm Harn eine U-Konzentration von 0,3 Proz. gibt, also sechsmal so hoch als die des Blutes. Mir scheint nun die Annahme naheliegend, die Polyurie sei be- dingt durch eine Schädigung der Wasserresorption, indes die Eesorption gelöster Bestandteile vor sich geht. Denn unter dieser Annahme wiü'den die folgenden von Meyer beobachteten Tatsachen sich gut erkläi'en lassen. Der Organismus des Polyurikers stand immer an der Grenze des Wassermangels, daher der fortwährende Durst und das Fehlen von Schweißabsonderung — dagegen Elendgefühl — in heißer Luft (Lichtbad), solange nicht reichlich zu trinken gegeben wurde. Sein KochsalzstoffAvechsel ist nicht gestört, die Niere nimmt nach Bedürfnis des Körpers das Salz aus dem Harn zurück; bekommt der Patient Kochsalz im Übermaß (20g in Substanz), so wird noch etwas Gewebswasser mobil gemacht, die Harnmenge 1) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 83, 1 ff., 1905. — -) Ebenda 62, 1898, zit. nach 3Ieyer. 284 Einfluß des Nervensystems (Piqüre). steigt, aber trotz Wasservermehrung auch der Prozentgehalt an Kochsalz, so daß in drei Tagen der Überschuß eliminiert ist. Wird aber ein Diureticum aus der Xanthingruppe — Theocin • — gegeben, so steigt, weil die Wasserresorption schon an und für sich daniederliegt, die Harnmenge nicht, ebensowenig der N - Gehalt, wohl aber recht bedeutend der Gehalt an Kochsalz (z. B. Versuch vom 26./28. August, 1. c. S. 20, wo der Prozentgehalt des Harns an ClNa auf das Dop- pelte gestiegen ist). Dies entspricht der oben erwähnten Eigenschaft dieser Di- uretica, nicht nur die Wasserresorption, sondern auch die der gelösten Substanzen zu hindern. Die Hinderung der Wasserresorption kann nicht mehr in Erschei- nung treten, nur die der gelösten Substanzen, soweit sie resorbiert werden, was ja für den Stickstoff nicht zutrifft. Diese hier aufgestellte Hypothese von der Ur- sache des Diabetes insipidiis würde sich also als eine auf Schädigung gewisser medullärer Apparate beruhende Störung der Wasserresorption darstellen ; da wir für diese, wie für die Resorption gelöster Substanzen eine echte Zelltätigkeit postu- lieren müssen , so wäre eine solche Schädigung an den Epithelien gewisser Kanal- partien infolge gestörter Innervation Avohl denkbar, ohne daß die übrigen, von anderen Nerven versorgten Abteilungen dabei gelitten hätten und ohne daß die Kegulieruug der Nierendurchblutung bzw. der vasomotorische Apparat der Glome- ruli geschädigt worden wäre. Da nun andererseits die ungeheuren Harnmengen solcher Kranken bei entsprechender Trinkzufuhr ohne sonstige Störungen des Stoff- wechsels abgeschieden werden, ohne daß irgendwelche Abnormitäten sowohl des Körperkreislaufes als desjenigen der Nieren nachweisbar sind — solche der Lympli- bewegung werden sich kaum dokumentieren — , so ist die Vermutung naheliegend daß auch normalerweise sehr große Mengen Glomerulusfiltrat die Niere passieren, aber gelöste Substanzen sowohl als den größten Teil ihres W^assers wieder ab- geben. Da eine Abscheidung N- haltiger Substanzen durch Sekretion in den Kanälchen nach den histologischen Erfahrungen Avohl sicher stattfindet, so ist es nicht nötig, die Glomerulusfiltratmenge so hoch anzunehmen, wie sie zur Deckung der N-Ausfuhr berechnet wurde — über 50 Liter — ; dementsprechend ist ja auch der Harn des Polyurikers noch reicher an Harnstoff als das Blut. Die mittleren Harnmengen der Polyuriker — 10 bis 12 Liter in 24 1^ — wären dann etwa als Menge des Glomerulusfiltrates der normalen Niere anzusetzen. Daß die sekre- torische Funktion der Niere beim reinen Diabetes insipidus nicht geschädigt ist, das beweisen Meyers Untersuchungen über die Phosphorsäure- und Harn- säureausscheidung seiner Patienten (1. e. S. 61 ff.). Hier spielten sich die Ände- rungen in der Ausscheidung auf Einwirkung von ClNa oder Na2HP04 in gleicher Weise wie am Gesunden ab. F. Die künstliche Nierendurehblutung-, der Gasweclisel und die Arbeit der Niere. I. Die künstliche Nierendurchbliitung. Die Durchblutung isolierter Organe ist durch Jacobj ') zu einer hohen Voll- kommenheit gebracht worden, indem er mit seinem „Hämatisator" einen rhyth- misichen Blutstrom erzeugte und zugleich eine Arterialisierung des Durchströmungs- blutes durch einen zwischengeschalteten Lungenkreislauf ermöglichte. Er hat auch die künstliche Nierendurchblutung in den Kreis seiner Untersuchungen gezogen, die ja schon von Locke 1849, von Bidder 1862 und vornehmlich in Ludwigs Laboratorium vorgenommen wurde (siehe die Literatur bei Jabobj, I.e.). Munk *), der eine große Reihe solcher Versuche durchführte, hatte gefunden, daß das erhaltene, immer spärliche Sekret mehr OlNa enthielt als das perfundierte Blut, es war also wohl noch Resorption von Wa.sser in der Niere möglich. Jacobj (I.e.), der in seinen ersten Versuchen seine Aufmerksamkeit vornehmlich der Zii'kulation in der Niere schenkte und die Möglichkeit einer guten Durchblutung konstatierte, 0 Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 26, 388, 1890. — *) Virchows Arch. 107 (1877); 111 (1884); mit Senator 11-t (1888). Die künstliche Nierendurchblutuug. 285 hat dann im Verein mit v. Sohieransky*) auch die Harnabscheidung des iso- lierten Organs untersucht und ebenfalls, wie die früheren Autoren, kein normales und immer nur spärliches Sekret erhalten. Pfaff und Vejnx Tyrode^) nahmen in letzter Zeit die Versuche wieder auf und konstatierten einmal, daß defibriniertes Blut, entsprechend den Erfahrungen, die von vielen Autoren an anderen Organen gemacht wurden, die Nierengefäße verengt — wie Thompson bei Peptoninjektion fand (siehe oben) gegen Sollmann (siehe unten) — und somit Heinmungen in der Durchblutung setzt : Zusatz von Chloroform , Äther oder Chloralhydrat beseitigte dieselbe sehr gut, so daß bis zu 10 bis 12 Liter Blut in der Stunde durch die Niere flössen; aber die Sekretion wurde dadurch nicht verbessert, immer war der Harn alkalisch, eiweißhaltig; Blutfarbstoff, rote Blutkörperchen und Zylinder waren bei- gemengt. Die Narkotica können diese Veränderung nicht beAvirkt haben, denn Hunde, welche Pfaff und Tyrode (I.e. S. H35) neun Stunden lang unter Chloro- formnarkose hielten, denen auch mehrmals Blut aus der Carotis entzogen wurde, sonderten wohl sehr wenig Harn ab, derselbe enthielt auch hier und da Spuren von Eiweiß und Zylindern — solche Befunde sind ja auch an Menschen in Chloroform- oder Äthernarkose erhalten worden — , aber niemals Blutfarbstoff bzw. Blut. Daß es das defibrinierte Blut war, das die Schädigung hervorbrachte, be- wiesen die Verfasser einw'andf i-ei , indem sie das Blut eines Hundes in wieder- holten Aderlässen defibrinierten und ihm durch die Vena jugidaris wieder zuführten ; sehr bald wurde der normale Harn in obiger Weise verändert : sehr rot, alkalisch, Zylinder führend usw. Verbluteten sie jetzt denselben Hund aus der Carotis so weit, daß Atmung und Zirkulation gerade noch möglich waren, und verbluteten sie nun einen zweiten normalen, mit Chloroform narkotisierten Hund in die Vena jugidaris des ersten, so trat sehr bald wieder ein klarer, zitronengelber Harn von neutraler oder sogar schwach saurer Reaktion auf, der gegen vorher einen höheren U-Gehalt zeigte. Dieser Nachweis, daß defibriniertes Blut die Niere schwer schädigt, läßt natürlich alle Schlüsse, die sonst aus solchen Durchblutungsversuchen gezogen wurden, hinfällig werden. Pepton und Oxalsäure Salze als gerinnungshemnaende Zusätze zum Durchleitungsblute gaben auch nicht bessere Resultate, dagegen war ein nach Haycrafts Vorschrift hergestelltes Blutegelextrakt geeigneter. Die Harn- sekretion sowohl von lebenden Tieren, deren Blut durch das Extrakt ungerinnbar gemacht wurde, als auch von künstlich durchbluteten Nieren war besser, konstanter und dauerte länger an als bei den früheren Versuchen. Doch war auch hier in den besten Versuchen der Harn alkalisch, ammoniak- und eiweißhaltig und führte Hämoglobin. Die Harnstoffkonzentration desselben war aber bedeutend höher als die des zirkulierenden Blutes, so daß also nach dieser Richtung eine gewisse Eunk- tionsfähigkeit der Niere — sei es nun in Form von Wasserresorption oder von + U-Sekretion der Epithelien — erhalten war. Die Verfasser glauben, daß die Durch- blutung der Niere mit Blutegelextraktblut wohl noch Aussicht auf Erfolg geben kann nach Verbesserung der Methodik. Die Niere zeigt sich also av;ch hier als ein äußerst empfindliches Organ gegenüber Änderungen der normalen Verhältnisse ; daß ihr Gefäßapparat etwas widerstandsfähiger ist und eine Zeitlang nach der Exzision noch reaktionsfähig sich erweist, das lehren die Versuche von SoUmann^), welcher Nieren mit verschiedenen Flüssigkeiten perfundierte, dabei Onkometerstand, Venenabfluß und Harnproduktion registrierte. Er beobachtete, daß defibriniertes Blut, durch frisch exstierpierte Nieren geleitet, eine außerordentliche Gefäß- erweiterung, vornehmlich im Bereiche der Vasa efferentia hervorruft. Dies Re- sultat steht also in Widerspruch zu denen von Pfaff und Tyrode. Durchströmte er abgestorbene Nieren mit Salzlösungen, Gummilösung oder mit Blut, so war ein deutlicher Parallelismus zwischen Viskosität und venösem Abfluß zu beobachten, derart, daß letzterer mit steigender Viskosität entsprechend abnahm. Durchströmte er aber eine frisch exzidierte Niere mit physiologischer Kochsalzlösung und darauf mit defibriniertem Blut, so stieg der venöse Abfluß sofort bedeutend an, oft zum 0 Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 29, 25 f£., 1893. — *) Ebenda 49, 324 ff. 1903. — ^) Americ. Journ. of Physiol. 13, 241 ff. u. 291 ff., 1905. 286 Die küustliclie Nierendurchblutung. dreifachen Wert; das Onkometer flel rapid (zum Teil durch, die erhöhte Viskosität); ebenso ist hierauf der Abfall des venösen Abflusses vom anfängKchen extremen "Wert auf einen mittleren, immer noch hohen zu beziehen; das einströmende Blut hat eben anfangs noch eine Zumischung der vorher durchgehenden Salzlösung. Dieser vasomotorische Effekt wurde mit abnehmender Lebensfrische der gewählten Nieren immer geringer. Serum, CO -Blut, bei 63" C lackfarbig gemachtes Blut gaben denselben Effekt, nicht aber Lockesche Flüssigkeit (ohne Dextrose) oder Blut, das koaguliert und filtriei't worden war. Sollmanu schließt daraus, daß es ein organischer Körper ist, der ihn verursacht; dem entspricht auch, daß ver- schiedene Blutproben Unterschiede in der "Wirkung zeigten. "Was nun aber die Beobachtungen über den produzierten Harn angeht, so zeigen Sollmanns Ver- suche einmal, daß Durchströmung mit Lösungen steigender Viskosität den Ureter- ausfluß vermindert, ebenso das Nierenvolumeu ; darauf waren auch noch die ge- ringen durch Zuckerlösungeu hervorgebrachten Effekte zu beziehen. Perfusionen mit Salzlösungen geben einen guten, venösen Abfluß, und ein Uretersekret, das als ein Filtrat anzusprechen ist, — Gefäßruptur war durch Kontrollversuche aus- geschlossen. Die Nieren behalten nach der Exstirpation noch einen gewissen Grad von Funktionsfähigkeit — wie auch in den Versuchen von Schmiedeberg und Bunge (siehe oben, 1. c.) nach 48 Stunden p. mortem die Hij^pursäuresynthese ge- lang — , der aber immer mehr abnimmt , sowohl durch Gefäßconstriction als auch durch Änderung (Gerinnung) in den filtrierenden Zellhäuten. Venen- und Ureterausfluß , sowie der Onkometerstand , ebenso maximaler Venen- und "tJreter- druck steigen und fallen mit dem Durchströmungsdruck; intermittierender Druck ist immer wirksamer als gleich hoher konstanter Druck. Die kleinen Abweichungen im Parallelismus sind durch Abströmen von Flüssigkeit durch die Kommunikation mit den Kapselvenen zu erklären (siehe früher Gefäßverteilung); an Modellen konnte Sollmann diese Verhältnisse nachahmen. Sollmann fand weiter, daß an frischen und an toten Nieren bei Durch- strömung mit verschiedenen Salzlösungen Venen- und TJreterabfluß mit der mole- kularen Konzentration der Perfusionsflüssigkeit wechseln, und daß dies auf Schwel- lung bzw. Schrumxjfung der Nierenepithelzellen beruht, wodurch die Lumina der Kanälchen und der Gefäße beeinflußt werden. Ahnliche Verhältnisse hat v. So- bieransky') in histologischen Bildern erhalten; Schwellung der Epithelien nach Injektion von hypisotonischen , Schrumpfung nach hypertonischen Salzlösungen. Das Onkometer wird natürlich unter diesen Verhältnissen keine bedeutenden Vo- lumenänderungen anzeigen , da der Austausch eben innerhalb der Niere zwischen Lumen iiud Zellbekleidung der Kanälchen vor sich geht. So 11 mann will die An- wendung der so gesammelten Erfahrungen auf die Verhältnisse im lebenden Orga- nismus nicht ganz abweisen, etwa mit Bezug auf den sehr konstanten Gehalt des Blutes an Salzen usw. Er stützt sich dabei auf die Erfahrungen von Galeotti*), der in "Übereinstimmung mit anderen Untersuchern (siehe oben) die Stärke der Diurese dem Verdünnungsgrade des Blutes entsprechend fand, und welcher dabei beobachtete, daß die molekulare Konzentration des Blutes nach Injektion anisoto- nischer Salzlösungen oft nach 5 Stunden noch nicht auf den normalen Stand zurück- gekehrt war. II. Der Gaswechsel der Niere. "Wie schon oben erwähnt, untersuchten Bar er oft und Brodie^) den Gas- wechsel der Niere. Sie analysierten arterielles und venöses Nierenblut bei geringer Sekretion, gaben dann ein Diureticum und wiederholten die Blutgasuntersuchung. Mit der Blutgasaufsaugung wurde auch gleichzeitig die Stärke der Harnabsonde- ruug bestimmt. Die Defibrinierung der Tiere, welche Barcroft*) in Verbindung mit Star- ling^) bei Untersuchung des Gasweehsels des Pankreas und der Unterkieferdrüse 1) Pflügers Archiv 92, 135, 1903. — '^) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1902, S. 200 ff. — '■") Journ. of Physiol. 32, 18 ff., 1904/05. — "j Ebenda 25, 275, 1900. — '■') Ebenda 31, 496, 1904. Gaswechsel der Niere. 287 so gute Dienste geleistet hatte, konnte ja nacli Obigem f ür die Nierenuntersuchung nicht in Betracht kommen. Bar er oft und Brodie fingen daher die kleinen Blutportionen , die sie für die Analyse benötigten — 5 bis 20 ccm — in KaUum- oxalat unter Öl auf. Die zu den Versuchen benvitzten Hunde wurden in Narkose unter Unterbindung der Eingeweidegefäße ganz ausgeweidet; die Tiere vertrugen die Operation gut; in den 8 Stunden, um welche sie dieselbe überlebten, blieb der Blutdruck bis auf die letzte halbe Stunde hoch. Die Zirkulation des Hinterkörpers wird dann durch Unterbindung der Aorta dicht unter dem Abgange der Nieren- arterien ausgeschaltet; darauf die Vena cava inferior isoliert, so daß nur die beiden Nierenvenen und die linke Nebennierenvene — welche bei der Blutentnahme ab- geklemmt wird — in das mit Kanüle armierte Stück derselben einmünden. Da der Blutstrom durch die Niere ein sehr rascher ist und der Unterschied im Gasgehalt des arteriellen und des venösen Nierengefäßblutes oft nur ein sehr geringer, so mußte die Durehsti-ömungsgeschwindigkeit sehr genau gemessen werden. Es wurde, wie schon erwähnt, die Zeit bestimmt, welche das Blut zur Durchlauf ung eines bestimmten Rohrabsehnittes brauchte — in wenigen Sekunden war dies getan, die Gefahr der Gerinnung also vermieden. Die Gasanalyseu wurden mit dem Appai-at von Barcroft und Haidane ^) (chemische Methode, nur 1 ccm Blut benötigt) aus- geführt. Die Ergebniszahlen mit solchen verglichen, die durch Auspumpen (S'/g bis llVjCcm Blut benötigt) gewonnen wurden, zeigten eine gute Übereinstimmung. Die Analysenproben entnahmen Barcroft und Brodie vor und während derDiurese. Vor Während Bei abkKng. der Diurese der Diurese Diurese ccm ccm ccm Experiment L, S. 23: (Salzdiurese) Sauerstoff, absorbiert pro Minute .... 1,16 4,05 Kohlensäure, abgeschieden pro Minute . 3,04 3,00 Sauerstoff pro Minute . COg pro Minute .... (Urinmenge pro Minute) Experiment II, S. 23 (U-Diurese) || 3,35 15,6 jl 8,65 13,8 [[ (0,13) (0,96) 5,0 3,5 (0,36) Experiment III, S. 24 (U-Diurese, dann Salzdiurese) O2 pro Minvite . . CO2 pro Minute . . (Harn pro Minute) 1,22 3,84 (sehr wenig) 6,14 3,89 (1,34) Og pro Minute . . COg pro Minute . , (Harn pro Minute) Experiment IV, S. 24 (U-Diurese) {1 0,53 Il 4,40 (0,24) 4,0 1,8 (1,2) Die Zahlen zeigen, daß der 0^- Konsum bei der Diurese immer steigt; die C Og-Produktion aber zeigt hier ein wechselndes Verhalten. In Versuchen, welche die Verfasser noch nicht veröflfentlicht haben, war auch die Steigerung der CO.2- Produktion das Gewöhnliche. Die Steigerung des Og - Verbrauchs ist aber immer da; sie kann das 3 bis 10 fache betragen in der Diurese gegenüber der normalen Harnsekretion. Interessant ist aber der Vergleich des O^-Verbrauchs der Niere mit dem des Gesamttieres. Versuche von Barcroft und Brodie fanden an normalen Hunden 0,0166 ccm pro Gramm/Minute. Die ruhende Niere in Experiment I ver- ^) Journ. of Physiol. 28, 232, 1902. 288 Gasweclisel der Niere. — Berechnung der Nierenarbeit, brauchte 0,0178 com pro Gramm/Minute; in Experiment 11 0,0604 ccm. Bei der Diui-ese Avaren die entsprechenden Zahlen 0,0623 und 0,281 ccm und in Experiment II bei sinkender Diurese noch 0,0901 ccm. Zieht man den Anteil der Niere am Sauerstoffkonsum des ganzen Tieres in der Buhe in Betracht, so ist er für Experiment I 0,773 Proz. in der Merenruhe, 2,70 Proz. in der Diurese, bei Experiment II aber 2,52 Proz. in der Buhe und 11,75 Proz. auf der Höhe der Diurese. Da die Nieren des Hundes im Mittel 0,72 Proz. (= ) de.s^ \ 139/ Körpergewichts ausmachen, so ist — außer in Experiment I — der Anteil der Nieren — wie zu erwarten — an dem Sauerstoff verbraucli liöher, als ihr Anteil nach Gewichtsverhältuis sein sollte. Daß , wie in Experiment II die Niere bis 11,75 Proz. des Gesamtsauerstoffs auf der Höhe der Diurese für sich verbraucht,, ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß der Hund in tiefer Narkose lag und dementsprechend sein Gesamtsauerstoffkonsum noch viel niedriger war als der eines gewöhnlichen Buhezustandes. Bar er oft und Brodie haben in Kontroll- experimenten mit Chloroformnarkose gefunden, daß der GesamtsauerstoffkonsumL nur die Hälfte desjenigen beim intakten, ruhenden Tiere ist. III. Berechnung der Nierenarbeit. Es war schon oben erwähnt worden, daß von seifen Dresers^) der erste Anstoß erfolgte, die Vorgänge bei der Harnabsondei'ung vom Stand- punkte der van 't Hoff sehen Theorie der Lösungen aus zu beleuchten. Von der Differenz der osmotischen Drucke, bzw. der Gefrierpunktserniedrigungen des Blutes und des Harnes ausgehend, stellte Dreser eine Überschlags- rechnung der Arbeit auf, welche die Niere zu leisten hätte. Der osmotische Druck des Blutes ist ein sehr konstanter und beträgt, entsprechend einer Gefrierpunktserniedrigung (z/) von — 0,56" C, etwa 7 Atmosphären. Da für eine 1 proz. ClNa-Lösung z/ = — 0,613'' ausmacht, so wäre die Summe der Partialdrucke, welche die einzelnen Bestandteile des Blutserums ausübten^ gleich dem osmotischen Drucke einer ClNa-Lösung von 0,91 Proz. Ein Morgenharn von z/ = — 2,3 " entspräche dann einer 3,75 proz. Kochsalz- lösung oder etwa 27^2 Atmosphären. Dreser berechnet nun für ein Quan- tum von 200 ccm eines solchen Harnes die Arbeit, welche die Niere während der Nachtruhe zur Abscheidung desselben zu leisten hatte, zu 37,037 kgm. Der Gang dieser Bechnung, die hier nicht näher dargelegt werden soll, wird: erläutert durch, das Beispiel, das Dreser (1. c.) gibt. Soll aus 100 ccm einer 0,9' prozentigen ClgNa -Lösung eine 3 prozentige gemacht worden, sollen also 70 ccm Wasser entfernt, bzw. durch eine semipermeable Membran gegen Wasser abgepreßt werden, so ist zu bedenken, daß mit wachsender Konzenti-ation immer steigende- Drucke nötig sind, um ein kleinstes Volumen Wasser abzupressen. Nimmt man dabei Schiitte von 10 zu 10 ccm an und trägt man sich diese Volumina als Ab- szissenstücke auf, die den jeweiligen Konzentrationen entsprechenden osmotischen Drucke als Ordinaten, so ist zur Entfernung der ersten 10 ccm eine Di-uckkraft nötig, welche anfangs beim Volumen 100 durch die Konzentration 0,9 Proz.,. am Ende beim Volumen 90 durch die Konzentration 1 Proz., beim Volumen 80 durch die Konzentration 1,125 Proz. usw. dargestellt wird. Beim Volumen 30 ist die gewünschte Konzentration von 3 Proz. erreicht. Das JMittel zwischen Anfangs- und Endkonzentration bzw. der entsprechenden Drucke, mit dem Volumen 10 mul- tipliziert, stellt die jeweilige Arbeit einer Etappe dar, repräsentiert durch ein Trapez, dessen Basis das Abszissenstück für 10 ccm, dessen Höhen die Ordinaten der Anfangs- und Endkonzentrationen sind. Die Summe der Trapeze stellt die Arbeitsfläche dar. 1) Arch. f. experim. Pathol. und Pharm. 29, 303 ff., 1892. Berechnuno; der Nierenarbeit. 289 die zur Entfernung der 70 ccm Wasser benötigt wird. In der folgenden Tabelle sind die um je 10 ccm fallenden Volumina, die entsprechenden Prozentgehalte der Lösung und die Höhenmittel der Trapeze, welche, mit 10 multipliziert, die Einzel- arbeiten ergeben, dargestellt: Volum Proz. - Gehalt Mittel der Trapezhöhen 100 0,9 } 0,95 90 1,0 ) 1,067 80 1,125 } 1,205 70 1,285 ) 1,392 60 1,5 ) 1,65 50 1,8 ) 2,025 40 2,25 ) 2,625 30 3,0 10,914 X 10 = 109,1 Arbeitsareal. Verbindet man die Ordinatengipfel der rasch wachsenden Konzentrations- bzw. Druckhöhen, so erhält man eine hyperbolische Kurve ; die Bedingungsgleichung der für kleinste Volumina {d v) ausgeführten Eechnung führt ebenfalls auf die Hyperbel, bzw. die zu berechnende Arbeit auf die Quadratur einer solchen. Nun sind aber die 70 ccm Wasser nicht gegen reines Wasser in unendlicher Menge vom osmotischen Druck = Null abgepreßt worden, sondern gegen eine 0,9 proz. Lösung. Es wäre also von obigem Arbeitsareal von 109,1 ein solches von 0,9 x 70 = 63 abzuziehen, der Rest von 46,1 repräsentierte den Hyperbelausschnitt der geleisteten Arbeit. Um dieses A in gebräuchlichem Maße auszudrücken, was Dreser nicht tut, könnte man in Annäherung diesen Ausschnitt gleich einem Eechteck mit der Basis 70 und einer (mittleren) Höhe von 0,66 setzen; diese Höhe entspräche der mittleren Konzentration, bzw. dei-en osmotischem Drucke. Für eine 1 proz. Lösung von ClNa ist J = — 0,613" C; also J von 0,66 Proz. = — 0,405" C; z/ = — 1*0 entspricht aber einem Drucke von 123 m Wasser = 12,3 Atm.; demnach J von —0,405" = 4,98 Atm. oder die Ar-beit zur- Abscheidung von 30 ccm einer 3 proz. ClNa -Lösung wäre an- nähernd gleich 49,8 X 0,07 = 3,5 kgm; die obige Arbeit von 109,1 = 8,25 kgm. Bei der xlrbeitsbereclinung von Dreser, welche die Kouzentrations- arbeit der Niere darstellen würde, ist aber die Konzentrations Verschiebung der einzelnen Harnbestandteile nicht berücksichtigt, welche nun teils durch Resorptions-, teils durch Sekretionsarbeit der Kanälchenepithelien geleistet wird. Es würde dies z. B. bei der nicht seltenen molekularen Konzentration des Harnes gleich der des Blutes (ein Harn von ^d = 0,56*' C), wie auch V. Freyi) hervorhebt, auf die widersinnige Annahme führen, daß die Arbeit der Niere dann gleich Null gewesen sei. Dreser führt nun weiter aus: Daß aus einem Glomerulusfiltrat, welches einem enteiweißten Blutplasma entspräche, durch die resorbierende und secernierende Tätigkeit der Nieren- epithelieu bei normaler, langsamer Sekretion ein konzentriertes und in seiner Zusammensetzung verändertes Sekret entstehen kann, ist somit begreiflich; schwieriger aber gestaltet sich die Frage : auf welche Weise kommt ein Harn von so geringer Konzentration zustande, wie er nach starker Wassereinfuhr beobachtet wird, und bei dem, wie es Dr es er z. B. nach reichlichem Biergenuß sah, ^J = 0,16^0 sein kann? Da Dreser eine Rückresorption von festen *) Vorlesungen über Physiologie, Berlin 1904. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 19 290 Berecbnung der Nierenai'beit. Bestandteilen für ausgeschlossen hielt, so mußte er schließen, daß die Niere aus dem höher, aber bei der großen Menge immer annähernd gleich konzentrierten Blute einen Harn von niedrigerer Konzentration secerniere. Den ,;Sekretions- di'uck'' berechnet er für die von ihm erwähnte niedrigste Konzentration (z/ = — 0,16'' C; Differenz gegen Blut von — 0,06« C beträgt ^40^ X 122,7 m = 49 m^ auf 49 m Wasser, das ist nur etwa Vio des höchsten Viertes des osmotischen Resorptionsdruckes. den er bei einer Durstkatze, welche einen Harn von z/ =^ — 4,72*^ C abgesondert hatte, bei einer Blutkcnztn- tration von z/ = — 0,66° C beobachtete. [Der Gefrierpunktsunterschied zwischen Harn (— 4,72») und Blut (0,66o) ist 4,06 X 122,7 m = 498 m.] Zur Berechnung der „Sekretionsarbeit" ist, da hier immer aus einer großen Blutmasse eine relativ geringe Menge Sekret abgeschieden wird, nur die entsprechende Druckhöhe (z. B. für z/ ^ — 0,1 6*^ = 49 ra) mit dem abgeschiedenen Volumen zu multiplizieren, um die Arbeit in Kilogi'amni- metern zu erhalten. Galeotti hat bei seinen Diureseversuchen an Hunden ebenfalls die Arbeit der Niere aus den Daten von z/ des Blutes und /i des Harnes berechnet, aber dabei noch die Temperatur berücksichtigt. Sind auch die Arbeitswerte, wie Galeotti (1. c. p. 204) selbst hervorhebt, nur als minimale zu betrachten (s. oben), so sind sie doch immerhin für gleichartige Versuche untereinander vergleichbar. Von den schon früher beschriebenen Versuchen I bis HI (1. c. p. 204 — 213) mit ClNa-Injektionen, die sich über eine sehr lange Dauer erstreckten, wurden I u. II in absoluter Karenz ausgeführt, während bei III das Tier nach Belieben Wasser trinken durfte. In nachfolgender Tabelle habe ich für je etwa 23 Stunden die eliminierten Fixa zusammengestellt bzw. aus den Galeottischen Konzentrationswerten berechnet; ebenso die Harn- mengen und die entsprechenden Arbeiten. Versuchsnummer Harn- menge Dauer Org. Substanz Anorg. Substanz Gesamt- Fixa Arbeit cm' g g g gern I. leOcm^* 10 Vo Gl Na 458 23li 45' 9,612 11,343 20,955 4,345,964 IL 150 cm' lOVoClNa 344 22 45 8,910 9,663 18,573 4,216,850 III. 160 cm' lOVoClNa 966 23 5,227 1) 18,465 23,692 4,204,780 (Wasser trinken gestattet) Die von den Karenztieren in gleichen Zeiten abgesonderten Harnmengen sind sehr viel geringer als diejenigen des Hundes, der seinen Durst stillen durfte. Entsprechende Verhältnisse zeigen auch die Mengen der ausgeschie- denen anorganischen Substanzen, während diejenigen der organischen Sub- stanzen sich umgekehrt verhalten. Der große Wasservorrat beim dritten Tiere erlaubt dem Organismiis, große Mengen des Salzes ohne bedeutende 0 Für die Zeit von 7li 30' p. m. bis 9h a. m. (= 13^30') fehlt bei Galeotti (Versuch III, Tab. S. 212 bis 213) die Bestimmung der organischen Substanz. Ich habe sie mit 2 £>• eingeschätzt nach der betreffenden Harnmenge und der moleku- laren Konzenti-ation im Vergleich mit den Daten der letzten vierstündigen Periode. Zusammenfassung. 291 Arbeit (Filtration) zu eliminieren, während, der Wassermangel der ersteren Tiere vou der Niere eine große Resorptionsarbeit verlangte ; dennoch be- wältigte die Niere nur geiingcre Mengen. Die Schwierigkeit, für diluierten Harn eine Wassersekretion in groiSem Maße fordern zu müssen, gl?.ubt Köppe^) vermeiden zu können, wenn er ausgeht von einem osmotischen Gleichgewicht zwischen Glomerulusbiut und der Gewebsflüssigkeit des Glomerulus-Kapselraumes im Zustande der Anurie. Tritt auf einer Seite dieser gleiche osmotische Drucke zeigenden, durch eine seruipermeable Wand getrennten Flüssigkeiten ein hydrostatischer Druck auf (Blutdruck in den Glomerulusgefäßen), so kann wohl, selbst bei sehr geringer Höhe, ein kleinstes Volumen Wasser in den Kapselraum gepreßt werden , aber damit ist dann auch die osmotische Druckdifferenz gegeben (etwa 7 Atm., siehe früher), welche überwunden werden muß, Avenu weiteres Wasser abgepreßt werden soll. Koppe glaubt, daß die Annahme einer für Wasser nur in der Richtung Blut — > Kapselraum durchgängigen Wand des Glomerulus dieses Verhältnis beseitigen soll, was unrichtig ist. Die „Nierenarbeit" spielt in der praktischen Medizin jetzt eine große Rolle; auf sie und die umfassende Darstellung v. Koranyis^) kann hier verzichtet werden. Doch sei erwähnt, daß sich für die Beurteilung von Nierenerkrankungen gewisse aus den Daten der Kryoskopie und der Leit- fähigkeitsbestimmungen berechnete „Werte" als nützlich für diagnostische Zwecke erwiesen haben. So namentlich der Valenzwert (Sträuss) =^ ^d X Urinmenge, der bei normaler Nierenfunktion nur zwischen 1563 bis 3126 liegen soll (v. Koranyi). G. Zusammenfassung. Fassen wir noch einmal kurz den Stand unseres Wissens über die Harn- absonderung zusammen, so kämen wir zu folgendem Ergebnis. 1. Die Ludwigsche Behauptung, daß ein Plasma minus Eiweiß dem Glomerulus entströme, ist als eine sehr wahrscheinliche zu betrachten. Bei Annahme einer einfachen Filtration, für welche vieles spricht: — (der anatomische Bau, die Annäherung der Harnkonzentration und Reaktion an die des Blutes bei rascher Durchströmung, der Parallelismus zwischen Nieren- durchblutung und Harnmenge) — ist sie gemäß den osmotischen Gesetzen auch die einzig zulässige. Sie ist wohl, wie auch Ludwig schon vermutete, dahin zu ergänzen, daß auch die an Colloide gebundenen Stoffe (Phosphor- säure, Zucker) nicht mit filtrieren. 2. Die hypothetische Annahme Ludwigs, das Glomerulusfiltrat werde auf seinem Wege durch die Harnkanälchen durch Wasserresorption konzen- triert, hat durch die neueren Untersuchungen eine starke Stütze erhalten. Eine einfache Diffusion ist dabei allerdings nur zum geringsten Teile im Spiele, es muß dafür eine aktive Tätigkeit der Epithelien in den Henle sehen Schleifen, in den Tuh. contort. und wohl auch in den Sammelröhren in Anspruch genommen werden, zumal da mit dieser Wasserentziehung eine auswählende Rückresorption gelöster Bestandteile verbunden ist, wobei zum Teil das Be- ') Handb. cL Urologie und Deutsclie med. Wochenschr. 1903, Nr. 45. ^) Die wissenschaftlichen Grundlagen der Kryoskopie, Berlin 1904. 19* 292 Zusammenfassung. dürfnis des Organismus entscheidet; daraus ergibt sich aber, daß beide Funktionen bis zu einem gewissen Grade unabhängig voneinander verlaufen können. 3. Harnsäure, Phosphorsäure und blutfremde Stoffe werden in den Harn- kanälchen (Tiihuli cont. und Teile der aufsteigenden Schleifenschenkel) durch echte Sekretion abgeschieden. Das gleiche gilt sehr wahrscheinlich für den Harnstoff, der aber im Glomerulus auch mit filtriert. Ist auch der Mecha- nismus dieser Sekretion noch teilweise ganz dunkel, so ist doch eine Beteiligung von „Kondensatoren" (Vacuolen bzw. Granula mit hohen Teilungskoeffizienteu für die zu secernierenden Substanzen) sehr wahrscheinlich gemacht. Doch können sie oder ähnliche vielleicht auch dem Eesorptionsvorgange dienen. Diese Kondensatoren könnten zugleich in Zeiten der Auurie (z. B. bei Tieren im Winterschlafe) eine Speicherung der zu eliminierenden Stoffwechsel- produkte bewirken und damit den Organismus trotz fehlender Harnabsonde- rung entlasten. 4. Die Diuretica wirken einmal dadurch, daß sie erhöhte Nieren Zirkula- tion hervorrufen, und zwar durch Wirkung auf den Gefäßapparat selbst; wie- weit sich dies vollzieht durch Yermittelung der peripheren vasomotorischen Nervenelemente, wieweit durch Wirkung auf die Gefäßmuskulatur selbst, ist nicht entschieden. Für die Salze ist vornehmlich die „Hydrämie", für die Xanthinkörper ihre spezifische Wirkung die Ursache dieser Gefäßwirkung. Die salinischen Diuretica erhöhen weiterhin durch die von ihnen er- zeugte hydrämische Beschaffenheit des Blutes die Filtrierbarkeit ; Coffein, Theocin usw. vermindern das Resorptionsvermögen sowohl für Wasser als für gelöste Stoffe. 5. Die Niere hat als echte Drüse die Fähigkeit, blutfremde Stoffe aus ihren Komponenten aufzubauen (Hippursäuresynthese). Unter dem Einflüsse des Phlorhizins erhalten die Drüsenzellen der Niere die Fähigkeit, aus einem Stoffe des Blutes Zucker abzuspalten. 6. Die Vermutung Heidenhains, daß mit der Sekretion der Harn- säure usw. von den Zellen auch etwas Wasser abgeschieden wird, besteht wohl zu Recht. Ein schroffer Gegensatz zwischen Ludwigscher und Bowman-Heiden- hainscher Theorie besteht nicht; Ludwig hat nie die sekretorische Tätig- keit der Nierenepithelien in bezug auf Abscheidung der Harnsäure usw. ge- leugnet, Heidenhain sich ebenfalls nicht durchaus ablehnend gegen das Bestehen einer Rückresorption verhalten. Die Einwände Heidenhains gegen das Bestehen einer Glomerulusfiltration haben sich allerdings nicht als stichhaltig erwiesen. XJretei-welleu. 293 Herausbeförderung des Harns. A. Ureter. 1. Die Ureterwelleu. Beobachtet man an einem Kaninclien, einer Katze oder an einem Hunde den auf eine kleinere Strecke freigelegten Harnleiter, so sieht man in kürzeren oder längeren Intervallen Kontraktionswellen vom Nierenbecken zur Blase ablaufen. Es zeigt sich zuerst eine kleine, 2 bis 5mm lange Auftreibung des platt daliegenden Harnleiters — wobei seine Farbe von Rotgrau in Grau übergeht — , hervorgerufen durch Herabschiebung einer Harnportion von höherer, sich kontrahierender Fig. 104. 3h26' 3h30 4hl9 yv 39» 4h35' A. A 39»5 A /\ 39° .yx_ 43" _yv 45° lt27^_A_A_A7\A^XAJV7V7VA stelle; zugleich bewegt sich der Ureter etwas nierenwärts. Darauf folgt eine in gleichem Tempo fort- schreitende Einschnürung mit einer Längsverschiebung blasen- wärts ; letztere ist, zumal im ab- dominalen Teile, ziemlich be- trächtlich. Diese Kontraktion verwandelt den Ureter auf 1,5 bis 2 mm Länge in einen sehr dünnen, drehrunden Strang, der vollständig weiß wird durch Kompression seiner Gefäße. Die folgende Erschlaffung bekundet sich in der wiederkehrenden Röte, und zugleich gleitet der Ureter in seine alte Lage zurück. So wie hier ist der Vorgang auch von Heidenhain ^), Engel- mann 2) und vielen anderen, in neuester Zeit wieder von Proto- popow^) geschildert worden; Engelmann hat die ganze Periode in drei Abschnitte geteilt. 1. Systole: vom Beginn der Zu- sammenschnürung bis zum Anfange der Erschlaffung; 2. Diastole: vom Beginn der Erschlaffung bis zur Wiederherstellung der ursprünglichen platten Form ; 3. die Pause : vom Ende der Diastole bis zum Beginn der nächsten Systole. Bei Änderungen der Frequenz der peristaltischen Kontraktionen wird am stärksten die Pause betroffen; doch auch diastolische und systolische Zeiten ändern sich (Protopopow, I.e. S. 67, u.a.). Am deutlichsten ergibt S=10" Ureterkontraktionen bei verschiedenen Temperaturen. Nach L. Stern, Exp. VII, p. 35. >) Arch. f. mikr. Anat. 10, 35, 1874. ä) Ebenda 66, 1 ff., 1897. '^) Pflügers Arch. 2, 243, 256, 1869. — 294 Einfluß des Harustroms auf die Ureterwelleu. sich das aus den Kurven von Lina Stern ^), welche am herausgeschnittenen und in 0,8 proz. ClNa-Lösung versenkten Meerschweinchen-Ureter die Kon- traktionen graphisch registrierte. Am normalen, warmen Ureter und bei normaler Diurese beträgt die Zahl der Kontraktionen 3 bis 6 pro Minute, und die etwa 10 mm langen "Wellen pflanzen sich um 20 bis 30 mm pro Sekunde fort. Die Schwankungen der Frequenz sind aber bedeutende : Vor allem ist der Ureter sehr empfindlich gegen Änderungen der Temperatur und der Blut- zufuhr (s. unten). Die vorstehende Kurve von Stern (1. c.) läßt den Einfluß der Temperaturänderungen deutlich erkennen ; bei 48'^ C wird die obere Grenze erreicht, die Kontraktionen werden sehr frequent und schwach, und bald tritt Stillstand (Tod) ein. Nach unten ist die Grenze für Spontankontrak- tionen 37" C; wird der Ureter unter diese Temperatur abgekühlt, so hören sie auf, um mit Wiedererwärmung von neuem zu beginnen. Dem entsprechen auch die Beobachtungen Engelmanns u. a. am Ureter in situ: bald nach Eröffnung der Bauchhöhle geht die Frequenz der peristaltischen Kontraktionen herab ; Erregbarkeit und Leitungsvermögen werden hierbei in gleicher Weise vermindert, denn es erreicht jetzt eine immer geringere Zahl der Wellen die Blase — sowohl der spontanen als der durch mechanische Reizung hervor- gebrachten — , und schließlich bleibt die Kontraktion auf den erregten Ort beschränkt. Diese von Engelmann (I.e.) eingehend studierten und jederzeit leicht beobachtbaren Verhältnisse lassen es daher überflüssig erscheinen, nach dem Vorgange von Lewin und Goldschmidt 2), S. 61, eine Zielperistaltik, eine Streckenperistaltik und örtliche Kontraktionen zu unterscheiden. Den Einfluß der Blutzufuhr hat vor allem Protop opow eingebend studiert. Wird die Art. renalis, die mit einem ihrer Zweige den oberen Ureterabschnitt versorgt, abgeklemmt, so werden die Spontankontraktionen seltener oder hören ganz auf. Nicht selten erheben sie sich aber bald wieder zur anfänglichen Frequenz, im Falle nämlich sich in kurzer Frist ein Col- lateralkreislauf von tieferen Partien aus herstellt. (Nur sind infolge des Stillstandes der Nieren Sekretion die Kontraktionen leer, schaffen keinen Harn fort; dementsprechend sind sie wenig ausgiebig und laufen sehr rasch ab.) Die für den Collateralkreislauf in Betracht kommenden Gefäße sind nach den genauen Untersuchungen von Protopopow nicht nur die Art. uret. inf. aus der Art. vesicalis, sondern auch mittlere Zuflüsse von der Art. spermat. int., von der Aorta und Art. iliaca comm. (1. c. S. 21); dieser Autor ist daher der Meinung, daß das wechselnde Resultat nach Abklemmung der Nierengefäße nicht so sehr auf das Sistieren der Harnsekretion, als auf die mehr oder minder große Störung der Ureterdurchblutung zurückzufühi-en sei. Gemäß der Abhängigkeit vom Blutdruck bringt Aortenverschluß (Proto- popow, 1. c. S. 60 ff. und Kurventafel II) die Ureterperistaltik auf seltene Kontraktionen herab oder ganz zum Stillstand, indessen die Kompression der Vena cava dicht oberhalb des Nierenveneneintritts die Kontraktionen bis zu einer gewissen Grenze frequenter macht. Simultanverschluß beider Stämme verringert die Anzahl der Kontraktionen ; Freigeben der Zirkulation zieht meist starke Zunahme der Frequenz unter Verkürzung der Pausen nach sich. Die Erregungserscheinungen im Anfangsstadium einer Asphyxie machen sich 0 These de Geneve 1903. — 2) Virchows Arch. 134, 33 ff., 1893. Natur der Peristaltik. 295 auch am Ureter geltend (Protopopow, 1. c. S. 53 ff.); nach der zweiten Minute tritt darauf Verlangsamung und sohlieUlich Stillstand ein noch vor dem des Herzens. Am herausgeschnittenen, in warme physiologische Koch- salzlösung versenkten Ureter konnte Stern (1. c.) durch Sauerstoffdurch- leitung hin und wieder eine Frequenzzunahme erzielen, Kohlensäure setzte dagegen dieselbe stets rasch herab und führte nach einiger Zeit zum Tode des Ureters; nach kürzerer COg-Einwirkung konnte der gelähmte Ureter sich gut wieder erholen. Sauerstoffmangel — Eintragen in ausgekochte ClNa- Lösung — bewirkte sofort Lähmung. Zumischung von Chloroform zum Kochsalzbad tötete den Ureter sehr rasch, dagegen waren 0,01 proz. Lösungen von Ätrop. sulf. oder 0,03 proz. von Pilocarpin ohne allen Einfluß. 2. Einfluß des Harnstromes. Daß der ins Nierenbecken bzw. den Ureter eintretende Harn nicht unbedingt zum Zustandekommen der Ureterperistaltik nötig ist, hatte Engel- mann (1. c.) nachgewiesen; die Erfahrungen neuerer Forscher erhärten diese Tatsache. Vor allem belehrend sind die Beobachtungen von Stern (1. c.) über normale Ui'eterperistaltik trotz einer mehrere Wochen vorher aus- geführten Nephrektomie oder Ligatur der Nierengefäße. Daß dagegen die Frequenz und der Umfang der Ureterwellen mit steigender Harnsekretion zunehmen, ist seit Mulders und Donders' Beobachtungen immer wieder bestätigt worden. Protopopow stellte noch besondere Versuche an; er durchstieß zu dem Zwecke die Niere von der Konvexität her bis zum Nieren- becken mit einer konischen Kanüle, die eine als Tampon dienende, kugelige Auftreibung besaß — auf diese Weise größere Blutungen vermeidend — , und ließ nun unter konstantem schwachen Druck verschiedene Flüssig- keiten (Harn, 0,7 proz. Cl Na-Lösung, 1 proz. Weingeist, destilliertes Wasser) langsam eintropfen. Er fand, daß jede in den Harnleiter injizierte Flüssig- keit dessen Bewegungen frequenter macht; die differenten Stoffe, wie Wein- geist, Wasser, Harn, bewirken dies in höherem Grade. Daß die mechanische Dehnung der Ureterwand die Frequenz der Wellen beeinflußt, haben Soko- loff und Luchsinger 1) am überlebenden Kaninchenureter, sowie am frischen Harnleiter des Hundes gezeigt: Wurde körperwarme physiologische Cl Na-Lösung unter wechselnden Drucken infundiert, so stieg mit jedem Druckzuwachs die Frequenz der Wellen, um mit dem Drucke zu fallen; es trat bei höherem Drucke Gruppenbildung, ganz wie beim Herzen ein, zumal wenn der Druck sich dem Grenzwerte näherte, den der Ureter noch über- winden konnte. Jenseits dieses Wertes stand der Ureter still, um beim Herabgehen des Druckes die Kontraktionen wieder aufzunehmen. Gruppen- bildung mit Zwischenpausen von 30 bis 60" fand auch Fagge^) am Hunde- ureter, an welchem operativ manipuliert worden war (s. unten). 3. Natur der Peristaltik. Daß die „automatische Erregbarkeit der Uretermuskulatur" die Ursache der regelmäßigen Peristaltik sei, dafür hat Engel mann (1. c.) eine Reihe von anatomischen und physiologischen Gründen angeführt, die nur zum Teil ') Pflügers Arch. 26, 464 ff., 1881. — ') Journ. of Physiol. 28, 306, 1902. 296 Natur der Peristaltik. hinfällig geworden sind. Ersteres betrifft einmal das früher behauptete Fehlen jeglicher Ganglienzellen in der Muskelhaut, die angeblich viel geringere Zahl von Nervenendigungen gegenüber derjenigen der Muskelzellen, sowie die Angabe, daß die adventitiellen Ganglien nur am Nierenbecken- und Blasenteile des Ureters sich fänden. Protopopow (1. c. S. 32 ff.) fand auch in der Muscularis vereinzelte Ganglienzellen; weiter bestätigte er gegen Disselhorst 1) die Befunde von R. Mai er 2), daß auch in den mittleren Teilen des Ureters adventitielle Ganglien vorkommen, wenn auch die Haupt- anhäufung am Nieren- und Blasenende statthat. Die geringere Zahl der Nervenendigungen ist nach Retzius für glatte Muskeln die Regel, auch würde die von Engel mann selbst betonte physi(flogische und anatomische Kontinuität innerhalb der einzelnen Muskelbündel den Einwand entkräften. Diese Kontinuität ist auch an der Blasenmuskulatur (s. Abbildung in der folgenden Abteilung), am Darm und am Herzen vorhanden. Die physiologi- schen Gründe: Auftreten der peristaltischen und antiperistaltischen Be- wegungen an beliebiger Stelle des Harnleiters auf mechanischen Reiz, Auf- treten der spontanen Kontraktionen auch an kleinsten (bis 10 mm Länge herab) überlebenden Harnleiterstücken, die geringe Schnelligkeit der Wellen, die fast eine Sekunde währende Unerregbarkeit des Ureters nach einer Kontraktion, sind auch heute noch, entsprechend den Erfahrungen am Herzen, starke Stützen der Engelmann sehen Theorie. Dazu käme noch die Beob- achtung Sterns (s. oben), daß Eintragen des herausgeschnittenen Ureters in Atropinlösuug nichts an den rhythmischen Kontraktionen ändert, insofern als P. Schultz 3) das durch Atropin bewirkte Schwinden der rhythmischen Kon- traktionen am überlebenden Froschmagen als Beweis für deren neurogene Natur anführt. Unaufgeklärt bleibt noch immer, warum auch kleine aus- geschnittene Ureterstückchen bei Spontankoutraktionen immer nur blaseu- läufige Peristaltik zeigen, nie Antiperistaltik, was sie doch auf künstliche Reizung vermögen, und weiterhin ist noch dunkel, welcher Reiz am Nieren- becken die normale, dort beginnende Peristaltik auslöst. Daß Flüssigkeit, die in das Becken dringt, dies vermag, wurde oben gezeigt, andererseits sind die regelmäßigen „Leerkontraktionen" bei Tieren sowohl als beim Men- schen stets beobachtet worden. Vermutlich spielen, ganz wie beim Herzen, die ersten Anfänge der Muskulatur im Nierenbecken hierbei eine große Rolle; die Muskulatur beginnt schon auf der Basis der Nierenpapillen (He nies Sphincter papülae), von hier ziehen Längs- und Schrägbüudel über den Ring- graben (Fornix cälicis) durch die Wand der Nierenkelche, in inniger Vei-- bindung mit den Muskeln des Nierenbeckens. Es werden vielleicht durch Austreten von Harn aus den Papillen immer Kontraktionen ausgelöst, welche, bei sehr spärlichen Mengen, als Leerkontraktionen ablaufen, im Falle genügender Füllung des Nierenbeckens jedoch eine Harnportion zur Blase befördern. Daß das Nierenbecken die Befähigung zu automatischer Tätigkeit in weit höherem Maße besitzt als der übrige Ureter, das geht aus allen Untersuchungen hervor; stets setzt der Beckenstumpf des durchschnittenen Ureters seine Kontraktionen fort, der übrige Ureter entweder nur in ver- 0 Anat. Hefte von Merkel- Bonnet 11, 133, 1894. — -)Vircliows Arch. 85 (1881). — ^) Arch. f. (Anat. u.) PhysioL, Suppl. 1903. Nerveneinflüsse. 297 langsamter Folge oder er nimmt sie oft erst nach längerem Stillstände auf. Eine Schwierigkeit für diese Auffassung würde aber immer die beobachtete regelmäßige Peristaltik nach länger oder kürzer voraufgehender Nephrektomie bieten. Daß bei abundanter Harnabsonderung das Nierenbecken und der obere Ureter sich ziemlich stark füllen, ehe wieder eine Kontraktion auftritt, daß also trotz starker Dehnung die Frequenz nicht über eine mäßige Höhe hinausgeht, erklärt sich aus der oben erwähnten, ziemlich lange dauernden Unerregbarkeit des Ureters nach jeder Kontraktion. 4. Nerveneinflüsse. Wenn nun auch durch die neueren Arbeiten die Lehre Engelmanns vom myogenen Ursprung der Peristaltik nicht erschüttert ist, so ist anderer- seits durch diese Arbeiten der starke Einfluß des Nervensystems auf die Regulation der Peristaltik sichergestellt worden. Das Vorhandensein eines solchen Einflusses drängt sich jedem Beobachter auf, der beim Eröffnen der Bauchhöhle den infolge der Operation oft eintretenden Stillstand der Ureter- bewegungen beobachtet (Hemmung). Die anatomischen und physiologischen Untersuchungen weisen einmal eine Verbindung mit dem K. splanchnicus auf dem Wege des Plexus renalis nach, der ja, wie Guinardet und Duprat i) beim Menschen beobachteten, sowohl durch den Niei'enhilus als auch von der Nierenkapsel aus (N. N. tirdero - capsuJares) Fäden zum Ureter sendet. Protopopow (1. c. S. 90/98) erhielt auf Splanchnicusdurchschneidung so- gleich eine starke Herabsetzung der Kontraktionsfrequenz oder sogar Still- stand des betreffenden Ureters; die Reizung des peripheren Stumpfes ergab, parallel mit der Blutdruckerhöhung, eine Beschleunigung und Verstärkung der Ureterwellen. Nephrektomie änderte nichts an diesem Resultat; Unter- bindung des Ureters am Nierenbecken unterbrach aber sofort die Wirkung der Splanchnicusreizung. War durch Ermüdung des N. splanchnicus keine Beschleunigung mehr zu erzielen, so trat diese dennoch ein auf Kompression der V. Cava (s. oben), was nach Protopopow für eine nur sekundäre Be- teiligung der Blutdruckserhöhung an dem Effekt der Splanchnicusreizung spricht. L. Stern (1. c. S. 68 ff.) hat nun die Experimente Protopopows wiederholt — ebenfalls an curaresierten Hunden — , aber der Erfolg war ein wechselnder, manchmal geringe Beschleunigung, manchmal keine Ände- rung, meist Verlangsamung oder Stillstand. Letzterer Effekt konnte nun stets hervorgerufen werden nach vorhergehender Injektion von A tropin: hier gab ausnahmslos Splanchnicusreizung starke Hemmung, welche die Reizung bis zwei Minuten überdauerte. Wurde schon vor der Atropin- injektion der Hemmungseffekt erzielt, so hob ihn Pilocarpin auf; er trat aber wieder hervor, als jetzt darauf auch Atropin gegeben wurde. Die Reizung des peripheren Stumpfes der N. N. hypogastrici (syn. Anastomose zwischen Gangl. mesent. in f. und Plexus hypogastricus) , welche ja ebenso wie der Plexus spermaticus kleine Nervenstränge zum mittleren Ureterteil abgeben (s. Langley und Anderson-), ergab bei Stern meist Beschleunigung der Ureterkontraktionen, die Reizung des zentralen Stumpfes Verlangsamung ') Archives Guyon 1890, Nr. 8 (zit. uach Protopopow). — ^) Journ. of Physiol. 20, 375, 1896. 298 Rückstau und Antiperistaltik. (Reflex auf Hemmungsfasei-n). In einem Falle (1. c. , Exp. 39, S. 76) waren nach erfolgreicher Reizung der N. N. liypogastrici die Nierengefäße ligiert und damit Stillstand der Uretei'kontraktionen bewirkt worden ; auf die jetzt folgende Reizung des N. Jiypogastricus begann die rhythmische Peristaltik wieder. Protopopow erhielt bei Reizung der N. N. hypogastrici keine kon- stanten Resultate. Dagegen sind die Ergebnisse von Fagge (I.e.) mit denen Sterns übereinstimmend. Die Reizung der N. N. hypogastrici ergab bei Fagge immer Ureterbewegungen, entweder Beschleunigung der schon be- stehenden, wobei Gruppenperistaltik auftrat, oder es erschienen solche Gruppen am vorher bewegungslosen Ureter. Nach den Resultaten Sterns ist die An- nahme sowohl von hemmenden als von accelerierenden Fasern im Splanchnicus naheliegend; daß der Splanchnicus Hemmungsnerv für den Darm ist, darf nach den neueren Untersuchungen ja als feststehend angesehen werden. 5. Rückstau und Antiperistaltik. Es war oben schon darauf hingedeutet worden, daß die Ureterkontrak- tionen normalerweise stets blasenwärts, peristaltisch verlaufen. Nun haben Lewin und Goldschmidt i) an Kaninchenböcken antiperistaltische Be- wegungen im Anschluß an plötzliches Aufsteigen von gefärbten, in die Blase injizierten Flüssigkeiten aus dieser in den Ureter beobachtet. Die Be- dingung für das Aufsteigen war eine in starker tonischer Kontraktion befindliche — dann immer wurst- oder fingerförmige — Blase, in der schon eifie mäßige Flüssigkeitsmenge unter bedeutendem Drucke stand. War da- gegen die Blasenwand schlaff und wurde sie durch große injizierte Flüssig- keitsmengen stark gedehnt, so trat der Reflex nie ein, ein Beweis, daß der schräge Verlauf des intramuralen Ureterteils — Sappeys Flötenschnabel — gegen hohen Binnendruck als ein Verschluß wirkt, den nur ein selbsttätiges Öffnen des Oriflc. nretJirale aufheben kann. Ein solches tritt nun anscheinend dann auf, wenn die Blasenmuskulatur kontrahiei't ist und abnorme Reizungen — kalte Flüssigkeiten unter Druck, Haridkompression der Blase, starke Reizungen der Harnröhre ■ — einwirken. Daß die Anordnung der intra- muralen Uretermuskulatur eine selbständige Öffnung der Blasenmündung erlaubt, zeigt nebenstehende Abbildung. Dieses Öffnen wird auch bei Leer- kontraktionen der Ureteren, die bis zur Blase gelangen, von vielen Unter- suchern beschrieben (vgl. Stern (1. c), Feodorow (russ.), zitiert bei Proto- popow), und es gelang auch Lew in und Goldschmidt, wenn sie die Injektion der Blase im Moment des Anlangens einer peristaltischen Welle an der Hlase ausführten, den Ureter rückläufig zu füllen. Sie betonen dabei, daß, wenn antiperistaltische Bewegungen auftraten, dies erst im Anschluß an das Aufsteigen geschehen sei; Disse-) (1, 110) dagegen hält die aus- gelösten antiperistaltischen Wellen erst für die Ursache der Öffnung des Orific. urellir. Die abnorme Öffnung der Ureterenmündung scheint aber reflektorisch von der Blase aus eingeleitet werden zu können, wie auch Lewin und Goldschmidt an träge daliegenden Ureteren durch starken Druck auf die gefüllte Blase Kontraktionen auszulösen vermochten. Gegen ^) Virchow.s Arch. 134, 33 f., 1893. — -) Handb. d. Havn- u. Geschleclitsorgaue Teil I. Jena 1902. Rückstau uud Autiperistaltik. 299 €iue direkte Übertragung des Reizes von der Blasenmuskulatur auf die des Ureters sprechen einmal die erfolglosen Versuche Engelmanns (I.e.), durch Reizung der Blasenmuskulatur in der Umgebung des Orific. urethris liarn- leiterkontraktionen zu erregen , und weiterhin die Befunde der Anatomen : Waldejer ') hält die Ureterenscheide, d.h. das Stück adventitieller Längs- muskulatur, das sich auf den Ureter von der Blase her erstreckt, für rein der Blase angehörig und von der üretermuskulatur durch einen Lymphraum getrennt; nach Disse (1. c.) gehört sie dagegen wohl zur Üretermuskulatur, diese aber bliebe auch intramural ganz selbständig und stecke in einer Lücke der Blasenmuskulatur. Zuckerkandl-) dagegen, der die Scheide wieWaldey er der Blasenmuskulatur zuteilt, kann die Unabhängigkeit der Ureterenmusku- latur von jener der Blase nicht anerkennen; er führt für einen solchen Zu- Fig. 105. ;\Iuski'hi de? Ureters lanRslavift'iul ValvuJa ureteris obere \V;iD Orificiuni ureteris Gefäße Wuiul der BUi Meiiseli, Liingssclinitt diireh die Blaseuiuuuduug de-s Ureter (.uiieh Disse, 1. c. Fig. G2, p. 108). sammenhang die große Veränderung an, welche die Muskulatur des Trigonum •erfährt beim Fehlen eines Ureters. Courtade und Guyon ^) haben die Versuche von I^ewin und Goldschmidt wiederholt; sie erhielten Rückfluß an Kaninchen einzig bei so starkem Blasentonus, daß 15 bis 20 ccm Flüssigkeit nur unter 15 bis 20 mmHg-Druck hineingebracht werden konnten. Sie glauben nicht, daß das Gelingen von der Öffnung des Orific. ureilir. allein abhänge, sondern von der mehr oder weniger bedeutenden Ausbildung der Ureterringmuskulatur im intramuralen Teile und dem dadurch bedingten Verschluß, und warnen daher davor, diese Verhältnisse einfach auf die menschliche Pathologie zu übertragen: denn beim Hunde, dessen Blasen- bzw. Ureterenverhältnisse den menschlichen sehr ähnlich seien, gelingt der Versuch sehr selten und nie wiederholt. Er gelingt dagegen stets, wenn vorher der Ring von Muskeln, der das intramurale Ureterstück umschließt, 0 Verh. d. Änat. Ges. 1902. — ') Handb. d. Urologie von Frisch u. Zucker- kandl 1, 23, Wien 1903. — ^) Annales des maladies des organes genitourinaires (Guyon) 13, 561 ff., 1894. 300 Kystoskopische Beobachtung. — Blasentonus und Blaseukontraktionen. getrennt wurde. Courtade und Guyon glauben daher, daß beiai Menschen infolge sehr rascher Injektionen bei bestehendem Blasentonus der Rückstrom nicht ausgeschlossen ist, daß er aber bei gedehnter Blase (Retention) nicht vorkomme. Die, wenn auch wenigen, gelungenen Versuche am Hunde der beiden Autoren scheinen mir aber dafür zu sprechen, daß auch dieser intra- murale Verschluß reflektorisch geöffnet werden kann. 6. Kystoskopische Beobachtung der Ureterwellen. War früher, abgesehen vom Tierexperiment, die Beobachtung der stoßweisen Harneintreibung in die Blase beim Menschen auf pathologische Fälle (Exstrophia vesicae, usw.) beschränkt, so ist jetzt, dank der Ei-findung Nitzes\), des Kystoskops, der Voi'gang jederzeit am normalen Menschen zu beobachten. Das Kystoskop, eine Harni'öhrensonde von 7 mm Kaliber mit kurzem Schnabel, trägt an dessen Spitze eine Mignonglühlampe; das erleuchtete Wandbild der durch aseptische Flüssigkeit mäßig dilatierten Blase Avird durch ein total reflektierendes Prisma in das in der Sonde befindliche Fei'nrohr gelenkt, dessen Objektiv eine sehr kurze Brennweite hat. Das vom Objektiv entworfene reelle, umgekehrte Bildchen wird durch eine um etwas mehr als ihre doppelte Brennweite entfernte Linse in aufrechter Stellung in die Nähe der äußeren Öffnung des etwa 21 cm langen Eohres gebracht und dort mit der Ocularlupe betrachtet. Mit Hilfe dieser endoskopischen Beleuchtungsvorrichtung gelingt dann auch die KatheterisieruDg der Ureteren von der Blase aus und damit die gesonderte Auffangung des Harnes der Niere jeder Seite. Die nicht geringen Gefahren des Ureterenkatheterismus vermeidet Luys'^) durch eine einfachere , wenn auch nicht so exakte Methode der getrennten Harn- auffangung. Ein Doppelkatheter, dessen vesicales Ende eine ganz bestimmte, dem Blasenboden angepaßte Krümmung besitzt, wird in die Blase eingelegt und durch Spannung einer Kautschukmembran zwischen den zwei Kathetern eine Scheidewand errichtet, so daß der Urin je einer Niere durch je einen Katheter herausläuft. B. Harnblase. 1. Blasentonus und Blasenkontraktionen. Der durch die Ureteren in die Blase entleerte Harn sammelt sich da- selbst langsam au, um von Zeit zu Zeit entleert zu werden, je nachdem das Bedürfnis — Harndrang — sich geltend macht. Der Harndrang wird zweifellos erzeugt durch Spannung der Blasenwand; diese Spannung ist aber in weiten Grenzen unabhängig von der Füllung der Blase, sie hängt ab von dem Zustande der Wandmuskeln. Die glatten Muskelbündel besitzen in der Ruhe eine geringe Elastizität , und geringe Kräfte genügen zu einer ausgiebigen Dehnung; nur bei extremer Füllung der ruhenden, schlaffen Blase steigt die bis dahin minimale Spannung bzw. der intravesiculäre Druck rasch mit wachsender Dehnung, um bald die Grenze zu erreichen, bei der Zerreißung beginnt. Sobald aber die Wandmuskeln der Blase in Erregung sich befinden, so genügt das Einbringen von wenigen Cubikcentimetern Flüssigkeit, um eine weitere Füllung nur unter starkem Drucke zuzulassen. Die Resultate aller Untersuchungen an ^Menschen über die „Kapazität" der Blase in vivo beleuchten diese Tatsachen. Während bei schlaffer Blase und ') Nitze, Max, Lehrb. d. Kystoskopie, Wiesbaden 1889. — ^) Luys, Georges, La Separation de l'urine des deux reins. Paris 1904. Blasentonus und Blasenkontraktionen. 301 sehr langsamer Füllung 600 ccm einer warmen Flüssigkeit gut ertragen werden, können, je nach dem Tonus, oft schon 70 ccm unerträgliche Schmerzen hervorrufen. Die individuell sehr schwankende Reizbarkeit der Blasenschleim- haut beim Gesunden , welche noch alle Grade der Steigerung in Krankheits- zuständen erfahren kann, sowie die in gleicher Weise verschiedene Erregbar- keit der nervösen Zentralorgane erklären die wechselnde „Toleranz" zur Genüge (vgl. z. B. Petersen: Über Sectio aUa'^). Genouville^) fand, daß im Mittel bei 150 mm Wasserdruck der gesunde Mensch Harndrang empfindet, und daß in der Ruhe, bzw. unter normalen Verhältnissen die Blase dabei 230 bis 250 ccm Harn enthält. Mosso und Pellacani (s. unten, 1. c. S. 313) fanden entsprechend an einer Hündin, daß bei den verschiedensten Füllungen, aber immer bei gleichen Drucken, die Unruhe des Tieres Harndrang bekundete. Bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über Blasen- kontraktionen, die auf Nervenreizung sich einstellen (s. später), fand Reh- fisch, daß eine Blase, die unter einem gewissen Drucke den größten Teil ihres Inhaltes ausgetrieben hatte, bei einer folgenden Kontraktion den Rest unter einen noch höheren Druck brachte. Gemäß der innigen, direkten und indirekten Verbindung nait dem Zentralnervensystem kann nun dieser Tonus der Blase durch Reizung irgend eines Nerven, der zentripetale P'asern enthält, verändert werden. Neben den älteren, von Beobachtungen P. Berts, sowie S. Mayer u. v. Baschs^) ausgehenden Unlersuchern haben in neuerer Zeit u. a. Nawrocki und Skabitschewski''), Sokowuin''), Mosso und Pellacani''), sowie Langley und Anderson'') dieser Tatsache ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Letztere zeigten, daß auch auf Rectum, Anus, Uterus und die äußeren Genitalorgane jeder sensible Nerv reflektorisch wirken kann. Eine Ausnahme macht nur der Vagus, wie trotz früherer gegenteiliger Angaben die eingehen- den Untersuchungen, namentlich für die Blase, von Nawrocki und Skabit- schewski festgestellt haben. Sehr wirkungsvoll kommt die allseitige reflektorische Empfindlichkeit der Blase in den Experimenten von Mosso und Pellacani (1. c.) zum Aus- druck. Diese registrierten plethysmographisch unter konstantem Druck die Blasenkontraktionen synchron mit den Atembewegungen, und zwar an Tieren ohne Öffnung der Bauchhöhle vermittelst Blasenscheitel-Fistelkanüle, oder an Menschen durch Katheter. Die leichtesten psychischen Einflüsse, schwächste taktile Reize usw., die auch nicht die geringste Änderung der Atmung hervor- rufen, bewirken" mehr oder weniger heftige reflektorische Blasenkontraktionen, deren kürzeste sechs bis sieben Sekunden dauern. Außer diesen Blasenkontraktionen , die als Folge des durch äußere Anstöße entfesselten Spieles verwickelter höherer und niederer Eeflexe auftreten, zeigen sich solche aber auch noch unter anderen Bedingungen. Alle Experimentatoren, welche das Verhalten der Blase bei Reizungen ihrer Nerven, ihrer Muskulatur studierten, berichten über die oft störenden rhythmischen Tonusschvvankungen derselben. ') Arch. f. kUn. Chirurgie 25, 752 ff., 1880. — -) Arch. de physiol. (5) 6, 322 ff., 1894. — ä) Ygi. ^{q Literatur in Hermanns Handbuch (5) 2, 462. — ") Pflügers Arch. 48, 335 ff., 1891, und ebenda 49, 141 ff., 1891. — ^) Kasaner Univ.-Nachr. (russ.), ref. in Hoffmann-Schwalbes Jahresber. 6 (3), 87, 1877 und Pflügers Arch. 8, 600 ff., 1874. — '^) Arch. ital. biol. 1, 97, 291, 1882. — 0 Journ. of Physiol. 18, 47 ff., 1895. 302 Blasentonus. — Harndrang. Nach Grif f ith '), Ashdown'^), Langley und Anderson^), Stewart^) ist der Eliythmus dieser Kontraktionen sehr regelmäßig — wenn auch im einzelnen Falle sehr verschieden — und ihre Amplitude sehr gering. Diese Umstände erleichtern die Unterscheidung von den auf Eingriffe (Nerven- usw. Eeizung) erfolgenden Blasenveränderungen. Auch nach Durchtrennuug der Blasennervtn — ■ Sacral- v.nd Lumharanteile — dauern sie an; Sherrington ^) heohachtete bei Macacus und hei der Katze, daß nach Querdurchtrenuung des Rückenmarks in Höhe der 12. Thoracalwurzeln , sobald die durch Schnittreizung verursachte starKe Blasen- Ivontraktion vorüber ist, die rhythmischen Kontraktionen sofort wieder einsetzen. Nach S her ring ton (1. c.) u. a. bringt tiefe Chloroformnarkose mit vor- gängiger Morphin- und Atropininjektion die Blase bald zur Euhe, ein Zeichen, daß- diese Kontraktionen zum Teil reflektorischer Natur sind. Aber nur zum Teil, denn Langley und Anderson (1. c.) beobachteten, daß die Blase, vornehmlich nach längerer Freilegung und nach häufigerem Manipulieren an ihr, sowie nach Ab- kühlung der füllenden physiologischen ClNa-Lösung — wenn sie also mehr dem „überlebenden" Zustande sich nähert — in Tonusschwankungen eintritt, und daß, was auch Stewart erwähnt, öftere Eeizungen der Sacralanteile der Blasennerven (s. später) das Auftreten dieser Schwankungen sehr begünstigen. Sher ring ton (1. c. S. 681) fand weiterhin, daß auch nach dem Tode des Tieres die Kontrak- tionen fast eine Stunde lang fortdauern, und daß die dem verbluteten Tiere ent- nommene Blase, wenn sie nur in 0,75 proz. ClNa-Lösung von 38" C unter 40 bis 80mm HjO-Druck gehalten wird, die TonusschAvankungen fortsetzt. Ja Stewart*^), der bei seinen Untersuchungen über die glatte Muskulatur sich der Harnblase der Katze bediente, konstatierte, daß auch die, ohne dehnende Füllung, 20 und mehr Stunden in der feuchten Kammer bewahrte Blase noch Spontankontraktioneu ausführt. War schon durch Mosso und Pellacani (I.e. S. 103), Ashdown (I.e.),. Sherrington (1. c.) festgestellt worden, daß diese Kontraktionen in der Blasen- wand selbst ihren Ursprung nehmen, so glauben letzterer sowie Stewart, Straub, Bottazzi u. a., daß sie myogener, Eanvier, Morgen, Schultz, Barbera dagegen, daß sie neurogener Natur seien. Die Frage soll hier nicht Aveiter disku- tiert, sondei-n auf den betreffenden Abschnitt dieses Werkes über glatte Muskulatur verwiesen werden. Die von Mosso und Pellacani (1. c.) an Frauen — wegen bequemer Katheterisiernng — angestellten Versuche gewährten neben der Beobachtung psychischer Blasenreüexe auch die Möglichkeit, den Verlauf kommandierter Willkürakte zu verfolgen. Die Aufforderung, eine leichte Anstrengung zum Harnlassen zu machen, ergibt langdauernde Blasenkontraktion. Die hier- bei, wie beim Harnlassen, auftretenden konkomitierenden Änderungen der Atembewegungen können unterdrückt bzw. es kann die Atmung nach einem gezeigten Takte willkürlich ausgeführt werden. Es führt dies keine Ände- rung des Abdominaldruckes herbei, die Dauerkontraktion der Blase wird da- durch nicht im geringsten beeinflußt. Dies beweist nach Mosso und Pella- cani, daß die Bauchpresse bei dieser Druckerhöhung in der Blase keine Rolle spielt, andererseits zeigt es aber, daß die dem Willensakt des „Harnlassen- wollens" folgende Blasenkontraktion nur eine von diesem Akt eingeleitete ist, daß wir aber nicht imstande sind — wie Rehfisch '^) behauptet — direkt die glatte Muskulatur willkürlich zu kontrahieren. Daß die intendierte Blaseu- kontraktion auch zur vollständigen Miktion führen, und daß dabei der Beginn ') Journ. of Anat. and Physiol. 29, 254, 1894/95. — ^) Ebenda 21, 316, 1886/87. — ") Journ. of Physiol. 16, 414, 1894. — ^) Amer. Journ. of Pbysiol. 2 (1899). — ^) Journ. of Physiol. 13, 680, 1891. — ") Amer. Journ. of Physiol. 4, 185 ff., 1901; siehe daselbst auch die Literatur über rhythmische Kontraktionen glatter Muskelfasern. — 0 ^^'^^- f- pathol. Anat. 150, 111 ff., 1897; ebenda 161, 529 ff., 1900. Blaseiitonus. — Harndrang. 303 der Harnentleerung in jeder Phase der Respiration eintreten kann, haben Mosso und Pellacani (1. c.) ebenfalls festgestellt; wird aber bei solchen Versuchen eine Anstrengung gemacht, die Harnentleerung zu unterbrechen (Kontraktion des willkürli'jhen quergestreiften Comprci-sor ureihrae), so erfolgt sofort eine tiefe Inspiralion, und die Atmung wird etwas beschleunigt (vgl. 1. c. S. 309 und Kurve 1 6, Taf. VI bei DD'). Es war oben gezeigt worden, wie alle Einflüsse auf unser Sensorium reflektorisch den Tonus der Harnblase mehr oder weniger erhöhen. Es ist klar, daß diese Kontraktionen auch ein mehr oder weniger deutliches Gefühl von Harndrang hervorrufen werden; umgekehrt, iiißt aber dieses Bogleitgefühl auch ohne besondere Hilfsmittel in auffallender Weise die nervösen Einflüsse auf den Blasentonus hervor- treten. Dem entspricht der reiche Anteil, der den sensiblen Nerven — sowohl den sensiblen Epithelialfasern als den sensiblen intermuskulären Netzen — an der morphologisch nachweisbaren Nervenversorgung der Blase zufällt (siehe unten). Entsprechend dem oben Erwähnten lehrt die tägliche Erfahrung, daß Harndrang — das anfangs wenig bestimmte, dann immer deutlicher werdende dumpfe Gefühl hinter der Symphyse — bei recht verschiedener Blasenfüllung eintreten kann, und daß bei Behinderung der Entleerung dies Gefühl für kürzere oder längere Zeit wieder verschwinden, der Blasentonus also reflek- torisch herabgesetzt, die Blase einer stärkeren Füllung adaptiert werden kann (siehe unten: Hemmung). Bei jeder Wiederkehr ist das Harndranggefühl gesteigert, schließlich bis zu wehenartigen Schmerzen, und nur unter Zuhilfe- nahme der willkürlichen Harnröhrenschnürer läßt sich die Miktion noch eine Zeitlang unterdrücken — wobei kurzdauernde Tonusremissionen immer noch eintreten können — , bis schließlich der Wille erlahmt. Daß auch diese Grenze bei sehr verschiedener Füllung eintreten kann, lehrt ebenfalls die täg- liche Erfahrung; die ursächlichen Momente, Temperatur, Ermüdung, Rausch- zustände usw., können hier nicht aufgezählt werden, Genouville (1. c.) fand bei sehr heftigem Harndrange Drucke von über P/o iQ Wasser (etwa Yg Atm.); dabei wechselten die Druckhöhen in sehr kurzen Intervallen (10 bis 15"), ein Zeichen, daß sich etliche Kontraktionen rasch folgten, bis dann wieder für einige Zeit der Tonus nachließ. Daß der Blasentonus im Schlafe stark ab- sinkt, ist von alters her bekannt, ebenso, daß nach dem Erwachen die Steige- rung des Tonus sich sehr rasch vollzieht, der Harndrang in kurzer Zeit heftig wird. Mosso und Pellacani (1. c.) haben eine Hündin in tiefen Chloral- hydratschlaf versenkt und den Blasendruck registriert. Mit zunehmender Tiefe des Schlafes sank auch der Blasentonus ab, allerdings unter merklichen Schwankungen, obwohl alle äußeren Reize ferngehalten wurden und die Atmung ganz regelmäßig war. Mosso und Pellacani betrachten sie daher auch als zu den oben erwähnten i'hythmischen, autochthonen Blasenkontrak- tionen gehörig. Trat, wie gewöhnlich im weiteren Verlaufe des tiefen Schlafes, Gruppenatmen auf, so zeigte die Blase während der Pausen starke Kontrak- tionen asphyktischer Natur. Daß die Blase auch nach Durclisclineidung aller Nerven bei Erstickung, Ver- blutung, Kompression der Baucliaorta an curaresierten Tieren in starke Kontrak- tionen gerät, ist leicht zu beobachten (vgl. auch Sokownin und NaAvrocki u. Skabitschewsky (1. c). 304 Blasentonus (Reflexe, Teaii^eratuveinflüsse). Sehr bald nachdem mit beendeter Pause die raschen Atemzüge ein- gesetzt hatten, begann auch der Blasentonus zu sinken. Als das Tier durch Bewegungen, durch tiefe Atemzüge usw. Zeichen der Verflachung des Schlafes, des bevorstehenden Erwachens gab, stieg der Blasentonus in die Höhe, doch wurde dies Steigen durch starke Remissionen unterbrochen. Ganz ent- sprechend der Wirkung tiefen narkotischen Schlafes ist auch die an irgend einem Punkte vorgenommene Rückenmarksdurchschneidung von starker Tonus- verminderung gefolgt. In besonderen Versuchsreihen beobachteten Mosso und Pellacani die Wirkung von Blutdruckschwankungen, ohne aber Tonusänderungen, die eindeutig als Folge geänderten Blutdrucks zu bezeichnen wären, feststellen zu können. Dagegen konstatierten sie, daß alle Einflüsse, welche Gefäßkontraktion bewirken, konkomitierende, stets gleichzeitig oder etwas früher einsetzende Blasenkontraktionen bewirken. Zu gleichen Resultaten gelangte Hanc i), welcher fand, daß die bei seinen Versuchen in Frage kommenden blutdruck- steigernden Reflexe — Ischiadicusreizungen — gleichzeitig, nicht erst sekundär steigernd auf den Blasentonus wirken. Mosso und Pellacani bezeichnen daher die Blase sogar als „ein noch empfindlicheres Ästhesiometer, als es der Blutdruck ist", indem schwache Reize, die auf letzteren wirkungslos sind, noch erhebliche Blasenkontraktionen hervorbringen. Im Zusammenhange damit steht wohl, daß bei den oben erwähnten Versuchen im tiefsten Chloral- schlafe starke taktile Reize weder Bewegungen noch sonstige Reaktionen hervorbrachten, mit Ausnahme starker Blasenzusammenziehung. Ganz ent- sprechend fanden Mosso und Pellacani bei ihren Versuchen an Menschen, daß im tiefen Schlafe schon ein mäßiger Kältereiz, durch Abheben der Decke bewirkt, den Blasentonus beträchtlich steigerte. Daß direkte Einwirkung von Kälte auf die Blase starke Tonuserhöhung hervorbringt, ist zumal durch die Erfahrungen , die man seit Einführung der Kystoskopie mit Blasenein- läufen machte, allgemein bekannt. Mosso und Pellacani stellten Experi- mente an Hunden au: wurde z. B.Wasser von 37*^0 in die Blase eingeführt, so erzeugten 620 com einen Wasserdruck von 160 mm; dagegen mit Wasser von 16 bis 18" C stieg der Druck schon bei 480 ccm auf 180 mm. Bei den früher erwähnten Untersuchungen über den Einfluß der Temperatur auf glatte Muskeln fand Stewart (1. c. , vgl. dort auch die Literatur), daß eine in der feuchten Kammer aufgehängte Katzenblase sich mit sinkender Temperatur verkürzt. Bei 10" C ist die Verkürzung vollständig; wird jetzt die Temperatur erhöht, so setzt rasch Erschlaffung ein, die dann langsam fortschreitet und hei etwa 40" C das Maximum erreicht. Macht es die geschilderte starke Abhängigkeit des Blasentonus von Re- flexen aller Art verständlich, daß, wie oben erwähnt, Harndrang bei sehr verschiedener Blasenfüllung eintritt, also die bei gleicher subjektiver Nötigung produzierten Miktionsquanta sehr verschieden sind, so ist es anderer- seits interessant zu beobachten, daß in den Fällen von Rückenmarkquerschnitts- erkrankungen oder von Zertrümmerung des Sacralmarkes , wo scheinbare Blasenlähmung besteht, d. h. kein Harnträufeln, sondern eine unbewußte Harnentleerung in mehr oder weniger großen Intervallen stattfindet, diese Entleerungen im jeweiligen Falle bei fast ganz gleichen Füllungsmengen *) Arch. f. d. ges. Physiol. 73, 453 ff., 1898. Anatomie der Blasenwand. 305 der Blase eintreten, die nur des Nachts im Schlafe sich vergrößern, ent- sprechend den oben erwähnten Erfahrungen (verringerter Tonus). Die Ent- leerungen geschehen immer mit mehreren Unterbrechungen und sind nicht vollständig, aber der durch Katheter gewonnene Residualharn war auch stets von annähernd gleichem Volumen. Die Blase arbeitet hier selbständig, los- gelöst vom Willen bzw. von Reflexen, wie L. R. Müller i), der diese Zustände genauer untersuchte, ganz treffend bemerkt. 2. Mechanismus der Blasenentleerung. Die nähere Darlegung des Mechanismus der Harnentleerung sowohl als der Harnhaltuug hat auszugehen von den anatomischen Verhältnissen. Alle Autoren stimmen darin überein, daß drei Schichten der Blaseumuskulatur bei Mensch und Säugetier unterschieden werden können: eine äußere, im großen Ganzen meridional verlaufende, die aber keine kontinuierliche ist. sondern nur durch mehr oder weniger große Zwischenräume getrennte Längsbündel aufweist; eine mittlere zirkialäre, welche, dicht zusammen- hängend, eine wirkliche Haut _,. , ., ,* . . , . . , . Fl?. 106. bildet; sie ist bei weitem die mächtigste und ganz be- sonders stark an der hinteren (dorsalen) Blasenwand ent- wickelt. Schließlich eine innere dünne Schicht; aus weiten, etwas in die Länge ge- zogenen Maschen bestehend, von der faltigen Schleimhaut überzogen, mit Zwischen- lagerung der gefäßhaltigen Tela submucosa. Nur am Trigonum ist die innerste Blasenfläche glatt, die Mus- kulatur in dicken, gegen das Orific. int. urethrae konver- gierenden Längsbündeln an- geordnet, die, von den Ureter- mündungen herkommend, mit diesen verbunden sind und bis in die Harnröhre hinein- ziehen (Harnröhrenteil der Blase von Kalischer ^). Dabei ist zu betonen, worauf auch Griff ith nachdrücklich hinweist, daß keine der drei Muskel- lagen von der anderen wirklich getrennt ist; denn ebenso wie die Muskel- bündel innerhalb der Schichten miteinander anastomosieren, so senden sie auch überall Zweige in die darüber- und darunterliegenden Lagen (s. Fig. 106). Seit Spigelius wird die äußere Schicht — von manchen Autoren auch in Verbindung mit der inneren Längsschicht — als Detrusor, die mittlere AiiastomosierenJe Muskelbündel ans der Harnblase der Katze. Zeiclmiing kombiniert aus einer Schnittreihe. (In der Gabelung' des großen Bündels intermuskuläre Ganglienzellen mit mark- losem Nerv.) ') Zeitschr. f. Nervenheilkunde 21, 86 ff., 1902. — ^) Die Urogenitalmuskulatur des Dammes mit besonderer Berücksichtigung des Blasenverschlusses. Berlin 1900. Nagel, Physiologie des Menschen. II, 20 306 Anatomie der Blasenwand. Schicht dort, wo sie am Ausgange der Blase (Annulus urethralis) ihre dich- teste Anordnung hat, als Sphincter vesicae angesehen. Als Detrusor ist aber meines Erachtens die Gesamtmiiskulatur des Blasenkörpers zu be- zeichnen, wobei der Hauptanteü natürlich der stärksten, also der zirkulären, mittleren Schicht Fis;. 107. Vordere Liings- musk. d. Blase Traasv. Musk. d. Blase Muse, puho- vesical. Symphyse Hintere Blasen- wand Hintere Längs- musk. d. Blase - Muse, sphineier- U-igonalis Muse, sphincter-urogenitalis Sagittalschnitt durch Blase und Harnröhre (median). Mann (.nach Kaiisoher). Fig. 108. zu- fällt. Wäre nur eine solche Ringschicht vor- handen, so würde, ent- sprechend dem Wider- stände gegen die Ent- leerung, ein Teil der Kontraktionskraft ver- wendet werden, die Blase zu einem mehr oder weniger langen wurst- förmigen Gebilde zu dehnen, und die Ver- minderung des Lumens demgemäß gering aus- fallen. Die Längsfasern, deren Fixpunkt am Bla- senausgang an Knochen, Prostata, Beckenfascie usw. sich befindet, verhindern durch ihre Kontraktion diese Längsdehuung und be- wirken so, daß der Druck der mächtigen Zirkular- schicht vollständig der Verkleinerung der Höhle zugute komme. Die beistehenden Schemata (Figg. 107 bis 109) von Kalischer (I.e. S. 156 u. 157, Fig. 34, 35, 36), ent- worfen vom Autor nach den Befunden seiner aus- führlichen Schnittserien durch Becken von Kin- dern und Erwachsenen, stellen die Hauptzüge der Blasenmuskulatur dar und zeigen in sehr übersichtlicher Weise die Fixation der Längsbündel am Schambein als starke M. M. pubo-veskales, wobei die hinteren (dorsalen) Bündel beim Manne zum Teil in die Prostata und zur Harnröhre gehen, anderenteils in einigen schwächeren Zügen die Harnröhre umfassend, den vorderen, viel mächtigeren Trans vers. M. d. Bl. Vordere Längsm. d. Bl. Os pubis M. sph. urogenit. Hint. Blaseu- wand Hint. Längsm. d. Bl. M. sph.-trig. Prostata Glatte Eiugin. d. Harnr. Sagittalschnitt, lateral (Mann) (nach Kali scher). Fis:. 109 Transvers. M. d. Bl. Vord. Längsm. d. Bl. Os x>ubis Hint. Längsm. d. Bl. M. sph.-trig. Hint. Längsm. d. Bl. Hint. Längsm. d. Bl. (zum Sept. urethro-vag.) Sagittalschnitt, lateral ("Weib) (nach Kalischer). Anatomie der Blasenwand.. 307 sich anschließen. Beim Weibe verlaufen die vorderen ganz gleich wie beim Manne, ebenso von den hinteren die Umfassungsbündel zur Symphyse, dagegen ziehen die übrigen Bündel zum Sejotum urethro-vaginale, um hier im straffen Bindegewebe ihren Fix- punkt zu erhalten. Es ist hier nicht der Ort, auf die Einzelheiten des Verlaufes der Muskelbündel auf der Blase selbst einzugehen, zumal dieser individuell außerordentlichen Schwankungen unterworfen ist, was auch Versari^) hervorhebt; eine Schilderung der Hauptzüge kann ge- nügen. Es ziehen an der Vorder- (Ventral)- Fläche der Blase ziemlich viele Längsbüudel in mäßigen Ab- ständen gerade aufwärts; zwischen ihnen sieht man die Zirkulärschicht. Einzelne dieser Längsbündel wenden sich, einander überkreuzend, nach rechts und links; viele treten in Verbindung mit den tiefen Lagen. Am Scheitel bilden sie Schleifen und treten mit den hinteren und den seit- lichen Bündeln in Verbindung. Die lateralen Läugsbündel sind wenig zahlreich, es zieht hier jederseits vornehmlich ein einzelner dicker Strang zum Vertex empor. An der Hinterfläche läuft ein breiter Zug aufwärts ; vom mittleren Drittel der Höhe an gibt er einzelne Quer- bündel zu den Zii-kularfasern, andere gehen zu den Lateralbündeln; noch andere zum Geflecht mit den vor- deren am Scheitel : Schließlich gehen aber von allen Längsbündeln, wenn auch in stärkstem Maße von den vorderen, Züge ins Innere der Blase, um sich dort als innere Längs- bündel in geradem oder schrägem Verlaufe und in vielfacher Ana- stomosierung zum Blasenscheitel zu begeben. Diese Beschreibung gilt für die menschliche Blase sowohl, als Fig. 110. H.irnblase der Katze, iii iiiiiximaler Kontraktion fixiert: ventrale Seite. Vergr. 1:26. Fio;. 111. Harnblase der Katze, in maximaler Kontraktion fixiert: dorsale Seite. Vergr. 1:26. ^) Siehe auch. Versari, Annales des maladies des organes genito-urinaires, Tom. XV, p. 10, 1897 u. Eic. f. nel Lab. di An. norm, di E. Univ. di Eoma 6, 59, 1897. 20* 308 Anatomie der Blasenwand. auch für Tierblasen. Letztere bieten aber den Vorteil, daJj man sie im Zu- stande der Kontraktion fixieren kann, wobei die Muskelzüge viel schärfer hervortreten. Wie umstehende Photogramme (s. Figg. llOu. 111 a. v. S.) einer maximal kontrahierten Katzenblase zeigen, sind die Längsbündel an der vorderen (ventralen) Blasenfläche zu ziemlich dicht nebeneinander liegenden Streifen angeordnet; an der dorsalen und an den lateralen Flächen sind nur einzelne mächtige Züge vorhanden, am Vertex zu einer Kappe ausstrahlend und im ganzen Verlaufe innig verknüpft mit der Zirkulärlage durch starke Seiten- zweige. Der Vorteil, den solche maximal kontrahierte Muskelschichten für die Erkennung ihres Zusammenwirkens bieten, springt in die Augen. Die äußeren Längsbündel — im Verein mit denen der inneren Schicht — bilden gleichsam eine Klammer, welche die eigentliche austreibende, weil mächtigste, Zirkulärschicht in diesem Bestreben unterstützt. Ähnliche An- schauungen, wie die hier entwickelten, sind ja auch für das Herz namentlich von Krehn) vertreten worden. Dabei ist zu beachten, daß, wie oben erwähnt, ein Teil der Längsbündel am Blasen aus gange von der Blase weg zu be- nachbarten festen Gebilden (Knochen, Prostata, Scheidenseptum) strebt. Damit ist ein stärkerer, radiärer Druck auf die innere Harnröhrenmüudung ver- mieden und wenigstens etwas entfernt Ähnliches erreicht, was Kohlrausch 2) (S. 14) dem Detrusor im alten Sinne als einem Dilatator des Sphinkters vin- dizierte. Diese von vielen Autoren angenommene Ansicht Kohlrauschs, in neuester Zeit von Versari wieder aufgegriffen, daß die Detrusorfasern in ihrer Hauptmenge in den Sphinder vesicae einstrahlend, sich dort zwischen dessen Bündeln inseriei-en und bei ihrer Kontraktion ersteren auseinander- zögen, also damit rein mechanisch den Blasenausgang eröffneten, muß ver- lassen werden, da nach Kalischer (I.e. S. 148 u. a. a. 0.) und ZuckerkandT') gegen Versari (I.e.) die Längsbündel in der Hauptsache neben der Faser- masse des Sphincter trigonalis und auch neben der starken Eingschicht der eigentlichen Blasenmuskulatur am Ännulus urethralis vorbeiziehen; nur ein geringer Bruchteil verliert sich in ihm oder zieht durch ihn hindurch. Der wohl charakterisierte Sphinder vesicae gehört nach Kalischer (1. c. S. 154 und 159) dem Trigonum und damit der Pars urethralis vesicae bzw. der Harnröhre selbst an. Seine Bündel sind, wie die des Trigonum. viel dichter als die der übrigen Blasenwand und nur durch ganz dünne Bindegewebsschichten getrennt. Er zieht schräg von dorsal oben nach ventral unten. Hinten umzieht er den Blasenausgang, indem das Trigonum seine Unterlage bildet; der vordere Bogen liegt unterhalb der verdickten Ringmuskulatur der Blase in der Harnröhre, an die glatte Muskulatur der letzteren ununterbrochen anschließend und hinter der Symphyse noch zum Teil vom quergestreiften , willkürlichen M. sphinder urogenitalis überdeckt. (Vgl., zumal beim Weibe, Kalischer, S. 106 u. Taf . XX und obige Schemata.) Versari (I.e.) hebt an den Sphinkterbündeln die gleichen Unterschiede gegen- über der anderen Blasenmuskulatur hervor wie Kali seh er; er konstatiert den Sphinkter auch beim Kaninchen, sowie beim Affen (Macacus) und betont ^) Abhandl. d. Sachs. Ges. d. Wiss., math. naturw. KL, 17, 5, 1891. — -) Zur Anat. u. Physiol. der Beckenorgane, Leipzig 1854. — ^) Eulenburgs Kealenzyklop. u. Handb. d. Urol. von Frisch u. Zuckerkand], I. Teil, Wien 1903. Sphincter vesicae. — luuervation der Blase. 309 gegen Griff ith (I.e.), daß er auch bei Katze und Hund gut ausgebildet sei^); Fagge^) dagegen findet keinen „special ring'"'' bei der Katze, wohl aber die glatte Zirkulärfaserschicht in starker Ausbildung bis weithin auf die Urethra fortgesetzt. Kalischer selbst (1. c. 8. 167 u. Taf. XXXI u. XXXII) hat am Hunde die Verhältnisse des SpMncter trigonälis als ganz ähnlich wie die beim Menschen ermittelt , vornehmlich hebt er auch hier den besonderen Charakter der betreffenden Muskelbündel hervor, d. h. die oben erwähnten Unterscheidungsmerkmale, die sie vor der übrigen Blasenmuskulatur aus- zeichnen. Daß der glatte M. sphincter trigonälis es ist, der vornehmlich dem Harn den Austritt aus der Blase wehrt, und nicht, wie manche Autoren an- geben, die Muskulatur der Harnröhre, beweist die Tatsache, daß beim Menschen wie beim Tiere die Harnröhre bei Operationen bis zum Blasenausgange ge- spalten werden kann, ohne daß Harn ausfließt. Der quergestreifte Harn- röhrensphinkter — von Kalischer (I.e.) ?i\s Sphincter urogenitalis h&zeichuQi^ da er beim Weibe im oberen Teile auch Urethra und Vagina umgibt — läuft als größtenteils ununterbrochene Ringplatte beim Manne bis gegen den Bulbus tirethrac, beim Weibe bis zum vordersten Drittel der Harnröhre, von wo ab der M. hulbo- cavernosus seine Funktion übernimmt. Physiologisch betrachtet ist er in seinem ganzen oberen Verlaufe ein Cornpressor urethrae, funktionell einem geschlossenen Ringe gleichwertig, wenn er auch beim Manne in der Pars prostatica nur vorn als muskulärer Bogen (Spange) die in die Prostata eingelagerte Harnröhre überspannt, bzw. wenn er in seinem unteren Verlaufe hinten nur durch die feste Bindegewebs masse des Centrum perineale (Waldeyer^) zum Volbing wird. Daß er nicht nur dem Geschlechtsakte dient, wie sein unterer Teil, — Cornpressor glandulae Coivperi (Ho 11*), Acceleraior sentinis von John Hunter, Luschka u. a. — das beweist sein Hinaufreichen bis zur Blase und seine starke Ausbildung beim Weibe. Er ermöglicht die plötzliche willkürliche Unterbrechung des Harn Strahles; im äußersten Harndrang dient er als ein accessorischer, außerordentlich kräftiger, aber, im Gegensatz zu der ausdauernden glatten Muskulatur, bald ermüdender Blasenmundschließer dem eigentlichen Sphincter vesicae, dem Sphincter trigonälis zur Unterstützung. Er preßt mit dem 21. hulbo-cavernosus zusammen auch die letzten Harntropfen aus. Daß die plötzliche, willkürliche Unterbrechung des Harnstrahles durch ihn geschähe, will Rehfisch (1. c.) bestreiten, da auch bei einem bis in die Nähe der Blase hinauf liegenden Katheter die so- fortige Unterbrechung bewirkt werden könne; er meint, dies sei nur erklär- lich, wenn die Physiologie die Anschauung aufgebe, daß eine echte, direkte und sofortige Willkürkontraktion der glatten Muskulatur nicht in unserer Macht stände. Rehfisch übersieht dabei einmal, daß der quergestreifte Sphincter urogenitdlis bis zur Blase und über den vorderen Bogen des glatten Sphincter trigonälis hinaufreicht (siehe Schema, Fig. 107), zum anderen ist gerade das von ihm gewählte Beispiel für eine willkürliche, plötzliche Kon- traktion — der Accommodatiousmuskel des Auges beim Zielen — beim näheren Zusehen geeignet, die Beherrschung der glatten Muskulatur als eine ganz anders geartete als die der quergestreiften darzutun. ') 1. c, ital. Publik., p. 74. — *) Journ. of Physiol. 28, 304 ff., 1902. — ^) Das Beckeu. Bonn 1899. — ^) Muskeln und Fascien des Beckenausganges, Jena 1897; Bardelebens Handb. 7 (1). 310 Innervation der Blase. — Sphinktertonus. o. Innervation der Blase. Daß der Sphinder trigonalis vesicae im Leben mehr oder weniger tonisch erregt ist, das beweisen die von Heidenhain und Colberg erhobenen und seitdem von vielen Autoren bestätigten Befunde: nämlich, daß zur Sprengung des Blasenverschlusses in vivo ein höherer Druck nötig ist als an der Leiche. Nur haben Colberg und Heidenhain für den Eröffnungsdruck der toten Blasen, also für den physiologischen postmortalen Tonus des Sphinkters noch viel zu hohe Werte angegeben, da sie weder den tonussteigernden Reiz der Erstickung — worauf schon oben hingewiesen wurde — noch die Wirkung der Kälte- und der Totenstarre berücksichtigt haben. Lewandowsky und Schultz i), welche bei ihren Untersuchungen über die Folgen der Durchschneidung der Blasen- nerven (siehe unten) den Eröffnungsdruck der Blase V2 Stunde nach dem Tode des Tieres bei einer Temperatur von SS*' untersuchten, fanden viel ge- ringere Werte, und zwar bis zu 2 mm Hg -Druck herab. Sie fanden dabei weiter, daß auch nach Durchschneidung aller vier Blasennerven, welche monatelang vorher vorgenommen wurde, „der Sphinkter nicht nur kontrak- tionsfähig, sondern auch dauernd tonisch kontrahiert ist". Durch Auffüllen der Blase vom L^reter aus bestimmten sie den Eröffnungsdruck vor und nach dem Tode der operierten Tiere und fanden ihn wohl intra vüam ziemlich klein — entsprechend dem entnervten Zustande der Blase — , er sank al)er nach dem Tode noch beträchtlich, z. B. von 8 mm auf 4 mm Hg. Ob der Tonus des Sphinkters unabhängig ist von dem Tonus der übrigen Blasenmuskulatur bzw. ob hier ein Antagonismus besteht derart, daß Kontrak- tion der Blase mit Sphinktererschlaffung einhergeht, diese Frage wird von den meisten Untersuchern ebenfalls bejaht, und zwar als Folge des Spieles nervöser Apparate. a) Verlauf und Ursprung der Blasennerven. Der Beleuchtung dieser Frage ist eine kurze Skizze der Blaseninnervation vorauszuschicken; dieselbe muß sich vornehmlich an die Befunde bei Katze, Hund, Affe, Kaninchen anschließen, da am Tier das Experiment die funk- tionelle Dignität der einzelnen Nerven feststellen kann. Die Speisung der Beckeneingeweide mit Nerven geht vorneliniKch vom Plexus hypogastricus (syn. : Plexus pelvicus) aus , einem Geflechte von Nervenfasern ver- schiedener Provenienz mit eingestreuten Ganglien. Derselbe gehört dem autonomen Nervensystem (L angle y) an und erhält Nerven für die Blase einmal vom Plexus sacralis, hauptsächlich von der 2. bis 3. Sacralwurzel, der sich auch solche von der 1. u. 4. zugesellen können (vgl. Eckhardt*), Budge^), Nawrocki und Skabi- tschewsky"*), Stewart^), Fagge^), Langley und Anderson'), Sherrington^) (Affe), Griffith^) (Hund), Grünstein") (Frosch). Biese Fasevn, im N. erigevs (Eckhardt; syn.: Nervus pelvicus von Langley und Anderson") laufend, ziehen ') Zentralbl. f. Physiol. 17 (1903), Nr. 16. — '^) Beitr. z. Anat. u. Physiol. 3, 128, 1863; 4, 69, 1867. — 3) Arch. f. d. ges. Physiol. 6, 306, 1872. — ") Ebenda 48, 335 ff., 1891; 49, 141 ff., 1891. — ^) Amer. Journ. of Physiol. 2, 182, 1899; 3, 1, 1899. — 0 Journ. of Physiol. 28, 305 ff., 1902. — ^ Ebenda 19, 71, 1895; 20, 372, 1896. — ") Ebenda 13, 678, 1892. — ») Journ. of. Anat. and Physiol. 29, 61, 1894 bis 1895. — ") Arch. f. mikr. Anat. 55, 1, 1900.— ") Langley und Anderson (Journ. of. Physiol. 18, 71, 1895) rechtfertigen den Namen Plexus jyelvicMS anstatt Plexus hypogastricus damit, daß derselbe doch hauptsächlich von sacralen Wurzeln gespeist werde. Ebenso sei der Name Nervus pelvicus anstatt N. erigens vorzuziehen, da der Nerv ja neben dilatatorischen auch Kontraktionsfasern für Blase, Kectum usw. führe. Anatomie der Blasennerven (Ursprünge der Nerven). 311 meist in drei oder vier Ästen mit der Arterie und den Venen der Blase direkt zum Plexus, für den sie als direkte Eückenmarksnerven zu bezeichnen sind (vgl. die beistehende Darstellung von L angle y und Anderson, sowie unten (Fig. 113, S. 315) das Schema von Stewart, beide von der Katze genommen). Die meisten dieser Fasern ziehen durch ihn zur Blase hindurch (siehe später die Eeizeffekte),; doch ist die Frage noch offen, ob nicht einige als präganglionäre Fasern in den Ganglien des Plexus eine Zellschaltung erfahren. Fio- 112. 'mi'\-vf's//(im ,> iferior venu cava xmlled aside IV. L. ganglion V. Jj. gangliüii l. spermatic ganglion genito-crural nerve left spermatic artery ext. nl. cutaneoiis nerve infe.r. mesenteric. ganglia VI. L. ganglion Spinal rami (N. X. mesenterici) — vas deferens (cut.) hypogastric. nerves — crural nerve VII. L. ganijUtm I. S. ganglion sacro-candal miiscs. ohturator nerve sciatic nerve pelvic nerve ilio-caudal nniscle acetahulum ischio-cauäal iukscIc o-caudal mtiscle cut ayid reßected Ui-pruiis; und ^^_ll^llt üli i>l i^eiiLiei\ eu (Nach Langley u. Anderbon, Jouru. of Physiol. 20 (1896), Plate Xn.) Den Anteil sympathischer Fasern erhält der Plexus pelvicus {hy^jo- gastricus) vom Oangl. mesent. in f. durch die Nn. hypogastrici (syn. : doppelte Ana- stomose des Gangl. mesent. inf. mit dem Plexus hypogastricus). Das Gangl. mesent. inf. ist von verschiedener Form bei den verschiedenen Tieren, aber stets bilateral angelegt mit kommissuraler Verbindung ; speziell bei der Katze besteht es meist aus vier Knoten (vgl. ISTawrocki und Skabitschewsky, 1. c), je zwei bilateral symmetrisch gelegen und als oberes und unteres Paar durch Quer- und Längskommissuren verbunden. Nach v. Frankl-Hochwart und Fröhlich*) (S. 442) ist beim Hunde eine solche Zerlegung nicht mögKch, man kann hier „nur von einem Ganglion schlechtweg reden", das auf der Art. mesent. inf. reitet. Vier (Langley und Anderson^), Stewart (1. c), seltener drei 1) Arch. f. d. ges. Physiol. (Pflüger) 81, 420 ff., 1900. 20, 374, 1896, Fig. A, B, C. '^) Journ. of Physiol. 312 Anatomie der Blasennerven (Variationen). oder fünf Nn. mesenferici (sjn.: Eami sjjinales (Langley), Bmni efferentes (v.Frankl- Hocliwart und Fröhlich) speisen es vom 4. bis 5. oder auch 6. Lumbar gangliou des Grenzstranges des Sympathicus {B Stewarts Schema); \ ovo. Plexus coeliacus bzw. voin Gangl. mesent. siip. zieht eine, meist doppelte Anastomose (= N. aoriicus, Frankl-Hochwart und Fröhlich) zu ihm herab. Entlang der Art. mesent. in/. sendet das Gangüon beiderseits zahlreiche Nervenäste zum Colon, oberen Bectum und zum Ureter (colonic nerves von Langley und Anderson, schon von Sokownin beschrieben), während paarig die erwähnten, fast nur aus mark- losen Fasern') bestehenden, ziemHch starken Nn. hypogastrici zum Plexus hypogastricus ziehen, häufig begleitet von einem accessorischen N. hypogastricus [Langley und Anderson^)]. Die Nn. hypogastrici innervieren nicht nur die Blase, sondern auch Eectum, Uterus, Vagina, Scrotum usw. Beim Vorhandensein eines N. hypog. o.ccessur. läßt sich leicht zeigen, daß dieser niemals Blasenfasern, sondern nur solche für die übrigen Beckenorgane enthält; Langley und Ander- son (1. c.) haben dementsprechend nachgewiesen, daß dieser Zweig sich immer ohne große Mühe vom Stamme des N. hypogastricus isolieren läßt, daß also sein deutlich getrenntes Vorkommen nur eine Variation des Verlaufes ist. Die sympathischen Wurzeln des Gangl. mesent. in f. bzw. der Nn. mesent er ici {Rami spinales) des Grenzstranges stammen bei der Katze von den Eadd. antt. II, in, IV und V des Lumbarmarkes (Nawrocki und Skabitschewsky, Langley und Anderson, Stewart u. a.), beim Affen meist von den Kadd. II, III , IV (Sh er ring ton). Gemäß diesen Ursprüngen und dem Verlaufe der sympathischen Bahnen für die Blase ergibt nach Courtade und Guyon^), sowie nach Sher rington und Langley u. Anderson Reizung des durchschnittenen Grenzstranges über dem 3. oder unter dem 6. Grenzstrangganglion keinen Blaseneffekt, die sacraleu Anteile erhalten also in der Regel keine sympathischen (Grenzstrang-) Fasern zu- gemischt. Indessen haben Langley und Anderson*) auch einige Male Blasen- effekte vom 7. Lumbarganglion bzw. von darunterhegenden Grenzstrangpartien erhalten durch Fasern, die etwa bis zum 1. Sacralganglion hei-ab vora Greuzstrang zum Plexus hypogastricus herüberziehen. Andererseits hat v. Z e i ß 1 ^) durch Reizung der beiden Nn. splanchnici — ein Nerv allein gab keinen Effekt — deut- liche Blasenkontraktiou mit Sphinkterüberwindung (siehe später) erhalten. Wai-en die Nn. erigentes und die Nn. hypogastrici durchschnitten, so war die Reizung erfolg- los. Der Erfolg bei alleiniger Durchschneidung der letzteren Nerven ist nicht ge- prüft worden, doch liegt es nahe, an Fasern zu denken, die in der Anastomose vom Plexus coel. zum Gangl. mesent. in f. (siehe oben) herabsteigen. Langley und Anderson erhielten in einem Falle, den sie als Ausnahme betrachten, schwache Blasenkontraktion auf Reizung dieser oberen Anastomose. Vor der Hand stehen diese Befunde ganz vereinzelt da. Vasomotorische Fasern für die Blase sind von Mosso und Pellacani in den geschildei'ten Bahnen bisher ohne Ei-f olg gesucht worden ; Langley und Anderson fanden nur Andeutungen davon (siehe unten). Durch sorgfältige, mit allen Kautelen ausgeführte Wurzelreizungeu sind von Nußbaum, Nawrocki u. Skabitschewsky, namentlich aber von Sherrington (I.e.) und Langley u. Anderson'^) die lumbalen (sympa- thischen) und sacralen Wurzelbezirke für die Blase, ebenso wie für Rectum, Anus, Uterus, Vagina, Penis festgestellt worden. Es haben sich dabei nicht un- bedeutende individuelle Schwankungen für jede der beniitzten Tierarten ergeben, Avelche die Einteilung in drei bzw. zwei Klassen ermöglichten, gemäß den mehr cranial oder naehr caudal gelegeneu Wurzelgebieten. Danach unter- scheidet man eine vordere (anterior), mittlere (median) und hintere (posterior) An- ') Ich fand in Serienschnitten des Nerven immer nur vereinzelte markhaltige Nervenfasern. Ebenso gering an solchen Fasern ist nach meinen mikroskopischen Befunden der Gehalt der „zentralen Anastomose" des Gangl. mesent. in f. — ^) Journ. of Physiol. 19, 76, 1895 und ebenda 20, 386, 1896. — ") Arch. de physiol. (5) 8, 622 ff., 1896. — ■») Journ. of Physiol. 19, 76, 1895 und Prot. II. — ^) Wien. khu. Wochenschr. 9, 394/395, 1896. — ") Journ. of Physiol. 18, 82 ff., 1895; 19, 76 ff., 1895; 20, 372 ff., 1896. Variationen der Blasennerven. 313 Ordnung — bzw. nur vordere und hintere — , um die Bezeichnungsweise von Langley u. Anderson zu gebrauchen. S her ring ton (1. c. S. 636) spricht von prefixed und postfixed classes, doch ist hier die Einteilung mehr auf die Resultate der "Wurzelreizung für die Muskeln der hinteren Extremität basiert. Die auf- geführten Unterschiede finden sich gleich häufig, Sh er rington hebt noch besonders hervor, daß eine Normalklasse sich nicht aufstellen lasse. Bedeutendere Unter- schiede kommen vereinzelt auch beim Affen vor, aber als seltene sind sie nicht in die vorliegenden Abteilungen aiifgenommen. Die folgende Tabelle gibt nach Langley u. Anderson (1. c. 19, 83), sowie nach Sherrington für die Blase die hauptsächlichsten Resultate. Die fett gedruckten Aiigaben bezeichnen das Maximum der Wirkung, das zu erzielen war : 0 ^ keine Wirkung. Sl?= eben merkliche Wirkimg, Sl = schwache Wirkung, M = mittelstarke Wirkung, G = starke Wirkung. Nur bei G führt die Kontraktion zur Harnaustreibung. — Es kommt in dieser Tabelle auch die noch zu erörternde vergleichsweise viel schwächere Wirkung der Lumbar(sympath.)- Anteile gegenüber der sacralen Innervation zur Geltung; letztere enthalten allein das Zeichen G. Diese Befunde machen es auch verständlich, warum einzelne Autoren in ihren Angaben über die Effekte der Wurzelreizung differieren. Langley u. Anderson (1. c. S. 80) beiuerken im besonderen, es sei darum zu schließen, daß Nußbaum (1. c.) an Katzen vom anterioren, Nawrocki u. Skabitschewsky (1. c.) mit solchen vom posterioren Typus experimentierten. AVieweit diese Angaben fruchtbar werden können für die Beurteilung mensch- licher Krankheitsfälle, das zu untersuchen ist eine \äelleicht lohnende Aufgabe der Pathologie. Lum bar nerven. Lumbar- Hund Katze Kaninchen wurzel Anter. Post. Anter. Med. Post. Anter. Post. n. 1 M Sl Sl? O 0 Sl 0 III. M M M t Sl Sl M Sl IV. e 1 M M M M M M V. o o O ' Sl-M M M M VI. o 0 O O 0 0 0 Sacralnerven. Lumbar- Katze Hund Kaninchen wurzel Anter. Post. Anter. Post. Anter. Post. vn. 0 0 0 0 0 0 Sacralwurzel I. Sl-M 0 Sl-M 0 0 0 II. G G G G Sl-M 0 III. G G G G G G IV. ! ^ 0 0 Sl-M M-G G V. i ^ 0 ö 0 0 Sl-M Der Einfachheit halber sind laufend gezählt: Die IV. ist die I. I. Coccyg. -Wurzel beim Kaninchen. alle Wurzeln von der I. Sacralwurzel ab fort- Coccyg.-Wurzel bei Hund und Katze; die V. die 314 Anatomie der Blasennerven (Ganglienschaltung). Nach Slierrington (1. c. S. 642 u. 653) für 3Iacacus rhesus. Lumbar- WTirzel Prefixed Postfixed Sacral- wurzel Prefixed Postfixed I. O O I. Harn gelassen Harn gelassen II. Blasenbewegung Blasenbewegung II. „ III. „ „ III. „ 7> IV. „ „ V. O O VI. G o VII. O o Da, wie erwähnt, die Einteilung von Sherringtons Klassen nicht speziell nach Blasenbewegungen getx-offen, der Grad der letzteren auch nicht besonders bemerkt wurde, so kommt hierbei der Klassenunterschied nicht zutage. Dafür tritt aber die Stärkediffei'enz zwischen lumbaler (sympath.) und sacraler Innervation stark hervor; bei der ersteren nur Blasenbewegung, bei der letzteren Harnaustreibung. Wie aus obigem hervorgelit, wird also der Plexus hypogastricus durch lumbale (Grenzstrangweg) und durch sacrale Fasern gespeist. Die von ihm entspringenden Blasennerven erläutert beistehende Zeichnungnach Stewart (1. c. a, S. 183), welche einen speziellen Fall der rechtsseitigen Innervation einer Katzenblase — etwas schematisiert — darstellt. Man sieht vier Stämmchen (drei beim Hunde: Griff ith) Yom Plexus hypogastricus zur Blase laufen, die dort den mit Ganglien durchsetzten Plexus vesicalis (J) bilden. Die Ganglien liegen, wie leicht zu konstatieren, vornehmlich an den Ureter- mündungen, an den lateralen Blasenteilen und am Blasenausgange ; gar keine am Vertex vesicae (Grünstein, siehe unten). Diese Stämmchen, welche Terminaläste (H Yon Stewarts Schema) der Blasennerven darstellen, sind von Griff ith als obere, mittlere und untere iVl JV^. e;es?"ca?es unterschieden worden. Vermittelst der Langleyschen Nikotinmethode haben Langley u. Anderson festgestellt, daß die sympathischen Wurzeln (JSf. N. mesenterici) im Gangl. mes. inf. Station machen, die N. N. hypogastrici also post- ganglionäre Fasern repräsentieren. Stewart (1. c. S. 192) in Überein- stimmung mit Nawrocki u. Skabitschewsky (1. c.) beobachtete stets, daß gleich nach dem Tode des Tieres die Reizung der sympathischen Wurzeln,, bzw. der JV. N. mesenterici erfolglos wurde, während die N. N. hypogastrici noch bis zu 50' p. m. Blaseneffekte gaben. Es ist dies gemäß den Beobach- tungen Langendorffs ^) eine weitere Stütze für die celluläre Station im Gangl. mes. inf. In den Plexus hypogastricus und vesicalis dagegen sollten nach Langley u. Anderson die N. N. hypogastrici keine weiteren Zell- schaltungen erfahren (siehe dagegen unten Stewart). Will man beim Menschen die homologen Stücke zu den eben geschil- derten und (siehe unten) funktionell durch das Experim.ent charakteri- sierten Anteilen der Blaseninnervation bezeichnen, so trifft man auf die Schwierigkeit, gute Abgrenzungen der sympathischen Geflechte und Ganglien- plexus untereinander und vornehmlich auch eine sichere Trennung von Bindegewebselementen zu erhalten, eine Schwierigkeit, die zumal früher zu ^) Phys. Zentralbl. 5, 129, 1891. Anatomie der Blasennerven (Ganglienschaltung, Mikroskopisclie Anatomie). 315 der Aufstellung einer überreichlichen Anzahl von Ganglien und Geflechten geführt hat (vgl. auch Henlei), S. 643). Waldeyer^) hat in neuester Zeit eine an die Ergebnisse der Tieranatomie und -Physiologie anschließende Dar- stellung gegeben , die in Verbindung mit den älteren Standartwerken von Henle (I.e.), Rüdinger 3) (a und b), Hirschf eld-Leveille ^), Schwalbe^), die Verhältnisse im großen und ganzen zu übersehen gestattet. Danach entspricht der sympathischen Blasenbahn (siehe oben N. N. mesenierici, Gangl. mesent. inf. mit oberer Anastomose, K. N. hypogastrici zum Plexus hypogastricus) einmal die Reihe der Geflechte des Plexus aoHicus abdom., Ganglion mesent. inf. und Plexus interiliacus, welche Zweige vom Bauch- sympathicus (N. N. mesenterici) erhalten. Rü ding er erwähnt, daß diese Fig. 113 Nach Stewart: Eechtsseitige Nervenversorgung der Blase der Katze (einz. häufiger Fall). A Grenzstrang (Lumb. Th.). B NN. mesenterici. C Ggl. mes. inf. D N. hypopastr. E N. hypog. accessor. F N. pelviciTourn. of Phys 2, 194, 1899. ') S. Zentralnervensystem. — "^) Bemerkenswert ist, daß Mosso u. Pellacani (1. c.) und Stewart (1. c.) für die Reflexe durch das Lumbaimark gar keine Behinderung durch Shock bemerkten; — sofort nach Abtrennung des Dorsal- marks war Blasenreflex auf Ischiadicus- oder Sacralnervenreizung zu erhalten (s. auch oben rhythmische Tonusschwankungen). Geki-euzte und ungekreuzte Bahnen im Eückeunaark. 327 Nerven der gleichen wie der gekreuzten Seite, und zwar sowohl auf die sympathischen als auf die direkten spinalen Blasennerven. Das gleiche, also gekreuzte und ungekreuzte Wirkung, gilt für die durch Reizung afferenter Bahnen (z. B. Reizung des zentralen Ischiadicusstumpfes) erzielten Blasen- reflexe. Nach Hemisektion des Rückenmarks im 12. Dorsalsegment, ver- bunden mit schrittweise nach unten vordringender Längsspaltung, ermittelte Stewart (1. c. S. 194) durch gleichseitige Reizung oberhalb des Halbschnitts bei durchtrennten Sacralnerven einer Seite, sowie beider N. N. liypogastrid. daß gekreuzte Rückenmarksbahnen vorhanden sind und daß die untere Grenze der Kreuzung in Höhe der 5. Lumbarwurzeln liegt, sowohl für die Lumbar- als für die Sacralanteile der Blaseninnervation (siehe Fig. 117 a. S. 326). Dabei stellte sich weiter heraus, daß dies Segment auch die untere Grenze für die gekreuzten Reflexe vom Ischiadicus aus auf die Blase bildet, und ebenso, daß uugekreuzte Bahnen im Rückenmark absteigen; diese Fig. 118. Reiz Hemisekt. i. uiit. Dorsal- aik Uückenmark Querschnitt '• zwidchen v:. u. VII. Luiiib.- Würz. Sympath. Wege zur Blase für Erregung vom Eückenmark aus. Nach Stewart. Die stark ausgezogene Linie bedeutet den im jeweiligen Experiment allein gangbaren Weg. müssen also, wie aus obigem erhellt, unterhalb des 5. Lumbarsegmeutes mit den gekreuzten der anderen Seite zusammen herabziehen, soweit ihre Wirkung auf sacrale Wurzeln in Betracht kommt. Ähnliche Versuche, doch mit aufsteigender Spaltung des Rückenmarks vom Sacralmarke her, zeigten als obere Grenze der Kreuzung für direkte Reizung und Reflexe einen Schnitt dicht unter den 2. Lumbarwurzeln, und zwar für beide Nervenkategorieu. Damit ist einmal zusammenzuhalten, daß, wie verschiedene Autoren, zuletzt Stewart (1. c. a), berichten, echte sensible Blasenfasern, sowie motorische Fasern für Rückenmarksblasenreflexe nur in den Sacralwurzeln verlaufen : zum anderen aber die Tatsache, daß die Durchschneidung der Lumbarwurzeln allein schon Blasenstörung erzeugt, daß also die beiden durch eine Lücke getrennten WurzelgebLete (Zentren) für die Blase doch sehr abhängig mit- einander durch Rückenmarksbahnen verknüpft sind. Langley und Anderson^) wiesen nach, daß die Lumbarwurzeln jeder Seite in beiden N. N. liypogastricis Fasern zur Blase senden, und daß diese Fasern eine periphere Kreuzung im Gangl. mes. i n f. erleiden (vgl. früher). Stewart (1. c. S. 196) zeigte durch eine Reihe besonders darauf gerichteter 0 Journ. of Physiol. 17, 188, 1894; 16, 42;->, 1894- ; 19, 73, 1895/96. 328 Periphere Eetlexapparate. Untersuchungen, daß die unvollständige Kreuzung der Rückenmarksbahnen nicht etwa, wie vermutet werden konnte, durch die Anordnung im Gangl. mes. inf. zu einer vollständigen gemacht wird, da alle Wege durch das Ganglion und seine Verbindungszweige sich als gangbar erwiesen. Der Gang der Versuche erhellt aus Figur IIb auf voriger Seite. In den über dem Lumbarsegment liegenden Rückenmarksteilen findet keine Kreuzung der Bahnen zur Blase statt bis zur 1. Cervicalwurzel. Dicht oberhalb derselben aber — Stewart (1. c.) vermutet innerhalb der Pyramidenkreuzuug — ist eine Kreuzung von erheblichem Betrage vorhanden , und zwar in gleicher Weise für die Lumbal- wie für die Sacralnerveu. Nach den Resultaten partieller Durchschneidungs versuche glaubten Mo SSO und Pellacani (1. c.) die Blasenbahnen des Rückenmarkes in die Hinterstränge und Hirnseitenstränge veidegen zu müssen, Ott^) be- schränkte sie auf die Seitenstränge. Stewart (1. c.) bestätigte dies und wies durch Reizung der vollständig isolierten dorsalen Partien der Seitenstränge nach, daß in ihnen allein die Leitung bis zum oberen Lum- barmark, also bis zum Beginn der „Blasenzentren" herabläuft; abwärts vom 5. Lumbarsegment werden daselbst auch die afferenten Bahnen, welche vom N. 'isdtiadicus aus Blasenreflexe vermitteln, angetroffen. Für die Blasenreflexe kommen vielleicht aber außer den spinalen Appa- raten noch die peripheren Blasenganglien in Betracht. Sokownin-) ent- deckte, daß Reizung des zentralen Stumpfes eines N. liypogastricus Blasen- kontraktionen hervorrufe, selbst wenn das Gangl. mes. hl f. vollständig von seinen zentralen Verbindungen getrennt war, und weiter, daß nur die Durchschneidung des anderen N. hypogastricus den Reflex aufhebe; Nußbaum (1. c), Nawrocki u. Skabitschewsky (1. c.) schlössen sich diesen Mitteilungen an. Langley u. Anderson 3), welche dem Reflex ein besonderes Studium widmeten und eine sichere Isolation des Ganglion bewirkten, bestätigten diese Angaben; sie erweiterten sie dahin, daß auch die anderen Wirkungen der Reizung des peripheren Stumpfes des N. Jippogastri- cus — d. i. Kontraktion des unteren Rectum, Erblassen der Rectalschleimhaut, einseitiges Erblassen des Uterus, bzw. des Vas defer. und der Prostata, Kon- traktion des Uterus, der Vagina und des Penis, hier und da leichtes Erblassen der Blase — in gleicher Weise, wenn auch graduell verschieden, reflek- torisch vom Gang], mes. inf. zu erhalten sind. Langley u. Anderson (1. c. S. 419) und in eingehender Weise Stewart (1. c. S. 186) bewiesen durch Reizung der zentralen Stümpfe, der Terminalfasern, daß der Reflex auch wirklich durch zur Blase gehörige Fasern ausgelöst wird und nicht durch solche anderer Organe, welche den N. N. Itypogasiricis beigemischt sind. Der Blasenreflex trat bei Reizung der Terminalfasern rein auf, ohne die Wirkung auf Rectum usw. Daß der Reflex im Ganglion durch Zellvermittelung bewirkt wird, konnten Langley und Anderson (I.e. S. 420/21) ebenfalls dartun: 20mg Nikotin in eine Vene injiziert, hoben ihn sofort auf; mit schwindender Gift- 1) Med. Bull. Philadelphia 16, 410 ff., 1894. — ") Pflügers Arch. 8, 600 ft'., 1874 und Eef. von Nawrocki über russ. Arbeit in Hoffmann-Schwalbes Jahrb. 6 (2), 87, 1877. — ^) Journ. of Physiol. 15 (1893); 16, 412 ff., 1894. Der Miktionsakt und seine Eegiilierung. 329 Wirkung kehrte er vollständig zurück. Dabei stellte sicli auch heraus, daß das untere Ganglienpaar für sich allein Blasenkontraktionen, wenn auch schwächeren Grades, vermitteln konnte. Es ist somit sicliergestellt , daß Blasenfasern in Verbindung mit Zellen des Gangl. mesent. inf. den Eeflex vermitteln; die Frage aber nach dem tropliisclien Zentrum der im N. hypogastriciis vei'laufeuden anscheinend afferenten Fasern ist nach Langley u. Anderson (I.e. S. 425 ff.) viel schwieriger zu beantworten. Es war von vornherein nicht unwahi'scheinlich , daß Fibrae recurrentes — in den feinen Verbindungszweigen des Sacralplexus mit den N. N. hypogastricis laufend — von Sacralwurzeln her den Eeflex vermittelten ; diese Annahme mußte neben der anderen , daß es echte affei-ente Blasenfasern seien , deren trophisches Zentrum (Mutterzelle) in dem Gangl. mesent. inf. läge, im Auge behalten werden. Die man- nigfachen Experimente mit Durchschneidung und Abwarten der Degeneration des N. hypogastricus und der Eückenmarksverbindungen des Gangl. mesent. inf. usw. können hier nicht erörtert werden ; so viel glauben die Verfasser gesichert zu haben, daß die Zentren nicht im Gangl. mesent. inf. und ebenso nicht in den Spinalganglien , sondern innerhalb des Lumbarmarks liegen , und daß von dort kommende efferente Fasern, welche Kollateralen zu Zellen des Gangl. mesent. inf. auf der gekreuzten Seite abgeben, den Reflex vermitteln. Damit läßt sich gut vereinen die Angabe von Stewart (1. c. a., S. 187), daß die Reizung der zentralen Stümpfe der Mesenterialnerven zum Gangl. mesent. inf. keinen Blasenreflex gibt, sensible Blasennerven in ihnen also nicht enthalten sind, sondern nur in den Sacralnerven. Ebenso entspricht dies den früheren Beobachtungen von Mosso undPellacani (1. c), denen zufolge Durchschneidung der Mesenterialnerven die Sensibilität der Blase nicht stöi'te, soAvie von Griff ith (1. c. 29, 76), daß der bekannte, durch Eeizung sen- sibler Nerven am Tier hervorgebrachte Komplex von Allgemeinerscheinungen auf Eeizung der zentralen Stümpfe der N. N. hypogaslrici nicht zu erhalten war. Griffith (ebenda) konnte aber weiterhin nach Isolierung des Plexus hypogastricus auf elektrische , mechanische und thermische Reizung eines der Terminalnerven (H des Stewartschen Schemas, syn.: obere, mitt- lere, untere Blasenfasern von Griffith) Blasenreflexe erhalten; Stewart (1. c, IIa) wiederholte den Versuch mehrmals mit Erfolg. Es ist also noch ein zweiter peripherer Reflexapparat vorhanden, und es wäre zu untersuchen, ob auch hier wie nach Langley u. Anderson beim Gangl. mesent. inf. es nicht echte zentripetale, von der Blase zum Ganglion leitende Fasern sind, deren Erregung den Reflex auslöst. 8. Der Miktionsakt und seine Regulierung durch die nervösen Apparate. Die Vorstellungen, die wir uns von dem Akte der Auslösung und der Be- werkstelligung des Miktionsaktes machen können, sind nach dem oben Dar- gelegten folgende: Zuerst wäre der Akt so zu betrachten wie er beim neu- geborenen bzw. beim kleinen Kinde sich als reiner Reflex abspielt. Der von den Ureteren eintretende Harn dehnt langsam die Blase; hat die Dehnung einen gewissen Grad erreicht und haben damit die Erregungen in den sensiblen Nerven derselben eine gewisse Stärke erhalten , so lösen die letzteren in den Zentren des Rückenmarks motorische Impulse aus, die, vorwiegend auf den sacralen Bahnen laufend, die Blase zur Kontraktion bringen ; zugleich werden die Impulse, welche den Sphinktertonus unterhalten, gehemmt und damit bereits bei mäßigem Blasendruck Harn entleert. Doch ist es wahrscheinlich, daß auch hier schon die Füllungsdehnung als direkter Reiz auf intramurale Apparate bzw. auf die Muskelzellen selbst wirkend die Blasenmuskulatur zu 330 Corticale Zentren. rhythmischen Kontraktionen veranlaßt und somit Druckschwankungen hervor- bringt, welche natürlich die sensiblen Wandnerven sehr viel stärker erregen und damit energischer auf das Rückenmark wirken werden. Mit zunehmendem Erwachen des Bewußtseins werden die begleitenden Empfindungen (Harndrang) lebhafter; bald wird aber auch von außen auf das Kind eingewirkt, die Miktionen von Ort und Zeit abhängig zu machen. Starke willkürliche Hemmungen müssen zur Erreichung dieses Zweckes auf die tieferen Zentren einwirken, damit von dort aus, also indirekt, auf der lumbaren Bahn, der Sphinktertonus erhöht, der Detrusortonus (also der der gesamten Blasenmuskulatur mit Ausnahme des Sphinct. trigon.) herabgesetzt wird. Wohl auf den gleichen absteigenden Rückenmarksbahnen wird die willkürliche Muskulatur erregt, welche der Harnverhaltung dient, der Sp]iii)cter tirogemtalis ev. zur Unterstützung desselben, durch Hebung des Beckenbodens, der Levator ani. Soll willkürlich Harn gelassen werden , so wird von Hirnzentren aus der Rückenmarksapparat der sacralen und lum- baren Leitung in Tätigkeit gesetzt, derart, daß durch Herabsetzung der Im- jjulse auf den Sphinkter dessen Tonus geschwächt und starke Blasenkontrak- tion eingeleitet wird. Es wurde schon früher erwähnt, daß manche Autoren [u.a. Born^), Rehfiscli (I.e.), Gianuzzi (I.e.), auch v. Czyhlarz u. Mar- burg (s. unten)] einen direkten Einfluß des Willens auf die glatte Musku- latur bei der willkürlichen Miktion annehmen, und es waren auch zugleich Gründe für die Abweisung dieser Vorstellung angezogen worden. Mit Recht weisen gerade Kliniker [Janet, L. R. MüWer (I.e.), Genouville] darauf hin, daß manche Leute in Gegenwart anderer, etwa auf einem öffentlichen Pissoir oder beim Arzte, nicht willkürlich zu urinieren vermögen. Ebenso lehrt die Selbstbeobachtung, daß wir nicht willkürlich, wie Born will, die Blase kon- trahieren können, „denn sonst müßten wir dazu auch bei wenig gefüllter Blase imstande sein. Aber niemand vermag unter solchen Umständen Harn zu lassen" (Genouville). Daß die Bauchpresse beim willkürlichen Harn- lassen ganz außer Spiel bleiben kann, also nicht, wie Schwartz^) behauptet, der alleinige Motor beim Harnlassen ist, wurde oben an Hand der Unter- suchungen von Mosso und Pellacani (1. c.) gezeigt, und es geht dies aus der ganzen Reihe der angeführten Tierexperimente hervor, bei denen Mik- tionen auch von der vollständig freigelegten Blase erzielt wurden. Anderer- seits zeigt aber die Selbstbeobachtung, daß wir durch die Bauchpresse in beliebiger Weise den Harnstrahl beschleunigen können. Diese letztere Beob- achtung hätte Rehfiöch (1. c. b.) schon allein darauf hinweisen sollen, daß die Experimente, welche nach seiner Ansicht die Unmöglichkeit dartun, ver- mittelst der Bauchpresse auf die Blasenentleerung zu wiiken, nicht auf den Menschen anwendbar sind , ganz abgesehen von anderen Einwänden , die gegen diese Versuche vorzubringen wären. Genauere Angaben über die corticalen Zentren für die Blase sind zuerst von Bochefontaine 3) nach Versuchen in Vulpians Laboratorium gemacht worden. Danach kann man beim curaresierten oder tief chlorali- sierten Hunde auf Reizung des Gynis marginal is eine mehr oder weniger ') Deutsche Zeitschv. f. Chir. 25 (1888). — ^) Zeitsclir. f. Geb. und Gynäkol. 1886. — ^) Arch. de physiol. norm, et path. II. Serie 3, 140 1f., 1876. Corticale und subcorticale Zentren. 331 reichliche Harnentleerung durch unmittelbare Blasenkontraktion erhalten. Dabei entleert sich die Blase auf eine Reizung hin nur zum Teil; man muß zwei-, drei- und viermal reizen, um die Blase ganz zu entleeren (1. c. S. 166), wobei von der rechten wie von der linken Hemisphäre der Erfolg gleich gut zu erhalten ist. Bestätigung dieser Angaben erfolgte durch Frangois- Franck^), Bechterew u. Misla wski -); letztere Autoren geben an, daß Blasenkontraktion (Detrusorwirkung) vom inneren Teile des vorderen und hinteren Abschnittes des G.marg. zu erhalten ist, indesBechterewu. Meyer ■') im äußeren Teile des hinteren Abschnitts ein „Zentrum" für die Kontraktion des Sphincter vcsicae (Blasenverschluß) konstatierten. v. Frankl-Hoch- wart und Fröhlich +) fanden das Blasenterritorium beim Hunde ungefähr 1 cm hinter dem Siihus cruciafus und einige Millimeter bis 1 cm von der Mantelkante entfernt. Es liegt auf der linken und auf der rechten Hemi- sphäre auf völlig symmetrischen Punkten und deckt sich im großen und ganzen mit dem von den gleichen Autoren festgelegten Gebiet für den Sphincfcr rn?/ -Apparat des Hundes. Sie fanden aber eine Abgrenzung einzelner Territorien für die abwechselnd erhaltene Detrusorkontraktion, Sphinktererschlaffung und Sphinkterkontraktion (s. frühei") nicht möglich. V. Czyhlarz u. Marburg'') kommen auf Grund klinischer Studien zu der Ansicht, daß beim Menschen das corticale Blasenzentrum auf beiden Hemisphären in der motorischen Region gelegen sei, dort, wo das Arm- in das Beinzentrum übergeht-' '(IJüftzentrum auf Obersteiners Schema). Goldmann ^') hat einen Fall von reiner, corticaler Kompression (durch epiduralen Eiterherd) über den unteren zwei Dritteln der hinteren Zentralwindung (mit Übergreifen über die obere und untere Scheitel-, sowie die obere Schläfenwindung) beobachtet, wo bei völlig intaktem Sensorium Unfähigkeit, willkürlich Harn zu lassen, bestand. Die Störung schwand voll- ständig nach der operativen Beseitigung des Eiterdruckes. Aus Budges (1. c.) und anderer Autoren Experimenten ging hervor, daß die Impulse von diesen Zentren in den Hirnschenkeln absteigen ; ihr Verlauf und ihre Kreuzungen in dei' 3Icd. ohl. bzw. im Rückenmark wurden schon erörtert (s. oben Stewart). Bechterew u. Mislawski (I.e.) zeigten aber weiter, daß bei Hunden die corticalen Bahnen im Thalamus opt. Station machen bzw. daß der Thalamus in seinem vorderen Abschnitt ein Blasen- zentrum enthält; die Blasenkontraktionen auf Reizung des letzteren konnten schon bei bedeutend schwächerer Faradisation erhalten werden , als sie zur Erzielung desselben Effektes bei Cortexreizuug angewendet werden mußte. Ebenso war der Blasenretlex auf Ischiadicusreizung (s. früher) nach Abtragung der Großhirnhemisphären mit ziemlich schwachen Strömen zu erhalten, indes nach Abtragung des Thalamuszentrums die Reize sehr verstärkt werden mußten; die Blasenkontraktionen waren aber auch dann noch kräftig, v. Czyhlarz u. Marburg (I.e. u. "') postulieren auch für den Menschen ein weiteres bilate- rales Blasenzentrum im Corpus striafum für die auf bewußte Empfindung ') Le(;()ns sur 1. fonct. motrices d. Cei'veau. Paris 1887. — ^) Neurol. Zentralb]. T, 505, 1888. — '■') Ebenda 12, 82, 1893. — ■*) Ebenda 23, 646 ff., 1904. — ^) Jahrb. f. Psyclüat. und Neurol. 20, 184 ff., 1901. — ") Beitr. z. kl. Chir. 42, 187 ff., 1904. — ^) Wien. klin. Wochensclir. tö, 788 ff., 1902. 332 Periphere Zeutreu. automatiscli erfolgende Miktion und ein drittes im Thalamus für die auf Affektreize stattfindenden Blasenbewegungen. Werden die Baknen des Zentralnervensystems über dem Lumbar- mark irgendwo unterbrochen, ist also der Weg für das Harndrauggef ühl sowohl als für die willkürliche Miktion abgeschnitten, so tritt für einige Zeit — oft nur zwei bis drei Tage — Blase nlähmung ein. Die Blase ist sehr groß und muLJ von Zeit zu Zeit entleert werden ; geschieht dies nicht, so „läuft sie über", sobald der Binnendruck so hoch geworden, daß er den Sphinkter überwindet. Da aber Blasenkontraktionen fehlen, genügen sehr kleina ablaufende Mengen, um den Sphinkter wieder für kurze Zeit schließen zu machen (Isdmna paradoxa). liegt die Unterbrechung aber, wie erwähnt, über dem Lendenmark, ist der untere Teil des Rückenmarkes erhalten, so stellt sich bald die gestörte Blasenfunktion wieder her, indem sie auf die anfängliche Stufe des reinen Reflexaktes kommt. Die Blasenentleerung wird wieder durch echte Kontraktionen bewirkt, große Mengen von Urin werden in mehr oder weniger großen Intervallen im Strahl entleert (Goltz i), S. 474; Müller, 1. c, u.a.). Nur sind, ganz entsprechend den allgemein bei Reflexen beobachtbaren Erscheinungen, mit der Abtrennung höherer Hirnteile die von dort ausgehenden Hemmungen weggefallen, so daß der Reflex jetzt auch durch die geringfügigsten äußeren Reize ausgelöst wird , sobald die Blase ziemlich gefüllt ist. Berühren der Vorhaut, Abwaschen der Aftergegend (Goltz, 1. c), mäßige taktile Reizung der Rückenhaut, Berühren der Hinter- beine, Abwaschen der Vulva (Müller, I.e.) machen die operierten Tiere sofort im Strahle harnen. Der Reflexapparat des Lendenmarkes kommt hier, wie Goltz (l c.) ganz treffend bemerkt, am durchsichtigsten und reinsten zur Anschauung. Werden jetzt die unteren Rückenmarksteile zerstört, so tritt sofort wieder Blasenlähmung mit Harnansammlung auf, anfangs sogar oft Ilarn- ti'äufeln (Goltz). Aber auch hier stellt sich, wenn auch erst nach zwei bis drei Wochen, die Blasenfunktion teilweise wieder her [Goltz und Ewald-), L. R. Müller (1. c.)]. Die durch übermäßige Füllung ad maximum gedehnte Blase zeigt wieder spontane Kontraktionen, welche eine partielle Entleerung herbeiführen, d. h. so weit, bis ein Grad der Druckverminderung erreicht ist, welcher der Reizung ein Ziel setzt. Hier wird immer ein bedeutender Resi- dualharn gefunden, eine vollkommene Entleerung kommt nie zustande; weiterhin ist zum Unterschiede von dem Zustande bei erhaltenem Lumbal- uud Sacralmark stets eine bedeutende Sphinkter seh wache (Tonusver- minderung) vorhanden. Die Tiere verlieren beim Bellen, bei lebhaften Be- wegungen des Vordertieres (Goltz und Ewald), also bei Kompressionen der Bauchhöhle stets kleine Urinmengen. Aber in der Ruhe tritt dies niemals ein — Harnträufeln besteht nicht. Die Blase erkrankt jetzt leicht (Goltz und Ewald, 1. c. S. 394). Was neben der sehr unvollkommenen Harnent- leerung aber vor allem diese Tiere von denen mit erhaltenem unteren Rücken- mark unterscheidet, ist das Fehlen von Urin- (und Kot-) Entleerung als Reflex auf Reizung der Haut, der äußeren Genitalien usw. Das Einführen ^) Pflügers Arch. 8, 460 ff., 1874 (mit Freusberg und Fuld). — ^) Arch. f. d. ges. Pliysiol. 63, 362 ff., 1896. Die Hunde liatteu fast kein Dorsal-, gar kein Lumbar- und Sacralmark mehr. Die „entnervte" Blase. 333 eines Thermometers in das Rectum (Goltz, 1. c.) löst jedoch Blasenkontrak- tion aus; ob dieses ein Reflex von einem Eingeweide aus ist, oder direkte Reizung der immer ziemlich gefüllten Blase, ist nicht entschieden. Die Re- flexe der von gemeinsamen sympathischen Bahnen aus versorgten Beckenein- geweide aufeinander, wie wir sie experimentell sicher auftreten sehen (durch Gangl. mesent. Inf. und Plexus hypogastricus), sind in bezug auf ihr Vor- kommen im Organismus zweifelhaft geworden durch die erwähnten Unter- suchungen von Langley u. Anderson, welche die Anwesenbeit echter, zu diesen Ganglien afferenter Blasenfasern in Frage stellen. Dieser Umstand erregt aber auch Bedenken gegen die Auffassung Müllers (1. c. S. 136/137), daß das Gefühl des Harndranges von der Blase durch sympathische Ganglien- zellen hindurch in das Rückenmark und Gehirn geleitet werde, und daß dementsprechend der Vorgang der Harnausstoßung, soweit er Reflex ist, nur im sympathischen Nervensystem zustande komme. Erwähnt sei hier nochmals, daß Müller (I.e.) an Menschen mit Zer- störung des unteren Rückenmarkes bei genauer Beobachtung das gleiche Bild wie an den entsprechend operierten Tieren konstatiert hat; immer, bei genügender Zeit, Herstellung einer gleichsam „peripheren" Blasenfunktion, d. h. kein Harnträufeln, sondern Entleerungen, wenn auch unvollständige, in gewissen Intervallen bei scbwachem Sphinktertonus. Wie weit bier die Muskulatur selbständig arbeitet, wie weit der periphere, sympathische Gan- glienapparat die Funktion unterhält, ist noch dunkel. Daß bei letzterem eine bisher latente Fähigkeit, losgelöst vom Rückenmark selbständig zu arbeiten, zutage träte, ist nicht unwahrscheinlich. Merkwürdig ist, daß die sympathi- schen Ganglien auf Allgemeinzustände, wie den „asphyktischen", gar nicht reagieren durch Einleitung von Gefäßkontraktion usw., wie Langley i) kon- statierte. Eine Entscheidung über die oben berührte Frage der Unterlialtung einer Blasenfuuktion durch die peripheren Apparate wäre zu erwarten durch die Eesultati^ der Durchschneidung sämtlicher Blasennerven. Leider liegen genügende Befunde hierüber noch nicht vor. v. Zeissl*) hat an sechs Hunden, welche die Resektion der N. N. eriqentis und der A'^. N. hypogastrici überlebten, normal funktio- nierende Blasen gefunden. Lewandowsky u. Schultz^) aber kamen zu an- deren Resultaten. Sie konntan wohl feststellen , daß die Durchschneiduug nur eines Nervenpaares — gleichgültig welches der beiden — niemals andere als vor- übergehende Blasenstörungen macht, Avurden aber beide Paare durchtrennt, so schwand nur bei weiblichen Hunden die anfängliche Incontinentia urinae, derai't, daß die Tiere 100 bis 200 ccni Harn halten und willkürlich zu entleeren vermochten. Bei männlichen Hunden aber trat neben einer schweren Darmstörung — Lähmung des Mastdarms und gleichzeitig kontinuierlicher Kotdraug allerhöchsten Grades — ein dauerndes Abtröpfeln von Harn auf; nur einer dieser männlichen Hunde vermochte nach 14 Tagen willkürlich größere Mengen von Urin zu ent- leeren. Ob letzteres infolge unvollkommener Operation gelang , konnte nicht ent- schieden werden. Die Verfasser nehmen für diese männliche Ausnahme event. das Gleiche an, Avas sie für die Hündinnen postulieren, nämlich eine dritte Nerven- bahn „möglicherweise im JV. pudendus -internus^. Lewandowsky u. Schultz heben hervor , daß dies Resultat nicht übereinstimmt mit den oben geschilderten Exi^erimenten von Goltz und Ewald, sowie von L. R. Müller am Hunde mit ver- kürztem Rückenmark; obwohl auch bei ihren Hunden nicht jeder vom Ureter 0 Journ. of Physiol. 27 (1901). — ■■^) Wien. klin. Wochenschr. 9, 394/395, 1896. — ") Zentralbl. f. Physiol. 17, 434 ff., 1903. 334 Resorption a\is der Blase. anlangende Tropfen gleich aus der Blase floß, so wollen sie doch einen Zustand, der bei einer Blasenfüllung von 50 Ms 80 ccni schon zu Harnträufeln führt , nicht als Ischuria paradoxa, als „Überlaufen" der Blase bezeichnen ; des weiteren spiele die Bauchpresse, Avelche ja bei dem anfänglichen fortwährenden Kotdrange die Ansammlung von größeren Harnmengen hindern könnte, nach den Autoren in späteren Stadien keine Eolle mehr. Zu bemerken ist aber , daß Lewandowsky u. Schultz den Sphincfer vesicae ihrer Hunde noch dauernd tonisch erregt fanden, einem Eröffnungsdrucke von etwa 100mm "Wasser weichend; ob dies als Inkontinenz zu bezeichnen ist, dafür fehlt es vorläufig an einer Norm. Da der Plexus liypogastricus bei dieser Doppeldurchschneidung erhalten bleibt und auch Durchschneidung der N. N. mesenterici anstatt der N. N. hypogastrici — also Erhaltung des Zusammenhanges des Gangl. mesent. ivf.' mit der Blase — • am Resultat nichts ändert, glauben Lewandowsky u. Schultz den sympathischen Ganglien eine Bedeutung für die Regelung der Blasenfunktion vorläufig nicht beimessen zu können. 9. Gefäße, Epithel, Lymphgefäße, Resorption. Die verhältnismäßig reiche Vascularisation der Blasenschleimhaut muß jedem auffallen, der einmal kystoskopische Beobachtungen angestellt hat'). Der Anblick, den zumal die (trigonalen) Partien zwischen den Ureterenmündungeu bieten , er- innert sehr an die ophthalmoskopischen Bilder [vgl. Nitze") und E. Burck- hardt^)]. Auch in der Blasenwand, wie am Ureter, dringen von dem reichen sub- mucösen Plexus Capillaren in die Schleimhaut ein. Letztere stellt bei konti-a- hierter Blase ein vielschichtiges (etwa 50 u hohes) Epithel dar ; bei ausgedehnter Blase, ganz wie beim dilatierten Ureter, verwandelt es sich in einen sehr dünnen (etwa 4 m hohen), anscheinend nur ein- bis zweischichtigen Überzug. London*), der wie Paneth und Overdieck die Mechanik dieses so plastischen Epithels untersuchte und Messungen anstellte, kommt zu dem Resultat, daß der Cubikinhalt des gesamten Epithels derselbe bei dilatierter und bei kontrahierter Blase sei , und daß in der so außerordentlich verdünnten Zellage der ausgedehnten Blase doch noch die Mehrschichtigkeit sich erkennen lasse. Es tritt nur eine außerordentliche Flächendehnung der Zellen auf, wobei elastische Kräfte geweckt werden, die bei der Entleerung der Blase die Zellen wieder in die früheren Verhältnisse zurück- führen. Das Gleichbleiben des Cubikinhaltes des Epithels läßt also die Vorstellung abweisen, daß etwa bei der Dehnung (Abplattung) Flüssigkeit aus den Zellen in mucöse Lymphräume A^erdrängt würde; damit würde übereinstimmen, daß, Avie Gerota^) angibt, die Schleimhaut der Harnblase vollständig der Lymphgefäße ermangle. Nach Sakata®) fehlen dieselben auch der Mucosa und Submucosa des Ureters. Beide Autoren berichten dagegen, daß das Lymphgefäßnetz der Muskelscheide und der äußeren Oberfläche beider Organe reich entwickelt sei. Gerota (1. c.) hat im Zusammenhange mit der Untersuchung des lymphatischen Apparates auch die- jenige der Resorption der BlaseuAvaud verbunden. Paul Bert, Kaupp u. a. hatten ja die Resorption von Urin aus der Blase bei langer Retention behauptet, einige Autoren glaubten dies auch für die verschiedensten in die Blase injizierten Substanzen erwiesen zu haben, Avährend von anderer Seite dies in Abrede gestellt Avurde. Gerota zeigte, daß einmal bei solchen Versuchen das Eindringen der be- treffenden Flüssigkeit in die Urethra — von wo aus die Substanzen rasch in das Lymphgefäßsystem eindringen — vermieden Averden muß und daß vor allem, abgesehen von etwaigen manipulatorischen Epithelverletzungen, es darauf ankommt, ob die Versuchsflüssigkeit für das Epithel different ist oder nicht. Die innerste Schicht des Epithels wird ja, Avie die mikroskopische Untersuchung zeigt, und wie Dogiel^), ^) Ich bin meinem Avährend des Druckes dieser Arbeit leider verstorbenen Kollegen, Herrn Prof . E. Burckhardt-de Bary sehr zu Danke verpflichtet dafür, daß er mir Gelegenheit zu solchen Beobachtungen gegeben hat. — ^) Lehrbuch der Kystoskopie. "Wiesbaden 1889. — ^) Atlas der Kystoskopie. Basel 1891. ■ — *) Arch. f. (Anat. u.) PhysioL 1891, S. 317 ff. — ^) Ebenda 1897, S. 428 ff. — ^) Ebenda 1903, S. 1. — ^ Arch. f. mikrosk. Anat. 35, 389 ff., 1890. Resorption aus der Blase. 3o5 Disse^), Gerota (1. c), London (I.e.) u. a. übereinstimmend angeben, von sehr groiäen, platten Zellen gebildet, deren oberflächUc Liste Schicht ein dichtes, vom körnigeren, basalen Teil deutlich unterschiedenes Gefüge zeigt [Cuticulai'bildung nach Dogiel (I.e.)]. Diese Zellen sind, wie die Zellen der tieferen Lagen, durch eine hyaline, stark lichtbrechende Substanz miteinander verkittet. Gerota erhielt nun bei seinen Versuchen eine sehr langsame Diffusion von kristalloiden Harn- bestandteilen, ebenso von Glukose, Cyanwassersoff , Ferrocyannatrium , aus konzen- trierten Lösungen, welche durch die Intercellularsubstanz — die Berlinerblaureak- tion der mikroskopischen Präparate von Ferrocyannatriumversuchen zeigte dies — sich vollzieht; Substanzen also, welche indifferent für das Epithel sind. Die ebenfalls für die Zellen indifferenten Alkaloide (Strychnin , Cocain, Atropin) werden dagegen gar nicht resorbiert, ein Resultat, das auch Boyer und Guinard^) mit Eseriu, Pilocarpin, Veratrin , Lewin und Goldschmidt ^) mit Phenylhydroxylamin er- hielten. Daß aber Schädigungen des Epithels ganz andere Resultate hervorbringen können, das zeigten am besten die Versuche mit Jodkalium, welches in schwachen Konzentrationen für die Zellen indifferent ist, daher nach langem Verweilen keine Jodreaktion im Blute hervorbringt , dagegen in starker Konzentration die Schleim- haut verletzt und dann resorbiert wird. ') Handb. d. Anat. d. Menschen 7 (1). Jena 1902. — -) Archives de med. exp. 6, 882, 1894. — ^) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 37, 60, 1896. Der Harn von Otto Weiß. A. Allgemeines. I. Physikalische Eigenschaften. Der frisch entleerte menschliche Harn' ist in der Regel eine homogene, klare Flüssigkeit. Nach längerem Stehen setzt sich in ihm eine zarte wol- kige Trübung am Boden des Gefäßes ab, welche man als Nubecula bezeichnet. Sie besteht aus Schleim, der aus den Harnwegen stammt, sowie aus Epithel- zellen und Rundzellen von gleicher Herkunft. Körnchen harnsaurer Salze können ebenfalls in der Nubecula enthalten sein. Nach neueren Unter- suchungen finden sich auch Zylinder im normalen Harn. Häufig kommt es vor, daß der Harn sich beim Erkalten trübt. Die Trübung rührt von harnsauren Salzen her; sie ist von gelber, gelbgrauer oder ziegelroter Farbe und geht beim Erwärmen in Lösung. Im Harn des Neugeborenen findet sie sich regehnäßig innerhalb der ersten Lebenstage. Manchmal zeigt sich im menschlichen Harn eine Trübung , die schon bei der Entleerung vorhanden ist. Sie ist von hellgrauer Farbe und verschwindet beim Erwärmen nicht. Bedingt ist sie durch Erdphospliate (s. u.). Der Harn der Pflanzenfresser ist gewöhnlich in ähnlicher Weise trübe; hier sind vorwiegend Karbonate und in geringem Betrage Phosphate der alkalischen Erden die Ursache davon. Die Farbe des Harnes kann von hellbernsteingelb bis zum Rotbraunen wechseln. Sie ist einmal abhängig vom AVassei-gehalt ; beim Dürstenden und nach reichlicher Schweißabsonderung ist sie dunkel, bei kühlem Wetter und nach Aufnahme größerer Wassermengen ist sie hell. Außerdem ist sie ver- schieden je nach der Reaktion : alkalische Harne sind gewöhnlich blasser als saure. Man kann auch künstlich die Farbe des sauren Harnes heller machen, wenn man Alkali zusetzt. Endlich hängt die Farbe von der Natur der im Harn enthaltenen Farbstoffe ab. Hierüber siehe S. .379 bis 383. Der Harn absorbiert die Farben des Spektrums zunehmend nach dem violetten Ende hin. Die Exstinktionskoeffizienten für die einzelnen Farben hat Yierordt^) bestimmt. Die folgende Tabelle gibt seine Beobachtungen an sehr pigmentreichen nor- malen Harnen wieder. In ihr enthält die letzte Kolumne die Zahl, welche ') Zit. nach Neubauer-Vogel, Anleitung zur (jualit. u. (juantit. Analyse des Harns, S. 502. Allgemeines. — Physikalische Eigenschaften. 337 angibt, wieviel mal größer der Exstinktionskoeffizient des am stärksten absor- bierenden Harnes war als der des am schwächsten absorbierenden. Exstinktionskoeffizienten absolut relativ max. Ab- weichung C 15D — C65D 0,0515 1 1,84 D87E — E BF 0,0819 1,59 2,14 EST — E 26F 0,0966 1,88 2,15 E26F — E45F 0,1062 2,06 1,93 E45F — E63F 0,1159 2,25 1,83 E63F — E80F 0,1259 2,44 1,71 E80P — r 0,1379 2,68 1,57 F — F21& 0,1768 3,37 1,40 F2ia — F44G 0,1995 3,87 1,47 F44G — F 65 G 0,2325 4,51 1,49 F65G — F87G 0,2818 5,47 1,68 F87 a — GlOH 0,3298 6,40 1,68 Der Harn fluoresziert. Gelbroter Harn fluoresziert grün oder gelb, hell- gelber blau. Die Ebene des polarisierten Lichtes dreht der Harn nach links. Der Geruch des Harnes ist von der Ernährung abhängig. Bei Genuß von Fleisch, Brot, Butter und Wasser ist er angenehm aromatisch, an den Geruch der Fleischbrühe erinnernd. Viele Stoffe, die Nahrungs- oder Genuß- mitteln ihren charakteristischen Geruch verleihen, gehen unverändert in den Harn über, erinnert sei an das Aroma des Kaffees und der Erdbeeren. Die Aufnahme mancher Nahrungsmittel verleiht dem Harn einen besonderen Geruch, so der Genuß von Spargel (siehe unten). Der Geschmack des Harnes ist bei Prüfung mit den vorderen Teilen der Zunge bitter und salzig. Verschluckt man Harn, so kommen auch die aromatischen Stoffe mit zur Geschmacksempfindung, die dann auch das Aroma enthält, wie es der Geruch vermittelt. Die Dichte des Harnes hängt vom Verhältnis der Menge des Wassers und der festen Bestandteile ab. Sie ist gewöhnlich 1,017 bis 1,020. Nach heftigem Schwitzen kann sie auf 1,040 ansteigen, nach Aufnahme von viel Wasser bis zu 1,002 sinken. Der Harn Neugeborener hat eine geringe Dichte, 1,005 bis 1,007. Die Bestimmungen der Dichte des Harnes geschehen nach den in der Physik für die Dichtigkeitsbestimmung gebräuchlichen Me- thoden. Der osmotische Druck des Harnes ist, wie zu erwarten, großen Schwan- kungen unterworfen. Die Gefrierpunktsdepression schwankt unter normalen Verhältnissen zwischen z/ = 0,87 bis A = 2,71 Grad. Bugarszky^) hat eine Beziehung zwischen Gefrierpunksdepression und spezifischem Gewicht ab- geleitet. Hiernach soll = 75 sein. Die Beziehung hat jedoch selbst für normale Harne nur- annähernde Gültigkeit 2). ^) Bugarszky, Pflügers Arch. 68, 389. — ^) Steyrer, Hofmeisters Beitr. 2, 312. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 22 338 Allgemeines. — Chemische Eigenschaften. Die ausgedehnte Literatur über das physikalisch - chemische Verhalten des Harnes findet man bei Hamburger, Osmotischer Druck und lonenlehre % 247 bis 384. IL Chemische Eig-ensehaften. Der menschliche Harn reagiert gewöhnlich sauer gegen Lackmuslösung. Im Stoffwechsel entstehen aus neutralen Substanzen, die mit der Nahrung aufgenommen werden, Säuren, die in den Harn übergehen, so z. B. aus den Proteiden Schwefelsäure, Phosphorsäure und organische Säuren. Hierdurch kommt es, daß die Säureäquivalente die Basenäquivalente übertreffen. Für die anorganischen Säuren und Basen zeigt dies folgende Zusammenstellung, die nach Bestimmungen von Stadelmann i) berechnet ist. Sowohl Säuren wie Basen sind auf ihre Wasserstoffäquivalente umgerechnet: Säureäquivalente: Cl = 0,2784; SO4 = 0,0580; PO^ = 0,1284. Basenäquivalente: Na = 0,2382; K = 0,0662; NH^ = 0,0351; Ca = 0,0020; Mg = 0,0073; Summe der Säureäquivalente : 0,4648 ; Summe der Basenäquivalente: 0,3188. Auf den Säuregrad des Harnes wirken besonders die Nährstoffe ein. Bei vorwiegend vegetabilischer Ernährung kann der Harn alkalisch werden. Dies tritt dann ein, wenn viel pflanzensaure Alkalien einverleibt worden sind. Die organischen Säuren derselben werden dann zu Kohlensäure und Wasser oxy- diert, und das fixe Alkali bleibt in den Gewebssäften, von wo es ins Blut und weiter in den Harn übergeht. Auch während der Verdauung kann der Harn alkalisch werden, dadurch daß dem Blute durch die Bildung des Magensaftes Säure entzogen wird. Hierdurch muß natürlich die Alkalität des Blutes und damit auch die des Harnes vermehrt werden. Ob Muskelanstrengungen den Säuregrad des Harnes erhöhen, ist nicht ganz sicher, behauptet wird es von Hoff mann ^j, Ringstedt •'), Oddi und Tarulli *), bestritten von Aducco •''). Nach Hoffmann soll starke Schweißsekretion den Säuregrad des Harnes herabsetzen. Über die Wirkung von Einverleibungen freier Mineralsäuren auf die Harnacidität siehe Seite 344. Der Harn der Fleischfresser ist, solange sie naturgemäß ernährt werden, stark sauer. Der Pflanzenfresserharn ist alkalisch, wird aber beim Hungern sauer. Bestimmung des Säuregrades des Hai-ues. Die Bestimmungen der Acidität des Harnes ''') können von zwei Gesichts- punkten aus unternommen werden. Man kann einmal versuchen, die Ge- wichtsmenge des Wasserstoffes , der durch Metall vertretbar ist , im Harn durch Titration zu bestimmen. Die Titrationsmethoden können auf diese Frage jedoch keinen genügenden Aufschluß geben , was durch die Natur der ') Stadelmaun, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 17, 433. — *) Hoffmann, siehe Malys Ber. 14, 213. — '■') Ringstedt, ebenda 30, 196. — *) Oddi und Tarulli, ebenda 34, 542. — '") Aducco, ebenda 17, 179. — ") Ich folge hier den Ausführungen von Heffter, Erg. d. Phys. 1 (l), 438. Zusammensetzung. 339 Indikatoren i) bedingt ist. Zweitens kann man die Menge der im Harn enthaltenen freien Wasserstoffionen bestimmen. Dies bat mit Hilfe der Konzentrationskettenmethode zu geschehen, v. Rohrer 2) hat auf diese "Weise gefunden, daß in einem Liter Harn im Mittel 30 . 10~'^ g Wasserstoffionen frei enthalten sind. Die Bestimmungen schwankten zwischen 4.10~' und 76,4.10~''g im Liter; bei Hoeber'^) schwankten sie zwischen 4,7. 10~' und 100. 10~' und betrugen im Mittel 49. I0~'g im Liter. Eine Beziehung zwischen den Aciditätswerten, welche durch Titration, und denen, die durch die Gaskettenmethode gewonnen werden, besteht nicht. B. Zusammensetzung- des Harnes. Die am Tage entleerte Harnmenge wird gewöhnlich gleich 1500 ccm angegeben. Hierin sind etwa 60 g feste Bestandteile enthalten. Über ihre Verteilung auf die einzelnen Stoffe des Harnes gibt die folgende Tabelle Aufschluß. Anorganische Bestandteile 25g Organische Bestandteile 35g Natriumchlorid (Na Cl) .... 15 g Harnstoff 30,0 g Schwefelsäure (SO^H^) .... 2,5 „ Harnsäure 0,7 ,. Phosphorsäure (P^O,,) 2,5 „ Kreatinin 1,0,. Kali (K.^ 0) 3,3 „ ; Hippursäure 0,7 „ Ammoniak (N H,) 0,7 „ Übrige Stoffe 2,6 INIaguesia (MgO) 0,5 ., Kalk (Ua 0) 0,3 „ Übrige Stoffe 0,2 „ Die Zusammensetzung des Harnes ist beträchtlichen Schwankungen unterworfen. Besonders wechselt die Quantität des abgesonderten Wassers sehr. Sie hängt teils von der Menge des aufgenommenen Wassers, teils von der Ausgiebigkeit der Wasserausscheidung auf anderen Wegen ab. So kann bei hoher Außentemperatur wegen der reichlichen Schweißabsonderung die Harnmenge auf 400, ja auf 300 ccm sinken. Die Aufnahme großer Quanti- täten Wasser vermehrt dagegen die Harnmenge sehr beträchtlich. Man hat die Tagesmenge auf 3000 ccm und mehr steigen sehen. Beim normalen ^lenschen fällt das Maximum der Absonderung in die ersten Stunden nach dem Aufstehen und in die ein bis zwei Stunden nach den Mahlzeiten liegen- den Zeiten. Das Minimum fällt in die Zeit von 2 bis 4 Uhr Nachts. Die Menge der festen Stoffe wechselt weit weniger als die Wassermenge, wenigstens bei gleichmäßiger Ernährung. Man kann die Menge der festen Bestandteile nach der folgenden Formel annähernd berechnen. Wenn man das spezifische Gewicht des Wassers bei 15" C gleich 1000 setzt und das spezifische Gewicht des Harnes (entsprechend gemessen) mit li bezeichnet, so ist {h — 1000) 2,33 die Menge der festen Substanz, die in 1000 ccm Harn enthalten ist. Die Zahl 2,33 ist von Haeser ermittelt, man nennt sie den Haeser sehen Koeffizienten. ') Vgl. Ostwald, Die wissensch. Grundlage der analyt. Chemie 1901; Zeitschr. f. physikal. Chemie 3, 190. — ') v. Eohrer, Arch. f. d. ges. Physiol. 86, 586. — ■'j Hoeber, Hofmeisters Beitr. 3, 525. 99* 340 Auorganisclie Bestandteile. — Säi;ren. Für gewisse Fragen des Stoffweclisels ist es von Interesse, die Beziehung zwischen Kohlenstoffgehalt und Stickstoflgehalt des Harnes zu kennen. Der Q Quotient — ist in der Regel gleich 0,87, er schwankt zwischen 0,7 und 1 [Scholz, Bouchard, Pregl, TangP)]. I. Die anorganischen Bestandteile. Von anorganischen Säuren kommen im Harn vor: Salzsäure, Flußsäure, Phosphorsäure, Schwefelsäure, Kohlensäure, Kieselsäure, Salpetersäure, sal- petrige Säure, bei einigen Tieren auch schweflige Säure. An Basen enthält der Harn: Natron, Kali, Ammoniak, Kalk, Magnesia und Eisen. Über die täglich ausgeschiedene Menge dieser Substanzen gibt die Tabelle auf S. 339 Auskunft. Der Nachweis der anorganischen Bestandteile geschieht nach den in der Chemie gebräuchlichen Methoden , so daß hier darauf nicht eingegangen werden soll. Man vergleiche die Handbücher der physiologischen Chemie. 1. Säuren. 1. Chlorwasserstoff. Der Gehalt des Harnes an Chlorwasserstoff ist proportional der Menge der Chloride, die mit der Nahrung aufgenommen werden. In der täglich bei Ernährung mit gemischter Kost ausgeschiedenen Chloridmenge ist an Chlor 6 bis 10 g enthalten. Tiei-harn ist ärmer an Chloriden als Menschenharn. Der Chloridgehalt des Harnes wird vermehrt durch reichlichen Wasser- genuß, durch Muskelanstrengungen, besonders aber durch Einnahme von Kalisalzen -). Auch Einverleibung von Chloroform kann den Chlorgehalt des Harnes erhöhen ^). Nach Ausrottung der Schilddrüse sinkt der Chlor- gehalt des Harnes "*). Bei dauernder Entziehung des Kochsalzes sinkt der Chloridgehalt auf Spuren ■''). Von Berlioz und Lepinois'') ist behauptet worden, daß sich Chlor auch in organischen Verbindungen im Harn finde; doch ist dieser Angabe vielfach widersprochen worden. 2. Fluorwasserstoff. Nach Berzelius') sind Spuren von Fluor im Harn vorhanden. 3. Schwefelsäure. Die Schwefelsäure findet sich im Harn teils als selbständige Verbindung, teils gebunden an einen organischen Atomkomplex. Die freie Schwefelsäure wird auch A-Schwefelsäure , die gebundene auch als B- Schwefelsäure bezeichnet. Die täglich ausgeschiedene Schwefelsäuremenge beträgt als SOg ausgedrückt 1,5 bis 3 g. Hiervon ist unter normalen Ver- *) Literatur siehe bei Prep;!, Pflügers Arch. 75, 87; Tangl, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1899. Supplbd. S. 251. — "") Bunge, G., Zeitschr. f. Biol. 9, 121. — ä) Zeller, Zeitschr. f. physiol. Chem. 8, 74; Käst, A., ebenda 11, 277; Vitali, Chem. Zentralbh 1899, II, 61. — ") Eoos, E., ebenda 21, 25. — ^) Müller, Fr., Zeitschr. f. klin. Med. 16, 496; Mester, ebenda 24, 441. — ^) Berlioz u. Lepinois, siehe Chem. Zentralbl. 1894, I, 912; Petit u. Terrat, Journ. Pharm. Chim. 29, 585; Vitali, Chem. Zentralbl. 1897, II, 54; Ville et Moitessier, siehe Malys Ber. 31, 413; Meillere, ebenda 31, 414; Bruno, ebenda 31, 414. — ') Berzelius, General Views of the composition of animal fluids, 1812, p. 61. Anorganische Bestandteile. — Säuren. 341 liältnissen etwa der zehnte Teil gebundene Schwefelsäure , doch schwankt die Menge der gebundenen Schwefelsäure sehr. Über die Ursache dieses Verhaltens siehe Seite 372. Nicht aller Schwefel des Harnes ist in Form von Schwefelsäure vorhanden, sondern etwa 20 Proz. sind in anderer Form organisch gebunden ; man bezeichnet ihn als neutralen Schwefel. Über seine Natur wird im folgenden noch berichtet werden. Hier sei nur erwähnt, daß der neutrale Schwefel den Organismus in Form von Rhodanw^asserstoff , von Cystiu, von Taurinderivaten, von Mercaptanen und von einigen kompli- zierten organischen Säuren verläßt. Aller im Harn ausgeschiedene Schwefel rührt von dem Zerfall eiweiß- artiger Substanzen beim Stoffwechsel her. Hierfür spricht die Tatsache, daß bei vermehrtem Abbau von Eiweiß im Organismus der Schwefelgehalt des Harnes zunimmt ^). Daher geht gewöhnlich die Schwefelausscheidung der Stickstoff- ansscheidung parallel; das Verhältnis des Stickstoffes zur Schwefelsäure ist etwa 5:1. Eine strenge Konstanz dieses Verhältnisses ist nicht zu erwarten, einmal weil ein wechselnder Teil des Schwefels als neutraler Schwefel aus- geschieden wird , und dann , weil der Gehalt der Eiweißkörper an Schwefel größeren relativen Scliwankungen unterworfen ist als ihr hoher Stickstoffgehalt. Die im Harn möglichen schwefelsauren Salze sind mit alleiniger Aus- nahme des Kaliumsulfates leicht lösliche Körper. Nachweis: Der Harn wird stark mit Essigsäure angesäuert und danach mit Bai-yumchloi'id versetzt. Ein entstehender feinpulveriger Niederschlag wird sogleich, (um dem Ausfallen der Harnsäure zuvorzukommen) , mit verdünnter Salzsäure er- wärmt. Bleibt dann ein weißer Niederschlag bestehen, so ist die Gegenwart von A-Schwefelsäure dargetan. Zum Nachweise der B-Schwefelsäure A^erwendet man das Filtrat des mit Essigsäure und Baryumchlorid gefällten Harnes. Es wii'd mit Salzsäure und Baryumchlorid erwärmt. Entsteht beim Erwärmen ein Niederschlag, so ist er auf die Gegenwart von B-Schwefelsäure zu beziehen. Der neutrale SchAvefel wird im Harne nachgewiesen, nachdem A- und B-Schwefelsäure gefällt worden sind. Man entfernt das Baryum durch Soda und dampft zur Trockne ein. Dann schmelzt man den Rückstand mit Salpeter, nimmt mit Wasser auf, säuert mit Salzsäure an und setzt Bai'yumchlorid hinzu. Ein weißer Niederschlag zeigt die Gegenwart von Schwefel an. 4. ThiosclLwefelsäure ist von Schmiedeberg 2) und Meissner^) im normalen Harn von Hunden nachgewiesen worden. Im menschlichen Harn hndet sie sich nicht*). 5. Phosphorsäure, Die Phosphorsäure geht zum größten Teil aus der Nahrung unverändert in den Harn über''), zum kleineren ist sie das End- produkt des Zerfalles von Niicleinsubstanzen, Protagon und Lecithin '^) beim Stoffwechsel. Daher ist der Phosphorsäuregehalt des Harnes groß bei phos- phorreicher Fleischkost "), klein bei Pflanzenkost. Bei der Abhängigkeit der ') Beck und Benedikt, Pflügers Arch. 54, 27; Munk, Areh. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, S. 386. — *) Arch. f. Heilk. 8, 422. — ^) Zeitschr. f. rat. Med. (3) 31, 322. — ■») Salkowski, Pflügers Arch. 39, 221. — ') Schetelig, Virchows Arch. 82, 437. — '') Gumlich, Zeitschr. f. physiol. Chem. 18, 508; Roos, ebenda 21, 19; Weintraud, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, S. 382. — ^) Ein Maß für die Zersetzung phosphorhaltiger Proteide ist an dem Phosphorgehalt des Harnes bisher nicht zu gewinnen. Milroy u. Malcolm, Journ. of Physiol. 23, 217; Röh- mann u. Steinitz, Pflügers Arch. 72, 75; Löwi, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 44, 1, 45, 157. 342 Anorganische Bestandteile. — Säuren. Phospliatausscbeidung von dem Phosphatgehalt der Nahrung ist, wie zu er- warten , das Verhältnis des Stickstoffgehaltes zum Phosphatgehalt nicht kon- stant. Ehrström 1) hat an sich selbst beobachtet, daß im Organismus eine beträchtliche Menge von Phosphorsäure unabhängig vom Verhalten der Stick- stoffbilanz aufgespeichert ^) werden kann. Bei ganz bestimmter Ernährung kann aber das Verhältnis von Stickstoff- und Phosphorsäureausscheidung kon- stant werden, so ist es bei Fleischkost bei Hunden 8,1 : 1 [Voit •*)]. Beim Hungern wird das Verhältnis kleiner^), weil außer der Muskelsubstanz und anderen stickstoffhaltigen Geweben auch ein phosphorhaltiges Gewebe stark abgebaut wird, nämlich die Knochensubstanz. Wenn die Nahrung viel Calcium und Mag- nesium enthält, so wird im Harn wenig Phosphorsäure selbst bei phosphat- reicher Nahrung ausgeschieden, weil alle Phosphate im Darm au Calcium und Magnesium gebunden werden. Bei Pflanzenfressern ist der Harn sehr arm an Phosphaten; denn hier werden (wenigstens subcutan injizierte) Phosphate durch den Darm ausgeschieden ^). Starke Muskelaustrengungen vermehren die Phosphatausscheidung beträchtlich *'). Die normalerweise ausgeschiedene Phosphorsäuremenge (P2O5) beträgt 1 bis 5 g. Hiervon sind nach von Ott") •'/lo als primäres und V^o als sekundäres Phosphat vorhanden. Es kommt vor, daß der Harn ein Sediment von Phosphaten zeigt, auch bei gesunden Indi- viduen. Es soll sich dabei um eine Vermehrung der Kalkausscheidung bei verminderter Phosphorsäureausscheidung, jedenfalls um Störung des Verhält- nisses der Phosphorsäure und der alkalischen Erden im Harn handeln ^). Löslichkeitsverhältnisse der Phosphate. Leicht löslich sind die pri- mären, sekundären und tertiären Alkaliphosphate , schwerer löslich die Phosphate der alkalischen Erden des Harnes, des Magnesiums und des Calciums. Das pri- märe Phosphat des Magnesiums Mg (P 0^)2114 ist leicht löslich, von dem des Cal- ciums lösen sich lYzg in 1000 Teilen Wasser. Neutralsalze, die im Harn vorhanden sind, erhöhen die Löslichkeit, so dai5 alles Calcium im Harn als Phosphat gelöst sein könnte. Das sekundäre Phosphat des Magnesiums löst sich in einem Liter "Wasser zu drei Teilen, das des Calciums nur zu 0,15 Teilen; doch wird nach v. Ott die Löslichkeit durch die Gegenwart von Natriumchlorid und primärem Alkaliphosphat gehoben. Das Magnesium könnte so in Form des sekundären Phos- phates im Harn vollkommen gelöst sein , das Calcium dagegen nicht. Vielmehr muß dies zum Teil als primäres Phosphat im Harn vorhanden sein. Hierfür spricht auch, daß das sekundäre Calciumphosphat aus dem Harn ausfällt, wenn man ihn mit Ammoniumhydrat oder Kalihydrat versetzt , bis die Reaktion nur noch ganz schwach sauer ist. In schwach sauren Harnen findet sieh das sekundäre Calciumphosphat zuweilen als kristalhnisches Sediment. Man hat zu beachten, daß heim Erhitzen des Harnes zum Sieden das sekundäre Calciumphosphat sich in primäres und tertiäres verwandelt, wohei das tertiäre ausfällt und das primäre die Reaktion stark sauer macht. Die tertiären Phosphate der alkalischen Erden sind schwer löslich. Vom Magnesiumphosphat lösen sich nur 0,2g im Liter, vom ^) Ehrström, Skand. Areh. f. Physiol. 14, 82. — ^) Für eine solche Auf- speicherung sprechen auch die Beobachtungen bei Krankheiten, in denen die Aus- scheidung der Purine (s. u.) vermehi't ist. Hier kann sogar die Phosphatausscheidung im Harn herabgesetzt sein. — ^) Voit, Handbuch d. Physiol. v. Hermann 6 (l), 79. — ■*) Munk, Vireh. Arch. 131, Supplbd. S. 158. — ^) Bergmann, Areh. f. ex]). Path. u. Pharm. 47, 77. — **) Preysz, Malys Jahresber. 21, 352; Klug u. Olsavszky, Pflügers Areh. 54, 21; Munk, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, S. 385. — 0 V. Ott, Zeitsehr. f. physiol. Chem. 10, 1. — ^) Panek, Malys Jahresber. 10, 112; Iwanoff, Biochem. Zentralbl. 1, 710; Soetbeer u. Krieger, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 72, 552. Anorganische Bestandteile. — Basen. 343 CalciumpLosphat sogar nur 0,01 g. Beide können sich als Sedimente im Hai'n finden. Eine sehAver lösliehe Doppel Verbindung sei noch erwähnt, die sich im normalen Harn selten, regelmäßig aber in faulendem , ammoniakhaltigem Harn als Sediment findet, das Ammonium-Magnesiumphosphat (Tripelphosphat). Aus diesen Eigenschaften der phosphorsauren Salze folgt, daß ein alkalischer Harn stets ein Sediment von tertiärem Phosphat oder von Ammonium-Magnesium- phosphat enthalten muß. 6. Die Kohlensäure findet sich im Harn teils als Gas (siehe unten), teils gebunden an Basen. Von den Karbonaten sind leicht löslich die der Alkalien, die Karbonate der alkalischen Erden sind schwerer löslich, die pri- mären leichter als die sekundären. Die Menge der gebundenen Karbonate wechselt sehr; sie kann nach der Aufnahme von Stoffen, die nach dem Abbau im Stoffwechsel freies Alkali hinterlassen (pflanzensaure Salze), so groß werden, daß der Harn eine Trübung durch Magnesium- und Calciumkarbonat erfährt. Bei vielen Pflanzenfressern ist dies die Regel. 7. Salpetersäure. In kleinen Mengen findet sich im Harn Salpeter- säure i), die aus der Nahrung stammt. Aus ihr bildet sich in stehendem Harn salpetrige Säure 2). Nach Richter 3) soll sie auch im frischen Harn vorhanden sein. Kieselsäure ist im Harn in geringer Menge nachgewiesen worden. Wasserstoffsuperoxyd hat Schönbein '') im Harn aufgefunden. 2. Basen. 1. Alkalien. 1. Kalium. Die Mengen des ausgeschiedenen Kaliums schwanken je nach der Ernährung. Im Mittel werden bei gemischter Kost in 24 Stunden 1,9 bis 3,2 g Kalium ■') ausgegeben. Bei reiner Fleischernährung ist der Kalium- gehalt des Harnes am größten, kleiner bei Ernährung mit Fleisch und Brot, am kleinsten bei reiner Brotnahrung *^). Beim Hungern wird der Kaliumgehalt des Harnes erhöht, weil kalireiche Gewebe zerfallen. 2. Natrium. Die Natriummenge beträgt im Mittel 4 bis 5,4 g am Tage. Zwischen Kalium- und Natriumausscheidung besteht ein merkwürdiger Antagonismus. Durch Zufuhr von Kalium phosphat oder -citrat wiz'd die Na- triumausscheidung, in etwas geringerem Grade durch Zufuhr von Natrium- karbonat oder -citrat die Kaliumausscheidung gesteigert ^). 3. Ammonium (vgl. das Kapitel über die Harnstoffbildung). Die täg- liche Ammoniummenge schwankt zwischen 0,3 itnd 1,2g; sie ist im Mittel 0,6 bis 0,8 g. Das Ammonium rührt von den abgebauten Eiweißstoffen her. Daher ist seine Menge groß bei Fleischernährung, klein bei vegetabilischer Kost. Man nimmt an, daß das Ammonium zur Neutralisation des Säureüber- schusses diene, der bei den Verbrennungsprozessen im Organismus entsteht. 0 Wulffius, Dissert., Dorpat 1861; Schönbein, Journ. f. prakt. Chem. 92, 152. — ■^) Schönbein, a. a. 0.; Eöhmann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 5, 241; Karplus, Zentralbl. f. klin. Med. 14, 577. — ^) Richter, Chem. Zentralb. 2, 176. — ■*) Schönbein, Journ. f. prakt. Chem. 92, 168. ■ — ^) Salkowski, Yirch. Arch. 53, 209; Stadelmann, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 17, 433; Beckmann, Zentralbl. f.d. med. "Wissensch. 1890, S. 266. — ') Bunge, Zeitschr. f. Biolog. 9, 117. 344 Anorganiscbe Bestandteile. — Basen. — Gase. Doch hat man zu hedenken, daß auch bei andauernder Zufuhr von viel Al- kali Ammonium im Harn ^) ausgeschieden wird. Wenn man dem Körper der Fleischfresser Ammoniumsalze einverleibt , deren Säure zu Kohlensäure oxydiert werden kann, so werden sie in Harnstoff verwandelt 2). Dasselbe geschieht mit eingegebenem Ammoniumkarbonat. Ammoniumsalze mit nicht oxydierbarer Säure werden dagegen unverändert im Harn ausgeschieden. Bei Pflanzenfressern wird ziemlich alles einverleibte Ammonium als Harnstoff ausgeschieden. Wenn es daher an Säuren gebunden war , die nicht zu Kohlensäure oxydiert werden können, so ist klar, daß der Organismus der Tiere reicher an Säure werden muß. Die Pflanzenfresser müssen nun diese Säurevermehrung im wesentlichen durch fixes Alkali kompensieren und gehen daher zugrunde ^). Beim Fleischfresser und beim Menschen dagegen wird überschüssige Säure durch Ammonium neutralisiert. Daher vermehrt Säure- zufuhr bei diesen Tieren die Ammoniumausscheidung, bei organischen Säuren aber nur dann, wenn sie im Organismus nicht zu Kohlensäure verbrannt werden *). 2. Alkalische Erden. Magnesium. Calcium. Die täglich ausgeschiedene Magnesiummenge beträgt im Mittel 0,11 bis 0,17 g, die Calciummenge im Mittel 0,09 bis 0,18 g ■'). Die Quantität dieser beiden Basen ist in hohem Grade von der Ernährung abhängig. Die Ausscheidung ist indessen kein Maß für die Menge der ein- genommenen Kalksalze und auch nicht für die Menge der resorbierten ; denn es kommt vor, daß die resorbierten Kalksalze wieder in den Darm aus- geschieden werden, und ferner werden eingenommene Kalksalze bei Gegenwart von Alkaliphosphaten nicht resorbiert ^'). 3. Eisen. Eisen. Das Eisen läßt sich nur in der Harnasche nachweisen. Man nimmt an, daß es in Form einer organischen Verbindung sich im Harne finde''). Die Angaben über die tägliche Menge schwanken zwischen 0,5 und 1 1 mg. Nach Kunkel und Garrod") enthält die ausgefallene Harnsäure Eisen, sowohl die durch Salzsäure gefällte als auch die spontan ausgefallene, die letzte reichliclier. 3. Die Gase des Harnes. Im Liter Harn sind 100 bis 200 ccm Gas enthalten, davon sind 83 bis 95 Proz. Kohlensäure, 0,5 Proz. Sauerstoff, G bis 16 Proz. Stickstoff**). ') Stadelmann (und Beckmann), Einfluß der Alkalien auf den Stoffwechsel, 1890; Camerer, Zeitschr. f. Biol. 43, 67. — '^ v.Knieriem, Zeitsclir. f. Biol. 10, 263; Feder, ebenda 13, 256; Salkowski, Zeitschr. f. physich Chem. 1, 1; J. Munk, ebenda 2, 29; Coranda, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 12, 76; Schmiede- berg, ebenda 7, 424; Walter, ebenda 7, 148; Hallervorden, ebenda 10, 125; Pohl und Münzer, ebenda 43, 28; Eumpf u. Kleine, Zeitschr. f. Biol. 34, 65. — =*) Winterberg, Zeitschr. f. physiol. Chem. 2ö, 202. — ") Jolin, Skaud. Ai-ch. f. Phj'sioL 1, 449. — *) Neubauer (und Vogel), Anleitung zur qualitativen und quantitativen Analyse d. Harnes 1898, S. 45. — ^) AVildt, Chem. Zentralbl. 1875, S. 74; Förster, Arch. f. Hygiene 2, 385. — ') Kunkel, Sitzungsber. d. phys.- nied. Ges. "Würzburg 1881, S. 69; Garrod, Journ. of Path. and Bacter. November 1894, p. 104. — '') Planer, Zeitschr. d. Ges. d. AVien. Ärzte 1859, S. 465; Pflüger, Pflügers Arch. 2, 165. Oro-anisclie Bestandteile. Harnstoff. Vorkommen. Bilduno-. 345 II. Organische Harnbestandteile. 1. Stickstofflialtige schwefelfreie Yerbimluugeu. Von dem gesamten Stickstoff des Harnes erscheinen als Harnstoff 84 bis 91 Proz. Von dem Rest entfallen 2 bis 5 Proz. auf das Ammoniak, 3 Proz. auf das Kreatinin, 1 bis 3 Proz. auf die Harnsäure und die Purinkörper, der Rest von 6 Proz. auf Hippursäure, Indol, Farbstoffe u. dgl. 1. Harnstoff. co< .NH., ^NHo Vorkommen. Der Harnstoff ist im Jabre 1773 von Rouelle im Menscbenharn aufgefunden worden. Er kommt am reichlichsten im Harn der Fleischfresser, in geringer Menge bei Pflanzenfressern vor. Der Mensch steht in der Mitte. Im menschlichen Harn finden sich täglich etwa 30 g bei Männern, bei Frauen gewöhnlich etwas weniger. Diese Zahl hat aber nur für Menschen Gültigkeit, die sich mit gemischter Kost ernähren; bei reiner Fleischnahrung ist die Harnstoffausscheidung bedeutend vermehrt. Am geringsten ist sie bei stickstofffreier Nahrung, geringer als selbst beim Hungern, weil die Zufuhr stickstofffreier Nahrung sparend auf die Zersetzung des Körpereiweißes wirkt. Jeder Steigerung des Zerfalles dieses Körper- eiweißes folgt eine Vermehrung der Harnstoffausscheidung. Das zeigt sich besonders im Fieber. Man hat daher den Harnstoff als das hauptsächliche Endprodukt des Eiweißumsatzes zu betrachten. Nicht in allen Lebensaltern trifft dies in gleichem Grade zu. Vielmehr ist bei Kindern, besonders in den ersten Lebenstagen, das Verhältnis des Harnstoffes zu den übrigen stickstoff- haltigen Harnbestandteilen kleiner als bei Erwachsenen. Hiervon legt die folgende Tabelle Zeuijnis ab : Erwachsene Neugeborene Harnstoff Ammoniak Harnsäure Stickstoffhaltige Extraktivstoffe 84 bis 91 Proz. O r. 7 , 12 „ 73 bis 76 Proz. 7,8 „ 9,6 „ 3,0 „ 8,5 „ 7,3 „ 14,7 „ Hiernach ist das Verhältnis bei Erwachsenen im Mittel 6,5 : 1, bei Kindern 3 : 1. Bildung. Außerhalb des Organismus ist es bisher auf folgende Weise gelungen, Harnstoff aus Bestandteilen des Tierkörpers herzustellen. 1. Aus Eiweiß erhält man durch hydrolytische Spaltung Arginin. Dieses geht bei noch weiterer Spaltung unter Wasseraufnahme in Ornithin und Harnstoff über. Diesen Weg hat zuerst Drechsel i) betreten. Den chemischen Vorgang erläutert die folgende Gleichung: ') Drechsel, Journ. f. prakt. Chem. 22, 476. o4() Harnstoff. Bildung. COOH— CH— CH^— CH,— CH.,— NH— C^ + H^O I . ^NH Arginin — COOH— CH— CHg— CHg— CH2NH2 + CO(NHs,)s, I Harnstoff NH2 Ornithin Bei den verschiedenen Eiweißkörpern ist die Ausbeute an Arginin, das allein Harnstoff zu liefern vermag, sehr verschieden. Die Eiweißstof'fe, welche im Säugetierorganismus eine Rolle spielen, liefern zwischen 2 und 10 Proz. Arginin, also ebensoviel Harnstoff'. Mithin kann nicht aller Harnstoff auf dem beschriebenen Wege aus Eiweiß gebildet werden. 2. Auf dem Wege der Oxydation gelang es Hof meister i), aus Eiweiß Harnstoff darzustellen. Er ließ Permanganat in ammoniakalischer Lösung bei Körpertemperatur auf Albumin oder Leim einwirken und konnte auf diese Weise Harnstoff gewinnen. Die Ausbeute an Harnstoff machte etwa 5 Proz. des Eiweißes aus. Größer waren die Harnstoffmengen, die Hofmeister aus Spaltungsprodukten der Eiweißsubstanzen und aus verschiedenen Körpern der Fettreihe bei Gegenwart von Ammoniak durch Oxydation gewinnen konnte. Er untersuchte Asparaginsäure, Asparagin, Leucin, Glykokoll und eine Reihe anderer Substanzen. Dabei gelang es ihm, aus Glykokoll 30 Proz. Harnstoff zu gewinnen. Es zeigte sich, daß gewisse Gruppierungen von Atomen am Kohlenstoff für die Harnstoi'fbildung ungeeignet sind, z. B. die Methyl- (CHg — C^ und die Karboxyl- (COüH — C=)Gruppe. Hingegen können die für Oxysäuren und Amidosäuren charakteristischen Anordnungen (—C HÖH — CO OH, — CHNH2COOH) in Harnstoff übergeführt werden. Dasselbe gilt für die Nitrilgruppe — CN, die Alkoholgruppe — -CH.2OH und die Säureamidgruppe — CONH2, wenn auch nur bei einfachen Kohleustoff- verbindungen. Nach Hofmeister tritt ein amidhaltiger Rest — CONHg mit dem bei Oxydation des Ammoniaks entstehenden Amidrest — XHj zusammen. 3. Aus Ammoniumkarbonat, das man aus Eiweiß gewinnen kann, läßt sich nach Basarow'^) durch Erhitzen auf 140'' Harnstoff darstellen. 4. Aus karbaminsaurem Ammonium stellte Drechselt) Harnstoff dar durch abwechselnde Oxydation und Reduktion, die vermittelst des Durch- leitens von Wechselströmen durch die Lösung erzeugt worden waren. Der Prozeß verläuft nach D rechsei folgendermaßen: 1. H,N0C0NH.2 -|- 0 = H.NOCONHj + H^ü Ammoniumkarbamat e. K^NOCONHä + H2 = HgNCONH^ + H,0 Harnstoff Es ist nun zu entscheiden, welche von diesen Möglichkeiten der Harn- stoffbildung- im Oreranismus realisiert ist. ^) Hofmeister, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. 37, 426; Schwarz, ebenda 41, 60; Halsey, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 325. — '^) Basarow, Journ. f. prakt. Chem. 1 (2), 283. — ^) Drechsel, Ber. d. Deutsch, chem. Gesellsch. 24, 3096; Abel u. Muirhead, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 31, 15. Harnstoff. Bildung. 347 Gegen die Möglichkeit der Harnstoffbildung durch hydrolytische Spal- tung ist nichts einzuwenden, da im Organismus auch sonst vielfach hydro- lytische Spaltungen vorkommen. Ebenso gut begründet ist die Theorie der Entstehung durch Oxydation (Hofmeister). Auch die von D rechsei ge- fundene Möglichkeit der Bildung aus karbaminsaurem Ammonium könnte im Organismus verwirklicht sein , wie es die aus kohlensaurem Ammonium (Basarow) wirklich ist. V. Schröder^) hat nämlich nachgewiesen, daß die Leber bei Hunden aus Ammoniumkarbonat Harnstoff bilden kann. Auch aus Ammoniumformiat entsteht Harnstoff, wenn es bei künstlicher Durchblutung der Leber dem Blute beigemischt worden ist. Die Versuche v. Schröders hat Salomon -) an der Hammelleber bestätigt. Xencki, Pawlow und Zaleski^) haben hierzu noch beigetragen, daü im lebenden Tiere während der Verdauung in der Pfortader mehr Ammonium enthalten ist als in der Voia Jiejmtica. Aus dieser Beobachtung folgt ebenfalls, daß Ammonium in der Leber verschwindet. Den chemischen Vorgang hat man sich nach D rechsei als eine Abspaltung von Wasser zvi denken : /ONH, /NHa C0<' — HjO = CO/ ^CNH, ^NHa (Über die Harnstoffbildung aus Ammoniumsalzen vgl. S. 344). Man hat ferner beobachtet, daß Amidosäuren, wie Leucin, GlykokoU, Asparaginsäure, Asparagin. nach Einverleibung in den Tierkörper in Harnstoff übergehen können ■•). Nach Schmiedeberg'') werden Verbindungen, in denen die Gruppe NH2CH2 — sich befindet, im Tierkörper zu Ammonium karbonat oxydiert und dann auf dem von v. Schröder gefundenen Wege in Harnstoff verwandelt. Drechsel hingegen nimmt an, daß durch die Oxydation der Amidosäuren karbamin- saures Ammonium entstehe , welches dann durch Wasserverlust in Harnstoff übergeführt werde : /ONH, /NH2 C0( — H^O = C0<( Zur Stütze der Theorie von der Bildung des Harnstoffes aus karbamin- saurem Ammonium können noch folgende Tatsachen angeführt werden. Hahn und Nencki*') haben bei Hunden, denen eine Ecksche Fistel an- gelegt worden war, Vergiftungssymptome gesehen, die den Erscheinungen nach Injektion von karbaminsauren Salzen ins Blut glichen. Wenn bei den operierten Tieren Karbaminsäure in den Magen eingeführt wurde, so zeigten sich dieselben Vergiftungserscheinungen, bei gesunden Tieren konnten solche ') V. Schroeder, Arcli. f. exper. PatLol. u. Pharm. 15, 364; 19, 373; Zeitschr. f. physiol. Chem. 14, 576. — '^) Salomon, Virchows Aicli. 97, 149. — '') Nencki, Pawlow, Zaleski, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 37, 26; Salaskin, Arch. d. scienc. biol. de St. Petersb. 6, 483. — •*) Schnitzen u. Nencki, Zeitschr. f. Biol. 8, 124; V. Knieriem, ebenda 10, 263; Salkowski. Zeitschr. f. physiol. Chem. 4, 55; Salaskin, ebenda 25, 128; Löwi, ebenda 2b, 511; Eichet, Compt. rend. 118, 368; Ascoli, Arch. f. d. ges. Physiol. 72, 340. — ^) Schmiedeberg, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 8, 1. — **) Hahn, Massen, Nencki, Pawlow, Arch. d. scienc. biol. d. St. Petersboui-g 1, 401; Nencki, Pawlow u. Zaleski, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 37, 26; Salaskin u. Zaleski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 517. 348 Harnstoff. Bildung. Fütterungen dagegen ohne merkliche Störungen geschehen. Außerdem fanden sie im Harn der operierten Tiere den Ammoniumgehalt vermehrt, und zwar erschien das Ammonium in Form des Karbamates. Aus diesen Befunden schließen Nencki und Hahn, daß der HarnstofI' in der Leber aus karbamiu- saurem Ammonium gebildet werde. Von den übrigen Theorien der Ilarnstoffbildung soll nur noch die von Schultzen und Salkowski begründete Cyansäuretheorie erwähnt werden. Hiernach soll im Tierkürper aus Eiweiß Cyansäure und Ammonium ent- stehen und aus diesen beiden HarnstofI: gebildet werden. Ob eine oder mehrere der bisher geschilderten Möglichkeiten der Harn- stoffbildung unter normalen Verhältnissen im Organismus verwirklicht ist, ist nicht entschieden worden. Die definitive Lösung dieser Frage muß daher der Zukunft überlassen werden. Ort der Bildung. Die alten Physiologen glaubten, daß der Harnstoff: in der Niere gebildet werde. Durch die Beobachtungen von Prevost und Dumas, Meißner 1) und von vielen anderen ist aber nachgewiesen worden, daß im Blute Harnstoff vorhanden ist und daß seine Menge im Blute nach l^xstirpation beider Nieren größer wird. Über die Stätte, an welcher diese Bildung erfolgt, geben Beobachtungen von Meißner und von v. Schröder Auskunft. Meißner hat gefunden, daß die Leber das harnstoffreichste Organ des Körpers ist. v. Schröder hat gezeigt, daß die Leber imstande ist, Harnstoff zu bilden. Wie oben l)erichtet worden ist, hat er eine Bildung von Harnstoff bei Durchblutung der Leber gefunden, wenn dem Blute kohlensaures Ammonium zugesetzt worden war. Aber auch bei Durch- blutung der Leber mit dem Blute von Tieren, die in der Verdauung be- griffen waren, ließ sich eine Zunahme der Harnstolfmenge in dem Blute nachweisen; bei Durchblutung mit dem Blute von hungernden Tieren dagegen nicht (man vergleiche hierzu die Angaben von Nencki, Pawlow und Za- leski auf S. 347). Somit ist ganz sicher nachgewiesen, daß in der Leber Harnstoff gebildet wird. Neuere Untersuchungen s^^rechen aber auch für eine Entstehung in anderen Geweben. So hat Kaufmann 2) nach Aus- schaltung der Abdominalorgane aus dem Kreislauf eine Zunahme des Harn- stoifgehaltes im Blute der oberen Körperhälfte gefunden. Hiernach müssen außer der Leber noch andere Quellen für den Harnstoff vorhanden sein. Nähere Angaben lassen sich jedoch hierüber zurzeit nicht machen; denn die Beobachtungen über die Harnstoffausscheidung bei Erkrankung der Leber •^) oder nach partieller Exstirj)ation oder nach Verödung der Leber*) können aus naheliegenden Gründen keine Auskunft über die Frage geben. ') Die Literatur timtct sich bei v. Schröder, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 15, 3G4; 19, 373 und bei Veit, Zeitschr. f. Biol. 4, 140. — ') Kaufmann, Compt. rend. de la soc. de biol. 46, 93; Arch. de physiol. 6 (5), 531. — ^) Hallervorden, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 12, 237; Weintraud, ebenda 31, 30; Münzer u. Winterberg, ebenda ''33, 164; Fawitzki, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 45, 429; Müuzer, ebenda 52, 199; Fränkel, Berl. klin. Wochenschr. 1878, S. 265; Richter, ebenda 1896, S. 453; Mörner u. Sjöqvist, Skand. Arch. f. Physiol. 2, 448; Gumlich, Zeitschr. f. physiol. Chem. 17, 10. — ■*) Nencki u. Hahn, a. a. 0.; Slosse, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1890, S. 482; Lieblein, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 33, 318; Nencki u. PaAvlow, Arch. d. scienc. biol. de St. Petersb. 5, 163; Salaskin u. Zaleski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 517. Harnstoff. Eigenschaften. 349 Eigenschaften. Harnstoff ki-istallisiert in wasserfreien, langen, farb- losen, vierseitigen Prismen mit schiefen Endflächen, deren Schmelzpunkt bei 130 bis 132'> liegt. Der Harnstoff ist sehr leicht löslich in Wasser, leicht in Alkohol, unlöslich in Äther und in Chloroform. Seine Lösungen reagieren neutral. Mit Säuren und Salzen und Metalloxyden bildet er kiistallisierende Verbindungen. Von den ersten sind der salpetersaure und der oxalsaure Harnstoff durch ihre Schwerlöslichkeit in Salpetersäure- und oxalsäurehaltigem Wasser ausgezeichnet. Salpetersaurer Harnstoff (CO(NH2)o . NO3H) entsteht beim Versetzen von konzentrierter Harnstofflösung mit reiner konzentrierter Salpetersäure sogleich in Form von mikroskopischen Kristallen. Diese sind, dünne rhom- bische Tafeln, deren spitzer Winkel 82*^ mißt, deren stumpfer oft abgeschnitteo ist, so daß sechsseitige Täfelchen entstehen. Sie sind vielfach schuppenartig übereinander gelagert. In reinem Wasser ist der salpetersaure Harnstoff leicht löslich. — Oxalsaurer Harnstoff (2[CO(NH2)2] H2C2O4) entsteht beim Mischen konzentrierter wässeriger Lösungen von Harnstoff und von Oxal- säure. El' kristallisiert in kurzen, dicken rhombischen Prismen. Wenn man ihn aus seiner Lösung in Wasser kristallisieren läßt, so kann man große Kristalle erhalten. Dasselbe gilt vom salpetersauren Harnstoff. Von den Verbindungen des Harnstoffes mit Salzen ist die mit Palladium- chlorür durch ihre Schwerlöslichkeit ausgezeichnet 2 [CO(NH2)2] • Pd CI2. Unter den Verbindungen mit Metalloxyden ist die mit Mercurinitrat und drei Molekülen Mercurioxyd von Bedeutung, 2 [CO(NH2)2] . Hg(X03)2 . 3 (HgO). Auf ihrer Bildung beruht die Methode seiner quantitativen Bestimmung nach Li'ebig. Auf der Eigenschaft des Harnstoffes, sich mit Aldehyden zu verbinden, fußt die Reaktion von Schiff. Harnstoff wird mit wässeriger Furfurollösung und Salzsäure versetzt; dabei entsteht eine von Gelb und Grün in Blau und Violett übergehende Färbung. Mit Formaldehyd und Salzsäure gibt der Harn- stoff eine unlösliche weiße Verbindung. Mit Phenylhydrazin und Essigsäure ent- steht das schwerlösliche und farblose Phenj^lsemikarbazid (C 0 N H2 N H N H Cg H,) (Jaffe). Durch andauerndes Erhitzen auf 130" entsteht aus dem Harnstoff Biuret, Ammoniak und Cyansäure. Alkalien , Säuren und gewisse Mikroorganismen (Mikrococcus ureae) verwandeln den Harnstoff durch hydrolytische Spaltung in Kohlensäure und Ammoniak. Von unterchlorigsauren oder unterbromig- sauren Salzen wird er in Kohlensäure, Stickstoff und Wasser zerlegt. Der Nachweis des Harnstoffes geschieht auf Grund der angeführten Eigen- schaften, gewöhnlich mikroskopisch durch Erzeugung der Kristalle des salpetei- sauren Harnstoffes aus konzentrierter Harnstofflösung. Darstellung. Der schwach angesäuerte Hai-n wird bei niedei-er Temperatur zur Sirupkonsisteuz eingedampft, dann wird der Harnstoff mit reiner, konzentrierter Salpetersäure gefällt. Der Niederschlag wird abgepreßt und mit frisch gefälltem Baryumkarbonat neutralisiert. Von dem Baryumnitrat trennt man den Harnstoff durch Aufnehmen mit Alkohol. Durch Verdunsten des Alkohols erhält man Harn- stoffkristalle. Die erste Synthese des Harnstoffes hat Wöhler 1828 ausgeführt. Näher kann auf diese und andere Synthesen des Harnstoffes hier nicht eingegangen werden. 350 Kiirbaminsäuie. — Uretban. — Kreatinin. OH 2. Karbaminsäure, CO<'xttt • Das Vorkommen von Karbaminsäure NH2 im Harn ist, wie Nolf i) gezeigt hat, fraglich. [3. Karbaminsäureäthylester (Urethan) ist, wie Jaffe^) bewiesen hat, kein physiologischer Bestandteil des Harnes, sondern entsteht durch Ein- wirkung von Alkohol auf Harnstoff.] 4. Kreatinin. ^^„ C=:NH I K— CHs— CO I CH3 Das Kreatinin ist zuerst von Lieb ig im menschlichen Harn aufgefunden worden. Später hat man es auch in dem Harn von Hunden, Pferden, Rindern, Schweinen und Kaninchen nachgewiesen. Es ist mit dem Kreatinin identisch, das durch Säurewirkung aus dem Muskelkreatinin entsteht [Top- pelius und Pommerehne, Wörner, bestritten von Johnson'*)]. Seine tägliche Menge beträgt 0,8 bis 1,3 g, also im Mittel etwa lg (Neubauer). 1,7 bis 2,1g (St. Johnson). Beim Hungern nimmt die Kreatininmenge ab, durch eiweißreiche Nahrung, besonders durch Fleischernährung (wegen des Kreatiningehaltes des Fleisches) wird sie vermehrt. Sie steigt und fällt ungefähr gleichen Schrittes mit der Harnstoff menge. Muskelanstrengungen haben eine Vermehrung der Kreatininausscheidung zur Folge [Grocco, Moitessier, Gregor'*)], in besonders hohem Grade sehr heftige Muskel- anstrengungen [Oddi und Tarulli ')]. Bei Säuglingen ist kein Kreatinin im Harn vorhanden, solange sie nur mit ^lilch ernährt werden. Kreatinin bildet farblose, stark glänzende, monokline prismatische Kri- stalle. Es löst sich in 11 Teilen kalten Wassers, in warmem Wasser dagegen leichter. Ebenso ist es in warmem Alkohol leichter als in kaltem löslich, in Äther löst es sich nicht. Das Kreatinin gibt mit Mineralsäuren kristalli- sierende, leicht lösliche Verbindungen. In saurer Lösung wird es von Phosphormolybdänsäure und von Phosphorwolframsäure kristallinisch gefällt. Von Mercurichlorid und von Mercurinitrat wird es ebenfalls gefällt. Von allen Kreatininverbindungen ist am meisten charakteristisch das Kreatinin- chlorzink (C4H7N:^0)2 ZnCl2- Es wird erzeugt dadurch, daß man Kreatinin- lösung mit schwach saurer Lösung von Zinkchlorid versetzt. Dabei dürfen keine freien Mineralsäuren zugegen sein. Gegebenenfalls setzt man Xatrium- acetat hinzu. Die aus dem Harn gewonnene Ghlorzinkverbindung bildet ein sandiges gelbes Pulver, das sich aus mikroskopischen Nadeln zusammen- setzt. Diese sind in Form von Rosetten ansfeordnet. •) Nolf, Zeitschr. f. physiol. Chem. 23, 505. — ^) Jaffe, ebenda 14, 395. — ^) Toppelius u. Pommerehne, Arch. de pharm. 234, 380; Woerner, Zeitschr. f. physiol. Chem. 27, 1; Johnson, Proc. Roy. See. 43, 493; 50, 287. — ") Vgl. Grocco, zit. nach Malys Ber. IG, 199; Moitessier, ebenda 21, 182; Gregor, Zeitschr. f. physiol. Chem. 31, 98. — *) Oddi u. Tariilli, zit. nach Malys Ber. 24, 54'2. Kreatinin. — Xantliokreatiuin. • — Purine. 351 Nachweis. 1. "Wenn man eine verdünnte Kreatininlösung mit eini}j;en Tropfen Xitroprussidnatriumlösung vom spezifischen Gewicht 1,003 und einigen Tropfen Natronlauge versetzt, so entsteht eine rubinrote Färbung, die dann in Gelb über- geht (Weyl). Neutralisation der Lösung mit Essigsäure läßt einen kristallinischen Niederschlag entstehen, der aus einer Nitrosoverbindung des Kreatinins besteht (Kramm); Zusatz von Essigsäure bis zu saurer Reaktion läßt eine grüne, danach eine blaue Färbung entstehen, schließlich einen Niederschlag von Berlinerblau. 2. Versetzt man eine Kreatininlösung mit einigen Tropfen wässeriger Pikrinsäure- lösung und von verdünnter Kalilauge, so entsteht eine intensiv rote Färbung (Jaffe). Durch Alkalien wird Kreatinin in der Wärme in Kreatin übergeführt. Langsam vollzieht sich diese Umwandlung auch in neutralen Kreatininlösungen. Beim Kochen mit Atzbaryt bildet sich aus dem Kreatinin Methylhydantoin und Ammoniak. Durch Oxydationsmittel kann man das Kreatinin in oxalsaures Methyl- guanidin verwandeln. 3. Die reduzierende Eigenschaft des Kreatinins zeigt sich auch der Fehling sehen Lösung gegenüber. Daneben hält das Kreatinin das Kupfer- oxyd in Lösung. Aus dieser kann es durch Zusatz von Soda gefällt werden, und zwar als weißes Kupferoxydulkreatinin : Reaktion von Maschke. Darstellung. Um Kreatinin zu gewinnen ,■ kann mau es in Form seiner Ohlorzinkverbindung abscheiden, aus der man es dann wiedergewinnt (Neubauer). Der Harn wird mit Kalkmilch alkalisch gemacht und mit Calciumchlorid gefällt, filtriert, mit Essigsäure schwach angesäuert und auf dem Wasserbade zu Sirup- konsistenz eingedampft. Nun fügt man etwas Natriumacetat hinzu, extrahiert mit Alkohol, filtriert und versetzt das klare Filtrat mit konzentrierter neutraler alko- holischer Chlorzinklösung. Der Niederschlag wird nach 48 Stunden abfiltriert und mit Alkohol gewaschen. Sodann löst man ihn in Wasser und kocht ihn eine Viertelstunde mit Bleihydrat, filtriert und dampft zur Trockne ein. Der Rückstand wird mit kaltem Alkohol auf dem Filter ausgewaschen. Aus dem Alkohol gewinnt man das Kreatinin durch Eindampfen. Auf dem Filter bleibt Kreatin zurück. 5. Xanthokreatinin hat Monari nach anstrengenden Märschen bei Menschen und bei Hunden nach Injektion von Kreatin in die Bauchhöhle gefunden'). Im Löwenharn kommt es reichlich vor [Colasanti 2)]. Das Vorkommen bei Menschen und Hunden wird von Stadthagen 2) bestritten. 6. Purinkörper. Die im folgenden abzuhandelnden Körper, welche auch als Nucleinbasen (Kos sei), als Alloxurkörper (Kossei und Krüger) oder als Xanthinbasen bezeichnet werden, sind von Emil Fischer größtenteils synthetisch dargestellt worden. Er leitet die Stoffe sämtlich von einer Ver- bindung ab, von dem Purin : N=CH HC C — NH. II II >H N— C N-^ Die Purinkörper kann man sich durch Substitution der Wasserstoffatome des Purins entstanden denken. Um über den Ort der Substitution ohne weiteres orientiert zu sein, numeriert man die Glieder des Purinkernes wie folgt: IN— C6 I I 7 2C 5C-N. I I >C8 3 N— C— N/ ') Gautier, Bull, de la soc. chim. (2), 48, fi; Monari, Malys Jahresber. 17, 182. — '') Colasanti, Arch. ital. de biol. 15, 4:i0. — ■') Htadthagen, Zeitschr. f. klin. Med. 15, 383. 352 Purine. — Harnsäure. Vorkommen. Die Wasserstoff atome können in den Verbindungen ihren Ort wechseln, so daß für denselben Stoff verschiedene Konstitution sformeln resultieren (Tautomerie, s. Harnsäure). Von den zahlreichen Verbindungen des Purins , die durch Substitution von Hydroxyl-, Amid- oder Alkylgruppen entstehen können, kommen im Harn folgende vor: 2,6,8-Trioxypurin ^ Harnsäure 2,6-Dioxypurin := Xanthin l-Methyl-2,6-Dioxypurin = Methylxanthin 7-Methyl-2,6-Dioxypuriu = Heteroxantbin l,7-Dimethyl-2,6-Dioxypurin = Paraxanthin 6-Oxypurin = Hypoxanthin 2-Amino-6-Oxypuriu = Guanin 7-Methyl-2-Amino-6-Oxyx3urin = Epiguanin 6-Aminopurin = Adenin Episarkin Kamin. Man nimmt allgemein an, daß die Purinkörper des Harnes von den Nucleinsubstanzen des Zellkernes abstammen, aus denen sie zum Teil durch hydrolytische Spaltung erhalten worden sind [Salomon '), KosseP)]. Be- merkenswert ist auch, daß die einzelnen Substanzen durch Oxydation oder durch Reduktion ineinander übergeführt werden können. Die Menge der Purinkörper des Harnes ist sehr gering. Wenn man von der Harnsäure ab- sieht — die gesondert behandelt werden soll — so finden sich täglich bei gemischter Kost etwa 87 mg, bei animalischer 44 mg, bei vegetabilischer aus Erbsen und Kraut bestehender 72 mg, bei Ernährung durch Kohl und Äpfel 111mg [Flatow und Reitzenstein •') geben etwas geringere Werte an] Purinsubstanzen im Harn [Camerer •*)]. Nach Salkowski^) machen die Pui'ine 8 bis 10 Proz. der Harnsäuremenge aus. Harnsäure. 2, 6, 8-Trioxypurin, (Cg H4 O3 N4) : HN— CO N=C(OH) II II OC C— NH. oder (HO)C C— NH. I II >0 II II >(0H) HN— C— NH^ N— C N-^ Vorkommen. Die Harnsäure ist zuerst von Scheele aus dem Harn dargestellt worden. Ihre tägliche Menge schwankt zwischen 0,2 und 1,25 g. Sie findet sich auch in dem Harn vieler anderer Säugetiere, besonders reich- lich im Harn der Vögel und der beschuppten Amphibien, bei denen sie in Form weißer Konkremente ausgeschieden wird. Entstehung *>) bei Säugetieren. Früher betrachtete man die Harn- säure als ein Produkt unvollkommener Oxydation des Eiweißes, als eine Vorstufe des Harnstoffes. Nach dieser Vorstellung, die besonders von ') Salomon, Sitzungsber. d. bot. Ver. d. Provinz Brandenburg 1880. — *) Kossei, Zeitscbr. f. pbysiol. Cbem. 22, 176. — ^) Flatow u. Eeitzenstein, Deutsche med. Wochenscbr. 23, 354, 1897. — ") Camerer, Zeitschr. f. Biologie 28, 72. — ^) Salkowslvi, Zentralbl. f. d. med. "Wissenscb. 1894, S. 514. — '^) Eine gute Literaturübersicht findet man bei Wiener, Ergebnisse der Physiol. 1, 1. Harnsäure. Entstehung. 353 Lehmann 1) und Neubauer-) vertreten wurde, müßte also aller Harnstoff aus Harnsäure hervorgehen. Hierfür schienen Beobachtungen von Wohl er und Frerichs '^j, Meißner'*) und von vielen anderen zu sprechen. Sie fanden, daß in den Körper eingeführte Harnsäure als Harnstoff im Hai'n wieder- erscheint. Die Anschauung von der Entstehung der Harnsäure infolge ungenügender Oxydation ist dann besonders von Bartels ^) näher entwickelt worden. Nach ihm hat jeder Sauerstoffmangel des Blutes eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung zur Folge. So sollte auch die Zunahme der Harnsäureproduktion bei der Leukämie eine Folge der Verminderung des Sauerstoffgehaltes des Blutes, bewirkt durch die Abnahme der Zahl der roten Blutkörper, sein. Die Bartelssche Theorie hat einer experimentellen Prüfung nicht standhalten können. Experimente, die künstlich die Sauerstoffaufnahme verminderten, hatten keine Zunahme der Harnsäurebildung zur Folge. Ferner zeigten Pettenkofer und Voit^), daß Leukämiker sich im Stickstoff- und Kohlenstoffgleichgewicht befinden, daß also von einer unvollkommenen Oxy- dation nicht die Rede sein kann. Daher wandte man sich wieder einer An- schauung zu, die zuerst von Meißner klar ausgesprochen worden war. Nach Meißner stammt die Harnsäure von den in den Geweben vorkommenden Xauthinbasen ab. Ihre Bildung ist nach ihm ganz unabhängig von der Entstehung des Harnstoffes; nur insofern hat sie eine Beziehung dazu, daß ein Teil der gebildeten Harnsäure nachträglich in Harnstoff übergeht. Wie richtig diese Anschauung Meißners gewesen ist, ist später durch die Untersuchungen von Horbazewski '') bewiesen worden. Ihm gelang es, aus Nucleinen der Milz, aber auch aus anderen Organen, deren Nucleine er in Alkalilauge löste und mit Blut versetzte, Harnsäure zu gewinnen. Später führte Spitzer"^) den Nachweis, daß bei solcher Harnsäurebildung die Nucleinbasen der Nucleine abnehmen, ja er konnte feststellen, daß auch zugesetzte Nucleinbasen — Xanthin und Hypoxanthin in hohem Grade, Guanin und Adenin weniger — in Harnsäure verwandelt werden , eine Beobachtung, die Wiener^) bestätigte. Horbazewski nahm daher mit Meißner an, daß die Nucleinbasen die Quelle der Harnsäure seien. Er dachte, daß zum Freiwerden dieser Basen Zellen zugrunde gehen müßten. Da ihm die Kerne der meisten Gewebs- zellen nicht in genügendem Maße zu zerfallen schienen, um aus ihnen die ausgeschiedene Harnsäure herzuleiten, so nahm er an, daß die farblosen Blut- körper — Gebilde, die einem regen Wechsel unterworfen sind — ausschließ- lich die Muttersubstanz der Harnsäure enthielten. Von dieser Ansicht aus- gehend suchte Horbazewski Harnsäureausscheidung und Leukocytenzerfall in Beziehung zueinander zu bringen. Das einzige Maß, welches ihm Auf- schluß über den Grad des Leukocytenzerfalles geben sollte, waren die Ände- rungen der Zahl der Leukocyten im Blute. Von vielen Autoren ist aber ') Lehmann, Physiol. Cbem. 1, 202. — '^) Neubauer, Ann. d. Chem. u. Pharm. 99, 206. — =*) Wöhler u. Frerichs, ebenda 65, 335. — ") Meißner, Zeitschr. f. rat. Med. (3), 31, 144, 305. — ^) Bartels, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1, 13. — *) Pettenkofer u. Veit, Zeitschr. f. Biol. 5, 319. — ^) Horbazewski, Monatsh. f. Chem. 3, 796; 8, 584; 10, 624; 12, 221. Kossei, Zeitschr. f. physich Chem. 3, 284; 5, 267; 7, 7; 10, 248. — «) Spitzer, Arch. f. d. ges. Physiol. 76, 192. — ^) Wiener, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 42, 375. Nagel, Physiologie des Menschen. II. 90 354 Harnsäure. Entstehung. nachgewiesen worden, daß der Wechsel der Leukocytenzahl im Blute ein zuverlässiges Maß für den Zerfall derselben nicht sein kann. Daher ist die Theorie von Horbazewski beute durch keine Gründe mehr gestützt. Viel- mehr hat sich die Mehrzahl der Forscher der Anschauung angeschlossen, die einmal von Mar es i) ausgesprochen ist, daß nämlich die Harnsäure das Endprodukt des Stoffwechsels der Zellkerne ist. Hiernach ist ein Zerfall von Zellen nicht die notwendige Vorbedingung für die Bildung von Harnsäure. Außer dieser Quelle der Harnsäure gibt es noch eine zweite: das Nuclein der eingenommenen Nahrung -). Diese Muttersubstanz ist erst spät erkannt worden. Den Grund hierfür hat man in der AVahl des Versuchstieres zu suchen. Die Fütterungsversuche wurden nämlich meist an Hunden gemacht. Gerade diese Tiere haben aber in besonders hohem Grade die Fähigkeit, Harnsäure in ihrem Organismus in Harnstoff umzuwandeln. Versuche an anderen Tieren und am Menschen haben ergeben, daß nach Einnahme von Nuclein und auch von Purinbasen die Harnsäureausscheidung zunimmt. Somit gibt es zwei Quellen für die Harnsäure, eine „endogene'", die Nucleinsubstanzen der Zellen, und eine „exogene", die Nucleine der Nahrung. Das Verhältnis beider zueinander haben Burian und Schur ^) zu bestimmen versucht. Nach ihnen ist die „endogen" entstandene Harnsäuremenge beim Menschen 0,1 bis 0,2 g täglich. Schließlich sei noch erwähnt, daß eine Harnsäurebildung durch Synthese von Wiener'*) wahrscheinlich gemacht worden ist. p]ntstehung bei Vögeln. Bei Vögeln entsteht nur ein kleiner Teil der Harnsäure aus Nucleinsiibstanzen (v. Mach '). Der übrige Teil ist das Endprodukt des Eiweißstoffwechsels, also analog dem Harnstoff bei Säuge- tieren. Die vorliegenden Versuche sprechen dafür, daß die Hauptmenge der Harnsäure durch eine Synthese vorwiegend in der Leber gebildet werde. Wie V. Schröder'') gefunden hat, wird durch Einverleibung von Ammonium- salzen die Harnsäurebildung vermehrt. Nach der Einverleibung von Harn- stoff haben Meyer und Jaffe") dasselbe konstatiert. Daß in der Leber eine Synthese von Ammoniak und Milchsäure zu Harnsäure stattfindet, machte Minkowski'") dadurch wahrscheinlich, daß er nach Exstirpation der Leber eine Vermehrung der Ammonium ausscheidung und zugleich eine Aus- scheidung von Milchsäure nachwies. Sichergestellt haben diese Bildung Kowalewski und Salaskin''). Sie haben bei künstlicher Durchblutung der Leber eine Bildung von Harnsäure gefunden, wenn dem Blute Ammonium- laktat oder ein anderes Ammoniumsalz mit organischer Säure zugesetzt worden war. In Versuchen von Wiener '") zeigte sich nach Verfütterung von Harnstoff und Milchsäure oder von anderen Oxy-, Keton- und zwei- basischen Säuren oder von ihren Ureiden eine Vermehrung der Hai-nsäure- 0 Mares, Arch. slaves de biol. 3, 207; Monatsh. f. Chem. 13, 101. — *) Horbazewski, a. a. 0. Bichter, Zeitschr. f. klin. Med. 27, 290 (und viele andere). — ^) Burian und Schur, Zeitschr. f. physiol. Chem. 23, 55; Arch. f. d. ges. Physiol. 80, 241; 87, 239. — *) Wiener, a. a. O., Beitr. z. chem. Physiol. ii. Pathol. 2, 42. — ^) V. Mach, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 24, 389. — ') v. Schröder, Zeitschr. f. physiol. Chem. 2, 228. — ") Meyer u. Jaffe, Ber. d. deutsch, chem. Ges. 10, 1930. — ®) Minkowski, Arcli. f. exper. Path. u. Pbai'm. 21, 89; 31, 214; 41, 375. — ") Kowalewski u. Salaskin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 210. — '") Wiener, a. a. O. Harnsäure. Entstehung. 355 ausscheidung. Weitere Versuche, in denen diese Substanzen mit dem Brei von Organen digeriert wurden, haben ergeben, daß auf diese Weise nur die Tartronsäure und die Dialursäure in Harnsäure umgewandelt werden. Wiener glaubt daher, daß die erwähnten Substanzen in Tartronsäure und weiter durch Addition eines Harnstoffrestes in Dialursäure und endlich durch Addi- tion eines weiteren Harnstoffrestes in Harnsäure umgewandelt werden. Für die Milchsäure ist dieser Prozeß so zu denken: CH3 COOH HN— CO HN— CO I I II II CHOH CHOII OC CHOH OC C— NH. I I II I II >co COOH COOH HN-CO HN— C— NH^ Milchsäure Tartronsäure Dialursäure Harnsäure Ort der Bildung, üaß die Harnsäure nicht, wie die alten Physiologen annahmen, in der Niere gebildet wird, hat Meißner i) bei Vögeln nach- gewiesen. Er konnte nämlich zeigen , daß nach Exstirpation beider Nieren bei Vögeln in den Geweben Ablagerangen von Harnsäure entstehen. Weiter verdanken wir Meißner den Nachweis, daß die Leber von den Organen des Vogels am meisten Harnsäure enthält. Dieser Befund, verbunden mit den Beobachtungen von Minkowski 2), der nach Exstirpation der Leber die Harnsäureausscheidung aufhören sah, weisen zwingend darauf hin , daß beim Vogel die Harnsäure vorwiegend in der Leber entsteht. Über den Ort der Harnsäurebildung bei Säugetieren sind wir viel weniger sicher unterrichtet. Wie oben erwähnt worden ist, hat man gefunden, daß in Extrakten von ver- schiedenen Organen (Milz und Leber) aus Nucleinen Harnsäure entsteht. Welches Organ im Tierkörper die Harnsäurebildung besorgt, wissen wir nicht. Nur so viel ist sicher, daß die Harnsäurebildung nicht nur in der Milz stattfinden kann; denn nach Versuchen von Jackson und Mendel 2) kann man bei Tieren, denen die Milz exstirpiert ist, noch reichliche Bildung von Harnsäure beobachten, wenn man sie mit nucleinreichen Geweben füttert. Zerstörung. Neben der Bildung findet im Organismus auch eine Zer- störung von Harnsäure statt. Bereits Wöhler und Frerichs*) haben ge- zeigt, daß an Hunde verfütterte Harnsäure als Harnstoff im Harn wieder er- scheint. Von Organeu ist für Leber, Muskeln und Nieren die Fähigkeit, Harnsäure zu zerstören, nachgewiesen worden. Somit ist es klar, daß die ausgeschiedene Harnsäuremenge kleiner sein muß als die gebildete. Burian und Schur haben versucht, aus der ersten Größe die zweite zu berechnen. Sie kommen zu dem Resultat, daß beim Menschen die Hälfte, bei Kaninchen Ve und bei Fleischfressern 1/20 bis V30 der gebildeten Harnsäure ausgeschieden wird. Über die Endprodukte der Harnsäurezerstörung ist man noch nicht völlig im klaren. Wiener hat an Kaninchen eine Zunahme des Glykokoll- gehaltes der Tiere nach Harnsäureinjektionen gezeigt; auch konnte er eine ^) Meißner, a. a. O. • — ^) Minkowski, a. a. 0. — ^) Mendel u. Jackson, Americ. Journ. of Phj'siol. 4, 163. — *) Wöhler u. Frerichs, Ann. d. Chem. u. Pharm. 65, 335; vgl. auch Wiener, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 40, 313; 42, 375. Pohl, ebenda 48, 367. Poduschka, ebenda 44, 59. Salkowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 495. Mendel u. Brown, Americ. Journ. of Physiol. 3, 261. Chassevant u. Eichet, Compt. rend. de la soc. d. biol. 48, 743; 49, 962. Ascoli, Arch. f. d. ges. Physiol. 72, 340. Jacoby, Virch. Arch. 157, 235. 23* 356 Harnsäure. Zerstörung. Eigenschaften. Vermehrung des Glykokollvorrates in der Rinderniere nachweisen , wenn er das Organ mit Harnsäure digerierte. Beim Hunde wird nach einigen Autoren die Harnsäui'e zu Allautoin abgebaut. Andere Forscher bestreiten dies. Auch eine Entstehung von Oxalsäure aus Harnsäure ist behauptet worden, wird aber bestritten. Eigenschaften. Die Harnsäure kristallisiert in mikroskopischen rhombi- schen Tafeln, deren Formen sehr wechseln können. Man hat sie daher auch wohl den Proteus unter den Kristallen genannt. Bei langsamer Kristallisation haben die Kristalle gewöhnlich die Form von Wetzsteinen, von denen mehrere rosettenförmig vereinigt sein können. Die Harnsäure ist schwer löslich in reinem Wasser, ein Teil in 39 480 Tln. Wasser bei IS**, schwerer löslich ist sie in säurehaltigem Wasser, unlöslich in Alkohol und in Äther. Leicht lös- lich ist sie in konzentrierter Schwefelsäure und in Äthylamin, Propylamin, Piperazin, Piperidin, sowie in siedendem Glyzerin. In wässeriger Lösung sind 9,5 Proz. der Harnsäure dissoziiert. Durch Phosphorwolframsäure und durch Pikrinsäure wird sie vollständig gefällt. In der Harnsäure sind die Imidwasserstoffatome durch Metall vertretbar. Sie bildet drei Reihen von Salzen : primäre oder Monometallurate ; sekundäre oder Dimetallurate und sogenannte Quadriurate. Diese sind Additions- produkte der Harnsäure und primärer Urate. Die primären Urate sind beständige, schwerlösliche Körper, die sekundären können nur bei Alkali- überschuß bestehen; die Quadriurate zerfallen bei Gegenwart von Wasser in primäre Urate und freie Harnsäure. In der Form des Quadriurates soll die Harnsäure im Harn enthalten sein (Roberts). Daß sie nicht ausfällt, soll nach Roberts durch die Gegenwart des primären Phosphates bewirkt werden. Auch der Harnstoff soll nach Rudel lösend auf die Harnsäure wirken, was jedoch nach den Untersuchungen von His \ind Paul nicht richtig ist. Eine Lösung von sekundärem Xatriumphosphat löst die Harnsäure unter Bildung von primärem Urat und primärem Phosphat. Das primäre Phosphat wirkt nach Smale nur wenig lösend auf die Harnsäure. Wenn der Harn viel Harnsäure enthält, so kommt es vor, daß beim Ab- kühlen die Urate sich als ziegelrotes Sediment ausscheiden. Dieses „ Sedimen- tum latericium''^ besteht nach Roberts aus Quadriurat, nach älteren An- schauungen besteht es aus primärem Urat. Alkalische Haime zeigen oft ein Sediment von primärem Ammoniumurat, das sich in Form stechapfelförmiger Körper ausscheidet. Wenn man Harnsäure mit Salpetersäure versetzt, dann unter Erwärmen zur Trockne eindampft , so erhält man einen rotgelben Rückstand , der auf Zusatz von Ammoniak schön purpurrot wird. Weiterer Zusatz von Kali macht die Farbe violett. Die Farben rühren von dem Entstehen von Purpur- säure und von purpursauren Salzen her (Murexidprobe). Die Harnsäure kann durch Salpetersäureeinwirkung in AUoxan übergeführt werden. Wenn man dies tut, dann die Säure verdampft, ferner mit konzentrierter Schwefel- säure und etwas thiophenhaltigem Benzol den Rückstand versetzt, so entsteht eine blaue Färbung (Deniges). Bringt man eine Lösung von Harnsäure in Natriumbikarbonat auf Papier, das mit Silbernitrat getränkt ist, so entsteht ein gelblich bis braunschwarzer Fleck. Zur Hervorrufung dieser Reaktion genügen 0,002 g Harnsäure. Harnsäure fällt aus ihrer Lösung durch Phosphor- Harnsäure. Eigenschaften. 357 molybdänsäurezusatz als blauer, metallisch glänzender Niederschlag, der aus mikroskopischen, sechsseitigen Prismen besteht. Alkalische Kupferoxyd- lösung wird von der Harnsäure reduziert. Ist wenig Kupfer vorhanden , so entsteht ein weißer Niederschlag von harnsaurem Kupferoxydul, bei An- wesenheit von mehr Kupfer wird gelbes Kupferoxydul gefällt. Durch die Zersetzung der Harnsäure entsteht eine Reihe von Produkten, die auch im Organismus als Stoffwechselprodukte vorkommen. Starkes Er- hitzen von Harnsäure liefert Harnstoff, Ammoniak, Cyanwasserstoff und Cyansäure. Beim Erhitzen mit Salzsäure im zugeschmolzenen Rohre wird sie in Ammoniak, Kohlensäure und GlykokoU gespalten. Einwirkung von Salpetersäure bewirkt in der Kälte durch Oxydation und Spaltung das Ent- stehen von Harnstoff und Alloxan (Mesoxalylharnstoff). Aus dem AUoxan wird beim Erwärmen mit Salpetersäure Kohlensäure und Parabansäure (Oxalylharnstoff). Diese geht durch Wasseraufnahme in Oxalursäure über. Durch Oxydation der Harnsäure mit Bleisuperoxyd entsteht Harnstoff, Allan- toin (Glyoxyldiureid) , Oxalsäure, Kohlensäure. Auch durch Bakterien kann die Harnsäure in Harnstoff und Kohlensäure übergeführt werden. In alkali- scher Lösung kann die Harnsäure unter Wasser und unter Sauerstoffaufnahme in Uroxansäure verwandelt werden ; diese geht dann in Oxonsäure über, Unter- bromigsaures Natriiim zersetzt die Harnsäure. Hierbei gibt sie 47,8 Proz. ihres Stickstoffes ab. Beim Verbrennen der Harnsäure entweicht Cyanwasserstoff. Darstellung. Aus dem Harn gewinnt man die Harnsäure, indem man den filtrierten Harn mit Y50 seines Volumens 25prozentiger Salzsäure versetzt. Nach zwei Tagen kann man durch Filtrieren die ausgeschiedene Harnsäure gewinnen. Sie ist dunkelbraun gefärbt und kann durch Auflösen in Alkali, Kochen mit Tierkohle und abermaliges Fällen gereinigt werden. Synthetisch ist die Harnsäure zuerst von Horbazewski durch Zusammen- schmelzen vom Harnstoff und GlykokoU und auch durch Erhitzen von Harn- stoff mit Trichlormilchsäureamid dargestellt worden. Auf zahlreiche andere Methoden der Harnsäuresynthese kann hier nicht eingegangen werden. Xanthin. 2, 6-Dioxypurin, (C5H4N4O2): HN— CO I I OC C— NH. 1 I >H HN— C N^ Das Xanthin ist von Marcet zuerst im Harn in Form eines Harn- steines gefunden worden. Strecker 1) und Scherer 2) haben gezeigt, daß es ein normaler Harnbestandteil ist. Seine Menge ist sehr gering. Krüger und Salomon ^) konnten aus 10000 Litern Harn nur 13 g Xanthin gewinnen; nach Stadthagen*) ist die Tagesmenge bei gemischter Kost 0,032 bis 0,025 g. Es findet sich auch im Harn von Hunden und Schweinen. Das Xanthin kann sich in Kristalldrusen ausscheiden, die aus farblosen dünnen, glänzenden, rhombischen Platten zusammengesetzt sind. Es kristalli- ') Strecker, Ann. d. Chem. u. Pharm. 102, 208; 108, 140, 151. — ^) Scherer, ebenda 107, 314. — ^) Krüger u. Salomon, Zeitschr. f. physiol. Chem. 21, 169. — "*) Stadthagen, cit. nach Neuhauer-Vogel, S. 332. 358 Xanthin. — Methylxantliin. — Heteroxanthin. siert mit einem Molekül Kristallwasser. Löslich ist es in 13 000 bis 14000 Tlu. Wasser bei 1 6°, bei Siedetemperatur in dem zehnten Teil Wasser. Es ist unlöslich in Alkohol und Äther. In Lösung geht das Xanthin bei Zusatz von Alkahen, in verdünnten Säuren ist es schwer löslich. Kristallisierende Verbindungen entstehen durch Versetzen mit verdünntem Natriumhydrat und durch Zusatz von Salzsäure. Die Kristalle bestehen aus Xanthinnatron, C-, H3NaN4 02, und Xanthinsalzsäure, C:,H4N4 02HC1. Das Xanthinnatron ist in konzentrierter Natronlauge leicht löslich. Salpetersaures Xanthinsilber, C5H4N4O2 AgNOs, entsteht aus einer Lösung von salpetersaurem Xanthin bei Zusatz von Silbernitrat als flockiger Niederschlag, der sich bei mikroskopischer Betrachtung als ki'istallinisch erweist. Von Cupriacetat wird Xanthin beim Sieden, von Mercurichlorid und von ammoniakalischem Bleiessig in der Kälte gefällt. rarbenreaktiouen des Xanthins. 1. Probe von Weidel. Die Substanz wird in der Wärme in frischem Chlorwasser gelöst und bei 100° zur Trockne ver- dampft. Dann wird der weiße oder gelbliche Rückstand in eine Ammoniakatmo- sphäre gebracht. Es entsteht eine dunkeh'osenrote oder purpurrote Fäi'bung, die bei Zusatz von Natriumliydrat in Blauviolett übergeht. E. Fischer hat die Probe moditiziert. Nach ihm kocht man im Eeagenzglase mit Clilorwasser, verdampft dann die Flüssigkeit und versetzt den Eückstand mit Anunoiiiak. 2. Salpetersäure- probe. Die Substanz wird in heißer Salpetersäure gelöst, die Lösung zur Trockne verdampft. Der zurückbleibende , zitronengelbe Rückstand wird bei Zusatz von Natriumhydrat orangegelb , beim Eindampfen der Lösung wird die Farbe violett, der Rückstand ist purjjurn und wird bei scharfem Trocknen indigofarben , beim Stehen an der Luft wieder violett. 3. Probe von Hoppe-Seyler. Bringt man in eine Mischung von Chlorkalk und Nati'iumhydrat Xanthin , so entsteht um dieses ein zuerst dunkelgrüner, dann braun werdender Hof. Xanthin zersetzt sich beim Erhitzen mit rauchender Salpetersäure zu Glyko- koll, Ammoniak, Kohlensäure und Ameisensäure. Methylxanthin. l-Methyl-2, 6-Dioxypurin, (C'c H-, N4 O2) : CH3N-CO I I OC C— NH. I li >H N— C N^ Das Methylxanthin ist von Krüger i) im Harn gefunden und dann von Krüger und Salomon^) näher untersucht worden. Es ist in Wasser schwer löslich, in Alkalien und verdünnten Säuren leicht löslich. Es hat kristal- linische Platin- und Golddoppelsalze. Es wird weder von Bleiessig noch von ammoniakalischem Bleiessig gefällt. Aus Salpetersäure läßt sich die Silber- nitratverbindung in schönen, zu Rosetten vereinigten Nadeln kristallisieren. Die Weideische Reaktion fällt positiv aus. Bei der Salpetersäureprobe entsteht nach dem Zusatz von Natriumhydrat eine Orangefärbung. Heteroxanthin. 7-Methyl-2, 6-Dioxypurin, (Cg 110X402): HN-CO I I /CH3 OC C— NC HN— C— N r 1) Krüger, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1894, S. 374. — «) Krüger n. Salomon, Zeitschr. f. physiol. Chem. 24, 364. Paraxauthin. — Hypoxanthin. 359 Das Heteroxanthiu ist von Salomou ^) im Harn des Menschen und des Hundes nachgewiesen worden. Aus 1000 Litern Harn vom Menschen gewann er 1 g. Heteroxanthin findet sich bei Hunden im Harn nach Verfütterung von Koffein oder Theobromin 2). Es kristallisiert in Nadeln, die bei 341 bis 342*^ schmelzen. Sie sind in 1592 Tln. Wasser bei 18°, in 109 Tln. bei 100« löshch. Schwer löslich ist es in Alkohol, unlösUch ia Äther. Leicht löst es sich in Alkalien. Das kristal- linische Natriumsalz ist in Wasser und in konzentrierter Lauge schwer löslich. Ebenso schwer löslich ist das kristallinische Chlorid. Von Phosphorwolfram- säure, Mercurichlorid, Cuprisulfat, Bleiessig und Ammoniak, Silbernitrat wird es gefällt. Die Silberverbindung kristalhsiert aus verdünnter Salpetersäure in rhombischen Prismen, die oft miteinander kreuzförmige Figuren bilden. Die Weidelsche Reaktion fällt positiv aus, die Salpetersäurepi'obe negativ. Heteroxanthin zersetzt sich beim Erhitzen mit rauchender Salpetersäure zu Sarkosin, Ammoniak, Kohlensäure und Kolüenoxyd. Paraxanthin. l,7-Dimethyl-2,6-Dioxypurin, (C7HSN4O.2): CH3N— CO I I /CH3 0 C C— K< I II >CH HN— C— X^ Das Paraxanthin ist von Thudichum^) und Salomon*) im mensch- lichen Harn aufgefunden worden. Es ist dem Theobromin isomer und ist daher von Thudichum Urotheobromin genannt worden. Das Paraxanthin ist im Harn in sehr geringer Menge enthalten, 10000 Liter Harn lieferten (Krüger u. Salomon) nur 12,5 g, 5 Liter 10mg. Paraxanthin kristallisiert in sechsseitigen Tafeln, aus konzentrierten Lösungen in Nadeln. Seine Natriumverbindung ist schwer löshch, das Chlorid leicht löslich. Das Platinchlorhydrat kristallisiert schön in orangegelben Nadeln. Die Lösung der Silbernitratverbindung in heißer Salpetersäure setzt beim lllrkalten makroskopische, weiße, seidenglänzende Kristallbüschel von salpetersaurem Paraxanthinsilber ab. Die "Weideische Reaktion fällt positiv, die Salpetersäureprobe positiv aus. Hypoxanthin. 6-Oxypurin, (C5H5N4O): HN— CO 1 I HC C-NH. I II >H HN— C W"^ Das Hypoxanthin findet sich in Spuren im menschlichen Harn''), etwas reichlicher im Hundeharu '■) (8,5 mg im Liter). Es kristallisiert in quadra- *) Salomon, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1885, S. 370; Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 412, 415. — ^) Bondzynski u. Gottlieb, Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 28, 1113; Arch. f. exper. Patb. u. Pharm. 36, 45. Albanese, ebenda 35, 449. — ^) Thudicbum, Ann. of chem. med. 1, 163. — ■*) Salomon, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1882, S. 426; Ber. d. deutsch, chem. Ges. 18, 3406; Yirchows Arch. 125, 565. Krüger u. Salomon, Zeitschr. f. physiol. Chem. 21, 169. — ^) Salkowski, Yircbows Arch.50, 195. Salomon, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1876,8.775; 1882,8.426; Zeitschr. f. physiol. Chem. 11, 410, 411. — **) Baginski,Zeitschi-. f. physiol. Chem. 8, 398. 360 Guanin. — Epiguanin. tischen Oktaedern. Löslich ist es in etwa 300 Tln. kalten und in 78 Tln. siedenden Wassers, unlöslich dagegen in Alkohol und Äther. Löslich ist es in Säuren und Alkalien. Die Salzsäureverbindung wird aus heiüer Salzsäure beim Erkalten in perlmutterglänzenden, farblosen Tafeln abgeschieden. Die Silberverbindung des Hypoxanthins ist in heißer Salpetersäure schwer löslich. Beim Erkalten scheidet sich ein Gemenge von zwei Silberverbindungen ab, die durch Erwärmen mit Ammoniak bei Silbernitratüberschuß in eine von der Zusammensetzung 2 (C5 Hg Ag.jN^O) Hg 0 umgewandelt werden. Das Pikrat ist schwer löslich; aus der siedenden Lösung desselben wird mit neutraler Silbernitratlösung dxis Hypoxanthin vollkommen als Hypoxanlhinsilberpikrat gefällt, (C5H3AgN,OCeH2(i\02)30H). Die "Weideische Probe fällt negativ aus, ebeuso die Salpetersäureprobe und die Probe von Hoppe-Seyler. Nach Behandlung mit Zink und Salzsäure gibt es bei Zusatz von Natronlauge im Überschuß erst eine rubinrote und dann eine braunrote Eärbung (Kossei). Giianin. 2-Amino-6-0xyimrin, (C-,H-iN5 0): HN— CO I I NHsC C— NH II II >CH N— C— N Das Guanin ist im menschlichen Harn von Pouchet^) gefunden worden, im Harn des Schweines vonPecile^) und von Salomon''). Guaninkristalle sind prismatisch oder pyramidenföi-mig, sie setzen sich zu kugeligen oder garbenförmigen, dem Kreatininchlorzink ähnlichen Aggregaten zusammen. Das Guanin ist unlöslich in "Wasser, Alkohol und Äther, leicht löslich in Säuren und Alkalien, mit Ausnahme von Ammoniak. Mit verdünnten Säuren bildet es Salze. Yon diesen kristallisiert das salzsaure Guanin leicht in stern- förmig sich gruppierenden Prismen oder Nadeln. Über sein charakteristisches Verhalten im polarisierten Lichte siehe KosseH). Durch Metaphosphorsäure und Pikrinsäure wird das Guanin gefällt. Die Silbernitratverbindung ist in Salpetersäure schwer löslich und fällt aus ihr beim Erkalten in Nadeln aus. Die Weideische und die Hoppe-Seyler sehe Reaktion fallen negativ aus, die Salpetersäureprobe dagegen positiv. Durch Einwirkung von Kaliumchlorat und Salzsäure zerfällt das Guanin in Guanidin und Parabansäure. Epiguanin. 7-Methyl-2-Amino-6-Oxypurin, (CgHjNsO): HN— CO I I /CH3 NHjC C— N< II II >H N-C— N'^ Epiguanin ist von Krüger^) aus menschlichem Harn dargestellt worden. Kristalle gewinnt man durch Abkühlen einer Lösung in 33proz. Natronlauge in Form von breiten, glänzenden, zugespitzten Nadeln. Das ^) Pouchet, Contrib. ä la connaiss. des matieres extract. de l'ui'ine 1880. — ^) Pecile, Ann. d. Chem. 183, 141. — =*) Salomon, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1884, S. 175; Virchows Arch. 95, 527. — ") Kossei, Verhandl. d. physiol. Ges. Berlin 1890/91, Nr. 5 u. 6. — ") Krüger, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, S. 533. Adenin. — Episarkin. — Karnin. — Allantoin. 361 Epiguanin ist löslich in verdünnten Säuren und Alkalien mit Ausnahme von Ammoniak. Charakteristisch durch seine Kristallform (orangerote, glänzende, sechsseitige Prismen) ist das Chloroplatinat. Epiguanin wird weder von Bleiessig noch von ammoniakalischem Bleiessig gefällt. Dagegen giht es mit Silbernitrat und Ammoniak eine gelatinöse Fällung. Die Weidelsche EeaktioB fällt negativ aus, die Salpetersäureprohe da- gegen positiv. Adenin. 6 -Aminopurin, (C5 ^5X5): 1 =CNH2 1 HC II N- C— NH, II -C N- >CH Das Adenin ist von Stadthagen i) im Harn eines Leukämikers ge- funden worden. Über sein Vorkommen im normalen Harn ist bis 'jetzt nichts bekannt. Daher soll es hier nicht näher behandelt werden. Episarkin. Das Episarkin ist von Balke -) im menschlichen Harn aufgefunden worden. Aus 1600 Litern konnte er 0,4 g gewinnen. Im Harn der ßinder und Schweine ist es von Salomon nachgewiesen worden. Es kristallisiert aus schwach ammoniakahscher Lösung in Nadeln und Prismen, ist leicht löslich in Salzsäure und Schwefelsäure , schwerer in Salpetersäure. Seine Natriumverbindung ist leicht löslich, es wLrd durch ammoniakalischen Bleiessig gefällt. Die Weidelsche Reaktion und die Salpetersäureprobe fallen negativ aus. Beim Verdampfen mit Salzsäure und Kaliumchlor at hinterläßt es einen weißen Rückstand, der in Ammoniakdanipf violett wird. Karnin. Karnin ist von Pouchet^) im Menschenharn, von Albanese*) im Hundeharn gefunden worden. Es kristallisiert in mikroskopischen Kri- stallen, die den Drusen des kohlensauren Kalkes ähnlich sind. Leicht löslich ist es in heißem, schwer in kaltem Wasser, unlöslich in Alkohol und Äther. Leicht löslich ist es auch in verdünnten Säuren und Alkalien mit Ausnahme von Ammoniak. Bleiessig und Silbernitrat fällen das Karnin. Charakte- ristisch ist die Verbindung mit Salzsäure (Nadeln in Rosetten angeordnet). Es gibt die Weidelsche Probe, wenn es mit Avenig Chlorwasser ver- dunstet wird. Beim Erwärmen mit Salpetersäure liefert es Sarkin. Darstellung der Purine aus dem Harn. Man übersättigt den Harn mit Ammoniak und fällt mit Silbernitrat. Den Niederschlag zersetzt man mit Schwefel- wasserstoff, filtriert dann heiß und dampft ein zur Trockne. Den Rückstand nimmt man mit 3 proz. Schwefelsäure auf. Die Purine außer der Harnsäure bleiben ungelöst zurück. 7. Allantoin. Glyoxyldiureid, (C^HeN^Og): /NHCHNHCONHo CO^ NHCO *) Stadthagen, VirchoAvs Archiv 109, 415. — ^) Balke, Journ. f. prakt. Chem. 47, (2), 544, .^63. — ^) Pouchet, a. a. 0. — ") Albanese, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 35, 457. 362 Allautoin. Das AUantoin ist von Wöhler ') im Harn säugender oder mit Milch ernährter Kälber gefunden worden. Es findet sich in den ersten acht Lebens- tagen auch im Harn der Kinder, im Harn Schwangerer 2) , aber auch im Männerharn ^). Im Harn von Hunden , Katzen und Kaninchen ist es von Meißner^) gefunden worden. Das AUantoin stammt bei Fleischfressern zum größten Teile vom Nuclein der Nahrung ab. • Fütterung mit Pankreas oder Thymus vermehrt die Allantoinausscheiduug bedeutend •'). In den Magen eingeführtes AUantoin wird bei Hunden vollständig, bei Menschen nur zum Teil im Harn wieder ausgeschieden"). Über die Bildung von AUantoin aus Harnsäure siehe S. 356. Durch Einverleibung einiger Gifte wird bei Hunden eine reichliche Allantoin- ausscheidung hervorgerufen, so durch Hydraziusulfat *■), Hydroxylamin, Amido- guanin und Semikarbazid ^). AUantoin kristallisiert in langen, prismatischen Kristallen, die dem monoklinen System angehören. Sie sind oft sternförmig zu Drusen vereinigt. Löslich sind sie in heißem Wasser und Alkohol, schwerer in kaltem, unlös- lich in Äther. Mit Basen und Säuren bildet es Verbindungen. Von diesen sind das Allantoinsilber und das Allantoinquecksilberoxyd für den Nach- weis des Allantoins von Bedeutung. Wässerige Allantoinlösung gibt mit Silbernitrat bei vorsichtigem Zusatz von Ammoniak einen weißen Nieder- schlag. Er besteht aus Tröpfchen und ist sowohl in Salpetersäure wie in Ammoniak löslich, entsteht aber beim Neutralisieren wieder. Allantoinqueck- silber entsteht beim Zusatz von Mercurinitrat zu Allantoinlösung. Das AUantoin reduziert bei langem Sieden Fehlingsche Lösung. Es gibt die Schiffsche Harnstoffreaktion, aber nicht die Murexidprobe. In seinen Lösungen verwandelt es sich in Allantoiusäure. Beim Erhitzen mit IVlineral- säuren zerfällt es in Harnstoö und Allantursäure , auch beim Kochen mit Alkalien; die Allantursäure wird dann aber weiter zerlegt in Hydantoinsäure und Parabansäure, die Parabansäure in Oxalsäure und Harnstoff. Zum Nachweis läßt man das AUantoin nach einer der Methoden aus dem Harn auskristallisieren, z. B. nach der Methode von Meißner. Harn wird mit Ätzbaryt gefällt, der überschüssige Baryt mit Schwefelsäure genau ausgefällt. Nun filtriert man und setzt so lange Mei-curichlorid hinzu, als noch ein Nieder- schlag entsteht. Man filtriert und neutralisiert das Filtrat mit Kali. Dann setzt man abwechselnd Mercurichlorid und Kali hinzu , bis bei neutraler Eeaktion kein Niederschlag mehr entsteht. Die Quecksilberniederschläge werden gewaschen , in Wasser aufgeschwemmt, mit Schwefelwasserstoff zersetzt. Dann Avird erwärmt, die Flüssigkeit heiß filtriert und zum Kristallisieren eingedampft. Zur Erkennung der AUantoinnatur verwendet man die oben angegebenen Eeaktionen und bestimmt den Silbergehalt des Allantoinsilbers, der gleich 40,75 Proz. sein muß. ') Wöhler, Ann. d. Chem. u. Pharm. 70, 229. — ^) Gusserow, Arch. f. Grynäk. 3, 269. — '■') Ziegler, Hermann s. bei Gusserow. Pouchet, Contribution ä 1. connaiss. des mat. extr. d. l'ur. 1880. — ") Meißner, Zeit- schrift f. rat. Med. 31, (3) 303. Salkowski, Ber. d. deutsch, chem. Ges. 11, 500. — ") MinkoAvski, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 41, 375. Cohn, Zeitschr. f. physiol. Chem. 25, 507. Salkowski, Zentralbl. f. d. med. Wissen- schaft 36, 913, 1898. Mendel u. Brown, Americ. Journ. of Physiol. 3, 261. — ^) Poduschka, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 44, 59. — 0 Borissow, Zeitschr. f. physiol. Chem. 19, 499. — ") Pohl, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 48, 367. Oxalursäure. — Kyrmrensäure. 363 8. Oxalursäure, (H2N — CO— NHCOCOOH). Oxalursäure ist von Schunck') und von Neubauer 2) in Spuren im Harn gefunden worden. Um sie nachzuweisen, muß man etwa 150 Liter Harn in Arbeit nehmen. Sie biklet ein weißes, schwer lösHches Pulver. Ihre Alkalisalze sind löslich in Wasser, die übrigen Salze schwer oder gar nicht. Das oxalursäure Ammonium bildet schöne , lange, prismatische Kristalle , die sich in Doppelbüscheln oder Rosetten anordnen. Durch Säureeinwirkung wird die Oxalursäure in Oxal- säure und Harnstoff gespalten. Darstellung. Dei' Harn wird langsam durch eine kleine Menge Tierkohle filtriert, bis diese ihn nicht mehr entfärbt. Die Oxalursäure bleibt in der Kohle, aus der sie durch Alkohol ausgezogen wird. Eine der Oxalursäure ähnliche Verbindung hat Meißner^) im Harn eines Hundes gefunden, der mit Kartoffeln und Eiweiß genährt wurde. 9. Kynurensäure. 7-Oxy-/3-chinolin karbonsäure, (C10H7NO3): H C COH HC C CCOOH I II 1 HC C CH \/\^ C N H Die Kynurensäure ist zuerst von Liel)ig im Hundeharn entdeckt worden. Sie ist unter normalen Verhältnissen nur bei Hunden gefunden worden, aber nicht bei allen Exemplaren. Nachdem Gläßner und Langstein'*) gezeigt hatten, daß sich unter den Produkten der pankreatischen Verdauung des Eiweißes ein in Alkohol löslicher, mit x\ceton fällbarer Körper befindet, dessen Verfütterung eine starke Kynurensäureausscheidung beim Hunde bewirkt, fand Ellinger "'), von theoretischen Erwägungen ausgehend, daß die Mutter- substanz der Kynurensäure das Tryptophan ist. Er sah bei Hunden, die mit Milch und Brot ernährt wurden, sowohl nach Verfütterung wie nach sub- cutaner Injektion von Tryptophan eine bedeutende Steigerung der Kynuren- säuremenge im Harn. Auch im Kaninchenharn erscheint, wie er weiter festgestellt hat, nach Tryptophanfütterung oder -Injektion Kynurensäure. Entsprechend den Ellingerschen Beobachtungen findet man nach Eiweiß- nahrung den Kynurensäuregehalt des Harnes höher als bei vegetabilischer p]rnährung. Auch stimmt mit ihnen gut überein, daß nach Fütterung mit eiweißartigen Substanzen, die die Tryptophangruppe nicht enthalten, wie nach Leimfütterung, keine Vermehrung der Kynurensäureausscheidung statt- findet. Nach Fütterung von Thymus ist, wie Josephsohn '■) gezeigt hat, merkwürdigerweise die Ausscheidung nicht vermehrt; der Grund für diese Tatsache ist noch nicht aufsfeklärt. ^) Schunck, Proc. Eoj'al. Soc. 16, 140. — ^) Neubauer, Zeitschr. f. anal. Chem. 7, 225. — ■') Meißner, Zeitschr. f. rat. Med. 31, (3) 318. — •*) Ulaessner u. Langstein, Hofmeisters Beitr. 1, 34. — ^) Ellinger, Ber. d. deutsch, chem. Ges. 37, 1803; Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 325. (Hier Literatur.) — ^) Joseph- sohn, Beiträge zur Kenntnis der Kjniurensäureausscheidung beim Hunde. Dissert., Königsberg 1898. (Hier Literatur.) 364 Kynurensäure. — Urocaninsäure. — Lithursäure. — Hippursäure. Ob die Kynurensäureausscheidung nur von dem Tryptophan, das im Darm gebildet wird, abhänge, oder ob auch bei dem Abbau der Eiweißkörper in den Geweben aus eventuell entstehendem Tryptophan Kynurensäure gebildet werde, muß noch aufgeklärt werden. Für eine derartige Bildung spricht, daß auch hungernde Hunde noch Kynurensäure ausscheiden, sowie daß bei Vergiftungen (Phloridzin, Phosphor, Borax), die eine Vermehrung des Eiweißzerfalles zur Folge haben, ebenfalls die Kynurensäureausscheidung vermehrt ist. Sie kann dabei der Ausscheidung des Stickstoffes vollkommen parallel gehen. Für Menschen, Hunde und Kaninchen ist auch nachgewiesen worden, daß sie die Fähigkeit haben, eingenommene Kynurensäure zu zerstören. Die Kynurensäure ist von Camps ^) synthetisch dargestellt worden. Über Eigenschaften und Xachweis siehe die Handbücher der physiologi- schen Chemie. 10. Urocaninsäure. Einmal hat J äffe 2) bei einem Hunde eine eigen- tümliche Säure gefunden, die er Urocaninsäure genannt hat. Die Säure ist noch einmal von Siegfried '^ gefunden. Sie scheint den Purinen verwandt zu sein. 11. Lithursäure. Im Harn von Kühen, die schwere Arbeit zu ver- richten hatten, hat Roster'*) eine Säure gefunden, die er Lithursäure ge- nannt hat. 2. Gepaarte Verbindungen. 1. Hippursäure. Benzoylaminoessigsäure, (CrjH.jKO^): CfiH.CO I HNCH2COOH Im menschlichen Harn findet sich täglich 0,1 bis 1 g Hippursäure. Im Mittel 0,7 g. Nach reichlicher Aufnahme von Gemüse oder von Obst kann ihre Menge bis auf 2 g ansteigen. Im Fleischfresserharn ist die Hippursäure nur in Spuren vorhanden, reichlich dagegen im Harn der Herbivoren. Herkunft. Durch Wöhler ist bekannt geworden, daß in den Körper eingeführte Benzoesäure im Harn als Hippursäure wieder erscheint. Das- selbe Schicksal haben Stoffe, die im Organismus durch Oxydation oder Reduktion in Benzoesäure übergeführt werden (Toluol, Zimtsäure, Hydro- zimtsäure, Chinasäure). Die Benzoesäure paart sich im Tierkörper mit Glykokoll. Das GlykokoU ist ein Derivat der Eiweißsubstanzen. Es fragt sich also, woher die Benzoesäure stammt. Sie scheint zwei Quellen zu haben, die beide in der Nahrung liegen: das Eiweiß und aromatische Substanz von Pflanzen. Für die erste Quelle spricht, daß lediglich mit Fleisch gefütterte''), ja hungernde '') Hunde Hippursäure im Harn ausscheiden. Man nimmt an, ') Camps, Zeitsclir. f. physiol. Chem. 33, 390. — '■') Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 7, 1669; 8, 811. — ^) Zeitschr. f. physiol. Chem. 24, 399. — ■') Ann. d. Chem. u. Pharm. 165, 104. — ^) Meißner u. Shepard, Die Entstehung der Hippursäui-e im Organismus 1866. — ") Salkowski, Ber. d. deutsch, chem. Ges. 11, 500. Hippursäuie. 365 daß die Benzoesäure von der im Darm stattfindenden Eiweißfäulnis herrühre. Hierfür spricht die Beobachtung Baumanns \), der fand, daß nach Des- infektion des Darmes die Hippursäureausscheidung beim Hunde aufhören kann. Als Muttersubstanz der Benzoesäure hat man die Phenylpropionsäure anzusehen, die E. und H. Salkowski ") bei der Eiweißfäulnis entstehen sahen. Diese Säure wird im Organismus zu Benzoesäure oxydiert und als Hippursäure ausgeschieden. Die zweite Quelle für die Hippursäureausscheidung liegt in den Cuticularsubstanzen der oberirdischen Pflanzenteile [Meißner und Shepard '^)]. In ihnen finden sich Substanzen, welche in Benzoesäure über- gehen können. Eine davon ist vermutlich die Chinasäure. Vielleicht ist sie die Hauptquelle der Hippursäure bei den Herbivoren. Man muß aber auch bedenken, daß die Eiweißfäulnis im laugen Darm der Pflanzenfresser be- sonders lebhaft und daher als Quelle für die Benzoesäure besonders in Betracht zu ziehen ist. Nach Weiske'') fiadet nach Heuaufaahme keine Hijjpursäurebildung statt, wenu das Heu zuvor mit Schwefelsäure oder mit Alkalilauge ausgelaugt worden war. Eigenschaften. Der Ort der Hippursäurebildung ist bei Hunden die Niere ■'); bei Pflanzenfressern kann die Hippursäure auch in anderen Organen gebildet werden. Salomon '■) fand bei Kaninchen, denen die Xiereu exstirpiert worden waren, Hippursäure in der Leber und den Muskeln. Die Hippursäure kristallisiert in milchig weißen, durchscheinenden, vier- seitigen Prismen und Säulen vom Schmelzpunkt 187,5", die oft zu Drusen vereinigt sind. Die Grundform der Kristalle ist ein rhombisches Prisma. Sie lösen sich in 600 Tln. Wasser bei 0", leichter in heißem Wasser. Die Lösung reagiert sauer. In Alkohol, Äthyläther und Essigäther ist die Hippur- säure löslich, unlöslich dagegen in Petroläther, Benzol und Schwefelkohlen- stoff. Mit Basen vereinigt sich die Hippursäure zu Salzen, von denen die der Schwermetalle (Silber, Kupfer, Blei) sehr schwer löslich sind. Das Eisen- oxydsalz ist ganz unlöslich. Leicht löslich in Wasser und Alkohol sind die Salze der Alkalien und alkalischen Erden. Bei andauerndem Erhitzen mit Alkalien oder mit Säuren zerfällt die Hippursäure in Benzoesäure und Gly- kokoU, eine hydrolytische Spaltung, die auch bei der Harngärung stattfindet. Nachweis. Wenu man Hippursäure mit konzentrierter Salpetersäure siedet und zur Trockne eindampft , dann den Rückstand in einem Glasröhrchen erhitzt, so bildet sich Nitrobenzol. Dieses kann man leicht an seinem bittermandelölartigen Geruch erkennen (Lücke). Bei vorsichtigem Erhitzen schmilzt die Hii^pursäure und erstarrt beim Abkühlen zu einem Kristallbrei, bei stärkerem Erhitzen färbt die Schmelze sich rot, weiter sublimiert Benzoesäure. Zugleich entwickelt sich Heugeruch, dann der Geruch der Blausäm-e. Darstellung. Harn Avird alkalisch gemacht durch Sodazusatz, filtriert, das Filtrat beinahe zur Trockne verdunstet. Der Rückstand wird mit Alkohol extra- hiert. Dann wird der Alkohol verdunstet und der wässerige Rückstand wiederholt mit Essigäther ausgeschüttelt. Nunmehr verdampft man den Essigäther und ^) Baumann, Zeitschr. f. physiol. Cliem. 10, 131. — '^) Salkowski, E. u. H., Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 12, 648, 1438. — ^) Meißner u. Shepard, a. a. 0. — ") Weiske, Zeitschr. f. Biolog. 12, 241. — ^) Meißner u. Shepard, a. a. 0. — *) Bunge u. Schmiedeberg, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 6, 233. Hofmann, ebenda 7, 233. Kochs, Pflügers Arch. 20, (54. Bashford u. Gramer, Zeitschrift f. physiol. Chem. 35, 324. Salomon, ebenda 3, 366. 366 Phenacetursäure. — Benzoesäure. — GlykokoUpaanmgen der Benzokierivate. reinigt den Rückstand von Benzoesäure und Fett durch Ausziehen mit Petroläther. Dann kann man die Hippursäure Umkristallisieren. Zum Nachweise dient die Kristallform, die Probe von Lücke, das Verhalten bei der Ti-ockendestillation und die Feststellung des Schmelzpunktes. 2. Phenaeetursäure, (C9H11NO3): CgHj — CH2 I CO— HN-CH2COOH Die Phenacetursäure ist von E. u. H. Salkowski^) aus Pferdeharn dar- gestellt worden. Auch im menschlichen Harn findet sie sich gelegentlich. Sie entsteht durch Paarung der im Darm bei der Eiweißfäulnis gebildeten Phenylessigsäure mit Glykokoll. Nach Verabreichung dieser Säure bei Hunden und bei Kaninchen ist sie im Harn in reichlicher Menge gefunden worden. Beim Menschen hat man sie nicht gefunden, auch nicht nach Verabreichung von 3 g Phenylessigsäure. [3. Benzoesäure, C^HgCOOH. Benzoesäure ist in Spuren im mensch- lichen Harn gefunden worden. Im Harn von Kaninchen und Hunden ist sie ebenfalls beobachtet worden. Ob sie im alkalischen Harn durch Ferment- wirkung aus Hippursäure entstehe, oder ob sie in den Nieren schon als Benzoesäure ausgeschieden werde, oder ob beides geschehe, ist noch unent- schieden. Für die erste Entstehungsmöglichkeit geben Versuche von Stokvis und van der Velde ^) den Beweis, für die zw^eite sprechen Beobachtungen von Schmiedeberg'') und Minkowski'*), die gefunden haben, daß in den Organen des Tierkörpers (auch in der Niere) Hippursäure gesjialten werden kann.] 4. Paarungen anderer Benzolderivate mit Glykokoll ). Hier muß eine Reihe von Verbindungen aufgeführt werden , die im Harn nach Verab- reichung von Benzolderivaten auftreten. Es ist nicht unbedingt notwendig, daß die Abkömmlinge des Benzols im Harn mehr oder weniger verändert wieder erscheinen, vielmehr kann eine Reihe von ihnen im Tierkörper' voll- kommen verbrannt werden. Hierher gehöi-en die Phenylaminoj)ropionsäure, die Aminozimtsäure, das Tyrosin, die Phtalsäure. Wie R. Cohn gezeigt hat, sind unter den Biderivaten des Benzols die Orthoverbindungen am leichtesten verbrennlich. Wenn die Benzolderivate sich im Tierkörper zu Benzoesäure oxydieren, so werden sie bei Säugern als Hippursäure ausgeschieden. Im Vogelorganismus tritt, wie Jaff e '') gezeigt hat, eine Paarung der Benzoesäure mit Ornithin (Diaminovaleriansäure) ein ; es erscheint im Harn Ornithursäure. Im Säuge- tierorganismus paart sich, wie oben dargetan, die Benzoesäure mit dem Glykokoll. Hiermit verbindet sich auch eine große Reihe von Derivaten des Benzols. Zu diesen gehören die Oxybenzoesäuren und eine Reihe von sub- stituierten Benzoesäuren. Aus ihnen entstehen die substituierten Hippur- ') Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 12, 653; Zeitschr. f. physiol. Chem. 9, 229. — *) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 17, 189. — ^) Ebenda 14, 379. — ") Ebenda 17, 44.5. — *) Eine Zitierung der sehr ausgedehnten Literatur ist hier nicht möglich. Man vergleiche Hammarsten, Lehrb. d. physiol. Chem. 1905. Die ältere Literatur findet sich bei O. Kühling, Über Stoffwechselprodukte aromatischer Körper. Berlin 1887, Dissert. — **) Ber. d. deutsch, chem. Ges. 10, 11. Paarungen der Benzolderivate mit Glykokoli. 367 säuren. So bildet sich aus der Orthooxybenzoesäure (Salicylsäure) die Sali- cylursäure, ebenso paart sieb die Metaoxybenzoesäure wabrscheinlicb, sicher die Paraoxybenzoesäure mit Glykokoli. Aus Chlorbenzoesaure wird Chlor- hippursäure , aus Nitrobenzoesäure Nitrohippursäure , aus Methylparaoxy- benzoesäure (Anissäure) Anisursäure. Die Aminobenzoesäuren geben teils unverändert in den Harn über, teils als entsprechende Hippursäuren. Ein Teil der Aminobenzoesäure wird zu Uraminobenzoesäure. Die substituierten Aldehyde können ebenfalls einer Paarung mit Glyko- koli unterliegen, nachdem sie zu den entsprechenden substituierten Benzoe- säuren oxydiert worden sind. Von ihnen geht der Orthonitrobenzaldehyd beim Kanint;hen zum geringen Teile diese Verwandlung ein, der größte Teil wird aber im Organismus verbrannt. Bei Hunden wird der Nitrobenzaldehyd nach Sieb er und Smirnow in m-Nitrohippursäure, nach Cohn in m-nitro- hippursauren Harnstoif übergeführt'. Bei Kaninchen findet außer der Oxy- dation des Aldehydes an der Nitrogruppe eine Reduktion statt, so daß sie zu einer Aminogruppe wird: an diese lagert sich Essigsäure, so daß schließlich m - Aminobenzoesäure entsteht. Vom p- Nitrobenzaldehyd wird ein Teil in p-Acetylaminobenzoesäure, ein Teil in Nitrobenzoesäure verwandelt, die im Harn miteinander gepaart ausgeschieden werden. Beim Hunde wird aus diesem Aldehyd nur p-nitrohippursaurer Harnstoff. Toluol, Athylbenzol, Propylbenzol und viele analoge Benzolderivate mit aliphatischer Seitenkette werden im Organismus zu Benzoesäure oxydiert und demgemäß als Hippursäure ausgeschieden. Hat der Benzolkern mehrere Seitenketten , so wird nur eine derselben zu Karboxyl oxydiert und der Stoff dann als entsprechende Hippursäure ausgeschieden. So wird Xylol zu Toluylsäure oxydiert und als Tolursäure ausgeschieden , Mesitylen wird zu Mesitylensäure weiter zu Mesitylenursäure, Cymol zu Cuminsäure weiter zu Cuminursäure , Phenylessigsäure (a- Toluylsäure) wird zu Phenacetursäure (s. S. 366). (Phenylpropionsäure wird dagegen verbrannt zu Benzoesäure, und Phenylaminoessigsäure wird zum Teil zu Mandelsäure.) Die durch Halogene substituierten Toluole werden bei Hunden in die entsprechenden substituierten Hippursäuren übergeführt, bei Kaninchen ver- hält sich das o-Bromtoluol ebenso, die m- und p- Toluole werden teils als Hippursäuren, teils als substituierte Benzoesäuren ausgeschieden, was mit allen drei Chlortoluolen ausschließlich geschieht. Das Phenylmethylketon (Acetophenon) wird im Organismus zu Benzoe- säure oxydiert und als Hippursäure ausgeschieden. Methylpyridin wird zu Pyi-idinkarbonsäure und nach Paarung mit Gly- kokoli zu cc-Pyridinursäure. Thiophen wird zur Thiophensäure und nach Paarung mit Glykokoli als Thiophenursäure ausgeschieden. Auch Furfurol paart sich, nachdem es zu Schleimsäure oxydiert ist, mit Glykokoli zu Pyromykursäure (Pyromykornithursäure bei Vögeln). 5. Paarung mit Essigsäure und Glykokoli. Ein anderer Teil des Furfurols verbindet sich mit Essigsäure zu Furfurakrylsäure i), die sich mit Glykokoli paart: Furfurakrylursäure. ') Jaffe u. Cohn, Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 21, 3-161. 368 Paarungen mit Glukui'onsäure, Cystein, Karbaminsäure usw. 6. Paarungen mit Glukuronsäure. Paarungen der Glukuronsäure mit Verbindungen der Fettreiiie und auch mit aromatischen Verbindungen im Organismus sind häufig beobachtet. Von Körpern der Fettreihe paaren sich mit Glukuronsäure Alkohole, Aldehyde, Ketone nach Reduktion zu Alkoholen. So wird z. B. das Chloralhydrat zu Urochloralsäure. Von aro- matischen Verbindungen sind zu nennen die Phenole , ihre Homologen und ihre Substitutionsprodukte. Auch viele andere aromatische Verbindungen paaren sich mit Glukuronsäure, nachdem sie oxydiert sind oder eine Hydra- tation erfahren haben. Hierher gehören die cyklischen Terpene, Borueol, Menthol, Campher, Naphthalin, Terpentinöl, Oxychiuoline und viele andere. Das o-Nitrotoluol geht in o-Nitrobenzaldehyd über und paart sich mit Glu- kuronsäure zu Uronitrotoluolsäure. Das Euxanthon, ein Oxyketon, wird zu Euxanthinsäure. Die Glukuronsäure paart sich auch mit den sogenannten Mercaptursäuren. (Baumann u. Preuße, Jaffe). Es sind dies Verbindungen, die nach Einführung von Chlor- oder Bromsubstitutionsprodukten des Benzols im Organismus entstehen. So geht das Brombenzol bei Hunden als Bromphenylmercaptursäure in den Harn über. 7. Paarungen mit Cystein. Von Friedmann i) ist gezeigt worden, daß die Mercaptursäuren substituierte Cysteine aind. Somit haben wir iu der eben erwähnten Paarung eine experimentelle Cystinurie vor uns. 8. Paarungen mit Karbaminsäure, mit Methan und Ammoniak. Paarungen mit Karbaminsäure gehen ein Sarkosin, Taurin, Tyrosin, Amido- benzoesäure. Das Pyridin paart sich mit Methan und Ammoniak zu Methylpyridinammoniumhydroxyd. 9. Paarungen mit Schwefelsäure. Die Ätherschwefelsäuren des Harnes sind von Baumann-) entdeckt worden. Sie kommen im menschlichen Harn nur in geringen Mengen vor. Ihre absolute Menge schwankt sehr; sie ist abhängig von dem Grade der Eiweißfäulnis im Darme, da die Paar- linge der Schwefelsäure vorwiegend hierbei entstehen. Herabminderung der Fäulnisprozesse durch besondere Ernährung (Milch, Kohlehydrate) vermindert '■'•) die Menge der Ätherschwefelsäuren. Auch Einnahme von Arzneimitteln, die antiputride Wirkungen haben, soll nach einigen Autoren dieselben Folgen haben; andere bestreiten*) dies allerdings. Die Ätherschwefelsäuren ent- stehen durch Paarung mit Phenolen, die bei der Darmfäulnis entstanden und resorbiert sind. Die Muttersubstanz dieser Phenole ist das Tyrosin. Außerdem paaren sich das Indol und das Skatol mit der Schwefelsäure, nachdem sie zu Indoxyl (und SkatoxylV) oxydiert worden sind. Phenolschwefelsäure, C^H-, OSOoOH, und Parakresolschwefelsäure, CyH40S020HGH:5. Die Phenole sind von Städeler^) im Harn aufgefunden ^) Hofmeisters Beitr. 4, 4S6. — '■') Baumann, Pflügers Arch. 12, 69; 13, 285. — ^) V. d. Velden, Virch. Arch. 70, 343. Herter, Zeitschr. f. physiol. Chem. 1. 244. Hirschler, ebenda 10, 302. Biernacki, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 49, 87. Kovighi, Zeitschr. f. physiol. Chem. 16, 20. Winternitz, ebenda 16, 439. Schmitz, ebenda 17, 40; 19, 378. — ") Baumann u. Morax, ebenda 10, 318. Steiff, Zeitschr. f. klin. Med. 16, 311. Rovighi, a. a. 0. Stern, Zeitschr. f. Hyg. 12, 83. Bartoschewitscli, Zeitschr. f. physiol. Chem. 17, 35. Mosse, ebenda 23, 16U. — ^) Ann. d. Cliem. u. Pharm. 77, 17. Phenol-, Parakresol-, Brenzkatechin-, Indoxylschwefelsäure. 369 worden. Baumanni) hat erkannt, daß sie mit Schwefelsäure gepaart sind. Die Bestimmungen der Phenolmengen betreffen das Phenol und das Kresol zusammen. Das Kresol macht dabei die Hauptmenge aus. Im menschlichen Harn finden sich nach Munt 2) 0,017 bis 0,051g täglich, nach Kossei und Penny 3) 0,07 bis 0,106 g. Ihre Menge wächst bei vegetabilischer Ernährung. Einführung von Phenol und Benzol vermehrt die Ausscheidung *). Das Kalisalz der Phenolschwefelsäure ist von Baumanu aus dem Harn von Hunden, Menschen und Pferden gewonnen worden. Es bildet kristal- linische, weiße, perlmutterglänzende Plättchen, die in Wasser und in siedendem Alkohol leicht löslich sind. Man gewinnt sie am besten aus dem Harn von Hunden , die mit Phenol gefüttert sind. Der Harn wird zur Sirupkonsistenz eingedampft und mit 96proz. Alkohol extrahiert. Das Extrakt wird mit alkoholischer Oxalsäurelösung gefällt und filtriert. Das Filtrat wird mit Kali versetzt und nochmals filtriert. Dann läßt man verdunsten. In der Kälte kristallisiert die Phenolschwefelsäure aus. Die Kristalle werden aus siedendem Alkohol umkristallisiert. Das Kaliumsalz der Kresolschwefelsäure verhält sich ähnlich wie das der Phenolschwefelsäure. Dargestellt wird es folgendermaßen. Frischer Harn wird erst mit Bleizucker, dann mit Bleiessig gefällt. Durch das Filtrat wird Schwefelwasserstoö; geleitet. Dann dampft man bis zui* Sirupkonsistenz ein und läßt die Säure in der Kälte auskristallisieren. Endlich kristallisiert man aus heißem Alkohol um. Über den Nachweis der Schwefelsäure in den Ätherschwefelsäuren s. S. 341. Die Paarlinge der Schwefelsäuren Phenol und Kresol weist man folgendermaßen nach. Harn wird mit Schwefelsäure versetzt, bis er 5 Proz. davon enthält, und dann destilliert. Neutrale Lösung von Ferrichlorid gibt eine intensive blauviolette Färbung. Bi-omwasserzusatz erzeugt sofort oder nach einiger Zeit einen Nieder- schlag von kristallinischem, gelblichweißem Tribromphenol (Landolt). Das Phenol gibt die Reaktion von Millon. Brenzkatechinschwefelsäure. Brenzkatechinschwefelsäure kommt regelmäßig im menschlichen und im Pferdeharu vor. Sie stammt von der Protokatechusäure, die mit pflanzlicher Nahrung aufgenommen worden ist. Indoxylschwefelsäure, Harnindikan, C^HyNSO^. H C ^\ HC C COSOä OH 1 II II HC C GH %/\/ C N H H Die Tatsache, daß man aus dem Harn einen blauen und einen roteu Farbstoff gewinnen kann, ist seit langer Zeit bekannt. Diese Farbstoffe sind mit den verschiedensten Namen-') belegt worden. Jaffe '^) gelang es dann ^) A. a. 0. — ^) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, Suppl. S. 23. — ^) Kossei u. Penny, Zeitschr. f. physiol. Chem. 17, 139. — ") Auerbach, Virch. Arch. 77, 226. Demetz, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1888, S. 526. Marfori, Arch. di Farm, e Terap. 2. Munk, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1881, S. 460. — *) Cyanurin, Uro- glaucin, Urorhodan, Urocyanin, Harnblau, Uroxanthin. — *) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1872, S. 2, 481, 497. Nagel, Physiologie des Meusclien. II. 04. 370 ludoxylsclnvefelsäure. zu zeigen, daß das Indol die Muttersubstanz des Harnin dikans ist, und Bau- mann fand mit seinen Mitarbeitern i), daß es sich als Indoxylschwefelsäure im Harn findet. Die Indoxylschwefelsäure findet sich im menschlichen Harn in nur ge- ringer Menge [5 bis 20mg am Tage, Jaffe^)]. Die Menge wird gemessen an der Quantität des Indigo, den man aus dem Harn abscheiden kann. Hierbei kommt auch der aus der Indoxylglukuronsäure (siehe unten) stam- mende Indigo mit in Rechnung. Die Indikanmenge hängt unter normalen Verhältnissen von dem Grade der Eiweißfäulnis im Darme ab. Neugebo- rene s), deren Darm keimfrei ist, und Brustkinder*), bei denen die Darm- fäulnis sehr gering ist, haben keine Spur von Indikan im Harn, ebensowenig Hunde, denen der Darm durch Kalomel desinfiziert worden war ■''). Am größten ist der Indikangehalt des Harnes bei eiweißreicher Nahrung. Er- nährung mit Leim vermehrt dagegen den Indikangehalt nicht. Alle Erkran- kungen, die zu einem, wenn auch nur teilweisen Verschluß des Dünndarmes führen oder eine Behinderung der Dünndarmentleerung hervorrufen , haben eine Vermehrung der Indikanausscheidung zur Folge '■). Störungen in der Entleerung des Dickdarmes dagegen in der Regel nicht. Hand in Hand mit der Indikanvermehrung geht immer eine Vermehrung des Phenols. Es ist aber nicht notwendig bei Vermehrung des Phenolgehaltes des Harnes auch der Indikangehalt vermehrt. Die Muttersubstanz des Harnindikans ist das Indol, wie Jaffe durch Verfütterung und subcutane Injektion von Indol nachgewiesen hat und wie Baumann und Brieger bestätigt haben. Nach Hoppe-Seyler kann auch die Orthophenylpropiolsäure in Indikan übergehen. Von Ellin ger und Gentzen') ist gezeigt worden, daß das Tryptophan die Muttersubstanz des Indols ist. Blumenthal"), Roseufeld') und Lewin '") behaupten, daß auch der Zer- fall von Körpergeweben (beim Hunger, bei Phloridzinvergiftung) zur ludikanbilduug führen könne, was jedoch von Mayer''), Scholz und Eiliuger'*) widerlegt sein dürfte. Harnack'^) und v. Leyen sahen nach Oxalsäurevergiftung eine Ver- mehrung der Indikanausscheidung, Scholz dagegen nicht. Morazewski '■*) fand beim Diabetes Oxalsäure- und Indikanausscheidung einander parallel gehend. Das indoxylschwefelsäure Kalium kristallisiert in farblosen glänzenden Tafeln oder Blättcheu, die leicht löslich in Wasser sind. Man gewinnt es nach Baumann und Brieger am besten aus dem Harn von Tieren , die mit Indol gefüttert sind. Der Harn wird zunächst bis zur Sirup- konsistenz eingedampft, der Sirup warm mit 90 proz. Alkohol extrahiert, der ') Baumann, Pflügers Arch. 13, 304; Baumann u. Brieger, Zeitschr. f. physiol. Chem. 3, 254. Baumann u. Tiemann, Ber. d. d. ehem. Ges. 12, 1098, 13, 408. — *) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1872, S. 2, 481, 497. — ^) Senator, Zeitschi-, f. physiol. Chem. 4, 1. — ■*) Hochsinger, "Wiener med. Presse 40, 41. — ^) Baumann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 129. — ") Jaffe, Pflügers Arch. 3, 448 (und viele andere). — ") Hofmeisters Beitr. 4, 172. — ") Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, Supplbd. 275, 1902, S. 347. — ") Blumenthal und Eosenfeld, Charite-Annalen 27. — ") Lewin, Hofmeisters Beitr. 1, 472. — ") Mayer, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1902, S. 341; Zeitschr. f. klin. Med. 47, 68; Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 32. — i"^) Scholz, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 513. Ellinger, ebenda 39, 44. — ") Harnack, ebenda 29, 205. — '") Zentralbl. f. iun. Med. 1903, S. 2. Skatoxylschwefelsäure. — Skatolkarbonsäure. — Andere Paarungen usw. 371 Alkoholextrakt kalt mit Oxalsäure gefällt, filtriert, das Filtrat mit Kali versetzt. Nach nochmaliger Filtration wird die Flüssigkeit auf die Hälfte ihres Volumens eingedampft und mit dem gleichen Volumen Äther gefällt. Der Niederschlag wird mit Alkohol gewaschen, der Waschalkohol immer wieder mit Äther gefällt. So bleibt der Harnstoff schlieiälich in Lösung. Endlich werden die vereinigten Niederschläge in Alkohol aufgenommen und dann mit Äther gefällt. Die Trübung konsolidiert sich zu Ki'istallen, die auf Ätherzusatz sich vermehren. Der Nachweis des Indoxyls geschieht nach Jaffe folgendermaßen. Harn wird mit dem gleichen Volumen konzentrierter Salzsäure versetzt und einige Cuhikcentimeter Chloroform hinzugefügt. Nun setzt man tropfenweise konzen- trierte Chlorkalklösung hinzu, indem man nach jedem Tropfen umschüttelt. Das Chloroform nimmt eine blaue Farbe an von Indigblau. Man hat sich vor zu reichlichem Zusatz von Chlorkalk zu hüten, da sonst der Indigo zu farblosen Ver- bindungen überoxydiert wird. Obermayer fällt zunächst den Harn mit Bleiessig und versetzt erst das Filtrat mit Salzsäure. Die Oxydation führt er mit Ferri- chlorid aus. Skatoxylschwefelsäure, C9 H, N S O4 H C //\ HC C — CCH3 I II II HC C COSO.OH C N H H Im normalen Harn ist die Skatoxylschwefelsäure bisher nicht nach- gewiesen worden, dagegen hat Otto ^) sie aus dem Harn eines Diabetikers gewonnen, der an Verdauungsstörungen litt. Man nimmt an, daß sie aus dem Skatol des Darmes nach Oxydation desselben zu Skatoxyl im Organismus entstehe. Aus einverleibtem Skatol wird aber nur wenig Skatoxylschwefel- säure gebildet [Mester^)], Nach Salkowski^) findet sich das Skatol im normalen Harn als Skatolkai'bonsäure, nach Mayer und Neuberg*) als eine mit Skatoxyl gepaarte Glukuronsäure. Die Angaben über das Vorkommen von Skatolderivaten im normalen Harn sind noch etwas unsicher. Man schließt auf ihre Gegenwart aus dem Auftreten von roten und rotvioletten Farbstoffen bei der Indikanprobe. Die Existenz des Skatoxyls ist neuerdings fraglich geworden [Maillard "•)]. Auf die Eigenschaften und Darstellungsmethoden der Skatoxylschwefel- säure kann nicht eingegangen werden. (Skatolkarbonsäure. Skatolkarbonsäure findet sich nach Salkowski •■) in Spuren im Harn.) Andere Paarungen mit Schwefelsäure. Außer den angeführten paaren sich noch zahlreiche andere aromatische Verbindungen im Organismus mit Schwefelsäure, und erscheinen im Harn als Ätherschwefelsäuren. Hierher gehören die hydroxylierten aromatischen Verbindungen und deren Abkömm- linge. Auch aromatische Säuren können eine Paarung mit Schwefelsäure ') Otto, Pflügers Arch. .33, 615. — *) Master, Zeitschr. f. physiol, Chera. 12, 130. — ^1 Salkowski, ebenda 9. 8. — ^) Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 256. — ') Maillard, ebenda 41, 451. 24* 372 Neutraler Schwefel. eingehen. Von ihnen seien genannt die p-Oxyphenylessigsäure, die p-Oxy- phenylpropionsäure, die Hydrochinonkarbonsäure (Gentisinsäure), endlich die Gallussäure und die Gerbsäure. Aromatische Ketone, die Hydroxylgruppen haben, paaren sich ebenfalls mit Schwefelsäure, so das Resacetophenon, Paraoxypropiophenon, Gallacetophenon. Über das Verhalten des Acetophenons siehe S. 367, über das des Euxanthons S. 368. Kohlenwasserstoffe mit einer Amino- oder Iminogruppe können, nachdem ihr Wasserstoff zur Hydroxyl- gruppe oxydiert ist, mit Schwefelsäure gepaart ausgeschieden werden. Hierher gehört z. B. das Anilin , welches in Paramidophenol übergeht und sich dann mit Schwefelsäure paart. Ebenso verhält sich das Acetanilid und das Karbazol. 3. Der neutrale Schwefel. Wie bereits S. 341 erwähnt, kommen im Harn Verbindungen vor, die schwefelhaltig sind, in denen aber der Schwefel nicht in Form von Schwefel- säure enthalten ist. Von ihnen sind erkannt worden: Mercaptane, Rhodan- wasserstoff, Chondroitinschwefelsäure, Oxyproteinsäure (UroiDrotsäure), Alloxy- proteinsäure, Uroferrinsäure, Cystiu. Die Hauptmenge des neutralen Schwefels machen die zuletzt genannten drei Säuren aus. Der neutrale Schwefel macht nach Salkowski') 15, nach Stadthagen 2) 13,1 bis 14,5, nach Lepine •') 20, nach Harnack und Kleine^) 19 bis 24 Proz. des Gesamtschwefels aus. Die Menge wird vermehrt durch Einführung von Schwefel mit der Nahrung, durch Steigerung des Eiweißzerfalles, wie z. B. beim P^ieber, beim Hungern, bei Sauerstoffmangel, bei der Narkose; doch ist die Menge des neutralen Schwefels weniger von der Größe des Eiweißzerfalles abhängig als die der Schwefelsäure. Das Verhältnis des neutralen Schwefels zur Schwefelsäure wechselt nach Harnack und Kleine in derselben Weise wie das Verhältnis der übrigen stickstoffhaltigen Bestandteile des Harnes zum Harnstoff. 1. Methylmercaptan. Methylmercaptan ist von Nencki^) im Harn nach dem Genuß von Spargeln in Spuren gefunden worden. Durch seine Gegenwart wird der üble Geruch des Harnes nach Spargelgenuß bewirkt. 2. Äthylsulfid. Äthylsulfid ist von Abel'') im Hundeharn nach- gewiesen worden. Es entsteht erst nach Zusatz von freiem Alkali zum Harn. Die Muttersubstanz des Äthylsulfides ist nicht bekannt. 3. RhodanwasserstofF. Im menschlichen Harn findet sich nach Gscheidlen") etwa 0,035, nach Munk -) 0,11, nach Bruylants^) nur 0,003g Rhodankalium. Entdeckt ist es im Harn von Gscheidlen beim Menschen und bei Tieren; diese Angaben sind von Külz, J. Munk und Bruylants bestätigt worden. Nach dem letzten kommt das Rhodan nur im Harn von Tieren vor, die Harnstoff ausscheiden. Bei Reptilien und Vögeln fehlt es. Von der Ernährung ist der Rhodangehalt des Harnes unabhängig. ') Salkowski, Virchows Arch. 58, 172. Zeitschr. f. physiol. Chem. 9, 241. — ^) Stadthagen, Virchows Arch. 100, 426. — ^) Lepine, Compt. rend. 91, 1074; 97, 1074. — *) Harnack und Kleine, Zeitschr. f. Biol. 37, 417.— ')Nencki, Arch. f; exp. Path. 28, 206. — ^) Ahel, Zeitschr. f. physiol. Chem. 20, 253. — '■) Gscheidlen, Pflügers Arch. 14, 401. — ") Munk, Virchows Arch. 69, 354. — ^) Bruylants, Bull. Acad. med. Belgique 2, (4) 18. Neutraler Schwefel. 373 Ein Teil desselben stammt aus dem Speichel. Nach Einverleibung von Ni- trilen ist der Rhodangehalt vermehrt , da diese als Rhodanwasserstoff aus- geschieden werden. Der Rhodanwasserstoff ist eine farblose, scharf riechende, mit Wasser, Alkohol und Äther sich mischende Flüssigkeit. Seine Salze sind fast alle löslich. Die Metallverbindungen haben zum Teil sehr charakteristische Farben, so ist das Eisenoxydsalz blutrot. Zum Nachweise dienen die Methoden von G seh ei dien, Munk und Bruylants. 4. Chondroitinschwefelsäure. Chondroitinschwefelsäure ist nach K. A. H. Mörneri) ein regelmäßiger Harnbestandteil. Sie ist eine amorphe, wasserlösliche Substanz. Ihre Lösungen reagieren stark sauer. Aus salz- haltiger Lösung wird sie durch Alkohol, aus wässeriger durch viel Eisessig gefällt. Zum Nachweise dient die Eigenschaft, mit Eiweiß in schwach saurer salzarmer Lösung unlösliche VerbindungeJi zu bilden. 5. Oxyproteinsäure. Oxyproteinsäure(Uroprotsäure)i9tim mensch- lichen Harn zuerst von Töpfer 2) gefunden worden. Sie kommt normaler- weise im Harn vor. Auch bei Hunden ist sie vorhanden. Bei ihnen ist ihre Menge nach Phosphorvergiftung beträchtlich vermehrt. Die Menge der Oxy- proteinsäure im menschlichen Harn beträgt täglich (als Barytsalz berechnet) 3 bis 4 g, der Stickstoffgehalt macht 2 bis 3 Proz. des gesamten Harnstick- stoffes aus. Die Säure stammt wahrscheinlich vom Eiweiß ab. Sicheres ist hierüber zwar nicht bekannt, doch kann man nach den oben mitgeteilten Beobachtungen über die Ursachen, aus denen der neutrale Schwefel vermehrt ist, wohl vermuten, daß sie ein intermediäres Abbauprodukt des Eiweißes sei. Die Säure hat ein in Wasser lösliches, in Alkohol unlösliches Baryumsalz. Sie wird von Mercurinitrat und -acetat gefällt , aber nicht von Phosphor- wolframsäure und von Bleiacetat. Sie gibt nicht die Xanthoproteinsäure- reaktion und die Biuretreaktion , aber die Ehrl ich sehe Diazoreaktion und die Mil Ion sehe Reaktion. Ihre Formel ist nach Bondzynski und Gott- lieb^) C43H82Ni^S03i, nach Cloetta*) C-oHngNao SO54. 6. Alloxyproteinsäure. Alloxyproteinsäure ist von Bondzynski und Panek^) aus dem Harn dargestellt. Sie wird täglich in einer Menge von etwa 1,2 g ausgeschieden. Ihr Stickstoffgehalt macht 0,68 Proz. des Gesamt- stickstoffes des Harnes aus. Ihr Schwefelgehalt beträgt 6 Proz. Die Analyse des Baryumsalzes hat ergeben: Ba 28,76 bis 32,05, C 27, N 8,20 bis 10,13, S 0,22 bis 3,41 Proz. Die Säure verhält sich ähnlich wie die vorige, wird aber von Bleiacetat gefällt und gibt nicht die Diazoreaktion. Zur Darstellung der beiden Säuren wird der Harn mit Baryt- und Kalkwasser gefällt, die überschüssigen Hydrate durch Kohlensäure gefällt. Das Filtrat wird verdunstet und mit Alkohol extrahiert. Der Rückstand wird mit Wasser gelöst und dann mit Mercuriacetat gefällt. Das Gefällte wird mit Schwefelwasserstoff aufgeschlossen, dann wird Kaliumhydrat zugesetzt. Die Alloxyprotsäure] wird dann durch Bleiossig gefällt. Nun werden beide Säuren in ihre Barytsalze übergeführt. ') K. A. H. Mörner, Skand. Arch. 6, 378. — ^ Töpfer, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 41, 705. — ^) Bondzynski u. Gottlieb, ebenda 1897, S. 577. — *) Cloetta, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 40, 29. — *) Bondzynski u. Panek, Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 35 (3), 2959. 374 Neutraler Schwefel. — Organisch gebundener Phosphor. 7. TJroferrinsäure. üroferrin säure ist eine sechsbasische Säure, die Thiele 1) zuerst aus dem Harn dargestellt hat. Sie bildet ein weißes Pulver, das löslich ist in "Wasser, Ammonsulfat , Methylalkohol, schwer löslich in Alkohol, Chloroform und Äther. Phosphorwolframsäure, Mercurinitrat und -Sulfat fällen sie. Sie gibt weder die Biuret- noch die Adamkie wiczsche Reaktion. Ihre spezifische Drehung beträgt — 32,5'*. 8. Cystin, (C.HiaN.^S.^OJ C Hj S S H2 0 I I CHNH.2 HgNHC 1 I COOH HOOC Gystin^) kommt bei manchen Individuen regelmäßig im Harn vor bis zu einer Menge von 0,5 g täglich. Daneben findet man gewöhnlich Putrescin und Cadaverin 3). Auch aus normalem Harn kann man nach Goldmann und Daumann'*) eine dem Cystin ähnliche Substanz in geringer Menge ge- winnen. 4. Der orgauiscli gebundene Phosphor. Organisch gebundenen Phosphor findet man in Form von Glyzerin- phosphorsäure und von Phospliorf leischsäure in geringen Mengen (0,05 g P2O-, entsprechend). 5. Stickstoiffreie Verbindungen. 1. Kohlehydrate. Im normalen Harn findet man stets Kohlehydrate. Ihre Tagesmenge ist bedeutenden Schwankungen unterworfen , sie beträgt 1,5 bis 5,09 g. Diese Zahlen sind mit Hilfe des Benzoylierungsverfahrens gewonnen worden. Die Kohlehydrate sind identifiziert worden als Trauben- zucker [Brücke, Abeles u. a. •'')], als Isomaltose [Baisch, Lemaire'')] und als tierisches Gummi [Landwehr, Wedenski, Baisch^)]. Milchzucker findet mau bei Wöchnerinnen im Harn. 2. Glukuronsäure. Von Derivaten der Kohlehydrate findet sich im Harn Glukuronsäure in einer täglichen Menge von 0,06 g '^) (s. o.). Sie ist stets mit anderen organischen Atomkomplexen gepaart, vorwiegend mit Phenol. In geringer Menge auch mit Indoxyl und Skatoxyl (s. o.). Die gepaarten Glukuronsäuren drehen die Ebene des polarisierten Lichtes nach links. Ihnen hat der Harn seine optische Aktivität zu verdanken. Diese Drehung beträgt 0,01 bis 0,18 Grad. Die Glukuronsäuren reduzieren Fehlingsche Lösung. Sie können daher im Verein mit der Harnsäure und dem Kreatinin leicht das ^) Thiele, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37, 251. — ^) Literatur siehe Bren- zinger, Zeitschr. f. physiol. Chem. 16, 572. — ^) Baumanu u. Udransky, ehenda 13, 562. — ") Ebenda 12, 254. — *) Brücke, Wiener med. Wochenschr. 19, 20, 1858. Abeles, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 33, 209, 385, 1879. — ") Baisch, Zeitschr. f. physiol. Chem. 19, 364; 20, 248. Lemaire, ebenda 21, 446. — 0 Landwehr, Zeitschr. f. physiol. Chem. 6, 74; 8, 122; 9, 368; Pflügers Arch. 39, 193; 40, 35. Baisch, Zeitschr. f. physiol. Chem. 18, 193; 19, 339; 20, 249; hier die Literatur. — ®) Mayer u. Neuberg, Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 256. Aceton. — Flüchtige Fettsäuren. — Bernsteinsäure. — Oxalsäure. 375 Vorhandensein von Zucker im Harn vortäuschen. Die Muttersubstauz der Glukuronsäure kann der Traubenzucker sein , doch ist dies nicht sicher be- wiesen [Mayer, Löwi^)]. 3. Aceton, CH3COCH3. Aceton ist von Petters-) und von Kau- lich^) im Harn von Diabetikern gefunden worden. Später hat es v. Jaksch^) aus Harn von gesunden Menschen, von Katzen und Kaninchen dargestellt. Die Tagesmenge im menschlichen Harn ist höchstens 0,01 g. Über die Her- kunft des Acetons weiß man nichts Sicheres. Nach neueren Untersuchungen stammt das» Aceton aus dem Fett [Geelmuyden ■'')]. Die im diabetischen Harn vorkommende /3-Oxybuttersäure wird durch Oxydation zu Acetessig- säure. Diese zerfällt leicht in Aceton und Kohlensäure. Große Mengen von Aceton erkennt man schon an dem süßlichen ohstartigen Geruch des Harnes. Durch Zusatz von alkalischer Jodlösung wird Aceton in Jodo- forna übergeführt , dessen Kristalle sich abscheiden. Bei Gegenwart von nur 0,0001 mg entstehen nach 24 stündigem Stehen noch Jodoformkristalle. Zusatz von frischer alkalischer Nitroprussidnatriumlösung (Legal) bewirkt eine rubinrote Färbung. Diese verblaßt zu Gelb. Nach Zusatz von Essigsäure tritt dann eine karminrote oder purpurrote Färbung auf, die nach Tagen in Violett und Blau übergeht. Nimmt man statt Kali oder Natron Ammoniak zu der Nitroprussid- natriumlösung, so tritt die Reaktion auch ein (Le Nobel), nur langsamer. Die Legal sehe Probe gibt auch der Aldehyd, die Le Nobel sehe nicht. Die Darstellung des Acetons erfolgt durch Destillation des Harnes. 4. Flüchtige Fettsäuren, v. Jaksch'') hat gefunden, daß jeder nor- male Harn kleine Quantitäten (8 bis 9 mg) flüchtiger Fettsäuren enthält ; V. Rokitanski '^) konnte 54,5 mg gewinnen, nach ausschließlicher Fütterung mit Mehl sogar 0,406 bis 0,417 g. Von flüchtigen Fettsäuren sind im nor- malen Harn gefunden : Ameisensäure , Essigsäure , Propionsäure, Buttersäure. Man gewinnt die flüchtigen Fettsäuren durch Destillation des Harnes. 5. Bernsteinsäure, COOH— CHg— CHg— COOH. Von Meissner^) ist im Harn von Menschen und Tieren regelmäßig Bernsteinsäure aufgefunden worden, während dies Salkowski^) nicht gelang. Pouchet^o^ konnte da- gegen Meissners Angaben bestätigen. Bernsteinssäure kristallisiert in farblosen monoklinen Prismen vom Schmelzpunkt 180^ Sie löst sich in 16 Teilen kaltem Wasser, leichter in heißem , leicht auch in heißem Alkohol. Die Salze der alkalischen Erden und Schwermetalle sind schwer löslich. 6. Oxalsäure, CO OH — CO OH. Die Oxalsäure findet sich normalerweise wohl immer im Harn, wenn auch nur in geringer Menge [0,02 g täglich, Für- bringer 11)]. Gelegentlich findet man Kristalle von oxalsaurem Kalk in Harn- sedimenten und in Harnsteinen. Das Calciumoxalat ist sehr schwer löslich ') Löwi, Ai'ch. f. exp. Path. u. Pharm. 47, 56. — '^) Petters, Prager Viertel- jahrsschrift 55, 81. — ^) Kaulich, ebenda 67, 58. — *) Über Acetonurie und Diaceturie, Berlin 1885. — *) Geelmuyden, Arkiv f. Math. vg. Naturvid cit. n. Maly 26, 850. — ") v. Jaksch, Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 536. — ^) Eoki- tanski, Wiener med. Jahrb. 2, (2) 206. — **) Meissner, Die Entstehung der Hippursäure im Organismus (und an vielen anderen Orten). — ®) Salkowski, Pflügers Arch. 4, 95. — 1°) Pouchet, Contr. ä la connais. d. mat. extr. d. Purine. Paris 1880, p. 23. — i') Fürbringer, Deutsches Arch. f. klin. Med. 18, 143. Dunlop, Zentralbl. f. Physiol. 10, 237. 376 Oxalsäure. in Wasser. Das Ausfallen dieses Salzes aus dem Harn wird nach Modder- manni) durch die Gegenwart der primären Phosphate verhindert. Die Herkunft der Oxalsäure ist noch nicht genügend aufgeklärt. Es ist möglich, daß ihre Aufnahme mit der Nahrung die Ausscheidung beein- flußt. Die Angaben der Autoren hierüber stehen nicht miteinander in Einklang. Nach Giunti^) soll die aufgenommene Oxalsäure bei Säugetieren größtenteils oxydiert werden. Hierfür sprechen auch die Untersuchungen von Salkowski 3), Pierallini *), Stradomsky ■') und von Klemperer und Tritschler *^). Wie die Tiere soll sich auch der Mensch verhalten [Mar- fori^), Giunti®)]. Nach Gaglio^) und nach PohP^) wird die Oxalsäure bei Säugetieren unverändert im Harn ausgeschieden, was nach Gaglio und Giunti bei Vögeln ebenso ist. Vielleicht liegen die Widersprüche in den Angaben in der Methodik. Die Versuche bieten nämlich keine Garantie, daß die einverleibte Oxalsäure auch wirklich vollständig resorbiert worden ist. Ernährung mit reinem Eiweiß steigert die Oxalsäureausscheidung nicht [Sal- kowski^i)]; Genuß von Fleisch vermehrt sie dagegen, was Salkowski von dem Gehalte des Fleisches au Oxalsäure herleitet. Ernährung mit Leim- substanzen soll die Ausscheidung vermehren, zuweilen auch Aufnahme von Nuclei'nen 12). Bedingungen, welche eine Vermehrung des Zerfalles von Körpereiweiß herbeiführen, können die Oxalsäureausscheidung steigern, z. B. Behinderung der Sauerstoff aufnähme [Reale und Boveri^-''), v. Terray i'*)]. Auch auf unvoUkommeue Verbrennung vou Kohlehydraten ^■') hat man die Entstehung von Oxalsäure zurückgeführt und auch auf Oxydation der Harn- säure im Tierkörper i''). Beide Auschauungen sind jedoch nicht genügend gestützt. Bei Hunden hört die Oxalsäureausscheidung auch bei vollstän- digem Hungern nicht auf i'^). Dies spricht für ihre Natur als Endprodukt des Stoffwechsels. Die Oxalsäure kristallisiert mit zwei Molekülen Kristallwasser in farb- losen rhombischen Prismen, die in Wasser und in x\lkohol leicht löslich sind. Am meisten charakteristisch ist ihre Calciumverbindung. Diese kommt in zwei Formen vor: in monoklinischen Plättchen und in Oktaedern. Die ersten entstehen bei rascher Kristallisation und enthalten ein Molekül Kristall- wasser, die zweiten enthalten drei Moleküle Kristallwasser und entstehen bei langsamer Kristallisation. Sie sind löslich in Mineralsäuren, wenig löslich in organischen Säuren. Zum Nachweise der Oxalsäure setzt mau dem Harn Calciumclilorid hinzu und übersättigt ihn mit Ammoniak. Der Niederschlag wird iu Essigsäure gelöst, die ') Moddermann, Schmidts Jahrb. 104, 31. — ') Giunti, Cham. Zentralbl. 2 (1897). — 3) Salkowski, Berl. klin. Wochenschr. 1900, S. 434. — ") Pierallini, A'irch. Arch. 160, 173. — ^) Stradomsky, ebenda 163, 404. — '^) Klemperer u. Tritschler, Zeitschr. f. klin. Med. 44, 337. — 0 Marfori, Zit. nach Malys Ber. 20, 27. — ") Giunti, a. a. 0. — ^) Gaglio, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 23, 246. — ") Pohl, ebenda 37, 415. — '0 Salkowski, a. a. 0. — '0 Stra- domsky, a. a. 0. Mohr u. Salomon, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 70, 486. — '^) Eeale u. Boveri, Wiener med. Wochenschr. 1893, Mai. — ") v. Terray, Arch. f. d. ges. Physiol. 65, 393. — ") Vgl. Hildebraudt, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 141. P. Mayer, Zeitschr. f. klin. Med. 47, 68. — ^") Vgl. Wiener, Ergebnisse d. Physiol. 1, 1. — '0 Mills, Virchows Arch. 99, 305. Lüthje, Zeitschr. f. klin. Med. 35, 271 (hier finden sich Literaturangaben). Aromatisclie Oxysäuren. — Pai-aoxyphenylessigsäure. 377 Lösung läßt man 24 Stunden stehen. Ein inzAvisclien entstandener Niederschlag ■wird abfiltriert und auf dem Filter mit Salzsäure übergössen. Dann bleibt vor- handene Harnsäure zurück, und Calciuinoxalat geht in Lösung. Aus dem Filtrat wii'd es mit Ammoniak gefällt. 7. Aromatisclie Oxysäuren. Die aromatischen Oxysäuren stammen zum Teil vom Tyrosin ab, das bei der Eiweißfäulnis im Darme entsteht. Nach Baumann können aus dem Tyrosin folgende Verbindungen hergeleitet werden : CeH4 0HCH2CH<^Q^g. + H^ = NH3 -[- CgH, OH CH^CHoCOOH Tyrosin Paraoxyphenylpi-opionsäure CeH.OHCHgCH^COOH =z CO^ + C^H.OHOH.CHa Paraäthylphenol CgH.OHCHgCHa + 30 = H.O -f C^H, OH CH^ COOH Paraoxj'phenylessigsäure CeH^OHCHaCOOH = CO^ -f CgH^OHCHg Parakresol C^H.OHCHa + 30 =: HjO +• CgH^OHCOOH Paraoxybenzoesäure CgH.OHCOOH = CO., + CgHsOH Phenol. Von diesen Derivaten des Tyrosins finden sich im Harn (außer dem bereits erwähnten Phenol und Parakresol) die Paraoxyphenylpropionsäure und die Paraoxyphenylessigsäure. Im übrigen kommen von Oxysäuren vor die Alkaptonsäuren, Uroleucinsäure und Homogentisinsäure, und im Harn des Hundes die Kynurensäure (s. o.). Paraoxyphenylessigsäure (CaHgOa) Paraoxyphenylpropionsäure (C9H10O3) P TT ^-OH p TT ^OH <^6ii4<^CH.,COOH ^«^^^CH^— CHj— COOH Sie sind von Baumann 1) im normalen Harn des Menschen, des Hundes, des Kaninchens und des [Pferdes gefunden worden. Bei Tieren, deren Darm bakterienfrei ist, finden sie sich nach Nuttal und Thierfelder^) nicht. Nach Fütterung mit Tyrosin ist ihre Menge vermehrt [Blender- mann 3)]. Sie beträgt 0,01 bis 0,02g im Liter menschlichen Harnes. Paraoxyphenylessigsäure kristallisiert in farblosen, prismatischen, flachen, spröden Nadeln oder in derben, glänzenden Prismen vom Schmelz- punkt 148°. Sie löst sich leicht in V^asser, in Alkohol und in Äther, schwer in Benzol. Das Kalksalz der Säure liefert bei der Destillation mit Natron- kalk Parakresol. Dies entsteht auch bei der Fäulnis mit Pankreassaft unter Luftabschluß. Beim Kochen mit Millons Reagens färbt sich die Lösung in- tensiv rot. Zusatz von Ferricblorid zu der wässerigen Lösung gibt eine grauviolette, dann schmutzig grün werdende Färbung. Diese Eigenschaften dienen zum Nachweis. Dazu kann man noch das Verhalten des Bleisalzes nehmen. Dies fällt aus konzentrierten Lösungen als ein körnig kristallini- sches Salz aus, daß sich erst in Bleizucker löst, dann aber sich wieder aus ') Baumann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 4, 304; 10, 126. — *) Nuttal u. Thierfelder, ebenda 22, 73. — ^) Blendermann, ebenda 6, 247. 378 raraoxypheuylpropiousäure. — Alkaptonsäureii. der Lösung abscheidet. Die Lösung dieser neuen Abscheidung in heißem Wasser setzt gelblich graue trübe Kristalldrusen ab, bei längerem Stehen noch dazu bräunlichgelbe, durchsichtige, glänzende Kristalle. Die Paraoxyphen ylpr opionsäure kristallisiert in kleinen monoklinen Prismen vom Schmelzpunkt 125^. Sie ist leicht löslich in Wasser, Alkohol und Äther, schwer löslich in Benzol. Die Säure gibt die Millonsche Reaktion. Mit Ferrichlorid färbt sich die Lösung blau und setzt dann einen harzigen Körjier ab. Mit konzentrierter Salpetersäure färbt sie sich rot, trübt sich dann und läßt schöne lange Nadeln allmählich auskristallisieren. Diese lösen sich in Ammoniak mit tiefroter Farbe. 8, Die Alkaptonsäuren. U r o i e u c i n s ä u r e , H o ni o g e n t i s i u s ä u r e , (Dioxyphenylmilchsäure ?) Dioxyphenylessigsäure CeHaCOHl^CHgCHOHCOOH /OH (l) C,H,^OH (4) ^CH.2C0 0H (5) Der Name Alkapton stammt von Boedeker^). Nach vielfachen Irr- tümern ist die Natur der Alkaptonsäuren erkannt worden, die der Uroleuoin- säure von Kirk 2). Die Homogentisinsäure ist von Wolkow und Bau- mann ^) gefunden und näher untersucht worden. Die beiden Säuren kommen nur bei einzelnen Menschen im Harn vor. Man hat sie bei Erwachsenen und bei Kindern beobachtet (mehrfach bei Geschwistern), häufiger bei Männern als bei Frauen, am häufigsten bei Kindern aus Verwandtenehen. Die Alkaptonurie dauert gewöhnlich das ganze Leben an, sie braucht nicht mit krankhaften Symptomen verbunden zu sein. Die Menge der Alkaptonsäuren kann 3 bis 6 g am Tage ■*) betragen, bei Fleischernährung ist sie am gröiJten. Einnahme von Tyrosin vermehrt die Alkaptoumenge beträchtlich. Von 10 g Tyrosin erschienen 7,5 g als Ho- mogentisinsäure im Harn wieder. Ebensoviel von dieser Säure erschien im Harn wieder nach Verfütterung von 10 g reiner Homogentisinsäure. Bei normalen Menschen wird jedoch von dieser Säure nach Einverleibung nur ein geringer Teil wieder ausgeschieden. Nach Falta und Langstein ••) genügt die in den EiweiOkörpern der Nahrung enthaltene Tyrosinmenge nicht, um das Auftreten der vorhandenen Menge von Homogentisinsäure zu erklären. Da sie nun gefunden haben, daß auch das Phenylalanin in Homogentisinsäure übergeht (vom Phenyl- alanin werden 90 Proz., vom racemischen Phenylalanin 50 Proz. als Homo- gentisinsäure ausgeschieden), so nehmen sie an, daß das Phenylalanin die Muttersubstanz der Homogentisinsäure sei. Während Wolkow und Bau- mann abnorme Gärungs Vorgänge im Dünndarm als Ursache der Alkap- tonurie ansahen, nehmen Falta und Langstein an, daß es sich um eine Anomalie des intermediäi-en Stoffwechsels handle. 0 Boedeker, Zeitschr. f. rat. Med. 7, (3) 138. — "') Kirk, Brit. med. Journ. 1888, p. 232. Jouvn. of Anat. and Physiol. 23, 6Ö. — ^) Wolkow u. Baumann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 15, 228 (hier die ältere Literatur). — ■*) Wolkow u. Baumann, a. a. 0. Ogden, ebenda 20, 280. Stange, Virchows Arcli. 140, 86. Embden, Zeitschr. f. physiol. Cham. 17, 182. — '') Ebenda 37, 513. Urochrom. 379 Die Homogentisinsäure kristallisiert in großen, durchsichtigen, prismati- schen Kristallen vom Schmelzpunkt 146,5 bis 147", die ein Molekül Wasser enthalten und leicht an der Luft verwittern. Löslich ist sie in Wasser, Alkohol und Äther, unlöslich in Benzol und Chloroform. Durch Zusatz von Natronlauge oder Ammoniak entsteht bei Gegenwart von Sauerstoff eine grünlichbraune, bald schwarz werdende Färbung. Ammoniakalische Silber- lösung wird in der Kälte, alkalische Kupferoxydlösung in der Wärme redu- ziert, alkalische Wismutlösung dagegen nicht. Mit Millons Reagens gibt die Säure einen zitronengelben Niederschlag, der beim Erwärmen ziegelrot wird. Eisenchloridlösung färbt die Lösung vorübergehend blau, beim Erhitzen ent- wickelt sich Chinongeruch. Das Bleisalz der Säure bildet farblose, glänzende Prismen vom Schmelzpunkt 214 bis 215", die 34,79 Proz. Blei enthalten. Beim Versetzen mit Benzoylchlorid, Natronlauge und Ammoniak entsteht das Amid der Dibenzoylhomogentisin.säure, dies schmilzt bei 204". Darstellung. Man erhitzt den Harn zum Sieden, fügt zu je 100 com 5 g Bleiacetat hinzu , filtriert nach Lösung derselben und läßt in der Kälte kristalli- sieren. Das auskristallisierte Bleisalz wird in Äther mit Schwefelwasserstoff zer- setzt. Dann läßt man die Säure aus dem verdunstenden Äther auskristallisieren. Die Homogentisinsäure ist von Baumann und Fräukel aus Gentisiualdehyd synthetisch dargestellt worden. Beim Schmelzen mit Kali entsteht aus ihr Hydro- eliinonkarbonsäure und Hydrochinon. Die Uroleucinsäure schmilzt bei 130,3". Ihr chemisches Verhalten ist dem der Homogentisinsäure ähnlich. 6. Die Harnfarbstoife. Regelmäßig findet man im frisch entleerten Harn zwei Farbstoffe, das gelbe Urochrom und das rote Hämatoporphyrin. Häufig ist noch ein dritter roter Farbstoff vorhanden, das Uroerythrin. Außer diesen präformierten Farbstoffen findet sich noch die Muttersubstanz für einen braunen Farbstoff regelmäßig im Harn. Der Farbstoff selbst bildet sich beim Stehen des Harnes an der Luft und am Licht. Man nennt ihn Urobilin und seine Mutter- substanz Urobilinogen. Außerdem enthält der Harn noch mehrere Sub- stanzen, die durch chemische Einwirkungen in Farbstoffe übergeführt werden können. Hierzu gehören die Kohlehydrate (siehe oben), aus denen durch Säureeinwirkung Huminsubstanzen entstehen, ferner die oben beschriebenen Indoxyl- und Skatoxylverbindungen, aus denen blaue und rote Farbstoffe gewonnen werden können. Auf alle diese Derivate kann hier nicht näher eingegangen werden. 1. Urochrom. Das Urochrom ist au Menge der bedeutendste Farbstoff des Harnes, dem der Harn seine charakteristische, je nach der Konzentration gelbe bis braune Farbe verdankt. Es ist zuerst von Garrod^) rein dar- gestellt worden, nachdem zuvor zahlreiche andere Forscher — von ihnen nenne ich Schunck ^) und Thudichum ^) — es teils zersetzt, teils durch andere Harn- farbstoffe v-erunreinigt gewonnen hatten. Daß es sich bei dem Garr od sehen ^) Garrod, Proc. Eoy. Soc. 55, 394. — '^) Schunck, ebenda 15, 1; 1(5, 7'2, 126, 135. — ä) Thudichum, Brit. med. Journ. 2, 509, 1864; Chem. News 68, 275. 380 Urochrom. — Urobilin. Präparat wirklicli um den unveränderten liarnfarbstoff handelt, wird durch seine Eigenschaften wahrscheinlich gemacht: 1. Die Farbe und das spek- troskopische Verhalten des Harnes und der Urochromlösung sind gleich. 2. Das Urochrom ist unlöslich in Äther. Man kann daher dem Harn durch Atherextraktion keinen Farbstoff entziehen. 3. Die Harnsäure scheidet sich aus Urochromlösungen ebenso ab wie aus Harn. Herkunft. Die Verwandtschaft des Urochroms mit dem im folgenden zu besprechenden Urobilin ist durch Riva ^) und Garrod^) wahrscheinlich gemacht worden. Riva erhielt Urochrom durch Oxydation von Urobilin, und Garrod konnte durch Behandlung des Urochroms mit Aldehyd einen Farb- stoff gewinnen, der sich dem Urobilin ähnlich verhielt. Vielleicht deckt sich daher die Frage nach der Herkunft des Urochroms mit der nach der Her- kunft des Urobilins. Diese wird im folgenden behandelt werden. Eigenschaften. Das Urochrom ist ein amorphes braunes, hygro- skopisches Pulver, das sich in Wasser und Weingeist leicht, schwerer in absolutem Alkohol löst. Unlöslich ist es in Äther, Chloroform und Benzol, löslich in Mischungen von Äther oder Chloroform mit Alkohol. Schwer löslich ist es auch in Essigäther, Amylalkohol und Aceton. Auf Zusatz von Chlorzink und Ammoniak fluoresziert es nicht. Gefällt wird es von Silber- nitrat, Mercuriacetat, Bleiacetat, Phosphorwolframsäure und Phosphormolyb- dänsäure. Starke Säuren und Alkalien zersetzen das Urochrom schnell; langsam zersetzt es sich auch in wässeriger neutraler Lösung. Hierbei entstehen braune und schwarze Farbstoffe, auf deren Xatur hier nicht näher eingegangen werden kann. Darstellung. Auf die] komplizierte Darstellung des Urochroms kann hier nicht eingegangen werden. 2. Das Urobilin. Das Urobilin ist von Jaffe^) entdeckt und von ihm zuerst aus dem Harn isoliert worden. Andere Beobachter haben nach ihm mit veränderter Methodik Farbstoffe isoliert, deren Eigenschaften nicht vollkommen mit denen des Jaff eschen Urobilins übereinstimmen*). Ein Teil dieser Stoffe hat sich als ein Gemenge von Urobilin und anderen Farb- stoffen des Harnes erwiesen. Auch hat man die Möglichkeit im Auge zu behalten, daß Derivate des Urobilins dargestellt worden sind, was bei der großen Zersetzlichkeit dieses Stoffes nicht merkwürdig erscheint. Sicher gelöst ist indessen die Frage, ob es im Harn verschiedene Urobiline gebe, nicht. Herkunft. Aus anderen tierischen Farbstoffen hat man Körper ge- wonnen, die dem Urobilin ähnlich sind, sogenannte Urobilinoide. Durch Reduktion von Biliverdin oder Bilirubin mit Natriumamalgam erhielt Maly'') das Hydrobilirubin , Disque'^) einen Stoff, der noch mehr Analogien zum Urobilin zeigte als das Hydrobilirubin. Ferner gewannen Urobilinoide : ') Riva, Gazz. med. di Torino 47, Nr. 12. — '^) Garrod, Journ. of Physiol. 21, 190, — ä) Jaffe, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1868, S. 243; 1869, S. 177; Virchows Arch. 47, 405. — ■•) Saillet, Eev. de med. 17, 114. Mac Munn, Proc. Roy. Soc. 31, 26, 206; Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 14, 1212; Journ. of Physiol. 6, 34; 10, 73, 95. Eichholz, ebenda 14, 326. Garrod u. Hopkins, ebenda 20, 134. — ^) Maly, Ann. d. Chem. u. Pharm. 163, 77. — '^) Disque, Zeitsehr. f. physiol. Chem. 2, 259. Urobilin. 381 Stokvis 1) durch Oxydation von Cholecyauin mit Bleisuperoxyd, Hoppe- Seyler^), Le Nobel''), Nencki und Sieber ^) durch Reduktion von Hä- matin oder Hämatoporphyrin mit Salzsäure und Zinn, Garrod'') durch Einwirkung von Aldehyd auf Urochrom. Mac Munn '') erhielt durch Oxy- dation von Hämatin mit Wasserstoffsuperoxyd einen Farbstoff, der mit dem Urobilin identisch sein soll. Später hat F. Müller") durch anaerobe Gä- rung mit Kotbakterien in Peptonlösung aus Bilirubin Urobilin gewonnen. Man hielt früher das Urobilin mit dem Hydrobilirubin für identisch. Garrod und Hopkins '*) haben aber gezeigt, daß dies nicht richtig sein kann. Die chemische Zusammensetzung beider ist nämlich erheblich verschieden: In Prozenten C H N Hydrobilirubin .... Urobilin 64,68 63,46 6,93 7,67 9,22 4,09 Dagegen hat das Urobilin der Fäces, das Stercobilin, dieselbe Zusammen- setzung wie das Harnurobilin. Die eben erörterte Frage nach der Herstellung künstlichen Urobilins ist von Bedeutung für das Verständnis der Eutstehung des Urobilins im Organismus. Nach dem Gesagten ist die heute allgemeine An- schauung, daß das Urobilin aus dem Bilirubin im Darm durch Bakterienwirkung gebildet werde, berechtigt. Hierfür sprechen einmal die erwähnten MüUer- schen Versuche ■') , sowie das Vorkommen eines Farbstoffes von gleicher Zu- sammensetzung wie das Urobilin im Darme. Neugeborene, bei denen keine Fäulnisprozesse im Darme spielen, haben kein Urobilin im Harn ^^), ebenso- wenig Menschen , bei denen der Gallenabfluß in den Darm behindert ist. Auch spricht für die Anschauung der Urobilinbildung aus Gallenfarbstoff im Darme durch Fäulnisprozesse, daß bei vermehrter Darmfäulnis die Urobilin- ausscheidung ebenfalls vermehrt ist [Harley^^)]. Für die Konstitution des Urobilins und seine Verwandtschaft mit dem Blutfarbstoff' ist es bemerkenswert, daß mau aus Urobilin und auch aus Hämatin durch Oxydation ein Pyrrolderivat herstellen kann. Aus diesem entsteht dann durch Reduktion das Hämopyrrol, das entweder ein Methylpropylpyrrol oder ein Isobutylpyrrol ist^-). Das Hämopyrrol geht leicht in Urobilin über. Vorkommen. Im frisch entleerten Harn kommt das Urobilin nicht vor [Saillet 13)]^ vielmehr bildet es sich erst beim Stehen im Lichte. Man nimmt ^) Stokvis, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1873, S. 211. — ^) Hoppe-Seyler, Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 7, 1065; Zeitschr. f. physiol. Chem. 13, 117. — ^) Le Nobel, Pflügers Arch. 40, 516. — ■*) Nencki u. Sieber, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 24, 17. — ^) Garrod, Journ. of Physiol. 21, 190. — *) Mac Munn, a. a. 0. — 0 Müller, 70. Jahresber. d. Schles. Ges. f. vaterl. Kult. 1892. Med. Abt. 1. Schmidt, Yerh. d. 13. Kongr. f. inn. Med. 1895, S. 320. Beck, Wiener klin. Wochenschr. 1895, S. 617. Esser, Dissert. Bonn 1896. — ®) Journ. of Physiol. 22,451. — ^) Vgl. Gerhardt, Über Hj'drobilirubin und seine Beziehungen zum Ikterus. Dissert. Berlin 1889. Harley, Brit. med. Journ. 1896, Oktober. — 1») Müller, a. a. 0. — ^') Brit. med. Journ. 1896, Oktober. — ^'') Nencki u. Zaleski, Ber. d. deutsch, chem. Ges. 34, 997. Kü.ster, Ann. d. Chem. 315, 174 und an vielen anderen Orten. — *^) Eevue de med. 17, 114. 382 Urobiiin. — Uruerythrin. daher an, daß der frische Harn eine farblose Vorstufe des UrobiHns enthalte, das Urobilinogen. Von den quantitativen ßestimmungen des Urobilins im Harn sind die von Saillet ausgeführten am wertvollsten; denn er verwan- delte vor der Bestimmung alles rrobilinogen in Urobiiin. Müller i) und Gerhard 2), die das nicht getan hatten, haben als tägliche Urobilinmenge im Mittel 12,3 mg, im Maximum 20 mg gefunden; Saillet dagegen 30 bis 130 mg. Eigenschaften. Das Urobiiin ist amorph und nicht hygroskopisch. Seine Farbe ist bei Fällung durch Ammonsulfat braun, das aus alkoholischer Lösung gewonnene ist rotbraun. Wird es aus alkalischer Lösung durch Säure gefällt, so ist es rot. Die alkoholischen Lösungen sind bei saurer Reaktion je nach der Konzentration braun, rotgelb oder rot. Sie zeigen einen Absorptionsstreifen y im Spektrum zwischen den Fraunhoferschen Linien h und F^ der fast bis h reicht, F aber überragen kann. Außerdem zeigt sich am roten Ende des Spektrums eine Absorption, die über C hinaustagt, dazu noch eine Auslöschung des Violett. In alkalischer Lösung zeigt sich außer der Absorption im Rot nur ein Absorptionsstreifen Ö mitten zwischen Fj und F. Die alkalischen Lösungen sind je nach der Konzentration braun gelb, gelb oder gelblich grün. Setzt man zu ammoniakalischer Lösung Chlorzink, so entsteht eine j^rachtvoll grüne Fluoreszenz. Wenn man die alkalische Lösung mit Schwefelsäure vor- sichtig ansäuert, so trübt sich die Flüssigkeit, und es zeigt sich noch ein Absorptionsstreifen im Spektrum bei der Linie F, der von dem erstgenannten y durch einen schmalen Schatten getrennt ist (Spektrum des neutralen Uro- bilins). Das Urobiiin ist löslich in Alkohol, Amylalkohol und Chloroform, schwer löslich in Äther und Essigäther. Seine neutralen Lösungen fluores- zieren grün. In Wasser ist Urobiiin wenig löslich, leichter bei Gegenwart von Neutralsalzen. Durch Konzentrierung seiner Ammoniumsulfatlösung kann man das Urobiiin vollständig fällen. Alkalien lösen das Urobiiin, aus der Lösung kann es durch Chloroform nicht extrahiert werden , wohl aber aus neutraler Lösung. Aus alkalischer Lösung kann man das Urobiiin durch Ansäuern ausfällen. Von Bleiacetat und Zinksalzen wird das Urobiiin aus neutralen oder alkalischen Lösungen gefällt, von Kupfer, Silber und 3Iercuri- salzen dagegen nicht. In neutraler oder alkalischer Lösung gibt es bei Zusatz von wenig Kupfersulfat eine violette oder violettrote Färbung (Salkowski). Farbloses Urobilinogen kann man aus dem Harn nach Ansäuern mit Essigsäure durch Extrahieren mit Essigäther gewinnen. Durch Sättigen mit Ammonsulfat fällt es aus dem Harn aus. Es löst sich in Chloroform, Äther, Amylalkohol, Terpentinöl. Von Bleiacetat wird es nicht vollkommen gefällt. Durch Licht und durch eine Reihe von Chemikalien wird es in Urobiiin über- geführt. So gewinnt man aus der Fällung mit Bleiacetat das Urobilinogen als LTrobilin wieder. Der Nachweis des Urobilins geschieht auf Grund der angegebenen Eigen- schaften: Farbe der sauren und alkalischen Lösung, spektrales Verhalten, Fluores- zenz nach Chlorzinkzusatz. Auf die Darstellung kann hier nicht eingegangen werden. 3. Uroerythrin. Das Uroerythrin ^) findet sich nicht regelmäßig, aber sehr häufig im Harn, aber immer nur in geringer Menge. Durch seine Gegenwart ist die rote Farbe des Sedimentum latencium bedingt. Die Uro- ') A.a.O. — - '') A.a.O. — ^) Literatur bei Simon, Handb. d. angew. Chenaie. Hämatoporphyrin. — Urorosein. — - Proteide. 383 erythrinmenge ist vermehrt nach starken Muskelanstrengungen, nach reich- licher Schweißsekretion, nach übermäßigem Essen und nach reichlichem Trinken von alkoholischen Getränken. Das Uroerythi-in ist ein amorphes rotes Pulver, dessen Farbe ins Blau spielt. Seine Lösung zeigt im Spektrum zwei Absoi'ptionsstreifen, die von der Mitte zwischen D und E bis F reichen und die durch einen Schatten zwischen E und h getrennt sind. Es löst sich in Amylalkohol, Essigäther, Alkohol, Chloroform und Wasser mit rosa bis feuerroter Farbe. Die Lö- sungen bleichen am Licht schnell aus ; sie zeigen niemals Fluoreszenz, auch nicht auf Chlorzinkzusatz. Von konzentrierter Schwefelsäure wird die Lösung- karminrot, von Salzsäure rosa, von Alkali grün gefärbt. Die genannten Eigenschaften dienen zum Nachweis, besonders das spektroskopische Verhalten. Auf die Darstellung kann nicht eingegangen werden. 4. Hämatoporphyrin. Das Hämatoporphyrin ist regelmäßig im nor- malen Harn vorhanden, aber immer in sehr geringer Menge [Garrod^), Saillet^)]. Auch im Kaninchenliarn ist es von Stokvis ■*) gefunden worden. Über die genaue Menge, ia der es sich im Harn findet, läßt sich noch nichts Sicheres angeben, da es an einer sicheren Darstellungmethode fehlt. In größerer Menge findet es sich nach Einnahme von Sulfonal. Da das HämatoporjDhyrin ein Derivat des Blutfarbstoffes ist, so kann auf seine Eigenschaften an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, vielmehr muß auf das Kapitel Blut verwiesen werden. Die Darstellung des Hämatoporphyrins aus dem Harn kann nach ver- schiedenen Methoden geschehen, von denen hier nur die Garrodsche erwähnt werden soll. Man fällt die Phosphate des Harnes durch Zusatz von je 20 ccm lOproz. Natronlauge zu 100 ccm Harn aus. Der Phosphatnieder- schlag enthält das Hämatoporphyrin. Es wird gewaschen y dann wird aus ihm das Hämatoporphyrin mit salzsäurehaltigem Alkohol extrahiert. Man identifiziert es durch ein spektroskopisches Verhalten. 5. Urorosein. Das Urorosein ist von Nencki und Sieber •*) im Harn gefunden worden. Nach Rosin ') bildet es einen normalen Bestand- teil, nach Garrod und Hopkins'') findet es sich nur zuweilen im normalen Harn, nach Nencki und Sieb er dagegen nur in pathologischem Harn. Es entsteht aus dem Uroroseinogen, wenn man den Harn mit Mineral- säuren behandelt. Urorosein ist leicht löslich in Wasser , verdünnten Mineralsäuren, Al- kohol und Amylalkohol. Es zeigt im Spektrum einen Absorptionsstreifen zwischen den Fraunhoferschen Linien D und E. 7. Proteide. Enzyme. Gifte. 1. Proteide. Eiweiß kommt in Spuren im normalen Harn vor. Nach Mörner^) beträgt seine Menge 0,22 bis 0,078 g im Liter. ') Garrod, Journ. of Physiol. 13, 619. — -) Saillet, Eev. de med. 16, 542. — ^) Stokvis, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1896, S. 177. — *) Nencki u. Sieber, Journ. f. prakt. Chem. 26, (2) 333. — ^) Eos in, Zentralbl. f. klin. Med. 1889, S. 510; Deutsche med. Wochenscbr. 1893, S. 52; Virch. Arch. 123, 556. — ") Journ. of Pbysiol. 20, 135. — 0 «kand. Arch. f. Physiol. 6, 332 (hier die Literatur). 384 Enzyme. — Giftige Substanzen. Nucleoalbumin ist nach Mörners Untersuchungen nur in sehr geringer Menge im normalen Harn vorhanden. In geringen Mengen findet sich im Harn eine mucinartige Substanz i), die aus dem Schleim der Harnwege abstammt. 2. Enzyme. Es soll noch erwähnt werden, daß im Harn auch En- zyme 2) nachgewiesen worden sind. Pepsin hat Brücke zuerst gefunden, später wurde von Matthes gezeigt, daß es aus dem Magen stammt. Diastati- sches Ferment hat Cohnheim im Harn nachgewiesen. 3. Giftige Substanzen. Auch giftige Substanzen sind im Harn nach- gewiesen [Ptomaine, Leukomaine 3)]. Eine große Zahl von Stoffen, die im Harn teils normalerweise in minimalen Mengen, teils nur bei Krankheiten beobachtet worden sind, kann hier nur auf- gezählt werden : Cholesterin, Inosit, Fett, Milchsäure, /3-Oxybuttersäure, Acet- essigsäure, Gallensäuren, Oxymandelsäure, Pixtrescin, Cadaverin (vgl. S. 374), Leucin, Tyrosin, Hämoglobin, Methämoglobin, Melanin, Gallenfarbstofi'e. ') Skand. Arch. f. Physiol. 6, 332 (hier die Literatur). — *) Literatur vgl. Huppert-Neubauer, S. 599. — ^) Ebenda, S. 403. r /-• > JU L '•. ^^^m k -'- •. / > > .'ywi=s?^. ^ ■<;■