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STUDIEN
ZUR
GESCHICHTE DER THEOLOGIE
UND DER KIRCHE
HERAUSGEGEBEN
VON
N. BONWETSCH und R. SEEBERG
(iOTTINGEN BERLIN
ZEHNTER BAND
BERLIN
TROWITZSCH & SOHN
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HIERONYMUS
EINE BIOGRAPHISCHE STUDIE ZUR ALTEN KIRCHENGESCHICHTE
VON
LIC. Dh GEORG GRÜTZMACHER
A. O. PROFESSOR DER THEOLOGIE
ZWEITER BAND
SEIN LEBEN UND SEINE SCHRIFTEN VON 385 BIS 400
BERLIN 'V/\'i\
TROWITZSCH & SOHN ^ r>/ \
1906
Vorwort.
Es ist mir vor allem ein Bedürfnis, für die freundliche Aufnahme zu danken, die der erste Teil meiner Hieronymus- Biographie gefunden hat. Abgesehen von Einzelheiten, auf die ich in Kürze nicht einzugehen vermag, hat man von mehreren Seiten eine weitere Ausführung des Milieus für wünschenswert gehalten, ich hatte eine solche Erweiterung absichtlich vermieden, nicht etwa aus Bequemlichkeit, sondern weil nur allzuleicht die Entwicklung der Persönlichkeit, ihre Schicksale und ihre Werke, bei einer breiten Milieuschilderung nicht genügend hervortreten. Ich sehe mich schon bei der Art, in der ich mir meine Aufgabe gestellt habe, aus den Werken des Hieronymus selbst das Milieu, in dem er wirkt, zu erheben, gezwungen, dem ersten Bande noch zwei Bände folgen zu lassen. Wollte ich in gleicher Ausführlichkeit wie im ersten Bande Leben und Werke des Hieronymus behandeln, so mußte ich den letzten Lebensabschnitt des Hieronymus in weiteren zwei Bänden darstellen. Der vorliegende zweite Band behandelt die Zeit von 385 bis 400, der dritte Band die Zeit von 400 bis 420, bis zum Tode des Hieronymus. ich hoffe aber, daß der dritte Band, der zunächst den Origenistischen Streit zur Darstellung bringen wird, nicht solange auf sich warten lassen wird, wie der zweite. Ich wollte dem zweiten Band noch einen Paragraphen über das Klosterleben des
VI Vorwort.
Hieronymus und der Paula beifügen, habe aber diesen Para- graphen zurückgestellt, da ich im dritten Band von der Über- setzung der Klosterregel des Pachomius durch Hieronymus zu handeln habe.
Dieser zweite wie der folgende dritte Band erscheint im Verlag von Trowitzsch & Sohn in Berlin, der auch den ersten Band von dem bisherigen Verlag übernommen hat.
Dem dritten Bande wird das Namen- und Sachregister beigegeben werden.
Heidelberg, im Januar 1906.
Georg Grützmacher.
Inhaltsverzeichnis.
Das Leben des Hieronymus.
Seite
Kapitel VII. Die Reisen des Hieronymus bis zu seiner Niederlassung
in Bethlehem.
§ 26. Die Reise des Hieronymus und der Paula nach Antiochia 1 — 5 § 27. Die Reise der Paula und des Hieronymus durch das
Heilige Land 5—12
§ 28. Der Aufenthalt Paulas und des Hieronymus in Ägjpten 12 — 17
Kapitel Vlil.
Die ersten Jahre des Hieronymus im Kloster zu
Bethlehem.
§ 29. Die ersten literarischen Werke des Hieronymus aus seinem bethlehemitischen Aufenthalt, die Kommentare zu den vier Paulusbriefen 18—50
^5 30. Die hebräischen Studien des Hieronymus und seine ersten
alttestamentlichen Auslegungsschriften 50—74
§ 31. Zwei Übersetzungsarbeiten des Hieronymus, die 39 Lukas- homilien des Origenes und das Buch des Didymus über den heiligen Geist 74—84
§ 32. Hieronymus als Mönchsbiograph 84 — 91
^ 33. Die Bibelübersetzung des Hieronynms 91—110
§ 34. Die Kommentare zu den fünf kleinen Propheten, Nahum,
Micha, Zephanja, Haggai und Habakuk 110 — 127
§ 35. Der Schriftstellerkatalog des Hieronymus 128 — 144
VIII Inhalt.
Seite Kapitel IX. Von der Wiederanknüpfung des Hieronymus mit Rom bis zum Beginn des Origenistischen Streites.
i; 36. Der Streit des Hieronymus mit Jovinian 145 — 172
ij 37. Die Beziehungen des Hieronymus zu Rom in den neunziger
Jahren des vierten Jahrhunderts 172 — 195
i; 38. Der Jona- und Obadjakommentar 195—207
§ 39. Alte Freunde des Hieronymus, sein Verkehr mit der Heimat 208—221
tj 40. Neue Freunde und Freundinnen 222 — 243
>5 41. Der Matthäuskommentar des Hieronymus 244—270
Kapitel VII.
Die Reisen des Hieronymus bis zu seiner Nieder- lassung in Bethlehem.
§ 26.
Die Reise des Hieronymus und der Paula nach Antiochia.
Im August des Jahres 385, als die Herbstwinde wehten, bestieg Hieronymus in Ostia, dem Hafen Roms, das Schiff, das ihn nach dem Orient bringen sollte. Wir dürfen ihm glauben, daß sein Herz ruhiger schlug, als er die verhaßte Stadt verließ, als er den Staub des abscheulichen Babylon von den Füßen schütteln konnte, das ihm so schlecht gelohnt hatte. ') Vor ihm lag die heilige Stadt Jerusalem und das Ideal eines stillen Gelehrtenlebens; er ahnte nicht, daß ihm, dem ewig und überall Unverträglichen, auch das heilige Land bald ein heißer Boden werden würde. Ein treuer Freund, der Priester Vincentius, begleitete ihn auf seiner Fahrt. In Kon- stantinopel waren wir ihm zuerst in der Umgebung des Hie- ronymus begegnet'); er scheint auch in Rom sein Genosse gewesen zu sein, obwohl Hieronymus seiner nirgends in seinen römischen Briefen gedenkt. Auch der jugendliche Bruder des Hieronymus, Paulinian, von dem wir hier zum ersten Male
^) Contra Rufin. III, 22, Vallarsi II, 551: mense Augusto, flantibus etesiis cum sancto Vincentio presbytero et adolescente fratre et aliis mon- achis, qui nunc Jerosolymae commorantur, navini in Romano portu securus ascendi, maxima me sanctorum frequentia prosequente.
») s. Band I, 187—191.
Grützmacher, Hieronymus. II. 1
Bis zur Niederlassungf in Bethlehem
&
hören, und einige lateinische Mönche, die später im Bethle- hemitischen Kloster mit ihm zusammenlebten, befanden sich in seiner Reisegesellschaft. Während das römische Volk dem verhaßten Mönche seine Flüche nachsandte, gab ihm, wie er Rufin gegenüber mit Genugtuung hervorhebt, eine große Schar von Heiligen beim Abschiede das Geleit. Die Mehrzahl der Glieder des asketischen Kreises, den er in Rom um sich ge- sammelt hatte, war ihm trotz aller Anfeindungen treu geblieben und hing nach wie vor mit Liebe an dem begeisterten Apostel der Virginität.
Die Reise ging über Rhegium; hier verweilte er kurze Zeit am Scylläischen Gestade, und die alten Fabeln, die er einst in der Schule gelernt hatte, von der raschen Fahrt des vielgewandten Odysseus, von dem Gesang der Sirenen, von dem unersättlichen Schlund der Charybdis lebten in seiner Erinnerung wieder auf. An dem Vorgebirge Malea vorüber und durch die Cykladen hindurch gelangte er nach Cypern.') Hier machte er Station bei dem verehrten Bischof Epiphanius von Salamis, den er von der römischen Synode im Jahre 382 her persönlich kannte"), und genoß seine Gastfreundschaft. Dann kam er nach Antiochia, wo ihn der Bischof Paulin von Antiochia aufnahm, der ihn einst zum Priester geweiht hatte.') In der Hauptstadt Syriens scheint Hieronymus so lange ver- weilt zu haben, bis Paula und Eustochium aus Rom ein- getroffen waren, um dann in Gemeinschaft mit ihnen die Reise durch das heilige Land zu unternehmen, die sie nach Jerusalem führte. Als Hieronymus Rom verließ, rüsteten sich bereits Paula und Eustochium ebenfalls zur Reise nach dem Orient. Wenig später müssen sie ihm gefolgt sein. Den Grund, warum man eine gemeinschaftliche Abreise von Rom vermied, werden wir wohl darin zu suchen haben, daß man den bösen Nachreden nicht noch weiteren Stoff zu geben wünschte.*)
') Contra Rnfin. MI, 22, Vallarsi II, 551.
») s. Band I, 198.
») s. Band I, 175.
*) Die Annahme (Tobler und Molinier, Itinera Hierosolymitana et de-' scriptiones terrae sanctae, Genf 187Q, S. XV, Reinkens, Die Einsiedler des heiligen Hieronymus, 1863, S. 208 und 226, Anm.), daß Paula bereits 383
Bis zur Niederlassung in Bethlehem. 3
Schwer wurde Paula der Abschied gemacht. Ihr Bruder, ihre Verwandten, ihre Schwäger und ihre Kinder, die das liebe- vollste Mutterherz noch umzustimmen gedachten, beglerteten sie bis zum Hafen. Der kleine Toxotius streckte seine bittenden Hände am Ufer nach der Mutter aus, ihre Tochter Ruffina, deren Hochzeit nahe bevorstand, beschwor sie schweigend mit ihren Tränen, sie möge doch wenigstens ihre Hochzeit abwarten. Paula aber, trockenen Auges zum Himmel blickend, überwand die Liebe zu den Kindern durch ihre Liebe zu Gott.
nach der römischen Synode die Bischöfe Epiphanius und Paulinus nach dem Orient begleitet habe, ist falsch. Hieronymus sagt ausdrücklich ep. 108, 6, Vallarsi I, 688, daß sie nur voto et desiderio, nicht aber tat- sächlich mit den Bischöfen nach dem Orient reiste. Die oben gegebene Darstellung über die Zeit der Reise des Hieronymus und der Paula wird den Angaben der Quellen gerecht. Sicher ist zunächst, daß Paula und Hie- ronymus mitten im Winter von Antiochia nach Jerusalem reisten (Contra Rufin. 111, 22 und ep. 108, 7). Daß Hieronymus auf dieser Reise der Reisebegleiter der Paula war, geht aus einer gelegentlichen Erwähnung seiner Anwesenheit bei ihrem Besuch in Bethlehem hervor; ep. 108, 10: me andiente iurabat cernere se oculis fidei infantem pannis involutum vagientem in praesepe dominum. Daß aber Hieronymus die Seereise nach Antiochia nicht zusammen mit Paula, sondern vor ihr gemacht hat, läßt sich daraus folgern, daß er in dem Abschiedsbrief an Asella, den er in Ostia kurz vor Antritt seiner Fahrt nach dem Orient schrieb, Paula und Eustochium grüßen läßt (ep. 45, 6), aber ihre baldige Abreise nach Jerusalem voraussetzt (ep. 45, 2). Auch bei der Schilderung der Abreise der Paula gedenkt er seiner Anwesenheit nicht. Aus der Lebendigkeit dieser Schilderung darf man natüriich bei dem rhetorischen Pathos des Hieronymus nicht auf persönliche Anwesenheit schließen, zumal da er diese Abschiedsszene auf die später erhaltene mündliche Kunde hin ge- zeichnet hat. Bei seiner Reise führt er ausdrücklich nur als Reisebegleiter Vincentius, seinen Bruder, und einige Mönche an (Contra Rufin. III, 22). Wollte man aber annehmen, Hieronymus habe durch seinen Abschiedsbrief an Asella und die Grüße an Paula absichtlich die Römer irreführen wollen, so fällt dieser Grund Rufin gegenüber fort, der über den wirklichen Sach- verhalt unterrichtet sein mußte. Wenn man aber für die Annahme einer gemeinsamen Seereise des Hieronymus und der Paula nach Antiochia darauf hinweist, daß beide dieselben Punkte berührten und beide bei Bischof Epiphanius und Paulinus sich aufhielten (ep. 108, 7 und Contra Rufin. 111, 22), so ist doch die Übereinstimmung keine vollständige. Daß Paula sich zum Teil an den gleichen Orten aufhielt, erklärt sich einfach aus dem gleichen Reiseziel, der gleichen Reiseroute und den gleichen Be- kanntschaften.
V
4 Bis zur Niederlassung in Betiilehem.
Sie wollte nichts wissen von ihrer Mutterschaft, um sich als Magd Christi zu bewähren. Nur ein Trost blieb der Mutter, Eustochium begleitete sie, um als treue Gefährtin ihre Lebens- weise zu teilen. Das Schiff durchfurchte bereits die See, und während die ganze Reisebegleitung zurück nach dem Strande schaute, wandte Paula allein ihre Augen nach der entgegen- gesetzten Seite hin, damit sie die nicht sähe, die sie ohne Qual nicht anblicken konnte. Gewiß hat Hieronymus recht, wenn er für Paula in der Trennung von ihren Kindern, die sie so zärtlich liebte, das schwerste Opfer sah. Ihren Gatten hatte sie verloren; noch war kaum ein Jahr vergangen, seit ihre Tochter Bläsilla infolge ihrer übertriebenen Askese ihr ent- rissen war: jetzt verließ sie Heimat, Verwandte und Kinder, von denen ihr jüngstes, Toxotius, noch nicht einmal erwachsen war, um sich auf Erden zu enterben und ein Erbe im Himmel zu finden.') Die heißblütige Paula hatte Hieronymus gewonnen; sie war eine echte Nonne geworden, die das asketische Ideal, das er gepredigt hatte, mit voller Rücksichtslosigkeit und Energie er- füllte, ja in der Folgezeit durch Verschleuderung ihres Besitzes sogar rücksichtsloser und energischer, als ihm lieb war.
Das Schiff der Paula nahm zunächst dieselbe Reise- route, die kurz zuvor Hieronymus mit seinen Genossen be- fahren hatte. Aber die vornehme Römerin konnte es sich schon auf dieser Seereise nicht versagen, möglichst alle Stätten zu besuchen, an die sich teure Erinnerungen aus der christ- lichen Vergangenheit knüpften. So landete sie auf der Insel Pontia, dem Verbannungsort der Flavia Domitilla, der Nichte Kaiser Domitians, und besuchte die Räume, in denen diese angeblich ein langes Martyrium für ihr Christenbekenntnis erduldet hatte. Nach der Durchfahrt durch die Scylla und Charybdis gelangte sie bei ruhiger Fahrt durch das Meer der Adria nach Methone, wo sie ihrem Körper ein wenig Ruhe gönnte. An der Insel Rhodus und Lycien vorüber kam sie nach Cypern, wo sie wie Hieronymus bei Bischof Epiphanius zehn Tage Rast machte, den sie während der römischen Synode in ihrem Palast beherbergt hatte. Sie besuchte die
') Ep. 108, 6.
Bis zur Niederlassung in Bethlehem. 5
Klöster in der Nähe von Salamis und beschenkte die Mönche reich, die die Liebe zu dem Mönchsvater Hilarion aus aller Welt dahin zusammengeführt hatte, wo dieser gestorben war. Von dort ging es in kurzer Fahrt nach Seleucia und dann zu Lande hinauf nach Antiochia. Wie Hieronymus stieg sie auf kurze Zeit im Hause des Bischofs Paulin ab und begann dann in Gemeinschaft mit Hieronymus die Reise durch das heilige Land.')
§ 27.
Die Reise der Paula und des Hieronymus durch das
heilige Land.
Mitten im Winter bei der heftigsten Kälte') brachen Paula und Eustochium mit Hieronymus und seinen Freunden von Antiochia auf. Die vornehme Frau, die früher gewohnt ge- wesen war, von Eunuchen in einer Sänfte getragen zu werden, verzichtete auf alle Bequemlichkeiten und bestieg den Esel.') Der Bischof Paulin von Antiochia, der des Landes kundig war, übernahm die Führung der Reisegesellschaft.') Die Reise ging zunächst durch Kölesyrien und Phönizien. in Sarepta besuchte man den kleinen Turm des Propheten Elia,') dann gelangte
') Ep. 108, 7.
"") Contra Rufin. III, 22 und ep. 108, 7.
») Ep. 108, 7.
*) Contra Rufin. IH, 22: deductus ab eo (seil. Paulino) intravi Jero- solymam.
'") Antonini Piacentini Itinerarium c. 2, ed. Gildemeister, Berlin 1889, S. 2. In diesem im Jahre 570 verfaßten Itinerar des heiligen Landes sind die von den Pilgern besuchten heiligen Stätten schon erheblich vermehrt und in den späteren Itinerarien (die Itinera Hierosolymitana ed. T. Tobler und A. Molinier, Genf 1879) sind sie noch vi'eiter gewachsen. Nur eine ältere Beschreibung einer Pilgerfahrt nach dem heiligen Lande als die des Hieronymus besitzen wir in der 333 unternommenen Reise der Pilgerin von Bordeaux: Itinerarium a Bordigala Hierosolymam, ebenfalls bei Tobler und Molinier.
6 Bis zur Niederlassung in Bethlehem.
man an Tyriis vorüber nach dem alten Akko, dem damaligen Ptolemais. Durch die Gefilde Megiddos, wo König Josia seinen Tod fand,') kam man in das Land der Philister und bewunderte die Ruinen des einst mächtigen Dor. Dann ging es nach Caesarea, wo das Haus des Hauptmanns Cor- nelius, das zu einer christlichen Kirche umgewandelt war,') und die Wohnung des Evangelisten Philippus und seiner vier jungfräulichen und prophetischen Töchter von der Reisegesell- schaft besichtigt wurden. Auf der Straße von Caesarea nach Jerusalem berührte man das halbzerstörte Antipatris und das alte Lydda, das damalige Diospolis, berühmt durch die Wunder der Auferweckung der Dorkas ') und der Heilung des Aeneas.*) Die Pilger besuchten Arimathia, die Stadt des Joseph, der den Herrn begrub, die einstige Priesterstadt Nobe und endlich Joppe. Die letztere Stadt besaß eine doppelte Berühmtheit: aus Joppe war der Prophet Jona geflohen, und hier zeigte man auch den Felsen, an dem Andromeda angeschmiedet, von Perseus befreit worden war.) Weiter reisend gelangte man nach Nicopolis, dem alten Emmaus, nach Unter- und Ober-Bethoron, und von dort, indem man Ajalon, die Stadt, in der josua Sonne und Mond Befehl gab, und Gibeon, die Stadt der Holzfäller und Wasserträger, rechts liegen ließ, nach dem voll- ständig zerstörten Gibea. Hier rastete Paula kurze Zeit. Sie gedachte der Sünde der Gibeoniten, des in Stücke geteilten Weibes (Rieht. 20, 4 ff.), und daß nur um des Apostels Paulus halber 300 Männer des Stammes Benjamin bei dem Blutbad verschont blieben. Das gewaltige Mausoleum der Königin
') Hieronymus besitzt die unbestimmte Vorstellung, daß die große Ebene die Ebene von Megiddo gewesen sei; s. Schlatter, „Zur Topographie und Geschichte Palästinas", Calw 1893, S. 298.
'-) Die Pilgerin von Bordeaux erwähnt nur einen balneus Cornelii, Itin. Hier. cd. Geyer S. 15.
*) Nach der Apostelgeschichte 9, 36—43 wurde Dorkas von Petrus in Joppe erweckt, Antonini Piacentini c. 46, S. 33 nennt Joppe auch als Begräbnisstätte.
*) Act. 9, 33.
*) Hier. Comm. in Jon. I, 3, Vallarsi VI, 394: hie locus est, in quo usque hodie saxa monstrantur in^ littore, in quibus Andromeda religata Persei quondam sit liberata praesidio.
Bis zur Niederlassung in Bethlehem. 7
Helena von Adiabene') zur Linken lassend, erreichte Paula mit ihren Begleitern das letzte Ziel ihrer Sehnsucht, Jerusalem.
Obwohl der Prokonsul von Palästina, der Paulas Familie gut kannte, der adligen Römerin Diener entgegensandte und sie im Prätorium Wohnung zu nehmen einlud, wählte sie in Jerusalem eine niedrige Herberge. Die durch die heiligsten Erinnerungen geweihten Stätten besuchte sie mit solcherlnbrunst, daß es ihr schwer wurde, sich von der einen loszureißen und zur andern zu wenden. Sie betete unter dem Kreuz des Herrn,") sie betrat das Grab des Herrn,') küßte den Stein, welchen der Engel von der Grabestür gewälzt hatte,') und den Ort, wo der Leichnam des Herrn gelegen hatte. Sie sah die Säule mit dem Blute des Erlösers befleckt, an die er bei der Geiß- lung gefesselt war, und die jetzt die Halle einer Kirche trug.') Sie weilte an dem Ort, wo am Pfingstfest der heilige Geist auf die 120 gläubigen Seelen herabgekommen war. ') Aber die Stadt der Geburt des Erlösers, Bethlehem, machte auf Paula einen noch tieferen Eindruck als die Stadt seines Leidens und Sterbens. Stand doch auch im Mittelpunkt der Frömmigkeit der Zeit das Wunder der Menschwerdung, nicht der Tod der Erlösers. Auf dem Wege von Jerusalem nach Bethlehem hatte Paula zur Rechten der Staatsstraße noch das Grabmal der Rahel besichtigt.') In Bethlehem eilte sie zu
^) Die Fürstin Helena von Adiabene lebte zur Zeit des Kaisers Claudius. Eine geborene Mesopotamierin, Proselytin des Judentums, wurde sie später von der Legende mit der Kaiserin Helena, der Gemahlin Konstantins, zu einer Person verschmolzen; s. Zahn, Forschungen zur Geschichte des Kanons 1,374. Monabazus, der Sohn der Helena, hatte für sie und ihren Sohn Izates drei Stadien von Jerusalem das große Mausoleum erbaut. Joseph. Antiqu. XX, 4, 3; Eusebius, Hist. eccl. II, 12; Itinerarium a Bordigala Hierosolymam S. 15.
*) Antonini Piacentini c. 20. S: 14.
^) Über der Grabstätte erhob sich nach der Pilgerin von Bordeaux, S. 18, die Basilika des Kaisers Konstantin.
^) Cyrill von Jerusalem, Katechese 13, bezeugt ebenfalls die Existenz des Auferstehungssteines; nach Antonini Piacentini c. 18, S. 13 war der Stein zu seiner Zeit mit Gold und Edelsteinen geziert.
'") Pilgerin von Bordeaux, S. 17: columna adhuc ibi est, in qua Christum flagellis ceciderunt; s. auch Antonini Piacentini c. 22, S. 16.
") Ep. 108, 9.
') Pilgerin von Bordeaux, S. 19 und Antonini Piacentini c. 28, S. 20.
8 Bis zur Niederlassung in Bethlehem.
der Geburtshöhle des Erlösers: visionäres Entzücken ergriff sie, sie schaute mit den Augen des Glaubens das in Windeln gewickelte Kind, den wimmernden Herrn in der Krippe, die anbetenden Magier, den glänzenden Stern darüber, Maria, die Mutter und Jungfrau, den fleißigen Nährvater Joseph, die herbeieilenden Hirten, die gemordeten Knaben, den wütenden Herodes, die Flucht Josephs und Marias nach Egypten. Unter seligen Freudentränen rief sie: Gegrüßet seist du, Bethlehem, Brothaus, in dem jenes Brot geboren wurde, das vDm Himmel herabkommt; gegrüßet seist du, Ephrata, fruchtreichste und fruchttragende Gegend, deren Fruchtbarkeit der Herr ist. ') Es ist verständlich, daß eine so aufrichtig fromme, für sinn- liche Eindrücke religiös empfängliche Frau wie Paula die ganze Wonne empfand, an der heiligsten Stätte zu weilen, wo der Himmel die Erde geküßt hatte. Schon damals wählte sie Bethlehem als Ruheplatz, weil es die Heimat ihres Herrn war. Hieronymus scheint mit weit nüchterneren Gedanken die Reise mitgemacht zu haben. Er weiß von sich keine Ver- zückung beim Anblick der Geburtshöhle des Erlösers zu be- richten, trocken registriert er seine Erlebnisse: ich sah viele Wunder, und was vorher das Gerücht mir überliefert hatte, habe ich mit eignen Augen gesehen. ) Das gelehrte Interesse an den Lokalitäten des heiligen Landes scheint schon damals bei ihm neben dem religiösen wirksam gewesen zu sein."*) Vielleicht beunruhigte ihn auch die übertriebene Wohltätigkeit, die Paula übte, so daß er sich bereits Sorgen für die Zukunft machte. Überall merkt er in seinem Reisebericht der Paula an, daß sie in Cypern, in Jerusalem und später bei den
•) Ep. 108, 10.
") Contra Rufin. 111, 22, Vallarsi 11, 551.
*) Später hat er die Kenntnis des heiligen Landes noch erweitert, s. Praef. ad lib. Paralipomena iuxta LXX, Vallarsi X, 431 (s. auch Zöckler, S. 147): quomodo Oraecorum historias niagis intelligunt, qui Athenas viderint . . . ita sanctam scriptiiram lucidius intuebitur, qui ludaeam oculis contemplatus est et antiquaruiu urbiuin niemorias, locorumque vel eadem vocabula vel mutata cognoverit. Unde et nobis curae fuit cum eruditissimis Hebraeorum hunc laborem subire, ut circuniiremus provinciam, quam universae Christi ecciesiae sonant.
Bis zur Niederlassung in Bethlehem. 9
nitrischen Mönchen ihre Gebefreudigkeit ausgiebig betätigte.*) Dies ist allerdings geschrieben, als er nach dem Tode der Paula unter den Folgen ihrer profusen Wohltätigkeit zu leiden hatte; aber es ist sehr wohl möglich, daß Hieronymus sich bereits auf der Reise Gedanken darüber machte. —
Von Bethlehem nahm die Pilgerkarawane nach Süden ihren Weg. Man benutzte die alte Straße nach Gaza; hier bot die Quelle eine denkwürdige Erinnerung, in der der Eunuch vom Philippus getauft worden war.') Von Bethsur gelangte man nach Eskol und von dort nach Hebron. Diese Stadt und ihre Umgebung war besonders reich an Gedenkstätten aus der Patriarchengeschichte. Hier zeigte man die Zelle der Sara, die Wiege des Isaak, die Reste der Therebinthe des Abraham,') das Grab des Enaksohnes Adam*) und das aus Ziegelsteinen erbaute Grabdenkmal des Kaleb. Am folgenden Tage bei Sonnenaufgang zogen die Reisenden weiter auf die Anhöhe von Kapharbarucha. Vor dem Auge breitete sich die weite Wüste, die Gegend, wo die untergegangenen Städte Sodom und Gomorra, Adama und Seboim gelegen hatten, und die Balsampflanzungen und Weinstöcke von Engeddi und Segor. Im Gedächtnis an die Schandtat der Töchter Lots hielt Paula an dieser Stätte ihren jungfräulichen Gefährtinnen eine Lektion, in der sie eindringlich vor dem Weingenuß warnte. Hier hatte die Reise den südlichsten Punkt erreicht und man kehrte über Thekoa, die Heimat des Propheten Amos, nach Jerusalem zurück. In Jerusalem bestiegen sie noch den Ölberg, die Stätte der Himmelfahrt Christi, wo sich zum Gedächtnis ein glänzendes Kreuz befand,') und besuchten das Grab des
1) Ep. 108, 7; 108, 10; 108, 14.
^) Ep. 46, 19 ad Marcellam; Pilgerin von Bordeaux, S. 19; Antonini Piacentini c. 32, S. 22.
') Joseph. Bell. Judaicum IV, 9, 7. Die Pilgerin von Bordeaux, S. 19, hat die Therebinthe sechs Stadien von Hebron noch 333 gesehen und die hier auf Befehl Konstantins errichtete Basilika. Schlatter, Zur Topographie und Geschichte Palästinas S. 221, nimmt die Vernichtung der Therebinthe im Aufstande der Juden gegen Konstantin an.
*) Josua 14, 15.
'") Die Pilgerin von Bordeaux, S. 18, erwähnt hier eine von Konstantin errichtete Basilika.
10 Bis zur Niederlassung in Bethlehem.
Lazarus,') das gastliche Haus Marias und Marthas und den Flecken Bethphage.') Dann wandte man sich nach Norden geraden Wegs nach Jericho. Auch diese Stadt war voll von teuren Erinnerungsstätten: an den barmherzigen Samariter, an den Zöllner Zachäus, der die Sykomore bestieg, um Jesum zu sehen,') und an die Heilung der beiden Blinden. Von Jericho ging es nach Gilgal und von dort an die Ufer des Jordan, dessen Wasser sich auf Befehl des Elias und Elisa wie eine Mauer gestellt und den Durchzug gestattet hatten, und in dem der Erlöser getauft war.') Man zog weiter nörd- lich nach Bethel, wo sich die Gräber Josuas und Eleazars, des Sohnes des Hohenpriesters Aaron, befanden, und nach Silo, wo der zerstörte Altar gezeigt wurde. Man weilte in Sichern, dem damaligen Neapolis, und besuchte die Kirche, die an dem Berg Garizim angelehnt über dem Jakobsbrunnen erbaut war. ) Dann machte man nach Nordwesten einen Abstecher zu den Gräbern der zwölf Patriarchen und nach Sebaste, dem alten Samaria. Hier an den Gräbern des Elisa,") Obadja und Johannes des Täufers ') bot sich den Pilgern ein erschütterndes Bild: Von Dämonen besessene Menschen heulten wie Wölfe, bellten wie Hunde, brüllten wie Löwen oder Stiere und zischten wie Schlangen. Andere drehten den Kopf im Kreise, wieder andere beugten sich rück- wärts mit dem Scheitel bis zur Erde, und Frauen hatten sich am Fuß aufgehängt, aber ihre Kleider fielen doch nicht über das Gesicht herab.') Tiefes Mitleid ergriff Paula und sie bat
') Pilgerin von Bordeaux, S. IS; Antonini Piacentini c. 16, S. 12.
') Alle diese Stätten werden auch in dem Briefe der Paula und Eustochium ep. 46, 12, Vallarsi 1, 206ff. genannt. Des auf dem Ölberg er- richteten Kreuzes gedenkt Hieronymus auch Kommentar zum Zephanja 1, 15 u. 16, Vallarsi VI, 6Q2: de Oliveto monte quoque crucis fulgente vexillo plangere ruinas tempii sui populum miserum s. Vallarsi I, 695, Anm. c.
^) r^ilgerin von Bordeaux, S. 19; Antonini Piacentini c. 15, S. 11.
•*) Antonini Placeutini c. 9.
*) Pilgerin von Bordeaux, S. 16, ohne aber eine Kirche zu erwähnen.
*) Antonini Piacentini c. S, S. 6.
■) Hieron. Comm. zum Mich. Vallarsi VI, 437: Sebaste, in qua et sancti Johannis Baptistae ossa sunt condita.
**) Ep. 108, 13; Vallarsi 1, 697. Auch am Grabe Christi befanden sich
Bis zur Niederlassung in Bethlehem. 11
für die Unglücklichen um die Barmherzigkeit Christi. Obwohl Paula jetzt von den ungewohnten Anstrengungen der Reise angegriffen war, wollte sie doch keine biblische Sehenswürdig- keit vorüberlassen. Zu Fuß bestieg sie noch den Berg bei Samaria, in dessen zwei Höhlen zur Zeit der Verfolgung und Hungersnot der Prophet Obadja 100 Propheten mit Wasser und Brot ernährt hatte. In schnellem Fluge stattete man noch den heiligen Orten Galiläas, Nazareth, Kana, Kapernaum und dem See von Tiberias '), einen Besuch ab, bestieg den Tabor, den Berg der Verklärung des Herrn'), und genoß den Blick
nach ep. 46, 8, Vallarsi 1, 204 solche Dämonische: si nobis non credimus, credamus saltem diabolo et angelis eins, qui quotiescunque ante illud de obsessis corporibus expelluntur quasi in conspectu tribunalis Christi stantes contreniiscunt, rugiunt et sero dolent crucifixisse, quem tinieant. Ähnliche, zum Teil sich wörtlich deckende Beschreibungen Dämonischer hat Vallarsi 1, 697 Anm. c gesammelt: Hilarius, Contra Constantium n. 8, wo auch von Frauen die Rede ist, die ohne Stricke in der Luft hängen oder am Fuß aufgehängt sind und deren Kleider nicht in das Gesicht fallen; vgl. Sulp. Sev. Dialog. 3, Paulinus v. Noia, Natalis S. Felicis c. 7.
') Contra Rufin. 111, 22: vidi quoque formosissimum lacum.
2) Ep. 108, 13; Vallarsi 1, 13. Mit der Besteigung des Tabor bricht der Reisebericht des Hieronymus ab, unmittelbar daran schließt sich die Schilderung der Reise nach Ägypten. Es scheint also, als ob Paula vom Tabor direkt nach Ägypten gereist sei. Da aber die Reisegesell- schaft bei der Reise nach Ägypten Orte, die an der Straße von Jerusalem nach Gaza liegen, berührt hat, so ist es wahrscheinlich, daß man vom Tabor zunächst nach Jerusalem zurückkehrte (Leipelt, Ausgewählte Schriften des Hieronymus, deutsch H, 14). Auf welchem Wege wissen wir nicht; wahrscheinlich nahm man den Rückweg über Silo und Bethel, wie Paula es bei der projektierten Reise mit Marcella in Aus- sicht nimmt (ep. 46, 12). Der Reisebericht, den Hieronymus Contra Rufin. III, 22 gibt, ist so kurz, daß aus ihm auch nichts mit Sicherheit zu schließen ist. Nach ihm ist Hieronymus von Antiochia nach Jerusalem gelangt und von dort, d. h. doch von Jerusalem nach Ägypten geeilt. Merkwürdig ist es, daß Hieronymus sich nicht ausdrücklich bei Be- schreibung der Reise der Paula (ep. 108, 14) als Reisebegleiter nennt. Daß er aber daran teilnahm, geht sicher daraus her\or, daß er bei der Anwesenheit Paulas in Bethlehem zugegen war und eine genaue Kenntnis der Lokalitäten des heiligen Landes besitzt, die wahrscheinlich auf die mit Paula unternommene Rundreise durch das heilige Land zurückgeht.
12 Bis zur Niederlassung in Bethlehem.
auf den in der Ferne sich erhebenden Hermon, die weiten Gefilde Galiläas, den Bach Kison und die Stadt Nain. Über Silo und Bethel kehrt man vermutlich auf demselben Wege nach Jerusalem zurück, —
§ 28. Der Aufenthalt Paulas und des Hieronymus in Ägypten.
Nur kurze Zeit werden Hieronymus und Paula in Je- rusalem geweilt haben, dann traten sie die Reise nach Ägypten an. Man zog auf dem Landwege die alte Straße nach Gaza über Socho an der Quelle des Simson') vorbei nach Morasthim, wo über dem Grabe des Propheten Micha sich eine Kirche erhob. Nachdem man Gath, Maresa und Lachis hinter sich hatte, begann die mühevolle Wüstenwanderung durch den weichen Sand, der den Reisenden unter den Füßen wich, bis zum Bach Sihor bei Rhinocorura, der die Grenze zwischen Palästina und Ägypten bildete. Dann durchzogen sie die fünf Städte Ägyptens, in denen die kanaanitische Sprache gesprochen wurde, das Land Gosen und die Ebene Tanis, bis sie nach Alexandria, dem alten No, gelangten. ')
in Alexandria verweilte man fast einen Monat, und hier trat Hieronymus in innige Beziehungen zu dem Leiter der altberühmten Katechetenschule, dem blinden Didymus. Auch
') Antonini Piacentini c. 32, S. 22.
") Die Namen im Reisebericht nach Ägypten ep. lOS, 14, Vallarsi I, 698 sind schlecht überliefert und zum Teil nicht zu identifizieren. So liest Vallarsi Sochoth nach 1. Sam. 17, 1, einem Lagerplatz der Philister, aber Leipelt, Ausgewählte Schriften S. 114, hat statt dessen Socho eingesetzt, was in den Zusammenhang besser palit. Der Ortsname Chorreos vor Gath-Rimmon in Juda und der Landschaftsname Idumea vor Lachis, wo man in der Aufzählung einen Stadtnamen erwartet, scheinen auch der Korrektur zu bedürfen. Erst die Prüfung der handschriftlichen Überlieferung wird hier ein sicheres Urteil ermöojiclien.
Bis zur Niederlassung in Bethleiiem. 13
sein Freund und späterer Gegner Rufin hatte zu den Füßen des gelehrten Mannes gesessen. ') Schon in Rom hatte Hieronymus im Auftrage des römischen Bischofs Damasus die Schrift des Didymus über den heiligen Geist zu über- setzen begonnen, ohne sie jedoch zu vollenden.') Jetzt lernte er ihn persönlich kennen und mit großem Eifer suchte er den kurzen alexandrinischen Aufenthalt auszunutzen, um von ihm zu lernen. Hieronymus bezeichnete es sogar als den Haupt- zweck seiner Reise nach Ägypten, daß er den heißen Wunsch hatte, die Bekanntschaft des Didymus zu machen und ihm Fragen über schwierige Schriftstellen vorlegen zu können.') Paula hatte jedenfalls bei der Reise nach Ägypten kein anderes Motiv gehabt, als die Heroen der Weltentsagung bewundern und ihnen ihre Verehrung bezeugen zu dürfen. Hieronymus, der in der Mitte der Vierziger stand, und dessen Haare sich bereits grau färbten, schämte sich nicht, den Vorträgen des Didymus über die Schriftauslegung beizuwohnen."*) Er ver- anlaßte auch Didymus, einen Kommentar zu dem Propheten Hosea zu schreiben, da der große Lehrer des Didymus, Origenes, keine vollständige Auslegung des Propheten hinter- lassen hatte. Didymus kam der Bitte nach und widmete den vierbändigen Hoseakommentar seinem eifrigen Schüler. Eben- falls auf Bitte des Hieronymus verfaßte er auch einen Kom- mentar zum Propheten Sacharja. ) Hieronymus war eben damals noch von der größten Hochschätzung für Origenes erfüllt und so schloß er sich auch mit Begeisterung an Didy- mus an, zumal dieser die Heterodoxien des großen Alexan- driners, so gut es ging, zu retouchieren wußte, ohne ihn aber preiszugeben.) Mit Stolz nannte Hieronymus noch später den
») Rufin, Contra Hieron. II, 12, Vallarsi il, 642.
'') s. Band 1, 213 ff.
^) Comm. in ep. ad Ephes., prol., Vallarsi VII, 539.
*) Ep. 84,3 Vallarsi I, 520. — Comm. in Hoseam prol. Vallarsi VI, XXIV.
^) Comm. in Hoseam prol. Vallarsi VI, XXHl und Comm. in Zach, prol., Vallarsi VI, 777; Contra Rufin. III, 28, Vallarsi II, 558.
") Ep. 84, 10, Vallarsi I, 527: Didymus errores eins (seil. Origenis) nititur excusare, ut tarnen illius esse fateatur, non scriptum negans sed sensum scribentis edisserens. Aliud est, si qua ab haereticis addita sunt, aliud, si quis quasi bene dicta defendat.
14 Bis zur Niederlassung in Bethlehem.
ö
blinden und doch sehenden Didymus seinen Lehrer in der Schriftausiegung neben Gregor von Nazianz ') und benutzte mit Dank in seinem Epheser- und Galaterkommentar die Kommentare des Didymus. ) Dies mußte aber anders werden, als Hieronymus im Streit mit Rufin den Bruch mit Origenes vollzog, im Jahre 395 hatte Didymus hochbetagt die Augen geschlossen, und Hieronymus brauchte nicht mehr die Vor- würfe seines einstigen Lehrers zu fürchten. In dem um 401 geschriebenen Brief an Pammachius und Oceanus tritt uns diese Wandlung des Hieronymus entgegen: Es ist ihm plötz- lich sehr unangenehm, daß er in einem Briefe an Didymus diesem seinem Lehrer seine Ehrfurcht bezeugt hatte, zumal da er diesen Brief selbst nicht mehr besitzt, aber seine Gegner ihn gegen ihn ausspielen. Er behauptet jetzt, daß dieser Brief sonst nichts Kompromittierendes für ihn enthalte. Didymus ist ihm ein Verteidiger der Ketzereien des Origenes geworden, der sich vergeblich bemüht habe, dem zweifelhaften Sprachgebrauch des Origenes einen kirchlich korrekten Sinn unterzuschieben. ) Und Rufin gegenüber, der ihn verspottet, daß er immer von seinem Lehrer Didymus spreche,') erklärte er: Wir preisen sein Ge- dächtnis und die Reinheit seines Glaubens über die Trinität, aber worin er dem Origenes in schlechter Weise vertraut habe, rücken wir von ihm ab.') Auch habe er nur die durchaus orthodoxe Schrift des Didymus über den heiligen Geist über- setzt. Während Didymus dem Rufin ein dogmatisch an- stößiges Werk über die Frage, warum die Kinder sterben, dediziert habe, in dem er die abscheulichen Heterodoxien des Origenes vom präexistenten Sündenfall aufwärme, habe er ihm nur den unverfänglichen Hoseakommentar gewidmet.') Es ist
») Ep. 50, 1, Valiarsi I, 235.
-') Comni. in Eph. prol., Valiarsi VII, 543. — Conini. in Gal. prol. Valiarsi VII, 360.
^) Ep. 84, 10, Valiarsi I, 527.
*) Rufin, Contra Hier. II, 12, Valiarsi II, 642.
*) Contra Rufin. II, 16, Valiarsi II, 507; Contra Rufin. HI, 27, Valiarsi II, 556: in Didynio vero et meinoriani praedicanuis et super trinitate fidei puritatem, sed in caeteris, quae Origeni male credidit, iios ab eo re- trahinuis.
«) Contra Rufin. III, 28, Valiarsi II, 558.
Bis zur Niederlassung in Bethlehem. 15
für den Charakter des Hieronymus bezeichnend, daß er den einst so bewunderten Mann, den er gelegentlich noch den gelehrtesten Mann seiner Zeit nennt, dessen Freundschaft er sich rühmt und dessen Jesaiakommentar er benutzt, preis- gab, als er selbst zu einem engherzigen Orthodoxen wurde.') Auch an seiner Exegese findet er jetzt allerlei auszusetzen: der Kommentar zu Hosea sei ein ganz allegorisches Werk, das den geschichtlichen Sinn wenig berücksichtige,") Es kann uns dies nicht wunder nehmen; Treue gegenüber seinen Freunden war nicht eine Eigenschaft des Hieronymus, wenn sie in den Geruch der Ketzerei kamen.
Von Alexandria aus besuchte die Reisegesellschaft die ni- trische Mönchskolonie, die Stadt des Herrn, wie sie Hieronymus nennt. ) Es scheint nur ein kurzer Besuch gewesen zu sein, der aber Paula aufs höchste enthusiasmierte. Der heilige und ehr- würdige Konfessorbischof Isidor ging der vornehmen Römerin aus konsularischem Geschlecht in feierlicher Prozession mit den Mönchen, von denen viele Priester und Diakonen waren, ent- gegen. Die Weltflüchtigen bewiesen oft einen feinen Instinkt in der Menschenbehandlung. Paula frohlockte zwar über die Verherrlichung des Herrn, aber bekannte sich zugleich einer solchen Ehre ganz unwürdig. Sie warf sich vor jedem einzelnen der Heiligen nieder, in denen sie Christus zu schauen glaubte; sie lernte den jüngeren Macarius, Arsenius und Serapion kennen')
') Comm. in Hos. prol. Vallarsi Vi, S. XXIII; Comm. in Jes. prol., Vallarsi IV, 5. Im Brief an Augustin ep. 112, 20, Vallarsi I, 747, nennt er Didymus als Psalmenkommentator.
-) Comm. in Zach, prol., Vallarsi VI, 777.
^) Der Aufenthalt in Nitria ist nach dem Besuch in Alexandria an- zusetzen. Dies geht deutlich aus ep. 108, 14, Vallarsi I, 698 hervor: et urbem No, quae postea versa est in Alexandriam, et oppidum domini Nitriae. Für die Meinung Vallarsis XI, 92, der die Reihenfolge umkehrt, spricht nichts: denn der kurze Reisebericht Contra Rufin. III, 22, Vallarsi II, 551, erwähnt den Aufenthalt in Alexandria überhaupt nicht. Auch für die Vermittelungshypothese Zöcklers, S. 149, Anmerk. 2, der den Besuch in Nitria in die 30 Tage des alexandrinischen Aufenthaltes setzt, läßt sich nichts Durchschlagendes beibringen.
*) Was die genannten Eremiten betrifft, so kann zunächst der Konfessorbischof Isidor nicht mit Isidor von Pelusium identifiziert werden
16 Bis zur Niederlassung in Bethlehem.
und wünschte nicht eingedenk ihres Geschlechts und der körperlichen Gebrechlichkeit mit ihren jugendlichen Gefährtinnen unter so vielen tausend Mönchen zu wohnen. Hieronymus scheint die Begeisterung seiner Freundin nicht geteilt zu haben. Daß er aber bereits damals unter den Chören der Heiligen zu Nitria die verborgenen Giftschlangen der origenistischen Ketzerei erkannt habe, ist eine dreiste Fälschung der Wahr- heit.') Er, der damals noch ein entschiedener Bewunderer des Origenes war und soeben mit Didymus einen innigen Freund- schaftsbund geschlossen hatte, sah damals im Origenismus noch nicht das Gift, das er erst später in ihm erkannte. Auf den Entschluß der Paula, sich nicht in der nitrischen Mönchs- kolonie dauernd niederzulassen, sondern nach Bethlehem zurück- zukehren, hat aber gewiß Hieronymus eingewirkt. Die bösen Erfahrungen, die er einst in der Eremitenkolonie der Wüste Chalcis bei Antiochia gemacht hatte, ließen es ihm nicht rätlich erscheinen, es noch einmal mit einer Niederlassung inmitten der Heiligen zu versuchen. Vielleicht fürchtete er auch bei der für asketischen Heroismus so empfänglichen Paula den konkurrierenden Einfluß dieser Heiligen auf die ihm ergebene Frau. Er wollte ihr einziger Heiliger sein und bleiben.
Wegen der glühenden Sonnenhitze kehrte man nicht auf dem Landwege von Ägypten nach Palästina zurück, sondern
(s. Zocker, S. 150, Anm. 1, gegen Vailarsi I, 704), da Isidor (t um 450) nur Presbyter und auch jünger als der hier genannte Isidor war. Richtiger werden wir ihn wohl für einen Bischof des in der Nähe der nitrischen Wüste gelegenen Hermopolis parva zu halten haben (s. Vailarsi XI, 91). Mit Macarius kann nur der jüngere nitrische gemeint sein (Palladius Hist. Laus. c. 7), da der ältere damals bereits tot war. Serapion ist identisch mit dem von Palladius (Hist. Laus. c. 7) genannten Heiligen Nitrias und Arsenius mit dem von Socrates (Hist. eccl. IV, 27) genannten. Rufin (Contra Hieron. II, 12, Vailarsi II, 642) nennt unter anderen auch Macarius, den Jüngeren, Isidor und Serapion als solche, die er bei seinem 6jährigen Aufenthalt in Ägypten persönlich kennen gelernt habe. Ob Isidor und Serapion — von letzterem bemerkte Rufin ausdrücklich, daß ihn Hiero- nymus nicht persönlich gekannt habe — mit den von Hieronymus ge- nannten Isidor und Serapion identisch sind, ist möglich, bleibt aber bei der Häufigkeit dieser Namen fraglich.
') Contra Rufin. III, 22, Vailarsi 11, 551: inde contendi Ägjptum, lustravi monasteria Nitriae et inter sanctorum choros aspides latere perspexi.
Bis zur Niederlassung in Bethlehem. 17
fuhr zu Schiffe von Pelusium nach Majuma, der Hafenstadt Gazas, und zwar, wie Hieronymus sagt, mit solcher Schnelligkeit, daß man Paula und ihre Reisegesellschaft für einen Vogel hätte halten können. Man ließ sich jetzt dauernd in Bethlehem nieder, aber noch drei Jahre mußte man mit einer engen Herberge vorlieb nehmen, bis die Zellen der Klöster und die an der durch Bethlehem führenden Staatsstraße er- richteten Pilgerherbergen fertiggestellt waren.')
») ep 108, 14, Vallarsi II, 699 u. Contra Rufin. III, 22, Vallarsi II, 551.
Grützmacher, Hieronymus. II.
Kapitel VIII.
Die ersten Jahre des Hieronymus im Kloster
zu Bethlehem.
§29.
Die ersten literarischen Werke des Hieronymus aus
seinem betlilehemitischen Aufenthalt, die Kommentare
zu den vier Paulusbriefen.
Nach der Rückkehr nach Bethlehem begann Hieronymus sogleich seine literarische Tätigkeit aufzunehmen. Er selbst sagt: Ich gab mich nicht träger Muße hin, sondern lernte vieles, was ich vorher nicht wußte.') Durch die exegetischen Vorträge des Didymus angeregt, wandte er sich zunächst der neutestamentlichen Exegese zu. Die Briefe des Paulus wollte er in selbständigen Kommentaren behandeln. Er gedachte ursprünglich alle Paulusbriefe zu kommentieren,) aber sein beweglicher Geist wurde nach Vollendung der vier Kommentare zum Philemon-, Kolosser-, Epheser- und Titusbriefe von neuen wissenschaftlichen Arbeiten angezogen. Wie er die Über- setzung der Schriften des Origenes nicht vollendete, so blieb auch der geplante Oesamtkommentar zu allen Paulinen ein Torso. Paula und Eustochium hatten ihn zu dieser Arbeit veranlaßt, ihnen hat er auch die Auslegungsschriften gewidmet.
Mit dem kleinsten Briefe des Paulus, dem Philemonbrief,
») Contra Rufin. III, 22, Vallarsi II, 551.
«) Comm. in Eph. Hb 11 praef., Vallarsi VI, 585 ut cepta in apostolum explanatio ipsius Pauli, cuius epistolas conannir exponere, orationibus compleatur.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 19
begann er seine Arbeit. Er nennt, wie im Kommentar zum Titusbrief, keinen älteren Kommentar, den er benutzt hat. Dar- aus folgern zu wollen, daß er tatsächlich keinen benutzt hat, wäre sehr gewagt, da Hieronymus, wie Zahn scharf sagt, unter allen lateinischen Dieben einer der ärgsten und ver- schlagensten war.') Zunächst könnte man an eine Benutzung des Origenes denken, der den Philemonbrief kommentiert hat.') Bei der Bezeichnung des Epaphras als des Mitgefangenen des Paulus bemerkt Hieronymus, daß einige — er gebraucht gerne den Plural, wenn er auch nur einen Ausleger im Auge hat, um seine Abhängigkeit zu verdecken — unter dieser Gefangen- schaft allegorisch die Gefangenschaft der Seele im Leib ver- stehen. Diese Auslegung, die Rufin sich in seiner Streitschrift gegen Hieronymus bei seiner Anklage auf Origenismus nicht entgehen ließ, und die auch im Epheserkommentar wieder- kehrt, hat er sicher von Origenes.') Sonst läßt sich die Ab- hängigkeit von Origenes hier nicht nachweisen, da Hieronymus in diesem Kommentar fast ganz die Allegorie vermeidet. Ob er noch andere und welche Kommentare er benutzt hat, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Mir scheint der Kommentar selb- ständiger und weniger flüchtig als seine späteren Kommentare gearbeitet zu sein, mehr wage ich nicht zu behaupten. Je mehr Hieronymus zum Vielschreiber wurde, um so mehr ver- zichtete er auf eigenes Nachdenken und hielt es für bequemer, andere Autoren einfach auszuschlachten. —
In der Vorrede zum Kommentar kommt Hieronymus auf die Gegner der Kanonizität und Authentizität des Briefes zu sprechen. Die Kritiker, deren polemische Erörterung Hierony- mus wiedergibt, beanstandeten den Brief seines persönlichen Inhalts und seines privaten Charakters halber, sei es, daß man ihn von Paulus ableitete oder von einem anderen geschrieben sein ließ. Der Brief galt ihnen nicht für inspiriert, da der
*) Zahn, Forschungen zur Geschichte des Kanon II, 8S.
-') s. ein Bruchstück des Origeneskommentars: Pamphilus, Apologia pro Origene Delarue IV, 696 ff. s. Zahn, Geschichte des neutestamentl. Kanons II, 1002.
^) Rufin, Contra Hieron. I, 40, Hieron., Comm. in Ephes. 3,1, Vallarsi VII, 587.
2*
20 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Zustand der Inspiration bei den Aposteln wie bei den Pro- pheten kein stetiger gewesen sei; denn solche Bemerkungen des Paulus, daß er den Mantel in Troas gelassen (2. Tim. 4, 13) und solche Ausbrüche leidenschaftlichen Hasses (Gal. 5, 12) könne man unmöglich als Zeugnisse des durch Paulus reden- den Christus ansehen. Allein Jesus Christus sei dauernd im Besitze des heiligen Geistes gewesen. Auch im Philemon- briefe fänden sich rein persönliche Mitteilungen des Apostels: „Bereite mir eine Herberge" (V. 22), ja der ganze Brief enthalte nichts Erbauliches. Selbst wenn er von Paulus sei, sei er ein Empfehlungsbrief und kein Lehrbrief. Des nichtssagenden, einfältigen Inhalts halber gehöre er nicht in den Kanon. Endlich sei er auch von den Meisten der Alten als Bestand- teil des Kanons zurückgewiesen worden.') Es ist nun die Frage, wo wir diese entschiedenen Bestreiter der Kanonizität des Philemonbriefes zu suchen haben. Da die Zeitgenossen des Hieronymus, die Antiochener Chrysostomus und Theodorus von Mopsuestia, sich ebenfalls gegen Angriffe auf die Kano- nizität des kleinen Paulusbriefs wenden, und da die Kirche zu Edessa zur Zeit Ephraims, wenn nicht alles trügt, den Brief nicht anerkannt hat, ^) so werden wir die Kritiker des Briefes in der ostsyrischen Kirche zu suchen haben. Es sind sicher gelehrte theologische Reflexionen, nicht Nachwirkungen alter Tradition, die hier zur Verwerfung des Briefes geführt haben. Gegen diese Kritiker wendet sich Hieronymus zunächst nicht mit eigenen Argumenten, sondern mit solchen, die er einem orthodoxen Apologeten entnommen hat. Zahn glaubt in diesem Didymus oder Apoliinaris erkennen zu können; letztere Annahme scheint sich mehr als die erstere zu empfehlen, obwohl wir sonst nichts von einem Kommentare des Apolli-
') s. die gründlichen Erörterungen bei Zahn, Geschichte des Kanon I, 267 ff. und II, 997: „Die Gegner und Verteidiger der Kanonizität des Philemonbriefes im 4. Jalirluindert". Nur scheint mir eine reinliche Scheidung in der Vorrede zum Kommentar unmöglich zwischen dem, was Hieronymus seiner Quelle entlehnt, und dem, was er selbst hinzugesetzt hat. Auch werden sich nicht mit Sicherheit zwei Gruppen von Kritikern des Philemonbriefes erkennen lassen, von denen die eine vor der Zeit des Hieronymus, die andere zu seiner Zeit gelebt hat.
^) s. Zahn, Geschichte des Kanons I, 267 und II, 1003.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 21
naris zum Philemonbriefe wissen. Sollte der ungenannte Theologe — Hieronymus spricht auch hier nach der beliebten Manier im Plural — ApoUinaris sein, so könnte dieser An- nahme zur Stütze dienen, daß Hieronymus in seinem Philemon- kommentar sich fast durchweg einer historischen Auslegung des Briefes befleißigt, die er dann zum großen Teil dem ApoUinaris entnommen hätte. Der anonyme Apologet stellte den Kritikern des Briefes zunächst entgegen, daß in allen Paulusbriefen, auch den von ihnen als kanonisch anerkannten, sich Äußerungen fänden, die auf die menschliche Schwach- heit des Apostel Paulus Bezug nehmen. Wie könnte man also diese Äußerungen gegen die Inspiration des Philemon- briefes ausspielen, zumal da nach dem Worte des Erlösers (Matth. 25,34) einen Becher kalten Wassers dem Durstigen darzureichen. Armen die Füße zu waschen, für sie ein Kalb zu schlachten und eine Mahlzeit zu bereiten doch nicht nur keine Sünde sei, sondern auf diese Werke der Nächstenliebe hin die Christen zu Gotteskindern angenommen würden. Eine freie und tiefe Auffassung des Wesens des Christentums spricht aus diesen Worten gegenüber einer Kritik, die dog- matisch engherzigen Köpfen entsprungen war. Wenn wir auch sonst keine anderen Anzeichen hätten, so könnten wir schon aus diesen Gedanken der Vorrede zum Philemon- kommentar schließen, daß sie nicht das Eigentum des Hiero- nymus waren. Und doch ist es wieder für die Anempfindungs- fähigkeit des Hieronymus bezeichnend, daß er solche Argumente sich zu eigen machte. Endlich verweist Hieronymus — er scheint hier selbst zu sprechen die Gegner der Kanonizität des Briefes darauf, daß selbst Marcion, der die Pastoralbriefe nicht aufgenommen habe, den Philemonbrief als kanonisch recipierte und nicht einmal einer Redaktion wie die übrigen Paulinen unterzogen habe.') Hieronymus zeigt auch, daß er ein Verständnis besitzt für das überaus zarte Schreiben, das uns in die Seele des großen Apostels einen tiefen Blick tun läßt. Er nennt es mit evangelischer Anmut geschrieben und
*) Hieronymus weiß dies nicht aus eigner Kenntnis Marcions, sondern aus Tertullian, Adv. Marc. V, 21, s. Zahn, Geschichte des neutest. Kanons II, 426.
22 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
bezichtigt mit Recht die, welche den Brief der EinfaU be- schuldigen, des Mangels an Verständnis für das, was in den einzelnen Worten an Kraft und Weisheit verborgen ist.')
Da es der erste Paulusbrief war, den Hieronymus kom- mentierte, suchte er zunächst eine Antwort auf die Frage zu geben, warum und wann Saulus den Beinamen Paulus an- genommen habe, den er seinen Briefen vorsetze. Da die heilige Schrift darauf keine Antwort enthielt, so war man auf Kombinationen angewiesen. So finden wir denn bei Hiero- nymus zuerst die später weit verbreitete Hypothese, daß, wie Scipio von der Unterwerfung Afrikas den Beinamen Africanus, Metellus von der Besiegung Kretas Creticus, die römischen Kaiser nach den von ihnen unterjochten Volksstämmen Ad- iabenici, Parthici, Sarmatici genannt wurden, Paulus nach dem ersten Beutestück seiner Heidenmission, dem Prokonsul Sergius Paulus, den Beinamen Paulus angenommen habe.') Über die Familie des Apostel Paulus teilt uns Hieronymus eine ihm überkommene Überlieferung mit — die Quelle nennt er leider nicht -, daß die Eltern des Apostels Paulus aus Gyskalis in Judäa stammten. Hier sei Paulus geboren und erst später, als die Römer die Provinz verwüstet hätten, mit seinen Eltern nach Tarsus in Cilicien gebracht worden. Ein gleiches Schicksal habe auch die Familie des Epaphras und Aristarchus betroffen, die nach Colossae gebracht worden seien, weshalb Paulus sie als seine Mitgefangenen bezeichnet.')
Da Paulus sich im Philemonbriefe wie im Epheser-, Phi- lipper- und Kolosserbrief einen Gefangenen Christi nennt, so kann der Brief nur aus der Gefangenschaft des Paulus ge- schrieben sein, und da im f^hilipperbriefe ein Gruß vom Hausgesinde des Kaisers (Philipp. 4, 22) bestellt wird, so kann man nach Hieronymus nur an die römische Gefangen- schaft des Paulus denken. Onesimus ist der Überbringer dieses Schreibens des Paulus wie desKolosserbriefes. Er soll ihn seinem Herrn Philemon und Archippus, wahrscheinlich dem Bischof von Colossae, bestellen. Timotheus wird als Mitadressat genannt,
•) Comm. in Phil, prol., Vallarsi VII, 741 ff.
*) Comm. in Phil, ad 1, Varliarsi VII, 745; de vir. ilinst. c. 5.
ä) Comm. in Phil, ad 23 und 24, Vallarsi Vll, 762; de vir. illiist. c. 5.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 23
weil ein von zweien geschriebener Brief ein größeres Ansehen beanspruchen kann. Der Apostel Paulus habe nämlich immer, wenn er einen Brief diktierte, ohne jede Spur von Eifersucht, in seinen Briefen angemerkt, wenn der heilige Geist etwas einem seiner Genossen eingegeben habe.')
Mit lebendiger Phantasie zeichnet Hieronymus die Situation, die den Anlaß zu dem Schreiben gegeben hatte. Der Sklave Onesimus hatte seinen Herrn Philemon heimlich verlassen, nachdem er ihm ein Hausgerät gestohlen hatte. Er war nach Italien geflohen, weil er dort nicht zu fürchten brauchte, man werde ihn leicht entdecken. Hier hatte er das Geld seines Herrn in schwelgerischem Leben durchgebracht. Von Paulus in Rom bekehrt und getauft, wusch er die Flecken seines früheren Lebens durch würdige Buße ab.") Und der großherzige Apostel, der im Kerker in Fesseln lag, der in qualvoller Finsternis unter dem Schmutz des Leibes und unter der Trennung von seinen Lieben litt, dachte nicht an sich, sondern nur an das Evangelium Christi und wollte den Sklaven, Flücht- ling und Dieb Onesimus bei sich behalten, damit er im Guten beharre.')
Die Exegese des Briefes ist im ganzen geschickt und natürlich. Nur zum Vers 22 glaubt er den Apostel ent- schuldigen zu müssen, daß er sich eine Herberge bestelle. Er tue dies nicht, weil er reich oder mit vielem Gepäck beschwert sei; für den Raum seines Leibes wäre er mit einem kleinen Raum zufrieden gewesen: aber der Apostel durfte nicht an einem schlechten Platz wohnen, wenn er zur Predigt des Evangeliums in eine Stadt kam. Er mußte darauf sehen, daß er schlechte Nachbarschaft, wie die Nähe des Theaters oder eines Bordells vermied, und ein großes Haus aufsuchen, das viele Leute fassen konnte.') Hieronymus vermeidet in diesem Kommentar fast ganz die Allegorie, zu der allerdings in diesem Briefe auch nichts zu verlocken schien. Nur am Schluß des
') Dieser Gedanke stammt nach Zahns Vermutung (Geschichte des Kanon II, 1003) von Didymus.
*) Comm. in Phil, ad S und 9, Vallarsi VII, 755. ") Comm. in Phil, ad 10, Vallarsi VII, 756. *) Comm. in Phil, ad v. 22, Vallarsi VII, 761.
24 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Briefes, wohl um Paula und Eustochium mit seiner Gelehr- samkeit zu imponieren, deutet er alle im Briefe vorkommenden griechischen und lateinischen Namen, als ob sie hebräische wären, wobei er uns Übersetzungen wie z. B. Philemon = Mund des Brotes und andere mehr bietet.') Diese Namendeutungen kombiniert er dann noch miteinander und weiß so den Schein eines wunderbaren Tiefsinns zu erwecken. Es ist ein starkes Stück, daß Hieronymus, der damals schon gründlichere Kennt- nisse im Hebräischen besaß, wahrscheinlich aus Origenes diesen Unsinn in seinen Kommentar herübergenommen hat.
Noch eins zeichnet diesen Kommentar des Hieronymus vor seinen späteren aus, in denen er es versäumt hat: er gibt überall an, wo die altlateinische Übersetzung nach seiner Meinung den griechischen Text unrichtig oder undeutlich wiedergegeben hat.')
Für exegetische Schwierigkeiten, wie sie z. B. im Vers 4 vorliegen, wo der Apostel von der Liebe und dem Glauben an Christus und seine Heiligen spricht, zeigt er eine Empfindung, wenn er die Schwierigkeit auch recht oberflächlich dadurch zu lösen versucht, daß der Glaube an Gott auf keine andere Weise zustande käme, als indem man seinen Heiligen glaube, die Wahres über Gott geschrieben haben.
Für die theologischen Überzeugungen des Hieronymus sind endlich die Erörterungen nicht ohne Wichtigkeit, die er an Vers 14 knüpft: Ohne deine Zustimmung aber wollte ich nichts tun, damit deine gute Tat nicht gleichsam erzwungen, sondern freiwillig wäre. Hier gibt nach Hieronymus der Apostel eine Antwort auf die Frage, warum Gott den Menschen nicht unwandelbar gut geschaffen habe. Der Mensch sollte nicht durch Zwang, sondern durch freien Willen gut sein; denn so war er Gott ähnlich, der ihn nach seinem Bilde schuf und ihm den freien Willen gab, da Gott auch gut ist, weil er das Gute will, nicht weil er dazu gezwungen wird. ')
^) Comm. in F'hil. ad v. 25, Vallarsi VII, 764.
2) Comm. in Phil, ad v. 20, Vallarsi VII, 752. Der Lateiner liest ita für )'«/, aber das griechische vai ist nach Hieronymus ebenso schwer wie das hebräische n;x wiederzugeben.
») Comm. in Phil, ad 22, Vallarsi VII, 756 ff.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 25
Wenige Tage nach Vollendung des Philemonkommentars begann er an dem Galaterkommentar zu arbeiten. Er hatte soeben einen Brief aus Rom erhahen, der ihm Kunde brachte von dem Tode der Albina, der ehrwürdigen Mutter seiner Freundin Marcella. So widmete er denn diesen Kommentar neben Paula und Eustochium der gelehrten Marcella als ein Zeichen seiner Anteilnahme an dem Verlust, der sie betroffen hatte. Bescheidener und offener, als er sonst pflegte, nennt er die Kommentare, die er bei seiner Arbeit benutzte. Viel- leicht fürchtete er das scharfe Urteil der Marcella, die, wie er aus seinem römischen Aufenthalt wußte, sich nicht rasch zu- frieden gab, sondern alles prüfte, und in der er nicht sowohl eine Schülerin als Richterin über seine Werke sah. Sein Kommentar sollte der erste lateinische werden, der diesen Namen verdiene; denn der einzige bisher vorhandene des G. Marius Victorinus war nach seinem Urteil völlig unbrauch- bar. Im Anschluß an die Griechen, vor allem an Origenes, glaubte Hieronymus ein würdiges Werk schaffen zu können. So sind wir hier besser als beim Philemon- und Titus- kommentar über die von ihm benutzten Quellen unterrichtet. Von Origenes haben ihm der fünfbändige Kommentar, die kurze Auslegung im zehnten Buch seiner Stromata, verschiedene Traktate und Excerpte zum Galaterbriefe vorgelegen. Ferner hat er aus den exegetischen Arbeiten des Didymus und Apollinaris, eines alten Häretikers Alexander,') des Eusebius von Emesa und Theodor von Heraclea einzelnes in seinen Kommentar herübergenommen. Leider besitzen wir keinen dieser Kommentare mehr, so daß wir nicht mit Sicherheit das von anderen Kommentatoren Entlehnte von der eigenen Arbeit des Hieronymus abgrenzen können. Durch die Generalbeichte in der Vorrede zu seinen Kommentaren verstand es Hieronymus, seine Unselbständigkeit und Abhängigkeit zu verdecken. Im Kommentar selbst nennt er nur an einer Stelle Origenes,')
^) Es ist wohl der Valentinianer Alexander gemeint; s. Zahn, Ge- schichte des neutest. Kanons I, 728.
2) Comm. ad Gal. 3, 1, Vallarsi VII, 418; ad 4, 28, Vallarsi VII, 474; ad 5, 13, Vallarsi VII, 494 (Zitat aus dem 10. Buch der Stromata); ad 5, 24, Vallarsi VII, 513.
26 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
obwohl er ihn fortwährend benutzt. Zahns Urteil ist durch- aus zutreffend: Besäßen wir von Origenes Auslegung des Galaterbriefes ähnlich große Stücke wie von derjenigen des Epheserbriefes, so würden wir sicherlich einen ebenso voll- ständigen Beweis für die Abhängigkeit des Hieronymus von ihm führen können.') Bei den drei uns in der Apologie des Pamphilus aufbewahrten Bruchstücken des Origeneskommentars ist die Benutzung durch Hieronymus erweislich, obwohl er zu keiner der drei Stellen Origenes als seine Quelle nennt.*) Sicher hat Hieronymus auch zu Gal. 1, 19 einen auf Hegesipp fußenden Bericht des Origenes über Jakobus den Gerechten und seinen Nachfolger Simeon benutzt, da er hier Jakobus den Gerechten wegen seiner ausgezeichneten Sitten, seines unvergleichlichen Glaubens und seiner nicht geringen Weisheit Bruder des Herrn genannt sein läßt, während er in seiner Schrift gegen Helvidius Jakobus den Gerechten mit dem Apostel Jakobus Alphäi Sohn identifiziert und ihn zum Vetter Jesu gemacht hatte.')
Als Inhalt des Galaterbriefes bezeichnet Hieronymus in der Vorrede dasselbe Thema, das der Apostel im Römerbriefe behandle, das Aufhören des alten und die Einführung eines neuen Gesetzes. Während aber Paulus im Römerbriefe belehrt, schilt er hier, um die törichten Galater durch seine Autorität zum rechten Glauben zurückzuzwingen. Ein weiterer Unter- schied ist der, daß Paulus im Galaterbriefe an Heidenchristen schreibt, die durch die Autorität solcher erschreckt wurden, welche versicherten, daß Petrus, Jakobus und die Kirchen Judäas das Evangelium Christi mit dem alten Gesetz ver- bunden hätten, daß auch Paulus anders in Judäa handle und anders den Heiden predige, und daß sie vergeblich an den Gekreuzigten glaubten, wenn sie das vernachlässigten, was die Apostelfürsten beobachteten. Deshalb geht Paulus so vorsichtig den Mittelweg, damit er weder gedrängt durch das
') Zahn 11, 429, Anm. 5.
2) Zu Gal. 1, 1; Gal. 1, 11; Gal. 4, 4; Delarue IV, 690 ff.; s. Zahn, Geschichte des neutest. Kanons 11, 429, Anm. 5.
^) Vallarsi VII, 346: s. Zahn, Forschungen zur Geschichte des Kanons VI, 273.
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Gewicht und die Autorität seiner Vorgänger die Gnade des Evangeliums preisgebe, noch seinen Vorgängern Unrecht tue, wenn er die Gnade verteidige. Ja, Paulus geht auf gekrümmten Wegen und gleichsam durch geheime Laufgräben einher, in- dem er lehrt, daß das Verhalten des Petrus durch die Rück- sicht auf das ihm anvertraute Volk der Beschneidung ein- gegeben sei, damit es nicht plötzlich von der alten Art zu leben ablasse, am Kreuz Ärgernis nehme und vom Glauben abfalle, daß es aber für ihn, den Paulus, als Heidenmissionar angemessen sei, das als Wahrheit zu verteidigen, was Petrus der Heilsökonomie halber verleugne. Diesen komplizierten Sachverhalt habe Porphyrius nicht durchschaut und deshalb im ersten Buche seines Werkes uarä Xgioriavcov behauptet, daß Petrus von Paulus getadelt worden sei, weil er nicht auf dem rechten Weg bei der Verkündigung des Evangeliums einhergehe. Porphyrius werfe dem Petrus Irrtum, dem Paulus Frechheit vor, nur um das Dogma der Christen der Lüge zu zeihen, da die Führer der Kirchen sich untereinander wider- sprechen.')
Über die Frage nach der Abfassungszeit und dem Ab- fassungsort des Galaterbriefes hat sich Hieronymus in seinem Kommentar nicht ausgesprochen. Auch Gal. 4, 13, wo Paulus von einem früheren Aufenthalte in Galatien spricht, hat ihm keinen Anlaß gegeben, Vermutungen über die Gründungszeit der galatischen Gemeinden zu äußern.
Sehr ausführlich hat er sich dagegen über die Adressaten des Paulusbriefes ausgelassen.') Es sind die Bewohner der Landschaft Galatien, deren Hauptstadt Ancyra ist. Diese Galater stammen nach Laktanz aus Gallien und haben sich in Galatien mit den Griechen vermischt.') Wie vom Orient nach dem Occident Völkerwanderungen stattgefunden haben — Hieronymus gedenkt hier der Gründung Karthagos durch die
') Comm. in Gal. Praef., Vallarsi Vll, 370ff.
2) Comm. in Gal. Hb II, praef. Vallarsi VII, 425.
') Das Zitat stammt aus dem 3. Band der verlorenen Briefsannnlung des Lactantius ad Probum, s. Harnack, Altchristi. Literaturgeschichte II, 737 ff. Die Nachricht des Marcus Varro über die Galater hat uns Hierony- mus nicht mitgeteilt.
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Tyrier und der ausgedehnten griechischen Kolonisation bis zum fernen Westen — so sind umgekehrt die Galater aus Gallien, Abkömmlinge der wilderen keltischen Stämme, nach Kleinasien gewandert. Seine ursprünglichen Eigenschaften hat der Volksstamm auch bis heute noch bewahrt; deshalb nenne sie der Apostel töricht und wahnsinnig. Und Hieronymus, der die Galater aus eigener Anschauung kannte — auf seiner Reise von Aquileja nach Antiochia hatte er Galatien berührt — bezeugt, daß noch zu seiner Zeit Ancyra durch Schismata zerrissen sei. Neben den sonst in der Christenheit verbreiteten Sekten der Montanisten, Ophiten, Borboriten und Manichäer gibt es in Galatien die sonderbaren Sekten der Tascodrogen oder Passalorynciten und der Artotyriten.') Die Galater sind auch im Orient die einzigen, die nicht griechisch, sondern eine den Trevirern verwandte Sprache sprechen, die etwas verderbt ist, ähnlich wie in Afrika das Phönizische korrumpiert ist und auch das Lateinische als Weltsprache einen stetigen Umwandlungsprozeß durchlebt.
Den ganzen Galaterkommentar des Hieronymus durch- zieht die Polemik gegen Marcion. Da Hieronymus von der Lehre des gefährlichen Häretikers nur eine ganz unklare Vor- stellung hat, so verdankt er diese Mitteilungen über den Text und die Auslegung des Marcion dem damit wohl vertrauten Origenes, wie Zahn erwiesen hat.")
') Über die Tascodrogiten (Asi<odrugiten, Ascodrobi) oder griechisch Passalorynciten und die Artotyriten, einen Zweig der Montanisten oder Marcioniten, deren Eigentünihciikeit der Gebrauch von Brot und Käse bei der Eucharistie war, s. Zaini, Oeschiciite des neutest. Kanons II, 437. Zahn stellt die ältesten Nachrichten über diese Häresien aus Epiphanius und Philaster zusammen.
*) Geschichte des Kanons II, 426 ff. zu Gal. 1, 1; 3, 1; 3, 13; 4, 24; 5, 12; 6, 6. Vallarsi VII, 375, 418, 434, 473, 493, 523. Nur die Stelle Gal. 5, 10, Vallarsi VII, 490 bezieht sich nicht, wie Zahn meint, auf Marcion, sondern auf Porphyrius, s. Comm. in Gal. praef., Vallarsi VII, 371. Wichtig sind besonders die Stellen: Gal. 5, 12: „O daß doch verschnitten würden, die euch verwirren", die gegen Marcion und Valentin von Origenes bzw. Hieronymus verwandt wird. Marcion und Valentin nennen den Demiurgen grausam und hart, aber ein härteres Urteil als des Apostels des guten Gottes werden sie im Alten Testament nicht aufweisen können. Gal. 6, 6 legie Marcion nach Origenes resp. Hieronymus so aus, daß der Kate-
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Von den übrigen Gnostikern erwähnt Hieronymus noch Basilides und Valentin, von denen er ebenfalls nur aus Origenes etwas wußte. Er stellt sie immer mit Marcion zusammen und sie sind für ihn besonders bösartige Ketzer, die das Alte Testament verworfen und den heiligen Geist nicht gehabt haben. Von Valentin weiß er wenigstens noch aus Origenes, daß er eine eigentümliche Äonenlehre vorgetragen hat.') Über den Gnostiker Apelles und die Philumene zeigt sich Hiero- nymus durch Tertullians verlorene Schrift gegen Apelles unter- richtet.) Die Polemik gegen die Ebioniten, die Christus für einen bloßen Menschen halten und die Beschneidung üben, scheint Hieronymus ebenfalls aus dem Kommentar des Origenes geschöpft zu haben. Er bringt hier zu Gal. 3, 14 die merk- würdige Notiz, daß der angebliche Häresiarch Ebion, der halb Jude und halb Christ war, die Stelle Deut. 21, 23 „Verflucht ist jeder, der am Holz hängt", erklärt habe, (Wl vßgic: ßeov 6 KQ£ji(äjii€}'oc:.'') Da Hieronymus sonst keine selbständige Kenntnis über den Enkratiten und Doketen Cassianus verrät, wird er die Auslegung der Stelle Gal. 6, 8: „Wer auf das Fleisch säet, wird vom Fleisch das Verderben ernten", die Cassianus im Sinne eines vollständigen Eheverbots deutete, ebenfalls dem Kommentar des Origenes entnommen haben.')
chumene mit seinem Lehrer an allem Guten teilnehmen solle, also auch am Gebete, wodurch die Schranke zwischen Getauften und Katechumenen aufgehoben würde, s. Krüger A. Marcion R. E. 'XII, 273. Zu Gal. 3, 6, Vallarsi Vll, 422 merkt Origenes resp. Hieronymus an, daß Marcion die Verse Gal. 3, 6 — 3, 9 getilgt habe. Zu Gal. 4, 4 hat Hieronymus die Mit- teilung des Origenes über Marcion mißverstanden, s. Zahn, Geschichte des neutest. Kanons II, 431. Er erweckt den Schein, als ob Marcion yevö/tf^vov öiä yvvaiKÖg statt fk ywaiuöc; geschrieben habe, während nach Zahn Marcion diesen Satz getilgt hat imd eine Verwechselung mit Valentin vorliegt.
') Ad Gal. 1, 11 und 12, Vallarsi Vll, 386; ad Gal. 5, 2, Vallarsi Vll, 493; ad Gal. 1, 4, Vallarsi Vll, 378: Valentini deliramenta et fabulae con- temnendae sunt, qui triginta aiöivac; suos ex eo, quod in scripturis saecula legantur, affinxit, dicens eos esse animalia et per quadradas et ogdoadas, decadas quoque et duodecadas tot edidisse numeros saeculorum, quot in Aeneide foetus scropha generavit.
2) Ad Gal. 1, 9, Vallarsi Vll, 383.
^) s. Harnack, Altchristi. Literaturgeschichte S. 209.
*) Ad Gal. 6, 8, Vallarsi Vll, 526. Es ist sicher mit Zahn nicht
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Als eigene Zutaten des Hieronymus werden wir dagegen die Erwähnung des Piiotinus, ') den er neben Ebion, des Mani,"^) den er neben Marcion stellt, und des Arius zu betrachten haben.) Auch gegen Laktanz, der den heiligen Geist mit Vater und Sohn identifiziert,*) und seinen Lehrer Apollinaris, der Christus halbiert, polemisiert er gelegentlich, gegen letzteren jedoch, ohne ihn namentlich zu nennen. ) Auch gegen Chrysostomus — denn dieser wird unter dem sehr gelehrten Mann unserer Zeiten zu verstehen sein — führt er einen Hieb. Er verspottet seine Auslegung von Gal. 6, 11, wonach Paulus als Hebräer die griechischen Buchstaben nicht kannte und, weil er seinen Brief unterschreiben mußte, mit Mühe die krummen Linien in großen Zügen nachmalte.")
Ausführlicher setzt sich Hieronymus mit dem Heiden Porphyrius in seinem Galaterkommentar auseinander. Da(3 er eine selbständige Kenntnis von der Schrift des Neuplatonikers gegen die Christen besaß, ist fraglos, aber auch bereits Apollinaris wird in seinem von Hieronymus benutzten Kommentar den schärfsten und gewandtesten Gegner des Christentums bekämpft haben, so daß er bei ihm Anleihen machen konnte. Hieronymus kündigt hier sogar eine ausführliche Gegenschrift gegen Porphyrius an, die aber wie so viele andere geplante Arbeiten des Hieronymus nie zur Ausführung gekommen ist. Sie wäre auch nur ein Konglomerat aus den Werken seiner Vorgänger ge- worden, vermehrt um einige bissige und boshafteBemerkungen.")
Tatianus, sondern Cassianus zu lesen, s. Forschungen zur Geschichte des Kanons I, 6 ff. und Harnack, Altchristi. Literaturgeschichte, S. 202 ff.
') Ad Gal. 1, 1.
■-) Ad Gal. 1, 1 und Gal. 4, 24.
■') Ad Gal. 5, 9, einmal gedenkt er auch der Novatianer ad Gal. 4, 19, Vallarsi Vi!, 467.
*) Ad Gal. 4, 6, Vallarsi VII, 450, Hieronymus nennt das 8. Buch der Briefe des Lactantius ad Deuietrianuni als Quelle, während er de vir. illust. c. 80 nur 2 Bücher Briefe ad Demetrianum erw<ähnt. An einer Stelle, wahrscheinlich im Galaterbrief, werden wir einen Schreibfehler anzu- nehmen haben.
^) Ad Gal. 1, 1, Vallarsi VII, 375.
«) Ad Gal. 0, 11, Vallarsi VII, 530.
") Ad Gal. 2, 13, Vallarsi VII, 410: sed et adversum Porphyrium in alio, si Christus iusserit, opere pugnabimus.
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Die Proben, die er hier im Kommentar in der Widerlegung des Por|3hyrius gibt, lassen eine solctie Vermutung berechtigt erscheinen. Wenig glücklich stellt er den Streit des Petrus und Paulus in Antiochia, Gal. 2, 13, als Scheingefecht hin, um so den Vorwürfen des Porphyrius zu entgegnen. Und ohne durchschlagende Gründe lehnt er die Deutung des Porphyrius von Gal. 1, 16 ab, wonach unter dem Fleisch und Blut, mit dem Paulus nach seiner Bekehrung nicht zusammen gekommen sei, Petrus, Johannes und Jakobus zu verstehen sei, mit denen er ein Zusammentreffen vermieden habe.')
Besonderes Interesse hat Hieronymus in seinem Kom- mentar auf die Textkritik gewandt. Er legte seiner Aus- legung die altlateinische Übersetzung, nicht seinen korrigierten Text, zugrunde und merkte immer ausdrücklich an, wo er die Übersetzung nach den griechischen Kodices der Korrektur bedürftig hielt.) Den von ihm benutzten griechischen Text bezeichnete er einmal ausdrücklich als den Text des Origenes, an zwei anderen Stellen führte er die Lesart des
>) Gal. 2, 13, Vallarsi VII, 410; Gal. 1, 16, Vallarsi VH, 391 und ohne Porphyrius zu nennen, Gal. 5, 10, Vallarsi VII, 490; Gal. 5, 12, Vallarsi VII, 493.
^) Gal. 1, 16 will er mit den Griechen statt non acquievi carni et sanguini lesen non contuli cum carne et sanguine, Vallarsi VII, 391 ; Gal. 2, 5 lesen latini Codices: quibus ad horam cessimus subiectioni, Hieronymus zieht die Lesart der Griechen vor non ad horam, Vallarsi VII, 399, 401; Gal. 5, 4 lautet die altlateinische Übersetzung: evacuati estis a Christo, die nach dem Griechischen zu korrigieren ist: in Christi opere cessastis, Vallarsi VII, 481; Gal. 5,7 id quod nunc latinus posuit interpres, veritati non oboedire et in graeco scriptum est: tij ü/.tjüriit. in) nFiOrötiai in superiori loco ita interpretatus est: non credere veritati. Quod quidem nos in vetustis codicibus non haberi, in suo loco annotavimus, licet et graeca exemplaria hoc errore confusa sint, Vallarsi VII, 487; Gal. 5, 8 ex Deo hält Hieronymus für einen Schreibfehler aus ex eo, Vallarsi VII, 487; Gal. 5, 9 will Hieronynms die altlateinische Lesart: modicum fermentum totam conspersionem fermentat ersetzt wissen durch modicum fermentum totam massam corrumpit, Vallarsi VII, 488; Gal. 6, 17 will Hieronymus nach den Griechen de caetero labores mihi nemo exhibeat lesen statt de caetero nemo mihi molestus sit, Vallarsi VII, 534; vergl. ferner Gal. 4, 28, Vallarsi VII, 474; Gal. 5, 24, Vallarsi VII, 513; auch über den altlateinischen Text von Luc. 22, 37 ad Gal. 4, 4; von Apost. 15, 29 ad Gal. 5, 2; von 1. Kor. 13, 3 ad Gal. 5, 26.
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Origenes an.') Es ist bezeichnend für die Unselbständigkeit der Arbeit des Hieronymus, daß er Sätze des lateinischen Textes, die sich im Griechischen nicht fanden, einfach nicht kommen- tierte und dann die naive Begründung hinzufügte: er habe sie nicht ausgelegt, da er in den von ihm benutzten griechischen Kommentatoren nichts darüber gefunden habe.")
Auch auf die Zitate aus dem Alten Testament richtete Hieronymus sein Augenmerk. Er machte es dabei zu einem methodischen Grundsatz seiner Auslegung, daß er die Zitate des Apostels mit dem hebräischen Text und den griechischen Übersetzungen der LXX, des Aquila, Theodotion und Sym- machus verglich, um die Zitationsweise des Apostels zu be- stimmen. Er kommt dabei zu dem Resultat, daß Paulus nicht wörtlich, sondern stets nur sinngemäß zitiert habe. Zu der Stelle Deut. 27, 26 will er auch samaritanische Handschriften verglichen haben und das nur im Text der LXX vorhandene omnis dort wiedergefunden haben.') Bei einer anderen alt- testamentlichen Stelle beruft sich Hieronymus auch auf die Erklärung, die ihm sein Hebräer, der ihn in den heiligen Schriften unterrichtete, vermittelt hat.') Daß Hieronymus trotz der Bei- ziehung eines großen gelehrten Apparates bisweilen Flüchtig- keiten beging, wird man bei seiner raschen Arbeitsweise nicht verwunderlich finden. So ist es ihm entgangen, daß Paulus, wo er Gal. 3, 17 430 Jahre von Abraham bis auf das Gesetz zählt, nicht Gen. 15, 13, sondern den Text der LXX zu Ex. 12, 40, seiner Berechnung zugrunde gelegt hat.') Im Anschluß an den Text macht Hieronymus eine Reihe philologischer Be-
•) Ad Gal. 3, 1, Vallarsi Vil, 418 und Gal. 4, 28, und Gal. 5, 24, s. Band I, 216.
*) Gal. 5, 7: sed quid nee in graecis libris nee in bis, qui apostolum commentati sunt, hoc scriptum invenimus, praetereundum videtur, Vallarsi VII, 487; vergl. auch Gal. 5, 21, Vallarsi Vli, 509, und Gal. 3, 1, Vallarsi VII, 418.
3) Gal. 3, 10, Vallarsi VII, 429; zu dem Zitat Hab. 2, 4 gibt er LXX, Theodotion, Aquila; zu Deut. 21,23 LXX, Aquila, Symmachus, Theodotion und hebräischen Text, Vallarsi VII, 435; s. auch zu Gal. 1, 14, Vallarsi VII, 380 und zu Gal. 6, 18, Vallarsi VII, 534.
*) Deut. 21, 23, Vallarsi VII, 435.
4 Ad Gal. 3, 17, Vallarsi VII, 439.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 33
obachtungen, die seinen Sinn für die Unterschiede der ver- schiedenen Sprachen beweisen. So behauptet er, daß das Wort (ijrouä/auiHg Gal. 1, 12, nur in der heiligen Schrift, aber nirgends im profanen Griechisch gebraucht werde. Und hieran knüpft er eine Erörterung über die Schwierigkeiten, mit denen die Übersetzer aus dem Hebräischen zu kämpfen hatten. Die LXX hätten bei ihrer Arbeit notgedrungen eine Reihe von neuen Worten schaffen müssen, wie auch Cicero in seinen Tusculanen bei der Übersetzung philosophischer Termini aus dem Griechischen getan habe.') Die wirklichen und an- geblichen Verstöße des Paulus gegen die Konstruktion erklärt sich Hieronymus daraus, daß der Apostel, ein Hebräer von Hebräern, in seiner Muttersprache gut geschult war, aber in der ihm doch fremden griechischen Sprache bisweilen Fehler machte. ^)
Was die sachliche Auslegung des Galaterbriefes betrifft, so zeigt auch dieser Kommentar das eklektische Verfahren des Hieronymus. Er schwankt zwischen historischer und alle- gorischer Auslegung und stellt verschiedene, ihm überkommene Deutungen nebeneinander, ohne sich für eine zu entscheiden.*) Ein tieferes Verständnis für die im Briefe niedergelegten Grund- gedanken der paulinischen Heilsauffassung fehlt vollständig. Den klaren Worten des Apostels schiebt er unbewußt sein Verständnis des Heilsprozesses unter, wonach aus Glauben und Werken der Mensch vor Gott gerecht wird.') Aber wer ver- stand damals Paulus wirklich; Origenes, an den sich Hieronymus vor allen anschloß, versagte in diesem Punkte ebenfalls völlig-
Besonders interessant sind für uns die ziemlich reichlich in den Kommentar eingefügten Bezugnahmen auf die Zeit- verhältnisse. Da außer Gott niemand Vater genannt werden soll, so will er nicht, daß die Vorsteher der Klöster, ja er selbst, mit dem Titel Abt angeredet werden.') Und wenn Paulus
') Ad Gal. 1, 12, VallarsiVH, 387; s. auch ad Gal. 1, 5, Vallarsi VII, 380, ad Gal. 5, 26, Vallarsi VII, 515.
2) Ad Gal. 6, 1, Vallarsi VII, 520 und Gal. 2, 3-5, Vallarsi VII, 400. ^) Z. B. Gal. 1, 17, Vallarsi VII, 392 ff.
*) Gal. 2, 16, Vallarsi VII, 412 und Gal. 3, 2, Vallarsi VII, 418. ") Ad Gal. 4, 6, Vallarsi VII, 451.
Grützmacher, Hieronymus. U. 3
34 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
das Halten der Feste verbietet, so könnte man dieses Verbot auch auf die christlichen Feste beziehen, auf die beiden Fast- tage, Mittwoch und Freitag, den Sonntag, das 40tägige vor- österliche Fasten, auf Ostern und Pfingsten — er nennt noch nicht das Weihnachtsfest — und die Märtyrertage. Diesen Einu^urf v^iderlegt er damit, daß die christlichen Festtage allerdings nicht heiliger als andere Tage sind und nur von klugen Männern für die Schwachen eingerichtet wurden, welche mehr in der Welt als in Gott leben und nicht jeden Tag einer gottesdienstlichen Versammlung beiwohnen, gewiß eine eigen- tümlich mönchische Begründung der christlichen Feste.') Die Stelle Gal. 4, 13, in der Paulus die Galater seine Brüder nennt, gibt Hieronymus Anlaß, sich über den Hochmut der Bischöfe zu beklagen, die sich kaum herbeilassen, ihre Mitknechte an- zusehen und anzureden.) Und die Erfahrung des Paulus, daß die Galater nach seinem Weggang plötzlich abfielen, be- stätigt Hieronymus als auch in seiner Zeit häufig wieder- kehrende Erscheinung: wenn ein durch Beredsamkeit und Lebenswandel ausgezeichneter Lehrer irgendwo eine erfolg- reiche Wirksamkeit entfaltet und seine Gemeinde zum Almosen- geben, zum Fasten, zur Keuschheit, zur Armenpflege erzogen hat, so geht in der Regel alles wieder zugrunde, was er geschaffen hat, wenn er fortgeht ), ein Zeichen, wie stark auch damals die Christengemeinden Personalgemeinden waren. Auch auf die Mißstände, die sich aus der gleichzeitigen Festfeier von heidnischen und christlichen Festen ergaben — er gedenkt vielleicht hier an Erfahrungen, die er in Rom gemacht hat — macht Hieronymus aufmerksam.') Endlich geißelt er noch mit herbem Spott die immer mehr um sich greifende Rhetorik in den christlichen Predigten. Die Rede, mit der Lüge der rhetorischen Kunst geschmückt, tritt wie eine Dirne öffentlich auf, und man sucht nur das Beifallklatschen des Volkes in
') Ad Gal. 4, 10 ii. 11, Vallarsi VII, 457.
») Ad Gal. 4, 13, Vallarsi VII, 458.
=*) Ad Gal. 4, 17 u. 18, Vallarsi VII, 464.
*) Ad Gal. 5, 1, Vallarsi VII, 477: quod aiitem nationes observent dies, menses et annos, utinam nesciremus, ne nobis cum eis esset nun- quam mixta festivitas.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 35
der Kirche. Die Kirche Christi ist aber nicht aus der Akademie und dem Lyceum, sondern aus dem niedrigen Volk entstanden.') Gewiß war dieser Vorwurf berechtigt, aber aus dem Munde eines Mannes, der durch seine Rhetorik ebenfalls viel gesündigt hat, berührt er uns eigentümlich.
Wie stark die Subjektivität des Kommentators seine Exegese beeinflußt hat, mögen einige besonders charakteristische Beispiele zeigen. Das scharfe paulinische Wort: „Oder suche ich Menschen zu gefallen?" mußte dem nach dem Beifall der Menschen lüsternen Hieronymus außerordentlich unbequem sein. Der Apostel will uns auch nicht lehren — so führt er aus — das Urteil der Menschen zu verachten. Wenn es ge- schehen kann, sollen wir Gott und Menschen gefallen. Nur wenn wir den Menschen auf keine andere Weise gefallen können, als daß wir uns das Mißfallen Gottes zuziehen, dann müssen wir Gott mehr als den Menschen zu gefallen suchen.') Und wie unfähig er war, den Charakter des großen Heiden- apostels zu begreifen, zeigt sich an seiner Auffassung des antiochenischen Streites zwischen Petrus und Paulus, die ihn später in den literarischen Kampf mit Augustin verwickelte. Wenn er sich hier auch an Origenes, Eusebius und Apollinaris anschloß, so war ihm doch die Auffassung des Streites der Apostel als ein Scheingefecht besonders sympathisch, während der ehrliche Augustin, der alle Heuchelei von Grund der Seele haßte, davor zurückschreckte. Beide Apostel, Petrus und Paulus, erschienen Hieronymus als geschickte Schau- spieler, die eine Komödie aufführen. Erst aß Petrus mit den Heidenchristen, eingedenk des Wortes, daß kein Mensch ge- mein oder unrein sei; ) dann zog er sich plötzlich zurück, und die übrigen Judenchristen und Barnabas ahmten sein Verhalten nach. Die Heidenchristen fingen nun aber an, auch nach dem Gesetze zu leben, da sie nicht durch- schauten, daß Petrus dieses Verhalten nur mit der Absicht angenommen hatte, um die Juden auf diese Weise zu gewinnen. Als aber Paulus sah, daß auf diese Weise die Gnade
') Praef. ad lib. III, Vallarsi VII, 483 ff. ■') Ad Gal. 1, 10, Vallarsi VII, 384. ') Apost. 10, 34 u. 35.
36 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Christi Gefahr laufe, wandte er gegenüber Petrus ebenfalls die Verstellung an. Er widersprach ihm öffentlich, nicht um die Absicht des Petrus zu tadeln, sondern nur um die schädliche Wirkung auf die gläubigen Heiden abzuwehren. Wer aber hier annehmen wollte — so folgert Hieronymus — , daß der Apostel Paulus wirklich seinem Vorgänger Petrus einen Vor- wurf habe machen wollen, der vergegenwärtigt sich nicht, daß Paulus selbst den Juden ein Jude geworden ist, um die Juden zu gewinnen, und sich derselben Verstellung wie Petrus schuldig machte, als er sich in Kenchreä sein Haupt scheren ließ, in Jerusalem in das Nasiräat eintrat und die Opfer brachte und als er auf seiner ersten Missionsreise den Timotheus beschneiden ließ. Der erheuchelte Streit zwischen den Aposteln sollte den Gläubigen den Frieden bringen.') So rettete Hieronymus durch seine Auslegung die Einheit der Autorität der Apostel, aber auf Kosten ihres Charakters, der dadurch in ein zweifelhaftes Licht gerückt wurde. Die Maxime, daß der gute Zweck das Mittel heilige, fand also Hiero- nymus in dem Verhalten der Apostel betätigt.
Nicht ohne Geschick versucht Hieronymus den Bericht der Apostelgeschichte mit dem des Galaterbriefes zu vereinigen. Er hat natürlich auch hier seine Vorgänger benutzt und gibt deshalb oft mehrere Lösungen. Ist Paulus nach Lukas sogleich nach seiner Bekehrung nach Jerusalem gegangen, so ist dies durch den Galaterbrief nicht ausgeschlossen; denn dieser Auf- enthalt diente ihm nur dazu, sich der Verfolgung zu ent- ziehen und führte ihn nicht mit den Uraposteln zusammen.) Wenn Paulus und Petrus sich auf dem Apostelkonzil die Mission unter Unbeschnittene und Beschnittene teilten, so ist damit nur für jeden der Apostel ein Hauptauftrag gegeben, was nicht die Bekehrung einzelner Heiden, wie z. B. die Be- kehrung des Hauptmanns Cornelius durch Petrus, die die Apostelgeschichte berichtet, noch die Bekehrung einzelner Juden durch Paulus ausschließt.^) Trotz aller Unvollkommen- heiten und trotz der Abhängigkeit von den griechischen Exe-
1) Ad Gal. 2, 11 11. 12, Vallarsi VII, 406 ff. "■) Ad Gal. 1, 17, Vallarsi VII, 392 ff. ») Ad Gal. 2, 7—9, Vallarsi VII, 404.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 37
geten ist der Kommentar des Hieronymus zum Galaterbrief ein beaclitenswertes Werk, das seinen späteren exegetischen Produi<ten erheblich überlegen ist.
Flüchtiger und unselbständiger als der Galaterkommentar ist der Epheserkommentar des Hieronymus gearbeitet. Bereits im Galaterkommentar hatte er die Mängel seines Werkes damit ent- schuldigt, daß er bei der Schwäche seiner Augen und seinem leidenden Zustand seinen Kommentar nicht selbst geschrieben habe, sondern daß er habe diktieren müssen, was ihm auf die Zunge gekommen sei. Die Tyrannei des Schreibers zwinge ihn zur Flüchtigkeit; denn wenn er ein wenig nachdenken wolle, um einen besseren Ausdruck zu suchen, so tadle ihn der Schreiber schweigend, spiele mit der Hand, runzle die Stirn und be- zeige durch seine ganze Körperhaltung, daß er vergeblich an- wesend sei.') Noch schneller als den Galaterkommentar hat Hieronymus den Epheserkommentar ausgearbeitet. Er gesteht, daß er bisweilen an einem Tage tausend Zeilen schreibe, um nur rasch die beabsichtigte Auslegung sämtlicher Paulusbriefe zu vollenden.-') Der Kommentar ist Paula und Eustochium ge- widmet; aber auch seiner Freundin Marcella, die ihn brieflich darum gebeten hatte, übersandte er ein Exemplar desselben.') Er selbst hatte nach der eiligen Vollendung ein böses Ge- wissen; er bat seine Freundinnen ausdrücklich, seinen Kom- mentar nicht ihm Übelwollenden und Verleumdern zuzustellen, damit man ihn nicht herabsetze.') Auch seiner Unselbständig- keit ist er sich wohl bewußt: „ihr mögt wissen, daß Origenes drei Bände zu diesem Brief geschrieben hat, dem wir uns teil- weise angeschlossen haben. Auch Apollinaris und Didymus haben Kommentare ediert, von denen wir nur wenig auf- genommen haben, und einiges haben wir von uns hinzugefügt oder weggelassen, so daß ein unterrrichteter Leser sogleich von Anfang an weiß, daß dies Werk sowohl ein fremdes wie unser eigenes sei."') Durch die Vergleichung der vorhandenen
1) Praef. in üb. III Gal., Vallarsi VII, 486.
■') Praef. in üb. II Eph., Vallarsi VII, 585.
3) Praef. in lib. II Eph., Vallarsi VII, 585.
') Praef. in lib. I Eph., Vallarsi VII, 539.
"•) Praef. in lib. I Eph., Vallarsi VII, 543.
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Fragmente des Origenes mit dem Kommentar des Hieronymus wird dies bestätigt.') Die Mitteilungen über den Text und die Auslegung des Marcion hat Hieronymus, wie Zahn über- zeugend nachgewiesen hat, hier wie im Galaterkommentar von Origenes herübergenommen.') Dasselbe gilt von seiner Er- wähnung des Valentin, Sabellius und Ebion. Die Polemik gegen Arius, Macedonius, Eunomins und Photinus ) hat Hie- ronymus hinzugefügt oder dem Apollinaris und Didymus entlehnt. Auf sein eigenes Konto kommt mit Sicherheit nur die Kritik des Apollinaris.')
Rufin griff später Hieronymus besonders seines Epheser- kommentars halber an. Er warf ihm sklavische Abhängig- keit von Origenes vor, dessen Heterodoxien er unbesehen herübergenommen habe. Dies ist nicht ganz richtig. Ge- wiß hat Hieronymus den Kommentar des Origenes überall ausgeschlachtet und seine Abhängigkeit, die er in der Einleitung bekannt hatte, im Kommentar selbst verdeckt, in dem er nach der von ihm beliebten Manier von einem oder mehreren Aus- legern spricht, wenn er Origenes benutzt. Einmal führt er sogar die Auslegung des Origenes mit den Worten ein: ein fleißiger Leser wird die Frage aufwerfen. Niemand konnte vermuten, daß er hier Origenes zitierte, erst in seiner Ver- teidigung gegenüber Rufin sah er sich genötigt, dies einzu- gestehen und sich noch obenein wegen des lobenden Prä- dikats, das er dem Origenes beilegte, zu verteidigen. ) Rufin hat alle Sätze seines Kommentars aufgestochen, in denen er irgend eine heterodoxe Anschauung des großen Alexandriners reproduzierte und nicht ausdrücklich ablehnte. So trägt Hie-
') Zahn, Geschichte des neutestanientlichen Kanon II, S. 427, Anm. 2. Hier hat Zahn die zahlreichen und umfangreichen Stücke des Origenes- konimentars zum Epheserbrief, welche uns bei Gramer, Gatenae gr. patr. zum Neuen Testament VI, 96 ff. erhalten sind, mit dem Hieronymuskom- mentar verglichen und ihre Benutzung nachgewiesen. Auch die Einteilung des Kommentars in drei Bücher scheint Hieronymus von Origenes entlehnt zu haben.
'■') Zahn, Geschichte des neutestanientlichen Kanon II, 428 ff.
») Eph. 3, 11, Vallarsi VII, 515; Eph. 4, 4, Vallarsi VII, 610.
*) Eph. 4, 10, Vallarsi VII, 614.
") Eph. 1, 7, Vallarsi VII, 576; Gontra Rufin. I, 24, Vallarsi II, 480.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 39
ronymus ohne Kritik die Theorie des Origenes vor, daß auch im Himmel Beförderungen und Ehrungen, Auf- und Absteigen, Wachstum und Abnehmen der Einzelnen stattfinden wird,') daß den Engeln erst durch die Kirche das Geheimnis Christi ge- offenbart sei'), und daß durch das Kreuz Christi nicht nur den Menschen, sondern auch den Engeln die Versöhnung gebracht sei.') Andere Stellen des Epheserbriefes deutet er mit Origenes auf die uTTOKaräOTaai^.") Und ganz origenistisch schreibt er: Wir mögen als Männer unsere Gattinnen pflegen, d. h. als Seelen unsere Leiber, so daß die Weiber zu Männern, d. h. die Leiber zu Seelen werden und kein Unterschied des Geschlechts mehr statthat, sondern wie bei den Engeln weder Mann noch Weib ist, damit wir, die wir den Engeln ähnlich sein werden, schon jetzt anfangen zu sein, was uns im Himmel versprochen ist.^) Die Fesseln, von denen Paulus spricht, bezieht Hieronymus mit Origenes auf die Seele, die im Körper gefesselt ist.') Das Beugen unserer Kniee vor Gott, das Sitzen des Sohnes zur Rechten des Vaters versteht er wie dieser bildlich;") und die Seelen, die vom Körper befreit sind, gelangen dorthin, wo der unkörperliche Gott seinen Wohnsitz hat")
Aber trotz allem wäre es ungerecht, anzunehmen — wir dürfen uns hier nicht durch das Urteil seines Gegners Rufin bestimmen lassen — daß Hieronymus damals ganz im Banne der heterodoxen Anschauungen des Origenes stand. Wir brauchen ihm zwar nicht zu glauben, daß er, wie er später behauptet, als er sich vom Origenismus reinwaschen will, schon im Epheserkommentar die Lehre von der djroHaräöTaoig als Häresie bezeichnet habe. Niemand kann dies seinen dies-
') Eph. 1, 21, Vallarsi VIF, 566.
2) Eph. 3, 10, Vallarsi VII, 594.
") Eph. 1, 23, Vallarsi VII, 569; Eph. 2, 18, Vallarsi Vll, 583; Eph. 4, 9, Vallarsi VII, 614.
') Eph. 4, 4, Vallarsi VII, 609; Eph. 4, 13, Vallarsi VII, 616; Eph. 4, 16, Vallarsi VII, 619.
») Eph. 5, 29, Vallarsi VII, 659.
«) Eph. 3, 1, Vallarsi VII, 586; Eph. 4, 1, Vallarsi VII, 606.
') Eph. 3, 4, Vallarsi VII, 598; Eph. 5, 4, Vallarsi VII, 640.
*) Eph. 1, 12, Vallarsi VII, 676.
40 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
bezüglichen Äußerungen entnehmen.') Aber deuth'ch lehnt er doch die Lehre des Origenes von der Präexistenz der Seelen') ab und ebenso scharf verurteilt er die Annahme des Origenes, daß die zukünftige Strafe für die Sünde keine äußerliche sei, sondern in der Sünde selbst und dem Bewußtsein der bösen Tat bestehe, bei der der Wurm im Herzen nicht stirbt und das Feuer im Geist entzündet wird, wie bei dem Fieber- kranken, der auch nur innerliche Qual erdulde. Er nennt dies leere täuschende Worte.'') Einmal bemerkt er auch, daß der Leser die Deutung des Origenes, der unter den Fesseln die Einkerkerung der Seele im Leib verstehe, nicht anzunehmen brauche.') Gewiß sah Hieronymus damals noch nicht in Origenes den großen Ketzer, dazu stand er noch zu sehr unter dem Einfluß des Didymus; aber es beginnt sich doch bereits in ihm das Mißtrauen gegen gewisse Heterodoxien des Alexandriners zu regen, und es ist zum Teil Mangel an Selbständigkeit und Bequemlichkeit, wenn er ihn ausschreibt, ohne durchgreifende Korrekturen oder Warnungszeichen im kirchlich-rechtgläubigen Sinne anzubringen. Eine ähnliche Stellung wie zu Origenes nimmt er zu seinem alten Lehrer Apollinaris in dem Epheserkommentar ein. Er nennt ihn nicht namentlich, aber die nüchterne Exegese des Antiocheners, dessen Kommentar wir leider nicht mehr besitzen — nach den Proben, die Hieronymus gibt, bedauern wir seinen Verlust nur um so mehr - ist überall kenntlich. Er führt Apollinaris in der Regel mit den Worten ein: ein anderer sagte einfach.') Auch ihn benutzt er, aber gegen seine heterodoxe Christo- logie verwahrt er sich, ohne ihn zu nennen.") Was Hierony- mus dem verlorenen Kommentar des Didymus entnommen hat.
') Eph. 4, 16, Vallarsi VII, 619 und Contra Rufin. I, 26; Vallarsi ist allerdings bereit, ihm dies zu glauben s. Anm. 6, S. 619.
") Eph. 1, 4, Vallarsi VII, 550.
•') Eph. 5, 6, Vallarsi VII, 644.
') Eph. 4, 1, Vallarsi VII, 606.
^) Eph. 2, 7; Eph. 1, 23; Eph. 4, 26 etc.
^) Eph. 4, 10, Vallarsi VII, 614 nee statim ista dicentes locum alteri haeresi damus, quae dimidiatam Christi asserit dispensationem, sed sie unum et Dei et hominis filium confitemur, ne dispensationem assumti hominis, qua salvati sumus, ex parte credentes, in parte truncemus.
Die ersten Jahre im Kloster zu Betiilehem. 41
läßt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Er nennt ihn innerhalb des Kommentars an keiner Stelle. Vielleicht hat er ihn als das Werk eines noch lebenden Theologen nicht in so ausgiebiger Weise wie die Kommentare des Origenes und Apollinaris zu benutzen gewagt.
Der Brief ist nach Hieronymus an die Epheser gerichtet. Daß ihn Marcion nach Laodicea adressiert sein läßt, davon scheint er trotz der Benutzung des Origenes nichts zu wissen. Dagegen ist ihm die Lesart in Eph. 1, 1 bekannt: Sanctis Omnibus, qui sunt.') Paulus schrieb den Brief als Gefangener um des Zeugnisses Christi willen von Rom aus.') Er hatte von Jerusalem bis Illyrikum das Evangelium gepredigt, war dann nach Rom gegangen und entweder schon in Spanien ge- wesen oder beschloß, dorthin zu reisen.^) Paulus beschäftigt sich in dem Briefe besonders ausführlich mit den Engeln und Dämonen. Dies hat darin seinen Grund, daß in Ephesus der Götzendienst und die Zauberei in höchster Blüte standen.')
Auch in diesem Kommentar hat Hieronymus die Diffe- renzen der griechischen und lateinischen Handschriften genau registriert und Korrekturen der altlateinischen Übersetzung vorgeschlagen. ') Im ganzen ist der Kommentar ziemlich trocken geschrieben, nur bisweilen zeigt Hieronymus seine glänzenden schriftstellerischen Gaben. Mit hoher Schönheit
>) Eph. 1, 1, Vallarsi VII, 545.
2) Eph. 6, 20 und Eph. 3, 1—4, Vallarsi VII, 682.
") Eph. 3, 13, Vallarsi VII, 596.
*) Praef. ad lib. I Eph., Vallarsi VII, 541.
^) Eph. 1, 6, Vallarsi VII, 553; Eph. 1, 10, Vallarsi VII, 556 statt instaurare recapitulare; Eph. 1, 14 pignus für äQoaßfov; ne^inoiiiai^ iä.\?,c\\- lich mit adoptio wiedergegeben, es muß acquisitio oder possessio heißen; Eph. 2, 16 übersetzen einige Lateiner i^v avm seil, in cruce fälschlich mit semetipso. Eph. 3, 7, Vallarsi VII, 592. Eph. 3, 13 liest der Lateiner deficiatis, Vallarsi VII, 597; Eph. 3, 15, Vallarsi VII, 559; Eph. 4, 16, Vallarsi VII, 620: haec apud nos obscuriora sunt, quia lurafpootHcTig dicuntur in Graeco; Eph. 4, 19, Vallarsi VII, 621: ujriiÄytjKÖrFs übersetzt der La- teiner falsch mit desperantes semetipso, besser wäre indolentes sive indo- lorios; Eph. 4, 27, Vallarsi VII, 629 über die Lesarten Belial und Beliar; Eph. 5, 22, Vallarsi VII, 654: Vom Lateiner ist hinzugefügt subditae sint; Eph. 5, 31, Vallarsi VII, 659: Im Text von Matth. 5, 12 fügen einige Codices sme causa zu.
42 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
hat Hieronymus das Bild des Apostels gezeichnet: Paulus war ein Mensch von scharfem und durchdringendem Geist. Er stand auf dem Schiff, führte das Steuer und brach die schäumenden Fluten der Häresie durch die Sicherheit seines Glaubens. Doch nicht ohne Sorge und Angst sah er, wie die Winde hier und dorthin wehten, und besorgt horchte er auf und überwand die Gegensätze. Aber nicht leicht ward ihm der Sieg. Er sah, daß die Worte und Gründe der Gegner nicht leicht überwunden werden konnten, mit denen sie die Wahrheit zugrunde zu richten suchten. Und weil er ihre dialektischen und teuflischen Künste erkannte, darum setzte er seine ganze Hoffnung auf Gottes Hilfe. Von Gott hoffte er, daß er allen Zweifel aus seinem Geist vertreibe, ihn in der Wahrheit festige und die Liebe Christi in ihm mehre, von dem er gewiß war, daß er sein und der ganzen Kirche Haupt sei. ')
Auch in dem Epheserkommentar hat Hieronymus gelegent- lich praktische Exegese mit bezug auf die Mißstände seiner Zeit getrieben. Er eifert gegen den Kirchengesang, bei dem die Psalmensänger nach Art der Tragöden ihre Kehle und Schlund mit einer süßen Medizin beschmieren, so daß man in der Kirche theatralische Rhythmen zu hören bekommt.') Das Wort des Apostels: Erzieht eure Söhne in Zucht und Ver- mahnung des Herrn, mögen sich die Bischöfe und Presbyter ad notam nehmen, die ihre Söhne in der weltlichen Wissenschaft unterrichten, sie Komödien lesen und die schimpflichen Werke der Schauspieler singen lassen, wobei die Erziehungskosten vielleicht aus geistlichen Mitteln bestritten werden. Was als Sühnegeld für eine Sünde eine Jungfrau oder eine Witwe, die ihre ganze Habe darbrachte, oder sonst ein Armer für die Kirchenkasse geopfert hat, das erhält so der Grammatiker oder Rhetor als Neujahrsgeschenk, als Geschenk bei den Satur- nalien oder als Minerval') und verwendet es zum häuslichen Verbrauch oder sogar als Gabe für einen heidnischen Tempel
>) Eph. 4, 15, Vallarsi VII, 617. 2) Eph. 5, 19, Vallarsi VII, 652.
') Geschenk, das der Schüler dem Lehrer beim Eintritt in die Schule brachte, bestehend aus Eßwaren, Tert., de idol. c. 10 s. Georges II, 822.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 43
oder eine schmutzige Hure.') Obwohl Hieronymus das Beugen der Kniee in Eph. 3, 14 im geistlichen Sinne mit Origenes verstanden wissen will, verwahrt er sich doch entschieden dagegen, daß er damit der christlichen Sitte, Gott mit gebeugten Knieen anzubeten, entgegentreten wolle.") Überaus interessant ist auch die Erörterung, die Hieronymus an das Apostelwort knüpft, daß die Frau ihren Mann fürchten soll. In dem Zeitalter der Decadence, in dem er lebt, schienen ihm gewiß nicht mit Unrecht die Frauen im allgemeinen den Männern in sittlicher Beziehung weit überlegen. Die Frauen verstehen noch dem Hauswesen vorzustehen, die Kinder zu erziehen, die Sklaven in Disziplin zu halten, während die entnervten Männer nur noch schwelgen und Hurerei treiben. Ob daher nicht die Frauen die Männer regieren müssen, statt sie zu fürchten, will er dem Urteil des Lesers überlassen.'')
Für die theologischen Überzeugungen des Hieronymus bietet der Kommentar wenig Ausbeute. Nur betont er auch hier wie im Galater- und Philemonkommentar im Anschluß an Origenes energisch die menschliche Willensfreiheit: Gott will, daß alle gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Aber weil niemand ohne seinen eigenen Willen gerettet wird — denn wir haben einen freien Willen — , so will Gott, daß wir das Gute wollen, so daß, wenn wir gewollt haben, er selbst an uns seinen Rat erfüllen kann.') Der freie Wille des Menschen wird nicht durch die Gnade aufgehoben, sondern die Freiheit unseres Willens hat Gott selbst zum Urheber.')
Endlich sind noch die Mitteilungen des Hieronymus über das viel diskutierte Zitat Eph. 5, 14: „Erhebe dich, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, und Christus wird dich erleuchten", nicht ohne Interesse. Wer mit einer einfachen Antwort zufrieden ist, wird sagen, daß Paulus dies Zitat aus den verborgenen Propheten oder den sogenannten Apokryphen entnommen habe, nicht um die Apokryphen damit zu billigen,
') Vaüarsi VII, 666.
2) Vallarsi VII, 599.
8) Eph. 5, 33, Vallarsi VII, 662.
*) Eph. 1, 11, Vallarsi VII, 558.
") Eph. 2, 9, Vallarsi VII, 577.
44 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
sondern wie er Verse des Aratus, Epimenides und Menander gebraucht hat. Hat er doch auch bei der Predigt in Athen die Inschrift eines heidnischen Altars verwandt; nur lautet diese nicht, wie Paulus sagt, dem unbekannten Gott, sondern den Göttern Asiens, Europas, den unbekannten und fremden Göttern. Hieronymus behauptet nun, alle Editionen der alten Schriften und die Werke der Hebräer genau durchforscht und das Zitat nirgends gefunden zu haben. Er erklärt es sich daher so, daß der Apostel, ähnlich wie die Propheten voll heiligen Geistes, plötzlich in die Worte, die Christus über sich spricht, ausgebrochen sei: „Dies sagt der Herr". Er gibt dann noch eine Erklärung, die er einmal in der Kirche gehört habe und die vielleicht auf seinen Lehrer Gregor von Nazianz zurück- geht.') Der Prediger sagte: Das Zeugnis bezieht sich auf Adam, der auf Golgatha begraben ist, wo der Herr gekreuzigt wurde. Als der Herr auf Golgatha über dem Grabe Adams gekreuzigt wurde, erfüllte sich die Prophetie: Stehe auf, Adam, der du schläfst, und erhebe dich von den Toten, und Christus wird dich berühren, weil durch die Berührung mit dem Blut Christi und seinem herabhängenden Leib Adam belebt wurde und sich erhob.') Hieronymus bezeugt, daß diese Auslegung von dem Volk mit Beifall und Klatschen aufgenommen wurde; er selbst hält sie aber für nicht dem Kontext entsprechend. Nach dem Epheserkoqimentar nahm Hieronymus den Tituskommentar in Angriff. Wenige Monate waren erst seit der Vollendung des Galaterkommentars vergangen, aber seine Absicht, alle Paulinen zu kommentieren, drängte ihn zur Eile.') Daß er gerade den Titusbrief kommentierte, hatte wohl darin seinen Grund, daß unter den Pastoralbriefen allein von diesem ein Kommentar des Origenes vorhanden war. Hieronymus hat sich in diesem Kommentar, sowohl in der Einleitung wie im Kommentar selbst, völlig über die von ihm benutzten Werke ausgeschwiegen. Daß er solche benutzt hat, erhellt aus einer Reihe von Stellen, in denen er verschiedene Ausleger anführt,
') Auch zu Eph. 5, 32 bringt er eine mündliche Erklärung Gregors bei. *) Es ist hier die Lesart iini/Hii'nn, nicht iTTK/arrin vorausgesetzt; s. Hieronymus ad Matth. 27, 33, Vallarsi VII, 232; ep 46, 3, Vallarsi I, 199. «) Tit. 1 11 Vallarsi VII, 704.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 45
ohne jedoch ihre Namen zu nennen. So berichtet er z. B., daß einige das Zitat Tit. 1, 12, das nach seiner Meinung der Schrift des Epimenides über die Orakel entstammt, aus dem Werke des Cyrenäers Callimachus über den Preis des Jupiter ableiten, wo es sich aber nur unvollständig wiederfindet. Einige machen auch dem Apostel wegen der Benutzung eines falschen Lehrers Vorwürfe, aber Paulus billigt nicht mit der Zitation von Versen aus den Phaenomena des Aratus oder den Komödien des Menander die Werke dieser heidnischen Autoren, so wenig wie hier den Epimenides. Dann müßte man auch das apokryphe Henochbuch für kanonisch halten, weil es der Apostel Judas einmal zitiert.')
Daß Hieronymus hier wie in den anderen Kommentaren Origenes benutzt hat, läßt sich noch durch Vergleich mit den spärlichen Fragmenten des Origeneskommentars erweisen.-) Ob und welche Kommentare Hieronymus außerdem benutzt hat, läßt sich nicht mehr feststellen.
In der Vorrede zum Kommentar, den er wie die früheren Paula und Eustochium zueignete, will Hieronymus wissen, daß Tatian einige paulinische Briefe verworfen, aber den Titusbrief für echt gehalten habe, während Marcion und Basilides sämt- liche Pastoralbriefe und den Hebräerbrief zurückgewiesen und aus den übrigen Paulinen das ihnen Mißfällige getilgt hätten. Zahn') wird Recht haben, wenn er diese konfusen und un-
») Tit. 1, 12, Vallarsi VII, 705 ff.; s. Tit. 3, 3 ff., Vallarsi Vll, 732; Tit. 1, 16, Vallarsi VII, 713; Tit. 1, 6, Vallarsi VII, 697.
^) s. Harnack, Altchristliche Literaturgeschichte I, 375, wo die fünf Fragmente aus der Apologie des Pamphilus und ein Zitat aus Barsanuphius registriert sind. Besonders deutlich ist die Berührung des dritten Fragments mit Hieronymus Tit. 3, 11, Vallarsi Vll, 738, wo er im Anschluß an Origenes eine Definition von Schisma und Häresie gibt; s. auch Tit. 1,4, Vallarsi VII, 691.
') Zahn, Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons, I, 6. Von Basilides wissen wir nicht, daß er die Pastoralbriefe abgelehnt hat. Die Mitteilung des Eusebius findet sich Eus. h. e. IV, 29, 6; s. dazu Jülicher, Einleitung ins Neue Testament, S. 301. Exegesen des Tatian zu Paulusbriefen finden sich bei Clemens Alex. -Harnack glaubt mit Sicherheit aus unserer Stelle schließen zu können, daß Tatian die Briefe an Timotheus verworfen hat; s. Altchristliche Literaturgeschichte II, 491. Er beruft sich auf Clem. Strom II. 11,52, wo aber nur allgemein von einer Ver- werfung der Briefe an Timotheus durch Häretiker die Rede ist.
46 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
bestimmten Angaben auf Reminiszenzen an Eusebius, der von einer Rezension der Paulusbriefe durch Tatian berichtet, und auf irgend eine vermutlich durch den Origeneskommentar ihm zugekommene Exegese des Tatian zum Titusbrief zurückführt.
Den Titusbrief läßt Hieronymus von Nikopolis aus ge- schrieben sein, das, am Gestade von Actium gelegen, nach dem Siege des Augustus über Antonius und Kleopatra seinen Namen erhalten hat.') Der Adressat ist Titus, der Schüler des Paulus, den er zur Belehrung der Kreter dort zurückgelassen hatte. Er war, wie Hieronymus aus Tit. 2, 6 schließt, jung- fräulich geblieben.-) Daß er Bischof auf Kreta gewesen sei, berichtet er nicht, während er den Apollos zum Bischof von Korinth macht. ) In welche Zeit des Lebens Pauli der Brief gehört, darüber hat Hieronymus keine Reflexionen an- gestellt.
Auch dieser Kommentar bietet wieder, wie die anderen, eine Reihe textkritisch ') und sprachgeschichtlich wichtiger Bemerkungen. So hat er sich z. B. um die Bedeutung des griechischen Wortes jieqiovöio^ Tit. 2, 14 bemüht. Er be- hauptet, daß ihm auf Anfrage bei den Grammatikern keine Stelle aus der profanen Literatur nachgewiesen werden konnte. Er hat dann die LXX, Aquila, Symmachus, Theodotion und die Quinta zur Erklärung herangezogen und es im Sinne von egregius gedeutet. In demselben Sinne glaubt er auch im Herrengebet fl;r/o(''rj<05= egregius verstehen zu müssen, d. h. das ausgezeichnete Brot, welches vom Himmel herabkommt. Scharf lehnt er die Deutung von tmovöiog = crastinus ab, da den Christen verboten sei, an den morgigen Tag zu denken.
In der Auslegung des Buches tritt uns des öfteren ein auch sonst dem Hieronymus eigener Lieblingsgedanke ent- gegen. Er tritt für den Bund der Wissenschaft und Frömmig-
') Tit. 3, 12, Vallarsi VII, 738.
') Vallarsi VII, 720.
») Tit. 3, 13, Vallarsi VII, 739.
*) Tit. 1, 9; Tit. 1, 10; Tit. 2, 15; Tit. 3, 10, Vallarsi VII, 737: der Grieche liest: haereticum hominem post imam correptionem devita, der Lateiner: post unam et alteram correptionem, quod verum papa quoque Athanasius approbabat; Tit. 3, 15, Vallarsi VII, 740.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 47
keit ein. Es gibt Wissenschaften wie die Geometrie, Arith- metik und Musik, die in ihrer Wissenschaft die Wahrheit haben, aber mit der Frömmigkeit nichts zu tun haben. Und es gibt andererseits solche, die die wahre Erkenntnis der Frömmigkeit haben, aber von der Wahrheit der weUlichen Wissenschaften nichts wissen.') Mit dem Apostel fordert er von den Bischöfen, daß sie fromm und gelehrt sind, nicht faul und verschlafen, es nicht für Sünde halten die 'heiligen Schriften zu lesen und nicht die als Schmäher und Lumpen verachten, die über das Gesetz Gottes Tag und Nacht nachdenken.') Der Brief mit seinen praktischen Ermahnungen mußte Hieronymus besonderen Anlaß zur Beleuchtung des kirchlichen Lebens seiner Zeit geben. Und da seinem kritischen Blick nicht leicht etwas entging, was in der Kirche faul und ungesund war, so enthüllt uns sein Tituskommentar schärfer als die früheren Kommentare manche kirchlichen Schäden seiner Zeit. Die Bischöfe sollen es sich merken, daß sie nach Verdienst und nicht nach Gunst die Presbyter einsetzen: „Aber jetzt sehen wir, daß die meisten dieses Recht mißbrauchen, daß sie nicht die zu Säulen der Kirche aufzurichten suchen, welche der Kirche mehr nützen können, sondern für die sie selbst eine Vorliebe haben, oder durch deren Gefälligkeit sie geködert sind, oder für die ein Vornehmer ein gutes Wort eingelegt hat und, um das Häßlichste nicht zu verschweigen, die durch Geschenke ihr Klerikeramt erlangen." Hieronymus erinnert dann die Bischöfe daran, daß ursprünglich Bischof und Presbyter identisch waren, und daß anfänglich die Kirchen durch den Rat der Presbyter geleitet wurden. Erst als in den Kirchen Schismata entstanden, sei ein monarchischer Bischof aus dem Kreise der Presbyter zur Leitung der einzelnen Kirchen erhoben worden.") Für diese Theorie über die Entstehung des monarchischen Episkopats, die Hieronymus auch in einem Briefe an Evangelus wiederholt und des weiteren begründet, beruft er sich auf die Schriftstellen wie Philipp. 1, 1, Act. 20, 28, Hebr. 13, 17 und
1) Tit. 1, 2, Valiarsi VII, 6y0.
2) Tit. 1, 9, Valiarsi VII, 704.
3) Tit. 1, 5, Valiarsi VII, 694 ff.
48 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
1. Petr. 5, 1.') Er zieht aber auch eine praktische Folgerung daraus, die nicht ohne Spitze gegen den Episkopat ist: Die Presbyter sollen wissen, daß sie nach Gewohnheitsrecht der Kirche dem Bischof unterstellt sind, aber die Bischöfe sollen bedenken, daß sie mehr durch Gewohnheitsrecht als durch göttliche Anordnung über den Presbytern stehen.
Daß die Bischöfe, die verheiratet sind, sich des ehelichen Umgangs enthalten, ist ihm eine selbstverständliche Voraus- setzung.') Dagegen entwickelt er eine eigentümliche Ansicht über die Forderung des Paulus, daß nur ein Monogamer Bischof werden könne. Der in der Einehe lebende sei nicht immer besser, als der, welcher zwei Frauen gehabt habe; denn wenn der letztere beide Frauen früh verloren habe, so hätte er enthaltsamer gelebt als der, welcher bis ins Greisenalter in ehelicher Gemeinschaft stand. Doch könne allerdings nur der zur Monogamie ermahnen, welcher selbst monogam iebe. Die Beziehung auf das Verbot der Polygamie, die nach jüdischer Sitte erlaubt war, lehnt er ab. Dann aber stellt er die merk- würdige Forderung auf, daß der als Monogamer und deshalb als fähig zur Bekleidung eines Priesteramts zu gelten habe, welcher als Heide eine erste Ehe und als Christ eine zweite Ehe geschlossen habe. Die erste Ehe, die er als Heide ge- schlossen hat, wird durch die Taufe gleichsam abgewaschen. Auch später in einem Briefe an Oceanus verteidigt er diese Ansicht; aber die kirchlichen Autoritäten, wie der römische Bischof Siricius, Ambrosius und Augustin wandten sich gegen diese gewundene Beweisführung, und ihre Stellungnahme, wonach nur ein Monogamer die Priesterweihe erhalten durfte, wurde Kirchenrecht.') Heftige Klage erhebt er auch gegen die Bischöfe, die die Pflicht der Gastfreundschaft vernach- lässigen und gastfreundliche Laien aus Eifersucht exkom-
») Ep. 146, Vallarsi I, 1074, s. L.Sanders, Etudes sur St. Jerome 1903, S. 296 ff. de la distinction entre episcopes et presbytres, hier die umfang- reiche Literatur, die sich mit dieser Frage beschäftigt.
*) Tit. 1, 9, Vallarsi VII, 712.
^) Ep. 69, 2, Vallarsi I, 410. Der Erlaß des Siricius ad Himerium Tarracon. epis. c. 10 und 11 vom 11. Februar 385 bei Hardouin, Collectio Concil. 1, 847.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 49
munizieren und aus der Kirche herauswerfen.') Im Anschluß an die Ermahnung des Apostels, daß der Bischof kein Wein- säufer sein solle, entwirft er mit grellen Farben ein Bild von den wilden Orgien seiner Zeit. Die einen werfen in der Trunken- heit mit Bechern als Geschossen und gießen den Inhalt den anderen ins Gesicht; die anderen schreien, wieder andere schlafen. Sie speien aus, um trinken zu können, und sie trinken, um auszuspeien. Als persönliches Bekenntnis fügt er dem hinzu, daß, wenn er einmal die Abstinenz unterbrach — wir dürfen uns also in dieser Beziehung von der asketischen Strenge des Hieronymus keine übertriebene Vorstellung machen — , es ihm stets geschadet, und wenn er sie wieder aufnahm, stets genützt habe.') Ein eigentümliches Schlaglicht auf die sittlichen Zustände in der Kirche, wie sie durch die Forderung der geschlechtlichen Enthaltsamkeit des Klerus sich herausbildeten, wirft auch die Bemerkung des Hierony- mus, doch ja die Forderung des Apostels zu beachten, die jungen Frauen in aller Liebe zu ermahnen, da es häufig vor- komme, daß unsere Liebe zu einer Jungfrau oder Frau zuerst heilig beginne, allmählich aber sinnlich ausgehe.^) Vielleicht dürfen wir auch in diesem Wort den Niederschlag innerer Kämpfe sehen, die seiner sinnlichen Natur das Verhältnis zu seinen römischen Freundinnen bereitet hatte.
Nach Vollendung seines Tituskommentars wandte sich Hieronymus alttestamentlichen Auslegungsschriften zu. Der Grund dafür ist wohl einmal darin zu sehen, daß sein beweg- licher Geist gern ein neues Arbeitsgebiet in Angriff nehmen wollte; dann aber entging er auch, was bei einer Fortsetzung der Kommentierung der Paulinen eintreten mußte, der Nötigung, selbständig zu Werke gehen zu müssen. Bisher hatte er die Kommentare des Origenes benutzen können; zu den Briefen an Timotheus fehlte aber eine solche griechische Vorlage, die ihm seine Arbeit erleichterte. Endlich hatte Hieronymus während der ersten Jahre seines bethlehemitischen Aufenthalts seine Kennt- nisse in der hebräischen Sprache bereichert und vertieft; und
') Tit. 1, 9, Vallarsi VII, 112. 2) Tit. 1, 7, Vallarsi VII, 700. ») Tit. 2, 2, Vallarsi VII, 715.
Orützniacher, Hieronymus. II. 4
50 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
für ihn, der es verstand, sein Licht vor den Leuten leuchten zu lassen, war im Alten Testament ein fruchtbares Arbeits- gebiet gegeben.
§ 30.
Die hebräischen Studien des Hieronymus und seine ersten alttestamentlichen Auslegungsschriften.
Während seines Aufenthalts als Einsiedler in der Wüste Chalcis hatte Hieronymus bei einem Judenchristen das Studium der hebräischen Sprache begonnen.') Nach seiner Nieder- lassung im Heiligen Lande setzte er es mit Eifer fort. Gegen hohes Honorar nahm er bei dem Juden Bar Anina Unterricht, der aber Hieronymus aus Furcht vor seinen Glaubensgenossen nur des Nachts aufzusuchen wagte.') Rufin beschuldigte des- halb in boshafter Weise den Hieronymus, daß er für diesen Barrabas Christus verraten habe, indem er die jüdische Weis- heit der christlichen vorziehe. ') Aber auch mit anderen jüdischen Christen trat er in Verbindung. Schon in seinen neutestament- lichen Kommentaren hatte Hieronymus mehrfach von ihm durch jüdischeGelehrte zugekommenen Mitteilungen Gebrauch machen können.') Mit einem Juden, der vorgab in Rom Christ geworden zu sein, disputierte er über die Differenzen der Genealogien nach Matthäus und Lukas. Ihm imponierte die genaue Schrift- kenntnis und das unglaubliche Gedächtnis der Juden, die, vom
') s. Band I, 160.
*) Ep. 84, 3, Vallarsi I, 520; Rahmer, die hebräischen Traditionen in den Werken des Hieronyiiuis, Quaestiones in Oenesin, Breslau 1861 S. 8, Anni. 4 hat die Identifikation des Bar Clianina mit einem Haggadisten, der in Lydda lebte, wahrscheinlich gemacht.
=>) Rufin, Contra Hier. II, 12, Vallarsi II, 642; Hier. Contra Rufin. I, 13, Vallarsi II, 469.
*) Gal. 3, 14, Vallarsi VII, 436; die Übersetzung von Deut. 21, 23, s. Zahn, Geschichte des neutest. Kanons II, 649, Anm. 1.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 51
Kindesalter an in der Heiligen Schrift unterrichtet, alle Genealogien von Adam bis Zorobabel und alle Zahlen des Alten Testaments auswendig hersagen können. Aber er tröstet sich dieser Über- legenheit gegenüber damit, daß die Christen mehr auf den Sinn als die Worte ihr Augenmerk richten.') Je länger je mehr wurde er sich auch der großen Schwierigkeit bewußt, die einem Lateiner bei der Aussprache des Hebräischen ent- gegenstehen. Wenn wir einen Akzentfehler machen, kurze Silben lang oder lange kurz aussprechen, so pflegen die Juden über uns zu lachen, besonders auch bei der Aussprache der Aspiraten und Gutturalen. Daher kommt es, daß die LXX die Buchstaben n und >, weil es keine doppelte Aspiration im Griechischen gibt, mit anderen Buchstaben ausdrücken und statt Rahel, Rachel, statt Jeriho, Jericho usw. schreiben. Bei anderen Buchstaben läßt sich dies aber nicht machen, da die Juden drei verschiedene S haben, während die Lateiner und Griechen nur ein S haben. Der Aussprache halber hat Hieronymus die Hexapla zu Rate gezogen, von der er sich aus der Bibliothek von Cäsarea eine Abschrift fertigen ließ, weil hier in der zweiten Kolumne das Hebräische mit griechischen Buchstaben wiedergegeben war. Der Arbeit dieses unsterblichen Genies — so bekannte Hieronymus — verdanken wir es, daß wir nicht so sehr den Hochmut der Juden fürchten, die an den geöffneten Lippen, der verdrehten Zunge, dem zischenden Speichel und der rauhen Kehle ihre Freude haben.') Hieronymus glaubte aber nicht ausgelernt zu haben, nachdem er sich in der hebräischen Sprache hatte unterweisen lassen. Er hatte die richtige Empfindung, daß die Christen für das sprachliche Verständnis des Alten Testa- ments auf die jüdischen Rabbinen angewiesen seien. Für die Erklärung des schwierigen Buches Hiob zog er daher noch später einen Mischnahlehrer aus Lydda heran, der sich wie Bar Anina seine Dienstleistungen mit schwerem Golde auf- wiegen ließ.) Und als er das Buch Tobia übersetzte, mußte
») Tit. 3, 9, Vallarsi Vli, 736; Tit. 2, 13, Vallarsi Vil, 726.
2) Tit. 3, 9, Vallarsi VII, 735.
3) Praef. in Job., Vallarsi IX, 1100: Comm. in Habacuc 2, 15, Vallarsi Vi, 623, Amos 3, 11; Nahum 1, 9 und 2, 18; Zach. 14, 10; Maleachi 2, 13.
52 Die ersten Jahre, im Kloster zu Bethlehem.
ihm ein Jude oder Judenchrist helfen, der gleichmäßig des Hebräischen und Aramäischen kundig war.') Auch bei seinem ersten alttestamentiichen Kommentar zum Prediger, den er jetzt in Angriff nahm, stand ihm ein Hebräer beratend zur Seite.
Vor fünf Jahren hatte er den Prediger Salomonis in Rom mit Bläsilla gelesen, als sich die junge Witwe einem asketischen Leben weihte. Hieronymus hatte wohl die Lektüre dieses Buches gewählt, um ihr die Eitelkeit der Welt und ihrer Lust vor Augen zu stellen. Auf ihre Bitte hatte er dann einen Kommentar zu schreiben begonnen. Da trat ihr plötzlicher Tod ein. Dem Andenken der früh Dahingeschiedenen, ihrer Mutter Paula und ihrer Schwester Eustochium ist der Kom- mentar gewidmet.
In der Vorrede bemerkt Hieronymus ausdrücklich, daß er keiner Autorität gefolgt sei, sondern selbst aus dem Hebräischen übersetzt habe. Nur die LXX habe er berück- sichtigt, wo sie sich nicht zu weit vom hebräischen Texte entfernen, und gelegentlich Aquila, Symmachus und Theodotion herangezogen.') Man könnte nun hieraus entnehmen, daß Hieronymus zum ersten Male in vollständiger Unabhängigkeit von früheren Exegeten gearbeitet habe."*) Dem ist aber keines- wegs so. Das Verdienst des Hieronymus besteht nur darin, daß er den ins Lateinische übersetzten hebräisciien Text seiner Exegese zugrunde gelegt hat. hn übrigen hat er hier wie sonst die Arbeiten älterer Ausleger benutzt, hn Kommentar verrät er seine Bekanntschaft mit Kommentaren zum Prediger, die von Origenes, Apollinaris von Laodicea, Gregorius Thaumaturgus und Viktorin von Pettau stammen.') Da uns diese Werke mit Ausnahme der Metaphrasis des Gregorius )
') r^raef. in Mb. Tdbiae, Vallarsi X, 3 u. 4.
■-') Praef. in Eccl., Vallarsi VII, 381.
') s. Zöckler, Hieronymus S. 166.
••) Die vier Kommentatoren zitiert er Eccl. 4, 13, Vallarsi Vli, 424, wobei er die Auslefjun<2[en des Gregorius in metaphrasi ecclesiasticae und des Apollinaris wörtlich wiedergibt. Eccl. 12, 5 erwähnt er noch den Apollinaris und macht die Mitteilung, daß dieser dem Text des Symmachus folge, Vallarsi VII, 491.
^) Das Werk, das auf uns gekommen ist, enthält auch das Zitat des
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 53
fast vollständig verloren sind,') so läßt sich die Abhängigkeit des Hieronymus nicht genauer kontrollieren. Nur die Be- nutzung des Origenes ist durch den ganzen Kommentar hin- durch deutlich zu erkennen.) Gleich im Eingang des Kom- mentars begegnet uns eine auf Origenes zurückgehende Ein- teilung der salomonischen Schriften: die Proverbien sind für die Kinder, der Prediger für das Mannesalter, das Hohelied für das Greisenalter bestimmt und verhalten sich wie Ethik, Physik und Logik in der Philosophie zu einander.^) Zu Eccl. 1,6 gibt er die Deutung des Origenes, der die Gestirne als beseelte Wesen auffaßt, ohne eine Kritik daran zu knüpfen. Später hat er behauptet, daß er im Kommentar zum Prediger seinen Dissensus gegenüber dieser Heterodoxie des Origenes für „die Klugen" deutlich zum Ausdruck gebracht hätte.') Er hat hier einmal wieder der Wahrheit nicht die Ehre gegeben. Auch der Klügste konnte aus dem Kommentar nicht ent- nehmen, daß er diese Annahme des Origenes mißbillige. Überall, wo er Origenes in seinem Kommentar benutzt und von der Präexistenz der Seelen, von ihrem vorzeitlichen Sündenfall, ihrer Einkerkerung in die Leiber und ihrer end- lichen Beseligung handelt, ) verhält er sich rein referierend. Auch die Polemik gegen Marcion und die tropologische Aus- legung von Eccl. 7, 27, die unter den Männern die Gedanken,
Hieronymus und erweist sich dadurch als echt, s. Bonwetsch, Oregorius R. C.3 VII, 157; Harnack, Altchristi. Literaturgeschichte I, 430.
') Von Apollinaris sind bisher keine Bruchstücke seines Kommentars veröffentlicht, vielleicht stecken sie noch in den ungedruckten Catenen, Krüger, Apollinaris R. E.^ I, 673; auch von Victorin ist nichts erhalten, s. Harnack, Altchristi. Literaturgeschichte 11, 732. Die Auslegung des nicht genannten beredten Mannes Eccl. 3, 5 u. 7, 14, Vallarsi lil, 409 u. 442 geht vielleicht auf Gregor von Nazianz zurück.
-) Von Origenes existieren noch drei unbedeutende Fragmente Gallandi, Bibl. patr. XIV, Appendix S. 30 zu Eccl. 3, 3; 3, 7 u. 3, 16 u. 17, die sämtlich von Hieronymus benutzt sind, s. Harnack, Altchristi. Literatur- geschichte I, 358 u. 404.
3) Eccl. 1, 1, Vallarsi III, 384; ep. 30, 1, s. Vallarsi III, 389, Anm. e u. Zöckler S. 167.
*) Vallarsi III, 383; Contra Johannem Jeros. c. 17, Vallarsi II, 423.
'=) Eccl. 1, 9, Vallarsi III, 391; er zitiert hier jreQi ägyöjv lib. III, c. 5, s. ep. 124, 9; Eccl. 4, 3 u. 6; 6, 10; 8, 12; 9, 4; 12, 6.
54 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
unter den Weibern die Werke versteht, geht auf Origenes zurück.')
Neben den griechischen und lateinischen Auslegern hat aber auch Hieronymus sehr ausgiebig aus der Quelle der Hebräer geschöpft. Sein Hebräer hat ihm die zeitgenössische Auslegung des Predigers, wie sie die Rabbinen übten, ver- mittelt. Dies gibt seinem Kommentar einen besonderen Wert. Hieronymus weiß, daß unter den Juden Kontroversen über die Aufnahme des Predigers in den Kanon bestanden. Einige fürchteten, daß das Buch geradezu zum Oenußleben anreizen könnte, und sie wollten seine Aufnahme in den Kanon nur mit dem letzten Kapitel entschuldigen, in dem die Gottesfurcht und das Bewahren der göttlichen Gebote eingeschärft würde. ') Einmal nannte er seine jüdische Autorität. Zu Eccl. 4, 13; „Besser ist ein armer und weiser Knabe, als ein reicher und törichter König" hat ihm sein Hebräer die Auslegung des berühmten Rabbinen Ben Akiba mitgeteilt, der die Stelle auf den inneren Menschen, der nachdem 14. Jahre in uns geboren wird, im Gegensatz zu dem äußeren Menschen, der aus dem Mutterleibe hervorgeht und vom Laster nicht lassen will, bezog.')
Die Exegese der Rabbinen zum Prediger, in die uns Hieronymus einen Blick tun läßt, ist nun um nichts besser als die Exegese der Kirchenväter. Auch sie allegorisieren in der kühnsten und geschmacklosesten Weise. Die Flüsse, die wieder an ihren Ort zurückkehren, sind die Menschen, die wieder zu Staub werden.') Der Gerechte, der in seiner Ge- rechtigkeit untergeht, und der Gottlose, der lange lebt in seiner Bosheit, wird auf die Söhne Aarons und Manasses bezogen;') das Wort des Predigers: Wolle nicht zu gerecht sein, auf Saul, der Agag schonte.") Unter dem lebenden Hund, der besser
') Eccl. 11, 2, Valiarsi 111, 4S0, Vallarsi 111, 448, s. auch Tit. 1, 6, Vallarsi VII, 699.
«) Eccl. 1, 1, Vallarsi VII, 385; Eccl. 12, 13, Vallarsi III, 496.
») Vallarsi 111, 424.
*) Eccl. 1, 7, Vallarsi 111, 389.
*) Eccl. 7, 15, Vallarsi III, 442.
«) Eccl. 7, 10, Vallarsi III, 444.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 55
als der tote Löwe ist, werden die lebenden Rabbinen, die besser als Moses und die toten Propiieten sind, verstanden.')
Der Prediger ist nach Hieronymus ein Werk des Königs Salomo, von dem er auch Jesus Sirach geschrieben sein läßt. Salomo hat nach der Überlieferung der Hebräer das Buch ge- schrieben, um Buße zu tun, weil er auf Weisheit und Reich- tum vertrauend, Gott durch Vielweiberei beleidigt hatte.") Interessant ist es, wie sich Hieronymus mit dem Inhalt des merkwürdioen Buches abzufinden sucht. Einmal stellt er neben den buchstäblichen Sinn des Buches den geistlichen Sinn, nach dem unter dem Prediger Christus begriffen werden soll, ohne jedoch diese doppelte Auslegung reinlich und konsequent durchzuführen. Dann aber bereiten dem christlichen Ausleger die Worte des Predigers große Schwierigkeiten, in denen ein Fortleben des Menschen nach dem Tode geleugnet wird oder mindestens dahingestellt bleibt. Die Worte: „Wer weiß, ob der Geist der Menschenkinder aufsteigt und der Geist des Viehs hinabsteigt" glaubt er nicht auf die Vernichtung der Seele mit dem Körper, sondern auf die Unterwelt, in die vor der Ankunft Christi alles in gleicher Weise herabsteigen mußte deuten zu müssen. ) Da er dem 9. Kapitel, in dem der Prediger zum Lebensgenuß auffordert, keinen christlichen Sinn abgewinnen kann, verfällt er auf den Ausweg, daß hier der Prediger gar nicht seine Meinung, sondern die Epikurs, Aristipps, der Kyrenaiker und des „übrigen Viehs" der Philosophen wiedergäbe, die er dann erst im folgenden wider- lege.') Darum füge der Prediger im H. Kapitel der epikuräischen Lebensregel „Freue dich, Jüngling, in deiner Jugend, und laß dein Herz guter Dinge sein" die ernste Mahnung hinzu „aber wisse, daß dich Gott um dies alles vor Gericht fordert".')
') Eccl. 9, 4, Vallarsi lli, 459, s. Eccl. 3, 1, Vallarsi III, 407 die Be- ziehung auf Israel; zu Eccl. 1, 14; Eccl. 3, 9; Eccl. 5, 5; Eccl. 5, 6; Eccl. 7, 8; Eccl. 8, 14; Eccl. 9, 13 Exegesen, die er von den Hebräern hat; vgl. auch Eccl. 10, 4; 10, 5; 11, 2; 11, 9.
'') Eccl. 1, 12 und Eccl. 10, 8, wo er Sirach 22, 29 zitiert, Vallarsi III, 472.
») Eccl. 3, 21, Vallarsi III, 416.
') Eccl. 9, 7ff., Vallarsi III, 461.
*) Eccl. 11, 9ff, Vallarsi III, 486.
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Praktische Anwendungen auf zeitgenössische VerhäHnisse fehlen hier fast vollständig. Nur einmal führt er einen kräftigen Hieb gegen die Bischöfe, die nach ihrem Tode in feierlicher Leichenrede selig gepriesen werden, während sie in ihrem Leben andere nur geärgert haben. Es ist auch schwer einen Bischof anzuklagen, da er selbst, wenn er der Sünde überführt ist, nicht bestraft wird.') Auch seine ewige Klage wiederholt er über die Zungenfertigkeit in der Kirche, die nach dem Beifall der Menge hascht, während ein wirklich gelehrter Mann — er denkt wohl an sich — verborgen bleibt und Verfolgungen leiden muß.) Es ist das traurige Los der Ge- lehrten, die Tag und Nacht Bücher schreiben, daß Toren aus ihren Büchern die Samen der Häresien entnehmen und fremde Arbeiten verleumden. )
Nach der Vollendung des Kommentars zum Prediger nahm Hieronymus drei Arbeiten in Angriff, durch die er hoffen durfte, die lateinische Literatur zu bereichern, da sie bisher nichts ähnliches besaß. Er schrieb ein Buch über die hebräischen Eigennamen, ein zweites Buch, betitelt „Hebräische Unter- suchungen zum Buch der Genesis", und ein drittes über die Lage und Namen der hebräischen Örter. Die erste und letzte Arbeit sind im wesentlichen nichts als Übersetzungen von Werken des Origenes und Eusebius von Cäsarea. Sie konnten von Hieronymus schnell fertiggestellt werden und boten ihm eine willkommene Gelegenheit, seinen literarischen Ruhm ohne große Mühe zu mehren. Die hebräischen Quästionen zur Genesis stellen aber ein völlig neues literarisches Unter- nehmen dar, zu dem er allein von seinen Zeitgenossen auf Grund seiner Kenntnis der hebräischen Sprache befähigt war. Mit der ihm eigenen Bescheidenheit hat er deshalb in der Vorrede zu diesem Werk seine Arbeit als ein neues, sowohl Griechen wie Lateinern bisher unbekanntes Werk ausposaunt.')
Nach der Vorrede zu dem ersten der drei genannten Werke benutzte Hieronymus ein griechisches Onomastiken,
») Eccl. S, 10, Vallarsi 111, 454. *) Eccl. 9, 11, Vallarsi 111, 464. 8) Eccl. 2, 21, Vallarsi 111, 405.' *) Praef. in Onomastica sacra -ed. Lagarde S. 26.
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das ihm als Arbeit des Origenes überliefert war und ursprüng- lich auf Philo zurückging. Origenes hatte das Werk des Philo durch Hinzufügung der Verdolmetschung der neutesta- mentlichen Eigennamen erweitert. Wir haben keinen Grund, diese Angaben des Hieronymus zu bezweifeln, da sie durch das Onomastikon ihre Bestätigung empfangen.')
Daß Hieronymus ein Werk des Origenes als Vorlage hatte, beweist zunächst die Tatsache, daß er bei den neu- testamentlichen Eigennamen am Schluß die Eigennamen des Barnabasbriefes ebenfalls interpretiert. Da Hieronymus diesen Brief zu den Apokryphen rechnet, so hätte er ihn sicher nicht ohne Unterscheidung den kanonischen Büchern beigeordnet, wenn er hier nicht einfach dem Origenes folgte, der ihn als 8. katholischen Brief in seinem Kanon hatte.') Daß aber dem Onomastikon eine Arbeit Philos zugrunde lag, wird durch Vergleichung mit den Erklärungen der Eigennamen in den Werken Philos zur Gewißheit erhoben. ) Dieses Philonisch- Origenistische Onomastikon war nach Hieronymus in den griechischen Bibliotheken vielfach zu finden; aber die vor- handenen Exemplare differierten stark von einander, und die Anordnung der Namen war so verworren, daß er sich ent- schloß, auf Zureden der Brüder Lupulus und Valerianus — vermutlich Mönche des Klosters in Bethlehem — und um der praktischen Brauchbarkeit des Werkes willen die biblischen Schriften der Reihe nach durchzugehen und das ganze Material neu zu bearbeiten. Diese Arbeit war aber im wesentlichen formaler Natur, wie sich aus einem Vergleich mit den uns erhaltenen griechischen Onomastika ergibt, die wohl fast sämtlich Rezensionen oder Auszüge aus dem Origenistischen Onomastikon sind, wenn sie auch nicht alle unter seinem Namen überliefert sind.')
') Zahn, Geschichte des neut. K. II, Q48ff.
-) Zahn, Geschichte des neut. Kanons II, 951.
') Vallarsi III, 699ff. Libri nominum Hehraicorum pars quaenam ex operibus Philonis Judaei collecta.
*) In den Onomastica sacra Vaticana bei Lagarde- S. 202—224 haben wir es sicher mit Origenistischem Gut zu tun, wie die Vergleichung mit dem Onomasticon des Hieronymus Vallarsi III, 353ff. lehrt. Es sind zum
58 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Hieronymus stellte zunächst im Eigennamenlexikon die Ordnuno- wieder her, indem er die Namen nach den einzelnen biblischen Büchern des Alten und Neuen Testaments und innerhalb der einzelnen Bücher nach der alphabetischen Reihen- folge anordnete. Diese Anordnung wird die ursprüngliche gewesen sein, während die Zusammenstellung sämtlicher Eigennamen aller biblischen Bücher nach dem Alphabet, wie sie zum Teil in den griechischen Onomastica vorliegt,') der Bequemlichkeit halber und zur Vermeidung zahlreicher Wieder- holungen gemacht wurde.
Was die sachliche Arbeit des Hieronymus an dem Origenistischen Onomasticon betrifft, so kann ihm der Vor- wurf nicht erspart bleiben, daß er sich wider besseres Wissen sklavisch an seine Vorlage angeschlossen und die Etymologien des Origenes, der doch nur mit der dürftigsten und äußerlichsten Kenntnis des Hebräischen ausgerüstet war, kritiklos zu eigen gemacht hat. Obwohl er selbst damals bereits gründlichere Kenntnisse im Hebräischen besaß und in den Untersuchungen zur Genesis über die Griechen spottet, die mit einem hebräischen Namen wie Sara
Teil Auszüge, die zu bestimmten Zwecken gemacht sind, wie z. B. das erste Fragment eines Onomastikon rninivria nov ri' nj ihojTi'FvCTi.t yonipij i'ii(prQoiiivo)i' ifioaiKihv nroiiaror, in dem sich ein Verzeichnis der zwölf Apostel nn't 13 Namen, darunter Paulus, Matthäus, Markus, Lukas, findet; das zweite Fragment enthält nur in den Evangelien enthaltene Eigennamen, das dritte nur die Namen alttestamentlichcr Patriarchen, das vierte nur weibliche, das fünfte nur männliche Namen. Am ausführlichsten ist das alphabetisch geordnete und Lexikon betitelte Verzeichnis des Codex Vaticanus 1456 Lagarde* S. 212, dessen Etymologien mit Hieronymus vielfach übereinstimmen; s. Vallarsi III, 605 ff. Dagegen weichen die Olossae Colbertiiiae Lagarde^ S. 224ff., Vallarsi III, b67 und noch stärker das Onomasticon Coisliaiuim Lagarde-' S. 194 ff. von den Etymologien das Hieronymus ab, so daß hier sehr fraglich ist, ob diese Onomastika auf F^hilo-Origenes zurückgehen. Aus dem Codex Marchialanus der LXX, der nicht nur die Hexapla, sondern auch die t6i«)i des Origenes benutzt hat, hat E. Klostermann, Z. f. a. W. XXIII, 135—140, 1903, eine Anzahl übersetzter Eigennamen, die sich als Randbemerkungen finden, ediert. Sie gehen vermutlich auf Origenes zurück und die Übereinstimmung mit dem Hieronymianischen Onomastikon ist hier eine ziemlich weitgehende. ') s. Lagarde^ S. 212 ff.
Die ersten Jalire im Kloster zu Bethlehem. 59
alle möglichen etymologischen Spielereien trieben, obwohl er den richtigen Grundsatz aufstellt, daß man um ein einer Sprache angehöriges Wort zu etymologisieren keine fremde Sprache heranziehen dürfe,') schämt er sich nicht, die Ety- mologien griechischer und lateinischer Namen des Neuen Testaments, wie Petrus, Blastus, Archelaus, Diabolus, Ephesus, Quadrans, Caesar, Julius, die Origenes aus dem Hebräischen abgeleitet hatte, einfach abzuschreiben. ') Nur bisweilen schlägt ihm sein wissenschaftliches Gewissen und er bemerkt dann, daß diabolus richtiger nach dem Griechischen der Ankläger, Mesopotamia das Land zwischen Euphrat und Tigris, Theophilus der von Gott Geliebte, Areopagus der Hügel des Mars, Eutychus der Glückliche bedeute. ) Damit man ihn aber nicht der Unwissenheit beschuldigen kann, gibt er die summarische Erklärung ab, daß alle Namen der Apostelgeschichte griechischen und lateinischen Ursprungs sind und die gegebenen Etymologien nur gezwungen aus der hebräischen Sprache abgeleitet werden können, „wie dem Leser deutlich sein wird".^) Er verfährt aber im einzelnen ganz willkürlich und inkonsequent. Während er z. B. bei den Eigennamen der Apostelgeschichte wie Alexander, Agabus, Apollonia, Athenienses, Apelles, Artemis, Antipatris, Adrumetium, Adria, Cappadocia, Festus, ausdrücklich auf die fehlerhafte Etymologie aufmerksam macht,') unterläßt er es wieder bei anderen Namen aus Bequemlichkeit und Flüchtigkeit. Gewiß war Hieronymus trotz seiner umfang- reichen, ja in seiner Zeit einzigartigen Kenntnisse nicht im- stande, ein fehlerloses Eigennamenlexikon zu schreiben; schon die assyrischen, babylonischen und ägyptischen Namen mußten ihm unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten. Vielleicht ist
') Quaest. in Gen. 17, 15, Lagarde S. 27.
^) s. J. Clericus, Quaestiones Hieronymianae, Amsterdam 171Q, S. 396 ff.
^) Diabohis, Lagarde S. 93, Mesopotamia, Lagarde S. 103, Eutychus, Lagarde S. 102; Theophilus, Lagarde S. 106; s. auch Lydia, Lagarde S. 103; Andreas, Lagarde S. 99.
') Lagarde S. 101; S. 103; S. 104.
•') Lagarde S. 100 u. S. 102.
60 Die ersten Jahre im Kloster zu Betlilehem.
noch heute kein einzelner zur allseitig befriedigenden Lösung einer solchen Aufgabe befähigt; aber Besseres, als er ge- schaffen hat, hätte er bei etwas gründlicherer Erfassung seiner Aufgabe leisten können. Zwar hat er an einer Reihe von Etymologien Korrekturen angebracht,') bei anderen auf seine hebräischen Quästionen und sein Buch über die Örtlichkeiten verwiesen,^) in denen er diese Namen genauer behandle, bei wieder anderen den hebräischen Text herangezogen.') Einmal hat er beim Buche Levitikus einen Nachtrag der von Origenes ausgelassenen Eigennamen gemacht.^) Er hat auch die Zahl der etymologischen Deutungen vermehrt, ) bei neutestamentlichen Eigennamen ihren syrischen und nicht hebräischen Ursprung hervorgehoben ") und bei anderen Worten ihre ägyptische Ableitung notiert.') Aber alle diese Ansätze zur Verbesserung und zur Kritik sind ohne durchgreifende Konsequenz gemacht. Und von phantastischen etymolo- gischen Vorstellungen hat er sich trotz seiner umfangreichen Sprachkenntnisse nicht frei gemacht. Er läßt einerseits Eigen- namen wie Berenice, Sarepta und Greta aus syrischen, und hebräischen Bestandteilen zusammengesetzt sein') und zitiert
') Zu Chermel Jos. 12, 15, Lagarde S. 55; Joacli Jes. 15, 4, Lagarde S. 81; Aroer Jer. 48, Q, Lagarde S. 85; Alphaeus Mattli. 10, 3, Lagarde S. 93; Essai Matth. 1, 5, Lagarde S. Q3; Josafat Matth. 1, 8, Lagarde S. 94; Joram Matth. 1, 8, Lagarde S. 94; Maria Matth. 1, 6, Lagarde S. 95, wo er für die Bedeutung Stella niaris sive amarum mare eintritt, Magda- lene Matth. 27, 56, Lagarde S. 95; Naason Matth. 2, 23, Lagarde S. 95.
-) Solche Verweisungen zu Efrata Ruth 4, 1; Escaboth 1 Reg. 14, 3; Subochai 2 Reg. 21, 18; Chabratha 4 Reg. 5, 19; Thelabim Ez. 3, 15; Tliamnuiz Ez. 8, 14; Ausitidi Job. 1, 1; Galaad Gen. 31, 47; Eleon Num.
26, 26.
") Maseroth Lagarde S. 47, Sufan, Lagarde S. 49.
*) Vier Namen umfaßt der Nachtrag Lagarde S. 42.
") z. B. Seth, Lagarde S. 37; Rachel S. 36; Esau S. 32; Maria S. 95.
•■•) Acheldamach Matth. 27, 8; Bethfage Matth. 21, 1; Barrabas Matth.
27, 16; Golgotha Matth. 27, 33; Iturea Luk. 3, 1; Abba Mark. 15, 43; Talitha cumi Mark. 5, 41; Zachaeus Luk. 19, 2; Martha Luk. 10, 38; Beroea Act. 17, 10; Ellada Act. 20, 2; Maran atha 1. Kor. 16, 22.
') Somthonfanech nach Hieronymus zu lesen Zapfanethfane Lagarde S. 138, s. Quaestiones in Gen. 41, 45.
") Greta inter syrum et hebraeum Act. 2, 1 1 ; Berenice Act. 25, 13;
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 61
eine wunderliche Etymologie des Eigennamen Syrtis aus Sallust,') um mit seinen Kenntnissen zu renommieren. Und anderseits überrascht er den Leser mit wiri<lichen Kenntnissen, indem er ihm mitteilt, daß das lateinische Wort Canna, das in der Tat ein semitisches Lehnwort ist, aus dem Hebräischen stamme-) und Barsabas und Bariona Zusammensetzungen aus der hebräischen und syrischen Sprache sind.
Viele der sonderbaren und befremdlichen Deutungen gehen aber darauf zurück, daß dem Hieronym.us kein vokalisierter und mit diakritischen Zeichen versehener Text vorlag, und daß er ferner vielfach wie Origenes nach dem Gehör, d. h. nach dem äußeren Wortklang, etymologisierte.") Vor allem aber dürfen wir eins bei der Beurteilung dieses Werkes nicht außer acht lassen.*) Das Werk des Hieronymus wie das ihm zugrunde liegende Werk Philos und Origenes sollte nicht in erster Linie wissenschaftlichen, sondern erbaulichen Zwecken dienen. Es kam den Autoren daher weniger auf die sprachliche Korrekt- heit wie auf die asketische Brauchbarkeit und den mystischen Tiefsinn ihrer Etymologien an. Die Folgezeit hat es in diesem Sinne ausgiebig benutzt. Etwas Besseres an die Stelle zu setzen war man nicht imstande. Man bewunderte die un- übertrefflich scheinende Gelehrsamkeit und schöpfte aus dieser unversiegbaren Quelle für Exegese und Predigt das ganze Mittelalter hindurch.
Gleichzeitig mit dem Onomasticon hatte Hieronymus seine hebräischen Untersuchungen oder Traditionen zur Ge- nesis auszuarbeiten begonnen. Den Anstoß zu diesem, wie wir oben bemerkten, völlig neuen literarischen Unternehmen hatte ihm jedenfalls das Onomasticon gegeben. Die Diffe- renzen zwischen dem Text der LXX und dem hebräischen
Barsabas Act. 1, 23; Bariona Matth. 16, 17 syrum est pariter et hebraeum, bar qiiippe lingua syra filius et iona coluniba utroque sermone dicitiir; Sarepta Luk. 4, 26.
') Syrtis a tractu Act. 27, 17, Lagarde S. lOS, s. Bell. Jug. c. 78.
-) zu Cane Jos. 16, 8 calamus; notandum, quod latinum canna de lingua hebraea sumptum est, Lagarde S. 55.
') z. B. die Deutungen zu Gen. 30, 11 u. Gen. 30, 26; s. dazu Rahmer, Die hebräischen Traditionen, S. 71.
'*) s. auch Zöckler, Hieronymus S. 169.
62 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Text waren ihm stärker zum Bewußtsein gekommen, und die Notwendigkeit iiatte sich ihm aufgedrängt, für die Ety- mologien der Eigennamen auf die hebräischen Traditionen zurückzugreifen, die ihm seine jüdischen Lehrer vermittelten. In der Vorrede zu seinem Werke kündigte Hieronymus solche Untersuchungen zu allen Büchern des Alten Testaments an. Dieser Plan ist nicht zur Ausführung gelangt; denn die auf uns gekommenen Quästionen zu den Büchern der Könige und der Chronik,') in denen Rahmer'") echte Quästionen des Hiero- nymus in ihrem ersten Entwürfe vermutete, stammen nicht von der Hand des Kirchenvaters. In Sprache und Anlage sind sie ganz anders geartet als seine Quästionen zur Genesis, und Rabanus Maurus, der sie benutzte, schrieb sie ausdrück- lich einem Hebräer zu, der zu seiner Zeit lebte. ^) Durch die Übersetzung des Alten Testaments aus dem hebräischen Grund- text und durch seine ausgeführten Kommentare zu den pro- phetischen Büchern des Alten Testaments wurde für Hiero- nymus die Fortführung seines Quästionenwerkes überflüssig.
Die Absicht seines Werkes war, das Mißtrauen gegen den hebräischen Text zu beseitigen. Die altlateinische Über- setzung, die er mit den griechischen Übersetzungen und dem hebräischen Texte verglich, wollte er nach dem Urtext emen- dieren. Wir haben es hier also mit einer Vorarbeit zu seinem großen Übersetzungswerk des Alten Testaments zu tun. Da- neben aber wünschte Hieronymus Namen, Orte und Sachen aus der hebräischen Sprache zu erklären und so das Ona- masticon und das Buch der Örtlichkeiten durch die Quästionen zu ergänzen und zu korrigieren. Hieronymus wußte, daß sein Unternehmen, den hebräischen Text zu der ihm gebührenden Anerkennung zu bringen, auf Widerstand stoßen würde. Hatte
') Vallarsi III, 753—822.
^) Rahmer, Die hebräisclien Traditionen, S. 8, Anm. 2.
^) Vallarsi III, 753, Admonitio; auch Tillemont, Memoires XII, 633, liat die Abfassunj]; weiterer Abschnitte der Quästionen über die Genesis hinaus angenommen, da im Liber locorum auf Quästionen hingewiesen wird, die sich in den Quästionen zur Genesis nicht finden. Möglich bleibt es, daß Hieronymus weitere Quästionen bereits vorbereitet, aber nicht ab- geschlossen hat, die dann verloren gingen; s. auch Klosterniann, Eusebius Onomasticon, Christi. Schriftsteller 13, S. XXVII, Anm. 1.
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er doch in Rom ähnliches bei der Bibelrezension des Neuen Testaments erlebt, wo konservative Borniertheit ihm Schändung des Heiligen vorgeworfen hatte. Er salvierte sich daher durch die vorsichtige Erklärung, daß er nicht den bei den Christen gebräuchlichen LXX Text der Irrtümer beschuldigen und seine Arbeit gegen die LXX gerichtet wissen wolle; denn die siebenzig Übersetzer hätten mit Rücksicht auf den König Ptolemaeus den mystischen Sinn und alles, was auf Christi Ankunft Bezug hatte, in ihrer Übersetzung unterdrückt, damit sie nicht einen zweiten Gott anzubeten schienen, sie, die der Platoniker Ptolemaeus wegen ihres Monotheismus hoch schätzte. Um seine kühne kritische Neuerung annehmbar zu machen, berief sich Hieronymus auf den Herrn, die Evangelisten und den Apostel Paulus, die oft aus dem Alten Testament zitieren, was in unseren Kodices, d. h. der LXX und Itala, nicht stehe. Er folgerte daraus, daß die Exemplare des alttestamentlichen Textes als die richtigen zu gelten haben, die mit dem Neuen Testamente übereinstimmen. Und endlich verwies er auf Origenes, den er auch in der Vorrede zum Onomasticon be- geistert als den größten Lehrer der Kirche nach den Aposteln gepriesen hatte, in seinen volkstümlichen Homilien folge er den LXX, in den ausgeführten, für die Gelehrten bestimmten Kommentaren, den rö,«o<, gehe er aber auf den hebräischen Text zurück.')
Die Quästionen behandeln eine Reihe von schwierigen exegetischen Stellen der Genesis, sie sind ein aphoristischer Kommentar, dessen Wert vor allem darin besteht, daß Hie- ronymus die Haggada, die ihm durch seine jüdischen Lehrer übermittelt wurde, ausgiebig benutzte. Diese jüdischen Tra- ditionen, die damals noch mündlich überliefert wurden, wurden später in den verschiedenen Midraschsammlungen schriftlich fixiert. Wir haben dadurch die Möglichkeit, die Benutzung- jüdischer Quellen durch Hieronymus bei Deutungen nach- zuweisen, wo er selbst es nicht ausdrücklich angegeben hat.') Daneben hat er den Josephus besonders zur Völkertafel
') Praefatio, Lagarde S. 1 — 3.
-) s. Rahmer, Die hebräischen Traditionen in den Werken des Hie- ronymus, Breslau 1S61.
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Gen. 10 wörtlich ausgeschrieben.') Von christlichen Exegeten nennt er namentlich nur einmal Eusebius von Emesa, dessen Er- klärung von Sabech Gen. 22, 13 gleich Ziegenbock er lächerlich macht.-) Auch gegen Ambrosius, der die Völkernamen Gog und Magog auf die Gothen bezog, polemisiert er, jedoch ohne ihn zu nennen.') Seine messianische Deutung des Jacobitischen Segens, Gen. 4Q, hat er fast ganz dem Origenes entnommen.')
Bemerkenswert ist es, daßHieronymussichindenQuästionen bisweilen von der christlich-exegetischen Tradition zu eman- zipieren versucht. Die Anfangsworte der Genesis: „im Anfang schuf Gott Himmel und Erde", die die Altercatio Jasonis et Papisci"^), Tertullian adversus Praxeam, und Hilarius in seinem Psalmenkommentar') auf Christus bezogen hatten, lassen nach Hieronymus bei wörtlicher Übersetzung diese Deutung unmöglich zu. An anderen Stellen dagegen, wie z. B. bei der Exegese des Wortes "!2'?>, Gen. 24,43, im Sinne von unberührter Jung- frau, stellt er sich wegen des Dogmas von der Jungfrauengeburt auf den Boden der traditionellen christlichen Exegese.')
Die Korrekturen, die Hieronymus an der lateinischen Bibel- übersetzung auf Grund des hebräischen Textes vornahm, treffen oft das Richtige: Gen. 1, 2 erklärt er nsn"!^ „der Geist brütete über den Wassern" und Gen. 2, 21 übersetzt er n!2"["in statt mit Ekstase im Anschluß an Aquila und Symmachus mit Schlaf. Hieronymus hat weiter auf die Widersprüche in den Zahlen- angaben des Lebensalters der vorsintflutlichen Patriarchen nach
') Lagarde S. 15, außer den von Lagarde S. VIII aufgeführten namentlichen Zitaten des Josephus, s. auch zu Gen. 25, 1 Lagarde S. 39 iuxta historicos Hebraeorum.
■•') s. Lagarde S. 34, der Kommentar ist verloren.
^) S. Lagarde S. 14. Die Deutung des Ambrosius de fide 11, 16. Im Kommentar zu Ezechiel praef. IIb. II hat Hieronymus ebenfalls dagegen polemisiert, s. Vallarsi III, 317, Anni. d.
■*) Origenes, Homilie XVII, s. Harnack, Altchrist L. G. I, 344, quidam profetice interpretatur.
*) Harnack I, 93; Zahn, Forschungen IV, 308 ff.
^) Tertullian adversus Praxeam c. 5 ; Hilarius in expositione psalmi 2, s. Lagarde S. VIII.
') Auch bei der Deutung des Jakobsegens im messianischen Sinne folgt er der christlichen Tradition.
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den LXX und nach dem hebräischen Text aufmerksam gemacht. Die LXX eeben das Alter der Patriarchen höher an. Nach den LXX mußte Methusalem noch 14 Jahre nach der Sintflut gelebt haben, während er nach den hebräischen und samaritanischen') Codices in dem Jahre starb, in dem die Sintflut begann. Da die letzte Angabe einen chronologischen Widerspruch in der Schrift auflöste, gab ihr natürlich Hieronymus den Vorzug.') Aber in anderen Fällen versagte dieses Mittel, chronologische Differenzen mit Hilfe des hebräischen Textes zu lösen. Abraham war nach Gen. 12, 4 75 Jahre alt, als er Haran verließ und sein Vater Thara war damals bereits tot. Beim Tode seines Vaters mußte er aber, wenn wir die Zahlen der Genesis zugrunde legen, 135 Jahre alt gewesen sein. Hieronymus gibt die künst- liche Lösung, indem er die 75 Jahre nicht von der Geburt Abrahams, sondern von seiner Errettung aus dem feurigen Ofen rechnete.') Ismael mußte nach den Zahlenangaben der Genesis, als er von Abraham mit seiner Mutter Hagar ver- trieben wurde, mindestens ein ISjähriger Jüngling sein. Nun trug aber nach Gen. 21,14 Hagar ihren Sohn auf der Schulter. Hieronymus weiß sich nicht anders zu helfen, als diesen Wider- spruch dadurcli zu lösen, daß Abraham Brot und Wasserschlauch der Hagar auf die Schultern legte und ihr dann den Jüngling an die Hand gab.')
Durch die starke Heranziehung der jüdischen Traditionen bekamen seine Quästionen einen eigentümlichen Charakter. Diese jüdischen Sagen waren etwas ganz neues für das christliche Publikum, die sein Interesse und seine Neugier erregen mußten. Und gleichzeitig steigerten diese Mitteilungen die Bewunderung für das tiefgründige Wissen des Hieronymus. Da hörte man, daß die Hebräer aus den Worten Gen. 2, 8 C"!pi^ die Schöpfung des Paradieses vor Himmel und Erde folgerten, ) daß Ur
^) Vielleicht ist unter den libri Saniaritoruni nichts anders als die samaritanisch-ojriechische Übersetzung zu verstehen, von der wir Bruch- stücke unter dem Namen ro l'a/(a(jFiriK6r besitzen, s. Novvack, Die Bedeu- tung des Hieronymus für die alttestamentliche Textkritik, S. 34, Anm. 40.
2) Gen. 5, 3, Lagarde S. 10, Rahmer S. 21 ff.
^) Gen. 12,4, Lagarde S. 19.
') Lagarde S. 32.
") Lagarde S. 4, s. Rahmer S. 17.
O r ü tzinacli er , Hieronymus. II. 5
66 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Chasdim Gen. 11,28 im Hebräischen „im Feuer der Chaldäer" bedeute und Abraham, der das Feuer nicht hätte anbeten wollen, in einen Feuerofen geworfen, aber von Gott wunderbar errettet worden sei,') daß die Namenänderung des Abram in Abraham und der Sarai in Sarah darauf beruhe, daß Gott von dem Tetragrammaton den Buchstaben H dem ursprünglichen Namen hinzugesetzt habe.") Und weiter erzählte Hieronymus, daß das Scherzen Ismaels, das Gen. 21, Q die Sara reizte, nach der Erklärung der Rabbinen entweder darin bestanden hätte, daß Ismael Götzenbilder fertigte, oder als Erstgeborener den Isaak verspottete. ') Auch kultische Bräuche der Juden erklärte er den Christen im Anschluß an Erzählungen der Genesis. So wurde am Neujahrstage bei den Juden zur Erinnerung an den für Isaak geopferten Widder ein Widderhorn geblasen.*) Und wie mußte man nicht über den wunderbaren Tiefsinn des hebräischen Textes staunen, wenn Hieronymus seine Leser be- lehrte, daß Ephron erst mit ", dann ohne 1 geschrieben wurde, um durch letztere Schreibung das gleißnerische und selbst- süchtige Benehmen Ephrons Abraham gegenüber anzudeuten.'^) Auch die Sprachkenntnisse des Hieronymus schienen schier unergründlich, wenn er den Beinamen des Joseph, den dieser Gen. 41,45 erhielt, aus dem Ägyptischen als Retter der Welt ) und das Wort CJ^'H Gen. 36, 24 aus dem Punischen als warme Bäder deutete.')
Daß die von Hieronymus zum ersten Male im Prediger-
') Lagarde S. 19, s. Rahmer S. 24.
*) Lagarde S. 27, s. Rahmer S. 28.
') Lagarde S. 31, s. Rahmer S. 31. R. weist hier nach, dali eine wört- liche r^arallele zwischen dem Midrasch und Hieronymus vorliegt. Die erste Auslegung wird im Midrasch auf Rabbi Akiba zurückgeführt. Dies ist beachtenswert, da Hieronymus bereits im Kommentar zum Prediger diesen berühmten Rabbiner zitiert hatte.
*) Lagarde S. 34, Rahmer S. 35.
*) Gen. 23, 16, Lagarde S. 36, s. Rahmer S. 36 über die ethische Deutung des defektiven Waw.
») Lagarde S. 61, Rahmer S. 51.
7
i-T.
) Lagarde S. 56, s. Rahmer S. 46, der noch auf zwei Worte nö . V Jes. 7, 8 und i"'P'P Jon. 4, 6 aufmerksam macht, die Hieronymus aus dem Puinschen ableitet.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 67
kommentar und dann hier in noch größerem Umfange bei- p-ezosene Exegese der Rabbinen sachh'ch keinen Fortschritt bedeutete, haben wir schon oben bemerkt.') Bei aller Ver- wandtschaft mit der allegorischen Exegese der Kirchenväter unterscheidet sie sich von ihr nicht nur durch die noch größere Willkür, sondern auch durch die juristische Spitzfindigkeit und das Fehlen jeder systematischen Abzweckung. Die Kirchen- väterexegese suchte doch wenigstens das ganze Alte Testament messianisch zu deuten, dies war der Kanon ihrer Auslegungs- methode. Die rabbinischen Identifikationen von Bileam mit dem Elihu des Hiobbuches und des Melchisedek mit Sem, dem Sohne Noahs, sind nichts weiter als müßige Spielereien.-) Und dann sei noch auf eines hingewiesen, was bei den Kirchen- vätern fast vollständig fehlt. Die jüdischen Exegeten haben eine besondere Freude an der Ausmalung sexuell anstößiger Geschichten und an der Hineindeutung derartiger Motive in solche Geschichten, die nichts davon enthalten. So sei nach der Meinung der Hebräer Joseph an Potiphar wegen seiner großen Schönheit zur schimpflichen Dienstleistung, d. h. jedenfalls zur Päderastie, verkauft worden und von Potiphar, als später seine Manneskraft aufhörte, zum Priester in Heliopolis gemacht worden. ) Auch bei der Geschichte von Lot und seinen Töchtern berichtet uns Hieronyinus von den Reflexionen der Rabbinen über die Ausübung des Beischlafs.')
Schon bei der Ausarbeitung des Onomasticon hatte Hieronymus die bevorstehende Herausgabe eines Buches über die hebräischen Örtlichkeiten angekündigt.) Nach Vollendung
1) s. S. 54.
-) Gen. 22, 20, Lagarde S. 35 und Gen. 14, 18, Lagarde S. 24.
*) Lagarde S. 57.
^) Lagarde S. 30, Rahmer S. 35. Die Stelle ist, worauf Rahmer hin- weist, wichtig für die Abfassung der Massora, da Hieronymus bereits den massorethischen Punkt als in seinem Text vorhanden bezeugt.
■'') Praef. lib. interpretationis hebraicorum nominum, Lagarde S. 26; das Buch trägt in verschiedenen Handschriften und Drucken verschiedene Bezeichnungen: Über de situ et nominibus locorum hebraicorum, über de distantiis locorum, über locorum, oder über locorum et nominum, s. Eusebius Onomasticon ed. V. E. Klostermann, Leipzig 1904, S. XI.
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seiner Quästionen zur Genesis muß es bald erschienen sein. Die Arbeit des Hieronymus über die Lage und die Namen der hebräischen Örter ist im wesentlichen eine Übersetzung der Schrift des Eusebius nsoi tcov romucov övojuütojv ei' nj lieiu ygacpT}. Eusebius hatte noch drei selbständige topographische Schriften ') oder drei in einem Buch zusammengefaßte Ab- handlungen ") seiner Schrift über die Ortsnamen vorangehen lassen, die aber Hieronymus nicht übersetzt hat und die nicht mehr erhalten sind. Das Werk des Eusebius enthielt nicht alle Ortsnamen der ganzen Heiligen Schrift, im Alten Testament sind die Bücher Levitikus, Ruth, Daniel, Esra, Nehemia in den Überschriften übergangen; aber sie enthalten auch keine oder wenigstens keine nicht sonst vorkommenden Ortsnamen. Andere alttestamentliche Bücher wie die Chronik, die Makka- bäerbücher, die Propheten und Hiob sind unter der Oesamt- überschrift der Königsbücher zum Teil mit berücksichtigt. Vom Neuen Testament waren nur die Ortsnamen der Evan- gelien, nicht die der Apostelgeschichte und Briefe, behandelt. Es ist dies daraus zu erklären, daß Eusebius in seinem Ono- masticon im wesentlichen nur die Namen des Heiligen Landes und der umliegenden Reiche aufzunehmen beabsichtigte. Nach seiner Vorrede wollte er auch nur die Namen von Städten und Dörfern aufführen. Er hat sich auch hier nicht streng an seinen Plan gehalten, sondern auch die Namen der Flüsse, Landschaften, Berge, Ebenen, Wüsten und sogar der ver- schiedenen heidnischen Götzen mit in sein Onomasticon ein- gereiht.'i Hieronymus war nicht der erste, der die Schrift des Eusebius ins Lateinische übersetzte. Er hatte bereits einen Vorgänger, dessen Namen er nicht nennt; aber diese Über-
•) Harnack, L. O. I, 574.
'-) E. Klostermann, Eusebius Schrift nroi Tö>r TojriKön' öi'o//äro)/ rrhy ri> Tij Ofäh ygacpfj, Texte und Untersuchungen N. F. VIII, Heft 2. 1902 und die kritische Ausgabe des Onomasticon des Eusebius und der Über- setzung des Hieronymus in den Griechischen christl. Schriftstellen der ersten 3 Jahrhunderte, Band 11, Eusebius Bd. III. von E. Klostermanii, Leipzig 1Q04. P. Thomsen, Palästina nach dem Onomasticon des Eusebius 1903, Tübinger Dissertation.
■) s. Onomasticon des Eusebius, ed. Klostermann, S. XIII.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 69
Setzung war so voller Fehler, daß eine neue Arbeit kein un- nützes Unternehmen schien.')
Hieronymus hat nun keine einfache Übersetzung geliefert, sondern Änderungen vorgenommen, da ihm, wie er sagte, die Arbeit des Eusebius mit späteren Veränderungen und Fehlern überliefert worden war. In der Vorrede macht er die Bemerkung, daß er nach der Anordnung des griechischen Alphabets übersetzt habe, während sein Onomasticon gerade im Unterschied von dem Eusebianischen nach dem lateinischen Alphabet angeordnet ist. Er spricht weiter von Auslassungen dessen, was ihm des Gedächtnisses nicht würdig schien, während diese in der Tat, wie ein Vergleich mit der Arbeit des Eusebius zeigt, sehr selten sind.) Vielleicht erklären sich diese Angaben so, daß Hieronymus die Vorrede vor Fertigstellung seiner Übersetzung geschrieben hat und später bei der Ausführung seines Vorhabens es doch für praktisch geboten hielt, seine ursprüngliche Idee zu ändern.') Im ganzen ist die Übersetzung des Hierony- mus eine sehr zuverlässige Arbeit, ') die sich streng an den Text des Eusebius hält. Nur wenig Mißverständnisse lassen sich dem Hieronymus nachweisen.^) Einer gründlichen Revision hat aber Hieronymus die Arbeit des Eusebius nicht unter- zogen. Er hat weder das Werk des Eusebius durch Nach- tragung der Namen aus den nicht berücksichtigten Büchern der Heiligen Schrift vervollständigt, noch die vielen Irrtümer des Eusebius berichtigt, die sich aus seiner mangelhaften
') Praef. Hieronymi, in lib. loc. ed. Klostermann, S 3.
-) s. Onomasticon ed. Klostermann, S. XXIX. Da die griechische Überlieferung nur auf die stark verderbte griechische Handschrift, Cod. Val. 1456 saec. XII zurückgeht, so läßt sich nicht mit absoluter Sicherheit das Verhältnis des Hieronymus zu seinem Original feststellen.
*) Hierfür kann vielleicht der Schlußsatz der Praefatio ed. Kloster- mann, S. 3, herangezogen werden : ut enim mihi excelsa non vindico, ita terrae cohaerentia supergredi posse me credo.
*) Onomasticon ed. Klostermann, S. XXVIII.
*) s. zu Masereth den Nachweis bei Klostermann, S. XXVIII, Anm. 1; ebenfalls ein Mißverständnis scheint zu Aermon S. 21, 12 ff. vorzuliegen. Eusebius sagt, daß der Berg Hermon wie ein Heiligtum von den Heiden geehrt werde, Hieronymus berichtet aber, daß ein berühmter Tempel auf dem Gipfel sei, der von den Heiden verehrt werde.
70 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Kenntnis des Hebräischen erklären. Eusebius hatte vielfach die Ortsnamen mit dem Artikel, mit angehängtem He locale oder mit Präpositionen verschmolzen wiedergegeben, er hatte Patronymica, Gentiliaca, Himmelsrichtungen und, wie schon oben bemerkt, Gottheiten in buntem Durcheinander in sein Lexikon der Ortsnamen aufgenommen.^) Hieronymus hat hieran nicht viel geändert. Er bemerkt nur gelegentlich, daß er Etymologien von Ortsnamen, wie sie Eusebius gegeben habe, nicht für richtig halte'), und einmal erklärt er summarisch, daß der aufmerksame Leser erkennen möge, daß er nicht alles, was er übersetze, billige, sondern deshalb einiges nach dem griechischen Texte stehen lasse, weil er sich über diese Dinge in den hebräischen Quästionen ausführlicher ausgesprochen habe.') Auf dieses Werk hat er 24 mal hingewiesen'*), jedoch nicht nur auf die Quästionen zur Genesis, die wir be- sitzen, sondern auch auf die zu den anderen Büchern, die uns nicht erhalten sind.
Dann aber hat Hieronymus auch Zusätze zu dem Werk des Eusebius gemacht, die natürlich für uns von der größten Bedeutung sind. Diese bestehen einmal in Korrekturen des Eusebius nach dem hebräischen Text ), ferner konnte er
') M. Spanier, Exegetische Beiträge zu Hieronymus Onomasticon, Magdeburg 1896, Berner Dissertation, und M.Spanier, Nachträge und Be- richtigungen, Magdeburg 1898.
'^) zu Daniascus ed. Klostermami, S. 77, hie tantum interpretis sum functus officio, non quo ancillam Abraae Masec nuncupatam probo; zu Dannaba, S. 77: hcet mihi longe ah'ter videatur; zu Enacim, S. 85, sed mihi videtur non esse nomen loci Enacim, sed habitatorum Chebron; zu Efrata, S. 83, est autem in tribu Judae, licet plerique male aestiment in tribu Beniamin.
^) zu Elmoni, S. 91, porro diligens lector agnoscat, quod in prin- cipio quoque libri huius aliqua ex parte perstrinxi, nie non oninia quae transfcro comprobare, sed idcirco quaedam iiixta aiitoritatem Graecam reiinquere, quia de his in libris Hebraicariim qiiaestioiium plenius disputavi.
••) s. Klostermann, Namenregister Hebraicariim quaestionum, S. 203.
*) z. B. Arboc, S. 7, corrupte in nostris codicibus Arboc scribitur, cum in Hebraicis legatur Arbe; Rhinocorura, S. 149, sciendum autem quod hoc vocabulum in libris Hebraicis non habetur, sed a LXX interpretibus propter notitiam loci additum est; Scenae, S. 153, locus, qui lingua Hebraica appellatur Socchoth, Klostermann hat hier den Zusatz des Hieronymus nicht durch den Druck markiert.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 71
aus der Quelle der Hebräer schöpfen, die ihm über die Namen und Lage mancher biblischen Orte eine von Eusebius ab- weichende Tradition vermittelten. So hat ihm sein Hebräer, mit dem er die Heilige Schrift las, versichert, daß der Berg Hermon unmittelbar in der Nähe von Paneas sich erhebe.') Von den Hebräern weiß er, daß Achad mit Nisibis identisch, Aialon ein Dorf bei Nicopolis am zweiten Meilenstein, wenn man nach Jerusalem reist, sei, Aenam keinen Ort, wie Eusebius meinte, sondern einen Scheideweg bedeute, wo zwei Wege zu- sammenlaufen.') Aus seinem vielseitigen Wissen bringt er auch die Notiz, daß nach Sallust die Quellen des Euphrat und Tigris in Armenien gezeigt werden "), und streut bisweilen Erinnerungen aus der römischen Geschichte ein: die Stadt Nisibis, die von Lucullus belagert und erobert sei, sei vor wenigen Jahren durch Kaiser Jovian an die Perser abgetreten worden, eine Bemerkung, nach der wir seine Übersetzung des Liber locorum etwa um 3Q0 ansetzen müssen. ')
Endlich hat Hieronymus aus eigener Kenntnis Ergänzungen des Eusebianischen Onomasticon angebracht. Die Identifikation von biblischen Ortsnamen mit ihm bekannten Städten wie Aemath mit Epiphania in Coelesyrien, Chennereth mit der von Herodes dem Kaiser Tiberius zu Ehren erbauten Stadt Tiberias, Chettiim mit Cypri Citium, Reblatha mit Antiochia geht auf Hierony- mus zurück. ) Auf Autopsie scheint eine so detailierte Angabe zu beruhen, daß das Dorf Bethacat in Samaria ein so enges und niedriges Tor habe, daß man nur einzeln und nicht stehend das Dorf betreten könne. Es scheint so, aber aus dem Zu-
') zu Aermon, S. 21.
2) zu Achad, S. 5, nach den Hebräern identisch mit Nisibis; zu Aenam, S. 9, s. Spanier, S. 3; zu Ailon, S. 19; zu Aseroth, S. 11, verum haec loca non Aseroth, sed Aserim appellari Hebraei putan^.
») zu Eufrates, S. 83.
*) zu Achad, S. 5.
') zu Aemath, S. 23, ego autem investigans repperi Aemath urbem Coeles Syriae appellari, quae nunc graeco sermone Epiphania nuncapatur; zu Chennereth, S. 173; zu Chettiim, S. 175, Klostermann hat hier den Zusatz des Hieronymus nicht im Druck markiert; zu Reblatha, S. 147; es ist hier nicht sicher, ob wir es mit einem Zusatz des Hieronymus zu tun haben, da der griechische Text eine Lücke aufweist.
72 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
sammenhang geht deutlich hervor, daß Hieronymus lediglich aus der Übersetzung des Aquila und Symmachus diese Mit- teilung mit der ihm eigenen Phantasie herausgesponnen hat.')
Aber solche auf lokalen Kenntnissen beruhende Be- merkungen des Hieronymus zum Text des Eusebius fehlen doch nicht ganz, wenn wir auch bei seiner Art, sich Kennt- nisse zuzuschreiben, die er nicht besitzt, sondern nur anderen verdankt, überaus vorsichtig sein müssen.') Diewirklichauf seine Reise durch das Heilige Land zurückgehenden Mitteilungen sind für unsere Kenntnis der Topographie von Palästina recht wichtig. Dabei ist zunächst eins bemerkenswert, daß Hiero- nymus überall an Stätten, die durch die biblische Geschichte geweiht waren, von christlichen Kirchen zu berichten weiß, von denen Eusebius noch nichts erwähnt. So kannte Hieronymus eine Kirche in Aggai, wo Jacob schlief, als er nach Meso- potamien ging, in Bethanien, wo Lazarus auferweckt war, am Ölberg, wo der Herr gebetet hatte, an der Quelle bei Sichar, wo der Herr mit der Samariterin das denkwürdige Gespräch gehabt hatte.") Die Eiche dagegen, unter der Abraham in Mamre gewohnt hatte, wurde noch zu den Zeiten des Eusebius den Pilgern des Heiligen Landes gezeigt, Hieronymus be- richtet, daß sie bis zur Zeit des Kaisers Konstantins vorhanden war, dann scheint sie zugrunde gegangen zu sein. An ihrer Stelle erhob sich in seinen Tagen dort ebenfalls eine Kirche.^) Wir dürfen daraus schließen, daß, je mehr die Pilgerfahrten nach dem Heiligen Lande zunahmen, auch überall an den Wall- fahrtsstätten Kirchen erbaut wurden.
Aber man vermehrte auch stetig die heiligen Stätten, nach denen die Frommen durch angebliche Reliquien von Männern der heiligen Geschichte zur Anbetung gelockt werden sollten. Auch
') zu Bethacath, S. 59, pro quo Aquila interpretatus est domus curvantiuin, Symmachus domus singulorum, eo quod angustus et humilis introitus singulos tantum, et nee ipsos stantes, ingredi sustineret.
*) s. z. B. Hieronymus Aegyptius, qui antiquitates Phoenicum pu lehre sermone conscripsit, während Eusebius nichts von pulchro sermone berichtet, und Hieronymus dieses Werk sicher nicht gekannt hat; s. dazu Klostermann, S. XXVI 1.
') Aggai, S. 7; Bethania, S. 59; Sychar, S. 165.
■') Arboc, S. 7.
Die eisten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 73
hierfür ist Hieronymus Zeuge. In Arbe befanden sich nach Hieronymus die Gräber der 4 Patriarchen Adam, Abraham, Isaak und Jakob'), in Sebaste die Reliquien Johannis des Täufers.") Von beiden erwähnt Eusebius noch nichts. Nach Modeim wall- fahrtete man bereits zur Zeit des Eusebius zu den Gräbern der Makkabäer; als Hieronymus um 390 seinen über locorum schrieb, erhob Antiochia ebenfalls den Anspruch, die Reliquien der jüdischen Helden zu besitzen, worüber Hieronymus sehr un- gehalten ist. ) Es fangen also bereits die Stätten, an denen man die Reliquien verehrter Männer zeigte, an, sich zu ver- doppeln. Die Glossen des Hieronymus zu dem Texte des Eusebius lassen uns so einen Blick in den immer mehr zu- nehmenden Reliquienkultus tim, und es ist nur zu bedauern, daß Hieronymus uns nicht in noch umfangreicherem Maße von seiner besseren Kenntnis des Heiligen Landes Mitteilung hat zukommen lassen. Nur bei der Erwähnung Bethlehems verrät er einmal seine intimere Bekanntschaft mit den dortigen Lokali- täten. Er nennt den Turm Ader und gibt seine Entfernung von Bethlehem auf 1000 Schritt an. Er bestimmt geographisch genau das Grabmal des jüdischen Königs Archelaus, das am Anfang des Pfades liegt, der von der öffentlichen Staatsstraße, die von Bethlehem nach Jerusalem führte, nach unseren Mönchs- zellen hin abbiegt.^) Wir vermissen auch schmerzlich ge- legentliche Bemerkungen über Land und Leute, die Hieronymus uns hätte geben können. Nur eine kulturhistorisch inter- essante Notiz ist mir aufgefallen. Hieronymus berichtet, daß man den Schnee im Sommer vom Berge Hermon herab- brachte, um ihn in Tyrus bei üppigen Lustbarkeiten zu ver- wenden. ) Seine Übersetzung des Werkes des Eusebius hat
') zu Arboc, S. 7, Arbe, id est quattuor, eo quod ibi tres patriarchae, Abraam, Isaac et Jacob, sepulti sunt, et Adam magnus, ut in Jesu Hbro scriptum est: licet eum quidam conditum in loco Calvariae suspicentur.
-) Someron, S. 155.
') Modeim, S. 133, unde fuerunt Maccabaei, quorum hodie ibidem sepulcra monstrantur, satis itaque miror, quomodo Antiochiae eorum reli- quias ostendant, aut quo hoc certo auctore sit creditum.
*) Bethleem, S. 43.
^) Aermon, S. 21 : de quo (seil, de monte Aermone) nunc aestivae nives Tyrum ob delicias deferuiitur.
74 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
aber dem Abendland die Kunde vom Heiligen Land vermittelt und Eucherius, Arculfus, Beda, Rabanus Maurus und viele andere Autoren des Mittelalters haben allein aus ihm geschöpft.
§ 31.
Zwei Übersetzungsarbeiten des Hieronymus, die
39 Lukashomilien des Origenes und das Buch des
Didymus über den heiligen Geist.
Noch in Rom hatte Hieronymus die Schrift des Didymus „Über den heiligen Geist" zu übersetzen begonnen, hatte sie aber unvollendet gelassen, als sein Gönner Papst Damasus, der ihn dazu veranlaßt hatte, gestorben war.') 386 hatte er auf seiner Reise nach Alexandria die persönliche Bekanntschaft des blinden „Sehers" gemacht. Jetzt vollendete er die angefangene Arbeit und widmete sie seinem Bruder Paulinian und seinen Freun- dinnen Paula und Eustochium. Nachdem er seiner römischen Gegner mit heftigem Spott gedacht hat, ') fährt er in der Vor- rede zur Übersetzung fort: „Und um den Autor des Buches im Titel einzugestehen, so wollte ich lieber der Dolmetscher eines fremden Werkes sein, als, wie einige es tun, eine häß- liche Krähe, mich mit fremden Federn schmücken. Ich habe vor nicht langer Zeit die Bücher eines gewissen Mannes über den heiligen Geist gelesen, auf die man das Wort des Komikers Terenz anwenden könnte, daß aus guten griechischen Lei- stungen nicht ebensolche lateinische werden. Nichts ist dort dialektisch, nichts kraftvoll und nichts übersichtlich, was auch den widerwilligen Leser zur Zustimmung zwingt, sondern alles schlaff, weichlich, gleißend und nur äußerlich wohlgestaltet, mit ausgesuchten Farben hier und dort geschminkt. Aber mein Didymus hat das Auge der Braut im Hohenlied und
') s. Bd. 1, 214. •-) Bd. I, 204.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 75
jene Augen, die Jesus befiehlt über die weißen Saaten zu er- heben; wer diesen liest, wird den Diebstahl der Lateiner erkennen und die Bäche verachten, wenn er aus der Quelle zu schöpfen angefangen hat." ') Diese giftigen anonymen Invektiven sind eeeen Ambrosius und seine drei Bücher über den heiligen
to'-ts
Geist gerichtet. Rufin hat Hieronymus später deshalb die herbsten Vorwürfe gemacht.'") Und dieser Angriff auf den mailändischen Bischof steht nicht allein. Noch bissiger und boshafter schreibt er in der kurz danach verfaßten Übersetzung der Lukas- homilien des Origenes an Paula und Eustochium: „Ihr sagt, daß ihr vor wenigen Tagen Kommentare zu Matthäus und Lukas von gewissen Leuten gelesen habt, von denen der eine schwerfällig in Form und Inhalt sei, der andere mit den Worten spiele und im Inhalt fasele."') Er kann hier nur den 388 verfaßten Lukaskommentar des Ambrosius meinen.') Er beschimpft Ambrosius als einen Weissagevogel, der von der linken, d. h. der Unglück verkündenden Seite, hergeflogen käme, als einen laut krächzenden Raben, der sich über die Farben aller Vögel lustig mache, obwohl er selbst ganz schwarz sei. ) Warum war Hieronymus plötzlich auf Ambrosius so schlecht zu sprechen? Wodurch hatte dieser ihn gereizt? Waren es doch die gleichen Ideale, für die beide kämpften, waren doch beide Vertreter der Orthodoxie, beide begeisterte Anhänger und Wegbereiter der mönchischen Frömmigkeit im Abendland gewesen. Hatten es sich doch beide zur Lebens- aufgabe gemacht, die griechische Theologie, vor allem die Werke des Origenes durch Wort und Schrift dem "lateinischen
') Praef. in libriim Didymi de spiritu sancto, Vallarsi 11. 105 ff.
-) Rufin, Contra Hier. II, 23, Vallarsi II, 651 ff.; der Zweifel Vallarsis, ob hier Ambrosius gemeint ist (Vallarsi II, 106 Anm. e), ist völlig unbegründet und erklärt sich nur aus Voreingenommenheit für Hieronymus. Auch Th. Schermann, Die griechischen Quellen des heiligen Ambrosius, München 1902, S. 98, läßt es unentschieden, obwohl er die ausgedehnteste Benutzung der Schrift des Didymus durch Ambrosius nachweist.
3) Rufin, Contra Hier. II, 21, Vallarsi II, 648.
*) Rauschen, Jahrbücher der christlichen Kirche, S. 293, und Excurs Xll.
'") Praef. in transl. homil. 3) Origenis in Lucam, Vallarsi VII, 245. Noch einmal, ep. 121, quaestio 6, erwähnt Hieronymus den Kommentar des Ambrosius, ohne jedoch an ihm Kritik zu üben, Vallarsi I, 861.
76 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Occident zu vermitteln. Gerade die Gemeinsamkeit ihrer Be- strebungen erregte den Neid des Hieronymus. Sein Charakter erscheint hier einmal wieder von der häßlichsten Seite. Dem römischen Aristokraten und gewaltigen Gottesstreiter war das Los aufs lieblichste gefallen, er war der einflußreichste Bischof der abendländischen Kirche, der auch die Kaiser nach seinem Willen leitete. Und der ehrgeizige Hieronymus, der sich einst auf den Stuhl Petri Hoffnungen gemacht hatte, saß einsam im Kloster zu Bethlehem, und nur wenige Frauen vertrauten sich seiner Seelenleitung an. Als er noch in Rom weilte, hütete er sich, es mit dem mächtigen Bischof zu verderben. Damals schrieb er an Eustochium über die Bücher von der Jungfrauschaft, die Ambrosius seiner Schwester Marcellina gewidmet hatte: „Ambrosius hat in diesen eine solche Beredsamkeit entfaltet, daß er, was immer zum Lobe der Jungfrauschaft gereicht, erforscht, ausgesprochen und aufgezählt hat.')" In der Chronik hatte er zum 10. Jahre Valentinians dem mailändischen Bischof ein glänzendes Zeugnis ausgestellt: Nach dem späten Tode des Arianers Auxentius, als Ambrosius den Bischofstuhl in Mailand bestiegen hatte, wurde ganz Italien zum orthodoxen Glauben bekehrt.'') Jetzt, wo Hieronymus widerwillig seinen ehrgeizigen Hoffnungen für immer entsagt hatte, sieht er in ihm nur den glücklichen Nebenbuhler, dem er sich durch Wissen und Rhetorik überlegen weiß. Mit der ihm eigenen Perfidie, nicht mit offenem Visier, sondern mit feiger Anonymität fällt er ihn an. Er stellt der Art des Ambrosius, der sich mit fremden Federn zu schmücken liebe, seine Bescheidenheit und seine Ehrlichkeit gegenüber. Wenn er, Hieronymus, griechische Werke ins Lateinische übersetze, gebe er sie nicht als seine eigenen aus, sondern gestehe offen vor aller Welt den Namen des Autors ein. Gewiß hat Ambrosius in seinen Werken die Griechen stark benutzt, aber der Vorwurf des Hieronymus gegen ihn ist lediglich aus schriftstellerischer Eitelkeit und aus Konkurrenzneid geboren. Als Hieronymus 392 sein Buch über die berühmten Schriftsteller schrieb, konnte
1) Ep. 22, 22, Vallarsi I, 105.
0 Chronik ed. Schöne, S. 195, vergl. auch ep. 15, 4 ad Damasum.
Die ersten Jahre im Kloster zu Betlilehem. 77
er unmöglich Ambrosius ganz totschweigen, aber die kurze Notiz, die er ihm widmete, ist mit Bosheit gesättigt: „Am- brosius, der Bischof von Mailand, schreibt bis zum heutigen Tag, über den ich, weil er noch am Leben ist, mein Urteil suspendiere, um nicht entweder der Schmeichelei oder der Wahrhaftigkeit halber getadelt zu werden."') Und als 3Q5 Ambrosius gestorben war, fuhr Hieronymus auch nach seinem Tode fort, die Werke des verhaßten Mannes herabzusetzen. Gelegentlich zitierte er ihn wohl als Verteidiger der Jungfrau- schaft mit Anerkennung, -1 aber im übrigen läßt er kein gutes Haar an seinen Schriften: „Die sechs Bücher Hexaemeron des Ambrosius sind eine schamlose Kompilation aus Origenes, Basilius und Hippolyt, ') der Psalmenkommentar des Ambrosius ist ein Plagiat aus Origenes." ') Hieronymus verspottet Am- brosius, ohne ihn zu nennen, daß er Debora für eine Witwe und Barak für ihren Sohn gehalten habe.) Dabei hütete sich allerdings Hieronymus in den Briefen an seine römischen Freunde, Pammachius und Oceanus, und an Augustin, der das Werk des Ambrosius über den heiligen Geist sehr hochschätzte,") Ambrosius zu beschimpfen. Hieronymus wußte, daß er Augustin, dem begeisterten Verehrer des Mailändischen Bischofs, gegenüber mit einem Tadel des Ambrosius nur sich selbst kompromittiert hätte. Aber Rufin befand sich im Besitz eines Briefes des Hieronymus, in dem er andere wegen ihrer Angriffe auf Ambrosius in Schutz genommen und die Be- schuldigung einer sklavischen und unehrlichen Benutzung der Griechen gegen Ambrosius erhoben hatte. Rufin wollte diesen Brief, der ihm ein willkommenes Pressionsmittel auf seinen Gegner war, nicht vor der Zeit veröffentlichen, weil er auch einige geheimnisvollere Dinge enthielt.') Hieronymus antwortete
>) de vir. illust. c. 124.
-') Ep. 48, 14, Vallarsi I, 223.
ä) Ep. 84, 7, Vallarsi I, 525.
*) Ep. 112, 20, Vallarsi 1, 747, Contra Rufin. 1, 1, Vallarsi II, 459;
Contra Rufin. III, 14, Vallarsi II, 544.
^) Ep. 54, 17, Vallarsi I, 291, s. Ambrosius de viduis c. 8.
*) De doctrina christiana c. 21, 46.
•) Contra Hier. 11, 22, Vallarsi II, 649.
78 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
auf diese Anzapfung Rufins nicht, ein Zeichen, daß er ein böses Gewissen hatte. Gewiß woMte er seinen Gegner nicht zur Veröffenth'chung eines Briefes reizen, in dem er einem Ver- trauten einmal seine ganze Galle über Ambrosius ausgeschüttet hatte. Er fürchtete wohl vor allem das Urteil Augustins, mit dem er damals schon in Korrespondenz getreten, und dessen aufgehender Stern ihm nicht entgangen war.
Daß Hieronymus gerade die Schrift des Didymus über den heiligen Geist ins Lateinische übersetzte, hatte wohl darin seinen Grund, daß dieser Origenist wenigstens im Dogma der Trinität von unbezweifelter Orthodoxie war. ') Die Schrift des Didymus ist mit großem dialektischem Scharfsinn geschrieben. So bemüht sich z. B. Didymus, die Einwohnung des Satans als einer geschaffenen Substanz von dem Einwohnen der ungeschaffenen Trinität im Menschen begrifflich zu unterscheiden.") Auf die Form hat er wenig Wert gelegt. Sie stellt im wesentlichen die Aussagen des Neuen und Alten Testaments über den heiligen Geist zusammen, um dies ist der Hauptzweck nachzu- weisen, daß der heilige Geist keine sichtbare oder unsichtbare Kreatur, auch keine Energie Gottes, sondern von gleicher Sub- stanz mit Vater und Sohn sei. Didymus, der unter den Augen des Athanasius die Verbindung des Homousianismus mit dem Origenismus vollzogen hatte, hatte sich in dieser Schrift vor jeder Heterodoxie gehütet. Vorsichtig hatte er den Unterschied zwischen Engeln und Menschen festgehalten: Die Engel sind ehrwürdiger und um vieles besser als die Menschen durch die leibhaftigere und vollere Einwohnung der Trinität. Nur leise klingt das origenistische Theologumenon an, daß die Menschen zu Engeln werden: Es ist das Verlangen der vollkommenen und zur Vollendung ihrer Heiligung kommenden Menschen, den Engeln gleich zu werden. ) Man könnte nun und man hat vermutet, daß Hieronymus die Heterodoxien des Didymus wegretouchiert habe. Aber der Zweifel daran, daß der Origenist Didymus die Termini o//oorr?/oc und äroiioovö/o:: gebraucht habe.
') Contra Rufin. II, 16, Vallarsi II, 507.
*) De spiritu sancto c. 60 ff., Vallarsi II, 164 ff.
') De spiritu sancto c. 7, Vallarsi II, 113.
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ist ganz unbegründet.') Obwohl wir das griechische Original nicht FTiehr besitzen, werden wir es auch nach der Vorrede für ausgeschlossen halten, daß Hieronymus inhaltlich tiefergreifende Korrekturen angebracht hat. Es findet sich auch nichts, was nicht Didymus geschrieben haben könnte. Wahrscheinlich ist nur die Zitation von Arnos 4, 13 nach dem hebräischen Text eine Glosse des Hieronymus, die er, um seine gelehrten Kenntnisse anzubringen, eingefügt hat,') obwohl Didymus auch etwas hebräisch konnte.') Daß wir es, abgesehen von einigen Aus- lassungen und gelegentlichen Hinzufügungen, ^) mit einer im ganzen wortgetreuen Übersetzung des Werkes des Didymus zu tun haben, beweist auch die ausgebildete griechische Termino- logie, die Hieronymus nicht ohne Schwierigkeiten lateinisch wiederzugeben vermag. Die Übersetzung liest sich deshalb vielfach schwülstig und ist nicht besonders gelungen, zumal dem Hieronymus die scharfe begriffliche Gedankenentwicklung des Didymus innerlich fremd war.
Nach der Vollendung der Übersetzung der Schrift des Didymus wandte sich Hieronymus einem neuen Übersetzungs- werk zu. Die Übersetzung der 3Q Homilien des Origenes zum Lucasevangelium sollte Paula und Eustochium als Ersatz für den oberflächlichen Kommentar des Ambrosius dienen. Aber er war sich bewußt, daß diese Homilien diesen Zweck nur unvollkommen erfüllten. Er beugte deshalb bereits in der Einleitung vor: Ich gestehe ein, daß bevor jener einwirft - er dachte natürlich an Ambrosius — daß Origenes in diesen Traktaten wie ein Knabe mit Knöcheln spiele, anders die Werke seines Mannesalters und wieder anders die ernsten Leistungen seines Oreisenalters sind.') Er will deshalb später das Ver- sprechen, das er einst in Rom der Bläsilla gegeben hatte, ein- lösen und die ausführlichen Kommentare des Origenes zu
') s. Jacob Basnage, Animadversiones in Didymum et eins opera bei Canisius, Lection. antiqu. Amsterdam 1728 1, 202.
-) De spiritu sancto c. 15, Valiarsi 11, 123.
*) Th. Schermann, die griechischen Quellen des heiligen Ambrosius. München 1902. S. 79, Anm. 1.
^) s. über die einschneidendste Korrektur Schermann S. 80.
5) Prologus, Valiarsi Vil, 247.
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Matthäus, Lukas und Johannes übersetzen;') aber man merkt es ihm deutlich an, daß er den alten Plan, den ganzen Origenes ins Lateinische zu übersetzen,) doch nicht ausführen wird. Dazu besaß der unruhige Gelehrte zu wenig ausharrende Hin- gebung an eine so langwierige Arbeit. ) Sein späterer Ge- sinnungswechsel ließ ihn natürlich diesen Gedanken ganz zurückstellen.
Es ist schwer, sich ein sicheres Urteil über die Über- setzung der Origeneshomilien durch Hieronymus zu bilden. Schmerzlich vermissen wir gerade hier eine kritische Ausgabe des Hieronymus, da die Textüberlieferung bei Vallarsi von Zahn mit Recht als mangelhaft bezeichnet wird. Vom Ori- ginal besitzen wir nur Fragmente, die aus lauter Katenenhand- schriften stammen.') Die Homilien sind nach der Überschrift an Sonntagen gehalten und gehören, wie Zahn bereits mit Recht vermutet hat, nicht zu den extemporierten, sondern zu den von Origenes selbst herausgegebenen Homilien. Sie fallen wahrscheinlich in die erste Zeit seines palästinensischen Aufent- halts.) Sicher ist zunächst, was aus gelegentlichen Zitaten des Origenes erhellt, daß die 3Q Homilien, die Hieronymus
') Über die Differenzen der Zahlenangaben der Bücher des Origenes zu Matthäus, Lucas und Johannes s. Harnack, altchristliche Literatur- geschichte 1, 366 ff.
•-) s. Band 1, 212.
^) Es ist ein Irrtum Zöcklers S. 174, wenn er die Übersetzung der Origeneshomilien vor die hebräischen Quästionen zur Genesis ansetzt. Die Anordnung der Werke ist im Schriftstellerkatalog c. 135 die chronologische. Aus den NX orten des prologus V'allarsi VII, 245: praetermisi paululum Hebraicarum quaestionum libros geht hervor, daß Hieronynuis hebräische Quästionen, also die zur Genesis, bereits geschrieben hatte, nur die Fort- setzung der Quästionen zu den übrigen Büchern des alten Testaments zeit- weilig vertagte.
*) Eine Zusammenstellung der griechischen Fragmente bei Harnack- Preusclien, Altchristliche Literaturgeschichte 1,404 und ausführlicher bei Zahn, Geschichte des neutestamentlichen Kanons II, 624, Anm. 2. Bei Harnack- Preuschen ist die fehlerhafte Angabe, daß das Göttinger Programm — es ist von Magnus Crusius — vom Jahre 1753 stammt, dahin zu korrigieren, daß es 1735, also vor der Origenesausgabe von de la Rue 1740 Migne P.S. 13, 1803 ff., in der die meisten griechischen Fragmente aufgenommen sind, erschienen ist.
*) Zahn S. 623.
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Übersetzte, nur ein Teil einer größeren Sammlung waren.') Die ersten 33 Homilien behandelten die 4 ersten Kapitel des Lukas- evangeliums; dann scheint Hieronymus die Geduld verloren und aus den Homilien über die übrigen 20 Kapitel des Evangeliums nur noch 6 ausgewählt zu haben, die besonders markante Schriftworte aus Kapitel 10, 12, 17, 19 und 20 be- handelten.
Es ist nun weiter die Frage, ob wir eine wörtliche Über- setzung oder eine freie Bearbeitung der Homilien vor uns haben. Tiefgreifendere dogmatische Korrekturen am Text des Origenes scheint Hieronymus nicht gemacht zu haben; denn daß er den Ausdruck vjröaran/^. den Origenes vom heiligen Geist braucht, entsprechend dernicänischenChristologie lateinisch mit persona wiedergibt, darf nicht hierher gerechnet werden.') Alle Heterodoxien des Origenes, auch solche, gegen die sich Hieronymus bereits in seinen neutestamentlichen Kommentaren verwahrt hatte, wie die Verwandlung der Seligen in Engel,') die Präexistenz, Sündenfall und Einkerkerung der Seelen in die Leiber,') das endliche Aufhören der Höllenstrafen') und die Erlösung der gefallenen Engel") begegnen uns hier. Auch die dem Hieronymus und seinen Freundinnen bei ihrem extra- vaganten Marienkultus so anstößigen Äußerungen des Origenes über die Mutter des Herrn, daß Maria der Reinigung von der Sünde wie alle Menschen bedurft habe, ja zeitweilig im Glauben an ihren Sohn wankend geworden sei,') hat Hierony- mus wörtlich wiedergegeben.
Es kann sich nur darum handeln, ob Hieronymus Ver- kürzungen oder Erweiterungen am Text vorgenommen hat. Zahn hat bereits darauf hingewiesen, daß die lateinische Über- setzung, mit den Fragmenten des Originals verglichen, teils
•) Zahn S. 622, Anm. 2.
') Origenes in Lucam Homilie 25 ed. de la Rue M. P. G. 13, 1866.
^) Homilie 39, Vallarsi VII, 365.
') Homilie 4, Vallarsi Vll, 257.
^) Homilie 35, Vallarsi VII, 358; der Versuch des Huetius die Äuße- rung des Origenes orthodox zu deuten, ist undurchführbar.
«) Homilie 23, Vallarsi VII, 322; Homilie 31, Vallarsi Vll, 342.
') Homilie 14, Vallarsi VII, 286; Homilie 17, Vallarsi VII, 300; Homilie 20, Vallarsi VII, 309, s. Zöckler S. 176.
O rü tz in ach e r , Hieronymus. II. 6
82 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
mehr, teils weniger bietet.') Auf Grund einer genauen Ver- gleichung ergibt sich, daß außer wenigen Fällen, wo Hierony- mus den griechischen Text verkürzt zu haben scheint,-) in der Regel die lateinische Übersetzung ausführlicher ist. Vielleicht hat aber Hieronymus doch das Original treu wiedergegeben, und die griechischen Fragmente stellen nur einen verkürzten Text dar. In einigen Fällen allerdings, wozu eine Reihe deut- lich erkennbarer Glossen gehören, in denen Hieronymus einen griechischen Ausdruck lateinisch erklärt, ) ist die überarbeitende Hand des Hieronymus erkennbar. Die trockene und schlichte Darstellungsweise des Origenes kontrastiert so stark von der lebendigen rhetorischen Manier des Hieronymus, daß solche formelle Redaktionen sofort ins Auge fallen. Wie knapp sind z. B. die Ausführungen des Origenes über die Gerechtigkeit in den Augen Gottes: die Menschen verstehen es nicht, in würdiger Weise zu loben, da sie auf den Schein sehen, das Verborgene aber nicht kennen. Bei ihnen erhält oft die irr- tümliche Meinung vor der irrtumslosen Recht. Anders be- urteilen jene, anders Gott das Leben der Menschen. Es kann geschehen, daß einer nach dem, was vor Augen ist, vor den Menschen gerecht erscheint, aber nach dem Verborgenen seines Sinnes es nicht ist und im geheimen böse Gedanken hat. Solche meint Paulus, wenn er von einigen spricht, deren Lob nicht von Menschen, sondern von Gott ist. Hören wir, was Hieronymus an dieser Stelle seiner Übersetzung bietet: Es kann geschehen, daß ein Gerechter vor Menschen gerecht ist, aber nicht vor Gott. Wenn z. B. ein Mensch nichts hat, worin er über mich schlecht spricht, imd er, alles an mir betrachtend, nichts findet, um mich herabzusetzen, so bin ich in den Augen der Menschen gerecht. Stelle dir vor, alle haben die gleiche Meinung über mich und versuchen mich zu kritisieren und können dennoch nichts finden, sondern loben mich einmütig, so bin ich gerecht vor den Augen der meisten Menschen. Aber das Urteil der Menschen ist kein
') Zahn S. Ö24.
*) z. B. Homilie 1 de la Rue M. P. G. 13, 1803. ') z. B. jTejTÄi}QOfpoQr]jiievc>v de la Rue M. P. G. 13, 1803; ufjÜTiöro^ M. P. G. 13, 1805; KFjaQiTCiiLii-i'r) M. P. G. 13, 1816 usw.
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sicheres; denn sie wissen nicht, ob ich in der Verborgenheit meines Herzens nicht gesündigt habe, ob ich ein Weib angesehen habe ihrer zu begehren und in meinem Herzen der Ehebruch geboren wurde. Die Menschen wissen auch nicht, wenn sie mich nach meinen Kräften Almosen geben sehen, ob ich es dem Gebot Gottes gemäß getan oder das Lob und die Gunst der Menschen gesucht habe. Es ist ein schweres Ding in den Augen Gottes gerecht zu sein und um keines anderen Grundes halber das Gute zu tun, als des Guten halber und Gottes halber, des Vergelters des guten Werkes. So redet auch der Apostel von denen, deren Lob nicht von Menschen, sondern von Gott ist.') Diese Texterweiterungen scheinen mir in Gedanken und Form den Stempel des Geistes des Hierony- mus zu tragen.) In anderen Fällen kann man zweifelhaft sein und die oben angedeutete Lösung für die richtige halten, daß Hieronymus nur den längeren ursprünglichen Text in der Übersetzung erhalten hat und die Katenenhandschriften den Text verkürzt haben.
Die Übersetzung der Origeneshomilien sollte Paula und Eustochium ein Ersatz für den Lukaskommentar des Ambrosius sein, aber die gelehrten Nonnen wünschten auch einen Matthäuskommentar zu besitzen. Der, welchen sie bisher gebraucht hatten, vermutlich der Evangelienkommentar des Bischofs Fortunatianus von Aquileja,') genügte ihnen nach in-
') Homilie 2 de la Rue M. \\ G. 13, 1805, Anm. 3.
•-') Vgl. auch Homilie 27 de la Rue M. P. G. 13, 1870, die Aus- führungen über Johannes den Täufer und das griechische Fragment zu Homilie 39 bei Gallandi XIV, 109 und Gramer, Catenae II 147 und zu Homilie 37 das bei Gramer, Gatenae II, 140 erhaltene Fragment mit der Übersetzung des Hieronymus.
') Für die Identifikation des ungekannten Matthäuskommentars mit dem Kommentar des Bischofs Fortunatianus sprechen folgende Gründe: Hieronymus besaß diesen Kommentar, den er sich von dem Greis Paulus aus Konkordia hatte schicken lassen ep. 10, 3, Vallarsi I, 24. In de vir. illust. c. 97 charakterisiert er diesen Kommentar ähnlich wie in dem Prolog zu den Lukashomilien: Fortunatianus in evangelia titulis ordinatis breves sermone rustico scripsit commentarios. In der Vorrede zu seinem Matthäuskommentar nennt er von lateinischen Kommentaren neben Hilarius und Viktorinus nur noch den des Fortunatianus. Er kannte also außer den beiden nur noch diesen lateinischen Kommentar zu Matthäus, Vallarsi VII, 7.
6«
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halt und Form nicht.') Da Hieronymus trotz seiner skrupel- losen Art rasch etwas auf das Papier zu werfen, einstweilen nicht imstande war, ihren Wunsch zu erfüllen, lieh er ihnen die Matthäuskommentare des Hilarius von Poitiers und des Märtyrers Viktorin, die er in seiner Bibliothek besaß.') Erst einige Jahre später entschloß er sich, einen eigenen Kommentar zum Matthäusevangelium zu schreiben.
§ 32. Hieronymus als Mönchsbiograph.
Immer neue literarische Pläne gingen Hieronymus durch den Kopf. Er konnte die Einsamkeit des Klosters, wie es scheint, auf die Dauer nur ertragen, wenn er Werke schuf, durch die er die Aufmerksamkeit weitester Kreise auf sich zog. Nichts mußte ihm, dem Ehrgeizigen, schmerzlicher sein, als ein vergessener Mann noch zu seinen Lebzeiten zu werden. In der Vorrede zu der Biographie des Mönches Malchus spricht er von einem großen Oeschichtswerk, das die Geschichte der Kirche von der Ankunft des Erlösers bis auf seine Zeit be- handeln sollte. Seine Absicht scheint es gewesen zu sein, eine Kirchengeschichte mit besonderer Berücksichtigung des biographischen Elements zu schreiben: wie und durch welche Männer die Kirche entstanden, herangewachsen, durch Ver- folgungen erstarkt und durch Martyrien gekrönt ist und, nach- dem sie unter die Herrschaft christlicher Fürsten gekommen ist, an Macht und Reichtum zugenommen, an Tugenden aber abgenommen hat. Dies klingt alles schön und groß. Hierony- mus nimmt hier fast einen modernen Standpunkt in der Be- urteilung der Geschichte der Kirche ein. Von den christlichen Kaisern datiert nach ihm der Verfall und die sittliche Decadence
') Prologus in Orig. homil. in Lucam, Valiarsi VII, 245. '-) Prologus in Orig. homil. in I.ucam, Valiarsi VII, 245.
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der Kirche. Wie anders hatte noch Eusebius geurteilt, als er im Leben Konstantins ein Gemälde auf Goldgrund von dem ersten christlichen Kaiser entwarf. Und ich bin sicher, falls Hieronymus den Plan ausgeführt hätte, so hätte er bei der mit so zähem Fleiß geschriebenen Eusebianischen Kirchen- geschichte eine gründliche Anleihe gemacht. Als Vorläufer seiner geplanten umfangreichen Kirchengeschichte schrieb Hieronymus zwei kleine Biographien des gefangenen Mönches Malchus und des seligen Hilarion. Schon als Eremit in der Wüste Chalcis hatte er mit der Vita des angeblich ersten Mönches, Paulus von Theben, die neue Literaturgattung der Mönchsbelletristik durch ein besonders phantastisches Erzeug- nis bereichert.') Jetzt ging er daran, die Geschichte eines obskuren Mönches Malchus niederzuschreiben, die dieser ihm einst selbst erzählt hatte, als er sich in Maronia aufhielt, einem in der Nähe Antiochias gelegenen und seinem Freunde, dem Bischof Evagrius, gehörigen Dorfe.') Evagrius war seit 388 oder 38Q der Nachfolger des Paulinus, der ihn einst zum Priester geweiht hatte, an der kleinen orthodoxen Gemeinde der syrischen Hauptstadt, Antiochia, geworden.
Die Vita, die keinen Mönchsheroen, sondern einen einfachen syrischen Mönch aus Nisibis schildert, der nach wunderbaren Schicksalen mit einer alten Frau in Maronia in geistlicher Ehe unter einem Dach lebte, ist reich an intimen Zügen und legitimiert sich dadurch als wesentlich historisch. Nur in der romantischen Fluchtgeschichte des Mönchs finden sich einige lächerlich un- glaubliche Situationen. Malchus und seine Genossin hatten sich in eine Höhle geflüchtet; ihr Herr, dem sie entlaufen waren, verfolgte sie mit einem Diener und gelangte auch zu der Höhle. Als darauf der Diener und der Herr sich in die Höhle begaben, um sich der Flüchtlinge zu bemächtigen.
') s. Band 1, löOff. Über die griechischen Rezensionen, die zum Teil sehr frei das lateinische Original wiedergeben, s. die gründliche Arbeit von J. Bidez, Deux versions grecques inedites de la vie de Paul de Thebes, Recueil de travaux publies par la faculte de philosophie et lettres 25 fasc. Gent 1900 (dazu meine Anzeige, Deutsche Literaturzeitung 1902, S. 1503 N. 24.
") Vita Malchi c. 2 u. c. 10, Vallarsi II, 42 u. 48.
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tauchte plötzlich zur rechten Zeit eine Löwin auf, die beide nacheinander zerriß, die Flüchtlinge aber und die Dromedare der Verfolger merkwürdigerweise verschonte. Als aber Malchus am Abend die Höhle zu verlassen wagte, standen noch immer die Dromedare ruhig wiederkäuend vor der Höhle und schienen nur darauf zu warten, daß Malchus und seine Mitsklavin sie zum Ritt durch die Wüste benutzten.
Besonders interessant ist die Vita Malchi, weil sich in ihr sehr stark dieUngebundenheit des ältesten Mönchslebens wieder- spiegelt. Malchus verließ gegen den Willen seines Abtes seine Eremitengenossenschaft, der er sich angeschlossen hatte, und der Abt hatte kein rechtliches Mittel, ihn zurückzuhalten. Er wollte sein Erbgut verkaufen, einen Teil den Armen, einen Teil seinem Kloster zuwenden, einen Teil aber sich selbst zu eigner Verwendung vorbehalten. Der Mönch hatte noch das Recht, völlig frei über seinen Besitz zu verfügen und, wenn er es auch als Untreue empfand, daß er sich selbst etwas reservieren wollte, so konnte ihn doch keiner daran hindern. Auch die Form des Zusammenlebens eines Mönches mit einer Frau in einer Hausgemeinschaft, die die Mönchsregeln des Pachomius und Basilius streng verbieten, erscheint hier noch als etwas Harmloses und durchaus Unanstößiges. Und der Fleischgenuß — der Mönch nährte sich auf der Flucht von halbrohem Fleisch und Kamelsmilch — wurde ebenfalls noch nicht als etwas Unerlaubtes verpönt. Die Vita ist eine wich- tige Urkunde für die überaus elastischen Formen des ältesten Mönchtums, die sich erst im Laufe der Zeit allmählich ver- festigten.
Neuerdings hat man diese Vita dem Hieronymus ab- gesprochen und sie für die leichte Überarbeitung eines grie- chischen Originals von unbekanntem Verfasser erklärt. Nur die Vorrede soll von Hieronymus stammen, in der Vita aber hätten wir es mit einem mit höchstem Raffinement ausgeführten literarischen Raub zu tun.') Mit schneidendem Scharfsinn hat van den Ven die Gründe für diese Hypothese widerlegt
*) s. Kunze, Marcus Eremita und Hieronymus, Theol. Literaturblatt 1898 XIX, 391 398 und H. von Schubert, Lehrbuch der Kirchengeschichte I, 596, der diese Hypothese übernommen hat.
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und die lateinische Vita, die in allen Einzelzügen den Stil und Geist des Hieronymus erkennen läßt, als das Original und den griechischen Text als Übersetzung erwiesen, von der noch eine Tochterübersetzung in syrischer Form auf uns ge- kommen ist.') ich möchte den Gründen, die dagegen sprechen, daß wir es in der Vita Malchi mit einer dreisten Aneignung fremden Gutes durch Hieronymus zu tun haben, nur noch einen hinzufügen: Dürfen wir ihm denn etwas Derartiges zutrauen? Gewiß war Hieronymus nicht prüde in der Benutzung fremder Arbeiten, aber er war viel zu klug, um in so schamloser Weise seine literarische Freibeuterei zu üben, wie man hier ange- nommen hat. Er, der den Ambrosius des Plagiats an den Griechen beschuldigte, wußte, daß ihm seine Gegner auf die Finger paßten. Er hätte sich nie eine solche Blöße gegeben und die Übersetzung eines fremden Werkes ohne jede An- deutung in der Vorrede für sein eignes ausgegeben.
Auch die bald nach der Vita Malchi von Hieronymus ver- faßte Vita des Hilarion von Gaza ist mit hyperkritischem Miß- trauen behandelt worden.') Gewiß finden sich in der Vita viele legendarische Züge, die aber nicht allein auf das Konto des Hieronymus, sondern der Volkssage zu setzen sind, wie sie sich schon bei Lebzeiten des Heiligen ausbildete. Wir sind auch nicht imstande, den historischen Kern in allen einzelnen Zügen herauszustellen, da uns außer der Vita des Hieronymus, der einen verlorenen Brief des Bischofs Epiphanius von Salamis benutzte, nur noch bei dem Kirchenhistoriker Sozomenos einige
*) Paul van den Ven, S. Jerome et la vie du moine Malchus le Captif, Löwen 1901 (s. dazu meine Rezension Deutsche Literaturzeitung 1902, Nr. 4, S. 225). Besonders wichtig ist der Nachweis van den Vens, daß die griechische Übersetzung an allen Punkten der Vita Malchi, in denen die Ungebundenheitdes ältesten Mönchtums hervortritt, entsprechend derspäteren strengeren Disziplin Korrekturen angebracht hat.
») W. Israel, Die Vita S. Hilarionis des Hieronymus als Quelle für die Anfänge des Mönchtums kritisch untersucht, J. f. w. Th. 23, 129 ff. 1880; dagegen O. Zöckler, Hilarion von Gaza, eine Rettung N. J. f. d. Th. 3, 147 ff. 1894; Grützmacher, Hilarion R. E. 3 Vlll, 54—56, 1900. Über die griechische Übersetzung der Vita, die von Sophronius, dem Freund des Hieronymus, stammt, s. P. van den Ven, Jerome et la vie du moine Malchus le Captif, Löwen 1901, S. 105 ff.
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unabhängige Angaben aus der mündlichen Tradition über Hilarion überliefert sind.') Es ist aber ein durch nichts zu recht- fertigender Gewaltstreich, wenn man dem Hilarion sogar die Existenz abgesprochen hat. Die wichtigsten Tatsachen seines Lebens sind durchaus historisch glaubwürdig. Hilarion war in Tabatha, fünf römische Meilen südlich von Gaza, 291 von heid- nischen Eltern geboren. In Alexandria hatte er den ersten Unterricht empfangen und hier Griechisch gelernt, das er neben seiner Muttersprache, dem palästinensischen Aramäisch, be- herrschte. Dann kehrte er in die Heimat zurück und begann, ergriffen von der mönchischen Erweckungsbewegung, in der Nähe der Hafenstadt Gazas, Majuma, ein Eremitenleben in Nachahmung des ägyptischen Heiligen Antonius zu führen. Bekleidet mit einem groben härenen Untergewand, einem aus Fellen bestehenden Obergewand und dem kurzen Mantel, wie ihn die Hirten trugen, erwarb er sich seinen Unterhalt nach Art der ägyptischen Eremiten durch Flechten von Körben aus Binsen. Er fastete bis zum Sonnenuntergang und wohnte in einer kleinen, nach Sozomenos aus Reisig, Ziegeln und Ton- scherben hergestellten Einsiedlerzelle. Durch häufige Dämonen- erscheinungen geplagt, erhielt er die Gabe der Heilung dämo- nischer und anderer Kranker. Als ihm die Heilung der Söhne einer vornehmen Frau Aristänete und des Elpidius, eines späteren praefectus praetorio, gelang, sammelte sich 32Q um ihn eine Eremitenkolonie. Viel weiß Hieronymus auch von dem Missions- wirken des Hilarion unter den Sarazenen zu berichten, eine Nachricht, die an dem Zeugnis des Sozomenos, daß sein eigner Großvater Alapion in Bethelia von Hilarion zum Christentum be- kehrt worden sei, und an dem Übertritt sarazenischer Stämme zum Christentum vor dem Regierungsantritt des Kaisers Valens ihre Stütze findet. Später verließ Hilarion Palästina und begab sich nach Ägypten, wo er die von Kaiser Constantius verbannten Bischöfe Dracontius und F^hilo und die Stätte, an der der be- rühmte Eremit Antonius geweilt hatte, aufsuchte. Von Ägypten gelangte er nach Sizilien, wo er einige Zeit in der Nähe des Vor-
') Sozomenos, Hist. eccl. 111, 14; V. 10; VI, 32 hat bereits, wie van den Ven S. 108 ff. nachgewiesen hat, die griechische Übersetzung der Vita Hilarionis gekannt und benutzt.
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gebirges Pachynum als Eremit hauste; dann wanderte er nach Epidaurus in Dahnatien und kam von dort nach Cypern. Hier lernte ihn der Verehrer des Mönchtums, Epiphanius von Salamis, kennen und hier starb er im Jahre 371 SOjährig. Zum großen Schmerze der Cyprioten wurde der Leichnam des Heiligen von einem Schüler nach Majuma entführt. In Palästina blieb sein Andenken lebendig, und in der Nähe Bethelias hat Sozomenos noch eine Zahl von Schülern des Hilarion kennen gelernt, die er namentlich nennt. Wenn Hieronymus auch die Bedeutung seines Heiligen aus lokalpatriotischen Motiven stark übertrieben haben mag, um dem palästinensischen Mönchtum einen dem ägyptischen Antonius ebenbürtigen Patriarchen zu geben, so gebührt doch dem Hilarion der Ruhm, schon früh in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts das Eremitenleben nach Palästina verpflanzt und im Süden des Landes verbreitet zu haben. Doch geht die Entstehung zahlreicher Klöster und Eremitenkolonien in Palästina im Verlaufe des 4. Jahrhunderts, über die wir durch Basilius und Hieronymus selbst unterrichtet sind, keineswegs auf Hilarion allein oder auch nur in erster Linie auf ihn zurück.') Die Vita des Hilarion ist die umfangreichste und die am gewandtesten und ruhigsten') geschriebene der drei Mönchs- biographien, die wir von der Hand des Hieronymus besitzen. Es ist ein Fortschritt in der Leichtigkeit und Gefälligkeit der Darstellung unverkennbar, wenn wir die Biographie des Paulus von Theben mit der des Hilarion vergleichen.^) Die Kunst zu fabulieren versteht Hieronymus wie keiner seiner Zeitgenossen, dies müssen ihm auch seine Neider lassen, wenn er auch viele Motive aus dem antiken Roman in die christliche Legende hergenommen hat, und der literarische Charakter der Vita Hilarionis durch die Formen der antiken Biographie bestimmt ist.*) So grob sinnliche Erzählungen, wie sie uns in der Vita
') Basilius ep. 207, 223, 226, Hieronymus ep. 82.
-') Martin Schanz, Geschichte der römischen Literatur !V, S. 395, möchte deshalb auf ein griechisches Original schließen ; nach meiner Meinung haben wir auch hier keinen Grund zu dieser Annahme.
^) s. auch Zöckler, Hieronymus S. 179.
') P. Winter, Der literarische Charakter der Vita beati Hilarionis des Hieronymus, Programm zur Gedächtnisfeier für den Senator P. F. A. Just, Zittau 1904.
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Pauli begegneten, finden sich in den beiden späteren Viten nicht. Nur gelegentlich tritt seine unbezwingbare Lüsternheit hervor. Er kann es eben bisweilen nicht lassen, Situationen von prickelndem Reiz zu schildern, obwohl wir auch hier nicht zu scharf urteilen dürfen, da zum Teil die großartige Ungeniert- heit in der Behandlung geschlechtlicher Dinge als Reflex antiker Naivität angesehen werden muß.')
Vor allem aber verstattet uns die Vita Hilarionis einen tiefen Blick in die christliche Volksfrömmigkeit der Zeit. Hilarion macht unfruchtbare Weiber fruchtbar, heilt Blinde und Gicht- brüchige, treibt nicht nur Dämonen aus Menschen aus, son- dern es gelingt ihm auch, ein wütendes baktrisches Kamel von seinem Dämon zu befreien und dadurch zu zähmen.-) Hilarion besitzt die Gnadengabe, aus dem Gerüche der Per- sonen und Sachen, mit denen er in Berührung kommt, zu er- kennen, welchem bösen Geist und welchem Laster jemand unterliege. Als sein Jünger Hesychius ihm ein Büschel grüner Erbsen aus dem Garten eines geizigen Eremiten zur Abend- mahlzeit vorsetzt, ruft er entsetzt aus: Riechst du nicht diesen häßlichen Gestank, wie sie nach Habsucht stinken. ) Un- gemein charakteristisch ist auch die Geschichte eines heid- nischen Jünglings, der eine gottgeweihte Jungfrau entehren will, für den Kampf des heidnischen und christlichen Aber- glaubens. Der Jüngling geht nach Memphis zu den Priestern des Äskulaps, d. h. des Serapis, und kehrt mit cyprischen Metalltäfelchen zurück, auf denen sonderbare Worte und Figuren eingegraben sind, und vergräbt diesen Liebeszauber unter der Schwelle der Wohnung des Mädchens. Der Zauber wirkt, das Mädchen fängt in wilder Liebesleidenschaft an zu rasen, und die Eltern bringen es zu Hilarion. Der Greis redet den Liebes- teufel an, der in sie gefahren ist: Groß ist deine Macht, der du durch einen Bindfaden und Metalltäfelchen gebunden fest- gehalten wirst. Sage mir, weshalb hast du es gewagt, in die gottgeweihte Jungfrau zu fahren. Dann treibt er ihn aus.')
') Vita Malchi c. 6, Vailarsi II, 45, Vita Hilarionis c. 21, Vallarsi II, 23.
2) Vita Hilarionis c. 13, c. 15, c. 19, c. 23.
») Vita Hilarionis c. 28.
•») Vita Hilarionis c. 21.
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Die Vita Hilarionis stellt uns mit greifbarer Deutlichkeit die starke Assimilation des Christentums an das Heidentum, mit dem es in heißem Kampfe liegt, und seine fortschreitende Verwelt- lichung vor Augen. Von den Zirkusunternehmern zu Gaza ist der eine ein Diener des Gottes Marnas, der andere ein Christ. Da der heidnische Konkurrent sich einen Zauberer hält, der durch dämonische Beschwörungen seine Pferde an- treibt und die seines Gegners zurückhält, begibt sich der Christ zu Hilarion und bittet um seinen Beistand. Nach einigem Sträuben — hatte Hilarion doch einst einen todkranken Wagen- lenker nur unter der Bedingung geheilt, dem verfluchten Zirkus- spiel zu entsagen') — gibt ihm Hilarion seinen mit Wasser gefüllten Tonbecher, und der Christ besprengt damit Pferde, Wagen, Stall, Wagenlenker und die Zirkusschranken. Bei dem Rennen siegen die Pferde des Christen, und alles Volk, auch die Heiden, schreien: Der Gott Marnas ist von Christus be- siegt worden.) Eine christliche Magie stellt sich der heid- nischen entgegen; je mehr sich das Christenturti in der Welt einlebte, um so stärker flutete der heidnische Aberglauben in das Christentum hinein.
§ 33. Die Bibelübersetzung des Hieronymus.
In Rom hatte Hieronymus einst die Revision des neu- testamentlichen Textes auf Anregung seines hohen Gönners, des Papstes Damasus, begonnen und nach dessen Tode fort- gesetzt. Ob er diese Arbeit bereits in Rom oder erst in den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Bethlehem vollendet habe, darüber können wir nur Vermutungen aufstellen. Wahrschein- lich lag sie im Jahre 392 bei der Abfassung des Schriftsteller-
>) Vita Hilarionis c. 16. -) Vita Hilarionis c. 20.
92 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
katalogs, sicher im Jalire 3Q8 fertig vor/) Daß Hieronymus aber in Bethlehem eine neue, unmittelbar aus dem griechischen Grundtext schöpfende lateinische Ausgabe des Neuen Testa- ments verfertigt habe, läßt sich durch nichts beweisen, und diese Annahme ist auch allgemein aufgegeben.'-)
Hieronymus wandte jetzt seine ganze Arbeit dem Alten Testamente zu. Schon in Rom hatte er den altlateinischen Psalter einer Revision unterzogen. In den ersten Jahren seines Bethlehemitischen Aufenthaltes hatte er dann, da der Text des liturgisch viel gebrauchten Buches abermals verwildert war, eine neue gründlichere Revision des Psalters nach dem hexaplarischen Text der LXX folgen lassen. ) Dem Psalter ließ Hieronymus eine Revision des Buches Hiob folgen.') in seiner Vorrede weist er mit Resignation darauf hin, daß er mit solchen textkritischen Arbeiten nur bissigen Anfeindungen ausgesetzt sei: ) den Verbesserer der Fehler nenne man einen Fälscher, der die Irrtümer nicht entferne, sondern säe; denn die Gewöhnung an das Alte sei gerade beim Bibeltext so groß, daß auch eingestandene Fehler ängstlich konserviert werden und man lieber schönere Kodices als emendierte haben wolle. Es ist eine Ironie im Leben des Hieronymus, die manches erklärt, daß er für seine mühevollste und beste Arbeit, die dem Text der Bibel gewidmet war, fast nur Undank erntete, während er für seine leichtfertigen und flüchtigen Leistungen
') s. Chronologie Bd. I, 77ff u. 219ff.
^) Corssen, Epist. ad Oal. Berlin 1885, S. 35, hat die Vermutung aus- gesprochen, daß das Neue Testament nach Hieronymus eine Rezension erfahren habe, da sich zwischen den Kommentaren des Hieronymus und der Vulgata Differenzen bemerkbar machen.
') s. Bd. 1, 223ff. u. H. Ehrensberger, Psalterium vetus und die Psalterien des heiligen Hieronymus, S. 1 — 14, Programm, Tauberbischofs- heim 1887.
*) Lagarde, Mitteilungen II, ISQff., hat in seiner Ausgabe des Hiob nach der alexaiidrinischeii Version lediglich den in den beiden einzigen ihm bekannten Handschriften vorliegenden Text abgedruckt; C. P. Caspari, Das Buch Hiob 1, 1 bis 38, U) in Hieronymus' Übersetzung aus der alexandrinischen Version nach einer St. Gallener Handschrift saec. VIII, Christiania 1893; Georg Baer, Textkritische Studien zum Buche Hiob, Zeit- schrift f. alttest. Wissenschaft 1896, S. 297—314.
■') s. auch Praef. in lib. Paralipom., Vallarsi X, 433.
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von der urteilslosen Menge seiner Bewunderer gepriesen wurde. Hat doch in dieser Hinsicht auch sein größter Zeit- genosse Augustin so wenig wissenschaftlichen Sinn besessen, daß er der Hieronymianischen Übersetzung des Alten Testa- ments aus dem Hebräischen nicht nur keinen Geschmack abgewinnen konnte, sondern von ihr die größte Verwirrung der Gemeinden ängstlich besorgte.')
Hieronymus mußtesich bei der Revision desHiob,die erPaula und Eustochium, diesem einzigen Exempel von Adel und Demut, dedizierte, damit trösten, daß wenigstens diese beiden ihm er- gebenen Frauen seine Arbeit voll zu würdigen imstande waren und sich über den seligen Hiob, der bei den Lateinern im Schmutze lag und von den Würmern der Irrtümer starrte, nach seiner Wiederherstellung freuen würden. Diese Revision der altlateinischen Bibelübersetzung nach dem hexaplarischen Text der LXX setzte Hieronymus fort. Sicher hat er eine solche revidierte Ausgabe der Salomonischen Schriften, Pro- verbien, Prediger, Hoheslied und der Chronik herausgegeben. Wir besitzen zwar nicht mehr den Text, wohl aber noch die Vorreden zu diesen Ausgaben, von denen die zu den salo- monischen Schriften Paula und Eustochium,) die zu den Büchern der Chronik seinem römischen Freunde Domnio und einem sonst unbekannten Rogatianus zugeeignet waren. )
Wie bei der Revision des Psalters bediente sich Hierony- mus in diesen nach der hexaplarischen LXX revidierten Büchern der von Origenes gebrauchten kritischen Zeichen. Der Obelus bezeichnete alle im hebräischen Texte fehlenden Sätze der LXX, der Asteriskus dagegen die Sätze, die sich nur im hebräischen Texte und in der Übersetzung des Theodotion fanden. Allerdings erwähnt er in den Vorreden zu Hiob, der Chronik und den Salomonischen Büchern nicht ausdrücklich seine Benutzung der Übersetzung des Theodotion, was natürlich nicht ausschließt, daß er sie zur Hilfe herbeigezogen haben wird. Aber er hat doch sicher nicht nur die in der LXX fehlenden Sätze einfach nach Theodotion ins Lateinische über-
*) Ep. 112, 20 Hieronymi ad Augustinum, Vallarsi I, 746ff. 2) Praef. in lib. Salomonis iuxta LXX, Vallarsi X, 435. *) Praef. in lib. Paralipom., Vallarsi X, 433.
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setzt, sondern bereits bei dieser Revisionsarbeit den hebräischen Text selbst herangezogen. In der Vorrede zur Chronik gedenkt er ausführlich dieser seiner Bemühungen. Er hatte einen Gesetzeslehrer aus Tiberias, der bei den Hebräern in hohem Ansehen stand, beigezogen und mit ihm die Chronik von An- fang bis zu Ende durchgelesen. Das kritische Resultat, das sich ihm aus dieser gemeinsamen Lektüre ergab, faßte er dahin zusammen, daß gerade dieses alttestamentliche Buch, das so viele Namen enthielt, in den griechischen und lateinischen Kodices von Fehlern wimmelte und die hebräischen Namen so entstellt waren, daß man sie für barbarische oder sarmatische Namen halten konnte. Hieronymus glaubte aber, daß die Schuld nicht den Übersetzern der LXX, sondern den Ab- schreibern zuzuschreiben sei. Diese haben aus unemendierten Kodices Unemendiertes abgeschrieben, indem sie oft drei Namen mit Ausstoßung von Silben in ein Wort zusammen- faßten oder einen Namen wegen seiner Länge in zwei oder drei Worte teilten.
Hat nun Hieronymus das ganze Alte Testament nach den LXX emendiert oder nur einen Teil, Psalter, Hiob, Chronik und die Salomonischen Schriften? Zöckler') hat das erstere angenommen und eine Revision sämtlicher kanonischen Bücher des Alten Testaments mit Ausschluß der Apokryphen durch Hieronymus für wahrscheinlich erachtet. Er hat sich für diese Annahme auf Äußerungen des Hieronymus berufen, in denen er ganz allgemein von einer Revision des lateinischen Alten Testaments nach den LXX spricht. Den Angriffen Rufins gegenüber, der wie Augustin von seiner Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen nichts wissen wollte, berief sich Hieronymus auf seine Revision der Itala nach den LXX, die er mit dem größten Fleiße angefertigt habe, um ihm zu beweisen, daß es doch ein Blödsinn wäre, ihn als Feind der LXX zu bezeichnen.') Und an den vornehmen Spanier Lucinius, der ihn 398 um eine Abschrift seiner Bücher bat, schrieb er, daß er gewiß die Edition der LXX, die er vor
') Hieronymus S. 182.
^) Contra Rufin. 11, 24, Vallarsi II, 518; Contra Rufin. Mi, 25, Vallarsi 11. 555; ep. 106, 2, Vallarsi 1, 676.
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vielen Jahren aufs fleißigste emendiert herausgegeben habe, besitze.') Trotzdem diese beiden Äußerungen so allgemein lauten, glaube ich nicht, daß Hieronymus außer den oben- genannten Schriften, von denen uns entweder noch der Text oder wenigstens die Vorreden erhalten sind, noch sämtliche übrieen Schriften des Alten Testaments nach den LXX emendiert hat. Daß von dieser Italarevision des Hieronymus keine Spuren mehr erhalten sind, ist natürlich kein durch- schlagender Grund für diese Annahme. Man könnte zur Er- klärung dieses Tatbestandes eine gelegentliche Äußerung des Hieronymus in einem Briefe an Augustin vom Jahre 415 her- beiziehen. Hieronymus entschuldigt sich hier dem Augustin gegenüber, ihm keine Abschrift seiner Italarevision nach den LXX besorgen zu können, da einmal in Palästina Mangel an des Lateinischen kundigen Abschreibern sei, dann aber habe er auch das meiste seiner früheren Arbeit durch den Betrug eines Unbekannten, den er nicht namhaft macht, verloren.') Man könnte also damit das spurlose Verschwinden des größten Teils eines so umfassenden Werkes erklären. Was mir aber für meine Ansicht zu sprechen scheint, ist, daß Hieronymus in seinen Vorreden zur Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen von einer Revision der Psalmen, des Hiob, der Salomonischen Schriften und der Chronik, die er nach den LXX vorgenommen habe, spricht und sie denen zum Ge- brauch empfiehlt, die seine Übersetzung aus dem Urtext nicht gebrauchen wollen.') Es sind dies aber gerade die Bücher, von denen wir allein mit Sicherheit aus dem erhaltenen Text oder aus den Vorreden wissen, daß er sie emendiert hat. Es wäre ein ganz merkwürdiger Zufall, wenn er in allen anderen Fällen, falls er wirklich das ganze Alte Testament nach den LXX emendiert hätte, von dieser Arbeit geschwiegen hätte. Nur betreffs der Prophetenbücher scheint es mir noch möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß sie Hieronymus nach dem LXX revidiert hat; denn in seinen Kommentaren zu den Propheten
») Ep. 71, 5, Vallarsi 1, 432.
2) Ep. 134, Nachschrift, Vallarsi 1, 1038.
3) Die Vorrede bei Migne 28, 11 25 ff.; 28, 11 79 ff.; 28, 1323 ff.; 28, 1012, 41 ff.
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stellte er neben die Übersetzung aus dem hebräischen Text die Übersetzung nach der LXX.')
Wir dürfen annehmen, daß diese Revisionsarbeit des Hieronymus an einem Teil der alttestamentlichen Bücher sich rasch und weit im Abendlande verbreitete. Als ihm der Spanier Lucinius 398 schrieb, setzte Hieronymus voraus, daß dieser im Besitze seiner Revision des Alten Testaments sei, und Augustin benutzte für seine Annotationen zu Hiob ebenfalls die Hieronymianische Hiobrezension nach den LXX. Daß auf uns nur die Texte des Psalter und Hiob in dieser Revision gekommen sind, w^ährend Chronik, Propheten und Salomonische Schriften verloren gegangen sind, mag die bereits oben er- wähnte zufällige Notiz des Hieronymus erklären, wonach er selbst schon zu seinen Lebzeiten nicht mehr Abschriften sämtlicher von ihm revidierten Bücher besaß, sondern durch Betrug eines Unbekannten darum gebracht worden war. Hat aber Hieronymus nur einen Teil des Alten Testaments nach den LXX einer Revision unterzogen, so wird auch das Schweigen über diese Arbeit in seinem 3Q2 verfaßten Schriftstellerkatalog verständlicher. Daß er diese Arbeit damals bereits fertiggestellt hatte, ist so gut wie sicher. Er erwähnt hier aber nur seine Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen, die er damals nur begonnen, aber sicher noch nicht vollendet hatte. ) Wahr- scheinlich hatte die hexaplarische Italarevision für ihn in der Zeit ihre Bedeutung verloren, in der er mit der Übersetzung des Alten Testaments aus dem Grundtext begonnen hatte; und dann war diese Revisionsarbeit ein Torso geblieben, an dem er, der sonst doch nicht allzu bescheiden von seinen Arbeiten dachte, so wenig Freude hatte, daß er im Verzeichnis seiner Werke für die Nachwelt davon schwieg. Bedeutsam ist aber diese Arbeit vor allem dadurch, daß sie uns zeigt, wie Hierony- mus sich stufenweise immer mehr seinem Ziel, einen möglichst authentischen Text des Alten Testaments herzustellen, annähert. Erst hatte er nur den Italatext des Psalters korrigiert, dann hatte er eine gründlichere Revision des Psalters, der Bücher
') Humfr. Hodius, De Bibiiorum textibus origin. vers. gr. et latina vulgata I. IV Oxon. 1705 fol. S. 354 ff. ") De vir. illiist. c. 135.
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Salomonis, der Chronik und wahrscheinlich auch der Propheten nach dem hexaplarischen Texte der LXX vorgenommen, und zuletzt machte er sich an eine neue Übersetzung des Alten Testaments aus dem hebräischen Text.
Hier zeigt sich Hieronymus in der immer tieferen Er- fassung der wissenschaftlichen Aufgabe, die er sich stellte, als wirklicher Gelehrter, der er trotz aller Flüchtigkeit und alles Leichtsinns wenigstens der Anlage nach war. In dieser Beziehung übertrifft er alle seine Zeitgenossen, auch Augustin mit eingeschlossen, weit. Wir müssen aber auch seine eminente Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit bewundern, daß er nach der mühevollen Arbeit der Revision eines Teils des Alten Testaments nach den LXX nicht vor der viel mühe- volleren einer Übersetzung des ganzen Alten Testaments aus dem Orundtext zurückschreckte. Und es ist dies um so höher einzuschätzen, als der nach Anerkennung Lüsterne eine Arbeit unternahm, von der er sich nach seinen Er- fahrungen in Rom sagen mußte, daß er nur Undank ernten werde; und in der Tat haben ja die Besten seiner Zeit, wie bereits oben hervorgehoben wurde, Männer wie Augustin, das gigantische Unternehmen nicht nur nicht zu würdigen ver- mocht, sondern mit unverhohlenem Mißtrauen begleitet. Das Dogma von der Verbalinspiration der Heiligen Schrift und seelsorgerische Bedenken wegen der Verdrängung des alten geheiligten Textes reagierten gegen jede Arbeit am Text der Bibel.
Zuerst begann Hieronymus die zwei Bücher Samuelis und die zwei Bücher der Könige, nach griechischer Zählung die vier Bücher der Könige, zu übersetzen.') Vielleicht nahm er diese Bücher zuerst in Angriff, weil sie ihm die geringsten sprachlichen Schwierigkeiten bereiteten. In dem sogenannten prologus galeatus an Paula und Eustochium schickte er dem ganzen Übersetzungswerk eine Vorrede voraus.") Er nennt hier keine Hilfsmittel, die er benutzt hat; aber es ist deutlich, daß er seine Kenntnisse den Hebräern und Origenes verdankt. So finden wir z. B. seine Mitteilung über die Schriftzeichen
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') Chronologie Bd. I, 74 ff.
-) Vallarsi IX, 453-60, Migne 28, 547 ff.
O rü tzinach er, Hieronymus. II.
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der Juden, wonach die Juden früher die samaritanische Schrift gebrauchten und erst nach dem Exil durch Esra die jetzt übhche Quadratschrift annahmen, im Talmud und bei Origenes wieder.') Hieronymus zählt 22 kanonische Bücher des Alten Testaments nach den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets wie Origenes und Athanasius.) Daneben weiß er noch von einer Zählung von 24 Büchern, wobei Ruth und Klagelieder als selbständige Bücher gezählt würden, und von einer von 27 Büchern, welche den 27 Buchstaben entsprächen, die das hebräische Alphabet mit Einschluß der fünf Finalbuchstaben habe.*) Das Plus der fünf kanonischen Bücher entsteht bei der letzteren Zählung durch Zählung von zwei Büchern Samuelis, zwei Büchern der Könige, zwei Büchern der Chronik, zwei Büchern Esra und Trennung der Klagelieder vom Propheten Jeremias. Er gibt dann die griechischen und hebräischen Namen der Bücher des alttestamentlichen Kanons*) und zählt fünf Bücher Mosis, acht Propheten und neun Hagiographen, zu denen er hier nach hebräischer Anordnung, abweichend von seiner sonstigen Gewohnheit, Daniel zählt. )
Scharf versuchte Hieronymus die Apokryphen vom Kanon abzugrenzen: Was nicht zu dem Kanon gehört, ist zu den Apokryphen) zu rechnen, wie die Weisheit Salomonis, Jesus Sirach, Judith, Tobias, der Hirte des Hermas'), das erste Buch der
') Origenes in Ez. 9, 4 u. Ps. 2 de la Rue H, 539; Gemara Hier. Sanhedrin f. 22, s. H. Reusch, Lehrbuch der Einleitung ins Alte Testament, Freiburg 1870, S. 185 ff.
-) Eusebius, Hist. eccl. VI, 25; Athanasius epist. fest. I, 961 ed. Ben.
^) Epiphanias, De mensuris et ponderibus c. 22 u. 23.
••) s. über die Abweichungen von Origenes u. Eusebius die An- merkungen Martianay bei Vallarsi iX, 453ff.
*) In der f'raef. in Dan., Migne 28, 1291 zählt er fünf Bücher Mosis, acht Propheten und elf Hagiographen, wobei jedenfalls Ruth und Klage- lieder als selbständige Bücher unter den Hagiographen gezählt sind; ep. 33, 8, Vallarsi 1, 277: Daniel quartus vero, qui et extremus inter quattuor profetas.
'^) Über seine Stellung zu den Apokryphen s. die alles Material bei- bringende Abhandlung von L. Sanders, Etudes sur S. Jerome, Brüssel 1903, La question de la canonicite des libres deuterocanoniques, S. 196 ff.
') Über die Stellung des Hermas beim Alten Testament und seine Wertung s. Athanasius, ep. fest. ed. Ben. 1, 963 und Sanders, S. 198 ff.
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Makkabäer, von dem Hieronymus noch den hebräischen Grund- text kannte, und das zweite Buch der Makkabäer, das griechisch geschrieben sei. Dies Verzeichnis der alttestamentlichen Apo- kryphen ist aber nicht vollständig. In der Vorrede zum Jeremias gedenkt er noch des Buches Baruch '), in der Vorrede zum Daniel ^) der sich nur in der griechischen Redaktion des Propheten findenden Zusätze, der Geschichte der Susanna, des Lobgesangs der 3 Männer im feurigen Ofen, der Fabeln vom Bei und Drachen zu Babel, und in der Vorrede zu Esra') des 3. und 4. Buches Esra. Seine Stellung zu den Apokryphen ist nicht widerspruchlos, aber im allgemeinen läßt sich doch sagen, daß er aus seiner Vorliebe für den hebräischen Kanon kein Hehl gemacht hat. Nur im Kampfe mit Rufin gab er seine ablehnende Stellung zu den Apokryphen zeitweilig auf und machte Zugeständnisse an die in der abendländischen Kirche herrschend werdende Beurteilung der Apokryphen, die sie zum Kanon rechnete.') Sonst ist Hieronymus der Meinung, daß die Apokryphen, wie Judith, Tobias, die Makkabäerbücher, Jesus Sirach und die dem Juden Philo zugeschriebene Weisheit Salomonis, zwar in der Kirche gelesen werden dürfen, aber nicht zu den kanonischen Schriften gehören. Ihre gottesdienst- liche Lesung diene der Erbauung der Gläubigen, aber die Dogmen unseres Glaubens dürfe man in keinem Falle durch ihr Zeugnis begründen. ) Hieronymus wollte auch zunächst die praktischen Konsequenzen aus seinem Standpunkte ziehen, wonach die Apokryphen Schriften von wertloser oder minder- wertiger Dignität seien. Er übersetzte deshalb auch nicht, wie er sagt, die Träumereien des 3. und 4. Buches Esra; auch das Buch Baruch, die Weisheit, Jesus Sirach, die Makkabäer- bücher und die Zusätze zum Buch Esther ließ er unübersetzt. Aber die Zusätze im griechischen Daniel nahm er inkonsequent in seine neue Übersetzung auf, obwohl er in der Vorrede die Kritik der Juden, die diese Geschichten für albern und unglaub-
1) Migne 28, 847 ff.
2) Migne 28, 1291. ") Migne 28, 1401.
*) Rufin, Contra Hier. 11, 33; Hier., Contra Ruf. 11, 33. *) Praef. in lib. Salomonis, Migne 28, 1242 ff.
7*
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würdig erklärte, ausführlich referierte, ohne einen Versuch zu ihrer Widerlegung zu machen. Nur durch das Vorsetzen des Obelus bezeichnete er sie als unecht, d. h. nicht zum hebräischen Text gehörig. Später übersetzte er die beiden apokryphen Bücher Judith und Tobias aus dem Chaldäischen ; aber in den Vorreden an die ihm befreundeten Bischöfe Chromatius und Heliodorus ') bekannte er ausdrücklich, daß er nur dem Wunsche und Drängen der beiden abendländischen Bischöfe nachgegeben habe, denen er zu Dank verpflichtet war und die ihm stets bei seinen für sie gefertigten Arbeiten ausgiebige finanzielle Unter- stützung geliehen hatten.') Das Buch Judith habe er auch deshalb übersetzt, weil es die Nicänische Synode zu den heiligen Schriften gerechnet habe. ) Großen Fleiß und Sorgfalt ver- wandte er übrigens auf die ihm unsympathischen Arbeiten nicht. Dem Buche Tobias widmete er nur die Arbeit eines Tages, dem Buche Judith die einer Nacht und übersetzte mehr sinn- gemäß als wörtlich.
Bei der Übersetzung der kanonischen Bücher aus dem Hebräischen hat sich Hieronymus redlich gemüht, möglichst Vollkommenes zu leisten. Mit Stolz fordert er den Leser auf: Nimm meine Übersetzung des Samuel und der Könige, meine, sage ich, meine; denn was wir durch vieles Übersetzen und sorgsames Emendieren gelernt haben und können, ist unser.*) Mit Absicht, so hebt er mehrfach hervor, hat er nirgends an dem hebräischen Text Änderungen vorgenommen, sondern diesen möglichst verständlich wiederzugeben versucht.') Er ist in seiner Übersetzung keinem der Alten sklavisch gefolgt, sondern hat bald wörtlich, bald sinngemäß übersetzt.) Er hat dabei naturgemäß mit vielen Schwierigkeiten, je nach den ver- schiedenen Büchern, zu kämpfen gehabt. Beim Hiob, der den
') Praef. in Tobiani, Mijjne 29, 23 ff. und Praef. in Jud. 29, 397 ff.
^) Praef. in lib. Salomonis, Migne 28, 1241 ff.
•■') Diese Behauptung des Hieronymus geht wohl auf einen unter- geschobenen, uns verlorenen Kanon von Nicäa zurück; s. Sanders S. 232, Anni. 1.
*) Prologus galeatus, Migne 28, 557.
») Prol. zum Psalter, Migne 28, 1 125 ff.; Prol. zu Esther, Migne 28, 1433.
^) Praef. in Hiob, Migne 28, 1079 ff.
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Hebräern als schwer verständlich galt, zog er einen jüdischen Lehrer aus Lydda herbei und mußte ihm seine Hilfeleistung mit schwerem Geld aufwiegen.') Die Blume der Rede des beredtesten Propheten Jesaia, der als Mann vornehmer Ab- kunft nichts Bäuerisches in seiner Rhetorik hat, ließ sich nur schwer in der Übersetzung wiedergeben, ) während der Priester Jeremias, ein Dörfler aus Anathot bei Jerusalem bäuerischer im Stil seiner Rede ist, und der Priester Ezechiel zwischen beiden die Mitte hält. Aber der Anfang und das Ende des Ezechiel stellten durch ihre Dunkelheit wieder schwere Anforderungen an den Übersetzer.') Auch beim Propheten Joel bereitete ihm zwar nicht der leichtere Anfang, wohl aber der Schluß, der schwer verständlich ist, große Schwierigkeiten.') Besonders hat er aber über der Übersetzung der aramäischen Stücke in Daniel und Esra geschwitzt. Er erzählt, wie er bei der Über- setzung des Daniel fast verzweifelt sei und nur durch den Zuspruch des Hebräers, der ihn im Chaldäischen unterrichtete, ausgeharrt habe. Er bekennt, daß er es auch in der Erlernung der chaldäischen Sprache nur dahin gebracht habe, dieselbe zu lesen und zu verstehen, aber nicht sie zu sprechen.*) Bei der Übersetzung des chaldäisch geschriebenen Tobias ließ er sich deshalb von einem des Hebräischen und Chaldäischen kundigen Juden das Chaldäische zuerst ins Hebräische übertragen und diktierte dann dem Notar die lateinische Übersetzung aus dem Hebräischen. ) Weil er das Chaldäische nicht genügend be- herrschte, hat er auch das Chaldäische Buch Judith nur sinn- gemäß wiederzugeben vermocht.') Im allgemeinen scheint Hieronymus auf die Übersetzung der einzelnen kanonischen Bücher des Alten Testaments verhältnismäßig viel Zeit verwandt zu haben.') Nur in der Vorrede zu den Büchern Salomonis
») Praef. in Hiob, Migne 28, 1079 ff.
-') Prol. in Jes., Migne 28, 771.
ä) Prol. in Jerem. Migne 28, 847 ff. und in Ezech., Migne 28, 937 ff.
*) Prol. in duodecim proph., Migne 28, 1013 ff.
4 Prol. in Dan., Migne 28, 1291 ff.
6) Prol. in Tob. Migne 29, 23 ff.
') Prol. in Jud. Migne 29, 39 ff.
*) Prol. in Pentateuchum, Migne 28, 147 ff.; Prol. in Josuam Migne
28, 461 ff.
102 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
nennt er diesen Teil der Übersetzung ein Werk von drei Tagen. Er übertreibt hier vielleicht; aber wenn er für das Buch Judith und Tobias einen Tag oder eine Nacht brauchte, so ist es immerhin möglich, daß er in drei Tagen Sprüche, Prediger und Hoheslied übersetzt hat. Allerdings besaß er gerade für diesen Teil seiner Übersetzungsarbeiten umfangreiche Vor- arbeiten. Er hatte einen Kommentar zum Prediger geschrieben und die Bücher Salomonis nach den LXX emendiert. Daß aber bei einer solchen Schnellarbeit die Solidität seiner Übersetzung leiden mußte, ist naturgemäß. Die Übersetzung ist deshalb auch nicht in allen ihren Teilen gleichwertig, aber dies ist schließlich bei einem so großen Werk nicht verwunderlich.
Um ein besseres Verständnis der Bücher für den Leser zu ermöglichen, hat Hieronymus die Propheten, die Psalmen und Hiob in längere und kürzere Abschnitte schreiben lassen, wie dies bei den Reden Ciceros und Demosthenes gebräuchlich war.') Er ging dabei zum Teil von der irrigen Voraussetzung aus, daß dieseBücher mitAusnahme des Anfangs undSchlusses desHiobs, der in Prosa geschrieben sei, in Metren, und zwar Hexametern verfaßt seien. Aber auch bei der Chronik hat er dieses Ver- fahren angewandt, hier allerdings mit der Absicht, daß die Namen, die durch die Abschreiber so stark korrumpiert waren, künftighin in seiner Übersetzung besser auseinandergehalten würden.
Durch alle Vorreden zu den einzelnen Büchern seiner Übersetzung geht ein polemischer Zug, überall setzt er sich mit Gegnern seines Übersetzungswerkes auseinander. Wer sind denn diese Gegner, und wo haben wir sie zu suchen ? Er macht sie nirgends persönlich namhaft, aber seine römischen Freunde Domnio und Rogatianus, auf deren Bitten er das Buch Esra übersetzte, bat er, seine Übersetzung nicht zu ver- öffentlichen, sondern privatim zu lesen. Sie sollten nur ihm wohlgesinnten Brüdern ein Exemplar zur Verfügung stellen, diese aber bei der Abschrift ermahnen, besonders auf die zahl- reichen Namen, die sich in dem Buch fänden, acht zu geben, und sie getrennt in Intervallen abzuschreiben, damit die Namen nicht wieder, wie dies in der Itala der Fall sei, korrumpiert
') Prol. in Jes., Migne 28, 771.
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würden. Es sind also vermutlich dieselben römischen Kreise, die früher seine Revisionsarbeit am Neuen Testament ver- dächtigt hatten, die nun auch seine Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen möglichst schlecht machten. Während er aber fast immer im Plural von seinen Neidern und Kritikern redet, die eifersüchtig auf seine Arbeit sind, sie öffentlich tadeln, aber im geheimen lesen, spricht er in der Vorrede zum Buch Esra von der zischenden Hydra und ein anderes Mal in der Vorrede zum Buch Josua von dem Skorpion, der sich gegen uns erhebt und nicht aufhört, das heilige Werk mit vergifteter Zunge zu zerpflücken.') Hier ist ver- mutlich Rufin gemeint, der, nachdem er mit Hieronymus zer- fallen war, sich zum Wortführer der Kreise gemacht hatte, die sein Unternehmen als pietätloses, gegen die durch den Gebrauch der Väter geheiligten LXX gerichtetes brandmarkten.')
Hieronymus antwortete nun auf diese aus Eifersucht, Kurz- sichtigkeit und ängstlichem Festhalten am Traditionellen hervor- gehenden Angriffe mit einer Sachlichkeit und Ruhe, die wir bei ihm sonst so oft vermissen. ') Nur selten läßt er sich hierzu der alten Leidenschaftlichkeit hinreißen, sondern nimmt sein Kreuz als Märtyrer der Wissenschaft seinen engherzigen Gegnern gegen- über auf sich. Wenn die LXX rein und wie sie ursprünglich von den 70 ins Griechische übersetzt worden waren, geblieben wären, so wäre es überflüssig, so schreibt er an den Bischof Chromatius in der Vorrede zu Chronik, daß du, heiligster und gelehrtester Bischof, mich auffordertest, daß ich die hebräischen Bücher ins Lateinische übersetzte. Da aber in Ägypten die Re- daktion der LXX, die auf Hesychius, da von Konstantinopel bis Antiochia die Redaktion, die auf Lucian, und in Palästina, die ge- braucht wird, die auf Origenes zurückgeht, so wird eine Über- setzungsarbeit aus dem Hebräischen zur dringenden Notwendig- keit.') Es gibt bei den Lateinern so viel Exemplare wie Codices,
') vergl. Prol. in Conim. in Joel, Vallarsi VI, 167; Prol. in Comm. in Hosea lib. II, Vallarsi VI, 54.
2) Contra Rufin. II, 24, Vallarsi II, 518.
^) vergl. ep 57, ad Pammacliium, de optimo genere interpretandi, Vallarsi I, 303, s. auch Bd. I, 183 ff.
*) Migne 28, 1323 ff.
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da jeder willkürlicheZusätze macht.') Zwar ist die Textverderbnis nicht bei allen Büchern gleichmäßig. Aber z. B. das Buch Esther hat durch verschiedene Übersetzer zahlreiche Zusätze bekommen '), im Hiob sind die LXX und die altlateinische Über- setzung unvollständig, es fehlen in der altlateinischen Über- setzung 70 oder 80 Verse,') im Jeremia ist die Anordnung der Visionen in den LXX und bei dem Altlateiner ganz in Verwirrung geraten und läßt sich nur nach dem hebräischen Text wiederherstellen.') Nur im Ezechiel sind die Abweichungen der altlateinischen Übersetzung vom hebräischen Text unbe- deutend.') Immer wieder hebt Hieronymus hervor, daß er mit seiner Übersetzung keinen Tadel gegenüber den LXX und der altlateinischen Übersetzung aussprechen wolle, sondern sie nur verbessere. Wenn bei den Griechen der Jude Aquila, die jüdelnden Häretiker Symmachus und Theodotion, die viele Geheimnisse des Erlösers durch listige Übersetzung unter- schlugen, in der HexajDla in der Kirche gebraucht und von kirchlichen Männern ausgelegt werden, wie viel weniger dürfe seine Arbeit eines von christlichen Eltern geborenen Christen, der das Kreuzeszeichen an der Stirn trage, von übelwollenden Lehrern zurückgewiesen werden. Sei doch seine Absicht nur darauf gerichtet gewesen, Ausgelassenes nachzuholen, Falsches zu korrigieren und die Geheimnisse der Kirche in reiner und zu- verlässiger Rede zu offenbaren. „Wer will, mag alte Bücher oder solche auf purpurnem Pergament mit Gold und Silber oder mit überaus großen Buchstaben geschriebene, mehr Lasten als Kodices haben; möge man mir und den Meinen nur erlauben, arme Papierhandschriften zu besitzen und nicht sowohl schöne als verbesserte Kodices." Allerdings will Hieronymus auch nichts von einer Inspiration der LXX wissen. Mit Rücksicht auf ihren Auftraggeber, den König Ptolemäus, haben die 70 die trinitarischen Aussagen verhüllt. „Ich verdamme und tadle nicht die LXX, aber allen jenen ziehe ich mutig die Apostel
•) Migne 28, 1433. *) Migne 28, 1433. ") Migne 28, 1079 ff. *) Migne 28, 847 ff. ") Migne 28, 937 ff.
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vor." ') Bei den Aposteln und Evangelisten finden sich viele Zitate aus dem Alten Testament, die sich in unseren Kodices nicht, wohl aber im hebräischen Original finden.') Er macht aber auch auf die Inkonsequenzen der kirchlichen Praxis im Gebrauch der LXX aufmerksam. Beim Daniel gebrauche man die LXX nicht, warum wisse er nicht, vielleicht weil sie sehr ungenau sei. Statt dessen bediene man sich hier des Theo- dotion.^) Und auch seine Revision des Hiob nach der Hexapla, die Zusätze aus Theodition oder dem hebräischen Text ent- halte, lasse man anstandslos zum kirchlichen Gebrauch zu. „Es mögen also meine Neider lernen, im ganzen aufzunehmen, was sie in Teilen aufgenommen haben, oder konsequent meine Revision des Altlateiners mit den Asterisken ebenfalls ablehnen."*) Seine Übersetzung aus dem Grundtext soll einem wissen- schaftlich-apologetischen Zweck dienen. „Es ist etwas anderes, in den Kirchen der Christo Gläubigen die Psalmen zu lesen und etwas anderes, den Juden, die einzelne Worte böswillig kritisieren, zu antworten." ) Gegen den praktischen Gebrauch der LXX hat er nichts einzuwenden; er selbst erklärt, daß er sie im Konvent seinen Mönchen auslege). Aber als sein Freund Sophronius mit den Juden disputierte, und messianische Stellen aus dem Psalter zitierte, mußte er die böse Erfahrung machen, daß die Juden ihm sagten, daß dies nicht im hebräi- schen Text des Psalters stehe. Deshalb hatte er Hieronymus gebeten, eine neue wortgetreue Übersetzung des Psalters aus dem Hebräischen anzufertigen, die er dann ins Griechische
^) Praef. in Pentateiichum an Desiderius gerichtet, Migne 28, 147 ff. Desiderius ist der Adressat der ep. 47, Freund des Paulin von Noia und Sulpicius Severus, s. unten. Hier erwähnt auch Hieronymus die Legende, daß die 70 von Ptolemaeus in 70 Zellen eingesperrt wurden, als helle- nistisches Märchen, von dem Aristeas und Josephus nichts wüßten.
-) Praef. in Pentateuchum, Migne 28, 147 ff.
^) Praef. in Dan., Migne 28, 1291 ff.
*) Praef. in Hiob, Migne 28, 1079 ff.
'") Psalterium iuxta Hebraeos Hieronymi e recognitione P. de Lagarde, Leipzig 1874 und Baethgen, eine Handschrift der Psalmen iuxta Hebr. Hieronymi, Zeitschr. f. alttest. Wissenschaft 1881, S. 105—112.
•') Praef. in Chron., Migne 28, 1323.
106 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
zurückzuübersetzen versprach.') Mit Ironie spottet deshalb Hieronymus, daß die Menschen, die sonst stets neue Genüsse lieben und deren Gaumen nicht die benachbarten Meere ge- nügen, sich allein beim Studium der Schrift mit dem alten Geschmack zufrieden geben. Um den Juden die Waffe aus der Hand zu ringen, daß sie nicht mehr über die Verfälschung der Heiligen Schrift durch die Christen spotten können,') will er sich trotz aller Anfeindungen nicht abhalten lassen, eine möglichst wortgetreue Übersetzung aus dem Hebräischen zu verfertigen. Und wenn auch die meisten seiner Zeitgenossen ihm immer wieder seine Arbeit durch häßliche Verdächtigungen zu verleiden suchten, so hatte er doch die Genugtuung, daß er wenigstens bei seinen Freunden und Freundinnen, denen er die einzelnen Teile seines Übersetzungswerkes widmete, bei den Bischöfen Heliodor und Chromatius,') den römischen Freunden Domnio und Rogatianus, ') dem Priester Desiderius, ) bei Paula und Eustochium*^) und bei seinem Klosterbruder Sophro- nius') auf Verständnis für die mühevolle Arbeit rechnen konnte. Den Freunden etwas Angenehmes, der Kirche etwas Nütz- liches, der Nachwelt Würdiges zu schreiben, das ist sein Trost. Von dem Urteil der Gegenwart, die durch Haß und Liebe be- stimmt wird, appelliert er an die Zukunft.**) Und die Hoffnung, daß er für die gegenwärtigen Leiden in der Zukunft belohnt werde, hat nicht getrogen, indem die Kirche seinem Werke durch die Kanonisierung zu einer Apotheose ohnegleichen verhelfen hat.
') I^rol. in Psal., Migne 28, 1125 ff., Hieronymus de vir. ilUist. c. 134 bezeugt, daß Sophronius diese Übersetzung der Psalmen und der (Pro- pheten ins Griechische tatsächhch gemacht hat.
'^) Praef. in Jes., Migne 28, 774; Praef. in Josuam, Migne 28, 461 ff.
^) Dem Bischof Heliodor sind gemeinsam mit Chromatius die Bücher Salomonis, Chromatius allein ist die Chronik gewidmet.
*) Domnio und Rogatianus ist das Buch Esra gewidmet.
'■) Desiderius ist der Pentateuch gewidmet.
*) Paula und Eustochium sind die Königsbücher, die Propheten, Daniel, Hiob und Esther, Eustochium allein nach dem Tode der Paula sind die Bücher Josua und Richter gewidmet.
') Sophronius ist der Psalter gewidmet.
*) Praef. in Dan., Migne 28, 1291 ff. und Praef. in Jes., Migne 28, 771.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 107
Es ist leicht, der Arbeit des Hieronymus eine gute oder schlechte') Zensur zu erteilen, sei es, daß man ihre unbestreit- baren Vorzüge oder ihre ebenso unbestreitbaren Mängel hervor- hebt. Es ist aber recht schwer, dieses größte Lebenswerk, an dem er 15 Jahre seines Lebens arbeitete, gerecht zu beurteilen. Vm dies zu können, müßte man die ganze Arbeit unter Ver- , gegenwärtigung der Bedingungen, unter denen sie gemacht wurde, und der Hilfsmittel, die er benutzen konnte oder zum größten Teil selbst schaffen mußte, gleichsam nachschaffen. Dazu sind wir heute noch nicht imstande, da seine Arbeit uns noch nicht in der Gestalt vorliegt, die er ihr gegeben hat. In der Hauptsache ist nur für die Evangelien in der Übersetzung des Hieronymus sicherer Orund geschaffen, um so weniger für die übrigen Teile seiner Bibel, so urteilt ein kompetenter Beurteiler, Eberhard Nestle, über den gegen- wärtigen Stand der Forschung.-^) Aber selbst wenn wir eine kritische Ausgabe der Vulgata des Hieronymus besäßen, so würde ich mir kaum ein abschließendes Urteil anmaßen.
Sicher ist diese Arbeit, dies darf man sagen, eine wissen- schaftliche Tat. Luther, der sonst so scharf über Hieronymus urteilte, hat dies bereits ausgesprochen: St. Hieronymus hat für seinePerson dasmeisteundgrößte im Dolmetschen getan, welches ihm keiner allein nachtun wird.'') Es war in der Tat ein kühnes Unternehmen, diese Arbeit in Angriff zu nehmen, und es ge- hörte Zähigkeit und Fleiß dazu, sie durchzuführen. Vieles hat Hieronymus angefangen, große literarische Pläne entworfen, aber rasch wieder fallen lassen; hier hat er sich mit strenger Selbstzucht zur Vollendung des einmal begonnenen Werkes gezwungen und seine unruhige Natur mit Energie diszipliniert. Keiner seiner Zeitgenossen, ja im weiten Kreis der nach-
') ich weise beispielsweise hin auf die bei aller Gründlichkeit doch borniert einseitigen und ungerechten Ausstellungen von Joh. Clericus, Quaestiones Hieronymianae, Arristerdam 1700.
-) E. Nestle, Bibelübersetzungen R. E. » 111, 25—58, dort die Literatur über die Vulgata, vor allem S. Berger, L'histoire de la Vulgate pendant les Premiers siecles du moyen äge, Paris 1893.
^) s. Zöckler, Hieronymus als Bibelübersetzer und Exeget S. 342 ff., Luthers Tischreden, Erlanger Ausgabe 62, 462.
108
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
folgenden Jahrhunderte kein Theologe bis zu den Tagen der Renaissance hat etwas Ähnliches unternommen, und keiner war zu dieser Arbeit auch nur entfernt befähigt wie er. Es ist ein naiver Vorwurf, den Luther dem Hieronymus macht: „Hätte er zween oder drei zu sich genommen, die ihm geholfen, so wäre der heilige Geist kräftiger dabei gewesen." Dies war im Reformationszeitalter möglich, aber wo gab es zur Zeit des Hieronymus zwei oder drei, die ihm hätten helfen können. Die einzigen, die er herbeiziehen konnte, die ji^idischen Rabbinen, hat er so weit wie möglich herbeigezogen, aber sie konnten ihm das nicht geben, was er vor allem brauchte, eine feste grammatische Grundlage, weil sie sie selbst nicht be- saßen. Daß er keine solche hatte, daß er z. B. die matres lectionis als Vokale betrachtete, die Gutturale miteinander ver- wechselte, Sin und Schin nicht unterschied, über das Verhältnis des Status constructus keine bestimmten Regeln kannte, die tempora verbi und die hebräische Satzbildung ihm unbekannt waren, daß er von den übrigen semitischen Dialekten mit Aus- nahme des Chaldäischen nur wenig wußte, wie beispielsweise eine gelegentliche Bemerkung zeigt, daß der Hiob mit der arabischen Sprache die größte Verwandtschaft habe,') alles dies ist nicht zu bezweifeln.') Es kann auch als erwiesen gelten, daß Hieronymus trotz seiner Kritik an den LXX und den griechischen Übersetzungen des Aquila, Symmachus und Theodotion dieselben stark benutzt hat ) und möglichst das Gegebene beibehielt, um nicht zu großen Anstoß zu erregen.') Was die Art seiner Übersetzung des hebräischen Textes be- trifft — im wesentlichen war sein hebräischer Text mit dem masoretischen identisch, er war völlig unpunktiert und ohne diakritische Zeichen, und die von ihm gelesene Vokalisation steht unter allen alten Übersetzungen dem masoretischen
>) Praef. in Dan., Migue 28, 1291 ff.
*) Nowack, Die Bedeutung des Hieronymus für die alttestamentliche Textkritik, Göttinnen 1875.
■■') s. Nowack S. 12 ff.
*) Praef. des Kommentars zum Prediger: ex hebraeo transferens magis ine LXX interpretum consuetudini coaptavi in his dumtaxat, quae non multum ab Hebraeis discrepabant.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 109
Text am nächsten ') — so kann man auch hier kaum von festen Grundsätzen sprechen.) An Pammachius schrieb er in dem Brief über die beste Art zu übersetzen, ) daß die Heilige Schrift im Gegensatz zu allen anderen Schriften mög- lichst wörtlich übersetzt werden müsse, weil hier auch die Ordnung der Worte ein Geheimnis sei, und in den Vorreden hat er es immer wieder betont, daß er möglichst wörtlich aus dem Hebräischen übersetze. Aber in einem späteren Briefe*) ist er doch wieder auch für die Heilige Schrift für eine freiere Übersetzungsart eingetreten, indem man nicht wörtlich, sondern sinngemäß übersetzen und die Idiome der anderen Sprache durch die Eigentümlichkeiten der eigenen Sprache wiederzugeben versuchen müsse. Hieronymus hat auch vielfach nach den im letzten Schreiben ausgesprochenen Grundsätzen gehandelt und, um seinen Lesern nicht unverständlich zu bleiben, den schnellen Wechsel der Personen, wie er im Hebräischen üblich ist, in seiner Übersetzung vermieden, lateinische Perioden statt der hebräischen Parataxen gebaut, sich nicht gescheut zusamimenzuziehen und sich anderswo wieder erklärende Zu- sätze gestattet. Es erscheint mir aber nicht unwichtig, wenn man Hieronymus eine gewisse Prinziplosigkeit bei seiner Übersetzung mit Recht vorwirft, überhaupt die Frage zu er- heben, wie weit man feste Grundsätze für ein solches Übersetzungswerk aufstellen kann und darf. Eine solche Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen in das Latein der Zeit des Hieronymus bedeutet doch eine Um- setzung des Ideengehalts und der Begriffswelt einer durch weite Zeiträume getrennten Geisteskultur in eine vielfach anders geartete. Dazu gehört fast mehr Takt als Grundsätze, mehr divinatorischerScharfsinn als grammatische Schulung. Zum Übersetzer war Hieronymus geschaffen wie kaum einer. Bei der großen Verschiedenartigkeit des hebräischen und latei- nischen Sprachidioms, so sagt Fritzsche, ) lag die Gefahr
^) s. Nowack, S. 55.
^) s. auch Hoberg, de S. Hieronymi ratione iiiterpretandi, Bonn 1886.
^) Ep. 57 ad Paminachium de optimo genere interpretandi.
*) Ep. 106 ad Sunniam et Fretelam c. 3, 54 und 55.
*) Lateinische Bibelübersetzungen R. E. - VllI, 448.
110 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
sklavischer Wörtlichkeit nahe. Hieronymus hat sie im ganzen vermieden und eine gewisse Mitte zwischen zu großer Wörthchkeit und zu großer Freiheit innezuhaHen gewußt, so daß die Sprache, wenn auch das hebräische Kolorit überall durchblickt, den damaligen Leser durchaus nicht verletzte, sondern förderte. Und setzen wir noch hinzu, trotz der großen Verschiedenheit des kulturellen Milieus, in dem Hieronymus lebte und dessen, in dem die Bücher des Alten Testaments entstanden sind, hat er es verstanden, in seiner Übersetzung durch Anmut, Eleganz, ja Klassizität des Stils ') das schlichte und gewaltige Gotteswort des Alten Testaments zu den Menschen seiner Zeit und seiner Zunge lebendig und kraftvoll reden zu lassen. So wenig Imponierendes der Charakter des Hieronymus hat, so ungerecht und kleinlich wäre es, diesem seinem verdienst- vollsten Werk seine Anerkennung und Bewunderung versagen zu wollen. Aber es ist auch bezeichnend, daß die größte Leistung seines Lebens kein eigenes Werk, sondern eine Übersetzung war. Er war eben kein produktiver Geist wie Augustin, der Mit- und Nachwelt neue Bahnen wies, sondern nur der größte jener Vermittler des religiösen Erbes der hebräischen und griechischen Antike an die lateinische Welt.
§ 34.
Die Kommentare zu den fünf kleinen Propheten, Nahum, Micha, Zephanja, Haggai und Habakuk.
Als Hieronymus um 3Q0 sein großes Übersetzungswerk des Alten Testaments aus dem Hebräischen begann, nahm er gleichzeitig im Anschluß an seine Übersetzung der Propheten ein anderes Werk großen Stils und großen Umfangs in An- griff, einen Kommentar zu sämtlichen prophetischen Büchern des Alten Testaments. Dieses Werk hat ihn fortdauernd die
•) Zöckler S. 365.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 111
letzten drei Jahrzehnte seines Lebens neben anderen Arbeiten beschäftigt. Er hat das Zwölfprophetenbuch, Daniel, Jesaja und Ezechiel vollständig kommentiert, und nur die zuletzt in Angriff genommene Erklärung des Jeremia blieb ein Torso. Dieses Riesenwerk, das bei Vallarsi drei volle Bände füllt, verliert bei näherer Betrachtung viel von dem imponierenden Eindruck, den es zunächst macht. Es ist sehr ungleichartig und größtenteils sehr unselbständig gearbeitet.
Den Anfang machte Hieronymus mit der Auslegung der fünf kleinen Propheten, Nahum, Micha, Zephanja, Haggai und Habakuk. Kurz vorher hatte er das Hebräerevangelium, wie er sagt, ins Griechische und Lateinische übersetzt.') Nur von der lateinischen Übersetzung des Hebräerevangeliums hat er uns in seinem Matthäuskommentar Fragmente erhalten. Ob er vom Hebräerevangelium wirklich eine griechische Über- setzung angefertigt oder, was wahrscheinlicher, nur eine Revision der bereits vorhandenen griechischen Übersetzung vorgenommen hat, läßt sich bei dem Fehlen der Quellen nicht mit Sicherheit beantworten.
Die vier ältesten Kommentare zu den kleinen Propheten Nahum, Micha, Zephanja und Haggai sind sämtlich Paula und Eustochium gewidmet, obwohl sich in der Vorrede zum Habakuk die merkwürdige Bemerkung findet, daß er den Kommentar zum Nahum auf Bitten des Bischofs Chromatius geschrieben habe.') Nach der handschriftlichen Überlieferung ist nur der Kommentar zum Habakuk seinem gelehrten Freund Chromatius von Aquileja zugeeignet, der auch an seiner Bibel- übersetzung den lebhaftesten Anteil genommen hatte. In der Vorrede zum Propheten Zephanja') versucht er sich gegen- über dem Spott seiner Gegner, daß er seine Werke am liebsten Frauen widme — er wurde zu einer solchen Verteidigung bei der Dedication seiner Werke an Frauen später noch des öfteren genötigt*) — zu rechtfertigen: „Wenn sie wüßten, daß Hulda als Prophetin auftrat, während die Männer schwiegen,
*) Kommentar zu Micha, Vallarsi VI, 520; de vir. illust. c. 135. •'') Praef. in Habakuk, Vallarsi VI, 587 ff. 3) Prol. in Zephanja, Vallarsi VI, 671 ff. *) ep. 65, 1, Vallarsi 1, 371 ff.
112 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Debora als Richterin und Prophetin die Feinde Israels ijber- wunden hat, während Barak sich furchtsam zurijckhielt, und Judith und Esther als Typen der Kirche sowohl ihre Gegner töteten, als auch Israel, das zugrunde gehen wollte, aus der Gefahr befreiten, so würden sie mich niemals verspotten." Aus dem Neuen Testament führte er dann die heiligen Frauen Anna, Elisabeth und vor allem Maria an, deren klares Licht alle die kleinen Feuer der Gestirne verdunkelt. Aber auch die griechische und lateinische Geschichte weiß von klugen und tapferen Frauen zu erzählen, von Aspasia, Sappho, Themista und Cornelia, der Mutter der Gracchen. Er schließt mit dem geschickten Hinweis, daß der auferstandene Herr zuerst den Weibern erschienen sei und diese zu Aposteln an die Apostel gemacht habe, so daß die Männer nicht erröteten, den zu suchen, welchen schon vorher das schwächere Geschlecht ge- funden hatte. Aber ganz unrecht haben seine Gegner doch nicht gehabt; die vier den Frauen gewidmeten Kommentare sind oberflächlicher gearbeitet, als der dem Bischof Chro- matius gewidmete Habakukkommentar. Seinen kritiklosen Bewunderern, I^aula und Eustochium, mußte er vor allem Erbauliches bieten, wie er selbst im Nekrolog der Paula be- zeugt:') „Wenn Paula auch die Geschichte liebte und diese für das Fundament der Wahrheit hielt, so folgte sie doch mehr dem geistlichen Verständnis." Aber Chromatius ließ sich damit nicht abspeisen, er hatte Hieronymus ausdrücklich um eine geschichtliche Auslegung des Propheten Habakuk ge- beten.) Es ist gewiß auch nicht zufällig, daß Hieronymus im Habakukkommentar häufiger als in den für seine Freun- dimien bestimmten Kommentaren die profane Literatur berück- sichtigt und genauer auf die Lesarten der sieben griechischen Übersetzungen eingeht, die er aus der Hexapla heranzieht, um dem Bischof durch seinen gelehrten Apparat zu imponieren.
Die Kommentare sind eigentlich Doppelkommentare, da Hieronymus sowohl seine Übersetzung der Propheten aus dem Hebräischen wie den Text der LXX kommentierte.') Daß
•) Ep. 108, 26. Vallarsi I, 713.
*) Prol. in Habakuk, Vallarsi VI, 587 ff.
*) s. zu Nahum 1, 10; 1, 12 u. 13; Habakuk 3, 11 ff.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 113
er auch die LXX erkläre, begründet er damit, daß er der zischenden Schlange oder dem Sardanapal keine Gelegenheit zum Tadel geben wolle.') Von diesem Gegner, der schimpf- licher durch seine Laster als durch seinen Namen sei, ihn aber nicht an der Fortsetzung des angefangenen Weges hindern solle, spricht er auch in den Kommentaren zum Zephanja und Habakuk.') Und noch einmal gedenkt er im Kommentar zu Nahum gelegentlich dieser Schlange, die von der Wassersucht befallen, aber wieder geheilt worden sei.') Es ist vermutlich auch derselbe Kritiker, den er am Schluß des Kommentars zum Haggai als die Furie Alecto apostrophiert:') „Ich beschwöre dich, Leser, daß du dem in schneller Rede Diktierenden verzeihst und nicht die Lieblichkeit der Rede suchst, die ich seit langer Zeit durch das Studium der hebräischen Sprache verloren habe, ob- wohl die Furie Alecto behauptet, daß ich immer ein Kind und stumm gewesen bin. Dem antworte ich: Der Herr wird das Wort dem Evangelisten geben und viele Kraft." Und im Kom- mentar zum Micha wirft er ihm das Schimpfwort an den Kopf, daß er eine Hydra oder Lernäische Schlange sei, und droht ihm, seine wiederwachsenden Häupter mit pro- phetischer Keule abzuschlagen.') Man hat Rufin unter diesem Gegner verstanden), und wir wissen ja in der Tat, daß Rufin
^) Nahum 3, 8 u. 9, Vallarsi VI, 572.
2) Zephanja 3, 20, Vallarsi VI, 734 und Prol. in Habakuk lib. II, Vallarsi VI, 631.
3) Nahum 3, 1, Vallarsi VI, 564. ') Vallarsi VI, 773.
^) Micha 1, 1, Vallarsi VI, 434 und Prol. zu Micha lib. II, Vallarsi VI, 480.
^) Hieronymus bezeichnet an einer Reihe von Stellen mit Hydra und Skorpion Rufin ; vergl. Vorrede zur Übersetzung des Josua, Prolog zum Joelkommentar, Vallarsi VI, 167, Prolog zum Hoseakommentar lib. II, Vallarsi VI, 54 und ep. 130, 16. In der Vorrede zur Übersetzung des Esra, wo wahrscheinlich ebenfalls Rufin gemeint ist, schwankt die Über- lieferung des Textes zwischen sibilans hydra und excetra. Daraus zu folgern, daß auch der in unserem Fall mit excetra, Sardanapal, Alecto, hydra bezeich- nete Gegner mit Rufin identisch sein müsse, halte ich nicht für angängig. In ep. 6, Vallarsi I, 17 spricht Hieronymus von einer iberischen Schlange, excetra, und hier ist wahrscheinlich der Priester Lupicinus von Stridon, sicher nicht Rufin gemeint. Hieronymus hat also verschiedene Gegner
Grützmacher, Hieronymus. II. 8
114 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
von der Übersetzung des Hieronymus aus dem Hebräischen nichts wissen wollte; aber von einer Verfeindung des Hie- ronymus mit Rufin aus der Zeit vor 3Q2 wissen wir nichts. Da es nun auch nicht angängig ist, die Kommentare in eine spätere Zeit herabzurücken, weil der Schriftstellerkatalog vom Jahre 3Q2 ihre Abfassung bezeugt, so werden wir die Schimpf- worte des Hieronymus auf einen uns unbekannten Gegner seines Übersetzungswerkes beziehen müssen. Waren es doch weite Kreise, die, wie wir oben hervorgehoben haben, dem Hieronymus deshalb zürnten. Um ihnen entgegenzukommen, exegesierte er neben dem hebräischen Text auch den gebräuch- lichen und bekannten Text der LXX. Dabei machte er sich bisweilen die Sache bequem, indem er, wo die Übereinstimmung der LXX und des hebräischen Textes eine fast wörtliche war, sogar nur die LXX erklärte.')
Aus zwei Quellen hat Hieronymus vor allem seine Kommen- tare geschöpft und aus diesen Quellen besteht im wesentlichen der ganze Inhalt seiner Kommentare. Es sind wieder Origenes und die Hebräer. Er selbst ist nicht viel mehr als Kompilator. Auf Origenes geht im großen und ganzen die tropologische Auslegung, der die LXX zugrunde liegen, auf die Hebräer die historische Auslegung des hebräischen Textes zurück. In
mit denselben Sciiimpfwörtern traktiert. Wenn hier Rufin oremeint wäre, so müßten wir die Steihuij^ des Hieronymus zu F^ufin einer vollständigen Korrektur unterziehen, wozu wir aber keinen zwingenden Grund haben. Es ist auch schon unwahrscheinlich, daß Hieronymus in einem Werke wie dem Habakukknmmcntar, den er dem Bischof Chromatius von Aquileja widmete, der mit Hufin innig befreundet war, Rufin als zischende Schlange und Sardanapal bezeichnet hätte. Auch den Vorwurf, welchen der als Hydra bezeichnete Gegner dem Hieronymus machte, daß er die Kommentare des Origenes ausgiebig benutzte, konnte Rufin bei der damaligen Situation un- möglich dem Hieronymus machen. Es gäbe nur eine Möglichkeit, die r\)lemik gegen den ungenannten Gegner auf Rufin zu beziehen, nämlich die Annahme, daß diese polemischen Sätze erst in einer späteren Aus- gabe der Kommentare von Hieronymus hinzugefügt wären. Diese neue Ausgabe würde dann in die Zeit seines Streites mit Rufin also etwa 400 zu setzen sein. Wahrscheinlich erscheint mir dies deshalb nicht, weil die Polemik so innig mit der Exegese verwebt ist, daß sie nicht den Eindruck eines späteren Zusatzes macht.
') 7.. B. Zephanja 3, 20, Vallarsi Vi, 734.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 115
seiner beliebten Manier hat er die Benutzung des Origenes verschwiegen; nur in der Vorrede zum zweiten Buch des Michakommentar gesteht er sie in der Polemik gegen seine Gegner ein, die ihm vorwerfen, daß er die Werke des Origenes ausbeute und die Schriften der Alten durch Überarbeitung ver- derbe: „Was jene für die größte Lästerung halten, halte ich für das größte Lob, da ich jenen nachahmen will, der allen Klugen und euch zweifellos gefallen muß." Mit Berufung auf die Lateiner Ennius, Vergil, Plautus, Cäcilius, Terenz und Cicero, die es auch nicht anders mit den Griechen gemacht haben, und auf Hilarius, der im Psalmenkommentar fast 40 000 Verse des Origenes sinngemäß übersetzt habe, die dann ebenfalls alle des Diebstahls schuldig wären, verteidigt er sein literarisches Freibeutertum.
Den Kommentar des Origenes zu den kleinen Propheten in 25 Büchern, von dem er ein von Pamphilus geschriebenes Exemplar auf der Bibliothek in Cäsarea gefunden hatte, hatte er nach seinem eigenen Zeugnis mit so großer Freude begrüßt, wie wenn er in den Besitz der Schätze des Krösus gelangt sei.') Da dieser Kommentar des Origenes für uns vollständig verloren gegangen ist, so können wir die Abhängigkeit des Hieronymus im einzelnen nicht mehr nachweisen. Daß aber eine solche besteht, darauf weisen deutliche Spuren in seinem Kommentar. Wenn Hieronymus die Flüsse, die nach Nahum 1, 4 und 1, 8 vertrocknen sollen, allegorisch auf die heidnischen Philosophen und auf die Häretiker Valentin, Marcion, Bardesanes und Tatian mit einigen der unseren deutet,') wenn er von der irrenden Weisheit als der letzten Emanation des Schöpfergottes nach Valentin, von dem monströsen Namen dßoä^a^, den Basilides gebraucht,') spricht, so stammt diese Kenntnis der Gnostiker aus Origenes. Über- all, wo Hieronymus gegen Marcion, Tatian und die Montanisten polemisiert,') können wir mit Sicherheit auf Benutzung des
1) De vir. ilkist. c. 75. ') Vallarsi VI, 538. ■') Nah. 1, 11, Vallarsi Vi, 545.
') Gegen Marcion Haggai 1, 1 ff., Vallarsi VI, 742; Micha 1, 10 ff., Vallarsi VI, 445, gegen Tatian Haggai 1, 10, Vallarsi VI, 750, gegen die
8*
116 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Origenes srhiießen, da Hieronymus nur aus dieser Quelle etwas über die alten Häretiker weiß. Er liebt es dann, diese Abhängigkeit zu verdecken, indem er die Hauptketzer seiner Zeit, wie Arius und Eunomins, beifügt. Er hat es aber immer vermieden, Origenes namentlich zu nennen. Hieronymus drückt sich möglichst unbestimmt aus: „ich habe in dem Buch eines Gewissen gelesen, daß unter dem Ausguß die Häretiker verstanden werden müssen." ') Auch die ausgeführte Dämono- logie, die Hieronymus im Habakukkommentar vorträgt,') hat er dem Origenes entnommen, wie sich aus einer fast wörtlichen Parallele mit einer uns noch in der Übersetzung Rufins erhaltenen Josuahomilie des Origenes erweisen läßt.') Ebenso geht die mystische Zahlenspielerei, die uns vor allem in der Auslegung des Propheten Haggai begegnet, wo Hieronymus mit allen allegorischen Künsten das Datum der Weissagung des Pro- pheten im siebenten Monat am einundzwanzigsten Tage aus- deutet, gewiß auf Origenes zurück.
Merkwürdig ist es, daß uns die Heterodoxien des großen Theologen in diesen alttestamentlichen Kommentaren des Hieronymus verhältnismäßig selten begegnen, obwohl Hierony- mus damals noch, wie seine Vorrede zum Propheten Micha beweist, ein rückhaltsloser Bewunderer des Großmeisters der allegorischen Exegese war. Nur zu Haggai 1, 10') gibt er die Auslegung des Origenes mit Kritik wieder, wie wir aus dem erhaltenen zweiten Buch des Johanneskommentars des Origenes kontrollieren können: Johannes der Täufer, Maleachi und Haggai sind nach Origenes Engel gewesen, die mit göttlicher Dis- pensation und auf göttlichen Befehl menschlichen Körper angenommen haben und als Menschen gewandelt sind. Auch Jakob, der später Israel genannt wurde, sei ein Engel gewesen. Die Natur aller vernünftigen Wesen sei auch ein und dieselbe, und deshalb würden die Menschen, die Gott gefallen haben, den
MoMtanistcn Prol. in Habakiik, Vallarsi VI, 587 ff., gegen Marcion und Basihdes Micha 6, 10, Vallarsi VI, 511.
') Habakuk 2, 9ff., Vallarsi VI, 619, vergi. Micha 1, 16, Vallarsi VI, 448.
') Habakuk 3, 14 ff., Vallarsi VI, 659.
') s. Vallarsi VI, 659, Anm. a.
*) Vallarsi VI, 751.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 117
Engeln gleich werden. Hieronymus fügt diesem Referat aus dem Kommentar des Origenes bei: „So meinen jene; wir aber nehmen an, daß der Prophet einfach ein Engel, d. h. Bote Gottes genannt sei, weil er den Willen des Herrn dem Volke verkündet hat." Vorsichtig lehnt er also hier diese zu hetero- doxen Folgerungen führende Auslegung des Origenes ab, und wir dürfen wohl annehmen, daß, wenn in diesen Kommentaren uns so selten solche heterodoxen Meinungen begegnen, Hieronymus dieselben unterdrückt oder retouchiert hat. In Micha 6, 1:') „Höret, was der Herr spricht: Erhebe dich und eile zum Gericht gegen die Berge, und die Hügel mögen deine Stimme hören" schimmert deutlich die Auslegung des Origenes durch, der unter den Bergen die Engel, denen die Besorgung der menschlichen Dinge anvertraut ist, verstanden wissen will. Über die Engel soll nach Origenes das Gericht ergehen, wenn sie nicht alles getan haben, was zu ihren Aufgaben gehört, oder über das Volk, wenn es, falls die Engel alles getan haben, nicht hat hören wollen. Hieronymus knüpft hier keine Kritik an die Exegese des Origenes, sondern stellt nur eine andere Auslegung daneben, wonach man unter den Bergen und Hügeln auch die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob verstehen könne. Auch die Origenistische Theorie, daß die Seelen wegen ihrer Sünden in die Körper gebannt seien, läßt er unbeanstandet passieren.') In Nahum 1,9) blickt auch die Lehre des Origenes von der Apokatastasis durch: Gott verhänge deshalb im gegenwärtigen Leben Strafen, um nicht ewige Strafen verhängen zu müssen. Aber auch hier hat sich Hieronymus nicht gegen diese Heterodoxie verwahrt. Es sind also alle eigentümlich Origenistischen Theologumena in diesen Kommentaren des Hieronymus vorhanden;') aber sie
') Vallarsi VI, 500 ii. 501, s. die fast wörtliche Parallele in der Ho- milie des Origenes zu Numeri, die in der Übersetzung Rufins erhalten ist, Vallarsi VI, 501, Anm. a, und bei Vallarsi VI, 499 die Parallele aus Rufin, expositio Symboli und Hilarius Traktat zu Ps. 61, 2.
-) Micha 6, 1, Vallarsi VI, 501: eorum, qui suo vitio exstitere ter- reni, fundamenta dicantur.
') Vallarsi VI, 543.
^) s. Micha 1, 16, Vallarsi VI, 451, wo er eine dritte Auslegung
118 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
treten nicht so scharf wie z. B. im Epheserkommentar hervor. Rufin hat ihm deshalb auch nur die Vorrede zum zweiten Buch des Micha, in der er ausdrückh'ch Origenes als Meister der Exegese preist, vorgerückt, während ihm die in den fünf Kom- mentaren enthaltenen Heterodoxien entgangen sind.
Es ist weiter die Frage, ob Hieronymus außer Origenes noch andere christliche Kommentatoren, und welche er be- nutzt hat. Aus einigen Stellen ist mit Sicherheit zu schließen, daß er noch andere Exegeten herangezogen hat. Nur die mar- kanteste Stelle sei hervorgehoben. Zu dem Text der LXX in Habakuk 3, 1: „Inmitten der zwei Tiere wirst du erkannt", gibt er eine ganze Zahl verschiedener Auslegungen, die er deutlich als von verschiedenen Auslegern herrührend unterscheidet. Viele verstehen unter den zwei Tieren den Sohn Gottes und den heiligen Geist, wie sie auch die Seraphim in Jesaia 6 und die Cherubim in Exodus 25 auf Christus und den heiligen Geist beziehen. Dies ist die Auslegung des Origenes.') Dann fährt Hieronymus aber fort: Die volkstümliche Meinung bezieht den Satz auf den Erlöser, weil er zwischen den zwei Räubern ge- kreuzigt als Messias erkannt wurde; die aber, welche ein besseres Verständnis haben, sagen, daß in der ersten Kirche, die aus der Beschneidung und Vorhaut gesammelt worden war, durch die beiden Völker, die ihn von beiden Seiten umgaben, der Erlöser erkannt wurde. Es gibt endlich auch solche, die unter den beiden Tieren das alte und neue Testament verstehen, in deren Mitte der Herr erkannt wird. Hieronymus hat demnach eine Reihe christlicher Exegeten benutzt; da er aber nirgends einen Namen nennt, wissen wir nicht, aus welchen Quellen er außer aus Origenes ge- schöpft hat.')
Neben den christlichen Kommentatoren, vor allem neben Origenes, hat aber Hieronymus auch die jüdisch -exegetische Tradition benutzen können, und ihr verdankt er die historische Auslegung der Propheten. Er bekennt des öfteren, daß er bei
referiert, die die Stelle auf die Gefangenschaft der menschlichen Seele im Leibe bezieht.
•) s. Band I, 188.
*) vergl. auch z. B. Mich. 4, 1, Vallarsi VI, 501.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 119
der buchstäblichen Auslegung des hebräischen Textes nichts von sich aus beibringe, sondern nur der Auslegung der Hebräer folge, von denen er lange Zeit unterrichtet worden sei. Er wolle den Christen einfach mitteilen, was er von ihnen ge- lernt habe. Der Leser könne dann selbst entscheiden, ob er der buchstäblichen Exegese der Hebräer oder der allegorischen der Christen den Vorzug gebe.')
Hieronymus ringt auch in diesen Kommentaren mit dem Problem, die historische und die allegorische Exegese in ihrer beiderseitigen Berechtigung zu erweisen und vor allem sie gegen- einander abzugrenzen. Es gibt Stellen, in denen auch die Ge- schichte einen metaphorischen Sinn hat, der aber von der allegorischen Auslegung zu unterscheiden ist. Wenn einer sagen wird: Siehe, während du nichts in der Auslegung der Geschichte weißt, bist du in die Netze der Allegorie geraten und hast die Tropologie mit der Geschichte vermischt. Er möge hören, daß nicht immer die metaphorische Auslegung der Geschichte mit der Allegorie zusammenfällt, weil häufig die Geschichte selbst metaphorisch erzählt wird und unter dem Bild einer Frau oder eines Mannes über ein ganzes Volk ge- predigt wird.) Die historische Auslegung ist nach Hieronymus eindeutig und straff; sie hat den Vorzug, daß der Exeget nicht umherschweifen kann. Die allegorische Auslegung läßt ihm dagegen eine große Freiheit. Aber Hieronymus macht doch den Versuch, auch die allegorische Auslegung an ge- wisse Regeln und Gesetze zu binden. Einmal muß die Allegorie einen frommen Sinn ergeben, sie muß erbaulich sein, zweitens muß sie dem Kontext der Worte folgen, und endlich darf sie nicht zu gewaltsam einander entgegen- gesetzte Dinge miteinander verbinden.') Er will die Willkür der allegorischen Exegese eindämmen, ihr einen wissenschaft- lichen Charakter als erbaulich-ästhetischer Exegese aufprägen. So lehnt er die allegorische Exegese von Hab. 2, 11 ab, die
') Nah. 2, 1, Vallarsi VI, 550; Mich. 1, 10, Vallarsi Vi, 443; Zeph. 2, 5 ff. Vallarsi VI, 700: neque enim nunc nobis propositum est historiae texere veritatem, sed ea intimare nostris, quae accepimus ab Hebraeis.
-) Hab. 3, 14 ff., Vallarsi VI, 658 ff.
*) Hab. 1, 11, Vallarsi VI, 599.
120 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
unter dem Stein, der aus der Wand schreien wird, und dem Holz, das unter den Verbindungen der Gebäude antworten wird, den Erlöser am Kreuz und den Schacher, der den Herrn lästerte, verstand. Diese vielleicht von Origenes stammende allegorische Auslegung gibt nach Hieronymus zwar einen frommen Sinn, aber sie kann nicht mit dem Kontext der Prophetie in Einklang gebracht werden.
Aber auch die buchstäbliche Auslegung, der die Juden folgen, bedarf notwendig einer Ergänzung durch die allegorische Exegese. Wenn z. B. bei den Propheten vielfach von dem Strafgericht über Moab, Ammon und die Philister die Rede ist, so wird dies von den Juden auf die Zukunft bezogen, wo der Messias kommen und diese Völker, die die Juden verspottet haben, bestrafen werde. Warum bestraft aber Gott nur die um Israel umwohnenden Völker, während doch die Juden über den ganzen Erdkreis zerstreut sind? Warum, so fragt Hiero- nymus, wird Gallien, Britannien, Spanien, Italien, Afrika keine Strafe angedroht?') Die historische Exegese ist also bisweilen praktisch unbrauchbar, und deshalb muß die allegorische Exe- gese ergänzend hinzutreten.
Aus der jüdischen Tradition hat Hieronymus seine An- gaben über die zeitliche Ansetzung der einzelnen Propheten entnommen. Nahum weissagte über Ninive unter dem König Hiskia von Juda, als bereits die zehn Stämme des Nordreiches in die Gefangenschaft der Assyrer fortgeführt waren. Einige halten EIcesaeus für den Vater des Nahum, der auch Prophet gewesen sei, andere Elcesi für ein Dorf in Galiläa, die Heimat des Propheten, dessen Ruinen nur den Juden bekannt, Hiero- nymus vermutlich auf seiner F-^undreise durch das heilige Land gezeigt wurden. ) Micha aus Morasthi, einem kleinen Dorfe nahe bei Eleutheropolis, weissagte nach Hosea, Amos und Jesaja unter Jotham, dem Nachfolger des Usia, unter Ahas
') Zeph. 2, S ff., Vallarsi VI, 704.
-) Praef. in Nahum, Vallarsi VI, 533 ff. Bei seiner Rundreise durch das heilige Land erwähnt er nicht den Besuch in Elcesi in Galiläa s. § 27. Da aber der Reisebericht mit der Besteigung des Thabor ab- bricht, so ist es wohl möglich, daß sich daran ein Abstecher nach Galiläa anreihte.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 121
und Hiskia.') Zephanja, dessen Ahnen ebenfalls nach jüdischer Tradition Propheten waren, prophezeite in den Tagen des Josia und sagte den Sieg Nebukadnezars, die Zerstörung Jerusalems und die Gefangenschaft Judas voraus.') Haggai trat im zweiten Jahre des Königs Darius, im siebzigsten Jahre nach der Zer- störung des Tempels auf. Hieronymus fügt hier nach der von ihm übersetzten Eusebianischen Chronik die synchronisti- schen Angaben hinzu, daß zu derselben Zeit der siebente König der Römer, Tarquinius Superbus, im 27. Jahre seiner Herrschaft stand. „Man muß nach der buchstäblichen Auslegung wissen, daß Haggai und Zacharja Propheten starken Geistes waren, daß sie gegen das Edikt des Königs Artaxerxes, gegen die Samari- taner und alle Heidenvölker ringsum, die die Erbauung des Tempels verhindern wollten, befahlen, daß der Tempel erbaut werde. Und Zorobabel und Josua und das Volk mit ihnen zeigte nicht geringen Glaubens, daß sie mehr auf die Propheten hörten, die den Befehl zum Bau des Tempels gaben, als auf den König, der es verbot."^) Habakuks Prophetie endlich, dessen Name bei den Griechen und Lateinern korrumpiert Ambacus lautet, richtet sich gegen Babylon und Nebukadnezar, den König der Chaldäer, und er weissagte, wie aus Daniel erhellt, zu einer Zeit, wo bereits die beiden Stämme des Reiches Juda in die Gefangenschaft geführt worden waren.*) Mancherlei philologische, geographische und historische Kenntnisse verdankt Hieronymus den Hebräern, und wenn auch manches von zweifelhaftem Wert war, so vermittelten seine Kommentare doch der christlichen Welt die exegetische Tradition der Hebräer, von denen kein Lateiner und kein Grieche außer etwa Origenes etwas wußte. Um nur einige Beispiele herauszugreifen, so übersetzte sein Hebräer z. B. P"12 Nah. 3, 1 weder mit Aquila mit t-^av^enöindg, noch mit Symmachus ujroTo/.äa oder /nsÄoKoma, sondern mit KvßegiHOfiö^ =
') Praef. in Mich, und Mich. 1,1, Vallarsi VI, 431 ff.
2) Zeph. 1, 1, Vallarsi VI, 675.
") Praef. in Hagg. Vallarsi Vi, 735 ff.
*) Praef. in Hab., Vallarsi VI, 587. Auf Grund der nur in dem griechischen Daniel c. 17 erzählten Geschichte, wonach Habakuk mit der Mahlzeit zu Daniel in die Löwengrube geschickt wird, gelangt Hieronymus zu diesem Ansatz.
122 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
gubernaculum.') Aus jüdischer Tradition weiß er, daß das Fischtor Zeph. 1, 10 mit dem Tore Jerusalems identisch ist, das nach Diospolis und Joppe führt.) Aus derselben Quelle ist ihm aber auch die vermutlich falsche Deutung von No Ammon Nah. 3, 8 — 9 auf Alexandria zu gekommen, während darunter wahrscheinlich das ägyptische Theben zu verstehen ist. Reseph Hab. 3, 5 ist nach hebräischer Überlieferung der Name des Obersten der Dämonen, ) und die Stelle Hab. 3, 3 ff.: „Der Herr wird von Süden kommen", bezogen die Hebräer auf den Messias, der aus dem im Süden gelegenen Bethlehem stammen sollte.*) Die Erkenntnis, daß der Prophet Habakuk aus epischen und lyrischen Bestandteilen zusammen- gesetzt ist, verdankt Hieronymus ebenfalls seinem Hebräer.') Aber Hieronymus nahm doch nicht alles kritiklos auf, was ihm von den Juden zugekommen war. Ein echtes Produkt jüdischer Haggada hatte ihm sein aus Lydda stammender Lehrer^) im Anschluß an Hab. 2, 15 erzählt: „Wehe dem, der seinem Freunde einen Trank gibt beimischend seinen Honig und ihn trunkend macht, daß er seine Blöße schaue". Dem jüdischen König Zedekia, der von Nebukadnezar geblendet nach Babylon geführt worden war, sei bei einem festlichen Gelage, um ihn zu verspotten, ein stark abführender Trank gereicht worden, der dann sogleich bei Tische zur Belustigung der Gäste seine Wirkung tat, so daß das Schriftwort Hab. 2, 15 in Erfüllung ging. Wie lächerlich dies ist, setzt Hieronymus hinzu, werdet ihr erkennen, wenn ich auch nichts dazu sage. Prinzipiellen Widerspruch erhob aber Hieronymus gegen die Auslegung der Hebräer, die die von den Christen auf die Ankunft Christi und das Gericht über Jerusalem bezogenen Prophetenstellen auf die zukünftige Ankunft des noch zu erwartenden Messias, die Errichtung eines irdischen Messiasreiches und das zukünftige
') Valiarsi VI, 5Ö3. *) Valiarsi Vi, 684. ') Valiarsi VI, 641. ') Valiarsi VI, 637.
') F^raef. in Hab. üb. II, Valiarsi VI, 631 ff.
*) Praef. in Hiob, wo derselbe jüdische Lehrer erwähnt wird, s. oben § 33, S. 101.
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Über die Heidenvölker ergehende Gottesgericht deuteten. Hiero- nymus ist nicht nur empört über den jüdischen Unglauben, der Christus nicht als Messias anerkennen will, sondern er findet auch die jüdischen Zukunftshoffnungen dumm, frivol und anmaßend. Daß dem jüdischen Volke, das von der Knechtschaft befreit wird, bei der Ankunft des Messias alle Nationen dienen sollen,') daß an jenem Tage, wenn vom Messias die Mauern Jerusalems wieder aufgebaut werden, die heiligen Schriften, das Gesetz und die Propheten, den Christen genommen und dem jüdischen Volke übergeben werden sollen,') sind ihm jüdische Behauptungen von unverschämter Frechheit. Mit besonderem Eifer bekämpfte Hieronymus die sinnlichen Zukunftshoffnungen: man darf nicht glauben, daß Gott aus Gold und Edelsteinen und nicht aus lebendigen Steinen Jeru- salem bauen werde. ^) Hier zeigt sich der dogmatisch sonst so schwankende Hieronymus als entschiedener und schroffer Gegner des Chiliasmus. Die Weissagungen der Propheten Micha und Zephanja vom Gerichtstage Gottes und dem zukünftigen Messiasreich bezieht er fast durchgängig auf das Gericht über Jerusalem und das Friedensreich, das Christus bereits gebracht hat. Er bekämpft hier nicht nur die Juden, sondern auch die chiliastisch denkenden Christen. Wenn also einer der Christen und am meisten der neuen Klugen, deren Namen ich verschweige, damit ich keinen zu verletzen scheine, glaubt, daß die Prophetie noch nicht erfüllt sei, so möge er wissen, daß er den Namen Christi falsch trage und eine jüdische Seele und nur keine Beschneidung des Körpers habe.') Er nennt die Chiliasten halbe Juden, die unsern ganzen Glauben zugrunde richten, die erbärmlichsten der Menschen.) Diese Ab- lehnung des Chiliasmus hat Hieronymus von Origenes über- nommen und auch später beibehalten, als er sich von seinem Meister lossagte und seine dogmatischen Aufstellungen als
') Mich. 4, 11 ff., Vallarsi VI, 485; Mich. 5, 7 ff., Vallarsi VI, 49S; Zeph. 2, 12 ff., Vallarsi VI, 709.
») Mich. 7, 8 ff., Vallarsi VI, 522. 3) Hagg. 2, 16 ff., Vallarsi VI, 767. ■•) Zeph. 3, 14, Vallarsi VI, 728. *) Zeph. 3, IQ, Vallarsi VI, 731.
124 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Heterodoxien verwarf. Seine entschiedene Stellungnahme gegen den Chiliasmus hat aber vor allem mitgewirkt, daß die mittel- alterliche Kirche die Erwartung eines tausendjährigen Reiches als Ketzerei verurteilte und in der Eschatologie trotz aller sinnlichen Ausmalung des ewigen Strafzustandes und der ewigen Selig- keit bei der Ablehnung des Chiliasmus den spiritualistischen Motiven des Origenes, die Hieronymus aufgenommen hatte, treu blieb, und dies trotz der Bibüzität des Chiliasmus.
Eigentümlich frei spricht sich Hieronymus in diesen Kommentaren über die Inspiration der heiligen Schriften aus.') Vor der starren Verbalinspiration bewahrten ihn seine text- kritischen Kenntnisse. Das Zitat Mich. 5, 1 „Und du Beth- lehem Ephrata" stimmte bei Matth. 2, 6 weder mit den LXX noch mit dem hebräischen Text überein. Seine Meinung ist nun, daß der Evangelist Matthäus mit dem ungenauen Zitat die Nachlässigkeit der Schriftgelehrten und Priester im Lesen der Heiligen Schrift, die diese Worte vor Herodes zitieren, habe bemerklich machen wollen. Nach einer anderen Erklärung sind aber die zahlreichen Abweichungen alttestamentlicher Zitate vom Grundtexte im Neuen Testament darauf zurück- zuführen, daß die Apostel und Evangelisten nicht aus den Büchern, sondern aus dem Gedächtnis zitieren und dieses Gedächtnis sie naturgemäß bisweilen im Stich läßt.-) Bei Habakuk 2, 4 macht Hieronymus darauf aufmerksam, daß der Apostel diese Stelle im F^ömerbriefe 1,17 nach den LXX zitiere. Er tue es deshalb, weil die Römer die hebräischen Schriften nicht kannten. Es kommt aber den Aposteln nicht auf die Worte, sondern auf den Sinn an. Nur wo eine sinngemäße Differenz zwischen den LXX und dem hebräischen Text besteht, gebraucht der Apostel nach Hieronymus das hebräischeOriginal.'')
Endlich sind noch die Ausführungen des Hieronymus über die göttliche Providenz im Habakukkommentar für sein religiöses Empfinden charakteristisch. Er besitzt zu wenig religiöse Energie, um nicht den Gedanken der göttlichen r^rovidenz mit rationalistischen Bedenken abzuschwächen. Es
') s. auch Zöckler, S. 189. 2) Vallarsi VI, 789. ') Vallarsi Vi, 612.
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ist absurd, die Majestät Gottes herabzuzielien, um anzunehmen, daß Gott weiß, wieviel Flöhe in jedem Augenblick geboren werden und wieviel sterben, welche Menge von Wanzen, Flöhen und Fliegen auf der Erde ist, wieviele Fische im Wasser schwimmen, und welche von den Kleinen der Raub der Großen werden müssen. Wir sind nicht so törichte Schmeichler Gottes, daß wir seine Macht auch auf das Niedrige herabziehen. Seine nüchterne Verständigkeit, die uns immer wieder bei allen pathetischen Worten entgegentritt, begnügt sich nicht mit dem religiösen Postulat der göttlichen Providenz; er versucht es, sie auszudenken und gelangt naturgemäß zu Absurditäten. Er spottet über die Dummheit, einen eigenen Engel namens Tegri den Reptilien vorzusetzen, wie es das apokryphe Buch Hermas tut. Man müßte dann auch eigene Engel für die Fische, Bäume und Tiere annehmen.
Besondere Sorgfalt hat Hieronymus auf den Text ver- wandt. Was er hierüber berichtet, ist noch heute für uns zum Teil von größtem Wert und größter Bedeutung. Be- sonders im Habakukkommentar notiert er neben den Lesarten der LXX, Aquila, Symmachus und Theodotion auch die Lesarten der Quinta, Sexta und Septima zum Dodekapropheton.") Er versucht auch die verschiedenen Übersetzungen zu charakteri- sieren, wenn er z. B. zu Hab. 3, 11 ff. die Übersetzung der Ebioniten und halben Christen, Theodotion und Symmachus, als jüdisch bezeichnet, während der Jude Aquila und die Quinta wie die Christen übersetzen, und die Sexta noch deut- licher das christlich messianische Verständnis der Stelle zum Ausdruck bringt. Einmal spricht er sogar von zwei Aus- gaben des Symmachus und teilt beide Lesarten mit.') Er ver- gleicht die LXX mit dem hebräischen Text^) und bemüht sich sogar um Korrekturen der LXX.') In der Regel gibt er dem
») s. z. B. Hab. 1, 9 ff., Vallarsi VI, 618; Hab. 2, 15, Vallarsi VI, 623.
-) Nah. 3, 1, Vallarsi Vi, 563.
^) Z. B. Mich. 2, 9, wo er bemerkt, daß die Übersetzung zu den Propheten vielleicht nicht LXX genannt werden dürfe, da nach Josephus und der hebräischen Tradition nur die 5 Bücher Mosis von den LXX für König Ptolemäus übersetzt worden sind.
•*) Mich. 6, 3, Vallarsi VI, 502.
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hebräischen Text den Vorzug vor den LXX, aber bisweilen schwankt er auch, ob entweder die Bosheit der Juden den ahen Text korrigiert oder ob die LXX Zusätze zum hebräischen Text gemacht haben. Besonders wertvoll sind für uns die sich allerdings selten findenden Angaben über Varianten in den hebräischen Codices.')
Was die Form seiner Kommentare betrifft, so bemerkt Hieronymus selbst, daß die trockenen Auseinandersetzungen über den hebräischen Text, die LXX und die anderen Über- setzungen dem Leser lästig fallen mögen; aber er schreibe auch nicht erdichtete Streitreden oder Schulübungen und ergehe sich nicht in Gemeinplätzen, sondern er schreibe Kommentare und zwar zu den kleinen Propheten, die viele dunkle Stellen enthielten. Im ganzen sind die Kommentare auch ziemlich trocken, nur bisweilen erhebt er sich zu höherem Schwung, wie z. B. in der Schilderung, daß das Christentum der Welt den Frieden gebracht hat. ) Bezugnahme auf zeitgeschichtliche Verhältnisse, wie sie uns in den neutestamentlichen Kommen- taren häufiger begegnen, sind in diesen alttestamentlichen Auslegungsschriften spärlicher vorhanden. Gelegentlich flicht er eine Anekdote ein, die er selbst als Schüler beim Tode Kaiser Julians erlebt hat. ) Mit Bedauern registriert er, daß die mit weltlichen Ehren und Reichtümern Ausgestatteten nur selten oder niemals zur Kirche kommen.^) Er ermahnt die Christen, wenn einer ihrer Verwandten sterbe und der Fiskus das Vermögen beschlagnahme, nicht zu weinen und nicht das Gegenwärtige, sondern das Zukünftige ins Auge zu fassen.') Besonders eindrucksvoll und dramatisch schildert er uns aus eigener Anschauung die ergreifende Wehklage der Juden über den Fall Jerusalems und die Zerstörung des Tempels, zu der sie sich noch jährlich zu versammeln pflegten"): „Bis heute
') Hab. 2, IQ, Vallarsi Vi, 630: praeterea sciendum in quibusdam hebraicis vohiminibus non esse additnm „omnis", sed absolute spiritum legi. 2) Vallarsi VI, 475 ff. ') Band I, 117. ♦) Vallarsi VI, 697. *) Vallarsi VI, 454. ") Zeph. 1, 15 und 16 s. auch Zöckler, S. 188.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 127
dürfen die bösen Ackerbauer Jerusalem nicht betreten und müssen es mit Geld erkaufen, daß sie die Zerstörung ihrer Stadt beweinen können, und die, welche einst Christi Blut erkauften, müssen jetzt ihre Tränen erkaufen. Nicht einmal ihr Weinen ist umsonst. Man kann sehen, wie am Tage der Einnahme und Zerstörung Jerusalems durch die Römer das trauernde Volk zusammenkommt, wie abgelebte arme Weiber und Greise mit Lumpen bedeckt und durch die Last der Jahre gebeugt, herbeiströmen, um durch ihren Anzug und die Haltung ihrer Leiber den Zorn Gottes zu verkünden. Es sammelt sich der Haufe der Elenden und, während das Kreuz des Herrn er- glänzt und seine Auferstehungskirche hell strahlt, während vom Ölberg die Kreuzesfahne weht, beklagt ein unglückliches und doch nicht bemitleidenswertes Volk die Ruinen seines Tempels. Die Tränen stehen auf ihren Wangen, die Arme sind matt und zerschlagen, die Haare zerrauft, und der wach- habende Krieger fordert seinen Lohn dafür, daß ihnen noch weiter zu klagen gestattet sei. Und bei diesem Anblick sollte man noch ungewiß bleiben über den Tag der Trübsal und der Angst, des Wetters und des Ungestüms, der Finsternis und des Dunkels, derPosaunen und derTrompeten. Sie haben wirklich bei ihrer Trauer Trompeten und die Stimme ihrer Freude ist in Jammer verwandelt, wie der Prophet sagt. Sie heulen über die Asche ihres Heiligtums und über den zerstörten Altar, über die einst so feste Stadt und über die hohen Zinnen des Tempels, von wo sie einst Jakobus den Bruder des Herrn herabstürzten." Ein fanatischer Judenhaß spricht aus diesen Worten des Hieronymus, und doch verschmähte er es nicht, sich zu den Füßen der jüdischen Rabbinen zu setzen, um sich von ihnen in der heiligen Sprache des alten Bundes unterweisen zu lassen.
128 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
§ 35. Der Schriftstellerkatalog des Hieronymus.
„Ohne Zweifel gehört die Schrift de viris illustribus zu den verdienstvollsten, ja v^enn man vc^ill, zu den genialsten Geistesprodukten unseres Schriftstellers", so schrieb Zöckler 1865 in seiner Biographie des Hieronymus.') Und jezt, wo auf Grund eingehendster Forschungen") als Quellen oder richtiger als Quelle des Schriftchens die Kirchengeschichte des Eusebius erwiesen ist, ist das Urteil ins Gegenteil umge- schlagen, und man kritisiert aufs schärfste die Leichtfertigkeit und Unwahrhaftigkeit des Hieronymus, wie sie uns mit er- schreckender Deutlichkeit gerade bei der Abfassung dieser Schrift entgegentrete. So urteilt Harnack:') „Aus dem Bettel- gewand des unglaublich eilfertig geschriebenen, nach berühmten Mustern abgefaßten Traktats schaut nur die Eitelkeit des Schrift- stellers hervor." Man könnte gegen das letzte überaus harte Urteil einwenden: Hieronymus hat hier nicht schlimmer als sonst gearbeitet, alle seine literarischen Untugenden begegnen uns nur wieder. Er ist fast überall Kompilator, nur be- sitzen wir bei seinen exegetischen Werken fast nie sämtliche seiner Vorlagen, um ihm seine literarische Freibeuterei mit
') S. 120.
'^) St. von Sychowski, Eine quellenkritische Untersuchung der Schrift des heiligen Hieronymus de viris illustribus, München 1894. CA. Bernoulli, Der Schriftstellerkatalog des Hieronymus, Freiburg und Leipzig 18Q5; vergl. auch das vorzügliche zusammenfassende F^eferat über diese Forschungen bei M. Schanz, Geschichte der römischen Literatur bis zum Gesetzeswerk des Kaisers Justinian, Teil IV, 404 ff., München 1904; die Ausgabe von Herding, Leipzig 1879, ist allgemein als ungenügend erkannt; Bernoullis Ausgabe in der Sammlung ausgewählter kirchen- und dogmengeschicht- licher Quellenschriften, Heft 11, Freiburg 1895, ruht auf fünf Handschriften; Richardsons Ausgabe, Texte und Untersuch., Band XIV, 1. Heft, Leipzig 1896, hat eine große Zahl (108) Handschriften benutzt und neun zur Grundlage seines Textes gemacht. Ein Mangel der fleißigen Arbeit besteht, wie von allen Kritikern hervorgehoben wurde, darin, daß er die griechische Übersetzung der Schrift zur Herstellung des Textes unbenutzt gelassen hat.
') Texte und Untersuch. V, 1, S. 120.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 129
derselben Deutlichkeit nachweisen zu können. Mir würde es jedoch ungerecht erscheinen, seine exegetischen Arbeiten trotz aller Abhängigkeit von berühmten Mustern mit diesem Schrift- stellerkatalog gleichzustellen. Der Schriftstellerkatalog ist, wie Overbeck es ausgesprochen hat, in der Tat vielleicht das krasseste Denkmal der mannigfachen und argen Schäden seiner Arbeitsweise. ') Aber trotz allem, was man mit Recht an der Arbeit getadelt hat: wer unter seinen Zeitgenossen war denn in der christlichen Literatur griechischer und lateinischer Sprache so belesen wie Hieronymus, daß er nur ein solches Werk wie Hieronymus hätte schreiben können? Gewiß hat er von der älteren christlichen Literatur des zweiten und dritten Jahrhunderts fast nichts gekannt,-) aber über die Literatur des vierten Jahrhunderts ist er doch in einer Breite informiert wie kein Grieche und kein Lateiner seines Zeitalters. Daß aber solche Menschen mit dem Wissen eines Konversationslexikons keine wissenschaftlich produktiven Köpfe sind, sollte keinen Kenner der Geschichte verwundern. Daß solche Vielwisser in der Regel ihr wirkliches Wissen noch größer erscheinen lassen und sich aus Eitelkeit ein Scheinwissen beilegen, ist psycho- logisch ebenfalls verständlich. Wenn wir weiter in Betracht ziehen, daß das unkritische Zeitalter des Hieronymus ihm alle seine flüchtigen Arbeiten mit Dank abnahm, aber für seine mühevollste Arbeit, die Bibelübersetzung des Alten Testaments aus dem hebräischen Text, keine Spur von Verständnis besaß, so können wir es begreifen, daß er, trotz allem der gelehrteste christliche Schriftsteller der Zeit, sich keine Mühe gab, seinen Zeitgenossen gründliche Arbeiten zu liefern, da sie die Unter- scheidungsgabe des Guten und Bösen nicht besaßen. Ich
') Die Anfänge der Kirchengeschichtsschreibung, Basler Universitäts- programm 1892, S. 19, Anm. 34.
-) s. die Zusammenstellung über seine Kenntnisse der altchristlichen Literatur bei Bernoulli, S. 200 ff. Danach hätte er nur Josephus, Tatians Kommentar zum Titusbrief, Irenäus, die apostolischen Väter von älteren griechischen Kirchenvätern gekannt. Es ist aber bezeichnend, daß man ihm auch eine lateinische Übersetzung der Schriften des Papias und Polykarp, die er selbst gar nicht kannte, noch zu seinen Lebzeiten andichtete; s. ep. 71, 5, wo Hieronymus das Gerücht als falsch bezeichnet, daß er Josephus, Papias und Polykarp ins Lateinische übersetzt habe.
G r ü tzm ach e r , Hieronymus. II. 9
130 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
möchte mit Bernoulli dem Hieronymus auch nicht das Ver- dienst absprechen, daß er mit dem Schriftstellerkatalog neue literarische Bahnen zu betreten versuchte, die bisher noch keiner gegangen war. Gewiß hat Hieronymus den Begriff einer christlichen Literaturgeschichte im Schriftstellerkatalog sehr eng und äußerlich gefaßt; aber der erste Ansatz zu einer solchen war doch damit gegeben. Aller Anfang bei der Inangriffnahme einer neuen literarischen Aufgabe ist schwer. Und mag man gegen Hieronymus sagen was man will, eine Empfindung für wissenschaftliche Probleme besaß der begabte Dalmatiner, und in der Inangriffnahme großer literarischer Aufgaben hat er sich vielfach versucht. Fraglos hat er aber nur selten wie bei dem Bibelwerk die ergriffene Aufgabe mit Zähigkeit durchgeführt; in der Regel werden wir stark ent- täuscht, wenn wir sehen, wie sein keineswegs geringes Talent so wenig Gründliches leistet.
Der ihm befreundete Reiteroberst Dexter hatte ihn zur Abfassung des Schriftstellerkatalogs aufgefordert.') Sein hoher Gönner hatte dabei den Wunsch geäußert, daß er in Nach- ahmung des Sueton de viris illustribus ) ein Werk schreiben möchte, welches den Heiden den Vorwurf nehme, das Christen- tum sei keine Religion der literarisch Gebildeten. Seine Schrift trägt deshalb deutlich einen apologetischen und polemischen Charakter. Am Schluß des Prologs sagt er: „Mögen also Celsus, Porphyrius und Julian, die gegen Christus bissigen Hunde, und ihre Anhänger, die glauben, daß die Kirche keine Philoso]-)hen, Redner und Lehrer gehabt habe, es lernen, wie große und bedeutende Männer die Kirche begründet, auf- gebaut und geschmückt haben, und mögen sie aufhören,
') s. Contra RnUn. II, 23, Vallarsi II, 516. Schanz, S. 355, Anui. 2, identifiziert ihn mit Dexter, dem Sohn des Bischofs Pacian von Barcelona, den Hieronynnis im Katalog c. 132 clarus ad saeculum et Christi fidei dedifus erwähnt, und der eine historia onmimoda, die dem Hieronymus gewidmet war, geschrieben habe, die er aber noch nicht gelesen habe. Sicher ist diese Identifikation nicht, aber sie erscheint mir doch wahrscheinlich.
') Über seine Nachahnning des Sueton s. den Nachweis bei Bernoulli, S. 76 ff. Die Griechen Hermippus, Antigonus, Carystius, Satyrus und den Musiker Aristoxenus und die Lateiner Varro, Santra, Nepos, Hyginos, die Hieronynnis in der Vorrede anführt, kennt er nur dem Namen nach.
Die ersten Jalire im Kloster zu Betiileliein. 131
unseren Glauben bäurischer Einfalt zu beschuldigen, und lieber ihre Unwissenheit eingestehen." Aus dieser Tendenz erklärt sich die auf den ersten Blick befremdliche Aufnahme des Heiden Seneca und der Juden Philo, Josephus und Justus von Tiberias in den Katalog der kirchlichen Schriftsteller.- Allerdings bestand wenigstens bei drei dieser Männer durch den apokryphen Briefwechsel Senecas mit Paulus, durch das günstige Urteil des Josephus über Christus und durch die an- gebliche Beschreibung des Lebens der ältesten alexandrinischen Christen in Philos de vita contemplativa zwischen ihnen und dem Christentum eine gewisse Beziehung. Aber das Motiv bei Aufnahme in den Katalog war doch, die Zahl der christlichen Schriftsteller möglichst groß erscheinen zu lassen. Aus dem- selben Motiv hat er auch die christlichen Häretiker unter die christlichen Schriftsteller eingereiht; und er, der später so ängstlich um seine Orthodoxie besorgt war und den Graben zwischen der Kirche und der Häresie nicht breit genug machen konnte, hat hier die Häretiker mit dem Mantel der christlichen Liebe bedeckt, nur um den Heiden mit der großen Zahl christ- licher Schriftsteller zu imponieren. Bei Tatian ') hat er wenigstens angemerkt, daß er der Stifter der Sekte der Enkra- titen, bei Bardesanes,') daß er erst Valentinianer und dann der Begründer einer eigenen Sekte war, bei Tertullian, ') daß er später zum Montanismus abfiel, allerdings mit dem Seiten- hieb, daß er durch den Neid und die Schmähungen der Kleriker der römischen Kirche — er hatte ja selbst ähnliches erduldet dazu veranlaßt worden wäre. Bei Novatian ')
und Donatus berichtet er, ) daß sich die Katharer und Donatisten von ihnen herleiten, und bei Photin, ') daß er der Restaurator der Häresie der Ebioniten geworden sei. Bei Marceil von Ancyra") dagegen läßt er aus Mangel an
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eigenem Urteil die Frage offen, ob er Sabellianer war oder nicht. Asterius nennt er einen Philosophen der arianischen Partei,') aber Priscillian und seine Freunde') behandelt er nicht als Häretiker, ja er scheint fast für sie eintreten zu wollen.) Ganz unbeanstandet läßt Hieronymus Lucifer von Calaris,') gegen dessen Lehre er einst in Rom selbst polemisiert hatte, und seinen Lehrer Apollinaris von Laodicea.) Die Bischöfe Lucius von Alexandria') und Eunomins von Cyzicus ') werden zwar als Arianer bezeichnet, aber es wird kein tadelnder Zusatz dazu gemacht. Daß Hieronymus Origenes ') nicht als Häretiker bezeichnet, sondern sein unsterbliches Genie feiert und alle Synoden, die gegen ihn gehalten wurden, sowie alle Vorwürfe gegen ihn verschweigt, findet in seiner damaligen theologischen Stellungnahme eine ausreichende Erklärung. Es ist bei dieser inkonsequenten Haltung des Hieronymus gegenüber den Häretikern verständlich, daß Augustin, der klare und scharfe Abgrenzungen liebte, daran Anstoß nahm:") „In dem Buch, wo du aller Kirchenschriftsteller, deren du dich erinnern konntest, und ihrer Schriften gedacht hast, wäre es, glaube ich, bequemer gewesen, wenn du bei den Häresiarchen, falls du sie nicht auslassen wolltest, hinzugefügt hättest, wovor man sich bei ihnen hüten muß." Er bedachte dabei nicht, daß Hieronymus eigentlich nur eine Häresie kannte, die Bekämpfung der Virginität, sonst aber recht imfähig war, dogmatische Diffe- renzen scharf zu fixieren.
Mit der apologetischen Tendenz des Buches hängt es weiter aufs engste zusammen, daß Hieronymus es liebt, mög- lichst viel lobende Prädikate den einzelnen Verfassern und Büchern zu erteilen, um die literarischen Produkte der Christen
') C. 94.
*) C. 121-123.
') Später ep. 75, c. 3, Vallarsi I, 449 bezeichnet er den Priscillianis- miis als spurcissima haeresis Basilidis, instar pestis et morbus.
*) C. 95.
») C. 104.
«) C. 118.
') C. 120.
8) C. 54.
9) Ep. 67 ad Hieronymum c. 9, Vallarsi I, 406, s. Zöckler, S. 193.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 133
in hellstem Lichte erscheinen zu lassen. Er wollte damit nicht so sehr den Schein eigener Kenntnis erwecken, als vielmehr den Heiden die christliche Literatur in den höchsten Tönen anpreisen. Deshalb hat er auch die Kritik an den Häretikern zurückgestellt, damit die Heiden nicht auf die Widersprüche der christlichen Autoren unter sich aufmerksam würden.
Nach dem Vorbild des Sueton stellt Hieronymus 135 christliche Autoren in je einem Kapitel dar. Wie der Heide die berühmten Schriftsteller in Reihe und Glied aufgestellt hatte, den Kleinen neben dem Großen, so läßt Hieronymus die christliche Phalanx dagegen aufmarschieren.')
In zwei Teile läßt sich der Katalog zerlegen, c. 1 — 78 von Petrus bis auf Bischof Phileas von Thmuis in Ägypten, und c. 7Q — 135 von Arnobius bis auf seine eigene Person. Der erste Teil ist nun in 69 Nummern einfach aus der Kirchen- geschichte des Eusebius zusammengestellt, wie Bernoulli, Sychowski und Huemer in gründlichster Einzeluntersuchung dargetan haben.') Er verschweigt diese seine Quelle nicht, sondern nennt sie in der Vorrede und bisweilen in einzelnen Kapiteln. ) Man könnte also den Schriftstellerkatalog in Parallele zu der Chronik stellen, wo er auch Eusebius übersetzt, mit einigen Notizen vervollständigt und eine selbständige Fort- setzung gegeben hat.') Aber wieviel offener lautet das Ein-
') s. Bernoulli, S. 76 ff., der die Abhängigkeit von Sueton auch in stilistischer Beziehung deutlich gemacht hat.
-) J. Huemer, Studien zu dem ältesten christlichen Literarhistoriker, Wiener Studien 16, 121 ff., 1894.
^ De vir. illust. ed Richardson prol. S. 1 ff. quamquam et Eusebius Pamphili in decem ecciesiasticae historiae libris maximo nobis adiumento fuerit, et singulorum, de quibus scripturi sumus, volununa aetates auctoruni suorum saepe testantur; c. 15 bemerkt er bei der disputatio Petri et Appionis, dafi sie Eusebius dem Clemens im dritten Buch der Kirchen- geschichte abspricht, de vir. illust. ed. Richardson, S. 17; c. 54 verweist er für die genaueren Daten über Origenes auf das sechste Buch der Kirchen- geschichte des Eusebius, de vir. illust. ed. Richardson, S. 33.
•*) Ich möchte nur auf besonders charakteristische Beispiele der Ab- hängigkeit des Schriftstellerkatalogs von der Kirchengeschichte des Eusebius hinweisen: Marcus c. 8 = Euseb. h. e. II, 15; Josephus c. 13 ^ Eus. h. e. III, 9; Clemens c. 15 =^ Eus. h. e. III, 15; Ignatius c. 16 = Eus. h. e. III, 36, 2; Polykarp c. 17= Eus. h. e. III, 36, 1.
134 Die ersten Jahre im Kloster zu Betiilehem.
geständnis seiner Abhängigkeit von dem gelehrten Kirchen- historiker in der Chronik. Damals, noch im Anfang seiner schriftstellerischen Laufbahn, schrieb er in Konstantinopel unter den Augen Gregors von Nazianz; jetzt nach 12 Jahren wollte er als berijhmt gewordener Schriftsteller seine Unselb- ständigkeit nicht mehr offen eingestehen. Gegen die Benutzung selbst werden wir ja nichts einwenden dürfen. Verurteilte doch das Zeitalter den literarischen Diebstahl auch nicht in der- selben Weise, wie wir ihn heute verurteilen. Aber wie leicht- fertig hat er seine Vorlage benutzt.
Ohne Kommentar kann der erste Teil seines Schrift- stellerkatalogs überhaupt nicht benutzt werden.') Um nur einige Beispiele herauszugreifen: Aus den Namen des Vaters und Großvaters des Apologeten Justin hat er einen Namen Priscus Bacchius gemacht. Durch ein Mißverständnis des Eusebius hat er berichtet: Bartholomäus habe das Kommen Christi nach dem Matthäusevangelium verkündet. Aus den Worten des Eusebius, daß der Bischof Serapion von Antiochia
') In einigen Fällen scheinen mir Bernoulli und v. Sychowski zu hart über Hieronymus zu urteilen. Wenn z. B. Bernoulli dem Hieronymus den Vorwurf macht, daß er den Bischofssitz des Hippolyt, den Eusebius auch nicht mehr kannte, hätte ohne Mühe feststellen können, da er in Rom ge- vvesen war, so halte ich dies nicht für zutreffend. Auch daß Hieronymus nach der Vorrede zu seinem 398 geschriebenen Matthäuskommentar den Matthäuskommentar des Hippolyt kennt und in ep. 71 ad Luciuium die Traktate des Hippolyt über das Sabbatfasten und das tägliche Nehmen der Eucharistie erwähnt, läßt noch nicht den Schluß auf eine Nachlässigkeit des Hieronynnis im Schriftstellerkatalog zu, da ihm diese Schriften Mippolyts erst später bekannt geworden sein können. Die Behauptung v. Sychowskis, da(i Hieronynnis von Lucifer von Calaris mehr als die eine Schrift morien- lium pro filio dei gekannt hat, läßt sich ebenfalls nicht erweisen. Ich ver- stehe auch nicht, wie Bernoulli, S. 278, dem Hieronymus die Kenntnis des Kommentars des Oregorius Thaiimaturgos zum Prediger absprechen kann, obwohl er ein Zitat in seinem Kommentar zum Prediger, c. 4, 13, daraus bringt: „Allein dieses Zitat ist ganz isoliert und beweist an sich noch keine wirkliche Bekanntschaft." Endlich will mir nicht einleuchten, daß die Nachricht des Hieronymus über l^seudepigraphen des Modestus nach Bernoulli, S. 198, auf Kombination aus Eusebius h. e. VI, 12, 3 zurück- gehen soll. Dies sind alles kleine und unwichtige Ausstellungen, die an dem erbrachten Nachweis, daß Hieronymus überaus leichtfertig gearbeitet hat, nichts wesentliches ändern.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethleiiem. 135
rFjf jTsg/ Äöyov^ dOKijöeco^ getrieben habe, macht er ein Werk des Serapion über die Askese. Irenäus und Justin, dem Märtyrer, die Eusebius als Zeugen für die Abfassung der Apokalypse durch den Apostel Johannes genannt hatte, legt er Kommentare zur Apokalypse bei.') Daß er an Eusebius selten Kritik geübt — für Novatus hat er einmal richtig Novatian eingesetzt, und von dem Freund des Origenes berichtet er, daß er nicht Valentinianer, sondern Marcionit war"-) — sondern ihn im allgemeinen als irrtumslose Autorität benutzt hat, werden wir ihm nicht zu schwer anrechnen dürfen; denn von der christlichen Literatur des zweiten und dritten Jahrhunderts besaß er eben keine eigene Kenntnis, und eine solche war trotz der Bibliothek von Cäsarea, die er ja hätte benutzen können, nicht im Handumdrehen zu erlangen. Auch erscheint es mir mehr Gedankenlosigkeit als bewußter Betrug der Leser, ) wenn er chronologische Daten aus Eusebius abschreibt, die nur für die Zeit des Eusebius, nicht für seine eigene passen. Aber eine solche Erklärung ist nicht mehr möglich, wenn er Titel von Schriften, die er nur aus Eusebius kennt, absichtlich verdreht,') und in dem Kapitel über Philo, das er mit vielen Mißverständnissen aus Eusebius abgeschrieben hat, hinzufügt: „Es gibt noch Schriften, die nicht in unsere Hände gekommen sind", während überhaupt nichts in seine Hände gekommen ist, was Philo geschrieben hat, und er von Philo nur aus Eusebius weiß. Hier gibt er sich den Schein selbständigen Wissens und führt absichtlich seine Leser irre.
Außer der Kirchengeschichte des Eusebius hat Hierony- mus für den ersten Teil seines Werkes noch seine Übersetzung der Chronik des Eusebius, deren chronologische Anordnung er vor der Kirchengeschichte bevorzugte,') und für die ersten Kapitel das Neue Testament benutzt.
») s. Eiiseb. h. e. IV, 18, S, Bernoulli, S. 172. ■') Bernoulli, S. 20 ff . ^) s. auch Schanz S. 406.
*) s. z. B. Die Titel der Schriften des Melito von Sardes, c. 24, die er nur aus Eusebius kennt. ") s. Bernoulli, S. 167.
136 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Ganz fehlen aber auch im ersten Teil nicht Zusätze, die Hieronymus aus eigner Kenntnis der christlichen Literatur gemacht hat. Daß dies Bemerkungen sind, wie sie jeder gelehrte Mann mehr oder weniger darbieten konnte,') möchte ich nicht zugeben. Gewiß hat Hieronymus im Schriftsteller- katalog keine Früchte eifrigen Nachforschens niedergelegt; aber sein Wissen war doch umfassender als das seiner Zeitgenossen und deshalb konnte er trotz aller Flüchtigkeit mehr geben als andere. Der Wert des ersten Teiles des Schriftstellerkatalogs besteht für uns in gelegentlichen bio- graphischen Mitteilungen und im Bericht über Schriften, deren einziger Zeuge bisweilen Hieronymus ist. So hat er z. B. im Artikel Petrus das ludicium Petri und die Petrusapokalypse genannt, im Artikel Jakobus ein Zitat aus dem Hebräer- evangelium über die Erscheinung Jesu vor Jakobus gebracht, im Artikel Paulus die lokale Legende, deren er auch im Philemonkommentar gedachte, von dem Geburtsort des Paulus in Gischala in Galiläa berichtet und den apokryphen Laodicenerbrief erwähnt, im Artikel Johannes den alten Evangelienprolog zum Johannes benutzt.) Von dem Origenisten Tryphon"") und dem antiochenischen Priester Geminus*) wissen wir nur etwas aus Hieronymus. In dem Artikel Lucian ) hat er über seine Bibelrezension gehandelt.
Ein Verdienst kann man Hieronymus in seinem Schrift- stellerkatalog nicht absprechen; er hat Orient und Occident unparteiisch behandelt und keine nationale und sprachliche Schranken für die Aufnahme der Kirchenschriftsteller in seinen Katalog gezogen. Er hat deshalb die die griechischen Kirchenväter einseitig berücksichtigende Kirchengeschichte des Eusebius durch Beifügung der Lateiner ergänzt. Wert- voll sind daher die Nachrichten, die er über die Biographie
') s. Schanz, S. 406.
-) Das Öhnartyrium des Johannes, das er aus Terlulhan de praescr. haer. c. 36 kannte (Adv. Jov. 11, 26 u. Comm. in Matth. 20, 23) hat er hier niciit erwähnt.
■•') C. 57.
') C. 64.
") C. 77.
Die eisten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 137
und die Schriften Tertullians,') des Minucius Felix,') Cy- prians,') Pontius/) des Biographen Cyprians, Novatians,') über die Acta Archelai") und Viktorin von Pettau'') bringt. Während er uns aber bei Novatian ein vollständiges Ver- zeichnis der ihm bekannten Schriften gibt,') hat er über Tertullian nur sehr fragmentarisch berichtet, und bei Cyprian schiebt er sich sogar die Arbeit mit der Phrase ab: „Es ist überflüssig, ein Verzeichnis dieses Genies zu machen, da seine Werke leuchtender als die Sonne sind." Bernoulli") hat recht: „Ohne die Eusebianischen Krücken hinkt Hieronymus erbärm- lich einher." Wenn man seine Arbeiten mit denen des Origenes und Eusebius vergleicht, so stehen sie tief unter diesen. Bis- weilen kam ihm auch diese Selbsterkenntnis, wenn er z. B. an Fabiola mit Bezug auf Tertullian schrieb:'") „Ich bitte dich, daß ihr nicht meinen Tropfen mit dem Strome jenes Mannes vergleicht. Ich bin nicht nach dem Genie großer Männer, sondern nach meinen Kräften zu beurteilen."
Der zweite selbständige Teil ist ein Beweis dafür, was Hieronymus aus eigner Kraft zu leisten fähig war. Um zunächst das Auffallendste hervorzuheben, so tritt uns der subjektivistische Charakter seiner Arbeit hier aufs stärkste entgegen. Sychowski '') hat darauf hingewiesen, wie seine Eitelkeit hier zum Ausdruck kommt, und wie er sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Daß Evagrius ihm eine Abhandlung, die nicht einmal veröffentlicht ist, Gregor von Nyssa seine Schrift gegen Eunomins, Amphilochius von Ikonium seine Schrift über den heiligen Geist vorgelesen haben, Sophronius seine Werke ins Griechische
') C. 53.
■'') C. 58.
3) C. 67.
*) C. 68.
^) C. 70.
«) C. 72.
') C. 74.
-) Hieronymus besaß die Schriften Novatians in seiner BibUothek, ep. 10 ad Paulum senem.
9) Bernoulh", S. 72.
'") Ep. 64, 23, Vallarsi I, 370.
'^) von Sychowski, S. 25 ff.
138 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Übersetzt hat, dies vergißt er nicht anzumerken. Erhellt doch daraus, daß der Mönch im Erdenwinkel zu Bethlehem mit den hervorragendsten Gelehrten und Kirchenfürsten seiner Zeit in innigster Beziehung stand. Wie kurz hat er dagegen Epiphanius ') und Gregor von Nyssa") behandelt, v^ie unvoll- ständig ist das Verzeichnis der Schriften Gregors von Nazianz,^) dessen persönlicher Schüler er gewesen war und dessen Werke er kannte. Es mußte eben bei allen seinen Arbeiten möglichst schnell gehen, und was er nicht aus der Lektüre im Gedächtnis behalten hatte oder etwa in seiner Bibliothek besaß, blieb einfach fort. Wer konnte ihn denn der Nach- lässigkeit zeihen; der Reiteroberst Dexter und seine Zeit- genossen bewunderten ja doch seine scheinbar unermeßliche Gelehrsamkeit. Daß eine späte Nachwelt schonungslos seine Liederlichkeit an den Pranger stellen würde, konnte er nicht ahnen. Wie boshaft er den Mailänder Bischof Ambrosius behandelt hat, darauf haben wir bereits in anderem Zusammen- hang hingewiesen.^) Aber auch seine Antipathie gegen den edlen Johannes Chrysostomus ) blickt durch den ihm gewid- meten Artikel hindurch: „Johannes, Priester der antiochenischen Kirche, Parteigänger des Eusebius von Emesa und Diodor, soll vieles schreiben, wovon ich nur das Buch über das Priestertum gelesen habe." Es klingt so bescheiden, als ob er sich nicht eine große Belesenheit der Werke des Chrysostomus anmaßen wolle, aber der ganze Tenor des Artikels, der kein Wort des Lobes enthält, das er sonst so verschwenderisch auszustreuen pflegte, zeigt, daß Hochmut und Stolz gegen- über dem damals schon viel bewunderten Manne dem Hierony- mus die Feder geführt haben. Auch Basilius, den er nicht
') C. 114.
») C. 128.
^) C. 117. Ebrard, „Besitzen wir den vollständig^en Text von Hierony- mus de viris ilhistribus?", Z. f. bist. Theol. Bd. 32, 403—411, 1862, hat diese Unj^'leichheit damit zu erklären gesucht, daß wir nicht mehr den voll- ständigen Text des Hieronymus besitzen. Diese Hypothese ist durch von Sychowski, S. 37 ff., und Qebhardt, Ausgabe der griechischen Über- setzung von de viris illustribus, S. XXIX, überzeugend widerlegt.
*) C. 124, s. oben S. 77.
*) C. 129.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 139
liebte,') wird mit keinem Wort des Lobes bedacht, während kleineren Geistern dasselbe reichlich zuerkannt wird. Recht oberflächlich ist auch der Artikel über den Papst Damasus') gearbeitet, dem er doch persönlich so nahe gestanden hatte und über dessen Schriften er gut orientiert war. Auch bei Euzoius, dem Bischof von Cäsarea, macht er sich die Sache leicht: „Viele und verschiedene Traktate werden von ihm über- liefert, die sich zu verschaffen sehr leicht ist."^) Da sie sich auf der Bibliothek in Cäsarea befanden, so war es für ihn allerdings leicht, sie zu beschaffen; für uns ist aber alles ver- loren und dadurch, daß er sich keine Mühe gegeben hat, die Traktate zu nennen, können wir dem Euzoius auch nicht mehr etwaige unter falschen Namen oder anonym überlieferte Traktate zuerkennen. Mit keinem Worte werden von Hieronymus Augustin und Rufin erwähnt. Ich glaube nicht, daß in diesen beiden Fällen eine böse Absicht obwaltet. Von Augustin, der damals noch im Anfang seiner Schriftstellerei stand, hatte er vermutlich noch nichts in die Hände bekommen, da sich eine Bekanntschaft mit seinen Schriften nicht vor dem Jahre 392 erweisen läßt. In der Übergebung Rufins, der ja damals in seiner unmittelbaren Nähe im Ölbergkloster weilte, und mit dem er im lebendigen Verkehr stand — gelegentlich erwähnte er, daß er die in de viris illustribus genannte Apologie des Pamphilus') zuerst in einem von Rufin entliehenen Kodex als erstes Buch der Apologie des Origenes unter dem Namen des Pamphilus gelesen habe") könnte man eher ein Zeichen der beginnenden Verstimmung vermuten. Da aber das Zer- würfnis mit seinem Freunde erst einige Jahre später eintrat, so werden wir die Auslassung einfach damit zu erklären haben, daß Rufin damals noch nicht als Schriftsteller hervor- getreten war; denn die uns erhaltenen Produkte seiner Schrift- stellerei, die sicher datierbar sind, sind sämtlich nach 392 ge- schrieben.
1) s. Bd. 1, 195 die Notiz in der Chronik über den Hochmut des Basilius.
2) C. 103.
3) C. 113.
*) C. 75.
=) Adv. Rufin. lib. III, 23.
140 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Der Wert des zweiten Teils besteht vor allem in den zahlreichen Notizen biographischer und literarischer Art, in denen er wie z. B. fijr Arnobius/) luvencus,") für die Lebens- schicksale des Lactanz,') für die Schriften des Athanasius*) und des Acacius von Cäsarea,') für Aquilius Severus/) für den Priscillianer Tiberianus/) für den Alexandriner Ambrosius") und für den Bischof Gelasius von Cäsarea") die einzige Quelle ist. Hieronymus schöpfte diese Kenntnis in der Regel aus den Werken, die er gelesen hatte. Vielleicht hat er daneben auch Bibliotheksverzeichnisse benutzt, wie man aus der nackten Aufzählung von Schriften vermutet hat.' ) Werke, die er selbst nicht gelesen oder auch nur gesehen hat, werden entweder gar nicht oder ungenau oder unrichtig zitiert.") Mit den Worten multa et alia deutet er an, daß ihm nichts weiter bekannt ist.") Wie bei allen seinen Arbeiten zeigt sich auch hier, daß Hierony- mus keine Ausdauer besaß. Gegen Ende werden die Artikel immer kürzer und unbestimmter. Von dem Bischof Gelasius von Cäsarea''^) berichtet er nur: „er soll einiges in scharfsinniger und gefeilter Rede schreiben, aber nicht veröffentlichen", von dem skythischen Bischof Theotimus:") „er veröffentlichte in Form der Dialoge und der alten Redekunst kurze und in Abschnitten abgefaßte Traktate. Ich höre, daß er auch anderes schreiben soll." — Sich selbst hat er an den Schluß des Verzeichnisses der berühmten Schriftsteller gestellt und seine schriftstellerischen Arbeiten mit der größten Ausführlichkeit aufgezählt. Es ist
') C. 79. *) C. 84. ») C. 80. *) C. 87. *) C. 98. «) C. 111. ') C. 125. ") C. 126. «•) C. 130.
") s. Huemer, S. 157, Anni. 45. ") z. B. Lncifer v. Calaris c. 95. '■) s. c. 84; 87; 89; 93; 94; 102; 114; 119. ") C. 130. '*) C. 131.
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem. 141
dies bezeichnend für seinen Charakter, daß er einem Ambrosius, Basilius und Chrysostomus nur so kleinen Raum gegönnt hat — ich möchte allerdings daran erinnern, daß auch ein Eusebius von Cäsarea seinen großen Gegner Athanasius totgeschwiegen hat " während er selbst als der fruchtbarste und bedeutendste Schriftsteller, wie „ein Riese unter den Zwergen"') erscheint. Später hat er diese naive Eitelkeit damit erklärt, daß er sich an den Schluß des Werkes gleichsam als eine unreife Geburt und den geringsten aller Christen gestellt habe.) Auch diese demütig klingende Entschuldigung wird wieder durch die Beziehung der Prädikate auf sich, die der Apostel Paulus von sich gebraucht hat, zu einer arroganten Prätension.
Es verdient noch auf eine Seite des Schriftstellerkatalogs hingewiesen zu werden, der die Forscher bisher selten ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben. Hieronymus hat uns in seinem Werke eine Reihe wertvoller Angaben hinterlassen, die sein Interesse an kirchlichen Baulichkeiten, vor allem aber an den Reliquien verehrter Männer der christlichen Vergangenheit zeigen. Wie stark der Reliquienkult in wenigen Jahrzehnten innerhalb der Christenheit zugenommen hat, zeigt sich bei einem Vergleich des Eusebius, der nur selten in seiner Kirchengeschichte der Grabstätten heiliger Männer Erwähnung tut, mit Hieronymus, der in seinem Buch über die hebräischen Örtlichkeiten') und hier möglichst genaue Angaben macht: Petrus ist auf dem Vatikan begraben neben dem Weg der Triumphatoren,') das Grab Jakobus des Gerechten wollen einige Christen') auf dem Ölberg finden, was aber nach der Meinung des Hieronymus falsch ist. Die Reliquien des Evangelisten Lukas befinden sich in Konstantinopel, wohin sie im 20. Jahre des Constantius mit den Reliquien des Apostels Andreas gebracht wurden.'^) Die Gebeine des
*) von Sychowski S. 25. -) Ep. 47, 3 ad Desiderium. ■>) s. oben § 30. ') C. 1.
'") C. 2. Die Auffassung Bernoullis, daß mit den quidam e nostris Occidentalen gemeint sind, ist zu eng. «) C. 7.
142 Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Bischofs Ignatius sind in Antiochia auf dem Kirchhof außer- halb des Daphnitischen Tores bestattet.') Das Grab des Origenes'-) befindet sich in Tyrus, das des Märtyrers Lucian") in Helenopolis in Bithynien, und der Konfessor der Orthodoxie, der Bischof Eustathius von Antiochia, der von Kaiser Constantius nach Traianopolis in Thrakien verbannt wurde, ist an seinem Verbannungsort bis heute begraben/)
Was die Form des SchriftstelIeri<atalogs betrifft, so hebt Bernoulli") mit Recht die Vernachlässigung der Sache zugunsten einer glatten Form hervor. Der Sinn für geschichtliche Treue sei ersetzt durch Eleganz und stilistischen Geschmack. Aber trotz Nachahmung des Sueton in der Schlichtheit der Diktion) zeigt Hieronymus eine recht affektierte schriftstellerische Ge- pflogenheit, indem er vielfach griechische Worte beibehält. Diese Unart hat bei Hieronymus, wie es scheint, mit den Jahren noch zugenommen. Je länger er im Orient lebte, um so mehr gewöhnte er sich an den Gebrauch der griechischen Sprache. Und auch in den Predigten an seine Mönche ver- mag er es nicht zu lassen, griechische und hebräische Worte einzustreuen.
Endlich läßt sich noch auf Grund des handschriftlichen Befundes, wie Gebhardt") nachgewiesen hat, mit großer Wahr- scheinlichkeit der Schluß ziehen, daß Hieronymus von dem bald viel begehrten Buche, ähnlich wie von seiner Chronik, verschiedene Ausgaben veranstaltet hat. Gebhardt begründet diese Annahme damit, daß sich in einer Handschriftengruppe ein Zusatz zu dem 81. Kapitel findet, in dem Hieronymus berichtet, daß von den 30 Büchern des Eusebius gegen Porphyrius nur 20 auf ihn gekommen seien. Und in der- selben Handschriftengruppc ebenso wie in der griechischen
') C. 16.
") C. 54.
^) C. 77.
*) C. 85.
^) Benionlli, S. 22Sff.
•'•) Bernoiilli, S. 232 ff.
~) Gebhardt, Die Ausgabe der griechischen Übersetzung de vir. illust., Texte u. Untersuchungen Bd. XIV, Heft 1, Leipzig 1896, S. XXI.
Die ersten Jalire im Kloster zu Bethlehem. 143
Übersetzung des Schriftstellerkatalogs hat auch das Schluß- kapitel eine Erweiterung gefunden, indem unter den Werken des Hieronymus noch drei seiner Arbeiten, die zwei Bücher gegen Jovinian, seine Apologie an Pammachius, die er un- mittelbar nach dem Schriftstellerkatalog verfaßte, und endlich der Schriftstellerkatalog selbst') aufgeführt werden. Wenn der Zusatz in Kapitel 81 nicht vorhanden wäre, so könnte man wie Martianay und Vallarsi sich den Sachverhalt so erklären, daß ein Abschreiber die drei Werke des Hieronymus seinem Schriftstellerkatalog hinzugefügt hätte. Da aber der Zusatz in Kapitel 81 sich in denselben Handschriften wie der erweiterte Schluß findet, so werden wir beide Zusätze dem Hieronymus selbst zuschreiben müssen, der sie bei einer neuen Ausgabe seines Buches, die der ersten bald folgte, gemacht hat. Während Augustin den Schriftstellerkatalog des Hierony- mus zwar für ein nützliches Buch erklärte, aber keineswegs kritiklos bewunderte'), pries ihn die Nachwelt mit überschwäng- licher Begeisterung. ) Eine griechische Übersetzung, deren Verfasser sicher nicht der Freund des Hieronymus, Sophronius, ist, sondern deren wahrscheinliche Entstehung zwischen das 6. und Q.Jahrhundert fällt'), beweist die Hochschätzung seiner Arbeit.') Aber auch die lange Reihe seiner Fortsetzer Oennadius,
') Bei Richardson de vir. illust. S. 43 fehlt jede Andeutung über diese wichtige Variante. Der Schriftsteilerkatalog wird hier unter dem Titel epitaphium aufgeführt, ein Titel, dessen Gebrauch Augustin ep. 47 ad Hieronymum c. 2, Vallarsi 1, 402 und Hieronymus ep 112, 3, Vallarsi 1, 732 bezeugen. Eine andere Handschrift (Cod. Quiniacensis, jetzt in Paris Bibl. nat. Nov. acq. lat. 1460 s. X) Gebhardt S. XXVI enthält inhaltlich dieselben Zusätze zu c. 135, nur in anderer Ordnung und Form. Der Schriftstellerkatalog wird als libcr dedicatus, d. h. dem Oberst Dexter dediziertes Buch aufgeführt, dann folgen die zwei Bücher gegen Jovinian und die Apologie an Pammachius.
-) ep. 47, 2 und 9, Vallarsi I, 403 und 406.
') s. von Sychowski, S. 12 ff.
*) Van den Ven, St. Jerome et la vie du moine Malchus, Louvain 1901, S. 126.
'"•) G. Wentzel, die griechische Übersetzung von de vir. illust. des Hieronymus, Texte und Untersuch., Bd. 13, Heft 3, Leipzig 1895; Gebhardt, die griechische Ausgabe von de vir. illust., Texte und Untersuch., Bd. 14, Heft 1, Leipzig 1896; Weymann, Berl. philog. Wochenschrift 1897, S. 139.
144
Die ersten Jahre im Kloster zu Bethlehem.
Isidor von Sevilla, lldefonsus von Toledo, Honorius von Autun, Sigbertus von Gembloux, Heinrich von Gent, der Anonymus Mellicensis, Petrus Monachus, Diaconus Ostiensis und Johannes Trithemius legen Zeugnis davon ab, daß er mit seinem Ver- such der Begründung einer neuen Literaturgattung bahn- brechend gewirkt hatte, und man sein Buch als klassisches Meisterwerk einer christlichen Literaturgeschichte ansah. Gerade die oberflächliche Art, in der Hieronymus die christliche Literaturgeschichte in seinem Schriftstellerkatalog behandelt hatte, mußte seinen Nachfolgern zusagen, die vor jeder schwieri- geren literarischen Aufgabe, die geistige Kraft und Selbständig- keit des Denkens erforderte, zurückgeschreckt wären.
Kapitel IX.
Von der Wiederanknüpfung
des Hieronymus mit Rom bis zum Beginn
des Origenistischen Streites.
§ 36. Der Streit des Hieronymus mit Jovinian.
Lange Zeit, über sieben Jahre waren vergangen, ehe Hierony- mus nach seinem eiligen Weggang seine Beziehungen zu Rom wieder aufnahm. Wir besitzen aus den Jahren 385 bis 3Q2 nur einen Brief an Marcella, in dem Paula und Eustochium sich die Feder von Hieronymus haben führen lassen, um ihre gelehrte Freundin zur Übersiedlung nach Bethlehem einzuladen. Die Zeit des Briefes steht zwar nicht sicher fest,') doch ist er vermutlich in die ersten Jahre des bethlehemitischen Aufent- haltes der Paula und des Hieronymus zu setzen. Mit be- geistertem Pathos bitten Paula und Eustochium ihre Freundin, die sie einst durch Wort und Beispiel zu asketischem Leben aufgemuntert hatte, doch nach Bethlehem zu kommen. In der üblichen Art ihrer Korrespondenz wird dann dieser Wunsch biblisch begründet. Schon an Abraham erging Gen. 12, 1 der Befehl: „Ziehe aus aus deinem Lande und aus deiner Ver- wandtschaft und gehe in das Land, das ich dir zeigen werde." Um das Interesse der Marcella an dem, was Jerusalem vor aller Welt auszeichnet, wachzurufen, schreiben sie ihr: „Hier hat Adam gewohnt und ist dort gestorben. Deshalb heißt der
•) Bd. I, 64; ep. 46, Vallarsi I, 197 ff.
Grützmacher, Hieronymus. II. 10
146 Wiederanknüpfung mit Rom.
Ort, WO Christus, unser Herr, gekreuzigt worden ist, die Schädel- stätte, weil dort das Haupt des alten Adam begraben worden ist, damit der zweite Adam oder das vom Kreuze Christi träufelnde Blut die Sünde des ersten Adam, der sündigen Erst- lingskreatur, abwasche, und sich der Ausspruch des Apostels erfülle: Erwache, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, und Christus wird dich erleuchten.') Wenn man aber ein- wende, daß Jerusalem, nachdem es mit dem Blute des Herrn befleckt sei, aufgehört habe, eine heilige Stätte zu sein, so ist darauf zu antworten, daß nicht die Stätte selbst, sondern die Menschen die Sünde begangen hätten. Im Gegenteil, Jerusalem ist im Verlaufe der Zeit heiliger denn zuvor geworden, ist es doch die Stätte des Grabes des Herrn, und Paula und Eustochium bezeugen der Marcella, daß, so oft sie dieselben betreten, sie in visionärer Verzückung den Heiland im reinen Linnentuche schauen und bei längerem Verweilen den Engel zu seinen Füßen sitzend und das Schweißtuch bei seinem Haupt zusammengewickelt sehen. Auch Wunder geschehen dort, die Dämonen verlassen die Leiber der Besessenen am heiligen Grabe. Nicht dürfe man die Worte der Offenbarung Johannis U, 8 über die große Stadt, die geistlich heißt Sodom und Ägypten, auf Jerusalem, sondern man müsse sie auf die Welt beziehen, in panegyrischem Tone schildern die beiden Nonnen ihrer römischen Freundin Jerusalem als die Wallfahrtsstätte der ganzen Christenheit. Pilger aus Gallien, Britannien, Armenien, Persicn, Indien, Äthiopien, Ägypten, Pontus, Kölesyrien, Meso- potamien, durch die Sprache geschieden, aber eins im Be- kenntnis zu Christus, eilen nach Jerusalem. Aber diese groß- artige Ökumenicität der christlichen Kirche, die man in Jerusalem empfindet, legt dem Einzelnen keinen Zwang in der Lebens- gestaltung auf. Paula und Eustochium wissen, daß Marcella einer übertriebenen Askese abhold war,') und so schreiben sie ihr, um sie nicht abzuschrecken: „Das Fasten verschafft hier keinem eine Auszeichnung, und dem, der sich Abbruch an Speise antut, bezeugt man darob keine besondere Ver-
') Ep. 46, 3. Im Epheserkommentar zu Eph. 5, 14, hatte er diese Deutung, als dem Kontexte nicht entsprechend, verworfen, s. § 29. «) s. Bd. I, 230.
Wiederanknüpfung mit Rom. 147
ehrung; die mäßige Ersättigung steht jedem frei.'") Und wie selig ist es nicht für den frommen Christen, in Bethlehem zu weilen, wo in der engen Felsenhöhle der Schöpfer des Himmels geboren wurde. Hier ist er in Windeln gewickelt, von den Hirten besucht, vom Sterne verkündigt, von den Magiern an- gebetet worden. Diese Stätte ist wahrlich heiliger als der Tarpejische Felsen, den deshalb so oft die Blitze trafen, weil er dem Herrn mißfiel. Welcher Kontrast zwischen der ruhelosen Weltstadt Rom und der idyllischen Ruhe des stillen Bethlehem. „Hier ist alles ländlich, nur Psalmengesang unterbricht die beständige Stille. Wohin du dich wendest, da singt der Land- mann am Pfluge sein Halleluja, der schweißtriefende Schnitter erfreut sich mit Psalmengesang, und der Winzer, wenn er mit der Hippe den Weinstock beschneidet, singt ein Loblied Davids. Dies sind die Gesänge, dies die Liebeslieder, die man hier zu Lande zu hören bekommt, dies der Flötenton der Hirten und die Geräte des Landmanns." Kann es für Marcella noch eine Wahl geben? Mit dem sehnsüchtigen Wunsch, daß sie bald komme, um unter ihrer Führung die heiligen Stätten zu be- suchen, schließt der Brief: „O, wann wird die Zeit kommen, wo ein atemloser Bote uns die Nachricht bringt, unsere Mar- cella sei am Gestade von Palästina gelandet, und wo alle Chöre der Mönche und Scharen der Jungfrauen in ein Freudengeschrei darüber ausbrechen." Es war die Zeit der ersten Liebe zu den heiligen Stätten, in der dieser Brief geschrieben wurde. Noch erschien Paula, Eustochium und Hieronymus das Heilige Land als Paradies und Rom als Babel, aus dem man geflohen war; aber auf die Dauer blieb es nicht so. Es ist nur zu natürlich, daß ein so ehrgeiziger Charakter wie Hieronymus sich mit der Abgeschiedenheit nicht für immer zufrieden geben konnte. Hatte ^er es doch als Eremit in der Wüste Chalcis auch nicht lange ausgehalten. Er wollte bewundert sein und eine Rolle spielen.
Da bot sich ihm die Möglichkeit, mit Rom wieder anzu- knüpfen. Er brauchte nicht einmal den ersten Schritt zu tun. Pammachius, der Schwiegersohn der Pau'a, bat ihn, in Sachen
') Ep. 46, 10, Vallarsi I, 205.
10'
148 Wiederanknüpfung mit Rom.
des Ketzers Jovinian eine Gegenschrift zu schreiben.') Begierig- ergriff er die Gelegenheit, zumal da es galt, einem bereits von den Bischöfen Siricius und Ambrosius verurteilten Ketzer literarisch den Todesstoß zu versetzen. Der um seine Ortho- doxie so besorgte Hieronymus hatte nichts zu riskieren, die Akten über den Ketzer waren bereits geschlossen. Jovinian war jedenfalls erst nach 385, nach dem Weggang des Hiero- nymus in Rom, als Gegner der Überschätzung des ehelosen und asketischen Lebens aufgetreten, da ihn Hieronymus nicht persönlich kannte. Während Jovinian früher als strenger Asket in schlechtester Kleidung, in zottiger Tunika, schwarzem Hemd und barfuß umhergegangen war und sich nur von Brot und Wasser genährt hatte, milderte er später sein asketisches Leben — dies dürfen wir den bösartigen Übertreibungen des Hieronymus, der ihn als Stutzer und Wollüstling, als christ- lichen Epikur und Prediger sinnlicher Lust schildert, glauben — er erlaubte sich den Genuß von Fleischspeisen, besuchte die Bäder und schloß sich vor allem nicht vom Verkehr mit Jüng- lingen und Frauen ab.') Dabei blieb er aber nach wie vor ehelos, weil er diese Lebensform für sich als christlich geboten erachtete. Er scheint ganz nach der Weise der vormönchischen Asketen gelebt zu haben, nur daß er später weniger rigoros verfuhr. Wir dürfen ihn als Vertreter des alten Asketenstandes betrachten, der gegen die neuen und verschärften asketischen Formen des orientalischen Mönchtums einen verzweifelten Kampf kämpfte. Dabei gelangte er zu prinzipiellen Aufstellungen, die mit den seit lange in der Kirche eingebürgerten An- schauungen in schroffem Widerspruch standen. Im heißen Kampfe mit seinen Gegnern war er zu einer, wenn auch nicht in jeder Beziehung klaren — wir sind allerdings für seine Anschauungen lediglich auf die Darstellungen seiner Gegner angewiesen — so doch im bewußten Gegensatz zu der Überspannung der asketischen Ideale stehenden Position gelangt. Daß wir es mit einem durchaus achtbaren, nicht aus niedrigen Motiven handelnden Manne zu tun haben,
') Contra Jovin. lib. I, c. 1. ") Contra Jovin. lib. II, c. 21.
Wiederanknüpfung mit Rom. 149
dürfen wir daraus schließen, daß Augustin, Ambrosius und Siricius ihm nichts Ehrenrühriges vorzuwerfen wagen, und ihn nur Hieronymus — wo hätte er je einem Gegner gegen- über anders gehandelt — mit Schmutz bewirft. Jovinian muß mit seiner Agitation gegen das Mönchtum auch große Erfolge in Rom gehabt haben. Männer und Frauen gaben das ehelose Leben auf, nur unter den Priestern fand er keinen Anhang. ') Das Abendland, und vor allem Rom, in dem erst wenige Jahre vor Jovinian Helvidius") als Gegner des Mönchtums aufgetreten war, war trotz aller Bearbeitung durch Damasus, Hieronymus und Ambrosius den asketischen Idealen noch nicht in gleicher Weise wie der Orient zugänglich gemacht. Daß sich Jovinian auch leichtfertige Naturen anschlössen, die in ihm einen Vertreter laxer christlicher Sittlichkeit sahen, ist dem Hieronymus wohl zu glauben. Wo hätten sich nicht in der Geschichte der Kirche an eine Persönlichkeit, die den Kampf gegen überspannten asketischen Rigorismus aufgenommen hatte, auch allerlei frag- würdige Individuen angeschlossen.
Der römische Bischof Siricius, der ja kein großer Freund der Mönchspartei gewesen zu sein scheint, hatte sich auf die Denunziation der mönchischen Kreise Roms hin genötigt ge- sehen, Jovinian und acht seiner Anhänger auf einer römischen Synode im Jahre 390 namentlich zu exkommunizieren und den auswärtigen Bischöfen, insbesondere Ambrosius von Mailand davon Mitteilung zu machen.^) Bei dieser Verurteilung hatte vor allem der einflußreiche Senator Pammachius mitgewirkt.') Da Jovinian sich mit seinen treuesten Anhängern nach Mailand begeben hatte, so beeilte sich Ambrosius 3Q1, eine Synode in Mailand zu halten, die gleichfalls Jovinian in den Bann tat. Erst 392 oder 393 schrieb nun Hieronymus nach der doppelten Verurteilung des Ketzers auf Veranlassung seiner römischen Freunde, die ihm die Commentarioli Jovinians nach Bethlehem geschickt hatten, seine zwei Bücher gegen Jovinian.')
') Augustin de haeresibus c. 82, ed. Maur. VIII, 24 ff.
2) s. Bd. I, 269.
^) Siricii ep. 2 ad diversos episcopos, Mansi MI, 663 ff.
4 Ep. 48, 2.
^) Mir scheinen diese Commentarioli Jovinians mit der von Siricius
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Es war für Hieronymus eine lockende Aufgabe, die ihm hier gestellt wurde. Es erfüllte ihn mit freudiger Genugtuung, daß seine römischen Freunde seiner doch wieder gedacht hatten, und daß er ihnen unentbehrlich zu sein anfing. Er schrieb an Pammachius: „Bisweilen fordert es die christliche Bescheidenheit, auch gegen FreundeStillschweigen zu beobachten und sich mehr durch Stillschweigen zu trösten, als durch Wiedererneuerung der alten Freundschaft das Verbrechen der Aufdringlichkeit auf sich zu laden. Solange du ge- schwiegen, habe ich auch geschwiegen und hatte mir vor- genommen, auch nicht eine Anfrage über diese Angelegenheit zu stellen, damit es nicht scheine, als ob ich nicht einen Freund frage, sondern nach einem mächtigen Beschützer aus- gehe. Nun aufgefordert durch deine Verbindlichkeit, welche dein Brief mir auferlegt, will ich stets mich bestreben, der Erste zu sein und nicht sowohl dir eine Rückantwort schreiben, als vielmehr den ersten Brief, damit du erkennst, daß ich aus einer gewissen Zurückhaltung geschwiegen und noch be- scheidener zu reden angefangen habe." ') Dann aber war Hieronymus der Kampf gegen Jovinian Herzenssache. Wie gegen Helvidius und später gegen Vigilantius ist er auf dem Plan, wenn das Evangelium der Virginität, sein Evangelium, bedroht war.
Seine Bücher gegen Jovinian sind stilistisch wie inhalt- lich mit Sorgfalt geschrieben. Wollte er doch gegenüber dem schwerfälligen und schwülstigen Stil des Jovinian seine Über- legenheit schon äußerlich beweisen. Inhaltlich zeigen sie zwar kein tieferes Eingehen auf die Lehranschauungen seines Gegners — dazu war der Polemiker Hieronymus einfach unfähig, dessen Hauptkunst darin bestand, seine Gegner samt und sonders als niederträchtige Lumpen erscheinen zu lassen aber mit großer Ausführlichkeit und mit dem ihm eigenen kasuistischen Scharfsinn hat er alle Argumente für die Verherrlichung des Mönchsideals zusammengetragen. Er hatte sich die größte
erwähnten conscriptio tenieraria identisch zu sein entgegen der Ansicht, die Haller, Jovinianus, die Fragmente seiner Schriften, die Quellen seiner Geschichte, sein Leben und Lehre, Leipzig 1897, S. 118, vertreten hat. ') Ep. 49, 1.
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Mühe gegeben, seine Sache so gut wie möglich zu machen, um seine römischen Freunde zufrieden zu stellen, und nun hatte er im Übereifer — es wirkt fast komisch — die Sache zu gut gemacht, so daß Pammachius die Exemplare seiner Schrift gegen Jovinian in Rom aufkaufte und einziehen ließ/) und ein anderer römischer Freund Domnio ihm ein Verzeichnis der anstößigen Stellen seines Buches zur Verbesserung resp. zur Erklärung zusandte.-)
Es ist schwer, sich ein sicheres Urteil über die religiöse und theologische Stellung Jovinians zu bilden, da wir nur auf die Schriften seiner Gegner angewiesen sind. Hieronymus, Siricius und Ambrosius haben uns zwar einige seiner in Thesen- form formulierten Gedanken wörtlich überliefert, aber für den inneren Zusammenhang sind wir auf hypothetische Konstruk- tionen gewiesen. ') Soviel erscheint mir zunächst sicher, daß alle Sätze Jovinians in dem Widerspruch gegen das Mönch- tum orientiert sind. Hieronymus beschäftigt sich in seiner Gegenschrift mit vier Sätzen Jovinians, die er aus seinen Büchern ausgezogen hat und zu widerlegen versucht. Über eine fünfte Ketzerei, deren ihn Ambrosius und Augustin beschuldigen,') hat Hieronymus sich nicht ausgelassen. Es handelt sich hierbei um die Bekämpfung der ewigen Jungfrauschaft der Maria durch Jovinian, worin er bereits an Helvidius einen Vorgänger gehabt hatte. Hieronymus scheint von dieser Heterodoxie Jovinians nichts gewußt zu haben, sonst hätte er sie sicher nicht übergangen. Entweder hatte sich Jovinian darüber nur mündlich geäußert, oder erst seine Schüler hatten diese Kon-
') Ep. 49, 2.
2) Ep. 50, 3.
^) Bei der fragmentarischen Überlieferuug über die Anschauungen Jovinians erscheinen mir die Urteile protestantischer Gelehrter von Flacius, Centuriae Magdeburgenses; IV, 5 S. 381, bis auf A. Harnack, Die Lehre von der Sehgkeit allein durch den Glauben, Z. f. Theo), u. Kirche II, 138 — 154, 1891, und W. Haller, Jovinianus 1897, die in ihm einen Protestanten seiner Zeit, den tiefsten, originellsten, durch Entschiedenheit ausgezeich- neten Wahrheitszeugen des Altertums sehen, in diesem Umfange über- trieben, mindestens nicht mit Sicherheit zu begründen.
*) Ambrosius ep. 8 ad Siricium; Augustin Hb. de haeresibus c. 82. ed. Maur. VIII, 24 ff.
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Sequenz aus den Gedanken ihres Meisters gezogen, womit sich dann das Schweigen des Hieronymus erl<iären würde.
Das erste Buch des Hieronymus gegen Jovinian ist dem ersten und grundlegenden Satz Jovinians gewidmet, daß Jung- frauen, Witwen und Verheiratete, die auf Christus getauft sind, dasselbe Verdienst haben, wofern sie nicht sonst in ihren Weri<en verschieden sind. Jovinian hatte diesen Satz biblisch begründet. Er hatte für die Oleichwertigkeit des ehelichen und jungfräu- lichen Standes auf die göttliche Einsetzung der Ehe in Gen. 2, 24 und auf ihre Bestätigung durch Jesus Matth. 19, 5 hin- gewiesen. Er hatte sich für die Gottgefälligkeit der Ehe auf die Gottesmänner des alten und des neuen Bundes berufen, die in der Ehe gelebt hatten, vor allem auf die Apostel Petrus und Philippus.') Auch der Apostel Paulus empfehle im ersten Timotheusbriefe ausdrücklich die Ehe. Jovinian hatte daraus die Folgerung gezogen, daß auch eine zweite und dritte Ehe zu Recht bestehe und die bußfertigen Hurer wieder in die Kirche aufgenommen werden müßten. Er hatte sich aber wohl gehütet, den Zölibat des Klerus anzugreifen, der schon zu tief eingewurzelt war und den gerade damals Papst Siricius ausdrücklich dem höheren Klerus, Bischöfen, Priestern und Diakonen, zur Pflicht gemacht hatte.')
Hieronymus spielte nun gegen Jovinian als die klassische Stelle für die Höherschätzung der Virginität gegenüber der Ehe 1. Kor. 7 aus. Hier hat der Lehrer der Völker und der Kirche den Korinthern, die über diese Streitfrage bei ihm Erkundigung einzogen, vollständig und unmißverständlich geantwortet.') Hieronymus gibt einen kleinen Kommentar zu dem siebenten Kapitel des Korintherbriefs und zieht aus den Worten des Apostels durch geschicktes Pressen der einzelnen Ausdrücke die weitgehendsten Konsequenzen. Der Apostel sagt: Es ist dem Menschen gut, kein Weib anzurühren. Wenn es gut ist kein Weib zu berühren, so ist es also böse eins
') Es liegt hier die uns vielfach begegnende, schon bei Polykrates von Ephesus nachweisbare Verwechselung resp. Identifizierung des Siebenmann Philippus mit dem Apostel Philippus vor.
*) Contra Jov. 1. I, 34.
') Contra Jov. 1. I, 6.
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ZU berühren; denn dem Guten steht als konträrer Gegensatz das Böse gegenüber. Und er folgert dann weiter: Wenn der Apostel Petrus, der die ehelichen Fesseln aus Erfahrung kannte, für das Gebet die Enthaltung vom ehelichen Umgange forderte') und an einer anderen Stelle, 1. Petr. 3, 2, die Christen auf- fordert, allezeit zu beten, so ergibt sich mit zwingender Not- wendigkeit, daß die Ehe der Christen zur Scheinehe werden muß. „Wenn wir uns vom Beischlaf enthalten, so halten wir die Weiber in Ehren. Wenn wir uns davon nicht enthalten, so tun wir offenbar ihnen an Stelle der Ehrenerweisung das Gegenteil, die Beschimpfung, an." Die Ehe ist nur gestattet, aber die Ehelosigkeit ist in jedem Falle vorzuziehen. Eine weitere Limitation für die Ehe besteht aber darin, daß die Ehe mit einem Heiden, wie sie die Christinnen jetzt vielfach schließen — er dachte hier gewiß vor allem an die Ehen im römischen Hochadel — nach dem Apostel Paulus streng verboten ist.') Der Vorzug der Jungfrauschaft vor der Ehe ist aber darin zu finden, daß sie die Möglichkeit gibt, sich Gott inniger hinzugeben. Sein Resultat ist also: Zwischen der Ehe und der Jungfrauschaft besteht ein so großer Unterschied wie zwischen Nichtsündigen und Gutestun oder, um es eleganter auszudrücken, zwischen dem Guten und Besseren. ')
Er wendet sich dann der Frage nach der Zulässigkeit der zweiten und dritten Ehe, der successiven Polygamie, zu. hnmer leidenschaftlicher läuft er gegen die Ehe Sturm, immer stärker verkehren sich seine sittlichen Begriffe. Zuerst hat Lamech, der Blutmensch und Menschenmörder, das eine Fleisch mit zwei Frauen geteilt. Den Brudermord Kains und die Doppelehe Lamechs hat dasselbe Strafgericht der Sündflut von der Erde vertilgt. Auf die erste Tat folgte eine siebenfache, auf die zweite eine siebenmal siebenfache Rache. Aber er wagt es doch nicht, die Konsequenzen aus seiner Beurteilung der Ehe zu ziehen. Die Kirche erlaubte nun einmal die zweite, dritte, ja achte Ehe und gestattete dem Hurer nach der Buße
') 1. Petr. 3, 7.
-) Contra Jov. 1. I, 10.
3) Contra Jov. 1. I, 13.
154 Wiederanknüpfung mit Rom.
seine Wiederaufnahme; und so wagt Hieronymus als unter- würfiger Sohn seiner Kirche nicht daran zu rütteln.')
Dann geht Hieronymus die lange Reihe der geschichtlichen Beispiele durch, die Jovinian für die Gottwohlgefälligkeit der Ehe aus dem Alten und dem Neuen Testament herbeigezogen hatte. Eine wie unsichere Lehrautorität die allegorisch aus- gelegte Schrift war, kommt uns hier zum stärksten Bewußtsein. Bei einigem Geschick konnte der eine Exeget alle Vertreter, die der andere für die Ehe hatte aufmarschieren lassen, auf die gegnerische Seite abkommandieren. Und so argumentiert denn Hieronymus: Adam und Eva waren vor dem Sündenfall im Paradies Jungfrauen, erst nach dem Sündenfall außerhalb des Paradieses haben sie sich verehelicht und Kinder gezeugt. Besonders stolz ist Hieronymus auf die Entdeckung, daß im hebräischen Texte beim zweiten Schöpfungstag der Satz fehlt: „Und Gott sah, daß es gut war." Dadurch sei angedeutet, daß die Zahl zwei nicht gut sei, weil sie sich von der Einheit trennte und die Ehebündnisse vorbildete. Er überlegt gar nicht, welche Blasphemie er gegen das Schöpfungswerk Gottes damit ausspricht. In einem anderen Falle verwendet er, um Jovinian zu widerlegen, das beliebte argumentum e silentio: Moses hat eine Frau und Kinder gehabt, und deshalb durfte er nicht das gelobte Land schauen, während der jungfräuliche Josua es in Besitz nahm. Triumphierend verkündet er: Wenn du mir zeigen kannst, daß Josua, der Sohn Naves, Frau und Kinder gehabt hat, so will ich mich für überwunden erklären.') Mit solchen Kniffen und Künsten nimmt seine Widerlegung Jovinians durch das ganze Alte Testament ihren Fortgang. Nur wenn ihm nichts einfällt, macht er gelegentlich eine Konzession: „Wenn aber Samuel, der in der Stiftshütte erzogen war, ein Weib nahm, was tut denn dies der Jungfrauschaft für Eintrag? Als ob nicht auch heute noch sehr viele Priester Ehen geschlossen haben, und nicht der Apostel den Bischof als eines Weibes Mann schildere, der seine Kinder in aller Keuschheit erziehe." ^)
') Contra Jov. 1. I, 14. ») Contra Jov. 1. I, 22. ") Contra Jov. I. I, 24.
Wiederankniipfimg mit Rom. 155
Besondere Mühe gab sich Hieronymus, die unbequeme Tatsache der Ehe des Apostelfürsten Petrus, die Jovinian für seine These von der Gleichwertigi<eit der Ehe mit der Jung- frauschaft naturgemäß scharf akzentuiert hatte, unschädlich zu machen. Mit allem Scharfsinn versuchte er dieses lästige Argument seines Gegners zu entkräften. Einmal hat Petrus geheiratet,, bevor er das Evangelium kannte und zum Apostel berufen u'orden war, und dann hat er als Apostel seine eheliche Pflicht nicht mehr ausgeübt. Und wenn Jovinian behauptet, daß alle Apostel Frauen gehabt hätten nach 1. Kor. 9, 4 und 5: „Haben wir nicht das Recht Weiber mit uns zu führen, wie die übrigen Apostel und Kephas und die Brüder des Herrn", so deutet Hieronymus die Stelle so, daß unter ywi) auch an die heiligen Weiber gedacht werden könne, die nach jüdischer Sitte aus ihrem Vermögen den Aposteln dienten, wie auch dem Herrn Jesus. Und schließlich macht er reinen Tisch, indem er kühn behauptet, daß Petrus, nachdem er gläubig geworden sei, wohl noch eine Schwiegermutter, aber kein Weib mehr gehabt habe, obwohl in den Periodi Petri von einem Weib und sogar von einer Tochter, die ihn auf seinen Reisen begleiteten, die Rede sei. ') Johannes, der ewig Jungfräuliche, ist auch vom Herrn mehr geliebt worden als Petrus, der verheiratet gewesen war, und während die Jungfrauschaft nicht stirbt, mußte der Makel, den Petrus durch seine Ehe auf sich geladen hatte, durch das Blut des Martyriums abgewaschen werden. Ein starker Satz, den später Rufin -) aufgriff, und der selbst einem so asketisch gestimmten Zeitalter als eine tiefe Herabwürdigung der Ehe und des Ansehens des Apostels Petrus erschien.
Noch einmal wendet sich Hieronymus dann zum Alten Testament zurück und setzt sich ausführlich und breit mit Jovinian Punkt für Punkt auseinander. Hatte der Anwalt der Ehe auf Salomo exemplifiziert, der mehrfach verheiratet ge- wesen war und doch der Ehre gewürdigt ward, den Tempel Gottes aufzubauen, so stellte Hieronymus alle aus den angeblich
^) s. über die von Hieronymus hier benutzten Petrusakten, H. Waitz, Die Pseudoklementinen, Texte und Untersuchung. N. F. Band X, Heft 4, Leipzig 1904, S. 47, 192 u. 254 ff.
'^) Contra Hieronymum 1. II, 39.
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salomonischen Schriften, Sprüche und Prediger, gegen die Ehe gerichteten Äußerungen zusammen. Hatte der Ketzer dem Hohenlied ein Zeugnis für die Ehe entnehmen zu können geglaubt, so liest Hieronymus mittels der allegorischen Exegese aus ihm die geheiligten Geheimnisse der Jungfrauschaft heraus.') Im Jesaja gibt er zwar zu, daß die Juden recht haben, die das hebräische Wort ni^'?j; nicht mit Jungfrau, sondern mit erwachsenes Mädchen übersetzen, aber schließlich erklärt er doch die Stelle im Sinne der Kirche, da mit r\t2^V sonst nirgends eine Verheiratete bezeichnet werde. Wenn sich aber Jovinian für die Gleichstellung der Ehe mit der Jungfrauschaft darauf berief, daß die Kirche zu der Ehrenstellung der Priester auch Verheiratete zulasse, so entschuldigte Hieronymus dies mit dem Notstand, in dem sich die Kirche, die sich anfangs aus Heiden ergänzte, befand: Der Apostel Paulus mußte ihr anfänglich leichtere Vorschriften geben, die sie zu tragen vermochte. Auf den so naheliegenden Einwurf Jovinians aber, daß, wenn alle Jungfrauen bleiben, das Menschengeschlecht doch einfach aufhören müsse zu bestehen, und daß Gott doch die Geschlechter zur natürlichen geschlechtlichen Vereinigung nicht geschaffen hätte, wenn er sie nicht gewollt hätte, weiß Hieronymus nichts Stichhaltiges zu erwidern. Statt dessen wird er geradezu zynisch: „Wenn es die Aufgabe der Geschlechtswerkzeuge ist, stets ihre natürlichen Bestimmungen zu erfüllen, dann mögen, wenn ich müde geworden bin, die Kräfte eines andern statt meiner eintreten, und es mag, um mich so auszudrücken, die Lustbefriedigung mit dem ersten Besten meiner eigenen Gattin heftigen Lusthunger stillen.'"') Nachdem er auch die Worte des zweiten Petrusbriefes: „Es werden Spötter kommen, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln",'') auf Jovinian und seine Anhänger bezogen hat, wendet er sich der heidnischen Religions- und Sittengeschichte zu. Auch bei den Heiden hat die Virginität stets als der höchste Gipfel der Keuschheit gegolten.*) Die heidnischen Prophetinnen, die
') Contr. Jov. 1. I, 28-31.
*) Contr. Jov. 1. I, 36.
=•) 2. Petr. 3, 3.
*) Über seine Quellen für die Profangeschichte, Contr. Jov. 1. i,
Wiederanknüpfung mit Rom 157
Sibyllen, die Priesterinnen der taurischen Diana und der Vesta waren Jungfrauen, und zahlreich sind die Beispiele aus der griechischen und römischen Geschichte, nach denen heidnische Jungfrauen zur Wahrung' ihrer Keuschheit sich selbst den Tod gegeben haben/) Die Aufzählung der Beispiele macht ganz den Eindruck eines Schulaufsatzes, wie ihn Hieronymus in den Rhetorenschulen einst gelernt hatte. Da sein Gegner nicht rhetorisch gebildet gewesen zu sein scheint, so glaubte er ihm damit um so mehr zu imponieren. Interessant ist es aber, daß Hieronymus in diesem Zusammenhang auf die religions-geschichtlichen Parallelen der Jungfrauengeburt des Erlösers aufmerksam macht. Er weiß, daß nach der Über- lieferung der Stifter des Buddhismus, Buddha, aus derSeite einer Jungfrau geboren sein soll, Plato als Sohn des Apollo und der Jungfrau Periktio und Romulus als Sohn des Mars und der Jung- frau llia galten.') Wie könne man also den Christen die Geburt unseres Herrn und Erlösers von einer Jungfrau vorwerfen? Dann folgt aus der Weltgeschichte noch eine lange Reihe von Schulbeispielen heidnischer Ehefrauen, die lieber in den Tod gingen, als daß sie ihre Männer überlebten und eine zweite Ehe schlössen. Den Schluß bilden zahlreiche Zeug- nisse heidnischer Philosophen, Aristoteles, Plutarch, Cicero, Seneca und Sextus. Besonders charakteristisch ist das Zeugnis, das Hieronymus aus dem sonst vollständig verloren ge-
c 41—49, spricht er sich Contr. Jov. I. I, 49, Vallarsi II, 318, aus: Scrip- serunt Aristoteles et Plutarchus et noster Seneca de matrimonio libros, ex quibus et superiora nonnulla sunt et ista, quae subjicimus. Bock, Aristoteles, Plutarchus, Seneca de matrimonio Leipz. Stud. 19, 1899, S. 6, hat angenommen, daß Hieronymus Tertullians verlorene Schrift über ad amicum philosophum de nuptiarum angustiis, von der er ep. 22, 22 und vielleicht Cont. Jov. I. I, 13 spricht, benutzt habe. Tertullian aber habe Senecas Buch de matrimonio, und dieser wieder Aristoteles und Theophrast benutzt. Dagegen hat Frachter, Hierocles der Stoiker, Leipzig 1901, S. 122, mit Recht die Benutzung Senecas, der auf Aristoteles und Plutarch zurück- geht, durch Hieronymus für wahrscheinlich gehalten. Aus Seneca wird wohl auch das Zitat aus dem Aureolus das Theophrast, Contr. Jov. 1. I, 47, Vallarsi II, 313, stammen.
') Contr. Jov. 1. I, 41.
2) Contr. Jov. 1. I, 42.
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gangenen Buch des Theophrast, Aureolus, über die Ehe an- führt, in dem das tiefste Mißtrauen gegen das Weib und die entsetzliche Herabwürdigung der Ehe zu einem geradezu leidenschaftlichen Ausdruck kommt. Es ist merkwürdig, wie der Schüler des Aristoteles und der christliche Mönch in ihrer Beurteilung der Ehe zusammentreffen.
Im zweiten Buch handelt Hieronymus zunächst von einem zweiten Satz Jovinians, mit dem sich sowohl Augustin wie Julian von Eclanum beschäftigt haben, und den Ambrosius als die Lehre der Schüler Jovinians, des Sarmatio und Barbatian, bekämpft hat.') Jovinian hatte die prinzipielle Sündlosigkeit der Wiedergeborenen behauptet: Die, welche mit vollem Glauben in der Taufe wiedergeboren sind, können vom Teufel nicht zu Fall gebracht werden. Ein in der Taufe Wiedergeborener kann nicht sündigen, wie Johannes 1. Joh. 3, Q sagt: „Jeder, der aus Gott geboren ist, sündigt nicht." Wenn also ein ge- taufter Christ fällt, so ist dies ein Beweis, daß er kein wahr- haft Wiedergeborener war. Er hat nur die Wassertaufe wie Simon Magus in der Apostelgeschichte, nicht die Geistestaufe erhalten. Wenn wir auch nicht die nähere theologische Be- gründung und Ausführung dieser seiner These kennen, und wenn ihn Hieronymus daraufhin später zum Geistesverwandten des Pelagius, und umgekehrt Julian von Eclanum zum Ge- sinnungsgenossen Augustins, und Augustin wieder zum Pelagianer gemacht hat, so möchte ich auch diesen viel deut- baren Satz von dem Ausgangspunkt seiner theologischen Spe- kulation, der Gleichstellung der Ehe mit der Virginität, zu be- greifen versuchen. Er diente ihm vermutlich zur Begründung seiner These, daß Jungfrauen, Witwen und Verheiratete, die auf Christus getauft sind, dasselbe Verdienst haben, wofern sie nicht sonst in ihren Werken verschieden sind; denn jeder Christ, so folgerte er, der mit vollem Glauben getauft ist, wird durch die Taufe wiedergeboren, und er bleibt durch die mystische Einwohnung Gottes und Christi — er knüpfte hier an Johanneische Gedankenreihen an — im Gnadenstand. Der
') Augustin, opus imperfectum contra Julianum 1. I, 96ff. ; Ambrosius, ep. 83 ad Vercellenses, ed. Ballerini V, 554 ff.
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Teufel vermag ihn nicht zum Abfall zu verleiten. Ob er als Eheloser oder in der Ehe lebt, ist gleichgiltig, da kein be- sonderer Stand, sondern die Taufe und die Einwohnung Gottes und Christi uns unsere Seligkeit verbürgen. Wie weit Jovinian enthusiastische Folgerungen über die tatsächliche Sündlosigkeit der Christen gezogen hat, läßt sich nicht mehr feststellen.
Hieronymus ist solchen Gedankengängen gegenüber ge- radezu hilflos. Die Art seiner Widerlegung wird ganz äußerlich. Er weiß nichts anderes, als darauf hinzuweisen, daß nach dem Zeugnis der Schrift auch der getaufte Christ sündige, und Moses, Aaron, David, Salomo, selbst Petrus, denen die Gnade Gottes zuteil geworden war, gesündiget haben.')
Dem dritten Satz Jovinians, der die Verdienstlichkeit des Fastens ablehnt, widmet Hieronymus wieder eine ausführliche Widerlegung. Bei prinzipiellen theologischen Auseinander- setzungen, wozu der zweite Satz Jovinians Anlaß geboten hätte, versagte Hieronymus vollständig; nur wo er ein Stück der mönchischen Frömmigkeit gefährdet sah, war er wieder auf dem Plan. Jovinian hatte folgerichtig ebenso wie die Bevor- zugung des jungfräulichen Standes auch die Überschätzung des Fastens bekämpft: Das Fasten ist um nichts besser, ver- dienstlicher und gottgefälliger, als der Genuß von Speisen, der mit Danksagung geschieht. Er lehnt sich hier wörtlich an 1. Tim. 4, 4 an. Gott hat alles zum Dienst der Menschen geschaffen. Wie der Mensch als Besitzer und Beherrscher der Welt unter Gott steht, so sind Tiere und Pflanzen zur Nahrung und Kleidung, überhaupt zum Gebrauch der Menschen geschaffen. Christus selbst hat an der Hochzeit zu Kana teil- genommen und dort nicht gefastet oder auch nur gewisse Speisen als unrein zurückgewiesen. Zur Darstellung seines Blutes hat er im heiligen Abendmahl nicht das Wasser, sondern den Wein gewählt; und auch Paulus hat auf dem Schiff Brot und nicht Kastanien gegessen und dem magenleidenden Timotheus den Rat gegeben, Wein zu trinken. Mit dem Fasten ahmen die Christen den Heiden nach: die Priester der Cybele und
^) Contr. Jov. 1. II, 1—4.
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der Isis enthalten sich des Brotes und der Cerealien und die Pythagoräer des Fleischgenusses.
In seiner Widerlegung versucht es Hieronymus, seinen Lesern durch seine scheinbar ungeheure Belesenheit in den Profanschriftstellern gewaltig zu imponieren: Es möge lesen, wer will, Aristoteles und Theophrast in Prosa, Marcellus Sidetes und unsern Flavius in Hexametern, auch Plinius Se- cundus und Dioscorides und die übrigen Physiker und Medi- ziner.') Und an einer anderen Stelle zitiert er den Peripatetiker Dicaearchus ') und seine Bücher von den Altertümern und der Beschreibung Griechenlands. Und an einer dritten Stelle nennt er das zweite Buch des jüdischen Krieges, das 18. Buch der Antiquitäten und die zwei Bücher gegen Apion des Josephus als seine Quellen.') Wenn man aber der Sache auf den Grund geht, so hat er nichts von alledem gelesen, son- dern alle seine medizinischen Kenntnisse gehen auf Porphyrius zurück, wie bereits Vallarsi bemerkt hat.*) Die abscheuliche Verlogenheit des Hieronymus tritt hier wieder zutage, daß er seine eigentliche Quelle, aus der er schöpft, nirgends genannt hat. Nachdem er dann über die Argumente und Beispiele der Philosophen gehandelt hat, wendet er sich zu den christlichen Argumenten, die für das Fasten sprechen. Man sollte nun glauben, daß er hier wenigstens selbständig in seiner Beweis- führung wäre; aber wieder pflügt er mit einem fremden Kalbe und schreibt fast wörtlich Tertullian aus, ebenfalls ohne ihn zu nennen.') Man weiß nicht, ob man mehr über die Frech- heit des Hieronymus oder über die Kritiklosigkeit seiner Zeit- genossen staunen soll, denen er dies bieten durfte.
Seine Verteidigung des Fastens, die auf diesen Quellen ruht, geht davon aus, daß nicht alle Tiere zum Essen geschaffen
') Contr. Jov. i. II, c. 6.
») Contr. Jov. 1. II, c. 13.
») Contr. Jov. I. II, c. 14.
*) s. Vaiiarsi II, 335, Anm. d; s. ferner über die Benutzung von Porphyrius jrroi äjTo/f/^ finfi'xoiv J. Bernays, Theophrastos' Schrift über die Frömmigkeit, Berlin 1866, S. 32; S. 135.
*) Contr. Jov. 1. II, 15 ff.; s. Vallarsi H, 346, Anm. f, über die Benutzung von Tertullian de jejuniis c. 3 und 4.
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seien, sondern einige nur zu Arzneimitteln. „Hyänengalle stellt die Klarheit der Augen wieder her, und ihr Mist wie Hundemist heilt faulige Wunden; und, was dem Leser viel- leicht sonderbar vorkommen wird, zu welchen Heilungen Menschenkot nützt, lehrt Galenus." Für die Gladiatoren, die Schiffer, die Redner und Bergarbeiter sind Fleischspeisen zur Erhaltung ihrer Körperkraft nötig; aber der Christ, der voll- kommen sein will, braucht keinen Wein zu trinken und kein Fleisch zu essen.') Wie alle Völker ihre eigentümlichen Sitten haben, z. B. die Araber von Kamelsmilch leben, die Pontier und Phrygier fette Holzwürmer als Delikatesse essen, die Schotten einen völligen Kommunismus der Frauen haben, die Hyrkanier ihre eigenen Eltern noch halb lebend den Vögeln und Hunden vorwerfen, die Skythen — die, welche ein Verstorbener geliebt hat, ihm lebendig ins Grab mitgeben, so haben auch die Christen ihre eigene Lebenssitte, indem sie sich des die Sinne erregenden Fleisches und Weines enthalten.') Bereits die heidnischen Philosophen haben die Genügsamkeit in den Speisen gepriesen; Ärzte, wie Hippocrates und Galen, haben sich gegen die Völlerei ausgesprochen, und selbst ein Epikur, der Verteidiger der Sinnenlust, rät, von Wasser, Brot und Gemüse zu leben, da das allein zur Notdurft des Lebens, alles andere zum Laster des Schlemmens gehöre. Alle außerchristlichen asketischen Erscheinungen, die ägyptischen Priester, die Essener und Therapeuten, die Magier der Perser, die Brahmanen Indiens, die Pythagoräer, Orphiker und Zyniker, werden der Reihe nach aufgezählt, um den Christen die Bei- spiele heidnischer Enthaltsamkeit vor Augen zu stellen,^)
Dann führt Hieronymus im engsten Anschluß an Tertullian den biblischen Beweis für die Verdienstlichkeit des Fastens. Schon der erste Adam empfing im Paradies das Gebot, von allen Bäumen zu essen, aber eines Baumes sich zu enthalten. Die ganze Heilige Schrift ist voll von Beispielen, die uns den Wert des Fastens eindrücklich machen, man denke nur an Elias, die Stadt Ninive, Daniel, die Nasiräer, die Rechabiten,
') Contr. Jov. 1. II, 6. -) Contr. Jov. 1. II, 7. ») Contr. Jov. 1. II, 14.
Grützmacher, Hieronymus. II. 11
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Johannes den Täufer und den Hauptmann von Kapernaum. Dabei fordern aber die Christen nicht wie Marcion und Tatian beständige Enthaltsamkeit, sondern sie stellen nur die Enthalt- samkeit höher als das üppige Leben. Wenn aber Jovinian das Fasten der Christen als Nachahmung der heidnischen Fasten wie im Isis- und Cybelekult bezeichnet hatte, so drehte Hieronymus den Spieß einfach um, indem er nach der alten apologetischen Methode die heidnischen Fasten auf eine Nach- äffung des Teufels zurückfijhrt: „Durch alles, was der Teufel aus Eifersucht gegen Gott bewirkt, wird das Christentum nicht als Aberglaube bewiesen."')
Die vierte These Jovinians, die Hieronymus an letzter Stelle bekämpft, stellt sich als selbstverständliche Konsequenz seiner Anschauung von der Gleichwertigkeit der Ehe und Virginität und vom Fasten und Nichtfasten dar: Alle Wieder- geborenen, die ihre Taufgnade bewahrt haben, empfangen dieselbe Vergeltung im Himmelreich. Es gibt nur zwei Klassen von Menschen, Gerechte und Sünder. Für diese Zweiteilung der Menschen, die von Anfang an nachweisbar sei, berief er sich auf Noah und die in der Sündflut untergegangenen Sünder, auf Lot und die Sodomiter, die Israeliten und Ägypter, die Schafe und die Böcke, den guten und den schlechten Baum, die klugen und die törichten Jungfrauen in den Gleichnissen Jesu. Aus dieser seiner Anschauung zog er auch weiter die Konsequenz, daß den Märtyrern keine höhere Stufe der Seligkeit zukäme. Ob einer in der Verfolgung verbrannt, erdrosselt oder enthauptet wird, das sind verschiedene Arten des Kampfes, aber es gibt nur einen Siegeskranz. Den Ein- wurf, weshalb sich dann der Gerechte anstrenge, wenn es doch keinen höheren Lohn gebe, beantwortet er damit: er tue dies nicht, um mehr zu verdienen, sondern um nicht zu verlieren, was er hat. Die Heiligung dient also zur Bewahrung des Gnadenstandes, nicht zur Mehrung der Verdienstlichkeit. Die wahren Christen aber, die durch Taufe und mystische Ein- wohnungGottes und Christi wiedergeboren sind, bilden die wahre einige Kirche, die die Braut, Schwester und Mutter Christi ist.
') Contr. Jov. 1. II, 17.
Wiederanknüpfung nn't Rom. 163
Hieronymus verhält sich in diesem letzten Teil fast rein defensiv, er versucht nur die einzelnen Argumente Jovinians zu zerpflücken. Besondere Freude bereitet es ihm, wenn er seinem Gegner eine verfehlte Deutung einer Bibelstelle nach- weisen kann. So triumphiert er: „wer könnte sein Lachen darüber zurückhalten, wenn Jovinian Joh. 14, 2, wo von den vielen Wohnungen im Hause des Vaters die Rede ist, diese Wohnungen auf die auf dem Erdboden zerstreute Kirche be- zieht.'") Seine eigene Position, die er Jovinian entgegenstellt, hat er nicht ohne Geschick formuliert: Gott ist nicht unge- recht, daß er die Arbeit der verschiedenen Christen vergäße und daß er ungleiches Verdienst mit gleichem Lohne ablohne.') Für die Theorie eines abgestuften Gnadenlohnes beruft er sich auf Stellen wie L Cor. 15, 22: Wie in Adam alle sterben, so werden auch in Christo alle lebendig, jeder aber in seinem Range; 1. Cor. 15, 3Qff.: Anders ist die Klarheit der Sonne, anders die Klarheit des Mondes, anders die Klarheit der Sterne, und ein Stern unterscheidet sich von dem andern an Klarheit und auf 2. Cor. 5, 10, wonach jedem ein Lohn nach seinen Werken verheißen wird. Während Jovinian das Gleichnis vom Sämann als Parabel aufgefaßt hatte, die nur von zwei Klassen von Menschen, von bösen und guten, handle, legt es Hieronymus in der üblichen Weise als Allegorie aus und folgert aus der 30-, 60- und lOOfältigen Frucht einen dreifach abgestuften himmlischen Lohn. Die straffe Anschauung Jovinians, der die Unterscheidung zwischen leichteren und schwereren Sünden verwarf, und die Sünde einheitlich als Bruch mit Gott auffaßte, die, in welcher Form sie sich auch äußern mag, die gleiche Strafe verdient, vermag Hieronymus so wenig wie der gesamte zeitgenössische Katholizismus zu erfassen. Er ironisiert sie nur, wobei er dann gleich persönlich gehässig wird: ich glaube, daß du, der du doch auch ein Mensch bist, schon einmal gelogen hast, und du wirst nun nach deiner Theorie mit Vatermördern und Ehebrechern die gleiche Strafe leiden müssen. Wenn alle, die zur Rechten stehen, ein Rekruten-
') Contr. Jov. 1. II, 28.
^) Contr. Jov. 1. 11, 23.
II* ■
164 Wiederanknüpfung mit Rom.
maß zum Kriegsdienst tauglich macht, so ist es unnütz, daß es Bischöfe, Priester, Diakonen, Jungfrauen, Witwen und ent- haUsame Verheiratete gibt. Laßt uns nur alle sündigen, nach der Buße werden wir doch soviel gelten wie die Apostel. Ein abscheuliches Zerrbild Jovinians, des geilen Epikur, in dessen Lustgarten Jünglinge und Weiber umherspringen, dem eine zahlreiche Schweineherde folgt, die er zum fetten Braten der Hölle mästet, bildet den Schluß der fanatischen Streitschrift.') Nur noch eins fügt er bei: eine Apotheose auf die Stadt Rom, die die auf die Stirn geschriebene Gotteslästerung durch das Bekenntnis Christi ausgelöscht hat, die mächtige Stadt, die Erdkreisbeherrscherin, die von den Aposteln gepriesene Stadt.) Als er vor ungefähr sieben Jahren in heimlicher Flucht Rom verlassen hatte, da war die undankbare Stadt ihm als ein Babel und Ägypten erschienen, jetzt wo er wieder die Sympathien der römischen Christen zurückgewinnen wollte, brach er in einen begeisterten Lobpreis auf Rom aus, wo die Lehre des Petrus auf den Felsen Christi gegründet ist.')
Hieronymus hatte sicher gehofft mit seiner Schrift gegen Jovinian einen durchschlagenden Erfolg zu erzielen; aber selbst sein Freund Pammachius, der ihn zur Gegenschrift gegen Jovinian veranlaßt hatte, war über das leidenschaftliche und zügellose Pamphlet entsetzt. Die Geister, die Pammachius gerufen, wollte er wieder los sein, und so wußte er sich keinen anderen Rat, als die bereits in Rom verbreiteten Exemplare der Schrift einzuziehen.') Ein anderer Freund Domnio schickte dem Hieronymus eine lange Liste von aus beiden Büchern gegen Jovinian ausgezogenen Stellen, die er einer Korrektur unterziehen sollte.) Welch bittere Enttäuschung für den eitlen Mann, von seinen beiden besten Freunden in dieser Weise desavouiert zu werden. Hieronymus hatte die Stimmung in Rom doch falsch beurteilt; er hatte aus der Verurteilung Jovinians geschlossen, daß man dem Mönchtum in weiten
>) Conlr. Jov. I. II, 37. ^) Contr. Jov. I. II, 38. 3) Contr. Jov. I. H, 37. *) Ep. 49, 2. *) Ep. 50, 3.
Wiederanknüpfung mit Rom. 165
Kreisen weiter entgegenzukommen gewillt wäre, als es tat- sächlich der Fall war.
Mit einem Briefean Pammachius sandteer ihm eineeingehende Verteidigungsschrift seiner Bücher gegen Jovinian. Hieronymus ist zu klug, um seinem vornehmen Freunde Pammachius gegen- über den Beleidigten zu spielen oder ihm gar Vorwürfe für sein Verhalten zu machen. Er macht gute Miene zum bösen Spiel: „Was mein Büchlein gegen Jovinian betrifft, so habe ich schon gut erkannt, wie klug und freundlich du durch Zurückziehung der Exemplare gehandelt hast.'") Aber dann wirft er sich so- gleich in die Brust: „Wenn ich etwas schreibe, kann ich nicht wie andere zeitgenössische Schriftsteller an meinen Kleinig- keiten Verbesserungen anbringen, da meine Werke sofort nach ihrem Erscheinen von meinen Freunden wie Gegnern rasch in alle Welt verbreitet werden." Nach einigen Elogen an Pammachius, die nicht ganz ohne Bitterkeit sind, daß er ja in der Schrift besser als er selbst bewandert sei, und nach der Gratulation,' daß er durch den Willen des f^apstes und des römischen Volkes für die Priesterweihe in Aussicht genommen sei, verwahrt er sich entschieden dagegen, daß er zu heftig gegen die Verehelichten gewesen sei. Der Alexandriner Pierius habe in seinem Kommentar zum Korintherbriefe viel schärfer als er betont, daß Paulus im siebenten Kapitel offenkundig die Ehelosigkeit preise, und ähnlich hätten sich Origenes, der Bischof Dionysius von Alexandria, Eusebius von Caesarea, Didymus und Apollinaris in ihren Kommentaren ausgesprochen. In seiner Verteidigungsschrift läßt er sich nur äußerst ungern zu gewissen Retraktationen herbei. Er ist doch in der Seele aufs tiefste empört, daß man ihm eine derartige Zumutung gestellt hat. Ein einsichtiger und gütiger Leser hätte das, was hart erscheinen konnte, nach dem Übrigen beurteilen und ihn entschuldigen sollen. Man hätte seine Fehler eher verbessern als tadeln sollen und ihn nicht verletzen. „Das ist eine feige Lehrweise, dem Kämpfenden von der Mauer herab Streiche zuzufügen, und während man selbst von Salben trieft, den blutenden Kämpfer der Feigheit anzu-
') Ep. 49, 2.
166 Wiederanknüpfung mit Rom.
klagen.'") Hieronymus ist plötzlich so mißtrauisch geworden, daß er vermutet, man habe ihm, als man ihn zur Widerlegung Jovinians aufforderte, einen Hinterhalt legen wollen.")
Was er weiter zu seiner Verteidigung anführt, ist be- zeichnend für den Wahrheitssinn des Hieronymus. daß in einer Streitschrift wie in der gegen Jovinian nicht wie in einer dogmatischen Lehrschrift alles im strengsten Sinne wahrhaftig gemeint sei: Etwas anderes sei es yvin'uOTiHö)^ zu einem polemischen Zweck, etwas anderes öo/fiariKcog zu einem Lehr- zweck zu schreiben. Bei der ersten Art sei das Wortgefecht gleichsam ein Voltigieren, in dem man dem Gegner antwortend bald dies, bald jenes aufstelle, Beweisgründe nach Belieben vorbringe, anderes spreche und auf etwas anderes hinarbeite, gleichsam Brot zeige und einen Stein zum Wurf bereit halte. Auch Origenes, Methodius, Eusebius und Apollinaris hätten als Polemiker gegen die Heiden Celsus und Porphyrius sich bisweilen genötigt gesehen, das zu sagen, was sie selber nicht für wahr, sondern für ihren Zweck für notwendig hielten. Auch Paulus mache es so, daß er Zeugnisse gegen die Juden und andere Ketzereien aus dem alten Testament anführe, die nur gezwungen zu seinem Siege dienstbar sind und in ihrem ursprünglichen Sinne nicht für ihn sprechen. Schamloser ist kaum je der Satz, daß der Zweck das Mittel heilige, proklamiert worden, und ein gefährlicheres Einge- ständnis konnte Hieronymus kaum machen, als daß die christ- liche Polemik an diesem Satze orientiert sei.
Man hatte Hieronymus beschuldigt, daß er in seiner Ehe- verachtung geradezu dem Manichaeismus huldige. Er stellte dem entgegen, da(^ er sich ausdrücklich gegen Marcion, Tatian und Mani verwahrt habe. Wenn er im Gleichnis vom vielerlei Acker die hundertfältige Frucht auf die Jungfrauen, die sechzig- fältige auf die Witwen, die dreißigfältige auf die Verehelichten bezogen habe, so bemerkt er, daß viele Lateiner und Griechen die Zahl 100 auf die Märtyrer, die Zahl 60 auf die Jungfrauen, die Zahl 30 auf die Witwen beziehen und so die Verheirateten
') Ep. 48, 12. 2) Ep. 48, 20.
Wiederanknüpfling mit Rom. 167
ganz und gar von dem guten Erdreich ausschließen. Da sei er doch noch viel milder in bezug auf die Ehe gewesen.') Er habe doch auch die Ehe eine Gabe Gottes genannt, könne sie also unmöglich verdammen. Er habe die zweite und dritte Ehe erlaubt, fordere also auch nicht zur Auflösung der Ehe auf. Er hatte gewiß damit im formalen Sinn Recht, aber der fanatische Haß gegen die Ehe, der aus jeder Zeile seines Buches sprach, ließ sich doch nicht ableugnen und hatte selbst entschiedene Verteidiger der asketischen Ideale ver- letzt. Pammachius lebte damals noch mit Paulina, der Tochter der Paula, in einer auch von Hieronymus als musterhaft geschilderten Ehe, und wenn er auch bereits für die Priester- weihe in Aussicht genommen war, so besaß er doch noch so viel Gefühl für die maßlose Überspannung der asketischen Forderungen des Hieronymus, daß er die ernste Gefahr er- kannte, die der christlichen Ehe dadurch drohte. Vielleicht fürchtete er auch, daß die im Abendland für das Mönchtum sich fortwährend günstiger gestaltende Volksstimmung wieder in das Gegenteil umschlagen würde. Aber alles wohlgemeinte Drängen seiner Freunde half bei Hieronymus nicht viel.
Eigensinnig verteidigte Hieronymus die einzelnen Stellen seiner Streitschrift, die man ihm besonders übelgenommen hatte. Aus 1. Cor. 7, 2 hatte er gefolgert, daß, wenn es gut sei, kein Weib zu berühren, dann sei es eben böse, ein Weib zu berühren. Diese Folgerung will er aber jetzt so ver- standen wissen, wie wenn man eine Lampe mit einer Fackel, eine Fackel mit einem Stern, einen Stern mit dem Mond, den Mond mit der Sonne, die Sonne mit Christus ver- gleiche; da sei auch immer das Geringere nichts im Vergleich mit dem Größeren. Und wenn man ihm vorwerfe, daß er die Jungfrauschaft mit dem Weizen, die Ehe mit der Gerste und die Hurerei mit dem Viehdünger in Parallele stelle, so gehe der heilige Ambrosius noch weiter, der in seinem Buch über die Witwen den Ehestand mit dem Gerstenbrot, die Jungfrauschaft mit dem Leibe Christi vergleiche. Plötzlich beruft er sich hier auf die Autorität des mailändischen Bischofs,
') Ep. 48, 3.
168 Wiederanknüpfung mit Rom.
den er sonst') immer so bösartig und heimtückisch angegriffen hatte. Jetzt preist er ihn, der auch in seinen drei Büchern über die Virginität die Ehe als die offenbarste Dienstbarkeit geschildert habe.') Wohl durfte er in sachlicher Beziehung Ambrosius als Eideshelfer zitieren; aber wie ernst und ruhig heben sich doch die Zitate aus den Schriften des nie würde- losen Ambrosius — und Hieronymus hatte schon die stärksten Stellen ausgewählt — von dem leidenschaftlichen Fanatismus des Hieronymus ab.
Die Ausführungen des Hieronymus über die Ausübung der ehelichen Gemeinschaft, die sich mit dem Gebet nicht vertrage, hatte man als hart und für die Verehelichten als ein- fach unerträglich bezeichnet. Man hatte ihm die römische Sitte, wonach die Christen den Leib des Herrn mit nach Hause nehmen und dort täglich kommunizieren, entgegen- gehalten, aber bei diesem für die Praxis wichtigen Punkt machte Hieronymus auch nicht die geringste Konzession. Die Ehe ist für diesen Zölibatär nun einmal so unrein, daß er es für unmöglich hält, am selben Tage nach der ehelichen Gemein- schaft die heilige Kommunion zu empfangen. Der sonst so Wandelbare, in diesem Punkte bleibt er fest. Man hatte ihm weiter vorgehalten, daß sein Argument, das von den am zweiten Schöpfungstage fehlenden Worten hergenommen war: „Und Gott sah, daß es gut war" nicht zu Recht bestände, da die lateinische Bibel es enthalte. Er berief sich auf den hebräischen Text, Aquila, Symmachus und Theodotion und auf eine Reihe von Kirchenvätern. Zum Schluß gab er dann nochmals die feierliche Erklärung ab, daß er die Ehe nicht verdamme, aber die Virginität bis in den Himmel erhebe. Dann fügt er noch die persönliche Konfession hinzu, daß er die Jungfrauschaft nicht deshalb preise, weil er sie besitze, sondern weil er mehr be- wundere, was er nicht besitze.') Diese Konfession erklärt viel; eine so durch und durch sinnliche Natur wie Hieronymus konnte nicht an die Keuschheit der Ehe glauben. Wie dem Reinen alles rein ist, so wird dein Unreinen alles unrein. Wer einst in
') s. oben S. 75. ") Ep. 48, 14. ') Ep. 48, 20.
Wiederanknüpfung mit Rom. 169
den Umarmungen der Dirnen geschwelgt hat, wird nach seiner plötzlichen Bekehrung leicht zu einem rücksichtslosen Herold des jungfräulichen Lebens. Und hinzu kommt, daß die Kirche bei der furchtbaren Verwilderung des Ehelebens in der Zeit des absterbenden Römerreiches nicht die Kraft besaß, der heidnischen Wertung der Ehe eine christliche gegenüberzustellen, sondern fortwährend die Ehelosigkeit pries. So klingt denn die Apologie des Hieronymus in einen be- geisterten Lobpreis der Virginität aus: „Christus war jung- fräulich, die Mutter unseres jungfräulichen Herrn war eine beständige Jungfrau, Mutter und Jungfrau, Jungfrau auch nach der Geburt, Mutter schon vor der Vermählung; die Anfänge derjungfrauschaft sind dadurch für beideOeschlechter geweiht."') Auf die Dauer vermochte auch das Abendland diesem Lock- ruf nicht zu widerstehen.
Zunächst hatte Hieronymus noch mit einer starken Anti- pathie gerade in den Kreisen zu kämpfen, wo man ihn noch von seinem Aufenthalt her persönlich kannte. Bitter beklagte er sich in dem Brief an seinen Freund Domnio über einen von ihm nicht namentlich genannten Mönch, der seine Bücher gegen Jovinian einer vernichtenden Kritik unterzogen hatte. Auch dieser Ungenannte war ein Gegner Jovinians und hatte sogar bei seiner Verurteilung mitgewirkt.") Aber ebenso scharf hatte er auch die Art, wie Hieronymus die Ehe behandelt hatte, mißbilligt und sie in den Kreisen der vornehmen christlichen Frauen für ärgerlich und gefährlich erklärt. Ob lediglich persön- liche Motive, wie es Hieronymus darstellt, dabei ausschlag- gebend waren, daß er in ihm den unbequemen Nebenbuhler verdächtigen wollte, läßt sich nicht feststellen, da der ganze Brief des Hieronymus aus nichts als einem heftigen Ge- schimpf besteht. Hieronymus kannte ihn von seinem früheren Aufenthalt in Rom her, und der persönliche Antagonismus muß schon damals die heftigsten Formen angenommen haben: „Wie oft hat mich jener Mensch in den gesellschaftlichen Kreisen zum Zorn gebracht und in Heftigkeit versetzt. Wie
») Ep. 48, 21. ^) Ep. 50, 2.
170 Wiederanknüpfung mit Rom.
oft geiferte er heftig und ging selbst begeifert von dannen." Da dieser Mönch sich großen Ansehens und Einflusses gerade in den mönchischen Kreisen erfreute, in denen einst Hiero- nymus als Autorität gegolten hatte, und mit denen er durch seine Schrift gegen Jovinian wieder Fühlung zu gewinnen suchte, so wurde er um so gereizter und schob in seiner beliebten Weise dem Verkehr seines Gegners mit den Jungfrauen und Witwen allerlei häßliche Beweggründe unter: Ich wundere mich, daß er sich nicht schämt, als junger und beredter Mönch, von dessen Munde Liebeslieder fließen, und dessen Rede so voller Eleganz ist, daß sie wie mit Komikerwitz und Anmut bestreut erscheint, in den Häusern der Vornehmen herumzugehen, bei Weiber- besuchen hängen zu bleiben, unseren Mönchsstand in Miß- kredit zu bringen und dabei seinen Bruder zu verkleinern.') Nun, viel anders hatte es Hieronymus, als er in Rom weilte, auch nicht gemacht. Aber in seiner Erregung vergißt er sich so weit, daß er plötzlich das Ungeheuer Jovinian gegen den Gegner im eigenen Lager in Schutz nimmt: „Selbst Jovinian, der ungebildete Sudler, wird ihm mit vollem Rechte zurufen: Daß mich die Bischöfe verdammen, geschieht nicht auf Gründe hin, sondern ist ein abgekartetes Spiel." Hieronymus möchte nun gern seinen Gegner zu einer schriftlichen Äußerung reizen, um ihn dann mit der ganzen, ihm zur Verfügung stehenden Bosheit zu widerlegen oder ihn lächerlich zu machen. Er droht ihm: „Ich kann auch wieder beißen, wenn ich will; ich kann auch, wenn ich beleidigt worden bin, mit dem Backen- zahn einhauen." Wir glauben ihm dies nach den zahlreich abgelegten Proben seiner Polemik, aber wenn er dann fort- fährt, daß er lieber der Schüler dessen sein will, der da sagt Jes. 50, 6: Meinen Rücken habe ich für Geißelhiebe hinge- halten, mein Angesicht nicht von dem Anspeien weggewandt; „der, wenn er geschmäht ward, nicht wieder schmähte", so hat er diese christliche Demut in der Praxis selten genug bewährt. Seine Nächstenliebe hörte in dem Augenblick auf, wo man an seiner Person oder seinen Werken etwas auszusetzen fand. Ob er seiner Sache dadurch genützt hat, daß er mit schlecht
') Ep. 50, 3.
Wiederankniipfmio mit Rom. 17t
verhehlter Verachtung des Geschwätzes in den frommen Damen- zirkehi erklärte: Sein Gegner solle zu der Erkenntnis kommen, daß es nicht ebenso leicht sei, mit wohl unterrichteten Männern über die Lehren des göttlichen Gesetzes zu disputieren, als bei den Spindeln und Wollkörbchen der Mädchen.') Mit einem echt hieronymianischen Zynismus schließt dies giftige Produkt seiner Feder: „Ich verdamme nicht die Ehe, ich verdamme das Heiraten nicht. Und damit er meine Gedanken desto gewisser festhalte, sage ich: ich will, daß alle, welche vielleicht wegen der nächtlichen Schrecknisse nicht allein schlafen können, sich Weiber nehmen." Wir hören nichts weiter über diesen Gegner des Hieronymus, jedenfalls hat er sich nicht zu einer Gegen- schrift provozieren lassen.
In Mailand lebte der Streit noch einmal auf. Zwei Mönche Sarmatio und Barbatian, Angehörige des von Ambrosius ge- stifteten Klosters, hatten ihr Kloster, durch Jovinian veranlaßt, verlassen und wurden, als sie dorthin wieder zurückkehren wollten, von Ambrosius abgewiesen. Sie gingen nun nach Vercelli und sammelten hier Anhänger. Ambrosius schrieb deshalb an die dortige Gemeinde, um sie vor den Häresien Jovinians, die die beiden Mönche verbreiteten, zu warnen. ) Auch Augustin schrieb später noch die Schrift de bono con- jugali mit Rücksicht auf die Häresie Jovinians, ohne ihn jedoch namentlich zu nennen, ein Zeichen, wie weit sich im Abend- land die Grundsätze des Ketzers verbreitet hatten. Wie lange Jovinian gelebt und wo er gestorben ist, wissen wir nicht. Nur aus der Schrift des Hieronymus gegen Vigilantius erfahren wir, daß er damals, d. h. 406, bereits gestorben war.') Über die näheren Umstände seines Todes teilt er uns aber nichts mit. Ein vom Jahre 412 datiertes Edikt des Kaisers Theodosius, das Tillemont ') auf Jovinian beziehen und dann auf das Jahr 389 zurückdatieren wollte, hat mit unserem Jovinian wohl nichts zu tun, zumal in der Urkunde die Überlieferung des Namens Jovianus oder Jovinianus schwankt.
') Ep. 50, 5.
^) Ambrosii ep. 83 ad Vercellenses, ed. Ballerini V, 554 ff.
=*) Adv. Vigilantiiim c. 1, Vallarsi II, 387.
') Memoires X, 733 ff.
172 Wiederankniipfung mit Rom.
Besonders glücklich war für Hieronymus seine Anknüpfung mit Rom anläßlich des Jovinianischen Streits gerade nicht aus- gefallen. Er hatte noch starke Widerstände zu überwinden. Er scheint dies selbst gefühlt zu haben. Mit dem Briefe an Pammachius, in dem er seine Schrift gegen Jovinian ver- teidigte, sandte er ihm seine Übersetzung der 16 Propheten- bücher aus dem Hebräischen ins Lateinische und teilte ihm mit, daß, falls er an dieser Arbeit Gefallen finde, er ein Exemplar seiner Übersetzung des Hiob aus dem Hebräischen ins Lateinische von seiner Freundin Marcella entleihen könne. Auch könne er von dem heiligen Vater Domnio einige der Kom- mentare zu den Zwölfpropheten') und auch zu den Büchern Samuels und der Könige, d. h. der 4 Bücher der Könige, ent- leihen, die er diesem geschickt habe.) Er wollte wohl seinen römischen Freunden durch die Zusendung seiner Kommentare zeigen, daß er nicht nur gereizte Streitschriften, sondern auch ernste wissenschaftliche Werke zu verfassen imstande war, und hoffte so, daß durch diese Arbeiten sein Ruf bei ihnen wiederhergestellt werden würde.
§ 37.
Die Beziehungen des Hieronymus zu Rom in den neunziger Jahren des 4. Jahrhunderts.
Nach seinem Weggang von Rom im Jahre 385 hatte Hieronymus zeitweilig alle alten Beziehungen zu seinen römischen
'> Vallarsi vermutet mit Recht ep. 49, 4, Vallarsi I, 233, Anm. b, daß die 392 geschriebenen Kommentare zu Nahum, Micha, Zephanja, Haggai und Habakuk gemeint sind.
*) Kommentare zu den Büchern Samuelis und der Könige sind uns von Hieronymus nicht erhalten, man müßte sie denn in den Quaestionen zu den Büchern der Könige und Chronik wiederfinden, s. oben § 30, S. 62. Da diese aber vermutMch nicht von Hieronymus stammen, so müssen die hier erwähnten Kommentare als verloren gelten.
Wiederanknüpfiing mit Rom. 173
Freunden und Freundinnen abgebrochen oder doch nur wenig gepflegt. Er hatte sich in Bethlehem während der ersten Jahre seines dortigen Aufenthalts in die wissenschaftliche Arbeit ge- stürzt, um seine römischen Mißerfolge und den römischen Klatsch zu vergessen. Nach dem Streit mit Jovinian wachte wieder in ihm der alte Ehrgeiz auf; er konnte auf die Dauer für sein Leben doch nicht die Öffentlichkeit entbehren, er wollte eine Rolle in der Welt spielen. So wird denn seit den Jovinianischen Händeln auch die Korrespondenz mit seinen römischen Freunden und Freundinnen wieder rege. Es ist merkwürdig, daß uns aus dieser Zeit nur ein Brief an seine Freundin Marcella erhalten ist. Vielleicht sind aber andere verloren gegangen. Man darf doch nicht aus dieser selteneren Korrespondenz auf eine Abkühlung seines Verhältnisses zu der gelehrtesten seiner Freundinnen schließen. Man müßte dann annehmen, daß Paula und Eustochium und auch Hieronymus es der Marcella nachtrugen, daß sie ihrer herzlichen und dringenden Einladung, ins heilige Land zu kommen, nicht Folge geleistet hatte. Aber das Epitaphium des Hieronymus auf Marcella läßt doch von einer solchen Trübung nichts merken, und wenn auch der Briefwechsel mit ihr seltener wurde — während der Origenistischen Wirren schrieb er wieder an sie und Pammachius ') — so beweisen doch die Dedikationen einzelner Kommentare und Übersetzungen von Büchern des Alten Testaments aus dem Hebräischen, daß das alte Freund- schaftsverhältnis nach wie vor weiter bestand.
Der einzige Brief an Marcella aus dieser Zeit ist exegetischen Inhalts und beantwortet fünf exegetische Fragen, die sie ihm ge- stellt hatte.') KritischerScharfsinn und weiblicheNeugier mischen sich in diesen Fragen der Marcella in wunderbarer Weise. Die Fragen sind Hieronymus sichtlich unbequem, und er weiß nicht recht, was er antworten soll. Die erste Frage wünscht den Widerspruch gelöst zu sehen zwischen den Worten des Apostels 1. Kor. 2, Q: „Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört und in das Herz keines Menschen gekommen ist, das hat Gott
') Ep. 97, ad Marcellam et Pammachium, Vallarsi I, 575. 2) Ep. 59, ad Marcellam, Vallarsi I, 325 ff.
174 Wiederanknüpfung mit Rom.
denen bereitet, welche ihn lieben" und 1. Kor. 2, 10: „Uns aber hat es Gott durch seinen Geist geoffenbart." Hieronymus antwortet ihr darauf, daß man nach dem, was kein Auge ge- sehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, überhaupt nicht fragen dürfe. Dies sei der Zukunft vorbehalten, weil es alles menschliche Denken über- steigt. Was aber den Heiligen durch den Geist geoffenbart sei, dies sei damit noch nicht für andere geoffenbart, da Paulus z. B. im Paradies unaussprechliche Worte gehört habe, die er anderen nicht mitteilen durfte. Die zweite Frage, ob unter den Schafen zur Rechten die Christen und unter den Böcken zur Linken die Heiden zu verstehen seien, wie sie seinen Werken entnommen habe, oder nicht vielmehr die Guten und Bösen, erklärt er mit Hinweis auf sein zweites Buch an Jovinian, wo er ausführlicher davon gehandelt habe, für erledigt. Die dritte Frage hat zum Inhalt, ob bei der Wiederkunft des Herrn die Lebenden, die nach L Thess. 4 dem Herrn ent- gegengehen, ihm in ihren irdischen Leibern entgegengehen und also vorher nicht sterben, oder ob, da unser Herr ge- storben ist und auch Henoch und Elias nach der Apokalypse des Johannes sterben sollen, es keinen Menschen gibt, der den Tod nicht erst kosten muß, ehe er aufersteht. Hieronymus gibt darauf der Marcella die Antwort, daß nach dem klaren Zusammenhang des Thessalonicherbriefes die Heiligen bei der Parusie des Erlösers ihm in ihrem irdischen Leibe entgegen- gerückt werden, aber so, daß dabei die Leiber der Lebendigen in dieselbe Substanz verwandelt werden, in der die Körper der Toten auferstehen. Die Frage nach dem Erscheinen des Elias und Henoch beantwortet er überhaupt nicht, da die Apokalypse nach seiner Meinung entweder im geistlichen Sinne verstanden werden muß, oder, wenn wir dem fleisch- lichen Sinne folgen, zu albernen jüdischen Fabeleien führt, daß Jerusalem dereinst wieder aufgebaut und die Opfer wieder im Tempel dargebracht werden sollen. In einer vierten Frage hatte Marcella Hieronymus um Auskunft über einen Widerspruch in der Auferstehungsgeschichte gebeten. Nach Johannes sagt der auferstandene Herr zu Maria Magdalena: „Rühre mich nicht an; denn ich bin noch nicht hinauf-
Wiederanknüpfuno mit Rom. 1 ib
gestiegen zu meinem Vater", und nach Matthäus berühren die Weiber die Füße des Auferstandenen und fallen vor ihm nieder. Hieronymus hilft sich hier damit, daß er das Wort Jesu an Maria Magdalena dahin deutet: Du verdienst nicht meine Füße zu berühren und mich als Herrn anzubeten, weil du noch nicht glaubst, daß ich auferstanden bin. Für dich bin ich noch nicht zum Vater aufgestiegen. Die Weiber aber, welche nach Matthäus seine Füße berühren, bekennen ihn als Auferstandenen, und deshalb dürfen sie ihn auch berühren. Die letzte fünfte Frage endlich handelt von der Ubiquität Christi. Marcella hatte gefragt, ob der Herr nach seiner Auf- erstehung mit seinen Jüngern vierzig Tage auf Erden gewandelt sei und niemals anderswo geweilt habe, oder ob er verborgen zum Himmel hinauf- und wieder herabgestiegen sei und trotz- dem den Aposteln niemals seine Gegenwart entzogen habe. Hieronymus setzt nun der Marcella die Ubiquität des gött- lichen Logos auseinander. Schon vor der Auferstehung war er im Leibe des Herrn und gleichzeitig beim Vater. „Es ist töricht, die Macht dessen, den der Himmel nicht faßt, in einem kleinen Körperchen begrenzen zu wollen. Der, welcher überall war, war auch zugleich ganz im Menschensohne; denn es ist die Eigenschaft der göttlichen Natur, überall zu sein und überall ganz zu sein. Er war also zu gleicher Zeit bei den Aposteln vierzig Tage wie bei den Engeln und dem Vater und an den äußersten Enden des Meeres; er war mit Thomas in Indien, mit Petrus in Rom, mit Paulus in lllyrien, mit Titus in Kreta, mit Andreas in Achaja, mit allen Aposteln und apostolischen Männern an allen Enden der Welt."
Die Fragen der Marcella und die Antworten des Hieronymus sind vor allem deshalb interessant, weil sie den Gegensatz zwischen dem naiven und massiven Gemeindechristentum mit seinen Anthropomorphismen und den Versuchen einer theo- logischen Spiritualisierung der christlichen Vorstellungen wieder- spiegeln. Während zu allen Zeiten die eschatologischen Fragen das Interesse frommer Laien besonders in Anspruch nahmen, zeigte Hieronymus gerade für diese Fragen kein sonderliches Interesse, er empfand die Unsicherheit, hierüber bestimmte Aussagen machen zu können und ließ sich nur ungern darauf
176 Wiederanknüpfung mit Rom.
ein. Das enthusiastische Zeitalter der Kirche, das ein lebendiges Interesse an der Eschatologie gehabt hatte, war bereits vorüber. Nicht mehr die Frage nach der Wiederkunft des Herrn, sondern die Kirche und ihre Herrschaft auf Erden stand im Mittelpunkt seiner theologischen Gedanken.
Viel lieber als solche eschatologischen Fragen legte Hieronymus seinen frommen Schülerinnen alttestamentliche Stellen aus. Hier konnte er mit seiner Gelehrsamkeit viel aus- giebiger prunken, und dann konnte er bei der allegorischen Auslegung seiner Phantasie frei die Zügel schießen lassen. Der jugendlichen Freundin der Marcella, Principia, die ihr bis zu ihrem Tode treu zur Seite stand, eignete Hieronymus eine solche mystische Auslegung des 45. Psalmes zu. ') In der Vorrede verteidigt er sich gegen die Vorwürfe, daß er lieber Frauen seine wissenschaftlichen Arbeiten widme und das gebrechliche Geschlecht den Männern vorziehe.') Schon in der Vorrede zum Kommentar des Propheten Zephanja ) hatte er sich gegen ähnliche Angriffe, wodurch sein schriftstellerisches Ehrgefühl gekränkt wurde, wehren müssen. Er wollte nicht nur Frauenseelsorger sein; ärgerlich, fast grob, schreibt er an Principia: „Wenn die Männer nach den heiligen Schriften fragten, so würde ich nicht zu Frauen reden." Aber Hiero- nymus besaß gerade für die vornehmen Frauen eine be- sondere Anziehungskraft, und diese verkündeten am be- geistertsten seinen Ruhm. So tröstet er sich denn, wie in der Vorrede zum Propheten Zephanja, mit der Aufzählung all der heiligen Frauen wie Debora, Hulda, Maria Magdalena, Sara, Mirjam, der Königin von Saba, Elisabeth und Priscilla, die die Männer durch Mut und Wißbegier übertroffen hätten. Den 45. Psalm, das Brautlied Christi und seiner Braut, der jungfräulichen Kirche, legte er der Jungfrau Principia aus, nicht ohne in die Auslegung des öfteren starke Komplimente für ihre Jungfrauschaft einzuflechten. Sie ist die Blume Christi,') die durch die Jungfrauschaft das Schwert der Keuschheit be-
^) Ep. 65 ad Principiam, Vallarsi 1, 371 ff. *) Ep. 65, 1, Vallarsi I, 372. 3) Vallarsi Vi, 671, s. § 34. *) Ep. 65, 2.
Wiederanknüpfung mit Rom. 177
sitzt, mit dem sie die Werke des Fleisches tötet und die Lüste überwindet,') die ihre Glieder auf Erden getötet hat und täg- lich Christus Myrrhen darbringt.')
Welche Quellen Hieronymus für sein exegetisches Send- schreiben benutzt hat, erfahren wir nicht. Die gelegentliche An- führung exegetischer Meinungen anderer beweist eine Kenntnis älterer Exegeten. ) Wahrscheinlich hat er Origenes und Eusebius benutzt.') Nach seiner Gewohnheit stellt Hieronymus bei der Auslegung seine Übersetzung aus dem Hebräischen neben die LXX und macht auf die Differenzen beider Übersetzungen aufmerksam; aber auch Aquila, Symmachus, Theodotion, die Quinta und Sexta zieht er heran,*) Was den Inhalt seiner Auslegung betrifft, so vereinerleit die allegorische Exegese den Schriftinhalt derartig, daß Hieronymus überall seine Lieblingsgedanken hinein- und herausliest. Es sind im Grunde nur drei religiöse Begriffe, mit denen er immer wieder arbeitet, Christus, Kirche, Jungfrauschaft: „Christus, die Jungfrau aus der Jungfrau, welcher nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren ist, ist der Schönste unter den Menschenkindern. Wenn er nicht in seinem Angesicht und seinen Augen etwas Göttliches gehabt hätte, so wären ihm
') Ep. 65, 10.
-) Ep. 65. 14.
^) Bereits Vallarsi I, 375, Anin. b, hat darauf hingewiesen, daß Hieronymus die Einteilung des 45. Psalmes dem Eusebius entnommen hat.
*) Auf eine Benutzung des Origenes weist das Zitat aus 3. Esra 4, 59, ep. 65, 4, Vallarsi I, 374, da er an einer anderen Stelle seiner Schriften, Contra Vigilantium c. 6, vom 3. Buch Esra bemerkt, daß man es nicht nötig habe in die Hände zu nehmen, weil es die Kirche verwerfe, s. Sanders, Etudes sur St. Jerome, Paris 1903, S. 272.
") Ep. 65, 3; ep. 65, 18; ep. 65, 15 merkt Hieronymus an, daß nur der Altlateiner in Ps. 45, 10 die Worte habe „circumdata varietate"; ep. 65, 19 notiert er eine Variante des hebräischen Textes in Ps. 45, 14: in quibusdam exemplaribus invenitur esebon, quod cogitationes sonat; ep. 65, 14 bemerkt er, daß in Ps. 45, 9 das griechische Wort ßägig im Sinne von Haus in den LXX gemeint sei, vom Altlateiner aber durch ein Mißverständnis mit pro gravibus übersetzt sei ; ep. 65, 9 weist er darauf hin, daß in Ps. 45, S im Altlateiner sich das Wort unxit finde, das in den LXX nur durch den Irrtum der Abschreiber ausgefallen sei.
G riitzmach er, Hieronymus. 11. 12
178 Wiederanknüpfung mit Rom.
niemals die Apostel sofort gefolgt."') Wie dem Augustin, ist auch ihm Christus das Ideal der Schönheit. Es ist die über das Heidentum triumphierende Kirche, die Christus mit der Glorie der Schönheit geschmückt und sich das antike Schön- heitsideal zu eigen gemacht hat. Während Tertullian der verfolgten Kirche das Bild Christi nach Jes. 53, 2 als des aller- verachtetsten vor Augen gestellt hatte, dessen Gestalt kein Aussehen und keine Schönheit hatte, will Hieronymus diese Stelle nur auf den Leidenden bezogen wissen. Zur Rechten Christi aber steht die auf den Fels Christi gegründete katho- lische Kirche, die Taube, die mit dem Könige Christus regiert, ihre Töchter sind die Seelen der Gläubigen, im besonderen aber die Chöre der Jungfrauen. Diesen Jungfrauen, welche der Kirche folgen, kommt der erste Platz zu, den Freundinnen, die sie begleiten, den Witwen und den in der Ehe Enthaltsamen erst der zweite Platz.') Wenn du, o Tochter Principia, mit dem Chor der Heiligen vereint unter den Jungfrauen zu dem Könige geführt wirst und aus elfenbeinernen Häusern den Bräutigam ergötzen wirst in deiner Ehre, dann erinnere dich meiner, der ich dir durch Offenbarung des Herrn das Verständnis dieses Psalms erschlossen habe und sprich: ich werde ein- gedenk sein deines Namens. Am Schlüsse seines Schreibens stellt er ihr, falls er am Leben bleibt, einen Kommentar zum Hohenlied in Aussicht, ein Plan, der, wie so viele andere des Hieronymus, nicht ausgeführt wurde.')
Gegen Ende des 4. Jahrhunderts schlössen sich die ältesten und vornehmsten Geschlechter Roms in immer zahlreicheren Gliedern der mönchischen Erweckungsbewegung an. Der römische Staat alterte, seine höchsten Ehren und Ämter ent- werteten sich immer mehr, sie wurden zu leeren Würden. Barbaren und aus den niedrigsten Ständen hervorgegangene Männer wurden die Führer des Heeres: „Was ehemals nur unter Patriziern sich forterbte und nur der Adel als Vorrecht besaß, das nimmt jetzt der Militärstand für sich ganz allein in Anspruch, und frühere Bauern kleiden sich schon seit langem
') Ep. 65, 8, Vallarsi I, 377.
') Ep. 65, 20, Vallarsi I, 389.
') s. Praef. Comm. in Matth. VII, 8.
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in die strahlende Toga mit der goldgestickten Palm^") Während die Macht des Staates zusehends abnahm, wuchs die Macht der christlichen Kirche. Die römischen Aristokraten, die sich so lange von dieser plebejischen Gesellschaft ferngehalten hatten, konnten jetzt auch in der Kirche ihren Ehrgeiz befriedigen. „Geringes geben wir auf und Großes besitzen wir dafür. Hundertfach verzinsen sich die Verheißungen Christi", so konnte Hieronymus an den Senator Pammachius schreiben, als dieser Mönch wurde. ') Aus dem edlen Geschlecht der Fabier wurde Fabiola Nonne, und Furia, eine Verwandte des Pammachius. aus dem ebenso berühmten Geschlecht der Furier, beschloß nach dem Tode ihres Mannes keine zweite Ehe mehr einzugehen, sondern sich der keuschen Witwen- schaft zu weihen. Während seines römischen Aufenthalts hatte Hieronymus nur verhältnismäßig bescheidene Erfolge erzielt, jetzt übte er von Bethlehem aus den größten Einfluß auf den römischen Hochadel aus. Hieronymus gehörte zu den Menschen, die stärker durch Briefe als durch ihre Persön- lichkeit wirken. Wer ihn persönlich kennen lernte, wurde leicht durch sein eitles und zänkisches Wesen abgestoßen.
Hieronymus war überaus glücklich, als sich die ihm persönlich unbekannte') Witwe Furia an ihn wandte: „Es freut sich mein Geist, es jubelt mein Inneres, es froh- lockt mein Herz, daß du nach dem Tode deines Mannes das zu sein wünschest, was Titiana, deine Mutter heiligen Angedenkens, schon lange bei Lebzeiten ihres Mannes gewesen ist." Furia war durch die engsten verwandtschaftlichen Beziehungen mit den vornehmsten Gliedern des asketisch gesinnten Kreises verknüpft. Sie war nicht nur mit Pam- machius verwandt, ihr verstorbener Bruder war auch derGatte der ältesten Tochter der Paula, Bläsilla, gewesen. ') Auch ihre ver- storbene Mutter Titiana muß diesen Kreisen nahe gestanden haben; sie hatte eine enthaltsame Ehe während ihrer letzten Lebensjahre geführt und ihre glühende Liebe zu Christus in
») Ep. .66, 7, Vallarsi I, 396.
-) Ep. 66, 7, Vallarsi I, 396.
^) Ep. 54, 3, Vallarsi I, 2S1 : exceptis epistolis ignoramus alterulrum.
') Ep. 54, 2, Vallarsi I, 2S0.
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Fasten, Almösengeben und Hilfeleistungen gegen die Diener Gottes bewiesen.') Noch jung war Furia Witwe geworden; ihr Gatte war der Sohn eines Konsularen Probus -') gewesen, und ihre Ehe war, wie es scheint, keine unglückliche ge- wesen. Hieronymus übertreibt wohl, wenn er schreibt, welche Drangsale des ehelichen Standes hast du nicht in demselben erfahren. ) Aber ein anderes Mal sagt er dagegen, wenn dein Ehemann auch noch so liebenswürdig, noch so gut gewesen wäre, der Tod hätte doch alles geraubt.') Kinderlos war sie zurückgeblieben als einzige Erbin des großen Vermögens ihres Gatten und ihres Vaters. Ihr Vater, ein Konsular und Patrizier namens Laetus, ') obwohl Christ, drängte seine noch jugendliche Tochter zur Ehe.') Er wollte einen Stammhalter haben, dem er sein Vermögen vererben konnte. Da machte sich die asketische Partei an die junge Witwe heran und be- arbeitete sie mit allen Mitteln, um die adelige Römerin ihrem Kreise anzugliedern und sich ihre Reichtümer zu sichern. Auch Hieronymus wurde mobil gemacht und sollte durch eine Epistel mit seiner gewandten Feder die Schwankende gewinnen. Er wußte wohl, dal^ er damit einen gewaltigen Sturm der Gegner der Mönchspartei heraufbeschwören würde: „Es werden die Vornehmen gegen meinen Brief sich erheben, die ganze Patrizierschaar wird dagegen donnern, mich als Zauberer und Verführer ausschreien, den man bis an die äußersten Enden der Erde verbannen müsse". Aber in Bethlehem war er für ihre Angriffe unerreichbar, hier konnte er seinen Mut am Schreibtisch beweisen. Vorsichtig behandelte er den Vater, der sich dem Entschlüsse Furias widersetzte: „Ich will ja doch gewiß nicht die Tochter vom Vater trennen"; aber er fügt auch hinzu: „Ehre deinen Vater, aber nur, wenn er dich vom wahren
') Ep. 54, 6, Vallarsi I, 283.
-') Ep. 123, 18: Furia, F'robi quondam consulis nurus, Vallarsi 1, 910.
') Ep. 54, 4, Vallarsi I, 281.
*) Ep. 54, 6, Vallarsi 1, 283.
^) Der Name Laetus darf vielleicht aus der Äußerung des Hieronymus erschlossen werden ep. 54, 6; Vallarsi 1,283: pater tuus, quem ego honoris causa nomino, non quia consularis et patricius; sed quia Christianus est, impleat nomen suum. Laetetur filiam genuisse Christo, non saeculo.
«) Ep. 54, 6, Vallarsi 1, 283.
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Vater nicht lostrennt. Die Bande der Blutsverwandtschaft sollst du so lange anerkennen, als diese ihren Schöpfer aner- kennt. ') Der Vater wird sich betrüben, aber Christus wird sich freuen, deine Familie wird traurig sein, aber die Engel werden dich beglückwünschen; du gehörst nicht dem an, der dich geboren, sondern dem, der dich wiedergeboren und mit einem hohen Preis, mit seinem Blute wiedererkauft hat."'^) Aber Hieronymus weiß auch, daß Priester und Mönche in Rom mit dem Vater und der Familie im Bunde dem Entschluß der Furia, sich dem Witwenstande zu weihen, entgegenarbeiten. Noch hatte die strenge Mönchspartei, deren geistiger Führer Hieronymus auch in Bethlehem blieb, nicht die unumschränkte Herrschaft in Rom erlangt.') Er zieht deshalb alle Register, um die vornehme Römerin in ihrem Entschlüsse zu bestärken. Es sind kräftige Sprüchlein, die sich Hieronymus hier leistet. Er warnt sie vor der zweiten Ehe: „Warum willst du wieder aufnehmen, was dir schädlich war. Der Hund frißt wieder sein Gespei und das Schwein wälzt sich wieder im Kote,') Das vernunftlose Vieh und die frei umherschweifenden Vögel fallen nicht wieder in dieselben Fußangeln und Netze." ) Buße soll sie tun für ihre Ehe. Sie trägt die Erinnerung an die genossene Lustbefriedigung in sich, sie weiß es, was sie ver- loren hat, und woran sie sich ergötzte. Diese brennenden Pfeile des Teufels müssen nun mit Fasten und Nachtwachen ausgelöscht werden. °) Die Keuschheit kann sie sich aber nur erhalten, wenn sie alle Speisen meidet, die die Lüsternheit wecken. Schon der heidnische Arzt Galen warnt in seiner Schrift über die Gesundheit die Männer und Frauen im jugend- lichen Alter vor üppiger Kost. Der alte Fanatiker der Askese, Hieronymus, scheut vor keiner Schamlosigkeit zurück: „Nichts setzt den Leib so in Flammen und reizt die Schamteile wie unverdaute Speisen und krampfhaftes Aufstoßen. Ich will
>) Ep. 54, 9, Vallarsi I, 281.
'') Ep. 54, 4, Vallarsi I, 282.
4 Ep. 54, 5, Vallarsi I, 283.
*) 2. Petr. 2, 22.
^) Ep. 54, 3, Vallarsi I, 281.
'•) Ep. 54, 7, Vallarsi 1, 284.
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doch lieber bei dir, meine Tochter, bezüglich der Anständigkeit des Ausdrucks ein wenig Gefahr laufen, als die Sache in Gefahr bringen." Neben dem Fasten soll sie dem Gebet und der Lektüre der heiligen Schriften obliegen. Er verweist sie als geistlicher Berater, dem sie sich anvertrauen kann, auf den heiligen Exuperius. Es ist derselbe Mann, der uns später als Bischof von Toulouse wieder begegnet und mit dem Hiero- nymus auch später noch in Verbindung steht.') Dann folgen die üblichen Ermahnungen zur Wohltätigkeit, die Warnungen vor dem Umgang mit jungen Männern, in den Dienst der christlichen Liebestätigkeit soll sie ihren Reichtum stellen: „Kaufe Jungfrauen los, nimm Witwen auf.'") Mit raffinierter Kunst stellt er ihr alle die unangenehmen Folgen vor Augen, die eine zweite Heirat mit sich bringen kann. In der Regel will der zweite Mann nur ihr Vermögen; er wird das Andenken an den ersten Gatten entehren, und wenn er bereits verheiratet gewesen ist und Kinder hat, die er in die Ehe mitbringt, so wirst du als böse Stiefmutter verdächtigt werden. Alle die Nacht- bilder aus den verwüsteten Ehen in diesem Zeitalter tiefster sittlicher Decadence führt er ihr vor die Seele: „Wenn der Stiefsohn krank wird und der Kopf ihm tut weh, so wirst du als Giftmischerin verschrieen." Was sind dagegen die heiligen Witwen Hanna, die Witwe von Sarepta, Judith, Noemi. Und wirkungsvoll preist er zum Schluß das lebendige Beispiel seiner römischen Freundin Marcella, die nur sieben Monate verheiratet gewesen und das Muster einer christlichen Witwe sei. „Denke täglich an den Tod, und du wirst niemals an eine zweite Ehe mehr denken." Was in seinen Kräften stand, hatte Hieronymus getan, und er konnte sich schmeicheln, wieder eine vornehme Römerin dem Rachen des Satan entrissen und in die sichere Scheuer der asketischen Heiligen gesammelt zu haben.')
') Ep. 123, c. 16 ad Ageriichiam; Praef. zum Kommentar des Saciiarja. Die Möglichkeit, daß Furia etwa in Gallien und nicht in Rom zu suchen sei, besteht nicht (gegen Zöckler, S. 222, Anm. 2), da Rom deutlich als ihr Aufenthaltsort bezeichnet ist, ep. 54, 18 und ep. 54, 13.
^) Ep. 54, 14, Vallarsi 1, 289.
') Aus ep. 123, 18, Vallarsi I, 910 können wir entnehmen, daß Furia Witwe blieb.
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Während wir aber später von Furia nichts mehr hören, trat Fabiola in noch innigere Beziehungen zu Hieronymus und kam sogar zum Besuch nach Bethlehem, Sie muß erst einige Jahre nach seinem Weggang von Rom den Entschluß gefaßt haben, Nonne zu werden, da wir in seiner römischen Zeit noch nichts von ihr hörten. So begann der Same, den Hieronymus einst ausgestreut hatte, jetzt seine Früchte zu tragen. Ein bewegtes Leben lag bereits hinter Fabiola. Sie war, wie Hieronymus sagt, unter die Räuber gefallen, aber auf Christi Schultern heimgetragen worden. Wo die Sünde überflüssig geworden war, war die Gnade noch überflüssiger geworden. Es bewährte sich an ihr das Schriftwort, daß, wem mehr verziehen, mehr liebt.') Hieronymus ist nicht blind für die Gefahren solcher plötzlichen Bekehrungen. Leicht konnte an die Stelle des früheren Kokettierens mit seidenen Kleidern, Gold und Edelsteinen ein Kokettieren mit Bußkleidern treten : Nach Wegwerfung der ersteren tun wir uns bisweilen auf unsere ruhmbringenden Bußkleider etwas zugute und erkaufen uns mit unserer Armut die Volksgunst.') Eine ge- borene Herrscherklasse, wie der römische Hochadel, wußte die Sympathien der Plebs, die er früher durch seinen Luxus an sich gefesselt hatte, jetzt durch heroische Wohltätigkeit zu erwerben. Die Türen, welche früher Schwärme von Visiten- machern ausgespieen hatten, sind jetzt von Elenden belagert.^) Es steckte in diesen Römern und Römerinnen trotz aller Decadence eine nicht gering einzuschätzende Energie, und sie äußerte sich jetzt in dem schroffen Bruch mit dem früheren Sinnenleben, das sie geführt hatten. Fabiola war in erster Ehe mit einem Wollüstling verheiratet gewesen, dessen Laster nicht einmal eine Dirne oder Sklavin ertragen konnte. Sie hatte sich von diesem widerlichen Lump nach den römischen Gesetzen scheiden lassen: „Anders sind freilich die Gesetze der Kaiser, anders das Gesetz Christi, etwas anderes schreibt Papinian, etwas anderes Paulus vor.'") Ent-
') Ep. 77, 12, Vallarsi I, 463. -) Ep. 77, 2, Vallarsi I, 454. ^) Ep. 66, 5, Vallarsi I, 394. *) Ep. 77, 3, Vallarsi I, 455.
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gegen den kirchlichen Gesetzen war sie nicht unverheiratet geblieben, sondern hatte noch zu Lebzeiten des ersten Mannes einen Mann geheiratet, mit dem sie in glücklicher Ehe lebte. Dann war ihr zweiter Mann gestorben, und nun tat sie einen Schritt, der so recht geeignet war, den weitesten Kreisen Bewunderung abzunötigen. Am Tage vor dem Osterfest, mit dem Bußsack bekleidet, erschien sie in der Lateranbasilika und tat öffentlich — es war dies schon damals nicht mehr die Sitte der Kirche — Buße vor dem römischen Bischof, den Priestern und dem ganzen Volke, in der ihm eigenen plastisch- rhetorischen Weise beschreibt uns Hieronymus den Eindruck, den die edle Römerin auf das Volk machte, als sie mit auf- gelöstem Haar, traurigem Antlitz, bußfertigen Händen und demütigem Nacken in der Kirche erschien.') Das durch solchen Heroismus leicht gerührte Volk weinte mit ihr. Nachdem sie feierlich vor den Augen der ganzen Kirche in die Kirchen- gemeinschaft aufgenommen worden war, begann sie nun ihren unermeßlichen Reichtum ganz in den Dienst der Armen und Kranken zu stellen. Sie errichtete ein großartiges Krankenhaus in Rom und scheute sich nicht, selbst Hand anzulegen bei der Pflege der Kranken: Wie oft hat sie von Aussatz und Gestank ganz strotzende Kranke auf ihren eigenen Schultern selbst ins Krankenhaus getragen, wie oft den schmierigen Eiter der Wunden ausgewaschen, den manche andere kaum anblicken konnten. Sie reichte ihnen die SiDcise mit eigener Hand und erquickte ihren kaum noch lebendigen Leib mit belebenden Tränken.') Eine solche Wollust der Askese, die der verzärtelten Römerin die Kraft gab, ihren Ekel zu überwinden, mußte einer verkommenen Gesellschaft imponieren. Priester, Mönche und Jungfrauen unterstützte sie in freigebigster Weise, und weit über die Grenzen Roms sandte sie den italienischen Mönchs- genossenschaften reiche Spenden zu. Ihr ruheloser Eifer ließ sie auch eine Wallfahrt nach Jerusalem unternehmen. Hier weilte sie im Pilgerhaus des Klosters der Paula, und hier lernte sie Hieronymus persönlich kennen. Mit glühendem Eifer
') Ep. 77, 4, Vallarsi I, 456. -) Ep. 77, 6, Vallarsi I, 45S.
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forschte sie in der Schrift und bestürmte Hieronymus in den Bibelstunden des Klosters mit allerlei Fragen: „Aber sie tat sich in ihrer Lernbegierde nie genug, sondern je mehr sie in der Erkenntnis zunahm, desto mehr vermehrte sich bei ihr der schmerzliche Hunger, und als ob sie Öl ins Feuer gösse, ver- größerte sich ihr heiliger Liebeseifer."') Fabiola hatte sogar die Absicht, sich dauernd im heiligen Lande niederzulassen, aber der Hunneneinfall im Jahre 3Q5 — der Praefectus praetorio Ruffinus hatte die Hunnen, um sich in seiner Macht zu erhalten, herbei- gerufen, war aber von dem Goten Gainas getötet worden — ver- trieb Fabiola von den heiligen Stätten.) Da Kaiser Theodosius im Krieg mit Arbogast alle verfügbaren Legionen des Orients nach Italien geführt hatte, war der Orient den wilden Schwärmen des raschen Reitervolkes fast wehrlos ausgeliefert. Welches Entsetzen sie erregten, prägt sich in dem einen Wort des Hieronymus aus: Möge Jesus solche Völker vom römischen Reiche fernhalten, die schlimmer als Bestien sind. Hieronymus und Paula waren mit ihren Mönchen und Nonnen ans Meer geflohen und hatten dort eine Zeit lang am Meeresstrande ihre Wohnung aufgeschlagen, immer Schiffe bereithaltend, um bei herannahender Gefahr sogleich zur See gehen zu können. Fabiola hatte es bei der Unsicherheit aller Verhältnisse vor- gezogen, nach Rom zurückzukehren. Herzlich gern hätte Hieronymus die reiche, ihm so ergebene Römerin in Bethlehem zurückgehalten, zumal da die finanzielle Lage der Klöster bedenk- lich zu werden anfing, weil die Mittel der Paula versiegten. Noch in dem Nekrolog der Fabiola schreibt er: „Wir bedauern dabei nur, daß wir diesen höchst kostbaren Schmuck für die heiligen Stätten verloren haben. Rom empfing zurück, was es verloren, und das voreilige böse Gerede der Heiden ist durch eigenen Augenschein widerlegt." ^) Man hatte in Rom Hiero- nymus gewiß nicht mit Unrecht in Verdacht gehabt, daß er die reiche Römerin ebenso wie Paula für seine Klöster gewinnen wollte. Fabiola hatte aber gewiß nicht nur wegen der Hunnen- gefahr Bethlehem den Rücken gekehrt, sondern der damals
') Ep. 77, 7, Vallarsi I, 459.
2) Philostorgius, bist. eccl. XI, 3; Claudian in Ruff. lib. 11, 400.
3) Ep. 77, 9, Vallarsi 1, 461.
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beginnende Zank und die Reibereien des Hieronymus mit dem Bischof Johannes von Jerusalem hatten sie verstimmt. Hiero- nymus deutet dies nur zart an: „Es herrschte damals unter uns eine gewisse Uneinigkeit, und die häuslichen Kriege waren wohl schlimmer als die Kämpfe mit den Barbaren."
Nach ihrer Heimkehr nach Rom blieb sie aber mit Hieronymus im brieflichen Verkehr. Sie hatte ihn gebeten, ihr über das Priestertum des Aaron und über die priesterliche Kleidung zu schreiben,') und er kam diesem Wunsch nach und tat noch ein übriges, indem er in dem exegetischen Sendschreiben auch von den Opfern, den Speisen der Priester und den Gefäßen der Stiftshütte handelte. Durch allegorische Erklärung verstand es Hieronymus, den trockenen statutarischen Bestimmungen des Leviticus und Exodus einen wunderbaren erbaulichen Tiefsinn zu entlocken. Wenn z. B. verordnet wird, daß die Priester die Brust und die Arme des Opferstieres erhalten sollen, so bedeutet die Brust reine Gedanken und die Arme gute Werke. Wenn der Priester keine körperlichen Fehler haben darf, so sind damit die Laster der Seele gemeint, die er fliehen muß.') Dann gibt er seiner Freundin eine allegorische Erklärung der Stiftshütte mit den heiligen Geräten. Die ganze Welt wird unter dem Geheimnis der Stiftshütte beschrieben.') Vorhof und Heiliges stehen allen offen, es bedeutet, daß Erde und Wasser allen Sterblichen gegeben sind; das Allerheiligste bedeutet den Himmel, in den nur wenige eintreten dürfen.
Erst nach dieser langen Einleitung wendet er sich der ihm gestellten Aufgabe, die priesterliche Kleidung zu er- klären, zu. Hier erörtert er zunächst den Wortsinn nach der jüdischen Auslegung. Vier Kleidungsstücke tragen alle Priester: die Binde um die Oberschenkel, die leinene Tunika, den Gürtel und die Mütze. Um Fabiola ein deutliches Bild der jüdischen Priesterkleidung zu geben, zieht er Josephus bei und weist für die eigentümliche Kopfbedeckung der Priester auf die Kappe des Odysseus, mit der dieser auf den Gemälden
') Ep. 64, 8, Vallarsi I, 357. 0 Ep. 64, 2, Vallarsi I, 354. ^) Ep. 64, 9, Vallarsi i, 358.
Wiederankniipfung mit Rom. 187
dargestellt zu werden pflegt. Dann behandelt er die vier Kleidungsstücke, die nur der Hohepriester tragen durfte: die Mail, ein talarartiges Gewand, das Ephod, das mit zwei Steinen auf jeder Schulter befestigt war, worüber er bereits früher in einem Brief an Marcella ausführlich gehandelt hatte,') das Brust- schild (rationale) mit zwölf Edelsteinen von wunderbarer Größe, und endlich die goldene Stirnbinde, auf der sich der hebräische Gottesname, das Tetragrammaton, befindet. Nachdem er der Fabiola zunächst im Anschluß an seine jüdischen Autoritäten Stück für Stück der priesterlichen Kleidung erklärt hat, beginnt er die Segel des geistlichen Verständnisses auszuspannen.') Hier erfahren nun alle Einzelheiten der priesterlichen und hohepriesterlichen Kleidung ihre allegorische Ausdeutung, oft gibt er auch mehrere allegorische Deutungen. So können z. B. die beiden Steine, an denen das Ephod befestigt ist, auf Christus und die Kirche oder auf Buchstabe und Geist, wobei dann der rechte Stein den Geist, der linke den Buchstaben bezeichnet, gedeutet werden. Für die zwölf Steine des hohe- priesterlichen Schildes verweist er Fabiola auf das aus- gezeichnete Werk des Bischofs Epiphanius jTi:ol rör öcoöena Äiöo)}'. dem er schon vorher nach seiner beliebten Art einen Satz wörtlich entlehnt hatte, um mit Kenntnissen zu prunken, die er nicht besaß.) Den Schluß des exegetischen Sendschreibens — wo dürfte dies in einem Briefe des Hieronymus fehlen - bildet ein Hymnus auf die Keuschheit und ein Appell an Fabiola, sich ihr zu weihen. Den Anlaß dazu entnimmt er dem Fehlen der feminalia unter den priesterlichen Kleidungsstücken im Leviticus, Damit will Moses die Keuschheit, denn dies bedeuten die feminalia, nicht zum Gebot machen, sondern als freiwillige Leistung des einzelnen anstellen. In einer Nacht, als schon das Tau des Schiffes vom Strande gelöst worden war und die Schiffer
') Ep. 39, Vallarsi I, 137 ff., de Ephod et Theraphim s. Bd. I, 233.
-') Ep. 64, 19, Vallarsi I, 364.
ä) Bereits Vallarsi I, 363, Anm. b, hat darauf hingewiesen, daß Hieronymus einen Satz ep. 64, 17 über den Edelstein Ligurius wörtlich aus Epiphanius abgeschrieben hat, ohne auch nur seine Quelle anzudeuten : Scrutans eos, qui de lapidum atque gemmarum scripsere naturis, liguriuni invenire non potui.
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zur Abfahrt riefen, will er in aller Eile das Schreiben aus dem, was er im Gedächtnis hatte, diktiert haben. Dies ist natürlich pure Aufschneiderei, die nur dazu dienen soll, um der Fabiola noch mehr zu imponieren, wenn er diese Arbeit als improvi- sierte hinstellte. Mit einem von Demut triefenden Schlußwort, das gewiß nicht zu ernst zu nehmen ist, bittet er Fabiola, falls sie in der großen Stadt Rom ein Buch, das Tertullian über die Kleider Aarons geschrieben haben soll, er aber nicht besitze,') in die Hände bekäme, doch nicht seinen Tropfen mit jenem Strome zu vergleichen. Vielleicht mit einer nicht voli- bewußten Selbsterkenntnis schätzt er seine Leistungen durch- aus zutreffend ein, wenn er schreibt: Ich bin nicht nach dem Genie großer Männer, sondern nach meinen Kräften zu beurteilen. Hieronymus hatte mit seinem Briefe die Absicht verfolgt, Fabiola wenn möglich zur Rückkehr nach Bethlehem zu bewegen. „Du genießest die erwünschte Ruhe, aber in Babylon seufzest du vielleicht nach den bethlehemitischen Fluren. Wir in Ephrata, nachdem endlich der Friede wiederhergestellt ist, hören das in der Krippe wimmernde Kind und wünschen, daß seine Klagen und Laute an dein Ohr dringen.'") Aber Fabiola folgte diesem Lockruf nicht; sie hatte sich mit Pammachius zu großartiger gemeinsamer Wirksamkeit im Dienst der christlichen Liebestätigkeit in Rom zusammengetan.
[^ammachius hatte 395 seine Gattin Paulina, die zweite Tochter der Paula, verloren. Er hatte in glücklicher, aber kinderloser Ehe mit seiner Gattin, von deren Charakter wir aus dem Nekrolog des Hieronymus nur ein blasses Bild gewinnen,') gelebt. Schon im Streit mit Jovinian hatte der Schwiegersohn der Paula die Sache der Mönchspartei geführt; nach dem Tode seiner Gattin hatte Pammachius, der, ein Urenkel von Konsuln, dem edlen Geschlechte der Furier angehörte, das Purpurgewand der Senatoren mit der dunklen Tunika der Mönche vertauscht. Hieronymus weiß diese bedeut- same Hinwendung eines so angesehenen und beredten Mannes
') s. über die für uns vollständig verlorene und nur dem Titel nach bekannte Schrift Harnack, Altchristliche Literaturgeschichte II, 672. *) Ep. 64, 8, Vallarsi I, 358. ») Ep. 66, Vallarsi I, 3Q1 ff.
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zur Sache des Mönchtums nicht genug zu preisen. Das Beispiel des Pammachius war auch nicht wiri<ungslos geblieben; bereits in dem 3Q7 geschriebenen Nekrolog der Paulina kann es Hiero- nymus triumphierend der Welt verkünden: „In unseren Tagen besitzt Rom, was die Welt vordem noch nicht gesehen hat. Damals waren die Weisen, die Mächtigen, die Adligen unter den Christen selten; jetzt gibt es viele Mönche, welche reich, von angesehenem und adligem Geschlecht sind." Nach dem Tode seiner Gattin hatte Pammachius sein großes Vermögen ganz den Werken der Armen- und Krankenpflege geweiht: Andere Ehemänner streuen Veilchen, Rosen, Lilien und Purpurblüten auf die Gräber ihrer Gattinnen und trösten sich in dem Schmerze ihrer Brust mit solchen Aufmerksamkeiten. Unser Pammachius befeuchtet die heilige Asche und die ehrwürdigen Gebeine mit dem Balsam der Almosen."^) Mit Fabiola zusammen errichtete Pammachius im römischen Hafen ein Pilgerhaus:-) Es wetteiferten miteinander dieser Mann und diese Frau, wer im römischen Hafen Abrahams Zelle auf- schlagen würde, und es erhob sich unter beiden ein Streit, welcher den andern an Nächstenliebe übertreffen würde. Es siegten aber beide und wurden besiegt. Beide bekennen sich als Sieger und besiegt, da, was einer wollte, beide voll- brachten. Mit gemeinsamen Mitteln errichteten sie eine Herberge. Die römischen Reisenden, die eine Seereise unter- nahmen, fanden dort zuvor Erquickung, und aus allen Teilen der Welt stiegen Arme und Reiche dort ab. In demselben Sommer lernte Britannien kennen, was der Ägypter und Parther bereits im Frühjahr kennen gelernt hatte. ') In einer Beziehung blieb aber Pammachius trotz seines Mönchtums Aristokrat; während Fabiola selbst mit Hand anlegte, stellte Pammachius sein Vermögen, aber nicht seine Person in den Dienst der christlichen Liebestätigkeit, so daß Hieronymus ihn ermahnte: „Ich bitte dich, geliebtester Bruder, mit der ganzen Innigkeit meiner Liebe, nicht bloß dein Vermögen, sondern auch dich selbst Christo zum Opfer darzubringen. Wenn wir unsere
') Ep. 66, 5, Vallarsi I, 394.
2) Ep. 66, 11, Vallarsi I, 399; ep. 77, 10, Vallarsi I, 461.
3) Ep. 77, 10, Vallarsi I, 461.
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Schätze zugleich mit unserer Seele Christi zum Opfer bringen, so wird er sie wohlgefällig und freudig annehmen. Wenn wir aber bloß das Äußerliche Gott, das Innere aber dem Teufel geben, so ist das keine gerechte Teilung, und es trifft uns das Wort: Hast du nicht gesündigt, weil du recht opferst, aber nicht recht teilest?"^)
Fabiola starb bereits 399, ehe die Wogen des Origenistischen Streits in Rom hoch zu gehen begannen. Ihr Leichenbegängnis gestaltete sich zu einer glänzenden Feier. „So hat nicht Purins über die Gallier, nicht Papirius über die Samniter, nicht Scipio über Numantia, nicht Pompejus über die Pontier triumphiert." Haufenweise strömte die Menge zu ihrem Leichenbegängnis herbei. Nicht die Straßen, nicht die Säulenhallen, noch die Dächer vermochten die Zuschauer zu fassen. Ganz Rom trauerte und freute sich über die glorreiche Verklärung der Büßerin.
In Bethlehem hatte Fabiola einst mit Hieronymus das Buch Numeri gelesen und ihn gebeten, ihr in einem eignen Werk das Verzeichnis der Lagerstätten, an denen das Volk Israel vom Auszuge aus Ägypten beim Zug durch die Wüste bis zum Jordanflusse rastete, zu erklären. Er hatte die Arbeit immer hinausgeschoben; jetzt widmete er sie dem Gedächtnis der verstorbenen Freundin und sandte sie) an ihren Ver- wandten Oceanus nebst dem Nekrolog auf Fabiola, damit sie sich freue durch die Wüste dieser Welt endlich einmal in das Land der Verheißung gelangt zu sein.') Es ist ein charakte- ristisches Produkt seiner Feder, diese allegorische Erklärung der Namen der 42 Lagerstätten der Israeliten.') Das Recht zur allegorischen Erklärung entnimmt er Paulus, der 1. Kor. 10, 1 1 einen Teil des Zuges der Kinder Israel durch die Wüste allegorisch deutete. Wenn die Juden das Alte Testament wörtlich verstehen, so sollen wir Capharnaum verlassen, den einst schönen Acker, und mit Jesus in die Wüste hinaus- ziehen und sein Brot essen. )
') Gen. 4, 7 nach den LXX.
'■') Ep. 77, 7, Vallarsi I, 459.
') Ep. 77, 7, Vallarsi I, 459.
•*) Ep. 78, Vallarsi I, 463 ff.
^) Ep. 78, 1 Praefatio, Vallarsi i, 464.
Wiederanknüpfung mit Rom. IQl
Es sind 42 Lagerstätten in Numeri 33, wie es nach Matthäus 42 Generationen von Abraham auf Christus sind. Durch 42 Stationen läuft der wahre Hebräer, welcher von der Erde zum Himmel eilt, und betritt das Land der Verheißung, nachdem er das Ägypten der Welt verlassen hat. Wie Christus, unser Herr und Heiland, in 42 Gene- rationen vom ersten Patriarchen bis zur Jungfrau erschien, so gelangen wir durch 42 Stationen zum Himmelreich. Mit großem Geschick versteht es Hieronymus, der Deutung der hebräischen Namen, die zum Teil unglaublich willkürlich ist, aber seinen Zeitgenossen doch gewaltig imponieren mußte, da ihn keiner kontrollieren konnte, einen erbaulichen Sinn unterzulegen. Er kann es dabei nicht unterlassen mit seinem Wissen zu renommieren und hochmütig über einige kirchliche Männer abzuurteilen, die, da die griechischen und lateinischen Codices vielfach in den Namen verderbt sind, oft das, was im Hebräischen gar nicht enthalten ist, übersetzen und daran erdichtete Erklärungen knüpfen.') Da er aber selbst die in seinem Buch der hebräischen Ortsnamen gegebene Ver- dolmetschung der Namen einer Korrektur unterzieht und häufig durch eine andere ersetzt, so mußte doch für einen kritischen und nachdenklichen Leser, wenn er auch keine Kenntnis des Hebräischen besaß, das Zutrauen zu dem Wissen des Hierony- mus erschüttert werden. Aber solche waren nicht allzu zahl- reich, und da sie nichts besseres an die Stelle zu setzen wußten, mußten sie wohl oder übel schweigen. Das ganze Büchlein übt auf den Leser eine tiefgehende Wirkung, weil der Grund- gedanke, das Christenleben, ein Pilgerlauf durch die Wüste dieser Welt nach der ewigen Heimat, mit Energie festgehalten ist. Es ist dies ja ein in der christlich erbaulichen Literatur aller Zeiten häufig wiederkehrender Gedanke; aber die Aus- führung, die ihm Hieronymus hier gibt, ist besonders anziehend. Der Pilgerlauf des Christen führt ihn bald auf die Höhen der Gottesgemeinschaft, bald in die Tiefen der Versuchung, bis er am Ende seines Lebens wie Moses das gelobte Land schaut und, wenn er die alten Sünden beweint hat, unter der Führung
') Ep. 78, mansio 9, Vallarsi I, 472.
192 Wiederanknüpfung mit Rom.
Jesu den Jordan überschreitet und das wahre Passah nicht in Ägypten, sondern im Heiligen Lande ißt.
An Oceanus, dem er dieses Büchlein zugesandt hatte, hatte Hieronymus neben Pammachius den einflußreichsten Freund in Rom. Verwandt mit Fabiola gehörte auch er den ersten Geschlechtern Roms an. Es war deshalb für Hierony- mus überaus schmeichelhaft, als dieser in den kirchlichen Kreisen Roms bestimmende Mann ihn um ein kirchenrecht- liches Gutachten anging.') Es handelte sich um die Frage, ob ein Priester, der vor seiner Taufe schon verheiratet gewesen war und dann nach der Taufe ein zweites Mal geheiratet hatte, als Doppeltverheirateter zu gelten habe und deshalb nicht zum Bischof ordiniert werden dürfe. Der Fall war jüngst in Spanien vorgekommen. Craterius, ein schon bejahrter Mann, der lange Zeit Priester gewesen war, war zum Bischof ordiniert worden. Wir wissen nicht, warum man plötzlich gegen den alten Mann vorgehen wollte; aber daß gerade ein Führer der Mönchspartei, wie Oceanus, den Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Ordination zum Bischof erhob, zeigt doch, daß es im Zuge der Zeit lag, immer schärfere Forderungen betreff der geschlechtlichen Enthaltsamkeit an die Träger des Episkopats zu stellen. Von diesem Gesichtspunkt aus läßt es sich begreifen, daß man an der Entscheidung des kasuistischen Falls aufs lebhafteste interessiert war. So ging Oceanus nicht nur in eigenem Namen, sondern im Auftrage der römischen Mönchs- partei,) die mit Hieronymus jetzt wieder in steter Verbindung stand, das Bethlehemitische Orakel an, sich über diese Frage auszusprechen. Man hatte gewiß gehofft, daß Hieronymus eine solche Ordination eines Digamus zum Bischof aufs schärfste verurteilen würde, aber nun trat das Gegenteil ein. Hieronymus erklärte sich wunderlicherweise in einem aus- führlichen Schreiben für die Rechtmäßigkeit der Ordination des zweimal verheirateten Bischofs.')
Zunächst behauptet er, daß solche Ordinationen nichts Seltenes wären: „Wenn ich solche Bischöfe einzeln nennen
') Ep. 69, 5, Vallarsi I, 409.
2) Contra Riifin. I, 32, Vallarsi II, 488.
=•) Ep. 69, Vallarsi 1, 409 ff.
Wiederanknüpfung mit Rom. 193
wollte, so würde ihre Zahl die Teilnehmer der Synode vom Rimini, d. h. also 300 übersteigen." Dies ist gewiß eine starke Übertreibung; in seiner Streitschrift gegen Rufin') weiß er nur von einigen solchen Bischöfen zu melden. Seine merkwürdige Stellungnahme begründet Hieronymus damit, daß die Taufe den Menschen ganz neu mache; und deshalb auch die vor der Taufe geschlossene Ehe den Klerikern nicht angerechnet werden dürfe. Wenn also Paulus 1. Tim. 3, Iff. und Tit. 1, 5ff. vom Bischof oder Presbyter — denn beide waren ursprünglich identisch, wie er immer geflissentlich hervorhebt,") da er es doch nur bis zum Presbyter gebracht hat — fordere, daß er als eines Weibes Mann ordiniert werden dürfe, so dürfe nur die nach der Taufe geschlossene Ehe in Anrechnung gebracht werden. Wenn durch die Taufe alle Hurerei, Gottlosigkeit, Vatermord, Inzest und widernatürliche Unzucht abgewaschen wird, so sollte allein der Makel einer vor der Taufe geschlossenen Ehe nicht getilgt werden? Mit dialektischer Kunst sucht er die gegnerische These ad absurdum zu führen: „Wenn alles durch die Taufe erlassen wird, nur nicht eine vorher geschlossene Ehe, dann dürfen die Katechumenen Hurerei treiben, nach der Sitte der Schotten oder Attikoten Weibergemeinschaft haben, aber nur vor einem Eheschluß vor der Taufe müssen sie sich hüten." Er erörtert dann noch die Möglichkeit anderer Aus- legungen des Apostelwortes: „Ein Bischof sei eines Weibes Mann." Man könnte es gegen die bei den Juden erlaubte Polygamie gerichtet sein lassen oder unter dem Weibe die Kirche verstehen oder die Translation eines Bischofs von einer Kirche zur andern dadurch verboten sehen ;^) aber diese Aus- legungen sind doch künstlich und gezwungen. Um seine Entscheidung in dieser Frage als die richtige zu erweisen,
') Contra Rufin. 1, 32, Vallarsi II, 488.
'^) s. den Tituskommentar Bd. II, § 29; ep. 146 ad Evangelum, Vallarsi I, 1078.
^) Hieronymus beruft sich dafür ep. 69, 5, Vallarsi I, 415 auf die Nicänische Synode. Vallarsi I, 415 Anm. a hat gemeint, daß er hier einen Sardicensischen Kanon als Nicänischen zitiert habe, wahrscheinlich hat er aber doch c. 15 der Synode von Nicäa im Auge gehabt: „söo^e, oJöre änd nÖÄSOic. el^ noÄtv /n) ueraßaiveiv /.Dtre imiOKonof, /<//re jrgeoßvzeQOv, /i)jTe biäuovov."
Grützmacher, Hieronymus. II. 13
1Q4 Wiederanknüpfung mit Rom.
weist er auf einen praktischen Fall hin, wie er sich bei den traurigen sozialen Verhältnissen häufig ereignen konnte. Viele heirateten wegen zu großer Armut nicht, sondern nahmen ihre Mägde zu Gattinnen und betrachteten die mit ihnen er- zeugten Kinder als ihre legitimen. Soll nun ein solcher, der nur seine Ehe nicht in die Eheregister hat eintragen lassen, als unverheiratet gelten? Dies wäre doch ganz absurd. Zum Schluß ergeht sich Hieronymus noch in einer ausführlichen Besprechung der übrigen Eigenschaften, die der Apostel vom Bischof verlange, außer daß er monogam sei. Die Einleitung, die er dieser Erörterung voranschickt: „Niemand möge glauben, daß ich, was ich geschrieben habe, nicht um die Priester meiner Zeit herabzusetzen, sondern zum Nutzen der Kirche geschrieben habe", läßt auf irgend welche Hintergedanken bei ihm schließen. Wenn er sich entschuldigt, klagt er sich in der Regel an. Er hat hier gewiß ganz bestimmte Persönlich- keiten seiner Zeit im Auge, die er nur nicht öffentlich anzu- greifen wagte. Und wenn er besonders gründlich die Forderung des Apostels behandelt, daß der Bischof kein Neophyt sein dürfe: „Gestern Katechumene, heute Bischof, gestern im Amphitheater, heute in der Kirche, am Abend im Zirkus, heute am Altar, früher der Protektor der Schauspieler, heute der Konsekrator der Jungfrauen," so ist vermutlich kein anderer als Ambrosius gemeint, den er mit inbrünstigem Haß verfolgte. Ambrosius hatte in der Frage über die Ordination eines zwei- mal verheirateten Bischofs den gegnerischen Standpunkt ver- treten'), und der Freund des Hieronymus Oceanus hatte sich diesen zunächst zu eigen gemacht, aber doch noch ein Gut- achten des Hieronymus eingeholt. Dies mochte Hieronymus besonders gereizt haben. Aber auch Papst Siricius, der ja Hieronymus ebenfalls nicht besonders zugetan gewesen zu sein scheint, hatte in einem Dekret bestimmt, daß nur der als Kandidat für den geistlichen Stand zugelassen werden und die Lektoren- und Exorzistenweihe erhalten dürfe, der vor der Taufe nur eine Frau gehabt habe.) Diese Stellungnahme seiner persön-
') De officiis lib. I, 50. s. oben S. 4S.
*) ep. ad Himeriuni Tarracon. episcopum c. 10 u. 11, Hardouin, Collect. Concil. I, 847 vom 11. Febr. 3S5, s. Zöckler, S. 198.
Wiederanknüpfung mit Rom. 195
liehen Gegner hatte vielleicht bei der sonderbaren Entscheidung des Hieronymus mitgewirkt. Später zog er jedoch mildere Seiten auf. In der Streitschrift gegen Rufin schreibt er:') „Wir ant- worteten auf die Anfrage der Brüder, was uns richtig schien, ohne aber jemand zu dieser Meinung zwingen oder ohne die Dekrete eines andern durch unsere Meinung umstoßen zu wollen." Aber nicht die Meinung des Hieronymus, son- dern die des Ambrosius und Siricius trug den Sieg in der Kirche davon, die autoritativen Führer Augustin,') die Päpste Innocenz 1. und Leo der Große') traten ihr bei, und diese Entscheidung lag auch in der Linie der fortschreitenden Monachisierung des Klerus. Hieronymus hat dies gewiß geschmerzt, daß er hier den kürzeren gezogen hatte; aber die Freundschaft des Oceanus und Pammachius blieb ihm erhalten, und diese sollte für ihn, als der Origenistische Streit vom Orient in den Occident gespielt wurde, noch von großer Bedeutung sein.
§ 38. Der Jona= und Obadjakommentar.
Drei Jahre nach der Abfassung des Kommentars zu den fünf kleinen Propheten Nahum, Micha, Zephanja, Haggai und Habakuk schrieb Hieronymus die Kommentare zum Jona und Obadja und setzte so die längere Zeit unterbrochene Arbeit an dem Kommentar zum Zwölfprophetenbuch fort.
Der Jonakommentar, der seinem Gönner, dem Bischof Chromatius von Aquileja gewidmet ist,') gehört nach Form und Inhalt zu den besseren exegetischen Arbeiten des Hiero-
1) Contra Rufin. 1. I, 32, Vallarsi II, 4SS. ^) De bono conjugali c. 18 u. 21.
^) s. Vallarsi I, 409 Anm. b, auch über das erste Concil von Valence, c. 1, vom Jahre 374.
*) Praef. in Jon., Vallarsi VI, 387 ff.
13'
196 Wiederankniipfung mit Rom.
nymus. Wußte er doch, daß der gelehrte Bischof, der auch innig mit Rufin befreundet war, zu seinen anspruchsvollsten Freunden gehörte, der sich nicht mit allzuleichter Ware abspeisen ließ. Er sagt auch, daß er auf die Erklärung des Jona, des Typus des Erlösers, der drei Tage und Nächte im Leibe des Seetieres verweilte und die Auferstehung des Herrn vorbildete, besonderen Eifer verwandt habe.')
Welche Kommentare er benutzt hat, verrät er nirgends. Nur die abfällige Kritik über seine Vorgänger, wonach die alten griechischen und lateinischen Kirchenväter über dieses Buch viel Dunkles und Unbrauchbares geschrieben haben,') beweist, daß ihm mehrere solche bekannt gewesen sein müssen. Daß er in erster Linie wieder den Origeneskommentar zum Zwölfprophetenbuch benutzt hat, läßt sich aus einer Reihe Bemerkungen seines Kommentars noch deutlich erkennen. Es ist dabei von Interesse, wieviel schärfer Hieronymus jetzt gegen Origenes und seine Heterodoxien Stellung nimmt als in den früheren Kommentaren, allerdings ohne ihn an irgend einer Stelle namentlich zu nennen. Im Anschluß an Jon. 2, 7: „Du wirst mein Leben vom Verderben befreien" hatte Origenes sein beliebtes Theologumenon von der Vernichtung des Leibes vorgetragen. Scharf bezeichnet Hieronymus diese Anschauung als Ketzerei: „Wir wissen, daß der Leib, den Christus von der unbefleckten Jungfrau angenommen hat, nicht eine Befleckung Christi, sondern sein Tempel gewesen ist; und wirbehaupten, daß derselbe Leib und dasselbe Fleisch auferstehe, das begraben und in die Erde bestattet ist, daß er nur seine Herrlichkeit, aber nicht seine Natur bei der Auferstehung verändere."') Origenes hatte ferner Jon. 3, 6 unter dem König von Ninive, der Buße tut, den Teufel verstanden, der am Ende des Weltlaufs, weil keine vernünftige, von Gott geschaffene Kreatur zugrunde gehe, von seinem Hochmut läßt, sich bekehrt und wieder in seinen alten Platz eingesetzt wird. Mit bitterer Ironie weist Hiero- nymus die Lehre von der Beseligung aller ab. Wenn diese Lehre zu Recht besteht, welcher Unterschied ist dann zwischen
') Praef. in Jon., Vallarsi VI, 388. ») Praef. in Jon., Vallarsi Vi, 387. ") Jon, 2, 7, Vallarsi VI, 411.
Wiederanknüpfung mit Rom. 197
der Mutter Gottes und, was zu sagen ein Verbrechen, zwischen den Dirnen, den Opfern der öffentlichen Lust, zwischen Gabriel und dem Teufel, den Aposteln und den Dämonen. Schon droht Hieronymus deutlich damit, daß er den Kampf gegen den Origenismus aufnehmen werde; aber er findet es noch nicht an der Zeit, gegen das perverse Dogma und die teuflische Verkündigung derer, die sie in den Winkeln lehren, aber öffentlich ableugnen, in die Schranken zu treten. Auch gegen die subordinatianische Christologie des Origenes zieht Hiero- nymus zu Felde. An die Stelle Jon. 4, 10: „Du empfindest Schmerz über den Efeu, an dem du nicht gearbeitet und den du nicht gemacht hast" hatte Origenes seine christologische Spekulation angeknüpft. Unter der Voraussetzung, daß unter Jonas Christus zu verstehen sei und mit Herbeiziehung von Mark. 10, 18: „Was nennst du mich gut, niemand ist gut als der einige Gott" hatte Origenes gefolgert, daß der Vater größer sei als der Sohn, und der Sohn im Vergleich mit dem Vater, dem einzig vollkommenen und wahrhaft guten Wesen, von geringerer Vollkommenheit sei. Hieronymus beschuldigt Origenes, daß er, ohne es zu wissen, der Häresie des Marcion verfalle und bezeichnet bereits den einst so verehrten Meister als den Vater des Erzketzers Arius.
Neben Origenes ist auch hier wie in den früheren alt- testafnentlichen Kommentaren die jüdische Exegese seine Haupt- quelle. Ihr entnimmt er die historische Exegese des Propheten. Nach der Tradition der Hebräer ist der Verfasser des Buches der Jona, der 2. Kön. 14, 25 als Sohn des Amathus aus Geth bei Opher genannt wird. Er soll nach der Meinung der Juden der Sohn der Witwe von Sarepta gewesen sein, den Elias von den Toten erweckte. Sein Geburtsort Geth liegt zwei Meilen von Saphorim, dem heutigen Diocaesarea, einem kleinen Dorf, wo noch heute sein Grab gezeigt wird. Andere lassen ihn fälschlich in Diospolis, dem alten Lydda, geboren und begraben sein. Im Buch Tobiae wird er Kapitel 14, 5 erwähnt. Da Ninive unter König Josia zur Zeit des Mederkönigs Astyages zerstört wurde, so erkennen wir, daß die Niniviten zuerst auf die Predigt des Jona Buße getan und Verzeihung erlangt haben, aber später in ihre alten Laster verfallen sind und das
198 Wiederanknüpfiino- mit Rom.
Urteil Gottes gegen sich herbeigerufen haben. Was die Zeit seiner Prophetie betrifft, so ist Jona ein Zeitgenosse des Hosea, Arnos und Jesaia.') Von den Hebräern hat Hieronymus auch die Deutung von Tharsis im Sinne von Meer, während Josephus darunter fälschlich durch Veränderung des ersten Buchstabens Tarsus in Cilicien, die Heimat des Paulus, verstanden habe.') Aus jüdischer Quelle stammt seine Deutung des Namens Jona, gleich die Taube oder der Trauernde. ) Von den Juden hat Hieronymus auch erfahren, daß die Pflanze i'P'p, die in der sy- rischen und punischen Sprache ciceia hieß,') ein in Palästina an trockenen Stellen häufig wachsendes Staudengewächs sei, das wunderbar schnell in wenigen Tagen aus dem Samenkorn emporwächst und eine beträchtliche Höhe erreicht. Weil die lateinische Sprache kein Wort für diese Pflanze besaß, und er kein neues Wort zu bilden wagte, hat er im Anschluß an die alten Übersetzer, die kiöoö^ haben, es nicht wie die LXX und die altlateinische Bibelübersetzung mit Kürbis, sondern mit Efeu übersetzt. Der römische Kritiker seiner Übersetzung, vermutlich derselbe, den er mehrfach mit den verschiedensten Schimpfworten traktierte, ) hatte ihn wegen dieser Änderung des Sakrilegs angeklagt. Dieser Wallach, der aus dem alten Geschlechte der Kornelier oder des Asinius Pollio stammen will, fürchtete natürlich, wie Hieronymus mit verächtlichem Spott sagt, daß, wenn statt Kürbis Efeu wüchse, er keinen f^latz haben würde, wo er im Dunkel und Geheimen seine Saufereien halten könne.") Hieronymus konnte damals noch nicht ahnen, daß auch Augustin an derselben Änderung des geheiligten Textes, die doch so harmloser Art war, ein schweres Ärgernis nehmen und ihn deshalb zur Rede stellen würde.')
•) Praef. in Jon., Valiarsi VI, 390.
«) Jon. 1,1, Valiarsi VI, 393; ep. 37, 2 ad Marcellam, Valiarsi I, 170, ad. Jes. 2, 14.
^) über nominum, Valiarsi III, 77.
*) Jon. 4, 6, Valiarsi VI, 425: pro Cucurbita, sive hedera in hebraea legitur ciceia, quae etiam lingua syra et punica ciceia dicitur.
') s. § 33.
••■) Jon. 4, 6, Valiarsi VI, 425.
") Ep. 104 Auguslini ad Hieronynium c. 5; ep. 131 Augustini ad Hieronymum c. 6 und Hieronymus ep. 112 ad Augustinum c. 22.
Wiederankniipfung mit Rom. 199
Der Kommentar ist wie bei den früheren kleinen Propheten ein Doppelkommentar, d. h. Hieronymus berücksichtigt neben seiner Übersetzung aus dem Hebräischen immer zugleich den Text der LXX. Er merkt fast immer die Varianten beider Texte an und versucht sie auch bisweilen zu erklären.') Zu Jon. 3, 4 gesteht er keine Erklärung geben zu können, da nach dem hebräischen Text Jona 40 Tage, nach den LXX nur drei Tage Buße gepredigt habe, und diese verschiedene Lesart unmöglich auf eine Wortverwechslung bei der völligen Ver- schiedenheit beider Worte zurückgeführt werden könne. Daß diese Variante sich vielleicht daraus erklärt, daß die Zeit von 40 Tagen, die, wie er selbst bemerkt, als typische Bußzeit galt, für drei Tage eingesetzt worden ist und die LXX mithin den ursprünglichen Text erhalten haben, darauf ist der sonst so findige Exeget nicht verfallen.
Was die historische Exegese des Propheten Jona betrifft, so ist die Geschichte des Propheten so klar und durchsichtig, daß es hier kaum Schwierigkeiten zu überwinden gab. Die Erklärung des Hieronymus wird deshalb auch fast überall dem Wortsinn gerecht. Viel schwieriger mußte sich die allegorische Exegese gestalten, die in dem Propheten einen Typus auf Christus sah und seine Schicksale auf das Leben Christi deutete. Schon in der Vorrede erklärte er, daß es viel Schweißes bedürfe, die ganze Prophetie auf den Erlöser zu beziehen, aber da Christus selbst Jona 2, 2 auf sich bezogen habe, so müsse der Exeget ihm folgen: „Keiner wird ein besserer Aus- leger des Typus des Propheten Jona sein als Christus, der die Propheten selbst inspirierte und die zukünftige Wahrheit in seinen Knechten voraus verkündete. Die Juden haben die Bücher, wir den Herrn der Bücher; jene halten sich an die Propheten, wir an das richtige Verständnis der Propheten; jene tötet der Buchstabe, uns macht der Geist lebendig.'") Aber Hieronymus empfindet doch sehr stark, daß diese Allegorie in der Einzelexegese sich nicht durchführen läßt.') Er beruft sich dabei auf das Verfahren des Apostels Paulus, der z. B. auch nicht die ganze Geschichte
>) z. B. Jon. 4, 2, Vallarsi VI, 423.
2) Praef. in Jon., Vallarsi VI, 387 ff.
3) Jon. 1, 3, Vallarsi VI, 3Q4 ff.
200 Wiederanknüpfung mit Rom.
von Hagar und Sara, sondern nur einzelne Züge aus dieser Geschichte allegorisiere. Gewisse Partien der Geschichte Jonas lassen sich denn auch leicht allegorisieren: Die Flucht des Jona nach Tharsis, d. h. auf das Meer, bedeutet die Flucht Christi aus den himmlischen Gebieten in das Meer dieser Welt;') der Schlaf des Jona, während das Meer brauste, läßt sich ungezwungen auf den Schlaf des Herrn im Schiff bei der Meerfahrt deuten.') Aus dem Wort der Schiffer Jon. 1, 14: „Laß nicht über uns kommen unschuldiges Blut" hören wir die Stimme des Pilatus heraus: „Ich bin rein vom Blut dieses Mannes." Der Fisch, der den Jona verschlingt, ist die Unter- welt, die den Herrn aufnimmt. ) Sein Verweilen im Bauch des Fisches drei Tage und zwei Nächte erklärt Hieronymus, wie der Herr dieses Geheimnis erklärt hat, von seinem Ver- weilen in der Unterwelt. Es ist nur die Frage, wie man die drei Tage und zwei Nächte zu zählen habe. Einige machen die wunderliche Kombination, daß der Freitag als zwei Tage und zwei Nächte zu zählen ist, weil es nach der Kreuzigung Nacht von sechs bis neun Uhr wurde, und so der Tag in zwei Tage und zwei Nächte zerfiel; der Samstag sei dann der dritte Tag, und die Nacht vom Samstag auf den Ostersonntag, den Auf- erstehungstag, die dritte Nacht. Hieronymus will den Ausdruck drei Tage und drei Nächte lieber svnekdochisch verstehen, und er rechnet nun so, daß der Herr einen Teil des Frei- tags, den ganzen Samstag und einen Teil des Sonntags in der Unterwelt gewesen sei, also drei Tage und drei Nächte.*) Schwierig ist aber schon nach Hieronymus die allegorische Deutung des Kürbis oder Efeus, der rasch emporwuchs und rasch welkte, auf Israel durchzuführen, und völlig unmöglich kann Jona in der Stelle Jon. 4, 10 als Typus Christi gefaßt werden, wo Gott zu ihm spricht: „Du empfindest Schmerz über den Efeu, an dem du nicht gearbeitet hast, und den du nicht gemacht hast", sonst gelangt man zu einer subordina-
•) Jon. 1,1, Vallarsi VI, 393.
«) Jon. 1, 12, Vallarsi VI, 402.
") Jon. 2, 1, Vallarsi VI, 405.
*) Jon. 2, 2, Vallarsi VI, 405.
Wiederanknüpfung mit Rom. 201
tianischen Christologie wie Origenes, die doch als absurd ab- zulehnen ist.')
Auch in diesem Kommentar wie in den anderen alt- testamentlichen Auslegungsschriften sind die Anspielungen auf zeitgenössische Verhältnisse verhältnismäßig seltener als in seinen neutestamentlichen Kommentaren. An die Be- kehrung des Königs von Ninive, der zuletzt Buße tut,') knüpft er eine Erörterung über die Bekehrung der Philosophen und Rhetoren seiner Zeit: Reiche, Vornehme, Mächtige bekehren sich schwer, aber die Gelehrten, die philosophisch Gebildeten, finden doch von allen am schwersten den Weg zu dem plebejischen Kultus. Es spricht ein tiefer, verhaltener Haß aus seinen Worten, wenn er die heidnischen Philosophen schildert, deren Worte man noch immer wie göttliche Orakel aufnehme, und die hochmütig auf die christliche Religion herabschauen. Nichts schmerzt Hieronymus mehr, als die Erkenntnis, daß die Geistesaristokraten dem Christentum noch immer nicht die wissenschaftliche Gleichberechtigung mit dem Heidentum zuerkennen wollen.
Es ist auch interessant, daß bereits Hieronymus das Wunder, daß Jona im Bauche des Fisches drei Tage leben konnte,'') gegenüber Zweifeln an seiner Tatsächlichkeit ver- teidigen mußte. Sowohl in christlichen wie in heidnischen Kreisen hatte man daran Anstoß genommen. Derb, aber treffend ist seine Apologetik. Den christlichen Gegnern des Wunders hält er vor, daß sie doch an dem Wunder der drei Männer im feurigen Ofen, des Daniel in der Löwengrube, des Durch- zuges der Israeliten durch das rote Meer, wo sich die Wasser wie eine Mauer aufstellten, keinen Anstoß nehmen; und diese Wunder wären ebenso unglaublich, wenn nicht noch unglaub- licher als dieses. Und seinen heidnischen Gegnern empfiehlt er, doch einmal die fünfzehn Bücher der Metamorphosen des Ovid durchzulesen. Wenn sie die Verwandlung der Daphne in einen Lorbeerbaum, des Jupiters in einen Schwan und andere Wunder gläubig hinnehmen und dies damit begründen, daß
') Jon. 4, 10, Vallarsi VI, 429. 2) Jon. 3, 6 ff., Vallarsi VI, 419. 9) Jon. 2, 2, Vallarsi VI, 405.
202 Wiederanknüpflinjj mit Rom.
bei Gott alles möglich sei, so könnten sie auch den christ- lichen Wundern Glauben schenken, wo doch die göttliche Allmacht sich nicht zu schimpflichen und unsittlichen, sondern nur zu sittlichen Zwecken betätige.
Ein schweres Problem bot dem Hieronymus die Aus- legung der Stelle Jon. 1, 7, wo die Schiffer das Los werfen und Jona dadurch als der Schuldige erkannt wird. Die Schiffer waren nach der Erzählung deutlich als Heiden charak- terisiert. Man konnte nun folgern, daß auch das von den Heiden geworfene Los eine magische Kraft in sich trüge, den Schuldigen als solchen kenntlich zu machen; und damit wäre dem heidnischen Aberglauben ein gefährlicher Vor- schub geleistet worden. Der christliche Ausleger hält es deshalb für nötig, ausdrücklich zu betonen, daß es in diesem Falle nur der Wille Gottes gewesen sei, der das ungewisse Los in wunderbarer Weise auf den Schuldigen lenkte. Auch über die ethische Beurteilung des Selbstmordes sah sich Hieronymus genötigt, angesichts des Wortes Jon. 1, 12: „Werfet mich ins Meer", sich auszusprechen. Er verwirft ihn natürlich, und wohl im Anschluß an Origenes will er ihn auch nicht in der Verfolgung gestattet sein lassen; aber in einem Falle, wo die Keuschheit Gefahr läuft, erscheint er ihm doch erlaubt. Es ist bezeichnend, daß das Christentum, übrigens in Übereinstimmung mit der heidnisch-antiken Beurteilung, das Gut der Keuschheit so hoch wertete, daß es bei seiner Gefährdung den Selbstmord für sittlich berechtigt erklärte. Es waren dies die praktischen Wirkungen des christlichen Virginitätsideals.
Endlich sei noch auf zwei Stellen im Jonakommentar des Hieronymus hingewiesen, die Augustin später mit großer An- erkennung als Bekenntnisse des Hieronymus zu seiner Erb- sündenlehre registrierte. Zu Jon. 1, 1 hatte Hieronymus bei der allegorischen Auslegung der Stelle bemerkt, daß der Mensch, der Gott dienen sollte, durch seinen eigenen Willen verderbt und so sein eigenes Herz von Jugend an eifrig dem Bösen zugetan wurde.') Und an Jon. 3, 5: „Daß alle Buße taten vom Größten
') Jon. 1, 1, Vallarsi VI, 391: cum enim deiis quasi quandam pul- cherrimam domuni ser\'ituro sibi homini exstruxerit, depravatus est liomo propria volutunte et a pueritia diligenter appositum est ad malum cor eius.
Wiederankniipfiin«^ mit Rom. 203
bis zum Kleinsten" knüpft er als Begründung an, daß keiner ohne Sünde sei, ob sein Leben auch nur einen Tag währt oder ob zahlreich die Jahre seines Lebens sind; denn wenn die Sterne nicht rein sind im Angesicht Gottes, um wie viel weniger sind der Wurm und die Fäulnis rein und die, welche durch die Sünde des Gott beleidigenden Adams schuldig geworden sind.') Beide Sätze klingen ja augustinisch und konnten von Augustin in seinem Sinne gedeutet werden; daß sie aber nicht so ernst gemeint sind, sondern Hieronymus auch nach dem Fall dem freien Willen des Menschen eine Mitwirkung zum Guten zusprach, beweisen zahlreiche andersartige Äußerungen von ihm. Erst als er in den Streit mit Pelagius hineingezogen wurde, hat er zwar ohne tiefergehendes Verständnis und ohne eigentliches Herzensinteresse seine frühere Ausdrucksweise im Sinne Augustins zu korrigieren versucht.
Viel leichter als beim Jonakommentar scheint sich Hiero- nymus die Arbeit bei der Auslegung des kleinsten der zwölf Propheten, bei Obadja, gemacht zu haben. Diesen Kommentar, den er seinem einstigen Mitschüler, dem Senator Pammachius, zugeeignet hat, mit dem er seit dem Streit mit Jovinian in inniger Beziehung stand, hatte er nach seinem eigenen Zeugnis einem Schnellschreiber während zweier Nächte in die Feder diktiert.") Er bittet deshalb Pammachius, keine rhetorischen An- forderungen an sein Werk zu stellen, da er keine Zeit darauf verwandt habe, den Stil zu glätten, sondern, aus Scham zu schweigen, dem Schnellschreiber, was ihm in den Mund kam, diktiert habe.
Daß eine solche schnelle Arbeit nur eine Kompilation sein kann aus dem, was ihm in den von ihm benutzten Quellen brauchbar erschien, ist selbstverständlich. Und er hat es auch ausdrücklich ausgesprochen, daß er der Autorität der Alten und vor allem der jüdischen Auslegung gefolgt sei. Die Kommentare seiner Vorgänger, vor allem des Origenes, und die jüdische Exegese sind auch hier seine Quellen. In der mit
*) Jon. 3, 5, Vallarsi VI, 417: si enim stellae non sunt mundae in conspectu dei, qiianto niagis vermis et putredo et hi, qiii peccato offen- dentis Adam tenentur obnoxii.
-) Praef. in Abdiam, Vallarsi Vi, 386.
204 Wiederanknüpfiing mit Rom.
rhetorischem Pathos geschriebenen Vorrede schildert er dem Pammachius, wie ihn ein Jüngling aus Italien in Bethlehem besuchte und ihm einen Kommentar zum Obadja, den er einst als Jüngling während seines Wüstenaufenthalts in der Wüste Chalcis geschrieben hatte, vorlegte und in den höchsten Tönen pries.') 30 Jahre — die Zahl ist abgerundet — waren seitdem vergangen, und Hieronymus schämte sich seines Jugendwerkes, eines allegorischen Kommentars, den er damals ohne Kenntnis der Geschichte des Propheten verfaßt hatte; aber er tröstete sich damit, daß auch Cicero, Tertullian, Origenes und Quintilian in ihren Jugendwerken ähnlich gesündigt hätten im Vergleich mit den Werken ihres reifen Oreisenalters: „Jedes Alter ist in seiner Art vollkommen, und jedes Werk will nach der Zahl der Jahre beurteilt werden." Jetzt, nachdem er im Verlauf der langen Zeit so viel Schweiß auf das Studium der Heiligen Schrift verwandt habe, hätte er wenigstens eins gelernt, die Wahrheit des Wortes des Sokrates erkennen: „Ich weiß, daß ich nichts weiß." Es ist aber bezeichnend, daß Hieronymus trotz dieser Kon- fessionen sich so wenig Mühe bei der Ausarbeitung dieses Kommentars gegeben hat. Er bemerkt, er habe sich gewundert, daß jener Jüngling sein unreifes, jugendliches Machwerk so hoch gepriesen habe; aber er sei im Laufe der Jahre zu der Erkenntnis gekommen, daß, was einer auch für ein schlechtes Zeug schriebe, er immer noch seiner ähnliche Leser fände. Auf diese Kritiklosigkeit des Publikums, das seine Werke las, hat Hieronymus gründlich spekuliert. Weil er sah, daß man alle seine Arbeiten bewunderte, so glaubte er sich von jeder gründlichen Arbeit dispensiert.
In der Anlage ist dieser Kommentar wie die übrigen Kommentare zum Zwölfprophetenbuch geartet. Hieronymus stellte seine Übersetzung aus dem hebräischen Text neben die LXX und merkte die Differenzen an; an einigen Stellen zog er auch die anderen Übersetzungen zur Erklärung des Textes herbei. )
') s. Bd. 1, 163.
*) So lesen z. B. die LXX in Obadja 20 Ephrata, der hebräische Text Sepharad. Sepharad bedeutet aber nach der Sprache der Assyrer — woher er diese angebliche Kenntnis des Assyrischen hat, verrät er uns nicht — die
Wiederanknüpfung mit Rom. 205
Vor allem ist Hieronymus nach seinem eigenen Zeugnis der jüdischen Interpretation des Propheten gefolgt, und ihr hat er die historische Exegese entnommen. Er will jetzt erst die Fundamente der Geschichte legen und dann darauf die hochragenden Türme des geistlichen Verständnisses er- richten. Er wendet sich gegen die, welche den Namen des Propheten Obadja mit Knecht des Herrn übersetzen und Obadja für den Knecht des Herrn halten, der sich erniedrigte und Knechtsgestalt annahm, und von dem es in Jesaia heißt: Groß ist es für dich, mein Knecht genannt zu werden. Wie Jona als Typus des Herrn aufgefaßt wurde, so wurde auch Obadja messianisch ausgelegt. In jeden Propheten trug man dieselben Gedanken hinein. Hieronymus hat eine Empfindung davon und spricht sich hier scharf dagegen aus: „Wenn wir der Tropologie folgen, so verderben wir die deutlichste Pro- phetie". ') Aber in der Praxis räumt er dann doch wieder der allegorischen Auslegung einen breiten Raum ein.
Nach der hebräischen Tradition ist der Prophet Obadja ein Heerführer gewesen, der unter dem König Samarias, Ahab, und der gottlosen Jesabel die hundert Propheten in den Höhlen ernährte, die ihre Knie nicht dem Baal gebeugt hatten. Seine Höhle wird bis heute samt dem Mausoleum des Propheten Elisa und Johannes des Täufers in Sebaste, dem alten Samaria, gezeigt.-) Edom, das griechische Idumea, gegen das sich die Prophetie des Obadja richtet, ist die Gegend Palästinas, die jetzt den Namen Gebalena führt, mit der Hauptstadt Eleuthero- polis und den Städten Petra und Aila. Dieser Landstrich ist
Grenze, gleich dem hebräischen Gebal. Das Wort D'l'w'iö Obadja 21 übersetzt er mit Heilande im Anschluß an Symmachus, während die LXX, Aquila und Theodotion es mit Gerettete wiedergeben. In Obadja 17 hat die Itala frumentarius, ein veraltetes lateinisches Wort, wie Hieronymus bemerkt, das im Latein seiner Zeit mit veredarius oder agens in rebus wiederzugeben ist; der hebräische Text liest sarid =^ reliquus nach Aquila, effugiens nach Symmachus oder residuus nach Theodotion und der Quinta. Auch eine Variante in den LXX zu Obadja 18 merkt er an, wo sich nvQO(pÖQOg oder jrvofpÖQog findet.
') Zu Obadja 1, Vallarsi VI, 364: dum tropologiam sequimur, per- dimus manifestissimam prophetiam.
2) Vallarsi VI, 361 ff. s. § 27.
206 Wiederankniipfung mit Rom.
SO heiß, daß die Einwohner vielfach in Höhlen wohnen, um sich vor der furchtbaren Sonnenhitze zu schützen. Während aber das Gericht, welches der Prophet Obadja über Edom ver- kündet, nach der historischen Deutung des Hieronymus bereits unter Zorobabel eingetroffen ist,') erhoffen die Juden dieses Gericht erst in der Zukunft und beziehen die Weissagungen gegen Edom auf das Gericht, welches über das römische Reich ergehen soll. So hat ihm sein Hebräer, der ihm die Schrift auslegte, den Vers 20 des Propheten erklärt: die Ver- triebenen der Stadt Jerusalem, die zu Sepharad sind, werden die Städte gegen Mittag in Besitz nehmen, d. h. die von Kaiser Hadrian anläßlich des Barkochbaaufstandes nach dem Bosporus in die Gefangenschaft geführten Juden werden bei dem Er- scheinen des Messias die Städte im Süden Judäas wieder in Besitz nehmen.
Die allegorische Erklärung des Propheten stammt, wie wir oben bemerkten, aus christlicher Quelle, vor allem aus Origenes. Die Kleinheit des Propheten, dessen Inhalt sich noch dazu, wie Hieronymus bereits bemerkt hat, größtenteils im Buche Jeremia, abgesehen von der veränderten Ordnung und kleinen Differenzen, wiederfindet,") schien besonders zu einer tiefsinnigen allegorischen Auslegung zu verlocken. Die Edomiten, gegen die die Prophetie gerichtet ist, werden tro- pologisch zunächst auf die Juden bezogen, die, wie Edom auf Jakob, auf die Christen eifersüchtig seien. Der Judenhaß der alten Kirche, den Hieronymus trotz seines Verkehrs mit den Rabbinen von ganzer Seele teilt, kommt hier zu scharfem Ausdruck. Die Juden sind in den Verfolgungszeiten der Kirche bösartigere Verfolger der Christen gewesen als die Heiden; sie haben immer mit hämischer Freude das Unglück der Christen mitangesehen, und dies konnte man ihnen nicht ver- gessen. ) Nach der zweiten allegorischen Deutung sind unter Edom die Ketzer zu verstehen. Daß Hieronymus hier ganz von Origenes abhängig ist, beweist die Nennung der Namen Marcions, Valentins, der Äonen, Ogdoaden, Duodekaden und
') Obadja 17, Vallarsi VI, 378. ■-) Obadja 1, Vallarsi VI, 365. ^) Obadja 10, Vallarsi VI, 374.
Wiederanknüpfung^ mit Rom. 207
des Abraxas, von denen er nur durch Origenes etwas weiß.') Nach einer dritten allegorischen Deutung der Prophetie ist unter Edom das Fleisch zu verstehen. Es ist der Lieblings- gedanke des großen Alexandriners von dem Kampfe des Fleisches mit der im Körper eingekerkerten Seele, den er auch in diese Prophetie hineinallegorisiert hatte, und den Hieronymus von ihm entlehnt, ohne sich aber die Heterodoxien des Origenes zu eigen zu machen.') Nicht ohne Geschmack und mit Scharf- sinn hat Origenes resp. Hieronymus es verstanden, diese dritte allegorische Deutung durchzuführen und auf diese Weise dem Text des alten Propheten wirklich erbauliche Gedanken für die Christen seiner Zeit abzugewinnen. So knüpft er z. B. an Obadja 10: „Fremde werden in ihre Tore hineintreten und über Jerusalem das Los werfen" die allegorische Deutung an: Unter den Fremden, die die Tore Jerusalems betreten, können wir die bösen Gedanken und unter den Pforten Jerusalems die fünf Sinne der ruhenden und Gott schauenden Seele ver- stehen, durch die die Feinde eindringen und die Beute Jeru- salems teilen. Wenn wir ein Weib ansehen, ihrer zu begehren, so ist der Tod durch die Augen, die Fenster der Seele, ein- getreten; wenn wir mit den Ohren die Lüge und Bluturteile aufnehmen, so ist der Feind durch eine andere Pforte ein- gedrungen. Auch die anderen Sinne, Geruch, Geschmack und Gefühl, können zu Mittlern der Sünde werden, wenn wir uns durch die verschiedenen Wohlgerüche oder durch süße Speisen oder durch zarte Umarmungen gefangen nehmen lassen, und so die Gegner durch die verschiedenen Pforten eindringen und die Beute des armen Jerusalems, d. h. der Seele, teilen.
') Obadja 4 ff., Vallarsi VI, 371.
-) Obadja 1, Vallarsi VI, 366; Obadja 2, Vallarsi VI, 369; Obadja 10, Vallarsi VI, 374.
208 Wiederanknüpfung mit Rom.
§ 39.
Alte Freunde des Hieronymus, sein Verkehr mit der
Heimat.
Jugendfreundschaft knüpft in der Regel ein innigeres Band, als die auf der Gemeinsamkeit der Interessen und des Berufs ruhende Freundschaft späterer Jahre, in den bildsamen Jahren der Jugend, in den Jahren unserer Entwicklung zu selbständigen Persönlichkeiten, verlangen wir stärker nach Anschluß, und den Genossen dieser Jahre gegenüber geben wir uns offener, frei von jener steifen Gravität, die uns Stellung und Beruf später auferlegen. Das Freundschaftsverhältnis des Hieronymus zu seinem Jugendfreund Heliodor ist tief und echt. Hier begegnen uns bei Hieronymus einmal Herzentöne, die wir sonst so oft ver- missen. Die Askese hatte dem Bethlehemitischen Heiligen doch noch nicht das Herz ausgetrocknet, und die Eitelkeit ließ ihn noch nicht in einsamem Hochmut verkommen. Er vermochte noch mit wärmster Zuneigung und anhänglichster Zärtlichkeit zu lieben, und dies beweist, daß doch auch dieser unerfreuliche Charakter seine guten Seiten hatte. Der Verzicht auf die Welt und die klösterliche Abgeschlossenheit gestalteten sich oft zu einem fruchtbaren Boden für innige und zarte Freundschaft Gleichgesinnter.
Nepotian, der Neffe Heliodors, entstammte einem vor- nehmen Geschlecht, früh hatte er seinen Vater verloren. Sein Onkel Heliodor weilte gerade in der Wüste Chalcis mit Hieronymus, um hier ein Eremitenleben zu beginnen, als ihn die Nachricht von dem Tode seines Schwagers erreichte. Die Pietätsgefühle Heliodors waren stärker als sein asketischer Enthusiasmus. Rasch entschlossen kehrte er in die Heimat zurück und nahm sich hier seiner verwitweten Schwester und seines verwaisten Neffen aufs zärtlichste an. Nepotian war in die militia palatii, die Leibgarde des Kaisers, eingetreten; aber unter der blendend weißen Chlamys hatte er das rauhe Büßerhemd getragen und noch vor Empfang der Taufe sich im Geheimen Fasten auferlegt. Er hatte dann plötzlich der glänzenden weltlichen Laufbahn, die sich ihm öffnete, den
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Wiederanknüpfung mit Rom. 209
Rücken gekehrt und sein ganzes Vermögen den Armen geschenkt. Er hatte sogar Mönch werden wollen, um die Klöster Ägyptens und Mesopotamiens zu besuchen oder um sich vielleicht auf die Inseln Dalmatiens als Eremit zurück- zuziehen. Aber die Liebe zu seinem Oheim Heliodor, der Bischof von Altinum geworden war, hatte ihn zurückgehalten; der Onkel wollte den Neffen, den er selbst erzogen hatte, nicht ziehen lassen und weihte ihn trotz seines Sträubens zum Priester. Heliodor hatte dabei im stillen die Hoffnung, daß Nepotian später sein Nachfolger in der bischöflichen Würde werden würde.') Nepotian wandte sich nun an seinen väter- lichen Freund Hieronymus mit der Bitte, ihm ein Vademecum für seine Laufbahn als angehender Kleriker mitzugeben, und Hieronymus kam auch 394 diesem wiederholt geäußerten Wunsche in einem inhaltlich gehaltvollen und formell aufs feinste stilisierten Schreiben nach.
Dieses Pastorale war natürlich nicht allein für den Neffen seines alten Freundes Heliodor geschrieben, sondern Hieronymus wandte sich damit an die breiteste Öffentlichkeit: „Ich sage dies nicht", so spricht er sich einmal ausdrücklich aus, „weil ich dies bei dir oder bei heiligen Männern fürchte, sondern weil in jedem Stand, Beruf und Geschlecht Gute und Böse erfunden werden, und die Verdammung der Bösen das Lob der Guten ist."-') Wie Chrysostomus in seinem Buche über das Priester- tum, zeichnet Hieronymus hier das Idealbild eines Priesters vom mönchisch-asketischen Standpunkt aus. Es ist weit ruhiger und leidenschaftsloser geschrieben als seine früheren asketischen Mahnschreiben. Hieronymus ist trotz des Festhaltens an seinen asketischen Grundüberzeugungen milder geworden. Sein Schreiben an seinen Freund Heliodor über das Lob der Wüste beurteilt er jetzt als jugendliches Machwerk voll rethorischer Floskeln,') und wenn seine Gegner sein jetziges Werk, wie vor 10 Jahren sein Buch von der Jungfrauschaft an Eustochium steinigen wollen, so können sie ihm wenigstens diesmal keine persönlich verletzende Absicht unterschieben: „Ich habe nie-
') Ep. 60, 9 und 10, Vallarsi l, 335.
2) Ep. 52, 5, Vallarsi I, 258.
3) Ep. 52, 1, Vallarsi I, 253; s. über diese Epistel 14, Bd. I, 166 ff.
Grützmacher, Hieronymus. II. 14
210 Wiederanknüpfung mit Rom.
manden verletzt, ich habe niemandes Namen auch nur durch Beschreibung kenntlich gemacht. Niemanden hat meine Rede besonders getroffen. Ich habe allgemein über die Laster gehandelt. Wer mir zürnen will, muß erst selbst eingestehen, daß er ein solch lasterhafter Kleriker ist, wie ich ihn geschildert habe."') Hieronymus ist vorsichtiger geworden, er will nicht wieder einen Sturm gegen sich heraufbeschwören. Solche geschmacklosen Übertreibungen, mit denen er einst im jugend- lichen Enthusiasmus seinem Freunde Heliodor die Weltflucht angepriesen hatte: „Mag dein Vater auf der Schwelle liegen, schreite nur mutig darüber hinweg, ja trocknen Auges fliege zur Fahne des Kreuzes hin", hat er vermieden.') Und Hieronymus hat sich auch gehütet, wie im Schreiben an Eustochium, wo er ein bis zur Karikatur verzerrtes Bild eines weltförmigen römischen Klerikers entworfen hatte, seine Gegner persönlich anzugreifen. Es liegt die temperierte Ruhe des Alters über diesem Schreiben gebreitet und es spricht aus ihm eine schärfere Welt- und Menschenkenntnis. Hieronymus kennt die Menschen zwar nur von einer Seite, nämlich von der schlechten; aber nach ihrer Erbärmlichkeit kennt er sie gründlich. Er ist kein Stubengelehrter, der von der Welt nur aus Büchern weiß, er hat sich trotz seiner Möncherei einen offenen Blick für alle Verhältnisse bewahrt und zeigt sich in diesem Schreiben als kluger und nüchterner Praktiker. Stellt man sich einmal auf den mönchisch-asketischen Standpunkt, so wird man den praktischen Anweisungen, wie sie hier Hieronymus dem Nepotian darbietet, ihre Berechtigung nicht versagen können. Aus dem Namen des Klerikers von lUrjooy - entweder weil er zu Gottes Erbteil gehört oder weil Gott sein Erbteil ist — leitet er die erste Hauptpflicht des Klerikers, die apostolische Armut ab. Wer Gott zum Erbteil hat, darf nichts anderes mehr besitzen. Wie der Levit und Priester vom Zehnten lebt und, dem Altar dienend, von dem auf dem Altar Dargebrachten Nahrung und Kleidung erhält, so soll der christliche Kleriker nackt dem nackten Kreuze folgen: „Den erwerbssüchtigen
') Ep. 52, 17, Vallarsi I, 267. ») Ep. 14, 2, Vallarsi I, 29.
Wiederanknüpfung mit Rom. 211
Kleriker, der aus einem Armen reich, aus einem Unbekannten berühmt wird, fliehe wie die Pest.')
Eins, vielleicht das schwierigste Problem für den asketisch lebenden Kleriker ist aber das Verhältnis zu den Frauen seiner Gemeinde. Hieronymus warnt Nepotian eindringlich davor, keine Frauen in seiner Wohnung zu empfangen; und wir werden dieses Mißtrauen in dem Zeitalter der Dekadence der sittlichen Zustände nicht für übertrieben halten dürfen. Alle Töchter und Jungfrauen Christi soll er entweder in der gleichen Weise ignorieren oder in der gleichen Weise lieben. Auch der früheren Keuschheit soll er niemals trauen: „Gedenke immer, daß der Bewohner des Paradieses aus seinem Besitztum durch ein Weib hinaus- geworfen wurde." ') Ist ein Kleriker krank, so soll ihm ein Bruder, eine leibliche Schwester, die Mutter oder eine alte Frau, deren die Kirche viele ernährt, Handreichung tun. Auf seelsorgerischen Besuchen bei Witwen und Jungfrauen soll er sich stets von einem Lektor, Akoluthen oder Psalmsänger begleiten lassen, aber nur von solchen Klerikern, die nicht ihr Kleid, sondern ihre Sitten zieren, die nicht die Haare mit dem Brenneisen^ kräuseln, sondern deren Haltung Keuschheit ver- spricht. Auch von den häufigen Geschenken, den Schweiß- tüchlein, den Bändchen, den an den Mund gehaltenen Kleidern, den dargereichten oder vorgekosteten Speisen, den zärtlichen und süßen Briefchen weiß eine heilige Liebe nichts. Auch Hieronymus hatte manches Billet doux in Rom mit seinen frommen Schülerinnen gewechselt und manches Körbchen Kirschen zum Geschenk erhalten. Ob er dabei die Erfahrung gemacht hatte, daß es nicht immer eine heilige Liebe war, die diese Gaben darbot?
Dann wendet er sich einem ebenfalls sehr heiklen Gegenstand zu, indem er den Kleriker vor Erbschleicherei warnt. Die heidnischen Priester, die Schauspieler, Wagen- lenker und Huren dürfen Erbschaften machen, nur dem christlichen Kleriker und Mönch ist dies untersagt. Kaiser Valentinian I. hatte ein Gesetz gegen die Erbschleicherei des
») Ep. 52, 5, Vallarsi I, 257. 2) Ep. 52, 5, Vallarsi 1, 257.
14'
212 Wiederanknüpfung mit Rom.
christlichen Klerus erlassen.') Hieronymus so wenig wie Ambrosius') wagten die Notwendigkeit und Nützlichkeit dieses kaiserlichen Gesetzes zu bestreiten: „ich beklage mich nicht über das Gesetz, aber ich bedaure, daß wir ein solches Gesetz verdient haben."') Aber es ist bezeichnend, daß Hieronymus auf der einen Seite den Priestern und Mönchen jede Bereicherung aufs energischste verbietet, auf der andern Seite aber die Ver- mehrung des Besitzes der Kirche lebhaft befürwortet. Eine besitzlose Kirche ist nicht sein Ideal. „Unsere Erbin darf nur die Kirche sein, sie, welche uns gebar, ernährte und aufzog. Warum noch etwas zwischen Mutter und Kinder einschieben?") Wie nötig aber das kaiserliche Gesetz gegen die Erbschleicherei war, mit welchen widerlichen Praktiken die christlichen Kleriker sich reichen Besitz zu verschaffen wußten, davon teilt uns Hieronymus charakteristische Züge mit: „Ich höre von schimpf- lichen Dienstleistungen der Kleriker, die sie kinderlosen Greisen und alten Frauen erweisen. Sie schieben ihnen den Nachttopf unter, sitzen an ihrem Bett und fangen mit eigener Hand das Erbrochene ihres Magens und den Schleim ihrer Lunge auf. Sie fürchten sich beim Eintritt des Arztes und .fragen mit zitternden Lippen, ob es nicht besser gehe; und wenn der Greis wieder zu Kräften kommt, so wird es ihnen bange. Während sie Freude heucheln, erleidet ihr geiziger Sinn inner- lich Folterqualen; denn sie fürchten, daß sie ihre Dienstleistung vergeblich erwiesen haben und vergleichen die Jahre des noch lebenskräftigen Greises mit dem Alter Methusalems."')
Dann folgen die positiven Forderungen, die Hieronymus an den Kleriker stellt. Er soll eifrig in der Schrift lesen, damit er andere in gesunder Lehre unterweisen kann, er soll aber auch selbst tun, was er anderen predigt. SeincFii Bischof soll er Untertan sein wie dem Vater seiner Seele, aber auch die Bischöfe sollen wissen, daß sie Priester und nicht Herren sind. Hieronymus beklagt sich dabei bitter über die Sitte gewisser
') Cod. Theod. 1. XVI, tit. 3, coli. 1. 111, tit. 2.
-) Ep. 18, 13.
») Ep. 52, 6, Vallarsi 1, 259.
') Ep. 52, 6, Vallarsi 1, 259.
») Ep. 52, 6, Vallarsi 1, 259.
Wiederanknüpfung mit Rom. 213
Kirchen — das vierte Konzil von Karthago hatte es für Nordafrika festgesetzt, ') — daß die Priester in Gegenwart der Bischöfe schweigen müssen und nicht reden dürfen, gleich als ob die Bischöfe eifersüchtig auf die Priester sind oder es unter ihrer Würde finden sie anzuhören. Wenn der Priester in der Kirche predigt, so soll er nicht durch gewandte Rhetorik dem ungebildeten Volk etwas vormachen, sondern sich als wohl- erfahrener Kenner der Geheimnisse des Gottesreiches erweisen. Im Äußeren soll er alles Auffallende vermeiden, weder schmutzige, noch ausgesucht blendende Kleider tragen. Die Gastmähler der Weltlichen, besonders der Reichen soll er vermeiden: „Es ist schimpflich, wenn an der Türe eines Priesters des armen ge- kreuzigten Christus die Liktoren der Konsuln oder die Soldaten Wache stehen, und der Richter der Provinz bei dir besser diniert, als in seinem eigenen Palast." ') Entschuldigt man dies damit, daß der Priester für die Armen und Unterdrückten bei den weltlichen Beamten Einfluß gewönne, wenn er den regsten geselligen Verkehr mit ihnen pflege, so macht dem entgegen Hieronymus gewiß nicht mit Unrecht geltend, daß ein asketischer Kleriker dem weltlichen Richter weit mehr Achtung abnötige als ein weltförmiger. Auf die Wohltat eines Richters, der nur bei vollen Bechern sich der Fürbitte des Geistlichen für einen Unglücklichen zugänglich erweise, verzichte man lieber und wende sich an Christus, der besser und schneller helfen kann. Was die asketische Lebensführung des Geistlichen betrifft, so stellt Hieronymus keine extremen Forderungen mehr; er ist hierin sichtlich nüchterner geworden als früher. Er verbietet nicht den Weingenuß, sondern fordert nur das richtige Maß im Trinken, entsprechend dem Alter und dem körperlichen Gesundheitszustand. Auch im Fasten soll er Maß halten und sich nicht mehr auferlegen, als er ertragen kann. Schonungslos geißelt er die Spielerei und Heuchelei, die man mit dem Fasten trieb. Man vermied zwar den Zusatz von Öl an den Speisen, aber man aß statt dessen die raffiniertesten Dinge, wie Feigen, Nüsse, Datteln, Honig, Pistazien; man trank statt Wasser leckere
') Ep. 52, 7, Vallarsi I, 261. Das vierte Konzil von Karthago, Canon 33, s. Vallarsi I, 261, Anm. a.
-') Ep. 52, 11, Vallarsi 1, 263.
214 Wiederanknüpfung mit Rom.
Brühen und zerriebene Gemüse aus Muschelschalen. Besonders eindringlich warnte er aber den Kleriker vor dem Geschwätz der Menschen. Willst du wissen, welchen Schmuck der Herr begehrt? Beweise Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Tapfer- keit. ') Es sind die vier Kardinaltugenden Piatos, die Hiero- nymus als das kostbarste Halsgeschmeide, als den glänzendsten Edelstein, als Schmuck und Schutz, als Zierde und Schild eines christlichen Klerikers preist. Eine bessere Ethik kennt auch der christliche Theologe nicht. Die eigentümliche Vermählung des Christentums mit der Antike tritt uns hier aufs frappierendste entgegen.
Als letzte Pflicht schärft Hieronymus dem Kleriker das seelsorgerische Gebot zu schweigen ein. Der Kleriker kommt durch seinen Beruf in viele Häuser, er muß anvertraute Geheimnisse zu bewahren wissen. Als Prediger der Enthalt- samkeit soll er keine Ehe stiften, als Priester, dem nur die erste Ehe erlaubt ist, Witwen nicht zur zweiten Ehe aufmuntern. Er, der sein eigenes Vermögen gering achten soll, soll sich nicht zum Vermögensverwalter fremder Vermögen machen lassen, um sich auf diese Weise zu bereichern.
Nepotian war überglücklich über das Schreiben seines väterlichen Freundes. Er rühmte sich, mehr als die Schätze des Krösus und die Reichtümer des Darius an ihm zu besitzen.- Wenn er sich des Nachts auf seinem Lager umherwälzte, so lag das süße Buch auf der Brust des Einschlafenden. Wenn einer seiner Freunde oder ein Fremder ihn besuchte, so las er es vor und rühmte das ihm dedizierte Büchlein.'-) Um so schmerzlicher war Hieronymus berührt, als er bereits zwei Jahre später die Nachricht von dem Tode des jungen hoffnungs- vollen Priesters empfing. Ein heftiges Fieber hatte ihn rasch dahin gerafft. Gefaßt war er gestorben, er hatte den heiß- geliebten Onkel Heliodor noch sterbend getröstet. „Froh war sein Blick und, während die andern weinten, lächelte er selbst
') s. Ep. 64, 21; ep. 66, 1; Zöcl<ler, S. 454, Anm. 1, weist darauf hin, daß von einer Zusanimcnsrellung der vier Kardinaltugenden mit den drei theologischen Tugenden fides, spes und Caritas, die erst Augustin voll- zog, bei Hieronymus noch nichts zu finden ist.
■-) Ep. 60, 11, Vallarsi I, 337.
Wiederanknüpfung mit Rom. 215
allein."') Nepotian hatte die Hand des Onkels ergriffen und auch noch seines väterlichen Freundes Hieronymus gedacht: „Die Tunika, die ich im Dienste Christi gebraucht, sende meinem liebsten Hieronymus, dem Alter nach meinem Vater, der priesterlichen Würde nach meinem Bruder, und was du an Liebe dem Neffen erwiesen hast, übertrage auf jenen, den du mit mir in gleicher Weise liebst." ')
Seinem alten Freunde Heliodor sandte Hieronymus ein warm empfundenes Trostschreiben. Wohl hatte ihm die zärtliche Anhänglichkeit seines jungen Freundes geschmeichelt, und er kann es nicht lassen, sich selbst in dem Epitaphium auf Nepotian ein Denkmal zu setzen, aber durch alle Rhetorik bricht doch die herzlichste Anteilnahme hindurch. „Mein Nepotian, dein, unser, nein Christi oder weil Christi, deshalb noch mehr unser, läßt uns als Greise zurück, von dem Pfeile der Sehnsucht nach ihm verwundet und vom unerträg- lichen Schmerz gebeugt. Den wir für unseren Erben hielten, ihm halten wir das Begräbnis. Was der Jüngling uns tun sollte, müssen wir Greise dem Jüngling tun.') Wie sollen wir uns trösten?" In kunstvoller Anordnung führt uns Hiero- nymus zunächst die Großen der griechischen und römischen Geschichte vor Augen: einen Perikles, der nach dem Verluste zweier Söhne bekränzt in der Volksversammlung sprach, einen Xenophon, der, als ihm beim Opfer der Tod seines Sohnes im Krieg gemeldet wurde, zuerst den Kranz ablegte, und als er hörte, daß sein Sohn tapfer in der Schlachtenreihe kämpfend gefallen sei, ihn wieder auf sein Haupt setzte, und einen L. Paulus, der während des Begräbnisses zweier Söhne sieben Tage lang als Triumphator in Rom einzog.*) Nach diesen Schulbeispielen aus der Geschichte spricht er über den Schmerz des Christen beim Tode eines geliebten Menschen. Wir wissen zwar, daß unser Nepotian bei Christus ist und sich in die Chöre der Heiligen mischt, aber die Sehnsucht nach seiner Abwesenheit können wir nicht ertragen, nicht
1) Ep. 60, 13, Vallarsi I, 339.
2) Ep. 60, 13, Vallarsi I, 339. =») Ep. 60, 1, Vallarsi I, 329. *) Ep. 60, 5, Vallarsi 1, 332.
216 Wiederanknüpfung mit Rom.
jenes, sondern unser Los beweinend. Je glücklicher er ist, um so mehr empfinden wir Schmerz, daß wir eines solchen Gutes entbehren. Die Schwestern beweinten auch Lazarus, von dem sie wußten, daß er auferstehen würde, und der Erlöser selbst, um den wahren menschlichen Schmerz aus- zudrücken, beweinte den, welchen er wieder auferweckte.
Das kurze Lebensbild, das Hieronymus von dem Ver- storbenen gibt, zeigt uns ein schlichtes, nicht an ungewöhn- lichen Lebensschicksalen reiches Leben; aber wir bekommen dennoch einen starken Eindruck von der Persönlichkeit Nepotians. Mag Hieronymus sein Bild verklärt haben — wo geschieht dies nicht in Leichenreden — wir begreifen es, daß die christliche Kirche trotz alles Verfalls um sie her und auch in ihr die stärkste konservierende Macht des Zeitalters war und blieb, wenn sich solche selbstlose und opferwillige Kleriker wie Nepotian in ihren Dienst stellten. Als Last, nicht als Ehre hatte er sein priesterliches Amt aufgefaßt. Er hatte sich gemüht ein Stab der Blinden, eine Speise für die Hungernden, die Hoffnung der Elenden, der Trost der Traurigen zu sein, in treuester Liebe seinem Onkel und Bischof Heliodor ergeben, hatte er ein Leben mönchischer Enthaltsamkeit in Gebet, Nachtwachen und Fasten geführt. Mit edler Schamhaftigkeit, die sein jugendliches Alter zierte, hatte er sich nicht selbst gerühmt, sondern sich stets auf die Autorität eines Tertullian, Cyprian, Lactanz, Hilarius, Minucius Felix, Victorin, Ambrosius und, wie Hieronymus bei seiner Eitelkeit nicht zu erwähnen unterlassen kann, auch auf ihn sich berufen. Auch den kleinen und kleinsten Dingen seines priesterlichen Berufs war Nepotian mit sorgsamstem Fleiß nachgegangen: „Er war besorgt, ob der Altar glänzte, ob die Wände der Kirche ohne Schmutz, ob der Boden gekehrt sei, ob der Pförtner immer an der Kirchtür stehe, ob der Vorhang vor dem Eingang, ob die Kapelle rein seien, ob die Gefäße funkelten. Er ließ die Basiliken und Kapellen der Märtyrer mit Blumen, Blumenzweigen und Weinreben schmücken, so daß, was in der Kirche durch Anordnung und Aussehen erfreute, die Arbeit und Sorgfalt des Priesters bezeugte."') In zartester Weise sprach Hieronymus
') Ep. 60, 12, Vallarsi I, 338.
Wiederanknüpfung mit Rom. 217
seinem Jugendfreund Heliodor zu, seinen Schmerz zu mäßigen. Er ist ein cliristlicher Bischof, und alle Augen sind auf sein Haus und sein Verhalten gerichtet, seine Haltung bestimmt die öffentliche Zucht. Er muß deshalb, soviel er kann, die Weich- heit seiner Empfindung und die reichlich fließenden Tränen unterdrücken, damit nicht die Heiden die große Liebe zu dem Neffen als Verzweiflung an Gott deuten.
Der Nekrolog Nepotians klingt in ein grandioses Bild von dem Verfall des Römerreiches aus. Keine irdische Macht schützt mehr vor einem unnatürlichen Tode. Kaiser und Konsuln haben seit Constantius nur zu oft ein unnatürliches Ende gefunden. Seit mehr als zwanzig Jahren wird zwischen Konstantinopel und den Julischen Alpen täglich römisches Blut vergossen. Skythien, Thracien, Makedonien, Dardanien, Dacien, Thessalien, Achaia, Epirus, Dalmatien und ganz Pannonien verwüsten und berauben Goten, Sarmaten, Quaden, Alanen, Hunnen, Vandalen und Markomannen. Unberührt von diesen Unglücksfällen erschien der Orient und wurde nur durch Nachrichten erschreckt. Da brachen im vergangenen Jahre aus den verborgenen Felsen des Kaukasus die Wölfe des Nordens herein. Die furchtbare Hunneninvasion ') hatte bis in das einsame Kloster zu Bethlehem Schrecken und Entsetzen verbreitet und die Insassen zeitweilig zur Flucht getrieben. Hieronymus empfand diese Zerrüttung des Reiches als römischer Patriot, sein Christentum hatte seinen Patriotismus nicht auszutilgen vermocht: „O welche Schande, das röFiiische Heer, der Sieger und Herr des Weltkreises, wird von den Hunnen besiegt und durch den Anblick des flüchtigen Reitervolkes erschreckt, das nicht zu Fuß einhergehen kann und, wenn es die Erde berührt, für tot gehalten wird.') Wie glücklich ist Nepotian, der dies nicht mehr sieht, wie glücklich, daß er nichts mehr davon hört. Durch unsere Sünden sind die Barbaren mächtig, durch unsere Laster wird das römische Heer überwunden." Das Gefühl der Vergänglichkeit alles Irdischen überkommt Hieronymus mit unwiderstehlicher Gewalt.
1) Ep. 77, S, Vallarsi I, 460.
2) Ep. 60, 17, Vallarsi 1, 344.
218 Wiederanknüpfung mit Rom.
Daß der römische Staat dem Sterben entgegengeht, daß die festeste irdische Institution zusammenbricht, löst in ihm bei dem Tode seines jugendlichen Freundes auch den Gedanken an den eigenen Tod aus. „Täglich sterben wir, täglich wechseln wir unsere Gestalt und glauben dennoch ewig zu sein. Während ich diktiere, was niedergeschrieben wird, während ich es überlese und korrigiere, nimmt mein Leben ab. So viele Pünktchen der Schreiber entstehen, so viele Augenblicke der mir zugemessenen Zeit vergehen. Wir haben nur einen Gewinn, daß wir durch die Liebe Christi verbunden sind. Die Liebe hört nimmer auf. Deshalb ist unser Nepotian abwesend, doch gegenwärtig, und die durch so große Fernen Getrennten um- schlingt er mit beiden Händen. Dem wir körperlich nicht mehr nahe sein können, den laßt uns in der Erinnerung halten und mit dem wir nicht mehr reden können, von ihm laßt uns niemals zu reden aufhören."')
Die Beziehungen des Hieronymus zur Heimat waren gegen Ende der neunziger Jahre des vierten Jahrhunderts wieder lebendiger geworden. 397 hatte sich Hieronymus genötigt gesehen, seinen Bruder Paulinian in die Heimat zu senden, da das Pilgerhaus, das Paula und Hieronymus neben ihren Klöstern in Bethlehem errichtet hatten, viel Geld verschlang. Paulinian sollte deshalb die halbverfallenen Villen des elterlichen Erbes, die den Händen der Barbaren entgangen waren, und die Zinsrenten der Eltern verkaufen, um den Ertrag nach Bethlehem zu bringen, wo man dann die Unterhaltung des Klosters und Pilgerhauses damit bestreiten wollte, weil die Mittel der Paula nicht mehr reichten.') Durch diesen Besuch Paulinians hatte man in der Heimat wieder mehr von Hiero- nymus gehört, und man wünschte nun durch Briefe oder per- sönliche Besuche mit dem berühmten Landsmann in engere Beziehungen zu treten.
Ein pannonischer Bischof Amabilis sandte einen Diakon Heraklius nach Bethlehem, um von ihm einen Kommentar zu den zehn Gesichten oder Lasten des Propheten Jesaia, d. h.
') Ep. 60, 13, Vallarsi 1, 345.
-) Ep. 66, 14 ad Pammachium, Vallarsi I, 401.
Wiederanknüpfung mit Rom. 219
ZU den Kapiteln 13 — 23 zu erbitten und mit heimzubringen. Dieser Kommentar wurde von Hieronymus später unverändert in seinen großen Kommentar zu Jesaia aufgenommen und bildet dort das fünfte Bucin.')
Ein anderer blinder Pannonier Castrutius") hatte Heraklius auf dieser Reise nach Bethlehem begleiten wollen. Man hat ihn für einen Verwandten des Hieronymus wegen der Ähn- lichkeit seines Namens mit dem der Tante des Hieronymus, Castorina, gehalten, doch läßt sich dies nicht erweisen. Castrutius war aber nur bis Cissa gelangt, wahrscheinlich ein zwischen Venedig und Triest gelegener Ort."*) Darüber tröstet ihn Hieronymus in einem launigen Briefe,') daß er es schon hoch anzuschlagen wisse, wenn ein Pannonier, eine Landratte, sich den Stürmen des adriatischen Meeres und den Gefahren des ägäischen und jonischen Meeres habe anvertrauen wollen. Er nehme den guten Willen für die Tat. Auch die Skrupel, die sich Castrutius über den Verlust des Augenlichts als Strafe für seine Sünde machte, suchte er ihm zu nehmen; denn als die Apostel dies bei dem Blindgeborenen argwöhnten, wies sie der Herr zurecht. Da es den Gottlosen bisweilen gut und den Frommen schlecht auf Erden geht, dürfen wir nicht Krankheit, Mühsal und Armut als Strafen ansehen. Auch der Sohn Gottes hat ja die Kreuzesschmach erduldet; und wen der Herr liebt, den züchtigt er. Zum Trost erzählt er dem Castrutius eine Anekdote seines verehrten Lehrers Didymus: Als der Eremit Antonius nach Alexandria kam, fragte er den gelehrten Vorsteher der Katechetenschule, den blinden Didymus, ob er den Mangel des Augenlichts betraure und als dieser dies bejahte, antwortete ihm Antonius: „Ich wundere mich, daß ein weiser Mann sich über den Verlust einer Sache betrübt, die auch Ameisen, Fliegen, Mücken besitzen und sich nicht vieUmehr freut das zu besitzen, was allein den Aposteln und Heiligen Gottes gegeben ist." Hieronymus spricht seinem Lands-
^) Praef. in lib. V Comm. in Isaiam, Vallarsi IV, 169. -) Die Überlieferung des Namens schwankt zwischen Castrutius, Castricianus und Castrianus, s. Vallarsi I, 407 Anm. a. ^) s. Vallarsi I, 407 Anm. a. ') Ep. 68, Vallarsi I, 407 ff.
220 Wiederanknüpfung mit Rom.
mann noch die Hoffnung aus, daß es ihm vielleicht im nächsten Jahre in Begleitung des Diakons Heraklius, der ihm den Brief des Hieronymus überbrachte, möglich sein werde, seinen Besuch in Bethlehem auszuführen.') Wir hören nichts weiter von Castrutius und wissen daher nicht, ob er wirklich nach Bethlehem gelangte.
Heraklius scheint aber im nächsten Jahre wieder nach Bethlehem gekommen zu sein, wobei er den Brief eines vermutlich auch aus Pannonien stammenden Presbyters Vitalis dem Hieronymus aushändigte und auf der Rückreise das Antwortschreiben des Hieronymus mit zurücknahm.-) Vitalis hatte schon vorher mit Hieronymus in einen Briefwechsel einzutreten versucht, aber sein Brief, den er einem Schiffsherrn Zeno zur Besorgung übergeben hatte, war dem Hieronymus nicht bestellt worden. Hieronymus ist darüber verwundert, da ihm Zeno einen gleichzeitig an ihn abgesandten Brief des Bischofs Amabilis richtig zugestellt hatte. Er konnte sich die Sache nur mit dem Irrtum des Mannes, den er als durchaus zuverlässig kannte, erklären: Der griechisch sprechende Schiffseigner — wir gewinnen einen interessanten Einblick in die antike Briefbestellung — habe die lateinische Adresse nicht entziffern können. ) Erst auf den zweiten, ihm durch den Diakon Heraklius überbrachten Brief des Vitalis konnte Hieronymus antworten. Vitalis hatte ihm die Frage vorgelegt, warum Salomo und Ahas nach den Büchern der Könige bereits im Alter von elf Jahren Kinder gezeugt haben. Hiero- nymus ist ärgerlich, daß man ihm immer mit solchen Fragen kommt, die nur fromme Neugier stellt, und ziemlich deutlich antwortet er ihm, daß der Apostel Paulus, indem er die un- begrenzten Genealogien und die jüdischen Fabeln verbietet, derartige Fragen zu untersagen scheint: „denn was nützt es am Buchstaben zu hängen oder an dem Irrtum. des Schreibers und an der Zahl der Jahre Kritik zu üben, da deutlich geschrieben steht: der Buchstabe tötet, aber der Geist
') Ep. 68, 2, Valiarsi 1, 409. ») Ep. 72, 1, Valiarsi 1, 434.
•) Ep. 72, 1, Valiarsi I, 434: nisi forte graeco homini latinus sermo inter chartulas oberravit.
Wiederanknüpfung mit Rom.
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macht lebendig."') Aber er mußte dem Vitalis doch etwas antworten und so verwies er ihn darauf, daß noch vieles andere in der Heiligen Schrift erzählt wird, was unglaublich erscheint, aber dennoch wahr sei. Geschehen doch auch noch heutzutage Wunder: So sei in Lydda ein Mensch mit zwei Köpfen, vier Händen, einem Bauch und zwei Füßen geboren worden. Und er habe von einem unkeuschen Weibe gehört, das durch einen zehnjährigen Knaben geschwängert worden sei. Im letzteren Falle sei auch die göttliche Absicht des Wunders erkennbar, da die Unkeuschheit des Weibes, das den Knaben zur Unzucht mißbrauchte, offenbar gemacht werden sollte. Das Kinderzeugen Salomos und Ahas im jugendlichen Alter sei ein Zeichen ihrer Wollust. Aber noch einen zweiten Lösungs- versuch apologetischer Art, der den Makel vom Charakter der beiden Könige nimmt, gab Hieronymus dem Vitalis. Nach jüdischer Sitte wurden die Regierungsjahre der Könige, die Mitregenten ihrer Väter waren, noch den letzteren angerechnet, so daß jene elf Jahre bei Salomo und Ahas nur den Zeitpunkt angeben, an dem sie zu Mitregenten angenommen wurden, nicht das Alter, in dem sie Kinder zu erzeugen begonnen hatten. Aber wohl ist dem Hieronymus bei derartigen Lösungs- versuchen nicht; dazu besaß er doch zu viel wissenschaftlichen Sinn, um nicht das Künstliche derselben zu empfinden. Er möchte in Zukunft mit derartigen Fragen nicht mehr behelligt werden; und mit einer nicht mißzuverstehenden Deutlichkeit schrieb er an Vitalis, daß derartige Fragen nicht so wohl die Sache eines wißbegierigen Mannes als eines Müßiggängers zu sein scheinen.') Wir hören von keinem weiteren brieflichen Verkehr des Hieronymus mit Vitalis. Sein Landsmann hatte wohl den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden. Was lag einem Hieronymus jetzt an der Freundschaft eines pannonischen Priesters, seit er aus allen Ländern von den angesehensten Männern und Frauen angegangen wurde.
') Ep. 72, 5, Vallarsi I, 437. •-') Ep. 72, 5, Vallarsi I, 437.
222 Wiederanknüpfung mit Rom.
§ 40. Neue Freunde und Freundinnen.
Als Hieronymus Rom 385 verließ, hatte er sich nach Frieden gesehnt, aber seit der Mitte der neunziger Jahre des vierten Jahrhunderts u^urde sein Kloster in Bethlehem, je länger je mehr, zu einer Wallfahrtsstätte. Im Grunde war ihm dies recht. Wie er einst den enthusiastischen Entschluß der Jugend, als Einsiedler in der Wüste Chaicis zu leben, nicht durchzuführen vermochte, sondern sich lieber als Beichtvater und Seelenführer des weiblichen Hochadels in Rom versuchte, so schmeichelte es seinem Ehrgeiz, daß Menschen aus allen Ländern der zivili- sierten Welt nach Bethlehem kamen oder mit ihm wenigstens Briefe austauschen wollten. Die Stille des klösterlichen Asyls in Bethlehem war zwar dahin, aber es wurde einer der wichtigsten Brennpunkte des religiösen Lebens des Zeit- alters, und Hieronymus erschien als ein lebendiger Heiliger, dem man seine Verehrung bezeugte oder den man um seinen Rat anging.
Schon 3Q3 wandte sich ein Gallier Desiderius an Hiero- nymus und bat ihn um die Zusendung seiner Werke. Desi- derius, ein vornehmer, reicher und rhetorisch gebildeter Mann, hatte die Initiative bei der Anknüpfung des Freundschafts- verhältnisses ergriffen und Hieronymus in seinem Briefe in der üblichen Weise Weihrauch gestreut, indem er ihm die Palme der Beredsamkeit zuerkannte.') Hieronymus fühlte sich dadurch sehr geschmeichelt und wußte gar nicht, wie er dieses dick aufgetragene Lob erwidern sollte: „Wer und wie groß bin ich, daß ich das Zeugnis der Gelehrsamkeit verdiene. Du kennst doch unsern Grundsatz, die Fahne der Demut festzuhalten und durch Niederungen wandelnd die Höhe zu ersteigen." Dies schließt natürlich nicht aus, daß er ihm mit gleicher Münze dient und seinen Brief als ein Kunstwerk der Beredsamkeit preist. Nach diesen üblichen Verbeugungen wünscht er Desi- derius und seiner heiligen, verehrungswürdigen Schwester
') Ep. 47, 1, Vallarsi I, 208.
Wiederanknüpfung mit Rom. 223
Serenilla Glück dazu, daß sie beide die Fluten der Welt gebändigt haben und zur Ruhe Christi gelangt sind, d. h. nichts anderes, als daß beide Ehegatten sich zu einem enthaltsamen Leben ent- schlossen haben.') War es doch wieder ein Triumph des asketischen Geistes des Zeitalters, daß ein vornehmer Römer und seine Gattin im das Evangelium der Enthaltsamkeit waren gewonnen worden.
Im Auftrage der Paula, zu der Desiderius jedenfalls Beziehungen hatte, lud er ihn zu einer Wallfahrt nach den heiligen Stätten ein, um ihre klösterliche Gemeinschaft kennen zu lernen. Vielleicht hoffte man ihn dort zu halten und den Klöstern eine weitere finanzielle Sicherung zu geben, da, wie bereits oben hervorgehoben wurde, die Mittel durch die profuse Wohltätigkeit der Paula erschöpft waren. Sehr herzlich und dringend ist übrigens die Einladung des Hierony- mus nicht ausgefallen. Er setzt ihm lange die Schwierigkeiten auseinander, die einer Reise nach dem heiligen Lande entgegen- stehen, und setzt auch den Fall, daß ihm ihre klösterliche Gemeinschaft nicht gefalle. Es scheint mehr der Wunsch der Paula als sein Wunsch gewesen zu sein, daß Desiderius komme. Vielleicht witterte er in dem vornehmen Römer einen Kon- kurrenten, der seiner autoritativen Stellung gefährlich werden könnte; denn als wenige Jahre später Paulin von Nola nach Bethlehem kommen wollte, winkte er so entschieden ab, daß wir uns seine sonderbare Haltung nur aus diesem Motiv erklären können. Von seinen Werken sandte Hieronymus dem Desiderius zunächst nichts zu, da, wie er sagt, die meisten aus ihrem Neste entflogen und durch voreilige Ehre ihrer Herausgabe in alle Welt verbreitet sind,") um ihm nichts zuzuschicken, was er schon besitze. Er empfahl ihm aber, falls er seine Werke zu entleihen wünsche, sich an seine Freundin Marcella, die auf dem aventinischen Hügel wohne, oder an seinen Freund Domnio zu wenden und verwies ihn auf das Verzeichnis seiner Werke, das er im Katalog der berühmten Männer gegeben habe. Wenn Desiderius sich dies Verzeichnis von seinem römischen Freunde
') Ep. 47, 2, Vailarsi I, 208. 2) Ep. 47, 3, Vailarsi I, 209.
224 Wiederanknüpfung mit Rom.
geben lasse, so wolle er ihm gern die Werke, die er noch nicht besäße, abschreiben lassen und zuschicken.
Die Freundschaft mit Desiderius fand in der Folgezeit ihre Fortsetzung. Desiderius kam zwar nicht nach Bethlehem, wenigstens hören wir nichts davon; aber Hieronymus blieb mit ihm in brieflichem Verkehr und dedizierte ihm seine Übersetzung des Pentateuch aus dem Hebräischen.') Da Desiderius auch zu Paulin von Nola") und Sulpicius Severus, der ihm seine Vita Martins von Tours zueignete, Beziehungen unterhielt, so sehen wir, wie hin- und herüber die Fäden zwischen den Vertretern der asketischen Ideale gesponnen wurden. Desiderius wurde später Priester in einer Aquitanischen Diözese, die in der Nähe des Wirkungskreises des Vigilantius lag, und denunzierte diesen wegen seiner Ketzereien und seiner Gegnerschaft gegen das Mönchtum bei Hieronymus, so daß der alte Vorkämpfer der Mönchspartei zur Feder griff und eine seiner bissigsten Streit- schriften verfaßte.')
Im Jahre 3Q5 trug eine noch hervorragendere Persönlich- keit, Paulin von Nola, Hieronymus seine Freundschaft an. Paulin war erheblich jünger als Hieronymus; 353 zu Bordeaux geboren, entstammte er einer der edelsten und reichsten Familien des Landes. Durch den Dichter Ausonius war er zum eleganten Stilisten in Prosa und Versen gebildet worden.') Durch seine Familienverbindungen machte er rasch Karriere. Martin von Tours, dessen Wunderkraft er die Heilung eines kranken Auges verdankte, und Ambrosius, in dem er seinen Vater und Führer zum Glauben verehrte, gewannen ihn für die asketischen ideale. Da seine Frau Therasia, die ihm ein Kind geschenkt hatte, das aber schon nach acht Tagen starb, die Gesinnung ihres Gatten teilte, so beschlossen beide, sich dem Mönchs- leben zu weihen. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Spanien ließ er sich in Nola nieder, da der römische Bischof Siricius, der kein Freund der Mönche war, den vornehmen Mann nicht sehr liebevoll in Rom aufgenommen hatte, weil
') s. § 33.
-') S. Paulini ep. 43 ad Desiderium.
') Adv. Vigil. c. 3, Vallarsi II, 389.
♦) s. Hauck, A. Paulin von Nola, R. E.\ XV, 55 ff.
Wiederanknüpfung mit Rom. 225
er von ihm, wie Hauck meint,') eine Verminderung der eigenen Unumschränktheit besorgte. Hier an einem besuchten Wall- fahrtsorte, dem Grabe seines Lieblingsheiligen Felix, erbaute er aus seinen reichen Mitteln eine große Basilika. In einem Hospital für Mönche und Arme, das er ebenfalls errichtet hatte, richtete er für sich und seine Frau Therasia eine dürftige Wohnung ein, um sich den asketischen Lebensübungen hin- zugeben.
Wie mit Augustin, suchte Paulin nun auch mit Hiero- nymus in Beziehung zu treten. Durch einen Bruder Am- brosius übersandte er ihm Geschenke und einen Brief, von dem Hieronymus rühmte, daß er bereits am Anfang ihres Freundschaftsverhältnisses die Bürgschaft schon erprobter Treue und alter Freundschaft in sich trüge.') Hieronymus antwortete ihm in einem in blühendstem Rhetorenstile verfaßten Briefe. Er wollte dem Schüler des Rhetoren Ausonius zeigen, daß auch er nicht vergeblich alle Kniffe der Rhetorik in Rom erlernt hatte. Der Grundgedanke seiner langatmigen Aufzählung der Beispiele der heidnischen Philosophen und der christlichen Apostel, auf den es ihm ankommt, ist, daß die höchste Stufe christlicher Vollkommenheit in der Verbindung von mönchischer Heiligkeit mit Bildung und Gelehrsamkeit bestehe: Heiligkeit ohne Bildung nützt nur sich allein, und so viel sie die Kirche Christi erbaut auf das Verdienst des Lebens, so viel schadet sie, weil sie den Gegnern nicht zu antworten vermag.^) Pytha- goras, Plato, Apollonius von Tyana trieb die Lernbegierde in die weite Welt; Paulus suchte bei Petrus Belehrung: aber die göttliche Weisheit ist nur in Christo enthalten, und von diesem zeugen die heiligen Schriften. Wie der äthiopische Eunuch aber einen Lehrer brauchte, der ihm die Schrift erklärte, so kannst du ohne Führer und Wegweiser nicht in den Geist der Heiligen Schrift eindringen. Wie Grammatik, Rhetorik, Philosophie, Geometrie, Dialektik, Musik, Astronomie, Astrologie und Medizin erlernt werden wollen und auch die verschiedenen Handwerke des Maurers, Ackerbauers, Zimmermanns, Schneiders,
') R. E.^ XV, 56.
-) Ep. 53, 1, Vallarsi I, 268.
4 Ep. 53, 6, Vallarsi I, 273.
Qrützmaclier, Hieronymus. II. 15
226 Wiederanknüpfung- mit Rom.
Holzhauers, Webers und Gerbers ohne Lehrer nicht ausgeübt werden können, so will auch die Kunst, die Heilige Schrift auszulegen, erlernt werden. Mit bitterer Ironie beklagt sich Hieronymus, daß jede schwatzhafte alte Frau, jeder kindisch gewordene Greis, jeder phrasenmachende Sophist die Kunst der Auslegung der heiligen Schriften ausüben zu können glaube, daß sie lehren, bevor sie etwas gelernt haben. Bei dieser un- methodischen Bildung bringt man es dann fertig, wie es in den aus Versen Homers oder Vergils zusammengestellten Machwerken geschieht, Vergil zum Christen zu machen, weil er in der vierten Ekloge schreibt: „Schon kehrt auch die Jungfrau zurück und Saturnische Reiche. Senkt sich herab auch ein wunderbar' Kind aus himmlischer Höhe." Als Führer in das Studium der heiligen Schriften möchte sich Hieronymus dem Paulin anbieten: „Ich weise es von mir, Lehrer zu sein, ich biete mich bloß zum Gefährten an."') Eine kurze Inhaltsangabe der heiligen Schriften alten und neuen Testaments und der darin enthaltenen Geheimnisse sollte Paulin die Beschäftigung mit ihnen besonders verlockend erscheinen lassen.
Aber für exegetische Arbeiten zeigte Paulin keine Neigung. Seine Bildung war fast ausschließlich lateinisch, das Griechische verstand er zwar,') aber der Mangel an gründlichen sprach- lichen Kenntnissen war ihm doch fühlbar. Er betätigte sich lieber als christlicher Hymnendichter, wo er wie in seinen Hymnen auf den heiligen Felix seiner Phantasie in dem Spiel geistreicher Allegorien noch freier die Zügel schießen lassen konnte als bei der Exegese der Heiligen Schrift.
Auch einen Appell zu vollkommener Weltentsagung richtete Hieronymus an Paulin. Er hatte von Eusebius von Cremona, dem Freunde Paulins, der gerade bei ihm in Bethlehem weilte, von seiner Weltverachtung, der Ehrwürdigkeit seiner Sitten, der Treue seiner Freundschaft und seiner Liebe zu Christus gehört, aber Paulin hatte sich noch einen Einfluß auf die Verwendung seiner Güter vorbehalten. So mahnte ihn Hieronymus, vollen Ernst mit dem Mönchsideal zu machen und seinen ganzen
') Ep. 53, 9. Vallarsi I, 279.
•') Hauck, A. Paulin von Nola, R. E.', XV, 56.
Wiederankniipfiing mit Rom. 227
Besitz rasch zu verschenken. Er will i<eine Kompromisse: „Wenn du es immer auf morgen verschiebst und es einen Tag um den anderen hinziehst und vorsichtig und nach und nach deine Besitzungen veri<aufst, so hat Christus nichts, womit er seine Armen unterhält. Der gibt Gott alles, der sich ihm selbst gibt. Leicht verachtet der alles, der immer an seinen Tod denkt." ') Es ist merkwürdig, daß Hieronymus immer anderen die völlige Entäußerung des Besitzes anriet, während er selbst es noch nicht einmal getan hatte, sondern erst wenige Jahre später seinen Bruder Paulinian in die Heimat sandte, um seinen Besitz zu verkaufen und den Ertrag für sein Kloster zu ver- wenden.') Wenn auch Paulin auf den in väterlichem Tone gehaltenen Brief des Hieronymus hin keine Anstalten machte, sich als Exeget unter seiner Anleitung zu betätigen, so äußerte er doch ein Jahr später den Wunsch, die heiligen Stätten zu besuchen und Hieronymus persönlich kennen zu lernen. Gleich- zeitig übersandte er ihm einen Panegyrikus auf den Kaiser Theodosius, den er vor kurzem verfaßt und dem Kaiser über- sandt hatte.')
Hieronymus befand sich auf die Ankündigung seines Kommens in arger Verlegenheit. Vor wenigen Jahren hatte er seine römische Freundin Marcella eingeladen, nach der heiligen Stadt zu kommen; mit der höchsten Begeisterung hatte er ihr den Aufenthalt im heiligen Lande angepriesen;') schon merklich kühler war seine Einladung gehalten, die er vor zwei Jahren an den vornehmen Gallier Desiderius im Auf- trage der Paula hatte ergehen lassen. Jetzt aber suchte er Paulin geradezu von der Wallfahrt abzuhalten. Ein Doppeltes wird hierbei Hieronymus bestimmt haben. Marcella, seine römische Freundin, hätte sich, wenn sie nach Jerusalem ge- kommen wäre, trotz all ihrer Selbständigkeit seiner Leitung unterstellt; daß der vornehme Paulin nicht ein Gleiches getan hätte, konnte er sich selbst sagen, zumal da er ihn nicht nur aus seinen Briefen, sondern auch aus der Schilderung des
58.
13
') Ep. |
53, |
10 |
, Vallarsi |
, 279. |
') s. § |
39 |
|||
•"') Hau |
ck, |
A. |
Paulin R. |
E.3 XV |
') Ep. |
46, |
2, |
Vallarsi I, |
198. |
228 Wiederanknüpfiing mit Rom.
Eusebius von Cremona kannte. Bei aller Liebenswürdigkeit war Paulin ein durchaus selbständiger Charakter; die Treue gegen seine Freunde, die Eusebius dem Hieronymus als seinen besonderen Charakterzug gerühmt hatte, war so zäh, daß Paulin seinem Freundschaftsbündnis mit Augustin und Hiero- nymus zuliebe nicht ihre Gegner Rufin, Vigilantius, Pelagius und Julian von Eclanum opferte, sondern auch ihnen die Freund- schaft hielt. Es kam weiter hinzu, daß bereits damals das Verhältnis des Hieronymus zu dem Bischof Johannes von Jerusalem sich unerfreulich zu gestalten begann. Paulin konnte ihm in Jerusalem recht unbequem werden, und so gab er sich die erdenklichste Mühe, den geliebten Bruder fernzuhalten. Daß er dabei ein böses Gewissen hat, spricht deutlich aus seinen Worten: „Indem ich aber dies sage, klage ich mich nicht selbst des Widerspruches mit mir an und verdamme nicht, was ich selbst tue, als hätte ich vergeblich nach dem Beispiel Abrahams die Meinen und mein Vaterland verlassen, sondern ich wage nur nicht die Allmacht Gottes in eine enge Grenze einzuschließen und auf einen kleinen Fleck der Erde den zu beschränken, welchen der Himmel nicht faßt." ')
Dem vielgewandten Hieronymus ist es natürlich ebenso gut möglich, für die Wallfahrt nach Jerusalem, wenn er sie wünscht, wie gegen eine solche, wenn er sie nicht wünscht, eine Fülle von Argumenten beizubringen. Die Gläubigen, so schreibt er an Paulin, werden nicht nach der Verschiedenheit des Ortes, sondern nach dem Verdienst des Glaubens gewogen; und die wahren Anbeter beten weder zu Jerusalem, noch auf dem Berge Garizim den Vater an, sondern weil Gott Geist ist, müssen seine Anbeter ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Sowohl von Jerusalem wie auch von Britannien steht der Himmel in gleicher Weise offen; denn das Reich Gottes ist in Euch. Antonius und alle Mönche Ägyptens, Mesopotamiens, Pontus und Armeniens haben Jerusalem nie gesehen, und doch steht ihnen fern von dieser Stadt die Paradiesestür offen. Der selige Hilarion, der aus Palästina gebürtig war und dort lebte, war nur an einem einzigen Tage in Jerusalem. Von der Zeit
') Ep. 58, 3, Vallarsi I, 318.
Wiederanknüpfung mit Rom. 229
Hadrians bis zur Herrschaft Konstantins, hundertaciitzig Jahre, stand auf der Stätte der Auferstehung ein Jupiterbild und auf dem Hügel des Kreuzes ein marmornes Venusbild, das die Heiden verehrten; denn die Verfolger glaubten, sie würden uns den Glauben an die Auferstehung und Kreuzigung nehmen, wenn sie die heiligen Stätten mit Götzenbildern besudelten. Unser Bethlehem, die heiligste Stätte des Erdkreises, von der der Psalmist singt: „Die Wahrheit sprosset aus der Erde hervor", umschattete ein heiliger Hain des Thammuz oder Adonis, und in der Höhle, wo einst Christus als Kindlein wimmerte, erscholl die Totenklage um den Liebling der Venus. ') Für einen Mönch ist es nur von Wichtigkeit, die Städte und das Getümmel der Städte zu verlassen, und des- halb sollte ein Mann wie Paulin, der einst eine so angesehene Stellung in der Welt eingenommen hatte, sich auf ein ein- sames Landgut zurückziehen.) in schwärmerischer Verzückung hatte Hieronymus einst der Marcella Jerusalem gepriesen: Wir sagen dies freilich nicht in dem Sinne, als ob wir etwa leugneten, daß das Reich Gottes in uns selbst sei oder als ob es nicht auch anderwärts noch heilige Männer gebe, sondern wir behaupten nur gewiß, daß die, welche auf dem Erdkreise die Vornehmsten sind, hier gemeinschaftlich sich einfinden.^) Und jetzt rät er Paulin ab nach Jerusalem zu kommen. In nüchternster Weise schildert er ihm die heilige Stadt als eine Großstadt wie viele andern mit einer Rats- versammlung, einer Garnison, einer Schaubühne und sogar mit einem Bordell. Ja, wenn Jerusalem nur von Mönchen besucht würde, dann müßte dieser Aufenthaltsort ein Eldorado für Mönche sein, aber jetzt gibt sich der ganze Erdkreis hier ein Stelldichein, und die Stadt ist voll von jeder Art Menschen und es herrscht ein solches Gedränge beiderlei Geschlechts, das Paulin hier ertragen müßte, und dem er anderwärts aus dem Wege gehen könne.')
Paulin hatte aber Hieronymus in seinem Briefe auch die
1) Ep. 58, 3, Vallarsi I, 319. «) Ep. 58, 5, Vallarsi I, 320. s) Ep. 46, 10, Vallarsi I, 205. *) Ep. 58, 4, Vallarsi 1, 320.
230 Wiederanknüpfung mit Rom.
Frage vorgelegt, ob er sich zum Priester weihen lassen solle. Hieronymus wagte nicht ihm ausdrücklich davon ab- zuraten: Wenn du das Amt des Priesters verwalten willst, wenn dich die Mühe und die Ehre des bischöflichen Amtes ergötzt, so lebe in den Städten und Kastellen, wenn du aber ein Mönch sein willst, d. h. ein einsam Lebender, was tust du in den Städten?') Mit mönchischem Hochmut sieht Hiero- nymus doch auf die Kleriker herab und schildert Paulin das Mönchsleben als das wahre christliche Leben: „Ich beschwöre dich, da du an deine heilige Schwester Therasia gefesselt bist und noch nicht vollkommen mit freien Schritten einhergehst, meide die Gesellschaft der Menschen, lebe in strenger Askese, lies die Heilige Schrift und teile mit eigner Hand den Armen dein Vermögen aus.'") Abermals fordert er Paulin wie im ersten Brief auf, seine gewandte Feder, die er in dem Panegyrikus auf den Kaiser Theodosius von neuem bewundert hatte, in den Dienst der christlichen Exegese zu stellen: Nichts Schöneres, nichts Gelehrteres, nichts Lieblicheres, nichts in der lateinischen Sprache Vollkommeneres würde es geben als seine Schriften. Paulin würde der erste unter den christlichen Lateinern werden, eine Zierde der Kirche, wie er früher eine Zierde des Senats war. Der Priester Vigilantius, der ihm den Brief Paulins überbracht hatte, nahm seinen Brief wieder an Paulin mit zurück; es ist derselbe Vigilantius, den er später so bitter bekämpfte, den er hier noch als den heiligen Priester Vigilantius bezeichnet.
Die Freundschaft zwischen Paulin und Hieronymus wurde aber keine besonders innige. Paulin ging seine eignen Wege, und trotz des dringenden Zuredens des Hieronymus wandte er sich in richtiger Einschätzung seiner Kräfte nicht der Exegese der Heiligen Schrift zu. Im Jahre 409 wurde er auf den Bischofsstuhl von Noia erhoben und verwaltete sein Amt mit Gewissenhaftig- keit. Er war doch ein zu anders gearteter Charakter, um sich zu Hieronymus dauernd hingezogen zu fühlen, mit dem er eigentlich nur die Schwärmerei für die asketischen Ideale
') Ep. 58, 5, Vallarsi I, 320. *) Ep. 58, 6, Vallarsi I, 322.
Wiedcranknüpfuno mit Rom.
231
gemein hatte. Im übrigen fand er bei seiner quietistisch beschaulichen Frömmigkeit keinen Gefallen an den dogmatischen Kontroversen seiner Zeit und nahm auch keine entschiedene Stellung dazu, so daß er Rufin, Vigilantius und Pelagius nicht fallen ließ, während Hieronymus mit zunehmendem Alter ein Fanatiker der Orthodoxie und grimmiger Verfolger der Ketzer wurde.
Der einzige Brief des Hieronymus an Paulin, der uns noch erhalten ist,') stammt aus dem Jahre 400 — einige kleinere Briefe des Hieronymus an Paulin sind für uns verloren gegangen") — aber dieser Brief zeigt, daß auch auf Seite des Hieronymus das Interesse für Paulin stark erkaltet ist. Paulin hat ihm zwei exegetische Fragen vorgelegt, die erste Rom. Q, 16 betreffend, warum Gott das Herz des Pharao verhärtet habe und der Apostel sage, es steht nicht in unserm Wollen und Laufen, sondern bei Gott, der sich erbarmte, was doch den freien Willen aufzuheben scheine, und die andere, wie nach 1. Kor. 7, 14 die Kinder heilig sein könnten, welche von den Gläubigen, d. h. Getauften, geboren würden, da sie doch ohne das Geschenk der Gnade, die erst nachher empfangen wird und bewahrt werden muß, nicht selig werden können. Es sind dies beides Fragen, die im Streite Augustins und Pelagius' in den Vordergrund traten. Man sieht, daß sie bereits in der Luft lagen. Hieronymus gab dem Paulin auf diese Fragen keine Antwort, einfach weil er in dieser schwierigen dogmatischen Materie nichts zu sagen weiß und nichts zu sagen wagt. Er verdeckt seine Hilf- losigkeit damit, daß er ihm vorrenommiert, wie wenn ein Schiff nach dem Occident abgehe, er soviel Briefe schreiben müsse, daß er es kaum bewältigen und deshalb nur kurze Briefe schreiben könne. Er sonnt sich in seinem Ruhm, von aller Welt befragt zu werden und glaubte sich deshalb über- hoben, sich über solche heiklen Probleme, wie sie ihm Paulin gestellt hat, den Kopf zu zerbrechen. Er drückt sich um jede selbständige Meinungsäußerung und verweist Paulin
1) Ep. 85, Vallarsi I, 529.
*) Ep. 85, 1, Vallarsi I, 528: quod qiiereris, me parvas et incomtas literulas mittere, non venit de incur.'a.
232 Wiederanknüpfung mit Rom.
für die erste Frage einfach auf Origenes Schrift jri-gi dg/cöv und für die zweite Frage auf Tertullians de monogamia. Auch macht ihm seine Arbeit an der Übersetzung der Schrift des Origenes Ttegl uq/ojv und am Danielkommentar angeblich eine ausführliche Antwort unmöglich. Hieronymus bedankt sich dann noch für das ihm geschenkte Käppchen, um sein greises Haupt zu erwärmen, klein an Gewebe, aber groß durch die Liebe, das er gern angenommen und sich dabei des Geschenks und des Urhebers des Geschenkes gefreut habe. Vielleicht hatte Paulin nach diesem Brief des Hieronymus den Geschmack an einer Fortsetzung seines Briefwechsels mit dem eitlen Mann ver- loren, der doch auf die ihn beschäftigenden Fragen keine Antwort zu geben wußte. Jedenfalls hören wir nichts mehr in der Folgezeit über weitere Beziehungen der beiden Männer. Von überall her wandte man sich an Hieronymus; bald sind es exegetische, bald praktisch-kirchliche Fragen, über die man seinen Rat einholte. Wie ein lebendiges Orakel mußte er über alles Rede stehen, und er war auch immer bereit, aus dem Schatze seines Wissens Altes und Neues hervor- zubringen. Ein Freund des Paulin von Nola, der gallische Priester und spätere Bischof von Burdigala, Amandus, bat ihn um Aufschluß über drei dunkle Bibelstellen Matth. 6, 34, 1. Kor. 6, 18 und 1. Kor. 15, 25.') Von Interesse ist vor allem die Antwort des Hieronymus, in der er sich mit 1. Kor. 15, 25 beschäftigt. Diese Stelle, wonach am Ende der Weltzeit sich der Sohn dem unterwerfen wird, der ihm alles unterworfen hat, so daß Gott alles in allem sei, konnte unter Voraussetzung der orthodoxen Trinitätslehre leicht Anstoß erregen. Hieronymus verweist den Amandus zunächst auf das elfte Buch des Hilarius von Poitiers gegen die Arianer, in dem er sich mit dieser Frage beschäftige, und versucht dann seinerseits eine Lösung zu geben. Es heißt ja nicht beim Apostel: „Der Vater wird alles in allem, sondern Gott
') Ep. 55 ad Amandnm, Vallarsi I, 293, s. Anm. a. Die Über- lieferung des Briefes scheint nicht in Ordnung zu sein, einige Hand- schriften Vallarsi I, 2Q7, Anm. b, beginnen mit ep. 55, 5 einen neuen Brief an Amandus. Wahrscheinlich ist ep. 55, 5 vor ep. 55, 3 u. 4 zu stellen.
Wiederankniipfung mit Rom. 233
alles in allem sein." Gott ist aber nach Hieronymus der Name der Trinität und kann auf den Vater, Sohn und heiligen Geist bezogen werden, so daß der Sinn sei, am Ende der Weltzeit werde die Menschheit der Gottheit unterworfen werden. Durch diese Kasuistik glaubte er denSubordinatianismus, den man der Stelle entnahm, abgewehrt zu haben.
Amandus hatte seinem Brief noch ein kurzes Briefchen bei- gefügt, in dem er Hieronymus um Beantwortung der Frage bat, wie man sich einer Frau gegenüber zu verhalten habe, die ihren ehebrecherischen und sodomitischen Mann verlassen habe und nun mit einem anderen Manne zusammenlebe, wenn sie in der Kirche zum Tische des Herrn gehen wolle, während ihr erster Gatte noch lebe. Wir bekommen durch den angezogenen Fall einen Einblick in die Zerrüttung der Ehen und die wider- liche Verkehrtheit der sittlichen Zustände. Amandus scheint nicht übel Lust gehabt zu haben, die Frau ohne vorherige Kirchenbuße zur Kommunion zuzulassen. Er sucht die Frau in jeder Weise zu entschuldigen, vor allem damit, daß der zweite Mann sich ihrer gewaltsam bemächtigt habe; aber Hieronymus äußert starke Zweifel an der Unschuld der Frau und begründet dies treffend damit: „Warum hat denn später nicht die Geraubte den Räuber verlassen?"') Es war wahr- lich keine leichte Aufgabe für die Kirche und die Priester, in diesem sittlichen Chaos wenigstens noch ein Stück Ordnung aufrecht zu erhalten. Was ihr zu Hilfe kam, war der uner- schütterliche Glaube ihrer Glieder an die Heilsmittlerschaft der Kirche. Dieses Weib, das sich zwar über das Verbot der Kirche, eine zweite Ehe bei Lebzeiten des ersten Mannes ein- zugehen, hinweggesetzt hatte, wollte doch nicht auf das Heils- mittei der Kirche, den Genuß des Leibes Christi, verzichten, und an diesem Punkte konnte die Kirche mit ihrer Zucht ein- setzen. Hieronymus schärfte dem Priester Amandus energisch ein, keine Konzession irgendwelcher Art zu machen. Nach dem Worte des Apostels \. Kor. 7, 3Q darf eine Frau, deren Mann noch lebt, in keinem Falle wieder heiraten, und wenn sie kommunizieren will, muß sie erst Buße tun und zwar so,
') Ep. 55, 4, Vallarsi 1, 296.
234 Wiederankniipfung mit Rom.
daß sie sich von dem zweiten Manne, der nicht ihr Mann, sondern nur ein Ehebrecher genannt werden könne, von der Zeit der Buße an trennt. Hieronymus hat richtig erkannt, daß die Kirche dem weiteren Verfall nur durch scharfe Be- hauptung ihrer sittlichen Forderungen erfolgreich entgegen- arbeiten konnte.
Ein anderes Mal hatte ein Priester Evangelus dem Hiero- nymus ein anonymes Buch über den Priesterkönig Melchisedek gesandt, in dem diese geheimnisvolle Persönlichkeit mit dem heiligen Geist identifiziert wurde.') Hieronymus sollte ihm nun seine Meinung über den Traktat schreiben. Er antwortete zunächst mit einem ausführlichen Referat der Meinungen der alten Exegeten. Nur Origenes und Didymus halten Melchisedek für einen Engel, aber sie sind dem Hieronymus bereits als Ketzer verdächtig; die übrigen Kirchenväter Hippolyt, Irenäus, Eusebius von Cäsarea, Eusebius von Emesa, Apollinaris und Eustathius von Antiochia sehen in ihm einen Menschen, einen Kananäer und König der Stadt Salem d. h. Jerusalems. Nach der hebräischen Tradition wird Melchisedek mit Sem, dem ersten Sohne Noahs, identifiziert. Der Königssitz des Melchisedek ist nach Hieronymus aber nicht, wie Josephus und alle unsrigen meinen, in Jerusalem, sondern einem kleinen Städtchen Salem bei Skythopolis zu suchen, wo man noch heute die Ruinen des Palastes des Melchisedek zeige. Das Resultat, zu dem Hieronymus gelangt, ist ein nüchtern kritisches; er will, wie Zöckler") sagt, nichts von den gnostisch- spiritualistischen Apotheosierungsgelüsten wissen, die man mit der geheimnisvollen Persönlichkeit des Melchisedek trieb.
Derselbe Evangelus hatte auch an Hieronymus eine Anfrage gerichtet, wie es sich denn mit dem Verhältnis der Presbyter zu den Diakonen verhalte, da in einzelnen Gemeinden wie in der römischen sich die Diakonen den Vorrang vor den Presbytern anmaßten und auf das Zeugnis eines Diakonen ein
') Ep. 73, Vallarsi I, 438; Vallarsi I, 438, Anm. e hat die anonyme Schrift in den Quaestiones ex iitroque mixtim, Quaestio 109 bei Augustin cd. Mauriner HI, 2, Appendix wiedergefunden. Vielleicht lag sie bereits dem Hippolyt vor, s. Harnack, Altchristi. Literaturgeschichte II, 593.
^) Zöckler, S. 229.
Wiederanknüpfling mit Rom. 235
Presbyter ordiniert zu werden pflegte/) Leidensciiaftiich erregt beantwortete Hieronymus diesen Brief, da er, wenn er auch sein Priesteramt als Mönch nicht ausübte, doch von seiner priesterlichen Würde durchdrungen war. So oft er auf das Ver- hältnis von Bischof und Priester zu sprechen kam, verteidigte er eifersüchtig diese Würde. Er konnte es nicht ver- schmerzen, daß er es nicht zum Bischof gebracht hatte, wie er einst in Rom gehofft hatte. Er wiederholte seine These, die er im Tituskommentar breit ausgeführt hatte,') daß Bischof und Priester ursprünglich dasselbe waren, und nur zur Heilung der Spaltungen in der Kirche ein monarchischer Bischof an die Spitze der Gemeinde trat. Er kramt alle seine antiquarischen Kenntnisse aus: „In Alexandria wählten bis auf die Bischöfe Heraclas 232—47 und Dionysius 247—64 die Priester stets einen aus dem Presbyterium, den sie Bischof nannten, ähnlich wie das Heer den Imperator und die Diakonen den Archidiakon wählen." Nur das Recht der Ordination hat der Bischof nach Hieronymus vor dem Priester voraus, sonst nichts. Wenn aber in Rom die Sitte besteht, daß ein Priester auf das Zeugnis des Diakons ordiniert wird, so ist dies eine lokale kirchliche Sitte, die sich einfach daher schreibt, daß die Diakonen in Rom viel weniger zahlreich als die Priester sind. Wenn sich aber die Diakonen in Rom sogar erlauben, sich unter die Priester in der Kirche zu setzen, statt zu stehen, oder bei häuslichen Gastmahlen den Presbytern den Segen zu erteilen, so ist dies durchaus als Mißbrauch zu beurteilen. Daß der F^riester über dem Diakon steht, beweist zur Genüge die Sitte, daß einer vom Diakon zum Priester und nicht umgekehrt ordiniert wird. Mit Emphase ruft Hieronymus aus: „Wenn man nach der Autorität fragt, so ist die Autorität des ganzen Erdkreises größer als die der Stadt Rom. Wo einer Bischof ist in Rom oder Eugubium, in Konstantinopel oder Rhegium, in Alexandria oder Tanis, wenn der Inhaber dieselben Verdienste hat, so kommt ihm auch dieselbe Priesterwürde zu."') In Rom hätte
^) Ep. 146 ad Evangelum, Vallarsi I, 1074 s. über die zweifelhafte Datierung Bd. I, 98. ') s. § 29. "■) Ep. 146, 1, Vallarsi I, 1076.
236 Wiederanknüpfung mit Rom.
er diesen Satz sicher nicht geschrieben, als er sich von der Sonne der päpstlichen Gunst unter dem Pontifikat des Damasus bescheinen ließ; aber jetzt lebte er im Orient und ein ihm nicht besonders wohlgesinnter römischer Bischof Siricius saß auf dem dortigen Bischofsthron: da verblaßte bei ihm die Idee des römischen Primats. Als er später im Origenistischen Streit das Papsttum brauchte, hat er wieder andere Seiten aufgezogen.
Einem sonst unbekannten Presbyter Rufinus,') dessen Freundschaft ihm der Priester Eusebius von Cremona vermittelt hatte, sollte Hieronymus über das Urteil des Salomo im Streit zwischen den beiden hurerischen Weibern 1. König. 3 schreiben. Hieronymus war von der zwöifmonatlichen Krankheit, die er im Jahre 398 durchgemacht hatte, noch sehr angegriffen, und eine schwere und nicht ungefährliche Wunde an der rechten Hand schmerzte ihn noch. Der Brief zeigt auch eine gewisse Mattigkeit. Er allegorisiert die Geschichte und bezieht die beiden Frauen auf die Synagoge und die Kirche, über die der wahre Salomo, Christus, sein Urteil abgibt.
Bis nach dem fernen Spanien war der Ruhm der Gelehr- samkeit des Hieronymus gedrungen. Die vorzüglichen Ver- bindungen ermöglichten einen regen Austausch zwischen den entlegensten Teilen des Weltreichs, den wir heute noch bewundern müssen. Ein vornehmer und reicher Spanier Lucinius hatte im Jahre 398 sechs Schreiber die weite Reise nach [Palästina machen lassen, nur um sich sämtliche Werke des Hieronymus abschreiben zu lassen, weil in Palästina ein Mangel an des Lateinischen kundigen Abschreibern bestand.') Hiero- nymus fühlte sich natürlich dadurch sehr geschmeichelt; aber er entschuldigt sich bei Lucinius, daß er wegen seiner langen Krankheit und auch wegen des Gewühls der Pilger, die ihn fortwährend im Kloster zu Bethlehem besuchten, nicht im- stande gewesen wäre, die Arbeit der Abschreiber gehörig zu überwachen. Wenn sich also in seinen Werken Schreibfehler finden, so solle Lucinius sie nicht ihm, sondern der Unwissen- heit der Schreiber und der Sorglosigkeit der Abschreiber zu-
') s. über die Unmöglichkeit der Identifizierung dieses Rufin mit Rufin aus Aquileja Vallarsi I, 445 Anm. a; ep. 74 ad Rufinum. ') Ep. 75, 4, Vallarsi I, 450.
Wiederanknüpfung mit Rom. 237
rechnen/) Lucinlus hatte ihn in seinem Schreiben auch gebeten, ihm die Abschriften seiner Übersetzungen desjosephus, Papias, und Polyl<arp zu übersenden.') Hieronymus teiH ihm mit, daß er diese Schriften nicht übersetzt habe. Wir sehen, wie ihm schon zu seinen Lebzeiten bei seiner großen Produktivität Schriften untergeschoben werden. Die Legendenbildung über seine Verfasserschaft zahlreicher anonymer Schriften hat bereits damals begonnen und setzt sich nach seinem Tode fort. Von seiner Übersetzung aus dem hebräischen Grundtext, die Hiero- nymus mit Ausnahme des Oktateuch vollendet hatte, scheint Lucinius aber noch nichts gehört zu haben. Hieronymus ließ ihm dieses sein Hauptwerk nun auch in Abschriften übermitteln. Lucinius, der sich mit seiner Gemahlin Theodora der Ent- haltsamkeit geweiht hatte, beabsichtigte, wie es scheint, auch eine Pilgerfahrt nach dem heiligen Lande zu unternehmen. Hieronymus lud ihn aufs herzlichste ein, in Bethlehem seine Wohnung zu nehmen; mußte ihm doch ein vornehmer und reicher Mann, der ihn so sehr bewunderte, als eine wichtige Bereicherung für sein Kloster erscheinen. Gleichzeitig dankte ihm Hieronymus für die zwei Mäntelchen und den Überwurf, die ihm Lucinius zu eigenem Gebrauch, oder um sie den Mönchen zu schenken, übersandt hatte, und erwiderte die Geschenke mit vier Bußzilizien für ihn und seine Gattin und mit dem Kommentar zu den zehn Visionen des Jesaia, den er vor kurzem verfaßt hatte. ') Endlich mußte Hieronymus noch sein Urteil über gewisse provinzialkirchliche Gebräuche abgeben, worum Lucinius die bethlehemitische Autorität angegangen hatte. Es handelte sich um das in Spanien und Rom gebräuchliche Sabbatfasten und den täg- lichen Empfang der Eucharistie. Hieronymus urteilte in diesem Punkte merkwürdig tolerant, er wollte noch nichts von einer Uniformierung der kirchlichen Sitte wissen, sondern schrieb an Lucinius, jede Provinz möge bei ihrem Sinne bleiben und die Vorschriften der Vorfahren für apostolische Gesetze halten.^)
') Ep. 71, 5, Vallarsi I, 432. ^) Ep. 71, 5, Vallarsi I, 432. 3) Ep. 71, 7, Vallarsi I, 433.
") Ep. 71,6, Vallarsi I, 433: unaquaeque provincia abundet in sensu suo et praecepta maiorum leges apostolicas arbitretur.
238 Wiederankniipfiing mit Rom.
Ehe aber Lucinius seinen Entschluß ausführen konnte, nach Jerusalem zu kommen, wurde er durch einen plötzlichen Tod hinweggerafft, und Hieronymus konnte nur seine Witwe Theodora über den Tod des geliebten Mannes trösten. „Er ist nicht zu bedauern, da er im Himmel ist, wo keine Sünde, wo die Herrlichkeit, ewiges Lobpreisen und unaufhörlicher Jubel., ist." ') Im Himmel wird Theodora dereinst mit ihm ver- eint werden, wo sie zwar nicht als Engel, wie die origenistische Ketzerei behauptet — Hieronymus kann es schon nicht mehr lassen, auch in harmlosen, persönlichen Briefen einen Hieb nach dem verabscheuungswürdigen Ketzer zu führen — sondern in einem engelähnlichen Zustande in geschwisterlicher Gemein- schaft zusammenleben würden. Die Bezeugung des orthodoxen Glaubens und die Bekämpfung der Ketzer erscheint Hierony- mus je länger je mehr als die vornehmste Betätigung eines wahren Christen. Er preist deshalb den verstorbenen Freund Lucinius, daß er für die Reinheit des Kirchenglaubens stets mutig eingetreten sei, als die abscheuliche Ketzerei des Basi- lides — er meint den Priscillianismus — in Spanien wütete.") Dann rühmt er seine großartige Wohltätigkeit, die nicht auf Spanien beschränkt blieb, sondern sich bis in die fernsten Länder nach Jerusalem und Alexandrien erstreckte, wohin er Unter- stützungen für Bedürftige aller Art sandte. Der Witwe Theodora botHieronymus seine geistliche Hilfean, abergleichzeitig wandte er sich auch in einem Brief an den spanischen F^riester Abigaus, dem er, nachdem er ihn über seine Blindheit getröstet hatte, seine heilige Tochter Theodora ans Herz legte. Abigaus solle die Witwe ermahnen, nicht auf dem angefangenen Wege laß zu werden, daß sie nicht glaube, es sei genug, aus Ägypten hinausgegangen zu sein, sondern dieTugend sei erst vollkommen, wenn man durch die unzähligen Hinterhalte zum Berg Nebo und zum Fluß Jordan
') Ep. 75, 1, Vallarsi I, 448.
*) Ep. 75, 3, Vallarsi 1, 450. Dal^ der Priscillianismus mit dem Gnostiker Basilides zusammenhänge, behauptet Hieronymus auch ep. 120, 10, Adv. Vij,Mlantium c. 6. Er führt aber diesen Basilidianismus auf den alten Häretiker Marcus zurück, den er aber mit einem zeitgenössischen Marcus aus Memphis (s. Sulp. Sev. Chron. 11, 16) verwechselt; s. auch Harnack, altchristl. Literaturgeschichte I, 161.
Wiederanknüpfiing mit Rom.
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gelange.) Ängstlich wachte Hieronymus über die Seelen, die sich ihm anvertraut hatten; und falls der Tod eine Ehe gelöst hatte, besorgte er nichts mehr, als daß der überlebende Teil eine zweite Ehe schließen könnte. Wenn Theodora die keusche Witwenschaft aufgäbe, so erschien dies dem Apostel der Vir- ginität nicht viel weniger als ein ewiges Verlorengehen. Alle seine seelsorgerischen Bemühungen waren eigentlich nur auf das eine Ziel gerichtet, die Ehen zu Scheinehen zu machen, die Witwen von einer zweiten Ehe zurückzuhalten und die Jungfrauen zur Bewahrung der Jungfrauschaft als des höchsten Gutes zu veranlassen. Es war das einzige Gegengift, das er und nicht er allein, sondern fast alle einflußreichen Führer der christlichen Kirche gegen das Gift der wilden Sinnenlust, die die Ehen zerrüttete, anzubieten hatten.
In der Regel ließ sich Hieronymus die Freundschaftsbünd- nisse anbieten und antwortete nur auf Anfragen, die man an ihn stellte. Unter Umständen ergriff er aber auch die Initiative, zumal wenn es galt, mit einer besonders vornehmen Frau anzu- knüpfen und sie von dem Schließen einer zweiten Ehe zurück- zuhalten. So wandte er sich an Salvina, die Tochter des Königs Gildo von Mauretanien, mit einer solchen Witwenepistel, die trotz des typischen Inhalts individuell gefärbt ist.-) Er mußte die üblichen Ermahnungen in eine für die Prinzessin geeignete Form bringen, um bei ihr Gehör zu finden. Hiero- nymus fühlte sich sichtlich nicht ganz wohl bei diesem Ver- such, mit dem kaiserlichen Hof in Konstantinopel in Beziehung zu treten. Man könnte es ihm als Ehrgeiz auslegen und ver- muten, daß er unter dem Vorwande einer Ansprache an die Witwe Salvina die Gunst der Mächtigen erschleichen wolle. Natürlich behauptet Hieronymus, daß er nie derartige Gedanken auch nur leise in seinem Herzen bewegt habe. Wer seinen ehrgeizigen Charakter kennt, wird ihm dies kaum glauben.
Salvina, die Tochter Gildos, war vom Kaiser Theodosius dem Sohn des Praefectus praetorio, Nebridius, zur Gemahlin gegeben worden. Theodosius hatte politische Absichten mit dieser Ehe
') Ep. 76, 3, Vallarsi 1, 453. 0 Ep. 79, Vallarsi 1, 493.
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verfolgt; er wollte den Comes Mauretaniens durch verwandt- schaftliche Bande mit dem Kaiserhaus verknüpfen, wie Hiero- nymus an Salvina schreibt/) um das in Bürgerkriegen revol- tierende Afrika durch Salvina gleichsam als Geißel zum Gehor- sam wieder zurückzuführen. Da der Praefectus praetorio Nebridius mit dem Kaiser Theodosius durch seine Frau, die Schwester der Kaiserin Aelia Flacilla, verschwägert war, so war sein Sohn Nebridius mit den kaiserlichen Prinzen Arcadius und Honorius in Konstantinopel aufgezogen worden.-) Nach einer glücklichen Ehe war der Gatte der Salvina, dieser Nebridius, früh gestorben und hatte sie als junge Witwe und Mutter eines Sohnes, der wiederum den Namen des Vaters führte, und einer Tochter zurückgelassen.
Obwohl Hieronymus Salvina nicht persönlich kannte, wagte er doch, sich mit einem Schreiben an sie zu wenden. Recht gezwungen motiviert er diese Kühnheit damit, daß er vermöge seiner priesterlichen Würde den Fortschritt aller Christen in der Tugend fördern müsse, daß er auch dem älteren Nebridius, dem Vater des verstorbenen Gatten der Salvina, freundschaftlich nahe gestanden habe und daß er endlich durch seinen Sohn Avitus dazu gedrängt worden sei.) Wir wissen sonst nichts von diesem Avitus, den Hieronymus hier erwähnt. Jedenfalls war dieser geistliche Sohn des Hieronymus ein Anhänger der Mönchs- partei, die in Hieronymus einen ihrer hervorragendsten geistigen Führersah. Überall arbeiteten sich ihre Glieder in die Hände; und Avitus mußte den bethlehemitischen Heiligen avisiert haben, daß es wünschenswert sei, wenn er durch ein Schreiben auf die Prinzessin einwirke. Es war dies wahrlich keine leichte Aufgabe, denn Hieronymus mußte hier, wo es sich um eine dem Hofe nahestehende Frau handelte, viel vorsichtiger vor- gehen, als wenn er sich z. B. an ein Glied des römischen Hochadels, wie an die Witwe Furia, wandte, da er durch Paula und Eustochium viel innigere Beziehungen nach Rom hatte. Hieronymus gab sich die größte Mühe, um ja nicht anzu- stoßen. Immer wieder verklausulierte er seine Ermahnungen:
') Ep. 7Q. 2, Valiarsi 1, 495. ') Ep. 79, 5, Valiarsi 1, 498. ^) Ep. 79, 1, Valiarsi 1, 494.
Wiederanknüpfung mit Rom. 241
„Was ich sagen werde, mögest du so verstehen, als ob es nicht für dich, sondern für Personen in jungen Jahren über- haupt gesagt sei."') Bei seiner Warnung vor Untceuschheit betont er ängstlich, daß er nicht die Absicht habe, ihr die geringsten Vorwürfe zu machen, sondern nur aus Besorgnis für sie dies schreibe, da er ja nur den Wunsch hege, sie möge erst gar nicht kennen lernen, wovor er Furcht und Besorgnis habe.-) Sein asketisches Pathos durfte sich nicht in den vollen Brust- tönen der Überzeugung ergehen, er mußte auf die fürstlichen Ohren Rücksicht nehmen, die nicht an so derbe Töne gewöhnt waren.
Während er in seinem Schreiben an Furia trotz aller Schmeicheleien an ihrem Vater und Gatten zum Teil herbe Kritik geübt hatte, mußte hier bei den Verwandten des kaiser- lichen Hofes alle Kritik schweigen, ihren Gatten Nebridius schildert Hieronymus deshalb als einen Ausbund von Tugenden. Vor allem hebt er hervor, daß er so fromm und ein solcher Liebhaber der Keuschheit war, daß er, selbst noch jungfräulich, seine Frau heimführte.') Seine Wohltätigkeit, seine jungfräu- liche Schamhaftigkeit, seine Demut preist er in überschwäng- lichster Weise. Bisweilen scheint er es zu empfinden, daß diese Schmeicheleien vielleicht doch zu stark aufgetragen sind, so daß man ihm nachträglich auch von christlicher Seite Vor- würfe machen könnte. „Salvina, an die ich dieses Büchlein schreibe, weiß es, daß ich nicht Selbsterlebtes, sondern nur Gehörtes berichte, daß ich auch nicht wegen einer erwiesenen Wohltat nach der Sitte der griechischen Schriftsteller durch eine Lobrede Dank sagen will. Mögen die Christen solchen Verdacht entfernen. Wenn wir Kleidung und Lebensunterhalt haben, sind wir zufrieden." ') Vor allem hebt aber Hieronymus bei der Zeichnung des Charakterbildes des Nebridius, des Gemahls der Salvina, hervor, daß dieser uneingedenk seiner hohen militärischen Würde mit Mönchen und Priestern die
') Ep. 79, 8, Vallarsi I, 501. 2) Ep. 79, 8, Vallarsi I, 501.
^) Ep. 79, 2 sie religiosus fuit et amator pudicitiae, ut virgo sortiretur uxorem.
*) Ep. 79, 4, Vallarsi I, 497. Grützmacher, Hieronymus. II. 16
I
Wiederanknüpfung mit Rom.
regsten Beziehungen unterhalten habe. Die Bischöfe* des ganzen Erdkreises brachten vor ihn die Bitten der Unglück- lichen und die Wünsche der schwer Bedrängten, damit er bei dem Kaiser für sie interveniere.') Nach allem, was Hieronymus berichtet, scheint Nebridius eine starke Stütze des Klerus und der Mönche am kaiserlichen Hofe gewesen zu sein und seinen Einfluß im Sinne der Kirche geltend gemacht zu haben. Es ist daher begreiflich, daß in diesen Kreisen sein Andenken im besten Gedächtnis stand, und Hieronymus sich an seine Witwe mit einem Schreiben zu wenden wagte. Hieronymus versteht es, dabei auf ein Mutterherz einzuwirken: in dem kleinen Sohn Salvinas leuchtet schon ein Funke der väterlichen Geistes- kraft, und die Ähnlichkeit der Sitten springt wie ein lebendiges Spiegelbild hervor. Und ihre Tochter gleicht einer Lilien- oder Rosenknospe, worin Elfenbein und Purpur sich vereinigen, sie stellt zugleich durch die Mischung der Ähnlichkeit so das Bild der Mutter dar, daß du in demselben Körper Vater und Mutter wiedererkennst. Sie ist so voll Anmut und Lieblichkeit, daß sie der Stolz aller Verwandten ist. Sie an der Hand zu führen, hält selbst der Kaiser Arcadius nicht unter seiner Würde, sie an ihrem Busen zu herzen freut sich die Königin, die Mutter Salvinas, die Gemahlin des Königs Gildo von Mauretanien.) Es sind dieselben servilen Schmeicheleien, deren sich die heid- nischen Lobredner bedienten, die der christliche Lobredner Hieronymus anwendet. Es hat sich nichts geändert, außer daß einige Bibelsprüche eingeflochten sind. Allerdings dürfen wir nicht generalisieren. Ein Chrysostomus hat doch den Mut besessen, demselben Hof auch bittere Wahrheiten zu sagen, aber deshalb wurde auch der unbequeme Bischof den Intrigen seiner Gegner preisgegeben und in die Verbannung geschickt. Die Ermahnungen, die Hieronymus an Salvina richtet, sind dieselben, die er schon öfter vornehmen Witwen eingeschärft hat, keine leckeren Speisen zu essen, am besten sich des Fleisches und Weins überhaupt zu enthalten. „Mögen sie Fleisch essen, die dem Fleische dienen, deren ungezügeltes
') Ep. 7Q, 5, Vallarsi I, 498. -) Ep. 79, 5, Vallarsi 1, 498.
Wiederankniipfung- mit Rom. 243
Verlangen nach Beischlaf steht, die an einen Mann gebunden, auf Erzeugung von Kindern bedacht sind. Du, die du alle Fleischeslust mit deinem Manne in seinem Grabhügel begraben hast, hast nur nötig auszuharren im Fasten."') Hieronymus verweist Salvina auf den Verkehr mit ihren Angehörigen, sie braucht keine Geselligkeit zu suchen, da sie ihre Mutter, die nach der Empörung Gildos gegen Kaiser Honorius und seiner Erdrosselung im Jahre 398 nach Konstantinopel übergesiedelt war, und ihre ewiger Jung-frauschaft geweihte Tante um sich hat. Geistlicher Lesung und unablässigem Gebet soll sie sich, umgeben von einem Chor von Witwen und Jungfrauen, hin- geben. Besonders eindringlich legt er ihr als die vornehm.ste Aufgabe die Erziehung ihrer Kinder ans Herz: Es ist kein geringes Verdienst vor dem Fferrn, Kinder gut zu erziehen.-) Nur eine Konzession macht er der Prinzessin bei der Ermahnung zu eingezogenem Lebenswandel: Wenn das Ansehen des vor- nehmen Hauses ein großes Hausgesinde fordert, so soll sie diesem einen Greis von ehrbaren Sitten zum Vorstande geben, dessen Anstand die Würde der Gebieterin wahrt. ') Wir hören in der Folgezeit nichts weiter von Beziehungen des Hieronymus nach Konstantinopel und zum Hof. Salvina, die Freundin des edlen Chrysostomus, mit dem Hieronymus im Origenistischen Streit in scharfen Gegensatz trat, scheint in kein engeres Freund- schaftsverhältnis zu ihm getreten zu sein. Der Boden in Kon- stantinopel war für ihn nicht so günstig wie der in Rom, zu dessen Hochadel er in festen und dauernden Beziehungen blieb,
>) Ep. 7Q, 7, Vallarsi I, 500.
^) Ep. 79, 7, Vallarsi I, 499: non est parvi apiid deum meriti, bene filios educare.
3) Ep. 79, 9, Vallarsi I, 502.
16*
244 Wiederankniipfung mit Rom.
§ 41. Der Matthäuskommentar des Hieronymus.
Der Matthäuskommentar ist die letzte neutestamentliche Auslegungsschrift, die Hieronymus verfaßt hat, falls wir von dem zeitlich nicht mit Sicherheit anzusetzenden Kommentar zur Apokalypse absehen, der doch auch im wesentlichen nur eine Kompilation ist. Es ist begreiflich, daß Hieronymus in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens seine exegetische Tätigkeit ganz dem Alten Testament zuwandte, da er hier auf Grund seiner hebräischen Kenntnisse Selbständigeres zu leisten vermochte. Auch zur Abfassung dieses neutestamentlichen Kommentars wurde er nur durch, die dringende Bitte des Priesters Eusebius von Cremona veranlaßt; der Kommentar verdankt also nicht seiner eigenen Initiative die Entstehung. Eusebius, der längere Zeit in Bethlehem geweilt hatte, bat den von ihm hoch verehrten Gelehrten, ihm doch auf seine Rückreise, die er noch vor Ostern 398 nach Rom antreten wollte, als wertvollstes Angebinde einen Kommentar zum ersten Evangelium mit- zugeben. Hieronymus hatte im Jahre 3Q7 eine schwere Krankheit überstanden, über die er sich auch in den gleich- zeitigen Briefen äußert. Fast 12 Monate war er krank ge- wesen, ') und erst in der Fastenzeit des Jahres 3Q8 fing das Fieber an aufzuhören.-) Noch matt von der Krankheit, in der Zeit der Rekonvaleszenz, hat er in Eile in zwei Wochen den Kommentar dem Schnellschreiber diktiert und die Korrektur gelesen, damit ihn noch die Schönschreiber vor der Abreise des Eusebius ins Reine übertragen konnten.') Er hat deshalb ein recht böses Gewissen über die flüchtige Art der Abfassung und entschuldigt sich sehr, daß nicht Arroganz oder Vertrauen auf sein Genie, sondern nur die Liebe zu seinem Freund ihn zu einer so schnellen Abfassung veranlaßt hätte.
Bei seiner uns immer wieder begegnenden Eitelkeit, die
•) Ep. 74, c. 6, Vallarsi I, 447. *) Ep. 73, 10, Vallarsi I, 444.
') Praef. in Matth., Vallarsi VII, 8: at tu in duabus hebdomadibus, imminente iam Pascha et spirantibus ventis, dictare me cogis.
Wiederanknüpfung mit Rom. 245
sich durch die ehrenvolle Aufforderung geschmeichelt fühlte, hatte er nicht abzulehnen vermocht. Lieber will er bei den Gelehrten Gefahr laufen, als einem seiner Verehrer und Herolde seines Gelehrtenruhms im Abendland etwas abschlagen, was dieser eifrig forderte. Natürlich ziert er sich anfänglich, aber nur, um Eusebius möglichst deutlich die Schwierigkeit der ihm gestellten Aufgabe zum Bewußtsein zubringen: es sei schwer, die gesamten Auslegungsschriften zu den Evangelien zu kennen und noch schwerer, aus dieser Literatur mit richtigem Urteil das Beste zu exzerpieren.') im Grunde war ihm solche Schnellarbeit durchaus sympathisch, da er dann für seine Flüchtigkeiten einen Entschuldigungsgrund zu haben glaubte. Er vertröstet Eusebius von Cremona und seine Zeitgenossen, daß, wenn ihm noch ein längeres Leben beschieden sein sollte, er eine gründliche und fleißige Arbeit über Matthäus verfassen werde. Er hat dies so wenig getan und kaum beabsichtigt, wie er den im Kommentar geäußerten Plan, den Markus zu kommentieren, ausgeführt hat.
Mit der raschen Entstehung seines Kommentars begründet es Hieronymus, daß er die Autorität der Alten beiseite lasse, da er sie jetzt nicht lesen und ihnen nicht folgen könne. Bei der Einzelexegese im Kommentar hat er auch nirgends seine Quelle genannt. Nur in der Einleitung zählt er die ihm be- kannten Matthäuskommentare auf, die er vor vielen Jahren gelesen habe. Es sind dies zunächst die Arbeiten des Origenes, ein großer 25 Bücher umfassender Kommentar, ebenso viele Homilien und ein kurzer Kommentar des Alexandriners, ferner Kommentare des Bischofs Theophilus von Antiochia, des Märtyrers Hippolyt, des Theodor von Heraklea, des Apollinaris von Laodicea und des Alexandriners Didymus.-) Von lateinischen Kommentaren nennt er die Werke des Hilarius von Poitiers, Victorin und Fortunatianus. Er behauptet, daß er diesen Kommentaren nur wenig entnommen habe.
Da uns von dem Kommentar des Theophilus, den er auch im Schriftstellerkatalog erwähnt') und aus dem
>) Praef. in Matth., Vallarsi VII, 8. 2) Praef. in Matth., Vallarsi VII, 7. ^) de vir. illiist. c. 25.
246 Wiederankniipfung mit Rom.
er ein Stück im Briefe an die Algasia mitteilt,') sonst nichts erhalten, der Hippolytkommentar bis auf wenige unsichere Fragmente') verloren gegangen, und von den Kommentaren des Theodor von Heraklea, Apollinaris von Laodicea, Didymus, Victorin und Fortunatianus ^) keine Zeile auf uns gekommen ist, so können wir betreffs dieser ver- lorenen Kommentare seine Abhängigkeit nicht mehr kontrollieren. Nur an einer Stelle nimmt er sicher auf Apollinaris Bezug, in- dem er, ohne ihn zu nennen, die von diesem aus der Stelle Matth. 26, 38: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod" für sein Dogma gezogene Folgerung ablehnt, daß Jesus eine Seele ohne einen rof'c besessen habe,') Nur den Kommentar des Hilarius besitzen wir vollständig') und von dem großen Kommentar des Origenes zu Matthäus umfangreiche Fragmente. Was nun den ersteren betrifft, so hat ihn Hieronymus in der Tat nur wenig benutzt. Nur an einer Stelle polemisiert er gegen die Auslegung des Hilarius von Matth. 16, 22. Hilarius hatte die Worte Jesu: „Weiche hinter mir Satanas, du bist mir ein Ärgernis", nicht an Petrus gerichtet sein lassen, sondern an den Satan, der Petrus inspiriert hatte, gewiß mit der Absicht, den Hauptapostel Petrus dadurch zu entlasten.") Hieronymus wendet sich dagegen:') „Viele glauben — er nennt nicht ausdrücklich Hilarius - daß nicht Petrus zurecht ge- wiesen worden sei, sondern der böse Geist, welcher dies dem Apostel zu sagen einflößte. Aber mir scheint diese apostolische Verirrung aus dem Affekt der Verehrung herzukommen und nicht aus einer Anreizung des Teufels." Daß Hieronymus auch in Matth. 26, 37 die dokesierende Ansicht, wonach Christus nicht wirklich, sondern nur zum Scheine und aus Rücksicht
') Ep. 121 ad Al«rasiam, Vallarsi 1, 866.
-) Harnack, Altchristl. Literaturgeschichte I, 498 ff.
') Den Kommentar des Fortiinatianus erwähnt er nocli de vir. ilUist. c. 97.
') Matth. 26, 38, Vallarsi Vi!, 119: discant ergo, qui irrationabilem Jesiim siimpsisse animam siiscipantur, quomodo contristetur.
■) Migne P. L. IX, 950 ff., s. Loofs A. Hilarius R. E. ^ VIII, 59.
«) Migne P. L. IX, 1011.
') Matth. 16, 22, Vallarsi VII, 116: multi putant, quod non Petrus correptus sit, sed adversarius spiritus, qui haec dicere apostolo suggerebat.
Wiederankniipfung mit Rom. 247
auf die Menschen gelitten hätte,') dem Hilarius von Poitiers entnommen hätte, wie Zöckler'-) gemeint hat, läßt sich nicht erweisen; denn der angebliche Doketismus des Hieronymus an dieser Stelle beruht auf einem Mißverständnis, und Hilarius hat auch in seinem Kommentar zu Matth. 26, 37 keine der- artige Anschauung über das Leiden Christi geäußert. Es bleibt also bei der einen Stelle, an der sich eine Bezugnahme des Hieronymus auf den Kommentar des Hilarius nach- weisen läßt.
Nur einen von den in der Vorrede genannten Kommentaren hat er ausgiebig benutzt, und dies ist der große Kommentar des Origenes. Daß dies nur aus dem Gedächtnis geschah, da er ihn vor vielen Jahren gelesen haben will,') ist wenig glaubhaft. Da er ihn in seiner Bibliothek besaß, wird er trotz der Schnelligkeit, mit der er seinen Kommentar diktierte, des öfteren einen Blick hineingetan haben; denn so allein erklärt sich die starke, oft wörtliche Abhängigkeit von dem griechischen Meister der Exegese. Wir besitzen nun zwar den Kommentar des Origenes nicht vollständig, aber vier Bruchstücke der neun ersten Bände, ferner die 8 folgenden Bände, Band 10 bis 17, und endlich in einer alten, wortgetreuen lateinischen Übersetzung die weiteren Bände, Band 18 bis 25, bis zum Schluß des Matthäusevan- geliums.') Auf Grund dieser erhaltenen Stücke des Matthäus- kommentars läßt sich zur Genüge die Abhängigkeit des Hiero- nymus erweisen, und an anderen Stellen läßt sie sich aus der Berührung mit Origenistischen Gedanken vermuten. Ich möchte nur hervorheben, daß Hieronymus alles, was er über die apokryphen Evangelien, die Entstehung unserer vier kanonischen Evangelien und über die Tiersymbole der vier Evangelisten mitteilt, dem Origenes entnommen hat.') Die allegorische
') Matth. 26, 37, Vallarsi I, 218.
2) Zöckler, S. 213, Anm. 1.
*) Praef. in Matth.: legisse me fateor ante annos pUirimos in Mattheum Origenis viginti quinqiie voliimina et totidem eins homih'as conimaticuniqiie interpretationis genus.
*) Migne P. G. 13, 830-1800.
^) Praef. in Matth., Vallarsi VII, 1 ff. s. das Origenesfragment zu Matth. 1, Migne P. G. 13, 830 und die Parallele in den Origeneshomilien zu Lukas, Homilie I, Vallarsi VII, 248 ff .
248 Wiederanknüpfung mit Rom.
Deutung der meisten Gleichnisse hat er wörtlich aus Origenes abgeschrieben.') Auch was Hieronymus z. B. zur Erl<lärung von Korban, Matth. 15, 4, bringt, stammt nicht, wie man zunächst vermuten könnte, aus seinen jüdischen Quellen, sondern ist ganz Origenistisches Gut. Bereits Origenes hatte sich die Sitte von den Juden erklären lassen.') Um eine Stelle hervorzuheben, zu der uns der Kommentar des Origenes nicht erhalten ist, bei der aber die Abhängigkeit des Hieronymus von Origenes trotz- dem sicher steht, sei auf Matth. 1, 18 verwiesen. Hieronymus antwortet hier auf die Frage, warum Jesus von einer verlobten Jungfrau geboren werden mußte, mit einem dem Bischof Ignatius entnommenen Worte, daß der so Geborene dem Teufel nur verborgen bleiben konnte, wenn er als der Sohn einer Ehefrau erschien. Da Hieronymus die Ignatianen nicht kannte, so hat Hieronymus dies Stück sicher dem Origeneskommentar ent- lehnt.') Daß Hieronymus auch in diesem Kommentar wie in seinen anderen Kommentaren vielfach den Schein erweckt, als ob eine Auslegung von ihm stamme, während er sie dem Origenes entnommen hat, kann uns nicht Wunder nehmen. So bemerkt er z. B. zu Matth. 15, 22^): ich meine, die Tochter der Chanannäerin bedeutet die Seele der Gläubigen, welche von Dämonen geplagt wird. Nach seiner beliebten Manier gibt er sich den Schein selbständiger Produktivität, schmückt sich aber mit fremden Federn, indem er einfach den Origenes ausschreibt.
Trotz der ausgiebigen Benutzung des Matthäuskommentars des Origenes hält sich aber Hieronymus in diesem Kommentar ganz frei von dessen Heterodoxien, und ohne ihn zu nennen, polemisiert er scharf gegen Origenes, um nur keinen Zweifel an seiner eigenen Rechtgläubigkeit aufkommen zu lassen. So hebt Hieronymus bei der Erklärung der dritten Bitte des
') 7. B. Matth. 13, 44, vom Sciiatz im Acker; Mattii. 13, 47 vom Fisch- netz; Matth. 13, 32 vom Senfkorn; Matth. 20, 1 von den Arbeitern im Weinberg.
') Matth. 15, 4, Vallarsi VU, 111, Anm. a.
") s. die Parallele in den OrigeneshomiUen zu Lukas, Homilie VI, Vallarsi VII, 261.
^) Matth. 15, 22, Vallarsi VII, 115, Anm. b.
Wiederanknüpfung mit Rom. 249
Vaterunsers Matth. 6, 10: „Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden" hervor, daß das Origenistische Theolo- gumenon, wonach auch im Himmel Sündenfälle vorkommen, durch das Wort des Erlösers widerlegt werde.') Wenn nach Matth. 8, 12 in der Verdammnis Heulen und Zähne- klappen statthaben wird, so ist dies für ihn ein Beweis dafür, daß nicht nur die Seelen fortleben, sondern auch die Leiber auferstehen.') Matth. 10, 15 droht der Herr den Städten, die die Apostel nicht aufgenommen haben, ein härteres Gericht an als Sodom und Gomorrha; also lehrt auch der Herr keine ujioKUTäöTaoig jtüvtojv, sondern einen verschiedenen Straf- zustand.') Wenn Origenes und seine Anhänger, die die Auf- erstehung des Fleisches leugnen, das kirchliche Verständnis von Matth. 10, 29 ff.: „Alle Haare auf unserem Haupte sind gezählt" für absurd erklären, so bemerkt Hieronymus dagegen, daß in dieser Stelle nicht gesagt sei, daß alle Haare, die vom Barbier abgeschnitten werden, erhalten bleiben, sondern nur daß sie gezählt sind. Gott kennt also ihre Zahl, aber es ist nicht die Rede davon, daß ihre Zahl erhalten bleibt.*) An Matth. 11, 14,') wo Johannes der Täufer als Elias bezeichnet wird, und an Matth. 14, 1,") wo Herodes Antipas glaubt, daß Johannes der Täufer von den Toten auferstanden und in Jesus erschienen sei, hatte Origenes seine Lehre von d^v juersinipv^coöi^, der Seelenwanderung, geknüpft. Scharf weist Hieronymus diese exegetische Begründung des Origenistischen Dogmas ab. Wenn Johannes der Täufer Elias genannt wird, so geschieht dies, weil er in dem Geist und der Kraft des Elias kommt; und wie könne in Jesus die Seele Johannes des Täufers wiederkehren, da doch der Herr 30 Jahre alt war, als Johannes der Täufer geköpft wurde, und bei der Annahme der Seelen- wanderung erst nach dem Verlauf vieler Jahre die Seelen in die verschiedenen Körper eingepflanzt werden.
') Matth. 6, 10, Vallarsi VII, 34. ^) Matth. 8, 12, Vallarsi VII, 45. 3) Matth. 10, 15, Vallarsi VII, 60. *) Matth. 10, 29ff., Vallarsi VII, 64. ^) Matth. 11, 14, Vallarsi VII, 70. 6) Matth. 14, 1, Vallarsi VII, 100.
250 Wiederanknüpfung mit Rom.
Im Gleichnis von den beiden Schuldnern Matth. 18, 24ff. hatte Origenes den Schuldner, dem der Herr 1000 Talente erläßt, auf den Teufel bezogen, der uns, seinen Mitknechten, nicht die 100 Denare erläßt. Da aber bei dieser Auslegung die Bekehrung des Teufels in Aussicht genommen war, so erklärt Hieronymus sie für eine unkirchliche Interpretation, die von klugen Männern abzulehnen sei.') Und wenn der Erlöser den Sadducäern Matth. 22, 31') antwortet, daß man bei der Auf- erstehung weder heirate noch werde geheiratet werden, so hat dieses Wort nur einen Sinn, wenn nicht nur die Seelen, wie Origenes behauptet, sondern auch die Körper auferstehen; denn nur die Körper können heiraten und geheiratet werden: „Niemand sagt doch vom Stein oder Baum und von den Dingen, die keine Zeugungsglieder haben, daß sie nicht heiraten oder nicht geheiratet werden." Im Anschluß an das Wort Jesu Matth. 25, 46, wonach die einen zur ewigen Strafe, die Gerechten aber zum ewigen Leben eingehen werden,'') betont Hieronymus dem Origenes gegenüber, daß sowohl die Höllenstrafen ewig sind, wie daß es im ewigen Leben keinen Sündenfall mehr geben wird. Wenn endlich Origenes aus dem Worte Jesu Matth. 26, 24: „Gut wäre es für jenen Menschen, wenn er nicht geboren wäre," die Präexistenz der Seelen abgeleitet hatte,') so darf dies Wort nach Hieronymus nicht so gepreßt werden, sondern es ist einfach damit gesagt: es ist viel besser nicht zu existieren, als in schlechter Weise zu existieren. So zieht sich also durch den ganzen Kommentar des Hieronymus eine scharfe Polemik gegen den einst so hochgeschätzten Meister, den er noch immer fleißig benutzt, aber dessen Heterodoxien er jetzt perhorresziert. Und diese Polemik des Hieronymus, dies dürfen wir auch sagen, ist nicht ungeschickt; sie trifft die wunden Stellen, indem Hieronymus den Beweis führt, daß der Neuplatonismus des Origenes, den er
') Matth. 18, 24ff., Vallarsi VII, 143.
■') Matth. 22, 31, Vallarsi VII, 179.
") Matth. 25, 46, Vallarsi VII, 210: prudens lector attende, quod et supplicia aeterna sunt et vita perpetua metum deinceps non habet ruinarum.
*) Matth. 26, 24, Vallarsi VII, 215.
Wiederanknüpfung mit Rom. 251
in das Evangelium hineindeutete, im Grunde nichts mit ihm zu tun hat. Hieronymus brachte es so sich und seinen Zeit- genossen zum Bewußtsein, daß der große Alexandriner kein schriftgläubiger Theologe war, sondern daß mehr als die Schrift die griechische Philosophie sein Denken bestimmt hatte.
Außer den in der Vorrede genannten Kommentaren, von denen er nur den Kommentar des Origenes ausgiebiger benutzt hat, hat Hieronymus nur ganz selten andere christliche Schriftsteller herangezogen. Einmal verweist er auf Eusebius und Julius Africanus, die zur Erklärung der Differenzen des Geschlechtsregisters Jesu nach Matthäus und Lukas auf die jüdische Leviratsehe hingewiesen hatten.') Ein anderes Mal bringt er zu Matth. 2, 11 ein Zitat aus der evangelischen Geschichte des Priesters luvencus, in dem die Gaben der Magier allegorisch gedeutet werden.) Und endlich zitiert er zu Matth. 24, 5 einen kurzen Satz aus angeblich auf Simon Magus zurückgehenden Schriften.') Aus der klassischen Literatur hat er nur zwei Anekdoten in seinen Matthäus- kommentar eingeflochten, die Geschichte des Flaminius') und seiner Hure und die Geschichte von dem Tyrannen Dionysius und den beiden Pythagoräern, die Schiller in der Bürgschaft verwertete,') vermutlich Reminiszenzen an seinen Schul- unterricht.
Besonders wertvoll sind aber für uns noch die Zitationen aus dem Hebräerevangelium, das Hieronymus gelegentlich in
') Matth. 1, 16, Vallarsi VI!, 11: super hoc et Africanus temporum scriptor et Eusebius Caesanensis in Hbris hKuioivia^ rva->yi'?.i(')v plenius disputarunt.
-) Matth. 2, 11, Vallarsi Vil, 14, luvencus, Historia evangelica, Migne P. L. XIX, 40.
■') Matth. 24, 5, Vallarsi VII, 193: haec inter cetera in suis voluminibus scripta dimittens: ego sum sermo dei, ego sum speciosus, ego paracletus, ego omnipotens, ego omnia dei, s. Harnack, Altchristi. Literatur- geschichte I, 154.
*) Die Geschichte findet sich Cato maior bei Livius 39, 42, Cicero, Cato maior 12, 42; Plutarch, Cato maior c. 17; Valerius Maximus 11,9,3, s. M. Catonis, quae extant, rec. Jordan, Leipzig 1860 S. 46.
=) Die Literatur über die beiden Pythagoräer s. unter A. Dämon, Paulys Realencyklopädie des kiass. Altertums, neubearbeitet von Wissowa Bd. IV, 2074.
252 Wiederanknüpfung mit Rom.
seinem Matthäuskommentar heranzieht. Es wäre ja mögh'ch, daß er diese Zitate, wie Harnack') vermutet, schon bei Origenes fand, doch ist dies deshalb unwahrscheinlich, da auch im Schriftstellerkatalog gerade die Zitate aus dem Hebräer- evangelium ein selbständiger Zusatz des Hieronymus sind. Hatte er doch nach seinem eigenen Zeugnis) das Hebräer- evangelium aus dem Hebräischen oder wie er sich später genauer") ausdrückt, aus dem Chaldäischen oder Syrischen, d. h. aus dem Aramäischen ins Griechische und Lateinische übersetzt. Da nun Clemens Alexandrinus bereits eine griechische Übersetzung des Hebräerevangeliums benutzt, so hat vielleicht seine angebliche Übersetzung dieses Evangeliums ins Griechische — wir besitzen sonst kein Übersetzungswerk des Hieronymus ins Griechische — nur in einer Revision des griechischen Textes nach dem Aramäischen bestanden.') In Rom hatte Hieronymus noch an die Identität des Hebräerevangeliums mit dem hebräischen Matthäus geglaubt,') später scheint er diese Meinung aufgegeben zu haben, wenn er auch die alte Konfusion zwischen dem hebräischen Matthäus und dem judenchrist- lichen Hebräerevangelium nie unzweideutig berichtigt hat. Er spricht später von dem Hebräerevangelium als von dem bei den Nazaräern und Ebioniten gebrauchten Evangelium, das von den meisten für das authentische Evangelium des Matthäus gehalten werde.)
Aus dem Hebräerevangelium notierte Hieronymus die Variante zu der vierten Bitte Matth. 6, 11: „Unser Brot für morgen gib uns' heute."') Er bemerkte zu der Ge- schichte der Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand, daß er im Hebräerevangelium seinem Beruf nach als Maurer bezeichnet werde.') Zacharias wird dort der Sohn des Jojada
') Altchristi. Literaturgeschichte I, 8 ff.' -) de vir. illust. c. 135. ') Dial. adv. Pclagianos III, 2. ') Harnack, Aitchristl. Literaturgeschichte I, 8. ') Bd. I, 207, ep. 20, 5.
*) Comm. in Jesaiam c. 11, 1; c. 40, 9; praef. in 1. XVIII; Comm. in Ezech. c. 16, 13, c. 18, 7; Adversus Pelagianos III, 2. ') Matth. 6, 11, Vallarsi VII, 34. ') Matth. 12, 13, Vallarsi VII, 77.
Wiederankniipfung mit Rom.
253
und nicht wie im Matthäusevangelium, Matth. 23, 35, der Sohn des Barachias genannt,') und der Mörder Barrabas wird als filius magistri eorum interpretiert.') Bei der Kreuzigung Jesu zerreißt nicht nur der Vorhang des Tempeis, sondern die Oberschwelle des Tempels von gewaltiger Größe zerbricht und geht in Stücke.') Vielleicht geht auch die Notiz zu Matth. 7, 22, daß Judas Ischariot viele Wunder unter den Aposteln getan habe, auf das Hebräerevangelium zurück; doch hat Hieronymus hier seine Quelle nicht ausdrücklich be- zeichnet.')
Trotzdem der Matthäuskommentar des Hieronymus in mancher Beziehung flüchtig gearbeitet ist, so ist er doch für uns in vieler Hinsicht von Interesse, und es ist nicht leicht ihn allseitig zu v/ürdigen.
Zunächst hat Hieronymus wie in allen seinen exegetischen Schriften so auch hier nicht unwichtige Beiträge zur Textkritik des Evangeliums gegeben. Er hat abweichende Lesarten, die ihm aufgefallen sind, angemerkt und sich um die sprachliche Erklärung schwer oder doppelt zu deutender Worte bemüht. In Matth. 5, 22: „Ich aber sage euch, wer seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig," lesen einige Codices: „wer seinem Bruder ohne Grund zürnet, der ist des Gerichts schuldig.')" In Matth. 6, 25: „Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen werdet," findet sich in einigen Codices der Zusatz: „sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und was ihr trinken werdet."') In Matth. 11, 19 findet sich neben der Lesart: „die Weisheit muß gerechtfertigt werden von ihren Kindern," die andere „die Weisheit muß gerechtfertigt werden durch ihre Werke."") Im Gleichnis vom Senfkorn Matth. 13, 32 notiert er den in vielen Codices sich findenden Zusatz: das
1) Matth. 23, 35, Vallarsi VII, 190.
2) Matth. 27, 16, Vallarsi VII, 239.
3) Matth. 27, 51, Vallarsi VII, 236.
*) Matth. 7, 22, Vallarsi VII, 41: sed et Judas apostolus cum animo proditoris multa signa inter caeteros apostolos fecisse narratur. *) Matth. 5, 22, Vallarsi VII, 26. 6) Matth. 6, 25, Vallarsi VII, 36. ') Matth. 11, 19, Vallarsi VII, 72.
254 Wiederankniipfung mit Rom.
Senfkorn, welches das kleinste unter allen Samenkörnern ist.') in Matth. 13, 35 wird das Zitat auf Jesaia, den Propheten, zurückgeführt, während die meisten Codices den Namen des Propheten, der da spricht, nicht nennen.-) Der Vers Matth. 16, 2: „Des Abends sprecht ihr: es wird ein schöner Tag werden, denn der Himmel ist rot" fehlt in den meisten Handschriften, die dem Hieronymus bekannt waren.') In Matth. 21, 31 merkt Hieronymus die wichtige Variante in dem Gleichnis von den beiden Söhnen an. Einige Exegeten lesen: „Welcher von den zweien hat des Vaters Willen getan? Sie sprachen zu ihm: der Letzte," andere lesen: „Welcher von den zweien hat des Vaters Willen getan? Sie sprachen zu ihm: der Erste." Hieronymus entscheidet sich hier ausdrück- lich für die letztere Lesart als die richtige.') Im Gleichnis von der königlichen Hochzeit, Matth. 22, 3, lesen die meisten Codices: „Und er sandte seine Knechte aus, daß sie die Gäste zur Hochzeit luden," nur einige lesen statt „die Knechte," „den Knecht". ) Endlich lesen in Matth. 24, 36 einige lateinische Handschriften: „Tag und Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch nicht der Sohn, sondern allein der Vater." In den griechischen Handschriften aber, die nach Hieronymus auf Origenes und Pierius zurückgehen, fehlen die Worte, daß auch der Sohn nicht Tag und Stunde der Wieder- kunft des Menschensohnes weiß.) In der Regel referiert Hieronymus nur über den von ihm vorgefundenen hand- schriftlichen Bestand, nur selten äußert er ein eigenes Urteil über die von ihm für richtig gehaltene Lesart. Bisweilen aber erlaubt er sich auch radikale Korrekturen des Textes. So vermutet er, daß Matth. 1, 12 die Abschreiber die Namen der Könige Jojakim und Jochachin (Jechonia) nicht auseinander-
') Matth. 13, 32, Vallarsi VII, 39: niiilti legentes graiuim sinapis miiiiimiin omnibiis seiiiiiiibus.
') Matth. 13, 35, Vallarsi VII, 95.
) Matth. lö, 2, Vallarsi VII, 119.
') Matth. 21, 32, Vallarsi VII, 168.
■■) Matth. 22, 3, Vallarsi VII, 172.
'") Matth. 24, 36, Vallarsi VII, 199: cum in graecis et maxime .\ciamantii et Pierii exemplaribiis hoc non habetur adscriptum.
Wiederankniipfuno- mit Rom. 255
gehalten hätten, und deshalb der Text bei den Griechen und Lateinern korrumpiert sei.') Auch in Matth. 2, 5 ist mit dem Hebräerevangelium Bethlehem Judae und nicht Judaeae zu lesen; die erstere Lesart hält Hieronymus für die ursprüngliche des Evangelisten, während die letztere auf einem Irrtum der Ab- schreiber beruhe.-) Ebenso will er in Mark. 1, 2 „wie geschrieben steht im Propheten Jesaia" den Namen des Propheten gestrichen wissen, da er fälschlich dem Zitat, das aus Maleachi stammt, hinzugefügt worden sei.')
Was die sprachliche Erklärung schwieriger Worte betrifft, so weist er z. B. für den Namen des Messias, Matth. 2, 23, „Er soll Nazarenus heißen" auf die Bezeichnung desselben als Sproß in Jesaia 11, 1 hin.*) Um den Ausdruck panis supersubstantialis in Matth. 6, 1 1 zu erklären, zieht er die LXX, den hebräischen Text und Symmachus heran.'') In Matth. 5, 25, wo der Lateiner consentiens übersetzt, findet sich im Griechischen evvoojr. und dies entspricht nach seiner Meinung dem lateinischen benignus. ) In Matth. 8, 3 ist die lateinische Lesart „volo mundare" nach Hieronymus nicht als Infinitiv, sondern als Imperativ zu fassen: Ich will: Sei rein.')
Merkwürdig ist es, wie wenig verhältnismäßig Hieronymus bei der Erklärung des Matthäusevangeliums die anderen Synop- tiker und das Johannesevangelium herangezogen hat. Sein Blick ist für die Differenzen in der Darstellung der evan- gelischen Geschichte nicht geschärft, und wo er solche findet, lösen sie sich ihm leicht auf. Unbewußt bereichert er die Geschichte Jesu nach Matthäus mit Zügen, die er den anderen Evangelien entnommen hat. Einige charakteristische Beispiele mögen diese Sätze erhärten. Wenn z. B. in den Apostel- katalogen der verschiedenen Evangelien einmal Lebbäus, einmal Thaddäus, einmal Judas Jakobi zu den zwölf Aposteln gezählt
>) Matth. 1, 12, Vallarsi VII, 11.
2) Matth. 2, 5, Vallarsi VII, 14.
^) Matth. 3, 3, Vallarsi VII, 17.
') Matth. 2, 23, Vallarsi VII, 17.
^) Matth. 6, 11, Vallarsi VII, 34.
«) Matth. 5, 25, Vallarsi VII, 27.
') Matth. 8, 3, Vallarsi VII, 43.
256 Wiederanknüpfung mit Rom.
werden, so erklärt sich dies nach Hieronymus einfach daraus, daß derselbe Jünger drei verschiedene Namen gehabt hat.') Da im Johannesevangelium Johannes der Täufer Jesus bereits bei seiner Taufe als Lamm Gottes bezeichnet, so kann die Täuferfrage Matth. 11, Ir) „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?" nicht aus dem Zweifel des Johannes an die Messianität Jesu gestellt sein, sondern nur um seine eigenen Jünger, die Johannesjünger, zum Glauben an Jesum zu führen. Wenn in der Verklärungsgeschichte nach Matthäus Jesus seine Jünger nach sechs, in der Verklärungs- geschichte nach Lukas nach acht Tagen zu sich nahm, so löst sich diese Differenz in den Zeitangaben einfach dadurch, daß Lukas den ersten und letzten Tag besonders gezählt hat. ) In der Leidensgeschichte ist die Berücksichtigung der übrigen Evangelisten ausgiebiger, und Hieronymus ergänzt hier har- monistisch die Darstellung des Matthäus durch die übrigen Evangelisten. Nach Johannes trug Jesus selbst sein Kreuz, nach Matthäus Simon von Kyrene.') Dies ist nach Hieronymus so zu denken, daß erst Jesus, dann Simon das Kreuz trug. Wenn im Matthäusevangelium') beide Räuber, die mit Jesus gekreuzigt wurden, als Spötter des Herrn bezeichnet werden, nach Lukas der eine den Herrn verspottet, der andere ihn als Messias bekennt, so legt sich Hieronymus den Tatbestand bei Matthäus mit Hilfe des Tropus der ntuÄtjifHc: zurecht, wonach statt des einen Räubers beide als Spötter eingeführt werden. Die Evangelien können sich nicht widersprechen; deshalb müssen wir uns die Sache so denken, daß erst beide Räuber den Herrn gelästert haben und dann, als die Sonne unter- ging, das Erdbeben eintrat, die Felsen zerrissen und die Finsternis hereinbrach, der eine an Jesum gläubig wurde und die anfängliche Verleugnung durch das folgende Bekenntnis korrigierte. Und wenn die Evangelien verschiedene Angaben enthalten über die Zeit, zu der die Weiber am Grabe Jesu
') Matth. 10, 3, Vallarsi VIl, 56. *) Matth. 11, 1, Vallarsi VIl, 67. ') Matth. 17, 1, Vallarsi VII, 129. *) Matth. 27, 32, Vallarsi VII, 232. *) Matth. 27, 44, Vallarsi VIl, 235.
Wiederaiiknüpfiing mit Rom. 257
weilten,') so ist dies kein Zeichen, wie uns die Gottlosen vor- werfen, daß die Evangelien lügen, sondern wir müssen uns dies daraus erklären, daß die Weiber zu verschiedenen Zeiten das Grab besucht haben.')
Was die polemische Seite seines Matthäuskommentars be- trifft, so hoben wir bereits oben hervor, daß er des öfteren gegen Origenes polemisiert. Im übrigen tritt hier im Vergleich mit seinen früheren exegetischen Arbeiten zum Neuen Testament die Polemik zurück. Die gelegentliche Erwähnung Marcions,') Valentins,*) des Montanus') und der Ebioniten) hat er dem Origenes- kommentar entlehnt. Die Manichäer, deren Lehre für Hiero- nymus mit der der Marcioniten zusammenfällt, hat er den Marcioniten beigefügt. Diese Polemik gegen die Manichäer ist bisweilen recht eigentümlich geartet. Der Geschichte von der Austreibung der Dämonen und ihres Hineinfahrens in die Schweineherde entnimmt Hieronymus eine Widerlegung des manichäischen Dogmas: Es möge der Manichäer erröten, wenn von derselben Substanz und demselben Urheber die Seelen der Menschen und der Bestien sein sollen, da wegen des Heils eines einzigen Menschen 2000 Schweine ersäuft wurden.') Daß an geeigneten Stellen vereinzelte Hiebe gegen die abscheulichen Ketzer Arius und Eunomins nicht fehlen,') gehört zur not- wendigen Ausstattung eines rechtgläubigen Kommentars. Auch mit den heidnischen Polemikern Julian und Porphyrius setzt sich Hieronymus auseinander. Er hat hier wahrscheinlich den Kommentar des Apollinaris benutzt. Eine solche Widerlegung der heidnischen Angriffe war nötig, da die Heiden noch immer
^) Matth. 28, 1, Vallarsi VII, 240: qiiod diversa tempora istarum mulierum in evangeliis describuntiir, non mendacii Signum est, ut impii objiciunt, sed sedulae visitationis officium, dura crebro abeunt et recurrunt et non patiuntur a sepulcro domini diu abesse vel longius.
-) Andere Stellen, wo er die übrigen Evangelien berücksichtigt, siehe Matth. 9, 18; 9, 27; 12, 1; 12, 38; 15, 23; 26, 51; 27, 1; 27, 57.
») s. Matth. 5, 39; 9, 28; 14, 18; 14, 26; 16, 8.
*) Matth. 13, 5.
^) Matth. 9, 15.
«) Matth. 12, 2.
') Matth. 8, 32, Vallarsi VII, 48.
^^) z. B. Matth. 14, 33; Matth. 11, 27.
Grützmacher, Hieronymus. II. 17
258 Wiederanknüpfung mit Rom.
mit den Waffen Julians und Porphyrius die Christen bekämpften. Wenn Julian uns die Widersprüche in den Genealogien Jesu nach Matthäus und Lukas vorrückt/) daß Matthäus den Joseph zum Sohn des Jakob, Lukas ihn zum Sohn des Heli macht, so hat nach Hieronymus der heidnische Kaiser eben nichts von der jüdischen Leviratsehe gewußt, wonach der eine der Vater des Joseph der Natur nach, der andere dem Gesetz nach war. Wenn ferner Porphyrius und Julian aus der Differenz der Namensüber- lieferung des zum Zwölfapostel berufenen Zöllners, der nach dem ersten Evangelium den Namen Matthäus, nach Markus den Namen Levi führte, die geschichtliche Unzuverlässigkeit der Evan- gelien folgern, so beruht dieseFolgerung nur auf ihrerUnkenntnis der jüdischen Sitte der Doppelnamen, wonach Matthäus auch den Namen Levi führte.') Die heidnischen Kritiker beschul- digten auch die Jünger Jesu der Dummheit, daß sie auf seine bloße Aufforderung hin in seine Nachfolge eintraten; Hieronymus motiviert diesen raschen Entschluß damit, daß sie, bevor sie sich zurjüngerschaft entschlossen, bereits seineWunder geschaut hätten. ') Porphyrius hatte die Sonnenfinsternis bei dem Tode des Erlösers für ein natürliches Ereignis erklärt, das nur die Christen zu einem Wunder gemacht hätten. Darauf erwidert Hieronymus, daß dies einfach deshalb unmöglich wäre, da sie nach dem einstimmigen Bericht der Evangelien drei Stunden lang gedauert habe.') An anderen Stellen macht sich Hiero- nymus die Widerlegung des Porphyrius dadurch leicht, daß er einfach auf die christlichen Schriftsteller, auf Eusebius und Apollinaris, verweist, die auf seine Schmähungen bereits die rechte Antwort gegeben hätten. )
') Matth. 1, Ui; Vallarsi VII, 11.
') Matth. g, Q, Vallarsi Vil, 50.
") Matth. 9, 9, Vallarsi VII, 50.
*) Matth. 27,45, Vallarsi VII, 235.
*) Matth. 24, 16, Vallarsi VII, 195: de hoc loco . . . multa Porphyrius tertio decimo operis sui volumine contra nos blasphemavit, cui Eusebius Caesariensis tribus respondit voluminibus, decimo octavo, decimo nono, et viccsimo. Apollinaris cpioque scripsit plenissime. s. auch Matth. 3, 3, Vallarsi VII, 17, wo er Porphyrius bekämpft. Wahrscheinlich stammen auch die Einwände gegen die mangelhaften Naturkenntnisse Jesu von Porphyrius, die Hieronymus Matth. 15, 17, Vallarsi VII, 114 zurückweist.
Wiederanknüpfung- mit Rom. 259
Die jüdische Exegese berücksichtigt Hieronymus in diesem Kommentar ziemlich wenig, obwohl die zahlreichen Stellen des Alten Testaments, die der erste Evangelist zitiert, ihm dazu hätten Anlaß geben können. Eine Reihe hebräischer Wörter, wie Raca, Mammona, Beelzebul, Gehenna erklärt er; auch über die jüdische Art des Grußes zu Matth. 10, 22 und die Sitte der Salbung zu Matth. 6, 17 handelt') er und teilt mit, daß von den beiden von den Christen messianisch gedeuteten Psalmen Psalm 100 von den Juden auf Abraham, Psalm 22 auf David, Esther und Mardochai bezogen werde.) Ab- weichend vom massorethischen Text des Psalms 4, 3, in dem wir Sohn des Mannes lesen, behauptet Hieronymus, daß für filius hominis im Hebräischen filius Adam stehe. ') An einer Stelle zu Matth. 25, 6 gedenkt er einer jüdischen Haggada, nach der das Erscheinen des Messias von den Juden um Mitternacht erwartet wird.*)
Eusebius von Cremona, auf dessen Bitte Hieronymus seinen Matthäuskommentar verfaßte, hatte um eine historische Auslegung des ersten Evangeliums gebeten, ein Zeichen, daß das Interesse für den Wortsinn der Evangelien in der Kirche des Abendlandes noch lebendig war. Hieronymus ist auch diesem Wunsche so weit wie möglich nachgekommen, wenn er sich auch nicht ganz enthalten kann, die Blumen des geistlichen Verständnisses einzuflechten.) Es ist merkwürdig, wie schwankend sich Hieronymus über das Recht und den Wert der allegorischen Exegese hier im Matthäuskommentar wieder äußert. Einerseits will er nichts von ihr wissen und bemerkt, daß man niemals aus dem zweifelhaften allegorischen Sinn einer Schriftstelle den Beweis für ein Dogma führen dürfe, wie z. B. bei der allegorischen Deutung des Gleichnisses von den drei Scheffeln Mehl, Matth. 13, 33, das auf den Glauben an Vater, Sohn und
1) Matth. 5, 22; 6, 24; 10, 22; 10, 28; 6, 17; 23, 6.
2) Matth. 22, 41, Vallarsi Vll, 181, Matth. 27, 46, Vallarsi VII, 236. «) Matth. 16, 13, Vallarsi Vll, 122.
*) Matth. 25, 6, Vallarsi VII, 203.
*) Praef. in A^atth., Vallarsi VII, S: historicam interpretationem, quam praecipue postulasti.
ri7'
260 Wiederanl<inipfiint( mit Rom.
Geist bezogen würde.') Auch die allegorische Deutung der zwei Spatzen in Matth. 10, 29 auf Leib und Seele wird von ihm verworfen, da sie sich nicht mit dem Zusammenhang ver- einigen lasse.*) Und anderseits wandelt er wieder ganz in den Bahnen des Origenes, der die allegorische Exegese in ein System gebracht hatte, wonach manche Schriftstellen überhaupt keinen historischen, sondern nur einen psychischen oder pneumatischen Sinn haben und gottgewollte Anstöße für die bloß historische Exegese sind, um auf den verborgenen tieferen Sinn der Schrift hinzuweisen. Eine solche Stelle ist Matth. 21, 4. ') Nach dem buchstäblichen Sinn hätte Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem auf zwei Tieren, der Eselin und ihrem Füllen, gesessen. Die geschichtliche Deutung ergibt hier etwas Unmög- liches und Unpassendes, also ist nur die allegorische Deutung am Platze.
Da Hieronymus ein schlechter Historiker ist, so hat er bei seiner Flüchtigkeit zahlreiche geschichtliche Irrtümer in seinem Kommentar begangen. So macht er z. B. Herodes Antipas zum Nachfolger des Archelaus und läßt Archelaus nach Lyon und nicht nach Vienne nach seiner Absetzung verbannt werden.^) Johannes der Täufer ist nach Hieronymus in einer Stadt Arabiens und nicht in dem Kastell Machärus enthauptet worden.') Es ist ein Irrtum des Hieronymus, daß die Stadt Julia jenseits des Jordans zu Ehren der Tochter des Augustus, Julia, von Herodes Antipas diesen Namen erhalten habe,**) Woher er die Nachricht hat, daß Kaiphas seine hohepriesterliche Würde von Herodes gekauft habe, ist nicht ersichtlich, dajosephus, auf den ersieh beruft, wenigstens in dem uns vorliegenden Texte nichts davon berichtet.') Die Notiz des Josephus, daß die Schutzengel des
') Mattli. 13, 33, Vallarsi VII, 94: pius sensus, sed nunqiiam para- bnlac et dubia acnifrmatiim intelligentia potest ad auctoritatem dogmatum proficerc.
') Matth. 10, 29, Vallarsi VII, 63.
») Matth. 21, 4, Vallarsi VII, 160.
*) Matth. 2, 22, Vallarsi VII, 16.
•") Matth. 14, 12, Vallarsi VII, 103.
*) Matth. 16, 13, Vallarsi VII, 121.
•) Matth. 26, 57, Vallarsi VII, 223: refert Josephus istum Caipham unius tantum anni pontificatum ab Herode pretio redemisse.
Wiederanklüipfung mit Rom. 261
Tempels in Jerusalem bei der Zerstörung der Stadt ausgerufen hätten: „Laßt uns aus diesen Sitzen fortgehen", bezieht Hiero- nymus fälschlich auf dieKreuzigungChristi.') Derselbehistorische Irrtum, der aus der Chronik des Eusebius zum Jahre 33 stammt, begegnet uns auch sonst bei Hieronymus,') während er ihn in seinem gegen Ende seines Lebens geschriebenen Jesaia- kommentar korrigiert hat. Es ist ebenfalls irrig, wenn Hieronymus das Didrachma in Matth. 17, 24 für eine Kaisersteuer erklärt.') In Matth. 22, 15 hat er dagegen eine früher im Dialog gegen die Luciferianer vertretene Meinung, daß unter den Herodianern die zu verstehen seien, die Herodes für den Messias hielten, korrigiert.') Unter den Herodianern seien einfach die Soldaten des Herodes zu verstehen, und Hieronymus findet jetzt die früher von ihm selbst geteilte Ansicht einiger Lateiner lächerlich. Was die sachliche Seite des Matthäuskommentars betrifft, so kommt einem zunächst bei der Exegese der große Abstand des biblischen Christentums von dem Christentum des Hiero- nymus zum Bewußtsein; und Hieronymus ist ja nur ein Repräsentant des zeitgenössischen Christentums. Wie wenig ist doch dieses Christentum trotz aller Bibelzitate biblisch orientiert, den einzigen Augustin ausgenommen, und auch diesen nur in manchen seiner Gedankenreihen. Trotzdem das Vaterunser ein Stück des kirchlichen Unterrichts war, haftet das Interesse an ihm so wenig, wie etwa an den Seligpreisungen; dies beweist die Auslegung des Hieronymus. Im Mittelpunkte seiner Frömmigkeit steht die Kirche als die Heilsmittlerin, außer- halb deren es kein Heil gibt, Christus, der menschgewordeneOott, und die Askese als das christliche Lebensideal. Die Worte der Bergpredigt haben für seine Frömmigkeit doch nur sekundären Charakter. Eine Stelle wie Matth. 16, 18: „Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich meine Kirche gründen," gehört für ihn zu dem Kern und Stern des Evangeliums, obwohl er sie noch nicht im Sinne der späteren römischen Exegese Leos des Großen auslegt, sondern Simon deshalb, weil er an den
') Matth. 27, 51, Vallarsi VII, 237, Anm. a.
^) Ep. 18 ad Damasum; ep. 120 ad Hedibiam quaestio 8.
») Matth. 17, 24, Vallarsi VII, 135.
■•) Matth. 22, 15, Vallarsi VI 1,1 75, s. auchTertiillian, de praesciptionec.45.
262 Wiederanknüpfung mit Rom.
Fels Christi glaubte, mit dem Namen des Petrus beschenkt, und nach dem Bilde des Felsens zu ihm gesagt sein läßt: „Auf dich will ich meine Kirche gründen.'")
Aber wie weltförmig ist doch das Christentum des Hiero- nymus trotz aller Askese verglichen mit der Urform des Evan- geliums. Nehmen wir z. B. Matth. 5, 3: „Selig sind die geistig Armen, denn das Himmelreich gehört ihnen." Hieronymus akzentuiert diese bei Matthäus vorhandene Form der Seligpreisung besonders scharf: „Damit nicht einer glaubt, daß der Herr die Armut selig preise, fügt er hinzu die geistig Armen".") Er reflektiert gar nicht darauf, daß bei Lukas Jesus die Armen ohne jeden Zusatz selig preist. Die Stellung des Christentums war eben, etwa seit Clemens Alexandrinus seine Schrift schrieb: Welcher Reiche wird gerettet werden? eine völlig andere dem irdischen Besitz gegenüber geworden, und dies läßt sich an zahlreichen Äußerungen auch des Hieronymus erweisen. Der Herr sagt Matth. 5, 42: Jedem, der dich bittet, gib, aber dies darf man nach Hieronymus nicht vom Almosen geben verstehen, denn dann würden die Reichen bald arm werden, sondern man muß es auf die Verkündigung des Evangeliums durch die Apostel be- ziehen, die umsonst geben sollen, was sie umsonst empfangen haben.') Mit den Worten Matth. 6, 24: „ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon" will der Herr nicht den Reichtum verbieten, sondern nur die rechte Art seines Gebrauches lehren; er sagt nicht, wer Reichtümer hat, sondern nur, wer den Reichtümern dient, kann nicht Gott dienen.') Wenn Jesus seinen Jüngern in der Aussendungsrede die Weisung gibt, nicht zwei Röcke auf die Reise mitzunehmen, so kann damit nur eine doppelte Bekleidung gemeint sein, da es in den von Eis und Schnee bedeckten Orten Skytiens doch unmöglich ist, mit einem Rock auszukommen. ) Die Kompromisse, die die Kirche geschlossen hatte, als sie sich in die Welt einlebte, projizieren sich auch in die Exegese.
') Matth. 16, 18, Vailarsi VII, 124.
») Mattli. 5, 3, Vailarsi VII, 23.
•"') Mattli. 5, 42, Vailarsi VII, 31.
*) Matth. 6, 24, Vailarsi VII, 36.
") Matth. 10, 9, Vailarsi VII, 58.
Wiederanknüpfung mit Rom. 263
Überaus merklich ist dies auch in der Eschatologie. Das Interesse dafür ist stetig geringer geworden, weil die Aufgaben der Kirche auf Erden immer dringendere geworden sind. Die Bitte: „Dein Reich komme" lenkt den Blick des Hieronymus nicht auf das zukijnftige Reich, sondern der Herr bittet hier allgemein für das Reich der ganzen Welt, daß der Teufel aufhören möge, in der Welt zu regieren, oder daß in jedem Gott herrsche und nicht die Sünde im sterblichen Leibe der Menschen.') Den Chiliasmus lehnt Hieronymus ausdrücklich und nachdrücklich ab. Wenn Matth. 5, 4 von dem Land, das die Sanftmütigen besitzen werden, die Rede ist, so ist es nicht auf dieser Erde zu suchen, sondern es ist darunter die zukünftige Seligkeit zu ver- stehen.') Und zu Matth. IQ, 2Q bemerkt er'): „einige knüpfen an die Schriftstelle — es ist das Wort: jeder, der sein Haus, Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Gattin, Kinder, Äcker meines Namens halber verläßt, wird es hundertfältig wiederempfangen und das ewige Leben besitzen, — das tausendjährige Reich an, indem sie sagen,daß wir alle Dinge,die wirverloren haben, hundert- fältig wiederempfangen werden, und sie erkennen nicht, daß, wenn diese Verheißung bei den übrigen Dingen einen passenden, sie betreff der Gattinnen einen unpassenden Sinn gibt, so daß der, welcher eine Gattin des Herrn halber verlassen hat, deren hundert in dem zukünftigen Reich empfangen würde. Der Sinn ist also der: welcher Fleischliches für den Erlöser verlassen hat, wird Geistliches empfangen, und es wird dies im Vergleich mit seinem Verdienst so sein, wie wenn man eine kleine Zahl mit der Zahl 100 vergleicht." Die Parusie Jesu wird nicht mehr von Hieronymus als nahe bevorstehend erwartet. Zwar berichtet er, daß die Wiederkunft Christi um Mitternacht in der Ostervigilie erwartet werde, und es deshalb Sitte sei, daß die Gemeinde in der Nacht vor dem Osterfest in der Kirche versammelt bleibe.') Aber er selbst erklärt ausdrücklich, daß eine lange Zeit zwischen der Himmelfahrt des Heilandes und
1) Matth. 6, 10, Vallarsi VII, 35.
-) Matth. 5, 4, Vallarsi VII, 23: non terram Judaeae nee terram istius mundi.
3) Matth. 19, 29, Vallarsi Vli, 151.
*) Matth. 25, 6, Vallarsi VII, 203: iinde reor et traditionem apostolicam
264 Wiederanknüpfung mit Rom.
seiner zweiten Ankunft verlaufen müsse.') -In diesem Sinne deutet er Matth. 24, 34: „Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis daß dies alles geschieht", nicht auf die Zeitgenossen Jesu, sondern auf das ganze Menschengeschlecht oder auf das Volk der Juden,') und in der Stelle Matth. 16, 28: „Einige sind hier, die den Tod nicht kosten werden", findet er überhaupt keine eschatologische Beziehung. Was seine Eschatologie betrifft, so zeigt sich bei Hieronymus das merkwürdige Schwanken zwischen der Spiritualisierung eschatologischer Vorstellungen und ihrer sinnlich -massiven Ausmalung, das für die mittel- alterlich-katholische Eschatologie charakteristisch geblieben ist. Bedingt ist diese inkonsequente Stellungnahme des Hieronymus einerseits durch seine Abhängigkeit von Origenes, anderseits durch seinen im Gegensatz zu Origenes an den Gemeinde- glauben vollzogenen Anschluß. So will er die Finsternis, in die die Söhne des Reiches, Matth. 8, 12, hinausgestoßen werden, als eine nicht äußerliche, sondern innerliche gefaßt wissen;') aber dann sieht er wieder in dem Heulen und Zähneklappen der Verdammten einen sinnlichen Vorgang') und spricht von einer doppelten Hölle, in deren einem Teil eine sehr große Hitze und in deren anderem Teil eine sehr große Kälte herrsche.') Er will die Vorzeichen der Parusie nicht geistlich, sondern buchstäblich gedeutet wissen;") er behauptet die leibliche Wieder- kunft des Elias vor der zweiten Ankunft des Erlösers,') die Auf- erstehung der Leiber und die Ewigkeit der Höllenstrafen/)
Nicht nur in der Eschatologie, sondern auch sonst bei der Erklärung des Matthäusevangeliums mischt sich bei Hiero- nymus ein schlichter, naiver Wunderglaube mit einem eigen-
permansisse, ut in die vi^iliaruni Paschae ante noctis dimidiuni populos dimittere non iiceat, exspectantes adventum Christi.
') Matth. 25, IQ, Vallarsi VII, 206.
-') Matth. 24, 34, Vallarsi VII, 198.
») Matth. 8, 12, Vallarsi VII, 45.
*) Matth. 22, 13, Vallarsi VII, 174.
*) Matth. 10, 28, Vallarsi VII, 63: dupliceni autem esse gehennam, nimii ignis et frigoris.
•■) Matth. 24, 7, Vallarsi VII, 193.
') Matth. 17, 11, Vallarsi VII, 132.
«) Matth. 25, 46, Vallarsi VII, 210.
Wiederanknüpfung mit Rom. 265
tümlichen Rationalismus. So will er z.B. bei der Taufgeschichte nichts von einer tatsächlichen Öffnung des Himmels wissen, sondern nur das geistige Auge sah den Himmel offen;') und während er ausdrücklich von den Vorzeichen der Parusie sagt, daß er nicht zweifle, daß diese Dinge sich buch- stäblich erfüllen würden,") erklärt er die wunderbaren Zeichen am Himmel, die Verfinsterung der Sonne, des Mondes und der Sterne ganz rationalistisch. Sonne, Mond und Sterne ver- lieren nicht ihr Licht, sondern sie erscheinen nur im Vergleich mit dem wahren Licht, Jesus Christus, wenn er wiederkommt, dunkel und finster. Und wenn es nach Matth. 24, 35 heißt: „Himmel und Erde werden vergehen", so ist damit nicht eine Vernichtung von Himmel und Erde gemeint, sondern nur eine Veränderung. ) Auch bei den Heilungsgeschichten begegnen uns, wenn auch selten, rationalistische Erklärungsversuche. Die Mond- süchtigen, die Jesus heilt, sind nach Hieronymus nicht wirklich mondsüchtig, sondern sie werden nur durch den Betrug der Dämonen dafür gehalten.') Es sind eben sonderbare Gegensätze in Hieronymus vereint. Der eifrige Verteidiger der Heiligen- verehrung und des Reliquienkultus erscheint bisweilen als nüchterner Kritiker des Aberglaubens: Wie die Juden in wört- lichem Mißverständnis von Deut. 6, 8: „Diese Worte sollen dir ein Denkmal vor deinen Augen sein," die Gebete des Dekalogs auf Pergamentstreifen an der Stirn tragen, so tragen bei uns abergläubige Weiblein kleine Evangelien, Kreuzeshölzer und ähnliche Dinge mit sich umher"), und einfältige Christen zeigen zwischen den Ruinen des Tempels und Altars an dem Tor, das nach Siloah führt, rote Felsen, die, wie sie glauben, durch das Blut Zacharias, des Sohnes Berechjas, befleckt sind, der von den Juden zwischen dem Altar und Tempel getötet wurde.')
') Matth. 3, 17, Vallarsi VII, 19. •-) Matth. 24, 7, Vallarsi VII, 193. «) Matth. 24, 35, Vallarsi VII, 198.
*) Matth. 4, 24, Vallarsi VII, 22: non vere lunaticos, sed qui puta- bantur lunatici ob daemonum fallaciam. ') Matth. 23, 6, Vallarsi VII, 184. «) Matth. 23, 35, Vallarsi VII, 190.
266 Wiederanknüpfung mit Rom.
In der Lösung sachlicher Schwierigkeiten beweist Hiero- nymus bei der Erklärung des Matthäusevangeliums ein nicht geringes Geschick, indem er alle möglichen exegetischen Kunst- griffe anwendet. Im Geschlechtsregister Jesu bei Matthäus fehlen zwischen Joram und Usia drei Könige; Hieronymus, der wohl dem Origenes folgt, erklärt dies damit, daß das Gedächtnis Jorams, der sich mit dem Geschlecht der gottlosen Jesabel vermischt hatte, bis zur dritten Generation ausgelöscht und nicht in die Reihe der heiligen Geburt aufgenommen werden sollte.') Daß das Geschlechtsregister Jesu auf Joseph und nicht auf Maria geführt wird, hat darin seinen Grund, daß einmal ein Geschlechtsregister nicht aus Frauen zusammen- gesetzt werden darf, dann aber auch darin, daß Joseph und Maria beide aus dem Stamm Davids hervorgegangen sind.') Wenn Jesus, der Sündlose, sich einer Bußtaufe durch Johannes unter- zog, so tat er dies, weil er als Mensch alle Gerechtigkeit und das Gesetz erfüllen mußte, weil er ferner durch seine Taufe die Taufe des Johannes billigen, und endlich, weil er durch das Herabkommen der Taube die Ankunft des heiligen Geistes bei der Taufe der Gläubigen beweisen wollte.')
Die Frage nach der buchstäblichen Erfüllung des Gesetzes wird von Hieronymus stillschweigend bei Seite geschoben, indem er das Wort Jesu in der Bergpredigt: „Kein Jota des Ge- setzes soll vergehen" allegorisch auslegt, daß auch das Geringste im Gesetz voll geistlicher Geheimnisse sei und im Evangelium erfüllt würde.') Das zum Lebensunterhalt nötige Brot, um das wir in der vierten Bitte des Vaterunsers bitten, ist Christus, der auch im Johannesevangelium das lebendige Brot genannt wird.') Die Frage Johannes des Täufers an Jesus Matth. 11, 3: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten", findet bei Hieronymus die zunächst befremdende Aus- legung, daß Johannes der Täufer Jesum frage, ob er, wenn er
•) Matth. 1, 3, Vailarsi VII, 11.
') Matth. 1, 18, Vailarsi VII, 12.
') Matth. 3, 13, Vailarsi VII, 19.
*) Matth. 5, 18, Vailarsi VII, 26.
*) Matth. 6, 11, Vailarsi VII, 34.
Wiederanknüpfung mit Rom. 267
in die Unterwelt herabsteige, den Unterirdisclien Jesum ver- künden solle, wie er ihn den auf der Erde befindlichen Menschen verkündet habe.') Hieronymus wird diese merk- würdige Deutung wahrscheinlich dem Origenes entnommen haben, der auch in seinem Johanneskommentar ■) Johannes den Täufer als Zeugen und Vorläufer Jesu in die Unterwelt hinabsteigen läßt. Möglich wäre es auch, daß Hieronymus hier dem Kommentar des Hippolyt gefolgt wäre, der ebenfalls Johannes den Täufer dem Herrn in den Hades vorangehen läßt, um dort anzuzeigen, daß der Erlöser auch dorthin kommen werde, die Seelen der Heiligen aus der Hand des Todes zu erlösen.') Daß die Sünde gegen den Sohn nach Matth. 12, 32 vergebbar ist, begründet Hieronymus damit, daß der Menschen- sohn in der Unscheinbarkeit eines Menschen erschienen sei, die Sünde gegen den heiligen Geist aber ist unvergebbar, weil der, welcher die Werke Gottes deutlich erkennt und sie für Werke des Teufels erklärt, keine Vergebung verdiene.') Die drei Tage, die Jesus nach Matth. 12, 40 in der Unterwelt zu- brachte, müssen, da es nicht volle drei Tage sind, synekdochisch verstanden werden, da Jesus, wie Hieronymus bereits im Jona- kommentar ausgeführt hatte,') nur einen Teil des Freitags, den ganzen Sabbat und einen Teil des Sonntags in der Unterwelt ge- wesen ist/') Die Brüder Jesu Matth. 12, 4Q macht Hieronymus, wie schon in der Schrift gegen Helvidius, zu Vettern Jesu und ereifert sich darüber, daß einige, dem Wahnsinn der Apokryphen') folgend, sie für Söhne des Joseph und einer anderen Gattin namens Melcha oder Escha erklären.'*) Den Matth. 23, 35 genannten Zacharja, den Sohn Barachias, halten einige nach Hieronymus für den Zwölfpropheten Sacharja, andere für
») Matth. 11, 3, Vallarsi VII, 67.
^) Comm. in Joh. II, 30.
') Hippolytus, de antichristo c. 45.
*) Matth. 12, 32, Vallarsi VII, 81.
'") s. Kommentar zum Jona § 37 S. 201.
«) Matth. 12, 40, Vallarsi VII, 83.
') Protevangelium Jacobi c. 17, s. Harnack, Altchristi. Literatur- geschichte I, 17 u. Vallarsi VII, 84 Anm. a.
») Matth. 12, 49, Vallarsi VII, 85.
268 Wiederanknüpfiing mit Rom.
Zacharja, den Vater Johannes des Täufers. Hieronymus identifiziert ihn mit dem Hohenpriester Zacharja, dem Sohn Jojadas, den König Joas töten ließ, und beruft sich für diese seine Meinung auf das Hebräerevangelium, wo er auch nicht als der Sohn Barachias, sondern richtig als der Sohn Jojadas bezeichnet werde.')
Große Mühe gibt sich Hieronymus, die Allwissenheit Jesu gegenüber der Stelle Matth. 24, 36 zu retten, wo es heißt, daß den Tag der Parusie nur der Vater kennt, auch nicht die Engel im Himmel und auch nicht der Sohn. Er verwirft die in einigen Codices sich findende Lesart, daß auch nicht der Sohn den Tag der Parusie kenne, und folgert dann, daß, wenn es heiße, den Tag der Parusie kenne nur der Vater allein, der Sohn, der mit dem Vater eines Wesens sei, mit in die Kenntnis der Parusie eingeschlossen sei, obwohl er nicht ausdrücklich genannt werde. ■) Von Origenes hat er die bei den Griechen weit verbreitete An- schauung in Matth. 27, 43 entlehnt, daß die Dämonen Jesus veranlassen wollten, vom Kreuz herabzusteigen, als sie die Kraft des Kreuzes erkannten, daß aber der Herr, den Hinterhalt der Gegner merkend, am Holz hängen blieb, um den Teufel zu vernichten.) Während er die Stelle Matth. 27, 53'), daß viele Leiber der entschlafenen Heiligen auferstanden, aus ihren Gräbern hervorgingen, in die heilige Stadt kamen und vielen erschienen, früher bald auf eine Erscheinung im irdischen Jerusalem,') bald im himmlischen Jerusalem") bezogen hatte, referiert er hier beide Auslegungen, ohne sich zu entscheiden, und betont nur, daß dies Ereignis nach der Auferstehung Jesu anzusetzen sei, da dieser der Erstling der von den Toten Auferstandenen sei. Das Problem, wie der Bericht des
') Matth. 23, 35. Vallarsi VII, 190.
=) Matth. 24, 36, Vallarsi VII, 199.
') Matth. 27, 43, Vallarsi VII, 234.
') Matth. 27, 53, Vallarsi VII, 237.
■') Ep. 46, 7 ad Marcellam, so auch Aiigiistin ep. 99 ad Evodiiim, Chrysostomus in ep. ad Hebr., s. Vallarsi I, 331, Anm. a.
*) Ep. 60, 3, so auch Origenes in Matth. 27, Eusebius, demonstr. evang. I. 4, Hilarins in ps. 2, Rufin in expositione symboli.
Wiederanknüpfung mit Rom. 269
Matthäus über galiläische Erscheinungen des Auferstandenen mit dem Bericht des Lukas über judäische Erscheinungen in Einklang zu bringen sei, besteht für Hieronymus nicht, weil er die Worte Jesu, er würde in Galiläa seinen Jüngern erscheinen, darauf bezieht, daß ihn seine Jünger nicht nur in Judäa, sondern auch" in Galiläa, d. h. inmitten der Menge der Heiden erblicken würden.')
Endlich sei noch ein Punkt, der die dogmatischen Über- zeugungen des Hieronymus betrifft, berührt. Man hat seine Auslegung von Matth. 25, 28: Jesus sagt "nicht, daß er seine Seele zur Erlösung für alle, sondern für viele gegeben habe, d. h. für die, welche glauben wollten, im prädestinatianischen Sinne gedeutet;') aber damit tut man ihm unrecht. Wie wenig Hieronymus trotz seines späteren Kampfes gegen Pelagius Prädestinatianer war, möge der Hinweis auf eine andere Stelle seines Matthäuskommentars beweisen. Zu Matth. 27, 34 betont er ausdrücklich, daß Judas Ischariot nicht durch seine Natur, sondern durch freien Willensentschluß zum Verräter wurde.'') Bezeichnend ist es noch, welche Wandlung der Kirchenbegriff von Origenes bis Hieronymus durchgemacht hat, ohne daß letzterem dies vielleicht selbst zum Bewußtsein gekommen ist. Wie bei Origenes, so ist es auch bei Hieronymus Gott, nicht der Priester, der den Schuldigen von seinen Sünden losspricht, und auch Hieronymus benutzt die Worte Matth. 16, 19') noch nicht, um eine absolute Macht des Priestertums über die Gewissen zu begründen. Vielmehr warnt er die Priester und Bischöfe vor dem pharisäischen Hochmut, die sich ein Ver- dammen und Lossprechen auf Grund amtlicher Machtvoll- kommenheit anmaßen. Das Lossprechen und Verdammen ist also auch bei Hieronymus noch ein rein deklaratives Aus-
1) Matth. 28, 6, Vallarsi VII, 241 ii. Matth. 28, 10, Vallarsi VII, 242.
^) Servatus Lupus berief sich im Praedestinationsstreit auf diese Stelle, s. Vallarsi VII, 157, Anm. a.
*) Matth. 27, 3, Vallarsi VII, 226 qui diversas naturas conantur in- troducere et dicunt Judam proditorem malae fuisse naturae, nee electione apostolatus potuisse servari, respondeant, quomodo natura mala egerit poenitentiam.
*) Matth. 16, 19, Vallarsi VII, 125 u. Origenes, Comm. in Matth., Migne P. G. 13, 1013.
270 Wiederankniipfung mit Rom.
sprechen des Urteils Gottes; so weit teilt Hieronymus noch die altkirchliche Anschauung. Aber während Origenes die Wirk- samkeit des Priesters von seiner sittlichen Integrität und seiner persönlichen Heiligkeit abhängig macht, macht Hieronymus einen solchen einschränkenden Zusatz nicht mehr. Der katholische Kirchenbegriff, den Augustin endgültig heraus- arbeitete, daf3 die Heiligkeit der Kirche wie die Wirksamkeit der Sakramente auf dem objektiven Heilsschatz der Kirche beruht, und daß aus ihm die Gnadengaben so ausgeteilt werden, daß der Verteilende sie nur mechanisch vermittelt, bahnt sich bei Hieronymus deutlich an.
Werfen wir zum Schluß einen Blick auf die ersten fünf- zehn Jahre von 385 bis 400, die Hieronymus im Kloster zu Bethlehem verbrachte, so zeigen sie uns den Gelehrten auf der Mittagshöhe seines Lebens. Es sind die produktivsten Jahre seines Schaffens, in denen vor allem sein größtes Werk, die Bibelübersetzung, die er in Rom mit der Revision der vier Evangelien begonnen hatte, fast vollständig abgeschlossen wurde. In diese Jahre fällt auch die bedeutsame Wandlung seiner theo- logischen Überzeugung; aus einem begeisterten Anhänger des Origenes ist er zu einem schroffen Traditionalisten geworden. Nicht plötzlich, sondern langsam und allmählich hat sich diese Wandlung vollzogen. Im Streite des Bischofs Johannes von Jerusalem mit Epiphanius von Salamis wurde er zum ersten Male gezwungen, Farbe zu bekennen und trat auf die Seite des alten Ketzerrichters; und im Kampfe mit seinem früheren Freund Rufin sagte er sich förmlich und feierlich von dem großen Alexandriner los. Fortan wurde er ein eifriger Hüter der traditionalistischen Theologie und der schärfste Gegner seines einstigen Lehrers. Der letzte Lebensabschnitt bis zu seinem Tode im Jahre 420 ist voll von erbitterten und ver- bitternden Kämpfen. Von dieser Lebensepoche des Hieronymus wird der dritte Band zu handeln haben.
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